Psychoanalytische Psychosomatik – eine moderne Konzeption in Theorie und Praxis 9783666450327, 9783647450322, 9783525450321


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Psychoanalytische Psychosomatik – eine moderne Konzeption in Theorie und Praxis
 9783666450327, 9783647450322, 9783525450321

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V

Klaus Plab

Psychoanalytische Psychosomatik – eine moderne Konzeption in Theorie und Praxis

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-647-45032-2 Umschlagabbildung: Max Bornschlegl, Ohne Titel © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Produced in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die Entstehung des Seelischen im Körperlichen . . . . . . . . . . . 21 Psychoanalytische Modelle psychosomatisch und seelisch bedingten körperlichen Erkrankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Ein integrierendes psychoanalytisches Modell körperlichen Krankseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Köper und Seele – historische und konzeptionelle Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein . . . . . 106 Kopfschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Neurologische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 AD(H)S . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Erkrankungen der Augen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Erkrankungen der Atemwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Erkrankungen der Ohren, Tinnitus und Hörsturz . . . . . . . 126 Hals- und Schluckbeschwerden, Störungen der Stimme und Stimmbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Erkrankungen der Lunge, des Herzens und des Kreislaufsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Erkrankungen der Verdauungsorgane und der Mundhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Gynäkologische und urologische Erkrankungen . . . . . . . . 146 Lebensmittelunverträglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Infektionserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Erkrankungen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Immunologische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Maligne Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

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Inhalt

Erkrankungen des Blutbildes und der blutbildenden Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Muskuloskelettäre Erkrankungen und Schmerz . . . . . . . . 176 Sport und Psyche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Autoaggressiver Umgang mit dem Körper, Autoerotismus und bad habits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Hypochondrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Psychoanalytische Therapie körperlicher Erkrankungen . . . . 193 Abschließendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

»Die Grundwörter der Poesie bilden sich über den existentiellen Tätowierungen, die keine Erziehung ganz bedeckt und keine Konversation ganz verheimlicht. Die Poesie redet von den Brandzeichen der Seele her, von den unter die Haut gestochenen Charakteren aus. An diese frühe Zeichen ist auch das entwickelte literarische Sprechen gebunden, durch sie sind die Schreiber ins Dasein immatrikuliert.«1

1 Peter Sloterdijk, »Zur Welt kommen – zur Sprache kommen«. Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1988.

Einführung

In den letzten Jahrzehnten entwickelten sich psychoanalytische Modelle des Verstehens psychosomatischen Erkranktseins und medizinisches Wissen um psychogene Ursachen körperlichen Krankseins parallel, aber auch zunehmend voneinander isoliert weiter, ohne zum einen den reichen Erfahrungsschatz des psychoanalytischen Wissens ausreichend mit dem medizinischen Wissen zu korrelieren und ohne zum anderen die psychoanalytischen Modelle für das Verstehen des psychosomatischen Erkranktseins untereinander flexibel zu verknüpfen und zu denken. Ursächlich für die erste Tatsache ist die historische, cartesianische Trennung zwischen Soma und Psyche in der Medizin, für die zweite aber die für Psychoanalyse und Psychosomatik recht typische, häufig isoliert stattfindende Theorienbildung, die meist unzureichend Verbindung und Verknüpfung mit den bereits bestehenden Theorien herstellt. Der Begriff der Wissenschaft impliziert bei der Betrachtung körperlichen Krankseins stets divergierende Sichtweisen; die der medizinischen Wissenschaft zum einen, die der psychoanalytischen Forschung und Herangehensweise zum anderen. Versucht die eine, psychosomatisches Kranksein empirisch, evidenzbasiert und naturwissenschaftlich, beispielsweise durch Transmittertheorien, Nachweise von Keimen oder die Beschreibung (neuro-)immunologischer und epigenetischer Mechanismen zu erfassen und zu beweisen, steht die andere Betrachtungsweise für intuitives Erfassen und Beobachten im analytischen Feld und im Unbewussten des Erkrankten, oft eines einzelnen Erkrankten, und in den daraus beobachtend und intuitiv abgeleiteten spezifischen Einzeltheorien. Deutlich wird der unfruchtbare Konflikt auf medizinischer Seite an einer Vielzahl von medizinischen, als Erkrankungsentitäten verstandenen, gemäß einem sich ständig verändernden medizinischen Mainstream vorgenommenen Kohortierungen von Symptomen, wie

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Einführung

beispielsweise bei ADHS oder bei dem Restless-legs-Syndrom, den sich immerfort neu anpassenden Kategorien verschiedenster Kopfschmerzen und vielem mehr. Für die psychoanalytische Betrachtungsweise und das psychodynamische Verstehen aber ist diese kategoriale und festlegende Einordnung unterschiedlichster Symptomatik in eine Erkrankungsentität äußerst hinderlich. Gleichwohl war es unter anderem die psychoanalytisch-psychosomatische Generierung von Erkrankungsentitäten, man denke nur an die klassischen Psychosomatosen oder die Überlegungen zu den Persönlichkeitsvarianten, die für koronare Herzerkrankung oder maligne Erkrankungen verantwortlich sein sollten, die dazu führte, dass die Medizin diese Erfahrungen als nicht brauchbar diskreditierte und verwarf. In den letzten Jahren zeigte die deutschsprachige Psychosomatik bei den diagnostischen Optionen eine starke Tendenz zur (verhaltens-)medizinischen Betrachtungsweise und beschrieb vorwiegend Möglichkeiten der Bewältigung der Folgen einer Erkrankung (»Coping«). Hierbei blieb sie weit hinter den therapeutischen Möglichkeiten zurück, und wertvolle Konzepte für therapeutische Möglichkeiten, die die Psychoanalyse der Psychosomatik bereitstellt, blieben jetzt ungenutzt. Ebenso musste die erforderliche Vertiefung in die unbewussten und unbekannten, komplexen Wahrheiten der für das jeweilige, einzelne Individuum hochspezifischen Bedingungen des Erkrankens vermisst werden. Die aktuelle Psychosomatik wird dem Individuum und dessen spezifischen Bedingungen des Krankwerdens daher nicht mehr gerecht. Gleichzeitig dringt die medizinische Wissenschaft immer weiter in mikromolekulare, genetische, mikroimmunologische und hormonelle Einheiten und Feinheiten vor, ohne dass im Einzelfall medizinisch nicht begreifbare unbewusste Konditionen für das Erkranken mit bedacht werden. Ein oftmals artifiziell monokausalisierender, vereinfachender Zusammenhang beispielsweise zwischen erhöhten Blutfetten und einem Infarkt der Herzkranzgefäße oder einem Schlaganfall steht in einem ausgeprägten Kontrast zu den komplizierten und komplexen lebensgeschichtlichen und subjektiven Bedingungs- und Auslösesituationen der betreffenden Erkrankungsbilder und zur Komplexität bereits primitivster biologischer

Einführung11

Systeme, die sich wiederum in der Komplexität psychoanalytischer Theorien gut abbildet. Gelangt ein Individuum aufgrund einer akuten, existentiell erschütternden Erkrankung in eine somatische Behandlung, etwa wenn ein akuter Infarkt, ein akuter Infekt, eine Embolie, eine andere Funktionsstörung eines Organsystems eine sofortige Intervention erforderlich macht, so ist die Medizin auf eine bisher nie dagewesene, effektive und hochwirksame Weise in der Lage, zu intervenieren und den Gesundheitszustand wiederherzustellen, die Selbstheilungskräfte zu unterstützen. Die »zweite Hälfte der Behandlung« aber, die psychosozialen und innerseelischen Bedingungen der Entstehung der Erkrankung (und die Wirkung des Fortbestehens derselben), bleibt oft unzureichend berücksichtigt, was auch im Sinne einer Sekundärprophylaxe als problematisch angesehen werden muss. Dem Individuum gelingt es dann in der Folge nicht, seiner Erkrankung die Bedeutung zuzuschreiben, die erforderlich ist, um das von der Erkrankung gegebene Signal für das weitere Schicksal zu erhalten und zu deuten, um gegebenenfalls erforderliche Konsequenzen zu ziehen. Letztlich führt dies zu erheblichen, langfristigen individuellen und ökonomischen Konsequenzen, zudem werden prophylaktische Möglichkeiten nicht genutzt. In der psychodynamischen Praxis wiederum stößt die psychoanalytische Wissenschaft an ihre Grenzen, wenn Therapeuten in subjektiver Weise für das Verstehen ihrer somatisch erkrankten Patienten Theoriemodelle nutzen, die sie sich im Laufe der Zeit angeeignet haben, die aber, subjektiv ausgewählt, dann isoliert im Therapeuten und nach eigener Erfahrung zum Einsatz kommen. Diese Praxis verwundert auch nicht, da es bei der Vielzahl von Gedankenmodellen und psychoanalytisch-wissenschaftlichen Modellen zum körperlichen Erkranken auch kaum möglich ist, zu einem Überblick und einem brauchbaren inneren Modell zu gelangen, das auf Basis der akzeptierten und bekannten Theoriemodelle eine flexible und nutzbare Integration all dieser Einzelmodelle für alle möglichen Erkrankungssituationen, die in der Praxis auftreten, im Sinne eines integrierten, psychosomatischen Theoriemodells möglich macht. Der Versuch einer solchen Integration im Psychoanalytischen soll nun hier vorgenommen werden und ebenso der Versuch, eine

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Einführung

zwar mögliche, aber oftmals nicht gewagte synoptische Sichtweise somatischen Krankseins im Kern des Seelischen zu finden und zu verorten, um somit auch die Verbindung zwischen dem medizinischen und dem psychoanalytischen Wissen herzustellen. Psychoanalytisches Verstehen ist Wissenschaft im Sinne des Wortsymbols. Wissenschaft ist gemeinhin Symbolisierung des Intrapsychischen in sprachlicher, mathematischer, physikalischer, medizinischer (etc.) Form, um die Umwelt, die Welt zu begreifen, also sich selbst als Mensch in seinen tiefsten Ängsten durch Schaffung einer haltgebenden Struktur zu beruhigen (was anderenorts oder in anderen Zeiten beispielsweise die Religion vermag oder vermochte). Psychoanalyse nimmt nicht nur mit den Sinnesorganen wahr, sondern besonders mit der Intuition. Ihr Gegenstand ist zunächst (also nach heutigem Wissensstand) ein primär nicht physikalischer, nicht naturwissenschaftlich-technischer, nicht medizinischer. Psychoanalyse bedeutet Wahrnehmen und Integrieren von Gefühlen und Affekten, Dechiffrieren und Verstehen von Schmerz, vegetativen, motorischen und somatischen Symptomen, wenngleich alle diese Äußerungen des Organismus auch mit physikalischen, technischen, medizinischen Messapparaten (besser: Symbolen wie Bildern, Befunden etc., etwa Nervenleitung, Puls, Blutdruck, Schweiß, Hautwiderstand, Durchblutung, Muskeltonus etc.) registriert und dokumentiert werden können. Zunehmend erhält hierbei die Arbeit an und mit nicht oder nur unzureichend repräsentierten Erfahrungen und Beziehungsfragmenten, die in das Somatische eingeschrieben sind, zentrale Bedeutung. Es besteht also die Gefahr, dass im Rahmen des Mainstreams psychosomatischen Verstehens eine für das vollständige Verstehen hinderliche Konzentration nur auf eine Mitwirkung des Seelischen bei körperlicher Erkrankung erfolgt und die Bedeutung des Symbolhaften nicht (mehr) erkannt wird. Der im kollektiven Bewusstsein (und Unbewussten) vieler Analytiker und Psychotherapeuten zum Teil verborgene und aufbewahrte »Schatz« des Wissens um die Verursachung körperlichen Leidens durch frühere und frühe seelische Verletzungen und Konflikte wird nicht bewahrt und erhalten. Gleichzeitig drohen die wertvollen Theoriemodelle der Psychoanalyse in ihrer Isolation ungenutzt und unverbunden zu bleiben, letztlich dann später verlorenzugehen.

Einführung13

Generationen von Psychotherapeuten und Psychoanalytikern wussten um die Zusammenhänge zwischen Seelischem und Körperlichem, wussten, wie sich das tiefste Seelische im Körperlichen seinen Ausdruck sucht, um wieder zu einem inneren Gleichgewicht zu finden. Bereits 1933 schrieb Georg Groddeck (2011, S. 97), »dass Religion und Wissenschaft, ja das ganze menschliche Denken und Handeln unter dem Zwange dieses rätselhaften Dinges steht, das wir Unbewusstes nennen und dessen Äußerungen, mögen wir sie packen, wo wir wollen, stets symbolisch sind.«2 Das 1977 von George Engel entwickelte sogenannte biopsychosoziale Modell (zit. nach Kollbrunner, 2010) hat in der modernen Psychosomatik allgemeine Anerkennung gefunden, in dessen Rahmen werden somatoforme Störungen »zu chronischen Störungen«. Hierbei ist oftmals nicht mehr die Heilung, sondern die Linderung der Beschwerden Behandlungsziel. Bereits bei Kindern wird eine große Anzahl von Syndromen und Symptomen, die aus psychoanalytischer Sicht psycho- und familiendynamisch gut zu verstehen sind, oftmals als rein somatisch verursacht verstanden (als die häufigsten seien hier genannt: motorische Störungen wie hyperkinetische Störungen, Tics etc., Konzentrationsstörungen, eine Vielzahl von Erkrankungen der Haut, allergische Erkrankungen, Übergewicht und einige mehr). Ebenso werden bei Erwachsenen vielfach Möglichkeiten akuter Intervention durch psychodynamisches Verstehen und raschen, frühen Einsatz von professioneller psychodynamischer Kompetenz zu wenig genutzt. Zudem besteht die Gefahr, dass auch wir als Analytiker den vielfältigen Widerständen der Zeitströmungen, das Symbolische nicht mehr als solches zu verstehen, unterliegen und Komparsen des Widerstands werden, sodass wir letztlich die Möglichkeit, dass sich zutiefst verborgenes Seelisches im Körperlichen ausdrückt, übersehen, übersehen wollen oder müssen oder sollen.

2 Groddeck führt ergänzend aus, der Mensch sei »symbolisch eingestellt«, sei ein »symbolisierendes Wesen« (2011, S. 98). Daher sei es auch »unmöglich« […], die »Mutter so zu sehen, wie sie wirklich ist, weil sie eben für uns Symbol geworden ist« (S. 107).

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Einführung

Die Medizin selbst ist ein Sprach- und Symbolsystem, das es unserer Kultur möglich machte, ein kategoriales Denksystem über das ursprünglich Seelisch-Körperliche zu legen, um es versteh- und greifbar, letztlich behandelbar zu machen. Sie hat hier Großartiges geleistet. Allerdings wird hierbei verdrängt und vergessen (durchaus im Sinne des bewährten Abwehrkonzepts), dass Sprache auch entwickelt wurde, um zu verbergen, vor dem Verstehen der letzten, schmerzhaften Wahrheit zu schützen und um das intrapsychische Gleichgewicht zu (er-)halten. Soll aber Sprache der Erhellung und der Wahrheit dienen (vgl. Bion, 2006), darf man nicht vernachlässigen, dass sie ebenso, wie all unser Verhalten und Befinden, Ausdruck des tiefen, innersten Erlebens, unserer Triebe und Motivationen ist und wir sie in langen, mühsamen, assoziativen Prozessen ihrer Symbolhaftigkeit berauben müssen, um zu verstehen3. Dies kann ausschließlich die Psychoanalyse.4 3 Groddeck (2011, S. 109) führt ein Beispiel auf, dem sich entnehmen lässt, wie aufmerksam er Menschen beobachtete: »In meinem Hause in Baden-Baden kommen und gehen viele Menschen. Es existiert dort ein Fenster, welches auf einen Gang geht und von dem aus man jeden Kommenden und Gehenden sehen kann. Nun hat dort einmal jemand beobachtet, dass diejenigen, die in das Sanatorium hineingehen, stets an ihrer Kleidung etwas in Ordnung bringen; diejenigen aber, die fortgehen, kratzen sich, selbst die vornehmste Dame tut das. Es muss sie etwas dazu veranlasst haben. Vielleicht haben sie bei mir nicht das gefunden, was sie suchten. Durch ihre unwillkürlichen Bewegungen verraten sie sich nun der Öffentlichkeit.« 4 Wilfred Bion (2006) fabuliert in seinem Werk »Aufmerksamkeit und Deutung«: »Die Lügner bewiesen Mut und Entschlossenheit in ihrem Widerstand gegen die Wissenschaftler, die mit ihren gefährlichen Lehren gute Aussichten hatten, den Leichtgläubigen auch den letzten Rest an Selbsttäuschung zu nehmen und sie damit jeden natürlichen Schutzes zu berauben, den diese benötigten, um ihre geistige Gesundheit gegen die Wucht der Wahrheit zu behaupten. Einige von ihnen, die sich der drohenden Gefahren vollauf bewusst waren, gaben ihr Leben für Lügen hin, um die Schwachen und Zweifelnden durch die Glut ihrer Leidenschaft von der Wahrheit selbst der widersinnigsten Behauptungen zu überzeugen. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass die Menschheit ihr Heil jener kleinen Schar begabter Lügner verdankt, die sogar angesichts unzweifelhafter Fakten unbeirrt die Wahrheit ihrer Falschheiten verfochten. Selbst der Tod wurde geleugnet, und die fantasievollsten Argumente wurden ins Feld geführt, um offenkundig lächerliche Behauptungen über ein glückliches Weiterleben nach dem Tod zu beweisen. Viele

Einführung15

Psychosomatik ist die Lehre vom untrennbaren Zusammenwirken des Seelischen und des Körpers, des Körpers, in den die Seele eingehaucht und eingeschrieben wurde, ist es doch der Körper, in dem sich das Seelische bildet und sein (erstes) Zuhause erfährt, in dem das seelische Erleben seine erste Symbolisierung erfährt, die aber das ganze Leben anhält und bedeutsam bleibt (es ist zum »aus der Haut fahren«, schlägt einem »auf dem Magen«, »bricht mir das Herz« …). Will man einen Schritt weiter gehen, ist die gesamte Welt, mit der wir uns umgeben, Ausdruck (einer Konstruktion) unseres Seelischen, ständig sind wir damit beschäftigt, unseren unbewussten Impulsen nach Befriedigung und Gleichgewicht dergestalt gerecht zu werden, dass wir – ebenfalls unbewusst – unsere Welt entsprechend einrichten und konfigurieren5. dieser Märtyrer der Unwahrheit waren einfacher Herkunft, sodass nicht einmal ihre Namen überliefert sind. Doch nach ihrer Überzeugung, für deren Aufrichtigkeit ihre Handlung Zeugnis ablegt, schien die geistige Gesundheit der menschlichen Gattung der Belastung, die ihr aufgebürdet wurde, nicht gewachsen. Indem sie ihr Leben hingaben, nahmen sie die moralische Verantwortung für die Welt auf ihre Schultern. Ihr Leben und das Leben ihrer Nachfolger war der Entwicklung von ausgefeilten Systemen großer Schönheit gewidmet, deren logische Struktur durch das Wirken eines regen Intellekts und makelloser Gedankenführung erhalten wurde. Die schwächlichen Bemühungen hingegen, mit denen die Wissenschaftler immer wieder ihre Hypothesen zu beweisen versuchten, machten es den Lügnern leicht, die Hohlheit der Ambitionen der Parvenüs aufzuzeigen und so die Verbreitung von Lehren zu verzögern oder gar zu verhindern, die bei den Lügnern und ihren Nutznießern nur ein Gefühl der Hilflosigkeit und Unwichtigkeit hätten erzeugen können.« 5 Ein interessantes Beispiel, wie Menschen in wissenschaftlicher (sic!) Form seit Langem versuchen, das zeitliche Erleben zu strukturieren, zu handhaben und zu symbolisieren, sind die weltweit verbreiteten, verschiedenen Kalender. Die bekanntesten sind unser gregorianischer, darüber hinaus der islamische (Jahresbeginn 26.11., Jahresdauer 354 Tage), der jüdische (Jahresbeginn 29.9., Jahresdauer 354 Tage), der chinesische (Jahresbeginn 3.2., Jahresdauer 360 Tage), der buddhistische (Jahresbeginn variabel, Jahresdauer 365 Tage), der Minguo-Kalender (Taiwan, Jahresbeginn 1.1., Jahresdauer 365 Tage), der bengalische (Jahresbeginn 15.4., Jahresdauer 365 Tage), der Porhalaan (Kalender der Batak, einer Volksgruppe auf Sumatra, Jahresbeginn 3.5., Jahresdauer 360 Tage), der koreanische Kalender der Dangun- bzw. Juche-Ära (Jahresbeginn 3.2., Jahresdauer 360 Tage) und viele andere. Der gemeinsame seelische Hintergrund ist das Bedürfnis, die Angst zu lindern, indem das

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Einführung

Und das ist das Radikale an den hier vorgetragenen Gedanken: körperliche Symptomatik wird – wenn immer möglich – zunächst als Ausdruck seelischen Ungleichgewichtes verstanden, aber nicht in einem medizinisch »psychosomatischen« Sinne, das heißt so, dass psychische »Faktoren« Einfluss auf einen Krankheitsverlauf nehmen, sondern zunächst als direkter Ausdruck der seelischen Situation im Körperlichen, als »Psychosomatik« im eigentlichen Sinne (an den Begriff des Embodiment sei hier erinnert). Die Voraussetzungen hierfür sind gegeben: neuropsychoanalytische, neurophysiologische und epigenetische Überlegungen lassen durchaus Spielraum für diese Betrachtungsweise, die einen Bereich erfassen möchte, der schwer, kaum oder nicht (medizinisch-)wissenschaftlich, nur sehr schwer reflektierend und empathisch gedacht und so gut wie nie bewiesen, aber doch immerhin beschrieben werden kann. Hierzu ist zudem der übergreifende Einsatz bisher bekannter, theoretischer Modellvorstellungen der Möglichkeiten psychosomatischen Erkranktseins in möglichst umfassender und verbindender Weise erforderlich. Ein Spezifikum europäischer Kultur mit starkem Einfluss auf das Verstehen des menschlichen Organismus ist die genannte cartesianische Trennung von Körper und Seele. Luigi Solano zitiert Francisco Varela, der die Seele »als ein sich aus dem Organismus entwickelndes Phänomen oder dessen Eigenschaft« betrachte (Solano, 2000, zit. nach Mauss-Hanke, 2011, S. 84 ff.), vielleicht am ehesten vergleichbar mit Phänomenen der Quantenphysik, beispielsweise dem Doppelcharakter der Photonen als Welle und Teilchen. Dieser reizvolle Gedanke lässt auch die Möglichkeit zu, Menschliches seelisch und somatisch zu verstehen, und bietet die Grundlage für ein umfassendes psychosomatisches Modell, demzufolge Körper und Seele untrennbar in Erkrankungssituationen gemeinsam wirksam werden. Dem Menschen im Westen ist mit Descartes ein fundamentales Wissen und Erleben eines untrennbaren Systems des Körperlichen zeitliche Erleben »berechenbar« wird, das zeitlose Chaos des Unbewussten vermieden wird bzw. vermeidbar wird, ebenso wie der Körper verschiedene Symptome nutzt, um Innerseelisches zu symbolisieren, um das katastro­ phische Chaos des Unbewussten zu strukturieren, zu symbolisieren.

Einführung17

und des Seelischen genommen worden, ein Wissen um die Gesamtheit der Existenz und den Einfluss vielfältiger Faktoren des Sozialen und der eigenen Geschichte auf Gesundheit oder Krankheit. Es ist neben der langen Liste der psychoanalytischen Veröffentlichungen zur Thematik beispielsweise auch Eckart Leisers (2007) Verdienst, hier entgegenzuwirken, einige wesentliche Texte der französischen Psychosomatik bzw. die Arbeiten einiger bedeutender psychoanalytischer Forscher aus dem Bereich der Psychosomatik aus Frankreich in Deutschland bekannt gemacht und einen Teil derer Texte in das Deutsche übertragen zu haben. Beispielsweise zitiert er Juan Nasios Beitrag »Die Schreie des Körpers« (zit. nach Leiser, 2007, S. 97 ff.), der von einer »Karikaturisierung wissenschaftlicher Diskurse« (zit. nach Leiser, 2007, S. 97) spricht, insbesondere im Zusammenhang mit psychosomatischen Erkrankungsbildern, »bei deren spezifischer psychischer Repräsentation gegenwärtig ein vulgarisierter medizinischer und ebenso vulgarisierter psychoanalytischer Diskurs miteinander konkurrieren« (S. 98). Nach Nasio komme »innerhalb der imaginären und symbolischen Verarbeitungsmöglichkeiten von Erfahrung keine adäquate Antwort zustande« (zit. nach Leiser, 2007, S. 98), konflikthafte Erfahrungen würden in der psychischen Realität, die »aus Sexualität gemacht« (S. 100) sei6, nicht verarbeitet und würden zu einer »Oberflächenrealität« (S. 100). Es entstehe eine Verwerfung, als deren Folge »an die Stelle des Objektes ein symbolischer Ersatz, eben das Symptom tritt« (S. 105). Nachdem eine Symbolisierung nicht gelinge (Leiser, 2007, formuliert hier nach Lacan, dass die signifikante Anrufung im Nichts der symbolischen Ordnung ende), werde daher eine »Antwort vom Typ Objekt« (S. 105) ausgelöst. Man könne daher das psychosomatische Geschehen als ein lokales System verstehen, das Erkrankungsbild dann per se zu untersuchen ergebe aber keinen Sinn, hingegen sei der (hier muss hinzugefügt werden: einzige) Rahmen »für die Rekonstruktion des psychosomatischen Geschehens daher die psychoanalytische Realität« (S. 107). Hierbei stellt die Psychoanalyse einen interaktionellen Raum der Beziehung zur Verfügung, der in seiner Einmaligkeit also einzige 6 Er bezieht sich hier wohl auf die Verführungstheorie von J. Laplanche (2005).

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Einführung

Möglichkeit, das psychosomatische Erkrankungsgeschehen zu verstehen und zu bearbeiten, gewährleistet. Nach Nasio, so führt Leiser weiter aus, seien die »Objekte vom Typ Organ« (S. 108) dem Psychoanalytiker oft fremd und somit dieser zusätzlich zu dem schicksalhaften Einfluss der medizinischen Wissenschaft und deren Argumentation einer Irritation ausgesetzt. Dass der Patient Schmerz wahrnimmt, sein Arzt diesen einzuordnen versucht, heißt nicht, dass der Patient sein Leiden versteht oder der Arzt versteht, an was (an wem) der Patient leidet – um das eigentliche Leiden zu verstehen, ist ein psychoanalytischer Ansatz unerlässlich. Dass der Patient (oder sein Arzt) die Ursache seines Leidens (also nicht nur des Schmerzes) versteht oder zu verstehen glaubt, heißt nicht, dass seine Erinnerung oder sein Verstehen auf die Ursache des Leidens hinweisen. Günstigenfalls eröffnen sie eine Fährte, der es gegen den erheblichen, intrapsychischen Widerstand nachzuspüren gilt, um an das zu gelangen, was das Erleben und die Erinnerung gebildet, geformt und als innerseelische Symbolik niedergelegt haben. Letztlich ist die sprachlich, also in symbolisierter Form geschilderte Symptomatik des Patienten für den Psychoanalytiker kaum relevant, hingegen aber das, was sich in ihr, was sich hinter/unter den Worten an Bedeutung verbirgt, was sich inszeniert. Psychosomatik im psychoanalytischen Sinne bedeutet, Symbolsysteme zu hinterfragen und zu verstehen, bedeutet, keine Kausalität anzunehmen, keine Festlegung, keine Strategie, sondern in der Gegenübertragung und im Verstehen offen zu bleiben. Sie bedeutet die Fähigkeit, sich innerpsychisch radikale Lösungen und Erklärungen zu gestatten, diese aber erst zu kommunizieren, wenn sie zu einem wirkungsfähigen, mentalisierenden Gedankenkonstrukt mit Veränderungspotential für den Patienten werden können oder geworden sind, wenn sie emotional so dicht und berührend formuliert werden können, dass sie im Patienten die heilsame Wirkung entfalten. Spezifisch psychoanalytisches Verstehen körperlichen Krankseins meint auch, sich von den Versuchen, durch Symptomatik projektiv identifiziert zu werden, von den Versuchen, durch Inszenierung beeindruckt zu werden, distanzieren zu können und dem analytischen Feld Raum und Zeit geben zu können, sich zu entfalten, seine gesamte unbewusste Dimension zu zeigen, Geduld zu haben.

Einführung19

Dieses Buch ist kein psychosomatisches Nachschlagewerk oder Lehrbuch, der Schwerpunkt liegt hingegen auf dem Verstehen und dem psychoanalytischen Reflektieren körperlichen Krankwerdens oder Krankseins zum einen und zum anderen in der ständigen Anregung, in der Gegenübertragung für dieses Verstehen offen und auf die Symptomatik neugierig zu bleiben. Hierfür kann es sehr hilfreich sein, Erfahrungswissen und Fallbeispiele zur Verfügung zu haben, um körperliches Kranksein psychoanalytisch und psychodynamisch zu verstehen. Solche Fallbeispiele können – gut für uns – ein Konstrukt darstellen, mit dessen Hilfe die Wahrnehmungen, die die Gegenübertragung möglich machen (macht), innerlich verortet werden können – schlecht für uns, da wir zu Orientierung an festen Punkten neigen, Unsicherheiten und Unklares schlecht ertragen, somit uns tendenziell zu schnell oder dauerhaft festlegen (lassen). Die anarchische Botschaft lautet, unabhängig phantasieren, assoziieren und nachfragen zu dürfen, mit dem Gefühl, noch gar nicht(s) zu wissen, um irgendwann mit einem völlig verrückten (sic!) Einfall zu dem Symptom in dieser oder in einer anderen Stunde oder auch gar nicht belohnt zu werden. Denn die Dynamik des jeweiligen Problems wartet, bis sie entdeckt wird, sie will entdeckt werden, sonst würde sie an spezifischer Stelle in der Therapie oder im Leben nicht vorgebracht. Die anarchische Botschaft meint, mit therapeutischer Lebendigkeit und Befriedigung geduldig zu spüren und dabei den enormen Mut aufzubringen, immer wieder die verführerischen Übertragungsund Gegenübertragungswiderstände auszuhalten, ihnen nicht zu verfallen – und zu verstehen. Analog sollten wir mit der Theorie des Krankheitsverstehens verfahren, wenngleich wir ohne theoretische Konstrukte uns im Dickicht des Unbewussten gar nicht mehr zurechtfinden könnten. Jedoch kann hier ein neues, integrierendes Denken des bisher bekannten analytischen Wissens im Sinne eines universell und flexibel einzusetzenden Denkmodells hilfreich werden – psychodynamische Theoriepositionen in all ihrer möglichen Flexibilität und Potenz für eine fächerintegrierende Psychosomatik zu vermitteln, ist hier ebenso Anliegen.

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Einführung

Der Einfachheit halber sind in diesem Buch mit der männlichen Form der Verbalsymbole »Patient« und »Therapeut« immer die weibliche und die männliche Form zum Ausdruck gebracht. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Sohn Andreas Plab für die kritische und mühevolle Durchsicht des Textes und der Literaturquellen. Max Bornschlegl danke ich herzlich für die Mitgestaltung des Covers.

Die Entstehung des Seelischen im Körperlichen

Im Rahmen der seelischen Entwicklung sind vielfache Möglichkeiten der Störung und Entgleisung hin zu einer Entwicklung psychosomatischer Symptomatik zu beobachten und möglich. Ein kurzer Abriss der seelischen Entwicklung sei unter allgemein anerkannten, konzeptionellen Aspekten vorgelegt. Hierbei kann keine vollständige Darstellung erfolgen, hingegen aber die seelische Entwicklung in einer Form skizziert werden, dass sie für das Verstehen der nachfolgenden Überlegungen hilfreich sein kann. Menschen sind Beziehungswesen, deshalb ist die psychoanalytische Wissenschaft als Wissenschaft der menschlichen Beziehung mit ihren Theorien zur Entwicklung des Subjekts geeignet, die Entwicklung des Seelischen zu verstehen. Das Bedürfnis nach Bindung und Beziehung ist angeboren, ist biologisch und bleibt bis zum Tod bestehen. Die Entwicklung des menschlichen Nervensystems – der folgende mechanistische Vergleich sei verziehen – gleicht der biologisch angelegten Entwicklung eines ungeheuer komplexen Netzes aus Rechnerkernen und kleinen und größeren Speichereinheiten, die in bis heute kaum verstehbarer Weise miteinander die Leistung der komplexen Verarbeitung von Umweltinformation und der Aufrechterhaltung des körperlichen Gleichgewichts zum einen, aber noch viel mehr die Aufrechterhaltung eines inneren Gleichgewichts der somatopsychischen Einheit zum anderen gewährleisten. Hierzu werden von Anbeginn der Ontogenese an bis an das Ende des Subjekts alle Erfahrungen, die dieses bewusst oder unbewusst macht, im Netz der Neuronen verarbeitet und gespeichert, so auch alle affektiven Erfahrungen, die spätestens seit der Geburt mit Fragmenten oder Teilen

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Die Entstehung des Seelischen im Körperlichen

oder kurzen, abgeschlossenen Einheiten einer Objektbeziehung verknüpft sind, und es sind letztlich alle.7 So wird ein zwar biologisch vorbereitetes Neuronennetz erst durch die erfahrenen Objektbeziehungen in Verbindung mit standardisiert angelegten Möglichkeiten affektiven Erlebens quasi wie die Hardware eines Rechners mit Software beschrieben und betriebsbereit. Damit wird eine innerseelische Struktur entwickelt, die eben von jenen unzähligen Anteilen aus Affekt und Objektbeziehung gebildet ist (man kann diese auch als Beziehungsrepräsentanzen bezeichnen) und lebenslänglich von dieser unüberschaubaren Vielzahl kleiner und kleinster menschlicher Begegnungsmomente geprägt ist. Diese vielfachen, in unüberblickbarer Folge und Komplexität gespeicherten Repräsentanzen von Beziehungen müssen in ihrem stabilisierenden und Halt gebenden Charakter in einer Form überwiegen, dass andere Erfahrungen des Mangels, des Verlustes oder des Konflikts im Innerpsychischen ertragen und kompensiert werden können. Überversorgende Beziehungen sind hierbei nicht mit den in einer stabilen Bindung Halt gebenden Beziehungen zu verwechseln. Das menschliche Nervensystem ist insbesondere zu Beginn seiner Entwicklung enorm begierig, sich mit derartig positiven Inhalten der Beziehungserfahrung zu strukturieren und zu füllen, ebenso wie das Vitale im Menschen immer nach neuen Erfahrungen sucht. Hier mag das Triebhafte hineinzudenken sein, zumal jede Suche nach Neuem auch eine Suche nach einer Objektbeziehung, nach Sicherheit, nach Gleichgewicht im Inneren und nach Kohärenz und Erfüllung ist. Jeder Kontakt eines Subjekts zu einem anderen ist daher (im Sinne der Übertragung) stets eine Wiederholung der im Impliziten abgespeicherten Erfahrungen, auch wenn der Kontakt in einem zweiten Schritt (der Nachträglichkeit) symbolisch oder verbalisiert, 7 Allan Schore (zit. nach Rass, 2012, S. 33) gibt hierbei den wichtigen Hinweis, dass die »rechte Hirnhälfte ihren stärksten Wachstumsschub ab dem Ende des 3. Schwangerschaftstrimesters und bis hinein ins zweite Lebensjahr habe«, der Wachstumsschub der linken Hirnhälfte hingegen beginne erst im Laufe des zweiten Lebensjahres. »Somit ist es vor allem die rechte Hirnhälfte, die von den Bindungserfahrungen geprägt ist« (S. 33).

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somit bewusst(er) und dann als andere, neue Information abgelegt wird. Das seelische Erleben ist zu Beginn des menschlichen Daseins nicht vom körperlichen Erleben getrennt, daher verbleiben nicht symbolisierte und nicht symbolisierbare Affekte im Körperlichen (in der Besetzung von Organen, in der Motorik, im Vegetativen etc.), hier kommt dann die Psychosomatik des Präödipalen, des NichtKonvertierten ins Spiel. Der Regulation der Affekte kommt hier eine zentrale Rolle zu in der innerseelischen Entwicklung und bei dem Bestreben, stets ein innerseelisches Gleichgewicht herzustellen, zu halten – gelingt die Integration der Affekte nicht, kommt eben das Somatische ins Spiel. Die libidinöse Besetzung des Ichs nach Sigmund Freud – man erinnere sich, dass das Ich ein körperliches sei – erklärt somit die Besetzung des Soma, wenn die Entwicklung in einem Segment der Psyche stagniert. Narzissmustheorien lassen sich hier gut integrieren. Negative oder maligne Erfahrungen mit den primären Objekten werden abgespalten, bleiben unsymbolisiert und in den Repräsentanzen des Körperlichen (immer wieder ist man versucht, »im Organischen« zu formulieren) erhalten, werden in konflikthaften und Belastungssituationen in regressiver Form zu den Gründen für ein psychosomatisches Erkranken. Dass ein Organ – oder auch wieder besser: die neurologische Repräsentanz dieses Organs im Nervensystem (quasi eine Gruppe vernetzter kleiner Speicherchips) – hierbei den Charakter eines Objekts erhalten kann, liegt auf der Hand und begründet etwa die narzisstische Besetzung des Organs bei der Hypochondrie (vgl. später auch die Ausführungen zum Konzept Mathias Hirschs, 1989, 2002). Nun befindet man sich in der Nähe zum ödipalen Register, wenngleich die Symbolisierung nur zum Teil und unzureichend gelang. Im Idealfall werden die meisten Affektanteile mit Anteilen guter oder ausreichend guter Objektbeziehung (zu den primären Objekten) in den Speichern und Neuronennetzen in symbolisierter Form abgelegt (nie aber alle), dann entsteht ein relativ gesunder Mensch, anderenfalls ist dieses Ideal nicht annähernd erreicht, dann können aber stabilere Strukturanteile und eine bindende Beziehung zu guten Objekten zu einem späteren Zeitpunkt zu Resilienz beitragen. Eine Prognose ist nie möglich, ein retrospektives Verstehen wohl.

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Etwa ab dem zehnten Monat beginnt ein Wunder, über das nur spekuliert werden kann: Nach der schnell voranschreitenden, immer komplexeren Vernetzung der Rechner- und Speichereinheiten im Gehirn und der Einschreibung der Objektbeziehungserfahrungen wird das Gefühl möglich, ein Subjekt zu sein, als wenn es eine große Mindestanzahl und eine gewisses Fortschreiten der biologischen Vernetzungsprozesse benötige, um dieses Gefühl zu ermöglichen. Freilich ruht dieses auf der Basis der unzähligen Einheiten von Affekt und Objektbeziehung, dies erklärt auch die innerseelische Einmaligkeit des Subjekts. Ein weiteres Wunder stellt dar, dass dieses nun erstmals im eigenen Erleben auftauchende Subjekt selbständig zu handeln beginnen kann – freilich auch nach einem grundsätzlich vorgegebenen Zeitplan und groben Mustern von der oralen zur ödipalen, schließlich zur adoleszenten Entwicklung etc. – und neue Bindungen und Beziehungen sucht, die ausschließlich zu den nun bereits in der Tiefe abgespeicherten Erfahrungen in Passung sein müssen und selbstverständlich nichts anderes im Sinn haben, als die erste Programmierung zu festigen, zu bestätigen und das System ständig zu stabilisieren, analog der Funktion des Selbstobjekts (man denke beispielsweise an den Wiederholungszwang). Dies bleibt dann lebenslange Aufgabe des Nervensystems, scheitert diese, kommt es zum Rückgriff (also einer Regression) auf frühere Muster, also zum somatischen Erkranken, auch dies wiederum, um die Stabilität und Kohärenz zu erhalten. Sind nach früher, defizitärer, gegebenenfalls auch traumatisierender Objektbeziehung aggressive Affektanteile tief subsymbolisch in die Struktur integriert, können diese in den soeben beschriebenen Situationen der Labilisierung mit der Notwendigkeit des Rückgriffs im Organischen wirksam werden, so möglicherweise in Form maligner oder immunologischer Erkrankungen. Die libidinöse Besetzung des Selbst bleibt stets Aufgabe des Nervensystems, wohl als Garantie für das körperliche und seelische Überleben, notfalls werden Besetzungen, die nicht extern möglich sind und nicht dem Selbst dienen dürfen, in das Organische verschoben, wie bei der Hypochondrie oder auch den immunologischen Erkrankungen. Eine frühe Einschreibung des geheimnisvollen Sexuellen und des unbewussten Seelischen des Erwachsenen in kör-

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perliche Strukturen des Kindes ist für Subjekt und Objekt erforderlich und hilfreich, um das Miteinander zwischen dem Säugling und den primären Objekten zu bewältigen, hat aber gegebenenfalls die bekannten Folgen für das Subjekt. Großer Gefahr ist das kleine Subjekt ausgesetzt, wenn die Trennung vom dann gefährdeten Objekt bemerkbar wird, die Tatsache und schmerzhafte Erkenntnis in die Beziehung zum Primärobjekt kommen, dass die Brust nicht ständig verfügbar ist und nie wieder ständig verfügbar sein wird. Nicht zu denken, dass hier nicht aggressive Affektanteile im Motorischen und Vegetativen ihren Niederschlag finden, kaum vorstellbar, welche Gratwanderung das ideale Objekt vollziehen müsste, damit das Subjekt für all diese Affektanteile eine kompensierende und tragende Struktur entwickeln und behalten könnte. Niemals wird solch ein Idealzustand erreicht sein oder erreichbar sein, in dem alle Affekte symbolisiert und in die Struktur integriert wären, und selbst wenn es so gelungen wäre, dann ist da noch die Möglichkeit, zu regredieren. Es gibt keinen objektlosen Zustand im Seelischen. Aufgabe des Analytikers ist es, die krankmachende Interaktion mit dem Objekt aufzuspüren, und hier wird jede wissenschaftliche Vorgehensweise im medizinischen Sinne bis auf Weiteres scheitern. Je mehr Übergangsobjekte und Objekte besetzt werden und je umfangreicher und vielfältiger dies gelingt, desto mehr drücken sich die Konflikte der Beziehungen zum Objekt symbolisiert im Körperlichen aus: Eine der reifsten Formen ist die Konversion. Symptomatische Kombinationen zwischen den verschiedenen Entwicklungsstufen als Ausdruck einer Entwicklungsstörung auf mehreren Ebenen sind üblich. Besonderes Augenmerk gilt den Besetzungen des eigenen Inneren, wenn eine Besetzung des Objekts nicht möglich war und das Objekt etwa gehasst werden musste. Eine Verbindung des zurückweisenden Objekts mit den antilibidinösen Besetzungen ȤȤ führt zu einem abgespaltenen, destruktiven, hasserfüllten und entwerteten Selbst, ȤȤ unterdrückt zusätzlich die eigene Liebes- und Objektbedürftigkeit, die noch weniger gespürt und wahrgenommen werden kann, ȤȤ öffnet die inneren Pforten für die Besetzung des Somatischen.

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Vielleicht wird dann das Organ (oder seine Repräsentanz im Nervensystem) Übergangsobjekt, Ort abgespaltener guter oder schlechter Anteile des Objekts, häufig nicht symbolisiert. Aufgabe des Subjekts ist die Überwindung des primären Narzissmus und die Erlangung von Autonomie. Ohne Objekt stirbt das Subjekt. So wird das Subjekt alle Mechanismen mobilisieren, um das Objekt zu schützen und für sich zu erhalten, notfalls auf Kosten des eigenen Körpers. Der Trieb will das Objekt, das Subjekt braucht die Bindung wie Nahrung. Die Beziehung zum Objekt ist niemals ohne Konflikt, ohne Aggression, ohne Enttäuschung. Schon das initiale lustvolle Sein des Subjekts ist mit dem Austritt aus dem Geburtskanal elementar gestört, und der Kampf um das Überleben neben dem Objekt beginnt. Alle Mittel, eben auch der Einsatz der libidinösen Besetzung des Somatischen, sind erforderlich, um psychisch am Leben zu bleiben. Sehr viel später können sich Kinder an der Umgangsweise ihrer Eltern mit körperlichen Symptomen orientieren und insbesondere mit diesen und deren Symptomatik identifizieren, können den sekundären Krankheitsgewinn ebenso schätzen lernen sowie unbewusste Haltungen, Krankheitsentitäten und -identitäten übernehmen. Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich weiter, dass mit dem Einschreiben der ersten Einheiten aus Affekt und Beziehung selbstverständlich auch die Erlebensmuster und strukturellen Anteile der Eltern, der primären Objekte, in die Struktur des Kindes eingeschrieben und eingebracht wurden, sodass sich hieraus aus psychoanalytischer Sicht die wesentliche Frage ableitet, ob das ursächliche, genetische Verstehen vieler Erkrankungen (»Erbfaktor«) nicht letztlich mit der entwicklungspsychologischen Betrachtung der Psychoanalyse eine plausible Erklärung findet. Ein geradezu paradigmatisches Beispiel hierfür findet sich in der Psychiatrie, in der mit genetischen Begründungen die enorme Häufigkeit psychotischer oder depressiver Erkrankungen bei den Kindern selbst erkrankter Eltern erklärt wird und aus psychoanalytischer Sicht nur kritisch angefragt werden kann, wie denn eine andere als eine psychosebegünstigende Struktur im Kind entstehen kann, wenn psychotische Muster der Objektbe-

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ziehungen und des Denkens des Elters das Innerseelische des Kindes von Anfang an konfigurieren.

Psychoanalytische Modelle psychosomatisch und seelisch bedingten körperlichen Erkrankens

Bereits mit Freud, der der Psychosomatik nie besondere Bedeutung beimaß, waren psychosomatische Modelle körperlichen Erkrankens mit verschiedenen seiner Konzeptionen dem Denken zugänglich geworden, so konnten sich beispielsweise Konflikte im Körperlichen symbolisieren und manifestieren, dann verstehbar als Konversionsneurose. Eine Konzentration narzisstischer Libido auf das Körperliche war als hypochondrische Störung denkbar, und die klassischen Funktionsstörungen des Körpers psychogener Genese (funktionelle Störungen), nicht immer der Symbolisierung eines »klassischen« unbewussten Konflikts entsprechend, konnten weitgehend als Aktualneurose verstanden werden. Georg Groddeck (1923) begriff jede körperliche Erkrankung aus dem »Es« bedingt, einem Es (den Begriff stellte er Freud schließlich zur Verfügung, wenngleich dieser ihn bekanntermaßen anders definierte), das er auf seine eigene Weise verstand und erklärte. Er maß jeder körperlichen Erkrankung einen symbolischen Wert zu, ein immer wieder zu diskutierender Gedanke im Hinblick auf eine psychoanalytische Verstehensweise des Körperlichen. Ob er allerdings mit seiner stets und über die Jahre immun gegen jeden kritischen Einwand vorgebrachten Argumentation, die Psychoanalyse könne jede organische Erkrankung behandeln, dieser einen Gefallen getan hat, sei dahingestellt, möglicherweise hat er ihr damit, obwohl als Initiator der Psychosomatik im deutschsprachigen Raum geltend, einen Bärendienst erwiesen. Beispielsweise sei hier das Scheitern der Psychosomatik, kardiale oder maligne Erkrankungen spezifischen Persönlichkeitsstrukturen zuzuordnen, genannt.8 8 Solche Bedenken kamen wohl auch Gustav Richard Heyer (1890–1967, psychotherapeutisch tätiger Arzt und Schüler von C. G. Jung, der sich ebenfalls mit psychosomatischen Themen beschäftigte), als er nach einem Vortrag Groddecks einwarf, »die Apodiktik der Leitsätze Groddecks« sei »bei solcher

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Das »Es schafft sich in der Erkrankungsfähigkeit ­gleichsam sichere Stellungen, in die es sich flüchten kann« (Groddeck, 1933/2011, S. 18), die dann aufgetretene Erkrankung, »sei sie akut oder chronisch, infektiös oder nicht, gibt [dem Betroffenen] Ruhe, schützt vor der kränkenden Außenwelt oder wenigstens vor wohlbestimmbaren Erscheinungen, die unerträglich sind« – zu ergänzen wäre hier nur noch: und schützt vor den Konflikten mit den Introjekten, vor bedrohlichen Autonomie- und Individuationsschritten. Vielleicht ist dies tatsächlich einer der Kernsätze psychoanalytischen psychosomatischen Denkens, zu diesen gehört sicherlich auch die Ansicht, »dass es eine psychische Bedingtheit körperlicher Erkrankungen nicht gibt«. »Das Ubw. [Unbewusste] ist weder psychisch noch körperlich« (Groddeck, 1923, S. 18), im Übrigen stellt auch für Harald Schultz-Hencke das »Leib-Seele-Problem […] ein Scheinproblem« (1951, S. 10) dar und Porsch schreibt, dass »jedes psychische Erleben zugleich ein körperliches Korrelat habe« (1997, S. 42). Groddeck (1933/2011, S. 19) unterrichtet auch stets über seine Behandlungserfolge: »Übrigens bin ich in der Lage gewesen, in einigen Fällen von Polyarthritis und Arthritis deformans experimentell durch Aufrühren und Auflösen von Verdrängungskomplexen Verschlimmerungen und Besserungen zu erzielen« – hier beschleichen den im Umgang mit derartig erkrankten Individuen erfahrenen Analytiker allerdings Zweifel, ob sich bei Erkrankungen dieser Art »durch Aufrühren und Auflösen von Verdrängungskomplexen« allein ausreichende Besserung erzielen lässt, denkt man an die oft vielschichtige Abwehr, die hinter solchen Erkrankungen vorzufinden ist und die lange Dauer des erforderlichen Durcharbeitens, insbesondere an die fehlende Symbolisierung der mit diesen Erkrankungen in einem Zusammenhang stehenden Affekte. Die organische Seite sei hier gar nicht diskutiert. Zu Gunsten Groddecks mag man durch idealisierende Übertragung und Suggestion ausgelöste Symptomänderungen unterstellen. Ungenauigkeit seiner klinischen Angaben unberechtigt« und es bestehe die Gefahr »uferlosen Spekulationen zu verfallen« (Groddeck, 2011, S. 217 f.) – eine Gefahr, die der Psychoanalyse noch heute manchmal vorgeworfen wird.

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Gleichwohl warnt Groddeck aber, man dürfe sich »nicht anmaßen, die Gründe und Zwecke des ubw. Lebens zu durchschauen« (Groddeck, 1933/2011, S. 19) und »niemals« (S. 33) werde »durch unsere ärztlichen Maßnahmen eine direkte Heilung herbeigeführt«, vielmehr könne man »stets nur uns völlig unbekannte Heilfaktoren in Bewegung« (S. 33) setzen. Man könne sich »den Genesungsprozess […] etwa wie einen Umbau des Organismus vorstellen« das Unbewusste habe zwar alle Arbeitskräfte in sich, »meist auch alles Material«, aber es gelte gegebenenfalls »irgendwelche Hindernisse«, wie eine »Mauer« oder »Schuttmassen«, zu beseitigen, »ab und zu Baumaterial« zur Verfügung zu stellen (hier nennt er die »chirurgische Operation« und die »physikalische und chemische Behandlung«), oder aber »vielleicht« seien »die Arbeiter des Es nur zu bequem, haben sich zu sehr an die vertrauten Verhältnisse gewöhnt und fühlen sich darin behaglich, oder sie trauen sich in Unterschätzung ihrer Fähigkeiten nicht an die Arbeit heran« (Groddeck, 1933/2011, S. 33). Und weiter: »Es könnte aber auch sein, dass ein fremdes Verbot, ein Verbot früherer Machthaber [Was für ein schönes Bild für Introjekte! Anm. K. P.] oder augenblicklicher Mieter, die ihren Kontrakt haben, auf dem Es lastet, dass das Es gewissermaßen durch Eide gebunden zu sein glaubt oder dass die ihm eigentümlichen Gaben durch Erziehung zu einer falschen Technik gebracht worden sind« (S. 33). Daher sei es »das Beste«, diese Verbote und falschen Techniken »aus der Tiefe der frühen oder späten Vergangenheit hervorzuheben«, dies sei das »Verfahren der Psychoanalyse«. Wenn geglaubt werde, der Körper könne »angeblich« […] »nur körperlich behandelt werden«, dann sei »ein solches Verfahren, seitdem Freud den Weg gewiesen« habe, »fahrlässig«. Die Behandlung brauche hierbei aber »nicht so weit zu gehen, kann es auch gar nicht, dass dem Ich alle Komplexe der Vergangenheit zum Bewusstsein kommen«, was aber Not tue, sei, »dass das Es zu seiner Tätigkeit angeregt« werde (Groddeck, 1933/2011, S. 33). Groddeck sind auch einige weitere, wichtige Erkenntnisse zu verdanken, die kurz angesprochen seien, so beispielsweise seine Sichtweise der Hysterie, derzufolge es ein »Irrtum [sei, anzunehmen,] […] nur der Hysterische habe die Gabe, sich zu irgendwelchen Zwecken krank zu machen« (Groddeck, 1933/2011, S. 13), vielmehr besitze

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jeder »Mensch diese Fähigkeit und jeder verwendet sie in einer Ausdehnung, die man sich nicht groß genug vorstellen kann« – ein erster Hinweis, dass jedes menschliche Individuum doch auf ein psychosomatisches Muster zu regredieren in der Lage ist. In der Nachfolge Freuds entwickelte sich eine Vielzahl zum Teil hochkomplexer Erklärungsmodelle des psychosomatischen Krankseins, und es bestätigt sich immer wieder, dass »Menschen, die von einer Sache wenig verstehen […] aus ihrem frustrierten Bedürfnis nach Verstehen heraus komplizierte Theorien entwerfen« (Kollbrunner, 2010, S. 284), dass aber die bekannten, faszinierenden psychoanalytischen Modelle des psychosomatischen Erkranktseins weitgehend ausreichen, um den Ausdruck des Protomentalen (Vorbewussten) und der Affekte im Somatischen für sich zu konzeptualisieren, zu verstehen und einzuordnen. Eine gute Übersicht über Konzepte psychosomatischen Krankseins findet sich bei Siegfried Zepf (2006). Er selbst versteht körperliche Erkrankung als ein sozialisationsspezifisches strategisches Verhalten, in dem zwischenmenschliche Konflikte eine pathologische Lösung gefunden hätten, eingebunden in die eigene Lebensgeschichte, aber nicht selbst reflektierbar. Weiter geht er davon aus, dass die spezifische Bildung der Symptomatik von der ebenso spezifischen Lebensgeschichte des Individuums bestimmt werde. Psychosomatische Erkrankung sei regressive Reaktion. Nach Freud, dessen Konzepte der Konversion und der Angstneurose nach Zepf (2006) als erste Wurzeln der Psychosomatik verstanden werden können, setzte Groddeck (zit. nach Zepf, 2006, S. 98) »Körper und Seele, Physiologisches und Psychologisches« dem »Es« gleich, in der Folge entwickelte Franz Alexander (1950) mit seinem Konzept der »Organneurose« erstmals ein schlüssiges und umfangreiches Konzept zur Psychosomatik. Er verstand unter dem Begriff der Organneurose, den er im Übrigen von dem der Konversionsneurose abgrenzte, eine spezifische Gruppe von Erkrankungsbildern wie den Bluthochdruck, das Asthma, das Magengeschwür, die funktionellen Störungen und unterstellte, dass sich Konversionssymptome hingegen nur in Körperregionen, die einer bewussten Innervation unterliegen, zeigen könnten (bspw. Skelettmuskulatur, Auge, Sprache).

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Otto Fenichel (1931) verstand Tics oder Stottern oder auch Erbrechen als Ausdruck hysterischer Konflikte im Sinne einer präödipalen Konversionsneurose, später vermutete Sperling (1978) die Ursachen psychosomatischer Erkrankungen in den frühen Objektbeziehungen: Die Mutter wende sich mit besonderer, unbewusster Aufmerksamkeit einem Organ zu und schaffe damit dessen Bedeutung für das spätere Erkranktsein. Somit bleibe die Beziehung zur Mutter im Organ repräsentiert – allerdings ist hier wie auch im Folgenden darauf hinzuweisen, dass es sich um ein materielles, organisches Äquivalent des Organs im Unbewussten, im Nervensystem handeln muss. Für die Organneurosen hingegen vermutete Franz Alexander (1950), dass eine emotionale Spannung in einer auf Außenobjekte gerichteten Handlung nicht abgeführt werden könne und diese zu geweblichen Veränderungen und irreversiblen Organschädigungen (Zepf, 2006) führe. Die Organneurose habe keinen Ausdruckscharakter, sondern stelle eine Reaktion der Organe auf sich wiederholende emotionale Zustände dar. Zu Recht kommentiert Zepf (2006) hier, dass das Seelische in der Alexander’schen Konzeption hierdurch zu einem Epiphänomen werde, darüber hinaus ist anzumerken, dass in dieser Konzeption aus heutiger Sicht Widersprüchlichkeiten und unzutreffende Versuche, Kategorien in das Feld der Psychosomatik einzuführen, aufzufinden sind, die sie nicht mehr zeitgemäß erscheinen lassen können. Allerdings kann die Annahme Alexanders, dass die Konversionssymptomatik für den jeweiligen Patienten und seine Biographie spezifisch ist, noch heute als gültig gesehen werden, ebenso der Gedanke, dass ein Abhängigkeitskonflikt »der zentrale Faktor für die Ätiologie psychosomatischer Erkrankungen« darstelle (Porsch, 1997, S. 40). In seinem Modell der De- und Resomatisierung geht Max Schur (vgl. Zepf, 2006, S. 102 f.) von einer somatischen und psychischen Prädisposition aus, einem Produkt von Anlage und Umweltfaktoren. Mit der Bildung der Symbolisierungsfähigkeit gelinge es dem Kind auch, Triebenergien zu neutralisieren, statt zu agieren kann nun gehandelt werden, im Bereich des psychosomatischen Krankseins werde sodann aber das erreichte Entwicklungsniveau regredierend verlassen, ein früheres Stadium der psychischen Entwicklung

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eingenommen. Die spezifische Reaktion verschiedenster Organe sei genetisch festgelegt (manches spricht dafür, jedoch sei auf die bereits vorgebrachten Bedenken verwiesen). Nach Engel und Schmale (vgl. Zepf, 2006, S. 184) lösen unspezifische Faktoren, wie ein realer oder phantasierter Objektverlust mit Gefühlen der Hilf- und Hoffnungslosigkeit, in einem im biologischen System verankerten Organsystem, neurosekretorische Prozesse aus; hintergründig bestehe eine »unbewusst phantasierte Schädigung«, in einem zweiten Mechanismus erlangten Physiologie und Pathophysiologie, im Rahmen einer körperlichen Erkrankung auftretend und dann wahrgenommen, psychische Repräsentanz im Sinne unbewusster Phantasien, die sodann eingesetzt werden könnten. Klaus D. Hoppe (1964) weist darüber hinaus darauf hin, dass das Fehlen eines Übergangsobjekts »die Wahrscheinlichkeit zur temporären Symptombildung im Sinne einer Konversionsstörung vermindere und damit eine weitere Bedingung zur Chronifizierung somatopathologischer Prozesse gegeben sei« (Porsch, 1997, S. 63). Eugenio Gaddini (1978, zit. nach Porsch, 1997, S. 63) nimmt an, dass Vorläufer von Übergangsobjekten (er nennt sie »Precursor-Objekte« und als Beispiel einen Schnuller zur Beruhigung) zwar eine ähnlich beruhigende Wirkung wie Übergangsobjekte hätten, aber vom Kind nicht selbst geschaffen und gefunden seien, sondern dem Kind durch die primären Objekte zur Verfügung gestellt wurden, sie ermöglichten einen »ersten Schritt der Abkoppelung der Internalisierungsprozesse hin in Richtung auf Autonomie und Eigenständigkeit des Kindes« (Gaddini, 1978, zit. nach Porsch, 1997, S. 64). Gaddini geht nun davon aus, dass insbesondere der Verlust dieser Vorläufer-Übergangsobjekte zu »schwersten« psychosomatischen Erkrankungen führen könne, entsprechend einer nicht gelungenen »Desomatisierung als Folge einer deprivierten bzw. traumatisierenden Umgebung« (Gaddini, 1978, zit. nach Porsch, 1997, S. 64). Hierbei ergänzt er, dass die schädigenden Ursachen nicht nur in einer Vernachlässigung des Kindes, sondern auch in seiner Überversorgung zu finden seien. Alexander Mitscherlich entwickelt schließlich sein Modell der »zweiphasigen Verdrängung«, in diesem führen Triebspannungen zur Symptombildung, eine hierbei zu unterstellende »Zerreißung der

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höheren Organisationseinheit des psychosomatischen Simultangeschehens« gehe mit einer »Defektautonomie in der Regulation körperlicher Prozesse« einher, bei der Konfliktbewältigung seien psychische Maßnahmen in einer ersten Phase nicht mehr ausreichend, in einer zweiten Phase erfolge »die Verschiebung in die Dynamik körperlicher Abwehrvorgänge«. Es komme zu einer Regression auf organische Abläufe, »deren Steuerung als biologische Mitgift gesichert« sei, entscheidend für die Symptomspezifität seien biologische Konstitutionsvarianten, »die sich unmittelbar in Triebbedürfnissen repräsentieren« (Zepf, 2006, S. 112). Das Besondere dieses Modells ist die implizite Integration des Triebhaften, wie sie auch den französischen Modellen der Psychosomatik zu eigen ist, lässt sich doch mit dem Denken einer triebhaften Besetzung eines Organs ein guter, intuitiver Einstieg in das Verstehen einer körperlichen Symptomatik erreichen. Interessanterweise ergänzt Alexander Mitscherlichs Frau Margarete Mitscherlich (2008) das Modell um die Überlegung, dass Trennung und Wiedervereinigung mit den primären Objekten nur im Körper, nicht aber in symbolisierter Form stattfinden könne, psychosomatische Krankheit ist für sie Inkorporation eines gehassten Objekts, man könnte noch exakter formulieren: Psychosomatische Erkrankung ist die im neuronalen Netz und neuroimmunologischen System im Organerleben repräsentierte negativ-konflikthafte Teilobjektbeziehung zum jeweiligen primären Objekt. Eine weitere Grundlage für psychosomatische Erkrankungen sieht Mitscherlich in einem Anspruch der Gesellschaft, der ständig »in das Individuum hinein vorgetragen« werde, »dass Abweichungen von Geboten und Verhaltensnormen permanent intensive Angst erwecken« (in Schnabel,1988, S. 83), auch dieser Gedanke entbehrt keineswegs der Aktualität, besonders wenn man bedenkt, wie sehr die sozial und professionell sich ergebenden Verpflichtungen zu einem Autonomieverlust und zu oft erheblicher Anpassungsleistung des Individuums beitragen.

