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German Pages 234 [237] Year 1980
M. B. Mitin Probleme des gegenwärtigen ideologischen Kampfes
M. B. MITIN
Probleme des gegenwärtigen ideologischen Kampfes Eine Kritik soziologischer und sozialpolitischer Konzeptionen
Akademie-Verlag • Berlin 1979
Originaltitel: M. B. Mitin, Problemy sovremennoj ideologiceskoj bor'by. Kritika sociologiceskich i social'no-politiceskich koncepcij, ©Izdatel'stvo „Nauka", Moskva 1976 Ins Deutsche übertragen von Klaus-Dieter Göll Herausgegeben von Hans Schulze
Erschienen im Akademie -Verlag, D D R — 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © der deutschen Ausgabe Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/10/79 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen • 5416 Umschlaggestaltung: Rolf Kunze Bestellnummer: 753 458 7 (6475) • LSV 0165 Printed in G D R DDR 1 5 - M
Inhalt
Vorwort
7
KAPITEL 1
Die Leninschen Prinzipien des Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie und ihre Bedeutung in der Gegenwart
11
KAPITEL 2
Die Hauptrichtungen des gegenwärtigen ideologischen Kampfes
61
KAPITEL 3
Der Antikommunismus und die philosophischen Probleme des MarxismusLeninismus
120
KAPITEL 4
Die Probleme der wissenschaftlich-technischen Revolution und des Menschen im gegenwärtigen ideologischen Kampf
167
KAPITEL 5
Die Entspannung der internationalen Lage und die Aufgaben des ideologischen Kampfes in der gegenwärtigen Etappe
212
Namenverzeichnis
230
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Vorwort
Der XXV. Parteitag der KPdSU wird in die Geschichte unseres Landes, in die Geschichte der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung, in die Geschichte des Kampfes für dauerhaften Frieden und sozialen Fortschritt als ein Ereignis von unvergänglicher welthistorischer Bedeutung eingehen. D i e Materialien des XXV. Parteitags der KPdSU sind eine schöpferische Entwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie; sie sind die Pläne für die weitere Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft in der UdSSR; es sind Pläne für eine neue Etappe schöpferischer Arbeit auf dem Weg zum Kommunismus; es sind Pläne, die die sowjetischen Werktätigen unter der Führung ihrer Partei mobilisieren, die die Aufbaukräfte der Werktätigen auf grandiose Ziele orientieren und die von den Werktätigen bewußt getragen werden, weil sie voll und ganz ihren Interessen entsprechen. Der Rechenschaftsbericht des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, L. I. Breshnew, stellt in der theoretischen Ausarbeitung der internationalen und innenpolitischen Fragen, in seiner schöpferischen marxistisch-leninistischen Einschätzung des gesamten heutigen Lebens eines der wichtigsten Dokumente des modernen Marxismus-Leninismus dar. In diesem Bericht wird das weitere Programm des großen historischen Kampfes entwickelt, den das sowjetische Volk für einen dauerhaften Frieden, für die weitere Konsolidierung der internationalen Entspannung, für die Verwirklichung des Leninschen Prinzips der Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung führt. Zugleich hat der XXV. Parteitag unterstrichen, daß mit dem Prozeß der Entspannung und der weiteren Durchsetzung der Politik der friedlichen Koexistenz in den internationalen Beziehungen weder der Klassenkampf im allgemeinen noch der ideologische Klassenkampf im besonderen aufgehoben wird. Vielmehr ist es eine Tatsache, daß die Politik der friedlichen Koexistenz - w i e dies Lenin stets betonte 1 - eine Form des Klassenkampfes ist und daß sich mit ihrer Durchsetzung der ideologische Klassenkampf notwendig verschärft. Angesichts der Erfolge des sozialistischen Weltsystems verstärken der Antikommunismus und der Antisowjetismus ihren Kampf gegen den Sozialismus, 1
V g l . : W . I. Lenin, Über die Politik der friedlichen Koexistenz. Eine Auswahl. Mit einem V o r w o r t von Renate Hertzfeld, Berlin 1 9 7 6 .
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wobei sie ihre alten Methoden der Fälschung und Desinformation benutzen. Den Problemen des weltweiten revolutionären Prozesses, des sozialen und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der Kompliziertheit und Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Erscheinungen - allen diesen Fragen widmen die Ideologen des Kapitalismus sowie die Revisionisten rechter und „linker" Richtung große Aufmerksamkeit. Im Rechenschaftsbericht auf dem XXV. Parteitag stellte L. I. Breshnew fest: „. . . die Probleme des ideologischen Kampfes rücken immer mehr in den Vordergrund, und die Wahrheit über den Sozialismus ist eine mächtige Waffe in diesem Kampf". 2 Der Parteitag betonte die Notwendigkeit, die Rolle der Gesellschaftswissenschaften im offensiven Kampf gegen den Antikommunismus, bei der Kritik bürgerlicher und revisionistischer Theorien, bei der Entlarvung der Fälscher der Ideen des Marxismus-Leninismus zu erhöhen. Die zuverlässige ideologisch-theoretische Waffe im Kampf gegen die Apologeten des Kapitalismus, gegen die reformistische und revisionistische Ideologie ist der Marxismus-Leninismus, ist das große schöpferische Erbe W. I. Lenins, ist die schöpferische Entwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie durch die Kommunistische Partei der Sowjetunion und die kommunistischen Bruderparteien. Dem vorliegenden Buch liegen Aufsätze zugrunde, die der Autor in den letzten Jahren veröffentlicht hat: wissenschaftliche Vorträge auf den Tagungen des Wissenschaftlichen Rates für Probleme ausländischer ideologischer Strömungen der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Beiträge auf dem XV. Weltkongreß für Philosophie in Warna sowie auf dem Internationalen Hegel-Kongreß in Moskau und einige Arbeiten, die hier erstmalig in eine Publikation aufgenommen wurden. Für die vorliegende Ausgabe monographischen Charakters sind die zugrunde liegenden Materialien und Forschungsergebnisse wesentlich überarbeitet und in fünf Kapiteln zusammengefaßt worden. Das erste Kapitel ist der Analyse der Leninschen Prinzipien des ideologischen Kampfes und ihrer Bedeutung für unsere Tage gewidmet. Im zweiten Kapitel werden die Hauptrichtungen des gegenwärtigen ideologischen Kampfes untersucht, und zwar im Lichte der neuesten Manöver der Antikommunisten unter den Bedingungen der internationalen Entspannung und der weiteren Durchsetzung der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Gegenstand der Untersuchung des dritten Kapitels sind die Diskussionen zu aktuellen philosophischen Problemen, darunter die Diskussionen über die Bedeutung des philosophischen Erbes von Engels und von Hegel für die Gegenwart. Das vierte Kapitel 2
ist einigen ideologischen Problemen der wissenschaftlich-
L. I. Breshnew, X X V . Parteitag der K P d S U . Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen
Partei der Sowjetunion und die nächsten Aufgaben der Partei in der
Innen- und Außenpolitik, Berlin 1 9 7 6 , S. 14.
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technischen Revolution gewidmet, den Problemen des Menschen und der Analyse verschiedener Aspekte der bürgerlichen Lebensweise. Im fünften und letzten Kapitel werden jene Probleme des gegenwärtigen ideologischen Kampfes analysiert, die sich unter den Bedingungen der Entspannung der internationalen Lage ergeben. Die im vorliegenden Buch behandelten Fragen erschöpfen natürlich keineswegs den weiten Kreis der Probleme, die Objekt des gegenwärtigen ideologischen Kampfes sind. Doch gehören sie zweifellos zu jenen Fragen, die in der letzten Zeit im Zentrum der Polemik zwischen den Marxisten-Leninisten und ihren ideologischen Gegnern stehen.
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KAPITEL 1
Die Leninschen Prinzipien des Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie und ihre Bedeutung in der Gegenwart
Im Kampf gegen die bürgerliche Ideologie, gegen den Antikommunismus als ideologische Hauptwaffe der Reaktion, gehen wir immer wieder von den Leninschen Prinzipien der Kritik bürgerlicher Auffassungen, von dem großen geistigen Erbe W . I. Lenins aus. Bevor wir uns den Auffassungen Lenins unmittelbar zuwenden, möchten wir daran erinnern, mit welchen Worten Friedrich Engels seine Arbeit „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" schloß. Engels schrieb: „Und auf dem Gebiet der historischen Wissenschaften, die Philosophie eingeschlossen, ist mit der klassischen Philosophie der alte theoretisch-rücksichtslose Geist erst recht verschwunden; gedankenloser Eklektizismus, ängstliche Rücksicht auf Karriere und Einkommen bis herab zum ordinärsten Strebertum sind an seine Stelle getreten. Die offiziellen Vertreter dieser Wissenschaft sind die unverhüllten Ideologen der Bourgeoisie und des bestehenden Staates geworden - aber zu einer Zeit, wo beide im offnen Gegensatz stehn zur Arbeiterklasse." Und weiter lesen wir bei Engels: Nur in der Arbeiterklasse „besteht der . . . theoretische Sinn unbekümmert fort. Hier ist er nicht auszurotten; . . . im Gegenteil, je rücksichtsloser und unbefangener die Wissenschaft vorgeht, desto mehr befindet sie sich im Einklang mit den Interessen und Strebungen der Arbeiter". 1 Das erste Prinzip des Leninschen Herangehens an die Kritik der bürgerlichen Ideologie ist der entschiedene, unversöhnliche und offensive Charakter des Kampfes gegen diese Ideologie. Das gesamte Leben und Wirken W . I. Lenins ist ein Beispiel konsequenten, aktiven, wirksamen und kompromißlosen Kampfes gegen die bourgeoise Ideologie, gegen eine versöhnlerische Einstellung und kompromißlerische Haltung ihr gegenüber, gegen ein Eindringen und Einschleusen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie in die Reihen des Proletariats, ein Beispiel des Kampfes um eine offene Parteilichkeit der proletarischen Ideologie, um die Reinhaltung der Kampfpartei der Arbeiterklasse gegenüber reformistischen und revisionistischen Einflüssen. 1
F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: Karl Marx/Friedrich Engels, W e r k e (im folgenden M E W ) , Bd. 2 1 , Berlin 1 9 6 2 , S. 306, 307.
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„Die Partei des Proletariats", schrieb Lenin, „ist eine freie Vereinigung, geschaffen für den Kampf gegen die Gedanken (lies: gegen die Ideologie) der Bourgeoisie, für das Verfechten und Durchsetzen einer ganz bestimmten, nämlich der marxistischen Weltanschauung. Das ist eine Binsenwahrheit." 2 Als Grundlage, als Alphabet des Marxismus, als Alphabet der Tätigkeit der Partei des Proletariats betrachtete Lenin also den unablässigen aktiven Kampf für die proletarische Weltanschauung, gegen alle dem Proletariat feindlichen Ideen. Die geistige Befreiung der werktätigen Massen, ihre Befreiung vom verderblichen Einfluß bourgeoiser oder kleinbürgerlicher Auffassungen war notwendig, damit die Partei zur Vollbringung wahrhaft revolutionärer Taten fähig wurde. Ein zweites, überaus wichtiges Leninsches Prinzip bei der Kritik der bürgerlichen Ideologie ist die dialektische Verbindung, die Einheit der klassenmäßigen und der gnoseologischen Analyse der zu kritisierenden Theorien. Die Forderung der klassenmäßigen Analyse, der Aufdeckung der funktionalen Zusammenhänge zwischen den existierenden Theorien und Konzeptionen und jenen Klasseninteressen, deren Widerspiegelung sie letzten Endes sind, ist eine Grundforderung des marxistischen Herangehens in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Theorien, Lehren oder sozialpolitischen Auffassungen schlechthin. Man kann nicht umhin, schrieb W. I. Lenin in seinem Werk „Materialismus und Empiriokritizismus", „hinter der erkenntnistheoretischen Scholastik des Empiriokritizismus den Parteienkampf in der Philosophie zu sehen, einen Kampf, der in letzter Instanz die Tendenzen und die Ideologie der feindlichen Klassen der modernen Gesellschaft zum Ausdruck bringt".3 Die Aufdeckung der klassenmäßigen Grundlagen dieser oder jener bürgerlichen Theorie und Konzeption reicht jedoch nicht aus, um sie allseitig zu entlarven oder gar zu überwinden. Es bedarf der theoretischen Untersuchung der gnoseologischen Wurzeln dieser Theorie, der Analyse ihrer theoretischen Quellen, ihrer inneren Logik und Methodologie. Lenins Lehre von den gnoseologischen Wurzeln des Idealismus, die eine Weiterentwicklung der marxistischen Theorie darstellt, war ein fundamentaler Beitrag zur wissenschaftlichen Kritik des Idealismus im allgemeinen wie jedes bürgerlichen philosophischen Systems oder jeder bürgerlichen sozialtheoretischen Konzeption im besonderen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, an eine Feststellung W. I. Lenins aus seinen „Philosophischen Heften" hinsichtlich der vulgären Kritik des Idealismus, insbesondere des Kantianismus, zu erinnern. „Plechanow", schrieb Lenin, „kritisiert den Kantianismus (und den Agnostizismus überhaupt) mehr vom vulgär-materialistischen als vom dialektisch-materialistischen Standpunkt, insofern er ihre Gedankengänge nur a limine verwirft, sie aber nicht richtigstellt (wie Hegel Kant richtigstellte), 2
W . I. Lenin, Über die Fraktion der „Wperjod"-Leute, in: Werke, Bd. 16, Berlin 1 9 6 2 ,
3
W . I. Lenin, Empiriokriti2ismus und historischer Materialismus. Schluß, in: Werke, Bd. 1 4 ,
S. 2 7 2 . Berlin 1 9 7 3 , S. 3 6 3 .
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indem er sie vertieft, verallgemeinert, erweitert und den Zusammenhang und die Übergänge aller und jeder Begriffe aufzeigt." 4 Lenins Idealismuskritik ist das Muster einer konkret-historischen, klassenmäßigen und gnoseologischen Analyse. W. I. Lenin stellt eine Beziehung zwischen den klassischen Vertretern des Idealismus und ihren Epigonen her und unterscheidet zugleich gründlich und prinzipiell zwischen den historisch progressiven und den konservativen, reaktionären idealistischen Lehren. Ein solches Vorgehen schließt Elemente einer sektiererischen Kritik derartiger Theorien ebenso aus wie eine apologetische Einstellung ihnen gegenüber. Die Leninschen Prinzipien der Idealismuskritik bilden drittens die wissenschaftliche Grundlage unseres ideologisch-theoretischen Kampfes nicht nur in der Philosophie, sondern auch auf anderen Gebieten der Gesellschaftswissenschaften. Jede Ideologie in der Klassengesellschaft, unabhängig von ihrer Form, ist parteilich. Dies gilt für alle historischen Epochen, in denen antagonistische Klassengesellschaften existieren; und dies ist keine Erfindung der Klassiker des Marxismus-Leninismus, sondern eine unbestreitbare, in der Geschichte und Gegenwart selbst nachprüfbare Tatsache. Die Parteilichkeit der Ideologie hängt nicht vom Wunsch und Wollen der Menschen ab, nicht davon, daß die Menschen ihren Ideen Klassencharakter verleihen möchten. Sie ist vielmehr dadurch bedingt, daß die Ideen der Menschen das reale, objektive Sein widerspiegeln, und dieses Sein gestaltet sich in der Klassengesellschaft für jede Gesellschaftsklasse auf unterschiedliche Art - je nach der Stellung der Klasse in der gesellschaftlichen Produktion. Folglich weist die marxistische Aussage „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das gesellschaftliche Bewußtsein" auf jene primäre Ursache hin, die im Endeffekt über eine Reihe miteinander zusammenhängender Glieder materiellen und ideologischen Charakters die Parteilichkeit, den Klassencharakter der Ideologie bedingt. Die Lehre von der Parteilichkeit der Ideologie und vor allem der Philosophie ist-von W. I. Lenin entwickelt und für den Kampf der Arbeiterklasse ausgearbeitet worden. Lenin hat die Frage der Parteilichkeit der Ideologie, des ideologischen Klassenkampfes, des unversöhnlichen Gegensatzes zwischen bürgerlicher und proletarischer Ideologie in einer Vielzahl von Arbeiten behandelt; insbesondere in solchen Werken wie „Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve", „Materialismus und Empiriokritizismus", in den „Philosophischen Heften", in den Arbeiten „Parteiorganisation und Parteiliteratur", „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" sowie in anderen Werken. Die Ideologen der Bourgeoisie versuchen auf jegliche Weise zu versichern und zu belegen, daß ihre Theorien und überhaupt die ganze Gesellschaftswissenschaft einen unpolitischen, über den Klassen stehenden, nichtparteilichen und „ideolo4
W . I. Lenin, Konspekt zu Hegels „Wissenschaft der Logik", in: Werke, Bd. 38, Berlin 1 9 6 4 , S. 1 6 9 .
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giefreien" Charakter besitzen. Sie bestreiten die Parteilichkeit der Ideologie und betonen mit einer vorgespiegelten Objektivität in jeder Art und Weise ihren tatsächlichen, ihren Klasseninteressen entsprechenden ideologischen Objektivismus. Doch der sogenannte Objektivismus der bürgerlichen Ideologen ist eine bewußte Täuschung; er ist selbst ein Bestandteil bürgerlicher Ideologie und Weltanschauung. Während der bürgerliche Objektivismus den reaktionären Klassencharakter und die Parteilichkeit der bürgerlichen Ideologie tarnt, trägt die revolutionäre Parteilichkeit des Marxismus-Leninismus offenen Charakter, drückt sie die Klasseninteressen des Proletariats aus, die übereinstimmen mit den grundlegenden Lebensinteressen der großen Mehrheit der Menschheit sowie mit den objektiven Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung und des gesellschaftlichen Fortschritts. Lenin hob hervor, daß das Prinzip der Parteilichkeit die richtige Widerspiegelung der Wirklichkeit, die wissenschaftliche Analyse der sozialen Verhältnisse, der Wechselbeziehungen der Klassen und ihres Kampfes einschließt; er deckte den grundlegenden qualitativen Unterschied zwischen der Parteilichkeit der revolutionären Ideologie der Arbeiterklasse und ihrer damit in Einheit befindlichen Wissenschaftlichkeit einerseits und dem in seiner Ohnmacht kläglichen bürgerlichen Objektivismus andererseits auf. Lenin schrieb: „Auf diese Weise ist der Materialist einerseits folgerichtiger als der Objektivist und führt seinen Objektivismus gründlicher, vollständiger durch. Er begnügt sich nicht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des Prozesses, sondern klärt, welche sozialökonomische Formation diesem Prozeß seinen Inhalt gibt, welche Klasse diese Notwendigkeit festlegt." 5 Als klassisches Beispiel für wahre wissenschaftliche Objektivität und zugleich als Beispiel der Einheit von Parteilichkeit und strenger Wissenschaftlichkeit betrachtete W. I. Lenin das „Kapital" von Karl Marx. 6 W. I. Lenin begründete nicht nur das Prinzip der Parteilichkeit der Ideologie, sondern er wies auch nach, daß es sich für den Marxismus gesetzmäßig aus dem wahrhaft wissenschaftlichen, materialistischen Herangehen an die Erscheinungen und Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Lebens ergibt. 7 In der Parteilichkeit des Marxismus-Leninismus findet die Einheit der revolutionären Theorie und der revolutionären Praxis des Klassenkampfes des von der Partei geführten Proletariats ihren höchsten Ausdruck. Gegen das Leninsche Prinzip der Parteilichkeit wenden sich im einträchtigen Chor sowohl die direkten Vertreter der bourgeoisen Ideologie und Philosophie als auch ihre revisionistischen Nachbeter. Gewöhnlich stellen sie die Parteilichkeit 5
W . I. Lenin, Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve, in: Werke, Bd. 1, Berlin 1 9 6 3 , S. 4 1 4 .
6
Siehe W . I. Lenin, Auf welches Erbe verzichten wir?, in: Werke, Bd. 2, Berlin 1 9 6 1 , S. 5 4 4 .
7
Siehe W . I. Lenin, Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve, in: Werke, Bd. 1, a. a. O., S. 4 1 4 .
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als „Voreingenommenheit" des Marxismus-Leninismus hin. Ihrer Meinung nach zeuge dies von seiner Schwäche. Andere, wie zum Beispiel der bekannte Fälscher des dialektischen Materialismus und seiner Entwicklung in der Sowjetunion, G . Wetter, reduzieren die Parteilichkeit der Philosophie auf ihre direkte Unterordnung unter die Politik. W i e unterschiedlich die Angriffe gegen die Parteilichkeit auch sind, letztlich laufen sie mit der These, daß Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit unvereinbar seien, darauf hinaus, den Marxismus-Leninismus zu diskreditieren und die bürgerliche Ideologie zu glorifizieren. Man muß sagen, daß Hegel, der zwar Idealist, aber doch Dialektiker war, bereits seinerzeit den Standpunkt der Unparteilichkeit in der Wissenschaft in bezug auf die Geschichte der Philosophie lächerlich gemacht hac. E r kritisierte die Forderung, daß der Historiker unparteilich sein müsse, und stellte fest, daß man diese Forderung gewöhnlich an die Geschichte der Philosophie stellt, in der es, wie man glaube zu wissen, keinerlei Voreingenommenheit zu dieser oder jener Vorstellung oder Meinung geben dürfe, ähnlich wie ein Richter in keiner Weise besonders am Nutzen einer der streitenden Parteien interessiert sein dürfe. Hegel verweist nachdrücklich darauf, daß man die Forderung an den Richter, ein Interesse am Recht selbst zu haben, bereits eine parteiliche Einstellung zum Recht nennen dürfe, und man werde diese Parteilichkeit sehr gut zu unterscheiden wissen von einer subjektiven Parteilichkeit. Für den Historiker gilt analog, daß er nicht mit einem „chemisch gereinigten" Denkvermögen an die Analyse und Erklärung der E r scheinungen und Prozesse herangehen kann, das jeglicher allgemeinen Vorstellung von den Triebkräften der historischen Entwicklung, seiner Richtung usw. bar ist. Hegel schrieb: „Auch der gewöhnliche und mittelmäßige Geschichtsschreiber, der etwa meint und vorgibt, er verhalte sich nur aufnehmend, nur dem Gegebenen sich hingebend, ist nicht passiv mit seinem Denken; er bringt seine Kategorien mit und sieht durch sie das Vorhandene." 8 Hegel unterscheidet - wie wir sehen - die parteiliche Einstellung, die durch die objektive Natur der sozialen Prozesse oder der sozialen Situation bedingt ist, von subjektiver Parteilichkeit, d. h., anders ausgedrückt: vom Subjektivismus, der das objektive Moment außer acht läßt. Wie tief unterscheidet sich diese Einstellung zur Frage der Parteilichkeit des idealistischen Dialektikers Hegel von den „modernen Kritikern" des Marxismus-Leninismus, von ihrem abgeschmackten und selbstgefälligen Geschwätz über die Notwendigkeit des Verzichts auf jegliche „Voreingenommenheit", der Abwendung von jeglichen - wie sich diese Kritiker vom Schlage eines E . Fischer oder H. Lefebvre ausdrücken - „ideologischen Überlagerungen", die angeblich ein wissenschaftliches Herangehen an Fragen der Gesellschaft behindern. Ein viertes, überaus wichtiges Prinzip des Leninschen Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie war höchste Prinzipientreue bei der Verteidigung der Ideen 8
G. W. F. Hegel, Philosophie der Weltgeschichte, I. Band: D i e Vernunft in der Geschichte, Leipzig 1944, S. 7.
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des Marxismus, bei der schöpferischen Entwicklung dieser Ideen. Die Arbeiten W. I. Lenins zeichnen sich durch ihre kämpferische Unversöhnlichkeit gegenüber jeglichen Abweichungen von den Prinzipien des wissenschaftlichen Kommunismus, gegenüber jeder Art ideologischen Schwankens und der Aufgabe theoretischer Positionen aus; und die gleiche Unversöhnlichkeit zeigen sie gegenüber gleichgültigem Verhalten im Hinblick auf den das tägliche Leben durchdringenden ideologischen Klassenkampf. Tiefen Eindruck hinterläßt Lenins Briefwechsel mit A. M. Gorki. Dieser Briefwechsel ist eines der markantesten Dokumente, die W. I. Lenin als einen unbeugsamen revolutionären Kämpfer und Denker charakterisieren. In, seinem Brief an Gorki vom 13. 2. 1908 verweist Lenin auf dessen Irrtum hinsichtlich des „Materialismus gerade als Weltverständnis". Er schreibt: „Daß aus dem Materialismus, den Marx und Engels gelehrt haben, seelenlose Kleinbürgerlichkeit hergeleitet werden könne, das ist falsch, falsch! Alle kleinbürgerlichen Strömungen in der Sozialdemokratie kämpfen vor allem gegen den philosophischen Materialismus, sie tendieren zu Kant, zum Neukantianismus, zur kritischen Philosophie. Nein, die Philosophie, die Engels im ,Anti-Dühring' begründete, läßt Kleinbürgerlichkeit nicht einmal über die Schwelle."9 In einem anderen Brief, der das Datum des 25. 2. 1908 trägt und sich mit dem gerade erschienenen Sammelband „Abrisse der Philosophie des Marxismus" befaßt, klagt Lenin zornig die Autoren an: „Eher lasse ich mich vierteilen, als daß ich mich einverstanden erkläre, an einem Organ oder in einem Kollegium mitzuarbeiten, das solche Dinge predigt." 10 Lenin, der die Arbeiten der Machisten studiert, ist sich zutiefst der Schädlichkeit ihrer philosophischen Ansichten bewußt. In einem Brief vom 24. 3. 1908 an Gorki schreibt er: „Sie müssen und werden natürlich auch verstehen, daß ein Parteimitglied, einmal zu der Überzeugung gelangt, daß eine bestimmte Lehre völlig falsch und schädlich ist, die Verpflichtung hat, gegen diese Lehre aufzutreten." 11 Ein fünftes Prinzip, das sich in der gesamten Tätigkeit W. I. Lenins im Kampf für die proletarische Revolution, für den Kommunismus offenbart, ist schließlich die organische Verbindung der Kritik an den dem Kommunismus feindlichen Auffassungen mit der schöpferischen Ausarbeitung der Probleme des proletarischen Kampfes. In dieser Hinsicht, d. h. im Sinne des tiefen Verständnisses der Notwendigkeit, die Kritik und die positive Lösung der Probleme zu verbinden, ist Lenins genialer Artikel „Unser Programm" hervorzuheben, den er als 29jähriger junger revolutio9
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W . I. Lenin, Brief an A. M. Gorki vom 1 3 . 1 1 . 0 8 , in: Werke, Bd. 34, Berlin 1971, S. 374/375. W . I. Lenin, Brief an A. M. Gorki vom 2 5 . 1 1 . 1 9 0 8 , in: W. I. Lenin, Briefe, Bd. II, Berlin 1967, S. 1 3 8 - 1 4 5 . W . I. Lenin, Brief an A. M. Gorki vom 24. III. 08, in: Werke, Bd. 34, a. a. O., S. 377 bis 379.
närer Marxist geschrieben hat. Ende des 19. Jahrhunderts, als der Revisionismus Bernsteins in Deutschland verbreitet war, die deutsche Sozialdemokratie mit Opportunismus infizierte und Widerhall in anderen Ländern fand, war es notwendig, dieser ideologischen „Krankheit" ein klares Programm entgegenzustellen. Genau so beginnt Lenin auch seinen Artikel: „Die internationale Sozialdemokratie macht gegenwärtig ideologische Schwankungen durch. Bisher galten die Lehren von Marx und Engels als die feste Grundlage der revolutionären Theorie - nunmehr werden überall Stimmen laut, diese Lehren seien unzulänglich und veraltet." 12 Die Zeiten ändern sich. Die Umstände haben sich auf radikale Weise geändert. Der Marxismus hat welthistorische Siege errungen. Seine zeitgenössischen Gegner aber lamentieren wie vor siebzig Jahren: „Der Marxismus ist veraltet", „Der Marxismus ist unzureichend und muß ergänzt werden" sowie dergleichen mehr. Lenin stellt fest, daß „jene großmäuligen .Erneuerer'" des Marxismus, die sich damals um Bernstein gruppierten, der Arbeiterbewegung nichts gegeben haben; „Rein gar nichts: sie haben die Wissenschaft, deren Weiterentwicklung uns das Vermächtnis von Marx und Engels zur Pflicht macht, nicht um einen Schritt vorwärtsgebracht; sie haben das Proletariat keine neuen Kampfmethoden gelehrt; sie sind lediglich zurückgegangen, haben Bruchstücke rückständiger Theorien übernommen und predigen dem Proletariat keine Theorie des Kampfes, sondern eine Theorie der Nachgiebigkeit, der Nachgiebigkeit gegenüber den ärgsten Feinden des Proletariats, den Regierungen und den bürgerlichen Parteien, die nicht müde werden, neue Mittel zur Hetze gegen die Sozialisten ausfindig zu machen." 13 Neueres haben mit ihrer „Theorie der Nachgiebigkeit" gegenüber den ärgsten Feinden des Proletariats auch die heutigen Revisionisten und Reformisten nicht anzubieten! Als Lenin die damaligen Revisionisten einer heftigen Kritik unterzog und Unduldsamkeit gegenüber ihren „Ideen" an den Tag legte, da war er sich natürlich bewußt, daß ihm das eine Menge Anschuldigungen eintragen würde. E r schrieb: „. . . man wird schreien, wir wollten die sozialistische Partei in einen Orden .Rechtgläubiger' verwandeln, der die ,Ketzer' wegen Abweichung vom ,Dogma', wegen jeder selbständigen Meinung verfolge usw. Wir kennen alle diese effektvollen modischen Phrasen. Nur enthalten sie nicht ein Gran Wahrheit und nicht ein Gran Vernunft." 14 Die wichtigste Leninsche Forderung lautet also: unversöhnliche Kritik und Entlarvung jeder Art von modischen revisionistischen Tendenzen und Ideen, die unter der Flagge der „Erneuerung" oder „Belebung" des Marxismus, unter der Flagge der „Freiheit des Denkens", der „Kritik am Dogmatismus" oder unter irgendeiner anderen verbalen Tarnung auftreten. Das Ziel 12
W . I. Lenin, Unser Programm, in: Werke, Bd. 4, Berlin 1955, S. 204.
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Ebenda, S. 205.
M
Ebenda.
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Mitin, Ideologischer Kampf
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dieser gegen den Marxismus-Leninismus in Theorie und Praxis gerichteten Angriffe ist die Schwächung des revolutionären Charakters der Auffassungen von Marx, Engels und Lenin, ist die Diskreditierung der sozialistischen Ideologie mittels der Propagierung der These von der Notwendigkeit, gegenüber der Bourgeoisie nachzugeben, sich in Grundfragen kompromißbereit zu zeigen, auf den Klassenkampf und auf den Sozialismus zu verzichten. Weiter äußert der junge Lenin tiefe Gedanken über die Notwendigkeit, mit der Kritik bürgerlicher Anschauungen ein schöpferisches Herangehen an die Lehre von Marx und Engels zu verbinden. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts formulierte W . I. Lenin eine höchst wichtige Forderung, nämlich die Notwendigkeit einer schöpferischen Einstellung zur Theorie von Marx und Engels, der Fähigkeit, diese Lehre unter Berücksichtigung der Eigenart der verschiedenen Länder und der historisch-konkreten Entwicklung sowie der jeweiligen Gegebenheiten anzuwenden. Alle diese Prinzipien, die W . I. Lenin am Anfang seiner Tätigkeit formuliert und konsequent durch sein ganzes kampfreiches Leben hindurch verfolgt hat, müssen uns bei der Kritik der bürgerlichen Ideologie stets gegenwärtig sein. Ein weiteres sehr wichtiges Prinzip der gesamten revolutionären Tätigkeit Lenins, auf das in diesem Zusammenhang einzugehen ist, bildet seine unversöhnliche Einstellung gegenüber dem bürgerlichen Nationalismus, der stets eine der politisch-ideologischen Waffen der Bourgeoisie im Kampf gegen den Kommunismus gewesen ist und bleibt. In der gegenwärtigen Zeit stellen die Ideologen des Imperialismus mit besonderer Aktivität den Nationalismus dem internationalistischen Zusammenschluß der Werktätigen der ganzen Welt, der Aktionseinheit der internationalen kommunistischen Bewegung und der Gemeinschaft der sozialistischen Länder entgegen. An diesen Versuchen, den Nationalismus auszunutzen, beteiligen sich die verschiedensten Ideologen; von solchen bürgerlichen Ideologen wie Toynbee bis zu den rechten Sozialdemokraten, den rechten Revisionisten bis hin zu den „links"opportunistischen Chauvinisten. Bekanntlich haben gerade die Ideologen des Antikommunismus nicht nur die „Idee", sondern auch den Terminus „Nationalkommunismus" erfunden und in Umlauf gebracht. A. Toynbee behauptete, daß der „monolithische Weltkommunismus" ursprünglich ein „Traum Lenins" gewesen sei. Die vergangenen fünfzig Jahre hätten jedoch gezeigt, daß dieser Traum illusorisch sei. Heute folge jedes kommunistische Land genau denselben engen nationalistischen Auffassungen wie jedes beliebige kapitalistische Land. A. Toynbee, der doch als großer Historiker gilt, wendet sich einfach von den historischen Tatsachen ab, nimmt einzelne oberflächliche Erscheinungen für wesentliche und will oder kann nicht sehen, daß der proletarische Internationalismus die große Kraft der Gegenwart ist, daß er die kommunistischen und Arbeiterparteien zu einer einzigen Armee der Arbeit und des Fortschritts, die aktiv gegen den Imperialismus kämpft, zusammenschließt und vereint. „Die Marxisten-Leninisten sind Patrioten und Internationalisten zugleich", 18
heißt es im Schlußdokument der Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien von 1969. „Sie lehnen sowohl nationale Enge als auch die Negierung oder Unterschätzung nationaler Interessen sowie die Tendenz zum Hegemonismus ab." 15 Die ganze Geschichte der kapitalistischen Länder, insbesondere die Geschichte dieser Länder in den letzten 50 bis 100 Jahren, ist voll von Beispielen des Verrats nationaler Interessen durch die Bourgeoisie. Dagegen zeigen die proletarischen, kommunistischen Parteien in ihrem Wirken Vorbilder und Beispiele für den tiefsten Ausdruck der nationalen Interessen, verbunden mit einer hohen Wertschätzung und Verwirklichung des Internationalismus. Die Ansichten Toynbees lassen deutlich erkennen, wie sich bei ihm bourgeoise Klassentendenz und gnoseologische Verzerrung, die Hypertrophierung und Verdrehung dieser oder jener Momente der Wirklichkeit miteinander verbinden. Wenn wir diese reaktionären und andere, ihnen verwandte Auffassungen widerlegen, so müssen wir zugleich doch die Gefahr berücksichtigen, die es in der internationalen kommunistischen Bewegung und in ihren einzelnen Abteilungen real gibt - die Gefahr nationalistischer und chauvinistischer Neigungen, die Gefahr des Abgleitens auf den W e g des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalismus. Wenn man sich mit dem Verhältnis von Nationalismus und Kommunismus, von Nationalismus und Marxismus befaßt, dann ist an die tiefschürfenden Gedanken W . I. Lenins zu diesem Problem zu erinnern. „Der Marxismus", schrieb Lenin in seinen „Kritischen Bemerkungen zur nationalen Frage", „ist unvereinbar mit dem Nationalismus, mag dieser noch so .gerecht', .sauber', verfeinert und zivilisiert sein. Der Marxismus setzt an die Stelle jeglichen Nationalismus den Internationalismus, die Verschmelzung aller Nationen zu einer höheren Einheit, die vor unseren Augen wächst mit jedem Eisenbahnkilometer, mit jedem internationalen Trust, mit jedem (in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit sowie in seinen Ideen und seinen Bestrebungen internationalen) Arbeiterverband." 1 6 Bedeutet dies, daß der Marxismus das Prinzip der Nationalität und den Nationalismus einfach negiert, ohne eine historische und klassenmäßige Analyse dieser Begriffe zu geben? Natürlich nicht. Der Marxismus erkennt das Nationalitätsprinzip als in der bürgerlichen Gesellschaft historisch unvermeidlich an. Er erkennt die historische Gesetzmäßigkeit und eine bestimmte Progressivität der nationalen Bewegungen an. Der Marxismus verwandelt diese Anerkennung jedoch nicht in eine Apologie des Nationalismus. Er klärt, was es an Fortschrittlichem
)a
Die Aufgaben des Kampfes gegen den Imperialismus in der gegenwärtigen Etappe und die Aktionseinheit der kommunistischen und Arbeiterparteien,
aller
antiimperialistischen
Kräfte, in: Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien.
Moskau
1 9 6 9 , Berlin 1 9 6 9 , S. 44. 16
W . I. Lenin, Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, in: Werke, Bd. 20,
Berlin
1 9 6 5 , S. 1 9 .
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in diesen Bewegungen gibt; achtet dabei jedoch darauf, daß dies nicht zur Verdunkelung des proletarischen, internationalistischen Bewußtseins führt. W. I. Lenin, der ein Aktionsprogramm in der nationalen Frage für die Partei des Proletariats sowohl vor dem Sieg der proletarischen Revolution als auch danach ausgearbeitet hat, zog einen klaren Trennungsstrich zwischen der positiven und der negativen Seite des Nationalismus: „Jedes feudale Joch, jede nationale Unterdrückung, jedwede Privilegien einer der Nationen oder Sprachen abzuschütteln ist die unbedingte Pflicht des Proletariats als einer demokratischen Kraft, ist das unbedingte Interesse des proletarischen Klassenkampfes, der durch den nationalen Hader verdunkelt und gehemmt wird. Aber den bürgerlichen Nationalismus über diese streng gezogenen, durch einen bestimmten historischen Rahmen gegebenen Grenzen hinaus zu fördern heißt das Proletariat verraten und sich auf die Seite der Bourgeoisie schlagen. Hier gibt es eine Grenze, die oft sehr fein gezogen ist . . ,"17 W. I. Lenin hat den Marxismus allseitig mit neuen Gedanken bereichert, so auch über die Errichtung eines multinationalen sozialistischen Staates, über den bevorstehenden Sieg des proletarischen Internationalismus und über die Notwendigkeit, in der nationalen Frage mit zwei Neigungen zu kämpfen - dem Großmachtchauvinismus und dem lokalen Nationalismus. Zum tieferen Verständnis der Leninschen Traditionen des Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie und ihrer gegenwärtigen Bedeutung wenden wir uns nun der Analyse jener Prinzipien der ideologischen Arbeit zu, die Lenin in seinem Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" formuliert hat. Er schrieb diesen Artikel, der dem Arbeitsprogramm der Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus" gewidmet war, unter dem Aspekt der historischen Lage und des konkreten Verhältnisses der Klassenkräfte, wie sie sich gegen 1922 gestaltet hatten. Das bedeutet keineswegs, daß die Leninschen Direktiven heute nur historische Bedeutung besäßen. Im Gegenteil: Lenins Direktiven und Ratschläge an die Zeitschrift sind - wie im weiteren gezeigt wird - auch in der Gegenwart von höchster Aktualität. Sie sind ein echtes philosophisches Vermächtnis, eine Ausarbeitung umfassender Aufgaben bei der schöpferischen Entwicklung des marxistisch-leninistischen philosophischen Denkens. Lenins Hinweise stellen auch heute ein konkretes Kampfprogramm unserer ideologischen Arbeit dar. Darin besteht ja die gedankliche Kraft der Leninschen Arbeiten, daß sie ein Beispiel für die dialektische Verbindung des Besonderen und des Allgemeinen, ein Beispiel für die Fähigkeit liefern, jede beliebige konkrete Situation einzuschätzen, daß sie Hinweise geben, wie man in jedem gegebenen Bereich in einer bestimmten Zeit, unter Berücksichtigung der allgemeinen Aufgaben der Arbeiterbewegung, der proletarischen Revolution, der allgemeinen Aufgaben des Kampfes, für den Kommunismus arbeiten muß. 17
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Ebenda, S. 20.
Welche Forderungen wurden nun an die marxistisch-leninistische Theorie in der Übergangsperiode der Jahre 1921-1922 gestellt? Es war dies eine Zeit, in der der erste Sturm auf den Kapitalismus im allgemeinen abgeschlossen war und das Proletariat, das ein Sechstel des Erdballs erobert hatte, daran ging, die Erfahrungen der Revolution zu verallgemeinern und sie dabei auf dem Wege des sozialistischen Aufbaus im Lande der proletarischen Diktatur auszubauen. In seinem „Referat über die Taktik der KPR" auf dem III. Kongreß der Komintern im Jahre 1921 sprach Lenin über die Situation in dieser Periode und hob hervor: „Die Entwicklung der internationalen Revolution, die wir vorausgesagt haben, schreitet vorwärts. Aber diese Vorwärtsbewegung ist nicht so geradlinig, wie wir erwartet haben . . . Gegenwärtig ist eine gründliche Vorbereitung der Revolution und ein tiefschürfendes Studium ihrer konkreten Entwicklung in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern notwendig . . . Für unsere Russische Republik müssen wir diese kurze Atempause dazu benutzen, unsere Taktik dieser Zickzacklinie der Geschichte anzupassen."18 Bei der weiteren Charakterisierung der Besonderheit dieser Etappe sagte Lenin im März 1922: es gibt meiner Überzeugung nach sowohl in unserer internationalen als auch in unserer inneren Lage etwas, das einem gewissen Umschwung in der Politik ähnelt und . . . besondere Aufmerksamkeit erfordert, damit dieser Umschwung in der Politik ganz begriffen, richtig aufgefaßt und in der Arbeit in der Sowjet-, der Partei-, der Gewerkschafts- und jeder sonstigen Arbeit durchgesetzt wird".19 Worin bestand das Wesen jenes Umschwungs, von dem Lenin sprach? Seit dem Beginn der NÖP war ein Jahr vergangen. Innerhalb des Landes hatte die bolschewistische Partei ein kompliziertes Manöver vollführt - einen Rückzug. Lenin stellte fest, „daß wir den Rückzug, den wir begonnen haben, bereits einstellen können und ihn auch einstellen"; „Weiter zurück werden wir nicht gehen, sondern uns damit befassen, die Kräfte richtig zu entfalten und zu gruppieren".20 Und diesen Gedanken weiterführend, schrieb Lenin: „Der Rückzug ist beendet, und im Zusammenhang damit ändert sich auch unsere Arbeit."21 Es ist klar, daß sich die Veränderung der Bedingungen auch auf die Aufgaben an der ideologischen Front auswirken mußte. Es war nötig, auch hier zum entschiedenen Angriff überzugehen. Indessen bot sich auf diesem Gebiet seinerzeit folgendes Bild. Die Große Sozialistische Oktoberrevolution hatte den Ausbeuterklassen unseres Landes einen entscheidenden Schlag versetzt. Damit war auch der Ideologie der Ausbeuter18
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20 21
W . I. Lenin, III. Kongreß der Kommunistischen Internationale, in: Werke, Bd. 32, Berlin 1963, S. 503 f. W . I. Lenin, Über die internationale und die innere Lage der Sowjetrepublik, in: Werke, Bd. 33, Berlin 1963, S. 197. Ebenda, S. 204, 206. Ebenda, S. 208.
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klassen, der bürgerlichen idealistischen und mystischen Philosophie, die bis zum Oktober im Lande geherrscht hatte, ein vernichtender Schlag versetzt worden. In den Jahren 1917/1918 hörten die Petersburger Philosophische Gesellschaft und die Moskauer Psychologische Gesellschaft, die das Bollwerk der Idealisten und Mystiker jeglicher Provenienz waren, auf zu existieren. Ein Teil der bürgerlichen Philosophieprofessoren floh ins Ausland, ein anderer Teil verbarg sich und wartete auf bessere Zeiten. Die Neue Ökonomische Politik, die eine gewisse Auferstehung des Kapitalismus im Lande zuließ, führte auch zu einer gewissen Renaissance der bürgerlichen, vor allem menschewistischen Ideologie. Auch im Lager der idealistischen Reaktion wurde es lebendig. Die alten Professoren begannen, aus ihren Löchern hervorzukriechen. Die Petersburger Philosophische Gesellschaft und ihre Filialen entstanden neu. Eine Reihe von privaten und „genossenschaftlichen" Verlagen mit höchst bescheidenen Namen wie „Bereg" („Das Ufer"), „Sejatel' " („Der Sämann") und „Vremja" („Die Zeit") wurden gegründet und begannen zu arbeiten. 1922 erschien erstmals die reaktionäre Zeitschrift „Mysl'" („Der Gedanke"), in der Vvedenskij, Losskij, Radlov und andere aktiv gegen die marxistische Philosophie ins Feld zogen und unverhüllt die Mystik und das Pfaffentum verteidigten. Die Verkünder des Idealismus, des Schwarzhundertertums und des Mystizismus träumten vom Anbruch einer „ideologischen NÖP". Berdjaev, Bulgakov, Stepun und andere traten unter der Flagge der „religiösen Überwindung des Sozialismus" auf; Radlov, Karsavin, Ajchenval'd und Frank setzten sich für eine „religiös-mystische Erneuerung" ein. Die bürgerliche idealistische Reaktion bemühte sich, die „Träger des russischen religiösen Bewußtseins" wie Leont'ev und Sobol'ev auszunutzen. Izgoev, ein den Kadetten nahestehender Schriftsteller, den Lenin wiederholt entlarvt hatte, verkündete, daß die „Persönlichkeit . . . über den Klassen" stehen müsse und sich „vor keiner Staatsmacht" zu beugen brauche. Der Historiker Wipper sprach von der Notwendigkeit, von der materialistischen zur idealistischen Anschauung überzugehen. Die „diplomierten Lakaien" der bürgerlichen Ideologie wirkten so lange ziemlich aktiv weiter, bis die proletarische Revolution diese Reste der Ausbeuterklassen aus dem Lande jagte. Um sich die Lage auf dem Gebiet der Ideologie vorstellen zu können, muß man auf das Buch N. Bucharins „Teorija istoriceskogo materializma" („Die Theorie des historischen Materialismus") eingehen, das 1921 erschienen war und beträchtliche Verbreitung gefunden hatte. 22 Dieses Buch war eine wahre Enzyklopädie des Mechanizismus und erhob außerdem noch den Anspruch auf eine „Weiterentwicklung des Marxismus" und gar auf die „Reinigung" der Arbeiten Marx' und Engels' von „jeglichen idealistischen Beimengungen", wie im Buch unumwunden erklärt wurde. Die theoretische Grundlage der „Untersuchung" Bucharins bildete die mechanistische Gleichgewichtstheorie. Sie stellte für die 22
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N. Bucharin, Theorie des historischen Materialismus, Hamburg 1 9 2 2 .
Bucharinanhänger das programmatische Dokument in den wichtigsten theoretischen und politischen Fragen jener Zeit dar. 23 So kompliziert und buntscheckig war zu jener Zeit die Lage auf ideologischem Gebiet. Lenins Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" wurde zum wirksamen Kampfprogramm der schöpferischen theoretischen Arbeit im Bereich der Philosophie und des Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie. In seinem Artikel hat W . I. Lenin nicht nur ein Programm für die Tätigkeit der Zeitschrift entworfen, sondern im Grunde tiefschürfend die wichtigsten Tendenzen des ideellen Lebens der großen Epoche des Aufbaus von Sozialismus und Kommunismus untersucht, hat er die allgemeine geistige Atmosphäre dieser Epoche aufgedeckt und analysiert. Lenin stellte fest, daß alle Erscheinungen im Bereich des ideologischen Lebens, nämlich das unverhüllte und zynische Auftreten der „Anhänger der Leibeigenschaft" und der Konservativen gegen die proletarische Revolution und den Sozialismus, die trügerischen Auffassungen der bürgerlichen „Gelehrten", die sich unter der „Toga der Wissenschaftlichkeit" verbergen, der lächerliche und reaktionäre Anspruch, sich in der Philosophie über die beiden „Extreme" - das materialistische und das idealistische - zu erheben, die Versuche, die alten und morschen religiösen Vorurteile durch „neueste und noch abscheulichere und niederträchtigere Vorurteile" zu ersetzen, die Liebedienerei vieler Wissenschaftler vor der herrschenden Bourgeoisie - , daß alle diese und andere derartige Erscheinungen nicht nur Phänomene der Gegenwart sind, sondern im ideologischen Kampf der beiden widerstreitenden Hauptkräfte der Gegenwart - des Kapitalismus und des Kommunismus - eine noch weitere Verbreitung finden würden. Lenin ging davon aus, daß der ideologische Kampf gegen die direkten und indirekten, die offenen und die getarnten Gegner des Kommunismus eine überaus wichtige Gesetzmäßigkeit der Entstehung der neuen Gesellschaft darstellt. Die Hauptprognose Lenins lautete, daß der Widerstreit der beiden sozialökonomischen Systeme - des Sozialismus und des Kapitalismus - den Bereich des ideologischen Kampfes außerordentlich ausweiten, die Formen und Methoden dieses Kampfes wandeln und die Heftigkeit der ideologischen Auseinandersetzungen verstärken werde. Lenins Voraussagen beruhten auf dem ganzen System seiner Auffassungen über den Kampf der beiden Ideologien - der sozialistischen und der bürgerlichen. Hatte er schon in seiner programmatischen Schrift „Was tun?" die überaus wichtige Feststellung betont, daß jede Schmälerung der sozia-
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W i e Bucharin erklärte, w a r die „Theorie des historischen Materialismus" nicht nur die Frucht seiner eigenen Arbeit. Das Buch entstand aus einer Diskussion in einem Seminar, das Bucharin zusammen mit J. P. Denike leitete. In diesem Seminar wurden
Slepkov,
Marckij, Astrov, Sapoznikov und andere erzogen, die sich mit dem Banner des Marxismus tarnten, den Marxismus jedoch deformierten. Denike war früher Menschewiki und wurde später zum engsten Mitstreiter Hilferdings und zu einem der Schöpfer der Theorie des „organisierten Kapitalismus".
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listischen Ideologie zu einer Stärkung der bürgerlichen Ideologie führt 24 , so formulierte Lenin in dem Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" die umfassende Aufgabe, den dialektischen Materialismus und den Marxismus im ganzen zu verteidigen und schöpferisch weiterzuentwickeln. 25 W. I. Lenin sah voraus, daß die Angriffe auf den Marxismus und den Materialismus über lange Zeit hin geführt werden und ein charakteristisches Merkmal der gesamten Epoche des Aufbaus von Sozialismus und Kommunismus sein würden. Daher rief er zu ideologischer Scharfsichtigkeit, politischer Wachsamkeit und wissenschaftlicher Prinzipienfestigkeit auf. Er sprach von der Notwendigkeit einer ernsthaften Stählung sowie der Erhöhung des ideologisch-politischen Niveaus der Vertreter der marxistischen theoretischen Front, weil ohne eine solche konsequente und allseitige Tätigkeit die Hauptschlachten in dem sich ausdehnenden ideologischen Kampf nicht gewonnen werden können. In seinem Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" deckt Lenin die besonders große Bedeutung der philosophischen Grundlage der marxistischen Lehre - des dialektischen Materialismus - auf. Man kann keinen wirksamen Kampf für den Marxismus, die wahrhaft wissenschaftliche Gesellschaftstheorie, führen, ohne gleichzeitig seine philosophische Grundlage, die marxistische philosophische Weltanschauung, zu vertreten, zu verteidigen und zu entwickeln. Der Sinn dieser Leninschen Voraussichten erschließt sich uns heute mit besonderer Kraft und Aktualität; denn die gegenwärtigen Antimarxisten, Antikommunisten und die in ihrem Gefolge befindlichen Revisionisten ziehen gerade gegen die marxistisch-leninistische Philosophie, gegen den dialektischen und historischen Materialismus zu Felde. Der dialektische und historische Materialismus, so viele Male schon von Kritikern und Fälschern „erschlagen", spielt in der heutigen Welt eine immer größere Rolle; er hat sich zu seiner ganzen Größe erhoben und übt gewaltigen weltanschaulichen Einfluß auf die breiten Massen der Werktätigen, auf progressiv gesinnte Naturwissenschaftler, auf weite Kreise der Öffentlichkeit der kapitalistischen Länder aus. Eben deshalb ziehen heute alle Kräfte der sterbenden alten Welt, alle ihre Helfershelfer und alle ihre ideologischen Parteigänger gegen die wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse zu Felde. So bemerkt beispielsweise ein gewisser Steinberg, daß der „Diamat und seine Überwindung das entscheidende Problem der nächsten Jahrzehnte" ist.26 Die bürgerlichen Ideologen versuchen - zum ungezählten Male bereits - , die Grundlagen des dialektischen und historischen Materialismus zu „widerlegen" und die tiefe, organische Einheit zu sprengen, die sowohl zwischen den drei Bestandteilen des Marxismus-Leninismus im allgemeinen als auch zwischen der philosophischen Basis und der Gesamtheit der revolu24
Siehe W. I. Lenin, Was tun?, in: Werke, Bd. 5, Berlin 1958, S. 396.
25
Siehe W. I. Lenin, Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus, in: Werke, Bd. 33, a. a. O., S. 2 1 3 ff.
26
24
H. Steinberg, Marxismus - Leninismus - Stalinismus, Hamburg 1955, S. 11.
tionären Weltanschauung im besonderen besteht. Und es spricht keineswegs für die bürgerliche Ideologie, wenn angesichts der ungezählten gescheiterten Versuche dieser Art Theodor Steinbüchel resignierend und zugleich fordernd feststellt: „Wer ohne die Kenntnis der letzten philosophischen Überzeugungen von Marx den Marxismus kritisieren wollte, dessen Kritik würde immer nur oberflächlich bleiben . . ," 2 7 Wie schon mehrfach in der Vergangenheit, so bemühen sich viele bürgerliche Ideologen und Revisionisten, die den Marxismus verbal anerkennen, auch heute, ihn durch eine „Vereinigung" mit dem Positivismus, dem Existentialismus, dem Neothomismus, dem Freudismus und anderen philosophischen Richtungen zu „verbessern". Es gibt kaum eine philosophische Lehre, mit der die Gegner des Marxismus ihn heute nicht zu verbinden versuchen - mit der Lehre des Thomas von Aquino, mit der Freuds, Wittgensteins und vieler anderer Philosophen, Theologen und Soziologen. Die Gegner des Marxismus und seine scheinbaren Freunde behaupten, die dem Marxismus angeblich eigenen Mängel seien dadurch bedingt, daß dem Marxismus eine moderne philosophische Basis fehle. Darum brauche man der Theorie des wissenschaftlichen Kommunismus nur eine andere weltanschauliche Basis „anzugliedern", dann werde das Wunder der Wandlung und „Erneuerung" geschehen. Erinnern wir beispielsweise an den schon typisch gewordenen Versuch, aktuelle Probleme der gegenwärtigen sozialen Prozesse unter der Flagge einer Vereinigung des Marxismus mit dem Freudismus zu analysieren und die Ergebnisse als wissenschaftlich zu charakterisieren. Der Neofreudismus stellt nach wie vor eine weit verbreitete Richtung der gegenwärtigen bürgerlichen Philosophie dar. Wir wählen dieses Beispiel bewußt, weil zugegeben werden muß, daß der Kritik des Neofreudismus in unserer ideologischen Arbeit zu wenig Beachtung geschenkt wird. Was seine Popularität in der westlichen Welt angeht, ist er wohl eine der einflußreichsten Richtungen des philosophischen Subjektivismus. Die Besonderheit dieser Richtung zeigt sich darin, daß sie eine breite weltanschauliche Basis für die verschiedensten soziologischen und sozialpsychologischen Konzeptionen bildet. Der amerikanische Soziologe D. Bell, der den Versuch einer umfassenden Klassifikation sozialer Theorien unterschiedlichen Niveaus unternahm, stellte fest, daß der Freudismus häufig die philosophische Grundlage unterschiedlichster Doktrinen bildet. 28 Es ist im höchsten Maße kennzeichnend für den Einfluß des Subjektivismus und die Versuche sogenannter weltanschaulicher „Verschmelzungen", wenn auch moderne Psychoanalytiker - wie auch andere Humanwissenschaftler - für eine „Vereinigung" der Psychoanalyse mit dem Marxismus eintreten. So bemerkte R. Osborn, daß er bei seinen Überlegungen immer „wieder auf das Anliegen 27 28
Th. Steinbüchel, Sozialismus, Tübingen 1950, S. 38. Siehe D. Bell, The End of Ideology. On the Exhaustion of Political Ideas in the Fifties, New York 1961, S. 331 ff.
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zurückkomme, Marxisten zu überzeugen, die psychoanalytische Theorie zum integralen Bestandteil ihrer Weltanschauung zu machen". 29 Nach Osborns Ansicht würde eine solche „Operation" dem Marxismus „helfen", seine „Einseitigkeit" zu überwinden; und der durch die Errungenschaften des Marxismus bereicherte Neofreudismus würde sich in eine ganzheitliche Lehre vom Menschen verwandeln. Osborn behauptet, daß die Psychoanalyse zahlreiche Bestätigungen für die Fundiertheit der Hauptprinzipien des dialektischen Materialismus liefere. Andererseits betont er die Notwendigkeit, die Marxsche Aussage, daß das menschliche Bewußtsein durch das gesellschaftliche Sein bestimmt wird, psychoanalytisch zu „fundieren". E r mißt also der Psychoanalyse, die gewisse Errungenschaften bei der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft aufzuweisen hat, ungerechtfertigt eine umfassende sozial-philosophische Bedeutung bei. 30 Wenn man über diese Äußerungen Osborns nachdenkt, fällt einem unwillkürlich die treffende Charakteristik ein, die W. I. Lenin auf jene bezog, die den Marxismus eklektisch mit verschiedenen Doktrinen zu vereinigen suchten, „weil sie reaktionären philosophischen Moderichtungen nachjagten und sich vom Flitterglanz des angeblich ,letzten Wortes' der europäischen Wissenschaft täuschen ließen, unfähig, hinter diesem Flitterglanz die eine oder andere Spielart des Lakaientums vor der Bourgeoisie und ihren Vorurteilen, vor dem reaktionären Geist der Bourgeoisie zu erkennen". 31 Ohne exakte Klassenkriterien zu besitzen, unfähig, die realen Mechanismen der sozialen Entwicklung zu sehen, „entdeckte" Osborn in der modernen Welt das Wirken allein von irrationalen Kräften, deren Flut ihn in Panik versetzte, zur Flucht aus der Wirklichkeit veranlaßte und theoretisch blind werden ließ. D a s Interesse an der Psychoanalyse hat auch die philosophische Entwicklung Herbert Marcuses wesentlich beeinflußt. Unter dem Einfluß des in den dreißiger Jahren modischen Prozesses der „Soziologisierung" der Psychoanalyse (des Eindringens dieser Methode in die Sozialwissenschaften, in die Geschichte, die Anthropologie und Ethnographie, die Rechtswissenschaft und andere Disziplinen) schrieb Marcuse die Arbeit „Eros and Civilization", in der er versuchte, die positiven Ergebnisse dieses Prozesses zu „begreifen". 3 2 Marcuse, der die kapitalistische Wirklichkeit analysiert, geht in seinen Arbeiten von folgender Prämisse aus: Die Herrschaft der Bourgeoisie wird von Generation zu Generation nicht so sehr deswegen weitergegeben, weil die früheren Produktionsverhältnisse reproduziert werden, als vielmehr dadurch, daß dieselbe Persönlichkeitsstruktur reproduziert wird, daß jene Struktur der Persönlichkeit weitergegeben wird, die 29
R. Osborn, Marxism and Psychoanalysis, N e w York 1 9 6 7 ; hier zit. nach dt. Übersetzung: Marxismus und Psychoanalyse, Frankfurt a. M. 1970, S. 20.
30
Siehe ebenda, S. 20 ff.
31
W. I. Lenin, Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus, in: Werke, Bd. 33, a. a. O.,
32
Siehe H. Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft. Psychoanalyse und Politik, Frankfurt
S. 214. a. M. 1965.
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einer bestimmten Formation eigen ist. Daraus zieht er die Schlußfolgerung: Der Kapitalismus zeigt Lebenskraft, weil er automatisch Menschen hervorbringt, die an diese Gesellschaft angepaßt sind, die sich an seine Mechanismen gewöhnt haben. 33 Ein solcher Standpunkt hebt die Frage nach den Klassengegensätzen des Kapitalismus praktisch auf: Im Kapitalismus gibt es keine „einheitliche Persönlichkeitsstruktur", sondern es existieren verschiedene „Persönlichkeitsstrukturen", die mit der Klassensituation der Menschen zusammenhängen. Nicht berücksichtigt werden außerdem sowohl das Anwachsen der Widersprüche im Kapitalismus als auch die Veränderungen in den „Strukturen der Persönlichkeiten", zu denen es in diesem Zusammenhang kommt. Marcuse meint, der heutige Marxismus müsse vor allem die in der bürgerlichen Gesellschaft herrschende psychologische Unterdrückung großer Gruppen von Menschen studieren. 34 Der Marxismus hat bekanntlich den psychologischen Aspekt der Unterdrükkung der Massen in der bürgerlichen Gesellschaft nie außer acht gelassen. Doch •die Problemstellung bei Marcuse, die dem modernen Revisionismus beinahe als •das „letzte Wort" der Wissenschaft gilt, enthält in Wirklichkeit nichts Neues. Berücksichtigt man, daß Marcuse die psychologische Unterdrückung der Persönlichkeit hauptsächlich in biologisch-psychologischer oder psychoanalytischer Hinsicht betrachtet, so bedeutet das im Grunde genommen nichts anderes als eine Rückkehr zum Biologismus und Anthropologismus, von deren Positionen aus bekanntlich keines der komplizierten sozialen Probleme der Gegenwart verstanden, geschweige denn gelöst werden kann. Die angeführten Beispiele machen deutlich, wie wichtig für uns auch in der heutigen Zeit das Vermächtnis W. I. Lenins ist, die philosophischen Grundlagen des Marxismus unermüdlich gegen alle modischen Strömungen und gegen die verschiedensten Versuche, den Marxismus zu „verbessern" oder zu „erneuern", die Philosophie des Marxismus mit bourgeoisen Weltanschauungssystemen zu „vereinigen", konsequent zu verteidigen. Die wichtigste Überlegung zu der hier behandelten Problematik, die sich in allen Arbeiten Lenins findet und die speziell in dem Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" deutlichen Ausdruck gefunden hat, ist der Gedanke vom Klassencharakter des ideologischen Kampfes. Lenin sah voraus, daß sich im Rahmen der „verwissenschaftlichten" Ideologie in der kapitalistischen Gesellschaft ein pseudowissenschaftliches, direktes Lakaientum gegenüber der herrschenden Bourgeoisie entwickeln würde. Er schrieb: „Dietzgen der Ältere . . . brachte die Grundauffassung des Marxismus von den philosophischen Richtungen, die in den bürgerlichen Ländern herrschen und unter ihren Gelehrten und Publizisten Ansehen genießen, richtig, treffend und klar zum Ausdruck, als er 33
Siehe H. Marcuse, D e r eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied-Berlin (West) 1967.
34
Siehe R. Steigerwald, Herbert Marcuses dritter Weg, Berlin 1969.
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sagte, daß die Professoren der Philosophie in der modernen Gesellschaft in der Mehrzahl der Fälle tatsächlich nichts anderes sind als ,diplomierte Lakaien der Pfafferei'." 35 W. I. Lenin meinte nicht nur jene bürgerlichen Ideologen, die sich offen mit der religiösen Weltanschauung, mit dem philosophischen Idealismus verbanden, sondern auch jene „Denker", die, getarnt durch ihren akademischen Rang, reaktionären Ideen dienten und die Interessen der überlebten kapitalistischen Ordnung verteidigten. Bei der Entwicklung der These vom Klassencharakter des ideologischen Kampfes spürt Lenin allseitig den Beziehungen zwischen den Auffassungen der einzelnen bürgerlichen Ideologen und ihrer Abhängigkeit von der herrschenden Klasse nach. Lenin schreibt von der „staatlichen", „allgemein wirtschaftlichen", „alltäglichen" und von anderen Abhängigkeiten der „modernen gebildeten Leute von der herrschenden Bourgeoisie". Man braucht sich nur die Situation eines Professors in einem beliebigen kapitalistischen Land, seinen Wunsch, mit allen Mitteln seinen Lehrstuhl zu behalten, und die daraus folgende Bereitschaft, täglich die eigene Orthodoxie zu demonstrieren, vorzustellen, um sich von der beeindruckenden Gründlichkeit und Richtigkeit dieser Leninschen Einschätzung zu überzeugen. Lenin schrieb: „Man braucht sich nur an die übergroße Mehrzahl der in den europäischen Ländern häufig auftauchenden philosophischen Moderichtungen zu erinnern, angefangen beispielsweise mit denen, die an die Entdeckung des Radiums anknüpften, bis zu denen, die sich heute an Einstein zu klammern suchen, um eine Vorstellung von dem Zusammenhang zu bekommen, der zwischen den Klasseninteressen und der Klassenstellung der Bourgeoisie sowie der Unterstützung, die sie jeglichen Formen der Religion gewährt, und dem Ideeninhalt der philosophischen Moderichtungen besteht."36 Lenin betonte die Notwendigkeit, die Verbindung zwischen den Klasseninteressen der Bourgeoisie und der Unterstützung idealistischer Moderichtungen durch die Bourgeoisie aufzudecken. Nicht weniger Bedeutung im Kampf gegen die bürgerliche Ideologie maß er der Aufdeckung der gnoseologischen Grundlagen dieser philosophischen Richtungen bei. Gerade die Verbindung von klassenmäßiger und gnoseologischer Analyse der zu kritisierenden Richtungen ist es, die dem marxistischen Kampf gegen die bourgeoise Ideologie Prinzipientreue, Schärfe und wissenschaftliche Fundiertheit verleiht. Die bürgerliche Gesellschaftswissenschaft zeigt in den letzten Jahrzehnten einen chronischen Niedergang. Ohne die Bedeutung dieser oder jener höchst wertvoller empirischer Ergebnisse zu bestreiten, die in verschiedenen Bereichen der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaft gesammelt worden sind, kann mit vollem Recht festgestellt werden, daß die wirklich wertvollen Ergebnisse der bürger35
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W . I. Lenin, Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus, in: Werke, Bd. 33, a. a. O., S. 214. Ebenda, S. 2 1 4 f.
liehen Wissenschaft ihren Ursprung häufig im Marxismus haben, der um so erbitterter kritisiert wird, je mehr er als Objekt feigen geistigen Diebstahls und der bewußten Verzerrung dient. In der Tat, kann man denn auf dem Gebiet der Erklärung gesellschaftlicher Erscheinungen, auf dem Gebiet der Geschichte und der Methodologie, bei ökonomischen oder soziologischen Untersuchungen heute am „ökonomischen Faktor", an den Begriffen „Produktivkräfte" und „Produktionsverhältnisse", an den Problemen des Klassenkampfes in der Gesellschaft, an der Marxschen Lehre von Basis und Überbau usw. vorübergehen? Natürlich nicht! Doch, indem bürgerliche Theoretiker in gewissem Maße diese oder jene Seiten oder Elemente der marxistischen Lehre übernehmen, verdrehen sie die Hauptsache - das revolutionäre Wesen dieser Lehre, verzerren sie auch die von ihnen übernommenen Elemente und geben ihre eigenen Schlußfolgerungen und Konzeptionen, ihre methodologisch beschränkte und tendenziöse politische „Analyse" der konkreten Fakten und Daten als das letzte Wort der Wissenschaft aus. Weite Verbreitung hat in den kapitalistischen Ländern die Ideologie des Industrialismus erfahren. Unter dem Eindruck der Lawine von wissenschaftlichtechnischen Entdeckungen konstruieren die Ideologen des Kapitalismus verschiedenartige Konzeptionen, mit deren Hilfe versucht wird, den Prozeß der wissenschaftlich-technischen Revolution in gewissem Grade zu erklären, die Tendenzen und Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen Revolution zu verallgemeinern und die Zukunft vorauszusehen. Doch die „diplomierten Lakaien" des Kapitalismus, die die wissenschaftliche Methodologie zur Erkenntnis sozialer Erscheinungen nicht kennen, nicht anzuwenden wünschen und dazu auch nicht in der Lage sind, schaffen Konstruktionen und Doktrinen, die in der Regel unter Einseitigkeit, unter extremem Technizismus leiden und vom Unverständnis für das Wesen der Produktionsverhältnisse zeugen. Als Apologeten des Kapitalismus, die es nicht verstehen, über den Rahmen der Ideologie dieser Gesellschaft hinauszudenken, stellen sie sich die Zukunft entweder einfach als einen vervollkommneten Kapitalismus oder als eine Konvergenzgesellschaft vor, in der die Grundlagen des Kapitalismus erhalten bleiben. Diese Ideologen, die die Prozesse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts verallgemeinern, belegen die gegenwärtige gesellschaftliche Wirklichkeit mit den verschiedensten Termini: „Uberflußgesellschaft", „neuer industrieller Staat" (J. K. Galbraith), „postindustrielle Gesellschaft" (H. Kahn, D. Bell), „aktive Gesellschaft" (A. Etzioni), „tertiäre" und schließlich „quartäre Zivilisation" (J. Fourastie), „technotronische Zivilisation" (Z. K. Brzezinski). In seinem 1970 erschienenen Buch „Between Two Ages. America's Role in the Technotronic Era" läßt sich Brzezinski über das „technotronische Zeitalter" aus, das in Wirklichkeit nichts anderes als ein „modernisierter" Kapitalismus ist. Er ignoriert hartnäckig das Wesen, die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Bewegung und Entwicklung. Er meint, daß die Herausbildung und Entwicklung der neuen Gesellschaft ein Prärogativ der wissenschaftlich-technischen Revolu-
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tion sei. Daher die blinde Verbeugung vor der Computertechnik, die angeblich von allein zum allgemeinen Wohlstand führt, als „elektronische Macht" zur Lösung aller Probleme beiträgt. Brzezinski sieht die Aufgabe seiner Untersuchung darin, am Material der USA den Inhalt des „globalen" politischen und technischen Prozesses zu klären, der gegenwärtig in der Welt vor sich geht. „Heute", schreibt er, „beginnen die am weitesten entwickelten Industrieländer (in erster Linie die USA) vom industriellen Stadium ihrer Entwicklung zu einer Epoche überzugehen, in der die Technik, insbesondere die Elektronik (daher mein Neologismus ,Technotronik') zum Hauptfaktor wird, der die sozialen Wandlungen, die Veränderung der Sitten, der sozialen Struktur und der Wertvorstellungen der Gesellschaft insgesamt bestimmt." 37 Der extreme Technizismus Brzezinskis wird in dieser Äußerung völlig deutlich. D i e Technik ist der bestimmende Faktor aller Elemente, aller Seiten des Lebens der Gesellschaft überhaupt. Brzezinski zählt in seinem Buch die Hauptmerkmale auf, die die „technotronische" Gesellschaft von der „industriellen" unterscheiden: Schaffung einer Dienstleistungswirtschaft, privilegierte Stellung der Spezialisten, theoretisches Wissen als Hauptquelle von Neuerungen, Spontaneität des technischen Fortschritts, Schaffung von „intellektueller Technik". Wie wir sehen, ist hier von allem die Rede, nur nicht vom Wichtigsten, von der Hauptsache - wie die soziale Ordnung aussehen soll, von welcher A r t die sozialen Verhältnisse in der „technotronischen Gesellschaft" sind. Brzezinski umgeht diese Frage, da er - wie seine ganze „Untersuchung" zeigt - glaubt, d a ß die soziale Ordnung einer solchen Gesellschaft kapitalistisch sein wird. So werden unter der Flagge der „Wissenschaftlichkeit" Untersuchungen angestellt, deren direkte Aufgabe es ist, für die Ausbeutergesellschaft den Eindruck von Stärke und Ewigkeit hervorzurufen. Eben darum ist das Leninsche Pathos des Kampfes gegen die Apologeten des Kapitalismus, das so kräftig in dem Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" zum Ausdruck kommt, sind seine tiefgründigen Verallgemeinerungen und Hinweise auch heute eine überaus starke ideologische Waffe. Außer der Begeisterung f ü r den Industrialismus kann man bei vielen heutigen Ideologen der bürgerlichen Gesellschaft auch eine Neigung zu mythologischen Überlegungen und Auffassungen feststellen. Sie drücken sich entweder in eschatologischen Stimmungen oder in Gestalt von Aufrufen zur „Entideologisierung" des sozialen Lebens aus. Viele bürgerliche Soziologen entwerfen schreckliche Perspektiven, die sich angeblich aus dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt für die Menschheit ergeben. Sie prophezeien den Untergang der heutigen Zivilisation, sei es als Ergebnis eines Kernwaffenkrieges, als Folge einer Bevölkerungsexplosion oder als Ergebnis der „Überindustrialisierung". 37
Z. K. Brzezinski, Between T w o Ages. America's Role in the Technotronic Era, N e w York 1970, S. XIV.
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So schreibt bereits 1966 der amerikanische Soziologe Boulding: „Die dritte Gefahr auf dem Wege zur .Postzivilisation' (die beiden ersten: Krieg und Überbevölkerung - M. M.) bereitet uns die Technologie, die in unseren Tagen eigentlich auf Grundlagen beruht, die für die Gesellschaft verhängnisvoll sind. Sie basiert auf der Ausbeutung konzentrierter Vorkommen von Brennstoffen und Erzen, deren Vorräte begrenzt sind. Selbst beim heutigen Umfang des Verbrauchs werden sie in nicht allzu langen historischen Zeiträumen, die verglichen mit geologischen Perioden unendlich kurz sind, erschöpft sein. Wenn die ganze Menschheit das amerikanische Konsumtionsniveau erreicht, dann werden sich diese Ressourcen außerordentlich schnell erschöpfen. In dieser Hinsicht stellt die ökonomische Entwicklung einen Prozeß dar, der unerbittlich jenen schrecklichen Tag Näherbringt, an dem alles Erdöl, alle Kohle und alle Erze verschwunden sein werden und die Menschen zur primitiven Bearbeitung des Landes werden zurückkehren müssen." 38 So sieht in der Vorstellung dieses Soziologen das aussichtslose Bild der Zukunft aus, das in den Menschen Furcht und Verwirrung wecken und sie unfähig zum aktiven Kampf gegen die kapitalistische Wirklichkeit machen soll. Ein einprägsames Beispiel für den ideologischen Weitblick und die Unversöhnlichkeit gegenüber bürgerlicher Ideologie bilden Lenins Bemerkungen über die Zeitschrift „Ekonomist" (Nr. 1 von 1922), die von der XI. Abteilung der „Russischen Technischen Gesellschaft" herausgegeben wurde. Lenin schrieb: „In W i r k lichkeit stellt diese Zeitschrift - ich weiß nicht, inwieweit bewußt - ein Organ moderner Anhänger der Leibeigenschaft dar, die sich natürlich in die Toga der Wissenschaftlichkeit, des Demokratismus u. dgl. m. hüllen." 39 Lenin untersuchte die Thesen und Schlußfolgerungen eines in dieser Zeitschrift veröffentlichten Artikels, und zwar des Artikels von Pitirim A. Sorokin, zu einer „soziologischen" Untersuchung „Über den Einfluß des Krieges". Dieser Artikel, schrieb Lenin, „strotzt von gelehrten Hinweisen auf die .soziologischen' Werke des Verfassers und seiner zahlreichen ausländischen Lehrer und Kollegen", ist aber nach Lenins Meinung ein Beispiel dafür, „wie die moderne Quasi-Wissenschaft in Wirklichkeit als Schrittmacher der krassesten und niederträchtigsten reaktionären Anschauungen dient". 40 Lenin kritisierte scharf Sorokins Versuche, die Daten über Ehescheidungen in Petrograd (92 Scheidungen auf 10 000 Ehen) als eine „phantastische Zahl" hinzustellen, die angeblich vom negativen Einfluß der Revolution auf Ehe und Familie zeuge. Lenin erklärte, daß der Autor entweder absolut vom Leben isoliert ist oder „die Wahrheit zum Nutzen der Reaktion und der Bourgeoisie verfälscht". 41 In Wirklichkeit, so schrieb Lenin, ist gerade die bolschewistische Revo38
America, New York 1 9 6 6 , Nr. 1 2 1 , S. 33.
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W . I. Lenin, Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus, in: Werke, Bd. 33, a. a. O., S. 2 2 1 .
40
Ebenda.
41
Ebenda, S. 2 2 2 .
