Psalmen und Chronik: Herausgegeben:Willi, Thomas; Hartenstein, Friedhelm 9783161540103, 9783161540110, 3161540107

Psalter und Chronik stehen im dritten Kanonteil der hebräischen Bibel, wo sie den Anfang und den Schluss der Ketubim mar

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German Pages 434 [457] Year 2019

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Titel
Inhaltsverzeichnis
Zur Einführung
I. Chronik
Isaac Kalimi: Salomos Thronfolge nach den Büchern der Könige und der Chronik
Hans-Peter Mathys: Die Tempelfinanzierung nach der Chronik
Zipora Talshir: The Art of Quotation in the Book of Chronicles
II. Psalmen
Judith Gärtner: „Und alles Volk sage: ‚Amen!‘ ...“ (Ps 106:48) – Buchgrenze oder Übergang? Zur Komposition des vierten und fünften Psalmenbuches
Dirk J. Human: Ps 132 and its compositional context(s)
Bernd Janowski: „Die Hindin der Morgenröte“ (Ps 22:1) Ein Beitrag zum Verständnis der Psalmenüberschriften
Reinhard Müller: David und die Lade, Zion und der Gesalbte. Geschichte und Zukunft des Königtums nach Ps 132
Johannes Schnocks: „Singet für JHWH, ganze Erde“ (Ps 96,1b//1Chr 16:23) Psalm 96 im Kontext des Psalmenbuches und der Chronik
III. Psalmen und Chronik
Ehud Ben Zvi: Psalms, Chronicles and Matters of Social Memory in the Early Second Temple Period: Some Introductory Considerations
Walter Dietrich: David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern
Friedhelm Hartenstein: The King on the Throne of God. The Concept of World Dominion in Chronicles and Psalm 2
Jutta Hausmann: „Danket dem Herrn…“. Ps 106:1 und seine Rezeption im Psalter wie in der Chronik
Frank-Lothar Hossfeld: David im Wallfahrtspsalter, David in der Chronik – Ein Vergleich
Matthew J. Lynch: Divine Supremacy and the Temple: 2 Chronicles 2 and the Fifth Book of Psalms
Beat Weber: Asaph im Psalter und in der Chronik. Erwägungen zu “Schnittstellen”, Trägerkreisen und Redaktionsprozessen
Thomas Willi: Die Gegenwart des Zukünftigen. David und die Psalmen in der chronistischen Geschichtsschreibung
Hugh G. M. Williamson: The Use of Psalm 132 at 2 Chronicles 6:41–42
Stellenregister
Sachregister
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Psalmen und Chronik: Herausgegeben:Willi, Thomas; Hartenstein, Friedhelm
 9783161540103, 9783161540110, 3161540107

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Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) · Andrew Teeter (Harvard)

107

Psalmen und Chronik Herausgegeben von

Friedhelm Hartenstein und Thomas Willi

Mohr Siebeck

Friedhelm Hartenstein, geboren 1960; Studium der Ev. Theologie, Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie; 1996 Promotion; 2001 Habilitation; seit 2010 Professor für Altes Testament an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Thomas Willi, geboren 1942; Studium der Theologie und Altorientalistik; 1970 Promotion; 1972 Habilitation; seit 1994 Lehrstuhlinhaber für das Alte Testament und Judentumskunde an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald; seit 2007 emeritiert.

ISBN 978-3-16-154010-3 /eISBN 978-3-16-154011-0 DOI 10.1628 / 978-3-16-154011-0 ISSN 0940-4155 / eISSN 2568-8359 (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Inhaltsverzeichnis Zur Einführung ............................................................................................... IX I. Chronik Isaac Kalimi Salomos Thronfolge nach den Büchern der Könige und der Chronik ............. 3 Hans-Peter Mathys Die Tempelfinanzierung nach der Chronik .................................................... 39 Zipora Talshir The Art of Quotation in the Book of Chronicles ............................................ 73 II. Psalmen Judith Gärtner „Und alles Volk sage: ‚Amen!‘ ...“ (Ps 106:48) – Buchgrenze oder Übergang? Zur Komposition des vierten und fünften Psalmenbuches ........................... 113 Dirk J. Human Ps 132 and its compositional context(s) ....................................................... 129 Bernd Janowski „Die Hindin der Morgenröte“ (Ps 22:1) Ein Beitrag zum Verständnis der Psalmenüberschriften .............................. 151 Reinhard Müller David und die Lade, Zion und der Gesalbte Geschichte und Zukunft des Königtums nach Ps 132 .................................. 199

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Inhaltsverzeichnis

Johannes Schnocks „Singet für JHWH, ganze Erde“ (Ps 96,1b//1Chr 16:23) Psalm 96 im Kontext des Psalmenbuches und der Chronik ......................... 223 III. Psalmen und Chronik Ehud Ben Zvi Psalms, Chronicles and Matters of Social Memory in the Early Second Temple Period: Some Introductory Considerations ............... 243 Walter Dietrich David zwischen Poesie und Prosa in den Samuelbüchern ........................... 257 Friedhelm Hartenstein The King on the Throne of God The Concept of World Dominion in Chronicles and Psalm 2 ...................... 277 Jutta Hausmann „Danket dem Herrn…“ Ps 106:1 und seine Rezeption im Psalter wie in der Chronik....................... 297 Frank-Lothar Hossfeld David im Wallfahrtspsalter, David in der Chronik – Ein Vergleich ............ 309 Matthew J. Lynch Divine Supremacy and the Temple: 2 Chronicles 2 and the Fifth Book of Psalms ............................................... 323 Beat Weber Asaph im Psalter und in der Chronik Erwägungen zu “Schnittstellen”, Trägerkreisen und Redaktionsprozessen .................................................................................... 343 Thomas Willi Die Gegenwart des Zukünftigen David und die Psalmen in der chronistischen Geschichtsschreibung........... 379 Hugh G. M. Williamson The Use of Psalm 132 at 2 Chronicles 6:41–42 ........................................... 409

Inhaltsverzeichnis

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Stellenregister ................................................................................................425 Sachregister ...................................................................................................431

Zur Einführung FRIEDHELM HARTENSTEIN, THOMAS WILLI

Aspekte des Verhältnisses zwischen Psalmen und Chronik – die Thematik des vorliegenden Bandes scheint zunächst auf der Hand zu liegen. Die beiden Corpora gehören zu den ketnjbƯm und bilden dort, jedenfalls nach dem mainstream der Handschriftenüberlieferung, je ihren Anfangs- und Schlussteil; sie teilen eine Reihe von Interessen und Spracheigentümlichkeiten, die schon bei einer kursorischen und unkritischen Lektüre hervortreten. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn anderseits stellt die Thematik auch einfach einen Spezialfall der Frage nach dem Verhältnis von Poesie und Prosa in der antiken, vorab alttestamentlichen, Sprach- und Literaturwelt dar. Von daher gesehen wären Psalmen oder psalmenähnliche Passagen in einer großangelegten Geschichtserzählung wie der Chronik nichts Besonderes. Allerdings fallen, was die Chronik betrifft, die Elemente, die man als psalmenhaft oder psalterorientiert bezeichnen könnte, umfangmäßig weniger ins Gewicht als man annehmen könnte. Insofern ist das Thema cum grano salis zu nehmen. Weniger das Ausmaß des Psalmenmaterials ist aussagekräftig als seine Auswahl, seine Positionierung und die damit gegebene Wertung. Bei all diesen Einschränkungen sei aber betont, dass sich schon im Vorfeld der hier dokumentierten Münchener Tagung die Gunst der Stunde bzw. die Situation der Forschungsgeschichte herauskristallisierte, die dafür sprach, das Thema – endlich – in Angriff zu nehmen. Vor einer Generation wäre das so nicht möglich gewesen. Eine Forschungsposition, die die Chronikbücher in enger Parallele zu dem großen Sammelwerk des Deuteronomistischen Geschichtswerks sah, wie das etwa Martin Noth in seinen Überlieferungsgeschichtlichen Studien I1 tat, verstellte sich selber in mancher Hinsicht den Blick auf die Eigenständigkeit dieser auslegenden Neuerzählung. Ihr Profil trat in dem Moment deutlicher zutage, als es durch den bahnbrechenden Aufsatz von Sara Japhet über die „Supposed Common Authorship“ zwischen Chronik und Esra-Nehemia2 1968 aus dem Korsett eines von 1Chr 1 bis Neh 13 reichenden „chronistischen Geschichtswerks“ befreit wurde. Ihr und ihren dann bald erscheinenden größeren Untersuchungen trat 1977 Hugh Godfrey Maturin Williamson mit Israel in the  1 2

NOTH, Überlieferungseschichtliche Studien (zur Chr: 110–216). JAPHET, Supposed Common Authorship.

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Zur Einführung

Book of Chronicles an die Seite. Beide haben die Resultate ihrer Forschung in je einen Kommentar zu den Chronikbüchern einfließen lassen.3 In der Psalmenforschung ihrerseits hat sich in den letzten Jahrzehnten eine entsprechende Umwertung angebahnt. Am stärksten gilt das für die mehrschichtige Wahrnehmung des Psalters als Buch, das mehrere Leseebenen erfordert und ermöglicht. Damit rückt einerseits ein synchrones canonical reading des überlieferten masoretischen Psalters in den Fokus. Andererseits kann man eine solche Beschreibung des Textes, die weit über die Einzelpsalmen hinausreicht, nicht ohne diachrone Gesichtspunkte zur – nach wie vor nur hypothetisch möglichen – Kompositions- und Redaktionsgeschichte des Psalters durchführen. Hier hat sich in der Forschung vor allem im Anschluss an und in Auseinandersetzung mit der Kommentierung der Psalmen durch Frank-Lothar Hossfeld und Erich Zenger4 eine differenzierte Modellbildung entwickelt.5 Nicht zuletzt im Blick auf den Septuagintapsalter und die Psalmenhandschriften vom Toten Meer wird diese Rekonstruktion immer detaillierter und zunehmend an materiellen Befunden orientiert durchgeführt.6 Ein gewisses, auch für das zeitliche Verhältnis von Psalmen und Chronik wichtiges Eckdatum bildet die wahrscheinliche Entstehung der griechischen Psalterübersetzung in der 2. Hälfte des 2. Jh.s v.Chr (nach anderen: um 100 v.Chr.). Deren hebräische Vorlage scheint dem Umfang nach (wenn auch in anderer Zählung) und in der Anordnung ein protomasoretischer Psalter gewesen zu sein. In diesem Licht sollte dann auch die Frage nach der Beurteilung der hebräischen Psalmenhandschriften aus den Höhlen vom Toten Meer, v.a. aus der Nähe von Chirbet Qumran, angegangen werden (ältester Psalmentext 4QPsa [4Q83]: ca. 150 v.Chr. [Nähe zu MT], jüngste Texte: bis ca. 70 n.Chr.). Hierzu schwankt die neuere Diskussion zwischen der Auffassung, die „QumranPsalter(ien)“ seien eher als Epi-Phänomene zu einem bereits vorhandenen protomasoretischen Psalter zu beurteilen (Florilegien, Auszüge zu speziellen Zwecken) oder aber der gegenteiligen Annahme, wonach die PsHandschriften – wie im Fall anderer biblischer Manuskripte – einen in Umfang und Aufbau noch flüssigen Psalter bezeugen.7 Der wichtigste Text für  3 JAPHET, I and II Chronicles; H. G. M. WILLIAMSON, 1–2 Chronicles. – Auch nach Erscheinen der deutschen Ausgabe von JAPHET (1 und 2 Chronik, HThK.AT) ist nicht zuletzt aufgrund arbiträrer Kürzungen nach wie vor auf das englische Original zurückzugreifen, vgl. R. MOSIS, TThZ 112 (2003) 51–57; T. WILLI, ThLZ 131 (2006) 23–26. 4 Vgl. F.-L. HOSSFELD/E. ZENGER, in NEB: Psalm 1–50; in HThK.AT (jeweils mit Kurzfassungen in NEB): Psalmen 51–100; Psalmen 101–150. 5 Vgl. als Überblick zur Forschung E. ZENGER (Hg.), Composition of the Book of Psalms. 6 Vgl. zu den Psalter-Handschriften aus Qumran FLINT, Dead Sea Psalms Scrolls; FABRY, Psalter in Qumran; JAIN, Psalmen oder Psalter? 7 Vgl. STEUDEL, Erforschung der biblischen Texte von Qumran, 14–17; WILLGREN, Formation of the ‘Book’ of Psalms.

Zur Einführung

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die Beantwortung dieser Alternative ist die umfangreiche Handschrift 11QPsa [11Q5], die nicht nur eine ganz andere Anordnung von Psalmen zeigt, sondern darüber hinaus eine Reihe von „apokryphen“ Psalmen und weiteren Texten enthält. Die Debatte ist keineswegs entschieden. Uns scheinen derzeit bessere Gründe dafür zu sprechen, dass im 2. Jh. v. Chr. der Psalter in seiner späteren masoretischen Gestalt weitgehend definiert war (was andere zeitgleiche Psalterformen nicht ausschließt). Dafür lassen sich allerdings aus den Handschriftenbefunden keine definitiven Belege beibringen, sondern die Argumente werden hypothetisch vom angenommenen Entstehungsdatum des Septuagintapsalters aus (s.o.) und aufgrund der literarhistorischen Hypothesen zur Psalterentstehung (MT) gewonnen. In jedem Fall ist festzuhalten, dass in den Qumrantexten neben dem Dtn die Psalmen das wichtigste biblische Referenzwerk sind. Die Psalmen haben augenscheinlich hohe Autorität, weil sich viele Texte auslegend auf sie beziehen. Dabei scheinen sie in Qumran – aufgrund ihrer Davidzuweisung? – fast nur als „prophetische“ Bezugsgrößen verstanden und verwendet worden zu sein. Im Blick auf das Verhältnis von Psalmen und Chronik ist festzuhalten, dass die Chronik ebenfalls eine hohe Bedeutung von Psalmtexten bezeugt, weniger freilich als „autoritative“ Bezugstexte für schriftgelehrten Gebrauch, denn als in der erzählten Welt der Chronik mit dem Tempel verbundene liturgisch funktionale Texte. Im literarischen Aufriss des Werkes 1/2 Chr sind Psalmen nicht nur an bestimmten narrativen und konzeptionellen Höhepunkten durch Zitation und Anspielung präsent, sondern sie werden dann ausschließlich als liturgisch verwendete Texte vorgeführt. 8 Mit ihnen sind vor allem David und Salomo als Stifter des Tempelkultes verbunden: Im königlichen Auftrag werden als ausführende Personen der Rezitation von dankenden/lobenden kollektiven Psalmen v.a. die – evtl. mit den Kreisen der Verfasser der Geschichtsdarstellung der Chr zu verbindenden – Leviten genannt (z.B. 1 Chr 16:7 bei der Einführung der Lade in den Tempel; 2 Chr 5:12f bei der Tempelweihe). Das unterscheidet die funktionale Psalmenverwendung in Chr von vielen Qumranbelegen für Psalmenbezüge. Interessanterweise weist der nachchronistische apokryphe Text „David’s Compositions“ in der großen Psalmenhandschrift 11QPsa (30–50 n.Chr.) eine im Vergleich mit der Chr nochmals zugespitzte Davidzuschreibung mit kultisch-ritueller Funktion der Psalmen auf. In ihm gilt David wie in Chr – wenn auch indirekt – als der Wegbereiter und Gestalter des Tempelkults und explizit als weiser Dichter zahlreicher Lieder für den täglichen Opferkult und die Festzeiten (Sabbate, Neumonde, Jahresfeste und Versöhnungstag [jǀm hak-kippnjrƯm], vgl. 11Q5 27,2–11, v.a. 5–8).  8

Für eine textpragmatische intertextuelle Untersuchung der Gebetssprache im Erzählverlauf der Chronikbücher vgl. jetzt JENDREK, Hinwendung zu Gott.

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Zur Einführung

Es gibt also auch Gemeinsamkeiten zwischen der Funktionsbestimmung von Psalmen in manchen Qumrantexten und in Chr, bei überwiegend erheblichen Unterschieden. Im Ganzen liegt die Chronik mit ihrer „Ausrichtung auf den Jerusalemer Tempel und [....] der Hochschätzung von Gebeten, Festen und Opfern“9 zeitlich den Handschriftenbefunden vom Toten Meer in jedem Fall voraus (Datierungen für die Entstehung der Chronik reichen vom 5. bis ins 2. Jh. v. Chr.; nach Meinung der Herausgeber dieses Bandes kommt v.a. das 4. Jh. v. Chr. in Betracht). Es bleibt dann noch auf einen bemerkenswerten Sachverhalt hinzuweisen: Die in der Chronik verwendeten, zitierten und angespielten Psalmen stammen fast ausnahmslos aus den Büchern IV und V des Psalters (v.a. Ps 96; 105; 106; 107; 118; 132). Das ist insofern nicht unwichtig, als nach häufigem Urteil in der neueren Psalmenforschung genau dieser Bereich des MT-Psalters sich ebenfalls zwischen dem 5. und 2. Jh. v. Chr. in einem komplexen redaktionellen Vorgang vollends verfestigt hat, wobei das zunehmend mit Gesamtperspektiven auf das nun als solches etablierte Buch der Psalmen (sƝpær tehillƯm) verbunden war.10 Insbesondere das letzte Psalmenbuch (V) hatte in dieser Hinsicht eine andere Entstehungsgeschichte als die älteren v.a. ab der Exilszeit entstandenen Bücher I–III und IV: In ihm wurden in einer an Buch IV anknüpfenden theozentrischen Perspektive der universalen Königsherrschaft JHWHs eine sicher einmal unabhängige Teilsammlung („Wallfahrtspsalter“ Ps 120–134) mit einer Gruppe von Hallel-Psalmen (Ps 113–118) verknüpft und mittels der „hǀdu“-„Danket!“-Formel in Ps 107; 118; 136 zu einem redaktionell mehrstufigen Psalterschluss hin ausgebaut, der am Ende um das sog. Schluss-Hallel Ps 146–150 ergänzt wurde. 11 Die Prozesse der abschließenden Psalterwerdung wären dann zeitgleich mit der Entstehung der Chronik anzusetzen. Chr hätte sich in diesem Licht vor allem besonders „aktueller“ Psalmen, vielleicht aber auch schon eines im Werden begriffenen protomasoretischen Psalters bedient, um ihr ideales Bild des Tempelkults der gründenden Frühzeit als ferner Spiegel ihres eigenen zeitgenössischen Zweiten Tempels zu zeichnen. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob es auch angesichts der kleinräumigen Verhältnisse der persischen Provinz Jehud, nicht weiterhin naheliegt, an verwandte oder identische (levitische?) Träger- bzw. Verfasserkreise für Psalmen (Psalter) und Chronik zu denken.

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WITTE, Chronikbücher, 532. Vgl. das Modell des sukzessiven Wachstums und redaktionellen Entstehungsprozesses des Psalters bei E. ZENGER/F.-L. HOSSFELD, Buch der Psalmen, 448–450. 11 Vgl. dazu aus der neuen Forschung etwa LEUENBERGER, Konzeptionen; GÄRTNER, Geschichtspsalmen; BRODERSEN, End of the Psalter. 10

Zur Einführung

XIII

In dieses Umfeld schreiben sich der vorliegende Band und die ihm zugrundeliegende Tagung ein. Sie fand vom 19. bis zum 23. August 2012 in München statt. Den Stein ins Rollen brachte das lebendige Forschungscolloquium zum Alten Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg, in dem sich beide Herausgeber über Jahre regelmäßig austauschen konnten. Es erwies sich als fruchtbarer Nährboden für ein Gespräch zwischen Psalmen- und Chronik-Forschung. Intensiviert wurde der Austausch durch die Tatsache, dass sich die Herausgeber auch im Rahmen der Arbeit am „Biblischen Kommentar Altes Testament“ vereint finden und in den Mitarbeiter-Tagungen des BK immer wieder neu und überraschend auf Querverbindungen zwischen Psalmen und Chronik stießen. So tauchte die Idee auf, das bereichernde Gespräch zu erweitern und zu öffnen. München und seine akademische Welt, in die Friedhelm Hartenstein 2010 eintrat, bot dann die ideale Möglichkeit, dies zu verwirklichen, nicht zuletzt dank der umsichtigen Begleitung, die Frau Susanne Schleeger (Sekretariat des Lehrstuhls für Altes Testament II an der EvangelischTheologischen Fakultät der LMU) der Tagung und diesem Band angedeihen ließ. Besonderer Dank gebührt weiterhin Mathias Neumann (wiss. Assistent am Lehrstuhl). Er hat den Band mit großer Sorgfalt formatiert, an den Summarien dieser Einführung mitgewirkt und die Register erstellt.

Wir haben die gemeinsamen Tage mit den Fachkolleginnen und -kollegen aus aller Welt als sehr befruchtend empfunden und sind dankbar, dass FrankLothar Hossfeld (gest. 2.11.2015) die Tagung mit einem gewichtigen Beitrag und mit seiner umfassenden Psalmenexpertise bereichert hat. Die Palette der Vorträge, auch das sei dankbar erwähnt, ist für die Publikation noch durch einige weitere Beiträge von Chronik- und Psalmenexpertinnen und -experten erweitert worden, die in München nicht persönlich dabei sein konnten, darunter Zipora Talshir (gest. 3.10.2016), die uns nachträglich ihren wichtigen Text zur Zitation in der Chronik zugesandt hat. Dass der Zeitraum zwischen der Tagung und der Publikation der Beiträge ungewöhnlich lang geworden ist, bitten wir zu entschuldigen. Aus unserer Sicht hat sich jedoch an der Aktualität der Thematik seit 2012 nichts verändert. Im Gegenteil scheint uns der vorliegende Band einen Anstoß dafür zu geben, wesentliche Fragen im Schnittfeld der Entstehung zweier zentraler Werke der ketnjbƯm und ihrer protomasoretischen Textgestalten präziser als bisher zu erfassen und den Dialog weiter zu öffnen. Der Band ordnet die Beiträge den drei Schwerpunkten Chronik (I.), Psalmen (II.), Psalmen und Chronik (III.) zu, wobei sich innerhalb dieser Rubriken und zwischen den Texten eine Reihe von Querverbindungen ergeben. Im Ganzen sind die Texte alle auf die Frage der spezifischen Formen der Rezeption gerichtet, die sich für den Umgang der Chronik mit ihren Bezugstexten und Vorlagen, v.a. den Psalmen, aufzeigen lässt.

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Zur Einführung

I. Chronik: Die ersten, auf die Chronik selbst konzentrierten Beiträge widmen sich dem in der alttestamentlichen Literatur so vielfarbigen Portrait Davids und Salomos in ihrer chronistischen Variante: Für Isaac Kalimi, Mainz, ergibt sich aus einer genauen Untersuchung der Berichte zur Übergangsphase von David auf Salomo das Resultat eines völlig neuen Porträts von David und Salomo in der jüngeren Darstellung von Chr im Unterschied zu der von ihr gekannten und benutzten Überlieferung in 1Kön 1–2. Der Beitrag untersucht die Thronfolgeerzählungen Salomos in den Könige- und Chronikbüchern. Kalimi vergleicht beide Erzählungen miteinander und setzt dabei auf eine hohe historische Auswertbarkeit der Texte in 1Kön 1–2. Während die Thronfolgeerzählung in 2Sam–1Kön viele Hinweise dafür gebe, dass Salomos Bruder Adonijah der erwartete Thronfolger sei, und dass Salomo den Thron nur durch Palastintrigen bekommen habe, lasse die chronistische Erzählung alle negativen Elemente aus 2Sam 11–12; 1Kön 1–2 aus und behaupte die breite Unterstützung Salomos durch seine Brüder und die Hofbeamten. Beide Erzählungen haben ein ähnliches Ziel: Salomos Thronfolge als göttliche Erwählung zu zeigen. Aber 1Kön 1–2 ziele auf eine Apologie der fragwürdigen Weise wie Salomo den Vorrang erreicht habe, während Chr jeden Makel von Salomos Herkunft fernhalte so dass gar keine Apologie mehr notwendig ist. Salomo werde in Chr schon vor seiner Geburt als gerechter Herrscher vorhergesagt (1Chr 22:7–10), da der spätere Erbauer des Tempels nicht mit Hofintrigen in Verbindung gebracht werden soll. Der Chronist formuliert so eine den eigenen Intentionen anverwandelte Version der rechtmäßigen Thronfolge Salomos. Eine erfrischende Note bringen die Erwägungen von Hans-Peter Mathys, Basel, in die Diskussion ein, die das in Chr vorausgesetzte wirtschaftliche Umfeld des Ersten Tempels für die Praxis des Jerusalemer Tempels in persisch-griechischer Zeit berücksichtigt: David wird in der Chr zum Euergetes gemacht. Dieser Ehrentitel für sich finanziell engagierende Bürger im hellenistischen Raum wurde auch auf Könige übertragen, die Gebäude jeglicher Art, v.a. aber Tempel, für die Öffentlichkeit stifteten. Um David als Euergetes darzustellen, muss die Chronik nach Mathys zwischen Kron- und Privatvermögen unterscheiden, da die Tempelstiftung zu den traditionell königlichen Aufgaben gehöre. David habe seinen Anteil am Tempel also aus seinem Privatvermögen finanziert. Nach Mathys dürfte dabei Alexander der Große als Vorbild gedient haben. Ein Beleg ist für ihn, dass Alexander anders als andere Herrscher in größerem Umfang Tempelgebäude gestiftet haben soll.

