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German Pages 157 [160] Year 1838
PROLEGOMENA ZUR
HISTORIOSOPHIE
VON
A U G U S T VON C I E S Z K O W S K I .
BERLIN, 1838. »EL
V E I T
U N »
C O M P .
I. K a p i t e l . OrganUmn« der WeltgCMhldite. D i e Menschheit hat endlich die Stufe ihres Selbstbewusstseins erreicht, dass sie nunmehr die Gesetze ihres normalen Fortschrittes und ihrer Entwicklung keinesweges für Ausgeburten der Selbsttäuschung eifriger Geistesforscher, sondern wesentlich für wahrhafte Bestimmungen des absoluten Gedankens Gottes, für die Manifestation der objectiven Vernunft in der Weltgeschichte erkennt. Die blosse Aufstellung und partielle Durchführung dieses Principes ist schon ein grosses Resultat, ganz unserer Epoche würdig, und ihrem Character und Bedürfniss am meisten entsprechend. Aber obgleich wir erst anfangen, uns in dem Labyrinthe der Geschichte zurecht zu finden, obgleich wir bereits viele Grundlagen der Nothwendigkeit ihrer Phasen erkannt und viele abstracte und besondere Verhältnisse bereits enträthselt haben; so müssen wir doch im Allgemeinen eingestehen, dass dieses Resultat hauptsächlich bis jetzt f o r m e l l und nur der M ö g l i c h k e i t nach erreicht worden ist. W a s dagegen seine 1
2 D u r c h - und Ausführung betrifft,
so wie die Aul-
stellung des ganzen Inhaltes und die gänzliche Lösung
des Totalproblems,
ungeachtet
der
vielen
Schätze, die uns die Philosophie schon vorbereite! hat; so sind wir noch weit von derselben entlernt, d.h. die Menschheit hat wohl begriffsmässig die speculative N o t w e n d i g k e i t und liegelinüssigkeit dieses Fortschrittes
eingesehen,
noch nicht wirklich
aber
dieselbe bis jetzt
und seinem Begriffe gemäss
durch den ganzen Inhalt der Geschichte durchgeführt.
S o g a r der Heros der neuesten Philosophie,
der die verwickeltesten
Gedanken-Metamorphosen
in ihrem reinen Element, so w i e auch in Manifestationen
in der realen W e l t
deren
durchforscht
hat, vermochte das W e s e n seiner Dialektik, welches er in den Besonderheiten der Geschichte meistens glücklich durchführte, nicht in dem Hauptriss ihrer Entwicklung, im allgemeinen und organischen V e r lauf ihrer Idee zu verfolgen, ungeachtet der grossen Verdienste, die er auf dem F e l d e der Philosophie der Geschichte
sich erworben hat, gleichsam als
ob er absichtlich in dieser Lebensfrage der M e n s c h heit
seinen W e g ,
seinen Standpunkt
Entdeckungen verlassen wollte.
und
seine
Mancher U e b e r -
g a n g aus einer Sphäre in die a n d e r e ,
die F o l g e n
der Epochen und Völker auf einander, so w ie ihren gegenseitigen Nexus stellt er vortrefflich dar; aber
3 in dem allgemeinen Gebäude finden wir überhaupt nur eine Kette geistreicher Auslegungen, ja sogar genialer Weltansichten, keinesweges aber eine so totale, streng speculative Entwicklung, wie er sie mit so grosser dialektischer Gewandheit auf anderen Feldern durchführte. Die logischen Gesetze, welche er uns zuerst offenbarte, spiegeln sich in seiner Philosophie der Geschichte
nicht in genügender
Klarheit ab, mit einem Worte, H e g e l hat es nicht bis zum Begriff der o r g a n i s c h e n und i d e e l l e n G a n z h e i t der Geschichte, bis zu ihrer speculativen Gliederung und vollendeten Architectonik gebracht. W i r haben hier mit dem bloss Formellen und Methodischen anzufangen, um erst von diesem aus in das Substantielle überzugehen; es wird sich aber ergeben,
dass selbst aus der blossen Betrachtung
des Formellen sich sogleich ein Substantielles für nns darbieten wird. Hegel theilt den ganzen Lauf der Geschichte bis auf unsere T a g e in vier Haupt-Epochen, welche er die o r i e n t a l i s c h e , g r i e c h i s c h e ,
römische
und c h r i s t l i c h - g e r m a n i s c h e Welt nennt.