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Ohne auf die Theorie von Pierre Marty (zit. nach Zepf, 2006)9 weiter einzugehen, sei kurz auf dessen Verstehen psychosomatischen Krankseins als tiefgreifende Reifungsstörung hingewiesen. Es fehle den Erkrankten nicht nur die Fähigkeit zur Symbolisierung, auch der psychische Apparat des psychosomatisch Erkrankten sei »nur minimal ausgebildet und strukturiert«, Projektions- und Identifizierungsvorgänge hätten nicht stattgefunden, die Mutter sei nicht als gutes Objekt internalisiert worden, in typischer Weise sei das Denken pragmatisch und instrumentell, Objekte würden nur nach dem Muster des eigenen, weitgehend undifferenzierten Selbstbildes wahrgenommen, es bestehe ein Mangel an unbewussten Phantasien, die bestehenden Phantasien seien entweder strukturell undifferenziert oder entsprächen einer Reproduktion faktischer Situationen. Denkt man darüber nach, wie mühsam und komplikationsreich der Weg des Individuums vom affektiven Wesen zum nachdenkenden, bewussten Wesen ist, stellt diese Theorie einen weiteren, schönen Rahmen des Verstehens dar, darüber hinaus sei auf die Erfahrung, dass eine ständig präsente Mutter das Entstehen psychischer Repräsentanz verhindern und verzögern kann, hingewiesen, wie auch in der Modellvorstellung von Zepf (2006) aufgeführt (siehe im Folgenden). Thure von Uexküll und Kollegen (2010) versuchen, somatische, seelische und soziale Faktoren in einem Modell zusammenzubringen: Soma und Psyche, zwei miteinander gekoppelte Systemebenen, müssten von einem bereits problemlösungskompetenten Säugling 9 Marty war seit etwa 1960 für einige Jahrzehnte in Paris der wichtigste Analytiker für das französische Verstehen in der Psychosomatik, zuletzt aber zeigte er sich pessimistisch, wenn es um die psychoanalytischen Möglichkeiten ging, das »pensée operatoire« der Patienten, also die Unfähigkeit der psychosomatisch Erkrankten, zu symbolisieren, durch analytisches, assoziatives Vorgehen aufzulösen. In seiner Nachfolge vertrat Michel de M’Uzan das Konzept des Vitalen, abgetrennt von libidinösen Trieben, und weiter das der »Chimären«, Bildern im Therapeuten, die dem psychosomatisch Erkrankten im Verstehen seiner abgespaltenen Teilobjektbeziehungen oder Affekte hilfreich sein können. Wichtig hierbei, dass der Analytiker für den Erkrankten phantasiert und ihm somit das Vitale vermittelt. De M’Uzan führt den Erkrankten hier mehr an das Verstehen heran, als er deutet. Das Vitale führt im Erkrankten zum Aufbau einer Identität.

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dergestalt bewältigt werden, dass die Signale aus dem Körperinneren und den Sinnesorganen in ein neues Zeichensystem zu transferieren seien. Hierbei müsse die Umwelt eine Bedeutungsgebung ermöglichen, um das Individuum zu befähigen, sich seine eigene, innere Welt zu schaffen. Zepf (2006) kritisiert und kommentiert hier, dass »von Uexküll an keiner Stelle in eine kritische Auseinandersetzung mit den vorhandenen und von ihm auch festgestellten verschiedenen Theorien über den Zusammenhang somatischer, psychischer und sozialer Faktoren und mit den bestehenden semiotischen Auffassungen« eintrete, »nicht einmal Hinweise auf die Debatte lassen sich seiner Darstellung entnehmen«, seine »Zitierweise« sei »eklektizistisch und oft auch irreführend« (S. 132). Von Uexküll sammle »Bildungsarabesken«, »welche das Gerüst der von Uexküll’schen Überlegungen« eher verneble als profiliere, und »seine Zentralbegriffe changieren je nach Konzept«, seine Konstruktion sei »die Position eines radikalen Konstruktivismus«. Dem ist nichts hinzuzufügen (S. 132). Bion (2006) postuliert einen vorbewussten Urzustand, den er protomental nennt, einen Zustand, in dem Körperliches und Mentales noch nicht unterschieden seien, Störungen in diesem Urzustand können sich deshalb physisch oder psychisch äußern, etwa als epidemische Krankheit, wie zum Beispiel Massentuberkulose, oder als Gruppenmentalität. Gleichzeitig wird durch diese Idee eine neue Perspektive für das Verständnis von psychosomatischen Phänomenen eingeführt, die als Manifestationen von Störungen im protomentalen Bereich verstanden werden können und die Frage aufwerfen, welches seelische Phänomen welchem somatischen Phänomen entspricht. Bion (2006) glaubt, dass diese Sicht der Dinge dazu beitragen kann, die populäre Engführung der Kausalität in der psychosomatischen Diskussion zu überwinden. Hier kann man ihm nur zustimmen, wenngleich die Radikalität seines Denkens (auch) dabei deutlich wird, beispielsweise, wenn man Massenphänomene wie ADHS, Wellen enteritischer oder grippaler Infekte und anderes als in der Sozietät unbewusstes, protomentales Gemeingut versteht. Für Bion existiert Denken von Anfang an, und zwar in Form von Ideografen, die visuell wahrgenommen werden können; dies sind Bilder, die noch nichts bedeuten, aber mit emotionalen Erfahrun-

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gen in Verbindung stehen. Wenn das Ideograf mit diesen emotionalen Erfahrungen verbunden wird, wird es zum Ideogramm, zum (zu) deutenden Zeichen. Dies sind dann die Zeichen, welche mit Erlebnis- und Erinnerungsspuren verbunden sind, sozusagen die Vorfahren der Symbole. Bereits früher in seinen Arbeiten über Gruppen erschien diese Idee als Konzept eines protomentalen Systems, das noch heute Grundlage für das Verständnis von unbewussten Prozessen in Gruppen ist. Bion (2006) modifiziert das Freud’sche Denken, indem er annimmt, dass etwas vorbewusst werde, indem es mit verbalen Bildern in Verbindung komme, die dem Etwas entsprechen. Dieses präverbale Denken, das Objekte verbinde und so Realität vorbewusst mache, werde aber am Entstehen gehindert oder zerstört, indem der Gedanke, der Objekte und Sinneseindrücke verbinde, durch projektive Identifikation attackiert werde. Die Verbindung zwischen Sinneseindrücken und Bewusstsein werde somit zerstört. Diese Zerstörung diene dem Schutz vor Bedrohung und vor Angst, darüber hinaus würden die Verbindungen innerhalb des Denkprozesses gespalten, nämlich in verschiedene Ideografen, die intakt bleiben und sich verbinden und neue mentale Objekte hervorbringen könnten. Damit werde die Symbolbildung verhindert, Objekte seien durch feindselige Spaltungen infiziert, sodass für den Fall, dass sie sich doch noch verbinden sollten, nur feindselige Verbindungen entstehen könnten. Die große Chance des Betroffenen sei die intuitive Fähigkeit seines Analytikers, die Fragmente, Projektionen und zerstörten Verbindungen zu erfassen, dann zu entdecken (also in sein Bewusstsein zu bringen) und sie sodann der Mentalisierung und Reintegration zur Verfügung zu stellen. Die (Wieder-)Entdeckung der Bilder und das damit wieder in Gang zu bringende Verbinden von Bild, Affekt und Gedanke lasse die auf psychosomatischem Niveau angehaltene Entwicklung fortsetzen. Bedenkt man hierzu die moderneren Theorien, denen zufolge sich Bedingungen psychischer Symptomatik vor allem durch Inszenierung in einer Beziehung erfassen und verstehen lassen, so wird deutlich, wie sehr die psychoanalytische Arbeit im Zusammenfügen der Bilder, der Affekte und der dazugehörigen Gedanken besteht.

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Piera Aulagnier versteht den Körper »als Gesamtheit von Sinnesfunktionen und Vehikel eines kontinuierlichen Informationsflusses« […] »in einem Feld kanalisierter libidinöser Energie« (Aulagnier, zit. nach Leiser, 2007, S. 115 u. 118). Das Psychische werde hierbei »als spezifische Metabolisierung des Körperlichen« verstanden (S. 118). In ihrem Verständnis des psychosomatischen Erkrankens stellt sich Aulagnier die Entstehung der psychischen Ursprünge des Menschen mit dem Bild einer Störung des Gleichgewichts im körperlichen Geschehen des Neugeborenen vor, welche eine »bis dahin unbekannte Erfahrung« (Aulagnier, zit. nach Leiser, 2007, S. 127) hervorrufe, zu dieser geselle sich nun eine Erregbarkeit, die eine »Arbeitsanforderung an den psychischen Apparat« (S. 127) darstelle. Diese Erregbarkeit setze nun eine Metabolisierung der die Störung hervorrufenden Elemente in Gang, und es baue sich eine damit verbundene Repräsentation verbundener Affekte auf. Hierbei komme es zu einem Circulus vitiosus, der schließlich in die Erkrankung führe. Auch diese Modellvorstellung ist triebtheoretisch zu verstehen und mit der bekannten, erneut faszinierenden Vorstellung verbunden, dass jede Begegnung mit der Welt sich in einem körperlichen Korrelat wiederfindet, »und zwar derart, dass alle Gegebenheiten der Welt, die für das originäre Subjekt existieren, auf einer Art körperlichen Landkarte von Zonenobjekten abgebildet sind« (Leiser, 2007, S. 138). Etwas vereinfacht ausgedrückt, dürfte dies wohl mit der Vorstellung in Einklang zu bringen sein, dass sich (Fragmente von) Objektbeziehungen, die selbstverständlich affektiv besetzt sind, sodann im Organischen symbolisiert wiederfinden – liest man die Ausführungen der früheren Autoren, kein ganz neuer Gedanke. Wilma Bucci versucht eine Zusammenschau zwischen Kognition, Emotionen und somatischen Funktionen in Übereinstimmung mit medizinischen Kenntnissen für die psychodynamische Verstehensweise und entwickelt eine »dual/multiple Code«-Theorie des »emotional information processing« (Bucci, zit. nach Zepf, 2006, S. 149). Die symbolische Konzeptualisierung des psychosomatischen Verstehens wird nun zumindest sprachlich der Neuzeit angepasst (Anm. K. P.). In den »multiplen Kanälen des nonverbalen Systems« (Bucci, zit. nach Zepf, 2006, S. 149) seien Repräsentanzen und Prozesse sowohl

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aller sensorischer Modalitäten als auch motorischer und somatischer Formen enthalten, dieses System schließe symbolische und subsymbolische Formen mit ein; Emotionen könnten sich nun »innerhalb und außerhalb des Bewusstseins bewegen«, in ihnen dominieren – im Gegensatz zu Kognitionen – »nicht symbolische Bilder und Worte, sondern Prozesse des motorischen und viszeralen Systems« (S. 149). Somit enthielten »diese Schemata […] sowohl Repräsentationen der Objekte, Teile der Objekte und Beziehungen zwischen ihnen in allen sensorischen Modalitäten« (S. 149) wie auch Aktivierungsmuster, die mit motorischen Aktionen, viszeralen und somatischen Zuständen assoziiert seien. Deren Bildung setze im nonverbalen System noch vor der Entwicklung der Sprache ein, die Inhalte seien später mit der Sprache verbindbar. Verbales und nonverbales System würden durch referential links verbunden (sind das nicht auch die »Verbindungen« Bions?). Die Ursprünge dieser emotionalen Schemata fänden sich in der frühesten Kindheit, eine normale seelische Entwicklung mache die Integration somatischer, sensorischer und motorischer Prozesse in die emotionalen Schemata möglich, eine mangelhafte Integration verursache schließlich emotionale Störungen. In dieses Modell werden nun auch Konversionsstörungen integriert, die in einem Kontinuum mit anderen psychosomatischen Erkrankungen stünden, für die Alexithymie werden Störungen »innerhalb des nonverbalen Systems [für die] Verbindungen zwischen den subsymbolischen somatischen Aktivierungen und den Objektvorstellungen [unterstellt, eine] bedeutungsvolle Kommunikation« finde daher nicht mehr statt (Bucci, zit. nach Zepf, 2006, S. 149). Ein insgesamt komplexes Erklärungsmodell, das sich aber mit den Beobachtungen und Beschreibungen Bions, Aulagniers und Martys gut in Zusammenhang bringen lässt und eine Konzeption für das Subjektive ermöglicht. Über einen Teil der hier aufgeführten psychosomatischen Konzepte sagt Zepf allerdings zusammenfassend, dass diese »auf ihrer sozialen Dimension […] nicht eingeholt« würden, die mit den Konzeptualisierungen verbundenen Probleme seien »lediglich in vulgärmaterialistischer oder idealistischer Manier gelöst« worden, entweder »durch einen biologistischen Reduktionismus, der Abstraktionen als konkret hinstellt, eine Bindestrichvermittlung, welche den Aus-

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gangspunkt des Vermittlungsproblems bereits als dessen Lösung ausgibt, oder durch metasemantische Operationen konstruktivistischer Prägung« (Zepf, 2006, S. 156), eine Kritik, die den Mühen der älteren Autoren nicht immer gerecht zu werden scheint, die Differenziertheit der neueren Konzepte nicht ganz erfasst und möglicherweise implizit auch Affekt transportiert. Nach Zepf (2006) selbst ist Voraussetzung für die Fragen der Psychosomatik eine Zusammenführung metapsychologischer, soziologischer, psychoanalytischer und naturwissenschaftlicher Theorie, für die psychoanalytische Psychosomatik erfordere es eine Theorie des Subjekts, die psychosomatisches Kranksein als gesellschaftlich bedingte und psychisch vermittelte Störungen körperlicher Funktionsabläufe verstehe. In Teilen einiger der genannten Theorien scheint dies aber bereits geschehen, dennoch soll das komplexe Modell Zepfs (2006), welches sicherlich für sich beanspruchen kann, theoretisch allein zu stehen, als weiteres Modell angeführt werden, wenngleich die Betonung der sozialen Situation die meist implizite objekt- und bindungsbeziehungstheoretische Zentrierung der moderneren Konzepte manchmal übersehen lässt. Sicherlich ist sein Modell das derzeit komplexeste, elaborierteste, kritischste und eleganteste zum Verständnis psychosomatischen Erkrankens, es folgte ihm kein solches mehr nach, allerdings bleibt die Frage, wie das Modell in seiner Komplexität im Alltag praktikabel eingesetzt werden kann oder ob es nicht mit einer gewissen Großzügigkeit in ein handhabbares Gesamtmodell – unter Integration der ungeheuren Vielfalt an wissenschaftlichen Ideen – eingebettet werden kann. Nach Zepfs Verständnis ist das psychosomatische Erkranken eine »logische Konsequenz einer bestimmten primären Sozialisationspraxis […], in der jene überfürsorgliche und/oder offen zurückweisende Mutter dominiert« (Zepf, 2006, S. 163). Er führt weiter aus, dass die psychosomatische Erkrankung des Kindes eine Folge des unbewussten Erlebens der Mutter sei, die ihre Kinder erlebe »als jenen Teil von sich selbst, den sie bei sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht akzeptieren könne und der auf das Kind projiziert wird« (Zepf, 2006, S. 163). Dies habe zur Folge, dass Mütter das Kind gleichzeitig an sich binden müssten und eine Distanz zu ihm halten müssten

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(vgl. hierzu auch die Ausführungen zu immunologischen Erkrankungsbildern im Folgenden). Hinzu komme, dass Nähe und Distanz zum Kind kontrolliert werden müssten und sich diese Kontrolle »in einer irrational überzogenen und zwiespältigen Sorge um das Kind« (S. 163) darstelle. Somit versteht Zepf das Kind »als Projektionsort der ungelösten Kindheitskonflikte seiner Mutter« (S. 164), hierbei hatte er bereits 1976 darauf hingewiesen, »dass das mani­feste Verhalten der Mütter [bei psychosomatisch Erkrankten] mehrheitlich eher überfürsorglich als offen zurückweisend« sei (S. 164). Mütter schränkten sodann kindliche Interaktionen ein, besonders Interaktionen, die die Mutter nicht auf sich beziehen könne, was wiederum zur Folge habe, dass sich Interaktionsformen der Kinder nur noch rudimentär entwickeln könnten, somit die Entwicklung »auf der Stufe der Aufdifferenzierung der Interaktionsformen noch vor dem Hinzutreten von Sprache« (S. 166) sistiere und zur Fixierung der Entwicklungsstufe führe, auf der das kindliche Subjekt über die Affekte des Wohlbefindens und des Kummers lediglich die An- und Abwesenheit einer noch undifferenzierten Objektwelt von einem gleichermaßen undifferenzierten Selbst unterscheiden könne. Hierbei sei das Kind nicht in der Lage, auf die »Stufe der halluzinatorischen Wunscherfüllung« (Zepf, 2006, S. 165) zu regredieren, aber eben auch nicht auf die Stufe, »auf der eine Trennung von Innen und Außen« (S. 165) vorliege. An dieser Stelle muss nun die spannende Frage nach der Funktion des Organischen als »Speicher« dieser Erfahrung gestellt werden, hierzu aber im Folgenden mehr (vgl. bspw. das Kapitel »Ein integrierendes psychoanalytisches Modell körperlichen Krankseins«). Bei drohender Abwesenheit des Objekts reagiere die Mutter auf die Äußerungen ihres Kindes unmittelbar im Sinne einer Befriedigung sachlicher und physiologischer Notwendigkeiten. Diese von ständiger Präsenz der Mutter begleitete Reaktionsweise verhindere die »Auftrennung des Selbstanteils der Interaktionsformen in instrumentelle und triebbefriedigende« (Zepf, 2006, S. 165) – man sei an die Hinweise anderer Autoren auf die verhinderte Autonomieentwicklung bei vegetativen Reaktionen und Steuerungen erinnert. So lerne das Kind nicht, die Abwesenheit des mütterlichen Objekts durch Bildung instrumenteller Interaktionsformen zu kompensie-

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ren, das Kind idealisiere die Objektwelt als Mittel der Bewältigung der Abwesenheit derselben, und eigene Aktivitäten des Kindes dienten zunehmend dazu, eine Anwesenheit der idealisierten Objekte zu erreichen (vgl. als Beispiel motorische Störungen). Somit gerate auch das Selbstwertgefühl in eine Abhängigkeit von der Fähigkeit »mit den eigenen Aktivitäten […] die Anwesenheit lebensnotwendiger Objekte [zu] erreichen« (Zepf, 2006, S. 166). Daher gelinge es dem Kind nicht, »zwischen dem intero- und propriozeptiven Input« (S. 166) ausreichend zu differenzieren, die überfürsorgliche Mutter befriedige die Bedürfnisse des Neugeborenen, schon bevor sie die Wahrnehmungsschwelle erreichten, sodass reife Interaktionsformen nicht entwickelt werden könnten – eine hinreichende Begründung für die Beobachtung, dass ein überversorgendes Verhalten der Mutter ebenso zu psychosomatischem Kranksein führen kann. Ebenso könnten »Intensitätsdifferenzen der sie begleitenden körperlichen Abläufe« nicht entwickelt werden, somit auch keine »differenzierbaren körperlichen Prädiktoren« (Zepf, 2006, S. 167) für Interaktion, in der Summe resultiere eine unzureichende Entwicklung des affektsymbolischen Systems. Es resultierten fünf Affekte, wenn das Objekt abwesend ist: ȤȤ der Schmerz, der auftrete, wenn das Objekt abwesend ist, ȤȤ vorhergehend eine Reizüberflutung, ȤȤ der Kummer, der sich darin ausdrücke, sowie ȤȤ bei Abnahme der Reizintensitäten eine Funktionslust ȤȤ mit der Folge eines Wohlbefindens (in der Regression gelingt es manchen Erwachsenen, dieses zu erleben). Dieses rudimentäre Erleben werde von einer »mangelhaft subjektivierten Sprache« begleitet, Worte bekämen den Status eines »bloßen Signals«, ohne »sinnhaft signifikante« (Zepf, 2006, S. 167) Bedeutung. So führe die unzureichende Ausdifferenzierung des affektiven Erlebens zwar zu Begrifflichkeiten, die das »anwesend und abwesend« symbolisierten, »die intensionalen Bestimmungen anderer Begriffe ließen sich jedoch darin nicht wiederfinden« (Zepf, 2006, S. 170). Diese sprachlichen Prädiktoren könnten »somit die Affektsymbole lediglich etikettieren«, wie Zepf (2006, S. 170) ausführt.

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Gleichwohl richte sich »entsprechend der mit der Sprache erworbenen Gefühlsbegriffe und den sprachlich definierten Bedingungen, unter denen die darin gefassten Gefühle entstehen, oberhalb des Erlebens eine scheinbar differenzierte Gefühlswelt ein« (Zepf, 2006, S. 172), in Wirklichkeit seien jedoch die »sprachlich vorgeschriebenen möglichen Emotionen nicht vorhanden«, das Individuum habe »lediglich gelernt, welche Gefühlsbegriffe in welchen Situationen zu gebrauchen« seien (S. 172). Letztlich seien die »prädizierten Gefühlsbegriffe emotionsleere Schalen« (S. 172), und: »In den sprachlich begrifflichen Mitteln, mit denen man über sie nachdenken und reden kann, ist die erlebte Lebensgeschichte nicht enthalten. Man kann deshalb über sich selbst auch nur noch im Allgemeinen reden und zeigt damit genau jene unter dem Titel ›Alexithymie‹ firmierende Geschichts- und das heißt Subjektlosigkeit« (Zepf, 2006, S. 174). Dieses Phänomen kennen die allermeisten Therapeuten aus ihrer Praxis. Das strukturelle Defizit des psychosomatisch Erkrankten zeige sich somit in einer als Folge einer restriktiven Primärsozialisation, die durch eine fehlende lebenspraktische Differenzierung der Objektund Selbstrepräsentanz sowie in einem Alternieren zwischen diffuser Geborgenheit und diffuser Angst vor einem Verlassenwerden gekennzeichnet sei. Die Erkrankten blieben somit »zeitlebens auf die Realpräsenz eines Idealobjektes angewiesen« (Zepf, 2006, S. 174), relevante Objekte für die Betroffenen gebe es erst, »wenn es nicht bloß vorgestellt, sondern wahrgenommen wird« (S. 174). Interessanterweise weist Zepf (2006) auch auf einige Gemeinsamkeiten zwischen psychosomatisch Erkrankten und Suchtkranken hin. Wenngleich bei Suchtkranken eine »offen ablehnende, zurückweisende, kühl distanzierte und vor allem inkonsequente unberechenbare Erziehungshaltung zu dominieren« scheine (Zepf, 2006, S. 175), könne man im Sinne des beschriebenen Modells annehmen, dass »bei den Suchtkranken die Entwicklung nicht auf dem Niveau der Differenzierung von Selbst- und Objektwelt, sondern bereits auf der Stufe arretiert wird, auf der lediglich das Innen von einem Außen getrennt werden kann, das noch nicht in eine personale Objekt- und apersonal dienliche Außenwelt aufgegliedert ist« (Zepf, 2006, S. 175). Nach dem beschriebenen Modell sind die Objekte des psychosomatisch Erkrankten weniger vom Trieb als vielmehr narzisstisch

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bestimmt, die defizitären Objektbeziehungen haben überwiegend einen prägenitalen Charakter, gekennzeichnet durch Passivität, Liebesforderungen und Austauschbarkeit von Objekten bzw. die Reduzierung der Objekte auf Hilfs-Ich-Funktionen. Die narzisstische Bedürftigkeit ist es nun auch, die dazu führt, dass psychosomatisch Erkrankte auf aggressive Verhaltensweisen tendenziell verzichten und ihre Aktivitäten vor allem im Hinblick darauf entwickeln, sich selbst in Übereinstimmung mit den Erwartungen ihrer späteren Beziehungsobjekte zu bringen und zu halten sowie deren Bedürfnisse zu befriedigen, weil sie anderenfalls befürchten müssen, verlassen zu werden. Im Übrigen ist auch seit Jacques Lacan bekannt, dass die primären Objekte des später Kranken das Kind nicht begehren, sondern benötigen. Der bei Zepfs Modell (2006) immanente Hinweis auf die von der Sozialisierung des Menschen nicht zu trennende Objekterfahrung lässt sich, wie bereits angedeutet, auch mit objektbeziehungstheoretischen Überlegungen gut in Einklang bringen, im Übrigen auch mit der Konzeption Lacans, derzufolge Partialobjektbeziehungen in das organische Erleben eingekapselt sind. In sexuellen Beziehungen dominiert nach Zepf (2006) ebenfalls eher der Wunsch, das Objekt zu befriedigen. Er führt aus: »Es ist, als würden diese Subjekte von ihrem Objekt sagen: ›Wenn ich wie du bin und deinen Wünschen entspreche, wirst du mich nicht verlassen‹« (S. 177), darüber hinaus sei es für psychosomatisch Erkrankte typisch, dass sie ihre Interaktionsformen immer wieder auf die Bedürfnisse des Objekts und neuerer Objekte anpassen. Diese Veränderung der Interaktion sei allerdings nicht »das Resultat von Abwehroperationen«, vielmehr setze das Subjekt Verhaltensweisen ein, »welche das Objekt im Einklang mit seiner bewussten wie auch unbewussten Bedürfnislage« (S. 177) interpretieren könne. Hinter allem finde sich das Ziel des Subjekts, zu verhindern, dass das Objekt verlorengehe, das Verhalten des Erkrankten diene nicht der Abwehr eigener, sondern der Abwehr der Triebwünsche der Beziehungsobjekte. Die Repräsentanzenwelt des erkrankten Subjekts werde durch Begriffe strukturiert, die von der aktuellen Beziehungsfigur defi-

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niert würden, und »mit der Veränderung der Interaktionsformen ändere sich auch die begriffliche Strukturierung der Repräsentanzenwelt entsprechend den Definitionen des neuen Objekts« (Zepf, 2006, S. 178). Dieses Verstehen bereitet für die analytische Arbeit in der Psychosomatik einen guten theoretischen Boden. Nach Jean Laplanche (2005) sind hierbei die eigentlichen Botschaften der primären Objekte aber nicht übersetzt, hingegen abgespalten, im Körperlichen zum Ausdruck gebracht. Trotz fehlender affektiver Begleitung der Symptomatik könne diese zu dem falschen Eindruck führen, psychosomatisch Erkrankte wiesen eine neurotische Struktur auf. Hierzu führt wiederum Zepf (2006, S. 179) aus: »Während bei neurotischen Strukturen […] die affektive Bedeutung der abgewehrten früheren Beziehungen in ihrer jeweils aktuellen bewusstseinsfähigen Gestalt erhalten bleibt, behalten bei psychosomatisch Kranken die früheren Objektbeziehung ihre begriffliche Fassung, verlieren jedoch ihre affektive Bedeutung [oder haben sie eben nie erreicht; Anm. K. P.] und die Dynamik der verfügbaren Repräsentanzenwelt wird unbeschadet ihrer unterschiedlichen begrifflichen Fassung unverändert von der gleichbleibenden Gefahr angetrieben, vom aktuellen Beziehungsobjekt verlassen zu werden«. Auch in der Therapie werde der Patient in der Angst, den Therapeuten zu verlieren, sich dessen Deutungen zu eigen machen und seine Beziehung zum Therapeuten wie auch die Geschichte der weiter zurückliegenden Objektbeziehungen in den Begriffen seines Therapeuten darstellen und reflektieren, »womit sich der Anschein einer neurotischen Struktur für den Therapeuten bestätigt« (Zepf, 2006, S. 180). Somit werde »die Diagnose einer neurotischen Störung […] zur selffulfilling prophecy, ist die Behandlung in dem Sinne erfolgreich, dass das körperliche Symptom verschwindet oder sich bessert, gründet dieser Erfolg nicht in der deutenden Aufarbeitung einer Lebensgeschichte, sondern darin, dass es dem Therapeuten gelungen ist, seinen Patienten jene personale Figur zu ersetzen, von der er verlassen wurde« (Zepf, 2006, S. 180) – möglicherweise auch eine Erklärung für manche der bereits erwähnten Erfolge Groddecks? Zepf (2006) vermutet weiter, dass dies »nicht nur der dynamisch wirksame Faktor in der sogenannten supportiven Psychotherapie« sei, sondern berichtet von Untersuchungen, in denen sich die kör-

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perliche Lage psychosomatisch Erkrankter umso mehr gebessert habe, »je ähnlicher sich die Patienten mit ihrem Therapeuten erlebten« (Zepf, 2006, S. 180). Wie kommt es nun zur Symptombildung? In seiner narzisstischen Bedürftigkeit versucht der psychosomatisch Erkrankte, sich an das Objekt anzupassen, kann sich selbstverständlich aber vor Objektverlust nicht schützen, es kommt zu unlustvollen Affekten, die sich jedoch als nutzlos erweisen, aufgegeben werden, die aktuelle narzisstische Selbst-Objekt-Beziehung löst sich auf, in der Folge kommt es für den psychosomatisch Erkrankten zu »jener frühen Situation, in der es im Gefolge einer Abwesenheit der Objekte zum Auftreten undifferenzierter körperlicher Abläufe gekommen war« (Zepf, 2006, S. 181), sodass auf psychischer Ebene nun »die damit verbundenen Affekte des Schmerzes und des Kummers erneut zu bewältigen« seien (S. 181). Das Subjekt befinde sich nun in einem Konflikt, das Objekt, welche die unlustvollen Affekte auslöst, aufzugeben, aber gleichzeitig erhalten zu müssen, um es nicht zu verlieren, sodass nach einer zunächst stattfindenden Regression auf einen Entwicklungszustand, »auf dem die personale und apersonale Objektwelt im Erleben noch ungeschieden in einer Außenwelt existierten« (S. 181) und in der »Körper und Objekte […] auf dieser genetisch früheren Entwicklungsstufe die gleichen Sensationen hervor[riefen und als identisch erlebt werden könnten,] weil sie sich in den gleichen Affekten präsentieren, jedoch nun wieder in einem nächsten Schritt die affektsymbolische Ebene genutzt wird«, auf der sich das Subjekt bereits befand und auf der sich das Objekt »in spezifischen Affekten und körperlichen Sensationen« (S. 181) repräsentiert und im sprachbegrifflichen Bewusstsein als das auftrete, was es zu sein scheine. Nun sei das Objekt allerdings kein affektiv bedeutungsvolles mehr, sondern präsentiere sich stattdessen »mystifiziert im Erleben körperlicher Sensation« (S. 183). Hierin sei auch begründet, dass psychosomatisch Erkrankte »beim Verlust ihrer relevanten Beziehungsfigur oft keinen Affekt erleben, stattdessen über körperliche Beschwerden klagen und auch keinen Zusammenhang zwischen diesem Verlust und ihren Beschwerden sehen können« (S. 182). Man könnte also zusammenfassen, dass psychosomatisches Erkranken in diesem Modell als Ausdruck einer unbewussten Ope-

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ration zu verstehen ist, im Rahmen derer die primitiven, von Zepf (2006) beschriebenen Affekte über den Konflikt mit dem Objekt zu einer präsymbolischen Operation im Unbewussten führen, die ihren Ausdruck im Körperlichen findet. So wird dann verstehbar, dass sich der psychosomatisch Erkrankte in großer Angst, appellierend und sehr beunruhigt (ein sicherheitsgebendes Objekt steht ihm nicht zur Verfügung), immer wieder an Ärzte wendet und vielfache (unnötige) Diagnostik erfährt, bis er idealerweise endlich eine psychoanalytische Behandlung angeboten bekommt, in der schließlich eine differenzierende Nachreifung des präsymbolischen Systems im Sinne einer Symbolisierung stattfinden kann. Weiter kann mit dem beschriebenen Modell sehr gut verstanden werden, weshalb psychosomatisches Kranksein nicht mit »nur« neurotischem Erkranken, beispielsweise dem Symptom einer Konversionsneurose, gleichgesetzt werden kann, werden doch bei der »konversionsneurotischen Symptombildung […] begrifflich gefasste, kognitiv identifizierbare szenische Elemente triebbestimmter Interaktionsformen aus […] lebensgeschichtlich dazugehörigen Begriffen entfernt und körperlich zur Darstellung gebracht« (Zepf, 2006, S. 183), hingegen bei psychosomatisch Erkrankten körperliche Symptome unterhalb der sprachbegrifflichen Ebene, auf einer affektsymbolischen Ebene genutzt. Nicht im Körper, sondern im körperlichen Erleben zeigt sich der Objektverlust, wobei die körperlichen Sensationen nun jene affektive Bedeutung bekommen, die zuvor dem Objekt galt. Man vergesse hierbei nicht, wie heftig diese körperlichen Sensationen sein können, denkt man nur an immunologisch oder entzündlich bedingte Erkrankungen des Organismus (der Begriff der Bedingtheit wird nun allerdings hier unzureichend, weil das seelische Moment mit ihm nicht gemeint ist). Zepf führt weiter aus, dass das Erkranken für den psychosomatisch Erkrankten den »Vorteil« habe, dass die körperlichen Sensationen ständig in der Wahrnehmung präsent seien, somit in der beschriebenen Weise die Anwesenheit des Objekts garantierten, welche das Objekt selbst nicht garantieren könne. Somit werde die »affektiv bedeutsame Beziehung zum Objekt in der Beziehung zum Körper aufbewahrt« (Zepf, 2006, S. 183), in einem weiteren Schritt

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der Ausarbeitung des psychosomatischen Erkranktseins kann nun eine »mystifizierende Vergegenständlichung des Objekts in Gestalt von Begriffen, die auf den Körper bezogen sind« (S. 183) erfolgen, der psychosomatisch Erkrankte entwickle nun, ähnlich wie das rudimentäre Muttersymbol, das er ursprünglich entwickelte, ein körperliches Symbol für das Objekt, das er mit entsprechenden Begrifflichkeiten neu ausarbeiten könne. Hier fänden sich dann »jene Funktionen, die sich durch die Desintegration der körperlichen Abläufe verselbständigt haben und die nun nicht mehr durch andere Abläufe kompensiert werden können« (S. 184). Da dem Erkrankten keine ausreichend differenzierte Sprache über der körperlichen Ebene zum Ausdruck der Objektbeziehung zur Verfügung stehe, müsse er nun auch bei der Gestaltung des Körperobjekts auf Begrifflichkeiten zurückgreifen, die »vormals das personale Objekt differenzierten« (S. 184), gleichzeitig müssten diese Begrifflichkeiten nun in körperbezogene Begrifflichkeiten umgewandelt werden. So komme es zu einer Verdichtung von Objekt und Körperrepräsentanz in jenen körperbezogenen Begrifflichkeiten. Die Symptomwahl ist im Sinne des beschriebenen Modells nicht die Folge eines spezifischen Konfliktes, sondern Ausdruck »einer zwar individuell spezifischen […], durch die Sozialisation mit bedingten körperlichen Reaktion, die von einer bestimmten Situation unabhängig ist« (S. 184). Auch diese Sichtweise überzeugt im Angesicht der Komplexität, die sich hinter einer spezifischen Organwahl verbirgt. »Die körperlich-spezifische, aber psychologisch unspezifische Reaktionsbereitschaft eines Subjekts […] kann ebenso wenig wie Zwillingsuntersuchungen die These legitimieren, dass die Symptomspezifität letztlich und ausschließlich von der biogenetischen Ausstattung verantwortet wird« (S. 184), hierzu der Hinweis, dass es sich um eine der zentralen Aussagen psychosomatischen Denkens handelt. Die Symptomatik sei das Resultat des intrauterinen (und periund postnatalen) Zusammenspiels von mütterlichem und fötalem, mit einem anlagemäßigen Potential ausgestatteten Organismus und damit Produkt einer spezifischen – und das heißt bei zwei fötalen Organismen auch unterschiedlichen – Sozialisation und, so muss

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ergänzt werden, vor allem Resultat der affektiven, später implizit gespeicherten, Beziehung zu den primären Objekten der ersten Tage des Lebens. Aufgrund unterschiedlicher intrauteriner Bedingungen werden bei den fötalen Organismen aus ihren genetisch vorformulierten Möglichkeiten »verschiedene herausgegriffen und verwirklicht« (Zepf, 2006, S. 185). Und: »Das genetische Material grenzt den Spielraum negativ ein, in dem Entwicklung stattfinden kann. Innerhalb der inhaltlich nicht zu spezifizierenden Möglichkeiten eines vorgegebenen genetischen Rahmens wird das konkrete Blutdruckverhalten durch die Sozialisation bestimmt« (S. 185). So wird eine »individuell spezifische Reaktionsweise« zum »lebenspraktischen Resultat einer mangelhaften Differenzierung und Integration somatischer Funktionsabläufe, welche den Defekt, der in der körperlichen Ausstattung vorliegt oder der anderweitig erworben wird, nicht ausreichend kompensieren [kann und] der sich psychologisch in affektiv bedeutsamen Lebenssituationen durchsetzt« (S. 186). Neuere epigenetische Überlegungen müssen diese Gedanken Zepfs (2006) vervollständigen: Komplexe, umfängliche, bis jetzt nur zum Teil bekannte Mechanismen bedingen, dass die Gene in den menschlichen Zellen flexibel auf Erfordernisse, beispielsweise mit der Produktion oder dem Produktionsstopp von Proteinen, reagieren. So ist nachvollziehbar, wie sich epigenetische Anpassungsmechanismen als flexible Möglichkeit des biologischen, also somatopsychischen Systems, auf Erfordernisse zu reagieren, verstehen lassen. So kann auch davon ausgegangen werden, dass die Vernetzung und Verbindung sowie insbesondere die Funktionsweise von Neuronen im Nervensystem mittels epigenetischer Steuerung beeinflusst und verändert werden können, somit wiederum auch dem Einfluss des Unbewussten, des Seelischen, unterliegen, die ersten Erfahrungen mit den Objekten und die affektive Reaktionsweise dazu quasi in die Zellkerne des Neuronennetzes mittels des genetischen Codes »eingeschrieben« werden. Die Faszination solcher Überlegungen wird durch die Annahme, dass frühestes Beziehungserleben und spezifische Bindungsmuster somit auch in der DNS ihren Niederschlag finden können, gesteigert. So lässt sich aus der psychoanalytischen Sichtweise beispielsweise auch

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verstehen, weshalb »tiefgreifende Störungen oder Abbrüche in zwischenmenschlichen Beziehungen auch bei organisch begründeten körperlichen Erkrankungen zeitlich häufig mit der Erstmanifestation oder einer Verschlimmerung der Erkrankung einhergehen« (Gündel, 2006, zit. nach Kollbrunner, 2010, S. 487). Denn das somatopsychische System ist stets bestrebt, sich im Gleichgewicht zu halten, von Anfang an. Im Blick auf Zepfs Konzeption (2006) soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass eben die unbewussten und tief unbewussten Phantasien der primären Objekte (wie der Mutter) hier eine ebenso bedeutsame Rolle spielen, besonders in den frühen Interaktionen. Zu Beginn einer Differenzierung eines Außen und Innen, zu Beginn der Differenzierung des frühen affektiven Erlebens im Körperlichen, schreiben sich diese Phantasien tief unbewusst als Grundannahmen über die und/oder der Primärobjekte in den präsymbolischen Apparat des Säuglings ein, also in das Neuronale. Übrigens: Die Existenz von Phantasien des Säuglings über das Objekt, wie beispielsweise von Melanie Klein postuliert, wird durch neuere Forschungen infrage gestellt (vgl. Stern, 2011). Somit wird nun auch wiederum deutlich, wie eine psychoanalytische Behandlung in einzigartiger und wohl einziger Weise eine spezifische Objektbeziehung mit der Möglichkeit, zu einer psychischen und sprachlichen Differenzierung und Symbolisierung zu kommen, im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals im Umfeld vielfacher Therapieangebote dem psychosomatisch Erkrankten eine Chance bietet, zu gesunden. Es ist das Angebot einer sicherheitsgebenden und tragenden Objektbeziehung, die ein Etablieren der beschriebenen pathogenen Mechanismen in der Übertragungsbeziehung möglich macht und in einem weiteren Schritt eine symbolisierende Ausdifferenzierung der präsymbolischen Affekte, die im Körperlichen ein bis dahin andauerndes, sodann aber idealerweise nur noch vorübergehendes Zuhause gefunden haben, aber das Leiden der Patienten b ­ eding(t)en. Im Übrigen wird an dieser Stelle deutlich, weshalb psychosomatisch Erkrankte »in die Hände« des Psychoanalytikers, zumindest des Psychodynamikers gehören. Eine letzte Ergänzung zu dem Modell Zepfs (2006), das als eines der wenigen die Sozialisierung des Subjekts mit einbezieht, sei mit

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der Überlegung angefügt, ob nicht die Tatsache einer hohen Anzahl psychosomatisch Erkrankter in Deutschland einen Zusammenhang zu den schrecklichen Jahren und Vorgängen der beiden Weltkriege, besonders des zweiten, herstellen lässt. Vergegenwärtigt man sich, wie ein Vater oder Großvater mit seinem Kind umgeht, nachdem er selbst Menschen getötet hat, gegebenenfalls schwer traumatisiert ist, Schuldgefühle in sich trägt, bleibt die Frage, ob hier nicht viele somatische Erkrankungen und Symptome Ausdruck einer Regression ins Körperliche sein könnten, Ausdruck von Affekten, Schuldgefühlen, Ängsten, Depression und Hass, die nicht ausgesprochen werden konnten oder durften, können oder dürfen, aber unter anderem in einem wirtschaftlich erfolgreichen System höchster Anforderungen an das Subjekt zum Ausdruck kommen. Übrigens vermisst man die Rolle des Vaters in Zepfs Konzept (2006), jedoch kann sie, wenn sie analog zu den Ausführungen der Bedeutung der Mutter gedacht wird, gut in konzeptionellen Einklang gebracht werden. Bedenkt man, wie rasch in Deutschland nach dem Horror des Krieges, an dem alle Mitglieder der Gesellschaft in irgendeiner bewussten oder unbewussten Form beteiligt waren, zum normalen Alltag übergegangen wurde und übergegangen werden musste, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu fragen, wo die heftigen, mit dem Morden, mit der Angst, der Bedrohung und der Schuld verbundenen Affekte denn geblieben sind. Welche Bedeutung mag es für die (Enkel-)Söhne und (Enkel-)Töchter haben, wenn die Mütter bedroht und vergewaltigt wurden? Welche Bedeutung hat es für die nachfolgenden Generationen, wenn die Väter abwesend waren und nur die Phantasie bleibt, was sie an der Front so erlebten? Wo sind die Erfahrungen der Gewalt, des Hasses, der Bedrohung, der Schuld in den Nachfolgegenerationen im kollektiven Seelischen gespeichert? Ohne die Thematik zu vertiefen, sei also auf die Tiefendimension dieses spezifischen Teils deutscher Geschichte in der Psychosomatik hingewiesen. Ricardo Rodulfo (zit. nach Leiser, 2007) kommt in der Überlegung, wie sich das Kind seinen Körper schaffe, zu dem für ihn vordergründigen Gedanken, dass es mit seinen Augen und dem Mund und später mit den Händen das Gesicht und den Körper der Mutter

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nachzeichne und sich dabei aus dem zusammengestellten Material »Element für Element sein eigenes Gesicht und seinen eigenen Körper« aufbaue, die Mutter helfe hier »in umgekehrter Richtung […], indem sie liebkosend mit Augen, Mund und Händen den Körper des Kindes ›durchgeht‹, dem Kind beim Einzeichnen seiner Gesichtszüge und Körpermerkmale« (Rodulfo, zit. nach Leiser, 2007, S. 148) behilflich sei. Wenngleich dieses schöne Bild sicherlich seine Berechtigung hat und im Verstehen Sinn macht, reicht es zum Verstehen psychosomatischen Erkrankens allein nicht aus. Rodulfo (zit. nach Leiser, 2007) geht sodann noch einen Schritt weiter und begreift das Seelische als eine Subjektivierung des biologischen Körpers, eine »selbstreferentielle Instanz, über die sich der Körper ›vor sich selbst‹ repräsentiert und mit der Welt in Verbindung tritt« (Rodulfo, zit. nach Leiser, 2007, S. 151). Man könne so formulieren, dass sich der Körper eine Seele schaffe, »sozusagen als ›Organ‹, und dass sich die Seele aus dieser Verbindung mit dem Körper« ernähre (Rudolfo, zit. nach Leiser, 2007, S. 151). Nach Leiser könne man Rodulfos Auffassung dahingehend zusammenfassen, dass das »Psychische beim Menschen« […] »das Körperliche« sei (2007, S. 151; vgl. hierzu auch die Ausführungen von Groddeck und Schultz-Hencke). Das Besondere an diesen Gedanken ist die implizite Rückbesinnung auf die Tatsache, dass Menschen biologische Wesen (Tiere, Säugetiere) sind, die zwar das Glück hatten, ein Frontalhirn entwickeln zu können, welches eine Symbolisierung des Körperlichen in Sprache und bewusstem Denken möglich macht, deren Grundlage aber gleichzeitig und immer das Körperliche bleibt. Hier findet sich das für die Psychoanalytiker so wichtige Bindeglied, wobei man aufgrund der Untrennbarkeit des Körperlichen und des Psychischen lieber gar nicht von einem Bindeglied sprechen möchte. Hingegen scheint es für den Analytiker bei aller Komplexheit der Materie am einfachsten, wenn er das Körperliche als psychisches Phänomen denkt (und insbesondere in seiner Gegenübertragung wahrnimmt) und das Psychische niemals vom Körperlichen trennt, es als Körper denkt, als nicht abtrennbare Funktion des Somatischen.

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Luigi Solano (2000) weist auf den Zusammenhang zwischen somatischen Folgeerkrankungen nach Schicksalsschlägen bei Erwachsenen hin, referiert eine deutlich verschlechterte immunologische Situation bei Ehepartnern nach einer Trennungssituation und nennt das Ergebnis einer Studie, wonach »stärker arteriosklerotische Ablagerungen an der Karotis [= Halsschlagader]« beschrieben worden bei Frauen »die mit ihrer ehelichen Situation nicht zufrieden waren« (Solano, 2000, zit. nach Mauss-Hanke, 2011, S. 83). Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der menschliche Körper, »der sich im Gegenteil als Kondensat von Beziehungen entwickelt« (Solano, 2000; vgl. auch de Toffoli, 2001; beide zit. nach Mauss-Hanke, 2011, S. 89), somit ein »implizites Gedächtnis«, das manchmal als »Körpergedächtnis« bezeichnet werde, umfasse, und versteht Körper und Seele als Funktionen des gleichen Systems. Buccis (zit. nach Zepf, 2006) Theorie der »multiplen Codierung« folgend führt er auf, dass die normalerweise zwischen den symbolischen und subsymbolischen seelischen Symptomen stattfindenden Verbindungen bei psychosomatisch Erkrankten unterbrochen seien, es bleibe quasi in der Situation des Erkranktseins ein »namenloser subsymbolischer Auslöser zurück« (Bucci, zit. nach Zepf, 2006), dieser Auslöser sei somit einer Verarbeitung nicht mehr zugänglich und könne sich nur noch in der körperlichen (der subsymbolischen) Ebene ausdrücken. Konsequenterweise weist Solano (2000) hier auch auf Bion hin und stellt eine Verbindung zu dessen Beta-Elementen her, die sodann »körperliche Funktionen schädigen können« (Solano, 2000, zit. nach Mauss-Hanke, 2011, S. 92). Im Prinzip werden hier somit subsymbolische Affekte oder Affektäquivalente beschrieben, die sich im Körperlichen manifestieren, Solano (2000) versteht dies als Versuch des Körper-Seele-Systems, zwischen der subsymbolischen Ebene (»viszeralsensorisches Verarbeitungssystem«) und der symbolischen Ebene eine Verbindung herzustellen (vgl. Bions Konzeption der Verbindungen in Bion, 2006). In der Folge könnten dann Konflikte oder Traumatisierungen dahingehend verstanden werden, dass sie zu einer Aktivierung des subsymbolischen Systems führten, welches sich wiederum im Kör-

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perlichen Ausdruck suche. In der Analyse gehe es dann darum, diese Beta-Elemente der Alpha-Funktion zuzuführen, im weitesten Sinne könnte man auch von einer Mentalisierung der subsymbolischen Affektsituation sprechen. Anders als in der Psychosomatik in Deutschland wurden in Frankreich Klinik und Theorie der Psychosomatik in einer sinnvollen Weise zusammengeführt. Besonders zu nennen sind hier Autoren wie Pierre Marty, Michel de M’Uzan und Christian David, die mit ihrem Grundlagenwerk »Die psychosomatische Untersuchung« (L’investigation psychosomatique, 2010) zu einem neuen und umfangreichen psychoanalytischen Verstehen psychosomatischen Erkranktseins beitragen konnten. Die nun zur Verfügung stehende neue Sichtweise des psychosomatischen Erkranktseins fand in Deutschland kaum Beachtung. Erstaunlicherweise gründet ein guter Teil des Verstehens der Pariser Psychosomatischen Schule auf einer Fortsetzung der theoretischen Annahmen Freuds, so geht Marty beispielsweise in seiner Lehre der »psychosomatischen Ökonomie« (nach Leiser, 2007, S. 98) von Koexistenz und Wechsel zweier verschiedenartiger seelischer Impulse aus, den Lebensimpulsen und den Todesimpulsen. Erstere seien auf Organisation ausgerichtet, zweitere auf Desorganisation. Im Laufe seiner individuellen Entwicklung bilde sich in jedem Individuum ein Fixierungs- und Regressionssystem, welches in unterschiedlicher Weise einer Desorganisation widerstehen könne. Den triebhaften Aspekt des psychosomatischen Erkrankens vermisst man auch bei Zepf. Bereits 1971 wies jedoch Judith ­Kestenberg (zit. nach Porsch, 1997, S. 66) darauf hin, dass bestimmte Organe »phasenspezifisch libidinös hoch besetzt« seien und dass »die Trennung zwischen dem bedürfnisbefriedigenden Organ und dem befriedigenden Objekt als Verlust erlebt« werde – als Beispiel wird die Entwöhnung von der Brust genannt – die dem Säugling nur die Möglichkeit lasse, entweder eine neue »Organ-Objekt-Einheit« (Kestenberg, 1971, zit. nach Porsch, 1997, S. 66) oder eine Form von Brücke zu inneren oder äußeren Objekten, die mit der Mutter geteilt werden könnten, herzustellen. So geschehe es, dass sich im »frühen Mutter-Kind-Dialog eine einheitliche Vorstellungsrepräsentanz von Mutter und entsprechendem Organ bilde, die dann in der weiteren

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Ich-Bildung ausdifferenziert und einschließlich des mütterlichen Bildes internalisiert wird« (Kestenberg, 1971, zit. nach Porsch, 1997, S. 66). Somit würden in den entsprechenden Organen positive und negative Anteile lokalisiert, Anteile der Objektbeziehung zu den primären Objekten würden also mittels anhaltender libidinöser oder anderer affektiver Besetzung im Organ abgespeichert, als Form der Repräsentanz des Organs im neuronalen Netz gespeichert, dessen Funktion ja das Psychische ist. Aus dieser Sichtweise entstand eine hochinteressante, theoretische Orientierung der heutigen Pariser Schule, die von zwei Mechanismen des Somatisierens ausgeht, eines Somatisierens »via Regression« und eines Somatisierens »via Triebentbindung« (Aisenstein u. Smadja, 2010, S. 56 ff.). Der Prozess via Regression, der bei Menschen mit »neurotischnormaler Organisation« (S. 57) auftrete, führe zu »gutartigen und reversiblen Erkrankungen«, genannt werden hier Kopf- und Rückenschmerzen, Dickdarmentzündung, Bluthochdruck und andere. Verdrängungsvorgänge führten dazu, dass das Gleichgewicht und die Abwehrstrategien des Ichs verändert würden, dies habe zur Folge, dass sich die »Libido genötigt« fühle, »auf ihre somatischen Quellen zu regredieren« (S. 57), ursächlich dafür wird eine »Überlastung der Psyche« angenommen. Das »Somatisieren via Regression« sei ein »Mittel, mit dem sich die Überlastung des Seelenlebens vorübergehend reduzieren« lasse. Beim Somatisieren via Triebentbindung handle es sich um einen Mechanismus mit der Folge von »fortschreitender schwerer Erkrankung, die zum Tode führen kann« (S. 57). Gedacht wird hier etwa an bösartige oder immunologische Erkrankungen. Weiter sei bei allen Betroffenen zu beobachten gewesen, dass ein narzisstischer Verlust vorgelegen habe, der »zu einer vorübergehenden oder dauerhaften Störung der psychischen Bewältigung« (S. 57) geführt habe. Bei Menschen mit nicht nur neurotischer Ich-Organisation oder mit schwereren seelischen Verletzungen in der Vergangenheit komme es zu einem Wiederaufreißen narzisstischer Wunden und durch den hierbei erlittenen narzisstischen Verlust zu einem Zustand der Triebentbindung, der das Gleichgewicht des Subjekts im Somatopsychi-

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schen verändere. Marty nimmt dabei an, dass es zu einer spezifischen Form einer Depression komme, die er als »operational verengtes Denken« (Aisenstein u. Smadja, 2010, S. 59) – oder auch »operational verengtes Leben« – bezeichnet, die Betroffenen könnten weder Traurigkeit noch Schuldgefühle empfinden, empfänden sich hingegen als leer und seien in einem doppelten Sinne von Verlust betroffen, »sowohl nach der narzisstischen als auch nach der Objektseite« (S. 59). Dieses Zustandsbild sei schwer zu diagnostizieren. Menschen in derartigen Zustandsbildern fänden sich – und diesem Aspekt wird zentrale Bedeutung zugemessen – in einer Situation, in der sie nicht mehr regredieren, beispielsweise nicht mehr zur Kenntnis nehmen könnten, dass sie erschöpft seien und immer weiterarbeiteten. Es komme kein schützendes Über-Ich zum Tragen, weil es keines gebe, vielmehr liege ein sogenanntes »despotisches Ideal-Ich« vor, und da der Weg in die Regression versperrt sei, komme es zu einer Entbindung der Triebe. In diesem Modus sei im Unbewussten keine Symbolhaftigkeit mehr zu beobachten, sondern nur noch Sachverhalt, die Sprache sei abgedichtet gegen jedes Phantasieren und Symbolisieren, es gehe hier um Nicht-Denken, denn es gebe keinerlei Verbindung zur Triebquelle. Auf Basis dieser Überlegungen wird sodann angenommen, dass eine nicht mehr zu bewältigende traumatische Erregung die Organisation des Ichs zersetze und dem Über-Ich den Weg freimache, zu einem Ideal narzisstischer Allmacht zu werden. Dieses Ideal sei sodann durch Maßlosigkeit zu beschreiben, beruhe es doch auf unersättlichen Ansprüchen, die das Subjekt mit seinen Idealwerten verbinde, gleichzeitig lehne dieses Ideal-Ich Passivität in jegliche Regressionsneigung ab. Quasi wende sich dieses Ideal-Ich gegen das schützende Über-Ich. Man ist an die Ausführungen André Greens zur Desobjektalisierung im Narzisstischen erinnert (der Abzug jeglicher Besetzung also), ferner an Konzeptionen des Todestriebes. Auf Basis des beschriebenen Modells der Pariser Schule wurde konsequent weitergedacht und geforscht, beispielsweise wenn es um die Ursachen maligner Erkrankungen geht. So werden von Marilia Aisenstein und Claude Smadja zwei psychoanalytische Projekte aufgeführt, im Rahmen derer die genannte

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Theorie überprüft und versucht wurde, eine Beziehung zwischen der seelischen Grundstruktur und dem Brustkrebsrisiko von Frauen herzustellen. In einer zweiten Studie untersuchten sie, inwieweit es betroffenen Frauen gelang, im Rahmen einer Behandlung zu einer Reorganisierung und Stabilisierung ihrer seelischen Struktur zu kommen. Wenngleich ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es der Versuchung, »zwischen psychischem Geschehen und dem Auftreten einer somatischen Krankheit eine Kausalbeziehung herzustellen« (Aisenstein u. Smadja, 2010, S. 74) zu widerstehen gilt, fand sich in der zuerst genannten Studie eine klare Korrelation zwischen der seelischen Grundstruktur und dem Risiko, an einem Brustkrebs zu erkranken. Bei den betroffenen Frauen, bei denen eine sogenannte gut organisierte neurotische Struktur (der erste psychosomatische Mechanismus) vorgefunden wurde, sei eine bösartige Erkrankung nicht feststellbar gewesen. Nahezu faszinierend ist die Schlussfolgerung der Autoren, derzufolge »im innersten Zentrum des Lebens Mechanismen wirken, die zum programmierten Zelltod führen« (Aisenstein u. Smadja, 2010, S. 74) und die bei ausreichend stabiler psychischer Struktur durch ein »komplexes Informations- und Regulationsnetz streng kontrolliert« blieben, gleichzeitig »an der Modellierung sämtlicher Lebensformen beteiligt« seien (S. 74), in entsprechenden traumatischen Situationen und solchen der seelischen Dekompensation jedoch dazu führten, dass Selbstzerstörungsmechanismen im Organismus zum Tragen kämen.10 10 Klaus Wilhelm (2014) fasst in einer kleinen Arbeit nachvollziehbar zusammen, wie belastende Erfahrungen der ersten Lebensjahre im Erwachsenenalter zu chronischen Erkrankungen und Beschwerden führen. Neben epigenetischen Forschungsergebnissen und Hinweisen auf die Plastizität des Gehirns berichtet er unter anderem, dass die Telomere der Chromosomen im Laufe eines Lebens individuell schnell oder langsam abnähmen, bei rascher Abnahme beschleunigt sich die Zellalterung und das Risiko für Erkrankungen nimmt zu. Bei entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen zeigte sich ein klarer, signifikanter Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischer Herkunft von Studienteilnehmern und Kürze der Telomere, »je widriger die kindlichen Lebensumstände, desto stärker besteht das Risiko, nach der Virusinfektion auch wirklich zu erkranken« (Wilhelm, 2014, S. 27). Hieraus werde der Schluss

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Das Faszinierende an dieser Theorie ist ihre psychoanalytische Einfachheit und die konsequente Weiterverfolgung der triebtheoretischen Überlegungen Freuds in das Psychosomatische hinein, letztlich durch in wissenschaftlicher Form durchgeführte größere Untersuchungen bestätigt. Es scheint, dass die französische Psychoanalyse es fortgesetzt verstanden hat, ihre Wurzeln beim Verstehen psychosomatischer Erkrankungsbilder nicht aus dem Auge zu verlieren, »das Körperliche von der Psychoanalyse aus konsequent neu zu denken« (Leiser, 2007, S. 13). Beispielsweise ist es im Sinne Lacans (zit. nach Leiser, 2007) unerlässlich zu berücksichtigen, inwieweit es dem Subjekt gelungen ist, den Körper für sich in Besitz zu nehmen. So geht Lacan davon aus, dass, da die Sprache das Medium des Symbolischen sei, »dem Körper seine Körperlichkeit zugesprochen« werden müsse und nicht etwa umgekehrt, »dass er sich diese sprechend aneignet« (Leiser, 2007, S. 32). Raúl Courel (nach Leiser, 2007, S. 34) zitiert »den Fall eines Jungen, bei dem der inaugurale Akt für seinen eigenen Körper, nämlich das Zusprechen des eigenen Namens, nie wirklich stattgefunden hat – wobei ›Zusprechen‹ von der formalen Namensgebung zu unterscheiden ist.« Sein Körper ist daher als Leerstelle, als eine Art Provisorium ausgewiesen, das mit der Geburt eines Brüderchens sozusagen gegenstandslos wird, der Junge erkrankt genau zu diesem Zeitpunkt an Leukämie. Courel interpretiere die Erkrankung des Jungen als »Verwerfung seines Namens« (Leiser, 2007, S. 34), sozusagen als »Absprechen eines Körpers aus eigenem Recht und eigenem Blut« (S. 34). Weit über das teils von der Neurosenlehre geprägte Denken hinaus gibt es in der französischen psychoanalytisch-psychosomatischen Tradition ein weites Feld körperlichen Geschehens, das hinter gezogen, dass »kindliche Erfahrungen für die Gesundheit als Erwachsener« von großer Bedeutung seien. Beeindruckend auch Forschungsergebnisse an 17.000 Patienten (Wilhelm, 2014), die auf einen klaren Zusammenhang zwischen Ausmaß der Traumatisierung in der Kindheit und dem Risiko, später im Laufe des Lebens zu erkranken und früher zu sterben, hinweisen.

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dem Rücken des Subjekts stattfindet und auf dem Organe direkt zu Akteuren werden, in einem Körper, der mit sich selbst und dem Subjekt, das ihn »bewohnen« soll, »im Krieg liegt« (Leiser, 2007, S. 36). Es scheint auch eine Eigenart des somatopsychischen Apparates zu sein, dass er neu auftretende somatische Symptome aufgreift, mit affektiven Elementen unbewusst neu und/oder zusätzlich besetzt und somit zur Aufrechterhaltung der Symptomatik beiträgt – ein wichtiger Mechanismus der Chronifizierung von somatischer (somatisierter) Symptomatik. Offenbar gelingt es dem Psychischen damit, sich länger- oder langfristig zu stabilisieren und zu entlasten. Ein Patient berichtete, gegen seinen Willen von Bekannten zu körperlicher Arbeit im Grünen gebracht worden zu sein. Unter dem sozialen Druck, unter dem er sich erlebte, konnte er sich einer gemeinsamen Aktion zur Begrünung einer Fläche nicht entziehen. Bereits während der körperlichen Arbeit bemerkte er Schmerzen im linken Ellenbogen, später als »Tennisarm« diagnostiziert und bestätigt, also als Reizung des Sehnenansatzes am Knochen bei Überanstrengung des muskulären Apparates des Armes. Nun aber persistierte die Symptomatik mehrere Monate, bis die Symbolik verstehbar wurde, letztlich als Symptomatik, die das Auflehnen gegen das alte, fordernde, väterliche Introjekt symbolisierte.