Ein dritter Beitrag zur Chronik hat grundsätzliche Bedeutung für das Tagungsthema, weil er dem spezifischen Quellenumgang des Geschichtswerks systematisch und detailliert anhand der Frage nach „Zitation“ nachgeht: Zipora Talshir, Beersheba/Jerusalem, untersucht, ob und wie man von einer art of quotation in Chr sprechen kann. Sie kommt zum Schluss, dass es sich in Chr nicht um „Zitate“ im modernen Sinn handelt, sondern vielmehr um eine musivische Aufbereitung vorgegebener Tradition. Talshir fragt nach der besonderen Weise der Quellenaufnahme in Chr. Die Vorlagen aus Sam und Kön sind deutlich anhand von Sprache, Form und Inhalt zu erkennen, zugleich habe sich der Chronist zweifellos auf weitere schriftliche wie mündliche Quellen bezogen. Daher ist die Frage nach der „Zitation“ nur in Grenzen beantwortbar. Die Annahme großer Quellenvielfalt geht mit der Beobachtung einer hohen kreativen Eigenleistung des Autors einher. Exemplarisch für dessen Musivstil wird 2Chr 15:1–7 untersucht. Talshir listet zahlreiche hier verarbeitete Quellen auf (Dtn, Jes, Jer, Hos, Am, Zef und Sach). Jedoch könne man nicht von Zitaten sprechen, sondern vielmehr von Vorlagen, aus der der Chronist eigenstän-

Zur Einführung

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dig Texte im Musivstil geformt habe. Der Psalter werde in Chr dagegen vergleichsweise selten und dann gerade nicht als Grundlage für musivische Variation, sondern in direkterer wörtlicher Aufnahme verwendet: Vor allem im Rahmen der Erzählung der Überführung der Lade nach Jerusalem (1Chr 15–16) werden Psalmenelemente benutzt (Ps 105:1–14; 96:1–13; 106:1.47f). Ihre wenig kunstvolle Zusammenstellung (Florilegium) diene vor allem der Betonung des festlichen Charakters der Situation.

II. Psalmen: Fünf weitere Beiträge setzen dezidiert unter verschiedenen Hinsichten am Psalter an, genauer an solchen Psalmen und mit ihnen verbundenen Phänomenen (Überschriften, Hodu-Formel, Kompositionsbögen), die für die Psalmenrezeption der Chronik eine Rolle spielen: Den Anfang macht Judith Gärtner, Rostock, die in der Thematik der Güte Gottes, die aus den Psalmen 106 und 107 letztlich auf Ps 136 zuläuft und so in Chr rezipiert wird, ein wesentliches Kompositionsprinzip des Psalmenbuches V identifiziert. Gärtners Überlegungen schließen sich an die Beobachtung Levins an, dass der vierten Doxologie des Psalters in Ps 106:48 eine Sonderrolle zukommt: Die ersten drei Doxologien schließen vorgegebene Teilsammlungen ab, die vierte jedoch stelle als abschließende Doxologie intentional eine Fünfteilung des Psalters her. In diesem Kontext fragt Gärtner vor allem nach dem Übergang von Ps 106 zu Ps 107. So nimmt der hymnische Anfang Ps 107:1–3 bewusst die Schlussbitte Ps 106:47 auf. Auch sind beide Psalmen über die Hodu-Formel in 106:1 und 107:1 miteinander verbunden. Durch die Hodu-Formel wird nicht nur die Zusammengehörigkeit von Ps 106 und 107 deutlich, sondern auch ein kompositioneller Bogen über Ps 118 hin zu Ps 136 erkennbar: Das Lob der Güte JHWHs in der Geschichte seines Volkes (Ps 106) und in den Lebensgeschichten Einzelner (Ps 107; 118) läuft auf das bekenntnisartig verdichtende Lob der alles umfassenden Güte JHWHs in Ps 136 zu. Ps 136 kann dann als vorläufiger Buchschluss angesehen werden. Aus diesen Gründen vermutet Gärtner, dass die Schlussdoxologie in Ps 106:48 nachträglich eingefügt wurde, da sie den aufgezeigten kontinuierlichen Zusammenhang zwischen 106 und 107 unterbricht, ohne ihn unkenntlich zu machen oder aufzulösen. Dirk J. Human, Pretoria, betont die oben erwähnte Tatsache, dass (fast) alle in Chr verwendeten Psalmen oder Psalmbestandteile dem größeren Kontext von Buch IV und vor allem V des Psalters entstammen. Er stellt dazu in seinem Beitrag die Interpretationsmöglichkeiten des in 2Chr 6:41f zitierten Ps 132 in den Mittelpunkt, die sich ergeben, wenn sich Psalmenund Psalterexegese gegenseitig ergänzen. Nach einer Einzeluntersuchung des Psalms analysiert Human die Struktur der „Wallfahrtspsalmen“ Ps 120–134, die als Teilsammlung im Kontext der Liturgie des Zweiten Tempels zusammengestellt worden seien. Er unterteilt sie in die Psalmengruppen 120–124; 125–129; 130–134, die jeweils sowohl Königs- wie Zionstheologie aufweisen. In spätnachexilischer Zeit habe die Sammlung nach Human eine „meditative pilgrimage“ ermöglicht, wenn Judäern eine Wallfahrt nach Jerusalem nicht möglich war. Die drei zentralen Psalmen der Teilsammlungen (122; 127; 132) zeichnen sich durch eine historisch-theologische Reflexion aus, die besonders Jerusalem (Ps 122), den Tempel (Ps 127) und David (Ps 132) betonen. In Ps 132 kommen diese Motive zum Höhepunkt, so dass Ps 120–134 durch Ps 132 im Ganze als ein „book of trust in Yahweh“ charakterisiert werden. Bernd Janowski, Tübingen, weist in seiner gründlichen Untersuchung der Psalmenüberschriften auf den entscheidenden Unterschied zwischen den Prozessen der Buchentstehung in Chr und im Psalter hin: Während im Ps-Buch David direkt Psalmensänger und -dichter ist, erscheint „der chronistische David nicht als Dichter von Psalmen“ (s.o.). Als Grundproblem der Psalmenüberschriften benennt Janowski die Uneinheitlichkeit und Vielschichtigkeit der Einzelinformationen. Die Überschriften weisen maximal fünf Elemente auf: a) Gattungsan-

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gabe, b) Zuschreibung an eine Person oder Personengruppe, c) kultisch-liturgische Zweckangabe, d) musikalisch-technische Angabe/Melodieangabe, e) biographische Situationsangabe. Janowski stellt fest, dass es mit dem Buchwechsel im Psalter auch zu einem Wechsel des Überschriftensystems kommt, wobei erneut die Zäsur zwischen Buch III auf IV besonders auffällt: In den Büchern IV–V gibt es kaum noch Melodieangaben, keine Personenzuschreibungen an Asaph und die Korachiten und fast keine kultisch-liturgischen Zweckangaben mehr. Gleichzeitig finden sich überschriftslose Psalmen vor allem in den letzten beiden Büchern. Die Elemente der Überschriften korreliert er – darin der Forschung folgend – mit Stellen aus den Chronikbüchern, mit deren Hilfe Verfassernamen und liturgische bzw. technische Ausdrücke erhellt werden können. David wird in 1/2Chr als „David musicans“ dargestellt, der Tempelmusiker bestellt und anweist, die levitischen Musikinstrumente schafft und Lobgesänge initiiert. Janowski kommt zum Ergebnis, dass die Psalmenüberschriften nicht generalisierend als sekundär abgetan werden können, obgleich sie eine Größe sui generis bilden. Häufig seien sie mit dem jeweiligen Korpus und den Teilsammlungen verbunden und spielten lexikalisch, inhaltlich und motivlich auf die Literatur-, Religions- und Theologiegeschichte des AT an. Nach wie vor bleiben trotzdem zahlreiche Aspekte der Überschriften rätselhaft und unklar. Eine Hilfe für das Verständnis mancher biographischer oder musikalischtechnischer Angaben bieten die Saul-/Davidüberlieferungen in 1/2Sam und 1/2Chr sowie die Geschichte der Kultsänger am Zweiten Tempel in 1/2Chr. Auch für die Psalterredaktion(en) ermöglichen die Überschriften manch wichtige Rückschlüsse. Für Reinhard Müller, Münster, ist die „poetische Nachdichtung der Nathanverheißung“ (Michael Pietsch), wie sie Chr in Form von Ps 132 in 2Chr 6:41f vornimmt, indem sie mit dem Stichwort des „Findens“ einen älteren Kern mit jüngerem Gut verbindet, überraschend frei gestaltet. Müller analysiert wie Human Ps 132, fragt aber genauer nach dem Grund seiner Rezeption in der Chronik. Müller nimmt eine nachkönigliche Entstehung des Psalms an und problematisiert zugleich die häufig in der Forschung vertretene Deutung des „Gesalbten“ (132:10) auf das Volk Israel als Erbe der Verheißung. Wegen des Zusammenhangs der Dynastieverheißung mit dem Titel „Gesalbter“ sei dies kaum möglich, da mit diesem an leibliche Abstammung gedacht sei (V. 11b). Da JHWHs langzeitige Bindung an den Zion und die Verheißung der ewigen Dynastie Davids in Ps 132 fest zusammengehörten, der Psalm aber nicht vom Abbruch der Davididenherrschaft spreche, deutet Müller Ps 132 als Ausdruck einer Herrschererwartung. Die Beter können schon jetzt die göttliche Erwählung des Zion erneut erfahren, was die Hoffnung einer politischen Erneuerung durch einen Davidsohn befördert. Sowohl David (als Gründergestalt) wie der kommende Davidsohn seien Teil der überzeitlichen Jerusalemer Kultgemeinde, die als Bindeglied zwischen JHWHs ewiger und der kommenden Herrschaft eines Davididen fungiere und die diesen Psalm bete. So wird es kein Zufall sein, dass gerade Ps 132 in der Geschichtsdarstellung der Chronik prominent zitiert wird, weil er das davidische Königtum mit der im Licht der Tora gedeuteten Geschichte des Gottesvolks verknüpft. Neben Ps 132 sind es Ps 96, 106 und 107, die in Chr prominent aufgenommen werden. Ps 96 wird in 1Chr 16:23–33, wie Johannes Schnocks, Münster, beobachtet, von Chr so integriert, dass eine Sprechsituation vor dem Tempelbau möglich wird. Damit hängen die Retuschen und vor allem auch die Kürzungen des Psalms in Chr zusammen. Schnocks analysiert zunächst Ps 96 als Einzelpsalm und anschließend in den Kontexten des Psalters und der Chronik. Ps 96 entfaltet in drei Strophen (1–6.7–10.11–13) das Gotteslob der ganzen Erde: Die Völker sollen Gottes Heilshandeln an Israel erkennen und ihn verehren, was vor dem Hintergrund des IV. Psamenbuches wichtig ist (Völkerperspektive, Königsherrschaft Gottes über alle Welt). Im Kontext des Psalters besteht eine große Nähe von Ps 96 nicht nur zu Ps 98, sondern auch zu Ps 100. Schnocks erörtert abschließend die Aufnahme von Ps 96 in 1Chr 16:23–33. Der Psalm wird dort an den Kontext von 1Chr 16 angepasst, indem v.a. der Anfang

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gekürzt wurde. Darüber hinaus wurden in 1Chr 16,27 und 29 die Begriffe „Heiligtum“ und „Vorhöfe“ aus Ps 96:6.8 weggelassen bzw. so verändert, dass der Psalm in die narrative Situation vor dem Tempelbau passt. Schnocks führt noch weitere ähnliche Änderungen auf, die zeigen, dass Ps 96 in 1Chr 16:23–33 in einer Adaption für den neuen Kontext aufgenommen wurde. Exemplarisch ist das Weglassen der Gerichtsaussagen von Ps 96:10b–13b zu nennen: Schnocks nimmt an, dass Aussagen speziell zum Völkergericht nach 1Chr 16:31 keinen Platz mehr haben, weil V. 30–33 eine umfassende kosmische Theophanie zeichnet, in der alles (die ganze Erde) dem göttlichen Richten unterstehen wird (V. 33).

III. Psalmen und Chronik: Neun Beiträge setzen jeder auf seine Weise und in verschiedenen Hinsichten primär bei der Chronik (teils auch ihren Vorlagen) an und beleuchten mit je verschiedenen Akzenten den Umgang der Chronik mit der Tradition der Psalmen: Ehud Ben Zvi, Alberta, stellt insgesamt ein Chronik wie Psalmen einigendes social memory system für die Verfasser- und Rezipientenkreise fest, auch wenn er hinsichtlich der Vergleichbarkeit davor warnt, das moderne Verständnis beider Textbereiche zugrundezulegen: Chr befasst sich zwar mit Psalmen und liedhaften Stücken, präsentiert aber nicht „the actual contents of the songs“, und umgekehrt erscheinen die Psalmen als mit Chr gleichzeitige oder spätere resignification der chr Persönlichkeiten. Vor dem persischen bzw. frühhellenistischen Hintergrund soll exemplarisch erhellt werden, wie alte Psalmen erinnert und neu interpretiert wurden. So verweisen viele Psalmenüberschriften auf David als „master musician“. In Chr wird David auf der Grundlage dieser bereits existierenden Erinnerung als Musiker weiter ausgestaltet. Ps und Chr gehören einem gemeinsamen „mnemonic system“ an, in dem über die Figur Davids Opfer(-kult) und Psalmen miteinander verwoben sind. Die levitischen Sänger Asaph, Heman und Jeduthun sind ein weiteres Beispiel gemeinsamer Erinnerung. Sie werden in Ps 39; 50; 62; 73–83; 88 genannt und kommen auch in Chr vor. Auch Formeln wie ʥʣʱʧ ʭʬʥʲʬ ʩʫ erweisen sich als besonders geeignet für die Formung von Erinnerung: In Ps 106; 107; 118; 136 kommt diese Formel 32mal vor und wird auch in 1Chr 16:34.41; 2Chr 5:13; 7:3.6; 20:21 für den Lobpreis JHWHs genutzt. Im Weiteren behandelt der Beitrag vor allem die Psalmenzitate in 1Chr 16:8–36; 2Chr 6:41–42. Für damalige Rezipienten habe sich dazu nicht die Frage nach der Ursprünglichkeit der Psalmtexte in Chr oder Psalmen gestellt. Weit wichtiger als das sicher höhere Alter von Ps 96:1–13; 105:1–15; 106:1.47–48; 132:8–10 sei die wechselseitige Erhellung von Chr und Psalmen durch die Rezeption gewesen. Beide Versionen haben so ihren Anteil an der Gestaltung von Erinnerung gehabt. Deutlich wird das daran, dass in der narratio der Chr der von David initiierte „Psalm“ zugleich auf die nachexilische Situation transparent gemacht werde (1Chr 16:35). Ähnlich verhält es sich mit 2Chr 6:41–42, wo Ps 132:8–10 paraphrasiert wurde: Die Verse beschließen in 2Chr 6 jetzt das Tempelweihgebet Salomos und verändern die Vorlage von 1Kön 8: 2Chr 6:41–42 betont auf diese Weise, dass die Grundlagen des Tempelkults allein auf JHWH zurückgehen. Walter Dietrich, Bern, wendet sich in seinem Beitrag der Frage nach der zunehmenden Anreicherung der Gestalt Davids im Lauf der Überlieferung zu. Für ihn stellt der Mittelteil von 2Sam 21–24 einen wichtigen Schritt zur Davidisierung des Stoffes dar, während andererseits in diesen Anhängen zu den Samuelbüchern weniger David als seine Mitstreiter gerühmt werden – eine Etappe auf dem langen Weg bis hin zur Darstellung der Chronik. Ausgehend von der Diskrepanz zwischen der in der großen Psalmenhandschrift 11QPsa (s.o.) konstatierten Behauptung, dass David 3600 Psalmen und weitere Lieder für Altar und Brandopfer verfasst haben soll, und der überwiegenden Prosagestalt von 1/2Sam, fragt Dietrich, inwiefern die Erzählungen der Samuelbücher nicht zugleich auch als Poesie verstanden werden müssen.

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Der Beitrag befasst sich dann v.a. mit den explizit poetischen Abschnitten in 1/2Sam wie den Totenklagen 2Sam 1 und 3. Dietrich hält diese – im Gegensatz zu den Liedern aus den Anhängen – grundsätzlich für alte Elemente der Überlieferung. Aus den späten Anhängen 2Sam 21–24 geht er ausführlich auf 2Sam 22 ein und kommt anhand eines Vergleichs mit der Vorlage Ps 18 zum Schluss, dass mit der Rezeption dieses Psalms ein wichtiger Schritt zur Davidisierung des Psalters geschah. Die biographische Notiz 2Sam 22:1 mache das ʣʥʣʬ eindeutig zur Verfasserangabe. Die „Letzten Worte Davids“ in 2Sam 23:1–7 schließlich stellen David in die prophetische Tradition, und das Gegenüber von gerechter und ungerechter Herrschaft Davids in 2Sam 23 verweist zudem auf Ps 1. Vermutlich ist dabei bereits das Psalterproömium im Blick. Dessen Doppelstruktur habe dem Kompilator von 2Sam 23:1b–7 und 2Sam 22 evtl. als hermeneutischer Schlüssel für 1/2Sam vor Augen gestanden. Friedhelm Hartenstein, München, widmet sich in seinem Beitrag einem Vergleich zwischen Ps 2 und dem Konzept der Weltherrschaft JHWHs und seines Königs in der Chronik. Ausgehend von Ps 2:6, dem neben Ps 110:2; 132:17 einzigen Beleg für eine Verbindung des Königs/Davididen mit dem Berg Zion als dem Wohn- und Thronort JHWHs fragt er vor allem nach dem räumlichen Symbolismus (impliziten Weltbild), das die Texte prägt. Dabei wird Ps 2 als ein spätperserzeitlicher Text verstanden, der um einen alten königszeitlichen Kern (V. 7–9) herum gestaltet wurde, um als Einleitung eines „messianischen Psalters“ (Ps 2–89) zu dienen. Ein doppelter (ikonographischer und textbezogener) Blick auf die Weltherrschaftskonzeption der Achämeniden zeigt, dass diese – wie schon länger gesehen – ein Muster für die Konzeption des Königtums in Chr darstellt: Die achämenidischen Großkönige sahen sich in enger Verbundenheit mit dem großen Gott Ahura Mazda, der als Weltschöpfer und – ikonographisch bezeugt – mit einem Himmelsbezug versehen als universaler Gott erscheint. Nach Thomas Willi hat die Chr das eine Weltkönigtum in einer translatio imperii durch JHWH (in der Rolle des einen Schöpfers und Geschichtslenkers) von Saul, über David/Salomo und die Davididen und Nebukadnezar bis zu den Persern verfolgt (2Chr 36:20). Dabei wird von Salomo dreimal paradigmatisch ausgesagt, er sitze auf „dem Thron JHWHs“ (1Chr 28:5; 29:23; 2Chr 9,8), eine Lokalisierung, die exakt die universale Herrschaft des Gesalbten im Zentrum der Welt bezeichnet, die der König als Mandatar in enger Verbindung mit Gott ausübt. Auffallend ist, wie in Chr und Ps 2 die Rebellion/Illoyalität „gegen JHWH und seinen Gesalbten“ gezeichnet wird (vgl. die Kriegsberichte 2 Chr 13f; 20): Jeweils kann niemand gegen den Himmelsthroner (Ps 2:4; 2Chr 20:5f) bestehen, der die Aufstände beendet, bevor sie richtig begonnen haben. Dabei ähneln sich die impliziten Weltbilder von Ps 2 und Chr auffallend: Jeweils werden Tempel (als Residenz und Herrschaftsort) und Welt unter dem Himmel in eins gesehen. Jutta Hausmann, Budapest, fragt nach Ursprung und Funktion der bereits genannten Formel „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich!“, in der spätalttestamentlichen Literatur, für die Ps 106:1 der kanonisch gelesen erste Beleg im Psalter ist. Insgesamt besteht zumindest auf kompositorischer Ebene ein fortlaufender Zusammenhang zwischen den die Formel im Anschluss verwendenden Psalmen. Im zweiten Abschnitt ihres Beitrags sichtet Hausmann die Belege aus 1/2Chr. In Teilen findet sich die Formel mehrfach in 1Chr 16 und vollständig in 1Chr 16:34. Dass in 2Chr 5:13; 7:3 nur die verkürzte Variante vorkommt, liegt im narrativen Charakter des Textes begründet. An beiden Stellen wird der kultische Kontext durch die Musikinstrumente, die Leviten bzw. Israeliten, die wie ein einziger Sänger den Dank anstimmen, und durch die Theophanieelemente Wolke (2Chr 5) und Feuer (2Chr 7) unterstrichen. Für Chr insgesamt gilt, dass die Formel nur in deren Sondergut zu finden ist. An drei Stellen geht es um den Tempel, an einer vierten um eine kultische Handlung (2Chr 20). Jeweils handelt es sich um herausragende Ereignisse für Israel. Die Formel ist grundsätzlich in poetischen Texten anzutreffen (gehäuft im Psalter und in 1Chr 16). Darüber hinaus wird sie in narrativen Kontexten wie 2Chr 5:13; 7:3; 20:21 zitiert und