Er
wollte zwar versuchen, diesen Lauf der Geschichte einer trichotomischen Architektonik zu unterwerfen und nur d r e i Haupt-Epochen anzunehmen, nämlich die o r i e n t a l i s c h e ,
die c l a s s i s c h e
(Griechen-
land und Rom) und die fortbestehende c h r i s t l i c h e 1*
4 Welt.
E r erkannte jedoch bald, dass das
Wesen
Griechenlands so bedeutend vom römischen absteche,
dass es unmöglich
sey,
beide
Sphären
zu
vereinigen, und dass wenigstens solcher Unterschied zwischen
ihnen
vorwalte,
wie in analoger W e i s e
zwischen dem Orient und Griechenland.
E i n e noch
grössere Schwierigkeit aber wäre die gewesen, dass der Annahme
dieser
drei
Epochen
sogleich
der
Vorwurf entgegentrat, dass wir uns doch noch nicht am E n d e der Geschichte befinden und dass es deswegen nicht erlaubt seyn könne, die G e s c h i c h t e so zu schliessen
und möglichen Weiterentwicklungen
allen Platz zu versagen; weit eher w äre umgekehrt mit H e r h a r t anzunehmen, dass die bisherige G e schichte selbst eben
so
nur ein Anlang
wenig
zulässig
ist.
sey, Diese
was
jedoch
Bemerkung
hätte schon hinreichen können, ein solches F a c h werk zu zerstören.
Der
wichtigste Grund
aber,
der für diese Eintheilung Hegel's gegeben werden kann, wäre
das Herrschen der T e t r a c h o t o i n i e
in der Natur und im Aeusserlichen überhaupt, wo das zweite Moment
sich
wieder in sich entzweit,
und dadurch die Totalität als eine Vierheit erscheint. Hierauf ist die Antwort sehr leicht; denn die W e l t geschichte
ist
doch
keine Naturstufe,
und dieser
höchste P r o c e s s des Geistes kann keinesweges das G e s c h i c k der Aeusserlichkeit
(heilen.
Plato
hat
5 tliess im Timaeus sehr tief aulgelasst, sagt, ilass das F e s t e
wenn er
z w e i M i t t e n habe, aber
eben n u r d a s F e s t e , und nicht das absolut S i c h B e w e g e n d e , welches der Weltgeist ist. Weiter steht Griechenland mit Rom in keinem so gespannten Gegensatz-Verhältnisse
wie es seyn müsste,
wenn es eine g e b r o c h e n e M i t t e und überhaupt ••in Gegensatz im Gegensatze wäre. Ausserdem aber kehrt hier wiederum der Einwand zurück: „ A l s o i s t es b e i d i e s e r v i e r t e n P e r i o d e m i t d e r G e s c h i c h t e aus, also hat die M e n s c h h e i t ihr letztes Stadium
e r r e i c h t " ; und dieser Ein-
wand ist, wie gesagt, nicht von der Hand zu weisen. Deswegen nehmen endlich Einige, welche die speculative Unangemessenheit
der
viergliedrigen
Eintheilung einsehen, zu einer anderen Entschuldigung ihre Zuflucht, um die Schwäche des Meisters zu einem Vorzuge zu stempeln, indem sie sagen, dass eben in dieser Besonderheit sich die Kraft seines Geistes glänzend offenbare, da er, sich an kein Schema bindend und keine gezwungene apriorische Construction aufstellend, gar nicht den Inhalt der Weltgeschichte in die vorausgegossenen Formen
eines pedantischen
Schematismus
einzwang, sondern dem freien Laufe der Wirklichkeit zu huldigen wusste.