Auch in Situationen wie der beschriebenen gilt es als Analytiker, wachsam zu sein, die Diagnostik und Therapie der somatischen Medizin (»chronische Erkrankung«) zu hinterfragen und zu verstehen. So ist weiter zu vermuten, dass vor jeder Symbolisierungsmöglichkeit Elemente primärer Objektbeziehungen im Somatischen gespeichert werden und sich später in spezifischen Konfliktlagen – nun ebenso vorsymbolisch – im Somatischen aktivieren, beispielsweise als allergische oder entzündliche Erkrankung. Dieser Mechanismus benötigt die besondere und stetige Aufmerksamkeit des Analytikers, da es so scheint, dass er sich meist in der analytischen Szene nicht inszeniert und somit die Gefahr besteht, dass der Analytiker ihn als Gegebenheit des somatischen Krankseins – wie es von der somatischen Medizin sofort und dauerhaft bestätigt wird und

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würde – hinnimmt. Es ist, als würde das Organ im Dialog mit dem frühen Objekt stehen und der krankmachende Konflikt wieder im Organ aktualisiert sein, weit ab vom analytischen Geschehen. Oft ist dieses Organ das Immunsystem. Aufgabe des Analytikers ist es also zu versuchen, die scheinbar somatisch wirkende Erkrankung in ihrer frühen Bedeutung zu verstehen, zu erfassen und nicht wieder zu vergessen, sondern gegebenenfalls an entsprechender, geeigneter Stelle die Erkrankung in das sprachliche Feld der Analyse zu holen. Wenn der Analysand am Ende der Therapie ein inneres Bild, ein inneres Szenario des organischen Agierens im Konflikt für die Dauer seines weiteren Lebens entwickelt hat, kommt dies einem Idealziel der Behandlung gleich. Ob es gelingen kann, den frühen Konflikt weitestgehend zu symbolisieren, das tief unbewusste Geschehen im Organ sozusagen vollständig zu mentalisieren, muss im Einzelfall zunächst offen gelassen werden. Mahmoud Sami-Ali, Direktor des Internationalen Zentrums für Psychosomatik, seit langem in Paris lebend und arbeitend (Leiser, 2007, S. 181 ff.), führte in sein psychosomatisches Denken »die Kategorie des imaginären Körpers« (S. 183) ein und verstand diesen annährungsweise als Vermittler zwischen Subjekt und realem Körper. Dieser imaginäre Körper verweise auf »viel primitivere und frühere Instanzen und Strukturen« (S. 183), sei er doch eine Projektion, die eine Verbindung zur Außenwelt herstelle. Hieraus ergaben sich nun für Sami-Ali zwei Modi der Verarbeitung von Pathologie: Entweder trete das Projizierte in den psychischen Stoffwechsel ein und werde subjektiv zur Darstellung gebracht, oder es finde sich eben im Körperlichen wieder. Hierbei finde das Imaginäre sozusagen seinen Niederschlag in den psychosomatischen Erkrankungsbildern. Verglichen mit anderen Autoren wird nun neben der Möglichkeit, in ein(em) Organ bzw. Organsystem zu symbolisieren, auch das Projizieren als Möglichkeit angeboten, psychosomatisches Erkranken zu verstehen, was aber einer konzeptionellen Schwerpunktsetzung, dem Geschmack und Erleben des Autors entsprechend, gleichkommt. Sami-Ali weist auch auf einen Zusammenhang zwischen Störung der Zeitlichkeit (bewusst und auffällig wurde ihm dies bei einer Patientin, die wesentliche Dinge vergaß) und einer Beziehungsstörung

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zum primären Objekt (hier der Mutter) hin, er geht davon aus, dass die »Entgleisung ihrer Entwicklung« genau dann geschehen sei, »als im weiteren Verlauf die Konstruktion eines selbständigen, von der Mutter und der Umwelt abgegrenzten Körpers scheiterte« (Leiser, 2007, S. 211), hierbei sei »der Übergang von einer in den Körper eingeschriebenen Zeit zu einer objektiven Zeit als soziale Kategorie misslungen«. Die Patientin komme daher über eine »primitiv körperlich a priori funktionierende Zeitlichkeit nicht hinaus« (S. 211).11 Ganz entscheidend bei Sami-Ali ist der Hinweis zur Differenzierung zwischen der Darstellung eines Traumas an einem Körperorgan, »ohne das Dazwischentreten des dem Subjekt zugänglichen Imaginären« – er nennt als Beispiel die Neurodermitis – und einer hysterischen Symptomatik, beispielsweise einer hysterischen Lähmung (Leiser, 2007, S. 212). Sami-Ali versteht psychosomatische Störungen also im Wesentlichen als Verlust des Imaginären, als Verlust der Möglichkeit, psychisch einen Konflikt oder ein Trauma zu inszenieren. Hieraus lässt sich (nach Leiser) problemlos die vereinfachte Regel ausdrücken, »je mehr imaginäres Krankheitsgeschehen, desto weniger somatisches und umgekehrt« (S. 213). Wesentlich scheint auch der Hinweis, dass auch phänomenologisch hier ein bedeutender Unterschied bestehe, setze doch ein psychosomatisches Geschehen »einen körperlichen Zerrüttungs- und Zerstörungsprozess in Gang, [das] imaginäre Geschehen, besonders in der Psychose, dagegen einen fortschreitenden psychischen Verfall der betroffenen Person« (S. 214). Sami-Ali unterstellt also eine gegenseitige Korrelation zwischen Imaginärem und Somatischem. So wird dann auch verstehbar, dass er beispielsweise allergischen Erkrankungen den Status eines Symptoms abspricht und die Erkrankung als »Beziehung des Körpers insgesamt zur Welt« (S. 222) versteht. Für ursächlich hält er »Mütter, die dem Kind keinen Platz zugestehen wollten, ja die sich auf irgendeine Weise schon gegen seine Geburt sträubten.« Solche Mütter könnten 11 Hier finden sich Hinweise auf Möglichkeiten, Vergesslichkeit und Störungen der Konzentration beispielsweise bei depressiven Krankheitsbildern zu verstehen.

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sich dann »als alles Erdrückendes und insbesondere jede eigene Körperkonstruktion paralysierendes ›körperliches Über-Ich‹ in die Existenz dieses Kindes einpflanzen«. Hieraus ergebe sich die Möglichkeit, Allergie als eine »Reaktion der Gegenwehr« zu verstehen, quasi seien es sodann die Antikörper, die den Versuch darstellten, »den mütterlichen Körper auf Distanz zu halten« (Leiser, 2007, S. 222). Die ersten Allergene im kleinen Kind stellten sozusagen die molekularen oder chemischen Äquivalenzen dar, »die sich im spezifischen physiologischen Klima der frühesten – wenn nicht schon pränatalen – Kontakte mit dem mütterlichen Körper herausgebildet haben: Markierungen der mütterlichen ›Chemie‹ sozusagen. Erst allmählich, im Prozess der Ausarbeitung der allergischen Reaktion, gewönnen solche Agentien eine Art ›protosymbolische‹ – das heißt nicht im Psychischen, sondern im Körperlichen wirksame – ›Bedeutung‹« (S. 222). Selbstverständlich könnten sich an diese »originären Assoziationen […] weitere Assoziationen anschließen, eine Assoziationskette, die nach und nach alle Zeiten und Lebensbereiche der betroffenen Person erfassen kann« (S. 222). Nicht ohne Reiz ist auch die Vorstellung Sami-Alis, dass autistische (er meint hierbei wohl hospitalisierte) Kinder quasi auf die Einrichtung ihres imaginären Körpers verzichten. Wenn das kleine Kind mit seinem Köpfchen gegen das Bett schlage, beschwöre es sozusagen »ein noch gar nicht zustande gekommenes Objekt und will es mit Angriffen sozusagen herbeirufen« (Leiser, 2007, S. 226). Hierbei sei ein auf seine primitivste Stufe zurückgeworfener Mechanismus zu beobachten, »mit dem das menschliche Wesen auf dem Einrichten eines imaginären Körpers auf Basis seiner Subjektwerdung« (S. 226) bestehe und auf den dazu erforderlichen Objekten. Häufig genug gehe dieser Kampf aber verloren, und schließlich werde der Körper selbst nach Sami-Ali »zum letzten psychosomatischen Schlachtfeld« (S. 226). In einer ähnlichen Situation befinde sich das autistische Kind, welches seine Problematik dadurch bewältige, dass es sich »ein für alle Mal dem Anspruch und der Ansprache eines menschlichen Anderen« entziehe (Leiser, 2007, S. 227) und »umgekehrt jeden nach außen gerichteten Impuls zum Schweigen« bringe (S. 227). Der autistische Körper werde sozusagen zu einem »uneinnehmbaren ima-

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ginären Gehäuse« (S. 227), das Kind entidentifiziere sich von der Mutter, die zu einem Ding in einer »Welt voneinander isolierten, eigenschaftslosen und austauschbaren Dingen [werde,] dem gegenüber eine unerschütterlich gleichgültige Haltung gewahrt werden« könne (S. 227). Sinnvoll ist es daher auch, von der Triebtheorie her die verschiedenen Stufen bis zum »Erreichen« eines psychosomatischen Erkranktseins zu denken. Ist erst einmal eine libidinöse oder aggressive Besetzung eines Organs oder Organsystems gelungen, bleibt somit nur die Frage nach der Möglichkeit der Symbolisierung. Gelingt die Symbolisierung, bewegt man sich im Bereich der Konversionsstörung oder ist in der Therapie einen Schritt weiter. Aus dem Genannten ergibt sich auch die Versuchung, den dominanten oder autoritären Kausalbegründungen (Umwelt, Genetik etc.) der somatischen Medizin nachzugeben und die Chance zu vergeben, den somatisch erkrankten Patienten eine Bearbeitung der somatischen Erkrankungssituation, vielleicht sogar eine Heilung zu ermöglichen. In der Beschäftigung mit metapsychologischen Konzepten zum Unbewussten in der französischen Psychoanalyse diskutiert Udo Hock (2013) auch die Frage, ob es ein Unbewusstes jenseits seiner Repräsentanzen geben könne. Hierzu führt er aus, dass das Repräsentanzenmodell des seelischen Apparates unüberwindbar bleibe, unabhängig davon »ob das Agieren, Halluzinieren oder neurotische Symptombildungen in der Pathologie vorherrschend sind« (Hock, 2013, S. 958). Wenngleich das seelisch Eingeschlossene lange stumm bleiben könne, so könne nur etwas »ausbrechen« (S. 958), wenn es »eingeschlossen« war. Somit, und dies lässt sich auf die psychosomatischen Überlegungen hier extrapolieren, gehe es bei solchen Begrifflichkeiten um die Unfähigkeit des Subjekts, zu den »unbehausten Zonen der eigenen Psyche« (S. 958) Zugang zu bekommen, gehe es darum, »eine Darstellungsform zu finden für Konflikte, die als solche zunächst einmal überhaupt nicht zu erkennen sind«. Udo Hock resümiert pessimistisch, es sei wohl zu »fortschrittsgläubig« (S. 959), von der zukünftigen psychoanalytischen Forschung eine Antwort darauf zu erwarten, dass »zum Beispiel eine lebens-

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gefährliche somatische Dekompensation, wie ein plötzlicher Herzstillstand, oder auch ein Gewaltdurchbruch mit einem abgespaltenen Unbewussten in Zusammenhang« stehen könnten. Und: »Die Geschichte der Psychoanalyse hat vielmehr gezeigt, dass sich das Unbewusste jeder direkten Beweisführung entzieht und immer nur aufgrund von Indizien erschlossen werden kann. […] Der Sprung zwischen dem Seelischen und dem Somatischen sei ebenso schwer einzuholen wie der Sprung zwischen Bewusstem und Unbewussten« (S. 959). Mit faszinierenden Forschungsergebnissen und Gedanken trägt derzeit Mark Solms (2013) dazu bei, zunehmend verstehen zu können, wie körperliches Erleben im Gehirn repräsentiert wird. Es lohnt, sich als Psychoanalytiker zum Verstehen körperlichen Erkrankens mit dieser Thematik ausführlicher zu beschäftigen. Nach Solms sind zwei Aspekte zu berücksichtigen, um zu verstehen, wie das Körperliche im Nervensystem repräsentiert wird: Projektionen sensorischer Rezeptoren repräsentieren über modalitätsspezifische, thalamische und kraniale Nervenbahnen neuroanatomisch in die Gehirnrinde (Solms, 2013, S. 992), traditionell als corticaler Homunculus verstanden. Jedoch entwickelt sich das Bild des eigenen Körpers nicht in diesen unimodalen corticalen Strukturen, sondern geht aus ihnen hervor, die Körperrepräsentanz ist daher mit den Prozessierungsnetzwerken gleichzusetzen, die auch andere äußere Objekte repräsentieren, und zwar über die gleichen Wahrnehmungsmodalitäten und in der gleichen Form. Entscheidend ist also, dass der äußere Körper als Objekt repräsentiert wird; auch andere Körper werden auf gleiche Weise repräsentiert. Aber nicht nur sensorische Konvergenz, sondern auch Motorik erzeugt Empfindung und trägt schließlich zum dreidimensionalen Erleben des Körpers bei. Somit wird der somatosensorische und motorische Homunculus eine integrierte Funktionseinheit, die dem Subjekt den Körper als Objekt darstellt. Diese Darstellungsweise mag erheblich dazu beitragen, dass es traditionell zu einer Spaltung zwischen leiblichem und seelischem Erleben kam und dass heute – wieder mehr denn je – der Körper als Objekt, quasi externalisiert, erlebt und behandelt wird. Gerade aktuelle psychosomatische Strömungen, die sich mehr und mehr

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von einer psychoanalytischen Denk- und Vorgehensweise abgrenzen, werden hierbei gut verstehbar. Noch aufschlussreicher ist ein weiterer Aspekt des körperlichen Erlebens, auf den Solms hinweist. Es ist der autonome Körper, das innere Milieu des Körpers, welches auf der Rinde des Gehirns »nur spärlich repräsentiert« ist (Solms, 2013, S. 993), die eigentliche Repräsentanz des autonomen Körpers erfolgt in Bereichen, die tiefer und innerer im Gehirn angesiedelt sind; die Strukturen, die diesen Aspekt des Körpers repräsentieren, umgeben den Hypothalamus, schließen aber auch die circumventriculären Organe, den parabrachialen Kern, die Area postrema, den Kern des Tractus solitarius und Ähnliches mit ein. All diese Strukturen sorgen für inneres Gleichgewicht, arbeiten weitgehend automatisch, können aber auch den äußeren Körper aktivieren, damit dieser seinen lebenswichtigen Bedürfnissen nachkommen kann. Die Aktivierungsstrukturen des oberen Hirnstammes tragen hierzu bei, der Informationsfluss zwischen den Binnenstrukturen des Stammhirns und der Großhirnrinde ist wechselseitig. Entscheidend jedoch ist, dass die funktionelle Einheit des Großhirnes (es sei daran erinnert, dass sie den Körper bzw. die Organe wie (ein) Objekt(e) repräsentiert) von der Aktivität des Hirnstammes (der den inneren Körper repräsentiert) abhängig ist. Bewusstes Erleben ist hierbei mit einbezogen, das mit dem inneren Körper assoziierte Aktivierungssystem »erzeugt einen anderen Bewusstseinsaspekt als das System, das mit der äußeren Wahrnehmung assoziiert ist« (Solms, 2013, S. 994), und »darüber hinaus ist der innere Aspekt eine Voraussetzung für den äußeren Aspekt«: erlösche das endogene Bewusstsein, erlösche auch das exterozeptive Bewusstsein. Dies gelte jedoch nicht im umgekehrten Sinne. Weiter weist Solms im Referat aktueller Forschungsergebnisse darauf hin, dass der innere Aspekt des Bewusstseins »nicht aus Bewusstseinsobjekten, sondern aus Bewusstseinszuständen« (2013, S. 994) bestehe, der innere Körper sei kein Objekt der Wahrnehmung, sondern Subjekt der Wahrnehmung. Er ist quasi der »Hintergrundszustand des Bewusstseins« (S. 994). Nun wird deutlich, wie der als Objekt in den höheren Gehirnstrukturen repräsentierte Körper auch vom eigentlichen Subjekt,

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welches in den tieferen Hirnstrukturen repräsentiert ist, als Objekt wahrgenommen werden kann. Diese tieferen Strukturen erleben die Zustände des Körpers subjektiv und affektiv, Affekte können hierbei als Sollwertgeber innerer Befindlichkeit auch im biologischen Sinne verstanden werden. Gelangt ein solcher Sollwert in höhere Gehirnstrukturen, wird er möglicherweise zur Emotion, führt zu einer motorischen Reaktion, um zu regulieren. Nun bewusst, zeigt diese nun erlebbare Emotion, wie sehr die tiefen Hirnstrukturen mit der Regulation des inneren Gleichgewichtes zusammenhängen. »Der Grundton des affektiven Bewusstseins« werde daher durch die »Lust-Unlust-Reihe vorgegeben, deren motorischer Ausdruck das Annäherungs-Rückzugs-Verhalten ist« (Solms, 2013, S. 995). In seinem Versuch, zu einem metapsychologischen Verstehen der Körperrepräsentanz zu kommen, schließt Solms nun, dass der äußere Körper dem Ich entspreche, der innere Körper dem Es, wobei er – entscheidend auch für die Überlegungen zur Psychosomatik – darauf hinweist, dass es kein corticales Bewusstsein ohne Hirnstammbewusstsein gebe, »es kann kein Ich ohne ein Es geben« (Solms, 2013, S. 998). Das corticozentrische Verständnis des Bewusstseins entspricht nicht der Realität, Bewusstsein wird »vollständig im oberen Hirnstamm generiert«, corticale Wahrnehmungen und Kognition wurzeln in Gedächtnisprozessen. Der Cortex mit seinen langen Nervenbahnen liefert also den »Speicherplatz für Repräsentationen« (Solms, 2013, S. 1006) und – entscheidend für die hier dargelegten Überlegungen – also auch die vorbewussten und bewussten Repräsentanzen zum körperlichen Erkranken. An dieser Stelle sei auf Allan Schore (vgl. Rass, 2012; Schore, 1994, 1997) hingewiesen, der den forschenden Fokus auf die frühe Bindungssituation und das Augenmerk auf die Bedeutung der frühen Bindungsqualität für das gesamte weitere Leben und die körperliche Gesundheit lenkt. Demnach liegt der Schwerpunkt der seelischen Entwicklung der ersten Monate auf der Reifung der rechten Hemisphäre des Gehirns, die durch das Erleben der impliziten Bindungs- und Beziehungsmuster des Kindes im Miteinander mit den

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frühen Objekten geprägt wird. Diese Reifung kann durch die in die frühe Kommunikation mit den Objekten eingebettete Beziehung letztlich für die Entwicklung und Integration der Affektregulation fast allein verantwortlich gemacht werden. Hierbei findet sich das Kind in einem Entwicklungsprozess, der bekanntermaßen phasenhaft abläuft und lebenslang immer wieder Regulations- und Anpassungsprozesse zur Erhaltung des inneren Gleichgewichtes erforderlich macht. Erst später kann »linkshemisphärisch« mit diesen Erkenntnissen und Wahrnehmungen umgegangen werden, beispielsweise in einer analytischen Therapie. Erst wenn sich der Blick psychosomatischen Vorgehens auf das Innere richtet – und dieser Blick ist schwierig, langwierig, nur mit Intuition und nur mit psychoanalytischer Technik möglich –, gelingt ein Verstehen der Bedingungen körperlichen Erkrankens und insbesondere auch ein Verstehen der Beteiligung und der Anteile des Unbewussten. Verlässt man die verführerische Ebene des Widerstandes, die Ebene des als medizinisches Objekt repräsentierten Körpers und dem Bewusstsein zugänglichen körperlichen Erlebens, gelingt eine Annäherung an das Wesen des eigentlichen psychosomatischen Erkrankens oder Erkranktseins. Lassen sich Konflikte, die sich in körperliche Symptomatik konvertieren oder direkt auf äußere Reize oder Konflikte reagierende vegetative Funktionen des Körpers noch rasch verstehen, so wird es beim Verstehen etwa immunologischer Reaktionen des Körpers schwieriger. Mit den einzigartigen Möglichkeiten der Psychoanalyse (vgl. Plab, 2014) gilt es unter Einsatz der mittels aktualisierter Theoriebildung entwickelten Vorgehensweise die spezifischen Anteile der psychoanalytischen Interaktion zu erfassen, die sich zum Verständnis der frühen Adaptations- und Äquilibrierungsmechanismen des Körper-Seele-Systems an konflikthafte und mangelhafte Lebenssituationen anbieten. Hierbei seien besonders genannt die Nutzung von Gegenübertragung und Übertragung in der Beziehungsdiagnostik sowie die oft nur als Mikromomente registrierbaren, feinen und feinsten somatischen Reaktionen und Inszenierungen unter der sprachlichen Ebene.

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Psychoanalytische Modelle

Dies sind hochspezifische, aber unbewusste verbale und besonders nonverbale Darstellungen des Analysanden seiner selbst. Erneut darf hierbei nicht vergessen werden, dass es oftmals frühe interaktionelle Anpassungen sind, die über Jahre und Jahrzehnte stumm bleiben können, die bei einem Erkrankten einige Jahrzehnte später erst verstanden werden müssen. Kein Zweifel jedoch besteht, dass die in der frühen Kindheit noch nicht verbalisierbaren Konfliktlösungsversuche, Anpassungsversuche an schwierige, bedrohliche konflikthafte Lebenssituationen verschiedene Funktionskreise des autonomen Funktionierens des Körpers beeinflussen, verändern, zu einer Anpassung führen und in tiefen und mittleren Hirnstrukturen abgespeichert werden. Es liegt auf der Hand, dass die psychoanalytische Arbeit darin bestehen muss, diese Zusammenhänge in den Cortex, also ins bewusste Erleben zu holen, damit das Individuum dazu fähig wird, nun zukünftig anders zu handeln, den Konflikt rechtzeitig zu erkennen, die dazugehörigen Affekte wahrzunehmen und konstruktiv in Lösungsmöglichkeiten zu integrieren. Ein etwa vierzigjähriger Lehrer, der bereits seit fast zehn Jahren an einer Psoriasis und seit fünf Jahren an einer Gelenkbeteiligung bei Psoriasis leidet, inszeniert in der Gegenübertragung seines Analytikers etwa in der 60. Stunde der analytischen Psychotherapie erstmals den Eindruck, er könne »eklig« sein, daher abgelehnt werden. In der Folgestunde erinnert sich der Analytiker an die Psoriasis, die seit Anbeginn der Therapie kein Thema mehr war und, nachdem der Patient zu Ablehnung assoziiert (warum nur kuschle sich seine Tochter an ihn, obwohl sie ihm gelegentlich nach einem anstrengenden Arbeitstag sage, er »stinke«) und glaubt, unangenehmen »Genital-, Fuß- und Achselgeruch« zu haben, fragt der Analytiker, ob die Mutter oder Großmutter oder beide – beide waren mit der primären Versorgung des Patienten beschäftigt und dürften ihn als lästiges, belastendes und ungewolltes Kind (»Balg«) abgelehnt haben – seine Haut gegebenenfalls nicht gemocht haben könnten. Der Patient assoziiert weiter, dass die Mutter die stinkenden Stoffwindeln tagelang in der Badewanne habe liegen lassen und den Geruch mit ihm in Verbindung gebracht habe. Dann fällt ihm ein, dass er eine Vorhautbeschneidung als Säugling erlitten

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habe, er erinnere sich, dass er seinen kleinen Penis in eine brennende Flüssigkeit habe tauchen müssen, und der Analytiker assoziiert in sich, dass die »Fingerlein« und Zehen des Patienten ebenso wie der kleine Penis für die Mutter und Großmutter ekelhaft gewesen sein könnten. So lässt sich langsam erarbeiten, wie die in den versorgenden Primärobjekten libidinös besetzten Finger, Zehen und der Penis mit dem tiefen Gefühl des Patienten, nicht gemocht zu werden, abgelehnt und ekelhaft erlebt zu werden, in Verbindung zu bringen sind. Die Symbolik der im Rahmen der Psoriasis entzündeten Finger wird zum Teil nun deutlich, die Bedeutung der Psoriasis. Dies gelang nur, weil die Erkrankung, die in der somatischen Medizin als somatische gilt, im analytischen Prozess nicht aus dem Auge verloren wurde und der Dialog, im Organ Haut, in der Erkrankung ausgedrückt, nicht übersehen wurde.

Es ist ein unschätzbares und großes Glück, dass so viele Kollegen und Kolleginnen der psychoanalytischen Gemeinschaft über die Jahrzehnte viele wohlüberlegte, differenzierte und wertvolle Modelle für das psychosomatische Denken geschaffen haben, Wissen im eigentlichen Sinne. Das Unwissen dazwischen auszuhalten, ist aus psychoanalytischer Sicht ebenfalls wissenschaftlich.

Ein integrierendes psychoanalytisches Modell körperlichen Krankseins

Auf der Basis dieser umfangreichen Modellvorstellungen ist es nun möglich, die seelischen Mechanismen des Erkrankens des Körpers konzeptuell zusammenzuführen. In der Folge sollte eine moderne, flexibel einsetzbare, integrierte psychodynamische Modellvorstellung für alle12 Situationen des körperlichen Krankseins gelingen. Das Psychische ist eine Funktion des menschlichen Nervensystems, vom Körperlichen also nicht zu trennen. Das Psychische ist körperlich, das Körperliche psychisch. Psychosomatik muss Erkrankung verursachende und Erkrankung erhaltende Bedingungen im Rahmen der Konzepte der Primär- und Sekundärprozesse denken, berücksichtigen und reflektieren. Psychosomatik muss alle körperlichen Symptome und Syndrome, die also seelisch (mit-)bedingt oder seelisch verursacht sind oder sein können, umfassen, und da dies eben bei nahezu allen körperlichen Symptomen und Erkrankungen gegeben ist, gehört die Psychosomatik regelhaft ubiquitär in der Medizin installiert – ambulant und stationär, und besonders und sehr viel umfangreicher in der medizinischen Ausbildung. Die Psychoanalyse dachte Psychosomatik bis vor einiger Zeit meist vom Konflikthaften her, ausreichend zu verstehen ist körperliches Erkranken aber nur, wenn auch die tiefsten und ersten, dem Psychosomatischen impliziten Köper- und Subjekt-Objekt-Erfahrungen berücksichtigt werden. Entscheidend sind die unbewussten, im inneren oder äußeren Erleben (interaktionell) wirksamen, affektiv getönten (Beziehungs-)muster; Affekte spielen eine zentrale Rolle. Hierbei geht es um das Verstehen des Unbewussten »unter« den 12 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch bei rein situationsbedingt oder somatisch bedingt erscheinenden körperlichen Erkrankungen wie Unfällen oder chirurgischen Eingriffen das Unbewusste in seiner Wirkung nicht zu übersehen ist.

Ein integrierendes psychoanalytisches Modell71

Anteilen, die imaginiert, gedacht oder ausgesprochen werden können, es geht um frühes, sehr früh verinnerlichtes, rechtshemisphärisch Erlebtes, kaum oder noch nicht repräsentiert, das noch nicht strukturiert, nicht symbolisiert ist, das verborgen ist und ausschließlich durch das Assoziieren und in der therapeutischen Beziehung erfasst werden kann. »Das Begehren des Menschen ist das Begehren des Anderen« (Lacan, zit. nach Müller-Pozzi, 2012, S. 78) – dieser Satz ist Grundlage psychoanalytischen Verstehens überhaupt und Grundlage des psychoanalytischen Verstehens psychosomatischen Erkrankens. Er ist Vexierbild, seine Genitive müssen dialektisch verstanden werden. Der Andere begehrt, sodass das Subjekt werden kann, der Andere wird begehrt, sodass das Subjekt werden kann. Der Andere wird begehrt, damit das Subjekt befriedigt wird, der Andere wird begehrt, damit der Andere befriedigt wird und das Subjekt dadurch werden kann. Der Andere begehrt, damit er befriedigt wird und das Subjekt günstigenfalls werden kann, der Andere begehrt, damit das Subjekt begehrenswert wird, begehrenswert werden kann. Das Begehren des Anderen und somit das Begehrtwerden ist wie das Streben nach Bindung und Autonomie eine existentielle Intention des Seelischen in jedem Subjekt und in jedem Objekt. Wird das Begehren gestört (schlimmstenfalls zerstört), kann es nicht (ausreichend) adressiert werden, verbleibt das Psychische im Organischen. Das Symptomgleichgewicht im Somatopsychischen verschiebt sich zum Somatischen hin, in unterschiedlicher Ausprägung ist dies bei allen Subjekten zu beobachten. Wird das Begehren gestört (oder zerstört), kommt auch die Aggression ins Spiel, da das Objekt weiter begehrt, aber auch geschützt werden soll, weiter begehrt werden will. Es findet die Aggression im Somatischen ihr Zuhause oder wird projektiv externalisiert und gegebenenfalls wieder re-internalisiert, sie wird implizit memoriert, bleibt im Somatischen aktiv. Störungen der Autonomieentwicklung bedingen und hinterlassen Aggression. Analog der evolutionären Entwicklung des menschlichen Individuums vom Einzeller zum hochkomplexen Lebewesen mit enormen Autonomiemöglichkeiten entwickelt sich der menschliche Organismus in seiner Ontogenese zunächst physiologisch, mit einiger Verzö-

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Ein integrierendes psychoanalytisches Modell

gerung dann auch psychisch, von anfangs maximaler Abhängigkeit zu immer mehr Autonomie. Diese Autonomieentwicklung geschieht zunächst primär-, sodann sekundärprozesshaft und ist häufig, wenn nicht sogar regelmäßig Störungen ausgesetzt, insbesondere im primärprozesshaften Entwicklungsbereich. Sie ist der zentrale Entwicklungszug in der Subjektentwicklung. Ein anderes Begehren ist die therapeutisch so wertvolle und nutzbare ständige Begierde des Seelischen, strukturieren, verstehen, repräsentieren, mentalisieren und versprachlichen zu wollen, um handlungsfähig zu werden, um gesünder, idealerweise gesund zu werden. Ohne Denken, Sprache, Mentalisierung und Repräsentanz bleibt nur der Weg über das Somatische, gegebenenfalls das Somatisierte. Primärprozesshafte Störungen der psychischen Entwicklung führen regelhaft zu somatischen Krankheitsbildern und zu sekundären Entwicklungsstörungen, sekundärprozesshafte Störungen können regressiv ebenfalls (psycho-)somatische Erkrankungsbilder hervorrufen, bedingen aber in der Regel eher konversionsneurotische Störungen. Primärprozesshaft bedingte psychosomatische Erkrankungen sind nicht in einem neurotischen Sinne als konflikthaft zu verstehen, da der Körper hierbei präverbale interaktionelle Konflikte, besonders aber Affekte, die nicht reguliert, nicht adressiert oder repräsentiert werden können, ausdrückt. Die der Erkrankung, der Symptomatik, zugrundeliegende Problematik ist in das Körperliche eingeschrieben, und der Autor ist nicht mehr sichtbar. Reste der Schrift bleiben für immer bestehen, sie ist dem Seelischen, also dem Körperlichen, implizit und äußert sich (meist wohl) nonverbal, idealerweise aber in einer Annäherung auch präverbal (vielleicht in Phantasien oder Träumen), bestenfalls also assoziativ, die große Chance der analytischen Behandlung. Ein körperliches Symptom ist also Ausdruck eines (meist gescheiterten) Beziehungsfragmentes zwischen Subjekt und Objekt (und dies so zu verstehen, hierin besteht die Chance zur Genesung im analytischen Prozess). Psychische und körperliche Erkrankung haben somit fast immer hier ihre Wurzeln und beginnen viel früher, als es oftmals schien oder scheint.

Ein integrierendes psychoanalytisches Modell73

Menschen sind Beziehungswesen, die menschliche Seele entsteht ausschließlich in einem intersubjektiven und interaktionellen, affektgeladenen Feld mit den primären Objekten und reift nur in diesem Feld in ausreichender Weise. Der Säugling verinnerlicht hierbei nicht die Eigenarten der Objekte, sondern die wechselseitige affektive Erfahrung der Beziehung zum Objekt und damit auch die Bedeutung des Körperlichen in diesen Objekterfahrungen. Dieses implizite Beziehungswissen bestimmt das lebenslange seelische Erleben und wird ständig zur Aufrechterhaltung seelischen Gleichgewichts genutzt. Nur in der Beziehung zum Anderen sind daher Veränderungen im Seelischen möglich. Allem psychosomatischen Erkranken liegt der tief unbewusste Verlust der (halluzinatorischen) Vorstellung, das (primäre) Objekt sei allgegenwärtig für das Subjekt und stets für immer versorgend anwesend, zugrunde. In einer halt- und strukturgebenden Primärbeziehung können konstruktive Symbolisierungen für diesen Verlust gefunden werden, anderenfalls kommt es zu psychosomatisch relevanten, das Objekt repräsentierenden libidinösen oder auch aggressiven Besetzungen der Organe, um in einer regressiven Form das innere Gleichgewicht zu erhalten. Stehen das primäre Objekt oder ein Teilobjekt nicht (ausreichend) zur Verfügung, bleiben Triebhaftes und Affekt im Körperlichen, oder das Seelische sucht sofort nach einem Ersatzobjekt, das zu besetzen möglich ist, einem Ersatz für ein Objekt im eigenen Körperlichen. Zudem steht auch kein anderer Weg für Affekt und Trieb zur Verfügung – es gibt nur »Innen oder Außen«. Die Projektionen und unbewussten Annahmen des Objekts, also dessen psychoontogenetische (libidinöse und aggressive) Strukturanteile im Subjekt finden sich im protomentalen, subsymbolischen System des Subjekts, im Psychosomatischen im Subjekt wieder. Psychosomatische Symptomatik weist also immer auf (gescheiterte oder unzureichende) implizite Beziehungsmuster zwischen Subjekt und (frühen) Objekten – ob verstehbar oder nicht – als internalisiertes Intersubjektives hin, stellt ein inneres Gleichgewicht sicher und schützt das Subjekt vor Verlust des Objekts und der Autonomie. Zudem kann immer von einer gestörten Affektregulation bzw. unzureichenden Affektintegration ausgegangen werden.

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Ein integrierendes psychoanalytisches Modell

Die nicht bewussten, impliziten Beziehungsmuster persistieren im Körperlichen ebenso wie – davon untrennbar – die daran gebundenen, nicht integrierten Affekte. Spaltung, Projektion und Dissoziation führen uns diagnostisch in diese Kategorie: Die Erfahrungen mit dem Objekt sind isoliert und quasi im Körperlichen »eingefroren«, in das Somatische eingeschrieben, sind Ausdruck des frühen kommunikativen Wechselspiels in der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, können (nach und nach) mit der Gegenübertragung erfasst werden. Im Gegensatz hierzu sind ödipale Konflikte assoziierend sprachlich erfassbar und daher leichter diagnostizier- und therapierbar. Freilich gibt besonders das Dissoziieren Hinweise auf affektive Erfahrungen, die das psychophysische System zunächst nicht ertragen konnte (beispielsweise bei traumatischen Erfahrungen). Ein ganz besonderes Augenmerk gilt dem Immunsystem. Es erlangt von Anbeginn des Lebens an untrennbare Bedeutung im Innersten in der Kommunikation und in der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, ist untrennbar und maximal verflochten mit dem Seelischen im Körperlichen und lebenslang reaktionsfähig auf Basis der frühesten impliziten Beziehungsmuster. Bei einer großen Anzahl von körperlichen Erkrankungen spielt das Immunsystem eine Rolle, oftmals eine wesentliche, und ist Signifikant für einen tief unbewussten Prozess im Rahmen des Erkrankens. Stets ist es in Regulationsprozesse des inneren Gleichgewichtes von Affekt und Triebbefriedigung eingebunden und Ausdruck der somatisch eingeschriebenen Interaktionsprozesse zwischen Subjekt und Objekt, wird es doch ebenfalls durch die frühen Erfahrungen geprägt13. Bereits in der Vergangenheit des Subjekts einmal von diesem als krank erfahrene Organe (bereits latent als Objekt oder Partialobjekt besetzte Organe also) oder solche, die während eigener aktueller Erkrankung oder in der Identifikation mit der Erkrankung anderer libidinös oder aggressiv besetzt wurden, stehen noch schneller und noch bereiter für weitere und/oder fortgesetzte Besetzung zur 13 Viele frühe Erfahrungen beeinflussen beispielsweise die Reaktionsweise des Immunsystems im Sinne einer erhöhten oder verminderten Reaktionsbereitsschaft.

Ein integrierendes psychoanalytisches Modell75

Verfügung. Dies begründet das wiederholte Auftreten immer gleicher Symptomatik oder die Chronifizierung entsprechender Krankheitsprozesse wie auch die Weitergabe von Symptomen von Eltern an Kinder. Die Annahme, dass genetische Faktoren bei vielen Erkrankungen eine wesentliche oder prädisponierende Rolle spielen könnten, ist inzwischen zu relativieren, hingegen ermöglichen die spezifischen Überlegungen der Psychoanalyse zur Genese vieler somatischer Erkrankungen sehr wohl ein Verstehen, insbesondere – ein reizvoller Gedanke – unter Berücksichtigung der Tatsache, dass epigenetische Einflüsse auf den Erkrankungsverlauf vom seelischen Erleben nicht mehr getrennt betrachtet werden können/müssen. Ein Teil der libidinösen Besetzung (und der Spuren der Aggression bei Misslingen oder unzureichendem Gelingen) des frühen Anderen, des frühen Objekts bleibt stets »auf der Strecke«, findet sich dann im Organischen wieder – dies kann als Normfall beschrieben werden. Lacan sagt, das Subjekt suche im Anderen, was es in sich selbst nicht finden könne, daher sei Liebe im tiefsten Grunde narzisstisch (zit. nach Müller-Pozzi, 2012, S. 79), somit kann auch ein Organ narzisstisches Objekt – wie beispielsweise in der Hypochondrie oder auch bei allergischen Erkrankungen14 – werden. Der allerfrüheste primäre Narzissmus umfasst »auf eine konfuse Weise alle Besetzungen […], primäre Objektliebe und selbst das, was man symmetrischerweise primären Objekthass nennen könnte« (Green, 2004, S. 259). Nach dem Ende der symbiotischen Verschmelzung beginnt die Besetzung der Objekte. Stehen diese nicht in ausreichender und ausreichend emotional erreichbarer Weise zur Verfügung, werden Organe und Organsysteme besetzt, werden Teile der Objektbeziehung in das Somatische »eingeschrieben«, der Hass und/ oder das Aggressive werden abgespalten15. Unterschätzt werden gemeinhin die Auswirkungen narzisstischer Strukturanteile in der Psychosomatik. Wird der Körper libidinös 14 Man denke unter anderem an den Juckreiz. 15 Wenngleich vielfach verworfen, bietet sich hierbei noch immer die Möglichkeit, das Auftreten bestimmter maligner Erkrankungsprozesse zu verstehen (siehe auch im Folgenden).

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besetzt (Klinik: Leistungssport, Model-Karriere, Bodybuilding etc.), das Über-Ich libidinös besetzt (Klinik: Moralisieren, Askese etc.) oder der Intellekt (Klinik: Intellektualisieren, Rationalisieren, Philosophieren etc.), so täuscht dies meist darüber hinweg, dass eine tiefe, narzisstisch bedingte Beziehungsstörung besteht, die nicht nur von einer latenten Angst der Nicht-Existenz, sondern auch von der Angst vor der Beziehung begleitet wird. Die Lust findet nicht in der Beziehung Raum, da sie bedrohlich wäre. Symptomatisch werden diese Störungsanteile mit der Antriebslosigkeit, dem Leeregefühl, der Depression, der Asthenie oder eben dadurch, dass dem Spiel libidinöser oder aggressiver Besetzungsanteile das weite somatische Feld geöffnet ist, mit einer Somatisierung im regressiven Modus, deren Ursachen dem Bewusstsein (zunächst) unzugänglich bleiben. Eine Besetzung des Organischen in (auto-)aggressiver Weise, beispielsweise weil das (spätere) Objekt aufgrund erheblicher Schuldgefühle oder aufgrund einer Angst, es zu verlieren, nicht aggressiv besetzt und erlebt werden kann, mag zusammen mit einer Desobjektalisierung zu malignen Erkrankungsprozessen führen. Voraussetzung für die Autonomieentwicklung ist also auch das Erkennen des Säuglings, dass das Primärobjekt nicht durchgehend zur Verfügung steht und eigene Bedürfnisse hat, und so sehr dies für die Entwicklung des Kindes notwendig ist, so schmerzhaft ist es auch für das Kind. Da diese Prozesse nie – wie theoretisch zwar denkbar und oft gedacht und beschrieben – optimal verlaufen, kommt es so gut wie bei jedem Individuum irgendwann im Leben zu psychosomatischem Erkranken, da Anteile der Libido (und natürlich auch des Affektiven) im Somatischen dauerhaft ihren Platz finden (es gibt keinen Menschen, dem körperliche Symptome verschiedenster Lokalisation und Ausprägung fremd sind). Triebe im Primärprozesshaften funktionieren »nicht nach dem Spannungsabführmodus der genitalen Sexualität« (Müller-Pozzi, 2012, S. 66), sondern in diesen prägenitalen Trieben finden sich Erregung und Befriedigung, die Beziehungen unter den Menschen schaffen (dies ist die genannte Grundintention des Biologischen). Die Libido der »infantilen Sexualität« sucht daher »nicht primär die Lust, sondern das Objekt« (Müller-Pozzi, 2012, S. 66). Die Libido hat

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somit »Objektalisierungsfunktion« (S. 66) und »libidinisiert Menschen, Dinge, Qualitäten, Eigenheiten, Attribute, Aktivitäten usw.«. Müller-Pozzi nennt dies den »entscheidenden Faktor« (2012, S. 66) für den Aufbau einer lustbetonten Innen- und Außenwelt. Misslingt dieser Weg der Libidinisierung von Dingen und/oder Objekten, kommt die libidinöse Besetzung der Organe ins Spiel: Sehr früh, im präödipalen Lebensabschnitt werden Organe oder ein Organ mit Affekten, Protoemotionen und Bedeutung versehen, nicht symbolisiert, sondern tief subsymbolisch, tief unbewusst, zunächst unzugänglich, später nur (in) einer erfolgreichen Psychoanalyse zugänglich. Es ist also auch eine ausreichend libidinöse Besetzung des eigenen Körpers für ein Leben in Wohlbefinden Voraussetzung. Mit dem libidinös besetzten Organ aber findet somit ein »Reset« statt, in dem die Psyche in die Nähe des Ausgangspunktes zurückkehrt, bei erwachsenen, psychosomatisch Erkrankten gut zu beobachten. Gleichzeitig ermöglicht das erkrankte Organ oder das erkrankte Organsystem, die libidinöse Besetzung wieder zu erleben, den Hass, den aggressiven Affekt, abzuspalten und die Fürsorge des ursprünglich abwesenden Objekts wieder zu erhalten. Daraus folgt eine stabilisierende Regression in einen »abgesicherten Modus« des seelischen Befindens (in der Krankheit sind wir »sicherer« als in der autonomen Position völliger Gesundheit und mit dem Bewusstsein, dass das autonome Objekt abwesend ist). Somit ist somatische Erkrankung auch immer Funktion einer Abwehr, die sich in der Geschichte des Individuums in einmaliger und spezifischer Weise als Regulationssystem des innerpsychischen Gleichgewichtes herausbildet und Affekten und Kognitionen im Inneren einen Ort zuweist, der einen Erhalt innerer Stabilität (wieder) möglich machen soll, gleichzeitig den Bedürfnissen des Individuums in jetzt abgewehrter Form zur Wirkung verhilft. Die Affekte und Kognitionen sind hierbei gleichzeitig Repräsentanten kleinster Einheiten früher Objektbeziehung, im Neuronennetz gespeichert, in der somatischen Symptomatik repräsentiert und dargestellt. Die ödipale Struktur im Biologischen, im Menschlichen ist allgegenwärtig, daher kann eine frühe Triangulierung so erfolgen, dass ein Organ, ein Organsystem »der Dritte im Bunde« wird. Dies darf

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nicht mit dem späteren ödipalen Dritten oder mit dem klassischen ödipalen Mechanismus verwechselt werden, von diesen ist der psychosomatisch Erkrankte mit der frühen Erkrankungsursache erst einmal noch weit entfernt. In den frühen Lebenstagen (also im Primärprozesshaften) stehen dem somatopsychischen System – einer Einheit, die Objekt- und besonders Teilobjektbeziehungen in den neuronalen Repräsentanzen des Nervensystems speichert – wenig Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Beispielsweise können in einem frühen Stadium seelischer Entwicklung, in dem zwischen dem Seelischen und dem Immunsystem noch eine weitgehend ungetrennte Einheit besteht16, intrusive Konflikte, Aggression, die keinen Adressat im primären Objekt findet, Aggression, die vom primären Objekt kommt und die Abwehr des Überschreitens körperlicher oder sinnlicher Grenzen des Säuglings (etwa im Rahmen einer durch berufliche Überlastung bedingten, schuldgefühlverursachten Überversorgung des Säuglings mit unbewusst projizierten, aggressiven Affektanteilen) oftmals nur durch eine Antwort des Immunsystems abgewehrt werden. Dieses Muster liegt einer großen Anzahl späterer Erkrankungen zugrunde17, man denke nur an die entzündlichen Darmerkrankungen, die vielfältigen Hauterkrankungen (Psoriasis, Ekzeme, allergische Phänomene etc.), den großen Formenkreis rheumatischer Erkrankungen, die immunologischen Erkrankungen der Drüsen und des Nervensystems etc. Diese können nur verstanden werden, wenn es gelingt, die damit verbundene implizite Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu verstehen. Das Kind ist den Projektionen und unbewussten Grundannahmen der primären Objekte ausgesetzt und hat diese zu speichern und eine Möglichkeit des Umgehens damit zu finden, gleichzeitig strebt es – biologisch bedingt – nach eigener Steuerung im Sinne einer Autonomieentwicklung und nach innerem Gleichgewicht. Primäre Erlebensmuster und Ausdrücke der Vitalität sind der 16 Eine endgültige Trennung erfolgt wohl nie, allenfalls eine entfremdende Distanzierung, die der Preis für das Bewusstsein ist. 17 Freilich gilt es, sich hierbei auch vor Augen zu führen, dass die Möglichkeiten pathophysiologischer, biologischer Reaktionsweisen und Antworten im Körper begrenzt sind.

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Speicherung und Repräsentanz vegetativer Reaktionen oder motorischer Reaktionen gleichzusetzen und vom Umgang des primären Objekts mit diesen bestimmt. Bei allen Erkrankungen lassen sich Spuren der Wirkung von intrusiven Introjekten, Teilobjektbeziehungen und aggressiven und libidinösen Affektanteilen, die »tief somatisch gespeichert« sind, aufspüren und auffinden. Alle Spannungszustände (insbesondere im muskuloskelettären oder vaskulären Bereich), alle somatischen Abwehrreaktionen, Reaktionen auf einen von fehlendem Einfühlungsvermögen des primären Objekts geprägten Umgang mit dem Säugling können sich ein ganzes Leben wieder in analog oder anders gearteten Konfliktsituationen (regressiv) reaktivieren, ebenso vegetative Reaktionen. Letztere finden in der Medizin zu wenig Beachtung, so werden Veränderungen vegetativer, autonomer Funktionen meist kaum mit frühen prädisponierenden Faktoren in Verbindung gebracht (als Beispiel seien hier Veränderungen der Pulsfrequenz als Stressäquivalent genannt bei Störungen der innerlichen, zeitlichen Strukturierungsfähigkeit, bedingt durch die ursprüngliche Schwierigkeit des mütterlichen Objekts, Zeit zu strukturieren). Und noch einmal: Das Subjekt, also das Kind zu Beginn seines Daseins, »ist zunächst ein leerer Ort, der von den bedeutsamen Anderen, die Subjekte sind, mit Bedeutung und libidinösen [und natürlich auch aggressiven, Anm. K. P.] Affekten gefüllt wird« (Müller-Pozzi, 2012, S. 71). Zwar hat der Säugling (im Idealfall) alles um sich herum, was er zum potentiellen Überleben braucht, aber um ein Subjekt zu werden, muss er erst durch die für ihn entstehenden Objekte mit Bedeutung und Symbolik versehen werden. Daher verwundert es aus psychoanalytischer Sicht keineswegs, dass bei körperlichen Erkrankungen, die vom Erwachsenen entfremdet und als »selbständiges Ding« erlebt werden müssen (und von der Medizin oftmals so kategorisiert werden), die prägenitalen, präödipalen, sehr frühen und frühen Objektbeziehungen die entscheidende Rolle spielen. Körperlich erkrankte Menschen zeigen insbesondere als Erwachsene eine komplexe und gewachsene Abwehr mit einer Vielzahl hochwirksamer Widerstandsmechanismen mit der einzigen Funk-

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tion, das innerpsychische Gleichgewicht zu erhalten. Diese Menschen sind nur aus der psychoanalytisch-psychodynamischen Perspektive ausreichend verstehbar (und behandelbar), anderenfalls medizinisch begleitbar und dies günstigenfalls mit einem Anstoß zur Selbstheilung, also der Wiederherstellung des innerseelischen Gleichgewichts. Bei nahezu allen Patienten, die von psychosomatischen Erkrankungen betroffen werden oder sind, lassen sich nach und nach spezifische (symbolisierte) Konflikte in den Auslösesituationen der Symptomatik herausarbeiten, auch bei Erkrankten, die »medizinisch erkrankt« anmuten (Rheuma, Multiple Sklerose, Psoriasis – um nur einige Beispiele zu nennen). Die Aufdeckung der nicht oder unzureichend symbolisierten primären Tatsachen ist eine andere Arbeit, die bereits symbolisierten Konflikte jedoch führen auf die Spur. Das krankheitsspezifische Erkrankungsalter ist manchmal statistisch einzugrenzen – eine Untersuchung der Häufigkeiten von Erkrankungen in einem spezifischen Lebensalter findet in der Medizin regelhaft statt –, aber individuell verschieden, und wer weiß, wie viele resiliente Patienten mit den entsprechenden, medizinischen Prädispositionen nicht erkranken, vielleicht, weil sie in guten Beziehungen leben, eine gutes Containing erfahren oder andere unbewusste Möglichkeiten, zu kompensieren, erfahren (haben). Jedoch führt die Beobachtung statistischer Häufigkeiten auf die andere, die medizinische Fährte, die spezifischen Lebensmomente, die zur Regression in das Psychosomatische oder zur Erkrankung führen, gilt es hingegen für uns zu verstehen. Neben den neurotischen Störungen, also den Konversionsstörungen oder anderen Erkrankungen, die im Umfeld der ödipalen Entwicklungsphase anzusiedeln sind und einen hohen Symbolisierungsgrad zeigen, ist die Hypochondrie als Versuch zu verstehen, der Desintegration des Selbst zu entkommen, indem ein Organ, besser: dessen innere Repräsentanz, narzisstisch libidinös besetzt wird und wie ein Objekt behandelt wird. Je nach Schweregrad findet sie sich entweder an der Grenze zur Symbolisierbarkeit (schlimmstenfalls ist auch kein symbolisierter Anteil spürbar) oder ist symbolisch und szenisch verstehbar – je näher die hypochondrische Beschäftigung

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mit dem Organ dem Symbolischen ist, desto näher liegt die Symptomatik an der Konversion18. In einem beständigen Dialog mit dem Organ (oder der Phantasie über dieses und dessen (potentielle) Erkrankung) erhält dieses unendlich viel Aufmerksamkeit, in dissoziierender Weise19 ist das Subjekt mit dem Objekt und sich im Dialog. Eine überfürsorgliche Mutter mag ein Muster zur Besetzung des Organs bereitgestellt haben, hierbei spielt aber ihr Charakter als bedrohliches, oftmals als neidisches Introjekt die entscheidende Rolle, die Beziehung wird unbewusst am und mit dem Organ inszeniert. Im Folgenden hierzu mehr. Mit der zunehmenden Differenzierung des Organismus differenzieren sich auch Soma und Psyche, obwohl letztlich doch untrennbar im Subjektiven (dieses ist eine Funktion des Großhirns) und repräsentiert in den unteren, phylogenetisch älteren Hirnregionen und den Neuronennetzen, die die Organe steuern. Allerdings bleiben die Repräsentanten früher Beziehung und Affekte wirksam, entweder im Sinne der Erhaltung einer Erkrankung oder schlummernd, in Konfliktsituationen jederzeit regressiv abrufbar. Dies geschieht insbesondere dann, wenn eine Trennung im Sinne einer Autonomiemöglichkeit zwischen der Funktion des primären Objekts und der Übernahme der im Inneren symbolisierten Steuerung nicht (ausreichend) gelingt. Die Repräsentanz des Organs im Nervensystem hat hierbei Objektcharakter erhalten, die Symptomatik repräsentiert eine Teilobjektbeziehung oder eine Form einer Objektbeziehung, ­hierüber kann ein Pseudoselbst mit Objektbeziehungen gebildet werden, deren Funktion vor allem die Gewährleistung von Sicherheit ist. Nahezu immer sind die Repräsentanzen der Organe mit Komponenten des Triebes besetzt. In der Regression kann diese Besetzung erneut erfolgen, in der malignen »Triebentbindung« entgleist das somatopsychische System in Hoffnungslosigkeit im Sinne des Todestriebs. 18 Unter Hypochondrie sind hierbei auch »Alltagssymptome« wie die Sorge um einen erhöhten Blutdruck oder die Phantasie, maligne erkrankt zu sein etc., zu subsumieren. 19 Dissoziation ist im Alltag ein in der Häufigkeit seines Auftretens weit unterschätzter Abwehrmechanismus.

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Patienten mit gereifteren seelischen Strukturen »nutzen« in regressiver Weise das Funktionieren der Organe, um appellativ und bereits symbolisiert (und nicht mehr präsymbolisch) Konflikte zum Ausdruck zu bringen, um den unbewussten Kompromiss einzugehen, der zur einer Entlastung, aber eben auch zu Erkrankung führt. Organrepräsentanzen können dann den Charakter eines Übergangsobjekts erhalten20. Zuletzt sind noch jene aufzuführen, die in un- oder auch vorbewussten Konflikten statt auf eine Kognition auf das Sprechen eines Organs zurückgreifen, sei es als muskuläre Verspannung bei der Mitteilung des Vorgesetzten, noch eine zusätzliche, subjektiv nicht mehr vorstellbare Arbeitsleistung zu erbringen, oder sei es als eigener innerer Konflikt, noch eine kleine zusätzliche narzisstische Befriedigung einzuholen, bezahlt mit einer Migräne- oder Spannungskopfschmerzattacke. Dies ist nicht zu verwechseln mit den nichtsymbolisierten, vegetativen oder motorischen Symptomen der schwerer psychosomatisch Erkrankten. Bei Letzteren sei nochmals darauf verwiesen, dass die autonome vegetative Regulation, die primär von der Regulation durch die primäre Objektbeziehung abhängig ist, nicht ausreichend Autonomie erlangen konnte, also eine Symbolisierung nicht stattfinden konnte, sodass die in den Repräsentanzen der Organe im Nervensystem gespeicherten vegetativen Muster von den verinnerlichten (Teil-)Objektbeziehungen reguliert werden. Wenngleich auch die in der Psychoanalyse gepflegten Kategorien des psychosomatischen Erkrankens (Psychosomatik vs. Konversion vs. Hypochondrie etc.) ihren Reiz und manchmal auch ihren Sinn haben, so bietet das Denken eines Bedingungskontinuums von präsymbolischen, protomentalen Ursachen des Reagierens des KörperSeele-Systems bis hin zu den zuletzt beschriebenen, funktionellen 20 Bisher kaum Augenmerk fand die in der Arbeit mit Menschen mit einer Einschränkung der intellektuellen Fertigkeiten häufig zu beobachtende Expression innerseelischer Konflikte durch somatische Symptome: So kommt es beispielsweise häufig bei Konflikten in Wohn- und Arbeitsgruppen zu Hautsymptomen, bei regressiven- und Versorgungsbedürfnissen zu Bauchschmerzen, bei Überanstrengung zu Erbrechen, bei nicht verbalisierten, aggressiv getönten Konflikten zu Hautartefakten und vieles mehr, vergleichbar dem Auftreten analoger Symptomatik bei Kindern.

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und reaktiven Störungen den Reiz der Einfachheit und des Praktischen, wenngleich die Komplexität der subjektiven Krankheitsentwicklung und der oft erheblichen, lange bestehenden Schwierigkeiten, die Störungsbilder der Analysanden zu verstehen, keinesfalls unterschätzt werden darf. Am Anfang des Spektrums sind also in dieser Modellvorstellung die schweren, immunologisch bedingten Erkrankungen (wie Allergien, Darmerkrankungen, Hauterkrankungen, Multiple Sklerose etc.) zu verorten, die Erkrankungen, für die (noch) keine Symbolik zur Verfügung steht. Betroffen sind Menschen, deren ganz frühe Erfahrungen mit dem Objekt sich in der Verbindung von Affekt und Trieb im Somatischen eingeschrieben haben (also implizit sind), quasi mit dem Somatischen »verschmolzen« sind. Sodann folgen die ebenfalls im Somatischen niedergeschriebenen und dort zu Teilen repräsentierten (eine Sonderform hiervon ist die Nutzung des eigenen Körpers als Objekt) Fragmente von abgespaltenen und dissoziierten oder projizierten Objektbeziehungen. Weiter oben und deutlich mehr symbolisiert stehen dann die Konversion und die symbolisierten Anteile von Objektbeziehungen, und am Ende des beschriebenen Spektrums finden sich die somatischen Anpassungen an andauernde innere und äußere Belastungen und Konflikte (wie Tinnitus, Verspannungen der Muskulatur, erhöhter Blutdruck etc.). Bei Letzteren gilt es jedoch stets, zusätzlich die strukturellen Hintergründe, die begünstigen oder bedingen, dass sich Individuen Lebensbedingungen und Umgebungsbedingungen aussetzen, die solche Belastungen mit sich bringen, zu verstehen und zu bearbeiten (als Beispiel seien narzisstische oder orale Strukturanteile, die zu einer latenten oder permanenten Überforderung des Subjekts führen, genannt). Zudem zu erwähnen sind die im teleologischen oder Äquivalenzmodus am eigenen Körper agierten und inszenierten Objektbeziehungsanteile bei schwereren und schweren Persönlichkeitsstörungen (und zum Teil auch bei psychotischen Erkrankungen). Am Ende des Spektrums steht somit als existentielles Ideal der gesunde und liebende Mensch, der eine autonome Position erreicht hat, die Abwesenheit des Primärobjekts als notwendige Tatsache integriert hat, die Andersartigkeit der Objekte akzeptieren und dies

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alles ohne die Notwendigkeit körperlicher (oder seelischer) Symptomatik ertragen kann, also ein seelisches Gleichgewicht in einem wohligen Körper gefunden hat. Er ist das nie erreichbare, aber stets anzustrebende Idealziel der psychoanalytischen Behandlung. Er vermag seine Autonomie aufrechtzuerhalten und die wärmenden Beziehungen zu konstellieren und zu erhalten, die ihm die Sicherheit für das seelische Überleben geben, aber auch die ständige Angst vor deren Verlust zu ertragen. Kurz, er vermag sein inneres Gleichgewicht zu halten.

Köper und Seele – historische und konzeptionelle Überlegungen

Körper und Seele sind von Anbeginn des Seins miteinander untrennbar verbunden, entwickeln sich untrennbar ineinander und miteinander. Bereits das »erste Neuron« reagiert auf spezifische Bedingungen der Existenz.21 Je komplexer das Nervensystem wird, desto mehr ist es als Reaktion auf die existentiellen Umgebungs- und Wachstumsbedingungen zu verstehen. Im ersten Gedächtnis, dem implizitprozeduralen Gedächtnis, werden die Grunderfahrungen des Lebens, die ersten Beziehungserfahrungen, gespeichert, sie sind dann subsymbolisch codiert, im Körperlichen eingebettet und äußern sich motorisch, affektiv, sensorisch und emotional. Diese Erfahrungen lassen sich nicht verbalisieren, hingegen inszenieren sie sich im Körperlichen, beispielsweise in hyperkinetischen Symptomen22 oder in der analytischen Situation, hier zeigen sie sich im Therapeuten in Form affektiver, vegetativer oder anderer, nur schwer erfassbarer und verbalisierbarer Empfindungen und Erlebensweisen. Aufgabe der Psychoanalyse ist es daher, das emotionale Erleben, das quasi »unter dem Neokortex« in den Regelkreisen des limbischen Systems, besonders in der Vernetzung der Amygdala (Ermann, 2010), des Thalamus und des Hypothalamus gespeichert ist, das nur diffus – wenn überhaupt – wahrgenommen werden kann, in eine Verknüpfung mit dem Neokortex zu bringen, sodass diese Zustände bewusstseinsnahe und bewusst werden können. Erst wenn Affekte, Emotionen und im Körperlichen gespeicherte, implizite Gedächtnisinhalte dem Bewusstsein nahegebracht werden oder symbolisiert werden, werden sie »fassbar« in Gedanken und Sprache und 21 Und mit »Neuron« ist auch die genetische Steuerung des Zellkerns dieser Zelle gemeint. 22 Es sei auch auf die individuellen Zeitrhythmen hingewiesen, die das innere Erleben auf der Zeitachse strukturieren – manchmal wohl mit dem Begriff »Temperament« bezeichnet.

