Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts: Band I: Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414-1418) 9783534740345

Die großen Konzilien des 15. Jahrhunderts - von Pisa (1409) über Konstanz (1414-1418) bis Ferrara/Florenz (1438-1334) -

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German Pages 566 [561] Year 2015

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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Einleitung
1. Allgemeines
Reform als Aufgabe
Die avignonesischen Päpste und die Kirchenreform
Schisma und Kirchenreform
2. Die einzelnen Stücke der Auswahl
3. Einrichtung der Ausgabe
Abkürzungen
Literaturverzeichnis
A. Reformforderungen bis zum Konstanzer Konzil
1. Matthäus von Krakau, Der Sumpf der Römischen Kurie – De squaloribus curie Romane – 1403
2. Reformwünsche der Nationenvertreter auf dem Pisaner Konzil und die Antwort des Papstes, Juli 1409
3. Verhandlungspunkte für das Allgemeine Konstanzer Konzil, 1413
4. Dietrich von Nieheim, Vorschläge für Einheit und Kirchenreform an Haupt und Gliedern, Herbst 1414
B. Frühe Reformprogramme auf dem Konstanzer Konzil
5. Dietrich von Nieheim, Der Dialog aus der Kirchenreform-Eingabe, Ende 1414
6. Anonymus, Brief an König Sigismund, Febr. 1415
7. Anonymus, Reformtraktat 1415
C. Die Reformarbeit des Konstanzer Konzils
8. Pierre d'Ailly, Die Kirchenreform, Okt. 1416
9. Job Vener, Vorschlag zur Kirchen- und Reichsreform, 1417
10. Reformvorschläge aus dem Bistum Konstanz, 1417
11. Texte aus den Reformatorien zur Reform des Hauptes, 1415–1418
12. Texte aus den Reformatorien zur Reform der Glieder, 1415–1417
D. Ergebnisse des Konstanzer Konzils in der Kirchenreform
13. Konzilskonstitutionen der 39. Sitzung vom 9. Okt. 1417
14. Konzilskonstitutionen der 40. Sitzung vom 30. Okt. 1417
15. Reformdekrete Papst Martins V vom 21. März 1418
16. Konkordate mit den Konzilsnationen vom 21. März 1418
Register
Orts- und Personenregister
Sachregister
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Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts: Band I: Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414-1418)
 9783534740345

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AUSGEWÄHLTE QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS FREIHERR VOM STEIN-GEDÄCHTNISAUSGABE

Begründet von Rudolf Buchner und fortgeführt von Franz-Josef Schmale und Hans-Werner Goetz

Band XXXVIIIa

ACTA AD ECCLESIAM IN GENERALIBUS SAECULI XV. CONCILIIS REFORMANDAM SPECTANTIA Pars prior de Pisana et Constanciensi synodis

Collegerunt et ediderunt JÜRGEN MIETHKE et LORENZ WEINRICH

QUELLEN ZUR KIRCHENREFORM IM ZEITALTER DER GROSSEN KONZILIEN DES 15. JAHRHUNDERTS Erster Teil Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414 –1418)

Ausgewählt und übersetzt von JÜRGEN MIETHKE und LORENZ WEINRICH

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., bibliographisch aktualisierte Sonderausgabe 2015 © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage: 1995/2002 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Covergestaltung: Neil McBeath, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-26464-3 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74034-5 eBook (epub): 978-3-534-74035-2

INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung .

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IX

Einleitung . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . Reform als Aufgabe . . . . . . . . . Die avignonesischen Päpste und die Kirchenreform Schisma und Kirchenreform . . . . . . 2. Die einzelnen Stücke der Auswahl . . . . . 3. Einrichtung der Ausgabe . . . . . . .

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1 1 7 14 19 49

Abkürzungen

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1. Matthäus von Krakau, Der Sumpf der Römischen Kurie – De squaloribus curie Romane – 1403 . . . . . . . . .

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2. Reformwünsche der Nationenvertreter auf dem Pisaner Konzil und die Antwort des Papstes, Juli 1409 . . . . . . .

166

3. Verhandlungspunkte für das Allgemeine Konstanzer Konzil, 1413

186

4. Dietrich von Nieheim, Vorschläge für Einheit und Kirchenreform an Haupt und Gliedern, Herbst 1414 . . . . . .

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Literaturverzeichnis

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A. Reformforderungen bis zum Konstanzer Konzil

B. Frühe Reformprogramme auf dem Konstanzer Konzil 5. Dietrich von Nieheim, Der Dialog aus der Kirchenreform-Eingabe, Ende 1414 . . . . . . . . . . . . . .

296

6. Anonymus, Brief an König Sigismund, Febr. 1415

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7. Anonymus, Reformtraktat 1415 .

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VIII

Inhaltsverzeichnis

C. Die Reformarbeit des Konstanzer Konzils 8. Pierre d'Ailly, Die Kirchenreform, Okt. 1416 .

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9. Job Vener, Vorschlag zur Kirchen- und Reichsreform, 1417 .

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378

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416

11. Texte aus den Reformatorien zur Reform des Hauptes, 1415–1418

422

12. Texte aus den Reformatorien zur Reform der Glieder, 1415–1417

460

10. Reformvorschläge aus dem Bistum Konstanz, 1417 .

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D. Ergebnisse des Konstanzer Konzils in der Kirchenreform 13. Konzilskonstitutionen der 39. Sitzung vom 9. Okt. 1417

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14. Konzilskonstitutionen der 40. Sitzung vom 30. Okt. 1417

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15. Reformdekrete Papst Martins V vom 21. März 1418 .

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16. Konkordate mit den Konzilsnationen vom 21. März 1418

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Register . . . . . . . Orts- und Personenregister Sachregister . . . . .

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VORBEMERKUNG In diesem Band werden Quellen zur Kirchenreform bis zum Abschluß des Konzils von Konstanz vorgelegt, die exemplarisch – denn es handelt sich um eine streng beschränkte Auswahl – für die Bemühungen des 15. Jahrhunderts stehen und einen Einblick in Motive, Absichten und Methoden der Diskussionspartner ermöglichen sollen. Ein Anschlußband, der in Vorbereitung ist, wird dann die Entwicklung über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaus verfolgen. Die Übersetzungen bemühen sich um eine enge, aber nicht ängstliche Treue. Nicht immer konnten bei der Übertragung (oder Beibehaltung) von Fachtermini wirklich befriedigende Lösungen erzielt werden. Auch deshalb ist auf die Herstellung des lateinischen Wortlauts so viel Sorgfalt verwendet worden. Denn Übersetzungen können nur eine Verständnishilfe sein, sie sind nicht im Stande, an die Stelle der originalia, des Textes der Quellen selbst zu treten. Darum möchte auch diese Auswahl die Benutzer dazu ermutigen, sich dem Studium der Quellen weit über die hier vorgelegten Probestücke hinaus mit allem Interesse zuzuwenden, das das Thema wahrlich verdient. Was die Anteile der beiden Herausgeber anbelangt, so wurde die Einleitung von Jürgen Miethke verfaßt. Ansonsten stammt zunächst die Auswahl der Stücke von ihm, Textgestaltung und Übersetzung von Lorenz Weinrich; doch hat in diesen Teilen der jeweilige Partner mitgewirkt, so daß beide sich für das Ganze verantwortlich fühlen. Insbesondere gilt das für die kommentierenden Anmerkungen, die in wechselseitiger Kooperation entstanden. Den Handschriftenabteilungen der in- und ausländischen Bibliotheken ist für die Überlassung von Microfilmen oder die Ermöglichung der Einsichtnahme ihrer Handschriften zu danken. Besonderer Dank gebührt auch Frau Dipl. theol. Frauke Kesper MA, Frau Andrea Kleinitz MA und Herrn cand. phil. Winfried Töpler in Berlin sowie Frau stud. phil. et iur. Susanne Degenring, Herrn stud. phil. Harald Braun, Herrn stud. phil. Oliver Dinius und Frau stud. phil. Helke Rausch in Heidelberg für ihren Einsatz bei der kritischen Durchsicht des Manuskripts und technischer Hilfestellung. Im Heidelberger Sekretariat hat sich Frau Gertrud Schermann vielfachen Dank verdient.m Möge diese Dokumentation die Reformbemühungen der spätmittelalter-

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Vorbemerkung

lichen Kirche in ihrer Vielfalt, ihrer Intensität und ihren Grenzen deutlich werden lassen und zu einem umfassenden Bild des 15. Jahrhunderts beitragen. Berlin und Heidelberg, im April 1995 Jürgen Miethke und Lorenz Weinrich

EINLEITUNG 1. Allgemeines Reform als Aufgabe Die Aufgabe einer Reform der Kirche ist im Christentum seit langer Zeit ernst genommen worden. Die Vorstellung von einer ecclesia semper reformanda ist zwar in dieser Schärfe erst neuzeitlich, die Überzeugung, daß die Kirche zu einer ,,Reform des Zerstörten und außer Form Geratenen“ (reformacio destructorum vel deformium), zu einer ,,Berichtigung der Auswüchse“ (correccio excessuum) verpflichtet sei,1 geht aber im Grunde auf die Bibel selbst zurück 2 und hat demgemäß eine lange Begriffsgeschichte im Rücken, die hier nicht zu rekapitulieren ist.3 Wie immer auch im einzelnen verschieden gewichtet und verstanden, klar war bereits den hochmittelalterlichen Zeitgenossen, und es blieb für sie außerhalb ernster Diskussionen, daß die Reformaufgabe alle anging und nicht einem einzelnen allein in der Kirche aufgetragen war. Reform als Aufgabe

Einleitung 1. Allgemeines

1 Matthaeus von Krakau, De squaloribus curie Romane, cap. 2 [unten Text Nr. I, S. 64]. 2 Vgl. etwa die Stichworte anakainosis (von Johannes Behm) oder epanorthosis (von Herbert Preisker) in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Hrsg. v. Gerhard Kittel, bzw. Gerhard Friedrich. Bd. 3, Stuttgart 1938, S. 455, bzw. Bd. 5, Stuttgart, 1955) S. 452. 3 Für die frühe Zeit vgl. insbesondere Gerhart Burian Ladner: The Idea of Reform. Cambridge, MA 1959 (Taschenbuch-Ausgabe New York 1967); dazu die Aufsätze, jetzt gesammelt in Ladner: Images and Ideas in the Middle Ages. Selected Studies. Bd. 2. Rom 1983 (Storia e Letteratura 156); einen vorzüglichen knappen Überblick über die begriffsgeschichtliche Entwicklung bis zur Gegenwart liefert Eike Wolgast, Reform [siehe Literaturverzeichnis C], bes. S. 316–325. Eine umfassende Umschau für das 15. Jahrhundert jetzt bei Helmrath, Reform [s. Lit.verz. C – dieser Aufsatz ist neuerlich, umgearbeitet und bibliographisch ergänzt, auch erschienen als: Theorie und Praxis der Kirchenreform im Spätmittelalter. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992) S. 41–70; hier ist die erste Fassung benutzt, die Zitate wurden nicht auf die Neufassung umgestellt, auf die aber hier hingewiesen sei]. Für die Geschichte der Terminologie und des Wortgebrauchs vgl. zuletzt auch die ausgedehnte Materialsammlung bei Frech [s. Lit.verz. C]. Mit der vorliegenden Einleitung überschneiden sich teilweise die Erörterungen in: Miethke: Kirchenreform [s. Lit.verz. C]. Knapp zusammenfassend auch J. Miethke: Reform, Reformation. In: LexMA. 7/Lfg. 3 (1994), Sp. 543–550.

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Einleitung 1. Allgemeines

Am ehesten konnte dieser Pflicht auf Synoden entsprochen werden. Synoden und Reform von Mißständen gehörten jedenfalls schon nach Meinung des Hochmittelalters eng zusammen, oder richtiger, man meinte, daß Synoden für die ,,Reform“ von Mißständen unmittelbar zuständig seien.4 Da das Papsttum die allgemeine Reform in der Kirche des 11. Jahrhundert überall in Europa durchsetzte vor allem mit Hilfe päpstlich bestimmter, wenn nicht päpstlich beherrschter Synoden, also Kirchenversammlungen, auf denen der Papst selbst oder päpstliche Legaten für den Erfolg zu sorgen wußten,5 hat sich diese Anschauung für das spätere Mittelalter noch verfestigt. Weil sich das Papsttum als Spitze der Amtskirche damals allgemein durchzusetzen vermochte,6 hat es diesen Zusammenhang zunächst natürlich nicht durchbrochen. Bereits die Ladungsschreiben zu den Konzilien des 13. Jahrhunderts enthalten die Aufforderung an die Teilnehmer, sich der Aufgabe der Reform zu stellen. Zwar noch nicht besonders klar, aber doch erkenntlich formulierte es Papst Innozenz III. in dem Berufungsschreiben zum IV. Laterankonzil (1215),7 und alle folgenden Konzilsausschreiben hielten daran 4 Zur Kirchenreform auf den karolingischen Synoden neuerlich die zusammenfassende Darstellung bei Wilfried Hartmann: Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien. Paderborn, München, Wien, Zürich 1989 (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen), passim (ein eigenes Kapitel zur Reform war freilich, bezeichnend genug, in dem Buch nicht nötig). 5 Zur ,,Kirchenreform“ im 11. Jahrhundert vgl. die skeptischen Anmerkungen von Gerd Tellenbach: Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert. Göttingen 1988 (Die Kirche in ihrer Geschichte, Bd. 2/Lfg. F), S. 133 ff. 6 Zusammenfassend etwa Jürgen Miethke: Historischer Prozeß und zeitgenössisches Bewußtsein. Die Theorie des monarchischen Papats im hohen und späten Mittelalter. In: HZ 226 (1978) S. 564–599. 7 Mansi [s. Lit.verz. A], Bd. 22, Sp.960–962, hier Sp.960E/961B = Migne, PL 216, Sp.824A/B: ad (. . .) reformationem universalis ecclesiae; ad exstirpanda vitia et plantandas virtutes et corrigendos excessus et reformandos mores (,,zur Reform der gesamten Kirche“; "um Laster auszurotten und Tugenden zu pflanzen, um Auswüchse zu berichtigen und das Leben neu zu ordnen“) sollte das Konzil zusammentreten, die Reformaufgabe ist hier ersichtlich noch ganz ,,moralisch“ begriffen. Zeitgenossen freilich sahen diese Aufgabe nicht als allzu gewichtig an: vgl. Stephan Kuttner und Antonio García y García: A New Eye Witness Account of the Fourth Lateran Council. In: Traditio 20 (1964) S. 114–178, hier S. 128 Zl.184 f., dazu S. 121, S. 163 f. [jetzt in: Kuttner: Medieval Councils. Decretals and Collections of Canon Law. Selected Essays. London 1980 (Variorum Reprints, Collected Studies Series CS 126), nr. ix]. Über die Bedeutung des Konsenses zur Zeit des IV. Lateranums allgemein jetzt Bernhard Schimmelpfennig: ,,Mitbestimmung“ in der Römischen Kirche unter Innozenz III. In: Proceedings of the VIIIth International Congress of Medieval Canon Law, San Diego. Ed. Stanley Chodorow. Città del Vaticano 1992 (Monumenta Iuris Canonici, C 9), S. 455–470.

Reform als Aufgabe

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fest. Insbesondere das II. Konzil von Lyon entfaltete eine ansehnliche Reformaktivität.8 Unmißverständlich formulierte es Gregor X. bereits in seiner Einladung (31. März 1272), wenn er die Prälaten dazu aufforderte, alles ,,was die Feile der Berichtigung und Reform erfordert, sorgfältig zu erforschen, es getreulich niederzuschreiben und zur Kenntnis des Konzils zu bringen“. Zugleich versprach der Papst, für Besserung, für Reformen zu sorgen. Damit gab er gewissermaßen den Auftrag, gravamina schriftlich auszuarbeiten und diese Texte dem Konzil dann auch zur Beratung vorzulegen. Zugleich stellte er ausdrücklich Abhilfe in Aussicht. Papst Clemens V. hat sich dann in seinem eigenen Einladungsschreiben zum Konzil von Vienne fast wörtlich an diese Formulierungen gehalten.9 In der Tat besitzen wir heute noch eine ganze Reihe der Klage- und Reformschriften, die auf beiden Konzilien vorgelegt worden sind,10 eine der wichtigsten unter ihnen ist zweifellos ein Text des Guillelmus Duranti d. J., des Bischofs von Mende im Süden Frankreichs, der seinen Traktat De modo 8 Neuerdings Burkhard Roberg: Das zweite Konzil von Lyon (1274). Paderborn (usw.) 1990 (Konziliengeschichte, A: Darstellungen), S. 131 ff. (Reformaufgabe), S. 293 ff., 309 ff. (Reformdekrete). 9 Les régistres de Gregoire X (1272–1276), éd. Jean Guiraud, Paris 1892 (Bibliothèque des Ecoles Françaises d’Athènes et de Rome, 2e série 12/1), S. 53–55, Nr. 160, hier S. 55a: . . . Interim quoque per vos et alios prudentes viros deum timentes et habentes pre oculis omnia, que correctionis et reformationis limam exposcunt, inquirentes subtiliter et conscribentes fideliter eadem ad ipsius concilii notitiam deferatis. Et nos nichilominus variis modis et viis sollers studium et efficacem operam dare proponimus, ut omnia et alia in examen eiusdem deducta concilii correctionem et directionem recipiant opportunam. (Bis dahin sollt ihr auch selbst oder durch andere einsichtige Leute, die Gott fürchten und vor Augen haben, alles, was die Feile der Berichtigung und Reform erfordert, sorgfältig erforschen, es getreulich niederschreiben und zur Kenntnis des Konzils bringen. Dann wollen wir selbst uns auf jede erdenkliche Art und Weise bemühen, daß all dies und alles andere, was vor das Konzil zur Prüfung gebracht wurde, seine Berichtigung und günstige Anleitung erfährt). Vgl. auch ebenda, S. 91, Nr. 220 [11. März 1373]). Papst Clemens’ V. fast wortwörtlich identische Aufforderung in seiner Ladung zum Konzil von Vienne (31. August 1308): Mansi [s. Lit.verz. A], Bd. 25, Sp. 374E, bzw. Regestum Clementis papae V. Editum cura et studio monachorum O.S.B., Bd. 3. Rom 1886, S. 391, Nr. 3626. 10 Für das II. Konzil von Lyon vgl. Roberg, Lyon [wie Anm. 8], S. 90–126; für das Konzil von Vienne Ewald Müller: Das Konzil von Vienne 1311–1312. Seine Quellen und seine Geschichte. Münster i.W. 1935 (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 12), S. 587–611, S. 700–703, vgl. S. 17 und S. 109–117; auch etwa Louis Vereecke: La réforme de l’église au concile de Vienne, 1311–1312. In: Studia moralia 14 (1976) S. 283–335; jetzt in: Vereecke: De Guillaume d’Ockham à Saint Alphonse de Liguori. Etudes de l’histoire de la théologie morale moderne, 1300–1787. Rom 1986 (Congregatio SSmi Redemptoris, Bibliotheca historica 12), S. 27–57.

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Einleitung 1. Allgemeines

generalis concilii celebrandi offenbar unmittelbar vor dem Konzil von Vienne einreichte und noch einmal während des Konzils eine veränderte (leicht ermäßigte) Kurzfassung davon vorlegte.11 In diesen beiden Texten hat Duranti nicht allein eine höchst originelle und wegweisende konservative, am (vorgratianischen) Kirchenrecht orientierte Konzeption einer nichtpapalistischen Kirche entworfen, er hat auch mit Nachdruck (wenn er auch keineswegs die Formel selbst erfunden hat 12) eine correctio [. . .] in capite et membris für die gesamte ecclesia dei gefordert und damit wohl als erster auch Papst und Römische Kirche diesem Schlagwort unterworfen.13 Darüber hinaus hat Du11

Grundlegend und mit neuen Ergebnissen Fasolt [s. Lit.verz. C]: die in den Drukken seit der Editio princeps (Lyon 1531) verbreitete Textfassung ist eine mechanisch verwirrte Mischredaktion aus ursprünglich zwei verschiedenen Traktaten, dem Tractatus maior und dem Tractatus minor [beide Titel sind nichtauthentische Kunstnamen!], die sich aus der handschriftlichen Überlieferung rekonstruieren lassen. (Eine kritische Edition ist von C. Fasolt zu erwarten, eine schematische Konkordanz der ursprünglichen Anordnung der Rubriken mit denen des Erstdrucks bei Fasolt, S. 325; eine eingehende Konkordanz der verschiedenen Drucke ebenda, S. 367–375.) 12 Frech [s. Lit.verz. C] hat die verästelte Vorgeschichte der Formel bei den Klosterreformbemühungen des 12. Jahrhunderts ausführlich dargelegt und ein erstes Auftauchen in einem Brief Papst Alexanders III. von 1170/72 ausfindig gemacht (S. 113 f.), während das 13. Jahrhundert sie dann bereits durchgängig bei der Kloster- und Bistumsreform gebraucht, besonders in der Formulierung einer visitacio in capite et membris. Jetzt ist zu vergleichen auch Gert Melville: Die cluniazensische "reformatio tam in capite quam in membris“. Institutioneller Wandel zwischen Anpassung und Bewahrung. In: Jürgen Miethke, Klaus Schreiner (Hrsg.): Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen. Erklärungsmuster. Regelungsmechanismen. Sigmaringen 1994. S. 249–297. 13 Tractatus maior I 1, rubrica [in der Editio princeps, Lyon 1531, I 1, fol. 4rb]: de correctione eorum que male aguntur premittenda in dei ecclesia a ministris ecclesiasticis in capite et in membris (,,Hier sind vorauszuschicken die Reformen in Gottes Kirche an Haupt und Gliedern in all dem, was von kirchlichen Dienern Übles getan wird“); vgl. auch ebenda [fol. 4rb]: Videretur deliberandum, si posset, perquam utile fore et necessarium quod ante omnia corrigerentur et reformarentur illa que sunt in ecclesia dei corrigenda et reformanda tam in capite quam in membris, ut tamen cum pace et venia super hoc loquar et ex obendientia excusatus habear, ne ’os meum videar posuisse in celum’ xxi. di. In tantum . . . (,,Man muß gewiß überlegen, daß es ungemein nutzbringend und sogar notwendig ist, in der Kirche Gottes das, was berichtenswert und reformbedürftig ist an Haupt und Gliedern, zu berichtigen und zu reformieren, wobei ich das nur mit Respekt und mit Verlaub sage und mich mit [meiner Bereitschaft zum] Gehorsam entschuldigen kann, um nicht scheinbar ‘meinen Mund in den Himmel erhoben zu haben’ nach D. 21 c. 9 [vgl. auch Ps 72,9] . . .“). Frech [s. Lit.verz. C], S. 203, schreibt Duranti das Verdienst zu, die Formel auf Gesamtkirche und Papst übertragen zu haben: bezeichnenderweise konnte das erst nach der Ausbildung der korporativen Kirchenvorstellung geschehen, wie sie im 13. Jahrhundert geleistet wormmmmmm

Reform als Aufgabe

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ranti bereits, ebenfalls, wie es scheint, zum ersten Male, zum Zwecke der Reform eine Verstetigung des Rhythmus der Allgemeinen Konzilien verlangt, wenn er vorschlug, alle 10 Jahre Generalkonzilien (und, wie schon länger als prinzipielle Forderung üblich, nunmehr präzise alle 3 Jahre Provinzialsynoden) abzuhalten, um die Reformaufgaben ständig und rechtzeitig in Angriff nehmen zu können.14 Auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts, 100 Jahre nach seiner Abfassung, erlebte der Traktat, der in Vienne angesichts des erbitterten Widerspruchs der Kurie keine wahrnehmbare Wirkung entfalten konnte, dann eine wahre Auferstehung. Schon in Konstanz muß der Text verbreitet gewesen sein,15 zumal er Antworten auf schwierige Probleme bereithielt, die von überraschender Aktualität waren und die eine durchden war. [An der Schwelle zu solch allgemeinem Gebrauch stand kurz zuvor bereits ein südfranzösischer dominikanischer Visionär †1296, der in einer Traumvision das Gewand eines im Refektorium dienenden Bruders "tam in capite quam in membris“ mit großen Flecken verunreinigt sah – und damit seinen gesamten Orden als erneuerungsbedürftig, vgl. Jeannine Bignami-Odier: Les visions de Robert d’Uzès, in: Archivum fratrum Praedicatorum 25 (1955), S. 253–310, hier S. 287: . . . vidi in spiritu virum unum in habitu virorum evangelizantium habentem maculas magnas tam in capite quam in membris, dixitque spiritus domini: "Ordo hic maculatus est, tu autem serve meus dic ei ut mundetur“.] Nicht umsonst freilich formuliert Duranti diese Aufforderung hier unter Benutzung der im 14. Jahrhundert schon traditionell gewordenen Formel, keinen vermessenen Angriff gegen den Papst vortragen zu wollen; diese Formulierung benutzt etwa Johannes Quidort (in: De regia potestate et papali) nicht weniger als sechsmal: c. 6, 13, 20, 22 [in der Edition durch Fritz Bleienstein: Johannes Quidort von Paris, Über königliche und päpstliche Gewalt, Stuttgart 1969 (Frankfurter Studien zur Wissenschaft von der Politik 4), S. 95,25; 137,19; 184,6; 192,6; 194,25; 195,4]. Vgl. auch den kleinen (anonymen) Traktat "Non ponant laici os in coelum“, gedruckt bei Richard Scholz. Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz’ VIII. Stuttgart 1903 (Kirchenrechtliche Abhandlungen 6/8) [Neudruck Amsterdam 1962]. S. 471–484. Auch Heinrich von Cremona, De potestate pape, entstanden ca. 1302/1303, ed. R. Scholz, ibidem. S. 459–471, hier S. 459, gebraucht das Stichwort bereits wie selbstverständlich. 14 Tractatus maior (Epilogus), II 96 [= Editio princeps III 27, fol. 59ra]: Item quod nulla iura generalia deinceps conderet [ecclesia Romana], nisi vocato concilio generali, quod de decennio in decennium vocaretur . . . (,,Auch daß [die Römische Kirche] künftig neue allgemeine Rechtssatzungen nur erlassen wird, wenn sie zuvor ein allgemeines Konzil berufen hat, das jeweils alle 10 Jahre stattfinden soll“). Für die Provinzialkonzilien vgl. Tract. maior, II 96 (ebenda), zur Interpretation Fasolt [s. Lit.verz. C] S. 237 Anm. 55. 15 Die Traktate wurden etwa von Pierre d’Ailly: De reformacione ecclesie [gedruckt hier als Nr. VIII] benutzt [vgl. S. 338], wurden auch von Job Vener in seinem Reformavisament zitiert [unten Nr. IX, hier S. 388], vgl. auch die weiteren Nachweise bei Constantin Fasolt: Die Rezeption der Traktate des Wilhelm Durant d. J. im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: Das Publikum politischer Theorie im mmmmmmm

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Einleitung 1. Allgemeines

schlagende Wirkung erweisen sollten. Die Resonanz des Traktats auf dem Konzil von Basel ist bis in die Überlieferungsgeschichte der Manuskripte hinein zu belegen,16 da von den 11 bekannten Handschriften nicht weniger als 8 in erkennbarem Zusammenhang mit dem Basler Konzil entstanden sind. In diesem Traktat mischte sich eine ideale Rückwärtsgewandtheit, die in einer nebelhaften Ferne, in einer frühen Kirche, deren Strukturen noch in den alten Kanones des vorgratianischen Rechts (zum Teil damit also auch in den gefälschten Dekretalen der pseudo-isidorischen Sammlung, die ja damals noch fast uneingeschränkt Autorität genossen hat) unmittelbar, wenn auch nicht ganz deutlich greifbar schien. Gleichzeitig freilich zeigt Duranti einen energischen Zukunftsoptimismus und rationalistischen Gestaltungswillen, der die damals ,,modernen“ Mittel der papalen Amtskirche auf Dauer an eine konziliare Mitwirkung binden wollte. All das erscheint in einer heute schwer entwirrbaren Gemengelage. Duranti richtete seine Reformforderungen freilich noch an Papst und Konzil gemeinsam, an den ,,Papst im Konzil“. Ein Auseinandertreten dieser beiden Instanzen, gar ihr Gegeneinander oder ihr Widerstreit war ihm offenbar noch nicht vorstellbar. Freilich mußte der Autor noch auf dem Konzil von Vienne selbst den unbeugsamen Widerstand der Kurie, der Kardinäle und des Papstes, erfahren, denen es offenbar ohne große Mühe gelang, die ursprüngliche Schrift im wesentlichen ebenso ins Leere laufen zu lassen, wie den kürzeren und abgeschwächten Forderungskatalog, den der Autor, unverdrossen, in Vienne offenbar neu in die Debatte einführte. Ein harter Konflikt brachte den Bischof von Mende, wie es scheint, sogar in persönliche Bedrängnis.17 Aus seinen wohlgemeinten Vorschlägen zur Kirchenstruktur wurden zwar verschiedentlich Formulierungen in die Canones des Konzils übernommen, seine entscheidenden strukturellen Gesichtspunkte und Vorschläge dagegen fanden weniger Widerhall. Im 14. Jahrhundert wurden keinerlei Konsequenzen mehr aus ihnen gezogen, bis schließlich im 15. Jahrhundert, in Konstanz und in Basel, die Schrift Durantis ihre Stichworte zu geben vermochte als Anregung und Formulierungshilfe bei den Entscheidungen der großen Konzilien.

14. Jahrhundert. Hrsg. v. Jürgen Miethke. München 1992 (Schriften des Historischen Kollegs/Kolloquien 21), S. 61–80, hier S. 68 mit Anm. 27 [Ailly], S. 69 mit Anm. 32 [Vener]. 16 Außer dem soeben (letzte Anm.) zit. Artikel vgl. vor allem Constantin Fasolt: The Manuscripts and Editions of William Durant the Younger’s ,,Tractatus de modo generalis concilii celebrandi“. In: AHC 10 (1978) S. 290–309. 17 Johannes Haller: Papsttum und Kirchenreform [s. Lit.verz. C], S. 58 f.

Avignon und Reform

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Die avignonesischen Päpste und die Kirchenreform Was für den Bischof von Mende 1311/12 noch selbstverständlich gewesen war, daß nämlich Papst und Konzil gemeinsam die Reformaufgabe angreifen müßten, das verstand sich ein Jahrhundert später, auf dem Höhepunkt des Schisma, keineswegs mehr von selbst. Das lag nun nicht allein daran, daß nach der doppelten Papstwahl des Jahres 1378 kein allgemein anerkannter Papst mehr vorhanden war und zwei Päpste, zwei Kurien, zwei Obödienzen, bald geradezu zwei Kirchen mit- und gegeneinander um Anerkennung und Durchsetzung rangen. Vielmehr hatte das avignonesische Papsttum – offenbar bewußt und kalkuliert – Konzilien als Instrument der Kirchenpolitik überhaupt nicht mehr einsetzen wollen und hatte damit dieses Instrument innerkirchlicher Regulierung wieder in den Hintergrund der Bühne aktueller Kirchenpolitik gerückt. Nach dem Konzil von Vienne (1311/12) ist bis zum Pisanum und den dieses Konzil der Kardinäle begleitenden Konzilsversuchen der avignonesischen und römischen Obödienz in Perpignan und Cividale (1409), und damit ziemlich genau ein Jahrhundert lang, kein Konzil mehr zusammengerufen worden, obwohl das Spätmittelalter sonst als eine Blütezeit ständischer Repräsentanz und Teilhabeansprüche gelten kann. In der Kirche regierten die Päpste in einer scheinbar absoluten Monarchie, die auch von den Kardinälen trotz verschiedener Anläufe kaum wirksam eingeschränkt werden konnte. Die Erinnerung an die politischen Pressionen im Templer- und im Bonifazprozeß, denen sich Clemens V. durch den französischen Hof in Vienne ausgesetzt gesehen hatte, mochten einen gewissen Anteil an dieser Entwicklung haben, wichtiger aber war wohl, daß sich die Päpste mit ihrem neuartigen Apparat, der Kurie einer Weltkirche, stark genug glaubten, selber diese wie andere Aufgaben der Konzilien in ihre eigene Hand zu nehmen. Konnten sie die correctio in der Kirche nicht selbst unmittelbar viel wirkungsvoller durchsetzen, als es eine so unhandlich sperrige, umständliche und schwer zu regierende Versammlung wie ein Allgemeines Konzil vermochte?18 Avignon und Reform

18 Ausdrücklich unterstellt Pierre d’Ailly in seinem großen Reformmemorandum von Oktober 1416 [unten Text Nr. VIII] seinen kurialen Gegnern diese Argumentation, vgl. unten S. 338. Umgekehrt argumentierte (ca. 1370–1374/77, also gerade vor Ausbruch des Schisma) Nicole Oresme: Le livre de Politiques d’Aristote. Hrsg. von Albert Douglas Menut. Philadelphia 1970 (Transactions of the American Philosophical Society, n.s. 60/6). Hier S. 161a–b: . . . Car se . . . le princey de la court de Romme se trasist a la similitude de princey olygarchique ou tyrannique . . , jamés par eulx ne seroit faicte tele assemblee . . . Mes l’en doit supposer le contraire, et pour ce, se le Saint Pere apostolique auquel appartient faire tele convocation estoit de ce suffisanment requis ou avisé et il avoit oportunité et ce fust expedient pour corriger ou reformer aucunes choses ou pour conforter ou mettre miex ce que bien est, je tien que il le feroit et ce seroit une sante œuvre. (Denn wenn die Verfassung der Kurie in Rom mmmmmmmm

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Schon allein die Promulgation der Konzilsbeschlüsse des Konzils von Vienne 19 liefert ein bezeichnendes Beispiel für diese Verschiebung der Gewichte: in der letzten Konzilssitzung (am 6. Mai 1312) in Vienne hatte der Papst, wie es üblich war, eine Reihe von Konzilsdekreten verlesen lassen. Weitere Beschlüsse, die nach seiner Meinung noch nicht ihre endgültige Redaktion gefunden hatten, ließ er ausdrücklich, ohne sie im einzelnen zur Verlesung zu bringen, ,,als gelesen, angeordnet und erlassen“ (pro lectis, ordinatis et constitutis) erklären, ersetzte also aus päpstlicher Machtvollkommenheit Teile des traditionellen förmlichen Promulgationsprozesses durch päpstlichen Machtspruch. Die üblich gewordene Übersendung der Sammlung an die Universitäten sollte dann, so war es geplant, den definitiven Text aller Dekretalen bekannt machen. Es dauerte aber bis zum 21. März 1314, bis der Papst in einem feierlichen Konsistorium (in Monteux bei Carpentras) diese Endredaktion seiner Rechtssammlung erneut verlesen ließ und damit den Promulgationsprozeß fortführte, der in Vienne nicht zu Ende gebracht worden war (wobei die vorgelegte Kompilation anscheinend als Liber Septimus betitelt und damit an den Liber Sextus Bonifaz’ VIII., als Fortsetzung gleichsam, angeschlossen wurde). Bereits am 20. April 1314 aber starb Clemens V., ohne daß die Pusich zur Anähnelung an eine oligarchische oder tyrannische Verfassung verwandelt, wird eine solche [konziliare] Versammlung von ihnen [d. i. vom Papst und den Kurialen] niemals einberufen. Aber man muß das Gegenteil annehmen: darum glaube ich, wenn der Heilige apostolische Vater, dem eine derartige Einberufung zukommt, hinreichend darum gebeten wird oder man ihm dazu rät, und wenn dann eine Gelegenheit sich bietet und es förderlich erscheint, um einige Dinge zu bessern und zu reformieren oder zu bestärken oder auch um das, was schon gut ist, noch besser zu machen, daß er es dann tun wird. Ein heiliges Werk wird das jedenfalls sein!) Mit Händen ist hier zu greifen, daß Oresme ein Konzil für nötig hält. Dazu vgl. auch Susan M. Babbitt: Oresme’s Livre de Politiques and the France of Charles V. Philadelphia 1985 (Trans. of the Am. Phil. Soc. 75/1), S. 112 f. Vgl. auch unten Anm. 35. 19 Vgl. bereits Franz Ehrle: Ein Bruchstück aus den Acten des Concils von Vienne. In: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 4 (1888), bes. S. 439– 464; Ewald Müller, Vienne [wie Anm. 10], S. 396–408, auch S. 679–688; Stephan Kuttner: The Date of the Constitution Saepe, the Vatican Manuscript and the Roman Edition of the Clementines. In: Mélanges Eugène Tisserant. Bd. 4. Città del Vaticano 1964 (Studi e testi 234), S. 427–452 [jetzt in: Kuttner, Medieval Councils (wie Anm. 7), nr. xiii]. Der wichtigste Text jetzt bei Bernhard Schimmelpfennig: Die Zeremonienbücher der Römischen Kurie im Mittelalter. Tübingen 1973 (Bibliothek des Dtsch. Histor. Instituts in Rom 40), S. 162f. (nr. X, bes. vgl. § 9 u. 11). Vgl. auch Leonard E. Boyle: A Committee Stage at the Council of Vienne. In: Studia in honorem eminentissimi Cardinalis Alphonsi M. Stickler, curante Rosalio Josepho Card. Castillo Lara. Rom 1992 (Pontificia Studiorum Universitas Salesiana. Facultas Iuris Canonici, Studia et Textus Historiae Iuris Canonici, 7), S. 23–35.

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blikation des päpstlichen Gesetzbuches – nach Meinung der Zeit – definitiv hätte beendet werden können, fehlte doch vor allem die offizielle Übersendung der Sammlung an die Universitäten: offenbar war mit diesem Schritt noch gar nicht ernsthaft begonnen worden. Jedenfalls haben sich bereits die Zeitgenossen um Gültigkeit oder Ungültigkeit der Sammlung im formellen Sinn und damit um die Rechtskraft der einzelnen Dekretalen heftig gestritten.20 Erst der nach langer Sedisvakanz am 7. August 1316 gewählte Nachfolger, Papst Johannes XXII., hat dann auch dieses ihm von seinem Vorgänger hinterlassene Problem wieder aufgegriffen. Mit der Promulgation der Gesetzessammlung seines Vorgängers hegte er freilich keineswegs etwa nur die Absicht, was Clemens V. ins Werk gesetzt hatte, nun pietätvoll zu Ende zu bringen. Der neue Papst ließ vielmehr seinerseits zunächst erneut eine Redaktionskommission arbeiten, um seine eigenen Absichten und Ziele in die Kompilation einzubringen, bis durch die Publikation und die Übersendung der Sammlung in ihrer neuen Gestalt an die Universitäten von Bologna, Paris und anderwärts, die Rechtsgültigkeit der ,,Clementinen“ in ihrer definitiven Fassung endgültig sichergestellt wurde. Johannes XXII. hat in seiner Promulgationsbulle keinen Zweifel an seiner Auffassung von Aufgabe und Notwendigkeit seines päpstlichen Amts gelassen: ,,Weil schon von Jugend an Sinnlichkeit den Menschen zum Übel verführt, wodurch sich in Klerus und Volk Sittenverkehrung einschleicht, darum ist die Autorität der Obrigkeit notwendig, auf daß sie durch die Hilfe angemessener Festsetzung Zweifelhaftes aufhebe, Rechtshändel überflüssig mache, Streitigkeiten löse, Dunkles ausreiße, und überhaupt, wie es ein sorgsamer Landmann mit der Hauhacke tut, Laster ausrotte, Tugenden einpflanze, Auswüchse berichtige und das Leben reformiere.“ 21 20 Ein heftig umkämpftes Beispiel bieten die Regelungen des Konzils von Vienne im Streit zwischen Bettelorden und Pfarrklerus, weil sie zur mendikantenferneren Regelung Papst Bonifaz’ VIII. (Super cathedram, gedruckt etwa in: Extrav. comm. 3.6.2) zurückkehrten, nachdem dessen Nachfolger, der ehemalige Dominikaner Benedikt XI., eine mendikantenfreundlichere Dekretale (Inter cunctas, gedruckt etwa in: Extrav. comm. 1.7.1) erlassen hatte: s. Müller: Vienne [wie Anm. 10], S. 547–552; dazu vgl. die anschaulichen Quellenzitate bei Josef Koch: Der Prozeß gegen den Magister Johannes de Polliaco und seine Vorgeschichte (1312–1321). In: Recherches de théologie ancienne et médiévale 5 (1936) S. 391–422, jetzt in Koch: Kleine Schriften. Bd. 2. Rom 1973 (Storia e letteratura 128), S. 387–422, bes. S. 388 f. Zur allgemeinen kanonistischen Diskussion neuerlich Thomas Izbicki: The Problem of Canonical Portion in the Later Middle Ages, The Application of Super cathedram. In: Proceeding of the IVth International Congress of Medieval Canon Law [Cambridge 1984]. Ed. Peter Linehan, Città del Vaticano 1988 (Monumenta Iuris Canonici, C 8), S. 459–473. 21 Promulgationsbulle Johannes’ XXII. Quoniam nulla, in: Corpus Iuris Canonici, mmmmmm

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Die Gesamtverantwortung fällt dem Papst zu, der sie auch wahrzunehmen weiß. Ihm bleibt die Aufgabe, nicht nur das zu tun, was die päpstliche Gesetzgebung spätestens seit Bonifaz’ VIII. Liber Sextus als ihre Pflicht ansah, durch Rationalisierung des gesetzten Rechtes eine Effektuierung der geltenden Normen zu erreichen,22 sondern darüber hinaus fällt in die unmittelbare Verantwortung des Papstes die gesamte Normierung des menschlichen Lebens überhaupt. Der Papst als oberster Gesetzgeber wirkt nicht allein an dieser Aufgabe mit (die nur von dem Gesamtsystem der rechtlichen Normen überhaupt erfüllt werden kann), der Papst hat diese Aufgabe vielmehr als seine eigenste und eigentliche Verantwortung in die eigene Hand zu nehmen. Von einem Zusammenwirken auch nur mit der Kirche oder einem Konzil (geschweige denn mit einem weltlichen Gesetzgeber) ist bei Johannes XXII. nicht die Rede. Auch das Konzil von Vienne, dessen Kanones in der Sammlung ja vor allem enthalten waren, wird nur noch als eine der Gelegenheiten genannt, bei denen der Vorgänger seine ,,heilsamen“ Reformabsichten durch Satzungsrecht verwirklichte, die wichtigste Gelegenheit vielleicht, und deshalb an erster Stelle aufgeführt, aber jedenfalls nicht die einzige: ,,Er hat vor einiger Zeit, nicht nur auf dem Konzil von Vienne, nein, auch vor und nach dem Konzil Konstitutionen in großer Zahl erlassen, in denen er viel Nützliches und Heilsames bestimmt hat.“ 23 Das Konzil sieht sich in dieser päpstlichen Verlautbarung somit ganz eingeordnet in die Kirchenregierung durch päpstliche Dekretalenrechtssatzung, nimmt nicht einmal einen besonderen Rang ein, ist ein fast schon zufälliger Umstand ohne herausgehobene Bedeutung gegenüber der allgemeinen Kompetenz des Gesetzgebers, der Verantwortung des Papstes. ed. Friedberg [s. Lit.verz. B], Bd. 2, Sp. 1029: Quia etiam ab adolescentia viri proclivis ad malum sensualitas humana declinat, per quod morum subversio in clero et populo frequenter obrepit, necessaria est superioris auctoritas, ut tam per determinationis opportunae suffragium tollat ambigua, lites auferat, altercationes dirimat et obscura succidat, quam per cultoris providi sarculum extirpet vitia, virtutes inserat, corrigat excessus moresque reformet [vgl. zum Anfangssatz auch C. 12 q. 1 c. 1, sowie C. 20 q. 3 c.2!]. 22 Sten Gagnér: Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung. Uppsala 1965 (Studia iuridica Upsaliensia 1); allgemein vgl. auch Hermann Krause: Gesetzgebung. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 1. Berlin 1971. Sp.1606–1620, bes. Sp.1612 ff.; zur weltlichen Gesetzgebung im spätmittelalterlichen Europa eingehender Überblick bei Armin Wolf: Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten. In: Handbuch der Quellen und der Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Hrsg. v. Helmut Coing. Bd. 1. München 1973. S. 517–800 (hier etwa bes. S. 548 ff.). 23 Dudum nedum in concilio Viennensi, quin etiam ante et post ipsum concilium, constitutiones plurimas edidit, in quibus multa utilia statuit atque salubria.

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Die hier handgreifliche Tendenz zur Einebnung konnte sich nach dem Konzil von Vienne im Laufe des konzilslosen 14. Jahrhunderts noch eindeutiger abzeichnen. Der Papst und seine Kurie nahmen sich der Reform bewußt und mit Eifer an. Wie immer wir ,,Reform“ definieren wollen – und schon im Mittelalter selbst war man sich jenseits der grundsätzlichen Formel reformatio deformatorum keineswegs einig, wo eine derartige Reform ihre Maßstäbe hernehmen, wie sie im einzelnen durchgeführt werden sollte – die Päpste fühlten sich stark genug, im Zuge der Ausbildung ihrer kurialen Regierungspraxis 24 auch diese Aufgabe auf ihre Schultern zu laden. Die Ergebnisse freilich nahmen im einzelnen ein durchaus unterschiedliches Gesicht an. Schon Johannes XXII. selbst machte, als er sich darum bemühte, die im 13. Jahhundert an der Kurie in Rom ausgebildeten Praktiken in der Rechtspflege und vor allem im Geschäftsgang an die gewandelten Umstände in Avignon anzupassen, erhebliche Anstrengungen mit langanhaltender Wirkung. Seine Verwaltungsbegabung ist von den Historikern der Kurie bewundernd registriert worden. Johannes XXII. hat die administrativen Grundlagen für das avignonesische Papsttum erst eigentlich gelegt. Wer das nicht so gern als ,,Reform“ ansetzen will, sollte bedenken, daß während des 12. und 13. Jahrhunderts die gravamina immer und immer wieder gerade den kurialen Geschäftsgang als einen oder sogar als den Hauptpunkt der Reformagende zur Sprache brachten. Weder Bernhard von Clairvaux 25 noch Robert Grosseteste 26 bilden in diesem Punkt eine Ausnahme in dem vielstimmigen Chor. Art und Funktionieren der kurialen Verwaltungspraxis waren – als Ärgernis und Stein des Anstoßes – auch später noch Gegenstand von Reformüberlegungen. Insofern ist es erlaubt, ja notwendig, die Ausbildung und Errichtung des Systems selbst in den Zusammenhang der ,,reformierenden“ Regierungspraxis des avignonesischen Papsttums zu rücken. 24 Einen Überblick bietet bereits Guy Mollat: Les papes d’Avignon. Paris 101965, S. 463–565. Für die Ausbildung der Kurie im 14. Jahrhundert grundlegend die brilliante Studie von Bernard Guillemain: La cour pontificale d’Avignon, 1309–1376. Etude d’une société. Paris 1962 (Bibliothèque des Ecoles Françaises d’Athènes et de Rome 201) [ND 1968]; jetzt knapp, aber präzise (mit der wichtigsten neueren Literatur) auch Bernhard Schimmelpfennig: Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance. Darmstadt 31988 (Grundzüge 56), S. 223–245. 25 Vgl. De consideratione ad Eugenium papam, ed. Rochais-Leclercq [s. Lit.verz. B] Opera, Bd. 3. Rom 1963, S. 393–493, z. B. I.x.13, III.ii.6–12 (S. 408 f., S. 435–439), etc. 26 Vgl. vor allem Servus Gieben: Robert Grosseteste at the Papal Curia. Lyon 1250. Edition of the Documents. In: Collectanea Franciscana 41 (1971) S. 340–393, besonders Text I, S. 355 nr. 10, und Text III, S. 373 ff. Allgemein auch Richard W. Southern: Robert Grosseteste. The Growth of an English Mind in Medieval Europe. Oxford 1986, S. 272 ff.

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Mit der nervösen Energie, die ihm eigen war, hat Johannes XXII. freilich nicht nur die kuriale Praxis auf eine neue Basis gestellt,27 er hat seine Entscheidungsfreudigkeit und Selbstsicherheit auch vielfach in anderen Bereichen der Politik und bei vielfältigen Konflikten zur Geltung zu bringen versucht.28 Auf die Reformaufgaben hin freilich hat besonders sein Nachfolger, Papst Benedikt XII. (1334–1342) bereits vom Beginn seines Pontifikats an seine Anstrengungen konzentriert, besonders mit Blick auf die religiösen Orden, die einer eingehenden und für lange maßgeblich gebliebenen Neuregelung unterworfen wurden. Franziskaner, Zisterzienser, Benediktiner und Augustinerchorherren sind von diesem Papst mit neuen päpstlichen Statuten bedacht worden, nur die Dominikaner, von Benedikt XII. ebenfalls als Objekt seines höchsteigenen Reformwillens ausersehen, sperrten sich erfolgreich gegen solche päpstlich verordnete ,,Deformation“.29 27 Von den Wirkungen der Maßnahmen gibt ein exemplarisches Bild Louis Caillet: La papauté d’Avignon et l’église de France. La politique bénéficiale du pape Jean XXII en France (1316–1334). Préface de Jean Gaudemet. Paris 1975 (Publications de l’Université de Rouen). Eine vorzügliche knappe Darstellung des kurialen Benefizialrechts gab Andreas Meyer: Zürich und Rom, Ordentliche Kollatur und päpstliche Provisionen am Frau- und Grossmünster 1316–1523. Tübingen 1986 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 64), S. 25–60. Vgl. auch denselben: Spätmittelalterliches Benefizialrecht im Spannungsfeld zwischen päpstlicher Kurie und ordentlicher Kollatur. Forschungsansätze und offene Fragen. In: Proceedings of the VIIIth International Congress of Medieval Canon Law [San Diego 1988]. Ed. St. Chodorow. Città del Vaticano 1992 (Monumenta Iuris Canonici, C 9), S. 247–264. Die Linien für die Finanzen in der Schismazeit zieht aus vor allem Jean Favier: Les finances pontificales à l’époque du Grand Schisme d’Occident, 1378–1409. Paris 1966 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome 211); dazu wichtig die Rezension von Arnold Esch: In: Göttingische Gelehrte Anzeigen 221 (1969) S. 133–159. Zur Funktion der Kurie allgemein jetzt der zusammenfassende Überblick von Brigide Schwarz: Die römische Kurie im Zeitalter des Schismas und der Reformkonzilien. In: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde. Hrsg. v. Gert Melville. Köln, Weimar, Wien 1992 (Norm und Struktur 1), S. 231–258. Allgemein jetzt auch dieselbe: Römische Kurie und Pfründenmarkt im Spätmittelalter. In: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1992) S. 129–152. 28 Darauf geht in einer Skizze ein Raoul Manselli: Un papa in un’età di contraddizione: Giovanni XXII. In: Studi romani 22 (1974) S. 444–456, der freilich die administrativen Leistungen des Papstes allzu wenig berücksichtigt. Vgl. auch die knappe persönliche Charakteristik durch Hubert Jedin: Spätleistungen und Altersdefekte in der Papstgeschichte. In: Trierer Theologische Zeitschrift 73 (1964) S. 234–246, jetzt in: Jedin: Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte. Ausgew. Aufsätze und Vorträge. Bd. 1. Freiburg/Basel/Wien 1966, S. 293–304, bes. S. 295–297. 29 So der Mailänder Dominikanerchronist Galvaneus Flamma, vgl. zuletzt im einzelnen Franz Josef Felten: Le pape Benoît XII (1334–1342) et les Frères Prêcheurs. mmmmmmm

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Auch die weiteren avignonesischen Päpste haben die Aufgabe der Kirchenreform nicht auf die leichte Schulter genommen. Reformimpulse haben sie in unterschiedlicher Intensität und Richtung durchaus zu geben versucht.30 Noch der Ausbruch des Schismas 1378 war unter vielen anderen Ursachen auch darin begründet, daß Urban VI. seine verstiegenen Vorstellungen von der Bedeutung seines päpstlichen Amtes und der Stellung seiner Person in Kirche und Welt in ein harsches Reformprogramm auch seinen Kardinälen gegenüber umzumünzen versuchte und damit das ohnedies gespannte Verhältnis zu ihnen endgültig und unheilbar belastete.31

In: La papauté d’Avignon et de Languedoc 1316–1342. Toulouse 1991 (Cahiers de Fanjeaux 26), S. 307–342, Zitat S. 310 f. Vgl. auch Jean Dunbabin: The Hound of God. Pierre de la Palud and the Fourteenth Century Church. Oxford 1991, S. 192–194. Allgemein zu Benedikts vieldiskutierten Reformen vor allem Clément Schmitt: Un pape réformateur et un défenseur de l’unité de l’église: Benoît XII et l’Ordre des Frères Mineurs (1334–1342). Quaracchi, Florenz 1959; Bernhard Schimmelpfennig: Zisterzienserideal und Kirchenreform. Benedikt XII. (1334–1342) als Reformpapst. In: Zisterzienser-Studien 3. Berlin 1976, S. 11–43; ders.: Das Papsttum und die Reform des Zisterzienserordens im späten Mittelalter. In: Elm, Reformbemühungen [s. Lit.verz. C], S. 399–410; auch Laetitia Böhm: Papst Benedikt XII. (1334–1342) als Förderer der Ordensstudien. Restaurator – Reformator – oder Deformator regularer Lebensform. In: Secundum regulam vivere. Festschrift Norbert Backmund. Hrsg. v. Gert Melville. Windberg 1978, S. 281–370; sowie (für die Zisterzienserreform) Franz Josef Felten: Die Ordensreformen Benedikts XII. In: Institutionen und Geschichte [wie Anm. 27], S. 369–435. 30 Zu Urban V. zuletzt Ludwig Vones: La réforme de l’Église au XIV e siècle. Tentatives pontificales dans l’ésprit bénédictine et courants spirituelles dans l’entourage d’Urbain V. In: Crises et réformes dans l’Eglise de la réforme grégorienne à la préréform. Paris 1991 (115e Congrès nationale des sociétés savants, 1990, Avignon), S. 189 –206. Knapp auch jeweils Tilmann Schmidt: Benefizialpolitik im Spiegel päpstlicher Supplikenregister von Clemens VI. bis Urban V. In: Aux origines de l’État moderne, Le fonctionnement administratif de la papauté d’Avignon [Actes de la table ronde Avignon 1988]. Rom 1990 (Collection de l’Ecole française de Rome 138), S. 351–369, hier bes. S. 362 ff. Vgl. auch Anne-Marie Hayez: La personnalité d’Urbain V d’après sés réponses aux suppliques, ebenda, S. 7–31. 31 Aus der reichen fast unübersehbaren Literatur sei hier vor allem verwiesen auf Albert Hauck: Kirchengeschichte Deutschlands. Bd. 5/2. Berlin 91958, S. 676 ff.; Seidelmayer [s. Lit.verz. C], S. 10 ff.; auch Walter Ullmann: The Origins of the Great Schism. London 1948, S. 45 ff.; Olderico Preróvsky: L’elezione di Urbano VI e l’insorgere dello scisma d’Occidente. Rom 1960 (Miscellanea della Società Romana di Storia Patria 20), S. 65 ff., 106 ff. Für den allgemeinen Rahmen vgl. jetzt auch die Aufsätze in dem Sammelband: Genèse et débuts [s. Lit.verz. C].

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Schisma und Kirchenreform Man muß diese Bemühungen der avignonesischen Päpste nicht mißachten oder unterschätzen, wenn man konstatiert, daß schon die Zeitgenossen des späteren 14. Jahrhunderts dem Empfinden eines gewaltigen Reformbedarfs vielfältigen Ausdruck gegeben haben. ,,Reform“ als Forderung wurde zu einem rasch abgegriffenen Schlagwort: das große Abendländische Schisma, das sich nach der Rückkehr Papst Gregors XI. aus Avignon nach Rom sogleich nach der tumultuarischen Wahl seines Nachfolgers Urbans VI. in dem wachsenden Zerwürfnis zwischen Papst und Kardinalskolleg angekündigt hatte, und das wenige Monate später, noch im Jahr 1378, durch die Wahl Papst Clemens’ VII. Wirklichkeit geworden war, hat es vielen Zeitgenossen bewußt gemacht, daß sich etwas ändern sollte, ja daß sich in Zukunft etwas ändern müsse, wenn man nicht ständig eine Wiederholung der Verwirrung sollte fürchten müssen. Nur waren sich freilich die Zeitgenossen erneut keineswegs einig darüber, was sich ändern, an welchen Gesichtspunkten man sich orientieren sollte, welche Forderungen erfüllt werden mußten, wollte man dem allgemeinen Wunsch entsprechen. Nichts spricht dafür, daß wir ,,Reformbedürftigkeit“ als Urteilskategorie für jene Zeit nicht auch, wie sonst, als einen Begriff einzuschätzen haben, der stark vom Betrachter, seinen Wahrnehmungen und Bedürfnissen abhängt und der darum rein positivistisch nicht rekonstruierbar ist. Bei aller Subjektivität im Begriff freilich ist es doch ein Unterschied, ob wir es in einem Text mit einer vereinzelten Stimme zu tun haben, oder ob wir einem vielstimmigen Chor begegnen, ob die Reformforderung sich zur Mächtigkeit einer Zeitströmung zu erheben vermag, oder ob sie nur vereinzelt als Kassandraruf ertönt. Mit dem Ende des 14. Jahrhunderts beobachten wir jedenfalls eine starke Verbreiterung der Zahl der Texte, eine Vielzahl der Belege, eine ganze Reformdiskussion, die auf Jahre und Jahrzehnte hin die Debatte wesentlich bestimmt. ,,Hoch und niedrig, berühmte Gelehrte und namenlose Pamphletisten sind sich darin einig, daß am Leibe der Kirche auch nicht ein gesunder Fleck zu finden ist“, so charakterisierte schon 1903 Johannes Haller das Bild, das uns die Reformtraktate und Predigten im 15. Jahrhundert bieten.32 Dieses vielfältige Klagelied soll hier nicht erneut im einzelnen belegt werden; was etwa Prediger auf dem Konzil in Konstanz vorgetragen haben, ist in einer farbigen Zusammenstellung bereits 1933 von Paul Arendt exemplarisch vorgeführt worden.33 Hier kommt es vor allem darauf an, daß seit dem Schisma und Kirchenreform

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Haller: Papsttum und Kirchenreform [s. Lit.verz. C], S. 3 f. Paul Arendt: Die Predigten des Konstanzer Konziles. Ein Beitrag zur Predigtund Kirchengeschichte des ausgehenden Mittelalters. Freiburg i. B. 1933, S. 169–267. Vgl. später vor allem die Texte bei Johann Baptist Schneyer: Konstanzer Konzilspremmmmmm 33

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Beginn des 15. Jahrhunderts das Schisma in den Texten immer deutlicher thematisch mit dem Reformthema verbunden wird. Nicht daß es selbst als Ursache aller Schäden angesehen würde, so kurzschlüssig argumentierte man nicht. Aber es schien unabweisbar, daß eben das Schisma, die Doppelwahl des Jahres 1378 und die Spaltung der Christenheit in zwei Obödienzen, die Spaltung der Kirche in zwei Kirchen einen deutlichen Höhepunkt der Schäden markiere, ein eindeutiges Zeichen für den Verfall, das die Gefahr nun wirklich jedermann vor Augen führen könne.34 Das Schisma galt nicht als Ursache, sondern als Folge der Reformbedürftigkeit, als ihr unüberbietbarer und unwiderleglicher Beweis.35 Das ist das digten. In: ZGO 113, 115–120 (1965, 1967–1972); ders.: Neuaufgefundene Konstanzer Konzilspredigten. In: AHC 2 (1970) S. 66–77. 34 So markant in der Ende 1400/Anfang 1401 niedergeschriebenen Schrift des Nicolaus von Clamanges: De ruina et reparacione ecclesie, ed. Alfred Coville: Le traité de la ruine de l’Eglise de Nicolas de Clamanges et la traduction française de 1564. Paris 1936. S. 111–156; vgl. hier – nach einer berühmten Beschreibung der allseitigen Mißstände – besonders die erstmalige Behandlung des Schisma in cap. 43, S. 151 f. Zusammenfassend zur Biographie Gilbert Ouy. In: LexMA. Bd. 6 (1993) Sp. 1131 f. Zu seinen Lebensumständen vor allem Ezio Ornato: Jean de Muret et ses amis Nicolas de Clamanges et Jean de Montreuil. Paris 1969 (Centre de recherche d’histoire et de philologie. Hautes études médiévales et modernes 6), bes. S. 193–217. 35 Für die frühe Zeit etwa Heinrich von Langenstein: Epistola concilii pacis (nach von der Hardt [s. Lit.verz. A]), gedruckt von Dupin [s. Lit.verz. A]: Bd. 2, Sp.809– 840, hier c. 13, Sp. 825C: Esto quod hoc schisma non evenisset, adhuc ad reformationem universalis ecclesiae in plurimis aliis exorbitacionibus et deviationibus inferius enumerandis opus fuisset diu concilio generali, et fortassis quia praelati ante ad hoc indispositi erant, deus hoc schisma ad virorum ecclesiasticorum quasi expergefactionem oriri permisit, ut in concilio eius occasione congregando ecclesia in hoc et in aliis reformaretur (,,Gesetzt den Fall, das Schisma wäre nicht eingetreten, so wäre doch längst zur Reform der allgemeinen Kirche in zahlreichen anderen Übertretungen und Abweichungen, die weiter unten aufzuführen sind, ein allgemeines Konzil nötig gewesen; vielleicht ließ Gott, da die Kirchenoberen zuvor so wenig dazu geneigt waren, dieses Schisma gleichsam zur reinigenden Abfuhr der Kirchenmänner entstehen, damit die Kirche auf dem Konzil, das bei dieser Gelegenheit einberufen werden muß, in diesen wie in anderen Punkten reformiert wird“). Vgl. auch c. 3, Sp. 810B, oder den Katalog der Mißstände c. 16–18, Sp. 835B–839C. Zur Entstehung dieser Schrift, zu Handschriften, Textgeschichte, Drucken: Georg Kreuzer: Heinrich von Langenstein. Studien zur Biographie und zu den Schismatraktaten, unter besonderer Berücksichtigung der Epistola pacis und der Epistola concilii pacis. Paderborn usw. 1987 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, NF 6), S. 56 ff., 192–233. – Ähnlich andere, z. B. noch der Erzbischof Pileo von Genua in seiner Reformschrift unmittelbar vor dem Konzil von Konstanz Informaciones super reformacione ecclesiae, ed. Johann Joseph Ignaz von Döllinger: Beiträge zur politischen, kirchlichen und Cultur-Geschichte der sechs letzten Jahrhunderte. Bd. 2. Regensburg 1863 [ND Frankfurt a. M. 1967], S. 301–311 mmmmmmmmm

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Einleitung 1. Allgemeines

immer und immer wieder ausgeführte Thema unserer Texte, die im einzelnen dann gewiß manch unterschiedliche Ursachen benennen, deren Behebung zur Reform beitragen könne. Kaum je wird aber während der Schismazeit darauf verzichtet, auf diese Grundfrage als solche hinzuweisen. In der späteren breiten Diskussion wird darum auch fast stets die Aufgabe, das gegenwärtige Schisma zu beenden, in engster Verbindung mit der Aufgabe gesehen, künftige Schismata zu verhindern, und damit letztendlich mit der Aufgabe der Reform. Denn eine Prophylaxe vor künftigen Spaltungen schien auf verschiedenem Wege möglich. Da gab es institutionelle Vorkehrungen für Papstwähler und den Gewählten, Vorschläge für die nationale Zusammensetzung und Repräsentativität des Kardinalskollegs sowie die Forderung, durch einen Ausbau der Wahlkapitulation zu einer eng mensurierten Professio fidei möglichem künftigen Amtsmißbrauch gehörige Zügel anzulegen.36 Naheliegend schien sehr vielen Vorschlägen aber auch die Aufforde(hier S. 301): Cum hoc sacrum et generale Constantiense concilium convocatum sit non solum propter ecclesie unionem disponendam et obtinendam, verum etiam propter generalem ipsius reformacionem in capite et in membris, sine qua reformacione ipsa unio non esset adeo fructuosa et stabilis . . . (,,Da dies heilige allgemeine Konzil in Konstanz nicht allein dazu berufen wurde, die Einheit der Kirche zu besorgen und zu erreichen, sondern auch zu ihrer allgemeinen Reform an Haupt und Gliedern, ohne welche auch diese ihre Einheit nicht so fruchtbar und gesichert wäre . . . “); auch der über die Möglichkeiten eines Konzils äußerst skeptische Nicolaus von Clamanges [zu ihm oben Anm. 34] ist sich darin mit den Konzilsplanern einig: ,,Disputacio super materia concilii generalis“. In: Nicolai de Clemangiis Opera omnia, ed. Iohannes Martini Lydius. Lyon 1613 [Neudruck Farnborough, Hants. 1967], S. 61–79, bes. 70 a [u. ö.]: Liquet ergo aperte ante veram solidamque pacem ecclesie reformacionem morum ecclesiasticorum premitti oportere [,,Es ist sonnenklar, daß vor einer Wiedergewinnung eines wahren und sicheren Friedens in der Kirche (d. h. der Kircheneinheit) eine Reform des Lebens der Kirche vorausgehen muß“]. [Vgl. auch unten Anm. 95]. Auch Dietrich von Nieheim: De modis uniendi et reformandi ecclesiam in concilio generali (ed. Heimpel, wie unten Anm. 52) hat 1410 einen festen Zusammenhang zwischen der Aufgabe der Wiederherstellung der Einheit und der Durchführung der Reform an Haupt und Gliedern gesehen, vgl. allein den Titel der Schrift, oder auch z. B. S. 68: . . . dum queritur, ad qualem finem huiusmodi generalis concilii fiat convocacio, respondetur quod fieri debet principaliter propter duo: primo quod sit unio in capite; secundum quod fiat unio in moribus et sacris statutis primitive ecclesie et decretorum ac rectarum decretalium observacione (,,Wenn man fragt, mit welchem Ziel ein derartiges Konzil einberufen werden soll, so ist die Antwort: hauptsächlich aus zwei Gründen, erstens damit eine Vereinigung des Hauptes [möglich] sei, zweitens damit eine Vereinigung geschehe im Leben und den heiligen Gesetzen der Urkirche, sowie bei der Beachtung des Kirchenrechts, wie es bei Gratian und in den rechtmäßigen [!] Dekretalen der Päpste enthalten ist“). 36 Zusammenfassend Herbert Hurka: Die angebliche professio fidei Papst Bonimmmmmmmmm

Schisma und Kirchenreform

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rung, nun endlich mit der Reform der Kirche ernst zu machen und damit für die Zukunft vorzubauen. Diese Instrumentierung der Kirchenreform für die Aufgabe der Schismabeseitigung mußte aber auf die Dauer mit einiger Zwangsläufigkeit die lang verzögerte und bisher nie recht in Schwung gekommene via concilii als Lösungsweg aus der allgemeinen Krise favorisieren. Gewiß wäre der Eindruck verfehlt, als hätte jedermann damals die Kirchenspaltung als dringendste Frage auf seiner Tagesordnung gesehen. Am 7. Februar 1408 (im Vorfeld des Konzils von Pisa also) ist die Meinung eines Florentiner Bürgers in der Ratsversammlung protokolliert, er wünschte sich zum Wohle von Florenz eher 12 Päpste, es wäre von Vorteil, sich keinesfalls in die Konzilssache einzumischen. Noch im Jahre 1429, also 11 Jahre nach dem Abschluß des Konstanzer Konzils, schrieb der Ordensprokurator des Deutschen Ordens von der Kurie in Rom an seine Zentrale, ein Schisma sei politisch doch recht günstig, günstiger gar, als ein dem Orden wohlgesonnener Papst sein könne.37 Die Christenheit hat sich also keineswegs immer in ungeteilter Einmütigkeit nach einer Beendigung des Schisma gesehnt, oder gar daran gearbeitet. Gleichwohl mußte, je länger das Schisma andauerte und durch militärische Mittel ebensowenig zu beseitigen war wie durch noch so patent ausgeklügelte Spezialrezepte gelehrter Gutachter, desto stärker die Konzilslösung an Überzeugungskraft gewinnen. Zwar sah sich dieser Vorschlag von vornherein vor ungewöhnliche Schwierigkeiten allein des Verfahrensrechts gestellt, da es ja einen unbestrittenen Papst, der das Konzil hätte berufen und leiten können, nicht gab. Und bei allen herkömmlichen mittelalterlichen Konzilsfaz’ VIII., Phil. Diss. Freiburg i. B. 1954 [masch.]; zur Rolle einer professio fidei in extremis Bonifaz’ VIII. im Prozeß gegen dessen Andenken jetzt Tilmann Schmidt: Der Bonifaz-Prozeß. Verfahren der Papstanklage in der Zeit Bonifaz’ VIII. und Clemens’ V. Köln, Wien 1989 (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 19), S. 279 f. 37 1408: Florenz, Archivio di Stato, Consulte e Pratiche 39, fol. 6r, hier zitiert nach Peter Herde: Politische Verhaltensweisen der Florentiner Oligarchie 1382–1402. In: Geschichte und Verfassungsgefüge, Frankfurter Festgabe für Walter Schlesinger. Wiesbaden 1973 (Frankfurter historische Abhandlungen 5), S. 190 Anm. 178: . . . et quod pro bono huius vellet quod essent .xii. pape . . . et quod stare et non intromittere se de aliquo in hac materia utile est (,,Er wünsche sich für das Wohl des Volkes [von Florenz], daß es 12 Päpste gäbe . . . es kann nur von Nutzen sein, jetzt stille zu halten und sich keinesfalls in diese Frage [des Konzils] einzumischen“). – 1429: vgl. Hartmut Boockmann: Zur politischen Geschichte des Konstanzer Konzils. In: ZKG 85 (1974) S. 45–63, bes. S. 45 f. Satirisch später Erasmus von Rotterdam, der in seinem ,,Julius exclusus“ [von 1513] dem Papste selbst unterstellt, er ziehe 300 Schismata einem einzigen neuen Konzil vor, gedruckt etwa in: Erasmus von Rotterdam. Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Werner Welzig. Bd. 5. Gütersloh 1968, S. 6–109, Zitat S. 66.

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Einleitung 1. Allgemeines

vorstellungen war bisher der päpstliche Vorsitz und das päpstliche Vorrecht unstrittig gewesen. Das erklärt nicht zuletzt die lange Frist, die verstrich, bis nach den ersten Erörterungen über ein Konzil in den frühen 80er Jahren des 14. Jahrhunderts endlich, fast eine ganze Generation später, im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts energischere Schritte zu einer Verwirklichung des Konzilsgedankens unternommen wurden. Konzilien aber sollten dann, einmal in Gang gekommen, nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden, bis das Basler Konzil durch Überdehnung seiner Möglichkeiten sich selbst aufs Abstellgleis führte und einem restaurierten Renaissancepapsttum das Feld überlassen mußte.38 Die Erkenntnis, daß die Reformaufgabe mit einer erfolgreichen Beendigung des Schisma in enger Verbindung stehe, hat demnach dazu geholfen, die via concilii zu beschreiten, allen Schwierigkeiten zum Trotz, die das in der juridifizierten und für Verfahrensfragen hochsensiblen Amtskirche des Spätmittelalters heraufbeschwören mochte. Der Streit um den Ausweg aus dem Schisma war in der Tat lang und heftig. Früh schon wurden mit den verschiedensten Vorschlägen einer via aus der Krise auch von verschiedenen Seiten Reformvorschläge vorgebracht und schriftlich in Umlauf gesetzt. Fast läßt sich die Faustregel aufstellen: wann immer eine synodale Beteiligung an der Lösung erwogen wurde, wurde auch verstärkt über Reformen debattiert. Da gab es die ausgedehnte Debatte um die via cessionis, die Hoffnung auf den Verzicht der beiden Papstprätendenten, die einer gemeinsamen Neuwahl Raum schaffen sollte. Da gab es, insbesondere in Frankreich, die Erörterung und den Versuch, durch Gehorsamsentzug den Rücktritt des jeweils eigenen Papstes zu erzwingen, um so eine gemeinsame Neuwahl möglich zu machen.39 Schon die Entscheidung über eine subtractio obedientie (einen Gehorsamsentzug) war ohne Kirchenversammlung oder doch synodenähnliche Konferenzen der Landeskirchen nicht zu erörtern oder gar durchzusetzen. Daher finden sich in der Subtraktionsdebatte immer wieder Ankündigungen künftiger Reformbemühungen, die zu der Reformdiskussion ihren programmatischen Beitrag leisteten. Einleitung 1. Allgemeines

38

Darauf wird im Anschlußband (FSGA, A., Bd. 38 b) näher einzugehen sein. Dazu jetzt Howard Kaminsky: Simon de Cramaud and the Great Schism. New Brunswick, N. J. 1983. Vgl. auch Helène Millet: Du conseil au concile (1395–1408). Recherche sur la nature des assemblées du clergé en France pendant le Grand Schisme d’Occident. In: Journal des Savants (1985), S. 137–159. 39

Vor den Konzilien: Matthäus

2. Die einzelnen Stücke der Auswahl

19 Einleitung 2. Zum Text A 1

A. Reformforderungen bis zum Konstanzer Konzil Reformschriften aus der Schismazeit (zu Nr. 1) Von den vielstimmigen zahlreichen Reformschriften kann hier – schon allein aus Raumgründen – keine vollständige Partitur, auch kein repräsentativer Auszug aufgezeichnet werden. Nur exemplarisch wird eine einzige Einzelstimme zu Gehör gebracht, die aber wegen ihres spezifischen Gewichts erhöhte Beachtung verlangt, wie es sich in der handschriftlichen Verbreitung einerseits und in der Beachtung durch die Forschung andererseits zu erkennen gibt, zumal diese Schrift auch im Rahmen einer Auswahl von Quellen zur deutschen Geschichte als Stimme aus einem Zentrum des damaligen Römischen Reiches einer besonderen Aufmerksamkeit wert ist: die Reformschrift des späteren Bischofs von Worms, damaligen Heidelberger Universitätstheologen und vor allem engen Beraters und Protonotars am Hofe des Römischen Königs Ruprecht von der Pfalz (1400–1410), Matthäus von Krakau († 1410), eine Schrift, die traditionell unter dem Titel De squaloribus curiae Romanae40 bekannt ist [Text Nr. I]. Die Verfasser des Traktats, der in den Hss. zum größeren Teil anonym geführt wird, sind von der Forschung in einer komplexen Debatte, vor allem aufgrund von Selbstaussagen und Aktenstücken, gesichert worden.41 Es scheint heute klar, daß Matthäus von KraVor den Konzilien: Matthäus

Zur Überschrift vgl. vor allem die Angaben von Wladyslaw Senko in seiner Ausgabe der Schrift [s. Lit.verz. A], S. 25 u. 52, die m.E. keine eindeutige Präferenz für den von Senko für seine Edition gewählten blasseren Titel ergeben. 41 Dazu vor allem Hermann Heimpel: Der verketzerte Matthäus von Krakau. In: Festschrift Walter Schlesinger. Köln, Wien 1974 (Mitteldeutsche Forschungen 74/II), Bd. 2, S. 443–455; ders.: Studien zur Kirchen- und Reichsreform des 15. Jahrhunderts, II: Zu zwei Kirchenreformtraktaten des beginnenden 15. Jahrhunderts. Heidelberg 1974 (Sber. Heidelberg 1974,1); zusammenfassend: Heimpel, Vener [s. Lit.Verz. C], S. 220–222, 232–234, 695–732 (hier S. 705–726 auch eine ausführliche analysierende Paraphrase des Traktats; S. 696 f. Anm. 5: Nennung von 4 Senko unbekannt gebliebenen Hss.: vgl. weiterhin Augsburg, SStB, 2o cod. 226 [XV.s., 1/4], p. 415–459; SB Berlin PK, theol.lat.fol. 704, p.445–486 [Provenienz: Erfurt 1454–1460, hier nach Überschrift ausführliche Nennung des Autors, vgl. unten S. 60 Fußnote a–a]; Brixen, Bibl. del Seminario Maggiore, A. 13 [XV.s.], fol. 47r–67r; damit ist die bisher bekannte Überlieferung auf insgesamt 30 Hss. zu beziffern und erreicht die Größenordnung der Spitzengruppe ,,politischer“ Traktate des Spätmittelalters!). Zur Biographie des Matthäus mit ausführlichen Literaturhinweisen Franz-Josef Worstbrock. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon 2 (Hrsg. Kurt Ruh), Bd. 6 (Berlin 1987), Sp. 172–182 (zu den Squalores: Sp. 179 f.); umfassende prosopographische Daten jetzt auch bei Gerhard Fouquet: Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter. Mainz mmmmm 40

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Einleitung 2. Zum Text A 1

kau selbst im Jahre 1402/1403 eine erste (uns nicht erhaltene) Fassung ausarbeitete, die er dann (noch im selben Jahr) seinen Freunden am Heidelberger Hof, insbesondere dem Kollegen im Königlichen Rat, dem Protonotar und gelehrten Juristen Job Vener zugänglich machte. Student der Artes in Paris und Heidelberg, zum licentiatus der Kaiserrechte (1395) und des kanonischen Rechts (1397), später dann, schon als Protonotar König Ruprechts von der Pfalz auf dessen Italienzug (1402) auch zum doctor utriusque iuris in Bologna promoviert, hat Vener, der nicht zuletzt dieser seiner formalen Qualifikation seinen Aufstieg in den und im königlichen Dienst verdankte, anscheinend nicht gezögert, dem Text des Theologen Matthäus die für Juristen unabdingbaren Belegstellen aus dem Kirchenrecht, dem Decretum Gratians und den Dekretalen sowie ihren gelehrten Glossen anzufügen. Der vorliegende Traktat ist demnach eine Gemeinschaftsarbeit zweier Autoren, wobei freilich Matthäus von Krakau das deutliche Übergewicht behält, weil Job Vener dem Grundbestand der ihm vorgelegten Argumentationen ausschließlich zusätzliche kanonistische Stützen gegeben hat, ohne in den argumentativen Duktus des Textes einzugreifen.42 Der Traktat stimmt – zu einem relativ frühen Zeitpunkt – das Klagelied der allgemeinen Reformdebatte der Zeit über das Pfründenzuteilungssystem der spätmittelalterlichen Papstkirche an. Er verrät dabei eine wahrhaft intime Kenntnis des kurialen Geschäftsgangs und der dort üblichen Praktiken,43 wie 1987 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 57), S. 409 f. (nr. 77); zuletzt Gerhard Labuda. In: LexMA, Bd. 6/Lfg. 2 (1992), Sp.397. 42 Es dürfte nicht schwerfallen, im Text in vielen Fällen den Unterschied beider Hände und damit den Anteil beider Verfasser einigermaßen plausibel zu bestimmen. Freilich bleiben doch so häufig Fragen offen, daß es nicht angemessen schien, in unserem Abdruck eine Zuweisung vorzuschlagen, die insgesamt nicht selten willkürlich bleiben müßte. Die häufige Anonymität des Traktats in den Handschriften erklärt sich vielleicht auch aus der mittelalterlichen Gewohnheit, Gemeinschaftsarbeiten mehrerer Autoren durch Anonymität anzuzeigen. Die merkwürdige Zuschreibung an einen Dr. Lurtz[o]/Lurcz (in Senkos Hss. E, M, W, Y) hat bisher m. W. ebensowenig eine schlüssige Erklärung erfahren – vgl. allenfalls Erich Kleineidam: Universitas studii Erfordensis, Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter, 1392– 1521. Teil I: 1392–1460. Leipzig 1964 (Erfurter Theologische Studien 14), S. 265–267 (nr. 5) – wie der in mehreren Handschriften bezeugte Beinamen, den der Text offenbar auf dem Basler Konzil trug: Portugal antiquus (Hss. G, H, S, V – vgl. Senko [s. Lit.verz. A], S. 2–24). 43 Zum Pfründenbesitz des Matthäus gibt es m.W. noch keine abschließende Studie, sein Wormser Bistum jedenfalls verdankt M. seinem könglichen Herrn, Ruprecht von der Pfalz. Material stellten etwa zusammen Wladyslaw Senko/Adam L. Szafranski in: Materialy do historii teologii srednowiecznej w Polsce. Bd. 1. Mateusza z Krakowa, Opuscula theologica, Warschau 1974 (Textus et studia historiam theologiae in Polonia mmmmmmm

Vor den Konzilien: Matthäus

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sie sich i. a. aus anderen Quellen bestätigen lassen. Schon dieser Text leistet aber auch seinerseits dem Eindruck Vorschub, als genügte für eine erfolgreiche Bewältigung der großen Aufgabe der Kirchenreform allein eine Bereinigung der Pfründenpraxis der Kirchenzentrale. Freilich ist zu bedenken, daß Matthäus sich von vorneherein ausschließlich sein im Titel genanntes Ziel gesetzt hat und seine Leser über ,,die ,praxis‘ der Römischen Kurie“, über ,,den Sumpf der Römischen Kurie“ unterrichten will, dagegen nicht eigentlich die Reformaufgabe insgesamt bedenken möchte, so sehr auch (im Prolog vor allem) die Frage der Kirchenreform als der umgreifende Rahmen aller Einzelbemühungen erscheint.44 Die Schärfe des Tons, die Treffsicherheit der Vorwürfe, die Wohlinformiertheit über die spätmittelalterliche kirchliche Verwaltungspraxis in Pfründangelegenheiten machten den Text weithin bekannt und als Waffe auch noch in konfessioneller Polemik späterer Jahrhunderte brauchbar. Als Quelle über den kurialen Geschäftsgang und als Ausdruck zeitgenössischer Kritik daran bleibt die Schrift weit über den engeren Rahmen der vorkonziliaren Reformdebatte hinaus sprechend. Neben dieser Schrift hätten gewiß manch andere Texte, zumindest auch das dem polnischen Kanonisten Paulus Vladimiri zugewiesene, ebenfalls meist anonym verbreitete Speculum aureum Anspruch auf Beachtung, auch wenn es den kalten Zorn und die polemische Eleganz der Heidelberger Schrift verEinleitung 2. Zum Text A 2

excultae spectantia 2/1), S. 9–232, hier bes. S. 32 ff.; ausführliche Einzelnachweise in der umfänglichsten Liste prosopographischer Daten jetzt bei Fouquet: Speyerer Domkapitel [wie Anm. 41], S. 409; allgemein vgl. auch Peter Moraw: Beamtentum und Rat König Ruprechts. In: ZGO 116 (1968) S. 59–126, hier S. 112–114; vgl. auch Alexander Patschovsky (ed.): Quellen zur böhmischen Inquisition im 14. Jahrhundert. Weimar 1979 (MGH Quellen z. Geistesgesch. 11), S. 110 ff. Zu den (relativ geringfügigen) Pfründen und (erheblicheren) sonstigen Einnahmen des Job Vener zuletzt Heimpel, Vener [s. Lit.verz. A], S. 199–202; zu einem verwandten Fall neuerlich eindringlich Tilmann Schmidt: Konrads von Gelnhausen Pfründenkarriere. In: ZKG 103 (1992) S. 293–331. 44 Da der Text der Ausgabe Senkos an zahlreichen Stellen offensichtlich problematisch ist – vgl. die kritische Anzeige durch Hartmut Boockmann in: DA 29 (1973), S. 611 – wurde er für den Druck hier an fünf (deutschen) Hss. (freilich allesamt Hss. der letzten – dritten – Redaktionsstufe! Vgl. das Stemma bei Senko, S. 61) kontrolliert und ggf. verbessert. Ebenfalls wurden die kanonistischen Allegationen überprüft, insbesondere wenn sie aus der Glossa ordinaria stammen, da diese bei Senko nur mangelhaft nachgewiesen sind. Das alles macht unseren Abdruck natürlich nicht zu einer neuen kritischen Ausgabe; der hier gebotene Text darf aber beanspruchen, eine kritisch verbesserte Textfassung des Traktats zu bieten. Zum Kirchenbegriff des Matthäus vgl. vor allem Zenon Kaluwa: Eklezjologia Mateusza z Krakowa. Uwagi o ,,De praxi Romanae curiae“. In: Studia mediwistyczne 18 (1977) S. 51–174. Allgemein auch Stefan 3wiewawski: Eklezjologia pó9no0redniowieczna na rozdrozu. Kraków 1990.

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Einleitung 2. Zum Text A 2

missen läßt. In den Handschriften sind diese beiden Texte öfters zusammen aufgenommen worden; so könnte ihre gemeinsame Präsentation gewiß wünschbar scheinen. Aus Platzgründen mußte hier darauf verzichtet werden. Die Kirchenreform auf dem Konzil von Pisa (zu Nr. 2) Als sich schließlich 1409, berufen in gemeinsamem Vorgehen von den beiden Kardinalskollegien, ein allgemeines Konzil in Pisa versammelte, da setzte es sich den Prozeß gegen die beiden päpstlichen Prätendenten und die Neuwahl eines neuen gemeinsamen Papstes zum Ziel; das Konzil zeigte sich aber auch durchaus gewillt, die Reformaufgabe anzupacken. Kaum hatten die Väter nämlich einen neuen Papst gewählt (am 26. Juni 1409), da setzte dieser, Alexander V., noch in derselben Sitzung, auf der sein Wahldekret ergangen ist, eine Kommission ein, die über die Reformaufgaben beraten sollte. Über ihre Tätigkeit geben Aktenstücke Aufschluß, vor allem eine Aufstellung, in der die prelati et procuratores absencium (die auf dem Konzil versammelten Prälaten und die rechtmäßigen Vertreter der abwesenden) aus dem Reich, aus Frankreich und England dem Papst nonnulla gravamina vortragen, Beschwerden über Lasten, die seit vielen Jahren die allgemeine Kirche Gottes quälten. Die Konzilsväter bitten den Konzilspapst, nach Gnade und Recht für Abhilfe zu sorgen. Die zeitgenössische Überschrift ihrer Liste ist bezeichnend: Articuli reformacionis ecclesie tam in capite quam in membris. Wir kennen wenig Einzelheiten, denn alles, was wir wissen, stammt aus dem Dokument selbst: der Konzilsausschuß formulierte nämlich seine Beschwerdepunkte für den Papst in zwei Fassungen, zuerst in einem offensichtlich ,,internen“ (gewissermaßen für den Ausschuß selbst bestimmten) Entwurf scharf und radikal,45 sodann in der zur Vorlage beim Papst bestimmten Konzil von Pisa

45 Die erste dieser Listen ist gedruckt (nach Hs. Krakau, UB, 193, fol. 311–312) von Johannes Vincke: Zu den Konzilien von Perpignan und Pisa. In: Römische Quartalschrift 49 (1954), S. 91–94 (Text S. 92 ff.); hier werden zu Beginn der Beratungen (wie der Herausgeber plausibel macht) in schärferem Ton als im Abschlußdokument und mit entsprechenden Strafdrohungen sanktioniert die Forderungen an den Papst formuliert, (§ 1): et pena formidabilis Romano pontifici non curanti hoc pro tunc exequi imponatur (,,auch soll dem Römischen Bischof, wenn er für eine Durchführung nicht sorgen sollte, eine schreckliche Strafe auferlegt werden“). Vgl. auch etwa Aldo Landi: Il papa desposto (Pisa 1409), L’idea conciliare nel Grande Schisma. Turin 1985 (Studi storici), S. 210 f. – Ein ausgedehntes Reformprogramm hatte auch 1408 der Oxforder Magister der Theologie Richard Ullerston vorgelegt: ,,Petitiones quoad reformationem ecclesie militantis“, ed. v. d. Hardt [s. Lit.verz. A], Bd. 1, S. 1126–1171. (Dazu neuerdings Harvey: Solutions [s. Lit.verz. C], S. 162, 165 f.; Eckert: Nichthäretische Papstkritik [s. Lit.verz. C], S. 272–280. Harvey macht S. 172 Anm. 129 auch auf eine weitere Überlieferung des Entwurfs des hier abgedruckten Textes (in Ms. Vatikan, Ottob. lat. 350, fol. 302r–v) aufmerksam.

Konzil von Pisa

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Fassung [Text Nr. II] maßvoller, wenn auch die sachlichen Kritikpunkte keine Einschränkung erfuhren. Hier sind die einzelnen Artikel nicht zu prüfen. Unmittelbar nachdem die Väter auf eine angemessene Publikation der Absetzungsprozesse gegen die beiden Schismapäpste gedrängt und bestimmte Vorkehrungen gegen eine mögliche Wiederholung einer gespaltenen Wahl für die Zukunft vorgeschlagen haben, bitten sie jedenfalls den Papst, selbst oder durch Beauftragte eine ,,Reform an Haupt und Gliedern“ in der Kirche einzuleiten. Sie verzichten dabei freilich ausdrücklich auf genaue Vorschläge, überlassen es vielmehr fürs erste dem Urteil des Papstes und des Kardinalskollegs, geeignete Wege zu finden. Doch fügen sie dem nicht weniger als 19 Artikel an, in denen sie genau mitteilen, wo ihrer Meinung nach Besserung dringend nötig sei. Bezeichnenderweise enthält diese Beschwerdeliste (in ihrer definitiven Redaktion) auch in einer Überlieferung in einem Anhang die Antworten, die der Papst (anscheinend schriftlich) auf die vorgebrachten Klagen erteilt hat. Im einzelnen wird hier festgeschrieben, wo Abhilfe geschaffen werden solle, wo der Papst nur allgemein sein Bemühen um Besserung versprach, wo er weitere Überlegungen anzustellen zusagte und wo er die Bitten nicht bewilligen wollte. Vorsichtig bezieht sich der Papst in diesen Antworten angesichts des Generalauftrags zur Reform auf eine angeblich schon eingeleitete reformacio in parte (eine ,,Teilreform“), vertröstet also die Konzilsväter mit dem Hinweis auf das bereits begonnene Werk und verspricht, eine Kommission von notabiles viri46 werde die Ausarbeitung der Einzelmaßnahmen in die Hand nehmen. Daß damit die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern jedenfalls nach Meinung der Verfasser der gravamina nicht auf die lange Bank von Kommissionsberatungen geschoben werden sollte, ist allein daran ersichtlich, daß ein nächstes Generalkonzil bereits binnen drei Jahren vom Konzil gefordert und vom Papst versprochen wurde.47 Bezeichnend ist dieser Weg, den man in Pisa ins Auge gefaßt hatte, ohne an einen Dissens zwischen Papst und Konzil zu denken. Es muß unterstrichen werden, daß in diesem Dokument noch ganz die herkömmliche, seit dem IV. Laterankonzil (1215) und den Konzilien von Lyon II (1274) und Vienne (1311/12) üblich gewordene Prozedur bei der Bewältigung der Reformaufgabe angezielt scheint: Papst und Konzil sind und fühlen sich für die Reform gemeinsam verantwortlich. Die Aufgabe wird so aufgeteilt, daß das Konzil gravamina formuliert, während dem Papst die Besserung zufällt, der damit freilich auch die Regulierung der einzelnen Beschwerdepunkte in seiner eige46 Das meint wohl nicht eine Kardinalskommission, sondern einen Ausschuß von kurialen Spezialisten. 47 Vgl. unten S. 182 u. Vincke, Acta (s. Lit.verz. A), S. 318 f.

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Einleitung 2. Zum Text A 2

nen Hand behält. In der langen Reformagende und der engen zeitlichen Terminierung auf drei Jahre kann man aber den festen Willen der Konzilsväter entdecken, die Richtung künftiger Aktivitäten zumindest mitzubestimmen.48 Es ist nur allzu bekannt, daß sich der Papst, den das Pisaner Konzil gewählt hat, nicht allgemein durchzusetzen vermochte. Wenngleich er den größeren Teil der abendländischen Christenheit unter seine Obödienz zu bringen im Stande war, seine Anhängerschaft war und blieb letzten Endes doch nur eine Obödienz neben den beiden anderen. Die beiden konkurrierenden Päpste dachten nämlich nicht daran, die Entscheidungen des Pisaner Konzils zu akzeptieren, ihre eigene Absetzung anzuerkennen und damit die Kircheneinheit wiederherzustellen. Nach dem Pisaner Konzil gab es daher vielmehr statt zuvor zwei nunmehr drei Päpste und drei Obödienzen, wenngleich die Pisaner Anhängerschaft die größte Ausdehnung und das relativ größte Gewicht hatte. So konnte angesichts der drängenden Frage der causa unionis die causa reformationis selbst in den von Konzil und Papst ins Auge gefaßten Fragen nicht eigentlich vorankommen. Die Reformaufgabe blieb zunächst auch in den einzelnen Obödienzen unbearbeitet liegen. Auch als Alexander V. schon am 3. Mai 1411, weniger als ein Jahr nach seiner Erhebung, starb, wurde der Weg aus der Spaltung nicht leichter, da auch die Kardinäle der nunmehrigen ,,Pisaner Obödienz“ (ebenso wie zwei Jahrzehnte zuvor, beim Tode Urbans VI. und Clemens’ VII., die Kardinäle in Rom und Avignon) keineswegs auf die Neuwahl eines Papstes verzichten wollten. Der Kardinal, den sie erhoben, der Neapolitaner Baldassare Cossa, der den Namen Johannes XXIII. annahm,49 war gewiß ein geschäftserfahrener, ja versierter Politiker, ein großer Finanzmann, der mit gewaltigen Summen umzugehen wußte und auch militärische Mittel und politische Allianzen geschickt einzusetzen verstand. Einen Kirchenreformer wird man ihn aber gewiß nicht nennen dürfen. Das von ihm in Rom 1412 (und damit frist48 Auch hier ist der Text des Dokuments an einer Handschrift kontrolliert, die freilich die Antworten des Papstes nicht enthält, so daß im Ergebnis ein Mischtext vorgelegt wird. Gleichwohl schien dies hier vertretbar, da es vor allem auf den Charakter des Dokuments als Zeugnis des in Pisa gewählten Verfahrens ankam. 49 Zu den politischen Rahmenbedingungen seiner Wahl zuletzt Walter Brandmüller: Infeliciter electus fuit in papam, Zur Wahl Johannes’ XXIII. In: Ecclesia et regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. Festschrift FranzJosef Schmale. Bochum 1989, S. 309–322, jetzt in: Brandmüller, Schisma [s. Lit.verz. C], S. 71–84. Zum neapolitanischen Hintergrund instruktiv Arnold Esch: Das Papsttum unter der Herrschaft der Neapolitaner. Die führende Gruppe Neapolitaner Familien an der Kurie während des Schismas 1378–1415. In: Festschrift Hermann Heimpel. Bd. 2, Göttingen 1972 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts f. Geschichte 36/2), S. 713–800.

Vor Konstanz: Capitula agendorum

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gerecht gemäß den Forderungen des Pisanums) eröffnete Konzil konnte (bei schlechtem Besuch) aus den verschiedensten Gründen über Präliminarien nicht hinausgelangen. An die Reformaufgabe war jedenfalls dort überhaupt nicht zu denken. Vorkonziliare Reformprogramme für das Konstanzer Konzil (zu Nr. 3 und 4) Der Weg zum Konstanzer Konzil, der sich dann 1414/1415 nur unter außergewöhnlichen Umständen öffnete, ist hier nicht im einzelnen nachzuzeichnen.50 Reformarbeit war auch für dieses Konzil von vornherein fest ins Auge gefaßt, das beweist nicht nur das Berufungsschreiben Papst Johannes’ XXIII.,51 das beweisen auch die verschiedenen Traktate, die vorweg programmatisch für die künftige Kirchenversammlung bestimmte Reformaufgaben auflisteten und die auch erste Vorschläge für eine künftige Neuordnung der Kirche vorlegten. Von diesen Reformprogrammen werden hier nur zwei unterschiedliche Stücke [Texte Nr. III und Nr. IV] vorgeführt. Freilich muß bewußtbleiben, daß gerade bei diesen vorkonziliaren Texten eine Grenzlinie zu den in den verschiedenen Aktensammlungen vom Konzil erhaltenen Gutachten, Vorschlägen, Patentrezepten, Ratschlägen und Bedenken, die erst auf dem Konzil ausgebreitet worden sind, ohnedies bisweilen nur schwer zu ziehen ist. Das wohl berühmteste Stück dieser ganzen Literatur, die Capitula agendorum [Text Nr. III], soll in unserer Auswahl nicht fehlen, denn dieser Text will, wie schon die Überschrift mitteilt, in der Tat ein Reformprogramm vorlegen. Auch dieser Traktat ist in den Handschriften anonym überliefert und scheint damit vielleicht bereits als Gemeinschaftsarbeit gekennzeichnet zu werden. Auch dieses Zeugnis eines breit angelegten Arbeitswillens läßt die Gelegenheit nicht verstreichen, eine umfassende Reform zu fordern, freilich nur summarisch und jetzt bereits in einer gegenüber Pisa deutlich herabgestuften Reihenfolge: Es wäre förderlich, wenn die Römische Kirche, die das Haupt aller ist, sich zunächst selbst in ihrer Rechtsgestalt und ihrem Leben reformierte und Vor Konstanz: Capitula agendorum

Einleitung 2. Zum Text A 3

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Hartmut Boockmann, Zur politischen Geschichte [wie Anm. 37]; Vgl. auch Brandmüller, Konstanz [s. Lit.verz. C], S. 15–127. 51 Vgl. unten Nr. II, Anm. 30 – freilich bleibt es bei eher formelhaften Anspielungen: . . . Idemque predecessor ea que circa reformacionem ecclesie expedienda videbantur pro tunc suspendit ipsumque concilium usque ad tempus ( . . . ) prefatum continuandam statuit et prorogavit (,,Auch hat mein Vorgänger alle Reformaufgaben damals aufgeschoben und das Konzil selbst bis zu seiner Fortsetzung zur besagten Zeit vertagt“); oder: . . . intendimus insistere ad pacem exaltacionem et reformacionem ecclesie et tranquillitatem populi Christiani . . . (,,und wir haben uns vorgenommen, auf dem Frieden, der Erhöhung und Reform der Kirche sowie auf der Ruhe des christlichen Volkes zu bestehen“).

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Einleitung 2. Zum Text A 3

erst danach zur Reform der übrigen Glieder schritte.52 Auch hier wird die Einsetzung einer Reformkommission vorgeschlagen, die schon vor dem Zusammentreten des Konzils mit Papst und Kurie beraten könne, bis schließlich das Konzil alles endgültig durch seinen autoritativen Beschluß entscheiden werde.53 Angesichts des Charakters des Stückes könnten wir es dabei belassen, hätte nicht in der Forschung eine nicht enden wollende Diskussion über den Verfasser oder Hauptverfasser stattgefunden, die heute noch nicht am Ende scheint, auch wenn ein eindeutiges und für alle Seiten voll akzeptables Ergebnis nach Lage der Dinge gar nicht zu erwarten steht. Heinrich Finke und seine Mitarbeiter haben bereits 1928 in ihrer Zusammenfassung des Forschungsstandes nach sorgfältiger Abwägung der damals bekannten Argumente festgestellt: ,,Mit vollkommener Sicherheit läßt sich also die Frage nach dem Verfasser nicht beantworten.“ 54 An der Wahrheit dieser Aussage hat sich auch in den mehr als sechs Jahrzehnten seither nichts geändert. Vorsichtig wird man festhalten dürfen: der Text zeigt in verschiedenen Teilen einen engen Bezug zur französischen Kirche, stammt zumindest in Teilen von einem Kardinal, teilt mit Schriften Pierre d’Ailly’s wichtige Positionen und Forderungen, entfernt sich naturgemäß aber auch an anderen Stellen von sonst bekannten Stellungnahmen Aillys anderer Zeitstellung und Absicht. Nicht weniger als 15 der 26 Kapitel des Traktats stimmen ganz oder doch teilweise mit einem Memorandum zusammen, das im Jahre 1411 an der Pariser Universität zur Vorbereitung einer Kirchenversammlung des französischen Königreichs und der von Papst Johannes XXIII. einberufenen römischen Synode zusammengestellt worden war. Dabei läßt sich die Abhängigkeit des Reformprogramms der Capitula von diesen Avisata der Pariser Universität 55 philologisch wahrscheinlich machen. 52 Unten S. 198 – dieser Abschnitt ist (wie bereits in ACC IV, S. 557, festgestellt) von Ailly später noch häufiger verwandt worden. Ganz ähnlich sehen die Reihenfolge der Dringlichkeit auch andere, etwa [ca. 1410] Dietrich von Nieheim, De modis uniendi et reformandi ecclesiam in concilio generali, ed. Hermann Heimpel: Dietrich von Niem: Dialog über Union und Reform der Kirche 1410. Leipzig, Berlin 1933 (Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 3), S. 43: Restat ergo ut primo reformetur ecclesia in papa, secundario in cardinalibus, tercio in prelatis aliis ecclesiasticis . . . (,,So bleibt denn die Forderung, daß zu allererst die Kirche am Papst reformiert werde, sodann an den Kardinälen, drittens an den anderen Prälaten . . . “). 53 Unten S. 226 bei Anm. 40. 54 ACC IV, S. 539–547, Zitat S. 544. Vgl. auch Francis Oakley: Pseudo-Zabarella’s “Capitula agendorum”, An Old Case Reopened. In: Annuarium Historiae Conciliorum 14 (1982), S. 111–123, der die Autorschaft Aillys ablehnt. 55 Vgl. ACC I, S. 131–148. Dazu im einzelnen bereits Heinrich Finke: Forschungen und Quellen zur Geschichte des Konstanzer Konzils. Paderborn 1889, S. 112–117; ders. in: ACC I, S. 111–114.

Vor Konstanz: Capitula agendorum

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In der vorliegenden Fassung stammten die Capitula agendorum jedenfalls aus der Zeit vor dem Beginn des Konstanzer Konzils und sind wahrscheinlich nach dem 17. Mai 1413 (am ehesten wohl Anfang 1414) zu datieren. Die Verbindungslinien zu Pierre d’Ailly scheinen so stark, daß es schwer vorstellbar scheint, daß der Kardinal von Cambrai an dem Text nicht in der einen oder anderen Weise beteiligt gewesen wäre. Wir gehen demnach davon aus, daß die Schrift im Umkreis Aillys, wohl unter seiner Mitwirkung und vielleicht auch unter seiner Aufsicht entstanden ist, daß sie kaum aber in Gänze seiner Feder entstammen dürfte. Solche Gemeinschaftsarbeiten ganzer Gruppen (wie sie hier durch die Integration eines Teils eines Traktats des Ailly-Schülers und damaligen Kanzlers der Universität von Paris, Johannes Gerson, 56 noch eigens evident gemacht wird) waren im Spätmittelalter besonders in Universitätskreisen keineswegs ungewöhnlich. Es ging in der Regel doch nicht darum, eine Öffentlichkeit mit originellen Gedanken zu konfrontieren, vielmehr ging es um überzeugende Argumentationen und darum, bestimmte Maßnahmen anzuregen, wer immer diese zuerst formuliert haben mochte. Dabei aber waren gemeinsame Beratungen – vielleicht unter dem beherrschenden Einfluß einer bestimmten Persönlichkeit – jedenfalls wichtiger als die Reinheit einer persönlichen Linie. Daß ein derartiges Bild der Herstellung eines Gruppenmemorandums im Umkreis Peters von Ailly nicht allzu fern von den tatsächlichen Verhältnissen liegen muß, darauf kann auch eine weitere Beobachtung deuten: in einer Handschrift 57 lassen sich Spuren einer begonnenen weiteren Bearbeitung (einer neuen Redaktion) der Capitula finden (die aber nicht über die Mitte von Kapitel 4 hinaus durchgeführt worden ist). In unserem Abdruck legen wir die vollständige Fassung der Capitula zugrunde und bieten wiederum den Text der Edition 58 ohne Rücksicht auf die dort im Paralleldruck vorgestellten späteren Bearbeitungsansätze (zumal über deren Autorschaft ebensowenig Klarheit herrscht wie im ersten Falle). Freilich wurde der Text an den Hss.59 kontrolliert, die, wie bereits Heinrich Finkes Mitarbeiter feststellten, allesamt Fehler aufweisen und deshalb einander mit ihren Lesarten korrigieren müssen.60 Einleitung 2. Zum Text A 4

Vor Konstanz: Capitula agendorum

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ACC IV, S. 573. Diese Passage ist unten S. 222 nicht mitabgedruckt. Einem der berühmten ,,Codices Elstrawiani“ des Hermann von der Hardt, heute Hs. Wien, ÖNB lat. 5070, dazu vgl. etwa ACC IV, S. LXVII f. 58 ACC IV, S. 548–583. 59 Wien, ÖNB, lat. 4956. Auch Hs. Wien, ÖNB, lat. 5097, fol. 29–35. (Die einzige bisher bekannte Überlieferung der Avisata der Pariser Universität von 1411 – zu dieser Hs. aus dem Nachlaß Job Veners vgl. am eingehendsten Heimpel, Vener [s. Lit.verz. A], S. 1020–1058, auch S. 978–980 – wurde verglichen, ohne daß sich wesentliche Textabweichungen ergeben hätten.) 60 Die hier abgedruckte Version unterscheidet sich dabei von der von Finke vorgelegten nur in wenigen (im einzelnen durch Fußnoten nachgewiesenen) Punkten. 57

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Einleitung 2. Zum Text A 4

Auch eine weitere Denkschrift [Text Nr. IV], zeitlich ,,hart vor dem Konzil“ anzusetzen (wie Hermann Heimpel es bildhaft ausgedrückt hat 61), ist offenbar als ein allgemeines Reformprogramm gemeint, das dem Konzil seine Aufgaben verdeutlichen sollte. Zugeschrieben wird sie in einer der drei Handschriften, die sie überliefern, dem deutschen Kurialkleriker Dietrich von Nieheim.62 Auch dieser Text ist in verschiedenen Überarbeitungen auf uns gelangt, von denen die letzte und ausführlichste (in der heute in Rom liegenden – früher Heidelberger – Handschrift Vatican, Pal. lat. 595), vielleicht Dietrich selbst, vielleicht auch einem späteren Redaktor zur Zeit des Konstanzer Konzils zuzuschreiben ist. Während die Edition (in den Acta Concilii Constanciensis) aus guten Gründen eine Druckanordnung bietet, die alle drei unterschiedlichen Textstufen zu verfolgen erlaubt, wurde in unserer Darbietung versucht, die vorkonziliare ,,mittlere Redaktion“ zu präsentieren, also jene Version, die in jedem Falle noch Dietrich selbst zuzuschreiben ist und die vor allem vor Beginn des Konzils entstanden sein muß. Das bedeutet, daß hier nur die Fassungen beider Wiener Hss. in ihrem Textbestand Aufnahme fanden, während alle Zusätze der Heidelberger Hs. getilgt worden sind. Freilich sind die ohne Zweifel vom Autor des Textes selbst herrührenden ausführlichen Glossen, die allein in die Heidelberger (und also in die jedenfalls erst aus der Konzilszeit stammende) Handschrift Aufnahme gefunden haben (und die vielleicht also erst auf dem Konzil notiert worden sind), in einer Auswahl des Bezeichnenden und Wichtigen in den Fußnoten wiedergegeben worden, weil es in unserer Auswahl nicht um eine Darbietung des gesamten Materials in kritischer Edition, sondern um die exemplarische Darbietung einer Stimme ging, die freilich möglichst authentisch – und hier zudem auch in ihrer chronologischen Fixierung – zur Geltung kommen sollte. Es muß aber betont werden, daß ausnahmsweise der Text in der hier präsentierten Form Ergebnis einer Rekonstruktion ist und so, wie er hier abgedruckt erscheint, in keiner Überlieferung vorfindbar ist. Der Text kann für sich sprechen. Einen eigenen Hinweis erfordert es, daß in ihm zwar versteckt und ohne Namensnennung, aber doch wörtlich Stücke aus dem Defensor pacis des Marsilius von Padua (abgeschlossen 1324) zitiert

61 Hermann Heimpel: Dietrich von Niem (c.1340–1418). Münster i.W. 1932 (Veröff. der Histor. Komm. des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde, Westfälische Biographien 2), S. 71 f.; sowie S. 298, nr. 16; vgl. vor allem Finke: Forschungen und Quellen [wie Anm. 55], S. 134–146; auch: ACC IV, S. 584–590; weitere Lit. bei Katharina Colberg. In: LexMA, Bd. 3 (1986), Sp. 1037 f. 62 Zur Namensform vgl. Johannes Bauermann in: HZ 158 (1938), S. 592 f.; Hermann Heimpel: Deutsches Mittelalter. Leipzig 1941, S. 214.

Frühe Konstanzer Programme: Haec sancta

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werden,63 was angesichts der Seltenheit solcher Zitate eigens erwähnt zu werden verdient.64 B. Frühe Reformprogramme auf dem Konzil von Konstanz (zu Nr. 5–7) Mit dem Beginn des Konzils traten auch die Reformschriften naturgemäß in eine neue Phase, da nun aus der allgemeinen Programmatik eine konkrete Aufgabe geworden war und sich die Texte allmählich immer stärker den praktischen Problemen zuwenden mußten. Die wirkliche Reformarbeit, die tatsächlichen Diskussionen kamen freilich recht langsam in Gang. Statt des ursprünglich in Pisa und in den Reformprogrammen erhofften und im einzelnen vorgesehenen harmonischen Miteinanders von Konzil und Papst wuchs die vom Römischen König Sigismund kräftig geschürte Entschlossenheit der Konzilsväter, mit sämtlichen Papstprätendenten, auch mit dem Pisaner Papst Johannes XXIII. aufzuräumen. Daraus wiederum folgte der dramatische Konflikt des Konzils mit seinem Papst: durch seine abenteuerliche Flucht aus Konstanz (am 20./21. März 1415) verweigerte sich Johannes XIII. schließlich jeder Kooperation 65 und stürzte das Konzil damit in eine tiefe Krise. Jetzt war es nötig, auch ohne und gegen den Papst zusammenzustehen, wollte man nicht den Gedanken an ein Konzil überhaupt fürs erste preisgeben. Daß die Konzilsväter in diesen dramatischen Wochen nicht die Zeit fanden, offiziell über die Kirchenreform zu beraten, ist nur zu verständlich. Das Thema selbst aber war und blieb ihnen so wichtig, daß sie bereits in der ersten Entschließung, die sie nur eine Woche nach der heimlichen Flucht des Papstes faßten,66 unzweideutig konstatierten, die allgemeine Synode in KonFrühe Konstanzer Programme: Haec sancta

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Unten S. 248 Anm. 6 und S. 258 Anm. 28; Vgl. auch Karl Pivec: Quellenanalysen zu Dietrich von Niem. In: Mitt. des Inst. f. Österr. Geschichtsforschung 58 (1950), S. 386–440, hier S. 408–419, wo für das Viridarium Dietrichs auch die ausgiebige Benutzung von Marsilius’ De translatione nachgewiesen wird: vgl. auch die Nachweise von Entlehnungen aus dem Defensor pacis durch Sabine Krüger in der Ausgabe des Viridarium (entst. 1411) [ed. Alphons Lhotsky und Karl Pivec. Stuttgart 1956 (MGH Staatsschr. 5/1), S. 4 Anm. 7 und S. 5 Anm. 1]. 64 Das bekräftigt, wie besonders Hermann Heimpel: Dietrich [wie Anm. 61], S. 83 Anm. 1, mit Recht betont hat, die Autorschaft Dietrichs: diese Marsiliuszitate sind angesichts ihrer Seltenheit gewiß nicht auf einen anonymen Redaktor, sondern auf Dietrich selbst zurückzuführen. 65 Zum Hergang im einzelnen jetzt Brandmüller, Konstanz [s. Lit.verz. C] S. 226 ff. Auch Harald Zimmermann: Die Absetzung der Päpste auf dem Konstanzer Konzil, Theorie und Praxis. In: Das Konzil von Konstanz. Hrsg. von August Franzen u. Wolfgang Müller. Freiburg i. B. 1964, S. 113–137 [abgedruckt in Zimmermann: Papstabsetzungen des Mittelalters. Graz, Wien, Köln 1968, S. 273–295]. 66 Sessio III (26. März 1415), in: COD 3 [s. Lit.verz. A], S. 407: . . . nec dissolvatur mmm

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Einleitung 2. Zum Text B 5

stanz sei pro unione et reformacione dicte ecclesie in capite et membris fienda (,,für die Vereinigung und die Reform der besagten Kirche an Haupt und Gliedern“) versammelt. Hier werden also beide Aufgaben gleichberechtigt nebeneinander gestellt; dann wird sogleich erklärt, auch durch den geflüchteten Papst könne das Konzil jetzt nicht mehr aufgelöst werden, usque ad perfectam exstirpationem presentis scismatis et quousque ecclesia sit reformata in fide et moribus, in capite et in membris (,,bevor nicht das Schisma endgültig beendet und die Kirche in Glauben und Leben, an Haupt und Gliedern reformiert ist“): damit aber wird die Reform ausdrücklich als Kernaufgabe der Konzilsarbeit unterschiedslos neben die causa unionis gestellt und erhält sogar sitzungsterminierenden Rang. Schon mit diesem Dekret war praktisch vorweggenommen, was das Konzil auf seinen nächsten Sitzungen wenige Tage später dann ausdrücklich als theoretisch gemeinte Erklärung beschlossen hat. Die berühmte Konstitution Hec sancta,67 die das Konzil unmittelbar von Christus, nicht vom Papst abhängig sah, unterstreicht nämlich dort, wo sie den Zweck des Konzils formuliert, mit noch stärkeren Worten das Doppelziel der unio und reformacio und verpflichtet jedermann, auch einen Papst,68 zum Gehorsam gegen seine Anordnungen in hiis, que pertinent ad fidem et exstirpacionem dicti scismatis ac generalem reformacionem dicte ecclesie dei in capite et in membris (,,in den Angelegenheiten, die zum Glauben und zur Ausrottung des besagten Schismas und zur allgemeinen Reform der besagten Kirche Gottes an Haupt und Gliedern gehören“). Die Reformaufgabe, so unmittelbar sie im Text auch verankert ist, war damals noch, wie die bekannten Umstände der Verkündigung des Beschlusses beweisen, in ihrer Gleichrangigkeit mit Glaubensfragen und den ProbleEinleitung 2. Zum Text B 5

usque ad perfectam exstirpationem praesentis schismatis et quousque ecclesia sit reformata in fide et in moribus, in capite et in membris (,,man soll es [d. i. das Konzil] auch nicht auflösen, bis das gegenwärtige Schisma vollständig beseitigt und die Kirche an Glauben und Leben, an Haupt und Gliedern reformiert ist“). Damit werden erkennbar die drei Hauptaufgaben, die Zeitgenossen dem Konzil gestellt sahen, zusammengefaßt. 67 Sessio IV (30. März 1415) und V (6. April 1415), COD 3 S. 408 f. Dieser beim Basler Konzil erneut verabschiedete Text wird im Anschlußband [FSGA, A., Bd. 38 b] abgedruckt. Die umfängliche Forschungsdiskussion dazu ist hier nicht aufzulisten, vgl. etwa die eingehende Erörterung von Hans Schneider: Der Konziliarismus als Problem der neueren katholischen Theologie. Die Geschichte der Auslegung der Konstanzer Dekrete von Febronius bis zur Gegenwart. Berlin usw. 1976 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 47); jetzt auch Brandmüller, Konstanz [s. Lit.verz. C], S. 239–261 (mit problematischen Wertungen [vgl. DA 47 (1991) S. 692–695], jedoch der wichtigeren neueren Literatur). 68 Zu dieser Übersetzung (die jüngst noch einmal von Brandmüller, Konstanz, S. 255, kritisiert wurde) zuletzt Stephan Kuttner: Zum Konzil von Konstanz. Brief an den Herausgeber. In: AHC 21 (1989) S. 428 f.

Frühe Konstanzer Programme: Anonymus

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men der Kircheneinheit nicht unumstritten, sie wurde dann aber von der Mehrheit der Konzilsteilnehmer gegen Widerstand durchgesetzt. Dies freilich bedeutete nun auch, daß man, nachdem man mit Johannes XXIII. nicht mehr rechnen wollte, die Reformdiskussionen in die eigene Hand nehmen mußte. Insofern nehmen jetzt allein zahlenmäßig die Reformschriften auf dem Konzil zu. Uns schon bekannte Namen, daneben aber auch bisher nicht in Erscheinung getretene Verfasser beteiligten sich an der aufflammenden Erörterung. Auch das nächste Beispiel, das ausgewählt wurde, stammt von Dietrich von Nieheim [Text Nr. V]. Freilich ist der hier vorgelegte Text im allerengsten Zusammenhang mit der vorkonziliaren Denkschrift unseres Autors [Text Nr. IV] zu sehen und wurde auch ausschließlich zusammen mit dieser Schrift überliefert,69 ja er steht in einem so engen Überlieferungs-Verbund mit dieser Schrift, daß das Gesamtkonvolut nur durch den willkürlich vollzogenen Übergang von einem Dialog in einen Memorandenstil und durch die unterschiedliche Anordnung der Teile in den verschiedenen Überlieferungen seine Nahtstellen verrät. Die Herauslösung dieses Textes aus dem Verbund könnte als ein allzu gewagter Eingriff in die Überlieferung erscheinen. Diese Entscheidung erschien daher nur vertretbar, wenn beide Texte in engster räumlicher Nachbarschaft präsentiert würden, unmißverständlich mit der erneuten Warnung versehen, daß hier das Ergebnis unterscheidender Rekonstruktion zum Abdruck kommt. Jeder Leser sollte also beide Texte (Nr. IV und V) in näherer Verbindung zueinander sehen und aufnehmen. Immerhin liefert der [als Text Nr. V] abgedruckte Traktat wiederum ein verdecktes Zitat aus Marsilius von Padua und gibt, dem gesteigerten Interesse Dietrichs an historischen Präzedentien entsprechend, seinen Lesern auch den Hinweis auf die sogenannten ,,Ravennater Fälschungen“ (die hier natürlich als auctentice scripture, d. h. Originaldokumente, eingeführt werden), nach denen schon Papst Leo VIII. an Otto I. alle Besitztümer der römischen Kirche unwiderruflich zurückübertragen habe.70 Seine mit historischen Argumenten untrennbar verbundene Publizistik, die für Dietrich von Nieheim so charakteristisch scheint, ließe sich gewiß an einer Fülle weiterer, auch besonders gewichtiger Schriften von ihm nachvollziehen,71 auf die wir hier aber nicht im einzelnen eingehen können. Frühe Konstanzer Programme: Anonymus

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Insofern sind die (oben Anm. 61) angegebenen Untersuchungen auch für die Einordnung dieses Stücks heranzuziehen. 70 Unten S. 304 mit Anm. 20; vgl. dazu die dann 1415 (vor 18. Juli) zu datierenden (und also ebenfalls wohl auf dem Konstanzer Konzil entstandenen) Historie de gestis Romanorum principum Dietrichs von Nieheim, ed. Katharina Colberg und Joachim Leuschner, Stuttgart 1980 (MGH, Staatsschr. 5/2), hier S. 21–26, wo der Text dieses Teils der Ravennater Fälschungen wörtlich eingerückt erscheint (dort auch die entsprechende Literatur, der vor allem jetzt die Edition durch Claudia Märtl [s. Lit.verz. A] hinzuzufügen wäre). 71 Vgl. nur z. B. die in der letzten Anmerkung zitierte Edition, sowie auch Dietrichs mmmmmm

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Einleitung 2. Zu den Texten B 6 u. 7

Naturgemäß waren die Traktate und Memoranden des deutschen Kurialklerikers, so interessant sie der deutschen Forschung auch immer erschienen sind, keineswegs allein auf dem Plan. Selbst aus dem Bereich der deutschen Nation finden sich mehrere andere deutlich markierte Positionen, von denen wir auch exemplarisch weitere Kostproben vorlegen. So ist etwa der anonyme Brief, im Februar 1415 (also noch vor der Flucht Papst Johannes’ XXIII. ) an König Sigismund gerichtet,72 das Beispiel einer knappen, schrillen, generellen Forderung nach Reformen [Text Nr. VI]. Der Verfasser will sich nicht mit spezifizierten Einzelaktionen zufrieden geben, sondern möchte eine allgemeine Besserung der Kirche erreichen, wobei er Ordensreform, Reform des Klerus und Reform der simonistischen Pfründenpraxis als Hauptpunkte eher stichwortartig benennt, als daß er seine Vorstellungen über die Chancen und Besserungswege verdeutlichte. Er droht dem König wie dem Konzil, wenn sie diese Aufgaben nicht lösten, würde unweigerlich Gottes Strafe noch siebenfach schwerer die Kirche treffen, als das im Schisma bereits geschehen sei. Freilich ist es typisch für diesen Alarmruf in apokalyptischer Absolutheit, daß er die causa reformacionis schon zu diesem frühen Zeitpunkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt, daß er dabei aber keinerlei Konkretion anbietet, sich vielmehr mit der allgemeinen Reformforderung in biblischen Wendungen begnügt.73 Dieser Reformaufruf steht (wie andere seinesgleichen) hier noch für die Zeit, als die Reformdiskussion auf dem Konzil noch gar nicht richtig aufgenommen war, er wollte ein Fanal zu ihrem Beginn setzen. Auch der weitere anonyme Text [Nr. VII], der hier Aufnahme fand, steht zeitlich wohl noch vor der ,,offiziellen“ Reformdiskussion, zeigt aber zugleich bereits einen geEinleitung 2. Zu den Texten B 6 u. 7

oben in Anm. 52 genannte Schrift. (Eine umfängliche kritische, chronologisch geordnete Liste aller damals bekannten – Ausnahme: die erst nach dem II. Weltkrieg entdeckten und von Lhotsky/Pivec [wie Anm. 63] und Leuschner/Colberg [wie Anm. 70] edierten – Schriften des literarisch ungemein fruchtbaren Dietrich von Nieheim bei Heimpel, Dietrich [wie Anm. 61], S. 287–303.) 72 Vgl. ACC II, S. 579. 73 Der Text stammt aus der hochwichtigen Sammelhandschrift mit Reformanträgen und Beratungen, die von Finke als Hs. St.Petersburg 321 bekanntgemacht wurde – vgl. ACC IV, S. XCIX f. – Die Hs. ließ sich für unsere Ausgabe freilich nicht mehr aufspüren: Nach freundlicher Auskunft von Prof. Dr. Stanislaw Trawkowski, Warschau, stammte sie aus dem Benediktinerkloster 3wi2ty Krzyw (S. Crucis) bei Kielce. Nach dem polnischen Aufstand von 1830 mit vielen anderen Klosterbeständen in die Kaiserliche Bibliothek St. Petersburg verbracht, wurde sie im Friedensvertrag von Riga (vom 18. März 1921) wieder Polen zugesprochen und dorthin zurückgeführt. Im Zweiten Weltkrieg, in dem von 40 000 Warschauer Codices nur ca. 6 800 gerettet werden konnten, ist der Band offenbar verbrannt und gilt seither als verloren. (Vgl. auch Paul Oskar Kristeller: Iter Italicum. Bd. 4. Leiden 1989, S. 416 f.)

Reformarbeit

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wissen Klimawechsel an: die Erörterungen sind hier diskursiv, ja deliberativ, es werden einzelne Argumente nötig, zumindest aber sind sie erwünscht. Von Heinrich Finke in die ,,erste Konzilszeit“ datiert,74 während Hermann Heimpel sie mit zweifelhaftem Recht ,,wohl in den Sommer 1415“ gesetzt hat,75 beweist die Schrift noch ganz den Schwung der Hochstimmung der Anfangsphase nach dem konziliaren Erfolg gegen Johannes XXIII. Sie erwartet eine baldige Union mit den Griechen und schlägt hoffnungsfroh, den Ereignissen weit vorauseilend, für die nächste Zukunft die Einrichtung zweier neuer Konzilsnationen, einer Spanischen (die ja später Wirklichkeit wurde) und sogar einer Griechischen vor. Reformthemen behandelt der Text in breiter Auswahl, nicht unbedingt schon ausschließlich und technisch auf die causa reformacionis konzentriert, sondern noch eng verwoben mit der Unionsfrage.76 Reformarbeit

C. Die Reformarbeit des Konstanzer Konzils Denkschriften aus der Zeit der Reformatorien (zu Nr. 8–10) Mit der nächsten Gruppe von Texten [VIII–XII] wird die Phase der eigentlichen Reformarbeit des Konzils sichtbar. Als der Römische König nämlich nach Narbonne aufgebrochen war, um den Beitritt der avignonesischen Obödienz Benedikts XIII. zu erreichen, mußte das nunmehr bereits papstlose Konzil zunächst 77 auch ohne den königlichen Protektor auskommen, an dessen Motivation und Antriebe es sich so sehr gewöhnt hatte. So wurde damals die Geschäftsordnung des Konzils gestrafft und erneuert. Durch verschiedene Maßnahmen sollten die Konzilsteilnehmer in Konstanz zusam74

ACC II, S. 580, vgl. S. 547 f. Heimpel (Vener [s. Lit.verz. A], S. 812) beruft sich vor allem auf S. 328, wonach der Prozeß gegen Hus schon abgeschlossen gewesen wäre – aber Pierre d’Ailly ist lange vor dem Abschluß im Hus-Prozeß tätig geworden (vgl. etwa die Darstellung bei Brandmüller, Konstanz [s. Lit.verz. C], S. 323–359, bes. S. 337), während der Traktat (S. 312) noch drei Päpste kennt, was er wohl kaum nach der Absetzungssentenz der XII. Sessio vom 29. Mai 1415 hätte schreiben können: Man wird also den Text etwa in den April/Mai 1415 zu datieren haben. 76 Der kleine Traktat hat sich, soweit bisher bekannt, einzig im Deutschordensarchiv unter den Papieren des Ordensprokurators (jetzt in Berlin) erhalten. Diese Überlieferung wurde hier kontrollierend herangezogen und erbrachte eine Reihe von Textverbesserungen, die im einzelnen nachgewiesen werden. 77 In der Zeit zwischen der Abreise Sigismunds bis zu seiner Rückkehr: die Verabschiedung des Königs wurde feierlich in der XVII. Session vom 15. Juli 1415 vorgenommen, Sigismund brach am 18. Juli 1415 von Konstanz auf, im Januar 1417 kehrte er nach Konstanz zurück. 75

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Einleitung 2. Zum Text C 8

mengehalten und die Arbeit auch ohne die drängende Hand des persönlich eingreifenden Königs vorangebracht werden.78 Das ist hier nicht darzustellen. Wohl aber ist über den institutionellen Rahmen zu sprechen, der fortan, bis zur Endphase des Konzils, der Reformdiskussion ein neues Forum, eine neue Form gab und damit sowohl neue Möglichkeiten öffnete, wie er auch neue Grenzen setzte: das Konzil setzte ein sogenanntes reformatorium ein, einen Reformausschuß, der nun die Reformarbeit zu leisten, bzw. zu moderieren hatte.79 Die Technik, schwierige Aufgaben zur Beratung an Ausschüsse zu übertragen, war damals schon uralt und auch im 15. Jahrhundert bereits mehrfach erprobt worden. In Reformfragen hatte auch Papst Alexander V. in Pisa wie selbstverständlich alle Einzelheiten der Reformprobleme an einen Ausschuß verwiesen. Auch in Konstanz griff man jetzt auf diese bewährte Methode zurück. Ein reformatorium als offizielles Organ des Konzils mußte ein Spiegel seiner Verfassung sein, sollte es sinnvoll arbeiten können. Darum wurde dieser Ausschuß paritätisch aus je 8 Vertretern der vier Konzilsnationen zusammengesetzt und hatte zusätzlich noch 3 Vertreter des Kardinalskollegiums als Mitglieder, insgesamt also nicht weniger als 35 Stimmberechtigte. In dieser Struktur arbeitete der Ausschuß in den langen Monaten, bis der durch Sigismund erreichte Beitritt der Spanier im Sommer 1417 die Konstitution einer weiteren (fünften) Konzilsnation in Konstanz notwendig machte. Allein schon aus diesem Grunde hätte man auch den Reformausschuß erweitern müssen, man benutzte aber anscheinend die Gelegenheit, ihn gründlich umzugestalten. Die Gründe dafür lassen sich nur aus den Ergebnissen vermuten: man wollte offenbar den schwerfälligen Ausschuß straffen, denn fortan bestand das reformatorium aus je fünf Vertretern der nunmehr fünf Nationen, ohne anscheinend den Kardinälen noch eine gesonderte Vertretung zuzubilligen. Drastisch hatte man das Gremium damit um fast ein Drittel auf 25 Köpfe reduziert. In dieser Zusammensetzung arbeitete der Ausschuß aber nur bis zur erfolgreichen Wahl Papst Martins V. (am 27. November 1417), denn unmittelbar nach seiner Wahl stimmte der neue Papst einer letzten ReEinleitung 2. Zum Text C 8

78

Zur Geschäftsordnung vor allem zusammenfassend der Finke-Schüler Johannes Hollnsteiner: Studien zur Geschäftsordnung am Konstanzer Konzil. Ein Beitrag zur Geschichte des Parlamentarismus und der Demokratie. [zuerst 1925], jetzt in: Bäumer: Konzil [s. Lit.verz. C], S. 121–142. Zur Anfangsphase auch Brandmüller, Konstanz [s. Lit.verz. C], S. 155 ff.; zu den Reformatorien vgl. Brandmüller: Causa reformationis, Ergebnisse und Probleme der Reformen des Konstanzer Konzils. In: AHC 13 (1981) S. 49–66, jetzt in: Brandmüller, Schisma [s. Lit.verz. C], S. 264–281, bes. 268 ff. Jetzt vor allem Stump: The Reforms [s. Lit.verz. C]. 79 Allgemein insbesondere Hübler [s. Lit.verz. A]; neuerdings bes. Stump: Council, und ders.: The Reforms [beides s. Lit.verz. C]; vgl. auch Stump: Taxation [s. Lit.verz. C]; Helmrath: Reform [s. Lit.verz. C], S. 101–103.

Reformarbeit: Pierre d’Ailly

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organisation zu, die das Gremium zu einem Ausschuß von je 6 Vertretern der fünf Konzilsnationen machte, zu denen diesmal wiederum weitere 6 Kardinäle hinzutraten. Indem der Papst den Ausschuß somit auf 36 Mitglieder vor allem durch die erneute Beiziehung der Kardinäle als eigener Gruppe erweiterte (und dabei fast exakt wieder auf die ursprüngliche Zahl gebracht hat), sicherte er sich für die letzte Phase der Konzilsarbeit einen Gesprächspartner und eine organisatorische Stütze für die Reformaufgaben, die weiterhin einer Lösung harrten. Dieser von der Geschäftsordnung gesetzte Rahmen ist wichtig zum Verständnis der überlieferten Schriften und Akten. Die Arbeit der ineinandergreifenden und ineinander hinübergleitenden Phasen des Reformatoriums war offensichtlich schwierig. Umfängliche Aktenunterlagen, Reformmemoranden, Diskussionsniederschriften, selbst Notizen über Abstimmungsergebnisse des Ausschusses sind erhalten; der Weg von Reformvorschlägen aus den einzelnen Konzilsnationen hin zu gemeinsamen Reformbeschlüssen der Kommission, die dann wiederum mit allen Nationen abgestimmt werden mußten, bevor eine Generalsession sie hätte beschließen können, war lang, umständlich und zeitraubend und bot Raum für vielerlei taktische Finessen. Die Tatsache der Ausschußarbeit allein mußte aber für die Reformdiskussion Folgen haben. Konkrete Vorschläge wurden von dem Ausschuß in einem langwierigen Verfahrensgetriebe beraten. An den Ausschuß waren demnach auch alle Vorschläge heranzutragen. Das brauchte nicht unbedingt in Form von ausgearbeiteten Traktaten zu geschehen. Demgegenüber war das Thema der Reform der Kirche aber auch noch nicht derart vom Reformausschuß monopolisiert, daß nicht die allgemeine Erörterung noch ihren guten Sinn gehabt und damit ihr Publikum auf dem Konzil sowie Autoren gefunden hätte. Im einzelnen freilich mußten generelle Reformschriften in die jeweilige faktische und strategische Lage des Konzils passen, oder sich doch zumindest in sie einfügen, wenn sie nicht sogar gezielt in sie eingreifen wollten. Eine Analyse dieser situativen Einbindung der Schriften würde uns eine allgemeine Darstellung des Konzils und seiner verschiedenen Phasen und Problemzonen abverlangen. Wir müssen uns daher mit knappen, bisweilen allzu knappen Andeutungen begnügen. Ein Text des Pierre d’Ailly [Text Nr. VIII], der dem Konzil Ende 1416 vorgelegt wurde,80 mag das exemplarisch belegen. Der Kardinal, ein führender Repräsentant der französischen Nation und einflußreicher Konzilsvater, hatte damals keineswegs immer einen in allen Punkten leichten Stand auf dem Konzil: der Streit der französischen mit der englischen Nation, der die Reformarbeit: Pierre d’Ailly

80

Vgl. die prägnante biographische Skizze von Bernard Guenée [s. Lit.verz. C], S. 128–299, zum Konstanzer Konzil S. 270 ff.

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Einleitung 2. Zum Text C 8

im Hundertjährigen Krieg zwischen beiden Königreichen mit der französischen Niederlage von Azincourt (1415) erreichte Situation erstaunlicherweise nur sehr gedämpft, aber doch immer noch heftig genug widerspiegelt,81 hatte die Teilnehmer am Konzil bereits gruppiert. Wie dieser Streit die Konzilsarbeit noch bis Ende März 1417 lähmen sollte, so bestimmte er auch damals bereits die taktischen Erwägungen zumindest der französischen Nation. Andererseits ist der für Ailly unbefriedigende Stand des Streites um die Tyrannenmordthese im Traktat des Jean Petit 82 (von 1408) zu bedenken, da in einem wahren Gutachterkrieg im Winter 1415/16 die Petit-Gegner (und damit Jean Gerson und Pierre d’Ailly) auf dem Konzil ein geringes, ein nach ihrer Auffassung gewiß allzu geringes positives Echo für ihre Ziele gefunden hatten. Wenn der Kardinal also nun dem Konzil eine geschlossene Denkschrift zur Kirchenreform vorlegte, so war das eher ein Entlastungsangriff als eine neue Initiative, zumal der Text, wie er selber eingesteht, ältere Arbeiten des Verfassers (insbesondere den dritten Abschnitt eines Tractatus de materia concilii generalis 83 aus dem Jahre 1402/1403) aufgreift und nur leicht überarbeitet wiederum vorlegt. Der Aplomb, mit dem Ailly seinen Text diesmal sogleich publizistisch wirksam verbreiten ließ, verstärkt diesen Eindruck eines Entlastungsversuchs noch: nachdem er seine Absicht vor dem ganzen Konzil angekündigt hatte, ließ Ailly seinen Traktat – er hat (anscheinend nach dem Vorbild und nach dem Vorgang Gersons) dieses Verfahren erneut auf dem Konstanzer Konzil angewandt – in den 2 Wochen vom 27. Oktober bis 12. November 1416 von Beauftragten in offenbar regelmäßig wiederkeh81 Im einzelnen dazu vor allem Heinrich Finke: Die Nation in den spätmittelalterlichen allgemeinen Konzilien. In: Historisches Jahrbuch 57 (1937) S. 323–338, jetzt in: Bäumer, Konzil [s. Lit.verz. C], S. 347–368, bes. S. 360–364. 82 Dazu ausführlich Alfred Coville: Jean Petit. La question du tyrannicide au commencement du XVe siècle. Paris 1932; vgl. auch Friedrich Schoenstedt: Studien zur Geschichte des Tyrannenbegriffs und der Tyrannenmordtheorie, insbesondere in Frankreich. Berlin 1938 (Neue deutsche Forschungen, Abt. Mittelalterl. Gesch. 6) [ = Phil.Diss. Leipzig 1938]. Die Akten des Prozesses um Jean Petits Thesen sind hauptsächlich durch Dupin [s. Lit.verz. A], Bd. 5, gedruckt; sie wurden durch neue Funde ergänzt in ACC III, S. 255–352 (vgl. auch die dortige Einleitung S. 237–249). Jetzt besonders Bernard Guenée: Une meurtre, une société. L’assassinat du duc d’Orléans, 23 novembre 1407. Paris 1992, bes. S. 180 ff., 232 ff. 83 Ed. Francis Oakley [s. Lit.verz. A], S. 252–342. Vgl. dazu den ersten Satz des in Konstanz vorgelegten Textes, unten S. 338; zu den redaktionsgeschichtlichen Fragen auch Oakley, S. 245–247, zu den Differenzen beider Texte ebenda, S. 247, 250–252, 346–349. Freilich ist eine Benutzung der ,,Epistola concilii pacis“ des aus Deutschland stammenden Pariser Theologen Heinrich von Langenstein (gegen Oakleys Urteil) wahrscheinlich gemacht worden durch Georg Kreuzer: Heinrich von Langenstein (wie Anm. 35), S. 229–233.

Reformarbeit: Pierre d’Ailly

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renden Sitzungen Stück für Stück allen, die mitschreiben wollten, in der Pfarrkirche St. Paul in die Feder diktieren. Mit dieser dem universitären Gruppendiktat der pronunciatio nachempfundenen Verbreitungsveranstaltung 84 war jedenfalls eine breite Aufnahme (und damit die spätere Bekanntheit) des Textes gesichert, wie heute noch die handschriftliche Überlieferung und die recht zahlreichen frühen Drucke bezeugen können.85 In diesem Traktat unternimmt Pierre d’Ailly nichts geringeres als eine globale Beschreibung der gewaltigen Reformaufgaben, die sich damals vor dem Konzil auftürmten. In sechs consideraciones (,,Betrachtungen“) gegliedert, schreitet der Text das gesamte corpus universalis ecclesie86 ab, um wenigstens die Aufgabe deutlich zu umreißen: die häufige Abhaltung von Konzilien als wichtigstes Instrument der Reform steht an der Spitze des Forderungskataloges. Zu dem gegenüber der Erstfassung aus der Schismazeit naheliegenden Einwand, daß eigentlich ,,heute . . . zur Vermeidung der Mühsal von Prälaten auf diesen Konzilien bei auftauchenden Fragen die Römische Kirche oder die päpstliche Kurie hinreichend Entscheidungen treffen könne“ und daß demnach eine Reform durch das Konzil überflüssig sei (eine Meinung, die ja exakt der Position und der Praxis des avignonesischen Papsttums in dem ganzen Jahrhundert seit dem Konzil von Vienne entsprach), sind seine Erwägungen besonders prägnant: hier wird bereits gegen ein bequemes Abschieben der Reformaufgabe Vorsorge getroffen, hier soll tendenziell schon, so scheint es, das Konzil perpetuiert werden dadurch, daß es die perpetuierliche Aufgabe der Reform zugewiesen erhält. Ähnlich deutlich fällt andererseits die Polemik gegen den ,,unkirchlichen“ 84 Einzelnachweise bei Miethke: Forum [s. Lit.verz. C] S. 753–755 mit Anm. 61. In Konstanz hat offensichtlich Jean Gerson 1415 zum ersten Male diese universitäre Technik angewandt, Ailly ist ihm dann im Herbst 1416 gefolgt, hat später auch noch andere Schriften in dieser Weise dem Konzil bekannt gemacht. – Die Miszellanhandschrift aus Tongerlo (heute Hs. Brüssel, Bibl. Royale, 8018–8026), die Veners Reformavisament [hier Text IX] überliefert, enthält ebenfalls ein Exemplar unseres Konstanzer Traktats von Ailly mit dem charakteristischen Colophon zur Publikation, vgl. Heimpel, Vener [s. Lit.verz. A], S. 1291, wo freilich das reportatus mißverstanden wurde, das sich nicht auf den Codex, sondern auf den in ihm enthaltenen Text und seine Niederschrift bezieht, vgl. dazu auch Olga Weijers: Terminologie des universités au XIII e siècle. Rom 1987 (Lessico intellettuale Europeo 39), S. 361–365; Helmrath, Kommunikation [s. Lit.verz. C], S. 160 ff. 85 Hier erfolgt der Abdruck nach dem Druck bei Hermann von der Hardt, der aber an zwei deutschen Hss. kontrolliert und ggf. emendiert wurde; Teil III der Fassung der ,,Vorlage“, d. h. des oben (Anm. 83) zitierten Traktates von 1402/1403, wurde für die Anmerkungen nach der Ausgabe von Oakley [s. Lit.verz. A], S. 314–342, verglichen.. 86 Unten S. 340.

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Einleitung 2. Zu den Texten C 9 u. 10

Abstimmungsmodus und das ausschließliche Stimmrecht der Nationen auf dem Konstanzer Konzil 87 aus, das Ailly – wohl nach dem Vorbild von Vienne – durch eine Abstimmung nach Kirchenprovinzen ersetzt wissen will, wobei freilich die Vertreter der Kirchenprovinzen hinsichtlich ihrer Repräsentation bestimmte Minimalanforderungen erfüllen sollen, u. a. sollen ihre (mindestens 12) Vertreter wenigstens zur Hälfte Prälaten, Fürstengesandte oder Universitätsdelegierte und Doktoren [!], zur anderen Hälfte Kleriker niederer Weihegrade oder doch mindestens Universitätsgraduierte [!] sein. Überhaupt spielen die Universitätsbesucher eine sichtbare Rolle in dem Text: in einer wohl bewußten Anknüpfung an ein Vorhaben der Päpste Alexander III. und Innozenz’ III. an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert 88 will Ailly jedes Kathedralkapitel verpflichten, für den Pfarrklerus eine verkürzte wissenschaftlich-theologische Grundausbildung zu ermöglichen, die mit eigens dafür herzustellenden grundrißartigen Lehrbüchern Basiswissen vermitteln, sich freilich auch auf einen Bibliotheksgrundstock wichtiger Bücher stützen können sollte.89 Einleitung 2. Zu den Texten C 9 u. 10

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Unten S. 374. Dazu immer noch vor allem Gaines Post: Alexander III., the licentia docendi, and the Rise of the Universities. In: Anniversary Essays in Medieval History by Students of Charles Homer Haskins, ed. C. H. Taylor u. John L. LaMonte. Boston – New York 1929, S. 225–278. 89 Unten S. 368 u. 370. – Hier fühlt man sich unmittelbar an die Vorschläge erinnert, die Pierre Dubois für die Erziehung christlicher Missionare in seiner Kreuzzugsschrift Anfang des 14. Jahrhunderts gemacht hatte: De recuperatione Terrae Sanctae, cap. XLIV/70–LI/83. Ed. Charles-Victor Langlois. Paris 1891, S. 57–68 [vgl. den Abdruck bei Angelo Diotti: Pierre Dubois: De recuperatione Terre Sancte. Dalla Respublica Christiana ai primi nazionalismi e alla politica antimediterranea. Florenz 1977 (Testi medievali di interesse dantesco 1), S. 117–211, bes. S. 159–167 – mit den Korrekturen in: Quellen und Forschungen aus ital. Archiven und Bibliotheken 59 (1979) S. 517 f.]; dazu aus der reichen Literatur allgemein etwa Otto Gerhard Oexle: Utopisches Denken im Mittelalter: Pierre Dubois. In: HZ 224 (1977) S. 293–339. Entsprechendes hatte auch zu fast derselben Zeit etwa Guillelmus Duranti in seiner Reformschrift für das Konzil von Vienne gefordert: vgl. Tractatus maior [wie Anm. 11] 2.73 [Editio princeps 3.4; fol 53 ra–b]: videretur utile quod de qualibet facultate sumerentur literati et experti viri et arbitri, ad quorum iudicium per summum pontificem omnes probabiles dubitationes circa quaslibet scientias exorte, resecatis omnibus similibus et superfluis, remanentibus tamen ipsarum scientiarum textibus originalibus, tollerentur (,,es erschiene nützlich, daß aus jeder Fakultät gelehrte und erfahrene Männer als Schiedsrichter genommen würden, auf deren Urteil hin alle nur denkbaren Zweifelsfragen, die in den einzelnen Wissenschaften aufgetreten sind – unter Weglassung aller Wiederholungen und alles Überflüssigen, jedoch unter voller Beibehaltung der Originaltexte der einzelnen Wissenschaften – durch den höchsten Bischof aufgehoben werden könnten“). Sehr ähnlich auch Tractatus minor 22 [Editio princeps 3.45; fol. 68va]. 88

Reformarbeit: Vener u. Anonymus

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Unmöglich können hier die einzelnen Vorschläge Aillys detailliert durchmustert werden, die für jeden Teil des Leibes Christi ein eigenes Reformprogramm entwerfen und so noch einmal wirklich eine Reform an Haupt und Gliedern der Kirche einleiten möchten. Konkreter werden die Forderungen insbesondere hinsichtlich der Ordensangehörigen und ihrer Lebensordnung: der Traktat kann hier etwa bei der Versorgung der Kranken nach ärztlicher Anordnung ein Räsonnement gegen allzu starren Buchstabengehorsam nicht unterdrücken.90 Allgemein wird er immer dort interessant, wo wirtschaftliche Interessen in Frage stehen, also etwa bei der Pfründenzuweisung.91 Besondere Beachtung schenkt der Kardinal der Verteidigung der Kardinalsstellung,92 die in Konstanz unter erhebliches Feuer der Kritik geraten war. Die Schrift in ihrem allgemeinen Zugriff auf die Probleme ist ein schönes Beispiel für die Fortsetzung der allgemeinen Reformdebatte der Schisma-Situation auch noch zu Zeiten, da längst eine sehr detaillierte Auseinandersetzung über einzelne Reformmaßnahmen des Konzils stattfand.93 Auch die nächsten beiden Texte [Nr. IX und Nr. X] sind Reformmemoranden aus der Zeit der Reformatorien auf dem Konstanzer Konzil, wenn sie auch einen voneinander und gegenüber dem Reformaufruf Aillys unterschiedenen Ton und eine jeweils sehr besondere Struktur aufweisen. Am ehesten mit Aillys allgemeinem Fanal läßt sich noch die große Denkschrift Job Veners (wohl vom Juni 141794) vergleichen [Text Nr. IX], ein Traktat, der ebenfalls einen Rundblick auf das Gesamtproblem der Reform wagt (wenn hier auch angesichts der bevorstehenden Papstwahl die Reform des Hauptes und der Kurie stark in den Vordergrund tritt). Vener legt ein geschlossenes Konzept vor, ja gibt sich mit einer Refom der Kirche nicht zufrieden, sondern rät sogar – quia pro reformacione sacri imperii est in multis par racio cum reformacione papatus (,,weil bei der Reichsreform in vielen Stücken Gleiches gilt wie bei der Reform des Papsttums“)95 – aus seinen KonzilserReformarbeit: Vener u. Anonymus

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S. 366. Freilich haben gerade diese Passagen zum Ordensleben den erbittertsten Widerstand von Betroffenen hervorgerufen; vgl. insbes. die Kontroverse Aillys mit dem Dominikanergeneral Leonhard Statius, der in einer Predigt in Konstanz am 28. Februar 1417 [in: ACC II, S. 488–492] die Vorschläge des Kardinals heftig angegriffen hat, ja unter Häresieverdacht stellte: dazu bes. Dieter Mertens: Reformkonzilien und Ordensreformen im 15. Jahrhundert. In: Elm, Reformbemühungen [s. Lit.verz. C], S. 431–457 (hier S. 438 f.). 91 S. 366. 92 S. 348. 93 Vgl. unten Texte Nr. XI–XII. 94 Heimpel, Vener [s. Lit.verz. A], S. 366, 761 f., 1260. 95 Text Nr. IX, S. 408. Vgl. auch zum Zusammenhang kirchlicher und weltlicher Reformen den Franzosen Nicolaus de Clamanges, Epistola 102, im Druck: Opera omnia, ed. Lydius [wie Anm. 35], S. 290 a – 294 b, hier S. 294 b: (Bei einer Beendigung mmmmm

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Einleitung 2. Zu den Texten C 11 u. 12

fahrungen heraus mit einem recht detaillierten Entwurf zu Eingriffen in die Reichsverfassung, die auf die späteren Überlegungen des Nikolaus von Kues auf dem Basler Konzil vorausdeuten. Job Vener stilisiert sein Memorandum ganz unpersönlich, als ,,Stellungnahme der alten Kirchenlehrer“, ja der Canones selbst zu anstehenden Fragen (als könnten diese in Konstanz überhaupt das Wort führen). Daß er, Vener, der Verfasser ist, wird nirgends ausdrücklich gesagt: das Memorandum bleibt folgerichtig anonym (kann aber eindeutig seinem Verfasser zugeordnet werden).96 Vener zeigt sich begeistert von der Erfahrung, daß auf dem Konzil alle wichtige Literatur in der Hand aller Interessierten ist oder doch sein kann. Er erwartet auch, daß betimmte ausdrücklich genannte Schriften in aller Hände gelangen.97 Seine eigene Schrift selbst ist freilich in nur zwei Handschriften auf uns gekommen, von denen eine das Handarchiv des Verfassers vor seinem Tode nicht verlassen hat, sie hat also offenbar keine sehr lebhafte Verbreitung gefunden.98 Trotzdem gehört der Text 99 zweifellos zu den für deutsche Leser interessantesten Stücken der Reformdiskussion, zeigt er doch neben einer Momentaufnahme konkreter Reformvorstellungen vor allem eine Verallgemeinerung der Reformidee an, die aus der Verallgemeinerung der Empfindung von Reformbedürftigkeit rührt. Job Vener als sensibler Einleitung 2. Zu den Texten C 11 u. 12

des Schisma und durch die Herstellung der Kircheneinheit) . . . reformabitur ecclesia universa in capite ac membris singulis incredibiliter labefacta, corrigentur errores, comprimentur excessus, abusus auferentur, florebit iustitia, resurget disciplina, zelus, devotio antiqua, gravitas atque honestas ad priscum morem reformabuntur. Renovata autem spirituali politia ad debitam formam, que regulatrix esse debet, facile [!] alie politie seculares horribiliter etiam collapse ad regulam venient matris sue salutari exemplo . . . (Dann wird die Gesamtkirche, die jetzt ja an Haupt und allen einzelnen Gliedern so unglaublich erschüttert ist, reformiert, Irrtümer werden berichtigt, Auswüchse beschnitten, Mißbrauch beseitigt, Gerechtigkeit wird aufblühen, Zucht wieder entstehen, Eifer, alte Frömmigkeit, Würde und Ehrbarkeit werden zum althergebrachten Stand zurückgeführt. Wenn aber die geistliche Verfassung erst zu dem gehörigen Stand reformiert ist, die ja die Regel abgeben muß, dann werden mit Leichtigkeit die anderen weltlichen Verfassungen, die ebenfalls schrecklich zerrüttet sind, zu ihrer Richtschnur zurückkehren nach dem heilsamen Beispiel ihrer Mutter . . .). 96 Insbesondere vgl. Heimpel: Vener [vgl. Anm. 98]. 97 Unten S. 382. 98 Eine eindringliche Monographie legte vor Heimpel, Vener [s. Lit.verz. A], S. 743–877 (mit einer textnahen, doch in der Interpretation weiterführenden Paraphrase S. 765–785, zur Überlieferung S. 760, vgl. auch S. 1128, 1290 f.); zur Prosopographie Job Veners knapp bereits Peter Moraw: Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts. In: Archiv für Diplomatik 15 (1969) S. 428–531, hier S. 476–482. 99 Hier wird der Text nach Heimpels vorzüglicher Ausgabe praktisch unverändert abgedruckt, zumal eine eingehende Kontrolle an der Wiener Handschrift die Verläßlichkeit dieser Grundlage bestätigt hat.

Reformarbeit: Entwürfe der Reformatorien

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Zeitgenosse hat dem bereits in Konstanz unmißverständlich Ausdruck gegeben. Das zweite Stück, ein anonymes Reformmemorandum aus dem Bistum Konstanz [Text Nr. X], soll hier stellvertretend für jene Texte stehen, die als Eingaben an den Reformausschuß entstanden sind. Der Text, wohl kurz vor der Wahl des Papstes 1417 vom Klerus der Konstanzer Diözese (vielleicht auf einer Diözesansynode verabschiedet) im Konzil eingebracht, zeigt zweierlei deutlich: die konkreten Interessen des Pfarrklerus gegenüber den Kollationsrechten der Laiengewalten (da sich die Verfasser hier ganz auf die traditionellen bischöflichen Amtsrechte als Schutz verlassen wollen) und die deutlichen Anstrengungen der deutschen Nation, noch im Jahre 1417 die Reformaufgabe voranzubringen. Der Text stammt aus den Unterlagen eines deutschen Mitglieds der Reformkommission, dem er offensichtlich aus der deutschen Nation eingereicht worden war. Auf 1417, kurz vor die Wahl des Papstes, ist er zu datieren,100 die dann all diese und ähnliche Vorbringungen zunächst einmal obsolet machte und beiseite schob. Der Text mit seinem freimütig und offen eingestandenen Kirchtumshorizont ist ein markantes Beispiel der drängenden Fragen, auf die das Konzil durch Petitionen von außen gestoßen wurde, auf die es antworten sollte und auf die auch das reformatorium keine definitiven Antworten fand, vor allem deshalb nicht, weil solche klar identifizierbaren Interessen eben nicht nur aus einer einzigen Richtung, aus einem einzigen Winkel dem Konzil vorgetragen und zugemutet wurden, sie sich vielmehr gegenseitig teilweise blockierten, oder doch störten. Reformarbeit: Entwürfe der Reformatorien

Die Reformberatungen der Reformatorien (zu Nr. 11 und 12) Natürlich könnten an Reformavisamenten, Memoranden, Polemiken und mehr oder weniger zündenden Aufrufen oder Forderungen noch eine derart lange Reihe weiterer Texte vorgestellt werden, daß ein Band auch doppelten Umfanges, wie ihn der vorliegende aufweist, nicht Raum genug böte, und doch hätte auch er gewiß nur eine kleine Auswahl der in Frage kommenden Texte zu bieten. In unserer Quellensammlung sollten aber jedenfalls auch die normativen Texte der Konzilshinterlassenschaft Aufnahme finden, und zwar in beiden auf uns gekommenen Stadien, dem Aktenniederschlag der Ausschußberatungen, wie sie im ,,Reformatorium“ ausführlich stattgefunden haben, und den schließlich verabschiedeten Reformdekreten des Konstanzer Konzils. Deshalb sollen aus den Aktenbergen der Reformationsberatungen knappe (thematisch grob nach Reformanliegen an das Haupt der Kirche einerseits, 100

Er wird hier nach der Erstedition in ACC IV, S. 740–743, abgedruckt, emendiert mit Hilfe der Handschrift Stuttgart, WLB, Cod.iur. 2° 130.

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Einleitung 2. Zu den Texten D 13–15

Reformanliegen an die Glieder andererseits gruppierte) Auszüge vorgestellt werden [Texte Nr. XI und Nr. XII]. Dabei machte die Auswahl aus dem erhaltenen Aktenbestand besondere Schwierigkeiten, sind uns doch in insgesamt sieben handschriftlichen Konvoluten die ,,privaten“ Aktensammlungen einzelner Kommissionsmitglieder erhalten geblieben. Das ist freilich insgesamt gesehen nicht allzu viel. Zudem ist es ein äußerst sprödes Material, da uns die einzelnen Texte, zu denen versprengte Einzelüberlieferung hinzutritt, keineswegs in Form von chronologisch fixierten Protokollen, sondern als Arbeitsunterlagen ohne genaue zeitliche Zuordnung und in verschiedenen Stufen ihrer Ausarbeitung erreicht haben. Die Forschung hat sich bisher nicht abschließend auf eine genauere Datierung der einzelnen Stücke, noch weniger auf eine Einzelzuweisung und sachliche Gliederung dieser Texte und Materialien einigen können, die zumindest den einzelnen Phasen des Ausschusses jeweils bestimmte ,,Ergebnisse“ zuweisen könnte. Auch für unsere Auswahl stellt sich daher das Problem einer sinnvollen Präsentation in aller Schärfe. Alles Überlieferte konnte nicht vorgestellt, eine Wahl mußte getroffen werden. Wir haben uns dazu entschieden, im wesentlichen die Akten aus einer der überlieferten Sammlungen 101 zu bringen, um die Art der Überlieferung zu dokumentieren, eine Basis, die nur in Ausnahmefällen und überwiegend in den Anmerkungen, durch Stücke aus anderer Tradition ergänzt wurde, wenn sich diese wegen ihres charakteristischen Inhalts aufdrängten, oder auch um die Variationsbreite der Überlieferung exemplarisch anzuzeigen. Einleitung 2. Zu den Texten D 13–15

D. Ergebnisse des Konstanzer Konzils in der Kirchenreform Die Reformdekrete des Konzils (zu Nr. 13–15) Was aus diesen Debatten, Entwürfen, Vorarbeiten und Beschlußvorlagen im Verlaufe der Kommissionsarbeit im einzelnen geworden ist, sollte hier 101 Der Text wird hier wiedergegeben nach den Drucken von der Hardts und Mansis sowie nach der – nach dem Fund weiterer Handschriften hergestellten – Edition in ACC II, S. 606–700, ausgewählt und emendiert nach dem Textbestand der Hs. Stuttgart, WLB, Cod.iur. 2° 130 (wobei auch Hs. Wien, ÖNB, lat. 5069, kontrollierend verglichen wurde); vgl. dazu die Charakteristik in ACC IV, S. XCIV sowie die tabellarischen Angaben von Stump: Taxation [s. Lit.verz. C], S. 74 (Table I). Die kritische Edition (mit einer Aufteilung des Materials auf das Erste und Zweite Reformatorium, sowie der Wiedergabe von ,,Extravaganten“), die Stump: The Reforms [s. Lit.verz. C], S. 273–419, jetzt gegeben hat, erschien für dieses Buch zu spät. Um so nachdrücklicher sei darauf hier verwiesen. Die von uns benutzte Leiths. (Stuttgart iur. 2o 130) wird von Stump dem “Second Committee” zugeteilt; wesentliche Abweichungen im Text zu unserer Fassung sind nicht zu verzeichnen].

Ergebnisse des Konzils: Reformbeschlüsse

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ebenfalls nicht unterschlagen werden: die Reformdekrete des Konzils [Texte Nr. XIII–XV], wie sie schließlich beschlossen und erlassen worden sind, sind ohne diese Vorarbeiten nicht zu begreifen und umgekehrt erläutern sie die Grenzen, Absichten und Leistungen der in Konstanz erzielten Ergebnisse: es blieb weitgehend beim Programm, einem Programm freilich, das als ein konkreter Zukunftsauftrag gedacht war. Allzu zahlreiche Reformdekrete nämlich konnte das Konzil selbst der langen Arbeit zum Trotz nicht auf den Weg bringen oder gar verabschieden. Zu hart prallten die Interessen aufeinander, zu unterschiedlich war auch die Lage in den verschiedenen Gegenden der Weltkirche. Ob man sich in den gut anderthalb Jahren der Abwesenheit Sigismunds mit der Debatte allzu viel Zeit gelassen hatte, bleibe dahingestellt. Nach der Rückkehr des Römischen Königs jedenfalls zeigten sich sogleich erhebliche Konflikte, Konflikte um die unmittelbare Dringlichkeit der Reform (insbesondere hinsichtlich der künftigen Finanzierung der Kurie und der herkömmlichen Pfründenzuweisung durch die Kurie) einerseits und um die Notwendigkeit einer sofortigen Vollendung der Kircheneinheit durch die Wahl eines neuen Papstes andererseits. Diese sogenannten Prioritätsstreitigkeiten sind nicht in ihren einzelnen Phasen und Manövern nachzuzeichnen, obwohl das ein lebhaftes Bild von der politischen Struktur und der differenzierten Zusammensetzung der auf dem Konzil präsenten Interessengruppierungen vermitteln könnte. Die ungewöhnlich lange Tagungsdauer, die zum Teil erhebliche Entfernung der Konzilsteilnehmer von ihrer gewohnten Lebenswelt – mit einem Wort, ein deutlich faßbarer Konzilsüberdruß bei der Mehrheit der Teilnehmer – ließ ein weiteres Abwarten nicht zu. Das Drängen vor allem der ,,konzilsnahen“ deutschen Nation unter Führung des deutschen Herrschers auf eine vorrangige Erledigung der Reformaufgaben traf insbesondere bei den Franzosen und Spaniern auf immer geringeren Widerhall. Das Ergebnis dieses Konflikts war ein berühmter Kompromiß: man einigte sich nach langem Hin und Her schließlich darauf, in die Papstwahl mit einem kompliziert ausgeklügelten Verfahren 102 baldigst möglich, noch im Ergebnisse des Konzils: Reformbeschlüsse

102

Im einzelnen zur Wahl selbst Karl August Fink: Die Wahl Martins V., In: Franzen-Müller [s. Lit.verz. C], S. 138–151, jetzt in: Bäumer, Konzil [s. Lit.verz. C], S. 306–322; mit den wichtigen Ergänzungen von Bernhart Jähnig: Johann von Wallenrode OT, Erzbischof von Riga, königlicher Rat, Deutschordensdiplomat, Bischof von Lüttich im Zeitalter des Schisma und des Konstanzer Konzils. Göttingen 1970 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 24), bes. S. 114 ff., sowie von Heimpel: Vener [s. Lit.verz. A], S. 372–378, 742–756. Vgl. neuerlich Dieter Girgensohn: Berichte über Konklave und Papstwahl auf dem Konstanzer Konzil, AHC 19 (1987) S. 351–363. Zur allgemeinen Debatte vorher jetzt auch Thomas E. Morrissey: “More Easily and More Securely.” Legal Procedure and Due Process at the Counmmmmmm

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Einleitung 2. Zu den Texten D 13–15

Jahre 1417, einzutreten, zuvor aber die Reformarbeiten durch gemeinsamen Beschluß der entscheidungsreifen Vorlagen voranzubringen und für die noch nicht konsensfähigen Punkte dem künftigen Papst und dem Konzil einen bindenden Auftrag zu geben. Dieser Kompromiß zwischen Reformeifer und Konzilsmüdigkeit schlug sich nieder in den bekannten Beschlüssen der 39. und 40. Generalsession vom Oktober 1417, vor allem im Dekret Frequens103 [Text Nr. XIII] und im sogenannten ,,Kautionsdekret“ 104 [Text Nr. XIV], sowie zusätzlich in den klaren, wenn auch nicht allzu tief einschneidenden Reformbestimmungen 105 [Text Nr. XIII], nach denen die Kurie künftig auf eine Versetzung von Prälaten gegen deren Willen ebenso verzichten sollte wie auf das herkömmliche Spolienrecht am Nachlaß der Geistlichen und auf die Erhebung von Visitationsgebühren (sogenannten procurationes) durch die kurialen Kollektoren.106 Im Einleitung 2. Zu den Texten D 13–15

cil of Constance. In: Popes, Teachers, and Canon Law in the Middle Ages [= Festschrift Brian Tierney]. Edd. James Ross Sweeney and Stanley Chodorow. Ithaca, N.Y., London 1989, S. 234–247. 103 Sessio XXXIX (9. Oktober 1417), unten S. 484. Vgl. z. B. Brandmüller: Schisma [s. Lit.verz. C], S. 243–263 und S. 271 ff. – B. bezweifelt, daß diese Bestimmungen von Frequens überhaupt in Beziehung zu Reformabsichten stehen, weil das Dekret selbst ,,nur“ im Zusammenhang mit technischen Vorkehrungen gegen eine künftige schismatische Wahl verabschiedet wurde, während das ,,Kautionsdekret“ zur Reform erst auf der folgenden Sitzung beschlossen werden konnte. An einem inhaltlichen Zusammenhang scheint mir aber überhaupt kein Zweifel möglich: allein die enge Verknüpfung der (in Frequens festgehaltenen) Konzilsaufgabe einer Kirchenreform mit einer Provisio adversus futura scismata (,,Vorsorge gegen künftige Spaltungen“, so unten S. 486!) spricht dafür, vgl. nur: que [d. h. frequens generalium conciliorum celebracio] . . . excessus corrigit, deformata reformat . . . (etc.) [unten S. 484]. Außerdem ist zu unterstreichen, daß unter den vom ersten Reformatorium beratenen Dekret-Entwürfen sich an erster Stelle [!] ein Konzept findet, das die späteren Regelungen von ,,Frequens“ vorwegnimmt; Text in Stump: The Reforms (s. Lit.verz. C), S. 317–321 [früher ACC II 606–609; unten nur der Anfang: S. 422]; vgl. auch den Bericht Fillastres über die Session (ACC II 148): Presedit Ostiensis et fuerunt pronunciata decreta reformacionis, que secuntur: Frequens . . . [,,Den Vorsitz führte der Kardinalbischof von Ostia; die folgenden Reformdekrete wurden verkündet: ‘Frequens’ . . .“]. Eindeutig ist dann in Basel das Dekret so verstanden worden: vgl. Hermann-Josef Sieben: Basler Konziliarismus konkret. Der “Tractatus de auctoritate conciliorum et modo celebrationis eorum” des Johannes von Ragusa. In: Theologie und Philosophie 69 (1994), S. 182– 210, hier S. 197 f. 104 Sessio XL (30. Oktober 1417), unten S. 498. 105 Sessio XXXIX (9. Oktober 1417) unten S. 492. 106 Die Texte werden hier sämtlich nach dem Druck in COD 3 wiedergegeben, obwohl dieser Druck keine eigentlich kritische Ausgabe ist, sondern aus einem Vergleich der alten Drucke erarbeitet wurde. Diese Textfassung wurde an zwei Hss. kontrolliert, mmmmm

Ergebnisse des Konzils. Reformbeschlüsse

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Dekret Frequens [Text Nr. XIII] beschloß das Konzil, regelmäßig alle 10 Jahre Generalkonzilien abzuhalten, binnen einer Frist, die durch Festlegungen ausgesuchtester Kasuistik wohl im Bedarfsfall verkürzt, aber niemals gedehnt werden sollte. Das nächste Konzil sollte bereits nach 5 Jahren, das übernächste 7 Jahre danach folgen. Schon im ersten Satz des Dekrets ist ausdrücklich von den Reformaufgaben eines Konzils – excessus corrigere, deformata reformare – zwar konventionell, aber unzweideutig – die Rede.107 Künftig anberaumte Konzilien erscheinen keineswegs von der Reformaufgabe entbunden. Im ,,Kautionsdekret“ [Text Nr. XIV] auf der unmittelbar folgenden Sitzung wurde von den Konzilsvätern dann dem künftig endlich neu zu wählenden Papst sowie dem Konzil selbst noch vor dem Ende der Sitzungen eine lange Liste von nicht weniger als 18 Reformaufgaben auferlegt – wiederum in capite et curia Romana,108 wie es diesmal präzisierend und einschränkend zugleich ausdrücklich heißt – freilich (mangels Konsens) gleichsam als Blanko-Auftrag, d. h. ohne irgendwelche Aussagen über den Lösungsweg des umfänglichen Problemkataloges. Alle gängigen Gravamina sind genannt, von der kurialen Pfründenvergabe und ihren Gebühren, über die kurialen Prozesse und den kurialen Geschäftsgang bis hin zum Ablaßwesen, und immer wieder werden die kurialen Finanzquellen angesprochen. Freilich ist auch, anständigerweise, als Besprechungspunkt gewissermaßen, De provisione pape et cardinalium (,,Versorgung und Unterhalt des Papstes und der Kardinäle [nach der Finanzreform]“) nicht ausgelassen.109 Nachdem auf dieser 40. Sitzung (am 30. Oktober 1417) unmittelbar nach dem ,,Kautionsdekret“ das Konzil auch die Wahlordnung für das (besondere) Konstanzer Konklave beschlossen hatte, konnte dann die Neuwahl eines Papstes gewagt werden, die schon am 17. November Erfolg hatte.110 Papst Martin V. hat in den nächsten Monaten sich mit Geduld und praktischem Geschick der drängenden administrativen Aufgaben angenommen, die sich vor der wiedervereinigten Kurie auftürmten, er hat auch die Geschäfte des Konzils, die aus den verschiedensten Gründen unerledigt geblieben waren, abgewickelt und zu Ende geführt. Dabei hat er sich auch der Reformaufgabe zugewandt, konnte aber in Konstanz in Abstimmung mit dem erneut umErgebnisse des Konzils. Reformbeschlüsse

Ad laudem auch nach dem Entwurf bei Vener (s. Nr. IX), ohne daß dies (neben der orthographischen Angleichung) wesentliche Verbesserungen des Textes gebracht hätte. 107 (Wie Anm. 105). Vgl. auch Anm. 103. 108 Wie unten S. 498 – vgl. aber die Textvariante a: schon der erste Druck der Konstanzer Dekrete (Hagenau 1500) hat hier anders gelesen und den Parallellismus zerstört. 109 Unten S. 500. 110 Vgl. vor allem die oben (Anm. 102) genannte Literatur.

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Einleitung 2. Zu den Texten D 13–15

gebildeten reformatorium, ebensowenig wie das Konzil zuvor, wirklich entscheidende Entschließungen nicht mehr zustande bringen. So nimmt es nicht wunder, daß auch hier die Hoffnung auf das künftige Konzil die Dürftigkeit der erzielten Ergebnisse ergänzen mußte. Es wurden zwar noch eine Reihe von Reformdekreten in der literarischen Form von päpstlichen Konstitutionen zusammengestellt und den Nationen am 20. Januar 1418 verkündet [in der sog. "Reformakte“ Papst Martins V.], die nach längeren Verhandlungen und Diskussionen, nur unwesentlich verändert und ergänzt, auf der 43. Generalsession des Konzils (am 21. März 1418) global Billigung fanden. Diese Reformdekrete [Texte Nr. XV] gingen wenigstens auf einige der dringendsten Forderungen der deutschen und französischen Nation ein und wurden vom Konzil auf dieser Sitzung auch mehrheitlich – zusammen mit den gleich zu besprechenden Konkordaten [Texte Nr. XVI] – als (vorläufige) Erfüllung der im "Kautionsdekret“ [Text Nr. XIV] beschlossenen Reformagende anerkannt. Hier wurden etwa zu den spätestens seit dem Konzil von Vienne strittig erörterten Exemtionen von religiösen Orden oder einzelnen Kirchen der Kurie gewisse Einschränkungen auferlegt (die aber eher rhetorischer Natur waren, beziehungsweise vorwiegend als ein Versprechen künftiger Bescheidenheit gelten müssen). Ähnlich gestimmt zeigt sich der Papst nach diesen Texten in anderen Punkten. Sensible Fragen der Reformdiskussion wurden hier überall berührt, ohne daß – verständlicherweise – radikale Lösungen ins Auge gefaßt wurden.111 Die Zusage ,,vernünftiger“ Anwendung, ,,maßvollen“ Gebrauchs, ,,gerechter“ Abwägung waren in aller Regel der Kern der päpstlichen Zusagen, wenn wir einmal von der Ungültigkeitserklärung bestimmter Maßnahmen der Vorgänger aus der Schismazeit absehen. Wenn der Papst bei der Erhebung von Zehnten und anderen Beisteuern nicht nur den Konsens der Kardinäle, sondern auch Rat (und Zustimmung) der Prälaten, ,,deren Ratschlages man ohne Schwierigkeiten habhaft werden könne“,112 sowie insbesondere auch Rat (und Zustimmung) der Prälaten der betroffenen Reiche einzuholen versprach, so konnte das kaum verdecken, daß eben nicht die Zustimmung eines synodalen Gremiums eingeholt werden sollte. Neben all den gewiß ernstgemeinten Versprechungen steht freilich auch 111 Die neueste kritische Darstellung der Vorgänge findet sich bei Stump, The Reforms (s. Lit.verz. C), S. 45 f. Die Preisgabe der Interkalarfrüchte (De fructibus medii temporis, S. 508) erscheint noch als die entschiedenste Neuerung, sollte aber nicht falsch verstanden werden: die benutzten Klauseln schränkten deren Wirkung in der Praxis ungemein ein, dazu bereits Hübler [s. Lit.verz. A], S. 144 mit Anm. 63. 112 S. 512: ... de consilio, consensu et subscripcione [!] fratrum nostrorum sancte Romane ecclesie cardinalium et prelatorum, quorum consilium commode haberi poterit. Nec ... inconsultis prelatis illius regni vel provincie et ipsis non consencientibus vel eorum maiori parte . . .

Ergebnisse des Konzils: Konkordate

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eine feierliche Selbstverpflichtung des Papstes, der vor dem versammelten Konzil mit dessen ausdrücklicher Billigung verkünden ließ, er wolle sich an seine Abmachungen mit den einzelnen Nationen des Konzils selber künftig halten und darauf achten, daß auch seine kurialen Hofbediensteten sich danach richteten.113 Mit dieser Proklamation machte der Papst zuvor getroffene Abmachungen mit den einzelnen Konzilsnationen zu einer ihn selbst und die kurialen Behörden verpflichtenden Rechtsgrundlage – freilich ausschließlich für die Zeit der Geltung dieser Absprachen, die nur bis zum Zusammentritt des nächsten Konzils in Kraft treten sollten, das nach fünf Jahren vorgesehen war. Die Konstanzer ,,Konkordate“ (zu Nr. 16) Man hatte eigentlich weiterkommen und noch weitergehende Reformmaßnahmen verabschieden wollen. Das selbstgesteckte Ziel ist aber, solange das Konstanzer Konzil tagte, nicht erreicht worden. Zwar hatte Papst Martin V. versucht, über das reformatorium mit den Konzilsnationen insgesamt zu einer Einigung zu gelangen, erreicht wurde aber auch hier, wie gesagt, nicht mehr als eine Verschiebung der wesentlichen Fragen auf das nächste Konzil, das man sich ja bereits nach fünf Jahren vorgenommen hatte, sowie eine vorläufige Vereinbarung von vorsorglichen Maßnahmen für diese nächsten fünf Jahre, auf die sich in einem komplexen Verfahren Papst und einzelne Konzilsnationen jeweils für ihr Gebiet einigen konnten.114 Rein technisch formulierte man diese vorläufigen Absprachen – ungewöhnlich genug – als ein Paket von Einzelverträgen zwischen dem Papst und den einzelnen Konzilsnationen 115: das sind die berühmten Konstanzer ,,Konkordate“ [Texte Nr. XVI].116 Diese Verträge brachten – mit Abwandlungen und Unterschieden für die verschiedenen Teile der lateinischen Weltkirche – einige neue Ansätze, die freilich eher durch ihre Nachwirkungen als durch ihre unmittelbaren Wirkungen in den verschiedenen Ländern bedeutsam wurden.117 Für die Zeitgenossen war das aber, so deutlich es auch zuErgebnisse des Konzils: Konkordate

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Unten S. 514. Vgl. im einzelnen Hübler [s. Lit.verz. A], S. 40–64. Eingehend auch Stump, Reform, und ders.: The Reforms [beides s. Lit.verz. C]. 115 Unwahrscheinlich ist, daß es einen solchen Vertrag mit der Italienischen Nation überhaupt gegeben hat. Überliefert ist jedenfalls kein solches Dokument. 116 Bei Mercati [s. Lit.verz. A], S. 144–150 auch gesondert überliefertes Konkordat mit der spanischen Nation; nützliche deutsche Synopsis bei Hübler [s. Lit.verz. A], S. 218–249). Ein Streit um den Begriff eines ,,Konkordats“, der in der Neuzeit auf Verträge des Heiligen Stuhls mit Staaten eingeengt wurde, erscheint müßig und soll hier nicht aufgenommen werden. Wichtig bleibt allein, daß man sich demgegenüber den besonderen Charakter der Konstanzer Abmachungen gegenwärtig hält. 117 Im Vertrag mit der deutschen Konzilsnation wäre vor allem zu nennen die mmmmmmmmm 114

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Einleitung 2. Zum Text D 16

nächst in die herkömmliche Finanzierung der Kurie eingriff und so langfristige Folgen es auch haben sollte, keinesfalls der Durchbruch zur erhofften allgemeinen Reform der Kirche, der dann auch die vielbeschworene reformacio in membris auf dem Fuße hätte folgen können. Umorganisation der Kurie, Wiedergewinnung des Kirchenstaates, Restauration des Papsttums füllten die nächsten Jahre Martins V., ohne daß dieser Papst nachweislich von seinen u. a. auch in den Konkordaten übernommenen Verpflichtungen abgewichen wäre. Auch das vereinbarte Konzil kam fünf Jahre nach dem offiziellen Ende von Konstanz in Pavia und Siena (1423) wirklich zustande.118 Der Papst ließ sogar von einer Kardinalskommission im Vorfeld Vorschläge für eine Kurienreform zusammenstellen.119 So hat sich denn die Reformarbeit des Konstanzer Konzils, mit so viel Schwung und rhetorischer Begeisterung auf den Weg gebracht, mit so viel Eifer und Raffinesse im einzelnen auf dem Konzil verfolgt, von so vielen fast apokalytischen Hoffnungen begleitet und in einzelnen Feldern auch durchaus von respektablen Erfolgen gekrönt,120 in den Fragen der Reform der Einleitung 2. Zum Text D 16

schiedlich-friedliche Teilung der Verfügung über die Pfründen, die vom Papst und den normalen Kollatoren abwechselnd zugeteilt werden sollten (was im Prinzip, wenn auch nicht in der Prozedur, im Wiener Konkordat aufgegriffen werden wird), sowie eine Beschränkung der von der Kirchenzentrale vergebbaren niederen Pfründen durch eine Wertgrenze, unterhalb derer die Zentrale keinen Zugriff haben sollte, vgl. S. 522. Insgesamt vgl. die sorgfältigen Aufstellungen von Stump: Taxation [s. Lit.verz. C]. Vgl. auch Helmrath, Reform [s. Lit.verz. C], S. 108. Über das Wiener Konkordat [Text mit Übers.: FSGA, A., Bd. 33, Nr. 127], das dann im 15. Jahrhundert die für das deutsche Mittelalter abschließende Antwort auf diese Probleme gab, zuletzt Andreas Meyer: Das Wiener Konkordat von 1448. Eine erfolgreiche Reform des Spätmittelalters. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 66 (1986) S. 108–152. 118 Die umfassendste Darstellung (mit Edition wichtiger Quellen) stammt von Walter Brandmüller, Das Konzil von Pavia-Siena (1423–1424), Bd. 1–2, Münster 1968– 1974 (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 16). Im einzelnen vgl. auch den Anschlußband dieser Quellenauswahl (FSGA, A., Bd. 38 b) Nr. 1–5. 119 Ed. Johannes Haller in: Concilium Basiliense, Bd. 1: Studien und Dokumente zur Geschichte der Jahre 1431–1437. Basel 1896, S. 163–168, nr. 1 (mit der Untersuchung Hallers S. 107–111) Das meiste daraus wird im Anschlußband [wie Anm. 118] – in seiner ersten Fassung – als Nr. 1a abgedruckt werden. 120 Neben den Ansätzen zu einer Reform des kirchlichen Finanzwesens, die die frühneuzeitliche Situation eines vorwiegend auf seine Einnahmen aus dem Kirchenstaat verwiesenen Papsttums vorbereiten halfen (dazu vor allem Stump: Taxation [s. Lit.verz. C]), sind effektive Wirkungen vor allem auf dem Gebiet der Reform des Ordenswesens zu verzeichnen (dazu vgl. allgemein: Elm, Reformbemühungen [s. Lit.verz. C], hier bes. Dieter Mertens, Reformkonzilien [wie Anm. 90], zu Konstanz bes. S. 435–446, wo dieser Zweig der Gesamttätigkeit des Konzils, der in unserer mmmmmmmm

Einleitung 3. Einrichtung der Ausgabe

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Gesamtkirche, weiterhin auf das Prinzip Hoffnung verwiesen gesehen. In fünf Jahren, so mochte man denken, würden die brennenden Probleme des Übergangs zu der wiederum gemeinsamen Kirchenregierung beruhigt und einer Lösung näher gebracht, die Linien jedenfalls klarer zu sehen sein, an denen man sich orientieren könnte. Was man in Konstanz vor sich selber verhehlte, war die Macht der Faktizität, das Schwergewicht einer gelungenen Neuetablierung des Papsttums und seiner Kurie. Mit der Verschiebung der Hauptarbeit der Reform hatte man einen Wechsel auf die Zukunft gezogen, ohne die künftigen Entwicklungen wirklich schon absehen zu können. In der causa reformacionis hatte das Konstanzer Konzil seine ihm zugedachten Aufgaben nur höchst unvollkommen zu Ende gebracht. Die Reformkonzilien in Pavia/Siena (1423/24) und Basel (1431–1449), wie auch das Konzil von Ferrara und Florenz (1438–1445), hatten diese Hinterlassenschaft des Konstanzer Konzils als Hypothek und als Aufgabe zu übernehmen.

3. Einrichtung der Ausgabe Grundsätzlich wurde versucht, ungekürzte Texte zu präsentieren, was freilich bei den Akten der Reformatorien (Nummern IX u. XI) nicht möglich war. Ansonsten wurde im allgemeinen das Prinzip verfolgt, nicht nur möglichst vollständige Stücke abzudrucken, sondern auch reale Texte, d. h. in Handschriften vorliegende Fassungen. Wo von diesem Prinzip abgewichen wurde, ist ausdrücklich in der Einleitung darauf hingewiesen worden. Der lateinische Text folgt dem jeweils im Kopf genannten Druck; die Schreibweise der Texte wurde dabei aber entsprechend dem Lautstand der damaligen Zeit zur Orthographie der jeweiligen Handschriften normalisierend zurückgeführt. Sie unterscheidet sich daher von der Schreibweise des Gelehrtenlateins des 19. Jahrhunderts, in der sonst häufig mittelalterliche Texte wiedergegeben werden. Da die bisherigen Drucke der aufgenommenen Quellen nicht immer zuverlässig schienen, wurden sie an der handschriftlichen Überlieferung konEinleitung 3. Einrichtung der Ausgabe

Quellenauswahl nur als Teil der allgemeinen Denkschriften zur Geltung gebracht werden konnte, eine eingehende Würdigung erfährt). Auch Kaspar Elm: Monastische Reform zwischen Humanismus und Reformation. In: 900 Jahre Kloster Bursfelde. Hrsg. von Lothar Perlitt. Göttingen 1994. S. 59–111 (mit reichen Literaturhinweisen). Vgl. demnächst auch Alexander Patschovsky: Der Reformbegriff auf den Konzilen von Konstanz und Basel. Sowie J. Miethke: Konziliarismus – die neue Doktrin einer neuen Kirchenverfassung. Beides in: Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Hrsg. Ivan Hlavácek, A. Patschovsky (vorauss. 1995).

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Einleitung 3. Einrichtung der Ausgabe

trolliert und gegebenenfalls emendiert. Dieses Verfahren konnte zumindest dort keine neue kritische Ausgabe erbringen, wo (wie in der Mehrzahl der Fälle) die verglichenen Hss. nicht die gesamte Überlieferung darstellen. Im allgemeinen also konnte dieses Verfahren allein einen korrekteren Text herstellen, als er bisher zugänglich war. Dabei wurde in der Regel von Konjekturalkritik bewußt abgesehen. Alle Veränderungen gegenüber der Vorlage, soweit sie nicht rein orthographischer Art sind, wurden in den Fußnoten nachgewiesen. Dort gebrauchte Siglen sind jeweils im Kopf des Stückes aufgeführt und gelten nur für den jeweiligen Text. Die in den Handschriften fast vollständig fehlende Interpunktion ist grammatikalisch analysierend ergänzt worden. Nicht einzeln erläutert sind die zahllosen kleinen und mittleren Probleme der Übersetzung (etwa ob der im Lateinischen weitgehend fehlende Artikel im Deutschen bestimmt oder unbestimmt wiederzugeben ist), auch fehlt eine Rechtfertigung der jeweils gewählten Form. Auf ausdrückliche Zitate aus der Bibel und aus den üblichen Autoritäten wird in der herkömmlichen Kurzform verwiesen. Die biblischen Bücher werden nach der Vulgata angeführt, nach der sich auch die Zählung der Psalmen richtet. Biblische Wendungen sind in einer Version der Luther-Übersetzung wiedergegeben, wo nicht der Sinn der Stelle eine Änderung erzwang. Verweise auf das Corpus Juris Canonici werden nach dem heute üblichen Schema aufgeführt. Wenn ein Zitat bereits im lateinischen Text ausdrücklich nachgewiesen ist, steht in der Übersetzung vor der Anmerkungsziffer ein Asteriskus (*); der (modernisierte) Nachweis findet sich dann in der Anmerkung. Auch bei den weiteren Zitatnachweisen ist auf Knappheit geachtet worden. Die erläuternden Hinweise sollen keinen fortlaufenden Kommentar bieten, sondern nur die wichtigste Hilfestellung zu vertiefender Weiterarbeit geben. Einleitung 3. Einrichtung der Ausgabe

ABKÜRZUNGEN a) Siglen der Anmerkungen Biblia Sacra (sämtlich ohne Abkürzungspunkt)

Corpus iuris canonici D. C. X VI Clem. Extrav. Jo. Extrav. comm.

= Distinctio (Decretum Gratiani, prima pars) = Causa (Decretum Gratiani, secunda pars) = Liber Extra (Decretales Gregorii IX. ) = Liber Sextus = Clementinae = Extravagantes Joannis XXII. = Extravagantes communes

Corpus iuris civilis Inst. Dig. Cod. Nov.

= Institutiones = Digesta seu Pandectae = Codex Justinianus = Novellae

b) Kürzeln a. E. art. B. c. D. EB. ed. epist. Kard.

= = = = = = = = =

am Ende articulus Bischof capitulum, canon Diakon Erzbischof edidit epistola Kardinal

Opp. P. q. ra. reg. Sp. sq. s. v.

= = = = = = = =

Opera Priester quaestio responsum ad regula Spalte folgend supra vocem

LITERATURVERZEICHNIS A. Texte und Textsammlungen

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A. REFORMFORDERUNGEN BIS ZUM KONSTANZER KONZIL

Ed.: Senko S. 72–149 – emendiert mit Hilfe der Hss. Bonn, Universitätsbibliothek, 594; München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 14 317 (M); Staatsbibliothek zu Berlin PK, theol.lat.quart. 207 u. theol. lat. fol.556 (B) u. 704 (E).

I

MATTHEUS DE CRACOVIA DE SQUALORIBUS CURIE ROMANE Prohemium a Moyses sanctus et tamquam solitudinis amicus, interne contemplacionis intuitu ingressus 1interiora deserti, vidit visionem magnam 1 ingerentem animo suo excessivum sua mirabilitate stuporem, quia videlicet 1rubus ardebat et non conburebatur.1 Ego vero peccator, comes multitudinis, curiose consideracionis aspectu gradiens in exteriora mundi, video vel saltem videre videor visionem multo magis mirandam, quod videlicet clerus et status ecclesiasticus in tam maligno, tamquam igne malo, tanto tempore positus et vento urente vehementer inflammatus incessanter aduritur et nichilominus non omnino deficit, sed in esse conservatur. Miraculum fuit illud, sed istud est mirabilius; quia etsi illud fuit supra vires nature, nichil tamen ibi repugnabat mirifice dei gracie. Hic vero corrumpuntur naturalia, pereunt spiritualia et per demeritum excluditur omnis gracia iusticiaque dei ad exterminandum malos, et mala provocantur tam graviter, ut toleracio et conservacio cleri in tanto viciorum impetu et preservacio eius a destruccione omnimoda omnium mirandorum eius operum mirabilissimum videatur. Quamvis autem vigilare, non dormire veramque visionem et non sompnium habere me credam, quia tamen alios multum vigiles idem obiectum directa visus acie contuentes, nec clamare, nec concursum facere, nec terreri sencio, prout subortis ignibus expertus sum fieri, timor michi quidem irrepit, ne forte visione fallaci decepto integer baculus in aqua stans et aere appareat michi fractus. Verumtamen timorem illum minuit, quod frequenter et communiter audio, quasi omne genus hominum murmurare, timere multipliciter et dolere adeo, quod mirum est, quare non clament. Ne igitur, si clamavero, prout faciendum censeo, per hoc forte minus provide et frustra terream homines et a quiete perturbem, cogitavi apparencia michi et media, per que I Mattheus: De squaloribus curie

a–a

De squaloribus curie magistri Mathei de Crac. professoris sacre theologie Prologus Hs. E; De praxi Romanae curiae. Prologus Ed.

1. MATTHÄUS VON KRAKAU DER SUMPF DER RÖMISCHEN KURIE Vorwort Moses, der Heilige und Freund der Einsamkeit, ging hinein 1ins Innere der Wüste, 1 um Einblick in inneres Betrachten zu erhalten; dort 1hatte er eine große Vision,1 die in ihrer Wunderhaftigkeit sein Herz zu außerordentlichem Staunen brachte; 1denn es brannte ein Dornbusch, wurde aber nicht verzehrt.1 Ich aber, ein Sünder und Weggefährte der Masse, steige in die äußere Welt hinaus in der Absicht, neugierig umherzublicken; ich sehe oder zumindest glaube ich, eine weit erstaunlichere Vision zu sehen: Die Geistlichkeit, der kirchliche Stand, befindet sich in so schlimmer, so wichtiger Zeit, gleichsam in schlimmem Feuer, von sengendem Wind heftig entflammt, sie brennt unaufhörlich, und dennoch vergeht sie nicht gänzlich, sondern wird in ihrem Wesen bewahrt. Jenes war ein Wunder, doch dies ist noch wundersamer; denn mochte jenes auch über die Kräfte der Natur gehen: es widersprach dort nichts der wunderwirkenden Gnade Gottes. Hier indessen wird das Natürliche verdorben, vergeht das Geistliche, wird durch menschliche Schuld jede Gnade und Gerechtigkeit Gottes zur Vernichtung der Bösen ausgeschlossen und Böses so stark hervorgelockt, daß in solchem Anprall der Laster Schonung und Bewahrung der Geistlichkeit und ihre Rettung vor völligem Untergang als das wundersamste aller seiner Wunderwerke erscheint. Gewiß, ich glaube zu wachen und nicht zu schlafen, glaube, eine echte Vision und keinen Traum zu haben; doch ich merke: Andere sehr wachsame Leute, die ihr Augenmerk voll auf denselben Gegenstand gerichtet haben, erheben ihre Stimme nicht, machen keinen Auflauf und lassen sich nicht erschrecken, wie ich sehe – während ich beim Auflodern der Flammen all dies erfahren habe; Furcht hat mich ergriffen, daß mir etwa, getäuscht durch eine trügerische Erscheinung, ein gerader im Wasser und in der Luft steckender Stock geknickt erscheint. Jene Furcht indessen ist mir dadurch gemindert, daß ich sozusagen Menschen jeden Schlages häufig und allgemein murren höre, Regungen vielfältiger Furcht und des Schmerzes vernehme, so sehr, daß es verwunderlich ist, warum sie nicht schreien. Um nun, wenn ich jetzt schreie, wie ich zu tun entschlossen bin, die Menschen dadurch nicht unbedacht und vergeblich zu erschrecken und in ihrer Ruhe zu stören, habe ich gedacht, ich 1–1

Exod 3, 1–3.

62

I Mattheus: De squaloribus curie

apparent, ac media, quibus nonnulli aliter iudicant, simpliciter et plane monstrando scripto committere, ut possit quis, si placuerit, cum mora videre et cercior reddi, quatenus, si idem videatur aliis quod michi, securius clamem, conclamantes habeam et minus possim de inquietacione hominum redargui, que non dubito ex clamore, immo de sola visionis mee exposicione sequetur, sicut fratres Ioseph narracio sompnii in odium concitavit.2 Quia vero principalissime desidero ignem tam noxium extingui vel minui, investigare conor ignis huius originem ac fomentum, quo agnito radix et fomes destrui et materia subtrahi possit, ne crescat amplius, sed minus consumere et demum facilius possit extingui. Capitulum primum Et quia 3malum formaliter est privacio boni b,3 quamvis multa positiva materialiter et subiective mala sint et denominentur, privacio autem per habitum oppositum habet agnosci, nisi enim de visu noticiam quis habeat, numquam poterit agnoscere cecitatem. Hinc est, quod ad cognoscendum, unde tantum malum in ecclesiam veniat, considerandum est, unde bonum et profectus eius radicaliter et principaliter debeat provenire. cEt siquidem c compertum fuerit, quod illa radix germinet et producat ea, que debet, consideretur ulterius, prout eciam faciliter inveniri poterit, quid radici tam bene germinanti resistat vel interimat fructus eius. Sin autem, tunc satis poterit elici, quod in fundamento sit defectus vel inertis negligencie, ut bona, quibus deberet opera dari, negligenter omittantur vel studiose industrie, ut mala, quibus destruendo deberet resisti, promoveantur. Nemo autem est, qui dubitet, sedem apostolicam et curiam eius Romanam esse radicem et fundamentum tocius ecclesie, domino in evangelio dicente: Tu es Petrus, et super hanc petram edificabo ecclesiam meam.4 dDeclarantur hec d clarius diversorum canonum institutis, quod ipsa sancta Romana ecclesia super omnes alias ecclesias principatum obtinet, utpote omnium mater christifidelium et magistra, II q. VI Ad Romanam, De privilegiis: Antiqua; De eleccione: Fundamenta et De penis: Felicis lb. VI.5 Et

b

fehlt Hs. E, M u. Ed. etsi quidem Ed. d–d Declaratur hoc Ed. c–c

2

Gen 37,5–11. Thomas Aquin., Summa Theologica I q. 48 art. 1 ra. 1, Opp. II S. 257 A.

3–3

A 1 Kap. 1 Röm. Kurie als Hort des Rechts

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sollte das, was mir offen zutage liegt, und die Phänomene, an denen meine Einsichten entstehen, die aber einige anders beurteilen, schlicht und einfach einer vorzeigbaren Schrift anvertrauen; dann könnte einer, wenn er wollte, in Ruhe zusehen und sich unterrichten lassen; wenn es anderen dann genauso ergeht wie mir, könnte ich mit größerer Sicherheit schreien, ich hätte Mitschreier und könnte weniger der Beunruhigung von Menschen geziehen werden, was ohne Zweifel aus dem Schreien, nein: schon allein aus der Darlegung meiner Vision folgt, wie ja auch die Erzählung des Traumes Josefs Brüder in Wut versetzt hat.2 Weil ich jedoch vor allem dieses schädliche Feuer löschen oder eindämmen möchte, versuche ich, Ursprung und Nährboden des Brandes zu ergründen; nach der Erkundung könnten Ursprung und Nährboden zerstört und weiterer Brennstoff entzogen werden, damit der Brand nicht weiter wächst, sondern weniger vertilge und schließlich um so leichter gelöscht werden kann. A 1 Kap. 1 Röm. Kurie als Hort des Rechts

Kapitel 1 3 Das Böse ist seiner Form nach das Fehlen des Guten 3; obgleich viel Positives materiell und subjektiv schlecht ist und so bezeichnet wird, muß das Fehlen aber durch das Gegenteil erkannt werden; denn wenn jemand nicht vom Sehen Kenntnis hat, wird er niemals Blindheit erkennen können. Daher also muß man, um zu erkennen, woher soviel Übel in die Kirche hineinkommt, erwägen, woher das Gute und sein Fortschritt ursprünglich und grundsätzlich herkommen muß. Auch wenn man in Erfahrung bringt, daß diese Wurzel sproßt und das Nötige hervorbringt, muß man dann nicht erwägen (wie man auch leicht entdecken kann), was einer derart gut sprossenden Wurzel Widerstand leistet oder ihr die Früchte nimmt? Wenn aber nicht, so könnte klar geschlossen werden, daß im Fundament ein Fehler steckt, und zwar entweder der Fehler schwächlicher Unbedachtsamkeit, daß die Güter, denen man Mühe angedeihen lassen müßte, unbedacht beiseite gelassen werden – oder aber der Fehler bemühter Eilfertigkeit, daß Übel gefördert werden, denen durch Zerstörung Einhalt geboten werden müßte. Dabei gibt es niemanden, der zweifelte, daß der Apostolische Stuhl und seine Römische Kurie Wurzel und Fundament der ganzen Kirche sind, wie der Herr im Evangelium sagt: ,,Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“4 Das wird noch klarer in den Bestimmungen verschiedener Kanones verdeutlicht: Diese heilige Römische Kirche hat die Führung über alle anderen Kirchen, ja sie ist Mutter und Lehrmeisterin aller Christgläubigen.*5 Dar-

4 5

Matth 16, 18. * C. 2 q. 6 c. 8; X 5. 33. 23; VI 1.6.17.