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l'Ution im Hinblick auf solche Fragen wie Ehe, Scheidung und die Lage der unehelichen Kinder die einzig konsequent demokratische Revolution gewesen. „Erst die bolschewistische Revolution", schrieb Lenin, „hat, trotz der großen Zahl der vorangegangenen und sich demokratisch nennenden bürgerlichen Revolutionen, in dieser Beziehung zum erstenmal einen entschiedenen Kampf geführt, und zwar sowohl gegen die reaktionären und leibeigenschaftlichen Zustände als auch gegen die übliche Heuchelei der herrschenden und besitzenden Klassen." 4 2 Einer scharfen Kritik unterzog W. I. Lenin die empirischen „soziologischen Untersuchungen" Sorokins, die unter der Flagge der Wissenschaftlichkeit der proletarischen Revolution und ihren wichtigsten Errungenschaften einen Schlag versetzen sollten. Lenin forderte eine konsequente Auseinandersetzung mit all jenen, die als „gebildete" Anhänger der Leibeigenschaft, als akademische Verteidiger des Zarentums die alte Ordnung direkt oder indirekt zurückforderten und die manchmal sogar im Dienst des Sowjetstaates standen und staatliches Gehalt für die Aufklärung der Jugend bezogen, „obwohl sie dazu nicht mehr taugten, als notorische Kinderschänder in der Rolle von Erziehern an Schulen für die unterste Altersstufe taugen würden". 4 3 Weiter heißt es bei Lenin, daß man „gegen die modernen .gebildeten' Anhänger der Leibeigenschaft . . . Krieg führen" muß und daß man Leute vom Schlage eines Sorokin „schon längst aufs höflichste in die Länder der bürgerlichen .Demokratie' hinauskomplementiert" haben müßte, wo sie „besser aufgehoben" wären 4 4 E s ist höchst interessant, wie sich das weitere Schicksal Sorokins gestaltete. E r emigrierte in die USA, wo er sich weiter mit Problemen der Sozialphilosophie befaßte und als Vertreter der sogenannten empirischen Soziologie bekannt wurde. A m E n d e seines Lebens wandelten sich seine Anschauungen jedoch beträchtlich. Man kannte Sorokin allgemein als einen Schöpfer und Verfechter der „Konvergenztheorie". Einige der Hauptthesen bei der „Entwicklung" dieser Doktrin gehen auf ihn zurück. Sorokin war der Ansicht, in ihrer reinen oder extremen Form seien sowohl der Kapitalismus als auch der Kommunismus „defekt und können die Bedürfnisse eines guten und bewußten Lebens der Menschheit in der Zukunft nicht befriedigen". 4 5 Im Unterschied zu Marx, der das Gesetz des notwendigen Wechsels der sozialökonomischen Formation entdeckt hat, behauptete Sorokin, daß die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens einem neuen „Gesetz der sozialen Veränderungen" unterworfen sei, das im Endeffekt zu einer „hybriden Gesellschaft" führe; die einzige Alternative eines thermonuklearen Weltkrieges sei die Schaffung der „einen Welt", der „integralen Gesellschaft". 4 6 42 43 44 45
46
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Ebenda. Ebenda, S. 223. Ebenda. P. A. Sorokin, Mutual Convergence of the United States and USSR. The Mixed Sociological Type, New York 1961, S. 3. Ebenda.
Im Jahre 1956 unterzog Sorokin - wie später in weiteren Schriften - jedoch die amerikanische Soziologie, speziell den in ihr anzutreffenden verabsolutierten Empirismus und Psychologismus, einer scharfen Kritik. 47 In heftiger Zuspitzung und mit mancher sarkastischen Überhöhung vertritt Sorokin in diesen Arbeiten die Auffassung, daß es in den USA keine Richtung des soziologischen und sozialpsychologischen Denkens gibt, die sich bei ihren Untersuchungen einer wirklich tragfähigen empirischen Methode bediene; vielmehr machten sich diese Richtungen mit ihren unzulänglichen Methoden und pseudowissenschaftlichen Verallgemeinerungen lächerlich. Sorokin kennzeichnet das übertriebene Streben nach Quantifizierung, das in allen diesen Richtungen als Kriterium für Wissenschaftlichkeit fungiert, bissig als „Quantophrenie", d. h. als scheinwissenschaftlichen Anspruch. Für psychologische Versuche, bei denen Versuchspersonen beschreiben sollen, was sie auf einem Blatt Papier, das mit einem Farbklecks versehen ist, „entdecken", und woraus dann prinzipielle Schlußfolgerungen für die psychologische Konstitution ableitbar sein sollen, prägt Sorokin die ironische Bezeichnung „Klecksographie". Und für die Hypertrophierung der statistischen Methode bei der Analyse und Erklärung sozialer Erscheinungen und Prozesse wählt Sorokin die Bezeichnung „Zifferologie". Zweifellos eine paradoxe Entwicklung für einen bürgerlichen Soziologen, der mit antisowjetischen Ausfällen begonnen hatte, dabei selbst pseudowissenschaftliche Auffassungen vertrat, am Ende seines Lebens aber gerade diese Methode wie die ganze „moderne Empirik" einer scharfen Kritik unterzieht und zu dem Urteil gelangt, daß diese Methoden mit Wissenschaft nichts zu tun haben und im allgemeinen unnütz sind. So bestätigte sich ein weiteres Mal der großartige wissenschaftliche Weitblick Lenins, der nicht nur die der proletarischen Revolution feindliche Tendenz erkannte, die den damaligen empirisch-soziologischen Konstruktionen Pitirim Sorokins innewohnte, sondern auch deren blankes theoretisches Elend klar erfaßte. In den kurzen Bemerkungen über die „soziologischen Untersuchungen" Sorokins zeigt sich auch Lenins tiefgründiges Herangehen an die Untersuchungen jener sozialen Prozesse, die durch die Große Sozialistische Oktoberrevolution hervorgerufen worden waren. Nur ein tiefes Verständnis für den Charakter der Revolution selbst sowie die Fähigkeit, die radikale Veränderung der sozialen Prozesse im Ergebnis der Revolution aufzudecken und zu verstehen - nur eine solche Ausgangsposition kann nach Lenin die Grundlage für eine wahrhaft wissenschaftliche Untersuchung, die Grundlage für konkrete soziologische Forschungen bilden. Man beschäftigt sich heute bei uns in der Sowjetunion viel mit konkreten soziologischen Untersuchungen. Das ist wirklich eine wichtige und notwendige wissenschaftliche Arbeit. Aber ohne eine klare methodologische Ausgangsposition, ohne bolschewistische Parteilichkeit, ohne Verständnis für die allgemeine Tendenz des 47
Siehe P. A. Sorokin, Fads and Foibles in Modern Sociology and Related Sciences, Chicago 1956.
3
Mitin, Ideologischer Kampf
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historischen Prozesses in Richtung auf den Kommunismus ist es sinnlos, „konkrete soziologische Untersuchungen" vorzunehmen, weil sie nur zu antiwissenschaftlichen, politisch und sozial schädlichen Schlußfolgerungen führen können. Wie Lenin betonte, ist eine deutlich ausgeprägte „tendenziöse Färbung" - sofern sie den progressiven Prozeß der Entwicklung der Gesellschaft widerspiegelt - gerade Ausdruck für die Wissenschaftlichkeit des Herangehens. Lenins Ausführungen und Auseinandersetzungen mit einem „Einzelfall" - nämlich mit Sorokin und seinen Ansichten - besitzen, da sie Grundfragen der Gesellschaftswissenschaften, Grundprobleme der soziologischen Analyse betreffen, für uns auch heute noch eine außerordentliche Bedeutung, nämlich für die Lösung entscheidender Fragen der soziologischen Forschung, die eine sehr wichtige Aufgabe unserer Gesellschaftswissenschaft ist. Der Kampf gegen den Marxismus wird heute auch in der Weise geführt, daß man die Bedeutung ideologischer Differenzen bestreitet. Weit bekannt ist die Konzeption der „Entideologisierung", deren Funktion darin besteht, das gesellschaftliche Bewußtsein von den Grundproblemen der sozialen Entwicklung abzulenken. „Unser Volk ist niemals Sklave einer Ideologie gewesen", schreibt der amerikanische Soziologe Arthur M. Schlesinger. Schlesinger, der unter Ideologie eine Gesamtheit systematisierter und erstarrter Dogmen versteht, sieht die Besonderheit der amerikanischen Nation in ihrem Anti-Ideologismus. E r schreibt: „ D i e Welt ist über die veralteten Ideologien hinweggeschritten und zu einer weitaus elastischeren und vitaleren Sozialstrategie gekommen. Heute ist bereits klar, daß die Frage nach dem Privateigentum und dem gesellschaftlichen Eigentum, die noch vor kurzem den Zankapfel in den Diskussionen über Politik und Wirtschaft der Entwicklungsländer bildete, nicht von dieser oder jener Ideologie entschieden werden darf. D a s ist eine rein praktische Frage: Welche Mittel sind für die Erreichung des gewünschten Ergebnisses am besten geeignet? Die richtige Antwort darauf wird nicht die Theologie liefern, sondern der Versuch und die Praxis. Ich würde sogar vorschlagen, die Termini .Kapitalismus' und Sozialismus' ganz aus unseren Diskussionen zu verbannen. Sie heizen die Atmosphäre an, bringen aber kein Licht in die Sache. Sie gehören zum Wörterbuch der Demagogie, nicht aber zu dem der Analyse." 4 8 Ohne hier näher auf diese unsinnigen Thesen einzugehen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, läßt sich hinsichtlich dieser kläglich gescheiterten Versuche bürgerlicher Ideologen, mit der These von der „Entideologisierung" dem Marxismus-Leninismus zu schaden und der bürgerlichen Ideologie aus der Krise zu helfen, folgende Feststellung treffen: Mehr als ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit die überaus wichtigen Charakteristika der ideologischen Prozesse von Lenin ausgearbeitet wurden, seit er die Aufgaben des Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie formuliert hat, doch ihre Aktualität und Bedeutung haben sie bis heute nicht verloren. /,s
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A. M. Schlesinger and M. White (Ed.), Paths of American Thought, Boston 1963, S. 5 3 6 .
Die Leninschen Prinzipien der Analyse und Kritik sowie des Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie sind ein Beispiel für die große Weisheit des Führers der proletarischen Revolution, der es verstanden hat, die praktische Leitung des Aufbaus des ersten sozialistischen Staates der Welt organisch mit tiefgründiger theoretischer Tätigkeit bei der schöpferischen Entwicklung der marxistischen Theorie, bei der Ausarbeitung der Strategie und Taktik unseres ideologischen Kampfes für den Sieg des Marxismus-Leninismus zu verbinden. Heute befindet sich der Marxismus-Leninismus in der Weltarena in einer großen historischen Offensive. D i e marxistisch-leninistische Theorie ist heute die dominierende Weltanschauung, die die soziale Dynamik, die globalen Prozesse der gesellschaftlichen Entwicklung und der wissenschaftlich-technischen Revolution aufdeckt und wissenschaftlich erklärt. Darin findet die grundlegende Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Welt ihren Ausdruck, zu der es im Zusammenhang mit den Erfolgen der sozialistischen Länder, mit dem Kampf der Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder für ihre Interessen, im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Imperialismus, mit dem Zusammenbruch des Kolonialismus und vielen anderen sozialökonomischen und politischen Prozessen gekommen ist. Einige aktuelle Probleme des sozialen Prozesses und der sozialen Erkenntnis sollen hier aufgegriffen werden, Probleme, zu denen im Rahmen des dialektischen und historischen Materialismus Diskussionen stattgefunden haben, Probleme, deren wissenschaftliche Behandlung in der Gegenwart von besonders großer Bedeutung ist. D i e gegenwärtige Epoche ist die Epoche des weltweiten Ubergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, ist die Epoche des Kampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Das ist ein globaler sozialer Prozeß gewaltigen Maßstabs, ein vielgestaltiger Prozeß, der alle Bereiche der Gesellschaft erfaßt hat. E r offenbart sich in der sozialökonomischen Basis und im Überbau der Gesellschaft; er äußert sich in der Wirtschaft, in der Produktion materieller Güter, in den politischen Verhältnissen, in der Lebensweise der Menschen, in ihrer Kultur und in ihrem Inneren. W i r haben es mit einer Epoche zu tun, in der die Antagonismen des Kapitalismus die bürgerliche Gesellschaft in schwere Auseinandersetzungen stürzen und tiefe Krisen hervorbringen. Auf der andern Seite offenbaren sich die Kräfte und Potenzen des Sozialismus in seinem ununterbrochenen dynamischen Wachstum. Und diese Entwicklung vollzieht sich unter dem Banner einer wahrhaft wissenschaftlichen und zugleich revolutionären Weltanschauung - ausgearbeitet von Karl Marx und Friedrich Engels und für unsere Zeit und Epoche von Wladimir Iljitsch Lenin schöpferisch weiterentwickelt. Gerade in einer so komplizierten, vielseitigen und mehrdimensionalen Epoche, in der sich die Wirklichkeit als eine Gesamtheit von in der Vergangenheit beispiellosen Tempi der Entwicklung von Wissenschaft und Technik, sozialen Konflikten, einer beispiellosen Vielfalt der Formen des Klassenkampfes, von extre3*
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men Konfrontationen zum Teil globalen Charakters darstellt, wird die soziale Erkenntnis und mehr noch das richtige soziale Handeln besonders schwierig und erfordert ein besonders tiefes Eindringen in den Sinn und das Wesen der vor sich gehenden Ereignisse. Unter diesen Bedingungen, und dies kann man mit wissenschaftlicher Gewißheit sagen, ist allein die marxistisch-leninistische Methodologie im ganzen, ist allein die materialistische Geschichtsauffassung, und zwar in ihrer Leninschen Ausarbeitung, fähig, richtige Antworten auf die heutigen Probleme zu geben. Die Kompliziertheit der modernen gesellschaftlichen Prozesse ist derart groß, daß nur eine tiefgründige dialektisch-materialistische Betrachtungsweise in der Lage ist, das Wesen dieser Erscheinungen aufzudecken und richtige Orientierungspunkte für die gesellschaftliche Praxis zu setzen. Historischer Materialismus oder materialistische Geschichtsauffassung oder allgemeine Methodologie der sozialen Erkenntnis oder die allgemeine soziologische Theorie des Marxismus-Leninismus - das sind im Grunde genommen Beschreibungen ein und derselben Sache, das sind lediglich verschiedene Bezeichnungen ein und derselben Konzeption. Aus alledem folgt, daß zwischen dem dialektischen Materialismus als der allgemeinen Weltanschauung und der allgemeinen wissenschaftlichen Methodologie sowie dem historischen Materialismus als der allgemeinen Methodologie der sozialen Erkenntnis ein organischer innerer Zusammenhang existiert. Manchmal wird unter der allgemeinen Methodologie der sozialen Erkenntnis eine Art soziologische Wissenschaft verstanden, die sich angeblich hinsichtlich ihres Inhalts vom historischen Materialismus unterscheidet. Wenn man aber unter der Methodologie der sozialen Erkenntnis ihre reale Spezifik versteht, d. h. die allgemeine Methodologie und nicht die Methodologie der einzelnen, speziellen Wissenschaften, nicht die Gesamtheit der einzelnen Methoden der speziellen Wissenschaften, dann ist das nichts anderes als die materialistische Geschichtsauffassung. Der historische Materialismus ist eben die allgemeine Lehre von der Methodologie der gesellschaftlichen Erkenntnis und des gesellschaftlichen Handelns. Es muß gesagt werden, daß in der sowjetischen Wissenschaft vor einigen Jahren die Vorstellung ziemlich verbreitet war, daß die Soziologie eine Wissenschaft, der historische Materialismus eine andere sei. Manche Philosophen, die es nicht vermochten, spezifisch bürgerliche Auffassungen kritisch zu analysieren, versuchten nachzuweisen, daß die Soziologie als Wissenschaft erst im 20. Jahrhundert entstanden sei. Diese Philosophen vergaßen, daß W. I. Lenin bereits am Beginn unseres Jahrhunderts klar und deutlich gezeigt hat, daß gerade der Marxismus die Soziologie „in den Rang einer Wissenschaft erhoben" hat.49 Heute hat sich bereits der allgemein anerkannte Standpunkt durchgesetzt, daß der historische Materialismus die Philosophie der gesellschaftlichen Entwicklung, die allgemeine soziologische Theorie ist, daß der historische Materialismus, organisch mit dem dialek49
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W . I. Lenin, Was sind die „Volksfreunde" und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten?, in: Werke, Bd. 1, a. a. O., S. 130.
tischen Materialismus verbunden, ein unabdingbarer Bestandteil unserer einheitlichen gemeinsamen Weltanschauung ist. Das soziale Leben ist bekanntlich vielseitig; es besitzt eine Reihe von Stufen der gesellschaftlichen Erkenntnis. Neben der allgemeinen soziologischen Theorie bedarf es konkreter soziologischer Untersuchungen. Doch vor allem bedarf es der theoretischen Verallgemeinerungen und der methodologischen Grundlagen für diese Untersuchungen, und zwar Verallgemeinerungen und Grundlagen, die zu einem System zusammengefaßt sind. All das muß auf der Basis der allgemeinen soziologischen Theorie, auf der Basis des historischen Materialismus ausgearbeitet und aufgebaut werden. Der historische Materialismus als die Theorie der sozialen Erkenntnis und des sozialen Wirkens bildet nicht nur die wissenschaftliche Grundlage für die Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung, er liefert auch das ideologisch-theoretische Rüstzeug für den Kampf gegen eine positivistische Einstellung zur Wirklichkeit, gegen die objektivistische Apologie der im Kapitalismus herrschenden Verhältnisse und der sozialen Organisation des Kapitalismus, gegen den sozialen Reformismus, Opportunismus und Revisionismus, gegen jegliche Art rechter Strömungen in der Arbeiterbewegung, aber auch gegen das „linke" extremistische kleinbürgerliche Revoluzzertum, gegen neomarxistische „linke" Strömungen, gegen den sozialen Nihilismus, gegen jede Art von anarchistischen und halbanarchistischen Ideen. Der historische Materialismus wappnet uns also zum Kampf sowohl gegen den Objektivismus als auch gegen den Subjektivismus, Voluntarismus, Trotzkismus und Maoismus. Das alles verleiht dem historischen Materialismus seine besondere Bedeutung als die große ideologischtheoretische Waffe der internationalen kommunistischen Bewegung. Die wichtigste Besonderheit der materialistischen Geschichtsauffassung ist die Anerkennung der Existenz von objektiven Gesetzmäßigkeiten oder objektiven Gesetzen der historischen Entwicklung. Vom Standpunkt des historischen Materialismus ist die Geschichte kein Chaos zufälliger, spontan entstehender und vergehender Erscheinungen, keine Anhäufung von Ereignissen, die innerlich in keiner Wechselbeziehung zueinander stehen. Die Geschichte ist auch nicht das Ergebnis des Willens, der Vorsehung oder der Handlungen dieser oder jener herausragenden Persönlichkeiten. Die Geschichte entwickelt sich nach objektiven gesellschaftlichen Gesetzen; und die Erkenntnis dieser Gesetze stellt die wichtigste Aufgabe der Gesellschaftswissenschaften dar. Die strenge Anerkennung von objektiven Gesetzen der historischen Entwicklung wird vom historischen Materialismus keineswegs schematisiert und hypostasiert. In unserer Gesellschaftswissenschaft wird die Geschichte nicht zur Personifizierung eines „Subjekts", das angeblich über den Menschen steht. Die bürgerlichen Philosophen werfen dem Marxismus vor, ihn interessiere nur der allgemeine Verlauf der Geschichte als Wirkungsbereich unpersönlicher Faktoren. Sie reden immer wieder davon, daß der Marxismus die subjektiven Wünsche der realen Menschen außer acht lasse und die ökonomischen Gesetze als „übergeschichtlich" betrachte. 37
Der Marxismus mißt den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten keine solche Bedeutung bei. Friedrich Engels schrieb: „Die Geschichte tut nichts, sie .besitzt keinen ungeheuren Reichtum', sie .kämpft keine Kämpfe'! Es ist vielmehr der Mensch, der wirkliche, lebendige Mensch, der das alles tut, besitzt und kämpft." 50 Aus der Tatsache, daß die Geschichte von Menschen gemacht wird, folgt nicht, daß die menschliche Tätigkeit außerhalb jeglicher Gesetzmäßigkeit, außerhalb jeglicher Determiniertheit steht. Die Gesellschaft ist nicht eine Summe isolierter Individuen, die nach eigenem Gutdünken Geschichte machen. Sie ist ein System, dessen Gesetze nicht aus den subjektiven Zielvorstellungen oder individuellen Motivationen der Menschen hergeleitet werden können. Der Historismus der marxistisch-leninistischen Lehre hängt zusammen mit dem revolutionären Erfassen der objektiven, gesetzmäßigen Prozesse, mit der Anerkennung der historisch bedingten Widersprüchlichkeit der Entwicklung, mit der Anerkennung des historisch notwendigen Wechsels der gesellschaftlichen Formationen, mit der Anerkennung der spezifischen Formen dieses Wechsels und dieser Übergänge. Viele bürgerliche Philosophen und Vertreter anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen können den objektiven Charakter der gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten nicht begreifen. So fragt in diesem Zusammenhang beispielsweise E. Fromm in seiner Arbeit „Die Herausforderung Gottes und des Menschen": „Wie können sich Sklaven so verändern, daß sie den Wunsch nach Freiheit verspüren? Solange sie Sklaven sind, kennen sie die Freiheit nicht, und wenn sie frei sind, brauchen sie keine Revolution. Ist Revolution überhaupt möglich? Ist der Übergang aus der Sklaverei zur Freiheit möglich?" 51 Fromm meint, daß dieses Paradoxon aufgehoben werde, wenn Propheten auftreten, herausragende Menschen, die den Weg zum Ideal weisen und damit den Teufelskreis der Gesetzmäßigkeiten durchbrechen. Indessen, wenn es um die Aufdeckung der Triebkräfte der Geschichte geht, „so kann es sich nicht so sehr um die Beweggründe bei einzelnen, wenn auch noch so hervorragenden Menschen handeln, als um diejenigen, welche große Massen, ganze Völker und in jedem Volk wieder ganze Volksklassen in Bewegung setzen", schreibt Engels. 52 Die marxistisch-leninistische Theorie der gesellschaftlichen Erkenntnis und des gesellschaftlichen Handelns unterscheidet sich von der positivistischen Methodologie, von der objektivistischen Betrachtungsweise des historischen Prozesses durch die Anerkennung der Tatsache, daß sich die gesellschaftliche Entwicklung durch die zielstrebige Tätigkeit der Massen vollzieht. Daher wird begreiflich, daß der historische Materialismus die bewußte Tätigkeit der Menschen, persönliche ebenso wie kollektive Anstrengungen und den kollektiven Willen berück50 51 52
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F. Engels und K. Marx, Die heilige Familie, in: MEW, Bd. 2, Berlin 1959, S. 98. E. Fromm, Die Herausforderung Gottes und des Menschen, Zürich 1970, S. 94. F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: MEW, Bd. 21, Berlin 1962, S. 298.
sichtigt, die im Endeffekt durch die verschiedenen ideologischen Wertvorstellungen gelenkt werden. Bei einem solchen Verständnis schließt die marxistisch-leninistische Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung und des gesellschaftlichen Handelns organisch die Initiative ein, ebenso wie ein System von Bewertungskriterien, von Wert- und Verantwortlichkeitskriterien, ein System konkreter Direktiven der menschlichen Tätigkeit. Unsere Theorie der sozialen Erkenntnis stellt also eine Struktur dar, in der sich Wertvorstellungen, Erklärungen, Prognosen, die Aktivität der Menschen und die führende Rolle der Partei, die diese Elemente in der adäquatesten wissenschaftlichen Form ausdrückt, in einem organischen inneren Zusammenhang befinden. Indem sie dem geistigen Faktor, der Aktivität der Menschen, der Rolle der Organisation, der führenden Rolle der Partei eine so große Bedeutung beimißt und indem sie die objektive Determiniertheit dieser Prozesse anerkennt, unterscheidet sich die marxistisch-leninistische Theorie der sozialen Erkenntnis zugleich grundlegend von jeglicher Art des Subjektivismus und Voluntarismus. Das marxistisch-leninistische Verständnis der gesellschaftlichen Ereignisse zeichnet sich dadurch aus, daß ihm wesenhaft ein revolutionäres Pathos innewohnt. In der Orientierung auf die historische Praxis der Menschheit findet auch die Stärke unserer Philosophie, ihre weltanschauliche und methodologische Grundposition ihren Ausdruck. 5 3 Der historische Materialismus, verstanden als die allgemeinsoziologische Theorie des Materialismus, als seine sozialphilosophische Konzeption, bildet eine Einheit von Theorie und Praxis, vereinigt in sich revolutionären Geist mit wissenschaftlicher Objektivität und Nüchternheit. Der historische Materialismus zeichnet sich durch tiefe Parteilichkeit aus. Die organische Verbindung von Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit ist sein wichtigster Charakterzug. Der schöpferische Umgang mit dem theoretischen Erbe der Begründer des Marxismus-Leninismus auf dem Gebiet des historischen Materialismus und die ständige und umfassende Ausarbeitung der neuen Probleme, die das Leben aufwirft, von prinzipiellen Positionen, von den Positionen der kommunistischen Parteilichkeit aus - das ist die Aufgabe unserer theoretischen Forschungen und unserer theoretischen Beleuchtung dieser Probleme. Nach diesen allgemeinen Betrachtungen greifen wir einige aktuelle Fragen der sozialen Erkenntnis und des gesellschaftlichen Handelns heraus, zu denen es bei uns in der Sowjetunion hin und wieder unterschiedliche Standpunkte gibt und die theoretisch noch unzureichend bearbeitet worden sind. Beginnen wir mit folgender Frage: Was ist der Leitfaden beim Verständnis der Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Lebens? Die „modernen" Revisionisten, die sich bemühen, Marx im Geiste eines abstrakten Humanismus umzudeuten, behaupten, daß als die wichtigsten Kategorien in der Theorie von Marx ;'3
Siehe K . Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: M E W , Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1 9 6 8 , S. 5 3 6 .
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die Kategorien der Entfremdung und der Aufhebung der Entfremdung angesehen werden müßten. Diesen Kategorien messen sie eine universelle Rolle in der G e schichte bei und versuchen nachzuweisen, daß die Kategorie der Entfremdung absolute Allgemeinheit gewinnt, daß sie zu einer Kategorie wird, die auf alle gesellschaftlichen Formationen zutrifft und damit in vollem Umfange auch auf den Sozialismus. Auf diesem Standpunkt stehen bekanntlich die meisten Revisionisten, Gruppierungen um die inzwischen eingestellte jugoslawische Zeitschrift „Praxis" und eine Reihe anderer Antimarxisten, die sich diesem Standpunkt angeschlossen haben. Dies ist eine zutiefst falsche, antimarxistische Konzeption, die grundlegend vom Marxismus abweicht; denn vom Standpunkt eines adäquaten Verständnisses der Ideen von Marx, Engels und Lenin besitzt die Kategorie der Entfremdung eine historische Dimension. D i e Entfremdung entstand in einer bestimmten Etappe der geschichtlichen Entwicklung und wird im Verlaufe des sozialen Fortschritts zu existieren aufhören. Sie hat nicht immer existiert, und sie wird nicht für immer bestehen bleiben. D i e Revisionisten behaupten, nur ausgehend vom Begriff der Entfremdung hätte Marx es vermocht, die historischen Voraussetzungen für die Entstehung des Kapitalismus zu klären und die Mechanismen der kapitalistischen Gesellschaft aufzudecken. D i e Kategorie der Entfremdung stehe im Mittelpunkt der gesamten Konzeption des Marxismus. Das ist falsch. Natürlich hat Marx der Kategorie der Entfremdung eine nicht geringe Bedeutung beigemessen, besonders in der frühen Periode der Herausbildung seiner Auffassungen. Doch er entwickelte die Theorie des Kapitalismus und deckte den Bewegungsmechanismus und den antagonistischen Charakter der Widersprüche des Kapitalismus auf, indem er von der Analyse des kapitalistischen Eigentums, von der Analyse der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, vom Wesen des Kapitals ausging. Was ist aber dann der Leitfaden beim Herangehen an das Verständnis des gesellschaftlichen Lebens? W . I. Lenin schrieb, „daß die Bestrebungen der einen Mitglieder einer gegebenen Gesellschaft den Bestrebungen der anderen zuwiderlaufen, daß das gesellschaftliche Leben voller Widersprüche ist, daß uns die Geschichte den Kampf zwischen Völkern und Gesellschaften wie auch den Kampf innerhalb derselben zeigt, und außerdem noch den Wechsel der Perioden von Revolution und Reaktion, Frieden und Kriegen, Stagnation und schnellem Fortschritt oder Verfall - das sind allgemein bekannte Tatsachen". 5 4 W i e aber soll man sich in dieser gewaltigen Anhäufung von Fakten und Ereignissen unterschiedlichen Charakters zurechtfinden? „Der Marxismus", schrieb Lenin, „gab uns den Leitfaden, der in diesem scheinbaren Labyrinth und Chaos eine Gesetzmäßigkeit zu entdecken erlaubt: die Theorie des Klassenkampfes." 5 5 54
W.
I. Lenin, Neue wirtschaftliche Vorgänge im bäuerlichen Leben, in: Werke, Bd.
a. a. O., S. 4 6 . 55
40
Ebenda.
1,
Diese überaus wichtige Leninsche Aussage über die Bedeutung der Theorie des Klassenkampfes als Leitfaden bei der gesellschaftlichen Analyse muß besonders hervorgehoben werden. An diesen Leitfaden, an die Theorie von den Klassen und dem Klassenkampf, muß man sich auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Seins halten; er muß angewandt werden für alle sozialen Erscheinungen; er besitzt volle Gültigkeit auf die gesellschaftliche Basis und den Überbau; und er hat auch seine prinzipielle Bedeutung für die Beurteilung einer so entwickelten Form des gesellschaftlichen Bewußtseins, wie es die Philosophie ist. Andernfalls ist eine echte Erkenntnis der sozialen Prozesse unmöglich. Das trifft für alle Fragen der kapitalistischen Verhältnisse, für alle Ereignisse, die in der bürgerlichen Welt vorgehen, und auch für alle Fragen der sozialistischen Verhältnisse und der Ereignisse in den sozialistischen Ländern zu. Man kann keine klare Position finden, wenn man von dieser Konzeption abgeht, wenn man von diesem Leitfaden abweicht. Lenin hat das klassenmäßige Herangehen den Leitfaden der sozialen Erkenntnis genannt. „Leitfaden" - das heißt aber auch, daß wir bei der sozialen Erkenntnis die Vielfalt aller sozialen Erscheinungen nicht direkt und unmittelbar auf den Klassenkampf reduzieren dürfen. Das wäre eine vulgärsoziologische Simplifizierung. Es ist wichtig, bei der Analyse sozialer Ereignisse auch ökonomisch und gnoseologisch an die Sache heranzugehen, systemorientiert und strukturell betrachtend vorzugehen, die Kritik der Theorien unserer Gegner mit der immanenten Untersuchung ihrer Positionen, mit der Aufdeckung der ihnen immanenten Widersprüche zu verbinden. Die ökonomischen wie die allgemeinen sozialen Tatsachen, die historischen Erscheinungen wie die Prozesse des geistigen Lebens besitzen bekanntlich ihre Spezifik. Diese Spezifik muß bei der sozialen Erkenntnis berücksichtigt werden, das alles gehört zur marxistischen Forderung an die soziale Erkenntnis. Doch all diesen Betrachtungsweisen - der systemorientierten, der immanenten, der strukturellen, der ökonomischen, der sozialpolitischen, der soziologischen und jeder beliebigen anderen - muß dieser Leitfaden zugrunde liegen - die Theorie der Klassen und des Klassenkampfes. Bei seiner richtigen methodologischen Anwendung werden die wirklichen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung, die wahren Bestandteile der Erkenntnis und des richtigen Handelns sichtbar. Wir haben die Frage der klassenmäßigen Betrachtungsweise als den wichtigsten strukturellen Ausgangspunkt der sozialen Erkenntnis und des gesellschaftlichen Handelns hervorgehoben. Das Wesen des Marxismus-Leninismus besteht nicht darin, daß er die gesellschaftlichen Klassen entdeckt hat, sondern darin, daß er den Klassenkampf als die Triebkraft der Geschichte festgestellt hat. Die Geschichte wird also durch Antagonismen, Konflikte, Auseinandersetzungen, Siege und Niederlagen bestimmt, die sich im Verlaufe des Kampfes der Klassen herausbilden. Dies ist die einzig richtige und dem Marxismus-Leninismus entsprechende Position, denn die Klassenstruktur einer Gesellschaft bestimmt deren wirkliches Wesen. 41
Ein Abgehen oder ein Abweichen von dieser Ausgangsposition, von dieser Leitlinie, bedeutet eine Abkehr von der materialistischen Geschichtsauffassung, eine Abkehr vom Marxismus-Leninismus. Alle reformistischen und revisionistischen Konzeptionen rechter und „linker" Richtung weichen in diesem oder jenem Maße von den klaren klassenmäßigen Prinzipien der sozialen Erkenntnis und des sozialen Handelns, von der Aufdeckung des Wesens der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Klassengesellschaft ab. Der Sozialismus als die erste Stufe der neuen Gesellschaft ist ebenfalls nicht frei von Klassenunterschieden, wenn diese auch schon grundlegend verändert sind, weil sie keinen antagonistischen Charakter mehr tragen. Dennoch bleibt das Klassenprinzip auch hier der Leitfaden. Ein zweites, höchst wichtiges Moment für das Verständnis des Wesens, des Charakters und der Struktur des historischen Materialismus, für ein besseres Verständnis aller seiner Kategorien, ist die Frage nach der Rolle und dem Wirken der Massen in der Geschichte. Nicht das Leben dieser oder jener ausgewählten Einzelpersönlichkeit, nicht die Wirklichkeit dieser oder jener historischen Gestalten bilden, wie es die idealistischen Geschichtskonzeptionen jeder Art behaupten, den wirklichen Inhalt der Geschichte. Den wirklichen und wesentlichen Inhalt der Geschichte, des historischen Prozesses, bildet die Tätigkeit der Volksmassen, macht ihr historisches Schöpfertum aus. Der Marxismus-Leninismus bestreitet bekanntlich keineswegs die Rolle einzelner hervorragender Persönlichkeiten; er mißt dieser Rolle häufig sogar sehr große Bedeutung bei, besonders, wenn sich diese Persönlichkeiten von der Kenntnis der historischen Gesetze leiten lassen und von den Interessen der Massen ausgehen. E s ist keine Übertreibung zu sagen, daß der Marxismus-Leninismus, was die Tätigkeit solcher Persönlichkeiten betrifft, ihre Bedeutung oft weitaus höher einschätzt, als das die subjektiv-idealistischen Konzeptionen tun. Wenn wir dies feststellen, so gehen wir zugleich davon aus, daß die Tätigkeit hervorragender Persönlichkeiten letztlich durch die gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten determiniert ist, davon, daß das Grundlegende und Hauptsächliche im Verlauf der historischen Ereignisse die Lebenstätigkeit des Volkes, der Volksmassen, die Lebenstätigkeit und die aktiven revolutionären Aktionen der Werktätigen sind. Karl Marx schrieb: „Mit der Gründlichkeit der geschichtlichen Aktion wird also der Umfang der Masse zunehmen, deren Aktion sie ist." 56 W. I. Lenin, der diesen Satz zitierte, stellte fest, daß in diesen Worten von Marx eine der tiefgründigsten und wichtigsten Feststellungen jener historisch-philosophischen Theorie zum Ausdruck kommt, die unsere Gegner auf keine Weise verstehen wollen und können. „In dem Maße, wie sich das geschichtliche Schöpfertum der Menschen erweitert und vertieft, muß auch der Umfang der Bevölkerungsmasse wachsen, die bewußt Geschichte macht", schrieb er. 57 Den Leitfaden in allen 56 57
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F. Engels und K . Marx, Die heilige Familie, in: MEW, Bd. 2, a. a. O., S. 86. W. I. Lenin, Auf welches Erbe verzichten wir?, in: Werke, Bd. 2, a. a. O., S. 536.
Arbeiten, in der gesamten Tätigkeit W. I. Lenins, bildete eben die Idee der grandiosen historischen Rolle der Volksmassen, ihres geschichtlichen Schöpfertums. Wenn man von der Rolle der; Volksmassen in der Geschichte, von der historischen Tätigkeit der Volksmassen spricht, so ist auf eine bemerkenswerte Arbeit Lenins hinzuweisen, die er am 5. Februar 1907 geschrieben hat; gemeint ist das „Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von K . Marx an L. Kugelmann". D i e Gedanken, die Lenin vor mehr als 70 Jahren geäußert hat und die zu absolut anderen Zeiten und anderen Bedingungen gehören, besitzen auch heute gewaltige politische und theoretische Bedeutung. D a s ist nun einmal die großartige Eigenschaft des Genies, daß Gedanken und Aussagen, die diesen oder jenen konkreten Fall, dieses oder jenes konkrete Ereignis betreffen, zum Ausdruck von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung werden. Worum geht es in dem erwähnten Artikel? Lenin untersuchte im Zusammenhang mit der Einstellung G. W. Plechanows zum Dezemberaufstand des Jahres 1905 in Moskau die Position K a r l Marx' am Vorabend der Pariser Kommune v o « 1871 und nach der Niederlage der Kommune. Lenin brandmarkte die oberflächliche Auffassung vom Marxismus, die kleinbürgerliche Vorstellung der Menschewiki vom Marxismus, die sein revolutionäres Wesen ablehnten. So bemerkte Lenin: „In keinem Land der Welt ist zur Zeit eine so tiefgehende revolutionäre Krise zu verzeichnen wie in Rußland, und in keinem anderen L a n d gibt es (den Marxismus herabwürdigende und vulgarisierende) .Marxisten', deren Einstellung zur Revolution so skeptisch, so philisterhaft wäre. Daraus, daß der Inhalt der Revolution bürgerlich ist, zieht man bei uns die platte Schlußfolgerung, die Bourgeoisie sei der Motor der Revolution, das Proletariat aber habe in dieser Revolution nur untergeordnete, unselbständige Aufgaben zu erfüllen, eine proletarische Führung der Revolution sei unmöglich!" 5 8 Gegenüber dem unbegründeten Vorwurf, Marx habe 1870 die Revolution „gebremst", und daraus sei abzuleiten, daß man unter den revolutionären Bedingungen Rußlands die These auszugeben habe, „Greift nicht zu den Waffen", erläuterte Lenin die historisch unterschiedlichen Verhältnisse. Zunächst bezog sich Lenin auf die von Marx verfaßte „Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg", wo es heißt: „So findet sich die französische Arbeiterklasse in äußerst schwierige Umstände versetzt. Jeder Versuch, die neue Regierung zu stürzen, wo der Feind fast schon an die Tore von Paris pocht, wäre eine verzweifelte Torheit. D i e französischen Arbeiter müssen ihre Pflicht als Bürger tun . . . Sie haben nicht die Vergangenheit zu wiederholen, sondern die Zukunft aufzubauen. Mögen sie ruhig mal entschlossen die Mittel ausnutzen, die ihnen die republikanische Freiheit gibt, um die Organisation ihrer eignen Klasse gründlich durchzuführen." 59 Und am E n d e der im September 1870 58 59
W. I. Lenin, Der Protest der 31 Menschewiki, in: Werke, Bd. 12, Berlin 1972, S. 17. K . Marx, Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg, in: MEW, Bd. 17, Berlin 1968, S. 277 f.
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gleichzeitig als Flugblatt in englischer, französischer und deutscher Sprache erschienenen Erklärung heißt es mit klarem Bezug auf die geschichtsbildende Kraft der Volksmassen: „Mögen die Sektionen der Internationalen Arbeiterassoziation in allen Ländern die Arbeiterklasse zu tätiger Bewegung aufrufen. Vergessen die Arbeiter ihre Pflicht, bleiben sie passiv, so wird der jetzige furchtbare Krieg nur der Vorläufer furchtbarerer internationaler Kämpfe sein und wird in jedem Lande führen zu neuen Niederlagen der Arbeiter durch die Herren vom Degen, vom Grundbesitz und vom Kapital." 60 Es handelte sich also weder um vergleichbare, einander ähnliche historische Situationen, die die unrealistische These vom Revolutionsverzicht rechtfertigen könnten, noch handelte es sich um ein Verständnis der von Marx vertretenen konkreten Auffassung selbst, wie Lenin überzeugend herauszuarbeiten verstand.61 Deshalb führte Lenin dann auch den berühmten Marxschen Brief an L. Kugelmann vom 12. April 1871 an. Marx erkannte die ganze historische Tragweite des von den Volksmassen eingeleiteten Prozesses, wo „nicht mehr wie bisher die bürokratisch-militärische Maschinerie aus einer Hand in die andere" übertragen, sondern wo sie zerbrochen wurde; „und dies ist die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent". 62 Der Kommentar Lenins gab eindeutig den Stellenwert dieser Auffassung wieder: „Marx, der im September 1870 den Aufstand eine Torheit genannt hat, bringt im April 1871, da er eine Volksbewegung, eine Massenbewegung sieht, dieser die größte Aufmerksamkeit eines Teilnehmers an gewaltigen Ereignissen entgegen, die in der weltgeschichtlichen revolutionären Bewegung einen Schritt vorwärts bedeuten."63 „Marx stellt die historische Initiative der Massen über alles", schlußfolgert Lenin und ergänzt: „Oh, wenn doch unsere russischen Sozialdemokraten in bezug auf die Einschätzung der historischen Initiative der russischen Arbeiter und Bauern im Oktober und Dezember 1905 bei Marx lernen wollten!" 64 Marx, der in dieser Grundsätzlichkeit die historische Rolle der Volksmassen beurteilte, sah in den konkreten Kämpfen die geschichtlichen Vorläufer für die welthistorische Befreiungsbewegung des Proletariats. Mit Begeisterung sprach Marx in einem Brief an L. Kugelmann vom 3. März 1869 davon, daß in revolutionären Epochen „der ganze historische Hexenkessel brudelt". 65 Lenin hob 60
Ebenda, S. 2 7 8 .
61
W . I. Lenin, Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von K . Marx an L . Kugelmann, in: Werke, Bd. 12, a. a. O., S. 1 0 0 f.
62
K a r l Marx, Brief an Ludwig Kugelmann vom 12. April 1 8 7 1 , in: M E W , Bd. 33, Berlin
03
W . I. Lenin, Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von K . M a r x an L . Kugei-
1 9 6 2 , S. 2 0 5 . mann, in: Werke, Bd. 12, a. a. O., S. 1 0 0 . 64
Ebenda, S. 1 0 1 .
65
Karl Marx, Brief an Ludwig Kugelmann vom 3. März 1 8 6 9 , in: M E W , Bd. 32, Berlin 1 9 6 5 , S. 5 9 7 .
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auch die Festigkeit der Grundsätze und Überzeugungen bei Marx hervor, die auch bei zeitweiligen Mißerfolgen der Revolution keine Verzagtheit aufkommen lassen. E r schrieb: „Die Pedanten des Marxismus meinen, alles das sei ethisches Geschwätz, Romantik, Mangel an Realismus! Nein, meine Herren, das ist Verknüpfung der revolutionären Theorie mit revolutionärer Politik, jene Verknüpfung, ohne die der Marxismus zum Brentanoismus, zum Struvismus, zum Sombartismus wird. Die Doktrin von Marx hat Theorie und Praxis des Klassenkampfes zu einem unzertrennlichen Ganzen verbunden. Und der ist kein Marxist, der die Theorie, die nüchtern die objektive Lage konstatiert, entstellt, um das Bestehende zu rechtfertigen, und zu dem Bestreben herabsinkt, sich recht schnell jedem zeitweiligen Niedergang der Revolution anzupassen, recht schnell die .revolutionären Illusionen' abzuwerfen und sich an die ,reale' Kleinkrämerei zu machen." 66 In diesen Sätzen Lenins ist uns die klassische Charakteristik des Marxismus im ganzen und der materialistischen Geschichtsauffassung im besonderen gegeben. Lenin hob die Notwendigkeit hervor, jede historische Situation nüchtern einzuschätzen, ohne die Objektivität der Betrachtung mit einer subjektiven Billigung des Existierenden zu vermischen. Die wissenschaftliche Erkenntnis der Gesellschaft erfordert, die objektive Lage nüchtern zu überdenken.67 Das ist jedoch nicht die Nüchternheit des Opportunisten, der sie in eine Rechtfertigung des Bestehenden verwandelt und sich in zeitweilige Niederlagen der Revolution fügt. Die soziale Erkenntnis im Geiste des revolutionären Marxismus erfordert als eines ihrer wichtigsten Momente nicht nur die Anerkennung, sondern auch die Hochachtung vor der historisch-revolutionären Initiative der Massen. Lenin stellte fest, daß es der historische Materialismus erfordert, keinen Fehler der Massen zu verschweigen und zugleich den „revolutionären Himmelssturm" der Massen in höchster Weise zu schätzen. Lenin schlug vor, die geschichtliche Entwicklung vom Standpunkt derjenigen aus zu betrachten, die Geschichte machen, und sich selbst als direkten Beteiligten dieses „Geschichtemachens" zu verstehen. 68 Lenin führte deshalb aus dem Brief von Marx an Kugelmann vom 17. April 1871 die Zeilen an: „Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde"69, wenn der Sieg zuvor schon garantiert wäre. Aber so wird Ge-
88
W. I. Lenin, Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von K . Marx an L. Kugelmann, in: Werke, Bd. 12, a. a. O., S. 98 f.
67
Siehe W . I. Lenin, Gegen den Boykott, in: Werke, Bd. 13, Berlin 1963, S. 23.
68
W . I. Lenin, Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von K . Marx an L. Kugelmann, in: Werke, Bd. 12, a. a. O., S. 102.
69
Karl Marx, Brief an Ludwig Kugelmann vom 17. April 1871, in: M E W , Bd. 33, a. a. O., S. 2 0 9 ; bei W . I. Lenin, Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von K . Marx an L. Kugelmann, in: Werke, Bd. 12, a. a. O., S. 103 (Hervorhebung durch W . I. Lenin).
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schichte nicht gemacht, so findet sie nicht statt; denn Geschichte ist der Kampf der Klassen, ein Kampf von Tendenzen und ein Kampf von Gegensätzen. Lenin hebt diesen Gedanken nochmals ausdrücklich hervor, wenn er schreibt: „Marx vermochte auch zu erkennen, daß es Augenblicke in der Geschichte gibt, wo ein verzweifelter Kampf der Massen sogar für eine aussichtslose Sache notwendig ist um der weiteren Erziehung dieser Massen und ihrer Vorbereitung zum nächsten Kampf willen."' 0 Die Erfahrungen der Massen, die Aktionen der Massen, die Erfahrungen der Millionen, die revolutionäre Energie und Initiative der Werktätigen, der Arbeiterklasse - das sind Faktoren, die Lenin nicht nur in seiner gesamten Tätigkeit viele Male hervorgehoben hat, sondern die er auch der Erkenntnis, der Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit zugrunde gelegt hat. Lenin vertrat die Auffassung, daß die Marxisten keinen Anspruch erheben, den weiteren Weg der Geschichte, den Weg zum Sozialismus in seiner ganzen Konkretheit zu kennen. Vielmehr kennen die Marxisten die Richtung des Weges; sie wissen, welche Klassenkräfte den Weg des Sozialismus gehen; aber praktisch werden das die Erfahrungen der Millionen zeigen, wenn sich diese ans Werk machen. Die historische Initiative der Massen, die Erfahrungen der Millionen, die aufgehört haben, passives Objekt der Geschichte zu sein, die zum Subjekt der Geschichte geworden sind - , das ist wichtig für eine richtige soziale Erkenntnis und ein erfolgreiches gesellschaftliches Handeln. Nur ein solches Verständnis der Kategorien des historischen Materialismus verbindet und verknüpft organisch die allgemeinen soziologischen Positionen mit den konkreten historischen Fakten und Ereignissen und bildet einen zuverlässigen Kompaß für das gesellschaftliche Handeln. Besonders wichtig ist die Anwendung dieser Leninschen Hinweise in der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolutionen, in der Epoche des unablässigen und unumkehrbaren Anwachsens des revolutionären Weltprozesses, in der Epoche des globalen Kampfes zwischen Kommunismus und Imperialismus. Der Sieg des Sozialismus in einer Reihe von Ländern Europas, Asiens, Lateinamerikas und Afrikas, die heutige aktive Teilnahme von nach Millionen und Abermillionen zählenden werktätigen Massen, von früher unterdrückten Völkern der Kolonien als Subjekte der Wettgeschichte, der aktive Kampf der führenden Kraft der Geschichte, der Arbeiterklasse, bestätigen mit besonderer Eindringlichkeit die Bedeutung der marxistischleninistischen Gedanken von der Rolle der Massen im Geschichtsprozeß. Eine weitere Frage, die von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der sozialen Prozesse ist, betrifft die Grundsätze des dialektischen Herangehens an die sozialen Erscheinungen und Prozesse. In diesem Zusammenhang ist auf die grandiose theoretische Bedeutung des bekannten Leninschen Artikels „Über unsere Revolution" einzugehen, den Lenin ungefähr ein Jahr vor seinem Tode geschrieben hat, gleichzeitig mit seinen Arbeiten „Tagebuchblätter", „Uber das 70
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Ebenda.
Genossenschaftswesen", „Wie wir die Arbeiter- und Bauerninspektion reorganisieren sollen" und „Lieber weniger, aber besser". Diese Artikel gehören zu Lenins letzten Arbeiten. In ihnen beleuchtete der Führer der Revolution, der Leiter des Sowjetstaates und der bolschewistischen Partei, eine Reihe von Fragen, deren richtige Lösung von kardinaler Bedeutung für den erfolgreichen Aufbau des Sozialismus in der UdSSR war. Der Artikel „Über unsere Revolution" gehört zu den herausragenden Bekundungen des Leninschen Genies. In dieser Arbeit zog er gewissermaßen die Bilanz seiner Gedanken und Überlegungen über den Verlauf der Oktoberrevolution, über den schöpferischen Charakter der dialektischen Wirklichkeitsanalyse. Lenin fällte darin ein vernichtendes Urteil über die Buchstabengelehrtheit, den Dogmatismus, die Feigheit und die kleinbürgerliche Denkweise des Menschewismus, des russischen wie des westeuropäischen Sozialdemokratismus. Dieser Artikel enthält eine der tiefgründigsten Darlegungen der theoretischen Grundlage des Bolschewismus, des bolschewistischen Herangehens an die Frage nach dem Verhältnis zwischen revolutionärer Theorie und revolutionärer Praxis. Mit beißendem Sarkasmus äußerte sich Lenin über die Pedanterie der kleinbürgerlichen Demokraten, über ihre ungewöhnliche Feigheit, über ihre sklavische Nachäfferei der Vergangenheit, ihre Furcht, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, von der Linie der Bourgeoisie abzuweichen, über ihre absolute Unfähigkeit, die Besonderheit der neuen Situation zu verstehen. Diese bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte sahen einen bestimmten Entwicklungsweg des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie in Westeuropa. Und sie vermochten sich nicht vorzustellen, daß es einzelne, besondere Momente, einzelne Zonen geben kann und gibt, in denen sich die Besonderheit der Entwicklungsformen und der Reihenfolge der Entwicklung anders ausdrückt. In Lenins Artikel „Über unsere Revolution" wird ein in höchstem Maße wichtiges theoretisches Problem aufgeworfen und begründet: die Frage nach dem Verhältnis zwischen den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung und den konkreten Entwicklungslinien, die eine Besonderheit entweder der Form oder der Reihenfolge dieser Entwicklung darstellen. Ausgehend gerade von der spezifischen Lage in Rußland, begründete W . I. Lenin die historische Notwendigkeit der Oktoberrevolution. „Wie aber", schrieb er, „wenn die völlige Ausweglosigkeit der Lage, wodurch die Kräfte der Arbeiter und Bauern verzehnfacht wurden, uns die Möglichkeit eines anderen Übergangs eröffnete, um die grundlegenden Voraussetzungen der Zivilisation zu schaffen, als in allen übrigen westeuropäischen Staaten? Hat sich denn dadurch die allgemeine Linie der Entwicklung der Weltgeschichte geändert? Hat sich denn dadurch das grundlegende Wechselverhältnis der Hauptklassen in jedem Staate geändert, der in den allgemeinen Gang der Weltgeschichte einbezogen wird und schon einbezogen worden ist?" 7 1 So begründete W . I. Lenin mit äußerster Klarheit, unter Berücksichtigung der 71
W . I. Lenin, Über unsere Revolution, in: Werke, Bd. 33, a. a. O., S. 4 6 4 .
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Besonderheit der Lage in Rußland, den Sieg der Oktoberrevolution. Weiter folgte die in ihrer Tiefe und Scharfsichtigkeit einzigartige Leninsche Feststellung, daß auch das für den Aufbau des Sozialismus erforderliche kulturelle Niveau, die entsprechende Zivilisiertheit, von der die Menschewiki so eifrig schrieben, auf der Grundlage der Arbeiter- und Bauernmacht und der Sowjetordnung geschaffen werden konnte. „Nun, warum aber konnten wir nicht zuerst solche Voraussetzung der Zivilisiertheit, bei uns schaffen, wie es die Vertreibung der Gutsbesitzer und die Vertreibung der russischen Kapitalisten ist, um dann schon mit der Vorwärtsbewegung zum Sozialismus zu beginnen?" 72 , schrieb Lenin. Und an diese Pedanten, Dogmatiker und Buchstabenmarxisten gewandt, fragte Lenin ironisch: „In welchen Büchern habt ihr denn gelesen, daß derartige Modifikationen der üblichen historischen Reihenfolge unzulässig oder unmöglich seien?" 7 3 Der Artikel W . I. Lenins bildete eine der gründlichsten Entlarvungen und eine treffende theoretische Widerlegung des menschewistischen Opportunismus, des Abweichens der Menschewiki vom revolutionären Weg, ihrer Abneigung, dem wahren, nämlich revolutionären Wesen des Marxismus zu folgen. Dieser grundsätzliche Beitrag Lenins ist ganz von revolutionärem Geist, von echtem revolutionären Enthusiasmus durchdrungen. Lenins Artikel „Über unsere Revolution" ist ein Muster sozialer Erkenntnis und der dialektisch-materialistischen Begründung der großen historischen Ereignisse des Oktobers 1917. Bedeutet das jedoch, daß immer und überall einzig und allein die revolutionäre Lösung der Fragen gefordert wird? W . I. Lenin hat in seinen Arbeiten darauf hingewiesen, daß man an diese Probleme von einem streng dialektischen Standpunkt aus herangehen muß. So schrieb er zum Beispiel in seinem Artikel „Über die Bedeutung des Goldes jetzt und nach dem vollen Sieg des Sozialismus": „Für den wirklichen Revolutionär besteht die größte Gefahr - vielleicht sogar die einzige Gefahr - darin, daß er den Revolutionismus übertreibt, die Grenzen und Bedingungen der angebrachten und erfolgreichen Anwendung revolutionärer Methoden außer acht läßt."' 54 Auch hier finden wir bei W . I. Lenin die organische Verbindung von revolutionärem Geist mit der gleichzeitigen tiefgründigen Forderung nach Nüchternheit, Elastizität, nach Verständnis für die Gefährlichkeit einer überbetont revolutionären Haltung, wenn dafür die entsprechenden Bedingungen fehlen. W i e großartig klingt das alles in der heutigen Zeit; wie frappierend richtet es sich gegen die heutigen „linksradikalen" Theorien, gegen die maoistischen Verzerrungen des Marxismus-Leninismus, gegen den Subjektivismus, Voluntarismus und andere dogmatische und antidialektische Konzeptionen. Ein überaus wichtiges Element der wissenschaftlichen Erkenntnis der Gesellschaft, die den W e g zu erfolgreicher Tätigkeit in Richtung auf Fortschritt, Revo72 74
48
7 3 Ebenda. Ebenda, S. 466. W. I. Lenin, Über die Bedeutung des Goldes jetzt und nach dem vollen Sieg des Sozialismus, in: Werke, Bd. 33, a. a. O., S. 92.
lution, Kommunismus eröffnet, bildet also die Verbindung der objektiven dialektischen Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Lebens mit der zielgerichteten Praxis und der Erkenntnis von allgemeinen und besonderen Gesetzmäßigkeiten, bildet die organische Verbindung von innerer Überzeugtheit und Handlungsentschlossenheit bei den Führern und bei der revolutionären Partei im Geiste der proletarischen Revolution mit einem tiefen Verständnis für die Rolle, für die Aktivität des geschichtlichen Schöpfertums der Massen. Und schließlich ist noch eine andere Frage hervorzuheben - die Charakteristik unserer Theorie des gesellschaftlichen Erkennens und Handelns als einer Theorie des sozialen Optimismus. Dies zu unterstreichen ist auch deswegen wichtig, weil in den letzten Jahren - auf dem Hintergrund der Verschärfung und Vertiefung der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, seines Verfalls und der zerstörerischen Antagonismen, seines Fäulnischarakters und parasitären Wesens im Westen auf dem Gebiet der sozialen Theorien allerlei apokalyptische Konzeptionen entstanden sind sowie Verbreitung gefunden haben und der „soziale Pessimismus" beinahe zur herrschenden Geistesströmung der bürgerlichen Welt geworden ist. Höchst kennzeichnend ist in dieser Hinsicht die Arbeit des französischen Soziologen Ellul, der 1969 das Buch „Autopsie der Revolution" veröffentlichte. E r griff zum medizinischen Terminus „Autopsie", der „Leichenöffnung" bedeutet. Also betrachtet Ellul jede Revolution, die es in der Geschichte gegeben hat, als Leiche und befaßt sich damit, sie „theoretisch" zu öffnen. A l l e Revolutionen in der Geschichte, so behauptet dieser Soziologe, sind für die Menschheit verderblich gewesen, haben Illusionen und Hoffnungen zu Staub werden lassen. Die Aufklärer hätten den Boden bereitet, auf dem eine neue Religion erwuchs, die „Revolution" genannt wird. Und sie fand Anklang. Diese Religion sei unnötig; sie sei fruchtlos; aber aus irgendeinem Grunde glaubten die europäischen Völker an soziale Umwälzungen, erwarteten davon ein glückliches Ende, eine Befreiung von wesentlichen Nöten und schauten auch heute immer wieder von neuem mit Hoffnung in die Zukunft. Ellul tritt gegen jegliche soziale Revolution auf. Besonders mißfällt ihm, daß sich die Oktoberrevolution nicht als schutzlos erwiesen hat, daß sie nicht den Anarchisten folgte, sondern einen Staat neuen Typus, einen festen sozialistischen Staat geschaffen hat. 75 Wenn Ellul von Revolutionen spricht, so sieht er völlig von deren Wesen ab und verzichtet darauf, ihre Ursachen, ihre Triebkräfte und sozialen Träger aufzudecken. In seinen Ansichten verbindet er eklektisch zufällige Daten, gewisse psychologische Momente sowie die Äußerungen dieser oder jener Personen über die Revolutionen. Äußerlich wirkt das sogar sensationell, und seine letzte Arbeit „Von der Revolution zur Revolte" ist deshalb nicht zufällig unter den „neuen Linken" ein Bestseller geworden. 76 75
Siehe J. Ellul, Autopsie de la révolution, Paris 1 9 6 9 .
76
Siehe J. Ellul, V o n der Revolution zur Revolte, Hamburg 1 9 7 4 .
4
Mitin, Ideologischer Kampf
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Natürlich ist die Konzeption Elluls wissenschaftsfeindlich, und zugleich ist--si-e grundsätzlich reaktionär. Getarnt wird dieser Charakter durch eine Anhäufung von wissenschaftlichen Termini, durch eine äußerliche wissenschaftliche Respektabilität, durch Zitate aus vielen wissenschaftlichen Werken sowie durch allé möglichen „linksradikalen", „kritischen" Bemerkungen an die A d r e s s e der modernen bürgerlichen Gesellschaft. A b e r diese Verschleierung ändert nichts am Wesen der Auffassungen Elluls. Von seinen eklektischen Positionen aus versucht er, den Marxismus-Leninismus zu kritisieren und zu verfälschen. E l l u l s A u f g a b e besteht darin, die revolutionäre Bewegung zu paralysieren, die reaktionären K r ä f t e gegen den gegenwärtigen weltweiten revolutionären Prozeß zu vereinigen. D a s ist die wahre soziale Funktion dieser Konzeption, ihr reaktionär-romantischer Gehalt. Zu einem Apostel des sozialen Pessimismus ist auch R a y m o n d Aron geworden, der in seinem Buch „ L e s Désillusions du progrès" die These von einer „ D i a l e k t i k des Pessimismus" aufgestellt hat und sie auf jegliche Weise zu begründen sucht. Bei R a y m o n d Aron finden wir das sehr verbreitete Herangehen an die Charakterisierung sozialer Erscheinungen ohne klassenmäßige, ohne historische Analyse, ohne jene Momente, die ein wissenschaftliches Verständnis der Geschichte und Gesellschaft erst möglich machen. 7 7 D i e „ D i a l e k t i k des Pessimismus" ist eine f ü r die bürgerlichen Ideologen charakteristische Erscheinung. Alle diese Beispiele zeugen von der tiefen Krise, in der sich die geistige Welt der bürgerlichen Gesellschaft, die geistige Welt der Ideologen der bourgeoisen K l a s s e gegenwärtig befindet. Unsere materialistische Theorie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Dialektik des sozialen Optimismus. D a r i n zeigt sich der grundlegende Unterschied unserer Positionen zu den Ansichten der bürgerlichen Theoretiker und Ideologen. W a r u m ist unsere Theorie der sozialen Erkenntnis und des gesellschaftlichen H a n d e l n s optimistisch? Sie ist es deshalb, weil sie auf der wissenschaftlichen E r kenntnis der gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten beruht, weil sie ausgeht v o m Verständnis der historischen, schöpferischen Rolle der Massen, von der wissenschaftlichen A u f f a s s u n g der Partei als der führenden K r a f t der revolutionären Bewegung. Erinnern wir uns an einige Ereignisse der letzten Jahrzehnte. In den dreißiger Jahren erfuhr die Menschheit die schreckliche N a c h t des Faschismus. D i e s e Finsternis war so stark, daß es den Anschein hatte, als g ä b e es keine K r ä f t e , die den Faschismus vernichten könnten. D i e faschistischen Ideologen selbst und die ihnen nachbetenden bürgerlichen Persönlichkeiten begannen v o m Anbruch der E p o c h e des tausendjährigen Reiches zu faseln. D i e Marxisten-Leninisten waren selbst in den schwierigsten Momenten zutiefst vom Sieg des Lichtes über die Finsternis, des Fortschritts über die Reaktion überzeugt; sie waren gewiß, d a ß die großen 77
Siehe R. Aron, Les Désillusions du progrès, Paris 1 9 6 9 ; vgl. in: R. Aron, Fortschritt ohne E n d e ? , Gütersloh 1970.
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Worte über ein tausendjähriges Reich Wahnwitz, ein reaktionäres Hirngespinst der Imperialisten waren, die versuchten, den Untergang des kapitalistischen Systems aufzuhalten. Die Marxisten-Leninisten glaubten an den sozialen Fortschritt, an die historische Mission der Massen; sie verstanden, daß der Faschismus zerschlagen werden würde. Doch die Marxisten-Leninisten glaubten nicht nur an die Gültigkeit der objektiven gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten; sie besaßen die Gewißheit, daß der aktive Kampf der Massen einen Bestandteil dieser Gesetzmäßigkeiten bildet; sie unternahmen daher alle Anstrengungen für den Sieg; und der zweite Weltkrieg endete mit der Zerschlagung des Faschismus. Weiter: In Vietnam, einem relativ kleinem Lande, hatte der amerikanische Imperialismus vor nicht langer Zeit eine kolossale Armee in Stärke von 550000 Mann zu stehen. Eine ganze Reihe von Jahren hindurch wandte er für den Kampf gegen das vietnamesische Volk insgesamt 165 Milliarden Dollar auf. D i e amerikanische Armee war mit den modernsten Waffen ausgerüstet. E s hatte den Anschein, als gäbe es keine Kräfte, die das amerikanische Korps aus Vietnam vertreiben könnten, als gäbe es keine Kräfte, die seinem Unterdrückungsfeldzug gegen die revolutionäre Volksbewegung in Vietnam widerstehen könnten. Doch die Mühlen der Geschichte mahlen gut. Die dialektischen Gesetze der Geschichte setzen sich mit gewaltiger K r a f t durch. D i e geschichtsgestaltende K r a f t der werktätigen Massen überwindet alle Hindernisse der Reaktion. Der amerikanische Imperialismus erlitt eine Niederlage; das heldenhafte vietnamesische Volk errang einen grandiosen Sieg. Über 50 Jahre herrschte in Portugal der schwarze Faschismus. E s schien, als sei das Land unter seiner Knute eingeschlafen, das Volk unter dem Joch geduckt, unfähig, die Verhältnisse zu ändern. Und plötzlich waren es fortschrittliche Militärs, die zusammen mit der Kommunistischen Partei, zusammen mit den revolutionären Kräften des Landes den Faschismus von innen her sprengten und ihn zerschlugen. Warum geschah das? Wieder trat die kolossale K r a f t des Heldentums der Volksmassen zutage. Der Marxismus-Leninismus ist seinem Wesen und seiner Struktur nach eine zutiefst optimistische Gesellschaftstheorie. Er verleiht den werktätigen Massen den festen Glauben an die eigenen Kräfte, an den unbesiegbaren historischen Fortschritt der Menschheit. D a s Weltsystem des Sozialismus schreitet ununterbrochen voran. „ D i e Entwicklung der Länder des Sozialismus, das Anwachsen ihrer Macht, die Verstärkung des positiven Einflusses ihrer internationalen Politik - das ist heute die Hauptrichtung des sozialen Fortschritts der Menschheit", sagte L . I. Breshnew im Rechenschaftsbericht des Z K der K P d S U an den X X V . Parteitag. 7 8 Der revolutionäre Weltprozeß nimmt immer mehr globalen Charakter an. Mit 78
4*
L. I. Breshnew, X X V . Parteitag der KPdSU. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik, a. a. O., S. 35.
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jedem Tag, mit jedem Monat bestätigt das Leben die Richtigkeit der marxistischleninistischen Geschichtsanalyse und Gesellschaftstheorie, die Richtigkeit unserer sozialen Methodologie der Erkenntnis und des Handelns mehr. Wir betonen: der Erkenntnis und des Handelns, denn man darf den historischen Materialismus nicht nur als Theorie der sozialen Erkenntnis charakterisieren. Er ist die Methodologie sowohl der sozialen Erkenntnis als auch des revolutionären Handelns. In dieser Einheit von Erkenntnis und Handeln liegt die Kraft des MarxismusLeninismus, liegt die Größe seines sozialen Optimismus. Zwei Richtungen charakterisieren heute das überaus weite Spektrum der neuen und beispiellosen Möglichkeiten der Menschheit. Das sind erstens die neuen Horizonte, die sich im Ergebnis des Wachstums und der Stärkung des sozialistischen Weltsystems eröffnet haben, im Ergebnis der einzigartigen sozialen Wandlungen, der sozialistischen Revolutionen, des Zusammenbruchs des Kolonialsystems des Imperialismus, der Entstehung neuer, progressiver Formen der gesellschaftlichen Organisation sowie der in diesem Zusammenhang wachsenden Bedeutung der Gesellschaftswissenschaften, der Rolle des Marxismus-Leninismus in der modernen Welt. Das sind zweitens die ungewöhnlichen Möglichkeiten bei der Bändigung und Beherrschung der Naturkräfte, die sich für die Menschheit dank der Entwicklung von Wissenschaft und Technik ergeben. Unter diesen Bedingungen besitzt das Bündnis der Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus und der Naturwissenschaften, die enge Verbindung von marxistisch-leninistischen Philosophen und Naturwissenschaftlern besonders große Bedeutung. Getreu dem Vermächtnis W. I. Lenins arbeiteten und arbeiten die sowjetischen Philosophen unablässig an der Festigung und Vervollkommnung des Bündnisses von Philosophen und Naturwissenschaftlern; dabei wurden bedeutende Erfolge erzielt. Die Idee des Bündnisses der Philosophie der Arbeiterklasse mit der Naturwissenschaft ist bekanntlich vor mehr als 50 Jahren von W. I. Lenin in seiner genialen Arbeit „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" ausgesprochen worden. Dieser Leninsche Gedanke widerspiegelte die objektiven Gesetzmäßigkeiten der sozialen Erkenntnis, der Entwicklung der philosophischen Wissenschaft. Dieses von Lenin verkündete Bündnis war kein taktischer Zug, war auch keine zeitweilige Erscheinung oder gar ein propagandistisches Manöver, wie dies unsere ideologischen Gegner darzustellen versuchen. Nein, das Bündnis von Philosophie und Naturwissenschaft, das Lenin verkündet hat, entspringt dem weltanschaulichen Wesen unserer Philosophie. Es ist eine strategische Linie sowohl auf theoretischem, gnoseologischem Gebiet, als auch in ideologischer und praktischer Beziehung im Sinne der geistigen Erziehung der sowjetischen Intelligenz und der Mobilisierung aller ihrer Kräfte für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Das Bündnis von Philosophie und Naturwissenschaft bildet einen organischen Bestandteil der Politik unserer Partei, die ihre revolutionäre Tätigkeit auf eine streng wissenschaftliche Grundlage stützt. Darin liegt eine der größten Kraft52
quellen der Partei. Es ist für die Kommunistische Partei der Sowjetunion selbstverständlich, ihre führende und inspirierende Rolle, ihre Tätigkeit ständig auf die Ergebnisse der Wissenschaften zu stützen. Das Bündnis von Partei und Wissenschaft, das Bündnis unserer Ideologie, unserer Weltanschauung mit der Naturwissenschaft, das Bündnis der marxistisch-leninistischen Philosophen mit den Naturwissenschaftlern stellt eine zentrale Linie in der Tätigkeit der Partei dar. Darin drückt sich auch die hohe Parteilichkeit unserer Philosophie, ihr echter wissenschaftlicher Wert, ihre machtvolle erzieherische Bedeutung aus. D i e theoretische Bedeutung des Bündnisses von Philosophie und Naturwissenschaft besitzt viele Aspekte. Das hat mit der philosophischen Verallgemeinerung, mit der gründlichen philosophischen Analyse der Prozesse zu tun, die in der Wissenschaft ablaufen. Es hängt zusammen mit dem Kampf gegen idealistische Auffassungen, die in der Wissenschaft auf der Grundlage der wissenschaftlichen Ergebnisse selbst aufkommen können. Das Bündnis von Philosophie und Naturwissenschaft ist besonders wichtig für die ideologische Erziehung der Angehörigen der Intelligenz zu bewußten, überzeugten Anhängern des dialektischen und historischen Materialismus. W. I. Lenin, der die Idee des Bündnisses von Philosophen und Naturwissenschaftlern begründet hat, setzte dieses Prinzip in direkte Beziehung zum Kampf 2rwischen Materialismus und Idealismus in der Naturwissenschaft. Lenin, der diese Frage gründlich untersucht hat, setzte damit jene Linie fort, die er seinerzeit in dem Buch „Materialismus und Empiriokritizismus" entwickelt hatte. E r sprach direkt und nachdrücklich von der Notwendigkeit des Bündnisses mit jenen Vertretern der Naturwissenschaften, die nicht nur zum Materialismus neigen, sondern sich auch nicht fürchten, den Materialismus im Kampf gegen philosophische „Moderichtungen" zu verteidigen und zu propagieren. Lenin sprach davon, daß man die Revolution in der Naturwissenschaft verfolgen muß, um allen Umtrieben idealistischer Schattierung rechtzeitig entgegentreten zu können. E r wies darauf hin, daß diese Aufgaben wahrhaft wissenschaftlich und effektiv nur dann gelöst werden können, wenn die Naturwissenschaftler bewußte Anhänger des dialektischen und historischen Materialismus sind. Die Verwirklichung des Leninschen Gedankens vom Bündnis zwischen Philosophie und Naturwissenschaft begann nach der Veröffentlichung des Artikels „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus", der gewaltigen Eindruck bei den Vertretern der Wissenschaft hinterließ. Besonders bedeutsame Erfolge bei der Verwirklichung des Bündnisses wurden Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre erzielt, als der Kampf für die Leninsche Etappe in der Entwicklung der marxistischen Philosophie entbrannte, als das Interesse an der marxistisch-leninistischen Philosophie im Lande ungewöhnlich zunahm, Tausende unserer Wissenschaftler damit begannen, intensiv den dialektischen Materialismus zu studieren, als bei uns viele Universitäten des Marxismus-Leninismus für wissenschaftliche Mitarbeiter geschaffen worden waren. Die angesehensten Gelehrten unseres Landes, der Ruhm der sowjetischen Wissenschaft - S. I. Vavilov, A. F. Joffe, V . L.
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Komarov, A. Fersman, I. V. Micurin und viele andere - , stellten sich unter dem Einfluß der Leninschen Gedanken direkt und offen auf die Positionen des dialektischen Materialismus und verteidigten diese Ideen wirksam im Kampf gegen jede Art von idealistischen und positivistischen Theorien und Geistesströmungen. Das war eine großartige Bekundung des tiefen Interesses am Marxismus-Leninismus, des Vertrauens zur Partei Lenins, ein Ausdruck des sowjetischen Patriotismus der größten Vertreter der sowjetischen Wissenschaft. Heute sind verschiedene Formen gemeinsamer Arbeit von Philosophen und Naturwissenschaftlern auf dem Gebiet der philosophischen Analyse naturwissenschaftlicher Probleme ein Beweis dafür, wie sehr wir bei der Verwirklichung der Leninschen Bündnisidee vorangekommen sind. Höchst bedeutsam für die Entwicklung dieser Arbeit erscheint die wissenschaftliche Tagung des Instituts für Philosophie der Kommunistischen Akademie, die anläßlich des 25. Jahrestages des Erscheinens von „Materialismus und Empiriokritizismus" im Juni 1934 stattfand, d. h. vor mehr als 40 Jahren. Zum Problem „Die moderne Naturwissenschaft und der Dialektische Materialismus" hielten die Akademiemitglieder A. F. Joffe und S. I. Vavilov Vorträge. In seinem Vortrag „Die Entwicklung der atomistischen Anschauungen im 20. Jahrhundert" sagte A. F. Joffe: „Vor mir befindet sich die Losung ,Es lebe das Bündnis der dialektischen Materialisten mit den Naturforschern für den Kampf gegen den Idealismus!' Nicht nur für mich, sondern auch für die überwiegende Zahl aller Physiker unserer Union kann ich sagen, daß wir ein solches Bündnis in jeder Weise begrüßen. Ich denke, wir haben nicht nur in Worten, sondern auch mit der Tat schon gezeigt, daß wir es anstreben . . . Weshalb spreche ich davon? Deswegen, weil mir scheint, daß weitaus größere Kühnheit vonnöten ist, und zwar gerade für die Bolschewiki, die Kommunisten. Und dies ist die Hauptpflicht der Kommunistischen Akademie in Fragen der Methodologie, in den Fragen der Philosophie, der Gnoseologie, der Erkenntnistheorie: voranzugehen, fortgeschrittene Positionen einzunehmen. W i r sind sehr gern bereit, gegen den Idealismus zu kämpfen, und wir verstehen seine Gefährlichkeit und seine Schädlichkeit sehr gut. W i r wissen, daß auf dem Boden der Krise, auf dem Boden des Faschismus ein Idealismus heranwächst, der bemüht ist, jede neue Tatsache für seine Seite, zu seinem Nutzen auszulegen. Wir sind bereit, gegen den Idealismus zu kämpfen, weil wir klar seine enorme Schädlichkeit für die Wissenschaft und seine noch größere Schädlichkeit für die politische Entwicklung sehen: Er nutzt der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems, er schwächt den Kampf für die Befreiung von dessen Joch. Und darum sind wir bereit, mit allen Kräften gegen den Idealismus zu kämpfen. Aber wie soll man gegen ihn kämpfen? Ich denke, Neues zu fürchten, weil sich darin ein Hauch von Idealismus finden könnte, und deshalb auf der Stelle zu treten - das ist eine Methode, mit der man niemanden besiegen kann. Man muß vorwärts gehen, man muß als Gegengewicht zu den idealistischen Theorien eigene Theorien schaffen, ein eigenes Verständnis der neuen Ideen, und so den Boden jeglicher idealistischer
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Versuche unterminieren. Beleuchten sie uns den Weg mit den Scheinwerfern der richtigen Theorie - das ist der beste Weg, um den mystischen Nebel des Idealismus zu vertreiben." Weiter führte A. F. Joffe aus: „In jenem großartigen Buch, dem unsere Tagung gewidmet ist, werden wir Hinweise auch für den gegenwärtigen Moment finden. Es stellt sich heraus, Lenin hat die Physik so gut gekannt, daß man nur wünschen kann, viele ihrer heutigen Kritiker würden sie so gut kennen. Er kannte die vom Standpunkt des .gesunden Menschenverstandes' wunderlichen Dinge, von denen ich am Anfang gesprochen habe. Doch dessen ungeachtet werden Sie in seinem ganzen Buch keine einzige Zeile finden, in der er etwa behauptet, Abraham sei ein Idealist, weil er die Masse scheinbar genannt hat, oder Planck sei Idealist, weil er der Strahlungsenergie eine Masse zuschrieb und sie nur mit einem Koeffizienten berechnete. Im Gegenteil, jedes neue, erweiterte, wenn auch ungewöhnliche Verständnis physikalischer Erscheinungen faßt Lenin als eine glänzende Bestätigung des dialektischen Verlaufs der Entwicklung, für das Fehlen starrer Normen, als eine Erscheinungsform der enormen Vielfalt der unerschöpflichen realen Materie auf. Darum müssen wir unsere Auffassungen ständig revidieren. Darin liegt das Verdienst, darin liegt der Hauptvorzug der dialektischen Methode. Lenin hat gesagt, daß die Physiker im Grunde genommen natürlich Materialisten sind, weil sie sich mit der Erforschung der äußeren Welt befassen. Zu glauben, daß diese Welt von uns selbst erschaffen worden ist, daß sie real nicht existiert, und dennoch ihre Eigenschaften zu erforschen - das ist eine ziemlich undankbare Aufgabe für einen Physiker . . . Warum soll er sich mit Physik befassen? Warum eine Welt erforschen, wenn man sie selbst nach Belieben erschaffen kann, was weitaus interessanter ist." A. F. Joffe schloß seinen Vortrag mit folgenden Worten: „Damit dies so wird, müssen wir die vordersten Positionen einnehmen, müssen wir kühn voranschreiten, ohne uns vor Fehlern zu fürchten, denn wir besitzen ein vortreffliches Instrument, das uns vor ihnen bewahrt. Unsere Theorie wird nicht im. luftleeren Raum aufgebaut, wir schaffen eine Theorie der real existierenden Welt, und die realen Äußerungen dieser Welt, jene Widerspiegelung, die sie in unseren Empfindungen erfährt, liefern uns die Methode der Uberprüfung durch die Praxis. Die Erfahrungen, die Praxis geben uns die Garantie, daß wir kein abstraktes idealistisches Schema aufrichten, sondern uns in unseren Theorien immer mehr der Erkenntnis jener wirklichen Welt annähern werden, die wir erkennen wollen und die wir umgestalten wollen." 79 Im Vortrag S. I. Vavilovs 8 0 wurde eine dialektisch-materialistische Analyse der Entwicklung der Vorstellungen über die Natur in der Geschichte der Physik 79
A . F. Joffe, Razvitie atomisticeskich vozzrenij v X X . veke, in: X X V let „Materializma i empiriokriticizma" V . I. Lenina, Moskva-Leningrad 1 9 3 5 , S. 2 3 0 .