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spielt dann womöglich auch auf vollständige Gebete bzw. Psalmen an, die in der Rezeption jeweils mitzudenken wären. Speziell 2Chr 7:3 – gemeinsam mit Jer 33:11 und Esr 3:11 – kann nach Hausmann als Hinweis darauf gelten, dass die Formel ihren ursprünglichen Ort im nachexilischen Tempelkult hat. Wie Frank-Lothar Hossfeld, Bonn, aufzeigt, tragen die sog. Wallfahrtspsalmen Ps 120– 134 dazu bei, die geistige Heimat von Chr schärfer zu erfassen, denn auch für sie liegt die Kontinuität für Israel im Tempel, nicht in der davon unterschiedenen Stadt. Seit je bilden sie eine eigene Sammlung im letzten Teil des Psalters und sind in Chr nicht direkt und als solche präsent. Hossfeld vergleicht das Davidbild des Wallfahrtspsalters mit demjenigen von Chr erneut im Kontext der Aufnahme von Ps 132. Dabei setzt er voraus, dass Ps 132 als solcher älter ist als der chronistische Text. Auf der Ebene des Wallfahrtspsalters 120–134 ragen Ps 122 und 132 (wie auch Ps 127) in ihren jeweiligen Fünfergruppen heraus, da sie das Raumkonzept der Gesamtkomposition tragen. Die Zuschreibungen an David und Salomo speziell in Ps 122 und 132 wurden sekundär an die Standardüberschrift angebracht, was nach Hossfeld impliziert, dass die idealisierte Zeit von David und Salomo die normative Epoche der Geschichte Israels sei, in der die Bedeutung Jerusalems mitbegründet liege. Für die Rezeption von Ps 132:8–10 in 2Chr 6:41f lassen sich einige anpassende Veränderungen feststellen: So dient die Ergänzung des Tetragramms durch elohim der litaneiartigen Feierlichkeit der Passage. Auch geht es in Chr nicht um JHWHs Ruhestätte, sondern um sein Ruhen, was mit 2Chr 6:18 darauf abzielt, dass JHWH nicht auf Erden wohnt und nicht einmal die Himmel ihn erfassen könnten. Auf diese Weise werde das monotheistische Gottesbild des Psalters in der Chr weiter verstärkt. Dass 2Chr 6 den Psalm nur bruchstückhaft zitiert, hängt für Hossfeld damit zusammen, dass Ps 132 die Zeit vor dem Tempelbau thematisiert; in 2Chr 6 dagegen weiht Salomo den Tempel ein, so dass sich die drei Verse nun auf die Fortführung des Bundesverhältnisses in Bezug auf die kultische Präsenz Gottes und den Bestand Jerusalems beziehen. Der Chronist übernimmt aber insgesamt nicht eine Zionstheologie, sondern sieht den Tempel und die Stadt als „Festung“ Davids getrennt. Der Wallfahrtspsalter geht von einer Restauration von Tempel, Stadt und davidischer Dynastie aus, wohingegen Chr die Kontinuität nur im Tempel sieht, nicht aber in der Stadt mit davidischem Regiment. Matthew Lynch, Atlanta/Cheltenham UK, arbeitet anhand bisher unbeachteter Psalmenanspielungen in 2Chr 2:4 eine für Chr insgesamt tragende Vorstellung heraus, wonach der Tempel in Jerusalem „not just a human creation“ darstellt und von übernationaler Bedeutung ist. Die Zitation von Ps 135 in 2Chr 2:4 und mögliche Anspielungen auf Ps 115 und 134 in 2Chr 2:11 unterstützen die Intention des Chronisten, dass der Tempel die göttlich legitimierte Manifestation von JHWHs Macht und Überlegenheit sei. Insgesamt bringt die Chronik durch das um den Tempel ergänzte Zitat aus Ps 135:5 und die Anspielungen auf Ps 115; 134 in 2Chr 2 eine „qualitative congruency“ von JHWH und Tempel zum Ausdruck. Gleichzeitig rufe der Chronist zur universalen Verehrung JHWHs am Tempel auf. In seinen abschließenden grundsätzlichen Bemerkungen zum Verhältnis von Chr und Ps äußert Lynch die Vermutung, dass die Aufnahme von Ps 106:48 in 1Chr 16:36 dafür sprechen könnte, dass dem Chronisten bereits ein IV. Psalmenbuch vorlag. Außerdem stellt er die These infrage, dass das vierte und fünfte Psalmenbuch aus einer Phase sinkenden levitischen Einflusses komme, da Ps 135 gerade priesterliche und levitische Interessen vereine und die Psalmen von Chr als ein levitisch orientiertes Buch zitiert würden. Schließlich deutet er an, dass die Bezugnahme auf Ps 135, der wie Ps 115 zwischen Israel und „Gottesfürchtigen“ unterscheidet, im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Salomo und einem fremden König (2Chr 2) als Reflexion der Rolle von Ausländern im israelitischen Kult zu verstehen sei und zur chronistischen Perspektive auf den Tempel als Ort internationaler Bedeutung passe. Beat Weber, Linden, nähert sich der Frage nach den Trägern der Überlieferung von der anderen Seite: Aus den Asaph zugeschriebenen Psalmen erschließt er historische Vorausset-

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zungen, die auf eine rund vierhundert Jahre umspannende Traditionskontinuität führen, wobei das entsprechende Asaph-Corpus mit Chr die Ladetheologie teilt. Dabei setzt Weber voraus, dass einige Asaph-Psalmen wie Ps 78 bis ins 8. Jh. v.Chr. zurückreichen und sich ein Zeit-, Stoff- und Funktionsbogen zu den asaphitischen Sänger-Leviten der Chronik ergibt. Eingangs stellt Weber vier gemeinsame Merkmale von Psalter und Chr heraus: Die hervorgehobene Bedeutung Davids; die Königsherrschaft Gottes; Gebet, Psalmen, Gottesdienst und Tempel; eine Israel-Bezogenheit mit universalem Horizont (Beginn von 1Chr 1:1 mit Adam, Ende des Psalters in Ps 150:6 mit allem, was Odem hat). Ps und Chr sind beide geschichtstheologisch ausgerichtet: Dabei schildert 1/2Chr den Zeitraum, der auch in den Büchern I–III des Psalters vorausgesetzt wird, sachlich jedoch bilden Buch IV–V mit ihrem universalen Horizont, dem Königtum Gottes, der Betonung von Tempel und Liturgie und der gottesdienstlichen Hymnik den Hintergrund der chronistischen Theologie. Die Chr rezipiert dabei die alte AsaphTradition im Kontext nachexilischer levitischer Tradition. Die Gruppe hinter den AsaphPsalmen fokussiere sich anfänglich auf Gerichtsankündigung und -verarbeitung, wobei die Nordstämme und das Levitentum greifbar würden (insbesondere durch die Lade, die wie die Asaphiten ursprünglich in Schilo lokalisiert seien). In Juda seien die asaphitische Tradition und ihr Trägerkreis dann unter Hiskia aufgegriffen worden. Hier sei Ps 78 zu verorten, der den Norden politisch als verloren ansieht, nicht jedoch seine Bewohnerschaft, die durch ihre Existenz in Juda mit diesem erwählt sei. Die exilisch-nachexilischen, asaphitisch beeinflussten Texte bilden ein Spektrum vom Bußgebet bis zum JHWH-Lobpreis ab. Die chronistischen Asaphiten schließlich sind Musiker statt Dichter oder Beter. Thomas Willi, Greifswald/Hamburg, skizziert in seinem übergreifenden Beitrag die chronistische Konzentration auf die Davidsgestalt in den Farben einer Stifterpersönlichkeit und des Herrscherideals der perserzeitlichen Umwelt und sieht im Entwurf von Chr ein Motiv dafür, dass aus den Psalmen der Psalter und dass das dtr Geschichtswerk Grundlage des Kanonteils der Nebi’Ưm werden. Ausgehend von der Beobachtung, dass Psalmen und Psalmenelemente die chr Darstellung von Israels Gestaltwerdung unter David in 1Chr 11–16 beherrschen, arbeitet Willi heraus, dass es – anders als im DtrG – in Chr um die Geschichte Davids selbst und mit ihr um die Entstehung des Hauses Gottes geht. Weniger die Inthronisation Davids löst die Reaktionen der Völkerwelt aus, sondern vielmehr dessen Einholung der Lade (1Chr 13f). Mit ihr ist der Thron Gottes für den späteren Tempel gegeben, dessen Ort David entdeckt (1Chr 21). Er wird nicht durch territoriale Ansprüche zum König, sondern durch die „halachische“ Anwendung der offenen mosaischen Tora auf Jerusalem und den Tempel. Es geht der Chr also weniger um die Person des Königs als um die Art der Realisierung seines Königtums. Hierzu ist Davids Rolle als Stifter des Kultes entscheidend. Für den idealen chronistischen Entwurf des Kultes ist die Betonung von Musik und Gesang wichtig. Nach 1Chr 6:16ff; 13:6.8; 15:6–22.24.27f; 16:4–36; 22:19 hatte der Gesang seinen Ort vor der Lade. Dementsprechend bleibt eine Diskrepanz zwischen Opfergeschehen und liturgischer Ausgestaltung bestehen, so dass die Musik als ein charismatisches Element des Gottesdienstes erscheint, das nach 1Chr 16:4 direkt auf David zurückgeführt wird. Die Ladeüberführung in 1Chr 13 wird als israelitisches Pendant altorientalischer Kultprozessionen verständlich: Anstelle von Götterstatuen lag der Fokus in Israel dabei für Chr auf der Lade, die im Licht älterer Traditionen einen zentralen Stellenwert bekommt. Mit ihr gewinnt auch David ein neues Profil und erinnert viel mehr an den David des Psalters als an denjenigen des DtrG. Zu den Quellen ihrer Geschichtsschreibung gehören für Chr eben auch die Psalmen, die kontextualisiert und redaktionell angepasst benutzt werden. Auf der Grundlage des chr Davidbildes steht David nicht in, sondern vor, hinter und über den einzelnen Psalmen. Hugh G.M. Williamson, Oxford, betont schließlich erneut zu Ps 132, dass dieser im gesamten Psalter der einzige Text ist, der sich mit der Lade, dem zentralen Gegenstand des israelitischen Kultes vor und neben dem Jerusalemer Heiligtum, befasst. Der Chronist, der

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ihn in 2Chr 6:41–42 in sein Werk einbaut, erweist sich hier nicht als Sklave, sondern als master of his sources. Williamson klärt das Verhältnis von 2Chr 6; Ps 132 und 1Kön 8. Dass Ps 132 aufgenommen wurde, hängt damit zusammen, dass nur in diesem Psalm die Lade thematisiert wird. Für die Daviderzählung 1Chr ist die Lade von großer Bedeutung und die Schilderung ihres Einzugs in den Tempel in 2Chr 5 macht dies vollends deutlich, so dass es folgerichtig erscheint, im Tempelweihgebet Ps 132:8–10 zu zitieren, um das Bild des Kultorts zu vervollständigen und die Verheißung an David zu garantieren. Darüber hinaus werden durch Ps 132:9/2Chr 6:41b Priesterschaft und Volk angesprochen, was auf dieselbe Gegenüberstellung in 2Chr 5 und 2Chr 7 verweist. Die von Chr hier bewusst nicht genannten weiteren Theologumena von Ps 132 sollten nicht für die Interpretation hinzugenommen werden, da der Chronist sie genannt hätte, wenn er dies beabsichtigt hätte. Darüber hinaus zeigt Chr, dass die Geschichte Israels als Inhalt des kulturellen Gedächtnisses bekannt gewesen sein dürfte. Insbesondere die Psalmen illustrieren, wie die Geschichte Israels erinnert wurde. So konnte der Chronist mit Hilfe von nur drei Versen von Ps 132 die für ihn wichtigen Themen Tempel und davidisches Königtum zusammenfassen.

Die Beiträge aus der Perspektive der Psalmen- wie der Chronikforschung lassen das Werk der Chronik als ein Phänomen des – sowohl vorwärts wie rückwärts – fließenden Übergangs von schriftlicher zu mündlicher und dann erneut schriftlicher Tradierung erscheinen. Die Chronik ist weit weniger kultisch im engeren Sinn und auch nicht eigentlich „theologisch“ orientiert, sondern begründet den Israel konstituierenden Lebensvollzug als Abbild und Wirkung des einst David verliehenen Welt-Königtums, das sein Zentrum im Thron Gottes in Verbindung mit dem Jerusalemer Tempel hat. Dabei spielt das immer wieder erneuerte Wort eine entscheidende Rolle; es findet seinen Ausdruck nicht zuletzt in den zwar nicht besonders vielen, aber doch sehr überlegt und gezielt eingebauten Psalmen und Psalmstücken.

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I. Chronik

Salomos Thronfolge nach den Büchern der Könige und der Chronik ISAAC KALIMI Die Bücher der Könige und der Chronik bieten stark voneinander abweichende Schilderungen der Nachfolge Salomos auf den Thron Davids, wobei sie einander sogar an einigen Schlüsselstellen widersprechen. Während Salomo den Thron in 1 Kön 1–2 als Ergebnis politischer Intrigen am Hof erhält und seine Macht durch die Eliminierung einer Reihe möglicher Rivalen festigt, wird er in der Chronik ohne jegliche Streitigkeiten gekrönt, von allen seinen Brüdern, Davids Beamten und ganz Israel akzeptiert und übernimmt die Macht ohne jegliche Gewalt. Aber trotz dieser signifikanten Unterschiede streben beide Darstellungen im Grunde das gleiche Ziel an: Salomo als den göttlich erwählten Nachfolger Davids als König von Israel zu legitimieren. Die Vorgehensweise beider Darstellungen kann nur durch einen gegenseitigen Vergleich sowie einen Vergleich mit dem, was über die zugrundeliegenden historischen Ereignisse rekonstruiert werden kann, vollständig gewürdigt werden. Wie aber bereits in einer anderen Studie erwähnt, 1 sind die biblischen Texte, v.a. die frühisraelitische Geschichtsschreibung in Samuel-Könige, die einzigen verbliebenen schriftlichen Quellen für die Rekonstruktion der Ereignisse während der Zeit der vereinten Monarchie. Sie sollten daher sehr sorgfältig geprüft werden, um ihre apologetischen Elemente von den historischen Informationen, die sie möglicherweise enthalten, zu unterscheiden. Dementsprechend hat diese Studie drei Teile: Zuerst wird die historische Situation am Ende der Regierung Davids rekonstruiert, vornehmlich auf der Basis von Samuel-Könige; zweitens wird analysiert, wie 1 Kön 1 (als Teil der „Thronfolgeerzählung Davids“) diese Situation darstellt, um zu zeigen, dass es sich um einen einheitlichen Text handelt, der versucht, Salomos Anspruch auf den Thron zu rechtfertigen; drittens wird diese Darstellung mit der sehr unterschiedlichen Vorgehensweise des Chronisten, Salomos Thronfolge zu legitimieren, verglichen.

1

Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Zwei.

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Isaac Kalimi

1. Salomos Thronfolge in der Geschichte 1.1 Die letzten Tage König Davids: Persönliche und politische Krise In 1 Kön 1:1–4 teilt der Erzähler seiner potenziellen Hörerschaft die Situation hinter der Erzählung mit und ermöglicht es ihr so, diese selbst zu bewerten. Es wird berichtet, dass die körperliche und seelische Verfassung König Davids sehr schlecht war, als er sich dem Ende seines Lebens näherte.2 Der König war etwa siebzig Jahre alt3 – ziemlich alt für diese Zeit; 4 tatsächlich würde ihn das zum ältesten König in der Geschichte von Juda machen.5 David war krank und schwach, an sein Bett gefesselt und von der Umwelt abgeschnitten. Obwohl er mit einigen Decken (ʭʩʣʢʡ)6 zugedeckt war, war es ihm nicht möglich, seinen Körper warm zu halten.7 Davids Beamte (oder „Ärzte“, wie Jo2 Eine Reihe Exegeten schlägt vor, dass diese Beschreibung Davids ursprünglich nicht mit der folgenden Erzählung in 1 Kön 1:5–53, sondern stattdessen mit 1 Kön 2:13–25 verbunden war. Diese Rekonstruktion ist aber nicht gut begründet und übersieht die Verbindungen zwischen dieser Einleitung und der folgenden Erzählung, wie wir unten sehen werden, S. 6f. 3 2 Sam 5:4–5 und 1 Kön 2:11 berichten, dass David König wurde, als er 30 Jahre alt war und dass er 40 Jahre regierte. Dementsprechend war er etwa 70 Jahre alt, als er starb (vgl. Josephus, Ant. 7.389; David Kimchi über 1 Kön 1:1; WÜRTHWEIN, Buch, 9), und die hier untersuchte Begebenheit ereignete sich kurz vor Davids Tod. Natürlich findet sich die Zahl „40“ in der biblischen Literatur manchmal als typologische Zahl (z.B. Gen 7:12; 8:6; Ex 24:18; Ri 5:31; 8:28; 13:1; 1 Sam 4:18; 1 Kön 19:8; Jon 3:4; Ps 95:10), es kann sich zuweilen aber auch um eine korrekte historische Angabe handeln. Immerhin ist 40 nur eine neben mehreren anderen Zahlen, die meist typologisch benutzt werden (z.B. 3, 7, 10, 12) und es kann nicht angenommen werden, dass diese Zahlen niemals verlässliche historische Informationen wiedergeben. 4 Bemerke, dass David vom Erzähler folgendermaßen beschrieben wird: „König David war alt und fortgeschritten an Jahren“ (1 Kön 1:1a), während von Barzillai gesagt wird: „ein sehr alter Mann, achtzig Jahre alt“ (2 Sam 19:33). Folglich scheint sich dieser biblische Autor auf den Einen in seinen Siebzigern als „alt“ zu beziehen, auf den Anderen in seinen Achtzigern als „sehr alt“. 5 Vgl. die Aufstellung der Lebensalter der Könige von Juda von ISHIDA, Royal, 153–154. 6 Das Wort ʭʩʣʢʡ meint in diesem Kontext nicht nur „Kleider“ („clothes“), wie es von vielen übersetzt wird (z.B. King James Version, Revised Standard Version, The New English Bible, Luther Bibel), sondern eher „Decken“ („blankets“), im Sinne von: „Bettdecken“. 7 Es wurden hinsichtlich Davids Krankheit einige Vorschläge gemacht. Zum Beispiel gibt der Babylonische Talmud, Berachot 62b, eine ethische Erklärung: David wurde für sein Missverhalten bestraft, da er einen Zipfel von Sauls Gewand abgeschnitten hatte (1 Sam 24:5): „Rabbi Jose ben Rabbi Haninah sagte: Wer Kleider missachtet, hat später von ihnen keinen Nutzen, wie es heißt: ‘König David war alt und betagt; und sie bedeckten ihn mit Decken, aber es wurde ihm nicht warm’“ (Übersetzung nach GOLDSCHMIDT, Talmud, 282). Diese Interpretation wurde von den mittelalterlichen jüdischen Exegeten Rashi und David Kimchi in ihrer Auslegung zu 1 Kön 1:1 übernommen. Sie zitieren auch einen Midrash, der ihrer Meinung nach „näher“ am einfachen Sinn der Schrift ist. Der letztgenannte bezieht Davids kalten Körper auf die Erzählung in 2 Sam 24:17 (// 1 Chr 21:17): als David den Engel

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sephus sie beschreibt, Ant. 7.343)8 rieten, dass ihm „eine Jungfrau“ gebracht würde, die ihn umsorgen und mit (oder: bei) ihm schlafen sollte, um seinen Körper warm zu halten (1:2). 9 Aber entgegen Davids früherem Selbst – er hatte laut Samuel mindestens siebzehn Kinder (2 Sam 3:2–5; 5:14; 1 Chr 3:1– 9 listet neunzehn Kinder auf) 10 – wurde er selbst von der allerhübschesten Jungfrau in Israel nicht erregt – Abishag, die Shunammiterin.11 Die detaillierte Beschreibung der Verfassung des Königs, sowie der Schönheit Abishags und ihrer Aufgabe (1 Kön 1:1–4b) endet mit dem kurzen antiklimaktischen Ausdruck: ʤʲʣʩ ʠʬ ʪʬʮʤʥ („aber der König kannte sie nicht [sexuell]“, 1:4c).12 Im Grunde dient die starke Betonung der Schönheit Abishags dazu, die absolute Impotenz König Davids aufzuzeigen. Von dem Doppelauftrag, für den Abshiag zum König gebracht worden war: ʪʷʩʧʡ ʤʡʫʹʥ ʺʰʫʱ ʥʬ ʩʤʺʥ („lasst sie seine Dienerin sein, die ihn umsorgt und lasst sie in seinem Schoß schlafen“; mit dem Schwert in seiner Hand sah, fürchtete er sich und sein Blut wurde kalt. Kimchi fügt noch hinzu, dass die vielen Kriege, die David führte, bewirkten, dass David früher als normal alt und schwach wurde, „und die alte Person, je älter sie wurde, desto kälter und kälter wurde ihr Blut mit der Zeit.“ Josephus, Ant. 7.343, bietet auch einen körperlichen Grund: Davids hohes Alter verursachte seine Krankheit. Gleichwohl gehen einige moderne Ärzte darüber hinaus und versuchen das genaue medizinische Problem zu diagnostizieren, das Davids Krankheit verursachte. Liubov (Louba) Ben-Noun vom Soroka University Medical Center der Ben-Gurion University of the Negev (Beer Sheva, Israel) ist der Ansicht, dass 1 Kön 1:1 darauf hindeutet, dass David von Hypothermie betroffen war. „Among various diseases, the most likely to cause immobility and subsequent hypothermia are dementia, senile osteoporosis, hyperparathyroidism, or malignancy. Among these diseases, malignancy is the most acceptable“; vgl. BEN-NOUN, Hypothermia, v.a. 364. In einem weiteren Artikel (DIES., Mental Disorder), folgert Ben-Noun: „Evaluation of the passages referring to King David indicates that he was afflicted by some mental disorder, and among the many possibilities, major depression, dysthymia and minor depression are the most likely. Of these diagnoses, major depression seems the most acceptable“ (a.a.O., 467). 8 Freilich meint das Wort ʥʩʣʡʲ in diesem Kontext nicht „seine Sklaven“ oder „gentlemen of the bedchamber“ (so etwa MONTGOMERY/GEHMAN, Books, 71), denen es definitiv nicht gestattet gewesen wäre und die auch nicht in der Lage gewesen wären, den König in irgendetwas zu beraten. 9 Das ist ein gutes Beispiel dafür, was der Autor beabsichtigte, wenn er Samuels Warnung über die absolute Macht des Königs zitierte: „Und er wird eure Töchter nehmen…,“ tatsächlich sogar für was auch immer er will! (1 Sam 8:13). 10 Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, §II.4. 11 Die syrische und die arabische Übersetzung identifizieren „Abishag, die Shunammiterin“ mit der „Shulamit“, die in Hoh 7:1 erwähnt wird und schreibt „Abishag, die Shulamiterin“. Das Word „Shunammit“ weist allerdings auf Abishags Heimatstadt Shunem hin, die sich im Gebiet von Issachar in der östlichen Jesreel-Ebene befindet (Jos 19:18, vgl. auch 1 Sam 28:4; 2 Kön 4:8). Ebenso wird „die große Frau“ von Shunem (2 Kön 4:8) „Shunammiterin“ genannt (4:12, 25, 36). Für einen Überblick über die früheren Diskussionen zu diesem Namen, vgl. MONTGOMERY/GEHMAN, Books, 81–82; MULDER, 1 Kings, 35–36. 12 Für den biblischen Ausdruck ʲʣʩ „(eine Frau) kennen“ vgl. Gen 4:1; 24:16; 38:26.

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1:2d–e), erfüllte sie also nur den ersten und weniger wichtigen Auftrag, ʩʤʺʥ ʥʤʺʸʹʺʥ ʺʰʫʱ ʪʬʮʬ („sie wurde die Dienerin des Königs und umsorgte ihn“, 1:4b).13 Ihr Hauptauftrag – ʪʷʩʧʡ ʤʡʫʹʥ – konnte nicht erfüllt werden, da der König so schwach geworden war. Es gab eine ausreichende Anzahl an Dienern, die dem König dienen bzw. ihn umsorgen konnten, aber anscheinend war niemand in der Lage, seinen kalten Körper auf innige Weise zu wärmen. Einige Exegeten haben bestritten, dass diese Schilderung der Verfassung Davids ursprünglich zu 1 Könige 1 gehört, aber diese Auffassung übersieht die Tatsache, dass die Information, die in 1:1–4 mitgeteilt wird, die notwendige Grundlage für die gesamte folgende Erzählung von der Intrige Nathans und Bathshebas ist, die zu Salomos Thronfolge führte (1 Kön 1:5–53). Diese Exposition dient nicht nur 1 Kön 2:13–25, wo Adonijah fordert, Abishag zur Frau zu bekommen, wie manche Exegeten vermuten.14 Zum Beispiel trennte Martin Noth 1 Kön 1:1a von 1:1b–4 und sah letzteres als ursprünglichen Teil der Erzählung in 2:13–25 an.15 Ähnlich behauptete Saul Zalewski, dass 1 Kön 1:1–4 keinen Zusammenhang mit der folgenden Erzählung in 1 Kön 1:5–8 hat.16 Allerdings ist die schwache körperliche und seelische Verfassung Davids notwendig, um viele Aspekte der folgenden Erzählung zu verstehen, unter anderem wie er durch die Intrige betrogen werden konnte. So wird im Rest von 1 Könige 1 erzählt, dass das Schlafzimmer des Königs in eine Art Thronsaal umgewandelt wurde, wo er nicht nur seine geliebte Frau, Bathsheba (1:15–16, 28–31), traf, sondern auch seine religiösen, militärischen und zivilen Beamten (1:22–23, 32, 47).17 Darüber hinaus antwortet David Baths13 Vgl. 1 Kön 1:15c. Das Wort ʥʤʺʸʹʺʥ scheint die Phrase ʺʰʫʱ ʪʬʮʬ ʩʤʺʥ zu interpretieren. Auf jeden Fall ist 1:15b+c keine überflüssige Wiederholung von 1:1–4, und daher auch keine spätere Erweiterung wie es von manchen Kommentatoren vorgeschlagen wurde, z.B. KLOSTERMANN, Bücher, 264; GREßMANN, Geschichtsschreibung, 188. Es ist eher ein kurzer Rückblick, der an Davids vorher ausführlich beschriebene Situation erinnert; vgl. WÜRTHWEIN, Buch, 14; DEVRIES, 1 Kings, 11. Meiner Meinung nach ist die Interpretation von David Kimchi (der von COGAN, 1 Kings, 159–160 der Vorzug gegeben wird) inakzeptabel, nach der dieser Vers erzählt wie „Bathsheba den Raum betrat, obwohl der König auf intime Weise mit Abishag im Bett war und es keinem gestattet war, ohne Erlaubnis einzutreten, außer ihr, denn sie war seine Frau.“ Nathan betrat dasselbe Zimmer als „sie noch mit dem König redete“ (1:23) und ihm folgen unmittelbar Zadok and Benaiah (1:32). Es ist gänzlich unvorstellbar, dass diese Beamten das Zimmer betraten „obwohl der König auf intime Weise mit Abishag im Bett war.“ 14 Vgl. zum Beispiel MONTGOMERY/GEHMAN, Books, 71; NOTH, Könige, 13–14; E. WÜRTHWEIN, Buch, 10. 15 Vgl. NOTH, Könige, 13–14. 16 Vgl. ZALEWSKI, Ascension, 44 (Hebräisch). Vgl. auch GRAY, Kings, 76: „It [= 1:1–4, I. K.] may, like 2:13ff., be a secondary elaboration of the Story of the Davidic Succession.“ 17 Gegen T. Veijola und E. Würthwein gibt es keinen Grund, 1 Kön 1:46–48 als spätere Ergänzung anzusehen; vgl. WÜRTHWEIN, Buch, 8 (und dort der Verweis auf Veijola).