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I Mattheus: De squaloribus curie

ob hoc debeat esse iurium conditrix, propagatrix spiritualium, correctrix malorum, directrix errancium, persecutrix viciorum, iusticie et virtutum prosecutrix, oppressorum defensio, relevatrix pauperum, rectificacio et reformacio deformiter inordinatorum, doctrix errancium, morum exemplar, magistra et ministra omnis boni, regula agendorum. Ipsa est enim, que supremam habet clavium potestatem et ad quam pro talibus, eciamsi diu alibi querantur, finaliter recurritur. Ibi namque queritur plena absolucio criminum, amocio scrupulorum, conscienciarum serenacio, discussio dubiorum, terminacio licium e, declaracio et determinacio veritatum.

Capitulum secundum Si vero considerentur exteriora facta eius et ex exterioribus interiora, quantum humanitus conici licet, tunc invenitur maxima negligencia plurium valde necessariorum ecclesie. Quando enim ibi habetur consilium vel consistorium de pure spiritualibus et pertinentibus ad salutem, ut de conversione infidelium, de inquisicione et exterminacione hereticorum et heresium, reduccione scismaticorum, de reformacione destructorum vel deformium, utpote status clericalis, monasteriorum et ordinum, de defensione iusticie et iniuste oppressorum, de declaracione dubiorum, quorum multa et magna satis periculosa in diversis locis diversimode ventilantur et multum occupant simplices et fideles. Et si de hiis habentur consilia, hoc itaque tam modice et raro fit, ut minime percipitur vel in effectu sentitur. Quando eciam, queso, fit correccio excessuum, nisi de quanto delictum in dampnum temporale vel correccio ad lucrum tendit. In talibus itaque sunt bene sevissime sentencie atque pene, in aliis vero non apparet vel modica diligencia corrigendi. Vadunt enim Begardi, Fraticelli,6 Sectarii suspectissimi de heresi, clero infestissimi, erectis capitibus sine ullo timore et seducunt libere, quotquot possunt. Religiosi undecumque veniant, facillime tuicionem consequuntur, ut vivant libere prout volunt. Concubinatus in clero tam publice et solempniter exercetur, et meretrices ille tam preciose vestiuntur, in tantum honorantur, quasi sic vivere utique sexui non sit viciosum vel inhonestum, sed honorabile, gloriosum et bonum, ita ut curtisani ibi sic vivere consueti eciam alias partes inficiant in-

e 6

lituum Ed.

Sekte des 14. u. 15. Jahrhunderts in Italien. Vgl. auch Anschlußband FSGA, A., Bd. 38 b Nr. 3 bei Anm. 2

A 1 Kap. 2 Ungeistlichkeit der Kurie

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um muß sie sein: Stifterin des Rechts, Spenderin der Sakramente, Mahnerin der Bösen, Führerin der Irrenden, Verfolgerin der Laster, Fördrerin der Gerechtigkeit und der Tugenden, Schutz der Bedrängten, Hilfe der Armen, Aufrichtung und Besserung der Zuchtlosen, Lehrerin der Irrenden, Spiegel der Sitten, Meisterin und Gehilfin alles Guten, Richtscheit für alle Taten. Sie ist es nämlich, die die höchste Schlüsselgewalt hat, auf die letztlich alles zuläuft, auch wenn man vorher lange woanders sucht. Denn dort wird der volle Nachlaß der Schuld gesucht, Beseitigung von Skrupeln, Aufheiterung des Gewissens, Erörterung von Zweifeln, Entscheidung in Streitfällen, Erklärung und Festlegung der Wahrheit. A 1 Kap. 2 Ungeistlichkeit der Kurie

Kapitel 2 Doch wenn man ihre äußeren Taten betrachtet und von den äußeren auf die inneren schließt (soweit man das als Mensch vermuten kann), dann findet man eine übergroße Nachlässigkeit in vielen Dingen, die für die Kirche äußerst notwendig sind. Wann nämlich wird dort eine Beratung oder ein Konsistorium über rein geistliche Dinge, die das Heil betreffen, abgehalten? – etwa über die Bekehrung der Ungläubigen, die Untersuchung und Beseitigung von Häretikern und Häresien, die Rückführung von Schismatikern, die Reform des Zerstörten und außer Form Geratenen (etwa des geistlichen Standes, der Klöster und Orden), über die Verteidigung des Rechts und der ungerecht Bedrängten, über die Erklärung von Zweifelhaftem; in den verschiedenen Gegenden wird vieles und gewichtiges höchst gefährlich verschiedenartig behandelt und beschäftigt die einfachen Gläubigen im Übermaß. Und wenn darüber Beratungen abgehalten werden, so geschieht das so selten und so kurz, daß man es kaum mitbekommt oder eine Wirkung spürt. Wann, so frage ich, gibt es eine Berichtigung der Auswüchse, außer soweit das Vergehen zu einem irdischen Schaden oder die Bestrafung zu einem materiellen Gewinn führt? In solchen Fällen gibt es freilich die grausamsten Urteilssprüche und Strafen, in den übrigen Fällen sieht man überhaupt keine oder nur schwache Sorgfalt bei der Ahndung. Da ziehen nämlich Begarden, Fratizellen 6 und Sektierer, die der Häresie in starkem Maß verdächtig und ärgste Feinde der Geistlichen sind, erhobenen Hauptes und ohne alle Furcht einher, und sie verführen ungestört soviel sie können. Ordensleute von überall her erreichen sehr leicht [päpstlichen] Schutz, so daß sie frei leben können, wie sie wollen. Das Konkubinat wird im Klerus öffentlich und feierlich ausgeübt, die Dirnen kleiden sich so kostbar, werden so hoch geehrt, als ob so zu leben für beide Geschlechter nicht lasterhaft und unehrenhaft, sondern ehrenvoll, ruhmwürdig und gut wäre; daher stecken die [geistlichen] Höflinge, die so zu leben gewohnt sind, auch die übrigen Bereiche an und führen

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I Mattheus: De squaloribus curie

ducantque in eas eandem pestiferam consuetudinem et pocius corruptelam. Abusiones quasi paganice et supersticiones diabolice tam multe sunt Rome, quod denumerari non bene possent. Vix est aliquis tam sceleratus aut scandalosus, quin ad celebrandum divinum officium admittatur, vix est aliquis tam sceleratus et miser, cui sacri ordines denegentur. De omnium autem horum correccione nulla est cura auctoritatem habentibus, delinquentibus nullus timor, immo de aliquorum ex hiis correccione solum movere verbum est derisio, et talis ut fatuus et pro irracionabili haberetur. Nec mirum, si circa hec non versantur, cum in aliis tanta sit eorum occupacio temporis, mencium et virium consumpcio, quod f ista locum omnino non habent. Tota siquidem curia et omnes officiales eius ac eorum ministri non apparent circa aliud occupari, sed dies ac noctes expendere, corda simul et corpora fatigare, diligentissime scrutando et inquirendo vacancias, propter quas studiosissime registra leguntur et releguntur, quid impetratum vel non impetratum sit, quomodo supplicatum, quomodo signatum sit, quid ad dimittendum oblatum; ac demum circa formandas, scribendas, porrigendas supplicaciones, circa confirmaciones, reformaciones, novas provisiones obtinendas, deinde circa litterarum minutas conficiendas, grossas scribendas, corrigendas, rescribendas, bullandas, registrandas, circa causas movendas et involvendas, subtiliendas per proposiciones publicas et relaciones, diversas cautelas excogitandas et de die in diem g novas astucias circa lites gerendas et terrarum possessiones acquirendas, circa statum curie in exterioribus cerimoniis et consuetudinibus observandum.

Capitulum tercium Ne autem quis credat ita esse debere, sicut forte multi credunt, considerandum, quo iure, racione vel modo sedes apostolica sibi usurpaverit provisionem episcopatuum, abbaciarum et aliarum dignitatum collacionemque omnium beneficiorum, que sunt de iure patronatus spiritualium personarum. Et videtur, quod non de iure, sed contra ius et cum iniuria omnium capitulorum tam secularium quam religiosorum, quibus competebat eleccio, que a principio ecclesie per sanctos patres inventa et instituta est et in antiquis et novis approbatis iuribus subtilissima indagine regulata, necnon cum iniuria episcoporum et aliorum prelatorum ac dignitates habencium, qui per hoc privantur illo iure, quod eis ab antiquo multis iuribus hec disponentibus

f g

ut Ed. noctem Ed.

A 1 Kap. 3 Entscheidungsusurpation in Rom

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in sie diese krankhafte Gewohnheit, genauer: solch Verderben ein. Heidnische Unsitten und teuflischen Götzendienst gibt es in Rom so viel, daß man dies nicht gut aufzählen kann. Kaum jemand ist so verbrecherisch oder verrufen, daß er nicht zum Feiern des Gottesdienstes zugelassen würde, kaum jemand so verbrecherisch und elendig, daß man ihm die heiligen Weihen verweigert. Hinsichtlich der Verbesserung von all dem aber findet man bei den Machthabern keine Neigung dazu, bei Missetätern keine Furcht davor, vielmehr: In einem dieser Fälle das Wort ‘Verbesserung’ überhaupt vorzubringen, ruft Gelächter hervor; so jemand würde für töricht und irre gehalten. Kein Wunder, daß sich hier nichts tut, da ihre Zeit mit anderen Sachen so in Anspruch genommen, ihre Aufmerksamkeit und Kraft so verbraucht wird, daß dafür überhaupt kein Raum bleibt. Die gesamte Kurie, all ihre Amtsträger und deren Bedienstete sind anscheinend mit nichts anderem beschäftigt, verbringen Tag und Nacht nur damit, ja ermüden Leib und Seele, indem sie aufs Genaueste freie Stellen aufspüren und auskundschaften; derentwegen lesen sie immer wieder eifrigst die Register, was jemand erreicht, was er nicht erreicht hat, wie die Suppliken gestellt, wie sie signiert wurden, was zum Verzicht angeboten wurde; ferner lernen sie das Entwerfen, Schreiben und Übereichen von Suppliken, den Erhalt von Bestätigungen, Besserungen und neuen Provisionen, dann das Herstellen von Urkundenentwürfen, die Ausfertigung von Bullen, ihre Korrektur, erneute Abschrift, ihre Besiegelung, ihr Registrieren, das Anstrengen von Prozessen oder die Beteiligung daran, die Verfeinerung der Prozeßführung durch öffentliche Vorschläge und Berichte, das Ausdenken von verschiedenen Rechtsklauseln, von Tag zu Tag die Ausführung neuer Winkelzüge bei Prozessen und zum Erwerb von irdischem Besitz, das strenge Beobachten der Stellung der Kurie in äußerlichen Zeremonien und Gebräuchen. A 1 Kap. 3 Entscheidungsusurpation in Rom

Kapitel 3 Damit aber niemand glaubt, es müsse so sein (wie vielleicht viele glauben), muß man überlegen, nach welchem Recht, aus welchem Grund und auf welche Weise der Apostolische Stuhl sich die Besetzung der Bistümer, Abteien und anderen Würden und die Verleihung aller Pfründen angemaßt hat, die zum Patronatsrecht Geistlicher gehören: Anscheinend nicht rechtens, sondern voll Unrecht und wider das Recht aller Kapitel von Weltpriestern wie Ordensleuten, denen das Wahlrecht zustand, das am Beginn der Kirche von den heiligen Vätern erfunden und eingeführt wurde und nach genauester Prüfung in alten und neuen anerkannten Rechten geordnet war; ferner wider das Recht der Bischöfe, der übrigen Prälaten und Würdenträger, denen dieses Recht entzogen wurde, das ihnen von alters her mit vielen Rechtstiteln, die

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competebat. Et certe 7inde non debuerunt nasci iniurie, unde iura nascuntur, XI q. I Pervenit; Extra, De accusacionibus: Qualiter et quando I et in capitulo h Licet, De supplenda negligencia prelatorum; CUnde lege VI: Meminerinth.7 Nam si unicuique sua iurisdiccio non servetur, quid aliud agitur, nisi ut per hos, per quos ecclesiasticus ille ordo custodiri debuit, confundatur, in capitulo Pervenit8 supra allegato. Non enim decuit honorem sedi apostolice sue iurisdiccioni subiectos sine manifesta causa et racionabili suis beneficiis spoliare, quibus tenetur paterna provisione consulere, Extra, De restitucione spoliatorumi: Conquerente; LVI k di. Satis perversum; VIII q. I Clemens.9 Forte dicetur, quod sedes apostolica fecit hoc ob culpam et in penam prelatorum et capitulorum, quia hii eligebant et illi providebant minus bene. Sed si illa racio valeret, tunc eciam deberent l auferri vel dimitti ab ecclesia Romana, quia providet iam ita male, sicut prius factum m est. Preterea, quando electus ad aliquam dignitatem tantum ndat pecuniam n in curia sicut alius vel modico plus, tunc si non est preventus per alium, ut frequenter papa est inclinatus pro tali, si tantum o voluerit dare, ergo error eleccionis non est in causa denegandi eis quod petunt, vel sequitur, quod papa dat prelaturam minus idoneo propter pecuniam, quod multum execratur sancta synodus et scriptura apostolica, ubi dicitur: Nos nullatenus decet turpis lucri gracia excogitare ad excusandas excusaciones in peccatis, expetere aurum vel argentum vel aliam speciem a presbiteris, clericis, monachis. XVI q. I Predicator et I q. ultima c. Patet et quamplurimi alii canones.10 Insuper, hoc non est de iure introductum, sed per cautelam et astuciam, quia, ut fertur, olim in principio eleccionis vel coronacionis sue apostolici dirigebant primarias preces diocesanis pro suis familiaribus. Sic enim ordo et Romane curie fuit consuetudo, quod primo monitorie, secundo preceptorie, ultimo executorie littere concedebantur. Probatur De rescriptis; Ex insinuacione pet Mandatump et c. Litteris etc.,11 quod non est verisimile eos fecisse, si verum ius habuissent immediate providendi. Si autem per hec volebat ius acquirere dolose, sedem apostolicam non decebat, probatur XX q. III Constituit.12 Non enim ecclesia in actibus suis fraudem debet aliquam adhibere, De donacionibusq: Per tuas,13

h–h

Licet de supplenda, Ne praelati c. Unde meminerit l. VI. Ed. spolii Ed. k LXI Ed. l debent Ed. m tactum Ed. n–n dat de pecunia Ed. o tamen Ed. p–p Manifestum Ed. q dotatione Ed. i

A 1 Kap. 3 Entscheidungsusurpation in Rom

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dies regelten, zustand. Gewiß durfte 7Unrecht nicht dort entstehen, woher das Recht kommt.*7 Denn wenn nicht jedem einzelnen seine Rechtshoheit gewahrt wird, was geschieht dann anderes, als daß die kirchliche Ordnung durch diejenigen, die sie schützen müßten, verwirrt wird.*8 Es paßt nicht zur Ehre des Apostolischen Stuhls, 9die seiner Rechtshoheit Untergebenen ohne ersichtlichen und vernünftigen Grund ihrer Pfründen zu berauben, die mit väterlicher Fürsorge zu schützen er gehalten ist.*9 Vielleicht wird man sagen, der Apostolische Stuhl habe dies getan wegen der Schuld und zur Strafe für die Prälaten und Kapitel, weil diese weniger gut gewählt und jene weniger gut Vorsorge getroffen haben. Aber wäre dieser Grund stichhaltig, dann müßten sie auch der Römischen Kirche weggenommen und entzogen werden, denn auch diese trifft jetzt so schlecht Vorsorge, wie es zuvor geschehen ist. Außerdem, wenn der zu einer Würde Erwählte in der Kurie soviel Geld gibt wie ein anderer (oder ein wenig mehr), dann wird ihm, falls ihm nicht ein anderer zuvorkommt, häufig der Papst geneigt sein, wenn er nur Geld geben will; also war ein Irrtum bei der Wahl nicht der Grund, ihnen die Forderung zu verweigern; es folgt daraus, daß der Papst das Prälatenamt einem weniger Geeigneten des Geldes wegen gibt – was die heilige Synode und das Apostolische Sendschreiben zutiefst verurteilt, wo es heißt: Es ziemt sich für Uns ganz und gar nicht, Entschuldigungen wegen eines schändlichen Vorteils zur Entschuldigung bei Sünden auszudenken und Gold, Silber oder anderes Gut von Priestern, Klerikern oder Mönchen zu fordern.*10 Es ist dies auch nicht rechtens eingeführt, sondern indirekt und durch Winkelzüge; einst nämlich, wie es heißt, schickten die Päpste für ihre Hausgenossen Erste Bitten gleich anläßlich ihrer Wahl oder Krönung an die Diözesanbischöfe. So war es Ordnung und Gewohnheit der Römischen Kurie, daß zuerst Mahnbriefe, dann Befehle und schließlich Vollstreckungsschreiben versandt wurden. Wie erwiesen,*11 ist es unwahrscheinlich, daß man so gehandelt hätte, wenn man wirklich das Recht gehabt hätte, unmittelbar Vorsorge zu treffen. Wenn er aber dadurch arglistig das Recht erwerben wollte, so war dies für den Apostolischen Stuhl nicht angemessen.*12 Die Kirche darf nämlich in ihren Handlungen keinerlei Betrug anwenden,*13

7–7

* C. 11 q. 1 c. 39; X 5. 1.17; X 1.10. 3; Cod. 8.4.6. * C. 11 q. 1 c. 39 wie Anm. 7. 9 * X 2.13.7; D. 56 c. 7; C. 8 q. 1 c. 13. 10 Canon 4, 2. Konzil von Nizäa 787; COD 3 S. 141; C. 16 q. 1 c. 64. Papst Symmachus (ebenda c. 57, Fälschung!). C. 1 q. 7 c. 27. 11 * Beweis: X 1.3.37; 38, 39. 12 * Beweis: C. 20 q. 3 c. 5. 13 X 3.20.5. 8

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nec debuit ecclesia hoc facere, a quo debuit alios prohibere, argumentum capitulo unico: De natis ex libero ventre,14 et si adhibuisset, 15ei patrocinari non debuit, De rescriptis: Sedes; De dolo et contumacia c.II.15 Item non est verisimile, quod nullus prelatorum bonus et diligens in providendo fuerit, et ideo non debuit omnibus auferri; non enim iusti iudicis est dampnare iustum cum impio, 16quoniam peccata tantum suos debent tenere auctores, nec pena sit ulterius protrahenda, quam delictum fuerit in excedente repertum, De hiis, que fiunt a maiori parte: c. Quesivitr.16 Amplius hec non est pena medicinalis, que sanet, sed mortificat. Non enim per hoc provisum est, ne male provideant, sed ne quidquam boni in hoc vel mali faciant, sicut si deus homini peccanti liberam voluntatem auferret, ne ultra peccaret. Tali enim pena bonos communiter cum malis punire non decuit, 17nam rem, que culpa caret, in dampnum vocari non convenit, De constitucionibus: c. Cognoscentes et in regula Sine culpa, De regulis iuris lb. VI.17 Amplius, quando prelati conferebant beneficia, melius potuit impediri vel revocari mala provisio et puniri male providens quam iam, tunc enim papa tamquam superior potuit irritare provisiones, privare institutos s et instituere meliores. Hoc autem per inferiores contra superiorem non potest fieri tam bene et congrue, ar. XXI t di. Inferior; Extra, De maioritate et obediencia: Cum inferior; De confirmacione u utili c. I et II.18 Et heu ideo multa mala quottidie pullulant in dei ecclesia, quia pertranseunt impunita. Preterea queritur, quando hec sedes apostolica incepit, an tunc credebat et adhuc credat se posse melius providere de omnibus prelaturis et beneficiis quam omnes prelati et episcopi et quam capitula possunt eligere. Vel non credebat hoc nec adhuc credit. Si non, tunc extrema demencia fuisset aut esset recipere vel tenere potestatem male vel minus bone provisionis atque per hec subtrahere episcopatibus, monasteriis, beneficiis et hominibus ad ea spectantibus omne bonum, quod ex meliori provisione veniret; hoc enim esset eos, quos tenetur defendere, crudeliter impugnare, cuius contrarium tenetur facere, XXV di. c. ult; XXVI di.Una tantum; et XLII di. Sit rector; et ff Si servitus vvendicetur, lege Alciusv.19 Si autem dicitur, quod credebat aut credit se melius providere, hoc videtur fuisse vel esse magna presumpcio, cum hu-

r

Aquisivit Ed. instituas Ed. t XX Ed. u consuetudine Ed. v–v vendicatur, 1 ulterius Ed. s

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noch durfte die Kirche das tun, was sie anderen verbieten mußte,*14 und wenn sie es angewandt hätte, 15durfte sie es nicht als rechtens verteidigen.*15 Es ist auch nicht wahrscheinlich, daß gar kein Prälat bei der Amtsübertragung gut und sorgfältig war, und deshalb durfte das Provisionsrecht nicht allen weggenommen werden; es ist nämlich nicht Aufgabe eines gerechten Richters, einen Gerechten zusammen mit einem Ungerechten zu bestrafen; 16 denn Sünden dürfen nur ihre Urheber binden, und Strafe darf nicht weiter ausgedehnt werden, als sich das Vergehen bei dem Urheber findet.*16 Weiterhin ist dies keine heilsame Strafe, die gesund macht, sondern eine, die zum Tode führt. Man hat nämlich dadurch nicht dafür gesorgt, daß sie [die Prälaten] nicht mehr schlecht Vorsorge treffen, sondern daß sie weder Gutes noch Böses tun können – so wie wenn Gott dem sündigen Menschen den freien Willen nähme, damit er hinfort nicht mehr sündigte.15 Mit solcher Strafe sollte man nicht die Guten gemeinsam mit den Bösen bestrafen, 17denn ein Sachverhalt, bei dem keine Schuld vorliegt, darf nicht zu einer Schädigung führen.*17 Weiterhin: Als die Prälaten Pfründen übertrugen, konnte eine schlechte Vorsorge besser verhindert oder widerrufen werden, und einer, der die Übertragung schlecht vorgenommen hatte, [konnte leichter] bestraft werden als nun; denn damals konnte der Papst als Obrigkeit Verfügungen aufheben, Eingesetzte entlassen und Bessere einsetzen. Dies aber kann durch Untergebene gegen den Oberen nicht so gut oder passend geschehen.*18 Und leider entwickeln sich deswegen täglich in der Kirche Gottes viele Übel, weil sie durchgängig ungestraft bleiben. Zudem fragt man: ‘Wann hat der Apostolische Stuhl damit begonnen? Glaubte er damals (und glaubt er noch), er könne besser über alle Prälaturen und Pfründen Vorsorge treffen als alle Prälaten und Bischöfe und er könne besser wählen als alle Kapitel?’ Wahrscheinlich glaubte er es nicht und glaubt es auch heute nicht. Wenn nein, dann wäre es äußerste Torheit gewesen (und wäre es noch), die Macht zu schlechter oder weniger guter Amtsübertragung an sich zu reißen und beizubehalten und damit den Bistümern, Klöstern, Pfründen und Leuten, die dazu gehören, jedes Gut zu entziehen, das sich aus einer guten Vorsorge ergeben würde; dies würde nämlich bedeuten, diejenigen, die zu beschützen er gehalten ist, grausam zu bekämpfen – obwohl er das Gegenteil zu tun gehalten ist.*19 Wenn es aber heißt, daß er glaubte und glaubt, er könne bessere Vorsorge treffen, so dürfte dies eine große An14

* X 4.10.1. * X 1.3.15; X 2.14.2. 16–16 * X 3.11.2. 17–17 * X 1.2.2; VI 5.12.23. 18 * D. 21 c. 4; X 1.33.16; X 2.30.1 u.2. 19 * D. 25 c. 6; D. 26 c. 4; D. 43 c. 1; Dig.8.5.15. 15–15

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mano modo minus possit sedes apostolica scire de episcopatuum, monasteriorum et beneficiorum ac eciam wpersonarum particularibus w circumstanciis, quas in hoc facto necesse est attendere. Et per hoc est, quod illi, qui sunt in loco, debent et presumuntur melius esse informati de hiis, que expediant x, ar. De presumpcionibus: Quosdam et c. Quanto.20 Talibus enim non facile creditur in contrarium, XVI di. Quody dicitis, Extra, Qui matrimonium accusare possunt: Cum in tua.21 Quas quidem circumstancias propter absenciam et distanciam papa z scire non potest, nisi ex relacione de illis locis veniencium vel nunciancium, qui respectu inhabitancium et vicinorum paucissimi sunt; et incertum est, an veritatem sciant, dicant aut nuncient, prout multociens inventa est decepcio, et quandoque contrarii sunt, prout sepe contingit. Que sit veritas in hiis et in aliis, non potest haberi tanta certitudo in curia sicut inter incolentes ipsum locum et vicinia, ubi scitur melius veritas; per iura proxime allegata.22 Et si dicatur, quod maior presumpcio est, quod papa velit bene providere quam episcopi et prelati, ac eciam, quod faciat diligenciam maiorem, respondeo, quod minor presumpcio est, quod omnes episcopi sunt mali quam quod unus homo. Nam per ampliores homines manifesta veritas relevatur, C. De fidecommissis lege ultima ad finem; et eciam legitur XX a di. De quibus; LXIIII di. Extra conscienciam et c. Prudenciam; Extra, De officio delegati, ubi Illa quippe.23 Et quando hoc contingeret, bscilicet quod papa male vellet b, sicut non est impossibile, tunc totum est destructum. Hoc autem de episcopis omnibus non est verisimile, quia sic ecclesia tota videretur everti, quod non est credendum, quia tota ecclesia, id est congregacio fidelium, quam representant episcopi, non potest errare, XXIIII q. I A recta; et quod ibi notatur in glossa prima.24 Ubi vero maior fit diligencia, librare nequeo. Sed videtur, quod papa non possit, eciamsi velit, maiorem diligenciam facere ad totum mundum propter imcomparabiliter maiora expedienda, propter sue potestatis plenitudinem quam omnes prelati et episcopi divisi in c partes; hoc enim fatetur de se Romanus pontifex inquiens: Mandata celestia tunc efficacius gerimus, si nostra cum fratribus onera parciamur. De presumpcionibus in c. Mandatad.25 Sed dato, quod adhibeat maiorem diligenciam quam illi, adhuc per totam diligenciam suam non potest pertingere ad tantam noticiam cirw–w

particularium personarum Ed. expediunt Ed. y Quid Ed. z fehlt Hs. M u. Ed. a XXVI Ed. b–b am Rande Hs. E u. M, fehlt Ed. c per Ed. d III Ed. x

A 1 Kap. 3 Entscheidungsusurpation in Rom

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maßung sein; denn in menschlicher Weise kann der Apostolische Stuhl weniger wissen über Bistümer, Klöster und Pfründen sowie die besonderen Umstände der einzelnen Personen, die es in diesem Fall notwendigerweise zu beachten gilt. So kommt es, daß die Leute vor Ort über das, was förderlich ist, besser unterrichtet sein müssen und als solche auch gelten.*20 Das Gegenteil wird man bei ihnen schwerlich vermuten.*21 Diese Umstände kann der Papst schon wegen der Abwesenheit und Entfernung nicht kennen, es sei denn durch einen Bericht von Leuten, die aus der Gegend kommen und Meldung erstatten – von denen gibt es jedoch im Vergleich zu den Einwohnern und Nachbarn verschwindend wenige; daher ist unsicher, ob sie die Wahrheit kennen, sagen oder melden, wie schon oft Täuschung entdeckt worden ist, und dann und wann sind sie gar Widersacher, wie es oft vorkommt. Was in diesen und anderen Fällen Wahrheit ist, darüber kann es an der Kurie keine solche Sicherheit geben wie bei den Einwohnern vor Ort und in der Nachbarschaft, wo man den wahren Sachverhalt besser kennt.*22 Wenn es heißt, es spreche eine stärkere Rechtsvermutung dafür, daß der Papst genau so gut Vorsorge treffen will wie die Bischöfe und Prälaten, ja, daß er größere Sorgfalt walten lasse, so antworte ich: Es ist eine schwächere Rechtsvermutung, daß alle Bischöfe schlecht sind, als daß ein Mensch es ist. Denn durch eine Mehrheit von Menschen wird offenkundige Wahrheit enthüllt.*23 Und wenn es einmal einträte, daß also der Papst Schlechtes will, wie es nicht unmöglich ist, dann ist alles zerstört. Dies ist aber hinsichtlich aller Bischöfe nicht wahrscheinlich; denn die ganze Kirche, das heißt die Gemeinschaft der Glaubenden, die von den Bischöfen verkörpert wird, kann nicht irren.*24 Wo nun größere Sorgfalt angewandt wird, kann ich nicht abwägen. Nur kann der Papst offensichtlich nicht, auch wenn er wollte, wegen der unvergleichlich höheren Zahl von Entscheidungen und wegen der Fülle seiner Amtsgewalt eine größere Sorgfalt auf die ganze Welt bezogen anwenden als alle die Prälaten und Bischöfe, die auf die einzelnen Regionen verteilt sind; das bezeugt der Römische Bischof von sich selbst, wenn er sagt: ,,Die himmlischen Gebote erfüllen Wir dann um so wirksamer, wenn Wir Unsere Lasten mit den Brüdern teilen.“*25 Doch selbst gesetzt, er wende größere Sorgfalt an als jene, so kann er doch bei aller seiner Sorgfalt nicht zu solcher Kenntnis der Umstände gelangen, die zu berücksichtigen sind, wie jene bei 20

* X 2.23.7 u.8. * D. 16 c. 14; X 4.18.6. 22 * Siehe Zitate der letzten Anm. 23 * Cod. 6.42.32.1; ferner D. 20 c. 3; D. 64 c. 5; X 1.29.21. 24 * C. 24 q. 1 c. 9 Glosse s. v. Novitatibus: . . . Ipsa congregacio fidelium hic dicitur ecclesia . . . et talis ecclesia non potest non esse. – Diese Gemeinschaft der Gläubigen heißt ‘Kirche’, . . . und diese Kirche kann nicht untergehen. 25 * Gregor I.; X 2.23.6. 21

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I Mattheus: De squaloribus curie

cumstanciarum, que attendende sunt, sicut illi ad parvam. Si dicitur, quod illi possunt melius scire, sed non curant bene providere et negligentes sunt, ex hoc infertur, quod tunc non solum deberet eis hoc auferre, sed totam potestatem. Et quia adhuc dimittitur eis tota cura animarum et plena in aliis potestas et solum aufertur eis provisio beneficiorum, videtur res valde suspecta, et quod maior sit cura de redditibus quam animabus. Amplius ista usurpacio collacionis dignitatum et beneficiorum est magnum gravamen tam beneficiorum quam promovendorum quam eciam eorum, quorum devocioni et saluti ex ipsis dignitatibus et beneficiis preessendum vel ministrandum esset. Et hoc provenit ex longis absenciis et magnis sumptibus, laboribus et periculis, quos et que facere cogitur per se vel alium, quisquis voluerit promoveri, que omnia predicta iura magna sollicitudine conantur devitare, ut De eleccione: Ne pro defectu.26 Nec potest dici, quod ista attraccio collacionum ex caritate vel pietate processerit, ita quod hoc fecerit ecclesia Romana volens exonerare prelatos a curis et periculis et propter plenitudinem potestatis sibi assumere totum onus; et quod episcopi ideo et alii prelati deberent de hoc bene stare contenti. Cum enim ordinata caritas a seipsa incipiat, ista non videtur esse talis, immo excessiva et nimia, qua quis non recipit a se modum diligendi proximum, sicut preceptum est, ut 27diligat eum sicut seipsum,27 sed transeundo mandati limites ipsum diligeret e plus seipso; et hoc utique est pervertere verum dileccionis ordinem, De penitencia fdi. II c. V Item: Ergo.28 Mirabilis f eciam videtur pietas, qua quis vult sibi periculum, quod non vult fratri; cum tamen scriptum sit Miserere anime tue placens deo,29 et nisi vergeret in periculum animarum, dampnum ecclesie aut in derogacionem debiti et veri status episcoporum et aliorum prelatorum, que omnia maxima et precipua cura esse deberent sollicitudinis pastoralis; ipsi vero deberent de hoc multum curare vel dolere. Amplius ista usurpacio videtur esse occasio multarum rebellionum et irreverenciarum contra sedem apostolicam et periculi animarum. Multi enim nichil curant mandata pape et sentencias, sed eis non obstantibus de beneficiis

e

diligit Hs. E, M u. Ed. 2 c. 3 // Item ergo mirabilis Ed.

f–f

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geringer [Sorgfalt]. Wenn es heißt, jene könnten es besser wissen, aber sie kümmerten sich nicht darum, gut Vorsorge zu treffen, und seien nachlässig, dann folgt daraus, daß man ihnen nicht nur dies wegnehmen müßte, sondern ihr ganzes Amt. Und weil ihnen bis jetzt die gesamte Seelsorge und volle Rechtshoheit in den anderen Angelegenheiten überlassen ist und ihnen nur die Verfügung über Pfründen genommen wird, scheint die Sache sehr verdächtig; besteht etwa größere Sorge um die Einkünfte als um die Seelen? Dieses Ansichziehen der Verleihung von Würden und Pfründen führt zu einer großen Bedrückung für die Pfründen wie für die zu Befördernden und auch für diejenigen, deren Frömmigkeit und Heil aus eben diesen Würden und Pfründen Leitung und Dienst erfahren müßte. Dies ergibt sich aus den Zeiten langer Abwesenheit und aus den großen Aufwendungen, Mühen und Gefahren, die gezwungenermaßen (selbst oder durch einen anderen) auf sich nehmen muß, wer auch immer befördert werden möchte; all dies Zuvorgenannte versucht das kirchliche Recht mit großem Eifer zu vermeiden.*26 Es kann auch nicht eingewandt werden, das Ansichziehen der Verleihungen sei aus Liebe oder Güte geschehen, als ob die Römische Kirche die Prälaten von Sorgen und Gefahren entlasten und wegen der Fülle der Amtsgewalt alle Last auf sich nehmen wollte, und die Bischöfe und anderen Prälaten müßten deshalb ganz zufrieden sein. Während nämlich geordnete Nächstenliebe bei sich selbst beginnt, scheint diese hier nicht vorzuliegen, vielmehr eine extreme und maßlose, nach der einer nicht von sich selbst her das Maß der Nächstenliebe nimmt, wie es geboten wurde – jeder liebe den Nächsten wie sich selbst!27 –, sondern indem er die Schranken dieses Gebotes verläßt, würde er ihn mehr als sich selbst lieben – das heißt, die wahre Ordnung der Nächstenliebe zu pervertieren.*28 Auch erscheint diese Güte etwas wundersam, in der jemand sich selbst eine Gefahr zudenkt, die er seinem Bruder nicht zudenkt; steht doch geschrieben: ,,Erbarme dich deiner Seele, damit du Gott gefallest“;29 und wenn es nicht zur Gefährdung der Seelen wird, dann doch zum Schaden für die Kirche oder zur Beeinträchtigung von Pflicht und wahrem Stand der Bischöfe und anderen Prälaten; dies alles müßte der größte und vorzügliche Gegenstand pastoraler Sorge sein; sie selbst aber müßten sich darum sehr kümmern oder davon betroffen sein. Die ungerechtfertigte Übernahme scheint im übrigen auch der Anlaß für viele Auflehnungen und Unehrerbietigkeiten gegen den Heiligen Stuhl zu sein sowie Ursache für Gefährdung der Seelen. Viele nämlich kümmern sich überhaupt nicht um Befehle des Papstes und seine Entscheidungen, sondern 26 27 28 29

* z. B. X 1.6.41. Matth 19,T19; Luc 10, 27 nach Lev 19, 18. * C. 33 q. 3 di. 2 c. 5 § 2. Eccli 30, 24.

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I Mattheus: De squaloribus curie

in terris eorum disponunt, sicut volunt.30 Et ideo si papa habet ius providendi et non illi, tunc deberet contra tales procedere et eos exemplo docente apostolico 31tradere sathane in interitum carnis, ut eorum spiritus salvus fieret in die domini, XI q. III Audi.31 Et frequenter crescente eorum contumacia, crescere deberet et pena, et ne illi rebelles sic starent in sentenciis in contemptum et vilipensionem clavium ecclesie, in periculum animarum suarum et in periculum irregularitatis ibi celebrancium, nec deberet permittere, quod fideles neglecti essent in non habendo veros pastores. Si autem non habet ius, tunc non deberet obedientes et humiles tam gravibus mandatis opprimere nec eis auferre ius, quod antiquitus habebant. 32Ius enim naturale obstat, quod tibi non vis fieri, alteri non facias, Thobie IV; Matth.VII vel I di. Humanum genus; L di. Ponderetg.32 Et ex quo non potest rebelles compellere, non deberet obedientes gravare, quia per hoc datur occasio de rebellione cogitandi. Capitulum quartum Posito autem, sed propter raciones premissas non concesso, quod papa de iure debuerit vel potuerit omnium beneficiorum et dignitatum sibi collacionem attrahere, quid queso racionis habet, quid boni vel utilitatis importat ista innumerabilis multitudo graciarum ad beneficia vacatura? Videtur autem, quod multa mala induxerit in ecclesiam et inducat: Primo, quia clerici magnos sumptus, graves labores et grandia pericula sanitatis et vite, eciam usque ad mortem inclusive faciunt,33 que tamen communiter pro maiori parte inania sunt et perdita, eo quod tot gracie fiunt, quod non est possibile vel medietatem earum effectuum habere, maximum eciam ardorem et desiderium consequendi beneficia in mentibus clericorum accendunt, dum quis dolet perdidisse labores et sumptus et videns alios ardentissime laborare, eciam ipse accenditur, nolens esse ultimus, timens preveniri ab aliis erubensque, dum alii bonas gracias vel beneficia consequuntur, manere vel ad partes redire vacuus, accenditur ad ferventissime pro totis viribus laborandum. Et ex hoc datur materia, ut in clericis crescat ambicio, quod est peccatum abhominabile, h precipue in clericis h, De prebendis: Quia in tantum et c.Cum iam dudum.34

g

Penderet Ed. fehlt Ed.

h–h 30

Wie in England nach dem Statute of Provisors Eduards III. von 1351. 1 Cor 5, 5 zitiert in * C. 11 q. 3 c. 21. 32–32 * Vgl. Tob 4, 16; Matth 7, 12; D. 1 c. 1; D. 50 c. 14. 33 Bei den Reisen nach Rom. 34 * X 3.5.5 u. 18. 31

A 1 Kap. 4

Zerstörung des Rechtsbewußtseins

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verfügen über Pfründen in ihren Ländern wie sie wollen – so, als ob jene nicht entgegenstünden.30 Wenn der Papst daher das Recht zu Amtsübertragungen hat und nicht sie, dann müßte er gegen sie vorgehen und sie etwa nach dem Vorbild des Apostels 31dem Satan übergeben zum Verderben ihres Fleisches, damit ihr Geist gerettet werde am Tage des Herrn.*31 Und weil deren Dreistigkeit überall wächst, müßte auch die Strafe wachsen, damit jene Aufrührer mit ihren Entscheidungen nicht voll Verachtung und Geringschätzung gegenüber den Schlüsseln der Kirche stehen können, voll Gefahr für ihre Seelen und voll Gefahr vor Regellosigkeit der dort Feiernden; er dürfte es nicht hingehen lassen, daß die Gläubigen vernachlässigt werden, da sie keine wahren Hirten haben. Wenn er aber kein Recht besitzt, dann sollte er die Gehorsamen und Demütigen nicht mit so schweren Geboten bedrükken, ihnen auch nicht das Recht nehmen, das sie seit alter Zeit besaßen. 32Das natürliche Recht widerspricht nämlich: Was du nicht willst, daß man dir tu, das füge auch keinem anderen zu.*32 Und weil er die Aufrührer nicht zwingen kann, dürfte er nicht die Gehorsamen belasten; denn dadurch wird Gelegenheit gegeben, an Auflehnung zu denken. A 1 Kap. 4

Zerstörung des Rechtsbewußtseins

Kapitel 4 Gesetzt den Fall – den wir aber wegen der oben vorausgeschickten Gründe nicht zugestehen – der Papst dürfte oder könnte die Verleihung aller Pfründen und Würden von Rechts wegen an sich ziehen; was hätte das für einen Sinn? – frage ich, was brächte diese unzählbare Menge von Gnadenerweisen an Gutem oder Nutzen für dereinst freiwerdende Pfründen? Anscheinend hat es doch schon bisher viel Übel in die Kirche gebracht und bringt es täglich neu; denn die Kleriker nehmen große Ausgaben, schwere Mühen und gewaltige Gefahren für Gesundheit und Leben auf sich – selbst bis zum Tod 33 –; doch dies ist insgesamt zumeist eitel und verloren, schließlich erfolgen so viele Gnadenerweise, daß es nicht möglich ist, daß auch nur die Hälfte von ihnen wirklichen Erfolg haben kann; doch entzünden sie in der Herzen der Kleriker ein brennendes Verlangen danach, Pfründen zu ergattern; wenn einer darüber traurig ist, daß er seine Mühen und Kosten vergebens aufgewendet hat, oder sieht, daß andere sich leidenschaftlich abmühen, dann wird er selbst angestachelt, weil er nicht der letzte sein will und fürchtet, daß andere ihm zuvorkommen; auch schämt er sich, wenn andere gute Gnadenerweise oder Pfründen erlangen, stehen zu bleiben oder leer nach Hause zurückkehren zu müssen; so wird er angestachelt, leidenschaftlich mit allen Kräften sich abzumühen. Daher wird genügend Stoff geboten, daß bei den Klerikern der Ehrgeiz wächst; und der ist eine abscheuliche Sünde, besonders bei Klerikern.*34

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I Mattheus: De squaloribus curie

Et quid plus queso sanctissimorum patrum abhorret salubris tradicio quam avariciam, que est radix viciorum omnium et servitus idolorum, iuxta canonicas sancciones, I q. I Cum omnis; VI q. I Quero, cum multis aliis.35 Quidve curacius, quidve subtilius, quid namque occupacius et diffusius detestatur et damnat omnium iurium promulgacio quam cleri cupiditatem execrabilem. Que prout patrum eorundem certissima in canonibus testatur assercio, nec divino cultui, nec suo sinit domino inherere, XLVII di. Bonorum et c.Virum catholicum.36 Heu, heu ad quante miserie profunda devenimus, quantis fluctuamus periculis quantisque laqueis damnacionis hiis horroris et crudelitatis temporibus laqueamur, quod illa, que tunc pastores gregis dominici sollertissimi tot et tantis studiorum vigiliis noctes deducentes insompnes tantisque laboribus invenire conantes huiusmodi appetitum noxium sub iuris regulis limitare – et ideo eciam est lex prodita, ut refert prohemio Compilacio Gregoriana37 – hac autem nova cupiditas arte pacis emula avaricia molitur nunc evellere. Et per huiusmodi exorbitantem graciarum multitudinem, que est canonibus inimica38 et in multis articulis reprobatur, De prebendis: Quia in tantum; LXX di. Sanctorum,39 mentibus simplicium sue zizanie semen insevit 40 et inseruit, tot quottidie lites germinet et scandala tot gravia, quorum non est numerus, in dei ecclesia propagavit, quod non restat homini aliud dicere, quam apostolica voce exclamare: Domine, salva nos, perimus.41 Demum hee gracie expectative magna sunt occasio sperandi in mortem hominum et forsan aliquando procurandi, nec credo sufficientem excusacionem, si non datur vel valet gracia super monoculo collatore, quia sepe, qui habet graciam super pluribus, unum ipsorum sibi specialiter complacens vel maxime desiderat, vel solum intendit et expectat. Quantas autem et quot occupaciones, lites et involuciones efficiant hee gracie, ex hoc clarius ostenditur, quod ad amovenda vel forsan magis augenda dubia frequenter oportet novas cancellarie regulas condere, prioribus addere, factas interpretari, imitare vel revocare in tantum, ut, quod ante annum licitum fuit et iustum, iam sit illicitum et omnino dampnatum. Ex quo arguitur

35 36 37

* C. 1 q. 1 c. 20; C. 6 q. 1 c. 21 u. ö. * D. 47 c. 9 u. 6. Rex pacificus (Einleitung zum Liber Extra).

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Wovor schreckt, so frage ich, die heilsame Überlieferung der hochheiligen Väter mehr zurück als vor Habsucht? Sie ist nach den kanonischen Bestimmungen aller Laster Wurzel und Götzendienst.*35 Was verabscheut und verurteilt jedes erlassene Gesetzesrecht mit größerer Sorgfalt, mit schärferer Genauigkeit, schließlich angelegentlicher und mit größerer Ausführlichkeit als die fluchwürdige Habsucht des Klerus? Wie die ganz ausdrückliche Nennung in den Kanones der Väter bezeugt, gestattet sie es nicht, sich dem Gottesdienst zu widmen und dem Herrn treu anzuhangen.*36 Wehe! Wehe! In welch tiefes Elend sind wir herabgesunken, in welchen Gefahren werden wir hin- und hergetrieben, durch welch starke Stricke der Verdammnis werden wir in diesen Zeiten des Schreckens und der Grausamkeit gefesselt! Damals haben die Hirten der Herde des Herrn mit vollstem Eifer unter so vielen langen Nachtwachen ganze Nächte schlaflos verbracht und sich unter so vielen Mühen angestrengt, solch schädlichen Hunger mit rechtlichen Regelungen zu begrenzen37 – gerade darum auch wurde das Rechtsbuch herausgegeben,37 wie das Vorwort Gregors IX.37 berichtet; durch diese neue Kunst der Begierde arbeitet die Feindin des Friedens,37 die Habgier, jetzt darauf hin, [all dies] zu zerstören. Durch die übermäßige Fülle von Gnadenerweisen, die eine Feindin der Kanones38 ist und in vielen Artikeln des Kirchenrechts verworfen wird,*39 hat sie in den Köpfen der Einfältigen die Saat ihres Unkrauts gesät und gesetzt;40 so läßt sie täglich Streitigkeiten sprießen und hat zahllose schwere Ärgernisse in der Kirche Gottes verbreitet, daß dem Menschen nichts weiter zu sagen bleibt, als mit dem Wort des Apostel auszurufen: ,,Herr, rette uns, wir gehen zugrunde!“ 41 Schließlich sind die gnädig in Aussicht gestellten Anwartschaften eine großartige Gelegenheit, auf den Tod von Menschen zu hoffen, ja ihn etwa auch einmal zu befördern: Ich glaube, es ist keine ausreichende Entschuldigung, wenn man sagt: Es wird kein Gnadenerweis gegeben und es bedeutet auch nichts bei einem halbblinden Verleiher; denn wer Gnaden für viele besitzt, wünscht vielleicht nur einen, der ihm besonders gefällt, ist nur auf diesen allein ausgerichtet oder wartet nur auf ihn. Wieviele Tätigkeiten, Prozesse und Verwicklungen diese Gnadenerweise mit sich bringen, geht klar daraus hervor, daß zur Beseitigung oder vielleicht eher zur Vermehrung der Zweifel oft neue Kanzleiordnungen verfaßt, zu früheren noch Hinzufügungen gemacht, vorhandene ausgedeutet, geändert oder gänzlich aufgehoben werden mit dem Ergebnis, daß das, was vor Jahresfrist erlaubt und rechtens war, nun verboten und verdammt ist. Daraus 38 39 40 41

X 3.5.5. * X 3.5.5; D. 70 c. 2. Vgl. Matth 13, 25 ff. Matth 8, 25.

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magna instabilitas eorum, qui regunt curiam, cum tamen in clericis maxime reprobetur inconstancia et levitas, De renunciacione: iNisi cum pridemi.42 Quod autem knimie sunt gracie irracionabiliter k petite vel concesse, sedes apostolica manifeste declarat, dum varia medicamenta contra tam graves morbos excogitat, nunc specialiter reservando beneficia, que generalibus graciis ante concessit, nunc vero per varias litterarum clausulas, videlicet auferri antelacionem indultorum, iam per anterioracionem seu anticipacionem datarum per datas diei l obitus vel sequentis primas gracias novissimas et novissimas primas faciendo;43 nunc perpetuum silencium imponendo; nunc per sequentes litteras ius quesitum alteri auferendo, irritando, cassando; nunc per restriccionem, nunc per revocacionem graciarum omnimodam factas penitus annullando m, nescio penitus quomodo, non enim audeo dicere cum falsitatibus et mendaciis, nec possum vere dicere, quod sine eis, nec scio, quare mutantur, stringuntur vel revocantur. Et si esset dicendi audacia, dicerem, quod ex hoc patenter arguitur decepcio, quod quis excludatur a gracia sua multis laboribus et sumptibus acquisita. Nichil enim magis abhominantur iura, quam quod alicui ius suum per decepcionem auferatur, De rerum permutacione: Cum universorum,44 et sic eos, quos n debent in sua iusticia confovere, videtur eis laqueum inicere contra id, quod legitur XXVII o q. I De viduis.45 Sed ecclesia non debet p in suis actibus fraudem aliquam adhibere, per iura superius allegata.46 Si autem tales revocaciones iuste fiant, quare, prioribus revocatis, iterum nove fiunt, nisi quod iterum pecunia receptetur. Hoc scio, quod quomodocumque fiat, tantum scandalum inde surgit, tanta curie Romane provenit infamia, quod facta eius puerorum ludus vel vesania reputantur et in derisum tocius cleri subsannantur; obiciuntur a laicis, quod valentes viri, qui de hiis dolent, ad tales obiectus depressa in terram facie silere vel pre pudore abscedere vel, ne talem errorem approbare videantur, coguntur cognoscere et fateri. Et mirum est, si curienses numquam hec re-

i–i

Nisi pridem Ed. minime sunt gratiae rationabiliter Ed. l die Ed. m anulando Ed. n quod Ed. o XXII Ed. p deberet Ed. k–k

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ergibt sich der Vorwurf einer großen Unstetigkeit derer, die die Kurie leiten; Unbeständigkeit und Leichtfertigkeit wird jedoch gerade bei Klerikern getadelt.*42 Daß aber recht viele Gnadenerweise keineswegs ordentlich erbeten und gewährt wurden, erklärt der Apostolische Stuhl selbst ganz offen, indem er verschiedene Heilmittel gegen so schwere Gebrechen ausdenkt: Einmal reserviert er sich in besonderer Weise Pfründen, die er durch allgemeine Gnadenerweise zuvor vergeben hat; ein andermal schafft er es durch verschiedene Briefklauseln, daß die frühere Vergabe von Gewährungen aufgehoben ist durch Vor- oder Späterdatierung von Briefen; durch Datierung auf den Todestag oder den folgenden Tag [nach dem Tod] macht er die ersten Gnadenerweise zu den letzten und die letzten Gnadenerweise zu den ersten;43 dann wieder gebietet er ständiges Schweigen; oder er bezeichnet durch einen folgenden Brief das für einen erbetene Recht als fortgenommen, aufgehoben und nichtig; bald macht er durch Einschränkung, dann durch allgemeinen Widerruf der Gnadenerweise die bereits erteilten gänzlich ungültig – ich weiß überhaupt nicht wie, denn ich wage nicht zu sagen ,,mit Fälschungen und Lügen“, aber ich kann wahrhaftig nicht sagen, es geschehe ohne dies, und ich weiß nicht, warum sie geändert, beschränkt oder widerrufen werden. Müßte ich ein kühnes Wort wagen, so würde ich sagen: Man kann deswegen offensichtlich den Vorwurf der Täuschung erheben, weil jemand von einem Gnadenerweis ausgeschlossen wird, den er mit viel Mühe und Kosten erworben hat. Die Gesetze verabscheuen nämlich nichts mehr, als daß jemandem sein Recht durch Täuschung fortgenommen wird;*44 und daher winden sie anscheinend einen Strick gegen diejenigen, die sie in ihrem Recht stärken müßten – im Widerspruch zu dem, was man [im Kirchenrecht] liest.*45 Die Kirche indessen dürfte in ihren Handlungen keinen Betrug anwenden.*46 Wenn aber solche Fälle von Widerruf zu Recht geschehen, warum geschehen dann nach Widerruf der früheren eigentlich neue [Verleihungen], wenn nicht deshalb, damit man erneut Geld einnehmen kann? Ich weiß genau: Überall, wo dies geschieht, erhebt sich ein gewaltiges Ärgernis, gerät die Römische Kurie in tiefen Verruf; ihre Taten betrachtet man als Kinderspiele oder Verrücktheit, und der ganze Klerus lacht spöttisch über sie; von Laien wird der Vorwurf erhoben, daß tüchtige Männer, die darüber Schmerz empfinden, auf solche Vorhaltungen hin das Gesicht zu Boden senken und schweigen oder sich vor Scham davonmachen; oder sie sehen sich gezwungen, dies anzuer42 43 44 45 46

* X 1.9.10. = Überholte Expektanzen werden wieder aktualisiert. * X 3.9.8. * C. 19 q. 1 c. 42. * Vgl.die oben herangezogenen Rechtsbestimmungen.

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cogitant ut causam ad pudorem, timorem vel horrorem. Ex tantis malis et scandalis moverentur. Cum tamen scire debent prelati, prout ait ille papa sanctissimus beatus Gregorius,47 quod si perversa umquam perpetrant, tot mortibus digni sunt, quot ad subditos suos perdicionis exempla transmittunt, XI q. III Precipue.48 Preterea hic modus providendi de beneficiis est gravamen et impedimentum promocionis eorum, qui provecti sunt maturi et graves moribus aut corpore; ut vagari, discurrere per terras, periculis se exponere ex racione non velint, ex honestate erubescant aut q ex aliqua necessitate non valeant legitime prepediri r. Est eciam hic modus magnum medium et via facilis, ut magna aliquando consequuntur beneficia leves vagabundi vel alie viles persone, que vel mendicare vilia officia vel servicia assumere non erubescunt, utpote quod stabularii, coquinarii, lenones, baratatores s prebendarum pinguium, quando vacent, exploratores et quasi traditores, qui eciam non verecundantur se importune ingerere, mentiri et magnalia promittere, nec horrent inclamari vel confusione obrui aut repelli; que omnia honestus homo tantum horret, ut pocius velit carere beneficio quam talia sustinere vel facere. Et quid sit, quod ecclesie dei magis officiat, quam quod indigni prelati assumuntur ad regimen animarum. Expresse iura respondent: tNichil! ut in c. Nichil est; De eleccionet; Grave nimis, De prebendis.49 Et quid videtur miserabilius? Vix est stabularius et persona tam tristis et misera, que non habet graciam, eciam cum proprio motu pape, eciam super incompatibilibus pluribus et quantumcumque magnis beneficiis; cum tamen huiusmodi et similibus graciis non nisi sublimes et litterate persone, cum racio hoc exigeret, essent premiande, ut in c. De multa, uDe prebendis ad finem u.50 Res quippe supra modum mirabilis, quod summus Christi vicarius tante familiaritatis affectu tractat et prosequitur tam et tot scandalosos in ecclesia dei et inutiles, quod proprio motu talibus vult providere de beneficiis, quandoque septem vel octo annorum pueris, eciam status exigui et remotis partibus existentibus, scribendo in suis v litteris ‘ad nullius instanciam, nec ad ali-

q

fehlt Hs. E u. Ed. praepediti Hs. E, M u. Ed. s baratratores Hs. E; baratrores Ed. t–t Nihil Ed. u–u fehlt Ed. v fehlt Ed. r

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kennen und auszusprechen, damit es nicht so aussieht, als ob sie solchen Irrtum billigen. Es ist erstaunlich, wenn die Mitglieder der Kurie dies niemals bedenken als Grund zu Scham, Furcht und Schrecken. Aufgrund solcher Übel und Ärgernisse sollten sie beeindruckt werden. Die Prälaten indes müssen wissen – wie jener Heilige Vater Gregor 47 es sagt – ,,Wer je so Verworfenes tut, der ist so vieler Todesstrafen würdig, wie er seinen Untergebenen Beispiele des Verderbens gibt.“*48 Außerdem ist diese Art und Weise der Versorgung über Pfründen ein Belasten und Behindern der Beförderung derer, die zu an Sitten oder Erscheinung reifen und gestandenen Männern herangewachsen sind, daß sie zu Recht gehindert sind, umherstreifen, durch die Länder ziehen und sich Gefahren aussetzen zu wollen, aus Ehrbarkeit davor erröten oder dies aus einer gewissen Notlage heraus auch nicht können. Diese Art und Weise ist ein gutes Mittel und ein für leichtsinnige Vagabunden billiger Weg, mitunter große Pfründen zu erlangen, auch für sonstige schäbige Leute, die sich nicht schämen, wohlfeile Ämter zu erbetteln oder Dienstleistungen anzunehmen, als da sind: Stallknechte, Köche, Kuppler, Feilscher um fette Pfründen, Kundschafter nach Vakanzen und gewissermaßen Zwischenträger, die sich auch nicht scheuen, zur Unzeit sich einzudrängen, zu lügen und große Dinge zu versprechen, die sich auch nicht vor Beschimpfung, Beschämung und Hinausschmiß scheuen; vor all dem hat ein anständiger Mensch einen solchen Abscheu, daß er eher auf die Pfründe verzichten möchte, als solches zu ertragen oder zu tun. Und was schadet der Kirche Gottes mehr, als daß unwürdige Prälaten zur Lenkung der Seelen aufgenommen werden? Das Kirchenrecht antwortet ausdrücklich: ,,Nichts.“*49 Und was könnte elender sein? Kaum gibt es einen Stallknecht, einen noch so traurigen elenden Tropf, der nicht einen Gnadenerweis erlangte, sogar ein ‘motu proprio’ des Papstes mit der Maßgabe, mehrere eigentlich unvereinbare und recht große Pfründen sich anzueignen; doch mit solchen und ähnlichen Gnadenerweisen wären eigentlich nur hochgestellte und hochgebildete Leute zu belohnen, wie eine vernünftige Erwägung dies erfordert.*50 Es ist wahrhaftig über die Maßen erstaunlich, daß der höchste Stellvertreter Christi mit solch freundschaftlicher Zuneigung so viele für die Kirche Gottes ärgerniserregende und unnütze Leute an sich zieht und fördert; mit einem ‘motu proprio’ will er sie mit Pfründen versorgen, mitunter Knaben von sieben oder acht Jahren, auch aus niedrigem Stande und in entlegenem Winkel wohnhaft; ,,auf niemandes Drängen“, ,,auf niemandes Bitten hin“, 47 48 49 50

Gregor I. Papst 590–604. * C. 11 q. 3 c. 3. * X 1.6.44; X 3.5.29. * X 3.5.28.

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cuius peticionis’ ‘Nobis pro te oblate etc., tibi providemus’, nonnumquam eciam ius quesitum, eciam valenti persone ob hoc annullando, prout constat luce clarius ex tenoris qualitate talium litterarum. Cum tamen, sicut quidam valens doctor coram quodam apostolico predicavit, ut creditur Gregorio IX.:51 Iste consequencie nichil valeant w: Iste est unius cardinalis consanguineus, ergo promovendus est in episcopum. Iste secretarius vel notarius suus, ergo promovendus est in prepositum, archidiaconum vel decanum. Iste est scutifer et stabularius, ergo debet habere quattuor gracias ad quattuor bonas collaciones. Iste est servitor vel forte conductor et leno cubicularii vel secretarii pape, ergo meretur quattuor bona beneficia. Consequencias siquidem illas sophisticas eciam pueri nedum negarent, sed eciam deriderent, et tamen certum est, quod posito antecedente consequenter infertur consequens, etsi non logice, tamen practice; et quod non valet pro condicionali, habetur pro causali. Capitulum quintum Cum autem istis omnibus malis, dampnis, scandalis, periculis, litibus et aliis inconvenientibus tam pretactis quam tangendis facilius obviaretur recurrendo ad x priora et non faciendo gracias expectativas, sed solum, sicut tunc yerat prius y, conferendo beneficia, quando vacarent, tunc enim, sicut antea non erant, sic iste miserie et lites nec iam essent. Mirum videtur et non facile excogitabile, qua bona racione ille modus dimissus sit et iste apprehensus. Si dicitur, quod tunc pro uno beneficio multi currerent et omnes frustra preter unum, et sic rediret idem inconveniens, ut prius tactum est. Ad providendum huic facile est remedium, ut committatur ordinariis, sicut erat prius. Sed diceres, tunc male provideretur, quia episcopi et alii conferrent beneficia nepotibus, consanguineis suis et servitoribus. Hic libenter quererem, utrum melius esset, quod consanguinei et servitores eorum haberent, vel servitores cardinalium et curialium. Et forte primum erat minus malum, quia non essent lites super beneficiis; et forte tunc provisi defensionem haberent et non odium nec offensam, sicut iam communiter habent, quia contra episcoporum obtinent voluntatem. Sed esto, quod provisio facta per episcopos tot mala importaret sicut ea, que iam est afferre z persuasum, tunc fiat hoc w

valent Ed. videlicet ad Ed. y–y erat: non prius Ed. z fehlt Ed. x

51

Papst 1227–1241.

A 1 Kap. 5 Rückkehr zum alten Recht

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schreibt er in seinen Briefen, ,,Nachdem Uns für Dich übergeben wurde usw., Wir versorgen Dich“, wobei deswegen manchmal das gesuchte Recht sogar gewichtigen Personen annulliert wird, wie sonnenklar aus dem Wortlaut solcher Briefe hervorgeht. Doch wie ein tüchtiger Gelehrter vor einem Papst predigte – wie man glaubt, vor Gregor IX.51: ,,Folgende Schlußfolgerungen sollten nichts gelten: Er ist der Verwandte eines Kardinals, also muß er zum Bischof befördert werden. Der ist Sekretär oder Notar, also muß er zum Propst, Archidiakon oder Dekan befördert werden. Der ist Schildträger und Stallknecht, also muß er vier Gnadenerweise auf vier gute Verleihungen erhalten. Er ist Bediensteter oder gar Begleiter und Kuppler des Kämmerers oder Sekretärs des Papstes, also verdient er vier gute Pfründen.“ Diese spitzfindigen Schlußfolgerungen würden nicht einmal Knaben ableugnen, vielmehr würden sie darüber lachen; sicher ist jedoch, wenn man den Vordersatz annimmt, so ergibt sich die Folgerung, wenn nicht logisch, dann praktisch; und was nicht als Bedingungssatz gilt, kann für einen Kausalsatz gelten. A 1 Kap. 5 Rückkehr zum alten Recht

Kapitel 5 All diesen Übeln, Schäden, Ärgernissen, Gefahren, Streitigkeiten und Unzuträglichkeiten, die bereits berührt wurden oder es noch werden, könnte recht leicht durch die Rückkehr zum früheren Zustand begegnet werden und dadurch, daß man keine gnädig in Aussicht gestellten Anwartschaften mehr vergibt, sondern nur so, wie es früher war: Übertragung von Pfründen, erst wenn sie frei geworden sind; dann nämlich gäbe es, so wie es das vor Zeiten nicht gab, auch heute nicht all dies Elend und diese Prozesse. Es scheint erstaunlich und nicht leicht vorstellbar, mit welch gutem Grund jene Übung verlassen und diese ergriffen wurde. Ob es wohl heißt: Dann würden viele hinter einer Pfründe herlaufen und alle außer einem vergeblich, und somit kehrte derselbe Nachteil zurück, wie er oben erwähnt ist. Um hiergegen Vorsorge zu treffen, gibt es ein leichtes Heilmittel: Die Pfründenvergabe müßte, wie es früher war, den Ordinarien in die Hand gegeben werden. Aber man könnte sagen: ,,Dann würde schlecht Vorsorge getroffen, denn die Bischöfe und andere würden die Pfründen an ihre Neffen, Verwandten und Bedienstete verleihen.“ Hier würde ich gern fragen: Ist es besser, daß deren Blutsverwandte und Bedienstete sie haben oder die Bediensteten der Kardinäle und Kurialen? Vielleicht war das erstere ein geringeres Übel, denn es gäbe keine Prozesse über Pfründen, und vielleicht hätten die Versorgten dann Schutz und nicht Haß und Anfeindung, wie sie es jetzt gemeinhin haben, da sie ihre Pfründe gegen den Willen des Bischofs innehaben. Aber sei es, daß die Verleihung durch die Bischöfe genauso viele Übel mit sich brächte

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I Mattheus: De squaloribus curie

remedium, quod provideatur ecclesiis de bonis episcopis, et totum erit planum. Si dicitur, quod hoc non potest bene fieri, querendo respondeo: Quomodo ergo papa bene providebit de mille personis aut amplius, si non potest de una persona sufficienter providere? Sed sunt et alia remedia: Fiant correcciones et amoveantur indigni, digni instituantur, et unius correccio transibit aliis in exemplum, sicut scriptum est: Flagellato pestilente stultus sapiencior erit.52 Forte dicitur: Ista esset magna occupacio sedis apostolice et tocius curie. Sed certe illa, quam iam habet, multo maior est, minus utilis et magis perniciosa quam ista, que sine dubio magis racionabilis videtur, utpote que inventa et tenta est a sanctis patribus, sacra scriptura et iure canonico fundata, in qua nondum est malum vel error inventus, dummodo papa et prelati non sunt negligentes et tepidi, sed corrigant, sicut spectat ad ipsos.

Capitulum sextum Dicet forsan hic aliquis, minus spirituali motus affectu, quia promocionem a curia consecutus est aut sperat, talia enim solent multum intellectum reddere nubilium et affectum accendere, quod si papa nichil haberet conferre, nichil curaretur, numquam quereretur, in nulla reverencia haberetur, et ipse aliquando non haberet unde viveret, sicut manifeste patet, quod aliquando omnes subditi Romane ecclesie rebellaverunt et tyranni bona eius occupaverunt et redditus a sustulerunt. Nunc autem, quia habet multa conferre, omnes accurrunt et visitant reverenter et honorant, vitant offendere et timent ac cupiunt complacere. Principes eciam seculares et ecclesiastici humiliando se supplicant et sic honorem, qui tanto domino et Christi vicario debetur, non subtrahunt sed impendunt; alias ut videtur minime illud facturi. Per hoc eciam ipse se sustentare potest, tenere statum ecclesiamque tueri. Hic primum dico, quod pape et sedi apostolice omnimoda et maxima reverencia exhibenda est, De maioritate et obediencia: bSolite; LXIII b di. Valentinianus,53 et omnis irreverencia prohibenda cac punienda, si exhibita fuerit c, De maledicis c. I; XXIII d q. I Paratus.54 Sed ad hoc ut exhibeatur ei et sic exhibeatur, quod sit verus honor et reverencia, debitis mediis et modis est

a

redditus eius Ed. LXVIII Ed. c–c fehlt Ed. d XVIII Ed. b–b

52 53 54

Prov 19, 25. * X 1.33.6; D. 63 c. 3. * X 5.26.1; C. 23 q. 1 c. 2.

A 1 Kap. 6 Reform stärkt den Papst

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wie die, von der man jetzt überzeugt ist, daß sie sie bringt; dann wende man nur das Heilmittel an und versorge die Kirchen mit guten Bischöfen, und alles ist im Lot! Wenn es heißt: ,,Das kann nicht gutgehen“, dann antworte ich mit der Gegenfrage: ,,Wie kann der Papst über tausend Personen oder mehr gut Vorsorge treffen, wenn er nicht einmal mit Einem hinreichend Vorsorge treffen kann?“ Aber es gibt noch andere Heilmittel: Es sollten Strafen verhängt, die Unwürdigen aus dem Amt entfernt und dafür Würdige eingesetzt werden; die Strafe eines einzigen wird den anderen als Beispiel dienen, wie geschrieben steht: Wenn der Bösewicht verprügelt wird, so wird der Unverständige weiser.52 Vielleicht sagt man: ,,Dies wäre eine große Last für den Apostolischen Stuhl und die ganze Kurie.“ Aber sicher ist die [Last], die sie jetzt schon haben, weit größer, dafür aber weniger nützlich und weit verderblicher als das, was ohne Zweifel vernünftiger erscheint, nämlich: was von den Heiligen Vätern erfunden und erstrebt, von der Heiligen Schrift und vom Kanonischen Recht begründet wurde, in dem noch kein Übel und kein Irrtum gefunden wurde, wenn nur der Papst und die Prälaten nicht nachlässig und träge sind, sondern verbessern, wie es ihnen zukommt. A 1 Kap. 6 Reform stärkt den Papst

Kapitel 6 Einer, der weniger von geistlicher Leidenschaft erfüllt ist, weil er von der Kurie eine Beförderung erhalten hat oder darauf hofft – so etwas pflegt nämlich das Verständnis von Nebeln sehr zu erhöhen und die Leidenschaft zu entzünden –, solch einer könnte also sagen: ,,Wenn der Papst nichts zu verleihen hat, würde man sich um ihn überhaupt nicht kümmern; man würde ihn niemals fragen; er hätte keinerlei Ansehen, ja, er hätte oftmals nicht einmal das Nötigste zum Leben; so liegt es offen auf der Hand, daß bisweilen alle Untergebenen der Römischen Kirche einen Aufstand gemacht und Tyrannen ihre Güter fortgenommen und ihre Einkünfte gestohlen haben. Jetzt aber, wo er vieles zu verleihen hat, laufen alle herbei, besuchen ihn ehrfürchtig und ehren ihn, vermeiden es, ihn zu beleidigen, und bemühen sich ängstlich, ihm zu gefallen. Auch weltliche und geistliche Fürsten tragen ihm untertänig ihre Bitten vor, entziehen ihm nicht die Ehre, die einem solchen Herrn und Stellvertreter Christi gebührt, sondern lassen sie ihm zukommen; andernfalls würden sie dies wohl keineswegs tun. Deshalb also kann er sich selbst versorgen, seinen Stand wahren und die Kirche schützen.“ Dazu sage ich zunächst einmal: Es ist dem Apostolischen Stuhl jedwede und höchste Ehrerbietung zu erweisen,*53 und jede Unehrerbietigkeit ist zu unterlassen und, wenn sie ihm zugefügt werden sollte, zu bestrafen.*54 Doch damit sie ihm erwiesen wird – und zwar so, daß es eine echte Ehre und Ehrerbietung ist –, muß man dafür die gebührenden Mittel und Wege benut-

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I Mattheus: De squaloribus curie

utendum, ut in dicto canone Paratus superius allegato,55 et quia non sufficit aliquod bonum facere, nisi bene fiat, XV q. VI c. I; De collusione; nec deus remunerator est nominum sed adverbiorum, ut ibidem in glossa.56 Cum enim honor sit exhibicio reverencie in testimonium virtutis, si illa assint, pro quibus honor iure debetur, videlicet iusticia, clemencia, sanctitas, humilitas, benignitas, cura et zelus verus salutis fidelium, verus honor erit; et talem honorem querere e et apostolicis f ex eorum devocione requirere magnanimitas g est, per quam quis honorificat se et honorificari vult honoribus sibi dignis. Quod omnino necessarium est prelatis, principibus et vere dominantibus, ne regendi vilescat auctoritas, et per talia eciam meretur superior a subditis sustentari, ut dicit Apostolus: Qui bene presunt, duplici honore digni habeantur,57 hid est debita reverencia et necessariorum administracio a subditis impendantur, Prima ad Thymotheum V h. Si vero querat quis sibi exhiberi reverenciam per alia media, utpote per potenciam, ita ut populus non ex dileccione et devocione sed timore, cupiditate vel necessitate impulsus ipsum revereatur, verus honor non est; talia enim valde et nimis exhibentur tirannis. Qui tamen verum honorem non habent, nec eis debetur, nec a populo sustentari merentur; nec sic querere honorem et sustentacionem est magnanimitas i et providencia, sed ambicio et avaricia. Quoniam veritatis ea regula est, ut nichil facias commendandi, id est honorandi tui causa, quo minor alius fiat, XI k q. III Si quis non,58 non enim illud debet quis appetere, per quod honor aliorum minuatur, XCIX di. Nullus.59 Legimus enim in canone beatum Gregorium papam, qui posteris deberet esse in exemplum, dixisse: Nec honorem esse reputo, in quo fratres meos honorem suum perdere cognosco; meus namque honor est universalis ecclesie, meus honor est fratrum meorum solidus vigor. Tunc ego honoratus sum, cum singulis quibusque honor debitus non negatur. XCIX di. Ecce.60 Nisi ergo sedes apostolica iuste sibi collacionem et provisionem dignitatum et beneficiorum attraxerit et multitudinem

e

fehlt Ed. apostolis Ed. g so 2. Hand Hs. M, magnificentia 1. Hand u. Hs. E, Ed. h–h fehlt Ed. i magnificentia Hs. E u. Ed. k XVI Ed. f

A 1 Kap. 6 Reform stärkt den Papst

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zen, wie in dem zuletzt angezogenen Kanon ausgeführt;*55 und weil es nicht hinreicht, etwas Gutes zu tun, es sei denn man täte es gut,* so belohnt Gott nicht die Substantiva sondern die Adverbien, wie es dazu in der Glosse 56 heißt. Da nämlich ‘Ehre’ heißt, Ehrerbietung zum Zeugnis für Tüchtigkeit zu erweisen, so ist wahre Ehre, wenn all das vorhanden ist, wofür zu Recht Ehre gebührt, also Gerechtigeit, Milde, Heiligkeit, Demut, Güte, Sorge und wahrer Eifer für das Heil der Gläubigen; solche Ehre auch für die Päpste aus all ihrer Frömmigkeit zu suchen, bedeutet Großherzigkeit einzufordern; durch sie ehrt sich jemand selbst und will durch Ehren, die ihm angemessen sind, geehrt werden. Dieses ist schlechterdings notwendig für die Prälaten, Fürsten und die wirklich Mächtigen, damit ihre Leitungsbefugnis sich nicht abnutzt. Darum ist es auch angemessen, daß der Obere von dem Untergebenen Unterhalt erhält, wie der Apostel sagt: Wer das Amt des Vorstehers gut versieht, den halte man zwiefacher Ehre wert,57 das heißt, daß von den Untergebenen gebührende Ehrfurcht und Leistung des Nötigen aufgebracht werden. Wenn aber jemand Ehrerbietung zu erhalten sucht mit anderen Mitteln, etwa mit Gewalt, so daß das Volk ihm nicht aus Liebe und Ergebenheit, sondern aus Furcht, Begehrlichkeit oder von Not getrieben dient, so ist das keine wahre Ehre; dies wird nämlich besonders und allzusehr den Tyrannen entgegengebracht. Diese jedoch haben keine wahre Ehre; sie gebührt ihnen auch nicht, und sie kriegen zu Recht vom Volk keinen Unterhalt; auf diese Weise Ehre und Unterstützung zu suchen, ist wahrlich keine Großherzigkeit und Umsicht, sondern Ehrgeiz und Habsucht. Denn es gibt eine Regel der Wahrheit: Du sollst nichts tun, um dich selbst zu empfehlen, d. h. dich ehren zu lassen, sofern ein anderer dadurch Abbruch erleidet;*58 denn keiner darf das erstreben, wodurch die Ehre des anderen vermindert wird.*59 Lesen wir doch im kanonischen Recht, daß der selige Papst Gregor, der den späteren ein Beispiel sein müßte, gesagt hat: ,,Ich betrachte nicht als Ehre, wodurch meine Brüder, wie ich erkenne, ihre Ehre verlieren; denn meine Ehre ist die der gesamten Kirche, meine Ehre ist die feste Kraft meiner Brüder. Ich bin dann geehrt, wenn keinem einzigen die gebührende Ehre vorenthalten wird.“ 60 Sofern also der Apostolische Stuhl nicht die Verleihung und Versorgung mit Würden und Pfründen rechtmäßig an sich gezogen hat und die Vielzahl von Gnadenerweisen etwa deswegen durchführt, weil er anders 55

* Siehe 2. Beleg der vorhergehenden Anm. * C. 15 q. 6 c. 1; X 5.22.1 Glosse s. v. Qualitas. Der Glossator, Bernhard von Parma († 1263), zitiert hier ein ,,weises Gedankenbild“ (sapiens phantasma) des Dekretisten Johannes von Faenza (vor 1179). 57 1 Tim 5, 17. 58 * C. 11 q. 3 c. 13. 59 * D. 99 c. 4. 60 D. 99 c. 5 von Gregor I., epist. 7, 30, MGH Epist. I S. 477. 56

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I Mattheus: De squaloribus curie

faciat graciarum, quia aliter honorem et sustentacionem querere non debet, quod allegatum est, ipsum excusare non potest. Antequam enim quicquam ageret, quod vergeret in tale dampnum ecclesie, periculum salutis et scandalum fidelium, ut supra tactum est, prius deberet omni honore carere, defectum pati vel statum dimittere; non enim facienda mala, ut eveniant bona spiritualia, I q. I Non est putanda; Ne clerici vel monachi III, c. Non magnopere,61 quanto minus ut eveniant temporalia. Quod tamen non foret timendum, si enim iusticiam foveret, corrigeret excessus et alia iusta et sancta auctoritatis et officii sui opera exerceret; boni ex amore, mali ex timore ad reverenciam maximam moverentur, et dum sic panem suum mereri studeret, deus, qui non derelinquit suos, summo vicario non deesset. Ex premissis ergo colligitur, quod si modus ille providendi de dignitatibus et beneficiis, qui iam tenetur in curia, iniuriosus est, dampnosus, scandalosus vel quocumque minus iustus propter reverenciam vel sustentacionem cuiuscumque procurandum, servari non debet, quia nemo debet locupletari l cum alterius dampno et iactura, mXI q. III m Si quis non; XXII q. II Primum; XIIII n q. V Denique; oExtra, De ecclesiis edificandis c. II, ubi de hoc o; De regulis iuris plb. VI Locupletarip.62 Et lex dicit, quod aliorum honores aliis non debent esse occasio nocendi, CDe statuis et imaginibus lege ultima.63

Capitulum septimum Quia vero persuasum est superius,64 quod minus bonam videtur habuisse radicem, si alicui persuasiones ille non sufficiunt, cum iuxta doctrinam Salvatoris arbor ex fructu debeat cognosci, De regulis iuris c. II,65 videatur de fructu, quem modus ille produxit, quottidie multiplicans malas arbores, universum ortum ecclesie sic replentes, ut bone arbores nimis gravantur, ne germinent aut fructum faciant, suffocentur. Ad hoc siquidem devenit status, vel verius lapsus curie Romane, quod nulla supplicacio quantumlibet pauperis pro gracia expectativa quantumcumque exili q, eciam de data currente signatur, nisi prius dato uno ducato 66

l

ditari Hs. E u. Ed. II qu. 2 Ed. n XIII Ed. o–o extra: De elect., Ed. p–p fehlt Ed. q exilii Ed. m–m

A 1 Kap. 7 Pfründenschacher an der Kurie

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Ehre und Lebensunterhalt nicht suchen kann – was angeführt wurde –, so kann ihn das nicht entschuldigen. Bevor er nämlich irgend etwas täte, was zu einem solchen Schaden für die Kirche, zur Gefahr für das Heil und zum Ärgernis der Gläubigen führen könnte, müßte er zunächst, wie oben angeführt, jeder Ehre entbehren, Schädigung leiden oder seinen Stand fallen lassen; man darf nämlich nichts Böses tun, um geistliche Güter zu erlangen,*61 noch weniger, um zeitliche Güter zu erlangen. Dies wäre indessen nicht zu befürchten, wenn er die Gerechtigkeit förderte, Übertretungen bestrafte und andere gerechte und heilige Taten kraft seines Ansehens und seines Amtes vollbrächte; dann würden die Guten aus Liebe, die Bösen aus Furcht zu höchster Ehrerbietung bewegt werden; und wenn er sich bemühte, sein Brot auf diese Weise zu verdienen, würde Gott, der die Seinen nicht verläßt, seinen höchsten Stellvertreter nicht im Stich lassen. Aus dem Zuvorgesagten ergibt sich also: Wenn die Art und Weise bei der Versorgung mit Würden und Pfründen, die jetzt an der Kurie eingehalten wird, voller Unrecht, schädlich und ärgerniserregend ist sowie alles andere als gerecht (denn es dient zur Ehrerbietung und zum Unterhalt eines Beliebigen), dann darf sie nicht beibehalten werden; denn niemand darf sich zum Schaden und Nachteil eines anderen bereichern.*62 Und das [Römische] Recht sagt, daß die Ehrenrechte der einen nicht Gelegenheit zum Schaden anderer sein dürfen.*63 A 1 Kap. 7 Pfründenschacher an der Kurie

Kapitel 7 Weiter oben 64 ist die Überzeugung ausgesprochen, daß es eine weniger gute Wurzel gegeben hat; nun mag einem diese Überzeugung nicht genügen, denn nach der Lehre des Erlösers soll man den Baum an seinen Früchten erkennen;*65 sehen wir also nach den Früchten, die jene Art und Weise hervorgebracht hat! Täglich bringt sie mehr schlechte Bäume hervor, und diese erfüllen den ganzen Garten der Kirche so, daß die guten Bäume allzusehr belastet werden; sie können nicht mehr austreiben oder Frucht bringen sondern werden erstickt. Dazu ist nun der Stand, richtiger: der Fall der Römischen Kurie gekommen: Keine Supplik irgend eines armen Mannes um eine noch so kleine Pfründenaussicht wird heute auch nur unter dem wirklichen laufenden Datum [vom Papst] signiert, es sei denn es ist zuvor ein ganzer Dukaten 66 so 61 62 63 64 65 66

C. 1 q. 1 c. 27; X 3.1.3. C. 11 q. 3 c. 13; C. 22 q. 2 c. 8; C. 14 q. 5 c. 10; X 3.48.2; VI 5. 12. reg. 48. * Cod. 1.12. 4. Kap. 3. * X 5.41.2 nach Matth 7, 20. Venezianische Goldmünze, ca. 3,54 g.

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I Mattheus: De squaloribus curie

tam integre, ut nec denarius 67 deficiat. Pro meliori vero data expectative gracie ut cardinalium vel familiarium pape opportet, ut dentur XX, XXX vel XL ducati, pro beneficio vero iam vacante pactatur et taxatur supplicacio iuxta valorem reddituum annuorum. Si autem petitur rclam postulati r vel alterius ad aliquam ecclesiam vel dignitatem provisio vel confirmacio, tunc nullo modo committitur pro persona, nisi prius fiat pactum determinatum de certa summa et securitas de solvendo in certa forma demonstrata vel facta. Nonne hoc solum, eciamsi nichil aliud mali esset in curia, licet solitarie venire non possit, ponit vel probat papam et omnes, qui talia pacta faciunt, necnon omnes officiales curie, qui ad consequenda beneficia et dignitates taliter impetrata vel impetratas scienter movent aut serviunt in statu damnacionis existere, sive sint prothonotarii, cubicularii, auditores, advocati, abbreviatores, scriptores, procuratores, notarii causarum, sollicitatores et quicumque huiusmodi; eciam cardinales, si ad premissa promovent atque iuvant. Symonia siquidem utpote quedam heresis est, unum de generibus mortalium, non levium, sed pregravium peccatorum ponencium quemlibet, qui ipsum committit extra graciam et in statum damnacionis, Prima causa set eius q. I s per totum; De symonia tper totum t.68 Quod quidem symonie peccatum rarissime vel numquam ex ignorancia, per invincibilitatem excusabile, vel subrepcione subita, vel levitate mentis, vel nocumenti pravitate, transire potest in peccati speciem venialis, sicut bene contingit de superbia, ira vel aliis peccatis ex genere mortalibus, presertim quia totus mundus clamat et scriptura symoniam esse de maximis peccatis, cuius eciam comparacione cetera omnia crimina, quasi pro nichilo reputantur, I q. VII u c. Patet,69 ubi eciam dicitur, quod symoniaci sint primi et precipui heretici. Ipsam autem symoniam sic committere vel promovere vel servire, sicut in curia fit, non est causale vel subitum vel parvum dampnum, vel ex levitate fit, sed est deliberatum et ex intencione, quasi omni die consuetum.

Capitulum octavum Miratur quis de tam gravi conclusione contra tot et tantas personas; et quomodo velim trahere ad hoc peccatum et periculum auditores, qui iudicant r–r

electi postulanti Ed. fehlt Ed. t–t fehlt Ed. u 8 Ed. s–s

67 68 69

1 Pfennig ca. 0,5–0,2 g Silber. D. 1 q. 1; X 5.3.1–46. C. 1 q. 7 c. 27.

A 1 Kap. 8 Zu harte Kritik an der Kurie?

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vollständig gezahlt worden, daß auch kein Pfennig 67 fehlt. Für eine bessere Verleihung einer Pfründenaussicht, etwa der Kardinäle oder Hausgenossen des Papstes, müssen 20, 30 oder 40 Dukaten gegeben werden; für eine bereits freigewordene Pfründe aber wird eine besondere Vereinbarung getroffen, und diese Supplik wird geschätzt nach dem Wert der jährlichen Einkünfte. Wenn aber um die Approbation eines vom Kapitel heimlich Nominierten gebeten wird oder die Ernennung oder Bestätigung irgend eines anderen zu irgendeiner Kirche oder Würde, dann wird keinesfalls zugunsten der Person entschieden, es sei denn, es würde erst einmal ein Abkommen über eine bestimmte Summe getroffen und in bestimmter Form Sicherheit über die Bezahlung nachgewiesen oder geleistet. Besagt und beweist nicht allein dies – auch wenn es kein anderes Übel an der Kurie gäbe (obgleich es eigentlich nicht allein entstehen kann) –, daß der Papst und alle, die solche Verträge abschließen, ferner alle Beamten der Kurie, die zur Erreichung so erstrebter Pfründen und Würden wissentlich die Hand rühren oder Dienste leisten, im Zustand der Verdammnis sind, seien sie nun Protonotare, Kubikulare, Auditoren, Advokaten, Abbreviatoren, Schreiber, Prokuratoren, Gerichtsnotare bei Streitsachen, Agenten oder Ähnliches, auch Kardinäle, soweit sie für Vorgenanntes tätig werden und es unterstützen? Simonie ist nun einmal eine Häresie, eine der Arten von Todsünden, nicht von läßlichen; sie gehört zu den ganz schweren Vergehen, die jeden, der sie begeht, außerhalb der Gnade und in den Stand der Verdammnis bringt.*68 Diese Sünde der Simonie kann ganz selten in den Anschein einer läßlichen Sünde übergehen, eigentlich niemals aus Unwissenheit (die nur zu entschuldigen wäre, wenn sie unüberwindlich wäre), durch plötzliche Erschleichung, durch Leichtsinn oder durch die Geringfügigkeit des angerichteten Schadens, so wie es auch geschehen mag bei den Todsünden des Hochmuts, des Zornes oder dergleichen, zumal die ganze Welt schreit und auch die Heilige Schrift: Simonie gehört zu den schlimmsten Sünden; im Vergleich zu ihr werden alle übrigen Verbrechen gewissermaßen für nichts erachtet;*69 ebendort heißt es auch: Simonisten sind die ersten und hauptsächlichen Häretiker. Diese Simonie aber derart zu begehen, zu fördern oder ihr zu dienen, wie es an der Kurie geschieht, ist kein gelegentlicher, plötzlicher oder kleiner Schaden; dies geschieht auch nicht aus Leichtsinn, sondern es ist bewußt und mit Absicht herbeigeführt, gewissermaßen eine alltägliche Gewohnheit. A 1 Kap. 8 Zu harte Kritik an der Kurie?

Kapitel 8 Wundert sich jemand über solch schwerwiegende Schlußfolgerung gegen so viele und so angesehene Persönlichkeiten? Warum wohl möchte ich Auditoren solch gefahrvoller Sünde zeihen, die nach dem geltenden und allge-

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I Mattheus: De squaloribus curie

secundum allegata et probata; advocatos, qui patrocinantur; procuratores, qui ministerium suum faciunt allegando iura ad propositum pertinencia et petendo iusticiam; abbreviatores et scriptores, qui scribunt iuxta formam supplicacionis et signature. In quibus omnibus nec punctus est, qui symoniam pretendat. Et hii omnes non videntur aliud facere, nisi officia sibi commissa implere, que non sunt in se mala, sed sunt ad bonum finem, prout ab extra apparere potest, ordinata; et si quid intrinsecus latentis mali esset, hoc iudicari non potest, nec debet presumi contra tot et tales, nisi error appareat manifestus. Huic admiracioni simili stupore respondeo, quod dicta conclusio videtur tam gravis et mira, quod ego ipse propter solam eius gravitatem sepe territus sum nedum verbis exprimere, sed eciam intus corde asserere eam, que michi videtur veritatem. Quid enim gravius, quam quod deus, qui in omni congregacione et statu suorum aliquos habere consuevit, utpote qui in omni sagena congregat pisces malos et bonos,70 de omnibus officialibus tocius curie Romane nullum habeat gratum filium, sed ipsi omnes non a casu vel infirmitate vel ignorancia, sed ipso officii sui usu sint filii perdicionis 71 et diaboli, maxime cum multi eorum libenter et multum orent, stricte servent ieiunia, largas dent elemosinas, frequentent ecclesias, confiteantur sepius, missas legant et audiant veneranter et suscipiant sacramenta, iusticiam prosequantur et diligant v, misericordes sint et pii, continentes et casti, veraces et magne fidei, multisque aliis virtutum operibus excellenter intenti. Quid autem incredibilius, quam quod inter omnes eos nullus sit in gracia omniaque opera eorum, quamdiu in officio suo sic agere et manere proponunt, quoad eternum premium inania sint et perdita. Quis non terreatur de tali iudicio eorum, qui eorum facta recte considerans videt clare se a multis eorum in agendo bona longe distare. Et ut exaggeracionis sit finis: quis presumat se videre, quod omnes illi non vident? Quod utique, si esset aliquis, qui videret et videns expavesceret vel horreret. Hec ideo gravasse reputar, ne credar ex levi vel malivolo animo conclusionem premissam inferre, cuius contraria magis michi esset optabilis, teste deo. Persuasionem tamen eius, qua michi vera videtur, cum omni reverencia et salva pia correccione ac pio iudicio melius senciencium in medium sic propono.

v 70 71

dirigant Ed. Vgl. Matth 13, 47 f. Vgl. Joan 17, 12; 2 Thess 2, 3.

A 1 Kap. 8 Zu harte Kritik an der Kurie?

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mein anerkannten Recht urteilen, Advokaten, die Prozesse führen, Prokuratoren, die doch ihren Dienst versehen, indem sie Rechtsargumente beibringen, soweit es zu ihrer Sache beiträgt, und um Gerechtigkeit bitten, Abbreviatoren und Schreiber, die entsprechend der Formel für Suppliken und ihre Signatur schreiben? In all dem steckt nicht der Punkt, der Simonie offenkundig werden läßt. Anscheinend tun sie alle nichts anderes, als die ihnen übertragenen Amtspflichten wahrzunehmen; dieses ist in sich nicht schlecht, es geschieht vielmehr auf einen guten Zweck hin, wie von außen her offenkundig werden kann; und falls im Innern irgend etwas Böses verborgen steckt, so kann dies nicht beuteilt werden, auch darf es nicht gegen so viele und so angesehene Leute vermutet werden; es sei denn der Verstoß wäre ganz offensichtlich. Auf diese Verwunderung antworte ich mit ähnlichen Staunen: Besagter Schluß erscheint so gewichtig und verwunderlich, daß ich selbst schon oft allein wegen seiner Gewichtigkeit davor zurückgeschreckt bin, diese Wahrheit, so wie sie mir erscheint, bloß im Herzen zu bewegen, geschweige denn mit Worten auszudrücken. Gibt es nämlich Gewichtigeres als die Aussage, Gott, der es gewohnt ist, in jeder Kongregation und jedem Stand einige der Seinen zu haben – Er, der in jedem Netz gute und faule Fische sammelt 70 –, habe bei allen Bediensteten der ganzen Römischen Kurie keinen ihm wohlgefälligen Sohn; vielmehr seien sie alle, und zwar nicht wegen eines Unfalls oder wegen Krankheit oder Unfähigkeit, sondern aufgrund der Ausübung ihres Amtes, Söhne des Verderbens 71 und des Teufels, und dies obwohl viele von ihnen gern und viel beten, streng die Fastenzeiten beachten, reichlich Almosen geben, oft die Kirche besuchen, häufiger beichten, mit Andacht Messe lesen und hören, die Sakramente empfangen, der Gerechtigkeit Folge leisten und sie lieben, barmherzig und fromm sind, enthaltsam und keusch, wahrhaftig und stark im Glauben und auch sonst inständig bedacht auf viele andere Tugendwerke? Was aber ist weniger zu glauben, als daß unter all diesen keiner im Stand der Gnade ist, und all ihre Werke, solange sie in ihrem Amt so wirken und zu bleiben beabsichtigen, im Blick auf den ewigen Lohn eitel und verloren sind? Wie sollte einer nicht erschrecken ob eines solchen Urteils über sie? Wenn er ihre Taten recht betrachtet, sieht er klar, daß ihn viele von ihnen in guten Werken weit übertreffen! Um nun der Übertreibung ein Ende zu setzen: Wer nimmt für sich in Anspruch zu sehen, was alle jene nicht sehen können. Jedenfalls, wenn es einen gäbe, der sehen könnte, der müßte bei diesem Anblick erbleichen und ein Schauder müßte ihn befallen! Das hat auch mich belastet; man glaube nicht, ich brächte leichtfertig und böswillig die genannte Schlußfolgerung hervor; eine gegensätzliche wäre mit lieber, – da sei Gott Zeuge! Freilich muß ich eine Darlegung dessen, was mir wahr erscheint, in aller Ehrfurcht hiermit vorlegen, vorbehaltlich einer gütigen Zurechtweisung und eines frommen Urteils durch Leute, die es besser wissen.

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I Mattheus: De squaloribus curie

Capitulum nonum Certum est enim, quod supplicans sic pape ex intencione vult assequi ius ad beneficium vel dignitatem ecclesiasticam vel ius in ipso vel ipsaque vel quod est spirituale. Et papa signans vult sibi hoc conferre per se vel per alium; per se quidem, si per supplicacionem sibi ius confert vel per litteras; per alium, si hoc fit per executorem. Et quantum in utroque est, iste dat et ille acceptat, et hoc totum non fit nisi aliquo temporali, hinc dato et illinc accepto, vel pacto previo et sufficienter securato. Ergo quantum in eis est, ille vendit et iste emit spiritualia; ergo uterque est symoniacus. Et sic non est dubium, quin eciam mediator inter eos, qui pactum facit et quasi proxeneta est, utriusque eundem morbum contrahat. Confirmatur bene hec racio auctoritatibus canonum wI q. I w Si episcopus, et q. III Salvator, cum multis aliis sequentibus.72 Cum ergo quilibet officialis in curia sciat aut credat vel saltem sufficientem habeat racionem et causam sciendi et credendi, quod communiter supplicaciones sic transeunt et non aliter – hoc enim ita manifestum est et tantorum et tot testimonio cottidie probatur, quod, si quis vellet, discredere non posset – sequitur evidenter, quod supplicacionem sic transituram vel transeuntem scienter formare, scribere, porrigere, prosequi, signare et, postquam transivit, registrare, datam apponere, minutam vel litteras facere exequi, processum in vim huiusmodi litterarum dare vel facere, et demum in causa tali sollicitare, procurare, advocare, allegare vel probare, sentenciam ferre, quod tali beneficium debeatur, vel quodcumque subsidii servicii vel promocionis ad hoc prestare, ut iste symoniacus beneficium consequatur: est sibi participare in crimine symonie. Cum autem consensum prebens alicui malo similem penam cum faciente mereatur, sicut dicit Apostolus et iura consonant, XXIIII q. III Qui aliorum; LXXXVI di. Facientis; De officio delegati c. I.73 Et isti non solum consenciant, sed in effectu faciant talia. Sine quibus ceteris paribus non obtinerent, vel factum suum non tantam vim, colorem, defensionem vel excusacionem haberet, sequitur, quod in crimine participent. Et est simile, quod legitur in capitulo Noverit, De sentencia excommunicacionis.74 Quod nedum facientes contra libertatem ecclesiasticam, verum eciam qui secundum ea iudicant scriptores eorundem, consiliarii et ceteri cooperatores sunt excommunicati et puniuntur similiter, De hereticis: Excommunicamus, c. Credentes; et c.Quicumque eodem titulo lb. VI; et c. Si quis suadente, De penis w–w 72 73 74 75

* * * *

19 Ed. C. 1 q. 1 c. 8; C. 1 q. 3 u. v. m. (z. B. c. 8, 10–12, 14 u. 15). Rom 1, 32; C. 24 q. 3 c. 32; D. 86 c. 3; X 1.29.1. X 5.39.49. X 5.7.13 § 5; VI 5.11.11; Clem. 5.8.1.

A 1 Kap. 9 Mittäterschaft bei Simonie

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Kapitel 9 Dies ist gewiß: Ein Bittsteller will beim Papst mit Fleiß ein Recht auf eine Pfründe oder eine kirchliche Würde erlangen, anders: ein Anrecht darauf, anders: etwas, was geistlich ist. Und der Papst, der [die Supplik] signiert, will ihm dies verleihen, selbst oder durch einen anderen; und zwar ‘selbst’, wenn er ihm das Recht durch die [signierte] Supplik oder durch einen Brief verleiht; ‘durch einen anderen’, wenn es durch einen Durchführungsbeauftragten geschieht. Was nun beide betrifft: Der eine gibt, der andere empfängt, und das Ganze geschieht nur mittels etwas Weltlich-Zeitlichem, das vom einen gegeben, vom anderen angenommen wird, oder mittels eines vorausgegangenen Vertrages und genügender Sicherheit. Was sie also betrifft: Der eine verkauft, der andere kauft Geistliches; also sind beide Simonisten. Daher ist es unbezweifelbar, daß auch ein Vermittler zwischen beiden, der den Vertrag macht und sozusagen der Makler ist, sich die gleiche Krankheit wie diese beiden zuzieht. Dieses Argument wird durch die Autorität der Kanones bestätigt.*72 Jeder beliebige Beamte an der Kurie dürfte wissen oder glauben oder genügend Grund und Ursache zu Wissen oder Glauben haben, daß Suppliken allgemein derart Erfolg haben und nicht anders; dies ist genau bekannt und wird durch das Zeugnis von so vielen täglich bestätigt, daß auch, wer wollte, es nicht bezweifeln könnte; eindeutig folgt daraus: Eine Supplik, die so durchlaufen soll oder durchläuft, kunstvoll zu formulieren, zu schreiben, vorzulegen, weiterzuleiten, zu signieren und nach dem Durchlauf zu registrieren, das Datum beizusetzen, einen Entwurf oder eine Ausfertigung herstellen zu lassen, einen Prozeß kraft derartiger Briefe voranzutreiben, dann in dieser Sache nachzuhaken, rechtliche Vertretung zu gewähren, Fürsprache zu geben, Argumente zu liefern oder Beweise zu finden, ein Urteil zu sprechen, daß diese oder jene Pfründe dem und dem gebühre, oder irgendwie durch Hilfestellung, Dienstleistung oder Förderung dazu beizutragen, daß ein solcher Simonist die Pfründe erhält – all dies bedeutet Mittäterschaft am Verbrechen der Simonie. Wer aber Zustimmung zum Bösen leistet, verdient dieselbe Strafe wie der Täter, wie der Apostel und die Rechtsbestimmungen gleichlautend aussagen.*73 Hier aber stimmen sie nicht nur zu, sondern sie setzen es ins Werk. Bei gleichen Umständen würden die Begünstigten es ohne sie nicht erlangen, oder ihre Arbeit hätte nicht solche Kraft, Farbe, Protektion oder Entschuldigungsgründe; daraus folgt, daß sie wirklich Mittäter am Verbrechen sind. Ganz ähnlich liest man im betreffenden Kapitel.*74 Nicht allein diejenigen, die durch Gesetzgebung gegen die kirchliche Freiheit handeln, sondern auch die, die entsprechend diesen Gesetzen Urteile fällen, die Ratgeber und übrigen Mitarbeiter sind exkommuniziert und werden in gleicher Weise bestraft.*75 Wenn nämlich etwas verboten ist oder mißbilligt A 1 Kap. 9 Mittäterschaft bei Simonie

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I Mattheus: De squaloribus curie

in Clement.75 Prohibito enim vel improbato aliquo, prohibentur vel improbantur omnia, per que ad illud pervenitur, Regula iuris: Cum quid prohibetur lb. VI.76 Et o utinam adverteretur, in quanto crimine participent! Supplicans asserit se petere, quod graciam papa sibi faciat, et ipse scribit se facere graciam. Cum tamen ille vendat, et iste emat. Et qualiter hoc sit verum, audiatur Apostolus: Si – inquit – gracia est ex meritis, iam gracia non est gracia.77 Quanto magis non erit gracia, si est ex pecuniis; nisi forte in hoc fiat gracia, quod bonum forum habet, quando pro uno bono beneficio xde centum x florenis 78 annui redditus dantur LX vel LXX floreni. Videant iam scriptores, abbreviatores et omnes, qui ad litteras ministrant, an non promoveant et dilatent istam falsitatem. Demum videant procuratores, qui allegant, advocati, qui persuadent, auditores, qui sentenciant beneficium spectare ad istum, quem sciunt, quia symoniace intravit, nullum ius habere nec titulum, et qualiter confirmant eum in malicia, dum sibi ipsum beneficium per tres sentencias vel unam adiudicant, quomodo faciunt eum furem et latronem, qui omnia de beneficio proveniencia iniuste rapit et recipit, ac ad restitucionem obligatur, quomodo eciam decipiuntur omnes, qui eum pro tali recipiunt eique redditus ministrant, reverenciam ut tali exhibent. Facit bene ad hoc capitulum Dudum II y, De eleccione.79 Ibi anime dampnabiliter sunt decepte, necnon privant dei populum carere omni gracia, quam consequerentur virtute clavium, si eos verus pastor absolveret, que eis per symoniaci ministerium non venit, quia auctoritatem absolvendi non habet, I q. I Fertur, et aliis capitulis sequentibus;80 necnon omni devocione et gracia, quam deus ceteris paribus maiorem daret, mediante bono et devoto ministro quam malo. Quomodo enim vulneratus pastor curandis ovibus adhibebit medicinam aut qualem fructum de se producturus est, cuius gravi peste radix infecta est, ut in preallegato capitulo Fertur.81 Insuper, quam z pauci advertunt, qualiter a ipsi innuant et promovent ad

x–x y z a

decentum Ed. in Ed. quod Ed. fehlt Hs. E, M u. Ed.

A 1 Kap. 9 Mittäterschaft bei Simonie

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wird, dann ist auch alles verboten oder wird mißbilligt, wodurch man dazu gelangt.*76 Ach, nähme man doch zur Kenntnis, an welchem Verbrechen sie sich beteiligen! Der Bittsteller sagt, er bitte darum, daß ihm der Papst eine Gnade zukommen lasse, und dieser schreibt, er lasse ihm eine Gnade zukommen. Da dieser jedoch verkauft, ist der andere somit Käufer. Und wie wahr das ist, dazu höre man nur den Apostel, der da sagt: ,,Wenn es Gnade aufgrund von Werken gäbe, wäre Gnade nicht mehr Gnade.“*77 Um wieviel weniger ist sie Gnade, wenn es sie aufgrund von Geld gibt; es sei denn die Gnade liege darin, daß man ein gutes Geschäft macht, wenn für eine einzige gute Pfründe von hundert Gulden jährlicher Einkünfte nur 60 oder 70 Gulden 78 gegeben werden. Die Schreiber, Abbreviatoren und alle, die bei der Anfertigung von Briefen ihren Dienst tun, mögen also zusehen, ob sie nicht diese Verkehrung fördern und verbreiten. Zusehen sollen schließlich Bevollmächtigte, die Rechtsargumente sammeln, Advokaten, die zuraten, Auditoren, die das Urteil fällen, eine Pfründe gehöre demjenigen, der, wie sie wissen, keinerlei Recht oder Anspruch darauf hat, da er sie ja als Simonist erlangt hat; sie aber bestärken ihn gewissermaßen in seiner Bosheit ’ wenn sie ihm die Pfründe durch drei Urteile oder auch durch eines zuerkennen; so machen sie ihn zum Dieb und Räuber, der alle Einkünfte aus der Pfründe ohne Recht raubt und an sich zieht und der zur Rückerstattung verpflichtet ist; so werden auch alle getäuscht, die ihn als rechtmäßigen Inhaber der Pfründe annehmen, ihm Einkünfte abliefern und ihm als solchem Ehrerbietung erweisen. Darüber handelt gut der Kanon über Wahlen.*79 Dort sind die Seelen schädlich getäuscht worden, und man beraubt auch das Volk Gottes, daß es nun alle Gnade entbehren muß, die es sonst erlangen würde aus der Schlüsselgewalt, wenn sie ein wahrer Hirte [von ihren Sünden] losspräche; diese wird ihnen durch den Dienst eines Simonisten nicht zuteil, der die Lösegewalt nicht hat;*80 ferner [fehlt] jede Frömmigkeit und Gnade, die Gott bei gleichen Umständen durch Vermittlung eines guten und frommen Dieners in reicherem Maße geben würde als durch Vermittlung eines schlechten. Wie soll ein verwundeter Hirte den Schafen, die er zu versorgen hat, Medizin geben, oder wie soll [der Baum] Frucht hervorbringen, dessen Wurzel von einer schweren Krankheit verseucht ist, wie es im zuvorgenannten Kapitel heißt.*81 Freilich, wie wenige achten darauf, in welcher Weise diejenigen einladen 76 77 78 79 80 81

* VI 5.12 reg. 39. Rom 11,6. Florentiner Goldmünze, ca. 3,6 g. * X 1.6.54 § 2. * C. 1 q. 1 c. 28 sq. * Siehe Anm. 80.

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omnem irreverenciam, que deo fit per tales indigne celebrantes, predicantes, sacramenta ministrantes et alia ministeria ecclesie exercentes, quarum plura privilegiata sunt; quod dampnabile est, si scienter fiant b in peccato mortali et secundum doctores novum peccatum mortale committitur. Nec obstat, si officium non sit in se malum vel primaria institucione ad bonum finem ordinatum, quia quolibet bono officio potest quis uti vel pocius abuti ad malum. Verbi gracia, si iudex furi vel heretico ad hoc, ut malicia sua tegeretur et ipse melius furari aut alios pervertere posset, daret vel dari mandaret litteram testimonialem, quod ipse esset bonus et fidelis, quisquis ad illam litteram scienter pergamenum dando, scribendo, sigillando vel alio quocumque modo iuvaret, quis dubitat, quin secundum suum iuvamen, officium et diligenciam reus esset omnium malorum, que ille faceret animatus illa littera et suffultus; immo et reatum incurreret, eciamsi ille numquam uteretur littera, vel nichil mali faceret, quia non minus iste dederat operam suam malo, ita quod ex parte sua non deficit, quominus secutus est malum. Ad istorum veritatem eciam faciunt multa iura: c. Sicut dignum, De homicidio; cDe penitencia di.I Quamvis plenitudo et c. Si quis eodem titulo c cum pluribus aliis.82 Nec solum hec, sed et multa alia mala sequuntur. Unum est, quod vix aliquis vere virtuosus et timens deum beneficium ecclesiasticum assequitur, nolens committere symoniam, sed solum postponentes conscienciam vel simplices, non intelligentes et negligentes agnoscere, quam malum sit, quod agunt. Aliud est, quod studia generalia pereunt et particularia, quia enim non promoventur valentes et scientifici viri, postquam sua bona et vires consumpserunt in studio, mundusque ac amici eorum ob paupertatem et ipsos et sciencias vilipendunt, dampnum, derisionem et verecundiam paciuntur; quod videntes alii retrahuntur a studio, quia non remunerantur virtutes sed vicia, nec sciencia sed vilis pecunia tanta sollicitudine venerantur, quod non conferuntur stipendia ecclesiastica iuxta merita personarum, sicut iustum est et esse deberet, prout iura quamplurima ad hoc sonant, LXI di. Miramur; LXXIIII di. Consuluit; I q. II c. ultimum; XII q. II Volateraned cum capitulo sequenti; Extra, De maioritate et obediencia: Statuimus.83 Hec et alia salubria iura patrum magna maturitate digesta penitus non curantur. Et quia homines sunt inclinati ad providendum sibi vel suis, curritur nimis ad curiam exercenturque baratrie et discuntur. Et sic dum a scientibus multas bonas necessarias et utiles subtilitates non curant, alii addiscere, eis morientibus sciencie ille deficient et peribunt. Et gravissimum ac forte impossibile erit hoc dampb

stant Ed. De poenis Ed. Wollaterana Ed.

c–c d 82 83

* X 5.12. 6 § 4; C. 33 q. 3 di. 1 c. 89, c. 10 u. v. a. m. * D. 61 c. 5; D. 74 c. 9; C. 19 q. 2 c. 10; C. 12 q. 2 c. 25 sq.; X 1.33.15.

A 1 Kap. 9 Mittäterschaft bei Simonie

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und beitragen zu jeder Unehrerbietigkeit, die gegen Gott geschieht durch diese unwürdigen Zelebranten, Prediger, Sakramentenspender und all diejenigen, die andere Dienste in der Kirche, ja sogar Vorbehaltsdienste verrichten; dieses ist schändlich, wenn dies wissentlich in Todsünde geschieht; und gemäß den Kirchenlehrern ziehen sie somit neue Todsünde auf sich. Dem steht nicht die Frage entgegen, ob das Amt nicht in sich schlecht oder bei der ursprünglichen Einrichtung auf einen guten Zweck hin geordnet sei; denn man kann jedes gute Amt [richtig] gebrauchen oder auch zum Bösen mißbrauchen. Ein Beispiel: Wenn ein [geistlicher] Richter einem Dieb oder Häretiker, um dessen Bosheit zu vertuschen, damit jener dann besser stehlen oder andere verführen könne, ein schriftliches Zeugnis gibt oder geben läßt, der betreffende sei gut und glaubenstreu, dann macht sich jeder, der diesem Brief wissentlich seine Unterstützung leiht, indem er etwa das Pergament gibt, den Brief schreibt, ihn siegelt oder dergleichen, zweifellos gemäß dieser seiner Hilfe, seinem Amt und seiner Mühewaltung schuldig an allen Übeln, die jener begeht, durch jenen Brief ermutigt und unterstützt; ja, er würde auch in Schuld verfallen, wenn jener den Brief niemals gebrauchen würde und nichts Böses täte; denn er hatte sich nicht weniger für Böses bemüht, und es ging nicht auf seinen Anteil zurück, daß nichts Böses erfolgt ist. Die Wahrheit dieser Aussagen bekräftigen viele Rechtsbestimmungen.*82 Nicht allein diese, auch weitere Übel folgen. Einmal erlangt ein Tugendsamer und Gottesfürchtiger kaum mehr eine kirchliche Pfründe, wenn er nun einmal keine Simonie begehen will; nur Leute, die ihr Gewissen hintansetzen, oder Einfältige, die nicht erkennen können oder wollen, wie schlimm das ist, was sie treiben. Zum anderen verfallen die Generalstudien und die örtlichen Schulen, denn die Tüchtigen und die Wissenschaftler werden nicht gefördert; nachdem sie ihr Vermögen und ihre Kräfte beim Studium aufgezehrt haben, werden sie und die Wissenschaft von der Welt und von ihren Freunden verachtet, sie erleiden Schaden, Spott und Beschämung; andere, die dies sehen, geben das Studium auf, denn Tüchtigkeit zahlt sich nicht aus, wohl aber Laster; Wissenschaft wird nicht mit solch intensiver Aufmerksamkeit bedacht, wohl aber billiges Geld; denn es werden keine kirchlichen Einkünfte nach dem Verdienst der Personen vergeben, wie es gerecht wäre und sein müßte – wie es auch sehr viele Rechtsbestimmungen kundtun.*83 Diese und weitere heilsame Rechtsbestimmungen der Väter, die mit großem Bedacht verfaßt waren, werden überhaupt nicht beachtet. Und weil die Menschen geneigt sind, für sich und die Ihren zu sorgen, rennt man zuviel an die Kurie, man übt und lernt Advokatenkniffe. Die anderen kümmern sich daher nicht darum, von den Wissenschaftlern die vielen notwendigen und nützlichen Feinheiten zu lernen; wenn dann diese [Wissenschaftler] sterben, werden auch diese Wissenschaften verschwinden und zugrunde gehen. Es wird eine ganz ernste und wohl unmögliche Aufgabe sein, diesen Schaden auszu-

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I Mattheus: De squaloribus curie

num recuperare inveniendo de novo sciencias, que tot millenariis annorum per studiosissimos investigatores vix sunt invente vel usque ad hec tempora deducte. Et ex hoc subtrahitur fructus maximus, quem litterati deberent afferre in dei ecclesia in grande universitatis tocius ecclesie, que ad sui regimen viris litteratis permaxime noscitur indigere, dispendium et iacturam, ut eest textus e capitulo fCum ex eof, De eleccione lb. VI.84 Doctorum enim sciencia totus mundus illuminatur, De hereticis: Cum ex iniuncto; De reliquiisg.85 Numquid non est miserabile, quod misera avaricia curiensium totum hoc facit, indignos et symoniacos promovendo vel ad promocionem ipsorum, iuxta sui officii qualitatem et exigenciam, cooperando. Est et aliud, quod episcopatus, ecclesie et monasteria, abbacie et alia beneficia miserabiliter destruuntur. Quando enim ecclesia vel monasterium, quod vix simplum 86 habet et duplum debet solvere in anno, videlicet pape, et nichilominus novo proviso, qui in principio permultum indiget, de facili potest casus accidere, quod redditus pereant, guerra superveniat vel alia adversa, ut ecclesia indebitetur ita, quod postea numquam exibit, sed de die in diem amplius involvatur. Nec solum hoc modo destruuntur monasteria et ecclesie, sed eciam per hoc, quod dantur cardinalibus vel mulieribush in commendam,87 vel assignantur et committuntur prioratus. Experiencia docet, quod multa talia perierunt simpliciter. Et in pluribus eorum adhuc, ubi prius erant XXX vel XL monachi, vix unus vel duo misere sustentantur. Nonne per hoc subtrahuntur divine laudis officia et perfeccio hominum ac contemplacionis elevacio prepeditur? Non fuit primeva intencio dotatorum monasteriorum pro statu cardinalium, nec pro evacuacione monasteriorum inventi videntur cardinales, quibus per sedem apostolicam provideri solebat. Et mirum est, quod credimus omnia bona esse, que facimus, quia nolumus audire in contrarium resonantem; que tamen, si in disputacionem veniret, defendere non possemus.

e–e

legitur in Hs. E u. Ed. Cum, Ex eo Ed. reliquis Ed. militibus Hs. E

f–f g h

A 1 Kap. 9 Mittäterschaft bei Simonie

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gleichen, indem man von neuem die Wissenschaften erfindet, die kaum in so viel tausend Jahren durch die eifrigsten Forscher erfunden und bis in unsere Zeit weitergegeben wurden. Dadurch wird die wichtigste Frucht zunichte gemacht, die die Gebildeten in der Kirche Gottes bringen sollten, zum gewaltigen Nachteil und Schaden der gesamten Kirche, die für ihre Leitung bekanntlich gerade gebildete Männer dringend braucht – wie es in einem Kanon heißt.*84 Denn die ganze Welt wird durch die Wissenschaft der Gelehrten erleuchtet.*85 Ist es nicht erbärmlich, daß die erbärmliche Habgier der Kurialen dies alles zuwege bringt, da sie Unwürdige und Simonisten befördert oder zu deren Beförderung mithilft – kraft und dank ihres Amtes? Es gibt noch eine weitere Tatsache: Die Bistümer, Kirchen und Klöster, Abteien und anderen Pfründen werden erbärmlich zerstört. Wenn nämlich eine Kirche oder ein Kloster, das kaum den einfachen Satz 86 besitzt und den doppelten Satz in einem Jahr zahlen muß, z. B. dem Papst und dem neu Versorgten, der anfangs recht viel braucht, dann kann leicht der Fall eintreten, daß die Einkünfte [durch Verpfändung] verlorengehen, eine Fehde entsteht oder andere Widrigkeit; dabei kann sich die Kirche so verschulden, daß es keinen Ausweg mehr gibt, sondern sie sich von Tag zu Tag tiefer verstrickt. Nicht nur auf diese Weise werden Klöster und Kirchen zerstört, sondern auch dadurch, daß sie Kardinälen oder auch Frauen als Kommende 87 gegeben werden, oder sie werden als Priorate überschrieben und übergeben. Die Erfahrung lehrt, daß viele davon schlicht zugrundegegangen sind. In mehreren von ihnen, wo früher 30 oder 40 Mönche waren, können sich heute kaum einer oder zwei erbärmlich versorgen. Geschieht dadurch nicht den Institutionen, die dem Lobe Gottes dienen, Abbruch und wird nicht die Vervollkommnung der Menschen und ihre Erhebung zur Beschaulichkeit behindert? Die ursprüngliche Absicht der Gründer und Stifter der Klöster war nicht auf den Stand der Kardinäle gerichtet, auch sind wohl die Kardinäle, an die der Apostolische Stuhl diese Einrichtungen gewöhnlich vergibt, nicht zur Leerung der Klöster erfunden worden. Merkwürdig, daß wir glauben, alles, was wir tun, sei gut; denn wir wollen keinen hören, der das Gegenteil laut sagt; wenn es zu einem Streitgespräch käme, könnten wir das nämlich nicht verteidigen.

84

* VI 1.6.34. * X 5.7.12; vgl. VI 3.22 u. Scholarenprivileg FSGA, A., Bd. 32 Nr. 67. 86 Taxbetrag der Hälfte der Jahreseinkünfte eines Bischofs oder Abtes; war bei Vakanz einer von der Kurie veservierten Pfründe dorthin zu zahlen. 87 Übertragung einer Pfründe ohne Seelsorgsaufgaben; zuvor Übertragung eines Amtes ohne Pfründe. 85

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I Mattheus: De squaloribus curie

Capitulum decimum Forsitan dicet aliquis: Hoc non concernit auditorem vel iudicem, maxime ex hoc, quod in tota accione et prosecucione seu processu cause numquam movetur vel fit mencio de ingressu symoniaco; et ad ipsum non pertinet quicquam tractare, nisi de deductis in causam et pertinentibus ad eam de hiis, que iudicare secundum allegata et approbata tenetur, iut III i q. VII Iudicet; II q. I k Deus omnipotens; XI q. III Illa,88 et quando hoc fideliter facit, nichil peccat. Et eodem modo possunt excusari procuratores, advocati, notarii causarum et similes. Sed quod hoc eos non salvet, sic suadetur: Quilibet enim talis scienter et libere ltenet et l exercet officium estque iudex et minister in causa, in qua fert vel scit sentenciam esse ferendam pro eo, qui nullum ius habet, et qui per hoc iuvatur ad dampnacionem suam et multa iniusta facienda et ad dampnum multorum tam in temporalibus quam in spriritualibus, et ad impedimentum multiplicis boni, quod verisimiliter fieri vel sperari posset. Si iste sic non iuvaretur, sicut supra tactum est, tum ergo solo consensu peccaret, ut De penitencia di. I m Periculose, et c. Omnis iniquitas.89 Et hoc sit plus quam quod nudus consensus sequitur intentum. Fateor ergo eum non peccare iniuste secundum allegata iudicando, sed in eo, quod exercet officium, per quod malus et indignus ac nullum ius habens promovetur; et ex quo scit multa mala iuvari et bona impediri, et ubi scit, quod industria vel ex mala consuetudine, de illo tacetur in causa vel oportet taceri ex timore non admissionis vel defectu probacionis, illud quod ad causam pertinentissime spectaret et per quod tantum malum ecclesie impediretur et bonum promoveretur. Si dicitur, multi sine pacto vel dacione pecunie obtinent gracias, quis autem sic vel aliter obtineat officiales in curia, non possunt divinare, respondeo, quod, quando sciretur quis pure intrasse vel quando nulla esset presumpcio, quod gracie obtinerentur mediante pacto vel pecunia, non esset periculum nec opus esset de talibus habere conscienciam. Sed quando videtur ad oculum contrarium et omnium vox contestatur, sufficiens causa habetur presumendi de hoc et non intromittendi se de promocione, iuvamine vel servicio ad talia, nisi certitudo habeatur, quod ille pure assecutus est graciam, cui ad eius assecucionem, promocionem vel subsidium facere voluerit, immo in tali dubio debet presumi, quod gracia sit facta symoniace propter consuetudinem sic i–i

fehlt Ed. 2 Ed. l–l tenet, ut Ed. m fehlt Ed. k

88 89

C. 3 q. 7 c. 4; C. 2 q. 1 c. 20; C. 11 q. 3 c. 67. C. 33 q. 3 di. 1 c. 23 u. c. 25.

A 1 Kap. 10 Verleihungspraxis ist Simonie

Kapitel 10

105 A 1 Kap. 10 Verleihungspraxis ist Simonie

Vielleicht sagt einer: ,,Das betrifft einen Auditor oder Richter nicht, besonders aus folgendem Grund: Bei dem ganzen Vorgang, bei der Durchführung oder Verhandlung der Angelegenheit wird niemals von einem Einstieg durch Simonie gesprochen; es gehört auch nicht zu seinen Aufgaben, etwas anderes zu behandeln, als was von der Sache abgeleitet ist oder dazu gehört; also nur darüber, was er gehalten ist, gemäß den angeführten Rechtsgründen und geltendem Recht zu entscheiden;*88 und wenn er dies getreulich tut, sündigt er keineswegs. Auf dieselbe Weise können auch die Bevollmächtigten, Rechtsbeistände und Gerichtsschreiber und andere entschuldigt werden.“ Doch daß dies sie nicht entlastet, ergibt sich aus folgendem: Jeder von ihnen besitzt und übt wissentlich und frei ein Amt aus, er ist Richter und Amtsdiener in einem Rechtsstreit, in dem er das Urteil spricht, oder er weiß, daß er eine Entscheidung treffen muß für einen, der keinerlei Recht dazu hat, dem dadurch vielmehr zu seiner Verdammnis verholfen wird, und außerdem muß er viele Ungerechtigkeiten begehen zum Schaden für viele Menschen in weltlichen und geistlichen Sachen, zur Verhinderung von vielfältig Wertvollem, von dem man hofft, es würde oder könnte geschehen. Wenn dieser nicht so unterstützt würde, wie oben berührt, würde er also bloß durch Zustimmung sündigen.*89 Dies bedeutet mehr, als daß bloße Zustimmung der Absicht folgt. Ich gestehe offen: Er sündigt nicht, indem er entsprechend den vorgebrachten Rechtsgründen etwa ungerecht urteilt, sondern dadurch, daß er ein Amt wahrnimmt, durch das ein Bösewicht oder Unwürdiger, der kein Anrecht besitzt, befördert wird; weil er weiß, daß er viel Böses unterstützt und Gutes verhindert, und sobald er weiß, daß er aus Fleiß oder aus schlechter Gewohnheit darüber bei der Verhandlung schweigt oder darüber schweigen muß aus Furcht vor Nichtzulassung, oder weil sein Beweisgang dadurch zunichte gemacht wird, – und dies gehört ganz eng zum Verfahren und dadurch würde so großes Unheil für die Kirche verhindert und Wertvolles gefördert. Es heißt: ,,Viele erlangen ohne Vertrag oder Hingeben von Geld Gnadenerweise; wer sie aber so oder anders erlangt, können die Beamten in der Kurie nicht erraten“; darauf antworte ich: Falls man wüßte, wer in Reinheit sein Amt erhalten hat, oder falls keinerlei Verdacht möglich wäre, daß Gnaden erlangt würden mittels Vertrag oder Geld, dann gäbe es keine Gefahr und es wäre nicht nötig, sich über diese Dinge ein Gewissen zu machen. Doch falls das Gegenteil augenscheinlich wird und jedermann es im Munde führt, dann hat man einen hinreichenden Grund hier zu argwöhnen und sich bei Beförderung, Unterstützung oder Dienstleistung nicht zu verwenden, wenn man keine Gewißheit hat, daß jener den Gnadenerweis in Reinheit erlangt hat, dem man zu seiner Erlangung, Beförderung oder Unterstützung Hilfe leisten wollte; vielmehr muß in diesem Zweifelsfall ange-

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I Mattheus: De squaloribus curie

faciendi. Probatur De presumpcione: c. Scribam; et in regula Semel, nDe regulis iuris lb. VI n.90 Obicit michi forsan aliquis adhuc, sicut tactum est, quomodo putem me hoc videre et conscienciam unde esse habendam, quod tante sciencie et experiencie oculatissimorum virorum nullus videt aut sic iudicat. Respondeo, quod contingit aliquando hominem debilis visus, ex hoc, quod attencionem habet ad aliquam rem, clarius videre quam alios multo clarioris visus, qui non sunt attenti ad illud. Huius autem non attencionis multiplex potest esse causa, videlicet multitudo occupacionum, in aliis inclinacio affectuum, multitudo et magnitudo eorum, qui quandoque idem opinantur et faciunt; ut verbi gracia: quod aliquis cogitat non esse revocandum in dubium, quando papa, cardinales et tam magni in curia in omnibus scienciis o eruditi, scientes sic agi, non contradicunt et cum hoc sic faciunt.

Capitulum undecimum Adhuc forsan aliquis profundius volens impugnare predicta dicet, quod papa non committat symoniam. Et quia nondum audivi nec credo quemquam esse tam modice racionis, ut dicat papam quoad hoc scelus impeccabilem esse magis quam quoad alia peccata maiora ut heresim, vel minora ut fornicacionem. Cur enim apostolicus non posset vendere sacramentum corporis Christi, cum unus apostolus vendiderit Christum. Ideo dimittendo hoc tamquam probacione non indigens, venio ad tres modos, quos audivi ad tanti mali excusacionem adduci. Primus est, quod quidam dicunt papam recipere ea, que recipit pro supplicacionibus, non pro beneficiis sed pro labore suo. Alii dicunt, quod quedam sunt symoniaca solum ex hoc, quia prohibita ab ecclesia et non ex natura sui, ita quod, si non essent prohibita, non essent symoniaca; et in talibus papa habet potestatem non solum dispensandi sed eciam tollendi. Nonnulli vero dicunt, quod papa sit dominus omnium et maxime clericorum et beneficiorum; et ideo illud, quod recipit a clericis vel de beneficiis, de suo recipit. Cum enim possit cuiuscumque beneficii redditus reservare pro se simpliciter, quid inconveniens, si recipit fructus unius anni vel duorum. Et si quis noluerit, beneficium cum illo onere dimittat.

n–n o 90

fehlt Ed. scientis Ed. * Beweise: X 2.23.9; VI 5.12 reg. 8.

A 1 Kap. 11 Scheingründe zur Entlastung

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nommen werden, daß die Gnade simonistisch erreicht wurde angesichts der Gewohnheit, so zu verfahren.*90 Nun wirft mir vielleicht jemand noch vor, (und das habe ich schon angedeutet), wie ich glauben könne, so etwas zu sehen und mir ein Gewissen machen zu müssen, wo doch keiner der umsichtigsten Männer von Wissen und Erfahrung derartiges sieht oder so urteilt. Ich antworte: Mitunter hat ein Mensch ein vermindertes Sehvermögen, aber wenn er seine Aufmerksamkeit auf eine Sache richtet, sieht er klarer als andere mit weit klarerem Sehvermögen, die nicht darauf achten. Für solche Unaufmerksamkeit kann es vielfältige Gründe geben, etwa eine Überlastung mit Geschäften, bei anderen eine heftige Neigung zu Parteilichkeit, manchmal auch die große Menge und die Bedeutung derer, die dasselbe meinen und tun; zum Beispiel: Jemand denkt, es sei nicht in Zweifel zu ziehen, wenn der Papst, die Kardinäle und soviele bedeutende Leute in der Kurie, die in allen Wissenschaften gebildet sind, in dem Wissen, daß so gehandelt wird, nicht widersprechen und in dieser Angelegenheit so handeln. A 1 Kap. 11 Scheingründe zur Entlastung

Kapitel 11 Vielleicht kommt nun einer, der gegen das Vorgenannte tiefgründiger angehen will, und sagt, der Papst begehe keine Simonie. Ich habe nun noch nie gehört, und ich glaube auch nicht, jemand könne von so bescheidener Vernunft sein, daß er sagt, der Papst sei hinsichtlich dieses Verbrechens unfähig zur Sünde – mehr als hinsichtlich anderer größerer Sünden, wie Häresie, oder kleinerer, wie Unzucht. Warum sollte denn der Papst nicht das Sakrament des Leibes Christi verkaufen können, wo doch ein Apostel Christus selbst verkauft hat? Ich lasse dies dahingestellt, weil es einer Beweisführung nicht bedarf, und komme zu drei Argumentationsweisen, die man, wie ich gehört habe, zur Entschuldigung solchen Übels heranzieht: 1. Einige sagen: Der Papst nimmt das, was er für Suppliken einnimmt, nicht für Pfründen, sondern für seine Mühewaltung. 2. Andere sagen: Einiges ist allein deswegen simonistisch, weil es von der Kirche verboten ist, nicht aus der Natur der Sache; folglich wäre es nicht simonistisch, wenn es nicht verboten wäre; der Papst aber hat in diesen Dingen die Gewalt, nicht nur [vom Verbot] zu befreien, sondern es auch aufzuheben. 3. Einige sagen aber: Der Papst ist der Herr über alle, besonders über Kleriker und Pfründen; was er demnach von Klerikern oder aus Pfründen einnimmt, nimmt er von dem Seinigen ein. Da er sich die Einkünfte einer jeden Pfründe ohne weiteres vorbehalten könnte, wie sollte es denn da unpassend sein, wenn er die Erträge von ein oder zwei Jahren entgegennimmt? Wenn einer eine Pfründe mit solcher Belastung nicht will, möge er verzichten.

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I Mattheus: De squaloribus curie

Contra illa omnia simul primo unum dubium moveo: An isti, qui tam subtiles excusaciones excogitant, credant sanctos patres et doctores,91 qui diligentissime scrutati sunt veritates et conati, ut informarent de malis vitandis, intellexerunt ista predicta an non? Si non, tunc improvide intromiserunt se de libris scribendis et doctrinis, ignorando talia, que, si sunt vera, ad discussionem dubiorum valde valent. Si sic, tunc negligenter egerunt, non sufficienter informantes nec plene distinguentes et quodammodo laqueum inicientes et scrupulos, quorum utrumque inconveniens. Et absurdum est dicere de tot et tantis doctoribus, quorum dicta tam solempniter in ecclesia recipiuntur et predicantur. Si dicitur, quod sancti doctores tendebant ad puritatem et volebant homines in securo ponere et in tuto, tunc videtur posse inferri vel timeri, quod isti ad impuritatem vel saltem minorem puritatem tendant et ponant homines in intuto vel minus securo. Cum ergo non sit iocandum de eterna gloria vel pena, videtur, quod magis sequendi sunt illi quam isti, qui tam dampnabiles excusaciones in peccatis pretendunt.

Capitulum duodecimum Attemptandum igitur, si possit elucidari veritas, ut per hoc, nedum eciam reveletur falsitas, sed eciam intelligatur, quo velamine conetur p se tegere vel tegatur. Videndum est primo, que sint illa spiritualia, quorum studiosa vendendi voluntas sit symonia.92 Sciendum igitur, quod spiritualia dicuntur, que ad spiritum pertinent et a spiritu procedunt. Spiritus autem, licet capiatur multis modis, ut pro spiritu brutorum vel pro subtilissimis corporibus, in homine tamen propriissime capitur pro substancia, que non est corporea, prout secundum philosophos substancia dividitur in spiritualem et corporalem. Et illo modo accidencia et actus talium substanciarum spiritualium, sive sint boni spiritus sive mali, ut sunt cogitaciones, intellecciones, voluntates, sciencie q dicuntur spiritualia, distinguendo spirituale contra corporale. Et de hiis non est sermo ad presens. Alio modo capitur spiritus specialiter pro Spiritu Sancto, non communiter sed appropriate, prout ipsi attribuitur sanctificacio. Et hoc modo illa dona sua dicuntur spiritualia, que immediate

p q

conatur Ed. scire Ed.

91 Etwa Thomas Aquin., Summa theologica II II q. 100 art. 1 ra. 7 (Opp. II S. 655 C): Papa potest incurrere vitium simoniae sicut et quilibet alius homo – Der Papst kann der Sünde der Simonie wie jeder andere Mensch verfallen. 92 Vgl. unten Anm. 106.

A 1 Kap. 12 Theol. Begriff ‘Geistliches’

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Gegen all dies stelle ich zunächst nur die zweifelnde Gegenfrage: Glauben denn die Leute, die sich so spitzfindige Entschuldigungen ausdenken, die heiligen Väter und Kirchenlehrer,91 die die Wahrheit so sorgfältig erforscht und es versucht haben, die Vermeidung des Bösen zu lehren, hätten das zuvor Gesagte verstanden, oder glauben sie es nicht? Wenn nicht, dann haben sie sich unbedacht eingelassen auf das Schreiben von Büchern und auf Lehräußerungen, wo sie doch das nicht kannten, was bei der Diskussion über Zweifelhaftes, wenn es wahr ist, sehr wichtig ist. Wenn ja, dann haben sie fahrlässig gehandelt, haben sich unvollständig unterrichtet und ungenau unterschieden. So haben sie [uns] einen Strick gedreht und Bedenken geltend gemacht – beides ist aber unangemessen. Und absurd ist es, dies von so vielen und bedeutenden Kirchenlehrern zu behaupten, deren Worte so feierlich in der Kirche aufgenommen und verkündet werden. Wenn es heißt, die heiligen Kirchenlehrer strebten nach Reinheit und wollten, daß die Menschen in Sicherheit und geschützt leben, dann, scheint es, muß man folgern und fürchten, daß sie diesmal die heutigen Menschen zur Unreinheit, zumindest zu geringerer Reinheit ins Ungewisse oder weniger Sichere ziehen und setzen. Denn man darf über ewige Herrlichkeit oder Strafe nicht scherzen; darum scheint es, daß man eher jenen folgen muß, als denen, die so verdammenswerte Entschuldigungen bei ihren Sünden vorschützen. A 1 Kap. 12 Theol. Begriff ‘Geistliches’

Kapitel 12 Man muß also versuchen, ob man die Wahrheit ans Licht holen kann; dann wird nicht bloß das Falsche enthüllt, sondern man sieht auch ein, mit welchem Schleier es sich zu decken versucht oder verdeckt wird. Man schaue zunächst auf folgendes: Was sind das für geistliche Dinge, die mit zielgerichtetem Willen zu verkaufen Simonie ist?92 Man muß wissen, ‘geistlich’ heißt etwas, was sich auf den Geist bezieht und aus dem Geist hervorgeht.,Geist’ aber, mag er auch vielfältig gefaßt werden, etwa für das Leben der wilden Tiere oder für eine überfeine körperliche Substanz, wird doch beim Menschen recht eigentlich gebraucht für eine Substanz, die nicht körperlich ist; nach den Philosophen wird nämlich Substanz eingeteilt in geistige und körperliche Substanz. Auf diese Weise heißen die Akzidenzien und Handlungen dieser geistigen Substanzen geistig – seien sie nun von einem guten Geist oder von einem bösen; so etwa die Gedanken, Einsichten, Willensstrebungen und Wissen, und dadurch unterscheidet man das Geistige vom Körperlichen. Davon ist jetzt hier nicht die Rede. Auf andere Weise wird der Begriff ‘Geist’ besonders gefaßt für den Heiligen Geist, nicht allgemein, sondern als Eigenname, wie ihm auch die Heiligung beigelegt wird. Derart heißen denn auch jene seine Gaben ‘geistlich’, die unmittelbar aus ihm hervorgehen; durch sie

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I Mattheus: De squaloribus curie

procedunt ab eo et per que hii, quibus dantur a deo, sic spiritualiter vivunt, ut adherentes ei sint unus spiritus cum eo, sicut dicit Apostolus prime r ad Corinthios VI s.93 Que eciam faciunt homines spirituales et spiritualiter vivere, non secundum mundum vel carnem, quamvis adhuc sint et vivant in carne, sicut ibidem Apostolus dicit ad Romanos VIII t: Si secundum carnem vixeritis, moriemini, si autem spiritu, facta carnis mortificaveritis, vivetis.94 Et soli tales dicuntur vere spirituales et filii dei, sicut dicit Apostolus ibidem: Qui spiritu dei aguntur, hii filii dei sunt, si autem filii et heredes, heredes quidem dei, coheredes autem Christi.95 Et hoc modo spirituale distinguitur contra carnale, mundanum, ac u eciam aliquo modo naturale, quia supernaturale est. Et quia illa principalissima dei dona, que propriissime sunt spiritualia, tantum perficiunt hominem, et tantum bonum ei conferunt, ideo nullum bonum, quod habetur vel haberi potest per homines, potest ei comparari. Propter quod, cum sint in estimabilia precio et unus homo in alterum transferre non possit, sed solus deus immediate dat ea, hinc est, quod vendi vel emi non possunt. vHoc probatur v I q. I w Presbiter et multis aliis capitulis illius questionis.96 Quamvis autem hec dona, sicut dictum est, a solo deo dentur x, quia tamen deus servos suos huiusmodi non solum per hec signa interiora sibi soli nota differre voluit ab aliis, sed eciam differenciam spiritualium a mundanis vel carnalibus per aliqua exteriora apparere, voluit eciam homines non ociosos esse et circa ista bona spiritualia agnoscenda, consequenda et retinenda non solum intus in anima, sed eciam corporaliter occupari. Ideo ad multiplicem utilitatem, cuius declaracio alibi quam hic magis pertinens est, disposuit, quod ut communiter homines deberent dicta bona spiritualia vere consequi et obtinere, conservare, firmare et augere per exteriora officia, ministeria, instrumenta et media, necnon per actus et exercicia circa ista, quamvis hec predicta possint dare et facere, et sepe dent y et faciant sine illis. Sicut autem participantes talia bona spiritualia, licet sint eis accidentalia possintque eis adesse et abesse, sicut alia accidencia preter corrupcionem subiecti, spirituales dicuntur et sunt propter inherenciam talium, et denominacionem habent ab eis, cum enim albedo reddat formaliter habentem eam album, cur non vere

r

primo Ed. fehlt Ed. t fehlt Ed. u et Ed. v–v fehlt Ed. w fehlt Ed. x dantur Ed. y dant Ed. s

A 1 Kap. 12 Theol. Begriff ‘Geistliches’

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leben daher diejenigen, denen sie von Gott gegeben werden, so geistlich, daß sie, wenn sie ihm anhangen, ein Geist mit ihm sind, wie der Apostel im 1. Korintherbrief sagt.*93 Dies läßt die Menschen geistlich werden und geistlich leben, nicht gemäß der Welt oder dem Fleisch, obwohl sie noch im Fleisch sind und leben, wie der Apostel den Römern sagt: ,,Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, werdet ihr leben.“*94 Nur solche heißen wirklich ‘geistlich’ und ‘Kinder Gottes’, wie der Apostel dort sagt: ,,Alle, die sich vom Geist Gottes führen lassen, sind Gottes Kinder; wenn aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und Miterben Christi.“ 95 Auf solche Weise wird das Geistliche vom Fleischlichen, dem Weltlichen, getrennt und ebenfalls vom Natürlichen, denn es ist übernatürlich. Jene hauptsächlichsten Gaben Gottes, die allereigentlichst geistlich sind, vollenden so den Menschen, geben ihm so viel Gutes, daß nichts, was durch Menschen für gut gehalten wird oder gehalten werden kann, damit vergleichbar ist. Diese Gaben sind unschätzbar wertvoll, ein Mensch kann sie nicht auf einen anderen übertragen, sondern Gott allein gibt sie unmittelbar, daher können sie auch nicht verkauft oder gekauft werden.*96 Gewiß werden diese Gaben, wie gesagt, von Gott allein gegeben, doch Gott wollte seine Knechte nicht nur durch diese inneren Zeichen, die nur ihm allein bekannt sind, von anderen unterscheiden, sondern wollte, daß der Unterschied des Geistigen vom Weltlichen oder Fleischlichen durch etwas Äußerliches erscheine; er wollte auch, daß die Menschen nicht untätig seien und sich mit der Erkenntnis dieser geistlichen Güter, ihrer Erwerbung und Beibehaltung nicht nur innerlich in der Seele, sondern auch leiblich befassen; deshalb hat er zu vielfältigem Nutzen (deren Erläuterung anderswo angemessener als hier ist) verfügt, die Menschen sollten im allgemeinen die genannten geistigen Gaben wahrhaft erlangen und erwerben, bewahren, kräftigen und vermehren durch äußere Ämter, Dienste, Werkzeuge und Mittel, ferner durch Handlungen und entsprechende Übungen; gewiß können sie all das geben und tun ohne all dies, und oft geben und tun sie es so. Für die Teilhaber solcher geistlichen Güter mögen es Akzidenzien sein, sie können sie haben oder sie können ihnen fehlen, wie andere Akzidenzien – ausgenommen nur die Verderbnis des Subjekts –, dann aber heißen sie geistlich und sind es wegen des Innewohnens, und sie haben die Bezeichnung ‘geistlich’ von ihnen; denn das Weißsein macht den, der es hat, förmlich zu einem Weißen; warum nun sollte eine geistliche Gabe einen Menschen nicht wahr93 94 95 96

* * * *

1 Cor 6, 17. Rom 8, 13. Rom 8, 14 u. 17. C. 1 q. 1 c. 3 u. öfters dort.

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I Mattheus: De squaloribus curie

spirituale donum faceret hominem spiritualem? Sic eciam officia, ministeria, instrumenta, media, actus, exercicia, necnon ministri et adminicula eorum, ut loca et habitus ad tales actus et officia deputata et requisita, congrue dicuntur spirituales et spiritualia, eo quod ab illo primo datore spiritualium ad hec deputata, ab ipsis spiritualibus ortum habent, et non nisi ministris spiritualium conveniunt ad ea, que ordinata et eis connexa sunt. Et hoc non immerito, cum enim omnis res vel actus a fine, ad quem ducit vel tendit, nomen habeat, sicut inducens caliditatem dicitur calefactor et motus vel actus eius est calefaccio, omne eciam instrumentum, quod ad fabricacionem pertinet, et eciam opus fabri ut sic dicitur fabrile, quanto magis illud, quod a spiritu vel a spiritualitate ortum et principium habet et ad spiritualitatem finaliter ordinatum est et tendit, spirituale dicitur, et presertim si originacio et ordinacio ab illo procedit, cuius est principium, ordinem et finem ponere, sicut in proposito est. Ex hiis itaque potest haberi, quod sacramenta, per que tamquam media hominibus illa dona vere spiritualia conferuntur, ministri, qui habent talia ministrare, et officia eorum, potestas z, ius et licencia concedendi vel prohibendi, consecrandi, ministrandi et exequendi talia, ut sunt ordines sacri vel iurisdiccio actusque et execuciones eorum, ut predicare, confessiones audire, orare, ligare, solvere et similia, loca eciam et edificia, ut sunt ecclesie, capelle et altaria, vestes et instrumenta, ut ornatus et calices, bona quoque temporalia, que pro solis ministris ad hoc ministerium explendum sustentandis a vel pro rebus aut instrumentis ad ministerium operandis deputata sunt – omnia hec dicuntur et sunt spiritualia. Et hoc est, quod alias dicimus, quod sacrum tamquam dignius trahit ad se non sacrum, ut De consecracione ecclesie: c. Quod in dubiis; et XII q. II Nulli.97 Si namque bona, que pro episcopo precise vel rege, ut mensa, familia, et aliis ad statum unius eorum requisitis destinate, dicuntur bona episcopalia vel regalia, cur non dicerentur spiritualia, que per Spiritum Sanctum pro laude sua et augenda sibi grata familia et sustentanda, et officia hec explenda data celitus, ordinata et deputata noscuntur.

Capitulum tercium decimum Ex quibus ulterius inferri posse videtur, quod sicut illa vere spiritualia nullatenus possunt vendi, prout pretactum est,98 sic nec ista nec aliquod ipsorum ut tale potest vendi. Et in hoc deberet cuilibet sufficere racio ista, quia ut sic z a 97 98

potestates Ed. sustentandum Ed. * X 3.40.3; C. 12 q. 2 c. 3. Cap.12 gegen Ende.

A 1 Kap. 13 Abgrenzung ‘geistl.’–‘weltl.’

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haft zu einem Geistlichen machen? So heißen auch die Ämter, Dienste, Werkzeuge, Mittel, Handlungen und Übungen, sowie die Diener und ihre Gehilfen, auch die Orte und die Kleidung, die für diese Handlungen und Ämter bestimmt sind und ausgesucht werden, ganz richtig ‘geistlich’; deswegen hat das von jenem ersten Geber des Geistlichen dazu Bestimmte vom Geistlichen selbst seinen Ursprung; es paßt nur für Diener des Geistlichen und für das, was dafür eingerichtet und damit verbunden ist. Das gilt mit vollem Recht; jede Sache oder Handlung hat von ihrem Ziel her, zu dem sie hinführt oder hinzielt, ihren Namen; so heißt, wer Wärme bringt, Heizer, seine Bewegungen und Arbeiten sind Heizung; jedes Gerät, das zu einem ‘Werk’ beiträgt, auch die Tätigkeit des Handwerkers heißt so ‘handwerklich’; wieviel mehr heißt das, was vom Geist oder vom Geistlichsein her Ursprung und Anfang hat und zum Geistlichen hin seine Zweckbestimmung und Richtung hat, ‘geistlich’, besonders, wenn Ursprung und Bestimmung von dem ausgeht, dem es zukommt, Anfang, Ordnung und Ziel zu setzen, so ist es auch hier. Daraus kann man entnehmen: Sakramente, durch die als Mittel den Menschen wahrhaft geistliche Gaben vermittelt werden, ferner Diener, die diese Sakramente auszuteilen haben, und deren Ämter, die Kompetenz, Recht und Erlaubnis zu gewähren oder zu untersagen, zu weihen, zu dienen und derartiges auszuführen, so die heiligen Ordinierungen, Gerichtsbarkeit, sowie Handlungen und ihre Ausführung, wie Predigen, Beichthören, Gebet, Binden und Lösen und dergleichen, auch die Stätten und Gebäude, wie Kirchen, Kapellen und Altäre, Kleider und Geräte, wie Paramente und Kelche, auch die weltlichen Güter, die allein für die Diener zum Unterstützen bei der Erfüllung und Unterstützung ihres Dienstes vorgesehen sind oder für Dinge und Geräte, die zu ihrem Dienst bestimmt sind – dies alles heißt und ist ‘geistlich’. Ansonsten sagen wir auch, das Heilige zieht als Würdigeres das Nicht-Heilige an sich.*97 Wenn nun Güter für einen Bischof oder einen König, etwa Tafelgut, Haushaltung oder sonstiges, was für den Stand eines von ihnen nötig ist, ausdrücklich ‘Bischofsgut’ oder ‘Königsgut’ heißen, warum sollte nicht auch das Geistlich heißen, was durch den Heiligen Geist für sein Lob und für das ihm willkommene Gefolge und zu seinem Unterhalt angeordnet und bestimmt ist, sowie die Ämter, die vom Himmel dazu bestimmt sind, all das auszufüllen. A 1 Kap. 13 Abgrenzung ‘geistl.’–‘weltl.’

Kapitel 13 Folgendes mag weiterhin angeführt werden: ,,Gewiß kann man jenes wirklich Geistliche keineswegs verkaufen, wie oben 98 dargelegt, also kann auch nicht dieses oder etwas davon gekauft werden.“ Hier müßte jedem die Überlegung ausreichen, daß es ‘Geistliches’ ist. Aber wegen der Hartköpfigen sei

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I Mattheus: De squaloribus curie

est spirituale. Sed propter protervos arguitur eciam sic: Quodlibet illorum ut tale non est estimabile precio, ergo non potest vendi. Consequencia tenet, antecedens probatur, quia si ut sic esset aliquod tale estimabile precio, tunc non repugnaret specialiter, ut tale non sit estimabile precio, et sic non repugnaret gracie dei, quin posset estimari precio, quod est manifeste falsum et secundum Apostolum includit repugnanciam sic arguentem: Si enim gracia ex meritis, iam gracia non est gracia, I q. I Gracia,99 quanto magis si ex precio vel pecuniis. Preterea arguitur sic: Nullus homo est dominus talium, prout sunt talia videlicet spiritualia, sed solum minister, dicente Apostolo, Priore b ad Corinthios IIII b: Sic non existimet homo ut ministros Christi et dispensatores misteriorum dei.100 Et quia spiritualia ut spiritualia in nullius hominis dominio sunt, cInstituciones, De rerum divisione: c. Nulliusc,101 et dominus non commisit alicui ea vendere, immo prohibuit et mandavit gratis dare dicens, Mt X d: Gratis accepistis, gratis date,102 ergo non potest vendere. Preterea sic: Si ista possent vendi ut talia, sequeretur, quod vere spiritualis gracia dei posset vendi. Falsitas de se patet ut prius; probatur consequencia: Quia quando vendens vult vendere fusionem aque et verba baptismi cum intencione requisita ut talia, id est ut conferencia graciam, quero: vel intendit, ut ille baptizatus consequatur graciam vel non? Si non, tunc non dat sibi eam ut talem, et sic non vendit sibi eam ut talem, quod est contra suppositum, et sic est contrarius sibi ipsi. Si dicitur, quod sic, tunc arguitur: quantum in illo est, illi baptizato venit gracia, et quantum in ipso est, hoc fit mediante pacto vel precio, ergo quantum in ipso est, vendit sibi graciam, quod erat probandum. Et facit ad hanc racionem De symonia: Nemo et c. Ad nostram et c. Ad aures.103 Preterea arguitur sic: Quando ista venduntur ut talia, tunc venduntur ut annexa veris spiritualibus, alias enim non sunt talia, scilicet spiritualia, nisi quia annexa sunt eis et ordinata ad ipsa. Sed quando aliquid alteri annexum vel unitum datur aut venditur, tunc eciam datur aut venditur illud annexum, quia illud non potest dari ut annexum sine illo annexo. Nam si sine illo scienter datur separatum et non annexum, et per consequens non datur

b

fehlt Ed. fehlt Ed. fehlt Ed.

c–c d

A 1 Kap. 13 Abgrenzung ‘geistl.’–‘weltl.’

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auch so argumentiert: Jedes davon ist an sich im Wert nicht abschätzbar, also kann man es nicht verkaufen. Diese Schlußfolgerung ist korrekt; die Bedingung kann so bewiesen werden: Wenn etwas an sich im Wert abschätzbar ist, steht nichts besonders im Wege, daß es auch seinem Preis nach abschätzbar wäre; so würde es der Gnade Gottes nicht widerstreiten, wenn sie ihrem Wert nach abgeschätzt würde – was offensichtlich falsch ist und einen Widerspruch einschließt gemäß dem Apostel, der so lehrt: Wenn nämlich Gnade aufgrund von Werken, dann wäre Gnade nicht mehr Gnade;*99 um wieviel mehr, wenn aufgrund von Bezahlung und Geld. Außerdem wird so argumentiert: Kein Mensch ist Herr über diese Dinge, die geistlich sind, sondern nur Diener, wie der Apostel an die Korinther schreibt:* Als Diener Christi soll man uns ansehen und Verwalter der göttlichen Geheimnisse.100 Da Geistliches als Geistliches in der Gewalt keines Menschen ist,101 hat Gott es keinem zum Verkaufen überlassen, vielmehr hat er dies verboten und geboten, es umsonst zu geben, indem er sagt: Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben,*102 also kann man es nicht verkaufen. Ferner: Wenn man dies als solches verkaufen könnte, folgte, daß in Wahrheit die geistliche Gnade verkauft werden könnte. Der Irrtum wird in sich wie oben offenkundig; diese Folgerung wird folgendermaßen bewiesen: Wenn ein Verkäufer das Ausgießen des Wassers und die Worte der Taufe verkaufen wollte zusammen mit der dabei erforderlichen Intention als solche, d. h. als Übertragung der Gnade, so frage ich: ,,Beabsichtigt er, daß der Täufling Gnade erlangt oder nicht?“ Wenn nicht, dann gibt er sie ihm nicht als solche, also verkauft er sie ihm nicht als solche; dies ist gegen unsere Annahme, und er stünde mit sich selbst im Widerspruch. Wenn ja, dann wird vorgebracht: Soweit es an ihm liegt, wird seinem Täufling Gnade zuteil, und soweit es an ihm liegt, geschieht dies mittels Vertrag oder Bezahlung, also soweit es an ihm liegt, verkauft er ihm Gnaden – was zu beweisen war. Dazu passen die Dekretalen über Simonie.*103 Außerdem wird noch so argumentiert: Wenn dies als solches verkauft wird, dann wird es als Beiwerk zu wahrhaft Geistlichem verkauft, denn sonst tritt es nicht als solches in Erscheinung, d. h. als Geistliches, sondern nur, wenn es mit diesem verknüpft und darauf bezogen ist. Wenn jedoch etwas, was mit einem anderen verknüpft oder vereinigt ist, gegeben oder verkauft wird, dann wird auch das Verknüpfte nicht ohne jenes mit ihm Verknüpfte gegeben werden. Wenn es also ohne dieses wissentlich als etwas Getrenntes und nicht Verknüpftes gegeben wird, wird 99

* C. 1 q. 1 c. 1 aus Rom 11, 6. * 1 Cor 4, 1. 101 Inst. 2.1.7. 102 * Matth 10, 8. 103 * X 5.3.14, 21, 24. 100

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I Mattheus: De squaloribus curie

ut annexum, hinc est, quod legitur I q. III Si quis obiecerit.104 Quisquis eorum vendit alterum, sine quo nec alterum provenit, neutrum invenditum dereliquit. Idem videtur innuere et regula iuris, quod accessorium naturam sequi congruit principalis, eDe regulis iuris: Accessorium lb. VI e.105 Sed hic diligenter considerandum, quod notanter dico, quod ista ut talia non possint vendi, quia enim ista accidentaliter et non essencialiter sunt spiritualia, contingit aliquando, quod ea, que fuerunt media consequendi graciam, ut circumcisio in veteri lege, iam non sint; et econverso, quia baptismus tunc non contulisset graciam, sicut iam confert, ita eciam per hominem potest fieri, quod locus vel redditus, qui sunt iam spiritualia bona, possunt esse vel fieri non spiritualia et econverso. De illis ergo satis planum est, quod possunt vendi et emi, quando desinunt esse talia. Sed ulterius caute advertendum, quod aliqua eciam tunc, quando sunt spiritualia, possunt quandoque vendi, non ut sunt spiritualia, sed ut sunt naturalia, et quasi nichil spiritualitatis haberent. Verbi gracia, si gentilis nichil sciens de sacramento altaris venderet alicui famelico hostias consecratas et ille emeret sicut alium panem, vel eciam si fideles id facerent probabiliter et verisimiliter informati credentes, quod non essent consecrate, nulla committeretur symonia, quia ibi non est voluntas vendendi spiritualia. Adhuc autem videtur, quod scienter potest quis emere rem sacratam vel sacramentalem sine intencione emendi eam ut talem. Verbi gracia, aliquis puer esset in puncto mortis, qui deberet baptizari, et non posset haberi alia aqua, nisi que consecrata est pro baptismo, et habens eam nullomodo vellet eam gratis dare sed vendere pro pecunia. In hoc casu bene posset emi aqua ut tale elementum non ut nec f quia consecrata. Sic si pro curacione alicuius vulnerati letaliter emeretur oleum consecratum, non ut nec g quia consecratum, sed ut res vulneris naturaliter curativa, etsi h peccatum esset illud oleum ad illud applicare, quod non definio, non tamen committeretur symonia. Potest aliquis dicere, quod nullus potest committere symoniam, quia non potest vendere spiritualia. Dicitur, quod voluntas vendendi sufficit, sicut patet ex descripcione, que datur communiter: Symonia est studiosa voluntas emendi vel vendendi aliquod spirituale vel spirituali annexum.106

e–e f g h

fehlt Ed. haec Ed. haec Ed. etsi Ed.

A 1 Kap. 13 Abgrenzung ‘geistl.’–‘weltl.’

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es folglich nicht als Verknüpftes gegeben; daraus folgt, was man nachlesen kann.*104 Wer das eine verkauft, ohne das das andere nicht existiert, läßt beides nicht unverkauft. Dem stimmt wohl auch die Regula iuris zu, daß nämlich das Wesen des Zubehörs angemessenerweise dem der Hauptsache folgt.105 Hier muß sorgfältig das Folgende beachtet werden, was ich mit Bedacht sage: Diese Dinge können als solche nicht verkauft werden, weil sie als Zusatz nur akzidentiell, nicht wesentlich geistlich sind; es kommt mitunter vor, daß das, was ein Mittel zur Erreichung der Gnade war, wie die Beschneidung im Alten Bund, es jetzt nicht mehr ist; umgekehrt hätte damals die Taufe nicht die Gnade gebracht, wie sie es jetzt tut; so kann es auch durch den Menschen geschehen, daß eine Stätte und Einkünfte, die jetzt geistliches Gut sind, nicht geistlich sein oder werden können und umgekehrt. Daraus ergibt sich klar, daß sie verkauft oder gekauft werden können, wenn sie aufhören, derartiges zu sein. Ferner muß man Folgendes sorgfältig beachten: Auch dann, wenn etwas geistlich ist, kann es mitunter als Nichtgeistliches verkauft werden, vielmehr als Natürliches, so als ob es nichts Geistliches an sich hätte. Zum Beispiel: Wenn ein Heide, der nichts vom Sakrament des Altares weiß, einem Hungrigen geweihte Hostien verkaufte und dieser sie wie anderes Brot kaufte; oder wenn Gläubige dies in gutem Glauben oder in der ehrlichen Meinung täten, sie seien nicht geweiht, dann würde keine Simonie begangen, denn es läge kein Wille vor, Geistliches zu verkaufen. Dabei kann anscheinend jemand eine geweihte Sache kaufen oder ein Sakramentale, ohne die Absicht, es als solches zu kaufen. Zum Beispiel: Ein Kind könnte im Sterben liegen und müßte getauft werden, man könnte kein anderes Wasser haben als für die Taufe geweihtes, doch der es hat, wollte es keineswegs umsonst geben, sondern nur für Geld verkaufen. In diesem Falle könnte man gut und gern das Wasser als Stoff kaufen, nicht als und nicht weil Weihwasser. Wenn zur Versorgung eines Todkranken geweihtes Öl gekauft würde, nicht als und nicht weil Weiheöl, sondern als natürliche, heilende Wundsalbe, – mag es auch eine Sünde sein, dieses Öl dafür zu verwenden, was ich nicht definitiv behaupte, – so würde jedenfalls keine Simonie begangen. Es kann nun einer sagen, niemand könne Simonie begehen, weil man Geistliches nicht verkaufen kann. Es heißt aber, daß der Wille zum Verkaufen ausreicht; dies ergibt sich aus der Begriffsbeschreibung, die gemeinhin gegeben wird: Simonie ist der zielgerichtete Wille, etwas Geistliches oder mit Geistlichem Verbundenes zu kaufen oder zu verkaufen.106 Ferner: Wenn Weltliches gegeben 104

* C. 1 q.3 c.7. * VI 5. 12 reg. 42. 106 Rufinus, Summa decretorum, zu C. 1. q. 1, s. v. Quidam; ed. Heinrich Singer, Paderborn 1902, ND Aalen 1963 S. 197. Hostiensis, Summa, Bl. 231 v. Zu X 5.4. 105

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I Mattheus: De squaloribus curie

Preterea, quando i dantur vel recipiuntur temporalia ad hunc finem, ut spiritualia exhibeantur, dantibus et recipientibus kdantes et recipientes ea faciunt k, sicut quando populus ministrat necessaria predicanti, sine quibus ipse non posset predicacioni insistere. Sed nec illi dant, nec isti recipiunt ut precium sed ut sustentamentum, De prescripcionibus: Cum ex officii; et in c. Inter cetera, De officio.107 Et ex utraque parte posset committi symonia per inordinatam intencionem, potest eciam per veram intencionem bene vitari. Ex istis excusatores symonie colores quinque recipiunt. Ut autem iuxta premissa possit eorum veritas vel falsitas apparere, venio ad primum modum excusandi, quo dicitur, quod papa recipiat pro labore suo florenos a supplicante. Capitulum quartum decimum Et dico, quod, si papa sic intenderet et labor suus sine omni respectu ad beneficium valeret in se, et illi, pro quo fit, lunus florenus iuste reciperetur a papa l et ille petens, si vellet habere laborem illum, iuste daret. Verumtamen ad quid valet hec rusticana responsio et tam rudis excusacio! Una turpitudine aliam turpitudinem velle tegere et mendositate sophistica velle intelligentes homines excecare. Cum tamen huius dolose falsitatis contrarium quodammodo de se patet, quod enim una via prohibetur, per aliam admitti non deberet, De procuracionibus: Tuem; facit eciam bene c. I De symonia.108 Et quod hoc non habeat veritatem, manifeste patet, quia nisi iste labor esset utilis ad consecucionem beneficii ecclesiastici, quod est spirituale, non daretur sibi obolus pro scriptura, et hoc papa indubitanter scit et super hoc respondet in scripto. Et unde omnia alia ad consecucionem beneficii spectancia fundamentum habent. Et quia fundamentum hoc est viciosum, symoniacum et prohibitum, consequenter apponere datam, minutas conficere, litteras scribere, procurare, registrare, bullare, secundum eas iudicare et alia facere, prout supradictum est, et omnia alia ad consecucionem beneficii spectancia vel qualitercumque cooperancia sunt eciam prohibita et illicita, ut dicit regula iuris. Nam prohibito aliquo omnia alia prohibentur, que sequuntur ex illo, De regulis iuris: Cum nquid lb. VI n.109 Confirmatur hoc, quia papa labore isto et scriptura respondet super peti-

i

quandoque Ed. ea Ed. l–l unum florenum unius floreni iuste reciperet Ed. m fehlt Ed. n–n aliquid. Ed. k–k

A 1 Kap. 14 Pfründenverleihung geistl. Akt

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oder entgegengenommen wird zu dem Zweck, daß Geistliches zugewendet wird, dann tun Geber und Empfänger das, so wie wenn das Volk einem Prediger das Lebensnotwendige zukommen läßt, ohne das dieser sein Predigtamt nicht wahrnehmen könnte. Diese geben nichts und jene empfangen nichts als Preis, sondern als Unterhalt.*107 Von beiden Seiten könnte Simonie durch eine ordnungswidrige Absicht begangen, könnte aber auch durch eine richtige Absicht gut und gern vermieden werden. Aus diesem entnehmen die Rechtfertiger der Simonie fünf Beschönigungen. Damit aber gemäß dem Zuvorgesagten Wahrheit und Irrtum deutlich werden kann, komme ich [zunächst] zur ersten Art der Rechtfertigung, in der es heißt, der Papst nehme von dem Bittsteller die Gulden für seine Mühewaltung. A 1 Kap. 14 Pfründenverleihung geistl. Akt

Kapitel 14 Ich sage Folgendes: Wenn der Papst darauf hinzielte und seine Mühewaltung ohne jeden Seitenblick auf die Pfründe Bestand hätte – an sich und bei dem, für den sie geschieht, – könnte der Papst einen Gulden gerechterweise entgegennehmen; der Bittsteller würde, wenn er jene Mühewaltung haben wollte, sie gerechterweise geben. Doch wozu führte diese tölpelhafte Antwort und so ungebildete Rechtfertigung! Man will mit einer Schändlichkeit eine andere Schändlichkeit verdecken und mit lügnerischer Sophisterei intelligente Menschen hinters Licht führen. Das Gegenteil solch verschlagener Irreführung wird gewissermaßen von selbst klar; wenn etwas auf einem Wege verboten ist, kann es auf einem anderen nicht erlaubt werden.*108 Daß dies nicht die Wahrheit für sich hat, geht aus Folgendem klar hervor: Wenn diese Mühewaltung nicht nützlich wäre zur Erlangung einer kirchlichen Pfründe (und die ist etwas Geistliches), dann würde kein Pfennig für die schriftliche Ausfertigung gegeben werden, und der Papst weiß dies zweifellos und er antwortet darauf in dem Schriftstück. Dort hat alles, was zur Erlangung einer Pfründe gehört, seine Grundlage. Weil nun diese Grundlage fehlerhaft, simonistisch und verboten ist, ist folglich auch das Datieren, Konzipieren eines Vermerks, das Ausfertigen von Briefen, ihre Besorgung, Registrierung, Siegelung, ein Urteil danach, sowie sonstige Handlungen, wie oben aufgeführt, und alles Übrige, was zur Erlangung einer Pfründe gehört, und jegliche Mitwirkung verboten und unerlaubt, wie die Regula iuris sagt. Denn wenn etwas verboten ist, so sind auch alle Folgerungen daraus verboten.*109 Das wird so bekräftigt: Der Papst antwortet mit seiner Mühewaltung und 107 108 109

* X 2.26.16; X 1.31.15. * X 1.38.5; u. ebenso X 5.3.1. * VI 5.12 reg. 84.

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I Mattheus: De squaloribus curie

cione, qua supplicans petit pro beneficio iam vacante, et annuit peticioni, qua petit sibi provideri, ergo providet sibi de illo; vel ergo per se vel per alium. Si per se, cum nichil aliud faciat ad hoc personaliter nisi illum laborem, ergo ille labor est provisio de beneficio, et sic ille labor est actus spiritualis et exercicium officii spiritualis, et per consequens non potest vendi. Si facit hoc per alium, igitur ad minus per hunc laborem et scripturam committit hoc alteri; et qui per alium facit, per seipsum facere videtur, oDe prescripcionibus: Si diligentio; Regula iuris: Qui per alium lb. VI p.110 Insuper, committere hoc est eciam opus et exercicium potestatis spiritualis, ergo non est vendibile, ex predictis.111 Preterea, si papa recipit pro labore, ut labor est, tum equalis vel aliquando minor fit labor signare supplicacionem pro beneficio vacante quam pro gracia expectativa, ergo non plus debetur sibi pro una supplicacione quam pro alia, nec plus pro gracia expectativa de data pape vel cardinalium quam de currente. Et quia de talibus plus recipit, sequitur, quod non recipit pro solo labore. Si dicitur, labor pape ut talis est preciosior quam alius labor, dico, quod sicut papa ut papa est persona publica spiritualis, sic actus eius ut talis est spiritualis et per consequens iterum non potest vendi. Preterea, quando providet de episcopatibus et abbaciis vel similibus, tunc non laborat scribendo, sed solo verbo providet. O igitur quam preciose vendit laborem unius verbi vel elevacionem lingue! Quod tamen nullam vim haberet, nisi esset opus potestatis spiritualis, et ideo est invendibile, cum ipsa spiritualis potestas sit invendibilis, per allegatum c q. Cum in ecclesier.112 Mirum igitur est, quod isti excusatores non erubescunt in tam grandi materia adducere tam puerilia, sed multo magis mirum de tanto scandalo, quod sit, et de tantis oblocucionibus, quas sustinere oportet.

Capitulum quintum decimum De secundo modo excusandi, quo dicitur, quod circa ea, que sunt symoniaca quia prohibita, possit papa dispensare vel ea tollere. Iste modus loquendi videtur esse valde improprius et extraneus. Si enim aliquod opus de natura sui non est symoniacum, quomodo possit fieri per prohibicionem

o–o p q r

De praescripto Ed. fehlt Ed. s. Ed. ecclesia Ed.

110 111 112

* X 2.26.17; VI 5.12 reg. 72. * wie oben S. 114 Anm. 102. * X 5.3.9.

A 1 Kap. 15 Keine Dispens von Simonie

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dem Schriftstück auf einen Antrag hin, in dem ein Bittsteller um eine bereits freigewordene Pfründe bittet; er stimmt dieser Bitte zu, in der der Bittsteller bittet, es möge ihm gegeben werden; also trifft er hinsichtlich der Pfründe Vorsorge für diesen, entweder er selbst oder durch einen anderen. Falls selbst, auch wenn er persönlich nichts weiter tut als jene Mühewaltung, ist diese Mühewaltung Versorgung mit einer Pfründe, folglich ist diese Mühewaltung ein geistlicher Akt und Ausübung eines geistlichen Amtes; folglich kann sie nicht verkauft werden. Falls er es durch einen anderen machen läßt, überträgt er es zumindest durch diese Mühewaltung und das Schriftstück dem anderen; wer nun durch einen anderen handelt, scheint es selbst zu tun.*110 Dieses Übertragen ist selbst eine geistliche Handlung und Ausübung geistlicher Gewalt, also ist es nicht verkäuflich.*111 Wenn der Papst nun für seine Mühewaltung das erhält, was bei Mühewaltung üblich ist, dann ist es ihm eine gleiche, ja bisweilen auch geringere Mühe, eine Supplik um eine vakante Pfründe zu signieren, als sie für eine gnädig vorgenommene Inaussichtstellung anfällt; also steht ihm für die eine Supplik nicht mehr zu als für die andere, und nicht mehr für eine gnädig vorgenommene Inaussichtstellung mit dem Datum des Papstes oder dem Datum der Kardinäle als für eine unter laufendem Datum. Weil er aber für solche mehr erhält, folgt, daß er nicht allein für seine Mühewaltung Honorar erhält. Wenn es heißt, die Mühewaltung des Papstes als solche sei wertvoller als eine andere Mühewaltung, so sage ich: Wie der Papst als Papst eine Amtsperson ist, und zwar eine geistliche, so ist seine Handlung als solche eine geistliche Handlung; folglich kann sie wiederum nicht verkauft werden. Außerdem, wenn er Verfügungen trifft über Bistümer und Abteien oder dergleichen, dann müht er sich nicht mit Schreiben, sondern verfügt allein durch sein Wort. Ach, wie teuer verkauft er die Mühe eines einzigen Wortes oder die einmalige Bewegung seiner Zunge! Dies hätte jedoch keinerlei Kraft, wenn es nicht ein Werk der geistlichen Amtsgewalt wäre; also ist es nicht verkäuflich, da geistliche Amtsgewalt nicht verkäuflich ist, wie oben angeführt.*112 Es ist schon erstaunlich, daß diese Beschöniger nicht schamrot werden, derart Kindisches anzuführen bei so gewichtigen Problemen, weit erstaunlicher bei solchem Ärgernis, das entsteht, und bei solchen Einsprüchen, die es zu ertragen gilt. A 1 Kap. 15 Keine Dispens von Simonie

Kapitel 15 Bei der zweiten Ausflucht heißt es folgendermaßen: ‘Von den Dingen, die simonistisch sind, weil verboten, könnte der Papst dispensieren oder die Verbote aufheben.’ Diese Art und Weise zu reden scheint mir sehr unangemessen und abwegig. Wenn eine Tätigkeit von Natur aus nicht simonistisch ist, wie könnte sie durch Verbot des Papstes simonistisch werden; dies ist nicht ein-

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I Mattheus: De squaloribus curie

pape symoniacum, non videtur. Si enim prius fuit malum alia specie mali, ut si fuisset usurarium vel luxuriosum, quomodo papa probicione sua mutabit illud de sua specie in speciem symonie. Si vero prius non fuit malum sed licitum et papa prohibet tale racionabiliter, prohibicione sua bene facit tantum, quod facere illud sit malum et illicitum. Sed non sequitur, quod sit symoniacum, non enim sequitur, papa prohibuit hoc, ergo hoc est voluntas vendendi spiritualia; hoc autem requiritur ad hoc, quod aliquid sit symoniacum. Et si dicitur, quando papa iudicat hoc symoniacum, nonne potest veraciter dici tale? Respondetur, quod papa numquam debet iudicare hoc esse tale vel tale malum, nisi ante cognoscat ipsum esse tale. Alioquin erit falsum iudicium et non tenendum s nec sequendum. Si vero prius fuit tale malum, tunc hoc non provenit ex iudicio vel prohibicione pape, potest autem illa tam communis distinccio ad talem intellectum reduci, quod quia papa potest aliquod temporale non annexum spiritualibus eis annectere et applicare, ut domum secularem vel templum idolorum vel iudeorum in ecclesiam consecrare vel ciphum ad hoc dispositum in calicem vel mensale t in pallam. Et tunc vendere aliquid illorum, que prius sine omni symonia poterant u vendi, iam est symoniacum. Licet autem talia ut talia vendere papa prohibeat, non tamen vendicio illa est symoniaca propter prohibicionem sed propter annexionem et applicacionem eorum ad spiritualia, quam papa fecit. Sed si papa econverso habens iustam causam aliquem locum in ecclesiam consecratum anathematizandi, iuberet destrui totum edificium, ita quod non deberet amodo ibi esse ecclesia, fieret iterum licitum emere locum illum, eo quod iam desiisset v esse annexus spiritualibus. Similiter aurum et argentum, quod fuit calix consecratus, postquam concussione desiit w esse calix, iam potest vendi sicut antequam esset calix, immo adhuc existens calix, potest vendi secundum valorem suum, quem haberet, eciamsi esset consecratus, dummodo non vendatur ut res sacra vel consecrata, X q. II Hoc ius; xXII q. II Aurumx.113 Sed cavendum est, ne quamdiu consecracio non est violata, sicut per concussionem violari dicitur, vendatur alicui vel eciam mutuetur ad aliquem usum vel pocius abusum secularem. Isto modo et non alio video posse excusari translacionem decimarum vel aliorum reddituum aut bonorum ecclesiasticorum in laicos, quia videlicet talia annexa spiritualibus separantur ab eis, ita quod ultra non sunt annexa cultui divino vel deputata ministris eccles

tenedum Ed. mensuale Ed. u poterat Ed. v desisset Ed. w desinit Ed. x–x fehlt Ed. t

113

* C. 10 q. 2 c. 2; C. 12 q. 2 c. 70.

A 1 Kap. 15 Keine Dispens von Simonie

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sichtig. War sie nämlich früher ein Übel nach einer anderen Art von Übeln, etwa Wucher oder Verschwendung, wie sollte der Papst durch sein Verbot es von seiner Art zur Simonie verwandeln können? Wenn sie aber früher kein Übel war, sondern erlaubt, und der Papst verbietet sie vernünftigerweise, so bewirkt er durch sein Verbot gut und gern, daß sie ein Übel und unerlaubt ist, sie trotzdem zu tun. Doch folgt nicht, daß sie simonistisch ist, denn es gibt nicht die Folge: ‘Der Papst hat es verboten, also ist dies der Wille, Geistliches zu verkaufen (das wäre nämlich dazu nötig, daß etwas simonistisch ist)’. Und wenn es heißt: Falls der Papst dieses als simonistisch verurteilt, darf man es dann in Wahrheit so nennen? Antwort: Der Papst darf niemals dieses oder jenes als Übel verurteilen, es sei denn, er erkennt es zuvor als solches. Andernfalls wäre es ein Fehlurteil, man brauchte es nicht zu halten oder zu befolgen. Wenn aber etwas Derartiges zuvor ein Übel war, dann ergibt sich dies nicht aufgrund des Urteils oder des Verbots des Papstes, vielmehr kann die allgemeine Begriffsbestimmung auf solches Verständnis zurückgeführt werden; denn der Papst kann etwas Weltliches, was nicht mit Geistlichem verknüpft ist, mit diesem verknüpfen oder verbinden, etwa ein weltliches Haus, einen Götzentempel oder eine jüdische [Synagoge] zu einer Kirche weihen, oder einen Becher, der dafür geeignet ist, zum Kelch, oder ein Tischtuch zum Kelchdeckchen. Etwas davon dann zu verkaufen, was vorher ohne jede Simonie verkauft werden konnte, wäre jetzt simonistisch. Mag nun der Papst verbieten, solches als solches zu verkaufen, so wäre ein Verkauf nicht wegen des Verbots des Papstes simonistisch, sondern wegen dessen Verknüpfung oder Verflechtung mit Geistlichem, die der Papst vorgenommen hat. Wenn der Papst umgekehrt einen gerechten Grund hat, eine zu einer Kirche geweihte Stätte zu verfluchen, und den Befehl gäbe, das ganze Gebäude zu zerstören, so daß künftig dort keine Kirche mehr stehen dürfte, würde es wieder erlaubt, diesen Ort zu kaufen; er hätte nämlich aufgehört, mit Geistlichem verbunden zu sein. Ebenso kann Gold und Silber, das vorher einen Kelch bildete, nachdem es durch Zerbrechen aufgehört hat, ein Kelch zu sein, verkauft werden, wie ehedem, bevor es ein Kelch war; ja selbst ein noch existierender Kelch kann nach seinem derzeitigen Wert, selbst wenn er geweiht ist, verkauft werden, wenn er nur nicht als heilige oder geweihte Sache verkauft wird.*113 Doch hüten muß man sich, bevor die Weihe nicht verletzt ist, wie sie durch das Zerbrechen verletzt wird, wie man sagt, einem [einen solchen Kelch] zu verkaufen oder auch zu irgendeiner anderen Verwendung zu tauschen, genauer: zu weltlichem Mißbrauch. Ich sehe: Auf solche und nicht auf andere Weise kann man die Übertragung der Zehnten oder anderer Einkünfte oder geistlicher Güter auf Laien rechtfertigen; man trennt das mit dem Geistlichen Verbundene davon ab, dann ist es künftig nicht mehr mit dem Gottesdienst verknüpft und den Dienern der Kirche zugewiesen, sondern weltlichem Ge-

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I Mattheus: De squaloribus curie

sie sed usui seculari. Sed ex hoc non sequitur, quamdiu sunt eis annexa, quod aliquomodo vendi possint, quia tamdiu sunt spiritualia, et ideo symoniacum est aliquid recipere vel pactum facere pro eis. Sed diceres papa potest separare illa bona a beneficio, dico quod sic, sed tunc non veniret impetranti beneficium, et quando hoc impetrans sciret, nichil daret, ut creditur.

Capitulum sextum decimum De tercio modo excusandi per hoc, quod papa est dominus omnium beneficiorum et ergo, quando recipit aliquid ab impetrante, de suo recipit, et ut tale recipit non pro collacione beneficii, advertendum est, quod licet prelati ecclesie dicantur et sint y principes, rectores, presides et iudices ecclesiasticarum rerum et personarum et propter hec debeant a subditis et domini dici et ut tales ab eis venerari, tamen ne more gentilium vel secularium eis dominentur, sicut Salvator Luce XXII docet dicens: Reges gencium dominantur eorum, vos autem non sic.114 Et beatus Petrus prime canonice sue zV o c.z: Non quasi dominantes in clero.115 Ideo multis nominibus, que servicium et ministerium, non dominium sonant, designantur in scripturis; dicuntur enim pastores, vigiles, custodes, procuratores, villici, negociatores, dispensatores, stabularii, que omnia in Ieremia clare apparent. Cui Ieremie primo dicitur: Ecce constitui te super gentes et regna.116 Ecce dignitas et auctoritas. Sed quia a subditur: Ut evellas et destruas, disperdas et dissipes, edifices et plantes,117 quid hic committitur illi tanto prelato nisi opera rustica b et hoc providentissima disposicione dei ordinatum est, et utrisque nominibus describerentur, quatenus pensantes officii sui curam, periculum, abieccionem et iniunccionem ac stipendium humiliter de se senciant, racione vero auctoritatis et presidencie graves, maturi sint et animosi, ut timori sint subditis et non vilescant. Concedo ergo, quod papa est dominus omnium, non dico clericorum vel beneficiorum, sed et omnium christianorum, immo de vero iure omnium hominum, qui tantum audiverunt, quod deberent esse christiani et per consequens pape tamquam Christi vicario subesse. Dominium enim in hoc casu

y

sunt Ed. fehlt Ed. quid Hs. M, quod Ed. mistica Ed.

z–z a b

114 115 116 117

* Luc 22, 25 f. * 1 Petr 5, 3. Jerem 1, 10. Ebenda.

A 1 Kap. 16: Begrenztheit päpstl. Herrschaft

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brauch. Daraus folgt indessen nicht, solange es damit verknüpft ist, daß man es irgendwie verkaufen könnte; denn solange es geistlich ist, ist es simonistisch, [einen Preis] dafür anzunehmen oder einen Vertrag darüber abzuschließen. Falls jemand sagen sollte, der Papst kann jene Güter von der Pfründe trennen, so sage ich: ja, aber dann würde dem Bittsteller keine Pfründe mehr verkauft werden; falls ein Bittsteller das wüßte, würde er nichts geben, wie man glaubt. A 1 Kap. 16: Begrenztheit päpstl. Herrschaft

Kapitel 16 ‘Der Papst ist der Herr über alle Pfründen, und wenn er etwas von einem Bittsteller annimmt, erhält er es von seinem Eigentum, und er nimmt es als solches an, nicht für die Übertragung einer Pfründe.’ – bei dieser dritten Ausrede ist folgendes zu bedenken: Die Prälaten der Kirche heißen und sind zwar Fürsten, Rektoren, Präsiden und Richter über kirchliche Sachen und Personen, und deswegen werden sie zu Recht von ihren Untergebenen Herren genannt und als solche von ihnen mit Ehrfurcht behandelt; dennoch sollen sie nicht nach der Art der Heiden und Weltlichen über sie herrschen, wie der Heiland lehrt, wenn er sagt: Die Könige herrschen über ihre Völker; bei euch aber soll es nicht so sein.*114 Und der heilige Petrus sagt in seinem ersten Lehrschreiben:* Ihr seid nicht Herrscher über die Geistlichkeit.115 Daher werden in der Heiligen Schrift die vielen Begriffe verwendet, die nach Knechtschaft und Dienst, nicht nach Herrschaft klingen; es heißt dort: Hirten, Wächter, Schützer, Vertreter, Verwalter, Unterhändler, Verteiler, Wirte, Knechtsleute. Dies alles wird bei Jeremias deutlich. Dem Jeremias wird im 1. Kapitel gesagt: Siehe, ich setzte dich über Völker und Königreiche,116 Also: Würde und Macht. Aber weil hinzufügt wird: Du sollst ausreißen und zerbrechen, zerstören und verderben, bauen und pflanzen,117 werden hier dem Prälaten nichts als bäuerliche Arbeiten anvertraut. Und dies ist durch die überaus vorausschauende Ordnung Gottes so bestimmt worden, daß sie durch einen doppelten Namen bezeichnet werden sollen, damit sie, wenn sie an Sorge, Gefahr und Verachtung wie an Bürde und Lohn ihres Amtes denken, demütig ihrer selbst bewußt seien, aufgrund seines Ansehens aber und der Vorsteherschaft ernst, ausgereift und voll Hochherzigkeit seien; dann flößen sie den Untergebenen Ehrfurcht ein und sind nicht gering geschätzt. Ich gebe durchaus zu: Der Papst ist der Herr über alle – ich sage nicht: über die Kleriker und Pfründen, vielmehr: über alle Christen, besser, mit vollem Recht: über alle Menschen, die nur eben gehört haben, sie müßten Christen sein und seien infolgedessen dem Papst als dem Stellvertreter Christi untertan. Herrschaft bedeutet in diesem Falle nichts anderes als gewisse

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I Mattheus: De squaloribus curie

nichil aliud est nisi quedam dignitas et preeminencia c, qua quis habet auctoritatem et potestatem super aliquem vel aliquos sibi quoad hoc subiectos. Sed quia non uniforme sed multiplex est dominium, aliter enim est maritus dominus uxoris, aliter pater filiorum et filiarum, aliter conducens mercenarium est dominus ipsius, aliter emens servum est dominus servi empticii, aliter erat Iacob dominus Esau, aliter Moyses dominus pharaonis, aliter papa est dominus unius principis vel regis liberi, aliter vasalli ecclesie, aliter unius clerici, aliter unius laici sibi in palacio ministrantis d. Igitur necesse est videre, quale dominium papa habeat in clericos et beneficia, ut possit videri, an possit eis ea recipere pro libito suo, cum nequaquam omnis dominus habeat illam potestatem super subditos suos et bona eorum. Quapropter sciendum, quo cum deus sit rex regum et dominus dominancium, qui solus habet dominium illimitatum et sine excepcione, omne dominium est sub eo et limitatum, VIII di. Que contra mores.118 Nec enim papa, nec aliquis homo habet plus dominii, nisi quantum deus ipse concessit. Et prima quidem limitacio est, quia papa positus est principalis et supremus vicarius Christi, quem scilicet Christum constituit deus pater dominum regem et heredem universorum. Ideo principaliter est in edificacionem, non in destruccionem, sicut dicit Apostolus II ad Corinthios eX et XIII e.119 Et idcirco nullam potestatem habet aliquid agendi in regimine suo, quod sciat vel scire aut credere debeat vergere in dampnum ecclesie, destruccionem rei publice, in malum exemplum et scandalum pusillorum. Patet hoc, quia dominus deus, sicut non potest male regere sed solum bene, sic non potest potestatem male regendi alteri dare vel committere. Ut autem melius possit in regimine suo edificare et bona procurare malaque et in destruccionem vergencia vitare, ideo data est sibi alia limitacio et lex, scilicet evangelium et totus canon sacre scripture conciliaque per ecclesiam autenticata ac solempniter approbata. Et quia non est unius hominis omnium talium habere noticiam et principaliter intelligenciam, memoriam ac advertenciam, et papa limitatus est et tenetur se recognoscere hominem defectuosum in multis ac insufficientem ad tantum regimen, sicut ille sapientissimus hominum recognovit, Tercii Regum III,120 et per consequens non inniti pru-

c

praeminentia Ed. ministranti Ed. e–e fehlt Ed. d

A 1 Kap. 16: Begrenztheit päpstl. Herrschaft

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Würde und Vorrang; dadurch hat einer Ansehen und Amtsgewalt über einen oder einige, die ihm insoweit unterstellt sind. Herrschaft ist nicht gleichförmig, sondern vielgestaltig; anders ist der Ehemann Herr über die Gattin, anders der Vater über die Söhne und Töchter, anders ist der Arbeitgeber von Lohnarbeitern deren Herr, anders ist der Käufer eines Sklaven Herr des käuflichen Knechts, anders war Jakob Herr über Esau, anders Moses Herr über Pharao, anders ist der Papst Herr über einen Fürsten und freien König, anders über einen Lehnsmann der Kirche, anders über einen Kleriker, anders über einen Laien, der in seinem Palast Dienst tut. Also ist es nötig zu sehen, welche Herrschaft der Papst über Kleriker und Pfründen hat; es könnte so scheinen, daß er diese für sie vielleicht nach seinem Gutdünken an sich nehmen könnte, da keineswegs jeder Herr jene Amtsgewalt über seine Untergebenen und ihre Güter hat. Darum muß man wissen: Weil Gott der König der Könige und der Herr der Herren ist, der allein unbegrenzte Herrschaft ohne Ausnahme besitzt, steht jede Herrschaft unter ihm und ist begrenzt.*118 Weder der Papst noch irgendein Mensch hat nämlich mehr Gewalt, als Gott ihm gewährt hat. Die erste Einschränkung ist, daß der Papst als erster und höchster Stellvertreter Christi eingesetzt ist; diesen Christus aber hat Gottvater eingesetzt als Herrn der Könige und Erben von allem. Darum ist er [der Papst] zuerst zum Auferbauen, nicht zum Zerstören eingesetzt, wie der Apostel im 2. Brief an die Korinther 119 sagt. Deshalb hat er keine Befugnis, in seinem Leitungsamt etwas zu tun, von dem er weiß oder wissen oder glauben müßte, daß es zum Schaden für die Kirche ausschlägt, zur Zerstörung des Gemeinwesens, zu schlechtem Beispiel oder Ärgernis für die Schwachen. Dieses ist klar: Wie Gott der Herr nicht schlecht regieren kann, sondern nur gut, so kann er auch keinem anderen die Machtbefugnis zum schlechten Regieren geben oder anvertrauen. Damit er aber in seinem Leitungsamt besser aufbauen, Gutes fördern und Übles und zur Zerstörung Führendes vermeiden kann, deshalb ist ihm eine weitere Einschränkung und ein Gesetz gegeben worden, nämlich das Evangelium, der ganze Kanon der Heiligen Schrift und die Konzilien, soweit sie in der Kirche amtlich anerkannt und feierlich bestätigt worden sind. Weil es nicht Aufgabe eines einzelnen Menschen ist, Kenntnis von allen diesen Dingen zu haben und vor allem Einsicht, Gedächtnis und Aufmerksamkeit für all dies, ist auch der Papst beschränkt und ist gehalten, sich als in vielem fehlbaren und zu einem solchem Leitungsamt unzureichenden Menschen zu erkennen, wie jener Weiseste unter den Menschen erkannt hat;120 er darf sich infolgedessen nicht

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* D. 8 c. 2. 2 Cor 10, 8 u. 13, 10. * 3 Reg 3, 5 ff.

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I Mattheus: De squaloribus curie

dencie sue, Proverbia III; De constitucionibus: Ne innitaris,121 sine consilio nichil facere, Eccl. XXXII et iura consonant, XII di. Non decetf; XII q. II Alienaciones; XV q. VII Episcopus; Extra, De hiis, que fiunt a prelato sine consensu capituli: Novit,122 cum fatuis consilium non habere, Eccl. VIII,123 et a malo consiliario animam suam servare, Eccl. XXVII,124 et secundum quod res gerenda maior magis nova et inconsueta est, maiores consiliarios et plurium g ac plura consilia querere, quia, ubi h plures consiliarii, confirmantur cogitaciones, Prov. XV.125 Et salus est, ubi multa consilia, Prov. XXIV; XX di. De quibus; De officio delegati: iPrudenciam § Adicimusi.126 Hoc enim nedum scriptura, ut iam dictum est, docet, sed eciam exempla sanctorum et racio suadet. Quomodo enim piissimus dominus, qui ecclesiam sanguine suo redemit, providisset eidem, si voluisset ac commisisset, quod unus homo quandoque ignarus aliquando malivolus, et dato, quod sciens et bonus, tamen deceptibilis et errabundus, regeret eam secundum caput suum; k facit, quod notat Innocencius, De re iudicata: Ad apostolice lb. VI; LI k di. Preterea.127 Sed diceres, sic posset obici, quomodo providet deus, quando dat malum rectorem? Dico, quod quia deus non voluit, quod soli boni rectores fierent. Hoc enim aliquando meretur populus propter eius peccata, quandoque regnare facit ypocritam, VI q. I Ex merito; VIII q. I Audacter.128 Nec hoc expedivisset rectoribus, quia si solos bonos fecisset rectores, tunc eo ipso, quo quis factus fuisset rector, scivisset se bonum esse. Deus autem vult, quod homo nesciat, an odio vel amore dignus sit, et propter multas alias raciones. Ideo deus voluit providere et dare regulam et limitacionem, qua per malum non ita graviter destrui posset ecclesia, vel saltem quod posset ei obviare, sicut ad hoc facte sunt leges et iura, ut eciam per malum iudicem iusta detur sentencia, aut si non secundum leges data fuerit, valeat revocari, De re iudicata: c. VIII Cum causa et Cum Bertholdusl.129 Quando ergo allegatur ab excusatoribus factorum curie, quod papa sit dominus clericorum et beneficiorum, bene verum est. Multiplicem enim potestatem et auctoritatem habet super eos et ea, utpote eos examinare, iudicare, habiles ad clericatum vel beneficia admittere, ordinare, statuta eis condere, inquirere, si bene se gerant,

f

docet Ed. plurimum Ed. h ibi Ed. i–i fehlt Ed. k–k Innoc. De re iudicata, XX Ed. l Bartholdus Ed. g

A 1 Kap. 16: Begrenztheit päpstl. Herrschaft

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auf seine eigene Klugheit verlassen 121 und ohne Rat nichts tun;122 freilich soll er auch mit Dummköpfen keine Beratung halten,*123 seine Seele vor einem schlechten Ratgeber bewahren,124 und je nachdem wie groß, neu und ungewohnt eine Aufgabe ist, muß er auch bedeutendere Ratgeber sowie mehrere Ratschläge von mehreren suchen; denn wo mehrere Ratgeber sind, da werden Gedanken bestätigt.*125 Und das Heil ist dort, wo viele Ratschläge sind.*126 Dies lehrt nicht nur die Schrift, wie schon gesagt, sondern auch die Beispiele der Heiligen und die Vernunft legen es nahe. Wie hätte denn sonst der gütigste Herr, der die Kirche in seinem Blute erlöst hat, für sie Vorsorge getroffen, wenn er gewollt und zugelassen hätte, daß ein einziger Mensch – manchmal unwissend, mitunter böswillig, auch, zugegeben, wissend und gut, doch der Täuschung und dem Irrtum offen – sie nach seinem Kopf leitet.*127 Aber du könntest sagen: ‘Man kann doch einwerfen: Wie sorgt Gott vor, wenn er einen schlechten Leiter gibt?’ Ich sage darauf: ‘Gott wollte nicht, daß es nur gute Leiter gibt.’ Dermaleinst hatte sich das Volk dies wegen seiner Sünden so verdient; und mitunter läßt er einen Heuchler regieren.*128 Es wäre dies den Leitern gar nicht förderlich gewesen; denn wenn [Gott] nur gute Leiter geschaffen hätte, dann wüßte jeder, sobald er Leiter geworden ist, daß er gut ist. Gott aber wollte, daß der Mensch nicht weiß, ob er seines Hasses oder seiner Liebe würdig ist; dies auch aus anderen Gründen. Deshalb wollte Gott Vorsorge treffen und eine Regel und Beschränkung geben, damit durch einen schlechten Leiter die Kirche nicht so schwer zerstört werden könne oder doch zumindest sie ihm entgegentreten könne; so wurden ja dazu Gesetze und Rechtsbestimmungen erlassen, damit auch durch einen schlechten Richter ein gerechter Urteilsspruch gegeben wird oder, falls er nicht entsprechend den Gesetzen gegeben wurde, widerrufen werden kann.*129 Falls also von denen, die die Taten der Kurie entschuldigen, nun angeführt wird, der Papst sei der Herr über die Kleriker und Pfründen, so ist das gut und gern richtig. Er hat über sie nämlich vielfältige Machtbefugnisse und Rechte, so hat er sie zu prüfen, als Richter die zum Klerikerstand oder zu Pfründen Geeigneten zuzulassen, zu ordinieren, 121

* Prov 3, 23; X 1.2.5. * Eccli 32, 24 und die entsprechenden Rechtsbestimmungen: D. 12 c. 1; C. 12 q. 2 c. 37; C. 15 q. 7 c. 6; X 3.5.4. 123 * Eccli 8, 20. 124 * Eccli 27, 9. 125 * Prov 15, 22. 126 * Prov 24, 6; D. 20 c. 3; X 1.29.21. 127 * Innocentius IV., Comm. ad X 2.27.27 [= VI 2.14.2] s. v. privamus VI 2.14.2; D. 51 c. 3. 128 * C. 6 q. 1 c. 13; C. 8 q. 1 c. 18. 129 * X 2.27.8 u. 18. 122

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I Mattheus: De squaloribus curie

punire, suspendere, ab officio privare et inhabilitare, si merentur beneficia erigere, confirmare, onerare, libertatem conferre, transferre et cetera huiusmodi. Sed si bene adverterent, quod papa in omnibus illis limitatum dominium et auctoritatem habet, ut supra dictum est, non tam audacter et indeliberate statim inferrent simpliciter, quod posset ea pro voluntate sibi reservare vel destruere; concesso namque gracie argumenti, quod beneficia sint sua, non sequitur, quod isto modo sint sua. Licet enim rex vel princeps sit dominus bonorum vasalli, non potest tamen ea ad usum suum illi auferre, sed oportet, ut dominium suum exerceat secundum limitacionem dominii, quod habet, De feudis c. I et II.130 m Sic et hic m deberet attendi limitacio dominii papalis, utrum recipere vel tollere redditus unius n beneficii esset conforme canoni sacre scripture et in nullo contrarium, si esset ad edificacionem et non ad destruccionem, oet si o haberet racionabilem causam et debitum modum procedendi in hoc vel non. Et nisi hoc bene pensatum esset, non deberet ita frontose dici illud, cuius execucio videtur magis contraria quam consona scripture sacre, magis scandalosa et destructoria quam edificatoria, ubi modus agendi multis malis circumstancionatus est et contrarium, vel aliud apparenter invenitur, quam in causa allegata pretenditur.