Darauf müssen wir ent-
gegnen: Entweder sind die Gesetze der Dialektik
6 aligemein und unumstösslich, doch
in der
tionen
Geschichte
finden;
oder
sie
und dann sollten sie
ihre
realen
Manifesta-
sind
schwach,
partiell
und ungenügsam, und dann dürfen sie sich auch in anderen S p h ä r e n des W i s s e n s
nicht
ollenba-
ren, und überall müsste ihre Deduction aller N o t wendigkeit entbehren. gen
in
sich
wendigkeit;
selbst
das
deswegen
ser Prüfstein
aller
diese Gesetze
Kriterium
ihrer uns
in der S p h ä r e
traNot-
wird die Geschichte,
Speculationen,
sub specie aetemitatis offenbaren müssen.
Aber
die-
dieselben
derThaten
S o lange diese Gesetze aber
in der Geschichte ihrer allergenauesten Realisation entbehren, so lange sind sie ihrer sichersten Stütze beraubt.
W e n n also die Philosophie dieselben in
der Geschichte nicht constatirt, begeht sie entweder einen Selbstmord oder einen Kindesmord, indem sie entweder sich selbst stürzt oder ihre Corollarien vernichlet.
D i e Absicht aber, einein pe-
dantischen Scheinatismus auszuweichen und dadurch eine vermeintliche
Freiheit
aufrecht zu
erhalten,
kann in diesem F a l l e nur für eine Selbsttäuschung o
g e l t e n , oder ist in der That nur eine ohnmächtige Ausflucht.
J e d e r , welcher ein Princip aufstellt, ist
damit gezwungen, dessen äusserste Consequenz anzuerkennen, wobei es ganz gleichgültig ist, ob er selbst oder ein Andrer sie zieht: w ehe ihm, wenn
7 das Resultat seinPrineip umstürzt; Ehre alter, ewige Ehre, wenn das Resultat, zu welchem er vielleicht seihst nicht gelangt ist, in der Folge die neue Entdeckung bestätiget. Diess ist eben sowohl Hegels Loos wie aller derer, welche wir in jeder Hinsicht gross nennen können. Er selbst hat zwar nicht vermocht, alle Consequenzen seinesStandpunktes durchzuführen, doch thut diess seinem Verdienste nicht den geringsten Abbruch;
und derjenige, welcher
einen erkannten Mangel in seinem System ausfüllt, oder sogar einen weiteren Fortschritt aus diesem Standpunkte normal entwickelt, wird ohne Zweifel dadurch Hegels Genius weit mehr huldigen, als der, welcher nur eine Aufrechterhaltung seiner unantastbaren Ueberlieferungen bezweckt Und könnte der, welcher die Gesetze der Entwicklung so kräftig deducirt,
und dieselben in der Genesis der
[deen nachgewiesen hat, sich gegen sein eigenes W e r k sträuben? Die Totalität der Weltgeschichte ¡6t also durchaus und absolut unter die speculative Trichotomie zu fassen, aber, um der Freiheit der Entwicklung keinen Abbruch zu thun, ist es kein T h e i l der Geschichte, etwa der verflossene, sondern eben deren T o t a l i t ä t , die so speculativ und organisch aul'gefasst werden muss.
Die Totalität der Ge-
schichte muss aber bestehen aus der Vergangen-
8 heit und aus der Zukunft, aus dem bereits durchgemachten und dem noch durchzumachenden W e g e , und daraus entstellt als erste F o r d e r u n g :
die E r -
kenntniss des W e s e n s der Z 1 1 k u n f t für die S p e culation zu vindiciren. E s giebt auch in der W i s s e n s c h a f t Vorurtheilc, welche die unglückliche E i g e n s c h a f t haben,
sogar
bei den kräftigsten Geistern W u r z e l zu lassen und natürlich
den weiteren F o r t g a n g zu lähmen.
Wie
oft haben solche theoretische Vorurtheile das L e bendige erstickt, und die Menschheit dessen beraubt, was gleich dahinter sich
vorfand!