80
Siehe S. I. Vavilov, Dialektika svetovych javlenij, in: X X V let „Materializma i empiriokriticizma" V . I. Lenina, a. a. O., S. 2 3 1 - 2 4 2 .
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gegeben. Der Vortrag von Akademiemitglied S. I. Vavilov war ein leuchtendes Zeugnis dafür, daß der dialektische Materialismus zum ideellen und methodologischen Rüstzeug der sowjetischen Naturwissenschaftler geworden war. Wir konnten damals mit großer Befriedigung konstatieren, daß die Philosophie des Marxismus-Leninismus geistige Siege errungen hatte, daß das Bündnis von Philosophen und Naturwissenschaftlern eine feste wissenschaftliche Grundlage gewann. Man muß jedoch feststellen, daß dieses Bündnis bei uns nicht in einem glatten und geradlinigen Prozeß entstand. Dieser Prozeß verlief nicht ohne Schwierigkeiten, nicht ohne diese oder jene Mißerfolge. Es gab auch Unstimmigkeiten und Fehler auf diesem Weg. Aber im ganzen schritt dieser Prozeß unablässig und kontinuierlich voran. Es ist zu sagen, daß viele höchst angesehene Wissenschaftler des Westens die Rolle und die Bedeutung dieses Prozesses verstehen. In einem vom Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR veröffentlichten Sammelband, „Lenin und die moderne Naturwissenschaft", schrieb z. B. John B e m a l : „Das 20. Jahrhundert steht im Zeichen stärksten Einflusses des Leninschen Genius nicht nur auf dem Gebiet der Ökonomie, sondern auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften." Weiter stellte John Bernal fest: „Obwohl wir bereits einen langen Weg ohne Lenin zurückgelegt haben, dauert der fruchtbringende Einfluß seiner Ideen immer noch an, bestimmt er den allgemeinen Geist der Wissenschaft der neuen Generation nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in der ganzen Welt. Dadurch können selbst die schlimmsten Feinde der Sowjetunion schon nicht mehr behaupten, der wissenschaftliche und technische Fortschritt sei mit einem nach dem Leninschen Plan errichteten Sozialismus unvereinbar. Im Gegenteil, die Entwicklung der Wissenschaft ist die Grundlage nicht nur der Ökonomie, sondern auch der Ideologie des Sozialismus, und dies trägt außerordentlich zur Erweiterung seiner Grenzen bei." 81 Diese Worte zeigen eindrucksvoll, welch starken Einfluß die Leninschen Gedanken ausüben. Mit welchen Methoden das bürgerliche Denken diesem Einfluß zu begegnen und in das sozialistische Bewußtsein einzudringen versucht, darüber berichtet der tschechoslowakische Wissenschaftler V. Nemec in seinem Buch „Die Aktualität des Leninschen streitbaren Materialismus". 8 2 Er hebt hervor, daß Ende der sechziger Jahre bei den meisten tschechoslowakischen Philosophen das enge Bündnis mit den parteilosen Vertretern der modernen Wissenschaft einer unkritischen Aneignung nichtmarxistischer und zum Teil auch antimarxistischer bürgerlicher Lehren, einem prinzipienlosen Eklektizismus, dem Verlust des Prinzips der Parteilichkeit in der Philosophie zu weichen begann. Die sogenannten neuen „marxistischen Theoretiker" in der Tschechoslowakei versuchten in den sechziger Jahren, die marxistische Philosophie mit Hilfe verschiedener Sentenzen „modischer" bür81
J. Bemal, Lenin und die Wissenschaft, in: Lenin und die moderne Naturwissenschaft, Moskau 1 9 6 9 , S. 29, 3 4 f.
82
V . Nemec, D i e Aktualität des Leninschen streitbaren Materialismus, in: Nova Mysl, Prag, 3/1972, S. 3 5 1 - 3 5 4 (tschech.)
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gerlicher Denker zu „modernisieren". Im Endeffekt führte dies alles dazu, daß die wissenschaftliche Auffassung der gesellschaftlichen Entwicklung in Vergessenheit geriet, daß die Positionen des Revisionismus, Idealismus, Spiritualismus und Irrationalismus gestärkt wurden, führte schließlich zu Versuchen, die marxistisch-leninistische Philosophie von der revolutionären Bewegung zu trennen. So verband sich der philosophische Revisionismus mit der politischen Reaktion. In dem vor geraumer Zeit erschienenen Buch „Über die Spezifik der philosophischen Wissenschaft" (eine Veröffentlichung der Universität Rostow) schreibt dessen Autor A. V. Potemkin zur Frage des Bündnisses von Philosophie und Naturwissenschaft: „Die Leninsche Idee des Bündnisses mit den Naturwissenschaftlern, die zum Materialismus neigen, als Idee eines Bündnisses mit einem progressiven Teil der Klasse der Bourgeoisie liegt der Politik der KPdSU gegenüber den Wissenschaftlern der kapitalistischen Länder zugrunde, doch es wäre falsch, dieses Prinzip auf die gegenseitigen Beziehungen zwischen Philosophen und Naturwissenschaftlern unter den Bedingungen des siegreichen Sozialismus zu übertragen."83 Dies sind zutiefst falsche Ansichten. Erstens: Mit welcher Begründung betrachtet der Autor den progressiven Teil der Naturwissenschaftler unter den Bedingungen der bourgeoisen Gesellschaft als einen Teil der Klasse der Bourgeoisie? Eine solche Einstellung zur progressiven Intelligenz ist von der Partei bereits lange vor dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution verurteilt worden. Zweitens: Es gibt keinen Grund zu der Annahme, der Leninsche Gedanke des Bündnisses mit den Naturwissenschaftlern habe sich nur auf die Bedingungen der kapitalistischen Ordnung bezogen. W. I. Lenin hat seinen Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus" im Jahre 1922 veröffentlicht, fünf Jahre nach dem Sieg des Großen Oktober; und er betrachtete das Bündnis mit den Naturwissenschaftlern als eine der wichtigsten Aufgaben der Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus". Drittens: Die These, unter den Bedingungen des Sieges des Sozialismus habe sich die Frage des Bündnisses von Philosophen und Naturwissenschaftlern bereits überlebt und sei nicht mehr aktuell, ist zutiefst falsch. Gerade unter den Bedingungen des siegreichen Sozialismus, wenn ein gewaltiges Wachstum der naturwissenschaftlichen Forschung zu verzeichnen ist, wenn die Anzahl der Wissenschaftler auf dem Gebiet von Naturwissenschaft und Technik schnell zunimmt, wenn diese Kader in immer höherem Maße sich die marxistisch-leninistische Weltanschauung aneignen, wenn die Einheit und Geschlossenheit der sozialistischen Gesellschaft von Tag zu Tag wächst und stärker wird, dann gewährleisten die Bedingungen für die weitere Entwicklung, Vervollkommnung und Vertiefung des Bündnisses von Philosophie und Naturwissenschaft immer neue Errungenschaften auf diesem Gebiet. Man brauchte auf die falschen, simplifizierenden Ideen A. V. Potemkins nicht 83
A . V . Potemkin, Über die Spezifik des philosophischen Wissens, Rostow 1 9 7 3 , S. 95.
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einzugehen, wenn nicht der Gedanke des Bündnisses von Philosophie und Naturwissenschaft Gegenstand des gegenwärtigen ideologischen Kampfes mit unseren Gegnern aus dem bürgerlichen Lager wäre. Ausgehend von verschiedenen falschen, unwissenschaftlichen Überlegungen, stellen sie alle möglichen verfälschenden Behauptungen auf, versuchen sie, das Bündnis von Philosophie und Naturwissenschaft zu unterminieren, zu verunglimpfen oder es extrem falsch darzustellen. Unter diesen Umständen spielt jegliches Schwanken in der Frage des Bündnisses von Philosophie und Naturwissenschaft objektiv unseren Gegnern in die Hände und trägt Verwirrung in die Auslegung wichtigster Leninscher Gedanken. In der letzten Zeit haben sich die Ausfälle gegen die materialistische Dialektik unter den bürgerlichen Wissenschaftlern gehäuft. So hat zum Beispiel der Nobelpreisträger J. Monod, ein bekannter Fachmann auf dem Gebiet der Molekularbiologie, 1970 das Buch „Zufall und Notwendigkeit. Eine Untersuchung naturphilosophischer Probleme der modernen Biologie" veröffentlicht, das in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit des Auslands Aufmerksamkeit erregte.8'* J. Monod schreibt in seinem Buch viel über den dialektischen Materialismus. Aber was er darüber schreibt, zeigt leider, daß er den dialektischen Materialismus nicht kennt, nicht versteht und ein Gefangener der landläufigen falschen Vorstellungen über die marxistisch-leninistische Philosophie ist. Und dieser große Spezialist auf seinem Gebiet, der den dialektischen Materialismus nicht kennt, macht sich an die undankbare Aufgabe, ihn zu kritisieren. 85 So erklärt Monod, Engels habe der Natur die Dialektik „aufgezwungen", um auf diese Weise auch die Entwicklung der Natur den von Marx aufgestellten Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft „anzupassen". Monod selbst ist der Meinung, daß es in der Natur keine dialektischen Gesetzmäßigkeiten gäbe. In der Frage von Zufall und Notwendigkeit geht er davon aus, daß Zufall und Notwendigkeit absolut widersprüchliche Begriffe sind. 86 Im Endergebnis führen ihn diese antidialektischen Ideen sogar auf seinem Spezialgebiet zu einer Reihe von unrichtigen Behauptungen und Gedanken, die von den Vertretern der Molekularbiologie selbst heftig kritisiert werden. Monod wendet sich gegen die Entwicklungstheorie und gelangt zu der Schlußfolgerung, daß angesichts der Erfolge der Molekularbiologie die Darwinsche Entwicklungstheorie im Rückzug begriffen sei. Seine Auffassung vom genetischen 84
J. Monod, Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie, München 1 9 7 1 .
83
H. Ley, Über die Schwierigkeiten des Einzelwissenschaftlers. Des Biologen Jacques Monod Kritik am historischen Materialismus und der Zwang zur Philosophie in den Naturwissenschaften, in: Reihe „Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie", hg. von Manfred Buhr, H. 25/ 1 9 7 3 ; G. Besse/Ph. Cazelle/P. Jaegle/J. Metzger/J. Milhau/J. Ninio/P. Roubaud, Kritische Betrachtungen zu Jacques Monods „Zufall und Notwendigkeit", in: Ebenda, H. 30/1973.
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J. Monod, Zufall und Notwendigkeit, a. a. O., S. 4 6 ff.
Kode läuft darauf hinaus, daß der genetische Kode ein absolut stabiles, geschlossenes und verschlossenes System darstellt, das keine Informationen von außen aufnehmen kann. Diese seine Schlußfolgerungen, die gewisse spezifische Eigenschaften des genetischen Kodes einseitig verabsolutieren, sind in der Molekularbiologie einer scharfen Kritik unterzogen worden. So hat also die Mißachtung der Dialektik, hat der Wunsch, um jeden Preis den dialektischen Materialismus zu widerlegen, Monod selbst einen üblen Streich gespielt. Gegen die Gedanken des dialektischen Materialismus wenden sich auch andere bürgerliche Vertreter der modernen Naturwissenschaft. Nicht vorübergehen kann man an der reichlich törichten, in den allgemeinen ideologischen Kampf bewußt eingreifenden Veröffentlichung M. Türkaufs, eines bekannten Schweizer Gelehrten, Fachmann auf dem Gebiet der physikalischen Chemie. Er besuchte die Sowjetunion als Tourist, war in Leningrad und unternahm von Moskau aus eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn bis zu ihrem östlichen Endpunkt. In die Schweiz zurückgekehrt, veröffentlichte er 1974 ein Buch unter dem Titel „Mit der Eisenbahn durch den dialektischen Materialismus (Reisenotizen über die Sowjetunion)". 87 In diesen „Notizen" erörtert er den dialektischen Materialismus im Geiste des mechanischen Materialismus, im Geiste einer gewissen „mechanisch-deterministischen Betrachtung". So mißfällt ihm zum Beispiel das Gesetz des Umschlags der Quantität in eine neue Qualität. Die Klassiker des MarxismusLeninismus hätten die Naturwissenschaft nicht verstanden, verkündet Türkauf; das habe Marx und Lenin zu dem „Irrtum" geführt, daß die Qualität der Welt aus einer hinreichenden Summe von Quantitäten entstehe. Der Autor spart nicht an Farben, um seine positive Einstellung zu Rußland, zum russischen Volk darzustellen, er schreibt von den „blauen Augen" der Russen, von „der melodischen russischen Sprache, die für Dichter geschaffen ist", von der Freigebigkeit und Herzlichkeit der russischen Menschen, davon, wie sympathisch die Reiseführerinnen und wie entgegenkommend die Milizionäre waren usw. Unter dieser Tarnung bringt er seine eigentliche Konvergenzidee ins Gespräch - die bürgerliche Welt nennt er „Kapimat", die sowjetische Welt „Diamat". Er meint, wenn erst durch die weltweite Industrie so viel Brennstoff verbraucht sein wird, daß alle Reserven versiegt sind, dann werden „Diamat" und „Kapimat" einander die Hand reichen. So sieht diese eigenartige antisowjetische Konvergenzfaselei aus. Das Buch M. Türkaufs trägt deutlich antisowjetischen Charakter; es ist voll von unwissenschaftlichen Ausfällen gegen den dialektischen Materialismus. Die angeführten Beispiele zeugen davon, d a ß die philosophischen Probleme der Naturwissenschaft auch in der heutigen Zeit eine Arena heftigen ideologischen Kampfes darstellen. In den Auffassungen unserer Gegner verbinden sich die Unkenntnis der Philosophie des Marxismus-Leninismus und die Entstellung ihrer Grundaussagen mit reaktionären politischen Bestrebungen. Es handelt sich 87
M. Türkauf, Mit der Eisenbahn durch den dialektischen Materialismus. Reisenotizen über die Sowjetunion, Bern 1 9 7 4 .
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um Versuche, die Errungenschaften der Wissenschaft für den Kampf gegen den Materialismus, gegen den Sozialismus, gegen die sowjetische Ordnung auszunutzen. Unsere Aufgabe besteht darin, solche falschen und schädlichen Methoden und Auffassungen der Gegner zu entlarven, konstruktiv und positiv die philosophischen Fragen der Wissenschaft auszuarbeiten und eine dialektische und materialistische Verallgemeinerung der Wissenschaftsentwicklung zu geben.
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KAPITEL 2
Die Hauptrichtungen des gegenwärtigen ideologischen Kampfes
N i e zuvor in der Geschichte besaß die geistige Auseinandersetzung zwischen Reaktion und Fortschritt einen so tiefen und prinzipiellen, einen so komplexen und vielgestaltigen, einen so weltumspannenden und alle Bereiche der G e s e l l schaft durchdringenden Charakter. In unserer Zeit sind die fortschrittlichen Ideen zu einer mächtigen Triebkraft im Leben der V ö l k e r geworden. K r i t i k oder B i l l i gung dieser oder jener geistigen Erscheinungen haben aufgehört, Sache eines engen Kreises von „Spezialisten" oder „Auserwählten" zu sein. Nicht mehr die Oberpriester der Ideen, sondern die breiten Massen fällen heute das Urteil über diese oder jene ideologischen Systeme. Deshalb hängt das Schicksal der weltanschaulichen Konzeptionen nicht nur davon ab, ob sie von den Philosophen und den Politikern anerkannt werden. D a s letzte W o r t haben heute die Massen, die in jeder Doktrin die Antwort auf die drängenden Probleme der Gegenwart suchen. Nicht zufällig verlieren auch die Doktrinen selbst ihren abstrakten Charakt e r und widerspiegeln konkrete historische Prozesse, die heute die ganze Menschheit bewegen, die weltumspannende Aufmerksamkeit verdienen. E i n anderer Grund für die gewaltige Bedeutung der Ideen in der modernen Gesellschaft liegt darin, daß unser Jahrhundert - und insbesondere das vergangene Jahrzehnt - einen Abgrund quälender Fragen vor der Menschheit hat erstehen lassen. Immer tiefer dringen die Wissenschaftler in die Geheimnisse der N a t u r ein. Schon beginnen die Biologen, die Geheimnisse des Gens zu entschlüsseln, lernen sie, das enorme Potential des Gens zu steuern. E s hat den Anschein, d a ß die Menschheit an der Schwelle unerhörter Möglichkeiten des Fortschritts und des Überflusses steht. Aber gleichzeitig mit dem Optimismus und den Hoffnungen entstehen auch Ängste, verbreiten sich Enttäuschungen und wächst der Pessimismus. Antagonismen, Konflikte, Widersprüche zeigen sich mit besonderer K r a f t im mächtigsten und reichsten kapitalistischen L a n d - in den U S A . I m heutigen „reichen" Amerika gibt es Millionen Hungernde, E l e n d e , Arbeitslose. W e d e r hat der wissenschaftliche und der technische Fortschritt dort das Problem des M a s senelends, noch haben die riesigen und ausgezeichnet ausgerüsteten Universitäten das Problem der Allgemeinbildung lösen können. D i e bürgerlichen Zeitungen berichten über das unerhörte T e m p o des technischen Fortschritts. D o c h in denselben Zeitungen werden Vermutungen geäußert, d a ß die Menschheit ein J a h r 61
hundert weiter durch den Ruß, den Schmutz, die Vergiftung der Luft, die „Fäulnis" der Wasserreservoire usw. zugrunde gehen werde. Dank der modernen Nachrichtentechnik kann man unseren Planeten gleichzeitig fast ganz überschauen. Die elektronische Technik ermöglicht es, den E r d ball auf allen Längen- und Breitengraden zu betrachten und abzuhören. Manchmal scheint es, die Erdbewohner seien schon bereit, mit anderen zivilisierten Welten in einen geistigen Austausch zu treten. Und zugleich haben die Klassengegensätze unerhörte Schärfe angenommen. Auf der E r d e existieren diametral entgegengesetzte Weltsysteme. Es tobt ein ununterbrochener Kampf zwischen den Kräften des Fortschritts und denen der Reaktion. D i e außerordentliche Bedeutung der Ideen in der modernen Gesellschaft ist auch darauf zurückzuführen, daß in unseren Tagen eine ganze sozialökonomische Formation, der Kapitalismus, sich überlebt hat und in Gestalt des Imperialismus stirbt. Wladimir Iljitsch Lenin hat mehr als einmal hervorgehoben, daß der Untergang einer Gesellschaftsformation nicht dem Tod eines einzelnen Menschen gleicht. Den sich zersetzenden Leichnam eines Menschen kann man hinaustragen. Eine dem Untergang geweihte Formation dagegen, über die die Geschichte ihr Urteil gesprochen hat, kämpft weiter um ihre Existenz, versucht, ihren Platz in der Geschichte zu behaupten und der Welt ihren Stempel aufzudrücken. D i e Schärfe und Kompliziertheit des ideologischen Kampfes in der gegenwärtigen Etappe ist schließlich dadurch zu erklären, daß die Menschheit direkt vor die Alternative der Zukunft gestellt ist. Marx und Engels haben die Entwicklung der Gesellschaft bis zum Aufbau des Kommunismus die Vorgeschichte der Menschheit genannt. 1 Das war eine tiefgründige und kühne Feststellung! Und jetzt nähert sich die Menschheit dem Finale der Vorgeschichte. Irgendwo hinter den letzten steilen Anstiegen ist schon die echte Geschichte der Menschheit in Sicht, in der die oben erwähnten Widersprüche und Konflikte endgültig verschwinden werden. Unaufhaltsam bewegt sich die Menschheit auf den Kommunismus zu. Unsere Epoche stellt für ganze Länder und Kontinente die Frage nach der Zukunft, das Problem der historischen Alternative. D e r Imperialismus besitzt keine Möglichkeit, der Menschheit mit einer eigenen alternativen Variante für die Zukunft entgegenzutreten. Gegenwart und Zukunft des Imperialismus - das bedeutet Hunger und Unterdrückung, Aggression und Gewalt, soziale Gebrechen und menschliche Not, das bedeutet Mißbrauch der Wissenschaft, Verkümmerung der Kultur, Deformation der menschlichen Persönlichkeit. Und allerlei zweifelhafte „Theorien" und „Konzeptionen" sollen diese Realität von Krise und Untergang übertünchen. D e r Kommunismus dagegen bietet den Völkern Frieden und Freundschaft, ein grandioses Wachstum des Wohlstandes, ein Aufblühen von Wissenschaft, Technik, Bildungswesen und Kunst, die allseitige harmonische Entwicklung der Persön1
Siehe F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring"), in: K . Marx/F. Engels, Werke (im folgenden M E W ) , Bd. 20, Berlin 1973, S. 141.
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lichkeit und die klare marxistisch-leninistische Theorie - die fortschrittlichste Weltanschauung der Menschheit, die wissenschaftliche Grundlage für den sicheren Weg in die Zukunft und das Instrument ihrer Verwirklichung. D e r ideologische Kampf zwischen Sozialismus und Imperialismus wird gegenwärtig an einer sehr breiten Front geführt. Der extremste, reaktionärste Ausdruck der bürgerlichen Ideologie ist der Antikommunismus. Antikommunismus - das ist ein Synonym für Reaktion. Seine Speerspitze richtet sich gegen den Marxismus-Leninismus als die wissenschaftliche, streitbare, revolutionäre Lehre, gegen den Sozialismus und Kommunismus sowie das sozialistische Weltsystem, gegen die internationale kommunistische Bewegung und den nationalen Befreiungskampf der Völker. Es ist interessant zu verfolgen, wie sich die Methoden des antikommunistischen Kampfes in den letzten Jahren änderten. Im Jahre 1969 wurde in London ein Sammelband unter dem Titel „Die Zukunft der Sowjetgesellschaft" veröffentlicht, der vom amerikanischen Rat zum Studium der Probleme auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen vorbereitet worden war. An der Erarbeitung dieses Sammelbandes beteiligten sich die bekanntesten „Sowjetologen". 2 Professoren der größten Universitäten der U S A und aller möglichen „Zentren zum Studium des Kommunismus", unter ihnen G . Lewin, T . Wolfe, S. Blake, A. Kassof, W . Aspaturjan, J . Campbell u. a., stellten sich die Aufgabe, eine vollständige und systematische Übersicht über die Veränderungen zu geben, die in der sowjetischen Gesellschaft seit deren Bestehen vor sich gegangen sind, die zu erkennenden Entwicklungstendenzen zu untersuchen sowie den Versuch zu unternehmen, die Perspektiven ihrer Entwicklung zu beschreiben. Gegen eine objektive wissenschaftliche Analyse wäre gar nichts einzuwenden. Doch alle genannten Professoren vereinte etwas anderes: D i e Analyse des gewaltigen Komplexes der Probleme des inneren Lebens der U d S S R und ihrer internationalen Rolle erfolgte durch das Prisma des Antikommunismus und Antisowjetismus. D i e antikommunistische Position der Verfasser des Sammelbandes ist extrem deutlich und läßt nicht die geringsten Zweifel zu. Einige Autoren des Sammelbandes vertraten die Ansicht, daß der Versuch des Bolschewismus, eine neue Gesellschaft aufzubauen, nur eine zeitweilige historische Erscheinung auf dem allgemeinen Weg der modernen Entwicklung sei. D e r einzige „allgemeine Weg der modernen Entwicklung" ist ihrer Meinung nach der kapitalistische Weg. Im Unterschied zu vielen Dutzenden Büchern des sogenannten „blinden Antikommunismus" haben die amerikanischen Wissenschaftler ihrem Werk einen sozusagen respektabel-wissenschaftlichen Charakter gegeben. E s ist in einem ruhigen Ton und mit dem deutlich ausgeprägten Anspruch auf Objektivität geschrieben. 2
Siehe D i e Zukunft der Sowjetgesellschaft, London 1 9 6 9 ; vgl. auch: K . von Beyme, Sozialismus oder W o h l f a h r t s s t a a t ? : Sozialpolitik und Sozialstruktur der Sowjetunion im Systemvergleich, München 1 9 7 7 .
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E s werden viele Daten aus sowjetischen Quellen entnommen. D i e Prognosen werden vorsichtig angestellt, mögliche Varianten werden berücksichtigt; doch sind diese „feinen" Analyseverfahren in allen Artikeln des Sammelbandes durchdrungen von dem leidenschaftlichen Bestreben, solche Veränderungen in der U d S S R zu erreichen, die die U d S S R auf den Weg des Kapitalismus zurückführen. Der Organisator und Redakteur dieses Werkes, Allan Kassof, charakterisiert die Errungenschaften der Sowjetunion auf folgende Weise: D i e feste Position, die sich die Sowjetunion unter den größten Weltmächten erkämpft hat, sei nur der äußere Ausdruck der Reife ihrer sozialen Institutionen: der Entstehung einer gebildeten Bevölkerung mit einer Weltanschauung und Motiven, die den Lebensbedingungen in der Epoche der modernen Technik entsprechen; der Entwicklung eines hocheffektiven Bildungssystems, einer mächtigen und sich ständig erweiternden ökonomischen Basis sowie eines modernen Städtenetzes. Von der Größenordnung der sowjetischen Erfolge zeuge, von allen Unzulänglichkeiten abgesehen, besonders anschaulich die Tatsache, daß bis heute die meisten Menschen in der Mehrheit der Länder der Welt von Ähnlichem nicht einmal zu träumen wagten. D i e meisten Autoren des Sammelbandes erkennen die Stärke und Unerschütterlichkeit des sowjetischen Systems an, konstatieren die Begeisterung der sowjetischen Menschen, darunter auch der Jugend, für den Sozialismus und vertreten die Ansicht, daß man kaum auf irgendwelche großen „revolutionären" - lies: konterrevolutionären - Veränderungen im Leben der U d S S R rechnen könne. Man sollte meinen, daß nach derartigen Einschätzungen der Errungenschaften, die bei uns in der Sowjetunion erzielt worden sind, nur noch eines übrig bliebe: die Waffen des Antisowjetismus niederzulegen und anzuerkennen, daß der ganze Kampf gegen die Sozialistische Oktoberrevolution, gegen den Sowjetstaat ein Fehler gewesen ist. Doch davon kann keine Rede sein! Etwas anderes vereint die Antikommunisten und Antisowjetisten: Sie sind bestrebt, „Schwächen" herauszufinden oder sich auszudenken, die in gewissem Maße die in der Vergangenheit gescheiterten Hoffnungen wiederbeleben. Worauf rechnen nun die Antikommunisten in ihren Prognosen? D a s einzige, worauf sie ihre Hoffnungen gründen, das ist die ideologische Erosion, eine Schwächung der führenden Rolle der Kommunistischen Partei, ein Abgehen von der „harten ideologischen Kontrolle", ein mögliches „Tauwetter", wie sie sich ausdrücken, eine „breite Liberalisierung" im Geiste der bürgerlichen Demokratie. Ganz und gar nicht gefallen ihnen die „hartnäckigen Behauptungen", daß die Partei als Führer der werktätigen Massen der Garant aller imposanten Erfolge in unserem Lande ist. D a s behindert nach Meinung dieser „Sowjetologen" die Verwirklichung neuer Gedanken und Theorien, die aus „unabhängigen Quellen" stammen müßten und die notwendig seien „zum Ersatz der alten Methoden", die sich „überlebt" oder sich einfach als „erfolglos" erwiesen hätten. Unbekannt ist den Autoren des Werkes, daß gerade die Kommunistische Partei - die sich in ihrer überragenden Tätigkeit von der unsterblichen Lehre W. I. 64
Lenins leiten läßt, die die wahre Quelle erfolgreicher Politik ist und die die Interessen des Volkes ausdrückt - ständig veraltete Arbeitsmethoden durch neue ersetzt, daß unter der Führung der Partei der Staatsapparat und der Charakter der Leitung der sowjetischen Gesellschaft täglich und mit Erfolg vervollkommnet werden. Das Erscheinen des oben erwähnten „wissenschaftlichen" Werkes ist höchst symptomatisch. Es zeigt, daß der moderne sogenannte „intellektuelle" Antikommunismus immer mehr von den früheren, vulgären, primitiven Formen der „Kritik" der sowjetischen Ordnung und der Kommunistischen Partei, von der zügellosen Verleumdung des Kommunismus abgeht. Der Kommunismus, das sozialistische Weltsystem, die Sowjetunion sind heute so mächtig und anziehend für Millionen von Menschen in allen Ländern der Welt geworden, daß der Antikommunismus begonnen hat, von den alten Formen des Kampfes zu neuen, noch raffinierteren Methoden überzugehen. Das alles erfordert von uns einen tiefgründigeren, fundierteren, differenzierteren, beweiskräftigeren Kampf gegen die Ideologen des Antikommunismus. Eine der spezifischen Besonderheiten des Antikommunismus in unseren Tagen besteht darin, daß er eng verflochten ist mit dem Sozialreformismus und andererseits mit revisionistischen Strömungen in der kommunistischen Bewegung. Das drückt sich ziemlich deutlich in der amerikanischen Zeitschrift „Probleme des Kommunismus" aus, die 1970 eine „Diskussion" über den Marxismus-Leninismus durchführte. 3 Es ist bezeichnend, daß selbst die unverhülltesten Antikommunisten, die sich an dieser Erörterung beteiligten, nicht umhin konnten, die gewaltige Anziehungskraft des Marxismus-Leninismus anzuerkennen. Der Zweck der Diskussion bestand jedoch in dem Versuch, noch einmal den „Polyzentrismus" des Kommunismus zu „beweisen". Zum „Beweis" dieser bekannten antikommunistischen Doktrin führte die Zeitschrift „Probleme des Kommunismus" zahlreiche „Argumente" an. Indem sie den Wunsch für die Wirklichkeit ausgaben, „vergaßen" die bürgerlichen Ideologen eine Tatsache wie die, daß auf der Moskauer Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien Übereinstimmung in den wichtigsten Fragen des gegenwärtigen Lebens erzielt wurde, daß ein einheitliches Aktionsprogramm der kommunistischen Parteien im Kampf gegen Imperialismus und Neokolonialismus, gegen die schwarze Reaktion ausgearbeitet wurde. So wird unter der Flagge des „Polyzentrismus" das Ziel verfolgt, das sozialistische Weltsystem und die internationale kommunistische Bewegung zu spalten. Bedeutenden Raum widmen die bürgerlichen Ideologen in ihren Äußerungen auch der Einschätzung der Entwicklungsprobleme der Menschheit. Neue „Konzeptionen" des sozialen Fortschritts sind aufgetaucht, die sich gegen die marxistisch-leninistische Auffassung vom Fortschritt der Menschheit richten. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht das schon erwähnte Buch des französischen Philo3
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Siehe Problems of Communism, Washington, Jan./Febr./März 1970. Mitin, Ideologischer K a m p f
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sophen und Soziologen Raymond Aron, „Les Désillusions du progrès", in dem der Versuch unternommen wird, die Ewigkeit und Unwandelbarkeit der sozialen Unterschiede zu begründen - der Klassenunterschiede, der nationalen, der kulturellen Unterschiede usw. Systematische Angriffe unternehmen die Antikommunisten heute auch auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand der marxistisch-leninistischen Ideologie, wobei sie dazu die unterschiedlichsten Anlässe wählen, beliebige Kräfte dazu ausnutzen, verschiedene „Theorien" - bis hin zur Ausschlachtung von revisionistischen Positionen jeglicher Schattierung - benutzen. Die erwähnte Zeitschrift „Probleme des Kommunismus" bemüht sich insbesondere, die geistige Entwicklung des Revisionisten und Renegaten Roger Garaudy entsprechend auszunutzen. Einer der Vorwürfe Garaudys gegenüber dem Marxismus-Leninismus bestehe — wie die Zeitschrift bemerkt - darin, daß die marxistisch-leninistische Theorie „die Wissenschaft in den Termini des Positivismus" behandele. Unter Positivismus begreife Garaudy ein solches Verständnis der Wissenschaft, bei dem die Erkenntnis auf die Untersuchung der Fakten sowie auf die Ausarbeitung von Gesetzen auf der Grundlage jener Gesetzmäßigkeiten reduziert wird, die in der Natur selbst gefunden worden sind. Wir werden uns hier nicht mit einer Analyse der Konzeption Garaudys über die „Annäherung" von Marxismus und Positivismus, über das Verhältnis zwischen der wertbestimmten und der wissenschaftlich-historischen Betrachtungsweise von Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens (wo es bei Garaudy bekanntlich ein großes Durcheinander gibt) aufhalten; wir stellen nur fest, daß die Zeitschrift „Probleme des Kommunismus" an den „Offenbarungen" Garaudys nicht vorbeigegangen ist. D i e positive Bewertung der Äußerungen Garaudys in einem der zentralen antikommunistischen Publikationsorgane ist der beste Beweis dafür, wie tief dieser Renegat gesunken ist. Ein anderes, nicht minder überzeugendes Zeichen für die enge Verflechtung von Antikommunismus und Revisionismus war das Buch „Nietzsche und der Marxismus", das 1969 in Belgrad erschien und einen Sammelband von Materialien eines Symposiums darstellte, das von den um die Zeitschrift „Praxis" zusammengeschlossenen jugoslawischen und ausländischen, meist westeuropäischen Philosophen veranstaltet worden war. 4 Nach der Meinung eines der Redakteure der Zeitschrift, D . Grlic, enthält Nietzsches Idee vom Übermenschen kein Gran Voluntarismus, sondern stelle nur den Kampf gegen alles dar, was den Menschen beleidige, was der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit im Wege stehet Nietzsche sei - D . Grlic zufolge - nie ein Gegner des Sozialismus und Marxismus
Nietzsche und der Marxismus, Belgrad 1 9 6 9 ; vgl. in: D . Basta, Marxismus und Nietzsche, Gledesta, Nr. 11, Belgrad 1 9 6 9 . 5
Siehe D . Grlic, K o je Nice, Beograd 1 9 6 9 ; ders., D e r Antisemitismus Friedrich sches, in: Praxis (Zagreb), 3 / 1 9 6 6 .
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Nietz-
gewesen, im Gegenteil: Zwischen dem Denken Nietzsches und dem Marxismus gebe es viel Gemeinsames. 6 Es fällt schwer, sich eine größere Tiefe des geistigen Falls und der Entartung vorzustellen als jene, die von den revisionistischen Philosophen um die Zeitschrift „Praxis" demonstriert wurde. Zu einer derart ungeheuerlichen und unsinnigen Behauptung wie der zu kommen, daß die menschenverachtenden Ideen eines der geistigen Väter des Hitlerfaschismus, Nietzsches, der Lehre von M a r x naheständen, heißt, jegliche Reste nicht nur wissenschaftlichen Denkens, sondern auch des elementaren menschlichen Anstands zu verlieren. 7 So zeigt sich unter der äußerlichen „marxistischen" Umhüllung, mit der die revisionistischen „Theoretiker" ihre Ansichten wortreich, aber ideenarm maskieren, das Wesen der Positionen der Verräter der marxistisch-leninistischen Lehre. Der Klassenkampf im allgemeinen und der ideologische Kampf im besonderen zerreißen in unserer Epoche jegliche ideologisch-politische Maskerade. Dieser Kampf der Ideen enthüllt die unbesiegbare Kraft und Klarheit des MarxismusLeninismus und die tiefe Krise der bürgerlichen Ideologie und aller revisionistischen „Theorien". Gehen wir noch auf eine andere bürgerliche ideologische Doktrin ein, die seit geraumer Zeit weit verbreitet ist, die ihre Bedeutung auch noch heute besitzt die Doktrin von der „Entideologisierung". 8 Hier stoßen wir sofort auf ein Paradoxon, auf eine jener verborgenen, „verkehrten" Erscheinungen, die immer in der Dialektik der Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens enthalten sind. Marx hat gelehrt, den „irdischen Kern" dieser umgewandelten Formen des Bewußtseins konsequent aufzudecken, ihre Quellen und die Besonderheiten ihres Funktionierens festzustellen. Es sind Deklarationen in Mode gekommen, die besagen, daß Ideen gar keine Rolle spielen, daß die Ideologien ein für allemal ihren Wert verloren hätten, daß das Bedürfnis nach Weltanschauung verlorengegangen sei, daß das Interesse an philosophischer Orientierung rudimentär geworden sei. Die These von der „Entideologisierung" versucht, den Eindruck zu erwecken, daß die bürgerliche Gesellschaft nicht etwa enttäuscht sei von diesem oder jenem System bürgerlicher Ideen, sondern von der Ideologie als solcher überhaupt. Dieser These zufolge wird scheinbar jegliche 6
Zur marxistisch-leninistischen Analyse und Kritik vgl. man v o r allem: S. F. Odujew, Auf den Spuren Zarathustras. Der Einfluß Nietzsches auf die bürgerliche deutsche Philosophie, Berlin 1 9 7 7 .
7
Es ist hier zu vermerken, daß in dem erwähnten Sammelband auch der Beitrag des Professors V . Pavicev von der Belgrader Universität enthalten ist, in dem dieser den Proklamationen und Verirrungen solcher Referenten des Symposiums entschieden
widerspricht,
deren Unwissenschaftlichkeit rügt und selbst eine richtige marxistische Einschätzung der Philosophie Nietzsches vornimmt. 8
Eine gründliche marxistisch-leninistische Analyse und Kritik dieser Doktrin findet sich u. a. in: L. N. Moskwitschew, „Entideologisierung" -
Illusion und Wirklichkeit,
Berlin
1973. 5»
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Ideologie abgelehnt. Natürlich haben wir es in diesem Falle nur mit der Kehrseite jener Prozesse zu tun, von denen schon weiter oben bereits die Rede war. Wenn man sich das geistige Leben der heutigen bürgerlichen Gesellschaft anschaut, so lassen sich - oberflächlich gesehen - deutliche Anzeichen einer „Entideologisierung" feststellen. Ganze Komplexe von Ideen zerfallen, Konzeptionen entstehen und vergehen wie Eintagsfliegen. Es ist ein intensiver Kampf gegen die „totalitären Tendenzen" der Ideologen im Gange. Ist das kein überzeugender Beweis für das Scheitern der Weltanschauungen in der bürgerlichen W e l t ? Versuchen wir, in das Wesen dieser Prozesse einzudringen. Die bürgerlichen Soziologen behaupten, der Unglaube, die Abstinenz gegenüber den Ideologien, die den Prozeß der „Entideologisierung" ausgelöst haben, stelle in der heutigen Welt ein allgemeines soziologisches Gesetz dar, das gleichermaßen für die kapitalistische wie für die sozialistische Gesellschaft gelte. Das ist eine grobe Entstellung der Wirklichkeit. Das ist nichts anderes als der Versuch, die Gebrechen der bürgerlichen Ordnung - hier der Krise der bürgerlichen Ideologie als ewige Probleme des gesellschaftlichen Lebens überhaupt auszugeben. Was macht den Kern der Theorie der „Entideologisierung" aus? Im Kern ist es die Behauptung, daß in unserer Zeit die Ideologie ihre Bedeutung nur in schwachentwickelten Ländern behalte, die noch nicht das Niveau des modernen technischen Fortschritts erreicht haben. In diesen Ländern bleibt nach Meinung der bürgerlichen Soziologen das Bedürfnis nach Ideologie erhalten; hier sei es überaus wichtig, weil es die Mobilisierung des Willens und des Enthusiasmus der breiten Massen gewährleisten könne. In den entwickelten kapitalistischen Ländern sterbe die Ideologie hingegen ab; an ihren Platz trete das rational organisierte und strukturierte Wissen. So behaupten die amerikanischen Soziologen D. Bell und S. M. Lipset, daß in der „demokratischen" Gesellschaft mittels „Sachentscheidungen" alle Probleme auf dem Wege von Reformen gelöst werden können. Die sozialen Institutionen und auch die sozialen Gemeinschaften bedürften nicht ideologischer Aufrufe, Wertvorstellungen usw., sondern forderten zuverlässige Information und exakte Kenntnisse. 9 Analoge Auffassungen entwickelte auch Raymond Aron. 10 Diese und andere Autoren behaupten, daß Ideologie, unabhängig davon, ob sie progressiven oder reaktionären Charakter besitzt, die Lösung wichtiger sozialer Probleme hemme. Es komme deshalb darauf an, der Ideologie ein Ende zu setzen. Weite Verbreitung hat die Konzeption der „Entideologisierung" in der bürgerlichen Welt im Zusammenhang mit Auffassungen über das Absterben der Literatur, das Erlöschen der ideellen Zielgerichtetheit des künstlerischen Schaffens 9
Vgl. D. Bell, The End of Ideology. On the Exhaustion of Political Ideas in the Fifties, New Y o r k 1 9 6 1 ; S. M. Lipset, Political Man. The Social Basis of Politics, New Y o r k 1 9 6 0 ; E. Shils, The End of Ideology?, in: Encounter, London, Bd. V , 1 9 5 5 , November.
1(1
R. Aron, Opium für Intellektuelle oder die Sucht nach Weltanschauung, Köln-Berlin (West) 1 9 5 7 ; C. I. Waxman (Ed.), The End of Ideology Debate, New Y o r k 1 9 6 8 .
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gefunden. In der Tat, wenn die sozialen Ideen eine Abwertung erfahren haben, wie es die bürgerlichen Autoren behaupten, wenn diese Ideen aufgehört haben, dem Fortschritt dienlich zu sein, worin liegt dann unter diesen Bedingungen die Aufgabe der Literatur, die seit jeher Verkünderin fortschrittlicher Ideen und humanistischer Ideale gewesen ist? Die Politik mit ihrem utilitaristischen Charakter verdränge die Literatur aus dem sozialen Leben. Die Literatur sterbe ab, behauptete man in eben jenen Jahren in der westdeutschen Zeitschrift „Kursbuch". Wozu dann noch Bücher, die den Geist erhellen und die Gefühlskultur verfeinern, wenn es viel einfacher ist, einheitliche, disziplinierende Normen für alle aufzustellen? Zu einer solchen Meinung gelangten die kulturpessimistischen „Totalitaristen", die bereits das Absterben der Literatur feierten. In Zukunft werde auch das Lesen selbst aussterben, versicherten sie ihren Lesern. Nur hin und wieder, der Mode wegen, würde man die Mädchen lehren, im Wohnzimmer Bücher laut vorzulesen, so, w i e man sie jetzt das Häkeln lehre. Doch entgegen derartigen Rezepten zeigt sich die moderne westliche Literatur wie der Bereich der Kunst und Kultur überhaupt - als Schauplatz eines heftigen Klassenkampfes, als eine Sphäre, in der ein Widerstreit der Ideen ausgetragen wird. Zugleich haben die Autoren vieler Werke die Rolle von Beichtvätern übernommen, die die Menschen von den Paradoxa und Schwierigkeiten der gegenwärtigen Welt, von den Gebrechen der bürgerlichen Wirklichkeit ablenken. Sie schaffen literarische Imitationen, beschreiben verklemmte Seelenzustände, „wonnevolle" Empfindungen und alle möglichen Surrogate abwegiger Empfindungen und Verhaltensweisen. Einen „Kampf gegen die Vernunft" hat der bekannte amerikanische Publizist und Wissenschaftler Herbert Aptheker die gegenwärtige Literatur der U S A genannt. Das „Gift der Unkultur", so konstatierte er, wird von den großen Verlagen, Fernsehanstalten, Filmkonzernen, großbürgerlichen Kulturinstitutionen massenwirksam aufbereitet und auf geeignete Weise der Manipulierungsindustrie zugeführt, wo es über die entsprechenden Medien die Herzen und Hirne der Massen verseuchen soll. Diese millionenfache Abtötung kultureller Werte, humanistischer Bewußtseinsinhalte besitzt Methode, eine Methode, die direkt aus dem Wesen des Imperialismus und der in ihm herrschenden Monopolbourgeoisie, ihren Interessen und Zielen erwächst. „Kultur" dieser Sorte - so stellten bürgerlich-demokratische, fortschrittliche Kreise von Künstlern und Kulturschaffenden fest - tötet die Menschen auf eine stille, scheinbar gewaltlose Weise. In allen bürgerlichen Überlegungen zur „Entideologisierung" kann man sehr leicht wesentliche Widersprüche feststellen. Vor allem dann, wenn die „Enttäuschung über die Ideologie" als ein objektiver Prozeß, als eine allgemeine Gesetzmäßigkeit deklariert wird. Wenn aber nun diese oder jene Weltanschauung ohnehin ihre Anziehungskraft auf die Menschen verliert, wozu dann überhaupt noch das „verderbliche" Wesen jeglicher Ideologie aufdecken? Wen will man denn von
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der „Entideologisierung" überzeugen, wenn die Ideologie ohnehin am Absterben ist! Wozu dann noch Aufrufe und Beschwörungen, daß die Warnung vor tendenziöser geistiger Ausrichtung, vor Weltanschauungen endlich ernst zu nehmen sei? Und weiter. Wie soll man die Konzeption der „Entideologisierung" mit der Praxis der bürgerlichen Gesellschaft in Einklang bringen? Denn die kapitalistischen Länder messen der Massenbeeinflussung und den dazu erforderlichen Propagandaeinrichtungen bekanntlich gewaltige Bedeutung bei. Es ist kein Zufall, daß die „Soziologie der Propaganda", die Theorie von der ideologischen Beeinflussung großer Menschenmassen, die Massenkommunikationsforschung, die „Wissenschaft vom politischen Verhalten" in vielen kapitalistischen Ländern eine stürmische Entwicklung erfahren hat und bewußt in das Macht- und Herrschaftssystem der Monopolbourgeoisie integriert wurde. Der bekannte progressive amerikanische Soziologe C. W . Mills analysierte diese widersprüchlichen Erscheinungen und gelangte zu der richtigen Schlußfolgerung, daß man die These von der „Entideologisierung" selbst als eine Ideologie charakterisieren müsse. Und er stellt fest: „Das Ende der Ideologie ist in Wirklichkeit eine Ideologie des Endes, des Endes der politischen Reflexion als eines gesellschaftlichen Fakts. Sie stellt eine Rechtfertigung . . . des kulturellen und politischen Bankrotts der NATO-Intellektuellen dar und beweist ihre Gleichgültigkeit gegenüber ihren sozialen Verpflichtungen." 11 In der amerikanischen Gesellschaft selbst ist keineswegs ein Prozeß der „Entideologisierung", des Erlöschens der politischen Leidenschaften zu beobachten. Eher das Gegenteil. Deshalb wäre es richtiger, die von den amerikanischen Philosophen deklarierte Enttäuschung über Weltanschauungen und das „Ende der Ideologie" als eine deutliche Erscheinungsform der Krise der bürgerlichen Ideologie selbst, als eine wirkliche Erosion ihrer Werte zu betrachten. Das Ideologiebedürfnis in der bürgerlichen Gesellschaft existiert nicht nur, es nimmt sogar ständig zu. Beweis dafür ist die Tatsache, daß die bourgeoise Ordnung unter den Bedingungen des zugespitzten Klassenkampfes in der Welt ein ständiges Defizit an „neuen" Theorien verzeichnet. Es entstehen Mode-Konzeptionen, die die untergehende Gesellschaftsordnung theoretisch rechtfertigen und stützen sollen. Im Bestreben, den Kapitalismus zu bewahren, zeichnen ihn seine modernen Apologeten in rosigen Farben: als „Volkskapitalismus", als „Neokapitalismus", als Ordnung der „allgemeinen Wohlfahrt", als Ordnung des „ökonomischen Humanismus". Der „Wert" dieser oder jener bürgerlichen Konzeption wird nicht durch die wissenschaftliche Tiefe und Bedeutung, sondern dadurch bestimmt, wie konsequent und adäquat sie die sozialen Bedürfnisse und Klasseninteressen des Kapitals ausdrückt. Die Konzeptionen selbst sind zu Waren geworden, deren Schicksal den Gesetzen des kapitalistischen Marktes unterworfen ist. Die Aufgabe des bürgerlichen Ideologen ist es, den Konsumenten aus der Fassung zu bringen, ihn durch 11
C. W . Mills, On the Left, in: P. Jacobs/S. Landau (Ed.), The New Radicals. A Report with Documents, New York 1 9 6 6 , S. 1 0 4 .
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die Ungewöhnlichkeit der Gedanken zu betäuben, durch einen allegorischen Kode zu verblüffen. Führen wir ein Beispiel an: Große Popularität in der bürgerlichen Welt haben in den letzten Jahren die Werke des Soziologen Marshall McLuhan erlangt, der alle geistigen Werte, die von der Menschheit hervorgebracht wurden, einer ironisierenden negativen Bewertung unterzog und damit in der „gelehrten" Welt manche Sympathien gewann. 12 Nach seiner Meinung liegt der historischen Entwicklung nicht der Wechsel von gesellschaftlichen Formationen zugrunde, wie es Marx festgestellt hat. McLuhan behauptet, daß die Etappen der Menschheitsgeschichte durch den Wechsel verschiedener Kommunikationstypen bestimmt werden. Mit der Erfindung der Schrift sei beispielsweise eine ganz andere Art der Massenkommunikation entstanden, habe sich eine neue Formation entwickelt. Nachdem der Buchdruck erfunden wurde, sei die Menschheit wieder in eine neue Formation ihrer Entwicklung eingetreten. ; Die Konzeption McLuhans hat weite Verbreitung erlangt; sie hat manchen bürgerlichen Soziologen für sich eingenommen. W i e ist das zu erklären? Sehr einfach: McLuhan setzte auf Originalität. Seine Konzeption ist keiner der früheren Konzeptionen ähnlich. Sie verblüfft einfach durch ihre Unsinnigkeit, und darin liegt ihr „Wert". Die Theorien von der „Entideologisierung" widersprechen also der realen Entwicklung, und zwar gerade der Tatsache, daß die Bedeutung der Ideen in der modernen Welt zunimmt. Dieser Prozeß nimmt in der bürgerlichen Gesellschaft geradezu bizarre Formen an; die bürgerliche Gesellschaft ist bestrebt, die Krise der geistigen Werte dadurch auszugleichen, daß sie das „Vakuum der Ideen" mit verschiedenen geistigen Surrogaten ausfüllt. Gegenwärtig geht in der Welt eine in ihrer Tiefe und ihrem Umfang außergewöhnliche wissenschaftlich-technische Revolution vor sich. Sie findet in allen industriell entwickelten Ländern statt, unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen, in verschiedenen politischen und ökonomischen Ordnungen. Daher sind ihr Verlauf und ihre sozialen Folgen in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Im Zusammenhang mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt ist in den bürgerlichen Staaten eine Vielzahl von Werken erschienen, deren Autoren sich bemühen, den Charakter, die Tendenzen und die Auswirkungen dieser Revolution zu verstehen. Eine dieser Theorien der bürgerlichen Ideologie ist die sogenannte „Theorie der postindustriellen Gesellschaft". Darüber wurde auf internationalen Kongressen diskutiert, darüber wurde viel geschrieben. 13 Welches Bild zeichnen die Ideologen der „postindustriellen Gesellschaft"? Das 12
Siehe M. McLuhan, D i e magischen Kanäle, Düsseldorf-Wien 1 9 6 8 . Siehe Die Zukunft im theoretischen Denken. Kritik gegenwärtiger bürgerlicher philosophischer und sozialpolitischer Konzeptionen. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Prof. Dr. sc. E. D. Modrshinskaja und dem Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR Z. A . Stepanjan, Berlin 1 9 7 5 .
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Hudson-Institut in den USA hat eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt, deren Ziel es war, die möglichen sozialen Veränderungen in den nächsten 30 Jahren zu erkennen. Es ging darum, eine Vorstellung zu gewinnen, wie die Welt am Ende des 20. Jahrhunderts aussehen wird. Im Jahre 1968 gab Hermann Kahn, Direktor des Hudson-Institutes, einen voluminösen, zweitausend Seiten umfassenden Bericht über die vermutlichen Parameter des Jahres 2000 heraus. 14 Bei den Berechnungen wurde die Methode der Extrapolation benutzt. Die bürgerlichen Autoren gelangten zu der Schlußfolgerung, daß sich in den nächsten 30 Jahren eine neue Gesellschaft herausbilden werde - die „postindustrielle". Diesen Namen gab ihr Daniel Bell. 1 5 Er meinte, daß die zukünftige Gesellschaft anders sein werde, daß sie derjenigen der modernen industriell entwickelten Länder nicht ähnlich sein werde. Die Grundzüge der „postindustriellen Gesellschaft" stellen sich D. Bell und H. Kahn wie folgt vor: Der Industrieprofit wird das 50fache der vorindustriellen Periode betragen; ein großer Teil der Wirtschaftstätigkeit wird vom primären (Landwirtschaft) und vom sekundären (Industrieproduktion) Sektor auf den tertiären und quartären Sektor (Dienstleistungssektoren) übergehen; die Privatbetriebe werden aufhören, Hauptquelle der technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften zu sein; die Gesetze des Marktes werden aller Wahrscheinlichkeit nach eine weniger bedeutende Rolle spielen als der staatliche Sektor und die sozialen Fonds; die gesamte Industrie wird durch kybernetische Einrichtungen gesteuert werden; Hauptfaktor des Fortschritts wird das Bildungssystem sein. Das sind nur die allgemeinsten Kennzeichen, mit denen natürlich die Charakteristik der „postindustriellen Gesellschaft" nicht erschöpft ist. Ausgehend von den genannten Merkmalen haben die bürgerlichen Ideologen jedoch eine besondere Klassifikation der Gesellschaften vorgeschlagen. Als grundlegenden Faktor wählten sie das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung und unterschieden danach einige Gesellschaftstypen: vorindustrielle Gesellschaft - Pro-Kopf-Einkommen zwischen 50 und 200 Dollar; Gesellschaft, die im Prozeß der Industrialisierung steht - 200 bis 600 Dollar; Industriegesellschaft - 600 bis 1500 Dollar; fortgeschrittene Industrie- bzw. Konsumgesellschaft - 1500 bis 4000 Dollar; „postindustrielle Gesellschaft" - 4000 bis 20 000 Dollar. W i e haben nun die bürgerlichen Ideologen die heutigen Staaten in ihr Schema eingegliedert? Zu den „postindustriellen Gesellschaften" rechnen sie die USA, Japan, Kanada und die skandinavischen Länder, zu den fortgeschrittenen Industriegesellschaften die Sowjetunion, die DDR, Israel, die Tschechoslowakei, Australien und Neuseeland. Der übrige Teil der Welt - darunter China, Indien 14
Siehe H. Kahn/A. J. Wiener, Ihr werdet es erleben. Voraussagen der Wissenschaft bis zum Jahre 2 0 0 0 , Wien-München-Zürich 1 9 6 7 .
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Siehe D. Bell (Ed.), Toward the Y e a r 2 0 0 0 . W o r k in Progress, Boston 1 9 6 7 .
und andere Länder - hat nach Ansicht der bürgerlichen Autoren das Niveau der Industriegesellschaft nicht erreicht und befindet sich noch an der Basis der sogenannten Wachstumspyramide. Charakteristisch für diese „Untersuchungen" sind der einseitige Technizismus und vulgäre Ökonomismus: D i e Wissenschaftler haben nicht den geringsten Versuch unternommen, die sozialökonomische Struktur und die klassenmäßige Zusammensetzung der Gesellschaft, den Charakter der Produktionsverhältnisse, das Verhältnis zu den Produktionsmitteln oder die Eigentumsverhältnisse zu analysieren. In ihre Berechnungen des Pro-Kopf-Einkommens beziehen die bürgerlichen Autoren den Herrn Rockefeiler ebenso ein wie einen Arbeitslosen aus Kalifornien, einen armen Neger und einen Arbeiter der Fordwerke. Doch wie verschieden sind die Konsumtion und das Einkommen jeder der Personen, die in diesen listigen Berechnungen anonym, „namenlos" bleiben! Zweifellos sind allgemeine Durchschnittswerte des Pro-Kopf-Einkommens aussagekräftig: Sie decken den Gesamtprozeß der Entwicklung von Technik und Wirtschaft einer Gesellschaft auf. Doch zugleich verdecken eben dieselben Durchschnittszahlen die soziale Charakteristik der Gesellschaft, ihr Klassenwesen. Ausgerüstet mit diesen Zahlen fassen die bürgerlichen Theoretiker undifferenziert sozialistische und kapitalistische Länder zu einheitlichen Grundtypen zusammen. D i e Übertreibung einiger Aspekte, die Einsetzung einzelner Teile für das Ganze, der Versuch, das eingebildete Wesen der Prozesse für deren wirkliches Wesen auszugeben, die Unterschlagung von Tatsachen und andere grundlegende Mängel kennzeichnen nicht nur die methodologische Einseitigkeit und Beschränktheit derartiger „Forschungen", sondern erfüllen auch eine Klassenfunktion, die gegen die marxistisch-leninistische Ideologie, gegen den realen Sozialismus, gegen die revolutionäre Bewegung gerichtet ist. E s ist charakteristisch, daß Hermann Kahn, Anhänger eines atomaren Präventivschlages gegen die Sowjetunion, Propagandist der atomaren Erpressung und des thermonuklearen Krieges, in diesem Falle als „Mann der Wissenschaft", als Vertreter der Theorie einer „postindustriellen G e sellschaft" in Erscheinung tritt. Das ist die Logik der „wissenschaftlichen Aktivitäten" der Antikommunisten. D i e Hauptthesen von Bell, die er auch auf dem V I I . Internationalen Soziologiekongreß 1970 in seinem Beitrag „ D i e postindustrielle Gesellschaft: Technokratie und Politik" vertrat, liefen auf folgendes hinaus 16 : D i e U S A treten gegenwärtig in die Anfangsphase der „postindustriellen G e sellschaft" ein. Wie kann man - nach Bell - diese Gesellschaft definieren? E s ist keineswegs eine Gesellschaft der Produktionswirtschaft. Mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist gegenwärtig in der Dienstleistungssphäre tätig, d. h. 16
Siehe D . Bell, D i e nachindustrielle Gesellschaft,
in: D a s
198.
Jahrzehnt.
Eine
Team-
Prognose für 1 9 7 0 bis 1 9 8 0 . Herausgegeben und eingeleitet von Claus Grossner/HansHermann
Münchemeyer/Arend
Oetker/Carl
Christian
von
Weizsäcker,
Hamburg
1969,
S. 3 5 1 ff.
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im Handel, im Finanzwesen, im Versicherungswesen, im Immobilienwesen, im Reparaturbereich, in der Bürokratie und in der Verwaltung. D i e manuelle Arbeit und die unqualifizierten Arbeiter verschwinden allmählich aus der Gesellschaft, und die mit geistiger Arbeit Beschäftigten nehmen mehr und mehr eine dominierende Stellung ein. Entscheidend sind in der „postindustriellen Gesellschaft" - Bell zufolge nicht einfach Kenntnisse als die Grundlage der neuen Macht. Auch der Charakter der Kenntnisse selbst verändert sich. D i e Theorie gewinnt die Oberhand über die empirische Praxis, vorherrschend wird die Kodierung des Wissens - eine Art abstrakter Systeme und Symbole, die unter den verschiedensten Umständen angewendet werden können. D i e Herrschaft des Rationalismus und der Abstraktionen, das ist es, was die neue Gesellschaft charakterisiert. Nach Beils Ansicht wird die Universität als Sammelpunkt des Wissens zur Hauptinstitution der neuen Gesellschaft. Bell „bemüht" sich, die Veränderungen vorauszusehen, die in den nächsten hundert Jahren in der Gesellschaft vorgehen werden. D e r entscheidende Einfluß wird, so meint er, der neuen „intellektuellen Technologie" zukommen, die mit Hilfe der Modellierung, der Entscheidungstheorie, der Programmierung und anderer moderner Methoden zu einem der neuen Rationalisierungsmittel werde. 1 7 Indem er auf diese Weise die „postindustrielle Gesellschaft" als eine Gesellschaft beschreibt, in der die Ratio, die Wissenschaft, die Theorie herrschen, umgeht Bell die Grundfrage des Lebens der Gesellschaft: In wessen H ä n d e n befindet sich das Eigentum an den Produktionsmitteln, an der neuen Technik, am System der Computer? Wer fällt diese oder jene Entscheidungen, und auf welcher Grundlage werden sie gefällt, wessen Interessen verteidigt die „rationale" Gesellschaft? Bell umgeht also die H a u p t f r a g e - die Frage nach dem sozialökonomischen System und seinem politischen Charakter. Bell zeichnet ein neues, spezifisches Konvergenzbild. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kybernetik und der Computer stellt er fest, d a ß ein neues Weltsystem entstehen werde; und solche gesellschaftlichen Systeme wie Kapitalismus und Sozialismus könnten ein Teil des allgemeinen, umfassenderen gesellschaftlichen Prozesses sein, der diese Gesellschaften lediglich als einzelne Varianten des Gesamtsystems der Industrialisierung unter der Rubrik Industrialisierung und Bürokratisierung vereint. D a s sind einige der Hauptideen dieses bekannten Theoretikers der Bourgeoisie. D i e Ideologen des Antikommunismus haben solche Konzeptionen unter dem Eindruck der wissenschaftlich-technischen Revolution und der Krise des Kapitalismus entwickelt. D a s ist natürlich kein grober, offener Antikommunismus. D a s ist ein Versuch, die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften der Gegenwart zu durchdenken, zu verallgemeinern und für die eigenen Interessen - besonders auch f ü r den ideologischen Kampf gegen den Sozialismus in Theorie und Praxis nutzbar zu machen. D i e Autoren dieser Ideen, die über keine wirklich wissenschaft17
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Siehe ebenda, S. 356.
liehe Methodologie zur Erklärung der gesellschaftlichen Erscheinungen und Prozesse verfügen, die durch den engen Horizont der bürgerlichen Auffassungen beschränkt und von Haß auf die Arbeiterbewegung, die Revolution und den Kommunismus durchdrungen sind, verallgemeinern nur die technische Seite des Fortschritts, sie benutzen teils Elemente des utopischen Systems Saint-Simons, teils die Ansichten Max Webers über Rationalität, teils die Theorien Galbraith', Rostows oder anderer bürgerlicher Ökonomen und Soziologen und haben so ein utopisches Bild der Zukunft geschaffen, in dem die realen Lebensprozesse nicht berücksichtigt und die wirklichen sozialökonomischen und sozialpolitischen Kämpfe völlig vernachlässigt werden. . Alles, was die zukünftigen Ergebnisse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts kennzeichnet, bedeutet faktisch die Schaffung der materiell-technischen Basis einer Gesellschaft, die ein solches M a ß an Überfluß realisiert, daß tatsächlich -das Prinzip des Kommunismus „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" verwirklicht werden kann, eine Gesellschaft, in der die Produktivkräfte in so hohem Grade entwickelt sein werden, daß die manuelle Arbeit verschwindet, daß die Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen geistiger und physischer Arbeit beseitigt sein werden, in der die Leitung der gesellschaftlichen Angelegenheiten die Sache aller Mitglieder der Gesellschaft sein wird, in der die völlige soziale Gleichheit aller Menschen Wirklichkeit sein wird. Um das zu erreichen, ist jedoch nicht allein der wissenschaftlich-technische Fortschritt erforderlich, sondern auch eine Revolution in den Produktionsverhältnissen, die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Das heißt: Es ist der Aufbau des Sozialismus und die Errichtung des Kommunismus erforderlich. Unabhängig von jenen ideologischen Barrieren, die von den Verteidigern der bourgeoisen Klasse errichtet werden, wirft der wissenschaftlich-technische Fortschritt mit der Unerbittlichkeit eines naturgeschichtlichen Prozesses die Frage nach diesen Entscheidungen bereits heute auf. Unter den Bedingungen des Sozialismus bringt der wissenschaftlich-technische Fortschritt sichtbar die kommunistische Zukunft näher, und viele ihrer Züge sind schon in der Gegenwart zu erkennen. Die zukünftige Gesellschaft - das können wir Herrn Bell versichern - wird keine Symbiose von Kapitalismus und Sozialismus, sondern wird der Kommunismus sein. Alle diese bürgerlichen Theorien - die der „Wachstumsstadien" (Rostow),der „Industriegesellschaft" (Galbraith) oder der „postindustriellen Gesellschaft" (Bell) stellen eine ideologische Verteidigung des Kapitalismus dar. Gleichzeitig finden sich in allen diesen Doktrinen auch nicht wenige kritische Bemerkungen über den gegenwärtigen Imperialismus, die darauf gerichtet sind, wirksamere, subtilere Methoden und Mittel des Kampfes gegen den Marxismus-Leninismus und den realen Sozialismus zu entwickeln. Noch vor einigen Jahren schien das Jahr 2000 in weiter Ferne zu liegen. Die Prognostiker wählten es als „Fernorientierung". Heute erscheint das Ende des
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Jahrhunderts schon nicht mehr als ein kaum wahrnehmbarer Punkt. Das letzte Drittel des Jahrhunderts schrumpft schnell zusammen. Wohin bewegt sich die Welt? Welche sozialen Kräfte, Massenbewegungen, politischen Parteien und Organisationen werden die Lage in den kapitalistischen Ländern in der nächsten Zeit bestimmen? Als immer entscheidendere Kraft in der Welt hat sich in den letzten Jahren das sozialistische Weltsystem erwiesen. Trotz Schwierigkeiten und Ungleichmäßigkeiten der Entwicklung entfaltet sich der Prozeß des ununterbrochenen Wachstums und der Stärkung der sozialistischen Länder. Die in höchstem Maße dynamischen Prozesse, die in der Welt ablaufen, haben auch in einem gewaltigen Aufschwung der internationalen Arbeiterbewegung ihren Ausdruck gefunden. Die durch die Klassenkämpfe des Proletariats hervorgerufenen mächtigen sozialen Erschütterungen haben sich ernüchternd auf die Politik der bürgerlichen Staaten ausgewirkt. Die „linken" Propheten, die einen Niedergang der Arbeiterbewegung und eine Verringerung der Bedeutung der Arbeiterklasse vorausgesagt haben, verloren an Popularität. Der wichtigste Faktor der Gesamtlage in der Welt war das Wachstum und die Stärkung der internationalen kommunistischen Bewegung. Die kommunistischen und Arbeiterparteien, die in beinahe allen Ländern der Erde existieren, sind zur großen, unbesiegbaren Kraft der Gegenwart geworden, die einen gewaltigen Einfluß auf den gesamten Verlauf des gesellschaftlichen Fortschritts ausübt. 18 Enorme soziale Veränderungen hat es nicht nur auf unserem Kontinent gegeben. Zu den wichtigsten Faktoren, die den Kampf der Ideen in der heutigen Welt bestimmen, gehört der Zerfall des Kolonialsystems des Imperialismus. Es ergab sich ein kompliziertes Spektrum von Problemen, die mit den Entwicklungsperspektiven der befreiten Länder zusammenhängen. Nach der Entkolonialisierung ganzer Kontinente standen die Länder, die das Kolonialjoch abgeschüttelt hatten, vor der Frage nach den Wegen ihrer zukünftigen Entwicklung. Kapitalismus oder Sozialismus - diese Frage wird im Verlauf eines scharfen sozialen Kampfes entschieden. Unbestreitbar aber ist eines: Hunderte Millionen von Menschen haben den breiten Weg des geschichtlichen Handelns betreten. Und das eröffnet wesentlich neue Aspekte im Kampf der Weltanschauungen in der gegenwärtigen Etappe. Sogar die bürgerlichen Ideologen waren zu dem Eingeständnis gezwungen, d a ß im mächtigsten Land der kapitalistischen Welt, in den USA, längst nicht alles zum besten steht. Daniel Bell schrieb: „Heute fällt in den USA ein weitverbreitetes Gefühl des Orientierungsverlustes ins Auge. Viel wird von der Entfremdung der Jugend und der Militanz der Neger geschrieben und gesprochen. Für die breite Masse der Bevölkerung sind rasche soziale Wandlungen immer beängstigend, und das Gefühl von raschen Wandlungen - technischen und sozialen - ist überall zu bemerken. Doch es steht außer Zweifel, daß es im Lande tiefsten Pessimismus 18
Siehe Probleme der kommunistischen Bewegung. Einige Fragen zur Theorie und Methodologie, Moskau 1 9 7 6 .
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gibt und im Verlaufe von zehn Jahren ein erstaunlicher Stimmungsumschwung eingetreten ist." 19 Als Wladimir Iljitsch Lenin seinerzeit den Inhalt der sozialistischen Weltrevolution definierte, da unterstrich er die Vielseitigkeit und die Tiefe dieses Prozesses, der die Siege der sozialistischen Revolution in einzelnen Ländern, entscheidende Schlachten der Arbeiterklasse ebenso umfaßt wie die nationalen Befreiungsbewegungen und Massenbewegungen gegen jegliche Unterdrückung. Der Gang der Geschichte hat vollauf die Richtigkeit dieser Leninschen Voraussagen bestätigt. Der ideologische Kampf - eine der am härtesten umkämpften Fronten im Klassenkampf zwischen Sozialismus und Imperialismus - wird unter diesen Bedingungen wahrhaft allumfassend, er erfaßt die Politik, das gesellschaftliche Leben, die Wissenschaft, die Kultur, mit anderen Worten - die Gesamtheit der geistigen Werte der Gegenwart. Neben dem primitiven Antikommunismus, der seine volks- und fortschrittsfeindliche Tätigkeit fortsetzt, erfährt der „intellektuelle Antikommunismus" Verbreitung. D a s erlaubt es, ihn als eine wichtige Besonderheit des gegenwärtigen ideologischen Kampfes zu bezeichnen. In den U S A wirkt eine große Anzahl von antikommunistischen Zentren, die sich als Universitätseinrichtungen institutionalisiert haben. Dazu gehören vor allem: das Russische Zentrum der Harvard-Universität, wo die sogenannte Sowjetologie oder Kreml-Astrologie eigentlich geboren wurde; das Hoover-Institut für Krieg, Frieden und Revolution; das Russische Institut der Columbia-Universität in N e w York; das Institut für Strategie und Propaganda an der Universität von Südkalifornien; das Zentrum für strategische Studien an der Georgetown-Universität; das Zentrum zur Erforschung der russischen Sphäre an der Universität von Wiscosin. Forschungsarbeit im Geiste des Antikommunismus und Antisowjetismus wird auch an der Yale-Universität, an den Universitäten von Princeton, Syracuse, Michigan, Indiana, Kalifornien, an der Stanford-Universität und an anderen Universitäten der U S A geleistet. Charakteristisch ist, daß die Vertreter des „intellektuellen Antikommunismus" offen den primitiven Antikommunismus verurteilen und erklären, daß ihre Polemik gegen den Marxismus-Leninismus und ihre Analysen und Kritiken über den realen Sozialismus wissenschaftlichen Charakter trügen. So schrieb Josef Bochenski schon 1962: „. . . die Sowjetologie ist eine junge wissenschaftliche Disziplin, über die nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern auch in wissenschaftlichen Kreisen viele unrichtige Vorstellungen im Umlauf sind . . . In Kürze kann die Sowjetologie zunächst als eine Wissenschaft bezeichnet werden, die sich mit dem Kommunismus ,als solchem' befaßt." 2 0 . Mit der dargelegten Besonderheit des ideologischen Kampfes der letzten Jahre hängt der Prozeß der „Szientifizierung" des Antikommunismus zusammmen. In 19
20
D. Bell, The End of Ideology. On the Exhaustion of Political Ideas in the Fifties, a. a. O., S. 373. J. M. Bochenski, Sowjetologie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Hamburg, 11/1962, S. 108.
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den Werken der Sowjetologen tauchte nicht nur eine wissenschaftliche Termino* logie auf, sondern man begann auch, wie schon festgestellt wurde, umfangreiche statistische Angaben, komplexe Berechnungen, theoretische Prognosen usw. anzuführen. Eine weitere Besonderheit des ideologischen Kampfes, die in den letzten Jahren sichtbar wurde, besteht darin, daß die bürgerlichen Ideologen und Antikommunisten zum gründlichen Studium der marxistisch-leninistischen Literatur übergingen, sich ans Studium der Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus, der Werke führender Persönlichkeiten der Bruderparteien, der Untersuchungen und Bücher über den Marxismus-Leninismus machten. Einen Beitrag zur Verbreitung der Ideen des Marxismus-Leninismus bildeten die internationalen Feierlichkeiten aus Anlaß des 50. und 60. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, des 100. Geburtstages von W . I. Lenin sowie des 150. Geburtstages von Karl Marx und von Friedrich Engels. Diese Feierlichkeiten sowie die in diesem Zusammenhang veröffentlichten Thesen, Materialien und Bücher waren ein Teil der großen Offensive der marxistisch-leninistischen Ideologie gegen ihre Feinde. Selbst die zügellosesten Antikommunisten mußten zugeben, daß sich der Einfluß der marxistisch-leninistischen Ideologie als gewaltig erwiesen und alle Berechnungen der Helfershelfer des Imperialismus über den Haufen geworfen hat. „Der Kommunismus ist heute von lebenswichtiger Bedeutung für jeden Menschen geworden - vor allem aber für den Menschen, der denkt", schrieb J. Bochenski. 21 Die tiefe Krise der bürgerlichen Ideologie, des Antikommunismus und Revisionismus fand ihren Ausdruck auch in der schnellen Entwicklung des „linken" und rechten Revisionismus zum direkten und offenen Antisowjetismus. Auf dem XXV. Parteitag der KPdSU wurde festgestellt, daß der moderne Revisionismus noch eine weitere Funktion übernommen hat - er tritt gegen den real existierenden Sozialismus auf. Die Ideologie des Maoismus hat sich in diesen Jahren deutlich als eine eklektische Verbindung von dem Marxismus zutiefst fremden „Ideen" mit einem scharf ausgeprägten Antisowjetismus erwiesen, sie hat sich in eine aggres^ sive, nationalistische Ideologie verwandelt, die in ihrer Politik mit den reaktionärsten Kräften in der Welt zusammenarbeitet. „Jetzt genügt es nicht mehr zu sagen, daß die maoistische Ideologie und Politik mit der marxistisch-leninistischen Lehre unvereinbar sind. Sie stehen ihr direkt feindlich gegenüber", sagte L. I. Breshnew auf dem XXV. Parteitag der KPdSU. 2 2 Im Arsenal des Maoismus entwickelten sich Ideen, die dem Trotzkismus verwandt sind (der Wunsch, die Geschichte zu beschleunigen, die Militarisierung des inneren Lebens des Landes und der Aktionsmethoden, das prinzipienlose KoketEbenda, S. 1 1 1 .
21 22
_L. I. Breshnew, X X V . Parteitag der KPdSU. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen
Partei
der Sowjetunion
und
in der Innen- und Außenpolitik, Berlin 1 9 7 6 , S. 1 5 .