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heba, als sie das Schlafzimmer betritt, distanziert, als wäre sie eine Fremde, ähnlich wie er der Frau von Tekoa geantwortet hat (2 Sam 14:5). Er spricht sie geradeheraus an: „Was willst du?“ (ʪʬ ʤʮ, 1 Kön 1:16b).18 Dies kann man der Reaktion von König Salomo gegenüberstellen, als Bathsheba zu ihm kommt, um mit ihm im Namen von Adonijah zu reden: „Der König stand auf, um sie zu treffen und neigte sich vor ihr; dann setzte er sich auf seinen Thron und ließ einen Thron für die Mutter des Königs bringen, und sie setzte sich zu seiner Rechten. Dann sagte sie: ‚Ich habe eine kleine Bitte an dich; weise mich nicht ab.‘ Und der König sagte zu ihr: ‚Bitte, meine Mutter, denn ich will dich nicht abweisen‘“ (1 Kön 2:19–20). Ein weiteres Beispiel, aus einer späteren literarischen Komposition, ist die Reaktion des Königs Ahasveros gegenüber Esther: „Dann sagte der König zu ihr: ‚Was wünschst du, Königin Esther, und was ist deine Bitte? Es soll dir sogar bis zur Hälfte des Königreichs gegeben werden!‘“ (Esth 5:3). Im Gegensatz dazu stimmt Davids kalte und abrupte Antwort an Bathsheba mit seinem schlechten körperlichen und geistigen Zustand überein. Folglich war David, in jeder Bedeutung des Wortes, nicht er selbst. Er konnte nicht einmal gemäß dem grundlegenden königlichen Protokoll handeln und scheint unfähig gewesen zu sein, auch nur einen vernünftigen Gedanken an seinen Nachfolger zu investieren, der in Zukunft das Königreich führen würde. Nur in diesem Licht ist es möglich, die folgende Erzählung zu verstehen, die zu Salomos Krönung führt. 1.2 Rebellierte Adonijah gegen seinen Vater David? Eine aufmerksame Lektüre von Samuel-Könige legt folgende historische Folgerungen nahe: (1) Am Ende der Regierung Davids war die politische Situation unklar: Es gab gute Gründe anzunehmen, dass einer von Davids Söhnen seinen Thron erben und König über Juda (/ die südlichen Stämme) werden würde, aber würde er auch über Israel (/ die nördlichen Stämme) regieren?19 Mit den letztgenannten hatte David einen speziellen Bund „vor dem Herrn“, über sie zu regieren (2 Sam 5:1–3). Es war, wie Albrecht Alt bemerkte, eine „Personal18 Es gibt keinen Grund ʪʬ ʤʮ in 2 Sam 14:5 mit „What aileth thee?“ zu übersetzen, während es in 1 Kön 1:16b „What wouldest thou?“ übersetzt wird (so in der King James Version). Ähnlich ist die Phrase auch in der Revised Standard Version in 1 Kön 1:16b mit „What do you desire?“ übersetzt, aber in 2 Sam 14:5 mit „What is your trouble?“ In der Luther Bibel lautet 2 Sam 14:5: „Was hast du?“, wohingegen in 1 Kön 1:16b steht: „Was willst du?“ Klostermann übersetzt in 2 Sam 14:5: „was fehlt dir?“, aber in 1 Kön 1:16b: „was ist dir?“; vgl. KLOSTERMANN, Bücher, 191.264. Offensichtlich übersehen diese Übersetzer, dass in beiden Versen derselbe Ausdruck vorkommt. 19 Vgl. WÜRTHWEIN, Buch, 9–10.

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union zwischen Nachbarreichen“;20 die beiden Königreiche standen unter der Herrschaft ein und desselben Königs, der von beiden akzeptiert wurde. 21 Zu beachten ist, dass nach dem Tod Salomos sein Sohn Rehabeam König über die südlichen Stämme wurde (1 Kön 11:43; 12:17). Als er danach verlangte, über die nördlichen Stämme zu regieren, kamen deren Repräsentanten nicht zu ihm nach Jerusalem, sondern vielmehr ging er zu ihnen nach Sichem, um ihre Zustimmung zu erhalten. Da sich der König aber weigerte, die Bedingungen der Stämme zu akzeptieren, endeten die Verhandlungen erfolglos und bewirkten die Teilung der vereinigten Monarchie (1 Kön 12:1–16). (2) Laut 1 Kön 1:20 hat David keinen seiner Söhne dazu ausgebildet oder bestimmt, sein Nachfolger als König über Juda und Israel zu werden. Nun, da er alt, krank, schwach und isoliert war, gab er diesbezüglich keine Anweisungen bzw. konnte diesbezüglich keine Anweisungen geben. Darüber hinaus gab es bei der königlichen Nachfolge höchstwahrscheinlich nicht einmal eine anerkannte Vorgehensweise, da das Königtum in Israel ein relatives Novum darstellte. (3) Ein Blick auf die altisraelitischen dynastischen Nachfolgeerzählungen zeigt, dass im Regelfall der erstgeborene Sohn des Königs der Thronfolger war22 – oder der älteste noch lebende Sohn.23 Wenn der König aber noch am Leben war, so oblag ihm die endgültige Entscheidung darüber, wer sein Nachfolger sein würde (1:20, 27b).24 20

Vgl. ALT, Staatenbildung, 45–47. Ein weiteres Beispiel einer Personalunion vom Beginn des 8. Jahrhunderts B. C. E. ist der Fall von Zkr, König von Hamat und La’ash – zwei politische Entitäten, die übereinkamen, von einem König regiert zu werden, ebenso wie David und Salomo Könige von Israel und Juda waren (2 Sam 5:5; 1 Kön 1:35); vgl. NOTH, La’asch, 136. Es gibt weitere Beispiele aus verschiedenen Zeiten in Europa, wie etwa die Personalunion von England und Schottland im Jahr 1603, als König James VI. von Schottland den Thron von England bestieg und England und Schottland unter der schottischen Krone vereinigte. Ein weiteres wohlbekanntes Beispiel ist die österreichisch-ungarische Personalunion von 1867 unter Franz Joseph I. aus der Habsburger Dynastie, der „Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn“ wurde; vgl. STEED, Habsburg, 32. 22 Vgl. zum Beispiel 2 Chr 21:3 (eine „Ergänzung“): „Und ihr Vater gab ihnen viele Gaben an Silber, Gold und Kleinoden, dazu feste Städte in Juda; aber das Königtum gab er Joram; denn der war der Erstgeborene.“ Obwohl diese Information nur in der Chronik auftaucht, gibt es keinen Grund ihre historische Zuverlässigkeit zu bezweifeln. Der Brauch, dass der Thron vom Erstgeborenen ererbt wurde, ist auch aus anderen Israel umgebenden altorientalischen Kulturen wohl bekannt. Vgl. die Diskussion unten, Anm. 24. 23 Vgl. unten Nr. (4), und ISHIDA, Dynasties, 152.154–155. 24 Für diesen Sachverhalt, vgl. DE VAUX, Israel, 100–102. Zum Beispiel wählte Rehabeam Abijah als seinen Nachfolger, obwohl Jeush sein ältester Sohn war (2 Chr 11:18–23, v.a. V. 22, eine „Ergänzung“). Es gibt kein vernünftiges Argument, die Historizität dieser Information aus der Chronik zu bezweifeln. Wie bereits von Kittel konstatiert wurde: „Sie scheinen aus einer alten Quelle zu stammen“; vgl. KITTEL, Chronik, 126. Auf jeden Fall ist es unmöglich 21

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(4) Nach dem Tod Amnons, Absaloms und (vermutlich) Chileabs (vgl. 2 Sam 3:3; 13:1–30; 18:9–15),25 war Adonijah der älteste noch lebende Sohn Davids (1 Kön 1:6c) und daher der legitime Kronprinz und der potenzielle Thronfolger. Dies geht zum einen aus Adonijahs Beteuerung gegenüber Bathsheba hervor: „Du weißt, dass das Königtum mein war, und dass ganz Israel sein Gesicht auf mich gerichtet hatte, dass ich regieren sollte“ (1 Kön 2:15a). Es wird zum anderen von Salomos Erwiderung an sie bestätigt: „Warum bittest du um Abishag, die Shunammiterin für Adonijah? Erbitte ihm doch auch das Königtum; denn er ist mein älterer Bruder“ (2:22). Obwohl der letzte Teil von 2:15b: ʥʬ ʤʺʩʤ ʤʥʤʩʮ ʩʫ („denn es war vom Herrn“), zum Versuch des Erzählers gehört, Salomo als den göttlich erwählten und legitimierten König zu präsentieren, so setzen diese Verse voraus, dass Adonijah der erwartete Nachfolger war. (5) Adonijah versuchte Aufmerksamkeit zu erlangen, wobei er seinen hohen Stand betonte. Er umgab sich mit einer zeremoniellen Leibgarde: „ein Streitwagen und Reiter26 und fünfzig Mann, die vor ihm her liefen“ (1 Kön 1:5b).27 Dieses Vorgehen ist an sich harmlos, daher wies ihn David auch nicht

zu wissen, ob dieser Text auf der Vorlage des Chronisten basierte, wie BENZINGER, Chronik, 97 vermutete. Im Prinzip ist die Erzählung in der Chronik nicht außergewöhnlich. In ähnlicher Weise hat Sanherib, der König von Assyrien, nicht seinen ältesten Sohn als Erben erwählt, sondern den jüngeren – Asarhaddon (Aššur-aত-iddina), der Sohn seiner geliebten Königin Naqî’a (= „Die Reine“, so lautet der Name in Aramäisch; in Assyrisch wurde er als Zakûtum wiedergegeben); vgl. LEWY, Nitokris-Naqî’a, 271–272. 672 B. C. E. machte Asarhaddon seinen jüngeren Sohn Assurbanipal (668–627 B. C. E.) zum Herrscher des Assyrischen Reiches, während er seinen erstgeborenen Sohn Shamash-shum-ukin zum Herrscher Babylons bestimmte; vgl. WEIDNER/PARPOLA, Letters, Nr. 129:3–13 (der Text findet sich auf S. 102 und die Übersetzung auf S. 103). 25 Wir haben keinerlei Information über Chileab, den zweiten Sohn Davids. Er starb möglicherweise in jungem Alter. In 1 Chr 3:1 wird er „Daniel“ genannt; vgl. KALIMI, Geschichtsschreibung, 92–99 (bes. 98–99). 26 In 1 Kön 1:5 steht ʭʩʹʸʴʥ ʡʫʸ (vgl. 1 Kön 9:19; 10:26), während sich Absalom in 2 Sam 15:1 mit ʭʩʱʱʥ ʤʡʫʸʮ umgibt (vgl. 1 Kön 5:6; 10:28–29). Beide Zusammenstellungen begegnen auch anderweitig im Bericht über Salomos Regierung. Tatsächlich sind sie synonym und beziehen sich auf dasselbe (vgl. z.B. Ex 14:9, 17–18, 23, 25, 28; 15:4, 19; Ez 26:7). Daher ist es nicht nötig, 1 Kön 1:5 entsprechend 2 Sam 15:1 zu „korrigieren“, wie es von KLOSTERMANN, Bücher, 263 vorgeschlagen und von BENZINGER, Könige, 2–3, akzeptiert wurde; vgl. auch COGAN, 1 Kings, 157. 27 Vgl. auch 1 Sam 8:11, und vergleiche mit ʭʩʶʸʤ („die Läufer“) in 1 Sam 22:17; 1 Kön 14:27–28 und 2 Kön 10:25; 11:4, 6, 11; vgl. auch V. 19: ʭʩʶʸʤ ʸʲʹ („das Tor der Läufer“). Interessanterweise ehrte Elija den König von Israel und „lief vor Ahab her“ (1 Kön 18:46). Barrakab, der Sohn des Panamu, König von Sam’al, bezeugt (730 B. C. E.): „Ich lief am Rad meines Herrn, des Königs von Assyrien (= Tiglath-pileser III.),“ vgl. ROSENTHAL, Inscriptions, 655a (Barrakab of Y’DY-SAM’AL). Wie richtig von COGAN, 1 Kings, 157, bemerkt

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zurecht (1 Kön 1:6a). Adonijah handelte damit ähnlich wie sein älterer Bruder, Absalom (2 Sam 15:1), der für eine solche Handlung offensichtlich auch nicht von seinem Vater zurechtgewiesen wurde, denn es war nichts falsch daran.28 Impliziert dieser Hinweis also – da Absalom fortfuhr, gegen seinen Vater David zu rebellieren –, dass Adonijah dasselbe tat?29 Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass der Erzähler so etwas andeuten wollte, aber die Erzählung als ganze unterstützt diese Folgerung nicht: Trotz der zeremoniellen und körperlichen Ähnlichkeiten zwischen diesen zwei Brüdern (1:5b, 6b)30 deutet ein Vergleich mit Absalom in Wirklichkeit mehr Gegensätze als Gemeinsamkeiten an. Der Text konstatiert explizit, dass „sein Vater ihm [= Adonijah] zu keiner Zeit irgendetwas verwehrt hatte, indem er gesagt hätte: Warum hast du das getan?“ (1 Kön 1:6a). Ebenso rebellierte Adonijah nicht gegen seinen Vater, d.h. er verhielt sich nicht so, wie es Absalom tat (2 Sam 15:7–13).31 (6) Auch wenn die konkrete Nennung von Absalom in 1 Kön 1:6 dazu herangezogen werden könnte, um anzudeuten, dass der Erzähler Adonijahs Anspruch auf die Königsherrschaft als nicht legitim betrachtete, war er das in Wirklichkeit möglicherweise. Adonijah stellte sich gut mit allen seinen Brüdern (außer Salomo), mit den hohen Beamten des Königreiches, v.a. Joab, dem obersten Heerführer, und mit dem wohlbekannten Priester Abiathar, und erhielt ihre Unterstützung (1 Kön 1:7, 9). Wiederum beging Adonijah mit diesem Verhalten keine illegale Handlung – er rebellierte nicht gegen seinen Vater, so wie Absalom es getan hatte (2 Sam 15:2–18:17). Der Erzähler spielt darauf an, wenn er sagt: „Adonijah, der Sohn der Haggith, erhob sich und sagte: Ich werde König sein!“ (ʪʬʮʠ ʩʰʠ ʸʮʠʬ ʠʹʰʺʮ ʺʩʢʧ-ʯʡ ʤʩʰʥʣʠʥ, 1 Kön 1:5a). Adonijahs Erklärung verweist auf die Zukunft, auf die Zeit nach dem Tod seines Vaters David. Er sagte nicht: „Ich bin König“, während sein Vater noch am Leben war, wie es Absalom tat: „ Absalom ist König in Hewurde: „running by or in front of the king’s chariot signified honor and obeisance to one’s overlord.“ 28 Obwohl 2 Sam 15:6 Absaloms Handlungen als ʬʠʸˈʩ ʩˇʰʠ ʡʬʚʺʠ ʭʥʬˇʡʠ ʡʰʢʩʥ („Und Absalom stahl das Herz der Männer von Israel“) beschreibt, scheint der Anfang des Berichts über Absaloms Rebellion eher dazu zu passen, dass er im Tor sitzt, um die Rolle des Königs im Schlichten von Konflikten einnimmt, (2 Sam 15:2–5) und nicht dazu, dass er einen Streitwagen und Läufer hat (2 Sam 15:1). Es wäre etwas Anderes gewesen, wenn Absalom (oder Adonijah) den Maulesel des Königs ohne Erlaubnis geritten hätten (vgl. 1 Kön 1:38), das taten sie aber nicht. 29 Vgl. zum Beispiel ISHIDA, History, 115–116, v.a. 116: „the Solomonic historiographer“ wollte „mislead the reader with the false idea that Adonijah not only had followed in the footsteps of Absalom but also had made the decisive step toward a rebellion by gathering a military force.“ 30 Vgl. jeweils mit 2 Sam 14:25 und 15:1. 31 Gegen ISHIDA, History, 117, der annimmt, dass „the portrayal of Adonijah in 1 Kön 1:5–6 was made from the consistently inimical viewpoint of the party opposing Adonijah.“

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bron!“ (ʯʥʸʡʧʡ ʭʥʬʹʡʠ ˂ʔʬ ʕʮ, 2 Sam 15:10). Obwohl Nathan diese Auffassung mit ʺʩʢʧ-ʯʡ ˒ʤʩʰʣʠ ˂ʔʬ ʕʮ („Adonijah, der Sohn der Haggith, ist König“; 1 Kön 1:11) vertritt, ist es nicht das, was tatsächlich bei Adonijahs Bankett gesagt wurde. Man hat nicht das Schofar geblasen und gerufen „Lang lebe König Adonijah!“, wie es später bei Salomo und Joash der Fall war (1 Kön 1:39; 2 Kön 11:12). Es gibt in der Thronfolgeerzählung auch sonst keine Anzeichen, dass Adonijah beim Bankett in Ein Rogel (1 Kön 1:9–10) zum König ausgerufen wurde. 32 Höchstwahrscheinlich war es eine Versammlung der treuen Anhänger Adonijahs und aller Beamten Judas (ʪʬʮʤ ʩʣʡʲ ʤʣʥʤʩ ʩʹʰʠ ʬʫ, 1:9c), mit dem Ziel, ihre Gemeinsamkeit und die Solidarität mit dem Kronprinzen zu zeigen. 33 Unter diesen Umständen und mit der massiven Unterstützung seiner Brüder und der Beamten des Königreiches – einschließlich der Schlüsselfiguren und des Volkes – hatte Adonijah keinen Grund zu rebellieren. Er wartete eher darauf, dass David, dessen Tage gezählt waren, verschied, und er gelassen den Thron erben konnte. (7) Absaloms Verhältnis zu seinem Vater war kompliziert, nachdem er seinen Bruder Amnon ermordet hatte (2 Sam 13:24–39). Auch nach seiner Rückkehr aus Geshur war die Beziehung brisant und tatsächlich wollte David ihn nicht sehen (2 Sam 14:24). Absalom hatte gute Gründe, sich um seine Kandidatur als Nachfolger seines Vaters Sorgen zu machen und wurde so zum Thronusurpator (2 Samuel 15). Im Gegensatz dazu bestand, soweit wir es aus den Quellen wissen, kein Konflikt zwischen Adonijah und seinem Vater (vgl. 1 Kön 1:6). Dementsprechend dürfte er nicht besorgt gewesen sein, dass sein Vater ihn als zukünftigen Thronfolger ablehnen würde und hatte keinen Grund, gegen David zu rebellieren. (8) Der schnelle Zusammenbruch der Partei Adonijahs (1:49) „shows that they had made no preparation for revolt and were taken by surprise by the court intrigue of Solomon’s factions. Otherwise, they would have offered armed resistance to David and Solomon.“34 (9) Gemäß dem „Testament Davids“ beschuldigte David Joab der Ermordung Abners, dem Sohn Ners, und Amasas, dem Sohn Jethers (1 Kön 2:5–6). Er beschuldigte Joab jedoch nicht, die „rebellischen“ Aktionen Adonijahs

32 Gegen ZALEWSKI, Ascension, 45–46, und die dort gegebenen Verweise auf andere Exegeten mit ähnlichen Auffassungen. 33 Bemerke, dass der Erzähler die Leute, die zum Bankett des Adonijah eingeladen sind, ʭʩʠʸʷ („die Gäste,“ 1 Kön 1:41, 49) nennt. Derselbe Ausdruck begegnet auch in 2 Sam 15:11, in der Beschreibung von Absalom. Während aber im Fall des Absalom die ʭʩʠʸʷ überhaupt keine Ahnung hatten, dass er gegen seinen Vater rebellieren würde ( ʬʫ ʥʲʣʩ ʠʬʥ ʭʮʺʬ ʭʩʫʬʤ ʸʡʣ), war im Fall des Adonijah alles klar, denn er hatte bereits verkündet: „Ich werde König sein!“ 34 ISHIDA, History, 118.

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unterstützt, d.h. ihn zu Lebzeiten seines Vaters und ohne dessen Wissen zum König ausgerufen zu haben. (10) Auf der anderen Seite verlangte Adonijah nach der Konkubine seines Vaters (1 Kön 2:17). Das erinnert daran, dass Absalom als eine seiner ersten Maßnahmen, nachdem David aus Jerusalem geflohen war, mit dessen Konkubinen schlief (2 Sam 16:21–22; vgl. auch 12:11). Also mag Adonijahs Forderung als Akt der Rebellion betrachtet werden, vergleichbar zu dem Absaloms, aber abgesehen von den bereits erwähnten Punkten muss hervorgehoben werden, dass Adonijah diese Forderung erst nach Davids Tod erhob. Auch wenn das sicherlich einen Anspruch auf den Thron impliziert, wie Salomo selbst erkannte (1 Kön 2:22; vgl. auch 2 Sam 12:8), so war David bereits tot; daher stellt dies eine Herausforderung der Position Salomos dar, nicht der Davids. Tatsächlich beabsichtigte Adonijah möglicherweise nie den Thron seines Vater zu usurpieren; er widersetzte sich nur Salomos Anspruch, David nachzufolgen. (11) Abiathar wurde im „Testament Davids“ ebenfalls nicht als Anhänger der Rebellion angeklagt. Im Gegenteil wurde seine Loyalität gegenüber David sogar von Salomo hervorgehoben: „Ich will dich dieses Mal nicht töten, denn du hast die Lade [ʯʥʸʠ]35 Gottes des Herrn vor meinem Vater David getragen und hast alles mitgelitten, was mein Vater gelitten hat“ (2:26). (12) Da Joab und Abiathar erst nach dem Tod Davids von der Macht entfernt wurden, impliziert dies, dass sie ihre Positionen während der KoRegentschaft Davids und Salomos (1 Kön 1:48) behalten haben. Das wäre sehr unwahrscheinlich, wenn sie tatsächlich mit Adonijah gegen den König David kollaboriert hätten.36 All diese Informationen, die die historische Situation betreffen, sind notgedrungen auf die Schilderung in Samuel-Könige gestützt, aber da sie keine Tendenz erkennen lässt, Adonijah zu unterstützten (sie scheint im Gegenteil Salomo zu favorisieren), sollte den dort enthaltenen Hinweisen, dass sein Verhalten für einen Kronprinzen angemessen war, hohe Glaubwürdigkeit beigemessen werden. Als der älteste überlebende Sohn Davids und sein erwarteter Nachfolger, scheint Adonijah auf den schwachen Zustand des kranken und alten David damit reagiert zu haben, seine Unterstützung zu festigen, in der Erwartung, dass David bald sterben würde. Es gibt keinen Hinweis, dass er rebellierte, aber sein Anspruch auf den Thron blieb nicht unbestritten.