Capitulum septimum decimum Pro quorum aliquali persuasione primo advertendum est, quod non de facili credo inveniri verbum sacre scripture, quod tantam potestatem pape conferat sicut illud: Quodcumque ligaveris super terram, erit ligatum et in celis;131 et tamen non quidquid talium mandat sub certa pena ligatum est, sed sicut in veteri testamento Ezechielis XIII scriptum est de malis prelatis: Mortificaverunt animas, que non moriuntur, et vivificabant animas, que non vivunt;132 ita et hic ligantur aliquando non ligandi ac per hoc nec vere ligati sunt, sicut dicit beatus Augustinus in libro De vera et falsa penitencia: Inquit Salvator: Quos ligaveritis, non quos putatis ligare et solvere, sed in quos exercetis opera iusticie et misericordie; hoc ego et tota curia celestis approbo, alia

m–m

Hic Ed. fehlt Hs. M u. Ed. o–o etsi Ed. n

130 131 132

* X 3.20 c. 1 u. 2. Matth 16, 19. * Ezech 13, 19.

A 1 Kap. 17 Bindung des Papstes ans Recht

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ihnen Statuten zu geben, Verhöre anzustellen, ob sie sich gut führen, zu strafen, zu suspendieren, aus dem Amt zu entfernen und sie, wenn sie es verdienen, für amtsunfähig zu erklären, Pfründen einzusetzen, zu bestätigen, zu belasten, Freiheiten zu geben, zu versetzen und anderes dergleichen. Aber wenn sie nur richtig darauf achteten, daß in all dem der Papst eine beschränkte Herrschaft und ein beschränktes Ansehen hat, wie oben gesagt, dann würden sie nicht so kühn und unbedacht sofort folgern, daß er nach seinem Willen derartiges sich vorbehalten oder beseitigen könne; denn selbst versuchsweise einmal zugegeben, die Pfründen gehörten ihm, so folgte doch nicht, daß sie auf solche Weise ihm gehören. Mag nämlich der König oder Fürst Herr über die Güter eines Lehnsmannes sein, dennoch kann er ihm diese nicht zu eigenem Gebrauch wegnehmen, sondern es ist nötig, daß er seine Herrschaft ausübt entsprechend der Beschränkung der Herrschaft, die er hat.*130 So muß also hier die Beschränkung der päpstlichen Herrschaft beachtet werden: ob das Entgegennehmen oder Aufheben von Einkünften einer einzigen Pfründe mit dem Kanon der Heiligen Schrift vereinbar und ihm in keiner Hinsicht zuwider ist, ob es zum Aufbau dient und nicht zur Zerstörung und ob es einen vernünftigen Grund hat, ob in richtiger Weise vorgegangen wurde oder nicht. Wenn das nicht gut erwogen wäre, dürfte man jenen Ausspruch nicht so dreist tun, dessen Durchführung eher im Widerspruch denn im Einklang mit der Heiligen Schrift scheint, eher ärgerlich und zerstörerisch denn aufbauend – wo doch die Art und Weise des Vorgehens viele Übel einschließt und ihr zuwider ist – oder man findet offenkundig anderes als man in dieser Angelegenheit vorgeben will. A 1 Kap. 17 Bindung des Papstes ans Recht

Kapitel 17 Um für das eben Gesagte Begründungen zu geben, muß man zunächst beachten, das man gar nicht so leicht, glaube ich, ein Wort der Heiligen Schrift findet, daß derartig große Macht dem Papste zugesteht wie jenes: Was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein;131 dennoch ist keineswegs alles, was er befiehlt, unter einer bestimmten Strafe gebunden, sondern wie im Alten Testament über die schlechten Prälaten geschrieben steht: ,,Sie haben die Seelen zum Tode verurteilt, die noch nicht sterben sollten, und verurteilt die Seelen zum Leben, die doch nicht leben sollten“;*132 so werden auch hier bisweilen Leute gebunden, die nicht gebunden werden sollten, und dadurch sind sie dann nicht wirklich gebunden, wie der heilige Augustinus in seinem Buch über wahre und falsche Buße sagt: Der Heiland sagt: ‘Die ihr binden werdet’, nicht, die ihr zu binden und lösen glaubt, sondern an denen ihr die Werke der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit übt,

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I Mattheus: De squaloribus curie

opera vestra in peccatores non cognosco.133 Hec ille. Ad idem XI q. III Tunc vera et c. Illud et c. Iniustum.134 Si autem non valet sciencia, ligacio vel absolucio pape in illis, ubi maxima potestas sibi data videtur, nisi racionabiliter faciat clave non errante, multo minus in aliis, ubi non est sibi data tam generalis et expressa potestas. Preterea secundum hoc haberet ita bene ligare laicos sicut clericos, et si hoc esset, non deberet solos clericos exaccionando gravare, quia, laicis gravatis in parte, levius isti ferrent. Quod autem non sit consonum sacre scripture, in qua nullibi reperitur nec ad verba nec ad sensum, quod papa sit vel esse debeat retentor vel inbursator beneficiorum, sed bene quod dispensator. Et si habetur, quod sit dominus, non habetur nec sequitur, quod isto modo sit dominus, sed quod magis sit contra sacram scripturam, racionem et multipliciter minus bene fiat, et cum scandalo et destruccione sic suadetur: nam posito sed non concesso, quod esset sic dominus, numquid per hoc esset sublatum illud ius evangelicum: Dignus est operarius cibo suo,135 et illa regula apostolica: Qui servit altari, vivat de altari; De prebendis: Cum secundum et c p. Extirpande,136 illaque beati Iacobi, quod merces mercennarii detineri non debet.137 Contra omnia ista agitur, quando alicuius beneficii redditus annui tolluntur, racionabili causa non urgente. Ad idem iura: c. Ut nostrum, Ut ecclesiastica beneficia ad finem.138 Preterea, quomodo recipit duplices vel triplices fructus de beneficio bis vel ter vacante in uno anno, quo non nisi simplices proventus proveniunt. Certe hoc non patitur bona fides, ut semel exactum iterum exigatur, De regulis iuris lb. VI c. Bona fides.139 Preterea, si vult recipere de suo, tunc non deberet, nisi quando fructus beneficii provenirent. Nunc autem vult habere pecuniam vel securitatem de ea, eciamsi provisus 140 moretur, antequam aliquid perciperet, vel eciamsi de beneficio nichil proveniret vel si omnia bona beneficii terra absorberet q. Sic autem agere quid est aliud nisi pauperes, quos elegit Christus in principio et assumpsit ad fundandum ecclesiam, quantumlibet sint idonei, scientifici et

p q

etc. Ed. absolveret Ed.

133 134 135

Augustinus, De vera et falsa poenitentia c. 10; Migne PL 40 Sp. 1122. * Im gleichen Sinn C. 11 q. 3 c. 62; c. 87; c. 89. Matth 10, 10.

A 1 Kap. 17 Bindung des Papstes ans Recht

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billige ich und der ganze himmlische Hof. Eure anderen Bemühungen gegen die Sünder erkenne ich nicht an.133 Zitat Ende*134 Wenn aber Sentenz, Binden oder Lösen des Papstes in jenen Fällen ungültig bleibt, wo ihm die größte Amtsgewalt gegeben zu sein scheint, falls er sie nicht rechtmäßig anwendet, ohne in seiner Schlüsselgewalt zu irren, um wieviel weniger in anderen Fällen, wo ihm nicht eine so allgemeine und ausdrückliche Amtsgewalt gegeben worden ist. Außerdem hätte er demgemäß [die Befugnis], ebenso gut Laien wie Kleriker zu binden, und wenn dem so wäre, dann dürfte er nicht ausschließlich Kleriker durch Geldanforderungen belasten; denn wenn Laien teilweise belastet sind, würden sie das leichter tragen. Dies dürfte aber nicht der Heiligen Schrift entsprechen, in der man nirgendwo finden kann, weder wörtlich noch sinngemäß, daß der Papst Inhaber oder Zahlmeister für Pfründen, wohl aber ihr Verteiler ist oder sein soll. Und wenn man annimmt, daß er ihr Eigentümer ist, so nimmt man doch nicht an und folgt auch nicht, daß er auf solche Weise ihr Eigentümer ist, sondern das verstößt noch stärker gegen die Heilige Schrift und gegen die Vernunft und könnte oftmals weniger gut geschehen, und nur mit Ärgernis und Zerstörung kann man so einen Beweis verwenden; denn gesetzt, nicht angenommen, er wäre derart Eigentümer, wäre dann etwa dadurch das Recht des Evangeliums beseitigt: Ein Arbeiter ist seiner Speise wert,135 und die Regel des Apostels: Wer am Altar Dienst tut, soll vom Altar seinen Anteil erhalten?*136 Auch das Wort des heiligen Jakobus, daß der Lohn des Lohnarbeiters ihm nicht vorenthalten werden darf?137 Gegen all dies wird gehandelt, wenn die Jahreseinkünfte ei-ner Pfründe weggenommen werden, ohne daß ein vernünftiger Grund dazu drängt. Ebenso urteilt das Kirchenrecht.*138 Außerdem: Wie kann er in doppelter oder dreifacher Höhe die Erträge einer Pfründe erhalten, die zwei- und dreimal in einem einzigen Jahr verwaist, wo doch ein Ertrag nur einfach erwächst? Dies ist sicherlich gegen Treu und Glauben, daß dort, wo einmal gefordert und gezahlt worden ist, erneut gefordert wird.*139 Außerdem: Wenn er von dem Seinigen etwas erhalten will, dürfte er nur dann etwas erhalten, sobald Erträge der Pfründe anfallen. Jetzt aber will er Geld oder Sicherheit dafür haben, auch wenn der Providierte 140 sterben sollte, bevor er etwas erlangt hat, oder auch wenn die Pfründe nichts erbringt oder wenn das Land alle Güter der Pfründe verschlänge. So zu handeln, was ist das anderes als die Armen, von Christus im Anfang erwählt und aufge136

* 1 Cor 9, 13; X 3.5.30. Vgl. Jac 5, 4. * X 3.12.1 a. E. * VI 5.12 reg. 83. Vom Papst ohne Wahl zum Bischof eingesetzt und mit der Pfründe bedacht.

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utiles, a beneficiis excludere et per hoc provocare ad avariciam et congregandum vel qualitercumque acquirendum pecuniam eos, qui voluerint promoveri. Preterea dicere, quod clerici, sive magni sive parvi, sint tam servilis condicionis et quasi empticii, quod papa posset eos destruere, depauperare et annichilare sine omni iuris ordine, sine ullo eorum demerito, quid aliud est nisi vilificare statum cleri et dignitatem sacerdotalem et abstrahere homines notabiles et valentes, ne fiant clerici. Ex quo ulterius sequitur, quod non nisi misere et viles persone assumant ordines. Quanta autem ex hoc sequatur vilipensio et contemptus sacerdocii et eciam irreverencia sacramenti, immo vendicio missarum, aliquando ex paupertate nimia sacerdotum, patet sufficienter ex aliquibus locis, ubi propter vilipensionem clericorum et servitutem raro quis valens assumit ordinem sacerdocii, nisi qui promotus est vel promoveri sperat ad alta. Preterea arguitur sic: Papa tenetur ita servare pacta, que bona fide secum inita et facta sunt, sicut alius et plus quam unus simplex, De probacionibus c. I 141 et quod ibi notatur. Sed illud videtur infringere, quando recipit bona, proventus et redditus r beneficiorum, igitur non licet sibi facere. Minor probatur, quia dotans beneficium, collegium vel monasterium hac intencione sola vel precipua hoc facit, alias non facturus, ut ibi tot et talia servicia, officia divina et misse compleantur in remedium anime sue et antecessorum, pro devocione et salute populi de prope habitantis, et precipue pro laude dei petitque hoc confirmare, et papa confirmat perpetuo duraturum; illud autem totum infringitur, quando papa tollit redditus, quia tunc non possunt impleri promissa, laus dei subtrahitur, devocio populi impeditur, clerus illa vagari et deficere cogitur ac deceptus est in eo, quod fecit se super talibus ordinari. Dotator decipitur et scandalizatur, anime defunctorum suffragiis pro se vel suis procuratis defraudantur et diucius abesse a celi gaudiis coguntur, in quo et tota celestis curia leticia, quam de earum presencia haberet, spoliantur. In quibus videtur magnam violenciam et iniuriam facere, cum iam ille de foro suo non sint nec ipse habeat potestatem in illas, saltem immediate, De sentencia excommunicacionis: A nobis.142 Alii quoque hec videntes, qui forte similia facerent, retrahuntur. Quod notatur De iure patronatus: Cum sdilectus et glossa penultima in fine s.143 r

reditus Ed. dilectus Ed.

s–s

141 * Nachweis: X 2. 19. 1 mit Glossen. Inhaltlich eher: De pactis X 1.35.1 (Pacta servanda sunt). 142 * X 5.39.21. 143 * X 3.38.28 Glosse s. v. Quempiam presentare (gegen Ende): patronus racione patrimonii, quo dotavit ecclesiam, non privetur iure suo – der Patron darf, da er mit seinem Eigengut die Kirche ausgestattet hat, nicht seines Rechtes beraubt werden.

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nommen zur Gründung der Kirche, ganz gleich wie geeignet, gebildet und nützlich sie sein mögen, von den Pfründen auszuschließen und dadurch diejenigen, die befördert werden wollen, zur Habsucht anzustacheln, zum Geldhäufen und Geldraffen. Außerdem zu sagen, daß Kleriker, seien sie groß oder klein, so knechtisch und sozusagen käuflich seien, daß der Papst sie ohne jegliches Rechtsverfahren vernichten, in Armut stürzen und vertilgen kann, ohne jegliches Verschulden ihrerseits – was ist das anderes, als den Stand des Klerus und die priesterliche Würde zu erniedrigen und ehrenwerte und fähige Menschen davon abzuhalten, Kleriker zu werden. Daraus folgt weiterhin, daß nur erbärmliche und geringe Leute die Weihen nehmen. Wieviel Geringschätzung und Verachtung des Priestertums, auch Unehrerbietigkeit vor dem Sakrament, ja Verkauf der Messen entsteht mitunter aus der übergroßen Armut der Priester; dies zeigt sich an manchen Orten recht klar, wo wegen der Geringschätzung und dem knechtischen Dasein der Kleriker kaum noch ein fähiger Mann die Priesterweihe nimmt, außer er wäre schon auf einen höheren Posten befördert oder hoffte auf hohe Kirchenwürden. Auch wird so argumentiert: ‘Der Papst ist verpflichtet, Verträge zu halten, die guten Glaubens mit ihm abgeschlossen und getroffen sind, wie jeder andere und mehr als ein einfältiger Mensch.’*141 Doch dies scheint er zu zerstören, wenn er Güter an sich zieht, Einkünfte und Erträge von Pfründen; daher ist es für ihn nicht erlaubt, so zu handeln! Der Untersatz dieses Beweises läßt sich so begründen: Derjenige, der eine Pfründe, ein Kollegiatstift oder ein Kloster stiftet, tut das in der ausschließlichen oder überwiegenden Absicht – sonst würde er es ja nicht tun –, daß dort soundso viele und ganz bestimmte Gottesdienste, Stundengebete und Messen abgehalten werden zum Heil seiner Seele und der seiner Vorfahren, zur Andacht und zum Heil des umwohnenden Volkes und besonders zum Lobe Gottes; und er bittet dann darum, dies zu bestätigen, und der Papst bestätigt es zu ewiger Dauer; das wird aber alles zunichte gemacht, wenn der Papst die Einkünfte für sich erhebt, denn dann können die Versprechungen nicht erfüllt werden, das Gotteslob wird hinterzogen, die Andacht des Volkes behindert, der dortige Klerus zu Unstetigkeit und Not gezwungen und darin getäuscht, daß er sich über sie auf dieser Grundlage hat ordinieren lassen. Auch der Stifter wird betrogen und nimmt Anstoß, die Seelen der Verstorbenen werden um die Fürbitte für sich und ihre Schutzbefohlenen betrogen und gezwungen, länger von den Freuden des Himmels fern zu bleiben, wobei auch der ganze himmlische Hofstaat der Freude beraubt wird, die er an deren Gegenwart hätte. Darin scheint er [der Papst] schlimme Gewalttat und große Ungerechtigkeit zu tun, da diese Seelen nicht mehr zu seinem Gericht gehören und er über sie keine Gewalt hat, zumindest nicht unmittelbar.*142 Andere, die dies sehen, werden sich vielleicht, da ihnen gleiches widerfahren könnte, zurückziehen.*143

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Forte dicitur, quod nichil contra bonam fidem agitur, quia illud venit de per se et est de iure communi, quod eo ipso, quo beneficium instituitur, sit pape. Et ideo, tam dotans quam clericus recipiens presumendus est illud intendere et se in hoc pape submittere, saltem habitualiter, nec per hoc subtrahitur divina laus aut suffragia animarum. Quia quando per illa bona temporalia, que recipiuntur, alia bona, magis necessaria vel proficua ecclesie procurantur, non minus est ad laudem dei vel suffragium animarum quam illud; populus eciam pacienter carens illo adminiculo devocionis, propter utilitatem ecclesie magis aliquando meretur. Contra illud arguitur sic: Hoc modo recipere redditus beneficiorum nec a sanctis patribus nec antiquis iuribus habetur, sed est una invencio, que surrexit post istam, ut creditur, minus bonam usurpacionem collacionis beneficiorum ad curiam Romanam. Et ideo nec laici nec simplices clerici tenentur illam subtilem invencionem scire.144 Et quia non est eis dictum nec in litteris papalibus, quibus simpliciter credunt, continetur, sequitur, quod sint decepti in simplici sua fide; sic enim in casu presuppositum est et omnino credibile est. Multi sunt inclinati ad hanc laudem dei per divina officia et ad nutriendum simplicem pauperem clericum missas legentem vel devotos monachos, qui nollent tantum impendere ad lites pape nec t pro salsa vel pro caulibus u, ne dicam pro pompis vel luxu cardinalium, nec illa communia litigia vel quecumque alia, in quibus aliquando papa et sui consumunt sic recepta, eciamsi in bonis consumant, non sunt ita ordinata a deo, nec a sanctis declarata esse in remedium et redempcionem animarum, sicut misse, oraciones, ieiunia et elemosine. Siquidem qui patitur in purgatorio, quia non ieiunavit, quomodo solvit pro eo, qui diebus ieiuniorum carnes ex licencia pape manducat. Si quis eciam pacienter ferens impedimentum devocionis aliquid meretur, tamen ille, qui dat materiam paciencie, non semper meretur, alias enim tortores sanctorum martirum multipliciter meruissent. Hec raciocinando dicta sunt contra excusatores. Sed si quis debite adverteret et dicere deberet: Quomodo recipiantur huiusmodi redditus! Cum quibus subtilitatibus, cum quanta crudelitate et iniuria, cum quam inhumanis et impiis sentenciarum et gravaminum

t u

nec Ed. caudibus Ed.

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Die Regulae cancellariae apostolicae wurden von Johannes XXII. an als Geschäftsanweisungen nur der Kurie mitgeteilt, nicht jedoch publiziert.

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Vielleicht sagt jemand: ‘Hier geschieht nichts wider guten Glauben, denn dies ergibt sich von selbst und geschieht nach gemeinem Recht, weil die Pfründe durch den Akt selbst, durch den sie eingerichtet wird, auch dem Papst zugehört. Deswegen muß man sowohl bei dem Stifter wie dem empfangenen Kleriker voraussetzen, daß sie dieses beabsichtigen und sich dabei dem Papst unterwerfen, zumindest in der grundsätzlichen Einstellung; dadurch wird also das Gotteslob oder die Fürbitte für die Armen Seelen nicht gekürzt. Denn wenn durch jene zeitlichen Güter, die [der Papst] eintreibt, andere Güter, die für die Kirche notwendiger und nützlicher sind, besorgt werden, ist das nicht weniger zum Gotteslob und zur Hilfe für die Armen Seelen als jenes; auch erwirbt sich das Volk, das in Geduld jene Stütze der Frömmigkeit entbehrt, wegen des Nutzens für die Gesamtkirche bisweilen größere Verdienste.“ Dagegen wird so argumentiert: Auf diese Weise Einkünfte von Pfründen einzutreiben, wird weder von den heiligen Kirchenvätern noch von den alten Rechten vorgesehen, sondern es ist die einzige Erfindung, die aufgetaucht ist nach jener – wie man glaubt – weniger guten gewaltsamen Inbesitznahme der Pfründenverleihung durch die Römische Kurie. Daher sind weder die Laien noch die einfachen Kleriker gehalten, jene schlaue Erfindung zu kennen.144 Und weil ihnen nicht gesagt wurde und es auch nicht in Papstbriefen, denen sie schlechthin glauben, enthalten ist, folgt, daß sie in ihrer einfältigen Treue getäuscht sind; so ist es nämlich in solchem Fall zugrundegelegt und voll und ganz glaubwürdig. Viele sind zu diesem Gotteslob durch Gottesdienst geneigt und zum Unterhalt eines einfachen und armen Klerikers, der Messen liest, oder frommer Mönche, die nicht soviel aufwenden wollen bei Rechtsstreitigkeiten des Papstes – weder für eine salzige Soße noch ein Kohlgericht, um nicht zu sagen: für Pomp und Luxus der Kardinäle –, auch nicht bei jenen allgemeinen Zankereien oder allem sonst, womit bisweilen der Papst und die Seinen das so Erlangte verbrauchen; auch wenn sie es mit Gutem verbrauchen, so ist das doch nicht [in gleicher Weise] von Gott eingerichtet, noch von den Heiligen bezeichnet, es sei zum Heil und zur Rettung der Seelen, wie Messen, Gebete, Fasten und Almosen. Wenn nun einer im Fegefeuer leidet, weil er nicht gefastet hat, wie büßt dann einer dafür, der in den Tagen des Fastens Fleisch mit Erlaubnis des Papstes ißt. Wenn auch einer, der die Behinderung seiner Andacht geduldig erträgt, sich irgendwie verdient macht, so macht sich doch derjenige, der diese Geduld erst nötig macht, nicht immer verdient, sonst hätten sich die Folterknechte und Henker der heiligen Märtyrer vielfältig verdient gemacht. Dieses ist mit Bedacht gegen die gesagt, die Ausflüchte machen. Aber wenn jemand dies gebührend bemerkte, müßte er sagen: ,,Wie werden derartige Einkünfte eingefordert! Mit welcher Verschlagenheit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit! Mit wie unmenschlichen und unfrommen Urteilen, die man gegen Widerspruch schleudert, mit welcher Beschwernis, mit wieviel

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I Mattheus: De squaloribus curie

fulminacionibus, cum quantis dampnis et usuris, in quibus repertum est cubicularios et forte cardinales cum usurarii campsoribus partem habere. Et plerique dubitant, an eciam papa sit particeps predictorum v, quod etsi non est in pecunia, saltem in causa. Deinde, quomodo et ad quid, postquam recepti fuerint, convertuntur! Non utique ad necessitatem ecclesie, sicut littere et verba pulchre pretendunt, sed ad talia, que pudor est dicere; vel congregantur et in terra fodiuntur, forsitan pro Antichristo, ut impleatur illud Psalmi: Thesaurizat et ignorat, cui congregavit ea,145 si, inquam, illa scirentur et dicerentur, duriora argumenta fierent ex facto quam ex racione vel scripto.

Capitulum duodevicesimum Posset adhuc aliquis querere: Quid ergo? Nullamne potestatem vel dominium habet papa super bonis ecclesiasticis ad usum vel ad utilitatem suam? Respondeo, quod immo. Sicut eciam principi terreno, debite officium suum exercenti, quando illa, que racione status sui habet, non sufficiunt ad tenendum decenter statum suum, et precipue quando necessitas exigit ad defensionem iusticie et rei publice, iustum est, ut populus det et ipse a populo recipiat contribucionem, sicut manifeste exprimit ius regis, 1 Reg 8146 descriptumw sic et pape convenit, nedum a clero, sed eciam, si necesse est, a toto populo christiano, quorum pater spiritualis est et iudex, in talibus causis et provisor ac pastor, qui tenetur animam suam ponere pro eis, quando salus populi id requirit recipere x, dicente Apostolo Prima ad Corinthios IX: Si seminamus vobis spiritualia, non est magnum, ut carnalia vestra metamus. De script.: Cum ex officii.147 Sed sicut hoc non debet fieri nisi pro bono communi, ita eciam non debet ab uno vel duobus recipi sed a tota communitate et secundum bonos modos, ut racio exigit. Nichil autem racionis habet, sed est contra deum et iusticiam recipere hec per pacta symoniaca, per falsitates et fraudes, vendendo hodie uni et cras alteri cum gravamine vel destruccione unius ecclesie cathedralis, monasterii, dignitatis 148 aut parochie, quod alia

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praedictarum Ed. fehlt Ed. fehlt Hss., ‹accipere› Ed.

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Schaden und Wucher, worin man die Kämmerlinge und vielleicht die Kardinäle mit Wucher-Wechslern als Teilhabern findet!“ Und viele zweifeln, ob nicht auch der Papst Teilhaber des Vorgenannten ist, wenn nicht im Geldgeschäft, so zumindest dem Grunde nach. Ferner: Wie und wozu werden die Beträge verwandt, nachdem sie eingetrieben sind? Wahrlich nicht auf die Not der Kirche, wie Briefe und Worte das hübsch vorspiegeln, sondern auf das, was zu nennen beschämend ist; oder man sammelt sie und begräbt sie in der Erde, vielleicht für den Antichrist, damit sich das Wort des Psalmisten erfülle: Sie sammeln Schätze und wissen nicht, wer sie einnehmen wird.145 Wenn man – sage ich – dieses wüßte und sagte, würden die Argumente aufgrund der Sache härter werden als aufgrund der Vernunft oder der Schrift.

Kapitel 18

A 1 Kap. 18 Grundsätze päpstl. Herrschaft

Nun könnte immer noch einer fragen: ‘Was denn nun? Hat der Papst denn keinerlei Befugnis oder Herrschaft über kirchliche Güter, zu seinem Gebrauch oder Nutzen?’ Darauf antworte ich: Gewiß doch! So wie auch bei einem weltlichen Fürsten, der sein Amt angemessen ausübt. Wenn das, was er aufgrund seines Standes besitzt, nicht ausreicht, um seinen Stand angemessen aufrechtzuerhalten, und besonders wenn echte Not dazu zwingt, zum Schutz der Gerechtigkeit und des Gemeinwesens, so ist es gerecht, daß das Volk ihm eine Beisteuer leistet und er diese vom Volk annimmt, wie es das Königsrecht offen ausspricht.*146 Genau so ist es auch für den Papst angemessen zu empfangen, nicht nur vom Klerus, sondern auch, wenn nötig, vom ganzen christlichen Volke, dessen geistlicher Vater und Richter er ist – in diesem Fall auch Sachwalter und Hirt, der gehalten ist, für sie sein Leben einzusetzen, wenn das Heil des Volkes es erfordert; der Apostel sagt: Wenn wir für euch Geistliches säen, ist es dann zuviel, daß wir Leibliches von euch ernten?*147 Aber wie das nur für das allgemeine Wohl geschehen darf, so darf es auch nicht von einem oder zweien entgegengenommen werden, sondern von der ganzen Gemeinschaft und in guter Art und Weise, wie es die Vernunft fordert. Aber mit der Vernunft hat es nichts zu tun, es ist im Gegenteil wider Gott und die Gerechtigkeit, dieses durch simonistische Abmachungen entgegenzunehmen, durch Täuschung und Betrug, indem man heute dem einen, morgen dem anderen etwas verkauft, unter Belastung oder Vernichtung einer Kathedralkirche, eines Klosters, einer Dignität 148 oder Pfarrei; 145 146 147 148

Ps 38, 7. * Aufgeschrieben: 1 Reg 8, 11–14. * 1 Cor 9, 11; X 2.26.16. Höheres Amt im Domkapitel.

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ecclesia nichil dante y infra quadraginta annos una, que ter vacat in paucis annis, totum solvat. Non enim plus obligatur ecclesia vacans quam pastorem habens, immo, ut videtur, minus tenetur ecclesia, cuius pastor moritur, quam illa, que hoc gravamen non habet. Vix namque ceteris paribus est sine ecclesiarum gravamine mors pastoris, ut in capitulo Cupientes, De eleccione lb. VI.149 Insuper, quid racionis habet et non magis scandalo causam prebet tunc recipere, exigere, pacisci, quando ecclesia, monasterium vel beneficium vacat. Quid enim aliud potest presumi, nisi quod papa per hoc vult compellere ad solucionem, si ille vult habere provisionem.150 Et si iste non potest solvere, vult alteri zpecuniam danti z conferre, licet ille sit totus idoneus et alius plene indignus. Sed diceres, ex quo debetur sibi, scilicet pape, et non potest aliter obtinere, homines enim sunt inobedientes et protervi, non curantes mandata vel eciam excommunicacionum sentencias, ergo oportet eum acquirere, sicut potest, nec habet meliorem modum obtinendi id, quo indiget et quod sibi debetur. Ista persuasio seu argumentum videri posset multum validum et putatur forsan concludere hiis, qui ad illam partem inclinati sunt. Sed si debite perpenditur, peccat graviter in materia et in forma. Prima enim pars antecedentis multa dubia et instancias potest habere, qua dicitur, quod ipse debeat habere, quia forte habet tantum thesaurum, quod non indigeat; et tunc certe non debet habere, immo adebet magis non a habere. Item non sequitur: ipse indigeat, ergo debet habere, quia antequam communitas cleri vel populi christiani contribuat, debet de indigencia sua constare, non enim semper est verum, quod magni domini de indigencia sua dicunt. Insuper dato, quod indigeat et constet ita, quod debeat sibi subvenire, forte ista ecclesia vacans est tam exilis et pauper vel onerata debitis, quod eciam in communi contribucione supportari deberet, et nichil dare. Demum dato, quod non sit insufficiens forte pastori vel rectori mortuo tantum satisfecit, quod ille bene subvenisset pape, et debuit facere facienda. Et si ille consumpsit vel dissipavit, que racio, quod ecclesia illud iam de novo solvere teneatur, quod prius b dedit illi, qui ex institucione pape habuit recipere et recepit. Sed dato, quod instituendus teneatur, tunc non tenetur nisi de ecclesia et fructibus eius. Expectandum est ergo,

y

dat Ed. fehlt Hs. E u. Ed. a–a magis non debet Ed. b fehlt Ed. z–z

149 150

Wie in VI 1.6.16. Einsetzung in Amt und Pfründe nach erfolgter Zahlung der Annaten.

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während eine Kirche innerhalb von vierzig Jahren nichts gibt, zahlt eine andere, die dreimal verwaist, in wenigen Jahren alles. Eine verwaiste Kirche ist nämlich nicht stärker verpflichtet als eine, die einen Hirten hat; vielmehr ist, wie es scheint, eine Kirche, deren Hirte stirbt, weniger verpflichtet als jene, die diese Belastung nicht hat. Denn bei gleichen sonstigen Bedingungen ist der Tod des Hirten kaum ohne Belastung der Kirchen.*149 Obendrein: Welchen Sinn hat es, und bringt es nicht mehr Grund für ein Ärgernis, gerade dann einzutreiben, zu fordern und andere durch Abmachungen zu knebeln, wenn eine Kirche, ein Kloster oder eine Pfründe verwaist ist? Was kann man anderes annehmen, außer daß der Papst dadurch die Zahlung erzwingen will, wenn [der Empfänger] die Provision 150 haben will? Und wenn jener nicht zahlen kann, will er es einem anderen, der Geld gibt, übertragen, obwohl ersterer durchaus geeignet ist, der andere aber völlig ungeeignet. Doch könnte man sagen: ‘Da es ihm, d. h. dem Papst nun einmal geschuldet wird und er es auch nicht anders erhalten kann – denn die Menschen sind ungehorsam und frech, sie kümmern sich nicht um Gebote und Exkommunikationssprüche – darum muß er nehmen, was er kann, und er hat auch keine bessere Möglichkeit, das, was er braucht und was ihm geschuldet wird, zu erlangen.’ Dieser Beweis oder dieser Einwand scheint große Kraft zu haben, und vielleicht glauben die, die der anderen Partei zugeneigt sind, er sei schlüssig. Aber wenn gebührend erwogen wird, ist der Schluß in der Sache und in der Form ernstlich fehlerhaft. Gegen den ersten Teil des Obersatzes kann man nämlich viele Zweifel und Gegenbeispiele haben, wenn es heißt, er müsse etwas haben; denn vielleicht hat er einen solch großen Schatz, wie er ihn gar nicht braucht; und dann braucht er gewiß nichts zu haben, ja er darf nichts haben. Ebenso folgt nicht: Er hat Mangel, also muß er etwas erhalten; denn bevor die Gemeinschaft des Klerus und des christlichen Volkes Beisteuern leistet, muß sein Mangel evident sein; nicht immer ist es nämlich wahr, was große Herren hinsichtlich ihres Mangels sagen. Ferner: Gesetzt, er hätte Mangel, wäre bedürftig und das wäre evident, so daß man ihn unterstützen müßte, vielleicht ist dann die verwaiste Kirche so elend und arm oder mit Schulden belastet, daß auch sie durch eine gemeine Beisteuer unterstützt werden müßte und selbst nichts zu geben brauchte. Schließlich gesetzt, daß es nicht über ihre Kraft ginge: Vielleicht hat sie dem toten Hirten oder Leiter soviel Genüge getan, daß jener gut und gern dem Papst zu Hilfe gekommen wäre und, was zu tun war, hätte tun müssen. Und falls dieser verschwendet und verschleudert hat, was läge für ein Sinn darin, wenn die Kirche das nun erneut zu leisten hätte, was sie dem zuvor gegeben hat, der es aufgrund der Einsetzung durch den Papst zu erhalten hatte und erhalten hat. Doch gesetzt, der Einzusetzende wäre zur Zahlung verpflichtet – er wäre es nur aus der Kirche und ihren Erträgen. Man muß also warten, bis er

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I Mattheus: De squaloribus curie

donec obveniat et percipiat, alioquin de eo solvi compellitur, de quo non debetur. Quod utique iniustum est et iniquum. Secunda pars antecedentis, qua dicitur, quod non possit alio modo habere propter rebellionem hominum, multiplicem potest habere instanciam, quia forte numquam examinatus est alius modus, qui esset deificus, quod primo attemptaretur per benignitatem convocando prelatos et deliberando de bono modo obtinendi. Et si dicitur, quod vocati non venirent, merito patitur hoc Romana ecclesia, que postponendo sancta concilia convocare 151 in disuetudinem prelatos induxit. Facto enim, ut iustum est, concilio, bene concluderent, qui venirent, quid agendum esset, non obstante absencia vel contumacia aliorum. Et iustum forte iudicium dei est, quod ex quo Romana ecclesia sine consilio c aliorum vult regere, quod et ipsi ei minus assistant. Et quanta mala passa sit ecclesia et hodie paciatur ex obmissione conciliorum, certo cercius est, etsi nichil aliud esset preter hoc perniciosissimum scisma, quod tot annorum curriculis tenet christianos in caligine et errore. Hoc enim adeo grave est ecclesie et dampnosum, quod iura ecclesiarum violantur, bona invaduntur et diripiuntur impune d per dominos temporales, et clerici in suis privilegiis non conservantur, sed pro vilissimis habentur fere ubique. Quis autem dubitet, quin amodo pluries sublatum esset hoc scisma, si, ut alias fiebat, congregata fuissent concilia generalia. Sed adhuc posito toto antecedente, non sequitur, quod ergo illo modo possit recipere. Quia solum bono modo licitum est debita iusta repetere et evincere, non per pacta symoniaca, violencias vel rapinas. Consideratur autem magis, quomodo aliquid fiat, quam quid fiat, XV q. VI c. I ein fine; De collusione c. I, ubi de hoc in glossa II probatur e.152

Capitulum undevicesimum Adhuc diceret aliquis: Non est hic pactum symoniacum, nam solum fit f pactum de solvendis, que illa ecclesia vel monasterium debet pape; sed provisio fit g gratis. Si ista responsio valet, tunc forte dolendum est, quod Iudas eam ignoravit, quia potuisset eciam dicere: Ego non vendidi Christum, ego solum feci pactum de triginta argenteis, quos habuissem, si unguentum fuis-

c

concilio Hss., consilio Ed. fehlt Hs. M u. Ed. e–e De collusione Ed. f sit Ed. g sit Ed. d

151 152

Letztes Allgemeines Konzil 1311/12 in Vienne. C. 15 q. 6 c. 1 § 6; X 5.22.1. Glosse wie oben S. 88 Anm. 56.

A 1 Kap. 19 Ämterverkauf ist simonistisch

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kommt und empfängt, anderenfalls würde er gezwungen, aus dem zu zahlen, woraus er nichts schuldet. Dies wäre schlechterdings unrecht und unbillig. Dem zweiten Teil des Obersatzes im Beweis, wo es heißt, er könne es nicht anders eintreiben wegen der Widerspenstigkeit der Menschen, kann man vielfältig Gegenargumente entgegenhalten, denn vielleicht ist noch niemals eine andere Art und Weise versucht worden, die von Gott gemacht wäre: es zunächst mit Güte zu versuchen, indem man die Prälaten zusammenruft und mit ihnen über eine gute Art und Weise des Aufbringens berät. Und wenn es heißt, die Gerufenen kämen nicht, so muß die Römische Kirche dies nicht unverdient leiden, hat sie doch durch das Zurückstellen der Einberufung der heiligen Konzilien 151 den Prälaten das Kommen abgewöhnt. Wenn nämlich, wie es rechtens wäre, ein Konzil durchgeführt würde, so könnten die Teilnehmer gut beschließen, was zu tun ist, unbeschadet des Fehlens oder der Abspenstigkeit der anderen. Und vielleicht ist dies ein gerechtes Gottesurteil, daß die Römische Kirche, seit sie ohne Rat von anderen regieren will, auch diese ihr nun weniger Beistand leisten. Wieviel Schlimmes die Kirche erlitten hat und noch heute wegen der Unterlassung der Konzilien erleidet, ist ganz offenkundig, gäbe es auch zum Beleg nichts anderes, als dieses höchst schädliche Schisma, das die Christen im Verlauf so vieler Jahre in Finsternis und Irrtum hält. Dies ist nämlich so drückend und schädlich für die Kirche; denn die Rechte der Kirchen werden auch heute noch gewaltsam verletzt, Güter entfremdet und straflos ausgeplündert durch weltliche Herren, die Kleriker werden in ihren Privilegien nicht geschützt, sondern fast überall als die geringsten Leute angesehen. Wer aber könnte zweifeln, daß dieses Schisma schon mehrmals hätte behoben werden können, wenn, wie es einst geschah, Allgemeine Konzilien einberufen worden wären. Doch selbst gesetzt, der genannte Obersatz wäre gültig, so folgt dennoch nicht, daß er demnach auf diese Weise das Nötige ein-ziehen könnte. Denn nur auf gute Weise ist es erlaubt, recht-lich Zustehendes einzufordern und einzutreiben, nicht durch simonistische Absprachen, Gewalt und Raub. Aber es wird mehr darauf geachtet, wie etwas geschieht als was geschieht.*152

Kapitel 19

A 1 Kap. 19 Ämterverkauf ist simonistisch

Nun könnte einer sagen: ‘Hier handelt es sich nicht um einen simonistischen Vertrag, denn es wird nur ein Vertrag über Zahlungen vereinbart, die diese Kirche oder dieses Kloster dem Papst schuldet, die Provision aber ist ohne Gegenleistung.’ Wenn diese Ausflucht so Bestand hätte, dann müßte man es eigentlich bedauern, daß Judas sie nicht gekannt hat, denn der hätte auch sagen können: ‘Ich habe nicht Christus verkauft; ich habe lediglich einen Vertrag über dreißig Silberlinge abgeschlossen, die ich erhalten hätte,

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I Mattheus: De squaloribus curie

set venditum. Per istum modum nullus erit usurarius, quia diceret: Ego amicicia mutuo tibi do, et ex amicicia aliquid superaddes. Ex hoc eciam potest suaderi, quod nulla fit empcio, potest enim dici: Ego ex amicicia do tibi denarium,153 et tu gratis ex amicicia michi panem. Puto autem, quod si quis vellet taliter facta empcionis glosare, laici eciam villani deriderent. Et ideo mirum est, quod aliquando magni clerici non timent derideri pro talibus responsionibus, cum omnino certum sit, quod panis censetur emi et vendi, dato eciam, quod nullum verbum utrobique dicatur, quando pistor non vult dare panem, nisi habito denario, et ille ad hoc dat denarium, ut panem habeat, et dato denario reputaret iniuriam et se deceptum, si non daretur sibi panis. Quia de natura empcionis et vendicionis est, ut non contineat contractum gratuitum, nec procedit h sine precio, i ff De contrahenda empcione lege II § Sine precio; C. IV lb.lege Empti fidesi.154 Cum igitur hic conformiter fiat, eciam per multa verba, quod papa non vult providere, nisi detur pecunia vel caucio sufficiens habeatur, et ille non dat aut securitatem prestat, nisi inquantum provisio fuerit facta, et sub ista condicione deponitur pecunia apud campsorem, mirum est, quomodo natura empcionis tam subito est mutata, ut ex similibus omnino causis vel antecedente illic inferatur et sequatur empcio et non istic, quasi lex sit verbis imposita et non rebus, k C. Communia de legatis lege II in fine; et capitulo finali k De officio delegati.155 Preterea, per hec omnia, eciamsi valerent, non est excusata dampnata vendicio indulgenciarum ac per hoc aliquo modo vendicio l preciosissimi sanguinis domini nostri Iesu Christi. Non eciam est excusata hec tam effrenata malicia, que suis finibus non contenta, sed malum malo continue accumulans, nullo termino vult concludi. Verumtamen quecumque persone quantumlibet invalide, scandalose et indigne, plurimum eciam repulse a promocione et reiecte a suscepcione sacrorum ordinum aliis in partibus, Romam veniunt, non examinantur in scienciis, virtutibus et vita sed in pecuniis. Non ita subtiliter et cum tanto studio queritur, an ad suscepcionem sacrorum ordinum sint digni vel valeant, quantum investigatur, utrum et quantum dare possunt. In penitenciariis eciam hec est absurditas, quod officium penitenciarie venditur, ea enim invaluit corruptela, quod religiosi presbiteri, pluries vagabundi, interdum eciam seculares, communiter ignari, sepius penitus indocti et inexh

procedat Ed. De contrahenda emtione, c. Sine precio et c. Empti. Ed. k–k Communia delegatis in fine et c. Ed. l fehlt Ed. i–i

153 154 155

Siehe oben Anm. 67. * Dig. 18.1.2.1 u. Cod. 4.38.9. * Cod. 6.43.2 u. 3; X 2.29.43.

A 1 Kap. 19 Ämterverkauf ist simonistisch

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wenn Salbe verkauft worden wäre.’ Auf diese Art gäbe es keinen Wucherer, denn er könnte sagen: ‘Ich gebe dir aus Freundschaft die Anleihe und du gibst aus Freundschaft etwas mehr.’ Dann kann man auch behaupten, daß es überhaupt keinen Kauf gibt; man kann nämlich sagen: ‘Ich gebe dir aus Freundschaft einen Pfennig 153 und du gibst mir umsonst aus Freundschaft ein Brot.’ Ich glaube aber, wenn einer Kaufgeschäfte derartig deuten wollte, so würden ihn auch die Leute ohne Schulbildung im Dorf auslachen. Deshalb ist es verwunderlich, daß mitunter bedeutende Kleriker sich nicht fürchten, für solche Antworten ausgelacht zu werden, wo es doch gänzlich sicher ist, daß man darunter Kauf und Verkauf von Brot versteht – auch unter der Voraussetzung, daß von beiden kein Wort darüber verloren wird, daß der Bäcker das Brot erst nach Erhalt des Pfennigs weggeben will, und daß jener den Pfennig gibt, um das Brot zu erhalten und nach Zahlung des Pfennigs würde er es für ein Unrecht halten und meinen, er sei getäuscht, wenn ihm das Brot nicht gegeben würde. Denn das Wesen von Kauf und Verkauf ist es, daß er keinen unentgeltlichen Vertrag enthält und er geht nicht ohne Preis vor sich .*154 Dies nun geschieht entsprechend, auch mit vielen Worten, daß der Papst nur providieren will, wenn ihm Geld gegeben wird oder er eine hinreichende Sicherheit erhält, jener nur gibt oder Sicherheit leistet, wenn ihm insoweit eine Provision zugewendet wird; und unter dieser Bedingung hinterlegt er beim Wechsler Geld; da ist es schon verwunderlich, wie sich das Wesen eines Kaufs so plötzlich wandelt, daß aus ganz ähnlichen Gründen oder nach dem Vorgang dort Kauf begonnen und durchgeführt wird, hier aber nicht, so als ob das Gesetz den Worten und nicht den Sachen auferlegt wird.*155 Zudem, auch wenn dies alles Bestand hätte, so wäre doch der verurteilte Verkauf von Ablässen und dadurch gewissermaßen der Verkauf des kostbarsten Blutes unseres Herrn Jesus Christus nicht entschuldigt. Auch ist nicht die so zügellose Bosheit entschuldigt, die mit ihren Grenzen nicht zufrieden ist, sondern ständig Übel auf Übel häuft und sich durch keine Begrenzung beschränken lassen will. Vielmehr gerade die schwächlichsten, ärgerlichsten und unwürdigsten Personen, auch die oftmals von der Beförderung ausgenommenen und die andernorts vom Empfang der heiligen Weihen ausgeschlossenen, kommen nach Rom, werden nicht auf ihr Wissen, ihren Charakter und ihren Lebenswandel geprüft, sondern nur auf ihr Geld. Es wird nicht so eindringlich und mit solch großem Eifer untersucht, ob sie zum Empfang der heiligen Weihen würdig und fähig sind, wie nachgeforscht wird, ob und wieviel sie geben können. Bei den Beichtvätern trifft man den Widersinn, daß das Amt des Pönitentiars verkauft wird; soweit ist der Verfall gediehen, daß Ordenspriester, oftmals umherstreifende, mitunter auch Weltpriester, häufig ganz unausgebildete, manchmal völlig ungebildete und un-

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I Mattheus: De squaloribus curie

perti, nonnumquam eciam litteraliter loqui nescientes, dummodo L florenos 156 supra vel infra habeant pro officio tali solvere, ad audiendas confessiones de toto orbe veniencium acceptantur, et quantumcumque scientifici et valentes, prout timendum est, sine florenis refutantur. O deus! Quomodo animarum saluti ita male et negligenter consulitur, quas tam magno sanguinis tui precio redemisti. Tales enim confessores, prout timeri debet, verisimiliter plus pro bursa propria simplicibus consulant quam pro eorum salute.

Capitulum vicesimum Restat adhuc unum, quo quidam m videntes se non posse tueri pro excusacione a culpa, conantur tamen astruere, quod nulla sequatur pena vel fiat resistencia. Dicunt enim, quod si papa peccet, tamen oportet obedire et non resistere, dicente Apostolo ad Romanos XIII n: Qui potestati resistit, dei ordinacioni resistit, XI q. III Qui resistit.157 Qui autem resistunt, ipsi sibi dampnacionem acquirunt. Et beato Petro prime o canonice sue c. II: Subditi estote dominis, non tantum bonis et modestis, sed eciam discolis. De maioritate et obediencia: Solite.158 Immo nec iudicare, dicente Apostolo ad Romanos XIII p: Tu quis es, qui iudicas alienum servum, suo domino stat aut cadit. De regula iuris: Nimisq et II q. I Multi ad finem.159 Quanto minus igitur debet quis iudicare supremum Christi vicarium, dominum suum et prelatum. Et quod plus est nec aliquis debet sibi dicere: Cur ita facis? De penitencia rdi. III §r Ex persona, scapitulo Quamvis; et in c.quarto De translaciones.160 Non est enim inferiorum 161edere de ligno sciencie boni et mali 161 et discutere, cur precepit hoc nobis dominus; per hoc enim fuit Eva seducta,162 tGenesis III t. Racio autem omnium horum est, quia membra non debent regere caput, sed econtra. Item, si quis deberet scire motiva prelatorum iudicare seu resistere pro arbitrio, quid valeret eorum officium? Pro istis advertendum est, quod duplex est iudicium, prout ad presens sufficit. Unum est interioris intelligencie et racionis, quo scientifice definitur vel concluditur aliquid esse verum

m

quidem Ed. fehlt Ed. o primo Ed. p fehlt Ed. q fehlt Ed. r–r fehlt Ed. s–s fehlt Ed. t–t fehlt Ed. n

A 1 Kap. 20 Anklagerecht gegen den Papst

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erfahrene, mitunter auch Leute, die kein Wort Latein sprechen können, wenn sie nur etwa 50 Gulden,156 einmal etwas mehr, ein andermal etwas weniger haben, um es für dieses Amt zu zahlen, zugelassen werden, Beichten von Leuten aus aller Welt zu hören; und wieviele Gebildete und Tüchtige ohne Gulden werden, wie zu fürchten ist, zurückgewiesen! Mein Gott! Wie schlecht und nachlässig wird gesorgt für das Heil der Seelen, die du für den teuren Preis deines Blutes losgekauft hast! Solche Beichtiger sorgen bei den einfachen Leuten, wie man fürchten muß, wahrscheinlich mehr für ihren eigenen Geldbeutel als für deren Heil! Kapitel 20

A 1 Kap. 20 Anklagerecht gegen den Papst

Es bleibt nur noch eines: Einige, die sehen, daß sie sich mit Ausflüchten nicht vor Strafe schützen können, versuchen dennoch zu behaupten, es folge doch keine Strafe oder es gebe eben Widerstand. Sie sagen nämlich: ‘Auch wenn der Papst sündigt, sagt doch der Apostel an die Römer: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, stellt sich gegen Gottes Ordnung!*157 Wer aber Widerstand leistet, erwirbt sich das Gericht. Und vom heiligen Petrus [stammt das Wort] in seinem ersten Briefe: Ordnet euch euren Herren unter, nicht nur den guten und rechtlichen denkenden, sondern auch den schwierigen!*158 Nicht einmal über sie richten darf man, wie der Apostel an die Römer sagt: Wie kannst du den Diener eines anderen richten. Sein Herr entscheidet, ob er steht oder fällt.*159 Um wieviel weniger darf also einer über den höchsten Stellvertreter Christi auf Erden richten, seinen Herrn und Prälaten! Und was mehr ist, niemand darf ihm sagen: Warum tust Du das?*160 Denn es ist nicht Sache der Untergebenen, 161von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen 161 und darüber zu streiten, warum der Herr uns dies geboten hat; deswegen wurde nämlich Eva verführt.*162 Die Begründung für das alles ist: Die Glieder dürfen nicht über das Haupt herrschen, sondern umgekehrt. Ferner: Wenn jemand die Beweggründe der Prälaten kennen müßte, um über sie urteilen und ihnen nach Belieben Widerstand zu leisten, welchen Wert hätte dann ihr Amt?’ Dazu muß man beachten, daß ‘Urteil’ in doppelter Weise gemeint ist, was im Augenblick hinreicht. Das erste ist das von Verständnis und Begründung von innen her, wonach wissensmäßig bestimmt oder geschlossen wird, daß etwas wahr oder falsch, gut oder böse, erlaubt 156

Siehe oben Anm. 78. * Rom 13, 2; = C. 11 q. 3 c. 97. 158 * 1 Petr 2, 18; X 1.32.6. 159 * Rom 14, 4; X 2.24.30; C. 2 q. 1 c. 18 § 2. 160 Job 9, 12 = c. 33 q. 3 di. 3 c. 21, c. 22; X 1.7.4. 161–161 * Gen 2, 17. 162 Vgl.1 Tim 2, 23 f. 157

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I Mattheus: De squaloribus curie

vel falsum, bonum vel malum, licitum vel uillicitum, iustum vel u iniustum. In hiis quanto quis clariorem intellectum habet de rebus, tanto melior iudex est de eis, sicut dicit Philosophus.163 Et hoc iudicium nec papa nec aliquis potest evadere, quin sciens facta sua iudicet eum, nec ipse, qui scit, potest supersedere vel supportatus esse de tali iudicio. Qui enim videt eum stantem, quomodo potest de hoc aliter iudicare. Tale iudicium seu interpretacionem vocamus scientificam, que prohiberi non potest, vC. lb.XII De professoribus, qui in urbe Constantinopolitana lege unica v.164 Sed quando res non est manifesta mala, tunc an illud, quod facit, iustum sit, de hoc non debet se simplex vel ignarus intromittere, sed solum habens de hoc sufficientem scienciam et evidenciam vel saltem interpretari in partem meliorem, secundum Venerabilis Bede sentenciam super illo verbo evangelii: Nolite iudicare, ut non iudicemini, Luc. VI; et in regula Estote misericordes, De regulis iuris.165 Et si est occultum malum, tacere debet dew hoc vel cautissime inde loqui, ubi possit prodesse et non nocere, XXII q. V Hoc videtur.166 Sed si ex celacione magnum immineret periculum, vel si esset publicum et generat scandalum, tunc licitum est de illo loqui, ubicumque secundum bonam racionem, et videtur utile vel necessarium informando ignaros et simplices, ne credant malum bonum, incantare bonos, ne seducantur, excitare tepidos, ut contra tantum malum evigilent, movere devotos, ut deum exorent, zelum suum accendere ac alios ad zelum dei ac compaciendum ecclesie provocare. Pro hiis faciunt ea, que leguntur et notantur in c. Si peccaverit II q. I.167 Si quis enim sciret locum tam corruptum, quod omnes fetorem percipientes letaliter inficerentur x, nonne preteriens ipsum deberet nares obstruere et alios ad obstruendum hortari ac ad amovendum cadavera vel declinandum a via? Et qui non faceret hoc, quando congruenter posset, nonne reus esset omnium, quorum infeccionem loquendo impedire potuit et tacendo neglexit? Sufficit adduxisse similitudinem animadvertere cupienti. Aliud est iudicium exterioris fori auctoritative definicionis ad ostendendum vel definiendum autentice quempiam innocentem vel reum, opinionem

u–u

fehlt Hs. M u. Ed. De profess., Qui in urbe. Ed. do Ed. inficerent Ed.

v–v w x

A 1 Kap. 20 Anklagerecht gegen den Papst

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oder unerlaubt, gerecht oder ungerecht ist. Je klareres Verständnis jemand über die Dinge hat, ein desto besserer Richter darüber ist er, wie der Philosoph sagt.163 Und diesem Urteil kann sich weder der Papst noch sonst jemand entziehen; jeder, der seine Taten kennt, urteilt über ihn, und kein Wissender kann sich darüber hinwegsetzen oder solchen Urteils enthoben sein. Wer ihn nämlich stehen sieht, wie kann er darüber anders urteilen? Dieses Urteil oder diese Deutung nennen wir wissensmäßig, ihr kann man nicht widersprechen.*164 Doch wenn eine Sache offensichtlich schlecht ist, dann darf sich in die Frage, ob das, was er tut, gerecht ist, kein Einfältiger oder Unkundiger einmischen, sondern nur einer, der darüber hinreichend Kenntnis und Einsicht hat, oder er muß es wenigstens zum besseren Teil hin deuten – entsprechend dem Satz des Beda Venerabilis über das Wort des Evangeliums: ,,Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.“*165 Und wenn das Übel verborgen ist, muß er darüber schweigen oder äußerst vorsichtig davon reden, sobald er damit nützen und nicht schaden kann.*166 Wenn indessen aus dem Verbergen eine große Gefahr droht, oder wenn es bereits öffentlich ist und Ärgernis erregt, dann ist es erlaubt, darüber zu sprechen, wann immer es nach guter Einsicht nützlich oder notwendig zu sein scheint, um die Unkundigen und Einfältigen zu unterrichten, damit sie nicht Böses für gut halten; um die Guten zu begeistern, damit sie nicht verführt werden; um die Ängstlichen anzuspornen, damit sie gegen das Böse wachsam sind; um die Frommen zu bewegen, damit sie zu Gott beten, er möge ihren Eifer entzünden und andere anstacheln zum Eifer für Gott und zum Erbarmen mit der Kirche. Dafür tun sie das, was man aufgezeichnet findet.*167 Wenn nämlich jemand wüßte, daß ein Ort so verdorben ist, daß alle, die den Gestank einatmen, tödlich angesteckt würden, müßte sich dann nicht ein Vorbeikommender die Nase zuhalten und andere auffordern, sich die Nase zuzuhalten und die Leichen fortzuschaffen oder einen Umweg zu machen? Wer das nicht täte, obgleich er es ohne Schwierigkeiten könnte, wäre der nicht schuld an all denen, deren Ansteckung er durch Reden hätte verhindern können, durch sein Schweigen aber geringgeachtet hat? Es genügt, das Gleichnis angeführt zu haben für den, der verstehen will. Etwas anderes ist das ‘Urteil’ eines äußeren Gerichts in einer autoritativen Entscheidung, um zu zeigen oder gültig festzulegen, jemand sei unschuldig oder schuldig, eine Meinung oder Ansicht sei richtig oder falsch, eine Tat 163 164 165 166 167

Aristoteles, Eth. Nicom. I 1 (1094 b 28). * Cod. 12.15.1. * Luc 6, 37; Expositio super Lucam 2, 6; sowie X 5.41.2. * C. 22 q. 5 c. 8. * C. 2 q. 1 c. 19 (mit der Glosse).

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I Mattheus: De squaloribus curie

vel proposicionem veram aut falsam, opus licitum vel illicitum – hoc iudicium est principibus et prelatis commissum, cuilibet pro modo suo, XI q. I Sicut,168 sed pape eminenter; et illo modo nullus inferior habet iudicare superiorem, immo nec communitas, quando restat aliquis superior, cui de iure competat et qui velit iusticiam facere. Hoc est necessarium ad hoc, ut ordo rerum quamdiu possibile est, servetur, De maioritate: Cum inferior.169 Quando vero non est aliquis talis, qui possit, vel si est invocatus, non vult facere, quod officii sui est, tunc communitas illa tota vel hii, qui sunt et totum simul aut partes representant, possunt eum iudicare in eo, in quo manifestum est eum delinquere et in quo incorrigibilis esse et perseverare comprobatur yper ea, que notantur XL di. Si papa in glossa IIII y.170

Capitulum vicesimum primum Ad hec conveniencius declarandum ponatur casus, qui deo non est impossibilis, quod ipse deus aliquem abbatem cum monsterio, personis et rebus suis exemerit vel eximat simpliciter ab omni iurisdiccione spiritualium vel secularium quorumcumque eciam pape; et quod abbas ille in reprobum sensum perversus, gravet monachos suos, contra regulam intrantes symoniace recipiat, inducat et promoveat eos ad agendum contra et salutem suam et regulam committatque bona monasterii manifestis dissipatoribus eorundem, omnesque consencientes sibi promoveat et exaltet, dissencientes vero odiat, humiliet, persequatur et gravet. Et arguitur primo, quod in hoc casu non teneantur sibi obedire sed resistere, opponere se sibi et facta eius maligna pro posse impedire et, si opus est, ad eius deposicionem procedere. Primum probatur sic, quia hoc esset contra salutem animarum suarum, quam ante omnia procurare tenentur, propter hoc enim, si debite intraverint, ingressi sunt ordinem. Ad hoc XI q. III Si dominus et c. Iulianus; zet quod notatur z De temporibus ordinacionum: Ad aures.171 y–y z–z 168

fehlt Ed. fehlt Ed.

* C. 11 q. 1 c. 30. * X 1.33.16. 170 * D. 40 c. 6, Glosse s. v. A fide devius: Papa . . . potest accusari de alio crimine. Ponamus, quod notorium sit crimen eius vel per confessionem vel facti evidenciam, qui non accusatur, vel de crimine symonie vel adulterii, et, cum admonetur, incorrigibilis est, et scandalizatur ecclesia per crimen eius . . . Nam contumacia dicitur heresis . . . – Sed pro quo peccato potest imperator deponi? Pro quolibet, si incorrigibilis est. Unde deponitur, si est minus utilis. – Der Papst . . . kann auch wegen eines anderen mmmm 169

A 1 Kap. 21 Widerstandsrecht bei Willkür

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erlaubt oder verboten – dieses Urteil ist Fürsten und Prälaten anvertraut, jedem nach seinem Maß,*168 doch dem Papst in höchstem Grade; und auf diese Weise darf kein Niederer über einen Oberen richten, auch nicht die Gemeinde, wenn noch ein Höherer übrig bleibt, dem es rechtlich zusteht und der willens ist, Gerechtigkeit herzustellen. Dies ist notwendig dafür, daß die Ordnung möglichst lange erhalten bleibt.*169 Wenn es jedoch keinen gibt, der dazu in der Lage wäre, oder wenn der Angerufene nicht willens ist zu tun, was seines Amtes ist, dann darf die gesamte Gemeinde oder diejenigen, die das Ganze oder seine Teile verkörpern, über ihn darin richten, worin er sich offenkundig verfehlt hat und worin er erwiesenermaßen unverbesserlich und verstockt ist.*170 – wie festgehalten wird.

Kapitel 21

A 1 Kap. 21 Widerstandsrecht bei Willkür

Um dies angemessener zu erläutern, sei ein Fall gesetzt, der bei Gott nicht unmöglich ist: Gott selbst stattet einen Abt zusammen mit seinem Kloster, seinen Leuten und seinem Besitz mit der Exemtion aus, befreit ihn einfach von jeder geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit, sogar der des Papstes; und dieser Abt verkehrt seinen Sinn, belastet seine Mönche, läßt wider die Regel simonistisch Neulinge hinein, nimmt sie auf und befördert sie, daß sie gegen ihr Heil und gegen die Regel handeln, überträgt Güter des Klosters an solche unter ihnen, die sie offenkundig verschleudern, und alle, die ihm zustimmen, fördert und befördert er, die ihm aber widersprechen, haßt, erniedrigt, verfolgt und belastet er. Da wird zunächst vorgebracht, in diesem Falle sind die Mönche nicht gehalten, ihm zu gehorchen, vielmehr dürfen sie ihm Widerstand leisten, sich ihm widersetzen und seine bösen Taten nach Kräften behindern und, wenn es nötig ist, auf seine Absetzung hinarbeiten. Das Erste wird auf folgende Weise bewiesen: weil das wider ihr Seelenheil wäre, wofür sie vor allem anderen Vorsorge treffen müssen; deswegen sind sie ja auch, wenn sie ordnungsgemäß eingetreten sind, in den Orden eingetreten.*171

Verbrechens angeklagt werden. Nehmen wir an, sein Verbrechen wäre offenkundig durch Geständnis, durch Offensichtlichkeit einer Tat, die nicht angeklagt wird, wegen des Verbrechens der Simonie oder des Ehebruchs, und er wäre, wenn er ermahnt wird, unverbesserlich oder es würde dadurch der Kirche ein Ärgernis gegeben . . . Denn Verstocktheit nennt man ‘Häresie’ . . . – Für welches Vergehen kann ein Kaiser abgesetzt werden? Für jedes, falls er unverbesserlich ist. Daher wird er schon abgesetzt, wenn er weniger nützlich ist. 171 * Dazu: C. 11 q. 3 c. 93–94; X 1.11.5 (mit der Glosse).

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I Mattheus: De squaloribus curie

Preterea hoc est contra vota eorum, quia enim principaliter professi sunt secundum regulam vivere; contravenientes sunt voti fractores. Preterea, abbas in hoc casu et facto non est superior eorum, quia non submiserunt se obediencie sue nisi secundum regulam; ergo quoad contraria regule nichil habet eis mandare; ergo quoad hoc non tenentur obedire, eciamsi iurassent. Non tenentur huiusmodi iuramento, quia non est obligatorium contra bonos mores prescitum iuramentum, ut dicit regula iuris lb. VI a.172 Preterea, deus est superior abbate et mandat contrarium, magis autem obediendum est deo quam hominibus bdicto c.b Si dominus,173 et cuicumque superiori quam ei, qui sub eo est et auctoritate ac nomine suo preest aut preesse debet. Preterea, si deberent sibi obedire, sequeretur, quod deberent duobus contrariis dominis servire, quod teste domino nemo potest.174 Preterea, si tenerentur sibi obedire, sequeretur, quod ipsi sine omni culpa sua et errore suo simpliciter essent perplexi, quod est impossibile, XIII di. Nervi c. II cet eadem distinccio in summa c.175 Consequencia patet, posito, quod sine omni negligencia vel culpa eorum perversitas abbatis eveniret, quod est valde possibile, ex hoc sequitur ulterius, quod debent sibi resistere et se ei opponere, quia eo ipso, quo non obediunt, resistunt. Quid enim est resistere, nisi contra vel contrarium sistere vel stare. Si ergo manent in suo statu, a quo abbas vellet eos amovere vel deicere, manifestum est, quod resistunt. Unde Salvator Luce XI d: Qui non est mecum, contra me est.176 Quod autem debeant pro posse facta sua impedire et, quantum in eis est, non permittere, probatur, quia, si non resistunt, approbare videntur et consentire, iuxta illud: Error, cui non resistitur, approbatur, LXXXVI e di. Facientis;177 et glossa ad Romanos prima f super illo verbo: Qui consenciunt facientibus,178 dicit: Consentire est tacere et non reprehendere, cum possisg.179 Non enim caret scrupulo societatis occulte, qui manifesto facinori desinit obviare, ut in canone proximo allegato.177 Preterea, ipsi debent pro toto posse impedire, ne monasterium et bona eius ad laudem

a

fehlt Ed. fehlt Ed. c–c fehlt Ed. d fehlt Ed. e LX Ed. f fehlt Ed. g possit Ed. b–b

172 173 174

* VI 5.12.58. * Act 4, 19; C. 11 q. 3 c. 93. Matth 6, 24.

A 1 Kap. 21 Widerstandsrecht bei Willkür

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Außerdem: Es ist wider ihre Gelübde, denn sie haben in erster Linie versprochen, nach der Regel zu leben, widrigenfalls sind sie Meineidige. Außerdem: Der Abt ist in diesem Falle und in der Tat nicht ihr Oberer, denn sie haben sich seinem Gehorsam nur gemäß der Regel unterworfen; also: soweit es wider die Regel ist, hat er ihnen nichts zu befehlen; insoweit also sind sie nicht gehalten zu gehorchen, selbst wenn sie geschworen haben. Sie sind nicht durch einen derartigen Eid gebunden, denn ein bewußter Eid gegen die guten Sitten ist nicht verpflichtend, wie die Rechtsregel sagt.*172 Außerdem: Gott ist höher als der Abt, und er befiehlt das Gegenteil, und man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen*173 und jedem Oberen, der Befehle gibt, mehr als dem Untergebenen, den er an Ansehen und Namen übertrifft oder übertreffen müßte. Außerdem wenn sie ihm gehorchen müßten, so folgt daraus, daß sie zwei gegensätzlichen Herren dienen müßten, was nach dem Zeugnis des Herrn niemand kann.174 Außerdem: Wären sie gehalten, ihm zu gehorchen, folgte daraus, daß sie ohne jede Schuld oder Irrtum in Verwirrung oder Verstrickung gestürzt würden, was unmöglich ist.*175 Die Folge ist klar: Gesetzt, die Verkommenheit des Abtes ergebe sich ohne jedes Versagen oder ohne jede Schuld ihrerseits (was gut möglich ist), dann ergibt sich weiterhin, daß sie ihm Widerstand leisten und ihm sich widersetzen müßten, denn schon dadurch, daß sie nicht gehorchen, leisten sie Widerstand. Was ist nämlich ‘Widerstand leisten’ anderes als sich wider etwas oder dagegen setzen oder stehen. Wenn sie also in ihrem Stand bleiben, von dem der Abt sie wegführen oder vertreiben will, leisten sie offenkundig Widerstand. Daher sagt der Heiland bei Lukas: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich.176 Daß sie aber nach Kräften sein Handeln behindern müssen und, soweit es an ihnen liegt, nicht zulassen dürfen, kann man folgendermaßen beweisen: Wenn sie sich nicht widersetzen, scheinen sie zuzustimmen und zu billigen, entsprechend dem Wort: Ein Fehler, dem man sich nicht widersetzt, wird gebilligt,*177 vgl. auch die Glosse zu dieser Stelle an die Römer: Sie stimmen bereitwillig denen zu, die so handeln,178 sie lautet: Zustimmen heißt schweigen und nicht tadeln, obwohl man es könnte.179 Wer es unterläßt, einem offensichtlichen Verbrechen entgegenzutreten, entgeht nicht dem Verdacht geheimer Komplizenschaft, so in dem eben herangezogenen Kanon.177 Außerdem: Sie müssen mit aller Kraft verhindern, daß das Kloster und seine Güter – hauptsächlich zum Lobe Gottes und zum Heil der Insas175

* D. 13 c. 2 § 2, u. ganze Distinctio. * Luc 11, 23. 177 * D. 83 c. 3, D 86 c. 3. – In Hss. E u. M noch: ‘et in c. Constitutis in presentia, De testibus’ = X 2.20.45. 178 * Rom 1, 32. 179 Glossa ordinaria zu Rom 1, 32; Migne PL 114 Sp. 474. 176

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I Mattheus: De squaloribus curie

dei et salutem principaliter illorum, qui ibi recipiuntur, deputata, temporaliter destruantur, ergo multo magis ne spiritualia. Consequencia tenet, quia temporalia propter spiritualia data sunt. Antecedens patet, quia sine eis diu subsistere non possunt het pro utroque h I q. III Si quis obiecerit.180 Quod autem debeant ad eius deposicionem procedere, probatur: Ex quo enim non debent sibi obedire sic agenti vel regenti, sed resistere et facta eius impedire, et hoc non possunt plene et perfecte facere, quamdiu habet regimen et potestatem, ergo debent sibi ista auferre. Preterea ipsi debent innocentes fratres ab iniustis i gravaminibus defendere et eripere et pro posse amovere contumeliam dei et confusionem ordinis sui et scandalum populi, que sine dubio per talem abbatem oriuntur. Et hoc non possunt meliori modo quam ipsius deposicione. Preterea ipse meretur per tale regimen eternam dampnacionem, ergo multo magis ab abbacia deposicionem. Pro confirmacione autem dictarum racionum est canon XVIII q. II Si quis abbas.181 Item, ipse abutitur concessa sibi potestate, ergo meretur privilegium, quod habet, amittere, XI q. III Privilegium.182 Insuper, quisquis munere sibi donato gratuite utitur in iniuriam aut malum donatoris, meretur illud amittere, De donacionibus: c. kPropter.183 Sed k abbas est talis, ergo etc. Preterea abbas ille non minus obligatus est deo quam vasallus domino suo, sed vasallus non servans fidem vel non faciens servicium, perdit bona feodalia, De feudis c. II,184 ergo multo magis ille abbaciam, cum non solum non servat fidem, sed et alios a fide servanda revocat vel abstrahere conatur; et nedum offendat honorem domini, sed et contumeliam inferat; et non solum negligat vel impediat servicium domini, sed et castrum eius, scilicet monasterium, tradat inimico suo diabolo. Manifestum est ergo, quod ipse meretur amittere. Isto igitur probato manifeste, quod, cui magis hoc competit, debet ad hoc facere iuxta posse. Cum ergo iuxta casum nullus alius sit iudex, sequitur, quod, sicut nullum in mundo hoc factum plus et propinquius tangit aut concernit quam monachos illius monasterii, sic revera nulli plus competit ad hoc facere, ipsi enim quoad monasterium et conservacionem eius ac status monastici sunt illi abbati propinquissimi et coniunctissimi, De hiis, que fiunt a prelato: c. Novit let c l. Quanto.185

h–h

fehlt Ed. iniustas Ed. k–k Propter sed Ed. l–l etc. Ed. i

180 181

* C. 1 q. 3 c. 7. * C. 18 q. 2 c. 15.

A 1 Kap. 21 Widerstandsrecht bei Willkür

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sen gestiftet – zeitlich [zerstört werden], und also weit mehr noch [müssen sie verhindern], daß die geistlichen [Güter des Klosters] zerstört werden. Diese Folgerung ist schlüssig, denn Zeitliches wird wegen des Geistlichen gegeben. Der Obersatz des Schlusses läßt sich damit begründen, daß das eine ohne das andere jeweils keinen langen Bestand haben kann.*180 Daß sie aber auf seine Beseitigung hinarbeiten müßten, ergibt sich aus folgendem: Da sie ihm nämlich, wenn er so handelt und herrscht, nicht gehorchen dürfen, sondern sich widersetzen und sein Handeln behindern müssen, dies aber nicht voll und ganz tun können, solange er Leitung und Amtsgewalt hat, müssen sie ihm diese wegnehmen. Außerdem: Sie müssen ihre unschuldigen Mitbrüder vor ungerechten Belastungen schützen und erretten, nach Kräften die Beleidigung Gottes beseitigen, die Verwirrung ihres Ordens und das Ärgernis beim Volke, was alles ohne Zweifel durch solchen Abt entsteht. Und dies können sie auf keine bessere Weise als durch dessen Absetzung. Außerdem: Er verdient für solche Leitung die ewige Verdammnis, also umso mehr die Absetzung von der Abtswürde. Zur Bestätigung dieser Überlegungen aber gibt es den Kanon 18. *181 Ferner: Er mißbraucht die ihm übertragene Amtsgewalt, also verdient er es, das Privileg, das er hat, zu verlieren.*182 Auch: Jeder, der etwas ihm gnädig Geschenktes gegen die Rechte und zum Nachteil des Schenkers gebraucht, verdient es, dieses zu verlieren.*183 Aber jener Abt ist doch so einer, also . . . Außerdem: Jener Abt ist Gott nicht weniger verpflichtet als ein Vasall seinem Herrn; doch ein Vasall, der die Treue nicht wahrt oder seinen Dienst nicht leistet, verliert seine Lehnsgüter,*184 also jener umso mehr seine Abtei, da er nicht nur nicht die Treue wahrt, sondern auch andere von der Bewahrung der Treue abhält oder versucht, sie davon abspenstig zu machen; und er beleidigt nicht nur die Ehre des Herrn, sondern bringt ihm auch Schmach bei; er versäumt und behindert nicht nur den Gottesdienst, sondern er übergibt auch seine Burg, d. h. sein Kloster, seinem Feind, dem Teufel. Es ist also offenkundig, daß er es verdient, dieses zu verlieren. Dadurch ist offenkundig bewiesen, daß derjenige, dem dies in besonderer Weise zukommt, nach Kräften darauf hinarbeiten muß. Da es also in diesem Falle keinen anderen Richter gibt, folgt: Wie diese Tat niemanden in der Welt mehr und näher berührt oder betrifft, als die Mönche dieses Klosters, so kommt es in der Tat niemandem mehr zu, dies zu tun; sie stehen nämlich, was das Kloster und seine Rettung und die des Mönchstandes angeht, jenem Abt am nächsten und sind mit ihm besonders verbunden.*185 182 183 184 185

* * * *

C. 11 q. 3 c. 63. X 3.24.10. X 3.20.2. X 3.10.4 u. 5.

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I Mattheus: De squaloribus curie

Ipsorum periculum et salus dependet in hoc, ergo ipsi sunt obligatissimi monasterio ad conservandum ipsum et statum monasticum. Et si dicitur, quod non habent eum iudicare, contra, nisi iudicent eum male regere, tenentur sibi obedire, cum ergo proprius habent eum iudicare, quam subtrahant obedienciam vel opponant sibi et auctoritatem eius impediant. Si autem habent examinare facta et iudicare de malicia, sequitur eciam, quod habeant definire de pena et eam infligere vel infligi mandare. Hinc est, quod Pilatus noluit iudicare Salvatorem, quem Iudei pretendebant se examinasse et invenisse malefactorem, dicentes: Si non esset hic malefactor, non tibi tradidissemus eum; sed dixit eis: Accipite eum vos et secundum legem vestram iudicate eum,186 quasi diceret: Si examinastis, iudicetis. Preterea posito, quod abbas sit furiosus vel arreptus a diabolo ita, ut assumpto gladio discurrat ad monasterium accendendum, ledendum et occidendum homines, nonne debent monachi auferre gladium, ipsum capere, ligare, includere, ne quid talium faciat? Si ergo tam manifeste constat ipsum furiam spiritualem incurrisse vel spiritualiter obsessum a demone, ita quod conetur occidere animas, scandalizare pusillos et monasterium spiritualiter succendere et in nichilum quoad virtutes et ad laudem dei redigere, numquid non magis digne debet sibi auferri gladius potestatis sue et ipse capi, ligari et incarcerari, ut ipse vel correctus emendetur vel saltem, ne et aliis noceat et ipse profundius dampnetur, cum furia vel arrepcio spritualis multo gravior sit quam corporalis, sicut anima nobilior est corpore. Hinc dominus dans potestatem sathane super bonis et corpore sancti Iob dixit: Verumtamen animam eius serva,187 nolens, quod eum in salute anime aliquatenus impediret. Hinc Crisostomus dicit,188 quod arrepcio, qua diabolus animam obsidet proiciendo eam de uno peccato in aliud, gravior est quam corporalis, quia corpus nunc in ignem proicitur, nunc in aquam. mPro predictis faciunt m XI q. III Si quis episcopus et c. Non enim n cum tribus cap. sequentibus n.189

Capitulum vicesimum secundum Si ergo contingat, quod papa sic agat circa universalem ecclesiam sicut talis abbas, de quo casus est, circa monasterium, cum ipse papa non habeat aliquem superiorem, coram quo ecclesia contra ipsum procedat, nec magis sit m–m n–n 186

fehlt Ed. fehlt Ed.

Joan 18, 30 f. Job 2, 6. 188–188 Nicht bei Ps.-Chrysostomus, In Jobum (zu Job2, 6), Migne PG 64 Sp. 550. 189 * Davon handeln C. 11 q. 3 c. 91–92 und die 3 folgenden Kapitel. 187

A 1 Kap. 22 Gesamtkirche oberster Richter

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Ihre Gefährdung und ihr Heil hängt davon ab, also sind sie in erster Linie dem Kloster verpflichtet, dieses und den Mönchstand zu erhalten. Und wenn es heißt, daß sie über ihn nicht zu richten haben, sei entgegnet: Sie sind gehalten, ihm zu gehorchen, es sei denn sie urteilten, er regiere schlecht; weil es eher zu ihren eigentlichen Aufgaben gehört, über ihn zu urteilen als ihm den Gehorsam zu entziehen, sich ihm zu widersetzen oder seine Amtsführung zu verhindern. Wenn sie aber seine Taten zu beurteilen haben und über seine Bosheit zu urteilen, so folgt auch, daß sie Feststellungen zu treffen haben über eine Buße, sie ihm aufzuerlegen oder die Auferlegung anzuordnen. Das ist der Grund, weswegen Pilatus nicht das Urteil sprechen wollte über den Heiland, von dem die Juden behaupteten, sie hätten ihn vernommen und als Missetäter erkannt; sie sagten: Wäre er kein Verbrecher, hätten wir ihn dir nicht ausgeliefert, und er sagte zu ihnen: ,,Nehmt ihr ihn hin und richtet ihn nach eurem Gesetz!“ 186; gleichsam als ob er sagen wollte: ,,Wenn ihr ihn vernommen habt, so richtet ihn auch!“ Außerdem: Gesetzt nun, der Abt wäre rasend oder vom Teufel besessen, so daß er mit gezücktem Schwert herumläuft, um das Kloster anzuzünden, um die Menschen zu verletzen und zu töten, müßten ihm dann nicht die Mönche das Schwert wegnehmen, ihn fangen, binden, einsperren, damit er nicht solches tut? Wenn also so offenkundig feststeht, daß er einer geistlichen Raserei verfallen ist oder geistlich von einem Dämonen besessen ist, so daß er versucht, Seelen zu töten, bei den Einfachen Ärgernis zu erregen und das Kloster geistlich anzustecken und, was Tugenden und das Gotteslob anlangt, ins Chaos zu führen, muß es dann nicht erst recht angemessen sein, ihm das Schwert seiner Amtsgewalt fortzunehmen, ihn zu fangen, zu binden und in den Kerker zu werfen, damit er vielleicht in sich geht und sich läutert oder wenigstens nicht mehr anderen schadet oder sich noch tiefer in Schuld verstrickt, da die geistliche Raserei oder Besessenheit viel schlimmer ist als die leibliche, so wie die Seele edler als der Leib ist. Daher hat der Herr dem Satan Gewalt gegeben über die Güter und den Leib des heiligen Hiob und dabei gesagt: Doch schone seine Seele!,187 weil er nicht wollte, daß er ihn irgendwie an seinem Seelenheil schädige. Daher sagt Chrysostomus,188 daß die Besessenheit, mit der der Teufel eine Seele in Besitz nimmt, indem er sie von einer Sünde in eine andere wirft, schlimmer ist als eine leibliche, denn der Leib wird bald ins Feuer, bald ins Wasser geworfen.*189

Kapitel 22

A 1 Kap. 22 Gesamtkirche oberster Richter

Wenn es sich also fügt, daß der Papst so handelt gegenüber der gesamten Kirche wie jener Abt, um den es in obigem Fall ging, gegenüber seinem Kloster, dann gilt: Da der Papst keinen Oberen über sich hat, vor dem die Kirche

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I Mattheus: De squaloribus curie

obligata ad obedienciam pape, immo forte bene minus quam monachus abbati, non enim faciunt omnes fideles tam expressum et solempne votum ad obediendum pape, sicut illi faciunt suis superioribus, nec ad tam strictam regulam, quia monachalis regula regule Christi aliquid superaddit. Sequitur, quod si illi possunt contra suum procedere, ut est suasum et debent, quod et isti possint et debeant procedere contra istum, quando manifeste constat ipsum regere contra regulam datam a deo, oad hoc est c.Si papao, XL di.,190 quia aliud non tenentur christiani, dicente scriptura pDeuteronomio XXIIII p: Facies quecumque docuerunt te sacerdotes leviticiq generis iuxta id, quod precepi eis.191 Ecce, quod non dicit simpliciter: quecumque docuerint, sed quecumque docuerint iuxta illud, quod precepi. Quod autem ecclesia universalis vel representantes eam sit vel sint supremus iudex, ad quem excessus hominum deduci debeant, patet Matthei XVIII r, ubi ultimum remedium contra incorrigibilem est, quod dicatur ecclesie, De iudicis: Novit.192 Et si dicatur, prout multi exponunt, ecclesie, id est prelato ecclesie, non obstat, quia hoc non est ex alio, nisi quia ipse representat ecclesiam sicut princeps communitatem populi. Unde sicut inhonorans vel contempnens principem aut prelatum totam communitatem inhonorat, sic omnis honor, qui sibi ut prelato exhibetur, propter ecclesiam exhibetur, et ipse non debet apud se retinere sed in ipsam ulterius referre. Et ideo, si ipse habet potestatem aliquam, multo magis ipsa, quia non habet, nisi a deo et ab ipsa et per ipsam. Ipsa siquidem est immediatissima et coniunctissima sponso suo Christo, De bigamiis: Debitum,193 et ipsa ecclesia papam habet eligere vel committere eligendum ceteris nomine sui. Et si papa est coniunctus Christo, hoc non est principaliter, nisi quia membrum illius est vel minister vel filius eius, et nisi hoc sit, non est Christo coniunctus. Ipsa siquidem est sicut sine qua, nec natus esset nec nutriretur spiritualiter nec viveret. Si ergo contingat aliquando papam propter officium suum honorari vel laudari et dici pro laude sua, antonomastice s sive ex adulacione, sive ex devocione hominum hoc fiat, quod sit dominus, sponsus et caput; recogitet, quod hoc non potest esse proprie loquendo verum. Ecclesia enim non habet duo capita, nec duos sponsos, sed unicum. Et ob hoc non

o–o

fehlt Ed. fehlt Ed. leviti Ed. fehlt Ed. autonomastice Ed.

p–p q r s

A 1 Kap. 22 Gesamtkirche oberster Richter

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gegen ihn vorgehen könnte, und da sie nicht zu größerem Gehorsam gegenüber dem Papst verpflichtet ist, vielmehr sogar zu erheblich geringerem als ein Mönch gegenüber seinem Abt – alle Gläubigen leisten dem Papst nämlich kein so ausdrückliches und feierliches Gehorsamsgelübde wie Mönche ihren Oberen, und die Gläubigen sind auch nicht an eine so strenge Regel gebunden, denn die Mönchsregel fügt der Regel Christi noch etwas hinzu – so folgt daraus: Wie jene gegen ihren [Abt] vorgehen können und (wie wir bewiesen haben) auch müssen, so können und müssen die gegen einen solchen [Papst] vorgehen, wenn offenkundig feststeht, daß er gegen die von Gott gegebene Regel regiert;*190 denn zu anderem sind die Christen nicht gehalten, sagt doch die Schrift: Tue alles, was dich die Priester, die Leviten, lehren; wie ich ihnen geboten habe.191 Also: Sie sagt nicht einfach: ,,Was sie lehren“, sondern: ,,Was sie entsprechend meinen Geboten gelehrt haben.“ Daß aber die Gesamtkirche (oder die sie verkörpern) höchster Richter ist (oder sind), vor den die Vergehen der Menschen gebracht werden müssen, wird bei Matthäus klar, wo letztes Heilmittel gegenüber dem Unbelehrbaren ist, daß man ,,es der Gemeinde sage.“*192 Und wenn man, wie viele darlegen, es der Gemeinde, d. h. dem Prälaten der Gemeinde sagt, so steht das dem nicht entgegen, denn dies geschieht nur, weil er [der Prälat] die Gemeinde verkörpert, wie der Fürst die Volksgesamtheit. Wie daher einer, der den Fürsten oder Prälaten entehrt oder verachtet, die ganze Gemeinschaft entehrt, so wird alle Ehre, die ihm als Prälaten erwiesen wird, ihm um der Kirche willen erwiesen, und er darf sie nicht bei sich behalten, sondern muß sie an diese weitergeben. Daher gilt: Wenn er eine Amtsbefugnis hat, dann umso mehr auch sie; denn er hat sie nur von Gott, von ihr und durch sie. Sie ist nämlich am allerunmittelbarsten und allernächsten ihrem Bräutigam Christus verbunden,*193 und die Kirche selbst hat den Papst zu wählen oder anderen in ihrem Namen die Wahl zu übertragen. Und wenn der Papst Christus verbunden ist, so ist er dies nicht ursprünglich, sondern allein weil er ein Glied von ihr ist, ihr Diener oder Sohn; und wenn er das nicht ist, dann ist er auch Christus nicht verbunden. Sie ist es nämlich, ohne die er weder geistlich geboren oder aufgezogen wäre, noch würde er leben ohne sie. Wenn es sich also irgendwann ergibt, daß der Papst wegen seines Amtes geehrt oder gelobt und etwas zu seinem Lob gesagt wird (mag das nun als Umschreibung, aus Schmeichelei oder aus Ehrfurcht geschehen), daß er ‘Herr’, ‘Bräutigam’ und ‘Haupt’ sei, dann möge er bedenken, daß dies nicht im wörtlichen Sinne wahr sein kann. Die Kirche hat näm190 191 192 193

* * * *

Dazu D. 40 c. 6. Deut 24, 8. Matth 18, 17 = X 2.2.12. X 1.21.5.

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I Mattheus: De squaloribus curie

competit sibi laus illa nisi per similitudinem satis remotam, quia videlicet est vicarius illius, cui hec vere competunt. Qui constituit pocius ipsum custodem sponse sue quam sponsum. Qui non ex alio dicitur caput, nisi quia est supremum membrum eius, non in se, sed quoad officium. Nec arroget sibi dominium super ipsam, quia indignum est, quod filius non habeat matrem ut dominam suam, que ipsum exaltabit et per quam ita subsistit, quod sine ipsa nichil esset, nichil posset. Quando enim ecclesia pape non assisteret nec adhereret, quid esset ipse, quis eum curaret recte. Sicut princeps, si non haberet assistenciam, ipse nichil posset plus, nec timeretur, nisi sicut unus homo alius sibi equalis. Sed ex hoc timetur amplius, quia alii subdiderunt se sibi in tantum, quod assistent. Ad auctoritates ergo adductas potest responderi primo ad illud Apostoli: Qui potestati resistit, dei ordinacioni resistit.194 Verum est, sed papa nullam habet potestatem ad male regendum vel destruendum, ut supra declaratum est, et ideo qui in hoc resistit sibi, non resistit potestati, sed abusui potestatis, et sic nec dei ordinacioni, quia abusus potestatis non est a deo, sed est inicium ac causa amissionis potestatis, quam haberet, si non sic abuteretur; et sic intelliguntur scripture et iura allegata. Sic enim expresse beatus Augustinus dicit dicto capitulo Qui resistit XI q. III: Si aliud iubeat imperator, aliud deus, maior potestas deus. Da veniam, o imperator, tu carcerem, ille gehennam minatur.195 – Ad illud beati Petri, quod discolis obediendum est,196 concedo, non autem in discolis sed in hiis, que ad dominium eorum pertinent, et quamdiu in illo tolerari merentur aut debent nec diucius. – Ad illud Apostoli 197 dico, quod nemo, id est nullus homo, debet iudicare alienum servum, sed papa secundum personam et statum suum non est alienus ecclesie sed filius et minister ac custos eius. Si autem factus est alienus, tunc merito abicit eum a se. – De illo, quo dicitur, quod nemo debeat dicere, cur ita facis,198 hoc est principaliter verum de deo, qui errare non potest, et sic loquuntur scripture: Iob IX t et c. Ex persona et c.Quamvis, De penitencia di. III u,199 ubi sunt verba beati Augustini expresse de deo loquentis; et si ad papam applicantur, potest concedi, quamdiu non constat de errore suo. Et sic dictum potest procedere, quamdiu regit secundum regulam sibi datam et non ultra. – Ad illud, quo

t u

8 Ed. fehlt Ed.

* Rom 13, 2, siehe oben S. 146 Καπ. 20. C. 11 q. 3 c. 97. 196 1 Petr 2, 13, siehe oben S. 146 Kap. 20. 197 Rom 14, 4. 198 Siehe oben S. 146 Kap. 20 Anm. 160. 199 * Job 9, 12; C. 33 q. 3 c. 21. 22, vgl. Kap. 20 Anm. 160. 194

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lich nicht zwei Häupter, nicht zwei Bräutigame, sondern einen einzigen. Daher steht ihm dieses Lob nur zu in recht weit hergeholtem Vergleich; denn er ist schließlich nur Stellvertreter dessen, dem dies in Wahrheit zusteht. Dieser hat ihn eher zum Wächter über seine Braut gemacht als zum Bräutigam. Er heißt nur darum ‘Haupt’, weil er ihr oberstes Glied ist, nicht an sich, sondern im Hinblick auf sein Amt. Darum soll er sich keine Herrschaft über sie anmaßen; denn es ist unwürdig, daß etwa ein Sohn seine Mutter nicht als seine Herrin betrachtet, die ihn erhöht, durch die er so lebt, daß er ohne sie nichts wäre, nichts könnte. Wenn nämlich die Kirche dem Papst nicht beistünde, ihm nicht anhinge, was wäre er dann, wer würde sich recht um ihn kümmern? So wie ein Fürst dann, wenn er keinen Beistand hat, selbst nichts weiter vermöchte, nicht mehr gefürchtet würde als irgend ein anderer Mensch, dem er nun gleicht. Aber deswegen wird er mehr gefürchtet, weil sich andere ihm soweit unterstellt haben, daß sie ihm Beistand leisten. Auf die herangezogenen Autoritäten kann man folgendes antworten: – Zunächst zum Wort des Apostels: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, stellt sich gegen Gottes Ordnung.*194 Das ist wahr, aber der Papst hat keine Amtsbefugnis, um schlecht zu regieren oder zu zerstören, wie oben dargelegt wurde; daher: Wer ihm dabei Widerstand leistet, widersetzt sich nicht der Obrigkeit, sondern dem Mißbrauch der Obrigkeit, folglich also nicht der Anordnung Gottes, denn Amtsmißbrauch stammt nicht von Gott; er ist Anfang und Grund für den Verlust der Amtsbefugnis, die er dann hätte, wenn er sie nicht mißbrauchte; so werden die herangezogenen Stellen der Schrift und des Rechts verstanden. Denn der heilige Augustinus sagt: Wenn der Kaiser etwas anderes befiehlt als Gott, so hat Gott die größere Amtsbefugnis. Mit Verlaub, o Kaiser, du drohst den Kerker, er die Hölle an.195 – Dem Wort des heiligen Petrus, daß [auch] den Schwierigen zu gehorchen sei,196 stimme ich zu, nur nicht bei dem Schwierigen, sondern bei dem, was zu deren Herrschaft gehört und solange sie darin ertragen werden sollen und müssen, doch nicht länger. – Zum Wort des Apostels 197 sage ich: Niemand, also kein Mensch, darf über einen fremden Knecht urteilen; der Papst ist indessen nach seiner Person und seinem Stand kein Fremder in der Kirche, vielmehr ihr Sohn, Diener und Wächter. Wenn er aber zum Fremden geworden ist, dann weist sie ihn zu Recht von sich. – Zu jenem Satz, der lautet, niemand dürfe ihm sagen: Warum tust du das?198 Dies ist hauptsächlich wahr über Gott, der nicht irren kann, und dies sagen die Schrift und die Kanones*199 – wo die Worte des heiligen Augustinus stehen, der ausdrücklich von Gott spricht; und wenn sie auf den Papst angewandt werden, kann man dies zugestehen, solange nicht sein Irrtum offenkundig ist. So kann das Wort fortgelten, solange er gemäß der ihm gegebenen Regel regiert, doch nicht darüber hinaus.

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I Mattheus: De squaloribus curie

dicitur, quod inferiores non debeant iudicare superiores et quod non debeant edere de ligno sciencie boni et mali,200 verum est, quoad bona et quoad indifferencia, quia bene et male possunt fieri. Tale enim fuit illud mandatum primis parentibus datum. Postquam autem constat tendere ad noxam, debet abicere vel fugere, sicut Salvator, postquam gustasset, noluit bibere.201 – Ad illud v, quod adducitur pro confirmacione omnium, quia caput debetw regere membra,202 verum est, non autem seducere vel pervertere; quia, quando hoc facit, non regit, ideo nemo tenetur ipsum sequi, quia tunc desinit officium capitis exercere. – Ad ultimum, quando queritur, quid valeret x officium prelatorum, si quilibet eorum deberet y scire motiva?203 Respondetur, quod si non possit sciri nec debeat requiri radix intencionis, tamen ex fructibus eorum habet agnosci, ut dicit Salvator.204 Post agnicionem vero non potest non iudicare iudicio racionis fructus bonus vel malus. Et certe iuxta hec debet acceptari vel refutari. Ad hoc enim nobis racio data est, ut secundum eam in agendo dirigamur. [Epilogus] Hic itaque michi videtur 205esse ignis in furore domini succensus,205 206usque ad perdicionem devorans 206 clerum z et statum ecclesiasticum 206eradicansque omnia genimina a206 devocionis et gracie in ipso clero et edificacionis in populo, 207cuius flamma cubitis quadraginta novem effunditur,207 208quia universitatem b contingit 208 per septenarium c designatam, maxime dum in seipsum multiplicando reducitur, 209erumpensque incendit omnes, quos iuxta fornacem reperit.209 Quia rarus est, qui ita purus exit curiam, ut intravit; sed percipue consumit ministros, qui eam incendunt. Nunc igitur, si quis est, cui videtur, quod visio mea fallax aut vana, rogo

v w x y z a b c

aliud Ed. dicere Ed. valet Ed. debet Ed. animas clerum Hs. B; animas illorum Ed. geminina Ed. universalitatem Ed. septenariam Ed.

Vgl. Kap. 20 S. 146 βει Ανμ. 161 υ. 162.. Matth 27, 34. 202 Kap. 20 nach Anm. 162. 203 Kap. 20 nach Anm. 162. 200

201

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– Zu jenem Satz, der lautet: Niedere dürfen nicht über die Oberen richten, und sie dürfen nicht von dem Baum der Erkenntnis über Gut und Böse essen:200 Er ist wahr, soweit es das Gute und das Indifferente angeht, denn dies kann gut oder schlecht getan werden. Dieses Gebot wurde ja den Stammeltern in dieser Weise gegeben. Sobald aber feststeht, daß es zum Schaden hin tendiert, muß man es abtun und fliehen, so wie der Heiland, nachdem er gekostet hatte, nicht trinken wollte.201 – Zu jenem Satz, der zur Bestätigung aller anderen vorgebracht wird: Das Haupt regiert die Glieder202 – gewiß, aber nicht zum Verführen oder Verderben; denn wenn er das tut, regiert er nicht; also ist niemand gehalten, ihm zu folgen, denn er hört auf, das Amt des Hauptes auszuüben. – Zum letzten, wenn gefragt wird: ,,Welchen Wert hat das Amt der Prälaten, wenn jedermann deren Beweggründe kennen muß?“ 203 Antwort: Wenn man sie nicht kennen kann und nicht die Wurzel der Absicht erforschen muß, so wird man sie doch an den Früchten erkennen, wie der Heiland sagt.204 Nächst der Erkenntnis aber muß man notwendig eine gute oder schlechte Frucht nach dem Urteil der Vernunft beurteilen. Und gewiß muß man sie danach annehmen oder verwerfen. Dafür ist uns die Vernunft gegeben, daß wir uns in unserem Handeln nach ihr richten.

Nachwort Hier nun so scheint mir, ist 205durch den Zorn des Herrn das Feuer entzündet 2o5; 206bis zum Abgrund verzehrt es 206 den Klerus und den kirchlichen Stand; 206es vernichtet alle zarten Früchte 206 der Andacht und der Gnade im Klerus und der Erbauung im Volke, 207seine Flamme erhebt sich 49 Ellen in die Höhe 207, 208und reicht bis an den Himmel,208 der durch die Siebenzahl bezeichnet wird – besonders wenn man sie mit sich selbst vervielfältigt und zusammenzählt –; 209es greift um sich und verbrennt alle, die es nahe bei dem Feuerofen findet.209 Denn selten gibt es einen, der die Kurie so rein verläßt, wie er sie betreten hat; aber ständig verschlingt der Brand die Diener, die ihn nähren. Nun also, wenn es einen gibt, dem es scheint, meine Vision sei trügerisch oder nichtig, so möge er dies bitte zeigen; gewiß würde ich wünschen, ebenso 204

Matth 7, 16. Jerem 15, 14. 206–206 Job 31, 12. 207–207 Dan 3, 47. 208–208 Dan 4, 8. 209–209 Dan 3, 48. 205–205

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I Mattheus: De squaloribus curie

dignetur ostendere, quia profecto optarem, eo modo, quo propheta optavit, quod o 210utinam essem vir non habens 211spiritum d 210 veritatis,211 scilicet quoad hec dicta 210et mendacium pocius loquerer.210 Si autem est vera visio et cuilibet intueri volenti luculenter apparens, aperiant oculos, qui non vident,212 et cum viderint conferendo, scribendo, monendo, predicando, quantum licuerit, mecum clament e. Clamemus omnes et singuli, ut nemo nesciat, ignis ille pessimus quantum noceat, 213quantum silvam accendat.213 Clamemus et innocentes et simplices, quatenus sibi caveant, ut maledictus ignis iste eos tamquam socios Danielis 214 omnino non tangat nec quicquam molestie eis inferat. Clamemus pigris et dormientibus, ut evigilent et fugiant de medio multitudinis huius, 215ne involvantur peccatis eorum.215 Clamemus perversis et malivolis, ut cessent hunc ignem alienum afferre, ne 216egressus ignis a domino devoret eos.216 Clamemus magnatibus, prelatis et potentibus, quatenus studeant ligna subtrahere, ut eis deficientibus ignis iste perniciosissimus extinguatur.217 Clamemus denique gemendo, plorando, orando ad dominum deum nostrum, qui 218 ignis consumens est,218 quatenus 219per ignem caritatis 219 sue, 220quem misit in terram et accendi voluit,220 dignetur 221impetum huius ignis extinguere 221 per cupiditatem accensi. Alioquin verendum est, ne 222ardeat usque ad inferni novissima, devoretque terram 222 ecclesie, 222cum germine suo 222 fidelium 222et moncium fundamenta,222 id est superiorum fiduciam, qui temporalibus innituntur, comburat. Sicque tandem 223ossa Idumee,223 id est auctoritas ecclesie f, que est quasi firmitas et robur eiusdem, 223in cinerem,223 id est 224in nichilum redigatur,224 propter tam gravem eius abusum, sicut Iudeis accidit, quando spiritualem potestatem temporali 225precio comparabant.225 Sit ergo benedictus ille, qui Moysen populo Israelitico prefecit, qui dictam curiam in melius reformare sua immensa misericordia dignetur, per omnia secula seculorum. Amen g. d e f g

speciem Ed. clamet Ed. ecclesiae suae Ed. fehlt Ed.

210–210

Mich 2, 11. Joan 14, 17; 15, 26. 212 Vgl. Ps 113, 5. 213–213 Jac 3, 5. 214 Dan 3, 49. 215–215 Num 16, 26. 216–216 Levit 9, 24. 217 Prov 26, 20. 218–218 Deut 4, 24. 211–211

A 1 Kap. 22 Gesamtkirche oberster Richter

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wie es der Prophet gewünscht hat, 210ich wäre ein Mann, der nicht 211den Geist 210 der Wahrheit 211 hat, d. h. hinsichtlich dieser meiner Worte, 210und ich spräche lieber eine Lüge.210 Wenn meine Vision jedoch wahr ist und für jeden, der sehen will, sonnenklar erscheint, dann sollen die ihre Augen öffnen, die nicht sehen,212 und sobald sie sehen, mögen sie mit mir zusammen, soweit es erlaubt ist, ihre Stimme erheben mit Reden, Schreiben, Aufrütteln und Predigen. Laßt uns alle samt und sonders schreien, damit niemand in Unkenntnis bleibt, wie sehr jenes so schlimme Feuer schadet, 213welch großen Wald es einäschert.213 Laßt uns schreien zu den Unschuldigen und Einfältigen: Sie sollen sich vorsehen, daß jenes verfluchte Feuer sie wie die Gefährten des Daniel 214 nicht berührt und ihnen keine Last bringt! Laßt uns schreien vor den Faulen und Schläfrigen: Sie sollen aufwachen und aus der Mitte der Menge fliehen, 215damit sie nicht in deren Sünden umkommen.215 Laßt uns schreien vor den Schlimmen und Übelwollenden: Sie sollen aufhören, mit diesem Feuer andere anzustecken, damit nicht 216ein Feuer vom Herrn ausgehe und sie verzehrt.216 Laßt uns schreien vor den Gewaltigen, den Prälaten und Mächtigen: Sie sollten möglichst das Brennholz fortnehmen, damit nach dessen Beseitigung dieses so sehr verderbliche Feuer verlöscht!217 Laßt uns schließlich schreien mit Seufzen, Weinen, Beten vor Gott unserem Herrn, der 218ein verzehrendes Feuer ist:218 Er möge 219durch das Feuer seiner Liebe,219 220das er auf die Erde gesandt hat und entzünden wollte,220 221die Kraf jenes Feuers auslöschen 221 durch die Leidenschaft seiner Entflammung. Sonst steht zu befürchten, 222das Feuer werde bis in die unterste Hölle brennen und das Land 222 der Kirche 222mit seinem Gewächs 222, den Gläubigen, 222 verzehren und die Grundfesten der Berge anzünden,222 d. h. das Vertrauen in die Oberen, die sich auf das Zeitlich-Weltliche stützen. So würden schließlich 223die Gebeine des Königs zu Edom,223 d. h. das Ansehen der Kirche, das gleichsam ihre Kraft und Stärke ist, 223in Asche,223 d. h. 224in Nichts zerfallen 224 wegen des schweren Mißbrauchs, so wie es den Israeliten geschah, als sie sich die geistliche Gewalt für einen weltlich-zeitlichen 225Preis verschafften.225 Gepriesen sei er also, der Moses zum Führer des Volkes Israel gemacht hat; er möge in seiner unermeßlichen Barmherzigkeit die genannte Kurie zum Besseren neugestalten, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. 219–219 220–220 221–221 222–222 223–223 224–224 225–225

Missale Romanum, 2. Alleluia-Vers von Pfingsten (tui amoris ignem). Vgl. Luc 12, 49. Hebr 11, 34. Deut 32, 22. Am 2 ,1. Vgl. Ps 77, 59. Lam 5, 4.

II

Edd.: Martène-Durand VII, Sp. 1124–1130 (M-D), Vincke S. 205–213 [nur a] (V) – emendiert mit Hilfe der Hs. Eichstätt, Universitätsbibliothek, Cod. st. 698.

[DE CONCILIO PISANO] Articuli reformacionis ecclesie tam in capite quam in membris I. Pro pace et felici reintegracione 1 sancte matris ecclesie ac debita reformacione nonnullorum gravaminum, que universalem dei ecclesiam in se et suis membris ab aliquibus annis citra multipliciter oppresserunt, prelati et procuratores absencium ade imperio a, de regnis Francie, Anglie, Bohemie, Polonie provinciarumque Germanie et Provincie etc. ad sacrum generale concilium presencialiter congregati, coram beatitudine vestra 2 exponunt humiliter articulos, qui secuntur, supplicantes in singulis per eiusdem beatitudinis iusticiam misericorditer provideri. II. Et primo, ut divina gracia dirigente iuxta vestre beatitudinis desiderium et cunctorum fidelium votum christianus populus sub vobis, vero et indubitato pastore, eo fidelius et salubrius redigatur, quo huius sacri concilii intemerata veritas et duorum improbe contendencium heretica pravitate deieccio vestreque sanctitatis canonica eleccio clarius patefiat, dignetur eadem sanctitas processus in sacro concilio observatos 3 regibus et principibus universis diligencius intimare ac sentenciam adversus contendentes iuste latam execucioni debite demandare et reduccionem regnorum et provinciarum et locorum inobediencium dextra sollicitudinis procurare. Ad que implenda et feliciter dirigenda prefati prelati et procuratores consilia et auxilia offerunt humiliter toto posse, cum videant ex temporis dilacione, causante adversariorum malicia, pericula plurima generari. III. Et quia, causante improbe ambicionis audacia, prodita iuris remedia sufficere non videntur ad obviandum scismatibus, que occasione eleccionis Romani pontificis in futurum possent provenire, propter quod nostris in temporibus universalis ecclesia gravem et inauditam passa est scissuram, providendum videtur per sanctitatem vestram, sacro approbante concilio, de re-

a–a 1

fehlt Hs. E u. V

Nach dem Schisma von 1378 Einigung auf dem Konzil. Alexander V., † 3. Mai 1410. 3 Absetzung Gregors XII. und Benedikts XIII. am 5. Juni 1409 sowie Wahl Alexanders V. 2

2. REFORMWÜNSCHE DER NATIONENVERTRETER AUF DEM PISANER KONZIL UND ANTWORT DES PAPSTES, JULI 1409 a) Anträge für eine Reform der Kirche an Haupt und Gliedern 1. Für den Frieden und eine glückhafte Wiedervereinigung 1 der heiligen Mutter Kirche und für die nötige Reform einiger Beschwernisse, die die allgemeine Kirche Gottes insgesamt und in ihren Gliedern seit einigen Jahren vielfältig bedrückt haben, legen die Prälaten und Abgesandten – aus dem Römischen Kaiserreich, aus den Königreichen Frankreich, England, Böhmen, Polen, den Gebieten Deutschlands und aus der Provence usw. –, die sich zum Allgemeinen Konzil persönlich versammelt haben, Eurer Heiligkeit 2 demütig ergeben die folgenden Anträge vor; sie bitten, es möge durch Eurer Heiligkeit Gerechtigkeit im einzelnen barmherzig Vorsorge getroffen werden. 2. Damit nun erstens – unter der Leitung der göttlichen Gnade nach dem Verlangen Eurer Heiligkeit und dem Wunsche aller Gläubigen – das christliche Volk unter Euch, dem wahren und unleugbaren Hirten, umso getreulicher und heilsamer dorthin geführt werde, wo die unverfälschte Wahrheit dieses heiligen Konzils, wo die Verwerfung der Beiden, die sich in häretischer Verderbnis um die päpstliche Würde streiten, und wo die kanonische Wahl Eurer Heiligkeit ganz offen zutage tritt, möge Eure Heiligkeit zu tun geruhen: die auf dem heiligen Konzil verhandelten Rechtsverfahren 3 allen Königen und Fürsten genauestens vermelden, den gegen die beiden Prätendenten gerecht erlassenen Spruch in gerechter Durchführung einfordern, sowie die Rückführung der Reiche, Länder und Orte, die bislang ungehorsam sind, mit der rechten Hand der Besonnenheit besorgen. Um dies zu erfüllen und glücklich durchzuführen, bieten die genannten Prälaten und Abgesandten demütig Rat und Hilfe an, soweit sie es vermögen, da sie sehen, daß aus dem Zeitverzug – er wird durch die Bosheit der Gegner verursacht – sehr viele Gefahren entstehen. 3. Weil außerdem bei der Tollkühnheit maßlosen Ehrgeizes die herkömmlichen Heilmittel des Rechts anscheinend nicht ausreichend sind, um den Schismen zu begegnen, die es anläßlich der Wahl des Römischen Bischofs künftig geben könnte – weswegen in unseren Tagen die gesamte Kirche eine schwere und unerhörte Zerspaltung erlitten hat –, muß offensichtlich Eure Heiligkeit mit Billigung des heiligen Konzils Vorsorge treffen für ein ange-

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II Articuli reformacionis

medio convenienti contra scismata, que possent evenire, si eleccio celebrata de Romano pontifice 4 dicatur nulla propter metum seu impressionem, pecuniam, tumultum popularem aut alia causa, super quo sanctitas vestra dignetur efficaciter providere. IIII. Item, quia status ecclesiasticus, qui in sortem 5hereditatis domini 5 est electus, virtutum ac morum excellencia cunctos debet attrahere in salutem, dignetur eadem sanctitas reformacioni morum et statuum universalis ecclesie tam in capite quam in membris per se vel deputandos vigilanter intendere et universo gregi commisso quoad hoc ultra iuris communis disposicionem, si pro qualitate rerum et temporum videbitur, salubria monita ministrare. Que omnia auxiliante deo prefati supplicantes gratanter suscipient et implere curabunt humiliter iuxta posse, cum per hoc propiciabitur Altissimus et sanctitatis vestre 6iusticia et obediencia 6 potissimum augebuntur. Modos autem particulares, qui reformacioni premissorum incumbunt, non inserimus in presenti. Sed ad sanctitatis vestre iudicium et reverendissimorum dominorum cardinalium prudenciam et experienciam laudabiliter relinquamus. Verum quia iuris ordo confunditur, si sua unicuique iusticia non servatur, dignetur sanctitas vestra attendere – ut cum debita reverencia et humilitate loquamur – quantum a sanctorum patrum institutis et antiquis iuribus aberratum extitit per superiorum usurpacionem et inferiorum tolleranciam in plerisque, que eisdem inferioribus in premium deberent pocius quam in penam venire modis et articulis, que sequuntur. V. Primo, quia quandoque Romani pontifices voluntarie aliquos prelatos et alios beneficiatos de ecclesiis suis et beneficiis suis transtulerunt invitos ad alias ecclesias et beneficia, quod cessit in preiudicium non modicum et gravamen dictorum beneficiorum et ecclesiarum ac ipsorum prelatorum et beneficiatorum et scandalum plurimorum, supplicant prefati, quatenus sanctitas vestra non faciat nec admittat. VI. Item, quia Romani pontifices ab aliquibus annis citra 7 reservaverunt sibi omnes dignitates episcopales et b abbaciales ac maiores dignitates ecclesiarum collegiatarum et regularium et maiores in ecclesiis kathedralibus post episcopales et insuper concesserunt indifferenter et sine numeri limitacione gracias expectativas 8 ad quecumque beneficia ecclesiastica et ultra hoc multos

b

fehlt Hs. E u. V

4

= der Papst. Vgl. Ps 15, 5; 32, 12; 46, 5. 6–6 Summe der Rechtstitel sowie konkreter Einflußbereich des Papstes und Gehorsam gegen den Papst. 5–5

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messenes Heilmittel gegen mögliche Schismen, wenn die erfolgte Wahl eines Römischen Bischofs 4 für nichtig erklärt wird wegen Furcht, Unterdrucksetzen, Geld, Volksaufstand oder aus einem anderen Grund; dafür möge Eure Heiligkeit wirksam Vorsorge treffen. 4. Weil der Stand der Kirchenleute – er ist ja erwählt zum Lose 5der Erbschaft des Herrn 5 – alle durch die Herrlichkeit seiner Tugendkräfte und moralischen Vollkommenheit zum Heil ziehen soll, möge Eure Heiligkeit geruhen, auf eine Reform der Sitten und des Zustandes der Gesamtkirche an Haupt und Gliedern selbst oder durch Beauftragte wachsam hinzuarbeiten und der gesamten anvertrauten Herde dafür über die Anordnung des gemeinen Rechts hinaus, wenn Zeit und Umstände es erforderlich erscheinen lassen, heilbringende Erinnerungen zu liefern. Dies alles werden die genannten Bittsteller mit Gottes Hilfe dankbar annehmen und nach Vermögen demütig zu erfüllen trachten; denn dadurch wird der Allerhöchste versöhnt und Eurer Heiligkeit 6 Gerechtsame und Obödienz 6 werden im besonderem Maße vermehrt. Besondere Maßnahmen indes, die auf eine derartige Reform hinzielen, fügen wir derzeit nicht bei. Doch wir möchten sie löblich dem Urteil Eurer Heiligkeit sowie der Klugheit und Erfahrung der Herren Kardinäle überlassen. Weil aber die Rechtsordnung verwirrt wird, wenn nicht einem jeden seine Gerechtsame bewahrt wird, möge Eure Heiligkeit darauf Acht geben – wir sagen das mit gebührender Hochachtung und Ergebenheit –, wie sehr man vielfach von den Einrichtungen der heiligen Väter und den alten Rechten abgewichen ist durch Usurpation von seiten der Großen und durch Gewährenlassen von seiten der Niederen; dies sollte den Niederen mehr zum Lohn gereichen als zur Strafe – durch folgende Vorschläge und Anträge: 5. Zunächst: Da die Römischen Bischöfe willkürlich bisweilen einige Prälaten und andere Pfründner gegen ihren Willen von ihren Kirchen und Pfründen an andere Kirchen und Pfründen versetzt haben, was zu nicht unbeträchtlichem Nachteil und Schaden für diese Pfründen und Kirchen, auch für die Prälaten und Pfründner selbst und zum Ärgernis bei sehr vielen geführt hat, bitten die Genannten Eure Heiligkeit, dies weder zu tun noch zuzulassen. 6. Die Römischen Bischöfe haben sich seit einigen Jahren 7 alle Würden der Bischöfe und Äbte, die höheren Würden der Kollegiat- und Regularstifte sowie die höheren Würden in Kathedralkirchen unter dem bischöflichen Amt vorbehalten; und darüber hinaus haben sie ohne Unterschied und Begrenzung der Zahl huldvolle Expektanzen 8 auf alle kirchlichen Pfründen geA 2 Pisa a) Reformwünsche der Nationen

7 Besonders durch den Liber Sextus (1298 von Bonifaz VIII. erlassen), die Clementinae (1317 von Johannes XXII. erlassen) und die Extravagante Ad regimen Benedikts XII. von 1335 (Extrav. comm. 3.2.13). 8 Verbriefte Anwartschaften.

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II Articuli reformacionis

alios modos induxerunt, per quos sibi applicaverunt omnimodo disposicionem beneficiorum ecclesiasticorum. Ex quo impedita fuit et absorpta ex toto actualis potestas capitulorum, collegiorum et conventuum necnon archiepiscoporum, episcoporum ceterorumque prelatorum et patronorum ecclesiasticorum quoad elecciones, confirmaciones, collaciones, presentaciones et instituciones per eos faciendas. Quod videtur repugnare et obviare statutis conciliorum generalium et decretis sanctorum patrum, bono policie ecclesiastice necnon debite et regulate ordinacioni et ierarchie ecclesiastice, intencioni fundatorum et devocioni. Et insuper est res generalis status ecclesie turbativa atque confusiva ac execucionis principalis officii c papalis impeditiva et a vestigiis sanctorum patrum exorbitans. Quod maxime procedit quoad gracias expectativas ad beneficia ecclesiastica vacatura, cum sint dampnata auctoritate concilii generalis. Nimirum, quia per eas ingeritur votum mortis aliene, prebetur occasio machinandi in mortem alterius et ad hoc via aperitur necnon ad beneficia vacatura per minas et terrores, per dona et promissiones. Cuiusmodi racioni d naturali ac publice utilitati pape potestas et auctoritas est subiecta, eo presertim quia per dictas gracias et ipsarum occasione provenerunt illaqueaciones, intrusiones, mendicitates et alia innumera inconveniencia plenius, si opus fuerit, declaranda. Unde supplicant prefati, quatenus dominus noster papa, qui pro tempore fuerit, permittat libere secundum iuris communis disposicionem 9 eligere, confirmare, presentare, instituere, conferre et alias providere, quocienscumque dignitatum, beneficiorum et officiorum ecclesiasticorum quorumcumque vacacio occurret, ordinarios videlicet, ad quos de iure, consuetudine, prescripcione vel privilegio aut alias competere dinoscitur, cupientes, quod detur bonus ordo tam in eleccionibus et confirmacionibus fiendis de prelaturis, dignitatibus et aliis beneficiis electivis, quam in modo providendi de beneficiis ecclesiasticis nobilibus, graduatis et aliis personis ydoneis, presertim universitatum studiorum. VII. eItem curia Romana multum effuse concedit conservatorias 10 eciam personis et statibus, quibus dande non sunt, et eciam concedendo, quod trahantur extra eorum domicilia ultra limites a iure statutos. Quare supplicatur, quod amodo circa hoc stricte teneantur termini iuris nec ultra illos in hoc aliquid concedatur, eciam si illi, quibus conceduntur conservatorie, sint exempti.e

c

effectus Hs. E u. V ratione MD u. V e–e nach XIV gestellt Hs. E u. V d

9

Rückkehr zum Rechtsstand des 11. u. 12. Jh. Päpstliche Bullen über Rechtsbestätigungen von Richtern, die vom Kapitel nominiert werden. 10

A 2 Pisa a) Reformwünsche der Nationen

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währt, sie haben darüber hinaus viele andere Wege eingeschlagen, auf denen sie sich jedwede Verfügung über die kirchlichen Pfründen beigelegt haben. Dadurch wurde die tatsächliche Gewalt der Kapitel, Kollegien und Konvente sowie die der Erzbischöfe, Bischöfe und übrigen Prälaten und Kirchenpatrone, selbst die Wahlen, Bestätigungen, Verleihungen, Besetzungsvorschläge und Besetzungen vorzunehmen, insgesamt behindert und aufgezehrt. Dies widerspricht und widerstreitet offensichtlich den Beschlüssen der Allgemeinen Konzilien, den Verordnungen der heiligen Väter, dem Wohl der Kirchenverfassung, der gebührlichen und geregelten Ordnung und kirchlichen Hierarchie, sowie der Absicht und der Frömmigkeit der Stifter. Außerdem ist dies eine Angelegenheit, die für den gesamten Stand der Kirche Verwirrung und Verstörung bringt, die Arbeit im geistlichen Amt des Papstes behindert und von den Spuren der heiligen Väter abweicht. Dies gilt besonders bei den Expektanzen auf künftig freiwerdende kirchliche Pfründen; diese sind nämlich von der Autorität des Allgemeinen Konzils verurteilt worden. Kein Wunder: Weil durch sie der Wunsch nach dem Tode eines anderen angeregt wird, bietet sich Gelegenheit, nach dem Tod eines anderen zu trachten; und der Weg dazu wird frei und auch dazu, Pfründen durch Drohungen und Schrecken, durch Geschenke und Versprechungen vakant zu machen. Die Gewalt und Autorität des Papstes ist einer gewissen natürlichen Ordnung und öffentlichem Nutzen unterworfen, besonders deswegen, weil durch die genannten Gnadenerweise und durch sie veranlaßt auch Verstrickungen, Eindrängen, Betteleien und unzählige andere Unzuträglichkeiten – die falls nötig erläutert werden könnten – vorkommen. Darum bitten die Genannten, unser Herr Papst, der jeweils im Amte ist, möge es gestatten, daß die Ortsordinarien frei nach der Regelung des gemeinen Rechts 9 wählen, bestätigen, vorschlagen, einsetzen, übertragen und sonstwie Vorsorge treffen, sooft irgendwie Vakanz von kirchlichen Würden, Pfründen und Ämtern eintritt, d. h. diejenigen, denen dies nach Recht, Gewohnheit, Rechtszuwachs, Privileg oder sonstwie offensichtlich zusteht; sie wünschen dabei, daß eine gute Ordnung hergestellt wird für die Durchführung von Wahlen und Bestätigung von Prälaturen, Würden und sonstigen auf Wahlen beruhenden Pfründen sowie auch für die Art und Weise der Übertragung von kirchlichen Pfründen an Adlige, Graduierte und sonstige geeignete Personen, besonders von den Universitäten. 7. Die Römische Kurie gewährt in weitem Umfang Konservatorien 10 auch an Personen und Stände, denen sie nicht gegeben werden dürfen; dabei wird auch gewährt, daß diese vor ein Gericht außerhalb ihres Wohnortes gezogen werden, über die vom Recht gezogenen Grenzen hinaus. Daher rührt die Bitte, daß künftig diesbezüglich die Grenzen des Rechts strikt eingehalten werden und daß darüber hinaus nichts gewährt wird, auch dann nicht, wenn diejenigen, denen die Konservatorien gewährt werden, exemt sind.

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VIII. Item exponunt prefati, quod Romani pontifices ab aliquibus annis citra 11 induxerunt seu sibi reservaverunt primas annatas fructuum prelaturarum et beneficiorum vacancium necnon communia et minuta servicia, et de facto spolia et bona dimissa a viris et prelatis ecclesiasticis occupaverunt, decimas imposuerunt pro libito voluntatis, prelaturas diucius in manibus suis tenuerunt, fructus pro tempore vacacionis obvenientes percipiendo, nec ob hoc aliqua onera supportare voluerunt eciam in deduccionem f eorum, que dicebantur deberi camere apostolice. Que repugnant iuri communi et racioni ac statutis conciliorum generalium et decretis sanctorum patrum, sunt exemplo perniciosa et quam plurimum scandalosa ac cedunt in detrimentum ecclesiarum et monasteriorum, tam in spiritualibus quam temporalibus gravia detrimenta inferunt, eo presertim quia per hec monasteria et eorum bona ruinis deformantur, ipsorum bona nedum mobilia preciosa vili precio, sed eciam immobilia quandoque in perpetuum quandoque ad longum tempus contra iura alienantur. Per hoc numerus ministrorum diminuitur, cultus divinus defraudatur, devocio fundatorum cessat, viri ecclesiastici in obprobrium cleri mendicare compelluntur, huiusmodi monasteria et ecclesie mole debitorum onerantur. Propter quod opportet frequenter bona quelibet monasteriorum dari creditoribus in solutum. Prelati ecclesiastici metu sentenciarum in divinis servire impediuntur. Ex hoc eciam proveniunt iurium perdicio ac tocius status ecclesiastici nota subversio. Unde supplicant prefati, quatenus dominus noster papa, qui pro tempore fuerit, et Romana curia de cetero abstineat ab omnibus et singulis exaccionibus suprascriptis g et aliis quibuscumque, et fructus beneficiorum libere permittat percipi per illos, ad quos vel de iure, consuetudine vel privilegio dinoscitur pertinere. IX. Item verum est, quod aliqui Romani pontifices ab aliquibus annis citra reservaverunt sibi procuraciones 12 debitas prelatis ecclesiasticis racione visitacionum, ipsarum percepcionem interdicentes, per quod impediebatur fructus spiritualis, qui poterat provenire de visitacionibus. Adimebatur libertas viris ecclesiasticis alias visitandis solvendi in victu vel pecunia numerata, et multa inconveniencia ex hoc provenisse dinoscuntur. Unde supplicant, qua-

f g

deductione V supradictis V

11 Seit 1392 von Papst Bonifaz IX. – Im Antrag werden als Abgaben genannt: a) annate oder medii fructus, halbe Jahreserträge bei Verleihung einer Pfründe durch den Papst; b) servicia communia (die Papst u. Kardinälen gemeinsam anteilig zufließen) et mmm

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8. Die Genannten legen auch folgendes dar: Die Römischen Bischöfe haben seit einigen Jahren 11 die Erstjahres-Einkünfte der vakanten Prälaturen und Pfründen sowie die gemeinsamen und minderen Servitienzahlungen eingeführt und sich vorbehalten, und tatsächlich haben sie Hinterlassenschaft und nachgelassene Güter der Kirchenleute und Prälaten an sich gezogen, Zehnten nach Gutdünken auferlegt, Prälaturen länger in der Hand behalten, um die während der Zeit der Vakanz hereinkommenden Erträge zu erhalten, und deswegen keine Last übernehmen wollen zum Schaden dessen, was angeblich der Päpstlichen Kammer zusteht. Was dem gemeinen Recht, der Vernunft, den Beschlüssen der Allgemeinen Konzilien und den Vorschriften der heiligen Väter widerstreitet, ist als Beispiel verderblich und überaus anstößig, es gereicht Kirchen und Klöstern zum Verderben, bringt im Geistlichen wie im Weltlichen schweren Schaden besonders deswegen, weil dadurch die Klöster und ihre Güter ruiniert, ihre Güter – nicht nur die beweglichen Kostbarkeiten – für einen geringen Preis verschleudert, sondern auch die Immobilien bald immer, bald auf lange Zeit rechtswidrig entfremdet werden. Dadurch wird die Zahl der Diener [Gottes] vermindert, der Gottesdienst betrügerisch eingeschränkt, die Frömmigkeit der Stifter hört auf, Kirchenmänner werden zur Schande für den Klerus zum Betteln gezwungen, solche Kirchen und Klöster werden durch eine gewaltige Last von Schulden bedrückt. Deswegen ist es oftmals nötig, daß Güter der Klöster den Gläubigern als Zahlung ausgehändigt werden. Kirchliche Prälaten werden durch die Furcht vor Verurteilungen gehindert, ihren Gottesdienst zu versehen. Daraus ergeben sich ein Verlust der Rechte und eine bemerkenswerte Verkehrung der gesamten Kirchenverfassung. Daher erbitten die Genannten ergebenst, unser Herr Papst, der derzeit amtiert, und die Römische Kurie möge sich künftig der Zahlungsanforderungen samt und sonders enthalten – sie seien oben aufgeführt oder es gäbe sie sonst irgendwie –, auch gestatten, daß diejenigen die Erträge der Pfründen frei in Empfang nehmen, denen sie nach Recht, Gewohnheit oder Privileg offensichtlich zukommen. 9. Es ist wahr: Einige Römische Bischöfe haben sich seit einigen Jahren die den kirchlichen Prälaten aufgrund der Visitationen gebührenden Gefälle 12 reserviert; sie verboten deren Erhebung, wodurch der geistliche Nutzen behindert wurde, der sich aus den Visitationen ergeben könnte. Den Kirchenmännern, die sonst zu visitieren hatten, wurde die Freiheit zu Einkünften genommen, die in Lebensmitteln und Geld festgelegt waren, und viele andere Unzuträglichkeiten haben sich bekanntlich daraus ergeben. Daher minuta (kleinere Beträge für die Kurie) für Neuverleihung einer Pfründe, c) fructus medii temporis, halbe Zwischennutzung der unbesetzten Pfründe. 12 Unterhaltszahlungen bei Visitationen der Bischöfe und Legaten, die seit Bonifaz VIII. von päpstlichen Collectoren eingezogen wurden.

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tenus dominus noster papa, qui pro tempore fuerit, procuraciones huiusmodi de cetero non reservet nec percipiat, sed illas percipi libere permittat per illos, ad quos visitacio huiusmodi dinoscitur pertinere. X. Item, quia multe ecclesie et monasteria in partibus supradictis adeo mole assertorum debitorum camere apostolice, collegio dominorum cardinalium et familiaribus sunt oppressa, quod impossibile esset eis de hoc satisfacere. Et ob hoc contingit frequenter viros ecclesiasticos propter metum sentenciarum in celebracione divinorum officiorum impediri et quandoque aliqui ipsorum scientes seu ignorantes se sic ligatos nichilominus divinis se inmiscent, censura ecclesiastica contempta vel neglecta. Unde supplicant prefati, quatenus omnia dicta arreragia seu debita de cetero nullatenus exigantur sed omnino remittantur quodque processus et sentencie quecumque occasione huius late penitus tollantur et sic ligati absolvantur, quantum opus est, et cum ipsis super irregularitatibus, si quas contraxerint, dispensetur. Per premissa tamen non intendunt prelati et alii supplicantes iugum sancte Romane ecclesie et vestre sanctitatis superioritatem ab eis excutere, quin pocius eidem humiliter et reverenter in cunctis possibilibus obedire, ac insuper se offerunt vestre sanctitati pro dei honore ac ecclesie statu in necessitatibus devotis animis subvenire. XI. Et quia 13non debet nasci iniuriarum occasio, unde iura nascuntur,13 conquerendo exponunt humiliter supplicantes predicti, quod Romani pontifices ab aliquibus annis citra quaslibet causas ad ipsos per simplicem querelam vel appellacionem quamlibet, que de sui natura et de iure communi deberent committi, examinari et decidi in partibus, commiserunt examinandas et decidendas in curia Romana. Quod cedit in turbacionem iurisdiccionis ecclesiastice, quam papa tenetur h unicuique servare, necnon in preiudicium non modicum litigatorum adeo, quod opportet frequenter, quod habentes iustam causam cedant iuri suo et redimant vexacionem suam. Unde supplicant prefati, quatenus sanctitas vestra huiusmodi causas ad partes committat vel remittat secundum iurisdiccionis disposicionem. XII. Item, quia ex multiplicacione regularum cancellarie,14 que ut plurimum sunt ignote eciam peritis i et litteratis quibuscumque et sepe iuri communi adverse, multe intrusiones, lites, intricaciones et alia inconveniencia quam plurima cottidie proveniunt et in futurum disposita sunt evenire, sup-

h i

tenet V bracticis Hs. E, practicis V

13–13 14

X 5.1.17; wie oben Nr. 1 S. 68 Anm. 7. Vgl. oben Nr. 1 S. 136 Anm. 144.

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bitten sie ergebenst, unser derzeitiger Herr Papst möge sich solche Gefälle nicht reservieren oder wahrnehmen, sondern er möge frei gestatten, daß sie von denen wahrgenommen werden, denen diese Visitation offensichtlich zusteht. 10. Viele Kirchen und Klöster in den oben genannten Gegenden sind so sehr durch die Last der angeblichen Schulden an die päpstliche Kammer, an das Kollegium der Herren Kardinäle und an deren Hausgenossen bedrückt, daß es unmöglich wäre, ihnen darin Genüge zu leisten. Und daher kommt es oftmals vor, daß Kirchenmänner aus Furcht vor Strafurteilen an der Zelebration des heiligen Offiziums gehindert sind und mitunter einige von ihnen sich wissentlich oder unwissentlich, obwohl gebannt, dennoch am Gottesdienst beteiligen – unter Verachtung und Mißachtung der kirchlichen Strafurteile. Deswegen bitten die Genannten ergebenst, daß alle besagten unbezahlten Schulden künftig keinesfalls eingefordert werden; stattdessen sollen sie sämtlich erlassen und alle Prozesse und Strafurteile, die bei solcher Gelegenheit ergangen sind, gänzlich aufgehoben werden; die in sie Verstrikken sollen, soweit nötig, freigesprochen werden, und sie sollen für die Regelwidrigkeiten, die sie vielleicht auf sich geladen haben, Dispens erhalten. Durch das Vorausgeschickte beabsichtigen die Prälaten und anderen Bittstellern freilich nicht, das Joch der heiligen Römischen Kirche und die Oberhoheit Eurer Heiligkeit von sich abzuschütteln, nein, vielmehr wollen sie ihr demütig und ehrerbietig in allem, was möglich ist, gehorchen, und sie erbieten sich darüber hinaus, Eurer Heiligkeit zur Ehre Gottes und zum Wohlstand der Kirche in Notlagen mit frommem Herzen zu helfen. 11. Und weil 13keine Gelegenheit zum Unrechttun dort entstehen soll, woher das Recht kommt,13 legen die Genannten demütig bittend die Klage vor, daß die Römischen Bischöfe seit mehreren Jahren einige Verfahren, welche aufgrund einer einfachen Klage oder Berufung, die ihrer Natur nach sowie nach dem gemeinen Recht in den betreffenden Gegenden hätten vorgelegt, geprüft und entschieden werden müssen, sich zur Prüfung und Entscheidung an der Römischen Kurie vorbehalten haben. Dies führt zur Verwirrung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, die der Papst jedem gegenüber zu bewahren gehalten ist, auch zum nicht unbeträchtlichen Nachteil für die Prozeßbeteiligten; so ist es oft nötig, daß diejenigen, die eine gerechte Sache vertreten, ihr Recht preisgeben und die Bedrückung hinnehmen. Daher bitten die Genannten, Eure Heiligkeit möge solche Verfahren entsprechend der Gerichtsverfassung in die jeweiligen Gegenden verweisen oder zurückweisen. 12. Weil sich aus der Vermehrung der Kanzleiregeln,14 die zumeist sogar vielen Rechtskennern und Gebildeten unbekannt sind und die dem gemeinen Recht oft zuwiderlaufen, tagtäglich viele Eindrängungen von Bewerbern, Rechtsstreitigkeiten, Verlegenheiten und sonstige Unzuträglichkeiten über

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plicant igitur prefati, quatenus huiusmodi regule omnimode tollantur, in quantum iuri communi contrariantur, et quod lites et cause beneficiales et alie secundum iuris communis disposicionem ordinentur et decidantur et regularum, que manebunt, debita publicacio fiat. XIII. Item, licet de iure communi 15 et racione quacumque pronunciatur, male appellatum et bene processum et sentenciatum causa debeat remitti ad iudicem, a quo est appellatum, eciam pro execucione sentencie diffinitive, nichilominus curia Romana totum sibi retinet nec huiusmodi remissionem facit. Unde supplicant prefati, quatenus ipsa et eius auditores quoad hoc iuris communis disposicionem observent. XIIII. Item, licet de iure canonico 16 possit ad sedem apostolicam omisso medio appellari, quia tamen ex hoc frequenter, et presertim curia in remotis existente, contingit partes laboribus et expensis onerari, supplicatur, quod curia existente citra montes 17 partes, que erunt ultra montes, teneantur gradatim et non omisso medio appellare secundum disposicionem iuris civilis, et econtra servetur curia forsan ultra montes 18 translata quoad eos, qui sunt citra montes. XV. Item provideatur de iudicibus non suspectis, coram quibus exempti possint convenire in locis tamen insignibus infra distanciam a iure permissam,19 vel constituantur de consensu exemptorum iudices in singulis diocesibus, ad quos habeatur recursus in casibus oportunis. XVI. Item, quod capellani honoris,20 quorum multiplicacio et frequentissime personarum incongruitas in Romane curie transit obprobrium, non fiant amodo nisi de personis notabilibus et in paucissimo numero et actualiter servientibus et in curia residentibus, et quod ex hoc eciam non ledatur in aliquo iurisdicio ordinariorum, et ad id ordinetur circa recepcionem familiarium domini nostri pape et dominorum cardinalium saltem quoad illos, qui non sunt veri commensales vel officiales sedis apostolice et de numero condecenti. XVII. Item, quia facte sunt multe exempciones a paucis citra temporibus et sepe venali, ut fertur, commercio, ex quibus inconveniencia secuntur innumerabilia, que vix calamo scribi possent, et presertim impunitas delictorum et audacia illa quasi super hoc data venia perpetrandi. Supplicant igitur

15

X 2.28.38. X 3.28.66. 17 = in Italien. 18 Etwa wieder nach Avignon. 19 VI 1.3.11 § 1 = 1 Tagereise. 20 Die Ernennung hatte zur Folge, daß sie den Papst zur Ernennung des Nachfolgers ermächtigte. 16

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die Maßen ergeben und für die Zukunft vorgezeichnet sind, bitten die Genannten inständig, solche Regeln sollten völlig abgeschafft werden, soweit sie dem gemeinen Recht widersprechen, und Rechtsstreitigkeiten, Pfründenverfahren und sonstige Sachen sollten entsprechend den Bestimmungen des gemeinen Rechts geordnet und entschieden werden; auch sollte es eine gebührende Bekanntmachung der Regelungen geben, die bestehen bleiben. 13. Mag auch vom gemeinen Recht 15 und von jeder Überlegung her verkündet werden, daß eine schlechte Appellation und ein guter Prozeß mit gutem Entscheid in der Sache zu dem Richter zurückverwiesen werden muß, von dem aus appelliert worden ist, auch hinsichtlich der Durchführung des endgültigen Entscheids, so hält doch die Römische Kurie nichtsdestoweniger die ganze Sache bei sich und verweist sie nicht zurück. Daher bitten die Genannten, sie [die Kurie] und ihre Auditoren mögen hierbei die Bestimmungen des gemeinen Rechts beachten. 14. Es mag nach dem kanonischen Recht 16 möglich sein, an den Apostolischen Stuhl ohne eine Zwischeninstanz zu appellieren; weil jedoch oft daraus, besonders wo die Kurie weit entfernt liegt, die Parteien dadurch mit Mühen und Kosten belastet werden, wird folgendes erbeten: Wenn die Kurie diesseits der Berge 17 sein sollte, sollen die jeweiligen Parteien jenseits der Berge gehalten sein, schrittweise und nicht unter Auslassung einer Zwischeninstanz gemäß den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu appellieren, umgekehrt soll [diese Ordnung] beibehalten werden, wenn die Kurie etwa jenseits der Berge verlegt wird 18, für die, die dann diesseits der Berge sind. 15. Es sollte für unverdächtige Richter gesorgt werden, vor denen exemte Leute auftreten könnten, jedoch an bedeutenden Orten innerhalb der vom Recht 19 erlaubten Entfernung; oder es sollten im Einverständnis mit den exemten Leuten Richter in den jeweiligen Diözesen eingesetzt werden, zu denen in geeigneten Fällen Rekurs genommen werden kann. 16. Honorarkapläne,20 deren Vielzahl und häufige Unfähigkeit in der Römischen Kurie zu einer Schande wird, sollten künftig nicht mehr berufen werden, ausgenommen bedeutende Leute (aber nur in ganz geringer Zahl), die tatsächlich ihr Amt wahrnehmen und sich in der Kurie aufhalten; dabei darf die Rechtshoheit der Ordinarien nicht irgendwie verletzt werden. Auch sollte dabei die Aufnahme von Hausgenossen unseres Herrn Papstes und der Herren Kardinäle geregelt werden, zumindest in Bezug auf die, die keine echten Tischgenossen des Apostolischen Stuhles sind, und im Hinblick auf eine angemessene Zahl. 17. Seit kurzer Zeit sind viele Exemtionen getroffen worden und oft in einem, wie es heißt, käuflichen Handel; daraus folgen unzählige Unzuträglichkeiten, die kaum mit der Feder aufgeschrieben werden können, besonders die Straffreiheit bei Vergehen und jene Dreistigkeit bei der Durchführung – denn es ist ja sozusagen dafür eine Amnestie ergangen. Deswegen

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prefati, quod ista amodo non fiant et quod facte per Petrum de Luna 21 et Angelum Corrario 22 in odium prosecucionis unionis revocentur indistincte. Item absolvantur prelati a iuramento, quo astringi consueverunt in promocionibus suis ad visitandum limina beatorum apostolorum singulis annis vel de biennio ad biennium, cum talis obligacio sit inutilis et infructuosa sitque occasio multorum periuriorum atque personis ecclesiasticis et ecclesiis quam plurimum onerosa. XVIII. Item, quod dominus noster papa, qui pro tempore fuerit, non alienet villas, castra ceterasque terras, districtus et iura ad Romanam ecclesiam vel alias inferiores ecclesias pertinentes nisi iusta de causa et racionabili et de consensu ecclesie universalis. Quodsi contrarium factum fuerit, irritum sit et nullius firmitatis, et in quantum de facto factum fuerit, revocetur. XIX. Item, quod dominus noster papa, qui pro tempore fuerit, non det pignori nec ypothece bona quecumque immobilia ecclesie Romane vel aliarum ecclesiarum inferiorum sine iusta causa et racionabili et de consensu collegii dominorum cardinalium vel maioris partis ipsorum et illorum, quorum interest.23 Quodsi k contrarium fecerit, nullius sit firmitatis, et in quantum de facto factum fuerit, revocetur. XX. Item, quod dominus noster papa, qui pro tempore fuerit, mandet celebrari concilia provincialia per metropolitanos et ipsorum suffraganeos secundum formam iuris et concilii generalis,24 cum ex ipsorum omissione multa inconveniencia provenire dinoscuntur. XXI. Item similiter mandet capitula monachorum nigrorum 25 et canonicorum regularium de cetero de triennio in triennium celebrari secundum formam concilii generalis 26 et constitucionem felicis recordacionis dominorum Honorii III.27 et Benedicti XII.28 et deputari in provinciis semel presidentes seu executores, qui auctoritate apostolica huiusmodi capitula convocent et celebrent ac iura super hoc edita execucioni demandent. Et quia limitacio provinciarum facta per Benedictum XII., qui quandoque duas vel tres provincias vulgares in unam coniunxit, non posset l de presenti, obstante tempo-

k l

quod si MD, et si Hs. E u. V possit V

21 22 23 24

Benedikt XIII. (1394–1423). Gregor XII. (1406–1415). Teil der Anklage gegen den Papst Gregor XII. Canon 7, 4. Laterankonzil 1215; COD 3 S. 237; X 5.1.25, X 3.5.29.

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bitten die Genannten inständig, daß diese künftig nicht mehr vorgenommen und daß die, die von Pedro de Luna 21 und Angelo Correr 22 aus Haß gegen ein Erreichen der Einigung durchgeführt wurden, ohne Unterschied widerrufen werden. Die Prälaten sollten von dem Eid entbunden werden, mit dem sie sich bei ihrer Amtszeit gewöhnlich verpflichten, die Stätten der heiligen Apostel alljährlich oder jedes zweite Jahr zu besuchen; denn eine solche Verpflichtung ist unnütz, bringt keinen Ertrag, ist eine Gelegenheit für viele Meineide und ist den Kirchenleuten und Kirchen sehr oft eine Last. 18. Unser Papst, der jeweils amtiert, möge Dörfer, Flecken, sonstige Ländereien, Bezirke und Rechte, die der Römischen Kirche oder anderen niederen Kirchen gehören, nur aus gerechtem und vernünftigen Grund sowie mit Zustimmung der Gesamtkirche weggeben. Sollte Gegenteiliges geschehen sein, so sollte dies nicht und ohne Rechtskraft sein; soweit es tatsächlich vollzogen sein sollte, müßte es widerrufen werden. 19. Unser Herr Papst, der jeweils amtiert, dürfte keinerlei unbewegliche Güter der Römischen Kirche oder anderer niederer Kirchen ohne gerechten und vernünftigen Grund sowie ohne Zustimmung des Kollegiums der Herren Kardinäle oder der Mehrzahl von ihnen, auch derer, die betroffen sind, als Pfand oder Hypothek fortgeben.23 Soweit er Gegenteiliges getan hat, sollte es keine Rechtskraft haben, und soweit es tatsächlich vollzogen sein sollte, müßte es widerrufen werden. 20. Unser Herr Papst, der jeweils amtiert, sollte befehlen, daß Provinzialkonzilien durch die Metropoliten und deren Suffragane nach den Vorschriften des Kirchenrechts und des Allgemeinen Konzils 24 durchgeführt werden, da aus deren Unterlassung bekanntlich viele Unzuträglichkeiten entstehen. 21. Ebenfalls sollte er bestimmen, daß die Kapitel der schwarzen Mönche 25 und die der Regularkanoniker künftig alle drei Jahre entsprechend der Ordnung des Allgemeinen Konzils 26 und der Konstitution der Herren seligen Andenkens Honorius III.27 und Benedikt XII.28 durchgeführt werden, und es sollten einmal in alle Ordensprovinzen Präsiden oder Beauftragte geschickt werden, die kraft päpstlicher Autorität solche Kapitel einberufen und veranstalten sowie die Anwendung der darüber erlassenen Rechtsbestimmungen fordern. Weil die von Benedikt XII. vorgenommene Grenzziehung der Ordensprovinzen, die jeweils zwei oder drei herkömmliche Provinzen zusammengelegt hat, wegen der Widrigkeiten der Zeit gegenwärtig nicht 25

Benediktiner. Canon 12, 4. Laterankonzil 1215; COD 3 S. 240 f. 27 X 3.35.8. 28 Summi magistri vom 20. 6. 1336, Magn. Bull. Rom. III–2. S. 214–237, vgl. unten Nr. 9 Anm. 57. 26

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ris malicia, observari, statuat dominus noster quoad hoc standum esse iuri antiquo, impedimento durante antedicto, ut videlicet provincia communis et vulgaris possit pro se capitulum provinciale celebrare, ex quo commode cum alia propter impedimentum aliquod non potest convenire. Item, quod dominus noster concedat singulis episcopis et aliis prelatis eciam regularibus, presertim iurisdicionem episcopalem vel quasi habentibus, potestatem per se absolvendi suos subditos, eciam regulares, a quibuscumque peccatis et sentenciis, de quibus minores penitenciarii curie Romane possunt et consueverunt absolvere, et quod aliis minoris status extra curiam similem graciam non concedat. Item, quod archiepiscopi et episcopi possint per sacerdotem ydoneum et honestum facere reconciliari cimiteria ipsis in aliis legitime impeditis.

R espo nsio ad I. Capitu lu m.: Sanctissimus dominus noster Alexander papa V., salva semper potestate et preeminencia dignitatis ac potestatis papalis, salvis eciam privilegiis, libertatibus ecclesiarum, quibus non intendit in aliquo per sequencia derogare, potestatem apostolicam ac libertatem ecclesiasticam singularum ecclesiarum, quantum in ipso est, conservare illesas, ad supplicaciones infrascriptas respondet, ut sequitur: Resp. ad II. cap.: Sanctissimus dominus noster, conformans se votis supplicancium, intendit, prout ex debito officii sibi iniuncti tenetur, totis viribus circa premissa laborare et ea execucioni demandare, regraciaturque supplicantibus de eorum devotis et caritativis oblacionibus, exhortans eos, quatenus in premissis exequendis velint cum eo operam prebere efficacem. Resp. ad III. cap.: Dominus noster libenter providebit, ut supplicatur, et deputati sunt reverendissimi patres domini cardinales 29Albanensis, Aquilegiensis, de Thureyo et Burdigalensis,29 qui, vocatis aliquibus notabilibus prelatis, magistris et doctoribus de hoc sacro concilio, ordinabunt constitucionem super premissis necessariam. Resp. ad IIII. cap.: Cum dominus noster reformacionem fecerit in parte, ut patet ex ordinacionibus infrascriptis, et plenius reformare intendat in capite et in membris, ut supplicatur, propterea deputabit aliquos notabiles viros, qui se informabunt, prout statui ecclesie et necessitati temporis viderint

29–29

Aus der Obödienz Benedikts XIII.: Nicolo Brancaccio, 1388 Kard.B. v. Albano, † 1412; Pierre Thury, 1384 Kard.P. S. Susannae, † 1410. Aus der Obödienz Gregors XII.: Antonio Gaetano, früher Patriarch v. Aquileja, 1405 Kard.B. v. Palestrina, Großpönitentiar, † 1412; Francesco Uguccione, Administrator v. Bordeaux, 1405 Kard.P. v. SS. Quattro Coronati, † 1412.

A 2 Pisa b) Päpstliche Antwort

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durchgeführt werden konnte, möge unser Herr Papst verfügen, daß es hier beim alten Recht bleiben solle, solange das besagte Hindernis besteht, so daß also eine gemeine und herkömmliche Ordensprovinz für sich ein Provinzialkapitel veranstalten kann, sofern sie mit einer anderen wegen eines Hindernisses nicht angemessen übereinkommen kann. Unser Herr möge den einzelnen Bischöfen und sonstigen Prälaten, auch den Regularen, besonders denen, die bischöfliche oder quasi bischöfliche Rechtssprechung innehaben, die Vollmacht geben, von sich auch ihre Untergebenen, auch die Regularen, von allen Sünden und Strafurteilen loszusprechen, von denen die minderen Pönitentiare der Römischen Kurie lossprechen können und gewöhnlich auch lossprechen; er sollte anderen Klerikern niederen Standes außerhalb der Kurie eine ähnliche Gnade nicht gewähren. Erzbischöfe und Bischöfe sollten durch einen geeigneten und ehrwürdigen Geistlichen Friedhöfe entsühnen lassen, wenn sie selbst durch anderes rechtens verhindert sind. A 2 Pisa b) Päpstliche Antwort

b) Antwort des Papstes Zu 1: Unser Heiliger Vater, Papst Alexander V., – stets unbeschadet der Amtsgewalt und des Vorrechts der päpstlichen Würde, auch unbeschadet der Privilegien und Freiheiten der Kirchen, denen er im Folgenden keinerlei Abbruch tun möchte, [vielmehr in der Absicht,] die apostolische Amtsgewalt und die kirchliche Freiheit der einzelnen Kirchen, soweit es an ihm liegt, unverletzt zu bewahren, – antwortet also auf die niedergeschriebenen Bitten folgendes: Zu 2: Unser Heiliger Vater beabsichtigt in Übereinstimmung mit den Wünschen der Antragsteller, so wie er aufgrund seines ihm überragenen Amtes verpflichtet ist, mit allen Kräften auf das Vorgenannte hinzuarbeiten und es in die Tat umzusetzen; er bedankt sich bei den Antragstellern wegen ihrer ergebenen und freundlichen Vorschläge; er ermuntert sie, sie möchten bei der Durchführung des Vorgenannten mit ihm zusammen wirksame Arbeit leisten. Zu 3: Unser Herr wird gern, wie gewünscht, Vorsorge treffen; die Hochwürdigsten Väter und Herren, die Kardinäle von 29Albano, Aquileja, Thury und Bordeaux,29 sind entsprechend beauftragt worden; sie werden nach Berufung einiger bedeutender Prälaten, Magister und Doktoren aus diesem heiligen Konzil eine dafür notwendige Konstitution entwerfen. Zu 4: Da unser Herr schon, wie aus den unten aufgeführten Anordnungen hervorgeht, eine Teilreform begonnen hat und weiterhin beabsichtigt, wie erbeten, [die Kirche] an Haupt und Gliedern zu reformieren, wird er deswegen einige ehrenwerte Männer beauftragen, sich zu unterrichten, was sie für die Verfassung der Kirche und die Not der Zeit als angemessen erachten; und

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II Articuli reformacionis

convenire; et referent domino nostro, qui plene reformabit reformanda 30 secundum graciam sibi datam. Resp. ad V. cap.: Dominus noster non intendit facere translaciones de invitis nisi causis ingentibus et parte super illis vocata et de consilio et assensu maioris partis dominorum cardinalium. Resp.ad VI. cap.: Domino nostro placet, quod in ecclesiis cathedralibus et maioribus monasteriis vacantibus deinceps fiant elecciones canonice, quas libenter confirmabit, dummodo non peccent in materia et forma, in omnibus reservata sibi confirmacione eleccionum usque ad triennium, quo tempore debet celebrare concilium generale. Maiora monasteria censeantur, quorum fructus pro statu tocius monasterii communi estimacione summam CCC florenorum camere 31 excedunt. Minores abbacie confirmentur auctoritate apostolica per ordinarios. De reservacionibus inferiorum: Ad articulum de reservacionibus inferiorum beneficiorum respondetur, quod dominus noster ordinabit viros notabiles, qui visitabunt reservaciones beneficiorum et tollent iniquas et excessivas et modificabunt. Et idem de aliis regulis cancellarie; et per hoc est responsum ad XI.capitulum. Ad articulum de multitudine graciarum expectativarum respondetur: Placet domino nostro, quod prelati et alii collatores, patroni ecclesiastici habeant facultatem conferendi et presentandi usque ad certum numerum beneficiorum, scilicet usque ad quartam partem numeri collacionum seu presentacionum, que ad eos spectant, graciis expectativis apostolicis non obstantibus. Ita videlicet quod, postquam duo apostolici fuerint provisi in virtute gracie expectative, ordinarius facultatem habeat conferendi seu presentandi auctoritate apostolica tercium beneficium vacans, et sic successive, donec numerus quarte partis sit consumptus. Resp.ad.VII. cap. et VIII. et IX. : Ut toti clero et populo christiano appareat, cum quanta caritate dominus noster intendit procedere in premissis, licet onera importabilia sibi incumbant, retentis pro se et sacro collegio atque familiaribus a tempore sue creacionis, communibus et minutis serviciis et annatibus beneficiorum auctoritate apostolica conferendorum, dummodo valor communis beneficii XXIIII florenorum camere excedat, non intendit eciam uti reservacione et percepcione spoliorum neque fructuum medii tem30 In Johannes’ XXIII. Einladungsbulle zum Konstanzer Konzil vom 9. Dez. 1413 (Mansi XXVII Sp. 537): . . . Alexander papa V., antecessor noster, in sacro generali Pisano concilio . . . ’ ipso approbante concilio, inter cetera decrevit, iterum generale concilium extunc ad terminum . . . in loco, de quo sibi vel eidem successori videretur, fore solempniter convocandum. Idemque predecessor ea, que circa reformacionem ecclesie expedienda restabant, pro tunc suspendit. – Unser Vorgänger, Papst Alexander V., hat auf dem heiligen Allgemeinen Konzil von Pisa mit Billigung des Konzils unter anderem verfügt, es solle erneut ein Allgemeines Konzil zu dem Zeitpunkt . . . und mmmm

A 2 Pisa b) Päpstliche Antwort

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sie sollen unserem Herrn berichten, der dann entsprechend der ihm zuteil gewordenen Gnade das zu Reformierende voll reformieren wird.30 Zu 5: Unser Herr beabsichtigt nicht, Versetzungen wider Willen durchzuführen; ausgenommen in sehr wichtigen Fällen, nach diesbezüglicher Berufung des Betroffenen und mit Rat und Zustimmung der Mehrheit der Herren Kardinäle. Zu 6. Unser Herr stimmt zu, daß in den vakanten Kathedralkirchen und den bedeutenderen Klöstern künftig kanonische Wahlen stattfinden, die er dann gern bestätigen wird; nur darf es keine Fehler in der Sache und in der Form geben – sein Bestätigungsrecht bleibt ihm in allem für drei Jahre reserviert; während dieser Zeit muß er ein Allgemeines Konzil abhalten. Als bedeutendere Klöster gelten die, deren Erträge für den Bestand des ganzen Klosters nach allgemeiner Schätzung die Summe von 300 Kammergulden 31 übersteigen. Kleinere Abteien werden kraft Apostolischer Autorität von den Ordinarien bestätigt. Zum Abschnitt der Reservationen bei niederen Pfründen lautet die Antwort, daß unser Herr bekannte Männer berufen wird, die die Reservationen bei Pfründen sichten und die unrechtmäßigen und übertriebenen beseitigen und ändern werden. Ebenso bei den übrigen Regelungen der Kanzlei – dies ist schon die Antwort auf Abschnitt 11. Zum Abschnitt über die Vielzahl von Expektanzen lautet die Antwort: Unser Herr stimmt zu, daß die Prälaten und die anderen Verleiher sowie die Kirchenpatrone die Befugnis zum Übertragen und Vorschlagen bis zu einer bestimmten Zahl von Pfründen haben sollen, d. h. bis zu einem Viertel der Zahl von Übertragungen oder Vorschlägen, die ihnen zustehen – unbeschadet päpstlicher Expektanzen. Also, nachdem zwei päpstliche Leute kraft einer Expektanz eingesetzt sind, hat der Ordinarius die Befugnis, kraft apostolischer Vollmacht für die dritte vakante Pfründe jemand zu benennen und vorzuschlagen, und sofort, bis die Zahl von einem Viertel erschöpft ist. Zu 7, 8, 9: Damit es dem ganzen Klerus und dem christlichen Volk klar wird, mit welcher Liebe unser Herr im Vorgenannten zu verfahren beabsichtigt, obgleich sich ihm unerträgliche Lasten ergeben – unter Beibehalt (für sich, das Heilige Kollegium und seine Hausgenossen von der Zeit seiner Wahl an) der gemeinsamen und minderen Servitienzahlungen sowie der Annaten von Pfründen, die kraft päpstlicher Gewalt zu verleihen sind, wenn nur der gemeine Wert einer Pfründe 24 Kammergulden übersteigt –, beabsichtigt er nicht, Reservierung und Anspruch auf Spolien, Erträgnisse der dem Ort, der ihm oder seinem Nachfolger günstig erscheine, berufen werden. Ebenso hat Unser Vorgänger das, was zur Kirchenreform an Maßnahmen übrig geblieben war, bis dahin aufgeschoben. 31 Seit 1322 päpstl. Münze, ca. 3,54 g Gold.

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II Articuli reformacionis

poris neque procuracionum. Vult tamen, quod observent visitantes terminos iuris et quod super beneficiis dominorum cardinalium non recipiantur procuraciones, proposicione eum tangente dumtaxat. Item arreragia seu residua domino nostro pro porcione eum contingente dumtaxat debita de premissis usque ad tempus sue creacionis liberaliter remittit dominus noster. Resp.ad X. cap.: Dominus noster conformabit se disposicioni iuris communis in premissis taliter, quod supplicantes merito debebunt contentari. Resp.ad XI. cap.: Responsum est supra in VI.capitulo, articulo secundo. Resp.ad XII. cap.: Dominus noster concedit in criminalibus. Resp.ad XIII. cap.: Dominus noster conformabit se iuri communi. Resp.ad XIIII. cap.: Dominus noster vult plenius super hoc deliberare. Resp.ad XV. cap.: Conceditur, ut supplicatur, confert potestatem ordinariis libere auctoritate apostolica procedendi tam in civilibus quam in criminalibus contra quoscumque aliter assumptos. Resp.ad XVI. cap.: Dominus noster non intendit tales exempciones facere, et casus particulares declarentur, et ipse libenter providebit. Resp.ad XVII. et XVIII. cap.: Dominus noster non faciet alienaciones vel hypothecaciones de bonis immobilibus ecclesie Romane vel aliarum ecclesiarum usque ad generale concilium, in quo maturius super hiis deliberabit. Resp.ad. XIX., XX. et XXI. cap.: Dominus noster concedit, ut supplicatur.

A 2 Pisa b) Päpstliche Antwort

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Zwischenzeit und Gefälle vorzunehmen. Er will jedoch, daß die Visitatoren die Grenzen des Rechts wahren und daß für Pfründen der Herren Kardinäle keine Gefälle eingefordert werden – natürlich soweit dieser Vorschlag ihn berührt. Ferner erläßt unser Herr [Papst] freigebig die unbeweglichen oder ausstehenden Schulden, die unserem Herrn als ihm gebührender Anteil – wie zuvor dargelegt – bis zur Zeit seiner Wahl zustehen. Zu 10: Unser Herr wird sich den Bestimmungen des allgemeinen Rechts im Vorgenannten so anpassen, daß die Antragsteller mit Recht zufrieden sein müssen. Zu 11: Die Antwort wurde schon im Abschnitt 6, Absatz 2 gegeben. Zu 12: Unser Herr stimmt für die Strafbereiche zu. Zu 13: Unser Herr paßt sich dem gemeinen Recht an. Zu 14: Unser Herr will dies näher erwägen. Zu 15: Dies wird antragsmäßig gewährt; es verstärkt die Amtsbefugnis der Ordinarien, kraft Apostolischer Vollmacht sowohl bei Zivil- wie bei Strafsachen frei vorzugehen – gegen alle, die anders aufgenommen wurden. Zu 16: Unser Herr beabsichtigt nicht, derartige Exemtionen vorzunehmen; besondere Fälle sollten klar ausgedrückt werden; er selbst wird gern Vorsorge treffen. Zu 17, 18: Unser Herr wird keine Veräußerungen oder Hypotheken-Verpfändungen von unbeweglicher Habe der Römischen Kirche oder anderer Kirchen vornehmen bis zum Allgemeinen Konzil, auf dem er darüber reiflichst Erwägungen anstellen wird. Zu 19, 20, 21: Unser Herr wird antragsgemäß verfahren. König Sigismunds Einladung zum Konstanzer Konzil, August 1413, siehe: FSGA, A., Bd. 33, Nr. 113, S. 452–456 (mit Übersetzung).

III

Ed.: ACC IV S. 548–583, Fassung der ursprünglichen Hss.-Gruppe – emendiert mit Hilfe der Hs. Bamberg, Staatsbibliothek, msc. can. 30 (B); Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 595 (V).

[PETRUS DE ALLIACO] CAPITULA AGENDORUM IN GENERALI CONCILIO CONSTANCIENSI a [1] [2] [3] [4]

De fide catholica et heresibus De questionibus dubiis in theologia et iure decidendis De unione Grecorum De presenti scismate tollendo. De provisione adversus futura scismata, ne eveniant, et de remediis adversus illa, si evenerint [5] De cultu dei et officio ecclesiastico [6] De statu et potestate Romani pontificis et illius eleccione [7] De statu et officio cardinalium et illorum assumpcione [8] De statu Romane curie [9] De toto statu ecclesiastico in genere [10] De prelatis et clericis ordinandis et preficiendis [11] De beneficiis conferendis et de pluralitate beneficiorum [12] Quod prelati et beneficiati resideant et sua officia exequantur, et de dispensacionibus super premissis [13] De vita et honestate clericorum et religiosorum et de illorum excessibus corrigendis [14] De visitacionibus [15, 16] De synodis generalibus, provincialibus, dyocesanis et religiosorum [17] De exempcionibus [18] De censuris ecclesiasticis et irregularitate [19] De foro penitencie et casibus reservatis [20] De ecclesiastica iurisdiccione et exaccionibus atque abusionibus, que per illa fiunt, presertim in regno Francie [21] De litibus breviandis et locorum distancia [22] Quod in cathedralibus ecclesiis sint prebende doctorales theologie et iuris vel alterius facultatis iuxta numerum prebendarum, et quod doctores prebendarii resideant et legant [23] De vacanciis prelaturarum et beneficiorum et de imposicione decimarum et taxacione fructuum et aliis eciam non concedendis rebus [24] De patrimonio ecclesie Romane [25] De rebus et immunitatibus ecclesiarum [26] De studiis generalibus a

In den Hss. Reihenfolge des Verzeichnisses: 1, 4–14, 17, 15, 18–21, 2, 3, 22–26

3. VERHANDLUNGSPUNKTE FÜR DAS ALLGEMEINE KONSTANZER KONZIL, 1413 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22]

[23] [24] [25] [26]

Katholischer Glaube und Ketzerei Entscheidung von Streitfragen in Theologie und Kirchenrecht [Kirchen]-Union mit den Griechen Beseitigung des gegenwärtigen Schismas. Vorkehrungen zur Verhinderung künftiger Schismen und Maßnahmen gegen ihr Vorkommen Gottesdienst und kirchliches Offizium Stand und Gewalt des Papstes und dessen Wahl Stand und Amt der Kardinäle und deren Ernennung Stand der Römischen Kurie Der gesamte Klerikerstand allgemein Weihespendung der Prälaten und Kleriker Verleihung von Pfründen und Pfründenhäufung Anwesenheitspflicht der Prälaten und Pfründeninhaber, Wahrnehmung ihrer Ämter und Befreiung von beidem Leben und Ehre der Kleriker und Ordensleute sowie Sühne bei Vergehen Visitationen Allgemeine Konzilien Provinzial-, Diözesan- und Ordenssynoden Exemtionen Kirchenstrafen und Irregularität Bußgericht und Vorbehaltsfälle Kirchliche Gerichtsbarkeit, Einkünfte und Mißbräuche dabei, besonders in Frankreich Abkürzung von Prozessen und [Verringerung] der Entfernung Einrichtung von Lehrpfründen in Theologie, Kirchenrecht und anderen Fakultäten an Kathedralkirchen entsprechend der Zahl der [dortigen] Pfründen, Anwesenheits- und Lehrpflicht der Doktoren auf diesen Pfründen Vakanzen bei Prälaturen und Pfründen, Auferlegung der Zehnten, Besteuerung der Erträge und sonstige Verbote Patrimonium der Römischen Kirche Kirchlicher Besitz und Immunität Universitäten

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III Capitula agendorum

[1] De fide catholica et heresibus Quod primum agendum in concilio sit de fide, ut extirpentur errores, si qui pullulant. Et hoc videbitur in isto concilio de questione, que est inter magistros Pragenses, de erroribus et de heresibus magistri Iohannis Wicleff, qui multum pullulant. 1 Item offeratur prefato concilio alius quidam tractatulus 1 compositus per cancellarium Parisiensem,2 1tractans de generalibus principiis nostre fidei, per facultatem theologie prius tamen examinandus et, si opus fuerit, corrigendus, addendo et diminuendo etc., ut singulis metropolitanis et episcopis communicetur, ut exinde per dioceses per eos verbo et scripto publicetur. Istud multum expedit, ymmo quasi necessarium est, cum in pluribus locis et diocesibus quam plures, ymmo quasi innumerabiles inveniantur, qui vix aliquid de deo intelligunt aut de suis articulis ad salutem necessariis. Ymmo videtur, quod hii tractatus sic correcti et examinati, ut prefertur, ad singulos episcopos mittantur, ut in omnibus et singulis suis subditis communicentur.1

[2] De questionibus dubiis in theologia et in iure decidendis Constituantur in concilio aliqui pociores in sacra pagina, qui revideant libros, quibus communiter studia utuntur, et si quid est dubium, determinent, quid tenendum. Idem fiat in iure. Et que determinaverint, redigantur per eos in volumina, et isti ultra revideant extravagantes conditas a tempore Wiennensis concilii,3 item decisiones rote et si quid aliud viderint indigere reformacione vel eciam de novo condendum vel inter varias opiniones statuendum, que sit tenenda. 1 Item quod exnunc per facultatem theologie 4 quatuor eligantur notabiles magistri in theologia vel baccularii formati, qui usque ad generale concilium diligenter omnia et singula puncta fidem et mores specialiter concernencia in libris et voluminibus doctorum theologie contenta, de quibus inter solempnes doctores magna est controversia, visitent et ex eisdem voluminibus ha-

1–1 Aus dem Reformantrag ,,Avisata“ der Universität Paris für das Pariser Nationalkonzil und die geplante römische Synode 1412; ACC I S. 32. 2 Jean Gerson, 1363–1429, ab 1395 Kanzler. 3 Über die Clementinae hinaus, die Papst Johannes XXII. 1317 herausgab, erfolgte keine weitere Sammlung der Dekrete von 1311/12. 4 Der Universität Paris.

A 3 franz. Punkte: Theologie

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[1] Katholischer Glaube und Ketzerei Zunächst muß auf einem Konzil über den Glauben verhandelt werden, damit Irrtümer ausgerottet werden, wenn sie aufkommen. So wird es anscheinend auf diesem Konzil um die Streitfrage gehen, die unter den Prager Professoren wegen der Irrtümer und Ketzereien des Magisters John Wyclif erörtert wird; diese kommen derzeit mächtig auf. 1Ebenso sollte diesem Konzil eine weitere Abhandlung vorgelegt werden,1 verfaßt vom Kanzler 2 der Universität Paris, 1die sich mit den allgemeinen Grundsätzen unseres Glaubens befaßt; sie muß jedoch zuvor von der Theologischen Fakultät geprüft und wenn nötig verbessert, vermehrt oder gekürzt werden; danach sollte der Inhalt den einzelnen Metropoliten und Bischöfen mitgeteilt werden, damit sie dann durch sie den Diözesen in Wort und Schrift bekanntgemacht wird. Dies ist sehr förderlich, nein: fast notwendig, denn in vielen Orten und Diözesen finden sich sehr viele, ja fast unzählige, die kaum etwas über Gott oder die für sie heilsnotwendigen Artikel wissen. Ja, es scheint: Diese Abhandlungen sollten, wie gesagt, verbessert und geprüft, überallhin den einzelnen Bischöfen geschickt werden, damit sie den Untergebenen samt und sonders weitergegeben werden.1 A 3 franz. Punkte: Theologie

[2] Entscheidungen von Streitfragen in Theologie und Kirchenrecht Auf dem Konzil sollten einige in der Heiligen Schrift besonders Bewanderte bestellt werden, die die Bücher, welche an den Universitäten gemeinhin benutzt werden, zu revidieren haben; und wenn etwas zweifelhaft ist, sollten sie entscheiden, was zu halten ist. Gleiches geschehe beim Kirchenrecht. Was sie beschließen, sollte von ihnen in Büchern zusammengefaßt werden; sie sollten ferner die Extravaganten seit der Zeit des Konzils von Vienne 3 revidieren, sowie die Entscheidungen der Rota und prüfen, ob sonst etwas ihrer Meinung nach einer Reform bedarf oder neu festzusetzen ist; bei abweichenden Meinungen ist zu bestimmen, was für richtig zu halten ist. 1 Umgehend sollten von der Theologischen Fakultät 4 vier bekannte Magister der Theologie oder geprüfte Bakkalare ausgewählt werden; diese sollen bis zum Allgemeinen Konzil alle in Schriften und Büchern der Doktoren der Theologie enthaltenen Punkte betreffend Glauben und Sittenlehre sorgfältig durchsehen, sowie die Punkte heraussuchen, über die es unter den gefeierten Gelehrten großen Streit gibt, sie aus den Bänden als zu verhandelnde Punkte

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III Capitula agendorum

benda puncta extrahant, in scriptis specialiter redigant, ut generale concilium circa illa discuciat et determinet. Et istud multum expedire videtur, quia in simplicibus magna oritur indisposicio atque in religione fidei nocet vacillacio, precipitacio, contencio et discordia in huiusmodi materiis inter litteratos atque scolasticos et famosos viros, item propter periculum quandoque firme atque pertinacis adhesio ad unam partem.1

[3] De unione Grecorum De reduccione Grecorum detur modus. Item 1quod certi solempnes eligantur deputati, qui vias et modos, quibus unio Grecorum cum Latinis haberi possit, adinveniant et in generali concilio aperiantur. Et istud multum expedire videtur.1

[4] De presenti scismate tollendo. De provisione adversus futura scismata, ne eveniant, et de remediis adversus illa, si evenerint Cum a capite sit edenda racio, videndum primo est ordinamentum talibus faciendis, per que futuris temporibus ecclesia bene regatur in capite cum cardinalibus et officialibus Romane curie et in membris. Et quia interest providere, ne surgant scismata in papatu, et si orta fuerint, statim sopiantur, videtur ordinandum, quod, si contingat eum, qui fuerit electus, dici non canonice electus, tamen, si fuerit inthronizatus, non possint cardinales aliam eleccionem celebrare, set possunt se ad locum tutum reducere et concilium congregare in casu, quo pretensus electus nolit congregare, et ibi determinetur de hoc. Fiant eciam circa istam materiam alie provisiones, que videbuntur opportune, ut quod eleccio facta per metum cadentem in constantem sit nulla ipso iure cum similibus.5 Videtur provisum per constitucionem Gregorii decimi, que incipit Ubi periculum;6 set ultra ibi constituta dicunt nonnulli providendum specifice et ante eleccionem pape et in ipsa eleccione et eciam post; et quantum ad tempus ante eleccionem nunnullis placet. Quia in constitucione Ubi periculum tra-

5 Anspielung auf die Formel aus X 1.40.4 (nach Dig. 4.2.6), die auch die Kardinäle bei der Absetzung Urbans VI. 1378 verwendet hatten. Vgl. unten Nr. 8 S. 348 Anm. 20. 6 Const.II 2, Konzil von Lyon 1245; COD 3 S. 295 f.; VI 1.6.3.

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herausziehen und sie in Schriftstücken eigens zusammenfassen, damit das Allgemeine Konzil darüber diskutiert und Entscheidungen trifft. Und dies scheint besonders förderlich zu sein, denn bei den Einfältigen entsteht [sonst] große Unordnung, und in solchen Glaubensfragen schaden Zweifelhaftigkeit, Unbedachtsamkeit, Hader und Streit unter Gebildeten, Gelehrten und großen Leuten, auch wegen der Gefahr etwa starker und hartnäckiger Anhänglichkeit an eine Seite.1 A 3 franz. Punkte: Schisma

[3] [Kirchen]-Union mit den Griechen Zur Wiedereingliederung der Griechen sollte ein Weg gezeigt werden. 1Es sollten feierliche Gesandte bestimmt werden, die die Art und Weise sowie den Weg herausfinden sollen, wie eine Vereinigung der Griechen mit den Lateinern durchgeführt werden kann; durch diese soll auf dem Allgemeinen Konzil der Weg freigemacht werden. Dies scheint sehr förderlich.1

[4] Beseitigung des gegenwärtigen Schismas. Vorkehrungen zur Verhinderung künftiger Schismen und Maßnahmen gegen ihr Vorkommen Da die Überlegung am Haupt einsetzen muß, muß zunächst eine Ordnung darüber festgelegt werden, wie in künftigen Zeiten die Kirche gut geleitet wird – beim Haupt mit den Kardinälen und Beamten der Römischen Kurie und bei den Gliedern. Und weil es wichtig ist, Vorsorge zu treffen, daß keine Spaltungen beim Papsttum entstehen und, wenn sie etwa entstanden sein sollten, sofort beseitigt werden, sollte folgendes angeordnet werden: Falls ein Erwählter nicht als kanonisch gewählt bezeichnet wird, dürften die Kardinäle, falls er schon inthronisiert ist, dennoch keine Neuwahl durchführen, aber sie sollen sich an einen sicheren Ort zurückziehen und ein Konzil berufen, falls der vorgeblich Erwählte es nicht berufen will; dort soll darüber entschieden werden. In dieser Sache sollten auch weitere Vorkehrungen getroffen werden, die angemessen erscheinen, etwa daß eine Wahl, die unter Furcht erfolgt ist, die einen Standhaften überfallen kann,5 aus sich heraus keine Rechtskraft hat und dergleichen. Hier ist anscheinend durch die Konstitution Ubi periculum6 Gregors X. Vorsorge getroffen worden; aber es müsse, sagen einige, über das dort Verfügte hinaus gesonderte Vorsorge getroffen werden für die Zeit vor, während und nach der Papstwahl; hinsichtlich der Zeit vor der Wahl sind viele zufrieden. In der Konstitution Ubi periculum wird die Gewalt den Herren und

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ditur potestas dominis atque rectoribus civitatis, in qua eleccio fuerit celebranda, videtur utilius, quod saltem, si in urbe contingat eleccionem fieri, ad custodiam conclavis deputaretur aliquis non Romanus, cui eciam de gentibus ecclesie assignantur tales societates et copie, quod et sibi et collegio dominorum cardinalium videatur, quod sit potens ad coercendum violencias. Sive autem in urbe sive extra sit facienda eleccio, teneatur ipse custos conclavis iurare in manibus collegii, quod fideliter aget incumbencia et quod putat se fortem ad hoc exequendum, et hoc promittat iure ut talis, qui sit potens ad coercendum violencias adversancium. Ille autem custos conclavis iurabit in manibus collegii, quod fideliter aget incumbencia. Et iuret cum periculo anime sue et sub penis,7 de quibus in dicta constitucione Gregoriana et aliis, si que videbuntur addende. Item eciam cardinales, antequam ingrediantur conclave, prestent simile iuramentum in manu collegii seu alicuius ex dominis cardinalibus recipientis pro collegio. In quo iuramento asseratur, quod putant locum tutum esse et quod, si sencient aliquid in contrarium, quod illud pandent, et hoc affirment sub periculo anime et sub pena excommunicacionis et perdicionis omnium beneficiorum et eciam cardinalatus, si umquam constiterit eos deierasse, et hoc quoad tempus ante eleccionem. Quantum vero ad tempus ipsius eleccionis statuendum videtur, quod, si contingat fieri tumultum vel metum manifestum in vim libertatis eleccionis, ipsi cardinales sub pena malediccionis eterne et sub aliis penis exprimendis in constitucione super hoc facienda gravissimis teneantur abstinere ab eleccione, et quam primum commode poterunt, cessante periculo vite, eciamsi immineat periculum facultatum, se transferre ad locum tutum, in quo tute et libere possit eleccio celebrari. Ipsi autem coincitantes tumultum vel incucientes metum incidant in penas excommunicacionis, anathematis et alias gravissimas penas in huiusmodi constitucione exprimendas. Civitas vero, ubi hec perpetrata fuerint, per quinquaginta annos ipso iure sit inhabilis ad faciendam eleccionem pape. Et addantur eciam alie pene ultra expressas in constitucione Ubi periculum. Quantum autem ad tempus post eleccionem disponendum videtur, quod si aliquis fuerit intrusus, id est sine canonica cardinalium eleccione invaserit papatum, vel si eciam per metum manifestum cadentem in constantem fuerit electus, teneatur abstinere ab administracione sub pena malediccionis eterne et inhabilitacionis ad omnes honores. Et exprimantur pene gravissime.8 Item quia fuit hactenus in disputacione versatum, an eleccio pape per metum ma-

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Exkommunikation, Ehrlosigkeit, Exil, Verlust aller Kirchenlehen. Interdikt.

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Leitern der Stadt übertragen, in der die Wahl stattfinden soll; doch scheint es nützlicher zu sein, daß zumindest, wenn die Wahl in der Stadt [Rom] stattfinden sollte, ein Nichtrömer zur Konklavewache bestellt wird, dem auch von den Kirchenleuten so viele Gruppen und Truppen überstellt werden, wie ihm und den Kardinalskollegium gut scheint, damit er fähig ist, Gewalttätigkeiten zu unterbinden. Wenn aber in der Stadt oder auswärts eine Wahl durchzuführen ist, soll der Konklavewächter gehalten sein, vor dem Kardinalskollegium zu schwören, daß er die anfallenden Aufgaben getreulich erfüllen werde und daß er sich fähig glaube, dies auszuführen; und das soll er rechtmäßig wie einer versprechen, der fähig ist, Gewalttätigkeiten von Feinden zu unterbinden. Dieser Konklavewächter soll vor dem Kardinalskollegium schwören, daß er die anfallenden Aufgaben getreulich erfüllen werde. Es soll schwören bei Gefahr für seine Seele und bei den Strafen 7 der genannten Konstitution Gregors und bei sonstigen Strafen, falls sie ergänzungsbedürftig scheinen. Auch sollten die Kardinäle vor Eintritt ins Konklave den gleichen Eid in die Hand des Kollegiums oder eines der Herren Kardinäle leisten. In diesem Eid sollte es heißen, sie hielten den Ort für sicher; wenn sie das Gegenteil empfänden, würden sie es ansagen; und dies sollen sie bekräftigen unter Gefahr für ihre Seele und unter der Strafe der Exkommunikation und des Verlustes aller Pfründen einschließlich des Kardinalats, falls sich herausstellen sollte, daß sie einen Meineid geleistet haben – dies bezogen auf die Zeit vor der Wahl. Für die Zeit der Wahl selbst sollte man festsetzen: Wenn es etwa Tumult oder offensichtliche Furcht geben sollte, die der Freiheit der Wahl bedrohlich werde, sollen die Kardinäle bei der Strafe ewiger Verdammnis und bei anderen, in der darüber zu erlassenden Verordnung aufgeführten schweren Strafen gehalten sein, von der Wahl abzusehen, und sobald sie es irgend können – wenn keine Lebensgefahr droht, mag auch Gefahr für ihr Vermögen drohen –, sollen sie sich an einen sicheren Ort begeben, wo die Wahl sicher und frei durchgeführt werden kann. Wer aber Tumult erregt oder Furcht einflößt, soll der Strafe der Exkommunikation, des Anathems und anderer, in der Verordnung aufzuführender Strafen verfallen. Die Stadt aber, in der dies verübt wurde, soll fünfzig Jahre lang ohne weiteres unfähig zur Durchführung einer Papstwahl sein. Hinzukommen sollten noch die weiteren Strafen der Konstitution Ubi periculum. Für die Zeit nach der Wahl aber sollte man festsetzen: Wenn sich einer eingedrängt hat, d. h. wenn er ohne kanonische Wahl durch die Kardinäle das Papsttum an sich reißt, oder wenn es zur Gewißheit wird, daß er unter offensichtlicher Furcht gewählt wurde, die auch einen Standhaften befallen kann, muß er sich der Übernahme des Amtes enthalten bei der Strafe ewiger Verdammnis und Unfähigwerdens zu allen Ehrenämtern. Schwerste Strafen 8 sollten angedroht werden. Weil bisher bei den Gelehrten Uneinigkeit

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nifestum facta sit nulla vel valida seu annullanda, decernatur, quod eleccio pape per metum manifestum facta sit ipso iure nulla et pro tali habeatur ab omnibus nec possit per approbacionem cardinalium et omnem sequentem approbari, set oporteat de novo eleccionem fieri servato ordine conclavis. Preterea, quia multe sunt vie ad machinandum et ne pretensus intrusus possit apud christianos fraudes machinari vel faciendo, quod cardinales, qui ad eius eleccionem per metum processerint vel eius intencioni contradixerint, aliter scribant prelatis, principibus et comitibus, quam se habeat veritas, vel aliquid aliud ordinando in supplantacionem veritatis, videtur ordinandum, quod, si eleccio facta fuerit in urbe vel alia terra, que sit de temporali iurisdiccione Romane ecclesie et in qua pretensus electus seu intrusus habeat temporalem potestatem, teneatur ipse sic electus seu intrusus infra certum terminum, puta duorum mensium a die intronisacionis, mittere cardinales ad locum, in quo ipse vel sui fautores vel complices nullam habeant temporalem iurisdiccionem seu potestatem, ubi teneantur sub iuramento affirmare, an eleccio fuerit canonica an non. Et de hoc conficiantur publica documenta prelatis et principibus et toti mundo intimanda, ita quod mundo possit fieri clara fides, an ille sit canonice electus vel non canonice. Ne tamen ipse sic pretensus electus 9 remaneat sine ulla cardinalium societate, possint cum eo remanere tres viri, unus de quolibet ordine, quos ipsum collegium duxerit eligendos. Vel, si videtur, possit remanere tercia pars cardinalium vel quarta. Et primis redeuntibus, isti eciam mittantur modo predicto.10 Et hoc casu videtur aliquibus, quod, si aliqui ex cardinalibus dicant de intrusione, vi vel metu, non ex hoc teneatur assertus electus cedere, nisi hoc affirmetur a tribus partibus collegii sub iuramento. Si autem assertus electus non miserit cardinales modo predicto, habeant locum sequentes versiculi. Insuper ipse electus teneatur in principio assumpcionis facere professionem, in qua iuret aliqua ad hoc pertinencia et que constituentur. Et nisi iuret, sit inhabilis ad administracionem. Et teneantur omnes sub penis gravissimis exprimendis subtrahere sibi obedienciam. Et idem fiat, quandocumque postea constiterit, quod in aliquo deieret a tali iuramento, nec ipse nec

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Hier als Annahme ausgedrückt; tatsächlich gemeint ist Urban VI. 1378. Rotation.

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herrscht, ob eine offensichtlich unter Zwang erfolgte Papstwahl nichtig, gültig oder für ungültig zu erklären ist, muß entschieden werden, daß eine unter offensichtlichem Zwang erfolgte Papstwahl ohne weiteres nichtig ist, so zu gelten hat und auch nicht durch eine Billigung von seiten der Kardinäle oder sonst eine nachträgliche Billigung etwa rechtskräftig werden kann; vielmehr muß unter Beachtung der Konklaveordnung eine Neuwahl durchgeführt werden. Weil es andererseits viele Wege für Machenschaften gibt und damit kein mutmaßlicher Eindringling bei den Christen Betrug ins Werk setzen kann, wenn er veranlaßt, daß die Kardinäle, die unter Druck zur Wahl geschritten sind oder seiner Absicht widersprochen haben, an die Prälaten, Fürsten und Grafen anders schreiben, als sich die Wahrheit verhält, oder indem er etwas anderes, um die Wahrheit zu verdrängen, anordnet, muß man folgende Anordnung treffen: Erfolgt eine Wahl in der Stadt [Rom] oder in einem anderen Gebiet, das der weltlichen Herrschaft der Römischen Kirche untersteht und in dem ein solcher mutmaßlich Gewählter oder Eindringling solche Gewalt innehat, ist der so Gewählte oder Eindringling selbst gehalten, innerhalb einer bestimmten Frist, etwa von zwei Monaten nach dem Tag seiner Inthronisation, die Kardinäle zu einem Ort zu schicken, in dem er selbst, seine Parteigänger oder Verbündeten keine weltliche Herrschaft oder Gewalt haben, wo sie dann unter Eid versichern müssen, ob die Wahlhandlung kanonischen Vorschriften entsprach oder nicht. Und darüber sind öffentliche Urkunden auszufertigen, die den Prälaten, den Fürsten und der ganzen Welt mitzuteilen sind, so daß sich in der Welt eine klare Überzeugung bilden kann, ob jener kanonisch gewählt ist oder nicht. Damit jedoch ein solcher mutmaßlich Erwählter 9 nicht ohne jede Gemeinschaft mit den Kardinälen bleibt, können bei ihm drei Männer zurückbleiben, je einer aus jedem Kardinalsrang, welche das Kollegium selbst bestimmt. Oder, wenn es so beschlossen wird, könnte ein Drittel der Kardinäle oder ein Viertel zurückbleiben. Und sobald die ersten zurückkehren, müßten diese dann auf oben genannte Art nachgeschickt werden.10 Für diesen Fall meinen einige: Wenn einige der Kardinäle von Eindrängen, Gewalt oder Druck sprechen, muß der besagte Erwählte nur dann aufgeben, wenn dies von drei Vierteln des Kollegiums unter Eid bestätigt wird. Wenn aber der besagte Erwählte die Kardinäle nicht auf genannte Art und Weise wegschickt, greifen die folgenden Absätze. Außerdem sei der Erwählte selbst gehalten, zu Beginn seiner Erhebung ein Bekenntnis abzulegen, in dem er einiges Entsprechende schwört, was durch ein Kirchengesetz festzulegen ist. Doch wenn er nicht schwört, ist er zur Amtsführung nicht fähig. Und alle sind unter festzulegenden schwersten Strafen gehalten, ihm den Gehorsam zu entziehen. Und wann immer sich später herausstellen sollte, daß er dabei irgendwie einen Meineid geleistet hat, darf ihn weder er selbst noch einer seiner Beauf-

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eius commissarius vel alius possit eum absolvere nisi in mortis articulo, set solum concilium generale. Item tale professionem teneatur infra annum intimare omnibus katholicis sub pena privacionis, ita quod, si non fecerit, subtrahatur sibi obediencia. Item ne contingat, quod aliquo per metum electo vel se intrudente scismata surgant, si alius se intruderet vel si cardinales alium eligerent, statuatur, quod tali secundo intruso vel electo nullus obediat nec habeat eum pro papa sub penis gravissimis exprimendis, set primo determinetur de primo intruso seu, ut predicitur, per metum electo. Preterea, quia speratur, quod, si qua inconveniencia contingat in predictis, possit convenienter sedari in concilio generali, et quia eciam conveniens est, ut quilibet Romanus pontifex saltem semel teneatur ipsum concilium, ubi tractetur de reformacione ecclesie et omnium catholicorum in capite et in membris, convocare, ordinetur, quod, cum primo quis fuerit electus sive canonice sive non, bsubito [ipse convocet concilium generale in loco non subdito b] ipsi electo racione temporalis iurisdiccionis. Et c nunc 11 constituatur de loco concilii pro futuro pontifice, et in illo concilio statuatur de loco alterius concilii, et sic successive. Ad quod concilium teneatur eciam imperator interesse tamquam defensor ecclesie, nec excusetur nisi ob gravem infirmitatem vel metum mortis propter viarum dicrimina. Et tunc mittat solempnes oratores. De ceteris principibus cogitetur, quid ordinandum sit. Si contingat, ut pendente vacacione papatus fiat tumultus vel metus notorius, qui eciam tumultus et metus ad hoc fiant, ut cardinales moveantur ad eligendum aliquem in papam vel de loco, eleccio sit ipso iure nulla et pro tali habeatur nec possit, postquam cardinales egressi fuerint conclave, per sequentem consensum cardinalium, eciam omnium, approbari, set oporteat de novo eleccionem fieri, cessante tumultu et metu et servato ordine conclavis. Et ut possit notum esse catholicis omnibus, an eleccio sit facta libere, teneatur electus infra duorum mensium spacium a die eleccionis mittere cardinales ad locum ipsi electo vel alicui suo fautori vel complici non subditum et manifeste liberum et tutum. Et ipsi eciam cardinales sub obtestacione divini iudicii ire teneantur et ibi palam publice coram tabellione et testibus

b–b Konjektur der Hrsg. (wohl Ausfall einer Zeile wegen Gleichklang); [in loco non] subdito Ed.; ,,in allen Hss. unverständlich“ Ed. in Anm. c hoc fieri debet et Ed. 11

= in Konstanz.

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tragten noch sonst wer von diesem Schwur lossprechen – ausgenommen im Todesfall –, lediglich ein Allgemeines Konzil. Er müßte auch gehalten sein, den Wortlaut dieses seines Bekenntnisses innerhalb eines Jahres allen Katholiken bei der Strafe des Amtsverlustes mitzuteilen, und zwar so, daß ihm der Gehorsam entzogen wird, wenn er es nicht tut. Falls jemand unter Druck gewählt wird oder sich ins Amt drängt, muß verhindert werden, daß Schismen entstehen; sollte sich dann ein anderer eindrängen oder sollten die Kardinäle einen anderen wählen, ist bei Anordnung schwerster Strafen festzulegen, daß solch einem zweiten Eindringling oder Erwählten keiner gehorcht oder ihn als Papst behandelt; sondern zunächst ist eine Entscheidung über den ersten Eindringling oder, wie gesagt, unter Druck Gewählten zu treffen. Weil man zudem hofft, daß eine dabei auftretende Unzuträglichkeit angemessen auf einem Allgemeinen Konzil beigelegt werden könnte, und weil es auch angemessen ist, daß jeder Papst gehalten ist, zumindest einmal solch ein Konzil zu berufen, wo über die Reform der Kirche und aller Katholiken an Haupt und Gliedern zu verhandeln ist, sollte verordnet werden: Sobald jemand gewählt wurde – kanonisch oder nicht –, muß er umgehend [ein Allgemeines Konzil berufen an einen Ort, der nicht] dem Erwählten kraft weltlicher Herrschaft [untersteht]. Diesmal 11 sollte für den künftigen Papst hinsichtlich des Ortes ein Beschluß gefaßt werden, und auf diesem Konzil ein Beschluß über den Ort des nächsten Konzils und so fort. An diesem Konzil teilzunehmen sollte auch der Kaiser als Schirmherr der Kirche verpflichtet sein, und er sollte sich nicht entschuldigen dürfen, außer wegen schwerer Krankheit oder aus Todesfurcht wegen der Gefahren auf den Straßen. Und dann sollte er hohe Gesandte schicken. Wegen der übrigen Fürsten sollte nachgedacht werden, was anzuordnen wäre. Wenn etwa bei Papstvakanz ein Tumult oder offensichlicher Druck vorkommen sollte – solch Tumult oder Druck könnte auch deswegen kommen, weil die Kardinäle veranlaßt werden, jemand bestimmten zum Papst zu wählen, und auch hinsichtlich des Ortes –, dann muß die Wahl ohne weiteres nichtig sein und so behandelt werden, und sie darf auch nicht, nachdem die Kardinäle das Konklave verlassen haben, durch eine folgende Zustimmung der Kardinäle, selbst aller nicht, nachträglich gebilligt werden, vielmehr müßte eine Neuwahl ohne Aufruhr und Druck, unter Beachtung der Konklaveordnung vorgenommen werden. Und damit es allen Katholiken bekannt sein kann, ob die Wahl frei vor sich gegangen ist, sollte der Erwählte gehalten sein, innerhalb einer Zweimonatsfrist vom Tag der Wahl an die Kardinäle zu einem Ort zu schicken, der weder ihm, dem Erwählten, noch sonst einem seiner Parteigänger oder Verbündeten untersteht und der offensichtlich frei und sicher ist. Diese Kardinäle sollten durch einen Schwur beim göttlichen Gericht gehalten sein, dort-

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declarare, an eleccio fuerit facta canonice et sine tumultu et metu an econtra. Et de hoc conficiantur publica documenta. Et nisi electus hoc observaverit, lapsis duobus mensibus non habeatur amplius pro papa, et cardinales libere possint alium eligere. 12 Item aperiendi essent modi racionabiles, quibus presens scisma salubriter posset et conveniencius terminari et pax ecclesiastica reformari, item sanctorum patrum sequendo vestigia, qui contra precedencia ecclesie scismata in conciliis generalibus futura remedia previderunt. Ne similia ulterius orirentur, essent primitus considerande principales radices et occasiones presentis scismatis, ex quibus ortum et tam diu, proch dolor, firmatum est, ut nullum aliud simile fuisse legatur. Item ut tanti mali radices exstirpentur, essent contra eas et earum occasiones conveniencia remedia statuenda. Ponamus ergo, exempli gracia, quod tres fuerunt radicales huius scismatis cause: Prima Romanorum sediciosus tumultus. Secunda dominorum tunc cardinalium longa dissimulacio tardaque allegacio sui metus. Tercia ambicio papatus, quia una orbis nacio diu papatum tenuerat,13 alia vero econtra cupiebat papam habere Romanum vel saltem Ytalicum. Contra hoc igitur hiis modis aut aliis conveniencioribus providendum esse videtur: Contra primum, quod de cetero nullibi Romana curia resideret, nisi ubi esset locus tutus pro habitacione pape et cardinalium ac pro eleccione futuri summi pontificis a tumultu populari securus. Contra secundum, quod statuatur certum tempus, ultra quod non licet cardinalibus in eleccione de summo pontifice facta metus excepcionem aliquatenus allegare. Contra tercium, quod amplius de uno regno vel nacione vel provincia non fiant tot cardinales, quod possint in eleccione pape per pluralitatem vocum papatum ad libitum obtinere et 14sanctuarium quasi hereditarie possidere,14 set de omni nacione absque personarum accepcione fiat eleccio. Item quod propter peccata nostra timendum est hoc scisma in pertinaci obstinacione durasse aliaque multa exinde procesisse scandala, ideo expediret Romanam ecclesiam, que caput est omnium, se prius in iusticia et moribus reformare ac deinde ad reformacionem ceterorum membrorum procedere. Item hac reformacione premissa, Romana ecclesia sacrumque concilium efficacius poterit exhortari reges et principes seculares ad debitam reforma-

12–12 Aus Aillys Brief an Papst Johannes XXIII. von 1411. Ed. Du Pin II 882 f. Zitatende unten S. 200. 13 = die Franzosen von 1305 (Clemens V.) bis 1394 (Clemens VII.). 14–14 Ps 82, 13.