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schließlich somit verstehbar. Sie werden dann in jetzt veränderter und reiferer Form im Nervensystem gespeichert. Mit dem »Schritt in die Versprachlichung« (Ermann, 2010, S. 102) kommen somit die im Körperlichen gespeicherten und manifestierten Affekte in »den explizit-deklarativen Modus« (S. 102). Für die Psyche haben der Körper und seine Organe in vielfacher Hinsicht Bedeutung; die Beziehung zwischen Körper und Psyche ist eine reziproke: ȤȤ Der Körper oder einzelne Organe können unbewusst als Objekt erlebt werden, ȤȤ er kann als Selbst- oder Objektrepräsentanz erlebt werden, ȤȤ er kann mit Teilen von Selbst- und Objektrepräsentanzen besetzt werden, ȤȤ er ist Behausung der Psyche, Ort der Inszenierung des Unbewussten, Ort des Entstehens der Seele, der Psyche, Ort ihres Untergangs, Bedingung für ihre Existenz. Der Körper kann sowohl »Container« als auch »Contained« (vgl. Bion, 2006) sein. Traumatisierung stört oder zerstört die Möglichkeit der Symbolisierung. Präsymbolisches, Protomentales wird nun durch Körperliches, besser: im Körperlichen ausgedrückt, quasi gespeichert, körperliches Kranksein ist somit latent angelegt, beginnt gegebenenfalls im Konflikt. Die Spaltung zwischen Geist und Seele, die Medizinalisierung der Psyche und die Industrialisierung der Medizin haben zu einer Entfremdung des Körpers von seiner biologischen Natur beigetragen, Menschen sind sich heute der Selbstheilungskräfte des eigenen Körpers nicht mehr bewusst; in einer (häufig sogar präödipalen) Besorgnis, das Objekt zu verlieren, werden bereits bei kleineren oder kleinsten Beschwerden medizinische Behandlungen in Anspruch genommen. Das industrialisierte medizinische System wiederum benötigt diese Menschen für seine Erhaltung und sein Wachstum. Körper werden heute »manipuliert, sediert, genormt und geformt« und nach dem Stand der Technik »behandelt« (Ernst, 1994, S. 9), und hierin besteht die Gefahr, dass auch Therapeuten in ihrer Gegenübertragung unter »Druck« geraten, wenn Patienten verängstigt von Symptomen berichten, den Wunsch äußern, diese medizinisch abklären und gegebenenfalls behandeln

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zu lassen. Ein im Containing und mit den Möglichkeiten der körperlichen Reaktionen erfahrener Therapeut wird diese »Gratwanderung« zwischen Abwarten und Handeln – je nach beruflicher Erfahrung und eigenen Ängsten – aushalten können und idealerweise für seinen Patienten nutzen können. Alltagssymptome, wie sie enorm häufig auftreten und dann meist medizinalisierend betrachtet werden, beispielsweise muskuläre Verspannungen, möglich in nahezu allen Bereichen des Körpers23, insbesondere jedoch im Bereich der Wirbelsäule, Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Rhythmusstörungen (ohne somatischen pathologischen Befund), Schwindelsymptomatik, unruhige Beine, Hautreaktionen verschiedenster Art und Ausprägung etc. sind Symptome, mit dem das Körper-Seele-System versucht, innere Konflikte und belastende Zustände zum Ausdruck zu bringen und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. Es geriet weitgehend in Vergessenheit, dass jede körperliche Bewegung, jede mimische Bewegung, jede motorische Äußerung Ausdruck einer seelischen Befindlichkeit, einer gespeicherten seelischen Erfahrung darstellt – man könnte auch vom körperlichen Orchester der Seele sprechen. Nur noch wenigen Menschen gelingt es, oftmals mit Hilfe spezifischer Techniken (wie Meditation und Achtsamkeit) ein Gefühl für ihren Körper zurückzugewinnen oder sich zu erhalten. Die Achtsamkeit, eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Gesunderhaltung, wird zwar neuerdings wiederentdeckt, aber eine ausreichende und wirkliche Entspannung und Sorge für den Körper lässt die moderne, von Gier nach Wachstum geprägte Welt nicht oder kaum zu. Vielmehr mutet es so an, als wenn die Achtsamkeit auch zum Nutzen der ökonomischen Systeme instrumentalisiert wird. Als Konzept des Embodiment (Leuzinger-Bohleber, Emde u. Pfeifer, 2013) wurde zuletzt die Speicherung der frühen und frühesten Interaktionsäquivalente im Körperlichen diskutiert, diese bestimmen das spätere Denken, Fühlen und Handeln grundlegend und bilden 23 Hierbei ist auch an die Möglichkeiten des Seelischen, seinen Konflikten durch Reaktionen des Blutgefäßsystems Ausdruck zu verleihen, zu denken (Kopfschmerz, Synkopen, kalte Extremitäten, Angina pectoris etc.).

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die Basis weiteren psychischen und somatischen Entwickelns. Sie bestimmen die aktuellen körperlichen und interaktionellen Erlebens- und Verhaltensweisen, das Verhalten, Fühlen und Denken, bilden zudem die jeweilige Grundlage für jede weitere seelische Entwicklung und sind basal für jede Interaktionssituation, die sie wiederum neu konfiguriert. Ihre Wirkung entfalten sie besonders wieder in späteren Lebenssituationen des Konflikts und der Bedrohung. Hofer (zit. nach Porsch, 1997, S. 81 ff.) hat auf beeindruckende Weise aufgezeigt, welche frappierend einfachen Gemeinsamkeiten zwischen der physiologischen Reaktion eines Erwachsenen im Trauerfall und der Reaktion des Säuglings in Trennungssituationen zu finden sind. So führen nämlich vermehrtes Agieren des Säuglings zu einer erhöhten Herzfrequenz, Schreien – dem Klagen des Erwachsenen wohl entsprechend – zu erhöhtem Cortisol-Spiegel, eine suchende Reaktion zu erhöhtem Katecholamin-Spiegel. Reduzierte soziale Interaktion führt zu Gewichtsverlust, verändertes Antworterleben zu einer Veränderung der sogenannten schnellen Augenbewegungen im Schlaf, mimischer Ausdruck von Trauer geht mit verminderter Körpertemperatur (interessant für die Überlegung, warum und wann eine Erkältung auftritt), vermindertem Sauerstoffverbrauch, ansteigendem Gefäßwiderstand, verminderter Herzfrequenz, erhöhter Anzahl von Extrasystolen, vermindertem Wachstumshormonspiegel und verminderter T-Zell-Aktivität einher. Die EDV-gestützte Organisation des »modernen« Lebens trägt mit den ihr immanenten Möglichkeiten permanenter Kontrolle in allen Lebenssituationen ihrerseits zu den neuerdings krankmachenden Bedingungen bei. Jeder kleine Handgriff wird elektronisch registriert und kontrolliert, nirgends mehr stehen unbeobachtete Räume für einen Rückzug in innerer Stille zur Verfügung, die der moderne Mensch oft auch nicht mehr erträgt. Gar nicht überschaubar ist, welche feinen abwehrenden, etwa immunologischen oder entzündlichen Mechanismen im Körperinneren mit den ständigen Anforderungen an den modernen Menschen einhergehen. Das Gefühl für körpereigene Rhythmen (Verdauung, Schlaf etc.) ist verloren, monokausal interpretierte technische Parameter werden als Krankheitsentitäten interpretiert und verstanden, die Fähig-

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keit, die Sprache des Körpers als seelisch zu verstehen, ist trotz der in der Phylogenese entwickelten Fähigkeit, sich bewusst zu erleben, nicht ausreichend entwickelt worden, das Dilemma zwischen dem Abschied von instinktgesteuertem Verhalten und dem Erreichen der Bewusstheit. Die heutzutage häufige, ständige Dauerbeanspruchung des Organismus führt somit zu einer Krankheit erzeugenden Dauerbeanspruchung des Gesamtsystems und schlimmstenfalls zu einer Verkürzung der Lebenszeit, ursächlich hierfür sind Ruhelosigkeit und Gier. Die Psychosomatik hat, nachdem sie versuchte, kausal zu werden und die Medizin in ihrem Widerstand gegen psychodynamisches Krankheitsverstehen diese Kausalität widerlegte, ein wenig den Mut verloren und sich der Medizin angedient, hierbei aber die wertvollen und hilfreichen spezifischen Möglichkeiten, zu verstehen, im Ungenutzten gelassen. Die Psychoanalyse, die selbst aufgrund ihrer Geschichte und ihres Wesens immer wieder existentiell bedroht erschien, vermochte hier nicht zu helfen. Den noch bei Freud zu beobachtenden Mut, sich hier medizinischen und gesellschaftlichen Strömungen entgegenzustellen, vermochte sie dann nicht mehr aufzubringen. Köpp und Deter (2006) berichten, dass sich nach dem Krieg in Deutschland das Fach Psychosomatik als anerkannte medizinische Disziplin zwar nur sehr langsam und gegen den Widerstand der Medizin durchgesetzt habe, endlich sei es aber 1970 Pflichtfach im medizinischen Unterricht an den Universitäten geworden. Demzufolge habe Speidel 1994 bereits in seiner Schrift »Psychosomatik – ein Stiefkind der Psychoanalyse?« hingewiesen, »dass die Psychoanalyse enorm wichtige Impulse für die Entstehung der Psychosomatik« gegeben habe, dass sie aber »wenig bis nichts von ihrem Stiefkind wissen wollte«. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die von Freud beschriebene hysterische Konversion bereits ein erstes, psychosomatisches Modell gewesen sei, bei dem ein intrapsychischer Konflikt körperlich bzw. körpersprachlich symbolisiert worden sei; dieses Modell sei bis heute gültig, wenn es auch nur auf einen Teil der Patienten zutreffe. Freud habe aber ausdrücklich abgelehnt, dass sich Psychoanalytiker mit den psychosomatischen Phänomenen beschäftigen, wie aus einem Briefwechsel zwischen ihm und Viktor von Weizsäcker 1932 hervorgehe. Freud habe dort geschrieben: »Von

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solchen Untersuchungen musste ich die Analytiker aus erziehlichen Gründen fernhalten, denn Innervationen, Gefäßerweiterungen, Nervenbahnen wären zu gefährliche Versuchungen für sie gewesen, sie hatten zu lernen, sich auf psychologische Denkweisen zu beschränken« (Freud, zit. nach Frischenschlager, 1995, S. 143). Wie sehr Freuds Diktum doch in der Übernahme und Vereinnahmung psychosomatischer Positionen durch die Medizin weiterbesteht, wenngleich zu unterstellen ist, dass er von den heutigen Möglichkeiten der Psychoanalyse, körperliches Erkranktsein zu verstehen, befriedigt wäre. Darüber hinaus fügte Freud aber seinem Brief an: »Dem Internisten können wir für die Erweiterung unserer Einsicht dankbar sein« (Freud, zit. nach Frischenschlager, 1995, S. 156), ein häufig überlesener Satz. Es war dann Viktor von Weizsäcker, der Freuds psychodynamische Betrachtungsweise der Erkrankungen übernahm und in die deutsche Medizin einführte. Für viele Schüler Freuds war dessen Haltung paradox gewesen, so wandte Ernst Simmel bereits früh eine von ihm selbst modifizierte analytische Behandlung unter stationären Bedingungen für psychosomatisch Erkrankte an, dies mit Freuds wohlwollendem, aber schweigendem Einverständnis. Fenichel (1931) erweiterte den Konversionsbegriff Freuds und schrieb von der sogenannten prägenitalen Konversion, beispielsweise sei hierfür die autoerotische Harnausscheidung genannt, »wenn sie unbewusst das Ziel des wärmenden Hautkontaktes« habe. Genital und ödipal sei die Harnausscheidung, wenn sie als Masturbationsäquivalent auftrete. Wilhelm Reich habe den Energiebegriff Freuds fast physikalisch wörtlich genommen (zit. nach Köpp u. Deter, 2006) und nach und nach entdeckt, dass seelische Panzerungen sich auch körperlich manifestieren könnten, Ende der 1940er Jahre schließlich habe die Ich-Psychologie maßgeblich die Entwicklung der Psychosomatik befruchtet. Man habe entdeckt, dass das Ich Triebenergien neutralisieren bzw. somatisieren könne, Schur habe daraufhin seine heute noch wichtige Theorie der Organspezifität formuliert, derzufolge unspezifische Belastungssituationen zu psychosomatischer Regres-

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sion mit Organreaktionen führe (auf Grundlage angeborener Bedingungen des Somatischen). Dabei sei ein ausreichend starkes Ich in der Lage, Triebenergie zu neutralisieren, während ein zu schwaches oder unreifes Ich den Reifungsprozess der De-Somatisierung umgekehrt verlaufen lasse. In der Folge komme es zu einer Re-Somatisierung, gleichzeitig sei zu beachten, dass es unter den genannten Voraussetzungen zu einer hohen intraindividuellen Spezifität bei gleichzeitig großer interindividueller Variabilität komme; heute lässt sich diese und das »somatische Entgegenkommen« als Folge früher Objektbeziehungen verstehen. Felix Deutsch, ein Pionier der Psychosomatik (und Ehemann von Helene Deutsch), beschrieb in seinem Konversionskonzept (zit. nach Hirsch, 2002) Körper und Seele als eine Einheit, die Konversion sah er als eine überall vorkommende physiologische Erscheinung an, eine Annahme nicht ohne Aktualität. Er vermutete, dass seelische Faktoren das vegetative Nervensystem und somit jedes (!) Organ stören können und langfristig auch einen Schaden am Organ verursachen können. Er führt weiter aus: »Man muss wohl annehmen, dass auch beim normalen Individuum andauernd Konvertierungen stattfinden, die eigentlich notwendige Reaktionsweisen zur Erhaltung der Gesundheit und des Wohlbefindens darstellen. Denken wir nur an das Erröten, an die Schweißabsonderung bei Erregung, an die nervösen Diarrhöen, an den flüchtigen Kopfschmerz, an die vielfältigen, durch die Wiederholung und Übung festgehaltenen, geradezu festgebahnten, das Wesen des Individuums charakterisierenden Ausdrucksformen im Motorischen […], Konversionen sind in bestimmten Grenzen notwendige Formen psychischer Ausdrucksweisen […]« (Hirsch, 2002, S. 41 f.). In seinen Analysen soll Deutsch seine Patienten aufgefordert haben, über die jeweiligen Körperempfindungen und die dazugehörigen Assoziationen zu berichten. Deutsch nahm an, dass der Säugling eine körperliche Realität erlebt, und »fehlen Wahrnehmungen vorübergehend oder für immer, erlebt er einen Verlust von Körperteilen, die er mit Hilfe der Imagination wieder zurückholen will« (Hirsch, 2002, S. 49). Körperwahrnehmungen würden nun auf äußere Objekte projiziert, da diese Objekte als vom Körper abgetrennt erlebt würden. Das Verlustgefühl führe zu dem Versuch, die Objekte mit Hilfe der Symbolisierung

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zurückzuführen. Eine Restitution von Objektbeziehungen erfolge sodann durch Symbolisierung in einer gestörten Organfunktion, »das organische Symptom (werde sodann zum) schützenden Mittel gegen einen drohenden Verlust des Objekts, das zurückgewonnen wurde […] und […] symbolisiert im Körper ruht, wo es die Integrität des Körpers aufrecht erhält« (Hirsch, 2002, S. 49). Faszinierend ist, das psychosomatische Erkranken bzw. Erkranktsein von der Triebtheorie her zu denken, liegt doch nichts näher als die Vermutung, dass das erkrankte Organ Ziel libidinöser oder aggressiver triebhafter Impulse geworden ist, Leiser meint hier: »Wir haben ein Subjekt vor uns [den Erkrankten, Anm. K. P.], in dem die Triebe zum Schweigen gebracht sind, das sich, vom psychoanalytischen Geschehen her gesehen, im betroffenen Organ verschanzt findet. Es ist dort unmittelbarer Agent des Es, unter Umgehung der vom Sekundärprozess getragenen Vermittlung des Symbolischen, auf ein unaussprechbares Objekt fixiert, das nur es selbst betrifft und das daher nicht mitteilbar ist« (Leiser, 2007, S. 113). Die Fixierung des Triebhaften im Organischen ist somit von einer Rückkehr des Beginns des sekundär Prozesshaften zum primär Prozesshaften, Nicht-Symbolischen gekennzeichnet und lässt den »Spielraum an Freiheit hinter sich, den das Freudsche Symbolische verschafft« (Leiser, 2007, S. 13). Weiter im Verstehen von Psyche und Soma gehen Weiß und Pagel (vgl. Nissen, 2009) und versuchen, Differenzen und Gemeinsamkeiten der psychoanalytischen Ansätze des Verstehens früher psychischer Struktur bei Lacan und Bion herauszuarbeiten. Während bei Bion Bedeutung aus der Reflexion über emotionale Erfahrung resultiert, geht Lacan von signifikanten, sprachanalogen Strukturen aus: Das Unbewusste sei wie eine Sprache aufgebaut, Begehren und Sprache seien die zentralen Begriffe, an denen sich die psychoanalytische Erfahrung zu orientieren habe, wobei sich das unbewusste Begehren eines Menschen nur in der Rede des Anderen als Bedeutung strukturiere. Für Lacan gibt es kein Jenseits der Sprache, wohl aber ein Sprechen jenseits des Gesprochenen. Dieses Sprechen, in dem sich das Denken des Wunsches offenlegt, habe die Psychoanalyse zur Sprache zu bringen. Die Bedeutung menschlicher Bedürfnisse differenziere sich erst durch die Beziehung zu einem anderen Menschen,

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dieser Andere sei es, welcher die Bedürftigkeit des Säuglings als Not, die er aufnehme, beantworte, interpretiere, verstehe, weil er über die Möglichkeit der Sprache verfüge und somit in eine Ordnung eingebunden sei, welche auch schon die Geschichte seiner eigenen Wünsche und seiner eigenen Erfahrungen strukturiere. Im Sinne Lacans ist somit der menschliche Wunsch von Anfang an nicht mehr nur der biologischen, sondern auch einer anderen Ordnung zugehörig, das Subjekt gewinnt erst als sprechendes Wesen einen Zugang zu sich selbst, zu seiner Geschichtlichkeit und auch zum Anderen. Dabei entfremdet sich das Subjekt allerdings seiner ursprünglichen Befindlichkeit, das was der Mensch ursprünglich wirklich ist (Bions »O«, 2006), verschiebt sich in die Symbolik der Sprache. Die symbolische Ordnung, also die Beziehung zwischen dem Buchstaben, dem Sein und dem Anderen und der Welt, ist vorgegeben, und es geht für den Menschen nicht darum zu begreifen, wie die Wörter zu den Dingen finden, sondern umgekehrt, wie die Welt der Wörter die Welt der psychischen Objekte erschafft. Ausschließlich von der Beziehung zum Symbol her stellt sich daher für Lacan die Frage, woher das Seelische seine Bedeutung hat. Für das Subjekt wird der Andere somit zur Matrix, im Kontakt zu ihm nimmt er das Bild des Körpers zum ersten Mal in einer eigenen phantasmatischen Einheit wahr. Das Imaginäre zeigt sich zunächst als Umhüllung eines nicht geordneten Realen, das Körperbild gibt dem Subjekt die erste Form, die eine Unterscheidung zwischen Außen und Innen, zwischen Selbst und Nicht-Selbst möglich macht. Die Aufgabe des Psychoanalytikers in der Psychosomatik ist nun umrahmt, es finden sich exzellente Ansätze, um Modi körperlichen Erkrankens psychoanalytisch zu verstehen. Eine andere wichtige Überlegung ergibt sich aus Arbeiten Lacans: Es führt psychoanalytisch in die Sackgasse, die somatische Realität am und im Körper als solche zu erleben, ist doch unsere Realität eine subjektive symbolisierte Wirklichkeit, unser Denken beginnt mit dem Symbolischen, darin und darunter findet sich das Psychosomatische. Bei Bion (2006) sind es die Beta-Elemente, mit denen nicht symbolisierte, nicht differenzierbare emotionale Eindrücke und Einheiten gemeint sind, die erst zu Alpha-Elementen gewandelt und

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somit symbolisch werden müssen. Diese Elemente sind es, die im Mechanismus der projektiven Identifizierung in das Objekt, in das Gegenüber projiziert, von diesem aufgenommen werden, im Idealfall durch Mutter oder Vater, Objekt oder Psychoanalytiker »verdaut« werden und als Alpha-Element nun symbolisiert, re-integrierbar re-introjiziert werden. Geht Lacan von der strukturierenden Funktion der sprachlichen Signifikanten aus, entstehen symbolische Strukturen bei Bion (2006) aus dem Denken über emotionale Erfahrungen, nach Bion ist Bedeutung die Strukturierung emotionaler Erfahrungen. Erst die Alpha-Funktion nach Bion (2006) macht es dem kleinen Menschen möglich, das Sicherheit gebende und beruhigende Objekt zu verinnerlichen und in sich zu speichern (in den entsprechenden neurobiologischen Strukturen), selbstverständlich werden nun hierbei aber auch – generationenübergreifend – insbesondere präödipale emotionale und affektive Muster der Objektbeziehung im Körper gespeichert. Diese Alpha-Elemente sind es dann, auf denen später das Denken als typisches Symbolsystem des Menschen möglich wird. Implizit ist dem Denken sodann – in tief unbewusster Form – die Speicherung der affektiv getönten Objektbeziehungsanteile, des frühen affektiven Erlebens im Körperlichen. Die hierfür geeignete Struktur scheint das implizite Gedächtnis zu sein, mit dem sich unter anderem Stern (2005, 2011) auseinandersetzt, der sich während seines Forschungslebens wie kaum ein anderer mit den Prozessen der wechselseitigen Regulation der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt beschäftigt hat. Er erweitert das Modell der implizit abgespeicherten Interaktionsmuster um die Möglichkeiten, diese im Hier und Jetzt nachzuvollziehen und sie psychotherapeutisch zu nutzen (vgl. Plab, 2014). Er weist darauf hin, dass die früh erfahrenen Formen des Miteinanderseins von Augenblick zu Augenblick das Zusammensein mit anderen Menschen prägen und steuern und dass es darum geht, solche Momente zu erfassen und zu verstehen, um konflikthafte Situationen des inneren und äußeren Miteinanders therapeutisch zu beeinflussen. Stern ist somit auch einer der maßgeblichen und einflussreichen Forscher der Boston Process of Change Study Group (BPCSG), die

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den psychoanalytischen Prozess quasi vom Impliziten her und nicht mehr vom Konflikt her versteht (Stern u. BPCSG, 2011). Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt hierbei auf dem Enactment der Teilnehmer der Kommunikation bzw. der Interaktion: Im interaktionellen Normalfall werden in spezifischen Begegnungsmomenten implizite Beziehungsprozesse immer wieder genutzt und hierbei möglichst im Gleichgewicht gehalten, in der psychotherapeutischen Situation hingegen besteht die Arbeit in der Beihilfe zur Dekonstruktion des impliziten Beziehungswissens und Beziehungsmusters und dadurch in der Ermöglichung eines anderen inneren Beziehungserlebens. Dass dieses Verstehen auch implizit, nicht deklarativ gespeichertes Beziehungswissen meint, das sich im Somatischen oder durch Somatisiertes äußert, versteht sich von selbst. Sándor Ferenczi war der wahrscheinlich erste, im heutigen Sinne von Traumatisierung traumatherapeutisch tätige und forschende Analytiker (vgl. 1988, eine Ausgabe seines klinischen Tagebuchs von 1932). Er identifizierte sich im Lauf seiner Arbeit zunehmend mit dem beziehungsgeschädigten Kind, er verstand, wie sich die Traumatisierung des Kindes in der Beziehung zu den erwachsenen Objekten zeigt. Er verstand körperliche Symptomatik als Ausdruck narzisstischer Regression, eine Regression auf früheste Stadien der Protopsyche, eines Protoselbst. Wie Hirsch (1989) ausführt, sah Ferenczi den Körper als Ort symbolischer Mitteilungen an das Objekt und gilt daher auch als einer der Gründer einer psychoanalytisch orientierten psychosomatischen Medizin: »In Momenten großer Not […] erwachen also uralte psychische Kräfte, und sie sind es, die die gestörte Situation zu bewältigen suchen. In Momenten, in denen das psychische System versagt, beginnt der Organismus zu denken« (Ferenczi, 1988, S. 44). Viele von Ferenczis Gedanken findet man in neueren Konzepten der Traumatherapie wieder, ohne dass auf die Urheberschaft Ferenczis (1988) hingewiesen wird, und immer wieder taucht der dominierende Gedanke auf, dass das System von Körper und Seele ständig versuchen muss, im Gleichgewicht zu bleiben, oft zu einem sehr hohen Preis. Auch wurde Ferenczi früh deutlich, dass die psychische Entwicklung innerhalb von Beziehungen stattfindet, durch die Identifikation

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mit den Erziehern24. In seinen Ausführungen (1988) entwickelt er eine Linie, an der sich das Individuum als nur leibliches Wesen, mit dem Leib als Medium der Selbst- und Welterfahrung, Trieb- und Lustbefriedigung, strukturiert durch sinnliches Erleben bis zum Durchlaufen der Stufen der psychosexuellen Entwicklung fortentwickelt. Hierbei sucht die kindliche Psyche zunächst Triebbefriedigung, Lustbefriedigung, zugleich Bindung. Somit verbleiben die Beziehungen zwischen dem menschlichen Körper und der Objektwelt lebenslang. Das Fruchtbare an diesem Konzept ist die frühe Einbettung des Kindes und seines Körpers in eine Objektwelt: Das Kind ist nie isoliertes Individuum, der Körper ist der Ort symbolischer Mitteilungen an die Objekte. Mit diesen Überlegungen wurde Ferenczi zusammen mit Groddeck zum Begründer der psychoanalytisch inspirierten psychosomatischen Medizin. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass Ferenczi (1988) auch Gestik und Haltung eines Menschen mit den frühen Bedingungen der seelischen Entwicklung in Zusammenhang brachte, eine Thematik, die zwar in körperpsychotherapeutischen und ähnlichen Verfahren berücksichtigt wird, selten oder kaum jedoch in der Psychosomatik. Dabei ist es gerade die Motorik des Körpers, die in der analytischen Situation so sehr über die Hintergründe des somatischen Geschehens Ausdruck geben kann. In seiner zum Zeitpunkt seiner Forschungen von niemand anderem erreichten Differenzierung des Verstehens des Körperlichen vor einem psychodynamischen Hintergrund beschrieb Ferenczi (1988) auch erstmals sorgfältig die Unterscheidung zwischen Gleichsetzung und Symbolik; so beschrieb er bei Kindern Symptomatik, die man heute einem unbewussten Geschehen gleichsetzen würde (wie vermehrte Darmtätigkeit bei Angst) und gleichzeitig eine symbolisch zu verstehende Symptomatik (z. B. hysterische Gangstörung). Bis heute lässt sich dieses differenzierte Verstehen von Symptomatik in die im analytischen Konsens verstandenen Konzepte einreihen. Freilich bemerkte Ferenczi (1988) ebenfalls, dass die »Übersetzung« aus der symbolischen in die Sprache der Begrifflichkeit das Symptom 24 Der Begriff der Identifikation wurde zu dieser Zeit noch unscharf, manchmal im Sinne des Begriffs der Projektion benutzt.

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zum Verschwinden brachte, heute würde man dies als Deutung der Symbolik verstehen. Ferenczi (1988) kann zudem hilfreich sein, wenn man sich in Erinnerung rufen mag, dass er auch das Vegetativum in seiner kommunikativen Funktion zu verstehen wusste, so achtete er etwa auf eine Änderung des Atemrhythmus, der Stimmhöhe, auf Urin- und Stuhldrang, auf Schwindelgefühl, Zahnschmerz, Speichelfluss, bitteren Geschmack im Mund, Kältegefühle, Schläfrigkeit, noch zu ergänzen um die Farbe der Haut und die Darmtätigkeit. Nicht ohne Bedeutung ist es nämlich, wie sich beispielsweise das Hautkolorit oder die Darmgeräusche des Analysanden im Laufe einer Sitzung verändern, ebenso wie viele andere vegetative Funktionen oder die Stimmlage. Der Kreis zu dem französischen psychoanalytischen Zugang zum Verstehen lässt sich gedanklich auch dann schließen, wenn man bedenkt, dass Ferenczi (1988) davon ausging, dass die konversive, hysterische Symptomatik zu einer Genitalisierung genau jener Körperbereiche führe, an denen die Symptome sich äußern, nach damaligem, aber auch aktuell so verstehbarem Konzept körperliche Darstellung eines unbewussten sexuellen Wunsches. Somit hebt Ferenczi die Trennung zwischen Körper und Psyche auf, die Protopsyche wird organische Grundlage der Symbolik, das Organsymptom wird somit Ausdrucksmittel des unbewussten Konflikts. Im Gegensatz hierzu kann man bei der Hysterie beispielsweise konzeptualisierend annehmen, dass ein Einbruch genitaler Triebregionen in die Denksphäre stattfindet, sodann eine Verdrängung des Triebhaften – weil bedrohlich – in das Unbewusste, weiter werden die störenden Triebenergien auf das psychische Sinnesorgan (beispielsweise Halluzinationen oder Materialisation) zurückgedrängt.25 Konversion sah auch Ferenczi als ubiquitär vorkommende physiologische Erscheinung, nahm an, dass jedes Organ und jede Körperstelle vom Konversionsmechanismus verwendet werden könne. So kann man zusammenfassend festhalten, dass der Wert des Beitrags Ferenczis (1988) zu Konzeptualisierungen der Psychosomatik 25 Hierbei entwickelte Ferenczi (1988) erstmals das Konzept der zweiphasigen Verdrängung, wie es Mitscherlich später übernahm.

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(und auch der Traumatherapie) bis dato nicht ausreichend geschätzt und erkannt wird, obwohl er mit seinen Vorstellungen einer Protopsyche, einer Einheit zwischen Körper und Seelischem in der frühesten Lebenszeit auf faszinierende Weise darauf hinweist, wie Erregung auf körperlichem Wege abgeführt wird und symptomatisch wird. Ebenso befruchtend für die Psychosomatik waren später die Ausführungen von Engel und Schmale (1967, zit. nach Hirsch, 2002), beide Autoren stellten dar, dass nicht nur seelische Erfahrungen, sondern auch physiologische und pathophysiologische Prozesse seelisch repräsentiert werden können, parallel dazu führte Cremerius bereits 1978 aus, dass die frühkindliche Entwicklungsgeschichte eines Menschen, die Entwicklung seiner Antriebe und Bedürfnisse, nicht nur den Charakter des Menschen prägten, sondern auch die Organe in diesen Lernprozess einbezogen seien. Köpp und Deter (2006) führen ein Fallbeispiel an, im Rahmen dessen ein 35-jähriger erfolgreicher Naturwissenschaftler bereits über zwei Jahre unter bewegungseinschränkenden Schmerzen an verschiedenen Gelenken gelitten habe. Ein grenzwertiger Titer der Rheumafaktoren habe zunächst an eine rheumatische Erkrankung denken lassen, der Verdacht sei jedoch später widerlegt worden. Ein im Rahmen einer Rehabilitationsbehandlung tätiger Psychologe, der kein Psychoanalytiker gewesen sei, habe eine Anamnese erhoben und tiefenpsychologische Diagnostik empfohlen, letztere habe sodann Hinweise für das Vorliegen einer psychogenen Verursachung bzw. Mitverursachung der Symptomatik erbracht. Eine kindliche Ehrgeizhaltung, einerseits durch einen strengen Vater befördert, Letzterer forderte immer nur Bestleistungen, sowie eine Konkurrenzsituation mit dem älteren Bruder, der immer Vorbild sein sollte, führten zu übertriebener Sportlichkeit, wiederholten Verletzungen und dem unbewussten Erfüllen des väterlichen Ideals von Ordentlichkeit. Im Rahmen einer Benachteiligungssituation im beruflichen Umfeld entwickelte er schließlich erstmals Schmerzen an allen Extremitätengelenken. Nur langsam konnte dieser Mann in eine längere analytische Therapie einwilligen, seine Autonomiebedürfnisse entdecken und Plastizität eigener Wünsche und Forderungen entwickeln. Dennoch erlebte der Analytiker das Therapieende als zu früh, der Patient hatte zwar Schmerzfreiheit erlebt, dies musste jedoch

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als ein günstigeres Abwehrniveau interpretiert werden, er hatte auf die Somatisierung verzichtet. Freilich handelt es sich bei diesem zweiten Beispiel um eine Symptomatik, die in ihrer Entstehung etwas später als die zuvor genannte, frühe anzusiedeln ist.

Engel (1967, zit. nach Porsch, 1997, S. 32) formuliert einen faszinierenden und wohl gewichtigen Gedanken, wenn er ausführt, dass eben »jene Körperorgane und Körperfunktionen«, die »mental repräsentiert« seien, somit »zur Bildung eines Konversionssymptoms empfänglich« seien und »in Objektbeziehungen Bedeutung haben können«. »Besonders prädisponiert sind Körperteile, die in der frühkindlichen Objektbeziehung eine signifikante Bedeutung erlangt haben. Außerdem können eigene körperliche Erkrankungen oder solche wichtiger Beziehungspersonen als Modell zur Bildung des Konversionssymptoms herangezogen werden« (1967, zit. nach Porsch, 1997, S. 32). Einen Sonderfall stellen dissoziative Phänomene dar, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll, nur seien Hinweise auf den dichotomen Charakter gegeben, im Sinne starken Ausdrucks zum einen und im Sinne der Erfüllung früher Bedürfnisse im Äquivalenzmodus zum anderen. Ferenczi (vgl. 1988) beschrieb bereits 1921 anhand selbstdestruktiver Gewohnheiten wie beispielsweise Kratzsucht oder Selbstverstümmelungsversuchen die traumatische Dissoziation und verglich sie mit dem Versuch mancher niederer Tiere, im Notfall ein Körperteil zu opfern, um das Individuum zu retten. In seinem System des Ich-Erinnerungssystems ist ein starkes Trauma eine überstarke Erinnerungsfixierung an die bei dem Trauma gerade eingenommene Haltung des eigenen Körpers. Diese sei so stark, dass sie die dauernde oder paroxysmatische Reproduktion jener Haltung provoziere. Hier formuliert er auch den Unterschied zwischen Hysterie und traumatischer Neurose neu: Bei der Hysterie gehöre das verdrängte pathogene Material den Sacherinnerungsresten des Unbewussten an, die sich auf Libidoobjekte beziehen, das pathogene psychische Material bediene sich des Hysterischen als Ausdrucksmittel. Beim Trauma hingegen dränge sich die traumatische Körpererinnerung bei jedem sich anbietenden Anlass spontan vor. Als Pionier der Traumaforschung teilte Ferenczi (1988) somit auch in

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Körper- und Sachgedächtnis, noch heute besteht die Parallele zu den Konzepten des impliziten und expliziten Gedächtnissystems. Weiter leitet sich hieraus auch ein Hinweis auf die analytische Technik ab, nämlich die Zwecklosigkeit, im Fall schwer traumatisierter Patienten an das Sacherinnerungssystem zu appellieren, dessen Mitteilungen müssen anderweitig verstanden werden, insbesondere durch empathische Identifikation mit dem traumatisierten, kindlichen Körper. In ihrer faszinierenden Arbeit »Der frühe Biss der Wirklichkeit: die Entstehung seelischer Prozesse und hypochondrischer Körperstörungen – eine andere Betrachtungsweise mit Hilfe der francoibero-argentinischen Psychoanalyse«, berichtet Christa Maria Burr (2009) von ihrer Faszination der psychoanalytischen Theorien aus dem französisch-spanischsprachigem Raum und der Radikalität, mit der der Körper anstelle des Seelenlebens als Ausgangspunkt des Psychischen verstanden werde. Für diese Autoren sei das Seelische ein Organ, das sich der Körper erst im Kontakt mit der Welt schaffe, hierbei zitiert sie die Theorien von Rodulfo, Aulagnier und Sami-Ali (Burr, 2009). (Darüber hinaus versteht sie Hypochondrie als Schwäche oder Unfähigkeit zur Projektion und zur projektiven Identifikation.) Weiter führt sie aus, dass Rodulfo (Lehranalytiker in Buenos Aires) das Spielen als die wesentliche Leistung des Säuglings versteht, es sei für ihn die früheste Stufe der Werdung des Subjekts. Durch den Kontakt der Objekte zum Körper des kleinen Subjekts würden alle Körperteile Zone für Zone herausgehoben, ebenso wie der Säugling zuerst mit Blicken und mit seinem Mund das Gesicht und den Körper der Mutter nachzeichne. Wenn der Säugling nun ein Stadium erreicht habe, in dem er nach ausreichender neurologischer Reifung auch seine Hände verwenden könne, benutze er Nahrung und Ausscheidung, um Oberflächen zu schaffen, Material, das den Körper des Säuglings mit der Mutter und der Umwelt verbinde, Beginn einer zwischen Außen und Innen unterscheidenden Oberfläche des Körpers. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Abgrenzung zwischen Mutter und Kind noch nicht vorhanden, Rodulfo gehe davon aus (so Leiser, 2007), dass bei Störungen in diesem frühen Entwicklungsstadium in der Körperoberfläche »Löcher« entstehen können, Eintrittspforten einer zu früh das Innere überflutenden Realität.

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Sami-Ali vermutet (zit. nach Leiser, 2007) in einer Zeit, in der der Säugling noch die Möglichkeit hat, die Wahrnehmung faktischer Realität dem Wunsch nach körperlichem Ungetrenntsein von der Mutter unterzuordnen, eine imaginäre Phase, in der der Körper nach außen projiziert werde. Es entstehe somit ein imaginärer Raum, der eine Spiegelstruktur habe und schematisch wie ein imaginärer Körper angelegt sei, die Objekte seien somit in der Welt des Kindes Bilder des eigenen Körpers, das Kind finde sich aufgespannt zwischen diesen beiden Polen, die den imaginären Raum beschrieben und die Abwesenheit der Mutter erträglich mache. Die Projektion des Körpers in die Welt diene allein der Erkenntnis über sich: Indem sich der kleine Körper spüre, sei er. Weiter ist nach Sami-Ali der Körper somit die Basis dafür, sich mittels der Projektion in die Welt selbst zu erkennen. In diesem Modell wird wiederum deutlich, wie erheblich und weitgehend der Einfluss der primären Objekte im inneren und innersten Erleben ist und dass somit psychosomatisches Kranksein nie ohne Berücksichtigung des Einflusses der primären Objekte gedacht und verstanden werden kann. Weiter kann man die Erfahrung aus der Praxis, dass nur ein tiefes, freischwebend vorurteilsfreies Träumen im Sinne der Reverie Bions überhaupt einen Zugang zu den Tiefen hinter der Symptomatik zulässt, hier wieder bestätigt finden. Eine ichpsychologische oder intersubjektivistische Position kennt diese Dimension des Erfassens des Unbewussten in der Regel kaum oder zu wenig, denn im Schwerpunkt der analytischen Arbeit muss die Arbeit mit der Gegenübertragung stehen, zudem gilt es, sorgfältig die Körper (des Analysanden und des Analytikers selbst) zu beobachten. Auch Downing (1994) weist darauf hin, dass es oft schwierig sein kann, körperliche Symptomatik, die er an manchen Stellen als regressive Zustände bezeichnet, ausreichend zu verstehen, seinen Ausführungen zufolge strukturiert der Körper die Umwelt, ohne dass dies bewusst werde. Ferner seien in jedem Menschen affektmotorische Schemata angeboren, die aktiviert, weiterentwickelt und verfeinert werden müssten, die sozusagen ein Potential darstellten, welches genutzt werden müsse bzw. könne. Erlernt werden müsse sodann, sich die affektive Komponente eines solchen Schemas zunutze zu machen und sie zu regulieren, ebenso wie die Fähigkeit, das Schema

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einzuschätzen und mit den damit zusammenhängenden Überzeugungen umgehen zu lernen. Vielfach werden diese Schemata mit Objekterfahrungen verknüpft. Nach Downing gehe jeder Affekt mit einer inneren physiologischen Erregung einher, bei der sowohl das autonome als auch das formelle System sowie das zentrale Nervensystem mit im Spiel seien, auch das motorische System werde parallel dazu aktiviert. Hierbei mag an Erkrankungen wie erhöhten Augeninnendruck, erhöhten Blutdruck, Veränderungen hormoneller Steuerung, Veränderungen der Verdauungstätigkeit etc. erinnert sein. Somit kann man im Hinblick auf das Ausgeführte die Ausarbeitung eines inneren Affektschemas als Vorstufe zu Handlung und Verhalten begreifen. Wieder kommt es fast ausschließlich und wesentlich darauf an, wie die Umgebung, wie die primären Objekte mit den dem Kind zunächst als Anlage zur Verfügung stehenden Affektschemata unbewusst verfahren. Gelingt den primären Objekten im Umgang mit dem Säugling nach unbewusster, introjizierter Wahrnehmung der Affektlage des Säuglings nicht eine adäquate Transformation, entstehen Dispositionen, die das Kind in vielfacher Hinsicht körperlich oder psychosomatisch erkranken lassen können. Quasi werden die inneren Schemata – um in der Begrifflichkeit von Downing zu bleiben – verzerrt verinnerlicht (darüber hinaus stören sie die Selbstobjektdifferenzierung), und nun wird verstehbar, wie nicht symbolisierte Affekte sich im Körperlichen äußern können, beispielsweise Aggression in Unruhe oder eine muskuläre Anspannung als Gegenoperation gegen das Agieren und Inszenieren der Motorik im Körperlichen (Muskel- und Gelenkschmerzen beispielsweise) oder Aggression und Abwehr in immunologischen oder entzündlichen Prozessen. Ein anderes Beispiel ist eine nahezu als Spaltung zu bezeichnende Entwicklung, die im Lauf der Zeit unmöglich macht, körperliche Befindlichkeitszustände im vegetativen Bereich wahrzunehmen, bei modernen, ständig unter Anforderung und Druck stehenden Erwachsenen besonders häufig zu beobachten, wenn beispielsweise körperlich entgleiste Zustandsbilder (Bluthochdruck, erhöhte Herzfrequenz etc.) nicht mehr wahrgenommen werden können und erst im Rahmen einer zufälligen ärztlichen Untersuchung diagnostiziert werden.

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So war es einer 42-jährigen Managerin über Monate nicht bemerkbar geworden, dass sie unter heftigen Herzrhythmusstörungen litt, die anlässlich eines zufällig stattgefundenen Arztbesuches zu einer sofortigen Klinikeinweisung mit invasiver kardiologischer Behandlung führen mussten.

Ein von Downing in diesem Zusammenhang ebenfalls berichteter und von ihm als solcher bezeichneter »Körperabwehrmechanismus« stellt das »chronische Festhalten« dar, in der alltäglichen Praxis wohl häufig hinter Muskel- und Gelenkschmerzen zu vermuten, zu verstehen als frühe muskuläre Abwehr gegen inadäquates Umgehen mit dem Säugling. Eine ganz anders geartete Besonderheit des Umgangs mit frühen Affekten und Motorik mag sich in einer lebenslangen Betonung körperlicher Aktivität, insbesondere bei »Körperkünstlern« (Tänzer, Ballett, Leistungssportler etc.), vermuten lassen (siehe auch Ausführungen zu den narzisstischen Strukturanteilen und deren Manifestation in der Psychosomatik im vorigen Kapitel, S. 75 f.). Zu wenig beachtet werden an dieser Stelle auch symptomatische Bilder, die mit asthenischem Befinden, Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Energielosigkeit und ähnlichen Symptomen einhergehen, oftmals Ausdruck aggressiver Triebanteile, aggressiver Affekte, die autoaggressiv integriert wurden. Unabhängig von allen hier beschriebenen Mechanismen des Erkrankens sind auch durch Stress bedingte Reaktionen auf Konflikte, insbesondere wenn es um die Langzeitfolgen geht, nicht ohne wesentliche Bedeutung für das psychosomatische Fachgebiet. Neben der Möglichkeit, willkürlich die Motorik des Körpers zu steuern, steht dem menschlichen (und auch dem tierischen) Organismus nämlich ein deutlich komplexeres und zu einem guten Teil automatisiertes und autonomes System zur Regelung der Körpersysteme bzw. der meist unbemerkten Abläufe im Körper zur Verfügung. Übernommen wird diese Steuerung durch das parasympathische und sympathische Nervensystem, das erstere für Erholung, Entspannung, Verdauung etc. zuständig, das zweite für die Anpassung an Belastungen und schnelle Reaktionen. Der Sympathikus ist somit auch das entscheidende System für die Reaktionen auf ver-

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mehrte Anforderungen von außen. Diese können motorischer Art sein (Flucht, Bereitstellung von Kraft etc.), aber auch einer erhöhten inneren Bereitschaft entsprechen, beispielsweise den Anforderungen nach erhöhter und schnellerer intellektueller Leistung, Bewältigung von Arbeitsverdichtung, Arbeitskomplexität und ökonomischen Erfordernissen. Mit dem Eintritt in das Maschinenzeitalter stiegen diese Anforderungen an menschliche Organismen stetig, mit der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung entstand eine Komplexität der beruflichen (und auch der privaten) Welt, der der menschliche Organismus kaum gewachsen ist, zumindest scheint er sich – insbesondere in dem von Ökonomie geprägten beruflichen Umfeld – den Anforderungen an das sympathische Nervensystem unzureichend erwehren zu können. Jede Anforderung von außen (oder eine innerlich erlebte und in Folge bedachte) bedeutet eine Aktivierung des vegetativen Nervensystems, über Hypothalamus und Hypophyse wird eine Ausschüttung des Stresshormons Cortisol in den Nebennierenrinden und der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin im Nebennierenmark veranlasst. Bei gesunden Menschen, die zu Entspannung fähig sind, sorgt ein stabiler Rückkopplungsmechanismus für eine Limitierung, bei Menschen, deren Körper dauerhaft von Stress beeinträchtigt ist, bleibt der Stresshormonspiegel im Blut dauerhaft erhöht, schwächt das Immunsystem und führt zu Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderem. In den Vereinigten Staaten konnte 2011 nachgewiesen werden, dass bei Menschen, die eine fünfminütige Rede halten sollten und hierbei Angst und/oder Ärger verspürten, das proinflammatorische Zytokin IL-6 anstieg (Carroll et al., 2011), somit ist zu vermuten, dass Menschen, die sich schnell ärgern, ängstigen oder schnell subjektiv mit Stress reagieren, zu einem Anstieg der Entzündungsparameter im Körper neigen, was wiederum entzündliche Erkrankungen bedingen und Folgeschäden nach sich ziehen kann, besonders wenn diese Vorgänge regelhaft werden. Sogar für endokrine Erkrankungen wie bestimmte Formen der Kleinwüchsigkeit, der Amenorrhoe sowie der autoimmunologischen Formen der Schilddrüsenerkrankungen können Zusammenhänge zu belastenden Lebensereignissen hergestellt werden, wie es in der

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Praxis beispielsweise auch beim insulinpflichtigen Diabetes, gerade bei jungen Menschen auftretend, häufig zu beobachten ist. Interessant ist darüber hinaus, wie sehr soziale Kontakte zu körperlicher Gesundheit beitragen können. Menschen mit einem Mangel an sozialen Kontakten erleiden mehr Herzinfarkte, zeigen mehr Schwächen des Immunsystems, erkranken häufiger an Infektionen und Depressionen. Die Lebenserwartung wird hierbei dergestalt verkürzt, dass inzwischen angenommen wird, dass das Risiko, früher zu versterben, mit dem Risiko starker Raucher gleichzusetzen ist. Menschen ohne soziale Kontakte und ohne Freundschaft zeigen zudem einen erhöhten Gefäßwiderstand, dieser wiederum erhöht den Blutdruck, weiter sind die für Stress typischen Körpersubstanzen wie Kortikoide und Noradrenalin im Speichel und im Urin erhöht. Solche Menschen leiden unter Schlafstörungen und einem verminderten Vermögen, sich zu erholen. Es zeigen sich vermehrt entzündungsfördernde Substanzen im Blut, hingegen sind die Substanzen des Immunsystems, die Infektionen verhindern, verringert. Die psychoanalytische Profession kann die komplizierte und komplexe Einheit von Psyche und Soma verstehbar(er) machen, die Verbindung zwischen medizinischem und psychoanalytischem Wissen intensivieren. Hierbei kann und muss sie die naturwissenschaftlichen Konstrukte, Symbolsysteme und Zusammenhänge zur Kenntnis nehmen und integrieren, gleichwohl aber Hüterin des kostbaren Wissens der Generationen von psychoanalytisch Forschenden und Konzeptualisierenden bleiben. Dies erfordert auch, Widerstände zu ertragen.

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In der Folge wird exemplarisch eine Reihe von Erkrankungsbildern vorgestellt und psychodynamisch betrachtet. Eine vollständige Darstellung aller (möglichen) Erkrankungsbilder ist ausgeschlossen, schon aufgrund der vielfältigen und immer für das Individuum spezifischen Möglichkeiten der Psyche, auf organische Ausdrucksformen zurückzugreifen. Vor dem Hintergrund der ausschließlich individuellen und unbewussten Bedeutung der Erkrankungsbilder wäre dies auch wenig hilfreich bzw. unmöglich, vielmehr mögen die folgenden Ausführungen als Anregungen verstanden werden, sich auch bei Erkrankungen, die dem Erkennen seelischen Leidens einen erheblichen (Gegenübertragungs-)Widerstand entgegensetzen, im therapeutischen Verstehen nicht entmutigen zu lassen. Stets sollten hierbei die wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnisse dazu gedacht werden, wenngleich sie von ihrer Widersprüchlichkeit der analytischen Position gegenüber immer wieder befreit werden müssen und im Analytiker der Konsens gesucht werden muss. Bei genauerer Betrachtung der seelischen Hintergründe der Erkrankungsbilder werden die Kategorien, denen sie jeweils zugeordnet sind, diffus. So werden aus zunächst neurologischen oder gastrointestinalen Erkrankungen immunologische Erkrankungen oder Funktionsstörungen des vegetativen Systems, diese sodann in ihrer Symbiose mit dem Seelischen zu einer somatopsychischen Diagnose- oder Erkrankungseinheit. Hinzu kommt, dass nahezu jedes Organ bzw. jedes Organsystem, das vegetativ, sensorisch, motorisch oder durch Schmerz beeinflusst oder erlebt werden kann, Konflikte zum Ausdruck bringen kann. Psychoanalytiker stehen oft mit ihrem Wissen isoliert und allein da, besonders in einer medizinischen Umgebung, die den psychoanalytischen Überlegungen mit dem Bedürfnis nach einem standardisierbaren Umgang mit Erkrankung sowie nach Monokausalität und Vereinfachung entgegensteht. Gerade in solchen Momenten

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sollte sich ein Psychoanalytiker nicht beirren oder verunsichern lassen und sich auf die Einmaligkeit seiner Kenntnisse und seines Wissens besinnen. Er sollte konsequent der »Spur« der intuitiven Wahrnehmung folgen, möglicherweise ergibt sich hieraus doch eine faszinierende Erkenntnis, die dem Patienten hilfreich wird. Eine etwa 50-jähriger Pädagoge war an einem sogenannten Glioblastom, einem hoch malignen Tumor des Gehirns erkrankt. In der Regel haben diese Erkrankungsbilder eine Überlebenszeit von nur wenigen Monaten zur Folge, wesentliche lebensverlängernde oder wirksame therapeutische Optionen stehen nicht zur Verfügung. Der Pädagoge unterzog sich einer operativen Entfernung des Tumors und sodann einer mehrwöchigen Bestrahlungstherapie, weiter begann er eine analytische Selbsterfahrung. Fast zehn Jahre später schilderte er dann, dass die schrecklichsten Momente in seinem Leben mittlerweile die Kontrolltermine in einem großen Klinikum seien, das ihn im Rahmen der Erkrankung seit Jahren betreue, werde doch dort nicht anerkannt, dass er noch immer lebe! Stets bekomme er vermittelt, er dürfe »eigentlich gar nicht mehr da sein«, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Krankheitsverlauf die evidenzbasierte Medizin bestätige.

Kopfschmerzen Täglich treten 350.000 Migräneanfälle in Deutschland auf, so gibt die DMKG26 (Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V., 2011) an. Auf deren Webseiten können Patienten Kalender für Cluster-Kopfschmerz, Migräne und Trigeminusneuralgie herunterladen, um ein Kopfschmerztagebuch zu führen, darüber hinaus erfährt der interessierte Patient, dass »viele psychogene Theorien auf die Forschungen von Jean-Martin Charcot (1825–1893) zur Hysterie und Neurose zurückgeführt werden« könnten (DMKG, 2011), letztlich 26 Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft – die Existenz der Gesellschaft weist darauf hin, dass die von ihr betreute Symptomatik fester Bestandteil der somatischen Medizin ist und die Funktionalität der meist seelisch bedingten Symptomatik als medizinische Krankheitsentität festgeschrieben wird.

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bis heute aber unklar sei, was denn die Ursachen für die Migräne seien. Die Einnahme gesunder Ernährung wird angeraten, und in einem verzweifelten Bemühen, die Vielfalt subjektiven Kopfschmerzes in Kategorien zu bringen, wurde eine Vielzahl von verschiedenen Kopfschmerztypen beschrieben. Bei genauer Beobachtung und in der Praxis lassen sich jedoch die wenigsten Schmerzsyndrome in klare Kategorien einordnen, sondern erscheinen diffus und nicht eingrenzbar, je genauer beobachtet wird. In der analytischen Praxis werden Kopfschmerzen mit hoher Situationsspezifität beobachtbar, Migräne beispielsweise bei Menschen, die mit höchster innerer Disziplin einem (kaum oder nur unter erheblichem seelischen Aufwand zu erreichenden) Ideal folgen: Sie halten, manchmal aus Angst vor narzisstischer Abwertung, unter Zwang an einem Verhalten fest, das zu fortgesetzter Adaption an berufliche Bedingungen oder an eine Position in einer Beziehung, in sozialen Beziehungen beitragen soll. Manchmal tritt die Symptomatik auch in der Entlastung aus dieser Situation auf. Nach Hirsch (2002, S. 117) hat Roger Money-Kyrle (1963) gezeigt, dass Migräne mit unbewussten sadistischen Phantasien in Verbindung stehen könne. So beschreibt dieser eine Patientin, deren »Migräne-Zustände […] mit partieller Blindheit, auf die eine Empfindung gleißenden Lichts folgte« begonnen hätten. Die therapeutische Assoziation hierzu war »die Blendung des Paulus während seiner Verfolgung der Christen« (Hirsch, 2002, S. 117) und führte schließlich zu einem Verstehen der Symptomatik. Hierbei sei der körperlich erlebte Vorgang »Blindheit ist gleich Blendung ist gleich Migräne« dann »gleichgesetzt mit dem Nicht-sehen-Können einer mörderischen Phantasie, die sich auf den die Patientin an den Wochenenden verlassenden Analytiker bezog« (S. 117). Kollbrunner (2010, S. 211) zitiert Beck, demzufolge im Migräneanfall der Trennungsschmerz »von einer harten und unempathischen Mutter regressiv und autoerotisch wiederbelebt« werde, in nachfolgenden Studien seien Zusammenhänge zwischen Migräne, Depression und Angststörung feststellbar gewesen, zudem »die Überforderung bei hohen Leistungsidealen, die Nichtbeachtung eigener Grenzen, die Aggressionshemmung und die Distanz in Beziehungen bei gleichzeitigem Wunsch nach mehr Nähe und Zuwendung«.

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Gleichzeitig zitiert Kollbrunner einen Neurologen, Präsident der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft, mit der Bemerkung, Migräne sei »eine angeborene – und vererbbare – Stoffwechselstörung des Gehirns« (2010, S. 211), eine schicksalhafte Annahme. Psychoanalytiker sollten sich von allgemeinen therapeutischen Empfehlungen (Entspannungsverfahren, Sport und vielfache andere medizinische und paramedizinische Ratschläge zur Therapie) kritisch distanzieren und ihre eigene, diagnostische Präzision und Vorgehensweise unerschüttert beibehalten, was einer Form des Containing gleichkommt. Spannungskopfschmerz ist als »Äquivalent zu Wut und Angriffsimpulsen« (Kollbrunner, 2010, S. 209 ff.) verstehbar, »ähnlich dem Aufstellen der Nackenhaare als Angriffsgeste«. Er führt auf, dass Spannungskopfschmerzen bei Menschen mit »hohen Leistungsansprüchen, ausgeprägtem Pflichtbewusstsein mit begleitenden, verdrängten Feindseligkeitsgefühlen und hoher Kränkbarkeit« (Kollbrunner, 2010, S. 209 ff.) aufträten, eine Untergruppe dieser Patienten sei »schon früh wegen emotionalen Reaktionen bestraft worden, die in der Folge meist unbewusst unterdrückt« wurden und »in späteren sozialen bzw. interpersonellen Situationen dann nur noch motorische und vegetativ autonome Komponenten einer emotionalen Reaktion« (S. 209 ff.) darstellten. Eine besondere Bedeutung hat die Häufigkeit von Kopfschmerzsymptomatik bei Kindern, besonders im Schulalter, sie ist oftmals Ausdruck eines Konfliktes zwischen den Idealen der Eltern und den natürlichen Bedürfnissen des Kindes. Nicht selten finden sich in den Anspannungen der okzipitalen und der Nackenmuskulatur klare Hinweise auf die Konversion von Konflikten, diese sind oft aggressiver Art, die Verspannung der Muskulatur symbolisiert nicht anders exprimierbare, aggressive Affekte, Gleiches gilt für Selbstwertkonflikte. Der typische »Kopfschmerzpatient« ist ein ehrgeiziger Mensch mit Anteilen narzisstischer und oftmals zwanghafter Persönlichkeitszüge. Häufig geht es um die Behauptung der eigenen Position, dem Vater oder dem Konkurrenten gegenüber, der oftmals unbewusst dem väterlichen Introjekt gleicht. Ein älterer Manager reagierte regelmäßig mit stärksten, in somatischer Hinsicht fast therapieresistenten Verspannungen im oberen Nacken-

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bereich, wenn er sich mit dem jüngeren Vorgesetzten und dessen Planungen und Forderungen auseinandersetzen musste. Hierbei ließ sich nach und nach ein Konflikt entdecken, der mit der Weigerung, sich »vor dem jungen Kollegen wegzuducken«, zu tun hatte. In dem motorischen Widerspruch, den Kopf heben zu wollen und gleichzeitig senken zu müssen, fand dieser Konflikt seinen somatisierenden Ausdruck.

Neurologische Erkrankungen Das Restless-legs-Syndrom27 ist ein typisches Beispiel – vergleichbar mit ADHS28 oder ADS – für eine Symptomatik, die überwiegend als somatische Krankheitsentität angesehen wird und von der Psychosomatik kaum, von der Psychoanalyse wenig öffentlichkeitswirksam betrachtet wird. Für dieses Störungsbild wurden von der Industrie spezielle Medikamente entwickelt, ebenso eine neurologische Theorie vom Entstehen der »Erkrankung«. Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb zunehmend häufig Menschen unserer (schnellen, nach Effektivität und Wirtschaftlichkeit strebenden) Zeit unruhige Beine haben, besonders abends, wenn sie zur Ruhe kommen wollen (oder sollen), einschlafen wollen, mit ihren nicht reflektierten Belastungen und Konflikten allein gelassen sind. Neuerdings gilt auch Schwangerschaft als »Risikofaktor« für ruhelose Beine (Cesnik et al., 2010). In einer langlaufenden Studie wurden in etwa 6,5 Jahren etwas mehr als 200 Frauen beobachtet und untersucht, mit dem Ergebnis, dass jene Frauen, die in der Schwangerschaft ruhelose Beine zeigten, mit einer vierfachen Häufung später wieder das Syndrom Restless legs entwickelten; man schließt daraus, dass das vorübergehende Syndrom ruheloser Beine in der Schwangerschaft ein signifikanter Risikofaktor [sic!] für die Entwicklung zukünftiger Symptomatik unruhiger Beine bei den Frauen darstelle, ebenso wie für Zeiten erneuter Schwangerschaft. Es würde besonders den Analytiker nicht wundern, wenn man nun auch einen, vielleicht genetischen, Zusammenhang zwischen den ruhelosen Beinen der Mütter und späteren Unruhesymptomen 27 Syndrom der ruhelosen Beine. 28 Siehe folgende Ausführungen.

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bei den Kindern feststellte. Die Fragen, weshalb die Beine der Mütter, die (oft zwangsläufig29) allenfalls ein paar Wochen oder Monate während und nach der Schwangerschaft bei sich und dann mit sich und ihren Kindern bleiben können, nicht zur Ruhe kommen, was es mit dem Konflikt zwischen Karriere und Kind, den damit verbundenen äußeren Ansprüchen an die »moderne« Mutter und der Partnerschaft zu tun hat, werden hierbei nicht gestellt. Bei den älteren »Patienten«, die unter unruhigen Beinen leiden, stellt sich darüber hinaus die Frage, weshalb die Beine (warum eigentlich nicht die Arme?) nicht zur Ruhe kommen, insbesondere, da es als medizinischer Rat gilt, sich bei Leiden an Restless legs motorisch zu bewegen, um die Symptomatik zu lindern – eine Anleitung, den Konflikt motorisch zu agieren. Zu denken wäre an ein Agieren präödipaler oder aggressiv getönter Affekte, zumal man von ADHSPatienten weiß, dass frühe, zum Teil katastrophische Ängste, präödipale Konflikte und Aggression zu motorischen Reaktionen führen. Das sogenannte klinisch isolierte Syndrom sowie die Multiple Sklerose stellen immunologische Erkrankungen des zentralen Nervensystems dar, die von der Neurologie bzw. der klinischen Medizin überwiegend als rein somatische Erkrankungen definiert werden, allenfalls werden Lebensbelastungen bei der Verursachung berücksichtigt. Daher sollen sie detaillierter betrachtet werden. War es bereits der französische Arzt Charcot, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts als mögliche Ursache dieser Erkrankungen langanhaltenden Kummer und Sorge sah, wurden 1875 darüber hinaus Fälle beschrieben, in denen beispielsweise eine Patientin erste MSSymptome zeigte, nachdem sie ihren Mann mit einer anderen Frau im Bett angetroffen hatte, oder nach anderen Situationen, die akute emotionale Belastungen bedingten. 1921 wurde erstmals vermutet, dass Erkrankte narzisstische Strukturanteile besäßen und ausgeprägte aggressive Affekte gegenüber ihren Eltern stark verdrängt hätten. Grinker et al. beschrieben 1950 Erkrankte als emotional unreif, auffällig nachgiebig und passiv, ab 1975 wurden zusätzliche Persönlichkeitsmerkmale wie 29 Meist sind es wohl wirtschaftliche Zwänge oder der Wunsch nach Autonomie.

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Friedfertigkeit, Anpassung, Unterwürfigkeit und rigide Kontrolle emotionaler Beziehungen beschrieben (zit. nach Arnade, 2000). In vielen Forschungen wurde eine akut belastende psychische Situation als Auslösesituation festgestellt, wobei insbesondere die spezifische Qualität der Belastung auffällig war. 1983 vermutete Jonas (zit. nach Arnade, 2000), dass Multiple Sklerose Äquivalent eines schleichenden Suizids sein könne, zog Parallelen zu Tierarten, bei denen friedlich im Darm lebende Parasiten nach Unterliegen in einem Kampf in letaler Weise aktiviert würden, vermutete, dass die hier aufgeführten, neurologisch Erkrankten nach traumatischen Erlebnissen resignierten und von Hoffnungslosigkeit geprägt seien. Andere Autoren beobachteten, dass die Erkrankung dazu beitrage, Anteile leben zu können, die sonst nicht gelebt würden können. Beobachtungen aus der Praxis bestätigen dies insbesondere für regressive Tendenzen. In der Medizin standen zuletzt psychoimmunologische Forschungen und in der kargen psychoanalytischen Forschung bereits früh die Spezifität der subjektiven Konfliktsituation und Auslösebedingungen für diese Erkrankungen im Vordergrund. Der medizinischen Psychosomatik wurde das Verstehen und der Umgang überlassen. Dass psychische Krankheit und belastende Lebensereignisse zu einer Verschlechterung der Erkrankungssituation führen, ist lange bekannt. Eine psychotherapieerfahrene, etwa 35-jährige Frau berichtet in einer ambulanten Sprechstunde regelmäßig, dass sie bei familiären Konflikten, in die sie involviert sei, bemerke, dass sie einen neuen Schub ihrer Multiplen Sklerose spüre, meist Sensibilitätsstörungen im Gesicht. Wenngleich die Spezifität der Symptomatik weiter zu klären wäre, also weshalb die Sensibilität und das Gesicht betroffen sind, wurde bei ihr deutlich, dass eine dependente Struktur, die sich in dem steten Wunsch äußert, für Kranke und von Krisen Betroffene in der engeren Familie zu sorgen, in einem Gegensatz zu jenen eigenen Bedürfnissen steht, versorgt zu werden und autonomer agieren zu können. Freilich ist zu vermuten, dass noch auf einer tieferen Ebene abgespaltene Affekte hier eine krankheitsunterhaltende und erneute Krankheitsepisoden unterstützende Rolle spielen. Entscheidend scheint jedoch in diesem Beispiel, dass die sensible Patientin neue Schübe

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nicht nur nahen spürt, sondern selbst zweifelsfreie und nachvollziehbare Zusammenhänge mit (freilich nicht ausreichend verstandenen) seelischen Konflikten nachvollzieht.