Konnte irgend
J e m a n d von solchen Vorurtheilen frei seyn, so war es ohne Z w e i f e l der speculative G e i s t Hegel s ; aber gerade
auf
diesem
solche Anomalie. quenzen
seiner
Punkte
verräth
Obgleich
derselbe
er nicht alle
Entdeckungen
eine
Conse-
aufstellen
konnte,
und so noch vieles zu thun übrig liess; so hat er doch
nirgends
der M ö g l i c h k e i t
F o r t g a n g e s praejudicirt,
eines weiteren
so dass seine F e h l e r fast
immer nur p r i v a t i v , nicht aber absolut sind.
negativ
A b e r eben in der Philosophie der G e s c h i c h t e
hat er so welches,
einem
negativen
Vorurtheil
gehuldigt,
wie natürlich und unumstösslich es auch
scheinen könnte, nichts desto weniger die normale Auflassung Werke
hinderte.
Er
mit keiner S y l b e
hat nämlich der Z u k u n f t
in
seinem erwähnt;
9 und sogar war es seine M e i n u n g , dass die Philosophie
in der Ergründung der Geschichte nur
eine rückwirkende Kraft besitzen könne, die Zukunft aber gänzlich aus dem Bereiche der Speculation auszuschliessen sey. W i r unsrerseits müssen jedoch von vorn herein behaupten, dass ohne die E rkennbarkeit
d e r Z u k u n f t , ohne die Zukunft
als einen i n t e g r i r e n d e n Theil der Geschichte, welche die Realisation der Bestimmung der Menschheit darstellt, unmöglich zum Erkennen der o r g a n i s c h e n und ideellen Totalität, so wie des apodiktischen Processes der Weltgeschichte zu gelangen ist. Darum ist die Feststellung derErkennbarkeit der Zukunft
eine unentbehrliche V o r f r a g e für
den Organismus der Geschichte; denn mit der Unerkennbarkeit der Zukunft bei Hegel hat es dieselbe Bewandtniss, wie auf dem kritischen Standpunkt Kant's mit der Unerreichbarkeit des Absoluten überhaupt, nur mit dem Unterschiede, dass dieses hei Kant das nothwendige Resultat seines Standpunktes und Systems war, während es bei Hegel äusserlich hereingebracht Folge störend ist.
und so in der ganzen
W i e also die spätere Philoso-
phie auf dem Felde der reinen Speculation wagte, diese Beschränkung Kant's zu durchbrechen, so ist es jetzt die Bestimmung der Philosophie der Geschichte, dieses analoge Vorurtheil Hegels ebenfalls
10 zu überschreiten;
und wie wir olme
diese erste
Durchbrechung nie zum absoluten Erkennen in der Philosophie überhaupt gelangen konnten, so können wir ohne die zweite nie das absolute Erkennen in der Philosophie der Geschichte erreichen.
Dürfte
auch in der Tliat diese Forderung vermessen uud paradox erscheinen,
so ist sie es doch überhaupt
nicht m e h r als die, welche de» grossen Sieg über die kritische Philosophie errang.
W e n n es also
in der Möglichkeit der Vernunft liegt, das Wesen Gottes, der Freiheit und der Unsterblichkeit zu erfassen, warum sollte das W e s e n
der Zukunft
aus dieser Möglichkeit ausgeschlossen bleiben ? W i r legen hier hauptsächlich den Accent auf das W e s e n , weil nur dieses und gerade in diesem Fall der Gegenstand der Philosophie seyn kann;
denn das
nothwendige Weßen kann sich in einer unendlichen Menge von s e y e n d e n Z u f ä l l i g k e i t e n offenbaren, welche immer willkührlich bleiben müssen und daher in ihren Einzelnheiten nicht vorauszusehen sind, die aber stets als das würdige und dem W e s e n adaequate Receptaculum des Innern und Allgemeinen e r s c h e i n e n müssen.