35

Möglicherweise ist das Wort ʯʥʸʠ eine Korrumpierung von ʣʥʴʠ; vgl. im Detail KLOSKings, 108–109.

TERMANN, Bücher, 271; GRAY, 36 ISHIDA, History, 118.

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1.3 Verschwörung am Hof: Nathan und Bathsheba gegenüber David Obwohl alles der obigen Diskussion eindrücklich nahelegt, dass Adonijah nicht gegen seinen Vater David rebellierte, scheint dessen schwacher körperlicher und seelischer Zustand ihn ans Bett gefesselt zu haben, sodass sein Wissen über diese Ereignisse nur aus zweiter Hand gekommen sein kann. Es scheint, dass Nathan, der David als Hofprophet diente, 37 die Situation ausnutzte, denn um Adonijahs Nachfolge auf den Thron zu verhindern, stellte er diesen gegenüber dem König als Rebell dar und drängte David, stattdessen Salomo zu erwählen. In Samuel-Könige wird Nathan als weiser Mann porträtiert, der Gottes Worte an David übermittelte (2 Samuel 7; 12), und der Bathsheba beriet, wie sie eine Möglichkeit schaffen konnte, ihren Sohn Salomo auf den Thron zu setzen (1 Könige 1). Jedoch bestreitet Wolfgang Oswald jegliche Existenz eines historischen Nathan im 10. Jahrhundert B. C. E. Seiner Meinung nach ist Nathan, wie er in 2 Samuel 7; 12 und 1 Könige 1 beschrieben ist, eine fiktive literarische Figur, die im 7. und 6. Jahrhundert B. C. E. erschaffen wurde. 38 Oswalds These beruht jedoch auf sehr dünnen literarisch-historischen Linien und verursacht eine Reihe großer Probleme, wie Walter Dietrich überzeugend aufgezeigt hat.39 Tatsächlich leiten sich die detaillierten und plausiblen Informationen über die beiden Parteien, die in 1 Könige 1–2 darum ringen, David auf den Thron zu folgen – darunter nicht nur Nathan, sondern auch Adonijah, Bathsheba, Abishag, Joab, Benaiah, Zadok und Shimei – wohl eher von einer oder mehreren alten aufschlussreichen Quellen ab, als dass sie von irgendjemandem in der späten judäischen Monarchie erfunden wurden. Es ist außerdem nicht klar, von wem und zu welchen Zweck diese Figuren erfunden worden wären und warum gerade zu jener Zeit. Folglich gibt es keinen Grund, zu bezweifeln, dass Nathan eine historische Figur war, die unter David und Salomo wirkte, wie der biblische Text bekräftigt. Da Nathan also folglich in der Gunst Davids stand, erwartete er vermutlich auch, Einfluss auf dessen Nachfolger zu haben. 40 Es war ihm aber aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, Adonijahs Wohlwollen zu erlangen. Es ist unbekannt, was genau die Spannung zwischen den beiden (und ihren Unterstützern) 41 verursachte, aber laut 1 Kön 1:8–10, 26 war Nathan nicht unter 37

Interessanterweise wird Davids anderer Hofprophet – Gad (1 Sam 22:5; 2 Sam 24:11– 19; 1 Chr 21:9; 29:29; 2 Chr 29:25) – in der Thronfolgeerzählung nicht genannt. 38 Vgl. OSWALD, Nathan, 11.236–275. 39 Vgl. DIETRICH, Königen, 277; vgl. auch B. Bibergers kritische Anfragen in seiner Rezension von Oswalds Buch in BZ 54 (2010), S. 119–120, v.a. 120. 40 Vgl. im Detail unten, §1.3 Nr. 6. 41 Der Vorschlag mancher Exegeten (z.B. AHLSTRÖM, Prophet, 113–127), dass es ein Konflikt zwischen einer Partei des Jahwismus (vertreten von Abiathar als Anführer der Un-

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den Teilnehmern an Adonijahs Bankett. Stattdessen initiierte er eine Verschwörung gegen Adonijah, während er gleichzeitig tatkräftig Salomo als Thronfolger propagierte.42 Mit diesem Verhalten nutze Nathan die körperliche und seelische Verfassung Davids aus und manipulierte ihn. Er nutze außerdem die passive Persönlichkeit Bathshebas aus und bediente sich ihrer als Werkzeug,43 um David dazu zu bringen, seinen ältesten noch lebenden Sohn – Adonijah – als Thronfolger zurückzuweisen und stattdessen einen jüngeren Sohn – Salomo – zu erwählen.44 Eine genaue Untersuchung von 1 Kön 1:5–10 liefert folgende Hinweise, dass Nathan ein Komplott schmiedete, um Salomo auf den Thron zu setzen: (1) Nathans Frage an Bathsheba: „Hast du nicht gehört, dass Adonijah, der Sohn der Haggith, König geworden ist und unser Herr David weiß es terstützer Adonijahs) und einer Partei der jebustischen-kanaanäischen Religion (vertreten von Zadok als Anführer der Unterstützer Salomos) war, ist in der Tat unbegründet, und ist wie ein Berg, der an einem Haar hängt. Vgl. auch ISHIDA, History, 111–112. 42 Gleichwohl ist die Behauptung, dass Nathan Salomos „Gönner“ war und deswegen seine Partei ergriffen hat (so MONTGOMERY/GEHMAN, Books, 75) unwahrscheinlich. Obwohl von Nathan gesagt wird, dass er dem kindlichen Salomo den Namen Yedidyah gab, was als eine Form von königlicher Legitimation dient, projiziert dies möglicherweise eine Sichtweise auf Salomos Geburt zurück, die sich tatsächlich erst während Salomos Regierungszeit entwickelte. Es kann nicht angenommen werden, dass Nathan ihm diesen Namen wirklich bei der Geburt gab, noch, dass er vor den Ereignissen in 1 Könige 1 irgendeine andere Rolle in Salomos Leben spielte (zu diesem Thema vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Sechs, §III. Überdies vermitteln der Name und die Phrase in ihrem gegenwärtigen Kontext eine Botschaft der Hoffnung, dass – im Gegensatz zum ersten, illegitimen Kind – das zweite Kind, das David und Bathsheba geboren wurde, leben wird und dass es sogar den göttlichen Segen hat; vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, §III, (a). 43 Bathsheba wird in den biblischen Erzählungen als eine Figur dargestellt, die keine „Persönlichkeit“ hat, sondern eine passive Figur ist: David ruft sie und schläft mit ihr, obwohl sie mit Uriah dem Hethiter verheiratet war (2 Sam 11:3–4), aber sie schweigt. Nach dem Mord an ihrem Ehemann betrauert sie ihn (d.h. sie vollzieht die angemessenen Trauerrituale). Aber wenn David „nach ihr schickt und sie in sein Haus holen lässt“ und sie seine Frau wird (2 Sam 11:27), hören wir ihre eigenen Gedanken über diese Angelegenheit nicht, obwohl „was David getan hatte, falsch in den Augen des Herrn war“ (2 Sam 11:27). Nathan schickte sie, um David zu besuchen und sie arbeitete einfach mit ihm zusammen (1 Kön 1:11–14). Ihre Reaktion auf Adonijahs Wunsch, Abishag zur Frau zu bekommen, und ihre Bitte an Salomo, dies zu erfüllen, was faktisch bedeutete, Anspruch auf das Königreich zu erheben (1 Kön 2:13–25; vgl. Gen 35:22; 2 Sam 12:8; 16:21–22), ist nur ein weiterer Beweis ihrer naiven und leicht manipulierbaren Persönlichkeit. Natürlich kann man behaupten, dass es der Erzähler der Thronfolgeerzählung ist, der sie als nicht besonders einsichtige Person beschreibt. Aber die Häufung der Fälle führt zu der Schlussfolgerung, dass sie höchstwahrscheinlich eine passive und naive Persönlichkeit war, die leicht und oft von anderen manipuliert wurde. 44 Dies ist kein beispielloser Vorfall einer Hofintrige. Es gibt einige vergleichbare Fälle in der antiken und modernen Weltgeschichte; vgl. die von MONTGOMERY/GEHMAN, Books, 74– 75 gesammelten Beispiele.

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nicht?“ (1:11) ist ungenau; Adonijah hat sich nicht selbst zum König erklärt (siehe oben). Entsprechend ist sowohl die Behauptung Nathans (1:11, 13, 24– 25) falsch, als auch die Bathshebas, die auf der Nathans beruht (1:18). Das ist ein Teil der Verschwörung und nutzt die klägliche Situation Davids aus. (2) Nathan warnt Bathsheba, dass ihr Leben und das Salomos gefährdet sei, wenn Adonijah König würde (1:12, siehe auch 1:21). Obwohl das Töten von Rivalen für einen neuen König im Alten Orient nicht unüblich war,45 haben wir keinen Hinweis darauf, dass Adonijah dies tun wollte.46 Adonijah lud Salomo nicht zu seinem Bankett ein, aber das könnte viele Gründe haben: vielleicht hielt er den jungen Heranwachsenden nicht für wichtig genug, vielleicht waren aber auch die Skandale, die zu seiner Geburt geführt hatten (2 Samuel 11:1c–12:24), der Grund. Dass Salomo keine Einladung erhielt, impliziert nicht notwendigerweise, dass Adonijah ihn ermorden würde. Daher ist Nathans Behauptung fragwürdig und scheint primär dazu gedient zu haben, seinem Appell an Bathsheba Nachdruck zu verleihen, der Verschwörung gegen Adonijah beizutreten. (3) Nathan und Bathsheba sprechen von Joab und Abiathar als Unterstützer einer von Adonijah geführten Rebellion. Damit versuchen sie, den alten, schwachen und kranken David zu ängstigen, der bereits die verheerende Rebellion Absaloms erlebt hat (2 Samuel 15–18). Sie verschwören sich, um ihm das Gefühl zu geben, sich in einer sehr gefährlichen Situation zu befinden, weswegen unmittelbar gehandelt werden müsse (1:18–19). (4) Nathan rät Bathsheba, den alten und kranken David zu manipulieren, dessen Gedächtnis nicht länger verlässlich war, und ihm zu sagen: „Hast du nicht, mein Herr, o König, deiner Magd geschworen, indem du sagtest: ‚Ganz gewiss soll dein Sohn Salomo nach mir König sein, und er soll auf meinem Thron sitzen‘?“ (1:13, siehe auch 1:17). Die Forderung, Salomo zum König zu machen, basiert auf Davids Schwur/Versprechen. Aber so ein Versprechen wurde nie irgendwo erwähnt. Falls David Bathsheba tatsächlich jemals solch ein wichtiges Versprechen gegeben hat, hätte dies höchstwahrscheinlich eine Spur in den Erzählungen von David im Buch Samuel hinterlassen. Es wäre zumindest Davids Neffen und langjährigem loyalen Heerführer Joab (der Davids Geheimnis bezüglich Uriah bewahrte) und seinem Freund und Priester Abiathar bekannt gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass David Bathsheba nie ein solches Versprechen gegeben hat, wird auch von Bathshebas Worten bestätigt: „Aber du, mein Herr, der König, die Augen von ganz Israel sind auf dir, damit du ihnen sagst, wer auf dem Thron meines Herren des Königs nach ihm sitzen wird“ (1:20). Diese Worte widersprechen ihrer Behauptung in Vers 45

Vgl. zum Beispiel 1 Kön 15:28–29a; 16:10–12; 2 Kön 9:11–10:14. Gegen GRAY, Kings, 96, der behauptet, dass „Adonijah… himself was probably prepared to mete out to his rival [= Salomo, I. K.] had he been successful.“ 46

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1:17 bezüglich des Versprechens, das David ihr gegeben haben soll. Wenn David ihr bereits geschworen/versprochen hat, dass Salomo nach ihm regieren wird, warum weiß niemand in Israel darüber Bescheid? (5) Nathan bezeichnet seine Worte an Bathsheba als „Rat“ (ʤʶʲ, 1:12a). Er fügt hinzu, dass er ihr helfen und sie unterstützen will: „Während du dort noch mit dem König redest, will ich nach dir hineinkommen und deine Worte bekräftigen“ (ʪʩʸʡʣ ʺʠ ʩʺʠʬʮʥ; 1:14). Wenn es einen solchen Schwur bzw. ein solches Versprechen gab, warum sollte er ihr „raten“, dies zu sagen und sie nicht einfach an den Schwur bzw. das Versprechen erinnern, den/das sie vom König erhalten hat?47 Und warum war es nötig, dass Nathan dies bekräftigte? Nathan sollte eher etwas sagen wie: „geh und erinnere den König…“, statt „geh und sag dem König…“ 48 Darüber hinaus erwähnt Nathan bei seinem Treffen mit David kein Versprechen, dass der König Bathsheba gegeben hat (1:23–27).49 (6) Das Verhalten Bathshebas und Nathans gegenüber David ist ungewöhnlich: Nathans Verhalten ist komplett verschieden von dem in 2 Samuel 12, wo er vor David stand und klarmachte: „Du [= David] bist der [böse] Mann!“ (2 Sam 12:7a). Hier aber, als er Davids Zimmer betrat, „fiel er vor dem König nieder mit seinem Gesicht auf der Erde“ (1 Kön 1:23b). Wie schon von Arnold B. Ehrlich dargelegt, „Der Prophet, der vor dem König stand und Gerechtigkeit und Wahrheit im Namen des Herrn sprach, ist dem Propheten, der mit seinem König sprach und seinen Sohn lobte, nicht ähnlich….“50 Tatsächlich bemerkt Martin Noth korrekt: „Nathan aber erscheint in der Erzählung als ein Intrigant, der es sehr gut versteht, sich in Kreisen des königlichen Hofes zu bewegen und alles so zu arrangieren, daß das von ihm erstrebte Ziel erreicht wird.“51 Yehezkel Kaufmanns Vorschlag, dass Nathan in 2 Samuel 12 als Gottes Bote vor David erscheint, während er in 1 Könige 1 privat als einer der Beamten des Königs handelt,52 beseitigt nicht die wider47

Vgl. A. EHRLICH, Randglossen, 215. Vgl. EHRLICH, Mikrâ, 264; vgl. DERS., Randglossen, 215. 49 Einige Exegeten hinterfragen den „Rat“ Nathans nicht und vermuten Davids Versprechen an Bathsheba habe sich tatsächlich so ereignet, so zum Beispiel KAUFMANN, Mekibshuna, 180–184; ROBINSON, Book, 28 („It is described as a solemn oath, though we might think it to have been the kind of thing that a king would say to his favourite wife“); B RIGHT, History, 210; ZALEWSKI, Ascension, 46–57. Einige dieser Exegeten bestreiten Davids schwache seelische Verfassung am Ende seines Lebens und glauben, dass das Versprechen Davids an Bathsheba privat gegeben wurde, sogar „strictly confidentially;“ weswegen keiner davon wusste. KAUFMANN, Mekibshuna, v.a. 182–184, und ZALEWSKI, Ascension, v.a. 54–55) versuchen sogar die gebrochene Würde Nathans zu „rehabilitieren“. 50 Vergleiche EHRLICH, Mikrâ, 265. 51 Vgl. NOTH, Könige, 40. 52 KAUFMANN, Mekibshuna, 180–184. 48

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sprüchliche Persönlichkeit Nathans. Auch das Verhalten Bathshebas, die „sich niederbeugte und sich vor dem König auf den Boden warf“ (1:16) spiegelt eine von Schmeicheleien geprägte Beziehung zwischen den beiden wieder. Alles in allem gelingt es Nathan und Bathsheba, den alten und kranken David glauben zu lassen, dass er Bathsheba feierlich geschworen/versprochen hat, ihr Sohn würde König werden. Sie verstärken die Wachsamkeit des sterbenden Königs, und er reagiert unmittelbar zu Gunsten Salomos (1:28–35). Schließlich vervollständigen die schmeichelhaften Worte des Offiziers der Söldnerwache, der ebenfalls nicht zu Adonijahs Bankett eingeladen war (1:10, 26) und der höchstwahrscheinlich den Heerführer Joab verdrängen wollte, die Verschwörung: „Und Benaiah, der Sohn des Jehoiada, antwortete dem König und sprach: Amen; der Herr, der Gott meines Herrn, des Königs, bestätige es! Wie der Herr mit meinem Herrn, dem König, gewesen ist, so sei er auch mit Salomo, und mache seinen Thron größer als den Thron meines Herrn, des Königs David“ (1:36–37, vgl. 1:47). Folglich entstand Salomos Thronfolge bis jetzt nicht durch Gewalt und Blutvergießen (das wird später geschehen, nach dem Tod seines Vaters!), aber zugleich wurde die Angelegenheit nicht völlig rechtmäßig durchgeführt. Er wurde nicht vom Volk gewählt und erst nachträglich als von Gott erwählt bezeichnet (siehe unten). Salomo wurde König aufgrund von machtvollen Partei-Intrigen am Hof, die Davids Zustand ausnutzten. Nach Salomos Thronbesteigung hören wir nichts mehr von oder über Nathan. Anscheinend behielt er seine Stellung als Hofprophet. Auch seinen Söhnen wurden von Salomo hohe Positionen gegeben: „Azariah, der Sohn des Nathan, stand den Statthaltern [der Bezirke; ʭʩʡʶʰʤ ʬʲ] vor; 53 und Zabud [LXXLuc.: ǽĮȤȠȣȡ oder ZĮțȤȠȣȡ; Peshi৬ta: Zbwr]54, der Sohn des Nathan war ein Beamter, des Königs Freund [= Berater;55 ʪʬʮʤ ʤʲʸ ʯʤʫ]“ (1 Kön 4:5).56 53 Höchstwahrscheinlich war im Nordreich ʺʥʰʩʣʮʤ ʩʸʹ der Parallelbegriff zu ʭʩʡʶʰ; vgl. METTINGER, State, 124. 54 Die Variationen des Namens leiten sich ab vom Vertauschen der Hebräischen Buchstaben ʫ/ʡ und ʸ/ʣ ab, die sich von ihrer Form her ähnlich sind. Für dieses Phänomen in der Hebräischen Sprache und in biblischen Manuskripten und Übersetzungen, vgl. SPERBER, Hebrew, 167 (§21).168 (§23). 55 Im wichtigsten Septuaginta-Manuskript begegnet kein Äquivalent zum Wort ʯʤʫ. Meist wird angenommen, dass es sich um eine späte Glosse handelt (vgl. z.B. DE VAUX, Israel, 128). Vermutlich meint ʯʤʫ im hier untersuchten Kontext eher „Amtsträger“ oder „Beamter“ statt der üblichen Bedeutung „Priester“. Es wurde vielleicht dem Textrand hinzugefügt, um den ungewöhnlichen Titel ʪʬʮʤ ʤʲʸ zu erklären, der den Lesern nicht mehr klar war. Vgl. BENZINGER, Könige, 18. Eine weitere – aber weniger wahrscheinliche – Möglichkeit: ein Glossator hat den zweiten Namen „Nathan“ in diesem Text mit „Nathan“, dem Sohn Davids, identifiziert, der ein ʯʤʫ war (2 Sam 5:14). Entsprechend hat er auch hier das Wort ʯʤʫ hinzugefügt. 56 Vgl. EHRLICH, Mikrâ, 276; gegen WÜRTHWEIN, Buch, 40, der bezweifelt, dass Azariah und Zabud Brüder waren und dass beide Söhne von Nathan dem Propheten waren. Der Chro-

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Darüber hinaus erhielten diejenigen, die Nathan und Salomo unterstützt hatten, die hohen Stellungen derer, die Adonijah unterstützt hatten: Zadok ersetzte Abiathar, und Benaiah ersetzte Joab (1 Kön 2:35). Es scheint daher, dass Salomo den Thron in Wirklichkeit durch Intrigen und Verschwörungen erhielt: Der Hauptverschwörer (Nathan) unterstützte den jungen Sohn der Bathsheba, um seine eigene momentane hohe Stellung zu sichern, und um für seine Söhne hohe Stellungen zu erlangen. Zadok und Benaiah schlossen sich ihm an, um bessere und höhere Positionen für sich selbst zu erreichen. Bathsheba wollte, dass ihr Sohn König wurde und sie selbst die „Königinmutter“ (ʤʸʩʡʢʤ; 1 Kön 2:19, siehe auch 15:13 [// 2 Chr 15:16]; 2 Kön 10:13; 2 Kön 24:15 [„Mutter des Königs“] // Jer 29:2 [ʤʸʩʡʢ]; Jer 13:18).57

2. Die Rechtmäßigkeit der Thronbesteigung Salomos nach den Königebüchern Anhand der Quellen, die einem modernen Historiker zur Verfügung stehen, ist das Folgende das Maximum dessen, was sich über die historische Situation am Ende der Regierung Davids rekonstruieren lässt: Adonijahs Handlungen, durch die er sich darauf vorbereitete, die Königsherrschaft zu übernehmen, waren, wenn auch vielleicht etwas voreilig, so doch nicht grundsätzlich ungesetzlich oder rebellisch, während Nathans Handlungen, die den Thron für Salomo sichern sollten, den klaren Fall einer politischen Intrige darstellen. Wenn dies also mehr oder weniger die historische Situation war, wie sie der Autor von 1 Könige 1 erfasste, wie hat er selbst diese Ereignisse eingeschätzt und dargestellt? Welches Bild von Salomo sollen wir aus seiner Darstellung gewinnen? Einige Exegeten haben argumentiert, dass 1 Könige 1–2 ein zusammengesetzter Text ist, in dem eine ältere Grundschicht durch diverse deuteronomistische und post-deuteronomistische Schichten aus viel späterer Zeit erweitert wurde. Jedoch sind diese Rekonstruktionen nicht überzeugend, da sie die Hinweise für eine deuteronomistische Bearbeitung überbewerten und die Art und Weise ignorieren, wie bereits der Grundtext Salomo als legitimen Nachfolger Davids präsentiert, der auf die Fehlschläge in Form seiner drei älteren nist nennt nur einen von Nathans Söhnen, „Zabud, der Sohn des Nathan“ (1 Chr 2:36) ohne seinen offiziellen Titel „Priester und Freund des Königs“ anzugeben; möglicherweise weil das Priesteramt Aaron und seinen Söhnen gegeben wurde und Nathan nicht zu diesem Clan gehört (ob das Wort ʯʤʫ in seiner Vorlage vorkam, vgl. vorherige Anmerkung). Nathan selbst ist mehrmals in 1 Chronik 17 erwähnt und in 29:29. 57 Über die „Königinmutter“ in der Hebräischen Bibel und in altorientalischen Kulturen, vgl. MARSMAN, Women, 345–370.