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hin zu gehen, und dort öffentlich vor dem Notar und vor Zeugen erklären, ob die Wahl kanonisch, ohne Aufruhr erfolgt ist oder nicht. Und darüber sollten öffentliche Urkunden abgefaßt werden. Falls der Erwählte dies nicht beachtet, soll er nach Ablauf der zwei Monate nicht weiter als Papst gelten, und die Kardinäle können frei einen anderen wählen. 12 Es wären vernünftige Formen zu finden, nach denen das gegenwärtige Schisma heilsam und angemessen beendet und der kirchliche Frieden wiederhergestellt werden könnte – auch indem man den Spuren der heiligen Väter folgt, die gegen die früheren Kirchenspaltungen schon Allgemeine Konzilien als künftige Heilmittel angesehen haben. Damit dergleichen künftig nicht mehr vorkomme, wären zu allererst die hauptsächlichen Wurzeln und die Anlässe zu dem gegenwärtigen Schisma zu erkennen, aus denen es entstanden und ach so lange schon verfestigt ist, daß man von keinem anderen lesen kann, es habe ähnlich lange gedauert. Damit nun die Wurzeln solchen Übels ausgerissen werden, wären gegen diese und deren Anlässe angemessene Heilmittel bereitzustellen. Setzen wir also beispielsweise, daß es drei Hauptgründe für dieses Schisma gibt: 1. Der aufrührerische Aufstand der Römer. 2. Das lange Vertuschen der damaligen Herren Kardinäle und die späte Benennung des Drucks. 3. Die Gier nach dem Papsttum; denn eine einzige Nation der Erde hatte so lange das Papsttum innegehabt,13 eine andere eiferte hingegen danach, als Papst einen Römer oder zumindest einen Italiener zu bekommen. Dagegen müßte man wohl folgendermaßen (oder noch besser) Vorsorge treffen: Zu 1: Künftig sollte die Römische Kurie nur dort residieren, wo ein Ort sicher ist für den Aufenthalt des Papstes und der Kardinäle sowie sicher vor Volksaufständen bei der Wahl eines künftigen Heiligen Vaters. Zu 2: Es sollte eine Frist festgelegt werden, nach der es den Kardinälen nicht mehr gestattet ist, eine Klage vorzubringen, die Wahl des Heiligen Vaters sei unter Druck erfolgt. Zu 3: Es sollten künftig aus einem Königreich, einer Nation oder einer Kirchenprovinz nicht so viele Kardinäle genommen werden, daß diese bei der Papstwahl durch ihre Stimmenmehrheit das Papsttum nach Gutdünken erhalten und 14das Heiligtum sozusagen erblich besitzen 14 können, vielmehr sollte aus jeder Nation eine Auswahl, ohne Ansehen der Person, getroffen werden. Weil zu befürchten ist, daß dieses Schisma wegen unserer Sünden in verstockter Hartnäckigkeit so lange gedauert hat und daraus so viele andere Ärgernisse erwachsen sind, wäre es förderlich, wenn die Römische Kirche, die das Haupt aller ist, sich zunächst selbst in ihrer Rechtsgestalt und ihrem Leben reformierte und erst danach zur Reform der übrigen Glieder schritte. Nach einer solchen Selbstreform könnte die Römische Kirche und ein heiliges Konzil die Könige und weltlichen Fürsten wirkungsvoller zur dringenden Reform und besonders zu Eintracht und Frieden mahnen, denn infolge

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cionem et precipue concordiam et pacem, cum ex eorum guerris et contencionibus iam fere tota christianitas afflicta sit. Item sicut alias factum est in quodam concilio Lugdunensi,15 ita et nunc videtur: ordinare unum generale passagium transmarinum, non solum in subsidium Terre Sancte, set et eciam ad reduccionem Grecorum et aliorum scismaticorum. Ac per hoc verisimiliter sperandum esset facilius principes induci posse ad pacem inter eos reformandam vel saltem ad longevam treugam, quod esset plurimum ad infidelium desolacionem et exaltacionem fidelium. Item super premissis aliisque reformacionem ecclesie concernentibus ante celebracionem concilii expediret a sede apostolica certos commissarios deputari, qui examinata et diligenter discussa materia tractandorum tandem vestre sanctitati per eos digesta referrent, priusquam venirent in publicum et maturius eadem sanctitas generalis sacri concilii auctoritate omnia concluderet.12 [5] De cultu dei et officio ecclesiastico De breviando officium ecclesiasticum, si videbitur, pro studentibus vel legentibus vel itinerantibus vel laborantibus pro re publica ecclesiastica. Quod officium ecclesiasticum in singulis ecclesiis, maxime cathedralibus, fiat debitis horis cum debita et expausata modulacione et in convenientibus vestibus secundum consuetudinem ecclesiarum. Et serventur. Item circa festa, que apud multos plura servantur: Quid expedit rei publice et pauperibus artificibus et agricolis? Ymmo dant malas occasiones peccandi per ocium, quia tunc iuvenes nichil aliud faciunt quam vacare lasciviis, tabernis et lupanaribus aliisque illicitis. Item videtur, quod quantum ad populum sufficeret servare festa, que sunt in iure scripta, et illam clausulam generalem constringere ad principale ecclesie dyocesane et ad festum ecclesie parrochialis.

[6] De statu et potestate Romani pontificis et illius eleccione Quia visum est, quod ex libertate immodica administrandi, qua usi sunt Romani pontifices, mala multa pullularunt, fiat certa professio et iuramen-

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Const. I 1, 2. Konzil von Lyon 1274; COD 3 S. 309–314.

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von deren Fehden und Streitigkeiten leidet schon fast die ganze Christenheit schwer. Wie es schon woanders – auf dem [II.] Konzil zu Lyon 15 – geschehen ist, so scheint auch jetzt folgendes gut: einen allgemeinen überseeischen Kreuzzug nicht nur zur Unterstützung des Heiligen Landes, sondern auch zur Heimführung der Griechen und anderen Schismatiker anzuordnen. Wahrscheinlich steht zu hoffen, daß dadurch die Fürsten leichter veranlaßt werden könnten, untereinander den Frieden wiederherzustellen oder zumindest einen langdauernden Waffenstillstand; dies würde zuallermeist für die Ungläubigen eine Aufrichtung bedeuten. Was nun das Vorgenannte und die übrigen Reformforderungen der Kirche anlangt, wäre es vor der Durchführung eines Konzils förderlich, wenn vom Apostolischen Stuhl bestimmte Beauftragte eingesetzt würden, die nach Prüfung und sorgfältiger Erörterung der Tagesordnung schließlich Eurer Heiligkeit vertraulich das von ihnen Erarbeitete vortragen, bevor es in die Öffentlichkeit kommt und Eure Heiligkeit alles reiflicher überlegt mit Unterstützung des heiligen Allgemeinen Konzils abschließt.12 A 3 franz. Punkte: Gottesdienst

[5] Gottesdienst und kirchliches Offizium Verkürzung des kirchlichen Offiziums, falls es so beschlossen wird, für alle, die sich dem Studium widmen, Vorlesungen halten, reisen oder sonstwie sich abmühen für die kirchliche Gemeinde. Dieses kirchliche Offizium sollte in den einzelnen Kirchen, besonders in den Kathedralen zu den angesetzten Zeiten in angemessener Kleidung nach der Gewohnheit der einzelnen Kirchen durchgeführt werden. All das sollte beibehalten werden. Hinsichtlich der Feiertage, die bei vielen verschieden häufig beachtet werden: Was nützen sie der Gemeinde, was den armen Handwerkern und Bauern? Bieten sie nicht schlimmen Anlaß zur Sünde durch Müßiggang; denn die jungen Leute tun dann nichts anderes als sich in Ausschweifungen zu ergehen, in Wirtshäusern und Freudenhäusern aufzuhalten oder anderes Verbotene zu treiben. Was das Volk anlangt, würde es wohl reichen, die Feiertage beizubehalten, die im Kirchenrecht aufgeschrieben sind, und jene Generalklausel auf die bischöfliche Hauptkirche und das Kirchweih- und Patronatsfest der Pfarrkirche zu beschränken.

[6] Stand und Gewalt des Papstes und dessen Wahl Weil es so scheint, daß aus der maßlosen Freiheit zur Amtsausübung, der die Römischen Päpste sich erfreut haben, viel Übel aufgekommen ist, sollte es ein bestimmtes eidliches Bekenntnis geben, wie es das auch früher gab,

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III Capitula agendorum

tum, ut et olim fiebat, ut patet in professione Bonifacii octavi,16 de qua constat. Et addantur, que visa fuerint cardinalibus vel duobus cardinalibus ad hoc deputatis. Et hanc professionem et iuramentum assumptus in papam teneatur prestare. Et in ea contineantur illa, que videntur gravia, que iuret facere vel obmittere, prout fuerint facienda vel obmittenda. Et si facienda, iuret non facere sine cardinalibus. Et ordinetur de modo sciendi, an talibus consenserint vel per subscripciones priorum trium collegii, scilicet pro episcopis, presbyteris et dyaconis, vel per alium modum, ita quod in hiis credatur assercioni pape dicentis, quod cum consilio fratrum, et de gravibus exemplum est in hiis, que concernunt fidem. Item in concedendis privilegiis exempcionum, in alienacionibus rerum immobilium vel mobilium preciosarum, in creacionibus cardinalium, in deposicionibus eorum vel alicuius ipsorum, que non faciat, nisi in concilio generali. Item de convocando concilio generali saltem infra decennium. Et in concilio statuatur locus pro futuro concilio, ne papa possit locum mutare. Item si contingat, quod aliqui cardinales se opponunt eleccioni pape, ita quod cum papa remaneant minus quam due partes, teneatur electus intra annum celebrare concilium in loco, qui fuerit statutus in precedenti concilio; et si non esset statutus, tunc in loco non suspecto et in quo nullam habeat temporalem potestatem, et ibi de eleccione libere iudicetur. Item de non privando aliquem prelatum nisi citatum et convictum culpa in iudicio nec transferendo invitum. Item de observandis statutis conciliorum, maxime huius. Item de faciendis guerris et pacibus et similibus, et utile est in hoc multa talia exprimere, ita quod detur causa, ut, sicuti papa dicitur sanctissimus, sic sanctissime eciam regat ecclesiam.

[7] De statu et officio cardinalium et illorum assumpcione Quia plurimi interest, quod sincera et pura mente per cardinales eligatur papa et non carnali affeccione, provideatur de ipsis cardinalibus, ut verisimiliter sperari possit, quod eligant modo predicto. Ubi videtur statuendum, quod, cum papa debeat eligi melior et sanccior ex tota congregacione ecclesie, ita eciam assumantur cardinales non de singulis locis paucis set, si fieri potest,

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Siehe Einleitung oben S. 16 Anm. 36.

A 3 franz. Punkte: Kardinäle

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wie es glaubwürdig aus dem Bekenntnis von Bonifaz VIII.16 hervorgeht. Und hinzugefügt werden sollte, was die Kardinäle oder zwei dazu bestellte Kardinäle beschließen. Und dieses eidliche Bekenntnis sollte der zum Papst Erwählte leisten. Und darin sollte enthalten sein, daß er schwört, das, was wichtig ist, zu tun oder zu lassen, je nachdem. Was zu tun ist, das werde er nur mit den Kardinälen tun. Es sollte über das Maß ihrer Mitwirkung eine Festlegung getroffen werden, ob sie ihre Zustimmung [mündlich] gegeben haben durch die Unterschriften der drei Prioren des Kardinalskollegiums für die Ränge der Kardinalbischöfe, -priester und -diakone, oder auf andere Weise, so daß man der Versicherung des Papstes Glauben schenken kann, wenn er sagt, er habe dies mit dem Rat seiner Brüder getan. Wichtig aber ist dies bei dem, was den Glauben betrifft. Ferner bei Gewährung von Exemtionsprivilegien, Veräußerung von unbeweglicher Habe oder beweglichen Wertgegenständen, Kreierung von Kardinälen, ihrer Absetzung – all das sollte er nicht tun dürfen, es sei denn auf einem Allgemeinen Konzil. Berufung eines Allgemeinen Konzils wenigstens einmal in 10 Jahren. Auf dem Konzil sollte der Ort des nächsten Konzils festgelegt werden, damit der Papst den Ort nicht ändern kann. Wenn sich etwa einige Kardinäle der Papstwahl widersetzen, so daß bei dem Papst weniger als zwei Drittel zurückbleiben, sollte der Erwählte gehalten sein, innerhalb eines Jahres ein Konzil durchzuführen an dem Ort, der auf dem letzten Konzil festgelegt worden war; wenn keiner festgelegt war, dann an einem unverdächtigen Ort, an dem er keine weltliche Gewalt hat; und dort soll man über die Wahl frei entscheiden. Weiter: Kein Pfründenentzug eines Prälaten außer nach Vorladung und bei durch gerichtliches Verfahren erwiesener Schuld; keine Versetzung wider Willen. Beibehaltung der Konzilsbestimmungen, besonders der des jetzigen Konzils. Entscheidung über Krieg und Frieden und dergleichen; es wäre dabei nützlich, vielerlei hier aufzunehmen, damit der Grund dafür gelegt wird, daß, wie der Papst ‘Heiliger Vater’ genannt wird, er auch die Kirche heilig regiert. A 3 franz. Punkte: Kardinäle

[7] Stand und Amt der Kardinäle und deren Ernennung Weil es von höchstem Interesse ist, daß der Papst von den Kardinälen in aufrichtiger und reiner Gesinnung, nicht jedoch aus fleischlicher Leidenschaft gewählt wird, sollte hinsichtlich dieser Kardinäle Vorsorge getroffen werden, daß man dann mit Wahrscheinlichkeit hoffen darf, sie werden in der genannten Weise wählen. Hier muß offensichtlich festgelegt werden: Wie der beste und heiligste Mann aus der ganzen Gemeinschaft der Kirche zum Papst gewählt werden sollte, so müßten auch die Kardinäle nicht aus einigen

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III Capitula agendorum

de quolibet regno seu regimine, ita quod de una parte mundi non possunt fieri plures quam duo vel tres. Et in hoc aliquantulum honoretur Roma cum sua metropoli in aliquo maiori numero, non tamen excessive, puta usque quatuor. Et ex hoc evitabitur, quod papatus non fiat hereditarius uni nacioni sive genti. Item non fiant nisi docti in sacris canonibus vel sacra pagina, nisi forte sint de maxima stirpe aliqui pauci, qui maxime possint ecclesiam iuvare. Nec fiant nisi habita scrutacione de voluntate ipsorum, ita quod presumantur verisimiliter acceptanei nec minores annis XXX de legitimo matrimonio nati. Provideatur eciam de taxando numero cardinalium ita, quod non excedant XXX. Aliis videtur ad instar XXIIII seniorum.17 Item quod habeant redditus taxatos et certos, puta IIII milia 18 pro quolibet. Item quod habeant redditus sine scandalo, id est non ex commendis, per quas ecclesie destruuntur, ita scilicet, quod deinceps non dentur eis commende beneficiorum. Eas tamen, quas habent, possint tenere licite. Set provideant, quod ita gubernentur beneficia, quod iuste nemo possit scandalizari. Set augeantur redditus titulorum, ut quilibet valeat saltem mille, et hoc uniendo alios titulos et alia beneficia urbis dicte Romane ecclesie sine scandalo ac beneficia diversorum, vel assignentur eciam redditus supprimendo in qualibet ecclesia cathedrali unum beneficium et constituendo quamlibet ecclesiam cathedralem censualem de illo redditu d secundum facultate beneficii suppressi. Dicunt eciam aliqui, quod bonum esset auferre redditus capelle 19 ad evitanda scandala, et ut cardinales tantum sint prompti ad consenciendum translacionibus prelatorum. Aliis videtur, quod tales redditus maneant cum limitacionibus, scilicet providendo, quod, si ecclesia bis vacat infra triennium vel, si videatur, quadriennium vel quinquennium, non nisi semel exigantur primi fructus. Item ad solucionem eorum faciendam assignetur triennium, ita quod tercia pars solvatur in fine primi anni, tercia in fine secundi et tercia in fine tercii anni. Dicunt aliqui melius esse tollere ex toto istas vacancias, quia provideri non posset, quod illa proxime dicta servarentur, si papa vellet infringere, nisi ex toto servarentur iura communia, ut provideretur ecclesiis, monasteriis et beneficiis esecundum ordinariam e formam.

d

reditu Ed. ordinare Hss. u. Ed.

e–e 17 18 19

Apoc 4,4. Andere Hss. sogar: XXIV millia, vgl. auch oben Nr. 1 S. 98 Anm. 78. = eigene Behörden der Kardinäle. Vgl. jedoch Nr. 4 § 6 S. 254 nach Anm. 18.

A 3 franz. Punkte: Kardinäle

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wenigen Orten genommen werden, sondern wenn möglich aus allen Königreichen oder Herrschaftsgebieten, so daß aus jedem Teil der Welt nicht mehr als zwei oder drei kommen. Und dabei könnte Rom mit seiner Kirchenprovinz durch eine ein wenig größere Zahl geehrt werden, jedoch nicht übermäßig, etwa bis zu vier. Dadurch wird vermieden, daß das Papsttum etwa bei einer Nation oder einem Volk erblich wird. Nur im heiligen Kirchenrecht oder in der Heiligen Schrift Gelehrte sollten [Kardinal] werden, vielleicht noch einige wenige aus einem bedeutenden Geschlecht, die der Kirche besonders hilfreich sein könnten. Sie sollten es nur nach Durchführung einer Befragung über ihre Absichten werden, so daß man annehmen kann, daß sie wahrscheinlich mehrheitsfähig sind, auch sollen sie nicht jünger als 30 Jahre sein und aus rechtmäßiger Ehe stammen. Zu beschließen wäre auch über die Ansetzung der Zahl der Kardinäle, die nicht über 30 hinausgehen sollte. Anderen scheint die Anlehnung an die 24 Ältesten 17 besser. Sie sollten festgelegte und sichere Einkünfte haben, etwa 4000 [fl.]18 für jeden. Sie sollten Einkünfte erhalten, die kein Ärgernis geben, d. h. nicht aus Kommenden, durch die Kirchen zerstört werden, und zwar dergestalt, daß ihnen künftig keine Kommenden von Pfründen gegeben werden. Die sie bereits haben, könnten sie erlaubterweise behalten. Aber sie sollten Vorsorge treffen, daß die Pfründen so verwaltet werden, daß niemand mit Recht Anstoß nehmen kann. Doch sollten die Einkünfte aus ihren Titelkirchen erhöht werden, so daß jede mindestens 1000 wert ist, und dies, indem man andere Titelkirchen und andere Pfründen der Stadt dieser Römischen Kirche ohne Ärgernis einverleibt, auch Pfründen anderswo; ebenfalls zugewiesen werden sollten Einkünfte, indem man in jeder Kathedralkirche eine Pfründe unbesetzt läßt und jede Kathedralkirche aus jenen Einkünften zahlungspflichtig macht, gemäß dem Wert der unbesetzt gelassenen Pfründe. Einige sagen auch, es wäre besser, um Ärgernisse zu beseitigen, der Kapelle 19 die Einkünfte zu entziehen; damit die Kardinäle nicht so übereifrig seien, Translationen von Prälaten zuzustimmen. Anderen scheint es gut, daß solche Einkünfte durch folgende Bestimmung mit Einschränkung erhalten bleiben können: Wenn eine Kirche zweimal innerhalb von drei oder meinetwegen vier oder fünf Jahren vakant wird, sollten nur einmal die Ersterträge gefordert werden. Für ihre Zahlung sollte ein Zeitraum von drei Jahren eingeräumt werden, so daß am Ende des ersten Jahres ein Drittel, am Ende des zweiten das zweite und am Ende des dritten das letzte Drittel fällig wird. Etliche sagen, es sei besser, diese Vakanzzahlungen ganz zu beseitigen, denn man könne nicht dafür sorgen, daß das eben Gesagte auch wirklich eingehalten wird, wenn der Papst es mißachten will – ausgenommen das gemeine Kirchenrecht würde in Gänze eingehalten, so daß bei Kirchen, Klöstern und Pfründen vorgesehen wird, die Rechtsform einzuhalten.

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III Capitula agendorum

Item, quod singulis titulis cardinalium XXIV, ut supra, uniantur certa beneficia in diversis regionibus, que non habeant magnam administracionem set magnos proventus, et plura talia et sufficiencia reperientur. Quod aliquando cardinales illa debeant et habeant visitare.

[8] De statu Romane curie Statuantur officia Romane curie in numeris et qualitatibus personarum. Et sint officia perpetua, que non possint auferri invitis sine culpa. Item quod quilibet teneatur servare officium suum et sic iurare, et inter certos. Ordinetur inter cardinales aliquis, qui quecumque contingencia, que sunt alicuius ponderis et que cum solis cardinalibus per papam geruntur, redigat in volumina. Et idem fiat inter prothonotarios, ita quod fiant registra auctentica de omnibus nec perdatur memoria temporum, que, quantum sit utilis, omnibus patet. [9] De toto statu ecclesiastico in genere Et quoniam reformacio ecclesie in capite et in membris facienda, prout iuratum est in Pysano concilio,20 a quo robur et auctoritatem recepit status noster, difficulter fieri potest sine magna nota, exprimendo particulariter excessus, qui vix singulariter dearticulari valerent, videtur expediencius, laudabilius et efficacius, si per generalia transiremus: Primum quidem considerandum videtur, que sit causa deformitatis ecclesie in capite et in membris, unde vilescit apud vulgum et tam Romana cum omnibus suis suppositis et eius curia quam alie, et maximum in spiritualibus et temporalibus paciuntur obprobrium, vilipendium et iacturam. Et quod exceduntur termini patrum nostrorum, qui per concilia generalia, decretales et constituciones laudabiles adeo providerunt, quod, si bene servarentur, tota ecclesia militans floreret, reformacione non indigeret et esset in magno potentatu. Set quia pene sufficientes non fuerunt adiecte nec de executoribus sufficienter provisum, ideo omnia dilabuntur et omnes per invia devagantur et tendimus ad precipicium, et ruinam suam petit papatus, et prelatorum po-

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Siehe oben Nr. 2 S. 182 Anm. 30.

A 3 franz. Punkte: Klerikerstand

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Allen Titelkirchen der Kardinäle, also den 24 wie oben erwähnt, sollten bestimmte Pfründen in verschiedenen Gegenden zugewiesen werden, die keine aufwendige Verwaltung brauchen, aber große Erträge abwerfen, und man wird viele und genügende finden. Mitunter müßten die Kardinäle diese visitieren. A 3 franz. Punkte: Klerikerstand

[8] Stand der Römischen Kurie Die Ämter der Römischen Kurie sollten nach Zahl und Anforderungen an die Personen festgesetzt werden. Die Ämter sollten auf Dauer vergeben werden, so daß sie ohne vorliegende Schuld [den Inhabern] nicht wider Willen fortgenommen werden können. Jeder sollte gehalten sein, sein Amt wahrzunehmen und dies auf seinen Eid zu nehmen, und das mit bestimmtem Formular. Bei den Kardinälen sollte einer beauftragt werden, der alle Vorkommnisse von einigem Gewicht, die vom Papst nur mit den Kardinälen behandelt werden, in Hauptbücher einträgt. Dasselbe sollte bei den Protonotaren geschehen, so daß es authentische Register von allem gibt und das Gedächtnis der Zeiten nicht vergeht; wie nützlich das ist, ist wohl jedermann klar. [9] Der gesamte Klerikerstand allgemein Weil die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern vorzunehmen ist, wie auf dem Konzil von Pisa beschworen wurde,20 von dem unser Stand Kraft und Ansehen erhalten hat, kann dies schwerlich ohne großes Auflisten geschehen, in der die Auswüchse im besonderen aufgeführt sind, die kaum je einzeln aufgeführt werden könnten; so scheint es passender, löblicher und wirksamer, wenn wir uns hier im Allgemeinen bewegen: Zunächst sollte man wohl überlegen, was der Grund für die Mißgestalt der Kirche an Haupt und Gliedern ist, warum sie beim gemeinen Volk immer geringer geachtet wird, und zwar sowohl die Römische Kirche mit all ihren Leuten und ihrer Kurie als auch andere Kirchen; und besonders auch in geistlichen und weltlichen Dingen erleiden sie Schmach, Geringschätzung und Verlust. Und was über die Festlegung unserer Väter hinausgeht, die so löblich Dekretalen und Kirchengesetze auf Allgemeinen Konzilien vorgesehen haben, daß, wenn sie gut eingehalten würden, die ganze streitende Kirche blühte, einer Reform nicht bedürfte und in großer Macht dastünde. Aber weil den Bestimmungen keine ausreichenden Strafen angefügt wurden und über die Ausführenden nicht hinreichend Vorsorge getroffen wurde, deswegen rutscht alles ab, alle gehen durch unwegsames Land in die Irre, wir nähern uns dem Abgrund, das Papsttum eilt seinem Zusammenbruch entgegen, die Amtsgewalt der Prälaten wird verachtet und die weltlichen Güter

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III Capitula agendorum

testas contempnitur, et bona temporalia seu redditus per defunctos relicti dampnantur et funditus enervantur. Item quod constituciones Iohannis XXII.21 circa officia Romane curie et alia statuta, que scripta sunt, serventur ad unguem. Item quod nullus habeat officium, nisi sit ydoneus ad illud exercendum et in propria persona exerceat. Item quod non sit tantus numerus scriptorum et abbreviatorum,22 quia plures sunt, qui nesciunt scribere nec dictare, set fiunt solum ad questum. Aliis videtur melius, quod confirmaciones ecclesie fiunt per ordinarium in forma iuris communis, de patriarchalibus aut metropolitanis et exemptis ecclesiis et monasteriis atque locis aliis per sedem apostolicam ac eciam per eandem sedem, quando cause ad illam devolventur per appellacionem. Et ita in totum servabitur ius commune, et curia Romana satis habebit causas per appellacionem. Item, quod omnino cessent annate – quia per illas destruuntur ecclesie et monasteria et secuntur animarum pericula, quia communiter prelatus excommunicatur pro illis. Item quod provideatur adversus dispensaciones contra iura communia, maxime contra generalia concilia. Item videantur illa omnia et apponantur pene. Item circa elecciones factas provideatur contra violentas impressiones, pacta, preces et symonias per penas graves, eciam nullitatis et alias, que provisio et pene legantur in singulis eleccionibus faciendis. Et similiter fiat in collacionibus beneficiorum per ordinarium. Et quod in quolibet beneficio conferendo collator vel presentator teneatur illa facere legi coram se, quando confert beneficium, ut saltem metu pene terreatur, ne male suscipiat. Eciam legantur electo, quando sibi presentabunt eleccionem. Item declarentur iura circa illa, maxime decretalis Quisquis, De eleccione,23 quid sit secularis potestatis abusus, et pene, si opus est, augeantur, et eciam extendatur illa constitucio ad preces et cetera illicita, item eciam circa promociones et provisiones de indignis iuxta capitulum Cum in cunctis.24 Ex hoc sequuntur commoda infinita nec iuribus Romane ecclesie derogatur, quia possit dispensare, statuere et gracias facere, quando sibi videbitur cum bona deliberacione faciendum: Primum est, quod, licet multi detrahant et obloquantur contra Romanam ecclesiam et dominum nostrum, tamen istud daret sibi tantam gloriam, quod

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Clementinae vom 25. Okt. 1317. Vom 6. Nov. 1331, ed. Tangl, Nr. 11–13, dabei Nr. 11 (Ratio iuris): Reform der Auditoren u. Notare, Nr. 12 (Pater familias): über Abbreviatoren u. Schreiber, Nr. 13 (Qui exacti): Zahl der Schreiber auf 70 reduziert. 23 Canon 25, 4. Laterankonzil 1215; COD 3 S. 247; X 1.6.43. 24 Canon 16, 3. Laterankonzil 1179; COD 3 S. 219; X 1.6.7. 22

A 3 franz. Punkte: Klerikerstand

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und Einkünfte, die von Verstorbenen hinterlassen wurden, werden zugrundegerichtet und gänzlich entwertet. Die Konstitutionen von Johannes XXII.21 über die Ämter der Römischen Kurie und die anderen schriftlichen Statuten darüber sollten bis zum i-Tüpfelchen beachtet werden. Keiner sollte ein Amt haben, der nicht zur Ausübung geeignet wäre und es nicht in eigener Person ausübte. Es sollte keine so große Zahl von Schreibern und Abbreviatoren 22 geben, denn es sind darunter viele, die weder schreiben noch Texte aufsetzen können; doch sie werden es lediglich der Einkünfte wegen. Andern scheint es besser, daß die Bestätigungen der Kirche vom Ortsordinarius in der Form des gemeinen Rechts wahrgenommen werden, hinsichtlich der Patriarchate, Metropoliten, exemten Kirchen und Klöster und sonstigen Orte jedoch vom Apostolischen Stuhl; ebenfalls von diesem Stuhl, wenn die Fälle durch Appellation an ihn übergehen. In Gänze sollte das gemeine Recht beibehalten werden; die Römische Kurie wird noch genügend Fälle durch Appellation haben. Annaten sollten überhaupt ganz abgeschafft werden – weil Kirchen und Klöster durch sie zusammenbrechen und daraus Gefahr für die Seelsorge erwächst; denn gemeinhin wird ein Prälat ihretwegen exkommuniziert. Vorsorge sollte getroffen werden gegen Dispense wider das gemeine Recht, zumal wider die Allgemeinen Konzilien. Dies sollte alles bedacht und Strafen festgesetzt werden. Hinsichtlich erfolgter Wahlen sollte wider gewaltsames Aufdrängen, Absprechen, Bitten und Simonie durch schwere Strafen Vorsorge getroffen werden, auch durch solche der Nichtigkeit [der Wahl] und sonstige [Strafen]; derartige Bestimmungen und Strafen sollten bei jeder künftigen Wahl vorgelesen werden. Gleiches sollte bei der Übertragung von Pfründen durch den Ordinarius erfolgen. Bei der Übertragung jeder Pfründe sollte der Verleiher (oder wem die Nominierung zusteht) gehalten sein, das alles in seiner Gegenwart verlesen zu lassen, wenn er die Pfründe verleiht, damit zumindest durch die Furcht vor Strafen eine Abschreckung davor erfolgt, [die Pfründe] so übel zu übernehmen. Verlesen soll man es auch vor dem Erwählten, wenn man ihm die Wahl verkündet. Erläutert werden sollte auch die Rechtslage besonders nach der Dekretale Quisquis 23, [wo steht,] was Mißbrauch weltlicher Gewalt ist; Strafen sollten, wenn nötig, verschärft werden; ferner sollte jene Konstitution auf Bitten und auf anderes Verbotene erweitert werden, auch auf Promotionen und Provisionen an Unwürdige entsprechend dem Kapitel Cum in cunctis 24. Daraus ergeben sich unermeßliche Vorteile, und der Römischen Kirche werden keine Rechte entzogen, denn sie könnte dispensieren, Statuten erlassen und Gnaden erweisen, wenn sie glaubt, dies nach genauer Erwägung tun zu sollen: Erstens: Wenngleich viele schmähen und wider die Römische Kirche und unseren Herrn sprechen, so würde ihr dies doch solchen Ruhm bringen, wie

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III Capitula agendorum

nullus tantam habuerit a quinquaginta annis citra, cum non fuerit facta per aliquem tam notabilis, fructuosa et efficax reformacio. Que tanto laudabilior et formosior esset, quanto ecclesia eciam nunc est pre ceteris temporibus deformata. Nec tunc esset eis onerosa provisio, que fieret pro statutis dominorum. Secundum est, quod illa, que cogitant facere reges, principes et prelati in nostram confusionem et ecclesie Romane et honoris et potestatis eius, et faciunt finaliter tam per ordinacionem statutorum regnorum quam conciliorum provincialium, synodalium et capitulorum, nos preveniremus et nobis totum asscriberetur ad bonitatem, gloriam et honorem. Tercium, quia regiones et regna, que, licet nobis obediant verbo, in effectu vero nichil, quia prelati quasi ubique, nisi in regno Francie, volunt de omnibus disponere et vivere sicut papa, nobis tunc obedirent et cum laude f nostra venirent ad concilium, ut tenentur de iure. Nec esset dubitandum, quin pocius timerent concilia generalia, eciam si fierent de septennio in septennium, propter eorum excessus. Et plus timerent illud examen quam nos, quia iura communia servassemus. Item eciam cogerentur celebrare concilia provincialia et capitula generalia, prout iura senserunt, et si non facerent, punirentur. Et de hoc eciam fuit statutum in concilio Pysano,25 quia obmissio istorum est causa ruine et deformacione ecclesie. In quibus negligencie singulorum, eciam dominorum magnorum insolencie et excessus corrigantur et arceantur a committendis, maxime proviso, quod in conciliis aliquis esset pro parte domini nostri pape. Quartum, quia depressio Romane ecclesie et ecclesiarum particularium causatur eciam ex defectu huiusmodi litteratorum, qui non curant studere, cum iura non serventur eciam per illos, qui fecerunt canones, nec per executores eorum, cuiusmodi sunt episcopi. Si vero viderent iura servari, omnes cogerentur addiscere et studere et in consiliis principum scirent suadere, que sit pena infringere ecclesiasticas libertates; modo vero consiliarii magnificarent et declarent, quanta sit potestas Romani pontificis, que hodie ignoratur, contempnitur et vilescit. Quintum, quod reges et principes et eorum curie, qui non curent propter eorum ignoranciam censurarum et iurium infringere ecclesiasticam libertatem, tunc timerent non papam nec collegium, set constituciones conciliorum generalium et iuris communis, quia bene litterati essent in consiliis princi-

f 25

lande Ed. Siehe oben Nr. 2 S. 178 § 20 f.

A 3 franz. Punkte: Klerikerstand

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ihn keiner seit fünfzig Jahren hatte, da ja auch von niemandem eine so auffällige, fruchtbare und wirksame Reform erfolgt ist. Diese Kirche wäre umso lobwürdiger und schöner, je entstellter sie gerade jetzt gegenüber früheren Zeiten ist. Jetzt wäre ihr eine Verfügung auch nicht lästig, die entsprechend den Bestimmungen der Herren geschähe. Zweitens: Was Könige, Fürsten und Prälaten zu unserer und der Römischen Kirche Verwirrung sowie wider ihre Ehre und Gewalt zu tun planen und schließlich auch tun durch Erlaß sowohl von Gesetzen der Königreiche wie von Provinzialkonzilien, Synoden und Kapiteln, dem würden wir zuvorkommen, und man würde uns alles Gute, Ruhm und Ehre zuschreiben. Drittens: Obgleich Gebiete und Königreiche uns dem Worte nach gehorchen, in Wirklichkeit aber gar nicht, weil die Prälaten sozusagen überall, außer in Frankreich, über alles entscheiden und wie der Papst leben wollen, würden sie uns dann gehorchen und uns loben und zum Konzil kommen, wie sie rechtens gehalten sind. Man brauchte nicht zweifeln, daß sie noch stärker die Allgemeinen Konzilien, auch wenn sie immer im Abstand von sieben Jahren stattfänden, wegen ihrer eigenen Ausschreitungen fürchten. Sie würden die Prüfung mehr fürchten als wir, weil wir das gemeine Recht eingehalten hätten. Ebenso würden sie gezwungen, Provinzialsynoden und Generalkapitel durchzuführen, so wie es das Recht vorsieht; und wenn sie es nicht täten, würden sie bestraft werden. Darüber gibt es einen Beschluß des Konzils von Pisa,25 denn deren Unterlassung ist der Grund für den Zerfall und die Verunstaltung der Kirche. Dabei sollten Nachlässigkeit der einzelnen, auch Ungebührlichkeit und Ausschreitungen der großen Herren geahndet und ihr Auftreten überhaupt verhindert werden, besonders durch den Umstand, daß auf jedem Konzil jemand von seiten unseres Herrn Papstes anwesend wäre. Viertens: Der Niedergang der Römischen Kirche und der Teilkirchen wird auch verursacht durch das Versagen solcherart Gebildeter, die sich nicht um das Studium kümmern, zumal das Recht weder von denen beachtet wird, die die kirchlichen Kanones erlassen, noch von den Vollstreckern der Kanones, d. h. den Bischöfen. Sähen sie jedoch, daß das Recht gewahrt wird, wären sie alle gezwungen weiterzulernen und zu studieren, und sie könnten im Rat der Fürsten Ratschläge erteilen, was es für eine Strafe nach sich zieht, die kirchlichen Freiheiten zu brechen; dann würden die Ratgeber bald große Worte finden und erklären, wie groß die Gewalt des Römischen Bischofs ist, die heute verkannt, verachtet und gering geschätzt wird. Fünftens: Könige und Fürsten und ihr Hof, die es wegen ihrer Unkenntnis von Strafen und Recht nicht kümmert, ob sie die kirchliche Freiheit brechen, würden dann zwar nicht Papst und Kardinalskollegium fürchten, wohl aber die Konstitutionen der Allgemeinen Konzilien und des gemeinen Rechts, denn es gäbe gute Gelehrte in den Räten der Fürsten, und sie wüßten Rat-

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III Capitula agendorum

pum, et scirent suadere, que sit pena infringere ecclesiasticas libertates. Modo vero consiliarii huiusmodi non sunt ut plurimum litterati, et si sint, ibi prelati laxant multum habenas. Sextum, quia ordinarii, qui sepe dispensant contra canones per importunitatem, corrupcionem vel metum, vel conferunt beneficia minus dignis vel dispensant, excusarentur apud supplicantes inique et eos quodammodo cogentes. Septimum, quia papa cum collegio, qui coguntur ad preces principum, quo minus equipollent, facere promociones de personis interdum minus dignis, excusarentur apud eos et deum et homines. Et nichilominus, quia elecciones examinarentur districcius, et pauce essent canonice, tunc posset plus quam nunc et liberalius papa, cui voluerit providere. Nec propter hoc ligarentur manus eius, neque eius potestas arceretur, nisi de honestate, quin certo casu et necessitate. Octavum, quod esset relevacio magna domini nostri, quando diceretur, quod servantur ius commune et laudabiles consuetudines servate in curia tempore Gregorii et Urbani V.,26 quia per hoc apparebit, quod vult se conformare et vivere secundum mores sanctorum patrum et predecessorum suorum et eciam vult, quod totus clerus vivat secundum sanctissimas ordinaciones sacrorum conciliorum et iurium, que in scholis 27 leguntur. Et vitabimus unum magnum inconveniens et magnam difficultatem, quia in conciliis non specificabuntur defectus curie nec defectus prelatorum et clericorum et religiosorum et principum et laycorum, que omnia indigent reformacione. Si specificarentur, non esset sine confusione et scandalo. Provideri autem aliter non posset, nisi specificarentur, set esset nimis prolixum. Nonum, commodum est, quia per hoc vitamus unam magnam difficultatem et redargucionem. Aut enim providebimus in eis, que iam continentur in iure, et tunc videbitur, quod iura ignoremus, aut providebimus diminuta, dimittendo multa, in quibus sunt infiniti excessus, et tunc reprehendemur, quod nescimus vel non volumus sufficienter providere. Decimum est, quod illi, qui tangentur, dulcius et humilius tollerabunt constituciones et penas ordinandas, quando videbunt, quod nichil eis iniungitur nisi id, ad quod de iure communi tenebantur. Que, si sine isto colore et titulo expresso eis iniungerentur, moleste ferrent nec equanimiter tollerarent et forte non obedirent. Nunc vero omnes principes et layci facient partem pro

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Wohl Gregor IX. 1227–41, oder Gregor X. 1271–76 und Urban V. 1362–70. Also hauptsächlich an den Universitäten.

A 3 franz. Punkte: Klerikerstand

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schläge zu erteilen, was es für eine Strafe nach sich zieht, die kirchlichen Freiheiten zu brechen. Jetzt aber sind solche Ratgeber selten Gebildete, und wo sie es sind, dort lockern die Prälaten die Zügel. Sechstens: Ortsordinarien, die wider die Kanones oft Dispense erteilen aus Rücksichtslosigkeit, Verderbtheit oder Furcht, oder die Pfründen an weniger Geeignete verteilen und dabei Dispense erteilen, wären bei denen, die sie unrechtmäßig als Bittsteller angehen oder sie zu irgend etwas zwingen wollen, dann entschuldigt. Siebentens: Weil der Papst mit dem Kollegium oft gezwungen ist, aufgrund von Bitten der Fürsten, denen sie an Macht unterlegen sind, Promotion von bisweilen weniger Geeigneten vorzunehmen, wären sie bei diesen und bei Gott und den Menschen entschuldigt. Und weil darüber hinaus Wahlen strenger überprüft und nur wenige als kanonisch erfunden würden, könnte dann der Papst öfter und leichter als jetzt denjenigen providieren, den er möchte. Deswegen wären also seine Hände nicht gebunden, seine Amtsgewalt wäre lediglich beschränkt durch den Maßstab der Ehrenhaftigkeit, in bestimmten Fällen freilich auch durch die Notwendigkeit. Achtens: Es wäre eine große Erleichterung für unsern Herrn, wenn man sagen würde, das gemeine Recht und löbliche herkömmliche Rechtsbräuche an der Kurie aus der Zeit von Gregor und Urban V.26 würden beachtet; denn daraus ginge hervor, daß er sich anpassen und nach den Sitten der heiligen Väter und seiner Vorgänger leben will, auch daß der ganze Klerus entsprechend den hochheiligen Anweisungen der heiligen Konzilien und des Rechts lebe, wie es in den Schulen 27 gelehrt wird. Wir werden dabei eine große Unzuträglichkeit und bedeutende Schwierigkeit vermeiden, denn in den Konzilien müssen die Fehler der Kurie nicht im einzelnen aufgelistet werden, auch nicht die Fehler der Prälaten, Kleriker, Ordensleute, Fürsten und Laien, die alle der Reform bedürfen. Wenn sie aufgelistet würden, ginge es nicht ohne Verwirrung und Ärgernis. Vorsorge aber kann nur getroffen werden, wenn aufgelistet wird, und das ist ein weites Feld. Neuntens: Es ist ein Vorteil, daß wir dabei eine große Schwierigkeit und einen Vorwurf vermeiden. Entweder treffen wir nämlich Vorsorge in den Dingen, die schon im Recht enthalten sind – dann scheint es, als ob wir das Recht nicht kennen; oder wir treffen Vorsorge in Kleinigkeiten, indem wir vieles weglassen, wo es doch unendlich viele Übertretungen gibt – dann wird man uns tadeln, daß wir nicht ausreichend Vorsorge treffen können oder wollen. Zehntens: Die Betroffenen werden die Ansetzung von Bestimmungen und Strafen sanfter und demütiger ertragen, wenn sie sehen, daß ihnen etwas aufgebürdet wird, wozu sie nach gemeinem Recht verpflichtet waren. Wenn es ihnen ohne Einkleidung und ohne ausdrückliche Rechtstitel aufgebürdet würde, so würden sie es nur mürrisch hinnehmen, nicht gleichmütig ertragen und vielleicht nicht gehorchen. Jetzt aber werden alle Fürsten und Laien für

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III Capitula agendorum

nobis. Nec obstat, quod reservaciones tollerentur, quia de iure communi quam multe sunt, que remanent et per extravagantem Execrabilis:28 et beneficia vacancia apud sedem vel ad duas dietas vel devoluta vel litigiosa vel incompatibiliter detenta sunt de iure communi reservata. Item illa, in quibus manum apposuerit papa per dispensacionem, privacionem, translacionem, cassacionem eleccionis vel renunciacionem etc., ubicumque vacent. Item beneficia veniencium ad curiam vel recedencium infra duas dietas moriencium. Et idem de beneficiis illorum, qui causa peregrinacionis, recreacionis, infirmitatis vel alia recedunt de curia et infra duas dietas moriuntur. Item beneficia vacancia per assecucionem.29 Et preterea posset uti reservacionibus, sicut sibi placeret in terris ecclesie, et eciam mandare, quod hec constitucio Ad regimen30 et alie Iohannis et Benedicti pro iure communi tenerentur. Nec obstat, quod expectaciones non darentur, quia ymmo de iure communi ecclesie et collatores possunt gravari de uno et darentur cum clausula antiqua: Si pro alio non scripserimus etc. Et posset aliquantulum plus extendi. Item de iure communi potest bene papa ex causa unum beneficium vel dignitatem reservare in ecclesiis cathedralibus vel collegiatis. Item prelati visitarent sedem apostolicam, ut tenentur g, et a multis illicitis abstinerent. Et dum venirent ad curiam, iniungeretur eis sermo. Et tunc cognoscerent, qui h est papa, et recognoscerent dominos cardinales. Preter vero predicta restant multe cause tam in curia quam extra reformande, que in iure communi clare non comprehenduntur. Ex quibus aliqua debent reformari constitucione edenda. Et aliqua indigent reformacione per viam constitucionis generalis scribende et in concilio generali approbande. Et quia multa alia sunt, poterunt dividi per multas sessiones. Quia vero iura parum prodessent, nisi execucioni demandarentur, expedit aggravare penas in iure scriptas contra canonum transgressores et dare executores earum. Alias fierent excessus sicut ante et non punirentur, nec aliquis summo pontifici nunciaret. In quo inter cetera proderit, quod cogantur concilia celebrare provincialia et capitula generalia, prout est per sacros canones ordinatum. Et ibi sit semper in singulis unus nuncius apostolicus, qui Romano pontifici referat dubia, questiones, accusaciones et conclusiones etc.

g h 28

teneantur Hss. u. Ed. quid Hss. u. Ed.

Extrav. Jo. 3.1. vom 19. Nov. 1317. = durch Erlangung höherer Pfründen. 30 Extrav. comm. 3.2.13. Vgl. Text Benedikts XII. vom 11. Jan. 1335 in FSGA, A., Bd. 33 Nr. 127 § 1. 29

A 3 franz. Punkte: Klerikerstand

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uns Partei ergreifen. Dem steht nicht entgegen, daß Reservationen beseitigt würden; denn wie viele würden dem gemeinen Recht gemäß und nach der Extravagante Execrabilis 28 übrigbleiben: Am Apostolischen Stuhl oder zwei Tagesreisen weit entfernt verwaiste, auch übergangene, strittige oder unangemessen beibehaltene Pfründen sind nach gemeinem Recht reserviert. Ferner all jene, auf die der Papst seine Hand gelegt hat durch Dispens, Aberkennung, Übertragung, Wahlaufhebung oder Widerruf usw., ganz gleich, wo sie frei werden. Ferner die Pfründen der Besucher der Kurie sowie der Heimkehrer, wenn sie innerhalb von zwei Tagereisen sterben. Gleichfalls hinsichtlich derer, die zu einer Pilgerreise, zur Erholung, wegen einer Krankheit oder aus sonstigem Grund von der Kurie abreisen und innerhalb von zwei Tagereisen sterben. Auch durch Aufstieg freiwerdende Pfründen.29 Er könnte außerdem Gebrauch machen von Reservationen, so wie es ihm gutdünkt – in Ländern der Kirche, auch Anweisungen geben, daß jene Konstitution Ad regimen 30 und weitere von Johannes [XXII.] und Benedikt [XII.] als gemeines Recht gelten sollten. Dem steht nicht entgegen, daß Expektanzen nicht vergeben würden; denn nach dem gemeinen Recht der Kirche könnten gleichwohl die Verleiher mit dem einen belastet werden und die Verleihung müßte also mit dem Vorbehalt erfolgen: ,,Falls Wir es nicht einem anderen überschrieben haben usw.“ Dies könnte ein wenig weiter ausgedehnt werden. Nach dem gemeinen Recht kann sich der Papst sehr wohl aus guten Gründen jeweils eine Pfründe oder Würde in den Kathedral- oder Kollegiatkirchen reservieren. Die Prälaten würden dann den Apostolischen Stuhl besuchen, wie sie gehalten sind, und würden sich von vielen unerlaubten Dingen fernhalten. Sobald sie zur Kurie kämen, würde ihnen eine [päpstliche] Audienz aufgebürdet werden. Dann würden sie erfahren, was das ist, ein Papst, und auch die Herren Kardinäle würden das wieder lernen. Neben dem Vorgenannten bleiben noch viele Sachen zu reformieren, an der Kurie wie außerhalb, die im gemeinen Recht nicht klar enthalten sind. Davon müßte einiges durch die Herausgabe einer Konstitution reformiert werden. Einiges bedarf der Reform auf dem Wege über eine allgemeine Konstitution, die abzufassen und auf dem Allgemeinen Konzil zu billigen wäre. Und weil es noch vieles andere gibt, kann das auf viele Sitzungen verteilt werden. Weil aber Gesetze nur wenig nützen würden, wenn sie nicht zur Durchführung gelangten, ist es förderlich, die im Recht niedergelegten Strafen für die Verletzer der Kanones zu verschärfen und Vollstrecker dafür vorzusehen. Sonst gäbe es Übertretungen wie bisher und sie würden nicht bestraft; auch würde sie keiner dem Heiligen Vater melden. Hierbei ist es unter anderem nützlich, daß sie gezwungen werden, Provinzialsynoden und Generalkapitel abzuhalten, wie es in den heiligen Kanones festgelegt ist. Dabei sollte jeweils ein apostolischer Nuntius zugegen sein, der dem Römischen Bischof über die Zweifelsfragen, Untersuchungen, Anklagen und Beschlüsse Bericht gäbe.

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III Capitula agendorum

[10] De prelatis et clericis ordinandis Compellantur archiepiscopi et episcopi, decani, prepositi, archidiaconi et alii prelati infra tempus debitum suscipere ordines debitos. Et fiat constitucio penalis, eciam sine alia monicione. 1 Inducantur potissime archiepiscopi et episcopi, ut nullatenus aliquos ad sacros ordines, precipue ad ordinem sacerdotalem admittant vel promoveant nisi bene morigeratos et sufficienter doctos et instructos in hiis, que sunt huiusmodi ordinum ostendendo 31 pericula, quibus se exponunt, et scandala ac mala, ymmo et multiplicia honoris ecclesiastici seu virorum ecclesiasticorum detrimenta ex huiusmodi indignorum promocione suborta ac eciam periculum anime illius, qui huiusmodi promocioni se exponit, cuius periculi promotor, scilicet episcopus, principale est principium. Practicari tamen posset sine generali concilio per concilia provincialia et synodalia. Item, ut huiusmodi prelati promotores secure possint committere officium suum viris probis et honestis, sufficienter doctis et instructis ut in hiis, que sunt circa huiusmodi officium et ordinum examinacionem necessaria, sub certis et magnis penis examinanda committant.1

[11] De beneficiis conferendis et pluralitate beneficiorum et incompatibilitate De expectativis detur modus, per quem valeant, ita tamen, quod non exhauriantur ordinariorum collatorum et presentatorum seu electorum potestates, puta quod non valeat expectativa de beneficio, quod solum unum collator habet conferre, ne privetur uno lumine. Si autem habet plura conferre, valeat expectativa. Set post unam expectativam non possit aliis immediate continuari, quecumque clausule sint in litteris apposite, set ordinarius libere reformet. De beneficiis obtentis symoniace vel in curia Romana vel extra, quod possint libere conferri et impetrari. Et quod habentes de facto teneantur ad restitucionem perceptorum. Et ad hoc teneantur prelati procedere sub pena periurii. Nam hoc esset addendum iuramento prelatorum. Item 1ut nulli nisi graduati vel nobiles magna nobilitate ad ecclesias cathe-

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= den Bischöfen.

A 3 franz. Punkte: Pfründen

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[10] Weihespendung an Prälaten und Kleriker Es sollten die Erzbischöfe, Bischöfe, Dekane, Pröpste, Archidiakone und sonstigen Prälaten gezwungen werden, innerhalb der gebührenden Frist die gebührenden Weihen zu empfangen. Es sollte eine Strafbestimmung festgesetzt werden, auch ohne weitere Ermahnung.1 Veranlaßt werden sollten besonders die Erzbischöfe und Bischöfe, auf keinen Fall jemand zu den heiligen Weihen, besonders nicht zur Priesterweihe, zuzulassen oder zu weihen, der nicht einen ordentlichen Lebenswandel führt, genügend gebildet und in den Dingen ausgebildet ist, die zu diesen Weihegraden gehören; dabei sollte man ihnen 31 die Gefahren deutlich machen, denen sie sich aussetzen, ferner die Ärgernisse und Übel, ja den vielfältigen Schaden für die Kirchenehre und für die Kirchenmänner, die aus solcher Spendung an Unwürdige erwächst, auch die Gefahr für die Seele dessen, der sich solcher Weihespendung unterzieht; wer solche Gefahr fördert, also der Bischof, ist gewiß die hauptsächliche Ursache dafür. Praktische Anfänge könnten hier ohne Allgemeines Konzil durch die Provinzialkonzilien und Synoden geleistet werden. Damit die solcherart vergabeberechtigten Prälaten ihr Amt sicher an erprobte, ehrenhafte Männer übertragen können, die in dem, was für solches Amt und die Weiheprüfung nötig ist, genügend gebildet und ausgebildet sind, sollen sie entsprechende Prüfungen bei bestimmten und hohen Strafen durchführen lassen.1

[11] Verleihung von Pfründen und Pfründenhäufung – auch Inkompatibilität von Pfründen – Über Expektanzen sollte ein Verfahren gefunden werden, nach dem sie Bestand haben können, so jedoch, daß die Amtsbefugnis der Ordinarien, Verleiher, Vorschlagsberechtigten und Wähler nicht ausgehöhlt wird, etwa daß eine Expektanz nicht gültig ist bei einer Pfründe, die ein Verleiher als einzige zur Verleihung hat, damit er nicht seines einzigen Lichtes beraubt wird. Hat er aber mehrere zu verleihen, hätte die Expektanz Rechtskraft. Doch nach einer Expektanz kann sie nicht unmittelbar anderen in Fortsetzung übertragen werden, ganz gleich welche Klauseln in dem Brief beigefügt sind, sondern der Ordinarius soll wieder frei eingreifen. Simonistisch erlangte Pfründen, ob an der Römischen Kurie oder außerhalb, sollten frei verliehen und erlangt werden können. Die nicht rechtmäßigen Inhaber sollten zur Rückgabe des Erlangten gehalten sein. Das durchzuführen sollten die Prälaten gehalten sein unter der Strafe für Meineid. Dies müßte dem Amtseid der Prälaten hinzugefügt werden. 1 Ausschließlich Graduierte und Angehörige des Hochadels sollten zu A 3 franz. Punkte: Pfründen

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III Capitula agendorum

drales admittantur nec ad beneficia curata nisi docti competenter et moribus probati, de quo iudices ad hoc astringantur sub pena excommunicacionis, a qua nullus possit absolvere nisi summus pontifex, vel sub pena privacionis omnis honoris ecclesiastici vel beneficiorum, si bonam non fecerint examinacionem vel probacionem.1 Alias videtur, quod ex toto servetur ius commune in collacione beneficiorum, quia, si remaneat una scintillula graciarum expectativarum, crescet statim in flammam magnam. Set ponantur pene ordinariis male conferentibus et statuatur, quod certa beneficia non possint dari nisi litteratis graduatis. Reservetur eciam aliquis numerus beneficiorum in singulis collacionibus secundum numerum beneficiorum illius collacionis, de quibus papa possit disponere. Item ultra reservaciones iuris fiant alique; non tamen de maioribus dignitatibus post pontificales in cathedralibus, vel de principalibus collegiatis, quia illas magis expedit dari secundum ius commune et communiter sunt elective.

[12] Quod prelati et beneficiati resideant et sua officia exequantur, et de dispensacione super premissis De dispensacione super pluralitate et incompatibilitate beneficiorum videatur, quod non concedantur alicui ultra certum numerum, ne unus occupet infinita et alter fame pereat, et videtur servanda constitucio Execrabilis.32 1 Item circa ista videtur omnino esse providendum, quod in provincialibus conciliis statuetur, inhibendo prelatis sub pena excommunicacionis, ne a suis dyocesibus per tot et tanta tempora recedentes negociis secularibus regum et principum temporalium insudarent, set in suis dyocesibus residentes regibus et principibus temporalibus poscentibus consilium per scripta darent vel per ambasiatores et in casu arduo in propria venirent et peracto negocio ad propria redirent.1 Item videtur de obtinentibus dignitates, quibus imminet cura animarum et eciam capitulorum ecclesiarum, et qui habent in capitulis residere et quod cum talibus nullatenus dispensetur. 1Item inducantur, ne peccata suorum subditorum dissimulantes nec omnino corrigentes, set in eisdem susceptis pecuniis tollerantes non pastores, set verissimi bonorum spiritualium

32

Siehe oben Anm. 28.

A 3 franz. Punkte: Anwesenheitspflicht

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Kathedralkirchen zugelassen sein, zu Seelsorgspfründen sollten nur hinreichend Gebildete und Männer von bewährtem Lebenswandel genommen werden; daran sollten die Richter gebunden sein bei der Strafe einer Exkommunikation, von der nur der Höchste Bischof lossprechen könnte, oder bei der Strafe des Verlustes jeder kirchlichen Ehre und aller Pfründen, falls sie keine gute Prüfung und Untersuchung durchgeführt haben.1 Ansonsten scheint es, es sollte in Gänze das gemeine Recht bei der Verleihung von Pfründen beibehalten werden; denn wenn nur ein Fünklein jener Expektanzen übrigbliebe, würde es sofort zu einem großen Brand anwachsen. Es sollten aber Strafen festgesetzt werden für die Ordinarien, die schlechte Verleihungen vornehmen, und es sollte bestimmt werden, daß gewisse Pfründen nur an graduierte Universitätsabsolventen gegeben werden dürfen. Auch sollte eine bestimmte Anzahl von Pfründen bei den jeweiligen Verleihungen abgezweigt werden, entsprechend der Zahl der Pfründen bei dieser Verleihung, über welche der Papst sollte disponieren können. Über die rechtlich festgelegten Reservationen hinaus könnte es weitere geben, jedoch nicht bei den höheren Würden unterhalb der bischöflichen in den Kathedralen, auch nicht bei den Hauptämtern der Kollegiatstifte, denn hier ist es förderlicher, sie nach dem gemeinen Recht zu vergeben, gemeinhin sind es ja auch Wahlämter. A 3 franz. Punkte: Anwesenheitspflicht

[12] Anwesenheitspflicht der Prälaten und Pfründeninhaber, Wahrnehmung ihrer Ämter und Befreiung von beidem Dispens bei Vielzahl und Unvereinbarkeit von Pfründen sollte niemandem über eine bestimmte Zahl hinaus gewährt werden, damit nicht der eine unendlich viele an sich rafft und der andere vor Hunger zugrundegeht; die Konstitution Execrabilis32 sollte eingehalten werden. 1Überhaupt sollte vorgesehen werden, daß auf Provinzialsynoden Beschlüsse gefaßt werden, die es den Prälaten bei der Strafe der Exkommunikation verbieten, sich aus ihren Diözesen so oft und so lange zu entfernen und sich in weltlichen Geschäften der Könige und weltlichen Fürsten abzumühen, vielmehr sollten sie in ihren Diözesen bleiben und den Königen und weltlichen Fürsten auf Anfrage einen schriftlichen Rat schicken oder durch Gesandte; in schwierigen Fällen sollten sie auch in eigener Person bei Hofe erscheinen, nach Beendigung der Angelegenheit aber zu ihrer Diözese zurückkehren.1 Gleiches gilt bei einem Empfänger von mit Seelsorge verbundenen Würden und von Kapitelkirchen; auch sie haben sich in den Kapiteln aufzuhalten, und man sollte sie keinesfalls davon dispensieren. 1Man sollte veranlassen, daß sie nicht die Vergehen ihrer Untergebenen übersehen und gar nicht ahnden; wer Geld nimmt und sie dann weiter gewähren läßt, ist nicht als Hirte sondern – im wahrsten Sinne

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III Capitula agendorum

ac temporalium suorum subditorum sunt censendi raptores ac suorum omnium crudeles occisores, ostendendo eciam pericula, quibus se exponunt et suas oves.1 Hodie enim omnia talia venalia sunt et pecuniis redimuntur. 1Item circa hoc videtur hoc modo fore providendum, ut in generalibus conciliis statueretur, inhibere omnibus et singulis sub pena excommunicacionis, ne talia permitterent, sed ad huiusmodi peccata punienda procedentes secundum modum et formam in iure contentam.1

[13] De vita et honestate clericorum et religiosorum et de illorum excessibus corrigendis Provideatur, quod pueri et puelle non obligentur religioni nisi sint in plena pubertate 33 propter nimios lapsus, qui in huiusmodi accidunt. Item circa concubinarios provideatur cum effectu. Alias sic negligendo prestaret permittere coniugium clericis. Et de hoc eciam disputetur. 1 Item inducantur domini prelati et alii viri ecclesiastici, ut vitam suam ducant secundum sanctorum patrum eorum predecessorum sancciones, nimium fastum et pompas nimias reprimentes non familiam tot inutilium multiplicantes, ostendendo pericula, quibus verissime se exponunt non secundum huiusmodi sancciones vitam suam ducentes. Item inducantur, ut secum clericos doctos ac bene morigeratos habeant, stipendia bona sibi ministrantes pro pluribus aliis familiis inutilibus.1 Ad eorum officium pretermissum vel obmissum multa dicenda sunt. Item omnes ecclesiastice persone, eciam cardinales, observent canones circa formam et colores vestium et tonsuras et capillos, quia hodie multe sunt deformitates, eciam in religiosis. Quorum plures abbates etc. aliquando portant zonas auratas, argenteas et alias preciosas de serico et in equis ornamenta et phaleras instar militum. Et apponantur pene, ne talia fiant. [14] De visitacionibus 1

Item proponatur, ut diligenter et utiliter plus ad animarum commodum quam pecuniarum extorsiones fiant per prelatos visitaciones, et offeratur prefato concilio quidam tractatulus 34 in concilio Remensi provinciali composi-

33

Volljährigkeit bei Knaben mit dem 14., bei Mädchen mit dem 12. Lebensjahr. Gerson, De visitacione prelatorum. ed. Glorieux, VIII 403, S. 47–55. Schrift von der Reimser Synode 1408. 34

A 3 franz. Punkte: Orden, Visitation

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des Wortes – als Räuber der geistlichen und weltlichen Güter seiner Untergebenen zu betrachten und als grausamer Mörder all seiner Schafe; aufzuzeigen sind ihm auch die Gefahren, denen er sich und seine Schafe aussetzt.1 Heute ist nämlich alles in dieser Art käuflich und wird mit Geld gekauft. 1 Dabei muß man wohl dafür sorgen, daß in Allgemeinen Konzilien festgesetzt wird, daß man allen samt und sonders bei der Strafe der Exkommunikation verbieten muß, solches zu tun; doch zur Bestrafung solcher Sünden sollte man vorgehen nach Maß und Form des Rechts.1

[13] Leben und Ehre der Kleriker und Ordensleute sowie Sühne bei Vergehen Es sollte vorgesehen werden, daß Knaben und Mädchen nicht einem Orden fest anvertraut werden, bevor sie nicht voll herangewachsen sind 33 – dies wegen der häufigen Fehlentscheidungen, die dabei geschehen. Ferner sollten wirksame Vorkehrungen gegen das Konkubinat getroffen werden. Sonst, wenn dies nicht beachtet wird, wäre es besser, den Klerikern die Heirat zu gestatten. Und auch darüber sollte gesprochen werden. 1 Die Herren Prälaten und anderen Kirchenmänner sollten veranlaßt werden, im Sinne der Gebote der heiligen Väter, ihrer Vorgänger, zu richten, übermäßigen Aufwand und Pomp zu unterdrücken und ihr Gefolge nicht mit so viel unnützen Leuten zu vervielfachen; es sollten die Gefahren aufgezeigt werden, denen sie sich wahrhaftig aussetzen, wenn sie ihr Leben nicht nach jenen Geboten führen. Sie sollten veranlaßt werden, bei sich gelehrte und gut gesittete Kleriker zu haben, ihnen eine angemessene Vergütung zu zahlen statt den vielen anderen unnützen Leuten des Gefolges.1 Zu deren unterlassenem oder aufgegebenem Amt müßte vieles gesagt werden. Alle kirchlichen Personen, auch die Kardinäle, müßten die Kanones beachten hinsichtlich der Form und Farben ihrer Kleidung sowie der Tonsur und Haartracht, denn heute gibt es viele Verunstaltungen, auch bei den Ordensleuten. Viele Äbte usw. tragen mitunter Gürtel aus Gold, Silber und anderen seidenen Kostbarkeiten, auch an den Pferden prächtiges Geschirr und Aufzäumungen genauso wie Ritter. Es sollten Strafen festgesetzt werden, damit so etwas nicht mehr vorkommt. A 3 franz. Punkte: Orden, Visitation

[14] Visitationen 1

Man sollte sich vornehmen, daß von den Prälaten sorgfältig und nutzbringend Visitationen mehr zum Vorteil für die Seelen als zum Erpressen von Geld durchgeführt werden; und dem genannten Konzil sollte der kleine Traktat 34 vorgelegt werden, der auf dem Provinzialkonzil von Reims verfaßt

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III Capitula agendorum

tus tractans de particulari modo visitandi et ecclesias particulares reformandi, prius tamen examinandus et, si opus fuerit, corrigendus, addendo vel diminuendo, si qua fuerint addenda vel diminuenda, ut singulis metropolitanis et episcopis communicetur, exinde per dyoceses scripto et verbo divulgetur per eos.1 [15] De synodis generalibus Congregetur generale concilium saltem in capite decem annorum. Et de hoc supra.35 Quod contra statuta concilii non possit dispensari nisi in alio concilio, nisi forte ex magna necessitate, et tunc consencientibus duabus partibus cardinalium. Item quod prelati vocati ad concilium non possint venire per substitutos, nisi ex causa gravis morbi. Et alie cause non acceptentur, nisi approbentur in concilio. Et contra contumaces in non veniendo procedatur usque ad privacionem beneficiorum faciendam, si in concilio videbitur expedire. Quod ultra prelatos intersint oratores regum et principum, si voluerint, et in hoc requirantur, precipue autem imperatoris, qui eciam ex debito officii debet personaliter interesse. Item quod multum expedit, quod intersint viri docti. Vocentur de quolibet generali studio aliqui famosi vel in canonibus vel in sacra pagina, prout studia in hiis habundant. [16] De synodis provincialibus et dyocesanorum De synodis provincialibus et dyocesanorum, quod apponantur pene gravissime prelatis, si obmittant. Et idem de synodis abbatum et ireligionum, que i ipsas obmiserunt, quia ex hoc k causatur materia delinquendi. 1Item, ut provincialia fiant concilia et eciam religiosorum, secundum modum et formam in iure contentos. Et non sit defectus in eorum celebracione, avisentur certi modi honeste cohercendi metropolitanos atque suos suffraganeos et alios subditos, ut invocent suos inferiores et compareant preter modos in iure scriptos.1 Eciam fuit facta in urbe anno tercio domini nostri Iohannis constitucio penalis optima,36 quam debet habere dominus Pysanus.37 i–i k 35

religiosorum, qui Ed. hoc capite Hs. V u. Ed.

Cap.6. Vielmehr im 2. Jahr am 1. Juni 1411 Cum ex debito. Magn. Bull. Rom. III–2 S. 413 f. 37 Adimarus Alamannus, B. v. Tarent 1401–06, EB. v. Pisa 1406–11, Kard.P. v. S. Eusebii 1411–22, Nuntius in Frankreich 1410 und 1413. 36

A 3 franz. Punkte: Konzilien

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worden ist und der über die besondere Verfahrensweise beim Visitieren und über die Reform von Partikularkirchen handelt: zuvor jedoch sollte er geprüft und, wenn nötig, durch entsprechende Zusätze oder Streichungen korrigiert werden, so daß er den einzelnen Metropoliten und Bischöfen zugestellt werden kann; dann sollte er durch Wort und Schrift in den Diözesen verbreitet werden.1 A 3 franz. Punkte: Konzilien

[15] Allgemeine Konzilien Ein Allgemeines Konzil sollte mindestens am Beginn jedes Jahrzehnts versammelt werden. Darüber oben.35 Wider die Statuten des Konzils sollte niemand Dispens erhalten können, es sei denn auf einem anderen Konzil, ausgenommen etwa bei großer Not, und dann mit Zustimmung von zwei Dritteln der Kardinäle. Zum Konzil berufene Prälaten sollten nicht durch Vertreter erscheinen, außer aufgrund schwerer Krankheit. Weitere Gründe sollten nicht angenommen werden, außer mit Billigung des Konzils. Und gegen die, die ihr Erscheinen verweigern, sollte bis hin zur Durchführung des Entzugs ihrer Pfründen vorgegangen werden, wenn es dem Konzil förderlich erscheint. Es sollten außer den Prälaten auch die Sprecher der Könige und Fürsten teilnehmen, wenn sie wollen und geladen sind, besonders die des Kaisers, der auch aufgrund der Verpflichtungen seines Amtes persönlich anwesend sein muß. Sehr förderlich wäre die Anwesenheit von Gelehrten. Berufen werden sollten aus jeder einzelnen Universität einige berühmte Männer als Kenner des Kanonischen Rechts und der Heiligen Schrift, je nachdem wie sehr die Universitäten sie zur Verfügung haben.

[16] Provinzial- und Diözesansynoden Bei den Provinzial- und Diözesansynoden sollten gegen die Prälaten, die fernbleiben, schwerste Strafen verhängt werden. Ebenso bei den Synoden der Äbte und Ordensleute gegen die, die fernbleiben, denn daraus ergibt sich viel Stoff für Verfehlungen. 1Die Provinzial- und Ordenskonzilien sollten nach der im Recht enthaltenen Ordnung vor sich gehen. Damit sich keine Fehler bei ihrer Durchführung einschleichen, sollten gewisse Verfahren, die nicht im geschriebenen Recht zu finden sind, geplant werden, Metropoliten, ihre Suffragane und die anderen Untergebenen in Ehren dazu anzuhalten, ihre jeweiligen Untergebenen zu berufen und auch selbst zu erscheinen.1 Auch wurde im 3. Jahr unseres Herrn Johannes [XXIII.] in der Stadt [Rom] eine sehr gute Strafkonstitution 36 erlassen, die der Herr Kardinal von Pisa 37 haben muß.

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III Capitula agendorum

1

Item quod statuta synodalia ac eciam provincialia ipsos laycos subditos concernencia aut aliquando ligancia certis diebus in anno per curatos parrochiales ipsis laycis explicentur et in tabulis publicis 38 verbis maternis inscribantur. Statuta autem concernencia aut ligancia ecclesiasticos maiores vel minores, religiosos et non religiosos, solutos et non solutos, in scriptis redigantur, et singulis ecclesiis parrochialibus et aliis in verbis Latinis aut maternis communicentur. Iste articulus practicari potest per prefata concilia sine generali concilio, et utique expedire videtur, quia propter huiusmodi statutorum ignoranciam quam plures sunt huiusmodi statutorum transgressores in eorum preiudicium.1

[17] De exempcionibus revocandis De exempcionibus revocandis, aliquibus ex toto, ut si sint ecclesie, que non subiacent alicui religioni vel ordini, aliquibus ex parte, scilicet reducendis ad ius commune c. I De privilegiis li. VI.,39 et deinceps concedende non valeant contra formam dicti capituli, nisi aliter decernatur in concilio. Circa hoc multum attendendum est circa exempciones capitulorum et personarum ecclesiarum cathedralium, maxime in regno Francie, in quo pene omnes exempti sunt, quia illas tollere esset temerarium et multa scandala inde venirent. Set exempciones a metropolitanis possent revocari certis modis, quia grave est venire ad sedem apostolicam pro qualibet causa. Item de exempcionibus generalibus ordinum, utpote Ierosolimitani et similium, expediret dari in singulis provinciis iudices apostolicos, quia ex illis exempcionibus multa sequuntur scandala et in ipsis ordinibus et in aliis personis et rebus.

[18] De censuris ecclesiasticis et irregularitate 1

Proponatur, ut quicumque domini et iudices spirituales ordinarii vel delegati non tam leviter in suos subditos ferant excommunicacionis sentencias, potissime in causis debitorum temporalium et levium iniuriarum. Item proponatur, quod innumera multitudo excommunicatorum ad unitatem ecclesie reducatur, quod in primis synodalibus conciliis celebrandis statuatur precipere omnibus et singulis curatis parrochialibus sub pena excommunicacionis, ut ad se successive vocent parrochianos ecommunicatos et de causa excom-

38 39

Wie etwa die Vater-Unser-Tafel des Nikolaus von Kues in Hildesheim. * VI 5.7.1.

A 3 franz. Punkte: Exemtion

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1

Synodal- und Provinzialstatuten, die die untergebenen Laien betreffen oder irgendwie binden, sollten zu bestimmten Tagen im Jahr von den Pfarrern diesen Laien erklärt und auf öffentlichen Tafeln 38 in der Muttersprache aufgeschrieben werden. Die Statuten aber, die höhere oder niedere Kirchenleute, Ordensleute oder Nichtordensleute, durch Gelübde Gebundene und Nichtgebundene betreffen, sollten schriftlich abgefaßt und den einzelnen Pfarrkirchen und sonstigen Kirchen in Latein oder in der Muttersprache mitgeteilt werden. Dieser Punkt kann auf den genannten Synoden in die Tat umgesetzt werden, ohne ein Allgemeines Konzil; und dies scheint durchaus förderlich zu sein, denn wieviele sind zu ihrem eigenen Schaden wegen der Unkenntnis solcher Statuten zu deren Übertretern geworden.1

[17] Widerruf vom Exemtionen Bezüglich des Widerrufs von Exemtionen, sowohl gänzlich, falls es Kirchen sind, die nicht einer Ordensgemeinschaft unterstehen, sowie auch teilweise, und zwar bezüglich der Rückführung auf das gemeine Recht*39, dürfen künftig keine gegen den Inhalt dieser Bestimmung gewährt werden, es sei denn auf dem Konzil würde anders entschieden. Dabei ist sehr auf die Exemtionen von Kapiteln und Mitgliedern der Kathedralkirchen zu achten, besonders in Frankreich, wo fast alle exemt sind; sie zu beseitigen wäre unbedacht und würde viel Ärgernis geben. Aber die Exemtionen aus der Gewalt der Metropoliten könnten in gewissem Maße widerrufen werden, denn es ist beschwerlich, für alle Anliegen zum Apostolischen Stuhl kommen zu müssen. Bezüglich der umfassenden Exemtionen der Orden, so etwa der [Ritterorden] von Jerusalem und ähnlicher Orden, wäre es förderlich, in den jeweiligen Provinzen päpstliche Richter einzusetzen; denn aus diesen Exemtionen ergeben sich viele Ärgernisse in den Orden selbst und bei anderen Personen und Sachen. A 3 franz. Punkte: Exemtion

[18] Kirchenstrafen und Irregularität 1

Vorzuschlagen wäre: Alle ordentlichen und beauftragten geistlichen Herren und Richter sollten nicht leichtfertig gegen ihre Untertanen Exkommunikationsurteile fällen, besonders nicht bei Verfahren wegen weltlicher Schulden oder bei leichteren Vergehen. Ferner wäre vorzuschlagen: Die unzählige Masse von Exkommunizierten sollte zur Einheit mit der Kirche zurückgeführt werden; besonders bei der Abhaltung von Synoden sollte beschlossen werden, allen Pfarrseelsorgern samt und sonders unter der Strafe der Exkommunikation zu befehlen, sie sollten die exkommunizierten Pfarr-

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III Capitula agendorum

municacionis et de permanencia inquirant, que causa, si ex debito et permanencia, ex impotencia fuerint; et previa informacione debita ad iudices officiales veniant de prefata impotencia informantes. Quibus informatis prefatos excommunicatos ad se vocent partibus eciam convocatis et apunctuent, ut melius conformiter ad iura fieri poterit, beneficio absolucionis subsequente, nullis susceptis pecuniis, ad quod peragendum ex provinciali statuto sub pena excommunicacionis prefati officiales teneantur. Item eligantur quatuor viri notabiles decretiste,40 qui omnia iuris volumina nova et antiqua revolvant, extrahentes ex eis omnes casus expressos et determinatos, in quibus viri ecclesiastici maiores et minores, religiosi et non religiosi, soluti et non soluti atque layci, viri et mulieres, ipso iure penas iuris incurrerunt, penam scilicet excommunicacionis, suspensionis et irregularitatis, et sic de aliis, ut ex eis specialis possit componi libellus in generali concilio quoad singulos huiusmodi casus vitandos. Et si aliqui sint onerosi et inutiles, revocentur et necessarii roborentur. Istud videtur expedire ex hoc, quia secundum temporum disposicionem et varietatem necesse est necessitate finis statuta humana positive variare.41 Item quod prefatus libellus vel tractatus, de quo sermo, per generale concilium visitandus, postea visitatus singulis ecclesiis et earum prelatis communicetur. Isti duo articuli videntur expedire, quia quamplures sunt viri ecclesiastici et layci huiusmodi penis et sentenciis involuti ignorantes ex hoc suam non procurantes reconciliacionem.1. 42

[19] De foro penitencie et casibus reservatis De iubileo seu anno remissionis 43 non ponendo nisi certo tempore constituto in concilio. Item 1pro debita reformacione petere ampliorem potestatem pro metropolitanis, quam nunc ex iure scripto habeant circa casus reservatos in curia Romana tam in foro penitencie quam in foro publico ecclesiastico, ut circa excommunicaciones et irregularitates et festa quoad eorum diminucionem et litigia decidenda seu causas, quas mediante possint cum suis suffraganeis et consilio providere, ut provincie expediens videbitur, ita quod ea mediante possint metropolitani modo tacto providere nisi casibus sedi apostolice reservatis, scilicet enormibus, publicis et notoriis. 40

Lehrer des Kirchenrechts durch Erklärung des Decretum Gratiani. Gemäß X 4.14.8. 42 Beilage: Aus Gerson, Liber de vita spirituali (von 1402). Ed.Glorieux, III 97, S. 113–202, zitiert S. 171–178. 43 Heiliges Jahr, vgl. unten Nr. 11c S. 426 Anm. 7. 41

A 3 franz. Punkte: Bußgericht

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kinder einzeln zu sich rufen und sie hinsichtlich des Grundes der Exkommunikation und der Weitergeltung befragen, was der Grund für das Weiterbestehen, für die Schuld oder für die Zahlungsunfähigkeit sei. Und mit angemessener Benachrichtigung sollen sie die Exkommunizierten zu sich rufen – auch die Parteien sollen geladen werden – und sie sollen einen Vertrag aufsetzen, so daß man alles besser zum Recht bringen kann; danach erfolgt die Wohltat der Lossprechung; es darf kein Geld genommen werden; zur Durchführung sind die genannten Offizialen nach dem Provinzialstatut bei der Strafe der Exkommunikation verpflichtet. Es sollten vier bekannte Dekretisten 40 gewählt werden, die alle neuen und alten Rechtsbücher durchforsten und alle ausdrücklich und genau genannten Fälle heraussuchen sollen, in denen höhere und niedere Kirchenmänner, Ordensleute und Weltkleriker, Gelöste und nicht Gelöste sowie Laien, Männer und Frauen, von selbst irgendwelchen Rechtsstrafen verfallen sind, also denen der Exkommunikation, der Amtsenthebung und Irregularität oder anderem, so daß daraus ein besonderes kleines Buch auf dem Allgemeinen Konzil gefertigt werden kann, zur Vermeidung all solcher Fälle. Wenn einige belastend und unnütz sind, sollten sie widerrufen, die notwendigen aber bekräftigt werden. Dies scheint förderlich zu sein; denn entsprechend dem Charakter und dem Wandel der Zeiten ist es nötig, daß menschliches positives Recht abgeändert werde.41 Genanntes Büchlein oder genannte Abhandlung, worum es hier geht, sollte vom Allgemeinen Konzil eingesehen, danach den einzelnen Kirchen und deren Prälaten mitgeteilt werden. Dies beides scheint förderlich zu sein, denn sehr viele Kirchenmänner und Laien sind in Unkenntnis, daß sie solchen Strafen und Urteilen unterliegen, und kümmern sich daher nicht um ihre Versöhnung 42. 1 A 3 franz. Punkte: Bußgericht

[19] Bußgericht und Vorbehaltsfälle Das Jubiläum bzw. Jahr des Schuldenerlasses 43 sollte nur zu den auf dem Konzil bestimmten Zeiten verkündet werden. 1 Wegen der nötigen Reform sollte man eine größere Befugnis für die Metropoliten erbitten, als sie diese jetzt nach dem geschriebenen Recht bei den Rechtsfällen haben, die der Römischen Kurie sowohl beim Bußgericht wie beim öffentlichen kirchlichen Gerichtshof vorbehalten sind, etwa hinsichtlich der Entscheidung über Exkommunikationen, Irregularitäten, Verminderung von Festtagen, Prozesse und Rechtsfragen; daraufhin könnten sie mit ihren Suffraganen und dem [Provinzial]-Konzil Vorsorge treffen, wie es der Kirchenprovinz gut scheint, so daß dann die Metropoliten auf besagte Weise entscheiden könnten, abgesehen von den Fällen, die dem Apostolischen Stuhl vorbehalten sind, d. h. den bedeutenden, öffentlichen und notorisch bekannten.

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III Capitula agendorum

Item proponatur in dicto concilio, quod mendicantes nullas audiant confessiones nisi de licencia prelatorum maiorum et minorum scilicet curatorum.44 Hic articulus est per ecclesiam Francie seu omnes regni prelatos per universitatem auxilio regis et omnium dominorum regalium in generali concilio humiliter petendus et prosequendus, et colorari poterit ex contingentibus iuri nature, iuri humano, ecclesiastico et iuri divino, colorari eciam poterit ex racione congrui, honestatis et debiti. Item in dicto concilio generali proponatur et episcopi inducantur suis inferioribus curatis ampliorem concedere potestatem in casibus consciencie sibi reservatis, potissime quoad sexum muliebrem, et ostendatur inconveniencia, que sequuntur vel sequi possunt ex huiusmodi quoad hoc restriccione,45 et verisimile est ex huiusmodi occasione sexum muliebrem ad mendicantes esse inclinatum.1

[20] De ecclesiastica iurisdiccione et exaccionibus atque abusionibus, que pro illa fiunt, presertim in regno Francie 1 In dicto concilio proponatur, quod ecclesie maiores, archiepiscopi, episcopi et alii iurisdiccionem spiritualem et temporalem exercentes pro suis accionibus et expedicionibus circa subditos in litteris scriptorum aut alias et eorum officiarii nullas suscipiant pecunias, nisi in casibus modo et forma sibi in iure concessis. Item proponatur, ne episcopi tot habeant in suis curiis promotores variis modis vexaciones quam plurimas ad finem pecunie subditis pauperibus inferentes pro nullis quandoque aut minimis defectibus, set pauciores habeant secundum iuris limitacionem, probate vite et deum timentes, ad finem, ad quem ordinantur, suum officium exercentes. Item proponatur, quod in primis conciliis provincialibus aut synodalibus celebrandis statuatur prefatis officiariis sub pena excommunicacionis precipere, ut modo et forma in iure contentis et non aliter suum exerceant officium et hoc fundari poterit ex abusibus permaximis per huiusmodi officiarios perpetratis non modo et forma, quibus in iure, suum officium exercentes. Item proponatur, quod in primis conciliis provincialibus aut synodalibus statuatur prefatis officiariis sub pena excommunicacionis inhibere, ne occasione sui officii pecunias aliquas suscipiant nisi pecunias eis modo et iure

44 So war es seit 1300 auch vorgesehen. Wurden jedoch die Kandidaten des Ordens zweimal abgelehnt, erteilte der Papst seinerseits die Lizenz. Clem. 3.7.2. 45 Die Mendikanten sollten bei der Beichte keine höheren Befugnisse haben als die Pfarrer.

A 3 franz. Punkte: Gerichtsbarkeit

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Dem Konzil sollte auch vorgeschlagen werden: Die Mendikanten sollten nur mit Erlaubnis der höheren und niederen Prälaten, soweit diese Seelsorger sind, Beichte hören.44 Dieser Punkt sollte für die ganze Kirche Frankreichs und alle Prälaten des Reiches durch die Universität [Paris] mit Hilfe des Königs und aller königlichen Leute auf dem Allgemeinen Konzil demütig erbeten und verfolgt werden; er könnte mit Gründen aus dem Naturrecht, dem positiven Recht, dem Kirchenrecht und aus dem göttlichen Recht erläutert werden; er könnte auch erläutert werden mit Vernunftgründen hinsichtlich seiner Angemessenheit, der Ehre und der Pflicht. Es könnte dort auch vorgeschlagen werden, und die Bischöfe könnten veranlaßt werden, ihren untergebenen Seelsorgern größere Amtsbefugnis zu gewähren, in den ihnen vorbehaltenen Gewissensangelegenheiten, besonders was das weibliche Geschlecht anlangt, und Unzuträglichkeiten sollten aufgezeigt werden, die folgen oder folgen können aus solcher Beschränkung hierbei;45 und es ist höchst wahrscheinlich, daß aus solcher Gelegenheit das weibliche Geschlecht den Mendikanten geneigt ist.1 A 3 franz. Punkte: Gerichtsbarkeit

[20] Kirchliche Gerichtsbarkeit, Einkünfte und Mißbräuche dabei, besonders in Frankreich 1

Auf genanntem Konzil sollte vorgetragen werden: – Bedeutende Kirchen, Erzbischöfe, Bischöfe und sonstige, die geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit ausüben, auch deren Bedienstete, sollten kein Geld annehmen für ihre Handlungen und für schriftliche Urkundenausfertigungen zugunsten Untergebener oder dergleichen, anders in den Fällen, wo ihnen dies nach Art und Form vom Recht gewährt wird. – Die Bischöfe sollten in ihren Hofhaltungen nicht so viele Anwälte haben, die des Geldes wegen in den verschiedensten Formen recht viele Quälereien gegen die untertänigen armen Leute vornehmen, mitunter für gar keine oder eine geringfügige Ordnungswidrigkeit; sie sollen stattdessen nur sehr wenige haben gemäß der Begrenzung im Recht, Männer bewährten Lebenswandels und gottesfürchtig, die ihr Amt zu dem Zweck, zu dem sie eingesetzt wurden, ausüben. – Auf den nächsten Provinzialkonzilien und den Synoden soll man den genannten Bediensteten bei der Strafe der Exkommunikation befehlen, ihr Amt nur in der vom Recht festgelegten Art und Form auszuüben; dies kann begründet werden mit den überaus großen Mißbräuchen, die verübt wurden von solchen Bediensteten, die ihr Amt nicht in rechtlicher Art und Form ausüben. – Auf den nächsten Provinzialkonzilien und den Synoden sollte man den genannten Bediensteten bei der Strafe der Exkommunikation verbieten, etwa unter dem Vorwand ihres Amtes irgendwelches Geld anzunehmen außer

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III Capitula agendorum

concessas. Similiter fiat de omnibus quibuscumque aliis officiariis curiarum spiritualium.1 Plaga a longevis temporibus viris ecclesiasticis in regno Francie inflicta et diversis ac quamplurimis doloribus ramificata a summo usque deorsum plaga emanante. De summo pontifice pie creditur sibi non impingendum, quia multas tribulaciones et oppressiones patitur ecclesia Gallicana, quas ignorat dominus papa, set officiarii eius ista bene vident. Opprimuntur curati et alii beneficiati de taxa beneficiorum vacancium per mortem aut permutacionem dupliciter, primo quia taxa est nimia temporibus modernis, secundo quia est in opcione facta iure vel iniuria collectoribus capere taxam vel residuum 46 et tamen sepe alterum recusant; eciam in debitis impositis semper sunt usi antiqua taxa in pluribus, et nolunt l avisare ad facultates et impotencias virorum ecclesiasticorum nec suorum beneficiorum. Recipiunt pecunias, ut et pro absolucione habeant pecunias cum pluribus aliis gravaminibus. Gravantur eciam viri ecclesiastici a prelatis, eo quod recipiunt fructus beneficiorum in eorum vacacione, ita quod in illo anno vacacionis beneficiatus oneratus beneficio nullum commodum reportat et tandem ex inopia infirmatur aut moritur aut alio et alio modo scandalizatur. Item studentibus inviti differunt sepe dare non residencias, et si dent, non sine vexacione et alio modo indirecto queruntur mordere loco illius non habite pecunie, et in permutacionibus recipiunt excessivam taxam pecuniarum pro litteris et sigillis eorum et pro notariis similiter. Alia oppressio, quando quis intrat in aliquod beneficium causa permutacionis, tot exaccionibus fatigatur primo a prelato, qui remittit eum archidiacono, et iterum archidiaconus mittit eum prelato. Alia oppressio, quia in approbacione capellani 47 dando licenciam celebrandi recipit excessivam taxam, pro qua sufficere debeant II solidi 48 et, quod deterius est, anno quolibet redimunt presbyteros, quos approbaverunt. Alia oppressio de promotoribus, qui faciunt citari viros ecclesiasticos longe distantes a curia seu alias simplices personas ex officio vel alias, qui sine ulla causa vel culpa inventi postea licenciantur a curia officialis, set prius persolvunt expensas.

l

volunt Ed.

46

= die Steuer zu ermäßigen auf das, was von den Pfründeneinkünften nach Abzug der pauschalierten Lebenshaltungskosten als Überschuß bleibt. 47 = der die Seelsorgeaufgaben für den Pfründner zu versehen hat. 48 1 Schilling oder Groschen (3,824 g Feinsilber) = 12 Pfennig. 64 Groschen = 1 Mark.

A3

franz. Punkte: Mißbräuche

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dem ihnen nach Form und Recht gewährten Geld. So geschehe es auch mit allen anderen Bediensteten der geistlichen Gerichtshöfe.1 Seit unvordenklichen Zeiten wird den Kirchenmännern in Frankreich eine Wunde zugemutet und unter verschiedenen und mannigfaltigen Schmerzen verbreitet; diese Wunde breitet sich von oben bis unten aus. Vom Höchsten Bischof glaubt man fromm, man dürfte ihm das nicht in die Schuhe schieben, denn die Gallikanische Kirche erleidet viel Trübsal und Bedrängnis, was der Herr Papst nicht weiß, aber seine Beauftragten sehr wohl sehen. Bedrängt werden die Seelsorger und anderen Pfründner von der Steuer für vakante Pfründen bei Todesfall und bei Tausch, und das doppelt: einmal weil die Steuer in heutigen Zeiten zu hoch ist, zweitens den Steuereinnehmern zu Recht oder Unrecht die Entscheidung in die Hand gegeben ist, die Steuer einzustreichen oder das, was übrig bleibt;46 dennoch verweigern sie häufig letzteres; auch bei auferlegten Zahlungsverpflichtungen legen sie stets die höhere alte Taxe zugrunde und wollen nicht das geringe Vermögen und die Zahlungsunfähigkeit der Kirchenmänner und ihrer Pfründen berücksichtigen. Sie nehmen sogar Geld für die Absolution und verursachen noch viele andere Beschwernisse. Die Kirchenmänner werden auch von den Prälaten belastet, weil diese die Erträge der Pfründe während deren Vakanz einstreichen, infolgedessen trägt der im Jahr der Vakanz neu mit der Pfründe Belehnte als Belasteter keinen Ertrag davon; schließlich wird er aus Armut krank, stirbt oder erleidet Ärger auf die eine oder andere Art. Auch den Studenten abgeneigt, halten sie diese hin, oft geben sie ihnen nicht ihre Pfründeneinkünfte; und wenn sie sie geben, dann nicht ohne Schikane; auch auf andere indirekte Art versuchen sie, sie zu schädigen; anstelle des ihnen entgangenen Geldbetrages und beim Pfründentausch nehmen sie ein wucherisches Taxgeld für die Urkunde und ihre Siegel und ebenso für die Schreiber. Weitere Schikanen und Mißbräuche: – Wenn einer seine Pfründe aufgrund eines Tausches antritt, wird er mit vielen Forderungen mürbe gemacht – zunächst vom Prälaten, der ihn zum Archidiakon schickt; der Archidiakon seinerseits schickt ihn wieder zum Prälaten. – Bei der Approbation eines Kaplans 47 nimmt man für die Erteilung der Zelebrationserlaubnis eine wucherisch hohe Taxe; dafür sollten 2 Schilling 48 genug sein; und was noch schlimmer ist: In jedem Jahr lassen sie die Priester, die sie approbiert haben, sich erneut freikaufen. – Anwälte lassen Kirchenmänner, die vom Hofe weit entfernt wohnen, oder andere einfache Leute amtlich oder sonstwie vorladen; später stellt sich heraus, daß das grundlos war und sie schuldlos sind; sie erhalten von Hofe des Offizials Erlaubnis zur Heimkehr, doch zuvor müssen sie die Aufwendungen bezahlen. A3

franz. Punkte: Mißbräuche

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III Capitula agendorum

Alia aggravacio de curis fundatis per monachos, qui antiquitus fuerunt curati, modicum dederunt, nunc grossum, quia populus erat tunc multiplicatus et vivebant curati de hostelario; nunc destructus est populus et esurient curati. Unde quidam sunt mercatores, alii in operibus prophanis applicati. Alia aggravacio, quia pauperes viri ecclesiastici in multis locis non possunt habere decimas terrarum parrochie sue, quia recusant solvere potentes, contra quos non potest remediare pauper sacerdos nec ullum super hoc habet auxilium a suo prelato vel archidiacono. Alia oppressio prelatorum, qui recipiunt plenam visitacionem et procuracionem omni anno simul in multis locis, in quibus fructus ecclesie non tantum valent, quantum recipitur, aut excommunicatur presbyter. Alia oppressio, quia quod semel concessum est pro unica vice causa necessitatis vel curialitatis prelato, versum est in consequenciam ad semper. Alia oppressio decanorum ruralium 49 potencium, curatis quasdam exacciones extractas cerche et demande absque alio titulo, quibus non sufficiunt quinque solidi pro prandio et unum sextarium 50 frumenti pro canibus prelati sine alia causa vel titulo alio. Alia abusio, cum archidiaconus visitat vel visitare facit, habet precursores male affeccionis, qui videndo cuncta criminalia ecclesie materialis et alia bene disposita sua protervitate fingunt aut fingendo ostendunt aliquem defectum, quem precipitando pauperem curatum aut capellanum cogunt sine culpa emendare, portantes sacculum et dicentes in auribus: Emendetis, ne dominus irascatur, et portetis et ponatis in illo sacculo, vocato sacculo elemosinarum, quia non est pro domino, sed pro pauperibus. Et veraciter archidiaconus plus habet de illo sacculo, quam de totali et principali visitacione eius. Alia abusio, quia archidiaconi visitantes nullum verbum dei exprimunt nec ecclesiam spiritualem visitant, secundum quod per extravagantem Vas eleccionis51 tenentur, ymo habent pastum et cum hoc pecunias nullo dempto. Et si nichil ponatur in sacculo, querunt satellites sui alio modo indirecto et inepto occasiones, quibus aut m ipse pauper presbyter aut matricularii 52 solvunt emendam, aut ei subiacent, antequam recedant. Alia oppressio, quia parrochiani anno quolibet, ut in pluribus eligunt matricularios ecclesie, archidiaconi cogunt matricularios electos habere litteram de exercendo et litteram de exeundo et hoc pro pecuniis habendis solum, repellendo ab omni negocio curatum loci, qui melius cognoscit. m

autem Hss. u. Ed.

49

= Archipresbyter. 1 Metze = 1/16 Scheffel unterschiedlicher Größe. Extrav. comm. 3.10 vom 18. Dez. 1336. Von der Kirche registrierte und unterstützte Arme.

50 51 52

A3

franz. Punkte: Mißbräuche

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– Seelsorgestellen, von Mönchen gegründet, die in alten Zeiten Seelsorger waren, haben einen geringfügigen Betrag abgegeben, jetzt aber einen dicken Batzen, denn das Volk war damals zahlreich und die Seelsorger lebten von den Almosen; jetzt ist die Bevölkerung vernichtet und die Seelsorger leiden Hunger. Daher sind einige zu Kaufleuten geworden, andere geben sich mit profanen Arbeiten ab. – Arme Kirchenmänner können an vielen Orten nicht den Zehnt vom Land ihrer Pfarrei erhalten, denn die Mächtigen weigern sich zu zahlen; gegen diese kann ein armer Priester nichts ausrichten, und er erhält deswegen auch keinerlei Hilfe von seinem Prälaten oder Archidiakon. – Prälaten erheben alle Jahre gleichzeitig an vielen Orten die volle Gebühr für Visitationen, auch wenn die Erträge der Kirche nicht soviel bringen, wie der [Prälat] einnimmt; ansonsten wird der Priester exkommuniziert. – Was einem Prälaten einmal für einen Notfall oder aus besonderen Gründen gewährt wurde, das hat sich in der Folge zu einer Dauerlast gewandelt. – Die mächtigen Landdekane 49 erpressen von den Seelsorgern etliche Abgaben in Form von Bede und Steuer ohne Rechtsgrundlage; es genügen ihnen nicht fünf Schilling für ein Frühstück und eine Metze 50 Korn für die Hunde des Prälaten – ohne jeden Grund oder sonstigen Rechtstitel. – Wenn ein Archidiakon visitiert oder visitieren läßt, schickt er Vorboten seiner schlechten Gesinnung, die alles, was sie erblicken, als Vergehen gegen das Kirchenvermögen ansehen und in ihrer Verworfenheit auch anderes, was gut geregelt ist, entdecken; das stellen sie als Versäumnis dar und beweisen es dem Pfarrer; damit überfallen sie den armen Seelsorger oder Kaplan und zwingen ihn, dies zu bessern, ohne daß eine Schuld vorliegt; sie tragen einen Beutel und sagen ihnen ins Ohr: Bringt das in Ordnung, damit der Herr nicht zornig wird, bringt ihm etwas in diesem Beutel; der heißt Almosenbeutel, denn er ist nicht für den Herrn sondern für die Armen! Tatsächlich hat der Archidiakon mehr aus dem Beutel als aus seiner ganzen und vollen Visitation. – Die visitierenden Archidiakone sprechen nicht Gottes Wort und visitieren die Kirche nicht geistlich, wozu sie gemäß Extravagante Vas electionis51 gehalten sind, stattdessen haben sie ihre Verpflegung und dazu Geld, und keiner nimmt es ihnen. Wenn aber nichts in den Beutel gesteckt wird, suchen seine Begleiter anderswie, indirekt und unpassend nach Vorwänden, wie dieser arme Priester oder die Matrikulare 52 Buße zahlen oder mit ihr belastet werden; erst dann kehren sie heim. – In jedem Jahr zumeist wählen die Pfarrkinder die Matrikulare der Kirche; die Archidiakone zwingen dann die gewählten Matrikulare, sich einen Ausübungsbrief und einen Anfangsbrief zu besorgen, und dies nur, um Geld zu bekommen; so hindern sie den Ortsseelsorger, der es besser weiß, an jeder Amtswaltung.

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III Capitula agendorum

Alia oppressio, quia archidiaconi numquam visitant nisi pro pecuniis habendis et, cum sint in negociis suis secularibus aut serviciis dominorum vel diabolorum suorum, faciunt per alium miserum ignarum procuratorem ymmo verius feneratorem, qui in nullo studet, nisi subtili ingenio corde corrupto videt, quomodo poterit emendam iure vel iniuria a presbytero vel parrochianis piscari, vicia et viciosos sub umbra emendarum pecuniarum, si que sint, nutriendo, plures ecclesias in die cum calcaribus visitando et discurrendo nulli parcendo. Alia abusio, quia nec curati nec ecclesie in aliquo meliorantur per huiusmodi visitaciones, ymmo si reperit visitans unum scandalum, dimittit tria. Alia abusio, curati exaccionem decem grossorum 53 sine ullo iusto titulo redimuntur. Alia abusio, quando aliquod beneficium est in litigio, archidiaconus rapit fructus, non ad hoc ius habentis conservacionem nec ad eorum parti restitucionem, set ad eorum omnimodam privacionem. Alia oppressio, quia sepius citatur presbyter alicuius loci in curia officialis, ut exinde eundo et redeundo propter moram vel alias oriatur defectus in parrochia sua et ex illo emendam faciat. Alia oppressio, quia sepe pro modico aut sine culpa presbyter incarceratur et multis diebus tenetur, antequam ei fiat iusticia bene mala. Alia abusio, quia cibus delatus ab amicis incarceratorum non datur eis, set care venditur. Ab hoc geolarius tenet ad firmam et facit valere prelato magnam summam pecuniarum anno quolibet de substancia incarcerati. Alia abusio, quia quantocius quis accusatur in curia officialis vel diaconi, sive sit in culpa sive non, iure vel iniuria succumbit emende. Alia abusio, quia multi sunt impotentes persolvere expensas, ymmo eciam exacciones petitas agricolarias, qui dimittunt vadia sua aut in fine excommunicantur, sive sint in culpa sive non. Alia abusio, quia absoluciones circa pascha venduntur excessiva taxa, ita quod multi propter eorum impotenciam semper remanent excommunicati et in campis etc. Alia abusio, quia, quando excommunicatur iure vel iniuria non habens facultatem solvendi, nulla fit ei remissio, unde plures inhumati sunt in campis. Alia abusio, quia quis propter defectum diei aut pro valore XII denario-

53

Siehe oben Anm. 48.

A3

franz. Punkte: Mißbräuche

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– Archidiakone machen Visitationen nur, um Geld zu erhalten; und da sie in ihren weltlichen Geschäften befangen sind oder im Dienst für ihre Herren oder Teufel, lassen sie es durch einen elenden, ungewissen Vertreter, genauer: Wucherer machen, der sich um nichts kümmert, außer was er mit seinem verschlagenen Kopf und verdorbenen Herzen sieht: wie er Bußgelder, zu Recht oder Unrecht, bei dem Priester oder den Pfarrkindern fischen kann; er nährt Laster und Lasterhafte unter dem Deckmantel irgendwelcher Bußgelder; er visitiert mehrere Kirchen an einem Tag, indem er seinem Pferd die Sporen gibt; hin und her eilt er und schont keinen. – Weder Seelsorger noch Kirchen werden durch solche Visitationen gebessert, nein: Wenn ein Visitator ein einziges Ärgernis vorgefunden hat, hinterläßt er drei. – Von einem Seelsorger werden ohne Rechtstitel zehn Groschen 53 als Abgabe genommen. – Wenn eine Pfründe umstritten ist, rafft der Archidiakon die Erträge an sich; es gibt keine Sicherstellung für den, der dazu das Recht hat, auch keine Rückerstattung an die dazu berechtigte Partei, vielmehr deren völlige Ausplünderung. – Oftmals wird der Priester eines Ortes vor das Gericht des bischöflichen Offizials vorgeladen, so daß sich beim Hin- und Rückweg wegen der Dauer seiner Abwesenheit oder sonstwie ein Versäumnis in seiner Pfarrei ergibt, und dafür muß er eine Bußzahlung leisten. – Oft wird wegen einer geringen Schuld oder schuldlos ein Priester verhaftet und viele Tage im Gefängnis gehalten, bevor ihm eine recht schlechte Gerechtigkeit zuteil wird. – Die von Freunden des Gefangenen gebrachten Lebensmittel werden ihm nicht gegeben, sondern teuer verkauft. Davon hält sich der Schieber bei Kräften und macht, daß dem Prälaten jedes Jahr von der Habe eines Gefangenen eine große Geldsumme zugute kommt. – So oft einer vor dem Gericht des Offizials oder des Archidiakons angeklagt wird – ganz gleich ob er schuldig ist oder nicht: er unterliegt zu Recht oder Unrecht einer Bußzahlung. – Viele sind unfähig, Auslagen zu bezahlen, ja auch angeforderte bäuerliche Abgaben; sie verlieren ihre Bürgschaften oder werden am Ende exkommuniziert, seien sie schuldig oder nicht. – Zu Ostern werden Lossprechungen für eine wucherische Taxe verkauft, so daß viele wegen ihrer Zahlungsunfähigkeit immer exkommuniziert bleiben, und draußen auf dem Feld . . . – Wenn einer zu Recht oder Unrecht exkommuniziert wird und kein Vermögen zur Auslösung hat, wird ihm die Lösung versagt; daher bleiben viele unbeerdigt auf dem Feld. – Wer wegen des Fehlers eines Tages oder wegen des Wertes von 12 Pfen-

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III Capitula agendorum

rum 54 aut II solidorum excommunicatur et tandem decedens in campis inhumatur nec sufficit principale persolvere, ymmo pro expensis excommunicatur, quibus persolutis iterum pro sentencia excommunicatur. Alia abusio, quia sepe quis pro eodem vexatur in duabus curiis et persolvit ubique. Alia abusio, quia quacumque necessitate aut oppressione facta ecclesie vel presbytero, esto eciam, quod deberet subverti, in nullo auxiliatur prelatus vel archidiaconus nec propterea dimittunt quicquam aut remittunt de accionibus solitis. Alia abusio, quia in matrimonialibus actibus tam in bannis quam in litteris, eciam in litteris dando licenciam inhumandi exiguntur excessive pecunie a pauperibus eciam in dispensacionibus. Alia abusio, quia eciam dimissoriis et ordinibus suscipiendis excessive pecunie petuntur a pauperibus eciam in dispensacionibus. Alia abusio, quia eciam dimissoriis et in ordinibus suscipiendis excessive pecunie petuntur et presbyteri ignari sine ulla refutacione seu excommunicacione admittuntur. Alia abusio, quia sepe quis accusatur in curia, qui iure vel iniuria a suis inimicis et adversariis n iudicatur. Alia abusio, quia quando aliquis sacerdos celebraret bis in die, necessitate compulsus, ut quia suum beneficium id requirit vel alias quovis modo, antequam sibi impertitur licencia, de qua non multum eget, cogitur solvere pecunias excessivas, scilicet pro celebrando bis in die. Alia abusio, quando puer decedit in aliquo loco, in quo non est oriundus, venditur sibi cimiterium nec alias iure vel iniuria inhumaretur etc. Alia ubusio promovere sacerdotes miseros pauperes sine beneficio et sine patrimonio, unde oportet eos postea vilipendio mendicare. Alia abusio, quia presbyteri sunt promotores, accusatores, imputatores populi, quamquam sunt viciosi, dummodo ducunt aquam ad molendinum prelati vel archidiaconi huic vicio puniantur o, boni flagellantur, dissimulantque focarias et alias quamplurimas viciosas et detestabiles condiciones nutriendo, ut ex eis anno quolibet habeant emendas, quia de virtutibus pecunias non postulant. Alia abusio, quia in testamentis extorquentur pecunie excessive ab officiariis testamentorum, unde multi gravantur. Alia abusio, quia tempore, quo extravagans fuit condita,55 fuerunt ecclesie omnes reduccione et minori taxa ad medietatem redacte, et tamen, ut notum est, facta fuit hec reduccio a Benedicto papa XII., prius abbate Fontis Frigidi

n o

adversarii Ed. ,,So alle Hss. unsinnig.“ Ed. in Anm.

A3

franz. Punkte: Mißbräuche

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nig 54 oder 2 Schilling exkommuniziert wird, schließlich stirbt und auf dem Feld beerdigt wird, für den reicht es nicht, die Hauptsumme zu bezahlen; nein, er wird für die Gerichtsgefälle exkommuniziert; wenn diese bezahlt sind, wird er erneut für die Urteilsgebühr exkommuniziert. – Oft wird jemand für dieselbe Sache vor zwei Gerichtshöfen belangt und zahlt jedesmal. – Wenn es für eine Kirche oder einen Priester irgend eine Notlage oder Bedrückung gegeben hat, sei es auch, daß sie gar zerstört werden sollte, dann hilft der Prälat oder Archidiakon in keiner Weise, er gibt deswegen keinen Nachlaß und hört mit seinen gewohnten Machenschaften nicht auf. – In Ehesachen, bei Bann und Urkunden, auch bei Briefen, die die Erlaubnis zum Beerdigen geben, werden Wuchergelder von Armen gefordert, ebenso bei Dispensen. – Auch bei Entlassungen und bei der Aufnahme in den Priesterstand werden Wuchergelder gefordert, doch unbedarfte Priester ohne Zurückweisung oder Exkommunikation zugelassen. – Oft wird jemand vor einem Gerichtshof angeklagt, und wird von seinen Feinden und Gegnern zu Recht oder Unrecht abgeurteilt. – Wenn ein Priester zweimal am Tage zelebriert, von der Not gezwungen, etwa weil seine Pfründe dies erfordert, oder sonst irgendwie, bevor ihm die Erlaubnis erteilt wird, die er nicht dringend braucht, wird er gezwungen, ein Wuchergeld zu zahlen, nur um zweimal an einem Tag zu zelebrieren. – Wenn ein Junge an einem Ort stirbt, an dem er nicht geboren ist, wird ihm ein Begräbnisplatz verkauft, andernfalls wird er nicht – zu Recht oder nicht – beerdigt. – Bedauernswert arme Priester werden ohne Pfründe und ohne Erbschaft geweiht; daher müssen sie später voll Scham betteln gehen. – Priester sind Anwälte, Ankläger oder Richter der Leute, obgleich sie lasterhaft sind; wenn sie nur das Wasser auf die Mühle des Prälaten oder Archidiakon leiten, werden sie für ihre Laster nicht bestraft, doch die guten Leute werden gegeißelt; sie übersehen die Küchenmädchen und viele sonstige liederliche und abgeschmackte Zustände, während sie dafür sorgen, daß sie alljährlich Bußgelder dafür erhalten; denn für Tugend fordert man kein Geld. – Von den Testamentsvollstreckern wird bei Testamenten Wuchergeld verlangt; dadurch werden viele belastet. – Zu der Zeit, als die Extravagante 55 abgefaßt wurde, gab es für alle Kirchen einen Gebührennachlaß, sie wurden mit einer bis zur Hälfte verminderten Taxe belegt; immerhin wurde diese Senkung von Papst Benedikt XII., 54 55

Siehe oben Anm. 48. Wie oben Anm. 51. Die Datierung wurde falsch umgerechnet.

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III Capitula agendorum

ordinis Cisterciensis, anno domini MCCCXXXIII. die vicesima mensis decembris,55 eo quod populus modicum erat depopulatus et depauperatus et guerris modicis exasperatus. Nunc vero videtur populus in tot et tantis affliccionibus exagitatus tam guerrarum mortalitatibus quam depauperacionibus intollerabilibus, propter quod necessarium necessitate inevitabili est reduccionem novam facere nedum ad dimidiam partem, ymmo ad decimam, ita quod decem denariis hiis presentibus temporibus persolvi solitis solvatur unus denarius. Enerventur omnes predicte et quevis alie exacciones in ecclesia Francie, quousque tale tempus, quod erat ante conditam extravagantem, revertatur et salubriter provideatur. Sufficit enim visitacio decani ruralis circa curatos et habeat semel vel bis in anno quinque solidos et, si quid sinistrum fuerit, quod emendare nequeat, referat archidiacono vel prelato, qui sine gravaminibus provideant. Et prefatis gravaminibus in hoc regno mille curati sunt profugi, in campis inhumati mille, quamplurime creature et ecclesie servicio divino fraudate et multi pueri sine baptismo et creaturap sine confessione mortui.

[21] De litibus breviandis et locorum distancia 1

Iudex habeatur citra montes pro citramontanis in causis beneficialibus, ut alias universitas postulavit, hoc modo scilicet, quod a iudice delegato seu ordinario oriatur prima citacio et in causa appellacionis devolvatur ad iudicem citramontanum, et ammodo citra montes terminentur ad minus usque ad terciam instanciam exclusive, nisi forte de consensu parcium aliter fieret.1 Videtur quantum ad locorum distanciam, quod serventur iura, scilicet c.Statutum,56 et alia omnia in contrarium revocentur. Item quantum ad abbreviacionem videretur servandus modus curie parlamenti Francie, videlicet quod ab inicio cause actor et reus omnia proponerent, agendo, excipiendo, replicando, duplicando, etc., que facerent pro iure et defensione parcium. Ad hoc darentur termini continui ante litis contestacionem: primo ad libellandum, secundo ad excipiendum dilatorie et peremptorie, tercio ad replicandum, quarto ad triplicandum, non plus et termini breves, demum ad contestandam litem. Item ad omne genus probacionis

p 56

creatura Ed. Bonifaz VIII. 1295; VI 1.3.11 § 2.

A 3 franz. Punkte: Prozesse

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zuvor Zisterzienserabt von Fontfroide, im Jahr des Herrn 1333, am 20. Dezember 55 durchgeführt, weil die Leute beträchtlich ausgeplündert und verarmt und durch Kriegsmaßnahmen verbittert waren. Jetzt aber sieht man die Leute in so vielen und schweren Konflikten durch Kriegsverluste und unerträgliche Verarmung in die Enge getrieben; so ist es eine unausweichliche Notwendigkeit, eine neue Senkung vorzunehmen, nicht etwa auf die Hälfte, nein auf ein Zehntel, so daß, wenn derzeit gewöhnlich zehn Pfennig gezahlt wurden, dann nur ein Pfennig gezahlt wird. – All diese und noch weitere Steuern sollen in der Kirche Frankreichs abgestellt werden, bis man zu der Zeit vor dem Erlaß der Extravagante zurückkehrt und heilsam Vorsorge trifft. Es reicht nämlich die Visitation des Landdekans bei den Seelsorgern, er mag ein- oder zweimal im Jahr 5 Schilling dafür erhalten, und wenn es etwas Schlimmes gibt, was er nicht bessern kann, möge er es dem Archidiakon oder dem Prälaten vortragen, die ohne Beschwernis entscheiden sollen. Aufgrund der zuvor genannten Beschwerdepunkte sind hier in Frankreich tausend Seelsorger flüchtig geworden, tausend auf dem Feld beerdigt, recht viele Menschen und Kirchen dem Gottesdienst entfremdet, viele Kinder ohne Taufe und Menschen ohne Beichte gestorben. A 3 franz. Punkte: Prozesse

[21] Abkürzung von Prozessen und [Verringerung] der Entfernung 1

Für Leute diesseits der Alpen sollte es diesseits einen Richter für Pfründsachen geben, wie die Universität an anderer Stelle gefordert hat; also: Von einem beauftragten oder ordentlichen Richter soll die Vorladung vorgenommen werden, im Falle der Appellation geht die Sache an einen [höheren] Richter diesseits der Alpen über und wird künftig diesseits der Alpen entschieden, zumindest bis zur dritten Instanz exklusive, falls nicht mit Zustimmung der Parteien anders entschieden wird.1 Was die Entfernung der Orte anlangt, sollen die Rechtsbestimmungen beachtet werden, etwa der Kanon Statutum,56 und alles Entgegenstehende soll widerrufen werden. Was die Abkürzung anlangt, soll der Brauch des französischen Parlaments angewandt werden: Vom Beginn des Prozesses an sollten Kläger und Beklagte alles vortragen über Klage, Einreden, Gegendarstellung, Rückantwort usw., was sie für das Recht und zur Verteidigung der Parteien tun wollen. Dafür sollten zusammenhängende Termine vor dem Eintritt in die Hauptverhandlung gegeben werden: 1. für die Formulierung der Klageschrift, 2. für die aufschiebende und letztliche Formulierung von Einreden, 3. für die Antwort darauf, 4. für die Rückantwort – und nichts weiter und kurze Fristen, um schließlich die Verhandlung zu eröffnen. Für die gesamte Beweis-

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III Capitula agendorum

nec admittantur postea aliqua in facto, nisi contra testes, vel alia probacionis genera, et ita cicius brevietur ad sentenciam.

[22] Quod in cathedralibus ecclesiis sint prebende et doctorales theologie et iuris vel alterius secundum numerum prebendarum, et quod doctores prebendati resideant et legant Fuit statutum, quod in qualibet ecclesia cathedrali, ubi sunt XII prebende vel plures, sint saltem pro quarta parte doctores in canonibus vel sacra pagina, vel si haberi non possint, ambo sint in canonibus vel ambo in sacra pagina, et ad hoc facit disposicio generalis, que incipit Quia nonnullis.57 Quia in aliquibus partibus pauci sunt doctores, sufficeret, quod essent licenciati. 1 Item proponatur in dicto generali concilio et prosequatur, ut in qualibet cathedrali ecclesia aut notabili collegiata reservetur una prebenda pro uno doctore in iure aut in theologia aut bacculario formato, qui sacram doctrinam in huiusmodi ecclesia palam et publice habeat legere certis diebus septimane. Et in eadem ecclesia alia conservetur prebenda pro magistro in artibus actu regente Parisius aut pro magistro non regente, qui per septennium Parisius artes legerit. Qui per totam vitam suam in eadem ecclesia palam et publice legat philosophiam, potissime moralem per se ipsum in propria persona vel per magistrum in artibus in casu legitime absencie vel infirmitatis proprie.1

[23] De vacanciis prelaturarum et beneficiorum et de imposicione decimarum et taxacione fructuum et aliis eciam non concedendis rebus De decima papali non impetranda nisi de concilio fratrum et ex certis causis, ut pro liberacione Terre Sancte vel evitanda oppressione terrarum ecclesie. De collectoribus limitandis, ita quod non sint spoliatores. Reformetur statutum concilii Pisani de non levandis spoliis prelatorum,58 et aperiantur pene facientibus. Quod prelati et clerici libere possint testari secundum formam iuris et de omnibus mobilibus suo tempore acquisitis. Stetur eorum dicto, quod acquisierunt de industria vel pari modo, et in hoc

57

Canon 11, 4. Laterankonzil 1215; COD 3 S. 240; X. 5.5.4. Eigenes Statut nicht überliefert. Den Verzicht auf die Nachlässe sprach der Papst in der 21. Sitzung aus. Vincke, Acta S. 319. Ebenso oben Nr. 2b Antwort zu § 8 S. 182. 58

A 3 franz. Punkte: Vakanzen

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aufnahme sollen danach keine weiteren Tatsachenbeweise mehr zugelassen werden außer gegen die Zeugenaussagen, auch keine weiteren Beweise, so soll es rascher bis zum Urteilsspruch abgekürzt werden.

[22] Einrichtungen von Lehrpfründen in Theologie und Kirchenrecht und anderen Fakultäten an Kathedralkirchen entsprechend der Zahl der [dortigen] Pfründen, Anwesenheits- und Lehrpflicht der Doktoren auf diesen Pfründen Es wurde festgelegt, daß in jeder Kathedralkirche, in der es 12 Pfründen oder mehr gibt, wenigstens zu einem Viertel Doktoren im Kirchenrecht und in der Heiligen Schrift sind, oder wenn man sie nicht haben kann, sollten es wenigstens zwei im Kirchenrecht oder zwei in der Heiligen Schrift sein, und das steht in dem Kanon des 4. Laterankonzils mit dem Anfangswort Quia nonnullis 57. Weil es in einigen Gegenden nur wenige Doktoren gibt, würde es reichen, wenn sie Lizentiaten sind. 1 Auf dem Allgemeinen Konzil sollte vorgeschlagen und verfolgt werden: In jeder Kathedral- oder bedeutenderen Kollegiatkirche sollte eine Pfründe für einen Doktor des Rechts oder der Theologie oder einen promovierten Bakkalar reserviert werden, der die heilige Lehre in dieser Kirche offen und öffentlich an bestimmten Wochentagen zu lesen hat. In dieser gleichen Kirche sollte eine andere Pfründe einem Artes-Magister, der in Paris unterrichtet wurde, vorbehalten bleiben, oder für einen Magister, der dort nicht mehr unterrichtet, aber sieben Jahre in Paris gelesen hat. Dieser soll nun sein ganzes Leben lang in dieser Kirche offen und öffentlich Philosophie lesen, besonders Moral, selbst, in eigener Person, oder durch einen Artes-Magister im Falle rechtmäßiger Abwesenheit oder eigener Krankheit.1 A 3 franz. Punkte: Vakanzen

[23] Vakanzen bei Prälaturen und Pfründen, Auferlegung der Zehnten, Besteuerung der Erträge und sonstige Verbote Bewilligung eines Päpstlichen Zehnten nur mit Rat der Brüder [Kardinäle] und aus bestimmten Gründen, etwa für die Befreiung des Heiligen Landes oder zur Vermeidung von Unterdrückung von Ländern der Kirche. Beschränkung der Steuereinnehmer, so daß sie keine Plünderer sind. Reformiert werden sollte das Statut des Pisaner Konzils über die Nichterhebung von Spolien der Prälaten,58 und es sollten Bußen für die Zuwiderhandelnden erhoben werden. Prälaten und Kleriker sollten testamentarisch nach der Form des Rechts frei verfügen können, und zwar über alle zu ihrer Zeit erworbenen beweglichen Sachen. Es sollte ihr Wort gelten, soweit sie diese

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III Capitula agendorum

videatur de distinguendo taliter omnes casus, quod clerici non appareant servi, set nec spolient ecclesias. Specialiter videatur modus privilegiandi cardinales, qui laborant pro ecclesia generali, ut in hoc de omnibus, que habeant, et mobilibus et immobilibus, stetur dicto suo, si asserunt sua esse et hoc sibi acquisierunt. 1 Item in dicto concilio proponatur omnino per dictum concilium esse in generali concilio prosequendum, ne dominus noster alicui regi aut seculari principi concedat aliquod subsidium super viros ecclesiasticos imponendum sine eorum scitu et consensu. Super facto regalie 1,59 que habetur in Francia, 1 proponatur, quod tempore pendentis regalie fructus ordinarius 60 beneficii illius vacantis pro anno illo secundum disposicionem et qualitatem temporis recipiat vel recipi faciat, sine intollerabili preiudicio fructuum illius beneficii usque ad magnam temporis distanciam, quod tamen in regno Francie fit et fieri solet in magnum et notorium ecclesiarum detrimentum; nemora, si que sint ad tale beneficium pertinencia, cedua vel non cedua usque ad radices subtrahendo et stagna, si qua sint, usque ad disposicionem aratri desiccando contra omnem iuris et iusticie disposicionem, contra proprium finem iuris regalis, in maximum et magnum honoris detrimentum, cum multiplicis iuris ipsarum ecclesiarum et rerum ecclesiasticarum sit precipuus defensator et custos, supposito eciam, quod huiusmodi res ad huiusmodi beneficium pertinentes omni modo possibili, quo aliquid alicuius esse potest, sue essent. Nam simili modo quilibet re sua utens verus abusor censendus esse videtur.1 Item quod solvant onera illo tempore contingencia.

[24] De patrimonio ecclesie Romane De modo tenendi terras ecclesie. Ita quod pro eis sustinendis non oporteat totum thesaurum ecclesie in stipendiariis conferri et alimonia pauperum ex toto deferri. [25] De rebus et immunitatibus ecclesiarum De statutis contra libertatem ecclesie, que sunt per diversa loca, quod et si a iure sint dampnata, tamen adhuc dampnentur et adhibeatur cura, ut de facto tollantur et non serventur.

59 Bei Vakanz wurden vom König die Einkünfte bis zur Investitur des Nachfolgers beschlagnahmt. 60 Also in der Regel der Bischof. – Da der König auch die Erlaubnis zur Wahl erteilen mußte, konnte er die Vakanz verlängern.

A 3 franz. Punkte: kirchl. Besitz

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mit eigenem Fleiß oder auf ähnliche Weise erworben haben, und so sollte es bei allen Fällen individuell gehandhabt werden, damit die Kleriker nicht als Knechte erscheinen; freilich sollen sie ihre Kirchen auch dabei nicht ausplündern. Besonders nötig scheint es, die Kardinäle zu privilegieren, die sich für die Gesamtkirche abmühen, daß es hinsichtlich all ihrer Habe, beweglich oder unbeweglich, bei ihrem Wort bleibe, wenn sie erklären, es sei ihre und sie hätten sie erworben. 1 Es sollte auf dem Konzil vorgeschlagen werden: Durch das Konzil sollte auf einem Allgemeinen Konzil verfolgt werden, daß unser Herr [der Papst] keinem König oder weltlichem Fürsten irgendwelche Hilfsgelder verspricht, die Kirchenmännern ohne deren Wissen und Zustimmung aufgebürdet werden. Hinsichtlich der sogenannten Regalien,1.59 die es in Frankreich gibt, 1sollte vorgeschlagen werden, daß der Ordinarius 60 zur Zeit der anhängenden Regalie den Ertrag einer vakanten Pfründe für das laufende Jahr nach der Entscheidung und der Länge der Zeit erhält oder sich zuweisen läßt, ohne unerträgliche Vorentscheidungen über die Erträge jener Pfründe für eine längere Zeit, wie es in Frankreich gewöhnlich zum offensichtlichen Schaden für die Kirche geschieht: Wenn es etwa Wälder gibt, die zu der Pfründe gehören, schlagreif oder nicht schlagreif, werden sie bis auf die Stubben gerodet, und Sümpfe, wenn es sie gibt, werden trockengelegt, bis sie für den Pflug bearbeitet werden, wider alles Recht und jede Ordnung der Gerechtigkeit, wider den eigentlichen Zweck des Königlichen Rechts, zum höchsten Schaden für seine Ehre, denn er ist nach vielfältigem Recht der besondere Schirmer und Schützer dieser Kirchen und der kirchlichen Habe – auch unterstellt, daß solche Habe (die auf alle mögliche Weise, wie etwas einem gehören kann, zu solchen Pfründen gehört) seine wäre. Denn jeder, der seine Habe so nutzt, müßte als mißbräuchlicher Nutzer betrachtet werden.1 Lasten, die zu dieser Zeit anfallen, werden dann auch bezahlt.

[24] Patrimonium der Römischen Kirche Art und Weise des Besitzes der Länder der Kirche. Zu ihrer Unterstützung ist es nicht nötig, den ganzen Schatz der Kirche an besoldete Beauftragte zu geben und die Unterhaltszahlungen für die Armen gänzlich für diesen Zweck zu verwenden. A 3 franz. Punkte: kirchl. Besitz

[25] Kirchlicher Besitz und Immunität Bestimmungen gegen die Freiheit der Kirche, die es in verschiedenen Gegenden gibt; obgleich sie schon von Rechts wegen verurteilt sind, sollten sie dennoch wiederum verurteilt werden, und man sollte Sorge tragen, daß sie tatsächlich beseitigt und nicht mehr beachtet werden.

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III Capitula agendorum

[26] De studiis generalibus Augeantur studiorum privilegia et studencium in canonibus et sacra pagina. Item quod apud sedem apostolicam debent esse studia, ut in canonibus 61 statutum est. Provideatur, quod sint cum effectu et de provisione facienda docentibus.

A 3 franz. Punkte: Universitäten

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[26] Universitäten Die Privilegien der Studien und auch die der Studenten des Kirchenrechts und der Heiligen Schrift sollten vermehrt werden. Beim Heiligen Stuhl sollte es Studien geben, wie es im Kirchenrecht 61 festgelegt ist. Es sollte Sorge getragen werden, daß sie erfolgreich sind; auch sollten an die Dozenten Zuweisungen erfolgen. A 3 franz. Punkte: Universitäten

61

Clem. 5.5.1.

IV

Ed.: ACC IV S. 591–623, 625, – Fassung emendiert mit Hilfe der Hss. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, lat. 4956 u. lat. 5069; Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 595

THEODERICUS DE NYEM AVISAMENTA PULCHERRIMA DE UNIONE ET REFORMACIONE MEMBRORUM ET CAPITIS FIENDA [1] Ut frequenter in ecclesia oramus deum, ut doceat nos terrena despicere et amare celestia;1 despicere, id est in affeccione postponere terrena et amare super omnia Christum. Quid igitur vult dicere, quod Christus, precipue in Romana curia, despicitur et aurum ei preponitur? Et quare bonum unionis in universali ecclesia, quod precipue ecclesiastici viri et, quanto principaliores sunt, tanto efficacius querere deberent, negligitur, cum tamen Christus pro suis apostolis et discipulis oraverit, ut unum essent?2 Et Apostolus istud sequens hortatur ecclesiam et ecclesiasticos ad unitatem dicens: Sollicite servare unitatem spiritus in vinculo pacis: Unum corpus, unus spiritus, unus dominus, una fides, unum baptisma, unus deus et pater omnium.3 Et extra hanc unionem non est salus. Querite igitur illam, vos patres in isto sacro concilio congregati, cordialiter et audacter, et dominus erit vobiscum in unitate beatitudinis, cuius electi filii sunt in beatitudine finaliter uniti. Et quod Christus singulariter tradidit claves Petro, per hoc signari voluit ecclesie unitatem in fide, ad quam fideles invitavit Christus per hanc singularem clavium tradicionem, ut dicit glosa super illo: Et tibi dabo claves regni celorum,4 vel quia Petrus Christum filium dei esse primum constanter et manifeste confessus est, primo ipse dotatur clavibus et honoratur et honorari permittitur, ut sic eciam confitendi Christum palam et constanter per huiusmodi premium ceteris preberet exemplum. Nec credendum est, quod propterea beatus Petrus factus esset impeccabilis, quia, quamdiu viator fuit, errare potuit et peccare pro suo arbitrii libertate. Unde Christum negasse legitur et quandoque ad veritatem evangelii ambulasse non recte.5 Erroneum igitur est dicere, quod quis assumptus ad papatum sit, ille qualiscumque propterea sit sanctus, licet canoniste multis altricentur verbis, quod sedes illa Petri aut illum sanctum invenit aut sanctum

1 2 3

Missale Romanum, 2. Adventssonntag, Postcommunio. Joan 17, 21. Eph 4, 3–6.

4. DIETRICH VON NIEHEIM VORSCHLÄGE FÜR EINHEIT UND KIRCHENREFORM AN HAUPT UND GLIEDERN [1] Häufig beten wir in der Kirche zu Gott, er möge uns lehren, das Irdische zu verachten und das Himmlische zu lieben1 – ‘verachten’, das heißt: in unserer Neigung das Irdische hintansetzen und Christus über alles lieben. Was besagt es also, daß Christus, besonders in der Römischen Kurie, verachtet und das Gold ihm vorgezogen wird? Und warum wird in der Gesamtkirche das Gut der Einheit verachtet, das besonders die Kirchenmänner suchen müßten – je höher sie stehen, desto wirksamer –, wo doch Christus für seine Apostel und Jünger gebetet hat, sie möchten eins sein?2 Und der Apostel im Anschluß daran ermahnt die Kirche und die Kirchenleute zur Einheit und sagt: Seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: Ein Leib, ein Geist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller.3 Und außer dieser Einheit ist kein Heil. Sucht sie also von Herzen und mit Mut, ihr auf diesem heiligen Konzil versammelten Väter, und in der Einheit der Seligkeit wird der Herr mit euch sein, dessen erwählte Söhne in der ewigen Seligkeit schließlich vereint sind. Und indem Christus in einzigartiger Weise Petrus die Schlüssel gegeben hat, wollte er der Kirche ein Zeichen für die Einheit im Glauben setzen, zu der Christus die Gläubigen durch diese einzigartige Gabe der Schlüssel einlud, – wie die Glosse zu jenem Vers sagt: Dir will ich des Himmelreichs Schlüssel geben;4 weil Petrus zuerst fest und offen bekannt hat, daß Christus der Sohn Gottes ist, wird er zuerst mit den Schlüsseln ausgestattet und geehrt, und es wird zugelassen, daß er geehrt wird, damit er offen und ständig durch diese Auszeichnung den übrigen ein Beispiel gebe, ebenfalls Christus zu bekennen. Man soll jedoch nicht glauben, der heilige Petrus habe deswegen die Fähigkeit zum Sündigen verloren, denn so lange er Pilger [auf Erden] war, konnte er nach seinem freien Willen irren und sündigen. Daher liest man, er habe Christus verleugnet und sei mitunter nicht auf dem rechten Weg zur Wahrheit des Evangeliums gegangen.5 Es ist also ein Irrtum zu sagen, daß derjenige, der zum Papsttum erhoben wurde, schon deswegen irgendwie heilig ist, obgleich sich die Kanonisten mit vielen Worten heftig streiten, ob jener Stuhl des Petrus einen Heiligen findet oder ihn zu einem Heiligen macht. 4 5

Matth 16, 19. Glosse zu Vers. 16: ut unitas in omnibus observetur. Bes. Matth 16, 22 f., Marc 8, 32 f.

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

facit. Legitur enim aliquem hereticum aut nigromanticum, cupidum aut superbum aut aliter criminosum ad papatum fuisse assumptum qualitercumque, set quod per talem assumpcionem sanctus fuisset factus, mirum est 6 tenere. Crederem tamen, quod si assumentes vel eligentes talem in papam haberent potestatem cum hoc infundendi graciam, sicut accidit de beato Matheo evangelista assumpto ad apostolatum de publicano,7 quod tunc bene procederet illud, quod ipsi asserunt de hoc canoniste, ut prefertur. Set quia alia racio firmat pactum, standum est eo casu factis et non verbis. Igitur ex quodam stilo et usu veteribus obtinuerunt illi dictam sedem occupantes eis scribi per ceteros christianos: Sanctissimo vel beatissimo patri in Christo, tali vel tali summo pontifici. [2] In isto concilio generali primum principium principaliter tractandum est, ut efficaciter ibi inveniatur modus et finis, quod fiat vera unio in tota christianitate, antequam dictum concilium dissolvatur, ita quod non sit nisi unum caput, de quo christiani concorditer dicere possint: Ecce, iste est papa noster. Et cesset ibidem omnis ambiguitas et pluralitas de papatu. Apcior autem et brevior via est quoad hoc, ut tres contendentes nunc simul de papatu et in diversis dominiis constituti, non obstante deliberacione et conclusione concilii Pisani,8 cedant et quibus cessionibus factis eligatur aliquis vir scientificus, probus et idoneus per prestanciores prelatos XII aut plures vel pauciores extra collegium dominorum cardinalium, set cum eorum consensu, per totum concilium cum plena auctoritate ad id deputandos. Alias enim, si per omnes talis pontifex eligi deberet, verisimiliter propter multitudinem, que forte ad diversa tenderet, eleccio ipsa non procederet formaliter, ut deberet. Set caveatur eciam, ne potestas eligendi hac vice in eosdem dominos cardinales aliqualiter derivetur; quia, si hoc fieret, quod absit, aut omnino impediretur per eos ipsa eleccio novi pontificis aut unum de se ipsis eligerent. Et tunc forsan esset 9error novissimus peior priore.9 Causas vero, quare hoc, 6

Glosse des Verfassers: Ut indubitata demonstrat experiencia: Sunt enim multi episcoporum, presbyterorum, dyaconorum et clericorum actus non spirituales, quin ymmo ipsorum multi sunt civiles, contenciosi et carnales seu temporales. Possunt enim ipsi mutuare, deponere, emere, vendere, percutere, occidere, mechari, furari, rapere, prodere, decipere, falsum testimonium perhibere, diffamare, in heresim cadere ceteraque committere scelera, contenciones et crimina, quemadmodum eciam a laicis perpetrantur. – Dies beweist die Erfahrung unzweifelhaft: ,,Es gibt viele Handlungen von Bischöfen, Priestern, Diakonen und Klerikern, die nicht geistlich sind, vielmehr sind viele privatrechtlich, strafrechtlich, fleischlich oder weltlich. Sie können nämlich Geld tauschen oder anlegen, kaufen, verkaufen, prügeln, töten, Ehebruch treiben, Diebstahl begehen, rauben, verraten, täuschen, falsches Zeugnis geben, verleumden, in Ketzerei verfallen und sonstige Verbrechen, Vergehen und Schurkereien verüben, wie sie auch von Laien vollbracht werden.“ (Marsilius v. Padua, Defensor pacis, II 2, 7, MGH Fontes iuris 7). Siehe Einleitung oben S. 29 Anm. 63.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Einheit

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Man liest ja, es sei ein Ketzer oder Zauberer, ein Mann der Begierde oder des Stolzes oder sonst ein Verbrecher irgendwie zum Papsttum erhoben worden, aber es wäre merkwürdig 6 anzunehmen, er wäre durch diese Erhebung zum Heiligen gemacht worden. Ich müßte immerhin glauben: Wenn diejenigen, die einen solchen zum Papst erheben oder wählen, die Macht hätten, damit Gnade einzugießen, wie es beim heiligen Evangelisten Matthäus geschehen ist, der vom Zöllner zum Apostel erhoben wurde,7 – dann würde die Schlußfolgerung gelten, die die Kanonisten, wie gesagt, behaupten. Aber da ein weiteres Argument eine Übereinkunft verstärkt, muß man sich in diesem Falle an Tatsachen und nicht an Worte halten. Denn nach einer alten Formel und einem Rechtsbrauch wird, wie diejenigen geltend machen, die den besagten Stuhl innehaben, von den übrigen Christen geschrieben: ,,An den hochheiligen oder hochseligen Vater in Christus soundso, den höchsten Bischof.“ [2] Auf diesem Allgemeinen Konzil muß ein erster Grundsatz zu allererst behandelt werden – damit dort wirksam ein Maßstab und Ziel gefunden wird –, daß in der ganzen Christenheit wahre Einheit entstehen soll, bevor sich besagtes Konzil auflöst; es soll also nur ein einziges Haupt geben, von dem dann die Christen einträchtig sagen können: Seht, dieser ist unser Papst. Gerade hier hat alle Zweideutigkeit und Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des päpstlichen Amtes zu verschwinden. Der geeignetste und kürzeste Weg dazu aber ist, daß die drei, die sich derzeit zugleich um das Papstamt streiten, aber in verschiedenen Herrschaftsgebieten wohnen, – ungeachtet der Erwägung und Entscheidung des Konzils von Pisa 8 – zurücktreten; nach diesen Rücktritten soll ein wissenschaftlich gebildeter, tüchtiger und geeigneter Mann durch zwölf – oder durch eine höhere oder niedere Zahl – bedeutendere Prälaten außerhalb des Kollegiums der Herren Kardinäle, doch mit deren Zustimmung, gewählt werden – von Prälaten, die vom ganzen Konzil mit voller Autorität dazu bestellt werden. Sonst nämlich, wenn ein solcher Papst von allen gewählt werden sollte, würde wahrscheinlich diese Wahl wegen der Vielzahl, die wohl in verschiedene Richtungen tendieren würde, nicht so formgerecht wie nötig vonstatten gehen. Man möge sich aber auch hüten, die Befugnis zur Wahl diesmal selbigen Kardinälen irgendwie zuzuspielen; denn wenn das geschähe – was ferne sei! – würde die Wahl eines neuen Papstes entweder überhaupt verhindert werden, oder sie würden einen der Ihren wählen. Und dann wäre vielleicht 9der letzte Irrtum ärger denn der A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Einheit

7

Matth 9, 9. Nach Absetzung der ,,Prätendenten“ Anerkennung der Wahl Alexanders V. am 26. 6. 1409. Also keine Bevorzugung Johannes’ als Nachfolger des Konzilspapstes intendiert. 9–9 Matth 27, 64. 8

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

quia valde multe sunt et multis exose, nolui presentibus recitare. Quisque tamen prudens et expertus ex se ipso illas concipere potest. Preterea, si forsan Angelus Corario 10 et Petrus de Luna 11 ad ipsum concilium non venerint nec sufficiencia procuratoria miserint ad cedendum pro ipsis, ad id, quod plena unio subsequatur, poterunt de novo citari ad predictum concilium, ut illuc, in quacumque forma voluerint, veniant, stent et incedant in publico et privato pro beneplacito eorundem, dando eciam ipsis plenam securitatem illuc veniendi et ibidem standi et abeundi, si velint, aut quod mittant procuratores suos cum pleno mandato ad cedendum simpliciter et de plano. Quorum si alterum fecerint et similiter, si neutrum horum peregerint, certe propterea non debet dominus noster Iohannes papa 12 se reddere difficilem ad cedendum, esto eciam, quod bonum et verum ius habeat in papatu, ut ipsa unio, que alias verisimiliter fieri non posset, perfecte dante domino subsequatur. Raciones huius efficaces multe sunt valde, alias in eodem Pisano concilio per multos doctores iuris celebres luce clarius determinate, et sic eas non expedit reserare de novo. O me felicem, si ipsos tres insimul contendentes in uno loco insigni in papalibus insigniis aut in divinis insimul stare aut incedere viderem, quia tunc non dubitarem, quin ipsimet de hoc confusi unionem facere omnibus modis laborarent. [3] In omnem autem eventum reservaciones speciales et generales de archiepiscopatibus, abbaciis et aliis inferioribus dignitatibus et ecclesiis ac ecclesiasticis titulis sive in corpore iuris 13 clause sive in libris cancellarie apostolice 14 conscripte penitus removeantur ad obviandum vicio symonie, quod proptera plurimum in Romana curia inolevit et aliis multis dispendiis, que ex ipsis reservacionibus longe lateque per orbem terrarum oriuntur; aut certe usque ad finem quinquennii, quo iterum fiat generale concilium, suspendantur, ita quod ipsa universalis ecclesia in capite et in membris ad veram unionem reducatur. Et interim quoad illas in disposicione iuris communis in eo statu remaneat, in quo erat, antequam ille reservaciones fuerant adinvente. Expedit, quod Romana ecclesia sit contenta, sicut ante illarum introduccionem stetit vel remansit ad minus annis octingentis aut circa. Et si bonum est pro utilitate communi, quod sic fiat, bene quidem, sin autem, in futuro subsequenti concilio poterit aliud tunc conveniens ordinari. Quid enim est utile, ut sub colore ipsarum reservacionum pauce admodum persone ditentur et 10

Gregor XII. (1406–1415). Benedikt XIII. (1394–1423). 12 Johannes XXIII. (1410–1415). 13 Insbesondere wohl die Konstitutionen Ad regimen und Execrabilis (Extrav. comm. 3.2.4 u. 13). 14 Regulae cancellariae, ed. Ottenthal: Urban V. Nr. 6 (allgemeine), Nr. 18 (besondere); Gregor XI. Nr. 22 (besondere). 11

A 4 Dietrich v. Niehem: Vorschläge: Altes Recht

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frühere.9 Die Gründe, weswegen das so ist, möchte ich, weil sie sehr vielfältig und vielen sehr verhaßt sind, hier nicht aufzählen. Jeder Kluge und Erfahrene kann sie sich jedoch selbst zusammenreimen. Wenn nun etwa Angelo Correr 10 und Pedro de Luna 11 zu diesem Konzil nicht kommen und keine ausreichend Bevollmächtigten schicken, die für sie den Rücktritt erklären sollen, dann können sie, damit volle Einheit erfolgt, erneut vor dieses Konzil vorgeladen werden; sie dürfen in der von ihnen gewünschten Form dorthin kommen, sich aufhalten und nach Belieben öffentlich und privat verkehren, wobei ihnen auch volle Sicherheit gegeben wird, dorthin zu kommen, sich aufzuhalten und wegzugehen, wenn sie wollen; oder sie sollen schlicht und einfach ihre Bevollmächtigten schicken, mit vollständigem Mandat zum Rücktritt. Wenn sie eines davon tun (und ebenfalls wenn sie keines davon tun), so darf sich deswegen unser Herr Papst Johannes 12 beim Rücktritt nicht schwierig zeigen – er mag auch gutes und wahres Anrecht auf das Papstamt haben –, damit diese Einigung, die man wahrscheinlich anders nicht erreichen kann, mit des Herrn Gnade vollkommen erfolgt. Wirksame Gründe gibt es dafür viele, sie wurden auf diesem Pisaner Konzil von vielen gefeierten Lehrern des Rechts sonnenklar definiert, doch es bringt nichts, sie erneut auszubreiten. Ach wäre ich glücklich, wenn ich die drei Konkurrenten an einem bedeutenden Ort mit den päpstlichen Insignien oder in liturgischen Gewänden zusammen stehen und gehen sähe; denn dann hätte ich keinen Zweifel, daß sie, darüber verwirrt, mit allen Mitteln sich bemühen würden, die Einheit herzustellen. [3] Auf jeden Fall müssen die besonderen und allgemeinen Reservationen, die über Erzbistümer, Abteien, sonstige niederen Würden, Kirchen und kirchlichen Titel, die im Rechtscorpus 13 beschlossen oder in den Büchern der Apostolischen Kanzlei 14 niedergeschrieben sind, gänzlich abgeschafft werden, damit man dem Laster der Simonie begegnen kann (das besonders aus diesem Grunde in der Römischen Kurie sich ausgebreitet hat) und ebenso den vielen anderen Schäden, die sich aus diesen Reservationen weit und breit auf der Welt ergeben; zumindest sollten sie bis zum Ende eines Jahrfünfts, bis wieder ein allgemeines Konzil stattfindet, suspendiert werden, so daß dann die Gesamtkirche an Haupt und Gliedern zur wahren Einheit geführt wird. Inzwischen sollte sie hinsichtlich dieser [Vorbehalte] nach der Regelung des gemeinen Rechts in dem Zustand verbleiben, in dem sie war, bevor diese Reservationen erfunden wurden. Es wäre förderlich, wenn die Römische Kirche damit zufrieden wäre, wie sie vor deren Einführung stand und blieb, zum mindesten etwa achthundert Jahre lang. Und wenn es für den allgemeinen Nutzen gut ist, daß es so geschieht, dann ist es eben gut, wenn aber nicht, könnte auf einem künftig folgenden Konzil etwas anderes Passendes verordnet werden. Was kann es denn fruchten, daß unter dem Vorwand dieser Reservationen sich nur einige wenige Leute bereichern und die A 4 Dietrich v. Niehem: Vorschläge: Altes Recht

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

tota christianorum communitas depauperetur et opprimatur? Exhauriuntur enim pecunie per illas subtiliter a barbaris. Nempe ambicio numquam scivit ab inicio quiescere vel pausare. Interdicuntur frequenter ecclesie et terre, atque alia multa mala propter ipsas reservaciones, ut communiter, subsequuntur. [4] Item ut firmiter observentur, que in hoc concilio salubriter ordinabuntur pro reintegranda efficaciter et vere ipsa universali ecclesia in capite et in membris. Quia novis morbis nova convenit antidota preparari, statuatur, quod, si evidenter illa, que in eodem concilio ordinari contigerit in toto vel in parte, dicto durante quinquennio non observarentur per dominum apostolicum, illius certitudinaliter apparente veritate liceat eo ipso libere archiepiscopis et episcopis, in quorum civitatibus vel diocesibus illis ordinatis per quemcumque modum aut per quascumque clausulas in litteris apostolicis insertas derogatum extiterit, extunc cum eorum subditis omnibus absque aliqua pena auctoritate propria ab ipsius apostolici subieccione resilire et sic remanere, alias iuxta iuris ordinacionem, quousque dictum aliud subsequens generale concilium fuerit inchoatum, et extunc facere, sicut dictabitur in eodem. Quid enim expedit multa concilia generalia celebrare et in eis ordinata non servare? Vidimus enim quoad illud, quod promissa vota et iuramenta deo et eius sanctis ultro prestita eis non reddebantur nec redduntur et tociens vota et iuramenta hactenus pro reintegranda ipsa ecclesia in capite et in membris necnon illius facienda unione prestita penitus non servari etc. [5] Item ordinetur, quod apostolicus existens pro tempore non debeat terras Romane ecclesie 15 regere per suos consanguineos, fratres vel nepotes, set per aliquos prudentes et circumspectos cardinales de consilio et assensu collegii dominorum cardinalium assumendos. Omnis enim excessus, qui iuxta statuta municipalia quandoque civiliter et modica pena mulctari seu puniri deberet, per istos fratres, consanguineos vel nepotes sepe avaricia aut alia passione impellente punitur magis ad ipsorum fratrum etc. voluntatem quam lege aut racione. Nec audent gravati conqueri vel ab eis, qui eos gravant, appellare, quia, si contrarium facerent, audirentur, set et forcius ac severius punirentur. Propter quod datur occasio ipsis subditis immediate predicte Romane ecclesie sepius rebellandi et necessitate cogente nova dominia admittendi. Unde guerre et maxima pericula animarum et corporum multociens subsequuntur. [6] Preterea per obitum illius quondam impii Ladislai regis Sicilie 16 adeo grata tranquillitas eidem Romane ecclesie orta est, quod ipse apostolicus, si

15 16

= das Patrimonium Petri. 6. Aug. 1414.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Nepotismus

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ganze Gemeinschaft der Christen in Armut gebracht und bedrückt wird? Durch sie wird nämlich geschickt von den ‘Barbaren’ Geld geschöpft. Wahrhaftig: Der Ehrgeiz wußte niemals am Anfang Ruhe zu bewahren und einmal stillzuhalten. Oft werden Kirchen und Länder mit dem Interdikt belegt, und viele andere Übel folgen gemeinhin wegen dieser Reservationen. [4] Es sollte streng befolgt werden, was auf diesem Konzil zum wirksamen und wahren Wiederaufbau der Gesamtkirche an Haupt und Gliedern heilsam verordnet wird. Weil es angemessen ist, für neue Krankheiten neue Heilmittel bereitzustellen, müßte beschlossen werden: Sollte das, was auf diesem Konzil verordnet werden wird, insgesamt oder teilweise während des besagten Jahrfünfts durch den Apostolischen Herrn offensichtlich nicht befolgt werden, so müßte es – da die Wahrheit dabei so klar auf der Hand liegt – den Erzbischöfen und Bischöfen, die in ihren Städten oder Diözesen, in denen sie eingesetzt sind, in irgendeiner Art und durch irgendwelche Klauseln in päpstlichen Schreiben Beeinträchtigung erfahren, ohne weiteres erlaubt sein, sich in eigener Vollmacht aus der Unterordnung unter den Papst zu entfernen und so zu verbleiben, ansonsten gemäß der Rechtsordnung zu verfahren, bis das besagte nachfolgende Allgemeine Konzil begonnen hat, und dann so zu verfahren, wie dort bestimmt wird. Was nützt es denn, viele Allgemeine Konzilien feierlich durchzuführen und das dort Verordnete nicht zu befolgen? Wir haben es ja gesehen, daß Versprechen, Gelübde sowie bei Gott und seinen Heiligen geleistete Eide nicht gehalten wurden und werden, und an sovielen Gelübden und Eiden, die man bislang zum Wiederaufbau dieser Kirche an Haupt und Gliedern sowie zur Schaffung von Einheit geleistet hat, sehen wir, daß sie überhaupt nicht gehalten werden. [5] Es sollte verordnet werden, daß der jeweilige Papst die Länder der Römischen Kirche 15 nicht durch seine Verwandten, Brüder und Neffen leiten darf, sondern nur durch einige kluge und umsichtige Kardinäle, die auf Rat und mit Zustimmung des Kardinalskollegiums zu bestellen sind. Jedes Vergehen nämlich, das entsprechend den Stadtrechten mit einer erträglichen und geringen Buße geahndet oder bestraft werden müßte, wird von diesen Brüdern, Verwandten oder Neffen [des Papstes] häufig, wenn Habgier oder eine andere Leidenschaft sie antreibt, mehr nach ihrem Mutwillen als nach Recht und Vernunft bestraft. Auch wagen die Betroffenen es nicht, sich zu beklagen oder gegen die, die sie belasten, Berufung einzulegen; denn wenn sie anders handelten, würden sie kein Gehör finden, sondern eher noch schärfer und strenger bestraft. Daraus ergibt sich für die unmittelbar der Römischen Kirche Untergebenen häufiger ein Anlaß, sich aufzulehnen und notgedrungen neue Obrigkeiten zuzulassen. Daraus folgen häufig kriegerische Fehden und größte Gefahren für Seele und Leib. [6] Durch den Tod des ruchlosen Königs Ladislaus von Sizilien 16 ist für die Römische Kirche eine so willkommene Ruhe eingetreten, daß der Papst, A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Nepotismus

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

velit, poterit in pace terras Romane ecclesie gubernare cum maximo eius emolumento. Ad quid igitur vult gravare ecclesias et clerum sibi subiectum seu in eius obediencia constitutum per istas infaustas reservaciones generales, et que eciam in ordinariorum collatorum cedunt gravissimum detrimentum? Et sic obedientes domino apostolico ecclesiastici prelati et ecclesiastici collatores, quos dominus papa merito diligere et honorare deberet, per hoc beneficiorum ecclesiasticorum collacione fraudantur et ex obediencia eorum dampna reportant, et cum hoc nimis inequaliter ipsa beneficia reservata in Romana curia conferuntur. Item bonum est, quod ordinetur in eodem concilio, quod nullus dominorum cardinalium habeat in commendam aliquem archiepiscopatum aut episcopatum necnon abbacias, quia per tales commendas destruuntur in spiritualibus et temporalibus ipsi archiepiscopatus, episcopatus et abbacie et per mercennarios17 gubernantur, ita quod oves illic nesciunt pastorem,18 quem sequantur, et infinita peccata propterea committuntur. Set vivant ipsi domini cardinales de reditibus capellorum cardinalatus et aliis eorum proventibus, et quilibet eorum aptet se, prout convenit eciam communitati, pro eius statu tenendo. Quid enim valet ista mirabilis pompa, quod quis forsan hodie contentus erat eciam publice incedere cum uno clerico, set in crastinum fortuna iuvante factus cardinalis, vix ei sufficit orbis terre, et vult incedere ita pompatice, ac si exercitum secum duceret ad preliandum, cum tamen non possit plus consulere in magno apparatu existens, quam consuluit, dum erat in minoribus constitutus. [7] Nec est obmittendum, quod per ipsas infaustas reservaciones quondam Bonifacii IX. in eius obediencia nuncupati, quia ipse et sui satrape, qui apud eum manebant, nimis erant cupidi ad extorquendum pecunias qualitercumque a subditis in eadem obediencia pro archiepiscopatibus, episcopatibus, abbaciis et aliis inferioribus dignitatibus ac ecclesiasticis titulis conferendis primo Anglie et postea Ungarie regna necnon successive quasdam alias provincias, ex quorum habitatoribus ipsi Bonifacio obedientibus et de quibus perprius multas valde pecuniarum summas trahere consueverint, ipse et sui curiales ex impetracione huiusmodi archiepiscopatuum etc. illa tamen emolumenta pro maiori parte postea perdiderunt. Nescierunt enim uti modis in talibus dudum teneri consuetis. Et ex tunc usque in hodiernum diem de illis regnis non accesserunt nec accedunt clerici ad impetrandum ecclesiasticos titulos in Romana curia, set fuerunt et sunt per hoc quodammodo facti ace-

17 18

Vgl. Joan 10, 12 f. Joan 10, 14.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Reservation

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wenn er will, in Frieden die Länder der Römischen Kirche selbst mit großen Einnahmen verwalten könnte. Warum also will er die ihm unterstellten Kirchen oder die in seiner Obödienz stehenden Geistlichen mit diesen unglücklichen allgemeinen Reservationen belasten, die auch zum höchsten Schaden für die eigentlich Verfügungsberechtigten führen? So werden die dem Heiligen Vater gehorsamen kirchlichen Prälaten und kirchlichen Verfügungsberechtigten über Pfründen, die der Heilige Vater billigerweise lieben und ehren müßte, dadurch um die Vergabe der kirchlichen Pfründen betrogen und tragen aus ihrem Gehorsam nur Schaden davon; dabei werden diese Pfründen, die der Römischen Kurie vorbehalten sind, sehr ungleich vergeben. Es ist gut, wenn auf diesem Konzil festgelegt wird, daß keiner der Herren Kardinäle ein Erzbistum, ein Bistum oder Abteien als Kommende haben darf; denn durch solche Kommenden werden diese Erzbistümer, Bistümer und Abteien in ihren geistlichen und weltlichen Belangen zerstört; sie werden durch Mietlinge 17 geleitet, so daß die Schafe dort ihren Hirten nicht kennen,18 dem sie folgen sollten; unendlich viele Sünden werden deshalb begangen. Vielmehr sollen die Herren Kardinäle von den Einkünften der Kardinalatskapellen und ihren anderen Bezügen leben; jeder von ihnen sollte sich, so wie es auch der Gemeinschaft frommt, seinem Stande gemäß halten. Was soll schließlich dieser erstaunliche Pomp wert sein? Wer etwa noch bis heute zufrieden war, sich lediglich mit einem Kleriker öffentlich zu zeigen, dem ist, wenn er vom Glück begünstigt am nächsten Tag Kardinal geworden ist, der Erdkreis kaum groß genug; er will so pomphaft auftreten, als wenn er ein ganzes Heer zum Kampfe führt, während er doch mit seinem großen Aufzug nicht mehr richtig Rat holen kann, so wie er damals Rat hielt, als er noch eine niedrigere Stellung bekleidete. [7] Man darf folgendes nicht auslassen: [Bonifaz IX.] und seine Gefolgsleute, die bei ihm bleiben, waren allzu gierig, von den Untertanen in ihrer Obödienz für die Vergabe von Erzbistümern, Bistümern, Abteien und anderen niederen Würden und Kirchentiteln zuerst in England, danach in Ungarn und nacheinander in einigen anderen Gebieten irgendwie Geld von deren Bewohnern zu erpressen, die diesem Bonifaz gehorsam waren und von denen sie lange zuvor sehr viele Geldbeträge zu ziehen pflegten; von jenen unglückseligen Reservationen des damaligen Bonifaz, wie er in seiner Obödienz hieß, haben er selbst und seine Kurialen die aus solcher Inbesitznahme der Erzbistümer usw. stammenden Einkünfte später zum größten Teil wieder verloren. Sie wußten nämlich von den Gewohnheiten keinen Gebrauch zu machen, die in diesen Gebieten schon lange üblich waren. Seither kamen und kommen aus diesen Königreichen bis auf den heutigen Tag keine Kleriker, um an der Römischen Kurie kirchliche Titel zu erbitten, sondern sie waren und sind dadurch irgendwie ‘kopflos’ geworden und sind nicht in gebührenA 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Reservation

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

phali et non obedientes debito vicario Ihesu Christi, sicut flumen extra suum naturalem alveum ductum ad ipsum postea difficile reducitur. Et huius erroris dant occasionem illi, qui presunt, qui deberent tamquam 19fideles et prudentes servi, quos constituit dominus super familiam suam 19 prudenter et liberaliter omnia spiritualia et ecclesiastica dispensare et non dicere aut sequi illud, quod legitur de Iuda Scarioth: Quid vultis michi dare etc.20 [8] Nunc enim omni die dei timore et hominum pudore postpositis in eadem curia plures clerici et layci mediatores et prosenete contractus symoniacos faciunt eciam publice cum impetrare volentibus ecclesiasticos titulos, maxime reservatos. Quia ibi Plato iubet quiescere. Et conveniunt insimul illic paciscendo emptores et venditores, acsi aliquid prophanum emere aut vendere vellent. Igitur qui non habent, aut habentes set nolentes super talibus pacisci, non possunt illic aliquod tale ecclesiasticum beneficium obtinere, ubi hoc omnis iusticia et caritas et misericordia sunt excluse. Sed numquid istud est omnibus christianis pessimum et horrendum exemplum? Et, si hoc vigeat in capite, per consequens quid in membris observetur? In talibus potest quisque venari, cum scriptum sit in evangelio: Gratis date, gratis accepistis.21 Et in canonibus dicitur: Gracia, scilicet gratis data, quia si non datur gratis, tunc gracia non censetur.22 In legibus autem dicitur inter multa de hac detestanda materia: Quis demum locus tutus erit, si venerabilia dei templa pecuniis expugnentur?23 Quantum autem illud vicium symonie in omni iure sit dampnatum et penosum et ab omnibus merito fugiendum, per infinitas scripturas patet aperte. Et cum ita sit, quare igitur ipsa symoniaca rabies ab eadem curia non fugatur? Quia 24nil prodest homini, si totum mundum lucretur, anime vero sue detrimentum paciatur.24 [9] Eciam propter avaras ipsas reservaciones, que semper augentur, retraxerunt et retrahunt se clerici Sicilie, Bohemie, Dacie et Suecie et Norvegie regnorum ab impetracionibus ecclesiasticorum beneficiorum in curia predicta, per quod paulatim leditur immensum in ipsis christianorum regnis papalis obediencia et illius gloriosa dignitas quasi ad ludibrium seu nichilum reducitur. Numquid igitur melius et salubrius est, quod ipse reservaciones aut omnino tollentur aut ad tempus predictum, scilicet ad quinquennium, suspense quiescant et sic, exclusis dictis reservacionibus atque remotis illis avaris obstaculis, dicta universalis ecclesia consequi possit ipsam veram unionem,

19–19

Matth 24, 45. Matth 26, 15. 21 Matth 10, 8. 22 Rom 11, 6; C. 1 q. 1 c. 1. 23 Cod. 1.3.30.2. 24–24 Matth 16, 26. 20

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Pfründenkauf

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der Weise dem Stellvertreter Jesu Christi gehorsam – so wie etwa ein Fluß, den man von seinem natürlichen Bett abgeleitet hat, später nur schwer dahin zurückgebracht werden kann. Gelegenheit zu diesem Irrweg geben die Führer, die als 19getreue und kluge Knechte, die der Herr über sein Gesinde gesetzt hat,19 klug und freigebig alles Geistliche und Kirchliche verteilen müßten und nicht das sagen und dem folgen, was man von Judas Iskarioth liest: Was wollt ihr mir geben . . .20 [8] Nun schließen an eben dieser Kurie tagtäglich mehr Kleriker und Laien – unter Hintansetzung von Gottesfurcht und Scham vor den Menschen – als Kuriale und Vermittler auch öffentlich simonistische Verträge mit solchen, die kirchliche Rechtstitel, besonders reservierte, erlangen wollen. Denn dabei befiehlt Plato zu schweigen. Sie werden dort beim Schacher als Käufer und Verkäufer handelseinig, als ob sie ein weltlich Ding kaufen oder verkaufen wollten. Daher können die Habenichtse – auch die Besitzenden, wenn sie sich nicht dareinfügen wollen – keinesfalls irgendeine derartige kirchliche Pfründe dort erlangen, wo dadurch jede Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit ausgeschlossen sind. Ist dies nicht für alle Christen das schlimmste und schrecklichste Vorbild? Wenn dies beim Haupte im Schwange ist, was wird dann entsprechend bei den Gliedern gelten? Kann jeder in diesen Dingen so Jagd halten, während doch im Evangelium geschrieben steht: Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch!21 Und im kanonischen Recht heißt es: Gnade, d. h. umsonst gegeben, denn wenn es nicht umsonst gegeben wird, kann es nicht als Gnade angesehen werden.22 In den [kaiserlichen] Gesetzen aber heißt es über dieses abscheuliche Thema unter anderem: Welcher Ort ist letztlich sicher, wenn sich ehrwürdige Tempel Gottes durch das Geld erobern lassen?23 Wie sehr jedoch diese Laster der Simonie von jedem Recht verdammt und unter Strafe gestellt ist und zu Recht von allen gemieden werden muß, geht aus unendlich vielen Schriften klar hervor. Da dem nun einmal so ist, warum eigentlich wird diese simonistische Seuche von der Kurie nicht peinlich gemieden? Denn 24es nutzt ja dem Menschen nichts, wenn er die ganze Welt gewinnt, doch an seiner Seele Schaden nimmt.24 [9] Auch haben sich wegen dieser habsüchtigen Reservationen, die sich ständig noch vermehren, die Geistlichen Siziliens, Böhmens, Dänemarks, Schwedens und Norwegens bei dieser Kurie von Anträgen auf kirchliche Pfründen zurückgezogen, wodurch in diesen christlichen Königreichen der Gehorsam gegenüber dem Papst allmählich in erheblichem Maße geschwächt und seine ruhmvolle Würde zum Gespött und fast zunichte gemacht wird. Ist es nicht besser und heilsamer, wenn entweder diese Reservationen überhaupt abgeschafft werden oder für die genannte Zeit, also für ein Jahrfünft, aufgeschoben ruhen und so, unter Ausschluß dieser Reservationen und Beseitigung jener habgierigen Widerstände, die genannte Weltkirche die wahre Einheit erlangen kann, was anders wohl niemals geschehen wird; denn A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Pfründenkauf

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

quod alias verisimiliter numquam fiet, quia, 25que nimis apparent recia, vitat avis.25 Set nichil quoad consciencias periculosius est quam taliter ambire aut consequi ecclesiasticas dignitates, quia illi, qui taliter cathedras acquirunt, vocantur a domino 26fures et latrones.26 Et huius redditur racio in evangelio: Qui per hostium non intraverunt, set aliunde.26 Per hostium autem intrare est, scilicet ut per virtutes et libere et non per pecuniam et non ut presit, set ut prosit promovendus et ne per pacta precedencia pecuniaria vacantibus sedibus quis preficiatur. Preterea per istas pessimas reservaciones totus status ecclesiasticus a capite usque ad membra turbatur et pervertitur. Fiunt enim illis causantibus mercancie pessime et excluduntur electores ordinarii, ita quod aliquando alicui prepositure vel alteri dignitati elective, que indigent potenti et nobili rectore ad gubernandam illam bene in spiritualibus et temporalibus, illo excluso preponitur aliquis modice sciencie vel simplex homo propter viles pecunias, ut illam qualitercumque obtineat et gubernet, placeat eciam aut displiceat cuicumque. Item per easdem reservaciones omnis caritas, que dependere debet a capite ad inferiores ecclesiasticos prelatos, tollitur. Nam sicut 27est gaudium angelis dei super uno peccatore penitenciam agente,27 sic est gaudium in Romana curia de prelato divitis cathedre moriente. Et cum auditur mors illius, tunc dicunt illi, qui ex hoc lucra se consequi sperant: Serenata est consciencia nostra. Et si aliquis sanctorum de celo descenderet seque alicui cathedre vel monasterio vacanti et presertim in redditibus pingui prefici peteret in curia predicta, nequaquam illic super hoc audiretur, nisi pacisceretur et solveret ante omnia pecunias.28 Et sic virtutes et sciencie non 25–25

Walther 23021. Joan 10, 1. 27–27 Luc 15, 10. 28 Glosse des Verfassers: Sic igitur symoniaca pravitate aut aliqua quavis affeccione sinistra, maioribus et principalioribus sedibus infectis, ex talium promocione quinymmo intrusione minores dignitates ecclesiastice et officia ad istorum collacionem pertinencia presidencium contagione polluta redduntur, gaudendo enim similibus, quemadmodum homine homo et equus equo iuxta sapientis oraculum. Ecclesiastica beneficia et officia per eandem symonie aut alterius perverse vie ianuam, quam ingressi fuerunt, conferunt ydiotis et more perversis, nam volent agere iuxta habitum proprium, quem non mutavit dignitas; iustos et doctos, qui per talem semitam domum dei intrare non querunt, tamquam hostes eorum odiunt et reiciunt, declinant et premunt, quoniam, ut inquit veritas, qui male facit, odit lucem. Quamobrem regimine sic infecto in capite, universum corpus Christi misticum egrotat nimirum. Obmittentibus enim ecclesiarum prelatis et reliquis curatis exhortaciones, increpaciones et obsecraciones secundum sanam doctrinam et committentibus detestanda, palam scandalizatur populus ipsorum exemplo, cui velut signum sagittatoribus positi sunt in exemplum. Unde veritas dicit: Sic luceat lux vestra coram hominibus, ut videant opera vestra bona etc. – So mmmm 26–26

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Pfründenjagd

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schließlich: 25Wenn allzu viele Netze aufgestellt werden, kann sie der Vogel meiden.25 Nichts ist, was das Gewissen anlangt, gefährlicher als so auf Pfründenjagd zu gehen und kirchliche Würden zu ergattern; denn die, die auf diese Weise Bischofssitze erlangen, werden vom Herrn 26‘Diebe und Räuber’26 genannt. Und dafür wird im Evangelium als Begründung angegeben: Wer nicht zur Tür hineingeht, sondern steigt anderswo hinein . . .26 ‘Zur Tür hineingehen’ heißt aber, daß jemand durch Tüchtigkeit und frei (nicht durch Geld) sein Amt erhalten soll, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen; auch soll niemand durch vorhergehende Geldgeschäfte auf frei gewordene Stühle gesetzt werden. Durch diese schlimmen Reservationen wird der ganze kirchliche Stand vom Haupt bis zu den Gliedern verwirrt und verkehrt. Von diesen verursacht, finden schlimmste Schachergeschäfte statt; die ordentlichen Wähler werden ausgeschlossen, so daß mitunter bei einer auf Wahl beruhenden Propstei oder sonstigen Würde, die zur guten Verwaltung im Geistlichen und Weltlichen eines mächtigen und adligen Leiters bedarf, jener ausgeschlossen bleibt, und ein anderer einfältiger Mann mäßiger Bildung und einfachen Standes wegen des nichtigen Geldes vorgezogen wird, mit der Folge, daß er die [Pfründe] mehr schlecht als recht innehat und verwaltet, ja, auch allen mehr mißfällt als gefällt. Durch diese Reservationen wird alle Liebe beseitigt, die vom Haupt zu den niederen kirchlichen Prälaten niedergehen sollte. Denn wie es 27bei den Engeln Gottes Freude gibt über einen Sünder, der Buße tut 27, so gibt es Freude in der Römischen Kurie über einen Prälaten eines reichen Bischofssitzes, der zu Tode kommt. Wenn man von seinem Tode hört, dann sagen die, die sich daraus Vorteile erhoffen: ,,Unser Gewissen ist fröhlich geworden.“ Selbst wenn dann ein Heiliger vom Himmel herabstiege und vor dieser Kurie die Bitte äußerte, man möge ihn auf einen vakanten Bischofsstuhl oder in ein Kloster, besonders ein an Einkünften fettes, setzen, so würde man ihn dort nicht anhören, wenn er nicht schacherte und zunächst alles Geld 28 bezahlte. Daher haben Tüchtigkeit und A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Pfründenjagd

werden also durch die simonistische Verworfenheit und durch jede sonstige schlimme Leidenschaft – wenn erst einmal die größeren und bedeutenderen Sitze angesteckt sind – aus der Beförderung solcher Leute, nein: durch deren Einschleusen auch die niederen kirchlichen Würden und Ämter, die Bestandteil von deren Vergaberecht sind, durch die sündhafte Befleckung der Vorsteher besudelt; denn diese freuen sich über ihresgleichen, wie sich ein Mensch über einen Menschen und ein Pferd über ein Pferd freut nach dem Ausspruch des Weisen [Aristoteles, Problemata I 52 (896b 10 f.)]. Kirchliche Pfründe und Ämter übertragen sie, indem sie durch dieses Tor der Simonie oder eines anderen sündigen Weges schreiten, ungebildeten Stümpern und sittenlosen Burschen, denn sie wollen nur nach ihrer eigenen Weise handeln, die durch ihre Würde nicht verändert wurde. Gerechte und Gebildete, die es nicht vermögen, auf solchem Wege in das Haus Gottes einzutreten, hassen und verwerfen sie als ihre Feinde, sie wenden mmm

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

habent ibi locum in talibus per se tantum, nisi eis assit pecunia copiosa. Propter quod taliter in ipsa curia promoti hoc in effectu sencientes econtra non diligunt promotores eorum, immo ipsos plerumque oderunt, sicut ovis naturaliter odit lupum, et maxime quia iste promociones nisi mediante pecunia prodierunt, quam si non dedissent ipsi promoti, nullatenus in eadem curia intentum suum consecuti fuissent. Item per easdem reservaciones valde ditantur mercatores Ytalici, qui in diversis locis insignibus per mundum in talibus stipulantur, ut qualitercumque ditentur. Set provincie, in quibus domino pape obeditur, propterea earum pecuniis passim destituuntur et privantur, quia gravacio unius est corrupcio alterius manifeste. Item propter ipsas reservaciones contingit valde multa monasteria virorum, potissime in ipsa Ytalia, suis prelatis destituta destrui et bona illorum ad prophanos usus successive redire aut alias illicite occupari, bonum obediencie negligi vel tolli continue atque plerasque regulares personas extra sua loca regularia evagari, proprietarios pecuniarum et suis superioribus inobedientes fieri, multos excommunicari sicque disciplinam regularem et divinum cultum per consequens in monasteriis et aliis piis locis regularibus deperire, quod sic venatur. Non pauci monachi habent pecunias, qui iuxta regularem professionem non possunt habere saltem proprium in privato, contrarium nam facientes graviter peccant. aNunc autem a numquam providetur alicui vacanti ecclesie vel monasterio de persona cuiuscumque et quantumcumque b ad id utilis et ydonei in predicta curia, nisi stipulacione et solucione pecunie precedente. Set deficiente causa deficit effectus. Ideo eciam c aliqui pannosi presbyteri seculares presumunt tales abbaciales dignitates mediante A. vel B. aut in titulum vel commendam ab apostolico causa lucri captandi istis temporibus impetrare. Set qualiter per illos proficiunt ipsa monasteria et loca religiosa, sane intelligens quisque per se concipere potest, quia iure cautum est, cum in magistrum assumi non debeat, qui formam discipuli non assumpsit, nec sit preficiendus, qui subesse non novit.

a-a fehlt b c

Ed. fehlt Ed. fehlt Ed.

sich von ihnen ab und unterdrücken sie; denn wie die Wahrheit sagt: Wer Arges tut, der haßt das Licht. [Joan 3, 20] Wenn daher die Obrigkeit so am Haupt vergiftet ist, dann wird auch der ganze mystische Leib Christi ernsthaft krank. Wenn die kirchlichen Prälaten und übrigen Seelsorger nämlich die Ermahnungen, Drohungen und Beschwörungen gemäß der gesunden Lehre etwa unterlassen und stattdessen Abscheuliches vollführen, sind sie durch ihr Beispiel ein öffentliches Ärgernis für das Volk, weil sie wie eine Zielscheibe für die Bogenschützen ihm als Beispiel gesetzt sind mmmm

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Ordenszucht

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Kenntnisse für sich allein dort keinen Platz, es sei denn es komme dem noch Geld in Hülle und Fülle zu Hilfe, . . . Deswegen lieben die auf solche Weise an der Kurie Beförderten – die das alles am eigenen Leib erfahren – ihre Förderer nicht, im Gegenteil hassen sie diese zumeist (wie das Schaf von Natur aus den Wolf haßt), und besonders weil diese Beförderung nur mit Hilfe des Geldes vorgenommen wurde; hätten die Beförderten dieses nicht gezahlt, hätten sie an dieser Kurie ihr Ziel überhaupt nicht erreichen können. Durch diese Reservationen bereichern sich besonders die italienischen Bankiers, die überall in der Welt an den verschiedenen bedeutenden Orten in solchen Angelegenheiten Wechselgeschäfte tätigen, so daß sie reich und reicher werden. Doch die Gebiete, in denen man dem Herrn Papst gehorcht, werden deswegen weithin um ihr Geld gebracht und betrogen, weil die Belastung des einen offensichtlich das Verderben des anderen bedeutet. Wegen dieser Reservationen kommt sehr oft folgendes vor: Männerklöster, besonders gerade in Italien, werden ihrer Prälaten beraubt und dadurch zugrundegerichtet, ihre Güter gehen nacheinander in weltliche Nutzung über oder werden in anderer Weise unerlaubt in Besitz genommen, das Gut des Gehorsams wird mißachtet oder ständig beseitigt, der Ordensregel verpflichtete Leute ziehen außerhalb ihrer nach der Ordensregel vorgesehenen Orte umher, sie werden Eigentümer von Geld und ungehorsam gegen ihre Oberen, viele werden exkommuniziert; und so gehen Zucht und Ordnung der Regel und infolgedessen der Gottesdienst in Klöstern und anderen frommen Orten unter einer Ordensregel zugrunde, weil so [nach Geld] gejagt wird. Nicht wenige Mönche besitzen Geld – sie dürften nach dem Ordensgelübde selbstverständlich kein Sondereigentum besitzen –; und wenn sie das Gegenteil tun, sündigen sie dadurch schwer. Jetzt wird nie an dieser Kurie für eine vakante Kirche oder ein Kloster ein Mann vorgesehen, der dafür irgendwie nützlich und geeignet ist, es sei denn nach vorausgehendem Geldversprechen oder gar Geldzahlung. Doch wenn die Ursache beseitigt ist, hört auch die Wirkung auf. Deswegen nehmen sich auch einige betuchte Weltpriester heraus, Abtswürden auf Vermittlung von A oder B als Titel oder Kommende in diesen Zeiten vom Papst zu erlangen, um Gewinn zu machen. Doch wie diese Klöster und Ordenshäuser durch sie Förderung erhalten, das kann sich gewiß jeder intelligente Mensch selbst ausdenken; schließlich ist es von Rechts wegen vorgesehen, daß niemand als Lehrmeister genommen werden darf, der nicht vorher als Lehrling angefangen hat, und niemand darf zur Leitung berufen werden, der nicht gelernt hat, Untergebener zu sein. A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Ordenszucht

[vgl. Lam 3, 12]. Daher sagt die Wahrheit: Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen usw. [Matth 5, 16]. – Nur wenig abgewandeltes Zitat aus Marsilius v. Padua (wie oben Anm. 6) II 24, 10 f. nach Aristoteles, Problemata 1, 52 (896b 10–12).

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

Item 29 si tollantur 30 aut suspendantur usque ad quinquennium predicte generales et speciales reservaciones, ex hoc cito sequetur, ut sperandum est, vera unio in ecclesia dei universali, sive predicti Angelus et Petrus 31 cedant sive non, quia tunc prelati et ecclesiastice persone in ipsorum Angeli et Petri obedienciis existentes ipsos tamquam eis nimis onerosos verisimiliter omnino dimittent et ad illam obedienciam, in qua cessarunt reservaciones ille et ubi per eos gravari non timent, subito declinabunt, maxime cum ipsi ordinarii collatores tante libertatis beneficio gaudere poterunt. Et sic ipsi Angelus et Petrus quasi confusi et reveriti soli et vacui per consequens remanebunt. Per istas enim reservaciones excluduntur ordinarie elecciones, super quibus tot iura prodierunt, que propterea inutiliter membranas maculant, quia eis exclusis dominus papa, quem vult, promovet, sit utilis vel inutilis ad regimen ecclesie, cui preficitur, cum tamen in iure cautum 32 sit, quod nichil est, quod ecclesie dei magis officiat, quam quod indigni assumuntur prelati ad regimen animarum. [10] Preterea predicte reservaciones pro parte inceperunt pro tempore, quo Bonifacius papa VIII. Romanam tenuit cathedram 33 iam centum aut circiter annis elapsis tunc Romano imperio depresso vehementer. Set Iohannis pape d

d 29

papa Ed.

Glosse des Verfassers: Quod autem prima facie ita iniustum et racioni contrarium esse patet, illo videlicet, quod quis eciam quantumcumque vir utilis et ydoneus necnon iuste ac racionabiliter ad quemcumque archiepiscopatum vel episcopatum aut aliquod monasterium in abbatem promotus, nisi infra certum terminum per papam statutum solveret efficaciter camere apostolice et collegio dominorum cardinalium communia consueta servicia, quod eo ipso caderet ab ipsa dignitate et perinde haberetur eius provisio, acsi non esset facta, ut vidi per aliquos summos pontifices observari et per hoc plerosque probos et notabiles prelatos ecclesiasticos destrui et scandalizari, quamvis per eos non staret, quin solvissent, si potuissent, et similiter cassare seu pro irritis habere canonicas elecciones et postulaciones de quibuslibet personis ad vacantes cathedras et monasteria auctoritate ordinaria factas, qui nolunt aut non possunt solvere realiter ante eorum provisionem huiusmodi communia servicia in curia memorata. Et si dominus papa hoc facere posset de plenitudine potestatis, expedit, quod in eodem proxime celebrando concilio declararetur, quia ex hoc contingit sectas, scismata et errores induci etc. – Schon auf den ersten Blick ist klar, daß dies ungerecht und wider die Vernunft ist; dies wird durch das folgende deutlich: Irgendein Mann, nützlich und geeignet, ist rechtens und aus gutem Grund in irgendein Erzbistum, Bistum oder als Abt eines Klosters erhoben worden – wenn er nicht innerhalb der vom Papst gesetzten Frist wirklich an die Apostolische Kammer und das Kardinalskollegium die üblichen gemeinsamen Servitien zahlt, würde er eben damit dieser Würde wieder enthoben, und seine Einsetzung würde betrachtet als wäre sie nicht geschehen; so ist es, wie ich gesehen habe, von Päpsten gehandhabt worden; dadurch wurden viele tüchtige und mmmm

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Wahlrecht

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Wenn 29 die genannten allgemeinen und besonderen Reservationen für ein Jahrfünft beseitigt 30 oder aufgeschoben werden, wird, wie zu hoffen ist, daraus rasch eine wahre Einheit in der gesamten Kirche Gottes folgen, mögen nun die besagten Angelo und Pedro 31 zurücktreten oder nicht; denn dann werden die Prälaten und Kirchenleute in der Obödienz von Angelo und Pedro diese wahrscheinlich als ihnen lästig überhaupt verlassen und sich plötzlich zu der Obödienz bekennen, in der die Reservationen ruhen und wo sie nicht zu fürchten brauchen, von ihnen belästigt zu werden, besonders da die ordentlichen Verleiher sich der Wohltat solcher Freiheit freuen können. So werden Angelo und Pedro folglich gleichsam verwirrt und voll Scheu allein und verlassen bleiben. Durch diese Reservationen werden nämlich die ordentlichen Wahlen ausgeschlossen – über diese wurden so viele Rechtsbestimmungen herausgegeben, die nun deswegen unnütz Pergament verdorben haben –; denn wenn man diese Wahlen ausschließt, fördert der Herr Papst wen er will, ganz gleich ob der für die Leitung der Kirche, mit der er ihn betraut, geeignet oder ungeeignet ist, während doch im Recht bestimmt 32 ist, daß nichts die Kirche Christi mehr schädigt, als daß Unwürdige als Prälaten zur Seelenführung gelangen. [10] Diese Reservationen wurden zum Teil eingeführt zur Zeit, als Papst Bonifaz VIII. den Römischen Stuhl innehatte 33 und damals das Römische Kaiseramt schon ungefähr hundert Jahre lang stark unterdrückt worden war. Doch in der Zeit von Papst Johannes XXII. und den Päpsten Benedikt XII. A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Wahlrecht

bemerkenswerte Kirchenprälaten zugrunde-gerichtet und zum Ärgernis gemacht, obgleich nicht feststand, daß sie nicht gezahlt hätten, wenn sie gekonnt hätten; ebenso haben [diese Päpste] kanonische Wahlen und Anforderungen von irgendwelchen Leuten auf vakante Bischofstühle und Klöster, die von der ordentlichen Autorität vorgenommen waren, kassiert und für ungültig erklärt bei Leuten, die vor ihrer Einweisung ins Amt die gemeinsamen Servitien nicht tatsächlich an die vorgenannte Kurie zahlen wollten oder konnten. Und ob der Herr Papst dies machen kann aus der Fülle seiner Amtsgewalt, sollte tunlichst auf dem demnächst abzuhaltenden Konzil durch förmliche Erklärung gesagt werden; denn dadurch schafft man Sekten, Schismen und Irrtümer . . . 30 Glosse des Verfassers: Philosophus dicit: Quicumque politice intendunt communem utilitatem, boni sunt et iusti, qui autem intendunt utilitatem propriam, sunt viciosi. Set absit, quod hoc ascribatur domino pape. – Der Philosoph sagt: Wer politisch nach dem allgemeinen Wohl strebt, ist gut und gerecht; wer aber nach seinem eigenen Nutzen strebt, ist schlecht [vgl. Aristoteles, Politica III 7 (1279a36)]. Doch ferne sei, daß man dies dem Herrn Papst zuschreibt. 31 Siehe oben S. 250 Αnm. 10 u. 11. 32 Bei Gratian nicht belegt. 33 1294–1303.

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

XXII. et Benedicti XII. ac Clementis pape VI. temporibus,34 quibus Romana curia stetit in Avinione et tunc vigente scismate in Romano imperio inter quondam Ludovicum de Bavaria et quosdam alios potentes, quibus contra ipsum Ludovicum isti duo summi pontifices, scilicet Iohannes et Clemens, faverunt successive valde multe reservaciones perprius inaudite adinvente et facte fuerunt et vires paulatim per totam christianitatem assumpserunt. Tunc eciam ecclesie cathedrales ac monasteria virorum ipsorum summorum pontificum mandato estimata et taxata fuerunt pro camera apostolica, et que quidem extimaciones extunc duraverunt et durant hodie et alia onera multa valde et intollerabilia. Quoad e huiusmodi ecclesias et monasteria sub obediencia eorundem summorum pontificum, eciam tunc de novo introducta et facta fuerunt iuxta beneplacitum eorundem, nescio ad quid vel quare. Potuissent enim, si voluissent, in suis terminis quoad hoc bene stetisse, prout steterunt forte centum et plures summi pontifices ante illos sine gravamine saltim ita generali ordinariorum collatorum et ecclesiarum. Et qui quidem precedentes summi pontifices talia non presumpserunt facere aut excogitare, attamen vixerunt per eorum tempora absque tot et tantis ecclesiarum et monasteriorum eis subditorum gravaminibus et pressuris. Et sic iterum ista gravamina, que ita impediunt veram unionem ipsius ecclesie, sunt, prout dictum est, aut totaliter resecanda vel saltem ad tempus congruum suspendenda, ne ipsis reservacionibus causantibus christianitatem undique laniatam ingrediendi antichristo demum liber pateat aditus seu ingressus.35 [11] Sic eciam ordinarii collatores prudenter et bene disponant de benefi-

e quod Ed. 34

1316–1334, 1334–1342, u. 1342–1352. Glosse des Verfassers: Ad hunc ingressum bene dispositum ad hoc potest et debet studiose perpendi congruencia temporis, quo eciam importune exiguntur medii fructus omnium beneficiorum ecclesiasticorum, que impetrantur a papa, sive vacent actu, sive certo modo sint vacatura, eciam illorum beneficiorum, de quibus propter fructuum eorum exilitatem ante papatum presentis domini Ioannis pape impetrantes cum camera apostolica concordare super solucione fructuum minime consueverunt, ita quod omnia illa sunt facta venalia, que prius gratuite dabantur, sic ipso volente, ut vere habeat locum istud Senece ad Lucilium epistola XXXIX: Tunc est consummata infelicitas, ubi turpia non solum delectant. Set eciam placent et desinit esse remedio locus, ubi, que vicia fuerunt, mores fiunt. Unde Boecius De consolacione philosophie li. IIII. prosaice: Imperante florenteque nequicia, virtus non solum premiis caret, verum eciam sceleratorum pedibus subiecta conculcatur. Hanc vero solucionem fructuum beneficiorum, quorum tamen possessio ab impetrantibus non habetur et a pluribus non habebitur, camere predicte factam Gallici solucionem vacantis appellant, ut . . . symoniam per eos commissam. In talibus verbis saltem qualitercumque colorent etc. – Für diesen Zugang, der dafür gut ausgestattet ist, kann und muß eifrig die passende Zeit erwogen mmmm 35

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Vergabewillkür

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und Clemens VI.34 – als sich die Römische Kurie in Avignon befand und es damals im Römischen Reich eine Spaltung gab zwischen Ludwig dem Bayern selig und einigen anderen Mächtigen, welche diese beiden Päpste, d. h. Johannes und Clemens, gegen diesen Ludwig unterstützten, – wurden nacheinander sehr viele Reservationen, von denen man noch nie zuvor gehört hatte, nun hinzu erfunden und durchgeführt und gewannen allmählich in der ganzen Christenheit an Bedeutung. Damals wurden auch die Kathedralkirchen und Männerklöster auf Befehl dieser Päpste für die Apostolische Kammer geschätzt und taxiert, und diese Schätzungen dauerten seither an (und tun es heute noch) und ebenso recht viele andere unerträgliche Lasten. Was nun solche Kirchen und Klöster unter dem Gehorsam dieser Päpste anlangt, so wurden sie ebenfalls damals neu dahingeführt und dazu gemacht, nach deren Willkür – ich weiß nicht wozu und warum. Wenn sie gewollt hätten, hätten sie nämlich in ihrem Gebiet, was dies anlangt, gut leben können, wie hundert und mehr Päpste vor ihnen ohne Belastung, zumindest ohne allgemeine Belastung der ordentlichen Verleiher und Kirchen gelebt haben. Diese vorausgegangenen Päpste haben es sich nicht herausgenommen, solches zu tun oder auszudenken, doch haben sie zu ihren Zeiten ohne so große und so viele Belastungen und Bedrückungen ihrer untergebenen Kirchen und Klöster gelebt. Wiederum müssen – wie gesagt – diese Belastungen, die die wahre Einheit dieser Kirche behindern, entweder gänzlich oder zumindest für eine angemessene Zeit zurückgestellt werden, damit nicht aufgrund dieser Reservationen schließlich dem Antichrist ein leichter Zugang 35 und Weg in die allseits zerfleischte Christenheit offenstehe. [11] So können auch die ordentlichen Verleiher klug und gut über ihre A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Vergabewillkür

werden, da ungelegen die zwischenzeitlichen Erträge für alle kirchlichen Pfründen gefordert werden, die der Papst beansprucht – sei es bei tatsächlicher Vakanz, sei es sie würden demnächst auf bestimmte Art vakant, auch für die Pfründen, um die wegen der Geringfügigkeit der Erträge vor dem Pontifikat des jetzigen Herrn Papstes Johannes die Empfänger mit der Apostolischen Kammer wegen der Zahlung der Erträge in der Regel keinerlei Übereinkunft getroffen haben, so daß jetzt all das käuflich wurde, was vorher unentgeltlich gegeben wurde; so wollte er es, damit das Wort Senecas im Brief an Lucilius (epist. 39, 6) zu Recht seinen Platz hat: Dann ist das Unglück vollständig, sobald Schädliches nicht nur Spaß macht, sondern auch Gefallen findet. Es gibt dort keinen Platz für Heilung, wo das, was vorher ein Laster war, zur guten Sitte wird. Daher sagt Boethius, Trost der Philosophie (Buch 4, 1 Prosateil): Wenn die Bosheit herrscht und blüht, dann fehlt der Tüchtigkeit nicht nur der Lohn, sondern sie wird durch die Fußtritte der Verbrecher mißhandelt. Diese Zahlung der Pfündenerträge, deren Besitz von den Empfängern nicht erlangt wurde und auch künftig von vielen nicht erlangt werden wird, nennen die Franzosen ‘eine an die genannte Kammer geleistete Zahlung für Vakanz’; damit verschleiern sie, daß von ihnen Simonie begangen wurde. Mit solchen Worten wird zumindest Schönfärberei betrieben . . .