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die nächsten
Aufgaben
der
Partei
tieren mit der Jugend), Ideen, die dem Anarchismus verwandt sind (die Apologetik der Gewalt und der Zerstörung), Ideen, die der Volkstümlerrichtung verwandt sind (Unterschätzung der Rolle der Arbeiterklasse, Verabsolutierung der Rolle der Bauernschaft), und Ideen, die dem utopischen kleinbürgerlichen Sozialismus verwandt sind (Gleichmacherei, Propagierung des Asketismus); und das alles ist gewürzt mit einer extrem nationalistischen These - der These von der rassischen Überlegenheit der Chinesen gegenüber den anderen Völkern. Auf dem Gebiet der philosophischen Theorie zeigt sich der Maoismus als eine subjektivistische, voluntaristische Konzeption, die mit einer mechanistischen Verzerrung und Vulgarisierung der Dialektik verbunden ist. Hervorzuheben ist auch das Anwachsen verschiedenartiger antimarxistischer und antileninistischer „linksradikaler" Gruppierungen und Tendenzen in den westlichen Ländern. Das findet seinen Ausdruck nicht nur in bestimmten Aktionen, sondern auch im Erscheinen von Werken, die diese linksradikale Aktivität „begründen" sollen. Die nichtproletarischen Bevölkerungsschichten tendieren auf Grund ihrer Ausbeutung durch das Monopolkapital zur Arbeiterklasse, zu den Ideen des Sozialismus. Denn nur der Sozialismus bringt wirkliche Befreiung von der imperialistischen Ausbeutung, von den verschiedenen Formen sozialer Unterdrückung. Höchst zählebig sind jedoch im kleinbürgerlichen Milieu verschiedenartige Vorurteile, der Glaube an die „reine Demokratie", der Nationalismus in pseudopatriotischer Verkleidung und das Bestreben, irgendeinen „mittleren" Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu finden. Solche und ähnliche Erscheinungen bilden einen Nährboden sowohl für den rechten als auch für den „linken" Extremismus. Gerade diese Vorurteile waren auch die Voraussetzung für die antisozialistischen ideologischen Tendenzen, die im kleinbürgerlichen Milieu aufgekommen sind. Kleinbürgerliche Strömungen entstanden innerhalb und außerhalb der sozialistischen Bewegung. Die Versuche der Renegaten Ernst Fischer und Roger Garaudy, eine Erosion der marxistisch-leninistischen Theorie auszulösen, fanden ein positives Echo bei den linksradikalen „Theoretikern", bei Bettelheim, Mandel, Benside und anderen, die unter der Flagge des Kampfes für einen „schöpferischen Marxismus" als Inspiratoren von praktischen Aktionen der extremistischen O r ganisationen und Gruppierungen gegen die Linie der kommunistischen Parteien auftraten. Zu einer der am meisten verbreiteten Formen des Antikommunismus wurde der Antileninismus. J e mehr der Einfluß der Leninschen Ideen in der Welt wächst, je deutlicher ihre historische Bedeutung wird, mit um so größerer Kraft wandten und wenden sich die Gegner des Leninismus gegen diese Ideen, versuchen sie, diese Ideen zu entstellen, zu verzerren und zu entkräften. Der hundertste Geburtstag W. I. Lenins, der für die progressive Menschheit ein herausragendes Datum war und der weiten Verbreitung der Leninschen Ideen, ihrem tiefen Eindringen in alle Gebiete des geistigen Lebens der Welt diente, war für die Antikommu-
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nisten ein neuer Anlaß zu zahlreichen Fälschungen und Verdrehungen des Leninismus. Eine der verbreiteten Formen des Kampfes gegen den Leninismus bestand darin, den Leninismus dem Marxismus gegenüberzustellen, bestand in dem Versuch, auf verschiedene Weise den Leninismus von der Marxschen Lehre zu trennen und dabei gleichzeitig sowohl den Marxismus als auch den Leninismus zu attackieren. Die bürgerlichen Ideologen und die Revisionisten streben danach, zu zeigen, daß man nicht nur im Marxismus-Leninismus insgesamt, sondern auch innerhalb der Theorien von Marx, Engels und Lenin verschiedene, ja gegensätzliche und sich sogar ausschließende Positionen unterscheiden könne. Überaus typisch für diese Methode ist vor allem die andauernde Gegenüberstellung der sogenannten frühen und der reifen Arbeiten von Marx. Man behauptet, der junge Marx sei konsequent im Aufwerfen humanistischer Probleme, in der Behandlung der Probleme der Entfremdung usw. gewesen. Der reife Marx dagegen habe mit Abstraktionen von der Art der „Klasse" operiert, habe die Position der Diktatur des Proletariats eingenommen. Daher habe seine Lehre ihren humanistischen Charakter verloren. Die Antikommunisten und Revisionisten brauchen ihren eigenen „Humanismus" nicht den realen, aktiven Humanismus des Kampfes und der sozialen Umgestaltung, sondern „Humanismus" als abstrakte Formel, die es ermöglicht, sich als „Denker", als „Beglücker" des Menschen, der Menschheit, als Förderer des Volkswohles auszugeben. Die bürgerlichen Ideologen treten gegen die marxistisch-leninistische Idee von der historischen Mission der Arbeiterklasse auf. Die führende Rolle des Proletariats wird geleugnet; die Arbeiter werden als eine soziale Klasse betrachtet, die von Marx und Lenin unverdient auf das „historische Piedestal" gehoben worden sei. Die Kritik an der marxistischen Aussage von der historischen Mission des Proletariats wird von verschiedenen Seiten aus geführt. Die reformistische Konzeption läuft bekanntlich darauf hinaus, daß die Arbeiterklasse aufgehört habe, die führende Kraft auch des modernen ökonomischen Prozesses zu sein, da sich im Ergebnis der wissenschaftlich-technischen Revolution und der „Transformation" des Kapitalismus in den USA und den „fortgeschrittenen" Ländern Europas eine „Mittelklasse" gebildet habe. Diese beanspruche einen immer größeren Platz in der Gesellschaft. Die bürgerlichen Theoretiker haben dafür eine ganze Konzeption der „Entproletarisierung" entwickelt, die die marxistisch-leninistische Theorie von den Klassen und vom Klassenkampf, von der Revolution und der Diktatur des Proletariats widerlegen soll. Der amerikanische Soziologe Leonard Reissmann schrieb, daß die Veränderung der Struktur der Lohnarbeitskraft als Ergebnis der wissenschaftlich-technischen Revolution Marx' Theorie von der immer größeren Polarisierung der Gesellschaft in zwei antagonistische Klassen - die Bourgeoisie und das Proletariat völlig widerlege: „Die Gesellschaft hat sich, im Gegensatz zu Marx, nicht in zwei
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Klassen polarisiert. Statt dessen", so behauptet Reissmann, „ist eine Erweiterung der Mittelklasse erfolgt, in der das Proletariat verschwindet." 2 3 D e r bürgerliche Ideologe H. Schelsky behauptete, die Industriearbeiter und die Angestellten wären heute bis in die Stellung der sogenannten „neuen Mittelschicht" aufgestiegen, worunter Schelsky das Kleinbürgertum verstand, sie wären zu Kleinbürgern geworden, und andererseits habe eine „Deklassierung" von Schichten der früheren Besitzbourgeoisie stattgefunden. Dies alles bedeute, daß die früheren Klassen der bürgerlichen Gesellschaft sich heute in einer einzigen Klasse auflösten, in der sogenannten „Mittelschicht", und daß sich die bürgerliche Gesellschaft in eine absolut neue, „nivellierte Gesellschaft der Mittelschicht" verwandele. 2 4 Herbert Marcuse stellt seine eigene Konzeption auf: Unter der präjudizierenden Überschrift „Das Proletariat ist eine schwindende Klasse" gab er dem „Spiegel" ein Interview. Dort behauptet Marcuse zunächst: „Das steigende Lohnniveau, die zunehmende Macht der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien haben jenes Proletariat in eine Arbeiterklasse verwandelt, die dem Spätkapitalismus entspricht" und nicht mehr der „Form, die Marx beschrieben hat". ? ! ; Das eigentliche Wesen dieser Verwandlung aber besteht nach Marcuses Meinung darin, daß das „Proletariat" in den Kapitalismus „integriert" sei und darum keine revolutionäre Kraft mehr sein könne. D i e imperialistische Gesellschaft werde untergehen, wenn von Untergang überhaupt die Rede sein könne, nicht im Ergebnis des Kampfes der Arbeiterklasse, sondern durch eine Einmischung jener Kräfte in den historischen Prozeß, die ihre Integration in den Kapitalismus vermieden haben. Solche Kräfte sind für Marcuse einzelne Gruppen der Intelligenz, die Studentenschaft, Intellektuelle, sogenannte Außenseiter der Gesellschaft sowie jegliche Art deklassierter Elemente, das Lumpenproletariat, aber auch die Bauernschaft. 2 6 Roger Garaudy behauptete, als führende revolutionäre K r a f t der gegenwärtigen Epoche sei der „historische B l o c k " anzusehen, zu dem die Arbeiter, die Angestellten und die Intelligenz gehörten. Nach Garaudys Worten ist heute eine neue Klasse von Arbeitern entstanden. Das seien die Werktätigen der physischen und der geistigen Arbeit; ihre Aufgabe sei es, die moderne Gesellschaft zu heilen. D i e Intelligenz habe in diesem neuen „historischen B l o c k " die Rolle des Vorreiters des revolutionären Prozesses zu spielen. 27
23 M
L. Reissmann, Class in American Society, Glencoe 1 9 5 9 , S. 1 1 2 . Siehe H. Schelsky, D e r Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, Köln-Opladen
1961;
ders., Die Arbeit tun die anderen: Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, Opladen 1 9 7 5 . 25
Das Proletariat ist eine schwindende Klasse. H. Marcuse und H. Magnus
Enzensberger
über Revolution, in: D e r Spiegel, Hamburg, vom 11. Januar 1 9 7 1 , S. 1 0 3 ff. Siehe H. Marcuse, D e r eindimensionale Mensch. Neuwied 1 9 6 7 ; H . Marcuse, Kultur und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1 9 6 7 , B d . 2, S. 1 3 5 . 27
6
Siehe R. Garaudy, L e grand tournant du socialisme, Paris 1 9 6 9 , S. 2 4 7 .
Mitin, Ideologischer Kampf
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Für die Widerlegung derartiger Konzeptionen sind die Materialien des X X V . Parteitags der K P d S U von prinzipieller Bedeutung. Von der Tribüne des Parteitags wurde mit allem Nachdruck und großer Überzeugungskraft unterstrichen, daß die Arbeiterklasse auch unter den gegenwärtigen Bedingungen die grundlegende und führende K r a f t des revolutionären Weltprozesses bleibt. Entgegen allen Verkündigungen der Gegner des Marxismus-Leninismus, daß die Arbeiterklasse aufgehört habe, eine revolutionäre K r a f t zu sein, hat es bekanntlich in dieser Periode eine einschneidende Verstärkung des Klassenkampfes in den kapitalistischen Ländern gegeben. Von 1960 an bis zur Gegenwart haben in den kapitalistischen Ländern Hunderte Millionen Menschen gestreikt, wobei sich der Schwerpunkt in diesem Streikkampf der Arbeiter und Angestellten mehr und mehr zu politischen Forderungen verlagerte, sich mehr und mehr einer offenen Auseinandersetzung mit dem herrschenden staatsmonopolistischen System näherte. D a s widersprach zweifellos deutlich den Theorien der Antimarxisten und bürgerlichen Ideologen, wonach die Arbeiterklasse - wenn überhaupt existent - in das kapitalistische System „integriert" sei und sich in eine regressive Klasse verwandelt habe. E s ist ganz offensichtlich, daß entgegen der Behauptung der bürgerlichen Apologeten die vermehrte Bedeutung von Qualifikation und Bildung bei der Steigerung der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität dazu führt, daß die Voraussetzungen für die Aufnahme der wissenschaftlichen Weltanschauung durch das moderne Proletariat besser werden. Mehr als zu irgendeinem früheren Zeitpunkt ist es darauf vorbereitet, die Rolle der Haupttriebkraft des gesellschaftlichen Fortschritts zu spielen. Im Zusammenhang mit der krassen Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus, mit der Inflation, der Arbeitslosigkeit und der Verringerung des Realeinkommens der Bevölkerung wächst die Unzufriedenheit der werktätigen Massen, die nicht gewillt sind, das schwere Joch dieser Krisenerscheinungen zu tragen. „ D i e Arbeiterklasse antwortet darauf auf proletarische Weise, durch verstärkten Kampf gegen das Großkapital als Hauptschuldigen der sozialen Not. Der Streikkampf, an dem sich die verschiedensten Schichten der werktätigen Bevölkerung beteiligen, hat den höchsten Stand der letzten Jahrzehnte erreicht. Die Stärke und Autorität der Arbeiterklasse haben zugenommen, ihre Rolle als Vorhut im K a m p f e für die Interessen der Werktätigen, für die wahren Interessen der Nation ist gewachsen", sagte L. I. Breshnew im Rechenschaftsbericht des Z K der K P d S U an den X X V . Parteitag. 28 Zum Kernpunkt des Kampfes zwischen den Marxisten-Leninisten und den Vertretern der verschiedenen Formen des Revisionismus wurde die Frage der führenden Rolle der Kommunistischen Partei, die eine Grundfrage der revolutioL. I. Breshnew, X X V . Parteitag der K P d S U . Rechenschaftsbericht des
28
Zentralkomitees
der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik, a. a. O., S. 36.
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nären Bewegung und des Aufbaus der neuen Gesellschaft ist. Die prinzipielle Position der KPdSU, ihr unversöhnlicher Kampf für die Reinheit der marxistischleninistischen Lehre besitzen internationale Bedeutung und fördern, wie die Bruderparteien unterstreichen, die richtige Orientierung der Kommunisten und der Millionen von Werktätigen. Die Leninsche Lehre von der Partei ist den bürgerlichen Ideologen äußerst verhaßt; denn diese Lehre spielt eine gewaltige Rolle im Kampf gegen die kapitalistische Herrschaft, gegen den Imperialismus. Interessant ist in dieser Hinsicht der Bericht, den die Kommission für auswärtige Wirtschaftspolitik der Vereinigten Ökonomischen Kommission des Kongresses der Vereinigten Staaten im Jahre 1970 vorgelegt hat. Es ist charakteristisch, daß in diesen offiziellen Dokumenten speziell die Frage nach der Rolle der kommunistischen Partei in der sozialistischen Gesellschaft untersucht wurde. In diesem Bericht hieß es, daß es in Osteuropa und in der UdSSR notwendig sei, Reformen durchzuführen, um die Parteikontrolle in der Wirtschaft und auf allen anderen Gebieten der Gesellschaft zu lockern. Es ist kennzeichnend für die Allianz von bürgerlichen und revisionistischen Ideologen, daß die Leninsche Lehre von der Partei sowohl von solchen eingefleischten Antikommunisten wie L. Schapiro oder A. B. Ulam, sowohl von solchen Revisionisten wie E. Fischer und F. Marek als auch von solchen Renegaten wie W. Leonhard und solchen Interpretatoren wie I. Fetscher und H. Marcuse verzerrt, verfälscht, diskriminiert wird. 29 Welche praktischen Schlußfolgerungen aus derartigen Fälschungen gezogen werden, kann man am Beispiel des Kampfes der antisozialistischen und konterrevolutionären Kräfte in der Tschechoslowakei in den Jahren 1967-1968 sehen. Primär bemühten sich diese Kräfte darum, die führende Rolle der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei zu untergraben. D a ß die Frage der Partei in den Materialien des XXV. Parteitags der KPdSU hervorgehoben wurde, verweist auf die Notwendigkeit, den Gegnern unsere Positionen entgegenzustellen, gleichzeitig dieses überaus wichtige Problem des Leninismus weiter theoretisch schöpferisch auszuarbeiten und dabei nachzuweisen, daß die marxistisch-leninistische revolutionäre Partei eine Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, des Kampfes der Werktätigen unter den Bedingungen des Kapitalismus sowie eine äußerst wichtige Gesetzmäßigkeit in der Epoche des Aufbaus des Sozialismus und Kommunismus nach dem Sieg der proletari29
Siehe L. Schapiro/P. Reddaway (Ed.), Lenin. The man, the theorist, the leader, London 1967; A. B. Ulam, D i e Bolschewiki. Vorgeschichte und Verlauf der kommunistischen Revolution in Rußland, Köln-Berlin (West) 1967; E. Fischer/F. Marek, W a s Lenin wirklich sagte, Wien-München 1 9 6 9 ; W . Leonhard, D i e Dreispaltung des Marxismus. Ursprung und Entwicklung des Sowjetmarxismus, Maoismus und Reformkommunismus, DüsseldorfWien 1970; H. Marcuse, D i e Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus,
Neuwied-
Berlin (West) 1964; I. Fetscher, Karl Marx und der Marxismus. Von der Philosophie des Proletariats zur proletarischen Weltanschauung, München 1967.
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sehen Revolution darstellt. D i e Lehre von der führenden Rolle der Partei - so wird in den Materialien des Parteitags betont - bildet einen integralen und unverrückbaren Bestandteil der allgemeinen Theorie des Marxismus-Leninismus. D i e theoretische Ausarbeitung aller Probleme, die mit der Tätigkeit der Partei unter den, verschiedenen Bedingungen verbunden sind, die Berücksichtigung und Verallgemeinerung der hervorragenden Erfahrungen der K P d S U sowie der gewaltigen, von den Bruderparteien gesammelten Erfahrungen bilden eine der wichtigsten Aufgaben, die den Gesellschaftswissenschaftlern gestellt ist. Besonders große Bedeutung haben in der bürgerlichen Ideologie und Propaganda der Nationalismus und der Chauvinismus gewonnen. Verstärkt wurden Theorien propagandiert, denen zufolge die Gemeinschaft der sozialistischen Länder unvermeidlich dem Zerfall entgegen gehe, da sie nicht imstande sei, den nationalistischen Tendenzen zu widerstehen. Viele „sowjetologische" Zentren entwickelten in diesem Zusammenhang die Theorie des sogenannten „Nationalkommunismus". Besondere Beachtung widmeten die Sowjetologen von ihnen zuvor frei erfundenen „Konflikten" im sozialistischen Weltsystem und in der internationalen kommunistischen Bewegung. Der amerikanische Soziologe William A. Griffith verband große Erwartungen mit dem Maoismus und hoffte, daß dieser zu einer „wachsenden Differenzierung" des „europäischen Kommunismus" beitragen würde. Nach Ansicht dieses Antikommunisten werden in Zukunft geopolitische Faktoren eine bedeutendere Rolle als der proletarische Internationalismus spielen. 30 E s wurden Konzeptionen in Umlauf gesetzt, von denen man sich sozusagen strategische Fernwirkung versprach. Dazu gehörte die Konzeption von der „Nichtuniversalität des Modells" der Oktoberrevolution, von der Unvermeidlichkeit eines „Pluralismus" im Sozialismus. Dieser „Pluralismus" soll nach dem Wunsche seiner Propagandisten die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung vergessen machen, soll das Internationale, Allgemeine wirkungslos machen, das beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, beim Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und beim weiteren Voranschreiten zum Kommunismus objektiv notwendig ist. Auch in dieser Frage ging der Revisionismus Seite an Seite mit dem Antikommunismus vor und leistete den bürgerlichen Ideologen bei ihrer subversiven Tätigkeit gegen das Weltsystem des Sozialismus theoretische Hilfe und ideologischen Beistand. Unter der Flagge der „theoretischen Ausarbeitung" von Fragen der Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern servierten die Revisionisten ein ganzes Programm zur Zersetzung der internationalen kommunistischen Bewegung und zur Spaltung der Gemeinschaft der sozialistischen Länder. Wenn man über die Hauptrichtungen des gegenwärtigen ideologischen Kampfes spricht, so darf man an einer in den letzten Jahren höchst auffälligen Erscheinung 30
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Siehe O . K . Flechtheim, Weltkommunismus im Wandel, Köln 1965.
nicht vorübergehen - der Aktivierung des Neofaschismus in einer Reihe von kapitalistischen Ländern. Ungeachtet der Versicherungen vieler bürgerlicher Ideologen und Politiker, daß der Faschismus als politische und ideologische K r a f t heute keinerlei Gefahr mehr darstelle und im Grunde der Geschichte angehöre, zeigen die Tatsachen, daß die ultrarechte kapitalistische Reaktion in der Gestalt des Neofaschismus in den kapitalistischen Ländern über eine beträchtliche politische K r a f t und Macht verfügt und bestrebt ist, unter Ausnutzung kleinbürgerlicher Bevölkerungsschichten ihren Einfluß zu vergrößern, um unter günstigen außenpolitischen und innenpolitischen Bedingungen die Macht zu ergreifen und mit terroristischen Methoden die Kräfte der demokratischen Bewegung, der Arbeiterbewegung und der kommunistischen Bewegung zu unterdrücken. Bereits für das E n d e der sechziger und den Beginn der siebziger Jahre war eine bedeutende Aktivierung der ultrarechten, neofaschistischen Kräfte in allen entwickelten kapitalistischen Ländern charakteristisch. D i e Zahl der neonazistischen Organisationen nahm in diesen Jahren zu. Bekanntlich wirken in den U S A über 2600 ultrarechte Organisationen, in Westdeutschland 113 offen faschistische Organisationen. E s wurde bekannt, daß es in der B R D eine faschistische G e heimorganisation mit dem Namen „Europäische Befreiungsfront" gibt, die als ihr Ziel die „Befreiung Europas vom Bolschewismus" verkündet. D a der Faschismus klassischen Typs sich diskreditiert hat, in sozialer und politisch-ideologischer Hinsicht zerschlagen wurde und die Versuche zu seiner direkten Wiedergeburt Schiffbruch erlitten, machten sich extrem reaktionäre Kräfte in den U S A an die Wiederbelebung verschiedenartiger „amerikanischer" ultrarechter Organisationen, die im Grunde neofaschistisch sind. Ideell mit ihnen verbunden sind „rechtskonservative" und „konservative" Organisationen, die deutlich ausgeprägte antikommunistische und antisowjetische Positionen einnehmen und die sich in eben diesen Jahren aus taktischen Überlegungen gerade im Namen des Antikommunismus gegen die „Ultrareaktionäre" wandten, und zwar mit dem Argument, daß die Ultrarechten mit ihren extremen Äußerungen und ihrer extremistischen Tätigkeit den „echten" Antikommunismus kompromittierten und damit indirekt der kommunistischen Bewegung helfen würden. 3 1 Zu erinnern ist auch an die ultrareaktionäre Bewegung in den U S A , an die Gründung einer selbständigen politischen Partei der amerikanischen „Ultras" im Jahre 1968, der „Amerikanischen Unabhängigen Partei". In ihren Konzeptionen haben die amerikanischen Ultras nichts prinzipiell Neues hervorgebracht. D i e Bücher der „Ideologen" des Neofaschismus enthielten die rechtsextremistischen Standardansichten. D i e beiden herrschenden Parteien wurden scheinbar scharf kritisiert, die Exekutive fast zum Bollwerk des „Liberalismus" erklärt; und man versuchte - aus der Sicht der Ultrareaktionäre - die Notwendigkeit zu beweisen, daß die Rechte der Bundesbehörden einzuschränken seien. Man wandte sich gegen 31
Siehe Kritik der Ideologie des Neofaschismus. Autorenkollektiv unter Leitung von E .
D.
Modrshinskaja, Berlin 1 9 7 8 .
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eine staatliche Steuerung der Wirtschaft und nannte diese eine „sozialistische Maßnahme"; man forderte die Einschränkung der ohnehin deformierten bürgerlichen Demokratie, trat gegen die von der Arbeiterklasse erkämpften Rechte, gegen die gewerkschaftlichen Organisationen, gegen Streiks sowie gegen jegliche Rechte der Neger auf. In der Außenpolitik predigten die amerikanischen Ultras die Notwendigkeit, zum „kalten Krieg" zurückzukehren, die Beziehungen mit den sozialistischen Ländern abzubrechen, mit der UNO zu brechen und die amerikanische Weltherrschaft zu errichten. Diese Zielstellungen, ihre ideologische Rechtfertigung und ihre politische Praxis trugen deutlich ausgeprägten faschistischen Charakter. W i e in früheren faschistischen Publikationen fanden in den letzten Jahren in den Büchern der amerikanischen ultrarechten Ideologen auch die „Elitetheorie", derzufolge ausgewählte Persönlichkeiten die Geschichte vorantreiben, und die Konzeption einer angeblichen „kommunistische Verschwörung" in den USA weite Verbreitung. Die „kommunistische Verschwörung" erfaßt nach der Logik der ultrarcchten Kräfte das gesamte amerikanische Staatssystem. Einen heimlichen Marxisten nannte die Zeitschrift „American Opinion" (Januar 1971) interessanterweise sogar den damaligen Präsidenten der USA R. Nixon, und die Central Intelligence Agency (CIA) wurde als eine Organisation bezeichnet, „die kommunistische Interessen „unterstützt", weil sie solche „radikalen" Organisationen unterstütze wie den Nationalen Studentenbund, den Internationalen Bund der sozialistischen Jugend, den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften usw. Der Tod Senator Jo McCarthys wurde ebenfalls als Ergebnis einer Verschwörung antiamerikanischer Kräfte bezeichnet. In einer kurzen Annotation des Buches „Die Ermordung Jo McCarthys" wurde als Mörder der Senat der Vereinigten Staaten von Amerika genannt! Das alles zeigt, wie vielseitig, kompliziert und scharf der ideologische Kampf in der Welt in dieser Zeit war, ein Kampf, der die gesamte Sphäre des geistigen und sozialen Lebens der Menschheit erfaßt hatte. In diesem Zusammenhang wuchsen und komplizierten sich die Aufgaben, die vor allen unseren Wissenschaftlern stehen, die Forschungsarbeit zu den Problemen des ideologischen Kampfes in der internationalen Arena leisten. Die erfolgreiche Verwirklichung des vom XXIV. Parteitag der KPdSU verkündeten Friedensprogramms hat die gesamte internationale Lage äußerst günstig beeinflußt. Neue Möglichkeiten für die Festigung des allgemeinen Friedens und der Sicherheit eröffnete der Sieg des vietnamesischen Volkes in seinem langen und hartnäckigen Kampf gegen die imperialistische Aggression. Die Bedeutung dieser Tatsache besteht darin, daß sie die Kraft der internationalen Solidarität der Werktätigen, die Kraft der marxistisch-leninistischen Ideologie und die Kraft des nationalen Befreiungskampfes der Völker demonstriert hat; der Sieg Vietnams zeigte auch, daß der Imperialismus unter den heutigen Bedingungen die Weltprobleme nicht nach seinem Gutdünken lösen kann. Auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen setzte sich in dieser Periode
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der in seiner Bedeutsamkeit erstrangige Prozeß der Einführung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz in die politischen und die vertraglich-rechtlichen Beziehungen zwischen den Staaten der beiden entgegengesetzten sozialökonomischen Systeme durch. Jahrzehntelang hatte die imperialistische Politik das Prinzip der friedlichen Koexistenz abgelehnt. Jetzt haben realistische Kräfte dieses Prinzip anerkannt. Der Weltkapitalismus war gezwungen, das sich unablässig zugunsten des Sozialismus verändernde Kräfteverhältnis in der Welt in Rechnung zu stellen. Dasselbe kann man vom Problem der europäischen Sicherheit sagen, das in all diesen Jahren aktiv von der Sowjetunion sowie von den kommunistischen und Arbeiterparteien Europas behandelt wurde, für das man umfassende Lösungen vorschlug und geduldig an ihrer Realisierung arbeitete. Viele Jahre hindurch haben die führenden Kreise des Westens die sowjetischen Vorschläge hinsichtlich der Gewährleistung der europäischen Sicherheit abgelehnt und sie zu boykottieren versucht. Nun waren sie gezwungen, ernsthaft an ihre Erörterung zu gehen. Die Beschlüsse der Konferenz von Helsinki waren ein neuer Erfolg der friedliebenden Kräfte. Besonders wirksam wird in diesen Jahren die von der sozialistischen Gemeinschaft entwickelte Konzeption der multilateralen Zusammenarbeit als der Basis eines festen Systems des Friedens und der Sicherheit in die internationalen Beziehungen eingeführt. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der UdSSR und den kapitalistischen Ländern folgte der Linie, die in Verträgen festgelegten zwischenstaatlichen politischen Beschlüsse mit realem Inhalt zu erfüllen. Doch die Politik der friedlichen Koexistenz bedeutet bekanntlich weder die Konservierung des sozialen und politischen Status quo noch die Milderung des ideologischen Kampfes. Im Gegenteil, sie fördert die weitere Entwicklung des Klassenkampfes der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus im nationalen und im Weltmaßstab. Die konkreten wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen, die die Politik der friedlichen Koexistenz verwirklichen, eröffnen deshalb keine Ära der konfliktlosen Koexistenz. Äußerst aktiv sind in der kapitalistischen Welt die reaktionären Kräfte in Gestalt des militärisch-industriellen Komplexes, die einen ständigen Druck auf ihre Regierungen ausübten und weiter ausüben werden. Berücksichtigt man jedoch, daß die Veränderungen in der Politik der imperialistischen Staaten durch das zugunsten des Sozialismus veränderte Kräfteverhältnis in der Welt erzwungen wurden, dann gibt es Grund zu der Annahme, daß es möglich geworden ist, den Frieden und die Sicherheit als die Grundbedingungen des internationalen Lebens weiter zu festigen. Ungeachtet aller dieser positiven Faktoren - richtiger: gerade im Zusammenhang mit ihnen - nimmt die Bedeutung des ideologischen Kampfes nicht nur nicht ab, sondern wird im Gegenteil noch größer. Die Kommunistische Partei der Sowjetunion, ihr Zentralkomitee messen dem Kampf für die Reinheit der marxistisch-leninistischen Lehre, für ihre schöpferische Entwicklung, für den offensiven Charakter dieses Kampfes erstrangige Bedeutung bei. Nie zuvor ist die Rolle der marxistischen Theorie in der Welt so deutlich ge-
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worden wie in der Gegenwart. Zweifelsohne wird das letzte Drittel des XX. Jahrhunderts im Zeichen einer noch größeren Verbreitung und schöpferischen Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus stehen. Diese Wirkung der marxistischleninistischen Theorie wird natürlich vor allem dadurch bestimmt, daß sie die Theorie ist, von der sich die Gemeinschaft der sozialistischen Länder leiten läßt, daß sie die Ideologie der internationalen kommunistischen Bewegung ist. Ihre historische Rolle reicht jedoch darüber hinaus. Die marxistisch-leninistische Theorie übt einen nicht hoch genug einzuschätzenden Einfluß auf das politisch-ideologische, wissenschaftliche und geistige Leben der gesamten modernen Welt aus. Es gibt heute keine mächtigere geistige Anziehungskraft auf unserem Planeten als den Marxismus-Leninismus. Seine großen Befreiungsideale, seine theoretischen Grundlagen und moralischen Werte, seine Ziele und Aufgaben erobern sich die Hirne und Herzen von Hunderten von Millionen Menschen in allen Ländern der Erde. Politische Organisationen und staatliche Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft, bedeutende politische Persönlichkeiten und bekannte Wissenschaftler der bürgerlichen Welt, Künstler und Kulturschaffende, die liberalen, halbliberalen oder rechten Politiker, bis hin zu den offenen Antikommunisten - sie alle können nicht mehr umhin, auf den Marxismus-Leninismus Bezug zu nehmen, seine welthistorische Bedeutung in Rechnung zu stellen. Auch keiner der großen Führer der Länder der sogenannten „dritten Welt" kann die Rolle der marxistisch-leninistischen Theorie in der gegenwärtigen Zeit außer acht lassen. Die marxistisch-leninistische Ideologie ist in den letzten Jahren als jene verbindende Kraft in Erscheinung getreten, die die ideologische Einheit des sozialistischen Weltsystems festigte und das Bewußtsein der progressiven Kräfte der Gegenwart mit Optimismus erfüllte. Sie erwies sich als die einzige wissenschaftlich begründete Weltanschauung, die in der Lage ist, die Energie der Massen zu konzentrieren und in den Dienst des sozialen Fortschritts zu stellen. Dieses Wachstum der Rolle des Marxismus-Leninismus in der gegenwärtigen Welt ist durch eine Reihe von Faktoren bedingt, vor allem durch seinen objektiven Wert als wissenschaftliche Ideologie, deren theoretische Kraft durch den gesamten Verlauf der historischen Entwicklung bestätigt worden ist. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, daß der Marxismus-Leninismus solche Bereiche wissenschaftlicher Erkenntnis eröffnet, solche theoretischen „Kontinente" entdeckt hat, die die Entwicklungswege der Menschheit für viele Jahre vorherbestimmen. Diese Lehre gibt die Möglichkeit, Probleme folgerichtig und wissenschaftlich zu beleuchten, die vom bürgerlichen Denken weder richtig verstanden, geschweige denn gelöst werden können. Gerade deswegen waren viele bürgerliche Denker, die dem Marxismus äußerst fernstehen, gezwungen, die Tiefe der marxistisch-leninistischen Analyse anzuerkennen. Selbst eine flüchtige Übersicht über die Werke der führenden bürgerlichen Soziologen, in denen die Grundbegriffe der Theorie und Geschichte der modernen Soziologie behandelt werden (R. Aron, R. Dahrendorf, J. Ellul, R. König, P. So-
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rokin u. a.), zeigt, daß Karl Marx heute zu den von ihnen am häufigsten zitierten Autoren gehört. Theoretisch-methodologisch und politisch so verschiedene bürgerliche Theoretiker wie F. Tönnies, S. M. Lipset, M. Weber, V. Pareto, T. Masaryk, Th. Veblen, E. Dürkheim, J. Sorel, C. W. Mills u. a. haben ihre Arbeiten speziell der Analyse der Lehre von Marx unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für die Gesellschaftstheorie gewidmet. Die einflußreichsten Vertreter der modernen bürgerlichen Philosophie (zum Beispiel Sartre, Heidegger, Jaspers, Fromm, Marcuse, Popper u. a.) polemisieren nicht nur aktiv gegen den Marxismus-Leninismus, sondern nutzen ihn seit langem aus, indem sie diese oder jene Elemente ihren Auffassungen „anpassen". Angesehene bürgerliche Philosophen, die dem Marxismus sehr kritisch gegenüberstehen, geben zu, daß „die marxistische Anschauung von der Geschichte der übrigen Historie überlegen" ist. 32 Von Sartre stammt die Bemerkung, daß der Marxismus die „unübertroffene Philosophie unseres Jahrhunderts" ist. Der bekannte evangelische Theologe Gollwitzer schrieb, daß der Marxismus „zu denjenigen Größen unserer Zeit gehört, die man nicht ungestraft bei der Bestimmung der eigenen Position ignorieren kann". 33 Erich Fromm bemerkte in seinem Buch „Das Menschenbild bei Marx", daß die Marxsche „Philosophie als Quelle philosophischer Einsicht und als Heilmittel" in der Gegenwart nicht nur unbestritten große Bedeutung besitzt, nicht nur dazu dienen kann, auch die „westliche Welt neu zu interpretieren, sondern auch eine Basis bildet für das Verstehen der Probleme der Gegenwart und für eine vernünftige konstruktive Lösung derselben im Interesse der Menschheit".34 Der wachsende Einfluß der Ideen des Marxismus-Leninismus zeigte sich in den letzten Jahren auch in seinem aktiven und unversöhnlichen Kampf gegen den Revisionismus aller Farben und Schattierungen. Lenin hat seinerzeit in einem Artikel für die „Arbeiterzeitung" unter dem Titel „Unser Programm" zu Recht die Revisionisten ironisch als „großmäulige .Erneuerer' der Theorie" bezeichnet und als Antwort auf die Frage nach ihrem Nutzen für die Arbeiterbewegung, nach ihrem Anteil an der revolutionären Bewegung hervorgehoben: sie haben die Wissenschaft, deren Weiterentwicklung uns das Vermächtnis von Marx und Engels zur Pflicht macht, nicht um einen Schritt vorwärts gebracht; sie haben das Proletariat keine neuen Kampfmethoden gelehrt; sie sind lediglich zurückgegangen, haben Bruchstücke rückständiger Theorien übernommen und predigen dem Proletariat keine Theorie des Kampfes, sondern eine Theorie der Nachgiebigkeit, der Nachgiebigkeit gegenüber den ärgsten Feinden des Proletariats, den Regierungen und den bürgerlichen Parteien, die 32
33
34
M. Heidegger, Briefe über den „Humanismus", in: M. Heidegger, Gesamtausgabe, Bd. 9, Wegmarken, Frankfurt/Main 1976, S. 340. H. Gollwitzer, Die marxistische Religionskritik und der christliche Glaube, in: Marxismusstudien, IV. Folge, Tübingen 1962, S. 7. E. Fromm, Das Menschenbild bei Marx, Frankfurt/Main 1963, S. 6.
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nicht müde werden, neue Mittel zur Hetze gegen die Sozialisten ausfindig zu machen." 30 Eine der Besonderheiten des gegenwärtigen ideologischen Kampfes besteht in der immer deutlicher zutage tretenden geistigen Krise des Revisionismus, in der schnellen Evolution des „linken" und rechten Revisionismus in direkten Antisowjetismus und Antikommunismus. Die Dynamik der gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozesse ist so groß, daß viele Revisionisten, die noch gestern nur mit einzelnen Thesen der bürgerlichen Theorie kokettieren, sich heute ganz im Lager der eingefleischten Antimarxisten wiederfinden. Ein Prozeß einer gewissen geistigen Entblößung hat stattgefunden; jegliche Art von Mimikry, die es den Revisionisten erlaubte, sich mit marxistischen Phrasen zu tarnen, um in Wirklichkeit ihre theoretische Unfruchtbarkeit zu verbergen, ist hinfällig geworden. Die Evolution des Revisionismus verläuft heute mit außerordentlicher Geschwindigkeit. Innerhalb weniger Jahre ist zum Beispiel Roger Garaudy, der mit dem „Realismus ohne Grenzen" begonnen hatte, zum Stadium eines „Marxismus ohne Grenzen" übergegangen und danach zum direkten Antisowjetismus. Nach Dialogen mit katholischen Priestern fühlte er sich bald in der Seele selbst als Christ, wie er in seinem Buch „Die Alternative" zugestehen mußte. Die Maoisten, die mit der „Chinesierung des Marxismus" begonnen hatten, gingen ebenfalls zu extrem antisowjetischen Positionen über. Bekanntlich führt jedes Abgehen vom schöpferischen Marxismus unausweichlich zu derartigen Folgen. Noch war die von Sozialdemokraten und rechten Revisionisten in Umlauf gesetzte Version von der grundlegenden und entscheidenden Bedeutung der sogenannten Frühschriften von Karl Marx für das Verständnis des Wesens des Marxismus nicht von der Bühne, da entstand eine neue Version über grundlegende Unterschiede der Auffassungen von Marx und Engels, Marx und Lenin usw. Gleichzeitig wurden auf jegliche Weise „Ideen" vom Pluralismus im Marxismus entwickelt, es wurde behauptet, daß es einen „authentischen" Marxismus nicht gäbe und nicht geben könne, daß es eine Reihe von „Marxisten" gäbe und daß dies nicht nur natürlich, sondern sogar gesetzmäßig sei. Allen diesen Fälschungsübungen haben die Marxisten-Leninisten unseres Landes gemeinsam mit den Marxisten-Leninisten der sozialistischen Länder in diesen 36 86
W . I. Lenin, Unser Programm, in: Werke, Bd. 4, Berlin 1 9 5 5 , S. 2 0 5 . Vgl. u. a.: R. Steigerwald,
Marxistische Klassenanalyse oder spätbürgerliche
Mythen.
Lenin-Verfälschung in der B R D / „Links"-revisionistische Sozialismus-Kritik /Bürgerliche Ideologie in linker Verkleidung / Antikommunismus -
seine Grundmythen und Grund-
mechanismen, Berlin 1 9 7 2 ; L. Hrzal, Die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus und Antikommunismus, Berlin 1 9 7 3 ; E. Julier, W e d e r modern noch marxistisch. Zur MarxInterpretation des heutigen Revisionismus, Berlin 1 9 7 4 ; G . Belkina, Marxismus oder Marxologie. Zur Kritik westdeutscher marxologischer Konzeptionen zur Herausbildung der marxistischen Philosophie, Berlin 1 9 7 5 ; W . R. Beyer, V o m Sinn und Unsinn einer „Neuformulierung" des Historischen Materialismus, Berlin 1 9 7 4 ; T. I. Oiserman, Der
„junge"
Marx im ideologischen Kampf der Gegenwart, Berlin 1 9 7 6 ; M. Buhr/A. Gedö, Über die
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Jahren eine Reihe von wertvollen Untersuchungen entgegengestellt. 36 Doch gerade infolge der großen Rolle der marxistisch-leninistischen Theorie in der modernen Welt, infolge ihrer Vitalität und ihrer ideologischen Erfolge, wird sich der ideologische Kampf um sie noch mehr entfalten und zuspitzen. E r bezieht schon heute einen gewaltigen Komplex von Problemen ein, von Fragen der Entwicklung der Ansichten von Marx und Engels über einzelne Probleme der marxistisch-leninistischen Theorie bis hin zu den Prinzipien der schöpferischen Weiterentwicklung des Marxismus. E s ist wichtig zu begreifen, daß der Kampf um grundlegende, prinzipielle und sogar um einzelne konkrete Fragen unserer Lehre keine zeitweilige und episodenhafte Erscheinung ist, sondern eine langfristige Aufgabe, die bis zum vollständigen Sieg des Marxismus-Leninismus im internationalen Maßstab gilt. Man kann mit Gewißheit sagen, daß der Kampf für den Marxismus-Leninismus, für sein richtiges Verständnis, für seine schöpferische Entwicklung auch in Zukunft im Zentrum aller ideologischen Schlachten der großen Epoche des Kampfes für den Kommunismus stehen wird. Ein Hauptmoment des ideologischen Kampfes der letzten Jahre, das auch weiter unsere Aufmerksamkeit finden wird, ist der Gegensatz zwischen dem proletarischen Internationalismus und dem bürgerlichen Nationalismus. „Wir sowjetischen Kommunisten", sagte L. I. Breshnew auf dem X X V . Parteitag der K P d S U , „betrachten die Verteidigung des proletarischen Internationalismus als erhabene Pflicht jedes Marxisten-Leninisten." 37 Bekanntlich drückt die Ideologie des proletarischen Internationalismus sowohl die allgemeinen als auch die besonderen, nationalen Interessen aller Werktätigen aus. Sie begründet in großer historischer Sicht die Perspektive der Entwicklung der Nationen und der nationalen Beziehungen, den unvermeidlichen Prozeß der Annäherung und dann letztlich der Verschmelzung der Nationen beim vollen Sieg des Kommunismus im internationalen Maßstab. Sie deckt zugleich die Notwendigkeit auf, den Interessen, Bedürfnissen und Besonderheiten jeder Nation und Nationalität in der konkreten historischen Situation höchste Beachtung zu schenken. Mit der Entstehung des sozialistischen Weltsystems wurden die Ideen, die Prinzipien und der Inhalt des proletarischen Internationalismus auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen den sozialistischen Staaten ausgedehnt. D i e Theorie des sozialistischen Internationalismus erfuhr so eine große Bereicherung und Entwicklung, sie drückt die neuen Seiten und die neuen Beziehungen in den wechselseitigen Verhältnissen zwischen den Völkern, zwischen den Werktätigen der verschiedenen Nationen und verschiedenen Staaten aus, die den Weg des
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historische Notwendigkeit des ideologischen Klassenkampfes / Von der bürgerlichen Philosophie zum Marxismus, Berlin 1976; H. Wessel, Marginalien zur M E G A nebst Randglossen über alte und neue „Marxologen", Berlin 1977. L. I. Breshnew, XXV. Parteitag der KPdSU. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik. Berlin 1976, S. 40.
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sozialistischen Lebens beschreiten. Durch diese schöpferische Bereicherung der Theorie des proletarischen Internationalismus ist die Leninsche Lehre von der nationalen Frage auf eine neue Stufe gehoben worden. Vom Standpunkt des Internationalismus - und das hat W . I. Lenin wiederholt hervorgehoben - stehen die Interessen der internationalen Arbeiterklasse höher als die Interessen der einzelnen nationalen Abteilungen der Arbeiterklasse, d i e sich ihrer Verantwortlichkeit vor der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung bewußt sind. Der Internationalismus orientiert auf den Zusammenschluß, die Solidarität, die gegenseitige Hilfe der Arbeiterklasse und aller Werktätigen der verschiedenen Nationen. Darum entspricht nur der Internationalismus den Interessen, Zielen und Aufgaben der Arbeiterklasse. Der proletarische Internationalismus schließt bekanntlich nationale Vielfalt nicht aus, sondern ein, enthält sie und setzt sie voraus. Darum tritt er auch gegen den nationalen Nihilismus auf, der das national Besondere ablehnt und nationale Unterschiede nicht berücksichtigt. Eine Weltanschauung, die nationale Formen und Verhältnisse ignoriert, löst sich vom realen Boden des Lebens, beleidigt die nationalen Gefühle und stimuliert nationalistische Stimmungen. Die nationalistische Ideologie hat sich in den letzten Jahren mit besonderer Vehemenz gegen den sozialistischen, proletarischen Internationalismus gewendet, und zwar in den unterschiedlichsten Arten und Formen. In diesem Spektrum der verschiedenen Spielarten des Nationalismus sollen die folgenden besonders hervorgehoben werden: a) der direkte, offene bürgerliche Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus; b) verschiedene Spielarten von Theorien der „einheitlichen Nationalkultur" ^ c) theoretische Konzeptionen des anthropologischen, biologistischen, antihistorischen Herangehens an das Problem der Nation, die Auffassung der Nation als einer ewigen, überhistorischen Kategorie; d) die opportunistischen und revisionistischen Theorien zur nationalen Frage, die Theorien des sogenannten „Nationalkommunismus", die ein direktes Eindringen der Ideen des bürgerlichen Nationalismus in die Reihen der kommunistischen und Arbeiterbewegung bezwecken; e) verschiedenartige nationalistische Abweichungen, nationalistische Überbleibsel, die in einzelnen sozialistischen Ländern, in einzelnen kommunistischen Parteien auftreten. Eine solche Kollektion von verschiedenen Formen des Nationalismus erfordert natürlich eine konkrete, reale Untersuchung und Kritik jeder einzelnen Variante, erfordert eine allseitige Aufklärung sowohl der sozialen, klassenmäßigen Bedingungen für das Auftreten und die Entwicklung der jeweiligen Form als auch die Aufdeckung der gnoseologischen, theoretischen Grundlagen derartiger Auffassungen. Der Kampf gegen den Nationalismus in allen seinen Erscheinungsformen ist eine langwierige Aufgabe, eine Aufgabe von weltgeschichtlicher Dimension. Das Bestreben des Kapitalismus, die Positionen des Sozialismus von innen her 92
zu untergraben, unter der Flagge des Nationalismus Zwietracht, Entfremdung und Elemente des Mißtrauens in die Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern zu tragen, bleibt eine der strategischen Hauptlinien der imperialistischen Reaktion. Die fundierte Kritik aller dieser Arten des Nationalismus, die dem proletarischen Internationalismus entgegenstehen, schließt als notwendiges Element auch positive Antworten auf die zu behandelnden Probleme ein. Dabei ist es äußerst wichtig, von der grundlegenden Leninschen Aussage auszugehen, daß zwischen dem Nationalismus unterdrückter und unterdrückender Nationen zu unterscheiden ist. Diese Leninsche Orientierung konkretisierend, muß man im Hinblick auf die gegenwärtige Periode unterscheiden, wie sich in diesen Jahren der Nationalismus der Nationen, die sich vor kurzer Zeit aus kolonialer und nationaler Abhängigkeit befreit haben, der Nationalismus der alten Kolonialnationen, der Nationalismus der um nationale Selbstbestimmung ringenden, gerade erst sich herausbildenden Nationen und der Nationalismus chauvinistischer Spielart, der im Schöße einer Unterdrückernation kultiviert wird, entwickelt haben. Äußert wichtig in unserem Vorgehen bei der Kritik nationalistischer Parteien und ihrer ideologischen Orientierungen ist es, den Nationalismus der Volksmassen der befreiten Völker der „dritten Welt" und den Nationalismus der reaktionären Kreise dieser Länder, die sich an die reaktionären Kräfte des Imperialismus anschließen oder angeschlossen haben, zu berücksichtigen und zu unterscheiden. Nur bei einem solchen Spektrum der historisch konkreten Analyse wird unsere Kritik des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalismus wirksam sein, wird sie dem heutigen Niveau der Anforderungen und der Aufgaben des Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie gerecht werden. W i e wir sehen, ist eine höchst differenzierte Fragestellung im Hinblick auf die verschiedenen Regionen, die verschiedenen Kontinente und die verschiedenen Länder erforderlich. Eine Vorstellung von den wirklich globalen Dimensionen der nationalen Frage vermitteln folgende Daten: Gegenwärtig gibt es in der Welt bekanntlich 2000 verschiedene Völker, die sich auf unterschiedlichem Niveau der nationalen Entwicklung befinden - von kleinen Stämmen, von verschiedenen ethnographischen Gruppen, den Völkern, in denen die Prozesse der nationalen Konsolidierung und der Herausbildung großer Völkerschaften im Gange sind, bis zu den großen, viele Millionen von Menschen zählenden Nationen. Die Anzahl der Staaten in der Welt beträgt bekanntlich nicht mehr als 150. Mehr als 90 % aller Völkerschaften leben also in multinationalen und in aus vielen Stämmen bestehenden Staaten. Etwa 1600 Völker, ethnographische Gruppen und Stämme leben in den Entwicklungsländern Asiens und Afrikas. Das alles zeigt, wie kompliziert das Spektrum der Probleme ist, die in der gegenwärtigen Periode in der nationalen Frage entstanden sind. Vor der sowjetischen Gesellschaftswissenschaft steht die langfristige Aufgabe, die Frage der Nationen und der nationalen Beziehungen in der Menschheits93
geschichte umfassend zu erforschen. Besondere Bedeutung besitzt die Analyse des Problems der sozialistischen Nationen als einer neuen historischen Kategorie, die durch die Siege sozialistischer Revolutionen entstanden ist. Aktuell ist die Aufgabe, die weltweite Bedeutung aller Seiten und Aspekte des nationalen Befreiungskampfes der Völker gegen den Imperialismus und Kolonialismus vollständig aufzudecken. Die Erforschung dieser Probleme an neuestem Material wird die Marxisten-Leninisten besser für den theoretischen Kampf gegen den bürgerlichen Nationalismus rüsten. Das Problem des Nationalismus ist in den letzten Jahren auch in den Arbeiten vieler bürgerlicher Philosophen, Soziologen und Historiker zum Objekt ihrer Analysen geworden. Dabei gelangten diese Autoren zu der Überzeugung, daß es liotwendig ist, die Ursachen für die Zählebigkeit der Nationen, der Ideologie der ethnischen Ausschließlichkeit, des Nationalismus usw. ausführlicher, von umfassenderen weltanschaulichen Positionen her zu untersuchen. 38 Die philosophische Grundlage dieser ideologischen Linie ist im allgemeinen der Anthropologismus. Von dieser Position sind viele bürgerliche Wissenschaftler ausgegangen. Der amerikanische Philosoph Erich Fromm vertrat beispielsweise in seinen Schriften die Ansicht, daß der Nationalismus als soziales Phänomen nicht durch gesellschaftlich-ökonomische Ursachen, sondern durch die abstrakt verstandene „menschliche Natur" bedingt sei. Der Nationalismus sei im Grunde schon im Matriarchat begründet worden. Und das bedeute, daß er beinahe ewig sei, jedenfalls in der menschlichen Natur wurzele, in den tiefsten Tiefen der menschlichen Existenz. In einer Reihe von bürgerlichen sozialphilosophischen Werken ist daher der Nationalismus zur Triebkraft der Geschichte erklärt worden, die den Inhalt der gegenwärtigen Epoche bestimme. 39 In den letzten Jahren werden in den bürgerlichen Konzeptionen der „postindustriellen Gesellschaft" und „technotronischen Ära" die anthropologischen Ideen direkt oder getarnt reproduziert. Es wird behauptet, daß, solange die Gesellschaft die „postindustrielle" oder „technotronische" Ära nicht erreiche, das Wüten des Nationalismus, nationale und Rassenkonflikte unvermeidbar seien. Eben deshalb müsse man das 20. Jahrhundert zum „Jahrhundert des Nationalismus" proklamieren. Was das 21. Jahrhundert angehe, so werde im Zusammenhang mit dem Absterben der Ideologien auch das Bedürfnis nach einer falschen Integration verschwinden, deren Grundlagen vom Matriarchat gelegt worden seien und die später vom Nationalismus und von universellen nationalistischen Ideologien jeglicher Art fortgesetzt worden sei. 40 Siehe Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. I, Freiburg-Basel-Wien 1 9 6 6 , Stich-
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w o r t : Nationalismus, Sp. 6 2 3 - 6 9 5 . 39
Siehe H. Kohn, Die Idee des Nationalismus. Ursprung und Geschichte bis zur Französischen Revolution, Heidelberg 1 9 5 0 ; W . Sulzbach, Imperialismus und Nationalbewußtsein, Frankfurt a. M. 1 9 5 9 .
40
Ausführlicher dazu in: A . Kosing, Nation in Geschichte und Gegenwart. Studien zur historisch-materialistischen Theorie der Nation, Berlin 1 9 7 6 .
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Alle diese Überlegungen halten einer wissenschaftlichen Kritik nicht stand, denn sie gründen sich auf einen tief eingewurzelten Biologismus. Im Gegensatz zu diesen Doktrinen weist der Marxismus-Leninismus historisch-konkrete W e g e zur Uberwindung des Nationalismus und demonstriert sichtbar den Triumph des Internationalismus/* 1 Die ganzen letzten Jahre hindurch befanden sich die Fragen der wissenschaftlich-technischen Revolution weiterhin im Zentrum des ideologischen Kampfes. Vor allem zeigte sich die Vielschichtigkeit des Problems selbst: Es ist unmöglich, dieses Problem zu einem Fragenkomplex zusammenzufassen. Bei der Analyse der wissenschaftlich-technischen Revolution sind unsere Gesellschaftswissenschaftler in verschiedenen Richtungen vorgegangen und haben dabei immer neue Fragen aufgeworfen. In Büchern und Aufsätzen zu diesen Themen, beim Studium der Prozesse der wissenschaftlich-technischen Revolution wurden die Entwicklung der Technik selbst und die Folgen des stürmischen technischen Fortschritts analysiert; es wurde über die wissenschaftlich-technische Revolution als soziales Phänomen, über ihre sozialen Folgen geschrieben. Es ist natürlich, daß dabei auch den inneren Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis, der Wissenschaft im ganzen Beachtung geschenkt wurde. Es ist kennzeichnend, d a ß in dieser Zeit Probleme auftauchten, richtiger: festgestellt wurden, die nicht mehr zur Technik, sondern zur Wissenschaft gehören. Neben verschiedenen Varianten der Technophilie und der Technophobie zeigten sich in der bürgerlichen ideologischen Literatur und im bürgerlichen Denken neue Ansätze zur Bewertung der Wissenschaft selbst. Aktiv trat in den letzten Jahren eine antiszientisrische Richtung in Erscheinung. 42 Es handelt sich darum, daß der positive Wert der Wissenschaft als Denkweise und Verfahren zur Aneignung der Wirklichkeit bestritten wird. Einige Vertreter dieser Richtung behaupteten, daß die Menschheit, indem sie die Wissenschaft und das analytische Denken insgesamt entwickelte, sich selbst kastriert habe, denn sie habe damit einen Weg der Erkenntnis beschritten, der sich von der intuitiven Erkenntnis der Welt unterscheide. Diese sei die zuverlässigste Orientierung für eine echte Empfindung des Lebens. Als sie die analytische Struktur des Herangehens an das Weltverständnis wählte, habe sich die Menschheit in eine Sackgasse begeben, denn jetzt wisse sie keinen Ausweg mehr aus dem zähen Spinnengewebe der geradlinigen Bewegung des Denkens, des Denkens ohne Gefühl/*3 Was soll man zu einer solchen Beleidigung der Wissenschaft sagen? Natürlich sind alle diese von irrationalen Empfindungen durchdrungenen Auffassungen Bekundungen einer steinzeitlichen oder obskurantistischen Wirklichkeitswahrnehmung. Doch sie waren (und bleiben) eine gesellschaftliche Realität. Sie sind die Form 41 42
Siehe G. J. Gleserman, Klassen und Nation, Berlin 1 9 7 5 . Siehe Wissenschaftskrise und Wissenschaftskritik, hg. von Walther Ch. Zimmerli, BaselStuttgart 1 9 7 4 .
/l3
Siehe Technik oder: wissen wir, was wir tun?, hg. von Walther Ch. Zimmerli,
Basel-
Stuttgart 1 9 7 6 .
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einer verzerrten Vorstellung von gewissen realen Prozessen, die sich im Schöße der bürgerlichen Gesellschaft abspielen. Eine solche Position ist das Ergebnis der Reaktion des bürgerlichen Bewußtseins auf den utilitaristischen, grob pragmatischen Charakter des Denkens, der vielen bürgerlichen Forschern technokratischer Grundeinstellung eigen ist. Nicht zufällig nahm Fromm in seinem Buch „Revolution der Hoffnung" Bezug auf die Arbeiten H. Kahns, der - wie Fromm zeigt - „ruhig und umsichtig" berechnet, wieviele Millionen Amerikaner in einem zukünftigen Krieg sterben müssen, damit der Mechanismus der industriellen Maschine noch effektiv arbeiten kann. Mit Entsetzen stellt Fromm fest, daß Kahn mit menschlichen Schicksalen, mit ihrem Schmerz und ihren Leiden wie mit abstrakten Größen manipuliert und daß Brzezinski mit Begeisterung eine technotronische Gesellschaft beschreibt, in der eben dieser Typ des Denkens vorherrschend sein wird. In diesem Kontext erscheint die Wissenschaft als ein solcher Teufel, daß Fromm unwillkürlich ein Kreuz schlägt. 44 Doch ist etwa die Wissenschaft daran schuld, daß die bürgerliche Gesellschaft die menschlichen Werte verworfen hat, daß sie sich von den sozialen Idealen losgesagt hat und innerlich zu einem solchen Typ der sozialen Organisation neigt, der in jeder Hinsicht Unvernunft, Vandalismus und Humanitätsfeindschaft zeigt? A l l e diese philosophischen und soziologischen Prozesse haben in unserem ideologischen Kampf keinen geringen Platz eingenommen; und in Zukunft wird es offenbar ebenso sein. Der sowjetischen Gesellschaftswissenschaft war in diesem Zusammenhang die Aufgabe gestellt, die Etappen der wissenschaftlich-technischen Revolution sowie deren Grenzen gründlich auszuarbeiten. Es ist offensichtlich, daß man sich bei der Analyse der wissenschaftlich-technischen Revolution nicht nur auf den Bereich der Wissenschaft und Technik beschränken darf, sozusagen nur die Logik ihrer immanenten Entwicklung berücksichtigen darf. Ein solches Herangehen an die Probleme der wissenschaftlich-technischen Revolution wäre nicht nur von Grund auf falsch, sondern würde im Kampf gegen die bürgerliche Ideologie auch nicht genügend wirksam sein, weil es die wissenschaftlich-technische Revolution nicht als gesellschaftliche Erscheinung, als Ausdruck der Gesetze des gesellschaftlichen Lebens erhellt und erklärt. Dieser Aspekt des ideologischen Kampfes gegen unsere Gegner war und ist zweifellos überaus wichtig. Denn das wichtigste Merkmal der Werke der bürgerlichen Ideologen über die wissenschaftlich-technische Revolution liegt eben darin, daß sie weitestgehend von einer sozialen Betrachtung der wissenschaftlich-technischen Revolution abstrahieren, daß sie generell negieren, daß die wissenschaftlich-technische Revolution faktisch die materielltechnische Vorbereitung der kommunistischen Gesellschaft ist. Darum ist bei det Darstellung der verschiedenen Seiten des ideologischen Kampfes um die Pro44
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Siehe E. Fromm, Die Revolution der Hoffnung. Für eine humanisierte Technik, Stuttgart 1971, S. 12, 41.
bleme der wissenschaftlich-technischen Revolution auf einige ideologische Aspekte hinzuweisen, die sich in diesen Jahren herausgeschält haben und von denen jeder im Grunde selbständige Bedeutung besitzt und eine aufmerksame Untersuchung erfordert. Diese Aspekte hängen mit den Versuchen zusammen, die wissenschaftlich-technische Revolution im Kontext des allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritts überhaupt zu überdenken. Die bürgerlichen Theoretiker möchten die neuen Prozesse, die mit der Entwicklung der Wissenschaft und der Technik verbunden sind, in den Kontext der historischen Bewegung einordnen. In diesem Zusammenhang sind solche Fragen gestellt worden wie die nach der Rolle der wissenschaftlich-technischen Revolution bei der Schaffung einer einheitlichen menschlichen Zivilisation sowie nach dem Verlauf der allgemeinen globalen Frozesse, der unabhängig ist von den sozialen Unterschieden der Länder. Viele bürgerliche Theorien der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Zeit sind auch mit Ideen des Teleologismus und des mechanischen Determinismus verbunden. Das zeigt zum Beispiel die Analyse der sogenannten Konvergenztheorie, die sich bekanntlich seit dem Beginn der sechziger Jahre im bürgerlichen Denken erheblicher Popularität erfreute, und dies sowohl unter den bürgerlichen Berufsideologen als auch unter den Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, den Führern der politischen Parteien usw. Als Fundament, auf dem die Idee der Konvergenz, d. h. die Idee einer allmählichen Evolution der Systeme mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung in Richtung auf eine Angleichung der sozialen und ökonomischen Strukturen, entstand, diente die Tatsache, daß in beiden Systemen gewisse, in bestimmtem Maße gleichartige Prozesse zu beobachten sind, die die Entwicklung der modernen wissenschaftlich-technischen Revolution begleiten. In der Tat, das Vorhandensein gemeinsamer technologischer Produktionsschemata, der komplexen Prozesse der Urbanisierung, der Prozesse, die mit dem Einfluß der zunehmenden Industrialisierung auf die Biosphäre zusammenhängen, sowie anderer Erscheinungen und Prozesse globaler Natur wirft gegenwärtig für die gesamte Menschheit manche gemeinsamen Probleme auf und zeugt zweifellos von der Notwendigkeit, die Anstrengungen der verschiedenen Länder zur Lösung dieser Fragen zu koordinieren. Doch erlaubt diese Feststellung bekanntlich nicht die bei bürgerlichen Wissenschaftlern übliche Schlußfolgerung, daß von nun an die Geschichte der modernen Gesellschaften ausschließlich durch die Technik bestimmt werde. Eine solche unwissenschaftliche These hat mit der marxistisch-leninistischen Lehre von der gesellschaftlichen Entwicklung nichts gemein. Das Problem, die allgemeinen Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung aufzudecken, stellte sich der modernen Wissenschaft auch im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Krise der traditionellen bürgerlichen eurozentristischen Betrachtungsweise der Geschichte. Anstatt die Grundgesetze der gesellschaftlichen Entwicklung aufzudecken, die unter verschiedenen historischen Bedingungen gelten, sind in der bürgerlichen Philosophie und Soziologie, der Historiographie und 7
Mitin, Ideologischer Kampf
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Politologie der letzten Jahre verstärkt die These von der Pluralität der Welt und die These von dem der Welt unverrückbar eigenen „kulturellen Pluralismus" gebraucht worden. Besonders deutlich kam diese Linie in dem Buch „Angriff auf die Zukunft" von H. Kahn und B. Bruce-Briggs zum Ausdruck/ ,r ' Diese amerikanischen Futurologen behaupten, daß die Konvergenz als Prozeß nicht alle Seiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit erfasse, sondern lediglich die ökonomische und politische Struktur der Gesellschaft. Deshalb werde die Welt auch nach der gigantischen Transformation, die von der wissenschaftlich-technischen Revolution hervorgerufen werde, nicht einheitlich sein. Sie meinen, d a ß die soziokulturellen Unterschiede so wesentlich seien, daß auf dieser Grundlage keine Angleichung der Gesellschaften möglich werde. Die kulturellen Unterschiede würden zunehmen. Eine wachsende Entfernung der „kulturellen Galaxien" voneinander - das ist jene Realität, mit der es die Welt nach Kahn und Bruce-Briggs heute zu tun hat - würde sich als Gesetz der Weltgeschichte durchsetzen. Erfolgte die Entwicklung der Theorie der „postindustriellen Gesellschaft" unter dem Zeichen der „Entideologisierung", so haben sich die Vertreter der „postindustriellen Gesellschaft" nun von diesem letzteren Extrem losgesagt und predigen eine verschwommene, amorphe, kürzer ausgedrückt: eine „pluralistische Ideologie" oder die Pluralität der Ideologien. Keine Ideologie könne und dürfe Anspruch auf allgemeine Geltung erheben, weder innerhalb einer gegebenen Gesellschaft, geschweige denn in der Welt insgesamt. Der „pluralen Welt" müsse eine „plurale Ideologie" entsprechen. Alle diese Überlegungen über eine schicksalhafte Unvermeidlichkeit einer „gespaltenen Welt", die von solchen bürgerlichen Ideologen angestellt werden, dienen dazu, einen fundamentalen Unterschied zwischen zwei Wertsystemen zu formulieren - dem „westlichen", d. h. dem bürgerlichen, und dem „östlichen", worunter in erster Linie das sozialistische System, die sozialistische Lebensweise verstanden wird. Das Gerede vom ideologischen Pluralismus hat hier die Funktion, das „natürliche" Recht der bürgerlichen Ideologie auf „ewige" Existenz in der zukünftigen Welt zu postulieren. Die erste Hälfte der siebziger Jahre wird bekanntlich charakterisiert durch die Entwicklung der Friedenspolitik und der aktiven internationalen Tätigkeit der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder, durch die eine Wende von gewaltiger historischer Bedeutung in der gesamten Nachkriegsgeschichte herbeigeführt wurde: der Übergang von der Periode der feindseligen Konfrontation zu einer zunehmend stabilen friedlichen Koexistenz, zu einer vernünftigen Zusammenarbeit der sozialistischen und der kapitalistischen Staaten auf der Grundlage des gemeinsamen Vorteils und gleicher Sicherheit. Der außenpolitische Kurs der KPdSU und des Sowjetstaates, dessen Grundlagen von Lenin gelegt und theoretisch ausgearbeitet worden sind, ist gekenn'••> Siehe H. Kahn unter Mitarbeit von B. Bruce-Briggs, Angriff auf die Zukunft. Die 7 0 e r und 80er Jahre: So werden wir leben, Wien-München-Zürich 1 9 7 2 .
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zeichnet von einer konsequenten und prinzipiellen sozialistischen Klassenpolitik, gerichtet auf die Schaffung günstiger äußerer Bedingungen für den kommunistischen Aufbau, auf die Festigung der brüderlichen Einheit der Länder der sozialistischen Gemeinschaft, eine Politik, die die nationale Befreiungsbewegung und den Kampf der Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder für die Interessen der Werktätigen unterstützt, eine Politik, die auf die Festigung des Friedens und der Sicherheit der Völker und auf die friedliche Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung gerichtet ist. Das sowjetische Volk und die fortschrittlichen Menschen der ganzen Welt haben diesen Kurs der Außenpolitik der KPdSU und den persönlichen Beitrag des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, L. I. Breshnew, bei ihrer Verwirklichung hoch gewürdigt. Allseitige Unterstützung findet die Leninsche Friedenspolitik der KPdSU bei den Ländern der sozialistischen Gemeinschaft. „Die sozialistischen Staaten betreiben eine prinzipienfeste, klassengebundene Außenpolitik. Der Kurs auf die Festigung des Friedens und der internationalen Sicherheit, die Solidarität mit dem Befreiungskampf der Völker aller Länder und Kontinente, die Abwehr der Anschläge auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit, auf ihr Recht, ihr Schicksal selbst zu bestimmen - das sind die festen Bestandteile dieser Politik", heißt es im Dokument über das freundschaftliche Treffen der Führer der kommunistischen und Arbeiterparteien sozialistischer Länder, das vom 30. bis 31. Juli 1973 auf der Krim stattfand. 46 W. I. Lenin hat unablässig betont, daß der Kampf der Arbeiterklasse für ihre Interessen unter den Bedingungen des Friedens die positivsten Ergebnisse erbringt. Vor mehr als einem halben Jahrhundert, auf dem IX. Parteitag der KPR(B) im Jahre 1920, sagte er, „daß der Frieden . . . die Sache unvergleichlich besser voranbringen wird als ein Krieg; denn mit dem Krieg haben die Imperialisten die werktätigen Massen betrogen und die Wahrheit über Sowjetrußland verheimlicht. Jeder Frieden eröffnet deshalb unserem Einfluß hundertmal mehr und bessere Möglichkeiten". 47 Wie oft man auch die einem schon bekannten Arbeiten W. I. Lenins wieder zur Hand nimmt, immer wieder wird man durch ihre Scharfsichtigkeit und Tiefe, ihre Lebenskraft und Aktualität in Erstaunen versetzt. In ihnen offenbart sich die Kraft eines Genies, das die konkreten und aktuellen Fragen des Tages beantwortet und seine Aussagen zugleich so formuliert, daß in ihnen die allgemeinen Aufgaben und die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten sichtbar werden. Darin liegt die Größe, die Kraft und die Tiefe der Leninschen Dialektik. Gegenwärtig werfen das ZK der KPdSU und die Sowjetregierung die Frage langfristiger, stabiler wirtschaftlicher Beziehungen mit den kapitalistischen Staa46
Freundschaftstreffen auf der Krim, in: Neues Deutschland vom 1. August 1973, S. 1.
" W. I. Lenin, IX. Parteitag der KPR (B). Bericht des Zentralkomitees, in: Werke, Bd. 30, Berlin 1961, S. 4 4 4 f.
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ten auf. Dazu finden wir bei Lenin direkte und klare Antworten. E r schreibt, daß „ohne bestimmte Wechselbeziehungen zwischen uns und den kapitalistischen Staaten gesicherte ökonomische Verhältnisse für uns unmöglich sind". 4 8 D i e Kommunistische Partei und die Sowjetregierung werfen die Frage auf, den Prozeß der internationalen Entspannung kontinuierlich und unumkehrbar zu machen. Auch zu dieser Frage finden wir Aussagen W. I. Lenins über die Notwendigkeit der ununterbrochenen friedlichen Aufbauarbeit: „Nachdem wir unsere friedliche Aufbauarbeit in Angriff genommen haben, werden wir alle Kräfte anspannen, um sie ohne Unterbrechung fortzusetzen." 49 D a s Z K der Partei und die Sowjetregierung stellen die Aufgabe, sich nicht allein auf allgemeine diplomatische Deklarationen zu beschränken, sondern sie durch ernsthafte Handelsabkommen zu untermauern. Dazu finden wir bei Lenin folgenden Hinweis: „Wir brauchen wirkliche Handelsbeziehungen und nicht nur diplomatische Siege." 5 0 „Wir brauchen den Handel mit den kapitalistischen Staaten, solange sie noch als solche existieren." 51 Wir können also mit vollem Recht sagen, daß die Maßnahmen von Partei und Regierung zur Festigung des internationalen Friedens und der Zusammenarbeit wahrhaft leninistisch sind, daß sie eine schöpferische Entwicklung des Leninschen Prinzips der friedlichen Koexistenz für die gegenwärtige Epoche darstellen und das tiefe humanistische Wesen der sozialistischen Ordnung und die großen Ideale des wissenschaftlichen Kommunismus zum Ausdruck bringen. Dabei hob W. I. Lenin ständig hervor, daß die friedliche Koexistenz ein „Wettkampf zweier Methoden, zweier Formationen, zweier Wirtschaftssysteme - des kommunistischen und des kapitalistischen" - ist. „Wir werden beweisen, daß wir stärker sind." 5 2 E r betonte, „daß einzig und allein die sozialistische Revolution der Ausweg aus den ewigen Kriegen ist" 5 3 , daß der ideologische Kampf der beiden Systeme unvermeidlich und notwendig, eine Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung ist. Der Prozeß der Entspannung besitzt tiefe Wurzeln, Langfristigkeit sowie die Möglichkeit, ihn unumkehrbar diesen überaus wichtigen objektiven Faktoren, die zur zips der friedlichen Koexistenz durch die bürgerlichen zu zählen: 48
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die seine Stabilität und zu machen, fördern. Zu Anerkennung des PrinStaaten beitragen, sind
W. I. Lenin, IX. Gesamtrussischer Sowjetkongreß. Über die Innen- und Außenpolitik der Republik, in: Werke, Bd. 33, Berlin 1963, S. 134. Ebenda. W. I. Lenin, X. Parteitag der KPR (B), Bericht über die politische Tätigkeit des Z K der KPR (B), in: Werke, Bd. 32, Berlin 1963, S. 180. W. I. Lenin, Über die internationale und die innere Lage der Sowjetrepublik, in: Werke, Bd. 33, a. a. O., S. 200. W. I. Lenin, Rede in der Aktiwersammlung der Moskauer Organisation der KPR (B) am 6. Dezember 1920, in: Werke, Bd. 31, Berlin 1964, S. 452. Ebenda, S. 467.
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a) das Wachstum und die Festigung der ökonomischen, politischen und militärischen Macht des sozialistischen Weltsystems und seiner internationalen Positionen; b) die weitere Vertiefung der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, insbesondere die Verstärkung der Finanz- und Währungskrise des Kapitalismus; c) die Niederlage der imperialistischen Aggressionspolitik in Vietnam, die die Aussichtslosigkeit eines militärischen Diktats der U S A gegenüber anderen Völkern und Staaten gezeigt hat; d) die wachsende weltpolitische Rolle der Staaten, die das Kolonialjoch abgeworfen und nationale Unabhängigkeit erlangt haben; e) die existierende internationale Arbeitsteilung unter den Bedingungen der gegenwärtigen weltweiten Entwicklung und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, die unvermeidlich zur Erweiterung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie der wissenschaftlich-technischen Kontakte zwischen allen Ländern, zwischen den sozialistischen und den kapitalistischen Staaten führt; f) die Krise des Antikommunismus als Staatspolitik des führenden kapitalistischen Landes der Erde, der U S A , und der anderen kapitalistischen Länder. Was der Antikommunismus als Staatspolitik, als verbindliche Staatsideologie das amerikanische Volk kostete und immer noch kostet, das hat der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Senats der U S A , Senator Fulbright, vielfach mit scharfer Kritik verdeutlicht. 54 Danach haben die Vereinigten Staaten für militärische Zwecke mehr als eineinhalb Trillionen Dollar ausgegeben; eine unvorstellbare Summe, von der man sich leichter eine Vorstellung machen kann, wenn man bedenkt, daß diese Summe den Gesamtwert aller Bankeinlagen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten übertrifft. Würde man diese Summe unter den Bewohnern unseres Planeten aufteilen, so würden pro Kopf 400 Dollar zur Verfügung stehen. Berücksichtigt man, daß zum Beispiel das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Afrikaners 100 Dollar beträgt, so kann man sich leicht vorstellen, welche Ergebnisse für das Leben der Menschen auf der E r d e hätten erreicht werden können, wenn es nicht diese „wahnwitzige" Politik der „wahnwitzigen" kapitalistischen Welt gäbe. D i e oben genannten Faktoren machten die Wende in der Außenpolitik einer Reihe von imperialistischen Staaten (USA, B R D u. a.) von der Politik des „kalten Krieges" hin zur Anerkennung des Prinzips der friedlichen Koexistenz als einer Norm des Völkerrechts unvermeidlich. D i e Erfahrungen der Geschichte zeigen, daß selbst die günstigsten objektiven Bedingungen für den Fortschritt allein nicht ausreichen, um die gesteckten Aufgaben erfolgreich zu lösen. E s bedarf dazu noch der Fähigkeit, die günstigen Bedingungen richtig zu erfassen und für die Ziele des Fortschritts zu nutzen, der 54
Siehe J. W. Fulbright, Das Pentagon informiert oder Der Propaganda-Apparat einer Weltmacht. Mit einem Essay von Winfried Scharlau: Vietnam in der deutschen Presse, Reinbek bei Hamburg 1971; ders.: The Arrogance of Power, New York 1967.
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Fähigkeit, die Möglichkeit zur Wirklichkeit zu machen - anders ausgedrückt den subjektiven Faktor maximal zu mobilisieren, seine Aktionen mit den günstigen objektiven Umständen zu vereinen. Die Außenpolitik der Partei und der Regierung der Sowjetunion ist ein echtes Muster für die rechtzeitige Nutzung der günstigen Situation, in der die bürgerlichen Staaten gezwungen waren, das von der Sowjetunion vorgeschlagene Prinzip der friedlichen Koexistenz anzunehmen. In einem Zeitungsartikel H. A . Kissingers „Wir sind zur Koexistenz gezwungen" hieß es: „Obwohl wir Rivalen sind, kann der Konflikt nicht durch einen Sieg im klassischen Sinne gelöst werden. Wir sind zur Koexistenz gezwungen und haben die unausweichliche Verpflichtung, gemeinsam nach einem Fundament des Friedens zu suchen." 33 Zur Anerkennung des Wachstums der Kräfte des Sozialismus ließen sich sogar solche Gegner des sozialen Fortschritts herbei wie die Säulen der katholischen Kirche. Im Zusammenhang mit einer vom 5. bis 7. September 1973 stattgefundenen Beratung der päpstlichen Nuntien aus 70 Ländern, mit denen der Vatikan diplomatische Beziehungen unterhält, wurde im Vatikan die Äußerung von Papst Paul VI. diskutiert, daß spätestens im X X I . Jahrhundert der Sozialismus die entscheidende Rolle auf der ganzen E r d e spielen werde. 56 Natürlich bleibt der Imperialismus auch unter den Bedingungen der friedlichen Koexistenz Imperialismus. D i e unumstößlichen Gesetze des Klassenkampfes wirken sich auch unter diesen Bedingungen mit voller Kraft aus. D i e reaktionärsten imperialistischen Kräfte versuchen weiter hartnäckig, sich dem Prozeß der internationalen Entspannung zu widersetzen. D i e expansionistische Politik des Imperialismus zeigte sich in einer Reihe von Regionen der E r d e - in Südostasien, im Nahen Osten, in Südafrika und einer Reihe von Regionen Lateinamerikas. Bestandteil der aggressiven Pläne des Imperialismus waren in diesen Jahren die Ereignisse in Chile, wo eine Militärjunta mit Unterstützung der ausländischen Reaktion eine bestialische, faschistische Terrordiktatur errichtete, um fortschrittlichen Umgestaltungen den Weg zu verlegen. Mit Unterstützung und Billigung ausländischer imperialistischer Kräfte setzten die herrschenden israelischen Kreise ihre aggressiven Aktionen, ungeachtet der Beschlüsse des Sicherheitsrates der U N O , fort. D i e Ereignisse in Chile und die Aggression Israels liegen auf einer Ebene, sind Ereignisse gleichen Charakters. D i e Gegner der Entspannung unter den reaktionärsten Vertretern des Monopolkapitals treten in den verschiedenen Ländern unterschiedlich auf, teils offen und hitzig, teils versteckt und indirekt. Zum Angriff auf die Politik der friedlichen Koexistenz graben sie die alten, längst brüchigen Argumente aus dem Arsenal des Antikommunismus aus, erfinden neue und schüren den Antisowjetismus in den verschiedensten Formen. So sieht die reale Wirklichkeit aus. 65
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H. A. Kissinger, Erklärung des amerikanischen Außenministers über die Politik der Sowjetunion, in: Europa-Archiv, Bonn, 20/1974, S. D 463. Deutsche Zeitung Christ und Welt (Düsseldorf) vom 14. September 1973.