Hierin liegt eben der Vor-
zug der Vergangenheit hinsichtlich der philosophischen Ergründung der Thaten, weil wir das, was h i n t e r uns schon entwickelt liegt, als Gesetztes in allen seinen Einzelnheiten durchschauen und so-
11 mit bewundem können, wie trefllicli sie das Tiefe und Allgemeine, was sich in ihr befindet, offenbart und wie angemessen das Seyende sein Wesen ausdrückt. Hinsichtlich der Zukunft aber können wir nur das W e s e n des Fortschrittes überhaupt ergründen, indem die Möglichkeit der Realisation so reich, die Freiheit und die Fülle des Geistes so gross ist, dasa wir immer in Gefahr seyn können, von der besonderen Wirklichkeit entweder übertroffen oder nur getäuscht zu werden. Bei dieser Frage, so wie bei jeder logischen Ergründung müssen wir genau die Sphäre der Allgemeinheit und Nothwendigkeit von der der Besonderheit und Zufälligkeit unterscheiden, um nachher in dem wahren Verlaufe des Geistes die concret-synthetische Freiheit aufzufassen. Jedes Wesen muss erscheinen; aber wie es selbst Eins und nothwendig ist, so ist die Art seiner Offenbarung vielfach und wiüktibrlich, und wenn es nicht in d i e s e r Form und Weise, so wird es in j e n e r geschehen: wenn nicht dieser Ort und dieses Individuum sich dazu^eignet, so werden Andere dazu bestimmt werden u. s. w. Awf dieser Unterscheidung beruht also die Kluft zwischen dem speculativen E r k e n n e n d e r Z u k u n f t und jenen einzelnen Voraussagungen, die nur ein Enträthseln der Zukunft (praesagium), aber keinesweges ein Vorwi6sen (praescieritia) derselben seyn
12 können. Es kommt uns nicht aul' das Errathen dieser oder jener Besonderheit, auf das Voraussagen eines bestimmten Helden oder einer That an: sondern darauf, dass die eigentliche Natur der Menschheit erforscht, die Gesetze ihres Fortschrittes bestimmt, dessen Manifestationen in der Geschichte vernünftig erkannt, der zurückgelegte W e g in sich und in seinem Verhältnis» zum künftigen abgeschätzt, endlich die Perioden dieses fortwährenden Sichgestaltens mit ihren bestimmten inhaltigen Typen, welche die gesetzte Realisation der der Menschheit vi'rtualiter eingeprägten Elemente sind, festgesetzt werden; und diess ist gerade das eigentliche Geschäft der Philosophie. Für Feststellung der M ö g l i c h k e i t der Erkennbarkeit der Zukunft mögen nachfolgende Bemerkungen dienen. Bekanntlich verlangte Cuvier nur einen einzigen Zahn, um aus diesem den ganzen Organismus eines antediluvianischen Thieres zu erforschen. Es sträubte sich Niemand gegen eine so paradoxe Behauptung, und die Naturwissenschaften, in denen gewöhnlich alle apriorische Speculationen verhöhnt w erden und welche nur der Empirie glauben wollen, verwandelten, anstatt ihm den Vorwurf einer Vermessenheit zu machen, seine B eh a u p t u n g in ein A x i o m , weil sie erkannten, dass dieselbe auf den tiefsten Begriff der Natur gegrün-
13 det war.
W a s machte aber dieselbe so umimstüss-
lich ? — Nichts als das Erkennen des W e s e n s des O r g a n i s m u s überhaupt, nämlich die Einsicht, dass in jeder organischen Totalität ein jedes Glied allen anderen durchaus entsprechen muss, dass alle Glieder gegenseitig relativ und durch einander begründet sind.
Warum erkennen wir denn aber in der
Geschichte diesen Organismus nicht ebenfalls an? Warum construiren wir nicht aus dem schon verlaufenen Theile des ganzen historischen Processes seine ideelle Ganzheit überhaupt und insbesondere den noch fehlenden künftigen Theil, welcher dem vergangenen entsprechen muss und erst integral mit diesem die wahre Idee der Menschheit aufstellen wird?