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

ciis eorundem, ita quod illa dignis conferant eciam personis competenter litteratis et gratis, nullo munere aut pacto intercedente. Et poterit iste ordo servari, scilicet quod, quicumque ordinarius36 deprehensus fuerit contrarium semel aut bis facere, quod sit a presentacione seu collacione suorum beneficiorum ipso facto suspensus et devolvatur eius potestas in hoc ad diocesanum; et si eciam ille in hoc delinquat, tunc ad loci metropolitanum; et si ille similiter excedat, tunc ab eo potestas conferendi omnia beneficia ad eius collacionem pertinencia ad dominum papam transferatur eo ipso, quousque dictum aliud concilium postea celebratur. Et sic puniatur in eo, quo deliquit, et imputet sibi, quod debitum iuris ordinem non servavit, cum iure caveatur, videlicet: Indecorum est, ut hii debeant ecclesias regere, qui non noverunt gubernare se ipsos, cum ad ecclesiarum regimen tales persone sint admittende, que discrecione preemineant f et morum prefulgeant honestate.37 Et alibi dicitur in iure: Grave nimis est et absurdum, quod quidam ecclesiastici prelati, cum possint viros ydoneos ad ecclesiastica beneficia g promovere, recipere non verentur indignos etc.38 Nec debent ipsi ordinarii collatores uni plura ecclesiastica beneficia conferre iuxta illud h canonicum: Nos attendentes non esse conveniens, ut idem presbyter locum in duabus ecclesiis habeat etc.39 Item quod omnes archiepiscopi, episcopi et inferiores ecclesiastici prelati, quilibet videlicet eorum, iuxta dignitatem ipsorum teneantur officiales 40 habere bone condicionis et fame ac vite laudabilis et in iure canonico graduatos, non exactores importunos, ut fieri sepe consuevit. Et qui sic non fuerit, eo ipso sit iudicandus officio per triennium omnino suspensus, et ad superiorem immediate id devolvatur; et qui teneantur gratis dare formatas et ordinare, quod nichil pro collacione ordinum exigatur aut recipiatur ab ordinariis et officialibus eorundem. [12] Consueverunt eciam episcopi Germanie habere episcopos titulares, qui exercent pontificalia pro ipsis, quorum plerique radunt 41 clerum et populum indiscrete et sunt importuni exactores, ordines sacros et omnia alia pro sola pecunia facientes. Et expediret, ut eis in ipso concilio generali regula daretur super hoc limitacionis provide, quam excedere non deberent. Ipsi enim emunt exercicium illud spirituale et plurimum, et postea radunt alios pro libito voluntatis, propter que animarum pericula plurima subsequuntur. f g h 36 37 38 39 40 41

premineant Ed. fehlt Ed. istud Ed. Hier: Prälat unter dem Bischof. Nicht identifiziert. Fehlt bei Gratian. X 3.5.29. X 3.5.15. Bischöflicher Richter. Verb ‘radere’ = ‘(Tonsur) scheren’, auch ‘schröpfen’.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Weihbischöfe

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Pfründen entscheiden, so daß sie sie würdigen Leuten anvertrauen, die angemessen gebildet sind, und das umsonst, ohne Vermittlung von Leistungen und Versprechungen. Es könnte folgende Ordnung eingehalten werden: Jeder Ordinarius,36 der ertappt wird, daß er ein- oder zweimal dagegen verstößt, wäre von dem Präsentationsrecht oder Verleihungsrecht für seine Pfründen ohne weiteres suspendiert und seine Befugnis ginge unmittelbar auf den Diözesanbischof über; wenn der sich auch dabei verginge, dann auf den Metropoliten; und wenn der sich genauso verginge, dann würde die Befugnis, alle Pfründen zu vergeben, die seiner Verfügung unterstehen, ohne weiteres auf den Heiligen Vater übergehen, bis danach das besagte Konzil durchgeführt wird. So würde der dafür bestraft werden, der Verfehlungen begeht, und der würde zur Rechenschaft gezogen, der die gehörige Rechtsordnung nicht bewahrt; denn rechtens ist festgelegt: Es ist unanständig, daß diejenigen etwa Kirchen leiten sollen, die sich nicht selbst leiten können, vielmehr müssen solche Männer zur Leitung der Kirchen zugelassen werden, die sich durch Umsicht und ehrenhaften Charakter auszeichnen37 usw. An anderer Stelle heißt es im Recht: Es ist überaus bedeutsam und abwegig, daß einige kirchliche Prälaten, obgleich sie geeignete Männer auf kirchliche Pfründen setzen könnten, sich nicht schämen, ungeeignete einzusetzen usw.38 Die ordentlichen Verleiher dürfen einem einzigen nicht mehrere kirchliche Pfründen verleihen gemäß dem Kanon: Wir betrachten es als nicht angemessen, daß ein und derselbe Priester seine Stelle in zwei Kirchen hat . . .39 Alle Erzbischöfe, Bischöfe und niederen kirchlichen Prälaten, d. h. jeder von ihnen, sollen entsprechend ihrer Würde gehalten sein, Männer guter Herkunft, guten Rufes, lobenswerten Lebenswandels und im Kanonischen Recht graduiert, als Offiziale 40 zu haben, nicht Leute, die rücksichtslos Abgaben einfordern, wie es durchaus oft vorkommt. Wer nicht so ist, über den muß ohne weiteres ein Urteilsspruch gefällt werden: Ihm muß sein Amt für drei Jahre entzogen werden, das dann unmittelbar auf den Vorgesetzten übergeht; sie sollen auch gehalten sein, die Einsetzungsschreiben unentgeltlich zu geben und anzuordnen, daß von den Ordinarien und ihren Offizialen für die Erteilung einer Weihe nichts gefordert oder genommen werde. [12] Die Bischöfe in Deutschland haben gewöhnlich auch Weihbischöfe, die an ihrer Stelle Pontifikalhandlungen vornehmen; von diesen ‘scheren’41 viele den Klerus und genauso das Laienvolk ohne Unterscheidung und sind unwillkommene Eintreiber von Abgaben; sie erteilen die heiligen Weihen und alles andere nur für Geld. Es wäre besser, wenn ihretwegen auf dem Allgemeinen Konzil ein Grundsatz über eine vernünftige Begrenzung aufgestellt würde, über die sie nicht hinausgehen dürfen. Meistens kaufen sie nämlich zunächst einmal diese geistliche Amtsausübung und später ‘scheren’ sie die anderen nach Gutdünken, weswegen sich viele Gefahren für die Seelen ergeben. A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Weihbischöfe

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

[13] Item bene expediret pro reformacione in temporalibus Romane ecclesie et imperii, quod fieret liga et confederacio fortissima et indissolubilis, in quantum fieri posset, inter papam et regem vel imperatorem, scilicet quod mutuo et fideliter sibi vellent suffragari ac iura ecclesie et imperii huiusmodi occupata pro viribus recuperare, exclusis omnino exinde tyrannis quibuscumque, sicut olim sepe factum extitit inter summos pontifices ac imperatores vel reges Romanorum, qui tunc fuerunt, quia quoad hoc dominus papa valde posset ipsi imperio suffragari, si vellet, ponendo strictissime ecclesiasticum interdictum in civitates et dominia illorum, qui civitates et iura imperialia in Italia occupant, et eciam cum gentibus armorum et alio favore imperatorem ad hoc adiuvando. Alias frustra imperator niteretur illud in ipsa Italia attentare. Et sic posset eo salubrius et melius imperator ipse ecclesiasticos in eorum iuribus defensare. [14] Item expediret christianitati, ut statueretur de novo, quod omnes Sarraceni vel pagani, qui propter principatum christianum adipiscendum se faciunt baptizari, ante omnia prestarent regale iuramentum, quod habetur aut haberi consuevit in aliquibus quaternis cancellarie apostolice, Romano pontifici et imperatori, scilicet quod numquam faciant confederacionem cum aliquo infideli vel scismatico ac solempniter abiurarent eciam errores pristinos eorundem. [15] Item expediret, prout factum fuit Claramonte in Alvernia tempore Urbani pape II. sub Henrico V. imperatore huius nominis,42 tunc eciam scismate in ecclesia Romana satis magno et enormi vigente, quod indiceretur generale passagium pro liberacione Terre Sancte e manibus Sarracenorum, et ad id per triennium recolligerentur decime in tota christianitate. Et tunc forte purgarentur per hoc precipue Italia et alia propinqua christianorum regna de multis malis hominibus, qui in eis sunt. Et tunc proficiscerentur illic. Et sic deus placatus iterum cito daret populo suo, ut sperandum est, pacem et uniret suam ecclesiam cicius, prout tunc factum fuit 43 mediante illa gloriose memorie comitissa Mathildi, que tot bona temporalia tunc temporis obtulit beato Petro apostolo in basilica sua Urbis ad maius altare. Ad quid enim est utile, quod aliquibus regibus in eorum regnis talis decima per apostolicum quandoque conceditur, nisi ut per hanc alios turbent reges et presides christianos. [16] Item quod in Germania forte infra centum 44 annos vel circa non reperitur, quod fuerint provincialia concilia celebrata, unde combustiones villarum ruralium et parrochialium ecclesiarum, que fuerunt in illis, destrucciones, rapine, sacrilegia et alia infinita mala, que guerre producunt, dampnabi42 Vgl. zu 1095 Dietrich von Nieheim, Cronica, ed. MGH Staatsschriften 5, S. 222 u. 239. In dem Schisma unterstützte Ks. Heinrich IV. (nicht Heinrich V. ) den Gegenpapst Clemens III. Der 3jährige Kreuzzugszehnt wurde erst 1215 beschlossen (Canon 71, 4. Laterankonzil, COD 3 S. 267 ff.). 43 Ebenda, Cronica S. 222. 44 In Deutschland zuletzt Mainz nach 1339, Köln 1322, Trier 1310.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Papst – Kaiser

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[13] Ebenso wäre es besser für die Reform in den weltlichen Angelegenheiten der Römischen Kirche und des Reiches, wenn es, soweit möglich, eine ganz feste und unauflösliche Liga und Konföderation zwischen Papst und König bzw. Kaiser gäbe, d. h., daß sie sich gegenseitig und treu helfen wollen, die anderweitig in Anspruch genommenen Rechte der Kirche und des Reiches nach Kräften wiederherzustellen, wobei alle Tyrannen ausgeschaltet bleiben sollten, so wie es einst zwischen den Päpsten und Kaisern bzw. Römischen Königen, die es damals gab, oftmals geschehen ist; denn was dies anlangt, könnte der Heilige Vater dem Reich sehr helfen, wenn er wollte, indem er ganz strikt das kirchliche Interdikt auf die Städte und Herrschaften derer legt, die Städte und Reichsrechte in Italien gewaltsam in Besitz nehmen, indem er auch mit Kriegsleuten und anderen Gunstbezeigungen den Kaiser dabei unterstützt. Andernfalls würde sich der Kaiser umsonst anstrengen, dies in Italien zu versuchen. So könnte der Kaiser umso heilsamer und besser die Kirchenleute in ihren Rechten schützen. [14] Es wäre auch für die Christenheit förderlich, wenn erneut bestimmt würde, daß alle Sarazenen oder Heiden, die sich, um eine christliche Herrschaft zu erlangen, taufen lassen, vor allem dem Römischen Bischof und dem Kaiser einen königlichen Eid leisten, der sich in einigen Aktenheften der Apostolischen Kanzlei findet oder fand, daß sie niemals ein Bündnis mit einem Ungläubigen oder Schismatiker eingehen würden und feierlich ihren früheren Irrtümern abschwören wollten. [15] Es wäre auch förderlich, wenn – wie es in Clermont in der Auvergne zur Zeit Papst Urbans II. unter Kaiser Heinrich, dem Fünften seines Namens, geschah,42 zu dessen Zeit auch ein sehr großes und schlimmes Schisma in der Römischen Kirche herrschte – ein allgemeiner Kreuzzug zur Befreiung des Heiligen Landes aus den Händen der Sarazenen angesagt würde; dafür sollten drei Jahre lang die Zehnten in der ganzen Christenheit gesammelt werden. Dann würden dadurch sicherlich besonders Italien und andere benachbarte christliche Königreiche von vielen üblen Menschen gesäubert werden, die es dort gibt. Die würden dann dorthin ziehen. So würde Gott wieder besänftigt, er würde, wie zu hoffen ist, seinem Volke rasch Frieden schenken und seine Kirche schnellstens einigen, wie es damals geschah 43, auf Vermittlung jener Gräfin Mathilde seligen Angedenkens, die damals so viele weltliche Güter dem heiligen Apostel Petrus in seiner Basilika in Rom am Hauptaltar übertrug. Wofür ist es denn gut, wenn einigen Königen in ihren Königreichen mitunter vom Papst solch ein Zehnt gewährt wird, außer daß sie dadurch andere Könige und christliche Herren in Bedrängnis bringen. [16] In Deutschland vermißt man seit ungefähr hundert Jahren,44 daß Provinzialkonzilien abgehalten werden; deswegen gab es das Niederbrennen von Dörfern und Pfarrkirchen, die dort standen, Zerstörungen, Raub, Sakrilegien und unzählige andere Untaten, die kriegerische Gewalt hervorruft; A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Papst – Kaiser

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

liter fuerunt attemptata, talia eciam quibusdam antistibus non sane mentis committentibus et committi mandantibus. Et propter hoc in modica vel nulla reverencia habentur metropolitani 45 a suffraganeis eorum. Nec ipsis metropolitanis prestant obedienciam vel fidelitatis iuramentum ibi suffraganei asserentes, quod per apostolicum sint promoti et sic se nichil habere facere cum metropolitanis eisdem, et quia forsan interim nullus illic metropolitanus suam provinciam visitavit. Ex quo eciam sequitur, quod plures occupaverunt et occupant interim cathedrales ecclesias, quasi sint milites seculi nec habentes sacros ordines. Nec incedunt ut episcopi vel clerici et parum de spiritualibus curantes, nisi in quantum lucra captare possint ex illis atque pro eorum libito voluntatis omnia disponentes. Et ecce, qualiter stant oves illis commisse quoad consciencias eorundem. Expedit igitur, ut in qualibet provincia Germanie 46 celebrentur infra biennium proximum unum et deinde infra triennium aliud, et sic semper, provincialia concilia per singulos metropolitanos et suffraganeos 47 eiusdem. In quibus poterunt in talibus et eciam contra 45

Siehe Kanzleiordnungen, ed. Tangl, II Juramenta 19, S. 51. Mainz, Köln, Trier, Salzburg, Hamburg–Bremen, Magdeburg. 47 Glosse des Verfassers: Qui omnes vocati per eorum metropolitanos tenentur accedere ad provinciale concilium et illi, quamdiu duraverit, personaliter interesse, nisi etate aut egritudine vel alia graviori necessitate impediantur, super quo se excusare litteratorie seque subscribere et racionem impedimenti sui metropolitano suo reddere teneantur XVIII. di Placuit. Et si quis eorum adesse neglexerit vel cetum fratrum, antequam concilium dissolvatur, crediderit deserendum, alienatum se a fratrum communione cognoscat nec eum recipi liceat, nisi in sequenti synodo fuerit absolutus, ut legitur C. di. Si quis autem et c. Si episcopus et multis aliis ibi contentis. Et ecce in quanto periculo conscienciarum suarum fuerunt et sunt tot episcopi Germanie, qui fuerunt et sunt istorum canonum transgressores seu saltem neglectores, quod idem est in effectu, quia idem est facere, quod fieri non debet, aut negligere facere, quod debet. Renovetur igitur ecclesia Germanie omnino in eo passu quanto cicius, ex quo multa bona proveniunt indubitanter. Postquam autem ipsa provincialia concilia celebrata fuerunt in qualibet provincia, tunc ipsi suffraganei debent omnes abbates, presbyteros, dyaconos et clericos seu omnem conventum civitatis sue, cui preesse dinoscuntur, necnon et cunctam diocesis sue plebem aggregare, nec in eo moretur, quatinus coram eis plenissime reserent, que in eodem concilio acta fuerunt. Et si quis hoc parvipendendum crediderit, excommunicacionis sentencia duorum mensium curriculo persistat usquequaque mulctatus, ut legitur in c. Decernimus C. di. Et in eodem concilio possunt eciam omnes presbyteri et dyaconi vel hii, qui se lesos existimant, ut cause ipsorum examinate in eodem concilio ad iustum iudicium perducantur. Et si qui episcopi vel presbyteri aut dyaconi manifeste fuerint in offensa, secundum racionem exerceantur, quamdiu communi consensu de hiis placuerit dare sentenciam, ut habetur C. di. Propter ecclesiasticas causas. Numquid salubrius est, quod sic fiat et reparetur templum domini in hoc tamdiu neglectum, quam sic turpiter et negligenter torpere in preiudicium animarum et boni communis etc. – Alle diese von ihren Metropoliten Geladenen sind gehalten, zur Provinzialsynode zu kommen und dort während der gesamten Dauer persönlich anwesend zu mmm 46

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Provinzialkonzil

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solches wurde auch von einigen Bischöfen, die nicht klar bei Verstand waren, begangen oder der Befehl dazu gegeben. Daher wird den Metropoliten 45 von ihren Suffraganen so wenig oder gar keine Ehrfurcht entgegengebracht. Die Suffragane leisten den Metropoliten keinen Gehorsam und keinen Treueeid und behaupten, sie seien vom Papst erhoben worden; sie hätten also nichts mit diesen Metropoliten zu schaffen, auch weil dort wohl inzwischen kein Metropolit seine Kirchenprovinz visitiert hat. Daraus folgt zudem, daß viele inzwischen Kathedralkirchen okkupiert haben und weiter okkupieren, gleichsam als ob sie weltliche Ritter wären und keine geistlichen Weihen besäßen. Auch treten sie nicht wie Bischöfe und Kleriker auf, kümmern sich wenig um Geistliches, nur wenn sie irgendwie einen Vorteil daraus ziehen können, und entscheiden alles nach Gutdünken. Seht, wie es mit den Schafen steht, die ihrem Gewissen überantwortet sind! Es wäre also besser, wenn innerhalb der nächsten beiden Jahre in jeder Kirchenprovinz Deutschlands 46 ein Provinzialkonzil durchgeführt würde und danach alle drei Jahre, und zwar durch die einzelnen Metropoliten und ihre Suffragane 47. Dort kann A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Provinzialkonzil

sein, ausgenommen sie wären durch Alter, Krankheit oder andere schwere Not verhindert; darüber wären sie gehalten, sich schriftlich mit Unterschrift zu entschuldigen und dem Metropoliten den Hinderungsgrund zu nennen (*D. 18 c. 10). Und wenn es einer von ihnen versäumt, anwesend zu sein, oder vor Auflösung der Synode die Versammlung der Brüder glaubt verlassen zu sollen, so wisse er, daß er sich aus der Gemeinschaft der Brüder ausgeschlossen hat und nicht wieder aufgenommen werden darf, es sei denn er würde von der nächsten Synode losgesprochen (*D. 18 c. 12 u. 13 u. v. a. m.). Seht: In welcher Gefahr für ihr Gewissen waren und sind so viele Bischöfe Deutschlands, die diese Kanones übertreten oder sie fahrlässig nicht beachtet haben – was tatsächlich dasselbe ist, denn es ist dasselbe, das zu tun, was man nicht darf, und das zu versäumen, was man tun muß. Es müßte also die Kirche Deutschlands in diesem Schritt möglichst rasch gänzlich erneuert werden; daraus würde sich unzweifelhaft viel Gutes ergeben. Sobald aber diese Provinzialsynoden in jeder Kirchenprovinz durchgeführt würden, müssen die Suffragane dann alle Äbte, Priester, Diakone und Kleriker, auch die ganze Gemeinde ihrer Stadt, die sie leiten, sowie das ganze Volk ihrer Diözese versammeln; es soll keine Verzögerung dabei geben, daß sie vor ihnen vollständig berichten, was auf dieser Synode verhandelt wurde. Wer glaubt, dies geringschätzen zu sollen, der soll stets mit der Strafe der Exkommunikation für den Verlauf von zwei Monaten bestraft werden (*D. 18 c. 17). Und auf dieser Synode können alle Priester und Diakone oder diejenigen, die sich verletzt glauben, kommen, damit deren Fälle auf dieser Synode durch Entscheidung zu einem gerechten Urteil geführt werden. Und wenn Bischöfe, Priester oder Diakone offen gefehlt haben, soll nach Recht vorgegangen werden, solange mit allgemeiner Zustimmung darüber ein Urteilsspruch beschlossen wird, der sie strafe. (*D. 18 c. 15). Ist es nicht heilsamer, daß man so vorgeht und der Tempel des Herrn, der solange vernachlässigt wurde, wiederhergestellt wird, als daß er so schändlich und vernachlässigt zum Nachteil der Seelen und des allgemeinen Wohls verkommt.

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

predones et raptores publicos, incendiarios necnon ecclesiarum devastatores, usurarios, hereticos et sacrilegos atque violentos necnon eciam quoad honestatem prelatorum et cleri multa salubria ordinari. [17] Item disponatur in eodem concilio generali proxime celebrando, quod omnes presidentes episcopatibus et cathedris pastorum in Germania se saltem extunc infra annum faciant ad sacros ordines promoveri 48 et munus consecracionis suscipiant. Quod si non fecerint, quomodocumque sedes ipse propterea vacent eo ipso et non promoti omni iure sibi competenti in eisdem sedibus eo ipso sint privati ab eis, nulla obtenta et forsan in futurum per eos super hoc impetranda dispensacione papali in aliquo suffragante, quia in talibus providendum est ecclesiis et non personis. Et liceat tunc capitulis cathedralium ecclesiarum, que taliter vacabunt, ipsis eligere successores necnon alia omnia facere in illis et circa ea, prout dictat iuris ordo. [18] Item expedit, ut apostolicus revocet omnes gracias expectativas, que usque nunc ita difformiter emanarunt et inequaliter, prout per se notum est. Nam prima data coronacionis domini pape, que iuxta antiquum ritum solum in primo anno pontificatus sui discretis et paucis suis familiaribus domesticis concedi debebat, usque in hodiernam diem omni ordine debito excluso et in omni loco, ubi papa interim fuit, infinitis quodammodo concessa extitit. Et sic, qui primi fuerunt in subsequentibus datis in ordine supplicandi, facti sunt posteriores et in adepcione beneficiorum ex talibus graciis prorsus i exclusi. Et infinite illarum graciarum sunt adeo confuse et abusive, et non secundum discrecionem, que in talibus merito erat observanda, concesse, quod intelligens quisque illas videns nedum dolet set miratur. Preterea, licet valde multorum gracie expectative sortite fuerint effectum sub pontificatu domini Ioi

penitus Hs. V u. Ed.

48

Glosse des Verfassers: Et quia per istas avaras reservaciones papa in suis litteris promocionum per eum factarum de episcopis sepe cassat canonicas elecciones auctoritate ordinaria factas, datur occasio, quod quandoque adolescentuli, precipue nobiles et illiterati non scientes Latinis verbis mentis conceptum exprimere et quandoque alii, qui fuerunt experti raptores, belligeri, voluntarii homicide necnon alias notorie irregulares et inabiles, quia illi plus offerunt promoventi et proni sunt ad solvendum, preficiuntur in Romana curia in archiepiscopos et episcopos Germanie, quorum quandoque aliqui, non obstantibus eorum defectibus et irregularitatibus, se promoveri faciunt ad sacros ordines et illos aliis conferunt, et nonnulli eorum ut meri laici eciam publice incedunt et verecundantur habitum et tonsuram ferre clericales et derident alios honestos presbyteros et clericos, et cum istis papa sepe dispensat et supplet omnes eorum defectus de plenitudine potestatis, de quibus quilibet intelligere merito cachinnatur et talem papam in hoc dicit errare etc. – Und weil der Papst durch diese geldgierigen Reservationen in seinen Briefen über die von ihm vorgenommenen Erhebungen von Bischöfen oft kanonische Wahlen, die von der ordentlichen Autorität durchgeführt wurden, aufhebt, ergibt sich die Gelegenheit, daß mitunter blutjunge mmmmmm

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Expektanzen

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dann in diesen Dingen und auch gegen Räuber und öffentliche Plünderer, Brandstifter, Kirchenschänder, Wucherer, Ketzer, Gotteslästerer und Gewalttätige sowie hinsichtlich der Ehre der Prälaten und der Geistlichkeit vieles Heilsame beschlossen werden. [17] Auf dem demnächst durchzuführenden Allgemeinen Konzil sollte auch verfügt werden, daß alle Inhaber von Bistümern und Hirtenämtern in Deutschland zumindest innerhalb eines Jahres sich die heilige Priesterweihe spenden 48 lassen sowie die Bischofsweihe empfangen. Falls sie dies nicht tun, sollen daraufhin ihre Stellen ohne weiteres vakant sein, und die nicht Erhobenen verlieren ohne weiteres künftig jedes ihrer Stelle zustehende Recht; dabei hilft ihnen auch kein bereits oder vielleicht in Zukunft erlangter päpstlicher Dispens, denn in diesen Fällen muß für die Kirchen, nicht für die Personen gesorgt werden. Den Kathedralkapiteln von Kirchen, die auf diese Weise vakant werden, ist es dann erlaubt, sich Nachfolger zu wählen und auch alles weitere dabei vorzunehmen, so wie es die Rechtsordnung gebietet. [18] Es ist auch förderlich, daß der Papst alle Expektanzen widerruft, die bis jetzt so schmachvoll und ungleichartig geflossen sind, wie allgemein bekannt. Denn die Erste Expektanz bei der Krönung des Heiligen Vaters, die nach altem Brauch nur im ersten Jahr seines Pontifikats für einige wenige und umsichtige Vertraute seiner Hofhaltung gewährt werden sollte, wurde bis zum heutigen Tag unter Umgehung jeder Ordnung und an jedem Ort, an dem der Papst inzwischen war, geradezu unendlich vielen Leuten gewährt. So wurden jene, die die Ersten waren, bei den folgenden Gaben in der Ordnung der Bitte nun die Letzten und bei der Erlangung von Pfründen gewissermaßen von diesen Gnaden ausgeschlossen. Unendlich viele von diesen Gnaden wurden so wirr und mißbräuchlich und nicht einem weisen Maß entsprechend gewährt, das dabei zu Recht hätte beachtet werden müssen, was jeder Einsichtige, der das bemerkt, nicht etwa bedauert sondern erstaunt zur Kenntnis nimmt. Außerdem: Mögen auch sehr viele Expektanzen unter dem Pontifikat des derzeitigen Herrn Papstes Johannes [XXIII.] in die Tat A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Expektanzen

Burschen, besonders adlige und ungebildete, die ihre Gedanken nicht in lateinischen Worten ausdrücken können, (mitunter auch andere, die sich ausgezeichnet haben als Räuber, Kriegsleute, willentliche Totschläger oder sonstwie offenkundige Irregulare und Ungeeignete), da sie dem Verleiher mehr anbieten und zu zahlen geneigt sind, an der Römischen Kurie zu Erzbischöfen und Bischöfen Deutschlands erhoben werden; von diesen lassen sich einige mitunter noch – ohne Rücksicht auf ihre Mängel und fehlenden Voraussetzungen – mit den heiligen Weihen weihen und spenden sie anderen, einige treten öffentlich wie bloße Laien auf, verschmähen es, geistliche Tracht und Tonsur zu tragen und verlachen die anderen ehrenwerten Priester und Kleriker; solchen erteilt der Papst oft Dispens und hilft aus der Fülle der Amtsgewalt all deren Mängeln auf, obwohl über sie jeder Verständige zu Recht lacht und sagt, der Papst irre sich eben dabei . . .

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

hannis pape moderni et propterea prorsus extincte fuissent, ille tamen gracie sub prima data quoad innumerabiles personas per extensiones mirabiles et perprius a seculis inauditas hactenus vivificate seu resuscitate, per quas alii expectantes cuiuscumque condicionis et sufficiencie in graciarum expectativarum ipsis factarum effectibus totaliter impediti fuerunt. Si autem liceat talia fieri de plenitudine potestatis seu absoluta potencia domini pape, mirandum est. [19] Item infinite dispensaciones, eciam mirabiles et sine quibuscumque ordine atque iustificacione ad obtinendum beneficia incompatibilia, non habito respectu ad personas, quibus concederentur, hactenus emanarunt, cedentes evidenter in divini cultus diminucionem et animarum periculosissimum detrimentum. Et propterea oportet eciam omnino istas abusivas, indiscretas gracias et dispensaciones, alias dissipaciones nominatas revocari, licet tarde, que sic ambicionem plurimum augent et divinum cultum diminuunt et animarum pericula eciam indubitanter adducunt. [20] Item expedit, ut revocentur omnes concessiones et alienaciones bonorum immobilium ecclesiasticorum sub quavis forma verborum laicis perpetuo vel ad certum tempus nondum lapsum per apostolicum facte et providere caute, ne alie fiant infra tempus illud, quo aliud generale concilium celebretur. [21] Item expedit, ut revocentur omnes commende prioratuum, dignitatum, parrochialium ecclesiarum et aliorum beneficiorum ecclesiasticorum secularium et regularium, facte episcopis titularibus et regularibus personis quibuscumque per sedem apostolicam; et similiter eciam omnes dispensaciones ad incompatibilia obtinenda, que per contendentes tunc de papatu concesse fuerunt, quarum pretextu eciam cultus ipse divinus negligitur et animarum pericula subsequuntur. Et qualiter et ad quid potest aliquis regularis unum prioratum habere in titulum et alium in commendam 49 nisi cum sue anime detrimentum, non video. [22] Item quod k nullus transferatur episcopus vel alter ecclesiasticus prelatus propter senectutem vel invaletudinem corporalem de sua cathedra invitus, sed ei secundum iuris disposicionem de coadiutore,50 cum indigebit, provideatur. Nam propheta oravit ad dominum dicens: Ne proicias me in tempore senectutis, cum defecerit virtus mea etc.51.52Nec afflictis affliccio addi debet,52 ut iure cavetur. k 49

ut Ed.

Vgl. C. 21 q. 1 c. 3. Dort geht Leo IV. allerdings vom Begriff ‘Kommende’ = ‘Amt ohne Pfründe’ aus. 50 Vertreter eines schwer erkrankten Bischofs, vom Kapitel bestellt, vom Papst bestätigt.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Kommenden

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umgesetzt und damit erledigt worden sein, so wurden die Gnaden unter [dem Titel] der Ersten Gabe durch erstaunliche und in den bisherigen Jahrhunderten bislang unerhörte Ausweitung auf unzählige Leute belebt oder auferweckt; durch sie wurden andere vollkommen enttäuscht, die die Erfüllung von ihnen gewährten Expektanzen in irgendeiner Form und hinreichenden Weise erwarteten. Ob es aber aufgrund der Gewaltenfülle oder absoluten Macht des Heiligen Vaters erlaubt ist, solches zu tun, ist sehr fraglich. [19] Bisher sind unendlich viele, auch sonderbare Dispense ohne irgendwelche Ordnung und Rechtfertigung, warum unvereinbare Pfründen erlangt wurden, auch ohne Rücksicht auf die Leute, denen sie gewährt wurden, in die Welt gegangen; dies schlug sich offensichtlich in einer Minderung des Gottesdienstes und einem höchst gefährlichen Schaden für die Seelen nieder. Deshalb ist es auch nötig, überhaupt diese mißbräuchlichen, unbedachten Gnaden und Dispense, mit richtigem Namen ‘Verschwendung’, – wenn auch spät – zu widerrufen; sie vermehren sehr die Habsucht, mindern den Gottesdienst und führen unzweifelhaft zur Gefahr für die Seelen. [20] Es wäre besser, wenn alle Verleihungen und Veräußerungen von unbeweglichen kirchlichen Gütern widerrufen würden, ganz gleich unter welcher Form sie Laien für immer oder für eine noch nicht abgelaufene bestimmte Zeit vom Heiligen Vater gewährt wurden; auch wäre vorsichtig dafür Sorge zu tragen, daß während der Zeit, bis ein Allgemeines Konzil abgehalten werden kann, keine neuen vorkommen. [21] Es wäre gut, wenn alle Kommenden von Prioraten, Würden, Pfarrkirchen und anderen kirchlichen Pfründen von Welt- oder Ordensgeistlichen, die irgendwelchen Titularbischöfen und Regularpersonen vom Apostolischen Stuhl erteilt wurden, widerrufen würden, ebenso auch alle Dispense zugunsten unvereinbarer Verleihungen; sie wurden von denen gewährt, die sich damals um das Papstamt stritten; unter dem Vorwand dieser Verleihungen wird der Gottesdienst vernachlässigt und es ergibt sich Gefahr für die Seelen. Wie und warum kann ein Regularkanoniker ein Priorat als Titel und ein anderes als Kommende erhalten 49, wenn nicht zum Schaden für eine Seele? Das sehe ich nicht! [22] Kein Bischof oder anderer Kirchenprälat darf wegen seines hohen Alters oder wegen Krankheit gegen seinen Willen von seinem Stuhl auf einen anderen versetzt werden; er mag indessen nach der Rechtsbestimmung mit einem Koadjutor 50 versorgt werden, wenn er ihn braucht. Denn der Prophet hat zum Herrn gebetet und gesagt: Verwirf mich nicht in meinem Alter, wenn ich schwach werde . . .51 52Bedrängten darf die Bedrängnis nicht noch vergrößert werden,52 so ist es rechtens festgelegt. A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Kommenden

51

Ps 70, 9. Walther 34569.

52–52

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

[23] Et ut dicit Philosophus: Encia nolunt male disponi, nec est bonum principatuml pluralitas. Sit ergo unus princeps. Et rursus: Bonum unum consistit in ordine, quia omnia habent ordinem, set non eodem modo, sicut bonum universum, quod consistit in primo principio, ad quod omnia ordinantur;53 secundum Philosophum XII. Metaphysice. Unde quidam prudens dicit, 54quod in omni regimine, quantumlibet eciam amplo, necesse est, ut ordo servetur, quo dimisso illud corrumpitur et mutatur.54 Preterea non est obmittendum, verbi gracia, quamdiu veteres Romani more regio bonum commune fideliter procurarunt, per eorum studium Romana res publica adaucta et conservata est. Set quia post hoc plurimi eorum in subditos quidem tiranni, ad hostes vero facti desides et imbelles, Romanam rem publicam ad nichilum redigerunt. 55Similis eciam processus fuit in populo Hebraico, qui dum sub iudicibus regebatur, undique diripiebatur ab hostibus et unusquisque, 56quod erat bonum in oculis suis, faciebat,56 regibus vero eis divinitus datis ad eorum instanciam tandem propter regum maliciam a cultu veri et unius dei recesserunt, ipsi Hebrei finaliter in captivitatem sunt deducti.55 57Quia dissensio, que plerumque sequitur ex regimine plurium, contrariatur bono pacis, quod est principium in multitudine sociali, quod quidem bonum per tirannidem non tollitur, set aliqua particularium hominum bona impediuntur, nisi fuerit tantus excessus tirannidis, quod in totam communitatem deseviat.57 Econtra, 58sicut utilius est virtutem operantem ad bonum esse magis unam, ut sit virtuosior aut potencior ad operandum bonum, ita magis est noxium, si virtus operans malum sit una quam divisa. Virtus autem iniuste presidentis operatur ad malum multitudinis, dum commune bonum multitudinis in sui ipsius bonum tantum retorquet m.58 Preterea, sive curia Romana in ordine debito sive non reguletur, nichilominus prelati et viri ecclesiastici per orbem terrarum diffusi ex hoc exemplum capiunt se similiter regulandi iuxta illud: Regis ad exemplar totus componitur orbis.59 Preterea beati Thome de Aquino et multorum aliorum prudentum hec sentencia est, quod, 60si ad unius alicuius multitudinis disposicionem perti-

l

so Moerbeke u. Thomas, principatum Hs. W 4956, principum Hss. V, W 5069 u.

Ed. m 53

so Thomas, retorquetur Hss. u. Ed.

Aristoteles, Metaphysica XII 10, (1076a2); (nach Homer, Ilias II 204). Der Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke folgt Thomas von Aquin in seinem AristotelesKommentar (Opp. IV S. 507 A). 54–54 Aristoteles, Metaphysica XII 10, (1975a16); Vgl. Walther 20363. 55–55 Thomas Aquin., De regimine principum I 5, Opp. III S. 596 C.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Friedenswahrung

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[23] Wie der Philosoph sagt: Seiendes soll nicht schlecht versehen werden, auch ist die Vielzahl der Fürstentümer kein Gut. Es soll also einer der Fürst sein. Weiter: Das gute Eine besteht in der Ordnung, denn alles hat seine Ordnung, nur nicht auf dieselbe Weise, so wie das gute Gesamte, das im ersten Prinzip beruht, auf das alles hin geordnet wird.53 Daher sagt ein kluger Mann, 54 daß es in jeder Herrschaft, ganz gleich wie groß sie ist, nötig ist, die Ordnung zu wahren; ist sie verlassen, wird die Herrschaft verdorben und verändert.54 Man sollte auch nicht beiseite lassen, wie lange zum Beispiel die alten Römer in königlicher Weise getreu für das Allgemeinwohl gesorgt haben; durch deren Eifer wurde das Römische Gemeinwesen vergrößert und bewahrt. Doch weil danach viele von ihnen sich gegen ihre Untertanen tyrannisch, gegen die Feinde aber träge und schwächlich verhalten haben, wurde das Römische Gemeinwesen zu einem Nichts. 55Ähnlich war die Geschichte beim Volk der Hebräer, das, als es von Richtern geleitet wurde, von allen Seiten durch seine Feinde ausgeplündert wurde, und ein jeder 56tat das, was in seinen Augen gut war;56 obwohl ihnen auf ihr dringendes Bitten hin endlich Könige vom Himmel gegeben worden waren, zogen sie sich wegen der Bosheit der Könige von der Verehrung des wahren und einen Gottes zurück; schließlich wurden die Hebräer in die Gefangenschaft geführt.55 57 Da Meinungsstreit, der sehr oft aus der Herrschaft mehrerer folgt, dem Gut des Friedens widerspricht, welcher Grundlage sozialer Vielfalt ist, wird dieses Gut durch Tyrannei nicht beseitigt, wenn auch manches Gut einzelner Menschen [durch sie] beeinträchtigt werden mag, es sei denn die Untat der Tyrannei wären so groß, daß sie gegen die genannte Gemeinschaft wütet.57 Indessen, 58so wie es nützlicher ist, daß die Kraft, die auf das Gute hinwirkt, eher eine einzige ist, damit sie kräftiger oder mächtiger ist, das Gute zu wirken, so ist es schädlich, wenn die Kraft, die Übles wirkt, eine einzige statt einer geteilten ist. Die Kraft eines ungerecht Leitenden wirkt zum Unheil der Menge, wenn er das allgemeine Wohl der Menge in das eigene Wohl für ihn selbst verkehrt.58 Mag nun die Römische Kurie in gebührender Ordnung oder auch nicht so eingerichtet sein, nichtsdestoweniger nehmen die Prälaten und Kirchenmänner, die auf dem Erdkreis verstreut sind, sich ein Beispiel daran, sich ebenfalls so einzurichten entsprechend jenem Wort: Nach dem Beispiel des Königs richtet sich der ganze Erdkreis.59 Außerdem gibt es das Urteil des Heiligen Thomas von Aquin und vieler anderer klugen Männer, daß, 60wenn es zur Verfügungsgewalt irgendeiner A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Friedenswahrung

56–56

1 Reg 3, 18. Thomas, (wie Anm. 55) I 6, Opp. III S. 596 C. 58–58 Thomas, (wie Anm. 55) I 4, Opp. III S. 596 C. 59 Claudius Claudianus, Panegyricus 299, ed. MGH AA 10, S. 161; Walther 26481. 60–60 Thomas, (wie Anm. 55) I 7, Opp. III S. 597 A. 57–57

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

neat, sibi providere de rege, non iniuste ab eadem rex institutus potest destitui vel refrenari eius potestas, si potestate regia tyrannice abutatur. Neque putanda est talis multitudo infideliter agere tirannum destituens, eciamsi ei in perpetuum se ante subiecerat, quia hoc ipse meruit se in multitudinis regimine non fideliter gerens, ut exigit regis officium, quod ei pactum a subditis non servetur.60 Igitur multo cicius illud potest debetque fieri de papa et quocumque alio ecclesiastico prelato, qui ut legem dei doceret et alia bona opera faceret, assumptus est, si contrarium impudenter ac publice operetur. Et fatuum seu erroneum est tenere contrarium, ut eciam tenent et asserunt simplices canoniste, quod racio non dictat in talibus et ut ambulantes in tenebris non viderunt. Nullus enim recipitur ad talem dignitatem, ut agat perverse faciatque iuxta impetum mentis sue, ymmo si papa sinistra committat, quod se de hoc purgare debeat publice, ne sit magister erroris, satis clare patet. 61 Sic enim Romani Tarquinium Superbum, quem in regem susceperant, propter eius filiorum tirannidem a regno eiecerunt, substituta ei minori, scilicet consulari potestate. Sic Domicianus, qui modestissimis imperatoribus, Vespasiano patri et Tito eius fratri successerat, dum tirannidem exerceret, a senatu Romano interemptus est, omnibus, que idem perverse fecerat, per senatum ipsum iuste et salubriter in irritum revocatis. Si vero ad alicuius superioris pertineat disposicionem multitudini providere de rege, expetendum est ab eo remedium contra tiranni nequiciam. Sic Archelai, qui in Iudea pro Herode patre suo iam regere ceperat, paternam maliciam imitantis, Iudeis contra eum querimoniam ad cesarem Augustum referentibus, primo quidem potestas diminuitur, ablato sibi regio nomine et medietate regni sui inter duos eius fratres divisa, deinde, cum neque sic a tirannide compesceretur, a Tiberio cesare successore immediato eiusdem cesaris Augusti relegatus est in exilium apud Lugdunum 62 Gallie civitatem.61 Ex quo venerat n, quod semper utile fuit et sit rei publice, ut catholicus princeps, scilicet imperator Romanorum, omnibus aliis regibus et principibus ac communitatibus potenter presideret, qui eorum tirannidem, dum abuterentur recto regimine, coherceret, ita quod non possent sevire libere et impune in subditos et irracionabiliter operari iuxta ipsorum impetum volunta-

n

sequitur Ed.

61–61

Thomas, (wie Anm. 55) I 7, Opp. III S. 597 A. Flavius Josephus, Antiquitates Judaicae XVII 344 u. XVIII 252. Archelaus wurde nach Vienne verbannt (Vermengung mit Antipater). 62

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Königtum

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Menge gehört, sich mit einem Könige zu versorgen, so kann der von ihr eingesetzte König durchaus zu Recht abgesetzt oder in seiner Macht eingeschränkt werden, falls er seine königliche Macht tyrannisch mißbraucht. Auch darf man nicht glauben, eine solche Menge, die einen Tyrannen absetzt, handele untreu, auch wenn sie sich ihm zuvor für immer unterstellt hatte; denn in dieser Hinsicht verdient dieser – weil er sich bei der Leitung der Menge nicht treu verhält, wie es das Königsamt erfordert, –, daß ihm gegenüber der Vertrag von den Untertanen nicht eingehalten wird.60 Daher darf und muß dies beim Papst und jedem anderen kirchlichen Prälaten viel rascher geschehen, der berufen wurde, um das Wort Gottes zu lehren und andere gute Werke zu tun, nämlich dann, wenn er schamlos und öffentlich das Gegenteil tut. Es ist töricht und irrig, das Gegenteil zu glauben, und einfältige Kanonisten glauben und behaupten auch, was die Vernunft in diesen Fällen nicht gebietet und was sie, wie Wanderer in der Finsternis, nicht gesehen haben. Es wird nämlich niemand zu dieser Würde berufen, damit er schlimm handelt und nach Gutdünken verfährt, vielmehr: Wenn der Papst verkehrte Dinge tut, muß er sich öffentlich deswegen reinigen, damit er kein Meister des Irrtums sei; das geht klar aus dem Recht hervor, wenn man es sich gut ansieht. 61 So haben nämlich die Römer den Tarquinius Superbus, den sie zum König berufen hatten, wegen Tyrannei seiner Söhne vom Königtum vertrieben; es wurde für ihn eine geringere, d. h. die konsularische Gewalt eingesetzt. So wurde Domitian, welcher höchst bescheidenen Kaisern, seinem Vater Vespasian und seinem Bruder Titus, nachgefolgt war, vom Römischen Senat beseitigt, weil er eine Tyrannis ausgeübt hatte, und alles, was er schlimm gehandelt hatte, wurde vom Senat selbst gerecht und heilsam als nichtig widerrufen. Wenn es aber zur Entscheidung eines Oberen gehört, die Menge mit einem König zu versorgen, so muß man ihn darum bitten, er möge gegen die tyrannische Bosheit Abhilfe schaffen. So wurde die Gewalt des Archelaus, der in Judäa anstelle seines Vaters Herodes schon zu herrschen begonnen hatte, als er die Bosheit seines Vaters nachahmte und die Juden nun beim Kaiser Augustus gegen ihn Anklage erhoben, zunächst vermindert: Es wurde ihm der Königstitel genommen; die Hälfte seines Reiches wurde unter seine beiden Brüder aufgeteilt; danach, als er auch dadurch nicht von seiner Tyrannei abgehalten werden konnte, wurde er vom Kaiser Tiberius, dem unmittelbaren Nachfolger des Kaisers Augustus, in die Verbannung nach Lyon 62 in Gallien geschickt.61 Daraus hat sich ergeben, was immer für das Gemeinwesen nützlich war und ist: Der Katholische Fürst, d. h. der Römische Kaiser, soll allen übrigen Königen, Fürsten und Gemeinden machtvoll vorstehen; er müßte deren Tyrannei, wenn sie ihre gerechte Herrschaft mißbrauchen, bändigen, so daß sie nicht frei und straflos gegen ihre Untertanen rasen und nicht unvernünftig A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Königtum

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

tis. Set quia deficit multum hodie ista potencia in rege aut imperatore Romano, propterea non tamen resistendum est a subditis, quin per eos bonum publicum tocius christianitatis viis et modis omnibus procuretur, semper ad deum dirigendo humiles preces, ut eos ad bonum effectum dirigere dignetur. 63 Qui regis Assueri crudelitatem reprobans in mansuetudinem vertit, ipse est, qui Nabuchodonosor crudelem regem in tantam convertit devocionem, quod factus est divine potencie predicator: Nunc, inquit, ego Nabuchodonosor laudo et magnifico et glorifico regem celi.64 Et illud Sapientis: Sedes ducum superborum destruxit deus et sedere fecit mites pro eis.65 Ipse enim est, qui videns affliccionem populi sui in Egypto et audiens eorum clamorem Pharaonem tirannum deiecit cum exercitu eius in mari.66 Ipse est, qui memoratum Nabuchodonosor prius erectum non solum de regio solio, set eciam ab hominum consorcio in similitudinem bestie commutavit. Quia 67non est abbreviata manus eius, ut populum suum a tirannis liberare non possit.67.63 Ideo constanter agendum est et divinum auxilium ad hoc humiliter invocandum, quod ista pluralitate illorum, qui se summos pontifices appellant, eradicata vera unio subsequatur. Legimus eciam 68Iohannem papam XII.propter eius tirannidem ac vitam inhonestam a papatu fuisse depositum in alma urbe auctorizante Ottone primo magno augusto, principe providentissimo et vere catholico, ob rogatum cardinalium illius temporis, convocatis ad hoc clero et populo Romano o et vicinis episcopis atque prelatis, illique venerabilem Leonem papam VIII. fuisse surrogatum in papatu. Qui quidem Iohannes prius vocatus fuit Octavianus, nobilis genere, set moribus ignobilis. Fugit autem illo tempore ad Romanam Campaniam in aliquibus silvis illic cum feris silvestribus latitando, ubi postea infra tempora pauca omnium miserrimus ignominiose decessit.68 Nimirum, si papa, in quo principalitas correccionis dependebat, nolens se reducere ad debitum racionis, sed vivere satagens bestialiter et regere tirannice populum christianum, finaliter ruit, adeo quod ulterius non resurgeret, qui bene agendo per bona exempla infinitis ad salutem animarum profecisset, set econtra per mala exempla plures secum traxit in iehennam. Ideo omnium

o

fehlt Ed.

63–63

Thomas, (wie Anm. 55) I 7, Opp. III S. 597 B. Vgl. Dan 4, 31. 65 Eccli 10, 17. 66 Vgl. Exod 15, 1. 67–67 Vgl. Is 59, 1. 64

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Tyrannei

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nach Gutdünken handeln können. Doch weil heute dem Römischen König oder Kaiser diese Kraft sehr abgeht, darf dennoch nicht darum von den Untertanen Widerstand geleistet werden; vielmehr muß durch sie für das öffentliche Wohl der ganzen Christenheit auf alle Art und Weise gesorgt werden, indem sie stets demütige Bitten zu Gott senden, er möge sie zu einem guten Ende geleiten. 63Der die Grausamkeit des assyrischen Königs tadelte und zur Sanftmut wandelte, er ist es, der den grausamen König Nebukadnezar zu solcher Frömmigkeit verwandelte, daß er zum Prediger der göttlichen Allmacht wurde und sagte: Jetzt lobe, preise und ehre ich, Nebukadnezar, den König des Himmels.64 Und das Wort der Weisheit: Gott hat die übermütigen Fürsten vom Stuhl heruntergeworfen und Demütige daraufgesetzt.65 Er ist es nämlich, der die Trübsal seines Volkes in Ägypten gesehen hat, deren Rufen erhört und den tyrannischen Pharao mit seinem Heer ins Meer gestürzt hat.66 Er ist es, der den genannten Nebukadnezar, der sich zuerst erhob, nicht nur von seinem Königsthron, sondern auch aus der Gemeinschaft der Menschen verstoßen und zu einer Art Bestie verwandelt hat. Denn 67seine Hand ist nicht zu kurz, daß er sein Volk nicht von den Tyrannen befreien könnte.67. 63 Deshalb muß man beständig darauf hinarbeiten und die göttliche Hilfe demütig dafür anrufen, daß nach Beseitigung dieser Vielzahl derjenigen, die sich ‘Heiliger Vater’ nennen, eine wahre Einheit folgt. Wir lesen auch, 68Papst Johannes XII. sei wegen seiner Tyrannei und wegen seines unehrenhaften Lebenswandels vom Papstamt abgesetzt worden, in der Heiligen Stadt, mit Ermächtigung Kaiser Ottos I., des Großen, einem sehr umsichtigen und wahrhaft katholischen Fürst, auf Bitten der damaligen Kardinäle, die dazu Klerus und Volk von Rom sowie die benachbarten Bischöfe und Prälaten zusammengerufen hatten; und an seiner Stelle sei der hochwürdige Papst Leo VIII. zum Papstamt berufen worden. Dieser Johannes hieß zuvor Oktavian, war aus adliger Familie, doch von unedlem Charakter. Er floh aber damals in die römische Campagna in einige Wälder dort und versteckte sich bei den Tieren des Waldes; dort starb er kurze Zeit später schmählich als Ärmster der Armen.68 Kein Wunder indessen, wenn der Papst, bei dem der Ursprung der Zurechtweisung lag, keinen Willen hatte, sich der Pflicht der Vernunft zu unterwerfen, sondern es sich Genüge sein ließ, wie ein wildes Tier zu leben und das christliche Volk tyrannisch zu leiten, schließlich so stürzte, daß er sich nicht mehr aufrichten konnte; wenn er gut handelte, hätte er durch gutes Beispiel unendlich vielen zum Seelenheil verhelfen können; doch stattdessen zog er durch sein schlechtes Vorbild viele A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Tyrannei

68–68 Zusammenstellung der Quellen dieser von Dietrich oft angeführten Begebenheit in H. Heimpel, Dietrich v. Niem, Münster 1932, Tabellen zu S. 258. – Die Darstellung basiert wesentlich auf angeblichem Privileg Leos VIII. (MGH Fontes iuris 13, S. 179–205, bes. S. 186).

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christianorum interest, ut catholicus civiliter et prudenter regens et multitudinis amator ac illius bonum querens presit cathedre piscatoris, non publicanus, non exactor importunus, non avarus, sed de quo vere dici possit: Hic est fratrum amator, qui continuep orat pro populo dei et hac sancta civitate,69 scilicet tota christianitate eius direccioni commissa, 70non querens, quem devoret 70 et 71que sua sunt 71 set que Ihesu Christi, prout eius requirit officium, quo cunctis christianis se prelatum fore divinitus in suis decretalibus litteris et epistolis asserit, predicat et affirmat. Sicque sit in dei nomine, set iuxta tantam presidenciam virtuose studeat operari, quia 72 Turpe est doctori, cum culpa redarguit ipsum.72 [24] Cum igitur in capite ita generaliter et publice infirmitas, error et excessus appareant, quod eciam per istos membra languescant, racio non permittit, quod talia anormalia in publicum detrimentum diu perseverent. Expedit igitur, quod ipsa curia in suis membris in ipso instanti concilio reformetur, scilicet ut ipsi mercatores et prosenete ac mediatores symoniaci a predicta curia protinus expellantur 73 ad illam numquam redituri, eciamsi sint cucullati antistites vel abbates, quodque omnes officiales, qui 74non per hostium 74 set contra antiquam laudabilem consuetudinem officia publica in eadem curia per pecuniam adepti sunt et forte noluerunt prestare antiquum et solitum iuramentum, ab illis ut indigni repellantur ac digni et utiles eis gratis et liberaliter, undecumque oriundi fuerint, surrogentur pro publica utilitate necnon ad decus et honorem curie sepedicte, qui resumant et conservent ad unguem antiquas consuetudines, ceremonias eorundem officiorum et ante omnia prestant solita iuramenta, prout facere tenentur iuxta summorum pontificum ordinaciones super hoc traditas ipsis, quia turpe nimis est illud precio mediante acquirere, quod gratis dari meritis et virtuti debetur. Preterea quale ridiculum est, quod multi venerabiles graduati in studiis generalibus, eciam non habentes ecclesiasticos titulos, non promoventur ad ecclesiastica beneficia vacancia. Set si veniret cum sacco paratus qualiscumque beanus ad ipsam curiam et emere vellet qualecumque beneficium ecclesiastip

continuo Ed.

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2 Mach 15, 14. 1 Petr 5, 8. 71–71 1 Cor 13, 5. 72–72 Walther 31938. 73 Glosse des Verfassers: Sic, quia pariter secundum prophetam conterentur ferrum, testa, argentum et aurum illius statue Nabuchodonosor regis terribilis, videlicet supradicte curie vicia et excessus quodammodo extinguentur quasi redacta in cinerem et favillam, quasi rapta sint vento. Quod enim est contra legem divinam et humanam et omnem racionem, diu permanere non potest neque debet. – Nach dem Propheten werden miteinander Eisen, Ton, Silber und Gold der Statue des furchtbaren Königs mmmmm 70–70

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Simonie

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mit sich in die Hölle. Deshalb liegt es im Interesse aller Christen, daß ein Katholik, der entgegenkommend und klug lenkt, der ein Freund der Menge ist und deren Gutes sucht, den Stuhl des Fischers innehat, kein Zöllner, kein ungelegener Steuereintreiber, kein Habgieriger, sondern einer, von dem man wahrhaft sagen kann: Er ist einer, der seine Brüder sehr lieb hat und stets für das Volk Gottes und diese heilige Stadt betet,69 d. h. für die ganze Christenheit, die seiner Leitung anvertraut ist; 70er sucht nicht, wen er verschlinge 70 und 71was sein ist,71 sondern was Jesu Christi ist – so wie es sein Amt erfordert, durch das er von Gott für alle Christen zum Würdenträger wird, wie er in seinen Dekretalen, Briefen und Schreiben erklärt, predigt und versichert. So sei es in Gottes Namen; doch entsprechend solchem Leitungsamt möge er sich bemühen, tüchtig zu wirken, denn: 72 Schändlich ist es für einen Gelehrten, wenn ihn seine Schuld anklagt.72 [24] Da also am Haupt allgemein und öffentlich Schwachheit, Irrtum und Vergehen sichtbar sind, so daß auch dadurch die Glieder schlaff werden, gestattet es die Vernunft nicht, daß solche Rechtswidrigkeiten zum allgemeinen Schaden lange andauern. Es ist also förderlich, daß diese Kurie an ihren Gliedern auf dem jetzigen Konzil reformiert werde, d. h. daß diese Krämer, Kurialen und simonistischen Vermittler sofort aus der Kurie vertrieben73 werden, ohne jemals dorthin zurückkehren zu können, auch wenn sie Bischöfe und Äbte im Mönchshabit sind, und daß alle Bediensteten, die 74’nicht durch die Tür’74 sondern entgegen der alten lobwürdigen Gewohnheit ihre öffentlichen Ämter an dieser Kurie durch Geld erlangt haben und wohl nicht den alten gewohnten Eid leisten wollten, als unwürdig von ihr vertrieben werden sollen; Würdige und Nützliche sollen sie umsonst und freigebig – ganz gleich woher sie kommen – zum allgemeinen Nutzen sowie zur Zierde und zur Ehre der oft genannten Kurie ersetzen; diese sollen die alten Gewohnheiten, die Zeremonien ihrer Ämter und vor allem die gewohnten Eide leisten, wie sie zu tun gehalten sind gemäß den ihnen dafür erteilten Weisungen der Päpste; denn es ist überaus töricht, das mittels eines Kaufpreises zu erwerben, was Verdiensten und Tüchtigkeit umsonst gegeben werden müßte. Wie lächerlich ist es, daß viele hochwürdige in den Generalstudien [der Universitäten] Graduierte, auch wenn sie noch keine kirchlichen Titel haben, nicht auf vakante kirchliche Pfründen erhoben werden. Wenn jedoch irgendein Erstsemester mit Rucksack ausgerüstet zur Kurie käme und irA 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Simonie

Nebukadnezar zermalmt, [Dan 2, 35] d. h. die Laster und Verbrechen der obengenannten Kurie werden irgendwie ausgelöscht, zerfallen gewissermaßen in Staub und Asche [vgl. Job 42, 6], werden eine Beute des Windes [vgl. Is 17, 13]. Was nämlich wider göttliches und menschliches Recht sowie wider jegliche Vernunft ist, kann und darf nicht lange dauern. 74–74 Vgl. Joan 10, 1.

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

cum vacans, illud sibi indilate concederetur non discusso prius de ipsius ydoneitate, scilicet an sufficienter litteratus et alias ydoneus ad obtinendum illud existeret, set ad solam pecuniam, ac si tantum in illa tota humana felicitas sit inclusa, respectus habetur. Igitur ille beanus cachinnatur de illo, qui diu studendo fregit sibi caput, multas forsan inedias seu miserias propterea sustinendo et exponendo propterea patrimonium et adventicia bona, que prius habebat, et ille beanus cum XX vel XXX aut paucioribus seu pluribus florenis,75 quos pro illo ecclesiastico beneficio consequendo sic expenderit in eadem curia, plus operaretur, quam ille doctor vel magister quantumcumque sufficientis litterature ac virtuosus absque pecunia in hoc efficere posset. Quodque eciam est contra bonos mores, ymmo turpe est et cedit in rei publice detrimentum, cum mundus iste absque scientificis et alias virtuosis viris feliciter subsistere nullatenus posset. Sancte deus, cur tam varie procedunt nunc negocia curie memorate, ita quod in ea sola ista pecunia dominetur, cum tamen olim nedum gracie, set eciam littere apostolice super istis confecte omnibus gratis darentur in illa atque officialibus curie de publico consuevisset per papam, qui fuit pro tempore, provideri, ne aliquis in ipsa curia eidem simonie locus esset. Item licet registra litterarum apostolicarum eciam ab antiquis temporibus semper consueverint esse publica, ita quod per officiales illorum daretur sumptum vel copia de illis, saltem solventi salarium consuetum, verumtamen, postquam ipse dominus Iohannes cathedre papali presedit, illud quoad valde multa expedita et concessa per ipsum extunc non habuit nec habet locum, set occultanter illa registra nec alicui petenti datur copia cuiuscumque littere apostolice descripte in eisdem. Unde multi obloquuntur asserentes, quod, sicud fur odit lucem,76 sic illi officiales timent pandere eciam caris sociis et amicis ea, que in ipsis registris continentur, in hoc eciam veterem laudabilem ordinem nequiter pervertendo. [25] Nec est obmittendum quidem q, dum ageretur, ut generale concilium congregaretur in Pisis per collegium dominorum cardinalium: si omnia, que tunc per mundum divulgabantur per litteras eorum, usquequaque fuerint postea observata et hodie observentur, inter que fuerunt nova vota et iuramenta emissa,77 quod universalis ecclesia in capite et in omnibus suis membris per tunc eligendum in papam et ipsos dominos cardinales omnino reformari deberent, item quod veteres laudabiles mores et consuetudines Romane curie, que, durante scismate tunc currente, neglecte fuerunt, resumi et inconcusse in ipsa curia deinceps observari deberent. Pro quo sciendum est, quod q 75

qdi Hs. W 4956, quod Hss. V, W 5069 u. Ed.

Siehe oben Nr. 1 S. 198 Anm. 78. Vgl. Joan 3, 20. 77–77 Siehe Kanzleiordnungen, ed. Tangl, II Juramenta S. 33 ff. Dort ohne den Simoniezusatz. 76

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Bildungsstand

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gendeine vakante Kirchenpfründe kaufen wollte, würde sie ihm unverzüglich ohne vorherige Erörterung über seine Eignung verliehen, d. h. [ohne] Prüfung, ob er hinreichend gebildet oder sonstwie zur Übernahme geeignet sei, vielmehr nimmt man dort nur Rücksicht auf das Geld, so als ob das ganze menschliche Glück darin beschlossen wäre. Also lacht jenes Erstsemester über den, der sich in langem Studium den Kopf zerbrochen hat, der vielleicht deswegen Hunger und Elend ertragen und darum sein Erbteil und weiteren Zugewinn, was er früher besaß, darangesetzt hat; und jenes Erstsemester kann vielleicht mit 20 oder 30 (oder auch weniger oder mehr) Gulden,75 die er an der Kurie zur Erlangung einer kirchlichen Pfründe ausgibt, mehr erreichen als jener Doktor oder Magister ohne Geld dabei erreichen kann, der noch so weit in seiner Bildung gelangt und noch so tüchtig sein mag. Dies ist gegen die guten Sitten, ja es ist schändlich und gereicht dem Gemeinwesen zum Schaden, da diese Welt ohne Wissenschaftler und sonst tüchtige Männer auf keinen Fall glücklich leben kann. Heiliger Gott! Warum gehen die Geschäfte der Kurie so kunterbunt, daß dort nur das Geld herrscht, während doch früher einmal nicht nur Gnaden, sondern auch die darüber ausgefertigten Apostolischen Schreiben allen dort ohne Zahlung gegeben wurden, und der jeweilige Papst kümmerte sich öffentlich bei den Kurialbeamten darum, daß es an dieser Kurie keinerlei Raum für Simonie gab. Mögen auch die Apostolischen Briefregister seit alten Zeiten stets öffentlich gewesen sein, so daß durch deren Beamte eine Abschrift oder Kopie davon gegeben wurde, zumindest für einen, der das gewohnte Entgelt zahlte; doch nachdem der Herr Johannes auf dem Papstthron sitzt, hatte und hat dies für seine seither überaus vielen Geschäfte und Gewährungen keinen Raum mehr, vielmehr werden die Register geheimgehalten, und keinem Antragsteller wird irgendeine Abschrift eines päpstlichen Schreibens in ihm gegeben. Daher widersprechen viele und sagen, wie der Dieb das Licht scheut,76 so fürchten diese Beamten sich, selbst lieben Gefährten und Freunden das zu zeigen, was in den Registern enthalten ist, und verkehren so die alte löbliche Ordnung in ihr Gegenteil. [25] Eines sollte man allerdings nicht unerwähnt lassen, weil man ja darüber verhandelt hat, es solle durch das Kardinalskollegium ein Allgemeines Konzil in Pisa versammelt werden: Wenn doch alles, was damals auf der Welt durch ihre Briefe verbreitet wurde, später überall beachtet worden wäre und es noch heute beachtet würde! Darunter waren nämlich neue Gelübde und abgelegte Eide,77 daß die Gesamtkirche am Haupt und all ihren Gliedern durch den dann zu wählenden Papst und die Herren Kardinäle völlig reformiert werden müsse; ferner daß die alten löblichen Sitten und Gebräuche der Römischen Kurie, die während des schon damals dauernden Schismas vernachlässigt worden waren, wiederaufgenommen und dann unerschütterlich an dieser Kurie beachtet werden müßten. Dafür muß man wissen: Gemäß A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Bildungsstand

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

iuxta ipsos mores et consuetudines eciam diu, postquam incepit prefatum scisma, in eadem curia continuatos, quicumque receptus fuit ad exercendum aliquod publicum officium in eadem curia, puta scriptoris litterarum apostolicarum vel penitenciarie papalis atque auditoris et notariorum causarum palacii apostolici et aliorum, per ordinem habuit prestare, antequam admitteretur ad illud exercendum, singulare iuramentum inter alia continens, quod ipse ad hoc, quod illud officium assequeretur, nichil dedit aut promisit per se vel per alium et eciam neminem sciret, qui pro eo quicquam solvisset aut promisisset alicui solvendum aliquid, quod tale officium assequeretur, quodque officium illud secundum eius nosse diligenter et fideliter vellet exercere. Et fuit necessarium, quod sic fieret, propter publicam utilitatem, scilicet ut ad talia officia reciperentur gratis probi et discreti necnon honesti et bene experti, qui non exaccionarent indebite illos, qui cum eis racione ipsorum officiorum haberent agere in curia ipsa, et si secus agerent, ut periuri et improbi punirentur ac privarentur officiis, prout sepe factum fuit. Set sub pontificatu dicti domini Iohannis pape hoc salutare neglectum extitit et negligitur, quia eo et domino vicecancellario sancte Romane ecclesie, qui habet iuramentum recipere a quolibet officiali, dissimulantibus et permittentibus eorum pace salva 78 vendita fuerunt et venduntur dicta officia et mediante vili pecunia valde multi, eciam inutiles et indigni ad ista officia, ut communiter constat, admissi fuerunt et admittuntur absque eo, quod illud iuramentum solitum et laudabile prestare cogerentur aut prestiterint. Unde male ipsa officia gubernantur et plerique officiales excedunt et frequenter in statuto eis salario et ultra debitum gravant partes et alia faciunt non dicenda. [26] Nec est silencio transeundum, quod ipse dominus Iohannes papa, informatus forsan per aliquos ultramontanos potentes in sua curia, quod, si universitati studii Parisiensis in illius peticionibus quibuslibet exorabilem se redderet, tute regnaret, nec tunc haberet de reliquis sue obediencie in aliquo dubitare, ipse quodam servili timore adeo mirabiles per prius a seculis inauditas prerogativas 79 concessit in graciis expectativis per doctores et magistros universitatis eiusdem, qui quodammodo certo numero non comprehenduntur, prius obtentis ab ipso, per quas nedum aliorum universalium studiorum graduatis, set eciam sue curie officialibus, quibuscumque et quantumcumque sufficientibus, enormiter derogavit.

78

Floskel der Exkulpation: ,,Ihr Frieden sei hier ungestört“. Insbesondere durch den sog. Quintus articulus vom 10. Juli 1411 (Chartularium Universitatis Parisiensis IV, ed. H. Denifle, Ae. Châtelain, Paris 1897, ND Bruxelles 1964, S. 209), wodurch die Lehrer und Absolventen der Universität Paris stets die Prärogative bei Verleihungen (nur aufgezählte Fälle ausgenommen) haben sollten. 79

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: röm. Kurie

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diesen Sitten und Gebräuchen, die auch lange, nachdem dieses Schisma begonnen hatte, an der Kurie fortgesetzt wurden, hatte jeder, der zur Ausübung eines öffentlichen Amtes an dieser Kurie zugelassen wurde – etwa zu dem Amt eines Schreibers Apostolischer Briefe oder denen der päpstlichen Pönitentiarie, zum Amt des Auditors und der Notare für Prozesse im päpstlichen Palast oder zu einem anderen Amt – ordnungsgemäß jeweils einen zusammenfassenden Eid zu leisten, bevor er zur Ausübung zugelassen wurde; der enthielt unter anderem, er selbst habe dafür, daß er dieses Amt erlangte, nichts gegeben oder versprochen, weder er selbst noch durch einen anderen, auch kenne er niemanden, der irgend etwas dafür gezahlt oder zu zahlen versprochen habe, damit er dieses Amt erhalte, und dieses Amt wolle er sorgfältig und treu nach Kräften ausüben. Es war notwendig, so zu handeln, wegen des öffentlichen Nutzens, d. h. damit zu solchen Ämtern kostenlos tüchtige und umsichtige sowie ehrenwerte und erfahrene Männer berufen würden, die nicht ungebührlich diejenigen mit Abgaben belegen, die an dieser Kurie aufgrund ihrer Ämter mit ihnen zu tun haben; und wenn sie anders handelten, würden sie als Meineidige und Schuldige bestraft und ihrer Ämter enthoben, wie es oft vorgekommen ist. Doch unter dem Pontifikat des genannten Herrn Papstes Johannes wurde diese heilsame Pflicht nicht beachtet, bis heute; denn indem er und der Vizekanzler der Römischen Kirche, der den Eid von jedem Beamten entgegenzunehmen hat, darüber ihre Augen verschließen und dies zulassen, wurden und werden diese Ämter – mit Verlaub gesagt 78 – verkauft, und mittels schnöden Geldes wurden und werden sehr viele – auch unnütze und unwürdige, wie allgemein feststeht – zu diesen Ämtern zugelassen, ohne daß sie verpflichtet würden, den gewohnten und löblichen Eid zu leisten. Daher werden diese Ämter schlecht geleitet, viele Beamte verfehlen sich oft, belasten mit dem für sie festgesetzten Entgelt auch über Gebühr die Parteien und tun anderes, was man nicht erzählen mag. [26] Man darf folgendes nicht mit Schweigen übergehen: Dieser Herr Papst Johannes wurde, wahrscheinlich durch einige einflußreiche Mitglieder seiner Kurie von jenseits der Alpen auf folgendes hingewiesen: Wenn er sich gewissen Bitten der Universität Paris geneigt zeigen werde, werde er sicher regieren und brauche hinsichtlich der anderen in seiner Obödienz keinerlei Bedenken zu haben; er hat dann in einer Art knechtischer Angst so wunderliche und in den vergangenen Jahrhunderten unerhörte Vorrechte 79 gewährt an Expektanzen für die Doktoren und Magister dieser Universität, die hinausgehen über jedes feste Maß, das selbst die zuvor von ihm selbst erlangten Gnaden noch gekannt hatten; damit hat er nicht bloß den Graduierten der anderen Universalstudien, sondern auch den Beamten seiner Kurie – ganz gleich wie sie die Bedingungen sonst erfüllten – in hohem Maße Abbruch getan. A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: röm. Kurie

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

[27] Quid denique vult dicere, si vacat aliquod beneficium ecclesiasticum reservatum, quod aliquis per pecuniam in eadem curia acquirit, ut ibi nunc cursus existit, et procurat expediri litteras apostolicas super illo et credit se forte tutum, quod alteri eciam non vendatur vel concedatur, tamen frequencius illud idem beneficium eciam aut uni vel pluribus extunc venditur, licet tardius venerint, et tunc sub eadem data vel anteriori dant, quam alteri venditum fuit. Ex quo sequitur, quod tunc, si concurrant hii in data, per concursum mutuo se impediunt ementes ipsi vel impetrantes idem beneficium. Set tunc utitur dominus papa alia cautela, quia tunc declarat fuisse sue intencionis, quod tali dumtaxat, nominando A. vel B., dictum beneficium sic vacans voluerit conferre et illius graciam effectum sortiri debere et alteri factam graciam non valere. Si autem anticipavit datum r, tunc non est opus, quod faciat talem declaracionem, quia tunc, qui prior est tempore, pocior est eciam iure. Set ista pecunia, que solvitur pro vacante beneficio reservato, antequam littere apostolice super illo alicui de camera apostolica tradantur, vestitur alio pacto vel colore, scilicet quod pro mediis fructibus illius beneficii impetrans illam solverit, quos tamen fructus non habuit nec forsan umquam habiturus est propter casus varios, qui, ne illud assequatur, occurrere possunt. Pluries eciam contingit, quod scribitur alicui ad eandem curiam, quod tale beneficium vacat sitque reservatum, tamen revera non vacat. Et venit aliquis ambiciosus ac paciscitur cum aliquo ex mediatoribus ipsis ad hoc deputatis in ipsa curia iuxta cursum consuetum et deponit pecunias suas, de quibus precium factum extitit apud mercatorem, ut traditis sibi bullis papalibus, ipse mediator pecuniam recipiat stipulatam aut statim solvat illam. Set postquam habuit ipsas bullas, ei innotuit, quod dictum beneficium non vacavit. Certe propterea sibi nichil restituitur de eo, quod solvit. Et si pepigit, ut predixi, opus est, ut solvat, aut male habeat, et si imputet sibi, quod illud aliqua causa forsan assequi non posset. Nimirum faciunt enim simoniaci more imperitorum medicorum, qui nec operantur nec permittunt operari secundum canones artis. Unde interdum succedit eis bene et interdum male. Ipsorum tamen errores sunt quam plures et successus pauci et casuales. Set si liceat eciam summe sedi et aliquibus sibi in talibus assistentibus sillaque fieri procurantibus s sic homines decipere ac exiguitatem pecuniarum illorum sibi taliter acquirere, eciam de plenitudine

r

datam Ed. fehlt Ed.

s–s

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Pfründenkauf

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[27] Was will folgendes besagen: Wenn eine reservierte kirchliche Pfründe vakant ist, erwirbt sie einer an dieser Kurie mit Geld, wie es jetzt dort einen solchen Weg gibt, und er sorgt dafür, daß die Apostolischen Briefe darüber ausgestellt werden; damit glaubt er sich sicher, daß sie nicht auch einem anderen verkauft oder verleihen wird; dennoch wird diese selbe Pfründe noch öfter einem oder mehreren verkauft, obgleich sie später kommen, und dann gibt man sie unter demselben Datum oder einem früheren, als sie dem anderen verkauft worden ist. Daraus folgt, daß dann, wenn diese [Briefe] im Datum übereinstimmen, durch diese Konkurrenz sich diejenigen wechselseitig behindern, die dieselbe Pfründe kaufen und zu erlangen suchen. Doch dann benutzt der Herr Papst noch einen anderen Vorbehalt, denn er erklärt, es sei seine Absicht gewesen, daß er dem Soundso namens A oder B besagte vakante Pfründe zuteilen wollte; die Gnade für diesen müsse verwirklicht werden und die einem anderen erteilte Gnade sei unwirksam. Wenn er aber das Datum vorverlegt, dann ist es nicht nötig, diese Erklärung zu geben, denn dann ist der, der der Zeit nach der Frühere ist, auch besser im Recht. Aber dieses Geld, das für eine reservierte vakante Pfründe gezahlt wird, bevor die Apostolischen Briefe darüber einem von der Apostolischen Kammer übergeben werden, wird durch eine andere Abmachung oder einen anderen Vorwand bemäntelt, etwa der Bewerber habe es für die Zwischenerträge dieser Pfründe bezahlt; doch diese Erträge hatte er nicht, noch wird er sie vielleicht jemals haben aus verschiedensten Gründen, die einem Erlangen entgegenstehen können. Oft geschieht es auch, daß einem an dieser Kurie geschrieben wird, eine Pfründe soundso sei vakant und sei reserviert, in Wirklichkeit ist sie jedoch nicht vakant. So kommt dann ein ehrgeiziger Mann und schließt einen Vertrag mit einem der Vermittler, die dafür an dieser Kurie bestimmt sind, gemäß dem gewohnten Weg, und der deponiert die Geldsumme des festgesetzten Preises bei dem Bankier, damit nach Übergabe der päpstlichen Bullen der Vermittler das vereinbarte Geld erhält oder es sofort einlöst. Aber nachdem er diese Bullen erhalten hat, wird ihm bekannt, daß die besagte Pfründe nicht vakant war. Sicherlich wird ihm nichts von dem, was er gezahlt hat, zurückerstattet. Und wenn er so vereinbart hat, wie ich es zuvor sagte, muß er zahlen, oder es geht ihm schlecht, auch wenn er es sich selbst zuschreiben sollte, daß er dies aus irgendeinem Grund vielleicht nicht erreichen konnte. Freilich handeln die Simonisten nach Art unerfahrener Ärzte, die weder nach den Regeln der Kunst operieren noch operieren lassen. Bisweilen geht es gut, bisweilen aber schlecht. Ihre Irrtümer sind recht viele, Erfolge wenige und eher zufällige. Doch falls es auch dem höchsten Papstthron und einigen, die ihm dabei helfen und für die Durchführung sorgen, erlaubt ist, Menschen so zu betrügen, sogar eine geringe Menge Geld von ihnen so zu besorgen, wäre dies selbst angesichts der Fülle der Apostolischen Gewalt verwunderA 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Pfründenkauf

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

apostolice potestatis, mirandum est. Scio enim scriptum esse in evangelio: Si quemquam defraudavi, reddo quadruplum.80 [28] Item propter ipsam symoniacam heresim et quosdam alios reprobos actus, qui fiunt in eadem curia Romana temporibus istis, hereses in regno Bohemie et Moravia in capitibus et in membris vehementissime pullularunt et vires assumunt continuo in dampna communia animarum valde multarum. Et multa obprobria, eciam in publico, Prage modernis temporibus in contemptum pape Iohannis moderni propter hoc attemptata et eciam super totum ipsum regnum diucius ubique locorum predicata. Et de quo diversi libri conscripti fuerunt. Inter alios et unus per Iohannem Huss se asserentem baccalaureum in sacra theologia, qui dicitur esse caput illorum hereticorum et precipuus in regno predicto, conceptus est, qui incipit: Cum quilibet viator diligere debeat et fideliter credere ecclesiam sanctam catholicam etc.81 Qui quidem liber per infinita argumenta ita impugnat auctoritatem papalem et eius plenitudinem potestatis, sicut alkoranus liber dampnati Machumeti, quem Sarraceni adorant, impugnat catholicam fidem. Et sic mala exempla dicte Romane curie longe lateque dictam fidem confundunt, et eciam occasionem illius erroris prestant, ita quod infinite anime christianorum miserabiliter condempnantur et fiunt per hoc membra diaboli, que prius membra Christi fuerunt. [29] Expediret, quod hereses ipse et auctores earum de Bohemia et Moravia prefatis eradicarentur omni modo. Set non video, quod illud umquam bono modo fieri possit, nisi predicta Romana curia prius ad ipsos veteres mores et consuetudines laudabiles reducatur,82 quia lege cavetur, quod a capite edenda est racio. Et 83dum caput egrotat, cetera membra dolent.83 Adhibeatur igitur, quantum possibile fuerit, bona et sollicita diligencia in ista felici congregacione aut synodo generali, quod, scismate et abusionibus t supradictis penitus resecatis, fiat perfecta unio in ipsa universali ecclesia. Et detur cum hoc ordo, quod reservantur et immobiliter observantur per officiales dicte curie, omnes et singulos, pristini boni mores, prout fieri consuevit antiquitus tempore unionis, antequam scisma illud inchoaret; quod prestante domino fiet, si bonus ordo in ipsa synodo opponatur, omni amore, favore, timore, odio et rancore semotis. [30] Quid tamen vult dicere, quod sex vel octo persone precipue, per quas aguntur talia in eadem curia, propter eorum avariciam, que est insaciabilis, quia, ut dicit Salomon: Avarus non saciabitur,84 a vero in tocius communitatis t 80

abusibus Ed.

Luc 19,8. Magistri Johannis Hus Tractatus de ecclesia, ed. S. Harrison Thomson, Cambridge 1956, bes. S. 20. 82 Nicht identifiziert. 83–83 Walther 6451 u. 6453. 84 Vgl. Eccli 14, 9 u. Walther 4860. 81

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Jan Hus

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lich. Ich weiß nämlich, daß im Evangelium steht: So ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder.80 [28] Wegen dieser simonistischen Ketzerei und einiger anderer verwerflichen Handlungen, die an dieser Römischen Kurie geschehen, stehen in diesen Zeiten die Ketzereien im Königreich Böhmen und Mähren an Haupt und Gliedern in vollster Blüte, und sie nehmen zum allgemeinen Schaden sehr vieler Seelen ständig an Kraft zu. Viele Schmähungen, auch in der Öffentlichkeit, wurden in diesen Tagen in Prag voll Verachtung des jetzigen Papstes Johannes deswegen versucht und auch überall in diesem ganzen Königreich längere Zeit hindurch gepredigt. Überdies wurden darüber verschiedene Bücher verfaßt. Unter anderen gibt es auch von Jan Hus, der behauptet, er sei Bakkalaureus der heiligen Theologie, – man sagt, er sei das Haupt dieser Ketzer und Rädelsführer in genanntem Reich, – eine Ausarbeitung, die beginnt: Da jeder Erdenpilger die heilige Katholische Kirche lieben und an sie getreulich glauben muß . . .81 Dieses Buch nun kämpft mit unendlich vielen Argumenten so gegen die päpstliche Autorität und seine Gewaltenfülle an, wie der Koran (das Buch des verruchten Mohammed, den die Sarazenen verehren) den katholischen Glauben bekämpft. So verderben die schlechten Vorbilder dieser Römischen Kurie weit und breit diesen Glauben, sie liefern den Vorwand für jenen Irrglauben, so daß unendlich viele Seelen von Christen erbärmlich verdammt werden und dadurch zu Gliedern des Teufels werden, während sie doch vorher Glieder Christi waren. [29] Es wäre gut, wenn diese Ketzereien und ihre Urheber aus Böhmen und Mähren völlig vertilgt würden. Aber ich sehe nicht, daß dies auf irgendeine gute Art und Weise geschehen könnte, wenn nicht die genannte Römische Kurie zuvor zu den alten löblichen Gebräuchen und Gewohnheiten zurückgeführt wird;82 denn im Recht heißt es warnend, daß vom Kopf die Vernunft ausgehen muß. Und 83wenn der Kopf krank ist, haben die übrigen Glieder Schmerzen.83 Also muß, soweit es möglich ist, gute und eifrige Sorge in dieser glücklichen Versammlung oder Allgemeinen Synode aufgewandt werden, damit nach gründlichem Ausschneiden des Schismas und der obengenannten Mißbräuche vollkommene Einheit in der Gesamtkirche entsteht. Dabei möge die Ordnung aufgestellt werden, daß durch die Beamten dieser Kurie samt und sonders die guten alten Sitten wieder eingeführt und unveränderlich beobachtet werden, so wie es einst in der Zeit der Einheit gewöhnlich geschah, bevor dieses Schisma begann; dies wird mit Gottes Hilfe geschehen, wenn die gute Ordnung auf dieser Synode vorgebracht wird, ohne jede Vorliebe, Gunst, Furcht, Haß und Groll. [30] Was will es besagen, daß etwa sechs oder acht bestimmte Personen, durch die derartiges an dieser Kurie gemacht wird, wegen ihres Geizes, der unersättlich ist – denn, wie Salomon sagt: Der Geizige ist unersättlich84 –, es wagen, zum höchsten Schaden der ganzen Gemeinschaft der Christen VerA 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Jan Hus

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IV Theodericus: Avisamenta de unione

christianorum grandissimum dispendium audent excedere et quod tota ipsa communitas talia dissimulando illorum protervie non resistit. Set videant similiter facientes et consencientes; quia saltem deo sunt de hoc finaliter responsuri. Et tunc videbunt, si prosunt eis sompnia sua. Et quia 85omnis Christi accio nostra debet esse instruccio,85 set Christus manibus propriis mensas nummulariorum evertit et impios sacerdotes ementes et vendentes columbas in templo eliminando illos flagellavit asserens: Domus mea domus oracionis vocabitur86 etc., designans, quod simoniaca rabies et avaricia sacerdotibus et dei ministris prorsus aliena esse deberet, igitur, vos patres optimi in predicto concilio spiritus sancti gracia insimul convocati, sic et vos mundetis templum domini de istis avaris prosenetis et cucullatisu sacerdotibus, qui sic vendunt et auctores sunt, quod vendantur ecclesiastice dignitates et alii inferiores tituli huiusmodi, que dignis et bene meritis debentur! Nec convenit super illis pecuniam stipulari aut eos pactis illicitis intercedentibus venundari. Set cavete bene vobis, quia dictum est: Omne simile diligit suum simile, et malus malum qualitercumque supportat!87 Ne forsan eciam ob hoc vicium simonie in aliquibus vestrum latitans hos avaros curiales in illo propterea in dispendium tocius christianitatis ulterius foveatis. Et quia, dum currus catholice fidei per abrupta ducitur, expedit, quod omnes christiani, magni videlicet, mediocri et parvi, manus operarias apponant, quilibet videlicet iuxta posse et nosse divinitus sibi datum, ut ad viam subito rectam reducatur. Ideo ego tantillus vera caritate motus hoc describere v volui, ex quibus elicere plures poterunt, que expedientur in eodem sacro concilio et ea efficaciter sequi et exequi, ut tenentur, ne a tanto bono, quod ibi dante domino perficietur, tacendo et dissimulando remanerem prorsus exclusus et que quilibet bonus corrigat et emendet, prout placebit eidem, salva semper veritate.

A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Kuriale

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gehen gegen die Wahrheit auf sich zu laden, und daß diese ganze Gemeinschaft solches nicht zur Kenntnis nimmt und ihrer Dreistigkeit nicht Widerstand leistet. Doch wer ähnlich handelt oder zustimmt, möge zusehen; denn er muß sich letztlich darüber vor Gott verantworten. Dann wird er sehen, ob ihm seine Träume nützen. Weil 85jede Tat Christi unserer Belehrung dienen muß,85 Christus aber mit eigenen Händen die Tische der Geldwechsler umgestoßen hat und die gottlosen Priester, die Tauben kauften und verkauften, aus dem Tempel mit Geißelhieben vertrieben hat mit den Worten: Mein Haus soll ein Bethaus heißen . . .86 – womit er andeutete, daß simonistische Sucht und Habgier den Priestern und Dienern Gottes wahrhaftig fremd sein müßte – darum nun, Ihr besten Väter, die Ihr auf diesem Konzil durch die Gnade des Heiligen Geistes zusammengerufen seid, reinigt auch Ihr den Tempel des Herrn von diesen habgierigen Kurialen und Priestern im Mönchshabit, die so verkaufen und Urheber dafür sind, daß kirchliche Würden und andere niedere Titel verkauft werden, die würdigen und wohlverdienten Männern gebühren! Es gehört sich nicht, dafür Geld vertraglich zu versprechen oder sie mittels unerlaubter Verträge zu erschachern. Aber hütet Euch wohl, denn es heißt: Alles liebt, was ihm ähnlich ist, und der Böse unterstützt irgendwie den Bösen!87 Helft also künftig nicht etwa wegen dieser Sünde der Simonie, die in einigen von Euch verborgen steckt, diesen habgierigen Kurialen in dieser Sünde, zum Schaden der ganzen Christenheit. Und weil das Gefährt des katholischen Glaubens über Abgründe geführt wird, ist es förderlich, daß alle Christen, und zwar die großen, die mittleren und die kleinen, tätig Hand anlegen, jeder nach Kräften und Kenntnissen, die ihm von Gott gegeben sind, damit es rasch wieder auf den rechten Weg zurückgeführt wird. Deswegen wollte ich, ein kleiner Mann, von der wahren Liebe gerührt, das aufschreiben, woraus viele entnehmen können, was förderlich sein wird auf diesem heiligen Konzil und was sie wirksam befolgen und ausführen können, wie sie gehalten sind; so möge ich von dem großen und guten Werk, welches dort – das gebe Gott – verwirklicht werden wird, nicht durch Schweigen und Vertuschen gänzlich ausgeschlossen bleiben und von dem, was jeder beliebige gute Mensch ändern und verbessern soll, wie es ihm gefällt, stets unbeschadet der Wahrheit. A 4 Dietrich v. Nieheim: Vorschläge: Kuriale

85–85 86 87

Walther 36352b2. Matth 21, 13. Vgl. Walther 39 204 u. 38113.

V Theodericus: Super reformacione

B. FRÜHE REFORMPROGRAMME AUF DEM KONSTANZER KONZIL

V

Ed.: ACC IV S. 630–634, 623–625. Der Dialog in der Fassung Hs. Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 595 (V) – emendiert auch mit Hilfe der Hs. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, lat. 4956 (W).

THEODERICUS DE NYEM SUPER REFORMACIONE ECCLESIE [1] Et numquid melius et salubrius esset tollere omnino illas pessimas reservaciones et reducere ad ius commune ecclesias et ecclesiastica beneficia huiusmodi necnon eorum ordinarios collatores, quam sic ea viliter permittere occupari? Et cum ita sit, adhibeatur circa illud obstaculum, quantum fuerit possibile, eciam in ipso concilio remedium oportunum, ne sic per indirectum per ipsas reservaciones ecclesiastici collatores iura sua quoad illud perdant idque per laicos deinceps perpetuo usurpetur. Et quia ipsi ordinarii collatores plerumque impediuntur in ipsa curia, quod de beneficiis suis disponere non possunt, propterea eciam tepidi sunt ad resistendum ipsis laicis in ea parte. Per quem autem et cuius auctoritate et qualiter isti malefici puniantur, queso, dicito michi, bone pater. Amice dilecte, amore tui respondeo, quod regis, quia interest rei publice, ne crimina remaneant impunita, set isti prevaricatores legum divinarum et humanarum permaxime puniendi sunt iuxta Apostolum ad Romanos dicentem: Quia cum iusticiam dei cognovissent, non intellexerunt, quoniam, qui talia agunt, digni sunt morte et eciam, qui consenciunt.1 Et rursus: Quicumque enim sine lege peccaverunt, sine lege et peribunt.2 Rex autem dei minister est et portat gladium ad vindictam malorum3 etc., eciam secundum Apostolum, ubi supra. Prevaricatores autem sicud spine evellentur universi, que non tolluntur manibus, et si quis eas tangere noluerit, armabitur ferro et ligno lanceato igneque succense comburentur usque ad nichilum. II Reg. XXIII.4 Et istud evangelii: Malos male perdet, et vineam suam aliis locabit agricolis5 etc. Quia non est sperandum, quod inquinati talibus pravis excessibus illos obmittant, set sequantur eosdem; nam ut medici corporum dicunt: Bonum regimen multum iustificat accidencia mala anime, set quia caret illo et sequitur opinionem falsam aut malam, in qua nutritus et confortatus est, pervertit iudicium. Homo enim inclinatur ad consueta, sive sint agibilia sive speculabilia, et quia connutricio in eo est quasi natura, ideo displicet ei alia opinio. a

quia Hs. V u Ed.

1

Rom 1, 32. Rom 2, 12. Rom 13, 4. * 2 Reg 23, 6 ff. Matth 21, 41.

2 3 4 5

5. DIETRICH VON NIEHEIM DER DIALOG AUS DER KIRCHENREFORM-EINGABE, ENDE 1414 [1] Wäre es nicht das Beste und Heilsamste, jene überaus schlechten Reservationen gänzlich zu beseitigen und Kirchen, kirchliche Pfründen solcher Art und die ordentlichen Verleiher auf das allgemeine Recht zurückzuführen, statt zu erlauben, daß sie so schäbig entfremdet werden? Wenn dem so ist, sollte gegen diesen Mißstand soweit möglich auch auf diesem Konzil ein passendes Heilmittel gefunden werden, damit nicht auf indirektem Weg durch diese Reservationen die kirchlichen Verleiher ihre entsprechenden Rechte verlieren und Laien dies künftig auf immer für sich beanspruchen. Denn die ordentlichen Verleiher werden an der Kurie zumeist behindert, so daß sie hinsichtlich ihrer Pfründen keine Entscheidungen treffen können; deshalb sind sie auch so lau, den Laien in dieser Angelegenheit Widerstand zu leisten. Durch wen aber, kraft wessen Macht und wie sollen die Bösewichte bestraft werden? frage ich; sage es mit bitte, guter Vater! Lieber Freund, aus Liebe zu Dir antworte ich: Auch die Verbrechen eines Königs dürfen nicht unbestraft bleiben, denn das liegt im Interesse des Gemeinwesens; doch die pflichtvergessenen Verwalter der göttlichen und menschlichen Gesetze müssen ganz streng bestraft werden entsprechend dem Apostel, der zu den Römern sagt: Da sie Gottes Gerechtigkeit kennen, wissen sie: wer solches tut, ist des Todes würdig, auch wer zustimmt.1 Und an anderer Stelle: Wer ohne Gesetz gesündigt hat, wird auch ohne Gesetz verlorengehen.2 Der König aber ist ein Diener Gottes und trägt das Schwert zur Rache an den Übeltätern3 usw. Auch nach dem Apostel, wie oben: Aber die heillosen Leute sind allesamt wie die ausgeworfenen Disteln, die man nicht mit den Händen fassen kann, sondern wer sie nicht anfassen will, muß Eisen und Spießstange in der Hand haben, sie werden mit Feuer verbrannt an ihrem Ort.*4 Und das Evangelium: Er wird die Bösewichte übel umbringen und seinen Weinberg anderen Weingärtnern austun5 usw. Man kann nicht hoffen, daß diejenigen, die sich mit solch schlimmem Vergehen besudelt haben, diese unterlassen, vielmehr werden sie ihnen weiter folgen; denn wie die Ärzte sagen: Gute Führung kann die hinzutretenden Übel der Seele sehr wohl beseitigen, aber wer sich davon fernhält und der falschen und schlechten Meinung folgt, in der er erzogen und bestärkt wurde, verkehrt sein Urteil. Der Mensch neigt nämlich dem Gewohnten zu, im Aktiven und im Kontemplativen, und weil das mit der Muttermilch Eingenommene in ihm gewissermaßen zur Natur geworden

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V Theodericus: Super reformacione

Nec tacendum est, quod, licet quis secundum altitudinem status sui non subiciatur legibus humanis, non tamen propterea eximitur, quin secundum illas vivere debeat, ut Catho docet: Legem patere, quam tuleris.6 Et eciam legi divine nichilominus subest; alias enim exlex haberetur, quod recte racioni repugnat. Removeantur igitur et puniantur isti exleges et eis boni et utiles surrogentur ad faciendum iudicium conscriptum in nacionibus, quia hec est gloria omnibus sanctis dei. Sicut enim perfectum optimum animalium homo est, sic et separatum a lege et iusticia pessimum omnium;7 iniusticia enim sevissima habens arma,8 ut dicit Philosophus primo Politicorum. Est enim inconsonum veritati dicere quemquam habere licitam potestatem ad actus illicitos perpetrandum. [2] Nunc peto, amice carissime, ut aliud dubium michi velit dileccio vestra reserare. Ecce omni 9iure vetustissimo, veteri, novo et novissimo 9 eleccio summi pontificis spectat ad collegium dominorum cardinalium, ita quod saltem duas partes illorum illum habere oporteat, qui se asserit electum papam. Quod non negatur. Numquid ipsi domini b cardinales pro motu eorum ac preter et contra iura huiusmodi possint eligere aliquem voluntarium homicidam vel aliter notorie criminosum, irregularem, defectuosum seu alias inabilem ad papatum. Quia forsan allegabant c ad iustificandum et colorandum factum eorum, quod recognoverunt illum esse bonum temporalem. Quia forsan erat expertus in factis armorum et scivit bene exaccionare subditos necnon collectas instituere, gabellas augere et similia facere, que nec spiritualibus congruunt nec adherent; aut quia elegerunt aliquem importunum, quia per fas et nefas efflagitabat elecciones et voces eorum, ut quomodolibet preficeretur in papam? Et ita factum extitit, ut frequencius inportunitas vincitd, et sic papa efficitur. Et quid ibi subditis, scilicet omnibus christianis, sit salubritere consulendum aut obediendum sibi ut pape vel non, vel quid faciendum? Certe, frater carissime, quia hec questio nimis f est ardua, et vehementer excedit exiguas vires meas veluti tenebrosa aqua in nubibus aeris, ideo te remitto determinacioni concilii generalis in proximo celebrandi, et quid per

b c d e f 6

fehlt Ed. allegabunt Hs. V u. Ed. vincat Ed. salubrius Hs. W u. Ed. res nimis Ed.

Walther 39412, (aus Umformumg der Disticha Catonis). Vgl. Thomas Aquin., Summa Theologica I II q. 96 art. 5 ra. 3, Opp. II S. 483 A.

B 5 Dietrich v. Nieheim: Dialog

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ist, deswegen mißfällt ihm eine andere Meinung. Nicht verschwiegen werden soll: Mag einer auch entsprechend der Höhe seines Standes nicht den menschlichen Gesetzen unterworfen sein, so wird er dennoch nicht deswegen ihnen enthoben, daß er nicht ihnen entsprechend leben müßte, wie Cato lehrt: Ertrage das Gesetz, das du gegeben hast.6 Auch untersteht er gleichwohl dem göttlichen Gesetz, sonst müßte man ihn für gesetzlos halten, was der sittlichen Vernunft widerspricht. Daher müssen die Gesetzlosen entfernt und bestraft werden und an ihrer Stelle Gute und Brauchbare nachrücken, um an den Völkern das schriftlich niedergelegte Urteil zu vollziehen, denn das ist der Ruhm für alle Heiligen Gottes. Wie der Mensch das beste und vollkommenste unter den Lebewesen ist, so ist er auch, getrennt vom Gesetz und von der Gerechtigkeit, das schlimmste von allen;7 die Ungerechtigkeit hat nämlich die grausamsten Waffen 8, wie der Philosoph im 1. Buch der Politika sagt. Es stimmt nämlich nicht mit der Wahrheit überein, wenn man sagt, irgend jemand habe freie Erlaubnis, unerlaubte Handlungen zu begehen. [2] Nun bitte ich, hochgeliebter Freund, Euer Liebden möge mich von einem anderen Zweifel befreien. Sieh doch: Im gesamten Recht, 9im ältesten, alten, jungen und jüngsten,9 gebührt die Wahl des Heiligen Vaters dem Kollegium der Herren Kardinäle, so daß der also zwei Drittel von ihnen erreichen muß, der sagen kann, er sei zum Papst gewählt.Dies wird nicht geleugnet. Doch können diese Herren Kardinäle nach eigenem Ermessen am Recht vorbei oder gegen das Recht einen vorsätzlichen Mörder oder sonstwie bekannten Kriminellen, einen Irregularen, Behinderten oder sonstwie zum Papstamt Unfähigen wählen? Denn sie haben wohl zur Rechtfertigung oder Bemäntelung ihres Vorgehens behauptet, sie wüßten, daß er im Weltlichen ein guter Mann ist? Er war wohl erfahren im Waffenhandwerk oder konnte seine Untertanen gut besteuern und Abgaben einführen, Zölle vermehren und derlei tun, was gar nicht mit Geistlichem zusammenhängt und nicht dazu gehört; oder sie wählten einen Unverschämten, weil er – ganz gleich ob zu Recht oder Unrecht – seine Wahl und ihre Stimmen forderte, damit er irgendwie zum Papst gemacht wird? So ist es dazu gekommen, daß recht häufig die Unverschämtheit siegt und so ein Papst erhoben wird. Was ist dann Untertanen, d. h. allen Christen, als heilsam anzuraten: ihm wie einem Papst zu gehorchen oder nicht, oder was sollen sie sonst tun? Gewiß, hochgeliebter Bruder, weil dies eine überaus schwierige Frage ist und gewaltig über meine geringen Kräfte hinausgeht – wie trübes Wasser in der Wolken der Luft –, deswegen übergebe ich Dich der Entscheidung des B 5 Dietrich v. Nieheim: Dialog

7

Vgl. Walther 37 257 c. Aristoteles, Politica I 1, (1253 a 30). 9–9 Papst Nikolaus II. 1059 (D. 23 c. 1); 3. Laterankonzil 1179 (X 1.6); 2. Konzil Lyon 1274 (VI 1.6); Konzil von Vienne 1311 (Clem. 1.3). 8

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V Theodericus: Super reformacione

illud tibi dicetur, incunctanter observa. Verumtamen g hquid senciam h in ea parte, ifidulialiter tibi i revelo, quia non puto, quod kille sit vero k et canonice electus papa. Ideo a christianis non est pro papa colendus vel habendus neque in papatu tali eum temporis longitudo confirmat, quod sit verus papa. Quia tempus non inducit obligacionem. Hoc utique sane ab intelligentibus elicitur XXIII. di. In nomine domini; VIII. di. In scripturis; De eleccione: Licet; et c. Ubi periculum, De eleccione li. VI et Cle. Ne lRomani eleccionil et aliis canonibus et iuribus multis.10 Hoc eciam racio confirmat, quia summi pontifices non debent esse loricati mnec belligeri m neque exactores importuni aut publicani seu spiritualia temoralibus n postponentes, set econtra, 11quia sancti per fidem vicerunt regna.11 Nec debent esse avari, ymmo largi, 12quia beacius est dare quam accipere 12 et 13hylarem datorem diligit dominus;13 et o elemosinarii et benigni, non venditores ecclesiasticorum titulorum, set illos gratis dignis et bene meritis pcum bono temperamento p conferre, ut ipsis congruat illud: Fidelis servusq et prudens, quem constituit dominus super familiam suam.14 Et quia temporalia sunt accessoria spiritualibus et non econtra. Quid expediret eum tanta iuris r solempnitate eligere in papam, prout habetur in preallegatis iuribus, quod eligi debeat, cum quilibet sollicitus in temporalibus et avidus ad aquirendum temporalia bona per cetum cardinalium in papam eligi posset: Et talis omni iure ut s papa esset colendus, cuius tamen defectus quoad illud essent notorii seu manifesti. Tunc utique quilibet capitaneus gencium armigerarum strenuus et sagax in illa arte aut t quilibet industriosus mercator vel alter similis in papam per ipsos dominos u cardinales, ipsis solempnibus iuribus utpote superfluis et inutilibus omissis vel non servatis, eligi posset.Quod secundum me nullatenus est credendum propter absurdum. Non enim esset honestum, quod agricola callosis manibus sacra tractaret, nec bannausus fuliginosus esset circa sacra,15 ut dicit Philosophus VII. Politicorum. Si non decet quem esse papam et ea, que ad ipsius spectant officium, g

Verum Hs. W u. Ed. quod sentio Ed. i–i fehlt Ed. k–k sit ille verus Hs. W u. Ed. l–l humani et c. II. Ed. m–m fehlt Ed. n fehlt Ed. o ac Hs. W u. Ed. p–p fehlt Ed. q fehlt Hs. W u. Ed. r fehlt Hs. W u. Ed. s fehlt Ed. t ut Hs. W u. Ed. u fehlt Ed. h–h

B 5 Dietrich v. Nieheim: Dialog

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demnächst beginnenden Allgemeinen Konzils, und was Dir dort gesagt wird, das befolge unerschütterlich. Doch was ich in dieser Sache meine, möchte ich Dir gewissenhaft kundtun; denn ich glaube nicht, daß jener ein richtig und kanonisch gewählter Papst ist. Deshalb braucht er von den Christen nicht als Papst verehrt und behandelt zu werden, auch bestätigt ihn nicht der Verlauf der Zeit in seinem Papstamt, so daß er dadurch ein wahrer Papst würde. Denn die Zeit bringt keine Verpflichtung. Dies ist Intelligenten ohne weiteres aus dem Kirchenrecht und vielen Gesetzen ersichtlich.*10 Dieses bestätigt auch die Überlegung, daß die Päpste nicht im Panzer und als Krieger auftreten dürfen, keine rücksichtslosen Abgaben- und Steuereintreiber sein dürfen, die das Geistliche dem Weltlichen hintansetzen, im Gegenteil; 11 denn die Heiligen haben durch den Glauben Königreiche überwunden 11. Sie dürfen nicht geizig sein, vielmehr freigebig, denn 12geben ist seliger als nehmen,12 und 13einen fröhlichen Geber hat Gott lieb;13 sie müssen Almosenspender und gütig sein, nicht Verkäufer kirchlicher Titel, sondern sie müssen umsonst den Würdigen und Wohlverdienten mit guter Zurückhaltung diese zukommen lassen, damit auf sie das Wort zutrifft: Du treuer und kluger Knecht, den der Herr setzt über sein Gesinde.14 Denn Weltliches ist Zubehör zum Geistlichen und nicht umgekehrt. Was nützte es, ihn mit solcher rechtlichen Feierlichkeit zum Papst zu wählen, wie es in den angezogenen Rechtsbestimmungen steht, nach denen er gewählt werden soll, wenn doch jeder, der nach weltlichen Dingen strebt oder nach weltlichen Gütern gierig ist, von der Versammlung der Kardinäle zum Papst gewählt werden könnte und dann als Papst verehrt werden müßte, obgleich seine diesbezüglichen Mängel notorisch oder offenkundig wären. Dann könnte gleich ein beliebiger Hauptmann einer Söldnertruppe, der tüchtig und beschlagen in seinem Handwerk ist, oder irgendein umtriebiger Kaufmann oder sonst ein Ähnlicher durch die Herren Kardinäle gewählt werden unter Preisgabe oder Nichtbeachtung der feierlichen, hier aber gewissermaßen überflüssigen und unnützen Gesetze. Dies kann ich gar nicht glauben, denn es wäre absurd. Es wäre nicht mit der Ehre vereinbar, daß ein Bauer mit schwieligen Händen das Heilige berührte und ein rußiger Handwerker beim Heiligtum weilte,15 wie der Philosoph im 7. Buch seiner Politika sagt. So gehört es sich nicht, daß er Papst ist und das, was zu seinem Amt gehört, nicht kennt oder es

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* D. 23 c. 1; D. 96 c. 8; X 1.6.6; VI 1.6.3; Clem. 1.3.2. MGH Fontes iuris 9, Oratio Accingere (nach Hebr 11, 33). 12–12 Act 20, 35. 13–13 2 Cor 9, 7. 14 Luc 12, 42. 15 * Aristoteles, Politica VII 9, (1329 a 28). 11–11

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V Theodericus: Super reformacione

nescire aut scire set nolle formaliter exercere. Stat igitur illud, quod raro felici finiuntur exitu, que debito caruere principio. Et hec sit tibi responsio mea, super quam me nolo amplius dilatare. [3] Adhuc unum vellem petere a vobis, queso, respondeatis. Quid enim vobis videtur, si ipse dominus Iohannes papa remaneat? Numquid per eum universalis ecclesia poterit bene in spiritualibus reformari? Miror, quod talia a me petitis, que vos optime scitis, vel forsan nitemini me temptare? Et licet veritas odium pariat, dicam tamen, quod de hoc michi videtur. Scriptum est: Ex fructibus eorum cognoscetis eos.16 Preterea, ut dicit Philosophus: Nemo prosperatur in eo, quod ignorat.17 Certum autem est et experiencia docet, quod ipse dominus Iohannes papa quoad spiritualia, si bene vel male transirent, semper sibi ultima cura fuit et est et similiter ad reformandum mores suorum curialium et aliorum necnon augendum eius obedienciam, saltem per modos debitos et necessarios, nichil apparuit hactenus nec apparet in effectu. 18Potest tamen deus ex lapidibus filios Abrahe suscitare,18 et si erit unus ex illis, tunc forsan ipsa ecclesia per eum reformabitur in spiritualibus ipsis, set quia de contingentibus non est determinata veritas, existimo, quod illud a christifidelibus satis inconsulte prestolaretur quoad ipsum. Et hiis, rogo, sis contentus. De temporalibus vero, si dominus papa illa bene vel male dispenset, parum nobis curandum est. Nam ipse et sui, quibus hoc committit, ut videmus aperte, omnia emolumenta, que exinde proveniunt, percipiunt nec illa dispensant, prout dispensare deberent, saltem iuxta disposicionem utriusque iuris, set proiciuntur in saccum pertusum.19 Non enim vidi, quod magis daretur per papam et suos ministros de hiis ipsis emolumentis Rome, Viterbii, Perusii, Bononii et aliis civitatibus et terris Romane ecclesie in temporalibus pauperibus, peregrinis et aliis miserabilibus personis clericis et laicis, ymmo minus, quam Florencie, Senis et aliis egregiis civitatibus et terris, in quibus Romana ecclesia in temporalibus non dominatur. Verum est, quod ecclesiastici rectores in talibus civitatibus et terris, in quibus habent temporale dominium in Italia, plerumque consueverunt esse magis importuni exactores quoad angarias, gabellas et alia onera quoad subditos eorum, qui eciam a lupanaribus et baratariis exigunt, quam alii, qui ceteris terris et civitatibus dominantur. Et si propterea dici mereantur boni temporales seu civiliter regentes, tu, qui talia vidisti et probasti, discute per te ipsum. Propter ista temporalia et regalia, que nonnulli summi pontifices ipsis ascripserunt in Italia et quibusdam provinciis et insulis contiguis, inter ipsos 16

Matth 7, 16. Vgl. Aristoteles, Eth. Nicom. I 3, 5, (1094 b 27). 18–18 Matth 3, 9. 19 Vgl. Walther 27049 a: Sacco pertuso mea ponere iure recuso. 17

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kennt, aber nicht formgerecht anwenden will. Es steht also fest, daß das, was des rechten Beginns mangelt, selten durch glücklichen Ausgang beendet wird. Dies mag meine Antwort für Dich sein, über die ich mich nicht weiter verbreiten will. [3] Noch eines möchte ich von Euch erfragen; antwortet bitte darauf: Was meint Ihr: Ob wohl der Herr Papst Johannes bleibt? Könnte durch ihn die Weltkirche gut im Geistlichen reformiert werden? Ich wundere mich, daß Ihr das von mir erfragt, was Ihr selbst am besten wißt; oder wollt Ihr mich in Versuchung führen? Mag die Wahrheit auch Haß gebären, so will ich doch sagen, was ich dazu meine. Es steht geschrieben: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.16 Außerdem, wie der Philosoph sagt: Keiner zieht Nutzen aus dem, was er nicht kennt.17 Sicher aber ist, und die Erfahrung lehrt, daß der Herr Papst Johannes sich stets an letzter Stelle darum gekümmert hat, was das Geistliche anlangt, ob es gut oder schlecht steht, ebensowenig um die Besserung der Sitten seiner Kurialen und der anderen, sowie um die Mehrung des Gehorsams gegen ihn, jedenfalls durch angemessene und notwendige Maßnahmen; nichts hat er hier in die Tat umgesetzt. 18Gott vermag jedoch aus Steinen dem Abraham Kinder zu erwecken 18, und wenn er einer von diesen ist, dann wird vielleicht die Kirche durch ihn im Geistlichen reformiert werden; doch weil über Kontingentes keine wissenschaftliche Wahrheit ausgesagt werden kann, meine ich, daß dies von den Christgläubigen recht unüberlegt ausgerechnet von ihm erwartet wurde, soweit es auf ihn ankommt. Und damit sei bitte zufrieden! Über die weltlichen Dinge aber brauchen wir uns wenig zu sorgen, ob der Herr Papst sie gut oder schlecht verwaltet. Denn er und die Seinen, denen er dies anvertraut, nehmen, wie wir klar sehen, alle Einkünfte wahr, die daraus hervorgehen; und sie verwalten nicht, wie sie verwalten müßten, also nach der Regelung beiderlei Rechts, sondern alles wird in den durchlöcherten Sack geworfen.19 Ich habe nicht gesehen, daß vom Papst und seinen Dienern mehr von den Einnahmen in Rom, Viterbo, Perugia, Bologna und anderen Städten und Ländern der Römischen Kirche an die weltlichen Armen, Pilger und sonstigen Bedürftigen gegeben würde, Kleriker wie Laien, nein, weniger als Florenz, Siena und den anderen bedeutenden Städten und Ländern, in denen die Römische Kirche nicht im Weltlichen herrscht. Wahr ist, daß die kirchlichen Leiter in jenen Städten und Ländern, in denen sie weltliche Herrschaft in Italien innehaben, meist unangenehmere Eintreiber sind, was Zölle, Mauten und andere Lasten für ihre Untertanen angeht (sie fordern sie auch von Freudenhäusern und Lasterhöhlen!), als die anderen, die die übrigen Länder und Städte beherrschen. Ob sie deswegen als gute weltliche Herren oder politische Regenten bezeichnet zu werden verdienen, erörtere, der Du dies gesehen und gebilligt hast, selbst. Wegen dieser weltlichen Güter und wegen der Regalien, die einige Päpste sich in Italien und einigen benachbarten Ländern und Inseln zugeschrieben

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V Theodericus: Super reformacione

et eis adherentes ex una parte necnon plures Romanorum imperatores et reges ex alia fuisse sediciones et guerras sevissimas et longissimas, per quas eciam tota christianitas vehementissime turbabatur, legimus v. Reperitur tamen in auctenticis scripturis,20 quas ego legi de verbo ad verbum, quod Leo papa VIII. in concilio generali apud Lateranum in basilica ad sancta sanctorum solempniter celebrato cum cetu suorum cardinalium necnon archiepiscopis et abbatibus, admodum multis viris religiosissimis ibidem eciam nominatim expressis, legum doctoribus et peritis, approbantibus eciam senatu et populo Romano ac volentibus concorditer omnia dominia et regalia necnon possessiones ecclesie Romane donata per Constantinum primum imperatorem seu Iustinianum principem Romanorum innovata, Pipinum et eius filium Karolum Magnum reges Francorum necnon Aripertum regem Gothorum et Lombardorum, inter alia multa valde in Ottonem Magnum primum augustum eiusque successores imperatores et reges Romanorum, et qui regnum Italie tenerent pro tempore, eciam cum abiuracione perpetua et sollempni super cruce domini et reliquiis apostolorum Petri et Pauli et multis aliis venerandis reliquiis sanctorum ibi expressis in perpetuum et irrevocabiliter transtulisse ipsumque Ottonem imperatorem et Adelheydim eius uxorem et regni consortem in eodem concilio tunc presentes pro se et successoribus ipsis w in predicto generali concilio acceptasse translacionem et donacionem antedictas cum maximis et horribilibus penis et censuris similiter hic expressis in illos, qui forsan contra premissa venirent. Et in eisdem concessionibus eciam nominatim expressa sunt ipsa dominia, que tamen hodie per diversos alios occupantur, quod pro maiori parte contigisse videtur propter easdem guerras et sediciones, que propter huiusmodi temporalia et regalia, que, ut prefertur, quidam summi pontifices post translacionem et donacionem antedictas in ipsum imperium perpetuo et irrevocabiliter factas quibusdam imperatoribus illorum temporum aufferre et sibi applicare conabantur, fecerunt. Unde tot mala, que vix scribi possent, in christiano populo subsecuta fuerunt et rerum dominia maxime in ipsa Italia in ambiguo remanserunt et remanent. Set de hoc non dolent, ut existimo, multi tiranni, qui huiusmodi dominiorum gaudent realiter principatu de summis potestatibus cachinnando. [4] xBene dixisti, amantissime domine mi, et bene contentor de tuo responso michi gratissimo, proinde tibi graciarum acciones refero corde et animo. Dominus sit tecum teque custodiat in eternum.x v

ergänzt, fehlt Hs. V fehlt Ed. x–x fehlt Hs. V w

20

MGH Fontes iuris 13, S. 154–177; zitiert bei Dietrich, Historie S. 28 ff. – Siehe auch oben Nr. 4 S. 281 Anm. 68.

B 5 Dietrich v. Nieheim: Dialog

305

haben, hat es zwischen ihnen und ihren Anhängern auf der einen Seite, sowie mehreren Römischen Kaisern und Königen auf der anderen sehr grausame und lange währende Aufstände und Kriege gegeben, durch die auch die ganze Christenheit aufs heftigste erschüttert wurde. Man findet jedoch folgendes in den glaubwürdigen Dokumenten,20 die ich Wort für Wort gelesen habe: Papst Leo VIII. hat – auf einem Allgemeinen Konzil, das im Lateran in der Basilika beim Allerheiligsten feierlich durchgeführt wurde, mit der Schar seiner Kardinäle und mit zahlreichen Erzbischöfen, Bischöfen und Äbten, vielen tief frommen Männern (die dort auch namentlich aufgeführt werden), Gesetzeslehrern und Gesetzeskundigen, sowie mit Zustimmung des Römischen Senats und des Volkes von Rom, auch mit deren einträchtigem Willen – alle Herrschaftsrechte und Regalien, sowie die Besitzungen, die der Römischen Kirche von Konstantin, dem ersten Kaiser, geschenkt und die von Justinian, einem Kaiser der Römer, erneuert worden waren, die von den Frankenkönigen Pippin und dessen Sohn Karl dem Großen sowie von dem König der Goten und Langobarden Aribert –, unter sehr vielen anderen auf Kaiser Otto I., den Großen, und seine Nachfolger als Römische Kaiser und Könige (sie sollten auch jeweils das Königreich Italien innehaben) mit ewiger und feierlicher Abschwörung über dem Kreuz des Herrn und den Reliquien der Apostel Petrus und Paulus und vielen anderen verehrungswürdigen Reliquien von Heiligen (die dort einzeln genannt werden), – für immer und ewig und unwiderruflich übertragen; und Kaiser Otto und Adelheid seine Gemahlin und Teilhaberin am Reich, die auf eben diesem Konzil anwesend waren, haben für sich selbst und für ihre Nachfolger diese Übertragung und Schenkung auf diesem Allgemeinen Konzil angenommen, verbunden mit höchsten und schrecklichsten Bußen und Strafen (sie werden gleichfalls aufgezählt) gegen die, die sich etwa gegen das Zuvorgenannte vergehen sollten. Bei diesen Gewährungen sind auch ausdrücklich die Herrschaften vermerkt, die heute jedoch von verschiedenen anderen besetzt gehalten werden, was wohl zum größten Teil wegen der Kriege und Aufstände geschehen ist, die sie wegen solcher weltlichen Güter und Regalien durchgeführt haben; und wie gesagt: Nachdem die genannte Übertragung und Schenkung an das Reich für immer und ewig und unwiderruflich vollzogen war, haben einige Päpste versucht, diese einigen Kaisern ihrer Zeit wegzunehmen und sich einzuverleiben. Daher folgten die vielen Übel im christlichen Volke, die man kaum beschreiben kann, und die Herrschaftsgewalt, besonders in Italien, blieb und bleibt im Ungewissen. Gar nicht unglücklich sind darüber, meine ich, viele Tyrannen, die sich tatsächlich der faktischen Gewalt über solche Herrschaften freuen und dabei über die höchsten Gewalten nur lachen. [4] Mein hochgeliebter Herr, Du hast wohl gesprochen und ich gebe mich gern mit Deiner mir hochwillkommenen Antwort zufrieden; darum sage ich Dir von Herzen Dank. Der Herr sei mit Dir und behüte Dich in Ewigkeit.

VI

Ed.: ACC II S. 759–761 – Hs. Warschau verschollen; Änderungen gegenüber Ed. sind Konjekturen.

VI Anonymus: Epistola [ANONYMUS] EPISTOLA EXHIBITA REGI ROMANORUM IN CONCILIO CONSTANCIENSI Serenissime princeps. Scire et sapere et intellegere dignetur magnificencia vestra, quia deus incepit flagellare ecclesiam suam, sponsam Christi, in papatu, in imperio, in principibus, regnis, provinciis, civitatibus et populis eius gladio, fame et pestibus, preliis et sedicionibus, sicut comminatus est dicens per prophetam: Gladio, fame et peste percuciam vos, ut sciatis, quia ego sum dominus.1 Et hoc propter peccata summa, maxime tria: Primo pro eo, quod omnes ordines et religiosi, qui deberent esse perfecti christiani, mundum et omnia, que eius sunt, relinquere, soli deo religari, servire iam declinaverunt, recesserunt a mandatis dei et ordinibus atque votis et substanciabus, quibus fundati sunt, et tamen cottidie celebrantes ministerium dei Christum sicut Iudas et Iudei tradentes indigne sumendo, non monachi nisi per habitum et tonsuram deo mentiri noscuntur, excepto Carthusiensi ordine et paucissimis monasteriis atque monachis mandata dei et sui ordinis servantibus etc. Secundo propter luxuriam cleri. Sacerdotes enim in veteri lege ut munde, caste et digne orarent pro populo et offerent deo oves et boves et cetera animalia bruta, uxores duxerunt legitimas virgines incorruptas secundum legem dei, sicud scriptum est: Sacerdotes sancti erunt deo suo et non polluent nomen eius, scurtum et vile prostibulum non ducent uxorem nec repudiatam a marito suo, quia consecrati sunt deo suo.2 Et quia sacerdotes nostri non solum boves et oves et animalia bruta offerunt, set dei filium, 3panem, qui de celo descendit,3 virginis gloriose natum, statuerunt sancti patres nostri in canonibus, 4ut, quia tantum excellit offertorium nostrum offertoria vetera, excellat eciam mundicia et castitas atque sanctitas offerencium, ita ut neque virgines ducant nec uxores legitimas, ut omnino immaculati offerant Christum et orent pro populo.4 Sed heu, proch dolor, ad tantam perversionem devenerit ecclesia dei, ut sacerdotes eius non solum ducant virgines uxores legitimas contra sacros canones, set eciam scurtum et vile prostibulum atque repudiatas a maritis suis indifferenter ducant illegitime, ut suppleant libidiVI Anonymus: Epistola 1

Vgl. Jerem 14, 12; Is 45, 3. Lev 21, 6 f. 3–3 Joan 6, 33. 4–4 Vgl. D. 82 c. 2–4. 2

6. ANONYMUS, BRIEF AN KÖNIG SIGISMUND, FEBR. 1415 Durchlauchtigster Fürst! Eure Hoheit möge geruhen zu wissen, zu denken und zu verstehen, daß Gott begonnen hat, seine Kirche, die Braut Christi, zu geißeln im Papsttum, im Kaisertum, in den Fürsten, Königreichen, Ländern, Städten und Völkern mit seinem Schwert, mit Hunger und Seuchen, Kriegen und Aufständen, so wie er es durch den Propheten angedroht hat: Ich will euch mit Schwert, Hunger und Pestilenz aufreiben, damit ihr erkennet, daß ich der Herr bin.1 Und dies wegen der übergroßen Sünden, besonders dreier Sünden wegen: 1. Alle geistlichen Ränge und alle Ordensleute – sie sollten vollkommene Christen sein, die Welt und alles, was zu ihr gehört, verlassen, sich allein an Gott binden und ihm dienen – sind nun von Gottes Geboten, den Ordnungen, Gelübden und Grundsätzen, auf denen sie gegründet sind, abgewichen und haben sie verlassen; dennoch feiern sie täglich den Gottesdienst, verraten dabei Christus wie Judas und die Juden, indem sie ihn unwürdig essen; sie sind Mönche, ausschließlich um durch Tracht und Tonsur Gott offensichtlich zu belügen – ausgenommen der Karthäuserorden und wenige Klöster und Mönche, die die Gebote Gottes und ihres Ordens bewahren. 2. Die Ausschweifungen des Klerus. Im Alten Testament nämlich haben die Priester, damit sie rein, keusch und würdig für das Volk beten und Gott Schafe, Ochsen und andere Tiere opfern, als rechtmäßige Ehefrauen unbescholtene Jungfrauen geheiratet, gemäß dem Gesetz Gottes, wie geschrieben steht: Die Priester sollten ihrem Gott heilig sein und nicht entweihen seinen Namen. Sie sollen keine Hure zur Frau nehmen, noch eine sich feilbietende Dirne, oder eine, die von ihrem Mann verstoßen ist; denn sie selbst sind heilig ihrem Gott.2 Und weil unsere Priester nicht nur Ochsen, Schafe und wilde Tiere opfern, sondern Gottes Sohn, 3das Brot, das vom Himmel kommt 3, den Sohn der glorreichen Jungfrau, haben unsere heiligen Väter in den Kanones festgelegt: 4Da unser Opfer die alten Opfergaben so weit überragt, muß auch die Reinheit, Keuschheit und Heiligkeit der Opfernden so hervorragen, daß sie weder Jungfrauen noch überhaupt rechtmäßige Ehefrauen heiraten dürfen, damit sie gänzlich unbefleckt Christus opfern und für das Volk beten 4. Doch ach, welch Schmerz: Zu welcher Verkehrtheit ist die Kirche Gottes gelangt, daß ihre Priester nicht nur Jungfrauen als Ehefrauen heiraten gegen die heiligen Kanones, sondern auch Huren, sich feilbietende Dirnen und von ihren Männern Verstoßene ohne Unterschied unrechtmäßig B 6 Brief an König Sigismund

308

VI Anonymus: Epistola

nem suam, sicud 5quibus non est intellectus.5 Videmus tamen et scimus multas bestias terre brutas, pisces maris et aves celi, quemadmodum turtur, ciconia a et hirundo 6 etc. ex natura castitatis virtute continentes vel saltem coniugium servantes, et gentes, que legem non habent, naturaliter ea, que legis sunt, faciunt. Quid est ergo, quod sacerdotes sancti et religiosi, qui deberent esse perfecti christiani, sine lege vivant et contra legem nature scripte et gracie. Et quoniam 7gloriantur in lege, per prevaricacionem legis deum inhonorant, et nomen dei blasphematur per eos inter gentes.7 Nimirum ergo, quod displiceat deo, quod sacerdotes eius sancti polluant nomen eius, quibus dicitur: Sancti idem mundi estote, quia ego sanctus sum dominus deus vester.8 Et quantum displiceat ei, quando 9videntes filii dei filias hominum, quod essent pulchre, acceperunt sibi uxorem ex omnibus, quas elegerant,9 intelligere possumus ex hiis, que dixit: Penitet me fecisse hominem, delebo, inquit, hominem, quem creavi, a facie terre.10 Numquid non isti sunt magis filii dei quam illi fuerunt, qui et 11angeli domini exercituum 11 vocati sunt. 12Mundamini ergo vos, qui fertis aliis vasa domini,12 vel saltem inducite, ut legitimas ducant uxores ordinacione concilii presentis. Tercio propter symoniam religiosorum, clericorum, secularium et laycorum. Hoc enim peccatum deus gravissime odit et vindicat, sicud scriptum est et prefiguratum est nobis de rege Ieroboam: Quicumque volebat, implebat ei manum et fiebat sacerdos,13 et propter hanc causam peccavit domus Ieroboam et occisa est et 14deleta est de superficio terre.14 Et sicut Christus demonstravit nobis in propria persona, quando intravit in templum et fecit flagellum b de funiculis et eiecit ementes et vendentes, urenti zelo vocavit eos latrones.15 Hec tria peccata in tantum sunt completa et consumata ita, quod maiora vix esse possent et aggravata nimis coram domino. Non enim invenis in scriptis, quod a die, quo creatus est Adam, homines in terris gravius offendisse deum quam ecclesia sua, sponsa Christi, offendit eum diebus istis peccatis predictis. Nimirum ergo, quod Christus flagellat sponsam adulteram, quam a principio mundi in persona patris, in persona filii incarnati per labores

a b

elicomia Ed. flagellam Ed.

5–5

Ps 31, 9. Nach Konrad von Megenberg, Buch der Natur, III B 22, hrsg. F. Pfeiffer, Stuttgart 1861 [ND Hildesheim 1962] S. 180, sind die Tauben in der Liebe treu und brechen die Ehe nicht; die Störche strafen eheliche Untreue mit dem Tod. 7–7 Rom 2, 23 f. 8 Levit 21, 6; Jerem 3, 12. 9–9 Gen 6, 2. 10 Gen 6, 6 f. 6

B 6 Brief an König Sigismund

309

heiraten, um ihre Leidenschaft zu befriedigen, so wie 5die, die nicht verständig sind 5. Wir sehen jedoch und wissen, daß viele wilde Tiere, Fische im Meer und Vögel unter dem Himmel, wie die Taube, der Storch,6 die Schwalbe usw., sich von Natur aus kraft ihrer Keuschheit enthalten oder zumindest ihre Ehegemeinschaft bewahren, und Völker, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was das Gesetz ausmacht. Was bedeutet es also, daß heilige Priester und Ordensleute, die vollkommene Christen sein müßten, ohne das Gesetz leben, wider das in der Schrift gebotene Gesetz der Natur und der Gnade? 7Denn sie rühmen sich des Gesetzes, und der Name Gottes wird durch sie gelästert unter den Heiden 7. Kein Wunder, daß es Gott mißfällt, wenn seine heiligen Priester seinen Namen so besudeln; von ihnen steht doch geschrieben: Ihr sollt heilig und rein sein, denn ich bin heilig, euer Herr und Gott!8 Und wie es ihm mißfällt, wenn 9die Söhne Gottes nach den Töchtern der Menschen sehen, wie sie schön sind, und sie zu Weibern nehmen, welche sie wollten 9, können wir daraus erkennen, daß er sagt: Es reut mich, daß ich den Menschen geschaffen habe. Ich will den Menschen, sagte er, den ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde.10 Sind sie nicht viel mehr Kinder Gottes als jene Priester es waren, die auch 11‘Engel des Herrn der Heere’11 genannt wurden? 12Reinigt euch also, ihr, die ihr für die anderen die Gefäße des Herrn tragt 12, oder bringt es wenigstens dahin, daß sie aufgrund einer Ordnung des gegenwärtigen Konzils rechtmäßige Ehefrauen heiraten. 3. Die Simonie der Ordensleute, Regularkleriker, Weltpriester und Laien. Diese Sünde straft Gott nämlich aufs schwerste, wie geschrieben steht und uns vorgestellt wurde in König Jeroboam: Wer immer es wollte, füllte ihm die Hand und wurde Priester13, und aus diesem Grunde sündigte das ganze Haus Jeroboams und es wurde getötet und 14vertilgt von der Oberfläche der Erde 14. Und Christus hat es uns in eigener Person gezeigt: Als er in den Tempel eintrat, eine Geißel aus Stricken machte und die Käufer und Verkäufer austrieb, da hat er sie mit brennendem Eifer ‘Diebe’ genannt15. Diese drei Sünden sind so sehr vollständig und vollendet, daß es kaum größere geben kann, und sie sind vor dem Herrn von besonderem Gewicht. Man findet nämlich in der Schrift nicht, daß von dem Tage an, da Adam geschaffen wurde, die Menschen auf Erden Gott schwerer beleidigt hätten als seine Kirche, die Braut Christi, ihn heutigen Tages mit besagten Sünden beleidigt. Kein Wunder also, daß Christus seine ehebrecherische Braut geißelt, die er in der Person des Vaters am Beginn der Welt, in der Person des B 6 Brief an König Sigismund

11–11

Mal 2, 7. s 52, 11. 13 2 Par 13, 9. 14–14 Gen 7, 4. 15 Vgl. Joan 2, 15; Marc 11, 17. 12–12

310

VI Anonymus: Epistola

erumpnosos, mortem et passionem eius, in persona spiritus sancti per angelos suos, patriarchas et prophetas, apostolos, martires, confessores, virgines et doctores et per sanctorum suorum labores et sanguinis effusiones acquisivit et edificavit ab exordio mundi. Si igitur ecclesia dei, sponsa Christi, nunc per vestram maiestatem fuerit reformata, potestis merito sublimari super omnes virtutes in terris et uni comparari de maximis, qui edificaverunt eam, quia non inparis virtutis est et meriti lapsam ecclesiam restaurare quam novam edificare. Fiat igitur, ut memoria vestra non deleatur in eternum a terris sed scribatur in libro vivencium in celis etc. Si vero ecclesia dei non fuerit reformata ab istis peccatis, habeatis pro firmo, quod in septuplo magis puniemur, et erit maiestati vestre grande cpericulum. Si audeo loqui,c dico tamen propter salutem vestram maximam, quia sagitte, que previdentur ante, caveri possunt, ut minus ferant. Dominus enim deus per se locutus est dicens: Si sic non fueritis conversi, addam correccionem vestram in septuplum et conteram sublimes tuos, in quibus habebas fiduciam.16 Et concilium istud dissipabitur et reprobabitur a deo, sicut scriptum est: Apprehendet sapientes in astucia sua, et consilium pravorum dissipat.17 Et iterum: Adducet consiliarios autem in stultum finem,18 et rursum: Cogitaverunt consilia, que non potuerunt stabiliri,19 dominus dissipat consilia gencium et reprobat consilia principum 20 etc. Concordet igitur concilium istud cum consilio dei et divina voluntate, ut ecclesia restauretur. Tunc tribuet tibi dominus secundum cor tuum, et omne consilium tuum confirmet, sicut scriptum est: Et in deo faciemus virtutem, et ipse ad nichilum deducet tribulantes nos;21 iuste, quod iustum est, exequare,22 dixit deus Moysi etc. Illustrissimo principi Sigismundo regi Romanorum, Ungarie etc. Data Constancie tempore concilii generalis anno domini MCCCCXV., indiccione VIII., de mense februarii.

c–c

periculum, si audeo loqui. Ed.

B 6 Brief an König Sigismund

311

eingeborenen Sohnes durch mühevolles Wirken, seinen Tod und sein Leiden, in der Person des Heiligen Geistes durch seine Engel, Patriarchen und Propheten, Apostel, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, Kirchenlehrer, ja auch durch die Mühen seiner Heiligen und ihr Blutvergießen an sich gezogen und erbaut hat von Anbeginn der Welt. Wenn also die Kirche Gottes als Braut Christi jetzt durch Eure Hoheit reformiert würde, könntet Ihr mit Recht erhoben werden über alle Kräfte auf Erden und einzig mit den Größten verglichen werden, die sie aufgebaut haben; denn es ist eine Sache gleicher Tugendkraft und gleichen Verdienstes, die zusammengebrochene Kirche wiederherzustellen, wie eine neue zu bauen. So geschehe es also, daß Euer Andenken auf Erden nicht vergehe in Ewigkeit sondern im Himmel eingetragen werde in das Buch der Lebendigen. Wenn aber die Kirche Gottes nicht von diesen Sünden reformiert werden sollte, so nehmt als Gewißheit, daß wir siebenmal mehr bestraft werden – dies wird für Eure Hoheit eine große Gefahr sein. Wenn ich zu sprechen wage, rede ich jedoch wegen Eures höchsten Heiles; denn Pfeile, die man zuvor sieht, können abgewehrt werden, so daß sie nicht treffen. Gott der Herr hat ja selbst gesprochen und gesagt: Wenn ihr nicht gehorcht, so fahren wir fort, euch siebenfach zu strafen, und ich werde eure Oberen zermalmen, auf die du dein Vertrauen setztest.16 Und dieses Konzil wird sich zerstreuen und wird von Gott verworfen werden, wie geschrieben steht: Er fängt die Weisen in ihrer Listigkeit und stürzt der Schlauen Rat.17 Und andernorts: Er führt die Ratgeber zu falschem Ziel 18, und wiederum: Sie machten Anschläge, die sie nicht ausführen konnten . . .19 Der Herr macht zunichte der Heiden Rat und verwirft die Gedanken der Fürsten.20 Daher möge sich dieses Konzil mit dem Ratschlag und dem göttlichen Willen in Übereinstimmung bringen, damit die Kirche wiederhergestellt werde. Dann wird dir der Herr Anteil zukommen lassen gemäß Deinem Herzen, und er wird alle Deine Ratschläge kräftigen, wie geschrieben steht: Mit Gott wollen wir große Taten tun, und er wird unsere Feinde vernichten.21 Was recht ist, dem sollst du nachjagen22, sprach Gott zu Moses. Dem Durchlauchtigsten Fürsten Sigismund, Römischer König und König von Ungarn usw. Gegeben in Konstanz, zur Zeit des Allgemeinen Konzils, im Jahre des Herrn 1415, in der 8. Indiktion, im Monat Februar. 16 17 18 19 20 21 22

Vgl. Lev 26, 18 f. Job 5, 13. Job 12, 17. Ps 20, 12. Ps 32, 10. Ps 59, 14. Deut 16, 20.

VII

Ed.: ACC II S. 580–592 – emendiert mit Hilfe von Berlin, Geheimes Staatsarchiv PK, XX HA StA Königsberg, OF 277.

[ANONYMUS: AVISAMENTUM] Propter defectus multorum in hac cedula contentorum, ad correccionem malorum et exercicium bonorum evigilent nunc naciones Germanorum, Ytalicorum, Anglicorum et Francorum. Et quoniam nichil intendo diffinire, quia non mea etc. est, sed dumtaxat aliorum mentes movere ad omnia illa, que potui congregare. Et ut veritatem clarius ostendam, nulli volo parcere, sed dignitates, personatus et officia ac status nominare, qui ideo facti sunt tales, ut populum nutriant et conservent, ergo propter populum etc. Primo utrum sit expediens ad vitandum multas suspiciones, quod quelibet nacio vel saltim provincia habeat in concilio unum notarium, qui scribat omnia et singula, que in sacro concilio tractabuntur et concludentur, ut in futurum non possint in posterum ab emulis tergiversari seu impugnari quoquomodo aut denegari. Utrum contendentes sint nunc iterum condempnandi vel citandi pro unione fienda tamquam de fide suspecti, quod purgent se, quamvis alias fuerunt requisiti, citati moniti ab utroque collegio in Pisis, que omnia contempserunt et ut rebelles exprobraverunt. Quero, si tota posteritas eorum in memoriam tantorum malorum et ad exemplum aliorum veniant in futurum omni promocione et dignitate ac honore privari. Utrum sit expediens pro unione habenda, quod ipsi tres cedant successive vel unus pro omnibus, ne possit esse sophisma, et si aliquis illorum trium sit de novo eligendus. Cum eleccione facta de altero illorum illi, qui ante in sua obediencia fuerunt, possunt dicere: Deus dedit nobis, quod iustum erat, et sic alii fuerunt scismatici, et sic poterit insurgere rumor magnus ymmo periculosus in populo quoad corpus et animam, quod multum advertendum est. Utrum sit eligendus aliquis ex dominis cardinalibus, cum simili modo sint de tribus peciis et partibus et eciam ne sit talis electus minus favorabilis quondam magistro suo vel non utatur sciencia sua, quia toti mundo est manifesta eorum iusticia, caritas, veritas, benignitas, largitas, eciam cupiditas. Utrum VII Anonymus: Avisamentum

7. ANONYMUS, REFORMTRAKTAT 1415 Wegen der vielen Fehlentwicklungen, die in dieser Schrift aufgeführt sind, mögen jetzt die Nationen der Deutschen, Italiener, Engländer und Franzosen wach werden für eine Reform der Übelstände und ein Pflegen des Guten. Ja, ich beabsichtige, nichts zu entscheiden – denn das ist nicht meine Aufgabe –, sondern trachte nur, die Herzen der anderen zu all den Dingen zu bewegen, die ich anführen konnte. Um die Wahrheit klarer aufzuzeigen, will ich keinen schonen, vielmehr die Würden, Amtsstellen, Ämter und Stände nennen, die als solche geschaffen wurden, um das Volk zu nähren und zu bewahren – also um des Volkes willen . . . [Daher frage ich:] Ist es nicht vorteilhaft – um dadurch viele Gründe zum Argwohn zu vermeiden –, daß jede Nation oder auch jede Provinz auf dem Konzil einen offiziellen Schreiber hat? – Der müßte samt und sonders aufschreiben, was auf dem heiligen Konzil verhandelt und beschlossen wird, damit es nicht künftig im Nachhinein von Gegnern ins Gegenteil verkehrt, irgendwie bekämpft oder verneint werden kann. Sollen, damit die Einheit kommt, die Prätendenten jetzt erneut verurteilt oder vorgeladen werden als verdächtig, sich gegen den Glauben vergangen zu haben, damit sie sich reinigen? – Gleichwohl wurden sie schon andernorts, von beiden Kardinalskollegien in Pisa aufgefordert, vorgeladen und ermahnt; das haben sie alles mißachtet und wie Aufständische verschmäht. Ich frage, ob nicht deren ganzer Anhang, zur Erinnerung an so viel Unheil und als warnendes Beispiel für die anderen, künftig von jeder Ernennung, Würde und Ehre ausgeschlossen werden müßte. Wenn man die Einheit haben will, ist es dann nicht förderlich, daß diese drei nacheinander zurücktreten oder einer für alle, damit es keinen Trugschluß geben kann? – Ob wohl einer von den dreien erneut gewählt werden sollte? Denn wenn die Wahl auf einen von ihnen fallen sollte, könnten jene, die zuvor zu seiner Obödienz gehört haben, sagen: ,,Gott hat uns gegeben, was gerecht war, also waren die anderen die Schismatiker“; und daraus könnte ein großes, sicher gefährliches Gerede im Volke entstehen, gefährlich für Leib und Seele, was sehr zu beachten ist. Soll jetzt ein [Papst] aus [der Zahl] der Herren Kardinäle gewählt werden, denn sie stammen ja gleichfalls aus den drei Stücken oder Teilen [der Kirche]? – Auch ein so Erwählter dürfte seinem früheren Herrn und Meister nicht weniger zugetan sein oder er dürfte sein Wissen nicht gebrauchen; denn auf der ganzen Welt ist deren Gerechtigkeit, Liebe, Wahrhaftigkeit, Güte, Freigebigkeit bekannt – aber auch ihre Begehrlichkeit. Sollen die Herren KardiB 7 Reformtraktat: Papstwahl

314

VII Anonymus: Avisamentum

ipsi domini cardinales eligant seu absolute eleccionem faciant, cum iurent in introitu conclave eligere meliorem et secundum deum ac mundum, quantum sciri potest, probiorem in a vita et moribus, et tamen luculenter apparet et nimis, quod magis iniquos non invenerunt a Gregorio XI. citra,1 quam qui secuti sunt eum, eciam quia nullum reputant ad papatum aptum nec iustum nisi se ipsos, et ex hoc reddunt se suspectos eciam bene intelligentibus, quantum michi apparet, indignos, quia, qui se ingerit etc.2 Utrum in ista eleccione prelati et in certo numero de qualibet nacione pro hac vice habeant locum et auctoritatem eligendi concessam eis ab ecclesia, sicut concessa fuit antiquitus dominis cardinalibus non a deo set ab homine, ut illa, que homines concernebant, clarius et diligencius exequerentur ut probi viri et iusti. Utrum imperator cum ipsis prelatis vel saltim de consilio eorum eligat papam, ut alias factum fuit et ut in Martinana 3 legitur, eciam auctoritate absoluta papas deposuit et elegit, qui bene se habuerunt.4 Et hoc videtur pro nunc salubrius, ut non eveniat casus, qui evenit in Ytalia ordinante quodam b cardinali Ambianensi,5 qui motus cupiditate et ambicione habendi papatum aliam eleccionem immediate procuravit. Et sic scisma presens intravit per Clementem,6 quem prosecutus est Petrus de Luna,7 Parisius dicens, quod pro unione via cessionis erat per eum attemptanda, quam pro se acceptavit casu posito, quod et papa eligeretur, quod semper renuit facto, quidquid promiserit verbo et scripto, set puto, quod cor eius non erit nunc mollificatum. Et sic cum iniquitate aliorum pro dubio magno teneo, quod, nisi in hoc loco auctoritas imperatoris, qui ligabit se cum principibus contra istos tres, locum modo habeat, non fiet pax in ecclesia dei, quam querimus. Et quasi similis casus evenit in eleccione domini nostri moderni in Bononia 8 inter ipsos dominos cardinales. Narrent ipsi, qui dicere tenentur modo veritatem. Utrum papa teneatur habere elemosinarium, qui inquirat hospitalaria, leprosoria et similia, sicut habet collectores ad congregandum, cubicularios ad serviendum, secretarios ad male agendum, milites escutiferos ad assistendum,

a b 1

et Ed. quondam Ed.

Gregor XI. 1370–1378. Vgl. Eccli 3, 27: qui amat periculum, in illo peribit. 3 Martin v.Troppau, Chronicon. Pontifices, MGH SS 22 S. 431. Dort nur presente imperatore, anders in gefälschten Papsturkunden aus dem Investiturstreit vgl. oben Nr. 4 S. 281 Anm. 68 u. Nr. 5 S. 304 Anm. 20. MGH Fontes iuris 13, S. 179–205, bes. S. 202. 4 Zu denken wäre an Heinrich III. u. Leo IX. (1049–1054). Martin (wie oben Anm. 3) S. 433. Ausführlicher Hermann v. Reichenau, Chronicon (FSGA, A., Bd. 11, S. 690 ff.). 2

B 7 Reformtraktat: Papstwahl

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näle [überhaupt] wählen oder die Wahl allein durchführen? – Wo sie doch beim Eintritt ins Konklave schwören, sie würden den Besten und nach Gott und der Welt [Urteil], soweit man es wissen könnte, den in Lebenswandel wie Sitten Bewährtesten wählen; und dennoch ist es traurig und überaus klar, daß sie nach Gregor XI.1 keine Schlimmeren gefunden haben, als die, die ihm gefolgt sind; auch weil sie niemanden für das Papstamt geeignet und berechtigt halten als sich selbst; dies macht sie verdächtig, auch gegenüber den Hocheinsichtigen, wie mir scheint, und unwürdig – denn wer sich in Gefahr begibt . . .2 Sollen bei dieser Wahl Prälaten, und zwar in bestimmter Anzahl aus jeder Nation, einmalig Rang und Befugnis zum Wählen besitzen, die ihnen von der Kirche zuteil wird? – So wurde es in alter Zeit den Herren Kardinälen nicht von Gott, sondern von den Menschen gewährt, damit sie das, was sie als Menschen betraf, als tüchtige und gerechte Leute klarer und sorgfältiger ausführten. Soll der Kaiser zusammen mit den Prälaten, zumindest mit ihrem Rat, den Papst wählen? – So ist es früher geschehen und so liest man in Martins [Chronik];3 auch hat er kraft eigener Autorität Päpste abgesetzt und gewählt, die sich dann gut geführt haben.4 Dies scheint für jetzt das Nützlichste, damit nicht der Fall eintritt, der sich in Italien auf Anordnung des verstorbenen Kardinals von Amiens 5 ereignet hat, der getrieben von Leidenschaft und Ehrgeiz, das Papstamt zu erhalten, eine Neuwahl unmittelbar veranstaltet hat. So begann das gegenwärtige Schisma durch Clemens 6, dem Pedro de Luna 7 gefolgt ist; dieser sagte in Paris, er werde für die Union den Weg des Rücktritts versuchen, er akzeptierte ihn für sich, vorausgesetzt, er werde als [neuer] Papst gewählt; dieses hat er dann jedoch stets durch sein Handeln abgelehnt, ganz gleich was er in Wort und Schrift versprach; doch ich glaube, daß sein Herz auch jetzt noch nicht weich geworden ist. Daher hege ich wegen der Bosheit der anderen den großen Zweifel: Nur wenn die Autorität des Kaisers diesmal Platz greift und er sich mit den Fürsten gegen die drei verbündet, wird es in der Kirche Gottes den Frieden geben, den wir suchen. Ein ähnlicher Fall lag bei der Wahl unseres jetzigen Herrn in Bologna 8 bei den Herren Kardinälen vor. Das mögen die erzählen, die gehalten sind, jetzt die Wahrheit zu sagen. Soll nicht der Papst gehalten sein, einen Almosenverteiler zu haben, der die Hospitäler, Leprahäuser und dergleichen besucht? – So hat er ja Steuereinzieher zum Einsammeln, Kammerherren zum Bedienen, Sekretäre zum 5 Jean de la Grange, 1373–1375 B. v. Amiens, 1375–1394 Kard.P. S. Marcelli, 1394– 1402 Kard.B. v. Tusculum. Die Vorwürfe stammen von Papst Urban VI. (vom 23. 6. 1378), der ihm das Kardinalat entzog. 6 Clemens VII. 1378–1394. 7 Benedikt XIII. 1394–1417. 8 Am 17. 5. 1410 Wahl Johannes’ XXIII. (1410–1415) in Bologna.

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VII Anonymus: Avisamentum

mercatores corratarios ad beneficia vendendum, ut cum beato Laurencio dicere possit: Dispersit, dedit pauperibus,9 et cum psalmista: Beatus, qui intelligit super egenum et pauperem,10 pro quibus ipse constituitur principaliter ad bona ecclesie ipsis distribuenda et preces peccatoribus infundendo ac inter deum et homines pacem tractando et, quod suum est, cuilibet reddendo, omnibus indistincte aurem prebendo et nullomodo particularisando. Utrum sit expediens propter invidias, que, diu est, currerunt in nacionibus diversis propter papatum, quod scilicet ipse papatus transeat de nacione ad nacionem, ut saltim ex hoc convertantur Greci et multi alii, et tunc apparebit contra obloqutores, que nacio habuerit meliorem, si de omnibus cronice fiant. Et sic erunt VI naciones, scilicet, Germania, Anglica c, Gallica, Yspanica, Greca et Ytalica. Et hic videndum est, ubi erit sedes, si sequetur suam nacionem vel erit in medio. Utrum papa teneatur providere de uno probo viro visitatore, qui stet in Rodo 11 ad examinandum et inquirendum transeuntes ad terram infidelium. Cum multi sub tali umbra portent eis arma et alia vetita de iure, et quod peius est, abnegant pro modico fidem domini nostri Iesu Christi. Utrum papa teneatur providere de uno sanctifico viro, qui visitet insulas infidelium ad corroborandum cor credencium detentorum vel ibidem deo deserviencium et ad scismaticorum, sicut tenet ibidem collectorem ad capiendum spolia. Et sic videtur, quod non sit mencio de fide set de bursa. Utrum papa debeat recipere spolia prelatorum et aliorum, qui non moriuntur in curia. Cum de ipsis spoliis possent in plerisque locis scribi libri, emi calices, missalia, indumenta, paramenta et pauperibus distribui et resarciri ecclesie d et coperiri, de quibus omnibus diverse indigent. Set peius est, tales collectores non satisfaciunt servitoribus defuncti, set illa portant parentibus suis, filiis et filiabus, et papa habet quandoque minorem partem in bursa, maius dampnum in consciencia. Super hiis bene et laudabiliter providit recolende memorie dominus Alexander V. Pisis,12 que servare noluit eius successor. Narrent illi de Lingua Occitana, in Francia, Lodone 13 in Provincia et in pluribus locis. Utrum secte seu ritus diversi diversos tenentes sunt admittendi seu susti-

c d

Anglicana Ed. ecclesia Ed.

9 Breviarium Romanum, 10. August., Fest. S. Laurentii, Responsorium I (nach Ps 111, 9). 10 Ps 40, 2. 11 Damals auch Sitz des Johanniterordens. 12 Siehe oben Nr. 2 § 8 S. 182. 13 B. Johannes de la Vergne 1398–1413, B. Michael le Boeuf 1413–1430.

B 7 Reformtraktat: Visitation, Spolien

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Übeltun, gewappnete Ritter zum Beistand, Hofbankiers zum Verschachern von Pfründen, so daß er mit dem heiligen Laurentius sagen könnte: Er teilte aus und gab den Armen,9 und mit dem Psalmisten: Wohl dem, der sich des Schwachen und Armen annimmt10; für sie wird er hauptsächlich eingesetzt, um ihnen die Güter der Kirche auszuteilen, die Gebete den Sündern zugute kommen zu lassen, zwischen Gott und den Menschen Frieden zu stiften, jedem das Seine zu geben, allen ohne Unterschied sein Ohr zu leihen und keinesfalls Spaltung zu bringen. Sollte nicht wegen des gegenseitigen Neides, der seit langem wegen des Papsttums unter den verschiedenen Nationen umgeht, das Papstamt von einer Nation auf die andere übergehen, so daß sich dadurch vielleicht die Griechen bekehrten und viele andere? – Dann würde gegen die Neinsager klar werden, welche Nation den besten Kandidaten hat, wenn über alle dann Chroniken geschrieben werden. Es sollte sechs Nationen geben, und zwar die deutsche, englische, französische, spanische, griechische und italienische. Hierbei muß man sehen, wo der Amtssitz sein wird, ob er jeweils der Nation folgt oder in der Mitte liegen wird. Soll der Papst gehalten sein, einen tüchtigen Mann als Visitator einzusetzen? – Der sollte seinen Sitz auf Rhodos 11 haben, um die, die ins Heilige Land ziehen, zu prüfen und zu befragen. Denn viele liefern ihnen unter solchem Vorwand Waffen und anderes rechtlich Verbotene und, was noch schlimmer ist, verleugnen aus nichtigem Anlaß den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus. Soll der Papst gehalten sein, einen heiligmäßigen Mann einzusetzen, der die Inseln der Ungläubigen besucht? – um die Herzen der dort festgehaltenen Gläubigen zu bestärken, auch derer, die dort Gott dienen, ferner einen Mann zu den [Ländern] der Schismatiker, so wie er dort einen Kollektor hält, zur Entgegennahme der Spolien. Es scheint, [derzeit] spricht man nicht über den Glauben, sondern über die Geldbörse. Soll etwa der Papst die Spolien der verstorbenen Prälaten und der anderen, die nicht an der Kurie sterben, erhalten? – Denn von diesen Spolien könnten an recht vielen Orten Bücher geschrieben, Kelche, Missalien, liturgische Gewänder und Geräte gekauft werden, sie könnten an die Armen verteilt werden, die Kirche könnte ausgebessert und gedeckt werden, je nachdem, was jeweils nötig ist. Doch schlimmer ist: Jene Kollektoren stellen die Diener des Verstorbenen nicht zufrieden, sie bringen es ihren eigenen Verwandten, ihren Söhnen und Töchtern; so hat der Papst oftmals nur den geringeren Teil in seiner Börse, den größeren Schaden auf seinem Gewissen. Dazu hat gut und lobwürdig Herr Alexander V. seligen Angedenkens zu Pisa Vorsorge getroffen,12 was sein Nachfolger nicht einhalten wollte. Dies mögen die Leute in der Languedoc, in Frankreich, in Lodève,13 in der Provence und an vielen anderen Orten beachten. Soll man Sekten und verschiedene Riten, die sich verschiedene [Geistliche] B 7 Reformtraktat: Visitation, Spolien

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VII Anonymus: Avisamentum

nendi ultra illos, qui in tranquilla et universali ecclesia fuerunt ordinati seu instituti, et regule eorum fuerunt approbate et in signum huius multa privilegia eis concessa, qui aliis equiparari student. Quia paucis annis citra in Ytalia et in diversis partibus mundi ritus diversos fingunt, qui missas non dicunt nec forte officiant, set solum fugiunt, ut asserunt, pompam mundi et in nullo se occupant nisi in vita contemplativa, et tamen student, nec predicant contra hereses, que nescirent, sed tales se fingunt, ut laborem fugiant. Utrum sit expediens de novo instituere, quod a cetero de decennio in decennium generale concilium celebretur ad corrigendum defectus et ad extirpandum hereses. Et hoc sub maxima pena instituatur contra papam, si neglexerit, quia non libenter, qui precesserunt, concilium convocaverunt e, sed pena gravius contra prelatos, si venire contempserunt, nisi in duobus casibus, quod equitare non possent vel quod actu essent infirmi vel leprosi. Hec scienter dico, quia antiquitus non mittebant procuratores, ymo personaliter accedebant, ut in cronicis 14 legitur, et certum est, quod fidelius se habent prelati quam procuratores. Utrum papa debeat dare beneficia ecclesiastica seu pocius vendere ad requestam mercatorum mere laicorum, cum de iure secundum aliquos ipsi laici non possunt vel non debent possessionem alicuius beneficii ecclesiastici recipere, quia repugnat statui eorum et in hoc esset providendum, quod talia a cetero non fierent eciam a dyocesanis etc. Utrum sit nunc pro semper providendum, quod papa teneatur admittere elecciones, quascumque iura volunt antiqua, maxime cum melius cognoscant capitula, que sunt eis utiles, quam papa, qui remotus stat communiter ab eis. Nam si non provideatur, forte in posterum sibi usurpabit eleccionem imperii, quod transire potest in magnum dedecus christiani populi, ut pote si faceret consanguineum in vindictam aliquorum vel hominem non bene catholicum, quod potissime est necessarium principibus, qui ministri sunt Christi in mundialibus. Vel si papa tales elecciones pecierit, si est conveniens, quod sibi reserventur, que contingere potuerit in curia et in provincia, de qua ipse erit oriundus. Set michi apparet, quod hodie elecciones ideo non admittuntur, ut scilicet plus offerenti vel consanguineo dentur. Utrum papa debeat dare vel possit beneficia, que extra curiam vacant, cum non possit scire condicionem beneficii nec eciam beneficia, et sic pluries taliter providetur inordinate, quod transit in magnum preiudicium beneficio-

e

convocarunt Ed.

14 Bevollmächtigte procuratores sind bei Verhinderung in der Einladung zum Konzil von Vienne 1311/12 vorgesehen (Mansi 25 Sp. 376 B), ähnlich zuvor 1213 (Migne PL 216 Sp. 824 D).

B 7 Reformtraktat: Allgemeines Konzil

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halten, zulassen oder hinnehmen – über jene hinaus, die in der friedfertigen und universalen Kirche geordnet und eingesetzt sind und deren Regeln gebilligt wurden? – Zum Zeichen dafür wurden ihnen viele Privilegien gewährt, die andere in gleicher Weise zu erlangen suchen. Denn vor einigen Jahren haben Leute in Italien und in verschiedenen Gebieten der Welt verschiedene Riten erfunden; sie lesen keine Messen und halten wohl auch kein Hochamt, sondern sie fliehen lediglich, wie sie vorgeben, das Gepränge der Welt, beschäftigen sich nur mit dem kontemplativen Leben, sie studieren zwar, predigen jedoch nicht gegen Ketzereien, wovon sie nichts verstünden; doch das behaupten sie nur, damit sie der Arbeit ausweichen können. Ist es nicht nützlich, neu zu beschließen, daß künftig von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ein Allgemeines Konzil abgehalten wird, um Fehlentwicklungen gegenzusteuern und Ketzereien auszurotten? Dies sollte beschlossen werden, bei schwerster Strafe für den Papst, wenn er dies versäumt (denn seine Vorgänger haben ein Konzil ungern berufen), auch bei schwerer Strafe für Prälaten, wenn sie es ablehnen zu kommen, ausgenommen in zwei Fällen: wenn sie nicht reiten können oder tatsächlich gerade krank oder aussätzig sind. Dies sage ich ganz bewußt; denn in alter Zeit schickten sie keine Bevollmächtigten, erschienen vielmehr persönlich, wie man in Chroniken 14 liest; und es ist sicher, daß sich Prälaten treuer verhalten als Bevollmächtigte. Soll der Papst kirchliche Pfründen geben dürfen, genauer: verkaufen auf Anforderung von Kaufleuten, d. h. bloßen Laien? – Diese können oder dürfen doch nach dem Recht, wie einige meinen, den Besitz einer kirchlichen Pfründe nicht erhalten (denn das steht im Widerspruch zu ihrem Stand); darin wäre die Verfügung zu treffen, daß derlei künftig nicht geschieht, auch nicht von Diözesanbischöfen. Sollte nicht ein für allemal verfügt werden, daß der Papst gehalten ist, alle Wahlen zuzulassen, die die alten Rechte wollen? – besonders da die Kapitel besser erkennen, was für sie nützlich ist, als der Papst, der gemeinhin weit entfernt von ihnen wohnt. Denn wenn keine Verfügung getroffen wird, eignet er sich in Zukunft vielleicht die Wahl des Kaisertums an, was zur großen Schande für das christliche Volk führen könnte, wenn er etwa einen Verwandten aus Rache an anderen dazu machte, oder einen Mann, der nicht aufrichtig katholisch ist –, was besonders bei Fürsten unabdingbar ist, die Diener Christi im Weltlichen sind. Oder wenn der Papst solche Wahlen fordert, ist es dann nützlich, daß ihm das vorbehalten bleibt, was an der Kurie und in der Kirchenprovinz vorkommen kann, aus der er stammt? Doch mir scheint, heute werden Wahlen deswegen nicht zugelassen, damit [das Amt] dem Meistbietenden oder einem Verwandten gegeben wird. Soll der Papst Pfründen vergeben dürfen oder können, die außerhalb der Kurie frei werden? – Da kann er nämlich die Lage einer Pfründe sowie die Pfründen selbst nicht kennen; daher wird er recht häufig so unangemessen seine Verfügung treffen, daß sie sich zum großen Nachteil für die Pfründen B 7 Reformtraktat: Allgemeines Konzil

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VII Anonymus: Avisamentum

rum et ex hoc, quia faciunt numquam residenciam. Ymo cadunt omnia ad terram, ipsi non curant nisi de bursa sua etc. Utrum papa possit nec debeat dare beneficia et officia religiosorum, maxime illorum, qui privilegia in contrarium habent et insuper, cum non sint sibi reservata, nisi ipsi religiosi male providerent contra religionem vel fidem catholicam. Utrum papa debeat exigere totalem vacantem immediate ante promocionem ut nunc,15 vel saltim statim post promocionem maxime a noviter promoto et, quod peius est, antequam habeat bullas. Cum videatur, tale opus symoniacum esset et similiter talis provisio fieri amore pecunie et non probitatis nec sciencie. Utrum papa possit dare seu imponere decimam in certo regno vel terris et eciam tribuere principibus secularibus, ut sint sibi favorabiles iuxta suum desiderium sive consensu partis maxime, cum ipsa decima sit data a deo pro servitoribus Christi et pauperibus, et si opus fuerit, ad deffendendum fidem et ad redimendum captivos de manibus infidelium, non ad ditandum principes, qui satis habent et missas non dicunt. Utrum papa possit dare seu invadiare terras seu patrimonium ecclesie simili modo sine concilio generali vocato, cum ipse sint Christi et non sue, qui non est nisi usufructuarius, nec tales terre possint transire ad genus pape. Set diebus nostris patrimonium ecclesie fuit impignoratum contra ipsamet ecclesiam, eciam comitatus Venayssini 16 in parte per P.de Luna, cardinalibus conscientibus, duobus exceptis. Et quod peius est, papa modernus terram episcopi Avinionis dedit particularibus personis secularibus et similia ibi bona ac diversis locis. Utrum papa possit dare beneficia plura incompatibilia uni, cum Christus dicat: Nemo potest duobus dominis servire,17 et ipsa signare per anteferri, in quo comititur fraus inique contra proximum, maxime cum talis provisio communiter non fit nisi indignis, qui curiam secuntur pro sua petulancia, qui missas non dicunt nec officium, ymo nec presbiteri sunt nec volunt esse sed sic ditant suos et postea nubent, postquam impleverunt bursas suas et suorum, qui elemosinam non faciunt nisi mimis, histrionibus et reclamatoribus et meretricibus. Narrent ista, qui vident, si mutuo hic est valde providendum. Utrum papa debeat nec concilium hoc sacrum dissimulare, quod bulle sunt rescribende, cum talis rescripcio sit furtum voluntarium et nimis familiare ad dampnum petencium et ad implendum bursas scriptorum. Nam ex hoc vi-

15 16 17

Aufgeben aller niederen Pfründen im Falle der Provision zum Bischof. Päpstliche Grafschaft um Avignon. Matth 6, 24.

B 7 Reformtraktat: Zehnt

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auswirkt, auch aus dem Grunde, weil keine Pflicht entsteht, dort den Wohnsitz zu nehmen. Ja, mag alles zu Boden stürzen, sie sorgen sich nur um ihre Börse . . .! Soll der Papst Pfründen und Ämter von Ordensleuten vergeben können und dürfen? – Besonders von denen, die gegenteilige Privilegien besitzen, und darüber hinaus, wenn sie ihm nicht vorbehalten sind (es sei denn die Ordensleute verwalten sie schlecht wider das Klosterwesen und den katholischen Glauben). Soll der Papst jegliche vakante [Pfründe] vor der Verleihung unmittelbar einfordern dürfen wie jetzt?15 – Vielleicht sofort nach der Verleihung, besonders von einem gerade neu Ernannten und, was ganz schlecht ist, bevor er die Bullen erhält? – Es könnte so aussehen, daß solche Tat simonistisch ist und eine solche Verleihung aus Liebe zum Geld erfolgt und nicht aus Liebe zur Rechtschaffenheit und Bildung. Soll der Papst den Zehnten in einem bestimmten Königreich oder in Ländern vergeben oder auferlegen dürfen und ihn dann an weltliche Fürsten weiterverleihen, damit sie ihm gewogen sind, ganz nach seinem Verlangen, oder im Einverständnis mit der stärkeren Partei? – Dieser Zehnt ist indes von Gott gegeben für die Diener Christi und die Armen sowie, wenn es nötig ist, zur Verteidigung des Glaubens, zum Loskauf von Gefangenen aus der Hand der Ungläubigen, nicht jedoch zur Bereicherung der Fürsten, die genug haben und keine Messen lesen. Soll der Papst Länder oder das Patrimonium der Kirche auf gleiche Weise und ohne Einberufung eines Allgemeinen Konzils weggeben oder verpfänden dürfen? – Gleichwohl gehören sie Christus und nicht ihm, der nur Treuhänder ist; diese Länder sollen nicht an die Familie des Papstes übergehen können. Doch in unseren Tagen wurde das Patrimonium der Kirche gegen diese Kirche verpfändet, auch zum Teil die Grafschaft Venaissin 16 von Pedro de Luna mit Zustimmung der Kardinäle, zwei ausgenommen. Und was noch schlimmer ist: der jetzige Papst hat das Land des Bischofs von Avignon einzelnen weltlichen Leuten gegeben, ähnliche Güter dort und an verschiedenen Orten. Soll der Papst mehrere unvereinbare Pfründen einem einzigen geben dürfen? – Wo doch Christus sagt: Niemand kann zwei Herren dienen;17 und wenn er sie kennzeichnet durch eine Vorzugsregelung, begeht er schlimmen Betrug gegen seinen Nächsten, besonders da solche Verleihung gemeinhin nur bei Unwürdigen geschieht; diese laufen mit ihrer Schamlosigkeit der Kurie nach, lesen keine Messen und kein Hochamt, ja sie bereichern so ihre Leute und heiraten dann nachträglich, nachdem sie ihre und ihrer Leute Geldbörsen gefüllt haben, und sie geben Almosen nur an Gaukler, Spielleute, Schauspieler und Ausrufer, sowie an Dirnen. Die es sehen, mögen erzählen, ob hier so auf Gegenseitigkeit Vorsorge zu treffen ist. Darf der Papst (und nicht dieses heilige Konzil) verheimlichen, daß Bullen neu geschrieben werden sollen? – Solches Neuschreiben ist vorsätzlicher und besonders beliebter Diebstahl zum Schaden der Bittsteller und zum Füllen B 7 Reformtraktat: Zehnt

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VII Anonymus: Avisamentum

detur, quod forma unius bulle, postquam est semel sic irrita vel ad profundum inferni portata, quia numquam reperitur, aut 18 est defectus scriptorum et ignorancia eorum et tunc vituperium maximum pape et toti curie, et sic sequitur: Beatus ille, qui scriptor potest esse ad depredandum sic familiariter ad umbram pape proximum suum. Istud corrigatur, supplico. Utrum papa debeat concedere nec episcopi permitere, quod misse celebrantur super deeyssato f 19 et mensalia ad alios usus deputata, que comuniter sunt rubricata sanguine, oleo, pinguedine et aliis immundiciis deturpata. Et quod peius est cum una sola tobellia 20 et in loco discoperto, inhonesto et polluto, ut in pluribus hodie talia comunitantur ad magnum vituperium sacramenti et ministri exercentis. Utrum possit papa creare cardinales iuvenes illitteratos, non graduatos, indevotos. Cum ipsi ipso facto sint consiliarii sui, qui magis et frequenter indigent bono consilio quam aliquis homo vivens super terram, et tamen a talibus mundus non consuevit habere bona nec sana consilia etc. Utrum papa possit vel debeat facere episcopos mere laicos, qui infra sacros ordines g non sunt nec esse volunt, cum comitet eis ipso facto ad gubernandum animas. Et sic videtur, comitit lupis ipsas devorandas et sufficit eis, quod habeant redditus suos. Utrum sit expediens, quod papa faciat vel habeat plures quam quatuor prothonotarios, cum non sint nisi quatuor evangeliste, eciam quia propter multitudinem non crescunt nisi expense sine necessitate, ut michi apparet. Utrum papa possit vel debeat facere episcopos portatiles, qui non habeant unde vivere, cum talis creacio sit ad magnum dedecus et contemptus aliorum episcoporum, eciam pape, qui episcopus Romanus proprie dicitur. Et quam maxime cum de iure scriptum sit, quod eciam presbyteri non sint, nisi habeant, unde vivere possint, nisi hec promocio fieret ad requestam alicuius magni principis, sicut de episcopo Ierosolimitano, vel ad supplicacionem alicuius magni prelati, qui providere eidem velit pro semper et vitam assignare perpetuo. Alias, ut dictum est, confusio est magis quam promocio. Utrum concilium providere habeat cum papa, quod ammodo non fiant tot magistri nec doctores nisi in universitatibus, et illi sint bene certi et, si universitates non mutentur vel anullentur alique, saltim provideatur, quod non expediatur nisi unus in anno in qualibet universitate, quoniam vere plures sunt quam boni discipuli. f g 18 19 20

so die unsichere Deutung durch Ed. fehlt Hs., ergänzt Ed. Ed. vermutet das Fehlen eines Satzgliedes. Wohl eine Art Altar-Mensa. Statt der vorgeschriebenen drei.

B 7 Reformtraktat: Graduierte

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der Börsen der Schreiber. Denn dabei scheint es, daß der Wortlaut einer einzigen Bulle, nachdem sie einmal so ungültig gemacht oder in die Tiefe der Unterwelt gebracht ist (denn man findet sie nirgends) . . .18 oder es liegt ein Fehler der Schreiber vor und Unkenntnis von ihnen, dann ist das eine sehr große Schmach für den Papst und die ganze Kurie; daraus folgt: Selig, wer Schreiber sein kann, um seinen Nächsten so nett im Schatten des Papstes auszuplündern. Das sollte bitte geändert werden. Soll der Papst gewähren und nicht vielmehr die Bischöfe gestatten dürfen, daß Messen gefeiert werden auf einem . . .19 und die Altarmensen für anderen Gebrauch verwendet werden? – Die sind dann gemeinhin rot von Blut ’ mit Öl, Fett und anderen Schmutz verunstaltet. Und was schlimmer ist: mit einem einzigen Altartuch 20 an unverdeckter Stelle, häßlich und schmuddelig, wie in vielen Fällen heute die Kommunion genommen wird, zur großen Schmach für das Sakrament und den sein Amt ausübenden Altardiener. Soll der Papst junge, ungebildete, nichtgraduierte, unfromme Kardinäle ernennen dürfen? – Denn es sind doch Leute seine Berater, die häufiger und stärker als irgendein anderer Mensch, der auf der Welt lebt, einen guten Rat nötig haben; indessen ist es die Welt nicht gewohnt, von solchen [Menschen] gute und nützliche Ratschläge zu erhalten. Soll der Papst bloße Laien, die keine heiligen Weihen erhalten haben und sie auch nicht haben wollen, zu Bischöfen machen können oder dürfen? – Er überträgt ihnen das Amt doch tatsächlich zur Leitung der Seelen. Es scheint: Er übergibt sie den Wölfen zum Fraß; es genügt ihnen, daß sie ihre Einkünfte haben. Sollte es wirklich nützlich sein, daß der Papst mehr als vier Protonotare einsetzt und hat? – Wo es doch nur vier Evangelisten gibt; auch wachsen ohne Not wegen der Vielzahl nur die Ausgaben, wie mir scheint. Soll der Papst Bischöfe ohne Ortssitz, die nichts zum Leben haben, ernennen können oder dürfen? – Wo doch eine solche Bestellung eine große Schande und Verachtung der anderen Bischöfe bedeutet, auch des Papstes, der ja eigentlich ‘Bischof von Rom’ genannt wird. Und besonders da es häufig im Recht so geschrieben steht, daß es nur Priester geben darf, die etwas haben, wovon sie leben können; ausgenommen bleibt, wenn diese Weihe auf die Forderung eines großen Fürsten geschieht, wie beim Bischof von Jerusalem, oder auf Bitten eines großen Prälaten, der zu seinen Gunsten eine Verfügung für immer treffen will und sich lebenslang sichern möchte. Ansonsten ist das eher, wie es heißt, Verwirrung als Weihung. Soll das Konzil zusammen mit dem Papst verfügen, daß künftig nur soundsoviele Magister und Doktoren an den Universitäten promoviert werden? – Diese haben dann ein sicheres Ziel; und, falls Universitäten nicht verändert oder aufgehoben werden, sollte zumindest verfügt werden, daß es nützlich ist, in jedem Jahr nur einen an jeder Universität [zu promovieren]; denn wahrhaftig: Es gibt mehr von ihnen als gute Studenten. B 7 Reformtraktat: Graduierte

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VII Anonymus: Avisamentum

Utrum papa possit vel debeat dare beneficia ecclesiastica laycis militibus propter servicia particularia vel eciam generalia, sicut in Provincia fecit modernus et in Bononia,21 de quo fertur, quod uni layco dedit VII curas animarum, ubi et in aliis studiis quam pluribus sunt multi valentes viri, qui student et legunt in utroque statu existentes et utraque facultate legentes,22 qui sibi et aliis proficiunt et tamen nichil habent, nisi velle ad proficiendum et domina miseria, que eos concomitatur in paciencia. Utrum pape sit necessarium tenere in qualibet provincia unum visitatorem probum, qui invigilet contra pigros et indomitos ecclesiasticos, vel quod talis correccio comitatur metropolitano, cui eciam papa teneatur vel possit dare fidem in eleccionibus fiendis in sua provincia, dum tamen ipse ibidem residenciam faciat. Cum talis metropolitanus sit magis aptus scire veritatem et utilitatem eleccionis quam papa, qui est reiectus, eciam merita vel demerita dictorum electorum et eligendorum, et sic primo ad eum recurretur. Utrum possit vel debeat dare episcopis secundam ecclesiam, cum prima sit eis ut sponsa, ut dantur hodie vel comituntur abbacie ipsis et dominis cardinalibus ecclesie cathedrales, et tamen habent titulos et ecclesias in orbe, ita quod non videtur racionabile, nam sic providetur bursis eorum et non ecclesiis nec animabus, quibus per talem commissionem presunt, cum apostolus dicat: Sponsa sit unica viri.23 Utrum papa teneatur providere de beneficio vel stipendiis vel de uno beneficio cuilibet inquisitori heretice pravitatis, cum ipsi eciam laborent pro fide catholica etc. Utrum papa debeat permittere, quod multiplicentur religiones varie, eciam sine racione et necessitate ut de monte domini, fratricelli,24 sancte Brigide et innumeris aliis, quorum nomina ignoro. Cum mundus sic diminuatur, ymo in aliquibus locis non sunt electores terre et sic nonnulli perdunt in utroque statu, perdunt dominum suum, eciam redditus tam ecclesiarum quam temporalium et tamen, ut dictum est, non omnes propterea devocionem faciunt. Utrum papa et episcopi debeant dissimulare cum presbiteris, qui sunt ministri Christi et milites et dispensatores ministeriorum dei, quod ipsi sunt ministri possessionum secularium et pincernarii, cubicularii dominorum, servitores servorum et ancillarum, maxime quando sunt beneficiati et quando

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Alexander V. u. Johannes XXIII. hatten ihre Residenz in Bologna. Joh. war nur 2 Jahre in Rom. 22 Studenten der höheren Fakultäten, die an der Artes-Fakultät als magistri lesen. 23 Vgl. 2 Cor 11, 2. 24 Siehe oben Nr. 1 S. 64 Anm. 6.

B 7 Reformtraktat: Kirchenprovinz

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Soll der Papst an Laien kirchliche Pfründen geben können oder dürfen, etwa an Ritter wegen ihrer besonderen oder auch allgemeinen Dienste? – So wie es der jetzige [Papst] in der Provence gemacht hat und der in Bologna,21 von dem es heißt, daß er einem Laien sieben Seelsorgestellen gegeben hat; dagegen gibt es in manch anderen Universitäten viele tüchtige Leute, die studieren und zugleich Vorlesungen halten, somit zu beiden Gruppen gehören und in beiden Fakultäten Vorlesungen halten;22 sie nützen sich und anderen, doch haben sie nichts als den Willen zum Weiterkommen; ihre Herrin ist die Armut, die sie in Geduld begleitet. Soll es für den Papst notwendig sein, sich in jeder Kirchenprovinz einen bewährten Visitator zu halten? – Der müßte wachsam sein gegen die faulen und ungebärdigen Kirchenleute; oder soll dem Metropoliten diese Zurechtweisung anvertraut werden, zu dem auch der Papst bei der Durchführung von Wahlen in seiner Kirchenprovinz Zustimmung geben sollte oder könnte, sofern er nur dort seinen Wohnsitz nimmt. Denn ein solcher Metropolit ist besser als der Papst, der weit weg ist, geeignet, die Wahrheit und den Nutzen einer Wahl zu kennen, auch die Verdienste und Mängel der genannten Erwählten oder Kandidaten; so kann zunächst bei ihm Berufung eingelegt werden. Soll er den Bischöfen eine zweite Kirche geben können oder dürfen? – Wo doch die erste ihnen wie eine Braut angehört; heute werden ihnen etwa Abteien und den Herren Kardinälen Kathedralkirchen gegeben oder anvertraut; indessen haben sie doch auf der ganzen Welt Titel und Kirchen, was nicht vernünftig scheint; denn so wird Vorsorge getroffen für ihre Geldbörsen, nicht für die Kirchen oder die Seelen, die sie aufgrund solcher Zuweisungen leiten; sagt doch der Apostel: Die Braut sei einzig einem Manne angetraut.23 Soll der Papst gehalten sein, Verfügungen zu treffen über eine Pfründe oder Stipendien für einen jeden Inquisitor ketzerischer Verworfenheit (oder nur über je eine einzige für ihn)? – Diese mühen sich doch ab für den katholischen Glauben. Soll es der Papst gestatten müssen, daß sich die verschiedenen Ordensgemeinschaften vermehren, auch ohne Sinn und Notwendigkeit? – Etwa die vom Berge des Herrn, die der Fratizellen,24 die der heiligen Brigitta und unzählige andere, deren Namen ich nicht kenne. Denn die Welt wird so immer kleiner, ja an einigen Orten gibt es keine Landarbeiter mehr, und so bringen einige in beiden Ständen, ja bringen ihren Herrn ins Verderben, auch die Einkünfte der Kirchen wie die weltlichen Steuern; und dennoch, wie gesagt, schaffen nicht alle deswegen Frömmigkeit. Sollen der Papst und die Bischöfe bei ihren Priestern die Augen zudrücken dürfen? Sie sind Diener Christi und seine Ritter, Spender der Mysterien Gottes, doch sie wurden Diener der weltlichen Besitzungen, Mundschenke und Kammerdiener der Herren, Diener von Knechten und Mägden, besonders sobald sie Pfründner sind und sobald sie Seelsorgsaufgaben haben. Ist dieser B 7 Reformtraktat: Kirchenprovinz

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VII Anonymus: Avisamentum

habent regimen animarum. Non iste defectus vigitet hin domibus nobilium et ignobilium h mercatorum in lingua Gallica et in Cathalonia. De aliis dicerem, si ita certus essem, nam tales propter mundum officium dimittunt. Utrum sit dissimulandum, quod ecclesie cathedrales et beneficia quecumque ecclesiastica arrendentur per seculares, eciam mere laycos et uxoratos, qui penitus de officio, de ecclesia nec ad illam pertinentibus non curant nisi solum de sua bursa, et sic deo et ecclesiis ac beneficiis secuntur incomoda multa, michi constat. Utrum sit magis congruum, quod domini cardinales sint in numero certo et XII apostolorum, quam quod ita ipsi multiplicentur, maxime cum multi non habeant, de quo vivere iuxta eorum desiderium vel pocius fastum, qui causa fuit in parte divisionis ecclesie saltim continuacionis presentis scismatis, nam quilibet a tempore domini Gregorii XI. videre potest, si sustinuerunt magistros suos propter miracula, que faciebant, vel propter beneficia, que ab ipsis habebant. Idcirco quanto plures sunt, tanto maiorem guerram faciunt. Utrum sit expediens, nisi essent legati, quod domini cardinales trahant moram extra curiam Romanam, cum ipsi sint primi et principales i consiliarii pape. Et per eos debet esse kingressus ad papam k et non per mercatores, qui non sapiunt nisi mundum et, que mundo sunt, querunt, non que Iesu Christi.25 Utrum sit expediens, quod quilibet ex ipsis dominis cardinalibus habeat unam ecclesiam cathedralem in comendam, ubi teneat vivere ex episcopis, qui titulum non habent nec beneficium, qui quidem episcopus pro ipso scilicet cardinali officium pastoris faciat et alii in suis episcopatibus. Quam quia habent tot et tanta beneficia, que in manibus eorum pereunt, et sic devocio populi et multa alia deteriorantur totaliter propter malum regimen, ymo eciam quia in pluribus locis dominis ignorantibus sunt spelunca latronum..26 Utrum sit expediens, quod comitatus Bononiensis,27 casu posito, quod domini cardinales dictas ecclesias non haberent nec eciam beneficia, que nunc habent, provideat cuilibet de X milibus 28 annuatim, quia posito, quod essent XXIIII, quod absit, sufficit pro omnibus eciam pro episcopo illius civitatis vel vicario pape; quoniam anno quolibet valet CCC milia. Et sic providebitur bene pluribus, ut michi videtur. Utrum sit expediens, ymo videtur necessarium, quod collegium domino-

h–h

fehlt Ed. principales ad papam Ed. k–k fehlt Ed. i

25 26

Vgl. Matth 16, 23. Marc 11, 17; Luc 19, 46.

B 7 Reformtraktat: Kardinäle

327

Verfall nicht besonders deutlich in den Häusern der adligen und nicht adligen Kaufleute im Gebiet der gallischen Sprache und in Katalonien? Ich würde von anderem sprechen, wenn ich sicher wäre; denn diese lassen um der Welt willen ihr Amt im Stich. Soll man ein Auge zudrücken, daß die Kathedralkirchen und alle kirchlichen Pfründen verschachert werden durch weltliche Leute? – Auch durch bloße Laien, die sogar verheiratet sind, die sich überhaupt nicht um das Amt, die Kirche und ihr Zubehör kümmern, lediglich um ihre Geldbörse; so folgen für Gott, die Kirchen und Pfründen viele Nachteile. Das steht für mich fest. Sollte es nicht angemessener sein, daß die Herren Kardinäle in ihrer Zahl beschränkt werden, etwa auf die der 12 Apostel, als daß sie sich so vermehren? – Besonders haben viele nichts, wovon sie leben könnten nach ihrem Bedürfnis oder vielmehr nach ihrem Hochmut, der zum Teil der Grund für die Spaltung der Kirche, zumindest der Fortsetzung des gegenwärtigen Schismas war; denn jeder kann es seit den Zeiten des Herrn Gregor XI. sehen, ob sie ihre Meister wegen der Wunder, die sie vollbrachten, oder wegen der Pfründen, die sie von ihnen hatten, ertrugen. Je mehr es daher sind, desto größeren Aufstand machen sie. Sollte es wirklich nützlich sein, daß die Herren Kardinäle ihre Zeit außerhalb der Römischen Kurie verbringen, außer wenn sie Legatenaufgaben wahrnehmen? – Schließlich sind sie die ersten und hauptsächlichen Ratgeber des Papstes. Durch sie muß es Zugang zum Papst geben, nicht durch Kaufleute, die nur das Geld kennen, die nur das suchen, was des Geldes ist, und nicht, was Jesu Christi ist.25 Sollte es nützlich sein, daß jeder von diesen Herren Kardinälen eine Kathedralkirche als Kommende hat? – Dort muß er dann von den Bischöfen leben, die weder den Titel noch die Pfründe haben; der Bischof also übt für diesen Kardinal das Amt des Hirten aus und andere jeweils in ihren Bistümern. Wie? Ist das nicht besser, als wenn sie viele große Pfründen haben, die in ihren Händen zugrundegehen; so wird die Frömmigkeit des Volkes und vieles andere wegen der schlechten Leitung ganz schlimm zugerichtet; denn an vielen Orten gibt es, ohne daß die Herren es wissen, die ‘Mördergrube’.26 Sollte es nicht nützlich sein, daß die Grafschaft Bologna 27 – gesetzt den Fall, die Herren Kardinäle besäßen die genannten Kirchen nicht und auch nicht die Pfründen, die sie jetzt haben – einen jeden mit jährlich 10 000 Gulden 28 versorgte? – Denn gesetzt, es wären 24 [Kardinäle], was ferne sei, so genügt es für alle, auch für den Bischof dieser Stadt oder den Stellvertreter des Papstes; denn sie [die Grafschaft] bringt in jedem Jahr 300 000 Gulden. So würde gut für viele gesorgt, wie mir scheint. Sollte es nicht nützlich, ja ich meine: notwendig sein, daß das Kollegium B 7 Reformtraktat: Kardinäle

27 28

Die päpstl. Taxe des Bistums betrug 1000 Gulden. Siehe oben Nr. 1 S. 99 Anm. 78.

328

VII Anonymus: Avisamentum

rum cardinalium sit equalis numeri, scilicet quod sint tot theologi, quot erunt iuriste, decretaliste et canoniste propter casus, qui emergunt continue. Et scienter dico, quod theologi propter hereses vitandas et fidem catholicam sustinendam, nam nunc habemus casum in terminis: Si non esset dominus Cameracensis,29 nullus erat, qui potuisset comparere l ad fidem defendendam contra Hus. Nam cecus non iudicat de coloribus, ita quod michi videtur, querent m istud comparere n, ymo statuere. Utrum episcopi debeant stare in curiis regum et principum dimittendo populum eis commissum, nisi sint legittime occupati per ecclesiam vel pro bono unius regni seu nacionis ut quandoque, qui solent esse legati vel officiarii pape propter probitatem, qui tenetur. Teneant in suo loco alium episcopum, qui pro ipsis populo assistat in officio pastorali. Pro quo populo ipsi facti sunt et non econverso. Cum, proch dolor, sint innumeri in regno Francie et in aliis regionibus, qui iustius possunt nominari prelati a predando quam a presidendo. Racio est ista, quoniam ipsi sunt primi in consiliis ipsorum principum, qui dant consilia iniqua contra populum ad placendum principi et ad exauriendum aurum et argentum, ut partem lucri turpis habeant, nam Ambianensis cardinalis 30 cartum vini adimposuit, gabellas in sale et in aliis invenit in dicto regno, sed per dei graciam bonos heredes dimisit in dicto regno post se, quoniam hodie efficiuntur gubernatores generales et exactores pecuniarum pauperum gencium. Ecce quomodo 31pascunt populum!31 Utrum sit expediens visitatores tenere vel mittere ad Yspaniam et ad Almaniam et diversis mundi partibus contra ecclesiasticos tenentes uxores vel concubinas, ut in Riparia Ianue habent eciam filios et filias, vel ad vitandum scandala; quod omnes habeant, ut Greci habent, ut in antiquo testamento et in novo beatus Petrus, sanctus Agricola 32 episcopus et plures alii, qui fuerunt sancciores nobis. Et mundus multiplicabitur yronice loquendo. Ymmo in aliquibus regionibus minus peccatum esset, ut in Ytalia in diversis partibus. Utrum sit expediens, ymo videatur necessarium, mitigare illam decretalem 33 factam de tercio et quarto gradu affinitatis, eciam illa de compaternitate baptismi vel saltem confirmacionis. Cum videatur prima facta fuisse ad habendum pecuniam, quia cum principibus dispensatur eciam cum minoribus mediantibus pecuniis. Istud est clarissimum; ergo videtur peccatum symonial m n

comparare Ed. ,,so unsinnig Hs“ Ed. in Anm. comparare Ed.

29

Pierre d’Ailly. Siehe oben S. 315 Anm. 5. 31–31 Vgl. Jerem 23, 2. 32 B. v. Chalon 532–580. 33 D. 4 q. 14 c. 9. 30

B 7 Reformtraktat: Verweltlichung

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der Herren Kardinäle eine gleich große Anzahl Theologen hat, d. h. ebenso viele wie Juristen, Dekretalisten und Kanonisten, wegen der Fälle, die ständig auftreten? Ich spreche aus Erfahrung: [Wir brauchen] Theologen zur Vermeidung der Ketzereien und zur Stärkung des katholischen Glaubens; denn jetzt haben wir den Fall in unserem Gebiet: Wenn es nicht den Herrn [Kardinal] von Cambrai 29 gäbe, wäre keiner, der zum Schutz des Glaubens gegen Hus zur Stelle wäre. Denn ein Blinder urteilt nicht über Farben, so scheint mir: sie sollen versuchen hier zur Stelle zu sein, ja zu entscheiden. Sollten sich Bischöfe an den Höfen der Könige und Fürsten aufhalten und dabei das ihnen anvertraute Volk im Stich lassen? – Ausgenommen seien die, die rechtmäßig für die Kirche oder zum Wohl eines Reiches oder einer Nation tätig sind, wie bisweilen einige wegen ihrer Tüchtigkeit als Legaten und Amtsträger des Papstes [ihrem Sitz] ferngehalten werden. Diese müssen sich an ihrer Stelle einen anderen Bischof halten, der für sie dem Volke beisteht im Hirtenamt. Für dieses Volk sind sie da, und nicht umgekehrt! Doch, o Schmerz: es gibt im Königreich Frankreich und in anderen Gebieten unzählige, bei denen die Prälaten mit größerem Recht nach dem Plündern als nach dem Präsidieren ihren Namen haben. Der Grund ist folgender: Sie sind die Ersten im Rat dieser Fürsten, sie geben schlimme Ratschläge zum Nachteil des Volkes, um dem Fürsten zu gefallen und Gold und Silber zu scheffeln, damit sie einen Teil des schändlichen Gewinns für sich haben; denn der Kardinal von Amiens 30 hat ein Weinviertel auferlegt, er erfand Abgaben in Salz und anderen Dingen in diesem Königreich; aber dank Gottes Gnade hinterließ er gute Erben nach sich in diesem Königreich; denn heute werden sie allgemeine Verwalter und Steuereintreiber der Gelder der armen Leute. Seht, wie 31sie das Volk als Hirten führen!31 Sollte es nicht nützlich sein, Visitatoren zu halten und nach Spanien, Deutschland und in die verschiedenen Gebiete der ganzen Welt zu schicken gegen Kirchenleute, die Frauen und Konkubinen haben? – Zum Beispiel in Genua an der Riviera haben sie Söhne und Töchter. Sollte man nicht Ärgernisse vermeiden? Denn alle haben sie [Frauen], wie es die Griechen haben, wie im Alten Testament und wie im Neuen der heilige Petrus, der heilige Bischof Agricola 32 und viele andere, die heiliger als wir waren. Die Welt vermehrt sich dadurch, ironisch gesprochen. Ja, in einigen Gebieten wäre es eine läßliche Sünde, wie in Italien in vielen Gegenden. Sollte es nicht nützlich sein, ja, scheint es nicht notwendig zu sein, die ergangenen Dekretale 33 über den dritten und vierten Verwandschaftsgrad zu mildern, auch jene über Patenschaften bei der Taufe, zumindest bei der Firmung? – Zumal die erstgenannte ist entscheidend nur erlassen, um Geld zu erhalten; denn den Fürsten wird Dispens erteilt, auch kleineren Leuten, vermittels des Geldes. Dies ist ganz klar; also sieht man offen die simonistische Sünde. Bei der zweiten, d. h. B 7 Reformtraktat: Verweltlichung

330

VII Anonymus: Avisamentum

cum aperte. De secundo scilicet compaternitatis notorium est, quod multa dampna animarum comituntur propter coytum multorum, qui, ut ipsum execantur ad libitum, compatres efficiuntur; eciam ex alia parte multi, ymo innumeri nuberent, quia non nubunt propterea, quia bona sua vel dominia ad alienos et ignotos nolunt transportare nec eciam personas, utpote mulieres, que multe sunt, que pocius volunt esse sine viro in propria terra quam extra cum viro, eciam plures mercatores nobiles occasione ista concubinas tenent etc. Utrum sit expediens, quod quatuor tempora mittantur in unam quadragesimam, que non ita faciliter oblivisceretur, sicut ipsa tempora, in quibus plures non ieiunant, ymo comedunt carnes, et sic eis datur occasio peccandi, vel quod quilibet in ipsis diebus possit comedere ova, caseum sine consciencia, eciam quod limina amplientur in magna quadragesima propter antiquos, infirmos, pueros, pregnantes et viatica magna facientes, qui ieiunare vellent et non possunt, quia non conveniunt eis cibaria. Utrum modo iterum de novo instituatur propter transgressores et per universum mundum eciam per utrumque bracchium, quisque compellatur dare decimam rectam, quam deus pro se voluit de omnibus terre nascentibus ac armentis omnibus in utroque statu, nam deus ita o vult.34 Et tamen in Ytalia, que summe habundat, non dant, pet nemo quod illas divisiones, quas habent, ex isto peccato ad alia proveniat etc.p Utrum deponens falsum testimonium debeat puniri illa pena, quam enumerat occupatus, si verum foret, vel pena pecuniaria, ut in pluribus curiis hodie fit, ut pecunie habeantur in malo puncto. Utrum in utroque statu existentes, qui sunt latrones et homicide, secundum maius et minus debeant gaudere aliquo privilegio, cum talia sunt contra legem dei et contra proximum, ita quod non videtur etc. Utrum uterque status teneatur ad restitucionem et emendam, quando quis leditur in bonis vel in persona, in terris vel locis suis propter defectum gardie et presidenciam in patria illa et in Ytalia. Utrum nunc decernatur, quod reges, principes, tyranni, comunitates teneantur ad restitucionem ecclesie et ecclesiastici similiter econverso, que iniuste possident, dominis temporalibus, et ipsi pari modo domino imperatori ut in Ytalia tenentur ab ipso civitates, comunitates, castra, in Provincia, que sunt ecclesie castra, navigia et similiter in Francia contra omnem modum iusticie, ymo quod peius est, beneficia ecclesiastica etc., et ad faciendum utrumque bracchium sit requirendum, ut cuilibet detur, quod suum est. Utrum sit suo

ista Ed. ,,richtig wohl: et nemo [dubitat?] quod ille divisiones, quas habent, ex isto peccato proveniant“ Ed. in Anm. p–p

34

Vgl. Deut 14, 22.