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D a s Wesen dieser Frage charakterisierte L. I. Breshnew in seiner Rede am 25: September 1973 in Taschkent. Die neuen Aufgaben, sagte er, „erfordern die Vervollkommnung unserer ideologischen Arbeit, weil die Auseinandersetzung im ideologischen Bereich in der gegenwärtigen Etappe des Wettbewerbs der beiden Systeme immer größeres spezifisches Gewicht erlangt". 57 Ein zentrales Objekt der Attacken unserer ideologischen Gegner ist zur Zeit der Klasseninhalt des Prinzips der friedlichen Koexistenz. Bürgerliche Liberale und Neoliberale, „Realisten", „Rationalisten", rechte und „linke" Opportunisten versuchen, die friedliche Koexistenz auf ihre Weise auszulegen, und zwar als eine „Zusammenarbeit", die jeglichen Kampf ausschließt. Dabei stellen bürgerliche Theoretiker die Behauptung auf, es könne keine friedliche Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung ohne eine „Koexistenz der Ideologien" geben. Ihrer Meinung nach wurzeln die internationalen Spannungen im Kampf der Ideologien. Gleichzeitig haben sie verstärkt die Doktrin vom „freien Austausch von Menschen, Informationen und Ideen" in den ideologischen und politischen Kampf eingeführt, um so einer ungehinderten, die inneren Gesetze der sozialistischen Staaten außer acht lassenden Verbreitung der bürgerlichen Ideologie in den sozialistischen Ländern den Weg zu bahnen. Bürgerliche Theoretiker bemühen sich nachzuweisen, daß die Ideologie, die von der objektiven Unvermeidlichkeit der friedlichen Koexistenz ausgeht, ein Mythos, ein „Winkelzug" sei, den die sozialistischen Länder anwendeten, um ihren Einfluß und ihre Herrschaft in der Welt auszudehnen. Einige dieser Theoretiker, die anerkennen, daß die friedliche Koexistenz akzeptiert werden muß, bestehen auf einer Vorbedingung: D i e friedliche Koexistenz soll durch einen ideologischen „Waffenstillstand" zwischen Kapitalismus und Sozialismus ergänzt werden. Diese Auffassung besitzt im Westen zahlreiche Anhänger. Sie kommen aus politisch höchst unterschiedlichen Lagern. Doch alle derartigen Überlegungen unserer Gegner sind in ihrem Wesen unwissenschaftlich und entsprechen nicht der realen Wirklichkeit. Der Kampf der Ideen und Weltanschauungen ist eine objektive Gesetzmäßigkeit der Geschichte, die das Grundgesetz der Geschichte ausdrückt - den Klassenkampf. Einen Kampf der verschiedenen Klassenideologien in der Gesellschaft wird es erst dann nicht mehr geben, wenn es keine Klassen, keine verschiedenen gesellschaftlich-politischen Systeme mehr gibt. 58 E s hat in diesen Jahren auch solche bürgerlichen Ideologen gegeben, die versucht haben, die friedliche Koexistenz als einen anderen verbalen Ausdruck für die Politik des „kalten Krieges" auszulegen. Dabei wurde das „Argument" in Umlauf gesetzt, daß auf Grund des Umstandes, daß die friedliche Koexistenz den 57
L . I. Breshnew, Treue zum großen Bund der Bruderrepubliken, in: L. I. Breshnew, Auf dem Wege Lenins, Bd. 4, Berlin 1975, S. 317.
58
Siehe W. I. Lenin, Vulgärsozialismus und Volkstümlerei, wiederbelebt durch die Sozialrevolutionäre, in: Werke, Bd. 6, Berlin 1973, S. 257.
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ideologischen Kampf nicht ausschließe, die Forderung einer friedlichen Koexistenz selbst gegenstandslos werde. Man berief sich auf eine angebliche „Unvereinbarkeit" des Klassenkampfes mit den auf den Prinzipien der friedlichen Koexistenz entwickelten zwischenstaatlichen Beziehungen kapitalistischer und sozialistischer Länder. Nach Ansicht dieser Theoretiker bedeutet der Klassenkampf faktisch „kalten Krieg". Denn ein Krieg zwischen den sozialistischen und kapitalistischen Ländern werde ja ohnehin gegenwärtig nicht geführt. Und das Fehlen des Krieges unter den Bedingungen eines erbitterten ideologischen Kampfes stelle nichts Neues oder Verlockendes dar, das sei eben „kalter Krieg", wie es ihn auch früher gegeben habe. 59 Alle diese Versuche, die friedliche Koexistenz dem „kalten Krieg" gleichzustellen, sind im ganzen wissenschaftlich unhaltbar und verfolgen den Zweck, die Idee der friedlichen Koexistenz in den Augen der Öffentlichkeit zu kompromittieren, zu „beweisen", daß sie kein Ziel darstelle, für das es sich ernsthaft zu kämpfen lohnt. Diese Linie fortsetzend, versuchen die Ideologen der Monopolbourgeoisie, die gegenwärtige Entspannung der internationalen Lage zu untergraben, indem sie gewisse Forderungen an den Sozialismus stellen: Sagt euch von eurem Verständnis der friedlichen Koexistenz als einer spezifischen Form des Klassenkampfes los, führt eine „ideologische Abrüstung" durch, die mit gesetzmäßiger Notwendigkeit die nukleare Abrüstung ergänzen muß, dann wird man die friedliche Koexistenz der beiden gesellschaftlichen Weltsysteme als stabil ansehen können. Aber der Kampf der Weltanschauungen ist in keiner Weise mit den zwischenstaatlichen Beziehungen identisch. Die Versuche, ein Gleichheitsszeichen zwischen ideologischem Kampf und zwischenstaatlichen Beziehungen zu setzen, sind eine bewußte Vertauschung der Begriffe. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten, die Entspannung der internationalen Lage und die Schaffung von Bedingungen für eine friedliche Zusammenarbeit der Staaten zu gegenseitig vorteilhaften Bedingungen können nicht mit Zugeständnissen bei den Grundsätzen der Ideologie verbunden sein. Die Forschungsaufgabe unserer Gesellschaftswissenschaft in dieser Periode bestand eben darin, einerseits den Unterschied zwischen dem psychologischen Krieg des Imperialismus gegen den Sozialismus als Mittel der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Staaten, als Verletzung ihrer Souveränität zu zeigen und andererseits den Kampf der Ideologien, der Weltanschauungen als eine spezifische Form des internationalen Klassenkampfes darzulegen. Der „kalte Krieg", der psychologische Diversion einschließt, die auf der bewußten Verdrehung der wirklichen Fakten, auf Lüge und Verleumdung beruht, ist mit der Politik der internationalen Entspannung unvereinbar. Der Kampf der Ideologien aber ist der natürliche Zustand der Auseinandersetzung der beiden 59
Siehe Friedliche Koexistenz in Europa. Entwicklungstendenzen zwischen Sozialismus und Imperialismus, Berlin 1 9 7 7 .
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der
Auseinandersetzung
Systeme in der geistigen Sphäre, unter den Bedingungen ihrer friedlichen oder wie es Lenin ausdrückte - parallelen Existenz. Nicht übersehen darf man auch die pazifistische Auslegung der friedlichen Koexistenz. In den meisten Fällen wurde dabei der Begriff des Friedenskampfes ersetzt. Indessen geht der Inhalt des Begriffes „friedliche Koexistenz" weit über den Kampf gegen die Gefahr eines Krieges hinaus. E r schließt auch die Entwicklung einer gegenseitig vorteilhaften sachlichen Zusammenarbeit zwischen Staaten ein, die zu den unterschiedlichen Gesellschaftssystemen gehören. E s ist bekannt, daß die Marxisten-Leninisten demokratische Aktionen im Kampf für den Frieden und die friedliche Koexistenz unterstützen, darunter auch pazifistische Aktionen; doch erläutern sie dabei zugleich die Unzulänglichkeit und Inkonsequenz der Positionen und Ansichten der Pazifisten, die versuchen, von „über den Klassen stehenden" Positionen aus zu wirken. Auf dem X V . Weltkongreß für Philosophie 1973, speziell in dem Arbeitskreis „Technology, Peace and Contemporary Marxism", wurde in einigen Referaten die Bedeutung der Lehre von den gerechten und den ungerechten Kriegen für die gegenwärtige Periode bestritten. 60 D i e sowjetischen Wissenschaftler und die Wissenschaftler der sozialistischen Länder haben solche Äußerungen gründlich kritisiert und hervorgehoben, daß die Sowjetunion entschieden gegen alle Umtriebe der Kriegstreiber auftreten wird, daß sie zugleich den Völkern Unterstützung gewähren wird, die für Freiheit und nationale Unabhängigkeit kämpfen. 6 1 Im Rechenschaftsbericht auf dem X X V . Parteitag der K P d S U führte L. I. Breshnew aus: „Steht doch mit absoluter Klarheit fest, daß Entspannung und friedliche Koexistenz in den Bereich der zwischenstaatlichen Beziehungen fallen. D a s bedeutet vor allem, daß Streitigkeiten und Konflikte zwischen den Ländern nicht durch Krieg, nicht durch Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung beigelegt werden dürfen. Die Entspannung hebt die Gesetze des Klassenkampfes keineswegs auf, und sie kann diese Gesetze weder aufheben noch abändern. Niemand sollte darauf spekulieren, daß die Kommunisten sich im Zeichen der Entspannung mit kapitalistischer Ausbeutung abfinden oder die Monopolherren zu Anhängern der Revolution werden." 6 2 D i e Festigung der friedlichen Koexistenz und die aktive Hilfe für die sich befreienden Völker stellen einen einheitlichen, sich in seinen Seiten wechselseitig bedingenden Prozeß des Kampfes gegen den Imperialismus dar. D i e friedliebende Politik der sozialistischen Länder und die Lösung der internationalen Aufgaben auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz leisten einen bedeu00
61
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Siehe Proceedings of the 15th World Congress of Philosophy, 17th to 22nd Sept. 1973, Varna (Bulgaria), Bd. 1, 2, 3, Sofia 1973 (weitere Beiträge in den Bänden 4 bis 6). Siehe E . D. Modrshinskaja, Theoretical and Ideological Aspects of the Struggle for Peace, in: Ebenda, Bd. 6, S. 271 £E. L. I. Breshnew, X X V . Parteitag der KPdSU, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik, a. a. O., S. 41.
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tenden Beitrag zum Kampf der fortschrittlichen Kräfte für den gesellschaftlichen Fortschritt in der Welt. Noch auf eine andere Linie der ideologischen Auseinandersetzungen, die sich im Zusammenhang mit der Entspannung verschärft haben, ist hinzuweisen. Einige militante „Linke" haben die Behauptung aufgestellt, daß die Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung von dem Wunsch diktiert sei, die sozialistische Revolution in den kapitalistischen Ländern zu verhindern oder aufzuschieben. Darum seien sie - die „Linken" gegen die friedliche Koexistenz und bevorzugten ausschließlich bewaffnete Mittel des Kampfes gegen den Imperialismus. So entstellen und verfälschen sie die auf die Entspannung der internationalen Lage gerichtete Politik der Sowjetunion und erklären diese Politik für ein „schmutziges Geschäft" mit dem internationalen Imperialismus, dessen Ziel es sei, die Befreiungsprozesse zu hemmen. Solche pseudorevolutionären trotzkistischen Auffassungen gießen natürlich nur Wasser auf die Mühlen der Feinde von Frieden und Fortschritt. Auch die Maoisten treten bekanntlich gegen die Friedensinitiativen der Sowjetunion auf und faseln vom Kampf der sogenannten „zwei Supermächte". D i e chinesische Führung hat den amerikanischen Imperialismus und die Sowjetunion auf eine Stufe gestellt, verleumdet die Außenpolitik der U d S S R sowie anderer sozialistischer Länder und setzt die sozialistische Außenpolitik der Sowjetunion mit der Außenpolitik des stärksten imperialistischen Staates, den U S A , gleich. E s ist kennzeichnend, daß die Maoisten, die die Natur und die Grundziele der „Supermächte" für identisch erklären, als ihren „Hauptgegner" den Sowjetstaat hinstellen. D a s ist der Kern des Feldzuges des Maoismus gegen die sowjetische Politik der internationalen Entspannung. D i e sowjetischen Wissenschaftler haben das Problem der friedlichen Koexistenz als eine Form des Klassenkampfes analysiert und darauf hingewiesen, daß die friedliche Koexistenz die Anwendung von militärischen Mitteln in der historischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus ausschließt, daß sie gleichzeitig der gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit im Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Kultur sowie dem gegenseitigen Austausch von für den Frieden nötigen Kenntnissen und Methoden, Ideen, Vorschlägen usw. breiten Raum und große Perspektiven eröffnet. D a s sind umfangreiche Gebiete der Zusammenarbeit, die beiden Beteiligten der Auseinandersetzung Nutzen bringen. Der Kampf der Ideen, der Kampf der Weltanschauungen dagegen ist eine historische, objektive Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlichen Lebens, weil das Klassenwesen, die Klassenziele der Hauptklassen der kapitalistischen und der sozialistischen Gesellschaft unversöhnlich, miteinander unvereinbar sind. Großen Raum im Arsenal des ideologischen Kampfes der Bourgeoisie nahmen und nehmen, wie schon gesagt, die verschiedenen Varianten der „Konvergenztheorie" ein. Unter den Bedingungen der Entspannung fand diese „Theorie" besondere Verbreitung und tritt in den verschiedensten Spielarten und Formen auf. Eine verbreitete Erscheinungsform der Konvergenzidee war die sogenannte 106
Theorie der „friedlichen Durchdringung". Unter den Bedingungen der Entspannung der internationalen Lage versuchten unsere ideologischen Gegner - , und werdei) es auch in Zukunft versuchen - alle Mittel des „friedlichen Eindringens" dazu zu- benutzen, um die Einheit der Bruderstaaten zu unterhöhlen, die Macht und Geschlossenheit der sozialistischen Länder zu untergraben und dabei alle Möglichkeiten zu nutzen, die ihrer Meinung nach der „Austausch von Informationen und Ideen" dafür bietet. Die amerikanische Zeitschrift „U. S. News & World Report" schrieb, daß die politischen Planungsorgane der USA und Westeuropas ihre Aufmerksamkeit „auf einen freieren Austausch von Ideen und Informationen, die über den Rahmen der traditionellen Muster des Kulturaustausches hinausgehen, konzentrieren"; dies sei auCh das Hauptziel der europäischen Konferenz über Probleme der Sicherheit und Zusammenarbeit. Dieser Austausch sei darauf gerichtet, die „sowjetische Hegemonie in Osteuropa zu schwächen" 63 . Gerade das sozialistische Weltsystem als wichtigste Kraft der gegenwärtigen weltweiten gesellschaftlichen Entwicklung, das einen gewaltigen Einfluß auf den .gesamten revolutionären Weltprozeß ausübt, war und ist also das Hauptobjekt der ideologischen Angriffe der Theoretiker und Strategen des Antikommunismus. Iii dieser Strategie sind globale Aufgaben zu unterscheiden, die weit über den Rähmen des Aktuellen hinausgehen, die gewissermaßen Langzeitprogramme der Ideologen des Imperialismus darstellen. Zu letzteren gehört die Zielsetzung, die Bruderländer vom sozialistischen Weg auf den Weg einer sogenannten „gemischten Gesellschaft" abzudrängen, die das „Beste" von Kapitalismus und Sozialismus aufnehmen und damit eine „Alternative" zum sozialistischen Entwicklungsweg bilden soll. Die bürgerlichen Ideologen rechnen darauf, daß es ihnen unter den Bedingungen der internationalen Entspannung gelingen könnte, die Möglichkeiten des wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Austauschs für die Propaganda einer Konvergenz der sozialistischen und der kapitalistischen Länder auszunützen. Dabei spricht die Mehrheit der Versionen dieser „Theorie" weniger von „Konvergenz", d. h. von der „Verschmelzung der beiden Systeme", als vielmehr von der dominierenden Rolle des kapitalistischen Systems, von der „Absorbierung des sozialistischen Systems" durch das kapitalistische. Diese Konvergenzspekulatiönen erweisen sich als eine Defensivreaktion angesichts der offensiven Friedensinitiative der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder, angesichts der realen Wirkungen der Politik der friedlichen Koexistenz. ]n den Vordergrund sind auch solche Varianten der „Konvergenztheorie" wie die „Verwestlichung" der sozialistischen Lebensweise, die „Verschmelzung von bürgerlichem Liberalismus und Marxismus", d. h. die „Konvergenz der Ideologien", getreten. Unter „Verwestlichung" wurde verstanden, daß in die sozialistische Ordnung U.S. News & World Report, Washington, 5/1975, S. 8.
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Normen der kapitalistischen Lebensweise hineinzutragen und charakteristische Eigenschaften und Merkmale der kapitalistischen Lebensweise einzuschleusen sind. Dazu zählt die Propagierung einer Lebensauffassung, wonach nur das Wert besitze, was dem einzelnen unmittelbaren Vorteil bringt. Utilitaristische und pragmatische Auffassungen werden vor allem im Zusammenhang mit einem bürgerlichen Konsumideal vorgetragen, mit dem man beabsichtigt, die „geistigen Werte des Kommunismus" zu liberalisieren, um sie in der Endkonsequenz zu vernichten. D a mit soll ein Prozeß der „Ablösung der großen Ideale" durch „kleine konkrete, realisierbare Ziele" eingeleitet werden. Am E n d e stünde eine „allgemeine Verbürgerlichung", „Verspießerung" der beiden Gesellschaftssysteme. Zugleich wird eine „Konvergenz der Ideologien" als Modell entworfen, daseinen angeblich existierenden Vorgang theoretisch erfasse, nämlich den „Prozeß der Annäherung von Liberalismus und Marxismus". E i n e solche „Annäherung" zwischen dem bürgerlichen Liberalismus und dem Marxismus meinen die „Theoretiker" der Konvergenz in allen Bereichen des geistigen Lebens zu erkennen. D i e Ideologen des Antikommunismus, die in der politischen Strategie des Imperialismus einen festen Platz eingenommen haben, setzten ihre Hoffnungen immer wieder auf verschiedene Varianten einer „inneren Erosion" des Sozialismus als Teil ihres Konvergenzprogramms. Andererseits bemühen sie sich auf jede Weise, den Kampf der Völker für den Frieden und die europäische Sicherheit auszunutzen, um unter dieser Flagge ihre „Ideen" von einer „Opposition" der Länder Osteuropas gegenüber der Sowjetunion zu verbreiten und die Gemeinschaft der sozialistischen Bruderstaaten zu spalten. Hoffnung setzten unsere ideologischen Gegner bei der Verfolgung ihrer strategischen Ziele auch auf den „Nationalkommunismus", auf alle möglichen „nationalen Sozialismusmodelle", die von bürgerlichen Theoretikern und Renegaten vom Schlage R. Garaudys, E . Fischers, O. Siks u. a. geliefert werden. Letztere versuchten, das Besondere in der Entwicklung des Sozialismus dem Allgemeinen entgegenzustellen, die Einheit von Besonderem und Allgemeinem zu sprengen und .die sozialistische Entwicklung einzelner Länder als eine von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten und Merkmalen freie, vom „sowjetischen Muster", vom „sowjetischen M o dell" gänzlich verschiedene Entwicklung darzustellen. Eine spezifische Erscheinungsform der Konvergenzidee stellen eine Reihe von Arbeiten dar, die vom „Club of Rome" veröffentlicht wurden. Anstoß für die Gründung des „Club of Rome", der Politiker, Industrielle, Wissenschaftler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus mehr als 30 Ländern vereint, war so im Selbstverständnis der Gründer - die gemeinsame Sorge angesichts der tiefen Krise, vor der die Menschheit in der Gegenwart steht; einer Krise, die sich in der Verschlechterung der Umwelt ausdrückt, in der Bürokratisierung, in der unkontrollierten Urbanisierung, im Verlust der Befriedigung durch die Arbeit, in der Entfremdung der Jugend, die die Werte der heutigen Gesellschaft in Zweifel stellt, in der Zunahme der Gewalt und der Ignorierung von Gesetz und Ordnung, in der Inflation und im finanziellen Zusammenbruch, in der tiefen Kluft zwischen
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Besitzenden und den Nichtbesitzenden usw. Diese und andere ähnliche Probleme sind nach Meinung der Mitglieder des Clubs „globale Symptome" einer bis jetzt wenig begriffenen „Krankheit". 6 4 E s fehlt in den Arbeiten des „Club of Rome" das Verständnis für die Unterschiede zwischen den beiden Welten, den beiden Systemen, das Verständnis für die Verschiedenheit von Art und Charakter der Folgen der gegenwärtigen wissenschaftlich-technischen Revolution in den verschiedenen Systemen ebenso wie das Verständnis für die unterschiedliche Beantwortung dieser Fragen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen. Darin lag und liegt der methodologische Hauptmangel der Arbeiten des „Club of Rome". In einem ersten „Bericht des Club of Rome zur L a g e der Menschheit", der im März 1972 bereits in 20 Sprachen erschienen war, findet man Untersuchungen verschiedenster Art unter dem Generalthema „Grenzen des Wachstums" vereinigt; Berechnungen über Rohstoff- und Energiereserven, Bevölkerungswachstum, Voraussagen zur Entwicklung einer Reihe von Zweigen der Wirtschaft, der Technik und der Wissenschaft. 65 Gestützt auf Durchschnittszahlen, die die Entwicklung dieser Zweige charakterisieren, haben die Autoren Schlußfolgerungen bis in die Mitte des 21. Jahrhunderts gezogen. Sie nehmen an, daß sich in den nächsten 3 0 - 4 0 Jahren die Weltbevölkerung verdoppeln und 7 - 8 Milliarden erreichen wird, daß gegen Mitte des nächsten Jahrhunderts in den wichtigsten Wirtschaftszweigen eine extreme Krise eintreten wird, daß die Menschheit vor der Gefahr des Hungers und des Aussterbens steht usw. D a s sind sozusagen die „Wachstumsgrenzen" der menschlichen Zivilisation. Doch die äußere wissenschaftliche Respektabilität dieser Konzeption - gründliche Kenntnisse, der Forschungscharakter der Arbeit, die Zahlenangaben, die schematischen Karten, die wissenschaftlich ausgeführten Wachstumskurven usw. usf. - dies alles kann einen grundlegenden methodologischen Mangel nicht verdecken. Die Autoren übersehen den Unterschied im Herangehen an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt unter den Bedingungen des Sozialismus einerseits und des Kapitalismus andererseits. Eine andere weit verbreitete Variante der Konvergenztheorie ist die sogenannte Ideologie des „Europäismus". D i e Ideologen des „Europäismus", die die positiven Ergebnisse des Kampfes der Völker unseres Kontinents für die europäische Sicherheit und Zusammenarbeit ausnutzen, die, und zwar zu Recht, die Gemeinsamkeit der Schicksale dieser Völker im Kampf für den Frieden und gegen den Krieg hervorheben, die an die historischen Erfahrungen appellieren, also in einer Reihe von Fällen mit durchaus richtigen und den Interessen des Friedens entsprechenden Feststellungen operieren, bemühen sich jedoch, die sozialistischen Länder Europas von der sozialistischen Gemeinschaft zu trennen, sie in Opposition zur Sowjet64
65
Siehe W. Sagladin/I. Frolow, Globale Probleme der Gegenwart und die Kommunisten, in: Probleme des Friedens und des Sozialismus, 3/1978, S. 363 ff. Siehe D. Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Reinbek bei Hamburg 1973.
109
union zu bringen und die Grundinteressen des Sozialismus in den einzelnen Läa-; dem durch die Interessen des bürgerlichen Nationalismus zu ersetzen. D a s g s samte Programm des „Europäismus" besitzt nach den Absichten der antikommunistischen Ideologen ein doppeltes Ziel: die osteuropäischen Länder von der Sowjetunion zu trennen und sie allmählich zusammen mit den kapitalistischen Staaten im Rahmen eines „geeinten E u r o p a " zusammenzufassen. D a s sind einige, teilweise sehr verschiedene Arten und Formen von „Konvergenztheorie", denen in der bürgerlichen Ideologie unter den gegenwärtigen Bedingungen der Entspannung viel politische Beachtung geschenkt wird. Wie wir seheti, sind die Aufgaben der marxistischen Wissenschaftler im Kampf gegen die „ K o n vergenztheorie" beträchtlich gewachsen. Einen wichtigen Platz im ideologischen Kampf nehmen gegenwärtig die Probleme der Lebensweise, des Vergleichs des historischen Wertes der kapitalistischen und des aktuellen Wertes der sozialistischen Lebensweise, ihrer Rolle für die Zukunft der Menschheit ein. D a s wird zweifellos eine dauerhafte Erscheinung in der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus sein. Der Sozialismus hat bereits seine eigene Lebensweise geschaffen, die ihre eigenen Prinzipien und ihre eigenen geistigen und moralischen Werte besitzt, die sich prinzipiell und grundlegend von der Lebensweise in den bürgerlichen Ländern unterscheiden. Unter diesen Umständen ist es die Aufgabe der Gesellschaftswissenschaftler - der Ökonomen, Philosophen, Soziologen, Juristen und LiteraturWissenschaftler - , auf der Grundlage einer Berücksichtigung der bereits entStande-; nen historischen Praxis die Kriterien der sozialistischen Lebensweise allseitig auszuarbeiten. Der Mensch des Sozialismus mit seinen geistigen und ethischen Eigenschaften ist eine geschichtlich neue Erscheinung. In unserem Kampf gegen die bürgerliche und die revisionistische Ideologie ist es außerordentlich wichtig, das mit aller Gründlichkeit und in allen Konsequenzen zu zeigen. Besonders massiv konzentrierte sich die antikommunistische Propaganda auf die Probleme der sozialistischen Demokratie sowie der Freiheit der Persönlichkeit im Sozialismus. Man versuchte, das Problem der Demokratie auf die formale Demokratie, die parlamentarische - genauer: die bürgerlich-parlamentarische - Demokratie zu reduzieren. Unter diesen Bedingungen war und ist es für die marxistische Gesellschaftswissenschaft außerordentlich wichtig, einer derartigen Konzeption unsere Konzeption der faktischen, realen Demokratie, der wahren Massen- und Volksdemokratie, die sich aus den Grundlagen der sozialistischen Verhältnisse herleitet, entgegenzustellen. Im Zusammenhang mit den zahlreichen Fälschungen der Geschichte des Sowjetstaates war es überaus wichtig zu zeigen, daß die sozialistische Demokratie, die im Oktober 1917 geboren wurde, von Anfang an eine neue, weitaus höhere Qualität der Demokratie als jede beliebige Form bürgerlicher Demokratie besaß und daß unter den Bedingungen der Entwicklung der sozialistischen Demokratie Erfolge kolossalen Ausmaßes erreicht worden sind. D i e sozialistische Gesellschaft hat sich gerade deshalb als äußerst dynamisch erwiesen - wovon das Tempo ides
110
ökonomischen, wissenschaftlichen und kulturellen Wachstums eindeutig zeugt weil sie es verstanden hat, in einem für den Kapitalismus unvorstellbaren Umfang und in beispiellos kurzen historischen Fristen die Möglichkeiten und Fähigkeiten aller Bürger zu entwickeln und in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Der „freien Initiative", die von den bürgerlichen Ideologen im Grunde als Freiheit des privaten Unternehmertums verstanden wird, hat die sozialistische Ideologie die Initiative der sowjetischen Menschen, ihr hochentwickeltes Gefühl für das Neue, ihre Fähigkeit zum kühnen Voranschreiten in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens entgegengestellt. Diese Eigenschaft des sowjetischen Menschen ist untrennbar verbunden mit der Ergebenheit für die kommunistischen Ideale, mit der Selbstlosigkeit im Kampf für den Aufbau des Kommunismus, mit Arbeitsliebe und Kollektivismus, die das moralische Antlitz des Erbauers des neuen Lebens bestimmen. Dazu erklärte L. I. Breshnew in seiner Rede in Taschkent: „Der Sozialismus ist die humanste und demokratischste Gesellschaftsordnung, die die Geschichte kennt. Sie stellt alle materiellen und geistigen Werte voll in den Dienst des Menschen, seiner Entwicklung und seines Wohlergehens. Die Sorge der Gesellschaft und des Staates um den Menschen ist eine große soziale Errungenschaft, auf die wir, die Sowjetmenschen, mit Recht stolz sind." 66 Treffend formulierte L. I. Breshnew den Charakter der Beziehungen zwischen Mensch und Gesellschaft in unserer Ordnung: „Der Mensch für die Gesellschaft und die Gesellschaft für den Menschen - das ist der Charakter der Beziehungen von Persönlichkeit und Gesellschaft im Sozialismus."67 Die vergleichende theoretische Analyse der kapitalistischen und der sozialistischen Lebensweise, die wissenschaftliche, soziologisch konkrete Präzisierung dieser Kategorien gewinnt in unserer Zeit besondere Aktualität. Gerade um diese Kategorien entbrennt die ideologische Auseinandersetzung unserer Tage. Heute weiß jedermann, was mit der „modernen" kapitalistischen Lebensweise verbunden ist: die faktische Führungsrolle der Monopole und ihrer Kreaturen, die Manipulation der Persönlichkeit im Interesse der Monopole, die ideologischpolitische Zerrissenheit des Volkes, das Gegeneinander zweier Kulturen, Nationalismus, Chauvinismus, die faktische Entfernung der Werktätigen von der Beteiligung an der Leitung des Staates, der Produktion und der Gesellschaft, die Orientierung auf unpolitisches Verhalten, Ideenlosigkeit, geistige Schranken für die ausgebeuteten und unterdrückten Mitglieder der Gesellschaft, Individualismus usw. Im Gegensatz dazu zeichnet sich die sozialistische Lebensweise, wie die Untersuchungen marxistisch-leninistischer Gesellschaftswissenschaftler, besonders Untersuchungen in der Sowjetunion gezeigt haben, durch einen ganzen Komplex von prinzipiell anderen Qualitäten und Merkmalen aus. Von großer Bedeutung sind L. I. Breshnew, Treue zum großen Bund der Bruderrepubliken, a. a. O., S. 306. 67
Ebenda.
111
dabei die folgenden: die aktive Teilnahme der Werktätigen an der Leitung der Produktion, des Staates und aller Angelegenheiten der Gesellschaft, die sozialistische Demokratie, die Orientierung der Lebensweise auf Wissen und Schöpfertum, auf selbstlosen Dienst an der Gesellschaft, auf tiefe ideologisch-politische Überzeugtheit, auf die Ergebenheit für die Sache des Kommunismus, auf geistigen Reichtum, die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit, Gleichberechtigung, Kollektivismus usw. Gerade diese charakteristischen Besonderheiten der sozialistischen Lebensweise, die früher unbekannte Möglichkeiten für die Beteiligung aller Bürger an der Leitung der staatlichen und gesellschaftlichen Angelegenheiten, für die Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse sowie für das allseitige Aufblühen der Persönlichkeit schaffen, treten heute in unserer Forschungsarbeit und propagandistischen Arbeit in den Vordergrund. Das Problem der Persönlichkeit, die Gewährleistung aller erforderlichen Bedingungen für ihre allseitige Entwicklung und schöpferische Tätigkeit, ist mehr als ein Teil oder eine Seite der Gesamtaufgabe des Kampfes für den Sozialismus und den Kommunismus, das ist letzten Endes sein Sinn und sein Zweck. Ein Teil der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologen - darunter humanistisch gesinnte Schriftsteller - ist bekanntlich ehrlich beunruhigt über das Schicksal des Menschen, der menschlichen Persönlichkeit unter den Bedingungen des Kapitalismus und wirft entsprechende Fragen auf. Allerdings geschieht das in der Regel abstrakt, außerhalb des Klassenkampfes des Proletariats für den Sozialismus; und deshalb besitzt der ganze Humanismus dieser bürgerlichen Vertreter im Grunde utopischen Charakter. Was die reaktionären Ideologen der Bourgeoisie angeht, so ist deren Pseudohumanismus, ihr Geschrei von der Freiheit der Persönlichkeit, von einer „freien Gesellschaft" nur eine falsche Flagge im ideologischen Kampf gegen den Sozialismus und Kommunismus. Die Ideologen der Bourgeoisie, die unseren Kampf gegen die Uberreste des Kapitalismus im Bewußtsein der Menschen, gegen antisozialistische Erscheinungen im Leben und in der Tätigkeit rückständiger Menschen der Sowjetgesellschaft verfolgen, verkünden, hier erlitten die Marxisten, die Kommunisten eine Niederlage. Die Natur des Menschen als eines Eigentümers, Egoisten, Individualisten und Zynikers, sagen sie, sei die Nuß, an der sich der Sozialismus die Zähne ausbeiße. Marxismus und Kommunismus blieben eine Utopie, solange Kommunisten nicht in der Praxis bewiesen, daß man die Natur des Menschen verändern kann. Der Verbreitung dieser Thesen sind zahlreiche Untersuchungen bürgerlicher Philosophen und Soziologen gewidmet. Das Problem des Menschen, der Freiheit der Persönlichkeit, ihrer Initiative, der Freiheit der Wahl nimmt einen überaus wichtigen Platz im ideologischen Kampf ein. Die neue historische Situation wirft also in unserem Kampf gegen die bürgerliche und die revisionistische Ideologie immer neue Fragen auf und rückt neue Aspekte früher bereits beleuchteter Fragen in den Vordergrund. Besonders hervorzuheben bei einem allgemeinen Überblick über die Probleme. 112
die die Entwicklung des ideologischen Kampfes charakterisieren, ist die Frage nach der Rolle der Arbeiterklasse, nach der revolutionären Mission des Proletariats, die Gegenstand eines heftigen ideologischen Kampfes ist. Das große Verdienst des Marxismus-Leninismus besteht darin, daß er die Auffassung von der welthistorischen Rolle der Arbeiterklasse bei der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft wissenschaftlich begründet und politisch entwickelt hat. Die Arbeiterklasse nimmt die führende Stellung im System der gesellschaftlichen Produktion ein, sie ist nach der Definition Lenins der materielle Träger der Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus, der geistige und moralische Motor bei der Lösung der grandiosen Aufgabe, den Kommunismus aufzubauen. Der XXIV. Parteitag der KPdSU hat die Gesetzmäßigkeit des weiteren Wachstums der Rolle der Arbeiterklasse in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausführlich dargelegt. Im Rechenschaftsbericht des ZK der KPdSU wurde festgestellt: „Die Arbeiterklasse war und bleibt die Hauptproduktivkraft der Gesellschaft. Ihr revolutionärer Geist, ihre Diszipliniertheit und Organisiertheit, ihr Kollektivgeist sind entscheidend für ihre führende Stellung im System der sozialistischen Gesellschaft." 68 Die historische Entwicklung der UdSSR, der anderen sozialistischen Länder und der ganzen Welt ist eine anschauliche Bestätigung für die Richtigkeit der marxistisch-leninistischen Lehre von der führenden Rolle der Arbeiterklasse in der Gesellschaft. In den letzten Jahren hat die Arbeiterbewegung in den Ländern des Kapitalismus allen Schwierigkeiten zum Trotz unentwegt an Kraft gewonnen und neue Erfahrungen gesammelt. Die Aktivität, Hartnäckigkeit und zunehmende Organisiertheit der Werktätigen im Kampf für ihre Lebensinteressen sind charakteristisch für die gegenwärtige Etappe des Klassenkampfes in der kapitalistischen Welt. Die Streiks erfassen nicht selten ganze Regionen der Länder. Immer häufiger erreicht die Arbeiterklasse die Erfüllung ihrer Forderungen. Diese Forderungen gehen immer weiter, werden immer radikaler, der ökonomische Kampf wächst hinüber in einen Kampf gegen die politische Macht der Monopole, für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen. Die bürgerlichen Ideologen haben daher in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Gegenkonzeptionen entwickelt: so die Theorie von der „Transformation" der kapitalistischen Gesellschaft, vom „Verschwinden" der Arbeiterklasse und vom Erlöschen des Klassenkampfes, vom „Hineinwachsen" der Arbeiterklasse in die „Zivilisation des Konsums", Modelle von der Art der „allgemeinen Vermögensbildung", der „Streuung des kapitalistischen Eigentums", der „Sozialpartnerschaft", des „sozialen Wohlstands", der „sozialen Wohlfahrt", der Erhöhung der „Lebensqualität" usw. Angesichts der Entwicklung der Massenbewegungen waren die bürgerlichen 68
L. I. Breshnew, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der K P d S U an den X X I V . Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Moskau-Berlin 1 9 7 1 , S. 99.
%
Mitin, Ideologischer K a m p f
113
Ideologen und ihre revisionistischen Handlanger gezwungen, nach immer neuen Konzeptionen zu suchen, um in noch besser getarnter Form jenen zentralen Gedanken unter die Massen zu bringen, wonach die These des Marxismus-Leninismus von der welthistorischen Rolle des Proletariats veraltet sei und durch modernere Konzeptionen ersetzt werden müsse. Das gebräuchlichste Verfahren der bürgerlichen Ideologen bildete die Analyse der sozialen Prozesse von der Position eines vulgären Technizismus aus. Indem sie die Entwicklung der Technik und der Industrie an sich zur hauptsächlichen und einzigen Kraft des gesellschaftlichen Fortschritts deklarieren, versuchen die bürgerlichen Autoren, die marxistische These vom Klassenkampf und von der Arbeiterklasse als der führenden Kraft des Geschichtsprozesses zu widerlegen. So bildet der technologische Determinismus in erheblichem Maße auch in der Arbeit des französischen Soziologen Raymond Aron das Fundament für die unwissenschaftliche Konzeption der sozialen Stratifikation. Kriterien für die Einteilung in soziale Gruppen sind bei Aron nicht die Eigentumsformen, sondern solche Merkmale wie die „psychosoziale Beziehung" zwischen den Vertretern einer bestimmten Schicht, die „Einsicht" der Menschen in ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht. Im Endergebnis ist die bürgerliche Gesellschaft bei Aron in zahlreiche Gruppen und Schichten aufgeteilt. Aron erkennt zwar an, daß in „allen Ländern . . . die Arbeiter gewisse Denkweisen gemeinsam, bestimmte Lebensgewohnheiten und von ihrer Arbeitsweise bedingte Haltungen in der Fabrik und zu Hause" haben®, doch dieses Gemeinsame rechnet er zu den zweitrangigen Merkmalen. Auf den Hauptfaktor - das Verhältnis der Arbeiter zu den Produktionsmitteln - weist er nicht hin und verwirft so im Grunde die wissenschaftliche Feststellung von den Merkmalen der Klasse als sozialer Gemeinschaft. Aron gelangt zu der Schlußfolgerung, daß der Marxismus die gesellschaftliche Struktur simplifiziert habe, als er ihr die Form einer Polarisation zweier feindlicher Klassen zuschrieb. 70 In Wirklichkeit hat gerade Aron das wirkliche Bild simplifiziert, denn er verwischt die reale und komplizierte Dynamik des gesellschaftlichen Lebens durch die Einführung eines unwissenschaftlichen, nichtssagenden Schichtbegriffs (stratus). Alle genannten bürgerlichen ideologischen Konzeptionen behaupteten, daß die industrielle Entwicklung unausweichlich zur „Aufweichung" des Proletariats führe, daß sie das Proletariat als Hauptklasse der kapitalistischen Gesellschaft gänzlich eliminiere und den Kapitalismus in ein System von neuen sozialen Einheiten verwandle. Sowjetische Wissenschaftler, die diese Konzeptionen analysierten, wiesen darauf hin, daß diese Theorien keinerlei Grundlage besitzen. 71 In allen industriell entwickelten Ländern des Kapitalismus hat die Zahl der Menschen, die als Lohnarbeiter tätig sind, rapide zugenommen. In den letzten 70 Jahren hat 69
Siehe R. Aron, Fortschritt ohne Ende?, Gütersloh 1 9 7 0 , S. 32.
70
Siehe ebenda, S. 66.
71
Siehe B. Semjenow, Kapitalismus und Klassen, Berlin 1 9 7 2 .
114
sich die Zahl der Lohnarbeiter fast verdreifacht. In den kapitalistischen Hauptländern (BRD, USA, Großbritannien) machen diese Menschen den überwiegenden Teil der berufstätigen Bevölkerung aus.72 Diese Prozesse werden auch durch bedeutsame qualitative Veränderungen gekennzeichnet. Durch die sozialen Folgen der wissenschaftlich-technischen Revolution hat sich der Anteil der einfachen physischen Arbeit bedeutend verringert. Dafür wuchs der Anteil der qualifizierten Arbeiter, der Techniker, Ingenieure und der Mitarbeiter des Dienstleistungsbereichs. Analoge Prozesse sind in allen kapitalistischen Ländern zu beobachten. 73 Doch in den verschiedenen bürgerlichen Konzeptionen einer Gesellschaft „neuen Typus" wird die Arbeiterklasse nicht als aktive gesellschaftliche Kraft, nicht als der ausschlaggebende Faktor des revolutionären Weltprozesses betrachtet. Indem man sich auf die Zunahme der Zahl der Berufe, auf einen angeblichen Übergang der Arbeiter in die „Mittelklasse", auf ihre „Integration" in das System der bürgerlichen Gesellschaft beruft, fetischisieren die bürgerlichen Ideologen einige Seiten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Insbesondere werden die verbesserten materiellen Bedingungen, die sich die Werktätigen in hartnäckigen Klassenkämpfen, durch Streiks und Massenaktionen erkämpft haben, von den bürgerlichen Autoren ausschließlich als Folge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, als Wesenszug eines „gewandelten" Kapitalismus, als „Sozialstaatlichkeit" ausgelegt. Die bürgerlichen Ideologen glauben, in der heutigen Welt das völlige Scheitern der marxistisch-leninistischen Auffassung von der welthistorischen Rolle des Proletariats zu erkennen. P. F. Drucker, amerikanischer Soziologe, Ökonom und bekannter Management-Spezialist, schrieb: „Was den Klassenkampf überwand, war in erster Linie die neue Technik: die Elektrizität vor allem. Diese neue Technik schuf neue, produktivere und daher besser bezahlte Arbeitsstellen. Dann wurde der Klassenkampf auch durch die Bildung überwunden, die einer immer größeren Zahl von Kindern der Armen die Möglichkeit gab, aus der Klasse auszubrechen, zu der sie durch die marxistische Ideologie verdammt waren. Vor allem wurde der Klassenkampf durch Frederick Taylors Buch Scientific Management überwunden . . ."74 In den Arbeiten Druckers wird der marxistischen Ideologie eine gewisse fatalistische Färbung gegeben; und es entsteht der Eindruck, als habe nicht die bürgerliche Gesellschaft, nicht die antagonistische kapitalistische Ordnung die Massen zu Not und Rechtlosigkeit verdammt, sondern „das Urteil der marxistischen
72
Siehe A . N . Melnikow, D i e heutige Klassenstruktur in den USA, Moskau 1974.
73
Siehe G. G. Diligenski, Wissenschaftlich-technische Revolution und soziale Entwicklung der Arbeiterklasse,
in: Mirovaja
ékonomika i
mezdunarodnyje
otnosenija
(Moskau),
3/1973. 74
8«
P. F. Drucker, D i e Zukunft bewältigen, Düsseldorf-Wien 1970, S. 154 f.
115
Ideologie". 75 Dabei hat gerade der wissenschaftliche Sozialismus zum erstenmal in der Geschichte einen realen Weg zur Beseitigung der sozialen Ungerechtigkeit, der Ausbeutung, der Klassenantagonismen gewiesen. Die faktische Befreiung der Massen von Unterdrückung und Armut kann nur die Arbeiterklasse vollbringen. Bell schlägt bei letztlich identischem Ziel einen anderen Weg ein. Für ihn ist die Arbeiterklasse Repräsentant des niedrigsten Wissensniveaus. Er definierte den Arbeiter als den, der physische Arbeit leistet. Daraus ergibt sich der ganze anschließende Verlauf der Überlegungen Beils. Wenn die Arbeiterklasse nicht über Wissen verfügt, so verliert sie zwangsläufig die führende Rolle in der „postindustriellen" Gesellschaft. Zur aktivsten Kraft wird demnach eine ganz andere soziale Gruppe - die Vertreter der geistigen Berufe, die Wissenschaftler, nicht aber das Proletariat. 76 Von derartigen Positionen her hat die bürgerliche Ideologie auch den Inhalt des Klassenkampfes, der sozialen Konflikte neu zu fassen versucht. Nach Ansicht einiger Autoren stehen sich innerhalb der Gesellschaft nicht die Bourgeoisie und das Proletariat, sondern die intellektuellen und die wenig gebildeten sozialen Schichten gegenüber. Die sowjetische Gesellschaftswissenschaft hat diese Konzeptionen kritisiert und auf den klassenmäßigen Kern in diesen Positionen hingewiesen; nämlich auf den Versuch, den Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital zu leugnen; sie hat die apologetische Funktion dieser Positionen in bezug auf den staatsmonopolistischen Kapitalismus hervorgehoben. Die „nachindustrielle Gesellschaft in der Status- und Machtdimension", bemerkt Bell, ist gewissermaßen als logische Ausweitung der „Meritokratie" anzusehen, „als systematische Verwirklichung einer im Prinzip auf der Priorität des geschulten Talents beruhenden neuen Sozialordnung". 77 In den sowjetischen Untersuchungen zu diesem Thema ist wiederholt bewiesen worden, daß es die Arbeiterklasse ist, die in der modernen Gesellschaft den größten Teil des Nationaleinkommens der Gesellschaft hervorbringt, daß sie die Arbeitsmittel schafft, von denen das technische Niveau der Industrie, der Landwirtschaft, des Bauwesens, des Transportwesens, aller Zweige der Wirtschaft abhängt, und daß darum die Arbeiterklasse die mächtigste, die organisierteste im Unterschied zur zersplitterten „intellektuellen Elite" - und folglich die ausschlaggebende Produktiv- und gesellschaftlich-politische Kraft der kapitalistischen Gesellschaft bleibt. A. Touraine meint, daß der frühere Konflikt zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat in der heutigen Zeit seinen Sinn und seine Bedeutung verloren habe. An seine Stelle sei ein neuer, angeblich bedeutenderer und größerer Konflikt getreten. „Der zentrale soziale Konflikt unserer Gesellschaft", schreibt Touraine, „das ist der Konflikt zwischen den Technokraten einerseits und den Ange75
P. F. Drucker, Die Zukunft der Industriegesellschaft, Düsseldorf-Wien 1 9 6 7 , S. 87 f.
76
Siehe D. Bell, The Coming of Post Industrial Society, New York 1 9 7 3 , S. 4 2 6 .
77
D. Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt/Main-New York 1 9 7 5 , S. 3 1 5 .
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stellten und Experten andererseits. Die Letzteren stellen den Ersteren ihre Bildung und ihre technischen Kenntnisse entgegen; zugleich fühlen sie sich von den Technokraten abhängig, die über den Mechanismus der Karriere, über den Mechanismus des Statuserwerbs vermittels der Formen der sozialen Organisation ihre Herrschaft ausüben." 78 Touraines Konzeption und andere ihr ähnliche Konzeptionen versuchen, die Klasse der Kapitalisten als eine Art rudimentäre gesellschaftliche Gruppe hinzustellen, die die reale Macht über die Wirtschaft und die soziale Organisation der „Technokratie" und „Technobürokratie" anvertraut habe. Damit wird der Arbeiterklasse die Rolle des Hegemons in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikten bestritten. An die Stelle der Arbeiterklasse setzt man eine besondere Kategorie von Werktätigen, die Touraine zum Beispiel die „Professionalen" genannt hat. Ihnen - den „Professionalen" - schreibt Touraine eine „historischrevolutionäre Mission" zu. Zu den „Professionalen" zählte Touraine die Experten, die Sachverständigen, die Manager, die Angestellten, die Leitungsspezialisten und die hochqualifizierten Arbeiter-Techniker. Er vergleicht die Situation der Arbeiter heute mit der Situation der Bauern im 19. Jahrhundert. Diese gesellschaftliche Kategorie „Proletariat" befinde sich in einem relativen Abstieg; sie müsse ihre besonderen Interessen verteidigen und sei nicht mehr der exponierte Gegner der herrschenden Klasse. In den Arbeiten sowjetischer Wissenschaftler zu diesen Fragen wurde bestätigt, daß in der Tat die Kategorie der fachlich und beruflich besonders qualifizierten Berufstätigen im Kapitalismus quantitativ zunimmt; das bedeutet jedoch nicht, daß sie sich in eine besondere Klasse, eine besondere gesellschaftliche Kraft verwandeln und dabei automatisch auch zum Hegemon der revolutionären Bewegung werden. Die bürgerlichen Ideologen haben in ungerechtfertigter Weise das Zentrum der sozialen Konflikte in den Bereich der Leitung verlagert und dabei die Probleme der Arbeiterklasse als antiquierte Probleme bezeichnet, die dem modernen System der sozialen Beziehungen angeblich nicht mehr gerecht werden. 7 9 Als gleichermaßen ungerechtfertigt erwiesen sich auch die Konzeptionen der bürgerlichen Ideologen von der angeblichen „Integration" der Arbeiterklasse in das kapitalistische Gesellschaftssystem, vom angeblichen Verlust der revolutionären Potenzen der Arbeiterklasse. Diese Theorien werden von der wachsenden politischen Aktivität der breiten Massen, von der Verstärkung der Klassenkämpfe widerlegt. Die bürgerlichen Hirngespinste und Wunschträume, daß die Arbeiterklasse ihre historische Mission eingebüßt habe, sich auch von den Revisionisten aufgegriffen worden. Eine charakteristische Evolution hat in dieser Hinsicht R. Garaudy durchgemacht. Früher behauptete er, als führende revolutionäre Kraft der gegenwär78
A . Touraine, Le mouvement de Mai ou le communisme utopique, Paris 1 9 6 8 , S. 1 7 7 .
79
Siehe G. Danilin, Automatisierung und ihre sozialen Folgen im Kapitalismus, Moskau 1 9 7 1 .
117
tigen Epoche müsse der „historische Block" angesehen werden, eine neuentstandene Klasse von Arbeitern, zu der die eigentlichen Arbeiter, die Angestellten und die Intelligenz zu zählen seien. In diesem neuen „historischen Block" sollte die Intelligenz nach Garaudys Vorstellung die Rolle des Motors des revolutionären Prozesses spielen. In seinem Buch „Die Alternative" ist Garaudy bereits von der Konzeption des „historischen Blocks" abgerückt. Er hat sich sozusagen den aktuellen Geschehnissen dadurch angepaßt, daß er seine bisherige Auffassung einfach über Bord geworfen hat und ein neues Postulat aufstellt. Seine ganze „emanzipatorische Hoffnung" gilt nun auf einmal der Jugend. So schreibt er: „Überall in der Welt geht diese Jugend - die Hälfte der Weltbevölkerung - ihren eigenen Weg, ja sie gründet sogar eine Gesellschaft mit eigenen ungeschriebenen Gesetzen, eigenen Sitten und selbstgewählten Verhaltensweisen, die nicht jene der etablierten Ordnung sind." 80 Von einer solchen Vorstellung begeistert, läßt Garaudy jedes ernsthafte sozialtheoretische Herangehen, jede solide wissenschaftliche Untersuchungsmethode fallen und orakelt weiter: „In einer Zeit, in der die Substanz Werden, die Masse Energie, das Sein Relation ist, nach Marx, Nietzsche und Freud, kann für die Jugend der einzige Gott, der zu begreifen und mit Leben zu erfüllen ist, nur die schöpferische Kraft im Innern eines jeden Dinges sein. Gott ist überall dort, wo etwas Neues im Entstehen begriffen ist, in einem schöpferischen Akt der Kunst, in einer wissenschaftlichen Entdeckung, in einer Liebesbeziehung oder in einer Revolution". 81 Uberhaupt erfreute sich in diesen Jahren in der bürgerlichen Ideologie, Presse und Propaganda die kleinbürgerliche pseudoradikale Ideologie großer Popularität. Insbesondere in der Frage der Arbeiterklasse behaupteten auch die linksradikalen Ideologen, daß sich unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution die Massenbasis der proletarischen Bewegung verenge und der revolutionäre Geist sich ins Milieu der studierenden Jugend, der rassischen Minderheiten und des Massenelends verlagere. Der Form nach entgegengesetzte, im Wesen aber identische Schlußfolgerungen zogen, wie wir sahen, in dieser Periode die Revisionisten rechter Provenienz. Sie zählten willkürlich verschiedene Schichten der kleinbürgerlichen Intelligenz zur Arbeiterklasse und erklärten diese dann nahezu zur führenden Kraft des revolutionären Prozesses. Alle diese Überlegungen führten im Endeffekt diese „Theoretiker" selbst zu einem historischen Pessimismus, zum Verlust der gesellschaftlichen Perspektive. Kennzeichnend war in dieser Hinsicht das Buch des französischen Soziologen Jacques Ellul „Von der Revolution zur Revolte". Ellul, der behauptet, daß die Ä r a der Revolution der Vergangenheit angehöre und es in der Gegenwart weder Gruppen noch Klassen gebe, die wahrhaft revolutionär seien, erkennt als revolutionär weder das Proletariat noch die Intelligenz, noch die Jugend an. Die Revolution ist seinen Worten zufolge in Revolten ausgeartet. Ellul schrieb: „Für 80 81
R. Garaudy, Die Alternative, Reinbek bei Hamburg 1974, S. 1 1 4 . Ebenda, S. 41.
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mich ist es geradezu ein Gesetz: Je technisierter die Gesellschaft wird, um so unerträglicher wird sie für den Menschen, um so mehr fordert sie die Verweigerung, den Willen zur Veränderung, also revolutionäre Tendenzen heraus. Je technisierter sie ist, desto unmöglicher wird ihre Revolutionierung und desto sicherer blockiert sie jede revolutionäre Wirklichkeit. Dieser Widerspruch löst sich in einer Vielzahl von kleinen und größeren Revolten auf." 8 2 So sieht das gesetzmäßige Fazit aller jener Konzeptionen aus, die die revolutionäre Mission der Arbeiterklasse ignorierten. Diesen Geistesrichtungen und apologetischen „Theorien" stand der reale Beitrag der Arbeiterklasse der UdSSR und der sozialistischen Länder zum revolutionären Weltprozeß gegenüber, dessen Realität, Mächtigkeit und Einflußstärke heute in der ganzen Welt anerkannt sind. In der Entwicklung des revolutionären Weltprozesses, im Wachstum der Macht der sozialistischen Länder ist die faktische revolutionäre Rolle des Proletariats in der heutigen Welt eingeschlossen. 82
J. Ellul, Von der Revolution zur Revolte, Hamburg 1 9 7 4 , S. 2 7 6 .
119
KAPITEL 3
Der Antikommunismus und die philosophischen Probleme des Marxismus-Leninismus
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß in den Arbeiten der bürgerlichen Ideologen über die marxistisch-leninistische Theorie und die Lage in den sozialistischen Ländern in den letzten Jahren eine neue Tendenz sichtbar wurde, nämlich, als Angriffsobjekte nicht spezielle, einzelne Fragen, sondern globale Themen zu wählen und den Marxismus-Leninismus als Ganzes in Frage zu stellen, die Frage aufzuwerfen, ob man überhaupt vom Marxismus als einer einheitlichen Lehre, als einem folgerichtigen und in sich geschlossenen logischen System sozialer Ideen sprechen kann. D i e Autoren solcher Arbeiten versuchten, die philosophischen Werke von Marx den Werken von Engels entgegenzustellen, die Werke von Marx und Engels als im Widerspruch zu den Werken Lenins befindlich darzustellen. Sie bemühten sich, den Leser davon zu überzeugen, daß es in der marxistisch-leninistischen Lehre, besonders in der marxistisch-leninistischen Philosophie, „verschiedene Schichten" gäbe, die einander wechselseitig ausschließen würden. Als Beispiel dafür kann die „theoretische Diskussion" zum Thema „Mythen, Realität, Politik" dienen, die in der amerikanischen Zeitschrift „Problems of Communism" geführt wurde. 1 D i e Zeitschrift gewann für die Diskussion bekannte „Sowjetologen" und Redakteure führender antikommunistischer Publikationsorgane, die weiter auf den „kalten Krieg" setzen, Feinde der friedlichen Koexistenz. Unter „Mythen" verstanden die Organisatoren der Diskussion solche „wissenschaftlichen" Konzeptionen, die bis heute im Westen verbreitet und sogar zu Stereotypen geworden sind, sich jedoch als falsch erwiesen haben. D i e Diskussion wurde mit der These eröffnet, daß die Vorstellung vom monolithischen Kommunismus den geschichtlichen Tatsachen nicht gerecht werde. D a mit versuchte die antikommunistische Propaganda, die ständigen Mißerfolge ihrer „Theoretiker", die in den vorausgegangenen Jahren große Anstrengungen unternommen hatten, den „Totalitarismus" des monolithischen Kommunismus zu beweisen, „theoretisch" zu begründen. Den Schein einer „objektiven wissenschaftlichen Analyse" wahrend, grenzten sich die Ideologen von ihren eigenen „Konzeptionen" ab. 1
Siehe H. Lippmann, The Limits of Reformcommunism, in: Problems of Communism, Washington, 3/1970, S. 15 ff.
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Hatten die Antikommunisten früher behauptet, der Kommunismus sei sozusagen „totalitär" und lasse keinerlei Abweichungen zu, so beriefen sie sich nun auf die „Zersplitterung" des Kommunismus und sprachen von einer „Erosion" des Gesamtsystems der marxistisch-leninistischen Auffassungen. Es war für die erwähnte Diskussion typisch, daß unklar blieb, was konkret gemeint war, wenn vom Kommunismus geredet wurde. In einem Falle war von der internationalen kommunistischen Bewegung die Rede, in einem anderen von der marxistisch-leninistischen Ideologie, dann wieder von der politischen, sozialen und ökonomischen Ordnung eines einzelnen sozialistischen Landes oder einer Reihe von Ländern. Es ist offensichtlich, daß in jedem dieser Fälle von zwar miteinander verknüpften, aber unterschiedlichen Objekten der Analyse die Rede war. Nachdem man zu rein äußerlichen Analogien Zuflucht genommen hatte, versuchten die Antikommunisten, die Ähnlichkeit oder Analogie der Erscheinungen hervorzuheben. So wurde der „monolithische" Kommunismus mit der „Monodoxie" verknüpft. Und auf die Behauptung von der „Zersplitterung" des Kommunismus folgte ohne jegliche Analyse und überzeugende Argumentation die These von der „Spaltung" der marxistisch-leninistischen Ideologie. Es ist klar, daß ein solches „Verfahren" der Analyse sozialer Prozesse und Ideen unwissenschaftlich und fruchtlos ist. Was verstanden die Teilnehmer an der Diskussion unter den Termini „Polydoxie" und „Orthodoxie"? Nach Meinung der bürgerlichen Autoren ist „Orthodoxie" der Zustand einer Ideologie, in dem sie ganz und gar von allen ihren Anhängern akzeptiert wird. Um Sympathien zu erwerben und zum Aktionsprogramm zu werden, müsse eine solche Ideologie innerlich „undiskutiert" sein. Nach Meinung der bürgerlichen Ideologen hat der Marxismus den Charakter einer „Orthodoxie" in jener Periode besessen, in der der Kommunismus sich im „monolithischen" Stadium befand. In Wirklichkeit ist der Marxismus-Leninismus als wissenschaftliche Weltanschauung niemals eine dogmatische „Orthodoxie" gewesen. Er ist ein System von wissenschaftlichen Ansichten über den geschichtlichen Prozeß, eine lebendige und sich entwickelnde Lehre. Der Marxismus entstand und entwickelte sich im scharfen Kampf gegen die bürgerliche Ideologie, im Kampf gegen alle Arten von Abweichungen, Revisionen und Verfälschungen. Gerade in diesem Kampf ist der Marxismus gestählt worden. Der Marxismus hat sich im Zusammenhang mit den Problemen entwickelt, die das Leben aufwarf. In der neuen historischen Epoche, der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolutionen, hat Lenin den Marxismus schöpferisch weiterentwickelt, hat er diese Lehre durch neue Schlußfolgerungen und Thesen bereichert. Lenin hat seinerzeit festgestellt, daß der Marxismus aus einem Guß ist. Ganzheitlich und folgerichtig ist diese Weltanschauung in) Ergebnis der ständigen Überprüfung der Unanfechtbarkeit ihrer Grundaussagen in der Praxis, im Ergebnis der schöpferischen Anreicherung geworden. Glaubte man den bürgerlichen Autoren, dann würde die Zuverlässigkeit dieser 121
oder jener Auffassung nicht dadurch bestimmt, daß sich die innere Folgerichtigkeit der sozialen Ideen, ihr integraler Zusammenhang und ihre Geschlossenheit sowie ihre Ubereinstimmung mit der historischen Praxis herausstellen, sondern durch ein ganz anderes Kennzeichen. Maß für den Wert einer sozialen Doktrin ist nach Auffassung der bürgerlichen Ideologen das Verhältnis der Anhänger zu dieser Doktrin. Es ergibt sich etwa folgende Kette von Überlegungen. Sobald Anhänger dieser oder jener Ideologie versuchen, sich auf der Basis dieser Ideologie eine eigene Position zu erarbeiten, lassen sie „Abweichungen" zu, und der Wert dieser sozialen Doktrin verringert sich. Der Marxismus hat sich Popularität durch die Klarheit und die Tiefe seiner Ideen erkämpft, die Millionen geholfen haben, sich vom Joch der Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien; er hat den Weg der gesellschaftlichen Umgestaltung gewiesen. Der Sozialismus ist eine fortschrittliche Ordnung, die sich heute in verschiedenen Ländern der Welt konsolidiert hat. Das ist es, was in erster Linie auch das zentrale und wahre Kriterium für den Wert der marxistisch-leninistischen Ideologie ausmacht. Doch diese Tatsache wurde und wird von den Sowjetologen und anderen Antikommunisten natürlich umgangen. Sie behaupten, daß im gegenwärtigen ideologischen Leben der kommunistischen Welt ein Prozeß des Zerfalls der „Orthodoxie" im Gange sei. Sie meinen, dem Zustand der „Orthodoxie" der marxistisch-leninistischen Theorie werde ein „Polyzentrismus", eine „Polydoxie" folgen, in der ihrer Meinung nach verschiedene Varianten ein und derselben Lehre existieren werden. Da es, wie die Antikommunisten behaupten, in den sozialistischen Ländern Kreise gäbe, die mit einzelnen Aussagen des Marxismus-Leninismus „nicht einverstanden" seien, gäbe es folglich keine einheitliche revolutionäre Ideologie, sondern nur verschiedene Subdoktrinen, die eine „Polydoxie" entstehen ließen. Das Weltsystem des Sozialismus ist eine gesellschaftliche, ökonomische und politische Gemeinschaft freier, souveräner Völker, die den Weg des Sozialismus und des Kommunismus beschreiten und die verbunden sind durch die Einheit der gemeinsamen Interessen und Ziele, durch die engen Bande der internationalen sozialistischen Solidarität, durch die einheitliche marxistisch-leninistische Ideologie. Zwischen den sozialistischen Ländern ist ein neuer Typ wirtschaftlicher und politischer Beziehungen entstanden. Das sozialistische Weltsystem übt einen entscheidenden Einfluß auf den gesamten Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung der modernen Welt aus. Die Unrichtigkeit der bürgerlichen Hirngespinste vom „Polyzentrismus" wird durch den gesamten Verlauf der gegenwärtigen Entwicklung der sozialistischen Staaten dokumentiert. Niemals hat die dialektisch-materialistische Weltanschauung einen Gegensatz zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen, zwischen der Einheit und dem Unterschied konstruiert. Die bürgerlichen Ideologen, die die nationalen Besonderheiten der Entwicklung des Sozialismus in dem einen oder anderen Lande hervorheben, glauben darin eine „Abweichung" von der Ausgangsdoktrin zu erkennen. Indessen bedeutet die Besonderheit dieser oder jener Pro122
2esse keineswegs, daß die einheitliche Linie verlorengegangen ist, die Orientierungspunkte verwischt und die „revolutionäre Seele" des Marxismus-Leninismus verworfen worden ist. Die bürgerlichen Ideologen behaupten, daß die Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaft komplizierte Fragen und scharfe Widersprüche zwischen den einzelnen Ländern aufwerfe. Als die UdSSR das einzige sozialistische Land war, da war es für die Antikommunisten natürlich schwierig, „Differenzen innerhalb des Sozialismus" festzustellen. Jetzt, da das sozialistische Lager gewachsen ist, sich in einen mächtigen Bund von Ländern verwandelt hat, sind natürlich Probleme der wechselseitigen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft entstanden. Aber führt die Notwendigkeit, die Fragen, die sich für die kommunistischen Parteien der sozialistischen Länder ergeben haben, gemeinsam zu erörtern und zu lösen, zu einer „Spaltung" der Ideologie des wissenschaftlichen Kommunismus? Zeugt etwa die Notwendigkeit, die in der internationalen kommunistischen Bewegung entstandenen Probleme gemeinsam zu erörtern und zu lösen, von einer Zunahme des „Polyzentrismus"? Es ist daran zu erinnern, daß im Jahre 1969 die Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien stattgefunden hat, die mit allem Nachdruck die Bedeutung der Einheit der kommunistischen Parteien im Kampf gegen den Imperialismus, die Notwendigkeit der Geschlossenheit auf der Grundlage der Prinzipien des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus hervorgehoben hat. Die Analyse der gegenwärtigen Epoche, die in den Dokumenten der Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien vorgenommen worden ist, stellt ein unwiderlegbares Zeugnis der Treue der viele Millionen starken Abteilung der Kommunisten gegenüber dem Marxismus-Leninismus dar, einen Treuebeweis der konsequenten Kämpfer für Frieden und Demokratie, gegen die Diktatur der kapitalistischen Monopole, für Sozialismus und nationale Unabhängigkeit, für die Verwirklichung der von der Beratung hervorgehobenen Ideen. Es ist höchst bemerkenswert, daß in der ausführlichen Diskussion über die internationale kommunistische Bewegung, die in den Reihen der Antikommunisten geführt wurde, in der verschiedene Konzeptionen erörtert, Fakten untersucht, Prognosen ausgearbeitet und Empfehlungen ausgesprochen wurden, die Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien mit keinem einzigen Wort erwähnt wurde. Kann man sich etwas Unsinnigeres vorstellen? Da wird auf dem größten Forum der Kommunisten eine einheitliche Linie ausgearbeitet, werden wichtige Beschlüsse über die Aktionseinheit gefaßt; die Sowjetologen aber verbreiten sich gegenüber ihren Lesern über die „Polydoxie" und die „Spaltung" des Marxismus-Leninismus. Da die Antikommunisten über keine Fakten verfügten, die den MarxismusLeninismus hätten widerlegen können, kamen einige bürgerliche Autoren zu der Schlußfolgerung, daß es unmöglich sei, den gegenwärtigen Zustand der kommunistischen Ideologie mit dem Terminus „Polydoxie" zu bezeichnen. Es entstand 123
eine besondere Variante dieser Theorie, die im Verlauf der Diskussion von K . Mehnert in seinem Artikel „Polydoxie gegen Monodoxie" entwickelt wurde. 2 Der Autor behauptete, daß er die Wechselbeziehung der Tendenzen aufdecke, die innerhalb der kommunistischen Ideologie existierten. Ähnlich wie andere Antikommunisten neigt er dazu, in der gegenwärtigen Welt nur einen Prozeß zu sehen - die Ablösung der Zentralisierung durch die Dezentralisierung. Nach Mehnerts Ansicht hat die Ideologie des Kommunismus immer eine Tendenz entweder zur Konsolidierung oder aber zur Zersplitterung gezeigt. „Als ich 1929 zum ersten Mal in der Sowjetunion weilte, da war der Kommunismus als Ideologie absolut polydox, das heißt, er stellte verschiedene Lehren dar", schreibt Mehnert. 3 D i e „Polydoxie" hat es also schon gegeben! Sie sei seinerzeit von der „Monodoxie" abgelöst worden. Alle Doktrinen seien auf einen Nenner gebracht worden. Dieser Prozeß sei, so Mehnert, 1948 abgeschlossen gewesen. Von dieser Zeit an, schwadroniert Mehnert weiter, sei von neuem eine Tendenz zum Polydoktrinismus entstanden. 4 Derartige Äußerungen zeigen die Unzulänglichkeit der Konzeption Mehnerts. Während er „Elastizität" forderte, verharrte er gleichzeitig auf typisch metaphysischen Positionen. Sein Standpunkt war extrem formalistisch und abstrakt. E s blieb unklar, weshalb „Monodoxie" und „Polydoxie" einander ablösen und damit gegensätzliche Tendenzen bilden. E s blieb unklar, weshalb „Monodoxie" und „Polydoxie" ewig sein sollen. Der Autor war weit davon entfernt, die konkrete historische Situation, die Spezifik der Entwicklung des wissenschaftlichen Kommunismus insgesamt bzw. in diesem oder jenem einzelnen Lande zu untersuchen. Auch darüber, welche „Abweichungen" vom Marxismus er denn als eigenständige Varianten der kommunistischen Ideologie betrachte, schwieg sich Mehnert aus. Sollte er den Revisionismus sowohl rechter als auch „linker" Art gemeint haben, so wäre darauf zu verweisen, daß der Revisionismus niemals eine „ A r t " des Marxismus, sondern immer eine Abweichung vom Marxismus gewesen ist. E s ist unsinnig, im Geschreibsel der rechten oder „linken" Revisionisten „Varianten" des Marxismus sehen zu wollen. Sowohl die „chinesische Variante des Marxismus" als auch alle anderen, von denen die Antikommunisten reden, sind keine „Varianten des Marxismus", sondern Varianten der Revision des MarxismusLeninismus. Der unversöhnliche Kampf gegen den Revisionismus ist immer eine notwendige und äußerst wichtige Bedingung für die Weiterentwicklung des Marxismus und die Festigung der sozialistischen Gemeinschaft gewesen. E s gibt nur eine Linie 2
Siehe K . Mehnert, „Polydoxy" versus „Monodoxy", in: Problems of Communism (a. a. O.,),. 2/1970, S. 16 ff.
3
Ebenda, S. 17.
5
Vgl. auch: H . König, Ostforschung - Bilanz und Ausblick. Bericht und Gedanken zu einer erweiterten Redaktionskonferenz, in: Osteuropa. 50 Jahre Osteuropa (Stuttgart), 8/9/1975, S. 786 ff.
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der Entwicklung des schöpferischen Marxismus-Leninismus, das ist die Linie von Marx und Engels zu Lenin, zu den kommunistischen Bruderparteien. Der Revisionismus stellte und stellt nie eine neue „Variante" des Marxismus dar, sondern faktisch seine Negierung. Die neue Periode, die in der letzten Zeit in der Entwicklung der internationalen Beziehungen begonnen hat, ist kein Zufall. Sie besitzt tiefe Wurzeln und entstand unter den Bedingungen der Krise des Antikommunismus als Staatsideologie und der Krise des außenpolitischen Kurses der imperialistischen Mächte. D i e friedliche Koexistenz ist eine bestimmte Form des Klassenkampfes in der internationalen Arena, da sie die Hauptwidersprüche unserer Epoche - die Widersprüche zwischen Sozialismus und Kapitalismus - nicht beseitigt, nicht die Beseitigung der widerstreitenden Gesellschaftssysteme, Ideen und Ideologien bedeutet. Im Gegenteil, die neue internationale Situation führt, wie schon hervorgehoben wurde, zu einer Vergrößerung des Gewichts des ideologischen Kampfes, erfordert ein schnelleres Reagieren auf diese oder jene Erscheinungsformen des Klassenkampfes, erfordert auch neue Formen unserer ideologischen Arbeit. Neben der Kritik der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie machte sich auf Grund der stürmischen Entwicklung der gesellschaftlichen Prozesse in der Welt auch eine Verstärkung der Kritik an verschiedenen revisionistischen Konzeptionen und Strömungen erforderlich. Wie früher, so plagiiert und variiert der Revisionismus auch heute einerseits die Grundthesen der bürgerlichen Ideologie und rüstet andererseits die Vertreter der bürgerlichen Ideologie mit neuen Argumenten für den Kampf gegen die konsequent revolutionäre Position der Marxisten-Leninisten aus. Die Besonderheit des gegenwärtigen Revisionismus, des rechten sowohl wie des „linken", besteht darin, daß er die Antagonismen des Imperialismus auf jede Weise verkleistert, sich gegenüber der bürgerlichen Ordnung apologetisch verhält, deren „Transformation" als Ausweg aus allen ihren Schwierigkeiten hinstellt und zugleich scharfe Kritik am realen Sozialismus übt. D i e Bedeutung und Funktion der marxistisch-leninistischen Philosophie als weltanschaulicher, synthetischer Wissenschaft, die infolgedessen über die entsprechende Tiefe der Analyse und den weitesten Horizont verfügt, ist unter diesen Bedingungen ungemein gewachsen. In einer Epoche größter gesellschaftlicher Wandlungen in der Welt sowie einer beispiellosen Differenzierung und Integration der Wissenschaften ist das philosophische, synthetische, dialektisch-materialistische Erfassen dieser Prozesse äußerst wichtig. Wie nie zuvor wächst die Rolle der materialistischen Dialektik, der revolutionären Seele des Marxismus-Leninismus. Sie gibt die Möglichkeit, die allgemeinen und die besonderen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung zu erkennen und richtig zu verbinden sowie die revolutionäre Theorie und die revolutionäre Praxis zu einer untrennbaren Kraft zu vereinigen. Sie ermöglicht es, die immer komplizierteren Verflechtungen der Widersprüche unserer Epoche, die schroffen Wendungen der histori125
sehen Ereignisse, die auf den ersten Blick überraschenden Prozesse in ihrer ganzen Konkretheit zu verstehen. D i e revisionistische Propaganda als direkte Reaktion auf den stürmischen gesellschaftlichen Fortschritt richtete sich ebenso wie die bürgerliche und antikommunistische Propaganda besonders gegen die marxistisch-leninistische Weltanschauung insgesamt, gegen die dialektische Methode des Marxismus-Leninismus. Betrachtet man die Evolution des Revisionismus in den letzten Jahren, so wird man feststellen, daß sich unter den neuen Bedingungen eine Umorientierung der revisionistischen Ideologie vollzogen hat. Die Problematik, auf die sie sich spezialisiert, hat sich wesentlich verändert; und es verstärkt sich der antisowjetische Charakter der „liberal-humanistischen" Predigten und Äußerungen gegen den realen Sozialismus. Diejenigen, die sich „besorgt" über die „Entwicklung der Demokratie" in den sozialistischen Ländern äußerten, schließen sich heute direkten antikommunistischen Auffassungen an. Dabei verstärkten sich in der antikommunistischen Propaganda die Tendenzen zur „Auflockerung" und „Unterspülung" der kommunistischen Überzeugungen der Bürger der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder, die Versuche, die Vorstellungen von Demokratie in den sozialistischen Ländern und der U d S S R zu verändern, das Bestreben, bei einzelnen, politisch unreifen Menschen das Gefühl der staatsbürgerlichen Pflicht und der Verantwortlichkeit zu untergraben. Aus der Geschichte des Marxismus-Leninismus ist bekannt, daß es im Verständnis des Gegenstandes, des Charakters und der Bedeutung der marxistischen Philosophie, im Verständnis der Rolle und ihrer Funktionen, ihrer gesellschaftlichen Bedeutung immer eine tiefe Kluft zwischen der Leninschen Linie und jeglicher Art von opportunistischen und revisionistischen Auffassungen gegeben hat. Heute ist der Revisionismus auf dem Gebiet der Philosophie durch einen ganzen Fächer verschiedener Standpunkte über den Gegenstand und die Funktion der Philosophie vertreten, angefangen mit der Negierung ihres Wesens überhaupt und endend mit der Reduzierung der Grundfrage der Philosophie auf die Praxis. Um die Deformierung und Verfälschung des dialektischen und historischen Materialismus bemühten sich besonders die jugoslawischen Philosophen aus der Gruppe „Praxis", die tschechischen Revisionisten während des „Prager Frühlings" 1968, die offen gegen die marxistisch-leninistische Philosophie auftraten, der Pseudomarxist Garaudy, der hysterisch die Sklerose der marxistischen Philosophie verkündete, und andere. Zugleich haben die Maoisten den schöpferischen Charakter des dialektischen und historischen Materialismus entstellt und ihn in ein Register verknöcherter Dogmen verwandelt, die angeblich Antwort auf alle aktuellen und konkreten Fragen des gesellschaftlichen Lebens, der Wissenschaft und der Technik geben, ohne eine zusätzliche ontologische, gnoseologische und funktionale Analyse der Spezifik dieser Fragen. Eine ebensolche Entstellung der marxistisch-leninistischen Methodologie, der marxistischen Dialektik, und ein Abgehen vom Klassenstandpunkt stellt auch die direkte antisowjetische Position der Maoisten dar. 126
Es ist natürlich richtig, daß man von unseren Positionen her nicht von irgendeiner „reinen", spekulativen Ontologie in Form einer in sich geschlossenen Lehre sprechen kann. Doch man darf nicht vergessen, daß das Sein außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein, außerhalb und vor der menschlichen Tätigkeit existiert. Betrachten wir das Sein nur im Zusammenhang mit dem Bewußtsein, nur im Zusammenhang mit der Tätigkeit, so gleiten wir unvermeidlich auf die Positionen der Verneinung der Marxschen Lehre vom Sein, das unabhängig vom Bewußtsein existiert, ab. So führt ein übermäßiger Kampf gegen die „Ontologie" faktisch zum Abgehen von der marxistischen Lehre vom Sein. Auf dem XV. Philosophenkongreß in Warna hat bekanntlich die Frage des Verhältnisses von Philosophie und Wissenschaft großen Raum eingenommen. Im Referat des Sekretärs der Internationalen Assoziation der philosophischen Gesellschaften, des Schweizer Philosophen Mercier, wurde folgende These aufgestellt: „Die Philosophie ist keine Wissenschaft. Die Wissenschaft ist weder irgendeine noch eine bestimmte Philosophie." 5 Manche meinten nun, daß diese These an sich noch kein Grund zur Billigung oder kategorischen Ablehnung sein kann. Mir scheint, daß man einer solchen Meinung widersprechen muß. Jegliche Einschränkungen und Schwankungen in der Frage, ob die Philosophie eine Wissenschaft sein kann, sind, sofern es um materialistische und dialektische Philosophie geht, unzulässig. In der These Merciers schlägt sich die typische Gegenüberstellung von Philosophie und Wissenschaft nieder, die unter den Philosophen der bürgerlichen Länder verbreitet ist. Die sowjetische Gesellschaftswissenschaft betrachtet die marxistisch-leninistische Philosophie als eine Wissenschaft nicht nur deswegen, weil sich diese Philosophie auf wissenschaftliche Erkenntnis orientiert. Das steht außer Frage. Unsere Philosophie ist, das zeigen die Erfahrungen der Geschichte und der revolutionären Bewegung, als Wissenschaft ein machtvolles Instrument zur Erkenntnis und zur Veränderung der Welt. Sie ist das Ergebnis, die Schlußfolgerung aller vorausgegangenen Erkenntnis und Praxis. Man muß der Behauptung widersprechen, die Philosophie sei nicht wie die speziellen Wissenschaften in der Lage, die Wahrheit ihrer Aussagen zu beweisen und zu bestätigen. Das ist falsch. Die Philosophie beweist die Wahrheit ihrer Aussagen, indem sie sich auf die Schlußfolgerungen, auf die wissenschaftlichen Ergebnisse der Wissenschaftsentwicklung, auf die philosophische Verallgemeinerung dieser Entwicklung stützt. Die philosophische Beweismethode ist bekanntlich nicht identisch mit den Beweismethoden der Spezialwissenschaften. Hier handelt es sich um verschiedene Ebenen des verallgemeinernden methodologischen Denkens. Doch die philosophischen Erkenntnisse und Schlußfolgerungen können ebenso überprüft werden wie alle anderen speziellen wissenschaftlichen Wahrheiten; allerdings darf dabei der Begriff der Wissenschaftlichkeit, der wissenschaftlichen Verifizierung der Wahr5
A . Mercier, La philosophie et la science, in: Proceedings of the 15th W o r l d Congress of Philosophy, 17th to 22nd September 1 9 7 3 , Sofia 1 9 7 3 , Bd. 1, S. 2 5 ff.