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Brüder Amnon, Absalom und Adonijah folgt. Das passt zu dem geläufigen literarischen „drei-vier“-Schema, wobei die vierte Figur die maßgebliche ist; das wird durch explizite Verweise auf Salomos göttliche Erwählung ergänzt, die entweder vom Autor der Thronfolgeerzählung als Ganzes oder kurz danach hinzugefügt wurden. Aus einer Reihe von Gründen ergibt die apologetische Tendenz des Textes mehr Sinn, wenn man den Text als grundsätzlich einheitlichen Versuch betrachtet, Salomo gegen die Anklage der Unrechtmäßigkeit zu verteidigen, als wenn man es als späte fiktionale Erzählung ansieht; darüber hinaus wurde der Text wohl relativ zeitnah zu den tatsächlichen Ereignissen abgefasst. Nun zu einigen Detailfragen in dieser Angelegenheit. 2.1 Die literarische Einheit der Thronfolgeerzählung Die ersten beiden Kapitel der Königebücher sind eng verbunden: Salomos Thronfolge in 1 Könige 1 wurde mit der Erfüllung des so genannten „Testaments Davids“ und mit der Beseitigung seiner potentiellen Rivalen in 1 Kön 2:1–46a abgeschlossen. Wie wir an anderem Ort gesehen haben,58 ist der Text in 1 Könige 2 nicht vollkommen einheitlich und enthält einige relativ kurze sekundäre Hinzufügungen, aber die beiden Kapitel beruhen aufeinander und keines kann vom vorhergehenden Teil der Thronfolgeerzählung in 2 Samuel 9–20 getrennt werden.59 58

Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Acht, §V, 1. Im Gegensatz dazu, „there is nothing in chapter 3 to serve as chapter 2’s continuation“; vgl. DEVRIES, 1 Kings, 29. Die Beziehung zwischen dem Masoretischen Text (= MT) von 1 Könige und LXX 3 Königtümer reicht über die Aufgabenstellung dieser Studie hinaus. Es ist trotzdem erwähnenswert, dass die traditionelle Aufteilung zwischen den Büchern Samuel und Könige im Masoretischen Text unterschiedlich zu dem in der Septuaginta ist. Letztere versteht Samuel-Könige als eine übergreifende Komposition, namentlich ȕĮıȚȜİȓȦȞ, welche aufgrund ihrer Länge in vier Teile geteilt ist: ȕĮıȚȜİȓȦȞ Į–į / 1–4 Königtümer. Darüber hinaus ist in der lukianischen Rezension der Septuaginta MT 1 Könige 1:1–2:11 in ȕĮıȚȜİȓȦȞ ȕ (= ungefähr MT 2 Samuel) enthalten, und ȕĮıȚȜİȓȦȞ Ȗ (= 3 Königtümer = ungefähr MT 1 Könige) beginnt mit dem, was im MT als 1 Kön 2:12 begegnet. Der Grund, warum 3 Königtümer in LXXLuc mit MT 1 Kön 2:12 beginnt, hängt offensichtlich mit dem Wunsch zusammen 2 Königtümer mit dem Tod Davids zu beenden und einen neuen Anfang für die Regierung Salomos zu erschaffen. MT Könige beginnt allerdings mit den Ereignissen, die zu Salomos Königsherrschaft geführt haben, einschließlich seiner Ko-Regentschaft mit seinem Vater. Ohne ins Detail zu gehen, könnte diese Struktur der Septuaginta implizieren, dass die Aufteilung von Samuel-Könige in verschiedene Bücher selbst eine späte Entwicklung war (es ist schwierig zu sagen, wie spät), und dass die Verbindungen zwischen den Geschehnissen in 2 Samuel und 1 Könige den frühen Lesern evident waren. Dementsprechend beginnt bei Josephus, Ant., das Buch VIII, das Salomo betrifft, mit dem Tod Davids in 1 Kön 2:12 (vgl. TOV, Criticism, 147.308–309 mit Bibliographie). Gleichzeitig jedoch unterbricht die lukianische Unterteilung nach 1 Kön 2:11 auch die Verbindungen zwischen 1 Kön 1:1–2:11 und 59

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Seit der Arbeit von Leonhard Rost von 1926 werden etwa die Kapitel 2 Samuel 9–20 und 1 Könige 1–2 weitgehend als unabhängiger Bericht anerkannt, bekannt als „Thronfolgeerzählung Davids“60, die später in den größeren Komplex von Samuel-Könige eingearbeitet wurde. Diese Theorie blieb nicht ohne Widerspruch, und zugegebenermaßen erscheinen alle Definitionen der „Thronfolgeerzählung“ auf irgendeine Weise problematisch.61 Aber trotz des Zweifels einiger Exegeten über die Existenz der „Thronfolgeerzählung“,62 gibt es eine eindeutige Verbindung zwischen 2 Sam 12:24–25 (selbst ein Teil des Ganzen in 2 Samuel 10–12) und 1 Könige 1–2 und keiner der beiden Texte kann ohne den anderen vollständig verstanden werden. Viele Exegeten sind Rosts Theorie gefolgt und haben seinen Vorschlag in Gänze akzeptiert, aber nicht alle.63 Zum Beispiel kann nach Yehezkel Kaufmann nur 1 Könige 1–2 wirklich als „Thronfolgeerzählung Davids“ bezeichnet werden; 1 Kön 1–2 sieht er als selbstständige literarische Einheit an, die nicht direkt mit den Erzählungen in 2 Samuel 9–20 zusammenhängt.64 Steven L. McKenzie stellt die beiden Passagen ebenfalls gegenüber mit der Begründung, dass „1 Kgs 1–2 does not presuppose any of the events or characters of 2 Sam 11–12“ (Kursivierung vom Autor).65 Das heißt, er hält 2 Samuel 11–12 für später („post-Deuteronomistic“) als 1 Könige 1–2, da ersteres Salomos Thronbesteigung in 1 Könige 1–2 kennt, letzteres sich jedoch nicht auf ersteres bezieht oder davon abhängt. Darüber hinaus behauptet McKenzie, dass sie aus unterschiedlichen Händen stammen müssen, da Nathan in beiden Passagen sehr unterschiedlich dargestellt ist. Andrew Knapp folgt neuerdings dieser Argumentation.66 Allerdings sind beide Argumente schwach. Die Idee, dass eine Person in verschiedenen Situationen genau gleich handeln muss, ignoriert die Komplexität des menschlichen Lebens und der menschlichen Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen. Die Situation am Ende der Regierung Davids (1 2:12–46. Es gibt weitere wichtige Unterschiede zwischen dem Masoretischen Text der Erzählung von Salomo in 1 Könige 2–11 und der Septuaginta-Version; vgl. VAN KEULEN, Versions. 60 Vgl. ROST, Überlieferung. 61 Für einen kritischen Überblick der verschiedenen Herangehensweisen und Definitionen der „Thronfolgeerzählung“, vgl. KAUFMANN, Mekibshuna, 169–179; WHYBRAY, Succession; ISHIDA, History, 102–107; ROFÉ, Introduction, 23–30. 62 Für Zusammenstellungen von bibliographischen Referenzen vgl. ISHIDA, History, 103, Anm. 7–8, und RUDNIG, Thron, 1–14. 63 Vgl. zum Beispiel ROFÉ, Introduction, 24.45.67. 64 Vgl. KAUFMANN, Mekibshuna, 169–179. Kürzlich wurde diese Behauptung erneut bekräftigt von KNAPP, Apologetic, 252–253 vgl. auch 195–200, ohne sich auf Y. Kaufmanns Arbeit zu beziehen. 65 Vgl. MCKENZIE, Succession, 133. 66 Vgl. KNAPP, Apologetic, 252–257.

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Könige 1–2) war eine völlig andere als die in 2 Samuel 10–12; daher sollte nicht angenommen werden, dass die Charaktere jeweils genau gleich handeln. Noch wichtiger ist, dass die Behauptung, 2 Samuel 11–12 sei später als 1 Könige 1–2, letzteres ohne Einleitung lässt, denn nur in 2 Samuel 11–12 werden wir mit Bathsheba und Salomo bekannt gemacht.67 Es gibt keine Möglichkeit, ohne Kenntnis von 2 Samuel 11–12 Nathans Annäherung an Bathsheba zu verstehen. In der Tat hat auch Knapp selbst eingeräumt, dass außer 2 Samuel 11–12 nichts in 2 Samuel 9–20 Salomos Erscheinen in 1 Könige 1–2 nahelegt, aber er bemerkt nicht, dass dies seine gesamte Argumentation untergräbt; denn wenn es wahr ist, dass Salomo und Bathsheba zuvor nicht genannt wurden, dann hat die plötzliche Nennung von „Bathsheba, Mutter des Salomo“ in 1 Kön 1:11 keinen Ausgangspunkt und keine Erklärung. Außerdem war Adonijah, gemäß der Liste von Davids Söhnen in 2 Sam 3:2–5, Davids vierter Sohn, der in Hebron geboren wurde, wohingegen Salomo erst später geboren wurde, als vierter Sohn in Jerusalem (2 Sam 5:14). Die Thronfolgeerzählung nennt nur vier Söhne mit Namen, ohne zu erwähnen, wo oder in welcher Reihenfolge sie geboren wurden, und setzt Salomo (nicht Adonijah) auf den vierten Platz: Die Erzählung beginnt mit Amnon, dem Erstgeborenen, der seine Halbschwester Tamar vergewaltigte und dann von ihrem Bruder Absalom getötet wurde (2 Samuel 13). Dann rebellierte Absalom selbst gegen seinen Vater und wurde getötet (2 Samuel 14–19). Anschließend wurde Adonijah zurückgewiesen, der nach Absalom geboren wurde und der nächste in der Thronfolge war (1 Kön 1:6); schließlich ersetzte Salomo, der Vierte, seinen Vater als König.68 Folglich formt das literarische Zahlenschema „drei-vier“ die ganze Thronfolgeerzählung, mit Salomo als Höhepunkt: Die ersten drei Söhne wurden zurückgewiesen, und der vierte wurde König. Außerdem bilden die Erzählungen über die Geburt Salomos (2 Samuel 10–12) und seine Thronbesteigung (1 Könige 1–2) eine inclusio um das gesamte „drei-vier“-Schema und verbinden es. 69 2 Samuel 9–20 bildet daher zusammen mit 1 Könige 1–2 eine einheitliche Legitimation für Salomos Thronbesteigung und somit können die beiden Teile nicht getrennt werden.

67 Der einzige andere Bezug auf Salomo findet sich in 2 Sam 5:14, wo weder seine Mutter genannt wird, noch Informationen über seinen Hintergrund gegeben werden, abgesehen von seiner Geburt in Jerusalem. 68 Für dieses Schema in der Thronfolgeerzählung, neben einigen anderen Beispielen, vgl. KALIMI, Geschichtsschreibung, 304–310; ZAKOVITCH, Pattern, 49–60. Für die weitere Diskussion dieses numerischen Schemas von „drei-vier“, das häufig in der biblischen Literatur ist, vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Fünf, §II, und unten in dieser Studie, §3. 69 Der einzige Teil der Thronfolgeerzählung, der außerhalb dieses Rahmens steht, ist der Bericht von Davids Freundlichkeit gegenüber Mephibosheth in 2 Samuel 9, der als Hintergrund-Erklärung für die Erzählung von Mephibosheth und Ziba in 2 Sam 19:25–31 dient.

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In ähnlicher Weise ist die Anzahl an eindeutig spätem Material weitaus kleiner als oft behauptet wird, obwohl verschiedene Versuche unternommen wurden, in diesen Kapiteln späte Ergänzungen bzw. späte Schichten zu identifizieren. Die folgenden Beispiele sollen dies veranschaulichen: Timo Veijola hat versucht, die deuteronomistischen und post-deuteronomistischen redaktionellen Schichten in 1 Könige 1–2 zu rekonstruieren, gegründet auf einer gewissen Unebenheit, die er im Text ausgemacht haben will, neben gelegentlichen Ausdrücken, die er als deuteronomistisch identifiziert. Er hat vorgeschlagen, drei Schichten zu unterscheiden:70 1. Eine vor-deuteronomistische Quelle, die in 1 Kön 1:1–29, 31–34, 38–45, 49–53; 2:13–23, 25–26a, 28–31a, 34–37a, 38–41, 42b, 43b, 46 erhalten ist.71 In anderen Worten: der größte Teil des Textes, nämlich 71,5 von 99 Versen in 1 Könige 1–2, stammt von der Grundschicht (oder der ursprünglichen Erzählung). 2. Eine deuteronomistische Redaktionsschicht, die sich in 1 Kön 1:30, 35– 37, 46–48; 2:1–2, 4aĮ–11, 24, 26b–27, 31b–33, 37b, 44–45 wiederspiegelt.72 Veijola findet in diesen Versen einiges an Vokabular, das er als „sekundär“ oder als „späte Ergänzungen“ beschreibt, wie zum Beispiel: die Verwendung von ʩʺʧʺ anstelle von ʩʸʧʠ, um sich auf die Thronfolge zu beziehen (1 Kön 1:30, 35); die parallele Verwendung von ʬʠʸʹʩ und ʤʣʥʤʩ statt nur ʬʠʸʹʩ (1 Kön 1:35); das Wort ʣʩʢʰ (1 Kön 1:35); die Ausdrücke ʡˇʩ ʭʥʩʤ ʯʺʰ ʸˇʠ ʩʠʱʫʚʬʲ („der heute einem meiner Nachkommen erlaubt hat, auf meinem Thron zu sitzen“; 1:48; vgl. 3:6); ʺʥʠʸ ʩʰʩʲʥ („und meine Augen haben gesehen“; 1:48; vgl. Jos 23:14); und ʤʥʤʩ ʸʡʣʚʺʠ ʠʬʮʬ („um das Wort des Herrn zu erfüllen“; 2:27; vgl. 2:4; Deut 9:5; 1 Sam 3:12; 2 Sam 7:25; 1 Kön 6:12; 8:20; 12:15; Jer 29:10). Er bemerkt auch, dass 1 Kön 2:1–9, das darüber hinaus deuteronomistische Ausdrucksweise enthält, im Ganzen mit der Struktur von Jos 1:1–6 korrespondiert.73 3. Einige post-deuteronomistische Ergänzungen: 1 Kön 2:3–4aȕ, 12, sowie Ergänzungen zu 1:30; 2:42a, 43a.74 Nach Veijolas Meinung war es das Ziel aller sekundärer Ausdrücke und der deuteronomistischen und post-deuteronomistischen Ergänzungen, die Wahl des Herrn und die Legitimierung Salomos als bestimmten Erben der davidischen Dynastie zu bekräftigen und seine Handlungen zu rechtfertigen.75 70

Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 16–30. Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 18.23. 72 Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 16–19.23. 73 Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 27–29. 74 VEIJOLA, Dynastie, 23–24. 75 VEIJOLA, Dynastie, 18 („es geht in der Bearbeitung um die theologische Legitimierung der Daviddynastie“), 24–30. 71

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Ohne detaillierte Argumentationen zu allen Stellen zu liefern, die Veijola als deuteronomistische und post-deuteronomistische Ergänzungen bestimmt, bleibt die Tatsache, dass er nur sehr wenig Aufmerksamkeit für den Inhalt dessen aufbringt, was er für die Grundschicht/ursprüngliche Quelle hält, obwohl dies den größten Teil des Textes ausmacht. Nach ihm bot die Grundschicht keine moralische oder theologische Rechtfertigung für Salomos Handlungen, die er unternahm, um seinen Thron zu sichern, und spiegelt daher eine „antisalomonische“ Tendenz wieder.76 Veijola hält dies für eine vorexilische Quelle, d.h. irgendwann zwischen dem 10. und dem frühen 6. Jahrhundert B. C. E. entstanden, ohne sie näher zu datieren. Er liefert auch keine überzeugenden Gründe für die Behauptung, dass die ursprüngliche Quelle „antisalomonisch“ ist; diese Schlussfolgerung scheint einzig auf seiner eigenen Behauptung zu beruhen, dass die prosalomonischen Aussagen spät sind. Aber auch wenn Veijola Recht hätte, dass alle oder die meisten Aussagen, die eine theologische oder moralische Rechtfertigung für Salomos Handlungen geben, sekundär sind (und man kann bestimmte Fällen bestreiten), so beweist das nicht (und Veijola hat dies nicht explizit erörtert), dass die Grundschicht antisalomonisch ist. Es könnte auch einfach als neutraler und realistischer Bericht der Ereignisse gelesen werden, die zur Sicherung des Thrones Salomos geführt haben. Ich bin jedoch nicht überzeugt, dass alle Bezüge auf Salomos Erwählung spät sind. Während die Argumente, dass 1 Kön 2:2–4 deuteronomistisch ist, im Prinzip überzeugend sind,77 sind die übrigen vorgeschlagenen Erweiterungen weit weniger zwingend. Warum muss angenommen werden, dass alle Rechtfertigungen der Legitimität Salomos als ein von Gott Erwählter spät oder insbesondere „deuteronomistisch“ sein müssen? Wie wir anderswo gesehen haben,78 war die göttliche Legitimation von Usurpatoren im Alten Orient breit bezeugt, sowohl vor der Zeit Salomos als auch in anderer frühbiblischer Literatur. Darüber hinaus gibt es, wie wir weiter oben in dieser Studie gesehen haben, einige Spannungen zwischen der Perspektive des Erzählers und der historischen Situation, die er beschreibt. Das heißt, der Erzähler scheint auf der Seite Salomos zu stehen, womit er implizit Adonijah kritisiert, der ehrgeizig und selbstherrlich (ʠʹʰʺʮ) ist, unfähig, geduldig auf den Tod seines Vaters zu warten (1 Kön 1:5–6).79 Aber es gibt weiterhin viele Anzeichen im Text, dass Adonijahs Handlungen nicht grundsätzlich unangebracht waren, da er tatsächlich der legitime Thronfolger war, der nur von Salomo durch eine

76

Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 26 („dessen tendenziell antisalomonische Darstellung“). Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Acht, §V, 1. 78 Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier. 79 Vgl. MULDER, 1 Kings, 43; COGAN, 1 Kings, 157. 77

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zwielichtige politische Intrige verdrängt wurde, wie es der Erzähler gekonnt beschreibt. Solche Spannungen müssen nicht durch aufeinanderfolgende Redaktionsschichten erklärt werden; sie können genauso gut als Ergebnis eines frühen prosalomonischen Autors verstanden werden, der versuchte, die Situation zu erklären, die er nicht verleugnen konnte (dass Adonijah der erwartete Kronprinz war), da noch Augenzeugen der tatsächlichen Ereignisse am Leben waren. Gleichzeitig weist er Salomo als von Gott (wie auch von David selbst) erwählt aus, wie ich im nächsten Unterkapitel detailliert darlegen werden (§2 „Apologetische Merkmale in der Thronfolgeerzählung“). Außerdem scheint Veijolas Argument ein Zirkelschluss zu sein: die Rechtfertigungen der Rechtmäßigkeit Salomos sind spät, da – nach Veijolas Ansicht – andere Rechtfertigungen der davidischen Dynastie, die eine ähnliche Sprache verwenden (zum Beispiel in 2 Samuel 7), auch spät sind, ohne dass dafür ein vernünftiges Argument genannt wird. Zum Beispiel sieht Veijola den Gebrauch des Wortes ʠʱʫ im Sinne von „Königreich“ oder „Dynastie“ (1 Kön 1:37, 47; 2:33, 45, und nicht nur als „Thron“ wie in 1 Kön 1:13, 17, 20, 24, 27, 30, 35, 46, 48; 2:4, 12, 19, 24) als spät an, begründet dadurch, dass es nur in Textteilen vorkommt, die er selbst für spät hält. Aber wie kann der Gebrauch des Ausdrucks in diesem Sinne ein Beweis dafür sein, dass die Texte spät sind, wenn er auf Grundlage eben jener Texte folgert, dass dieser Gebrauch des Ausdrucks spät ist?80 Was macht in ähnlicher Weise den Ausdruck ʣʩʢʰ (1 Kön 1:35) zu einer späten redaktionellen Ergänzung? 81 Tatsächlich kommt er sowohl in früher als auch in später biblischer Literatur vor. Dieser Begriff wird für Saul, David, Salomo und andere Könige in Juda, Israel und in anderen Nationen (wie dem Herrscher von Tyrus) benutzt.82 Sind alle diese Fälle späte redaktionelle Ergänzungen? Sollte die Verwendung des Ausdrucks ʤʣʥʤʩ ʬʲʥ ʬʠʸʹʩ ʬʲ (1 Kön 1:35b) wirklich als spät angesehen werden, wie Veijola behauptet,83 oder könnte er sich – wie bereits von Albrecht Alt erklärt (wie Veijola zugibt) – auf die beiden Königreiche beziehen, die unter David (2 Sam 5:5) und Salomo vereint waren?84 Und warum muss der Erzäh-

80

Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 26.60.75–76. Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 17 und Anm. 8 dort. 82 Vgl. zum Beispiel 1 Sam 9:16; 10:1; 13:14: 25:30; 2 Sam 5:2; 6:21; 7:8; 1 Kön 14:7; 16:2; 20:5; Ez 28:2. 83 Vgl. VEIJOLA, Dynastie, 17–18. 84 Vgl. ALT, Staatenbildung, v.a. 44–45 („Das Reich Davids und Salomos“), und vgl. oben, §1.2, Nr. (1). Diese Wendung begegnet auch in 1 Kön 5:5; 2 Sam 24:1; und vgl. 1 Sam 15:4; 2 Sam 24:9. 81

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ler immer ʤʥʤʩ benutzen – hat er keine literarische Freiheit, manchmal auch ʬʠʸʹʩ ʩʤʬʠ ʤʥʤʩ zu verwenden?85 Thilo A. Rudnig hat vorgeschlagen, dass eine sehr kurze Grundversion der Erzählung in 1 Könige 1 aus salomonischer Zeit stammt (10. Jahrhundert B. C. E.) und dass sie durch mehr als dreizehn Redaktionen ging, einschließlich einiger „Ergänzungen“, umfassender Umarbeitungen und zahlreicher sehr später Glossen. Dieser ganze Prozess fand v.a. in der persischen und hellenistischen Zeit bis zum 3. Jahrhundert B. C. E. statt.86 Glücklicherweise finden sich einige Fragmente von Samuel-Könige unter den Rollen vom Toten Meer – von denen die frühesten normalerweise in die Mitte des 3. Jahrhundert B. C. E. datiert werden – was Rudnig vielleicht dazu veranlasst hat, aufzuhören, wo er aufgehört hat; wer weiß, wie lange diese „kontinuierlichen Redaktionen“ andernfalls verlängert worden wären (in die mischnaischen oder talmudischen Zeiten?). Die Vorstellung, dass wir, obwohl jegliche konkrete Beweise durch Manuskripte fehlen, jede einzelne Hand rekonstruieren können, die an diesen Texten gearbeitet hat, führt dazu, dass Vorhaben wie das von Rudnig allzu zuversichtlich und extrem spekulativ sind. Die Rekonstruktion von dreizehn bestimmten, unterscheidbaren Strata in einem einzigen Text ist „Wissenschaft“ ad absurdum und kommt an das Untragbare heran. Man mag sich fragen, ob es in der antiken (oder nicht-antiken) Weltliteratur ein weiteres Beispiel eines solchen überflüssigen literarischen Prozesses gibt, der ca. 700 Jahre brauchte, um zu diesem Ergebnis zu gelangen. Gibt es in der untersuchten Erzählung irgendeinen Anachronismus, einen Namen, eine Institution oder eine einzigartige Idee aus der persischen oder hellenistischen Zeit? Gibt es irgendein sprachlich spätes Element in der Erzählung (zum Beispiel spätbiblisch-hebräische, aramäische, persische oder griechische Worte, Syntax etc.)? Warum also sollten diese vorgeschlagenen Redaktionsschichten ausgerechnet in die persische oder hellenistische Zeit datiert werden? Welche Notwendigkeit mag es zu diesen vorgeschlagenen Zeiten gegeben haben, eine solche Erzählung zu erschaffen? Wie ein Chirurg ein Skalpell einsetzt, so können die Werkzeuge der Redaktionskritik vorsichtig eingesetzt werden, um einen Nachtrag zu entfernen, falls notwendig. Aber den Patienten in Stücke zu schneiden, hinterlässt kein gesünderes Ganzes, sondern schlicht einen toten Körper. Wenn Redaktionskritik also zu solchen Extremen wie bei Rudnig geführt wird, und nicht auf zuverlässige Daten gegründet ist, ist das Resultat nicht das Wiederherstellen eines Textes, sondern nur die Tötung desselben. Warum wählen manche Exe85 Gegen VEIJOLA, Dynastie, 17. Bezüglich der Wörter ʥʺʥʫʬʮ und ʤʫʬʮʮ in 1 Kön 2:12, 46, vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Acht, §IV Anm. 23. 86 Vgl. RUDNIG, Thron.