Die vergangenen Thaten, das sind unsere
Fossilien, unsere antediluvianischen Ueberreste, aus welchen wir das Allgemeine des Lebens der Menschheit aufbauen müssen*). ' ) Man könnte uns entgegnen, dass die Natur das Feld einer blinden und bewusstlosen Nothwendigkeit, die Sphäre des Geistes überhaupt aber auf allen seinen Stufen, desto mehr also auf seiner relativ höchsten Stufe, nämlich als Welteeist, frei wäre. — So ist es auch; aber diese Unterscheidung thut unserer früheren Behauptung nicht den geringsten Abbruch. Was ist nämlich Freiheit überhaupt? Eis ist eben, logisch ausgedrückt, die speculative Synthesis der Nothwendigkeit mit der Zufälligkeit, des Gesetzes mit seiner Offenbarung, des apodiktischen Wesens mit seiner wiilkührlichen Erscheinung. Wenn wir also in der Geschichte die Sphäre der Nothwendigkeit von der der Zufälligkeit unterscheiden, und diese letztere als die reale, vielfach mög-
14 Nachdem
wir die M ö g l i c h k e i t
der Erkenn-
barkeit der Zukunft constatirt halten, g e h e n wir zu liehe Manifestation der Begebenheiten, die nur Einverleibungen allgemeiner Begriffe sind, bezeichnen, — so bleibt uns auf der andern Seite das unantastbare und ununistössliche Gesetz der Entwicklung, diese allgemein leitende Idee der Geschichte, welche gewiss nicht weniger in ihrem Processe nothwendig ist, als die Naturgesetze; und wenn wir sogar eine Gradation der Nothwendigkeit annehmen wollen, so wäre diese geistige noch stärker, wegen ihres höhern Standpunktes, den sie auf der Leiter der Entwicklung behauptet, und wegen der Fülle derBestimmungen, die sie in sich schliesst. Das Aufdecken der integrirenden Momente des geschichtlichen Organismus kann also unmöglich willkiihrlich oder zufällig ausfallen; und so wie der Astronom, der eine künftige Finsterniss voraussagt, gar nicht die Grenze seiner W i s s e ns c h a f t überschreitet, noch dadurch irgendwie in das Gebiet der Weissagungen tritt, so werden auch wir im Erforschen des Wesens der geschichtlichen Zukunft nur die ewigen und consequenten Rechte der Idee verfolgen. Um noch hinreichender den Unterschied zwischen der N o t wendigkeit der Natur und der des Geistes festzustellen, und jedem Missverständnisse vorzubeugen, bemerken wir noch, dass die N o t w e n d i g k e i t an sich, so wie jede einseitige logische Kategorie schon das Princip ihres Entgegengesetzten, welches eben die Zufälligkeit ist, in sich enthält. Solche Gegensätze müssen immer und überall bestehen, nur mit dem Unterschiede, dass sie entweder an sich, oder gesetzt, oder endlich versöhnt vorkommen. Wenn sie also im Kampf begriffen sind, so stören sie sich gegenseitig und befinden sich in einem Schaukelproeesse wechselseitiger Erdriickung. So kommt in der Antithesis überhaupt eine besondere innere Antithesis v o r , während in dem Momente der Synthesis erst das Convergiren und wechselseitige Begründen auftritt. Dieses letztere ist eben der Character der Geistesnothwendigkeit, während jenes der der Naturnothwendigkeit ist. Dieses Divergiren und Schaukeln tritt uns in der Natur überall entgegen. So herrscht z. B. in den physischen Gesetzen die blindeste Nothwendigkeit, — aber die Idee der Gattung tritt im Exem-
15 d even W i r k l i c h k e i t über: d. h., wir müssen nachweisen, wie das Bewusstsein wirklich dazu kommt, dieses Erkennen sich anzueignen. Die Zukunft kann überhaupt d r e i f a c h
deter-
minirt werden: durch das Gefühl, durch das Denken und durch den Willen.