B 7 Reformtraktat: Sittenverfall

331

der Patenschaft, ist es allgemein bekannt, daß viel Schaden für die Seelen begangen wird wegen des Beischlafs von vielen, die, um ihn nach Belieben ausüben zu können, Paten werden; auf der anderen Seite würden viele, ja unzählige Frauen heiraten, doch sie heiraten nicht, weil sie nicht ihre Güter oder Herrschaften auf fremde und unbekannte oder überhaupt auf Leute übertragen wollen, ja, es gibt viele Frauen, die eher ohne Mann auf eigenem Land leben wollen als woanders mit einem Mann; auch halten sich viele Kaufleute und Adlige bei Gelegenheit Konkubinen. Sollte es nicht nützlich sein, die vier Quatember in die eine Fastenzeit zu legen, die man nicht so leicht vergißt? – Dies sind die Zeiten, in denen viele nicht fasten, sondern Fleisch essen; so wird ihnen Gelegenheit zum Sündigen gegeben; oder jeder könnte in diesen Tagen Eier und Käse ohne Gewissensbisse essen; auch sollten die Schranken erweitert werden in der großen Fastenzeit wegen der Alten, Kranken, Kinder, Schwangeren und Fernreisenden; selbst wenn sie fasten wollten, können sie es nicht, denn ihnen bekommen die Speisen nicht. Soll jetzt nicht erneut wegen der Übertreter auf der ganzen Welt und zwar durch den geistlichen und den weltlichen Arm jeder gezwungen werden, den rechten Zehnt zu zahlen? – Gott wollte ihn ja für sich von allem Gewächs der Erde und allem Vieh von beiden Ständen; denn Gott will es so.34 Dennoch wird in Italien, das größten Überfluß hat, nichts gegeben, und niemand [zweifelt], daß die Spaltungen, die sie haben, von dieser Sünde auf anderes übergehen. Soll nicht einer, der ein falsches Zeugnis ablegt, mit der Strafe bestraft werden, die der Beschuldigte zu tragen hätte, wenn es wahr wäre? – Oder mit einer Geldstrafe, wie es an vielen Gerichtshöfen heute geschieht, daß Geld für einen schwachen Punkt gehalten wird. Sollen sich in beiden Ständen – so fragt man – die, die Räuber und Mörder sind im großen und im kleinen, eines Privilegs erfreuen dürfen? – Dies ist immerhin gegen Gottes Gesetz und gegen den Nächsten; anscheinend nicht . . . Sollen beide Stände gehalten sein zur Erstattung und Wiedergutmachung, wenn einer verletzt wird an Gütern oder seinem Leib, an seinen Ländern oder Orten, wegen eines Mangels an Wachsamkeit, oder wegen der Schutzaufgaben in der Heimat und in Italien? Soll jetzt entschieden werden, daß Könige, Fürsten, Tyrannen und Gemeinden zum Schadenersatz an die Kirche verpflichtet sind und genauso umgekehrt die Kirchenleute an die weltlichen Herren? – Zur Rückgabe dessen also, was sie ungerechtfertigt besitzen, in gleicher Weise an den Herrn Kaiser, wie in Italien in seiner Botmäßigkeit Städte, Gemeinden, Burgen sind, in der Provence Burgen, die der Kirche gehören, in Frankreich Schiffe und dergleichen wider jede Form von Gerechtigkeit, ja, was noch schlimmer ist, kirchliche Pfründen; um dies zu bewerkstelligen, soll jeweils der andere Arm (geistlich oder weltlich) aufgeboten werden, damit jedem gegeben wird, was B 7 Reformtraktat: Sittenverfall

332

VII Anonymus: Avisamentum

stinendum, quod principes et alii nobiles nec communitates sub umbra mutui faciant redimere prelatos et viros ecclesiasticos; quod si renuant facere, per fas vel nephas ipsos expoliant suis beneficiis vel totaliter ipsos expellunt. Ista passio est fere in toto mundo. Ecce, quomodo principes hodie defendunt ecclesiam et ad eam pertinencia, nimis clarum est. Utrum sit expediens nec honestum, quod papa mitat bullas dominis temporalibus super recepcione promotorum, dum tamen sint de nacione vel dominio suo, maxime cum ecclesie non sint eis subiecte, ymo sunt pape, qui tenetur providere de pastore secundum deum et conscienciam vel secundum eleccionem sibi oblatam. Et hoc dico scienter, quoniam pauci fiunt hodie episcopi maxime in Francia, quod absurdum est, amore sciencie, probitatis, honestatis, maturitatis, sanctitatis vel veritatis, set penitus econverso. Utrum sit providendum, quod non multiplicentur religiones mulierum, ymoque multe, que sunt, ad regulas antiquorum patrum reducantur, maxime inclusarum 35 propter periculum animarum, quoniam in pluribus locis melius et sacrius starent cum viris, quam sic, vel saltem de ipsis preiudicium, ut dictum est, ecclesiasticis yronice loquendo, eciam cum correccione et supportacione omnium aliorum, quin talia monasteria fundantur. Utrum sit congruum, cum non sint nisi quatuor evangelia, hoc est quatuor evangeliste, quod sunt, plura quam quatuor officia in ecclesia, quia hoc est in discordia et discordancia magna, maxime in sollempnitatibus magnis, quoniam non conveniunt in oracionibus communiter per orbem nec in evangelio nec in epistola et tamen principales inter se conveniunt: ut papa cum collegio et omnes, qui secuntur Romanam curiam, officium Romanum faciunt, similiter Augustinenses, Minores et moniales ipsius ordinis, ordo sancti Anthonii, ordo sancte Marie de Fenolheto 36 et fere tota Ytalia, qui in unum concordant, alii autem non secuntur ecclesiam Romanam, que deberet preferri. Utrum sit expediens mulieribus, postquam de condicione sua sunt subiecte viris, quod ipse sub certa etate et non ante habeant libertatem de eligendo virum, maxime cum sint minoris condicionis quam homines, ita quod primo eligunt. Utrum sit honestum religiosis, maxime qui vigore eorum regule nichil habent, litigare in curia Romana nec ad iudicium se trahere ad invicem, cum habeant suos ordinarios, a quibus, vel saltim suis capitulis provincialibus vel

35

Klausnerinnen. Fenouillet bei Hyères, Diözese Toulon; Augustinerinnen, im 15. Jh. Zisterzienserinnen. 36

B 7 Reformtraktat: Frauenorden, Ehe

333

sein ist. Soll es hingenommen werden, daß Fürsten und andere Adlige und Gemeinden unter dem Deckmantel eines Tauschs Prälaten und Kirchenmänner auskaufen lassen? – Wenn diese sich weigern, das zu tun, plündern sie diese (ganz gleich ob zu Recht oder Unrecht) auf ihren Pfründen aus oder vertreiben sie gänzlich. Dieses Leiden gibt es fast auf der ganzen Welt. Seht: Wie die Fürsten heute die Kirche und ihr Zubehör schützen, ist überaus klar. Soll es nützlich und ehrenvoll sein, daß der Papst den weltlichen Herren über den Empfang der Geweihten Bullen schickt, sofern sie von seiner Nation oder seiner Herrschaft sind? – Besonders da die Kirchen ihnen nicht untertan sind, vielmehr dem Papst gehören, der gehalten ist, gemäß Gott und seinem Gewissen oder gemäß der ihm mitgeteilten Wahl für einen Oberhirten zu sorgen. Ich sage das bewußt, denn da werden heute wenige Männer Bischöfe – besonders in Frankreich, was absurd ist – voll Liebe zur Wissenschaft, Rechtschaffenheit, Ehrenhaftigkeit, Reife, Heiligkeit und Wahrheit, sondern vielmehr zum Gegenteil. Soll Vorsorge getroffen werden, daß sich die Frauenorden nicht ständig vermehren? – Sollen nicht die vielen, die es gibt, zu den Regeln der alten Väter zurückgeführt werden, besonders die der Reklusen 35, wegen der Gefahr für die Seelen; denn an vielen Orten würden sie besser und heiliger mit Ehemännern leben als so, oder zumindest gibt es, ironisch gesagt, einen Nachteil mit diesen Kirchenleuten, wie es heißt, (auch bei Besserung und Unterstützung aller übrigen), so daß solche Klöster nicht gegründet werden sollen. Soll es angemessen sein – wo es nur vier Evangelien, d. h. vier Evangelisten gibt –, daß es mehr als vier Offizien in der Kirche gibt? – Denn dies bringt große Zwietracht und Uneinigkeit besonders bei großen Feierlichkeiten; es gibt nämlich bei den Gebeten gemeinhin auf der Erde keine Übereinstimmung, auch nicht bei Evangelium und Epistel, obgleich die hauptsächlichen untereinander übereinstimmen; wie der Papst mit dem Kardinalskollegium und alle, die der Römischen Kurie folgen, das Römische Offizium verwenden, so die Augustiner, die Minoriten und die Nonnen dieses Ordens, der Orden des heiligen Antonius, der Orden der heiligen Maria von Fenolheto 36 und fast ganz Italien, diese sind sich einig; andere aber folgen nicht der Römischen Kirche, die den Vorzug verdiente. Soll es für Frauen gut sein, wo sie doch ihrem Stande nach den Ehemännern untertan sind, daß sie ab einem bestimmten Alter und nicht vorher die Freiheit haben, sich einen Ehemann auszuwählen? – Besonders wenn sie minderen Standes als die Männer sind, sollen sie zuerst wählen. Soll es ehrenhaft sein für Ordensleute, besonders die, die kraft ihrer Ordensregel nichts besitzen, an der Römischen Kurie Prozesse zu führen und sich gegenseitig vor Gericht zu ziehen? – Wo sie doch ihre Ordinarien haben! Von diesen können sie, oder zumindest von ihren Provinzial- und GeneralB 7 Reformtraktat: Frauenorden, Ehe

334

VII Anonymus: Avisamentum

generalibus possint recurrere et ad illa ire, hoc concilium sacrum potest ipsos in simili casu licenciare, quod vadant ad petendum iusticiam casu, quo ordinatus non ministraret extra concilium. Utrum viri ecclesiastici teneantur facere personalem residenciam in propriis beneficiis, nisi dumtaxat qui licenciati sunt per dominum papam et occupati hoc supposito, quod locumtenentem habeant in dicto beneficio vel beneficiis et hoc propter periculum animarum suarum maxime propter iuramentum super hoc prestitum, quoniam dubito, quod multe anime sic illaqueantur q, qui contrarium faciunt, et tamen servire, ubi bonum recipiunt, videtur esse congruum. Utrum aurum et monete pape et imperatoris, qui ex officio toti mundo president, debeat habere valorem similiter per totum mundum, quantum valet in civitatibus eorundem, non supponendo valorem pecuniarum aliorum dominorum inferiorum; videtur, quod esset valde racionabile pro pauperibus, quibus in omnibus est favendum magis quam mercatoribus, qui de alienis bursas suas implent sine sudore, qui eciam, si eis portarentur peccunie Sarracenorum, apud eos omnes habent locum. Eya ergo, patres sanctissimi, principes illustrissimi, magistri et doctores piissimi ac fratres in Christo karissimi ad supradicta attendite, supplico, ad intencionem meam et non ad vindictam. Respicite sic, que dei sunt, querite, que male stant, corrigite et penitus erradicate. Cuilibet, quod suum est, reddite, ad condiciones hominum respicite, lucidius viam domini dirigite 37 constancius, ut omnes in pace viamus diucius et pro mercede dulcis Ihesus sit nobis propicius omnibus. Amen.

q

illa queantur Ed.

B 7 Reformtraktat: Anwesenheitspflicht

335

kapiteln können sie Berufung einlegen und zu diesen gehen; dieses heilige Konzil kann ihnen in einem ähnlichen Fall eine Genehmigung erteilen, daß sie zur Einforderung von Gerechtigkeit schreiten können, falls der ordentliche [Gerichtsherr] außerhalb des Konzils ihnen kein Recht spricht. Sollen Kirchenmänner gehalten sein, persönliche Anwesenheitspflicht auf ihren eigenen Pfründen wahrzunehmen? – Das betrifft den nicht, der eine Ausnahmegenehmigung vom Herrn Papst hat und anderweitig beschäftigt ist, vorausgesetzt, er hat einen Stellvertreter auf der oder den Pfründen, und dies wegen der Gefahr für die Seelen besonders wegen des Eides, den sie deswegen geleistet haben; denn ich glaube, daß viele Seelen, die das Gegenteil tun, sich verstricken; immerhin scheint es mir angebracht, daß sie dort Dienst tun, wo sie ihr Gut empfangen. Sollen Gold und Münzen des Papstes und des Kaisers, die ja von ihrem Amt her die ganze Welt leiten, auf der ganzen Welt die gleiche Geltung haben, wie sie in deren Städten haben, ohne daß dadurch das Geld der anderen niederen Herren ersetzt würde? – Mir scheint, das wäre sehr vernünftig für die Armen, die man in allem mehr unterstützen muß als die Kaufleute, die ihre Geldbörsen ohne Schweiß aus anderen Börsen füllen; die hätten, wenn ihnen Geld der Sarazenen gebracht würde, alle bei diesen ihren Platz. Nun also, heilige Väter, erlauchte Fürsten, fromme Magister und Doktoren und hochgeliebte Brüder in Christus, habt acht auf das Zuvorgesagte, ich bitte für meine Absichten und nicht um Rache. Nehmt Rücksicht, sucht das, was Gottes ist, bessert und beseitigt gänzlich, was schlecht steht. Gebt jedem das Seine, achtet sorgfältig auf den sozialen Stand der Menschen, geht beständig auf dem Wege des Herrn 37, damit wir alle weiterhin in Frieden wandeln und der süße Jesus uns allen nach unseren Verdiensten gnädig ist. Amen. B 7 Reformtraktat: Anwesenheitspflicht

37

Vgl. Joan 1, 23.

VIII Petrus de Alliaco: De reformacione

C. DIE REFORMARBEIT DES KONSTANZER KONZILS

VIII

Edd.: v. d. Hardt I Sp. 409–433; Du Pin II Sp. 903–916 – emendiert mit Hilfe der Hss.Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod.-Guelf. 83.5 Aug. 2 (W); München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 14 317 (M).

PETRUS DE ALLIACO: DE REFORMACIONE ECCLESIE De reformacione ecclesie plura dudum per me scripta nunc compendiosius recolligere et sacri generalis concilii Constanciensis examinacioni atque correccioni presentare decrevi. Que ecclesie reformacio quam necessaria olim fuerit et amplius modo sit, evidenter ostendit deflenda ipsius deformacio. De qua lamentabiliter conquerebatur beatus Bernhardus sermone XXXIII. super Cantica, ita dicens: Serpit hodie putridaa tabes per omne corpus ecclesie, et quo lacius eo desperacius, eoque periculosius quo interius. Nam si insurgeret apertus hereticus, mitteretur foras et aresceret; si violentus inimicus, absconderet se forsitan ab eo. Nunc vero quem eiciet aut a quo abscondet se? Omnes amici, et omnes inimici; omnes necessarii, et omnes adversarii; omnes domestici, et nulli pacifici; omnes proximi, et omnes que sua sunt querunt; ministri Christi sunt, et serviunt Antichristo; honorati incedunt de bonis domini, qui domino honorem non deferunt.1 Et numeratis quibusdam excessivis abusibus ecclesiasticorum, subdit: Olim predictum est, et nunc tempus implecionis advenit: 2Ecce in pace amaritudo mea amarissima.2 Amara prius in nece martirum, amarior post in conflictu hereticorum, amarissima nunc in moribus domesticorum. Non fugare, non fugere eos potest, ita invaluerunt et multiplicati sunt super numerum. Intestina et insanabilis est plaga ecclesie; et ideo 2in pace amaritudo eius amarissima.2 Sed in qua pace? Et pax est, et non est pax; pax a paganis, et pax ab hereticis, sed non profecto a filiis. Vox plangentis in tempore istob: 3Filios enutrivi et exaltavi, ipsi autem spreverunt me.3 Spreverunt et maculaverunt me a turpi vita, a turpi questu, a turpi commercio, a negocio perambulante in tenebris.1 Si hec a beato Bernhardo dicta sunt, nunc multo magis dici possunt. Quia extunc c ecclesia de malis ad peiora processit, et in omni tam spirituali quam seculari statu, abiecto decore virtutum, in variam cecidit turpitudinem viciorum. Propterea extunc c quidam spirituales, mala hec subtilioris intelligencie oculo previdentes, presentem ecclesie persecucionem et huius scismatis hora b c

putida Bernh. est korrigiert in isto Hs. M, est Edd. ex eo Edd.

1

* Sermo 33, ed. Rochais-Leclerq I S. 244 f. Is 38, 17. 3–3 Is 1, 2. 2–2

8. PIERRE D’AILLY DIE KIRCHENREFORM, OKT. 1416 Über die Reform der Kirche von mir früher verfaßte Schriften möchte ich nunmehr gekürzt zusammenfassen und der Prüfung und Verbesserung durch das heilige Konzil zu Konstanz unterbreiten. Wie notwendig die Kirche diese Umgestaltung einst hatte – und weit mehr jetzt – zeigt offenkundig ihre beweinenswerte Mißgestalt. Über die klagte erregt der heilige Bernhard in seiner Predigt zum Hohenlied, wo er sagt: Heute schleicht die modernde Zersetzung durch den ganzen Leib der Kirche – je weiter, desto verzweifelter, je tiefer im Inneren, desto gefährlicher. Denn wenn ein offener Häretiker aufstünde, könnte er hinausgeworfen werden und verdorren, wenn ein gewalttätiger Feind, so könnte sie sich vielleicht vor ihm verstecken. Nun aber: wen soll sie hinauswerfen, vor wem sich verstecken? Alle sind Freunde, alle auch Feinde; alle Nachbarn, alle auch Gegner; alle Hausgenossen, niemand friedfertig; alle Nächste, aber alle suchen nur das Ihrige; sie sind Diener Christi und dienen doch dem Antichrist; sie schreiten überhäuft mit den Gütern des Herrn ehrenvoll daher, bringen aber dem Herrn keine Ehre dar.1 Und nach Aufzählung einiger übermäßiger Mißbräuche von Kirchenleuten fügt er hinzu: Einst war dies vorausgesagt, doch jetzt ist die Zeit der Erfüllung gekommen: 2Seht im Frieden meine überaus bittere Bitternis!2 Bitter einst beim Tode der Märtyrer, bitterer danach beim Kampf mit den Häretikern, am bittersten jetzt bei den Sitten der Hausgenossen! Sie kann sie nicht in die Flucht schlagen und auch nicht vor ihr flüchten, so stark sind sie geworden und haben sich vermehrt über alle Zahl. Das Siechtum der Kirche sitzt tief und ist unheilbar; auch deswegen 2 ist ihre Bitternis im Frieden so überaus bitter.2 Aber in welchem ‘Frieden’? Es ist Frieden, und es ist doch nicht Frieden, Frieden vor den Heiden, Frieden vor den Häretikern, aber wahrhaftig nicht vor den Söhnen. Die Stimme der Klagenden ruft in solcher Zeit: 3Ich habe die Söhne genährt und erhört, und sie sind von mir abgefallen.3 Sie verachteten und verschandelten mich wegen eines schimpflichen Lebens, eines schimpflichen Gewerbes, eines schimpflichen Handels, wegen eines Geschäftes schließlich, das im Finstern schleicht.1 Wenn dies der heilige Bernhard sagt, so kann es heute noch viel eher gesagt werden. Denn die Kirche ist seither vom Bösen zum Schlimmeren fortgeschritten, und in jedem Stande, dem geistlichen wie dem weltlichen, hat sie die Zierde der Tugenden abgeworfen und ist der buntscheckigen Häßlichkeit der Laster verfallen. Deswegen haben seither einige geistliche Menschen, die dieses Übel mit dem Auge scharfen Verstandes vorhersahen, die gegenwär-

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VIII Petrus de Alliaco: De reformacione

rendam monstruosamque divisionem, subtraccionem quoque obediencie ab ecclesia Romana et alia plura scandalosa inde secutura predixerunt, sicut patet in libris abbatis 4Ioachim et Hildegardis5. Quos non esse contempnendos quorundam magnorum doctorum probat auctoritas. Hec autem deus misericordissimus, qui solus ex malis bona novit elicere, ideo permittere credendus est, ut eorum occasione ecclesia sua in melius reformetur. Quod nisi celeriter fiat, audeo dicere, quod licet magna sint, que videmus, tamen in brevi incomparabiliter maiora videbimus et post ista tonitrua tam horrenda alia horribiliora in proximo audiemus. Eapropter summopere vigilandum est circa reformacionem ecclesie. Ideo circa hoc aliquas consideraciones particulares scribere et prudentum examinacioni proponere dignum duxi – nec omnes quidem, quia ad hoc maiori libro et maiori ingenio opus esset: sed utiliores et meo iudicio magis necessarias et per quas ad omnes alias via poterit facilius aperiri. Prima autem consideracio erit de reformandis circa corpus ecclesie. Secunda de reformandis circa eius caput, scilicet circa statum pape et Romane curie. Tercia de reformacione principalium ecclesie parcium, scilicet prelatorum. Quarta de reformandis circa dreligiones et religiosos d. Quinta de reformandis circa ceteros ecclesiasticos. Sexta de reformacione laycorum christianorum.

I. Prima consideracio est de hiis, que viderentur reformanda circa totum corpus universalis ecclesie. Ubi primo occurrit esse expediens et necessarium, quod sepius quam hactenus factum sit, generalia concilia celebrentur. Item videtur expediens, quod eciam sepius celebrarentur concilia provincialia, quia (ut patet XVIII. di. Decreti)4 sancti patres propter ecclesie utilitatem primo statuerunt ea bis in anno celebrari. Postea vero propter fatigaciones et ut opportune haberentur, hii, qui congregandi sunt statuto synodali, diffinierunt, omni excusacione remota, modis omnibus semel in anno fieri et depravata corrigi. Unde et episcopi,

d–d 4–4

religionem et Hs. M, fehlt Edd.

Joachim von Fiore († 1202), hier wohl in seinem Sermo de adventu Domini. – Hildegard von Bingen († 1179) im Liber divinorum operum. Migne PL 197 Sp. 742– 1038, bes. Buch 3 Vision X cap. 15 u. 25 Sp. 1017 u. 1026 f.

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tige Verfolgung der Kirche und die schreckliche und widernatürliche Spaltung dieses Schismas, auch den Entzug des Gehorsams gegenüber der Römischen Kirche und manches andere Ärgernis, das daraus folgt, vorhergesagt, wie aus den Büchern des Abtes 4Joachim und denen der Hildegard 4 hervorgeht. Daß man diese nicht verachten darf, lehrt die Autorität mancher großer Gelehrter. Dies aber läßt in seinem überaus großen Erbarmen Gott, der allein aus üblem Gutes hervorlocken kann, deswegen geschehen (wie man glauben darf.), damit die Kirche bei dieser Gelegenheit zum Besseren umgestaltet wird. Wenn das nicht schnell geschieht, so wage ich zu sagen: Mag das auch groß sein, was wir sehen, so werden wir doch in Kürze unvergleichlich größeres sehen, und nach diesen so schrecklichen Donnerschlägen werden wir bald andere noch weit schrecklichere hören. Deshalb muß man höchst wachsam sein hinsichtlich der Reform der Kirche. Ich halte es daher für angebracht, einige besondere Überlegungen hierzu aufzuschreiben und der Beurteilung durch weise Männer vorzulegen – gewiß nicht alle Überlegungen, denn dazu wäre ein größeres Buch und ein größeres Talent nötig: doch die nützlichsten und nach meinem Urteil notwendigeren und solche, durch die zu allen anderen [Gedanken] der Weg leichter geöffnet werden könnte: – erste Überlegung über die Reform am ganzen Leib der Kirche, – zweite über die Reform an ihrem Haupt, d. h. am Stand des Papstes und der Römischen Kurie, – dritte über die Reform der wesentlichen Teile der Kirche, also der Prälaten, – vierte über die Reform bei den Orden und Ordensleuten, – fünfte über die Reform bei den übrigen Geistlichen, – sechste über die Reform der christlichen Laien. C 8 Pierre d’Ailly, Reform: Weltkirche

C 8 Pierre d’Ailly, Reform: Weltkirche

1. Die erste Überlegung geht darauf, was am ganzen Leib der Weltkirche reformiert werden müßte. Dabei begegnet einem zunächst, daß es förderlich und notwendig ist, häufiger als bisher geschehen Allgemeine Konzilien durchzuführen. Ebenfalls scheint es förderlich, auch öfter Provinzialsynoden durchzuführen. Denn, wie aus D. 18 c. 2–7 hervorgeht, die heiligen Väter haben wegen des Nutzens für die Kirche zuerst bestimmt, diese sollten zweimal im Jahr durchgeführt werden. Später aber haben diejenigen, die sich zu versammeln hatten, wegen der Strapazen und weil man es für günstig hielt, in einem Synodalstatut festgelegt – ohne irgendwelche Entschuldigung –, sie sollten einmal im Jahr abgehalten und Mißstände abgeschafft werden. Daher unterliegen auch die

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qui ad synodum venire contempnunt, et principes, qui hoc prohibent vel impediunt, vel metropolitani, qui absque racionabili causa hoc agere negligunt, canonicis penis subiaceant e. Ut hec probantur in predicta distinccione quasi per totum et in multis canonibus conciliorum, ut in secundo capitulo Carthaginensis concilii tercii et in alio capitulo Toletani concilii sexti 5 et in tercio capitulo quarti concilii Toletani, ubi sic legitur: Nulla pene res discipline mores ab ecclesia Christi magis expellit quam negligencia sacerdotum, qui contemptis canonibus ad corrigendos mores ecclesiasticos synodos facere negligunt.6 Et certe hodie docet experiencia, quot et quanta mala ex huiusmodi negligencia proveniunt f. Et ideo necesse est providere, ut huiusmodi concilia sepius fiant et, si non semel in anno iuxta rigorem canonum, saltem de triennio in triennium ad evitandum vexaciones itinerum, laborum et expensarum g. Quia omne rarum preciosum. Et si dicatur, quod hodie non est opus generalia aut provincialia concilia congregare, sicut fuit in primitiva ecclesia, et quod ad tollendum vexaciones prelatorum in huiusmodi conciliis Romana ecclesia seu papalis curia potest h sufficienter casibus emergentibus providere, respondetur: quod hoc non est utique verum. Tum primo, quia experiencia docet, quod propter defectum conciliorum et maxime generalium tocius ecclesie, que sola potest audacter et intrepide omnes corrigere, ea mala, que universalem tangunt ecclesiam, diu remanserunt i impunita, incorrecta, et adeo increverunt et inveterata sunt, quod tandem multa et iniusta et iniqua sub pretextu ficte et corrupte consuetudinis licita reputantur. Item multi suspicantur, quod hec dissimulaverit Romana curia et super hiis concilia fieri neglexerit, ut posset ad sue voluntatis libitum plenius dominari et iura aliarum ecclesiarum liberius usurpare. Quod non assero esse verum. Sed quia contra eam huiusmodi laborat infamia, deberet ad eam purgandam super congregacione conciliorum generalium et provincialium providere. Alioquin, iuxta dictum Augustini: Quik famam suam negligit, crudelis est.7 Item illa sanctissima Romana curia, scilicet Petri et apostolorum, licet potuisset sine congregacione concilii per epistolas vel alias causas et negocia ecclesie faciliter terminare, tamen legitur quatuor concilia celebrasse, sicut patet Actuum I, VI, XV et XXI capitulis.8 Unde per hoc exemplum instruccionis de

e f g h i k

subjacent Edd. proveniant Edd. fehlt Edd. possit Edd. remanserint Edd. si Edd.

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Bischöfe, die sich weigern, zur Synode zu kommen, und die Fürsten, die sie verhindern und verbieten, sowie die Metropoliten, die es ohne vernünftigen Grund unterlassen, sie abzuhalten, den kanonischen Strafen. Das wird bestätigt durch fast die ganze zuvor genannte Distinctio und viele Konzilsbeschlüsse, etwa 3. Konzil von Karthago 2. Kap., 6. Konzil v. Toledo Kap. 2;5 ferner 4. Konzil v. Toledo Kap. 3, wo es heißt: Fast kein Disziplinarfall entfremdet die Sitten mehr von der Kirche Christi als die Nachlässigkeit der Priester, die es unter Mißachtung der Kanones versäumen, zur Besserung der Sitten Synoden abzuhalten.6 Heute lehrt uns die Erfahrung gewiß, wie viel und wie großes Unheil aus diesem Versäumnis hervorgeht. Daher ist es nötig, dafür zu sorgen, daß solche Konzilien öfter stattfinden – wenn nicht einmal im Jahr entsprechend der Strenge der Kanones, so doch wenigstens alle drei Jahre, um die Mühsal weiter Reisen, großer Anstrengungen und hoher Ausgaben zu vermeiden. Denn alles Seltene ist kostbar. Falls man sagt, es sei heute nicht nötig, Allgemeine oder Provinzialkonzilien zu berufen, wie es das in der Urkirche war, und zur Vermeidung von Mühsal der Prälaten auf diesen Konzilien könne bei auftauchenden Fragen die Römische Kirche oder die päpstliche Kurie hinreichend Entscheidungen treffen, so sei geantwortet: Das ist ganz und gar nicht richtig. Einmal, weil die Erfahrung lehrt, daß wegen des Ausfalls der Konzilien – und besonders der Allgemeinen der Gesamtkirche, die allein kühn und furchtlos alle bessern kann – diese Übel, die die Weltkirche berühren, lange ungestraft geblieben sind, ungeändert und so sehr gewachsen und eingewurzelt, daß schließlich vieles Ungerechte und Schlimme unter dem Deckmantel einer falschen und verderbten Gewohnheit für erlaubt gehalten wird. Viele vermuten auch, die Römische Kurie habe dies vertuscht und habe es bewußt unterlassen, Konzilien abzuhalten, damit sie nach Gutdünken vollständiger herrschen und die Rechte der anderen Kirchen leichter für sich in Anspruch nehmen könne. Ich behaupte nicht, daß das wahr ist. Aber weil solche üble Nachrede zu ihrem Nachteil wirkt, wäre es notwendig, um sie zu entlasten, für die Einberufung der Allgemeinen und der Provinzialkonzilien zu sorgen. Im übrigen ist nach einem Wort des Augustinus grausam, wer nicht auf seinen guten Ruf achtet.7 Jene hochheilige Römische Kurie, also die der Apostel Petrus und Paulus, hätte gewiß ohne Einberufung eines Konzils durch Briefe oder auf anderem Wege Streitfälle und Händel in der Kirche beenden können, doch liest man, daß sie vier Konzilien durchgeführt hat, wie hervorgeht aus der Apostelgeschichte.*8 Somit haben sie ihren 5 6 7 8

397 (Mansi III Sp. 919), 638 (Mansi X Sp. 663 ff.). 633 (Mansi X Sp. 616 f.). Augustinus, Sermo CCCLV 1, Migne PL 39 Sp. 1569. * Act 1; 6; 15; 21.

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sepe congregandis conciliis suis posteris reliquerunt. Nam sicut Christi, sic et apostolorum suorum accio nostra est instruccio, iuxta illud Apostoli: Imitatores mei estote, sicut et ego Christi.9 Item XV. di. capitulo Canones dicit Ysidorus: Quod, quia ante tempora Constantini non erat episcopis licencia conveniendi in unum, scilicet publice per modum concilii generalis, ideo christianitas in diversas hereses scissa est.10 Et ita dicere possumus modo, quod propter defectum celebracionis conciliorum ecclesia in diversa scismata et alia innumerabilia mala forte eciam ad hereses disponencia, proch dolor, lapsa est, sicut experiencia docet. Item, si concilia sepius celebrata fuissent, verisimile est, quod hoc nephandum scisma non tam diu durasset, nec forte scisma Grecorum. Unde huiusmodi scismatibus debuisset cito per concilium generale provideri, ut in primitiva ecclesia docuerunt apostoli, prout legitur Actuum VI, quod quia ortum est murmur Grecorum adversus Hebreos11 etc., statim duodecim apostoli ipsum convocata multitudine sedaverunt. Similiter Actuum XV, orta dissensione propter observanciam legalium, statim Paulus et Barnabas ascenderunt ad apostolos in Ierusalem.12 Unde patet, quam dampnabiliter peccaverunt l illi, seu principes seu prelati, qui pro sedacione huiusmodi scismatis convocacionem concilii neglexerunt aut impediverunt. Item aliqui sunt casus ardui necessario reformandi, in quibus non potest commodius quam per generale concilium provideri. Sicut patet primo de reformacione Romane curie, que, ut infra dicetur, necessaria est. Et tamen non nisi per generale concilium fieri potest. Et ideo non debet Romana curia indignari seu respuere a generali concilio reformari, sicut nec contempsit a generali concilio plures sui principatus honores recipere. Quia licet principaliter Romana ecclesia principatum habuerit a domino, tamen secundario a concilio (ut dicit glosa di. XVII super cap. Conciliam13). Item reformacio tocius corporis ecclesie et particularis ecclesie Romane est in arduis pertinentibus ad fidem. Nam eius generalis deformacio non mediocriter fidem tangit et per consequens eius reformacio. Ideo in hoc non debet papa aut eius curia deliberacionem generalis concilii respuere. Quia (sicut dicit glosa di. XIX

l m

peccaverint Edd. VI. Edd.

9

1 Cor 11, 1. * D. 15 c. 1; Isidor, Etymologiae VI 16, 3. 11 * Act 6, 1. 12 * Act 15, 2. 13 * Glosse zu D. 17 c. 6 s. v. Iussione domini: Habet ergo Romana ecclesia auctoritatem a conciliis, sed imperator a populo, ut 93 di. Legimus in fine. Contrarium huic signatur 21 di. Quamvis et 22 di. Omnes, ubi dicitur, quod Romana ecclesia habet mmmm 10

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Nachfahren ein Lehrbeispiel über häufige Einberufung von Konzilien hinterlassen. Denn wie das Wirken Christi, so ist auch das seiner Apostel zu unserer Belehrung geschehen, wie der Apostel sagt: Seid meine Nachfolger, gleichwie ich Christi!9 Ebenso sagt Isidor: Weil es vor den Zeiten Konstantins für die Bischöfe keine Erlaubnis gab, sich zu versammeln (also öffentlich nach Art eines Allgemeines Konzils), deswegen war die Christenheit in verschiedene Häresien gespalten.*10 So können wir jetzt sagen: Wegen des Fortfalls von Konzilsversammlungen ist die Kirche in verschiedene Schismen und unzählig viel anderes Übel, vielleicht auch in Ansätze zur Häresie hineingeglitten – oh Schmerz, wie die Erfahrung lehrt. Hätte man häufiger Konzilien durchgeführt, hätte wahrscheinlich dieses verwünschte Schisma nicht so lange gedauert, wohl auch das Schisma der Griechen nicht. Daher müßte diesen Schismen rasch durch ein Allgemeines Konzil abgeholfen werden, so wie es in der Urkirche die Apostel gelehrt haben – wie man in der Apostelgeschichte* liest: Es erhob sich ein Murren unter den Griechen wider die Hebräer . . .11; sofort riefen die Zwölf die Menge herbei und schlichteten den Streit. Ebenso in der Apostelgeschichte: Als sich eine Aufruhr erhob wegen der Befolgung der Gesetze, zogen Paulus und Barnabas sofort hinauf gen Jerusalem zu den Aposteln.*12 Somit ist es eindeutig, wie schädlich jene Fürsten oder Prälaten gesündigt haben, die die Berufung eines Konzils zur Beilegung dieses Schismas versäumt oder behindert haben. Es gibt auch einige schwierige Fälle, die notwendig zu reformieren sind und für die man nichts Passenderes als ein Allgemeines Konzil vorsehen kann. So ist das zunächst klar für die Reform der Römischen Kurie, die, wie es weiter unten gesagt wird, notwendig ist. Dennoch kann sie nur durch ein Allgemeines Konzil geschehen. Deshalb muß sich die Römische Kurie nicht schämen oder es von sich weisen, von einem Allgemeinen Konzil reformiert zu werden, sie hat es ja auch nicht verschmäht, so viele Ehrenrechte ihrer führenden Stellung von einem Allgemeinen Konzil entgegenzunehmen. Mag nämlich die Römische Kirche ihre führende Stellung in erster Linie vom Herrn haben, so hat sie sie doch in zweiter Linie vom Konzil.*13 Die Reform des ganzen Leibes der Kirche und im besonderen die der Römischen Kirche ist eine wichtige Glaubensfrage. Denn ihre allgemeine Mißgestalt berührt nicht wenig den Glauben, und entsprechend tut es ihre Reform. Deshalb darf darin weder der Papst noch seine Kurie die Überlegung eines Allgemeinen primatum a domino et non a conciliis. Sed dic: quod principaliter habuit a domino, secundario a conciliis. – Es hat also die Römische Kirche ihre Autorität von den Konzilien, wie der Kaiser vom Volk (*D. 93 c. 24 § 1). Gegensätzlich: D. 21 c. 3 u. D. 22 c. 1, dort heißt es: Die Römische Kirche hat den Primat vom Herrn, nicht von den Konzilien. Doch sage: Sie hat ihn in erster Linie vom Herrn, in zweiter von den Konzilien.

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super cap.Anastasiusn14) papa tenetur requirere concilium episcoporum, ubi agitur de fide. Quod non solum intelligo de articulis fidei, sed de arduis tangentibus universalem statum fidelis ecclesie. Quod notavit Archidiaconus di. XV in c. Sicuto, ubi dictam glosam approbans addit: Quod nimis periculosum esset fidem nostram committere arbitrio unius hominis.15 Et idcirco papa in casibus novis et arduis ad deliberacionem concilii recurrere consuevit. Item sunt duo arduissimi casus fidem et fideles omnes mirabiliter et miserabiliter concernentes, quibus esset per generale concilium necessario providendum: Unus est de modo providendi contra Sarracenos et alios infideles fidem et christianitatem impugnantes et p nunc multo periculosius quam a multis retroactis temporibus fecerunt contra ecclesiam catholicam insurgentes. Et quibus si non celeriter obvietur, timendum est, ne Constantinopolitanum imperium, iam ab eis multipliciter laceratum et vexatum, penitus destruatur, ac deinde Romanum imperium, iam divisum et pene ad ruinam preparatum, invadant et sic ecclesiam destruant iam scismatice laceratam. Ut sic via preparetur adventui Antichristi, de quo predixit Apostolus: Nisi venerit dissensio primum16 etc. Quod exponit glosa de duplici dissensione seu divisione, una ab imperio, alia ab ecclesia Romana, que prevenire debet Antichristum. Et utramque iam presencialiter videre multi devoti fideles non immerito pertimescunt. Alius casus est de modo providendi circa Grecos, ut ad unitatem Romane ecclesie reducantur. Quod nunc maxime opportune fieri posse videtur, dum eorum imperator inter Latinos degens a Romana ecclesia et dominis temporalibus, precipue a Francorum rege, contra infideles cogitur auxilium et subsidium postulare. De viis autem et modis circa dictos casus servandis scripserunt plures fidei zelatores. Et specialiter frater Humbertus de Romanis, quondam magister quintus q generalis ordinis Predicatorum, tractatum utilem composuit, ut super hiis provideretur in concilio generali Lugdunensi sub Gregorio papa X. celebrando.17

n o p q

IX. Edd. 2 Edd. ut Edd. fehlt Edd.

14 * Wie die Glosse zu D. 19 c. 9 s. v. Concilio sagt: Videtur ergo, quod papa teneatur requirere concilium episcoporum; quod verum est, ubi de fide agitur. Et tunc synodus maior est papa, ut 15 di. Sicut in fine. Arg. ad hoc 93 di. Legimus. – Es scheint mmmm

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Konzils von sich weisen wollen. Schließlich ist der Papst gehalten,*14 das Konzil der Bischöfe zu fragen, wenn es um den Glauben geht. Darunter verstehe ich nicht nur Glaubensartikel, sondern auch wichtige Fragen, die den gesamten Stand der gläubigen Kirche betreffen. Dies vermerkt der Archidiakon, wo er die genannte Glosse billigt und hinzufügt: Es wäre allzu gefährlich, unseren Glauben dem Entscheid eines einzigen Mannes anzuvertrauen.15 Deshalb ist der Papst gewohnt, in neuen und wichtigen Fragen sich an die Überlegung eines Konzils zu halten. Nun gibt es zwei höchst wichtige Fälle, die den Glauben und die Gläubigen wunderlich und erbärmlich betreffen und die durch ein allgemeines Konzil notwendigerweise entschieden werden müssen: Einmal die Art, wie gegen die Sarazenen und die anderen Ungläubigen vorzugehen ist, die gegen den Glauben und die Christenheit ankämpfen – und das heute weit gefährlicher als die, die es vor lang zurückliegenden Zeiten getan haben, als sie sich gegen die katholische Kirche erhoben. Wenn man denen nicht schnell begegnet, muß man fürchten, daß das Kaiserreich von Konstantinopel, jetzt schon vielfältig von ihnen zerrissen und gequält, völlig vernichtet wird und sie dann das Römische Reich, schon gespalten und fast zum Zusammenbruch gebracht, angreifen und so die Kirche, die schon schismatisch zerrissen ist, vernichten. Auf das der Weg für die Ankunft des Antichrists geebnet werde, von dem der Apostel vorhergesagt hat: Wenn nicht zuvor die Uneinigkeit kommt . . .16. Dieses erklärt [die Glosse] mit der doppelten Uneinigkeit und doppelten Spaltung, einmal im Kaiserreich, dann in der Römischen Kirche, die dem Antichrist vorausgehen muß. Viele fromme Gläubige fürchten jetzt nicht ohne Grund, beides gegenwärtig zu sehen. Der andere Fall ist die Art, wie mit den Griechen zu verfahren ist, damit sie zur Einheit der Römischen Kirche zurückgeführt werden. Dies dürfte, so scheint es, jetzt besonders günstig sein, da deren Kaiser sich bei den Lateinern aufhält und gezwungen ist, von der Römischen Kirche und den weltlichen Herren, besonders vom französischen König, gegen die Ungläubigen Hilfe und Unterstützung zu fordern. Über die Wege und Formen, die bei diesen Fällen zu beachten sind, haben viele Eiferer für den Glauben geschrieben. Besonders Bruder Humbert von Romans, einst fünfter Generalmagister des Predigerordens, hat einen nützlichen Traktat verfaßt, damit auf dem Allgemeinen Konzil von Lyon unter Papst Gregor X. darüber Beschlüsse gefaßt würden.17 also, daß der Papst gehalten ist, das Konzil der Bischöfe zu fragen; das ist wahr, sobald es sich um den Glauben handelt. Dann ist die Synode größer als der Papst (*D. 15 c. 2 a. E. Dazu D. 93 c. 24). 15 Guido v. Baysio, Rosarium, * zu D. 15 c. 2. 16 2 Thess 2, 3. 17 Im Jahr 1274. Opus tripartitum II cap. 29. Martène-Durand VII Sp. 195.

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II. Secunda consideracio est de hiis, que reformanda videntur circa caput corporis ecclesie, id est circa statum pape et sue Romane curie. Et primo tollendus esset ille detestabilis abusus, a quo presens scisma originem traxit, scilicet quod una nacio sive regnum aliquando ultra, aliquando citra montes in scandalum residue christianitatis ita diu papatum tenuit, ut posset dicere: Hereditarie possideamus sanctuarium dei.18 Quod quam detestabile sit, precipue in papatu, ostendit ille, qui ait: In veritate comperi, quod non sit personarum acceptor deus.19 Item pro dicta provisione esset statuendum, quod de cetero maior pars cardinalium non posset assumi de uno regno sive de una nacione, sicut quandoque hactenus factum est in magnum scandalum plurimorum, sed quod de diversis regnis et provinciis indistincte iuxta personarum merita assumantur. Quia sicut apud deum, ita apud dei ministros non debet esse accepcio personarum. Et videretur sufficere, quod de una provincia solum esset unus cardinalis. Ut sic in eorum promocione et multiplicacione tolleretur vel saltem restringeretur et artaretur carnalis affeccio promoventis. Et ut per assumptos de diversis provinciis diversitas morum et statuum eorundem Romane ecclesie r innotesceret ad utilitatem et salutarem provisionem incolarum. Item quia una causa presentis scismatis fuit, quod cardinales nimis tardaverunt declarare et fideles sufficienter informare, quod primam eleccionem fecissent vi aut metu, ideo ad tollendum, quod alias similis scandali non detur occasio, expediens videretur artare aliquod tempus, intra quod talis excepcio metus deberet allegari, et ultra quod nec illa nec alia excepcio contra pape eleccionem posset per cardinales opponi. Et esset eciam per concilium declarandum, quis de huiusmodi causa metus haberet cognoscere. Quia Iohannes Andree (super Clementinam De eleccione) querit: Quis de huius causa metus cognoscere haberet, si allegaretur contra eleccionem pape? Et respondens dicit: Quod ista nondum decisa nec provisa egebunt provisione.20

r

curie Hs. M

18–18

Ps 82, 13. Petrus in Act 10, 34. 20 * Glosse zu Clem.1.3.2 § 3 s. v. Compellant: Sed quid, si aliqui territorium illorum exeant? . . . Sed quid, si alii non intrantes habent iustum metum mortis, ut allegabatur post mortem Clementis, et dicatur, dominus temporalis non esset potens ad securitatem ipsorum; et eciam tunc dicebatur: Quid fiet et quis de iusta causa metus cognoscet? Ista non est decisa; nec tunc provisa adhuc egebunt provisione. – Aber was ist, wenn einige deren Land verlassen? . . . Was, wenn andere nicht hineingehen, berechtigte Todesangst haben, wie vorgebracht wurde nach dem Tode Clemens’[V.], und mmmmm 19

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2. Die zweite Überlegung geht auf das, was beim Haupt des Leibes der Kirche, das heißt beim päpstlichen Stand und seiner Römischen Kurie reformiert werden muß. Zunächst wäre jener verabscheuungswürdige Mißbrauch zu beseitigen, aus dem das gegenwärtige Schisma seinen Ursprung genommen hat, und zwar daß eine einzige Nation oder ein einziges Königreich – einmal jenseits, einmal diesseits der Alpen, zum Ärgernis für die übrige Christenheit so lange das Papsttum innegehabt hat, daß es sagen könnte: Wir besitzen das Heiligtum Gottes als Erbe.18 Wie abscheulich das ist, besonders beim Papsttum, zeigt jener, der da sprach: Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Personen nicht ansieht.19 Um dem abzuhelfen, wäre festzustellen, daß künftig die Mehrheit der Kardinäle nicht aus einem Reich oder einer Nation genommen werden darf – so wie es manchmal bisher geschehen ist, zum Ärgernis für viele –, sondern daß sie von den verschiedenen Königreichen und Ländern ohne Unterschied nur nach den persönlichen Verdiensten genommen werden. Denn so wie bei Gott, so darf es auch bei einem Diener Gottes kein Ansehen der Person geben. Es sollte auch genug sein, daß aus einer Provinz jeweils nur ein Kardinal kommt. So würden bei deren Ernennung und Vermehrung die fleischliche Verbundenheit mit dem päpstlichen Promotor beseitigt oder doch wenigstens begrenzt und beschränkt werden. Durch die aus den verschiedenen Ländern Berufenen würde die Verschiedenheit der Sitten wie der Stände der Römischen Kurie kundgemacht, zu Nutzen und heilsamer Verwaltung der Einwohner. Weil es nun ein Grund für das gegenwärtige Schisma war, daß die Kardinäle allzu säumig waren zu erklären und den Gläubigen hinreichend zu verdeutlichen, daß sie die erste Wahl unter Gewalt und Zwang getroffen haben, deswegen sollte zu seiner Beseitigung – damit nicht woanders eine ähnliche Gelegenheit zum Ärgernis entsteht – eine Frist gesetzt werden, innerhalb deren solche Anfechtung wegen Furcht vorgebracht werden kann, und danach dürfte weder diese noch eine andere Anfechtung gegen die Wahl des Papstes von den Kardinälen vorgebracht werden. Es müßte auch vom Konzil erklärt werden, wer in solchem Rechtsstreit über die Furcht zu erkennen hat. Denn Johannes Andreä fragt: Wer würde über solche Furcht zu erkennen haben, wenn sie gegen eine Papstwahl vorgebracht wird? Und er antwortet: Was noch nicht entschieden und geregelt ist, bedarf der Regelung.20 C 8 Pierre d’Ailly, Reform: Papst und Kurie

wenn es heißt, der weltliche Herr sei nicht fähig, ihre Sicherheit zu gewährleisten; auch wurde damals gesagt: Was geschieht und wer wird aus gerechtem Grund Furcht feststellen? Dieses wurde nicht entschieden, und das damals nicht Beachtete bedarf noch der Klärung.

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Item necessaria erit reformacio et provisio circa gravamina, que Romana ecclesia infert aliis inferioribus ecclesiis et prelatis. Et maxime tribus, de quibus conqueritur preallegatus frater Humbertus (in dicto tractatu suo parte II. capitulo XI., ubi dicit): Quod causa dispositiva scismatis Grecorum inter alias una fuit propter gravamina Romane ecclesie in exaccionibus et excommunicacionibus et statutis.21 De primo gravamine et contra hanc multitudinem et magnitudinem exaccionum providendum esset tripliciter: Primo per diminucionem pomposorum statuum et excessivarum expensarum. Ut sic Romana ecclesia minus esset onerosa subiectis et ut eciam eis esset exemplum humilitatis et forma virtutis ad instar Christi, cuius ipsa vicariatum et a quo primatus honorem tenet, qui ait: Discite a me, quia mitis sum et humilis corde.22 Secundo per diminucionem et artacionem huiusmodi exaccionum, sic scilicet quod certa summa racionabilis determinaretur et limitaretur pro moderato statu pape et cardinalium, subiectis ecclesiis imponenda et per dioceses proporcionabiliter distribuenda et a diocesanis recolligenda et in certis terminis solvenda Romane curie, ultra quam summam nova exaccio non posset imponi sine auctoritate et consensu generalis concilii. Tercio per diminucionem numeri cardinalium, ita quod non esset tantus nec tam onerosus numerus ipsorum, sicut hactenus fuit. Ne Romane curie dici posset: 23Multiplicasti gentem, et non magnificasti leticiam.23 Item circa statum cardinalium et aliorum ecclesiasticorum providendum esset, quod deinceps non tenerent illam monstruosam et multipliciter scandalosam beneficiorum multitudinem. De quo abusu antiqui sapientes conquesti sunt, sicut Wylhelmus episcopus Parisiensis in speciali tractatu, quem de hoc composuit,24 et Cantor Parisiensis in Verbo abbreviato,25 et Auctor De virtutibus et viciis,26 capitulo De signis avaricie ecclesiasticorum. Quorum raciones expediret diligenter examinare et pro sedacione conscienciarum, quid super hac re tenendum sit, declarare. De secundo gravamine supra tacto, scilicet de multiplicacione excommunicacionum et ex consequenti irregularitatum, quas Romana ecclesia in suis constitucionibus penalibus et maxime in quibusdam novis decretalibus imposuit et sepe per suos collectores in multorum scandalum fulminavit et ad cuius exemplum alii prelati leviter et pro levibus causis ut pro debitis vel

21

* Cap. 11. Martène-Durand VII Sp. 190. Matth 11, 29. 23–23 Is 9,3. 22

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Nötig wäre auch eine Reform und Regelung hinsichtlich der Bedrückung, die die Römische Kirche den anderen nachgeordneten Kirchen und Prälaten zufügt. Besonders in drei Dingen, über die sich der zuvor herangezogene Bruder Humbert beklagt: Der entscheidende Grund für das Schisma mit den Griechen waren unter anderem die Bedrückungen von seiten der Römischen Kirche, Geldforderungen, Exkommunikationen und Gesetze.*21 Hinsichtlich der ersten Bedrückung und gegen die ganze Menge und Höhe der Abgaben wäre auf dreifache Weise vorzugehen: Erstens: Durch Verminderung des pomphaften Standes und der erhöhten Ausgaben. So wäre die Römische Kirche für die Untertanen weniger belastend und sie wäre für sie auch ein Vorbild an Demut und Tugend nach dem Beispiel Christi – dessen Stellvertretung sie wahrnimmt und von dem sie die Ehre des Primats innehat –, der da sagt: Lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig!22 Zweitens: Durch Verminderung und Einschränkung dieser Abgaben; und zwar sollte für ein mäßiges Auskommen des Papstes und der Kardinäle eine gewisse vernünftige Summe festgelegt und begrenzt werden, die den untergebenen Kirchen auferlegt, auf die Diözesen anteilmäßig aufgeteilt, bei den Diözesanen eingefordert und zu bestimmten Zeiten für die Römische Kurie gesammelt wird; über diesen Betrag hinaus dürfte keine neue Abgabe auferlegt werden ohne Autorität und Zustimmung eines Allgemeinen Konzils. Drittens: Durch Verminderung der Zahl der Kardinäle, so daß es keine so große und belastende Zahl wie bisher von ihnen gäbe. Man sollte nicht von der Römischen Kurie sagen können: 23Du machtest des Volkes viel, du machtest aber seine Freude nicht groß.23 Ebenfalls müßte eine Regelung über den künftigen Stand der Kardinäle und übrigen Kirchenmänner getroffen werden, damit sie in Zukunft nicht jene monströse und vielfältig skandalöse Vielzahl von Pfründen innehaben. Über diesen Mißbrauch haben schon viele weise Männer vor alten Zeiten geklagt, wie Wilhelm, Bischof von Paris, in seinem besonderen Traktat, den er darüber verfaßt hat;24 oder der Kantor von Paris in seinem Verbum abbreviatum25 und der Verfasser von De virtutibus et viciis26 in dem Kapitel Die Zeichen der Habgier der Kirchenmänner. Man sollte deren Überlegungen sorgfältig prüfen und zur Beruhigung der Gewisssen erklären, wie man es in dieser Sache halten soll. Bei der zweiten oben genannten Beschwernis, also der Vervielfachung der Exkommunikationen und als Folge davon der Irregularität, die die Römische Kirche in ihren Strafgesetzen und besonders in gewissen neuen Dekreten 24 Wilhelm (III. ) von Auvergne, De collatione et singularitate beneficiorum, in: Opera omnia, Orléans-Paris 1674, ND Frankfurt 1963, II–2 S. 248–260. 25 Petrus Cantor, Verbum abbreviatum cap. 34, Migne PL 205 Sp. 119. 26 Wilhelm Peraldus, Summa viciorum 4, 2, cap. 9, ed. Köln 1479 Bl. 97–103.

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huiusmodi pauperes excommunicacione crudeliter percuciunt, necesse est providere, cum hoc sit contra iura (ut XIs q. III c. Nullus cum suis concordanciis 27). Nam gladius ecclesie, scilicet excommunicacio, qui in primitiva ecclesia veneranda raritate formidabilis erat, iam propter abusum contrarium contemptibilis effectus est. Sicut ostendit doctor subtilis Iohannes Scoti (super quarto Sentenciarum distinccione XVIII 28). Qui tamen contemptus valde periculosus factus t est, quia excommunicacio maior, que anathema dicitur, eterne est mortis dampnacio et non nisi pro mortali debet imponi crimine et illis, qui aliter non potuerint corrigi, ut habetur XI q. III c. Nemou. Cui concordat glosa Extra: De verborum significacione: Ex parte.29 De tercio gravamine Romane ecclesie, quod imponit aliis in onerosa multitudine statutorum, canonum et decretalium et maxime illorum, que videntur ad graves penas et precipue ad mortales culpas obligare, et eadem racione de similibus statutis aut constitucionibus synodalibus prelatorum providendum erit de racionabili allevacione huiusmodi onerum, ne de prelatis ecclesie verificetur, quod de phariseis et sacerdotibus synagoge a Christo improperando dictum est: Imponunt onera gravia et importabilia in humeris hominum, digito autem nolunt ea movere.30 Item super quibusdam aliis gravaminibus per Romanam ecclesiam aliis prelatis et ecclesiis superinductis adhibenda erit provisio, scilicet super collacionibus beneficiorum vel eleccionibus dignitatum. Similiter super concessionibus exempcionum, quas Romana ecclesia pluribus religionum abbatibus et conventibus ac capitulis in preiudicium prelatorum concessit. De quibus iam olim plures devoti ecclesie zelatores conquesti sunt, sicut beatus Bernhardus in libro ad Eugenium papam 31 et alii. Similiter de pluribus aliis honoribus, reverenciis et preeminenciis, quas quidem officiarii Romane curie super alios prelatos usurpaverunt, et multis eorum particularibus excessibus, de quibus longum esset per singula discutere, perutilis et necessaria erit provisio. Hic autem propter dictos excessus dudum quandam opinionem recitavi, quam nuper in tractatu De ecclesiastica potestate32 tamquam erroneam s t u 27

IX Hs.W. fehlt Edd. XLI Edd.

* Etwa C. 11 q. 3 c. 42 mit den Entsprechungen (z. B. C. 9 q. 3 c. 7) * Duns Scotus, Super IV Sententiarum, Dist. 18, ed. Wadding, Paris 1894, 18 S. 600: per frequentes absolutiones posset tota poena debita peccato remitti . . . quod est inconveniens. 29 * C. 11 q. 3 c. 41; damit stimmt überein die Glosse zu X 5.40.23 s. v. Pro contumacia: . . . quia nemo excommunicatur, nisi pro mortali peccato et qui aliter non potest corrigi . . . – Niemand wird exkommuniziert, es sei denn wegen einer Todsünde und wer anders nicht gebessert werden kann. 30 Matth 23, 4. 28

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festgelegt hat und die sie oft durch ihre Kollektoren zum Ärgernis vieler verhängt (nach deren Beispiel schlagen auch andere Prälaten leichthin und aus nichtigen Gründen wie bei Schulden oder dergleichen arme Leute grausam mit dem Kirchenbann), muß Vorsorge geschaffen werden, da dies gegen das Recht verstößt.*27 Denn das Schwert der Kirche (also der Kirchenbann), das in der Urkirche wegen seiner verehrungswürdigen Seltenheit gefürchtet war, wurde später wegen des entgegengesetzten Mißbrauchs verächtlich. Das hat der Doctor subtilis Johannes Scotus dargelegt.28 Doch diese Verachtung ist sehr gefährlich geworden, denn der große Kirchenbann, der Anathem heißt, ist die Verurteilung zum ewigen Tod und darf nur für eine Todsünde verhängt werden und nur gegen die, die anders nicht gebessert werden können.*29 Hinsichtlich der dritten Beschwernis der Römischen Kirche, daß sie anderen eine lastvolle Menge Statuten, Kanones, Dekretalen (und zumal solche die bei schweren Strafen und besonders unter Todsünde verpflichten sollen) auferlegt, muß aus demselben Grund mit ähnlichen Statuten oder Synodalkonstitutionen der Prälaten hinsichtlich einer vernünftigen Erleichterung von solchen Lasten Vorsorge getroffen werden, damit sich bei den Prälaten der Kirche nicht das verwirklicht, was über die Pharisäer und Priester der Synagoge von Christus klagend gesagt wurde: Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen um den Hals; aber sie selbst wollen dieselben nicht mit einem Finger berühren.30 Auch hinsichtlich einiger anderer Beschwernisse, die von der Römischen Kirche anderen Prälaten und Kirchen aufgeladen wurden, muß Vorsorge getroffen werden, und zwar hinsichtlich Vergabe von Pfründen und Wahlen zu Würden. Ferner Gewährung von Exemtionen, die die Römische Kirche vielen Ordens-Äbten, Konventen und Kapiteln zum Nachteil der Prälaten gewährt hat. Über diese haben schon früher viele fromme Eiferer für die Kirche Klage geführt, etwa der heilige Bernhard in seinem Buch an Papst Eugen,31 und auch andere. Ferner hinsichtlich vieler anderer Ehren, Hoheiten und Vorrechte, die sich einige Amtsträger der Römischen Kurie über andere Prälaten angeeignet haben, außerdem hinsichtlich besonderer Übertretungen dieser Amtsträger (über die im einzelnen zu handeln zu weit führen würde) wäre Vorsorge äußerst nützlich und notwendig. Hier aber habe ich wegen dieser Übertretungen schon früher eine Meinung wiedergegeben, von der ich jüngst in dem Traktat über die kirchliche Amtsgewalt 32 erläutert habe, daß sie als irrig abgelehnt werden müsse, nämlich die von einigen 31 De consideratione, lb. 3. IV 14–18, ed. Rochais-Leclerq III S. 445: Non plane fidelis dispensatio, sed crudelis dissipatio est – Dies ist wahrhaftig kein getreuliches Austeilen sondern grausames Verschleudern. 32 v. d. Hardt VI Sp. 15–77.

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reprobandam esse declaravi, videlicet quorundam detractorum Romane ecclesie, qui in eius odium, pretextu quorundam abusivum v, statum cardinalium quasi inutilem vel dampnosum nec ab apostolis vel conciliis institutum et sine causa racionabili usurpatum, tamquam onerosum ecclesie exstirpandum esse dixerunt, sicud olim de statu corepiscoporum factum esse legitur (wLXVIII di. c. Corepiscopiw).33 Hunc autem errorem in hac synodo Constanciensi quodammodo resuscitare aliqui presumpserunt. Qui utinam attenderent iuxta doctrinam Christi prius trabem de oculo suo eicere, quam festucam de oculo fratrum,34 ymmo patrum suorum. Utinam attenderent statum episcoporum et aliorum prelatorum ceterorumque ecclesiasticorum et eciam laycorum innumeris abusibus et viciis deformatum, nec tamen ideo huiusmodi status dissipandos esse atque perdendos. Quoniam in multis offendimus omnes. Sed vicium vel abusus corrigi debet, sed non status destrui vel debitis iuribus defraudari. Sicut boni medici officium est ab infirmo morbum tollere et non infirmum corpus destruere. Utinam denique considerarent, qualiter domini cardinales pro reformacione Romane ecclesie ac status ipsorum se effectualiter paraciores obtulerint quam quicumque alii cuiuscumque status. Ymmo plura membra ecclesie huic reformacioni restiterunt, cum tamen reformacionem capitis importune peterent. Quia ergo Romana ecclesia in capite et in membris suis se cum racione temperare studuit, iustum est, quod subdite ecclesie eidem suoque regimini racionabiliter obtemperare et subesse debeant iuxta verbum Senece: Multos reges, si racio te rexerit.35 III. Tercia consideracio erit de reformacione ecclesie circa partes eius principales, scilicet maiores prelatos. Unde providendum erit, quod tales eligantur, qui non sint iuvenes, indiscreti aut immorierati aut carnales, spiritualium ignari, sed graves etate et moribus, eminentes spirituali sciencia et doctrina, qui in suis rebus non sint strenui et in ecclesiasticis remissi nec propria magis quam communia iura procurent, qui angarias et imposiciones et huiusmodi gravamina subiectis

v

abusuum Edd. 68 di. c. 5 Edd.

w–w 33 34 35

* D. 68 c. 5. Vgl. Matth 7, 3; Luc 6, 41. Seneca, epist. 37, 4.

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Schmähern der Römischen Kirche, die in ihrem Haß unter dem Vorwand gewisser Mißbräuche sagen, der ganze Stand der Kardinäle müsse als sozusagen unnütz und schädlich, weder von den Aposteln noch von den Konzilien eingerichtet, ferner, da ohne vernünftigen Grund gewaltsam eingedrängt, also sozusagen belastend für die Kirche abgeschafft werden, so wie es einst, wie man lesen kann, mit dem Stand der Chorbischöfe geschehen ist.*33 Einige haben sich herausgenommen, diesen Irrtum auf diesem Konstanzer Konzil irgendwie neu zu beleben. Würden sie doch nach der Lehre Christi nur darauf achten, zunächst den Balken in ihrem Auge zu entfernen als den Splitter im Auge der Brüder,34 genauer: ihrer Väter! Würden sie doch auf den Stand der Bischöfe, der anderen Prälaten und übrigen Kirchenmänner sowie den der Laien achten, der durch unzählige Mißbräuche und Laster entstellt ist: Diese Stände sind doch nicht deswegen gleich aufzulösen und zu beseitigen! Denn in manchem beleidigen wir alle. Laster und Mißbräuche indessen müssen berichtigt, nicht der ganze Stand zerstört oder um seine angemessenen Rechte betrogen werden. So ist es die Aufgabe eines guten Arztes, die Krankheit vom Kranken zu nehmen, nicht jedoch den kranken Leib zu vernichten. Würden diese doch beachten, wie die Herren Kardinäle sich mit Leidenschaft bereitwilliger zur Reform der Römischen Kirche und ihres eigenen Standes erboten haben, mehr als irgend jemand aus einem anderen Stand! Ja, viele Glieder der Kirche haben ihrer eigenen Reform Widerstand entgegengesetzt, wenngleich sie ungestüm die Reform des Hauptes forderten. Da sich also die Römische Kirche bemüht hat, nach vernünftigem Ermessen bei ihrem Haupt und ihren Gliedern Regelungen zu treffen, ist es rechtens, daß die unterstellten Kirchen ihr und ihrer Leitung nach vernünftigem Ermessen zu gehorchen und untertan zu sein haben, entsprechend dem Worte Senecas: Viele wirst du lenken, wenn die Vernunft dich lenkt.35 C 8 Pierre d’Ailly, Reform: Prälaten

3. Die dritte Überlegung geht um die Reform der Kirche bei ihren Hauptteilen, also den höheren Prälaten. Es wird daher Vorsorge zu treffen sein, daß Männer gewählt werden, die nicht etwa jung, unbesonnen, charakterlich ungefestigt oder fleischlich gesinnt und ohne Kenntnis im Geistlichen sind, vielmehr gewichtig an Alter und Charakter, hervorragend in geistlichem Wissen und Gelehrsamkeit, die nicht in ihren eigenen Dingen eifrig, in kirchlichen Dingen aber lässig sind, die nicht ihr eigenes Recht mehr als das gemeine besorgen, die nicht ihren Untertanen Frondienste, Auflagen und derlei Lasten aufbürden, sondern die

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non imponant, qui per singulos annos parrochias suas cum fructuoso affectu visitent, qui potentes et tirannos populi oppressores arguant et corripiant, qui divinis scripturis studeant et non scienciis practicis et litigiosis totaliter inhereant, qui verbis aut ludis ioculatorum et mimorum aut publicis spectaculis vel superfluis conviviis non delectentur, sed moderato habitu et temperato victu contenti, eciam in mensa leccioni divinarum scripturarum intendant et, ut breviter x dicam, in omnibus tales sint, ut ceteris sint fidelibus in exemplum, sicut esse tenentur, cum illis in officio suo succedant, quibus a Christo dictum est: Vos estis lux mundi,36 et Vos estis sal terre37 etc. et multa similia. Item ut tales ad prelaturas assumerentur et non indigni et insufficientes, providendum esset, quod elecciones prelatorum non faciliter aut leviter, sed cum diligenti et gravi examinacione confirmarentur, eciamsi nullus se opponeret. Quia non sufficit bono patrifamilias constituenti custodem thesauri sui, quod nichil mali sibi de illo opponatur, nisi eciam ipse aliis tacentibus de eius ydoneitate diligenter inquirat. Item quia stultum esset, patremfamilias thesaurarium facere sine thesauro, sic similiter facere episcopum sine subiecto populo, sicut sepe fecit Romana abusio in contemptum status episcopalis de quibusdam solum titulatis episcopis mendicantibus et girovagis. Item quia mali prelati raro de suis excessibus corriguntur: quia non cito eciam contra notorie malos profertur sentencia, sed per multos annos differtur et sepius eorum punicio totaliter negligitur: idcirco absque timore mala perpetrant et plerique eorum suspensionis, excommunicacionis, irregularitatis et alias iuris penas contempnunt. Ideo providendum erit, quod circa tales y visitacio et inquisicio fiat, ut talium vita et fama in provincialibus conciliis vel, si opus sit, quandoque in generali concilio summo pontifici referantur et ad eorum deposicionem seu aliam condignam correccionem procedatur. Et licet hodie concilium non deponat vel restituat episcopos, sed solus papa (ut II q. VI Ideoz, sicut notat glosa XI q. III Ecclesie a, super verbo Synodo38), tamen forte nunc expediret ad antiquum morem illius capituli reverti, ut a

x y z a 36

brevius Edd. talia Edd. c. X Edd. cap. LXV Edd.

Matth 5, 14. Matth 5, 13. 38 * Wie C. 2 q. 6 c. 10; dazu Glosse zu C. 11 q. 3 c. 65 s. v. Synodo: Hodie concilium non deponit episcopum, sed solus papa, nec concilium restituit episcopum, sed solus papa, ut C. 2 q. 6 Ideo. Et hic est argumentum, quod episcopus potest restituere clericum depositum, quod verum est, cum dicit deposicionem nullam, quia per falsos testes vel per allegaciones est convictus, licet sit argumentum contra ff De questionibus mmmmm 37

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jedes Jahr ihre Pfarreien in fruchtbarem Einsatz visitieren, die die Mächtigen und Tyrannen als Bedrücker des Volkes anklagen und zur Rechenschaft ziehen, die sich um die Heilige Schrift bemühen und sich nicht gänzlich an die praktische Wissenschaft und die der Rechtsstreitigkeiten hängen, die sich nicht an Worten und Spielen der Possenreißer, Gaukler und Spielleute oder an öffentlichen Schauspielen und überflüssigen Gastereien ergötzen, sondern mit bescheidener Gewandung und mäßigem Leben zufrieden, auch bei Tisch auf die Lesung der Heiligen Schrift achten – kurz gesagt, in allem den übrigen Gläubigen ein Vorbild sein können, so wie sie es auch sein müssen, da sie denen im Amt nachfolgen, denen von Christus gesagt wurde:Ihr seid das Licht der Welt,36 und Ihr seid das Salz der Erde37 usw. und vieles ähnliche mehr. Es sollte Vorsorge getroffen werden, daß solche Männer zur Prälatur genommen werden, keine unwürdigen und ungeeigneten, damit die Bestellung der Prälaten nicht etwa leichthin oder leichtsinnig, sondern nach sorgfältiger und ernster Prüfung bestätigt wird, auch wenn sich keiner widersetzt. Schließlich reicht es für einen guten Familienvater nicht, wenn er einen Wächter über seinen Schatz setzen will, daß ihm nichts Böses über diesen vorgebracht wird; auch wenn alle anderen schweigen, muß er selbst sorgfältig über dessen Eignung nachforschen. Es wäre töricht, wollte ein Familienvater jemanden zum Schatzverwalter ohne Schatz einsetzen, also etwa: einen Bischof ohne unterstelltes Volk einsetzen; so hat es der Römische Mißbrauch oft getan – in Verachtung des Bischofstandes – bei einigen bettelarmen und umherziehenden Titularbischöfen. Schlechte Prälaten werden selten von ihrem Fehlverhalten abgebracht; denn selbst gegen notorisch Böse wird nicht rasch genug Urteil gefällt, sondern viele Jahre aufgeschoben, allzuoft deren Befragung auch überhaupt versäumt; deswegen verüben sie Böses ohne Furcht, und viele von ihnen verachten die Strafe der vorläufigen Amtsenthebung, des Kirchenbannes, der Irregularität und andere Strafen des Rechts. Daher ist Vorsorge zu treffen, daß bei solchen Visitation und Untersuchung geschieht, so daß Lebenswandel und Ruf dieser Leute auf den Provinzialkonzilien, wenn nötig auch auf einem Allgemeinen Konzil, dem Heiligen Vater berichtet wird und dann zu deren Absetzung oder anderer angemessenen Bestrafung geschritten wird. Obgleich heute kein Konzil Bischöfe absetzt oder wiedereinsetzt, sondern allein der Papst,*38 wäre es doch vielleicht förderlich, zum alten Brauch jenes Kapitels zurückzukehren, daß Bischöfe vom Allgemeinen Konzil verurteilt 1.1 in fine. – Heutzutage setzt kein Konzil einen Bischof ab, sondern nur der Papst; auch setzt kein Konzil einen Bischof wieder ein, sondern nur der Papst (*C 2 q. 6 c. 10). Begründung: Der Bischof kann einen abgesetzten Kleriker wieder einsetzen; das ist richtig, wenn er die Absetzung für nichtig erklärt; denn dieser wurde durch falsche Zeugen oder Vorhaltungen überführt, gleichwohl spricht dagegen *Dig. 48.18.1.27.

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generali synodo dampnarentur vel absolverentur episcopi vel saltem, quod hoc fieret in presencia synodi, ut sic magis cessarent inordinate affecciones, que solent in talibus iustam sentenciam impedire. Item si non placet servare illum antiquum rigorem Carthaginensis concilii quarti, 39ut episcopus vilem supellectilem et mensam ac victum pauperem habeat et dignitatis sue auctoritatem fide et opere et vite meritis querat,39 saltem placeat moderari, quod excessiva pompa prelatorum in vestibus, ornamentis, familiaribus, equis, conviviis et ferculis ad congruam temperanciam restringatur et quod expense in talibus superflue, sicut fieri debet, pauperum necessitatibus applicentur. Item tollatur monstruosus ille abusus, quo quidam prelatorum, armis spiritualibus depositis, arma corporalia assumunt, in campis pugnantes sicut principes seculares, et sepe cum oppressione pauperum et crudeli effusione sanguinis, cum tamen David ab edificacione templi, quia 40vir sanguinum 40 erat, prohibitus sit. Item si non placet servare illum iuris rigorem, quod non liceat episcopis a sua ecclesia plus tribus ebdomadis abesse,41 saltem provideatur, quod sine speciali licencia et racionabili causa diu ecclesias suas in preiudicium animarum non deserant. Sicut hodie multi prelati faciunt et, quod monstruosius est, religiosi et monachi, qui plus sunt officiales fisci quam Christi, in curiis principum, in cathedris iudiciorum, in cameris computorum et aliis actibus secularibus militantes contra statuta canonum, ut XI q. I cap.Te quidem, cum suis similibus.42 Item providendum erit, quod prelati in suis synodis et eorum officiales in suis curiis non ad replecionem bursarum intendant sed ad correccionem viciorum, emendacionem morum et edificacionem animarum. Et quod exacciones pro sigillis et literis moderentur et pene pecuniarie vel tollentur vel temperentur aut in totum vel ad partem ad pios usus notorie applicentur et quod pena excommunicacionis non leviter, ut supra tactum est, feratur. Et quod licium prolixitates, que pauperes spoliant et multos de sue iusticie prosecucione desperare faciunt, modis congruis rescindantur; et quorundam advocatorum et procuratorum insolencia intollerabilis reprimatur. Item si obstante consuetudine non placet servare illam rigorosam regulam contra symoniam a iure humano impositam, ut 43nichil pro ordinacione aut pallio detur aut accipiatur,43 ut habetur capitulo quinto epistole tercie Gregorii pape. et multa alia, que scribuntur in antiquis iuribus: saltem super hiis

39–39

Canon 15, Mansi III Sp. 952; D. 41 c. 7. Ps 5, 7; 1 Par 28, 3. 41 Canon 12, Konzil v. Sardica 343; Mansi III Sp. 15. 42 * Etwa C. 11 q. 1 c. 29. 43–43 Papst Gregor I., epist. 5, 57, MGH Epist. I S. 365. 40–40

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oder freigesprochen werden oder zumindest, daß dies in Gegenwart einer Synode geschieht; dann würden eher die ungeordneten Leidenschaften verschwinden, die in solchen Fällen einen gerechten Spruch verhindern. Wenn man sich nicht entschließt, jene alte Strenge des 4. Konzils von Karthago zu bewahren – 39daß der Bischof schlichten Hausrat und Tisch sowie arme Speise haben solle und die Autorität seiner Würde durch den Glauben, durch die Tat und durch die Verdienste seines Lebenswandels suchen müsse 39 –, dann möge man sich entschließen zumindest zu erreichen, daß der übermäßige Pomp der Prälaten bei Kleidung, Schmuck, Gefolge, Pferden, Gastmählern und Tafeleien auf ein angemessenes Maß beschränkt wird; die überflüssigen Ausgaben dafür sollten, wie es sich gehört, dem Bedarf der Armen zugeführt werden. Beseitigt werden sollte jener abscheuliche Mißbrauch, nach dem gewisse Prälaten unter Ablegung der geistlichen Waffen leibliche Waffen anlegen, im Feld kämpfen wie weltliche Fürsten, oft mit Unterdrückung der Armen und grausamem Blutvergießen, während doch David der Aufbau des Tempels verweigert wurde, weil er 40ein Mann des Blutvergießens 40 war. Falls man sich nicht entschließt, jene Strenge des Rechts zu wahren, daß es Bischöfen nicht erlaubt ist, mehr als drei Wochen von ihrer Kirche abwesend zu sein,41 so möge zumindest Vorsorge getroffen werden, daß sie nicht ohne besondere Erlaubnis und vernünftigen Grund ihre Kirchen lange zum Nachteil der Seelen verlassen dürfen. So tun es heute viele Prälaten und, was noch abscheulicher ist, Ordensleute und Mönche, die mehr Diener des Geldes als Diener Gottes sind und an den Höfen der Fürsten, vor den Schranken der Gerichte, in den Abechnungskammern und bei anderen weltlichen Beschäftigungen Dienst tun – gegen die Bestimmungen der Kanones.*42 Vorsorge ist auch zu treffen, daß die Prälaten auf ihren Synoden (so wie die Amtsträger in ihren Kurien) nicht darauf hinarbeiten, ihre Geldbörsen zu füllen, sondern darauf, Laster abzustellen, Sitten zu bessern und Seelen zu erbauen. Weiterhin müssen die Abgaben für Siegel und Urkunden ermäßigt werden, die Geldstrafen beseitigt, ermäßigt oder gänzlich oder teilweise für fromme Zwecke offen verwendet werden; ferner darf der Kirchenbann nicht leichtfertig, wie oben erwähnt, verhängt werden. Die Ausdehnung der Streitigkeiten, die die Armen ausplündert und viele an der Wahrnehmung ihres Rechts verzweifeln läßt, muß mit allen geeigneten Mitteln zurückgeschnitten werden; auch sollte das unerträgliche Gehabe einiger Advokaten und Prokuratoren abgestellt werden. Falls es wegen entgegenstehender Gewohnheit nicht zu einer Bewahrung jener rigorosen Regel gegen die Simonie kommen sollte, wie sie im positiven Recht festgelegt ist, – daß 43nichts für eine Weihe oder das Pallium gegeben oder genommen werden darf 43, wie es im 5. Kapitel des 3. Briefes von Papst Gregor enthalten ist, und vieles andere, was in alten Gesetzen steht – dann

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esset aliqua moderacio adhibenda et pro conscienciarum sedacione et multitudini errancium pie condescendendo aliqua declaracio facienda. Iuxta illud Nicolai pape, qui presidens synodo Constantiniane b dixit: Quia ergo usque adeo verenda symoniaca pernicies hactenus inolevit, ut vix quelibet ecclesia valeat reperiri, que hoc morbo non sit aliqua ex parte corrupta. Et: Tanta talium multitudo est, ut dum rigorem canonici iuris super eos servare non possumus, necesse sit, ut dispensatorie ad pie condescensionis studium animos nostros ad presens inclinemus, a symoniacis consecratos in acceptatis ordinibus manere permittentes. Hoc enim temporis nimia necessitas permittendum a nobis extorsit44 etc. Similiter eadem vel maiori racione permissio et condescensio facienda esset super pluribus aliis iuribus et constitucionibus, que communiter in scandalum plurimorum non servantur, ut verbi gracia: Quod nichil omnino liceat accipere in distribucione graduum, ordinum administracione vel sacramentorum vel sepulturarum aut huiusmodi spiritualium vel spiritualibus annexorum.45 Quod non liceat quemcumque episcopum vel clericum die dominico absentem esse serviciorum solempniis; quod clerici ad matutinum et vespertinum officia venire teneantur; quod non liceat clericis ante terciam horam prandere; quod nullus sacerdotum a Quinquagesima usque ad Pascha carnes comedat, quod sacerdotes Adventum ieiunent. Et sic de multis aliis similibus, de quibus videretur expediens declarare, quod non essent precepta sed consilia. Et similiter de observancia ieiunii quadragesimalis, quantum ad aliquas personas et quo ad aliquas circumstancias esset moderacio adhibenda. Item quia prelatis de divino cultu specialis cura esse debet, circa huiusmodi reformacionem, que necessaria est, providendum esset, quod in divino servicio non tam onerosa prolixitas quam devota et integra brevitas servaretur; quod in ecclesiis non tam magna ymaginum et picturarum varietas multiplicaretur; quod non tot nova festa solempnizarentur; quod non nove ecclesie edificarentur; quod non tot novi sancti canonizarentur. Quod, preterquam diebus dominicis et in maioribus festis ab ecclesia institutis, liceret operari post auditum officium, cum quia in festis sepe magis multiplicantur peccata in tabernis, choreis et aliis lasciviis, quas docet ociositas, tum quia dies operabiles vix sufficiunt pauperibus ad vite necessaria procuranda. Et quod in huiusmodi festis scripture apocrife aut ympni novi vel oraciones seu alie vo-

b 44 45

Constantinopolitanae Edd. Papst Nikolaus II. (1059), Mansi XIX Sp. 899. Definition des Rufinus, siehe oben Nr. 1 S. 116 Anm. 106.

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sollte wenigstens eine Regelung eintreten und zur Beruhigung der Gewissen auch für die Menge der Irrenden durch gütiges Nachgeben eine Klärung erfolgen. Entsprechend dem Wort des Papstes Nikolaus, der als Vorsitzender auf der Synode [in der Lateransbasilika] Konstantins sagte: Weil bis heute die beschämende Sünde der Simonie soweit eingerissen ist, daß kaum eine Kirche gefunden werden kann, die nicht in irgendeiner Weise von diesem Frevel verderbt ist . . . Weiter: Es gibt von diesen eine so große Menge, daß es, da Wir die Strenge des Kanonischen Rechts diesen gegenüber nicht wahren können, nötig ist, im Augenblick Unsere Haltung mit Dispensen für ein gütiges Entgegenkommen einzustellen; daher gestatten Wir, daß die von Simonisten Geweihten in den erlangten Weihen verbleiben. Dies zu gestatten hat nämlich die überaus große Not der Zeit von Uns erzwungen.44 Nach solcher oder vertiefter Überlegung müßte eine Genehmigung und ein Entgegenkommen bei vielen anderen Rechtsbestimmungen und Konstitutionen geschehen, die (zum Ärgernis für sehr viele) allgemein nicht beachtet werden, zum Beispiel: Es ist überhaupt nicht erlaubt, bei der Vergabe von Gnaden, bei der Erteilung von Weihen und der Spendung von Sakramenten, bei Begräbnissen, bei geistlichen Handlungen oder damit in Zusammenhang Stehendem irgend etwas anzunehmen.45 Keinem Bischof oder Kleriker ist es erlaubt, am Sonntag bei den feierlichen Gottesdiensten zu fehlen; die Kleriker sind gehalten, beim Offizium zur Matutin und zur Vesper zu kommen; Klerikern ist es nicht erlaubt, vor der Terz zu frühstücken; kein Priester darf von Quinquagesima bis Ostern Fleisch essen, Priester sollen den Advent über fasten. So steht es mit vielem anderen ähnlich; es scheint angemessen zu sein zu erklären, daß dies keine Vorschriften sondern Empfehlungen sind. Hinsichtlich der Beachtung des Fastens in der Quadragesima wäre eine Beschränkung einzuführen, wieweit es bestimmte Personen und bestimmte Umstände anlangt. Weil den Prälaten der Gottesdienst ein Gegenstand besonderer Sorge sein muß, wäre bei einer Reform, die notwendig ist, für folgendes Vorsorge zu treffen: Beim Gottesdienst sollte keine so belastende Weitschweifigkeit, sondern fromme und frische Kürze beachtet werden; in den Kirchen sollte die große Mannigfaltigkeit an Statuen und Bildern nicht noch vergrößert werden; es sollten nicht so viele neue Festtage geboten, keine neuen Kirchen gebaut und nicht so viele neue Heilige kanonisiert werden. Abgesehen von den Sonntagen und den durch die Kirche bestimmten hohen Festtagen sollte es erlaubt sein, nach Anhörung des Hochamtes zu arbeiten, einmal weil häufig an Festtagen die Sünden noch weiter vermehrt werden in den Gasthäusern, bei Tanzveranstaltungen und anderer Ausgelassenheit, die der Müßiggang lehrt, dann aber auch ganz besonders weil die Arbeitstage für die Armen kaum zum Erarbeiten des Lebensnotwendigen hinreichen. An solchen Festtagen sollten nicht apokryphe Schriften, neue Hymnen, neuartige Gebete

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luntarie novitates non legerentur, omissis antiquis et autenticis et iam in ecclesia consuetis. Et quod generaliter omnis novitas et varietas ac usuum diversitas in horis ac aliis divinis serviciis, quantum fieri posset, vitaretur iuxta decretum Toletani concilii XI., de quo XII. di. c. De hiis c.46 Et multa alia utilia essent per prelatorum diligenciam providenda, que per singula discurrere longum esset. IIII. Quarta consideracio erit de hiis, que reformanda essent circa statum religiosorum. Et primo videtur, quod tanta religiosorum numerositas et varietas non expediat, que inducit ad varietatem morum et quandoque ad contrarietatem et repugnanciam observacionum et sepe ad singularitatem et ad superbiam et vanam extollenciam unius status super alium. Et maxime videtur necessarium, quod diminuerentur religiones ordinum Mendicancium. Quia tot sunt et in numero conventuum et in numero suppositorum, quod eorum status est onerosus hominibus, dampnosus leprosoriis et hospitalibus ac aliis vere pauperibus et miserabilibus indigentibus, quibus convenit ius et verus titulus mendicandi, ipsis quoque curatis parrochialibus et, si bene consideretur, eciam preiudiciabilis d omnibus ecclesie statibus et specialiter huiusmodi religiosis intollerabilis et eorum religiose professioni contrarius et maxime in multiplicacione magistrorum bullatorum et sepe indignorum ipsis religionibus onerosum. De qua materia et eorum variis excessibus pauca loquor, quia sunt plures doctores, qui de hoc habunde scripserunt. Item providendum esset super correccione questariorum predicancium sive religiosorum sive e secularium. Qui suis mendaciis fet immundiciis f maculant ecclesiam et eam irrisibilem reddunt et officium predicacionis maxime honorandum iam contemptibile efficiunt. Unde predicacio, que propter sui reverenciam ad prelatos pertinet, non esset tot et talibus vilibus questuariis et mendicantibus permittenda. Item cum in Calcedonensi concilio statutum sit, ut habetur XVI q. I Qui vereg 47quod monachi tantummodo intenti sint ieiuniis et oracionibus, in locis, ubi renunciaverunt seculo, remanentes, nec ecclesiasticis nec secularibus negociis propria monasteria deserendo insistant,47 providendum eciam esset,

c

XIII. Ed. praejudicialis Edd. e fehlt Edd. f–f fehlt Edd. g XII. Edd. d

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oder sonstige willkürliche Neuheiten gelesen werden, während die alten, echten und in der Kirche schon lange gewohnten übergangen werden. Allgemein sollte jede Neuheit und Abwechslung, auch jede Verschiedenheit der Bräuche beim Stundengebet und anderen Gottesdiensten soweit wie möglich vermieden werden, gemäß dem Dekret des 11. Konzils von Toledo.*46 Vieles andere Nützliche wäre der Aufmerksamkeit der Prälaten zu empfehlen, was hier im einzelnen durchzugehen zu weit führen würde.

4. Die vierte Überlegung richtet sich darauf, was beim Ordensstand zu reformieren ist. Zunächst dürfte die Vielzahl und Mannigfaltigkeit nicht förderlich sein; denn sie führt zu einer Mannigfaltigkeit der Sitten, mitunter zum Widerspruch und zur Gegensätzlichkeit der Observanzen, oft zur Absonderlichkeit, zum Hochmut und zur eitlen Erhebung eines Standes über den anderen. Besonders nötig dürfte es sein, die Zahl der Bettelorden zu vermindern. Denn es gibt (sowohl nach der Zahl der Konvente wie nach der Zahl der Angehörigen) so viele, daß deren Stand lästig ist für die Menschen, schädlich für die Siechenheime, für die Spitäler, für die übrigen wirklich armen und bedauernswerten Bedürftigen – nur ihnen kommt das Recht und die wahre Bezeichnung eines Bettlers zu –, selbst für die Kuraten in den Pfarreien, [ja], wenn man es recht sieht, sogar abträglich für alle Stände der Kirche, unerträglich zumal für diese Ordensleute, ja, ihrem Ordensgelübde zuwider, ganz besonders belastend bei der Vervielfachung der Zahl der Bullatoren an der Kurie, vielfach unwürdiger Leute, für die Ordensleute selbst. Über diesen Sachverhalt und die verschiedenen Verfehlungen sage ich nur wenig, denn es gibt viele Doktoren, die darüber ausführlich geschrieben haben. Eine Regelung wäre auch zu treffen über die Änderung bei den Almosensammlern der Prediger, seien es Mönche oder Weltgeistliche. Mit ihrem Betteln und ihrem Schutz besudeln sie die Kirche, verhöhnen sie und machen das besonders ehrwürdige Amt des Predigers richtig verächtlich. Die Predigt, die wegen der Hochachtung vor ihr den Prälaten zusteht, darf nicht so vielen und liederlichen Almosensammlern und Bettlern überlassen werden. Da auf dem Konzil von Chalcedon bestimmt worden ist, 47die Mönche sollten sich nur dem Fasten und dem Gebet widmen, an den Orten bleiben, wo sie der Welt abgeschworen haben, sich nicht in kirchliche und weltliche Geschäfte einmischen und dafür etwa ihr Kloster verlassen,*47 deswegen C 8 Pierre d’Ailly, Reform: Ordensleute

46

* D. 12 c. 13. * C. 16 q. 1 c. 12; (451) Canon 4, COD 3 S. 65.

47–47

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ne ipsi eciam occasione studii claustra relinquerent, vel saltem moderandum, quod solum racione studii theologie, cum nimis multi seculares hodie studeant in licium facultate. Ipsa quoque theologia in statu secularium paucos habeat sectatores propter abusum Romane curie, que theologos contempsit et in omni ecclesiastico gradu lucrativarum scienciarum studiosos preposuit, cum tamen primitivi theologi ecclesiam edificaverint, quam aliqui baratatores h destruxerunt et nunc eam quasi ad extremam ruinam deducere viderentur, adeo ut iam horrendum quorundam proverbium sit: ad hunc statum venisse ecclesiam, ut non sit digna regi, nisi per reprobos. Item nunc maxime opus esset ad obviandum insultibus infidelium, quod reformarentur religiones militares et ad servandum fidem, mores et patrum regulas ac priores instituciones cogerentur. Item circa claustra monialium, que iam, proch dolor, ultra quam dicere audeam dehonestata sunt, esset correccio adhibenda. Et inter alias provisiones hoc videretur expediens, quod nulla religio mulierum sustineretur, nisi tales haberent redditus, unde possent sufficienter sustentari in suis domibus recluse sine mendicitate et discursu. Et quod de eorum ecclesiis seu quorumcumque aliorum religiosorum monasteriis vel prioratibus seu domibus vel spiritualiter in moribus destructis vel in rebus temporaliter desolatis fieret applicacio ad alia claustra, in quibus religio servaretur. Ut per talem religiosarum domorum unionem superflua numerositas religionum restringeretur et residua paucitas bonorum et devotorum commodius sustentaretur. Item in monasteriis esset inviolabiliter observandum, quod nullus nisi infirmus aut debilis aut hospes comederet extra refectorium. Quia experiencia docet, quod, ubi hoc servatur, alie religionis observancie tenentur facilius. Item pro serenandis conscienciis devotorum religiosorum summopere cavendum est eis, ne a principibus aut aliis redditus suos aut alia ad eorum sustentacionem pertinencia procurent ex iniustis exaccionibus aut quomodolibet illicite acquisitis. Ne eciam iura prelatorum, ecclesiarum et sacerdotum parrochialium indebite occupent sive in decimis sive in aliis proventibus ecclesiasticis. Ne eciam in preiudicium ordinariorum ab eorum subieccione iuri divino consona et in Chalcedonensi concilio sanctorum patrum decreto firmata, ut patet XVI q. I cap. Qui verei,47 per importunam humanorum

h i

baratratores Edd. XII. Edd.

47

* C. 16 q. l c. 12; (451) Canon 4, COD3 S. 65.

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wäre festzustellen, daß sie auch nicht unter dem Vorwand eines Studiums ihr Kloster verlassen, zumindest wäre zu regeln: höchstens wegen eines Theologiestudiums; denn viel zu viele Geistliche studieren heute in der Fakultät der Rechtsstreitigkeiten. Die Theologie dürfte bei dem Stand der Weltgeistlichen nur wenig Gefolgsleute haben wegen des Mißbrauchs der Römischen Kurie, die die Theologen verachtet und bei jedem kirchlichen Rang die Studenten der lukrativen Wissenschaften vorgezogen hat – während doch die Theologen der Urkirche die Kirche aufgebaut haben; jetzt haben einige betrügerische Advokaten sie zerstört, und es könnte den Anschein haben, diese brächten sie jetzt zum endgültigen Zerfall, so daß das Sprichwort einiger gefürchtet werden muß, die Kirche sei zu solchem Zustand gelangt, daß sie es nur noch verdiene, von Bösewichten geleitet zu werden. So wäre es jetzt, um den Angriffen der Ungläubigen zu begegnen, ganz besonders nötig, die Ritterorden zu reformieren und sie zur Erhaltung des Glaubens, der Sitten, der Regeln der Väter und ihrer früheren Verfassung zu zwingen. Hinsichtlich der Nonnenklöster, die jetzt, oh Schmerz! stärker, als ich es zu sagen wage, entehrt sind, wäre eine Besserung zu schaffen. Unter anderen Maßnahmen könnte es hier wirksam sein, wenn kein Frauenorden hingenommen würde, der nicht so viele Einkünfte hat, daß die in ihren Häusern in Klausur Lebenden ausreichend versorgt werden können, ohne Bettelei und Umherziehen. Deren Stifte und die Klöster aller übrigen Orden, die Priorate und Niederlassungen, soweit sie entweder in ihren Sitten geistlich zerstört oder in ihrem zeitlichen Besitz vernichtet sind, sollten anderen Klöstern zugeschlagen werden, in denen das Klosterleben noch bewahrt wird. So könnte durch solche Vereinigung von Ordenshäusern die überflüssige Vielzahl von Ordensniederlassungen beschränkt und der restlichen geringen Zahl von guten und frommen Einrichtungen geholfen werden. In den Klöstern müßte ausnahmslos beachtet werden, daß nur Kranke, Schwache oder Gäste außerhalb des gemeinsamen Refektoriums ihre Speise einnehmen dürfen. Denn die Erfahrung lehrt: Wo dies bewahrt wird, werden auch die übrigen Vorschriften des Klosterlebens leichter eingehalten. Zur Erleichterung ihrer Gewissen müssen die frommen Ordensleute sich auf jeden Fall davor hüten, sich von Fürsten oder anderen ihre Einkünfte oder, was sonst zu ihrem Unterhalt gehört, aufgrund ungerechter Ansprüche oder sonstwie unerlaubter Forderungen besorgen zu lassen. Sie dürfen keine Rechte der Prälaten, Kirchen und Pfarrgeistlichen ungerechtfertigt für sich in Anspruch nehmen, weder bei den Zehnten noch bei anderen kirchlichen Einkünften. Sie dürfen sich nicht zum Nachteil der Ordinarien freventlich ihrer Unterstellung unter diese entziehen – sie steht mit dem göttlichen Recht in Übereinstimmung und wurde auf dem Konzil von Chalcedon durch Beschluß der Konzilsväter bestätigt*47 –, dadurch daß sie rücksichtslos mensch-

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privilegiorum impetracionem et violentam exempcionem dampnabiliter se subducant. Nam secundum aliquos non est mediocriter dubitandum, an tales sint in statu salvandorum, ut patet ex deduccione Cantoris Parisiensis in Verbo abbreviato, capitulo XXXVII.48 Item in quibusdam religionibus devotis, que regule beati Benedicti rigorem superaddunt in prolixitate vigiliarum et oracionum et in austeritate ieiuniorum et abstinenciarum et aliis variis observanciis afflictivis, videretur providendum de discreta moderacione et maxime circa infirmos, quod salva Christi lege nichil eis, quod discreti medici consulerent, negaretur sive in esu carnium sive in aliis quibuscumque commoditatibus humane fragilitati et naturali indigencie oportunis. Alioquin non dixisset Christus: Non est opus sanis medico,49 si non concessisset opus esse infirmis medicorum consilio. V. Quinta consideracio erit de hiis, que reformanda sunt circa statum inferiorum ecclesiarum et ecclesiasticorum virorum. Et primo generaliter est providendum, quod in ecclesiasticis beneficiis iuxta eorum eminencias ponantur persone bene merite. Ut non preferantur fatui et ignari scientificis et sapientibus, nec iuvenes senibus, nec illis de una patria, quorum vita et conversacio nota est et probata, aliqui extranei et alieni in moribus, linguis et consuetudinibus, nec potentes aut nobiles pueri clericis probatis et famosis doctrina atque moribus, nec advocati aut intenti scienciis lucrativis vel curiales aut dominorum temporalium servitores sacre scripture doctoribus, sicut a multis iam retroactis temporibus Romana curia facere consuevit. Et ideo erit expediens, quod ordinarii, qui in suis locis habere possunt et debent bene meritarum personarum noticiam, iuxta earum merita beneficia conferant. Vel saltem quod eorum collacio non omnino tollatur, ita tamen, quod, ut obvietur eorum abusibus, potestas ordinaria limitetur. Verbi gracia, quod non possunt dignitates et beneficia maiora conferre, nisi doctoribus in theologia vel in iure quandocumque in suis vel propinquis dyocesibus erunt aliqui huiusmodi. Quod non possunt iam nisi graduatis vel nobilibus vel alias bene meritis conferre curas, personatus 50 aut alia beneficia valoris centum librarum 51 vel ultra in portatis. Et ita de multis similibus provisionibus. Per quas et digni promoverentur, et multi nobiles et ingeniosi ad studium literarum provocarentur, et universitates studiorum florerent et, 48

* Petrus Cantor, Verbum abbreviatum, cap. 47 de quattuor generibus spiritualium, Migne PL 205 Sp. 126–128. 49 Matth 9, 12. 50 Pfründen im Domkapitel. 51 1 Pfund von Troyes = 367,13 g; 1 Pfund von Paris = 489,506 g.

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liche Privilegien und gewaltsame Exemtion erlangen. Denn einigen zufolge kann man erhebliche Zweifel haben, ob solche noch im Stande der Gnade sind, wie aus der Darlegung des Kantors von Paris hervorgeht.48 Bei einigen frommen Orden, die der Regel des heiligen Benedikt eine besondere Strenge beigefügt haben hinsichtlich langer Nachtwachen und Gebete, strengen Fastens, Abstinenz und anderer Arten der Selbstkasteiung, dürften mit besonnener Mäßigung Regelungen zu treffen sein, besonders gegenüber Kranken, daß ihnen unbeschadet des Gesetzes Christi nichts verweigert wird, was besonnene Ärzte raten, sei es beim Fleischverzehr, sei es bei anderen Annehmlichkeiten, die der menschlichen Schwachheit und natürlichen Bedürftigkeit entgegenkommen. Sonst hätte Christus nicht gesagt: Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, [sondern die Kranken]49, wenn er nicht hätte zugeben wollen, daß für die Kranken der Rat der Ärzte nötig ist. C 8 Pierre d’Ailly, Reform: Klerus

5. Die fünfte Überlegung richtet sich darauf, was beim Stand der niederen Kirchen und Kirchenmänner reformiert werden muß. Zunächst ist allgemein sicherzustellen, daß in kirchliche Pfründen entsprechend deren Bedeutung wohlverdiente Personen gesetzt werden. Es sollen keine Einfältigen und Ungebildeten den Wissenschaftlern und Studierten vorgezogen werden, keine Jungen den Älteren, nicht denen aus einem Land, deren Leben und Wandel bekannt und bewährt ist, andere auswärtige und nach Sitten, Sprache und Gewohnheiten Fremde, keine Mächtigen oder adligen Knappen den bewährten und an Gelehrsamkeit und Charakter wohl bekannten Klerikern, keine Advokaten oder Absolventen der lukrativen Wissenschaften oder Kuriale oder Räte im Dienst weltlicher Herren den Doktoren der Heiligen Schrift, so wie es seit lange zurückliegenden Zeiten die Römische Kurie zu machen gewohnt ist. Es dürfte nützlich sein, daß die Ordinarien, die in ihren Orten Kenntnis von den wohlverdienten Personen haben können und müssen, die Pfründen nach deren Verdiensten verleihen. Zumindest sollte die Verleihung durch sie nicht gänzlich beseitigt werden, so jedoch, um einem Mißbrauch zu begegnen, daß die Macht des Ordinarius begrenzt wird. Zum Beispiel dürften sie Würden und Höhere Pfründen nur an Doktoren der Theologie oder des Rechts verleihen, wann immer in ihren eigenen oder benachbarten Diözesen solche vorhanden sind. Sie dürften auch nur Graduierten, Adligen oder sonstigen verdienten Leuten Seelsorgestellen, Personate 50 oder sonstige Pfründen im Wert von mehr als 100 Pfund 51 an Erträgen verleihen. Dies gilt für viele ähnliche Pfründenverleihungen. Es würden dadurch Würdige gefördert und viele Adlige und Begabte zum Studium angeregt; die Universitäten würden aufblühen und – was zu wünschen

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quod valde optandum est, importune et violente preces dominorum temporalium pro indignis cessarent. Que hodie quam periculose fiant, docet experiencia. Hec autem, que de graduatis dicta sunt, per modum exempli ponuntur, que et moderari possunt et alia addi ad provisionem aliorum sufficiencium, licet non graduatorum. Item providendum esset, quod universitates studiorum reformarentur et per prelatos scientificos visitarentur, ut gradus distribuerentur dignis, sine favore aut acceptacione personarum et cum rigore examinis in sciencia et moribus, ut doctrine utiles, resecatis superfluis aut minus utilibus, legerentur, ut instructores k rhetorice et linguarum Grece et Latine, quarum ignorancia multipliciter ecclesie dampnosa est, haberentur, et ut aliis studiosis actibus rei publice tam spirituali quam temporali utilibus iuvenum ingenia exercerentur. Item adhibenda esset correccio circa mores ecclesiasticorum, qui iam nimis, proch dolor, sunt corrupti in l gula, luxuria, pompa, prodigalitate, ocio et aliis generibus viciorum. Quod cedit in grave laycorum scandalum. Et maxime obviandum esset illi scandalosissime consuetudini seu pocius corruptele, qua plures hodie non verentur tenere eciam publice concubinas. Et quia adversus eos pene iuris, suspensionis, excommunicacionis, irregularitatis non proficiunt contra tales in hac vel aliis inhonestatibus publicis incorrigibiles, haberet locum pena deposicionis ab officio et beneficio. Item quia archidiaconi ab ecclesia instituti sunt, ut serviant episcopis, ut habetur originaliter Actuum sexto,52 et specialius declarantur eorum officio XCIII distinccione quasi per totum,53 ideo providendum erit, quod debita officia exerceant vel, cum sint ecclesie onerosi, penitus extirpentur, sicut supra de corepiscopis dictum est. Item quia dicit Ieronimus: Pauci sacerdotes, multi sacerdotes; pauci merito, multi numero.54 Ideo contra hanc scandalosam multitudinem esset summopere obviandum per hoc, quod non promoverentur nisi digni et bene morierati, habentes scienciam ligandi et solvendi et intelligenciam divini servicii. Item ad obviandum ignorancie sacerdotum iam promotorum, in ecclesiis cathedralibus et notabilibus collegiatis essent scribendi aliqui breves tractatus et eciam in synodis publicandi tam in Latino quam in vulgari super instruccione necessaria de virtutibus et viciis, de articulis fidei, de sacramentis, de modo confessionis et huiusmodi. Similiter in huiusmodi ecclesiis deberet esse aliquis lector theologie, qui legeret secundum, tercium et quartum sentenciak l

institutores Hs. M u. Edd. ira Edd.

52

* Act 6, 1–6. * D. 13 fast ganz. 54 Ps.-Chrysostomus, Opus imperfectum in Mattheum, Homilia 43; Migne PG 56 Sp. 876; auch C. 40 q. 12. 53

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wäre – die unpassenden und allzu nachdrücklichen Bitten von weltlichen Herren für Unwürdige würden aufhören. Wie gefährlich diese heute sind, lehrt die Erfahrung. Was über die Graduierten gesagt wurde, ist hier als Beispiel vorgebracht, es kann auch geändert oder erhöht werden zur Verleihung an andere hinreichend Geeignete, obgleich sie nicht graduiert sind. Es ist auch sicherzustellen, daß die Universitäten reformiert und durch wissenschaftlich gebildete Prälaten visitiert werden: Akademische Grade sollen ohne Begünstigung und Ansehen der Personen, mit strenger Prüfung nach Wissenschaft und Charakter an Würdige verliehen werden; es sollten nützliche Wissensgebiete unter Beschneidung der überflüssigen oder weniger geeigneten gelesen werden; so erhielte man Lehrer der Rhetorik und der Griechischen und Lateinischen Sprache – Unkenntnis in diesen Fächern ist für die Kirche überaus schädlich –; in anderen Lehrveranstaltungen, die für das geistliche wie für das weltliche Gemeinwesen nützlich sind, würde sich der Verstand der jungen Leute üben. Ferner sollte die Besserung der kirchlichen Sitten eingeleitet werden, die, oh Schmerz! schon überaus weit verdorben sind durch Fraß und Völlerei, Pomp, Verschwendung, Müßiggang und andere Laster. Dies führt zu schwerem Ärgernis bei den Laien. Besonders wäre jener überaus anstößigen Gewohnheit, genauer: jener Verderbnis zu begegnen, nach der sich heute viele nicht scheuen, sich sogar öffentlich Konkubinen zu halten. Weil gegen sie die Strafen des Rechts – vorläufige Absetzung, Suspension, Kirchenbann und Irregularität – nichts ausrichten, müßte gegen die, die sich in diesen und anderen öffentlichen Zuchtlosigkeiten als unverbesserlich erweisen, die Strafe der Absetzung von Amt und Pfründe greifen. Da Archidiakone von der Kirche eingesetzt worden sind, damit sie den Bischöfen dienen (wie ursprünglich in der Apostelgeschichte*52 enthalten und wie das Kirchenrecht*53 deren Ämter besonders erklärt), deshalb ist darauf zu sehen, daß sie ihr zukommendes Amt erfüllen; wo sie aber der Kirche eine Last sind, sollten sie gänzlich abgeschafft werden, wie es oben von den Chorbischöfen gesagt wurde. Hieronymus sagt: Wenige Priester, viele Priester, wenige an Verdienst, viele an Zahl.54 Deswegen müßte gegen die anstößige Vielzahl ganz besonders dadurch angegangen werden, daß nur Würdige und Tüchtige berufen werden, die ein Wissen über Binden und Lösen sowie Kenntnis des Gottesdienstes haben. Man müßte der Unwissenheit der schon berufenen Priester dadurch begegnen, daß an den Kathedral- und bedeutenderen Kollegiatkirchen einige kurze Abhandlungen geschrieben werden, die auf den Synoden veröffentlicht werden sollten, lateinisch und in der Volkssprache, über die notwendige Unterrichtung in Tugenden und Lastern, über die Glaubensartikel, die Sakramente, über den Ablauf der Beichte und dergleichen. An diesen Kirchen müßte es auch einen Lektor für Theologie geben, der das 2., 3. und C 8 Pierre d’Ailly, Reform: Klerus

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rum,55 vel recipiendo utiliores materias dictorum librorum, eas sub brevitate applicaret ad exposicionem et intelligenciam epistolarum et evangeliorum, que in ecclesia per anni circulum recitantur. Similiter in dictis ecclesiis et maxime in metropolitanis deberent esse notabiles librarie theologie et iuris canonici ac librorum moralium et maxime, quod magnus liber conciliorum generalium,56 qui iam rarus est, licet sit perutilis et necessarius, a metropolitanis in magnis ecclesiis procuraretur. Item quia correccio subditorum sepe per eorum appellaciones impeditur et datur peccandi audacia, esset m circa eas adhibenda moderacio, ne in earum nimis facili recepcione et admissione inferiores prelati a metropolitanis vel Romana curia in ordinaria execucione iusticie gravarentur. Sicut iam dudum beatus Bernhardus conquerebatur in libro De consideracione ad Eugenium papam.57 Qui liber in hoc et aliis multis pro reformacione ecclesie non mediocriter utilis est n sicut et plures eius libri et epistole etc.

VI. Sexta et ultima consideracio erit de reformandis circa statum laycorum christianorum et maxime principum, a quorum moribus dependet morieracio populorum. Quia, ut dicit poeta: Regis ad exemplum totus formabitur o orbis Et iterum: Mobile mutatur semper cum principe volgus.58 Et ideo provideant principes christiani, ut titulum sue christianitatis, quem verbo confitentur, opere non negent contra Christi doctrinam,59 et, per vias ei contrarias in conspectu sui populi corruptis moribus incedentes, suis malis exemplis mores subditorum corrumpant. Item quod liberos suos in bonis operibus ac moribus et in literarum scienciis informari faciant. Item non solum a se sed a suis familiaribus et domesticis superfluam et superbam vanitatem, avariciam et tirannidem abiciant. Item quod populum eis subiectum

m n o 55

etiam Edd. fehlt Edd. componitur Rutil. u. Edd.

Petrus Lombardus, Libri IV sententiarum, Migne PL 191. Vielleicht Wilhelm Duranti d. J., Tractatus de modo celebrandi concilii generalis. Vgl. oben Einleitung S. 3f. 56

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4. Buch der Sentenzen 55 liest, oder indem er den brauchbaren Stoff dieser Bücher auswählt und gekürzt auf Auslegung und Verständnis der Episteln und Evangelien anpaßt, die im Laufe des Kirchenjahres vorgetragen werden. An diesen Kirchen, besonders an den Metropolitankirchen müßte es bemerkenswerte Bibliotheken für Theologie, Kirchenrecht, Moralphilosophie geben, und besonders das große Buch der Allgemeinen Konzilien 56 – es ist jetzt recht selten, obgleich es überaus nützlich und notwendig ist – sollte von den Metropoliten für die großen Kirchen besorgt werden. Weil die Besserung der Untergebenen oft durch deren Appellation verhindert wird und Dreistigkeit zum Sündigen erlaubt, muß auch diesen gegenüber eine Beschränkung eingeführt werden, damit nicht bei deren allzu leichter Anwendung und Zulassung die niederen Prälaten von den Metropoliten oder der Römischen Kurie in der ordentlichen Ausübung ihrer Gerichtshoheit behindert werden. So hat schon damals der heilige Bernhard in seinem Buch ,,über die Besinnung“ Papst Eugen gegenüber geklagt.57 Dieses Buch ist darin und in vielen anderen Dingen für die Reform der Kirche ungemein nützlich, wie auch viele Bücher und Briefe von ihm.

6. Die sechste und letzte Überlegung gilt der Reform beim Stande der christlichen Laien, besonders der Fürsten, von deren Sitten das sittliche Verhalten der Bevölkerung abhängt! Denn der Dichter sagt: Nach dem Beispiel des Königs richtet sich der ganze Erdkreis sowie: Das wankelmütige Volk ändert sich stets mit dem Fürsten.58 Christliche Fürsten sollten sich daher bemühen, das Beiwort ,,christlich“, zu dem sie sich dem Worte nach bekennen, nicht etwa in der Tat zu verleugnen, gegen die Lehre Christi,59 und auf Wegen, die ihm zuwider sind, im Angesicht ihres Volkes mit verdorbenen Sitten einherzuziehen und durch ihr schlechtes Beispiel die Sitten der Untertanen zu verderben. Ihre Kinder sollen sie in guten Werken und Sitten sowie in Bildung und Wissenschaft unterweisen lassen. Nicht nur von sich, sondern auch von ihren Vertrauten und ihrem Gefolge sollen sie überflüssige und stolze Eitelkeit, Geiz und Tyrannei fernhalten. Sie sollen sich bemühen, das ihnen untergeC 8 Pierre d’Ailly, Reform: Laien

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3, 6–12, ed. Rochais-Leclerq III S. 435–439. Claudius Claudianus, Panegyricus 299 f. u. 302, MGH AA 10 S. 161; Walther 26 481 u. 14986. 59 Vgl. 1 Jo 3, 18. 58

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bonis moribus edificare studeant, eos a luxuria, avaricia, ocio et a cunctis viciis rei publice contrariis retrahant et specialiter a dei et sanctorum blasfemia, que sepe in iuramentis et periuriis committitur, arceant. Item quod malas consuetudines iuri divino vel humano contrarias in suis subiectis per consilium theologorum et aliorum prudentum repellant. Item quod artes magicas et alias supersticiones divina lege dampnatas et omnes errores et hereses fidei contrarias diligencius evellant et destruant. Item quod ad fidei exaltacionem, divini cultus honorem, ecclesie reformacionem invigilent et ad ea, que superius et inferius pro huiusmodi reformacione notata sunt, et alia quecumque utilia diligenter laborent. Item quod zelo iusticie contra persecutores et oppressores ecclesie, pauperum et debilium excandescant et eorum iniurias propulsare non tardent. Vicinis quoque et peregrinis fidem catholice fraternitatis observent. Item contra Sarracenos et alios fidei adversarios potenter insurgant et nunc, dum maxime opus est, post unitam et reformatam ecclesiam infidelium insultibus viriliter se opponant ac propter hoc, quod guerras et bella, que iam, proch dolor, et in imperio et in regnis christianis in contumeliam christiani nominis crudeliter seviunt, misericorditer compescant et ad Christianam pacem et unionem reducant. Alioquin infallibiliter verificabitur verbum Christi: Omne regnum in se divisum desolabitur.60 Item quod Iudeis propter vilem questum non foveant p, eos scilicet inter eorum subditos morari permittendo, nisi vel Christianis serviendo, agros colendo vel alias mechanice laborando et non usuras dampnabiles in dampnum Christianorum exercendo. Item quod Iudeorum conversorum bona non rapiant, sed ad vite necessitatem eis possidere permittant, ne egestaste compulsi apostarent et Christianos impietatis arguant. Item multa alia essent per principes cum generali concilio ecclesie circa statum Christiani populi reformanda. Que si impediant, ymmo si ea diligenter non promoveant, timendum est eis, ne contra ipsos manus domini, prout iam incipit, gladium sui furoris exerceat. Item propter premissa expedit, quod reges et principes mittant ad generalia concilia, non ad onerandum et confundendum, sed ad honorandum et confortandum ecclesiam et ad ea, que ibi decreta fuerint, quantum in eis est, exequendum.

p 60

faveant Edd. Matth 12, 25; Luc 11, 17.

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bene Volk in guten Sitten aufzuerbauen, es von Üppigkeit, Habsucht, Müßiggang und von allen Lastern, die dem Gemeinwesen zuwider sind, fernhalten, besonders vor Lästerungen Gottes und der Heiligen, wie sie oft bei Schwüren und Meineiden begangen werden. Schlechte Rechtsgewohnheiten, die dem göttlichen und menschlichen Recht zuwider sind, sollten sie bei ihren Untertanen nach dem Rat von Theologen und anderen klugen Leuten verbannen. Zauberkünste und anderen Aberglauben, der vom göttlichen Gesetz verdammt ist, auch alle Irrtümer und Ketzereien, die dem Glauben entgegengesetzt sind, sollen sie ganz sorgfältig ausreißen und beseitigen. Für die Erbauung des Glaubens, die Ehre des Gottesdienstes und die Reform der Kirche sollen sie wachsam sein, und um das, was weiter oben und weiter unten zu dieser Reform vermerkt ist, und um alles sonstige Nützliche sollen sie sich sorgsam abmühen. Mit dem Eifer für die Gerechtigkeit sollen sie gegen die Verfolger und Bedrücker der Kirche, der Armen und der Schwachen erglühen und nicht säumen, gegen deren Unrecht vorzugehen. Gegenüber Nachbarn und Fremden sollten sie die Treue katholischer Brüderlichkeit halten. Gegen die Sarazenen und andere Feinde des Glaubens sollten sie machtvoll sich erheben, sich jetzt, wo es besonders nötig ist, nach der Einigung und Reform der Kirche den Einfällen der Ungläubigen mannhaft entgegenstellen, deswegen Fehden und Kriege, die nun, oh Schmerz! im Kaiserreich und in den christlichen Königreichen zur Schmach des christlichen Namens grausam wüten, barmherzig niederhalten und zum christlichen Frieden und zur Einheit zurückfinden. Andernfalls wird sich unzweifelhaft das Wort Christi verwirklichen: Ein jegliches Reich, so es mit sich selbst uneins wird, das wird wüst!60 Sie sollen die Juden nicht wegen eines billigen Vorteils unterstützen, d. h. indem sie gestatten, daß jene bei ihren Untertanen wohnen, außer jene dienten den Christen, bebauten die Äcker oder verrichteten ein Handwerk; doch sollen jene keine schädlichen Zinsen zum Schaden von Christen erheben. Die Güter von bekehrten Juden sollen sie nicht rauben, sondern ihnen gestatten, sie zum Lebensunterhalt zu besitzen, damit sie nicht, vom Mangel getrieben, wieder abfallen und die Christen wegen Rücksichtslosigkeit anklagen. Noch vieles andere wäre durch die Fürsten zusammen mit dem Allgemeinen Konzil der Kirche hinsichtlich des Standes des christlichen Volkes zu reformieren. Wenn sie dieses behindern, ja, wenn sie dieses nicht aufmerksam fördern, müssen sie befürchten, daß die Hand des Herrn – so wie sie es bereits zu tun beginnt – gegen sie das Schwert seines Zornes schwingt. Wegen des Vorgenannten sollten daher die Könige und Fürsten die Allgemeinen Konzilien beschicken, nicht um die Kirche zu belasten und zu verwirren, sondern um sie zu ehren und zu stärken sowie das, was dort beschlossen wird, soweit es in ihren Kräften steht, auszuführen.

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Item quia iuxta evangelicam sentenciam, quam eciam experiencia rerum magistra docet, inter reges gencium et principes seculi sepe fit contencio, quis eorum videatur esse maior, quam contencionem Christus inter discipulos suos vitari docuit,61 ideo non videtur expediens, quod de cetero in generalibus conciliis pro deliberando ad partem super rebus gerendis fiat divisio per naciones vel regna. Quia talis modus dividendi magis est secularis quam ecclesiasticus et ad contenciones de maioritate vel superioritate dispositivus. Sed iuxta ecclesiasticas sancciones et sanctorum patrum observancias magis videtur esse procedendum per provincias 62 ecclesiastico more distinctas. Tamen quia huiusmodi provincie valde inequaliter sunt divise in diversis mundi regionibus, ideo expediens videtur hanc moderacionem observari, quia ad constituendum provinciam in concilio generali non sufficeret minor numerus quam XII notabilium personarum. Quarum sex ad minus essent prelati vel ambasiatores regum, principum vel universitatum generalium studiorum aut doctores in theologia vel in iure et illorum sex ad minus duo essent episcopi non titulares aut girovagi. Alii vero sex sint in minoribus dignitatibus ecclesiasticis constituti vel in aliqua facultate graduati. Quando vero in aliqua provincia non esset talis numerus talium personarum, quod suppleretur de aliis vicinis provinciis et constitueretur una ex pluribus, que denominaretur ab illa, cuius ibi essent plura aut notabilia supposita. Et quod huiusmodi personarum eleccio fieret in conciliis provincialibus generale concilium precedentibus. Et ibidem ordinaretur de stipendiis, pro expensis et sumptibus eorundem, per modum subsidii caritativi, ecclesiastico more et non seculari auctoritate vel potestate imponendi et exequendi. Item quia ecclesia non potest principes ad predicta reformanda temporaliter cogere, expediens erit, quod per generale concilium ipsos ad ea monitis salutaribus exhortetur. Ut sic faciendo quod in se est, apud summum iudicem excusetur. Nec solum opus erit exhortatoriis verbis, sed eciam bonorum morum et in melius reformatorum actuum exemplis. Quia plus movent exempla quam verba. Ideo cepit Iesus facere et docere.63 Unde nichil est, quod tam efficienter possit sive ad bonum sive ad malum principes et alios laycos inducere sicut facta exemplaria ecclesiasticorum. Ideo exemplaria ecclesiasticorum sunt necessaria. Ideo super illud Matthei XXI. Et intravit Iesus in templum 64 etc. dicit Chrysostomus: Sicut de templo omne bonum egreditur, ita de templo omne malum procedit. Si enim sacerdocium integrum fuerit, tota ecclesia floret. Si autem corruptum fuerit, omnium fides et virtus marcida est.

61 62 63 64

Luc 22, 24 ff. Wie auf den Konzilien von Lyon 1274 und Vienne 1311. Act 1, 1. * Matth 21, 12 ff.

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Gemäß dem Wort des Evangeliums – auch lehrt dies die Erfahrung als Lehrmeisterin – kommt es häufig zum Streit unter den Königen der Völker und Fürsten dieser Welt, welcher unter ihnen sollte für den Größten gehalten werden, ein Streit, den Christus unter seinen Jüngern zu vermeiden lehrte;61 daher sollte es künftig auf Allgemeinen Konzilien bei den getrennten Beratungen über die Tagesordnung keine Aufteilung nach Nationen oder Königreichen geben. Denn solche Aufteilung ist eher weltlich als kirchengemäß und führt zu Streitigkeiten über Mehrheit oder Überordnung. Doch nach den kirchlichen Bestimmungen und dem Brauch der heiligen Väter sollte man eher nach Provinzen vorgehen,62 wie sie kirchlich unterschieden sind. Weil jedoch diese Kirchenprovinzen sehr ungleich geteilt sind in den verschiedenen Gebieten der Welt, deswegen sollte die Änderung beachtet werden, daß zur Bildung einer Kirchenprovinz auf dem Allgemeinen Konzil keine Zahl unter 12 Vollmitgliedern ausreichen sollte. Von denen sollten sechs zumindest Prälaten, Gesandte von Königen, Fürsten oder Universitäten sowie Doktoren der Theologie oder des Rechts sein, und von diesen sechs sollten zumindest zwei Bischöfe sein – keine Titular- oder Wanderbischöfe. Die anderen sechs aber sollten in den niederen kirchlichen Würden stehen oder von einer Fakultät graduiert sein. Falls es aber in einer Kirchenprovinz nicht so viele derartige Personen geben sollte, sollte sie aus benachbarten Provinzen aufgefüllt und eine aus mehreren gebildet werden, die dann nach derjenigen ihren Namen hätte, aus der die meisten oder bedeutenderen genommen sind. Die Auswahl dieser Personen sollte auf den Provinzialkonzilien stattfinden, die dem Allgemeinen Konzil vorausgehen. Dort sollten auch die Beiträge für ihre Ausgaben und Aufwendungen festgelegt werden in Art brüderlicher Hilfe, die auf kirchliche Weise und nicht kraft weltlicher Autorität oder Macht auferlegt und aufgebracht werden soll. Die Kirche kann die Fürsten nicht zu den genannten Reformen nach Art der Welt zwingen; so sollte das Allgemeine Konzil sie dazu durch heilsame Ermahnungen ermuntern. Wenn es das tut, was an ihm liegt, ist es beim höchsten Richter entschuldigt. Es sind nicht allein aufmunternde Worte nötig, vielmehr das Beispiel guter Sitten und zum Besseren reformierte Taten. Denn Beispiele bewegen mehr als Worte. Daher begann Jesus beides, zu tun und zu lehren.63 So kann also nichts so wirksam die Fürsten und anderen Laien zum Guten wie zum Schlechten bewegen wie die beispielhaften Taten der Kirchenmänner. Deswegen ist das Beispiel der Kirchenmänner so notwendig. Deswegen sagt Chrysostomus über jenes Wort: ,,Und Jesus ging zum Tempel“*64: So wie alles Gute vom Tempel ausgeht, so kommt auch alles Übel vom Tempel. Wenn nämlich die Priesterschaft unverdorben ist, blüht die ganze Kirche. Wenn sie aber verdorben ist, ist der Glaube und die Tugend aller welk und schlaff. Wenn man einen Baum mit gelblichen Blättern sieht, weiß

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VIII Petrus de Alliaco: De reformacione

Sicut cum vides arborem pallentibus foliis, intelligas, quod vicium habetq in radice. Cum videris populum indisciplinatum, sine dubio cognosce, quod sacerdocium eius non est sanum.65 Et inde patet, quam necessaria sit ecclesiasticorum reformacio, cum morum suorum deformacio tam periculosa sit et cunctis fidelibus populis tam dampnosa. Avertat autem misericors dominus ab ecclesia sua hanc contumeliam, ut omnes prelati, sacerdotes aut alii ecclesiastici huius lamentabilis deformacionis reperiantur culpabiles. Sed sicut olim ipse sibi in Israel septem milia virorum reservavit, quorum genua non sunt curvata ante Baal (sicut legitur tercii Regum XIX. c.66,) sic hodie in omni statu ecclesie aliquos reservasse credendus est, qui zelo Christiane legis accensi, deformatos mores in melius reformabunt et suis salutaribus verbis et exemplis alios informabunt. Quod ipse prestare dignetur, qui ecclesiam suam precioso filii sui sanguine redimere dignatus est. Amen r.67

q r 65

habeat Edd. fehlt Edd.

Ps.-Chrysostomus (wie oben Anm. 54) Homilia 38; Migne PG 56 Sp. 839; Thomas Aquin., Catena in Matth. Opp.V S. 212 B.

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man, daß er eine Krankheit hat; wenn man ein Volk undiszipliniert sieht, erkennt man ohne Zweifel, daß seine Priesterschaft nicht gesund ist. 65 Daraus ergibt sich, wie notwendig die Reform der Kirche ist, da die Mißgestalt ihrer Sitten so gefährlich und für alle gläubigen Völker so schädlich ist. Der barmherzige Herr möge von seiner Kirche diese Schmach abwenden, daß etwa alle Prälaten, Priester oder sonstigen Kirchenmänner solcher beklagenswerten Mißgestalt für schuldig gefunden werden. Aber wie er sich selbst einst in Israel siebentausend Männer hat übrigbleiben lassen, deren Knie sich nicht vor Baal beugten,*66 so muß man heute glauben, daß er in jedem Stand der Kirche einige hat übrigbleiben lassen, die, entzündet vom Eifer für das Gesetz Christi, die zerrütteten Sitten zum Besseren reformieren und mit ihren heilsamen Worten und Beispielen die anderen belehren werden. Das möge der gewähren, der sich herabgelassen hat, seine Kirche mit dem kostbaren Blut seines Sohnes zu erlösen. Amen.67 66

* Wie man liest 3 Reg 19, 18 und Rom 11, 4. Vgl. dazu den Bericht des Ulrich Maiger an die Stadt Straßburg vom 9. Nov. 1416 (ACC II S. 764 f.): Ouch wissent, daz daz concilium furhant meinet zu niement die cristenheit zu ordinierent: des ersten einen bapst und sinen hof, daz er niet applas noch pfrunden noch keinen sachen daz lant me solte allso schaczen, es wurd dann durch ein gemein concilium erkennet; und daz er niet einen so hofferteclichen statum halt, als die bapst viel zit geton habent. Desz glich die cardinal, ouch desz glich erczbischof und bischof, apt und ander; und dasz vicarien, official, advocaten, procurator und notarien uf allen gerihten sint die lut nit also schaczen, als dasz her beschenhen ist. Und sie meinent ouch zu understond, ob man geistlich geriht kurczer gemachet moht, daz die lut nit so lang uf gehalten wurden. Dann meinent si, daz probest, techen, tumherren und ander pfaffen zu verlassenlichen leben und zu vil pfrund haben, daz meinent si ouch zu endernt. Item si meinent, daz man zu vil fremder materien in die kirchen male, daz es nit gut si. Item daz daz ampt der pfaffheit zu lang und zu vil sig und meinent, man solle daz kurczer und andahtiger und ordentlicher machen. Und die gemeinen firtag sigen armen luten zu schware und ir welle zu vil werden. Und man solte die nun firren, bisz dasz man gesingte, dan es were wezer, daz die lutte wurketen, dann daz si zu dem win und zu den tanczen gond. Item als die bapst bisz her vil nuwer heilgen gemachet und gecanonizieret hand, daz daz ouch on ein concilium nit me beschahe; daz man ouch keinen firtag me on ein concilium uf saczte. Item daz die pfaffheit und monche den adventum und die vasten vasten solten und die pfaffen und geistlichen solten die vasten XIIII tag vor vasznacht anheben. Item dann meinent si geistliche lut und ouch frowen closter vast fur hant zu niement, dazu nit not ist zu schriben. Dann umb de leigen versihe ich mich, daz ich ouch in disen aht tagen gewar welle werden, wasz si an den leigen wandeln wollen etc. Datum Constancie die lune ante Martini anno M0CCCC0XVI0. Ulr. Maiger. 67

IX

Ed.: Heimpel S. 1290–1313; ACC III S. 624–645 – kontrolliert an Hs. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, lat. 5097.

[JOB VENER] Avisamentum sacrorum canonum et doctorum ecclesie catholice de eleccione pape et cardinalium secundum exigenciam status ecclesie moderne, et quomodo huius sacri Constanciensis concilii habeatur in brevi finis salutaris. Scriptum sub correccione et melioracione cuiuscumque dei fidelis

[I] Ad perpetuum honorem omnipotentis dei et beatissime dei genetricis virginis Marie tociusque triumphantis ecclesie, ad pacem et unitatem perpetuam militantis ecclesie, ut eleccio futuri Romani et summi pontificis secundum sacros canones et secundum fideles doctrinas doctorum ecclesie catholice suo debito tempore devocius, sincerius, perfeccius et cicius, quo fieri possit, celebretur, advisatur humillime et devotissime sacrosanctum generale Constanciense concilium per modum sollicitacionis, non per modum informacionis hoc modo: Cum predicti sacri concilii prelati et doctores, ut pie speratur, communiter sciant infrascriptum advisamentum 1 sacre eleccionis pape futuri et successorum suorum ex eo, quod infrascriptos canones, libros et tractatus et ultra hec multos alios libros et tractatus et fere omnium sancte ecclesie dei doctorum, qui de hac salutari materia scripserunt salutifere concordantes, ante multa tempora habuerunt et hodie habent in scriptis et diligenter, prout summe necessarium est, memorie commendatos nec illis meliora, ut creditur, umquam viderunt vel perceperunt, dignentur ergo iidem prelati et doctores eundem sacrum modum eleccionis seu modos ex istis canonibus, libris seu tractatibus in aliqua bona forma sacro concilio proponere causa generalis salutis ad avisandum et presens scriptum abbreviare et meliorare. Liber primus est liber sancti Bernhardi De consideracione2 ad Eugenium papam, in quo beatus Bernardus asserit tres raciones, quod non de paucis patriis sed de toto orbe terrarum cardinales eligendi sunt, qui sic electi ulte-

1 2

Ad laudem, unten Kap. 3, Text in Nr. 14 b S. 500. IV 9 ed. Rochais-Leclerq III S. 456.

9. JOB VENER VORSCHLAG ZUR KIRCHEN- UND REICHSREFORM Vorschlag der heiligen Kanones und Doktoren der katholischen Kirche über die Wahl des Papstes und der Kardinäle nach den Erfordernissen der Verfassung der heutigen Kirche; ferner Vorschlag, wie dieses heilige Konzil von Konstanz in Kürze einen heilsamen Abschluß finden kann. Geschrieben zur Berichtigung und Verbesserung durch einen jeden Christgläubigen.

[1] Zur immerwährenden Ehre des allmächtigen Gottes, der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria und der ganzen triumphierenden Kirche sowie zu Frieden und immerwährender Eintracht der streitenden Kirche wird – damit die Wahl des künftigen Römischen Bischofs und Papstes gemäß den heiligen Kanones und gemäß den gläubigen Lehren der Lehrer der katholischen Kirche zur rechten gebotenen Zeit möglichst fromm, lauter, vollkommen und schnell durchgeführt wird, – hiermit demütigst und ergebenst dem hochheiligen Konzil von Konstanz in Form einer Ermunterung, nicht in Form einer Unterweisung folgendes vorgeschlagen: Da die Prälaten und Doktoren des genannten heiligen Konzils, wie zu hoffen steht, den unten aufgeführten Vorschlag 1 über die heilige Wahl des künftigen Papstes und seiner Nachfolger insoweit allgemein kennen, als sie die unten angeführten Kanones, Bücher und Traktate, darüber hinaus auch die vielen anderen Bücher und Traktate von fast allen Gelehrten der heiligen Kirche, die über diesen gnadenreichen Stoff gnadenbringend übereinstimmend geschrieben haben, seit langer Zeit schon in Besitz haben, heute schriftlich besitzen und sorgsam, wie es überaus notwendig ist, ihrem Gedächtnis eingeprägt haben – und sie wahrscheinlich niemals besseres als dies gesehen und erfahren haben, deswegen also mögen diese Prälaten und Doktoren geruhen, die heilige Ordnung der Wahl (oder die Ordnungen) aufgrund dieser Kanones, Bücher oder Traktate in einer guten Form dem heiligen Konzil als Vorschlag vorzulegen wegen des allgemeinen Heils und um gegenwärtiges Schriftstück zu kürzen und zu verbessern. Das erste Buch ist das Buch des heiligen Bernhard ,,Betrachtung“2 an Papst Eugen III., in dem der heilige Bernhard drei Gründe nennt, warum nicht aus nur wenigen Heimatländern sondern aus dem ganzen Weltkreis die Kardi-

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rius possint feliciter eligere papam. Prima racio eius est propter iusticiam servandam. Quilibet enim melius cognoscit condiciones sue patrie. Ideo dicit: An non eligendi sunt de toto orbe orbem iudicaturi?3 2o propter carnalem affeccionem removendam. Si enim de paucis patriis eligantur, non opinatur, quod aliter fiat nisi vel precum intervencione vel carnis et sanguinis affeccione. Ex quo, ut dicit, sequitur scandalum non solum pusillorum ymo maiorum de ecclesia. 3o propter unitatem in populo christiano nutriendam. Contemptus enim est causa divisionis et scismatis in ecclesia. Principale enim motivum scismatis Grecorum fuit eorum contemptus, quod ad ecclesiasticos honores non assumebantur. Si ergo de qualibet patria cardinales non assumuntur, divisiones et scismata in ecclesia generantur.4 Hec sentencialiter scribit beatus Bernardus in libro preallegato. Item alius solempnis liber habetur in presenti sacro concilio, continens latissime pro et contra hanc sacram eleccionis materiam et plura alia salutaria de reformacione ecclesie per modum questionum iuxta formam et magnitudinem voluminis 2e 2e sancti Thome,5 scriptus ante multos annos ad Iohannem papam XXII.,6 intitulatus De ecclesiastica potestate, fratris Augustini de Ancona ordinis Heremitarum sancti Augustini.7 In quo inter cetera eadem scripta ponuntur, que dicta sunt de libro beati Bernardi, cum solucionibus argumentorum in contrarium dictis beati Bernardi et specialiter solucio istius argumenti: 8De Iudea solum apostoli fuerunt vocati,8 ergo cardinales eligi possunt de una lingua vel patria. Respondet in eodem libro, quod illa eleccio tunc temporis facta fuit 9propter duo: primo quia de alia patria assumi non poterant nondum fide Christi alibi predicata; 2o quia Christus secundum carnem solum ex Iudeis natus est. Ideo eius apostoli, per quos Christus cunctis gentibus erat nunciandus, solum ex Iudeis vocandi erant.9 Sed nunc temporis de omni provincia cardinales sunt eligendi, prout ibidem solempniter concluditur propter raciones ibidem positas. Tercium librum seu tractatum scripsit ante XX annos quidam famosus sacre theologie doctor magister Henricus de Hassya 10 in generali studio Wiennensi in partibus Germanie et eundem pro tunc diligenter in ecclesia dei divulgavit et Epistolam pacis intitulavit, tractantem eleganter modos reformacionis ecclesie cum predicto modo eligendi cardinales, qui sic electi ulterius eligant papam. 3

Ebenda. Ebenda. 5 Thomas Aquin., Summa theologica, Buch 2 des Teil 2. 6 Papst 1316–1334. 7 Schüler des Thomas v. Aquin. Die Stelle gedruckt bei Heimpel S. 1313. 8–8 Heimpel S. 1313. 9–9 Ebenda. 10 Siehe Einleitung oben S. 15 Anm. 35. 4

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näle gewählt werden können. Sein erster Grund ist: wegen der Wahrung der Gerechtigkeit. Jeder kennt nämlich die Lage seines Heimatlandes am besten. Deshalb sagt er: Müssen nicht die aus dem ganzen Erdkreis ausgewählt werden, die über den Erdkreis richten?3 Zweitens wegen Beseitigung fleischlicher Leidenschaft. Wenn sie nämlich aus nur wenigen Ländern ausgewählt werden, kann man sich nicht vorstellen, daß es anders geschieht als mittels Bettelei sowie durch fleischliche Leidenschaften oder Blutsbindungen. Daraus folgt, wie er sagt, ein Ärgernis in der Kirche nicht nur für die Kleinen sondern auch für die Großen. Drittens zur Förderung der Einheit im christlichen Volke. Verachtung ist nämlich der Grund zur Spaltung und zum Schisma in der Kirche. Der wesentliche Beweggrund zum Schisma der Griechen war deren Verachtung, so daß man sie nicht zu kirchlichen Ehren zuließ. Wenn die Kardinäle also nicht aus jedem Vaterland genommen werden, entstehen immer wieder in der Kirche Spaltungen und Schismen.4 Dies schreibt der heilige Bernhard im vorgenannten Buch wortwörtlich. Ein weiteres bedeutendes Buch wird auf gegenwärtigem heiligen Konzil gehandelt, es enthält ausführlich das Für und Wider dieses Stoffes der heiligen Wahl und vieles andere Heilsame zur Reform der Kirche in der Art von Untersuchungen nach dem Muster und dem Umfang der Secunda Secundae der [Summa] des heiligen Thomas 5, vor vielen Jahren an Papst Johannes XXII.6 geschrieben, mit dem Titel: ,,Die kirchliche Gewalt“, von Bruder Augustin von Ancona 7 vom Orden der Eremiten des heiligen Augustinus. Dabei werden unter anderem dieselben Bücher zitiert, die in dem Buch des heiligen Bernhard genannt werden, mit Antworten auf Argumente, die im Gegensatz zu den Worten des heiligen Bernhard stehen, besonders die Antwort auf folgendes Argument: 8Die Apostel wurden nur aus dem Lande Judäa berufen;8 also können die Kardinäle aus einem Sprachraum oder einem Vaterland ausgewählt werden. Er antwortet nun darauf in diesem Buch damit, daß jene Berufung zu jener Zeit 9aus zwei Gründen geschah: 1. weil sie gar nicht aus einem anderen Volk genommen werden konnten, denn woanders war der Glaube Christi noch nicht gepredigt; 2. weil Christus dem Fleische nach nur von den Juden geboren ist. Deswegen mußten seine Apostel, durch die Christus allen Völkern verkündet werden sollte, allein von den Juden berufen werden.9 In heutiger Zeit aber müssen die Kardinäle aus jeder Gegend ausgewählt werden, wie dort ausdrücklich wegen der dabei dargelegten Gründe logisch geschlossen wird. Das dritte Buch oder den dritten Traktat hat ein berühmter Doktor der heiligen Theologie, Magister Heinrich 10 von Hessen, von der Universität Wien in Deutschland, vor 20 Jahren geschrieben und es damals sorgfältig in der Kirche Gottes verbreitet; er nannte es Brief des Friedens[konzils], und behandelt treffend die [verschiedenen] Arten der Reform der Kirche, zusammen mit der zuvor genannten Art, die Kardinäle auszuwählen, die nach ihrer Wahl den Papst wählen sollen. C 9 Reformvorschläge: Reformliteratur

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Quartum et quintum libros seu tractatus promulgavit in hoc sacra concilio ante plures menses quidam magnus prelatus et doctor.11 Unum ex hiis intitulavit De potestate ecclesiastica, alium De reformacione ecclesie.12 Et in tractatu de ecclesiastica potestate hec verba posuit in forma:13 Manifeste videtur, quod esset optimum regimen, si sub uno papa eligerentur plures de omni et ab omni provincia; et tales deberent esse cardinales, qui cum papa et sub eo ecclesiam regerent et usum plenitudinis potestatis temperarent. Et hoc notari videtur per c.’Per venerabilem, Extra: Qui filii sint legitimi’14 in verbo ‘Sunt autem sacerdotes Levitici generis.’ Ad idem facit, quod cardinales sunt pars corporis pape eius coadiutores, ut ‘De iure iurando, Ego N.’ et ‘De eleccione, c.Fundamenta li.VI.’15.In tractatu autem de reformacione ecclesie hec verba in forma posuit: Secunda consideracio . . . incolarum.16 Hec ibi. Isti quinque libri seu tractatus et sacri canones pervenerunt ad manus fere omnium in hoc sacro concilio fideliter laborancium et divulgati sunt aut divulgabuntur per totam christianitatem ad omnes doctores et fideliores, et multo plures doctores ecclesie concordarunt istis, ut vere creditur. Scripserunt, et nullus contrarium nisi quidam, qui ignorant, qui tante auctoritati et bonitati scripserunt in contrarium quandam cedulam, que incipit Ad laudem,17 que inferius racionabiliter reprobabitur. Idcirco, o sacrosancta Constanciensis generalis syode in spiritu sancto legitime congregata, sponsa omnipotentis dei, 18specie tua et pulchritudine tua intende, prospere procede et regna!18 Intende, quod non solum tuo sanctissimo corpori, cuius Christus caput est, et corpus tuum corpus Christi est,19 sed cuilibet tuo membro a Christo Ihesu capite tuo dictum est: Si credideritis omnia, que ego facio, et vos facietis et maiora horum.20 Intende, quod 21qui manet in caritate, in deo manet et deus in eo.21 Intende, quomodo 22omnia vestra, vos autem Christi.22 Et 23omnia donavit nobis dominus cum Christo.23 24Esto ergo perfecta, sicut pater tuus celestis perfectus est.24 Statuas ergo, declara et decerne super tam salutari advisamento tantorum doctorum et sacrorum canonum superhabundanti cautela et pro declaracione et divulgacione eorundem doctorum et ca-

11

Pierre d’Ailly. Siehe oben Nr. 8 S. 338. 13–13 Ed. v. d. Hardt VI Sp. 51. 14 * X 4.13. 15 * X 2.24; VI 1.6.17. 16 Siehe oben Nr. 8 Abschnitt 2, 1. Absatz S. 348. 17 Unten Nr. 14 b S. 500. 18–18 Ps 44, 5. 19 Col 1 18. 20 Vgl. Joan 12, 44. 12

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Das vierte und fünfte Buch, bzw. den vierten und fünften Traktat hat vor mehreren Monaten auf diesem heiligen Konzil ein großer Prälat und Gelehrter 11 herausgegeben. Das eine hat er Die kirchliche Amtsgewalt, das andere Die Reform der Kirche12 genannt. In dem Traktat über die kirchliche Amtsgewalt hat er folgende Worte gebraucht: 13Es wird damit klar, daß es die beste Herrschaftsform wäre, wenn unter dem einen Papst mehrere aus und von jeder Provinz ausgewählt würden; diejenigen müßten Kardinäle sein, die zusammen mit dem Papst und unter ihm die Kirche leiten und den Gebrauch der Vollgewalt mäßigen sollen. Dies dürfte die Dekretale Per venerabilem*14 sagen wollen bei jener Stelle: Die Priester des Stammes Levi sind [Unsere Freunde]. Ebendazu trägt auch bei, daß die Kardinäle ein Teil des Leibes des Papstes und seine Mitarbeiter sind.*15 13 In dem Traktat über die Reform der Kirche hat er folgendes wörtlich gesagt: Die zweite Überlegung . . . Einwohner16 Das steht dort. Diese fünf Bücher oder Traktate und die heiligen Kanones sind in die Hände fast aller gelangt, die sich hier auf dem heiligen Konzil abmühen, sie wurden oder werden später noch überall in der ganzen Christenheit zu allen Gelehrten und treu Glaubenden verbreitet; noch weit mehr Gelehrte der Kirche stimmen mit ihnen überein, wie man gewißlich glaubt. Sie haben es geschrieben, und niemand hat etwas Gegenteiliges geschrieben – abgesehen von einigen, die keine Ahnung haben und die im Gegensatz zu solcher Autorität und Vorzüglichkeit einen gewissen Antrag eingebracht haben, der beginnt Ad laudem17 und der hier weiter unten mit Vernunftgründen zurückgewiesen werden wird. Deshalb: O hochheiliges Allgemeines Konzil von Konstanz, im Heiligen Geist rechtens versammelt, du Braut des allmächtigen Gottes, 18erhebe dich in deiner Hoheit und Pracht, selig ziehe dahin und besitze das Reich!18 Hab darauf Acht, daß nicht nur für deinen hochheiligen Leib, dessen Haupt Christus ist – und dein Leib ist der Leib Christi 19 –, sondern für jedes deiner Glieder von deinem Haupte Jesus Christus gesagt worden ist: Wenn ihr alles glaubt, was ich tue, werdet ihr noch größeres als dies tun.20 Hab acht: 21Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.21 Beachte auch: 22Alles ist euer, ihr aber seid Christi.22 und: 23Alles hat uns der Herr mit Christus geschenkt.23 24Darum sollst du vollkommen sein, gleichwie dein Vater im Himmel vollkommen ist.24 Stell also fest, erkläre und entscheide auf der Grundlage eines so heilsamen Vorschlags so bedeutender Doktoren und der heiligen Kanones zur an sich überflüssigen Sicherheit und zur Erklärung und Verbreitung dieser Doktoren und Kanones über 21–21 22–22 23–23 24–24

1 Joan 4, 16. 1 Cor 3, 22 f. Vgl. Rom 8, 32. Matth 5, 48.

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nonum solempnia decreta, et propria tua diligentissima execucione et practica confirma, habendo deum et salutem omnium et XI motiva inferius descripta pre oculis tuis. Si feceris hoc, sencies te ab omnipotenti deo plus quam umquam prius esse exauditam in dominica oracione, qua petis: Adveniat regnum tuum, fiat voluntas tua sicut in celo et in terra.25 Quod secundum Apostolum est 26iusticia, pax et gaudium in spiritu sancto.26 Quod sacro concilio et toti militanti ecclesie prestare dignetur ille, cuius causa agitur, videlicet pater et filius et spiritus sanctus. Amen.

[II] Si predictorum doctorum ecclesie avisamentum diligenter consideratur, tunc presens periculosa discordia de eleccione pape ideo durare videtur, quod avisamentum tam racionabile et tante auctoritatis in hoc sacro concilio propositum non est, et si propositum, tunc levipensum est. Ista enim cedula, que incipit Ad laudem, gloriam et honorem,27 implicite videtur continere, quod nacio Ytalica et Gallica cardinalatum et consecutive papatum soli obtineant, sicut hactenus ducentis annis 28 vel quasi obtinuerunt, quibus sanctissima christianitas im omnem terram dilatata per predicaciones apostolorum Christi sub ipsorum regimine in parvum spacium mundi est redacta, licet hoc non tantum culpe ipsorum, sed omnium christianorum, qui sciverunt et potuerunt illud aliquo modo impedivisse, imputandum est. Asscribendum est tamen rectoribus christianitatis, videlicet predictis duabus nacionibus Ytalice et Gallicane isto respectu, quod solum regimen illarum duarum nacionum vel aliorum de paucis patriis non sufficit regimen ecclesie. Ideo in hoc sacro concilio optimi viri de omni nacione et omni provincia christianitatis, in quantum humanitus per dei graciam possibile est, ipsis duabus nacionibus, que nunc cardinalatum possident, adiungendi sunt secundum doctorum ecclesie advisamentum predictum in exoneracionem ipsorum, et non solum toti christianitati, sed toti generi humano in salutem. Idem enim spacium orbis, quod summo pontifici et predictis cardinalibus obedire consuevit, heresibus, scismatibus, guerris, raptoribus corruptum est et cum symonia in beneficiis et ordinibus ita repletur, quod vix scitur, quis sacerdos secundum ius commune execucionem habeat sui officii, precipue in partibus Germanie, et ceteris viciis singulis tam miserabiliter destructum est, quod

25

Matth 6, 10. Rom 14, 17. Wie oben Anm. 17. Also etwa Innozenz III. 1198–1216.

26–26 27 28

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die feierlichen Dekrete und bekräftige sie mit deiner höchst eigenen sorgfältigen Befolgung und Handhabung, indem du dir Gott und das Heil aller sowie die unten beschriebenen 11 Gründe vor Augen hältst. Wenn du das tust, wirst du spüren, daß du vom allmächtigen Gott mehr als jemals zuvor im Gebet des Herrn erhört worden bist, wo du bittest: Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.25 Dies ist nach dem Apostel 26 Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem Heiligen Geiste.26 Das möge dem heiligen Konzil und der ganzen streitenden Kirche der gnädig gewähren, dessen Sache hier verhandelt wird, also der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen. C 9 Reformvorschläge: Kardinalsauswahl

[2] Wenn man den Vorschlag der genannten Doktoren der Kirche sorgfältig erwägt, dann kommt man zu der Einsicht, daß jetzt die gegenwärtige gefährliche Zwietracht wegen der Wahl des Papstes deshalb so von Dauer ist, weil der so vernünftige und von so hoher Autorität gestützte Vorschlag auf diesem heiligen Konzil nicht vorgelegt, oder wenn vorgelegt, dann geringgeschätzt worden ist. Denn die Vorlage, die beginnt Zum Lobe, zum Ruhm und zur Ehre27 hält anscheinend unausgesprochen daran fest, daß die italienische und französische Nation das Kardinalat und folglich das Papsttum allein innehaben sollen, wie sie es seit bislang ungefähr zweihundert Jahren 28 innegehabt haben, in denen die hochheilige Christenheit, die durch die Predigt der Apostel Christi über die ganze Erde verbreitet war, nun unter ihrer Herrschaft auf einen kleinen Raum der Welt eingeschränkt worden ist; obgleich das nicht nur deren Schuld, sondern der aller Christen zuzuschreiben ist, die davon wußten und es irgendwie hätten verhindern können. Man muß es jedoch den Leitern der Christenheit zuschreiben, also in dieser Hinsicht den beiden genannten Nationen Italien und Gallien, daß allein eine Leitung durch diese beiden Nationen oder durch eine andere von wenigen Ländern als Leitung der Kirche nicht hinreicht. Deswegen müssen auf diesem heiligen Konzil die besten Männer aus jeder Nation und jeder Provinz der Christenheit, so weit es mit Gottes Gnade menschlich möglich ist, diesen beiden Nationen hinzugefügt werden, die jetzt das Kardinalat besitzen; dies dient, gemäß dem genannten Vorschlag der Doktoren, der Kirche zu ihrer Entlastung sowie nicht nur der ganzen Christenheit, sondern dem ganzen Menschengeschlecht zum Heil. Denn derselbe Raum des Erdkreises, der dem Heiligen Vater und den genannten Kardinälen zu gehorchen gewohnt war, ist so durch Ketzereien, Spaltungen, Fehden und Räubereien verderbt und so mit Simonie bei den Pfründen und Weihegraden erfüllt, daß man kaum weiß, welcher Priester besonders in deutschen Landen die Ausübung seines Amtes nach dem allge-

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excepta sola sanctissima fide, que magis in simplicibus hominibus reperitur quam litteratis, vix est in paganismo locus tam magnus ita miserabiliter in naturalibus bonis moribus destructus. Iherusalem et tota Terra Sancta subversa est, regna et provincie mundi, videlicet Grecia, Armenia, Asia, India, Ethiopia, Achaia et alia regna in multitudine vix credibili, de quibus in libris diversis cosmographie 29 scribitur, scismatica et heretica facta sunt. Et licet omnia predicta regna vel quasi hodierna die in christiano nomine glorientur, non tamen pro eorum reduccione ad unitatem fidei christiane umquam attemptata videtur aliqua diligencia notabilis, possibilis et facilis ecclesie Romane et catholice. Et cum non in tantum differant a fide vera Christi, quin sit probabilis spes, quod possint de facili in catholica fide nobiscum uniri. Et multo minor diligencia facta videtur pro Iudeis, Sarracenis et aliis paganis eciam illorum paganorum et Iudeorum, qui sub potestate et iurisdiccione principum christianorum habitant. Romana civitas capitanea christianitatis et olim tocius orbis, ubi frequencius habitant iste due naciones, in spiritualibus satis destructa est et in temporalibus plus desolata quam aliqua civitas paganorum. Sacrum imperium, quod dotavit, exaltavit et defendebat ecclesiam dei, quasi in nichilum redactum est. Omnes virtutes quasi videntur in exilium relegate, et undique vicia dominantur, nec tot virtutes in ducentis annis videntur per omnes regentes ecclesiam facta fuisse, sicut aliquando de unico sancto leguntur. Patet hec malicia in pluribus cronicis, specialiter venerabilis magistri Theoderici de Nyem,30 et in libris et tractatibus scriptis pro remediis et reformacione tantorum malorum, videlicet in tractatu, qui Speculum aureum Symonie31 appellatur, et in illo, qui incipit Moyses.32 Item in 33apostolis refutatoriis, quas alma nacio Gallicana dedit, ut dicitur, procuratorii fiscali camere apostolice 33 et in tractatibus prescriptorum doctorum ecclesie de potestate et reformacione ecclesie tractancium necnon in sermonibus in hoc sacro con-

29 In Hss. Randnotizen: Cosmographia iam communiter in christianitate ignoratur, que tamen omnibus aliis scienciis preponitur in libro Sapiencie c. VII – Die Erdkunde wird allgemein in der Christenheit vernachlässigt, obgleich sie im Buch der Weisheit (Sap 7, 17) allen Wissenschaften vorgezogen wird. – Item LXXII sunt lingue seu ydeomata tocius orbis, ex quibus tantum sex vel quasi videntur obedire ecclesie catholice. – Ebenso gibt es auf dem ganzen Erdkreis 72 Sprachen oder Dialekte, von denen nur sechs oder so der katholischen Kirche gehorchen.

C 9 Reformvorschläge: Kardinalsauswahl

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meinen Recht besitzt, und er ist durch all die übrigen Laster so elend verkommen, daß außer allein dem hochheiligen Glauben, der sich mehr bei den einfältigen Leuten findet als bei den Gelehrten, im Heidenland kaum ein entsprechend weites Gebiet so elendiglich in den natürlichen guten Sitten verdorben ist. Jerusalem und das ganze Heilige Land ist verlorengegangen, Königreiche und Provinzen der Welt, wie Griechenland, Armenien, Asien, Indien, Äthiopien, Achaja und andere Reiche in kaum glaublicher Menge, über die in den verschiedenen Büchern der Kosmographie 29 geschrieben wird, sind schismatisch und häretisch geworden. Mögen sich auch heutzutage nahezu alle vorgenannten Reiche ihres christlichen Namens rühmen, so hat man anscheinend niemals für ihre Rückführung zur Einheit des christlichen Glaubens irgendeine bemerkenswerte, mögliche und für die Römischkatholische Kirche zu bewerkstelligende Aufmerksamkeit versucht. Und da sie nicht besonders vom wahren Glauben Christi abweichen, gibt es doch eine begründete Hoffnung, daß sie sich mit Leichtigkeit mit uns im katholischen Glauben einigen können. Noch weit geringere Mühe scheint den Juden, den Sarazenen und anderen Heiden gegenüber aufgebracht worden zu sein, auch gegenüber denen von den Heiden und Juden, die unter der Amtsgewalt und Herrschaft christlicher Fürsten leben. Die Römische Gemeinde, Hauptgemeinde der Christenheit und einst des ganzen Erdkreises, wo diese beiden Nationen zumeist wohnen, ist im Geistlichen völlig zerrüttet und im Weltlichen mehr verwüstet als irgendeine Stadt der Heiden. Das heilige Kaisertum, das die Kirche Gottes beschenkt, erhöht und verteidigt hat, ist fast vernichtet worden. Alle Tugenden sieht man gewissermaßen in die Verbannung gedrängt, allenthalben herrscht das Laster, und man sieht nicht, daß in zweihundert Jahren von allen Leitern der Kirche zusammen so viele gute Taten vollbracht worden sind, wie man es früher von einem einzigen Heiligen lesen konnte. Diese mißliche Lage ist in vielen Chroniken, besonders in der des ehrwürdigen Magisters Dietrich von Nieheim,30 und in Büchern und Traktaten offen dargelegt, die zur Heilung und Reform so vieler Übel niedergeschrieben wurden, etwa in dem Traktat Goldener Spiegel der Simonie31 und in dem Buch mit dem Anfangswort: ,,Moses“.32 Ebenfalls aus der 33Zurückweisung von abzufordernden Appellationsschreiben, die die großmütige französische Nation, wie es heißt, dem Fiskalprokurator der Apostolischen Kammer erteilt hat,33 aus den Traktaten der zuvor genannten Doktoren der Kirche über Amtsgewalt und Reform der Kirche sowie aus den Predigten, die auf diesem 30

Ed. MGH Staatsschriften 5. Paulus Wladimiri, Speculum aureum. Siehe Einleitung oben S. 21. 32 Matthäus von Krakau, siehe oben Nr. 1 S. 60. 33–33 Schreiben von Nov 1416 wegen der Annaten. 31

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cilio factis. Item in libro generalium conciliorum habitorum in temporibus nos precedentibus.34 Item in libro egregii doctoris Iohannis de Deo Hyspani De penitencia et confessionibus35 et in 36Summa Ostiensis De penitencia36 et in aureo repertorio Speculatoris,37 ubi in particulari videntur omnium statuum mundi defectus et peccata, que fidei et rei publice per mala exempla summe sunt nociva, quibus communiter maior pars christianorum publice peccare solet ad libitum, eciam, quod peius est, absque omni impulsu nature aut aliquo lucro vel delectacione, sed ex sola mala consuetudine, quam eciam pagani non habent. Contra que nulla remedia vel cautele efficaces iuris vel statutorum exercentur seu exequuntur. Et ex istis scriptis et similibus aptissime fieret christianitatis reformacio et in pluribus aliis scriptis. Quos libros, tractatus, cronicas, sermones cum libris provincialium conciliorum tam religiosorum quam secularium quilibet iuratus huic sacro concilio 38 sub statuta pena in scriptis habere deberet aut solus vel cum decem aliis; aut saltem iurati de qualibet provincia predictas scripturas pro omnibus iuratis tenere deberent, ita quod quilibet iuratus sciret, in quibus reformanda esset dei ecclesia et qualiter quondam sepius fuit reformata. Nunc autem quasi in ultimo periculo submersionis navicula sancti Petri merito trepidante per scisma horrendum XL annorum, quod eedem due naciones sub regimine suo fovebant, et reformacionem per sacrosanctam Constanciensem synodum tota christianitate desideratissime tantis longis temporibus expectante et sperante advisamentum predictum omnium doctorum ecclesie, qui de reformacione ecclesie videntur scripsisse, a magna parte prelatorum earundem duarum nacionum et a quibusdam cardinalibus, ut dicitur, contempnitur et aliud advisamentum, cum quo ipsi soli papatum et cardinalatum usurpare possint, divulgatur, et ut cetere naciones maiorem partem christianitatis facientes tamquam spiritualiter leprose 39 excludantur a regimine sui proprii mistici corporis, videlicet ecclesie, per istos laboratur, cum tamen experiencia docente iste due naciones sole christianitatem regere non potuerunt.

34 Wohl Wilhelm Duranti d. J. († 1330), Tractatus de modo celebrandi concilii generalis. Vgl. oben Nr. 8 Anm. 56 u. Einleitung S. 3 f. 35 Der Liber penitenciarius des portugiesischen Dekretisten João de Deus († 1267). 36–36 Heinrich von Segusio, Dekretalist, 1262 Kard. Dekan v. Ostia, † 1270. Hier seine Summa aurea V 38. 37 Wilhelm Duranti d. Ä. († 1296), Breviarium aureum oder Repertorium juris canonici. 38 = also jedes Mitglied des Konzils. 39 Vgl. Is 53, 4; Matth 8, 17.

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heiligen Konzil gehalten wurden. Ferner in dem Buch über die in den uns voraufgegangenen Zeiten abgehaltenen allgemeinen Konzilien.34 Außerdem im Buch des bedeutenden spanischen Doktors Johannes de Deo ,,Über Buße und Beichte“,35 die 36Summe des Ostiensis ,,Über Buße“,36 auch im goldenen Handbuch des Speculators,37 aus dem im einzelnen die Fehler und Sünden aller Stände der Welt ersehen werden können, die dem Glauben und der Gemeinschaft durch schlechte Beispiele überaus schädlich sind; dagegen pflegt ein Großteil der Christen gemeinhin öffentlich nach Gutdünken zu sündigen, auch, was noch schlimmer ist, ohne jeden Drang der Natur, ohne Nutzen und Lustgewinn, einfach aus einer schlechten Gewohnheit, die selbst die Heiden nicht haben. Dagegen werden keine Heilmittel oder wirksamen Vorsichtsmaßnahmen des Rechts oder der Satzungen geübt oder angewendet. Doch mit diesen und ähnlichen Schriften könnte die Reform der Christenheit auf passendste Weise durchgeführt werden; auch mit vielen anderen Schriften. Diese Bücher, Traktate, Chroniken und Predigten sollte – zusammen mit den Protokollen der Provinzialkonzilien der Ordensleute und der Weltpriester – jeder, der dem heiligen Konzil seinen Eid geleistet hat,38 bei festgesetzter Strafe schriftlich in Besitz haben müssen, entweder allein oder mit zehn anderen zusammen; oder zumindest sollten Konzilsmitglieder aus jeder Kirchenprovinz die Schriften für alle anderen Konzilsmitglieder bereithalten, so daß jeder wüßte, in welchen Dingen die Kirche Gottes reformiert werden müßte und wie sie früher des öfteren reformiert wurde. Jetzt aber, da sich das Schifflein Petri sozusagen in der äußersten Gefahr eines Untergangs befindet und darüber zu Recht besorgt ist – wegen des schrecklichen Schismas von 40 Jahren, das diese selben zwei Nationen unter ihrer Herrschaft gefördert haben –, und da die ganze Christenheit aufs sehnlichste in all diesen Jahren die Reform durch das hochheilige Konzil von Konstanz erwartet und erhofft, wird der genannte Vorschlag aller Doktoren der Kirche, die, wie es scheint, über die Reform der Kirche geschrieben haben, von einem Großteil der Prälaten dieser beiden Nationen und von gewissen Kardinälen, wie es heißt, verachtet, es wird ein anderer Vorschlag, mit dem sie allein das Papsttum und das Kardinalat für sich behalten können, verbreitet; auch damit die übrigen Nationen, die die Mehrheit der Christenheit bilden, gleichsam als geistlich aussätzig 39 von der Leitung ihres eigenen mystischen Leibes, also der Kirche, ausgeschlossen werden, strengen sich diese beiden Nationen mächtig an, während sie doch, wie die Erfahrung lehrt, allein die Christenheit nicht haben leiten können. C 9 Reformvorschläge: Provinzialkonzil

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[III] Sequitur predictum avisamentum quorundam personarum predictarum duarum nacionum et quorundam de nacione Hispanica et est tale: Ad laudem . . . supplente.40 Et iste est tenor avisamenti supradicti. Et dicitur, quod loco presentis avisamenti datum sit aliud quasi idem in effectu, cui multi prelati huius sacri concilii consenserunt et in testimonium sui consensus nomina sua cum propria manu subscripserunt. Quod quia habere non potui, ideo ipsum presenti scripto non imposui. Quod autem ad immediate prescriptam cedulam sequatur, quod sola nacio Ytalica et Gallica papatum et cardinalatum possideant, cum quo causa presentis scismatis continuatur, sic potest probari: Quia iam sunt in concilio generali XXII vel XXIII cardinales Ytalici et Gallici, inter quos nullus est de aliis nacionibus, ut dicitur, nisi duo Hispani. Si ergo, ut predicta cedula vel predictum avisamentum postulat, de qualibet nacione adiungantur ipsis cardinalibus ad maximum quinque 41 notabiles persone, que cum cardinalibus eligant futurum papam, erunt isto modo persone eligentes papam XLVIII vel quasi, et ex hiis electoribus erunt solummodo quindecim de tribus nacionibus, que maiorem partem in duplo christianitatis constituunt, et duo Hispani cardinales et residui omnes erunt de duabus nacionibus, videlicet XXXIIII vel quasi, et sic minor pars christianitatis excedit in duplo maiorem partem christianitatis. Ecce ergo qualem equitatem desiderant illi, qui subscripserunt se predicte cedule vel ipsius simili in effectu vel quasi. Et ergo, cui est dubium, quin tales, qui pro nichilo reputare volunt avisamentum omnium doctorum ecclesie scribencium de reformacione, quod errorem errori cumulando eligant secundum affeccionem suarum nacionum, sicut ab antiquo consueti sunt, et non secundum veritatem ipsum papam et papas futurum et futuros et regant ecclesiam dei secundum scandala, crimina et pericula consueta, donec non maneat fides super terram, et omnis homo semper timere habeat a quolibet homine sibi eciam propinquiori et dilecciori intoxicari, sicut fere iam omnes principes christiani timent, ut patet per eorum credencias,42 nec quidem papa sit securus pre cardinalibus, qui eius papatum habere desiderant et ambiunt. Et quod ulterius est timendum: ultra Constanciensem civitatem dicuntur esse septem cardinales, qui eciam omnes sunt Ytalici et Gallici. Si ergo eciam papa erit Ytalicus vel Gallicus, ut verisimiliter probatum est, et triginta cardinales omnes Gallici et Ytalici preter duos Hyspanos, quid ergo

40 41 42

Text dieses Antrags und Dekret unten Nr. 14b S. 500. Wohl damals diskutierte Zahl; vgl. unten Nr. 14b S. 500 bei Anm. 3. Vorkosten des Schenken wegen etwaiger Vergiftung.

C 9 Reformvorschläge: Papstwahl

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[3] Es folgt besagter Vorschlag einiger Leute dieser zuvor genannten Nationen und gewisser Leute aus der spanischen Nation; er hat folgenden Wortlaut: Zum Lobe . . . beseitigt.40 Dieses ist der Inhalt der oben genannten Vorlage. Es heißt, anstelle des zitierten Vorschlags sei auch ein fast gleichlautender eingereicht worden, dem viele Prälaten dieses heiligen Konzils zugestimmt und zum Zeugnis ihrer Zustimmung ihre Namen mit eigener Hand unterschrieben haben. Weil ich diese Vorlage nicht erhalten konnte, habe ich sie dieser Schrift nicht eingefügt. Daß es sich aber aus diesem soeben zitierten Antrag unmittelbar ergibt, daß allein die italienische und französische Nation Papsttum und Kardinalat besitzen, womit der Grund für das gegenwärtige Schisma bestehen bleibt, kann so bewiesen werden: Es gibt derzeit auf dem allgemeinen Konzil 22 oder 23 italienische und französische Kardinäle; von ihnen stammt, wie es heißt, keiner aus den anderen Nationen, außer zwei Spaniern. Wenn also aus jeder Nation, wie es der vorgenannte Antrag oder die genannte Vorlage fordert, diesen Kardinälen höchstens fünf 41 bedeutende Personen beigesellt werden, die dann zusammen mit den Kardinälen den künftigen Papst wählen sollen, ergibt das nur etwa 48 Papstwähler, und von diesen Wählern werden nur 15 aus den drei Nationen kommen, die doch zwei Drittel der Christenheit ausmachen; die beiden spanischen Kardinäle und alle übrigen aus den beiden Nationen machen also etwa 34 aus; so übertrifft die Minderheit der Christenheit die Mehrheit der Christenheit um das Doppelte. Seht, was für eine Gleichheit diejenigen ersehnen, die ihre Unterschrift unter diesen Zettel oder auch auf einen ähnlichen Antrag gesetzt haben! Wem ist es also zweifelhaft, daß diejenigen, die den Vorschlag aller Doktoren der Kirche, die über die Reform schreiben, für nichts erachten wollen, Irrtum auf Irrtum häufen? Sie ziehen es vor, gemäß ihrer Vorliebe für ihre Nationen, wie sie es seit alter Zeit gewohnt sind, und nicht gemäß der Wahrheit, diesen und die künftigen Päpste zu wählen und die Kirche Gottes gemäß den gewohnten Ärgernissen, Verbrechen und Gefahren zu leiten, bis es keinen Glauben mehr auf Erden gibt – und jeder Mensch hat zu fürchten, von jedermann, selbst einem, der ihm näher steht oder vertraut ist, vergiftet zu werden, so wie es jetzt schon fast alle christlichen Fürsten fürchten, wie aus ihren Kredenzen 42 hervorgeht –, und nicht einmal der Papst ist vor den Kardinälen sicher, die nach seinem Papsttum lechzen und buhlen. Ferner ist zu fürchten: Außerhalb von Konstanz gibt es, wie man erzählt, noch sieben Kardinäle, die alle Italiener und Franzosen sind. Wenn also auch der Papst ein Italiener oder Franzose ist, wie als wahrscheinlich dargelegt ist, und die dreißig Kardinäle bis auf zwei Spanier alle Franzosen und Italiener – was wird es dann anderes geben, als C 9 Reformvorschläge: Papstwahl

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erit nisi quod iste due naciones plus eligent secundum carnalitatem omnes futuros cardinales et papas quam secundum iusticiam et equitatem, ut 43hereditate possideant sanctuarium domini.43 Et qualiter tunc erit vel stabit ecclesie reformacio, reformacionis execucio, ipsius continua melioracio, sicut continue necessarium est fieri? Eciam ex predicta cedula sequitur, quod in casu, qui faciliter contingere potest, nullus eligetur in papam multis temporibus, quia, si cardinales concordant in aliquem de suis duabus nacionibus, et XV de tribus eis adiuncti eligent aliquem de alia nacione, sic diu potest hoc continuari, vel iterum isto modo faciliter unus de predictis duabus nacionibus eligetur per hoc, quod tantum quatuor de predictis quindecim minis, donis, promissionibus corrumpi possunt, et sic habent maiorem partem, et maxime quia forsitan domini Hyspani plures consencient illis duabus nacionibus. Sperant enim vel sciunt suos cardinales Hispanos decem vel plures aut pauciores, qui iam sunt circa Petrum de Luna,44 se velle unire cum ecclesia catholica, et sic ipsi Hyspani proniores erunt, ut presumitur, ad excludendum Germanorum et Anglicorum naciones, que tamen medietatem tocius christianitatis continent vel quasi. Et si hoc contingit, quod misericordia dei avertat, tunc populus unius lingue christianitatis turpiter excludit contra doctrinas doctorum ecclesie populos christianos quinque linguarum vel plurium a regimine sui proprii mistici corporis, videlicet a corpore sacri collegii pape et cardinalium; et aliqui in populo unius lingue predicte reputabunt, sicut sepe reputare et dicere solent, aliorum christianorum populos 45barbaras naciones 45 in contumeliam et blasphemiam non modicam fidei christiane. Et qui hoc verbis non faciunt, operibus ipsos excludendo perficiunt. O si idem populus unius lingue bene saltem et non pessime multis lustris annorum rexisset ecclesiam, ad hoc misericordia dei ipsos solos in regimine ecclesie dei permisisset. Sed nunc misericordissimus deus omnipotens incipit agere cum eodem populo unius lingue propter sanctos parentes ipsorum et continuabit cum eis misericordiam suam, si intelligere hoc vult idem unius lingue populus, quod ipsorum regimen ecclesie propter innumeras ipsorum iniusticias non mutatur, sicut regna gencium consueverunt ex divino iudicio, sed in sanctissimo regimine et regno adiutorio optimorum de tota christianitate electorum saluberrime confortatur, ad quod omnis bonus homo dicat: 46Fiat, fiat.46 Et non valet, si quis 47 diceret: Germani habent imperium, per quod deus 43–43

Ps 82, 13. Benedikt XIII. 1394–1423. 45–45 Missale Romanum, Karfreitagsgebet für den Röm. Kaiser: . . . ut Deus et Dominus noster subditas illi faciat omnes barbares nationes – daß unser Gott und Herr alle Barbarenvölker ihm untertan mache. 46–46 Ps 105, 48. 47 Vgl. Augustinus Triumphus von Ancona, Summa (wie oben Anm. 7). 44

C 9 Reformvorschläge: Papstwahl

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daß diese beiden Nationen alle künftigen Kardinäle und Päpste mehr nach der Fleischlichkeit auswählen als nach Recht und Gerechtigkeit, so daß sie 43 das Heiligtum des Herrn als Erbschaft besitzen.43 Wie steht es dann mit der Reform der Kirche, der Durchführung der Reform, ihrer ständigen Verbesserung, so wie sie ohne Unterlaß vorgenommen werden muß? Aus dem zuvor genannten Antrag folgt auch, daß in einem Fall, der leicht eintreten kann, für lange Zeit überhaupt kein Papst gewählt wird; denn: Wenn sich die Kardinäle auf einen aus ihren beiden Nationen einigen, andererseits 15 aus den drei anderen Nationen vereint einen aus einer anderen Nation wählen, so kann das lange fortgesetzt werden; oder hinwiederum kann auf diese Weise leicht einer aus den genannten beiden Nationen dadurch gewählt werden, daß nur vier der genannten 15 durch Drohungen, Geschenke und Versprechungen bestochen werden können; so bilden sie dann die Mehrheit, besonders weil höchstwahrscheinlich mehrere Spanier diesen beiden Nationen zustimmen werden. Sie hoffen nämlich oder wisen, daß ihre spanischen Kardinäle, zehn, vielleicht mehr, vielleicht weniger, die jetzt noch bei Pedro de Luna 44 sind, sich mit der katholischen Kirche vereinen wollen, daher also werden diese Spanier eher geneigter sein, wie man vermutet, die Nationen der Deutschen und Engländer auszuschließen, die jedoch annähernd die Hälfte der ganzen Christenheit ausmachen. Wenn das geschieht – was die Barmherzigkeit Gottes verhüten möge –, dann schließt das Volk einer Zunge der Christenheit wider die Lehren der Doktoren der Kirche schändlich die christlichen Völker von fünf oder noch mehr Zungen von der Leitung ihres eigenen mystischen Leibes aus, das heißt vom Leib des heiligen Kollegiums des Papstes und der Kardinäle; und dann werden einige im Volk der einen genannten Zunge glauben, wie sie es oft zu glauben und zu sagen pflegen, die Völker der anderen Christen seien 45‘barbarische Nationen’45, zur nicht geringen Schmach und Beleidigung des christlichen Glaubens. Wer dies nicht ausspricht, der tut es, indem er sie tatsächlich ausschließt. Ach, hätte doch dieses Volk der einen Zunge während der vielen Jahrzehnte die Kirche wenigstens gut und nicht so überaus schlecht geleitet, dann hätte die Barmherzigkeit Gottes sie jetzt allein in der Leitung der Kirche Gottes hingenommen. Doch nun beginnt der allmächtige Gott in seiner übergroßen Barmherzigkeit mit diesem Volk der einen Zunge wegen ihrer heiligen Väter zu handeln, und er wird mit ihnen seine Barmherzigkeit fortsetzen, wenn das Volk der einen Zunge dieses einsehen will: Deren Leitung der Kirche wird wegen ihrer vielen Ungerechtigkeiten nicht geändert, wie es bei den Königreichen der Heidenvölker nach göttlichem Urteil gewöhnlich geschah, sondern bei der hochheiligen Leitung und Herrschaft mit Unterstützung der besten Wähler aus der ganzen Christenheit wird sie gestärkt; dazu sollte jeder gute Mensch sagen: 46"So soll es sein, so soll es sein.“ 46 Es hat auch keine Bedeutung, wenn etwa einer 47 sagt: Die Deutschen haben

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omnipotens dotavit et exaltavit ecclesiam et hodie ecclesiam dei unit et defendit in temporalibus, ergo debent carere assistencia sui spiritualis patris pape et mistici corporis sui proprii, videlicet sacri collegii cardinalium contra avisamentum doctorum ecclesie; ymo veritate debite inspecta ex eadem causa magis deberent assistere pape, de quanto magis dominus imperator. Et ipsi serviunt ecclesie secundum evangelium: Qui maior sit inter vos, sit aliorum minister48 et a contrario sensu: qui magis omnibus serviunt sicut maiores inter vos et secundo, ut maior unio et caritas sit inter sanctum papatum et sacrum imperium, et tercio maxime propter reformacionem sacri imperii, cui per dei graciam optimi viri de omni provincia mundi pro consiliariis assistent sicut cardinales pape, de qua materia inferius lacius dicetur. Nec valet, si quis diceret: Germani nolunt esse cardinales, quia archiepiscopis Maguntinensi, Coloniensi et Treverensi et similibus cardinalatus fuit sepe exhibitus et recusaverunt.49 Respondeo, quod, si cardinalatus exhibitus fuisset magnis doctoribus sacre theologie, provincialibus, prioribus, magistris vel ministris ordinum vel similibus eiusdem nacionis Germanice, forsitan aliqui acceptassent. Sed archiepiscopi predicti iam satis sunt onerati et honorati. O sacrosancta synode, sponsa Christi in terra post deum omnipotentem potentissima, iustissima et sanctissima, appone cum imploracione auxilii dilectissimi sponsi tui remedium contra predicta mala salutare, quia nunc pervenisti directe ad tempus et locum tue salvacionis vel perdicionis! Nunc si 50specie tua et pulchritudine tua intendis, prosperabis 50 et regnabis cum sponso tuo in terra et postea in celo. Si non intendis modo, tanta mala, quibus similia prius non erant nec postea futura sunt, super filios tuos venient iusto dei iudicio. Sequere ergo fideles doctores tuos predictos, et salvaberis; non dominentur tui servitores servi tui,51 videlicet aliqui cardinales servi pape, qui est servus servorum dei. Quia cardinales boni a te susceperunt a principio suam auctoritatem, suscipiant iam a te, sicut sepe boni cardinales postulabant publice in hoc concilio a te suam felicem reformacionem. Fiat ergo hec reformacio ordine debito post reformacionem papatus cum omnimoda misericordia et pietate, quia 52omnes sumus peccatores,52 ne aliquis eciam minimus in sua persona, honore vel rebus suis ledatur, qui vult reformari.

48

Matth 20, 26. Urbans VI. Kreierung der EB. von Köln, Mainz, Trier und des B. v. Lüttich wurde 1385 von diesen einstimmig abgelehnt. Auch Matthäus v. Krakau, seit 1405 B. v. Worms, nahm das von Gregor XII. 1408 angebotene Kardinalat nicht an. 50–50 Ps 44, 5. 51 Vgl. Lam 5, 8. 52–52 Vgl. Rom 3, 23. 49

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das Kaisertum; durch dieses hat der allmächtige Gott die Kirche reich ausgestattet und erhöht, durch dieses eint und schützt er heute die Kirche in den weltlichen Dingen; daher müssen sie verzichten auf ihren Anteil an ihrem geistlichen Vater, dem Papst, und an ihrem mystischen Leib, also dem heiligen Kardinalskollegium – gegen den Vorschlag der Doktoren der Kirche; nein, wenn man (wie man es muß) die Wahrheit beachtet, dann müßten sie aus demselben Grund umso mehr dem Papste beistehen, je mehr es der Herr Kaiser tut. Sie dienen der Kirche nach dem Satz des Evangeliums: So jemand unter euch will gewaltig sein, der sei euer Diener,48 und im umgekehrten Sinn: Wer allen mehr dient, der sei wie ein Oberer unter euch; und an zweiter Stelle, damit größere Einheit und Liebe zwischen dem heiligen Papsttum und dem heiligen Kaisertum besteht; an dritter Stelle: besonders wegen der Reform des heiligen Kaiserreiches, dem durch Gottes Gnade die besten Männer aus jedem Gebiet der Welt als Ratgeber beistehen wie die Kardinäle dem Papst. Über diese Materie wird weiter unten ausführlicher gehandelt werden. Es hat auch nichts zu bedeuten, wenn einer sagen sollte: Die Deutschen wollen gar nicht Kardinäle sein, denn den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier und weiteren wurde das Kardinalat öfters angeboten und sie haben es abgelehnt.49 Ich antworte: Wäre das Kardinalat bedeutenden Doktoren der heiligen Theologie angeboten worden oder Provinzialen, Prioren, Ordensmagistern oder Ordensministern oder ähnlichen Männern der deutschen Nation – vielleicht hätte manch einer angenommen! Doch die genannten Erzbischöfe sind schon genug beladen und geehrt. O hochheilige Synode, auf Erden nach dem allmächtigen Gott mächtigste, gerechteste und heiligste Braut Christi! Wende du unter Anflehen der Hilfe deines hochgeliebten Bräutigams ein heilsames Mittel an gegen besagte Übel, denn jetzt bist du auf geradem Weg zu der Zeit und dem Ort gekommen, wo sich deine Rettung und dein Verderben scheiden. Wenn du dich jetzt 50in deiner Hoheit und Pracht erhebst, ziehst du selig dahin 50 und besitzt das Reich mit deinem Bräutigam hier auf Erden und dereinst im Himmel. Wenn du das jetzt nicht willst, wird soviel Unheil, wie es das früher ähnlich nicht gab und künftig nicht geben wird, nach Gottes gerechtem Gericht über deine Söhne kommen. Folge also deinen oben genannten rechtgläubigen Doktoren, dann wirst du gerettet; nicht sollen die Knechte deines Knechtes herrschen,51 d. h. die Kardinäle als Knechte des Papstes, der da ist der Knecht der Knechte Gottes. Denn die guten Kardinäle haben von Anfang an ihre Autorität von dir empfangen; mögen sie nun von dir, wie es die guten Kardinäle oft und öffentlich auf diesem Konzil von dir gefordert haben, eine glückliche Reform empfangen. Diese Reform soll in der gebührenden Ordnung vonstatten gehen nach der Reform des Papsttums – mit aller Barmherzigkeit und Frömmigkeit, denn 52wir sind allzumal Sünder,52 auf daß niemand, auch nicht der Geringste, verletzt werde an Person, Ehre und Gut, wenn er sich nur reformieren will.

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[IIII] Sequuntur motiva, quare domini cardinales duarum nacionum videntur perdidisse multipliciter eleccionem pape divina preordinacione, ut deus omnipotens suam apcius reformaret ecclesiam. Que motiva considerentur diligenter cum motivis precedentibus. Et ex misericordia dei subsequente ipsis per ecclesiam cardinalatus restituetur reformatus, si piis votis presentibus vel melioribus volunt consentire, sicut in subsequentibus racionabiliter persuadetur. Quod ad dominos cardinales hac vice non pertineat eleccio summi pontificis, eciam si cardinalatus prius necessario reparandus vel prius a concilio sacro presenti confirmandus non esset, sequuntur motiva: Primum motivum. Quia presens est ecclesia, que est domina, qua presente officium procuratoris cessat, ymo ipso facto est revocatum, et cessat representans presente representato ut figure accedente veritate et tenebre veniente luce. Secundum. Quia sive per eieccionem sive per renunciacionem dominorum de papatu contendencium ipse papatus vacat in manus concilii, ergo ab eius manu necessarium est, quod procedat institucio vel a maiore illo, quod non est dare. Dominus enim Angelus de Corrario 53 non resignavit ius suum, quod se credidit habere in papatu, in manus cardinalium sed in manus concilii. Tercium. Quia illi, qui scienter indignum elegerunt, notorie sunt privati ipso iure saltem hac vice. Quartum. Quia, ut dicitur, consenserunt saltem ipsorum maior pars pape pro tunc Iohanni, Benedicto et Gregorio in suis obedienciis sic nominatis in alienacione patrimonii ecclesie, ex quo eo ipso privati sunt suo statu, c. Non liceat XII q. II.54 Quintum. Quia status ipsorum et singulorum est dubius ex predictis causis et maxime in hac maxima et evidenti tocius orbis contrarietate. Ex quo sequitur, quod certum effectum producere non possunt. Nec obstat, quod nominantur cardinales a personis concilii, eciam ab ipso concilio, quia denominacio secundum iura nulli confert aliquod ius. Sextum. Quia numquam habuerunt possessionem, usum, consuetudinem aut prescripcionem nec alium titulum in terminis, in quibus sumus, id est in generali concilio. Septimum. Quia in eleccione domini Alexandri 55 elegerunt auctoritate concilii, et iste facit, cuius auctoritate fit. Et tamen ibi non concurrebant tot

53 54 55

Gregor XII. 1406–1415. C. 7 q. 2 c. 20. Alexander V. 1409–1410 (oben Nr. 2 S. 166 Anm. 2 u. 3) .

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[4] Es folgen nun die Beweggründe, weswegen die Herren Kardinäle der beiden Nationen nach göttlicher Vorherbestimmung offensichtlich vielfach das Papstwahlrecht verloren haben, damit der allmächtige Gott seine Kirche angemessener reformieren kann. Diese Beweggründe sollten sorgfältig mit den zuvor genannten Beweggründen beachtet werden. Aufgrund der nachgehenden Erbamung Gottes sollte ihnen durch die Kirche ein reformiertes Kardinalat zurückgegeben werden, wenn sie den gegenwärtigen frommen oder besseren Wünschen zustimmen wollen, wie im folgenden vernünftig dargelegt wird. Daß den Herren Kardinälen dieses Mal die Wahl des Höchsten Bischofs nicht zusteht, auch wenn das Kardinalat nicht vorher notwendigerweise neugestaltet oder zuvor vom gegenwärtigen heiligen Konzil bestätigt werden müßte, dafür stehen folgende Beweggründe: 1. Die Kirche ist hier gegenwärtig, sie ist die Herrin; wenn sie gegenwärtig ist, endet das Amt eines Beauftragten, ja es ist eben dadurch widerrufen, und es endet das Amt des Stellvertreters, wenn der, dessen Stelle vertreten wird, selbst anwesend ist, wie die Bilder vor der Wahrheit enden und wie die Finsternis, wenn das Licht kommt. 2. Das Papsttum ist zu Händen des Konzils vakant durch die Verstoßung oder durch den Verzicht der um das Papsttum streitenden Herren; also muß von seiner Hand notwendigerweise die Wiederbesetzung ausgehen, oder von einem Höheren, was es nicht geben kann. Denn Herr Angelo Correr 53 hat auf sein Recht, das er am Papsttum zu haben glaubte, nicht zu Händen der Kardinäle verzichtet sondern zu Händen des Konzils. 3. Jene, die wissentlich einen Unwürdigen gewählt haben, sind offensichtlich ohne weiteres ihres Wahlrechts verlustig gegangen, wenigstens für dieses Mal. 4. Wie es heißt, haben sie zumindest in ihrer Mehrheit seinerzeit dem Johannes, Benedikt und Gregor als Päpsten in ihren sogenannten Obödienzen bei der Entfremdung des Patrimoniums der Kirche zugestimmt. Daher sind sie ohne weiteres ihres Standes verlustig gegangen.*54 5. Ihr Stand und der jedes einzelnen ist aus den vorgenannten Gründen zweifelhaft und besonders in diesem so großen und offensichtlichen Streit. Daraus folgt, daß sie ein sicheres Ergebnis nicht erbringen können. Dem steht nicht entgegen, daß sie von vielen Leuten des Konzils ‘Kardinäle’ genannt werden, auch vom Konzil selbst; denn nach den Rechten bringt eine bloße Benennung niemandem irgendein Recht. 6. Niemals haben sie Besitz, Nutzung, Gewohnheit oder Ersitzung noch einen anderen Rechtstitel erlangt in diesen jetzigen Umständen, das heißt auf dem Allgemeinen Konzil. 7. Sie haben bei der Wahl des Herrn Alexander 55 in Vollmacht des Konzils C 9 Reformvorschläge: ital. u. franz. Kardinäle

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raciones, quod eis non competeret eleccio, sicut hic concurrunt, scilicet condempnacio, eleccio indigni notorii atque renunciacio. Octavum. Est decretum concilii, in cuius constitucione ipsi consenserunt, videlicet quod tota forma eleccionis, hoc est eleccionis modus et persone, essent in manu concilii. Nonum. Quia, ut dicitur, abusi sunt eleccione, infringendo scienter et a proposito libertatem eligendi passivam coniurando, quod non eligant nisi de collegio, forte innitentes velud baculo arundineo c. Oportebat LXXIX di.56 Decimum. Quamquam ad quodlibet collegium pertineat de iure communi sibi eligere caput et pastorem sede vacante, hoc tamen facere non potest collegium dubium et non acceptum. Sed ita est, quod cardinales non faciunt collegium indubitatum apud omnes christianos, ergo etc. Undecimum. Quia nullo iure cautum reperitur, quod collegium dominorum cardinalium eciam indubitatum possit papam in quocumque casu a papatu deponere, sed hoc solum potest ecclesia universalis congregata, igitur nec post talem deposicionem potest dictum collegium sine tota ecclesia alium papam creare. Non videntur obstare iura in favorem dominorum cardinalium conscripta, quia loquuntur, ubi sedes vacat per mortem pape et ubi collegium est indubitatum et ubi ecclesia non est presens per modum generalis concilii. Sed in casu presenti contraria est veritas. Equitas tamen et misericordia dei et ecclesie super omnia opera eius. Ergo illis non obstantibus omnes cardinales, qui reformari volunt, admittantur cum equali numero de qualibet provincia eligendorum ad cardinalatus statum et ad eleccionem pape, secundum quod inferius lacius declaratur. [V] Circa prescriptum avisamentum beati Bernardi et aliorum ecclesie doctorum quedam utiles questiones diligenter sunt considerande, quarum prima est: Cum provincie christianitatis, que summo pontifici obedire consueverunt, sint in numero octuaginta vel quasi, sicut patet in provinciali libro,57 quem communiter habent domini prothonotarii et auditores curie Romane, et iste provincie sint ita inequaliter divise, quod sola Ytalia cum regnis et

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4 Reg 18, 21; Is 36, 6 u. D 79 c. 3. Provinciale im Liber cancellariae apostolicae vom Jahre 1380 des Dietrich von Nieheim (ed. G. Erler, Leipzig 1888, ND Aalen 1971) S. 19–35. und Tangl, I S. 5 ff. – Benedikt XII. hatte am 20. 6. 1336 für die Benediktiner die Länder und Provinzen in 33 ,,Capitel“ eingeteilt (Magn. Bull. Rom. III–2 S. 214–237 hier S. 216 f.). 57

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gewählt, und der handelt, in dessen Vollmacht gehandelt wird. Doch kamen damals nicht so viele Gründe zusammen, daß ihnen die Wahl nicht zugestanden hätte, wie hier zusammenkommen, und zwar Verdammung, Wahl eines offensichtlich Unwürdigen und Verzicht. 8. Das Konzilsdekret, dessen Erlaß sie selbst zugestimmt haben, also daß die ganze Wahlform, d. h. der Wahlvorgang und die zu wählenden Personen, in der Hand des Konzils liegen. 9. Es heißt, sie haben ihr Wahlrecht mißbraucht, indem sie wissentlich und gegen ihren Vorsatz die Freiheit der passiven Wahl verletzten, durch die eidliche Vereinbarung, sie wollten nur einen aus dem Kollegium wählen, sicherlich sich stützend auf einen Rohrstab.*56 10. Obgleich es nach allgemeinem Recht jedem Kollegium zusteht, sich bei Vakanz Haupt und Hirten zu wählen, so kann dieses gleichwohl ein zweifelhaftes und nicht anerkanntes Kollegium nicht tun. Nun ist es aber so, daß die Kardinäle kein bei allen Christen unbezweifeltes Kollegium bilden. Also . . . 11. In keinem Rechtssatz findet man die Bestimmung, daß ein Kardinalskollegium, auch wenn es nicht in Zweifel gezogen ist, in jedwedem Falle einen Papst vom Papsttum absetzen könne, sondern dies kann allein die versammelte Gesamtkirche. Daher kann nach solcher Absetzung das genannte Kollegium nicht ohne die ganze Kirche einen anderen Papst wählen. Zugunsten der Herren Kardinäle scheinen keine geschriebenen Gesetze entgegenzustehen, denn sie sagen nur, sobald eine Sedisvakanz durch Tod des Papstes eintritt, sofern das Kollegium nicht angezweifelt ist und wenn die Kirche nicht in Gestalt eines Allgemeinen Konzils anwesend ist. Im gegenwärtigen Fall ist der wahre Sachverhalt indes umgekehrt. Doch Gerechtigkeit und Erbarmen Gottes auch mit seiner Kirche steht über all seinen Werken. Deswegen sollen, wenn jene Beweggründe nicht entgegenstehen, alle Kardinäle, soweit sie sich reformieren lassen wollen, in gleicher Zahl wie die aus jeder Provinz zu Wählenden zum Stand des Kardinalats und zur Papstwahl zugelassen werden, so wie es weiter unten ausführlicher erklärt wird. C 9 Reformvorschläge: Kirchenprovinzen

[5] Hinsichtlich des zuvor niedergeschriebenen Vorschlags des heiligen Bernhard und der anderen Doktoren der Kirche sind einige nützliche Fragen sorgfältig zu untersuchen: Da die Zahl der Provinzen der Christenheit, die dem Höchsten Bischof zu gehorchen pflegen, ungefähr 80 beträgt, wie aus dem ,,Liber provinciarum“ 57 hervorgeht, das die Herren Protonotare und Auditoren der Römischen Kurie gemeinhin in Besitz haben, und da diese Provinzen so ungleichartig geschnitten sind, daß allein Italien mit seinen ihm

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patriis sibi vicinis, que sue nacioni attribuuntur, que simul vix sunt quarta pars christianitatis eiusdem, plures in numero teneat provincias et dioceses quam residua pars tocius christianitatis. Quid fiet, ne intencio beati Bernardi et aliorum ecclesie doctorum per predictam inequalem divisionem frustretur, ita quod ex multitudine quasi fraudulenta una nacio papatum et cardinalatum hereditarie possideat?58 Responsio, quod sicut omnes religiones equaliter vel quasi diviserunt totam christianitatem in provincias pro suis provincialibus conciliis et generalibus celebrandis et suis prelatis eligendis, prout ordo Predicatorum totam christianitatem divisit in XX provincias et aliqui alii ordines in plures et alii in pauciores diviserunt provincias, ita sacrum generale concilium eligat aliquem numerum sacratum, secundum quem plures vel pauciores velit habere cardinales, et secundum istum numerum dividat totam christianitatem in provincias in quantum possibile fuerit equales, coniungendo in quodam registro faciendo tot dyoceses vicinas in unam provinciam, ita quod quelibet provincia contineat duas dietas vel quasi in longum et in latum, aut contineat plures vel pauciores dietas, nominando dietam tantum spacium, quantum unus homo ut communiter ambulare possit infra XII horas vel infra XI, X, IX, VIII vel aliter, sicut placet, ita tamen, quod magna notabilia loca deserta non computentur ad provinciam, licet sint in provincia. Aut suscipiantur divisiones provinciarum iam per aliquem ordinem alicuius religionis divise. Et hec divisio facta censeatur seu habeatur tantum in effectum istum et non in alium, ut de illis provinciis et per illas provincias eligantur cardinales, qui ulterius eligant papam. Numeros sacratos voco, quibus sacra scriptura et naturalis sepe utuntur pro sacris misteriis vel naturalibus rebus magnis explicandis, sicut est XII iuxta numerum XII apostolorum et XII prophetarum et XII patriarcharum, XII signorum celi et XII mensium anni. Et iste numerus multum bene competeret patriarchis seu primatibus in ierarchia ecclesie dei. Item XXIIII iuxta numerum XXIIII seniorum, de quibus scribitur in apocalypsi,59 et XXIIII horarum diei. Item XXXVI secundum numerum XII apostolorum et XXIIII seniorum simul sumptorum. Item XL iuxta numerum dierum, quas Christus suo sacro ieiunio consecravit.60 Item L secundum numerum anni iubilei. Item LXXII secundum LXXII Christi discipulos, quos binos et binos misit ante faciem suam,61 et secundum LXXII linguas generis humani.62 De quibus linguis ad minus unus deberet esse cardinalis, si totum genus humanum esset ad sanctissimam Christi fidem conversum, aut alii apciores 58 59 60 61 62

Ps 82, 13. Apoc 4, 4. Matth 4, 2. Luc 10, 1. Siehe oben S. 386 Anm. 29.