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geten, wenn es um das israelitische literarische Erbe geht, solch unverifizierbare und verantwortungslose Methoden?87 Zugunsten des hohen Alters des Textes sollte erwähnt werden, dass es einige Ähnlichkeiten zwischen der biblischen Thronfolgeerzählung (von der 1 Könige 1–2 ein konstitutiver Teil ist) und einigen Texten altorientalisch königlicher Geschichtsschreibungen gibt, was die biblische Erzählung in ihren natürlichen – mehr oder weniger zeitgenössischen oder zeitlich sehr nahen – altorientalischen Kontext (mit den größten Parallelen in der neu-assyrischen Zeit) stellt, statt in viel spätere Zeiten wie die persische oder hellenistische Zeit.88 Daher betrachte ich – abgesehen vom ersten Teil des „Testaments Davids“ in 1 Kön 2:2–4, das vielleicht vom deuteronomistischen Geschichtsschreiber hinzugefügt wurde – 1 Könige 1:1–53 plus 2:1, 5–46a als literarische Einheit. Da der Erzähler zudem über eine große Kenntnis der Details sowie der gesamten Situation zu Beginn der Regierungszeit Salomos verfügt, ist es wahrscheinlich, dass der Autor entweder selbst ein Augenzeuge war oder sich auf eine Tradition von Augenzeugen stützt. Auf jeden Fall macht es die Bewahrung von Textbestandteilen, die im Widerspruch zur prosalomonischen Ausrichtung des Textes stehen, sehr unwahrscheinlich, dass die Erzählung vom Autor oder Redaktor aus dem Nichts erschaffen wurde, und die Schlussfolgerung, dass sie sich über zahlreiche Generationen entwickelt hat, ist auf keinen Fall zwingend. Zusammengefasst: Da die Thronfolgeerzählung viele Elemente zu verbinden scheint, inklusive der offensichtlichen Nutzung der königlichen Archive, aber auch anderer Erzählungen über David und seine Söhne, scheinen diese zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer einheitlichen Komposition vereinigt worden und nicht einfach ad hoc zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Schreibern über die Jahrhunderte hinweg aufgebaut worden zu sein. Abgesehen von einigen eher nebensächlichen Ergänzungen ist die wahrscheinlichste Zeit, in der diese Kombination von Quellen durchgeführt worden sein könnte, die Regierungszeit Salomos, dessen Thronfolge durch den Text legitimiert wird. Dass eine solche Apologie kurz nach den Ereignissen, die sie beschreibt, geschrieben sein kann, wird durch die Beispielen ঩attušilis III. und Hazaels

87

Für andere Ansätze, die dem von Rudnig methodisch ähnlich sind, vgl. KALIMI, Reexamining, 28–43, und DERS., King Solomon, Kapitel Vier, §VIII. Für eine zusätzliche kritische Rezension von Rudnigs Buch, vgl. DIETRICH, Königen, v.a. 267–272. Hier mag man sich auch fragen, wie es möglich sein kann, dass eine der schönsten und großartigsten historischen und literarischen Arbeiten der alten Israeliten durch solch einen Bearbeitungsprozess zusammengestellt wurde. 88 Vgl. im Detail zum Beispiel KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, und ISHIDA, History, 107–136.

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bestätigt, deren Apologien jeweils während der Regierungszeit dieser offensichtlichen Usurpatoren geschrieben wurden.89 2.2 Apologetische Merkmale in der Thronfolgeerzählung Es scheint, dass 1 Könige 1–2 eine ähnliche Form der königlichen Apologie enthält wie 2 Sam 12:24–25. Tatsächlich scheint 1 Könige nicht weniger auf die königliche Legitimation bedacht zu sein als die Chronik (siehe unten, §3). Der Unterschied ist, dass die Chronik Salomo als von der ersten Minute an göttlich erwählt darstellt, ohne irgendwelche Makel an seiner Herkunft oder seinem Charakter einzuräumen, wohingegen Samuel-Könige ihn als jemanden darstellt, der aufgrund eines Skandals geboren wurde und den Thron durch eine Hofintrige erlangte, aber trotzdem versichert, dass er göttlich erwählt wurde. In diesem Aspekt ähnelt die Bekräftigung der göttlichen Erwählung Salomos in der Thronfolgeerzählung den königlichen Apologien vieler anderer Usurpatoren im ganzen Alten Orient.90 Wenn man aber die fragwürdigen Handlungen miteinbezieht, die andere dazu gebracht haben, Salomos Legitimität überhaupt zu bezweifeln, ist die Thronfolgeerzählung einzigartig unter den königlichen Apologien der Umweltkulturen. Keine davon gibt irgendwelche negativen Handlungen durch den usurpierenden König zu. Während die Königebücher versuchen, Salomo von den Anklagen der Illegitimität und der Usurpation zu befreien, gibt die Chronik darüber hinaus niemals zu, dass solche Anklagen überhaupt jemals vorgebracht wurden. Daher sollten die prosalomonischen Elemente in der Erzählung des Aufstiegs Salomos in 1 Könige 1–2 nicht als späte Versuche angesehen werden, seine Handlungen zu rechtfertigen, sondern sie sind integraler Bestandteil des Grundberichtes, der versucht, Salomos Rolle in diesen Geschehnissen zu rechtfertigen. In diesem Kontext bedient sich der Autor der Thronfolgeerzählung einiger Schlüsselstrategien, um Salomo vom Vorwurf der Usurpation zu entlasten: Erstens betont die Struktur der Erzählung als Ganzes stark, dass Salomo keine aktive Rolle in dem Komplott gespielt hat, das ihn auf den Thron gebracht hat. Die Verschwörung wurde von Nathan initiiert und von Bathsheba und einigen anderen unterstützt, aber der Erzähler deutet nie an, dass Salomo selbst irgendetwas sagte oder tat, womit er an dieser Verschwörung teilnahm oder sie unterstützte. Es wird nicht einmal gesagt, dass er darüber Bescheid wusste, jedenfalls nicht, bis David auf die Verschwörung hereingefallen war und Salomo zu seinem Nachfolger erklärt hatte. Seine erste Handlung vollzieht sich erst, nachdem er als Ko-Regent mit seinem Vater auf dem königli89 90

Für diese Beispiele vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, §II (c) und §IV B, 2. Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos Solomon, Kapitel Vier.

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chen Thron saß (1 Kön 1:46): er schickte Adonijah heim, ohne ihn für seine Taten zu verurteilen (1:50–53). Erst später, nach Davids Tod, übernahm Salomo eine aktivere Rolle bei der Sicherung seiner Macht. Zweitens haben wir bereits bemerkt, dass die gesamte Thronfolgeerzählung vom literarischen Schema „drei-vier“ gerahmt wird, mit Salomo als der vierten Figur als Höhepunkt. Die spezifischen Besonderheiten beim Gebrauch dieses Schemas bedürfen jedoch der weiteren Diskussion. Erstens beweist die Tatsache, dass Salomo als Vierter dargestellt wird, nicht, dass die drei Vorhergehenden alle illegitim waren. Absalom rebellierte offensichtlich und war deswegen ausgeschlossen, und Amnon wurde getötet, weil er Tamar vergewaltigt hatte, Adonijah allerdings wird in keinster Weise verurteilt. Wie wir oben gesehen haben, sagt der biblische Text nie, dass er ein Usurpator war, wohingegen viele Details des Berichts darauf hindeuten, dass er in der Tat der erwartete Nachfolger Davids war, der nie gegen ihn rebelliert hat. In diesem Licht können die Hinweise und Anspielungen auf Absalom in 1 Könige 1–2 nicht dazu dienen, Adonijah wie seinen Bruder als Rebell darzustellen, sondern stattdessen, Adonijah mit Absalom zu kontrastieren, was impliziert, dass Adonijah trotz seiner legitimen Ansprüche auf den Thron zurückgewiesen wurde. Gemäß der Thronfolgeerzählung ist Salomo David daher nicht deswegen nachgefolgt, weil er von Anfang an der rechtmäßige Nachfolger war, sondern eher trotz seines Status als Spätgeborenem, aufgrund des Wohlwollens Gottes. Einen Usurpator auf diese Weise zu rechtfertigen, ist in den königlichen altorientalischen Apologien zwar nicht beispiellos, 91 aber es ist charakteristisch für die biblische Tradition und spiegelt sich auch in den Erzelternerzählungen der Genesis wieder. Dort wird von einigen spätgeborenen Söhnen ausgesagt, dass sie schließlich die erwählten Erben ihrer Väter wurden, nicht indem sie versuchte Usurpationen durch ihre Brüder zurückgeschlagen, sondern indem sie stattdessen überraschenderweise deren Platz eingenommen haben. Zum Beispiel war Esau laut Genesis 25 und 27 der Erstgeborene und der Liebling seines Vaters Isaak, aber Jakob wurde dank einer Mischung aus Täuschung und göttlichem Wohlwollen zum Erben.92 Obwohl von Esau gesagt wird, dass er sein Erstgeborenenrecht für einen Teller Linsen verkaufte, spricht der Text klar davon, dass er sein rechtmäßiges Erbe verloren und dass Jakob es nur durch fragwürdige Mittel erlangt hat. Dasselbe Muster scheint 91

Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, §III, c und §IV, B, 4 bezüglich Asarhaddon von Assyrien und Xerxes I. von Persien. 92 Dazu vgl. z.B. ANDERSON, Jacob. Andere Beispiele für spätgeborene Söhne, die die höchste Stufe erreichen, ohne den Anspruch zu erheben, dass ihre Vorgänger Usurpatoren waren, sind z.B. Isaak, Juda, Joseph und David, die alle vor ihren älteren Brüdern auserwählt wurden.

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auch auf Salomo zuzutreffen: Er war weder der Erstgeborene noch der voraussichtliche Erbe des Throns seines Vaters, aber trotzdem übernahm er die Macht durch fragwürdige (und möglicherweise betrügerische) Mittel. 93 In beiden Fällen bekräftigt der Erzähler – obwohl er viele Details in die Schilderung einbindet, die implizieren, dass der jeweilige Nachfolger seines Vaters in der Tat ein Usurpator war – trotzdem explizit, dass dies durch den Willen Gottes geschah. Im Fall von Jakob wird seine göttliche Erwählung sowohl vor als auch nach dem betrügerischen Diebstahl des Segens von seinem Bruder bekräftigt, auch bei seiner Geburt (siehe Gen 25:23; 26:23–24; 28:12–15). Ebenso wird in den Königebüchern eingeräumt, dass Adonijah der erwartete Nachfolger Davids auf dem Thron war, sie betonen aber trotzdem, dass Salomo nicht nur von David als Resultat einer Palastintrige erwählt wurde, sondern auch und vor allem von Gott selbst. An anderem Ort wurde bereits ausgeführt, wie dies durch die Benennung Salomos als „Yedidyah“ und die Aussage, dass „der Herr ihn liebte“ in 2 Sam 12:24–25 angedeutet wird,94 aber es gibt noch weitere Hinweise in 1 Könige 1–2 für Salomos göttliche Erwählung: (1) Sogar Salomos Rivale Adonijah sagt später: „Ich sollte regieren; aber nun hat sich das Königtum gewandt und ist meinem Bruder [= Salomo] zugefallen; denn es ist ihm vom Herrn zugefallen“ (1 Kön 2:15b). (2) Salomos Reaktion auf Adonijah beinhaltet die Bekräftigung: „so wahr der Herr lebt, der mich bestätigt und mich auf den Thron meines Vaters David gesetzt hat und der mir ein Haus [d.h. eine Familie/Dynastie] gemacht hat,95 wie er versprochen hat“ (1 Kön 2:24).96 Darüber hinaus spiegelt Davids Zustimmung zu Salomo als seinem Nachfolger in 1 Kön 1:48 dieselbe Idee wieder: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels, der heute einem meiner Söhne gestattet hat, auf meinen Thron zu sitzen und der es meinen Augen erlaubt hat, dass sie es sehen.“ Bezüge zu Salomos göttlicher Erwählung begegnen auch in zwei Erzählungen außerhalb der Thronfolgeerzählung: Einmal in Gibeon, als Salomo Gott antwortet: „Und nun, o Herr, mein Gott, hast du deinen Diener zum Kö93 Eine weitere Parallele zwischen den Erzählungen ist, dass in beiden Fällen die Mutter, die für ihre Söhne eintritt, eine Schlüsselrolle spielt, wenn auch auf unterschiedliche Weise. In Gen 27:6–13 drängte Rebekka Jakob explizit, seinen Vater (ihren Ehemann) zu betrügen, um ihm statt seinem Bruder den Segen zu sichern. 94 Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier. 95 Für den Ausdruck ʺʩʡ ʩʬ ʤʹʲ ʸʹʠ („der ein Haus für mich gemacht hat,“ vgl. Ex 1:21; 2 Sam 7:11) vgl. PAUL, Exodus, 177–180. 96 Wie von KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, §III, (c) diskutiert, bezieht sich dieser Vers auf Nathans Prophezeiung an David in 2 Sam 7:11–12. Dieser Geschichtsschreiber versucht die Erfüllung von Gottes Worten durch seinen Propheten zu zeigen; vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Acht, §V, (a).

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nig gemacht anstelle meines Vaters David“ (1 Kön 3:7a). Und noch einmal wird es in der Aussage der Königin von Saba erwähnt: „Möge der Herr, dein Gott, gelobt sein, der dich erwählt hat, um dich auf den Thron Israels zu setzen. Weil der Herr Israel ewiglich liebt, hat er dich zum König erwählt …“ ( ʭʬʲʬ ʬʠʸʹʩ ʺʠ ʤʥʤʩ ʺʡʤʠʡ ʬʠʸʹʩ ʠʱʫ ʬʲ ʪʺʺʬ ʪʡ ʵʴʧ ʸʹʠ ʪʥʸʡ ʪʩʤʬʠ ʤʥʤʩ ʩʤʩ ...ʪʬʮʬ ʪʮʩʹʩʥ, 1 Kön 10:9–10). Man muss nicht notwendigerweise schlussfolgern, dass diese Vorstellung eine späte Ergänzung zur Thronfolgeerzählung war; wie wir gesehen haben, umrahmt sie die gesamte Schilderung in 2 Sam 12:24–25 und 1 Kön 2:15, 24. Es muss aber auch nicht angenommen werden (wie der Text in 2 Sam 12:25 andeutet), dass diese Vorstellung vor Salomos Aufstieg zur Macht entstanden ist. Im Gegenteil scheint es einen Versuch post-eventum darzustellen, Salomos Thronfolge mit der Behauptung der göttlichen Legitimation seiner Thronbesteigung zu rechtfertigen, auch wenn gleichzeitig eingeräumt wird, dass er nicht der erwartete Nachfolger war. Daher arbeiten in der Thronfolgeerzählung als Ganzes das umfassende „drei-vier“-Schema und die expliziten Verweise auf die Liebe des Herrn zu und seine Wahl von Salomo zusammen, um seinen sonst fragwürdigen Aufstieg zur Macht anstelle seines älteren Bruders zu rechtfertigen.

3. Die Legitimität der Thronfolge Salomos nach den Büchern der Chronik Der Chronist stimmt vollständig mit dem Autor/Redaktor von Samuel-Könige (oder präziser: der Thronfolgeerzählung) darin überein, dass Salomo der göttlich erwählte Nachfolger Davids war, aber betont dies noch stärker, indem er die ganze Erzählung über Nathans Verschwörung mit Bathsheba gegen den rechtmäßigen Thronfolger Adonijah (1 Kön 1:11–53) auslässt. Um Nathans Spuren komplett zu verwischen, tilgt er auch den Hinweis in 2 Sam 12:24–25, dass Nathan Salomo den Namen Yedidyah gegeben hat (zusammen mit der gesamten David-Bathsheba-Erzählung in 2 Sam 11:1–12:25), sowie die Liste von Salomos Regierungsbeamten (1 Könige 4), die Nathans Söhne enthält (4:5). Nach dem Chronisten war Nathan nicht aktiv in die Wahl und die Krönung Salomos verwickelt. Seine Rolle beschränkt sich auf seine frühere Prophetie über den Tempel und die davidische Dynastie in 1 Chronik 17 (// 2 Samuel 7). Der Chronist will weder Gottes Boten in einem negativen Licht präsentieren, noch aufzeigen, dass der Erbauer des Tempels den Thron als Resultat von Hofintrigen und Manipulationen erhalten hat. Da der Chronist die Haupterzählung (1 Kön 1:5–53) auslässt, lässt er auch den Rahmen (bzw. die Exposition) der Erzählung (1:1–4) aus. Die Auslassung von 1 Kön 1:1–4 passt gut zum Vergeltungsdenken, das die Erzählung der Chronik leitet: Da gesund oder krank zu sein als Belohnung oder als Bestra-

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fung gesehen wird,97 könnte es als Bestrafung für Davids Sünde(n) gedeutet werden, wenn er als krank, schwach und bettlägerig beschrieben würde.98 Der Chronist wollte eine solche Interpretation auf jeden Fall vermeiden. Er beschreibt David als betagten Mann (1 Chr 23:1), aber immer noch als gesund, voller Energie und tatkräftig. David veranlasst eine Zählung der Leviten und organisiert diese in Abteilungen (1 Chr 23:1–32), ebenso wie die Priester (1 Chr 24:1–19), die Sänger (1 Chr 25:1–31), die Torwächter und andere (1 Chr 26:1–32). David versammelt das Volk in Jerusalem, steht auf seinen Füßen und hält eine lange und beeindruckende Rede.99 Er betet, ernennt Salomo zum König und feiert dieses Ereignis mit ganz Israel (1 Chronik 28–29). Also wird die Szenerie, wie sie in den Königebüchern beschrieben ist, in der Chronik durch eine ersetzt, die die vielen Tätigkeiten des betagten David und die friedliche und reibungslose Krönung Salomos durch seinen Vater, seine Brüder, alle Beamten des Königreiches und ganz Israel beschreibt. Der Chronist, der fast alle negativen Berichte über David (z.B. 2 Samuel 11:1–12:25) ausgelassen hat und ihn als Paradebeispiel für alle zukünftigen Könige präsentiert (z.B. 2 Chr 11:17 [eine „Ergänzung“]; 2 Chr 7:10 // 1 Kön 8:66), beschreibt ihn nun als rechtschaffene Person, die ihre letzten Tage ohne körperliche oder seelische Probleme oder irgendeine politische Krise verbrachte. David war in seinen letzten Jahren nicht krank und schwach, da er nicht gesündigt hatte. Im Gegenteil war er gesund und tatkräftig, da er das Richtige in den Augen des Herrn getan hatte und sich selbst der Ernennung seines Erben gewidmet und ihn für den Bau des Tempels vorbereitet hatte. Der Chronist bietet auch eine neue Erzählung der Thronbesteigung Salomos anstelle der in 1 Kön 1:5–53, die er auslässt. Nach seinen Reformulierungen einiger früherer Texte war das, was wirklich geschah, die Erfüllung des göttlichen Planes. Die Entscheidung darüber, wer der nächste König über Israel sein würde, war nicht allein die Davids (1 Kön 1:20, 27, 43). Vielmehr war es zuerst und vor allem die Entscheidung Gottes, denn der Thron gehört ihm.100 Salomo wurde von Gott selbst dazu auserwählt, über Israel zu herrschen, und David folgte lediglich dem göttlichen Gebot, statt dass es eine Entscheidung in letzter Minute war, die ihm die Umstände aufzwangen (1 Kön 1:32–35).

97

Für Krankheit als Bestrafung vgl. zum Beispiel 2 Chr 16:7–12 (vgl. mit 1 Kön 15:12); 2 Chr 21:18–19; 26:16–21; 32:24–26; Ex 15:26; Deut 7:15 (Gesundheit für das Halten des Gesetzes des Herrn); 28:27, 35 (Krankheit für das Nichthalten des Gesetzes). 98 Schon die talmudischen und mittelalterlichen Weisen betrachteten Davids Krankheit und Schwachheit als Strafe für sein vorheriges Fehlverhalten; vgl. oben, Anm. 7. 99 Das ist ein klarer Gegensatz zum kurzen Segenswunsch an den Herrn, den er nach 1 Kön 1:47b–48 von seinem Bett aus gesprochen hat. 100 Vgl. 1 Chr 17:14; 29:11; 2 Chr 13:8, und unten im Text.

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Hat der Chronist diese Erzählung aus dem Nichts erschaffen oder hat er sich Inspiration bei einigen früheren biblischen Texten geholt? Es widerspricht offensichtlich der Hauptlinie der Erzählung in 1 Könige 1, wo Nathan sich verschwört und eher als Privatmann statt in Gottes Namen oder mit prophetischer Autorität redet. Überraschender ist vielleicht, dass der Chronist keine der Anspielungen auf Salomos Erwählung in der Thronfolgeerzählung (v.a. 2 Sam 12:24–25; 1 Kön 2:15, 24; vgl. 1:48) wiederholt, obwohl er sie sicherlich kannte und auf ihnen aufgebaut hat. Zusätzlich knüpft er direkt an andere Texte an, die Salomos Thronbesteigung legitimieren wollten: (1) Laut 1 Kön 3:7a antwortet Salomo Gott in Gibeon: „Und nun, o Herr, mein Gott, hast du deinen Diener zum König gemacht anstelle meines Vaters David“ (siehe oben). Der Chronist übernimmt dies nicht nur (2 Chr 1:8b), sondern verstärkt die Aussage des Königs noch, indem er hinzufügt: „denn du [= Gott] hast mich zum König gemacht über ein Volk, das so viel ist wie der Staub auf Erden.“ (ʵʸʠʤ ʸʴʲʫ ʡʸ ʭʲ ʬʲ ʩʰʺʫʬʮʤ ʤʺʠ ʩʫ; 2 Chr 1:9b). (2) In 2 Chr 9:8 zitiert der Chronist den Text von 1 Kön 10:9–10, der der Königin von Saba die Aussage zuschreibt, dass der Herr Salomo erwählt hat und ihn auf den Thron Israels gesetzt hat: „Weil der Herr Israel ewiglich liebt, hat er dich zum König erwählt…“ (siehe oben). (3) Der Chronist benutzte an mehreren Stellen Passagen aus EsraNehemiah.101 Möglicherweise hat er auch Nehemiahs Aussage über Salomos Thronbesteigung zur Kenntnis genommen: „und Gott machte ihn zum König über ganz Israel“ (ʬʠʸʹʩ ʬʫ ʬʲ ʪʬʮ ʭʩʤʬʠ ʥʤʰʺʩʥ, Neh 13:26). Darüber hinaus stellt der Chronist auch in einer Reihe anderer Stellen Salomo als den göttlich erwählten König dar, an denen eine solche Behauptung in Samuel-Könige nicht vorkommt. Er betreibt dies sehr klar und direkt und bereitet seine Hörerschaft schon in seiner Beschreibung von Davids Regierung darauf vor: (1) Der Chronist stellt den König als einen dar, dem von Gott ein Name gegeben wurde; aber statt, dass ihm nach seiner Geburt der Name „Yedidyah“ gegeben wurde (2 Sam 12:25), nannte ihn Gott sogar vor seiner Geburt „Salomo“ (1 Chr 22:5–11, eine „Ergänzung“):102 „Das Wort des Herrn kam zu mir [= David]: … ein Sohn soll dir geboren werden, der wird ein Mann der Ruhe sein; und ich will ihm Ruhe schaffen vor allen seinen Feinden ringsumher; denn sein Name soll Salomo sein…; Er soll meinem Namen ein Haus bauen; und er soll mein Sohn sein, und ich will sein Vater sein; und ich will den Thron seiner Königsherrschaft über Israel bestätigen ewiglich“ (1 Chr 22:8–10).

101 102

Vgl. KALIMI, Geschichtsschreibung, 7–9.118.128.270–271; DERS., Historian, 90–92. Vgl. dazu im Detail KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, §III (b).