D i e e r s t e Determi'-
nation ist die unmittelbare, natürliche, blinde, zufällige: daher erfasst sie meistentheils nur die P»rticularitäten des Seins, einzelne F a c t a ; — sie wird ahnend, — sie erzeugt die S e h e r , die P r o p h e ten.
Darum sagt Paulus sehr tief: Unser W e i s -
sagen ist Stückwerk.
(I. Cor. 1 3 , 9 etc.)
Die
zw e i t e Determination ist eine reflectirte, gedachte, theoretische, bewusste, nothwendige; — daher erplare gänzlich vor der Zufälligkeit zurück, welches Exemplar eben sich in eine Menge willkührlicher Besonderheiten ausbreitet, um nachher durch sein Vergehen wiederum der Nothwendigkeit Platz zu machen; und so ins Unendliche fort. — Auf der andern Seite dagegen offenbart das Aussereinandersein und die Verworrenheit der Natur nur ihre Zufälligkeit, während deren Nothwendigkeit und allgemeines Band nur dem Bewusstsein des Forschers sich aufschliesst. Die Nothwendigkeit und die Zufälligkeit erscheuen also hier als immer getrennter, nicht aufzulösender Widerspruch. Erst im Geiste wird dieser Conflict versöhnt. Jedes Glied des Gegensatzes wird gleich berechtigt nnd thut das Seinige, um die Totalität normal zu gestalten, während auf den früheren Stufen jedes Moment entweder unterdrückt wurde, oder unterdrückte. Die Natnrnothwendigkeit also ist nur einseitig, die Geist esnothwendigkeit aber speculativ-concret; weswegen alle Inductionen ans der Naturphilosophie in der Philosophie des Geistes ihre Anwendung finden können, aber nicht umgekehrt.
16 fasst sie meistentheils \ie z. B. S c h u b a r t , so w ichtige Materialien dazu lieferten, — hat man bis jetzt noch nicht die Naturbestimmungen für symbolisch verhüllte T y p e 11 der W e l t geschichte angesehen.
56 Die Natur h a t zwar keine Vorstellung vom Geiste, aber sie i s t selbst V o r s t e l l u n g des Geistes, sie ist eine v e r w o r r e n e Vorstellung, denn ihre Form ist das A u s e i n a n d e r . Um also zu zeigen, dass die Natur wirklich o b j e c t i v e V o r s t e l l u n g d e s G e i s t e s i s t , wollen wir die Sache beispielsweise durchzuführen suchen, da, wie gesagt, die wissenschaftlich erschöpfende Durchführung nur im Werke der Historiosophie gegeben werden kann. Die folgenden Andeutungen werden jedoch genügen, um wenigstens eine s u b j e c t i v e V o r s t e l l u n g dieser o b j e c t i v e n V o r s t e l l u n g d e r N a t u r zu geben, und daher wollen wir diese Andeutungen an etwas schon Bekanntes knüpfen. Es ist bereits zu einem Gemeinplatze geworden, Persien als das Land des L i c h t s zu bezeichnen. Man ist wegen der wirklichen Lichtanbetung der Perser darauf gekommen; aber aufserdem ist das Licht der wahrhafte T y p u s Persiens. Man hat jedoch nicht bemerkt, dass andere Völker, Reiche oder Epochen auch ihre eigenen, so zu sagen e i n h e i m i s c h e n oder p a t r o n a r t i g e n Naturkräfte besitzen können, ohne sie deshalb anzubeten, und dass es leicht möglich wäre, dass jede Periode in der Weltgeschichte eine ihr entsprechende Stelle in der Naturentwicklung behaupte, welche das äusserliche Symbol ihrer inneren Bedeutung abgebe. So könnte
56 es z. B., wenn es auch vielleicht Niemanden befremden möchte,
den M e c h a n i s m u s
als
dem
chinesischen Geiste entsprechend darzustellen, — doch nicht so leicht fasslich sevn, warum wir etwa •