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benachbarten Reichen und Ländern, die zu seiner Nation gerechnet werden und die zusammen kaum ein Viertel der Christenheit ausmachen, mehr Provinzen und Diözesen zählt als der übrige Bereich der Christenheit: Was soll da geschehen, damit nicht die Absicht des heiligen Bernhard und der anderen Doktoren der Kirche durch diese ungleichartige Aufteilung zunichte wird, so daß wegen dieser geradezu betrügerischen Vielzahl eine Nation allein das Papsttum und das Kardinalat erblich besitzt?58 Die Antwort ist: Wie alle Orden die ganze Christenheit gleichmäßig oder annähernd gleichmäßig zur Durchführung ihrer Provinzial- und Generalsynoden und zur Wahl ihrer Ordensoberen in Provinzen eingeteilt haben – der Predigerorden etwa hat die ganze Christenheit in 20 Provinzen eingeteilt, und einige Orden haben sie in mehr, andere in weniger Provinzen aufgegliedert –, so möge das heilige Konzil eine geheiligte Zahl wählen, der gemäß es mehr oder weniger Kardinäle haben will, und entsprechend dieser Zahl die ganze Christenheit in möglichst gleiche Provinzen einteilen; dabei sollen in einem herzustellenden Register so viele einander benachbarte Diözesen dergestalt zu einer Provinz zusammengefaßt werden, daß jede Provinz ungefähr zwei Tagereisen in die Länge und Breite mißt, oder sie enthält mehr oder weniger Tagereisen; dabei bezeichnet man mit ‘Tagereise’ eine Strecke, die ein Mann innerhalb von 12 Stunden zu Fuß zurücklegen kann, oder in 11, 10, 9, 8 Stunden oder anders, wie es festgelegt wird; doch soll allgemein bekanntes ausgedehntes Ödland nicht mit zur Provinz gerechnet werden, mag es auch im Gebiet der Provinz liegen. Es können aber auch die Provinzeinteilungen, wie sie schon von einem kirchlichen Orden vorgenommen worden sind, übernommen werden. Diese Provinzeinteilung soll nur für diesen Zweck und keinen anderen gelten oder angenommen werden, daß aus diesen Provinzen und durch diese Provinzen die Kardinäle gewählt werden, die späterhin den Papst wählen sollen. Heilige Zahlen nenne ich die, die die Heilige Schrift und die Natur häufiger zur Entfaltung der heiligen Geheimnisse oder bedeutender natürlicher Geschehnisse verwendet, wie etwa: 12 entsprechend der Zahl der 12 Apostel, 12 Propheten, 12 Patriarchen, 12 Zeichen am Himmel und 12 Monate des Jahres. Diese Zahl würde recht gut einem Patriarchen oder Primas in der Hierarchie der Kirche Gottes zukommen. 24 entsprechend der Zahl der 24 Ältesten, von denen die Apokalypse 59 schreibt und der 24 Stunden des Tages. Die 36 entsprechend der Zahl der 12 Apostel und 24 Ältesten zusammengenommen. 40 entsprechend der Zahl der Tage, die Christus mit seinem heiligen Fasten geheiligt hat.60 50 entsprechend der Zahl beim Jubeljahr. 72 entsprechend den 72 Jüngern Christi, die er je zwei und zwei vor ihm her gesandt hat,61 und entsprechend den 72 Sprachen des Menschengeschlechts.62 Aus jeder dieser Sprachen müßte zumindest einer ein Kardinal sein, wenn das ganze Menschengeschlecht sich zum allerheiligen Glauben an Christus

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sacrati numeri ad istam optimam militantis ecclesie ierarchiam eligantur. Videtur tamen, quod LXXII provincie apciores sint moderne ecclesie hac vice, quia nunc temporis sunt XXX cardinales vel quasi de duabus nacionibus, videlicet Ytalica et Gallica. Expedit ergo secundum avisamentum doctorum ecclesie predictum, quod ad minus XLII cardinales sint de aliis tribus nacionibus. Et ergo de plenitudine sue potestatis sacrum concilium hac vice pro bono pacis et caritatis ordinet, quod quecumque provincia equaliter, ut premittitur, divisa habet in sacro concilio Constanciensi vel extra aliquem cardinalem; quod ille cardinalis maneat per totam vitam suam pro illa provincia et pro tocius generis humani salute deputatus nec alius cardinalis interim a tali provincia eligatur. Et si quecumque provincia habuerit iam de facto plures predicto modo cardinales, isti cardinales preficiantur pro aliis provinciis eiusdem nacionis, de qua nacione fuerint isti cardinales nati vel beneficiati aut magis noti vel dilecti. Et preter hec omnia preficiantur provinciis sue nacionis secundum puram huius sacri concilii beneplacitum et voluntatem. Nec iste provincie, quibus per sacrum concilium taliter attributi sunt cardinales, alium vel alios eligant interim quod aliquis cardinalis illius provincie fuerit in vita presenti. Predicti cardinales, sicut premittitur, de omnibus et pro omnibus provinciis christianitatis assumpti et electi per sacrosanctum Constanciense universale concilium secundum documenta sacrorum canonum et omnium doctorum ecclesie, qui pro reformacione et eleccione pape et cardinalium libros et tractatus scripserunt, instituantur per presens sacrum universale concilium, ut ipsi perpetuum tocius ecclesie concilium63 representent non tantum pro tota christianitate sed pro pacifico et salutifero statu tocius generis humani. Et isti per dei graciam papam futurum sancte eligent et omnia reformanda reformabunt iuxta decreta huius sacri concilii et omnium universalium conciliorum per quinque vel decem annos aut alias quandocumque futurorum. Quia sicut mater sanctissima et domina beatissima est super omnia opera fidelis filie et ancille, ita concilium generale erit super omnia opera pape et sacri ipsius collegii cardinalium, sicut in sacro Constanciensi concilio declaratum est 64 et iuxta iuramenta per ipsos cardinales huic sacro concilio facta, et cuilibet provincie in publicis instrumentis desuper confectis commissa omnia fiant. Et sic potest fieri omnipotente deo propicio in brevi salutaris finis huius sacratissimi concilii, de quo tamen fine inferius

63 Über das Kardinalskollegium als ,,tägliches Konzil“ vgl.die Reformacio generalis des Nikolaus Cusanus im Anschlußband FSGA, A., Bd. 38 b Nr. 31. 64 Siehe Anschlußband (wie Anm. 63) Nr. 13; dort Text der 5. Konstanzer Sitzung vom 6. 4. 1415.

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bekehrt hätte; so können auch andere geheiligten Zahlen als noch geeigneter ausgewählt werden für diese beste Hierarchie der streitenden Kirche. Es scheint jedoch, daß 72 Provinzen für die heutige Kirche diesmal am geeignetsten sind, denn jetzt gibt es ungefähr 30 Kardinäle aus zwei Nationen, nämlich der italienischen und der französischen. Es wäre also entsprechend dem obigen Vorschlag der Doktoren der Kirche das Beste, wenn es mindestens 42 Kardinäle aus den anderen drei Nationen gäbe. Daher sollte das heilige Konzil aus der Fülle seiner Gewalt heraus diesmal um des Gutes des Friedens und der Liebe willen anordnen, daß jede Provinz, wie vorausbeschrieben gleichmäßig eingeteilt, auf dem heiligen Konstanzer Konzil oder auch außerhalb je einen Kardinal stellen soll; dieser Kardinal soll dann sein ganzes Leben lang für diese Provinz und für das Heil des ganzen Menschengeschlechts zugeteilt bleiben und kein anderer Kardinal inzwischen aus dieser Provinz gewählt werden. Wenn eine Provinz tatsächlich schon mehrere Kardinäle dieser Art hat, sollen diese Kardinäle anderen Provinzen derselben Nation zugewiesen werden, wo diese Kardinäle geboren sind, Pfründen besitzen, recht gut bekannt oder beliebt sind. Von all dem abgesehen sollen sie den Provinzen ihrer Nation vorgesetzt werden nach dem reinen Wohlgefallen und Willen dieses heiligen Konzils. Jene Provinzen, denen durch das heilige Konzil auf diese Weise Kardinäle zugeteilt worden sind, sollen, solange ein Kardinal der betreffenden Provinz noch in diesem Leben weilt, nicht einen anderen oder andere wählen. Die Kardinäle, die, wie vorausgeschickt, von allen und für alle Provinzen der Christenheit angenommen und durch das hochheilige Allgemeine Konzil von Konstanz gewählt wurden – gemäß den Zeugnissen der heiligen Kanones und aller Doktoren der Kirche, – die zur Reform und Wahl des Papstes und der Kardinäle Bücher und Traktate geschrieben haben –, sollen durch das gegenwärtige heilige Allgemeine Konzil dazu bestimmt werden, ein dauerndes Konzil 63 der ganzen Kirche darzustellen – nicht nur für die ganze Christenheit, sondern auch für eine friedliche und heilsame Lage des ganzen Menschengeschlechts. Diese sollen dann durch Gottes Gnade den künftigen Papst in Heiligkeit wählen und alles reformieren, was reformiert werden muß nach den Dekreten dieses heiligen Konzils und aller künftigen Allgemeinen Konzilien, binnen fünf oder zehn Jahren oder wann immer. So wie die hochheilige Mutter und allerseligste Herrin über allen Werken der Tochter und Magd steht, so wird auch das Allgemeine Konzil über allen Werken des Papstes und der Kardinäle dieses heiligen Kollegiums stehen, wie es auf dem heiligen Konstanzer Konzil erklärt ist 64 und gemäß den diesem heiligen Konzil durch die Kardinäle geleisteten Eiden; alles soll jeder Provinz in darüber eigens ausgefertigten Urkunden aufgetragen werden. So kann es mit dem Segen des allmächtigen Gottes in Kürze einen Abschluß dieses hochheiligen Konzils geben, einen Abschluß, über den weiter unten ausführlichst gesprochen wird. Im übrigen

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lacius dicetur. Sed adhuc circa eleccionem de singulis provinciis devotissime attendatur, quod provincia Romana, que propter antiquam ipsius dignitatem ex eo quod pro fide catholica et pro re publica magis ab antiquo passa est et quia ibidem apcius et solempnius videtur locari apostolica sedes, habeat ad perpetuum honorem et gratitudinem plures cardinales de provincia Romana, quam sint ex aliis provinciis christianitatis, non tamen de una cognacione vel de una diocesi habeant sue nativitatis ortum.

[VI] Per presens sacratissimum generale fiat misericordia et equitas omnibus hominibus boni propositi reformari volentibus a et precipue consideretur condigna compensacio equitatis cum reverendissimis in Christo patribus dominis cardinalibus, quia ipsi sunt, qui se ipsos et omnia sua exposuerunt maximis periculis pro sancta unione ecclesie, quam quondam ipsorum predecessores – et nullus ipsorum – per scisma miserabiliter diviserunt, resistendo usque ad mortem tribus potentissimis dominis obstinatis pro papatu contendentibus. Ipsi sunt, per quos spiritus sanctus Pysanum concilium congregavit, ex quo sacrum concilium Constanciense fundamentum et robur suscepit. Ipsi sunt causa post deum et gloriosissimum Romanorum et Ungarie etc. regem Sigismundum omnium bonorum, que ex presenti sacro concilio sequuntur. Ipsi sunt, qui sacro concilio astiterunt, quod alma christianitas a viris 65dolosis et iniquis 65 Baltazar de Coxa et Petro de Luna extitit divino auxilio liberata.66 Ipsi sunt, qui se ad summam virtutem, quod perpetua memoria dignum est, sacrosancto generali concilio sepius publice exhibuerunt secundum excellenciam sui status se excellentissime humiliando, petentes sepius a sacrosancto concilio sui status et suarum personarum reformacionem. Ipsi sunt, qui tractatus 67 reformacionis ecclesie et precipue curie Romane fidelissimos ante plures annos et eciam in presenti concilio divulgaverunt. Ipsi sunt, qui propter hanc sacrosanctam synodum de naturali ipsorum patria exiverunt et in aere ipsis inconsueto usque ad tercium annum pacienter et constanter in Constanciensi civitate perseveraverunt a diversis malignis multas iniquas detracciones sustinendo. Et ergo iterum sollicitatur sacrosanctum concilium, cum ipsum sit super omnia iura positiva: considerando predictas a

volentiu Hs. W 5097, volentium ACC, volencium Heimpel

65–65

Ps 42, 1. Absetzung Johannes’ XXIII. am 29. 5. 1415 u. Benedikts XIII. am 5. 6. 1409. 67 Vgl. Kardinal ,,von Cambray“ Pierre d’Ailly, De reformacione (oben Nr. 8 S. 338) Cap. 2 a. E. 66

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möge zunächst bei der Wahl in den einzelnen Provinzen fromm auf folgendes geachtet werden: Die Römische Provinz – die wegen ihrer alten Würde, da sie ja für den katholischen Glauben und für das Gemeinwesen seit alters mehr gelitten hat und da dort der Apostolische Stuhl den geeignetsten und würdigsten Ort haben dürfte, – sollte zur ewigen Ehre und Dankbarkeit mehr Kardinäle aus der Römischen Provinz haben, als aus den übrigen Provinzen der Christenheit kommen; diese sollten jedoch ihre Herkunft nicht aus einer Sippe oder aus einer Diözese haben. C 9 Reformvorschläge: Kardinäle

[6] Durch das gegenwärtige hochheilige Allgemeine Konzil sollte allen Menschen guten Willens, die sich reformieren lassen wollen, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit entgegengebracht werden, besonders sollte eine angemessene und gerechte Entschädigung bei den in Christus Hochwürdigen Vätern, den Herren Kardinälen, ins Auge gefaßt werden; denn sie sind es, die sich selbst und all ihre Habe den größten Gefahren für die heilige Einheit der Kirche ausgesetzt haben, die ihre Vorgänger – keiner von ihnen selbst – einstmals durch das Schisma elend zerteilt haben: Bis zum Tode haben sie den drei hochmächtigen Herren, die sich verstockt um das Papsttum stritten, Widerstand geleistet. Sie sind es, durch die der Heilige Geist das Konzil von Pisa versammelte, aus dem das heilige Konzil von Konstanz Grundlage und Kraft empfangen hat. Sie sind nächst Gott und dem ruhmreichsten Römischen König und König von Ungarn, Sigismund, Ursache all des Guten, das aus diesem heiligen Konzil folgt. Sie sind es, die dem heiligen Konzil dazu geholfen haben, daß die hehre Christenheit 65von den falschen und bösen 65 Leuten Baldassare Cossa und Pedro de Luna mit göttlicher Hilfe befreit wurde.66 Sie sind es, die in höchster Tugend – was eines ewigen Andenkens wert ist – öffentlich und oftmals dem hochheiligen Allgemeinen Konzil gegenübertraten, indem sie entsprechend der Außerordentlichkeit ihres Standes sich außerordentlich gedemütigt und vom hochheiligen Konzil oftmals eine Reform ihres Standes und ihrer Personen erbeten haben. Sie sind es, welche schon vor vielen Jahren und auch auf dem gegenwärtigen Konzil aus dem innigsten Glauben kommende Traktate 67 über die Reform der Kirche und besonders die der Römischen Kurie verbreitet haben. Sie sind es, die um dieses hochheiligen Konzils willen ihre natürliche Heimat verlassen haben und in einem ihnen ungewohnten Klima jetzt schon das dritte Jahr geduldig und standhaft in der Stadt Konstanz ausgeharrt haben und dabei von den verschiedenen Bösewichtern viel Schmach und Herabsetzung ertragen haben. Deshalb wird dem hochheiligen Konzil erneut vorgeschlagen, da es über allem positiven Recht steht, es möge sich herbeilassen, die eben angeführten Gründe der

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IX Job Vener: Avisamentum

causas equitatis, dignetur causa pacis et dileccionis de plenitudine sue potestatis omnes cardinales in cardinalatu confirmare et ad eleccionem pape admittere quoscumque volentes per sacrum concilium reformari.

[VII] Secundo queritur de modo eleccionis eorundem cardinalium per predictas provincias. Responsio: Persone iurate presentes in hoc sacro concilio ex omni statu ierarchico convocate, que sunt ex illis predictis dyocesibus pro qualibet provincia, ut premittitur, simul registratis, eligant secundum formam iuris communis et secundum statuta per sacrum concilium ordinanda, si opus fuerit ad statuta laudabilia curie Romane consueta fieri circa elecciones cardinalium. Post finem autem huius presentis sacri concilii, quandocumque tunc aliquis predictorum cardinalium ex provinciis electorum in cardinalatu non permanserit, convocentur omnes prelati illius provincie per duos ad minus aut per plures quoscumque archiepiscopos vel episcopos eiusdem provincie, quandocumque ipsis constiterit de vacatura illius cardinalatus, ad aliquem locum aptum et securum prope medium eiusdem provincie ad hanc eleccionem prius per provinciales concorditer deputatum, et eligant duos dignissimos viros religiosos vel seculares de ista provincia vel si sciunt meliores, qui sint de eiusdem provincie lingua vel nacione, et istos pocius eligant. Et intelligo per nacionem, secundum quod naciones divise sunt in sacro Constanciensi generali concilio aut quondam dividentur in conciliis generalibus futuris. Eligant autem secundum iuramenta et statuta ad hoc per presens sacrum concilium preordinata. Ex hiis autem duobus electis protunc papa existens cum maiori parte sui sacri collegii eligat unum in locum cardinalatus vacantis. Et fiet ista eleccio infra tempus ad hoc statutum. Alias papa cum maiori parte sacri collegii providebit, sicut eciam providebit, si indigni fuerint electi, iuxta statuta predicta. Et iste persone, qui dignos noscere possunt, ad hoc prius eligantur de qualibet dyocesi unus aut unus de quolibet archidiaconatu. Et iste modus eligendi continetur lacius loco. Et sic per dei graciam, quando mundus totus ab optimis regitur, melius regi non indiget. Et sic vere regnum dei venit in mundum et erit 68voluntas dei sicut in celo et in terra.68

68–68

Matth 6, 10.

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Gerechtigkeit zu erwägen und um des Friedens und der Liebe willen sowie aus der Fülle seiner Amtsgewalt alle jene Kardinäle in ihrem Kardinalat zu bestätigen und zur Papstwahl zuzulassen, die sich vom heiligen Konzil reformieren lassen wollen. C 9 Reformvorschläge: Internationalität

[7] Zweitens wird gefragt nach Art und Weise der Wahl dieser Kardinäle durch die oben genannten Provinzen. Antwort: Die auf diesem heiligen Konzil anwesenden vereidigten Personen, die aus jedem hierarchischen Stand berufen wurden und die aus jenen besagten Diözesen für eine Provinz gemeinsam, wie vorausgeschickt, vermerkt wurden, sollen die Wahl vornehmen entsprechend dem gültigen gemeinen Recht und entsprechend den vom heiligen Konzil zu erlassenden Statuten, wenn es nötig sein sollte, über die lobwürdigen gewohnten Statuten der Römischen Kurie für die Wahl von Kardinälen hinaus zusätzliche zu schaffen. Nach Abschluß dieses gegenwärtigen Konzils aber sollen immer dann, wenn einer der genannten Kardinäle, die aus den Provinzen gewählt wurden, aus dem Kardinalat ausscheidet, alle Prälaten dieser Provinz von mindestens zwei oder von mehr Erzbischöfen oder Bischöfen dieser Provinz zusammengerufen werden – wann immer sie von einer Vakanz im entsprechenden Kardinalat erfahren – an einen geeigneten und sicheren Ort ungefähr in der Mitte dieser Provinz, der zuvor von den Provinzialen einträchtig für diese Wahl bestimmt worden ist; sie sollen dort die zwei würdigsten Männer aus dem Ordens- und Weltklerus dieser selben Provinz wählen, doch wenn sie andere besonders Würdige kennen, die aus der Sprache oder Nation dieser Provinz stammen, dann mögen sie diese wählen. ,Nation’ verstehe ich so, wie die Nationen auf diesem heiligen Allgemeinen Konzil von Konstanz verteilt sind oder künftighin auf den Allgemeinen Konzilien aufgeteilt werden. Man soll aber wählen gemäß den von diesem gegenwärtigen heiligen Konzil zuvor angeordneten entsprechenden Eiden und Statuten. Aus diesen beiden Erwählten soll dann der jeweilige Papst mit der Mehrheit seines heiligen Kollegiums einen auswählen für die vakante Stelle im Kardinalat. Diese Wahl soll in der dafür festgesetzten Frist stattfinden. Andernfalls soll der Papst mit der Mehrheit des heiligen Kollegiums entscheiden, wie er auch nach den genannten Statuten entscheiden soll, wenn Unwürdige gewählt worden sind. Personen, die würdige Männer kennen können, sollen zuvor gewählt werden, jeweils einer aus jeder Diözese oder jeweils einer aus jedem Archidiakonatsbezirk. Dieser Wahlmodus soll vor Ort weiter geregelt werden. Dann wird es mit der Gnade Gottes, wenn die ganze Welt von den Besten geleitet wird, nicht nötig sein, daß sie noch besser geleitet wird. So kommt dann wirklich das Reich Gottes in die Welt und Gottes 68Wille wird geschehen im Himmel wie auf Erden.68

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IX Job Vener: Avisamentum

[VIII] Sequitur avisamentum pro reformacione sacri imperii. Quia pro reformacione sacri imperii est in multis par racio cum reformacione papatus et ergo, si placet sacratissimo generali concilio, pro reformacione sacri imperii de eisdem provinciis, de quibus eligendi sunt cardinales, eligantur eciam conciliarii imperatoris per principes et nobiles seculares habentes possessiones notabiles in istis provinciis. Et melius videtur, quod cardinales pape et conciliarii imperatoris eligantur per tres status cuiuslibet provincie, videlicet per principes et prelatos spirituales et per principes et nobiles seculares et per consules civitatum et solempnium opidorum, quia sic videtur coli et doceri sanctissima unitas corporis ecclesie dei, cuius Christus est caput et clerici et laici membra. Predicti conciliarii imperatoris solummodo habeant potestatem dando liberrime concilia salutis tocius rei publice et generalis salutis generis humani ex eorum communi conclusione seu maioris partis ipsorum ipsi sacratissimo imperatori et exequendi officia et iudicia sibi ex parte sacri imperii imposita et disponendi, quod sacre leges enucliate habeantur in vulgari lingua in qualibet civitate et in quolibet solempni opido. Leges imperatoris debent esse scripte secundum ydeoma parcium, quibus transmittuntur, ut sic leges a quolibet sciantur opido. In auctentica De mandatis principum collacione tercia.69 Et ex mandato imperatoris faciant leges, quod quelibet civitas et quodlibet solempne opidum cum suis et opidorum vicinorum expensis habeat unum vel plures in legibus sacris peritum vel peritos, qui possint esse assessores et advocati principum et nobilium, quibus cause seculares per imperatorem delegentur vel committantur. Et isti conciliarii brevissimos ordines iudiciarios pro diversis qualitatibus negociorum et causarum pauperum faciant, quibus cause seculares per delegatos et commissarios imperatoris cito feliciter possint finiri. Item predicti conciliarii solummodo habeant potestatem in quibusdam paucis articulis, per quos aliquis futurus imperator posset principes aut communitates privare sua libertate, ita quod contra maiorem partem conciliariorum dictorum in istis paucis articulis nichil agere possit imperator. Et nisi hoc modo aut meliori reformetur imperium, ipsum, ut timendum est, in brevi peribit, quia raro aliqui principes spirituales vel seculares favent imperio. Semper enim timuerunt et timent, quod si potens esset imperium, quod ipsi vel successores ipsorum tyrannice redigerentur in servitutem et ad

69

Nov. 17 (3.4).

C 9 Reformvorschläge: Kaisertum

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[8] Es folgt der Vorschlag für eine Reform des Heiligen Kaisertums. Für die Reform des heiligen Kaisertums gilt in vielem das gleiche Prinzip wie bei der Reform des Papsttums; wenn das hochheilige Allgemeine Konzil es so beschließt, sollten für die Reform des heiligen Kaisertums aus denselben Provinzen, in denen die Kardinäle gewählt werden sollen, auch Räte des Kaisers gewählt werden von den weltlichen Fürsten und Adligen, die in diesen Provinzen nennenswerte Besitzungen haben. Noch besser wäre es, es würden die Kardinäle des Papstes und die Räte des Kaisers gewählt, also durch die geistlichen Fürsten und Prälaten, durch die weltlichen Fürsten und Adligen und durch die Ratsmannen der Städte und bedeutenderen Orte, denn so würde die hochheilige Einheit des Leibes der Kirche Gottes gewürdigt und kundgemacht – dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder Kleriker und Laien sind. Besagte Räte des Kaisers sollten nur die Gewalt besitzen, dem hochheiligen Kaiser ganz unabhängig Rat zu geben zum Wohl des ganzen Gemeinwesens und zum allgemeinen Wohl des ganzen Menschengeschlechts, aufgrund ihres einstimmigen oder mehrheitlichen Beschlusses, Ämter und Gerichtstätigkeiten, die ihnen von seiten des heiligen Reiches auferlegt werden, zu versehen und dafür zu sorgen, daß die heiligen Gesetze in jeder Stadt und in jedem bedeutenderen Ort in der Volkssprache öffentlich zugänglich sind. Die Gesetze des Kaisers müssen nämlich in der Sprache des Gebietes geschrieben sein, denen sie zugesandt werden, damit der jeweilige Ort die Gesetze kennt.*69 Auf Befehl des Kaisers sollen sie Gesetze erlassen, nach denen jede Stadt und jeder bedeutendere Ort auf ihre eigenen und auf benachbarter Städte Kosten einen oder mehrere Rechtsgelehrte besolden soll, die Beisitzer und Rechtsbeistände bei den Fürsten und Adligen sein können, denen auch vom Kaiser weltliche Streitfälle übertragen und anvertraut werden können. Diese Räte sollen sehr knappe Gerichtsordnungen je nach Art der verschiedenen Rechtsstreitigkeiten und der Armenprozesse machen, nach denen weltliche Streitigkeiten durch abgeordnete Richter oder Kommissare des Kaisers rasch und glücklich zu Ende gebracht werden können. Die besagten Räte sollen auch nur in einigen wenigen Fällen eine eigene Kompetenz haben, in denen ein künftiger Kaiser die Fürsten und Gemeinden ihrer Freiheit berauben könnte; in diesen wenigen Fällen könnte der Kaiser nichts gegen die Mehrheit der besagten Räte tun. Wenn nun das Kaisertum nicht auf diese oder eine bessere Weise reformiert wird, so wird es in Kürze, wie zu fürchten ist, untergehen; denn selten unterstützen Fürsten, ob geistlich ob weltlich, das Reich. Stets fürchteten sie nämlich (und tun es noch), wenn das Kaisertum stark wäre, könnten sie selbst oder ihre Nachfolger nach Tyrannenart in Knechtschaft geraten und C 9 Reformvorschläge: Kaisertum

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IX Job Vener: Avisamentum

importabile cogerentur tributum. Et quia iste timor semper in mundo erat inferiorum contra suos superiores sine presenti vel meliori remedio, ideo mundus numquam habuit diu pacem, et modicam iusticiam per imperium consecutus est et vicia semper super virtutes dominabantur sicut et hodie dominantur. Cum enim principes et communitates se sciunt securos, quod libertatem suam retinere possunt et per iniqua iudicia et longa iudicia ac per violencias non supprimi, sed magis a sancto papatu et a sacro imperio defendi, ipsum et totum genus humanum gaudet et libenter servit et contribuet ad sancti papatus et sacri imperii reformacionem et salutem. Et de quanto illis sic electis cardinalibus pape et conciliariis imperatoris ordinabitur maior securitas et libertas, de tanto magis sanctificatur papatus in omnes mundi naciones et augetur sacrum imperium, et sanctissimus papa et sacratissimus imperator vivere possunt absque magnis curis, et paucis laboribus feliciter tocius christianitatis et eciam tocius generis humani singula bona regent et defendent. Videtur ergo, quod eisdem conciliariis assignanda sit quedam fortissima et aptissima civitas imperialis aut alia in medio imperii vel propinqua apud communiorem habitacionem imperatoris, per quam civitatem predicti conciliarii securissimam possint habere defensionem liberrime dando imperatori consilia salutis. Et quod ista civitas possit mutari secundum exigenciam racionis iuxta voluntatem imperatoris et maioris partis eorundem conciliariorum, sicut mutari consuevit curia Romana.

[IX] De brevi felici fine presentis sacri concilii Electis itaque viris optimis tocius christianitatis iuxta doctorum ecclesie et sacrorum canonum avisamentum predictum cardinales et conciliarii sic electi possunt Christo duce totum mundum feliciter in omnibus regere simul in una civitate et precipue in hac Constanciensi ad tempus aliquod simul habitare, donec de mixtura iurisdiccionis spiritualium et temporalium bene concordaverint, et quid ad deum et quid ad papatum, quid ad imperium, quid ad omnia et ad aliqua simul pertineant determinantes sub correccione sacrorum generalium futurorum conciliorum. Et tunc non erit ultra magna necessitas prolixi laboris singula reformandi per multitudinem presentis sacri generalis Constanciensis concilii, quia ipsi sic electi generale concilium perpe-

C 9 Reformvorschläge: Konzilsabschluß

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zu unerträglichen Steuern gezwungen werden. Solche Furcht der Unteren vor ihren Oberen war immer in der Welt, ohne daß es das hier vorgeschlagene oder ein besseres Heilmittel dagegen gegeben hätte; deshalb hatte die Welt niemals lange Frieden, sie erlangte nur bescheidene Gerechtigkeit durch das Kaisertum, Laster herrschten über die Tugenden, wie es auch heute ist. Wenn indessen die Fürsten und Gemeinden sich sicher wissen, daß sie ihre Freiheit behalten können und nicht durch ungerechte Urteile, lange Prozesse und durch Gewalt bedrückt werden, vielmehr vom heiligen Papsttum und dem heiligen Kaisertum geschützt werden, dann freut sich dessen das ganze Menschengeschlecht, ja, es dient und steuert gern bei zur Reform und zum Heil des heiligen Papsttum und des heiligen Kaisertums. Je größere Sicherheit und Freiheit jenen so gewählten Kardinälen des Papstes und Räten des Kaisers gewährt wird, desto mehr wird das Papsttum bei allen Nationen der Welt geheiligt und das heilige Kaisertum erhöht; der Heilige Vater und der heilige Kaiser können ohne große Sorgen leben; sie werden mit wenig Mühsal glückhaft das Gut der ganzen Christenheit und auch das des ganzen Menschengeschlechts leiten und schirmen. So beschließe man, daß diesen Räten eine sehr feste und bestens geeignete kaiserliche oder andere Stadt in der Mitte des Reiches oder nahe dem bevorzugten Wohnort des Kaisers angewiesen werden sollte; in dieser Stadt könnten die genannten Räte den sichersten Schutz haben, um dem Kaiser ganz unabhängig heilsamen Rat zu geben. Diese Stadt müßte, je nach Erfordernis, ausgewechselt werden können nach dem Willen des Kaisers und der Mehrheit dieser Räte, wie auch die Römische Kurie verlegt zu werden pflegt. C 9 Reformvorschläge: Konzilsabschluß

[9] Der baldige glückliche Abschluß des gegenwärtigen heiligen Konzils Nach der Wahl der besten Männer der ganzen Christenheit entsprechend dem besagten Vorschlag der Doktoren der Kirche und der heiligen Kanones können die so gewählten Kardinäle und Räte unter Christus als Führer die ganze Welt in einer einzigen Stadt glücklich in allem gemeinsam leiten und können insbesondere in dieser Stadt Konstanz noch einige Zeit zusammen wohnen, bis sie über die Verbindung der geistlichen und der weltlichen Gerichtsbarkeit eine Vereinbarung getroffen haben; dabei sollen sie festlegen, was sich auf Gott, was auf das Papsttum, was auf das Kaisertum, was auf alles samt und sonders bezieht unter Vorbehalt einer Korrektur durch die künftigen heiligen Allgemeinen Konzilien. Dann wird es künftig keine große Notwendigkeit geben, in langgedehnter Arbeit Einzelnes durch eine Menge von Leuten wie auf dem gegenwärtigen Allgemeinen Konzil von Konstanz zu reformieren, denn die so Gewählten werden ein ständiges Allgemeines

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IX Job Vener: Avisamentum

tuum 70 representabunt et singula feliciter reformabunt. Super quo perpetuo concilio et super omnia reformata, facta et facienda per ipsum tamquam sanctissima mater et domina erit generale concilium per omnes quinque annos a fine huius sacri concilii infra proximos XX annos et post hos omnibus X annis futuris perpetue celebrandum secundum decreta saluberrime in presenti concilio solummodo dumtaxat constituenda cum ordine, modo et practicis, quibus papa et cardinales astricti sint per iuramenta sua se ipsos et deinde sanctam ecclesiam reformare et cum ordine, modo et practicis, quibus universale concilium, quandocumque erit, feliciter et cito omnia non solum reformabit, sed laudabilissime eciam omnia meliorabit, non stando in virtutibus tantum antiquis, sed 71eundo de virtute in virtutem, donec videatur deus deorum in Syon.71 [X] Hic sequuntur plures magne utilitates predicti avisamenti beati Bernardi et aliorum doctorum ecclesie. Prima, si aliqua patria 72 hucusque adhesisset Petro de Luna, percipientes prelati, principes et alii potentes eiusdem patrie, quod optimus homo pro regimine ecclesie, qui esset in sua patria aut in sua lingua, deberet eligi iuxta doctrinas antiquas doctorum ecclesie in cardinalem, de quo ipsi eciam spem haberent, quod solus ipsum papatum feliciter regere posset, et precipue, cum optimi tocius mundi sibi adiungerentur, ipsi potentes predicti Petrum de Luna tamquam indignum vel minus dignum refutarent et unitati ecclesie adhererent. Et non solum ipsi sed et Greci et alii scismatici christiani verisimiliter piissimis desideriis unitati ecclesie uniri diligenter studerent. Et si, quod deus avertat propter misericordiam suam, predictum avisamentum sancte ecclesie doctorum fuerit forsitan spretum, levipensum vel postpositum, Petrus de Luna cum promissionibus sui cardinalatus et cum reali creacione multorum anticardinalium plures verisimiliter principes et provincias decipiet, qui credent, quod per suos anticardinales sic creatos possint obtinere in sua patria papatum et cardinalatum et episcopatus, abbacias, et quod miserrimum est et inestimabilis malicie, eciam hospitalia miserabilium personarum in commendas habere et sic tocius christianitatis honores et divicias deglutire, et vendere infra omnes quinquaginta annos futuros omnibus christianis proprios suos principatus et beneficia et terras suas proprias, in

70

Vgl. oben S. 402 Anm. 63. Vgl. Ps 83, 8. Spanien als Obödienz Benedikts XIII.

71–71 72

C 9 Reformvorschläge: Kircheneinheit

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Konzil 70 verkörpern und alles Einzelne glücklich in guten Stand bringen. Über dieses ständige Konzil und über alles von ihm Reformierte, Geschehene und Beschlossene wird als hochheilige Mutter und Herrin das Allgemeine Konzil stehen, das künftig in den nächsten 20 Jahren vom Ende dieses heiligen Konzils an alle fünf Jahre und danach dann alle 10 Jahre durchgeführt werden soll, entsprechend den Dekreten, die noch sehr heilsam auf dem gegenwärtigen Konzil beschlossen werden müssen und die Ordnung, Verfahren und Regelungen festlegen, auf die Papst und Kardinäle durch ihre Eide verpflichtet sind, sich und danach die heilige Kirche zu reformieren, und die gleichfalls Ordnung, Verfahren und Regelungen festlegen, nach denen das Allgemeine Konzil, wann immer es tagt, glücklich und rasch alles nicht nur reformieren, sondern auch alles auf das Lobwürdigste verbessern wird – seinen Stand suchend nicht allein in den alten Tugenden, sondern 71fortschreitend von Gutem zu Gutem, bis man sehen muß, der rechte Gott sei zu Zion.71

[10] Hier folgen einige erhebliche Nutzanwendungen aus dem besagten Vorschlag des heiligen Bernhard und der anderen Doktoren der Kirche. Erstens: Wenn bisher ein Land 72 dem Pedro de Luna angehangen hat, und wenn nun die Prälaten, Fürsten und anderen Mächtigen dieses Landes erkennen, es müsse der in seiner Heimat oder in seiner Sprache beste Mann für die Leitung der Kirche entsprechend den alten Lehren der Kirchenlehrer zum Kardinal gewählt werden, von dem sie auch die Hoffnung hätten, daß er allein das Papsttum glücklich leiten könne, zumal die Besten der ganzen Welt sich mit ihm verbündeten, dann würden die besagten Mächtigen den Pedro de Luna als Unwürdigen und weniger Geeigneten ablehnen und der Einheit der Kirche anhangen. Nicht nur sie, auch die Griechen und anderen christlichen Schismatiker würden sich wahrscheinlich mit innigstem Verlangen darum bemühen, die Einheit der Kirche herbeizuführen. Wenn aber, was Gott in seiner Barmherzigkeit verhüten möge, der besagte Vorschlag der Doktoren der heiligen Kirche verschmäht, leichtgenommen oder zurückgestellt würde, dürfte Pedro de Luna mit den Versprechungen eines Kardinalats und mit der tatsächlichen Berufung vieler Gegenkardinäle wahrscheinlich viele Fürsten und Provinzen täuschen; die würden dann glauben, sie könnten durch ihre so kreierten Gegenkardinäle in ihrer Heimat Papsttum, Kardinalat, Bistümer, Abteien und, was das elendeste ist und von unabschätzbarer Bosheit, auch Hospitäler für bedürftige Leute als Kommenden erhalten und so die Einkünfte und Reichtümer der ganzen Christenheit verschlucken; sie werden dann glauben, sie könnten in den nächsten 50 Jahren allen Christen ihre eigenen Fürstentümer, Pfründen und ihre eigenen C 9 Reformvorschläge: Kircheneinheit

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IX Job Vener: Avisamentum

quibus nati sunt, pro duplici precio et tamen vendidisse ipsas terras et beneficia ceteris nacionibus sicut suis mendicis in elemosinas propter deum dedisse, sicut patet de vendicionibus episcopatuum et aliorum beneficiorum, pro quibus infra proximos preteritos XL annos plus est consumptum in rebus et personis et datum curie Romane, a quo ulterius forsitan furtive substractum est, quam predicti episcopatus in duplo aliquando possent solvere, si deberent vendi vel beneficia ista constarent in precio, si deberent de novo fundari. Quod potest probari per unam dyocesim quamcumque facili modo, si numerantur ipsius sumptus predicti infra quinquaginta annos facti cum precio et expensis et oneribus beneficiorum et empcionis iusticiarum et penitenciarum, dispensacionum, indulgenciarum et annorum iubileorum et similium, cum quibus malis eciam innumerabiles anime, quod super omnia horribilissimum est, ad perpetuam dampnacionem mittuntur et infinita mala exempla fiunt principibus et aliis simplicibus incessanter, quasi non sit vita post hanc vitam et 73dicant insipientes in corde suo: Non est deus.73 Aurum et argentum modicum est in Germania, ita quod nec imperator orbis in Germania habitans nimium superhabundat; montes in Bohemia, Ungaria et circa Goslariam et alibi in Germania exhausti sunt. In Ytalia invenitur aurum et argentum. Et ultra hec a quibusdam perversis licet paucis Ytalicis Germani odiuntur et deridentur, qui dicunt, quod Ytalici cum duobus oculis vident, Gallici cum uno, Germani cum nullo, ymmo dicunt, quod mulus alicuius Ytalici sit sapiencior quam unus Germanus. Et ista dicta nullomodo bonis Ytalicis imputari debent, quia ex eis natus fuit beatus Gregorius et innumerabiles alii sancti, et hodie vivunt inter eos multi optimi et sancti viri, quare merito semper summe sunt diligendi, et nullus homo mundi odiendus. Alie notabiles utilitates, que proveniunt, si admittitur avisamentum doctorum ecclesie, infra paucos dies per dei graciam ad presencia apponentur. Presentibus tamen fideliter et humiliter intellectis et practicatis per sponsam omnipotentis dei sacrosanctam universalem synodum erit in brevi per totum mundum perpetua et optima 74pax, iusticia et gaudium in spiritu sancto,74 quod secundum Apostolum ad Romanos c. XII est 75regnum celorum advenisse in terram,75 quod nobis omnibus et toti generi humano cito prestare dignetur pater et filius et spiritus sanctus. Amen.

73–73 74–74 75–75

Ps 13, 1. Rom 14, 17. Vgl. Matth 6, 10.

C 9 Reformvorschläge: Kircheneinheit

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Länder, in denen sie geboren sind, zu doppeltem Preis verkaufen; dabei hätten sie ja doch diese Länder und Pfründen auch den übrigen Nationen schon verkauft, wie sie sie ihren eigenen Bettlern als Almosen um Gotteslohn gegeben hätten; dies geht aus dem Verkauf von Bistümern und anderen Pfründen hervor, für die in den letztvergangenen 40 Jahren mehr als doppelt so viel an Sachwerten und Personal ausgegeben und der Römischen Kurie gegeben wurde – von dort ist es vielleicht verbrecherisch entwendet worden –, als die besagten Bistümer einmal einbringen könnten, wenn sie wirklich verkauft werden müßten und als diese Pfründen ihrem Preis nach kosten dürften, wenn sie erneut ausgestattet werden müßten. Dies kann an einer einzigen Diözese leicht bewiesen werden, wenn ihre Aufwendungen, die sie in den vergangenen fünfzig Jahren gemacht hat, mit dem Preis, den Ausgaben und den Lasten für die Pfründen und den Kauf der Rechte und Bußen, Dispense, Ablässe, Jubiläumsjahre und dergleichen zusammengerechnet werden; mit diesen Übeln werden auch unzählige Seelen, was das Allerschrecklichste ist, in die ewige Verdammnis geschickt, und unendlich viele schlechte Beispiele werden unaufhörlich den Fürsten und anderen schlichten Leuten gegeben, gleichsam als ob es kein Leben nach diesem Leben gäbe, und 73die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott.73 Gold und Silber sind jetzt in Deutschland rar, so daß nicht einmal der Kaiser des Weltkreises, der in Deutschland wohnt, wirklich Überfluß daran hat; die Bergwerke in Böhmen, in Ungarn, bei Goslar und anderswo in Deutschland sind erschöpft. In Italien findet man Gold und Silber. Darüber hinaus werden von einigen verdorbenen, gewiß nur wenigen Italienern, die Deutschen gehaßt und ausgelacht; so sagen sie: Italiener sehen mit zwei Augen, Franzosen mit einem, die Deutschen mit gar keinem; ja sie sagen: der Maulesel eines Italieners ist immer noch gescheiter als ein Deutscher. Diese Sprüche müssen den guten Italienern keineswegs angelastet werden, denn aus Italien wurde der heilige Gregor und viele andere Heilige geboren, und auch heute noch leben unter ihnen viele ausgezeichnete und heiligmäßige Männer; deshalb muß man sie stets über die Maßen lieben; überhaupt: man soll keinen Menschen auf dieser Welt hassen. Wenn der Vorschlag der Doktoren der Kirche zugelassen wird, kann binnen weniger Tage mit der Gnade Gottes dem Vorliegenden höchst bemerkenswerter Nutzen, der sich unmittelbar ergeben wird, hinzugefügt werden. Sobald der gegenwärtige Vorschlag getreulich und demütig begriffen und in die Tat umgesetzt wird durch die Braut des allmächtigen Gottes, diese hochheilige Allgemeine Synode, dann gibt es binnen kurzem überall auf der Welt beständigen und besten 74Frieden, Gerechtigkeit und Freude im Heiligen Geist;74 denn das heißt nach dem Wort des Apostels an die Römer, daß dann das 75Himmelreich auf die Erde gekommen 75 ist; das möge uns allen und dem ganzen Menschengeschlecht gewähren der Vater und der Sohn und der heilige Geist. Amen.

X

Ed.: ACC IV S. 740–743 – emendiert mit Hilfe der Hs. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. iur. 2o 130.

[NOTANDI DEFECTUS] Notandi sollicitaque cura ponderandi sunt defectus, enormitates et excessus infratacti, super et de quibus omnes locorum ordinarii concorditer deberent querelam. Nam si ultra provisiones prius in constitucionibus sanctorum patrum factis non succurratur, plures ecclesie cathedrales, que ante per hec enormiter lese sunt, presertim ecclesia Constanciensis, ad nichilum redigentur. Dignetur igitur presens Constanciense concilium super hiis providere et optimum adhibere remedium. Primo duces, comites, barones, nobiles et alii laici patroni parrochialium a ecclesiarum et habentes iura patronatuum huiusmodi ecclesiarum, ymo, quod deterius est, nonnulli prelati, religiosi et ecclesiastice persone consilium ecclesiarum patroni consueverunt hactenus episcopis seu locorum ordinariis, presertim episcopo Constanciensi ad huiusmodi parrochiales ecclesias presentare pro rectoribus seu vicariis perpetuis instituendis et investiendis milites, nobiles, armigeros, puros laicos, puros inhabiles, indoctos, illitteratos, ymmo aliqui eorum ignotos, profugatos, disculos b, apostatas et discurrentes. Et nisi episcopatus tales sic cinstituat et c investiat, dicti patroni laici per potenciam et tyrannidem eorum dicto episcopo et ecclesie sue minas imponunt et lites ac guerras movere nituntur et alias propria temeritate huiusmodi ecclesias regi procurant, ordinario irrequisito. Et si aliquando habiles et ydoneos presentant, tamen pacta et conventus cum presentatis prius faciunt et iuramenta ac promissiones ab eis recipiunt, quod meliorem vel certam quotam seu porcionem decimarum ac fructuum ecclesiarum huiusmodi ipsis patronis dimittant. Et nichilominus ad nutum ipsorum presentancium sint removibiles et sic tamquam mercenarii solent intrare. Et sic minimam partem ipsis presentatis et institutis d deputant et dimittunt. Ex quibus iura episcopalia solvere et alia onera nequeunt supportare. Et ita factum est et cottidie fit et repetitur e. Item nonnulli religiosi ad ecclesias parrochiales ad eorum collaciones spectantes ab olim per clericos seculares regi consuetas alias f reX Notandi defectus a

parrochialum Ed. distulos Ed. c–c fehlt Ed. d constitutis Ed. e Konjektur, reperitur Hs. u. Ed. f alios Ed. b

10. REFORMVORSCHLÄGE AUS DEM BISTUM KONSTANZ, 1417 Man muß Acht geben und mit aufmerksamer Sorge die unten aufgeführten Fehler, Ungehörigkeiten und Vergehen erwägen, über die und derentwegen alle Ortsordinarien einmütig Klage führen müßten. Denn wenn bezüglich der Provisionen, die früher in den Erlassen der heiligen Väter festgelegt wurden, keine Hilfe erfolgt, werden noch mehr Kathedralkirchen, die schon früher dadurch übermäßig belastet wurden, besonders die Konstanzer Kirche, zum Zusammenbruch gebracht. Daher möge das jetzige Konstanzer Konzil geruhen, dagegen Vorsorge zu treffen und das beste Heilmittel anzuwenden. Zunächst einmal: Bei Herzögen, Grafen, Freiherren, Edlen und sonstigen Laien als Patrone der Pfarrkirchen und Inhaber von Patronatsrechten solcher Kirchen – ja sogar, was noch schlimmer ist: bei manchen Prälaten, Ordensleuten und Kirchenmännern als Räten des Kirchenpatrons ist es heutzutage üblich, den Bischöfen oder Ortsordinarien, besonders dem Konstanzer Bischof, bei solchen Pfarrkirchen für die Einsetzung und Einführung als Leiter oder ständige Vikare Ritter, Edle, Knappen, pure Laien, schlechthin Unfähige, Ungebildete, Unausgebildete vorzuschlagen, ja, einige von ihnen sind sogar völlig Unbekannte, Flüchtlinge, unzufriedene und entlaufene Mönche sowie Vagabunden. Wenn der Bischof solche nicht so einsetzt und einführt, stoßen die genannten Laien-Patrone kraft ihrer Macht und Gewaltherrschaft gegen den Bischof und seine Kirche Drohungen aus, verlegen sich darauf, Prozesse und Fehden anzuzetteln, und bemühen sich in ihrer Verruchtheit darum, daß solche Kirchen anderswie geleitet werden ohne Befragung des Ordinarius. Wenn sie einmal fähige und geeignete Leute vorschlagen, so treffen sie vorher Abmachungen und Abkommen mit den Vorgeschlagenen, nehmen ihnen Eide und Versprechungen ab, daß sie den besseren oder einen bestimmten Anteil oder Teil der Zehnten oder Erträge dieser Kirchen ihren Patronen überlassen. Und außerdem auf einen Wink derer, die sie vorschlagen, absetzbar sind und somit in der Regel gewissermaßen als Mietlinge eindringen. So überweisen und überlassen sie den kleinsten Teil diesen Vorgeschlagenen und Eingesetzten. Von denen diese ihre Rechtsverpflichtungen den Bischöfen gegenüber und die übrigen Lasten nicht leisten können. So ist es geschehen und geschieht täglich und immer aufs neue. Einige Ordensleute präsentieren dem Bischof zur Einsetzung und Einführung auf Pfarrkirchen, deren Besetzung ihnen zusteht, die aber seit alters vom Weltklerus versehen worden sind, jetzt andere unzufriedene und entlaufene Ordensleute, obwohl

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X Notandi defectus

ligiosos disculos g, apostatas, ignotos, indoctos et alios inhabiles episcopo presentant instituendos et investiendos, quibus non deputant porciones, quod iura episcopalia solvere et alia onera 1 eis incumbencia supportare valeant, ymo pacta et convenciones cum eis faciunt et eos mercenarios 2 constituunt. Et si episcopus non vult tales, prout nec tenetur, et recusat instituere, ipsi presentantes propria temeritate absque canonica institucione huiusmodi ecclesias parrochiales et subditos earundem regere et gubernare presumunt vel tales presentatos per conservatores 3 eorum institui faciunt. dicentes se ad hoc per sedem apostolicam privilegiatos. Et sic tales instituti iura episcopalia solvere et alia onera incumbencia supportare, ymmo ad convocaciones capitulares et synodales venire et alias episcopo et suis officialibus debite obedire recusant et sanctorum patrum constituciones observare, dicentesque eciam huiusmodi ecclesias eis fore unitas et incorporatas et ideo ad obedienciam et ad solucionem iurium episcopalium h huiusmodi se non teneri. Preterea notandum, quod in dyocesi Constanciensi quasi omnes nobiles et pinguiores huiusmodi parrochiales ecclesie religiosis et aliis personis et locis incorporate sunt. Propter huiusmodi incorporaciones iura ecclesie Constanciensis et obediencia in clero in tantum decreverunt et diminuta sunt, quod episcopus non habet, unde vivere et statum tenere valeat. Et nisi in hiis succurratur, ecclesie ipse ad nichilum penitus deducentur. Et sic expediret multum omnes incorporaciones et uniones tempore istius pestiferi scismatis factas revocari et in statum pristinum et ad iura pristina reduci. Item nonnulli duces, comites, barones et nobiles, communia civitatum, opidorum, villarum et terrarum clericos eorum iurisdicioni subiectos compellere consueverunt et compellunt ad standum iuri coram eis tam active quam passive, tam pro se quam contra se in causis ecclesiasticis et pro certis iuribus et censibus ad eorum beneficia spectantibus, eciam super usuris et iuribus patronatuum, quorum cognicio 4 ad forum ecclesiasticum de iure vel consuetudine dinoscitur spectare, ymo, quod peius est, huiusmodi clericis talias, vigilias et alia onera imponunt solvenda, sicut ceteri vestiti i de beneficiis suis, de quibus alias vix sustentari possunt. Item predicti duces, comites, barones et nobiles, communitates et balivi eorum episcopos huiusmodi in sua iurisdicione ordinaria, quam ab antiquo g h i

distulos Ed. temporalium Hs. vistiti Hs., institi Ed.

1 Randnotiz: Hic eciam acriter datur reformacio clericorum concubinariorum, tabernas, ludos taxillos etc. visitatorum etc. – Hier geht es scharf um eine Reform bei den Klerikern, die Buhlerinnen haben und Schenken, Würfelspiel usw.besuchen usw. 2 Vgl. Joan 10, 12 f. 3 Siehe oben Nr. 2 § 7 S. 170 Anm. 10. 4 = Recht zu gerichtlicher Untersuchung.

C 10 Reformvorschläge aus Bistum Konstanz

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diese unbekannt, ungebildet, unausgebildet und sonstwie ungeeignet sind; doch sie überlassen ihnen keinen Anteil, mit dem sie die Rechtsverpflichtungen gegen den Bischof zahlen und die anderen Lasten,1 die ihnen obliegen, leisten könnten, ja sie treffen Abkommen und Absprachen mit ihnen und setzen sie als ‘Mietlinge’2 ein. Wenn der Bischof solche Leute nicht haben will – er ist ja keineswegs dazu gezwungen – und sich weigert, sie einzusetzen, so maßen sich die Vorschlagenden in ihrer Verruchtheit an, diese Pfarrkirchen und deren Untergebene ohne kanonische Amtseinsetzung zu leiten und zu regieren, oder sie lassen solche von ihnen durch ihre Konservatoren 3 einsetzen und sagen, sie seien dafür vom Apostolischen Stuhl privilegiert. So weigern sich die derart Eingesetzten, ihre Rechtsverpflichtungen gegen die Bischöfe zu zahlen und andere Lasten, die ihnen obliegen, aufzubringen, ja [sie weigern sich], zu den Kapitelsitzungen und Synoden zu kommen, sonstwie dem Bischof und seinen Beamten gebührend zu gehorchen und die Gesetze der heiligen Väter zu befolgen; dabei sagen sie auch, diese Kirchen seien mit ihnen vereint und inkorporiert und daher seien sie nicht zu Gehorsam und Zahlung der Rechtsverpflichtungen gegenüber dem Bischof verpflichtet. Außerdem bleibt zu bemerken, daß in der Diözese Konstanz nahezu sämtliche bedeutenden und fetteren Pfarrkirchen Ordensleuten sowie anderen Personen und Orten inkorporiert sind. Infolge dieser Inkorporationen sind die Rechte der Konstanzer Kirche und der Gehorsam im Klerus so weit abgesunken und vermindert, daß der Bischof nichts hat, wovon er leben und seinen Stand halten kann. Eilt man ihm hierbei nicht zu Hilfe, werden die Kirchen völlig zugrunde gerichtet. Daher wäre es überaus förderlich, alle Inkorporationen und Verbindungen, soweit sie in der Zeit dieses verheerenden Schismas vorgenommen wurden, zu widerrufen und den früheren Rechtszustand wiederherzustellen. Auch haben es sich einige Herzöge, Grafen, Freiherren, Edle und Gemeinden von Städten, Märkten, Dörfern und Landschaften angewöhnt, Kleriker, die ihrer Herrschaft untertan sind, mit Zwang zu belegen; und sie zwingen sie, vor ihrem Gericht zu erscheinen, um sich aktiv und passiv zu verantworten, für sich oder gegen sich selbst bei geistlichen Streitsachen und wegen gewisser Einkünfte und Zinsen, die ihren Pfründen zustehen, auch wegen Zinsen und Patronatsrechten, deren Erkenntnis 4 bekanntlich dem geistlichen Gerichtshof nach Recht und Gewohnheit zusteht, ja, was noch schlimmer ist: Sie bürden diesen Geistlichen die Leistung von Steuern, Nachtwachen und anderen Lasten auf – so wie andere Belehnte auf ihren Pfründen, von denen sie sonst kaum ihren Unterhalt beziehen können. Diese Herzöge, Grafen, Freiherren und Edle, Gemeinden und deren Amtleute behindern diese Bischöfe vielfach in deren ordentlicher Gerichtsgewalt, die sie seit alter Zeit in geistlichen und weltlichen Sachen in der Stadt und C 10 Reformvorschläge aus Bistum Konstanz

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X Notandi defectus

in spiritualibus et temporalibus in civitate et dyocesi exercere consueverunt, multifarie impediunt, ymo statuta et proclamaciones et edicta publicant et faciunt ac clericis et sacerdotibus eorum sub penis corporum et rerum suarum inhibent, ne aliquas literas vel mandata iudicum et conservatorum auctoritate apostolica deputatorum recipiant nisi in ambonibus, in quibus nuncios et stipendiarios suos ponunt k, quibus iniungunt, ut latoribus seu executoribus huiusmodi litera et mandatorum literas ipsas et onera data recipiant et lateant l. Eorum execucionem impediunt m et, quod deterius est, latores ipsos submergunt n et in corporibus et rebus male tractant. Ymo contra de facto prosequentes causas matrimoniales edicta statuta faciunt, quod, si quis prosequens in causa matrimoniali succumbit o, talem succumbentem mulctare et punire consueverunt. Et non verentur per hoc facientes, quod homines utriusque sexus causas eorum matrimoniales, quas ex consciencie debito et ex iniunccione confessorum suorum prosequi deberent, intentare et prosequi pene audent. Ymo causas usurarum impediunt eciam post litis contestacionem, dicentes se fore privilegiatos, quod prius quam ad forum ecclesiasticum veniunt p, congnoscere possunt q et debent, utrum contractus questiarius sit usurarius vel non etc. Talia privilegia sunt revocanda et reducantur ad ius commune. Item presumunt eciam super iuribus patronatuum, decimis, beneficiorum iuribus, censibus et usurarum pravitatibus congnoscere,4 quorum congnicio ad iudicem ecclesiasticum spectare dinoscitur. Item multi alii defectus sunt, qui causa brevitatis nunc obmittuntur. Conclusum, quod in presenti per sacrum concilium deputentur aliqui prelati valentes 5opere et sermone,5 qui visitarent tam clerum concilii, quam civitatem et diocesim Constanciensem cum potestate corrigendi etc. Et quod per summum pontificem proximum deputentur visitatores per provincias, qui visitent tam exemptos quam omnes ecclesias cathedrales cum potestate corrigendi etc. Et in futurum saltem de triennio in triennium summi pontifices faciant visitare exemptos et immediate subiectos. Ista conclusio facta est ad finem, prout in ea deducitur, sed quia cedula habet multa capitula, quorum quodlibet indiget speciali remedio, ideoque pro deliberacione vestra et nacionis mittitur vobis hec cedula, ut super singulis capitulis possitis cum vestris melius deliberare etc. k

prosunt Ed. laterent Hs., fehlt Ed. m impediant Hs. u. Ed. n submergant Hs. u. Ed. o succumbunt Hs. u. Ed. p venerint Ed. q possint Ed. l

C 10 Reformvorschläge aus Bistum Konstanz

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ihrer Diözese auszuüben pflegen, ja sie machen Erlasse, Verlautbarungen und Gebote bekannt und verbieten ihren Geistlichen und Priestern bei körperlichen und Vermögensstrafen, daß sie irgendwelche Briefe oder Befehle von [kirchlichen] Richtern oder Konservatoren, die kraft apostolischen Amtes dann abgeordnet wurden, annehmen, es sei denn auf der Kanzel. Dort stellen sie ihre Boten und Söldner hin, denen sie aufbürden, den Überbringern oder Bütteln diese Briefe und Mandate und die auferlegten Lasten abzunehmen und sie geheimzuhalten. Ihre Ausführung behindern sie, ja, was noch schlimmer ist: sie ertränken die Überbringer und mißhandeln sie an Leib und Vermögen. Gegen diejenigen, die tatsächlich Eheprozesse behandeln, erlassen sie sogar Gebotsanweisungen, daß sie regelmäßig, wenn ein Kläger in einem Eheprozeß unterliegt, den Unterlegenen züchtigen und strafen. Es beschämt diejenigen nicht, die das machen, daß Menschen beiderlei Geschlechts ihre Ehesachen, die sie aus dem Gewissen heraus und nach der Auflage ihrer Beichtväter behandeln müßten, kaum anzustrengen und zu behandeln wagen. Sie behindern Prozesse wegen Wuchers selbst noch nach der Prozeßeröffnung, indem sie sagen, sie besäßen das Privileg, daß sie, bevor die Sache an einen geistlichen Gerichtshof geht, feststellen können und müssen, ob die beklagte Abmachung eine Wuchersache ist oder nicht . . . Solche Privilegien müssen widerrufen und auf das allgemeine Recht zurückgeführt werden. Sie nehmen sich auch heraus, über Patronatsrechte, Zehnten, Pfründenrechte, Zinsen und Wucherzinsen zu erkennen 4, wobei doch solche Urteile offensichtlich einem geistlichen Richter zukommen. Es gibt noch viele Mißstände, die hier der Kürze halber ausgelassen werden. Daraus ergibt sich, daß jetzt durch das heilige Konzil einige Prälaten bestellt werden müssen, die 5in Tat und Wort 5 mächtig sind; diese sollen den Klerus auf dem Konzil visitieren wie auch die Stadt und die Diözese Konstanz, mit der Befugnis zur Bestrafung . . . Durch den nächsten Papst sollen Visitatoren in alle Kirchenprovinzen geschickt werden; diese sollen alle Exemten und alle Kathedralkirchen visitieren mit der Befugnis zur Bestrafung . . . Künftig sollten die Päpste ihre exemten und unmittelbar Untergebenen zumindest alle drei Jahre visitieren. Diese Schlußfolgerung hat den Zweck, wie er hier dargelegt wird; aber weil ein Ansuchen viele Abschnitte hat, von denen jeder ein eigenes Heilmittel benötigt, deswegen wird Euch dieses Ansuchen zum Überdenken durch Euch und Eure Konzilsnation geschickt, damit Ihr über die einzelnen Abschnitte mit Euren Leuten besser überlegen könnt usw . . .

4

= Recht zu gerichtlicher Untersuchung. Eccli 3, 9.

5–5

XI

Edd.: ACC II, v. d. Hardt I, Mansi XXVIII – emendiert mit Hilfe der Hss. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. iur. 2o 130 (S); Wien, Österreichische Nationalbibliothek, lat. 5069 u. 5094 (W); Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, Chart. A 22 (G).

CAPITULA ADVISATA IN REFORMATORIO1 a) De conciliis generalibus 2 1. Ed.: ACC II S. 606 [Stump, The Reforms, S. 317 f., cap. 1]

De conciliis generalibus et adversus futura schismata Quoniam ex obmissione generalium conciliorum errores et scismata, impressiones et scandala in ecclesia dei dampnabiliter hactenus succreverunt, volentes futuris obviare periculis, hoc perpetuo decreto statuimus, ut deinceps saltem de decennio in decennium generalia concilia . . .

2. Ed.: ACC II S. 609 [Stump, The Reforms, S. 397–399, cap. 12].

De conciliis generalibus celebrandis Sacrosancta synodus Constanciensis, ad perpetuam rei memoriam. Quantis iam quasi XL annorum retroactis curriculis deplorando orto scismate [in]a ecclesia b dei multitudo fidelium onerosis subiacuerit dispendiis quotque et quantis fuerit plena periculis, adeo ut columpna dei viventis pene videretur immutare et sagena summi piscatoris procellis intumescentibus timeretur in c naufragii summa c demergi, exacti temporis consideracio edocet et considerata prudenter temporum preteritorum horrenda discrimina luce clarius manifestant. Hinc evidens nos invitat racio, ut, dum hoc sacro generali Constanciensi concilio pro reformandis singulis sedula d nostra iacet intencio curisque excitemur innumeris, ea, que periculosiora sunt et ceteris malis casum et incitamenta ministrant, absque provisionis nostre remedio nullatenus relinquamus. Et si hactenus sanctorum patrum et sacrorum generalium conciliorum tradicionibus et decretis adversus futura scismata diversa excogitata fuere remedia, a

fehlt Hs. S u.Ed. ecclesie Ed. c–c naufragio Ed. d cedula Ed. b

1 Die Fassung der Texte entspricht Hs.S; die dort nicht erhaltenen Stücke stammen aus anderen Überlieferungen: Hs. Wien 5069: l1 u. p 1; Hs. Wien 5094: l2 u.o; Hs. Gotha 22: m, n, p 2, q, s 2, t 3.

11. TEXTE AUS DEN REFORMATORIEN ZUR REFORM DES HAUPTES 1 a) Allgemeine Konzilien 2 1. Über Allgemeine Konzilien und gegen künftige Spaltungen Da wegen der Unterlassung Allgemeiner Konzilien bis heute Irrlehren und Spaltungen, Gewalt und Ärgernis in der Kirche Gottes schädlich ins Kraut geschossen sind, haben wir in dem Willen, künftigen Gefahren zu begegnen, durch dieses ewige Dekret festgesetzt: Künftig sollen zumindest von Jahrzehnt zu Jahrzehnt Allgemeine Konzilien abgehalten werden (usw. wie ,,Frequens“, unten Nr. 13a, bei Anm. 3–3, u. Nr. 13b).

C 11 Reformentwürfe: a) Allgem. Konzilien

2. Durchführung Allgemeiner Konzilien Die hochheilige Synode von Konstanz zum ewigen Angedenken. Welch schweren Belastungen die große Zahl der Gläubigen im Verlauf der letzten annähernd 40 Jahre seit dem Ausbruch der beklagenswerten Spaltung der Kirche Gottes unterworfen war und unter welch großen Gefahren sie lebte, so sehr, daß die Säule des lebendigen Gottes fast zu wanken schien und man fürchten mußte, daß das Schifflein des höchsten Fischers wegen der stürmischen Wogen im Schiffbruch untergeht, – das lehrt ein Blick in die Geschichte dieser Zeit, und dies bezeugt sonnenklar eine kluge Betrachtung der schrecklichen Schäden der Vergangenheit. Daher lädt uns die klare Überlegung ein (da auf diesem heiligen Allgemeinen Konzil von Konstanz zur Reform der einzelnen Punkte unsere emsige Aufmerksamkeit darauf liegt und wir durch unzählige Sorgen angestachelt werden), das auf keinen Fall ohne das Heilmittel unserer Fürsorge zu lassen, was überaus gefährlich ist und für die anderen Übel als Anlaß und Anreiz dient. Und wenn auch bislang durch die Überlieferung und die Erlasse der heiligen Väter und heiligen Allgemeinen Konzilien allerlei Heilmittel gegen künftige Spaltungen erdacht wurden, 2 Diese Texte stellen den Beratungsstand in den Kommissionen (1415–1417) dar. Da die Sache selbst nicht strittig war, ging der entsprechende Abschnitt unverändert in die Konstitution (unten Nr. 13 a S. 484) ein. Beim 1. Entwurf war noch der Text von b (über Schismen) anhängend.

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XI Capitula advisata

ea tamen procurante pacis emulo,3 cuius secundum scripturas proprium est unitatem scindere et genus humanum versuciis plurimis impugnare, speratum non produxerunt effectum; cupientes igitur ferventibus votis futuris casibus et periculis, auxiliante cunctorum salvatore, occurrere et ecclesiastico statui multitudinique fidelium, ene norma e scismatum, fquod absit f, recidiva mala suscitentur et prevaleant in posterum, prout nobis est possibile, providere. Et quia ex generalium conciliorum omissione orta et in longum tracta fuisse detestanda scismata et in ecclesia dei scandala et errores innumeros dampnabiliter succrevisse experiencia teste cognovimus. Incipientes igitur ab eo, quod aliorum subsecutorum errorum fomentum existit et origo: In nomine sancte et individue trinitatis patris et filii et spiritus sancti. Amen. Hoc perpetuo decreto sancimus, . . .

3. Ed.: ACC II S. 610 f. [Stump, The Reforms, S. 382–383, cap. 1].

Avisamentum de futuris conciliis celebrandis Quamvis ex sacrorum generalium conciliorum celebracionibus, statutis et ordinacionibus retroactis temporibus fides catholica plurimum roborata, multe hereses extirpate, scismata sedata et dubia fuerint declarata sanctaque mater ecclesia laudabilibus gfuerit moribus g adornata, quia tamen iam multis annis non fuit conciliorum huiusmodi celebracio frequentata, errores, scismata et scandala invaluisse non modica, heu nostra etas miserabilis experitur, unde, postquam sancto afflante spiritu tandem hic aliquamdiu fuimus et sumus congregati 4in vinculo caritatis,4 volentes futura, quantum in nobis erit, tempora sub sacrorum generalium conciliorum frequentacione pro evitandis sedandisque, si, quod absit, orta fuerint scismatibus et aliis ecclesie oportunitatibus in fide et bonis moribus regulare: Hoc decreto perpetuo sancimus, . . .

b) Ed.: ACC II S. 611–616 [Stump, The Reforms, S. 318 ff.].

Provisio adversus futura scismata Si vero, quod absit . . . publice intimetur. e–e

se normam Ed. fehlt Ed. g–g fuerunt Ed. f–f

3 Vgl. Gregor IX., Rex pacificus (Einleitung zum Liber Extra): cupiditas . . . pacis emula. 4–4 Ose 11, 4.

C 11 Reformentwürfe: a) Allgem. Konzilien

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so haben sie doch durch das Wirken des Neiders allen Friedens 3 – dessen Wesen es nach den Worten der Schriften ist, die Einheit zu zerstören und das Menschengeschlecht mit seiner großen Verschlagenheit zu bekämpfen – nicht den erhofften Erfolg gebracht; daher hegen wie die Absicht, mit glühendem Eifer künftigen Fällen und Gefahren mit der Hilfe des Heilands aller [Menschen] zu begegnen und für den kirchlichen Stand und die Masse der Gläubigen, soweit es uns möglich ist, Vorsorge zu treffen, daß nicht nach dem Gesetz der Schismen immer wiederkehrende Übel erweckt werden und künftig übermächtig sind – und dies, weil wir wissen: Die Erfahrung bezeugt, daß aufgrund des Unterlassens von Allgemeinen Konzilien verabscheuungswürdige Spaltungen entstanden und lange beibehalten wurden und in der Kirche Gottes zahllose Ärgernisse und Irrlehren gewachsen sind. Wir fangen also dort an, wo der Stoff und der Ursprung für die übrigen nachfolgenden Irrtümer liegt: Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Durch diesen ewigen Erlaß entscheiden . . .wir, . . . (usw. wie ,,Frequens“ unten Nr. 13a, bei Anm. 3–3)

3. Vorlage über die Durchführung künftiger Konzilien Gewiß: Aufgrund der Durchführung der heiligen Allgemeinen Konzilien, ihrer Bestimmungen und Verordnungen wurde in den vergangenen Zeiten der katholische Glaube sehr gestärkt, viele Irrlehren wurden ausgerottet, Spaltungen beigelegt, Zweifel geklärt und die heilige Mutter Kirche mit einem lobwürdigen Erscheinungsbild geschmückt; doch weil schon seit vielen Jahren die Durchführung von Konzilien unterblieben ist, erfährt unsere bedauernswerte Zeit leider, daß Irrtümer, Spaltungen und Ärgernisse über die Maßen angewachsen sind; nachdem wir nun durch das Wehen des Heiligen Geistes endlich hier versammelt sind 4in Seilen der Liebe,4 wollen wir die künftigen Zeiten, soweit es an uns liegt, durch das häufige Durchführen von Allgemeinen Konzilien zur Vermeidung und Beilegung von Spaltungen und anderen Angelegenheiten (falls, was ferne sei, solche entstehen) im Glauben und mit einem guten Erscheinungsbild neu ordnen. Durch diesen ewigen Erlaß entscheiden . . . wir, . . . (weiter wie ,,Frequens“, unten Nr. 13a, bei Anm. 3–3)

b) Vorkehrung zur Verhütung künftiger Spaltungen (wie Konstitution, unten Nr. 13b, Abweichungen des Entwurfs dort in den Anm.)

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XI Capitula advisata

c) [De professione pape] Ed.: ACC II S. 619 f. [Stump, The Reforms, S. 325 f.].

De gravibus et arduis per papam non faciendis nisi modo infrascripto 5: Quia decet Romanum pontificem ministerium suum cum discrecione, que mater est omnium virtutum, peragere fratrumque suorum cardinalium in magnis et concilii generalis in maioribus consilio et consensu uti, intendens sacrosancta generalis Constanciensis sinodus Romane et aliarum ecclesiarum, monasteriorum et aliorum locorum piorum futuris dispendiis consideracione preteritorum, ecclesiam dei scandalizancium obviare, statuit, diffinit et ordinat, quod deinceps ipse Romanus pontifex sine consilio et assensu generalis concilii res, iura, redditus, possessiones, castra, civitates, villas, opida, census, pensiones, canones seu alia bona quecumque immobilia vel mobilia preciosa Romane et aliarum ecclesiarum, monasteriorum et aliorum locorum ecclesiasticorum predictorum in perpetuum seu ad tempus magnum, quod intelligatur h decem annorum contra iuris formam non alienet nec impignoret seu de novo infeudet aut in emphiteosim vel affictum i assignet nec pensiones, census aut canones ecclesiarum, monasteriorum et locorum predictorum remittat aut ad solucionem eorum terminum ultra biennium proroget seu concedat erecciones, suppressiones, divisiones, subiecciones, uniones ecclesiarum cathedralium et monasteriorum ac prioratuum, qui sunt principales dignitates, 6translaciones invitorum patriarcharum, archiepiscoporum, episcoporum k seu abbatum salvo iure constitucionum non faciat usque ad proximum futurum concilium. Ubi tamen immineret scandalum et periculum ecclesie expectando celebracionem futuri proximi concilii generalis, licitum sit Romano pontifici cum consilio et consensu cardinalium seu maioris partis eorum absque translacione facienda de invito l scandalo huiusmodi providere.6 Annum eciam iubileum seu mplene remissionis m7 non mutet, sed perduret fixus anno quinquagesimo, ut alias fuit statutum, nec mutari possit nisi in concilio generali. Et si contrarium premissorum vel eorum cuiuslibet fecerit, id sit ipso facto auctoritate huius sancte sinodi irritum et inane.

h

intelligitur Ed. affictam Ed. k fehlt Ed. l nimio Ed. m–m plenam remissionem Ed. i

5 In anderer Vorlage war Beschränkung der Papstmacht zugunsten der Kardinäle als Zusatz zum Papsteid geplant (hoc forte esset honestius quam per constitucionem mmmmm

C 11 Reformentwürfe c) Päpstl. Eid

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c) Eidesleistung des Papstes Bedeutende und gewichtige Entscheidungen darf der Papst nur folgendermaßen treffen:5 Weil es dem Bischof von Rom geziemt, sein Amt mit umsichtiger Klugheit, die die Mutter aller Tugenden ist, auszuüben und in wichtigen Angelegenheiten Rat und Zustimmung seiner Brüder, der Kardinäle, und in bedeutenderen den des Allgemeinen Konzils einzuholen, beabsichtigt das hochheilige Allgemeine Konzil von Konstanz, künftigem Schaden der Römischen Kirche und der anderen Kirchen, Klöster und sonstigen frommen Stätten durch Betrachtung der Vergangenheit, die ein Ärgernis für die Kirche Gottes bedeutete, zu begegnen; daher bestimmt, verfügt und verordnet es folgendes: Künftig darf der Bischof von Rom ohne Rat und Zustimmung des Allgemeinen Konzils die Güter, Rechte, Einkünfte, Besitzungen, Burgen, Städte, Dörfer, Marktorte, Steuern, Zahlungen, Satzungen und sonstigen wertvollen Güter jeder Art, unbeweglich und beweglich, der Römischen Kirche und der sonstigen Kirchen, Klöster und anderen vorgenannten kirchlichen Stätten gegen den Wortlaut des Rechts für immer oder für längere Zeit (worunter man zehn Jahre zu verstehen hat) weder veräußern, verpfänden, verleihen, in Pacht oder als Zuwendung übereignen, noch Zahlungen, Steuern oder Satzungen der genannten Kirchen, Klöster und Stätten erlassen, die Zahlungsfrist bis zu zwei Jahren verlängern oder Errichtungen, Übergaben, Teilungen, Unterstellungen, Zusammenlegungen von Kathedralkirchen, Klöstern und Prioraten, die die Hauptwürden sind, 6Versetzungen von unliebsamen Patriarchen, Erzbischöfen, Bischöfen oder Äbten – unbeschadet des Rechts von Konstitutionen – bis zum nächstfolgenden Konzil vornehmen. Wo jedoch Ärgernis und Gefahr für die Kirche drohen würde, wenn man auf die Durchführung des nächstfolgenden Allgemeinen Konzils warten wollte, soll es dem Bischof von Rom erlaubt sein, mit Rat und Zustimmung der Kardinäle oder ihrer Mehrheit ohne Verzug im Hinblick auf ein derartiges unliebsames Ärgernis eine Entscheidung zu treffen.6 Auch darf er das Jahr des Jubiläums oder vollkommenen Ablasses 7 nicht verändern, vielmehr soll es fest im 50. Jahr verankert bleiben, wie ansonsten festgesetzt war; dies kann nur auf einem Allgemeinen Konzil verändert werden. Und wenn er etwas Gegenteiliges zu dem Vorgenannten oder einem Teil davon tut, dann ist dies kraft dieser heiligen Synode ohne weiteres ungültig und nichtig. C 11 Reformentwürfe c) Päpstl. Eid

– dies ist vielleicht nicht so ehrenrührig wie durch Erlaß). Von den Vorlagen ging fast nichts in die Konstitution (unten Nr. 13 c S. 492) ein. 6–6 Diese Passage auch in eigener Vorlage zu 11 d S. 494 Anm. 24. 7 Heiliges Jahr, 1300 alle 100 Jahre, 1350 alle 50 Jahre, 1389 alle 33 Jahre vorgesehen.

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XI Capitula advisata d) Ed.: ACC II S. 621 [Stump, The Reforms, S. 364, cap. 37].

De prelatis invitis non transferendis Translaciones . . . providere.

e) Ed.: ACC II S. 622 f. [Stump, The Reforms, S. 340 f., cap. 7].

De spoliis prelatorum, de procuracionibus, de fructibus medii temporis per papam nec inferiores prelatos capiendis Dudum 8 fuit provide dispositum, quod non reservarentur de cetero spolia prelatorum ac clericorum decedencium nec fructus medii temporis ecclesiarum seu beneficiorum vacancium nec procuraciones, que racione visitacionis debentur episcopis et aliis prelatis. Verum quia dicte disposiciones hactenus non fuerunt plene n observate et a nonnullis posset o in dubium revocari, an fuerint personales vel perpetue, volentes ecclesiarum ac prelatorum dispendiis providere, declaramus disposiciones ipsas fuisse ac esse perpetuas et per quoscumque summos pontifices inviolabiliter observandas. Et nichilominus de novo statuimus. Nec spolia, que eciam inferioribus prelatis penitus interdicimus, nec fructus aut proventus, qui vacantibus ecclesiis, monasteriis aut quibuscumque dignitatibus, beneficiis, administracionibus aut locis piis medio tempore obvenerint p, nec procuraciones supradicte, que racione visitacionis prelatis vel aliis quibuscumque dignitatibus q debentur, possint de cetero eciam per commissiones seu concessiones eis forte iam concessas, quas tenore presencium revocamus, nomine summorum pontificum camere apostolice reservari, levari aut quomodolibet participari, adicientes, quod de cetero prelatis et aliis, qui ex officio visitare tenentur, facultas seu licencia visitandi per procuratorem nullatenus per sedem apostolicam aut alium concedatur, nisi forte ex causa infirmitatis aut alia necessaria personaliter visitare non possint, que specialiter in litteris exprimatur. Alias concessio nullius sit roboris vel momenti. Et concessas hactenus tenore presencium revocamus, constitucionibus, que circa fructus huiusmodi conservandos et procuraciones ac taxaciones ipsorum per alios retro pontifices et generalia concilia provide facte sunt, in suo robore duraturis. Et nota, quod quibusdam visum fuit, quod circa spolia etc. adicienda esset n o p q

fehlt Ed. possint Ed. obvenerunt Ed. fehlt Ed.

C 11 Reformentwürfe: e) Spolien

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d) Versetzungsverbot (Vorlage wie zuvor Text c. bei Anm.6–6)

e) Spolien und Gefälle Nachlaßstücke der Prälaten, Gefälle, Erträge der Zwischenzeit dürfen nicht zugunsten des Papstes und der niederen Prälaten eingezogen werden Vor Zeiten 8 wurde umsichtig entschieden, es sollten künftig keine Nachlaßstücke der verstorbenen Prälaten und Kleriker, keine Erträge der Zwischenzeit bei verwaisten Kirchen oder Pfründen und keine Gebühren, die aufgrund der Visitation den Bischöfen und anderen Prälaten zustehen, für andere reserviert werden. Weil aber diese Entscheidungen bislang nicht vollständig befolgt wurden und es von einigen in Zweifel gezogen werden könnte, ob sie nur einige Personen betreffen oder ständig gültig sind, wollen wir etwas gegen die Nachteile für die Kirchen und Prälaten tun und erklären daher: Diese Entscheidungen waren und sind ständig gültig und müssen von allen Päpsten unverletzlich befolgt werden. Gleichwohl bestätigen wir sie erneut. Weder Nachlaßstücke, die wir den niederen Prälaten gänzlich versagen, noch Erträge oder Einkünfte, die in der Zwischenzeit von verwaisten Kirchen, Klöstern, irgendwelchen Würden, Pfründen, Verweserschaften oder frommen Stätten angefallen sind, noch die genannten Gebühren, die aufgrund einer Visitation den Prälaten oder irgendwelchen anderen Würdenträgern zustehen, dürfen in Zukunft, auch nicht durch Beauftragungen oder ihnen etwa gewährte Zugeständnisse – die wir durch das Gegenwärtige widerrufen –, im Namen der Päpste der Apostolischen Kammer vorbehalten, zugemessen oder irgendwie zugeteilt werden. Dabei fügen wir hinzu: Künftig darf den Prälaten und den übrigen, die von Amts wegen zu visitieren gehalten sind, die Befugnis oder Erlaubnis, durch einen Amtsverweser visitieren zu lassen, keinesfalls vom Apostolischen Stuhl oder jemand sonst gewährt werden, es sei denn sie können aufgrund von Krankheit oder anderen Zwängen nicht persönlich visitieren, was in einer Urkunde eigens aufgeführt sein müßte, ansonsten ist die Gewährung ohne Rechtskraft und ohne Bedeutung. Die bereits gewährten widerrufen wir durch das Gegenwärtige; Gesetze, die hinsichtlich der Bewahrung der Erträge und ihrer Gebühren und Besteuerungen in der Vergangenheit durch andere Päpste und Allgemeine Konzilien umsichtig verfügt worden sind, bleiben in ihrer Rechtskraft bestehen. Bemerkung: Es schien einigen gut, hinsichtlich der Nachlaßstücke usw. C 11 Reformentwürfe: e) Spolien

8

VI 1.6.40, von Bonifaz VIII. 1298.

430

XI Capitula advisata

pena, ut scilicet tamdiu curia Romana quoad officia sua remaneat suspensa, donec per summum ponmtificem huiusmodi spolia fuerint plenarie restituta, dicta vero suspensione durante, officia sua exercentes excommunicacionis sentenciam incurrant ipso facto.

f) [De exempcionibus et incorporacionibus] 1. Ed.: ACC II S. 624 [cf. Stump, The Reforms, S. 378, cap. 13].

De exempcionibus Quod omnes exempciones, quibuscumque religiosis domibus aut aliis locis vel personis quibuscumque a tempore scismatis per Romanos pontifices concesse, preter consensum ordinariorum aut sine cause cognicione indistincte revocentur, cassentur, irritentur et annullentur, exceptis ecclesiis vel locis noviter fundatis sub r condicione exempcionis eciam a tempore scismatis. Exempcionibus tamen studencium et generalium studiorum semper salvis.9

2. Ed.: ACC II S. 625 [Stump, The Reforms, S. 352, cap. 23].

De unionibus Uniones de beneficiis cuiuscumque status sive eciam de ecclesiis secularibus vel regularibus deinceps non fiant per summum pontificem, nisi ex causa racionabili et causa cognita. Et aliter facte ipso iure sint nulle. Idem et forcius in ordinariis. Facte autem in preteritum, que nondum sortite sunt effectum, indistincte intelligantur cassate et penitus revocate. Et idem de unionibus factis de vicariis, que intelligantur revocate, eciamsi effectum sortite sunt. Que vero de aliis beneficiis, sive per summos pontifices, sive per ordinarios facte sunt et effectum sortite a tempore huius nefandi

r

et sub Ed.

9 Zur Vorgeschichte vgl. Randnotiz in Hs. Vatikan (ACC II S. 624 Fußnote i): Maiori parti placuit, quod omnes exempciones indistincte revocentur, aliquibus, quod mmmm

C 11 Reformentwürfe: f) Exemtionen

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sollte eine Strafe hinzugefügt werden, und zwar soll die Römische Kurie, was ihre Ämter anlangt, solange noch in der Schwebe bleiben, bis vom Papst solche Nachlaßstücke vollständig zurückerstattet sind; solange dieser genannte Schwebezustand dauert, sollten diejenigen, die diese Ämter ausüben, ohne weiteres der Exkommunikation verfallen.

f) Exemtionen und Inkorporationen 1. Exemtionen Es sollen alle Exemtionen, die irgendwelchen Ordenshäusern, sonstigen Stellen oder Personen seit der Zeit des Schismas von den Römischen Bischöfen gewährt worden sind, auch ohne Zustimmung der Ordinarien oder ohne Durchführung eines Verfahrens unterschiedslos widerrufen, rückgängig gemacht, zurückgezogen und für ungültig erklärt werden, ausgenommen die unter der Bedingung einer Exemtion neugegründeten Kirchen und Stellen – auch seit der Zeit des Schismas. Voll und ganz unberührt bleiben die Exemtionen für Studenten und Generalstudien.9

2. Vereinigungen Vereinigungen von Pfründen jeden Standes und von weltlichen oder Ordens-Kirchen soll es künftig von seiten des Höchsten Bischofs nur aus vernünftigem Grund und nach Verhandlung der Sache geben. Anders vorgenommene sind ohne weiteres Verfahren nichtig. Gleicherweise und insbesondere bei Ordinarien. In der Vergangenheit vorgenommene, die noch nicht vollzogen worden sind, gelten unterschiedslos als zurückgezogen und voll und ganz widerrufen. Gleiches gilt hinsichtlich der erfolgten Vereinigungen von Vikarien; sie gelten als widerrufen, auch wenn sie bereits vollzogen sind. Solche von anderen Pfründen aber, die vom Papst oder von Ordinarien vorgenommen wurden und in der Zeit dieses schlimmen Schismas Wirksamkeit erlangt haC 11 Reformentwürfe: f) Exemtionen

personales tantum. Set conclusum, quod deputetur unus pro nacione, qui cum cardinali Pisano et Florentino concipiant formam constitucionis. – Deliberata die XXVII septembris. – Die Mehrheit wollte, daß alle Exemtionen unterschiedslos widerrufen werden, einige, daß nur die persönlichen. Beschlossen wurde eine Deputation von je einem aus jeder Nation, die mit den Kardinälen von Pisa und Florenz einen Text der Beschlußvorlage verfassen sollen. Verhandelt am 27. Sept. [1415]. – Zum Kard. "v. Pisa“ vgl. oben Nr. 3 Anm. 37; zum Kard. "v. Florenz“ vgl. unten Nr. 12 Anm. 27.

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XI Capitula advisata

scismatis citra s, causa racionabili non subsistente, indistincte habeantur pro nullis et sint ipso iure revocate.10

g) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 639 f. [Stump, The Reforms, S. 368, cap. 43].

De fructibus indebite perceptis per prelatos Adversus dampnabilem abusum, quo quidam ecclesiastici prelati requirunt, exigunt et recipiunt et sibi inbursant fructus integros aut duorum annorum t vel eciam u unius in magnum detrimentum et gravamen pauperum, qui multa litigando exposuerunt ac in principio introitus sui multis indigent pro regimine domestico et hospitalitate servanda, cum tamen huiusmodi prelati alias sint sufficienter habundantes et redditus pro suis mensis habeant v copiosos, petitur igitur super hiis eciam provideri.11 s t u v

fehlt Ed. vel medios duorum annorum Ed. fehlt Ed. habent Ed.

10 Diese Vorlage wurde am 19. Nov. 1415 beschlossen. Zur Vorgeschichte (ACC II S. 625): Proposita fuit cedula constitucionis exhibite per dominum Florentinum super unionibus die lune VIII. octobris presidente domino . . . : Divinum cultum volentes. – Scrutatis votis de futuris unionibus, communiter omnibus placuit, quod stetur textui, videlicet, quod non fiant nisi causa racionabili et cognita, et similiter quoad ordinarios stetur textui. De preteritis varie fuerunt sentencie, sed tamen dictum fuit communiter, quod revocentur seu declarentur nulle facte causa racionabili subsistente. Et super hoc eligantur quattuor, videlicet unus pro qualibet nacione, qui avisent de causis racionabilibus. Item pro parte aliquorum maxima facta fuit instancia, quod uniones de vicariis omnino revocentur. – Vorgelegt wurde ein Beschlußantrag des Herrn [Kardinals] von Florenz über Vereinigungen, am Montag, dem 8. Oktober [1415], unter Vorsitz des Herrn . . . : Divinum cultum volentes. [Text nicht erhalten] Bei der Aussprache über künftige [Vereinigungen] ergibt sich allgemeines Einverständnis mit dem, was im Text steht, d. h. sie soll es nur aus vernünftigem und verhandeltem Grund geben; auch hinsichtlich der Ordinarien solle gelten, was im Text steht. Wegen der bisherigen Vereinigungen gab es verschiedene Anträge, nur wurde allgemein gesagt, sie sollten widerrufen werden oder es solle die Erklärung erfolgen, falls kein vernünftiger Grund vorliege, seien sie nichtig. Deswegen wurden vier gewählt, je einer aus jeder Nation, die Vorschläge über vernünftige Gründe machen sollten. Von seiten einiger wurde sehr gedrängt, Vereinigungen hinsichtlich von Vikarien sollten grundsätzlich verboten werden. 11 Eine weitere Vorlage (Hs. Wien 5094, ACC II S. 626) zu dieser Materie: Decet Romanum pontificem hiis uti legibus, quas in aliis ipse sanxerit, quoniam illius existit vicarius, qui cepit facere et docere. Digna enim vox est maiestate regnantis alligatum mmmm

C 11 Reformentwürfe: g) Interkalarfrüchte

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ben und für die es keinen vernünftigen Grund gibt, sollen unterschiedslos für nichtig erachtet werden und ohne weiteres Verfahren widerrufen sein.10

g) Ungerechtfertigt von Prälaten erlangte Erträge [der Zwischenzeit]

C 11 Reformentwürfe: g) Interkalarfrüchte

Wider den schlimmen Mißbrauch, durch den einige kirchliche Prälaten die gesamten Erträge von zwei Jahren oder einem Jahr einfordern, beitreiben, ansichnehmen und einstreichen – zum großen Schaden und Nachteil für arme [Pfründner], die viel [Kapital] beim Erstreiten daran gesetzt haben und bei ihrem Amtsbeginn viel brauchen, um das Hauswesen zu leiten und die Gastlichkeit zu bewahren, während andererseits solche Prälaten genügend wohlhabend sind und Einkünfte in Fülle für ihre Tafel haben: Es wird daher darum gebeten, auch hierüber Vorsorge zu treffen.11 legibus se principem profiteri, et maius est imperio summittere legibus principatum. Cum itaque dudum Romani pontifices perpetuis et diversis edictis prohibuerunt, vacantibus cathedralibus regularibus et collegiatis ecclesiis necnon dignitatibus, personatibus, prioratibus vel ecclesiis quibuscumque bona a prelatis, rectoribus aut ministris ipsorum et ipsarum dimissa seu post ipsorum obitum inventa aut vacacionis tempore obveniencia a quibuscumque preterquam in certis casibus occupari, declaramus et decernimus bona huiusmodi, eciam si defuncti sancte Romane ecclesie cardinales fuerint, et ubicumque, eciam si in Romana curia bona eadem extiterint vel obvenerint, per Romanos pontifices seu eorum officiarios aut ministros non deberi occupari aut sibi vel apostolice camere applicari. Per hoc autem de fructibus primi anni, quos vacancias seu annatas vocant, quos apostolica camera aliquando pro suis necessitatibus percepit, nichil intendimus ordinare. – Es steht dem Römischen Bischof gut an, den Gesetzen zu folgen, die er selbst für andere festgelegt hat, denn er ist der Stellvertreter dessen, der beides anfing, zu tun und zu lehren [Act 1, 1]. Der Hoheit des Herrschers ist nämlich das Wort angemessen, mit dem er erklärt, er sei als Fürst an die Gesetze gebunden, und noch größer ist es, die Gewalt der Herrschaft dem Gesetze zu unterwerfen [Cod. 1.14.4 – sog. Lex Digna vox]. Nun haben die Päpste schon seit langem in auf Dauer gültigen Erlassen verboten: Wenn Kathedral-, Regular- und Kollegiatkirchen sowie Würden, Personate, Priorate oder irgendwelche Kirchen verwaist sind, dürfen von Prälaten, Rektoren oder Amtsinhabern hinterlassene Güter, auch die nach ihrem Tode aufgefundenen oder zur Zeit der Vakanz anfallenden Güter von niemandem (ausgenommen in bestimmten Fällen) in Besitz genommen werden. Daher erklärten und entscheiden wir: Solche Güter dürfen, auch wenn die Verstorbenen Kardinäle der heiligen Römischen Kirche waren, nirgendwo, selbst wenn diese Güter an der Römischen Kurie bestehen oder einkommen, von den Päpsten, ihren Beamten oder Dienern in Besitz genommen oder sich selbst oder der Apostolischen Kammer zugewendet werden. Dabei beabsichtigen wir nichts zu verordnen hinsichtlich der Erträge des ersten Jahres, die Vakanzien oder Annaten heißen – diese hat die Apostolische Kammer schon früher für ihre Bedürfnisse erhalten.

434

XI Capitula advisata

h) [De dispensacionibus]12 1. Ed.: ACC II S. 630 f.

De pluralitate beneficiorum Quod papa non dispenset nisi ex causa racionabili expressa specifice in litteris, scilicet propter scienciam vel nobilitatem vel wexilitatem beneficiorum w ut in capitulo De multa.13 Ad tria autem non dispenset nisi ex eminenti sciencia et magna nobilitate et quia illustris; nisi forte in partibus, ubi essent exilia x beneficia, ut in Apulia et in certis partibus Hyspanie; et ibi non ad ultra quatuor. In Anglia vero omnino caveat, ut non nisi ad y duo ad plus dispenset. Et hoc eciam ex magna causa. Item quod nullus possit habere ultra duas prebendas ecclesiarum cathedralium, non obstante quacumque consuetudine. Nec possit dispensari per papam nisi ex causa specialiter expressa in literis, que sit racionabilis et vera. Et quod nullus possit lucrari eadem die cottidianas distribuciones 14 nisi in uno beneficio.

2. Ed.: ACC II S. 631 [Stump, The Reforms, S. 347, cap. 13].

De preteritis dispensacionibus quoad incompatibilia revocandis Revocentur ille ex toto, que non sunt sortite effectum. Sed sortite reducantur ad duo tantum, ita quod liceat habenti plura incompatibilia infra annum eligere duo, que malit. Nec possit alia cum aliquo permutare.

3. Ed.: ACC II S. 631 f. [Stump, The Reforms, S. 343f., cap. 14].

De residencia episcoporum et superiorum prelatorum Quilibet summus pontifex in principio assumpcionis sue proponat edictum, quod omnes archiepiscopi et z episcopi similiter et abbates iurent in promocionibus suis et alii exempti, quod a teneantur in propriis ecclesiis, monasteriis et dignitatibus, curis et administracionibus residere. Et si steterint preter b sex menses absentes ab ecclesiis suis vel monasteriis absque expressa w–w x y z a b

eximitate Ed. exigua Ed. fehlt Ed. fehlt Ed. fehlt Ed. per Ed.

C 11 Reformentwürfe: h) Dispense

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h) Dispense 12 1. Mehrfachpfründen Der Papst darf nur dispensieren aus vernünftigem Grund, der eigens in der Urkunde festgehalten ist, und zwar wegen Bildung oder Adel oder wegen der Dürftigkeit der Pfründen.*13 Auf drei Pfründen aber darf er nur wegen hervorragender Bildung, hohen Adels und weil er erlaucht ist dispensieren, auch etwa in einzelnen Gegenden, wo es nur dürftige Pfründen gibt, wie in Apulien und in bestimmten Gebieten Spaniens, auch dort nicht über vier. In England jedoch muß er sich grundsätzlich davor hüten, für mehr als zwei Dispens zu erteilen. Und dies auch nur aus gewichtigem Grund. Ferner darf keiner mehr als zwei Pfründen von Kathedralkirchen haben, entgegenstehende Gewohnheiten sind abgeschafft. Vom Papst kann nur Dispens erteilt werden mit einem eigens in der Urkunde genannten Grund, der vernünftig und wahr sein muß. Niemand darf am selben Tag tägliche Zuwendungen 14 von mehr als einer Pfründe erhalten.

2. Widerruf unvereinbarer Dispense [Dispense,] die noch nicht vollzogen sind, sollen gänzlich wierrufen werden. Die vollzogen sind, müssen auf lediglich zwei [Pfründen] beschränkt werden, so daß der Inhaber von mehreren unvereinbaren innerhalb eines Jahres wählen kann, welche zwei er möchte. Er darf keine anderen mit jemandem tauschen. C 11 Reformentwürfe: h) Dispense

3. Anwesenheitspflicht der Bischöfe und höheren Prälaten Jeder Papst soll am Anfang seiner Erhebung einen Erlaß vorlegen, daß alle Erzbischöfe, Bischöfe, sowie Äbte und andere Exemte bei ihrer Amtseinführung schwören, sie seien gehalten, in ihren eigenen Kirchen, Klöstern, Würden, Seelsorgestellen und Amtsverweserschaften zu wohnen. Wenn sie über sechs Monate von ihren Kirchen oder Klöstern ohne ausdrückliche Erlaub12

In Hs.Vatikan (ACC II S. 630 Fußnote a) Vorbemerkung: Cum multe cedule fuerunt oblate et multa proposita, de nullo fuit deliberatum – Es wurden viele Anträge vorgelegt und vielerlei vorgeschlagen, über nichts wurde entschieden. 13 * wie in X 3.5.28. 14 Verteilungen für die Teilnahme am Chorgebet.

436

XI Capitula advisata

licencia sedis apostolice, sint ipso iure privati episcopatibus et abbaciis suis. Nec det papa licenciam nisi ex cracionabilibus et iustis causis in litteris specialiter expressis c, utputa quod d Romana curia indiget presencia sua vel equod tenentur prosequi causam ecclesie sue in curia vel e alibi vel quia est in consilio alicuius regis vel principis sui. Hoc tamen adiecto, quod pro consiliis fregum et principum sint deputati ad certum et determinatum munus f. Intelligantur tamen esse presentes, si morantur in castris vel g aliis locis vicinis ecclesie sue infra diocesim. Ita tamen quod saltem h in precipuis festivitatibus et diebus sollempnibus, scilicet Nativitatis domini, Circumcisionis, Epiphanie, Quadragesime, Pasce, Ascensionis, Penthecostes, in Nativitate Iohannis Baptiste,15 in Assumpcione nostre domine et in ialiis i festis principalibus, ut k consecracionis seu dedicacionis ecclesie sue, sint presentes in ecclesia et missam celebrent, si possint. Similiter episcopi teneantur sub pena ponere simile edictum omni anno in ecclesia sua l pro abbatibus non exemptis et aliis curatis et m habentibus beneficia requirencia residenciam de iure, consuetudine vel statuto. Nec det licenciam non residendi nisi ex causa iusta et expressa, ut supra, nec aliquid capiant pro tali licencia sub pena. Item quod abbates non possint abesse a monasterio causa studiorum, quia n debent esse scientes, onec ideo ut legant o in aliqua facultate. Quia utilius pest, ut suscepta p monasteria gubernent quam quod scolaribus legant. Item quod non possint esse in officiis secularibus vel consiliis q principum. Nec propterea habere absenciam, 16quia mortui sunt mundo.16 Et in conciliis r provincialibus habeatur diligens inquisicio set relacio de subditis ipsorum s, ut puniantur, et de episcopis et exemptis, qui per semestre non resederint t vel negligentes fuerint u compellendo subditos ad residenciam, ut v per concilium referatur pape. c–c racionabili et iusta causa ac in litteris limitata, ut puta indiget presencia sua in Romana curia Ed. d fehlt Ed. e–e fehlt Ed. f–f principum limitetur Ed. g seu Ed. h fehlt Ed. i–i ceteris Ed. k videlicet Ed. l fehlt Ed. m fehlt Ed. n qui Ed. o–o s–s vel quia legent Ed. de subditis episcoporum Ed. p–p t quod Ed. residerunt Ed. q u officiis Ed. fuerunt Ed. r v consiliis Ed. ac Ed.

C 11 Reformentwürfe: h) Anwesenheitspflicht

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nis des Apostolischen Stuhles abwesend sind, gehen sie ohne weiteres Verfahren ihrer Bistümer und Abteien verlustig. Der Papst darf den Urlaub nur aus vernünftigen und gerechten in der Urkunde eigens genannten Gründen geben, etwa wenn die Römische Kurie seine Anwesenheit dringend braucht oder wenn er gehalten ist, einen Prozeß für seine Kirche an der Kurie oder anderswo zu führen, oder weil er zum Rat eines Königs oder seines Fürsten gehört. Dabei ist jedoch hinzuzufügen: Für die Räte der Könige und Fürsten müssen sie für bestimmte und festgelegte Aufgaben vorgesehen sein. Als anwesend gilt, wer sich auf einer Burg seiner Kirche aufhält oder in anderen Nachbarorten innerhalb der Diözese. An den Hochfesten und Feiertagen, also Weihnachten, Beschneidung Christi, Erscheinung des Herrn, Fastenzeit, Ostern, [Christi] Himmelfahrt, Pfingsten, Johannestag,15 Himmelfahrt Unserer Lieben Frau und an den übrigen Hauptfesten, etwa am Weihetag der Kirche, an Kirchweih, müssen sie in ihrer Domkirche anwesend sein und wenn irgend möglich eine Messe feiern. Ferner sind die Bischöfe unter Strafe gehalten, jedes Jahr in ihrer Kirche einen entsprechenden Erlaß herauszugeben für die nicht exemten Äbte, die anderen Seelsorger und die Inhaber von Pfründen, die Anwesenheit erfordern nach Recht, Gewohnheit oder Statut. Es darf keine Erlaubnis geben, abwesend zu sein, es sei denn aus gerechtem und ausdrücklichem Grund (wie oben), und sie dürfen für solche Erlaubnis unter Strafe nichts nehmen. Äbte dürfen sich nicht von ihrem Kloster entfernen, um zu studieren – Äbte müssen schon Bildung besitzen – oder damit sie in einer Fakultät Vorlesungen halten. Denn es ist nützlicher, wenn sie nach der Amtsübernahme ihr Kloster leiten als wenn sie Studenten Vorlesungen halten. Sie dürfen keine weltlichen Ämter oder Ratsstellen der Fürsten wahrnehmen und auch nicht Urlaub nehmen, 16denn sie sind für die Welt gestorben.16 Auf den Provinzialkonzilien ist über ihre Untergebenen eine sorgfältige Untersuchung durchzuführen und ein Bericht anzufertigen, damit diejenigen von den Bischöfen und den Exemten bestraft werden, die ein Semester lang nicht anwesend oder säumig waren, ihre Untergebenen zur Anwesenheit anzuhalten; über das Konzil muß dem Papst Bericht erstattet werden. C 11 Reformentwürfe: h) Anwesenheitspflicht

15

Fest der Geburt von Johannes dem Täufer am 24. Juni. Vgl. C. 16 q. 1 c. 8.

16–16

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XI Capitula advisata 4. Ed.: ACC II S. 632 f. [Stump, The Reforms, S. 349, cap. 15].

De dispensacione ad ordines Quod prelati servent capitulum Cum ex eo.17 Item quod in litteris exprimatur, quod, nisi studium continue w prosecutus fuerit cessante studio dispensacio cesset x. Et de facto revocent dispensacionem, si habentes relicto studio vel intermisso abutantur ipsa. Et idem in litteris de non residendo causa studii vel alia quacumque papa eciam non det dispensacionem, quod non teneantur ad sacros vel ad sacerdocium intra annum promoveri, nisi ex iusta causa et specialiter in litteris expressa, nec tunc ultra annum concedat. Et in preteritum concesse revocentur, ita quod remaneant ad annum tantum.

5. Ed.: ACC II S. 633 [Stump, The Reforms, S. 349, cap. 16].

De dispensacione etatis episcoporum, abbatum, curatorum et ordinum Non dispenset papa nisi in tribus annis infra etatem iuris ut in episcopo, si explevit XXVII. annum y, in abbatibus et curatis etc., si XXII. attigerunt et similiter in ordine presbiteratus etc., et tunc ex causa racionabili et specialiter in litteris expressa. Preterite dispensaciones revocentur, que non sunt sortite effectum, si habentes ipsas hodie sint infra dictas etates dispensabiles, sint revocate. Hoc adiecto, quod dispensaciones, que dicuntur facte cum infantibus ad dignitates supradictas, eciam si sint sortite effectum, sint revocate quia contra ius naturale. In prebendis ecclesiarum cathedralium stet regula cancellarie,18 quod non possint conferri nisi existentibus in XIIII. anno; possit tamen papa conferre existenti in XII., facta mencione de etate.

i) Ed.: ACC II S. 663 [Stump, The Reforms, S. 350, cap. 18].

De decimis per papam non imponendis Quod papa non imponat decimam clero vel toti vel eius parti nisi in concilio generali et cum consensu concilii. Possit tamen postulare caritativum subsidium cum caritate, quando res exigit.

w x y

continuo Ed. ipsa cesset Ed. annos Ed.

C 11 Reformentwürfe: h) Mindestalter

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4. Dispens von Weihen Prälaten müssen den Kanon Cum ex eo17 befolgen. In der Urkunde ist festzuhalten: Falls das Studium nicht ohne Unterbrechung fortgesetzt wird, erlischt bei Beendigung des Studiums auch der Dispens. Tatsächlich wird ein Dispens widerrufen, wenn die Inhaber ihn bei Studienunterbrechungen oder Studienabbruch mißbrauchen. Gleichfalls darf auch der Papst bei Urkunden über Befreiung von der Anwesenheitspflicht wegen eines Studiums oder sonstwie keine Dispens erteilen, daß einer nicht verpflichtet sei, sich zu den heiligen Weihen oder zur Priesterweihe innerhalb eines Jahres erheben zu lassen, es sei denn aus gerechtem und eigens in der Urkunde genanntem Grund, und dann darf er es auch nicht über ein Jahr hinaus gewähren. Frühere Dispense werden widerrufen, so daß sie nur noch ein Jahr gültig sind.

5. Dispens vom Mindestalter der Bischöfe, Äbte, Seelsorger und Weiheträger Der Papst darf Dispens erteilen nur für drei Jahre unter dem rechtlich gesetzten Alter, d. h. beim Bischof, wenn er das 27. Jahr vollendet hat; beim Abt, Seelsorger usw., wenn sie das 22. Jahr erreicht haben, entsprechend bei der Priesterweihe usw., und dann auch nur bei vernünftigem und in der Urkunde eigens genanntem Grund. Frühere Dispense, die noch nicht vollzogen sind, sind zu widerrufen; wenn die Inhaber heute unterhalb des genannten Alters sind, müssen sie widerrufen werden. Hinzugefügt sei: Dispense, die für Kinder auf die obengenannten Würden ergangen sind, sind zu widerrufen, auch wenn sie schon vollzogen sind, denn sie widersprechen dem Naturrecht. Bei Pfründen der Kathedralkirchen hat die Kanzleiregel18 zu gelten, daß sie nur [an Personen] ab dem 14. Lebensjahr übertragen werden können, doch darf der Papst sie einem 12jährigen unter Nennung des Alters übertragen. C 11 Reformentwürfe: h) Mindestalter

i) Keine Auferlegung von Zehnten durch den Papst Der Papst soll dem Klerus als Ganzem oder einem Teil keinen Zehnt auferlegen, es sei denn auf einem Allgemeinen Konzil und mit Zustimmung des Konzils. Er kann jedoch voller Freundlichkeit um eine freundliche Unterstützung bitten, falls eine Notlage es erfordert.

17 18

VI 1.6.34. Regulae cancellariae, ed. Ottenthal, Gregor XI. Nr. 47, Benedikt XIII. Nr. 86.

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XI Capitula advisata k) Ed.: ACC II S. 635 f. [Stump, The Reforms, S. 328, cap. 41].

De numero et modo assumpcionis cardinalium et qualitate assumendorum Quia plerumque multitudo superflua confusionem inducere consuevit, statuimus, ut deinceps numerus cardinalium sancte Romane ecclesie in futurum assumendorum decem et octo non excedat. Sint autem viri in sciencia, moribus et rerum experiencia excellentes, qui non minores sint triginta annis, doctores in theologia,19 iure canonico vel civili preter admodum paucos, qui forte de stirpe regia vel ducali aut magni principis oriundi existant, non affines seu attinentes alicuius cardinalis viventis usque ad quartum gradum inclusive nec de eadem stirpe, familia seu domo vel agnacione nec de uno ordine religionis ultra unum, non illegitime nati, non corpore viciati, non alicuius criminis aut infamie nota respersi. Nec fiat eorum eleccio per auricularia vota 20 solummodo, sed illi solum eligi et assumi possint, in quos facto vero scrutinio ac publicato maiorem partem cardinalium per subscripcionem manus proprie constiterit collegialiter consensisse. Et apostolice littere conficiantur exinde. Qui eciam modus scrutinii et subscripcionis observetur, quando aliquis ex cardinalibus vel alius in episcopum cardinalem assumetur. Et aliter celebrata cardinalium assumpcio ipso iure non subsistat.21

l) [De reservacionibus sedis apostolice] 1. Ed.: Mansi XXVIII Sp. 304.

De eleccione Ut pestis symoniaca ambicionisque et cupiditati vicia, que nostris nimium succrevere temporibus, ab arca z domus dei efficacius a valeant exterminari, et ut sacratissime in divino naturalique et positivo iuribus fundate constituciones de preficiendis ecclesiarum et monasteriorum prelatis per viam eleccionis aut postulacionis habere possint locum, hec sacrosancta synodus Constanciensis suo decreto revocat, cassat et annullat omnes et singulas reservaciones ecclesiarum kathedralium, abbacialium et aliarum dignitatum electivarum,

z a

area Ed. fehlt Ed.

C 11 Reformentwürfe: l) Reservationen

441

k) Zahl und Aufnahmeart der Kardinäle, Eigenschaften der Kandidaten Weil eine überflüssige Vielzahl zumeist Verwirrung stiftet, bestimmen wir, daß nunmehr die Zahl der künftig aufzunehmenden Kardinäle der heiligen Römischen Kirche 18 nicht übersteigen soll. Sie sollen in Wissenschaft, Charakter und Lebenserfahrung hervorragende Männer sein, nicht jünger als 30 Jahre, Doktoren der Theologie,19 des kanonischen oder Römischen Rechts – abgesehen von einigen wenigen, die etwa aus einer königlichen, herzoglichen oder bedeutenden fürstlichen Sippe stammen –, mit keinem lebenden Kardinal verwandt oder verschwägert bis zum vierten Glied einschließlich, nicht aus gleicher Sippe, Familie, Haus oder Linie, außer einem aus keinem Mönchsorden, nicht unehelicher Geburt, nicht körperbehindert, ohne den Makel eines Verbrechens oder eines Verrufs. Ihre Wahl soll nicht nur durch ins Ohr geflüsterte Wünsche 20 erfolgen, sondern es sollen nur die gewählt und aufgenommen werden, bei denen nach erfolgter und veröffentlichter Prüfung die Mehrheit der Kardinäle durch eigenhändige Unterschrift bestätigt, daß das Kollegium zugestimmt hat. Ein Apostolisches Schreiben soll darüber aufgesetzt werden. Dieser Akt der Prüfung und Unterschrift ist auch zu beachten, wenn einer der Kardinäle oder sonst jemand zum Kardinalbischof erhoben wird. Eine anders durchgeführte Kardinalserhebung hat keinen rechtlichen Bestand.21

l) Reservationen des Apostolischen Stuhles 1. Wahlen

C 11 Reformentwürfe: l) Reservationen

Damit die simonistische Pest sowie die Laster des Ehrgeizes und der Leidenschaft, die in unseren Tagen allzusehr gewachsen sind, von der Arche des Gottesvolkes wirksamer ausgeschlossen werden und damit die hochheiligen, im göttlichen, natürlichen und positiven Recht gegründeten Konstitutionen über das Einsetzen der Prälaten von Kirchen und Klöstern im Wege der Wahl oder Einsetzungsbitte ihren Platz haben können, widerruft, beseitigt und annulliert diese hochheilige Synode von Konstanz durch ihr Dekret samt und sonders alle Reservationen auf Kathedralkirchen, Abts- und sonstigen 19

Andere Hss.: saltem quattuor – mindestens 4. Das Wahlrecht des Konsistoriums war bis auf ein geheimes Zuflüstern dem Papst zugefallen. 21 Ein späterer Entwurf war Grundlage für die Reformakte (Hübler S. 128 f.) und den Text des dt. u. frz. Konkordats (unten Nr. 16 a u. b cap. 1 S. 516 u. 530). 20

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XI Capitula advisata

que in corpore iuris non clauduntur. Et quod talibus inantea b eciam summo pontifici uti vel eas iterare non liceat sine deliberacione et consensu concilii generalis. Et quod de hoc in posterum serventur iura antiqua de eleccione aut postulacione edita. Sic tamen, quod de prelaturis et dignitatibus exemptis et sedi apostolice immediate subiectis quoad confirmaciones eleccionum aut postulacionum huiusmodi summus pontifex se intromittere possit. Cetere vero elecciones prelatorum et dignitatum per immediatos superiores, ut si abbas sit, per episcopum, si episcopus per archiepiscopum, et si archiepiscopus per primatem, si illum habeat, dummodo examinatis singulis rite secundum sancciones canonicas de viris ydoneis facte sint, confirmentur. Ne se alii superiores, nisi in defectu inferiorum aut per devolucionem hoc eis de iure communi competat, de talibus intromittant quovismodo, hec sacra synodus similiter ordinat et disponit.

2. Ed.: ACC II S. 643 [Stump, The Reforms, S. 396 f., cap. 3].

De collacione beneficiorum et reservacionibus De beneficiis vacantibus conclusum est per maiorem partem, quod papa et ordinarii conferant alternis c vicibus, videlicet papa medietatem et ordinarii medietatem, et quod fient reservaciones iuris scripti. Et hec omnia cum modificacionibus olim per dominos cardinales in primo reformatorio oblatis super graciis expectativis.22

m) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 1002 f. = Mansi XXVIII Sp. 365.

De causis in Romana curia tractandis Super sexto articulo 23 videtur dicte nacioni primo, quod sine racionabili causa et expressa amodo non committantur alique cause in Romana curia pertractande cum tali clausula: Non obstante, quod causa de sui natura in Romana curia non fuerit tractanda. Item videtur, quod non deceat nec expediat sedem apostolicam de causa

b c

interea Ed. alteris Ed.

C 11 Reformentwürfe: m) Prozesse

443

Würden, die dem Wahlrecht unterliegen, soweit sie nicht im Corpus Juris [Canonici] beschlossen sind. Künftig darf auch der Papst keinen Gebrauch davon machen oder es wiederholen ohne Erörterung und Zustimmung von seiten des Allgemeinen Konzils. In Zukunft sollen hierbei die alten Rechte über Wahl und Einsetzungsbitte befolgt werden. Hinsichtlich der Prälaturen und Würden, die exemt sind und dem Apostolischen Stuhl unmittelbar unterstehen, kann sich der Heilige Vater, was die Bestätigung der Wahlen oder Einsetzungsbitten anlangt, einschalten. Die übrigen Wahlen von Prälaten oder Würden sollen nur durch die unmittelbaren Oberen bestätigt werden – also: beim Abt durch den Bischof, beim Bischof durch den Erzbischof, beim Erzbischof durch den Primas (falls es ihn gibt) – sofern sie, nach jeweiliger Prüfung, formgerecht gemäß den kanonischen Bestimmungen über geeignete Männer durchgeführt worden sind. Diese heilige Synode ordnet an und verfügt ferner, daß sich keine sonstigen Oberen irgendwie hierin einmischen dürfen – außer wenn es ihnen bei mangelnder Pflichterfüllung der niederen Stellen oder infolge Befugnisübertragung nach dem gemeinen Recht zukommt. C 11 Reformentwürfe: m) Prozesse

2. Pfründenübertragung und Reservationen Hinsichtlich der vakanten Pfründen wurde mehrheitlich beschlossen, daß der Papst und die Ordinarien sie abwechselnd besetzen sollen, und zwar der Papst eine Hälfte und die Ordinarien eine Hälfte; und die Reservationen sollen nach dem geschriebenen Recht behandelt werden. Dies alles mit den Änderungen, die seinerzeit von den Herren Kardinälen im 1. Reformausschuß über Expektanzen vorgelegt wurden.22

m) Prozesse Zu Artikel 623 äußert diese [deutsche] Nation: 1. Ohne vernünftigen und ausdrücklichen Grund sollen künftig keine Prozesse zur Verhandlung an der Römischen Kurie mit der Klausel angenommen werden: ,,Dem steht nicht entgegen, daß der Prozeß seiner Natur nach [eigentlich] nicht an der Römischen Kurie verhandelt werden dürfte“. 2. Es dürfte nicht geziemend und förderlich sein, wenn der Apostolische 22

Der Entwurf gedruckt: ACC II S. 637 ff. Des Kautionsdekrets (unten Nr. 14 a) – Stellungnahmen Anfang Jan. 1418. Vgl. auch unten Nr. 11 n, p 2, q, s 2, t 3–5. 23

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XI Capitula advisata

mere prophana inter laicos Romane ecclesie temporaliter non subiectos 24 eciam pretextu cruce signacionis se intromittere quovismodo, nisi illo tempore generalis passagii, quo forte illos eundo, stando vel redeundo in subsidium Terre Sancte morari contigerit; nisi in casu perhorrescencie, duobus testibus ultra iuramentum actoris probande aut negligencie iudicis secularis legitime comprobate vel nisi de consensu parcium expresso. Item videtur, quod cause pecuniarie, eciam ad forum ecclesiasticum spectantes et summam quingentorum aureorum 25 non excedentes, necnon beneficiales summam XV marcharum argenti 26 secundum communem extimacionem valoris antiqui non excedentes ad simplicem querelam per sedem apostolicam non committantur in Romana curia, eciamsi beneficium auctoritate apostolica collatum fuerit vel pretendatur. Item in causis matrimonialibus, que non fiunt inter personas sublimes vel prepotentes, exceptis casibus perhorrescencie et negligencie iudicis inferioris aut de consensu parcium, ut superius continetur.

n) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 1006 f. = Mansi XXVIII Sp. 368].

De commendis Super decimo articulo 27 videtur, quod nulla cathedralis, conventualis aut parrochialis ecclesia nec aliquod beneficium curam habens animarum aut dignitas in cathedralibus maior post pontificales aut in collegiatis principalis aut eciam hospitale vel zenodochium aut alius locus pro hospitalitate fundatus debeat sine manifesta et racionabili causa et expressa ac eciam d nonnisi ad certum breve tempus in commendam alicui assignari. Si tamen Romanus pontifex de plenitudine potestatis vel alias secus duxerit faciendum aut aliquid premissorum commendandum, tunc saltem provideatur non solum verbo vel litteris sed eciam realiter in effectu, ne animarum cura negligatur, divinus cultus diminuatur vel ruant edificia seu alia ecclesiastica bona vel iura pereant vel supprimantur aut infirmi vel egentes sustentacione congrua defraudantur. Et ordinarii locorum auctoritate apostolica super premissis providere habeant eciam contra quoscumque; quocumque exempcionis aut maioritatis privilegio non obstante. d 24 25 26 27

cognita Ed. Im Kirchenstaat. Vgl. oben Nr. 1 S. 99 Anm. 78. 1 Mark = ca. 240 g. Des Kautionsdekrets (unten Nr. 14a S. 498).

C 11 Reformentwürfe: n) Kommenden

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Stuhl sich irgendwie in einen rein profanen Streit unter Laien einmischt, die der Römischen Kirche nicht zeitlich untertan sind,24 auch nicht unter dem Vorwand einer Kreuzzugsabsicht – ausgenommen zur Zeit eines allgemeinen Kreuzzuges, wenn sie etwa zur Hilfe für das Heilige Land ziehen, verweilen oder zurückkehren; ausgenommen auch der Fall eines Skandals mit zwei Zeugen über den Eid des Untersuchungsrichters oder [der Fall] der rechtlich bestätigten Rechtsverweigerung eines weltlichen Richters, und ausgenommen bei ausdrücklicher Zustimmung beider Parteien. 3. Geldprozesse, auch wenn sie vor ein geistliches Gericht gehören, aber den Betrag von 500 Gulden 25 nicht überschreiten, ebenfalls Pfründenprozesse, die den Betrag von 15 Silbermark 26 (nach allgemeiner Schätzung des herkömmlichen Wertes) nicht überschreiten, sollen zur einfachen Schlichtung durch den Apostolischen Stuhl nicht an der Römischen Kurie zugelassen werden, auch wenn die Pfründe kraft Apostolischer Autorität vergeben wurde. 4. [Gleiches gilt] in Ehesachen, die nicht zwischen Hochstehenden oder Machthabern strittig sind, ausgenommen Fälle von Skandalen und Rechtsverweigerung eines niederen Richters, ferner bei Zustimmung der Parteien, wie oben ausgeführt. n) Kommenden Zu Artikel 10:27 Keine Kathedral-, Stifts- oder Pfarrkirche, auch keine Pfründe mit Seelsorge, kein höheres Ehrenamt nach dem Bischof bei Kathedralen, kein Vorsteher in Stiften, kein Hospiz, keine Herberge, keine für Gastfreundschaft gegründete Stätte sollte ohne offenkundigen und vernünftigen, auch ausdrücklich genannten Grund – und auch dann nur auf gewisse kurze Zeit – jemandem als Kommende zugewiesen werden. Wenn jedoch der Bischof von Rom aus seiner Machtvollkommenheit oder überhaupt glaubt anders entscheiden oder etwas von dem zuvor Genannten als Kommende weggeben zu müssen, dann sollte er entscheiden nicht nur mit Worten oder brieflich, sondern auch tatsächlich mit dem Ergebnis, daß nicht die Seelsorge vernachlässigt und der Gottesdienst vermindert wird, die Gebäude nicht verfallen, Kirchengüter oder -rechte verschwinden oder unterdrückt werden oder die Kranken und Bedürftigen um ihre angemessene Unterstützung betrogen werden. Die Ortsordinarien sollten mit Apostolischer Vollmacht zu entscheiden haben, auch gegen jedermann; kein Privileg über Exemtion oder Vorrang darf dem entgegenstehen. C 11 Reformentwürfe: n) Kommenden

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XI Capitula advisata o) Ed.: ACC II S. 658 [Stump, The Reforms, S. 402, cap. 17].

Advisamenta per dominos deputatos sacri collegii et reformatorum super provisione cardinalium de novo creandorum 1. Primo nullus cardinalium creandorum poterit habere aut tenere aliquam ecclesiam parrochialem. 2. Item non habebunt beneficia aliqua, quorum cuiuslibet valor ein portatis e summam LXX librorum Turonensium 28 non excedat. 3. Item non habebunt dignitates maiores post pontificales in ecclesiis cathedralibus seu principales in ecclesiis collegiatis. 4. Item non habebunt abbacias aut prioratus conventuales, qui habent conventum XII monachorum vel supra. 5. Item nullas ecclesias metropolitanas dicti domini cardinales f creandi [habeant]f. 6. Item quilibet dominorum cardinalium eciam creandorum poterit habere commendam unam unius ecclesie cathedralis vel abbacialis, non tamen metropolitane, ad quam se possit reducere in antiquitate aut qualitate temporis exigente g. 7. Item ecclesia h cathedralis, que fuerit commendata cardinali, eo defuncto vel cedente, nullo modo possit cardinali alteri illa vice in commendam dari, sed necessario habere i habeat post cardinalem episcopum seu administratorem non cardinalem.

p) [De indulgenciis] 1. Ed.: Mansi XXVIII Sp. 351.

De penitenciis et remissionibus Quia tempore huius nephandi scismatis, quo singula quasi spiritualia publice exponebatur vendicioni, multe questuaciones ac peticiones cum quamplurium indulgenciarum et concessionum privilegio, ut verisimiliter presumitur, pro pecunia plus quam animarum salute sunt concesse in gravamen pauperum et ecclesiastici status ridiculum, et quibus velud ex qualitate venie incentivum prebetur delinquendi, idcirco hec sacra synodus omnes huiusmodi novas questuaciones sub cuiuscumque facti aut facte nomine ab apostolica sede concessas necnon omnia et singula privilegia indulgenciarum, concessionum aut graciarum, cuiuscumque eciam sint tenoris et continencie, dictis novis et eciam antiquis questuacionibus et peticionibus tempore iam e–e

fehlt Ed. habent Ed. exigentis Ed. eciam Ed. fehlt Ed.

f–f g h i

C 11 Reformentwürfe: p) Indulte

447

o) Plan der Herren Abgeordneten des Heiligen Kollegiums und der Reformkommission über die Versorgung der neu zu wählenden Kardinäle 1. Keiner der zu wählenden Kardinäle darf eine Pfarrkirche besitzen oder halten. Ferner sollen sie nicht haben: 2. irgendwelche Pfründen, deren Wert an Einkünften jeweils den Betrag von 70 Pfund Turnosen 28 übersteigt, 3. Höhere Würden nach der Bischofswürde an Kathedralkirchen oder Hauptwürden bei Stiftskirchen, 4. Abteien oder Stiftspriorate, die einen Konvent von 12 Mönchen oder mehr haben. 5. Metropolitankirchen sollen diese neuen Herren Kardinäle also nicht haben. 6. Jeder Herr Kardinal – auch die zu wählenden – darf als Kommende je eine Kathedralkirche oder Abtei (nicht jedoch eine Metropolitankirche) haben, zu der er sich im Alter oder nach den Erfordernissen der Zeit zurückziehen kann. 7. Eine Kathedralkirche, die einem Kardinal anvertraut war, darf nach seinem Ableben oder Hinscheiden keineswegs noch einmal einem weiteren Kardinal als Kommende gegeben werden, sondern nach dem Kardinal muß sie unbedingt einen Bischof oder Administrator erhalten, keinen Kardinal. C 11 Reformentwürfe: p) Indulte

p) Indulte 1. Bußen und Ablässe Weil zur Zeit dieses verruchten Schismas, in der alles Geistliche sozusagen öffentlich zum Verkauf feilgeboten wurde, viele Ablaßbitten und -gesuche, ein Privileg überaus vieler Ablässe und Gewährungen zu erhalten, wie als wahrscheinlich angenommen wird, für Geld mehr als für das Seelenheil erteilt wurden – zur Last für die Armen und zum Gelächter über den kirchlichen Stand – und weil manchem infolge der Höhe der Ablaßgnade ein Anreiz zum Sündigen geboten wurde, deswegen also widerruft diese heilige Synode alle derartigen neuen Ablaßbitten und -gesuche, ganz gleich unter welcher Nennung eines Vorkommnisses sie vom Apostolischen Stuhl gewährt wurden, auch samt und sonders die Privilegien von Indulten, Gewährungen, Gnadenerweisen gleich welchen Wortlauts oder Inhalts, die aufgrund von neuen und auch alten Ablaßbitten und -gesuchen zur Zeit des nun vergan28

Vgl. oben Nr. 8 S. 366 Anm. 51.

448

XI Capitula advisata

lapsi scismatis, ymmo et tempore unionis, post constitucionem felicis recordacionis quondam domini Clementis V., que incipit Abusionibus,29 qualitercumque concessa revocat, irritat, cassat et annichilat eaque inantea k nullius vult esse roboris vel momenti. Per hanc revocacionem hec synodus antiquis questuacionibus et peticionibus, dummodo per presbyteros bone fame, habiles et ydoneos, sine sermone publico sed cum litterarum peticionum suarum et indulgenciarum antiquarum vera exposicione sine commixcione falsitatis et secundum formam dicte Clementine fiant, aliquatenus derogare non intendit.

2. Ed.: v. d. Hardt I Sp. 1010 = Mansi XXVIII Sp. 370.

De indulgenciis Super decimo septimo articulo videtur, quod indulgencie exorbitanter concesse tempore scismatis continentes remissionem omnium peccatorum vel facte ad instar etc. sint penitus revocande iuxta avisata in reformatorio primo 30 huius concilii generalis. Quodque deinceps tales non nisi ex maxima causa concedantur cum expressione qualitatum et circumstanciarum opportunarum. q) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 1004 f. = Mansi XXVIII Sp. 366 f.

[De officiis cancellarie et penitenciarie] Super octavo articulo, de officiis cancellarie et penitenciarie, videtur primo, quod lites presertim in causis beneficialibus sint omnino abbreviande. Ne persone ecclesiastice et patrimonium crucifixi 31 ad alios quam pios usus et prout cautum est in iuris divini et humani sanccionibus necnon in fundatorum et dotatorum disposicionibus distrahantur. Item quod lite pendente non fiant speciales commissiones alteri parcium preiudiciales nisi in consistorio publico partibus auditis. Item quod persone officialium et salaria eorum reducantur ad debitum numerum et taxacione examinentur et qualificentur iuxta consuetudines et constituciones antiquas, prout eciam in reformatoriis est avisatum. Specialiter in utroque officiorum predictorum, distributis officiis officiorum predicto-

k

ut antea Ed.

C 11 Reformentwürfe: q) päpstl. Kanzlei

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genen Schismas, ja, auch zur Zeit der Einheit seit des Herrn Clemens’ V. seligen Angedenkens Konstitution mit dem Anfangswort Abusionibus29 irgendwie erteilt wurden; sie macht sie ungültig, zieht sie zurück, beseitigt sie und will, daß sie in Zukunft keinerlei Rechtskraft und Bedeutung haben. Diese Synode beabsichtigt durch diesen Widerruf nicht, den alten Ablaßbitten und -gesuchen irgendwie Beeinträchtigung zuzufügen, sofern sie von Priestern guten Rufes, die fähig und geeignet sind, ohne öffentliche Predigt, dafür mit wahrhaftiger brieflicher Darlegung ihrer Bitten und althergebrachter Ablässe, ohne Vermischung mit Lügen, und nach der Form der genannten Clementina geschehen sind. C 11 Reformentwürfe: q) päpstl. Kanzlei

2. Indulte Zu Artikel 17: Ablässe, die zur Zeit des Schismas in Überfülle erteilt wurden, Nachlaß aller Sünden besagen oder "nach Vorbild“ usw. ergingen, sind vollständig zu widerrufen, so wie vorgesehen in der 1. Reformkommission30 dieses Allgemeinen Konzils. Künftig sollen solche nur aus allergewichtigstem Grund erteilt werden mit Darlegung der Höhe und der hinreichenden Bedingungen. q) Kanzellarie und Pönitentiarie Zum Artikel 8, Ämter der Kanzellarie und Pönitentiarie: 1. Streitsachen besonders in Pfründenprozessen müssen grundsätzlich abgekürzt werden. Kirchenmänner und das Erbe des Gekreuzigten 31 dürfen nicht zu anderem als frommem Gebrauch und wie es in den Bestimmungen des heiligen und menschlichen Rechts vorgesehen ist und nicht gegen die Verfügungen der Gründer und Stifter in Anspruch genommen werden. 2. Solange eine Streitsache anhängig ist, dürfen keine besonderen Kommissionen eingesetzt werden, die für eine der Parteien nachteilig sind; es sei denn die Parteien wären in öffentlicher Verhandlung gehört worden. 3. Das Behördenpersonal und dessen Gehälter müssen auf die gebührende Zahl zurückgeführt, die Höhe der Besteuerung geprüft und näher bestimmt werden nach dem alten Brauch und den alten Konstitutionen, so wie es in den Reformausschüssen geplant wurde. Besonders in jeder der beiden oben genannten Behörden müssen die Aufgaben aller genannten Beamten verteilt 29

Clem. 5.9.2. Der vorangehende Text p 1. – Ablässe für Heiltümer wurden auf andere Kirchen erweitert. 31 = Besitz der Kirche, vgl. Bernhard v. Clairvaux, De consideratione IV 4, 12; ed. Rochais-Leclerq III S. 458. 30

450

XI Capitula advisata

rum, inter supposita singularum nacionum, prout secundum bonam equitatem sanctitati sue conveniencius videbitur expedire. Item quod confessionalia non adeo multiplicentur indistincte. Et ubi concessa fuerint, exprimatur seu declaretur illum dumtaxat fore idoneum confessorem, qui habet exercicium cure animarum. Item quod super peccatis penitus occultis quantumcumque gravibus sedi apostolice reservatis detur potestas archiepiscopis, episcopis locorum ac abbatibus vel aliis prelatis sedi apostolice immediate subiectis, quoad exemptos sibi subditos dumtaxat, in foro consciencie tantummodo absolvendis et absolucioni committendis, ut scilicet delinquentes ad confessionem facilius invitentur et secretum confessionis eo minus reveletur ac sigillum melius servetur. r) Ed.: ACC II S. 664 f. [Stump, The Reforms, S. 366, cap. 40].

[De confirmacionibus eleccionum] Quod elecciones et provisiones de cetero non fiant per preces seu impressionem Statutum felicis recordacionis Innocencii pape III., editum in concilio generali 32 contra elecciones, eligentes et eleccionibus consencientes per secularis potestatis abusum locum habere decernimus in provisionibus quibuscumque factis, eciam per summum pontificem faciendis, quoad provisiones ipsas ac provisionibus consencientes. Et nichilominus decernimus eleccionem seu provisionem per secularis potestatis abusum factam l censeri debere non solum, si expressa vis aut metus fiat electoribus aut provisori, set eciam si m preces litteratorie vel vocales sint tales.33 Quodsi non pareatur, possint electores vel provisor seu provisores dampna vel incommoda n in personis suis vel suorum vel rebus vel ecclesiis suis verisimiliter formidare. Et publicetur hec constitucio in singulis sinodis et capitulis provincialibus, episcopatibus vel regularibus et alias, ubi videbitur o expedire et specialiter, cum fuerit ad eleccionem vel provisionem procedendum. Et ubi in capitulo Quisquis dicitur de suspensione,34 dicatur ipso iure, et procurans preces ultra penas pre-

l m n o

fehlt Ed. fehlt Ed. commoda Ed. videtur Ed.

C 11 Reformentwürfe: r) Bestätigungen

451

werden und das unter Berücksichtigung der einzelnen Nationen, so wie es Ihrer Heiligkeit nach Billigkeit und Gerechtigkeit am besten und förderlichsten erscheint. 4. Beichtfälle sollen nicht planlos so stark vermehrt werden. Wo sie gewährt wurden, muß ausdrücklich erklärt werden, daß selbstverständlich ein geeigneter Beichtvater [nur] sein wird, wer Erfahrung in der Seelsorge hat. 5. Hinsichtlich der verborgenen Sünden, von denen die schweren dem Apostolischen Stuhl vorbehalten sind, möge den Erzbischöfen, Ortsbischöfen, Äbten und den dem Apostolischen Stuhl unmittelbar unterstehenden Prälaten die Befugnis gegeben werden – den exemten selbstverständlich für ihre Untergebenen –, nur in Gewissensbekenntnissen loszusprechen und die Lossprechung zu erteilen, damit die Sünder leichter zur Beichte eingeladen werden, das Beichtgeheimnis umso weniger gelockert und die Verschwiegenheit besser gewahrt wird. C 11 Reformentwürfe: r) Bestätigungen

r) Bestätigung der Wahlen Künftig keine Wahlen und Einsetzungen durch Bitten oder Nötigung Wir entscheiden, daß der Erlaß von Papst Innozenz III. seligen Angedenkens, der auf dem Allgemeinen Konzil 32 verkündet wurde gegen Wahlen, Wähler und den Wahlen Beipflichtende bei Mißbrauch der weltlichen Macht, Anwendung finden soll bei allen Einsetzungen – auch solchen, die der Papst vorzunehmen hat –, soweit sie die Einsetzungen selbst und die den Einsetzungen Beipflichtenden anlangt. Darüber hinaus entscheiden wir, daß eine Wahl oder Einsetzung nicht nur dann als durch Mißbrauch der weltlichen Macht erfolgt angesehen werden muß, wenn den Wählern oder dem Einsetzenden Gewalt oder Nötigung angedroht wird, sondern auch wenn Bitten brieflich oder mündlich derartig beschaffen sind.33 Wenn dem nicht gefolgt wird, müssen Wähler, Einsetzender (oder Einsetzende) den Schaden oder Nachteil an ihrem Leib oder dem ihrer Leute, an ihrem Besitz oder ihren Kirchen wohl fürchten. Und verkündet werden soll diese Konstitution auf allen Provinzial- und Bischofssynoden, den Stiftskapiteln sowie sonst, wo es nützlich scheint, und besonders, wenn zu einer Wahl oder Einsetzung zu schreiten ist. Und wo es um Suspendierung geht,*34 soll es ohne weiteres Verfahren vor sich gehen, und der Verfasser der Bitten soll außer den 32

Canon 25, 4. Laterankonzil 1215; COD 3 S. 247. In früheren Fassungen noch: et a tali vel talibus et taliter emanentur – und von einem oder mehreren so ausgehen. – Gemeint sind die sog. Ersten Bitten; vgl. oben Nr. 4 § 18 S. 274. 34 * X 1.6.43. 33

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XI Capitula advisata

dictas sit excommunicatus ipso iure. 35Velimus p autem predictam constitucionem extendi ad elecciones, collaciones, provisiones, presentaciones seu quasvis alias disposiciones quorumcumque beneficiorum, eciamsi aliqua ipsarum dignitas seu personatus seu officium eciam cum cura existat.35. 36

s) [De non alienandis bonis Romane ecclesie et aliarum ecclesiarum] 1. Ed.: ACC II S. 653 [Stump, The Reforms, S. 391f., cap. 7].

Quod papa non alienet bona ecclesie Romane et recuperet deperdita iuxta suum posse 37 Ut Romanus pontifex nedum circa spiritualia attenta consideracione versetur, sed eciam temporalia, sine quibus spiritualia diu subsistere nequeunt, provida dispensacione q studeat gubernare, hoc perpetuo valituro decreto racioni fore consonum et moribus antiquis conveniens declaramus, quod quilibet Romanus pontifex ante sui r intronisacionem promissionem faciat solempni interposito iuramento, quod regna, dominia, provincias, civitates, opida, castra, villas, territoria, possessiones, superioritates s, iurisdicciones, nobilitates, pensiones, census, decimas, redditus et alias res ceteraque iura et quecumque bona immobilia Romane et aliarum ecclesiarum 38 non alienabit nec in feudum seu enphiteosim dabit, sed ea omnis indiminuta, quantum in eo fuerit, conservabit, recuperabitque deperdita iuxta posse.39

2. Ed.: v. d. Hardt I Sp. 1008 f. = Mansi XXVIII Sp. 368 f.

De non alienandis bonis Romane ecclesie et aliarum Super duodecimo articulo 40 videtur expedire, quod quilibet Romanus pontifex de non alienandis bonis et iuribus Romane et aliarum ecclesiarum promissionem faciat, prout in ultimo reformatorio avisatum, ante eleccionem

p q r s

Volumus Ed. disposicione Ed. suam Hs.W u.Ed. superioriatus Ed.

35–35 36 37

Fehlt in früheren Fassungen. Am Rande: Placet nacioni – Zustimmung der Nation. Die Vorlage wurde am 16. 8. 1417 in der Kommission beraten. Man forderte

C 11 Reformentwürfe: s) Patrimonium Petri

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genannten Strafen ohne Verfahren exkommuniziert sein. 35Wir möchten auch, daß diese Konstitution ausgedehnt wird auf Wahlen, Übertragungen, Einsetzungen, Vorschläge oder sonstige Verfügungen über Pfründen jeder Art, auch wenn eine davon eine Würde, ein Personat oder ein Seelsorgeamt ist.35, 36 s) Unveräußerlichkeit der Güter der Römischen Kirche und der anderen Kirchen 1. Der Papst darf kein Hab und Gut der Römischen Kirche veräußern und muß das Verlorene möglichst zurückerlangen 37 Damit der Bischof von Rom sich umso mehr in aufmerksamer Betrachtung dem Geistlichen widmet, sich aber auch bemüht, Weltliches, ohne das das Geistliche nicht lange Bestand haben kann, in umsichtiger Leitung zu verwalten, erklären wir durch diesen Erlaß, der für immer und ewig gelten soll, daß folgendes der Vernunft angemessen und altem Brauch entsprechend ist: Jeder Bischof von Rom soll vor seiner Inthronisation mit feierlichem Schwur einen Eid leisten, er werde Königreiche, Herrschaften, Länder, Städte, Marktorte, Burgen, Dörfer, Ländereien, Besitzungen, Hoheiten, Gerichtsbarkeiten, Ehrenrechte, Zahlungen, Zinse, Zehnte, Einkünfte und andere Dinge, sonstige Rechte und alle unbeweglichen Güter der Römischen [Kirche] und der anderen Kirchen 38 nicht veräußern, zu Lehen oder in Pacht geben, vielmehr werde er alles ungemindert, soweit es an ihm liegt, bewahren, und er werde sich nach Kräften bemühen, Verlorenes zurückzuerlangen.39 C 11 Reformentwürfe: s) Patrimonium Petri

2. [Stellungnahme der deutschen Nation über] Unveräußerlichkeit der Güter der Römischen Kirche und anderer Kirchen Zu Artikel 1240 scheint es förderlich zu sein, daß jeder Bischof von Rom über die Unveräußerlichkeit der Güter und Rechte der Römischen [Kirche] und der anderen Kirchen ein Versprechen leistet, wie von der letzten ReRücknahme der bisherigen Veräußerungen. Dies sah die päpstliche Reformakte vom 20. 1. 1418 (Hübler S. 144 ff.) auch vor, gleichzeitig aber die Verwaltung der Territorien des Kirchenstaates nur durch Kardinäle und Prälaten, also nicht durch Condottieri. 38 In Hs. Wien 5094 am Rande: monasteriorum et piorum locorum – der Klöster und frommen Stätten. 39 Am Rande: Placet nacioni – Zustimmung der Nation. 40 Des Kautionsdekrets (unten Nr. 14 a).

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XI Capitula advisata

Romani pontificis celebratam t. Et archiepiscopus, episcopus ac abbates sedi apostolice immediate subiecti sine licencia et auctoritate Romani pontificis alienantes deponant ac capitula et singulares personas eorum, que ad premissa assensum prebuerunt, sic puniant, quod ceteris transeat in exemplum.

t) [Propter que et quomodo papa possit corrigi vel deponi] 1. Ed.: ACC II S. 654ff. [Stump, The Reforms, S. 328–330, cap. 51].

Quod papa eciam pro alia crimine quam heresi, si notorie scandalizat ecclesiam, possit deponi 41 Romanus pontifex, quanto ceteris ecclesie rectoribus presidere, tanto debet sancciori vita et clariori fama fulgere. Si enim, qui singulis plebibus superintendunt, tales esse debent, ut eorum existimacione populus grex dicatur, qualem se exhibere debet, qui non uni populo, sed universis nec solum populis, sed ipsis pastoribus pastor est positus, dicente domino Petro: Et tu aliquando conversus, confirma fratres tuos.42 43 Exhibeat se ergo presul ille, qui iam sanctissimus ex officio nominatur, sicut nomine ita re sanctum. Consideret, quam difficile sit tenere sedem Petri, cum non solum populis, sed prelatis sit positus in exemplum. Docere debeat u non solum discipulos, sed eciam magistros. Elevet lumen suum in excelso, qui lumina cetera debet illustrare. Sit sol in mundo, qui in ecclesia populos ut tenebras, prelatos ut stellas debet purgare, illuminare atque preficere. Teneat mentem suam mundissimam, semperque Christum coniunctam in celestibus, cuius vicariatus officio fungitur in terris. Si autem, quod absit, vita et moribus sit perversus, si oblitus dignitatis sue et relictis celestibus conversus ad terrena dampnabilibus et capitalibus criminibus se immisceat, consideret, quod lucifer, quanto ceteris angelis clarior et perfeccior v est creatus, tanto ex perversitate sua severi w severius et irreparabilius est punitus. Nec confidat solum divino ac ultimo iudicio reservari. Quod tamen, quanto cercius atque

t

celebrato Ed. debet Ed. v perversior Ed. w fehlt Ed. u

C 11 Reformentwürfe: t) Papstabsetzung

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formkommission vor der Papstwahl vorgesehen. Erzbischof, Bischof und dem Apostolischen Stuhl unmittelbar unterstehende Äbte können, wenn sie ohne Erlaubnis und Vollmacht des Papstes Veräußerungen vornehmen, abgesetzt und das ganze Kapitel und deren einzelne Mitglieder, die bei Vorgenanntem ihre Zustimmung gegeben haben, so bestraft werden, daß es den übrigen ein warnendes Beispiel bildet. C 11 Reformentwürfe: t) Papstabsetzung

t) Gründe und Verfahren für Anklage und Absetzung des Papstes 1. Mögliche Absetzung des Papstes wegen eines anderen Verbrechens als Ketzerei, wenn er offenkundig ein Ärgernis für die Kirche ist 41 Der Römische Bischof muß in dem Maße, wie er die übrigen Leiter der Kirche übertrifft, durch besonders heiligen Lebenswandel und lauteren Ruf glänzen. Denn wer über ein einzelnes Volk herrscht, der muß so beschaffen sein, daß sich sein Volk ‘Herde’ nennen läßt, und um wie viel mehr muß sich der so erweisen, der nicht für ein Volk, sondern für alle Völker, ja nicht nur für die Völker, sondern auch für die Hirten selbst als Hirte gesetzt ist nach dem Wort des Herrn an Petrus: ,,Und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.“ 42 43 Der Bischof also, der wegen seine Amtes ‘Heiliger Vater’ genannt wird, muß sich daher wie dem Namen so auch der Sache nach als heilig erweisen. Er möge bedenken, wie schwierig es ist, den Stuhl Petri innezuhaben, da er nicht nur für die Völker, sondern auch für die Prälaten zum Vorbild gesetzt ist. Er müßte nicht nur die Schüler lehren, sondern auch die Meister. Der hebe sein Licht in die Höhe, wer die anderen Lichter erleuchten muß. Es sei der die Sonne in der Welt, der in der Kirche die Völker wie die Dunkelheit, die Prälaten wie die Sterne reinigen, erleuchten und leiten muß. Es halte seinen Sinn der ganz rein – stets Christus im Himmel verbunden –, der sein Amt eines Stellvertreters auf Erden wahrnimmt. Wenn aber, was ferne sei, sein Leben und Charakter verdorben ist, wenn er seine Würde vergißt, das Geistliche verläßt und sich auf das Irdische richtet und sich dann mit schlimmen Kapitalverbrechen abgibt, dann bedenke er, daß Luzifer, der leuchtender und vollkommener als die übrigen Engel geschaffen wurde, wegen seiner Verworfenheit auf’s allerstrengste und unwiderruflichste bestraft wurde. Er vertraue nicht darauf, als einziger vom Göttlichen und Jüngsten Gericht ver41 Formulierung nach D. 40 c. 6 Glosse s. v. A fide devius. Siehe oben Nr. 1 S. 150 Anm. 170 . 42 Luc 22, 32. 43–43 In Hs. S nur durch ,,etc.“ angedeutet.

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XI Capitula advisata

severius, tanto debet humilius trepidanciusque formidari, quia et x per ecclesiam, que corpus est Christi, deus iudicia sua eciam in hoc mundo exercet et concilia generalia universalem y ecclesiam representant.43 Unde super premissis nos z salubriter providere cupientes, hoc decreto perpetuo declaramus ac diffinimus, quod summus pontifex non solum de heresi sed et de symonia et quocumque alio crimine ecclesiam dei notorie scandalizante, de quo solempniter monitus saltem per annum post monicionem incorrigibilis appareat, possit per generale concilium puniri eciam per deposicionem a papatu. Monicione vero non qualibet sed per duas partes cardinalium collegialiter sive per tria diversa concilia provincialia diversarum trium nacionum sub diversis tribus regibus consistencium a moneatur. Monicio canonica et sufficiens intelligatur. Teneanturque sic monentes monicionem suam infra mensem solempniter publicare.

2. Ed.: ACC II S. 656 [Stump, The Reforms, S. 389, cap. 4].

Quod papa non solum de heresi, sed eciam de alio crimine scandalizanti universalem ecclesiam possit deponi Ne sancta mater ecclesia summi pontificis, si, quod absit, laberetur, detestanda cogatur vicia sub dissimulacione lamentabili pertransire, nonnullorum antique dubietatis articulum declarantes, hoc decreto perpetuo diffinimus, quod summus pontifex non solum de heresi sed eciam de simonia notoria tam circa sacramenta quam circa beneficia ecclesiastica et quolibet alio notorio crimine gravi ecclesiam dei universalem notorie scandalizante, de quo canonice monitus et incorrigibilis extiterit, per generale concilium puniri valeat ac deponi eciam de papatu.

3. Ed.: v. d. Hardt I Sp. 1008 = Mansi XXVIII Sp. 369 f.

Super decimo tercio articulo 44 videtur, quod summus pontifex non solum de heresi sed eciam de symonia notoria tam circa sacramenta quam circa beneficia ecclesiasrtica et quolibet alio notorio crimine gravi ecclesiam universalem notorie scandalizante, de quo canonice monitus incorrigibilis extitit b, per generale concilium puniri valeat ac deponi eciam de papatu. x y z a b

fehlt Ed. universam Ed. fehlt Ed. existencium Ed. extiterit Ed.

C 11 Reformentwürfe: t) Papstabsetzung

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schont zu werden. Je gewisser und ernster dieses ist, desto demütiger und zerknirschter muß er Furcht hegen, denn durch die Kirche, die der Leib Christi ist, übt Gott sein Gericht auch in dieser Welt aus, und die Allgemeinen Konzilien verkörpern die Gesamtkirche.43 In dem Willen, in dieser Sache heilsam Vorsorge zu treffen, erklären wir durch dieses ewige Dekret und stellen fest, daß der Papst nicht nur wegen Ketzerei, sondern auch wegen Simonie und jedes anderen Verbrechens, das offenkundig ein Ärgernis für die Kirche Gottes ist, wenn er, deswegen feierlich ermahnt, nach Jahresfrist sich unverbesserlich zeigt, durch ein Allgemeines Konzil auch mit der Absetzung vom Papstamt bestraft werden kann. Mit der Ermahnung wird er nicht von jedem, sondern von zwei Dritteln der Kardinäle gemeinsam oder von drei verschiedenen Provinzialkonzilien dreier verschiedener Nationen unter drei verschiedenen Königen ermahnt. Die Ermahnung muß als kanonisch und hinreichend verstanden werden. Die Mahner sind gehalten, ihre Mahnung innerhalb eines Monats feierlich zu veröffentlichen. C 11 Reformentwürfe: t) Papstabsetzung

2. Mögliche Absetzung des Papstes nicht nur wegen Ketzerei, sondern auch wegen eines anderen Verbrechens, das ein Ärgernis für die Gesamtkirche ist Damit die heilige Mutter Kirche nicht gezwungen wird (wenn sie, was ferne sei, ins Wanken gerät), die verabscheuungswürdigen Laster eines Papstes mit bedauerlichem Verschweigen zu übergehen, erläutern wir einen Punkt alter Unklarheit bei manchen und stellen durch dieses Dekret fest, daß der Papst nicht nur wegen Ketzerei, sondern auch wegen offenkundiger Simonie bei den Sakramenten wie bei Kirchenpfründen und wegen jedes anderen offenkundigen schweren Verbrechens, das offenkundig ein Ärgernis für die gesamte Kirche Gottes darstellt, wenn er deswegen kanonisch ermahnt wurde und unverbesserlich bleibt, durch ein Allgemeines Konzil bestraft und vom Papstamt abgesetzt werden kann.

3. Stellungnahme der deutschen Nation, Anfang Januar 1418 Zu Artikel 1344 scheint es, der Papst könne nicht nur wegen Ketzerei, sondern auch wegen offenkundiger Simonie – bei den Sakramenten wie bei den Kirchenpfründen – und wegen jedes anderen offenkundigen schweren Verbrechens, das offenkundig ein Ärgernis für die Gesamtkirche darstellt, durch ein Allgemeines Konzil bestraft und sogar vom Papstamt abgesetzt werden.

458

XI Capitula advisata

Item videtur, quod sanctissimus dominus noster, sacro approbante concilio, specialem constitucionem super hoc, quod premittitur, declaratoriam debeat promulgare et insuper declarare: Nedum c circa sacramenta sed eciam circa beneficia ecclesiastica, convencionem seu paccionem pecuniariam per se vel per alium faciendo, crimen pravitatis symoniace non evadit d etc.

4. Ed.: ACC II S. 677.

Super XIII. articulo,44 videlicet propter quod et quando papa possit deponi et corrigi etc. Articulus non placuit nacioni. Si tamen alie naciones vel maior pars earum in articulo consenserint, non intendit ab aliis deviare.

5. Ed.: Hübler S. 146 = ACC II S. 656.

Non videtur, prout nec visum fuit in pluribus nacionibus, circa hoc aliquid novum statui vel decerni.

c d

(quod) nedum Ed. evadat Ed.

C 11 Reformentwürfe: t) Papstabsetzung

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Ebenso scheint es, unser Heiliger Vater sollte mit Zustimmung des heiligen Konzils darüber, wie vorausgeschickt, eine besondere klärende Konstitution verkünden und obendrein erklären: Genauso wie bei Sakramenten entgeht er auch bei Kirchenpfründen nicht dem Verbrechen der simonistischen Sünde, wenn er selbst oder durch einen anderen eine geldliche Vereinbarung oder Absprache trifft.

4. Stellungnahme der französischen Nation, Anfang Januar 1418 Der Artikel [13]44 findet nicht die Zustimmung der Nation. Falls sich jedoch die anderen Nationen oder ihre Mehrheit auf diesen Artikel einigen, wird nicht beabsichtigt, von diesen abzuweichen.

5. Reformakte vom 20. 1. 1418 Wie es mehreren Nationen nicht gut schien, so scheint es in der Tat nicht gut, in dieser Angelegenheit etwas Neues festzusetzen oder zu bestimmen. XII Avisata in reformatorio

44

Des Kautionsdekrets (unten Nr. 14a S. 498).

XII

Edd.: ACC II, v. d. Hardt, Heimpel – emendiert mit Hilfe der Hss. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. iur. 2o 130 (S); Wien, Österreichische Nationalbibliothek, lat. 5069 u. 5113

AVISATA IN REFORMATORIO1 a) [De extirpacione simonie] 1. Ed.: ACC II S. 627 [Stump,. The Reforms, S. 353 f., cap. 26].

Contra simoniacos Conclusum, quod expediens est, quod per concilium procedatur contra aliquos saltem illos, qui sunt de hoc publice diffamati. Et dentur iudices zelatores veritatis et affecti ex consciencia contra hoc crimen, qui contra predictos constanter intrepide procedant, eciam summarie et sine strepitu et figura iudicii et hoc vel ad constanciam volencium agere civiliter vel criminaliter vel eciam ex officio et omnibus modis iuridicis eciam per denunciacionem vel inquisicionem. Et hoc quoad forum iudiciale. Sed quoad forum penitenciale, quia multi dicuntur hiis turpibus illaqueati tam clerici quam laici et nonnulli eciam creduntur esse, qui forte faciunt sibi conscienciam, existimantes se hoc crimine contaminatos a esse, eciam ultra quam sint, ideo ad hoc, ut facilius inducantur ad penitenciam super hoc agendam, volens hoc sacrum concilium providere saluti animarum, statuat quoad tempora preterita, quod quicumque tales voluerint penitere, liceat eis eligere sibi confessorem discretum, qui sciat bene talibus consulere, prout fuerit expediens. Et ne contingat confessores in hoc per ignoranciam errare, decernatur, quod sint doctores vel magistri in sacra pagina vel in sacris canonibus. Et istis sic electis conferatur a concilio plena potestas ita, quod possint secundum qualitatem criminis et devocionem confitentis et aliis circumstanciis attentis huiusmodi confitentes plene absolvere imposita penitencia salutari et sufficienter consulere et providere predictis et eorum statui, habentes in hoc omnimodam potestatem, quam potest tribuere concilium. Intelligendo semper, quod quidquid per predictos in premissis gestum fuerit, valeat quoad dictum forum penitenciale tantum, sine preiudicio fori iudicialis. Et iudices predicti deputentur per naciones, unus pro nacione et unus pro collegio cardinalium, quem ipsum collegium voluerit deputare.2 a 1

conterminatos Ed.

Die Texte werden in der Fassung der Hs.Stuttgart cod. iur. 20 130 wiedergegeben. In anderen Hss. am Rande: Hanc conclusionem habes XVI.novembris – (Beschluß am 16. November [1415]. 2

12. TEXTE1 AUS DEN REFORMATORIEN ZUR REFORM DER GLIEDER a) Ausrottung der Simonie 1. Gegen die Simonisten Es besteht Einigkeit darin, daß es förderlich ist, wenn das Konzil gegen gewisse Leute vorgeht, und zwar zumindest gegen die, die deswegen öffentlich in Verruf sind. Als Richter sollten Eiferer für die Wahrheit eingesetzt werden, im Gewissen voll Leidenschaft gegen dieses Verbrechen, die gegen die Genannten hartnäckig und furchtlos vorgehen, auch kurz und bündig, ja, ohne Lärm und Pomp eines feierlichen Prozesses und dies entweder auf Drängen derer, die nach Zivil- oder Strafrecht vorgehen wollen, oder auch von Amts wegen, auf jede rechtlich zulässige Art, selbst durch Anzeige oder gerichtliche Untersuchung. Soweit zum Gerichtsverfahren. Was das Beichtverfahren anlangt: Weil es von vielen heißt, sie seien in diese Schande verstrickt, Kleriker wie Laien, und man von einigen glaubt, sie seien Leute, die sich ein Gewissen daraus machen, daß sie möglicherweise mit diesem Verbrechen befleckt sind, auch mehr als sie es wirklich sind, daher also, um es ihnen leichter zu machen, deswegen Buße tun, und in dem Willen, sich um das Seelenheil zu kümmern, möge dieses heilige Konzil für die vergangene Zeit bestimmen, daß alle, die beichten wollen, sich einen entscheidungsfähigen Beichtvater wählen dürfen, der ihnen einen guten Rat geben kann, was weiterhelfen würde. Damit sich die Beichtväter nicht aus Unkenntnis irren, möge entschieden werden, daß sie Doktoren oder Magister in der Heiligen Schrift oder in den heiligen Kanones sein sollen. Den so Ausgewählten möge vom Konzil Vollmacht erteilt werden, daß sie gemäß der Schwere des Verbrechens, der Ergebenheit des Beichtenden und der sonstigen derartigen Umstände die Beichtenden voll und ganz lossprechen mit der Auflage einer heilsamen Buße, sie hinreichend beraten und sich um die Besagten und um ihren Stand kümmern; dabei sollen sie jede Vollmacht haben, die das Konzil geben kann. Es versteht sich, daß alles, was hierbei durch diese getan wird, nur für die besagten Beichtverfahren Gültigkeit hat, ohne Präjudiz für das Gerichtsverfahren. Die genannten Richter sollen von den Nationen abgeordnet werden, einer je Nation und einer für das Kardinalskollegium, den dieses Kollegium selbst abordnen will.2

462

XII Avisata in reformatorio 2. Ed.: ACC II S. 629 [Stump, The Reforms, S. 326 f., cap. 3].

Contra symoniacos 3 Contra labem simoniace pestis, qua decor ecclesie plurimum denigratur, multa remedia per apostolicos patres et sacra concilia hactenus excogitata fuerunt salubriterque provisa, que tamen temporum excrescente malicia, ut experiencia docet, optatum non attulerunt effectum. Volentes igitur, quantum possumus, radicem pestis huius penitus extirpare, hoc decreto perpetuo statuimus, quod quicumque ecclesiasticus cuiuscumque status, gradus, ordinis aut preeminencie fuerit, eciamsi archiepiscopali, episcopali, patriarchatus vel cardinalatus prefulgeat dignitate, qui de cetero circa beneficii ecclesiastici impetracionem, collacionem, provisionem, presentacionem seu disposicionem qualemcumque b simonie crimen in Romana curia vel extra per convencionem aut paccionem sive dando, recipiendo, promittendo aut remittendo, paciscendo sive mediando commiserit, ipso facto omni dignitate, officio ecclesiastico et omnibus beneficiis suis perpetuo sit privatus. Posssuntque beneficia sua tamquam vacancia declaracione tamen per prius legitime facta super commissione criminis predicti, vocatis tamen vocandis, libere impetrari et conferri.4 Laici vero, qui in huiusmodi culpabiles fuerint, excommunicacionem ipso facto incurrant. Ceterum universis et singulis ordinariis distincte precipientes mandamus, quatinus cum omni solercia circa punicionem sic delinquencium taliter intendant, quod de negligencia minime redargui valeant. Quod si negligentes extiterint, per suos superiores, prout facti qualitas exposcit, sic puniantur, quod ceteris cedat in exemplum.5

b

Zusatz: eciam ordinum aut ecclesiasticorum sacramentorum pactis presidentibus Hs. S 3

Aus der späteren Kommission. In früherem Entwurf (ACC II S. 628) statt der beiden Schlußsätze: Prelati vero, qui ad custodiam gregis, ad purgandam viciis ecclesiam dei positi sunt, cogitent, quantum excedant, si in execucione huius decreti negligentes extiterint. Et nichilominus, ne talis negligencia sine debita pena pertranseat, cum ex hoc videantur aliena crimina sua facere, statuimus, ut de tali negligencia contra prelatos huiusmodi procedi possit et debeat eciam ad privacionem, si qualitas negligencie exposcat. – Prälaten jedoch, die mmmm 4

C 12 Reformentwürfe: a) Simonisten

2. Wider die Simonisten3

463 C 12 Reformentwürfe: a) Simonisten

Gegen die Sünde der simonistischen Pestilenz, durch die der Glanz der Kirche vielfältig verdunkelt wird, haben die apostolischen Väter und die heiligen Konzilien bislang vielfache Heilmittel erdacht und heilsam vorgesorgt; sie haben indes wegen der wachsenden Bosheit der Zeiten, wie die Erfahrung lehrt, nicht den erwünschten Erfolg gebracht. In dem Willen nun, soweit wir können, die Wurzel dieser Pestilenz vollständig auszutilgen, setzen wir durch diesen ewigen Erlaß fest: Jeder Kirchenmann, ganz gleich welchen Standes, Grades, Weihegrades oder Ranges, auch wenn er mit der Würde eines Erzbischofs, Bischofs, Patriarchen oder Kardinals ausgezeichnet ist, der künftig bei der Erlangung einer kirchlichen Pfründe, ihrer Übertragung, Zuweisung, Inaussichtnahme oder Besetzung irgendwelcher Art durch Übereinkunft oder Vertrag an der Römischen Kurie oder außerhalb, das Verbrechen der Simonie begeht, indem er etwas gibt, empfängt, verspricht, nachläßt, vereinbart oder vermittelt, der geht ohne weiteres Verfahren jeder kirchlichen Würde, jedes Amtes in der Kirche und aller seiner Pfründen für immer verlustig. Seine Pfründen können als gleichsam vakant, falls die Verfügung früher rechtmäßig vorgenommen wurde, wegen der Begehung des genannten Verbrechens unter Beachtung der Rechtsformen frei erlangt und zugewiesen werden.4 Laien aber, die in dieser Weise schuldig werden, sollen ohne weiteres Verfahren der Exkommunikation verfallen. Im übrigen geben wir allen Ordinarien samt und sonders den strikten Befehl, mit aller Umsicht auf die Bestrafung solcher Frevler bedacht zu sein, so daß sie keineswegs der Nachlässigkeit geziehen werden können. Falls sie nachlässig sein sollten, sollen sie, wie es die Schwere der Tat erfordert, von ihren Oberen so bestraft werden, daß es den übrigen ein warnendes Beispiel ist.5

[3. Reformakte vom 20. 1. 1418] (wie Dekret Martins V., unten Nr. 15 d)

zu ihrer Herde Schutz und zu der Kirche Gottes Reinigung von ihren Lastern eingesetzt sind, müssen bedenken, wie sehr sie sich vergehen, wenn sie bei der Ausführung dieser Verordnung nachlässig erfunden werden. Damit zudem solche Nachlässigkeit nicht ohne gebührende Strafe bleibt – denn es scheint ja so, als ob sie dadurch fremde Schuld zur eigenen machen –, bestimmen wir, daß wegen solcher Nachlässigkeit gegen solche Prälaten vorgegangen werden kann und soll bis zum Entzug [ihrer Würden], wenn die Schwere ihres Säumens dies erfordert. 5 Am Rande: Placet nacioni; sed detur modus probandi – Zustimmung der Nation; doch sollte Prüfung des Inhalts noch möglich sein.

464

XII Avisata in reformatorio

b) [De vita et honestate clericorum] 1. Ed.: v. d. Hardt I Sp. 635 f. [Stump, The Reforms, S. 366, cap. 40].

De vestibus clericorum Statutum felicis recordacionis Clementis pape V. contra clericos absque racionabili causa vestes virgatas aut partitas publice deferentes editum in concilio Viennensi 6 locum habere decernit sancta sinodus in omnibus clericis, eciamsi pontificali prefulgeant dignitate, qui absque causa similes vestes virides, rubras, supra talum curtas, fissas stampatas aut manicas latas ultra palmam seu foderaturam odoram habentes, alias prohibitas in concilio generali,7 de cetero publice portare presumant. Adiciens, ut ultra penas ibidem promulgatas ordinarii locorum clericos sibi subditos in premissis excedentes, sive exemptos, apostolica auctoritate monere teneantur, ut vestem talem habentes infra certum tempus dimittant et sibi c tradant pauperibus in elemosinam erogandam. Quod si post trinam monicionem non fecerint, beneficiis suis sint ipso facto privati. Vel si beneficium non habuerint, sint omnino inhabiles ad idem. Ordinarii vero, qui circa moniciones predictas et execuciones earum reperti fuerint negligentes, secundum negligencie modum per superiorem proximum, eciamsi sint pontifices, appellacione postposita percellantur sive puniantur.

2. Ed.: v. d. Hardt I Sp. 643 f.

Contra prelatos, qui non incedunt in habitu et tonsura decenti Fuit conclusum, quod prelati, videlicet patriarche, archiepiscopi, episcopi, abbates, si omiserint incedere in habitu et tonsura clericali d per annum, sint ipso iure privati suis beneficiis. Et libere possint habentes potestatem eligendi vel conferendi eligere et conferre. Et sub habitu clericali intelligantur quoad prelatos seculares, quod portent rochetum et cappam vel troccam vel mantellum, et quoad regulares, quod portent habitum sue religioni convenientem.

c d

fehlt Ed. fehlt Ed.

C 12 Reformentwürfe: b) Klerikertracht

465

b) Lebenswandel und Ehrenhaftigkeit der Kleriker 1. Klerikerkleidung Der Erlaß des Papstes Clemens V. seligen Angedenkens gegen diejenigen Kleriker, die ohne vernünftigen Grund gestreifte und bunte Gewänder öffentlich tragen, der auf dem Konzil von Vienne 6 erging, soll, so entscheidet die heilige Synode, für alle Kleriker gültig sein – auch wenn sie durch bischöfliche Würde hervorragen –, die es wagen, ohne Grund solche grünen, roten, über die Knöchel gekürzten, geschlitzten und gewalkten Gewänder, weite Ärmel, die über die Hand hinausgehen, einen bis zum Saum gefütterten Mantel auch weiterhin in aller Öffentlichkeit zu tragen (was vom Allgemeinen Konzil ja verboten wurde).7 Hinzugefügt wird, daß über die dort bekanntgegebenen Strafen hinaus die Ortsordinarien gehalten sind, die ihnen untergebenen Kleriker, die sich gegen das Vorgenannte vergehen, – auch die exemten – kraft Apostolischer Autorität zu ermahnen, daß die Besitzer solcher Kleidung innerhalb einer bestimmten Frist diese aufgeben und ihm abliefern, damit man [den Erlös] den Armen als Almosen spende. Wenn sie dies auch nach dreimaliger Ermahnung nicht tun, gehen sie ihrer Pfründen ohne weiteres Verfahren verlustig. Falls sie keine Pfründe haben, sind sie dazu künftig unfähig. Die Ordinarien aber, die hinsichtlich der genannten Mahnungen und ihrer Durchführung säumig erfunden werden, werden entsprechend dem Maß ihrer Säumigkeit (auch wenn sie Bischöfe sind) vom nächsten Vorgesetzten ohne Zulassung einer Berufung zur Rechenschaft gezogen oder bestraft. C 12 Reformentwürfe: b) Klerikertracht

2. Wider Prälaten, die nicht in schicklicher Kleidung und Tonsur auftreten Es wurde beschlossen: Prälaten (also Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte), die es ein Jahr lang unterlassen, in Klerikertracht und Tonsur aufzutreten, verlieren ohne weiteresVerfahren ihre Pfründen. Wer die Befugnis zum Wählen und Verleihen hat, darf frei wählen und verleihen. Unter Klerikertracht wird verstanden: Säkularprälaten tragen Chorrock und KapuzenMantel (Trocca oder Mantel), Regularkleriker tragen die ihrem Orden eigene Tracht.

6 7

1311/12, Dekret 9; COD 3 S. 365. Clem. 3.1.2. Siehe Anm. 6.

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XII Avisata in reformatorio c) Ed.: ACC II S. 641 [Stump, The Reforms, S. 353 f., cap. 25].

De taxis ecclesiarum reducendis ad debitum modum e Fuit propositum et dictum, quod materia in se erat bona et necessaria sed tamen differenda, usquequo per dei graciam habeatur unio et unicus pontifex in dei ecclesia.8

d) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 620 f. [Stump, The Reforms, S. 351, cap. 21].

De privilegiis inferiorum prelatorum ipsis concessis 9 Quod omnia privilegia et indulgencie a tempore scismatis concesse inferioribus prelatis de utendo pontificalibus, sicut mitris, sandalis, rocheto, 10de benedicendo populo et dando indulgencias et huiusmodi 10 ad dignitatem pontificalem pertinentibus revocentur. 10Et idem intelligatur de abbatissis.10

e) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 627 f. [Stump, The Reforms, S. 353, cap. 24].

De beneficiatis citra episcopos et abbates non residentibus Quod omnes habentes beneficia requirencia residenciam de iure, consuetudine vel statuto vel alia speciali ordinacione resideant. Et moneantur per edictum publicum, quod faciant episcopi et alii prelati iurisdiccionem habentes in principio sue institucionis. Et repetatur hoc in sinodis et conciliis provincialibus. Et si absque causa racionabili et superiorum licencia fuerint absentes per sex menses, exequantur prelati penas iuris contra ipsos. Et ultra hoc dixerunt aliqui de specialibus penis imponendis. De licencia autem, que datur pro absencia, quod nichil recipiatur 11 pro ipsa. Et non detur nisi causa racionabili et expressa. Nec habeatur pro racionabili, si stant in curia regis vel principis pro officiis voluntariis, in quibus stant propter lucrum. Et si episcopi et alii iurisdiccionem habentes fuerint negligentes in premissis, fiat super hoc inquisicio in conciliis provincialibus et generalibus ad effectum, ut in primis redarguantur et in generalibus puniantur. Item eciam

e

fehlt Ed.

C 12 Reformentwürfe: e) Anwesenheitspflicht

467

c) Rückführung der Kirchentaxen auf das gebotene Maß Es wurde vorgetragen und erklärt, daß die Sache in sich gut und notwendig sei; sie müsse jedoch solange vertagt werden, bis man durch Gottes Gnade in der Kirche Gottes Einheit und einen einzigen Papst habe.8 d) Niederen Prälaten gewährte Privilegien 9 Alle Privilegien und Gnadenerweise, die seit der Zeit des Schismas niederen Prälaten gewährt wurden hinsichtlich des Gebrauchs von Pontifikalien, wie Mitra, [weißen] Sandalen, Chorrock, 10hinsichtlich des Segnens des Volkes und der Austeilung von Ablässen und dergleichen,10 werden, soweit sie zur Bischofswürde gehören, widerrufen. 10Gleiches versteht sich für die Äbtissinnen.10

e) Benefiziaten unterhalb von Bischöfen und Äbten ohne Anwesenheitspflicht Alle Inhaber von Pfründen, die Anwesenheit nach Recht, Gewohnheit, Satzung oder sonstiger besonderer Anweisung erfordern, müssen anwesend sein. Sie sollen dazu ermahnt werden durch einen öffentlichen Erlaß, den die Bischöfe und anderen Prälaten mit Jurisdiktion am Beginn ihrer Amtszeit bekanntmachen. Wiederholt werden soll er auf den Provinzialkonzilien und den Synoden. Wenn sie ohne vernünftigen Grund und ohne Erlaubnis ihrer Oberen sechs Monate abwesend sind, sollen die Prälaten die rechtlichen Strafen gegen sie verhängen. Darüber hinaus haben einige vorgebracht, es sollten Sonderstrafen festgesetzt werden. Hinsichtlich der Erlaubnis für Abwesenheit soll keine Zahlung 11 dafür geleistet werden. Und sie soll nur gewährt werden aus vernünftigem und ausdrücklichem Grunde. Als vernünftiger Grund wird nicht anerkannt, wenn sie sich am Hof des Königs oder eines Fürsten zur Wahrnehmung freiwillig übernommener Ämter aufhalten, voller Hoffnung auf Gewinn. Wenn Bischöfe und andere mit Jurisdiktion beim Vorgenannten nachlässig sind, soll darüber auf den Provinzial- oder den Allgemeinen Konzilien eine Untersuchung stattfinden zu dem Zweck, sie auf den ersteren anzuklagen C 12 Reformentwürfe: e) Anwesenheitspflicht

8

Siehe auch dt. u. frz. Konkordat (unten Nr. 16 a u. b cap. 3 S. 522 u. 534). Aufgenommen im engl. Konkordat (unten Nr. 16c cap. 4 S. 540). 10–10 Fehlt im Konkordat. 11 Zuwendung bei Teilnahme am Chorgebet. 9

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XII Avisata in reformatorio

papa in principio assumpcionis faciat edictum publicum in Romana curia de residendo, ut supra. Et dispensaciones facte contra premissa ex toto sint revocate. Nec in futuro concedantur, nisi ex causa racionabili et evidenti et in literis specialiter expressa. Et specialiter habeatur advertencia, quod non dispensetur cum illis, qui sponte iuraverunt residere. Et quod habentes dignitates principales post pontificales teneantur ad residenciam.12

f) Ed.: Heimpel S. 1288 f.

De indebita et inordinata eleccione prelatorum preteritorum in Alamania et de precavenda futura 13 Quia, proch dolor, nimius abusus in promocione episcoporum presertim in partibus Alamanie inolevit nec speratur de facili posse execucioni demandari, quod elegantur doctores vel graduati, maxime quia imperfectum sciencie quasi communiter in tota Alamania non tam suplet perfeccio caritatis quam nobilitas sanguinis vel potencia amicorum,14 et quia decretalis Cum nobis olim, De eleccione15 circa scienciam aliqualiter laxe loquitur et doctores dicunt circa eam, cum nobili potente, si alias temporalia ecclesie periclitentur, posse dispensari, idcirco visum est aliquibus dominis deputatis ad reformacionem pro Germanica nacione, quod pro reformacione episcoporum tam presencium quam futurorum fiat una constitucio generalis, in qua primo recitetur per modum exordii, qualiter institutum sit nomine et figura episcopi seu pontificis ex vi vocabuli et eciam veteri testamento 16 ac ex doctrina Apostoli ad Thymoteum et ad Tytum;17 et quomodo sacri canones ex hiis regulas posuerint, prout a XXV. di. usque ad quinquagesimam prosequitur Gracianus, et specialiter tangantur ea, que in c.Qui episcopus XXIII. di. et in c.Que ipsis et sequenti XXXVIII. di. habentur necnon in c.Cum in cunctis, De eleccione et in c.ultimo De etate et qualitate et in c. Nisi § Pro defectu, De renunciacione cum similibus.18 Et post hec deploretur lamentabilis episcoporum status modernus in aliquibus partibus, quia nonnulli sunt penitus ydeote, aliqui non in sacris, alii semper in guerris et armis, et plerique numquam vel raro per se exercent pontificalia aut celebrant ordines vel predicant aut visitant, ut tenentur, sed principale sui officii committunt tytularibus, eciam levibus personis et offi12

Residenzpflicht im engl. Konkordat (unten Nr. 16 c cap. 5 Abs. 3 S. 542). Text aus Hs. Wien 5113. Dort als Rubrik: Avisamentum per m. Jop. – Entwurf von Magister Job [Vener].- Wiederaufnahme der Materie auf dem Basler Konzil, 12. Sitzung, 13. Juli 1433. Anschlußband FSGA, A., Bd. 38 b Nr. 15. 14 = Freunde und Verwandte. 15 * X 1.6.19. 13

C 12 Reformentwürfe: f) Prälatenwahl

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und auf den Allgemeinen zu bestrafen. Ebenfalls soll der Papst am Beginn seiner Amtszeit an der Römischen Kurie einen öffentlichen Erlaß über die Anwesenheit, wie oben [geschildert] herausgeben. Dispense, die dem oben Genannten zuwiderlaufen, sollen gänzlich widerrufen sein. Sie sollen künftig nur gewährt werden aus vernünftigem und offenkundigem Grund und sollen im Brief gesondert ausgedrückt werden. Besonders soll beachtet werden, daß nicht solche Dispens erhalten, die freiwillig Anwesenheit geschworen haben. Wer eine der wichtigeren Würden innehat, die hinter der bischöflichen stehen, ist zur Anwesenheit verpflichtet.12

f) Die ungebührliche, ungeordnete Wahl von Prälaten in Deutschland in früheren Zeiten und künftige Vorkehrungen dagegen 13 Leider ist der überaus große Mißbrauch bei der Erhebung von Bischöfen besonders in Deutschland eingerissen, und man kann kaum hoffen, es könne leicht die Forderung aufgestellt werden, es müßten Doktoren oder Graduierte gewählt werden, besonders weil in ganz Deutschland allgemein den Mangel an Bildung nicht so sehr die Vollkommenheit der Liebe als der Adel des Geblüts oder die Macht der Freunde 14 ausgleicht; auch spricht die Dekretale*15 über Bildung so schlaff, daß Doktoren über sie sagen, einem mächtigen Adligen könne Dispens erteilt werden, falls sonst die zeitlichen Güter der Kirche in Gefahr geraten würden; deshalb haben einige von der deutschen Nation zur Reform abgeordnete Herren vorgeschlagen, daß zur Reform der gegenwärtigen und künftigen Bischöfe eine allgemeine Konstitution erlassen wird; in dieser sollte zunächst in Form einer Einleitung dargelegt werden, wie ‘der Bischof’ dem Wort nach, auch aus dem Alten Testament 16 und der Lehre des Apostels (in seinen Briefen an Timotheus und an Titus 17), eingesetzt worden ist, ferner wie die heiligen Kanones daraufhin die Regelungen gesetzt haben.*18 Danach möge der erbärmliche heutige Stand der Bischöfe in einigen Gebieten bedauert werden, denn manche sind gänzlich ungebildet, einige ungeweiht, andere stets in kriegerischen Verwicklungen und Waffen; die meisten üben niemals oder selten ihre Bischofspflichten selbst aus, indem sie Weihen spenden, predigen oder visitieren, wie sie verpflichtet sind, vielmehr überlassen sie die Hauptsache ihres Amtes Titularbischöfen, auch leichtgewichtigen Leuten, ihren Offizialen oder Vikaren; und das, was Nebensache C 12 Reformentwürfe: f) Prälatenwahl

16

Lev 21. 1 Tim 5, 22 u. Tit 1, 9. 18 * Wie u. a. Gratian darlegt D. 25–50, besonders berührt in D. 23 c. 2 u. D. 38 c. 5 u. 6; ferner X 1.6.7 u. X 1.14. 15; X 1.9.10 § 4. 17

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XII Avisata in reformatorio

cialibus seu vicariis, et id, quod accessorium est et per alios facere deberent vel pocius obmittere, personaliter faciunt. Die noctuque placitis et tractatibus prophanis et secularibus insudant nec recordantur eciam consecrari per professionem, quam fecerunt. Ex quibus tepescit fides, exulat caritas et spes salutis adimitur christianis infinitaque scandala sunt secuta. Quare statuit et ordinat hec sacrosancta synodus, quod archiepiscopi et episcopi deinceps sua officia personaliter exerceant predicando, visitando, ordines celebrando et in suis ecclesiis in festivitatibus divina ministrando etc., nisi iusta et racionabili causa fuerint impediti. Quodque in elegendis et promovendis episcopis examen canonicum de singulis ad hoc requisitis precedat sic, quod omnino persone ad tante dignitatis fastigium ex omni parte ydonee et non alie preferantur. Nec circa hoc nisi ex magna, racionabili et notoria causa in iure expressa aliquatenus dispensetur sub gravibus penis, que sacro concilio videbuntur optime. Hec autem constitucio, que in effectu mandabit sacros canones servari tam in exercicio officii episcopalis per nunc promotos quam in promovendo futuros, in omnibus cathedralibus ecclesiis singulis annis bis vel ter, et presertim imminentis eleccionis tempore cum intellectu debito publicetur etc.19

g) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 631 f. [Stump, The Reforms, S. 359 f., cap. 29].

De conciliis provincialibus et synodis episcoporum 20 Fuit conclusum, quod concilia provincialia fiant saltem de triennio in triennium et sinodi episcoporum singulis annis. In quibus agatur de correccione morum et aliis, ut est iuris. Et teneantur archiepiscopi et episcopi per se ipsos, si non sint legitime impediti. Et si omiserint, sint suspensi ab omni iurisdiccione. Et devolvatur ad capitulum cum emolumento ipsius, quod convertatur in utilitatem publicam ecclesiarum, non privatam ipsorum de capitulo. Et si metropolitanus per quadriennium et diocesanus per biennium differant, tunc in sequenti concilio generali possint, si videbitur, continuo

19 In Hs. Wien 5094 (ACC II S. 653): Ad quem spectabit confirmatio electorum ad ecclesias cathedrales et alias dignitates. Vacantibus ecclesiis cathedralibus, papa electionem expectet, et si reperiatur eam canonicam, confirmet et provideat. Et idem de abbatibus et ecclesiis, quorum valores quingentorum florenorum de camera excedunt. In aliis autem et in omnibus monasteriis monialium et ceteris beneficiis electivis superiores confirment. – Zuständigkeit für die Bestätigung von zu Kathedralkirchen und anderen Würden Gewählten. Wenn Kathedralkirchen vakant werden, soll der Papst die Wahl abwarten und dann, wenn er sie kanonisch findet, bestätigen oder eine Anweisung vornehmen. Gleicherweise bei Äbten und Kirchen, deren Wert 500 Kammermmm

C 12 Reformentwürfe: g) Provinzialkonzil

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ist und durch andere gemacht oder besser: unterlassen werden sollte, tun sie persönlich. Bei Tag und Nacht mühen sie sich ab in profanen und weltlichen Verhandlungen und denken nicht daran, sich entsprechend dem Eid, den sie geleistet haben, weihen zu lassen. Dadurch wird der Glaube lau, die Liebe heimatlos und die Hoffnung auf Heil den Christen genommen – unendliche Ärgernisse sind die Folge. Daher bestimmt und verordnet diese hochheilige Synode, daß künftig die Erzbischöfe und Bischöfe ihre Ämter selbst ausüben sollen, indem sie predigen, visitieren, Weihen spenden, in ihren Kirchen an Festtagen das Hochamt feiern usw., es sei denn sie wären aus gerechtem und vernünftigem Grund verhindert. Bei der Wahl und Erhebung der Bischöfe soll das kanonische Examen über alles dabei Erforderliche vorausgehen, so daß auf jeden Fall nur Personen zur Höhe dieser Würde berufen werden, die in jeder Weise dafür geeignet sind, nicht aber andere. Davon soll nur aus bedeutendem, vernünftigem und offenkundigem Grund, der im Recht ausdrücklich genannt ist, irgendwie dispensiert werden können – bei schweren Strafen, die das heilige Konzil beschließt. Diese Konstitution aber, die wirklich dazu anhält, die heiligen Kanones zu beachten bei der Ausübung des Amtes der bereits erhobenen und der künftig zu erhebenden Bischöfe, soll in allen Kathedralkirchen jedes Jahr zwei- bis dreimal, besonders zur Zeit einer bevorstehenden Wahl mit gebührender Erläuterung bekanntgemacht werden.19 C 12 Reformentwürfe: g) Provinzialkonzil

g) Provinzialkonzilien und Bischofssynoden 20 Es wurde beschlossen, daß Provinzialkonzilien mindestens im Abstand von drei Jahren und Bischofssynoden jährlich stattfinden müssen. Dort soll über die Besserung der Sitten und anderes, was Rechtens ist, verhandelt werden. Die Erzbischöfe und Bischöfe sind dazu in eigener Person gehalten, falls sie nicht rechtmäßig verhindert sind. Wenn sie das versäumen, sollen sie von jeder Amtsbefugnis suspendiert sein. Diese geht einschließlich der Einkünfte auf das Kapitel über, das sie zum allgemeinen Nutzen der Kirchen, nicht zu ihrem eigenen im Kapitel, verwenden muß. Wenn der Metropolit die Synode bis zum vierten und der Diözesanbischof bis zum zweiten Jahr verschiebt, können sie auf dem nachfolgenden Allgemeinen Konzil, wenn es sich als gulden übersteigt. In anderen Fällen und bei allen Frauenklöstern sowie den übrigen Pfründen mit Wahlrecht sollen die Oberen die Wahl bestätigen. – Vgl. dt. u. frz. Konkordate, unten Nr. 16 a u. b cap. 2 S. 516 u. 532. 20 Wiederaufnahme im Basler Konzil, 15. Sitzung, 26. Nov. 1433. Anschlußband (wie Anm. 13) Nr. 16.

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XII Avisata in reformatorio

privari dignitatibus episcopatus vel archiepiscopatus. Et episcopi f teneantur ire ad concilium provinciale sub pena excommunicacionis, quam incidant ipso facto, nisi habeant causam racionabilem, que discuciatur in concilio, vel sint suspensi a collacione beneficiorum per annum. Et devolvatur ad capitulum suum. Et duret saltem octo diebus vel decem, aliqui dixerunt de mense. De sinodo vero, quod duret saltem quinque diebus. Nichilominus fuit dictum, quod illa materia lacius tractaretur sequenti die. Postea tamen nichil fuit mutatum.

h) Ed.: ACC II S. 666 [Stump, The Reforms, S. 35, cap. 19].

De conversis ad fidem 21 Quod bona illorum, qui convertuntur ad fidem, non confiscentur per ecclesiam vel principes seu dominos seculares, set eis remaneant, nisi sint de usuris vel alias male ablatis, et tunc incerta eis libere remaneant.22

i) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 635 f. [Stump, The Reforms, S. 364f., cap. 39].

Contra concubinarios 23 Ad arcendum concubinatus crimen et de clero penitus ad eliminandum summo studio per sacros canones provisum est. Quia tamen quam plures ordinarii et alii, quod pertinet, non adhibuerunt nec adhibent diligenciam, quam deberent g in eisdem provisionibus, crimen prefatum in multis locis cum maximo catholicorum scandalo et in tocius clericalis contemptum ordinis frequentatur. Cui morbo hec sacra sinodus volens occurrere, decernit, ut deinceps omnes in sacris ordinibus existentes vel religionem aliquam de apf g

ipsi Ed. haberent Ed.

21 Wiederaufnahme im Basler Konzil, 19. Sitzung, 7. Sept. 1434. Anschlußband (wie Anm. 13) Nr. 17. 22 Protokollvermerk in Hs. Vatikan. Archiv (ACC II S. 666): Dominus Bathoniensis presidens proposuit de Iudeis et aliis infidelibus ad fidem Christi conversis recipiendis ad sanctum baptisma absque eo, quod oporteat eos sua bona dimittere, utrum videatur honestius vel favorabilius vel utilius. Et tandem scrutatis votis conclusum est per omnes, quod bona baptizandorum non confiscentur nec ullo modo accipientur ab eis per prelatos vel dominos seculares. De male ablatis bona incerta sibi remittantur vel dantur in elemosinam; de certis oneretur eorum consciencia, sed ab ipsis nichil penitus auferatur. – Der Herr [Nikolaus Bubbewyth], Bischof von Bath [u. Wells] trug als Vorsitzender vor bezüglich der Juden und anderen Ungläubigen, die sich zum Glauben mmmm

C 12 Reformentwürfe: i) Konkubinarier

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wahr herausstellt, auf Dauer ihrer Würden als Bischof oder Erzbischof entsetzt werden. Die Bischöfe sind gehalten, zum Provinzialkonzil zu gehen, und zwar bei der Strafe der Exkommunikation, der sie von selbst verfallen, falls sie nicht einen vernünftigen Grund haben, der auf dem Konzil erörtert werden soll, oder ihnen wird die Pfründenvergabe für ein Jahr entzogen. Diese geht auf sein Kapitel über. Die Dauer [eines Provinzkonzils] soll zumindest acht Tage oder zehn betragen, andere sprachen von einem Monat. Die [Bischofs]-Synode aber soll zumindest fünf Tage dauern. Gleichwohl wurde gesagt, daß dieses Thema am nächsten Tag ausführlicher verhandelt werden sollte. Danach aber wurde nichts geändert. C 12 Reformentwürfe: i) Konkubinarier

h) Zum Glauben Bekehrte 21 Hab und Gut derer, die sich zum Glauben bekehrt haben, soll nicht eingezogen werden, [weder] durch die Kirche noch durch Fürsten oder weltliche Herren, sondern soll ihnen verbleiben, es sei denn es stammt aus Wuchergeschäften oder ist sonstwie nicht rechtmäßig erworben worden; wenn das ungewiß bleibt, soll es ihnen frei verbleiben.22 i) Gegen die Konkubinarier 23 Zur Abwehr des Verbrechens des Konkubinats und zu seiner gänzlichen Beseitigung aus dem Klerus ist mit höchstem Eifer durch die heiligen Kanones Vorsorge getroffen worden. Weil jedoch viele Ordinarien und andere, die zuständig sind, nicht die Sorgfalt angewandt haben und anwenden, die sie in ihren Maßnahmen walten lassen müßten, hat sich das genannte Verbrechen an vielen Orten zum größten Ärgernis für die Katholiken und bis zur Verachtung des ganzen Klerikerstandes verbreitet. In dem Willen, diesem Übel zu begegnen, beschließt diese heilige Synode: Künftig sollen alle, die in heibekehrt haben und nun zur heiligen Taufe aufgenommen werden sollen: Abgesehen davon, daß es sich gehörte, daß sie ihr Hab und Gut aufgeben – dünkt etwas ehrenhafter, günstiger oder nützlicher? Schließlich wurde durch Abstimmung von allen beschlossen, daß Hab und Gut von Taufbewerbern nicht eingezogen, noch ihnen sonstwie durch Prälaten oder weltliche Herren abgenommen werden soll. Hinsichtlich der nicht rechtmäßig erworbenen Habe soll ihnen das Ungewisse bleiben oder als Almosen gegeben werden; das gewiß schlimm Erworbene möge ihr Gewissen belasten, aber es soll ihnen auf keinen Fall weggenommen werden. 23 Wiederaufnahme im Basler Konzil, 20. Sitzung, 22. Febr. 1435, vgl. Anschlußband (wie Anm. 13) Nr. 18.

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XII Avisata in reformatorio

paratis professi, qui votum continencie, ad quod se sponte obligarunt, concubinatus feditate violaverunt, penis infrascriptis ipso facto subiaceant: Ut videlicet, si habuerint beneficia secularia vel regularia, eciam si sint episcopatus vel superiora h beneficia, et concubinas notorie tenuerint, nisi infra mensem prorsus a se removerint, ipso iure intelligantur suis beneficiis per hanc constitucionem privati. Et possint ipsa beneficia libere per habentes potestatem aliis conferri et impetrari vel aliis canonicis modis de aliis ydoneis reformari. Si vero beneficiati non fuerint, sint ipso iure inhabiles ad consequenda quecumque beneficia. Penis aliis a sacris canonibus contra tales predictos in suo robore remanentibus. Quia vero circa evitacionem talium diverse reperiuntur opiniones, aliis asserentibus, quod a presbyteris notoriis concubinariis, quam diu tollerantur ab episcopis et aliis superioribus, ita, quod per eos non est facta mencio specialis et nominatim quod evitentur, licitum sit audire divina et alia suscipere ecclesiastica sacramenta ab eis; aliis affirmantibus i ipsam notorietatem sufficere, ut quilibet possit et debeat eciam alia monicione non precedente tales evitare – volens eadem sinodus animarum saluti consulere et senciens ex huiusmodi evitacione, quam privati auctoritate propria fecerunt, in nonnullis locis gravissima scandala exorta fuisse, decernit priorem opinionem, que monicionem precedentem exigit, tamquam tuciorem et non scandalosam esse preferendam.

k) Ed.: ACC II S. 667 [Stump. The Reforms, S. 352, cap. 22].

De ignorantibus ydioma Item nulli ad kecclesias parrochiales k promoveantur in aliquo regno, nisi ydioma vulgare eiusdem patrie sufficienter intelligant ac loquantur. Et ibi conclusum fuit, quod innovetur constitucio Gregorii XI.24 et extendatur ad ordinarios.

h

firmiora Ed. confirmantibus Ed. k–k beneficia parochialia Ed. i

C 12 Reformentwürfe: k) Sprachkenntnis

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ligen Weihen stehen oder sich zu einem Orden durch Gelübde bekannt haben, wenn sie das Keuschheitsgelübde, zu dem sie sich freiwillig verpflichtet haben, durch den Schmutz des Konkubinats verletzt haben, den nachstehenden Strafen ohne weiteres verfallen: Wenn sie Pfründen für Weltgeistliche oder Ordensleute haben, auch wenn es Bistümer oder Höhere Pfründen sind, und bekanntermaßen Konkubinen haben – es sei denn sie trennen sich innerhalb eines Monats völlig von ihnen –, mögen sie wissen, daß sie von Rechts wegen durch diese Konstitution ihre Pfründen verloren haben. Ihre Pfründen können von den dazu Berechtigten frei auf andere übertragen und erbeten oder auf andere kanonische Weise hinsichtlich anderer Geeigneter umgeformt werden. Wenn sie aber keine Pfründe besitzen, sollen sie von Rechts wegen unfähig sein, irgendwelche Pfründen zu erhalten. Sonstige Strafen, die von den heiligen Kanones gegen solche Vorgenannten vorgesehen sind, bleiben in Kraft. Was aber die Vermeidung dessen angeht, finden sich verschiedene Meinungen; die einen führen an: Solange die offenkundig im Konkubinat lebenden Priester von den Bischöfen und anderen Oberen toleriert werden, so daß von ihnen keine besondere oder namentliche Erwähnung geschieht mit der Aufforderung, sie zu meiden, solange ist es erlaubt, bei ihnen die Messe zu hören und andere kirchliche Sakramente zu empfangen; andere sagen dagegen: Die Offenkundigkeit reicht hin, daß jeder sie auch ohne sonstige vorherige Aufforderung meiden kann und muß. – In dem Willen, für das Heil der Seelen zu sorgen, und in dem Bewußtsein, daß an manchen Orten größtes Ärgernis entstanden ist aus solchem Ausgrenzen, das Laien kraft eigener Ermächtigung vorgenommen haben, bestimmt diese Synode die erstere Meinung, die eine vorherige Aufforderung fordert; denn diese ist als sicherer und nicht ärgerniserregend vorzuziehen. C 12 Reformentwürfe: k) Sprachkenntnis

k) Unkenntnis der Volkssprache Niemand sollte in irgendeinem Reich auf Pfarrkirchen erhoben werden, der nicht die Volkssprache dieses Landes hinreichend versteht und spricht. Es wurde dort beschlossen, daß die Konstitution Gregors XI.24 erneuert und auf die Ordinarien ausgedehnt werden solle.