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Das Motiv der göttlichen Bestimmung für eine bestimmte Position noch im Mutterleib ist aus der prophetischen Literatur, wie Jer 1:4–5 oder Jes 49:1 – woher der Chronist möglicherweise den Gedanken hatte – ebenso bekannt wie aus verschiedenen altorientalischen Königsinschriften. Wir haben bereits die Beispiele Aššur-reš-išis I., Adad-niraris III., Asarhaddons, Assurbanipals, und Nabonids vermerkt. 103 (2) Der Chronist beschreibt Salomos Beziehung zu Gott metaphorisch mit der Adoptionsformel: „er soll mein Sohn sein, und ich will sein Vater sein“104. Er beteuert: „Und er [= Gott] sagte zu mir [= David]: Salomo, dein Sohn, soll mein Haus und meine Höfe bauen; denn ich habe ihn erwählt, mein Sohn zu sein und ich werde sein Vater sein“ (1 Chr 28:6; siehe auch 22:10). In den späteren Versen bringt der Chronist die Aussagen, die er David zuschreibt mit der Nathansweissagung in 1 Chr 17:11–13 (// 2 Sam 7:12–14) in Verbindung und stellt sie als Erfüllung dieses prophetischen Versprechens dar: Und es soll geschehen, wenn deine Tage um sind, wenn du zu deinen Vätern gehen musst, dass ich deinen Nachkommen [wörtl. Samen] nach dir erheben will, der einer von deinen Söhnen sein soll; und ich will sein Königtum begründen. Er soll mir ein Haus [= Tempel] bauen, und ich will seinen Thron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein…

(3) Durch die Auslassung der Erzählungen von Amnon, Absalom und Adonijah verdeckt der Chronist das übergreifende „drei-vier“-Schema, das die Thronfolgeerzählung strukturiert, aber er verwendet dieses literarische Motiv auch selbst in einer anderen Weise an zwei Stellen: 1 Chr 28:4–5 (eine „Ergänzung“) und 1 Chr 3:5–6 (eine Modifikation von 2 Sam 5:14–15). Die letztgenannte Stelle, die Salomo als den vierten Sohn Bathshebas identifiziert, wurde anderswo diskutiert, 105 aber 1 Chr 28:4–5 bietet eine noch klarere Verwendung dieses Motivs. Hier hält David eine Rede, die Salomo als den erwählten König Gottes beschreibt, wobei Salomo explizit an vierter und letzter Stelle genannt wird (28:4–5):106 1. Er hat Juda als Herrscher erwählt,107 2. und im Hause Judas, das Haus meiner Vorfahren,

103

Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Vier, §III (c). Für diese Adoptionsformel vgl. die detaillierte Diskussion und die bibliographischen Verweise bei COOKE, King; KALIMI, Geschichtsschreibung, 225–226. 105 Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Fünf, §II. 106 Vgl. im Detail KALIMI, Geschichtsschreibung, 307–308; und oben, §III, 1. 107 Tatsächlich ist auch Juda an vierter Stelle unter Jakobs Söhnen genannt: nachdem die ersten drei Söhne – Ruben, Simeon und Levi – wegen ihrer bösen Taten zurückgewiesen wurden, übernahm Juda die vorteilhafte Position (Gen 49:3–12; und vgl. auch Genesis 34; 35:22). 104

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3. von den Söhnen meines Vaters wollte er mich als König über ganz Israel einsetzen. 4. Und von all meinen Söhnen – denn der Herr hat mir viele Söhne gegeben – hat er meinen Sohn Salomo auserwählt, auf dem Thron des Königtums des Herrn über Israel zu sitzen.108 (4) Der Autor der Chronik betont auch die tatsächliche Erfüllung der göttlichen Versprechen: Dann setzte sich Salomo auf den Thron des Herrn als König anstelle seines Vaters David, und er war erfolgreich; und ganz Israel gehorchte ihm. Und alle Beamten und Kriegsleute, und auch alle Söhne des Königs David, unterwarfen sich Salomo, dem König. Und der Herr machte Salomo außerordentlich groß vor ganz Israel und schenkte ihm eine solch königliche Erhabenheit, wie sie kein König vor ihm in Israel gehabt hatte. (1 Chr 29:23–25; vgl. 2 Chr 1:1, beides „Ergänzungen“)

Auf diese Weise betont der Chronist deutlich Salomos Status als göttlich erwählten König, wie es auch Saul und David waren, die ihm vorausgegangen waren.109 Im Gegensatz zu 1 Könige 1–2 und vielleicht, um die Geschichte von Salomos skandalösem Zugang zum Thron zu verschleiern, stellt der Chronist den neuen König als vollständig rechtmäßig dar: Er wurde vom Herrn und von König David erwählt. Die Thronfolge war völlig harmonisch. Alle himmlischen und irdischen Kräfte haben sich zusammengeschlossen, um es zu einem gelungenen Ereignis zu machen: Gott selbst hat ihm den Namen Salomo gegeben und hat ihn – schon im Bauch seiner Mutter – zum König über Israel und zum Erbauer seines Tempels bestimmt. Dieser Gedanke wurde von David ebenso wie von ganz Israel, allen Beamten und Kriegsleuten des Königreichs und allen Söhnen Davids (ʣʩʥʣ ʪʬʮʤ ʩʰʡ ʬʫ), inklusive Adonijah und denen, die ihn unterstützten (1 Kön 1:9, 19, 25), aufgenommen und unterstützt.110 Salomo als den göttlich erwählten König darzustellen, stellt automatisch die Plausibilität der Schilderung in den Königebüchern in Frage. Wer könnte sich gegen jemanden stellen, der von Gott selbst, von David und von seinen Söhnen und Beamten und von ganz Israel auserwählt wurde? Demzufolge lässt der Chronist die Erzählung der Königebücher im Gesamten aus.111

108 Eine ähnliche literarische Struktur begegnet bereits bei der Wahl Sauls in 1 Sam 10:20–21. Dabei ist das Schema aber eher „zwei-drei“ (Benjamin, Mitri, Saul) statt „dreivier“. 109 Vgl. 1 Sam 9:16–10:1; 15:1, 11, 35 (Saul); 1 Sam 16:1–13; 2 Sam 7:8 // 1 Chr 17:7; Ps 89:4 (David). Tatsächlich war das Motiv einer Gottheit, die einen König erwählt, auch in anderen altorientalischen Kulturen geläufig; vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Drei. 110 Adonijah wird nur einmal in der genealogischen Liste von Davids Dynastie genannt; 1 Chr 3:2 // 2 Sam 3:4. 111 Vgl. KALIMI, Placing. 188, Anm. 55.

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4. Fazit Eine sorgfältige Untersuchung von 1 Könige 1 zeigt, dass Salomo nicht der legitime Thronerbe war: Adonijah war älter und der Nächste in der direkten königlichen Linie, der den Thron seines Vaters erben würde, er wurde von den meisten Söhnen Davids und von dessen höchsten Beamten, ebenso wie von den Beamten Judas, unterstützt und seine Thronfolge wurde von ganz Israel erwartet. Salomo gelangte zur Königsherrschaft als Ergebnis von Machtkämpfen und Palastintrigen während der letzten Tage des kranken und schwachen Davids, der von Nathan und Bathsheba manipuliert wurde. Trotz alledem stellt die Thronfolgeerzählung in Samuel-Könige Salomo aber als den göttlich erwählten König dar. Die gesamte Schilderung ist entsprechend des literarischen Schemas „drei-vier“ strukturiert und von Verweisen auf die Liebe Gottes und seiner Erwählung Salomos strukturiert. Gemäß der Thronfolgeerzählung wurde Salomo von Gott dazu auserwählt, David nachzufolgen, trotz der Tatsache, dass er für den Thron nicht an der Reihe war, und sogar ungeachtet der politischen Intrige, durch die er den Thron erlangte. Ebenso wie Genesis 25–27 Jakob als den jüngeren Sohn darstellt, der gleichzeitig von Gott erwählt war und das Erbe seines Bruders durch Täuschung an sich nahm, stellt die Thronfolgeerzählung Salomo als den von Gott Erwählten und als Usurpator dar. Die Behauptung der göttlichen Gunst für einen Usurpator ist in anderen königlichen Apologien aus dem ganzen Alten Orient sehr geläufig und dient als eine Form der königlichen Legitimation, aber hier hat man einen unverwechselbar israelitischen Anstrich, der das häufige Motiv wiederspiegelt, dass der jüngere Sohn von Gott vor seinen älteren Brüdern erwählt wird. Die chronistische Geschichte teilt das Anliegen, Salomo als den göttlich erwählten König Israels darzustellen, erreicht dieses Ziel aber auf gänzlich andere Weise. Hier sind fast alle Bestandteile ausgelassen, die ein negatives Licht auf David, Nathan, Bathsheba und Salomo (2 Samuel 11–12; 1 Könige 1–2) werfen. Auf der Grundlage von Material, dass er in verschiedenen früheren „biblischen“ Texten gefunden hat, bekräftigt der Chronist erneut, dass Salomo der gerechte Herrscher und Tempelbauer war, der von David, und vor allem vom Herrn, auserwählt wurde, und projiziert dies zurück bis vor seine Geburt (1 Chr 22:7–10). Das widerspricht der Darstellung des Bruderkonflikts in Samuel-Könige, um hingegen zu beteuern, dass alle Brüder Salomos und die Beamten des Königreichs seine Thronbesteigung unterstützt haben. Dieser Kontrast wird in der Neuerzählung des Chronisten der Geschichte von Salo-

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mos Krönung und der Ausführung des Testaments seines Vaters sogar noch weiter verstärkt.112

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112

Vgl. KALIMI, Geschichte Salomos, Kapitel Acht.

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Die Tempelfinanzierung nach der Chronik1 HANS-PETER MATHYS

1. Hinführung Seit einiger Zeit passiert, was noch vor dreißig Jahren undenkbar gewesen wäre: Schwimmbäder und Theater schließen, weil Länder und Gemeinden kein Geld mehr haben, um sie zu betreiben. Großprojekte wie etwa die Elbphilharmonie gerieten ins Stocken und würden so, wie sie ursprünglich geplant waren, nicht mehr in Angriff genommen. Den Kirchen geht es nicht besser: Sie müssen Gottesdiensthäuser schließen, vermieten oder sie – was von vielen Christen als besonders schlimm erlebt wird – verkaufen und dann miterleben, wie sie zweckentfremdet werden, etwa als Restaurants oder Bars dienen. In der Schweiz – aber sicher nicht nur in ihr – überlegen sich die Zuständigen, ob man nicht kirchliche „Dienstleistungen“ für aus der Kirche Ausgetretene verrechnen will; schnell ist man da bei Tarifen, und es stellt sich nur die Frage, ob sie für alle gleich hoch sein sollen oder man sie – wie Steuerfüße – progressiv ausgestalten soll. Vergleichbare Sorgen kannten auch die Israeliten/Judäer, vor allem in nachexilischer Zeit. Das Alte Testament quillt geradezu von Quellen über, die es mit der „Tempelfinanzierung“2 und Finanznöten zu tun haben. Sie fanden allerdings nur wenig Beachtung, fristeten ein stiefmütterliches Dasein; eine Monographie, in der das Thema zusammenfassend behandelt wird, gibt es nicht. Freilich weisen einige Indizien darauf hin, dass sich das ändern könnte.3 Die gegenwärtigen Probleme schärfen den Blick für vergangene. Der vorliegende Beitrag gilt der Tempelfinanzierung in der Chronik. In ihr nimmt das Thema einen zentralen – und viel! – Platz ein, was im gleichen

 1 Bibelstellen entweder in der Übersetzung der Jerusalemer Bibel (J) oder der Neuen Zürcher Bibel (Z). 2 Darunter verstehen wir Tempelbau und -renovierung, Unterhaltsarbeiten, Finanzierung von Kultmaterial und „Löhne“. 3 Eine Monographie (mit so interessanten wie gewagten Thesen) beschäftigt sich mit einem Teilaspekt (GRÄTZ, Edikt), einen ausgezeichneten Überblick über die Thematik bietet ROTHENBUSCH, Finanzierung.

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Maße nur noch auf das Buch Numeri und den Bericht von der Errichtung der Stiftshütte zutrifft.4 Daneben erscheint es noch an vielen, fast unzähligen Stellen, oft an unerwarteten Orten. Auf einige unter ihnen sei eingangs kurz hingewiesen: – Bereits Abraham kümmert sich vorbildlich um die Belange des Jerusalemer Tempels. Noch bevor die einschlägigen Gesetze erlassen sind, liefert er unaufgefordert und freiwillig Melchisedeq, hinter dem man unschwer den Oberpriester des Jerusalemer Tempels (und den achämenidischen Großkönig?)5 erkennt, den Zehnten ab (Gen 14:20). Obwohl nicht dazu angehalten, erfüllt Abraham die Tora; er handelt vorbildlich.6 – Die Geschichte vom Midianiterkrieg (Num 31) fordert geradezu dazu auf, den fremden Nachbarn das Vieh zu stehlen. Von der Beute, welche die Israeliten bei diesem Rachefeldzug machen, können sie den größten Teil behalten, die Leute an der Front verständlicherweise wesentlich mehr als die in der Etappe. An den Tempel, respektive die Leviten, müssen gerade zwischen 0,2 und 2 % abgeliefert werden. Das ist ein für die Viehräuber lächerlich niedriger Prozentsatz, für den Tempel aber immer noch ein sehr gutes Geschäft,7 also für beide ein lukrativer „joint venture“.  4 Ex 25:1f.(ff.); 35:4f.(ff.) – der Spendenaufruf eröffnet die beiden Abschnitte; 38:21–31; Num 7; (18); 31. 5 S. dazu VAN SETERS, Abraham 308; MATHYS, Anmerkungen, 245f. 6 Vieles richtig sieht etwa schon Westermann; allerdings kann er sich nicht dazu durchringen, Gen 14:20 als das zu bezeichnen, was es tatsächlich ist: ein versteckter, indirekter Spendenaufruf für den Jerusalemer Tempel. Er windet sich in seiner Auslegung: „Abraham gibt dem Priester Melchisedek den Zehnten ,von allem‘; hiermit kann nur die Beute gemeint sein, auch wenn das im Widerspruch zu V.22f. steht. Damit ist ausdrücklich gesagt, dass Abraham den Segen und die Gaben des Priesterkönigs angenommen hat und ihn nun als Priester und damit auch dessen Heiligtum anerkennt in der Gabe des Zehnten. Die Bedeutung dieses Abschlusses der Melchisedek-Szene wird durch eine kaum bemerkbare Unstimmigkeit ganz deutlich. Der Zehnte ist eindeutig und unbestritten eine stetige Abgabe. Er begegnet nur im Zusammenhang des sesshaften Kultes und bedeutet hier immer die Abgabe des zehnten Teiles des Ertrages in stetiger Folge, von Jahr zu Jahr. Niemals aber wird vom Zehnten als einer aus einem einmaligen Gewinn erwachsenden Abgabe gesprochen. Der Schlusssatz, V.20, zielt eigentlich auf eine ständige Abgabe des Zehnten, die durch das einmalige Ereignis, bei dem in der Vorzeit Abraham den Zehnten von der Beute an den Priester von Jerusalem abgab, legitimiert werden soll. Die Melchisedek-Szene Gn 14,18–20 hat also einen ätiologischen Charakter.“ (WESTERMANN, Genesis 12–36, 244). – An der Logik, die Westermann einfordert, ist der Verfasser von Gen 14 herzlich wenig interessiert. 7 E.A. Knauf, der sich im übrigen für die Details der Beuteverteilung nicht interessiert, weist auf zwei zentrale Punkte hin (KNAUF, Midian, 165): „Der ,Krieg‘ hat ... hauptsächlich als Anlaß zur Offenbarung von Vorschriften zur Behandlung von Beute im Kriegsfall zu dienen“; „Die Beuteliste überhaupt überzubewerten verbietet sich auch darum, weil das Interesse an der Beute und ihrer Behandlung das Primäre, der Kriegsbericht demgegenüber ohnedies sekundär ist – und Kleinvieh, Rindvieh und Esel sind eben jene Tiergattungen, an denen im Rahmen der Ökonomie der Bürger-Tempel-Gemeinde Interesse bestand.“ (166).

Die Tempelfinanzierung nach der Chronik

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– Bei der Eroberung von Jericho fällt reiche Beute für den Tempel von Jerusalem ab: Josua 6:24 Die Stadt aber und alles, was darin war, brannte man nieder; nur das Silber und Gold und die Geräte aus Bronze und Eisen brachte man in den Schatz im Haus8 des Herrn (IXIZ¡UZ#FSD"B). (J)

In welcher Deutlichkeit doch hier der Jerusalem Tempel durchscheint – noch unverhüllter als etwa in Ex 15:13, obwohl im Moselied das dortige Heiligtum als Ziel des Exodus, in gewisser Weise also der Heilsgeschichte erscheint. Der Verfasser der Stelle verwendet schon den Fachausdruck:IXIZ¡UZ#FSD"B. Doch was auf uns wie ein terminus technicus wirkt, kommt in der Tat nur noch 1Chr 29:8 vor. Hier (wie an vergleichbaren Stellen) mit dem Terminus „anachronistisch“ zu operieren, wäre verfehlt. Dem hermeneutischen Problem, das sich hier noch schärfer als in Gen 14 stellt, wird die Auslegung von Knauf gerechter: „Dass der Tempel erst im letzten Buch der Vorderen Propheten von Salomo gebaut werden soll, kümmert die Verfasser dieses ‚Supplements zur Tora’ nicht; der Zweite Tempel ist der Tempel der Tora-Gemeinde, für ihn gelten deren Bestimmungen. Das theologische Regelungsinteresse ist wichtiger als chronistische Genauigkeit.“9

Der Tempelschatz weckt Begehrlichkeiten: Achan vergreift sich an dem, was dem Herrn gehört, am _SYF (Jos 7:1), und dafür ereilt ihn die gerechte Strafe: Ganz Israel steinigt ihn. Leser von Jos 7 müssen das als Warnung lesen, dem Tempel vorzuenthalten, was des Tempels ist.10 Zum Schluss dieser Hinführung ein Hinweis auf zwei Stellen aus nachexilischen Prophetenschriften. Haggai 2:6–8 Denn so spricht der Herr der Heere: Nur noch kurze Zeit, dann lasse ich den Himmel und die Erde, das Meer und das Festland erbeben, und ich lasse alle Völker erzittern. Dann

 Eine äußerst gewagte These, die höchstens eine particula veri enthält, vertritt BUDD, Numbers, 334: „It may also be that the spoils of war here symbolize the wealth of Judaism in the diaspora. Money which the exiles had secured during their sojourns outside the land is indeed to be offered in support of the priests and Levites, and in support of the sanctuary.“ 8 R. Meyer (in BHS) hält es für möglich, dass der ursprüngliche Text IXIZ SDXB lautete (s. LXX:İੁȢ șȘıĮȣȡઁȞ țȣȡȓȠȣ) und er vielleicht durch 1Chr 29:8 beeinflusst ist. Doch wie auch immer: Jemandem war es wichtig, dass über den Bestimmungsort der Beute auch nicht der leiseste Zweifel bestand. 9 KNAUF, Josua, 72. 10 Auf das Material aus Sam / Kön wird nur im Zusammenhang mit den Parallelen aus Chr eingegangen.

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strömt/strömen die Kostbarkeit/en aller Völker (_Z*"(IM,U%NY /UEPNVY>11) herbei, und ich erfülle dieses Haus mit Herrlichkeit, spricht der Herr der Heere. Mir gehört das Silber und mir das Gold (CI;IZMJX!T , IZMJ) – Spruch des Herrn der Heere. (J, adaptiert)

Die vorliegende Stelle scheint ein Missverhältnis auszuzeichnen: „Erstaunlich ist, wie weltumfassend der Umsturz und wie partikular sein Ziel ist.“12 Doch gilt: Es können gar nicht genug Kostbarkeiten in den Tempel von Jerusalem strömen! Die Schätze der Völker sind dem Verfasser des Abschnitts nicht genug, es müssen gleich die _Z*"(IM, sein. Träume von Fließbändern, auf denen die Reichtümer aus der ganzen Welt nach Jerusalem gelangen, enthält das Alte Testament auch sonst noch.13 Nur haben sie nie die gleiche Beachtung gefunden wie die Stellen, an denen von der Unterwerfung fremder Völker, dem Sieg über sie und/oder ihrem Anschluss an Israel die Rede ist. Über die Unwilligkeit des Volkes, seinen Pflichten nachzukommen, führt Maleachi beredt Klage: Maleachi 3:8-10 Darf der Mensch Gott betrügen? Denn ihr betrügt mich. Doch ihr sagt: Womit betrügen wir dich? – Mit den Zehnten und Abgaben (IN8S5IXSGF.I)! Dem Fluch seid ihr verfallen, doch ihr betrügt mich weiter, ihr, das ganze Volk. Bringt den ganzen Zehnten ins Vorratshaus (SD"BIUZ#FMB ), damit in meinem Haus Nahrung vorhanden ist. (J)

Wer betrügt, „schummelt“ hier: die Laien, die dem Tempel nicht soviel abliefern, wie sie müssten, oder aber das Tempelpersonal, insbesondere die Priester und Leviten, die für sich selber mehr beiseiteschaffen, als ihnen zusteht?14 Wie auch immer: Die „Betrüger“ ernähren sich von diesen „Gaben“, sind vielleicht auf sie angewiesen.15

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Lesung der LXX. WOLFF, Haggai, 61. 13 S. etwa Jes 18:7; 45:14; 66:12; Ps 45:13; 68:30.32; 72:10. 14 Beide Möglichkeiten erwägt WILLI-PLEIN, Haggai – Maleachi, 273f. 15 Vgl. dazu WILLI-PLEIN, Haggai – Maleachi, 274: „Der unredliche Umgang mit den Tempelabgaben entspringt aber vielleicht gar nicht so sehr der Lust, sich zu bereichern, sondern vielmehr purer Existenzangst. Verarmungsängste machen Menschen krank; sie rechnen dann nicht wirklich mit der Verfügung Gottes über – nicht nur die eingefahrenen Abgaben, sondern – das ganze Land, die ganze Welt, Natur und Umwelt insgesamt.“ 12

Die Tempelfinanzierung nach der Chronik

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2. Grundsätzliches Die Chronikbücher enthalten viele Texte, die es mit der Tempelfinanzierung zu tun haben. Das wird bei einem Vergleich mit den diesbezüglichen Quellen deutlich, die der Chronist in seinem Werke verarbeitet. Er nimmt sie praktisch alle auf, erweitert sie aber noch beträchtlich um Sondergut. Wie erklärt sich das? Mit einem grundlegenden Systemwechsel in der Tempelfinanzierung, der sich deutlich in den Chronikbüchern widerspiegelt. Solange Juda16 ein selbständiger Staat war, finanzierte der König den Tempel, der Staatsheiligtum und Privatkapelle in einem war (was auch in der räumlichen Nachbarschaft von Tempel und Palast zum Ausdruck kam).17 Das änderte sich in nachexilischer Zeit. Zwar wirkte der achämenidische König bei der Errichtung des Jerusalemer Tempels finanziell wahrscheinlich mit und trat damit in gewisser Weise in die Nachfolge der Davididen ein;18 die Hauptlast hatten aber mit Sicherheit die Juden zu tragen; anders gesagt: Die Tempelaristokratie, insbesondere der Hohepriester, musste für Einkünfte besorgt sein. Wie spiegelt sich das in der Chronik? Ihr Verfasser verschickt keine Bettelbriefe; er schreibt die Geschichte Judas. Sponsorensuche kann er nur indirekt betreiben – d.h. indem er auf ideale Zustände (und Könige) in Judas Geschichte verweist und Missstände tadelt. Dabei darf er allerdings die Zustände in seiner Gegenwart nicht vergessen, die realen Sponsoren neben den (postulierten) Vorbildern der Vergangenheit nicht übergehen.

3. Die Voraussetzung für die Tempelfinanzierung: Reichtum Damit gespendet werden kann, muss Geld vorhanden sein. Nun lässt der Chronist keinen Zweifel daran, dass es einige sehr reiche Könige gab: David, Salomo, Josaphat, Hiskia; in ihrer Darstellung durch den Chronisten widerspiegelt sich das für den Hellenismus insgesamt ausgesprochene Interesse an (Land)Wirtschaft und Reichtum.19 Bei David wird das gleich bei der Aufzählung seines landwirtschaftlichen Besitzes in 1Chr 27 deutlich, für die es keine vergleichbare Parallele gibt – weiter bei seinem Tod. Bekanntlich stirbt Abraham in hohem Alter, betagt  16

Im Nordreich verhielt es sich mit Sicherheit nicht anders. Dazu GALLING, Stifter; zu den scheinbaren Abweichungen von diesem Prinzip (2Kön 12; 22) s. dort 136f. 18 Allerdings widersprechen sich in dieser Angelegenheit die aramäische (Esr 6:3f.) und die hebräische (Esr 1:1–4) Fassung des Kyrosedikts. Nur die aramäische berichtet von einer finanziellen Beteiligung des Königs am Tempelbau (Esr 6:4: CIJZU5JB,MNUZ#FNJBURQO*X). 19 Zum Folgenden s. MATHYS, Chronikbücher, 110ff. 17

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und lebenssatt (