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heiten nicht allein auf die sogenannten „exakten Methoden" reduziert werden. Außer diesen Verifizierungsmethoden gibt es auch die umfassenden philosophischen Verallgemeinerungen, die das Ergebnis der Geschichte von Wissen und Praxis und in dieser Hinsicht auch ein Wahrheitskriterium sind. Die Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus, die eine bestimmte Form des gesellschaftlichen Bewußtseins darstellt, die eine Wissenschaft von den allgemeinsten Gesetzmäßigkeiten der natürlichen, der sozialen und der Denkprozesse ist, erfüllt zugleich auch wichtige methodologische und ideologische Funktionen; und dies verringert ihren wissenschaftlichen Charakter nicht nur nicht, im Gegenteil - es verstärkt ihn. Die grundlegende Wende in der Philosophie, die mit den Namen Marx und Engels, mit den Schöpfern des dialektischen und historischen Materialismus verbunden ist, bestand gerade darin, daß die Philosophie zu einer Wissenschaft wurde, zu einer wahrhaft wissenschaftlichen Philosophie. Auf dem erwähnten Weltkongreß für Philosophie begründeten die Philosophen aus den sozialistischen Ländern schöpferisch und wissenschaftlich die weltanschauliche Funktion der Philosophie, kritisierten die Versuche, das Wesen der marxistisch-leninistischen Philosophie auf die Logik und die Gnoseologie zu reduzieren, verteidigten die These von der Wissenschaftlichkeit der Philosophie und kritisierten das positivistische Herangehen an diese Fragen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Vortrag des bulgarischen Philosophen Iribadzakov „Die Philosophie als Wissenschaft". Der Gedanke, daß die Philosophie keine Form der wissenschaftlichen Erkenntnis sei, sagte er, stamme von den idealistischen Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts. Wenn dies auf die idealistischen und metaphysischen philosophischen Systeme zutreffe, so sei es doch absolut falsch in bezug auf die materialistische dialektische Philosophie. Iribadzakov hob in seinem Vortrag die große Bedeutung der Philosophie für die Entwicklung der speziellen Wissenschaften, ihre methodologische und integrierende Rolle hervor: „Ohne Philosophie ist es unmöglich, einen erfolgreichen ideologischen Kampf zu führen. Seine Gesetze sind wie die Gesetze des Klassenkampfes überhaupt unerbittlich. Er läßt kehlen Kaum für eine Philosophie, die außerhalb des ideologischen Kampfes der Gesellschaftssysteme und Klassen steht."6 Einer fundierten Kritik unterzog der tschechoslowakische Philosoph Ruml die neopositivistischen Behauptungen von der weltanschaulichen Neutralität wissenschaftlicher Ergebnisse und Verallgemeinerungen. Ruml unterstrich, daß die Philosophie nicht auf die Ergebnisse der konkreten Wissenschaften reduziert werden kann, die in ihrer Gesamtheit noch keine Weltanschauung bilden. Die Philosophie als Wissenschaft besitzt ihre eigenen Dimensionen, die in den speziellen Wissenschaften fehlen; ihre Spezifik besteht darin, daß sie die Welt im ganzen, im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Praxis betrachtet. 7 6
N . Iribadzakov, Philosophy as a Science, in: Ebenda, S. 72.
7
Vgl. dazu auch: M. T. Jowtschuk/V. Ruml, Marxistisch-leninistische Philosophie und ideologischer Klassenkampf in der Gegenwart / Wissenschaft und Ideologie, Berlin 1974.
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I m Zusammenhang mit der Verstärkung der bürgerlichen und revisionistischen Propaganda gegen die marxistisch-leninistische Philosophie ist in den letzten J a h ren das geistige E r b e Friedrich Engels', des Mitbegründers des wissenschaftlichen Kommunismus, hervorragenden Revolutionärs und Denkers, Wissenschaftlers und Kämpfers, des großen Freundes und Kampfgenossen von K a r l M a r x , zum O b j e k t erbitterter ideologischer Auseinandersetzungen geworden. D a s geistige E r b e von Engels ist äußerst tiefgründig und wahrhaft unerschöpflich. Engels hat einen gewaltigen und überaus wertvollen Beitrag zur Ausarbeitung aller Bestandteile der marxistischen L e h r e geleistet. W . I. Lenin hat seiner T ä t i g keit hohe Wertschätzung gezollt. E r schrieb: „Man kann den Marxismus nicht verstehen und nicht in sich geschlossen darlegen, ohne sämtliche
W e r k e von Engels
heranzuziehen." 8 D e r Umfang der Probleme, die vom schöpferischen Genius Engels' aufgegriffen und beleuchtet worden sind, ist weit. E r lieferte eine wissenschaftliche Ausarbeitung von Fragen der Philosophie und der Naturwissenschaften, der politischen Ökonomie und der Geschichte, des Staates und des Rechtswesens, der Linguistik und der Literatur, der internationalen Politik und des Militärwesens. G r o ß war die Rolle von Engels auch bei der Ausarbeitung der Strategie und T a k t i k des Massenkampfes des Proletariats für seine soziale Befreiung, für die Schaffung einer
neuen
Gesellschaftsordnung.
Engels'
Werke
„Anti-Dühring",
„Ludwig
Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie", „ D e r U r sprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" bilden nun schon seit hundert Jahren die Quelle für das Studium des Marxismus durch immer neue Generationen von Kämpfern gegen den Kapitalismus, von K ä m p f e r n für den Kommunismus. W e l c h e Bedeutung W . I. Lenin den philosophischen Auffassungen von Engels beimaß, zeigt folgende Tatsache. Im M a i 1908, als sich die machistische Revision der marxistischen Philosophie bereits mit aller Deutlichkeit abzeichnete, schrieb W . I. Lenin Thesen für die R e d e des Mitglieds des bolschewistischen Zentrums I. Dubrovinski zu einem philosophischen Vortrag A . Bogdanovs in G e n f nieder. Diese Thesen sind ein Dokument von besonderer theoretischer Bedeutung. In scharfer, polemischer Form sind hier im Grunde genommen die wesentlichsten Aussagen der marxistischen Philosophie formuliert worden. W . I. Lenin schrieb: „1. Erkennt der Referent an, daß die Philosophie des Marxismus der dialektische Materialismus ist? Wenn nicht, warum hat er sich dann nicht ein einziges M a l mit den unzähligen diesbezüglichen Äußerungen von Engels auseinandergesetzt? 2. Erkennt der Referent die von Engels vorgenommene grundlegende Einteilung der philosophischen Systeme in Materialismus und Idealismus an, wobei Engels die Linie Humes in der neueren Philosophie als eine mittlere, zwischen 8
9
W. I. Lenin, Karl Marx, in: Werke, Bd. 21, Berlin i960, S. 80. Mitin, Ideologischer Kampf
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Materialismus und Idealismus schwankende bezeichnet, sie ,Agnostizismus' nennt und den Kantianismus als eine Spielart des Agnostizismus betrachtet? 3. Erkennt der Referent an, daß der Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus die Anerkennung der Außenwelt und deren Widerspiegelung im Kopf des Menschen zugrunde liegt? 4. Erkennt der Referent Engels' Gedankengang über die Verwandlung der ,Dinge an sich' in ,Dinge für uns' als richtig an? 5. Erkennt der Referent Engels' Behauptung, daß ,die wirkliche Einheit der Welt in ihrer Materialität besteht', als richtig an? . . . 6. Erkennt der Referent Engels' Behauptung, daß .Materie ohne Bewegung ebenso undenkbar ist wie Bewegung ohne Materie', als richtig an? . . . 7. Erkennt der Referent an, daß die Idee der Kausalität, der Notwendigkeit, der Gesetzmäßigkeit usw. die Widerspiegelung der Gesetze der Natur, der wirklichen Welt, im Kopf des Menschen ist? Oder hatte Engels unrecht mit dieser Behauptung? . . ," 9 Diese Thesen zeigen, wie hoch W . I. Lenin die philosophischen Werke Friedrich Engels' schätzte. Er war der Ansicht, daß in ihnen die Ideen der marxistischen Philosophie auf vorzügliche Weise ausgedrückt sind. Es ist wichtig, die außerordentliche Aktualität dieser Thesen hervorzuheben, obgleich sie vor 70 Jahren niedergeschrieben wurden. Denn heute wie damals erkennen die „modernen" Revisionisten, die sich selbst zu Vertretern der „Philosophie des Marxismus" erklären, den dialektischen Materialismus nicht an und betrachten ihn als eine Erfindung von Engels, Lenin sowie der - wie sie sich ausdrücken - „dogmatischen Schule der sowjetischen Philosophie". W i e vor mehr als einem halben Jahrhundert, so wenden sich auch in unserer Zeit - allerdings mit noch größerem Eifer - die „modernen" philosophischen Revisionisten (Garaudy, Fischer, Marek, Kosik, Kolakowski sowie die Gruppe der jugoslawischen revisionistischen Philosophen von der Zeitschrift „Praxis", ganz zu schweigen von den „traditionellen" Antikommunisten wie Wetter, Bochenski, Landgrebe u. a.) gegen die Dialektik als Methode und gegen die Widerspiegelungstheorie, die von W . I. Lenin schöpferisch bereichert worden ist. Ebenso wie damals unterziehen sie die These vom objektiven Charakter der Kausalität, der Gesetzmäßigkeit usw. einer „Überprüfung" und „Revision". Eine Form der Kritik am Marxismus durch seine Gegner, die in diesem Zusammenhang besonders deutlich zutage trat, war der Versuch, einen Gegensatz zwischen den Auffassungen von Marx und Engels herzustellen. Schon im Jahre 1883 veröffentlichte der Führer der Possibilisten, Brousse, in der Zeitung „Der Proletarier" verleumderische Artikel über Marx und Engels. In diesen Artikeln verfälschte er die Werke der Klassiker des Marxismus und behauptete, daß Marx und Engels in vielen Fragen entgegengesetzte Positionen einnehmen würden. In diesem Zusammenhang schrieb Engels den Artikel „Zum Tode von Karl n
W . I. Lenin, Zehn Fragen an den Referenten, in: Werke, Bd. 14, Berlin 1 9 7 3 , S. 5 f.
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M a r x " für die Zeitung „Sozialdemokrat". Im Begleitbrief an Eduard Bernstein vom 23. April 1883 schrieb er: „Das Stückchen vom bösen E[ngels], der den guten M[arx] verführt hat, spielt seit 1844 unzählige Male abwechselnd mit dem andern Stückchen von Ahriman-M[arx], der den Ormuzd-E[ngels] vom Wege der Tugend abgebracht. Jetzt werden den Herren Parisern doch endlich die Augen aufgehn." 1 0 Später versuchten die bekannten Renegaten Eduard Bernstein 1 1 und M a x Adler 1 2 , die Ansichten von Engels denen von Marx entgegenzustellen. D e r Syndikalist A. Labriola schrieb in seiner Arbeit „Reformismus und Syndikalismus" (1907), daß seiner Ansicht nach Engels mehr als einmal den wahren Geist des Marxismus verraten habe und es keinen Grund gebe, den spezifisch Engelsschen Konstruktionen die Bedeutung und den Wert der eigentlich Marxschen Doktrin zuzuschreiben. 1 3 Mit analogen Überlegungen trat auch Karl Korsch hervor. 1 4 Ähnliche Meinungen äußerten die Machisten, die W . I. Lenin im Vorwort zur ersten Ausgabe von „Materialismus und Empiriokritizismus" entschieden entlarvte. Man weiß, daß es zwischen Marx und Engels eine bestimmte Arbeitsteilung gegeben hat. Häufig befaßte sich jeder von ihnen mit anderen Problemen und mit der Ausarbeitung unterschiedlicher Seiten der marxistischen Lehre, mit der Anwendung der marxistischen Methode auf verschiedene Probleme. Es gibt zweifellos individuelle Besonderheiten ihres genialen Denkens, spezifische Züge ihres Stils und Eigenarten ihrer Temperamente, die sich in ihren Werken niederschlugen. Doch entgegen allen Behauptungen der Gegner des Marxismus, der Revisionisten, können wir mit vollem Recht von einer völligen Übereinstimmung von Marx und Engels in allen Fragen sprechen, mit denen sie sich im Verlauf ihrer schöpferischen, revolutionären Tätigkeit befaßten. Im Kampf gegen den Antikommunismus, gegen die bürgerliche Ideologie und den Revisionismus müssen wir dem Beispiel von Marx und Engels folgen und ihre Methoden benutzen. Über eine dieser Methoden heißt es im Brief von F. Engels an V . Sassulitsch vom 17. April 1890: „Es war eines der stärksten und am häufigsten angewandten Mittel von M a r x : sobald er sich heimlichen Intrigen gegenübersah, seine Gegner ans Tageslicht zu ziehen und sie vor der Öffentlichkeit anzugreifen." 15 10
Friedrich Engels, Brief an Eduard Bernstein vom 23. April 1883, in: K . Marx/F. Engels, Werke (im folgenden M E W ) , Bd. 36, Berlin 1967, S. 15.
11
Siehe E . Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Stuttgart 1899, S. 169.
12
Siehe M. Adler, Grundlegung der materialistischen Geschichtsauffassung. Soziologie des Marxismus, Bd. 1, Wien-Köln-Stuttgart-Zürich 1964.
13
Siehe A. Labriola,
Über den historischen
Materialismus.
Hrsg. A.
Ascheri-Osterlow/
C. Pozzoli, Frankfurt/Main 1974. 14 J5
Siehe K . Korsch, Marxismus und Philosophie, Frankfurt/Main-Wien 1966. Friedrich Engels, Brief an Vera Iwanowna Sassulitsch vom 17. April 1890, in: M E W , Bd. 37, Berlin 1967, S. 392.
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Auch heute, da wir einen offensiven Kampf gegen die bourgeoisen Ideologen, gegen die Feinde des Marxismus-Leninismus führen, müssen wir sie „ans Tageslicht ziehen", ihre Fälschungsversuche entlarven und den Marxismus-Leninismus schöpferisch entwickeln. Eine charakteristische Methode des Antikommunismus, zu der er im ideologischen Kampf besonders oft griff, war der Versuch, die marxistische Lehre als unvollständig und widersprüchlich darzustellen. Der Wunsch, den Marxismus vom Leninismus sowie von den Werken Engels' zu „befreien" und dann auch Marx selbst zu verfälschen - das ist es, was die bürgerlichen Ideologen antreibt. Die von bürgerlichen Ideologen veranstalteten Jubiläumssymposien und -konferenzen, die anläßlich des 150. Geburtstags von Karl Marx in kapitalistischen Ländern stattfanden, hatten sich die Hauptaufgabe gestellt, den Marxismus „aufzubrechen", seine „Schweißnähte" zu lösen und diese Lehre als eine Doktrin darzustellen, die zahlreichen Revisionen unterzogen worden ist. Auf einem internationalen Symposium, das 1967 unter dem Thema „Marx und die westliche Welt" in den USA stattfand, bemühten sich viele Redner nachzuweisen, daß Marx nie versucht habe, seine Ansichten zu systematisieren. Diese Aufgabe hätten Engels, Plechanow und Lenin übernommen. Sie seien es auch gewesen, behaupteten die Antikommunisten, die die „Todsünde" der Verallgemeinerung begangen und etwas mit den Ansichten von Marx Unvereinbares geschaffen hätten. In dem Bericht, der nach dem Symposium veröffentlicht wurde, heißt es direkt: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Verantwortung für die weitere Interpretation des Marxismus als eines einheitlichen wissenschaftlichen Systems gerade Engels zufällt." Und weiter: „Die Wurzeln des Leninismus und des sowjetischen Marxismus" sind in der „Engelsschen Interpretation von Marx sowie auch in den vormarxistischen Traditionen der russischen revolutionären Intelligenz zu suchen".16 Der französische Antikommunist Maximilien Rubel war in einer kurz zuvor erschienenen „Untersuchung" zu einer höchst sensationellen Schlußfolgerung gelangt. E r stellte die Behauptung auf, Karl Marx habe zu Anfang seines Lebens vorgehabt, eine gewaltige Forschungsarbeit zu schreiben. Es sei ihm aber nicht gelungen, dies zu verwirklichen. Die Hauptkräfte seien für die Niederschrift des „Kapitals" verbraucht worden, und dadurch sei der Gesamtplan transformiert worden. Von der Gesamtrichtung der Werke Marx' sei eine unrichtige Vorstellung entstanden, wozu - meint Rubel - Engels in enormem Maße beigetragen habe. Dabei betont er noch einmal die Wichtigkeit einer „exakten Unterscheidung zwischen dem Denken von Marx und dem von Engels", besonders wenn es um das Bestreben des letzteren geht, bestimmte „theoretische Konzeptionen seines Freundes zu systematisieren". 17 Es ist überaus kennzeichnend, daß M. Rubel sich der 16 17
Marx and the Western World. Ed. by N. Lobkowicz, Notre Dame 1967, S. 6 f. T. B. Bottomore/M. Rubel, Karl Marx. Selected Writings in Sociology and Social Philosophy, London 1965, S. 46.
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Mühe unterzog, die Werke von Marx herauszugeben, insbesondere das „Kapital". Dabei präsentierte Rubel einen gefälschten Text, indem er unter anderem alle Ergänzungen und Vorworte von Engels daraus entfernte, die nach seiner Meinung die Ansichten von Marx „verzerren". Die neueste Konzeption Rubels läuft darauf hinaus, daß Marx angeblich vorgehabt hätte, sein Werk zu überarbeiten und sich von früher geäußerten Thesen loszusagen. Engels aber habe der Nachwelt diesen Wunsch von Marx „verheimlicht". Dieses ganze Gefasel beruht nicht auf Fakten und Argumenten, sondern ausschließlich auf Erfindungen. Nicht zufällig haben progressive französische Philosophen die von Rubel herausgegebene Fassung des „Kapitals" als böswillige „Schöpfung" eines erbitterten Antikommunisten qualifiziert. Andere Antikommunisten - R. Aron, D. Lichtheim, R. Tucker - bemühten sich ebenfalls, einen „Bruch" im Marxismus zu finden. Alle diese Überlegungen sind maßlos verlogen. Welche Gemeinsamkeit der Ansichten Marx und Engels in Wirklichkeit vereinte, zeigt zum Beispiel folgende Tatsache. Als Engels den „Anti-Dühring" geschrieben hatte, da legte er ihn vor der Veröffentlichung Marx vor, der das Werk völlig billigte und es sogar noch durch ein Kapitel ergänzte, das er selbst schrieb. Im Vorwort zur Auflage des „Anti-Dühring" von 1885 bemerkt Engels: „Da die hier entwickelte Anschauungsweise zum weitaus größern Teil von Marx begründet und entwickelt worden, und nur zum geringsten Teil von mir, so verstand es sich unter uns von selbst, daß diese meine Darstellung nicht ohne seine Kenntnis erfolgte. Ich habe ihm das ganze Manuskript vor dem Druck vorgelegt, und das zehnte Kapitel des Abschnitts über Ökonomie („Aus der .kritischen Geschichte'") ist von Marx geschrieben und mußte nur, äußerlicher Rücksichten halber, von mir leider etwas gekürzt werden. Es war eben von jeher unser Brauch, uns in Spezialfächern gegenseitig auszuhelfen." 18 Mit der Kritik der wissenschaftlich-methodologischen Grundlagen der marxistischen Theorie befaßten sich auch die westeuropäischen Philosophen I. Fetscher, G. Bartsch, L. Pellikani und A. Schmidt sowie Revisionisten aller Schattierungen. Im Jahre 1968 erschien der zweite Band eines fünfbändigen enzyklopädischen Wörterbuches. Im Artikel „Engels", der von K. H. Ballenström und W. Schieder geschrieben wurde, sowie in dem Abschnitt „Die Diskussion über Engels in der marxistischen Forschung", wo ein kurzer historischer Überblick über die Ansichten der bürgerlichen Historiker zu dieser Frage gegeben wird, verglich man diese Ansichten mit den Meinungen der sowjetischen Wissenschaftler und unterzog die allgemeinphilosophischen und die methodologischen Prinzipien des MarxismusLeninismus einer unbegründeten Kritik. 19 18
F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring"). Vorworte zu den drei Auflagen, in: M E W , Bd. 20, Berlin 1975, S. 9.
19
Siehe Handbuch des Weltkommunismus. Hrsg. J. M. Bocheñski/G. Niemeyer,
Ftibourg-
München 1958.
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Mit heuchlerischer „Objektivität" legten die Autoren die Ansichten der bürgerlichen „Forscher" dar, die in die Frage gefaßt wurden: Hat Engels seine eigenen Ideen, die von den Ideen Marx' verschieden sind und diesen in Qualität und Tiefe nachstehen, fälschlicherweise (wenn auch nicht vorsätzlich) als mit den Ansichten von Marx identisch dargestellt, und hat er dadurch den Marxismus mit einer folgenschweren Hypothek belastet? Natürlich mußten die bürgerlichen Autoren zugeben, daß die Freundschaft, die Marx und Engels verband, ein sehr solides Argument gegen die antikommunistischen Konstruktionen darstellt. Dennoch rückten sie nicht von ihren Lügen ab, hielten sich nicht an die Fakten, sondern an frei erfundene Schemata. Die beste Widerlegung aller dieser Spekulationen sind die Werke von Engels, die auch heute eine scharfe geistige Waffe gegen den Antikommunismus darstellen. Friedrich Engels sprach von der Notwendigkeit, die gesellschaftlichen Erscheinungen klassenmäßig zu analysieren, er hat wiederholt auf die Unterschiede zwischen dem wissenschaftlichen Kommunismus und dem kleinbürgerlichen Sozialismus hingewiesen. Engels unterstrich, daß der Sozialismus, seit er zu einer Wissenschaft geworden ist, erfordert, daß man mit ihm auch wie mit einer Wissenschaft umgeht, und rief dazu auf, die bedeutenden Unterschiede zwischen den sozialistischen Lehren verschiedener Richtungen und Schattierungen zu erkennen. Er lehrte, den „Sozialismus bewußt und unbewußt, Sozialismus in Prosa und in Versen, Sozialismus der Arbeiterklasse und der Mittelklasse" 20 auseinanderzuhalten. Auf dem Züricher Kongreß der II. Internationale sagte Engels: „Heutzutage gibt es auch Leute genug, die den Arbeitern von der .Unparteilichkeit' ihres höheren Standpunkts einen über allen Klassengegensätzen und Klassenkämpfen erhabenen Sozialismus predigen, und danach streben, in einer höheren Menschlichkeit die Interessen beider widerstreitenden Klassen zu versöhnen. Aber diese Leute sind entweder Neulinge, die noch massenhaft zu lernen haben, oder aber die schlimmsten Feinde der Arbeiter, Wölfe im Schafspelz." 21 Wichtig ist auch ein Hinweis auf das Vorwort von Engels zur dritten deutschen Ausgabe der Schrift von Karl Marx „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte". In dieser Vorrede erläutert Engels, worin das Neue bestand, das der Marxismus im Vergleich zu Hegel und Feuerbach zum Geschichtsverständnis beigetragen hat. Besonders hebt Engels hervor, daß es notwendig war, von der Analyse des abstrakten Menschen zur Analyse des wirklichen, historisch-konkreten Menschen überzugehen: „Es war gerade Marx, der das große Bewegungsgesetz der Geschichte zuerst entdeckt hatte, das Gesetz, wonach alle geschichtlichen Kämpfe, ob sie auf politischem, religiösem, philosophischem oder sonst ideologischem Gebiet vor sich gehn, in der Tat nur der mehr oder weniger deutliche Ausdruck von Kämpfen gesellschaftlicher Klassen sind, und daß die Existenz und 20
21
F. Engels, [Vorwort zur zweiten deutschen Auflage (1892) der „Lage der arbeitenden Klasse in England], in: MEW, Bd. 22, Berlin 1963, S. 328. Ebenda, S. 270.
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damit auch die Kollisionen dieser Klassen wieder bedingt sind durch den Entwicklungsgrad ihrer ökonomischen Lage, durch die Art und Weise ihrer Produktion und ihres dadurch bedingten Austausches." 22 Die Klassiker des Marxismus haben eine Reihe von Arbeiten geschaffen, in denen sie die Theorie des abstrakten Menschen einer vernichtenden Kritik unterzogen. Man kann sagen, daß in gewissem Sinne die radikale Wende in den Auffassungen vom Menschen das Wesen der gesamten philosophischen Lehre von Marx und Engels, einen Grundzug der Entwicklung des Marxismus ausmacht. Dem „Kult des abstrakten Menschen", der auch den Kern der „neuen Religion" Feuerbachs bildete, setzen Marx und Engels ihre historisch-dialektische, materialistische Auffassung vom Menschen entgegen. „Diese Betrachtungsweise", heißt es dazu in der „Deutschen Ideologie", „ist nicht voraussetzungslos. Sie geht von den wirklichen Voraussetzungen aus, sie verläßt sie keinen Augenblick. Ihre Voraussetzungen sind die Menschen nicht in irgendeiner phantastischen Abgeschlossenheit und Fixierung, sondern in ihrem wirklichen, empirisch anschaulichen Entwicklungsprozeß unter bestimmten Bedingungen." 23 In den letzten Jahren ist eine erstaunliche Erscheinung zu beobachten - eine Renaissance des Kultes des abstrakten Menschen in der bürgerlichen und revisionistischen Literatur, die Entstehung einer ganzen Strömung des abstrakten Humanismus, der sich als „echter", „wiedergeborener", „wahrer" Marxismus ausgibt. Die Vertreter des abstrakten Humanismus wiederholen im Grunde die Gedanken der „linken" Hegelianer und bewegen sich also von der wissenschaftlich begründeten und durch den gesamten Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung bestätigten Theorie von Marx und Engels zurück in die Vergangenheit. Eine in der revisionistischen und antikommunistischen Literatur weit verbreitete „kritische Anmerkung" zu Engels besteht darin, daß die Ansichten von Engels - im Unterschied zu den Ansichten von Marx - bei der Erklärung der gesellschaftlichen Erscheinungen für mechanischen oder automatischen Determinismus ausgegeben werden. Während Marx, so behaupten diese „Kritiker" Engels', die freie Tätigkeit der Persönlichkeit anerkannte, den aktiven Charakter des Subjekts begriff und der Selbsttätigkeit der Individuen entscheidende Bedeutung beimaß, habe Engels die Auffassung von der absoluten Determiniertheit der menschlichen Tätigkeit vertreten und damit seine „eigene", von Marx verschiedene Ansicht vom Verlauf des gesellschaftlichen Lebens entwickelt. Die Gegenüberstellung der Ansichten von Marx und Engels läuft in diesem •wie in allen anderen Fällen auf ihre Fälschung hinaus. Auch im vorliegenden Falle gab es bei den Begründern des Marxismus völlige Einigkeit, sowohl in der Betrachtungsweise als auch im Verständnis der Prozesse des gesellschaftlichen Lebens, in der Behandlung des Problems des Menschen. Das ist leicht zu beweisen, wenn 22
23
F. Engels, Vorrede zur dritten Auflage [vor Karl Marx' Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte"], in: MEW, Bd. 21, Berlin 1962, S. 249. K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, in: MEW, Bd. 3, Berlin 1958, S. 27.
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man sich ihren Arbeiten zuwendet. Dazu zitieren wir den bekannten Brief von Engels an den deutschen Sozialisten W. Borgius vom 25. Januar 1894. Borgiiis hatte sich an Engels mit der Bitte gewandt, auf eine Reihe von Fragen zur allgemeinen Theorie des historischen Materialismus zu antworten. Der Brief zeigt, daß die Behauptungen der Kritiker von Engels nichts als Fälschungen sind. Engels erläuterte Borgius ausführlich die These der Klassiker des Marxismus, daß die ökonomischen Verhältnisse die historische Entwicklung bedingea Er schrieb: „Die politische, rechtliche, philosophische, religiöse, literarische, künstlerische etc. Entwicklung beruht auf der ökonomischen. Aber sie alle reagieren auch aufeinander und auf die ökonomische Basis. Es ist nicht, daß die ökonomische Lage Ursache, allein aktiv ist und alles andere nur passive Wirkung. Sondern es ist Wechselwirkung auf Grundlage der in letzter Instanz stets sich durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit." 24 Engels wandte sich gegen die simplifizierte Vorstellung vom ökonomischen Faktor oder der ökonomischen Basis der gesellschaftlichen Entwicklung; er zeigte an einer Reihe von Beispielen, wie umfassend unter bestimmten historischen Bedingungen die Rückwirkung des Staates und der Religion auf den Verlauf der ökonomischen Entwicklung sein kann. Besonders hob er die aktive Rolle der Menschen hervor, die die Geschichte machen. Er schrieb: „Es ist also nicht, wie man sich hier und da bequemerweise vorstellen will, eine automatische Wirkung der ökonomischen Lage, sondern die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber in einem gegebenen, sie bedingenden Milieu, auf Grundlage vorgefundener tatsächlicher Verhältnisse, unter denen die ökonomischen, so sehr sie auch von den übrigen politischen und ideologischen beeinflußt werden mögen, doch in letzter Instanz die entscheidenden sind und den durchgehenden, allein zum Verständnis führenden roten Faden bilden." 25 Engels leugnet keineswegs Zufälligkeiten in der historischen Entwicklung. Doch er sieht in ihnen eine Ergänzung und eine Erscheinungsform der Notwendigkeit. Der Umstand, sagt er, daß gerade dieser große Mann in einem bestimmten Land und zu einer bestimmten Zeit auftaucht, ist natürlich reiner Zufall. Doch wenn man diesen Mann beseitigt, so entsteht das Bedürfnis, ihn zu ersetzen, und ein solcher Ersatz findet sich mehr oder weniger erfolgreich. Und die Schlußfolgerung von Engels lautet: „Je weiter das Gebiet, das wir grade untersuchen, sich vom Ökonomischen entfernt und sich dem reinen abstrakt Ideologischen nähert, desto mehr werden wir finden, daß es in seiner Entwicklung Zufälligkeiten aufweist, desto mehr im Zickzack verläuft seine Kurve. Zeichnen Sie aber die Durchschnittsachse der Kurve, so werden Sie finden, daß, je länger die betrachtete Periode und je größer das so behandelte Gebiet ist, daß diese Achse der Achse der ökonomischen Entwicklung um so mehr annähernd parallel läuft." 26 24
Friedrich Engels, Brief an W . Borgius vom 25. Januar 1 8 9 4 , in: M E W , Bd. 39, Berlin 1 9 6 8 , S. 2 0 6 .
23
Ebenda.
26
Ebenda, S. 2 0 7 .
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Das alles sieht einem automatischen ökonomischen Determinismus, wie ihn die „Kritiker" Engels zuschreiben, nicht im entferntesten ähnlich. Es gab zwischen Marx und Engels eine völlige Übereinstimmung der Ansichten in den Fragen der Freiheit der Tätigkeit der Individuen und der Determiniertheit der gesellschaftlichen Prozesse. Die „Kritiker" des Marxismus bemühen sich auf jede erdenkliche Weise, „Differenzen" zwischen den Begründern des wissenschaftlichen Kommunismus in dieser Frage zu finden. Sie entstellen die Auffassungen von Marx und Engels in der Absicht, den wachsenden Einfluß der Ideen des Marxismus-Leninismus in der Welt zu untergraben und die Arbeiterbewegung zu schwächen. Marx war ein strenger Kritiker simplifizierter Vorstellungen von der Rolle des ökonomischen Faktors in der Geschichte. In seinen Werken zeigte er sowohl die Rolle des politischen Überbaus als auch die Rolle der moralischen und anderer Faktoren der Entwicklung. Seine Werke „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" und „Der Bürgerkrieg in Frankreich" sind Musterbeispiele für die Analyse gesellschaftlicher Erscheinungen vom Standpunkt des historischen Materialismus. Der Inhalt dieser Werke und die allgemeintheoretische Behandlung von Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung, wie sie Engels in seinem Brief an Borgius demonstriert hat, zeugen von der völligen Übereinstimmung der Ansichten von Marx und von Engels. Die Antikommunisten und die Revisionisten haben versucht, die „Ökonomischphilosophischen Manuskripte" aus dem Jahre 1844 als Manifest des sogenannten humanistischen Marxismus hinzustellen. Die einen wie die anderen benutzen diese geniale Arbeit von Marx, die eine wichtige Stufe in der Entwicklung der Marxschen Ideen auf dem Wege zum „Manifest der Kommunistischen Partei" darstellt, zu ihren eigenen revisionistischen Zwecken. Bereits in dieser Arbeit aber hat Marx die Beschränktheit des Feuerbachschen Anthropologismus überwunden und bewiesen, daß die Einheit von Mensch und Natur in der materiellen Produktion, in der Arbeit zum Ausdruck kommt, vermittels derer der Mensch die Natur umgestaltet, die in ihm schlummernden „Wesenskräfte" entwickelt. Gerade in dieser Schrift entwickelt Marx den Gedanken, daß die Arbeit die entscheidende Rolle bei der Menschwerdung und bei der Entwicklung des Menschen gespielt hat. Damit bahnt er den Weg zu den Ideen von Engels, die dieser in „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" entwickelte. Auch bei diesem Fragenkomplex erweist sich also die Kontinuität und die Einheit der Ansichten der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus. Die Gegner des weltanschaulichen Systems des Marxismus, die versuchen, Gegensätze zwischen Marx und Engels zu konstruieren, berufen sich hauptsächlich auf Engels' „Anti-Dühring", weil in diesem Buch alle drei Bestandteile der marxistischen Lehre dargelegt wurden. Den Ausführungen der Fälscher und Gegner des Marxismus zufolge drückt der „Anti-Dühring" ausschließlich die Ansichten von Engels selbst aus, zeigt er Engels'Bestreben, ein „Weltanschauungssystem" zu schaffen, und zwar im Unterschied zu Marx, der angeblich kein Interesse an 137
einer solchen Fragestellung gezeigt habe. Wenden wir uns zuerst den Tatsachen zu. In den Vorreden zu den drei Ausgaben des „Anti-Dühring" erläutert Engels den Charakter seiner Arbeit. D a er den „systemschaffenden" Dühring kritisiert, ist er gezwungen, ihm in eine Reihe von Wissenschaftsgebieten zu folgen. Engels schrieb: sowenig diese Schrift den Zweck haben kann, dem .System' des Herrn Dühring ein andres System entgegenzusetzen, so wird der Leser doch hoffentlich in den von mir aufgestellten Ansichten den innern Zusammenhang nicht vermissen". 2 ? Engels zeigte, daß er, da das „System" Dührings ein sehr weites theoretisches Gebiet umfaßte, diesem für den ganzen Kreis der Probleme seine Ansichten entgegenstellen mußte. Die negative Kritik wurde dadurch positiv. Die Polemik verwandelte sich in eine zusammenhängende Darlegung der dialektischen Methode und der kommunistischen Weltanschauung. 28 Engels selbst wies darauf hin, daß Marx mit ihm in allen im „Anti-Dühring" entwickelten Auffassungen übereinstimmte. 29 Der „Anti-Dühring" war und ist eine einheitliche, geschlossene, echte Enzyklopädie des Marxismus, das „Handbuch jedes klassenbewußten Arbeiters" 30 , wie sich Lenin ausdrückte. Und an anderer Stelle schrieb er, daß dies „ein erstaunlich inhaltsreiches und lehrreiches Buch" ist und daß in dieser Streitschrift „die tiefsten Probleme der Philosophie, der Natur- und Gesellschaftswissenschaft untersucht" werden. 31 Der „Anti-Dühring" ist eine machtvolle Waffe der revolutionären marxistischleninistischen Parteien. Dieses Buch besitzt seine Bedeutung auch in der heutigen Zeit, in der der scharfe ideologische Kampf gegen die heutigen Feinde des Marxismus fortgesetzt wird, der Kampf gegen alle möglichen Arten von Revisionisten, Eklektikern und Pseudosozialisten, die von den gleichen Positionen aus operieren, die Engels schon im „Anti-Dühring" theoretisch zerschlagen hat. Engels betrachtete den wissenschaftlichen Kommunismus als eine umfassende weltanschauliche Lehre, die der Arbeiterbewegung ein theoretisches Fundament für revolutionäre Politik verschaffte. Hervorragende Bedeutung besitzt dabei die Begründung der Rolle des Proletariats in der sozialistischen Revolution. Engels hob hervor: die Bewegung der Arbeiterklasse" übernimmt „die Führung und wird zur nationalen Bewegung"2,2. Damit bestimmte Engels zugleich den Platz der anderen sozialen Schichten in der sozialistischen Bewegung. Engels kämpfte gegen die rechtsopportunistische Verwässerung der proletari27
28 29 30
31 32
F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring"). Vorworte zu den drei Auflagen, in: MEW, Bd. 20, a. a. O., S. 6. Siehe ebenda, S. 8. Siehe ebenda, S. 9. W. I. Lenin, Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus, in: Werke, Bd. 19, Berlin 1962, S. 4. W. I. Lenin, Friedrich Engels, in: Werke, Bd. 2, Berlin 1961, S. 11. F. Engels, Deutsche Zustände, in: MEW, Bd. 2, Berlin 1957, S. 580.
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sehen Bewegung und das sich daraus ergebende Ignorieren der Klasseninteressen •der. Arbeiter, und er kämpfte gegen sektiererische, abenteuerliche Bestrebungen, die Arbeiterklasse von den revolutionär gestimmten Massen, von den breiten Schichten der Bevölkerung, die unter dem Joch des Kapitalismus leiden, zu isolieren. .In den letzten Jahren leugnete die bürgerliche Ideologie, wie wir bereits feststellten, die führende Rolle des Proletariats und betrachtete es als eine soziale Klasse, die von Marx, Engels und Lenin unverdient auf das „historische Piedesta!" gehoben worden sei. In ihrem Bestreben, die Ideen von Engels zu revidieren, debattierten die bürgerlichen Ideologen natürlich auch diese Frage. Als Engels den Gedanken vom unvermeidlichen Anwachsen der Rolle des Proletariats als der Haupt- und Führungskraft im Kampf für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft entwickelte, schrieb er: „Die Lage der arbeitenden Klasse ist der tatsächliche Boden und Ausgangspunkt aller sozialen Bewegungen der Gegenwart, weil sie die höchste, unverhüllteste Spitze unsrer bestehenden sozialen Misere ist." 33 In der Polemik über die Bedeutung der Lehre von Engels, der Polemik über •die Bedeutung seiner historischen, ökonomischen, philosophischen und soziologischen Untersuchungen zur Rolle der Arbeiterklasse zeigen sich in der bürgerlichen Literatur deutlich zwei Tendenzen. Einige Forscher - zum Beispiel H. Marcuse - meinten, daß Engels' Schlußfolgerungen nur für eine bestimmte historische Periode richtig waren. Der französische Soziologe Pierre Naville, der das geistige Erbe Engels' kritisierte, meinte, daß es in den Schlußfolgerungen des Mitkämpfers von Marx nichts Neues gebe, man könne seine Gedanken vollinhaltlich auf die Ideen Sismondis und Burets zurückführen.34 Die andere Tendenz bestand darin, daß die kleinbürgerlichen Ideologen die Gedanken von Engels über die Verbündeten der Arbeiterklasse in der sozialistischen Bewegung der Vergessenheit preisgaben. Trotzkistische Ideologen wie Deutscher, Mandel und Poulantzas entwickelten von den gegenwärtigen Klassenbewegungen völlig haltlose Konzeptionen. Doch die Aussagen von Engels über das klassenmäßige Herangehen an die Analyse der Arbeiterbewegung haben auch in unseren Tagen ihre Aktualität und Kraft keineswegs verloren. Beim Kampf gegen diese Aussagen versuchten die bürgerlichen Ideologen und die Revisionisten nachzuweisen, daß die gegenwärtige wissenschaftlich-technische Revolution alle sozialen Prozesse verändert habe und sich die Geschichte deshalb ganz und gar nicht so entwickele, wie es Marx und Engels vorausgesagt hätten. In der bürgerlichen Literatur wurde der technische Fortschritt zur ein33 34
F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Vorwort, in: Ebenda, S. 232. Vgl. P. Naville, Le nouveau Léviathan. De l'aliénation a la jouissance. Le genèse de la sociologie du travail chez Marx et Engels, Paris 1969, S. 65 ff.
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zigen Determinante der sozialen Entwicklung deklariert. D i e Verabsolutierung der wissenschaftlich-technischen Revolution zu einem unabhängigen Faktor bildete einen der gemeinsamen Züge aller dieser Konzeptionen. Außerdem entstand als Folge dieser These die Vorstellung, daß alle sozialen Verhältnisse mit der Entfaltung der wissenschaftlich-technischen Revolution mehr oder weniger automatisch umgestaltet würden. Drittens wurde auf der Grundlage derartiger Vorstellungen die These aufgestellt, daß eine soziale Revolution unter den Bedingungen der modernen kapitalistischen Ordnung völlig unmöglich und unbegründet sei. O. K . Flechtheim behauptete zum Beispiel, daß Marx und Engels „Kinder des viktorianischen Zeitalters waren und geblieben sind", daß ihr System nur das 19. Jahrhundert widerspiegele. 35 Von allen Voraussagen der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus sind nach Meinung Flechtheims nur die von zukünftigen Weltkriegen, vom Wachstum der Produktivkräfte, von der revolutionären Entwicklung in Indien usw. eingetroffen. Was die proletarische Revolution, die Errichtung der Diktatur des Proletariats und die revolutionäre Bewegung angehe, so seien ihre Voraussagen nicht eingetroffen, sondern hätten sich in- ein D o g m a verwandelt. 36 Flechtheim ignoriert die Tatsache, daß heute in der Welt bereits ein mächtiges Lager von sozialistischen Ländern entstanden ist, daß die internationale Arbeiterbewegung und der nationale Befreiungskampf gegen den Imperialismus sich umfassend entfaltet haben. Gerade die Schaffung der Theorie des wissenschaftlichen Kommunismus hatte die Möglichkeit eröffnet, die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Komponenten des gesellschaftlichen Lebens zu erkennen, die Hauptkonturen der sozialen Entwicklung zu umreißen und in allgemeinen Zügen die Zukunft der Menschheit vorauszusehen. Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Kommunismus, der wissenschaftlichen Philosophie und Soziologie ist das unsterbliche Buch von Karl Marx und Friedrich Engels „ D a s Manifest der Kommunistischen Partei". Wie es Marx und Engels vorausgesehen hatten, ließ die Entwicklung von Wissenschaft und Technik das System der Lohnarbeit, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen unvereinbar mit dem sozialen Fortschritt werden und verurteilte es zum Untergang. D i e wissenschaftlich-technische Revolution hat in äußerst zugespitzter Form die Frage nach der revolutionären Ablösung der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse durch sozialistische auf die Tagesordnung gesetzt. K. Marx und F. Engels maßen der Entwicklung von Wissenschaft und Technik gewaltige Bedeutung bei. D i e Klassiker des Marxismus analysierten gründlich den Prozeß der Umwandlung der Wissenschaft in eine unmittelbare Produktiv35
Vgl. O. K . Flechtheim, Vorwort zu: K . Liebknecht, Studien über die Bewegungsgesetze der gesellschaftlichen Entwicklung. N e u herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Ossip K . Flechtheim, Hamburg 1974, S. 12 ff.
36
Siehe auch O . K . Flechtheim, Zeitgeschichte und Zukunftspolitik, Hamburg 1974.
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kraft und sahen voraus, daß sich die Wissenschaft mit der Zeit auf eine machtvolle Produktionsbasis stützen wird. Marx und Engels, die sorgfältig die sozialen Folgen des technischen Fortschritts untersuchten, zeigten, daß die Veränderungen in den gesellschaftlichen Formationen, daß der Wechsel der Formationen im Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen begründet ist. E s ist bezeichnend, daß jene bürgerlichen Ideologen, die den Marxismus eines „mechanischen Ökonomismus" beschuldigen - obwohl die Marxisten ihre Analyse niemals auf die Untersuchung der Folgen der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung in der Gesellschaft reduzierten - , ihrerseits auf den Positionen eines vulgärökonomischen, mechanischen Determinismus stehen. D i e Überlegungen, die sich in der bürgerlichen Literatur über eine „Revolution der Technokraten" finden, sind eine Verkehrung der wirklichen Prozesse, die sich in der kapitalistischen Gesellschaft abspielen. Sicher, die Leitung der modernen kapitalistischen Produktion, auch die Leitung großer Monopole, bildet ein kompliziertes System, das eine bestimmte Schicht von hochspezialisierten Angestellten erfordert, die häufig als „Technokraten" bezeichnet werden. Doch welche Bedeutung den Technokraten auch zugeschrieben wird, sie verändern nicht die soziale Natur der kapitalistischen Ordnung, wie das die bürgerlichen Ideologen behaupteten. Im Schöße der kapitalistischen Gesellschaft reifen heute die materiellen Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus heran. D i e gegenwärtige E n t wicklung des Monopolkapitalismus schafft einen hochorganisierten Mechanismus zur Leitung der Wirtschaft. Diese Form wird von den Revisionisten und den bürgerlichen Ideologen als das Wesen des Monopolkapitalismus ausgegeben. K . Marx schrieb, daß die bürgerliche Gesellschaft „kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus ist". 3 7 D i e Wissenschaftsentwicklung hat dazu geführt, daß sich die kapitalistische Gesellschaft wesentlich umgewandelt hat: gemeint ist die technische Reorganisation der kapitalistischen Produktion, die Entwicklung der Produktivkräfte. F. Engels wies darauf hin, „daß eine einzige Frucht der Wissenschaft, wie James Watts Dampfmaschine, in den ersten fünfzig Jahren ihrer E x i stenz der Welt mehr eingetragen hat, als die Welt von Anfang an für die Pflege der Wissenschaft ausgegeben". 38 Engels zeigte auch, daß die gesellschaftlichen Bedingungen im Kapitalismus Beschränkungen für die Entwicklung der Technik schaffen sowie zusätzliche Konflikte und Widersprüche hervorbringen. Auf dem X X V . Parteitag der K P d S U ist diese Seite der gesellschaftlichen E n t wicklung noch einmal hervorgehoben worden. In den Materialien des Parteitags wurde überzeugend nachgewiesen, daß nur die sozialistische Ordnung gewaltige Möglichkeiten für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt eröffnet. Unter dem 37 38
K . Marx, Das Kapital. Vorwort zur ersten Auflage, in: M E W , Bd. 23, Berlin 1972, S. 16. F. Engels, Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie, in: M E W , Bd. 1, Berlin 1963, S. 509.
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Einfluß der wissenschaftlich-technischen Revolution hat sich das Proletariat wesentlich verändert. Von einer „Entproletarisierung" kann jedoch nicht die R e d e sein. Entgegen den Behauptungen der bürgerlichen Apologeten führen die Veränderungen in der Zusammensetzung der Arbeiterklasse im Gegenteil zur Vergrößerung ihrer ökonomischen Rolle. Die Konzentration des Proletariats in den Hauptzentren des Wirtschaftslebens, den wesentlichen Zentren des antimonopolistischen Kampfes, nimmt weiter zu. Das moderne Proletariat nimmt immer mehr Bildung auf, die Voraussetzungen für die Aufnahme der wissenschaftlichen W e l t anschauung durch das Proletariat verbessern sich. Mehr als irgendwann zuvor ist es dafür vorbereitet, bewußt die Rolle der Haupttriebkraft des gesellschaftlichen Fortschritts zu spielen. Gerade heute, wo die Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus in einer Reihe von Ländern erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden, wird uns die ganze Kraft der wissenschaftlichen Voraussicht der Begründer des Marxismus mit besonderer Deutlichkeit bewußt. Das 20. Jahrhundert ist eine glänzende Bestätigung für die Lebenskraft der philosophischen Anschauungen von K. Marx und F. Engels, für die Tiefe und Wissenschaftlichkeit ihrer grundlegenden Schlußfolgerungen. Die Ideen dieser großen Gelehrten bewahren ihre Aktualität auch im gegenwärtigen ideologischen Kampf und dienen als Kompaß bei der Entwicklung der Arbeiterbewegung der Welt, beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Eine der theoretischen Quellen des Marxismus ist die klassische deutsche Philosophie, deren Gipfel die Lehre von Hegel war. Hegel ist uns nah und teuer als der Schöpfer eines entfalteten Systems dialektischer Gesetze und Kategorien. Dieses System spielte, obgleich es sich auf die Prinzipien des objektiven Idealismus gründete, eine außerordentlich wichtige Rolle in der gesamten Geschichte der Dialektik, in der Geschichte der Entwicklung des menschlichen Denkens. Indem er seine Ideen über die Dialektik als eine einheitliche und allumfassende Theorie der Entwicklung ausarbeitete, hob Hegel das Verständnis der weltanschaulichen Bedeutung der Philosophie, das Verständnis ihrer Rolle im gesellschaftlichen Leben auf eine überragende Höhe. Die Klassiker des Marxismus, die die dialektischen Ideen Hegels kritisch verarbeiteten, haben seine Philosophie tiefgründig und exakt charakterisiert. Engels stellte fest, daß das Hegeische System „ein unvergleichlich größeres Gebiet" umfaßte „als irgendein früheres System" und daß Hegel auf allen Gebieten, die er untersuchte, „einen Reichtum des Gedankens" entwickelte, „der noch heute in Erstaunen setzt". 39 Engels weist freilich auf viele künstliche Konstruktionen Hegels hin, die auf das Bestreben zurückgehen, ein abgeschlossenes System zu schaffen, das die Vollendung allen Wissens sein sollte. „Aber", schreibt Engels, „diese Konstruktionen sind nur der Rahmen und das Baugerüst seines Werks; hält man sich hierbei nicht 39
F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: M E W , Bd. 21, Berlin 1 9 6 2 , S. 2 6 9 .
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unnötig auf, dringt man tiefer ein in den gewaltigen Bau, so findet man ungezählte Schätze, die auch heute noch ihren vollen Wert behaupten."40 Die Hegeische Philosophie, die in den inneren Widersprüchen den entscheidenden Stimulus jeder Bewegung und Entwicklung sieht, war eine echte methodologische Überwindung der metaphysischen Denkmethode. Der Widerspruch, stellte Hegel fest, ist nicht „die Leerheit des Gegensatzes von sogenannten kontradiktorischen Begriffen", sondern die Einheit des Entgegengesetzten, und das Entgegengesetzte selbst sei „dasjenige, welches das Eine und sein Anderes, sich Entgegengesetztes, in sich selbst enthält". 41 Nach Hegel sind „alle Dinge an sich selbst widersprechend"; der Widerspruch ist „das Prinzip aller Selbstbewegung", „die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit". 42 Im Laufe der Zeit wird die Rolle Hegels in der Entwicklung des philosophischen Denkens der Welt immer deutlicher sichtbar. J e komplizierter und dynamischer das gesellschaftliche Leben wird, das von scharfen sozialen Konflikten und revolutionären Erschütterungen erfüllt ist, je reicher und vertiefter die Entwicklung von Wissenschaft und Technik verläuft, desto mehr wächst die Rolle und die Bedeutung der dialektischen Methode, deren Schöpfer, auf der Basis des Idealismus, Hegel war. Seit eineinhalb Jahrhunderten steht Hegels System im Zentrum der Aufmerksamkeit zahlreicher philosophischer Schulen und Richtungen. Der Kampf um die Hegeischen Anschauungen verebbt nicht, und die Literatur über Hegel wächst unablässig in allen Ländern. Eine objektive, wahrhaft wissenschaftliche Einschätzung der Lehre Hegels hat jedoch allein der Marxismus-Leninismus gegeben. Das historische Schicksal der Philosophie Hegels - des größten Vorläufers des Marxismus - ist höchst bemerkenswert. Der Schöpfer der idealistischen Dialektik, der hervorragendste Vertreter der klassischen deutschen Philosophie, wird schon seit langem von einem beträchtlichen Teil der bürgerlichen Philosophen als angeblicher Wirrkopf und politischer Reaktionär angegriffen. Im Nachwort zur zweiten Auflage des „Kapital" wies Marx auf die anmaßenden philosophierenden Epigonen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hin, die sich darin gefielen, „Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als ,toten Hund' ". Im Gegensatz zu diesen Schmähungen Hegels schrieb Marx im selben Nachwort: „Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers . . ." 43 Damit warf er nicht nur der bürgerlichen Philosophie, die sich von der Dialektik abgewandt hatte, den Fehde40
Ebenda, S. 269 f.
41
G. F. W . Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundriß (1817), zit. in: G. Klaus/M. Buhr (Hrsg.), Philosophisches Wörterbuch, Bd. 2, Leipzig
1974,
S. 1304. 42
Ebenda.
43
K . Marx, Das Kapital. Nachwort zur zweiten Auflage, in: M E W , Bd. 23, a. a. O., S. 27.
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handschuh hin; er bekannte auch mit Nachdruck: „Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat." 44 Während die bürgerliche Philosophie - beginnend mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - die Hegeische Dialektik nicht allein der Vergessenheit, sondern auch der Beschimpfung überantwortete (wobei sie darin teilweise Hegels Zeitgenossen und Gegner, dem Irrationalisten Schopenhauer folgte), retteten die Begründer des Marxismus die Hegeische Dialektik und deckten durch eine materialistische Überarbeitung deren unvergänglichen historischen Gehalt auf. Engels schrieb: „Marx und ich waren wohl ziemlich die einzigen, die aus der deutschen idealistischen Philosophie die bewußte Dialektik in die materialistische Auffassung der Natur und Geschichte hinübergerettet hatten." 45 Mehr als hundert Jahre sind seit diesen Äußerungen von Marx und Engels vergangen. Und es ist natürlich, daß inzwischen der historische Prozeß der Lossagung der bürgerlichen Philosophen vom progressiven geistigen Erbe weiter vorangeschritten ist. Für die meisten „modernen" bürgerlichen Philosophen, insbesondere für diejenigen aus dem Lager der Positivisten, ist Hegel freilich heute nicht so sehr ein „toter Hund" als vielmehr ein lebendiger Gegner. Das größte Paradoxon im Kampf der Ideologen der heutigen reaktionären Bourgeoisie gegen ihren genialen Vorgänger besteht jedoch natürlich darin, daß sie Hegel beschuldigen, äußerst reaktionär gewesen zu sein.46 In seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" erklärt der bekannte englische positivistische Philosoph und Antikommunist Popper Hegel zu einem der wichtigsten und unversöhnlichsten Gegner einer „offenen" oder „demokratischen" Gesellschaftsordnung, zum Schöpfer einer systematischen Lehre von einem totalitären Staat, dessen Umrisse, Poppers Worten zufolge, schon von Piaton vorgezeichnet worden sind. Hegel sei zu einem Herold der Reaktion gegen die französische Revolution geworden, behauptet Popper und wiederholt damit nur die These von Haym, die dieser bereits 1857 proklamierte, wonach Hegels Philosophie die „wissenschaftliche Behausung des Geistes der preußischen Restauration" sei.47 Popper in weiterer Zuspitzung: „Die Formel des faschistischen Gebraus ist also in allen Ländern dieselbe: Hegel plus ein Schuß Materialismus des 19. Jahrhunderts . . ." 48 Diese Art von Interpretation der Hegeischen Philosophie kreist um die Behauptung, daß der deutsche Faschismus und der „bolschewistische To44 45
48 47
48
Ebenda. F. Engels, Herrn Eugen Diihrings Umwälzung der Wissenschaft („Anti-Dühring"). Vorworte zu den drei Auflagen, in: MEW, Bd. 20, a. a. O., S. 10. Ausführlicher bei: W. R. Beyer, Hegel-Bilder. Kritik der Hegel-Deutungen, Berlin 1964. R. Haym, Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwicklung, Wesen und Wert der Hegel'schen Philosophie, Berlin 1857. K. R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bern-München 1973, S. 78.
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talitarismus" zusammen durch den „rechten Flügel des Hegelianertums" verbunden sind. 49 Ein anderer eingefleischter Antikommunist, der Pragmatist S. Hook, bezeichnet Hegel ohne alle Umschweife als „philosophischen Kettenhund des preußischen Regimes". 50 Es lohnt sich, darüber nachzudenken, warum die bürgerlichen Ideologen, Revisionisten und Opportunisten in unseren Tagen gegen den hervorragenden Vertreter der deutschen philosophischen Revolution zu Felde ziehen, eben jener Revolution, die das Präludium des revolutionären Sturms von 1848 war. Engels hat seinerzeit darauf hingewiesen, daß die deutschen Liberalen der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts (wie übrigens auch die deutschen Feudalherrscher jener Zeit) in der Lehre Hegels so etwas wie eine königlich-preußische Staatsphilosophie sahen. Es verwundert daher nicht, daß die Liberalen heftige Gegner dieser Philosophie waren und daß die preußische Regierung diese Philosophie nur so lange unterstützte, bis die Junghegelianer die darin enthaltenen revolutionären und atheistischen Tendenzen aufdeckten. Sind vielleicht die heutigen bürgerlichen Gegner der Hegeischen Philosophie mit den Liberalen der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zu vergleichen? Nein, natürlich nicht; schon deshalb nicht, weil Leute wie Hook und Popper keine Liberalen der Epoche der bürgerlichen Revolutionen, sondern Konservative in der Epoche der revolutionären sozialistischen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Nicht die wirklichen politischen Gebrechen der Hegeischen Lehre, sondern ihre revolutionäre Seite, ihre Dialektik rufen bei Popper, Hook und anderen Gegnern des Marxismus rasende Wut hervor. Marx schrieb: „In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist." 51 Selbstverständlich war Hegels Dialektik infolge der idealistischen Mystifikation keine wahrhaft wissenschaftliche Methode. Nachdem jedoch der Marxismus den rationellen Kern der Hegeischen Dialektik herausgeschält und eine wissenschaftliche, materialistische Dialektik geschaffen hatte, wurde der wahre historische Sinn der Lehre Hegels auch für die philosophierenden Reaktionäre offensichtlich. Und heute führen sie gegen die Dialektik Hegels vor allem deswegen Krieg, weil sie militante Antimarxisten sind und in Hegel einen Verbündeten ihres Klassenfeindes sehen. Dies ist dann auch der eigentliche Grund, warum Popper und seine Epigonen 48
Siehe ebenda.
60
S. Hook, Hegel and his Apologists, in: Encounter, London, 5/1966, S. 86.
51
K . Marx, Das Kapital. Nachwort zur zweiten Auflage, in: M E W , Bd. 23, a. a. O., S. 27 f.
TO Mitin, Ideologischer K a m p f
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die Hegeische Dialektik als Begriffsakrobatik, als Scharlatanerie, als Abrakadabra lächerlich zu machen versuchen. Hegeische Dialektik werde dazu gebraucht, den Gegensatz von Wahrheit und Irrtum, von Freiheit und Sklaverei zu vertuschen. D e r Historismus bei Hegel sei ein Versuch, die Initiative der Zeitgenossen und nachfolgender menschlicher Generationen dadurch zu fesseln, d a ß die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft antizipiert wird, was prinzipiell unmöglich und unwissenschaftlich sei. D e r einflußreiche Vertreter des Neopositivismus, H. Reichenbach, behauptet, d a ß man die Hegeische Philosophie „als ein Vorbild d a f ü r studieren kann, was Philosophie nicht sein soll". Dabei wird die Dialektik durch Reichenbach als Zeugnis für eine angeblich elementare Inkompetenz Hegels in Fragen der Logik und der Problematik der Naturwissenschaft charakterisiert. 52 D a Popper, Reichenbach und andere Neopositivisten im Namen der modernen Naturwissenschaft auftreten und sich als die wahren Vertreter der modernen „Wissenschaftsphilosophie" bezeichnen, lohnt es sich, einige hervorragende Naturforscher unserer Zeit zu Wort kommen zu lassen, die Hegel augenscheinlich nicht auf positivistische Weise einschätzen. So schreibt W . Heisenberg, d a ß „die theoretisch-heuristische Analyse der Quantentheorie, besonders in der Form, die ihr Bohr gab, viele Züge enthält, die an die Methoden der Hegeischen Philosophie erinnern". 5 3 Niels Bohr bezieht sich gleichfalls auf die dialektische Methode als Mittel der Wahrheitsfindung, als methodologisches Instrumentarium wissenschaftlicher Erkenntnis, wenn er schreibt: „Zu der einen Art Wahrheit gehören so einfache und klare Feststellungen, d a ß die Behauptung des Gegenteils offensichtlich nicht verteidigt werden könnte. D i e andere Art, die sogenannten .tiefen W a h r heiten' sind dagegen Behauptungen, deren Gegenteil auch tiefe Wahrheiten enthält." 5 ' 1 D i e Schöpfer der modernen Physik beurteilen also die Hegeische D i a lektik anders als die Neopositivisten, die Anspruch erheben, diese Physik philosophisch authentisch auszulegen. 55 D i e modernen bürgerlichen Philosophen stellen Schopenhauer, den späten Schelling, Kierkegaard, Nietzsche und andere Philosophen vornehmlich irrationalistischer Richtung Hegel gegenüber. Selbst die Neuhegelianer, die den Anspruch erheben, die wahren Gralshüter und Fortsetzer der Hegeischen Philosophie zu sein, erklären Hegel zu einem Denker, der den Rationalismus mit dem Irratio52
Siehe H. Reichenbach, Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie, Berlin (West) 1951, S. 82.
r>3 Vgl. V. Gejzenberg. Otkrytie Planka i osnovnye filosofskie voprosy ucenija ob atomach, in: Voprosy filosofii (Moskau), 11/1958, S. 65. ''' N . Bohr, Diskussion mit A. Einstein über erkenntnistheoretische Probleme in der Atomphysik, in: Atomphysik und menschliche Erkenntnis, Braunschweig 1958, S. 66. 55
Vgl. H. Hörz, D i e Bedeutung der Hegeischen Dialektik für die Physik, in: Zum Hegelverständnis unserer Zeit. Beiträge marxistisch-leninistischer Hegelforschung. Hg. von Hermann Ley, Berlin 1972.
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nalismus versöhnt habe und dadurch zum größten Irrationalisten in der Geschichte der Philosophie geworden sei. Die Hegeische Dialektik wird als ein „System des Pantragismus", als „tragische Dialektik", als „Theorie der ewigen Wiederkehr" und der „unvergänglichen Entfremdung" ausgelegt. Der historische Optimismus Hegels, seine dialektisch begründete Konzeption des sozialen Fortschritts, seine Uberzeugung von der Realisierbarkeit des Vernünftigen werden als naiv rationalistische Illusionen abgelehnt, denen die Konzeption des „unglücklichen Bewußtseins" entgegengestellt wird, die in der Lehre Hegels bekanntlich einen keineswegs erstrangigen Platz eingenommen hat, und zwar nicht einmal in der „Phänomenologie des Geistes", geschweige denn in der „Wissenschaft der Logik" oder „Philosophie der Geschichte". Karl Marx schrieb in Anlehnung an Hegel schon 1842, daß die „Philosophie die geistige Quintessenz ihrer Zeit ist," daß „sie die lebendige Seele der Kultur" ist.56 Konzeptionen von einem solchen Entwicklungsniveau wie dem Hegeischen sind in der Geschichte der Menschheit immer ein wichtiger Beitrag zum geistigen Fortschritt der Gesellschaft gewesen, stellten eine machtvolle Kraft bei der Herausbildung und Entwicklung ihrer eigenen Epoche dar. In solchen Systemen fand, wenn auch in der Form abstrakter Konstruktionen, der lebendige Pulsschlag der Zeit seinen Ausdruck, drückten sich die Ideale der fortgeschrittenen Schichten der Gesellschaft aus, traten die historischen Aufgaben und die herangereiften Veränderungen ins Bewußtsein, widerspiegelten sich die Konflikte und Widersprüche der Epoche. Auch die Philosophie Hegels brachte eine neue, dem Geist der Zeit entsprechende Weltanschauung, in der sich die großen Ereignisse der französischen Revolution vom Ende des 18. Jahrhunderts widerspiegelten, die Bestrebungen der fortschrittlichen deutschen Jugend, die Lehre von der Souveränität der Vernunft und von der Würde des Menschen, die, wie Goethe schrieb, der Erhabenheit der Götter in nichts nachsteht. Es muß festgehalten werden, daß die gewaltige weltanschauliche Bedeutung der Hegeischen Philosophie in unserer Zeit auch durch viele bürgerliche Denker anerkannt wird. So verteidigt W. Earle die Hauptprinzipien des Hegeischen Rationalismus gegen zwei - wie er sich ausdrückt - moderne Alternativen - den Positivismus und den Existentialismus. „In dieser Frage", schreibt Earle, „hatte Hegel ausnehmend recht und haben diese beiden Richtungen unrecht." Bei seiner Kritik am Positivismus beruft sich Earle zu Recht auf die „Phänomenologie des Geistes" von Hegel: „Wenn wir streng an die rein sinnliche Erfahrung herangehen, indem wir von der vollständigen Erfahrung aller rationalen Faktoren, aller .Konstruktionen der Vernunft abstrahieren, so bleibt uns nicht der reichste aller Inhalte, sondern eher der ärmste." 57 36
57
10*
K. Marx, Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung", in: MEW, Bd. 1, a. a. O., S. 97 f. W. Earle, Hegel and Some Contemporary Philosophies, in: Philosophy and Phenomenological Research (Buffalo/N. Y.), 1960, v. XX, N o 3, S. 352, 354.
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Ausgehend von Hegel formuliert Earle eine Reihe von kritischen Bemerkungen gegen die positivistische Philosophie, in der das höchste Kriterium der Wahrheit allein die sinnliche Erfahrung ist; und selbst dieses Kriterium bedarf der Definition und der Klarheit. Die sinnliche Erfahrung, sagt der Kritiker, spielt eine bestimmte Rolle innerhalb der Erkenntnismethode. Aber man kann sie im Rahmen eines allgemeinen rationalen Systems definieren und stabilisieren. Der Positivismus hingegen hat die Erkenntnismethode insgesamt auf einem wichtigen, aber willkürlichen und Undefinierten Niveau blockiert. Earle schreibt: „Bei Hegel war die Logik niemals auf eine solche Weise formalisiert, wie sie die Positivisten formalisieren. Wenn man von der Vernunft ihre objektiv-inhaltlichen Aspekte abstrahiert, dann bleibt in der Tat nichts übrig, mit dessen Hilfe man die Denktätigkeit kontrollieren könnte; das wäre ein sich willkürlich veränderndes Denken, dessen Entwicklung, statt sich unter der Kontrolle seines Objektes zu befinden, ganz den Launen unseres Willens unterworfen wäre. Gerade dies ist die Schlußfolgerung der Positivisten." 58 Earle beurteilt den Subjektivismus und andere Unzulänglichkeiten der Positivisten vom Standpunkt des objektiven, absoluten Idealismus her. Dann geht er zur Kritik des Existentialismus über. Earle erkennt an, daß die Existentialisten neue Themen in die Philosophie eingeführt haben. Die Frische ihrer Gedanken wecke das Bestreben, die Fragen der Erkenntnistheorie und die Probleme unserer Wahrnehmung der physischen Dinge zeitweilig zurückzustellen und unsere Aufmerksamkeit den wichtigeren Problemen der menschlichen „Existenz" zuzuwenden. Doch, so bemerkt Earle, die Tatsache macht mutlos, daß diese zentralen Probleme bei den Existentialisten nicht erhellt werden, da sie dem Standpunkt des Existentialismus zufolge durch den Verstand oder die Philosophie überhaupt nicht erkannt werden. Der „Akt der Existenz" entzieht sich nach Meinung der Existentialisten jeglicher rationalen Erkenntnis und stellt etwas Irrationales innerhalb des Seins dar. Die Möglichkeit der rationalen Erkenntnis des „Existenzaktes" anzuerkennen, bedeutet nach Ansicht der Existentialisten, ihn abzutöten, ihn auszutrocknen und in jenes rationale System zu verwandeln, das Hegel als die wirkliche Form der Geschichte ansah, das aber nach Meinung der Existentialisten von der Wahrheit so weit wie Himmel und Erde voneinander entfernt ist. Earle lehnt eine solche Kritik des Hegeischen Rationalismus als nicht stichhaltig ab und beruft sich darauf, daß die Erkenntnis, folglich auch die rationale, keineswegs auf die Erkenntnis des „existentiellen Akts" beschränkt sei und dadurch auch nicht ausgeschöpft werde. Schon mehr als 100 Jahre zeigt uns die Geschichte zahllose Spielarten des rechten und „linken" philosophischen Revisionismus, die das Ansehen der marxistischleninistischen Philosophie sowie deren geistigen Einfluß ausnutzten, um unter der Flagge der Entwicklung dieser Philosophie verschiedene Hybriden aus dem Mar58
Ebenda, S. 357.
148
xismus und den philosophischen Modelehren zu schaffen, indem sie den Marxismus von den Positionen des Neukantianismus, des Neuhegelianismus, der Phänomenologie, des Existentialismus und der Theologie „umdenken". All das hat es auch im Verlaufe der letzten Jahre des ideologischen Kampfes gegeben, und das gibt es auch in unseren Tagen. Der kennzeichnendste Zug der dem Marxismus-Leninismus feindlichen rechtsrevisionistischen Konzeptionen der letzten Jahre war das Bestreben, den revolutionären Geist der marxistisch-leninistischen Philosophie zu ersticken, sie zu einer „harmlosen" Lehre zu machen, die für die Gegner der Arbeiterbewegung völlig akzeptabel ist. Der sogenannte „linke" Revisionismus, der in Worten dem „nichtrevolutionären" Marxismus-Leninismus seine eigenen „superrevolutionären" Theorien entgegensetzte, traf sich in Wirklichkeit mit dem rechten Revisionismus in dem Bestreben, die als „dogmatisch" bezeichneten marxistisch-leninistischen philosophisch-methodologischen Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus zu zerstören. Sowohl die rechten als auch die „linken" Revisionisten riefen unter der Flagge der „Kritik am Dogmatismus" usw. dazu auf, den Marxismus-Leninismus mit den „neuesten" philosophischen Lehren zu „integrieren"', was angeblich ermögliche, den Marxismus zu „bereichern". So schlug bekanntlich Roger Garaudy einen „Marxismus ohne U f e r " vor, der es erlaubte, in den Marxismus, alles mögliche aufzunehmen: von der Theologie bis zum Existentialismus, von der neuthomistischen Lehre Teilhard de Chardins bis zur strukturalistischen Philosophie von Lévi-Strauss. Die Revision der grundsätzlichen Aussagen des Marxismus-Leninismus ist wie die geschichtlichen Erfahrungen zeigen - immer mit einer Revidierung des Verhältnisses zwischen Marx und der klassischen deutschen Philosophie, zwischen Marx und Hegel, sowie mit einer falschen Auslegung der klassischen bürgerlichen deutschen Philosophie selbst verbunden gewesen. Auch in dieser Hinsicht ist die Position Roger Garaudys charakteristisch: Er hatte sich das Ziel gesetzt, das Verhältnis zwischen dem Marxismus und der klassischen deutschen Philosophie neu zu deuten. F. Engels, der die besondere Rolle Hegels bei der Entstehung des Marxismus hervorhob, schrieb 1874: „Ohne Vorausgang der deutschen Philosophie, namentlich Hegels, wäre der deutsche wissenschaftliche Sozialismus - der einzige wissenschaftliche Sozialismus, der je existiert hat - nie zustande gekommen." 5 9 Man kann es nicht als zufällig ansehen, daß W. I. Lenin in seinen „Philosophischen Heften" den Werken Hegels, der materialistischen Überarbeitung der Hegeischen idealistischen Dialektik so große Beachtung geschenkt hat. Bislang wurde allgemein anerkannt, daß gerade die Lehre Hegels als der Höhepunkt in der Entwicklung der klassischen deutschen Philosophie eine gewaltige Rolle bei der Vorbereitung und Entstehung des Marxismus gespielt hat. D a s ist 59
F. Engels, Ergänzung der Vorbemerkung von 1870 zu „Der deutsche Bauernkrieg", in: MEW, Bd. 18, Berlin 1962, S. 516.
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in den Werken von F. Mehring, A. Cornu, T. I. Oiserman, N . Lapin, M. Ovsjannikov und anderen Forschern nachgewiesen worden. Demgegenüber stellt Garaudy eine eigene Konzeption von der Entwicklung der klassischen deutschen Philosophie im Sinne der Vorbereitung des Bodens für die Entstehung des Marxismus auf: Zum Vorgänger des Marxismus macht er nicht Hegel, sondern Fichte und vollzieht damit eine Art „Fichteisierung" des Marxismus. E r bläht den Einfluß der Ideen Fichtes auf den Entstehungsprozeß der marxistischen Philosophie unmäßig auf und behauptet: „Auf niemanden besser als auf Fichte paßt, was Marx von der deutschen Philosophie allgemein gesagt hat: es handelt sich um ,die deutsche Theorie der französischen Revolution'." 6 0 Diese Behauptung stellt eine grobe Entstellung des Verhältnisses zwischen Marxismus und klassischer deutscher Philosophie dar. Nach Garaudy war die Hauptidee im System Fichtes die des Schöpfermenschen, die Idee, daß der Mensch das ist, was er aus sich macht. Damit werde - behauptet Garaudy - zum ersten Mal in der Geschichte der Philosophie die freie, schöpferische Tätigkeit Priorität erlangen. Freilich bestehe in dieser These auch ein Ausgangspunkt des Existentialismus, meint Garaudy und „beruhigt" sogleich seine Leser, daß in dieser Frage Marx immerhin Fichte näher stehe als dem Existentialismus. Garaudy beteuert: „Wenngleich in mystifiziertet, idealistischer und metaphysischer Gestalt, finden sich in der Fichteschen Philosophie die drei großen philosophischen Themen, die die Marxisten in der Nachfolge von Marx ,auf die Füße stellen' müssen: es sind dies eine Theorie der Freiheit, eine Theorie der Subjektivität und eine Theorie der Praxis." 6 1 Nach Garaudys Meinung muß man von Fichte den Gedanken übernehmen, daß der Mensch das ist, was er selbst aus sich macht. In dieser Idee sieht er das Hauptverdienst der klassischen deutschen Philosophie insgesamt und Fichtes insonderheit gegenüber dem Marximus. Garaudy schreibt: „Für jeden marxistischen Philosophen bleibt die Notwendigkeit bestehen, den .vernünftigen Kern' des Fichteschen Denkens aufzuweisen und diese großartige Reflexion auf die zeugende Tätigkeit des Menschen ,auf die Füße zu stellen'; es gilt, das .kritische' Moment in das marxistische Denken mithineinzunehmen - nicht sowohl, um dabei stehen zu bleiben, aber auch nicht, um dahinter zurückzufallen. Nur so wird der Marxismus nicht um die Dimension der Subjektivität verkürzt, und nur so kommen die richtigen Motive der Existenzphilosophie, zurückgeführt auf den Fichteschen Rationalismus, zu ihrem Recht." 6 2 Und so behauptet Garaudy, daß Marx an Hegel gerade diese „Fichteschen" Züge am meisten geschätzt hätte. E s muß gesagt werden, daß Fichte in der Tat eine nicht unbedeutende Rolle bei der Entwicklung des dialektischen Denkens gespielt hat. Engels hat darauf hingewiesen. Fichte hat nicht nur die aktive Seite der Erkenntnis herausgestellt, 60
R . Garaudy, D i e Aktualität des Marxschen Denkens, Frankfurt a. M. 1969, S. 35.