24 Kanzleiregel vom 11. 6. 1373 (Regulae cancellariae, ed. Ottenthal, Gregor XI. Nr. 71); dort Bedingung: persona ipsa bene intelligat et intelligibiliter loquatur ydioma illius loci, ubi dicta parrochialis ecclesia consistat – daß die Person die Sprache des Ortes, wo die Pfarrkirche steht, gut versteht und sie verständlich spricht.

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XII Avisata in reformatorio l) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 643 f. [Stump, The Reforms, S. 370 f., cap. 49].

Quod prelati habeant vicarios non uxoratos sed bene literatos Et fuit conclusum, quod hoc est de iure communi: tamen fiat constitucio, in qua decernatur, quod omnes prelati et persone ecclesiastice habentes iurisdiccionem spiritualem non possint causam exercere nisi per clericos lnon uxoratos et bene literatos item in iure peritos. Et si per non clericos l fuerint late sentencie, sint nulle. Et quod imponantur pene sufficientes contra contrafacientes.25

m) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 637 ff. [Stump, The Reforms, S. 376 f., cap. 42].

De pessima consuetudine cathedralium et regularium ecclesiarum, quod in eis non admittantur nisi de nobilium aut militarium genere procreati Quia in ecclesiis quibusdam regularibus pessima servatur et inolevit consuetudo vel pocius corruptela, sic quod in eis non admittantur nisi de nobilium aut militarium genere procreati. Qui velut ex milicia geniti moribus laycalibus imbuti studia non frequentant neque curant et sic ignari remaneant et ydiote. Ex quibus tunc consequenter per eleccionem talem qualem ad ecclesias cathedrales huiusmodi milicie dediti in prelatos promoventur, vix Latinum fari scientes et actus militares tam in vestibus quam in bellorum conflictibus et armorum insultibus, quia exercitati sunt mmagis in illis m, pretendentes, quam quod actibus pontificalibus pro acquirendis, conservandis et pascendis animabus et ovibus sibi subiectis se ingererent, contra iura tam divina quam humana. Unde multa in populo sibi subiecto scandala oriuntur et ecclesie ipse gravia dampna et pericula paciuntur. Et specialiter plura sollempnia monasteria de ordine sancti Benedicti desolata sunt et deserta, ita quod in quibusdam vix duo aut tres monachi inveniuntur, qui nec religiose vivere nec divina curant ministrare seu frequentare officia, bona eciam, res et possessiones monasteriorum male dispensantes in esse seu statu eorum l m

aus Hs.Wien 5113 ergänzt in illis, magis Ed.

25

In Hs. Wien 5113 (v. d. Hardt I Sp. 631 f.): De vicariis perpetuis in ecclesia instituendis. Item in singulis ecclesiis appropriatis et unitis sit unus vicarius, alias curatus perpetuus, qui cure insistit ecclesiarum, bene competenter dotatus per ordinarium pro auctoritate apostolica et hospitalitate tenenda et oneribus incumbentibus sufficienter supportandis. Revocatis literis apostolicis, privilegiis consuetudinibus, prescripcionibus, pactis, sentenciis latis, omnibus aliis in contrarium facientibus quibuscumque tamquam irracionabilibus et in preiudicium divini cultus concessis. – Die Einsetzung mmmmm

C 12 Reformentwürfe: m) Ritterstifte

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l) Prälaten sollen als Vikare keine Verheirateten sondern Wohlgebildete haben Es wurde beschlossen, daß dies schon nach gemeinem Recht gilt; trotzdem sollte ein gesonderter Erlaß ergehen, in dem entschieden wird, daß alle Prälaten und Kirchenleute mit geistlicher Jurisdiktion einen Prozeß nur führen dürfen durch unverheiratete und wohlgebildete Kleriker, die im Recht erfahren sind. Sollten Urteile von Nicht-Klerikern ergangen sein, sind diese nichtig. Es sollen hinreichende Strafen gegen Zuwiderhandelnde verhängt werden.25

m) Verwerfliche Gewohnheit der Kathedral- und Stiftskirchen, nur Söhne von Adligen und Rittern aufzunehmen

C 12 Reformentwürfe: m) Ritterstifte

In einigen Stiftskirchen hat sich die verwerfliche Gewohnheit, besser: der Mißstand eingenistet und bewahrt, daß dort nur Söhne von Adligen und Rittern aufgenommen werden. Diese sind gleichsam aus dem Kriegerstand hervorgegangen, nehmen nach Laienart nicht am Studium teil und kümmern sich nicht darum, und so bleiben sie unwissend und ungebildet. Von diesen werden dann in der Folge durch die eine oder andere Wahl Männer zu Prälaten erhoben, die sich solchem Kriegsdienst hingeben, bisweilen Leute, die kaum Latein sprechen können, doch ihre ritterlichen Taten sowohl in der Kleidung wie in kriegerischen Auseinandersetzungen und bewaffneten Angriffen zur Schau stellen – denn darin sind sie besser geübt –, statt daß sie sich in bischöflichen Handlungen zur Gewinnung, Bewahrung und Weide der Seelen und der ihnen unterstellten Schafe hervortun – alles wider göttliches und menschliches Recht. Daraus entstehen im Volk, das ihnen unterstellt ist, viele Ärgernisse, und die Kirchen leiden schweren Schaden und Gefahren. Besonders sind viele berühmte Klöster des Benediktinerordens verödet und verwaist, so daß sich in einigen kaum zwei oder drei Mönche finden, die dann weder fromm leben, sich nicht um den Gottesdienst kümmern noch am Offizium teilnehmen, die auch Hab und Gut und Besitz der Klöster schlecht verwalten, sie in Zustand und Bestand nicht bewahren, sonständiger Vikare in einer Kirche. In den Eigenkirchen und vereinigten Kirchen soll es jeweils einen Vikar bzw. ständigen Kurat geben, dem die Sorge für die jeweilige Kirche obliegt; er soll gut und angemessen vom Ordinarius ausgestattet sein, kraft päpstlicher Autorität, um die Herbergspflicht einhalten und bei auftauchenden Lasten genügend Unterstützung leisten zu können. Widerrufen sind Apostolische Briefe, Privilegien, Gewohnheiten, Vorschriften, Abmachungen, Urteilssprüche und alles übrige, was im Widerspruch dazu steht, gleichsam widerrechtlich ist und zum Nachteil für den Gottesdienst gewährt wurde. – Vgl. dazu engl. Konkordat (unten Nr. 16 c. cap. 3 S. 540.).

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XII Avisata in reformatorio

non conservant, sed eorum aliqua ab ipsis monasteriis alienant. Idcirco petitur super hiis provideri. Ad idem Omnes constituciones seu consuetudines quantumcumque servatas, eciamsi tanto tempore, cuius contraria memoria non existat, eciam per sedem apostolicam confirmatas, quod ad episcopatum, dignitates seu prebendas aut monachatum nisi nobiles vel illustres aut cuiuscumque gradus nobilitatis recipiantur, declarat hec sancta synodus non valere sed reputantur corruptelas, nisi forte in ipsa fundacione ecclesiarum seu beneficiorum probari possit ex voluntate patroni sic fuisse statutum. Quo casu ex ecclesie tollerancia servari possint, nisi talis nobilitatis homines de facili reperiri non possint. Quo casu ad explendum numerum canonicorum seu monachorum tales ecclesie vel conventus eciam ignobiles admittere vel recipere teneantur. Gradus eciam doctoratus vel licencie in sacra pagina, iure canonico vel civili pro quacumque nobilitate reputentur.26

n) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 640 f. [Stump, The Reforms, S. 369, cap. 44].

De iniquis statutis ecclesiarum et monasteriorum Quoniam n nonnulla ecclesiarum et monasteriorum capitula et conventus quedam nimis intollerabilia pauperibus exorbitancia statuta habere noscuntur, videlicet quod nullus de novo admittatur, nisi magna pecuniarum soluta quantitate, ita eciam quod talem admittendum pluribus annis, antequam integram prebende porcionem accipiat, oporteat expectare, quo contingit, quod pauperes eciam, quantumcumque alias ydonei, nimium pregraventur; idcirco talibus gravaminibus et exaccionibus succurrendo petitur provideri.

o) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 643 f. [Stump, The Reforms, S. 371, cap. 51].

Quod prelatus contra prelatum non possit propria auctoritate indicere bellum

o

Item omnes convenerunt, quod erat iustum, quando dicitur ad offensam, quia tunc hoc o non debet fieri sine licencia superiorum, nisi in defectu iu-

n o

Quum Ed. quod hoc tunc Ed.

C 12 Reformentwürfe: n) Adelsexklusive

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dern manches diesen ihren Klöstern entfremden. Deshalb ergeht die Bitte, darüber Abhilfe zu schaffen. C 12 Reformentwürfe: n) Adelsexklusive

Dazu [ein Entwurf] Diese heilige Synode erklärt: Alle Bestimmungen und Gewohnheiten, die irgendwie beibehalten werden – mögen sie auch aus einer Zeit stammen, an die es keine andersartige Erinnerung gibt, und selbst wenn sie vom Apostolischen Stuhl bestätigt wurden –, daß zum Bischofsamt, zu Würden, zu Pfründen oder zum Klostereintritt nur Adlige, Erlauchte oder [Männer] aus irgendeinem Adelsgrad genommen werden, sind nichtig und müssen als Mißstand gewertet werden, es sei denn es könnte bewiesen werden, daß dies bei der Gründung der Kirchen oder Pfründen nach dem Willen des Patrons so bestimmt wurde. In diesem Fall kann dies nach dem Großmut der Kirche beibehalten werden, außer es finden sich nicht leicht Männer solchen Adels. In diesem Fall sollen zur Auffüllung der Zahl der Kanoniker oder Mönche diese Kirchen oder Konvente auch Nichtadlige zulassen und aufnehmen. Der Grad eines Doktors oder Lizentiaten in Heiliger Schrift, Kanonischem oder Römischen Recht soll einem Adelsrang gleichgesetzt werden.26

n) Unbillige Statuten von Kirchen und Klöstern Weil manche Kapitel und Konvente von Kirchen und Klöstern bekanntermaßen für die Armen völlig unerträgliche und sie ausschließende Statuten haben – nämlich daß keiner neu zugelassen wird, es sei denn er hätte eine große Geldzahlung geleistet, oder auch daß einer, der solcherart zugelassen werden soll, viele Jahre warten muß, bevor er seinen vollen Anteil an der Pfründe erhält, wodurch es kommt, daß Arme, mögen sie auch ansonsten vollkommen geeignet sein, hart getroffen werden –, ergeht daher die Bitte, es möge solchen Belastungen und Forderungen abgeholfen und eine neue Regelung getroffen werden.

o) Ein Prälat darf nicht in eigener Verantwortung einem anderen Prälaten Fehde ansagen Alle kamen überein, es sei gerecht, wenn [Fehde] nur als Antwort auf einen fremden Angriff angesagt wird; denn dies darf dann nicht ohne Er26

Vgl. dt. Konkordat, unten Nr. 16 a cap. 2 Abs. 5 S. 520.

480

XII Avisata in reformatorio

sticie. Sed de pena indicenda fuit varietas. Ideo dixerunt, quod cogitaretur maxime per nacionem Germanicam, ubi talia plus quam alicubi eveniunt. Dictum eciam fuit, quod Germanici sint cum domino cardinali Florentino 27 et declarent premissa duo capitula,28 ut videbitur, et tunc p iterum hic videatur.

p) Ed.: v. d. Hardt I Sp. 641 f. [Stump, The Reforms, S. 369, cap. 45].

De exaccionibus per principes impositis clericis Cum prelati ecclesiastici, principes seculares et alie persone singulari exacccionis genere clericos seculares et religiosos per nimias hospitalitates, vecturas aliasque servitutes, venatores, falconarios, canes et aves, quos clericis et religiosis committunt nutriendos, ac eciam porcos, boves et animalia ad impinguandum tradunt, nimis gravent, idcirco petitur super hoc per optimum remedium provideri.

p

fehlt Ed.

C 12 Reformentwürfe: p) weltl. Lasten

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laubnis der Oberen geschehen, außer es gäbe sonst keinerlei Rechtsmittel. Aber hinsichtlich des Strafmaßes gab es Unterschiede. Man sagte daher, es müsse besonders in der deutschen Nation nachgedacht werden, wo dies mehr als anderswo vorkommt. Es hieß auch, die Deutschen sollten mit dem Herrn Kardinal von Florenz 27 verhandeln und die beiden vorstehenden Kapitel 28 erläutern, wie sie die Dinge sehen, und dann werde man hier weitersehen.

p) Von Fürsten den Klerikern auferlegte Abgaben Kirchliche Prälaten, weltliche Fürsten und andere Personen belasten mit einer besonderen Art Abgabe die Weltgeistlichen und Ordensleute, nämlich durch übermäßige Herbergspflichten, Fuhren, sonstige Dienstleistungen, Einsatz [von Klerikern] als Jäger, Falkner, dadurch daß sie Hunde und Vögel den Klerikern und Ordensleuten zur Pflege anvertrauen, auch Schweine, Ochsen und Tiere zur Mast geben; daher wird gebeten, hier beste Abhilfe zu schaffen. C 12 Reformentwürfe: p) weltl. Lasten

27 Francesco Zabarella. 1410 Elekt v. Florenz, 1411 Kard. D., ab 1414 päpstl. Legat in Konstanz. † 26. Sept. 1417. 28 Eines davon oben als Entwurf l ( S. 476) gedruckt.

XIII Decreta reformacionis

D. ERGEBNISSE DES KONSTANZER KONZILS IN DER KIRCHENREFORM

XIII

Ed.: COD3 S. 438–443 – kontrolliert an Hss. Staatsbibliothek zu Berlin PK, theol. lat. fol. 420 u. 486 (B); Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, Chart.A 22 (G); Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. iur. 20 130 (SI u. SII).

DECRETA REFORMACIONIS [De conciliis generalibus] Frequens generalium conciliorum celebracio agri dominici precipua cultura est, que vepres, spinas et tribulos 1 heresium, errorum et scismatum extirpat, excessus corrigit, deformata reformat et vineam domini 2 ad frugem uberrime fertilitatis adducit, illorum vero neglectus premissa disseminat atque fovet. Hec preteritorum temporum recordacio et consideracio presencium ante oculos nostros ponunt. Quaproptera hoc edicto perpetuo sancimus, statuimus b, decernimus atque ordinamus, ut amodo concilia generalia celebrentur: 3ita quod primum a fine huius concilii in quinquennium immediate sequens, secundum vero a fine illius immediate sequentis concilii in septennium, et deinceps de decennio in decennium perpetuo celebrentur in locis, que summus pontifex per mensem ante finem cuiuslibet concilii, approbante et consenciente concilio, vel in eius defectu ipsum concilium, deputare et assignare teneatur. Ut sic per quandam continuacionem semper aut concilium vigeat aut per termini pendenciam expectetur. Quem terminum liceat summo pontifici de fratrum suorum sancte Romane ecclesie cardinalium consilio ob emergentes forte casus abbreviare, sed nullatenus prorogetur.4 Locum autem pro futuro concilio celebrando deputatum absque evidenti necessitate non mutet. Sed si forte casus aliquis occurreret, quo necessarium videretur ipsum locum mutari, puta obsidionis, guerre, pestis aut similis, tunc liceat summo pontifici de predictorum fratrum suorum aut duarum parcium ipsorum consensu atque subscripcione alium locum, prius deputato loco viciniorem et aptum, sub eadem tamen nacione, subrogare, nisi idem cvel simile c impedimentum per totam illam nacionem vigeret. Et tunc ad aliquem alium viciniorem alterius nacionis locum aptum huiusmodi concilium poterit convocare: ad quem prelati et alii, qui ad concilium solent convocari, accedere teneantur,

a

Eapropter Hs. B 420 u. G, Propter Ed. fehlt Hs. G c–c fehlt Hs. SII b

1 2

Vgl. Gen 3, 18; Is 5, 6; Hebr 6, 8. Vgl. Marc 12, 9.

13. KONZILSKONSTITUTIONEN DER 39. SITZUNG VOM 9. OKT. 1417 a) Allgemeine Konzilien Häufiges Abhalten von Allgemeinen Konzilien ist eine besondere Pflege des Ackers des Herrn, das die Stacheln, Dornen und Disteln 1 der Ketzerei, der Irrlehren und [Kirchen]spaltungen ausrottet, Abweichungen berichtigt, Entstelltes reformiert und den Weinberg des Herrn 2 zur Ernte überreicher Fruchtbarkeit führt; die Mißachtung jener [Konzilien] aber sät das zuvor Genannte aus und begünstigt es. Dies führt uns die Erinnerung an die vergangenen Zeiten und das Betrachten der Gegenwart vor Augen. Daher entscheiden, verfügen, bestimmen und verordnen wir durch diesen ewigen Erlaß, daß künftig Allgemeine Konzilien folgendermaßen abgehalten werden: 3 Das erste fünf Jahre unmittelbar nach dem Ende dieses Konzils, das folgende aber sieben Jahre unmittelbar nach dem Ende jenes Konzils, danach sollen sie jeweils fortwährend alle zehn Jahre abgehalten werden, und zwar an Orten, die zu bestimmen und festzulegen der Papst – bei seinem Fehlen das Konzil selbst – einen Monat vor Ende eines jeden Konzils mit Billigung und Zustimmung des Konzils gehalten ist. So kann in einer Art Stetigkeit stets gerade ein Konzil tagen oder wegen der Stetigkeit erwartet werden. Diese Frist darf der Papst auf Anraten seiner Brüder, der Kardinäle der heiligen Römischen Kirche, gegebenenfalls wegen auftauchender Gründe verkürzen, keinesfalls jedoch verlängern.4 Den Ort indes, der für die Abhaltung des künftigen Konzils bestimmt wurde, darf er ohne offensichtliche Notlage nicht ändern. Sollte der Fall eintreten, daß es notwendig scheint, den Ort zu ändern, etwa wegen Belagerung, Krieg, Pestseuche oder ähnlichem, dann steht es dem Papst frei, stattdessen mit schriftlicher Zustimmung seiner vorgenannten Brüder oder ihrer Zweidrittelmehrheit einen anderen und geeigneten Ort in der Nähe des zuvor bestimmten, doch im Gebiet derselben Nation vorzusehen, es sei denn es besteht für die ganze Nation dasselbe oder ein ähnliches Hindernis. Dann darf er zu einem dafür geeigneten Ort einer benachbarten Nation das Konzil einberufen; zu diesem müssen die Prälaten 3–3

Diese Regelung identisch mit allen Entwürfen (vgl. oben Nr. 11a S. 422). In der Vorlage (Hs. SII) statt dessen: liceat eidem summo pontifici eciam de fratrum predictorum consilio prorogare. – ist es dem Papst gestattet, auch nicht auf Anraten der genannten Brüder, sie zu verlängern. 4

486

XIII Decreta reformacionis

ac si a principio locus ille fuisset deputatus. Quam tamen loci mutacionem vel termini abbreviacionem teneatur summus pontifex legitime et solempniter per annum ante prefixum terminum publicare et intimare, ut ad ipsum concilium celebrandum possint predicti statuto termino convenire.3

Provisio adversus futura scismata Si vero, quod absit, in futurum scisma oriri contingeret, ita quod duo vel plures pro summis pontificibus se gererent, a die, quo ipsi duo vel plures insignia pontificatus publice assumpserint seu administrare ceperint, intelligatur ipso iure terminus concilii tunc forte ultra annum pendens, ad annum proximum breviatus. Ad quod omnes prelati et ceteri, qui ad concilium ire tenentur, sub penis iuris et aliis per concilium imponendis, absque alia convocacione conveniant; necnon imperator ceterique reges et principes vel personaliter aut per solempnes nuncios, tamquam ad commune incendium extinguendum 5per viscera misericordie 5 domini nostri Ihesu Christi ex nunc exorati, concurrant. Et quilibet ipsorum pro Romano pontifice se d gerencium infra mensem a die, qua scienciam habere potuit, alium vel alios assumpsisse papatus insignia vel in papatu administrasse, teneatur sub intimacione e malediccionis eterne et amissione iuris, si quod forte sibi quesitum esset in papatu, quam ipso facto incurrat et ultra hoc ad quaslibet dignitates active et passive sit inhabilis, concilium ipsum ad terminum anni predictum fin loco prius deputato f indicere et publicare, et per suas litteras competitori vel competitoribus, ipsum vel ipsos provocando ad causam, et ceteris prelatis ac principibus, quantum in eo fuerit, intimare. Necnon termino prefixo gsub penis predictis g ad concilii locum personaliter se transferre nec inde discedere, donec per concilium causa scismatis plenarie sit finita; 6hoc adiuncto, quod nullus ipsorum con-

d

fehlt Ed. interminacione Hs. SI u. SII f-f fehlt Hs. SI g-g fehlt Hs. SI e

5–5

Luc 1, 78. In 1. Entwurf (Hs. SI) stattdessen: qui sic electi seu papatum tenentes a die predicta in papatu nullatenus amministrent, nec interim eisdem a fidelibus nisi quoad conveniendum ad concilium sub interminacione divini iudicii quomodolibet obediammmm 6–6

D 13 Reformbeschlüsse b) Vorsorge gegen Spaltungen

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und die übrigen, die man zum Konzil zu laden pflegt, kommen, so als ob der Ort von Anfang an ausgewählt worden wäre. Solch einen Ortswechsel und eine Vorverlegung der Frist muß der Papst rechtsverbindlich und feierlich ein Jahr vor dem zuvor genannten Zeitpunkt veröffentlichen und bekanntmachen, damit die Genannten zur festgesetzten Zeit sich zur Durchführung dieses Konzils versammeln können.3

b) Vorkehrung zur Verhütung künftiger Spaltungen Wenn aber, was ferne sei, in Zukunft ein Schisma entstehen sollte, so daß zwei oder noch mehr Männer sich als Päpste aufführen von dem Tag an, an dem diese zwei oder mehr Männer offensichtlich die päpstlichen Insignien an sich genommen oder mit Amtshandlungen begonnen haben, so soll man wissen, daß sich von Rechts wegen die gegebenenfalls über länger als ein Jahr laufende Frist bis zum nächsten Konzil auf ein Jahr verkürzt. Zu diesem Konzil sollen alle Prälaten und die übrigen, die gehalten sind, zum Konzil zu kommen, bei den Strafen des Rechts und denen, die vom Konzil festzulegen sind, ohne weitere Ladung zusammenkommen. Auch der Kaiser und die übrigen Könige und Fürsten sollen selbst oder durch feierliche Botschafter zusammenströmen, gewissermaßen um den Großbrand zu löschen 5 durch die herzliche Barmherzigkeit unseres 5 nun aufgerufenen Herrn Jesus Christus. Jeder von denen, die sich als Römischer Bischof aufführen, ist innerhalb eines Monats, nachdem er Kenntnis davon erlangt haben konnte, daß sich ein anderer (oder mehrere andere) die päpstlichen Insignien beigelegt hat oder päpstliche Amtshandlungen wahrnimmt, zu folgendem gehalten: Bei Verlust jeglichen Rechtes und bei Kenntnis der ewigen Verdammnis, der er ohne weiteres verfällt, wenn er sich etwas Päpstliches zulegt, – und darüber hinaus sollte er zu jeglichen Würden aktiv und passiv unfähig sein – soll er dieses Konzil für den zuvor festgelegten Jahrestermin am vorher bestimmten Ort anzeigen und bekanntmachen; dabei soll er durch einen Brief seinen (oder seine) Mitbewerber zur Verhandlung vorladen und dies den übrigen Prälaten und Fürsten, soweit es an ihm liegt, mitteilen. Er soll sich zum festgelegten Termin bei den vorgenannten Strafen in eigener Person an den Konzilsort begeben, von dort nicht abreisen, bevor vom Konzil der Streit um die Spaltung endgültig entschieden ist; 6wir fügen hinzu: Keiner der um das D 13 Reformbeschlüsse b) Vorsorge gegen Spaltungen

tur. – Die so Gewählten oder das Papstamt Innehabenden sollen von diesem Tag an keinerlei päpstliche Amtshandlungen vornehmen; es darf ihnen von den Gläubigen bei Androhung des göttlichen Gerichts keinerlei Gehorsam erwiesen werden, ausgenommen für ihr Erscheinen vor dem Konzil.

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XIII Decreta reformacionis

tendencium de papatu in ipso concilio ut papa presideat. Quin immo ut tanto liberius et cicius ecclesia unico et indubitato pastore gaudeat, sint ipsi omnes de papatu contendentes, postquam dictum concilium inceptum fuerit, auctoritate huius sacre synodi ipso iure ab omni administracione suspensi: nec eis, aut eorum alteri, donec causa ipsa per concilium terminata fuerit, a quoquam sub pena fautorie scismatis quomodolibet obediatur.6 Quod si forte eleccionem Romani pontificis per metum, hqui caderet in constantem h,7 seu impressionem de cetero fieri contingat, ipsam nullius decernimus efficacie vel momenti, nec posse per sequentem consensum, eciam metu predicto cessante, ratificari vel approbari. Non tamen liceat cardinalibus 8 ad aliam eleccionem procedere,9 nisi ille, qui fuit electus, forte renunciet vel decedat, donec per generale concilium de eleccione illa fuerit iudicatum. Et si procedant, nulla sit eleccio ipso iure, sintque sic secundo eligentes et electus, si se papatui ingesserit, omni dignitate, honore et statu eciam cardinalatus et pontificali ipso iure privati et inhabiles de cetero ad easdem iac eciam ad papatum, nec aliquis eidem secundo electo ut pape sub pena fautorie scismatis obediat quoquomodo. Et eo casu concilium de eleccione pape provideat illa vice i. Sed liceat, immo et 10teneantur electores omnes 10 aut saltem maior pars eorum,11 quam cito sine periculo personarum poterunt, eciam si periculum omnium bonorum immineat, se transferre ad locum tutum et metum predictum allegare coram notariis publicis et notabilibus personis ac multitudine populi in loco insigni: 12ita tamen, quod allegantes metum huiusmodi habeant in illius metus allegacionem exprimere speciem et qualitatem dicti metus et iurare solempniter, quod metus taliter allegatus sit verus, et quod credant se ipsum posse probare, et quod per maliciam vel per calumpniam huiusmodi metum non proponant.12 Nec ultra proximum futurum concilium ullo modo differri possit kallegacio dicti metus k. Teneantur insuper, postquam se transtulerunt et metum allegaverunt modo h-h

fehlt Hs. SI fehlt Hs. SI k-k fehlt Hs. SI u. SII i-i

7

Vgl. oben Nr. 3 S. 190 Anm. 5. In 1. Entwurf noch: sub pena ammissionis cardinalatus et omnium beneficiorum, quam ipso facto incurrant – bei der Strafe des Verlustes ihres Kardinalamts und aller Pfründen, der sie ohne weiteres verfallen sollen. 9 Im Antrag noch: quantumcumque impressio notoria existat – wiesehr der Zwang auch offenkundig ist. 10–10 In 1. Entwurf u. Antrag: teneatur collegium totum. 11 In 1. Entwurf noch: nam paucioribus in hoc casu audienciam ad evitandum scandalum decernimus denegari – denn zur Vermeidung eines Ärgernisses soll in diesem Fall einigen wenigen kein Gehör geschenkt werden. 8

D 13 Reformbeschlüsse b) Vorsorge gegen Spaltungen

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Papstamt Streitenden darf auf dem Konzil als Papst den Vorsitz führen. Ja, damit sich die Kirche um so lieber und schneller über den einen und unbezweifelbaren Hirten freuen kann, sind alle um das Papstamt Streitenden vom Beginn des Konzils an kraft dieser heiligen Synode ohne weiteres Verfahren jeder Amtsverwaltung enthoben; keinem darf, bevor nicht sein Fall vom Konzil entschieden wurde, von jemandem bei Strafe für Begünstigung der Kirchenspaltung irgendwie Gehorsam erwiesen werden.6 Wenn es in Zukunft etwa eine Wahl des Römischen Bischofs unter einer Furcht, die auch einen Standhaften überfallen kann,7 oder unter Druck geben sollte, dann hat sie, so entscheiden wir, keine Wirksamkeit oder Bedeutung; sie kann auch nicht durch nachfolgende Zustimmung – selbst wenn die genannte Furcht verschwindet – rechtsgültig gemacht oder gebilligt werden. Es ist den Kardinälen verboten,8 zu einer Neuwahl zu schreiten,9 (es sein denn, der Erwählte tritt etwa zurück oder verstirbt), bis das Allgemeine Konzil über diese Wahl entschieden hat. Falls sie doch zur Wahl schreiten, so ist diese Wahl von Rechts wegen nichtig, die Teilnehmer an der zweiten Wahl und der Gewählte (falls er das Papstamt übernimmt) gehen aller Würde, Ehre und ihres Standes, auch als Kardinal und als Bischof von Rechts wegen verlustig, und sie sind künftig dafür untauglich, auch zum Papstamt; keiner darf bei der Strafe für Begünstigung des Schismas irgendwie dem zum zweiten Mal Gewählten wie einem Papst gehorchen. In diesem Fall muß das Konzil hinsichtlich der Papstwahl selbst einmal das Nötige veranlassen. Jedoch soll es erlaubt sein, vielmehr: 10Alle Wähler 10 oder zumindest die Mehrheit von ihnen 11 soll sich so schnell, wie es ohne eigene Lebensgefahr möglich ist (auch wenn Gefahr für all ihre Güter droht), zu einem sicheren Ort begeben und die genannte Furcht vor öffentlichen Notaren sowie vor besonders ehrenwerten Leuten und der Menge des Volkes an hervorragender Stelle vortragen; 12jedoch haben diejenigen, die diese Furcht vortragen, bei ihrem Vortrag über ihre Furcht die Art und Umstände ihrer Furcht darzulegen; sie haben feierlich zu schwören, daß ihre vorgetragene Furcht echt ist, daß sie glauben, sie könnten dies beweisen, und daß sie solche Furcht nicht aus Bosheit oder aus Schikane vortragen.12 Auch soll der Vortrag dieser Furcht keinesfalls über das nächst kommende Konzil hinaus verschoben werden können. Sie sollen auch gehalten sein, nachdem sie sich dorthin begeben und ihre D 13 Reformbeschlüsse b) Vorsorge gegen Spaltungen

12–12 Fehlt in 1. Entwurf u. Antrag. In Hs. SII am Rande: Attende hic, si avisamentum nacionis Germanice melius et si omnibus nacionibus placebit textus, nacio Germanica consentit: . . . exprimere et exponere . . . Hoc eciam placet Anglicis et Hyspanis. – Achtung! Vielleicht ist der Vorschlag der Deutschen Nation besser und stimmen alle Nationen dem Text zu, auf den sich die Deutsche Nation geeinigt hat: ". . . darzulegen und vorzutragen . . .“ Auch die Engländer und Spanier stimmen zu.

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XIII Decreta reformacionis

predicto, provocare sic electum ad concilium. Quod concilium si ultra annum pendeat a die provocacionis huiusmodi, intelligatur ad annum, ut supra, ipso iure terminus abbreviatus. Et nichilominus teneatur electus ipse sub penis predictis, et cardinales l sub pena amissionis cardinalatus et omnium beneficiorum suorum, quam ipso facto incurrant, infra mensem a die provocacionis, concilium ipsum indicere et publicare, ut supra dicitur, et quam cicius poterunt intimare: ac mcardinales ipsi ceterique electores m ad locum concilii tempore convenienti personaliter se transferre et usque ad finem cause expectare teneantur n. Teneanturque prelati ceteri, ut supra, ad convocacionem cardinalium tantum, si forte electus convocare cessaret, accedere. Qui sic 13electus in concilio ipso non presideat, quin immo sit a termino iniciandi concilii ipso iure ab omni administracione papatus suspensus, nec sibi a quoquam sub pena fautorie scismatis quomodolibet obediatur.13 Quod si infra annum ante diem indicti concilii contingant supradicti casus, videlicet quod plures se gerant pro papa, vel quod unus per metum seu per impressionem eligatur, censeantur ipso iure tam gerentes se pro papa, quam electus per metum seu impressionem, et cardinales ad dictum concilium provocati: teneanturque in ipso concilio comparere personaliter, causam exponere et iudicium concilii expectare. Sed si dictis casibus occurrentibus continget forte casus aliquis, quo necessarium sit locum concilii mutare, ut obsidionis vel guerre aut pestis aut similis, teneantur nichilominus tam omnes supradicti quam omnes prelati ceterique, qui ad concilium ire tenentur, ad locum proximiorem, ut premittitur, qui sit habilis ad concilium, convenire, possitque maior pars prelatorum, qui infra mensem ad locum certum declinaverint, illum sibi et aliis pro loco concilii deputare, ad quem ceteri convenire teneantur, ac si a principio fuisset deputatus. Concilium autem, ut prefertur, convocatum et congregatum, de huiusmodi scismatis causa cognoscens, et in contumacia electorum seu gerencium se pro papa, vel cardinalium, si forte venire neglexerint, litem dirimat causamque diffiniat et culpabiles in scismate procurando seu nutriendo vel in administrando aut obediendo, vel administrantibus favendo seu l

cardinales provocantes Hs. SI, SII u. Hs. G fehlt Hs. SI u. SII fehlt Hs. SI u. SII

m–m n

13–13 In 1. Entwurf: electus post provocacionem predictam nisi in convocando concilium, ut prefertur, administrare in papatu non valeat nec sibi a christifidelibus sub interminacione divini iudicii interim nisi quoad conveniendum ad concilium quomodolibet obediatur. – Der Erwählte darf nach dieser Einladung (abgesehen von der Einladung zum Konzil, wie gesagt) keinerlei Amtshandlungen vornehmen; ihm darf von den Christgläubigen bei Androhung des göttlichen Gerichts in der Zwischenzeit zum Erscheinen auf dem Konzil keinerlei Gehorsam geleistet werden.

D 13 Reformbeschlüsse b) Vorsorge gegen Spaltungen

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Furcht auf genannte Art vorgetragen haben, den so Gewählten vor das Konzil zu laden. Wenn dieses Konzil für einen Termin geplant war, der länger als ein Jahr entfernt liegt, vom Tag dieser Vorladung an gerechnet, so soll man wissen, daß sich von Rechts wegen die Frist auf ein Jahr verkürzt (siehe oben). Gleichwohl ist der Erwählte bei den zuvor genannten Strafen, die Kardinäle bei der Strafe des Verlustes ihres Kardinalats und all ihrer Pfründen – diesen Strafen verfallen sie ohne weiteres Verfahren – innerhalb eines Monats vom Tag der Vorladung an gerechnet gehalten, das Konzil anzusagen, zu verkündigen (wie oben gesagt) und schnellstmöglich bekanntzumachen; auch die Kardinäle und die übrigen Wähler sind gehalten, sich zu passender Zeit persönlich zum Konzilsort zu begeben und das Ende des Streits abzuwarten. Auch sind die übrigen Prälaten (wie oben) nur auf die Einladung der Kardinäle hin, falls der Erwählte es etwa versäumt, sie einzuladen, gehalten zu erscheinen. Dieser derart 13Erwählte darf auf diesem Konzil nicht den Vorsitz führen, vielmehr ist er vom Zeitpunkt der Vorbereitung des Konzils an von Rechts wegen von jeder päpstlichen Amtshandlung ausgeschlossen, ihm darf von niemandem bei der Strafe der Begünstigung des Schismas irgendwie Gehorsam geleistet werden.13 Wenn sich nun in dem Jahr vor dem Eröffnungstag eines angesetzten Konzils die genannten Dinge ereignen, d. h. daß sich mehrere als Päpste aufführen, oder einer unter Furcht oder unter Druck gewählt wird, so haben sich von Rechts wegen die, die sich als Papst aufführen, wie der, der unter Furcht oder Druck gewählt wurde, und die Kardinäle als zum Konzil vorgeladen zu betrachten, sie sind verpflichtet, auf dem Konzil persönlich zu erscheinen, ihre Sache vorzutragen und das Urteil des Konzils abzuwarten. Wenn aber die genannten Vorkommnisse auftreten und dabei etwa der Fall eintreten sollte, daß es nötig wäre, den Konzilsort zu wechseln wegen Belagerung, Fehde, Seuche oder dergleichen, wären gleichwohl alle Genannten, sowie alle Prälaten und sonstigen, die verpflichtet sind, zum Konzil zu gehen, verpflichtet, im nächstgelegenen Ort (wie gesagt), der für das Konzil geeignet ist, zusammenzukommen; die Mehrheit der Prälaten, die sich innerhalb eines Monats zu solch einem sicheren Ort begeben hat, könnte diesen Ort dann für sich und die anderen als Konzilsort bestimmen, an dem die übrigen sich zu versammeln haben, gleichsam als wäre er von Anfang an dazu bestimmt worden. Das Konzil aber, berufen und versammelt wie beschrieben, entscheidet über diesen Schisma-Streit; auch etwa bei Mißachtung von seiten der Erwählten oder derer, die sich als Papst aufführen, oder der Kardinäle, die zu kommen versäumen, beendet es gleichwohl den Streit, entscheidet die Sache und bestraft die Schuldigen, die das Schisma gefördert und genährt, Amtshandlungen vorgenommen oder Gehorsam geleistet, Amtsträger gefördert, entgegen einem bestehenden Interdikt gewählt haben, oder Verleumder,

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XIII Decreta reformacionis

contra interdictum superius eligendo vel calumpniosos in allegando metum, eciam ultra predictas penas, cuiuscumque status, gradus seu preeminencie existant, ecclesiastice vel mundane persone o, sic puniat, ut vindicte rigor transeat ceteris in exemplum. 14 Ut autem metus seu impressionis molestia in eleccione pape eo formidolosius evitetur, quo toti christianitati lamentabilius eorum incussio seu faccio perpetratur: ultra predicta specialiter duximus statuendum, quod si quis huiusmodi metum vel impressionem aut violenciam electoribus ipsis vel alicui eorum in eleccione pape intulerit seu fecerit aut fieri procuraverit vel factum ratum habuerit aut in hoc consilium dederit vel favorem facientemve scienter receptaverit vel defensaverit aut negligens in execucione penarum inferius memoratarum extiterit, cuiuscumque status, gradus aut preeminencie fuerit, eciamsi imperiali, regali, pontificali aut alia quavis ecclesiastica aut seculari prefulgeat dignitate, illas penas ipso facto incurrat, que in constitucione felicis recordacionis Bonifacii pape VIII., que incipit Felicis,15 continentur, illisque effectualiter puniatur. Civitas vero eciam si, quod absit, urbs Romana fuerit, seu alia quevis universitas, que talia facienti auxilium vel consilium dederit aut favorem, vel infra mensem saltem taliter delinquentem, prout tanti facinoris enormitas exegerit et facultas ei affuerit, non duxerit puniendum, eo ipso subiaceat ecclesiastico interdicto. Et nichilominus preter dictam urbem, pontificali, ut supra fit mencio, eo ipso sit dignitate privata, non obstantibus privilegiis quibuscumque. Volumus insuper, quod in fine cuiuslibet concilii generalis hoc decretum solempniter publicetur, necnon quandocumque et ubicumque Romani pontificis eleccio imminebit facienda, ante ingressum conclavis legatur et publice intimetur.14

De professione facienda per papam Quanto Romanus pontifex eminenciori inter mortales fungitur potestate, tanto clarioribus ipsum decet fidei vinculis et sacramentorum ecclesiasticorum observandis ritibus alligari.16 Eapropter, ut in futuro Romano pontifice 17 in sue creacionis primordiis singulari splendore luceat plena fides, statuimus et ordinamus, quod deinceps quilibet in Romanum pontificem eligendus, antequam sua eleccio publicetur, o

fehlt Hs. SI u. SII

14–14 In 1. Entwurf nur: Adicientes, quod in fine cuiuslibet concilii generalis hoc decretum sollempniter legatur et innovetur. – Am Ende jedes Allgemeinen Konzils ist dieses Dekret feierlich zu verlesen und zu erneueren.

D 13 Reformbeschlüsse c) Papsteid

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die fälschlich Furcht behauptet haben, auch über die zuvor genannten Strafen hinaus, seien sie nun geistliche oder weltliche Leute ganz gleich welchen Standes, Ranges oder besonderer Erhabenheit – das Konzil straft sie so, daß die Strenge der Strafe den übrigen als warnendes Beispiel diene. 14 Damit aber bei der Papstwahl das Übel von Furcht oder Druck vermieden wird, das umso furchtbarer ist, als der ganzen Christenheit deren Erregung oder Veranstaltung besonderen Jammer macht, glaubten wir über das Vorgesagte hinaus feststellen zu müssen: Wenn jemand bei der Papstwahl solche Furcht erregt oder solchen Druck ausübt, schafft oder schaffen läßt, solche Vorkommnisse billigt, dazu Rat oder Beihilfe leistet, einen Täter wissentlich beherbergt oder schützt, wer bei der Durchführung der unten genannten Strafen nachlässig ist, ganz gleich welchen Standes, Ranges oder welcher besonderen Erhabenheit er ist, selbst wenn er in kaiserlicher, königlicher, bischöflicher oder sonstiger kirchlicher oder weltlicher Würde erstrahlt, der verfällt durch sein Handeln schon jenen Strafen, die in der Konstitution von Papst Bonifaz VIII. seligen Angedenkens mit dem Anfangswort Felicis15 enthalten sind, und wird mit ihnen wirkungsvoll bestraft. Die Stadt aber – auch wenn es, was ferne sei, die Stadt Rom wäre – oder jede andere Gemeinde, die solchem Täter Hilfe, Rat oder Beihilfe leistet oder binnen eines Monats einen solchen Verbrecher nicht, wie es die gewaltige Größe seines Verbrechens fordert und wie es ihre Mittel erlauben, glaubt bestrafen zu müssen, unterliegt ohne weiteres dem kirchlichen Interdikt. Außerdem verliert sie (ausgenommen die Stadt Rom) wie oben gesagt, ohne weiteres Verfahren ihre bischöfliche Würde, ungeachtet entgegenstehender Privilegien. Wir wollen auch, daß am Ende jedes Allgemeinen Konzils dieses Dekret feierlich verkündet wird, und immer, wenn irgendwo die Wahl des Bischofs von Rom durchzuführen ist, ist es vor dem Einzug in das Konklave vorzulesen und öffentlich bekanntzumachen.14

c) Eidesleistung des Papstes

D 13 Reformbeschlüsse c) Papsteid

Je höhere Gewalt der Römische Bischof unter den Menschen wahrnimmt, mit desto deutlicheren Banden des Glaubens und einzuhaltenden Riten der kirchlichen Sakramente soll er sich selbst gebunden wissen.16 Damit also beim künftigen Römischen Bischof 17 am Beginn seiner Wahl mit einzigartiger Klarheit sein voller Glaube leuchte, setzen wir fest und ordnen an: Künftig soll jeder, der zum Römischen Bischof gewählt werden soll, 15 16 17

VI 5.9.5. Vgl. die Lex Digna vox (Cod. 1.14.4) oben Nr. 11g S. 432 Anm. 11. In der Beschlußvorlage (Hs. SII) Plural.

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XIII Decreta reformacionis

coram suis electoribus publice confessionem et professionem faciat infra scriptas: In nomine sancte et individue Trinitatis, Patris et Filii et Spiritus sancti. Amen. Anno a nativitate domini millesimo,18 etc. ego N. electus in papam, omnipotenti deo, cuius ecclesiam suo presidio regendam suscipio, et beato Petro apostolorum principi corde et ore confiteor et profiteor, quamdiu in hac fragili vita constitutus fuero, me firmiter credere et tenere fidem catholicam secundum tradiciones apostolorum, generalium conciliorum et aliorum sanctorum patrum, maxime autem 19sacrorum octo conciliorum universalium, videlicet primi Niceni, secundi Constantinopolitani, tercii Ephesini, quarti Chalcedonensis, quinti et sexti item Constantinopolitani, septimi item Niceni, octavi quoque Constantinopolitani, necnon Lateranensis, Lugdunensis et Viennensis generalium eciam conciliorum.19 Et illam fidem usque ad unum apicem 20 immutilatam servare et usque ad animam et sanguinem confirmare, defensare et predicare 21ritumque pariter sacramentorum ecclesiasticorum catholice ecclesie traditum 21 omnimode prosequi et observare. Hanc autem professionem et confessionem meam per notarium scriniarium sancte Romane ecclesie me iubente scriptam propria manu subscripsi, et tibi omnipotenti deo pura mente et devota consciencia super tali altari N. sinceriter offero in presencia talium ac talium. 22Actum etc.22

Ne prelati transferantur inviti Cum ex prelatorum translacionibus ecclesie, de quibus transferuntur, plerumque gravibus in spiritualibus et temporalibus subiaceant dispendiis et iacturis, prelati quoque nonnumquam iura et libertates ecclesiarum translacionis formidine non adeo solerter ut alias prosequantur, ac ad importunitatem quorundam, que sua et non que Iesu Christi sunt, querencium,23 Romanus pontifex forsan ut homo facti nescius in huiusmodi circumveniatur, ut alias leviter inclinetur: presentibus statuimus et ordinamus, invitorum 24epi18

In der Vorlage: MOCCCCOXVIIO, indiccione decima – (1417, Indiktion 10). Konzilien der Jahre 325, 381, 431, 451, 553, 680, 787, 869; 1123, 1139, 1179, 1215; 1245, 1274; 1311. 20 Vgl. Matth 5, 18. 21–21 In der Vorlage: taliter sacramentorum catholice ecclesie canonice traditum – Ritus, der so bei den Sakramenten der katholischen Kirche kanonisch überliefert ist. 22–22 In der Vorlage: testium. Actum in tali loco. – als Zeugen. Geschehen an dem und dem Ort. 23 Phil 2, 21. 24–24 In der Beschlußvorlage (Hs. S) stattdessen: patriarcharum, archiepiscoporum et episcoporum translaciones ac exemptorum abbatum, quorum monasteria immediate mmmm 19–19

D 13 Reformbeschlüsse d) Versetzungsverbot

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noch bevor seine Wahl bekanntgegeben wird, vor seinen Wählern öffentlich folgendes Bekenntnis und Geständnis leisten: Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Im Jahre der Geburt des Herrn tausendsoundso,18 bekenne ich N., zum Papst gewählt, und gestehe dem allmächtigen Gott, dessen Kirche ich zur Leitung unter seinem Schutz übernehme, und dem heiligen Apostelfürsten Petrus mit Herz und Mund, daß ich, solange ich in diesem hinfälligen Leben weile, den katholischen Glauben fest glauben und halten werde, nach den Überlieferungen der Apostel, der Allgemeinen Konzilien und sonstigen heiligen Väter, besonders aber der 19 heiligen acht ökumenischen Konzilien, und zwar des ersten von Nizäa, des zweiten von Konstantinopel, des dritten von Ephesus, des vierten von Chalzedon, des fünften und sechsten wieder von Konstantinopel, des siebenten wieder von Nizäa, des achten erneut von Konstantinopel, sowie der Allgemeinen Konzilien vom Lateran, von Lyon und von Vienne.19 Und diesen Glauben werde ich bis zum letzten Jota 20 unverkürzt bewahren, bis zum Herzen und Blut bekräftigen, schützen und predigen, gleichermaßen auch den 21überlieferten Ritus der kirchlichen Sakramente der katholischen Kirche 21 vollständig befolgen und bewahren. Dieses mein Bekenntnis und Geständnis, das auf mein Geheiß vom Schreinsnotar der heiligen Römischen Kirche aufgeschrieben wurde, habe ich mit eigener Hand unterschrieben und lege es Dir, dem allmächtigen Gott, reinen Herzens und frommen Gewissens auf diesen Altar soundso aufrichtig nieder in Gegenwart von soundso und soundso. 22Gegeben usw.22 D 13 Reformbeschlüsse d) Versetzungsverbot

d) Verbot der Versetzung gegen den Willen der Prälaten Durch die Versetzung von Prälaten erleiden die Kirchen, von denen sie wegversetzt werden, zumeist schweren Nachteil und Schaden in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten; mitunter verfolgen Prälaten die Rechte und Freiheiten ihrer Kirche aus Furcht vor Versetzung nicht so angelegentlich, wie sie es sonst täten; auch wird auf Drängen von einigen, die das Ihre und nicht, was Jesu Christi ist, suchen,23 der Römische Bischof vielleicht wie ein Mensch, der nicht weiß, was er tut, umgarnt und, ansonsten leichtsinnig, geneigt gemacht; daher bestimmen und verordnen wir durch das Gegenwärtige: Gegen den Willen 24der Bischöfe und Höheren 24 darf es ausschließlich sedi apostolice sunt subiecta, salvo iure constitucionum ordinum suorum – der Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe, auch der exemten Äbte, deren Klöster ummittelbar dem Apostolischen Stuhl unterstehen – unbeschadet des Rechts ihrer Ordenskonstitutionen.

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XIII Decreta reformacionis

scoporum et superiorum 24 translaciones, absque 25magna et racionabili 25 causa, que vocata parte cognita fuerit et decisa de consilio sancte Romane ecclesie cardinalium, vel maioris partis, et cum subscripcione eorundem de cetero fieri non debere. 26Inferiores vero, ut abbates aliique perpetuo beneficiati, absque iusta et racionabili causa cognita immutari, amoveri seu privari non debeant. Adicientes, quod in mutacionibus abbatum subscripcio cardinalium interveniat, sicut in episcopis est premissum, salvis constitucionibus et privilegiis ecclesiarum et monasteriorum et ordinum quorumcumque.26

De spoliis et procuracionibus 27

Cum per papam facta reservacio et exaccio et percepcio procuracionum ordinariis et aliis inferioribus prelatis debitarum racione visitacionis, necnon et spoliorum decedencium prelatorum aliorumque clericorum, gravia ecclesiis, monasteriis et aliis beneficiis ecclesiasticisque personis afferant detrimenta, presenti declaramus edicto, racioni fore consentaneum ac rei publice accomodatum, tales per papam reservaciones ac per collectores et alios auctoritate apostolica deputatos seu deputandos, exacciones seu percepciones, de cetero nullo modo fieri seu attentari. Quin immo procuraciones huiusmodi et quorumcumque prelatorum eciam cardinalium vel ipsius pape familiarium vel officialium et aliorum quorumcumque clericorum in curia Romana vel extra ubicumque et quandocumque decedencium, spolia seu bona eorum mortis tempore reperta, plane et libere pertineant illis et per illos recipiantur, quibus alias, prefatis reservacionibus, mandatis et exaccionibus cessantibus, competerent ac pertinere deberent. Prelatis eciam inferioribus et aliis huiusmodi spoliorum exacciones preter et contra iuris communis formam fieri interdicimus, constitucione tamen felicis recordacionis Bonifacii pape VIII., que incipit Presenti,28 super hoc edita specialiter, in suo robore duratura.27

D 13 Reformbeschlüsse e) Spolien

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aus 25wichtigem und vernünftigem 25 Grund, der nach Ladung der Partei gerichtlich anerkannt und beschlossen wird, mit Rat der Kardinäle der heiligen Römischen Kirche oder der Mehrheit von ihnen, auch mit deren Unterschrift, künftig Versetzungen geben. 26Die Niederen aber, wie etwa die Äbte, und andere ständige Pfründeninhaber dürfen ohne anerkannten gerechten und vernünftigen Grund nicht umgesetzt, entlassen oder abgesetzt werden. Zusatz: Bei der Umsetzung von Äbten muß die Unterschrift der Kardinäle vorliegen, wie es bei den Bischöfen vorgeschrieben ist; sämtliche Konstitutionen und Privilegien der Kirchen, Klöster und Orden bleiben unberührt.26

e) Spolien und Gefälle 27

Die vom Papst vorgenommene Reservierung, Einforderung und Einnahme von Gebühren, die den Ordinarien und anderen niederen Prälaten aufgrund der Visitation zustehen, sowie die von Nachlaßstücken verstorbener Prälaten und anderer Kleriker bringt den Kirchen, Klöstern und anderen Pfründen sowie den Kirchenleuten schweren Schaden. Daher erklären wir durch gegenwärtigen Erlaß: Es ist der Vernunft entsprechend und der Gemeinschaft angemessen, wenn künftig solche Reservierungen nicht mehr vom Papst und die Einforderungen und Zahlungsannahme nicht mehr von Kollektoren und anderen Deputierten und Unterdeputierten mit Apostolischer Autorität vorgenommen und versucht werden. Vielmehr sollen solche Gebühren und die Nachlaßstücke aller Prälaten, Kardinäle, der Leute aus dem Gefolge des Papstes, der Amtsträger und sonstiger Kleriker, die an der Römischen Kurie oder außerhalb davon irgendwo und irgendwann sterben, sowie deren Güter, die sich zur Zeit ihres Todes bei ihnen finden, klar und frei denen gehören und von denen entgegengenommen werden, denen sie sonst unabhängig von den genannten Reservierungen, Anweisungen und Forderungen zustünden und gehören müßten. Den niederen Prälaten und anderen sonst verbieten wir solche Ansprüche auf Nachlaßstücke, die gegen und am Wortlaut des gemeinen Rechts vorbei erhoben werden; die Konstitution von Papst Bonifaz VIII. seligen Angedenkens, die mit dem Wort Presenti28 beginnt und dafür eigens erlassen wurde, bleibt in ihrer Rechtskraft bestehen.27 D 13 Reformbeschlüsse e) Spolien

25–25

In der Beschlußvorlage: notoria et evidenti. Fehlte in der Beschlußvorlage. 27–27 Wie Beschlußvorlage. 28 VI 1.16.9. 26–26

XIV Caucio de fienda reformacione XIV Ed.: COD3 S. 144–146 – kontrolliert an Hss.: Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, Chart. A 22; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, lat. 5097.

[CONSTITUTIONES CONCILII] Caucio de fienda reformacione post eleccionem pape Sacrosancta synodus Constanciensis statuit et decernit, quod futurus summus Romanus pontifex, per dei graciam de proximo assumendus, cum hoc sacro concilio vel deputandis per singulas naciones debeat reformare ecclesiam ain capite et curia Romana a, secundum equitatem et bonum regimen ecclesie, antequam hoc concilium dissolvatur, super materiis articulorum alias per naciones in reformatoriis oblatorum, qui sequuntur: Primo, de numero, qualitate et nacione dominorum cardinalium II. de reservacionibus sedis apostolice III. de annatis, communibus serviciis et minutis IIII. de collacionibus beneficiorum et graciis expectativis V. de causis in Romana curia tractandis vel non VI. de appellacionibus ad Romanam curiam VII. de officiis cancellarie et penitenciarie VIII. de exempcionibus et incorporacionibus tempore scismatis factis IX. de commendis X. de confirmacionibus eleccionum XI. de fructibus medii temporis XII. de non alienandis bonis Romane ecclesie et aliarum ecclesiarum XIII. propter que et quomodo papa possit corrigi vel deponi XIIII. de extirpacione simonie XV. de dispensacionibus XVI. de provisione pape et cardinalium XVII. de indulgenciis XVIII. de decimis. Hoc adiecto, quod facta per naciones deputacione predicta, liceat aliis de pape licencia libere ad propria remeare.

a–a

in capite, et curiam Romanam Editio princeps, Hagenau 1500

14. KONZILSKONSTITUTIONEN DER 40. SITZUNG VOM 30. OKT. 1417 a) Reformauflage Kautionsdekret über die Reform nach der Papstwahl Die hochheilige Synode von Konstanz stellt fest und entscheidet wie folgt: Der künftige Höchste Bischof von Rom, der in Kürze durch die Gnade Gottes zu erheben ist, soll zusammen mit diesem heiligen Konzil oder Deputierten der einzelnen Nationen, bevor das Konzil aufgelöst wird, die Kirche reformieren am Haupt und an der Römischen Kurie, wie es der Billigkeit und einer guten Leitung der Kirche entspricht, und zwar in den Punkten der Artikel, die von den Nationen andernorts in den Reformkommissionen vorgelegt wurden, wie folgt: 1. Zahl, Art und Nation der Herren Kardinäle 2. Reservationen des Apostolischen Stuhles 3. Annaten, gemeinsame und mindere Servitien 4. Pfründenvergabe und Expektanzen 5. Prozesse an der Römischen Kurie und Ausschlußgründe 6. Appellationen an die Römische Kurie 7. Ämter der Kanzellarie und der Pönitentiarie 8. Exemtionen und Inkorporationen aus der Zeit des Schismas 9. Kommenden 10. Bestätigung von Wahlen 11. Erträgnisse der Zwischenzeit bei Vakanzen 12. Unveräußerlichkeit der Güter der Römischen Kirche und der anderen Kirchen 13. Gründe und Verfahren für Anklage und Absetzung des Papstes 14. Ausrottung der Simonie 15. Dispense 16. Versorgung des Papstes und der Kardinäle 17. Indulte 18. Zehnten Zusatz: Sobald die besagte Deputation von den Nationen eingesetzt ist, soll es den anderen jeweils mit Genehmigung des Papstes gestattet sein, unbehelligt nach Hause zurückzukehren.

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XIV Caucio de fienda reformacione

Ad laudem, gloriam et honorem omnipotentis dei, ad pacem et unitatem universalis ecclesie ac tocius populi christiani.1 Ut eleccio futuri Romani et summi pontificis proxime celebranda firmiori auctoritate et plurium roboretur assensu; et ne, attento statu ecclesie, super dicta eleccione in posterum ulla retractacio, ullus scrupulus in mentibus hominum resideat, sed ex illa sequatur unio certa, vera, plenissima et perfecta fidelium: 2sacrosancta generalis synodus Constanciensis, communi utilitate pensata, de speciali et expresso consensu et voluntate concordi sancte Romane ecclesie cardinalium in eadem synodo existencium et collegii eorundem ac omnium nacionum presentis concilii,2 statuit, ordinat et decernit, quod hac vice dumtaxat ad eligendum Romanum et summum pontificem, una cum cardinalibus sex 3 prelati, vel alie honorabiles persone ecclesiastice in sacris ordinibus constitute, de qualibet nacione in eadem synodo pro nunc existente et nominata, quos seu quas quelibet ipsarum nacionum pro se ad hoc infra decem dies duxerit eligendos seu eligendas, ipsis cardinalibus adiungantur. 4Quibus omnibus eadem sancta synodus eligendi Romanum pontificem secundum formam hic expressam, quatenus opus est, tribuit potestatem: videlicet, quod ille absque ulla excepcione ab universali ecclesia Romanus pontifex habeatur, qui a duobus partibus cardinalium in conclavi existencium et a cuiuslibet nacionis duabus partibus eisdem cardinalibus adiungendorum et tunc adiunctorum electus fuerit et receptus.4 Quodque non valeat eleccio, nec electus pro summo pontifice habeatur, nisi due partes cardinalium in conclavi existencium et cuiuslibet nacionis due partes cum cardinalibus ad eligendum adiungendorum et tunc adiunctorum consenciant et consenserint in Romanum pontificem eligendum.

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Im Antrag noch: ad deferendum auctoritati et honori huius sacri concilii Constanciensis – zur Achtung vor der Autorität und Ehre dieses heiligen Konzils von Konstanz. 2–2 Im Antrag stattdessen: ac exinde serenissimus Romanorum, Ungarie etc. rex, dominus Sigismundus, suorum ad unionem habendam laborum fructum et gloriam consequatur et ut reverendi patres, episcopi et nobiles et spectabiles viri et doctores insignes ceterique legati serenissimi regis Castelle nomine dicti regis prefati sacro concilio se uniant, qui noluerunt se unire nisi prius certificati de modo eleccionis predicte, et maxime qui erunt electores, collegium sancte Romane ecclesie cardinalium, ad quos de iure pertinet ius eligendi Romanum et summum pontificem, dictos legatos, quantum in se est, certificans offert eidem sacro concilio atque legatis predictis: – auch damit dann der durchlauchtigste Römische König und König von Ungarn usw., Herr Sigismund, Ernte und Ruhm für seine Mühen zur Erreichung der Einheit erlangt und damit die Hochwürdigen Väter, die Bischöfe, die Edlen und ehrwürdigen Männer, die erlauchten Doktoren und auch die übrigen Abgesandten Seiner Durchlaucht des Königs von Kastilien namens dieses genannten Königs sich mit dem heiligen Konzil mmmm

D 14 b Papstwahldekret

b) Das Verfahren bei der kommenden Papstwahl

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Zum Lobe, zum Ruhm und zur Ehre des allmächtigen Gottes, zum Frieden und zur Einheit der Gesamtkirche und des ganzen christlichen Volkes:1 Damit die Wahl des künftigen Papstes, die in Kürze durchzuführen ist, mit größerer Autorität und der Zustimmung von vielen bekräftigt wird, damit auch im Hinblick auf den Zustand der Kirche wegen dieser Wahl in Zukunft kein Zaudern und keine Gewissensbisse in den Herzen der Menschen zurückbleiben, sondern aus ihr eine vollkommene Einheit erwächst, 2bestimmt, verordnet und entscheidet das hochheilige Allgemeine Konzil von Konstanz, nachdem es den gemeinsamen Nutzen erwogen hat, auch mit besonderer und ausdrücklicher Zustimmung und einträchtigem Willen der auf dieser Synode anwesenden Kardinäle der heiligen Römischen Kirche und ihres Kollegiums sowie aller Nationen des gegenwärtigen Konzils:2 Dieses Mal jedenfalls sollen aus jeder Nation (die derzeit auf diesem heiligen Konzil anwesend ist und so genannt wurde) zur Wahl des Römischen und Höchsten Bischofs zusammen mit den Kardinälen sechs 3 Prälaten oder andere bedeutende geweihte kirchliche Persönlichkeiten, die jede dieser Nationen für sich dazu innerhalb von zehn Tagen glaubt wählen zu sollen, zu diesen Kardinälen hinzugenommen werden. 4Allen diesen überträgt dieses heilige Konzil entsprechend dem im folgenden dargestellten Verfahren soweit nötig die Befugnis, den Römischen Bischof zu wählen: Derjenige soll ohne Ausnahme von der Gesamtkirche als Papst anerkannt werden, der von zwei Dritteln der im Konklave anwesenden Kardinäle und von zwei Dritteln der aus jeder Nation zu diesen Kardinälen Hinzugenommenen gewählt wurde und die Wahl angenommen hat.4 Eine Wahl soll keine Gültigkeit haben und keiner als zum Papst gewählt erachtet werden, auf den sich nicht zwei Drittel der im Konklave anwesenden Kardinäle und zwei Drittel der zur Wahl mit den Kardinälen Hinzugenommenen einigen und dahingehend verständigen, daß er zum Papst gewählt werden soll.

einigen, – sie, die sich mit ihm nur dann einigen wollten, wenn sie zuvor über die Art der Durchführung der Wahl eine Zusicherung erhalten hätten und besonders darüber, wer die Wähler sein werden –, darum also bietet das Kardinalskollegium der heiligen Römischen Kirche, dem das Recht zur Wahl des Römischen und Höchsten Bischofs von Rechts wegen zukommt, für die genannten Abgesandten (verbunden mit einer Zusicherung für die genannten Abgesandten) soweit es an ihm liegt, diesem heiligen Konzil und den genannten Legaten folgendes an: 3 Im Antrag: aliqui . . . ‘quorum et quarum omnium numerus ipsorum cardinalium numerum non excedat – einige . . .’ deren Zahl insgesamt die der Kardinäle nicht überschreiten soll. 4–4 VI 1.6.1 § 1. Fehlte im Antrag.

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XIV Caucio de fienda reformacione

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Statuit insuper, ordinat et decernit,5 quod vota quorumcumque in eleccione huiusmodi emittenda sint nulla, nisi, ut premittitur, due partes cardinalium et due partes cuiuslibet nacionis adiungendorum et tunc adiunctorum predictorum principaliter aut per accessionem in unum concurrant. Hoc eciam adiecto, quod prelati et alii cum ipsis cardinalibus ad eleccionem huiusmodi adiungendi et tunc adiuncti omnes et singulas constituciones apostolicas, eciam penales, circa eleccionem Romani pontificis editas atque consuetudines observari consuetas quemadmodum ipsi cardinales observare teneantur et ad illorum observanciam adstringantur. Teneantur insuper iurare et iurent dicti electores et cardinales 6 et alii, antequam ad eleccionem procedant, quod in huiusmodi eleccionis negocio 7attendentes, quid eis imminebit, cum de creacione agitur vicarii Iesu Christi, successoris beati Petri, universalis ecclesie rectoris, gregis dominici directoris,7 puris et sinceris mentibus, et quantum credent publice utilitati universalis ecclesie proficere omni cuiuscumque nacionis persone, vel alio inordinato affectu, odio, gracia vel favore abiectis, procedere, ut eorum ministerio de utili et idoneo universalis ecclesie provideatur pastore. 8 Ordinat insuper, statuit et decernit eadem sancta synodus, quod infra decem dies ex tunc continue numerandos, quos decem dies omnibus et singulis sancte Romane ecclesie cardinalibus presentibus et absentibus, ac ceteris electoribus supradictis, attenta Romane ecclesie notoria vacacione, ad intrandum conclave in hac civitate Constanciensi in maiori domo communitatis eiusdem civitatis 9 ad hoc iam ordinata, prefigit et assignat, prefati electores, cardinales et alii supradicti, intrent ipsum conclave ad eleccionem huiusmodi celebrandum ceteraque faciendum et prosequendum, quemadmodum in ceteris, preter premissa de cardinalibus et aliis electoribus in eleccione Romani pontificis iura statuunt et decernunt. Que omnia, premissis observatis, vult eadem sancta synodus in suo robore permanere. Hanc autem formam et hunc modum eleccionis approbat, ordinat, statuit et decernit pro hac vice. Et ad omnem scrupulum submovendum eadem sancta synodus et singulos in eadem synodo presentes et venturos, qui eidem synodo adherebunt, ad omnes actus legitimos in eadem synodo agendos active et passive, quatenus opus est, habilitat et habiles esse declarat, ceteris eiusdem sacri concilii decretis semper 5–5 Im Antrag entsprechend: volunt et intendunt – Die Antragsteller wollen und beabsichtigen. 6 VI 1.6.3 § 1. 7–7 VI 1.6.3 § 4. 8–8 Im Antrag: Et hec omnia fiant sacro primitus, si sibi placet, approbante concilio et super hiis interponente decretum et defectus omnes, si qui insint, supplente – Dies alles soll geschehen, wenn es zuvor mit Zustimmung des heiligen Konzils so beschlossen wird, das ein ausdrückliches Dekret erläßt und alle Mängel, wenn es solche geben sollte, beseitigt. 9 Vielmehr im städt. Kaufhaus.

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[Das Konzil] bestimmt, verordnet und entscheidet ferner:5 Alle Stimmen, die bei dieser Wahl für irgend jemand abgegeben werden, sind nichtig, wenn sich nicht auf diesen, wie vorausgeschickt, zwei Drittel der Kardinäle und zwei Drittel der aus jeder Nation Hinzugenommenen ursprünglich oder durch spätere Zustimmung zur Wahl einigen. Dabei gilt folgender Zusatz: Die Prälaten und anderen mit den Kardinälen zu dieser Wahl Hinzugenommenen sind gehalten, samt und sonders die Apostolischen Konstitutionen und herkömmlichen Rechtsverordnungen, auch die Strafbestimmungen, die hinsichtlich der Wahl des Römischen Bischofs erlassen sind, zu beachten, ferner alle üblichen Gewohnheiten so wie die Kardinäle einzuhalten; sie sind zu deren Beachtung verpflichtet. Darüber hinaus sollen die genannten Wähler, die Kardinäle und die übrigen, bevor sie zur Wahl schreiten, gehalten sein zu einem Eid und tatsächlich schwören,6 sie würden bei diesem Wahlvorgang 7auf das achten, was ihnen obliegt – denn es handelt sich um die Wahl des Stellvertreters Jesu Christi, des Nachfolgers des heiligen Petrus, des Leiters der Gesamtkirche, des Oberhirten der Herde des Herrn 7 –; reinen und lauteren Herzens, und soweit sie dem öffentlichen Wohl der Gesamtkirche und jedermann gleich welcher Nation zu nützen glauben, würden sie unter Beiseitelassen jeder verwirrten Leidenschaft, jeden Hasses, jeder Gunst oder Bevorzugung tätig sein, damit durch ihren Dienst die Entscheidung getroffen wird über einen nützlichen und geeigneten Hirten der Gesamtkirche. 8 Dieses heilige Konzil verordnet, bestimmt und entscheidet fernerhin: Innerhalb von zehn Tagen von heute an gerechnet – diese zehn Tage gibt und bezeichnet [das Konzil] allen anwesenden und abwesenden Kardinälen der heiligen Römischen Kirche samt und sonders sowie den übrigen Wählern in Anbetracht der bekannten Vakanz der Römischen Kirche als Frist zum Eintritt in das Konklave in dieser Stadt Konstanz (im dafür bereits hergerichteten Rathaus 9 der Gemeinde dieser Stadt) sollen die genannten Wähler, Kardinäle und anderen oben Genannten, zur Durchführung dieser Wahl und zur Erledigung und Ausführung des Übrigen in das Konklave eintreten, so wie die Bestimmungen es im übrigen – mit Ausnahme des Vorgenannten – für die Kardinäle und die sonstigen Wähler bei der Papstwahl bestimmen und vorsehen. Dies alles soll nach dem Willen dieser heiligen Synode unter Berücksichtigung des Vorausgeschickten in seiner Rechtskraft erhalten bleiben. Es billigt, verordnet und bestimmt und entscheidet aber dieses Wahlverfahren für dieses Mal. Um jedoch jeden Gewissenszweifel zu beseitigen, macht diese heilige Synode alle, die auf dieser Synode anwesend sind oder sein werden und zu dieser Synode stehen, soweit nötig zu allen rechtmäßigen Handlungen auf dieser Synode aktiv und passiv befähigt und erklärt, sie seinen befähigt; die übrigen Dekrete dieses heiligen Konzils bleiben völlig unberührt, alle Fehler werden berichtigt, wenn sie sich etwa im Vorgenannten

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XIV Caucio de fienda reformacione

salvis, supplens omnes defectus, si qui forsan intervenerint in premissis, apostolicis eciam et in generalibus conciliis editis constitucionibus et aliis in contrarium facientibus non obstantibus quibuscumque.8

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eingeschlichen haben, auch päpstliche und auf Allgemeinen Konzilien erlassene Konstitutionen sowie andere entgegenstehende Bestimmungen jeder Art bleiben unberührt.8 XV Super materia reformacionis

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Ed.: COD3 S. 447–450 – emendiert mit Hilfe der Hss. Staatsbibliothek zu Berlin PK, theol. lat. fol. 420 u. 503; Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, Chart. A 22.

SUPER MATERIA REFORMACIONIS CAPITULA De exempcionibus Martinus episcopus, servus servorum dei. Attendentes, quod a tempore obitus felicis recordacionis Gregorii pape XI.,1 predecessoris nostri, nonnulli Romani pontifices aut pro Romanis pontificibus se gerentes et in suis diversis obedienciis reputati, pro sua voluntate aut per importunitatem petencium, nonnullas ecclesias, monasteria, capitula,2 conventus, prioratus, beneficia, loca et personas a iurisdiccionibus ordinariorum tempore dicti Gregorii nullatenus exemptas vel exempta de novo a dictorum ordinariorum iurisdiccionibus exemerunt, in grave ipsorum ordinariorum preiudicium: Nos, volentes huiusmodi preiudicio obviare, omnes exempciones ecclesiarum cathedralium, monasteriorum, capitulorum, conventuum, prepositurarum, beneficiorum, locorum et personarum quorumcumque, eciamsi ex predictis aliquod monasterium fuerit exemptum et postea subiectum monasterio diversi habitus vel coloris, a tempore obitus dicti Gregorii XI. per quoscumque pro Romanis pontificibus se gerentes, 3eciam si per nos forsan approbate fuerint ex certa sciencia vel innovate, parte non vocata,3 de novo factas, que tamen ante exempcionem huiusmodi nulla exempcione gaudebant, sed simpliciter subiciebantur ordinarie iurisdiccioni nullumque ante illud tempus inicium habuerant; exceptis eciam exempcionibus, que uni toti ordini 4 et que ecclesiis, monasteriis, capitulis, conventibus, beneficiis sive locis, a predicto tempore sub exempcionis modo aut condicione fundatis, aut contemplacione nove fundacionis, seu universitatibus studiorum generalium 5aut collegiis scholarium,5 aut per modum confirmacionis, augmenti aut addicionis facte fuerint aut concesse, aut super quibus, presentibus et auditis, quorum intererat, auctoritate competenti ordinatum fuerit; seu in quibus ordinarii consenserint;

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27. März 1378 – Beginn des großen Schismas. In Frankreich waren fast alle Kapitel von bischöflicher Gewalt exemt. Vgl. oben Nr. 3 § 16 S. 222. 3–3 Fehlte in der Reformakte vom 20. 1. 1418. 4 Noch heute eximiert: Cluniazenser, Zisterzienser und Prämonstratenser. 5–5 Fehlte in Reformakte. 2

15. REFORMDEKRETE PAPST MARTINS V. VOM 21. MÄRZ 1418 a) Exemtionen Bischof Martin, Knecht der Knechte Gottes. Angesichts dessen, daß seit dem Tode Papst Gregors XI.1, Unseres Vorgängers seligen Andenkens, mehrere Römische Päpste – oder die sich als Römische Päpste ausgaben und die in ihren verschiedenen Obödienzen jeweils als solche betrachtet wurden – nach Gutdünken oder wegen der Rücksichtslosigkeit der Bittsteller mehrere Kirchen, Klöster, Kapitel 2, Konvente, Priorate, Pfründen, Häuser und Personen, die zur Zeit dieses Gregor keineswegs von der Rechtshoheit ihrer Ordinarien ausgenommen waren, zum großen Schaden der Ordinarien neu von der Rechtshoheit dieser Ordinarien ausgenommen haben, – und in dem Willen, solchem Schaden zu begegnen – widerrufen Wir mit Zustimmung des heiligen Konzils [1.] alle Exemtionen von irgendwelchen Kathedralkirchen, Klöstern, Kapiteln, Konventen, Propsteien, Pfründen, Häusern und Personen – dies gilt auch, falls von den Vorgenannten ein Kloster exemt gewesen sein mochte, später aber seit der Zeit des Todes des besagten Gregors XI. von einem derer, die sich als Römische Bischöfe aufspielten, einem Kloster anderer Tracht oder Farbe unterstellt wurde, 3und mag dies auch von Uns vielleicht aus sicherer Kenntnis bestätigt oder erneuert worden sein, ohne daß die betroffenen Partei vorgeladen wäre;3 – Wir widerrufen mit Zustimmung des heiligen Konzils [2.] die neu eingeführten, die sich jedoch vor dieser Exemtion keiner Exemtion erfreuten, sondern einfach der ordentlichen Rechtshoheit unterstanden und vor dieser Zeit keinen Anfang genommen hatten, – ausgenommen bleiben folgende Exemtionen: solche für einen ganzen Orden,4 solche für Kirchen, Kapitel, Konvente, Pfründen oder Häuser, die von der genannten Zeit an nach Art und Bedingung einer Exemtion gegründet wurden, solche, die in Anbetracht einer Neugründung, bei Universitäten mit Generalstudien 5oder Scholarenkollegien 5 oder nach Art einer Bestätigung, Vergrößerung oder Erweiterung geschaffen oder gewährt wurden, solche, bei denen in Anwesenheit und nach Anhörung der Betroffenen von der zuständigen Autorität eine Anordnung getroffen wurde, oder solche, zu denen die Ordinarien ihre Zustimmung gegeben haben,

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XV Super materia reformacionis

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et omnes exempciones perpetuas per inferiores a papa 7 factas sacro approbante concilio revocamus,6 8eciam si super hiis lis pendeat indecisa, ipsam penitus extinguentes,8 ecclesias, monasteria et alia loca predicta in pristinam ordinariorum iurisdiccionem reducimus. 9Ceteris autem exempcionibus, ante obitum dicti Gregorii habitis vel concessis, nullum volumus per hoc preiudicium generari. Insuper non intendimus exempciones de cetero facere, nisi causa cognita et vocatis, quorum interest.9

De unionibus et incorporacionibus Martinus, etc. Uniones et incorporaciones a tempore obitus Gregorii XI.10 factas seu concessas, cum certa regula dari non possit, ad querelas eorum, quorum interest, nisi fuerint impetrantes beneficia sic unita, si non ex racionabilibus causis et veris 11 facte fuerint, licet apostolice sedis auctoritas intervenerit, revocabimus iusticia mediante.12

De fructibus medii temporis Martinus, etc. Item fructus et proventus ecclesiarum, monasteriorum et beneficiorum, vacacionis tempore obvenientes, iuris et consuetudinis vel privilegii disposicioni relinquimus, illosque nobis vel apostolice camere prohibemus applicari. De symonia Martinus, etc. Multe contra symoniacam pravitatem ab olim facte sunt constituciones, quibus morbus ille non potuit exstirpari. Nos, volentes de

6–6

Fehlte in Reformakte. Also Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe. 8–8 Fehlte in Reformakte. 9–9 Fehlte in Reformakte. 10 In Reformakte, Hübler S. 142, noch: per eos, qui pro summis pontificibus in eorum obedienciis reputati fuerunt, factas seu concessas, que effectum sortite non fuerunt. Item omnes eciam, que effectum sortite fuerunt, de perpetuis vicariis factas et concessiones omnes iuris patronatus seu presentandi factas laycis ecclesiarum seu beneficiorum, que non fundaverunt nec dotaverunt. Circa alias vero uniones, que effectum iam sortite fuerunt . . . – soweit sie durch die, die in ihren Obödienzen als Päpste angesehen wurden, ausgeführt oder gewährt aber noch nicht ausgeführt wurden. Ferner alle, auch bereits ausgeführte, über ständige Vikare und alle Verleihungen mmmmmm 7

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[3.] 6auch alle ewigen Exemtionen, soweit sie von niedrigeren Stellen als dem Papst 7 ergangen sind.6 8 Falls darüber ein Prozeß noch ohne Entscheidung anhängig sein sollte, schlagen Wir diesen voll und ganz nieder;8 die Kirchen, Klöster und besagten anderen Orte führen wir in die frühere Rechtshoheit der Ordinarien zurück. Wir wollen aber, daß den übrigen Exemtionen, die vor dem Heimgang des besagten Gregor vorgenommen oder gewährt wurden, dadurch keinerlei Beeinträchtigung widerfährt. 9Im übrigen beabsichtigen Wir, Exemtionen künftig ausschließlich nach Prüfung der Rechtslage und Vorladung der Betroffenen vorzunehmen.9

b) Vereinigungen und Inkorporationen Martin . . . Vereinigungen und Inkorporationen, die seit dem Tode Gregors XI.10 vorgenommen oder gewährt worden sind, werden Wir, da eine bestimmte Regel nicht aufgestellt werden kann, auf die Klage der Betroffenen hin, falls es nicht schon Anwärter auf so vereinigte Pfründen sind, entsprechend Recht und Gerechtigkeit widerrufen, wenn sie nicht aus vernünftigen und zutreffenden Gründen 11 geschehen sind, – mag auch die Autorität des Apostolischen Stuhles betroffen sein.12

D 15 Päpstliche Dekrete

c) Erträge der Zwischenzeit Martin . . . Erträge und Einkünfte von Kirchen, Klöstern und Pfründen, die während der Zeit einer Vakanz anfallen, überlassen Wir der Verfügung nach dem Recht, nach der Gewohnheit oder nach dem Privileg; Wir verbieten, daß sie Uns oder der Apostolischen Kammer zugewiesen werden.

d) Simonisten Martin . . . Seit alter Zeit sind gegen die Sünde der Simonie viele Erlasse aufgestellt worden, durch die jenes Übel nicht ausgerottet werden konnte. des Patronats- oder Präsentationsrechts von Kirchen oder Pfründen, das Laien gewährt wurde, die nicht gegründet oder ausgestattet haben. 11 Etwa bei Gründung von Universitäten. 12 In der Reformakte, Hübler S. 142, noch: vel aliter secundum iuris exigenciam providebimus; vel si nacionibus placet, fiat revocacio pro presenti . . . – oder Wir werden entsprechend der Forderung des Rechts anders Vorsorge treffen – oder, wenn die Nationen so beschließen, kann der Widerruf jetzt erfolgen.

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XV Super materia reformacionis

cetero, ut possumus, attencius providere, sacro approbante concilio declaramus, quod ordinati symoniace ab execucione suorum ordinum sint eo ipso suspensi. Elecciones autem, postulaciones, confirmaciones et quevis provisiones symoniace 13 ecclesiarum, monasteriorum, dignitatum, personatuum, officiorum et beneficiorum ecclesiasticorum quorumcumque 14deinceps facte,14 nulle sint ipso iure, nullumque per illas ius cuiquam acquiratur; nec 15 promoti, confirmati aut provisi 15 faciant fructus suos, sed ad illorum restitucionem, tamquam inique ablatorum percipientes, teneantur. Statuentes insuper, quod dantes et recipientes 16 aipso facto a sentenciam excommunicacionis incurrant, eciam si pontificali aut cardinalatus prefulgeant dignitate.17. 18

De dispensacionibus Martinus, etc. Quoniam beneficia propter officia conceduntur, reputamus absurdum, ut, qui beneficia obtinent, recusent aut negligant officium exercere. Nos igitur, sacro approbante concilio, omnes dispensaciones a quibuscumque pro Romanis pontificibus se gerentibus concessas, quibuscumque electis, confirmatis seu provisis ad ecclesias, monasteria, prioratus conventuales, decanatus, archidiaconatus et alia quecumque beneficia, quibus certus ordo debitus est vel annexus, aut de illis ne munus consecracionis episcopi seu benediccionis abbatis, aut ceteros debitos aut annexos ordines suscipiant, preter illas, que secundum formam constitucionis Bonifacii VIII., que incipit Cum ex eo,19 facte sunt, revocamus. Statuentes, ut qui de presenti illos vel illa obtinent, infra sex menses a die publicacionis huiusmodi constitucionis nostre, et qui in posterum obtinebunt, 20infra terminum iuris 20 se faciant consecrari aut benedici sive ad alium debitum ordinem promoveri. Alioquin

a–a

eo ipso facto Ed.

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Fehlte in Reformakte. Fehlte in Reformakte. 15–15 Fehlte in Reformakte. 16 Der Pfründen. 17 Simonie ist demnach bei Päpsten möglich. 18 In der Reformakte, Hübler S. 147, noch: districtius inhibentes iuxta eciam antiqua statuta canonum, quod pro ordinibus, eciam clericali tonsura, ordinans nichil recipiat, cum ad id sint fructus ecclesiastici deputati, quodque notarii pro literis super ordinum predictorum collacione pro prima clericali tonsura non ultra unum, pro quatuor minoribus ordinibus unum, pro quolibet sacro ordine unum grossum de camera, quorum decem faciunt florenum de camera, recipiant. Quodsi contra fecerint, canonicis subiaceant institutis. – Dabei gebieten Wir gemäß den alten Bestimmungen der Kanones: mmmmm 14–14

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Wir nun, in dem Willen, künftig möglichst voller Aufmerksamkeit Vorsorge zu treffen, erklären mit der Zustimmung des heiligen Konzils, daß simonistisch Geweihte ohne weiteres Verfahren von der Ausübung ihrer Weihen suspendiert sind. Simonistische Wahlen, Wahlbitten, Bestätigungen und jegliche simonistische 13 Verleihung von Kirchen, Klöstern, Würden, Personaten, kirchlichen Ämtern und Pfründen irgendwelcher Art, 14die künftig vorkommen 14, sollen von Rechts wegen nichtig sein; durch sie wird niemandem irgendein Recht übertragen, 15solcherart Berufene, Bestätigte oder Eingesetzte 15 dürfen keine Erträge einziehen sondern sind zu deren Rückgabe verpflichtet, da sie diese zu Unrecht [von den Gebern] erhalten haben. Obendrein bestimmen Wir, daß Geber und Empfänger 16 ohne weiteres Verfahren dem Spruch der Exkommunikation verfallen, auch wenn sie mit päpstlicher Würde 17 oder der des Kardinalats ausgezeichnet sind.18 D 15 Päpstliche Dekrete

e) Dispense Martin . . . Weil Pfründen wegen der Ämter gewährt werden, erachten Wir es als absurd, daß sich Inhaber von Pfründen weigern oder es versäumen, ihr Amt auszuüben. Daher widerrufen Wir nun mit Zustimmung des heiligen Konzils alle Dispense, die von irgendwelchen, die sich als Römische Bischöfe ausgaben, gewährt wurden an irgendwelche Leute, die gewählt, bestätigt oder vorgesehen wurden für Kirchen, Klöster, Konventualpriorate, Dekanate, Archidiakonate und sonstige Pfründen, für die eine bestimmte Weihe nötig oder mit ihnen verbunden ist und die dafür nicht die Bischofsweihe, die Abtsegnung oder die übrigen jeweils erforderlichen oder verbundenen Weihen empfangen mußten; unberührt bleiben die Dispense, die gemäß dem Wortlaut der Konstitution Bonifaz’ VIII. erteilt wurden, die da beginnt Cum ex eo.19 Wir bestimmen: Wer gegenwärtig solche Pfründen innehat, muß sich innerhalb von sechs Monaten vom Tag der Verkündung dieser Unserer Konstitution an – oder, wer sie künftig erlangt, 20innerhalb der gesetzlichen Frist 20 – weihen, segnen oder in den erforderlichen Weihegrad bringen lassen. Der Ordinierende darf für Weihen einschließlich der Klerikertonsur nichts entgegennehmen, denn dafür sind die kirchlichen Erträge bestimmt. Die Notare dürfen folgendes für die Urkunden über die Erteilung einer genannten Weihe entgegennehmen: für die erste Klerikertonsur bis zu 1 Groschen, für die vier niederen Weihen 1 Groschen, für jede heilige Weihe 1 Kammergroschen (wobei 10 Groschen 1 Kammergulden entsprechen). Bei Zuwiderhandlung unterliegen sie den kanonischen Bestimmungen. 19 VI 1.6.34. 20–20 In Reformakte, Hübler S. 149, stattdessen: infra annum a die possessionis adepte – innerhalb eines Jahres nach erlangter Inbesitznahme.

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XV Super materia reformacionis

sint illi ipsis ecclesiis, monasteriis, dignitatibus, personatibus, officiis et beneficiis predictis ipso iure privati, et aliis libere conferantur aut provideatur de illis, ceteris constitucionibus circa hoc editis in suo robore duraturis. De decimis et aliis oneribus ecclesiasticis Martinus, etc. Precipimus et mandamus, iura, que prohibent inferioribus a papa decimas et alia onera ecclesiis et personis ecclesiasticis imponi, districcius observari.21 Per nos autem nullatenus imponentur generaliter super totum clerum, nisi ex magna et ardua causa et utilitate universalem ecclesiam concernente, et de consilio, consensu et subscripcione fratrum nostrorum 22 sancte Romane ecclesie cardinalium 22 et prelatorum, quorum consilium commode haberi poterit. Nec specialiter in aliquo regno vel provincia, inconsultis prelatis illius regni vel provincie 23et ipsis non consencientibus, vel eorum maiori parte, et eo casu per personas ecclesiasticas et auctoritate apostolica dumtaxat leventur.23

De vita et honestate clericorum Martinus, etc. Inter ceteros clericorum et prelatorum excessus hoc maxime inolevit, quod spreta in vestibus forma ecclesiastice honestatis, plurimi delectantur esse deformes, et cupiunt laicis conformari et quidquid mente gerunt, habitu profitentur. Unde preter cetera, que circa vestes, tonsuram et habitus clericorum, tam in formis quam in coloribus, atque comam seu capillos vitamque et honestatem clericorum iura 24 statuunt et que nimium collapsa sunt tam in secularibus quam in regularibus, sacro approbante concilio, innovamus et precipimus diligencius observari. Illum specialiter abusum, eodem approbante concilio, decernimus penitus abolendum, quod in quibusdam partibus nonnulli clerici et persone ecclesiastice seculares et regulares, eciam quod magis exsecramur, prelati ecclesiarum, manicas ad cubitum pendentes et longas cum magna et sumptuosa superfluitate, vestes eciam sissas b retro et in lateribus cum foderaturis ultra oram excedentibus eciam in sissu-

b 21

scissas Ed.

In Reformakte, Hübler S. 156, noch: Quod et nostris successoribus indicamus non imponi – Wir geben Unseren Nachfolgern auf, sie niemals aufzuerlegen. 22–22 Fehlte in Reformakte. 23–23 Fehlte in Reformakte. 24 Extrav. comm. 3.1.2.15.

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Andernfalls sind sie von Rechts wegen ihrer besagten Kirchen, Klöster, Würden, Personate, Ämter und Pfründen verlustig; diese sollen anderen frei verliehen werden, oder es soll über sie neu verfügt werden; die übrigen Konstitutionen, die in dieser Angelegenheit ergangen sind, bleiben in ihrer Rechtskraft erhalten.

f) Zehnten und andere Lasten Martin . . . Wir bestimmen und befehlen, daß die Rechte, die es Niedrigeren als dem Papst verbieten, Kirchen und Kirchenleuten Zehnten und andere Lasten aufzuerlegen, strengstens beachtet werden.21 Von Uns werden sie keinesfalls allgemein dem ganzen Klerus auferlegt, es sei denn aus einem wichtigen, bedeutsamen Grund und zum Nutzen für die gesamte Weltkirche sowie mit Rat, Zustimmung und Unterschrift Unserer Brüder, 22der Kardinäle der heiligen Römischen Kirche,22 und der Prälaten, deren Ratschlages man ohne Schwierigkeiten habhaft werden kann. Sie sollen jedoch auch nicht gesondert in einem Königreich oder einer Provinz ohne Befragen der Prälaten dieses Königreichs oder dieser Provinz erhoben werden 23und nicht ohne deren Zustimmung oder die der Mehrheit; in diesem Falle dürfen sie selbstverständlich nur von Kirchenmännern und kraft der Autorität des Apostolischen Stuhls erhoben werden.23

g) Lebenswandel und Ehrenhaftigkeit der Kleriker Martin . . . Unter dem sonstigen Mißverhalten der Kleriker und Prälaten hat sich besonders jenes eingenistet, daß sich viele unter Mißachtung der Form kirchlicher Ehrenhaftigkeit in der Kleidung daran erfreuen, formlos zu sein; sie suchen sich den Laien anzugleichen und bekennen das, was sie im Kopf haben, mit ihrem Auftreten. Neben dem sonstigen erneuern Wir daher mit Billigung des heiligen Konzils, was die Gesetze 24 über Kleidung, Tonsur und Tracht der Kleriker in Form und Farbe, über Haartracht, Lebenswandel und Ehrenhaftigkeit der Kleriker festsetzt und was bei Weltund Ordensleuten vollständig verschwunden ist, und Wir befehlen, es solle sorgfältigst beachtet werden. Besonders jener Mißbrauch soll nach Unserer Entscheidung mit Zustimmung dieses Konzils beseitigt werden, daß in gewissen Gegenden manche Kleriker und kirchliche Welt- und Regularleute, auch (was Wir besonders verwünschen) Kirchenprälaten ihre Ärmel ellenlang hängend und lange Schleppenkleider mit großer und aufwendiger Überflüssigkeit, auch hinten und an den Seiten geschlitzte Kleidungsstücke mit Pelzfutter, das über den Saum hinausgeht, sogar mit Schlitzen tragen und

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XV Super materia reformacionis

ris c deferunt, et cum talibus in ecclesiis cum supelliciis ac aliis vestibus ad cultum et officium ecclesiasticum ordinatis, eciam intra ecclesias ipsas, in quibus beneficiati existunt, non verentur divinis officiis interesse. Hanc vestium deformitatem in quibuscumque personis ecclesiasticis reprobamus ac usum talium inhibemus; contrarium autem facientes, ut transgressores canonum puniantur: specialiter statuentes, ut quicumque beneficiatus aut officium in ecclesia gerens in habitu huiusmodi divinis officiis presumpserit interesse, pro qualibet vice a percepcione proventuum ecclesiasticorum per mensem noverit se suspensum, fructusque illi fabrice illius ecclesie applicentur. Martinus, etc. Decernimus et declaramus, sacro approbante concilio, per decreta, statuta et ordinata, tam lecta in presenti sessione quam concordata cum singulis nacionibus eiusdem concilii, et que in nostra cancellaria poni volumus, et litteras in forma publica sub sigillo vicecancellarii nostri volentibus habere confici atque tradi, huic sacro concilio super articulis contentis in decreto 25 super fienda reformacione, die sabbati XXX. mensis octobris proxime preteriti promulgato, fuisse et esse iam satisfactum.26

c

scissuris Ed.

D 15 Päpstliche Dekrete

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sich nicht scheuen, in Kirchen so zusammen mit Chorrock und anderen zum Gottesdienst und kirchlichen Offizium vorgeschriebenen Gewändern sogar in den Kirchen, wo sie Pfründner sind, am Gottesdienst teilzunehmen. Diese Modetorheit mißbilligen Wir bei sämtlichen kirchlichen Personen; die Verwendung solcher Kleidung verbieten Wir; Zuwiderhandelnde werden als Übertreter der Kanones bestraft; besonders setzen Wir dabei fest: jeder Pfründner oder jeder, der ein Amt in der Kirche wahrnimmt, wisse: Wenn er sich herausnimmt in solchem Aufzug am Gottesdienst teilzunehmen, wird er für jedes Mal vom Empfang der Kirchenerträge eines Monats ausgeschlossen und die Einkünfte werden der Bauhütte zugeschlagen. h) Martin . . . Wir entscheiden und erklären mit Billigung des heiligen Konzils: Durch die Beschlüsse, Bestimmungen und Verordnungen, soweit sie in dieser Sitzung verlesen wurden oder soweit sie vereinbart wurden, wie auch durch die Konkordate mit den einzelnen Nationen dieses Konzils – Wir wollen, daß sie in Unserer Kanzlei niedergelegt und als Urkunden in öffentlicher Form mit dem Siegel Unseres Vizekanzlers allen Antragstellern ausgefertigt und übergeben werden – [durch sie] ist hinsichtlich der Punkte, die in dem am Samstag, dem 30. Oktober dieses zurückliegenden Jahres, über die Durchführung einer Reform verkündeten Beschluß25 enthalten sind, nunmehr Genüge getan.26 XVI Capitula concordata 25

Oben Nr. 14 a S. 498. In der 44. Sitzung am 19. 4. 1418 weiteres Dekret (COD 3 S. 450): Martinus, etc. Cupientes et eciam volentes decreto huius generalis concilii satisfacere inter alias disponenti, quod omnimode generalia concilia celebrentur in loco, quem summus pontifex per mensem ante finem huius concilii, approbante et consenciente concilio, deputare et assignare teneatur pro loco dicti proxime futuri concilii celebrandi a fine presentis concilii supradicti: eodem consenciente et approbante concilio, civitatem Papiensem tenore presencium deputamus et eciam assignamus, statuentes et decernentes, quod prelati et alii, qui ad generalia concilia debent convocari, tempore predicto civitatem ipsam Papiensem accedere teneantur. – Martin . . . In dem Bestreben und in dem Willen, dem Dekret [vgl. oben Nr. 13 a S. 484] dieses Allgemeinen Konzils Genüge zu tun – in dem unter anderem bestimmt wird, grundsätzlich sollten die Allgemeinen Konzilien abgehalten werden an dem Ort, den der Höchste Bischof einen Monat vor Ende dieses Konzils als Ort für die Durchführung des nächsten Konzils nach Beendigung dieses Konzils festzusetzen und anzukündigen verpflichtet ist – , wird die Stadt Pavia mit Zustimmung und Billigung des Konzils durch den Wortlaut des gegenwärtigen Schreibens von Uns festgesetzt und angekündigt; und dabei verfügen und entscheiden Wir, daß die Prälaten und die anderen, die zu den Allgemeinen Konzilien berufen werden müssen, verpflichtet sind, sich zu der genannten Zeit [also Ende April 1423] in dieser Stadt Pavia einzufinden. – Vgl. auch Anschlußband FSGA, A., Bd. 38 b Nr. 2 a. 26

XVI Ed.: Mercati S. 157–165, 150–156, 165–167 – kontrolliert an Hss. Staatsbibliothek zu Berlin PK, theol. lat. fol. 228, 420, 503.

[CONCORDATA] aCum

nacione germanica capitula reformacionis super articulis iuxta decretum concilii reformandisa1 I. De numero et qualitate dominorum cardinalium et eorum creacione Martinus etc. 2Statuimus, ut deinceps numerus cardinalium sancte Romane ecclesie adeo sit moderatus, quod nec sit gravis ecclesie nec superflua numerositate vilescat. Qui de omnibus partibus Christianitatis proporcionaliter, quantum fieri poterit, assumentur, ut noticia causarum et negociorum in ecclesia emergencium facilius haberi possit et equalitas regionum in honoribus ecclesiasticis observetur. Sic tamen quod numerum viginti quatuor non excedat, nisi pro honore nacionum, que cardinales non habent, unus vel duo pro semel de consilio et assensu cardinalium assumendi viderentur. Sint autem viri in sciencia, moribus et rerum experiencia excellentes, doctores in theologia aut in iure canonico vel civili, preter admodum paucos, qui de stirpe regia vel ducali aut magni principis oriundi existant, in quibus competens litteratura sufficiat; non fratres aut nepotes ex fratre vel sorore alicuius cardinalis viventis; nec de uno ordine Mendicancium, ultra unum; non corpore viciati aut alicuius criminis aut infamie nota respersi. Nec fiat eorum eleccio per auricularia vota 3 solummodo sed eciam cum consilio cardinalium collegialiter, sicut in promocionibus episcoporum fieri consuevit. Qui modus eciam observetur, quando aliquis ex cardinalibus in episcopum assumetur.2 II. De provisione ecclesiarum, monasteriorum, prioratuum b, dignitatum et aliorum beneficiorum Sanctissimus dominus noster papa Martinus V. super provisionibus ecclesiarum, monasteriorum et beneficiorum quorumcumque utetur reservacioa–a b

fehlt Ed. prioratum Ed.

1

Oben Nr. 14a S. 498. Wie päpstl. Reformakte, Hübler S. 128. 3 Das Wahlrecht des Konsistoriums war bis auf ein geheimes Zuflüstern verkümmert, vgl. oben Nr. 11 k S. 440 Anm. 20. 2–2

16. KONKORDATE MIT DEN KONZILSNATIONEN VOM 21. MÄRZ 1418 a) Reformkapitel entsprechend der Reformauflage 1 des Konzilsdekrets, mit der deutschen Nation vereinbart 1. Zahl, Art und Wahl der Herren Kardinäle Martin usw. Wir bestimmen: 2Künftig soll die Zahl der Kardinäle der heiligen Römischen Kirche so begrenzt sein, daß sie der Kirche nicht lästig ist und nicht wegen der übergroßen Menge wertlos wird. Sie sollen, soweit möglich, anteilmäßig aus allen Gebieten der Christenheit genommen werden, damit leichter Kenntnis der in der Kirche auftauchenden Rechtsfragen und Streitfälle erlangt werden kann und eine Gleichheit der Gebiete in den kirchlichen Ehrenstellen beachtet wird. Es soll jedoch die Zahl 24 nicht überschritten werden, es sei denn, es schiene mit Rat und Zustimmung der Kardinäle gut, einmalig ein oder zwei zur Ehre von Nationen aufzunehmen, die noch keine Kardinäle haben. Sie sollen aber bedeutende Männer sein, hervorragend dank ihrer wissenschaftlichen Bildung, ihrer Lebensführung und Geschäftserfahrung, Doktoren der Theologie oder des kirchlichen oder des römischen Rechts, abgesehen von einigen wenigen, welche aus der Familie eines Königs, eines Herzogs oder eines bedeutenden Fürsten stammen und für welche eine befriedigende Bildung hinreicht; keine Brüder oder Neffen (von seiten eines Bruders oder einer Schwester) eines lebenden Kardinals; lediglich einer aus je einem Bettelorden, nicht körperlich verkrüppelt und nicht im Verruf wegen eines Verbrechens. Ihre Wahl soll nicht bloß durch geheimes Ins-Ohr-Flüstern 3 sondern kollegial mit Beschluß der Kardinäle erfolgen, wie es bei der Erhebung der Bischöfe üblich ist. Diese Form soll auch befolgt werden, wenn einer von den Kardinälen zum [Kard.-]Bischof aufsteigen soll.2

2. Provision von Kirchen, Klöstern, Prioraten, Dignitäten und anderen Pfründen Unser Heiliger Vater, Herr Papst Martin V., wird bezüglich der Provisionen von Kirchen, Klöstern und anderer Pfründen die Reservationen des ge-

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XVI Capitula concordata

nibus iuris scripti et constitucionis 4Execrabilisc et Ad regimen4 modificate, ut sequitur: Ad regimen ecclesie . . . nec computentur in turno seu vice eorum.5 Idem dominus noster ordinat, quod per quamcumque aliam reservacionem, graciam expectativam aut quamvis aliam disposicionem sub quacumque verborum forma per eum aut eius auctoritate factam vel faciendam non velit neque volebat necque intendebat nec intendit facere aut fieri, quominus de media parte illarum et illorum, cum vacabunt, alternis vicibus libere disponatur per illos, ad quos collacio, provisio, presentacio, eleccio aut alia quevis disposicio pertinebit, prout ad ipsos spectabit de consuetudine vel de iure. Ita quod, cum de una dignitate, personatu, officio vel beneficio ex illis ad eleccionem, provisionem, collacionem seu quamvis aliam disposicionem alicuius spectante fuerit auctoritate apostolica provisum aut alias dispositum, ille, ad cuius collacionem, eleccionem vel quamvis aliam disposicionem primo loco pertinebat, de alio immediate postea vacaturo provideat aut disponat, prout ad eum pertinebat. Et ita consequenter de singulis huiusmodi dignitatibus, personatibus, officiis et beneficiis vacaturis auctoritate eiusdem domini nostri pape et aliorum predictorum alternatis vicibus disponatur. Reservacionibus aut aliis a premissis disposicionibus auctoritate eiusdem domini nostri pape factis vel faciendis non obstantibus quibuscumque. Quocies vero aliquo vacante beneficio cadente in vice et in gracia expectativa non apparuerit infra tres menses a die note vacacionis in loco beneficii, quod alicui de illo secundum predictas ordinaciones fuerit auctoritate apostolica provisum, ordinarius vel alius, ad quem illius disposicio pertinebit, de illo libere disponat nec sibi in sua vice computetur. Beneficia eciam, que per simplicem renunciacionem aut permutacionem vacaverint, neutri parti computentur. Sanctissimus dominus noster papa Martinus V. ad exaltacionem fidei catholice et spiritualem profectum populi Christiani, de consensu et beneplacito nacionis Germanice statuit et ordinavit et decrevit,6 quod deinceps in metropolitanis et cathedralibus ecclesiis nacionis Germanice eiusdem sexta pars canonicatuum et prebendarum sit pro doctoribus aut licenciatis in sacra pagina vel altero iurium vel in theologia baccalariis d formatis aut magistris in medicina, qui per biennium, seu magistris in artibus, qui per quinquennium post magisterium in theologia aut altero iurium studuerunt in studio c d

Exsecrabilis Ed. baccalaureis Ed.

4–4 Extrav. comm. 3.2.4 u. 13. Somit Beschränkung auf die Kurialbeamten ohne die Ehrenkapläne. – Die Bestimmungen wurden auch ins Wiener Konkordat von 1448 übernommen.

D 16 a Deutsches Konkordat

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schriebenen Rechts, der Konstitution 4Execrabilis und des wie folgt geänderten Ad regimen4 anwenden: (FSGA, A., Bd. 33, S. 498–504 Zeile 5, Nr. 127 (1)–(3) Satz 1)

D 16 a Deutsches Konkordat

Diese werden nicht auf deren Anteil angerechnet.5 Dieser unser Herr ordnet an, er werde durch keine sonstige Reservation, Expektanz oder sonstige Verfügung mit welchem Wortlaut auch immer, die durch ihn oder auf seine Vollmacht hin bisher oder künftig erfolgt, weder Schwierigkeiten bereiten wollen noch beabsichtigen, daß über die Hälfte der Vakanzen jeweils abwechselnd durch diejenigen frei verfügt wird, denen Vergabe, Verfügung, Vorschlag, Wahl oder sonstige Entscheidung zusteht, wie es sich für sie nach Recht und Herkommen ergibt. Wenn also über eine solche Würde, einen Personat, ein Amt oder eine Pfründe, die für Wahl, Verfügung, Vergabe oder sonstige Entscheidung ansteht, kraft Apostolischer Vollmacht verfügt oder sonstwie entschieden worden ist, so kann derjenige, dem Vergabe, Wahl oder eine sonstige Entscheidung in erster Linie zustand, bei der nächsten folgenden Vakanz verfügen oder entscheiden, wie es ihm zukommt. In dieser Weise soll in der Folge über alle vakanten Würden, Personate, Ämter und Pfünden kraft der Rechtsgewalt dieses unseres Herrn Papstes und der übrigen Besagten abwechselnd entschieden werden. Reservationen und sonstige abweichende Entscheidungen, die in Vollmacht unseres Herrn Papstes bisher oder künftig erfolgen, stehen dem nicht entgegen. Sooft bei einer vakanten Pfründe, die unter den Wechsel und die Expektanz fällt, nicht innerhalb von drei Monaten vom Tage des Bekanntwerdens der Vakanz am Pfründenort klar wird, daß sie gemäß den zuvor genannten Regelungen von der Apostolischen Autorität jemandem verliehen wurde, darf der Ordinarius oder derjenige, dem die Verfügung darüber zusteht, frei darüber verfügen; und dies wird nicht auf seinen Anteil angerechnet. Pfründen, die durch einfachen Verzicht oder durch Tausch frei werden, werden keinem Teil angerechnet. Unser Heiliger Vater, Papst Martin V., hat zur Erhöhung des katholischen Glaubens und zum geistlichen Fortschritt des christlichen Volkes im Einverständnis und mit Zustimmung der deutschen Nation bestimmt, angeordnet und verfügt,6 daß künftig an den Metropolitan- und Kathedralkirchen dieser deutschen Nation ein Sechstel der Kanonikate und Präbenden 7 vorgesehen wird für Doktoren oder Lizentiaten der Theologie bzw. eines der beiden Rechte, examinierte Bakkalaren der Theologie oder Magister der Medizin, die noch zwei Jahre lang, Magister der Freien Künste, die noch fünf Jahre lang nach der Magisterprüfung an einer Universität Theologie oder eines der 5 6 7

= abwechselndes Besetzungsrecht, vgl. oben Nr. 11 l 2 S. 442. Erst nach der 43. Sitzung vereinbart und daher gesondert publiziert. Verleihung ohne Jurisdiktion.

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XVI Capitula concordata

generali. Sic videlicet, quod ubicumque non fuerit saltem sexta pars canonicorum prebendatorum 7 in metropolitana vel cathedrali ecclesia taliter graduatorum, ibi quicumque deinceps canonicatus et prebende vacaverint, quacumque eciam apostolica vel alia auctoritate nonnisi taliter graduatis conferantur, quousque dicta sexta pars compleatur taliter graduatis; si tamen infra mensem a tempore vacacionis huiusmodi canonicatus et prebende numerandum repertus fuerit taliter graduatus et alias idoneus, qui per se vel per procuratorem voluerit acceptare. Quod postmodum continuetur, ut ad minus dictus numerus e sexte partis canonicorum taliter, ut premittitur, graduatorum in ipsis metropolitanis et cathedralibus ecclesiis habeatur. Ubi autem soli consueverunt illustres aut de comitum vel baronum genere vel ex utroque parente militares in canonicos admitti taliter graduati, qui acceptare voluerint, si taliter nobiles, ut premittitur, fuerint, in illis ecclesiis ceteris eciam nobilibus saltem usque ad dictum numerum preferantur. Item, quod in aliis collegiatis ecclesiis eiusdem nacionis similiter sexta pars canonicatuum et prebendarum deinceps modo premisso conferatur, sicut premittitur, graduatis aut saltem in medicina aut in artibus magistris vel licenciatis aut in theologia vel altero iurium baccalariis examinatis per rigorem cum limitacione, modo et ordine supradicto. Item, quod parrochiales ecclesie habentes communi estimacione, que secundum famam publicam attendatur, duo milia communicancium vel plures deinceps non conferantur, eciam apostolica vel quacumque alia auctoritate, nisi doctoribus vel licenciatis in sacra pagina vel iure canonico vel civili et baccalariis in theologia formatis, si tamen infra mensem a tempore vacacionis ecclesie numerandum reperiatur taliter graduatus, qui per se vel procuratorem voluerit acceptare. Decernendo irritum et inane, si secus in premissis tam circa canonicatus et prebendas quam parrochiales ecclesias vel eorum aliquod a quoquam quavis eciam auctoritate apostolica fuerit attemptatum. Salvis semper laudabilibus consuetudinibus et statutis ecclesiarum, que premissis non adversantur. In contrarium autem facientibus non obstantibus quibuscumque. Item, quatenus predicta constitucio seu ordinacio pluribus prosit et humane ambicioni frenum imponatur, ordinat, statuit et decernit idem dominus noster papa, quod vigore presentis constitucionis seu ordinacionis nemo graduatorum possit ultra unum ecclesiasticum beneficium adipisci. Item vult, quod in pari data ad eandem collacionem graduatus non graduato preferatur, prerogativis et diligencia non obstantibus quibuscumque. Item, quod vicarie ad certa chori officia 8 in ecclesiis cathedralibus et collegiatis deputate non e

munerus Ed.

8

Also Chordienst beim Stundengebet.

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beiden Rechte studiert haben. Falls es bei Metropolitan- oder Kathedralkirchen kein Sechstel derart Graduierter Stiftspfründner gibt, sollen dort, wenn künftig Kanonikate oder Präbenden frei werden, diese – auch bei Apostolischer oder anderer Autorität – nur an solche Graduierten übertragen werden, bis das besagte Sechstel für diese Graduierten erfüllt ist; vorausgesetzt es findet sich innerhalb eines Monats, von dem Zeitpunkt des Freiwerdens dieses Kanonikats oder dieser Präbende an gerechnet, ein so Graduierter oder sonstwie Geeigneter, der selbst oder durch einen Bevollmächtigten zustimmen will. Dieses soll danach so lange fortgesetzt werden, bis zumindest die genannte Zahl eines Sechstels der Kanoniker, die derart graduiert sind, in diesen Metropolitan- und Kathedralkirchen erreicht ist. Wo nur Adlige aus Familien von Grafen und Freiherren oder nach beiden Eltern Ritterbürtige als Kanoniker zugelassen werden, dort sollen annahmewillige Graduierte, wenn sie zu den eben genannten Adligen gehören, in diesen Kirchen auch den übrigen Adligen vorgezogen werden, selbstverständlich nur bis zur genannten Zahl. In den übrigen Kollegiatkirchen dieser Nation soll künftig ebenfalls ein Sechstel der Kanonikate und Pfründen auf besagte Weise vergeben werden, also an Graduierte, und zwar an Magister oder Lizentiaten in Medizin, oder in den Artes, oder an Bakkalare, die in Theologie oder in beiden Rechten das Examen abgelegt haben, – gemäß oben genannter Begrenzung, Art und Weise. Pfarrkirchen, die nach gemeiner Schätzung 2000 Kommunikanten oder mehr haben, sollen künftig – auch gemäß Apostolischer oder sonstiger Autorität – nur mit Doktoren oder Lizentiaten in Heiliger Schrift, kanonischem oder Zivilrecht sowie geprüften Bakkalaren in Theologie besetzt werden, jedoch nur, wenn sich innerhalb eines Monats – vom Zeitpunkt des Freiwerdens der Pfründe an gerechnet – ein solcher Graduierter findet, der selbst oder durch seinen Bevollmächtigten annehmen will. Dabei wird festgestellt, daß es rechtswidrig und nichtig ist, wenn etwas wider das Vorgenannte bei Kanonikaten und Pfründen, auch bei Pfarrkirchen, von jemandem kraft irgendwelcher Autorität (auch päpstlicher) versucht werden sollte. Die löblichen Gewohnheiten und Kirchenstatuten, die Vorstehendem nicht widersprechen, bleiben unberührt; alle entgegenstehenden Bestimmungen haben jedoch keine Geltung. Damit die genannte Konstitution oder Anordnung vielen nützt und damit dem menschlichen Ehrgeiz Zügel angelegt werden, verordnet, bestimmt und entscheidet unser Herr Papst, daß kraft gegenwärtiger Verfügung oder Anordnung keiner der Graduierten mehr als eine einzige kirchliche Pfründe erhalten darf. Er [der Heilige Vater] will auch, daß bei gleicher Datierung von Expektanzen auf dieselbe Verleihung ein Graduierter einem Nicht-Graduierten vorgezogen wird; dem stehen keine verbrieften Vorrechte und keine schuldige Sorgfalt entgegen. Er will auch, daß Vikarien, die für bestimmte Chorämter 8 in Kathedral- und Kollegiatkirchen vorgesehen sind, nur – dies

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XVI Capitula concordata

conferantur eciam apostolica auctoritate, nisi talibus, qui huiusmodi beneficia cantando, legendo et alias sciverint et poterint personaliter adimplere.

III. De annatis 9

De ecclesiis et monasteriis virorum dumtaxat vacantibus et vacaturis solventur pro fructibus primi anni a die vacacionis summe pecuniarum in libris camere apostolice taxate, que communia servicia nuncupantur. Si que vero excessive taxate sunt, iuste retaxentur, et provideatur specialiter in gravatis regionibus secundum qualitatem rerum, temporum et regionum, ne nimium pregraventur, ad quod dabuntur commissarii, qui diligenter inquirant et retaxent. Taxe autem predicte pro media parte infra annum a die habite possessionis pacifice tocius vel maioris partis solventur et pro media parte alia infra sequentem annum. Et, si infra illud tempus bis vel pluries vacaverint, semel tantum solvetur. Nec debitum huiusmodi in successorem in ecclesia vel monasterio transeat. De ceteris autem dignitatibus, personatibus, officiis et beneficiis secularibus et regularibus, que auctoritate sedis apostolice conferentur vel providebitur de eisdem, preterquam vigore graciarum expectativarum aut causa permutacionis solvatur annata seu medii fructus iuxta taxam solitam tempore unionis infra annum. Et debitum huiusmodi in successorem in beneficio non transeat. De beneficiis vero, que valorem XXIIII florenorum de camera 10 non excedunt, nichil solvatur. Debitis omnibus preteriti temporis usque ad assumpcionem domini nostri communium serviciorum et annatarum pro medietate relaxatis,11 solventibus aliam medietatem infra sex menses a die publicacionis.9 IIII. De causis tractandis in Romana curia vel non f Sanctissimus dominus noster papa Martinus V. statuit et ordinat, quod nulle cause in Romana curia committantur, nisi que de iure et natura cause in Romana curia tractari debebunt. Et quod 12cause, que ad forum ecclesiasticum de iure vel consuetudine non pertinent, per Romanam curiam, eciam pretextu cruce signacionis laicorum extra tempus passagii generalis, non ref

nec ne Ed.

9–9

Wie Reformakte, Hübler S. 137. – Vgl. oben Anm. 4 letzter Satz. Siehe oben Nr. 2 S. 183 Anm. 31. 11 Das Konzil von Pisa hatte die Schulden gänzlich erlassen. 12–12 Wie Reformakte, Hübler S. 137. 10

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gilt auch für die päpstliche Autorität – an solche vergeben werden, die solche Pfründen mit Singen, Vorlesen oder sonstwie persönlich wahrnehmen können. 3. Annaten 9

Von derzeit und künftig vakanten Männerklöstern sollen als Erträge des ersten Jahres vom Tage der Vakanz an die Geldbeträge gezahlt werden, die in den Büchern der Apostolischen Kammer festgelegt sind; diese heißen gemeinsame Servitien. Falls sie zu hoch veranschlagt sind, sollen sie gerecht neu veranschlagt werden, besonders soll belasteten Gebieten Rechnung getragen werden in Hinblick auf die Umstände, Zeiten und Gegenden, daß sie nicht überbeansprucht werden. Dafür werden Kommissare eingesetzt, die das sorgfältig untersuchen und neu festsetzen sollen. Die besagten Beträge sind zur Hälfte innerhalb eines Jahres vom Tag der unangefochtenen Inbesitznahme der ganzen oder des überwiegenden Teils der Pfründe an zu zahlen; die zweite Hälfte im folgenden Jahr. Wenn innerhalb dieser Zeit zweimal oder öfter eine Vakanz eintritt, braucht nur einmal gezahlt zu werden. Auf den Nachfolger in der Kirche oder dem Kloster sollen keine solchen Schulden übergehen. Von allen übrigen Würden, Personaten, Ämtern und Pfründen für Weltpriester und Regularkleriker, die dabei durch Verfügung des Apostolischen Stuhles vergeben oder übertragen werden, werden – abgesehen von der Wirksamkeit von Expektanzen und eines Tausches – die Annaten oder Zwischenerträge gemäß der gewohnten Festlegung innerhalb eines Jahres nach der Einsetzung gezahlt. Auf den Nachfolger in der Pfründe sollen keine solchen Schulden übergehen. Bei Pfründen, die den Wert von 24 Kammergulden 10 nicht übersteigen, wird nichts gezahlt. Alle Schulden aus der verflossenen Zeit bis zur Wahl unseres Herrn [Papstes] werden bei den gemeinsamen Servitien und den Annaten allen denen zur Hälfte erlassen 11, die diese Hälfte innerhalb von sechs Monaten vom Tag der Verkündigung an zahlen.9

4. Die Führung von Prozessen an der Römischen Kurie Der Heilige Vater, unser Herr Papst Martin V., bestimmt und verordnet, daß nur solche Prozesse an der Römischen Kurie verhandelt werden, die nach dem Recht und ihrer Natur nach an der Römischen Kurie verhandelt werden müssen. 12Rechtssachen, die nach Recht und Herkommen nicht vor ein kirchliches Gericht gehören, sollen von der Römischen Kurie nicht, auch nicht unter dem Vorwand, es handele sich um den Kreuzzug von Laien außerhalb der Zeit eines allgemeinen Kreuzzugs, zur Untersuchung an der Ku-

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XVI Capitula concordata

cipiantur, de illis cognoscendo in curia vel extra committendo nisi de consensu parcium. Que vero ad forum ecclesiasticum pertinent et de iure sunt per appellacionem aut alias ad Romanam curiam devolute ac de sui natura in eadem tractande, tractentur in ea. Cetere committantur in partibus. Nisi forsan pro cause et personarum qualitate in commissione exprimenda illas tractare in curia expediret pro iusticia consequenda, vel de parcium consensu in curia tractentur.12 V. De commendis 13

Ordinat dominus noster papa, quod in posterum monasteria aut magni prioratus conventuales habere consueti his temporibus ultra decem religiosos in conventu et officia claustralia, dignitates maiores post pontificalem in cathedralibus sive ecclesie parrochiales nulli prelato eciam cardinali dentur in commendam. Date autem et dati, quamquam commendatariis loco illorum de equivalenti providetur, post pacificam possessionem adeptam illos dimittant. Una eciam ecclesia metropolitana uni cardinali vel patriarche concedi poterit provisionem aliam sufficientem non habenti.13

VI. De symonia in foro consciencie providetur ut sequitur Ut autem, considerata malicia aliquorum temporum proxime preteritorum, quibus labes symoniaca tam in ordinibus quam in beneficiis ecclesiasticis tunc conferendis et percipiendis ac religionibus ingrediendis fuit heu nimium frequentata, lesis in hoc conscienciis ad puriorem administracionem et percepcionem ecclesiasticorum sacramentorum salubriter consulatur, omnibus et singulis patriarchis, archiepiscopis, episcopis, abbatibus, abbatissis ceterisque prelatis necnon clericis ac personis ecclesiasticis, religiosis ac secularibus utriusque sexus, ut quelibet earum infra tres menses post publicacionem aut insinuacionem presencium sibi aut in diocesi, ubi domicilium habuerit, factam aliquem in sacra pagina vel in iure canonico doctorem aut licenciatum vel baccalareum formatum, ubi talis commode poterit reperiri, vel ubi talis non reperiretur, lectorem seu alias intelligentem sacerdotem, discretum ac bona fama curatum vel non curatum eligere valeat confessorem,

13–13

Wie Reformakte, Hübler S. 143.

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rie oder zur Behandlung in ihrem Auftrag außerhalb angenommen werden – es sei denn mit Zustimmung der Parteien. Was jedoch vor das kirchliche Gericht gehört und zu Recht durch Berufung oder sonstwie an die Römische Kurie übergegangen und seiner Natur nach dort zu behandeln ist, soll dort behandelt werden. Alle übrigen Prozesse sollen am Orte im Auftrag geführt werden. Ausgenommen bleibt, was entsprechend der Art der Sache und der Personen – die aber in der Verfügung ausdrücklich genannt werden müssen – an der Kurie verhandelt werden muß, wenn Gerechtigkeit verwirklicht werden soll, bzw. was gemäß dem Wunsch beider Parteien hier verhandelt werden soll.12 5. Kommenden 13

Unser Herr Papst ordnet an: In Zukunft dürfen die Klöster und großen Konventualpriorate, die derzeit mehr als zehn Ordensleute und die Klosterämter haben, sowie die höheren Würden unterhalb des Bischofs an Kathedralen sowie Pfarrkirchen keinem Prälaten, auch keinem Kardinal, als Kommende gegeben werden. Über bereits verliehene [Kommenden] soll bei Entschädigung für die Kommendatare neu verfügt werden; nach friedlich erlangter Inbesitznahme sollen sie sie aufgeben. Je eine Metropolitankirche darf einem Kardinal oder Patriarchen gewährt werden, der anderweitig keine ausreichende Versorgung hat.13

6. Regelung über die Simonie bei der Beichte In Anbetracht der Bosheit einiger jüngst vergangener Zeiten, in denen die Befleckung der Simonie bei der Ordination und bei der Einweisung in kirchliche Pfründen anläßlich der Vergabe und Übertragung sowie beim Eintritt in einen Orden leider überaus häufig geworden ist, muß zur reineren Rechtsausübung und zum reineren Empfang der Sakramente heilsame Vorsorge getroffen werden; darum erteilen Wir gnädig allen Personen samt und sonders – den Patriarchen, Erzbischöfen, Bischöfen, Äbten, Äbtissinnen, sonstigen Prälaten, allen Klerikern, Kirchenmännern, Ordensleuten und Laien beiderlei Geschlechts – durch den Wortlaut des Gegenwärtigen folgenden Nachlaß: Jeder von ihnen kann innerhalb von sechs Monaten nach ihm persönlich (oder in der Diözese seines Wohnortes) erfolgter Veröffentlichung oder Bekanntmachung des Gegenwärtigen einen Doktor der Heiligen Schrift oder des kanonischen Rechts oder einen Lizenziaten oder geprüften Bakkalar – je nachdem wen er passend finden kann – oder (falls sich keiner findet) einen Lektor [einer Ordensschule] oder einen sonstwie gebildeten Priester, einen umsichtigen Seelsorger von gutem Ruf oder auch Nicht-Seelsorger als

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qui infra predictum tempus, quantocius commode fieri poterit, eius confessione audita, ipsam personam confitentem a suis peccatis et a quibuscumque excommunicacionum, suspensionum et interdicti aliisque sentenciis, censuris ac penis, quas forsan propter symoniam in ordine vel beneficio ecclesiastico, religionis ingressu aut alias qualitercumque, active vel passive commissam usque ad tempus publicacionis predicte dignoscitur incurrisse, in foro consciencie dumtaxat absolvere; necnon secum super irregularitate pro eo, quod huiusmodi sentenciis aut earum aliqua ligata forsan missas vel alia divina officia celebrasse aut se illis immiscuisse censebitur, usque ad tempus predictum contracta ipsaque propter premissa aut eorum aliquod a suorum ordinis vel officii execucione suspensa, quod in illis nichilominus ministrare, illa exercere beneficia adepta vel statum, in quo est, retinere et ad ulteriora promoveri possit, in dicto foro valeat dispensare, ac eidem beneficia, que obtinet, ob hoc forsitan vacancia vel vacatura, si et postquam dimiserit, reconferre omnemque inhabilitatis, irregularitatis necnon infamie maculam sive notam atque aliam labem per eam occasione predicta usque ad tempus predictum contractam in eodem foro totaliter abolere; fructus quoque beneficiorum ecclesiasticorum, quos forsitan indebite percepit et quos percipere potuisset et quidquid occasione predicta fuerit refundendum, dummodo persona ipsa ad refusionem faciendam deducto, ne egeat in statu, in quo tunc fuerit, aut alias absque nota vel scandalo sufficiens non fuerit, in dicto foro dimittere ac eam de hiis quitare et liberare valeat, tenore presencium misericorditer indulgemus. Constitucionibus apostolicis et aliis in contrarium facientibus non obstantibus quibuscumque.

VII. De non vitandis excommunicatis, antequam per iudicem fuerint declarati et denunciati Insuper ad vitanda scandala et multa pericula subveniendumque conscienciis timoratis omnibus Christi fidelibus tenore presencium misericorditer indulgemus, quod nemo deinceps a communione alicuius in sacramentorum administracione vel recepcione aut aliis quibuscumque divinis vel extra,14 pretextu cuiuscumque sentencie aut censure ecclesiastice a iure vel ab homine generaliter promulgate teneatur abstinere vel aliquam vitare aut interdictum ecclesiasticum observare, nisi sentencia vel censura huiusmodi fuerit in vel contra personam, collegium, universitatem, ecclesiam, communitatem aut lo-

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Bei Entziehung des äußeren bürgerlichen Verkehrs.

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Beichtvater wählen; dieser soll innerhalb der genannten Frist, so schnell es geht, seine Beichte hören; wenn die Person bekennt, darf er sie von ihren Sünden sowie von jeder Form von Exkommunikation, Suspendierung, Interdikt, sonstigen Schuldsprüchen, Urteilen, Strafen und Bußen, denen sie etwa wegen aktiver oder passiver Simonie bei Weihe, Pfründenerlangung, Ordenseintritt oder sonst irgendwie bis zum Zeitpunkt besagter Veröffentlichung offensichtlich verfallen ist, im Beichtstuhl lossprechen; er darf auch wegen der Irregularität Dispens erteilen, sofern die Person sich ein solches Urteil zugezogen hat, vielleicht Messen oder andere Gottesdienste abgehalten oder sich, wie man meint, bis zur genannten Zeit an ihnen beteiligt hat; gleiches gilt, wenn diese [Person] wegen des Vorgenannten von der Ausübung ihres Weiheamtes oder ihres Amtes suspendiert ist, daß sie keinen Gottesdienst abhalten darf, die erlangten Pfründen nicht nutzen und ihren bestehenden Stand nicht behalten oder nicht weiter befördert werden kann; er kann [der Person] bei diesem Verfahren die Pfründen, die sie innehat und die nun deswegen vakant sind oder es werden, falls und nachdem sie sie aufläßt, wieder verleihen und allen Makel von Unfähigkeit, Irregularität und Ehrlosigkeit tilgen, auch jede Schuld und sonstige Flecken, die deswegen bis dahin auf ihr lasteten, im Beichtstuhl gänzlich von ihr fortnehmen; die Erträge aus kirchlichen Pfründen, die die [Person] vielleicht ungerechtfertigt erlangt hat oder hätte erlangen können, und alles, was bei dieser Gelegenheit zurückzuerstatten wäre, sofern diese Person unter Abzug des Betrages, ohne den sie in ihrem jeweiligen Stand Mangel leiden würde, oder ohne Aufsehen oder Ärgernis überhaupt zu einer Erstattung nicht fähig ist, darf er ihr im Beichtstuhl erlassen und sie [von jeder Schuld] lossprechen. Sämtliche päpstlichen und sonstigen Anweisungen, die im Widerspruch dazu stehen, sind hiermit außer Kraft.

7. Keine Pflicht, Exkommunizierte zu meiden, bevor sie vom Richter verkündet und bekanntgemacht sind Zur Vermeidung von Ärgernis und vielen Gefahren und zur Hilfe für verängstigte Gewissen gewähren Wir allen Christgläubigen durch den Wortlaut des Gegenwärtigen gnädig: Niemand soll künftig bei der Verwaltung oder dem Empfang der Sakramente oder bei irgendwelchen gottesdienstlichen Handlungen oder außerhalb 14 unter den Vorwand einer kirchlichen Strafsentenz oder Zensur, die von Rechts wegen gültig wurde oder von einem Menschen allgemein verfügt wurde, gehalten sein, sich des Verkehrs mit einem zu enthalten, ihn zu meiden oder ein kirchliches Interdikt zu beachten, außer es wäre eine solche Strafsentenz oder Zensur eigens und ausdrücklich gegen eine bestimmte Person, ein Kollegium, eine Gesamtheit, eine Kirche,

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XVI Capitula concordata

cum certum vel certa a iudice publicata vel denunciata specialiter et expresse.15 Constitucionibus apostolicis et aliis in contrarium facientibus non obstantibus quibuscumque. Salvo, si quem pro sacrilega manuum inieccione in clericum sentenciam latam a canone adeo notorie constiterit incidisse, quod factum non possit aliqua tergiversacione celari nec aliquo iuris suffragio excusari. Nam a communione illius, licet denunciatus non fuerit, volumus abstineri iuxta canonicas sancciones.16

VIII. De dispensacionibus 17

Ordinat dominus noster, quod ad ecclesias cathedrales, monasteria, prioratus aut parrochiales ecclesias super defectu etatis ultra triennium nullatenus dispensabit, nisi forte in ecclesiis cathedralibus ex ardua et evidenti causa de consilio cardinalium seu maioris partis illorum videretur aliter dispensandum. Item, dominus noster in gravibus et arduis causis sine consilio cardinalium non intendit dispensare.17

IX. De provisione pape et cardinalium 18

Romano pontifici et sancte Romane ecclesie cardinalibus pro illorum sustentacione rebus Romane ecclesie stantibus, ut sunt, non videtur aliter posse provideri, quam hucusque factum est, scilicet per beneficia et communia servicia, que vacancie nuncupantur. Verum circa beneficiorum qualitatem taliter duximus providendum, quod nulli cardinali monasterium, prioratus conventualis ultra numerum decem religiosorum secundum moderna tempora habere consueti, nulla maior dignitas post pontificalem in cathedralibus aut parrochiali ecclesia, eciam nullum officium claustrale, nullum xenodochium, hospitale, elemosynaria seu leprosaria in titulum vel administracionem conferantur. Et si que talia nunc obtinent, quam primum papa loco illorum de alio equivalenti providebit, illa dimittere teneantur, sicut superius de commendis 19 est dictum, proviso, quod nullus cardinalis de proventibus ecclesiasticis non habeat ultra valorem sex millium florenorum.18. 20

15

Mündlich beim Gottesdienst, schriftlich an der Kirchentür. C. 11 q. 3; C. 17 c. 18, 19, 24. 17–17 Wie Reformakte, Hübler S. 148. 18–18 Wie Reformakte, Hübler S. 151. 19 Kap.V., oben S. 524. 20 Siehe oben Nr. 1 S. 99 Anm. 78. 16

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eine Gemeinde oder einen Ort von einem Richter veröffentlicht oder bekanntgemacht 15 worden. Sämtliche Apostolischen und sonstigen Verordnungen, die Gegensätzliches enthalten, sind hiermit außer Geltung. Unberührt bleibt, wenn von jemandem feststeht, daß er für einen Gottlosen gegen einen Kleriker die Hand erhoben hat und er so offensichtlich dem Verdikt des kanonischen Rechts verfallen ist, daß er diese Tat durch keinerlei Verdrehung verheimlichen noch durch irgendeine Rechtsverdrehung entschuldigen kann. Denn vom Verkehr mit diesem – mag er auch [noch] nicht bekanntgmacht worden sein –, soll man sich nach Unserem Willen entsprechend den kanonischen Bestimmungen 16 enthalten.

8. Dispense 17

Unser Herr [Papst] ordnet an, daß er bei Kathedralkirchen, Klöstern, Prioraten oder Pfarrkirchen hinsichtlich des angemessenen Lebensalters über die Dreijahresfrist hinaus keinesfalls Dispense erteilen wird; ausgenommen er müßte bei Kathedralkirchen in einem schwierigen Fall aus evidenter Ursache mit Zustimmung der Kardinäle oder ihrer Mehrheit anders entscheiden. Unser Herr Papst beabsichtigt nicht, in schweren und schwierigen Fällen ohne Rat der Kardinäle Dispens zu erteilen.17

9. Versorgung des Papstes und der Kardinäle 18

Für den Unterhalt des Römischen Bischofs und der Kardinäle der heiligen Römischen Kirche kann anscheinend beim gegenwärtigen Stand der Vermögensverhältnisse der Römischen Kirche nicht anders Vorsorge getroffen werden, als es bisher geschehen ist, also durch Pfründen und gemeinsame Servitien, die man Vakanzengelder nennt. Doch hinsichtlich der Qualität der Pfründen glaubten Wir folgendes vorsehen zu müssen: Keinem Kardinal darf ein Kloster, ein Konventualpriorat, das heute mehr als 10 Ordensleute hat, bei Kathedralkirchen keine höhere Würde nächst der bischöflichen, bei einer Pfarrkirche [keine höhere Würde], auch kein Klosteramt, kein Fremdenheim, Spital, Almosenstift oder Siechenheim als Titel oder zur Verwaltung übertragen werden. Wenn sie derzeit derartiges innehaben, sind sie gehalten, sobald der Papst sie an deren Statt mit einem entsprechenden Ausgleich versorgt, all das aufzugeben – so wie es weiter oben bei den Kommenden 19 gesagt wurde, vorausgesetzt, daß ein Kardinal an kirchlichen Einkünften nicht mehr als 6 000 Gulden 20 Wert hat.18

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XVI Capitula concordata

X. De indulgenciis 21 Cavebit dominus noster papa in futurum nimiam indulgenciarum effusionem, ne vilescant. Et in preteritum concessas ab obitu Gregorii XI. ad instar alterius indulgencie revocat et annullat.21

XI. De horum concordatorum pape Martini V. et nacionis Germanice valore Item, sanctissimus dominus noster papa et inclita nacio Germanorum consenserunt et protestati sunt, quod omnia et singula supradicta durare et tollerari debeant usque ad quinquennium dumtaxat a data presencium numerandum. Constitucionibus apostolicis, regulis cancellarie factis et fiendis et aliis in contrarium facientibus non obstantibus quibuscumque. Quodque per observanciam illorum nullum ius novum Romano pontifici, Romane aut alicui alteri ecclesie vel persone acquiratur seu preiudicium generetur. Sed lapso dicto quinquennio, quelibet ecclesia et persona predicta liberam facultatem habeat utendi quolibet iure suo, non obstantibus supradictis. 22 Et quod capitula predicta et quodlibet eorum dentur cuilibet ea habere volenti communiter seu divisim, in authentica forma sub sigillo domini vicecancellarii cum subscripcione notarii; sic quod fidem faciant exhibita ubicumque. Pro toto autem non solvatur ultra duodecim grossos Turonenses.22. 23

Inter sanctissimum in Christo patrem et dominum nostrum, dominum Martinum . . . papam V., et reverendos patres . . . venerabilem nacionem Gallicanam in generali concilio Constanciensi representantes . . . nonnulla capitula concordata I. De numero et qualitate cardinalium Statuimus . . . . . . nisi dominus noster pro utilitate ecclesie et de consilio maioris partis cardinalium aliter usque ad duos pro semel dumtaxat duxerit providendum. Die Lune XXI.marcii anno domini MCCCCXVIII. in sessione generali 24 sacri concilii lecta et publicata, per organum domini cardinalis sancti Marci,25 in ambone. 21–21

Wie Reformakte, Hübler S. 155. Ausfertigungsverfügung vom 15. April 1418. Oder Groschen = 10 Pfennige à 0,3824 g Feinsilber . In der 43. Sitzung. Guillaume Fillastre, Kard.P. von S. Marco in Rom.

22–22 23 24 25

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10. Ablässe 21 Unser Herr Papst wird sich in Zukunft vor einer zu großen Flut von Ablässen hüten, damit sie nicht wertlos werden. Die in der Vergangenheit seit dem Tode Gregors XI. gewährten Ablässe nach Vorbild eines anderen Ablasses widerruft er und erklärt sie für null und nichtig.21

11. Gültigkeit dieser Abmachungen zwischen Papst Martin V. und der deutschen Konzilsnation Der Heilige Vater,unser Herr Papst, und die erlauchte deutsche Nation haben vereinbart und bezeugt, daß alles Obengenannte samt und sonders für fünf Jahre Geltung und Bestand haben soll, von dem Datum des gegenwärtigen [Konkordats] an gerechnet. Alle gegensätzlichen Apostolischen Verfügungen, jetzigen und künftigen Kanzleiregeln und sonstigen Regelungen sind hiermit außer Geltung. Durch Beachtung dieser Bestimmungen soll weder dem Bischof von Rom noch einer anderen Kirche oder Person irgendein neues Recht zuteil werden oder ein Nachteil erwachsen. Nach Ablauf dieser fünf Jahre soll jede Kirche und Person die freie Möglichkeit haben, jedes eigene Recht wahrzunehmen, wobei dann das oben Verfügte nicht gelten soll. 22 Obige Kapitel, auch einzeln, sollen jedem, der sie haben möchte, zusammen oder einzeln in amtlicher Form mit dem Siegel des Herrn Vizekanzlers und der Unterschrift eines Notars gegeben werden; so sollen sie beim Vorzeigen überall Vertrauen genießen. Für das Ganze sollen nicht mehr als 12 Turnosen 23 bezahlt werden.22 D 16 b Französisches Konkordat

b) Einige Vereinbarungen zwischen dem Heiligen Vater in Christus, unserem Herrn, Herrn Papst Martin V., und den hochwürdigen Vätern, . . . die auf dem Allgemeinen Konstanzer Konzil die französische Nation verkörpern 1. Anzahl und Art der Kardinäle (wie bei deutscher Nation, oben Nr. 16a bei Anm.2–2. Zusätzlich:)

es sei denn, unser Herr glaubt zum Nutzen der Kirche und mit dem Rat der Mehrheit der Kardinäle anders, jedoch nur bei zweien auf einmal, entscheiden zu sollen. Am Montag, dem 21. März im Jahre des Herrn 1418, auf der Vollversammlung 24 des heiligen Konzils vorgelesen und veröffentlicht durch den Mund des Herrn Kardinals von S. Marco 25, vom Ambo.

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XVI Capitula concordata

II. De provisione ecclesiarum, monasteriorum et reservacionibus sedis apostolice ac collacionibus beneficiorum et graciis expectativis; necnon de confirmacione eleccionum Sanctissimus . . . etc. In ceteris vero ecclesiis et abbaciis fient elecciones canonice. De abbaciis autem sedi apostolice non immediate subiectis, quarum fructus secundum taxacionem decime CC librarum Turonensium parvorum,26 in Italia vero et Hispania LX librarum Turonensium parvorum 27 valorem annuum non excedunt, fiant confirmaciones aut provisiones canonice per illos, ad quos alias pertinet; nec communia nec minuta pro eis solventur servicia. De abbaciis vero excedentibus summas predictas necnon cathedralibus ecclesiis elecciones ad sedem apostolicam deferentur. Quas ad tempus . . . tenentur. De ceteris autem beneficiis, salvis reservacionibus iam dictis, maioribus dignitatibus post pontificales in cathedralibus, et principalibus in collegiatis et prioratibus, decanatibus seu preposituris conventualibus habentibus numerum decem religiosorum iure ordinario provideatur per prelatos et alios provisores inferiores, ad quos alias pertinet, nec computentur in turno seu vice eorum. De aliis quibuscumque dignitatibus, officiis et beneficiis medietas sit in disposicione pape, alia medietas in disposicione collatorum, patronorum et constituencium ordinariorum seu provisorum. Et alternatis vicibus unum cedat apostolico et aliud collatori, patrono aut provisori. Ita quod per quamcumque aliam reservacionem seu affectacionem aut prerogativas ultra predictas vel alias disposiciones apostolicas seu gracias expectativas non fiat collatori, patrono vel provisori preiudicium in dicta medietate. Ubi autem in hiis, que cadunt sub expectativis, non appareret aliquis expectans, infra mensem legitime acceptans et provisus intra tres menses collatorem seu eius g vicarium certificans a die note vacacionis in loco beneficii, is, ad quem pertinet, conferat seu disponat disposicioque medio facta tempore valeat, nec ei computetur in sua vice. Item, beneficia vacancia per resignacionem simplicem non cadent sub expectativis. Et ista et illa, que ex causa permutacionis conferentur, neutri parti computentur. Quia circa qualitates graduatorum nobiliumque et litteratorum ad effectum promocionis eorum ad dignitates, honores et beneficia ecclesiastica, quorum suffragiis indigere noscitur ecclesia, nondum haberi potuit pleg 26 27

fehlt Ed. 10 Pfennig aus Tours (à 0,3824 g Feinsilber) = 1 Groschen. Fehlt in vielen Hss.

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2. Kirchen- und Klosterprovision, Reservationen des Apostolischen Stuhles, Pfründenvergabe, Expektanzen; Wahlbestätigungen (wie bei deutscher Nation, oben Nr. 16a Kap.2, jedoch nur bis Nr. 127 § 2; sodann:)

In den übrigen Kirchen und Abteien sollen kanonische Wahlen stattfinden. Bei den Abteien aber, die dem Apostolischen Stuhl nicht unmittelbar unterstehen und deren jährliche Erträge entsprechend der Zehntschätzung 200 kleine Turnosen,26 (in Italien und Spanien aber 60 kleine Turnosen)27 im Wert nicht übersteigen, sollen die kanonischen Bestätigungen oder Provisionen durch die sonst dafür zuständigen Leute erfolgen; dafür sollen gemeinsame oder mindere Servitien nicht gezahlt werden. Bei den Abteien, die diese Summen übersteigen, sowie bei den Kathedralkirchen sollen die Wahlen dem Apostolischen Stuhl gemeldet werden. (weiter wie Nr. 127(2), sodann statt Nr. 127(2b):)

Bei den übrigen Pfründen – unbeschadet der schon genannten Reservationen –, den höheren Würden nächst den Bischöfen an Kathedralkirchen, den Hauptpfründen an Kollegiatstiften, Dekanaten und Konventprioraten mit zehn Ordensleuten soll nach dem ordentlichen Recht durch die Prälaten und anderen niederen Provisoren, denen es sonst zusteht, verfügt werden, und sie sollen nicht auf deren Turnus oder Wechsel angerechnet werden. Bei allen sonstigen Würden, Ämtern und Pfründen soll die eine Hälfte der Verfügung des Papstes unterliegen die andere Hälfte der Verfügung der Verleiher, Patrone, einsetzenden Ordinarien oder Provisoren. Abwechselnd geht eines an den Papst, das andere an den Verleiher, Patron oder verfügungsberechtigten Provisor. Bei jeder anderen Reservation, besonderen Bemühung oder Bevorrechtigung über das Vorgenannte hinaus, bei anderen päpstlichen Entscheidungen oder Expektanzen soll dem Verleiher, Patron oder verfügungsberechtigten Provisor kein Nachteil bei dieser Halbierung erwachsen. Falls bei dem, was unter Expektanzen fällt, kein Expektant erscheint und innerhalb eines Monats die Pfründe rechtmäßig in Empfang nimmt, doch ein Providierter seinem Verleiher oder dessen Vertreter innerhalb von drei Monaten vom Tage des Bekanntwerdens der Vakanz am Pfründenort eine Bestätigung gibt, darf der Zuständige eine Verleihung oder Vergabe vornehmen; die in der Zwischenzeit getroffene Verfügung soll Rechtskraft besitzen und ihm nicht angerechnet werden. Pfründen, die durch einfachen Verzicht frei werden, sollen nicht unter die Expektanzen fallen. All das, was aufgrund von Tausch vergeben wird, wird keinem Teil angerechnet. Hinsichtlich der Qualifikation von Graduierten, Adligen und Gebildeten angesichts ihrer Ernennung zu Würden, Ehren und kirchlichen Pfründen – die Kirche bedarf bekanntlich ihrer Hilfe –, konnte noch keine volle Einigung erzielt werden; daher wird unser Herr zusammen

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XVI Capitula concordata

naria concordia, dominus noster cum deputandis ad hoc per naciones singulas, quantum fieri commode poterit, providebit.28

III. De annatis Sanctissimus dominus noster, pensatis guerrarum cladibus atque variis dispendiis, quibus, proch dolor, regnum Francie hiis temporibus concutitur, pio ei compaciens affectu, non vult nec intendit levari seu percipi ultra medietatem fructuum primi anni seu communium et minutorum serviciorum, ecclesiarum seu abbaciarum, que in ipso regno et provincia Delphinatus in posterum vacabunt, usque ad quinquennium. Quam medietatem vult levari atque exsolvi pro media parte infra octo menses, a die habite possessionis pacifice computandos; pro alia vero medietate infra alios octo menses subsequentes. Et idem vult et intendit observari circa iam promotos et assumptos a tempore assumpcionis eiusdem. Nec debitum eiusmodi in successorem in ecclesia vel monasterio transeat. Si vero ecclesia vel bis in anno vacaverit vel pluries, vult et ordinat, quod non solvatur nisi semel commune servicium, sed nec eciam minuta. De ceteris autem dignitatibus, personatibus et beneficiis secularibus et regularibus quibuscumque, que auctoritate sedis apostolice conferentur; preterquam vigore graciarum expectativarum aut causa permutacionis persolvatur taxa fructuum secundum moderacionem extravagantis Suscepti regiminis29 domini Ioannis pape XXII. pro medietate infra sex menses, a die possessionis pacifice computandos, et pro medietate alia infra alios sex menses subsequentes. Et debitum huiusmodi ad successorem in beneficio non transeat. Nec aliquid solvatur de beneficio, quod valorem XXIIII florenorum non excedit. De monasteriis autem monialium nichil penitus solvatur. Que omnia in presenti capitulo contenta locum habeant pro tota nacione Gallicana; excepta dumtaxat remissione communium et minutorum serviciorum. Debita temporis preteriti remittuntur pro medietate, solventibus aliam medietatem infra sex menses. Que debita solvantur collectoribus in Galliis; qui tamen non habeant aliquam coercionem nisi in Galliis, ubi dominus noster disponet. Item non intendit dominus noster nec vult, quod gracie expectative se extendant ullo modo ad officia claustralia, quorum fructus quatuor librarum Turonensium parvorum, oneribus supportatis, valorem annuum non excedunt nec eciam ad hospitalia, xenodochia, elemosinaria vel leprosaria. Nec computentur in turno seu vice collatorum seu provisorum.

28 29

Kein Beleg für solche Kommissionen. Extrav. Jo. 1.2.

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mit dazu von den einzelnen Nationen zu Ernennenden, soweit es mit Anstand möglich ist, entscheiden.28

3. Annaten In Anbetracht der Kriegsschäden und mannigfachen Verluste, durch die – o Schmerz! – das Königreich Frankreich in diesen Zeiten erschüttert wird, und voll Mitleid und tiefer Zuneigung will und wünscht unser Heiliger Vater nicht mehr als die Hälfte der Erträge des ersten Jahres sowie der gemeinsamen und minderen Servitien der Kirchen und Abteien, die im Königreich selbst und in der Dauphiné in den kommenden fünf Jahren freiwerden, zu erhalten. Er wünscht, daß die eine Hälfte von dieser Hälfte innerhalb von acht Monaten vom Tage der unangefochtenen Inbesitznahme an gerechnet erhoben und gezahlt wird, die andere Hälfte in den folgenden acht Monaten. Er will und wünscht auch, daß dies bei den schon seit der Zeit seiner Amtsübernahme Bestallten und Eingewiesenen befolgt wird. Eine derartige Schuld soll nicht auf den Nachfolger in der Kirche oder dem Kloster übergehen. Wenn aber die Kirche zweimal oder öfter in einem Jahr vakant wird, will und bestimmt [der Papst], daß die gemeinsamen sowie die minderen Servitien nur einmal gezahlt werden. Bei den übrigen Würden, Personaten und Pfründen für Welt- und Regularkleriker, die durch Verfügung des Apostolischen Stuhles übertragen werden, soll – unabhängig von Expektanzen oder Tauschfällen – die festgesetzte Höhe der Erträge gemäß dem Ansatz der Extravagante Suscepti regiminis29 des Herrn Papstes Johannes’ XXII. zur Hälfte innerhalb von sechs Monaten nach unangefochtener Inbesitznahme gerechnet und zur weiteren Hälfte in den folgenden sechs Monaten entrichtet werden. Eine solche Schuld soll nicht auf den Nachfolger in der Pfründe übergehen. Von einer Pfründe, die unter 24 Gulden Wert bleibt, soll nichts entrichtet werden. Von Nonnenklöstern soll überhaupt nichts gezahlt werden. Alles in diesem Kapitel Aufgeführte gilt für die ganze französische Nation; abgesehen vom Nachlaß der gemeinsamen und minderen Servitien. Für die vergangene Zeit wird die andere Hälfte den die Hälfte Zahlenden auf sechs Monate gestundet. Die Schuld soll in Frankreich an Kollektoren gezahlt werden, die jedoch keine Verfügungsgewalt haben, abgesehen von den französischen Gebieten, wo unser Herr regiert. Unser Herr will und wünscht nicht, daß die Expektanzen ausgedehnt werden auf Klosterämter, deren steuerpflichtige Erträge vier Turnosen jährlichen Wert nicht überschreiten, auch nicht auf Spitäler, Herbergen, Armenhäuser und Siechenheime. Sie sollen auch nicht auf die abwechselnde Regelung mit den Verleihern und Verfügungsberechtigten angerechnet werden.

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IIII. De causis in Romana curia tractandis vel non Cause . . . tractentur. Matrimoniales tamen cause in prima instancia, preterquam per appellacionem, non committantur in curia nisi in casibus proxime dictis. Item, ad refrenandum frustratorias appellaciones, que ante diffinitivas sentencias interponuntur, ordinamus, quod iniuste seu frivole appellans ab interlocutoria, ultra condempnacionem expensarum, dampnorum et interesse in quindecim florenos,31 si appellacio interponatur in curia, et in viginti florenos, si de partibus ad curiam, parti appellanti condempnetur; et quod super eadem interlocutoria vel gravamine secundo appellare non liceat, nisi haberent vim diffinitive.30 30

V. De commendis Ordinat . . . commendam. Nisi propter urgentem necessitatem, ad succurrendum capiti, scilicet ecclesie vel monasterii superiori, de membris papa aliud censeret faciendum. Idem de hospitalibus, xenodochiis et leprosariis. Idem de beneficiis non ascendentibus valorem quinquaginta florenorum, oneribus supportatis. Una autem ecclesia eciam metropolitana, uni cardinali vel patriarche concedi poterit, provisionem aliam non habenti sufficientem. Ubi vero aliqui prelati essent expulsi sine culpa sua a prelaturis suis vel adeo diminuti,33 quod non possent commode vivere, tunc papa eis racionabiliter provideat.

VI. De indulgenciis Circa articulum indulgenciarum, habita deliberacione matura, nichil intendimus circa eas immutare seu ordinare.

30–30 31 32

Wie Reformakte, Hübler S. 139. Siehe oben Nr. 1 S. 99 Anm. 78. Nur statt 10 hier 8 Mönche.

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4. Prozesse (wie im dt. Konkordat, oben Nr. 16 a Kap. 4 bei Anm. 10–10, also ab Satz 2, doch ohne den Zusatz über Kreuzfahrer; sodann:) 30

Ehesachen dürfen nicht in erster Instanz, sondern nur durch Berufung an die Kurie und nur in den im folgenden genannten Fällen zur Verhandlung gelangen. Um offensichtlich unbegründete Berufungen zu unterbinden, die vor Erlaß eines bestimmten Urteils eingelegt werden, ordnen Wir an, daß jeder, der ungerechtfertigt oder dreist von einem Zwischenurteil aus Einspruch erhebt, abgesehen von der Verurteilung zu den Kosten, Schäden und Zinsen, auch zu 15 Gulden 31 verurteilt wird, wenn die Berufung während eines Verfahrens an der Kurie eingelegt wird, und zu 20 Gulden für die appellierende Partei, wenn aus den Ländern an die Kurie Berufung eingelegt wird, und gegen dasselbe Zwischenurteil oder die gleiche Beschwernis darf nicht ein zweites Mal Beschwerde eingelegt werden, außer da, wo sie die Kraft endgültiger Urteile haben.30 5. Kommenden (wie im dt. Konkordat oben Nr. 16 a Kap. 5 Satz 132, sodann:)

Ausnahme: Der Papst glaubt, es müsse wegen einer dringenden Notlage, um dem Haupt zu helfen (d. h. der höheren Kirche oder dem höheren Kloster) mit den Gliedern etwas anderes unternommen werden. Gleiches gilt für die Hospitäler, Fremdenheime und Siechenhäuser. Ferner für Pfründen, deren Ertrag nach Abzug der Kosten nicht über 50 Gulden hinausgeht. Jeweils eine Kirche, auch eine erzbischöfliche, darf einem Kardinal oder Patriarchen gewährt werden, der keine andere ausreichende Versorgung hat. Falls Prälaten ohne ihre Schuld von ihrer Prälatur vertrieben oder deren Einkünfte so geschmälert wurden 33, daß sie nicht mehr angemessen leben können, darf sie der Papst in geeigneter Weise angemessen versorgen.

6. Ablässe Hinsichtlich des Ablaßwesens beabsichtigen wir nach reiflicher Überlegung nichts zu ändern oder zu verordnen.

33

Wegen des Vordringens der Osmanen nach Westen und des Verlustes des Heiligen Landes.

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XVI Capitula concordata

VII. De dispensacionibus Ordinat . . . dispensare. [VIII.] Item sanctissimus dominus noster et venerabilis nacio Gallicana voluerunt et protestati sunt, quod per ordinacionem et observanciam omnium et singulorum premissorum nullum ius novum alicui eorum queratur aut preiudicium aliquod eis vel alteri ipsorum generetur, ut auctoritate apostolica et suprema potestate semper salvis et illibatis remanentibus, ipsa venerabilis nacio sub apostolica proteccione et paterno regimine sanctissimi domini nostri, immunitatibus atque privilegiis suis salvis tranquillam agens vitam, liberius deo possit famulari semper parata ad devota obsequia sanctissimi domini nostri. Et quod tollerentur usque ad quinquennium proximum dumtaxat. Et cuilibet volenti habere capitula predicta vel aliquod eorum, in forma auctentica et sub sigillo domini vicecancellarii, dentur taliter, quod fidem facere possint in quocumque iudicio et extra. hConcordata

et concessa per sanctissimum dominum nostrum, dominum Martinum papam V., pro reformacione ecclesie Anglicane etc. ac terrarum et dominiorum Hybernie et Wallie h I. De numero et nacione cardinalium

In primis quod numerus cardinalium sancte Romane ecclesie adeo sit moderatus, quod non sit gravis ecclesie nec nimia numerositate vilescat. Qui indifferenter de omnibus regnis et provinciis tocius christianitatis et cum consensu et assensu collegii dominorum cardinalium vel maioris partis eorum eligantur et assumantur. II. De indulgenciis Item, quod cum occasione diversarum indulgenciarum ac litterarum facultatum a sede apostolica concessarum ad absolvendum quoscumque visitantes sive offerentes in certis locis 34 et questurarum quamplurimarum, que in Anglia plus solito nunc habundant, nonnulli peccandi audaciam frequenter ash–h 34

fehlt Ed. Pilgerreisen.

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7. Dispense (wie im dt. Konkordat oben Nr. 16 a Kap. 8)

[8. Schluß] Unser Heiliger Vater und die hochwürdige französische Nation wollten und bezeugten, daß durch die Regelung und Beachtung des Vorgenannten samt und sonders kein neues Recht für jemanden geschaffen wird und keinem ein Nachteil erwachsen soll, so daß, während die Apostolische Autorität und höchste Gewalt stets unangetastet und unberührt bleibt, diese hochwürdige Nation unter dem Apostolischen Schutz und der väterlichen Leitung unseres Heiligen Vaters unbeschädigt in ihren Freiheiten und Privilegien ein friedliches Leben führen und Gott um so herzlicher dienen kann, bereit zu hingebungsvollem Gehorsam gegenüber unserem Heiligen Vater. Dies gilt alles nur für einen Zeitraum von fünf Jahren. Jedem, der diese Kapitel oder eines davon in authentischer Form haben möchte, sollen sie so mit dem Siegel des Herrn Vizekanzlers gegeben werden, so daß sie Vertrauen finden können vor jedem Gericht und sonst. D 16 c Englisches Konkordat

c) Vereinbarungen und Gewährungen des Heiligen Vaters, unseres Herrn, Herrn Papstes Martin V., zur Reform der Kirche von England usw. und der Länder und Herrschaften Irland und Wales 1. Zahl und Nation der Kardinäle Besonders soll die Zahl der Kardinäle der heiligen Römischen Kirche so bescheiden sein, daß sie für die Kirche keine Belastung ist und [der Stand] auch nicht infolge einer allzu großen Vielzahl wertlos wird. Sie sollen ohne Unterschied aus allen Königreichen und Gebieten der ganzen Christenheit mit Zustimmung und Einverständnis des Kollegiums der Herren Kardinäle – oder ihrer Mehrheit – gewählt und berufen werden.

2. Ablässe Bei Gelegenheit verschiedener Ablässe und schriftlicher Genehmigungen, wie sie vom Apostolischen Stuhl erteilt werden, um irgendwelche Leute, die einen Besuch an bestimmten Orten machen 34 und viel Geld anbieten, loszusprechen – in England gibt es sie jetzt in ungewöhnlicher Zahl: Viele Leute nehmen sich immer wieder die Frechheit zum Sündigen heraus und

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XVI Capitula concordata

sumant ac, contemptis suis propriis curatis et ecclesiis suis parrochialibus dimissis, ad ipsa loca spe indulgenciarum et concessionum accedunt, decimas oblaciones et debita dictarum ecclesiarum parrochialium subtrahunt seu solvere differunt minus iuste. Committantur diocesanis locorum ad inquirendum super qualitate earum cum potestate suspendendi omnino auctoritate apostolica i illas, quas invenerint scandalosas, et illas denunciandi pape, ut illas revocet.

III. De appropriacionibus, unionibus, incorporacionibus ecclesiarum et vicariatuum Item, de cetero nulle fiant appropriaciones ecclesiarum parrochialium motu proprio; sed committatur episcopis locorum ad inquirendum de veritate suggestionum. Et in eventum, quo per debitam et iuridicam nocionem constare poterit, quod cause appropriacionum vere sint et legitime, procedatur ad appropriacionem, prout fuerit iuris. Illarum autem, que sunt sortite effectum, nulla fiat revocacio, si ex revocacione sequi possit scandalum. Alias vero committatur ordinariis, quod inquirant etc. Et quas invenerint fieri merito non debuisse, vocatis tamen ad hoc vocandis, cassent etc. Item, omnes uniones, incorporaciones, appropriaciones et consolidaciones vicariarum perpetuarum in ecclesiis parrochialibus ex quibuscumque causis facte a tempore scismatis indistincte revocentur; et vicarii perpetui in iisdem per ordinarios locorum hac vice ordinentur et instituantur. Ac in singulis ecclesiis parrochialibus sit unus vicarius perpetuus, qui cure insistat animarum, bene et competenter dotatus, pro hospitalitate ibidem tenenda et omnibus debitis supportandis; litteris apostolicis et ordinariorum composicionibus, statutis et consuetudinibus ac aliis in contrarium factis non obstantibus quibuscumque.

IIII. De ornatu pontificali inferioribus prelatis non concedendo Item, omnia privilegia citra obitum felicis recordacionis Gregorii pape XI.35 concessa prelatis inferioribus de utendo pontificalibus, scilicet mitris, sandalis et huiusmodi ad dignitatem pontificalem pertinentibus, revocentur.

i

Apostolicas Ed.

35

† 26. 3. 1378.

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gehen, indem sie ihre zuständigen Seelsorger mißachten und ihre Pfarrkirchen verschmähen, in der Hoffnung auf Ablässe und Genehmigungen zu diesen Orten, entziehen dadurch Zehnten, Abgaben und schuldige Leistungen ihren Pfarrkirchen oder verzögern es ungerechtfertigt, sie zu zahlen. Daher soll es den Diözesanbischöfen aufgegeben werden, Untersuchungen anzustellen über diesen Sachverhalt, einschließlich der Befugnis zur vorläufigen Suspendierung in Vollmacht des Apostolischen Stuhles, soweit sie ärgerniserregende Ablässe vorfinden, und sie dem Papst melden, damit er sie widerruft.

3. Zueignungen, Vereinigungen und Zusammenlegungen von Pfarreien und Vikariaten Künftig soll es keine Zueignungen von Pfarrkirchen aufgrund eigener päpstlicher Verfügung geben, vielmehr soll den Ortsbischöfen die Untersuchung über die Richtigkeit der Antragsgründe übertragen werden. Im Falle daß man durch eine gebührende richterliche Untersuchung feststellen kann, daß die Gründe für die Zueignung zutreffen und rechtmäßig sind, soll diese Zueignung nach den rechtlichen Formen durchgeführt werden. Bei denen aber, die bereits vollzogen sind, soll es keinen Widerruf geben, wenn aus dem Widerruf ein Ärgernis folgen könnte. Ansonsten soll es den Ordinarien obliegen, die Untersuchung vorzunehmen. Wo sie erkennen, sie hätten rechtlich nicht durchgeführt werden dürfen, sollen sie sie – allerdings nach Vorladung der Betroffenen – für ungültig erklären. Alle Vereinigungen, Zusammenlegungen, Zueignungen und Bekräftigungen von ständigen Vikariaten in Pfarrkirchen, die aus irgendwelchen Gründen seit der Zeit des Schismas vorgenommen wurden, sind unterschiedslos zu widerrufen und die ständigen Vikare sind durch die Ortsordinarien dort von neuem zu berufen und einzusetzen. In den jeweiligen Pfarrkirchen – soweit sie eingezogen sind – soll es einen ständigen Vikar geben, der sich der Seelsorge widmet, gut und angemessen versorgt, um dort Gastfreundschaft zu halten, und mit allem Nötigen ausgestattet. Alle entgegenstehenden päpstlichen Urkunden, bischöflichen Kompromisse, Statuten und Gewohnheiten sowie sonstigen Bestimmungen sind hiermit außer Kraft.

4. Verbot bischöflicher Insignien für niedere Prälaten Alle Privilegien, die seit dem Tode von Papst Gregor XI.35 seligen Angedenkens niederen Prälaten über den Gebrauch von bischöflichen Insignien gewährt wurden – und zwar Mitra, weiße Schuhe und dergleichen, was zur

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Que vero ante obitum ipsius Gregorii concessa fuerint, in suo robore permaneant et effectu. V. De dispensacionibus Item, licet pluralitas beneficiorum canonibus exosa existat ac super ea dispensaciones, iure hoc dictante, fieri non debeant, nisi personis nobilibus et viris eximie litteratis, nunc tamen in curiis dominorum tam spiritualium quam temporalium tales dispensaciones irrepserunt. Premissa seu eis consimilia de cetero non fiant, sed in premissis servetur concilium generale.36 Ille tamen, que sunt sortite effectum, in suo robore permaneant, nisi forte alique fuerint et sint scandalose. De quibus fieri mandamus inquisicionem et commissionem locorum ordinariis. Et ordinarii certificent, et revocentur scandalose. Item, quia modernis temporibus plus solito cum diversis personis infra regnum et dominia predicta,37 beneficia curata obtinentibus, per sedem apostolicam contra iura communia 38 dispensatum existit, ut per tres, quatuor, quinque, sex et quandoque septem annos vel ultra aut in perpetuum beneficiati predicti ipsa beneficia possidere et occupare valeant, sic ut ad ordines debitos interim ordinari minime teneantur in grave scandalum ecclesie etc., omnes dispensaciones huiusmodi indistincte revocentur. Et beneficiati huiusmodi ordinacioni iuris communis in hac parte omnino subdantur, si tamen beneficiati predicti sint alias habiles ad huiusmodi ordines suscipiendos. Item, quia propter dispensaciones sedis apostolice nonnullis personis infra regnum et dominia predicta super residencia necnon archidiaconis ad visitandum per procuratores factas non solum animarum cura negligitur, sed eciam potestas episcopalis per impetrantes dispensaciones huiusmodi contempnitur, nulle dispensaciones tales deinceps fiant absque causa racionabili et legitima, in litteris dispensacionum huiusmodi exprimenda. Concesse autem absque causa racionabili sive legitima revocentur; de quibus fiat commissio ordinariis. Item, omnes littere facultatum concesse religiosis quibuscumque infra regnum et dominia predicta, de obtinendo beneficia ecclesiastica, curata vel non

36 37 38

Canon 29 4. Laterankonzil 1215; COD 3 S. 248 f.; X 3.5. Wie oben im Titel. X 1.14.1.

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bischöflichen Würde gehört – sind zu widerrufen. Die aber vor dem Tode Gregors gewährt wurden, sollen in Rechtskraft und Wirksamkeit bleiben.

5. Dispense Obgleich die Vielzahl von Pfründen in einer Hand den Kanones verhaßt ist und dabei nach dem Wortlaut dieses Rechts Dispense nicht erteilt werden dürfen, ausgenommen an Adlige und hochgebildete Leute, so haben sich doch an den Höfen der geistlichen und weltlichen Herren solche Dispense jetzt eingeschlichen. Derartiges oder ähnliches darf künftig nicht mehr geschehen, vielmehr muß im Vorgenannten das Allgemeine Konzil beachtet werden.36 Die jedoch bereits vollzogen sind, sollen Rechtskraft behalten, es sei denn sie wären ein öffentliches Ärgernis. Über diese muß nach Unserer Anweisung von seiten des Ortsordinarius eine Untersuchung und Entscheidung erfolgen. Die Ordinarien sollen Bestätigungen aussprechen; die skandalösen Fälle sind zu widerrufen. Weil heutigen Tages noch mehr als üblich verschiedenen Leuten, die innerhalb des Königreichs England und der genannten Herrschaften 37 Seelsorgspfründen besaßen, vom Apostolischen Stuhl wider das gemeine Recht 38 Dispense erteilt worden sind, daß diese Pfründen für drei, vier, fünf, sechs und manchmal sieben Jahre und noch länger oder sogar ständig ihre Pfründen besitzen und besetzen können, so daß sie in der Zwischenzeit keineswegs gehalten waren, sich zu den entsprechenden Weihegraden weihen zu lassen – zum schweren Ärgernis für die Kirche –, deswegen sind ohne Unterschied alle solche Dispense zu widerrufen. Solche Pfründner müssen sich in diesem Fall strikt der Weihe nach dem gemeinen Recht unterziehen – vorausgesetzt die genannten Pfründner erfüllen im übrigen die Voraussetzungen zum Empfang solcher Weihen. Weil wegen der Dispense des Apostolischen Stuhles, die an einige Personen im genannten Königreich und besagten Herrschaften betreffs Aufhebung der Anwesenheitspflicht – auch an Archidiakone betreffs Visitationen durch beauftragte Vertreter – ergangen sind, nicht nur die Seelsorge vernachlässigt sondern auch die bischöfliche Gewalt durch die Empfänger solcher Dispense mißachtet wird, deswegen sollen künftig keinerlei derartige Dispense ohne vernünftigen und rechtmäßigen Grund (der in solchen Dispensbriefen zu nennen wäre) mehr geschehen. Ohne vernünftigen und rechtmäßigen Grund erfolgte Dispense sind zu widerrufen; über sie ist eine Entscheidung durch die Ortsordinarien vorzunehmen. Alle innerhalb des besagten Königreiches und der besagten Herrschaften an Ordensleute verliehenen Ermächtigungsurkunden jeder Art über das Erlangen von Kirchenpfründen mit oder ohne Seelsorge sind, soweit sie noch

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curata, que non sunt sortite effectum, indistincte revocentur; et abstineatur de cetero ab huiusmodi litteris facultatum concedendis.

VI. De Anglis ad officia Romane curie assumendis Item, quod aliqui eciam de nacione Anglicana, dummodo tamen sint ydonei, ad singula officia curie Romane assumantur unacum aliis de ceteris nacionibus indifferenter. Item, quod aliqui super omnibus et singulis premissis dominus noster summus Pontifex mandet et fieri faciat predicte nacioni Anglicane unam vel plures ac tot, quot fuerint requisite, litteras suas bullatas, in bona forma ac gratis de mandato; ad perpetuam rei memoriam.39

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nicht in Kraft getreten sind, unterschiedslos zu widerrufen; künftig hat man sich der Verleihung solcher Ermächtigungsurkunden zu enthalten.

6. Aufnahme von Engländern in Ämter der Römischen Kurie Es sollen auch einige aus der Englischen Nation, sofern sie nur geeignet sind, zu einzelnen Ämtern der Römischen Kurie befördert werden – unterschiedslos mit anderen aus den übrigen Nationen. Über das Vorgenannte samt und sonders soll, so hat es unser Herr Papst angeordnet, der besagten englischen Nation eine oder mehrere gesiegelte päpstliche Urkunden je nach Anforderung in guter Ausführung und unentgeltlich ausgefertigt werden, zum ewigen Angedenken.39

39

Ausfertigung vom 21. Juli 1418.

REGISTER Die Zahlen beziehen sich auf den lateinischen Text; "f.“ bezeichnet daher die nächstfolgende linke Seite.

Orts- und Personenregister Achaia 386 Orts- und Personenregister Adelheid 304 Adimarus Alamannus 222 Ägypten 280 Agricola 328 Albano 180 Alexander V. 316. 396 Amiens 314. 328 Angelo Correr siehe Gregor XII. Antonio Gaetano 180 Apulien 434 Aquileja 180 Archelaus 280 Archidiaconus siehe Guido Aribert 304 Armenien 386 Asien 386 Assyrien 280 Äthiopien 386 Augustinus von Ancona 380. 392 Augustus 278 Auvergne 268 Avignon 264. 320 Baldassare Cossa siehe Johannes XXIII. Bath 472 Benedikt von Nursia 366 Benedikt XII. 178. 236. 264 Benedikt XIII. 178. 250. 262. 396 Bernhard von Clairvaux 338. 350. 370. 378 f. 398. 412 Birgitta 324 Böhmen 166. 256. 290

Bologna 303. 314. 324 f. Bonifaz VIII. 202. 262. 496. 510 Bonifaz IX. 172 Bordeaux 180 Cambrai 328 Campanien 280 Chalcedon 362 f. 494 Clemens V. 348. 448. 464 Clemens VI. 264 Clemens VII. 314 Clermont 268 Dänemark 256 Dauphiné 534 Deutschland 166. 266–272. 316. 328. 380. 384 f. 392 f. 414. 468. 480. 489. 516 ff. Dietrich von Nieheim 384 Domitian 278 England 166. 254. 316. 434. 489. 538 ff. Ephesus 494 Eugen III. 370. 378 Fenouillet 332 Florenz 431. 432. 480 Fontfroide 236 Francesco Uguccione 180 Frankreich 166. 224. 228. 230. 242. 278. 316. 330. 346. 384 f. 390. 402. 530 ff.

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Register

Genua 328 Goslar 414 Goten 304 Gratian 468 Gregor I. 82. 88. 192. 358. 414 Gregor IX. 78. 84. 212. 314 Gregor X. 190. 212. 346 Gregor XI. 326. 474. 506 f. 540 Gregor XII. 178. 250. 262. 314. 320. 380. 392. 396. 404. 412 Griechen 316. 328. 344. 386. 412 Guido von Baysio 346 Guillaume Fillastre 530 Guillelmus siehe Wilhelm Heiliges Land 200. 240. 268. 444 Heinrich V. 268 Heinrich von Hessen (von Langenstein) 380 Heinrich von Segusio 388 Herodes 278 Hildegard von Bingen 340 Honorius III. 176 Humbert von Romans 346. 350 Indien 386 Innozenz III. 450 Irland 538 Isidor von Sevilla 344 Italien 260. 268. 303. 314 f. 330. 384. 390. 398. 402. 414 Jean de la Grange 314. 328 Jean Gerson 188 Jerusalem 386 Joachim von Fiore 340 Johannes Andreä 248 Johannes Duns Scotus 352 Johannes Hus 290. 328 Johannes de Deo (João de Deus) 388 Johannes XII. 280 Johannes XXII. 208. 262. 534 Johannes XXIII. 227. 250. 262 f. 272 f. 286. 302. 396. 404 John Wyclif 188 Judäa 280

Juden 276. 306. 386. 472 Justinian 304 Karl der Große 304 Karthago 358 Katalonien 326 Köln 394 Konstantin 304. 344. 354 Konstantinopel 346. 360. 494 Konstanz 310. 338. 382. 390. 377. 402 f. 410. 416 f. 498 Ladislaus 252 Langobarden 304 Languedoc 316 Leo VIII. 280. 304 Lodève 316 Ludwig der Bayer 264 Lyon 200. 278. 346. 494 Mähren 290 Mainz 394 Marsilius von Padua 248. 258 Martin V. 506 ff. Martin von Troppau 314 Mathilde von Tuszien 268 Mohammed 290 Nebukadnezar 280 Nicolo Brancaccio 180 Nikolaus II. 360 Nizäa 494 Norwegen 256 Oktavian siehe Johannes XII. Otto I. 304 Paris 188. 240. 286. 314 Patrimonium Petri 186. 242. 252. 302 f. 320 Pedro de Luna siehe Benedikt XIII. Perugia 303 Petrus Cantor 350. 366 Pierre d’Ailly 328 Pierre Thury 180 Pippin 304

Sachregister Pisa 222. 240. 284. 312. 316. 404. 431 Polen 166 Prag 260 Provence 166. 316. 324. 330

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Titus 278 Toledo 342. 362 Trier 394 Ulrich Maiger 377 Ungarn 254. 500 Urban II. 212. 268

Reims 220 Rhodos 316 Rom 67. 302. 384 f. u. passim

Venaissin 320 Vespasian 278 Vienne 404 Viterbo 303

Sarazenen 268. 290. 346. 372. 386 Schweden 256 Sigismund 310. 404. 500 Sizilien 252. 256 Spanien 316. 328. 390 f. 434. 489 Straßburg 377

Sachregister

Wales 538 Wien 380 Wilhelm Duranti d. Ä. 388 Wilhelm Duranti d. J. 388 Wilhelm Peraldus 350 Wilhelm von Paris (von Auvergne) 350

Tarquinius Superbus 278 Thomas von Aquin 276. 380 Tiberius 278

Sachregister Abbreviator 92. 98. 208. Sachregister Aberglaube 372 Ablaß 144. 414. 426. 446 f. 466. 530. 536 f. Abt 150 f. 304. 352. 377. 426. 496 Abteien 66. 102. 120. 250. 254. 260. 446. 532 Ad-limina-Besuch 170. 214 Adelsexklusive 170. 218. 324. 366. 434. 440. 468. 476 f. 516. 520. 542 Administrator 446 Advokat 92 f. 98. 104. 377 Akademische Grade 322. 368. 374. 440. 478. 518 f. Almosen 94. 136. 230 f. 314. 320. 362. 464 Ämter 126. 206 f. 218. 312 Amtsenthebung 70. 86. 150. 154. 202. 226. 266. 278. 356. 368. 462. 474. 488 f. 510 f. 526 Amtsgewalt 72 f. 206. 382 Amtsmißbrauch 150. 154. 160 ff. 176. 200. 208. 218. 274. 278. 352. 422. 454

Amtsverzicht 216 Annaten 172. 182. 204. 208. 498. 522. 534 Anwartschaft siehe Expektanz Antichrist 138. 264. 338. 346 Anwesenheitspflicht 186. 218. 234. 240. 334. 358. 434 f. 438. 466. 542 Apostolischer Stuhl passim Appellation 174 f. 208. 238. 386. 498. 536 Archidiakon 84. 216. 230–236. 368. 406. 542 Ärgernis 78 f. 198. 204. 340. 368. 390. 422 ff. 454 f. 470–476. 526. 540 f. Armenfürsorge 64. 134. 200. 228. 232. 302. 314 f. 320. 328. 334. 358 ff. 372. 377. 408. 414. 444 f. 466. 478. 528. 534 f. Auditor 92. 98. 104. 176. 286. 398 Bauhütte 514 Begräbnis 234–238. 360 Beichte 94. 112. 144. 226. 238. 368. 388. 450. 460. 524

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Register

Beichtspender 146. 226. 420. 450. 460. 526 Benediktiner 366. 476 Benefizium passim Besetzungsrecht 66. 76. 120. 170. 322 f. 472 Bestätigungen 68. 92. 170. 182. 230. 532 Bettelei 170 f. 236 Bettelorden 226. 362 f. Bilderwesen 360 Bildungsniveau 82. 102. 106. 144 f. 188. 204. 218 f. 248. 258. 284. 368. 378. 468 Bination 236 Bischofsamt 66. 72 f. 188. 228. 304. 322. 328. 426. 460. 496 Bistum 72. 102. 254. 377. 446 Bistumsbesetzung 120. 468 Bullen 66. 320. 332 Buße 186. 226. 234 f. 240. 414. 446. 460. 526 Chorbischöfe 322. 354. 368 Chorgebet siehe Offizium Clementina 448 Dekan 84. 216. 377. 532 Dekretale 114. 206 f. 282. 328. 352. 382. 468 Dekretalisten 328 Dekretisten 226 Deutsche Kirche 270. 394. 480. 518 ff. Devolution 442 Digna vox 298. 433. 492 Dignitäten 68. 76. 138. 168. 218. 444. 510 Diözesansynode 186. 210. 216. 222 f. 228. 358. 368. 450. 470 f. Diözese 176. 188. 222. 252. 350. 366. 400. 404 f. 414–420. 436. 524 Dispens 232. 236 – päpstliche 214. 272 f. 334. 434 ff. 498. 510 f. – im Strafrecht 174. 526. 538 – ungerechtfertigte 120 ff. 208. 212. 222. 272. 360. 414. 468 f. 510. 542

Doktorpfründen 170. 186. 204. 218. 240. 282. 286. 322. 366. 430. 468. 520 Domkapitel 66. 272. 446. 470. 518 Ehe 220. 236. 308. 328. 332. 420. 444. 536 Eid 178. 190. 200. 216. 268. 286. 334. 370. 388. 406. 412. 416. 426. 452. 468. 488. 492 f. 502 Einkünfte, kirchliche 74. 86. 92. 98. 106. 122. 132. 172. 326. 428. 508. 526 f. 532 ff. Englische Kirche 254. 434. 538 ff. Entgeltlichkeit – von Amtshandlungen 172. 176. 220. 226 f. 232. 360. 446. 538 – für Pfründen 68. 90 f. 98. 104. 144. 258. 284. 418. 456 f. – bei Sakramenten 134. 230. 360. 458 Ersitzung 396 Erste Bitte 68. 272 f. Erzbischof 170. 216. 228. 250. 304. 377. 462 Eucharistie 106. 114. 134. 144. 304. 323. 474 Exemtion 64. 150. 176. 184 f. 202. 208. 224. 352. 366. 420. 430. 444. 498. 506 f. 532 Exkommunikation 96. 140. 192. 208. 218. 224–234. 260. 350. 430. 462. 472. 510. 526 f. Expektanz 78. 84. 96. 120. 168. 182. 216 f. 272. 288. 442. 498. 518 ff. 532 f. Extravagante 188. 214. 232. 236 f. 534 Fastenzeit 94. 136. 330. 360 f. 366. 377 Fehde 102. 252. 372. 384 f. 416. 478. 490 Feiertage 200. 226. 360. 377. 436 Finanzwesen 92. 140. 144. 182. 204. 228 ff. 234. 238. 260. 316. 326. 334. 350. 366. 414. 426. 444. 466. 496. 522. 528. 532 ff. Französische Kirche 224. 228–242. 386. 396 Fratizellen 64. 324

Sachregister Frauen 64. 102. 126. 226. 236. 328. 332 Frauenbeichte 228 Frauenorden 102. 324. 332. 364. 377 Frieden 106. 202. 252. 268. 276. 314. 334. 338. 372. 378. 384. 402. 406. 410. 500 Friedhöfe 180 Frömmigkeit 134 f. 148. 172. 304. 360. 364. 378. 476. 494 Gasthausbesuch 200. 354. 360. 377 Gastlichkeit 432. 444. 540 Gefängnis 234. Gehorsam 76. 152. 156 f. 194. 256. 270. 302. 340. 418 Gelübde 152. 158. 252. 260. 284. 474 Generalkonzilien siehe Konzilien Generalsession 530 Gerichtsverfahren 174. 186. 202. 226 f. 236 f. 370. 377. 418 Gesamtkirche 136. 168. 204. 242. 246. 256. 290. 302. 340 ff. 384. 390. 398 f. 500 f. 512 Gesandte 190. 196. 222. 374. 486 Gesetzgebung 214 Gewohnheiten 68. 92. 170 f. 200. 212. 254. 502 Glaubensgemeinschaft 72. 246. 252. 344. 386 Glaubensunterweisung 62. 186 f. 368. 372 Gläubige 76. 158 Gottesdienst 134 f. 154. 172 f. 186. 200. 238. 260. 274. 306. 318. 332. 360 f. 368. 372. 444. 470. 476. 514. 526 Gottesurteil 142 Götzendienst 66. 78 Griechenunion 186. 190. 200. 316. 346. 350. 380. 412 Heiden 66. 116. 124. 268. 308 f. 338. 386. 392 Heilige Schrift 86. 90. 126. 132. 308. 356. 478 Heiliges Jahr 226. 400. 414. 426

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Hofleute 64. 68. 84. 92. 102. 174 f. 182. 220. 228. 272. 282. 370. 496 Hussiten 188. 290. 328 Indult 446 f. 498 Inkorporation 418. 430. 498. 508. 540 Inquisition 324 Instanzenzug 176. 238 Interdikt 252. 268. 492. 526 Interkalarfrüchte 172. 264. 428. 432. 498. 508 Irregularität 224 f. 272. 352. 356. 368. 526 Irrlehren 64. 92. 106. 186 f. 324. 424 Juden 372. 380. 386. 472 Juristen 204. 240. 266. 328. 364. 408. 440. 460. 476 f. 516–520. 524 Kaisertum 196. 222. 262. 268. 278. 304. 314. 318. 330. 386. 392 f. 408 ff. 486 Kammer, Apostolische 174. 264. 288. 386. 428 Kämmerer 84. 138 Kanoniker 274. 478 Kanonisches Recht 78. 86. 132. 188. 210 f. 222. 228. 250. 298. 352 . 4 4 0 Kanzlei, Apostolische 250. 268. 448. 498. 514 Kanzleiregeln 78. 174. 182. 250. 438. 530 Kapitel 68. 506 Kapläne 176. 230 f. 254 Kardinalat 202. 350. 354. 388 f. Kardinäle – Ämter 92. 106. 168. 186. 202. 206. 220 f. 242. 304. 326. 348. 382. 404. 412. 456. 512. 528 – Ernennung 202. 322. 326. 348. 378 f. 384. 406. 440. 516. 530. 538 – Papstwähler 192 ff. 280. 298. 314. 348. 384. 392. 396. 404. 488 f. 500 f. – Versorgung 92. 102. 184. 204. 254. 326. 446. 496 f. 524. 528. 536. – Vorrechte 242

552

Register

Kardinalskollegium 174. 178. 182. 190. 210 f. 248. 252. 284. 312. 326 f. 332. 392 f. 426. 446. 484. 538 Kartäuser 306 Kathedralkirchen 138. 168. 204. 214. 218. 224. 240. 264. 270. 324. 368. 420. 434. 438 f. 444. 470. 506. 520 ff. 528. 532 Ketzer 64. 100. 188. 248. 272. 290. 318. 328. 338. 344. 384. 454 f. 484 Keuschheit 94. 306 f. Kirchenbann 352. 356 f. 368 Kirchenbegriff 62. 72. 306. 310 Kirchenprovinz 198. 204. 226. 318. 324. 382. 398. 402–408. 420 Kirchenreform, Durchführung 166. 180. 188. 206. 214. 252. 268. 284. 310 f. 340. 354. 370. 388. 392. 398. 410. 414. 420. 424 f. 466. 470. 498. 506. 516 Kirchenverfassung 170 f. 180. 378 Kirchenvermögen 172. 178. 184. 188. 302 f. 320. 330. 426. 444 Klerikerstand 60. 128. 134. 168. 186. 206–214. 306. 340. 366–370. 377. 432. 464. 472. 512 Klerikertracht 110. 200. 220. 272. 306. 354. 464 f. 512. 540 Kloster 64. 72. 102. 139. 182. 426. 506. 524. 528 Klostereintritt 220. 478. 524 Klosterflucht 260. 362. 416 Koadjutor 274 Kollator 78. 182. 208. 214 f. 254. 262 ff. 296. 532 f. Kollegiatkirche 215. 240. 368. 520 Kollektor 230. 240. 266. 300 f. 316. 352. 496. 534 Kommende 102. 204. 254. 260. 274. 326. 412. 444 f. 498. 524. 528. 536 Königtum 138. 278. 296 Konklave 192 ff. 314. 500 f. Konkordat 514 ff. Konkubinat 64. 220. 236. 368. 472 f. Konservatorien 170. 418 Konzilien, Allgemeine

– Beschlüsse 126. 168 f. 186 f. 222. 250. 272. 308. 322. 356. 377. 424. 442. 492. 494 – Einberufung 142. 186. 196. 202. 222. 248 f. 320. 340 f. 422. 484 – Teilnehmer 166. 186. 222. 318. 372. 490 Konzilien, Ökumenische 494 Koran 290 Krankenfürsorge 364 f. 444. 528. 536 Kreuzzüge 200. 240. 268. 444. 522 Krieg 202. 238. 252. 268. 304 f. 358. 372 f. 444. 468. 534 Laien 64. 80. 90. 98. 124. 136. 158. 166. 214. 224 f. 274. 302. 308. 318. 322 ff. 340. 354. 370–377. 386. 416 f. 442. 462. 474 f. 522 f. Landdekan 232. 236 Legaten 194. 214. 230. 250. 326 f. Lossprechung 64. 112. 130. 218. 224 f. 230. 234. 448 f. Messe 94. 134 f. 318 f. 360. 470. 474. 526 Metropolit 178. 188. 208. 222 ff. 266. 270. 342. 370. 446. 470 Mindestalter 82. 204. 354. 438. 440. 528 Mission 64. 268. 386 Nation 166. 312. 316. 328. 332. 348. 374. 380. 384. 388 ff. 400 f. 406. 458 f. 484. 494 f. 516. 530. 534. 544 Naturrecht 76. 228. 298. 308. 438 Nepotismus 84. 252. 440. 516 Niederkirchen 148. 258. 366 Nominationsrecht 92. 182. 266. 288 Notar 84. 92. 104. 286. 377. 488. 494. 530 Obödienz 166. 196. 254. 262 f. 286. 312. 396. 506 Observanz 362 Offizial 226. 230. 234. 266. 377. 468 Offizium 134. 174. 186. 200. 332. 360 f. 476. 514. 522 Orden 64. 306. 324. 332. 340. 430. 506

Sachregister Ordensgelübde 152. 220. 224. 306. 362. 474 Ordenskapitel 178 f. 186. 210. 214. 222. 332 Ordensleute 64. 68. 84. 144. 322. 362– 366. 418 Ordensprovinzen 178. 400 Ordensregel 158. 260. 332. 362 Ordinarius 208. 216. 242. 266. 332. 366. 416. 430. 442 f. 462 f. 472. 496. 506. 518. 532. 540 f. Ordination siehe Weihe Pallium 358 Papstabsetzung 166. 280. 300. 312. 396. 454 ff. 498 Papsttum 62. 86. 106. 124. 130. 158. 170. 186. 190. 198. 204. 246. 340. 348. 382. 454. 494 Papstwahl 158. 166. 190 f. 202. 248. 298. 312 f. 378. 384. 390–396. 454 ff. 488–494. 500 ff. Pariser Universität 188. 228. 286 Patriarch 208. 400. 426. 462. 524. 536 Patrimonium Petri 178. 186. 194. 242. 252. 302 f. 320. 330. 386. 396. 426. 448. 452 f. 498 Patronatsrecht 66. 170. 182. 206. 416. 420. 478. 532 Personat 366. 452. 510 f. 522. 534 Pfarrkirche 138. 416 f. 444. 474. 520. 524. 528. 540 Pfründe passim Pfründenhäufung 216 f. 320. 434 Pönitentiarie 144. 180. 286. 448. 498 Prälaten, unwürdige 82. 130. 208. 212. 266. 284. 292. 308. 328. 354 f. 376 Präsentationsrecht 226 Predigt 100. 112. 118. 282. 290. 318. 362. 448. 468. 494 Primas 350 Primat 62. 90. 124 f. 146. 160. 246. 256. 344. 350. 454 Priorat 102. 364. 426. 506. 510. 516 f. 524. 528. 532

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Privilegien 154. 172. 318 f. 366. 420. 446. 466. 496. 538 Prokurator 92 f. 104. 184. 250. 358. 377 Propst 84. 377 Protektion 96. 104. 260 Protonotar 92. 322. 400 Provinzialkapitel 210. 332 Provinzialkonzilien 178. 186. 210. 214. 222–226. 268 f. 340 f. 356. 374. 388. 400. 436. 456. 470 Provisionen 66–72. 132. 140. 144. 208. 212. 416. 442. 516 ff. 532 Prozeßrecht 66. 128. 176. 186. 226. 238 f. 332. 377. 420. 442 f. 460. 498. 508. 522. 536 Prüfungen 144. 216. 284. 354. 440. 470 Prunksucht 136. 220. 254. 350. 358. 368. 377 Ratgeber 128. 142. 182. 202. 210. 218. 310. 326. 394. 408 Rechtsordnung 68. 74. 128. 150. 168 f. Rechtsregeln 170 Reformatorium 422. 442. 446 f. 454. 460. 498 Reliquien 304 Regalien 242. 302. 450 Regularkononiker 178. 274 Reservationen 80. 182. 214. 218. 250. 254–262. 288. 296. 428. 440 f. 498. 516 Ritterorden 224. 364 Römische Kurie passim Sakralgut 112. 122. 316. 322. 360 Sakramentenempfang 94. 100. 114. 474. 520. 526 Sakramentenspendung 64. 100. 112. 230. 322. 360. 368. 456 f. 494 Schauspiel 320. 356 Schisma 268. 344 – seit 1054 290. 316. 380. 412 – 1378–1417 142. 166. 186. 190–200. 248 f. 268. 280. 290. 312 f. 326. 340. 344–350. 388. 404. 412. 418. 422. 430. 446. 466

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Register

– Schismen 64. 166 f. 190. 198. 424. 484–492 Schlüsselgewalt 76. 98. 130. 246 Schuldenerlaß 174. 184. 226. 236. 352. 522. 534 Seelenheil 154 f. 216. 220. 238. 274. 280. 446 Seelsorge 74. 98. 124. 134. 208. 218 f. 224. 230 f. 238. 322 ff. 356. 436. 444. 450. 474. 476. 526. 540 f. Sekten 64. 318 Servitien 172. 182. 204. 262. 522. 528. 532 f. Simonie 92 ff. 100. 104. 108. 114. 118 ff. 138. 142 f. 208. 216. 250. 256 f. 282 ff. 292. 300. 308. 318 f. 358. 384 f. 440. 456 f. 460. 498. 508 f. 524 Simonist 96 f. 150. 282. 288. 360. 460 f. 508 f. Sittenverfall 60. 330. 338. 370. 376. 386 Sittlichkeit 94. 144. 168. 188. 228. 314. 332. 354. 368 – der Jugend 200 – des Klerus 216 f. 302. 306. 454. 464. 512 Sonntagspflicht 360 Soziale Aufgaben 68. 302. 314. 358 Spiritualien 96. 108 ff. 122. 154. 164. 420 Spitalwesen 314. 362. 412. 444. 528. 534 f. Spolienrecht 172. 240. 316. 428. 496 Sprachkenntnisse 146. 224. 366 f. 400 f. 408. 474 f. Statuten der Domkapitel 226. 352. 478 f. Steuern 132. 210. 230 f. 238 f. 377. 410. 418. 448 Stift 444. 476 f. Stiftungen 102. 134. 170 Strafrecht 64. 70. 174. 184. 214. 222 f. 298. 324. 330. 342. 460. 492. 526 Studenten 200. 230. 244. 322. 364. 430 Studium 100. 200. 210. 240. 284. 364. 366. 436 f. 476. 506

Sünde 68. 92. 104 ff. 246. 292. 308. 328. 388. 450 Suffragan 178. 222. 226. 270 Suspendierung 356. 368. 450. 540 Synagoge 122. 352 Synode siehe Diözesansynode Tafelgut 112 Taufe 114 f. 238. 268. 328 Temporalien 96. 110. 116. 122. 154. 164. 248. 420 Titularbischof 266. 274. 354. 374. 468 tituli 206. 326 Tonsur 220. 272. 464. 512 Tyrann 86 f. 268. 276 ff. 304. 330. 356. 370. 408 Ungläubige 64 f. 200. 268. 316. 320. 346. 364. 372. 392 Universität 170. 188. 218. 222. 238. 274. 282. 286. 322. 366 f. 374 . 430. 506. 520 Vakanz 132. 140. 170. 186. 230. 240. 262 f. 508. 518. 522 Verarmung 134 f. 172. 230. 236 f. 252. 266 Verleiher siehe Kollator Vermögensverwaltung 150. 202. 208. 232. 240. 452. 476. 498 Versetzungen 74. 168. 182. 202 f. 274. 426. 494 f. Versorgung 88. 118. 138. 172. 220. 350. 498. 524. 528 Verwaltungsbehörden 66. 206 Verwandtschaft 328. 380. 440. 516 Verweltlichung 324 ff. 338. 468 Vikare 377. 416. 430. 468. 476. 520. 540 Visitation 184 f. 220 f. 230. 234. 270. 316. 328. 368. 420. 428. 468. 496. 542 – durch Kardinäle 206. 324 – durch Prälaten 172. 220. 232. 238. 324. 356. – der Titelkirchen 206. 324

Sachregister Vizekanzler 286. 514. 530. 538 Volksfeste 360. 377 Vorlesungen 200. 240. 324. 436 Wahlen 68 f. 98. 166. 170. 182. 208. 212. 216. 258. 262. 298. 318. 352 f. 440 f. 450 f. 468. 476. 490 f. 498. 516. 532 Wallfahrten 302 Weihe 66. 112. 134. 144. 186. 216. 270 f. 358 f. 384. 468. 474. 510. 524

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Weihefristen 216. 272. 438. 470. 510. 542 Weltlicher Arm 330 Weltliche Tätigkeit 358. 362. 366. 436. 466. 470. 480 Widerstandsrecht 146. 150 f. 160. 278 f. 280. 300 Wucher 138. 234 f. 272 Zehnt 122. 172. 230. 240. 268. 320. 330. 364. 416. 420. 438. 498. 512. 540 Zinsverbot 372. 472 Zölibat 306. 326. 328. 474 f.