Wolfgang Schultz-Zehden und Friederike Bischof (1986, S. 213) zitieren Grinker (1950) und Paulley (1976/1977), die für die Auslösesituation einer MS »reale oder fantasierte Trennungssituationen von elterlichen Schlüsselfiguren oder auch von älteren Geschwistern« beobachteten. Es seien bei diesen Patienten »chronische emotionale Belastungen und eine ständige Ängstlichkeit« zu beobachten gewesen, darüber hinaus ein »exzessives Bedürfnis nach Liebe und Zuwendung«. Schultz-Zehden und Bischof (1986) weisen auf einen, wie es scheint, erheblichen und wichtigen Aspekt zum Verständnis der Psychodynamik der Multiplen Sklerose hin: So sei für die betroffenen Patienten der Widerspruch zwischen dem indifferenten, konformen Verhalten und der autoaggressiven Welt der Träume charakteristisch, und die Spaltung zwischen dem Primärprozess im Unbewussten und einer Überangepasstheit im Sozialen sei früh zu einer Überlebensstrategie geworden. Es entstehe ein falsches Selbst (Winnicott, 1974, zit. nach SchultzZehden u. Bischof, 1986), welches sich an den Forderungen anderer, statt an eigenen Bedürfnissen orientiere, darüber hinaus lebe das Kind ohne Beziehung zu diesem sozial überangepassten Selbst weiter, jedoch unterentwickelt, verletzbar, nach Anerkennung suchend. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch, dass Groen und Kollegen (1967, zit. nach Schultz-Zehden u. Bischof, 1986) von einer infantilen Persönlichkeitsstörung bei MS-Patienten ausgehen konnten. Zum sogenannten klinisch isolierten Syndrom ist kritisch zu ergänzen, dass es neurologischerseits diagnostiziert wird, wenn eine Multiple Sklerose im Rahmen des ersten Auftretens der entsprechenden Symptomatik vermutet, aber aufgrund der fehlenden Längsschnittbetrachtung des Erkrankungsverlaufs noch nicht diagnostiziert werden kann.30 Hierbei ist zu vergegenwärtigen, was es für die 30 Es ist anzumerken, dass es eine Tendenz in der neurologischen Forschung gibt, bereits nach einmaligem Auftreten spezifischer Symptomatik immer häufiger eine MS von Anbeginn an zu diagnostizieren, hierzu trägt unter anderem die neuere, neuroradiologische Diagnostik bei.

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betreffenden Patienten bedeutet, eine solche Diagnose zuerkannt zu bekommen, ohne dass ein Verstehen der Auslösesituation und der seelischen Hintergründe erfolgt, und welchen Einfluss nun allein die auf die Diagnosestellung folgenden spezifischen Phantasien der Betroffenen auf ihr inneres Erleben und Verhalten haben können und haben werden (möglicherweise im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung). Die Patienten werden in diesem schweren Augenblick, wie im Übrigen andere Patienten in ähnlich gearteten Situationen auch, von einem rationalen Medizinsystem allein gelassen, abgesehen davon, dass psychodynamisch wirksame Faktoren der Krankheitsauslösung und des Krankheitsunterhalts nicht beachtet, nicht betrachtet und nicht bearbeitet werden. Das Risiko an einer Demenz zu erkranken, steigt bekanntlich mit dem Lebensalter an. Nur allzu häufig lassen sich bei älteren Menschen Beginn und Verschlimmerung sowie Verschlechterung und Progredienz einer Demenz bei seelisch belastenden Lebensveränderungen (Tod des Partners, Verlust der häuslichen Umgebung etc.) beobachten. Erfahrenes Pflegepersonal in Altenheimen berichtet oft von einer Modulation oder Veränderung der Symptomatik im Zusammenhang mit Lebensereignissen oder Konflikten. Menschen, die einsam und perspektivlos sind, scheinen häufiger an einer Demenz zu erkranken. Medizin und Pharmaindustrie haben sich bis dato erfolglos der Demenz angenommen, aus dem von Konflikten und Lebensbedingungen abhängigen Alterungsprozess des Gehirns wurde eine organische Erkrankungseinheit. Eine psychodynamische Betrachtungsweise, verbunden mit Überlegungen, welche unbewussten Faktoren hierbei eine Rolle bei der Krankheitsentwicklung spielen könnten, sind dieser Position fremd. Dabei wird kein aufmerksamer Beobachter von an Demenz erkrankten Menschen übersehen können, dass »hinter« der Symptomatik und oftmals lange vor der Demenzsymptomatik Erschöpfung und Resignation spürbar sind, man könnte – in Gedanken bei Todesnarzissmus und Todestrieb – vermuten, dass hier eine Regression auf ein sehr viel früheres Funktionsniveau ein erschöpftes und erschöpfbares Ich entlastet. Vergessen zu können, versorgt zu werden, sich nicht mehr orientieren zu müssen, infantil zu empfinden, jeder Verantwortung entledigt zu sein – ein regres-

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siver Zustand in einer Welt, in der jeder Handgriff mit Mühen verbunden ist. Auch lässt der Zustand ein Ausweichen allen Konflikten gegenüber zu. Erstaunlich, wie oft Menschen nach dem Tod des geliebten Partners innerhalb von Wochen in solche Zustände verfallen, nach dem Umzug in ein Altenheim rasch und progredient Orientierungsvermögen und Gedächtnis verlieren, sich aufzugeben scheinen, Verfassungen zeigen, die mit denen eines Säuglings vergleichbar sind. Erstaunlich auch, dass Menschen, die einen an Demenz erkrankten Angehörigen aufopfernd pflegen, selbst ein vielfach erhöhtes Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Bei all diesen Überlegungen liegt zumindest der Verdacht sehr nahe, dass seelische Faktoren eine Rolle spielen; als Psychoanalytiker sollten wir bei Menschen im höheren Lebensalter für diese Thematik Aufmerksamkeit bereithalten. Am 19. Januar 2012 fährt ein etwa dreißigjähriger Mann, der nach Beobachtung anderer Reisender Selbstgespräche führt, in einem Regionalzug von Heidelberg nach Frankfurt. Er verteilt an seine Mitreisenden Zettel, die mit der Notiz, »Ihr seid alle infiziert« versehen sind, und löst zunächst Gedanken an einen »schlechten Scherz« aus. Sodann aber klagen zunehmend Reisende über Taubheitsgefühle und Lähmungen. Am Zielbahnhof angekommen, wird der Zug von Spezialkräften in Schutzanzügen durchsucht, Messungen werden vorgenommen, Proben genommen und die Betroffenen werden in einer Klinik untersucht, jedoch kein somatischer Befund erhoben (Füssler, 2011).

Mit diesem Beispiel sei abschließend auf die enorme Häufigkeit von neurologischen Konversionsstörungen, wie sie besonders häufig in diesem Fachgebiet zu beobachten sind, hingewiesen; am häufigsten finden sich Symptome wie Schwindel, Lähmungen und Missempfindungen oft nur einzelner Gliedmaßen oder einer Körperhälfte, aber auch subjektive Störungen der Sinnesempfindungen (Seh-, Hör-, Geschmacks- oder sensible Störungen). Angemerkt sei hierzu, dass Schwindelsymptomatik mit negativen Gegenübertragungsgefühlen und einer schwierigen Beziehung zwischen Patient und Therapeut einhergehen kann (Schmid, Henning-

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

sen, Dieterich u. Feuerecker, 2013), weshalb besonderes Augenmerk auf die therapeutische Beziehung sinnvoll ist. Darüber hinaus können alle sensorischen Systeme (Sehen, Hören, Riechen, Sensorik und andere) in einen konversionsneurotischen Erkrankungsprozess einbezogen werden. Periphere motorische Störungen sensu Konversion sind unter anderem Störungen des Gehens, des Stehens, Anfallsäquivalente, Lähmungsphänomene, Verhärtungen der Muskulatur, Muskelkrämpfe. Nicht zu vergessen sind auch die psychogenen amnestischen Syndrome, die mit tiefen, inneren Spaltungsprozessen einhergehen. Eine etwa 80 Jahre alte Patientin konnte einen Konflikt mit ihrer Schwiegertochter nicht lösen (»kann sie nicht mehr sehen …«) und entwickelte einen hartnäckigen Spasmus des linken Auges, bis hin zu der Unfähigkeit, das Auge noch zu öffnen.

Weitere Reaktionsmöglichkeiten in unbewusst konflikthaften Situationen stehen dem Nervensystem durch Störungen des Herzrhythmus, der Atmung, der Schweißabsonderung und des energetischen Erlebens zur Verfügung. Gerade Letzteres wird allzu häufig als Ausdruck unspezifischer, somatischer Ursachen verstanden, die analytische Praxis jedoch zeigt, dass die Lösung – oftmals tieferer – innerer Konflikte die vermissten Energiepotentiale (wieder) freisetzen kann. Auch die Motorik kann weitere Hinweise auf ein psychodynamisch bedeutsames Geschehen geben, wenn ein psychogener Tremor zu beobachten ist. Dieser beginnt relativ rasch, remittiert zeitweise, bis er wieder einsetzt, manifestiert sich zunehmend in spezifischen Situationen und verstärkt sich regelhaft, wenn er mit Aufmerksamkeit und Zuwendung bedacht wird. Selten tritt er ohne weitere psychogene Symptomatik auf. Ebenso finden sich bei einer Reihe von Patienten, bei denen ein Anfallsleiden beobachtet wird, psychogene Anfälle, die nur von erfahrenen Diagnostikern von den epileptischen Anfallsformen unterschieden werden können. Stets sind sie Ausdruck schwererer struktureller Störungen und weitgehender, innerseelischer Konflikte. Ein häufiges Phänomen im neurologischen Fachgebiet ist Schmerz unterschiedlichster Qualität, unterschiedlichster Quantität

Neurologische Erkrankungen117

und verschiedenster Lokalisierung. Der am konversionsneurotischen Pol zu beobachtende Schmerz ist oftmals Ausdruck nicht anders zu äußernder aggressiver Affekte oder von Schuldgefühl. Unter traumatischen Aspekten ist er häufig Ausdruck nicht anders integrierbarer, mehr oder minder schwerer Traumatisierung. Hier äußert dann der Schmerz das, was nicht anders geäußert werden kann. Eine etwa 45-jährige Frau bekam von ihrem Zahnarzt wegen einer chronischen Schmerzsymptomatik erfolglos drei Zähne in verschiedenen Kieferquadranten gezogen, bis sie schließlich wegen der Persistenz des Schmerzes selbst einen Therapeuten aufsuchte. Im Laufe einer längeren, analytischen Therapie gelang es ihr erstmals in ihrem Leben, über einen jahrelangen Missbrauch in der eigenen, intimsten familiären Umgebung im Alter ab fünf, bis weit in die Adoleszenz hinein, zu sprechen, sie diente ihrem Vater über viele Jahre als »Ersatz« für eine Partnerin, die, mit dem Vater in konflikthafter Beziehung, jede Sexualität verweigerte. Die Patientin verlor schließlich den Schmerz, desintegrierte jedoch langfristig »stabil« in psychotische Erlebensweisen und wurde dauerhaft neuroleptikapflichtig, um dennoch stabil, aber deutlich beruhigter weiterleben zu können.

Auch bei Störungen des sexuellen Erlebens, der Blasenmotorik und Störungen der Libido ist an den somatischen Ausdruck verschiedenster psychischer Konflikte zu denken. So können genitale Schmerzen Ausdruck von Traumatisierung sein, die Symptomatik der chronischen Prostatitis oder Schmerzen im perianalen Bereich Ausdruck partnerschaftlicher Konflikte, häufig kombiniert mit der Übertragung von Konflikten mit den Eltern auf den Partner. Freilich sind Depressivität, Erschöpfung und Überforderung gerade heute häufig die Ursache gestörten sexuellen Funktionierens und Erlebens, jedoch gilt es, Erfahrungen mit übergriffigem Verhalten (beispielsweise der Mutter), die Angst vor nahem Kontakt, Schuldgefühle, symbiotische Konfliktsituationen und ausgeprägte Selbstwertproblematik zu erkennen. Eine ungelöste, konflikthafte Bindung des Mannes an seine Mutter, der Frau an ihre Mutter oder ihren Vater ist ebenso nicht selten Ursache für die Schwierigkeit, sich sexuell lust- und genussvoll hinzugeben.

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

AD(H)S Die Neurobiologie des AD(H)S, die den Dopaminstoffwechsel in den Vordergrund rückt, betrachtet das Störungsbild aus psychoanalytischer Sicht nicht kausal und räumt vorwiegend kognitive Behandlungsstrategien als wirksam ein. Im Verlauf einer analytischen Psychotherapie aber kann allmählich die körperliche Unruhe, die anfangs als unbewusste symbolische Mitteilung agiert wird, einen Sinn erhalten und in Sprache überführt werden31. Hierzu muss die therapeutische Dyade analytisch reflektiert werden, dabei wird Raum geschaffen für die Entwicklung der fehlenden Symbolisierungsfähigkeit. Die Bühne des körperlichen Agierens kann so nach und nach verlassen, das Konflikthafte anerkannt und aufgelöst werden. Im therapeutischen Prozess und in der therapeutischen Beziehung findet die Bindungstheorie Berücksichtigung: Häufig zeigen sich desorganisierte und desorientierte Bindungsmuster, selbstpsychologisch ist hyperkinetisches Verhalten als Verteidigung und Störung der regulativen Funktion des Selbst verstehbar.32 An dieser Stelle sei auch auf die Ausführungen über Störungen der Bindung und der seelischen Entwicklung und die durch diese ausgelösten, neuroendokrinologischen Gegenregulationsmechanismen (wie Cortisolausschüttung) und ihre Wirkung auf die innerpsychische Situation und die Motorik im Abschnitt »Immunologische Erkrankungen« (S. 161 ff.) verwiesen.33 Die Hyperaktivität basiert nahezu immer auf einer frühen und oft persistierenden Beziehungsstörung, zeigt sich sodann als Verhaltensstörung. Überproportional häufig finden sich traumatische 31 An dieser Stelle kann auf die enorme Medizinalisierung dieser Symptomatik, den ungeheuren Anstieg der Verordnungsmengen von Ritalin® und anderen Substanzen, den enormen Widerstand von Eltern und Betroffenen gegen das psychodynamische Verstehen und die geschickte »Vereinnahmung« der Symptomatik durch die Industrie nicht eingegangen werden (vgl. hierzu, neben anderen, Haubl u. Liebsch, 2008). 32 Eine gute Übersicht zur Thematik und psychoanalytische Ansätze zur Prävention finden sich bei Leuzinger-Bohleber (2008). 33 Beispielsweise findet sich bei betroffenen Kindern eine Vergrößerung des Hippocampus (Schmoll, 2006).

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Trennungserlebnisse des betroffenen Kindes oder transgenerationale Traumata der Mutter (die diese unverstanden in die frühe Beziehung zu dem Kind einbringt). Der Vater (als emotional haltender und verstehender Dritter) ist oft abwesend oder steht außerhalb einer ambivalent verwickelten Mutter-Kind-Dyade. Die Symptomatik ist Ausdruck der Flucht vor dem eigenen Innenleben und der Nähe einer Beziehung, die Angst vor regressiver Wiederkehr früher Ohnmachtsgefühle wird durch die »Flucht nach vorne« vermindert. Die Motorik ist schon intrauterin Ausdruck der Interaktion zwischen Mutter und Kind, stellt das Ende des »imaginären Kindes« in der Mutter dar und konfrontiert die Mutter mit der Realität der Schwangerschaft. Die Motorik wird wichtigstes »Organ« der Abfuhr, die (Psycho-)Motorik weist auf die innere Befindlichkeit, Beziehungserfahrungen und Affekte hin. Dies ist auch bei Erwachsenen in deren Motorik und Psychomotorik bekanntermaßen gut zu beobachten. Intrapsychisches Konfliktmaterial und Affektmotorik fließen ineinander, Beziehungen, Beziehungserfahrungen und Affekte werden im Körper verschlüsselt. Es entsteht ein Oszillieren zwischen Sehnsucht, einem Wunsch nach Harmonie und Verbundenheit einerseits und Schuldgefühlen, Wut und Aggression gegen Vereinnahmung und Verbundenheit andererseits (»zappeliges Hin und Her, Rauf und Runter«). Bei den unruhigen Kindern führt die motorische Unruhe zu einer vom Kind selbst herbeigeführten und kontrollierten erotischen Spannung als Alternative zu der von der Mutter ausgelösten erotischen Spannung. Letztere führt hierbei beim Kind zu tief greifenden Ängsten vor inzestuöser Überwältigung, wenn Triangulierung und ödipal geschlechtliche Identifizierungsmöglichkeiten fehlen. Die Kinder werden in den Köpfen der Eltern weniger als eigenständige, klar abgegrenzte und Unabhängige Persönlichkeiten mit spezifischen Besonderheiten und Eigenarten erlebt, sondern vielmehr als Objekte der Projektion der Eltern: Unterdrückte Individuation und Identität führt zur Suche nach Befreiung, Aggression und Suche nach Identität, hierbei kommt es zum Konflikt mit den strengen Erwartungen und Forderungen der elterlichen Projektionen. Es entsteht eine oszillierende Wechselwirkung, welche die Symptomatik im Sinne eines Fortbewegungsimpulses abbildet. Aus der eingeengten Suche nach

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Individuation erfolgt eine Suche nach dem Gegenteil (Autonomie, Separation und Identität) – ohne Lärm und Unruhe kaum denkbar. In der Bindung an die primären Bezugspersonen entwickelt das Kind jenes innere Arbeitsmodell, das sich am erfolgreichsten im Umgang mit diesen erweist. ADHS wird vor allem von Kindern entwickelt, die ambivalent oder desorganisiert/desorientiert gebunden sind. Mütter sind nicht in der Lage, negative Affekte und Stress des Kindes zu spiegeln, weil sie sich selbst dadurch bedroht fühlen (durch Erinnerungen an eigene unerträgliche Erfahrungen, die abgewehrt werden müssen). Die Mutter kann die Nähe des Kindes nur zulassen, wenn sie ihre Reflexionsfähigkeit opfert. In der Folge spiegeln »verstrickte Mütter« negative Affekte des Kindes in übertriebener Weise oder verwechseln sie mit eigenen Erfahrungen, was auf das Kind fremd oder alarmierend wirkt. Durch die Bewegung im Raum und durch Lärmen versuchen das Kind und später der Erwachsene, innere Erregungszustände und Spannungen abzuführen, somit geht es darum, in der motorischen Bewegung des Patienten enthaltene, verborgene, abgelehnte und als bedrohlich empfundene affektive Bedeutungen zu erschließen. Grundlegende Notwendigkeit ist dabei das Containing, verbunden mit den Begriffen Verinnerlichung, Internalisierung, Integration, Symbolisierung, Mentalisierung. Letztlich kann man die Syndromatik auch als eine Störung der Affektregulation verstehen. Eine Mitgestaltung der Genexpression durch die beschriebenen psychosozialen Faktoren ist hier ohne Widerspruch durchaus denkbar, zumal immer mehr epigenetische Forschungsergebnisse auf flexible Anpassungsmechanismen der genetischen Apparate auf frühe interaktionelle Erfahrungen hinweisen. Auch bei den erwachsenen Patienten sind die beschriebenen, psychodynamischen Mechanismen zu beobachten, wenngleich sicherlich auch ödipal organisierte Konflikte zu vergleichbarer Symptomatik, gerade bei den Älteren, beitragen können.

Erkrankungen der Augen Wie auch für viele andere Organsysteme liegt für das Auge und seine umgebenden Strukturen wenig Schriftgut zur Psychosomatik vor.

Erkrankungen der Augen121

Auch hier wurde kaum systematisch geforscht, obwohl es durchaus Erkrankungen des Auges gibt, die aus psychoanalytisch-psychosomatischer Sicht einer Erforschung bedürfen. So sei als eines der wichtigen Beispiele das Glaukom genannt. Schultz-Zehden und Bischof haben 1986 einen Überblick vorgelegt und lassen keinen Zweifel daran, dass eine ganze Reihe von Erkrankungen des Auges und der damit verbundenen Strukturen im Rahmen einer psychodynamischen Konfliktproblematik entstehen können. Sie nennen das Auge »Fenster zur Seele« (Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 11) und sind erstaunt, »dass auf dem Gebiet der Augenheilkunde bisher von den psychischen Vorgängen kaum die Rede war. Es wurde darüber weder geschrieben noch gesprochen« (Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 13). Die Autoren gehen davon aus, dass bei der Entstehung von Augenerkrankungen psychische Faktoren ohne jeden Zweifel eine Rolle spielten, weshalb sollte auch das Auge von der Möglichkeit, es libidinös und konflikthaft zu besetzen und präödipale sowie konversionsneurotische Konflikte dann hier zu lokalisieren, ausgeschlossen sein. Jedoch scheint es gut nachvollziehbar, dass gerade psychosomatische Erkrankungen des Auges möglicherweise in einer sehr frühen Phase der Interaktion mit den primären Objekten ihre Grundlage haben, man denke nur an die erhebliche Bedeutung des Blickkontaktes für die ersten interpersonellen Beziehungen des Säuglings. Umso schwieriger und langfristiger dürfte sich daher die therapeutische Arbeit erweisen, wenn es um die Symbolisierung und Verbalisierung der entsprechenden frühen Konflikte in der Therapie geht. Schultz-Zehden und Bischof nehmen zu mehreren Erkrankungen des Auges, denen sie eine psychosomatische Bedeutung zumessen, Stellung. So berichten sie zum Schielen, dass Patienten »mit einem Auge […] geradeaus« (Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 115) sehen, hierbei »quasi sozial erwünschtes Verhalten« zeigten, »mit dem anderen Auge« versuchten sie, »den Gegebenheiten und Anforderungen« ihres persönlichen Lebens, denen sie sich »nicht gewachsen« fühlten, »auszuweichen« (S. 115). Hier seien »in der frühkindlichen Phase Partnerschaftsprobleme und eheliche Schwierigkeiten der Eltern« zu vermuten, die »den Prozess des Fixierenlernens« behinderten (Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 116). So könne man das

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Schielen »in psychosomatischer Hinsicht als frühkindliche Symbiosestörung auffassen«, da ein Säugling in den ersten Lebensmonaten seine Augenbewegungen noch nicht koordinieren könne und von der Beziehung zu den primären Objekten abhängig sei. In eigenen Untersuchungen habe man einen Zusammenhang »zwischen Schielen mit Fehlsichtigkeit und gestörter Persönlichkeitsstruktur« gefunden, beispielsweise imponierten die Betroffenen durch »erhöhte emotionale Labilität« und zeigten »eine deutlich über der Norm liegende Gehemmtheit und eine herabgesetzte Aggressivität bei einer erheblich depressiven Grundstimmung« (S. 117). Für die äußeren Augenabschnitte kommen die genannten Autoren zu dem Schluss, dass Augenlider und Drüsen ebenso autonom innerviert seien, daher der sichtbare Zustand des Auges einer inneren Befindlichkeit entspreche und auf nonverbaler Ebene ein Signal über diese Befindlichkeit gebe (Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 133). Sicherlich fruchtbar ist es, sich hierbei auch die Feststellung der Autoren nochmals bewusst zu machen, dass Störungen der Lider wie hängende, angeschwollene oder entzündete Augenlider den Ausdruck der Augen verändern und die hierbei nonverbal übermittelte Information ebenfalls Bedeutung erfährt. Ebenso wird auf die Bedeutung der Tränendrüsen hingewiesen; zu den Entzündungen des Auges, so führen die Autoren auf, gebe es zwar wenig Literatur, man habe aber »Selbstbestrafung im Rahmen des ödipalen Konfliktes« vorgefunden, oft auch eine tabuisierte Sexualität (S. 134). Das als trockenes Auge bekannte Sicca-Syndrom ist bei Patienten über dem fünfzigsten Lebensjahr recht häufig, allerdings bei traumatisierten Patienten doppelt so häufig anzutreffen wie in der Normalbevölkerung. In einer Studie mit 115 Kriegsteilnehmern in den USA (Modi et al., 2014) konnte eine posttraumatische Belastungsstörung als Risikofaktor für das trockene Auge gefunden werden, es konnte gefolgert werden, dass eine Tränenfilmstörung mit einer PTBS häufig assoziiert ist. Zu entzündlichen Erkrankungen der Bindehaut und der Hornhaut gebe es ebenfalls keine Literatur, jedoch dürfte vielen Therapeuten aus der Praxis der Zusammenhang zwischen rezidivierenden Entzündungen der Bindehaut und auch der Hornhaut und beispielsweise dem Gefühl subjektiver Überforderung oder auch Kränkung

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aufgefallen sein. Besonders fielen den Autoren einige, an Entzündungen des Auges erkrankte Patienten durch regressive Tendenzen oder einen erlittenen Objektverlust auf sowie durch ein auffälliges Zusammentreffen von Augenerkrankungen und Urlaubszeiten. Interessant hier der Hinweis, dass bei zwanghaft strukturierten Patienten die Entzündungen des Auges gegen Urlaubsende, bei depressiv Strukturierten in Zeiten, in denen sie ohne Partner den Urlaub verbrachten, aufgetreten seien. Ohne Zweifel eine der wichtigsten psychosomatischen Erkrankungen dürfte – wie bereits erwähnt – das Glaukom sein, zumal hier nach neuesten Forschungsergebnissen, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden soll, auch immunologische Prozesse eine Rolle spielen. Schultz-Zehden und Bischof (1986) attestieren der genannten Patientengruppe Depressivität, Ängstlichkeit, Introversion, andere Beobachter berichteten über einen Wunsch nach »Perfektionismus und Genauigkeit«, aber auch nach »Sicherheit und Abhängigkeit« (Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 165). Bereits 1947 sei das Glaukom erstmals psychosomatisch untersucht worden, spezifische Persönlichkeitsmerkmale seien gefunden worden; 1950 sei durch Ripley und Wolff (zit. nach Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 165) bei einer Gruppe von 18 Patienten, an Glaukom erkrankt, über eine längere Zeit, zum Teil bis zu sieben Jahren, ein Zusammenhang zwischen der bestehenden Augensymptomatik, insbesondere dem intraokulären Druck, und der Lebenssituation nachgewiesen worden. Bei allen Patienten habe man Angst oder eine depressive Stimmungslage gefunden, »verbunden mit einer frustrierenden Lebenssituation vor Beginn der Symptomatik« (S. 165), besonders aufgefallen seien Schwankungen der Stimmungslage sowie Angst und hypochondrische Tendenzen. 1972 sei erneut angenommen worden, dass zwischen Veränderungen der Lebenssituation und einem akuten Glaukomanfall ein Zusammenhang bestehe (S. 167), ebenso hätten Crenini und Kollegen (nach Schultz-Zehden u. Bischof, 1986) nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen einer Erhöhung des intraokulären Drucks nach kurzfristigem emotionalem Stress aufgefallen sei. Hollwich (nach Schultz-Zehden u. Bischof, 1986) habe bei einem Patienten, der auf dem Weg zum Augenarzt eine Katze überfah-

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

ren habe und in psychischer Erregung bei seinem Augenarzt angekommen sei, festgestellt, dass im Rahmen eines in einem Tagesprofil gemessenen Augeninnendruckdiagramms unmittelbar nach der Belastung der Druck des rechten Auges von 18 mmHg auf 32 mmHg (in einem Zeitraum von vier Stunden) – im Übrigen ebenfalls der Blutdruck – angestiegen sei. Der gleiche Autor habe bei insgesamt 309 Patienten 105-mal einen Zusammenhang zwischen einem Glaukomanfall und einer auslösenden Ursache ermitteln können, bei 31 Patienten habe er »nur eine seelische Erregung eruieren« (in SchultzZehden u. Bischof, 1986, S. 53) können. Die Autoren fahren fort, Sehunschärfen mit dem sozialen Status der Patienten in Verbindung zu bringen, konkrete Daten werden jedoch nicht vorgelegt. Hingegen wird berichtet, dass sich in psychoanalytischen Interviews bei Patienten mit einer spezifischen Entzündung des Augenhintergrundes, der Netzhaut »Retinitis-centralisserosa« (Schultz-Zehden u. Bischof, 1986, S. 203), angstneurotische Züge gefunden worden seien, ferner seien die Patienten zuvor »mit großer Regelmäßigkeit sowohl starkem Stress als auch einer übermäßigen Beleuchtung ausgesetzt gewesen« (S. 204). So zeigt diese bereits weiter zurückliegende Arbeit, dass bei einer ganzen Reihe von Augenerkrankungen – und so ist zu vermuten: auch bei allen anderen Sinnesorganen – seelische Faktoren ohne jeden Zweifel eine Rolle spielen. Bedauerlich, dass Psychoanalytiker in den entsprechenden somatischen Fächern wenig tätig sind bzw. kaum oder nicht forschen, hier liegt also ein weites, unerforschtes Feld offen.

Erkrankungen der Atemwege Ohne auf Erkrankungen der Nase näher einzugehen, sei hier auch auf die einleitenden Ausführungen des nächsten Kapitels zu Erkrankungen der Ohren verwiesen.34 34 Zudem sei auch erneut an Georg Groddeck (2011, S. 122) erinnert, der den »Erkrankungen der Nase« unterstellt, »eine Beziehung zur Erotik« zu haben. Die Operation an der Nase sei demnach für die Kinder »ein Symbol«, das Kind habe die Empfindung, »die Männlichkeit wird ihm genommen«,

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Einer asthmatischen Symptomatik liegt im Wesentlichen eine Schwierigkeit der Ausatmung zugrunde, ein spastischer Widerstand bei der Ausatmung der Atemluft ist typisch. Hinzu kommt eine immunologische Abwehrbereitschaft der Schleimhaut der Atemwege, insbesondere der kleinen und kleineren bronchialen Atemwege. Nahezu nichts in Natur und Haushalt wurde nicht schon als »Allergen« erkannt, seien es Tierhaare, Hausstaubmilben, Blütenpollen oder verschiedenste andere Substanzen, mit großem Aufwand werden allergische Testungen durchgeführt, die zentralen intrapsychischen Mechanismen jedoch, die das Immunsystem triggern und zur Überreaktion veranlassen, bleiben meist unberücksichtigt. Und wieder tritt das Immunsystem als Hauptakteur im somatopsychischen Zusammenwirken auf die Bühne des Geschehens. Es sei nur darauf hingewiesen, dass »20 bis 50 Prozent aller Asthma-Patienten […] eine Atemnot [entwickeln,] wenn sie ein Placebo Aerosol einatmen, von dem sie annehmen, es enthalte eine die Bronchien verengende Substanz« (Kollbrunner, 2010, S. 222). Der gleiche Autor weist diesbezüglich darauf hin, dass Menschen mit Asthma »vorwiegend Menschen [seien], die in einem Ambivalenzkonflikt zwischen einem Wunsch nach Selbständigkeit und einer Angst davor gefangen« seien, manchmal seien Asthmaanfälle »Äquivalent für [unterdrücktes] Weinen oder Schluchzen«, häufig ereigneten sie sich »vor oder nach Trennungssituationen« (Kollbrunner, 2010, S. 222). Die Bindung der genannten Patienten sei »von einer symbiotischen Verstrickung geprägt, die Rolle des Vaters« sei »eher konfliktvermeidend, so dass er dem Kind nicht aus dessen zu enger Beziehung zur Mutter heraushelfen« könne (S. 224). Fagan, Galea, Ahern, Bonner und Vlahov (2003) berichten über die Zunahme asthmatischer Symptomatik bei Asthmapatienten und »genauso« verhalte es sich »mit den Mandeln. Die Mandeln stehen mit ›Mann‹ in Verbindung. Der Süddeutsche sagt ›Mandeln‹ für Mann«, somit bedeute die Herausnahme der Mandeln ebenfalls, dass dem Kind »die Männlichkeit genommen« werde.   Heutzutage mag man sich angesichts der oftmals auch öffentlich zur Schau getragenen Diskussion um Korrekturen der Nase in der ästhetischen Chirurgie an die Worte Groddecks erinnert fühlen.

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in New York, etwa sechs bis neun Monate nach dem Einsturz der Türme des World Trade Center, um ca. 10 Prozent, was zumindest auf den erheblichen Einfluss von Stressoren auf die Ausprägung und Häufigkeit asthmatischer Symptomatik hinweist. So ist zu vermuten, dass bereits supportive und kurzzeitige psychodynamische Interventionen bei dieser Patientengruppe hilfreich sein könnten.

Erkrankungen der Ohren, Tinnitus und Hörsturz Bereits Georg Groddeck bemerkte, dass das »Unbewusste […] akute und chronische Ohrenleiden« (1933/2011, S. 76) benutze »zur Verminderung« des »Gehörtabu[s]«, den Schnupfen entstehen lasse oder auch die »Überempfindlichkeit der Nase bei versagten Geruchseindrücken«, es bringe »den Belag der Zunge zustande, um das Schmecken zu verhindern«, oder es ändere »die Gefühlsempfindungen«, im Übrigen verfahre das Unbewusste auch »analog […] mit den Bewegungsorganen« (1933/2011, S. 76). Tinnitus ist bis heute psychoanalytisch nicht ausreichend begriffen, die wenigen psychodynamischen Erklärungsmodelle lassen dieses Phänomen nur unzureichend verstehen. Auch scheint Tinnitus ein Phänomen zu sein, das den klassischen, psychoanalytischen Kategorien konfliktbedingter Entstehung nicht entspricht und mit den Modellen der Verursachung psychischer Symptomatik durch frühe Beziehungsstörungen nicht ausreichend erfasst werden kann. Erschwert wird die Situation dadurch, dass es zudem einen von außen hörbaren Tinnitus gibt, Tinnitus ferner bei Lärmtrauma (akut und chronisch) auftreten kann und Ohrgeräusche direkt auf intrapsychische und externe Belastungen folgen können. Tinnitus hat epidemische Ausmaße angenommen, in einer Studie spricht die deutsche Tinnitus-Liga (Tillmann, 2010) von ca. drei Millionen Betroffenen in Deutschland, mittlerweile dürfte diese Zahl noch höher geworden sein. Eine Vielzahl von mehr oder weniger wirkungslosen Therapieverfahren wird heute allerorts angeboten, so die »Infusionstherapie«, die noch fast regelhaft durchgeführt wird. Zudem wird nach Jahrzehnten der Forschung – wie bei so vielen seelisch bedingten Störungsbildern – noch immer nach einer organischen Ursache gesucht, bestenfalls ein »psychosomatischer Ein-

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fluss« oder »Stress« unterstellt. Die klinische Psychosomatik (vgl. von Uexküll, 2010) bleibt hilflos. Wie kaum eine andere Symptomatik dürften Ohrgeräusche ohne jeden Zweifel als »Symptom« der Ökonomisierung und Globalisierung zu bezeichnen sein; über die beschriebenen Mechanismen – innerer und äußerer Druck – hat die Anzahl der an Tinnitus Erkrankten weltweit erheblich zugenommen. Im Hinblick auf die Überlegungen, dass äußerer oder innerer Druck im menschlichen Organismus über den Weg der Verarbeitung dieser Drucksituationen über das Großhirn und die bereits beschriebenen Wege zu einer somatopsychischen »Bereitstellungssituation« führt, ist zu überlegen, inwieweit Ohrgeräusche nicht analog einem erhöhten Augeninnendruck, analog dem erhöhten Blutdruck, analog dem erhöhten Tonus der skelettären Muskulatur und anderen Symptomen eine entsprechende Form der Anpassung darstellen, scheint es doch so zu sein, dass Ohrgeräusche in subjektspezifischer Weise Ausdruck einer »Hochspannung« im Organismus ausdrücken und somit zunächst eine direkte Antwort des Organismus auf bewusstseinsnahe psychophysische Drucksituationen. Hierfür spräche, dass bei Menschen, die unter Ohrgeräuschen leiden, diese Geräusche auch bei körperlicher Anstrengung lauter werden können, vergleichbar der Situation des Denkens belastender Gedanken. Tinnitus ist also nicht selten die somatische Antwort auf einen, als solchen nicht erlebten/erlebbaren, inneren Druck35 (besonders häufig Dauerdruck), dem der Betroffene ausgesetzt ist. Menschen, die in Berufen mit hohem Anspruch und hohem Organisationsniveau (Medizin, Management, Arbeit unter Zeitdruck etc.) arbeiten und subjektiv immer wieder an eine ebenso subjektive, innere Belastungsgrenze stoßen, scheinen häufig mit Tinnitus zu reagieren, besonders wenn sie leistungsbereit sind, zudem ein strenges, eventuell rigides, kontrollierendes Über-Ich internalisiert haben und wenn sie hohe, oft idealisierte Ansprüche in sich aufrechterhalten (müssen). 35 Vielleicht ist Tinnitus ja, wie keine andere Symptomatik, Ausdruck des permanent aktivierten, männlichen Anteils des Individuums, in einer rund um die Uhr aktivierten Gesellschaft?

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Hingegen kann die stete Bereitschaft des Organismus, ein einmal entstandenes körperliches Symptom in der Folge sofort in weiterer, symptombildender Weise einzusetzen, als eine Konversionsstörung verstanden werden. Daneben stellt sich die bis dato offene Frage, inwieweit präödipale Konflikte und Formen verinnerlichter Objektbeziehungen sich durch Ohrgeräusche darstellen, allerdings gibt es besonders für die Annahme eines Tinnitus als frühes, subsymbolisch zu verstehendes Symptom noch keine hinreichend überzeugenden psychoanalytischen Modelle. Das erstmalige Auftreten des Tinnitus wird oftmals beunruhigend und auch in Hinblick auf die allgemein gut bekannte Prognose (Sorge der Chronifizierung) voller Angst erlebt, und die menschliche Seele, die für jeden symptomhaften Konfliktausweg »dankbar« ist, nutzt jetzt möglicherweise und zukünftig den »erfolgreichen« Weg, den Konflikt in dieser Form zu konvertieren und zu symbolisieren (übrigens auch: zu mahnen). Im therapeutischen Vorgehen gilt es zunächst, die (psychodynamische) Bedeutung der äußeren und inneren Entstehungsbedingungen (Stress für den Organismus, durch äußere und innere Drucksituationen verursacht) in den Vordergrund zu rücken, zumal nahezu regelmäßig spezifische strukturelle Anteile und spezifische innere Konflikte das Individuum in die Situationen der Geräuschentwicklung hineinbringen. In der Folge ist gegebenenfalls die Überlegung möglich, inwieweit frühere psychodynamische Ursachen wahrnehmbar werden. Tillmann (2010) versteht Tinnitus als Konversionssymptom, lehnt herkömmliche Behandlungsstrategien wie die Infusionsbehandlung36 etc. ab und versucht, mit seinen Patienten das Subjektive des Tinnitus psychoanalytisch zu ergründen – ein wichtiger und wertvoller Ansatz. Tillmann strebt (2009) eine Konzentration auf das Geräusch und seine Bedeutungen an, mit dem Hinweis, dass einzig der Mensch mit der Fähigkeit, Gefühle und Gedanken zu symbolisieren und zu metaphorisieren, über die Arbeit an den Symboli36 Zur Symbolik der Szene – der Betroffene liegt meist und erhält über eine Infusionsleitung Flüssigkeit zugeführt – soll hier nichts weiter ausgeführt werden.

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sierungsprozessen verstehbar sei. Er vermutet Sinneseindrücke, die das Kind im Mutter-Kind-Dialog überschwemmen, und im Tinnitus einen Versuch, innere Spannungen zu bewältigen. Tinnitus sei ein im Körper eingekapselter, misslungener Ablösungskonflikt. In nahezu allen Fallbeispielen findet er Auseinandersetzungen mit früheren Objekten und sich gleichende Muster, nämlich Konflikte der Ablösung, der Trennung, der Entwicklung und des Selbständigwerdens und das Gefühl der Betroffenen, nicht mehr über sich selbst bestimmen zu können, abhängig zu sein. Das Symptom Ohrgeräusch erweist sich in seiner Vielschichtigkeit schwer verstehbar. Lassen sich bei dem einen Patienten relativ einfache Muster an innerer und äußerer Überlastung symptomklärend deuten, finden sich wiederum andere mit einer tiefreichend auffälligen Psychodynamik der Objektbeziehungen und einer für das Geräusch zu vermutenden Bedeutung. Über das Konversionsmodell hinaus sollte man daher für die Wahrnehmung von unbewussten Inszenierungen im Körperlichen offen bleiben und die Entwicklung innerer symbolischer Bilder in der Gegenübertragung als Voraussetzung für das Verstehen der Symptomatik ermöglichen. Diese Bilder sind es oft, die einen Zugang zulassen, spezifisch für jeden einzelnen Patienten. Mit dem Hörsturz, einem oft nur sekunden- oder minutenlang andauernden Verlust des Gehörs, meist auf einem Ohr, verhält es sich vergleichbar: In den allermeisten Fällen ist er als direkte, also primäre Reaktion des Nervensystems, in anderen Fällen (sekundär) als Konversionssymptom gut versteh- und behandelbar (manchmal im Sinne eines »Nicht-mehr-hören-Könnens«). Die Bedeutung des Höreindrucks zu Beginn des Lebens ist noch weitgehend ungeklärt, folglich auch die Frage, inwieweit Hörsensationen aus dieser Zeit in der Symptomgenese eine Rolle spielen. In keinem Fall ist psychotherapeutischer Nihilismus angesagt, selbst ein mahnender Charakter der Symptomatik Tinnitus und Hörsturz ist für das Verstehen und die Prognose und die weitere, individuelle Entwicklung entscheidend. Ein beruflich äußerst erfolgreicher, 44-jähriger verheirateter Sozialpädagoge (Vater von vier Kindern) berichtet, unter einer starken beruf-

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

lichen Belastungssituation, die vor dem Erstkontakt bereits mehrere Wochen bestand, einen ausgeprägten beidseitigen Tinnitus im Sinne eines hochfrequenten, pfeifenden Geräusches bemerkt zu haben. Eine Diagnostik bei einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt, eine Infusionstherapie und Entspannungsversuche erbrachten keine Linderung. Der Tinnitus bestand tage- oder wochenlang, trat spontan auf, klang teilweise aber auch nach Minuten oder Stunden wieder ab. Neben einem hohen Arbeitsaufkommen war es ein autoritärer und dominanter Vorgesetzter, der von ihm zusätzliche Arbeitsleistungen in den Wochen vor Zunahme der Symptomatik forderte und der auf jeden Versuch der Gegenwehr des Patienten freundlich, aber bestimmt ablehnend reagierte. Bereits im 14. Lebensjahr war es erstmals zu leisen Ohrgeräusches beidseitig gekommen, jeweils kurzzeitig; damals maß der Patient der Symptomatik noch keine weitere Bedeutung zu. In den Jahren danach war sie in leiser Form immer wieder einmal für kurze Zeit aufgetreten. Der Sozialpädagoge wurde als ältester von vier Söhnen auf einem ländlichen Anwesen geboren, verlor mit acht Jahren seine Mutter und wurde vom (wohl überforderten) Vater rasch beauftragt, sich um die drei zum Teil erheblich jüngeren Geschwister zu kümmern. So gelang ihm nach eigenem Ermessen kaum Trauer, hingegen war er rasch mit der Durchführung von Hausarbeiten aller Art, Einkäufen und der Versorgung des Wohnhauses und der Familie vertraut. Er entwickelte, auch unter dem Einfluss des dominanten Vaters, der für die Söhne wenig Zeit hatte, einen hohen Anspruch an sich, der sich noch heute in seiner Arbeitshaltung niederschlägt. Noch unter dem Schock des Verlustes der Mutter und nun ausschließlich von der Zuwendung durch den Vater abhängig, lernte der Patient, »zu funktionieren«, insbesondere Bedürfnisse nach Regression hintanzustellen und den Forderungen seines hohen ÜberIchs gerecht zu werden. Als dies erfolgreich bewusst werden und verinnerlicht werden konnte, klang die Symptomatik ab.

Es bleibt die Hoffnung, dass der beschriebene Symptomenkomplex psychoanalytisch vertiefter verstanden werden wird, darüber hinaus wäre zu erwägen, inwieweit in psychosomatischen Abteilungen oder durchaus auch in Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Abteilungen psychodynamisch arbeitende, kriseninterventorische Teams zu installieren sind, die bei akut aufgetretenem Tinnitus oder Hörsturz tätig werden.

Hals- und Schluckbeschwerden131

Zuletzt sei auf die Erfahrung aus der Praxis hingewiesen, dass sich bei (rezidivierenden) Mittelohrentzündungen häufig hintergründig Autonomie-Abhängigkeits-Konflikte finden lassen mit Hinweisen auf größere Ängste vor dem Verlust symbiotischer Nähe.

Hals- und Schluckbeschwerden, Störungen der Stimme und Stimmbildung Aus gutem Grund sei auch hier Groddeck vorangestellt, der früh die Auffassung vertrat, dass »das Unbewusste den Laut der Stimme symbolisch verarbeitet, um bestimmte innere Vorgänge mit Hilfe des Kehlkopfs darzustellen, dass also im Sprechen Symbol an Symbol gereiht wird, dass jedes einzelne Wort eine Versinnbildlichung eines unbewussten Vorganges ist« (Groddeck, 1933/2011, S. 94) – Lacan lässt grüßen! Einschränkend kann eigentlich nur hinzugefügt werden, dass infrage zu stellen ist, ob das Unbewusste nur den Laut der Stimme symbolisch verarbeitet oder ob es nicht primär auch die Stimmmotorik steuert (wie im Übrigen auch die restliche Muskulatur des Köpers), dass hieraus Besonderheiten der Stimmbildung, ebenfalls eine Symbolisierung, resultieren. (Dass der überwiegende Anteil von Information über einen Erkrankten regelmäßig nonverbal übertragen wird, sei hier nur am Rande erwähnt.) Wie sehr sich die Pioniere der Psychoanalyse noch mit Gedanken und Überlegungen dieser Art ihre Faszination am Analytischen erhielten, wird auch in einem anderen Zitat Groddecks (1933/2011, S. 94) deutlich, in dem er Sabina Spielrein anführt (sie hielt 1920 einen Vortrag auf dem VI. Internationalen Psychoanalytischen Kongress mit dem Thema »Zur Frage der Entstehung und Entwicklung der Lautsprache«), sie habe »die Vermutung ausgesprochen, dass der M-Laut und P-(F-)laut bei Mutter und Vater von dem Säugen an der Brust abzuleiten« sei, »das M als Symbol der Gier und das P (F) als Symbol des gesättigt Seins, das sich nun unter Aufgeben der Mamma [Brust, Anm. K. P.] der weiteren Umwelt zuwendet« (Groddeck, 1933/2011, S. 94). Man übersehe hierbei nicht, dass es sich um ein psychodynamisches Verstehen handelt, das 2020 hundertjährig sein wird.

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Ein junger Mann berichtete in einem Beziehungskonflikt, der ihn zwischen libidinösen Bedürfnissen und Vernunft schwanken ließ, über Halsschmerzen, und äußerte assoziativ hierzu, dass es ja »kein Wunder« sei, dass ihn der Hals schmerze, wenn er seine sexuellen Wünsche an seine Freundin nicht aussprechen könne – er erfasste selbst intuitiv seine Konfliktsituation.

Tatsächlich kann man den Eindruck erhalten, dass sich im Bereich des Halses oft konversionsneurotische Symptomatik manifestiert, ist doch dieser Bereich häufig Repräsentanz verschiedener unbewusster Konflikte, ausgedrückt beispielsweise durch Stimme, Atmung und Schluckvorgang. Besonders Störungen der Stimmbildung (Heiserkeit, funktionelle Dysphonie etc.) – die sich im Übrigen häufig bei Therapeuten finden – sind hierfür ein Beispiel, dann oftmals für einen Widerstand gegen spezifische Aspekte der Tätigkeit. Eine Anmerkung zum Stottern sei angefügt, einer Syndromatik, die sich durch wiederholte Unterbrechungen des Redeflusses, Wiederholungen, Blockierungen und das Dehnen von Lauten beim Sprechen umschreiben lässt. Auch zu diesem Störungsbild gibt es kaum psychodynamische Überlegungen (s. u.); von Tiling (2012) setzt sich jedoch aus verhaltenstherapeutischer Sicht mit dieser Störung auseinander. Er berichtet hierbei von begleitender sozialer Angst, von Scham, von Schuld und Beeinträchtigungen des Selbstwerterlebens, in der Folge von sozialem Rückzug und sozialer Phobie. Freilich vermutet er eine »genetische Grundlage des Stotterns« (von Tiling, 2012, S. 541 f.), weist jedoch auf Situationen der Kindheit hin, in denen »besorgte und kritische Reaktionen der Umwelt« (S. 541 f.) auf die Sprechflüssigkeit Einfluss nähmen und »das Kind zu vermehrter Erwartungsangst und Anspannung beim Sprechen veranlassen« (S. 541 f.). Er betont jedoch die diesbezüglich heterogene und unklare Studienlage. Für die psychoanalytische Sicht zitiert er Kollbrunner (2004, zit. nach von Tiling, 2012, S. 541 f.), der Stottern »als Resultat defizitärer frühkindlicher Emotionsregulation« erläutere; hierfür fehle jedoch die Evidenzbasierung. Aus psychoanalytisch-psychodynamischer Sicht jedoch, einer Sichtweise, die der Symbolik der Sprache große Bedeutung zuweist,

Erkrankungen der Lunge, des Herzens und des Kreislaufsystems 133

lassen sich allzumeist Hinweise auf einen Selbstwertkonflikt finden, einen der menschlichen Grundkonflikte, insbesondere, wenn man an die Bedeutung der Motorik als Ausdruck anders nicht mitteilbarer Affekte denkt.

Erkrankungen der Lunge, des Herzens und des Kreislaufsystems Kaum eine andere Gruppe von Erkrankungen wird so sehr mit Ängsten besetzt wie die der Erkrankungen des Herzens. Dazu tragen die Angst vor Herztod, öffentliches Wissen hierzu und die zentrale emotionale Bedeutung und Symbolik des Herzens in unserer Kultur bei. Gleichwohl werden kardiale Erkrankungen überwiegend von der somatischen Medizin behandelt. Die Symptomatik kann von vielfältigen und vielgestaltigen Phänomenen begleitet sein, oftmals wechseln diese, so berichten Betroffene, von einem »Druck auf dem Herzen«, zum Teil schmerzhaften Sensationen im linksthorakalen Bereich über Palpitationen über Brustbein und Herz bis hin zur Beschleunigung des Herzrhythmus und zu Extrasystolen. Oftmals messen sie häufig Puls und Blutdruck und beobachten diese Parameter voller Angst, fordern dabei von Angehörigen die Bestätigung ein, es sei »nichts«. Anfallsartig kommt es zu Ängsten, einen Infarkt zu erleiden, das Herz bleibe stehen, vergleichbar einer Panikattacke. Seit dem 27. Lebensjahr ist ein 42-jähriger Ingenieur, verheiratet, zwei Kinder, beunruhigt, da ihm ein Internist in diesem jungen Alter mitteilte, einen Mitralklappenprolaps37 zu haben, der ihn dafür prädestiniere, bei Infekten jedweder Art von »Bakterien«, die seine Klappe »anfressen« werden, bedroht zu sein. In etwa der 95. Stunde einer analytischen 37 Hierunter wird eine bei circa 2,5 Prozent der Allgemeinbevölkerung vorkommende Vorwölbung der Mitralklappe in den linken Vorhof verstanden, meist ein Zufallsbefund, der keine Symptomatik verursacht, aber das Wissen um seine Existenz hinterlässt bei den Betroffenen über viele Jahre (!) Beunruhigung und latente Angst. Ein Teil der Betroffenen wird auch dadurch zu Erkrankten, dass kleine Dosen Betablocker zur »Therapie« verabreicht werden, meist lebenslang (!).

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Langzeittherapie kann er seine Befürchtungen erstmals thematisieren und, nachdem ein Misstrauen seinem Vater gegenüber (somit auch dem Analytiker gegenüber), das ihn zunächst sogar daran hinderte, aus seiner Anamnese zu berichten, insoweit bearbeitet war, als ihm bewusst wurde, dass er »so gut oder besser« als sein Vater sein dürfe, tritt, nachdem er sich erneute Autonomie (mehrere Tage mit seinem Sohn zusammen) erlaubt, wieder die stark beunruhigende Befürchtung auf, Bakterien könnten die Herzklappe zerstören. Erst jetzt kann ihm bewusst werden, dass die »Bakterien« besitzergreifende und destruktive Introjektanteile seines Vaters sind, die seine Vitalität bedrohen.

Im Unbewussten der von herzangstneurotischen Ängsten Betroffenen finden sich meist ein Individuationskonflikt, häufig eine Autonomieproblematik, ebenso immer wieder Ängste, das Objekt zu verlieren, besonders wenn die Schuld, es verlassen zu wollen, vorbewusst wird. Eine 32-jährige Chirurgin, Mutter eines elf- und eines siebenjährigen Kindes, arbeitet in Teilzeit und fühlt sich seit Monaten überlastet. Am Wochenende, in einer Phase der Entspannung, erleidet sie eine subarachnoidale Blutung, wird sieben Wochen stationär versorgt, im Anschluss mehrere Wochen rehabilitativ, und fasst nun den Entschluss, sich zu entlasten, indem sie ihre berufliche Tätigkeit aufgibt – ein Wunsch, den sie lange schon hegte. Erst die körperliche Erkrankung mit ihrer existentiellen Bedrohung machte ihr möglich, ihren regressiven Bedürfnissen, die in dergestalt belastenden Lebensphasen nicht ungewöhnlich sind, entgegenzukommen. In der späteren analytischen Psychotherapie wurde die abgespaltene, aggressive Phantasie, gegen das mütterliche Introjekt gerichtet, deutlich.

Auch in der analytischen Psychosomatik sind die bekannten Risikofaktoren wie Hypercholesterinämie, Hypertonus, Diabetes mellitus, Adipositas und Rauchen neben den psychosozialen Auslösern als Hauptverursacher koronarer Herzkrankheit und anderer Gefäßerkrankungen anerkannt, allerdings verbunden mit den beiden Gefahren, einerseits psychodynamischen, wesentlichen (auch im Sinne des existentiellen Wesens der Erkrankung) krankheitsauslösenden und

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krankheitserhaltenden Faktoren zu wenig oder keine Bedeutung beizumessen, andererseits den eingangs genannten Faktoren nicht die psychologische Bedeutung beizumessen, die ihnen zukommt. In einer Studie (Gulliksson et al., 2011) wurde untersucht, inwieweit eine kognitive Verhaltenstherapie bei Koronarpatienten einen weiteren Infarkt verhindern könne, hierbei erhielt die eine Hälfte der Patienten die übliche medizinische Nachbetreuung, die andere Hälfte nahm an einer Verhaltenstherapie teil. In zwanzig einstündigen Gruppensitzungen im Laufe eines Jahres wurde eine Edukation über die Erkrankung durchgeführt, die Teilnehmer wurden des Weiteren angehalten, Erkrankungszeichen bei sich zu registrieren und auf solche konstruktiv zu reagieren. Sie erhielten Unterstützung bei der Reduzierung negativer Verhaltensweisen und wurden aufgefordert, vermehrt über spirituelle und andere Lebenswerte nachzudenken. Nach 94 Monaten konnte eine Reduzierung von Re-Infarkten in der Interventionsgruppe um 45 Prozent erreicht werden. Die Wirkung der Behandlung stieg mit der Zahl der Sitzungen, an denen teilgenommen wurde, an. Bedenkt man nun, dass die teilnehmenden Menschen vermutlich über Jahrzehnte neben den beschriebenen und nachgewiesenen Risikofaktoren nach konstanten innerseelischen Mustern lebten, die zur Erkrankung beitrugen, ist dieser Erfolg beachtlich, legt aber umso mehr die Frage nahe, inwieweit die Psychosomatik es bis dato versäumt hat, hier die wesentlichen psychischen Bedingungen für das Erkranktsein aufzufinden und erforderliche spezifische Interventionen rechtzeitig zur Anwendung zu bringen. Subklinisch depressive Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom weisen im Vergleich zu psychopathologisch unauffälligen Patienten ein zwei- bis vierfach erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko auf (vgl. Schubert u. Schüßler, 2009), unabhängig von der Schwere der Erkrankung, der Therapie und anderen Risikofaktoren. Menschen, die in sozialen Interaktionen negative Emotionen zwar erleben, aber in deren Außendarstellung gehemmt sind, zeigten einen Persönlichkeitstyp (Typ D), der ein unabhängiger prognostischer Indikator der Langzeitmortalität von Herzpatienten zu sein scheint. Hier ist jedoch dem Eindruck entgegenzutreten, psychosomatisches Denken sei auf die Unterstellung zu reduzieren, spezifische

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Persönlichkeitstypen prädisponierten zu einer spezifischen Erkrankung. Eine solche Betrachtungsweise wäre bekanntermaßen nicht zielführend und würde der Komplexität der Thematik in keiner Weise gerecht. Dennoch sind Zusammenhänge zwischen Wesenszügen, Verhaltensmustern und Erkrankungen nicht von der Hand zu weisen. So kommt aus der neueren Psychokardiologie der Hinweis, dass ein persönliches Erleben, das überwiegend von negativen Emotionen (wie Schuldgefühlen und Ärger) gekennzeichnet ist, kardiale Erkrankungen ebenso negativ beeinflusst wie zum Beispiel eine Depression (Denollet u. Conraads, 2011). Hemmung in sozialen Beziehungen, etwa mit einer Häufigkeit von 25 Prozent in der deutschen Bevölkerung zu beobachten, wird als unabhängiger Risikofaktor für kardiale Erkrankungen diskutiert (Hausteiner, Klupsch, Emeny, Baumert u. Ladwig, 2010). Erhöhte Plasma-Homocystein-Spiegel werden bei älteren Männern durch psychosozialen Stress induziert (Wirtz, Kuebler, Semmler, Ehlert u. Linnebank, 2013). Zur arteriellen Hypertonie sei die Überlegung erlaubt, inwieweit dem Menschen, kulturspezifisch durch die Trennung von Geist und Körper und entwicklungsphysiologisch durch das so vordergründige bewusste Erleben, das sich über das Unbewusste erhebt, das Wahrnehmen erhöhten Innendrucks, beschleunigten Pulses und anderer vegetativer Veränderungen weitgehend verlorengegangen ist. Aus dieser Überlegung ergibt sich der durchaus konkrete und interessante Ansatz, Blutdruck und Herzfrequenz in einem Zusammenhang mit einem meist erst zu entwickelnden Gefühlserleben für innere Spannungszustände zu bringen und – auch unter Einsatz technischer Messmethoden im Sinne eines Biofeedback – eine Symbolisierung der Affekte, die mit erhöhtem Blutdruck und beschleunigtem Puls in Verbindung stehen, möglich zu machen. Weiter ist es unumgänglich, frühe Faktoren der seelischen Entwicklung zu erwägen, die dazu beitragen oder sogar dazu führen, dass nicht symbolisierte Spannungszustände zu einem Anstieg des Gefäßwiderstandes und somit des Blutdruckes führen, um eine ausreichend(e) psychosomatische Betrachtungsweise zu ermöglichen. Kaum ein Patient lässt keine innerseelischen Faktoren vorfinden, die seinen erhöhten Blutdruck bedingen oder bedingen könn-

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ten. Moderne Lebensumstände, die mit kompromissloser Beschleunigung und Forderung an das Individuum verknüpft sind, finden unzureichend Beachtung, bedingen aber die enorm hohe Anzahl an Blutdruckerkrankten. Bei der Untersuchung der Psychodynamik von an arterieller Hypertonie Erkrankten finden sich regelmäßig Affekte aggressiven Charakters, die nicht bewusst werden dürfen. Auch hier lassen sich Anteile eines Autonomie- und eines Individuationskonfliktes vorfinden, zudem hindert das Gefühl der Schuld die aggressiv getönten Affekte daran, ihren externalisierenden Weg zu nehmen. Freilich gibt es zudem Individuen, die durch einen enormen, Über-Ich-haften Druck gesteuert, »ständig unter Strom«, unter dem Primat ständiger Aktivität und ebenfalls von aggressiven Affekten getrieben, einen chronischen Hochdruck entwickeln. Die »Aggressionshemmung«, die sich häufig bei freundlich angepassten Individuen findet, die stets hilfs- und einsatzbereit scheinen, kann ebenso als spezifisch für erhöhten Blutdruck angesehen werden. Ein etwa 45-jähriger Beamter imponierte über die Jahre durch seine Geselligkeit, zu der er regelmäßig durch humorvolle Bemerkungen, besonders nach dem Genuss mehrerer Gläser Wein, in seiner Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung auffiel. Er zeigte zudem äußerst zuverlässiges Verhalten und arbeitete meist fünfzig bis sechzig Stunden in der Woche. Anlässlich einer abendlichen Betriebsfeier, zu der er sich auf der Hinfahrt noch Gedanken macht, wie er für seine Kollegen und Kolleginnen in einer kleinen Rede seine Dankbarkeit (sic!) zum Ausdruck bringen könnte, erleidet er einen Gedächtnisverlust und eine Anästhesie im Arm, und nur einem aufmerksamen Passanten ist es zu verdanken, dass ein Schlaganfall nach jahrelang erhöhtem, aber negiertem Bluthochdruck in einer Spezialambulanz rechtzeitig entdeckt wird.