61
Ebenda, S. 36 f.
62
Ebenda, S. 44.
150
sondern auch die menschliche Tätigkeit in den Vordergrund gerückt und die subjektive Aktivität des Bewußtseins betont. Zu meinen, daß das Hauptverdienst der klassischen deutschen Philosophie bei der Ausarbeitung dieser Frage Fichte gebührt, wäre jedoch falsch. E s hat in der marxistischen philosophischen und soziologischen Literatur bereits wiederholt im ganzen richtige ideologisch-politische Einschätzungen des Revisionismus und insbesondere der revisionistischen Auffassungen und der Tätigkeit Roger Garaudys gegeben. Doch hat man sich bei der Begründung dieser Einschätzung im allgemeinen auf gesellschaftlich-politische, manchmal moralische Argumente beschränkt, was im ganzen richtig ist, vom philosophischen Standpunkt aus für eine fundamentale Kritik dieser gefährlichen Erscheinung im politischen Leben und im ideologischen Kampf der letzten Jahre indessen augenscheinlich nicht ausreicht. Einer der Umstände, die den Revisionismus hervorbringen, ist oft auch die schlichte Unkenntnis der Philosophie, ihrer Geschichte, und insbesondere der Geschichte des philosophischen und soziologischen Denkens der Neuzeit. Im Falle Roger Garaudys fällt das besonders ins Auge. So beruht seine ganze philosophische Interpretation Fichtes tatsächlich auf einer Unkenntnis der Philosophie sowohl Fichtes selbst als auch Kants, in dessen kritischer Lehre das Problem des Verhältnisses des Subjekts zum Objekt erstmals überprüft worden ist. K a n t arbeitete die Rolle des erkennenden Subjekts in der Subjekt-Objekt-Beziehung, das Problem der gnoseologischen Aktivität des Subjekts in bezug auf das Objekt aus, worin gewöhnlich auch das Wesen der „Kopernikanischen Wende" gesehen wird, die er in der Philosophie zustande gebracht hat. D i e Philosophie Fichtes ist die weitere Ausarbeitung nur eines Aspekts der Kantschen Lehre vom erkennenden Subjekt und seiner gnoseologischen Aktivität. Alle anderen Beziehungen des Subjekts, insbesondere die wesentliche Beziehung des Subjekts zu dem Objekt als „Ding an sich", die W. I. Lenin in „Materialismus und Empiriokritizismus" wiederholt erwähnte, ignoriert Fichte letztlich. D a s ist einer der Gründe dafür, daß Fichtes Lehre vom Subjekt als dem tätigen „Ich" sich nicht mit dem Bereich der Dialektik von Subjekt und Realität berührt. Eben deshalb nahm die Dialektik bei Fichte subjektivistische Züge an, was allem Anschein nach Garaudy imponiert, der ein Verehrer des Existentialismus, wenn auch nicht dessen bester Kenner ist. D i e Geschichte der Philosophie kennt viele Beispiele dafür, wie eine bestimmte Interpretation dieser oder jener Lehre bedingt ist durch die Unkenntnis der Ausgangskonzeption. E s gibt selbstverständlich keinen Grund für die Annahme, daß dies die einzige Quelle für den Revisionismus Garaudys sei. Seine Hauptquellen sind gesellschaftlicher, politisch-ideologischer Natur. Doch die oberflächliche Kenntnis der Philosophie und ihrer Geschichte hat in der revisionistischen Evolution Garaudys eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. Daran kann nicht gezweifelt werden. Insbesondere seine Erörterungen über die Fichtesche Dialektik
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und über das Verhältnis der Lehre von Marx zur Philosophie von Fichte sind das Ergebnis oberflächlicher Urteile und des Eklektizismus in der Philosophie. Alle bedeutenden Vertreter der klassischen deutschen Philosophie (Kant, Fichte, Schelling, Hegel) waren an der Ausarbeitung der idealistischen Dialektik beteiligt. Kant legte in seiner „Kritik der reinen Vernunft" die Grundlagen für die zukünftige Entwicklung des dialektischen Denkens. Fichte ging in seiner „Wissenschaftslehre" bedeutend weiter als Kant bei der Ausarbeitung der Dialektik des Verhältnisses von „Ich" und „Nicht-Ich". D i e höchste und allseitigste Entwicklung erreichte die idealistische Dialektik jedoch in der Lehre Hegels. Wenn man fragt, was die klassische deutsche Philosophie an besonders Bedeutendem, Wertvollem für die Entwicklung des philosophischen Denkens der Welt geschaffen hat, was der wichtigste Schritt voran war, was die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus am höchsten bewertet haben, so kann es nur eine Antwort geben - das ist die dialektische Methode Hegels, ist die Gesamtheit der von ihm formulierten Gesetze und Kategorien. Deshalb widerspricht die Revision des Verhältnisses zwischen der Philosophie des Marxismus und der Lehre Hegels, wie sie von Garaudy vorgenommen wird, und die von ihm praktizierte Akzentuierung der Aufmerksamkeit allein auf die Konzeption Fichtes nicht nur den zahlreichen Äußerungen der Klassiker des Marxismus-Leninismus, sondern verzerrt auch eine Reihe von überaus wichtigen Problemen beim Verständnis des eigentlichen Wesens des Marxismus-Leninismus. Garaudy behauptet, daß Fichte von allen Vertretern der klassischen deutschen Philosophie die aktive Rolle des Subjekts am besten verstanden habe. D a s entspricht nicht der Wahrheit: D i e Betonung der Aktivität des Subjekts trug bei Fichte subjektivistischen Charakter. E s gibt bei ihm zweifellos Elemente des Historismus im Herangehen an das Problem des Subjekts; doch dieser Historismus erfährt nicht die nötige Entwicklung. D a s empirische „Ich" Fichtes trägt deutlich individualistischen Charakter. Garaudy legt Fichte faktisch im Geiste des späten Bruno Bauer und Max Stirner aus, d. h. im Geiste des epigonenhaften Junghegelianertums. Und diese Bewegung vom Marxismus zurück zu den voraufgegangenen Stufen philosophischen Denkens wird als Entwicklung des marxistischen Denkens, als Überwindung von Dogmatismus, wird als große „Neuheit" ausgegeben. Entgegen den unbegründeten Behauptungen Garaudys zeugt die Geschichte der Philosophie davon, daß gerade bei Hegel - besonders in der „Phänomenologie des Geistes" - das Problem der Aktivität des Bewußtseins auf objektiver Grundlage, basierend auf dem Historismus, entwickelt wird, wenn auch eines im Geiste des Idealismus verstandenen Historismus. D i e Ausarbeitung der aktiven Rolle des Bewußtseins des Subjekts besitzt bei Hegel einen fundierteren und gründlicheren Charakter als bei Fichte und steht damit dem materialistischen Geschichtsverständnis näher. E s könnte scheinen, daß die Rolle Fichtes oder Hegels bei der philosophischen Vorbereitung des Marxismus in höchstem Grade abstrakte Fragen und auf den 152
ersten Blick weit entfernt von unseren realen Lebensproblemen sind. Doch die Betonung der Rolle Fichtes, der Rolle der Subjektivität hängt bei Garaudy mit der Lösung von Problemen zusammen, die unmittelbare politische Bedeutung besitzen: mit seiner Konzeption der Partei, mit dem Problem des Dogmatismus, mit der Begründung des Humanismus usw., mit anderen Worten: Der philosophische Revisionismus ist untrennbar mit dem politischen Revisionismus verbunden. Eine andere Form der Fälschung von Wesen und Sinn sowohl der Hegeischen als auch der marxistischen Philosophie ist die sogenannte Philosophie der Praxis. Diese internationale revisionistische Strömung umfaßt recht verschiedenartige Philosophen (E. Fischer, E. Bloch, R. Garaudy, G. Petrovic und andere Mitglieder des Redaktionskollegiums der jugoslawischen Zeitschrift „Praxis"), die jedoch darin übereinstimmen, daß als „echte marxistische Philosophie" nicht der dialektische und historische Materialismus, sondern die „Philosophie der Praxis" zu gelten habe. In ihren philosophischen Begründungen politisch-ideologischer Standpunkte gehen diese „Praxis"-Philosophen von den Schriften des jungen Marx aus. Dies wird „gemischt" mit Auffassungen der klassischen deutschen Philosophie, die als philosophischer Idealismus das Problem der Tätigkeit des Menschen am umfassendsten ausgearbeitet habe. Und dies schließlich wird gekrönt mit dem Postulat, daß man alle Wirklichkeit als Praxis begreifen könne bzw. nur die Praxis für den Menschen den Wert von Wirklichkeit besitze. Auf diesem Wege hat man begonnen, die Grundfrage der Philosophie zu eliminieren, an ihre Stelle als zentrale philosophische Fragestellung die nach einer subjektivistisch gedeuteten Praxis zu setzen. Eine solche Praxis - ihres Wesens beraubt und von der wissenschaftlichen Erkenntnis entfernt - kann man mit allerlei idealistischen philosophischen Schrullen beladen, allein und letztlich zu keinem anderen Zweck als dem, die revolutionäre Praxis des historisch konkreten Menschen als Angehörigen der fortschrittlichsten Klasse der gegenwärtigen Epoche zu diskreditieren. Eben auf solche Weise unterzog diese revisionistische Strömung in der Philosophie die grundlegenden Probleme der marxistisch-leninistischen Philosophie einer Revision. Die Revisionisten entstellten die Dialektik Hegels und verfälschten gleichzeitig die marxistisch-leninistische Philosophie mit idealistischem Instrumentarium. In Wahrheit hat sich Marx in allen seinen Arbeiten entschieden sowohl vom Idealismus als auch vom mechanischen Materialismus abgegrenzt. Ferner stellte Marx ständig die revolutionäre, praktisch-kritische Tätigkeit, d. h. die gesellschaftliche Praxis, der Konzeption des sogenannten tätigen Subjekts als Individuum gegenüber, der abstrakt vom Idealismus entwickelten Praxis des Geistes und Gedankens sowie der kontemplativen sinnlichen Praxis des anthropologischen Materialismus. Diese und andere überaus wichtige Positionen von Marx zu ignorieren, die Grundfrage der Philosophie durch die Frage nach der Praxis zu ersetzen und faktisch das Problem des Gegensatzes von Materialismus und Idealismus aufzuheben, 153
das bedeutet, von der marxistischen Philosophie ins Lager des Idealismus überzugehen. So sieht der sogenannte „authentische Marxismus" der Revisionisten in Wirklichkeit aus. Den Marxismus verfälschend, entstellten die Revisionisten und die bürgerlichen Philosophen zugleich ständig die Lehre Hegels insgesamt und waren insbesondere bestrebt, die revolutionäre Bedeutung der Hegeischen Dialektik herabzusetzen oder ganz zu vertuschen. Hegel hat bekanntlich vielfach und entschieden betont, daß die Negation ein Grundprinzip des wahrhaft dialektischen Verständnisses der Welt ist. Die Negation ist ein Prinzip jeglichen natürlichen und geistigen Lebens überhaupt, ist „das der Selbstbewegung und der Lebenskraft eigene Schlagen des Pulses". Solche Charakterisierungen der Negation durchziehen die gesamte Philosophie Hegels, insbesondere die „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" und die „Wissenschaft der Logik". Sich darauf zu beschränken hieße jedoch, Hegel einseitig zu verstehen und seine Ansichten zu entstellen. Der Entwicklungsbegriff wird bei Hegel mit der Notwendigkeit des Verständnisses dafür verbunden, daß das, „Was sich aufhebt, dadurch nicht zu Nichts (wird) . . . ein Aufgehobnes . . . ist das Nichtseiende, aber als Resultat, das von einem Sein ausgegangen ist. Es hat daher die Bestimmtheit, aus der es herkommt, noch an sich" ; 63 anders ausgedrückt, daß das Negierte als Resultat einen größeren Reichtum des Inhalts entfaltet, weil sich in ihm außer dem lebensfähigen Element des Negierten auch zugleich die neue Qualität des Seins verkörpert. Die Negation tritt deshalb bei Hegel als Triebkraft, als Richtungsanzeige der Entwicklung auf. Die Hegeische Negation ist also nicht die absolute Vernichtung des Alten, sondern der Weg zum Neuen, sie ist nicht nur Negation, sondern auch Negation der Negation, d. h. auch Position. Gerade diese Seite der Hegeischen Philosophie wird indessen gegenwärtig besonders häufig entstellt bzw. verkannt. Auf dem V. Internationalen Hegelkongreß (Salzburg 1964) entwickelte Jean Hyppolite, ein angesehener Vertreter des christlichen Existentialismus, in seinem Vortrag „Das Tragische und das Vernünftige in der Hegeischen Philosophie" den Gedanken, daß in unserer Zeit eine Hegelrenaissance beginne. Er behauptete, daß die zeitgenössischen Probleme durch die Philosophie Hegels, durch die Beschäftigung mit den von Hegel aufgeworfenen Problemen erhellt würden. Alles Vernünftige werde verneint, die Geschichte sei eine sich ununterbrochen vollziehende Verneinung. Die Freiheit, die der Mensch im Laufe der Geschichte erreicht habe, trage in sich die Verneinung. Und auf diese Weise verwandelt die Dialektik der Negation - nach Hyppolites Ansicht - das Vernünftige in das Tragische. Panlogismus und Pantragismus seien im Endeffekt identisch; und dies eröffne uns das Wesen der menschlichen Existenz, in der das Tragische von der vernünftigen, 63
G . W . F. Hegel, Wissenschaft der Logik ( 1 8 1 2 - 1 8 1 6 ) , zit. in: G. Klaus/M. Buht (Hrsg.), Philosophisches Wörterbuch,
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Bd. 2, Leipzig
1 9 7 2 , S.
774.
zweckmäßigen Tätigkeit nicht zu trennen sei. Keine vernünftige Organisation des gesellschaftlichen Lebens kann - so Hyppolite - die Tragik überwinden, die untrennbar mit den Errungenschaften der Technik, mit den tiefen sozialen Erschütterungen verbunden ist. Der Staat werde zu einer zunehmend finsteren, jegliche Individualität unterdrückenden Macht. So drückt sich in diesem Pantragismus Jean Hyppolites der existentialistische Pessimismus aus. 6 4 Zwischen der „negativen Dialektik" Adornos, der „tragischen Dialektik" Jean Hyppolites und der „negativen Dialektik" der Gruppe „Praxis" besteht eine innere Einheit. In allen diesen Interpretationen der Hegeischen Dialektik ist eine extreme Einseitigkeit festzustellen: das Unvermögen oder die Abneigung, den wahren Sinn der Dialektik Hegels zu verstehen, geschweige den der marxistischleninistischen Dialektik. Dialektik - das heißt nicht nur Negation, sondern auch Position. Revolutionäre Kritik in der kapitalistischen Gesellschaft - das ist Negation des Kapitalismus. Aufdeckung seiner inneren Widersprüche - das ist gleichzeitig die Ausrüstung der Arbeiterklasse mit einer Theorie zum Sturz des Kapitalismus, einer Theorie zum Aufbau des Sozialismus. Revolutionäre Kritik im Sozialismus - das ist Negation der Unzulänglichkeiten, des Erbes der alten Gesellschaft und zugleich Position der neuen, sozialistischen Ordnung. Das ist die prinzipielle Veränderung der Funktion der Kritik unter den Bedingungen des Sozialismus. Wer den positiven Charakter der Kritik im Sozialismus nicht versteht oder bestreitet, wer die prinzipielle Veränderung von Rolle und Funktion der Philosophie unter den Bedingungen des Sozialismus nicht sieht, der entfernt sich von Marx, der versteht nicht die ganze Tiefe des Inhalts der elften These von Marx über Feuerbach, die den Gedanken der Errichtung einer neuen Welt an Stelle der zu vernichtenden alten enthält. D i e Veränderung der Welt, das ist nicht nur die Abschaffung, die Liquidierung der alten Welt, sondern auch die Schaffung und Stärkung der neuen. D a s zu gewährleisten ist unmöglich, ohne daß man den positiven Charakter der marxistisch-leninistischen Theorie, der materialistischen Dialektik begreift. D i e Dialektik ist ein machtvolles theoretisches Rüstzeug für die Erforschung, für die Aufdeckung der Widersprüche der Wirklichkeit, für die Festlegung der Wege zu ihrer Veränderung, für den Aufbau der neuen Welt. W. I. Lenin hat die heuristische Bedeutung der Dialektik Hegels überaus hoch eingeschätzt. Eben •deshalb hat er in seinen Werken der Behandlung der Hegeischen Philosophie so große Aufmerksamkeit geschenkt. D i e Philosophie Hegels, ihre Beziehung zur marxistischen Philosophie und die Probleme der Dialektik stellen äußerst wichtige Probleme des gegenwärtigen ideologischen Kampfes dar. D e r Erfolg in diesem Kampf hängt nicht nur von der Überwindung aller unwissenschaftlichen Auffassungen, aller wissenschaftsfeindlichen Einstellungen, aller Verfälschungen des Marxismus-Leninismus ab, sondern ^
Vgl. J . Hyppolite, L e Traglque et le Rationnel dans la philosophie d e Hegel, in: HegelJahrbuch 1964, hg. von Wilhelm R. Beyer, Meisenheim am G l a n 1965, S. 9 ff.
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auch von der verstärkten positiven Ausarbeitung der aktuellen philosophischen Probleme. Einen Ehrenplatz in der Entwicklung der Lehren vom gesellschaftlichen Prozeß nimmt Hegels „Philosophie der Geschichte" ein. Grandios war allein schon die Aufgabe, die sich Hegel gestellt hatte: ein umfassendes Bild des welthistorischen Prozesses zu geben, die Generallinie der Geschichte der Menschheit als eines einheitlichen Prozesses der voranschreitenden Entwicklung, des Fortschritts aufzudecken. Und obwohl Hegel diese Aufgabe von falschen, idealistischen Positionen her löste und letztlich die provinzielle Beschränktheit des halbfeudalen Deutschlands des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts nicht zu überwinden vermochte, trotz des Widerspruchs schließlich, der zwischen seiner Methode und seinem System bestand und der sich auf unmittelbarste Weise in diesem Werk niederschlug, war seine „Philosophie der Geschichte" ein herausragendes Werk. E s konnte nicht ohne gewaltigen Einfluß auf seine Zeitgenossen bleiben, unter denen solche Männer wie Marx und Engels waren. Der junge Engels vertiefte sich in die Werke Hegels. E r schrieb 1840: „Außerdem studiere ich Hegels Geschichtsphilosophie, ein enormes Werk, ich lese jeden Abend pflichtschuldigst darin, die ungeheuren Gedanken packen mich auf eine furchtbare Weise". 6 5 Und an anderer Stelle: „Seine (Hegels) Geschichtsphilosophie ist mir wie aus der Seele gelesen." 66 Nicht nur in jungen Jahren, sondern auch in der folgenden Zeit schätzte Engels diese Arbeit Hegels hoch ein. Engels wies darauf hin, daß Engels als erster versuchte, die Entwicklung, den inneren Zusammenhang der Geschichte zu zeigen. 67 Seiner dialektischen Methode folgend, erhob sich Hegel im Verständnis des weltgeschichtlichen Prozesses auf eine gewaltige Höhe. E r bemühte sich, ein Muster für die Behandlung des Fortschritts in der Geschichte von der Höhe des „absoluten Geistes" zu geben, mit dem „wonnevollsten Lohn einer wahrhaft philosophischen Betrachtung", wie sich Fichte ausdrückte. Doch der „absolute Geist" führte ihn zu einem höchst mittelmäßigen Ergebnis - zur Verherrlichung der preußischen Monarchie. Aber trotz des berüchtigten „absoluten Geistes" und im Widerspruch zum objektiven Idealismus hat Hegel, wo er konkrete historische Ereignisse berührte, diese nicht selten erstaunlich realistisch beurteilt und ist tief in das Wesen der gesellschaftlichen Verhältnisse einzelner Epochen eingedrungen. Ein genialer historischer Spürsinn kennzeichnet das Hegeische Verständnis vieler Seiten der antiken Welt, des Orients, des christlichen Mittelalters und der Neuzeit. Mit einer für seine Zeit überraschenden Tiefe beleuchtet Hegel die sozialen Antagonismen des vorrevolutionären Frankreichs des 18. Jahrhunderts. Der Zustand Frankreichs vor der Revolution war - nach Hegel - „unvernünftig". D e r 05
66 67
Friedrich Engels, Brief an Friedrich Graeber. 9. Dezember 1839 - 5. Februar 1840, in: MEW, Ergänzungsband, Zweiter Teil, Berlin 1967, S. 440. Friedrich Engels, Brief an Wilhelm Graeber. 13-20. November 1839, in: ebenda, S. 435. F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: MEW, Bd. 21, S. 266 ff., 292 ff.
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Kern dieser Unvernunft lag in den feudalen Verhältnissen. Daher Hegels Schlußfolgerung, daß die Revolution als notwendiger Gewaltakt „vernünftig" war. Die Revolution, sagt Hegel, bedeutete den Kampf für die Freiheit der Persönlichkeit und die Freiheit des Eigentums. In der Beurteilung des größten Ereignisses des 18. Jahrhunderts, der Französischen Revolution, lieferte Hegel in vielem ein Muster für eine realistische dialektische Analyse. Das hervorragendste Verdienst Hegels ist die Behauptung des Satzes, daß die historische Entwicklung ein gesetzmäßiger Prozeß und nicht eine Anhäufung von Zufälligkeiten ist, daß die Persönlichkeit in der Geschichte nicht willkürlich handelt, sondern in ihren Handlungen den inneren Gehalt, die Tendenz des innerlich widersprüchlichen historischen Prozesses ausdrückt. Darin liegt das Lebenskräftigste, das Größte der Hegeischen Deutung der Weltgeschichte. Natürlich war die Konzeption des „absoluten Geistes" der säkularisierte Ausdruck einer theologischen Vorstellung. Das ist das Tote in der Philosophie Hegels. Man darf aber auch nicht vergessen, daß der Begriff des absoluten Geistes die idealistische Mystifikation des realen Subjekts der Weltgeschichte ist - der Menschheit. 68 Marx und Engels haben die Hegeische Idee von der gesetzmäßigen Entwicklung der Gesellschaft, die Hegeische Kritik an der metaphysischen Deutung der Geschichte als einer chaotischen Anhäufung von zufälligen Ereignissen, die durch die Willkür historischer Persönlichkeiten - Feldherren, Könige usw. - hervorgerufen seien, hoch eingeschätzt. Marx und Engels deckten die Hauptsache beim Verständnis des Geschichtsverlaufs auf - die Gesetze der Tätigkeit der Massen und Klassen, ohne dabei natürlich die Rolle und Bedeutung der Tätigkeit einzelner Menschen, historischer Persönlichkeiten zu negieren. Der Marxismus-Leninismus begründet, daß die Menschen ihre Geschichte selbst machen. Zu fragen ist jedoch, wodurch die Handlungsmotive der Menschen bestimmt werden, was die Gründe für den Zusammenstoß ihrer widersprüchlichen Ideen sind, von welcher Art überhaupt die objektiven Bedingungen ihrer Tätigkeit sind und welches das Entwicklungsgesetz dieser Bedingungen ist. Alle diese Probleme begann Marx zu studieren und wies den Weg für die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte als eines einheitlichen und in all seiner Vielseitigkeit und Widersprüchlichkeit gesetzmäßigen Prozesses. Dank seines enormen historischen Spürsinns vermochte Hegel in der „Philosophie der Geschichte" wichtige Gedanken über die Rolle der materiellen Produktion in der Geschichte der Menschheit zu formulieren. Er verstand, daß die Produktion nicht nur nötig ist, weil die Menschen nicht von Luft leben können, sondern vor allem als Form der Entwicklung der Menschheit. Die Natur ist mächtig und hartnäckig, sie widersetzt sich dem Menschen auf jegliche Weise. 68
Vgl. M. Buhr, Vernunft -
Mensch -
Geschichte.
Studien zur
Entwicklungsgeschichte
der klassischen bürgerlichen Philosophie, Berlin 1977; W . Markov/A. Soboul, 1789. D i e Große Revolution der Franzosen, Berlin 1973; H. Marcuse, Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie, Darmstadt-Neuwied 1962.
157
Lenin konspektiert nun aus Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" diesbezüglich die Bemerkung Hegels: „Der Mensch verhält sich mit seinen Bedürfnissen zur äußerlichen Natur auf praktische Weise; indem er durch dieselbe sich befriedigt, reibt er sie auf, dabei vermittelnd zu Werke gehend. Die Naturgegenstände nämlich sind mächtig und leisten mannigfachen Widerstand. Um sie zu bezwingen, schiebt der Mensch andere Naturdinge ein, kehrt somit die Natur gegen die Natur selbst und erfindet Werkzeuge zu diesem Zwecke.'*69 Am Rande des Konspekts vermerkt Lenin: „Ansätze des historischen Materialismus bei Hegel". 70 Hegel sah in der Arbeit die machtvolle Kraft zur Herausbildung und Entwicklung des Menschen. Von diesem Standpunkt aus bewertete er die Arbeitswerkzeuge: „. . . solches Werkzeug ist höher zu achten als der Naturgegenstand . . .".71 Am Rande notiert Lenin: „Hegel und Marx". 72 W. I. Lenin hat Hegel gründlich studiert. Er „las materialistisch" und merkte besonders die progressiven Ideen dieses Werkes an, die großen Einfluß auf die Entwicklung der Gesellschaftswissenschaft ausgeübt hatten. Besonders hoch schätzte Lenin die Einleitung in die „Philosophie der Geschichte" Er schrieb: „Am wichtigsten die Einleitung, wo in der Stellung der Frage vieles ausgezeichnet". 73 Bei der Lektüre von Hegels „Wissenschaft der Logik" schrieb Lenin folgende Überlegung nieder: „Hegel subsumiert die Geschichte vollständig unter die Kausalität und faßt die Kausalität tausendmal tiefer und reicher als eine Unmenge von .Gelehrten' heutzutage." lri Die Anmerkungen W. I. Lenins zu den Werken Hegels stellen einen bewundernswerten Wortwechsel zweier Genies dar. Lenins eindringliches Interesse an den Werken Hegels, seine hohe Wertschätzung für die Hegeische Dialektik im ganzen und für Hegels Herangehen an das Verständnis der echten Widersprüche in der Geschichte verbinden sich bei Lenin mit scharfer Kritik am Idealismus Hegels, an den willkürlichen Schemata seines Systems und an den inneren Unstimmigkeiten der Gedanken. Großes Interesse verdienen Hegels Gedanken zur Rolle großer Männer in der Geschichte. Hegel, der die ausschlaggebende Bedeutung der globalen objektiven Gesetzmäßigkeit des welthistorischen Prozesses betont, setzt zugleich in keiner Weise die Rolle der hervorragenden historischen Persönlichkeiten herab. E r betrachtet ihre Tätigkeit als den subjektiven Ausdruck der objektiven historischen Notwendigkeit. Bei den Romantikern, die von einer „göttlichen Genialität" der 69
G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, hier zit. nach: W. I. Lenin, Konspekt zu Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte", in: ders., Werke, Bd. 38, Berlin 1964, S. 301 f.
70
Ebenda, S. 301.
71
Ebenda, S. 302.
72
Ebenda.
73
Ebenda, S. 304.
7/
' G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik, hier zit. nach: W. I. Lenin, Konspekt zu Hegels „Wissenschaft der Logik", in: ders., Werke, Bd. 38, a. a. O., S. 151.
158
großen Männer schwätzten, finden wir eine so hohe Einschätzung der historischen Persönlichkeiten nicht. Bei Hegel ergab sich diese Art der Fragestellung aus seinem Verständnis der Geschichte als eines gesetzmäßigen und voranschreitenden Prozesses. Hegels Deutung der Taten der großen Persönlichkeiten in der Geschichte lehnt den psychologischen Aspekt bei der Untersuchung der Motive und Handlungen der Menschen nicht ab und bestreitet ihn nicht; sie unterstreicht im Gegenteil die Rolle und Bedeutung von Interessen und Leidenschaften in diesen Taten und Handlungen. Als grundlegendes und wichtigstes Kriterium stellt sie jedoch die objektive Notwendigkeit der großen Taten heraus und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Entdeckung der Gesetzmäßigkeit eines solchen Tuns, das in den allgemeinen Verlauf der Geschichte eingewoben ist. Hervorzuheben ist, daß - wie Hegel feststellt - welthistorischen Persönlichkeiten keineswegs „trockene Nüchternheit" eigen ist. Natürlich geben sie sich mit großer Leidenschaft ganz ihren Zielen hin. Wenn aber diese Leidenschaft dazu führt, daß die eigenen egoistischen Ziele mit den großen und „heiligen Interessen" des Volkes kollidieren, dann ist ein solches Verhalten nach Hegel moralisch zu verurteilen. 75 E s ist bemerkenswert, daß Hegel diese Position nicht im Sinne eines sentimental-naiven Moralisierens vertritt, sondern die Kraft des historischen Subjekts unterstreicht, das, von der Notwendigkeit und der allgemeinen Vernunft geleitet, politisch handeln muß und dabei gezwungen sein kann, Gewalt anzuwenden, „eine unschuldige Blüte zu zertreten und vieles auf ihrem Wege zu zerstören", um der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. 76 Bemerkenswerte Gedanken äußert Hegel nicht nur über die großen Persönlichkeiten. D i e Geschichte wird von Menschen, von Völkern gemacht. Jeder Mensch meint Hegel - ist Sohn seines Volkes, Sohn seiner Zeit. Die Völker sind im Grunde das, als was sich ihre Handlungen erweisen. Die Rolle des Interesses ist innerhalb des gesellschaftlichen Lebens gewaltig. D i e Menge der verschiedenartigen Interessen summiert sich, die Interessen kollidieren, kämpfen gegeneinander, und das Ergebnis wird der gesellschaftliche Fortschritt. Der tiefe Historismus und die Objektivität der Untersuchung der geschichtlichen Probleme heben Hegels „Philosophie der Geschichte" weit hinaus über alle möglichen psychologischen, subjektivistischen und moralisierenden Konzeptionen des Geschichtsprozesses, die von einem wissenschaftlichen Eindringen in das substantielle Wesen der Geschichte meilenweit entfernt sind. Gleichermaßen tiefgründig ist Hegels Gedanke, daß die Perioden des Glücks im Leben und in der Geschichte der Völker von kurzer Dauer sind. E s gibt keine vollständige Harmonie der Interessen im Leben der Gesellschaft; die Geschichte ist ein zutiefst widersprüchlicher Prozeß, ein Kampf unterschiedlich gerichteter K r ä f t e ; und gerade in diesem widerspruchsvollen Kampf geschieht das Werden und die Ent-
75
G . W. F. Hegel, D i e Vernunft in der Geschichte, Berlin 1966, S. 52 ff.
76
Siehe G . W. F. Hegel, Politische Schriften, Berlin 1970.
159
Wicklung des Neuen. In der Tat, die Weltgeschichte bietet ein keineswegs idyllisches Bild. Gesellschaftlicher Fortschritt - das ist Kampf der Interessen, der Menschenmassen, der Klassen und keine ruhige, konfliktlose Bewegung. Gesellschaftlicher Fortschritt - das ist der ständige Kampf der fortschrittlichen Kräfte mit den Kräften der Reaktion. Hegel hatte absolut recht, wenn er sagte, daß ununterbrochene Seiten von Glück und Harmonie in der Geschichte, wenn nur sie vorhanden sind, leere Seiten sind. Und zugleich spricht die ganze „Philosophie der Geschichte" Hegels gegen die Verwandlung der Menschheitsgeschichte in eine Tragödie, gegen die Verewigung des Tragischen im Leben der Menschen, im Leben der Gesellschaft. Alle voraufgegangene Geschichte ist die Geschichte des Kampfes der Klassen, der zum Sieg der fortschrittlichen Kräfte über die Reaktion führt. Diese Schlußfolgerung haben Marx und Engels auf der Grundlage des materialistischen Geschichtsverständnisses gezogen. Aber eine der theoretischen Quellen dieser Schlußfolgerung war die Dialektik Hegels, war Hegels dialektisches Eindringen in das Wesen der geschichtlichen Verhältnisse. Es war jedoch nötig, den „absoluten Geist" und die reaktionären Schlußfolgerungen Hegels, die sich aus den Erfordernissen seines Systems und aus seinen eigenen Klasseninteressen ergaben, zu eliminieren; anders ausgedrückt: Es bedurfte der materialistischen Umarbeitung der Hegeischen Ideen, um zu den Aussagen des „Manifestes der Kommunistischen Partei" zu gelangen. Das war eine grundlegende Wende in der Entwicklung der Gesellschaftswissenschaft, ein gigantischer Schritt voran - das Eindringen in das Wesen der historischen Entwicklung und eine Entdeckung von erstrangiger Bedeutung. Ohne die Dialektik Hegels hätte dieser neue Schritt voran jedoch nicht getan werden können. Das ist der Grund, weshalb die Marxisten aller Länder der Erde die Werke Hegels hoch in Ehren halten. Sie verstehen die inneren Widersprüche seines großen Geistes, sie lehnen die reaktionären Schlußfolgerungen seines Systems ab und verwerfen seinen Idealismus, zugleich bringen sie seiner genialen Dialektik hohe Wertschätzung entgegen. Hegels bemerkenswerter Gedanke, daß der Fortschritt in der Entwicklung des Bewußtseins der Freiheit bestehe, gibt - materialistisch gedeutet - Antwort auf die ständig diskutierte Frage, wie der gesellschaftliche Fortschritt zu verstehen sei. Es gibt Gründe, den gesellschaftlichen Fortschritt als die Entwicklung und Konsolidierung des realen Humanismus zu verstehen. Der reale, wirksame, echte und nicht abstrakte Humanismus besteht darin, eine Lage herbeizuführen, in der der Mensch vom Objekt der Geschichte zu deren Subjekt wird. Dieser Prozeß vollzieht sich durch den Übergang von einer gesellschaftlichen Formation zu einer anderen, höher entwickelten. Diese Ubergänge vollziehen sich über die Vergrößerung der Anzahl der Menschen, die bewußt die Geschichte gestalten. Subjekt des historischen Handelns ist im Feudalismus nur eine unbedeutende Minderheit. Zum Subjekt des historischen Handelns im Kapitalismus wird zunehmend die 160
zahlenmäßig starke Arbeiterklasse. Aber erst in einer Gesellschaft, in der es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gibt, in der es kein Privateigentum an Produktionsmitteln gibt, d. h. im Sozialismus, wird die überwältigende Mehrheit der Menschen zum Subjekt der Geschichte, der ökonomischen, kulturellen, politischen, wissenschaftlichen usw. W. I. Lenin hat den Gedanken von Marx, daß zusammen mit der Gewichtigkeit des geschichtlichen Handelns auch der Umfang der Masse wachsen werde, deren T a t dieses Handeln ist, als eine der tiefsten und wichtigsten Aussagen der Theorie von Marx bezeichnet. Lenin unterstrich, daß mit der Erweiterung und Vertiefung des geschichtlichen Schöpfertums der Menschen auch der Umfang jener Masse der Bevölkerung wachsen muß, die bewußter Gestalter der Geschichte ist. Darin realisiert sich der Fortschritt in der Entwicklung des Freiheitsbewußtseins. Lenin wies darauf hin, daß, je größer Umfang und Weite des Inhalts der historischen Aktionen selbst sind, je tiefer und bedeutender die Umgestaltung ist, die wir erreichen wollen, desto mehr das Interesse an dieser Umgestaltung gefördert und die Bewußtheit und Überzeugung der Millionen von Menschen, daß diese Umgestaltung notwendig ist, entwickelt werden muß; um so größer kann dann auch der Erfolg sein. Auf der Basis des dialektisch-materialistischen Geschichtsverständnisses gewinnt der Hegeische Gedanke vom Fortschritt des Freiheitsbewußtseins neues Leben und einen vollen Klang, wird er mit realem Inhalt erfüllt. D i e Frage nach dem Wesen des gesellschaftlichen Fortschritts gehört zu den Kardinalfragen in der Geschichtsphilosophie. Ohne den Sinn, den Charakter und das Wesen des gesellschaftlichen Fortschritts zu verstehen, gibt es auch keine Philosophie der Geschichte; und die Geschichtswissenschaft selbst wird dann zur empirischen Beschreibung der vorgefallenen Ereignisse, zum faktologischen Bericht über vergangene Dinge, zu einer Chronik der Ereignisse, die nicht einmal den Wert einer objektiven Darlegung besitzt, da ihr ein Kriterium der historischen Objektivität fehlt. Die Theorien der „ewigen Wiederkehr" und der „historischen Kreisläufe", die Prophezeiungen von der Unvermeidlichkeit des Niedergangs, der Katastrophen und des Untergangs aller Zivilisationen - das sind verschiedene Formen der Verneinung des gesellschaftlichen Fortschritts, die schon im 19. Jahrhundert aufgetaucht sind, besonders große Verbreitung aber auch in unserer Zeit gefunden haben. Einer scharfen Kritik unterziehen viele bürgerliche Ideologen den Grundsatz des Historismus überhaupt. 77 Schon 1932 bemerkt der Historiker Heussi, daß „die Krise des historischen Denkens" ausgebrochen ist und in allen Fragen sich die „schrillen Töne der antihistorischen Skepsis" breit machen. 78 „Niemand glaubt 77
Siehe H. Lübbe, Geschichtsbegrifi und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel-Stuttgart 1977.
78
11
K . Heussi, D i e Krisis des Historismus, Tübingen 1932, S. 21, 36. Mitin, Ideologischer K a m p f
161
mehr daran, daß sie (die Geschichte - d. V.) etwas lehrt", bemerkt resignierend Galletti, „niemand sieht in ihr wie früher eine große Schule der Moral, die die Geister zum Denken erzieht und die Ereignisse voraussehen und sie zu beherrschen lehrt." 79 Für Aron bedeutet der „Historismus" nichts anderes als eine „Philbsophie des historischen Relativismus". 80 Natürlich trifft ein solcher nihilistischer Antihistorismus nicht nur bei MarxistenLeninisten auf viele Einwände. 8 1 Und dennoch ist gerade der nihilistische Antihistorismus ein „Zeichen der Zeit". Das zeigt, wie tiefgründig Hegels Gedanken von der Notwendigkeit waren, historisch an die Geschichte heranzugehen. Sein vorzüglicher historischer Spürsinn ist auch in unserer Zeit noch lehrreich, er erhebt sich deutlich über den engstirnigen Empirismus und die oberflächliche Idiographie, die die Wissenschaft der Geschichte in eine pseudohistorische Klitterei verwandeln. Der dialektisch-materialistische Historismus des Marxismus, der den Historismus Hegels assimiliert und die Lehren der ökonomischen, politischen und geistigen Entwicklung der Gesellschaft theoretisch verallgemeinert hat, hat die Geschichtsphilosophie auf das Niveau einer wahrhaft wissenschaftlichen Disziplin gehoben. Was ist nun das Kriterium des historischen Fortschritts? Das ist natürlich eine komplizierte und vielseitige Frage. Turgot sah das Kriterium des Fortschritts in der Entwicklung des Intellekts, Spencer in der wachsenden Kompliziertheit des sozialen Organismus, Hegel meinte, daß die fortschreitende Entwicklung der Freiheit das Kriterium sei. Man könnte noch andere Definitionen des Fortschrittskriteriums anführen. Alle diese Definitionen weisen auf einige wirkliche Aspekte oder jedenfalls Elemente des gesellschaftlichen Fortschritts hin. Sie alle jedoch sind einseitig, während der Fortschritt im Verlaufe der Menschheitsgeschichte immer vielgestaltiger und vielseitiger wird. Die Philosophie des Marxismus-Leninismus weist nach, daß die verschiedenen Sphären der fortschreitenden Entwicklung der Gesellschaft nicht eindeutig definiert und charakterisiert werden können. Darum ist es wichtig, ein höchstes Kriterium des gesellschaftlichen Fortschritts zu finden, das - wie der Marxismus-Leninismus lehrt - die Entwicklung der Produktivkräfte ist. Dabei muß natürlich beachtet werden, daß Produktivkräfte nicht nur die Produktionsmittel sind, sondern auch der gesellschaftliche Mensch, der Mensch selbst in erster Linie. Der Marxismus-Leninismus erkennt bei der Einschätzung des Geschichtsverlaufs an, daß eine der Gesetzmäßigkeiten der Geschichte gerade in der progressiven Entwicklung der Menschheit besteht. Der gesellschaftliche Fortschritt ist unumkehrbar. Er verläuft von weniger entwickelten zu höher entwickelten Formen 79
A . Galletti, Natura e finalità della storia nel moderno pensiero europeo, Milano
1953,
S. 1 5 f. 80
R. Aron, La philosophie critique de l'histoire, Paris 1 9 5 0 , S. 9.
81
Vgl. I. S. Kon, Die Geschichtsphilosophie des 20. Jahrhunderts. Kritischer Abriß, Bd. 1 u. 2, Berlin 1 9 6 4 ; dazu auch in: Formationstheorie und Geschichte. Studien zur historischen Untersuchung von Gesellschaftsformationen im Werk von Marx, Engels und Lenin hg. von Ernst Engelberg und Wolfgang Küttler, Berlin 1 9 7 8 .
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des gesellschaftlichen Lebens, von weniger freien zu freieren Gesellschaften, von der geringeren Beteiligung der Massen am geschichtlichen Handeln zum umfassenderen historischen Handeln der Massen, von der geringeren zur größeren Freiheit der Persönlichkeit hin. Der Verlauf der historischen Entwicklung ist jedoch keineswegs geradlinig und einspurig und schließt rückläufige Bewegungen nicht aus. Eben darum hat Lenin hervorgehoben, daß es undialektisch, unwissenschaftlich und theoretisch falsch wäre, sich die Weltgeschichte als glatt und akkurat, ohne gigantische Sprünge, ohne Rückfälle in Vergangenes vorzustellen. Eine wichtige Besonderheit der marxistisch-leninistischen Fortschrittsauffassung ist auch der Begriff der Beschleunigung der gesellschaftlichen Entwicklung. Gemeint ist damit eine Zunahme des Entwicklungstempos. Es ist bekannt, in welch beispiellosem Tempo gegenwärtig die Produktion von materiellen Gütern, die Wissenschaft und die Kultur sowie das Vordringen des menschlichen Denkens in den Kosmos, in die Tiefen des Ozeans und in den Schoß der Erde wachsen, wie schnell schließlich auch die Bevölkerung des Erdballs zunimmt. Eine besonders bedeutende Beschleunigung des gesellschaftlichen Fortschritts beginnt nach dem Sieg der sozialistischen Revolution. Die Erfahrungen der UdSSR und der anderen sozialistischen Länder zeigen das überzeugend. Der MarxismusLeninismus tritt für die weitere größtmögliche Beschleunigung des Fortschritts, für die allseitige Erleichterung der Geburt des Neuen, für das Aufblühen des gesellschaftlichen Lebens und der Persönlichkeit, des Menschen, ein. Auch Hegels „Philosophie der Geschichte" ist durchdrungen von den Ideen des historischen Optimismus. Einige Vertreter eines hegelianisierenden Existentialismus oder existentialistischen Hegelianertums stellen - wenn sie von der Geschichte und vom Fortschritt sprechen - das Tragische in der Geschichte in den Vordergrund und verabsolutieren es. Die Geschichte der Menschheit verwandelt sich bei ihnen in einen ständigen Prozeß der Selbstverneinung, Selbstentfremdung und Selbstzerstörung. Eine solche Interpretation der Geschichte widerspricht der Dialektik, denn sie verabsolutiert metaphysisch die Negation und überantwortet Hegels überaus wichtigen Satz, daß auch die Negation aufgehoben werden muß, der Vergessenheit! In diesem Sinne ist aber die Negation der Negation im Endeffekt Position. Das Tragische ist zweifellos ein Element der Menschheitsgeschichte; doch die Geschichte ist nicht die Geschichte des Tragischen. Marx hat im „Kapital" die tragische Geschichte der ursprünglichen Akkumulation gezeigt. Lenin schrieb über den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus: „Und das Ergebnis war, daß die Geschichte sich über diese, an Kriegen und Tragödien (Tragödien ganzer Volker) ungewöhnlich reiche Epoche hinweg vom Feudalismus zum .freien' Kapitalismus entwickelte." 82 Die Geschichte des Kolonialismus ist eine Tragödie nicht nur von Völkern, sondern auch ganzer Kontinente. Tragisch ist das 20. Jahrhundert mit seinen 82
11*
W . I. Lenin, Ein unglückseliger Frieden, in: Werke, Bd. 27, Berlin 1 9 6 0 , S. 3 5 f.
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Weltkriegen, mit dem menschenfeindlichen Faschismus, mit den von ihm hervorgebrachten Konzentrationslagern, Gaskammern und teuflischen Verbrennungsöfen zur Vernichtung von Millionen von Menschen. Und zugleich kann die Geschichte der Menschheit nicht auf eine Tragödie reduziert werden. Mit einem Sieg der fortschrittlichen Kräfte endete der große Krieg gegen den Faschismus. D i e „tragische Dialektik" ist kein authentisches Verständnis der Hegeischen Dialektik. Um so entschiedener wendet sich die marxistisch-leninistische Dialektik des historischen Optimismus gegen die „tragische Dialektik". Im 19. Jahrhundert glaubten die Philosophen und Soziologen an den gesellschaftlichen und individuellen Fortschritt, an die Fortentwicklung der Gesellschaft. Auguste Comte vertrat die Auffassung, daß alle großen geschichtlichen Epochen lediglich Phasen ein und derselben fundamentalen Evolution sind, innerhalb der die eine Phase aus der vorangegangenen hervorgeht und die Keime für die nächste in sich reifen läßt. Bei aller Anerkennung für den von Comte in diesem Zusammenhang vertretenen Fortschrittsgedanken muß man allerdings beachten, daß der Fortschritt idealistisch begriffen wurde als Evolution zur menschlichen Weisheit, als Entwicklung allein der geistigen Kultur. „Um die legitimen Rechte des soziologischen Geistes auf die ungeteilte philosophische Vorherrschaft im Prinzip zu verstehen", bemerkt Comte bei der qualitativen Höherstufung des soziologischen gegenüber dem philosophischen Denken, „genügt es, . . . alle unsere Geistesschöpfungen, ohne Ausschluß selbst der positiven, als . . . notwendige Ergebnisse einer Folge von bestimmten Phasen unserer zugleich persönlichen und allgemeinen geistigen Evolution zu betrachten, die sich nach unveränderlichen Gesetzen vollzieht, von denen die einen statische, die anderen dynamische sind." 8 2 Spencer verteidigte bekanntlich den Gedanken von der Fortentwicklung der Gesellschaft und identifizierte diese Entwicklung mit der natürlichen Evolution. Und überhaupt entwickelte nicht nur Hegel in der „Philosophie der Geschichte" die Idee des Fortschritts in der Geschichte. Die Idee der gesellschaftlichen Vorwärtsentwicklung fand sich bei den meisten Philosophen und Soziologen der aufstrebenden Bourgeoisie, unabhängig davon, wie sie den Fortschritt deuteten. Dann aber beginnt das 20. Jahrhundert, in dem sich in gigantischen und früher unbekannten Maßstäben gewaltige soziale Konflikte entfalten. In der Philosophie und Soziologie werden betrübte Töne laut - vom Niedergang und Untergang der Gesellschaft, vom E n d e der Zivilisation und - im günstigsten Falle - von der trostlosen Wiederholung dessen, was schon einmal war. Arnold Toynbee, den viele als den Patriarchen der englischen Geschichtswissenschaft betrachten, unternahm in seinem weitverbreiteten historischen Werk den Versuch, eine eigene Interpretation der Weltgeschichte zu geben, in der die Verneinung der Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlichen Fortschritts offenbar ist.'"4 Die einzig mögliche progresA. Comte, Soziologie Bd. 3, Jena 1923, S. 561. 84
Siehe A. J. Toynbee, Der G a n g der Weltgeschichte, Bd. 1 : Aufstieg und Verfall der Kulturen 1/2; Bd. 2: Kulturen im Übergang 1/2, München 1970.
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sive Bewegung ist nach Toynbees Lehre der Fortschritt in der Religion. Toynbee stimmt Spenglers Ansicht zu, daß die Geschichte eine Serie voneinander unabhängiger lokaler Zivilisationen sei. Die Negierung des gesellschaftlichen Fortschritts gründet sich faktisch auf die Negierung der Existenz einer Weltgeschichte als solcher, d. h. als einer sich historisch verwirklichenden Einheit der Menschheit. Ein bedeutender Vertreter der Kreislauftheorie war Pitirim A. Sorokin. Die Geschichte, behauptete er, erinnere an ein Symphonieorchester, das jedes Mal von neuem ein und dasselbe Thema wiederhole. Die sich ewig wiederholende Gruppe von Elementen der Geschichte bilde einen Zyklus der „kulturellen" (geistigen) Veränderung, der das Leben jeder beliebigen Zivilisation kennzeichne. Das Wesen der Geschichtsphilosophie besteht nach Sorokin darin, den zyklischen Prozeß der Wiederholung des Geistigen im Verlaufe der Weltgeschichte zu studieren. 85 Alle Kreislauftheorien - wie die von Spengler, Toynbee und Sorokin - sind ein typisches Produkt der Epoche des Niedergangs der kapitalistischen Zivilisation, der Erschöpfung ihrer geistigen Kraft und des Zusammenbruchs jener Werte, die die bürgerliche Ordnung in ihrer progressiven Entwicklungsphase hervorgebracht hat. Beschränkt durch den engen Rahmen dieser Ordnung und außerstande, die wahren historischen Tendenzen sowie die Geburt neuer Verhältnisse, einer neuen geistigen Kultur und neuer Werte im Leben und in der Arbeit von Millionen von Menschen zu erkennen, gelangten die oben genannten Philosophen und Soziologen zur Verneinung der wichtigsten Kategorien der Geschichtswissenschaft: der sozialen Gesetzmäßigkeit, des Fortschritts und der voranschreitenden Entwicklung der Wissenschaft von der Gesellschaft, d. h. jener Kategorien, deren Anwendung die Geschichtswissenschaft erst zur Wissenschaft macht. Drei Haupterscheinungen bestimmen den Charakter der Gegenwart - das zunehmende Wachstum des Sozialismus, der Zusammenbruch des Kolonialsystems des Imperialismus und die in ihrer Kraft und Tiefe beispiellose wissenschaftlichtechnische Revolution. In der sozialen Struktur vieler Länder gehen fundamentale Veränderungen vor sich. Das stürmische Wachstum der Länder des Sozialismus erfordert ein tiefes Verständnis der Gesetzmäßigkeiten ihrer Entwicklung. Die Dynamik unserer Zeit kennt kein vergleichbares Beispiel aus der Vergangenheit. Kein Wissenschaftler, der sich mit der Geschichte befaßt, der versucht, in den Verlauf der Ereignisse einzudringen und ihren Sinn zu verstehen, kann an diesen kardinalen Tatsachen der Gegenwart vorübergehen. Hegels „Philosophie der Geschichte", die das Vorhandensein von Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit der Ereignisse des gesellschaftlichen Lebens unterstreicht und ein historisches Herangehen an diese Ereignisse verlangt, warnt vor subjektivistischer Willkür bei der Deutung der Ereignisse. Hegel hat den Gedanken herausgestellt, daß der Sinn der Geschichte im Fortschritt des Freiheitsbewußt85
Siehe I. S. Kon, Der Positivismus in der Soziologie. Geschichtlicher Abriß, Berlin 1968, bes. Kap. VII: Von der historisch-evolutionären Soziologie zur empirischen Wissenschaft vom „sozialen Verhalten", S. 162 S.
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seins besteht, er hat die Rolle der Arbeitswerkzeuge für die Bezwingung der N a turkräfte hoch bewertet und die Rolle der großen Persönlichkeiten in der Geschichte sowie zugleich die Bedeutung der Aktivität der Völker in vieler Hinsicht richtig erkannt. D i e „Philosophie der Geschichte" Hegels bestätigte die Vernünftigkeit der Französischen Revolution des 18. Jahrhunderts und anderer progressiver Erscheinungen in der Geschichte. Ungeachtet ihres Idealismus, ungeachtet des toten, erstarrten Systems Hegels enthält die Dialektik Hege!s methodologische Richtlinien, die auch heute noch für das Verständnis der Erscheinungen der Gegenwart von Bedeutung sind. Vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus als der höchsten Entwicklungsstufe im gesellschaftlichen Denken ist das Wachstum des Kommunismus in der modernen Welt gesetzmäßig und notwendig; und trotz der Mächtigkeit der ihm widerstrebenden Kräfte und des äußerst widersprüchlichen Charakters der gesellschaftlichen Erscheinungen der Gegenwart wird der Kommunismus siegen. D i e welthistorische Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland und ihr Einfluß auf den gesamten Verlauf der Geschichte der Menschheit bestätigen sich. D a s ist der vernünftige Sinn der Geschichte, das Ergebnis des Fortschritts im Bewußtsein und in der Verwirklichung der Freiheit! D i e Entkolonialisierung ganzer Kontinente, der Aufschwung der nationalen Befreiungsbewegungen und der Eintritt vieler Völker, die früher nur Objekte der Geschichte waren, in die Arena des selbständigen Handelns - das ist ein gesetzmäßiger, fortschreitender Prozeß. Dasselbe trifft auf die epochalen Errungenschaften der modernen Wissenschaft und Technik, auf das ungewöhnliche Wachstum der wissenschaftlichen Information und der geistigen Reichtümer der Völker zu - dies alles kann im Rahmen der von Hegel formulierten Gesetze der geschichtlichen Bewegung, wenn man sie materialistisch deutet, begriffen werden. Hegels „Philosophie der Geschichte" ist für uns Marxisten ein Verbündeter im Kampf gegen die modernen reaktionären geschichtsphilosophischen Konzeptionen. D i e „Philosophie der Geschichte" Hegels richtet sich auch heute gegen jene, die nicht die Einheit und Kontinuität in der Geschichte sehen, gegen jene, die die vielfältige Geschichte der Menschheit auf sich gegenseitig bedingende einzelne Zivilisationsherde reduzieren. Hegels „Philosophie der Geschichte" ist zutiefst optimistisch. Sie richtet sich auch gegen diejenigen, die in der Geschichte nur eine ständige Tragödie sehen, die die Widersprüche der Geschichte verabsolutieren und den aufsteigenden, progressiven Prozeß in der Geschichte nicht verstehen oder bestreiten.
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KAPITEL 4
Die Probleme der wissenschaftlich-technischen Revolution und des Menschen im gegenwärtigen ideologischen Kampf
Großen Raum in der bürgerlichen Ideologie nehmen - wie bereits festgestellt •wurde - die Fragen der wissenschaftlich-technischen Revolution, der Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie der Folgen dieser Entwicklung und die weiteren Perspektiven und Wege zur Lösung der drängenden Probleme ein, die sich im Zusammenhang mit dieser Entwicklung gegenwärtig ergeben. Immer brennender wird in diesem Zusammenhang auch das Problem des Menschen im gegenwärtigen ideologischen Kampf. Die Untersuchung der Probleme des Menschen von den Positionen der bürgerlichen und der marxistisch-leninistischen Methodologie geht von unterschiedlichen ideologischen Konzeptionen, von unterschiedlichen Einschätzungen der Wirklichkeit aus. Der Marxismus-Leninismus geht bei der Betrachtung der Probleme des Menschen von seiner allgemeinsoziologischen Konzeption - dem historischen Materialismus - aus. Die wichtigsten methodologischen Forderungen einer marxistischleninistischen Analyse gesellschaftlicher Erscheinungen und Prozesse sind dabei die konkrete historische Analyse dieser Erscheinungen, das konsequente soziale und klassenmäßige Herangehen an diese Erscheinungen sowie schließlich die maximale Berücksichtigung der Aktionen der Massen unter den bestimmten sozialen Bedingungen und in den entsprechenden Situationen. Die Hauptforderung einer marxistischen Analyse der Situation des Menschen in der gegenwärtigen Gesellschaft besteht darin, dieses wichtige, aktuelle Problem historisch konkret zu untersuchen. Die Prozesse der wissenschaftlich-technischen Revolution sind in den kapitalistischen und den sozialistischen Ländern äußerlich, technologisch und in einigen anderen wissenschaftlichen und technischen Merkmalen und Kennziffern ähnlich. Doch sie unterscheiden sich wesentlich voneinander, was ihren gesellschaftlichen Charakter, ihr soziales Wesen, die Formen ihres Verlaufs, die technischen und sozialen Folgen sowie die sich aus ihnen ergebenden Resultate und Schlußfolgerungen angeht. Der XV. Weltkongreß für Philosophie zeigte, daß die bürgerlichen Philosophen und Soziologen keine in irgendeiner Weise ganzheitliche Theorie der wissenschaftlich-technischen Revolution und ihrer sozialen Folgen besitzen. Mehr noch, die bis heute existierenden konzeptionellen Erklärungen des wissenschaftlich-technischen 167
Fortschritts, die im Rahmen der bürgerlichen Philosophie und Soziologie entstanden sind, haben ihre ehemalige „Solidität" und „Gewichtigkeit" verloren. 1 Der marxistisch-leninistischen Theorie der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung, die die wissenschaftlich-technische Revolution im engen, organischen Zusammenhang mit der sozialen Revolution betrachtet, steht ein weiter Kreis von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ansichten gegenüber: von der Apologetik der „reinen Wissenschaft und Technik" bis zu verschiedenartigsten technophobischen Utopien. D a s sogenannte „technokratische Bewußtsein", das im vergangenen Jahrzehnt einen wahren Boom in der bürgerlichen Philosophie und Soziologie ausgelöst hat, erlebt heute eine offensichtliche weltanschauliche Krise. Der blinde Glaube an die Allmacht der Technik hat sich in den letzten Jahren arg verschlissen. Und mögen auch einzelne bürgerliche Autoren nach wie vor vom Pathos des sup.erindustriellen Kapitalismus durchdrungen sein, die einseitig pragmatischen, technokratisch-optimistischen Illusionen lösen bei den meisten Philosophen heute unverhüllte Ironie aus. Eine andere charakteristische Linie in der Behandlung der gegenwärtigen wissenschaftlich-technischen Revolution durch die bürgerlichen Soziologen besteht in dem Versuch, die „Schädlichkeit" des technischen Fortschritts überhaupt nachzuweisen. Doch die vereinzelten Aufrufe, die soziale und technische Entwicklung zu „stoppen", treffen in der Welt der Wissenschaft, bei ernsthaften Wissenschaftlern auch bürgerlicher Herkunft ebensowenig auf Gegenliebe wie die Appelle zur Rückkehr zu patriarchalischen Verhältnissen, zum Rousseauismus. Die dritte Linie schließlich - der Versuch einer Synthese der einen wie der anderen Betrachtungsweise - trägt den Charakter eines krassen Eklektizismus, eines armseligen Kompromisses. Als signifikantes Beispiel für die Unfähigkeit des bürgerlichen philosophischen Denkens, Antworten auf die Probleme zu finden, die der Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung, der Entwicklung von Wissenschaft und Technik aufwirft, kann die Position der Mehrzahl führender amerikanischer „Sowjetologen" und „Spezialisten" für sowjetische Philosophie dienen. D a s Fehlen jeglicher klaren sozialen Perspektive sowie das Fehlen einer konsequent wissenschaftlichen Untersuchungsmethode nimmt ihren Proklamationen jeglichen Aussagewert. Man konstatiert, daß die Technik einerseits nicht nur die produktiven Fähigkeiten des Menschen vergrößere, sondern auch sein Verhältnis zu den Ergebnissen der Arbeit, zur Natur und zu sich selbst verändere und neue Mittel für die Bereicherung von Kultur und Kunst liefere. Zugleich beherbergten die Wissenschaft und die 1
Siehe Mensch, Wissenschaft und Technik im Sozialismus. Beiträge zum X V . Internationalen Kongreß für Philosophie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderheft/1973; G . Bohring, Technik im Kampf der Weltanschauungen. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung der marxistisch-leninistischen Philosophie mit der bürgerlichen „Philosophie der Technik", Berlin 1976.
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Technik aber auch gefährliche Potenzen - die Möglichkeit der atomaren Vernichtung der Menschheit. Dies bringe eine Reaktion gegen die in der Technik verkörperte Vernunft hervor, was zu einem wachsenden Interesse an der Magie, am Bereich des Okkulten, am Mystizismus führe. Nachdem diese Widersprüche hervorgehoben worden sind, gelangt man schließlich zu folgender armseliger Schlußfolgerung: D i e Technik sei die praktische Kulmination des „analytischen Verstandes". Außer dem „analytischen Verstand" gäbe es jedoch noch einen „synthetischen" und einen „dialektischen Verstand". Der „dialektische Verstand" verbinde und verklammere die beiden anderen Arten des Verstandes. D i e Verwirklichung der „kritischen Funktion" des Verstandes schließe alle diese drei Aspekte ein. Die Aufgabe und Funktion der Philosophie bestehe eben im Begreifen der Widersprüche der modernen Entwicklung. D a s ist die im Grunde inhaltslose, jeglicher neuer Gedanken und Perspektiven bare Antwort auf aktuellste Probleme der wissenschaftlich-technischen Revolution. Eine weitere Position, die für viele bürgerliche Ideologen innerhalb dieses Problemkreises typisch ist, wird durch die Aufteilung der Errungenschaften von Wissenschaft und Technik in solche, die zu Optimismus Anlaß geben, und solche, die zu Pessimismus Anlaß geben, gekennzeichnet. Dabei läßt die Trennung vor allem zweierlei erkennen: 1. den technologischen Pessimismus, der behauptet, daß sich der Mensch mit der Entwicklung der Technik immer mehr von seiner wahren Natur entfernt; 2. den technologischen Optimismus, der davon ausgeht, daß der Mensch gerade durch die Entwicklung der Technik die Macht gewinnt, die seinem menschlichen Wesen entspricht. Auf der Grundlage von Überlegungen über die Unzulänglichkeiten der ersten wie der zweiten Konzeption wird der Rat erteilt, der Mensch solle sich in seinem Verhältnis zur Natur weder von technologischem Optimismus noch von technologischem Pessimismus, sondern von technologischer Vorsicht leiten lassen. D a s bedeutet, daß der Mensch sowohl die biologischen als auch die sozialen Folgen technologischer Neuerungen berücksichtigen soll, daß er vorsichtig voranschreiten soll, ohne in eines der genannten Extreme zu verfallen. Auch der sogenannte Vater der Futurologie, O. K . Flechtheim, hat sich wiederholt mit diesem Problemkreis beschäftigt und dabei vor allem versucht, die Probleme der Menschheit unter dem Gesichtspunkt der Stellung des Menschen in den Widersprüchen seiner Zeit zu lösen. Wegen seines gesellschaftskritischen Ansatzpunktes bezeichnete Flechtheim sich als Vertreter einer „kritischen Futurologie", im Unterschied zur „konservativen", deren Ziel die Apologetik des staatsmonopolistischen Kapitalismus sei. Flechtheim kritisierte eine Reihe von Widersprüchen der modernen bürgerlichen Gesellschaft und bemühte sich gleichzeitig, den Gegensatz zwischen der bürgerlichen Futurologie und den sozialistischen Zukunftsforschungen, die Widersprüche zwischen Sozialismus und Imperialismus zu überwinden. Doch bei ihrer Suche nach einem sogenannten „dritten W e g " stellten sowohl Flechtheim als auch andere bürgerliche Ideologen den technokratischen Illusionen der Apologeten des staatsmonopolistischen Kapitalismus höchst ver169
schwommene Programme entgegen, die sich gleichzeitig auch gegen den „dogmatischen Materialismus" und den Marxismus überhaupt richteten. 2 Als eines der brennendsten Probleme im ideologischen Kampf trat in der bürgerlichen philosophischen Literatur das sogenannte Problem der „Humanisierung" der Technik in Erscheinung. Seine Analyse ist heute besonders aktuell. N i e zuvor in der Geschichte der Menschheit hat der Fortschritt eine so konkrete, vergegenständlichte, materialisierte Form in der Entwicklung von Wissenschaft und Technik gefunden. Die Entwicklung hat wahrhaft planetare Maßstäbe angenommen, ihre gigantischen Möglichkeiten sind offenbar geworden. Auf dieser neuen industriellen Grundlage sind Ergebnisse erreicht worden, die die Vorstellungen selbst der kühnsten Phantasten in den Schatten stellen. (Merken wir in Klammern an, daß vieles von dem, was von der Technik heute geschaffen worden ist, nach Jules Vernes Meinung erst im 30. Jahrhundert erreicht werden sollte.) Gleichzeitig ist während der gesamten Geschichte der Menschheit die reale Bedrohung der Zivilisation nie so groß gewesen, wie sie es heute ist. N i e zuvor hat es so krasse Erscheinungen der Entpersönlichung und Unterdrückung des Menschen gegeben, wie sie heute in der bürgerlichen Welt zu beobachten sind. Nach Ansicht auch vieler bürgerlicher Philosophen ist der Mensch allmählich zu einem Anhängsel der Technik, zu einem Objekt der Manipulation und Unterdrückung geworden. Der Gedanke, daß die technische Entwicklung in Gegensatz zu den geistigsittlichen und kulturellen Werten der Persönlichkeit geraten ist, durchzog alle Werke des englischen Philosophen und Historikers A. Toynbee. Der Mensch, schrieb er in einer seiner Arbeiten, ist zum Sklaven der von ihm selbst für sich geschaffenen Lebensbedingungen geworden und muß nun teuer für seinen Wohlstand zahlen, muß mit dem Verlust von Freiheit und Glück zahlen. 3 „ D i e Technik", schrieb J. Ellul, einer der entschiedensten Kritiker der technokratischen Gesellschaft, „reduziert den Menschen unvermeidlich auf ein technisches Tier, auf eine Art Sklaven der Technik. D i e menschliche Wandelbarkeit wird zerstört vor dieser Notwendigkeit; es kann keine menschliche Autonomie gegenüber der technischen Autonomie geben." 4 Man könnte die Reihe solcher Feststellungen beliebig fortsetzen. Im ganzen jedoch ist für die Theorien der bürgerlichen Philosophen und Soziologen, die sich mit den Problemen der technologischen Gesellschaft und der Persönlichkeit beschäftigen, charakteristisch, daß darin keine Wege zur Veränderung jenes antihumanen Systems der gesellschaftlichen Verhältnisse vorgeschlagen werden, das 2
3
4
Siehe O. K . Flechtheim, Ausblick in die Gegenwart. Sieben Dialoge. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Robert Jungk, München 1974. Siehe A. J. Toynbee, Der Gang der Weltgeschichte, Bd. 2, Kulturen im Übergang, München 1970, S. 419 ff. J. Ellul, The Technological Society, New York 1964, S. 138.
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so.hart und gnadenlos über die menschliche Persönlichkeit herrscht und das von diesen Autoren in einer- Reihe von Fällen so kritisch beschrieben wird. Diesen Wissenschaftlern wird zunehmend nicht nur der kritikwürdige Zustand dieses Systems bewußt, in dem sie leben und arbeiten, sondern auch der allgemeine krisenhafte Zustand der Kultur, der gesamten Wissenschaft und insbesondere der sogenannten Geisteswissenschaften unter den Bedingungen des Kapitalismus. 1 Die Ursachen für diesen Zustand des Systems sah man im Verlust des religiösen Gefühls, darin, daß in der Gesellschaft die Macht des Gedankens, des Wissens und der Wahrheit fehle (Ellul, Toynbee), oder einfach darin, daß im sozialen Bewußtsein die irrationale Grundlage dominiere (G. Picht). In diesem Falle wurden solche „Rezepte" vorgeschlagen wie, die gesamte Machtfülle bewußt in die Hände der Wissenschaftler, nicht aber der Politiker zu geben. Das „social-engeneering" solle Wege zur Überwindung der Krise der gesellschaftlichen Verhältnisse und zur Verbesserung der Lage des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft ausfindig machen. Die Schöpfer solcher Konzeptionen, die die Notwendigkeit revolutionärer Veränderungen bestreiten, sehen Mittel für die Vervollkommnung der Persönlichkeit, sehen die Möglichkeit, den Menschen ein „wahrhaft menschliches Leben" zu gewährleisten, nur in der „Humanisierung des Systems" (Fromm), in der Entwicklung einer „Technik der Anpassung an die Veränderungen" (Toffler), in der Vervollkommnung des Bildungsprozesses und ähnlichen Utopien. .•Die fortschrittsfeindlichen und antitechnizistischen Stimmungen sind nicht erst heute entstanden. Schon in den dreißiger Jahren fanden die Motive des Bergsonschen Irrationalismus und der Berdjaevschen Richtung eine gewisse Verbreitung. „Die Menschheit", verkündete Henri Bergson, „stöhnt, halb erdrückt unter dem Gewicht jenes Fortschritts, den sie selbst vollbracht hat". „Fort von Wissenschaft und Technik; zurück, zum feudalen Dorf!", schrieb schon in den fünfziger Jahren der französische Philosoph Bardet. 5 In den letzten Jahren haben Stimmungen dieser Art eine sehr weitgehende öffentliche Anerkennung gefunden. Sie begannen, in gewissem M a ß e den gesamten Stil und Inhalt der bürgerlichen Ideologie zu bestimmen. 1972 erschien in der Serie „Perspektiven des Humanismus" ein Buch des amerikanischen Soziologen und Ehrenprofessors der Universitäten von Chikago und N e w York, Hans S. Morgenthau, mit dem Titel „Wissenschaft: Dienerin oder Herrin?". Der Autor schrieb, daß die Menschheit schon seit zwei Jahrhunderten den Triumph des wissenschaftlichen Herangehens an die Probleme des Menschen erwarte. Diese Erwartung habe getrogen. 6 Morgenthau, der einige Aussagen des Marxismus-Leninismus, insbesondere die These von der Rolle der ökonomischen Interessen in der Geschichte berücksichtigte, meinte, daß die gegenwärtige Politik eine unabwendbare Bedrohung für 5
Zitiert nach: Nauka i obscestvo, Moskva 1975, S. 16 f. Siehe H. S. Morgenthau, Science: Servant or Master?, New York 1972.
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die Menschheit in sich berge. „In unserer Geschichtsperiode entspringt die Bedrohung für die menschliche Existenz aus der Politik, d. h. aus dem menschlichen Streben nach Macht über andere Menschen. So ist es schon immer gewesen. Doch bis vor kurzem verbarg sich die Politik als Kampf um die Macht vor der wissenschaftlichen Erkenntnis hinter dem Schleier von Ideologien, die den elementaren Bestrebungen und den daraus entstehenden Konflikten den Anschein von etwas ganz anderem verliehen, nur nicht von dem, was sie in Wirklichkeit sind: nämlich ein Zusammenstoßen von unvereinbaren Ideen und Idealen, von materiellen Interessen, vor allem von wirtschaftlichen." 7 Immer häufiger ist bekanntlich in der bürgerlichen Ideologie in den letzten Jahren die These angezweifelt worden, daß eine maximale Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschritts automatisch die Lösung der menschlichen Probleme ermöglichen werde. Zum Beispiel stellte M. Tadlok, der Leiter der Vereinigung für Probleme der Analyse und der Strategie der Planung sozialer Veränderungen der USA, fest, daß „eine neue Welle des Pessimismus" die Gesellschaft erfaßt habe, und er rief dazu auf, eine Dosis „gesunden Optimismus" ausfindig zu machen, denn nur sie, diese Dosis, könne den Glauben daran sicherstellen, daß die Welt überleben werde und mit ihr auch der Mensch überleben werde. 8 Ein anderer Autor, der amerikanische Soziologe Phillipp Rieff von der Pennsylvania-Universität, meinte, Optimismus werde der Welt kaum helfen, denn „die apokalyptischen Ereignisse werden für den Menschen eher eintreten als das ihm von der technologischen Gesellschaft versprochene Paradies". 9 Immer häufiger betonten die bürgerlichen Autoren die Unkontrolliertheit und Spontaneität der sozialen Entwicklung in der bürgerlichen Welt, die Ausweglosigkeit der menschlichen Existenz. Bekundungen der Fortschrittsfeindlichkeit und des Antitechnizismus enthalten keinerlei positives Programm. Sie schaffen lediglich eine Atmosphäre des endlosen Wehklagens über das „industrielle Übel" und die „Getriebenheit" des Menschen. Dieser Ton einer krankhaften, pessimistischen Analyse der Situation des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft bringt dem Menschen weder Befreiung von den Antagonismen der kapitalistischen Ordnung noch Nüchternheit in der Einschätzung der realen Ursachen von Entfremdung und Entpersönlichung, geschweige denn eine Erleichterung seines Schicksals. Viele bürgerliche Philosophen sprechen von der Allmacht der Technik. Doch zur gleichen Zeit leidet ein gewaltiger Teil der Menschheit, die sogenannte „dritte Welt", unter dem Mangel an Technik. Die Probleme des Fortschritts werden erörtert; und zur gleichen Zeit werden in der bürgerlichen Welt enorme Anstrengungen unternommen, um den Untergang der überlebten sozialökonomischen Formation aufzuhalten. Da wird an der Lösung kompliziertester Probleme 7 8 9
Ebenda, S. 30. Zitiert in: It's not too Late, New York 1971, S. XIII. Ph. Rieff, Can We Survive Our Future?, London 1972, S. 44 f.
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des geistigen Lebens der Menschheit gearbeitet; und zur gleichen Zeit leiden gewaltige Massen von Menschen auf der Erde unter Hunger, sozialer Ungleichheit, Rechtlosigkeit, Unwissenheit, unter dem Mangel an elementarer Kultur. Diese Widersprüche und Paradoxa der Gegenwart sind keine philosophischen oder soziologischen Antinomien. Sie erfordern eine Lösung. In der Behandlung des Problems der „Humanisierung" der Technik lassen sich eine Reihe von Gesichtspunkten unterscheiden: die Rolle der Technik in der geschichtlichen Entwicklung, die positiven und die negativen Folgen der Anwendung der Technik, die Veränderung der Lebensbedingungen der Menschen unter dem Einfluß der wissenschaftlich-technischen Revolution, die Grenzen und die Möglichkeiten revolutionärer Umgestaltungen der Gesellschaft auf der Grundlage des technischen Fortschritts sowie die Situation der Persönlichkeit und die Perspektiven ihrer Entwicklung in einer technisierten Welt. In der bürgerlichen Soziologie und Philosophie werden die Begriffe Mensch und Technik heute mit widersprüchlichen Sinngebungen gebraucht. Oft wird die Technik als Symbol allen Übels und aller tückischen Fallen angesehen, die den W e g der Menschheit gefährden. In diesem System von Gegenüberstellungen wird auch der Mensch (als Antipode der Technik) entweder in eine Allegorie des Guten und der Hoffnung oder aber des Bösen und der Trostlosigkeit, jedenfalls in ein über den Klassen stehendes und faktisch außergesellschaftliches Wesen verwandelt. In einer Reihe philosophischer Konzeptionen, die von verschiedenen Vertretern der sogenannten Frankfurter Schule entwickelt wurden, ist die Technik in einen Usurpator der Geschichte und der Mensch in eine passive Figur verwandelt worden, die von geheimen und blinden Kräften terrorisiert wird. Man kann die realen sozialen Prozesse, die tatsächlich mit der wissenschaftlichtechnischen Revolution und dem Streben des Menschen nach sozialer Befreiung verknüpft sind, natürlich nicht verstehen, wenn man - wie viele bürgerliche Forscher - diese aktuellen Fragen auf Metaphern, abschreckende Beschwörungen und klassenlose Abstraktionen reduziert. Für die marxistisch-leninistische Philosophie sind „Technik" und „Mensch" niemals abstrakte, symbolische Kategorien gewesen. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß Marx weitaus mehr als die gesamte spätere bürgerliche Philosophie für die Aufdeckung der wahren Bedeutung der Technik als eines gesellschaftlichen Phänomens geleistet hat. Marx lehnte die abstrakt-aufklärerische Vorstellung von der Technik sowie die beschränkt technologischen Denkschemata von der Technik ab und führte zum ersten Mal in der Geschichte der Philosophie die Untersuchung des Phänomens Technik in das System der Klassenanalyse ein. Man könnte das von uns aufgegriffene Problem so formulieren: Ist die Technik ihrer inneren Bestimmung nach tatsächlich antihuman? Vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus ist die Technik an sich weder human noch antihuman. Im sozialen Kontext, im System der gesellschaftlichen Verhältnisse kann sie jedoch bestimmte Wertbedeutungen annehmen und tut das auch wirklich. Die Vorstellung von der Humanitätsfeindlichkeit der Technik stellt eine Form des verkehrten 173
Bewußtseins dar, das faktisch die Vetabsolutierung der negativen Seiten der kapitalistischen Ausnutzung der Technik widerspiegelt. Andererseits lehnt der Marxismus-Leninismus auch die abstrakt optimistische Auffassung ab, die in dei" Technik die einzige Determinante des gesellschaftlichen Fortschritts sieht. Unter den Vertretern der bürgerlichen Philosophie hat sich indessen die Mei^ nung herausgebildet, der Marxismus-Leninismus betrachte die Technik ausschließlich als etwas unbestreitbar Positives. Viele Autoren meinen, diese These ergebe sich logisch aus der marxistischen Analyse der Technik und der Produktivkräfte insgesamt als der objektiven Ursache für die Entstehung der bürgerlichen Zivilisation und dann, auf Grund der Entstehung und Entwicklung der Arbeiterklasse, als der Determinante für die unausweichliche Durchsetzung der kommunistischen Gesellschaft. Der Marxismus enthalte also eine eindeutig positive Wertbestimmung der Technik. So meinte zum Beispiel Martin Heidegger: „Das Wesen des Materialismus verbirgt sich im Wesen der Technik . . ." 10 Und weiter heißt es bei ihm: „Die Technik ist in ihrem Wesen ein seinsgeschichtliches Geschick der in der Vergangenheit ruhenden Wahrheit des Seins . . . Als eine Gestalt der Wahrheit gründet die Technik in der Geschichte der Metaphysik. Diese selbst ist eine ausgezeichnete und die bisher allein übersehbare Phase der Geschichte des Seins. Man mag zu den Lehren des Kommunismus und zu deren Begründung in verschiedener Weise Stellung nehmen, seinsgeschichtlich steht fest, daß sich in ihm eine elementare Erfahrung dessen ausspricht, was weltgeschichtlich ist." 11 Es ist nicht verwunderlich, daß Marx in der bürgerlichen Philosophie oft als ein „Philosoph der Technik", als ein Denker charakterisiert wird, der vom „Eros der Technik" begeistert gewesen sei und darum die inneren Widersprüche des wissenschaftlich-technischen Fortschritts nicht gesehen hätte. Der Marxismus-Leninismus wird häufig als eine flach apologetische technologische Geschichtskonzeption definiert, eine Konzeption, die infiziert sei von „technischem Prophetismus", einem kurzsichtigen Glauben an die selbständige soziale Bedeutung und Rolle der Technik, die die Wege der gesellschaftlichen Entwicklung diktiere. Eine solche Auffassung ist das Ergebnis einer absolut willkürlichen und nicht selten auch böswilligen Auslegung des Marxismus-Leninismus. Gerade Marx hat als erster darauf aufmerksam gemacht, daß die Technik als Element der Produktivkräfte das Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse ist und tief von den sozialen Bedingungen geprägt ist. Die Schöpfer des wissenschaftlichen Kommunismus haben gezeigt, daß man die gesellschaftlichen Auswirkungen des Phänomens Technik nur dann wirklich aufdecken kann, wenn man sich der sozial-klassenmäßigen Analyse der Gesellschaft zuwendet. Marx hat die negativen Folgen der Anwendung der Technik unter den Bedin10
M. Heidegger, Brief über den „Humanismus", in: M. Heidegger, Gesamtausgabe, Bd. 9, Wegmarken, Frankfurt a. M. 1 9 7 6 , S. 3 4 0 .