Die koronare Herzerkrankung bedingt durch ihre progredienten, chronischen arteriosklerotischen Verengungen Verschlüsse der Herzkranzgefäße (Ischämien), somit Infarkte, Angina pectoris, Rhythmusstörungen und Herzinsuffizienz. Sie ist eine der häufigsten somatischen Erkrankungen, gerade im höheren Lebensalter überhaupt, der Erkrankungsgipfel bei Männern

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

liegt bei ca. 62 Jahren, bei Frauen bei ca. 72 Jahren (Herrmann-Lingen, 2008, S. 144). Neben den bekannten Risikofaktoren (insbesondere arterielle Hypertonie und Rauchen) wird dem Lebensstil der Betroffenen eine nicht unerhebliche Rolle zugeordnet. Über die Identifikation mit rauchenden Vorbildern hinaus dürften auch die orale Beruhigung und die psychotropen Effekte des Nikotins hier eine Rolle spielen, »Stress« (Herrmann-Lingen, 2008, S. 146), der unter anderem als Diskrepanz zwischen Kontrolle und Anforderung verstanden werden kann, führt wahrscheinlich über spezifische Mechanismen, die an den Gefäßinnenwänden zu beobachten sind, zu deren Schädigung mit allen Folgen. Zudem führen »maladaptive Persönlichkeitszüge« (Herrmann-Lingen, 2008, S. 146) wie die Disposition zu Unzufriedenheit und Ärger sowie Feindseligkeit zu einem erhöhten Risiko, koronar zu erkranken. Depressivität gilt seit einiger Zeit als Risikofaktor. Die psychodynamische Forschung bleibt auch hier weiterhin unspezifisch, Ermann (2004) und Siegrist (1980) weisen immerhin auf den Einfluss bedeutender Lebensereignisse wie des Erlebens von Verlusten (beispielsweise des Partners) hin. Eine häufige Erkrankung in der Praxis ist das Asthma bronchiale. Häufig finden sich bei diesem Erkrankungsbild, das subjektiv und in der internistischen Praxis als bedrohlich imponieren kann, eine immunologische Beteiligung, manchmal eine immunologische Ursache (vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Immunsystem, S. 161 ff.). Asthmaerkrankte zeigen zudem häufig auch Anteile einer Symptomatik allergischer Erkrankungen, beispielsweise ekzematöser Hauterkrankungen. Psychodynamisch finden sich immer ein Konflikt zwischen Nähe und Distanz, weiter schizoide Struktur- und Abwehranteile. Zentral ist, wie so häufig, eine gescheiterte Autonomieentwicklung und eine nachfolgende, gestörte Entwicklung der Individuation: Wenngleich Betroffene früh eine Art von Pseudoautonomie vom Objekt entwickeln mussten, sind die Wünsche nach Symbiose und Nähe doch verblieben. Der Vater vermochte dem Individuum hierbei nicht hilfreich zu sein, da er nicht mit dem Kind, manchmal aber mit sich selbst beschäftigt war. Der Atem, der nicht mehr aus der Lunge entlassen werden kann, mag das symbolisch ausdrücken, vielleicht sogar das unersättliche

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Bedürfnis nach Luft (als Ausdruck des, für das Leben so sehr ersehnten, zentralen Emotionalen?), das zum Erstickungsanfall (Bedürfnis nach Distanz zum so Ersehnten?) führt. Dass der für das menschliche Existieren zentrale Atemfluss betroffen ist, weist auf den frühen Konflikt hin.

Erkrankungen der Verdauungsorgane und der Mundhöhle Das psychodynamische Verstehen der Psychosomatik der Mundhöhle stellt sich heute noch unspezifisch und unscharf dar. Doering (persönliche Mitteilung im November 2009) bestätigt, dass die Psychosomatik in der Zahnheilkunde beispielsweise »sowohl von Psychosomatikern als auch von Zahnärzten immer noch vernachlässigt« werde, dabei kann auch hier auf die von Georg Groddeck (1933/2011, S. 78) ausgeführten Überlegungen, Zahnausfall stelle beispielsweise eine Form der Regression dar, hingewiesen werden. In psychodynamischen Therapien gelingt es meist, einen Zusammenhang zwischen einer orodentalen Problematik und der intrapsychischen Situation herzustellen, wenn die Bereitschaft des Therapeuten, für solches Verstehen offen zu sein und zu bleiben, gegeben ist. Eine junge, sonst zahngesunde 21-jährige Patientin, die in einem heftigen, andauernden Konflikt mit ihrer fordernden Mutter stand, verlor einen Backenzahn (eine Wurzelbehandlung (!) wurde erforderlich), nachdem sich die Mutter von ihr ab- und der Schwester zuwandte.

In ihrer Arbeit aus dem Jahr 2005 kommen Schneider und Leyendecker in einer Untersuchung, inwieweit paradontale Erkrankungen durch psychosoziale Belastungsfaktoren beeinflusst werden, in einer systematischen Literaturübersicht nicht nur zu dem Ergebnis, dass eine erhebliche Anzahl der vorliegenden Studien spezifische, methodische Mängel aufweise, sondern auch, dass deren Mehrzahl auf einen Zusammenhang zwischen unterschiedlichen psychosozialen Belastungsfaktoren und Auftreten bzw. Ausprägung gingivaler und parodontaler Erkrankungen hinweise. Wenngleich aufgrund der Studienlage ein Zusammenhang zwischen psychosozialem Stress als Ko-

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Faktor einer Parodontitis noch nicht vollständig erbracht sei, liege er doch nahe; vermutet werden als Krankheitsursachen stressinduzierte Verhaltensweisen wie vermehrtes Rauchen und schlechte Mundhygiene sowie eine erhöhte Adrenalinausschüttung, die insbesondere in der Kombination mit Nikotin zu lokaler Ischämie und verminderter Sauerstoffzufuhr führe und zu Veränderungen der Speichelzusammensetzung. Darüber hinaus werden stressinduzierte lokale immunologische Veränderungen beschrieben. Letztlich wird ein komplexes Zusammenspiel zwischen individueller Vulnerabilität, Plaque-Akkumulation durch schlechte Mundhygiene und somit verschlechterten lokalen Bedingungen angenommen. Die bisherige Kenntnis hierzu bleibt jedoch insgesamt im Unspezifischen und liefert kaum Verständnishinweise, als gesichert kann jedoch der Zusammenhang zwischen seelischen Belastungen, folgender Mundtrockenheit und Zahnfleischerkrankungen angesehen werden. Weiter liegt nahe, bei Erkrankungen der Mundhöhle an Konflikte der Trennung, der Autonomie zu denken (vgl. orale Entwicklungsphase), zudem an nicht erfüllte Wünsche und Bedürfnisse (also Gier, Wunsch nach Besitz etc.). In einem weit über 200 Seiten umfassenden Grundlagenwerk (»Psychosomatische Medizin und Psychologie für Zahnmediziner«) kommen Wolowski und Demmel (2010) in dem 79 Seiten umfassenden Überblick über »spezielle Krankheitsbilder« zu keinen oder nur wenigen psychodynamischen Schlussfolgerungen: »Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf Stress, genetische sowie frühkindliche Prägungen können zu einer vermehrten Stressanfälligkeit bzw. zu einer Stressunempfindlichkeit führen« (Wolowski u. Demmel, 2010, S. 139). Demmel gelangt (vgl. auch Lamprecht, zit. nach von Uexküll, 2010) im Rahmen der Überlegungen zur Bedeutung psychosomatischer Faktoren in der Zahnheilkunde zu der Schlussfolgerung, dass die Mundregion in einer frühen Entwicklungsphase des Menschen libidinös besetzt werde und dass eine regressive Antwort auf eine verunsichernde Situation auch im späteren Leben zu einer Reaktivierung des ursprünglichen Bedeutungsgehaltes führen könne (­Wolowski u. Demmel, 2010). Wieder wird der unspezifische, nicht genau definierte »Stress« für viele Erkrankungen im Bereich der Mundhöhle und der Zahnmedizin als ursächlich aufgeführt.

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Eine 39-jährige, ledige Arbeiterin (ein Sohn, jugendlich) wird in einer psychosomatischen Sprechstunde erstmals wegen fortgesetzter Zahnschmerzen vorstellig, die zahnärztlicherseits nicht mehr beherrschbar waren und seit nahezu 20 Monaten frustran behandelt worden waren. Sie berichtet über allerlei psychosoziale Belastungen, besonders durch die Erziehung des schwierigen jugendlichen Sohnes. Erst in der 40. Stunde einer in der Folge durchgeführten, modifizierten analytischen Behandlung vertraut sie sich ihrem Therapeuten an und berichtet, über Jahre ihrer Kindheit durch ihren Onkel regelmäßig sexuell missbraucht worden zu sein. Erst jetzt wird auch deutlich, wie der progrediente Verlust der meisten Backenzähne als somatisierter Hass auf das väterliche Objekt und das gleichzeitig nicht artikulierbare Bedürfnis nach emotionaler und auch oraler Versorgung zu verstehen ist. Gleichzeitig wird der Objektcharakter, den Zähne einnehmen können, deutlich.

Besonders Backenzähne scheinen nicht selten Introjekte, deren Erkrankung aber den unbewussten Konflikt mit dem Introjekt zu repräsentieren. Bekanntermaßen finden sich bei Erkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn häufig offene Abhängigkeitswünsche und bei Patienten mit einer Crohn’schen Erkrankung zudem nicht selten eine Pseudounabhängigkeit. Für an Morbus Crohn Erkrankte sei typisch, dass der Analytiker in der Gegenübertragung Langeweile erlebe, es entstehe der Eindruck fehlender Kommunikation. Die oftmals folgenden, zum Teil unnötigen operativen Eingriffe und die dadurch bedingte Traumatisierung des Körpers ließen sich in psychodynamischer Hinsicht als Autoaggression einordnen. Notwendig sei daher die Wahrnehmung der unbewussten Dynamik der Arzt-Patient-Interaktion, deren Unterschätzung könne eine Folge von nicht indizierten operativen Eingriffen nach sich ziehen. In der gemeinsamen interaktionellen Dynamik finden sich bei den Betroffenen Ambivalenzen, was die Abhängigkeit bzw. die Autonomie angeht: Affekte werden nicht geäußert, stark abgewehrt, die Verleugnung dominiert die Abwehr. An Colitis ulcerosa Erkrankte zeigen häufig strukturelle Störungsanteile, die auf eine Persönlichkeitsstruktur auf Borderline-Niveau

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hinweisen, darüber hinaus regredieren die Betroffenen langfristig und geraten in Positionen, die von Versorgung und chronischer Erkrankung skizziert werden. Ein psychodynamischer Schwerpunkt ist der konflikthafte, manchmal unmögliche Versuch der Ablösung von – oftmals »kalten« und kaum einfühlsamen – Objekten, insbesondere rigiden, fordernden mütterlichen Objekten. Jeder Konflikt mit dem Introjekt führt bei seiner Reaktualisierung zu einer Aktivierung des immunologischen Systems mit erneuten, manchmal fatalen Erkrankungsschüben (operative Entfernung von Teilen des Darms, analog dem Vorgehen bei M. Crohn), auch hier wird erneut deutlich, wie untrennbar das unbewusste Geschehen mit dem Funktionieren des immunologischen Systems verbunden ist. Das irritable Kolon (auch: Reizdarmsyndrom), typischerweise von ausgeprägten, äußerst schmerzhaften Verkrampfungen der Darmmuskulatur und abwechselnd von Obstipation und Diarrhoe begleitet – wohl eine der häufigsten Ursachen für eine Appendektomie in der Kindheit und Jugend –, ist häufig Ausdruck eines Autonomiekonfliktes. Objektverlustängste werden in Spasmen des Darms konvertiert. Die Symptomatik wird begleitet von Luftschlucken, Obstipation, Diarrhoe, Meteorismus, Übelkeit, Sodbrennen und anderem, der Wunsch, autonom zu werden steht in heftigem Konflikt mit den Versorgungsbedürfnissen, den regressiven Bedürfnissen. Die Erkrankten suchen nach Wärme, Zuwendung, Nähe und Versorgung, manchmal finden sich Anteile von Angststörungen und Dependenz, die Prognose ist in einer Psychotherapie günstig. Findet sich eine Symptomatik mit Beteiligung des Dickdarms und/oder des Enddarms, ist auch an eine anale Problematik zu denken, oftmals mit Wünschen nach Versorgung und Kontrolle kombiniert bzw. im Konflikt zwischen Versorgungs- und Kontrollwunsch. Bei einer metaanalytischen Auswertung von 46 Studien fanden Ford und Kollegen (2014) eine »deutliche Besserung« bei 56 Prozent der Betroffenen nach Durchführung einer psychodynamischen oder verhaltenstherapeutischen Psychotherapie; ähnlich wirksam zeigte sich eine antidepressive Medikation. Mit einer Prävalenz von 40 Prozent aller Betroffenen zeigten sexuell missbrauchte Patienten doppelt so häufig die Symptomatik eines Reizdarmsyndroms, wie es in der Normalbevölkerung vorzufinden war (Leroi et al., 1995).

Erkrankungen der Verdauungsorgane und der Mundhöhle 143

Eine Patientin berichtete von einer Kombination eines irritablen Kolons mit einer äußerst schmerzhaften Verhärtung der abdominalen Muskulatur, die als Abwehr der fordernden und einengenden Einflüsse des mütterlichen Objekts verstanden und dadurch gelöst werden konnten.

Eine der ursprünglich klassischen psychosomatischen Erkrankungen, das Magengeschwür, wird nach derzeit gängiger, internistischer Meinung durch das Bakterium Helicobacter pylori verursacht und heute ausschließlich somatisch verstanden, wenngleich auch nach »Eradikation« des genannten Bakteriums durch Antibiotikagabe (dies auch mehrfach) berichtet wird, dass nur ein Teil der Patienten von dem Bakterium und ihrem Leiden befreit sei (Malfertheiner, Bazzoli u. Delchier, 2011); gleichzeitig wird für diese Patienten als ultima ratio eine Vierfachtherapie mit Wismut durchgeführt. Kollbrunner (Malfertheiner et al., 2011, S. 220 f.) zitiert medizinische Studien, denen zufolge 60 Prozent aller Patienten Helicobacter pylori in ihrem Magen tragen, aber nur 2 Prozent der Patienten ein MagenDarm-Geschwür entwickeln. Darüber hinaus könne bei 30 bis 40 Prozent der betroffenen Patienten gar kein entsprechend virulentes Bakterium nachgewiesen werden, zudem senke die Anwendung von ­Placebos das Auftreten erneuter Magengeschwüre ebenfalls um 75 Prozent (vergleichbar mit der Anwendung von Antibiotika). Magengeschwüre sind nicht selten, meist finden sie sich bei Patienten, die schlank sind, nur wenig Nahrung zu sich nehmen, oft durch Unruhe imponieren und Nikotin konsumieren. Die Symptomatik imponiert durch langanhaltende Schmerzen im Magen, besonders bei Nahrungsaufnahme, die auch deshalb vermieden wird. Komplikatorisch treten – manchmal nicht ungefährliche – Blutungen auf. In der Psychodynamik finden sich immer Hinweise auf nicht lebund äußerbare, aggressive Affekte, »hinuntergeschluckten Ärger«, Enttäuschung und Wut bei Menschen, die selbst eher zu Zuverlässigkeit und Loyalität neigen. Die dem psychosomatischen Verstehen immanente Gefahr des monokausalen Verstehens (»alle Patienten mit Magengeschwür leiden an aggressiven, nicht bewussten Affekten«) mag nicht unerheblich zu einem Verlassen des Denkens des Ulcus ventriculi als klassische Psychosomatose beigetragen haben.

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Die hochspezifische, immer individuelle Komplexität, mit der intrapsychisch ein Organ oder ein Symptom, das einem spezifischen Organ(-system) zugeordnet wird, ausgewählt wird, wurde hierbei lange nicht (ausreichend) berücksichtigt. Eine andere, von der Medizin internistisch eingeordnete Erkrankung mit bisher kaum verstandenen psychogenen Anteilen, stellt der Diabetes mellitus Typ I (insulinpflichtiger Diabetes mellitus) dar. In retrospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass vermehrtes Vorkommen emotional belastender Lebensereignisse (Trennung der Eltern, schwere Erkrankung, Tod in der Familie etc.) in den ersten zwei Lebensjahren die Wahrscheinlichkeit des Kindes, an Diabetes mellitus Typ I zu erkranken, erhöht (Schubert u. Schüßler, 2009), weiter sei in einer Studie 2005 nachgewiesen worden, dass Kinder, deren Mütter in den ersten zweieinhalb Jahren geschieden wurden oder Gewalt ausgesetzt waren, spezifische Antikörper in Verbindung mit der diabetischen Erkrankung zeigten. Ein Zusammenhang zu einer depressiven Erkrankungen ist nicht selten zu beobachten. Tatsächlich entwickelte ein 15-jähriges Mädchen, Tochter einer Mutter mit einer schweren emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, unerwartet und rasch einen insulinpflichtigen Diabetes, nachdem die Mutter erneut und wiederholt stationär-psychiatrisch wegen akut aufgetretener Suizidalität betreut und behandelt werden musste.

2013 zeigten Lukaschek et al., dass eine posttraumatische Belastungsstörung mit dem Auftreten eines Diabetes Typ 2 assoziiert ist (in einer Studie mit 2.970 Patienten); sie vermuten, dass »chronic stress« entsprechende physiologische Mechanismen aktiviert, welche zur diabetischen Erkrankung führen. Zuletzt ein weiteres Beispiel für die mögliche Psychodynamik gastrointestinaler Symptomatik: Eine 35-jährige Mutter, die zu Beginn ihrer analytischen Psychotherapie nicht nur eine Unzahl an Magenspiegelungen hinter sich gebracht hatte, sondern auch eine vierjährige Leidenszeit, in der sie kaum mehr das Haus verlassen konnte und täglich sechs verschiedene »Magen-

Erkrankungen der Verdauungsorgane und der Mundhöhle 145

mittel« einnahm, erlitt jahrelang anfallsweise Übelkeit. Unternahm sie Versuche, das Haus zu verlassen, etwa um sich mit ihren Freundinnen zu treffen, zum »Shoppen« zu gehen, hielt die heftige Übelkeit über Stunden an und führte dazu, dass sie sich möglichst regungslos ins Bett legte, manchmal erbrach. Die Situation eskalierte wiederholt im Urlaub, als sie mit dem Rettungshubschrauber bei erneuter heftiger Übelkeit und unklarem Befinden im Brustkorb in ein Krankenhaus verbracht wurde, dort dann wieder weitgehend beschwerdefrei entlassen wurde. Bereits in den Probestunden einer analytischen Behandlung kam in ihr assoziativ ein Bild auf, in dem sie ihren Magen »wie einen Sack, unförmig, mit Dreck des Lebens gefüllt« erlebte. Ab diesem Zeitpunkt war die Konversionssymptomatik in dieser Form nicht mehr aufgetreten, allerdings begann jetzt eine ähnlich geartete Symptomatik immer dann einzusetzen, wenn das väterliche Introjekt verhindern wollte, dass sie Widerstände im Verstehen überwindet. Auf »geschickte« Weise (sic!) mutierte jetzt die Symptomatik, um immer wieder die alte, von den Primärobjekten introjektiv übernommene Dynamik zu gewährleisten. Schließlich nutzte das Psychische die Symptomatik auch, um sexuelle Impulse abzuwehren.

Eine Symptomatik, die analog dem eben Beschriebenen beinah immer als Konversionssymptomatik zu verstehen ist, ist das Erbrechen: Nahezu regelmäßig symbolisiert es den unbewussten Wunsch, sich eines belastenden, konflikthaft erlebten Objekts oder einer konflikthaft erlebten Situation oder Position entledigen zu können.38 Ein etwa 50-jähriger Angestellter konnte über Monate nachts nahezu nicht mehr zur Ruhe finden, da er kurz nach dem Einschlafen regelmäßig Würgereize erlebte und sodann erbrechen musste. In einer auf wenige Sitzungen begrenzten Intervention wurde deutlich, dass er die abwertende und geringschätzende Haltung seines Vorgesetzten nicht mehr ertragen wollte, ihm aber keine Möglichkeit, diesen Konflikt zu lösen, zur Verfügung stand.

38 Siehe hierzu auch die Ausführungen über das Erbrechen in der Schwangerschaft im Folgenden.

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Gynäkologische und urologische Erkrankungen Im Laufe ihres beruflichen Lebens werden sicherlich die allermeisten Therapeuten mit Fragestellungen aus dem Bereich gynäkologischer Störungsbilder und dazugehöriger Funktionsstörungen in Berührung kommen. Besonders die hormonellen Steuerungssysteme im menschlichen Körper unterliegen den enormen Einflussmöglichkeiten des Unbewussten, was angesichts der Tatsache, dass die hormonellen Funktionskreisläufe in einem festen Zusammenhang mit dem Nervensystem stehen, nicht verwundert. Das untrennbare Zusammenwirken der hormonellen Systeme mit dem Nervensystem und damit dem Psychischen dürfte dem Zusammenwirken des Immunsystems mit dem Psychischen ähnlich sein. Die Trennung zwischen hormonellem und immunologischem System scheint artifiziell. So ist beispielsweise zu vermuten, dass eine häufige (aber nicht jede) Ursache der Sterilität junger Ehepaare im Seelischen begründet ist (siehe auch die folgenden Ausführungen). Eiweißstoffe vermitteln in komplexen Funktionskreisläufen zwischen den verschiedenen Organsystemen (Nervensystem, Drüsen, Immunsystem), deren Komplexität noch nicht ganz verstanden ist. Nach heutigem Wissensstand kann zumindest theoretisch angenommen werden, dass nahezu alle Funktionsstörungen in hormonellen Kreisläufen auch von unbewussten seelischen Momenten beeinflusst sein können. So können psychosoziale Faktoren bei Kleinwüchsigkeit (von Uexküll, 2010, S. 948 ff.) ebenso eine Rolle spielen wie bei Sekretions- und Regulationsstörungen des Cortisolkreislaufes bei Diabetes insipidus, Immunerkrankungen der Schilddrüse und besonders bei Störung der Regelblutung. Sautter (1987, S. 48 ff.) wies bereits vor vielen Jahren darauf hin, dass beispielsweise Kinderlosigkeit je nach Literaturquelle in bis zu 50 Prozent als psychogen verursacht verstanden werden kann. Er führt Identitätskrisen (beispielsweise der Mutter im Konflikt mit beruflichen Optionen), Konflikte zwischen den Partnern oder mit Angehörigen, berufliche Überforderungssituationen, existentielle Sorgen und Angst vor Übernahme einer Verantwortung für ein Kind als Ursachen für Sterilität an. Wenngleich die wissenschaftliche Medizin seelische Ursachen für Sterilität heute nicht mehr annehmen mag, so zeigt doch die

Gynäkologische und urologische Erkrankungen147

Praxis, dass eine ganze Reihe der von dieser Problematik betroffenen Patientinnen mehr oder weniger spezifische Konfliktsituationen, zumindest aber partnerschaftlich oder psychosozial belastende Situationen aufweist und nach deren Bearbeitung doch schwanger wird. In der Praxis lassen sich indes häufig unbewusste Konflikte mit der Partnerwahl, fehlende Sicherheit in der Beziehung und auch Ängste, sich körperlich durch eine Schwangerschaft zu verändern, anfügen. Im Übrigen kann es auch geschehen, dass Paare, die sehr auf Verhütung achten, bei unbewussten Wünschen dependenter oder symbiotischer Art dennoch ein Kind zeugen, ohne es bewusst zu wollen. Beispielsweise nennt Kollbrunner (2010, S. 272) Besonderheiten bei Paaren, die an unerfülltem Kinderwunsch leiden: eine starke Bindung an die eigene Mutter, eine ambivalente Bindung zu beiden Eltern, Schwierigkeiten, eigene Gefühle zum Ausdruck zu bringen, und Tendenzen zur Konfliktvermeidung sowie in typischer Weise eine über die Jahre abnehmende Zufriedenheit mit der partnerschaftlichen Beziehung. Eine junge, beruflich erfolgreiche Frau im 34. Lebensjahr wendet sich an einen Therapeuten mit der Klage, nicht schwanger zu werden. Sie berichtet hierbei, sie habe sich seit ca. sechs Monaten in einen »richtigen Mann« verliebt, könne sich für diesen jedoch nicht entscheiden, da sie die warme, anlehnende (»kuschlige«), nichtsexuelle Seite einer Partnerschaft, die sie ganz überwiegend mit dem bisherigen Partner erleben könne, möglicherweise vermissen würde.

Vielfache Hinweise aus der Praxis lassen über das Geschilderte hinaus auch vermuten, dass unerfüllte Wünsche, selbst Kind sein zu können, sein zu dürfen, dazu beitragen, dass sich ein Kinderwunsch (noch) nicht erfüllen mag. Immer wieder fällt auf, dass Frauen, die zu früh erwachsen werden, gegebenenfalls parentifiziert wurden, selbst nicht inneren Raum für ein neues Lebewesen zur Verfügung stellen können. Andere gynäkologische Erkrankungen, beispielsweise maligne Erkrankungen der Frau, lassen in psychodynamischen Therapien nahezu immer Vermutungen zur Verursachung der Krankheit zu:

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Insbesondere bei an Mammakarzinomen erkrankten Frauen finden sich häufig eine unzureichende Autonomieentwicklung, eine Aggressionshemmung, weitreichende Beziehungskonflikte – oft mit dem mütterlichen Objekt, nicht selten mit dem Partner. Auch hier lässt nur die tiefe therapeutische Einlassung auf die spezifische Psychodynamik des Erkrankungsprozesses ein Verstehen der seelischen Hintergründe möglich werden. Frauen, die ein Selbstobjekt ihrer Mütter waren oder sind, die von ihren Müttern zur Stabilisierung des eigenen seelischen Binnenraums gebraucht wurden oder werden, haben früh gelernt, in ihrem Verhalten und Empfinden ihren Müttern gerecht werden zu müssen, und sind oft nicht in der Lage, eine ausreichende weibliche Identität zu entwickeln, ausreichend ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse, ihre Individualität zu leben. Mag hier auch ein Grund für psychogene Sterilität liegen, so finden sich diese Ursachen auch in anderen Erkrankungen aus dem gynäkologischen Formenkreis. Stets gilt es auch auf die Bedeutung des Vaters bei erkrankten Frauen zu achten: Sehr häufig wird eine gynäkologische Symptomatik deutlicher und besser verstehbar, wenn sie unter triangulären Gesichtspunkten betrachtet und nachempfunden werden kann. Fehlende Väter oder innerpsychisch unzureichend repräsentierte Väter bedingen eine ebenso unzureichende Triangulierung mit allen Folgen. Kinder, die nicht geboren werden können, mögen sich in Erkrankungen der Muskulatur der Gebärmutter zeigen. Beispielsweise konnte eine vierzigjährige Frau, die selbst zwei Kinder geboren hatte, keine weiteren Kinder gebären, wenngleich es in ihrer Phantasie noch drei Kinder gab, die sie gerne gewollt hätte. Der hintergründige Neid der eigenen Mutter verhinderte möglicherweise, dass sie diese Kinder gebar, und sie entwickelte drei Myome, die operativ (zusammen mit der Gebärmutter) entfernt werden mussten.

Unregelmäßigkeiten bei den Menses sind bei Frauen sehr häufig zu beobachten, und oftmals entsteht der Eindruck, dass unbewusstes Wollen eine Vorverlegung oder Verschiebung der Regelblutung bedingt. Letztlich könnte dieser seelische Mechanismus auch evolu-

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tionär von Bedeutung gewesen sein, Phasen der Fruchtbarkeit konnten somit gegebenenfalls besser genutzt werden oder Fruchtbarkeit vermieden werden. Zu vermuten ist, dass das Unbewusste Zyklus und Fruchtbarkeit steuert. Ein prämenstruelles Syndrom führt insbesondere in der zweiten Zyklushälfte, besonders aber in den Tagen vor den Menses bei einer Vielzahl von Frauen zu Symptomen, die sich am ehesten als Verstimmungen, Konzentrationsstörungen, Ungeduld, Reizbarkeit oder auch Depressivität beschreiben lassen, auch hier gilt es, ein besonderes Augenmerk auf die Partnerschaft, besonders die Identität und die Lebenssituation der jeweiligen Patientin zu legen. Weibliche Sexualität war bereits früh Gegenstand psychoanalytischer Überlegungen. Bereits 1925 veröffentlichte Helene Deutsch ihre Schrift »Psychoanalyse der weiblichen Sexualfunktionen« (Rohde u. Dorn, 2007, S. 9), Karen Horney referierte 1932 über Ursachen prämenstrueller Verstimmungen. In der psychoanalytischen Sichtweise gibt es kaum eine gynäkologische oder urologische Fragestellung, die nicht die Thematik des Unbewussten und der Sexualität trifft. Besondere Bedeutung hat die Betrachtung der Sexualität und sexuellen Entwicklung im Hinblick auf die Erkrankungen aus dem gynäkologischen Formenkreis inklusive der funktionellen Störungen (somatoforme Störung, somatoforme Schmerzstörung etc.). Eine Managerin, um die 50 Jahre alt, berichtet, sie habe seit zwei Jahren vaginale Schmerzen, die einen Geschlechtsverkehr nahezu unmöglich machen. Im Hintergrund wird nach wenigen Gesprächen deutlich, dass sie sich mit beruflichen Aufgaben, der Konfrontation mit einem anstrengenden, adoleszenten Sohn und der gleichzeitigen Pflege eines dementen Vaters erheblich überfordert hat, ihrem geliebten Partner aber Sexualität nicht verwehren will.

Bereits die Einnahme eines Kontrazeptivums durch eine Frau geht hormonell und seelisch bedingt mit einer veränderten Selbstwahrnehmung einher, zumal diese Präparate selbst Veränderungen des seelischen Erlebens (beispielsweise depressive Verstimmungen, Angstsyndrome etc.) auslösen können. Die enorme Freiheit, die die Einnahme der hormonellen Präparate für junge Frauen mit sich

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

gebracht hat, ist stets begleitet von einer bewussten oder unbewussten Auseinandersetzung mit der Familien- und Lebensplanung, oftmals mit Ängsten. Neigt sich die Phase der physiologischen Fruchtbarkeit dem Ende zu, stehen Frauen vor der großen Herausforderung, mit einer neuen Identität als nicht mehr gebärfähige Frau, verbunden mit spezifischen Rollenveränderungen, zurechtzukommen, letztlich mit der Frage, inwieweit es gelingt, das kommende Alter anzunehmen. Bei dem Verlust eines Kindes in der Schwangerschaft ist neben dem oft akuten Verlusterleben und der ausgeprägten Trauer auch mit dem Auftreten von Schuldgefühlen zu rechnen, die sich manchmal nach einiger Zeit in dem Wunsch zeigen, erneut ein Kind zu empfangen, um das verstorbene Kind zu ersetzen. Die Schuld persistiert oftmals unbewusst, übrigens gegebenenfalls auch im Partner: Interruptiones hinterlassen regelmäßig mehr oder weniger ausgeprägte, langfristige Schuldgefühle. In anders gelagerten Konfliktfällen wird eine Frau schwanger, jedoch führen nun die vorliegenden, unbewussten Konflikte zu einer ausgeprägten Symptomatik in der Schwangerschaft, wie beispielsweise ausgeprägter Übelkeit, anderen vielfältigen Beschwerdebildern oder vorzeitigem Einsetzen der Wehentätigkeit. Wie bereits über die gastrointestinalen Erkrankungen ausgeführt, kann auch ein Erbrechen in der Schwangerschaft als gut symbolisierte Symptomatik verstanden werden. Wochenlanges, schweres Erbrechen, gelegentlich auch mit Gedeihstörungen des Kindes verbunden, lässt sich oftmals in wenigen Sitzungen als durch die Gravidität aktualisierten Konflikt, beispielsweise in einer problematischen Partnerschaft, aber auch als unbewussten Konflikt mit dem Kind verstehen. Besonders Mütter, die mit den bereits in der Gravidität beginnenden Forderungen, die von dem bald zu gebärenden und zu versorgenden Kind ausgehen, konfrontiert werden, selbst aber die Erfüllungen ihrer Wünsche und Forderungen nicht erleben konnten, zeigen nicht selten eine Hyperemesis gravidarum. Hierbei ist der konfliktverschärfende Einfluss und die »freudige« Konzentration der Umwelt auf das zu erwartende Kind nicht zu unterschätzen, erhoffen und erwarten doch alle um die Mutter herum das Kind, die unbewussten Wünsche der Mutter aber verblei-

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ben im Rahmen gesellschaftlicher Konventionen in der Verdrängung, in der Konversion, denn was würden Großmütter und Tanten denn sagen, wenn die Mutter äußerte, dass sie keine Lust habe, ein Kind zu gebären oder zu versorgen, wo sie doch selbst nicht genug erhielt? Auch die Zeit nach der Entbindung lässt Raum für eine große Anzahl von unbewussten Konflikten, die sich in Stimmungsschwankungen oder Schwierigkeiten, das Kind zu versorgen, zeigen mögen, insbesondere wenn die Frau die Sicherheit, die sie nach der Geburt eines Kindes benötigt, beispielsweise durch ihren Partner, nicht erhalten kann. Auch spielen regelmäßig strukturelle Merkmale eine nicht un­erhebliche Rolle. Besonders mäßig oder geringgradig strukturierte Persönlichkeiten zeigen eine häufige Disposition für psychische Symptomatik oder für im Körperlichen erlebte gynäkologische Symptomatik. Auf die spezifischen Aspekte onkologischer Erkrankungen wird andernorts eingegangen. Oftmals wurde über den Verlust der weiblichen oder männlichen Identität mit einer Veränderung des Selbstwertgefühls, Auswirkungen auf die Partnerschaft, insbesondere auf die in der Partnerschaft nicht mehr in gewohnter Weise lebbare Sexualität berichtet. Dies mag bei beiden Partnern zu Verlustängsten führen, zu einem Rückzug aus der sexuellen Beziehung und einer Kompensation durch andere seelische Mechanismen. Gerade im gynäkologischen Bereich kann die Angst in der Folge somatisierend kompensiert werden, beispielsweise durch Schmerzsyndrome, Veränderungen der Atmung, der Sensibilität oder der Beziehungsfähigkeit. Die Ausführungen zur Gynäkologie lassen sich analog auch auf den urologisch erkrankten Mann übertragen, gerade was die Reaktion auf körperliche Erkrankungen (Prostataresektion und andere) angeht. Nicht nur bei onkologisch Erkrankten, sondern auch bei gesunden Männern und Frauen können sich unbewusste Konflikte im Sexuellen zeigen. Schwierigkeiten der Abgrenzung (Autonomie-Abhängigkeitskonflikte), andere Konflikte, beispielsweise ödipaler Art, oder auch strukturelle Störungsmerkmale manifestieren sich in einer Vielzahl von sexuellen Funktionsstörungen, bei Frauen besonders im Bereich des genitalen Erlebens und bei Männern durch Erektions-

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

störungen, Störungen beim Wasserlassen, Blasenentzündungen und andere. Bei Letzteren finden sich nahezu immer Selbstwertkonflikte, aggressive Affekte, die sich nur unzureichend Raum verschaffen können, sowie ein Bedürfnis nach Kontrolle. Potenzstörungen bei Männern finden sich auf der Basis narzisstischer Konfliktsituationen, besonders aber im Rahmen von Autonomieabhängigkeitskonflikten oder ödipalen Konfliktsituationen, nahezu immer bei ungeklärten Anteilen einer mütterlichen Objektbeziehung. Schwere oder schwere Belastungen des Lebens beeinflussen die sexuelle Potenz rasch und oft in subjektiv erheblich belastender Weise. Eine Ejaculatio praecox mag Ausdruck einer Angstsituation sein, häufig weist sie ebenso auf eine unzureichende Ablösung von der Mutter hin. Beziehungskonflikte finden häufig Ausdruck im Bereich des Unterbauchs. Parästhesien im Bereich der Prostata39 und des Beckens weisen auf derartige Konfliktlagen hin. Auf die vielfältigen psychoanalytischen Theoriegebilde, sexuelle Perversion, Transsexualität, Transvestitismus und Homosexualität betreffend wird hier nicht weiter eingegangen, diesbezüglich sei auf spezifische Fachliteratur verwiesen. Immer gilt es bei sexuellen Funktionsstörungen und Somatisierungen im urogenitalen und gynäkologischen Bereich auch die Entwicklung der sexuellen Identität durch Einschreibung des Unbewussten der Eltern in die Psyche des Kindes zu bedenken (vgl. hierzu neuere Forschungen, etwa von Quindeau, 2008a, 2008b).

Lebensmittelunverträglichkeiten Lebensmittelunverträglichkeiten sind Diagnosen, die ähnlich Zeitströmungen unterliegen wie manch anderes Gesundheitsphänomen. 39 In seinen streckenweise amüsanten, streckenweise ausgedehnten Ausführungen zu seinen Schmerzen im Genital- und Beckenbereich erzählt Tim Parks (2010) von seiner medizinischen Odyssee und wie er schließlich mit meditativer Technik seine Schmerzen verliert und ein neues Verstehen seines Körpers für ihn möglich wird.

Lebensmittelunverträglichkeiten153

So gab es auch Zeiten, in denen bevorzugt »Darmpilzerkrankungen« diagnostiziert wurden. Eine besonders »beliebte« Diagnose ist die Laktose-Intoleranz, die Erwachsene mit bevorzugter Hilfe eines Heilpraktikers bei sich »fest-stellen« (sic), meist Ausdruck eines irritablen Kolons mit einer typischerweise dazugehörigen Autonomieproblematik, gegebenenfalls begleitenden hypochondrischen Zügen und Anteilen narzisstischer Struktur, nicht selten einer Persönlichkeitsstörung. Oftmals werden in der Folge Apotheker und behandelnde Ärzte ersucht, keine laktosehaltigen Tabletten zu verschreiben, und die (vermeintlich) laktosehaltigen Nahrungsmittel werden gemieden. Eine ganze Industrie lebt von dieser Dynamik, die Symptomatik ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit, an medizinischen Erklärungsmodellen festzuhalten, um die menschentypische Abwehr gegen das Verstehen der Wahrheit aufrechterhalten zu können. Oftmals werden hierdurch ganze Lebensläufe beeinflusst oder erhebliche Veränderungen an den Lebensumständen vorgenommen, nur um der vermeintlichen »Allergie« oder Unverträglichkeit (die Begrifflichkeiten werden meist auch unscharf genutzt) gerecht zu werden, letztlich um im Unbewussten damit wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Wie Füssler (2011) ausführt, glauben ca. 20 Prozent der Deutschen, an einer Lebensmittelallergie zu leiden, nach gründlichen medizinischen Untersuchungen bleiben aber nur 2 Prozent mit realen Unverträglichkeiten (und diese sind psychodynamisch auch nicht verstanden). Die allermeisten Allergien (Füssler, 2011), die bei Säuglingen beobachtet werden, sind bis zum Schulbeginn nicht mehr nachweisbar (ca. 80 Prozent), allerdings besteht die Gefahr, dass unbewusste Konflikte der Eltern hier ein »Ventil« finden40. In diesem Zusammenhang, auch für Analytiker interessant, steht die Tatsache, dass Proteine oft eine allergische Symptomatik vortäuschen, aber tatsächlich keine Gefahr besteht. Viel Geld wird für sogenannte »Allergietests« ausgegeben, besonders im paramedizinischen Bereich. Wie Füssler weiter ausführt, liegt auch bei vielen »Allergikern« keine Allergie, sondern lediglich eine Sensibilisierung 40 Vgl. den Hinweis zur Häufigkeit von Mittelohrentzündung und Neurodermitis bei Kindern in Tagesstätten auf Seite 154.

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

vor, eine Vorstufe zur allergischen Reaktion, allerdings reagieren viele Betroffene in Tests mit Placebos dennoch subjektiv allergisch oder besser »allergiform«.

Infektionserkrankungen In vielen Studien konnte herausgearbeitet werden, dass eine erhöhte Stressbelastung auch eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber akuten und chronischen Viruserkrankungen bedingt. So konnte bei Prüfungsstress eine Verminderung der Aktivität der natürlichen Killerzellen im Immunsystem registriert werden sowie eine verringerte Fähigkeit der sogenannten T-Zellen, virusinfizierte Zellen zu zerstören. Interessanterweise ergab sich hierbei, dass chronischer Pflegestress mit ähnlichen Immundysregulationen verbunden ist wie akuter Prüfungsstress, darüber hinaus zeigte sich, dass bei pflegenden Personen über die Zeit latente Viren reaktiviert werden können. Weiter sei darauf hingewiesen, dass stets eine aktuelle, seelische Disposition über die Manifestation einer Infektionserkrankung und ebenso über deren Verlauf entscheidet. Jeder Psychoanalytiker weiß das Auftreten von Infekten in spezifischen Situationen der analytischen Behandlung zu verstehen und einzuordnen. Eine sichere Bindung und Beziehungen, die Sicherheit(en) ermöglichen, stabilisieren auch die Gesundheit kleiner Kinder. Beispielsweise erkranken Kinder, die eine Kindertagesstätte besuchen, bei höherem Betreuerschlüssel signifikant seltener an Mittelohrentzündungen und Neurodermitis (DIW, 2014).

Erkrankungen der Haut Nahezu alle Funktionsabläufe im Körperlichen werden durch das seelische Befinden beeinflusst und gesteuert, so auch eine Vielzahl von Erkrankungen und Funktionsstörungen des größten menschlichen Organs. Mehr als in der täglichen analytischen Praxis (auch dem Therapeuten) bewusst wird, spielen seelische Faktoren in der Mitverursachung oder Verursachung von Hauterkrankungen die entscheidende Rolle. So können Hauterkrankungen unterschieden werden,

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die einerseits seelisch, andererseits multifaktoriell bedingt sind, aber seelisch erheblich beeinflusst werden. (Eine weitere Kategorie wären seelische Befindensstörungen infolge einer reaktiven, exogen verursachten Hautkrankheit, nicht Inhalt der hier vorgelegten Überlegungen.) Seelische Störungen hinter Hauterkrankungen finden sich in der Allgemeinarztpraxis bei 28,7 Prozent, in der dermatologischen Praxis bei 25,2 Prozent aller Patienten (Harth u. Gieler, 2006), in manchen Untersuchungen liegen bei bis zu 60 Prozent der Patienten einer Hautarztpraxis seelische Störungen vor. Bei dermatologischen Patienten soll die Prävalenz psychosomatischer Störungen um bis zum Dreifachen erhöht sein (Harth u. Gieler, 2006). Dominieren bei jüngeren Patienten fettige Haut, Mitesser, Akneprobleme, nimmt mit dem Lebensalter die Beschäftigung mit den Veränderungen der Haut, wie beispielsweise Juckreiz, Kribbeln, Rötung und Alterungsprozessen zu. Zweifelfrei wird von den Patienten kosmetischen Aspekten die größte Bedeutung zugewiesen. Die Haut – auf die wertvolle Arbeit von Anzieu (1991) sei hierbei verwiesen – ist besonders eng mit der Entstehung des Seelischen verbunden, da sie es einhüllt (ebenso wie eine enge Verknüpfung des Immunsystems mit dem Seelischen im Sinne der Abwehr von Eindringendem in den Körper verbunden ist und ebenso wie die Haut mit dem Immunsystem untrennbar verbunden ist). Anzieu (1991, S. 131) vergleicht die Funktion der Haut mit dem Holding. Bei der Inklusion41 der seelischen Bereiche des entstehenden Ichs des Subjekts mit der Psyche des primären Objekts bekommt die Haut eine Funktion als Kontaktfläche zugewiesen und eine Funktion bei der Projektion, der Introjektion und der Spaltung. Das verinnerlichte Bild des Phallus, den Mutter und Vater besitzen, gibt der Haut Festigkeit und richtet schließlich das »Rückgrat« des Subjekts auf. Gelingt also die Introjektion des Bildes eines stützenden Objektes nicht, bleibt die Haut »schlaff«, das Ich quasi zerfließend, der innere Stützapparat labil. Als Beispiel nennt Anzieu (1991, S. 131) alkoholkranke Patienten, denen die innere »Festigkeit« fehle 41 Auch »inclusion mutuelle« – ein Begriff, den Sami-Ali (1974, zit. nach Anzieu, 1991, S. 132) eingeführt hat.

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und deren Haut dem Bild eines labilen Gebildes entspreche, welches mit Flüssigkeit gefüllt sei. Ebenso wie dieses unbewusste Phantasma ist die Funktion der Haut bei In- und Exkorporation, Introjektion und Projektion zu denken. Zwischen der Funktion der Haut, die den Körper umhüllt, und dem Haut-Ich, das das Seelische umhüllt, besteht nach Anzieu (1991, S. 135) eine Analogie, beides sind Strukturen, die das Triebhafte umhüllen und »containen«. Bei einer Schwäche dieser Containerfunktion kann Schmerz die Funktion des Containing übernehmen oder das Ich wird durchlässig. Bei der Pflege des Subjekts trägt das primäre Objekt dazu bei, dass die Haut libidinös besetzt wird, ein ebenso wichtiger Gedanke, wenn es um das Verstehen von dermatologischen Erkrankungen geht. Besonders Öffnungen des Körpers sind Loki, an denen sich das frühe Sexuelle besetzend fokussiert und als Grundlage für die weitere psychosexuelle Entwicklung bereitsteht. Anzieu (1991, S. 140) wirft bei seinen Überlegungen auch die Frage auf, inwieweit es nicht eine »negative Funktion des Haut-Ichs« gebe. Hier schließt sich die interessante Frage nach der Folge der Desobjektalisierung an und was diese für das Haut-Ich, für die Haut bedeutet, besonders wenn man an die untrennbare Verbindung zwischen Haut und Immunsystem denkt, gibt es doch eine ganze Reihe von dermatologischen Erkrankungen, die mit einer immunologisch bedingten Zerstörung der Haut einhergehen und klinisch-medizinisch kaum beherrschbar sind, möglicherweise Ausdruck des Todestriebhaften. Beispielsweise entwickelte eine etwa dreißigjährige, geistig mittelgradig behinderte junge Frau, ständig gefangen in einem starken Autonomiekonflikt mit ihrer Mutter – diese konnte sie nicht in die Autonomie entlassen, da sie anderenfalls von Schuldgefühlen gequält worden wäre – neben immer wieder auftretender Suizidalität und Depressivität auch psychotisches Gedankengut als Zeichen eines durchlässigen, desintegrierenden Haut-Ichs oder Ichs. Nach Jahren gesellte sich unerwartet eine schwere Blasenbildung an den Beinen hinzu, die dermatologisch als Fehlfunktion des Immunsystems interpretiert wurde, zu einer Ablösung und Abstoßung größerer Hautflächen führte und nur noch mit Immunsuppressiva und Corticoiden beherrschbar war.

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Ein Alltagsbeispiel, das auch bei Analytikern in der Regel wenig Aufmerksamkeit erregt, ist die Wundheilung – aber sie ist ebenso vom Unbewussten beeinflusst. So konnte bei Frauen, die mit dauerhafter Pflege von Alzheimer-Patienten belastet und beschäftigt waren (Schubert u. Schüßler, 2009), gezeigt werden, dass die Heilung einer 3,5 mm großen Stanzbiopsie am Unterarm bei den Pflegenden im Vergleich zu Kontrollpersonen rund 24 Prozent mehr Zeit zur Heilung in Anspruch nahm. Auch bei geringergradigen, nur kurz dauernden Belastungen, wie beispielsweise Prüfungssituationen oder Konflikten, konnte eine Wundheilungsstörung beobachtet werden, so führten beispielsweise auch eheliche Auseinandersetzungen zu verzögerter Wundheilung. Selbstverständlich besitzt auch das Haar eine unbewusste Symbolik im Psychischen; bereits Georg Groddeck (1933/2011, S. 78) ging davon aus, dass Haarausfall mit der Regression (»Kastrationsdarstellung und Geburtswunscherfüllung sind dabei stets beteiligt«) zusammenhänge. Dass der unregelmäßige, kreisrunde Haarausfall eine psychische Ursache hat, wird für jeden Therapeuten sofort bewusst, wenn er das rasche Auftreten und langsame Abklingen dieser Symptomatik bei einem Patienten jemals beobachten konnte. Wenn Menschen in psychisch nicht oder unzureichend zu bewältigenden Situationen in kürzester Zeit ihr Haupthaar oder die Körperbehaarung verlieren oder in wenigen Wochen ergrauen, so bedeutet dies auch immer einen Ausdruck des Unbewussten. (Mir ist ein Fall berichtet worden, bei dem eine junge Frau, nachdem sie einen nahen Angehörigen tot auffand, innerhalb von wenigen Stunden alle Haare verlor – sie konnte sie mit der Hand abstreifen.) Der lokale Verlust von Haar (Alopecia areata), die Qualität des Haares (eine noch junge Frau entwickelte in einer längeren, analytischen Psychotherapie sichtbar robusteres Haar, zuvor starker Haarausfall, der zunehmend persistierte) und der Umgang mit dem Haar, beispielsweise als Ausreißen der Haare zu beobachten, symbolisieren oft auch schweres, nicht verbalisiertes und nicht mentalisiertes Leid. Besonders emotional vernachlässigte Kinder neigen in späteren Jahren zu autoaggressivem Umgang mit ihrem Haar. Haar hat in all diesen Situationen vielfache symbolische Bedeutung. Das Ausreißen des Haares kann als regressives Handeln ver-

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standen werden, das Haar kann als Sensorium des Körpers, das misshandelt wird oder werden muss, aufgefasst werden. Ebenso kann Haar als Erweiterung, als Bestandteil und als Element der äußeren Hülle angenommen werden. Die Alopecia areata (meist kreisrunder Haarausfall) vermittelt sich ebenfalls über eine immunologische Störung und verweist meist auf eine konflikthafte Entwicklung der Individuation, einen Konflikt bei der Selbstbestimmung, auf unbewussten Machtverlust oder die Befürchtung eines solchen. Aggressive Affekte sind vorzufinden, die nicht verbalisiert und nicht anders externalisiert werden können. Der ästhetische Aspekt der Haartracht und der Umgang mit dieser weist häufig auf Konflikte im Selbstwerterleben. Die Veränderung des Haarschnitts zeigt Veränderungen der Identität, im Selbst oder im Erleben des Selbst an. Häufig wechseln Patienten in Therapien die Frisur als Ausdruck innerer Veränderungen. Bei Jugendlichen oder Adoleszenten sind daher auch häufige Änderungen der Haartracht zu beobachten, ebenso bei Erwachsenen mit unsicheren Anteilen innerer Identität. Hauterkrankungen, die in das Register der autoaggressiven Störungen, manchmal der Impulssteuerungsproblematik gehören, sind die Artefaktstörungen. Zu diesen gehören bewusst vorgetäuschte oder häufig sich selbst (auch unbewusst) zugefügte Verletzungen der Haut; typisch für diese Artefakte ist das Untypische (nach Harth u. Gieler), wie untypische Lokalisation, untypisches Aussehen, untypisches Einbringen von Fremdkörpern in die Haut etc. Ohne Zweifel findet man bei den meisten Patienten mit derartigen Störungsbildern die Diagnose einer schweren oder schwereren Persönlichkeitsstörung, wie emotional-instabile Persönlichkeitsstörungen, dependente oder narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Ganz anders verhält es sich bei der Abfuhr von Spannungszuständen, einer Symptomatik, die durchaus auch bei relativ gut strukturierten Persönlichkeiten zu beobachten ist, sie äußert sich beispielsweise in kleinen Selbstschädigungen der Haut (Lippen kauen, Wangenschleimhaut kauen, Nägel kauen, Hautstückchen des Nagelbetts abreißen etc.). Stets gilt es hier zu erwägen, inwieweit frühe Störungen der Beziehungen zu den primären Objekten, meist der Mutter-Kind-Beziehung, zu einer verminderten Fähigkeit, innere

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Spannungszustände zu regulieren, beigetragen haben und die Spannungsabfuhr nun in einem regressiven Modus erfolgt. Nicht ganz so häufig finden sich in der täglichen Praxis des Therapeuten dysmorphophobe Störungen, in der amerikanischen Bevölkerung soll etwa ein Prozent betroffen sein. Ursächlich ist eine Diskrepanz zwischen Idealselbst und Selbsterleben; Separations- und Abhängigkeitskonflikte spielen hinein. Weitere Erklärungsmodelle liefert die Bindungstheorie bei diesen Patienten. Nimmt die Beschäftigung mit dem am Körper vermuteten und erlebten Mangel ein zentraleres Erleben ein und erscheint das Erleben nicht mehr korrigierbar, ist an einen körperdysmorphen Wahn zu denken. Zu den körperdysmorphen Symptomen gehört auch das Gefühl bei Männern, der Penis sei zu klein (gehäuft bei afrikanischen Männern), beispielsweise wurden 1997 (Harth u. Gieler, 2006) weltweit 10.000 Operationen zu je 3.500 bis 9.500 Dollar und mit zum Teil hohen Komplikationsraten durchgeführt, um eine Penisvergrößerung zu erreichen. Das Pendant bei Frauen scheint das Klagen über zu große Schamlippen zu sein, auch hier werden häufig operative Eingriffe durchgeführt, nicht selten in dem Bedürfnis nach Regression. Die wohl häufigste und wichtigste Hauterkrankung, im Rahmen derer dem Psychischen auf der Hautoberfläche eine vielfältige Inszenierung gelingt und eine gewisse genetische Disposition sowie eine Funktionsstörung der humoralen und zellulären Immunität zu vermuten sind, ist die Neurodermitis. In der Dermatologie gilt sie nahezu als Modellerkrankung für die multifaktorielle Bedingtheit einer Hauterkrankung. In der Annahme, dass das sympathische Nervensystem in einem engen Kontakt zu bestimmten Immunzellen steht, die im Rahmen einer äußeren oder inneren Belastung des Organismus direkt aktiviert werden, findet man bei an Neurodermitis erkrankten Patienten erhöhte Neurotizismuswerte, erhöhte Erregbarkeit und Schwierigkeiten im Umgang mit Stress (dieser meist von den Autoren nicht spezifiziert), beispielsweise fanden sich bei vielen Neurodermitis-Patienten Verluste wichtiger Personen, geringe soziale Kontakte, Unzufriedenheiten in Beruf und Beziehung und andere vielfache Konflikte.

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Harth und Gieler (2006) berichten, dass nach dem großen Erdbeben 1995 im japanischen Kobe die Erkrankung bei 38 Prozent der befragten Neurodermitis-Patienten aus der Erdbebenregion erneut aufgeflammt war, darüber hinaus konnte man bei NeurodermitisPatienten durch Konfrontation mit persönlich belastenden Ereignissen aus der Vergangenheit auch Juckreiz hervorrufen, ebenso wie lebensverändernde Ereignisse hierzu in der Lage sind. Strukturell fanden sich bei den entsprechenden Patientengruppen Tendenzen zur Selbstunsicherheit; frühere Untersuchungen, denen zufolge eine abwehrende Mutter die Ursache für die Erkrankung sein soll, hatten sich nicht bestätigt. Hingegen konnten Ehlers und Kollegen (1994, zit. nach Harth u. Gieler, 2006) nachweisen, dass nonverbal und verbal ein negatives Kommunikationsmuster bei den Patienten mit einer Kontaktstörung nachweisbar ist, welches vermutlich die Lösung alltäglicher Probleme verhindert und hierdurch ein erhöhtes Erregungsniveau verursacht. In der täglichen Praxis finden sich Hinweise auf ausgeprägte Konflikte in den Bedürfnissen nach Nähe und Distanz: Werden Beziehungen zu »nahe«, reagiert die Haut abwehrend, entzündet sich, manchmal heftig. Weitere Erkrankungen, bei denen seelische Ursachen als wesentlich bedingend zu vermuten sind, sind nicht nur Erkrankungen der Jugend, wie die Akne, sondern auch insbesondere die Psoriasis, bei der häufig eine positive Korrelation zwischen der Schwere der Erkrankung und Belastungen nachgewiesen werden konnte, darüber hinaus fanden sich häufig Störungen im Selbstwerterleben, Abwehr von Minderwertigkeitsgefühlen, zudem Regressionswünsche und zwanghafte Charakterstrukturen. Möglicherweise werden hier symbiotische Wünsche abgewehrt und aggressive Impulse letztlich somatisch abgeführt – die Aggressionshemmung ist wohl typisch für Psoriasis-Patienten. Die Psoriasis ist ein klassisches Modell einer inflammatorischen, hyperproliferativen Hauterkrankung mit immunologischer Pathogenese, die durch äußere Belastungen verstärkt werden kann. Zu vermuten ist ein lokaler neuroimmunoendokriner Prozess, der durch zusammenhängende Strukturen von Haut, Gehirn und humoralen Substanzen bedingt wird. Bei Belastungen konnten bei der genannten Erkrankungs-

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gruppe signifikante Anstiege bestimmter Immunzytokine im Speichel gemessen werden. In einer analytischen Psychotherapie eines an einer langjährigen Psoriasis erkrankten 37-jährigen Mannes kam eine inflammatorische, schmerzhafte Gelenksymptomatik nach ca. 200 Stunden der Behandlung zur Ruhe, und die zu Beginn massive Hautsymptomatik (Rötung, Schuppung etc.) war nicht mehr nachweisbar.

Die Akne, unter der so viele Jugendliche mit Selbstwertproblematik so sehr leiden müssen, die ihre Identität als junge Frau oder als junger Mann noch nicht finden konnten, die die ersehnten, jetzt sexuellen Kontakte doch abwehren müssen, bessert sich immer mit einer Besserung des Selbstwerterlebens und mit einer Zunahme der Zuversicht, eine sexuelle Beziehung aufnehmen zu können. Herpes simplex, der im Übrigen durch starke UV-Einstrahlung oder Infekte reaktiviert werden kann, weist auf ein nicht anders zum Ausdruck zu bringendes Distanzbedürfnis hin. Freilich ist auch er Ausdruck von durch das Immunsystem exprimierten, unbewussten Affekten. In ähnlicher Weise symbolisiert der Juckreiz, dessen Auftreten in spezifischen Regionen der Körperoberfläche auch symbolische Bedeutung hat, das Bedürfnis, eine als bedrohlich erlebte Nähe abzuwehren. Nahezu alle Hauterkrankungen sind für den Psychoanalytiker von Bedeutung.

Immunologische Erkrankungen Das Immunsystem mit seiner naturgegebenen, nicht trennbaren Verbundenheit mit dem Seelischen – Zellen, die später das Immunsystem bilden, haben gemeinsame Vorläufer mit den Zellen, die das Nervensystem bilden – ist eines der wesentlichen und am meisten unterschätzten Organe, wenn es um somatisch symbolisierte und im Körperlichen inszenierte, seelische Konflikte und Entwicklungsdefizite geht. Bei sehr vielen somatischen Krankheiten findet sich ein immunologischer Erkrankungsanteil, der in jedem Fall einen seeli-

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

schen Anteil erwarten lässt, man denke nur an Infektionen, Wundheilung, Unverträglichkeiten, allergische Erkrankungen, neurologische, internistische und dermatologische Systemerkrankungen und viele andere. Das immunologische System des Körpers ist im Menschen als eigenständiges, rezeptives, regulierendes und im Normalfall schützendes Organ mit einer ungeheuer komplexen Vernetzung, etwa mit den hormonellen oder mit den neuronalen Strukturen zu verstehen. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf die langfristige Gesundheit des Menschen gehören bekanntermaßen die Bedingungen der Entwicklung in der Kindheit. In Schubert (2015) findet sich hier ein empfehlenswerter Überblick. Beispielsweise ist ein klarer, linearer Zusammenhang zwischen traumatischen Kindheitserfahrungen und späteren Erkrankungen der koronaren Gefäße, an Malignomen, an chronischen Lungenerkrankungen, an Frakturen und an Lebererkrankungen (Schubert, 2015, S. 119) anzunehmen. Bei all diesen Erkrankungen finden sich hierbei traumatisch modulierte Veränderungen des Immunsystems, die letztlich in die chronische Erkrankung des Erwachsenen führen. Weiter bestehen analoge Zusammenhänge für die rheumatoide Arthritis, die Fibromyalgie und den Diabetes mellitus vom Typ I. In neueren Untersuchungen fanden etwa Sawcer et al. (2011) eine große Anzahl von Genen, die mit der Entstehung der Multiplen Sklerose in Zusammenhang stehen und gleichzeitig eine grundlegende Rolle im Immunsystem spielen, sie steuern unter anderem die T-Zellaktivität und die der Interleukine; gleichzeitig sind zumindest ein Drittel dieser Gene auch bei anderen Autoimmunerkrankungen aktiv, wie beispielsweise Diabetes mellitus oder Morbus Crohn. Somit kann unterstellt werden, dass bei den verschiedenen Autoimmunerkrankungen die gleichen oder ähnlich gearteten, immunologischen Mechanismen eine Rolle spielen. Warum nun ein bestimmtes Organ(-system) gewählt wird, lässt sich durch die Fokussierung des Analytikers auf die frühen, impliziten Beziehungserfahrungen und Beziehungsqualitäten und deren Reinszenierung in der analytischen Situation auch für immunologische Erkrankungen aufdeckend beantworten, zumal sie nicht dem Dogma der Evidenz und des statistisch geführten Nachweises unterliegen.

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Eine ganze Reihe immunologisch bedingter oder mitbedingter körperlicher Erkrankungen mit erheblichen seelischen Anteilen an Verursachung, Auslösung sowie Krankheitsunterhalt werden in anderen Kapiteln beschrieben, da sie im medizinischen Klassifikationssystem dort eingeordnet werden. Für den Analytiker ist das Denken der unbewussten, seelischen Bedingungen in das immunologische Geschehen hinein wichtig: In der Gegenübertragung finden sich immer Hinweise für sehr frühe42, konflikthafte Affektanteile, internalisierte, konflikthafte Beziehungsmuster, die im Organischen ihren Ausdruck finden, und Hinweise auf die Spezifität der unbewussten Organwahl. Diese Erkrankungen sind beispielsweise die rheumatischen, eine ganze Reihe von Hauterkrankungen, wenn nicht die meisten, die Multiple Sklerose, der Diabetes mellitus, die Vielfalt allergischer Krankheiten, Erkrankungen der Augen, der Schilddrüse, des Darms und viele mehr. Seele und Immunsystem sind unzertrennlich. Keine immunologisch bedingte Erkrankung oder Erkrankung des Immunsystems ist ohne seelische Beteiligung. Das Immunsystem ist eines der komplexesten Organe im Menschen. Kollbrunner (2010) weist darauf hin, dass das adaptive Immunsystem des Menschen nicht nur über ein sogenanntes immunologisches Gedächtnis verfüge, sondern dass es flexibel in der Lage sei, seine Reaktionen »auf jene Körperstellen auszurichten, wo verstärkt Abwehrmaßnahmen erforderlich« seien (Kollbrunner, 2010, 42 Stressoren, die perinatal auf Säugling und Kleinkind einwirken, führen zu einer Verschiebung von Zellpopulationen im Immunsystem mit erheblichen Auswirkungen auf die Entzündungsreaktion und die Abwehr von Erregern. Darüber hinaus führen Stressoren auch zur Ausschüttung von Stresshormonen im kindlichen Gehirn, diese hemmen die Synaptogenese und beeinflussen die neurologischen Bahnen im limbischen System negativ in ihrer Entwicklung (Schore im Gespräch mit Eva Rass, 2007, in Rass, 2012, S. 34).   Auch hier zeigt sich, dass frühe seelische Belastungen langfristig für die Entwicklung des Immun- (und des zentralen Nerven-)systems erhebliche Folgen haben: Betroffene erkranken im späteren Lebensalter häufig an Infektionen, können Tumorzellen nicht in ausreichender Weise beseitigen, sind für Allergien und Wundheilungsstörungen anfällig, weisen aber auch chronische Entzündungen und hormonelle Auffälligkeiten sowie andere somatische Erkrankungen auf.

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S. 304). Das bedeutet auch, dass der Mut, sich auf die Gegenübertragung und die Entdeckung der eigentlichen Wahrheit der Erkrankung einzulassen, häufig in der psychoanalytischen Arbeit »belohnt« wird, indem die entsprechenden Krankheitsbilder verstanden werden können und somit oft in Prognose, Verlauf und Symptomatik veränderbar sind. Seien es nun allergische Krankheitsbilder, in denen die vermeintlichen Antigene Repräsentanten von Objektanteilen oder Objekten sind, sei es die Vielfalt der ekzematösen Erkrankungen der Haut, die nahezu immer in irgendeiner Form mit einem Wunsch nach Abgrenzung, Autonomie, eventuell Entwicklung eigener Identität zu tun haben, seien es die asthmatischen Erkrankungen oder solche der Schleim- und Bindehäute, stets lassen sich entsprechende, psychodynamische Hintergründe aufdecken, stets ist affektives Leben im Somatischen verborgen, weil das Affektive nicht ausreichend in reife(re), seelische Struktur integriert werden konnte. 1964 beschrieb George F. Solomon (zit. nach Schubert u. Schüßler, 2009) erstmals den Begriff »Psychoimmunologie«, langsam kam die Forschung diesbezüglich in den folgenden Jahren voran. Aktuell wird von einer sogenannten bidirektionalen Verbindung von Gehirn und Immunsystem ausgegangen, bekannt ist, ȤȤ dass Hormone das Immunsystem beeinflussen, die Immunfunktion konditionierbar ist, ȤȤ dass ein immuno-neuro-endokrines Netzwerk besteht, im Rahmen dessen Immunfaktoren neuroendokrine Aktivitäten triggern, ȤȤ dass Immunsystem und Gehirn eine »gemeinsame biochemische Sprache« benutzen, der Sympathikus bzw. das sympathisch innervierte Nervensystem das Immunsystem beeinflusst und innerviert und ȤȤ dass zytokine neuronale Vorgänge psychische Funktionen beeinflussen. Für parasympathische Nerven bestehen bidirektionale Verbindungen zum Immunsystem. Das als »sickness behavior« bezeichnete Erleben und Verhalten, das ein Organismus bei einer Infektion, beispielsweise einem grippalen Infekt, durchmacht, ist von neurovegetativen Symptomen wie

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Erschöpfung, Appetitverlust und Schlafstörungen sowie neuropsychiatrischen Beschwerden wie Traurigkeit, Interesselosigkeit und kognitiven Störungen begleitet (Solomon, 1964, zit. nach Schubert u. Schüßler, 2009) und dient als Verständnis der Wechselwirkung zwischen Hormon-, Immun- und Nervensystem. Entzündungsauslösende Zytokine können ein depressionsähnliches Erkrankungsbild hervorrufen, bis hin zu sozialem Rückzug, Appetitverlust und Schlafstörungen; bei der Freisetzung der Zytokine spielen Rezeptoren des Nervensystems eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus ist bekannt, dass Depression und Stress die Immunreaktion steigern und auch dämpfen können. Bei Autoimmunerkrankungen gehen Schubert und Schüßler (2009) davon aus, dass die sogenannten autoreaktiven T-Helferzellen zentral am immunologischen Entzündungsprozess beteiligt sind; Hormone wie Cortisol und andere dürften hier eine zusätzliche Rolle spielen. Länger bekannt ist bereits, dass Anpassungsleistungen an die jeweilige innere und äußere Lebenssituation, insbesondere an Belastungen, eine ständige neuroplastische Herausforderung an das psychoneuroimmunologische System darstellen. So zeigt sich bei einer ganzen Reihe von körperlichen Erkrankungen auch eine »lineare Abhängigkeit« vom Ausmaß früher, traumatisierender Ereignisse, wie beispielsweise bei der koronaren Herzerkrankung, bei karzinomatösen Erkrankungen, chronischen Lungenerkrankungen, Frakturen und Lebererkrankungen (Schubert, zit. nach Brisch, 2015, S. 83), weiter fanden sich bei früheren Belastungen in der Kindheit wie sozialer Benachteiligung, Misshandlungen, Isolation etc. »bereits im 32. Lebensjahr jene psychobiologischen Belastungsindikationen« (Schubert, zit. nach Brisch, 2015, S. 85), also beispielsweise eine beginnende inflammatorische Immunsituation und/oder metabolische Risikofaktoren, somit Hinweise auf spätere, schwere entzündliche Erkrankungen im höheren Lebensalter. Die hormonelle Achse zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde leistet eine lebenslange Anpassung an psychisch belastende Situationen und ist daher auch mit dem Risiko, schwere und schwerere entzündliche Erkrankungen zu entwickeln, verknüpft, gleichzeitig wird sie durch die ersten Lebensereignisse in ihrer Ausbildung geprägt.

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So ist bekannt, dass bei misshandelten Kindern mit auffälligem Bindungsstil eine besondere Vulnerabilität gegenüber Stressoren besteht, vermehrt konnten Cortisolerhöhungen gemessen werden (Schubert, zit. nach Brisch, 2015, S. 87). In späteren Lebensjahren bildet sich nicht selten ein hyperreagibles Stresssystem mit erhöhten Cortisolspiegeln aus, es findet sich bei den Erwachsenen sodann ein gestörter circadianer Rhythmus des Cortisolstoffwechsels. Bei sexuell missbrauchten Mädchen waren bereits im Alter von elf Jahren die morgendlichen Cortisolwerte erhöht, mit 18 Jahren jedoch erniedrigt, was für eine Herunterregelung des Stresssystems spricht. Misshandlungen in den ersten zehn Kindesjahren waren »20 Jahre später mit erhöhten Entzündungswerten assoziiert« (Schubert, zit. nach Brisch, 2015, S. 88), die Konzentrationen an CRP und Fibrinogen sowie die Anzahl der Leukozyten waren signifikant erhöht. Andere Untersuchungen zeigten, dass Stress nach der Geburt die Entwicklung allergischer Erkrankungen im späteren Lebensalter, insbesondere einer asthmatischen Erkrankung (Schubert, zit. nach Brisch, 2015, S. 91), begünstigt, hier fanden sich auch Veränderungen an der Rezeptordichte im Immunsystem. Schubert (zit. nach Brisch, 2015, S. 96) verweist diesbezüglich auch auf die »langfristig rekonstituive Wirkung einer Psychotherapie auf dysfunktionale Stresssysteme«; durch psychotherapeutische Behandlung könne eine »Heilung von stressassoziierten Erkrankungen« erreicht werden. Entscheidend scheint, dass »nicht nur psychische Faktoren endokrinologische und immunologische Reaktionen nach sich ziehen, sondern dass umgekehrt auch biochemische Aktivität Psychisches verändert« (S. 97). Kerstin Uvnäs-Moberg (zit. nach Brisch, 2015, S. 108 ff.) berichtet darüber hinaus, dass Oxytocin, das »soziale Hormon«, das mit der Kontrolle von Angst, mit sozialen Interaktionen, Gedächtnisbildung, Wohlbefinden, der Festlegung der Schmerzschwelle und anderen, zentralnervösen Funktionen in Verbindung gebracht wird, Stressreaktionen reduziert und zu angenehmen mentalen Erfahrungen führt, zumal es beispielsweise bei Haut-zu-Haut-Kontakt zwischen Mutter und Neugeborenem vermehrt freigesetzt wird.

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Nach vaginaler Entbindung liegen die Oxytocinserumwerte bei Kindern höher als bei Kindern, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen (Uvnäs-Moberg, zit. nach Brisch, 2015). In der Zeit nach der Geburt beeinflusst die Höhe des Oxytocinspiegels sodann die Qualität der Interaktion zwischen Mutter und Kind. Bindungsstörungen, die mit dem Hormon Oxytocin in Verbindung gebracht werden, führen in der Folge zu einem erhöhten Risiko, Schmerzsyndrome zu entwickeln43, etwa Fibromyalgie. Wiederholte Trennungssituationen und emotionaler Stress in der frühesten Kindheit führen zu basal erhöhten Cortisolspiegeln (Vuksanovic, zit. nach Brisch, 2015, S. 141). Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass die epigenetischen und die dabei kausalen neuroendokrinologischen Effekte auf die nächste Generation übertragen werden. Ändern sich jedoch Versorgungs- und Bindungsstil für den Säugling, sind die meisten Reaktionen reversibel. Vor geraumer Zeit gelang auch der Nachweis einer »fötalen Programmierung durch Gewalterfahrungen der Mutter in der Schwangerschaft« mit Veränderungen des Genmaterials (Vuksanovic, zit. nach Brisch, 2015, S. 142), was die Vorstellung über sogenannte genetische Ursachen einer ganzen Reihe psychischer Auffälligkeiten erheblich relativiert (beispielsweise bei ADHS). Vergleichbar mit der Fibromyalgie (bei dieser ist der somatisierte, aggressive Affekt nicht zu unterschätzen44) findet sich auch beim chronischen Müdigkeitssyndrom (und ähnlich gelagerten Krankheitsbildern wie dem Sick-Building-Syndrom, siehe hierzu auch die Ausführungen im Folgenden) eine Kombination verschiedenster Symptome (hier Adynamie, Schlafstörungen, Spannungskopfschmerzen, muskuloskelettäre Beschwerden etc.), denen Mediziner regelhaft hilflos gegenüberstehen. Betroffene zeigen zwanghafte, perfektionistische Anteile unbewussten Erlebens, aggressive Affekte »gefrieren« in der Muskulatur. Die Konzepte des Narzissmus von 43 Vgl. die Ausführungen unter »Muskuloskelettäre Erkrankungen und Schmerz«, S. 176 ff. 44 Bei 50 Prozent aller an Fibromyalgie erkrankter Patienten fanden Waller, Scheidt, Endorf und Hartmann (2013) eine ungelöste Bindungstraumatisierung.

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Green (2004) können hierbei hingegen hilfreich sein, um diese Symptomenkomplexe als Ausdruck einer schweren narzisstischen Störungsproblematik zu verstehen. Die rheumatische Erkrankung von Gelenken, die chronische Polyarthritis, weist häufig auf schwere, von verleugneten und abgespaltenen, aggressiven Affekten begleitete Konflikte hin, meist im Rahmen einer gescheiterten Autonomieentwicklung; die psychische Struktur der Betroffenen zeigt hierbei oftmals kontrollierende, zwanghafte Züge. Allergische Erkrankungen (allergisches Asthma, ekzematöse Dermatitis, allergischer Schnupfen, Nesselsucht etc.) sind durch eine Überproduktion bestimmter Zytokine charakterisiert, das Immunsystem bahnt hierbei durch spezifische Veränderungen die Entwicklung der allergischen oder asthmatischen Symptomatik. Darüber hinaus ist bekannt, dass äußere Belastungen und Depressivität mit erhöhter Anfälligkeit für atopische Dermatitis, allergische Rhinitis und Asthma einhergehen. Psychischer Stress der Mutter scheint auch dafür verantwortlich zu sein, dass in den ersten Jahren nach der Geburt bei einem Kind die Immunkörper der Klasse IgE ansteigen, beispielsweise zeigten Kinder in den ersten 14 Lebensmonaten wiederholte Anzeichen asthmatischer Beschwerden, wenn Eltern zwei bis drei Monate nach Geburt des Kindes vermehrt Belastungen ausgesetzt waren. Ein niedriger sozioökonomischer Status geht mit gehäuft auftretenden asthmatischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen einher, aktuell wird davon ausgegangen, dass Stress einen wichtigen Kofaktor bei antigeninduzierten Entzündungsvorgängen bei Asthma darstellt. Ähnliche Zusammenhänge wurden für atopische Hauterkrankungen festgestellt. Schubert und Schüßler (2009) führen zusammengefasst auf, dass die bisherigen Ergebnisse deutlich für einen Einfluss äußerer Belastungen bei allergischen und asthmatischen Erkrankungen sprächen, darüber hinaus, dass die immunologische Weichenstellung für die gezeigten Zusammenhänge bereits sehr früh im Leben erfolge. Bei der rheumatoiden Arthritis zeigte sich, dass Alltagsbelastungen mit erhöhter Krankheitsaktivität assoziiert sind, ebenso fan-

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den sich Zusammenhänge zwischen immunologischer Aktivität und Krankheitsaktivität bei verschiedenen Stressarten (Kältestress, Operationsstress, emotionaler Stress, Alltagsbelastungen). Hingegen führt Lachen zum Absinken spezifischer Serumparameter der rheumatoiden Arthritis. Eine Randgruppe der psychogen bedingten Erkrankungen des Immunsystems im weitesten Sinne stellen das Multiple Chemical Sensitivity-Syndrome sowie das Ökosyndrom dar. Bei der Vielfachen Chemikalienunverträglichkeit findet sich typischerweise eine Auslösung einer Vielzahl von Symptomen bei geringster Exposition, die Symptome manifestieren sich in einem oder mehreren Organsystemen, sind durch die üblichen medizinischen Untersuchungen nicht erklärbar und neigen zur Chronifizierung bei hohem Leidensdruck. Beim Ökosyndrom findet sich in ganz ähnlicher Weise die Überzeugung, an Umweltschadstoffen erkrankt zu sein, vergleichbar auch dem Sick-Building-Syndrom, hier werden Gerüche und Ausdünstungen aus Innenräumen oder Wänden von Gebäuden für Krankheitssymptome ursächlich erklärt. So entwickelte ein 43-jähriger Arzt die fixe Überzeugung, dass in seiner Praxis Pilzsporen aus den Wänden der Praxisräume entweichen würden und ihn in seiner Befindlichkeit erheblich störten, ihn vergifteten. Zunächst führte dies dazu, dass er begann, die Wände zu streichen, später die Möbel aus der Praxis zu entfernen, vermutete er doch schließlich auch Pilzsporen auf Holzmöbeln. Er besorgte sich einige wenige Möbel aus Metall, schließlich entwickelten sich auf der Basis seiner Wahrnehmungen auch Konflikte mit seinem Personal. Nachdem die Situation eskalierte, das Personal ihn verlassen hatte und die Praxis für ihn nicht mehr führbar war, begann er auch zu Hause die Wohnung auszuräumen und sämtliche Gegenstände, Möbel etc. zu beseitigen. Er wurde schließlich aufgrund seiner wahnhaft anmutenden Wahrnehmungen und Befindlichkeitsstörungen berentet, alle Behandlungsversuche scheiterten. Seine Prognose war infaust.

Elektrische Hypersensitivität lässt sich sicherlich in die Reihe dieser Erkrankungen eingliedern, fragile Strukturen in der Persönlichkeit und massive Widerstandsphänomene sind dafür typisch.

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Maligne Erkrankungen Eine maligne Erkrankung mit dem Versuch anzugehen, unbewusste Erkrankungsauslöser zu verstehen, ist gegen jede Zeitströmung. Frühere Versuche, bestimmte Persönlichkeitstypen bestimmten malignen Erkrankungen zuzuordnen, haben hierzu sicherlich beigetragen; im psychosomatischen Mainstream konzentriert man sich heute auf die Bewältigung dieser Erkrankungen. Die dem analytischen Verstehen immanente Gefahr besteht also in einer medizintypischen Kausalattribuierung von krankheitsauslösenden Situationen und Entwicklungen, was auch vielfältig zum Vorwurf gereichte. Hierbei kann nach dem aktuellen Wissensstand (Schubert, 2015) noch fundierter davon ausgegangen werden, dass bei der Entwicklung maligner Erkrankungen eine Vielzahl von Faktoren, aber eben auch die unbewusste, seelische Situation eine Rolle spielen. Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, an einem Malignom zu erkranken, bzw. die Wahrscheinlichkeit reduzieren, ein Malignom zu überleben, sind eine Persönlichkeit, die zu psychischer Belastung neigt, ein ungünstiges Verhalten beim Krankheitscoping, negative emotionale Reaktionen, schlechte Lebensqualität und zudem belastende Lebensereignisse an sich (Schubert, 2015, S. 90). Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass der Verlust eines Kindes bei den Eltern mit bis zu 1,5-facher Wahrscheinlichkeit zum Auftreten eines virusassoziierten Malignoms innerhalb der ersten fünf Jahre nach dem Tod des Kindes führen kann (S. 90). Initiales Ereignis bei der Entstehung eines Malignoms ist die Schädigung der Zell-DNA, diese erfolgt über eine erhöhte Aktivität der Hyphothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse oder des sympathischen Nervensystems und entzündliche Prozesse. Zudem ist die stressbedingte Verminderung der Killerzellen im Blut ebenfalls nachweislich ursächlich für die Entstehung maligner Prozesse (Schubert, 2015, S. 92). Nebenbei sei auf das interessante, noch unzureichend beforschte Phänomen hingewiesen, dass sich die Reaktion von Immunzellen konditionieren lässt, wie im Tierversuch gelungen – denkt man an Krankheitsschübe von Erkrankungen, die beim Menschen immer wieder auftreten (Psoriasis, MS etc.), so rückt die äußerst span-

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nende Frage, wie die unbewusste Situation mit dem erneuten Auftreten der Erkrankung nach spezifischer, abwehrender Bearbeitung in Zusammenhang steht, in den Vordergrund. Und warum bei so vielen Menschen maligne Tumoren über lange Zeit oder auf Dauer im Ruhezustand verbleiben, bei anderen aber nicht, lässt sich mit den psychischen Einflussfaktoren, nach allem was bisher aus der Forschung bekannt ist, am ehesten erklären. Eine 65-jährige Hausfrau und Mutter zweier Töchter entwickelte über die Jahre ein superfiziell spreitendes malignes Melanom, die häufigste Form dieser malignen Hauterkrankungen. Nur widerwillig unterzog sie sich auf Anraten ihres Hausarztes einer spezifischen dermatologischen Diagnostik, die das Anraten großzügiger Exzision des Tumors am Rücken nach sich zog. Die seit vielen Jahren unter einem ansprüchlichen, dominanten Ehemann leidende, innerlich aber immer nach Autonomie suchende Patientin weigerte sich standhaft, irgendwelche Eingriffe an sich vornehmen zu lassen, und gab hierzu ebenso standhaft an, dass ihr Leben eben – wie es ihrer religiösen Sichtweise der Dinge entsprach – gegebenenfalls zu Ende sei, falls der Tumor weiter wachse. Darüber hinaus war spürbar, dass sie in der Lage war, dem Tumor innerlich keine Bedeutung beizumessen, hingegen die Diagnose als Anlass nahm, eine seit langem geplante Niederschrift ihres schweren Lebens – sie musste während des Zweiten Weltkrieges unter Zurücklassung all ihres Besitzes fliehen – zu beginnen. Etwa 14 Monate nach Tumorerstdiagnose zeigte sich eine Rückbildung der Rötung und der Tumorausbreitung, die sich in den zwei Jahren danach fortsetzte. In diesem Zeitraum hatte die Niederschrift einen Umfang von ca. sechzig Seiten angenommen.

Nur wenige seriöse Versuche, über die Möglichkeiten seelischer Ursachen maligner Erkrankungen nachzudenken, wurden bisher unternommen, zumal bisher nur eine Betrachtung und ein Verstehen nach bereits eingetretener Erkrankung möglich ist und die katastrophale und existentiell vernichtende Bedeutung der Diagnose letztlich den assoziativen und psychoanalysetypischen Umgang mit diesen Erkrankungsbildern verhindert, ja manchmal verbietet. Inwieweit die Vehemenz, mit der eine entsprechende Diagnose existentiell in die Psyche einbricht, zusätzlich die Zuwendung zu

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anderen, die Krankheit verstehenden Zugangsweisen verhindert, muss kritisch offen gelassen werden, andererseits ist es erstaunlich, dass nicht wenige Betroffene selbst einen Zusammenhang zwischen Lebenssituation und Erkrankung herstellen, so eine noch relativ junge Frau, die ihre fatale, ausweglose eheliche Situation für ihren Brusttumor verantwortlich machte. So scheint es, dass Patienten hier manchmal in einer Weise intuitiv sein können, in der es der Medizin nicht möglich ist. Gleichzeitig muss klar sein, dass sich in solchen Phantasien häufig auch schwer konflikthafte, introjizierte Objektbeziehungen und Inszenierungen solcher maligner Objektbeziehungen verbergen und die Phantasie eines Therapeuten, eine maligne Erkrankung psychotherapeutisch »heilen« zu können, auch eine Größenphantasie darstellt, die Ursachenzuschreibung des Patienten für diesen jedoch eine Entlastung darstellt. Eine im zweiten Lebensmonat an eine Pflegefamilie abgegebene, 29-jährige Gymnasiallehrerin wird ab dem zehnten Lebensjahr von ihrer Tante adoptiert, die sie anstelle der Mutter annimmt. Das Kind wird zu einem narzisstischen Selbstobjekt der Tante, die sich mit ihm unbewusst schmückt. Während der Referendarzeit versucht die junge Frau erstmals, sich von der Adoptivmutter zu entfernen, indem sie sich an einen von der Heimat weiter entfernten Einsatzort versetzen lässt. Hier entwickelt sie ein irritables Kolon bzw. Unterbauchschmerzen, die über viele Monate anhalten und mehrfach durch stationär-diagnostische Maßnahmen abgeklärt werden, jeweils ohne somatischen Befund. In mehreren stationär-psychiatrischen und stationären psychotherapeutischen Aufenthalten und in einer analytischen Langzeittherapie gelingt es ihr nicht, die Autonomiebedürfnisse zu verwirklichen. Letztlich kehrt sie zu ihrer Adoptivmutter zurück, ununterbrochen begleitet von autoaggressiven Verhaltensmustern. In der Gegenübertragung entsteht über lange Zeit die Phantasie, die Patientin räche sich an der Adoptivmutter, indem sie sich langsam selbst zerstört. Tatsächlich wird sie im Rahmen schwerer dissoziativer Zustände in ein Akutklinikum eingeliefert, dort wird eine maligne Erkrankung sichtbar, die Patientin verstirbt kurze Zeit später.

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In einer von der medizinischen, insbesondere aber von der psychoanalytischen Fachwelt kaum bzw. nicht beachteten einzigartigen Publikation versuchten Heim und Schwarz (1998) erstmals, einen Überblick über Spontanremissionen in der Onkologie zu geben, einem Feld, das von der psychoanalytischen Forschung bisher vernachlässigt wurde. Beispielsweise werden hier 85 Fälle von Spontanremissionen bei Krebserkrankungen aufgeführt, zudem für den Zeitraum zwischen 1918 und 1993 einige hundert Fälle spontan remittierter, bösartiger Erkrankungen berichtet. Die beiden Autoren führen zu Recht auf, dass es sich hierbei um ein reichhaltiges Feld für Untersuchungen handle, lasse es doch die Möglichkeit zu, über psychologische Prozesse zu forschen und wichtige Erkenntnisse über die Selbstregulationsmechanismen des Körpers zu erlangen. Neben Berichten über 4.000 Geheilte in Lourdes (Theiß, zit. nach Heim u. Schwarz, 1998) finden sich dort Angaben über Wunderheilungen in den Kanonisationsprozessen der katholischen Kirche – gerade im Hinblick auf die unglaublichen und ungeheuerlichen Möglichkeiten der Seele, im Körperlichen ihren Ausdruck zu finden, und im Hinblick auf die enormen Selbstheilungskräfte des somatopsychischen Systems ein psychoanalytisches Faszinosum. Darüber hinaus wird auf eine Verlängerung der Überlebenszeit bei verschiedenen bösartigen Erkrankungen hingewiesen, wenn eine Kombination mit körperlichen Infekten gegeben war, auf Tumorremissionen nach Gabe fiebererzeugender Bakteriengifte sowie auf einen inversen Zusammenhang zwischen banalen Infekten und einem Erkrankungsrisiko für bösartige Erkrankungen (Abel, zit. nach Heim u. Schwarz, 1998). Weiter zitiert Kollbrunner (2011, S. 259) eine Studie, der zu entnehmen sei, dass »34 Patienten mit malignem Melanom, die nach chirurgischer Therapie an einer sechswöchigen Gruppentherapie« teilnahmen, »fünf bis sechs Jahre später deutlich weniger Rezidive und weniger Todesfälle (drei versus zehn) erlitten« hätten als die Patienten einer Kontrollgruppe. Der gleiche Autor weist darauf hin, dass der menschliche Körper in akuten Stresssituationen die Anzahl der »natürlichen Killerzellen« erhöhe (S. 260), bei chronischem Stress jedoch die Aktivität des Immunsystems beeinträchtigt

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sei, zudem wird an dieser Stelle auch auf die enorme Wichtigkeit »fürsorglicher Beziehungen« hingewiesen45. Schedlowski, Pawlak und Exton weisen (zit. nach Heim u. Schwarz, 1998) auf die engen Wechselwirkungen zwischen Nerven und Immunsystem hin (vgl. auch von Uexküll, 2010), besonders jedoch auf Beobachtungen, die zeigten, dass diese Wechselwirkungen auch dazu benutzt werden könnten, um gegebenenfalls Krankheitsverläufe zu beeinflussen. Hirshberg (zit. nach Heim u. Schwarz, 1998) berichtet über den Einfluss psychospiritueller Faktoren, hypnotischer, visualisierender, suggestibler und anderer Einflussfaktoren, der Wichtigkeit des Gefühls des Vertrauens und der Verbundenheit, des Glaubens. Schilder (zit. nach Heim u. Schwarz, 1998) beschreibt zudem einen Zusammenhang zwischen begleitenden psychosozialen Veränderungen parallel zu einer Besserung des klinischen Zustandsbildes bei Tumorerkrankten. Andere Autoren (u. a. Tilkorn und Kappauf, zit. nach Heim u. Schwarz, 1998) schildern Spontanremissionen bei Malignomen (s. dort: eigener Fallbericht des Autors). Entscheidend für den Psychoanalytiker scheint hierbei die Arbeit mit der Gegenübertragung und mit dem Containing: Gelingt es ihm, sich von der Angst, der Bedrohtheit und der Perspektivlosigkeit des betroffenen Patienten nicht erschüttern zu lassen und in Ruhe seine Arbeit zu verrichten, mag eine Wahrheitsfindung mit einer entsprechend positiven Wende für den betroffenen Patienten nicht ausschließbar sein. Gleichzeitig gilt es, die eigene Position mit den biologisch-medizinischen Realitäten in einen realistischen Abgleich zu bringen, nicht selten ein Dilemma. Weiter zeigen die aufgeführten, oftmals auch paramedizinischen Beispiele (Aufsuchen der Quellen in Lourdes und andere Formen der »Heilung«) zumindest, dass es gelingen kann, im Unbewussten Veränderungen vorzunehmen, die sodann die Veränderung eines maligne verlaufenden Prozesses in einem unklaren Umfang möglich machen können. Ob hierbei eine seriöse Indikation für ein psychodynamisches Verfahren bei einem an einem Malignom Erkrankten, gefunden werden kann, ist sicher45 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Immunsystem unter »Immunologische Erkrankungen«, S. 161 ff.

Maligne Erkrankungen175

lich eine der schwierigsten Entscheidungen in der Praxis und letztlich wissenschaftlich im analytischen Berufsfeld noch nicht bearbeitet. Wie kaum eine andere Diagnose erschüttert die Botschaft, an einer malignen Erkrankung zu leiden, die seelische Existenz eines Menschen bis ins tiefste Innere. Weder tröstende Worte von Freunden, ein enges soziales Netz, noch die Tatsache, dass eine Großzahl der Tumorerkrankungen heute kurativ behandelt werden kann, lassen die tiefsitzende Todesangst, durch die medizinische Botschaft ausgelöst, kompensieren. Die Tatsache, dass die Medizin maligne Erkrankungen kategorisieren, erfassen, verstehen und damit therapeutisch zugänglich machen konnte, bedingte auch, dass ihr infaustes Wesen – lange konnten maligne Erkrankungen so gut wie nicht behandelt werden – thematisiert und öffentlich wurde und vom Menschen in seiner tiefen Angst vor Tod und Sterben wahrgenommen und verinnerlicht wurde. So gelingt es nur selten, die Diagnose einer malignen Erkrankung für sich zu relativieren, sie in ihrer Bedeutung zu verstehen und die Angst zu mildern, hingegen führt die Diagnose oft zu Perspektivlosigkeit, Resignation, weiterer, fortgesetzter Angst und einer Hilflosigkeit, die durch die, für den Laien nicht verstehbare, medizinische Maschinerie noch verstärkt wird. Auch an dieser Stelle sei noch einmal an die von Aisenstein und Smadja (2010) berichteten Untersuchungen der Pariser Psychosomatischen Schule (s. »Modelle psychosomatischen Erkranktseins«, S. 54 ff.) hingewiesen, denen zufolge ein klarer Zusammenhang zwischen seelischer Struktur und dem Auftreten maligner Erkrankungen untersucht werden konnte. Zusammengefasst kann also festgehalten werden, dass eine hilfreiche, psychotherapeutische Begleitung im Fall einer malignen Erkrankung ausnahmslos als sinnvoll anzusehen ist und eine Besserung der Prognose verspricht. Inwieweit jedoch ein weiteres Vorgehen zur Bearbeitung der Psychodynamik einer malignen Erkrankung sinnvoll ist, gerechtfertigt werden kann und mit der implizierten Verantwortlichkeit einem Patienten angeboten werden kann, ist vom Therapeuten im Einzelfall zu entscheiden; in jedem Fall sind die medizinischen Optionen weitestgehend zu nutzen. Dass in länger dauernden analytischen Prozessen ein Einfluss auf den Verlauf einer malignen Erkrankung genommen werden kann, ist jedoch als nach-

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gewiesen anzusehen, ebenso wie die Tatsache, dass seelische Faktoren gefunden werden können, die sich mit einer Dynamik des malignen Geschehens oftmals in Einklang bringen lassen. Wünschenswert wäre, wenn psychodynamische Untersuchungen, wie sie beispielsweise in Frankreich durchgeführt werden, auch in Deutschland fortgesetzt würden.

Erkrankungen des Blutbildes und der blutbildenden Organe Eine junge Ingenieurin mit einer emotional instabilen Persönlichkeitsstruktur bleibt bis zu Beginn einer analytischen Therapie im 27. Lebensjahr das manipulierte und narzisstisch genutzte Objekt ihrer Eltern. Jede Form von Autonomie und Aggression bzw. Gegenwehr gegen die Kontrolle und Dominanz der elterlichen Objekte bleibt vergeblich. Seit dem siebten Lebensjahr bis zum Beginn der Therapie findet sich eine pathologische Erniedrigung der Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen46. Nach ca. 140 Stunden der Langzeittherapie wird beiläufig ein erneutes Blutbild erstellt, die Anzahl der Leukozyten hat sich normalisiert, retrospektiv in einem Maße, wie das Zulassen der Existenz einer eigenen, psychischen Realität und Identität in der Patientin, ebenso wie das Bewusstsein inneren Widerstandes gegen die elterlichen Objekte und die Bearbeitung erheblicher Schuldgefühle, möglich werden konnte.

Gelegentlich sind andere Beispiele erfahrbar, in denen Menschen, die in schwere, existentiell erlebte Lebenskrisen geraten, maligne Erkrankungen des blutbildenden Systems erleiden. Nach schwerer Sepsis können als Langzeitfolge unter anderem seelische Störungen, die einer Traumatisierung vergleichbar sind, auftreten (Wintermann et al., 2013).

Muskuloskelettäre Erkrankungen und Schmerz Der Pionier der Psychosomatik, Georg Groddeck, berichtete bereits vor beinahe hundert Jahren, dass ihn »denn […] die Erfahrung auch 46 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Immunsystem.

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gelehrt« habe (Groddeck, 1933/2011, S. 194), »dass in den Erkrankungen des Kniegelenks sich massenhaft verdrängtes Material« äußere, »dass in ihnen sich allgemein menschliche und persönliche Lebensvorgänge verdichten«. Er führt hierzu Themen wie »Impotenz und Kastration, der Betonung des Männlichen, Weiblichen und Kindlichen, des Väterlichen und Mütterlichen, der Erektion und der Erschlaffung« (S. 194) auf – nur ein wenig mehr Spezifität würde man sich von ihm hier wünschen. Am 30.11.2010 veröffentlichen die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Ärztekammern und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland die »Nationale Versorgungsleitlinie zum Kreuzschmerz« (Bundesärztekammer u. Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2010), hierbei wird für »Schmerzen länger als 4 Wochen trotz leitliniengerechter Maßnahmen« geraten, »psychosoziale Risikofaktoren« zu erfassen; therapeutisch empfehle sich die sogenannte Progressive Muskelrelaxation, die »Patientenedukation« und eine »Rückenschule auf biosozialem Ansatz« (2010), ebenso wie die »Kognitive Verhaltenstherapie«. Zudem wird noch angeraten, bei Vorliegen des »Verdachts auf psychosoziale Belastungen« Psychotherapeuten »zur weiteren Diagnostik und Behandlung« zu konsultieren, wenn der Schmerz zwei Wochen andauere (so als wenn Schmerzen, die nur 13 Tage dauerten, keinen »psychosozialen« Hintergrund hätten, ganz abgesehen vom kurzdauernden »Hexenschuss«). Weiter unspezifisch bleiben die Ausführungen zu den sogenannten »chronischen Kreuzschmerzen« (2010), die dadurch charakterisiert seien, dass »die Untersuchungen auch nach 12 Wochen ohne spezifischen Befund« bleiben, hier wird dann »kontinuierliche Aufklärung und Motivation zu einer gesunden Lebensführung, die regelmäßige körperliche Aktivität einschließt«, angeraten und es bleibt zu fragen, wie ein Mensch, der beispielsweise schon seit Jahren am Erreichen seiner Ich-Ideale scheitert und seine Konflikte mit Verspannungen der Muskulatur seiner Wirbelsäule somatisiert, zu einer »gesunden« Lebensführung geraten soll. Der Rückenschmerz verursacht derzeit Kosten von 8,4 Milliarden Euro im Jahr in Deutschland, die Kosten für Berentung und Arbeitsunfähigkeit sind hier noch nicht berücksichtigt. Spezifische,

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psychodynamische Muster und unbewusste Konflikte werden hierbei unzureichend oder nicht betrachtet. Eine ganze Reihe von Untersuchungen zeigte, dass radiologische Befunde an der Wirbelsäule in keiner Weise mit den subjektiv erlebten Beschwerden übereinstimmen47, Kollbrunner (2010, S. 207) vermutet, dass »die Indikation zu vielen Rückenoperationen zwar auf einer radiologisch festgestellten Normabweichung« basiere, »diese mit den Schmerzen aber vermutlich gar nichts zu tun« hätten. Konservativ und operativ behandelte Rückenpatienten zeigten nach Jahren das gleiche Ergebnis, dies hänge damit zusammen, »dass vorgefallenes Bandscheibenmaterial vom Immunsystem als Fremdkörper erkannt und enzymatisch aufgelöst« werde (Kollbrunner, 2010, S. 207). Heinl und Heinl (2011) berichten beispielsweise von einem 62-jährigen Mann mit schweren Rückenschmerzen ohne Besserung nach vierwöchiger intensiver orthopädischer und physikalischer Therapie und stellen einen Zusammenhang »mit den 25 Jahre zurückliegenden traumatischen Leiberfahrungen von Hunger, Kälte und existenzieller Bedrohung« her, »die dieser Mann in drei Jahren sibirischer Gefangenschaft erlitten hatte« (Heinl u. Heinl, 2011, S. 27). An anderer Stelle (Heinl u. Heinl, 2011, S. 35) berichten die beiden Autoren, dass eine 50-jährige Patientin mit starken Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich nach Bewusstmachung ihres Zorns eine Erleichterung erfahren habe. In einfühlsamer Weise werden an wieder anderen Stellen muskuläre Verhärtungen schmerzhafter Art als Ambivalenzkonflikt verstanden, Halswirbelsäulensyndrome als Ausdruck einer nicht verarbeiteten verzögerten Trauerreaktion, Hüftschmerz beispielsweise als »Signal tiefer Verlassenheitsängste« (Heinl u. Heinl, 2011, S. 48).

In gleicher Art weisen die beiden Autoren darauf hin, dass körperliche Bewegungsmuster »durch die Dimension der psychischen Dynamik zu einem Austragungsort für konflikthafte, widersprüchliche, 47 Das Gesagte gilt im Übrigen auch für die fehlende Korrelation zwischen objektivierbarem Verschleiß an Gelenken (radiologisch) und den subjektiven Beschwerden (Dieppe u. Lohmander, 2005).

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überschießende oder gehemmt gelähmte, kurzum für alle Formen an emotionalen Impulsen« (Heinl u. Heinl, 2011, S. 160) werden können. Bleibe der »zugrunde liegende seelische Konflikt bzw. das Trauma unbewusst«, so werde »auch dessen Widerspiegelung in einem Bewegungsmuster unbewusst bleiben« (Heinl u. Heinl, 2011, S. 160). Und weiter: In der psychosomatischen Orthopädie finde sich ein »Facettenreichtum an Phänomenen, die sich nicht in das Raster des klassisch mechanistischen Denkmodells einfügen lassen, weil ihre ursächlichen Wurzeln tief in den Bereich seelischen Erlebens und seiner Probleme reichen, seien sie individualpsychologischer, interaktioneller, familiärer, soziokultureller oder religiöser Genese« (S. 165). Der Stütz- und Bewegungsapparat des Menschen sei ein Ausdrucksorgan der Befindlichkeit, »seiner biographischen Prägung und seiner Beziehung zum Du, zum Wir und zu seiner Lebenswelt« (S. 165) und, hält man sich erneut vor Augen, dass primärer Ausdruck der Affekte und Emotionen im Leben die Motorik ist, wird leicht verstehbar, wie rasch auf eine Somatisierung zurückgegriffen werden kann bzw. eine Desomatisierung möglicherweise gar nicht stattgefunden hat. Fibromyalgie ist eine jener diffusen Diagnosen – vergleichbar mit dem Einsatz der Diagnose ADHS bei Kindern –, die häufig von psychisch schwerer Erkrankten und allzumeist persönlichkeitsgestörten Patienten utilitaristisch und appellativ berichtet wird, ein Erkrankungsbild aus einer ganzen Reihe von Symptomen, das Schmerzen am skelettären Apparat (Knochen, Bänder, Sehnen, Gelenke, Muskulatur etc.) mit vegetativer Symptomatik, Adynamie und Schmerzsymptomatik vereint. Von der Rheumatologie »in Beschlag genommen«, finden sich bei diesen Patienten ausgeprägte Widerstandsphänomene, die ein aufdeckendes Vorgehen oft äußerst schwierig machen und die häufigen Arztbesuche der Betroffenen (und die erheblichen wirtschaftlichen Folgen für das Gesundheitssystem) erklären lassen. Aus psychoanalytischer Sicht zeigen sich nahezu immer Hinweise auf Aggression, die – so könnte man es in einer Metapher ausdrücken – im Muskulären erstarrt ist (nicht umsonst spricht man in anderen Zusammenhängen zum Beispiel von einer »frozen shoulder«). Aggressive Affekte finden in einem präödipalen, subsymbolischen Modus im Somatischen, in der Muskulatur ihren Ausdruck, führen

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zu chronischen Schmerzsyndromen, zu Gelenk- und Schäden des Stütz- und anderen Bewegungsapparates. Nicht zu unterschätzen ist hierbei die unbewusste, stets an die Umgebung appellierende, bindungssuchende Bedeutung gehäufter, oftmals langandauernder Schilderung und Äußerung von Schmerz. McWilliams (zit. nach Brisch, 2015) berichtet, dass Menschen mit gestörten Bindungsmustern maladaptiv auf Schmerzen reagieren, zudem zeigt er einen positiven Zusammenhang zwischen bindungsbezogener Angst und Schmerzkatastrophisierung auf (S. 200). Hier findet sich erneut eine Brücke zum Immunsystem, weiter führt anhaltender körperlicher Stress »vor allem zu Veränderungen im Bereich der Amygdalakerne sowie den Kerngebieten im Hirnstamm«, zudem löst »anhaltender psychischer Stress« […] »Schädigungen im Bereich des Hippocampus, der verschiedenen Bereiche des Praefrontalcortex sowie des vorderen Gyrus cinguli und ebenfalls der Amygdalakerne« aus (Egle, zit. nach Brisch, 2015, S. 241 f.). Diese Stressreaktionen werden unter anderem durch erhöhte Cortisolspiegel im Blut ausgelöst. Von Bedeutung ist hierbei, dass emotionale Vernachlässigung auch zu Störungen der Affektregulation führt und letztlich eine Entstehung von Schmerzsyndromen begünstigt. Menschen mit Bindungsstörungserfahrungen erleben zudem Schmerz intensiver und bedrohlicher, es besteht die Möglichkeit, dass das Schmerzerleben die Abwehr leichter und dauerhaft überwindet und in das Zentrum des inneren Erlebens gerät.

Sport und Psyche Zu Beginn seines Lebens stehen dem Menschen für die Äußerung aller Affekte und Bedürfnisse nur die Möglichkeiten primärer motorischer Expression (als Reaktionen des muskulären, des Gefäßsystems, des vegetativen Systems) zur Verfügung, nur langsam erhalten vokalisierende Äußerungen symbolischen Charakter, die frühen Lautäußerungen sind als subsymbolisch und (noch) motorisch zu verstehen. Beim Säugling finden sich zu Beginn keine Strukturen, die eine Affektäußerung und die Äußerung von Bedürfnissen in sekundärer Form zuließen, da eine Symbolisierung oder Integration in

Sport und Psyche181

symbolisierende Strukturen noch nicht möglich ist. Diese gelingt erst, wenn motorische, mimische oder dann stimmliche Äußerungen symbolhaften Charakter erhalten (können). So sind motorische Impulse zunächst die einzige Möglichkeit, Affekte zum Ausdruck zu bringen und auch zu einer affektiven Abfuhr zu gelangen. Zu Beginn seines Lebens ist der Mensch noch das evolutionäre Tier, dessen Weg er in seiner Ontogenese nachvollzieht (man denke an die Embryonalentwicklung, die zeitweise in organischer Hinsicht tierischen Formationen ähnelt), und gelingt eine ausreichende Symbolisierung und Regulation der Affekte nicht, bleibt das Agieren der einzige Weg, eine Abfuhr der unerträglichen Affekte zu erreichen. Die Verbindung zwischen der Motorik, also der Muskulatur, und den weitgehend nicht bewussten oder nicht bewusstseinsfähigen Affekten bzw. Affektanteilen bleibt ein Leben lang erhalten, ebenso wie die symbolisierte Form, die Motorik annehmen kann und annimmt (etwa im Schreiben). Je jünger der Mensch, desto mehr äußert er sich noch motorisch und lässt sich an seiner Motorik das affektive und emotionale Erleben »ablesen«. Je älter der Mensch wird, desto mehr reduziert sich diese Ausdrucksform, findet andere, manchmal sublimiertere (Kunst, Kreativität, Kultur etc.), wechselt eher die Symbolkategorie. Im hohen Alter, in der Demenz, stehen die primären, motorischen Motor-Affekt-Einheiten für die affektiven Äußerungen wieder mehr im Vordergrund des Verhaltens (wie die Aggression bei Demenz). Stets aber ist Körpermotorik, ob nun vermeintlich bewusst oder unreflektiert herbeigeführt48, Ausdruck der nahezu vollständig unbewussten inneren Situation. Entscheidend ist, inwieweit es dem Individuum möglich war, in und mittels der Beziehung zu den primären Objekten eine Integration motorischer Impulse im Sinne der Alpha-Elemente Bions (2006) zu erreichen. Umgekehrt kann motorische Aktivität gezielt eingesetzt werden, um Affekte zu beruhigen, um Unruhe- und Angstzustände abzu48 Es gibt inzwischen hinreichend Ergebnisse der psychologischen Forschung, die keinen Zweifel daran lassen können, dass gezieltes Handeln im Inneren bereits beschlossen und geplant festgelegt ist, noch bevor es bewusstseinsfähig wird, eine interessante Tatsache, die in der Diskussion um den freien Willen des Menschen eine nicht unerhebliche Bedeutung erhalten hat.

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mildern oder um – günstigenfalls – einen angenehmen, seelischkörperlichen Zustand zu erreichen. Dies gelingt am ehesten Individuen, die ein hohes Maß an Symbolisierungsfähigkeit ihrer Affekte in ihrer Entwicklung erreicht haben und kaum auf die Möglichkeit, Affekte agieren zu müssen, zurückgreifen müssen. So haben Sport und sportliches Agieren zwei Seiten: Zum einen ermöglichen sie wenigstens zum Teil eine Abfuhr von Konfliktenergie, Spannungszuständen, Ängsten (»Weglaufen«) und stellen ein stabileres, angstfreieres Gleichgewicht her, führen beim »Gesunden« zu subjektivem Wohlbefinden und einem angenehmen Körpererleben, zum anderen können sie aber auch zu einem Agieren andersartig nicht kompensier- oder beruhigbarer innerer Konflikt- und Spannungszustände werden. Sie werden dann quasi für die Psyche in symptomatischer Form instrumentalisiert und nehmen in einigen Fällen einen süchtigen Charakter an, fügen somit dem Körper Schaden zu (man denke an die Überforderung des Körpers im Leistungssport, durch hormonelle oder chemische Manipulation, Gelenkschäden, »sudden death« bei Überanstrengung etc.). In solchen Fällen können Menschen, die vielleicht durch eine auffällig sportliche Karriere imponieren, auf die Bewegung nicht mehr verzichten; beispielsweise werden dependente Symptomatik, narzisstische Leere oder schwere, depressive Symptomatik kompensiert. Kann aus irgendwelchen Gründen – weil der Körper es nicht mehr toleriert – das sportliche Agieren nicht fortgesetzt werden, kommt es zu ausgeprägter Symptomatik, oft depressiver oder Angstsymptomatik. Bei deutschen Nachwuchsleistungssportlern fanden Giel und Kollegen (2013) in 21,6 Prozent der untersuchten Sportler Hinweise auf das Vorliegen einer Essstörung. Geringgradig strukturierte oder desintegriert strukturierte Persönlichkeiten lassen sich zeitweise oder über längere Dauer durch sportliches Agieren stabilisieren49, an dem oft maniformen Charakter des motorischen Agierens lässt sich dies gelegentlich erkennen. Green hat auf die Bedeutung solchen Verhaltens mehrfach in seinen Arbeiten über den Narzissmus hingewiesen, auch in jenen über die 49 Vgl. auch die Methodik des Trainierens motorischer »skills« bei BorderlineSymptomatik.

Sport und Psyche183

»tote Mutter«, in denen deutlich wurde, dass der frühe emotionale Verlust der Mutter (die freilich weiter das Kind versorgt) als emotionales Objekt zu einer Leere führt, die durch intellektuelles Agieren, motorisches Agieren oder andere Mechanismen beruhigt und kompensiert werden muss (Green, 2004). Oftmals wird, weit über das motorische Agieren hinaus, der Körper auch in seiner Morphologie manipuliert, wie eine Maschine »optimiert«, meist durch Manipulation des Körpergewichts. Die Bedürfnisse nach körperlicher Bewegung sind bei Menschen sehr unterschiedlich, dabei immer auch von psychodynamischer Bedeutung. Mannigfaltig sind die unbewussten Beweggründe, sich zu bewegen, sich in besonderer Form zu bewegen, sich nicht zu bewegen – so vielfältig, so mannigfaltig, wie Kleidung, Interessen, Hobbys, das äußere Gestalten des eigenen Körpers und vieles anderes. Um dies zu verstehen, ist eine psychoanalytisch-psychodynamische Herangehensweise erforderlich, anderenfalls gelingt ein Auffinden der Ursachen der motorischen Auffälligkeiten womöglich nicht. Immer hat die motorische Aktivität unserer Patienten eine besondere, spezifisch-individuelle Bedeutung. Einen Sonderfall stellen Kinder mit einer Hyperaktivitätssymptomatik (s. auch Ausführungen zu ADHS, S. 120) dar und ebenso die entsprechenden Erwachsenen, deren ADHS-Diagnose in den letzten Jahren noch weiter ausgearbeitet wird und die bei genauer Betrachtung oftmals angezweifelt werden muss. Werden die motorischen Symptome nicht in ihrer biographischen und psychodynamischen Bedeutung verstanden, wird man den Betroffenen nicht gerecht werden können. Übrigens sind auch Erkrankungen, die mit Antriebslosigkeit, Müdigkeit und einer Unfähigkeit, sich motorisch zu bewegen, hier zu berücksichtigen. Ein Beispiel hierfür ist das CFS (Chronic Fatigue Syndrome). Für die – nach wie vor unspezifische – Diagnose dieses Erschöpfungssyndroms werden als diagnostische Minimalkriterien eine länger andauernde Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Schmerzen in Gelenken und in der Muskulatur sowie die Schwierigkeit, sich anzustrengen, gefordert, hierbei gibt es Überschneidungen mit anderen, zum Teil unverstandenen Syndromen, etwa der Fibromyalgie oder der Problematik der chemischen Sensitivität und immunologischer Syndromatik.

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So zeigte eine – im Übrigen völlig therapieresistente – circa 60-jährige Ingenieurin die Symptome chronischer Müdigkeit und Erschöpfung, die sie auf den Austritt chemischer Substanzen aus den Wänden ihrer Wohnung zurückführte. Strukturell fanden sich Hinweise auf eine nur schwach integrierte Persönlichkeitsstruktur, zudem eine zwanghafte Abwehr, die jedes psychodynamische Intervenieren und Verstehen von Beginn an ablehnte.

Bei all diesen Erkrankungsbildern finden sich Anteile früher Aggression, regressive und auch narzisstische Anteile, zudem nicht selten Anteile einer Zwangsstörung. Abschließend der Hinweis, dass dem modernen Menschen in den Industrienationen zunehmend das Gefühl für das Körperliche und Leibliche verlorengeht, so beispielsweise auch das Gefühl der Freude an Bewegung. Insbesondere ist aber das Gefühl für die körperlich-seelische Einheit und das gegenseitige Bedingen körperlichen und seelischen Erlebens oft zu vermissen. Allzu häufig wird mit dem Körper mechanisch verfahren (anhand von Trainingsplänen zum Beispiel) und nicht nach einem inneren Bedürfnis gehandelt. Die von Affekten getragenen Energien des Individuums werden für überflüssige Kommunikation (E-Mails, SMS etc.), Überanstrengung und Überforderung (Überstunden, Sonderaufgaben etc.) benötigt. Sie stehen einem lustvollen Umgang mit dem Körper (und übrigens auch mit der Sexualität) nicht mehr zur Verfügung, Momente der lustvollen, sogar konstruktiven Langeweile und Momente der Muße gibt es kaum mehr.

Autoaggressiver Umgang mit dem Körper, Autoerotismus und bad habits50 Die Rede soll hier nicht nur von der Autoaggression sein, wie sie typischerweise bei emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen, 50 Dieser wohl am ehesten als »schlechte Angewohnheiten« übersetzbare Begriff weist möglicherweise auf die Hilflosigkeit der Eltern und der Medizin im Umgang mit dieser Symptomatik hin. Letztlich sollte es auch die Psychosomatik sein, die sich dieses Themas annimmt.

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bei Depression oder Suizidalität zu beobachten ist, sondern vielmehr und vor allem von den (manchmal auch) verdeckten Formen der Aggressivität im Umgang mit dem Körper, die es zu entdecken und zu verstehen gilt; keineswegs kann der kurze Anriss der Thematik vollständig sein. Der Körper wird hier – und das ist das Differenzierungskriterium zum psychosomatisch und konversionsneurotisch Erkrankten –, wenn er emotional nicht »bewohnt« werden kann oder nach schwerer Traumatisierung ein »Auszug« stattfand (Dissoziation und Spaltung) wie ein Gegenüber, ein (äußeres) Objekt erlebt. Er wird wie dieses äußere Objekt dann auch behandelt, mit ihm wird agiert, die Qualität des Objektsurrogats lässt sich dabei oftmals auf spezifische frühe Mutter-Kind-Dyaden zurückführen. Die resultierende Körper-Selbst-Dissoziation dient der Abwehr und Kompensation der Desintegration des Gesamtselbst, der Abwehr einer Fragmentierung des Selbst. Der Körper erhält hierbei beispielsweise die Funktion des begleitenden Mutterobjekts, einem Übergangsobjekt vergleichbar, dessen Anwesenheit lebensnotwendig ist, gleichzeitig als feindlich verfolgendes beherrscht werden soll. Die Beherrschung des Körpers vermeidet Überwältigung durch symbiotische Verschmelzung und Selbstauflösung, ist in der Hypochondrie und zur Abwehr der aggressiven Impulse wichtig, ebenso in der Abgrenzung gegen die Symbiose bei den Essstörungen. Letztlich hat der Körper also auch eine Funktion als triangulierendes Objekt und Übergangsobjekt51. Das völlig abgespaltene Umgehen mit dem eigenen Körper bei Münchhausen-Syndromen oder anderen, artifiziellen Erkrankungen stellt höchst pathologische und frustrane Versuche der Triangulierung dar und kann als Metapher, wie mit dem Kind durch die Introjekte umgegangen wurde, verstanden werden. Über das Auffassen als

51 Als Beispiele wären hier zu nennen: Selbstmutilation, Trichotillomanie, Zungenpraktiken, Agieren mit den Fingern, psychogener Schmerz, Anorexie, Bulimie, Fetischismus und andere. Auch die Mundhöhle, das eigene Blut, der Geruch verschiedener Körperteile oder Urin und Stuhl können die Qualität eines Übergangsobjektes behalten. So ist Blut ein stets verfügbares, warmes (!) Objekt, das Manipulieren der Haut und Hautanhangsgebilde kann Spannungen abführen und beruhigen.

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inszenierte, agierte Objektbeziehung, die traumatisierend erfahren wurde, ist jedoch ein erstes Verstehen möglich. Artefakte können Simulation, Selbstbeschädigung, Selbstverstümmelung, Algodystrophie der Extremitäten durch Strangulation, Klopfödem der Hand, Fieberartefakte, Blutbildungsstörungen, artifizielle, also selbst beigebrachte oder verursachte Infektionen, artifizielle Hautläsionen, Hautemphyseme, artifizielle Blutungen, Aderlässe, Hypoglykämien, Hypothyreosen durch Hormoneinnahme und viele mehr sein. Oft sind die Patienten hierbei mit der Reaktionsweise ihres Körpers intim vertraut, in medizinischen Berufen und Bereichen beschäftigt, sodass ihnen Muster der Identifikation ausreichend zur Verfügung stehen. In der Vorgeschichte finden sich nicht nur Schilderungen hoch akuter Krankheitszustände, eine unglaubliche Toleranz für alle Formen von Eingriffen und Untersuchungen, eine Entwertung der Ärzte, abrupte Beziehungsabbrüche (nicht selten weisen Patienten mit solchen Krankheitsbildern im Verlauf weit mehr als hundert Krankenhausaufenthalte und viele Hundert Arztbesuche auf), sondern auch ausreichend Hinweise auf eine chaotische Kindheit, wiederkehrende Elemente von Beziehungsabbrüchen zu den Primärobjekten, lange psychische und körperliche Erkrankungen der Eltern, Erkrankung der Patienten selbst mit Hospitalisierung, Waisenhauserziehung, wechselnde Pflegestellen und vieles mehr. Dissozialität, Delinquenz, Sucht, Inzest, Kindesmisshandlung und anderes destruktives Agieren begleiten das Leben der Betroffenen, häufig fallen sie auch durch vermehrtes Verunfallen auf, das zum Teil auch emotionslos oder heiter berichtet wird52. Immer geht es hierbei um die Abwehr infantiler, abhängiger Persönlichkeitsmerkmale, sichtbar auch in süchtigem Verhalten als Alternative zur

52 Eine Patientin, eine Grundschullehrerin, alleinstehend, circa 60-jährig (an einer emotional instabilen Struktur mit ausgeprägt narzisstischen Zügen leidend), berichtete beispielsweise, wie sie in einem Urlaub auf einer Insel von einem Fahrzeug erfasst wurde, reanimiert und operiert werden musste und den Drang habe, wieder auf dieser Insel Urlaub zu machen, in einer Weise, die nahelegte, dass sie (unbewusst) eine Wiederholung der Situation herbeiführen wollte.

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Selbstmanipulation, hier finden sich Analogien zwischen Sucht und Selbstbeschädigung53. Bei Störungen des Umgangs mit der eigenen Haut waren die Patienten als Kinder für psychisch kranke Mütter häufig Selbstobjekte, wurden für die psychische Stabilität der Mutter gebraucht, benutzt, übernahmen frühzeitig die Erwachsenenfunktion für insuffiziente Mütter. Sie unterlagen einer Parentifizierung, häufig zum Trost der Mutter, waren Stütze für die Mutter, Sinngebung für die Mutter in deren Leben. Auch hier finden sich Parallelen zu den »toten« Müttern, die Green (2004) beschrieb. In anderen Fällen finden sich schwere Realtraumata, manifest inzestuöse Beziehungen mit Vätern, Stiefvätern, Onkeln und Brüdern oder Vergewaltigungen. Die überwiegend weiblichen Patienten ergreifen – wie aufgeführt – meist helfende Berufe (Erzieherin, Kindergärtnerin, Kinderkrankenschwester, Krankenschwester, Ärztin), die eine unbewusste Integration der aggressiven und kontrollierenden Bedürfnisse ermöglichen sollen. Hier sei wieder auf Groddeck hingewiesen, der bereits früh beobachtete (1933/2011, S. 77), dass »verstümmelnde Operationen, besonders der Finger und Zehen, vom Unbewussten als bildliche Vorführungen der Kastration benützt werden«, hieraus sei zu schlussfolgern, dass »das die Operation begründende Leiden vom Unbewussten zum Zweck des Operationsmimus herbeigeführt« werde (S. 77). Imponiert ein Patient bei der obligat vor jeder Therapie zu erhebenden, somatischen Anamnese durch gehäufte medizinische und/oder chirurgische Eingriffe, ist an solche Mechanismen zu denken. Bemerkenswert auch der Blick auf kreative, künstlerisch tätige Menschen, die nicht nur häufig traumatisiert sind, sondern mit Traumatisierten auch gemein haben, dass eine überdurchschnittliche Empathiefähigkeit, eine Schwächung bzw. erhöhte Durchlässigkeit der Ich-Grenzen bzw. Selbstobjektgrenzen, eine durch die Trauma53 An dieser Stelle sei kurz auf die Möglichkeit der chirurgischen Viktimisierung hingewiesen, in dieser häufig das (wiederholt) zur Operation angebotene Organ nicht nur als Objekt Bedeutung erlangt hat, sondern der/die Betreffende auch den Chirurgen in eine Position bringt, in der er nicht nur der pseudoödipale Vater, sondern auch frühes Objekt einer unbemerkten, projektiven Identifizierung werden kann.

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tisierung geschärfte Wahrnehmungsfunktion, eine Schwächung der Unterscheidungsfähigkeit (ob Reize oder Phantasien von innen oder außen stammen, beispielsweise bei Komponisten), Störungen des Körperbildes (Vorstellungen, körperlich unvollständig, missgestaltet, hässlich oder mangelhaft zu sein), aber ein Verschwinden dieser Gefühle während schöpferischer Arbeit und ein Wiederauftreten der traumatischen Emotionen nach Beendigung künstlerischer Arbeit vorzufinden ist. Narzisstische Leere, durch den frühen Verlust des emotional bedeutsamen, primären Objekts bedingt, Verwirrung und Konfusion, durch Traumatisierung entstanden (Gewalt durch die sexuelle Instrumentalisierung durch den Erwachsenen) und narzisstischer Bedeutungsverlust werden durch künstlerische Aktivität kompensiert. In einem Zwang, zu wiederholen, wird in der künstlerischen Tätigkeit die kaum erfüllbare Hoffnung, das Trauma zu überwinden, reinszeniert, ein besonderes Augenmerk gilt hierbei Künstlern, die den eigenen Körper für Inszenierungen einsetzen54. Der Körper ist das »naheliegendste«, früheste, vertrauteste Objekt für die Inszenierung und Symbolisierung des Seelischen, darauf ist stets zu achten. Funktion der Kunst ist, das Trauma zu bewältigen und an den Betrachter, laut um Hilfe und Verständnis rufend, zu appellieren. Von den in Bild, Form oder Klang gebrachten Projektionen identifikatorisch berührt, wird der Betrachter zum Anhänger des Künstlers. Die spezifische Form des unbewussten Angesprochenseins des Betrachters lässt Rückschlüsse auf dessen Struktur und Verletzungen zu. Nach Hirsch (2002) unterscheidet Menninger verschiedene Formen selbstschädigenden Verhaltens, so beispielsweise eine Selbstschädigung in alltäglichen Situationen, eine Selbstschädigung in Form von Initiationsriten, religiöse Selbstbeschädigungen, neurotische Selbstbeschädigungen, Selbstverstümmelung bei psychotischen Patienten und Selbstbeschädigungen bei organischen Erkrankungen (Menninger, zit. nach Hirsch, 2002, S. 53). Hirsch führt hierzu weiter aus, bei den Selbstverletzten sei »das Haut-Ich fragmentiert und 54 Genannt seien hier Hermann Nitsch (Österreich), Rainald Goetz (Deutschland), Wolfgang Flatz (Österreich), Marina Abramović (New York) und viele andere.

Autoaggressiver Umgang mit dem Körper189

der Körper zum Einschreibungsort kontaminierender und traumatisierender Objektbeziehungen geworden« (S. 53). In der Biographie als ursächlich aufzufindende Faktoren hierfür sind nach Hirsch (2002) »prä- und perinatale Komplikationen, [eine] schwergestörte Säuglings- und Kleinkindphase mit einer psychisch kranken Mutter, von der Deprivation und Misshandlung ausgehen, kindliche Konfrontation mit Krankheit und Verlust, frühe Parentifizierung und pathologischer Kommunikationsstil in der Ursprungsfamilie, aggressive Misshandlung und / oder Inzest, Vergewaltigung in Latenz und Adoleszenz« (S. 57 f.). Als relevante »psychodynamische Themen« nennt er »unzureichende Entwicklung selbstreflektiver Strukturen«, die »Konfliktmeisterung und Selbst-Objektkontrolle durch selbstverletzendes Verhalten«, einen masochistischen »Leidensdruck für verbotene Wünsche und Affekte« sowie ein »Agieren von Abhängigkeitswünschen im medizinischen Setting« und eine »Trauma-Reinszenierung und Meisterung früher körperlicher und psychischer Gewalt mit einem Arzt oder Psychotherapeut, der unwissend/symbolisch die Rolle eines missbrauchenden Elternteils übernimmt« (S. 57 f.). Weiter führt er aus, dass der Körper das misshandelte Kind symbolisiere oder die Anwesenheit des Täterobjekts herstelle. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der verletzte Körper oder Teile des zu verletzenden Körpers den Charakter eines Übergangsobjekts erhalten können. Kafka (1969) berichtet hierzu von einer jungen Frau, die sich blutende Wunden zufügt und das warme Blut als Übergangsobjekt, wie eine stets einsetzbare »Decke der Sicherheit«, potentiell mit sich trage. Es wird also deutlich, dass eine klare Trennung des aggressiven Umgangs mit dem Körper nach diagnostischen Kategorien nicht möglich sein kann, sondern hingegen – wie in der gesamten analytischen Psychosomatik – ein je spezifisches Verstehen der aggressiven Symptomatik erforderlich und unumgänglich ist. Eine ähnliche, hier zu nennende Gruppe von Verhaltensauffälligkeiten lässt sich am ehesten als Beschäftigung mit dem eigenen Körper in spielerischer oder selbstbeschädigender Art als Onanieäquivalent verstehen, darüber hinaus auch als narzisstische Besetzungsmöglichkeit des Körpers. Dieser wird dann wieder

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Objektersatz, insbesondere wenn man die Szenerie als im Wiederholungszwang reinszenierte Objektbeziehung verstehen mag. Die Rede soll sein von den sogenannten bad habits (beispielsweise das Kauen von Nägeln, Häuten, Lippen, Naseninhalt etc.), besonders bei diesen wird der objektale Charakter der inkorporierten Körpermaterialien deutlich, zudem der beruhigende Charakter, weil die Aufnahme der Körperbestandteile auch einen stillenden Effekt haben kann. Besonders aus dem zuletzt aufgeführten Aspekt ergibt sich eine Erklärung dafür, dass die beschriebene Symptomatik bei leisesten, inneren Spannungszuständen auftritt. Oftmals ist sie von zwanghafter Symptomatik begleitet, ablesbar beispielsweise am symmetrischen Umgang mit den Körpermanipulationen. Die (auto-) aggressive Komponente, die sich in den Handlungen im Rahmen der diskutierten Symptomatik inszeniert, und die orale Inkorporation der körperlichen Materialien weisen auf den frühen Konflikt mit dem Objekt hin. Therapeutisch stehen Interventionen, die zu innerer Beruhigung und zu Spannungsabbau beitragen (tiefenpsychologisch fundierte Interventionen) oder aber das längerfristige, analytische Setting zur Stabilisierung der inneren Strukturen zur Verfügung. Patienten, die sich tätowieren lassen, zeigen wiederum eine eigene Psychodynamik. In ihrer Arbeit »Körpermagie, Körpernarzissmus und der Wunsch, Zeichen zu setzen: Eine Psychologie von Tattoo und Piercing« führt Aglaja Stirn (2002, S. 223 ff.) aus, dass »verschiedene Formen von Fitnesstraining […] verzweifelte Versuche, die Realität des eigenen Körpers zu erleben, für die die Menschen keine akkurate oder ausgeprägte mentale Repräsentanz besitzen« sein könnten. Die genannten Umgangsweisen mit dem Körper seien »Versuche, dem Horror innerer Leere, Langeweile und Unlebendigkeit zu begegnen« (Stirn, 2002, S. 223 ff.). Da Phänomene wie Piercing und Tätowieren typischerweise in der Adoleszenz gehäuft zu beobachten sind oder bei (jungen) Erwachsenen, die ihre Adoleszenzentwicklung nicht ausreichend überwunden haben, bietet sich auch unter diesem Aspekt eine Verbindung zum Narzissmus an, zumal eine narzisstische Komponente bei diesen Auffälligkeiten immer eine Rolle zu spielen scheint. Auch hier gilt es erneut, die individuelle, spezifische Bedeutung herauszuarbeiten.

Hypochondrie191

Die genannten Störungsbilder und Verhaltensauffälligkeiten lassen sich somit als unbewusste Dialoge mit frühen Objekten verstehen sowie als primär narzisstischer und aggressiver Umgang mit dem Körper, einem Körper, der zum Teil libidinös besetzt wird, zum Objekt oder zum Übergangsobjekt wird. In der Abwehr dominiert die Spaltung.

Hypochondrie In der hypochondrischen Symptomatik lässt sich eine libidinöse Besetzung eines Organs sehen, dies mag die Folge einer schwer gestörten Beziehung zum primären Objekt sein (Rückzug der Besetzung, Abbruch der Verbindung in der Terminologie Bions). Die »Besetzung« des Organs ermöglicht in der Folge das Gefühl der Integrität der Struktur, der Ganzheit, schützt stabil vor Zerfall und lässt eine Zuwendung zum eigenen Körper als Ersatz zu, verhindert aber zugleich eine Symbolisierung des zugehörigen Affekts, der zugehörigen Anteile der Objektbeziehung, was den schweren Zugang zur Psychodynamik, die schwierige analytische Behandlung und die lange Persistenz der Symptomatik erklärt. Das Erleben des Symptoms ersetzt somit den Konflikt mit dem primären Objekt, später beim Erwachsenen die bedrohliche Auseinandersetzung mit dem primären Objekt und viel mehr noch: die Bedrohung durch Defragmentierung, durch Leere, durch Verlust des Objekts. Die manchmal durchaus auch zwanghaft anmutende Beschäftigung mit dem betroffenen Organ(-system) repräsentiert also letztlich die Beziehung zum Objekt, in einer allerdings der Symbolisierung kaum oder nicht zugänglichen Form, was die Gefahr in sich birgt, dass die Symptomatik einem analytischen Vorgehen entzogen bleiben kann, weil in die Übertragung nicht eingebracht. Entscheidend ist, dass die genannte Besetzung in abgespaltener Form oder nicht symbolisiert erfolgt und daher als Besetzung nicht erlebt werden kann, jedoch als beunruhigende Besorgnis um das Wohl eines Organs, Ausdruck einer Objektbeziehung, die meist keinen Zugang zu symbolisierenden Systemen gefunden hat. Hierbei sind spezifische therapeutische Überlegungen und Vorgehensweisen erforderlich, für die auf Fachliteratur verwiesen werden muss (vgl. Nissen, 2003).

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Ausdruck des Seelischen im körperlichen Erkranktsein

Die Abgrenzung zur Konversionssymptomatik findet sich also unter anderem darin, dass bei der Hypochondrie Anteile einer Beziehung in ein Organ quasi projiziert werden, bei der Konversionssymptomatik jedoch identifikatorische Prozesse im Psychischen oft die entscheidende Rolle spielen, Libido vom Objekt abgezogen in das Körperliche verlagert wird, das Körperliche besetzt wird, wenngleich es nahezu keinen konversionsneurotisch Erkrankten gibt, bei dem nicht auch präödipale Gründe für die Symptomatik entdeckt werden können. Ein 56-jähriger zwanghafter Ingenieur musste sich durch jährlich zweimal durchgeführte Kontrollen seines – im Übrigen regelhaft unauffälligen – EEGs stets rückversichern, dass er nicht an dem vermuteten Hirntumor leide. Einer psychodynamischen Behandlung verweigerte er sich jedoch stets mit dem Hinweis, sich mit seiner Mutter, die so viel für ihn geleistet habe, nicht auseinandersetzen zu wollen.

Das hypochondrisch als krank erlebte Organ begleitet die Patienten quasi wie das primäre Objekt, wird zum Projektionsfeld für Hass und Wut. Je mehr die Bedeutung der Symptomatik in die Symbolisierung gebracht werden kann, desto mehr erscheint die Symptomatik konversionsneurotisch, je weniger dies gelingt, desto abgeschlossener und unzugänglicher erscheint die Symptomatik in der Gegenübertragung, letztlich bleibt die zerstörerische Objektbeziehung im Protomentalen, Präsymbolischen. Die entscheidende Differenzierung zur Konversion besteht in der klaren Symbolisierung eines (neurotischen) Konfliktes in einem Körpersymptom bei der Hypochondrie. Das hypochondrische Erleben der Befürchtung von körperlicher Erkrankung hat eine ganz andere, zunächst unzugänglich erscheinende Qualität und ist – wie aufgeführt – einem Defizit an Symbolisierung zuzuordnen.

Psychoanalytische Therapie körperlicher Erkrankungen

Einer der ein Leben lang kreativsten, sinnvollsten und anspruchsvollsten Berufe ist der des Psychoanalytikers. In seiner ihm ganz eigenen und einzigartigen Weise kann sich der Analytiker zu Beginn einer analytischen Behandlung von der äußeren Welt mit ihrer bunten, verwirrenden und verlockenden Symbolik abwenden und sich, vergleichbar einer Meditation, dem analytischen Feld, dem Innersten des Analysanden und seinem eigenen Innersten träumend (im Sinne Bions, 2006) zuwenden. Er ist dabei in einer paradoxen Situation: einerseits konzentriert auf das Symbolische des Settings, der Sprache, der Symptomatik, der Inszenierung, des Traums, andererseits gleichzeitig und idealerweise  frei von fokussierender Konzentration, frei von innerer und äußerer Festlegung und zunächst ohne jede Wertung offen für alles, was zwischen ihm und seinem Patienten geschieht. Die psychoanalytische Therapie körperlicher Erkrankungen ist zwischen alten (und hoffentlich bekannten und ausreichend bewussten) Omnipotenzphantasien einerseits und dem Erleben eigener therapeutischer Ohnmacht andererseits angesiedelt, zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich der therapeutische Prozess. Das Anliegen dieser Arbeit kann also nicht sein, ein therapeutisches Manual zum Vorgehen bei psychosomatischen Störungen vorzulegen (was der Omnipotenzphantasie nahe käme), kann aber auch nicht das Tolerieren eines Nihilismus dem somatischen Erkrankungsbild gegenüber bedeuten (dies entspräche einer selbst gewählten Ohnmacht). Die Behandlung psychosomatisch Erkrankter erfordert ein klares Setting und einen klaren, definierten und wohl überlegten Rahmen, wie die psychoanalytische Behandlung anderer seelischer Störungen. Ein Abweichen davon mag bereits Ausdruck einer für die Erkrankung bedeutsamen Szene sein55. 55 Beispielsweise im Sinne eines Erfasstseins des Therapeuten durch projektive Identifizierung oder Projiziertes.

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Psychoanalytische Therapie körperlicher Erkrankungen

Ein Berühren des Körpers des Patienten in der psychoanalytischen Behandlung ist nicht erforderlich, hingegen aber eine Beobachtung des Rahmens, des Settings, der Szene, im Hinblick auf (verbale oder nonverbale) Auslassungen und (somatische) Inszenierungen und Darstellungen, eine Be(ob)achtung des interaktionellen Feldes. Körpertherapeutische Strategien oder Techniken oder Berührungen des Körpers führen in analytischen Therapien zu einer für den Analytiker nicht mehr überblickbaren Vielzahl von Interaktionen und Verstrickungen mit dem Patienten. Sie verringern oder verhindern somit den Effekt eines durch den Analytiker – seinen Aufgaben entsprechend – definierten, garantierten und bewahrten stabilen Rahmens und eröffnen zudem das Feld für allerlei Widerstandsphänomene. Die immer wieder geäußerte Ansicht, dass gerade psychosomatisch Erkrankte alexithym seien und eine Berührung des Körpers des Patienten sowie der Einsatz körpertherapeutischer Techniken daher erforderlich sei, lässt sich in Hinblick auf die Möglichkeiten der Gegenübertragung und des Verstehens der Inszenierung impliziten Wissens in der therapeutischen Beziehung entkräften, gibt es doch keine der vielfältigen Äußerungen des Seelischen innerhalb des analytischen Raums und Rahmens, die ohne Bedeutung wäre, nicht verstehbar wäre oder nicht verstehbar werden könnte, gerade wenn man an die vielfachen vegetativen, motorischen und nonverbalen Reaktionen der Analysanden denkt. Allerdings erfordert diese Vorgehensweise eine »Feinstjustierung« der eigenen Wahrnehmung, quasi eine »mikroskopische« Betrachtung der kleinsten interaktionellen Einheiten im analytischen Feld, insbesondere des affektiven, atmosphärischen und mimischen Erlebens des Analysanden und des Analytikers. Zu bedenken ist hierbei auch, dass es nicht sinnvoll sein kann, dem widerständigen Analysanden die Konfrontation mit den impliziten Beziehungen zu den Introjekten und die erforderliche Symbolisierung und Mentalisierung seiner Symptomatik zu erlassen. Schon die vielfältigen Persönlichkeitsmerkmale und Vorgehensweisen einzelner Psychoanalytiker machen es unmöglich, letztlich eine manualisierte Anleitung für die psychoanalytische Behandlung somatischer und somatisierter Erkrankungen vorzulegen. Letztlich

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kommt es auf die Fähigkeit des einzelnen Psychoanalytikers an, seine Empathie und seine Gegenübertragung zu pflegen und sie professionell zu nutzen, und darauf, inwieweit es ihm dann gelingt, in die Tiefen hinter oder besser: unter der Symptomatik vorzudringen. Der Analytiker hat stets auf verschiedenen Ebenen wachsam zu sein, so auf der kognitiven, der affektiven, der somatischen und der interaktionellen. Auch ist es eine Frage des Mutes, der Selbsterfahrung, der eigenen Struktur und der Fähigkeit, medizinische Konventionen (besonders die Position der sogenannten evidenzbasierten oder wissenschaft­ lichen Medizin oder auf dieser beruhende Annahmen und Leitlinien) infrage zu stellen, um für analytisches Wahrnehmen und Verstehen weitestgehend offen zu sein und zu bleiben56. Wenn der Analytiker erst begonnen hat, das Unbewusste des Patienten zu verstehen, wenn er zulassen und ertragen konnte, von den projizierten Objektbeziehungsanteilen des Patienten erfasst worden zu sein und sich der krankmachenden Objektbeziehungen seines Analysanden bewusst(er) geworden ist, wenn er mit der Übersetzung unbewusster Prozesse in sich und sodann in Sprache begonnen hat, kann er somit das einmalige und so wertvolle Instrument der Gegenübertragung für die Entschlüsselung der impliziten, verborgenen Objektbeziehungsbotschaften der Organe, der Symbole, der Szene für den Erkrankten nutzen. Achtsam hat der Analytiker hierbei zu sein, wenn es um die Differenzierung der Intuition des Patienten zwischen einem bewussten Ahnen innerer Vorgänge einerseits und einer als Symptom bedeutsamen Zuschreibung einer manifest gewordenen unbewussten Ahnung zu einer körperlichen Erkrankungssituation andererseits gehen muss. Niemals eröffnen Anamnese und Angaben des Patienten zu Beginn der Behandlung allein das Verstehen der subsymbolischen Erkrankungsprozesse – dies ist häufig anders bei konvertierter Symptomatik, die den Weg in die Symbolisierung gefunden hat. Erst die gemeinsam durch Analysand und Analytiker auf den genannten Ebenen zu schaffende Wahrheit macht ein langsames Ver56 Eine Haltung, die in Zeiten »multimodaler« Psychotherapien immer mehr verlorenzugehen droht.

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Psychoanalytische Therapie körperlicher Erkrankungen

stehen möglich. Jedes Wissen kann hingegen Hindernis sein, jede Anwendung bekannter und/oder subjektiver Theorie des Analytikers lässt die hochspezifische Bedeutung der Symptomatik im schlechtesten Fall verkennen, indem sie auf die falsche Fährte locken. Erst die beiderseitige emotionale Berührung der Teilnehmer der intimen analytischen Beziehung – und nur diese – lässt die erforderliche strukturelle Veränderung des unbewussten, impliziten Objektbeziehungserlebens des Analysanden in heilsamer Weise zu. Hierbei ist das Erfassen des Assoziativen um das kaum oder nicht Repräsentierte »herum« die entscheidende Vorgehensweise; gemeinsame Aufgabe der beiden am heilsamen Prozess Beteiligten ist die Kokreation einer tragfähigen, versprachlichten Symbolisierung des zuvor unzureichend oder noch nicht Repräsentierten im Analysanden. Von Georg Groddeck stammt der reizvolle Hinweis, man möge »Gesunde oder Kranke« auffordern, »sich die Gegenstände ihres Schreibtisches anzusehen, die Augen zu schließen und die Objekte zu nennen« (1933/2011, S. 66), man könne dann bemerken, dass »dieses oder jenes ausgelassen« werde, und zwar Dinge, »die mit dem Verdrängten zusammenhängen« (S. 66). Analog hierzu ist auf die Anordnung der Phantasien und Assoziationen der Erkrankten zu achten und auf jene, die »nicht auf den Tisch« kommen. Es besteht Einigkeit, dass mit Bion ein neues Zeitalter der Psychoanalyse anbrach; nach einer trieborientierten und durch das Instanzenmodell gezeichneten Psychoanalyse traten das emotionale Erleben und die Beziehung zwischen Therapeut und Analysand mehr und mehr in den Vordergrund, Bion verstand das Unbewusste in anderer und erweiterter Form, das technische Vorgehen änderte sich. Sein Verstehen des noch nicht oder des nicht ausreichend Symbolisierten als Protomentales, seine Erarbeitung der Funktion des Denkens hierbei als zentraler Vorgang der psychischen Strukturbildung und Gesundung werden immer mehr als einer der wichtigsten und für das Verstehen psychosomatischer Erkrankung zentralen Vorgänge erkannt. Man kann also in der Folge formulieren, dass die schwere Störung der Fähigkeit zum »Träumen« (Reverie bei Bion) eine der grundlegenden Störungen des psychosomatisch Erkrankten (nicht aber des konversionsneurotisch Erkrankten) darstellt. Das »Träumen« wird

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zur Möglichkeit, den impliziten, nicht symbolisierten psychosomatischen Phänomenen des Patienten eine Geschichte, ein Symbol und einen Platz in der seelischen Struktur (auch des Analytikers), eine Verortung, auch in den primären Beziehungen zu den Objekten, zu geben. Diese Arbeit des Analytikers, auch als Alpha-Funktion (im erweiterten Sinne auch als Mentalisierung) zu bezeichnen, ist die Chance zur Gesundung des Patienten. Durch das »Träumen« des Analytikers und seine nachfolgende Deutungsarbeit wird die Transformation der Beta-Elemente in Alpha-Elemente, die symbolisierende oder mentalisierende Narration der pathogenen, subsymbolischen, impliziten (Teil-)Objektbeziehungen und insbesondere der pathogen wirksamen Affekte für den Analysanden möglich. Einwand muss hier jedoch sein, wie bereits in den Überlegungen zu den Ursachen psychosomatischen Erkranktseins ausgeführt, dass es im Organischen – oder besser: dem im Psychischen repräsentierten Organischen – häufig implizite Beziehungsrepräsentanzen gibt, die sich einer Mentalisierung57 und Symbolisierung bisher noch ganz entziehen. Der Analytiker muss hier in seiner paradoxen Rolle seine Reverie immer wieder unterbrechen, bewusst die Erinnerung an diese in den Repräsentanzen des Organischen gespeicherten Beziehungsfragmente in sich wach halten und zum geeigneten Zeitpunkt hier zu Symbolisierung und Mentalisierung verhelfen, da sonst die Gefahr besteht, dass die Symptomatik auch in einer langandauernden Behandlung unverstanden bleibt und persistiert, auch die Abwehr über der Symptomatik stabil bleibt. Dies stellt ein aktives, mentales Vorgehen des Analytikers dar und ist nahezu gleichzeitig zur meditativen Position der »Reverie« erforderlich. Wie bereits aufgeführt, ist hier der »Verführung« des Organischen, der Introjekte und der Medizin, die uns allzu bereit gleich auf biologische Ursachen verweisen mag, zu widerstehen (im Sinne einer Überwindung des Widerstandes also), zumal mancher Therapeut nach langer Berufstätigkeit, vielleicht erschöpft und ermüdet, dazu 57 Diese heute diffus benutzte Begrifflichkeit scheint zumindest zu einem Teil eine moderne sprachliche Symbolisierung dessen zu sein, was auch Symbolisierung selbst meint.

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Psychoanalytische Therapie körperlicher Erkrankungen

neigt, »pragmatisch« vorzugehen, also auf die mühsam aufrechtzuerhaltende Wachsamkeit, die allein den richtigen Zeitpunkt zur Thematisierung der konflikthaften Problematik erkennen lässt, gern verzichtet – von den Schwierigkeiten, die tiefen, oft kaum zugänglichen seelischen Prozesse wahrzunehmen, die zum Erkranktsein führten, ganz abgesehen. Neben dem eigenen Widerstand muss der Analytiker zudem mit einem oft ungeheuren Widerstand bei seinen Analysanden rechnen, was das Begreifen und Aufdecken des im Körperlichen Eingeschriebenen angeht, kaum eine Patientengruppe wehrt sich manchmal dergestalt heftig gegen das aufdeckende Vorgehen wie psychosomatisch Erkrankte, besonders, wenn es um Subsymbolisches oder noch nicht Symbolisiertes geht. Hierbei kann immer nur darauf hingewiesen werden, dass der Analysand nur gesunden kann, wenn ihm der Analytiker zur Strukturbildung, zur Mentalisierung zur Verfügung stehen kann, wenn er die Widerstände – oft der Introjekte – zu überwinden hilft. Diese Widerstände gründen in den reaktivierten, tief verwurzelten Ängsten vor Objektverlust, Autonomieverlust und existentieller Bedrohung. Den tief unbewussten Spuren und dem tief unbewussten subsymbolischen Treiben der Affekte und internalisierter (Teil-)Objektbeziehungen gilt es aktiv (also in der bekannten paradoxen, analytischen Haltung) intuitiv zu folgen, sie gegebenenfalls zu benennen, vorsichtig zu deuten, wenn ein Einführen eines »als wie« in einem Moment emotionalen, intersubjektiven Berührtseins möglich wird, auch wenn der Analysand über lange Strecken den bewussten Umgang mit den Ursachen seiner spezifischen, somatischen Situation vermeidet. Das fortlaufende Assoziieren der psychischen Umgebung der noch nicht oder unzureichend repräsentierten, unbewussten Position ist hierbei also von wesentlicher Bedeutung. Vergeblich wartet man zu Beginn der Behandlung auf eine Symbolik im Traum, denn die subsymbolischen impliziten Affekte und (Teil-)Objektbeziehungen sind noch nicht im Traum symbolisierbar, die Träume weisen nicht direkt auf Ursachen der Symptomatik hin, allenfalls lassen sie eine Annäherung zu, ein zunehmendes Ahnen. Wiederum verhält es sich anders bei den bereits somatisch symbo-

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lisierten Konflikten, die in Träumen und in der Übertragungsszenerie gut zugänglich sind. Für den psychosomatisch Erkrankten ist die (noch nicht symbolisierbare) Symptomatik oftmals Realität (spürbar etwa daran, dass er immer wieder von seinen Symptomen berichtet, ohne assoziativ werden zu können) und ersetzt die Phantasien über die Erkrankung. Das Vorgehen seines Analytikers bedeutet für ihn das Postulat einer inneren Realität, die eine Möglichkeit des Verstehens »unterhalb der Sprache« annimmt. In der Übertragung erhält der Analytiker bei den subsymbolisch im Körperlichen eingeschriebenen Gegebenheiten oft (noch) keinen Platz und keine Bedeutung (vgl. im Gegensatz hierzu die Bedeutung des Analytikers in der Übertragung bei der Konversionsstörung). Die Symptomatik aber appelliert an den Analytiker, von ihm verstanden zu werden, oftmals gegen den Widerstand des Analysanden. Sozusagen »von oben nach unten« hat sich der Analytiker dem Treiben in den tiefsten Tiefen der Seele zunächst anzunähern (zu Beginn ein vertikales Verstehen also), allerdings mit dem Wissen, dass die Entstehung der Symptomatik von »unten nach oben« zu denken ist, meist mehr aus der sehr viel umfangreicheren Welt der impliziten Beziehungsmuster entstammt als aus der erst später entstanden inneren Welt des Konflikthaften. Das therapeutische Beobachten, Verstehen und Arbeiten in der analytischen Situation freilich ist dann ein flexibles mit einem Bewegen auf der horizontalen und der vertikalen Ebene, je nach Erfordernis. Die Annäherung an das Implizite ist ein steiniger Weg, das Nichtmentalisierte findet sich im Körperlichen, die frühesten Erlebensmuster sind kinästhetisch, aber der Zugang über die Sprache ist der vordergründige, und die Analyse kann eine Phantasiebildung und Symbolisierung dessen, was in den Körper eingeschrieben ist, möglich machen. Die für den Erkrankten heilsame vorsprachliche Information über die Beziehung zu den primären Objekten, die konflikthaft, krankheitsauslösend und krankheitserhaltend war, ist noch im Organischen verborgen und muss erst in eine sprachliche, symbolische Ebene überführt werden. Datum, Zahlen, Worte, Namen, Bilder, Erzählungen und Zeichen können Hinweise auf das Subsymbolische sein, das verstanden werden muss.

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Störungen der frühen, sicherheitsgebenden Funktionen (Ruhe, Wärme, Helligkeit, Dunkelheit etc.) können auf die richtige Fährte führen, ebenso wie das szenische Verstehen der Bedürfnisse des Säuglings im erwachsenen Patienten. Zur Verdeutlichung sei das Beispiel einer etwa 35-jährigen Mutter zweier Kinder mit einer schweren Aggressionshemmung bei einer immunologischen Erkrankung genannt, die in den ersten fünfzig Stunden einer analytischen Behandlung zunächst nicht träumt, sodann aber zunehmend in vielfach ähnlich gearteten Träumen affektlos dunkle Kellerräume oder Bunkerräume sieht, die eine Reihe von Gegenübertragungsphantasien auslösen, welche Gewalt- und Missbrauchserfahrungen sich hier verborgen halten könnten. Erst nach aktivem Verfolgen der Spuren aggressiver Affekte (und somit von Bruchstücken früher Objektbeziehungsanteile) in Gegenübertragung und Phantasien des Analytikers ändern sich die Traumbilder, und die Räume werden beispielsweise durch einen Schacht zugänglich. Später träumt die Analysandin dann Räume im Erdgeschoss, und schließlich wird zunehmend von Personen geträumt, zunächst auch noch ohne Affektanteil, später in unheimlicher Form bedrohlich. Erst als die aggressiven Affekte einer versagenden, das frühe Kind ablehnenden Mutter zugeordnet werden können, beruhigt sich dann auch das immunologische Geschehen und die Träume bleiben nun dauerhaft affektiv lebendig: Traumszenen finden nun im Erdgeschoss zwischen Freunden statt.

Wie in dem Traum der leeren unzugänglichen Kellerräume sind die Affekte unserer (nicht konversionsneurotisch) psychosomatisch Erkrankten im Organ lokalisiert (bzw. in dessen Repräsentanz im Nervensystem) und warten darauf, vom Analytiker gesucht, gefunden und benannt zu werden, immer gegen die Abwehr. Dieses Bild ist mit Ferros Bild der gefrorenen Bienen (siehe Seite 204 f.) vergleichbar; Aufgabe des Analytikers ist aber, aktiv nach Affekten zu suchen, sonst bleiben sie unentdeckt. Ein weiteres Beispiel: Ein an Rheuma erkrankter Sozialpädagoge, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 14 Monate in einer analytischen Psychotherapie befand, suchte im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit

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eine alte Frau auf, die sich in einer dunklen Wohnung neben einem Säugling in einer Krippe befand. Der Säugling wirkte auf den Analysanden verlassen und traurig, das Bild erinnerte ihn an in Waisenhäusern verlassene Säuglinge. Unerwartet stellte sich bei dem Mann nach der Szene das körperliche Gefühl ein, an Grippe erkrankt zu sein, hierzu assoziierte er eine bis dahin nie erlebte tiefe Traurigkeit. Es lag dann nahe, eine Verbindung zwischen der im Erwachsenenalter aufgetretenen rheumatischen, also immunologischen Erkrankung und der analogen Verbindung zwischen Szene und Reaktion des Immunsystems herzustellen. In seinen Träumen fanden sich bis zu diesem Zeitpunkt niemals Hinweise auf diesen Zusammenhang.

Es sei nochmals an die wichtige Tatsache erinnert, dass den Introjekten aus den genannten Gründen daran gelegen ist und bleibt, mit ihren Forderungen im Unbewussten des Erkrankten unentdeckt und weiter wirksam zu bleiben, beispielsweise durch die Aggression des Subjekts nicht angegriffen zu werden und somit den Kampf im Subjekt gegen dessen Autonomie zu gewinnen, denn das Introjekt garantiert das innerseelische Gleichgewicht. Gelingt es, ȤȤ die Verbindungen zwischen dem Subjekt und den Repräsentanzen des Introjektes trennen zu helfen ȤȤ und/oder eine Verbindung zwischen dem Affekt im besetzten Organ mit der Sprache herzustellen ȤȤ oder die Affekte, die das Seelische im immunologischen oder körperlichen Reagieren zum Ausdruck bringt, in Verbindung mit dem Bewussten zu bringen, so gesundet der Patient. Wie aufgeführt, gilt es für den Analytiker, höchst wachsam zu bleiben für krankheitserhebliche Mechanismen – es sind wohl allzumeist projektive Identifizierungen, Spaltungen58 und projizierte Inhalte, die auf die richtige »Spur« führen. Anderenfalls droht dem Patien58 Und diese können bedeuten, dass die Äußerung der Introjekte stumm und unbemerkt bleibt!

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ten eine ungünstige Prognose, was die Möglichkeiten der Integration krankheitsauslösender und krankheitserhaltender, tief unbewusster Mechanismen in die reife(re) seelische Struktur angeht. Wie Green (2004) in seinen Ausführungen über die »tote Mutter« vor der »klassischen Lösung« als technische Haltung in der psychoanalytischen Behandlung (S. 255) warnt, ist auch für die hier beschriebene Gruppe von Erkrankten (ausgenommen die rein neurotisch Erkrankten59) das Etablieren eines haltenden psychoanalytischen Übergangsraums erforderlich, in dem die Arbeit in und an einer berührenden, lebendigen Beziehung zwischen Analysand und Analytiker im Mittelpunkt stehen muss. Nur wenn der Analytiker für den Analysanden im intersubjektiven Feld spürbar sein kann und sich der Analysand vom Analytiker narzisstisch besetzt fühlen kann, erträgt der Analysand die Desillusionierung, die in dem Moment auftritt, in dem er während des Abzugs der Besetzung vom Organ das primäre Objekt als autonom erlebt und sich damit auch vom Analytiker allein gelassen erlebt (dann der depressiven Position Melanie Kleins entsprechend). Allerdings meint dies auch den progressiven Übergang in die Phase reiferer und reifer Objektbeziehungen. Auf die Gefahr, einen Wechsel zwischen psychischer und körperlicher Symptomatik (»Symptomverschiebung«) zu übersehen, sei an dieser Stelle hingewiesen60. Protoemotionale Elemente, die nicht symbolisiert werden können oder konnten, finden sich im Körperlichen wieder, und Trempler (2002, S. 115 ff.) führt aus, dass bei Patienten die in gewissen Bereichen ihrer Persönlichkeit keine Symbole bilden können, kein adäquates Containing stattfindet, wenn eine symbolisierende Deutung erfolgt. Der Patient wird sich dann nicht ausschließbar dem Modell des Therapeuten gehorsam kognitiv anpassen, wird aber nicht wirklich verstanden und erreicht. In psychoanalytischen Behandlungen somatisch Erkrankter dürfte dies nicht selten geschehen. In diesem Zusammenhang warnt 59 Die Annahme, es gäbe solche, kommt einem theoretischen Ideal gleich. 60 Beispielsweise sind häufig neu eintretende körperliche Erkrankungen und Symptome bei psychiatrisch erfolgreich behandelter Depression zu beobachten.

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Bion (zit. nach Trempler, 2002) vor der Gefahr »frühreifer Deutungen«, der Therapeut müsse »sein Nicht-Wissen« aushalten können, das vorsichtige Vorgehen de M’Uzans (wie bereits erwähnt wurde, Seite 35) argumentiert ebenfalls hierfür. Für die Erkrankten geht es um den Aufbau eines grundlegenden symbolischen Repertoires oder Alphabets, hierin liegt das große kreative Potential des psychoanalytischen Prozesses, der – wie Trempler (2002) ausführt – von theoretischen Präkonzeptionen frei sein sollte61, da diese den potentiellen Raum, den das Symbol zu seiner Manifestation benötige, einengen. Somit ist der Analytiker nicht nur auf seine eigene Kreativität in der paradoxen analytischen Szenerie, sondern vor allem auch auf seine Intuition angewiesen, die allein das Erkennen des richtigen Zeitpunkts einer Intervention ermöglicht, das Erkennen der richtigen »Dosis« und insbesondere der genau in dem Moment intersubjektiv passenden Art und Weise, das tief Subsymbolische oder Nichtsymbolisierte in die richtigen, für den Analysanden verstehbaren und verdaubaren Worte zu bringen. Hierbei ist ein alleiniges Deuten des Wahrgenommenen nicht ausreichend, ein gegenseitiges, emotionales Berührtwerden der beiden Teilnehmer der analytischen Szene, wie ursprünglich das primäre Objekt vom Affekt des Säuglings berührt und emotional erfasst wurde, ist erforderlich, damit die innerpsychische Struktur des Analysanden eine Veränderung erfahren kann (zur Frage des hierbei erforderlichen Settings vgl. Plab, 2014). Zudem gilt es für den Analytiker zu erkennen, wenn der Analysand sich – vom Gebrauch eines Pseudoselbst noch nicht kritisch distanziert – im Rahmen einer guten Übertragung die unbewussten Wünsche des Analytikers zu eigen macht und sich eben dem Modell des Therapeuten gehorsam unterwirft. Gelingt es dem Analytiker jedoch, sich von der meist kurzen, einzigartigen Situation des emotionalen, gegenseitigen Berührtseins erfassen zu lassen, ist diese Gefahr äußerst gering.

61 Dies ist eines der spezifisch wissenschaftlichen Merkmale der Psychoanalyse!

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Ein neurologisch schwer kranker, ca. 40-jähriger Mann – der Kampf der Introjekte in dem kleinen, labilen, schwer verletzten und vernachlässigten, nicht durchsetzungsfähigen Selbst führte zu einer ­Parkinson-Symptomatik – wird in den ersten sechzig Stunden seiner psychoanalytischen Behandlung nicht müde, immer wieder zu bekräftigen, er probe immer wieder Durchsetzungsfähigkeit und das Erreichen seiner Wünsche. Bei genauer (analytischer) Betrachtung zeigte sich jedoch ebenso regelmäßig, dass er die Wünsche der Introjekte und die Wünsche der Objekte erfüllte, auf Letztere hatte er die Forderungen der Introjekte projiziert. Erst das spätere Verbinden dieser Wünsche und Forderungen mit dem Bewussten und das erstmalige bewusste Erleben des schwachen, den Forderungen der Objekte und Introjekte ausgelieferten Selbst ermöglichte sodann ein authentisches Durchsetzen eigener Wünsche und Bedürfnisse – auch dies erstmalig.

Ferro (2009) findet es hilfreich, daran zu denken, dass es unter jedem psychischen Boden ein protoemotionales Magma gebe, vor dem man sich schütze, das aber gleichzeitig ein außerordentliches, ausdrucksstarkes Potential beinhalte; ein wichtiger Hinweise für Analytiker. Die »unter« der Erkrankung vorzufindenden Protoemotionen vergleicht er mit einem Bienenschwarm, der teilweise in kleinen Säckchen eingefroren und anschließend stratifiziert worden sei und der zum Teil – entsprechend verwaltet – Honig produziert habe, also Emotionen, die durch verschiedene Abwehrmechanismen evakuiert und isoliert worden seien, letztlich also jene Protoemotionen, die dem Introjekt hilfreich waren, die es zu dekonstruieren gilt, oder andersherum formuliert: jene Protoemotionen, die es gleich den gefrorenen Bienen aufzutauen und zu benennen gilt, an Kognition zu binden, also mit Bewusstsein zu verbinden gilt. Hierbei geht Ferro (2009) davon aus, dass die narrative Dekon­ struktion die entscheidende Vorgehensweise sei, um transformative Prozesse zu initiieren, allerdings, so möchte man im Bild verbleibend ergänzen, sollte man sich als Analytiker nicht von diesem Honig verführen lassen, sondern die Bedeutung des verführerischen Geschmacks des Honigs erkennen (dies ist die im Folgenden angesprochene Sinngebung Plassmanns), also versuchen, mit der eigenen Herzenswärme die Bienen an- oder besser: aufzutauen und den

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Bienen, also den präsymbolischen, impliziten Beziehungen, die Freiheit zu schenken, sie im Subjekt in das subjektive Symbolische und Mentalisierte zu entlassen. Hierbei kann der Analytiker auch gestochen werden, wenn projizierte Bienen ausschwärmen; schlimmstenfalls wird der Analytiker in die Honigproduktion mit eingebunden. Er muss aber bereit sein, sich stechen zu lassen: Wird er nicht gestochen und/oder findet keine Lösung, mit dem Stich umzugehen, den Stich zu ertragen, ohne dauerhaft Bienengift aufzunehmen, kann er dem Patienten nicht helfen, mit den Bienen umzugehen. Werden zu viele Bienen aufgetaut, mag das Selbst des Patienten schlimmstenfalls desintegrieren. Eine alternative, ergänzende Sichtweise: Rodewig (1995) vermutet, dass eine Erkrankung im Sinne eines kranken Körpers Objektcharakter habe und zu einem dritten Objekt werden könne, da das Ich aufgrund der bedrohlichen körperlichen Erkrankung zu den Abwehrmechanismen der Spaltung und der Projektion von positiven und negativen Objekt- und Selbstanteilen greife. Hierbei würden die omnipotenten und idealisierenden Wünsche auf den Analytiker, die negativen Wünsche auf den kranken Körper (oder ein Organ, ist hier anzufügen) projiziert. Später würde der Therapeut in der Phase der Entidealisierung mit der Krankheit identifiziert, die Krankheit würde somit zwischen Analytiker und Patient wechselseitig verschoben. Der Therapeut habe sehr darauf zu achten, eigene Krankheitsund Todesängste nicht auf den Patienten zu projizieren (wie es in der somatischen Medizin möglicherweise bei malignen Erkrankungen geschieht), um sie dort zu bekämpfen, er müsse sie hingegen bei sich behalten, bearbeiten und entschärft an den Patienten zurückgeben, analog der Vorgehensweise bei der projektiven Identifizierung. Acting out bei körperlicher Krankheit bedeute, dass Affekt und Trieb in der Beziehung agiert würden. Es komme zu einer triadischen Verstrickung zwischen Patient, Erkrankung und Therapeut, quasi teile sich das Subjekt in zwei Einheiten, nämlich Psyche und Soma. Die körperliche Erkrankung werde sodann mit dem Soma gleichgesetzt und stehe nun dem Analytiker (oder dem psychosomatisch tätigen Arzt) als ein Drittes gegenüber. Es sei darauf zu achten, dass mit der Übertragung primitiver allmächtiger Selbst- und

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Objektrepräsentanzen auf den Analytiker gerade zu Erkrankungsbeginn ein Zusammentreffen mit den Omnipotenzphantasien des Analytikers zustandekommen könne, Grundlage für eine gemeinsame Prozessphantasie, die es zu erkennen gelte. Gleichzeitig sei diese Gemengelage erforderlich, um eine Beziehungsgestaltung in dieser schwierigen Situation körperlicher Erkrankung des Patienten möglich zu machen, parallel hierzu sei damit die Auseinandersetzung um die besonders negativen Auswirkungen der eigenen Macht gerade bei malignen Erkrankungen nötig. Das allgemeingesellschaftliche und wissenschaftliche Phantasma, beispielsweise Krebs als ungelebte Aggression zu verstehen, entfalte hier seine besondere Dynamik. Häufig erlebten die Patienten die Erkrankung als Resultat erlittener Unterdrückung, quasi inkorporierter Aggression, als Repräsentant des aggressiven Selbstanteils, letzterer kann auch in den Therapeuten projiziert werden. Der Therapeut selbst kann aggressive Impulse entwickeln, um seine eigene Ohnmacht, die er zwangsläufig häufig erleben muss, abzuwehren. Er ist meist damit konfrontiert, von den eigenen Phantasien der Unsterblichkeit Abschied nehmen zu müssen. So erklärt sich, dass aggressive Gegenübertragungsgefühle im Rahmen anderer Übertragungsinhalte entstehen können; der Therapeut muss für sich selbst in den Situationen schwerer körperlicher Erkrankung des Patienten die eigene Emotionalität, wie beispielsweise Wut, Aggression, Ohnmacht etc., thematisieren. Dies wird hierbei erneut deutlich: Es kann kein schematisiertes oder einfaches, monokausales Verstehen der körperlichen Erkrankung geben. Gegenübertragung ist hierbei als präverbale Kommunikation zwischen Patient und Analytiker und Inszenierung impliziter Beziehungserfahrungen im analytischen Feld zu verstehen, der Analytiker schafft einen inneren Raum für die Projektionen des Patienten und nimmt diese in sich auf. Üblicherweise wird Gegenübertragung als Gefühl, inneres Bild oder gedankliche Assoziation begriffen, allerdings kann sich Gegenübertragung auch als präverbale Erfahrung im Körper des Analytikers niederschlagen, man könnte es als eine Art der Körperempathie bezeichnen. Nach dem Erstbeschreiber des »Focusing« Gendlin (zit. nach Goetzmann u. Ruettner, 2007) muss die Bedeutung einer seelischen

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Situation nicht unbedingt kognitiv repräsentiert sein, vielmehr ist der Körper auch als eine Art Gefäß zu betrachten, welches das implizite psychische Wissen bewahrt, demzufolge enthält ein Körpergefühl (»Felt Sense« nach Gendlin) eine Vielzahl präverbaler, nicht in Worten symbolisierter Erfahrungen, die aber das seelische Leben des Patienten weitgehend bestimmen können. Diese Erfahrungen in der Gegenübertragung wahrzunehmen, zu erfassen und in Worte zu transformieren, ist der heilsame Prozess. Gendlin (zit. nach Goetzmann u. Ruettner, 2007) beschreibt eine Reihe günstiger Voraussetzungen für diesen, indem er zunächst einen ruhigen, geschützten, ein Containing ermöglichenden Raum als äußere Bedingung vorschlägt, und Goetzmann und Ruettner ergänzen, dass der innere Raum darin bestehe, dass der Analytiker seine Konzepte, Theorien und Vorstellungen, aber auch seine Erinnerungen, realen Absichten und analytischen Zielsetzungen loslasse, wohl weitgehend vergleichbar mit Bions Reverie. Plassmann differenziert zwischen »Inhaltsdeutungen als Deutungen erster Ordnung und Prozessdeutungen als Deutungen zweiter Ordnung« (zit. nach Hirsch, 2002, S. 73) und vermutet bei psychosomatischen Patienten »traumatische Erfahrungen und […] traumatische Beeinträchtigungen der Repräsentanzenbildung, insbesondere der Symbolisierungsfähigkeiten« (1994, zit. nach Hirsch, 2002, S. 73). Er führt aus, dass Patienten mit schweren Körperselbststörungen archaische Phantasiesysteme zeigten (er bezeichnet sie als Organwelten), die nicht mitgeteilt werden könnten, sondern nur »in einen Containing-Prozess eingebracht werden« (S. 73) könnten, um bearbeitet zu werden. Demzufolge bedeute Therapie eine Hilfe zur Regeneration bestimmter Denkprozesse – in enger Anlehnung an Bion –, die Symbolisierungsfähigkeit werde durch Deutungen zweiter Ordnung hergestellt. Gerade durch die Prozessdeutung gelte es, die Organwelten, welche vom Sekundärprozess isoliert seien, zu bearbeiten, indem ein »Aufbau einer Zeitordnung«, ein »Perspektivwechsel«, eine »Erweiterung der Symbolsprachen« sowie eine »Sinngebung« stattfinde (S. 73). Dem Patienten stehe die Fähigkeit zum kontrollierten Hervorholen aus der Vergangenheit, zum Erinnern und Wiederablegen nicht zur Verfügung, zudem sei der genannte Perspektivwechsel

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erforderlich, da für die Patienten nicht eine veränderte Betrachtungsweise im Vordergrund stehe, sondern Introjekte eine Veränderung erfahren sollen. Auch sei es erforderlich, der körperlichen Erkrankung einen Sinn zu geben. Eine fünfzigjährige Angestellte – in der Kindheit von beiden Eltern schwer emotional vernachlässigt – entwickelte fünf Jahre vor Beginn ihrer psychoanalytischen Behandlung eine Psoriasis und etwa ein Jahr vor Behandlung eine Arthritis aller Fingergelenke mit starken entzündlichen Veränderungen der beiden Fingerendglieder an allen beiden Händen. Zu Beginn der Behandlung taucht der aggressive Aspekt der Erkrankung (Gelenks- und Hautdestruktion) über einige Stunden in den Assoziationen der Patientin auf, sodann verhält sich die Symptomatik im Seelischen der Patientin und in der Gegenübertragung des Analytikers stumm. Erst nach Monaten fällt auf, dass in den Wochen, lange nach urlaubsbedingten Therapieunterbrechungen, eine beginnende Abblassung der Entzündungsherde an den Fingerendgliedern stattfindet und die Fingernagelbetten eine Erholung erfahren, jedoch kurz nach zwei- bis dreiwöchigen urlaubsbedingten Unterbrechungen der analytischen Behandlung die Entzündungsherde wieder aufgeflammt erscheinen, die Fingerendglieder stark gerötet und schuppig werden. So geht dies über mehrere Monate, darüber hinaus wird zunehmend ein Zusammenhang mit den haptischen Erfahrungen des Analytikers bei der Begrüßung der Patientin mittels Händedruck deutlich wie auch mit deren Fähigkeit, zunehmend eine Kernidentität bei sich zu entdecken, diese zu verbalisieren, zu mentalisieren, ihre Trauer und ihre Verlustangst dem Analytiker zu zeigen. In Stunden, in denen die Angst der Analysandin, dem Analytiker ihre Verlustängste zu zeigen, besonders deutlich wird, besonders in der Gegenübertragung, fühlt sich der Händedruck der Patientin sehr »klebrig« an. Vor völlig anders gearteten Stunden, in denen sich die Patientin mit ihren Autonomiebestrebungen in ihrer Ehe auseinandersetzt, wirken die Hände deutlich trockener und »leichter lösbar«. Ebenso scheint das Ausmaß der Hautabschuppungen (Psoriasis) davon abhängig, wie sehr die Patientin sicher sein kann, von ihrem Gegenüber emotional wahrgenommen zu werden oder nicht.

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Hilfreich für das analytische Anliegen ist auch, zu überlegen, wie der Körper des Patienten mit dem Analytiker kommuniziert. Hirsch führt in seiner Arbeit »Wie der Körper spricht – zur Kommunikationsfunktion des Körpers in der analytischen Psychotherapie« (2002, S. 237 ff.) aus, dass der Körper »in seinen Erscheinungs- und Ausdrucksformen als Funktion in Beziehungen bzw. Körpersymptome und Körperreaktionen als Niederschläge von Beziehungserfahrungen gesehen werden« könne (S. 237). Namentlich in dissoziativen Zuständen werde der Objektcharakter des eigenen Körpers »besonders deutlich und übernimmt die Qualitäten sonst so bedrohlicher internalisierter Objektaspekte und ihrer affektiven Korrelate«, hier werde »die Einheit von Körper und Psyche […] verlassen« (S. 237). Weiter weist er darauf hin, dass Körperhaltung, Gestik, Mimik und Bewegung oder auch Stimmfärbung im Somatischen fixierte Ausdrucksformen für Affekte seien, die nicht erlebt und gelebt werden könnten, der Körper trage Gedächtnisspuren mit vorsprachlichen Inhalten, die Körpererinnerungen seien von dem Patienten nicht in Sprache zu bringen, könnten aber durch empathisches Einfühlen, auch durch entsprechende Körpererfahrungen und Reaktionen des Analytikers in der Gegenübertragung (in seiner Container-Funktion) von ihm verbalisiert und mit Affekten verknüpft werden (S. 237). Darüber hinaus sind die Überlegungen Hirschs über die Darmtätigkeit interessant, er zitiert Simmel (Hirsch, 2002, S. 250), »der Darm« spreche »in allen psychoanalytischen Behandlungen mit«, und Hirsch beobachtet, dass Darmgeräusche »eher in Phasen der Entspannung« aufträten, »als Bedürfnis nach oder als Zeichen des Wunsches, vom Analytiker in der Übertragung gefüttert zu werden«. Es mag dem geneigten Leser überlassen bleiben, ob er diesen Ausführungen folgt, allerdings zitiert Hirsch (2002) auch Anzieu (1991), der einen »Dialog« zwischen dem Darm des Analytikers und dem des Patienten schildert, das »Glucksen im Bauch des Patienten als Ausdruck von Aggression« interpretiert, und beobachtet, dass es nun in seinem eigenen Bauch gluckse und meint (zu seinem Patienten): »Sie haben mir Ihre Aggression übergeben, um sie nicht mehr tragen zu müssen«; darauf der Patient: »Ich nehme sie wieder zurück; nun gluckste es wieder im Bauch des Patienten« (Anzieu, 1991, zit. nach Hirsch, 2002, S. 226).

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Hirsch vermutet bei einem Harndrang Zeichen der Anspannung oder auch Hinweise auf Unabhängigkeitswünsche und bezieht in seine Überlegungen andere vegetative Zeichen wie rote Flecken am Hals, glühende Ohren, eine Veränderung der Herzfrequenz, kalte Füße, Räuspern, Husten und Schnäuzen sowie Gerüche ein (wer kennt nicht die wartenden Patienten, die sich durch lautes Husten bemerkbar machen?). Es bleibt kein Zweifel, dass alle Äußerungen des Körpers der Analysanden (das »Orchester« der Seele) im Sinne einer kommunikativen Interaktion zwischen Analytiker und Analysand versteh- und erfassbar sind. So kann beispielsweise von einem noch jungen Mann, der zeitweise in seiner Analyse durch den Drang, stets vor den Sitzungen noch schnell das WC aufsuchen zu müssen (»obwohl immer nichts kommt«) berichtet werden, hier fand in ihm ein heftiger Kampf statt zwischen einem sich seiner Möglichkeiten nur langsam und oft mutlos bewusst werdenden Selbst und den gewohnten, abwertenden Forderungen der elterlichen Introjekte, auf jede Autonomie zu verzichten.

Der Einfluss des Leiblichen in der psychoanalytischen Interaktion ist also selbstverständlich nicht wegzudenken und jeder psychoanalytischen Behandlung immanent, nahezu ständig ist der Körper des Psychoanalytikers von der psychoanalytischen Situation beeinflusst und im Dialog mit dem Unbewussten seines Patienten. Wie Analytiker unbewusst, teils auch bewusst von Musik beeinflusst werden, werden sie auch vom Leiblichen, von der Körpersprache der Patienten beeinflusst, und es gilt, die »Melodie« zu hören und hören zu wollen. Eine Berührung des Körpers des Patienten ist hierzu, wie bereits aufgeführt, nicht erforderlich. Zu Beginn des Lebens steht das Leibliche im Vordergrund, wie später damit umgegangen und wie es in die Psyche integriert wird, hängt von der Interaktion mit den primären Objekten ab, niemals aber erreichen Menschen ein Stadium, in dem das Leibliche vollends an Bedeutung verliert, vollends aufhört, Melodien zu produzieren. Seine Welt findet sich unterhalb des Sprachlichen, des Symbolischen, des Bewussten, sie ist reichhaltig, kreativ und umfangreich, wesentlich umfangreicher als die Welt des Konflikthaften, stets bereit, Kon-

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flikte wieder auf die einfachere und frühere Ebene des körperlich Ausgedrückten zu bringen. An feinsten körperlichen Reaktionen (beispielsweise der Art, wie der Patient dem Analytiker die Hand gibt, wie er das Behandlungszimmer betritt, wie er sich hinsetzt, an der Hautfarbe etc.) ist die äquilibrierende Regulationsfunktion des Körperlichen ablesbar. Immer wieder gilt es, sich bewusst zu machen, dass im Körperlichen und im Leiblichen stets vielfache (Teil-)Objektbeziehungserfahrungen und Affekte verinnerlicht und repräsentiert sind. Der Therapeut muss übrigens hierbei genau zwischen Äußerungen des eigenen Körpers und Gegenübertragungsreaktionen, die zu ihm gehören, trennen können, und vielfältig sind hierbei die Reaktionsmöglichkeiten des Körpers und des Leiblichen des Therapeuten: Reagieren können das muskuläre System, das Gefäßsystem, das vegetative System, die Haut, die Verdauung etc., spürbar sein können ein Kälte- und ein Wärmegefühl, Müdigkeit, Spannungsgefühle, Schmerzen und vieles mehr. Es versteht sich von selbst, dass ein effektives und lebendiges Erfassen der analytischen Szene, des analytischen Enactments, der Körperreaktionen des Analysanden, seiner Mimik, der Expression seiner Affekte etc. nur im Face-to-face-Setting möglich ist (vgl. Plab, 2014) und vom Analytiker eine enorme (Selbst-)Erfahrung und eine ununterbrochene Reflexion der eigenen Position im analytischen Paradoxon zwischen Reverie und analytischer Haltung verlangt. Der Verzicht auf die Couch ist hier eine Herausforderung für die analytische Autonomie, aber auch wesentlich fruchtbarer für die analytische Arbeit als die emotional sehr viel distanziertere Arbeit im liegenden Setting. Besonders schwierig ist das Verstehen der leiblichen und körperlichen Szenerie, wenn sich eigene, im Körperlichen ausgedrückte Konflikte des Analytikers mit körperlichen Reaktionen auf den Patienten verschränken, beispielsweise wenn ein müder Therapeut (zur Abendzeit, kurz vor seinem Jahresurlaub) auf einen Patienten trifft, der eine Müdigkeitsreaktion als Ausdruck seiner verlorenen Lebendigkeit im Analytiker auslöst. Ein anderes Beispiel: wenn der Therapeut seine eigenen Schmerzen nicht zu verstehen gelernt hat und mit einer Schmerzsymptomatik des Analysanden konfrontiert ist.

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Das Leibliche hat somit seine eigene Sprache, sie zu entdecken und in sprachliche Symbolik zu bringen, ist die Aufgabe der Psychoanalyse. Diese Aufgabe gelingt dem Analytiker nur, wenn er ausreichend mit seiner eigenen Psyche und seinem Körper selbsterfahren ist und selbst in sich die Bedeutung des Impliziten erleben konnte. Häufig kapitulieren Psychoanalytiker am Körperlichen, überlassen der Medizin – hierbei dem erwähnten Gegenübertragungswiderstand nachgebend – das Feld, und es benötigt später noch mehr Zeit und Geduld, die körperlichen Äußerungen zu verstehen, und der Patient verliert Lebenszeit in besserer Lebensqualität. Entscheidend ist, dass sich der Analytiker nicht der narzisstischen Verführung hingibt (Ferros verführerischem »Honig«), eine Veränderung oder Besserung der Symptomatik zu beobachten oder beobachten zu wollen, sondern in der Gegenübertragung den Prozess »unter« der Symptomatik kritisch im Auge behält. So muss er die schwierige Aufgabe bewältigen, zwei Positionen einzunehmen: Während er quasi als Richtschnur der Symptomatik und seine Konzeption zu dieser folgt, muss er im Zustand der Reverie die tief unbewussten Botschaften erfassen und für den Genesungsprozess, den paradoxen analytischen Prozess nutzen. Richtet der Therapeut hingegen sein Augenmerk auf die sich verändernde oder bessernde Symptomatik, hat er den Kontakt zu den entscheidenden unbewussten Vorgängen bereits verloren. Stattdessen soll er in radikal unbeeinflusster und unbeeinflussbarer Weise auf die ihm präsentierte Symbolik achten, sie stets als solche verstehen und sich nicht von der Symptomatik blenden lassen. Diese Position erfordert Mut. Die psychoanalytische Psychosomatik verfügt über ein ausreichend breites, reiches und wertvolles Spektrum an Wissen und Technik, um nahezu jede Form psychosomatischen Erkranktseins (nicht immer aber mit der Möglichkeit vollständiger Genesung) behandeln zu können. Die Begleitung des Coping (auf dieses wurde die Psychosomatik in den letzten Jahren weitgehend reduziert) steht an dem einen Ende des technischen Spektrums, am anderen findet sich die analytische Langzeittherapie oder idealerweise die Psychoanalyse als Langzeitbehandlung von schweren somatischen Erkrankungszuständen.

Abschließendes

Wollen Medizin und Psychosomatik körperliches Erkranken verstehen und effektiv und ökonomisch sinnvoll therapieren, ist die Berücksichtigung der Kenntnisse der psychoanalytischen Forschung erforderlich, und hierfür ist wiederum eine integrierende, psychodynamische Betrachtungsweise und Berücksichtigung der bisher erarbeiteten psychoanalytischen Modelle notwendig. Eine schöne Vision ist es, in der Medizin stets diagnostizierende und interventionsbereite Therapeuten zu Erstdiagnostik und Erstintervention zur Verfügung zu haben, ebenso selbstverständlich, wie somatische Therapeuten und Diagnostiker zur Verfügung stehen. Kämen die (im Übrigen im hohen zweistelligen Prozentbereich) in Praxen und Kliniken ankommenden, psychogen oder mit wesentlichen psychogenen Anteilen Erkrankten nach somatischer Diagnostik selbstverständlich, und nicht erst nach Jahren, in eine begleitende oder unmittelbar nachfolgende, psychoanalytisch-psychodynamische (oder verhaltensmedizinische) Diagnostik, ließen sich jahrelanges Leiden, somatische Folgeschäden psychogenen Erkranktseins und erhebliche Kosten ersparen. Besonders die alltägliche Praxis, trotz eindeutiger psychoneuroimmunologischer Forschungsnachweise die unbewussten, seelischen Einflüsse auf immunologisch bedingte Erkrankungsbilder wie Diabetes mellitus vom Typ I oder Multiple Sklerose und viele mehr völlig zu vernachlässigen, muss im Sinne einer ganzheitlichen Medizin als Kunstfehler und für oftmals lebenslanges Leiden verantwortlich angesehen werden. Eine sinnvolle, wirtschaftliche und heilsame Medizin kann in Zukunft nur eine Integration der psychodynamischen Denk- und Arbeitsweisen in die somatische bzw. biologische Systematik der Medizin bedeuten. Hierbei wird es nicht zu umgehen sein, im individuellen Einzel- und Erkrankungsfall das für psychoanalytisches Denken und

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Abschließendes

psychoanalytische Diagnostik typische Beobachten und Beschreiben des Einzelfalles generalisierten und generalisierenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüberzustellen, es aber eben nicht isoliert zu betrachten, sondern eine zusammenführende Lösung zu finden. Es sind die kleineren und größeren »Lügen« in unserem Leben – noch einmal sei hier der Rückgriff auf die Gedanken und Begrifflichkeiten des genialen Wilfred Bion gestattet –, mit denen wir unserem Bedürfnis nach Versorgung, nach Liebe, nach Autonomie sowie sexueller Befriedigung zur Erlangung inneren Gleichgewichtes Ausdruck verleihen – »Lügen«, die einer subjektiven, innerpsychischen Version der Wahrheit entsprechen. Diese Wahrheit will nicht aufgedeckt werden, die (narzisstisch und in der primären Beziehung) verwundete Seele lehnt sich radikal gegen jede Form ihrer Aufdeckung auf und sehnt sie gleichzeitig so sehr herbei, um gesünder zu werden: Sie spricht dann mit dem Körper (in doppelter Bedeutung des Gesagten). Diese Wahrheit ist der Kern des Wesens des Seelischen, welches mühsam und nie vollständig mit der psychoanalytischen Vorgehensweise erfasst werden kann. Symptomatik, körperliches Kranksein, ist Ausdruck dieser »Lüge«, Sprache der Seele, wenn sie sich dazu entschieden hat, dem Innersten auf eine körperliche Weise Ausdruck zu verleihen. In nahezu keiner Situation, in der der Körper des Menschen Leid erfährt und entwickelt, ist das Unbewusste unbeteiligt; alles Verhalten und Schicksal sind Ausdruck des Innersten. Dass der Körper nach der psychotherapeutischen Einflussnahme auf den Patienten gesünder oder manchmal gesund wird, ist eines der faszinierendsten, aber auch eines der am meisten vergessenen Phänomene, ist doch jede Heilung des Körpers immer eine Selbstheilung, im Rahmen derer es gelungen ist, die unbewussten körpereigenen Kräfte, wieder gesund zu werden, zu unterstützen und zur Überwindung der Widerstände des seelischen Apparates verholfen zu haben (dies gilt im Übrigen auch für die biologische oder somatische Medizin). Aus psychoanalytischer Sicht ist es eine der größten Errungenschaften der Medizin, ein äußeres Symbolsystem der Sicherheit geschaffen zu haben, in dem die somatisierten, durch Abspaltung,

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durch Projektion und konflikthaft beladenen Affekte (im Sinne eines Containing) bewahrt werden können und in dem von einem elterlichen Objekt, das zu einem Selbstobjekt wird oder werden kann, oder von einem anderen Objekt ein Selbstheilungsprozess angestoßen wird. Die Medizin selbst, besonders ihre Maßstäbe und Kriterien, sind selbst nie frei von den Projektionen, Ängsten, unbewussten Haltungen und narzisstischen Konflikten der im System Agierenden. Das »Matching« zwischen den Agierenden, zwischen Behandler und Patient, bestimmt daher letztlich wesentlich mit, ob somatische Therapie hilft oder nicht. Grundbedürfnisse des Körpers sind diejenigen nach Bindung, nach Sicherheit, nach Berührung, nach Wärme, nach Helligkeit, nach Stimulation. In den Psychotherapien und Analysen geht es auch darum, durch die in Gang gebrachten Selbstheilungsprozesse dem Patienten wieder die Inanspruchnahme dieser, dem Körper wohltuenden Existenzbedingungen zu ermöglichen. Die Symptomatik unserer Patienten hat auch den Sinn, an uns zu appellieren, uns der eigentlichen Wahrheit anzunähern, aber auch zu verwirren. Der Leser möge den Mut finden, sich, soweit immer möglich, in seiner psychoanalytischen Arbeit der multiplen Symbolik unserer Welt (der inneren und der äußeren) bewusst zu sein und offen zu bleiben für die Wahrheit, die sich im (Psycho-)Somatischen ausdrücken, aber nicht entdeckt werden möchte. Je mehr wir als Psychoanalytiker uns auf unserem – allermeist viel zu kurzen – Weg zur eigenen inneren Wahrheit uns dieser annähern konnten, desto eher gelingt es uns, die eigentliche Wahrheit hinter der körperlichen Symbolik unserer Patienten zu erfassen, ausreichende und wiederholte Selbsterfahrung ist daher wesentliche Qualifikation für die Arbeit des Psychoanalytikers. In aller Symbolik öffnet sich die großartige Welt der vielfältigen, kreativen, psychoanalytischen Theorien – nicht zu vergessen ist aber, dass auch die Psychoanalyse der Gefahr unterliegt, eine Lüge im menschlichsten Sinne zu sein oder zu werden, wenn sie sich an Konzepte klammert oder anlehnt, statt offen, ratlos, verwirrt und bis zum entscheidenden, endlich die Wahrheit erfassenden Gedanken geduldig zu sein, um der letzten, eigentlichen Wahrheit des Men-

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schen zumindest ein wenig näher zu kommen. Ist diese erkannt, muss die Seele auf körperliche Symbolik und auf körperlichen Ausdruck nicht mehr zurückgreifen.

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