11
Ebenda.
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gungen der kapitalistischen Produktion erkannt. E r hat viele Paradoxa und mögliche unheilvolle Ergebnisse der Entwicklung der Technik in der bürgerlichen Gesellschaft beschrieben. E s ist nützlich, daran zu erinnern, daß vieles von dem, worauf Marx aufmerksam gemacht hat, von den Gegnern des Marxismus-Leninismus erst in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren bemerkt wurde. Wir sehen also, daß es keinerlei Grund für die Behauptung gibt, dem Marxismus-Leninismus sei eine einseitige, abstrakt-optimistische Auffassung von der Technik als einem Gut an sich eigen. Viele Darlegungen von Marx klingen so, als seien sie heute geäußert worden. Sie liefern die theoretische Begründung für jene Widersprüche, die der wissenschaftlich-technische Fortschritt in der bürgerlichen Gesellschaft hervorbringt. Marx schrieb: „In unsern Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen. Wir sehen, daß die Maschinerie, die mit der wundervollen K r a f t begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern läßt und bis zur Erschöpfung auszehrt. Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch einen seltsamen Zauberbann zu Quellen der Not. Die Siege der Wissenschaft scheinen erkauft durch Verlust an Charakter . . . All unser Erfinden und unser ganzer Fortschritt scheinen darauf hinauszulaufen, daß sie materielle K r ä f t e mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben zu einer materiellen K r a f t verdummen." 1 2 Zugleich unterstrich Marx, daß die Technik selbst mit einer konkreten menschlichen Dimension verknüpft ist. Vor allem hat Marx niemals die Technik und die Produktivkräfte identifiziert, wie das die Feinde des Marxismus-Leninismus manchmal behaupten (eine solche Auslegung ist aber gerade den heutigen Vertretern der bürgerlichen Philosophie des Industrialismus eigen). Marx hob hervor, daß der wichtigste und ausschlaggebende Teil der Produktivkräfte der Mensch mit seinen historisch gewordenen Fähigkeiten ist. Bereits darin war der Gedanke enthalten, daß die Technik nicht obligatorisch ein Freund des Menschen ist, ebensowenig zwangsläufig aber auch dessen bösartiger Antipode. Marx war der Meinung, daß die Technik der wichtigste Teil der Produktionsmittel und natürlich ein Merkmal (aber nicht das einzige) für das Entwicklungsniveau der Produktivkräfte ist. Der Marxismus-Leninismus hat nichts gemein mit einer technologischen Konzeption der Geschichte, derzufolge die Technik die alles bestimmende K r a f t ist; er ist darum weit davon entfernt, die negativen Folgen der technischen Entwicklung einfach aus der Technik als solcher, aus der Technik in ihrer „reinen" Form abzuleiten. Eine konsequente marxistisch-leninistische Analyse führt also zu der Schlußfolgerung, daß die Betrachtung der wissenschaftlich-technischen Revolution allein von der technisch-ökonomischen Seite her oder allein unter dem Gesichtspunkt
12
K . Marx, R e d e auf der Jahresfeier des „People's Paper" am 14. April 1856 in London, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (im folgenden M E W ) , Bd. 12, Berlin 1969, S. 3 f.
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der Entwicklung der wissenschaftlichen Entdeckungen kein wirkliches Bild ergibt und ergeben kann. Die sowjetischen Forscher und die Wissenschaftler der sozialistischen Länder betrachten den Prozeß der Wissenschaft und der Technik nicht isoliert, nicht für sich genommen, sondern im engen Zusammenhang mit den sozialen Prozessen, im Gesamtkomplex des sozialen, klassenmäßigen Herangehens. Im Einklang mit den Forderungen der marxistisch-leninistischen Methode betrachten sie diesen Prozeß historisch konkret, untersuchen sie seinen unterschiedlichen Verlauf im Weltsystem des Kapitalismus, im Weltsystem des Sozialismus sowie seine Besonderheiten in der sogenannten dritten Welt. Sie gehen dabei von den Schlußfolgerungen der Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien aus, in denen es heißt, daß die wissenschaftlich-technische Revolution, die den Prozeß der Vergesellschaftung der Wirtschaft unter den Bedingungen der Monopolherrschaft beschleunigt, zur Reproduktion der sozialen Antagonismen in immer größeren Maßstäben und mit noch größerer Schärfe führt. „Es spitzen sich nicht nur alle bisherigen Widersprüche des Kapitalismus zu, sondern es entstehen auch neue. Das ist vor allem der Widerspruch zwischen den außerordentlichen Möglichkeiten, die die wissenschaftlich-technische Revolution eröffnet, und den Bemühungen des Kapitalismus, zu verhindern, daß diese Möglichkeiten im Interesse der ganzen Gesellschaft genutzt werden. Der Kapitalismus verschwendet den nationalen Reichtum und verwendet einen großen Teil der wissenschaftlichen Entdeckungen sowie enorme materielle Ressourcen für Kriegszwecke. Das ist auch der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der modernen Produktion und dem staatsmonopolistischen Charakter ihrer Regulierung. D a ist nicht nur die ständige Verschärfung des Widerspruchs zwischen Arbeit und Kapital, sondern auch die Vertiefung des Antagonismus zwischen den Interessen der überwiegenden Mehrheit der Nation und der Finanzoligarchie." 13 Gerade jetzt, unter den Bedingungen des beschleunigten wissenschaftlich-technischen Fortschritts, bestätigen sich mit besonderer Eindringlichkeit die Gedanken von Marx: „Die kapitalistische Produktion . . . ist . .., weit mehr als jede andere Produktionsweise, eine Vergeuderin von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern auch von Nerven und Hirn." 14 Gerade heute, unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution, wo im Zusammenhang mit der Kompliziertheit des Produktionsprozesses und seiner beispiellosen Beschleunigung auch an den Arbeiter neue Anforderungen gestellt werden, wo von den Arbeitern und Ingenieuren größere geistige und Nervenenergie verlangt wird, bestätigen sich mit besonderem Nachdruck die Worte von Marx, daß unter diesen Bedingungen sich der technische und wissen13
Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien. Moskau 1969, Berlin 1969, S. 22.
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K. Marx, D a s Kapital, Dritter Band, in: M E W , Bd. 25, Berlin 1964. S. 99.
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schaftliche Fortschritt bei gleichzeitiger „ungeheuerster Verschwendung von individueller Entwicklung" der Menschen, der ausgebeuteten Klassen und Schichten durchsetzt. 15 Die wissenschaftlich-technische Revolution unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft bringt zweifellos neue Bedingungen der Lebenstätigkeit der Arbeiter und der ingenieurtechnischen Mitarbeiter hervor; sie schafft neue Arbeitsbedingungen für ihr geistiges Leben. Doch alle diese Bedingungen drücken sich entsprechend dem Ausbeutungscharakter der Gesellschaftsordnung aus. Die wissenschaftlich-technische Revolution bringt neue Erscheinungsformen der Entfremdung der Arbeit und der Persönlichkeit hervor; sie verschärft die Widersprüche der antagonistischen Ordnung, enthüllt und zeigt in aller Deutlichkeit, d a ß der Kapitalismus der Feind einer allseitigen Persönlichkeitsentwicklung und ihres entfalteten geistigen Lebens ist. Mit noch größerer Heftigkeit geht die weitere Entwertung der menschlichen Persönlichkeit, ihrer physischen und geistigen Eigenschaften vor sich, ungeachtet der unbestrittenen allgemeinen Zunahme des Bildungsstandes und des kulturellen Niveaus der Werktätigen. Gerade dieser Umstand enthüllt den Werktätigen, den Arbeitern, den ingenieurtechnischen Mitarbeitern, der Intelligenz und der Jugend noch nachdrücklicher die ganze historische Unsinnigkeit und den Antihumanismus des Kapitalismus, die innere Hoffnungslosigkeit dieser Ordnung, ihre tiefe Feindseligkeit gegenüber dem Menschen und seinen materiellen wie geistig-kulturellen Bedürfnissen. Auf andere, der des Kapitalismus radikal entgegengesetzte, Weise gestalten und entwickeln sich die Bedingungen des Verlaufs der wissenschaftlich-technischen Revolution im Sozialismus. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt im Sozialismus stellt tatsächlich neue Anforderungen an die Werktätigen angesichts der zunehmenden Automatisierung der Produktion und des Wachstums der elektronischen Steuerungs- und Leitungsarbeit; sie stellt neue Anforderungen an die Bildung der Werktätigen, an ihr geistiges Leben, an die ethischen und ästhetischen Seiten ihrer Tätigkeit, an ihre Arbeit schlechthin. Mit der Hervorbringung neuer Aufgaben schafft die wissenschaftlich-technische Revolution im Sozialismus jedoch gleichzeitig die materielle Basis, die Grundlage für die tägliche Lösung dieser Aufgaben. Denn die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften dienen nicht den egoistischen Zielen einer Minderheit der Gesellschaft, wie das im Kapitalismus der Fall ist, sondern dem Wohl der Werktätigen, dem Wohl des Volkes. Dabei erfordern die neuen Arbeitsbedingungen von den Werktätigen nicht nur eine beträchtliche Vergrößerung des technischen Wissens, sondern auch ein größeres Verantwortungsgefühl, größere Zuverlässigkeit, Selbständigkeit und bewußte Arbeitsdisziplin, mehr schöpferische Initiative und ein exakteres Denken und Handeln. 16
15
Ebenda.
16
Siehe H. Edeling/H. Kulow, Wissenschaftlich-technische Revolution und Entwicklung der
12
Mitin, Ideologischer K a m p f
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Bei der Betonung des unterschiedlichen Charakters der Beziehung Mensch — Technik in den verschiedenen gesellschaftlichen Systemen darf man die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern der verschiedenen gesellschaftlichen Systeme bei der Lösung von gemeinsamen, globalen Problemen nicht vergessen, weil diese weltweite Bedeutung besitzen und über den Rahmen dieser Systeme hinausreicheri. Das sind zum Beispiel viele ökologische Probleme, eine Reihe von allgemeinen Fragen des Gesundheitswesens sowie der wachsenden Umweltverschmutzung, Probleme der Weltraumforschung, der Abrüstung auf dem Gebiet der Kernwaffen, Fragen der Genforschung u. a. Die Beschlüsse der Konferenz von Helsinki über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie viele Abkommen, die in den letzten Jahren auf Initiative der UdSSR zwischen den Ländern des Sozialismus und den kapitalistischen Staaten erreicht wurden, zeigen die großen realen und fruchtbaren Möglichkeiten in diesen Beziehungen. Die Bewegung in der genannten Richtung besitzt große Perspektiven. Die notwendige Basis für das richtige Herangehen an die globalen Fragen der modernen Entwicklung und für ihre richtige Lösung gibt uns jedoch erst das Verständnis des gesellschaftlichen Charakters der wissenschaftlich-technischen Revolution und ihrer historisch konkreten Erscheinungsformen. Wenn wir an diese Frage vom marxistisch-leninistischen Standpunkt herangehen, dann können wir indes nicht von der Analyse einer Reihe von ontologischen, gnoseologischen und anderen komplizierten Problemen absehen, die in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation mit ihrem entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund im Zusammenhang mit der Technik unvermeidlich entstehen und eine allseitige Untersuchung erfordern. In der bürgerlichen Philosophie sind verschiedene Wege zu einer „Humanisierung" der Technik vorgeschlagen worden. Sie widerspiegeln die hauptsächlichen weltanschaulichen Interpretationen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts aus bourgeoiser Sicht. Uns scheint, daß die heute bestehenden Formen der philosophischen Erfassung des Problems sowie die auf dieser Grundlage entstehenden Verfahren zu seiner Lösung bedeutend umfassender und vielfältiger sind als die beiden seit langem bekannten Hauptrichtungen - die rationalistisch-technologische und die irrationalistisch-anthropologische. W i r halten es in diesem Zusammenhang für möglich, drei Hauptrichtungen zu unterscheiden, die sich gegenwärtig signifikant abzeichnen und von denen jede versucht, das Problem von einer anderen weltanschaulichen Grundlage her zu beleuchten: von existentialistischer, von psychologisch-anthropologischer und von neotechnokratischer. Der existentialistische Standpunkt läuft auf die Behauptung hinaus, daß der Widerspruch zwischen Technik und Mensch als dem Inhalt nach gegensätzlichen Phänomenen nur auf der Grundlage einer Veränderung des Menschen selbst gelöst Arbeiterpersönlichkeit 1 9 7 4 , S. 1 2 7 6 ff.
178
im
Sozialismus,
in:
Deutsche
Zeitschrift f ü r Philosophie,
10-11/
werden könne. Der Aufstand gegen die „Dämonie der Technik" wird von den Existentialisten als die moralische Pflicht der Persönlichkeit verstanden, weltliche Nützlichkeitsinteressen zu verachten und über den Rahmen der künstlerischen Strukturen hinauszugehen, die das menschliche Leben determinieren und seines humanistischen Sinnes berauben. Da hierbei jedoch die Unmöglichkeit verkündet wird, eine „radikale", „revolutionäre" Wende sowohl im Leben des Menschen überhaupt als auch in der materiellen Produktion, in der Organisation der sozialen Wirklichkeit insgesamt zu erreichen, erweist sich als Finale dieser Projekte einer „Humanisierung" der Technik der stoische Aufruf, in der dem Untergang zustrebenden Welt „Unabhängigkeit", „Authentizität", „Standhaftigkeit" wenigstens im Selbstbewußtsein des Subjekts zu bewahren. Die Imperative des Existentialismus bestehen darin, daß der Mensch in einer W e l t künstlicher Strukturen, der Technik und des Konsumentenverhaltens „er selbst" zu bleiben hat. Sehr nahe kommt diesen Geistesrichtungen im Endeffekt die Position Th. W . Adornos, seine, wie es scheinen mag, rein gnoseologische Konzeption der „negativen Dialektik". 1 7 Einer der Grundzüge des Existentialismus ist die Revolte gegen die erniedrigte Stellung des Menschen in der bürgerlichen Welt. Das Problem der Entfremdung sieht der Existentialismus vor allem als das Problem der Entpersönlichung des Individuums. Die Verallgemeinerung der technischen Entfremdung führt zur Identifizierung der kapitalistischen und der sozialistischen Gesellschaft als dem Menschen gleichermaßen feindselig. Dabei wollen die bürgerlichen Ideologen nicht jene grundlegenden Gesetzmäßigkeiten sehen, die die reale Überwindufig der Entfremdung unter den Bedingungen des Sozialismus bestimmen. Die von uns analysierte Auffassung des Problems ist fortschrittsfeindlich; denn faktisch läuft sie entweder auf eine „stoische" Aussöhnung mit der technischen Zivilisation überhaupt hinaus (und das nach endlosen Verfluchungen derselben!) oder aber auf Hoffnungen auf einen gewissen „Stop" der sozialen Bewegung, Charakteristisch in dieser Hinsicht ist der Standpunkt von Jaspers. Er meinte, d a ß es auf dem Weg, der zur Schaffung der Atombombe geführt hat, auf der Grundlage des Rationalismus und Technologismus keine Rettung vor der Gefahr des Untergangs geben könne. Diese Bedrohung könne nur beseitigt werden, wenn man umkehrt. „Ohne Umkehr ist das Leben der Menschen verloren." 18 Man müsse der menschlichen Kultur ihre ehemaligen, verlorengegangenen Qualitäten zurückgeben, um „unsere Gesinnung und Denkungsart, unseren sittlich-politischen Willen zu verwandeln". 1 9 Diese Bedingung für die weitere Existenz kann nur
17
Siehe Th. W . Adorno, Negative Dialektik, M. Horkheimer/Th. W .
Adorno, Dialektik
Frankfurt/Main
1 9 6 6 ; dazu früher schon:
der Aufklärung. Philosophische
Fragmente,
18
Amsterdam 1 9 4 7 . K . Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, München 1 9 5 7 , S. 1 8 .
19
Ebenda.
179
von der Vernunft geschaffen werden, die „in der Welt das Einzige und Letzte (ist), worauf wir uns gründen können,".20 Die bürgerlichen Ideologen, die eine nichttechnische Betrachtungsweise bei der Analyse der Technik deklarieren, wenden sich also nicht den sozialökonomischen, sondern den geistigen Prozessen zu. Und bereits hier zeigt sich ihr prinzipieller Gegensatz zur marxistisch-leninistischen Methodologie. Eine solche abstrakt-geistige Tendenz fand ihren Niederschlag auch in der philosophischen Konzeption Heideggers, die eine sogenannte „metatechnische" Begründung des Wesens der Technik und zugleich einen Aufruf zur Flucht in die patriarchalische Vergangenheit enthält. 21 Heidegger hob hervor, daß die weitere Entwicklung der Menschheit das Problem der Humanisierung der Technik und des gesamten Seins aufwerfe. Der Prozeß der Dehumanisierung der Welt wird seiner Meinung nach so lange anwachsen, bis eine gewisse Wende eintritt. Die „Wende zur Humanisierung" werde im Ergebnis einer überall spontan entstehenden neuen geistigen Atmosphäre eintreten. Die Ausdehnung einer solchen erneuerten Sicht auf die moderne Welt werde den Menschen zwingen, seinen Ort inmitten alles Existierenden, den Charakter der Beziehungen zum Sein und die wirkliche Bedeutung der Technik anders zu bewerten. 22 D i e Gefahr liege nicht in der Technik, die Technik selbst sei keineswegs „dämonisch". Ihre „unheilschwangeren Schatten" entstünden dadurch, daß das Wesen dieses Phänomens nicht verstanden werde. Der verderbliche Einfluß der Maschinen sei durch Veränderungen im Bewußtsein der Menschen bedingt. E s müsse daher das Wesen des Menschen selbst geändert und durch eine Korrektur des Bewußtseins die Bedrohung beseitigt werden, die über der Menschheit schwebe. Heideggers Konzeption ist durch und durch idealistisch, denn sie ignoriert die realen sozialökonomischen Faktoren der Geschichte. In der Tat, was bedeutet der Aufruf zur „geistigen Revolution", zur totalen Radikalisierung des Bewußtseins in Wirklichkeit? Wenn Heidegger vorschlägt, sich auf das spontane Entstehen neuer, der Technik fremder Geistesrichtungen zu orientieren, so möchte man doch wissen, wie diese Geistesrichtungen entstehen werden, wodurch sie bedingt sein werden. Gerade diese Fragen sind in Heideggers Konzeption unbeleuchtet geblieben. Er stellt den Menschen nicht als reales Subjekt der Geschichte, sondern als ein illusorisch aktives Wesen dar. Bei einem solchen Verständnis der sozialen Dynamik braucht der Mensch nur anders über die Realität zu denken, und schon wird er die gewünschten Veränderungen in der Wirklichkeit selbst registrieren kön20 21
22
Ebenda, S. 24. Siehe M. Heidegger, D i e Frage nach der Technik, in: M. Heidegger, Reden und Aufsätze, Pfullingen 1954. Siehe M. Heidegger, D i e Technik und die Kehre, Pfullingen 1962.
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nen. Entsteht denn aber Geschichte durch die abstrakten Gedanken „lebendiger Persönlichkeiten"? Die Unhaltbarkeit einer solchen Vorstellung, wie sie seinerzeit von den russischen „Volkstümlern" verteidigt wurde, hat Lenin bereits nachgewiesen. Wenn aber von einem Programm der philosophischen Neuorientierung der Massen, von der Veränderung des Reflexionstyps durch eine zielstrebige „Aufpfropfung" radikal anderer Vorstellungen auf das gesellschaftliche Bewußtsein die Rede ist, dann ist wiederum zu fragen, wessen Klasseninteressen die neue Ideologie ausdrückt und wie sie zum Besitz der Massen werden soll. Man kann nicht die Frage einer „Mutation des Bewußtseins" aufwerfen, ohne vorher jene sozialökonomischen Prozesse erforscht zu haben, die zu einer ideologischen Erneuerung führen können. Dieses Programm ist im Kern utopisch, denn es enthält keinen Hinweis auf jene sozialen Kräfte, die die Wirklichkeit umgestalten können. Die Konzeption Heideggers ist - in voller Übereinstimmung mit dem allgemein pessimistischen Charakter der deutschen existentialistischen Philosophie - im ganzen düster. Gleichzeitig hat sie, da sie ein Produkt und die philosophische Widerspiegelung der gegenwärtigen Krise der bürgerlichen Gesellschaft ist, viele Symptome dieser Krise und die Gefahren aufgedeckt, die mit der „Technisierung" der Erscheinungen auf vielen Gebieten der Kultur der westlichen W e l t verbunden sind. Heidegger vermochte es jedoch nicht, die Entstehung der neuen, der sozialistischen Welt, die Entstehung einer wahrhaft menschlichen und wissenschaftlichen Art der technischen Zivilisation zu erkennen; und auch das führte schließlich dazu, daß er zu einem Gegner der neuen Welt und der neuen Zivilisation wurde. Die zweite Richtung im Herangehen an das uns interessierende Problem haben wir weiter oben als psychologisch-anthropologisch definiert. Sie enthält viele gemeinsame Züge mit den Versuchen der „Humanisierung" der Technik auf existentialistischer Grundlage, zumal anthropologische Bestrebungen auch für die existentialistische Philosophie charakteristisch sind. Dort wie hier klingt das Thema einer betonten Beachtung des Menschen an, finden wir Kritik an der antihumanen „technologischen" Gesellschaft. Im Grunde enthält diese Richtung jedoch viele selbständige Züge, die es erlauben, sie als autonome weltanschauliche Orientierung zu definieren. Die Philosophen und Soziologen der anthropologischen Richtung meinen, daß die „Humanisierung" der Technik auf dem Wege einer Rationalisierung der menschlichen Natur geschehen müsse, die auf einer „humanen" Organisation des ökonomischen Lebens beruhen soll. Man sollte meinen, daß es nach den glänzenden Arbeiten von Marx, in denen die methodologische Brüchigkeit des Anthropologismus einer gründlichen Kritik unterzogen wurde, für immer vorbei sei mit dem metaphysischen Suchen nach der abstrakten „menschlichen Natur", dem „menschlichen Wesen" usw. Die gegenwärtige ideologische Praxis zeigt indes, daß der philosophische Anthropologismus immer häufiger im Arsenal unserer ideologischen Gegner und ihrer Helfershelfer im Lager der Revisionisten auftaucht.
181
Den gesellschaftlichen Inhalt des modernen Anthropologismus charakterisierte die englische kommunistische Zeitschrift „Marxism today" so: „Anthropologie, Philosophie, Sozialpsychologie, Religion - sie alle sind dazu berufen, alle möglichen Wege für ihresgleichen aufzuzeigen, ausgenommen hin zu dem Schrecklichen - der klaren Perspektive des Klassenkampfes." 23 Die methodologischen Prinzipien, die von Marx und Engels bei der Analyse des Anthropologismus Feuerbachs ausgearbeitet wurden, besitzen ihre Bedeutung für die Kritik jeder Spielart auch des modernen Anthropologismus. Engels verwarf die abstrakte Vorstellung vom Menschen, auf der Feuerbach beharrte, und schrieb, daß es das „Individuum" in der Natur überhaupt nicht gäbe. Der Mensch bei Feuerbach, schrieb Engels, „ist eben nicht aus dem Mutterleib geboren, er hat sich aus dem Gott der monotheistischen Religionen entpuppt, er lebt daher auch nicht in einer wirklichen, geschichtlich entstandenen und geschichtlich bestimmten W e l t . . Z'24 Viele bürgerliche Philosophen nehmen die pseudowissenschaftlichen anthropologischen Ideen bewußt wieder auf, um zu zeigen, daß unter den heutigen Bedingungen die früheren Antinomien einen ganz anderen Inhalt besitzen. 25 Erich Fromm zum Beispiel betont, daß zur Zeit Feuerbachs die anthropologischen Vorstellungen noch äußerst armselig und simpel gewesen seien. Man könne sie noch nicht ernsthaft der Formel des Sozialen entgegenstellen, weil Wissenschaft und Philosophie fast nichts über die „menschliche Natur" gewußt hätten. Die Psychologie - unterstreicht Fromm - wurde zu jener Zeit gerade erst geboren. Es gab noch nicht den Freudismus, den Fromm für eine überragende wissenschaftliche Leistung hält. 26 Zu Marx' Zeiten basierte das Verständnis des menschlichen Wesens in der bürgerlichen Literatur hauptsächlich auf abstrakt-aufklärerischen Anschauungen. Weit verbreitet war die sogenannte „Robinsonade", die seinerzeit von Marx kritisiert wurde. Die Quellen des Anthropologismus führten zur religiösen Weltanschauung. Die modernen bürgerlichen Ideologen heben dies alles hervor und erklären, daß Marx das Verhältnis von Anthropologischem und Sozialem zwar untersucht habe, daß es aber über das Anthropologische zu jener Zeit noch nichts zu sagen gab. Die Wissenschaft habe zu jener Zeit noch zu wenig Material darüber geliefert, was der Mensch wirklich sei. Darum sei es heute erforderlich, dieses Problem auf dem Niveau des zeitgenössischen Wissens, unter Heranziehung der 23
24
25
26
B. Pearce, The Strategy of Socialist Revolution in Britain, in: Marxism today, London, Nr. 1/1971, S. 9. F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: MEW, Bd. 21, a. a. O., S. 286. Vgl. dazu auch in: D. Bergner/R. Mocek, Bürgerliche Gesellschaftstheorien. Studien zu den weltanschaulichen Grundlagen und ideologischen Funktionen bürgerlicher Gesellschaftsauffassungen, Berlin 1976, bes. S. 2 1 6 ff. Siehe E. Fromm, Analytische Sozialpsychologie und Gesellschaft, Frankfurt/a. M. 1970.
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neuen Ergebnisse der Naturwissenschaft zu untersuchen, die eine absolut neue Vorstellung vom Menschen vermittelten. 27 Fromm insbesondere hebt hervor, daß die Rückkehr zur biologischen Grundlage des Menschen, ihre Dechiffrierung auf dem Niveau des Wissens unseres Jahrhunderts eine gerechtfertigte und aktuelle Aufgabe sei. Eben deshalb bemühen sich viele westliche Ideologen, komplizierte soziale Prozesse von den Positionen des Anthropologismus her zu erklären. Insonderheit in den Arbeiten Fromms finden wir fruchtlose Versuche, von diesen Positionen aus den Sinn solcher gesellschaftlichen Erscheinungen wie des Nationalismus, des Faschismus, des Konformismus usw. zu erklären. Fromm stellt die Frage, ob es grundsätzlich möglich sei, das „menschliche Wesen" zu definieren. Vergleiche man den zivilisierten Menschen der letzten vier- bis sechstausend Jahre der Geschichte, so gebe es keinerlei Voraussetzungen dafür, irgendeine Grundlage zu definieren, die das Wesen des Menschen ausmache. Zugleich sei aber eine Bestimmung der „menschlichen N a t u r " nicht nur berechtigt, sie sei vielmehr die Kardinalfrage der Philosophie und der Soziologie in der Gegenwart. Um dies zu beweisen, beruft sich Fromm ausgerechnet auf Arbeiten von Marx, bei dem in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten" von 1844 der Ausdruck „menschliches Wesen" vorkommt. Und im dritten Band des „Kapital" - meint Fromm - benutze Marx wieder den Ausdruck „menschliche Natur", wo er von der nichtentfremdeten Arbeit unter Bedingungen spricht, die der menschlichen Natur am besten entsprechen und ihrer würdig sind, und komme damit begründeterweise auf seine Ausgangsauffassung zurück. Fromms Berufungen auf Marx beweisen im vorliegenden Falle gar nichts. Von entscheidender Bedeutung ist hier der Inhalt des Begriffs, sein Sinn. Natürlich besitzt der Begriff „menschliche Natur" ein Recht auf Existenz, besonders, wenn man ihn auf den Sozialismus anwendet, wo die Grundlage für die Entfremdung des Menschen aufgehoben ist. D a ß der Inhalt dieses Begriffs vom Charakter der Epoche abhängig ist, die von den Menschen durchlebt wird, hebt nicht gewisse gemeinsame Züge auf, die dem Menschen als sozialem Wesen, als dem Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt eigen sind, einem Wesen, das sich selbst und seine sozialen Bedürfnisse durch seine gesellschaftlich-praktische und vor allem Arbeitstätigkeit hervorbringt. Doch das unterstreicht nur die marxistische Position. Die bürgerlichen Philosophen und Soziologen bemühen sich, eine Abstraktion zu finden, die die menschliche Natur in allen Zeiten und Epochen beschreiben könnte. Fromm, der seinem Mißtrauen gegenüber der sozialökonomischen Analyse Ausdruck gibt, hält es insbesondere für erforderlich, eine Vorstellung vom Menschen zu postulieren, ohne den Versuch einer Erklärung, woher diese „menschliche Natur" überhaupt gekommen ist, zu machen. Allein eine solche Fragestellung hält er schon für unnötig. Danach wäre die Definition der Natur des 27
Vgl. E. Fromm, Das Menschenbild bei Marx, Frankfurt/Main 1977, S. 32 ff.
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Menschen ein Problem, das nicht auf dem Wege wissenschaftlicher Forschung, sondern mit Hilfe der Intuition, durch das Erfassen des Geheimnisvollen zu lösen wäre, das angeblich das Wesen des Menschen bestimmt. 23 In seiner Arbeit „ D i e Revolution der Hoffnung" beschreibt Fromm die moderne „technische Gesellschaft" und hebt ihr antihumanistisches Wesen hervor. Der Autor teilt den Standpunkt solcher Kritiker dieser Gesellschaft wie J. Ellui und L. Mumford, die der Ansicht sind, daß die „technische Gesellschaft" einen zerstörenden Einfluß auf den Menschen ausübt; er widerspricht jedoch ihrem Pessimismus, da seiner Meinung nach die Möglichkeiten dafür, das soziale System der Kontrolle des Menschen zu unterwerfen, noch nicht verloren sind. In die Rubrik „technische Gesellschaft" ordnet Fromm jedoch auch den Sozialismus ein. 29 D a s Studium des Systems „Mensch - Technik" gestatte es nach Fromm vor allem, zu verstehen, welche sozialökonomischen Faktoren in allen modernen Gesellschaften auf den Menschen einwirken, und dann zu klären, welche Störungen in diesem System zur Instabilität des - ebenso abstrakt verstandenen - sozialen Ganzen führen. Betrachten wir einige der Empfehlungen Fromms, um einen vollständigeren Eindruck von seinen Ansichten über die „Humanisierung der Technik" zu erhalten. Sie laufen darauf hinaus, den Kapitalismus durch seine „Anpassung" an die Natur des Menschen zu „rekonstruieren". In erster Linie sei ein „humanistisches Planen" nötig. Die Planung müsse obligatorisch auch das Teilsystem „Mensch" einschließen, das heißt im Planungsprozeß müßten unbedingt die Normen und Werte berücksichtigt werden, die zum optimalen Funktionieren des Individuums beitragen. Planungskriterium darf „nicht eine maximale Entwicklung der Produktion, sondern die optimale Entwicklung des Menschen" sein. 30 Sod'ann hält Fromm für die Humanisierung der industriellen Gesellschaft die Aktivierung und Freisetzung menschlicher Energie für erforderlich. Den nächsten wichtigen Schritt auf dem Wege zur „Humanisierung" der technischen Gesellschaft definiert Fromm als „Humanisierung" des Verbrauchs. Für den Durchschnittsamerikaner - so behauptet er - sei das Gefühl der Freiheit heute völlig real nur im Bereich des Konsums. Der Mensch, der seine Nichtigkeit als Persönlichkeit fühle, kompensiere die eigene Minderwertigkeit in einer anderen Sphäre - in der Sphäre des Konsums, wo er sich in einen von sich selbst überzeugten und mächtigen Käufer und Konsumenten verwandele. Der abschließende vierte Schritt bei der Verwirklichung der Humanisieruttg
28 29
30
Siehe E. Fromm, Aggression und Charakter, Zürich 1975. E. Fromm, Die Revolution der Hoffnung. Für eine humanisierte Technik, Stuttgart 1971, S. 13. Ebenda, S. 107.
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der technischen Gesellschaft soll nach Fromms Ansicht die Kultivierung der geistigen Orientierung und neuer Verehrungsobjekte sein. Alle diese Maßnahmen sind unter den Bedingungen des Kapitalismus in höchstem Maße utopisch. Ist es etwa in dieser Gesellschaft möglich, die Konsumentenpsychologie zu überwinden, andere Wertsysteme zu schaffen, die nicht mit der Herrschaft des Privateigentums verbunden sind, wo doch gerade darauf die kapitalistische Gesellschaft beruht? Unter den Bedingungen der bürgerlichen Verhältnisse kollidiert die Verwirklichung dieser rationalen Empfehlungen mit dem irrationalen Charakter der Gesellschaft selbst, geraten die gutgemeinten Vorschläge in Widerspruch zur realen Wirklichkeit. In Widerspruch mit der Wirklichkeit geraten auch Fromms Versuche, ein Gleichheitszeichen zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu setzen. Fromm verschließt die Augen vor den grundlegenden sozialen Unterschieden zwischen Sozialismus und Kapitalismus und behauptet in seiner Arbeit „Beyond the Chains of Illusions" (1962), daß der „Entfremdungsprozeß, der in den europäisch-amerikanischen Industrieländern unabhängig von ihrer politischen Struktur herrscht, . . . neue Protestbewegungen auf den Plan gerufen" hat. 31 Fromm, der versucht, soziologische Illustrationen zur philosophischen Konzeption der allgemeinen Entfremdung zu liefern, beruft sich auf Marx' Worte: „ D i e Maschine bequemt sich der Schwäche des Menschen, um den schwachen Menschen zur Maschine zu machen". 32 Doch diese Äußerung von Marx richtete sich gegen die kapitalistischen Anwendungsweisen der Technik. Diesen Umstand aber übergeht Fromm mit Schweigen. Die psychologisch-anthropologische Richtung der „Humanisierung der Technik" hat ihren Niederschlag auch in der Konzeption Marcuses gefunden. Marcuse untersucht das Problem der Humanisierung der entwickelten industriellen Gesellschaft und spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit, einen „neuen Humanismus" zur wirklichen Befreiung des Menschen auszuarbeiten. In der gegenwärtigen Zeit - so Marcuse - könne Freiheit nur das völlige Abgehen von allen heute existierenden Formen der Freiheit, von allen bestehenden Formen der Zivilisation, die Negation aller vorhandenen Negationen bedeuten. Und da die heutigen Ideen und Vorstellungen von einer Humanisierung nach Ansicht Marcuses unannehmbar sind, stellt er den sattsam bekannten Gedanken vom „genießenden Menschen" heraus und formuliert ihn folgendermaßen: „Weg von der ununterbrochenen Entwicklung der Produktivkräfte, weg von der Erweiterung der Produktion durch die Beseitigung der zerstörerischen und schmarotzerischen Produkte, Rekonstruktion der Städte, die menschenfeindlich im direkten Sinne des Wortes geworden sind, Wiederherstellung der Natur in den durch die Zivilisation geschaffenen Wüsten, Beschränkung der Bevölkerung." 3 3 31 32
33
E. Fromm, Jenseits der Illusionen, Zürich-Konstanz 1967, S. 70. K . Marx, ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: MEW, Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968, S. 548. H. Marcuse, Sommes-nous déjà des hommes?, in: Partisans, Paris, 28/1966, S. 26.
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E i n e weitere Variante der „Humanisierung der Technik", die zu dieser zweiten Richtung gehört, findet sich in Ch. Reichs „The Greening of America". Darin wird die gegenwärtige amerikanische Jugendbewegung analysiert. 34 D e r Autor sieht in dieser Bewegung den Anfang einer neuen Revolution der U S A , einer Revolution, die in nichts den Revolutionen der Vergangenheit ähnlich sei. Diese Revolution wird seiner Meinung nach ohne Anwendung von Gewalt erfolgreich sein; und keine Gewalt könne ihr erfolgreich widerstehen. Dazu heißt es: „Es kommt eine Revolution, aber sie wird sich von den Revolutionen der Vergangenheit unterscheiden. Sie wird ihren Ursprung beim Individuum und in der Kultur nehmen und nur im Schlußakt die politische Struktur verändern. Sie wird keiner Gewalt bedürfen, um zu siegen, aber sie kann auch nicht durch Gewalt aufgehalten werden. Schon breitet sie sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit aus . . . Diese Revolution verspricht uns bessere Einsicht, eine menschlichere Gemeinschaft und ein neues, ein befreites Individuum." 3 5 Der Autor bemüht sich, jene sozial-historischen Perspektiven zu zeigen, die das neue jugendliche Bewußtsein - er nennt es „Bewußtsein I I I " - Amerika eröffne. Seiner Meinung nach bedeutet der Sieg des „Bewußtseins I I I " nicht nur die Entstehung einer neuen Gesellschaftsordnung und Lebensweise, sondern vor allem eines neuen, vollkommeneren Menschentyps. „Bewußtsein I I I " tritt für die Priorität der nichtmateriellen Werte ein und will alles retten, was im Ergebnis der industriellen Entwicklung zerstört wird. Aber der Autor spricht keineswegs davon, sich von den Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution loszusagen oder die Maschinen zu zerstören, sondern davon, sie unter Kontrolle zu nehmen, d. h. jene Kräfte, die der Mensch geschaffen hat, die ihn jedoch versklaven und ihn zu vernichten drohen, dazu zu zwingen, den Interessen des Menschen zu dienen. E s gibt also unterschiedliche Varianten der psychologisch-anthropologischen Richtung der „Humanisierung der Technik", die unterschiedliche weltanschauliche und ideologische Orientierungen ausdrücken - von den liberal-bürgerlichen bis zu den radikalen Konzeptionen der „neuen Linken". D i e Vertreter der anthropologischen Richtung sehen in der kapitalistischen Wirklichkeit keinerlei verschlüsselte Realien. Um so weniger sehen sie in der Technik eine Determinante der sozialen Entwicklung. Für sie ist die Technik etwas, dessen Inhalt bereits völlig klar ist. Etwas anderes ist der Mensch und sein grenzenloser Selbstwert für sie. Das ist die Ebene, in der die Forscher dieser Richtung eine Lösung des Problems zu finden suchen. Ein derartiges Herangehen bringt eine Reihe von Folgen mit sich. So meint Marcuse, daß der Marxismus-Leninismus als Ideologie nicht kritisch genug sei; denn er sehe die Tatsache, daß im Kapitalismus eine technische Basis geschaffen wird, als progressiv an. Nach Marcuses Meinung reproduziert der Sozialismus, 34
Ch. Reich, D i e Welt wird jung, Wien-München 1971.
35
Ebenda, S. 9.
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da er das technische Arsenal des Kapitalismus erbt, damit auch die Gebrechen dieser Ordnung. Ein solches Herangehen an das Problem ist unwissenschaftlich. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus haben immer unterstrichen, daß der Kapitalismus die realen Voraussetzungen für die Entstehung der neuen, der sozialistischen Gesellschaft hervorbringt. Jegliche Bestrebung, eine humanistische, entwickelte Gesellschaft auf nichtindustrieller Grundlage ohne Berücksichtigung bestimmter Errungenschaften des Kapitalismus zu errichten, ist eine reaktionäre romantizistische Utopie. D i e Humanismusauffassung der Vertreter der anthropologischen Richtung ist begrenzt. In ihren Konzeptionen finden wir nicht den realen, historisch konkreten Menschen, sondern eine Art Abstraktion, die aus den spekulativ konstruierten „Bedürfnissen" der Individuen zurechtgeschneidert wurde. Selbst wenn diese Ideologen die Macht der Technik nicht bestreiten und nicht fordern, die geschichtliche Entwicklung umzukehren, ist ihr Programm reaktionär. D a s von ihnen bekundete Bestreben, das existierende bürgerliche System durch die Einführung von humanistischen Werten, guten Wünschen und irgendwelchen neuen oder neu erscheinenden Imperativen in das Massenbewußtsein zu erneuern, wird die Atmosphäre der bürgerlichen Gesellschaft kaum ernsthaft wandeln können. D i e Versuche, diese Gesellschaft an die abstrakt begriffene und zutiefst psychologisch gedeutete „menschliche Natur" anzupassen, sind nicht imstande, das antihumane Wesen des Kapitalismus zu beseitigen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Und das bedeutet, daß die biologische Grundlage im Menschen nicht irgendein Substrat ist, das metaphysisch dem Sozialen entgegensteht. Diese oder jene arteigenen physiologischen Anlagen, die im Verlaufe der Evolution der menschlichen Natur entstanden sind, bestimmen noch nicht die Entstehung von Besonderheiten beim Individuum, die sich nur im Prozeß der Kommunikation, der sozialen Aktivität der Menschen herausbilden und entwickeln. In diesem Sinne schrieb Marx: „Die Bildung der fünf Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte." 36 Der Marxismus hat erstmals wissenschaftlich die bestimmende Rolle der gesellschaftlichen Umwelt und der historisch konkreten Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung des Bewußtseins und der gesamten psychischen Konstitution des Menschen bewiesen. „ . . . darum sind die Sinne des gesellschaftlichen Menschen andre Sinne wie des ungesellschaftlichen; erst durch den gegenständlich entfalteten Reichtum des menschlichen Wesens wird der Reichtum der subjektiven menschlichen Sinnlichkeit . . . teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt. Denn nicht nur die fünf Sinne, sondern auch die sogenannten geistigen Sinne, die praktischen Sinne (Wille, Liebe etc.), mit einem Wort der menschliche Sinn,
36
K . Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, a. a. O., S. 541 f.
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die Menschlichkeit der Sinne wird erst durch das Dasein seines Gegenstandes,, durch die vermenschlichte Natur". 37 Die bürgerlichen Philosophen und Soziologen, die behaupten, man müsse den Menschen vor allem von den Positionen seiner individuellen Existenz, seiner anthropologischen Besonderheiten her erforschen, ignorieren die Tatsache, daß die anthropologischen Besonderheiten selbst Ergebnis der umgestaltenden Einwirkung der gesellschaftlichen Arbeitstätigkeit der Menschen sind und daß sie in der langen sozialhistorischen Praxis der Menschheit entstanden sind. Das wichtigste Element in der philosophischen Entwicklung von Marx und Engels, den Schöpfern der neuen Lehre, das Hauptelement, das alles Neue bestimmte, was Marx und Engels in die Gesellschaftswissenschaft einbrachten, d a s war der Übergang von den Begriffen des abstrakten Menschen zum Begriff des historisch konkreten Menschen, von den Begriffen des Menschen im allgemeinen zum sozialen Menschen, zum Menschen als Angehörigen einer bestimmten Klasse ; das war in diesem Zusammenhang der Übergang vom formalen und abstrakten Humanismus zum Humanismus der Tat; der Übergang von allen möglichen anthropologischen, biologischen und organischen Konzeptionen des Menschen zur Aufdeckung seines wahren gesellschaftlichen Wesens. Das war eine große W e n d e im gesellschaftlichen Bewußtsein; denn zum ersten Mal in der Geschichte des philosophischen Denkens war das Problem des Menschen auf eine wahrhaft wissenschaftliche Grundlage gestellt worden, hatte das Problem der Befreiung des Menschen von jeder Art sozialer Unterdrückung eine reale, wirksame Grundlage erhalten. In seiner interessanten Monographie „Marxismus und Theorie der Persönlichkeit", in der Lucien Sève die nichtmarxistischen anthropologischen Quellen und Richtungen kritisiert, schreibt er, daß in den zeitgenössischen Reflexionen über den Menschen eine tiefe Kluft zwischen den philosophischen Konzeptionen spekulativen Typs und dem strukturalistischen Neopositivismus existiert, der durch den Aufschwung zahlreicher Wissenschaften vom Menschen in den Vordergrund getreten ist, jedoch durch den Antihumanismus im Rahmen der bürgerlichen Ideologie gehemmt wird. Die ganze nichtmarxistische Anthropologie von heute, schreibt er, sperrt sich folglich „in den rigoros geschlossenen Zirkel einer scheinbaren Antinomie: Entweder das Bemühen, den Menschen in seiner konkreten Wirklichkeit darzustellen, das sich aber in willkürlichen philosophischen Abstraktionen verliert und nicht vermag, jenseits der Illusionen der Subjektivität die wirklichen Grundlagen des gesellschaftlichen und persönlichen Lebens aufzudecken oder das strenge Herangehen der wissenschaftlichen Analyse, allerdings nur an Überreste ihres Gegenstandes Mensch, der in Strukturen aufgelöst, auf die Natur reduziert, um den Sinn der Geschichte und seiner eigenen Biographie gebracht ist." 38 37
Ebenda, S. 5 4 1 .
38
L. Sève, Marxismus und Theorie der Persönlichkeit, Frankfurt/Main 1 9 7 7 , S. 4 1 4 .
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Sève, der die anthropologischen und strukturalistischen Konzeptionen insgesamt einer inhaltsreichen Kritik unterzieht, ist leider in einzelnen Fragen selbst nicht völlig frei von anthropologischen Momenten. Man muß feststellen, daß die Krankheit des Anthropologismus in der Philosophie und Soziologie in verschiedenen Arten und Erscheinungsformen weithin verbreitet ist, angefangen bei Konzeptionen einer philosophischen Anthropologie bis hin zu allen möglichen Arten eines anthropologischen und biologischen Herangehens an die Analyse des Problems des Menschen. E s ist bekannt, daß - beginnend mit Sartre, über die Philosophen und Soziologen der „Praxis" und endend bei W . Reich, Garaudy und Schaff - die Forderung erhoben wird, den Marxismus-Leninismus durch eine Anthropologie, durch eine „Philosophie des Menschen" zu „ergänzen". Indessen ist klar, daß der Anthropologismus, die K o n zeption „des Menschen an sich", ebenso wie die Konzeption von der „Demokratie an ¡sich" eine gefährliche Form der Revision des Marxismus-Leninismus ist. .Wenn wir das soziale Wesen des Menschen hervorheben, so dürfen wir nicht der Simplifizierung verfallen und die natürliche, biologische Natur des Menschen übersehen. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen, zugleich aber ist er Teil der Natur, ist er ein biologisches Wesen. Bei vollem Verständnis der ausschlaggebenden Bedeutung der sozialen Bedingungen darf man nicht die Augen vor bestimmten biologischen Eigenschaften des Menschen verschließen und den W e g für eine bestimmte biologische, genetische und medizinische Erforschung des Menschen verbauen. 3 9 In den letzten Jahren ist ein neues wichtiges Problem entstanden - die Gefahr, die sich für den Menschen und die Menschheit im Zusammenhang mit dem außergewöhnlichen Fortschritt der Biologie und der Genetik ergibt, das Problem der künstlichen Veränderung der Gene, das Problem der sozial-ethischen Steuerung der genetischen Forschungen und der Verantwortung der Wissenschaftler, die sich mit solchen Forschungen befassen. D i e Gefahr der unkontrollierten Entwicklung der Experimente auf diesem Gebiet hat im Kapitalismus eine umfangreiche Literatur entstehen lassen, hat neue philosophische und ethische Konzeptionen hervorgebracht, die das Problem der Perspektiven von Mensch und Menschheit, das Problem des Verhältnisses von Biologischem und Sozialem im Menschen im Lichte der oben erwähnten Genforschung von verschiedenen Seiten her behandeln. E s wird behauptet, daß gerade die Biologie heute in äußerst zugespitzter Form alle die quälenden Probleme aufdeckt, auf die die Wissenschaft stößt, wenn sie sich den Perspektiven des Menschen zuwendet. Eine solche „Biologisierung" der Probleme der Wissenschaft ist offensichtlich übertrieben und einseitig. Zweifellos haben die biologischen und genetischen Forschungen gegenwärtig ein äußerst hohes Niveau erreicht. Sowohl, was den wissenschaftlichen Fortschritt überhaupt betrifft, als auch im Hinblick auf die Möglichkeiten ihrer Anwendung zum Nutzen 39
Ausführlicher darüber siehe bei W . Hollitscher, Für und Wider die Menschlichkeit. Essays, Wien 1977.
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des Menschen spielen sie und werden sie eine ständig zunehmende Rolle spielen. Und darin liegt eigentlich nichts prinzipiell Neues, da überhaupt alle Ergebnisse von Wissenschaft und Technik in der heutigen Welt diesen inneren Widerspruch enthalten, der darin besteht, daß etwa die Atomenergie zu friedlichen Zwecken genutzt werden kann und genutzt wird, daß sie aber zugleich dazu benutzt worden ist und weiter dazu benutzt werden kann, dem gesamten Leben der Menschheit und der modernen Zivilisation katastrophale Schläge zu versetzen. Die zentrale politische und philosophische Frage in einer solchen Situation ist die Frage nach der Natur der Gesellschaftsordnung, in der diese Entdeckungen gemacht werden, sowie nach dem Charakter ihrer Nutzung entsprechend dem Wesen dieser Ordnung. Da der Kapitalismus als Gesellschaftsordnung dem Menschen und der Persönlichkeit zutiefst feindlich ist, ist die Gefahr einer Nutzung der Entdeckungen von Wissenschaft und Technik zum Schaden des Menschen sehr groß, und nur der Kampf der Volksmassen kann diese Gefahr abwenden. Da der Sozialismus als Gesellschaftsordnung innerlich, organisch mit dem Wohl des Menschen verbunden ist, so gibt es diese Gefahren im Sozialismus überhaupt nicht. Es kann eine solche gesellschaftliche Kontrolle über die technischen und wissenschaftlichen, darunter auch die genetischen Forschungen organisiert werden, die die Verwirklichung des höchsten Prinzips des Sozialismus sicherstellt - des Wohles des Menschen, seiner allseitigen und harmonischen Entwicklung. Wie der echte Weg zur Humanisierung der Technik vor allem in der Humanisierung der Gesellschaft, der sozialen Verhältnisse, in der Errichtung einer sozialen Ordnung liegt, die die Rechte des Menschen, die alle Möglichkeiten für seine physische und geistige Entwicklung gewährleistet, ebenso liegt die Lösung des Problems einer Humanisierung der modernen Forschungen auf dem Gebiet der Biologie und der Genetik vor allem in der Errichtung jener Ordnung, die die allseitige Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit garantiert, das heißt des Kommunismus. Betrachten wir noch die dritte Linie der „Humanisierung der Technik". Sie ist mit dem neotechnokratischen Bewußtsein verknüpft. Die Vertreter der Ideologie des Industrialismus sehen die Lösung des Problems in der weiteren verstärkten „Technotronisierung" der Wirtschaft und des gesamten sozialen Lebens. Eben auf diesem Standpunkt steht Z. K. Brzezinski.40 Er behauptet, daß die in der gegenwärtigen Zeit vor sich gehenden Veränderungen eine Gesellschaft schaffen, die ihrer unmittelbaren industriellen Vorgängerin immer unähnlicher werde, obwohl sie eben aus ihr erwachse. Die postindustrielle Gesellschaft werde eine „technotronische" Gesellschaft sein, die sich kulturell, psychologisch und ökonomisch gerade unter dem Einfluß der Technik und der Elektronik herausbilde. Die Theorie der postindustriellen Gesellschaft stellt im Grunde die methodologische Grundlage für die Apologie des modernen staatsmonopolistischen Kapi40
Siehe Z. K. Brzezinski, Between T w o Ages. America's Role in the Technotronic Era, N e w York 1970.
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talismus dar. Ihre Anhänger behaupten, daß Wissenschaft und Technik unbegrenzte Möglichkeiten für die Regulierung der sozialen Prozesse und die Lösung der auf deren Grundlage entstehenden Konflikte bieten und daß die Haupttriebkräfte des sozialen Fortschritts Effektivität und Produktivität sind. W a s die W i dersprüche betrifft, die die heutige Welt zerreißen, so seien sie im Grunde eine Widerspiegelung der Übergangsepoche des Industrialismus und würden in einer neuen Phase der Stabilisierung aufgehoben - in der postindustriellen Gesellschaft. In dem Maße, wie im Verlaufe des wissenschaftlich-technischen Fortschritts seine unter kapitalistischen Bedingungen unvermeidlichen verderblichen Folgen sichtbar werden, in dem Maße, wie immer offensichtlicher wird, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt für sich allein kein Allheilmittel gegen die sozialen Übel sein kann, wachsen jedoch die Zweifel am Wert dieser apologetischen Konstruktionen. Die „modernen" Technokraten können die realen Widersprüche der technischen Entwicklung in der bürgerlichen Welt nicht übersehen. Sie meinen jedoch, daß die weitere Technisierung des Lebens und der gesamten sozialen Struktur zu einer Milderung oder Beseitigung dieser Widersprüche führen wird. Daher sind die Technokraten von den „technotronischen" Ideen buchstäblich besessen. Dabei bleibt das wichtigste Problem - die Schaffung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse - wiederum unberücksichtigt und wird als nicht zwingend betrachtet. So behauptet Toffler, daß die Zuspitzung der sozialen Widersprüche, der Rassenprobleme und die Zunahme solcher gesellschaftlicher Gebrechen wie der Kriminalität, der Rauschgiftsucht, der Selbstmorde, der Massenpsychosen, der Zerstörung der Familie, der weiten Verbreitung mystischer Kulte und eschatologischer Stimmungen usw. nicht mit dem sozialen System des Kapitalismus verbunden seien, sondern eine Erscheinung der „Krise der industriellen Gesellschaft" schlechthin darstellten, eine, nebenbei gesagt, nicht neue Konzeption. Nicht sehr neu sind auch Tofflers Hoffnungen auf die Perspektiven der postindustriellen Gesellschaft. 41 Der spezifische Charakter der Überlegungen Tofflers zeigt sich vor allem darin, daß sie sich polemisch gegen die Sozialkritiker vom Typ Fromms, Marcuses, Elluls und anderer richten, die er beschuldigt, „Mythen" über die völlige Entpersönlichung des Menschen in der technisierten Kultur und über die Verwandlung des Menschen in ein Rädchen der allmächtigen bürokratischen Maschinerie zu schaffen. Toffler versucht zu beweisen, daß sich die bürokratischen Mechanismen im Prozeß des Absterbens befinden und daß in 25 bis 30 Jahren nichts mehr von ihnen übrig sein wird. Toffler sieht den Ausweg nicht in grundlegenden sozialen Wandlungen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern in der Entwicklung der Fähigkeit der in ihr lebenden Menschen zur Adaption und zur Kontrolle des Tempos der Veränderungen des Lebens. 41
Siehe A . Toffler, Der Zukunftsschock, Bern-Wien-München 1 9 7 0 .
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Er schlägt eine „Strategie des sozialen Futurismus" vor, die es seiner Meinung nach ermöglichen wird, nicht nur die Beschränktheit der Technokratie zu überwinden und ein System der humanen, perspektivischen und demokratischen Planung zu schaffen, sondern auch den Prozeß der sozialen Evolution insgesamt einer bewußten Steuerung zu unterwerfen. Die extreme Engstirnigkeit und Beschränktheit der technokratischen Doktrin Tofflers sind offensichtlich. Ebensowenig wie das übliche Schema des Technokratismus vermag das von ihm entworfene Schema des Posttechnokratismus eine Lösung der sozialen Probleme zu bringen, es verbleibt im Rahmen zutiefst bürgerlicher, liberal-reformistischer Wunschvorstellungen, deren Fruchtlosigkeit die Praxis der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts bereits bewiesen hat. In ihren Konzeptionen entwerfen die Technokraten das Modell einer superindustriellen Gesellschaft, die sich auf das Privateigentum, auf die Ausbeutung und Unterdrückung der Massen gründet. Das ist die faktische Grundlage der industriell-technokratischen Linie der „Humanisierung der Technik". Wir haben kurz verschiedene bürgerliche Konzeptionen einer „Humanisierung der Technik" betrachtet. Die Autoren der einen vertrauen auf die Entwicklung der Technik als solcher, die der anderen auf die Vervollkommnung des Menschen. Einige dieser Projekte besitzen betont fortschrittsfeindlichen Charakter, andere dagegen sind deklarativ auf die Zukunft gerichtet; sie alle aber weisen keinen realen Ausweg aus der im Kapitalismus entstandenen sozialen und technischen Situation. „Die innere Humanisierung" der technischen Entwicklung, mit der die Hoffnungen einer Reihe von Autoren verknüpft sind, unabhängig davon, ob diese Hoffnungen auf moralische Normen, die dem Niveau des technischen Fortschritts entsprechen, auf die Psychotechnik als Mittel zur Beseitigung der „entfremdeten Arbeitssituation" oder auf die Freizeit als angebliche Hauptsphäre der schöpferischen Tätigkeit gesetzt werden, ist nicht mehr als der vergebliche Versuch, die negativen Erscheinungen dieser Situation zu beseitigen, ohne deren grundlegende Ursachen auszumerzen, die in Wirklichkeit keineswegs technologischen, sondern klassenmäßigen Charakter besitzen. Prinzipiell anders ist die marxistisch-leninistische Beurteilung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. „Es ist eine unzweifelhafte Tatsache", schrieb K. Marx, „daß die Maschinerie an sich nicht verantwortlich ist für die Freisetzung' der Arbeiter von Lebensmitteln . . . Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung!"'1'1 Der Weg zur echten Humanisierung der Technik liegt in der radikalen Humanisierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Humanisierung der sozialen Wirklichkeit aber ist - wie die Erfahrungen unseres Jahrhunderts überzeugend 42
K. Marx, Das Kapital. Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 464 f.
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beweisen - nur möglich im Ergebnis prinzipieller gesellschaftlicher Veränderungen, und zwar des Übergangs der Macht in die H ä n d e der Werktätigen, in die H ä n d e der unmittelbaren Schöpfer der materiellen, kulturellen und geistigen Werte. D a r u m ist die bürgerliche Auslegung dieses Problems nichts anderes als der Versuch, das philosophische Denken von den realen Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung abzulenken und in den Bereich des reinen Technizismus abzudrängen. Die Ideale des Kommunismus können nicht anders verwirklicht werden als durch die Vertiefung der wissenschaftlich-technischen Revolution. D a s wissenschaftlich fundierte Programm der gesellschaftlichen Entwicklung, das die Realisierung dieser Ideale vorsieht, bestimmt auch das marxistisch-leninistische Verhältnis zum wissenschaftlich-technischen Fortschritt. D e r Marxismus-Leninismus, der die Schwierigkeiten ontologischen, gnoseologischen und praktischen Charakters, die den technischen Fortschritt begleiten, durchaus beachtet, strebt die Überwindung der realen Schwierigkeiten an, die im gegenwärtigen Zustand der Technik wurzeln. So erfordert zum Beispiel die ungenügende Automatisierung heute einen enormen A u f w a n d an menschlicher Energie, an Intellekt, an Nerven usw. D a s marxistisch-leninistische philosophische Denken tritt d a f ü r ein, dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt einen wirklich menschlichen Inhalt zu geben, es tritt für ein menschliche Dimension der Technik, für ihre wirkliche „Vermenschlichung" ein. Dabei stellt es jedoch die Kernfrage - die Frage nach den sozialen Bedingungen einer „Humanisierung" der Technik und nach den grundlegenden Wegen der Herstellung dieser Bedingungen. Es muß gesagt werden, d a ß sich auch unter den Bedingungen des Sozialismus noch viele negative Erscheinungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zeigen. Der Sozialismus ist der marxistisch-leninistischen Lehre zufolge die erste Phase des Kommunismus, und er trägt, wie Marx sich ausdrückte, auch die Spuren des bürgerlichen Denkens sowie auch einige Spuren der voraufgegangenen Formation. Der Sozialismus beginnt sich auf einer materiell-technischen Basis zu entwickeln, die er von der alten Gesellschaft übernommen hat. Vom Kapitalismus „geerbt" hat der Sozialismus die übermäßige, unrationelle Konzentration der Industrie in bestimmten Regionen und ihr Fehlen in anderen, die Hypertrophie in der Arbeitsteilung, die starken Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, zwischen Stadt und Land usw. - Erscheinungen, die einen schädlichen Einfluß auf die sozialen Verhältnisse, auf die geistige Welt des Menschen, auf sein Nervensystem und seine Gesundheit ausüben. Das alles hat Marx vorausgesehen und bereits in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten" dargelegt. D i e sozialistische Revolution bereitet der kapitalistischen E n t f r e m d u n g der Arbeit ein E n d e ; aber der Prozeß der Befreiung vom hier charakterisierten kapitalistischen „Erbe", das heißt von den sekundären und Nebenprodukten sowie Folgen der Entfremdung der Arbeit ist ein langwieriger und komplizierter Prozeß. Doch dieser Prozeß ist unter den Bedingungen des Sozialismus unentwegt im Gange, und zwar gerade auf der Grundlage des weiteren technischen Fortschritts. 13
Mitin, Ideologischer Kampf
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D e r Marxismus-Leninismus, der den wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Lichte seiner sozialen Rolle betrachtet, sieht in der technischen Tätigkeit, die unter den Bedingungen des Sozialismus erfolgt, keinen selbständigen Mechanist mus, sondern die Voraussetzung für die Schaffung der technischen Basis zur Überwindung der Widersprüche des technischen Fortschritts selbst im Verlaufe der Errichtung der materiellen Basis des Kommunismus. D i e Dialektik der Entwicklung der Technik ist derart, daß innerhalb der Technik selbst die wissenschaftlichen und technischen Mittel sowie Voraussetzungen für ihre echte Humanisierung geschaffen werden. Um diese Humanisierung zu verwirklichen, muß man ihre Probleme jedoch nicht von den Positionen des Profits und des privaten Vorteils aus anpacken, sondern unter dem Gesichtspunkt des allseitigen Wohls des Menschen und der Menschheit. Und dies ist nur unter den Bedingungen des Sozialismus und des Kommunismus möglich. D i e Technik, die früher häufig als Antipode des Menschen in Erscheinung trat, kann unter sozialistischen Bedingungen wirklich für die Entwicklung des Menschen und seiner Potenzen genutzt werden. D i e Marxisten-Leninisten kritisieren die obengenannten illusorischen Projekte einer „Humanisierung der Technik" und unterstreichen, daß jede humanistisphe Idee, sofern sie nicht durch einen Hinweis auf die materiellen Mittel zu ihrer Realisierung untermauert ist, sich entweder als sentimentaler, aber hilfsloser Traum oder als reaktionäre Utopie oder schließlich als verlogene, demagogische Phrase erweist. Alle diese Projekte sind im Grunde nichts anderes als der Versuch, die Massen von den wirklichen Problemen der sozialen Revolution abzulenken und an die Stelle dieser aktuellen Fragen Überlegungen über die „Dämonie der Technik" zu setzen. Die Schaffung der materiellen Möglichkeiten für die faktische Verwirklichung der Ideen des Humanismus läßt die Echtheit oder Unechtheit der Taten dieser oder jener Gesellschaft im Interesse des Menschen und der Menschheit am deutlichsten sichtbar werden. Darum sind auch beliebige materiell-technische Potenzen einer Gesellschaft, so bedeutend sie auch sein mögen, für sich allein, ohne jene realen sozialen Handlungen, die sich auf die Schaffung von wahrhaft menschlichen Lebensbedingungen richten, noch kein Unterpfand eines realen Humanismus. Der Sozialismus, der für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt eintritt, fetischisiert die wissenschaftlich-technische Entwicklung keineswegs; er stellt diese Entwicklung in den Dienst der ganzen Gesellschaft und jedes Menschen. Das ist die Hauptrichtung der Nutzungen der Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution in der sozialistischen Gesellschaft. D i e Meisterung der Ergebnisse dieser Revolution, die organische Verbindung dieser E r gebnisse mit den Vorzügen des Sozialismus als Gesellschaftsordnung - das ist die Hauptaufgabe einer wahrhaft humanistischen Politik. D e r Mensch ist der Schöpfer der Technik. Im Kapitalismus wird er jedoch zum Sklaven der Technik. Im Sozialismus dagegen ist der Mensch nicht nur der Schöp-
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fer, sondern auch der Herr der Technik; denn es gelingt ihm, solche gesellschaftlichen Verhältnisse herzustellen, die es ermöglichen, den technischen Fortschritt im Interesse des Menschen zu kontrollieren und planmäßig wissenschaftlich zu steuern. Was bedeutet also „Humanisierung" der Technik in unserem Verständnis? Im Unterschied zu den heute existierenden bürgerlichen Auslegungen dieses Begriffes schließt der marxistisch-leninistische Standpunkt ein Programm grundlegender sozialer Veränderungen ein. Dieser Prozeß kann nicht nur auf eine geistige Revolution, auf die Veränderung der menschlichen Natur oder nur auf die Umgestaltung der Technik als solcher reduziert werden. Der wahrhaft wissenschaftliche Weg zur Lösung dieses Problems wird in den Materialien des X X I V . und des X X V . Parteitags der K P d S U gewiesen. Der Aufbau der kommunistischen Gesellschaft ist, wie in den Materialien der Parteitage hervorgehoben wird, ein höchst komplizierter und zahlreiche Faktoren einschließender Prozeß. Deshalb stellt die Partei, wenn sie die Perspektiven der Entwicklung der sozialistischen Ordnung festlegt, einen ganzen Komplex von Aufgaben heraus, die nicht nur mit der Entwicklung der Produktion, mit der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch mit der Erziehung des neuen Menschen verbunden sind. Im Rechenschaftsbericht an den X X I V . Parteitag der K P d S U führte L. I. Breshnew aus: „ D a s große Aufbauwerk des Kommunismus kann unmöglich ohne die allseitige Entwicklung des Menschen selbst vollbracht werden. Ohne ein hohes Niveau der Kultur, der Bildung, der gesellschaftlichen Bewußtheit, der inneren Reife der Menschen ist der Kommunismus unmöglich, ebenso wie er ohne eine entsprechende materiell-technische Basis nicht möglich ist." 43 Die beiden Probleme - die Entwicklung der Technik und die volle Befreiung des Menschen - , die in der bürgerlichen Ideologie als konträr, als einander wechselseitig ausschließend behandelt werden, sind also von der K P d S U als dialektisch wechselseitig verbundene und sich wechselseitig bedingende Probleme theoretisch begriffen worden. Dort, wo die bürgerlichen Forscher einen unlösbaren Widerspruch, ein unausrottbares Paradoxon sehen, deckt die marxistisch-leninistische Wissenschaft eine reale und bedeutsame Beziehung auf, die auf einer neuen sozialen Grundlage entsteht. In der marxistisch-leninistischen Wissenschaft werden drei wichtige Faktoren hervorgehoben, die unserer Meinung nach die Lösung der hier interessierenden Probleme bestimmen. Vor allem geht es um die Beseitigung der historisch entstandenen Entfremdung des Menschen auf der Basis neuer gesellschaftlicher Verhältnisse. D e r grundlegende revolutionäre Schritt zur Uberwindung der Entfremdung ist die Beseitigung der Ausbeutung und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. 43
L . I. Breshnew, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der K P d S U an den X X I V . Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Moskau-Berlin 1971, S. 112.
13*
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Die Entwicklung der Produktivkräfte und die dadurch bedingte Komplizierung der Arbeitswerkzeuge, der Maschinen und der Technik stellen hohe Anforderungen an den Menschen. Dieser Prozeß hat jedoch in den verschiedenen sozialen Formationen unterschiedliche Folgen. Im Kapitalismus hat sich der Mensch faktisch in ein Anhängsel der Maschine verwandelt. Die sozialistische Ordnung nutzt die Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution und richtet alle Anstrengungen auf die Befreiung des Menschen von monotoner und schwerer physischer Arbeit; sie verfolgt das Ziel, den Menschen zum Beherrscher der komplizierten Produktion, zum in hohem Maße bewußten Beteiligten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu machen. Nur unter den Bedingungen des Sozialismus kann die wissenschaftlich-technische Revolution in höchstem Maße deutlich und folgerichtig ihr echtes humanistisches Wesen an den Tag legen, kann sie dem Wohl der Gesellschaft und jedes ihrer Mitglieder dienen. In diesem Zusammenhang ergibt sich jedoch ein überaus vielseitiges und tiefes Programm der Erziehung des neuen Menschen, der zielgerichteten sozialen Tätigkeit. „Gerade deshalb ist die Erziehung aller Bürger zu gesellschaftsbewußten Menschen einer der wichtigsten Bestandteile des Prozesses des kommunistischen Aufbaus", hebt L. I. Breshnew hervor. 44 Der Aufbau des Sozialismus begann mit den Menschen, die uns der Kapitalismus hinterlassen hatte, stellte W . I. Lenin fest. Auch nach dem Sieg der sozialistischen Revolution bleiben noch nationalistische Vorurteile, apolitische Haltungen, verschiedene bürgerliche Überbleibsel, die auf die frühere Einstellung zur Arbeit, zum Eigentum und zu den gesellschaftlichen Zielen zurückgehen, bestehen. Deshalb führt unsere Partei einen konsequenten Kampf gegen diese Einstellungen und Überbleibsel und verwirklicht ihr Programm der Erziehung des neuen Menschen. „Humanisierung" der Technik bedeutet zweitens die Veränderung des sozialen Charakters, des Zwecks, des inneren Gehalts und der Struktur der Technik selbst. Der Mensch wird nie auf die Technik verzichten, denn sie fördert die Entwicklung des inneren Reichtums des Menschen selbst, fördert die Entwicklung seiner wesenseigenen Kräfte. Nur auf der Grundlage gigantischer Produktivkräfte können die humanistischen Ideale verwirklicht werden. Doch auch die Entwicklung der Technik selbst zeigt das Wirken von inneren, dialektischen Gesetzmäßigkeiten. Das, was heute als immanente Eigenschaft der Technik angesehen wird, ist in Wirklichkeit ihr - mit Hegel gesprochen - „vergängliches Anderssein", das von der folgenden Entwicklung der materiell-technischen Basis des Kommunismus zweifellos „aufgehoben" wird. System und Struktur der Technik werden prinzipiell anders sein, werden wirklich im Einklang mit der menschlichen Dimension stehen. Der XXIV. Parteitag der KPdSU hat dem Sowjetvolk eine Aufgabe von historischer Wichtigkeit gestellt - die Errungenschaften der wissenschaftlich-tech'''' Vgl. L. I. Breshnew, Zum 50. Jahrestag der Bildung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, in: Auf dem W e g e Lenins, Bd. 4, Berlin 1 9 7 5 , S. 1 0 3 .
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nischen Revolution organisch mit den Vorzügen des sozialistischen Wirtschaftssystems zu verbinden. Bereits heute eröffnen sich Möglichkeiten für eine radikale Umgestaltung der Produktionsmethoden, für die Schaffung von prinzipiell neuen, hochproduktiven Arbeitswerkzeugen, für die Entstehung neuer Wirtschaftszweige, für die Auffindung von Wegen zur Erhöhung der Effektivität der gesamten Produktionstätigkeit. Eine erstrangige Aufgabe - so wird in den Materialien des X X I V . Parteitages hervorgehoben - ist die umfassende Mechanisierung aufwendiger Arbeiten, um in größtmöglichem Maße die manuelle durch maschinelle Arbeit zu ersetzen. Abzuschließen ist die komplexe Mechanisierung der wichtigsten Produktionsprozesse in der Industrie, im Bauwesen, in der Landwirtschaft und im Transportwesen. Und schließlich bedeutet „Humanisierung" der Technik die überaus vielgestaltige Veränderung der Umwelt im Interesse des echten Wohlergehens der Menschheit. Der Mensch kann - wie man weiß - in einer Welt ausschließlich künstlicher, technisierter Strukturen nicht glücklich sein. Keine noch so gigantische Konstruktion, ob das ein Wolkenkratzer, ein gigantischer Turm oder eine Raumstation ist, kann - bei allem Einfluß auf das Leben des Menschen - ganz die einfache, natürliche Freude über das Rauschen des Meeres, die Stille des Waldes und die grenzenlose Bläue des Himmels ersetzen. D i e Schönheit der menschlichen Existenz liegt nicht nur in der sozialen Harmonie, sondern auch in der vollen Harmonie mit der Natur. E s ist unsinnig, rousseauistische Stimmungen zu beleben und dazu aufzurufen, aus der irdischen Landschaft die Schlösser zu tilgen, um in die Hütten zurückzukehren, die Städte abzuschaffen, um die Dorfgemeinden zu beleben, oder die Eisenbahnen verschwinden zu lassen, um die Wege für Eilboten und Schnelläufer freizumachen. Der Hippy, der auf dem Boulevard an einer Blume riecht, verhält sich der Natur gegenüber ebenso künstlich und illusorisch wie der moderne Technophobe, der dazu aufruft, alle Brücken zur Technik „abzubrechen" und zurückzukehren in den Schoß der Natur. Wie aber ist dieses Problem zu lösen? Die Lösung liegt offenbar in der Schaffung einer solchen Umwelt und solcher sozialen Lebensbedingungen des Menschen, die die soziale Harmonie, die Harmonie des Menschen mit der Natur und die neuen großen wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften nicht nur nicht zerstören, sondern sie im Gegenteil auf jede Weise fördern. Der weitere soziale und technische Fortschritt kann nur auf der Basis sozialistischer gesellschaftlicher Verhältnisse verwirklicht werden. Man kann die soziale Harmonie und die Harmonie des Menschen mit der Natur nicht auf der Grundlage der kapitalistischen Verhältnisse erreichen; ebensowenig wie man den Menschen „humanisieren" kann, indem man seine Bedürfnisse einschränkt, seine Werte vernichtet und seine Lebensinteressen durch das Stoppen des technischen Fortschritts annulliert. Man kann auch kein „technokratisches Paradies" schaffen, wenn das Leben selbst sinnlos wird. Einen überaus wichtigen Platz im ideologischen Kampf nehmen gegenwärtig
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die Probleme der Lebensweise, des Vergleichs des historischen Wertes der bürgerlichen und der sozialistischen Lebensweise, die Fragen der Vorzüge des Sozialismus als Gesellschaftsordnung gegenüber dem Kapitalismus ein. Das wird noch lange Zeit so bleiben. Die Probleme, die mit der Analyse des Begriffs der sozialistischen Lebensweise, ihrer Kriterien und Bestandteile verbunden sind, wurden in den letzten Jahren in Parteibeschlüssen sowie in den Reden L. I. Breshnews gründlich beleuchtet und haben in der sowjetischen Öffentlichkeit großes Interesse gefunden. Methodologische Ausgangsposition für das richtige Verständnis der Kategorie „Lebensweise" ist der historische Materialismus, ist die soziale, historisch konkrete, klassenmäßige Betrachtungsweise. Wir finden den Begriff der Lebensweise bereits bei Marx und Engels in einer Reihe ihrer wichtigsten Werke. In der „Deutschen Ideologie", wo Marx und Engels die Voraussetzungen ihrer Ansichten darlegen, von denen aus sie die Analyse der sozialen Prozesse beginnen, sagen sie, daß dies die wirklichen Individuen, ihre Tätigkeit und die materiellen Bedingungen ihres Lebens sind, sowohl diejenigen, die sie bereits fertig vorfinden, als auch diejenigen, die durch ihre Tätigkeit geschaffen wurden. Marx und Engels entwickeln diese Aussagen und weisen darauf hin, daß die Weise, in der die Menschen die von ihnen benötigten Mittel zum Leben produzieren, vor allem von diesen Mitteln selbst abhängt, daß man die Produktionsweise nicht nur in dem Sinne oder von der Seite her betrachten darf, daß sie die Reproduktion der physischen Existenz der Individuen ist. „Sie ist vielmehr schon eine bestimmte Art der Tätigkeit dieser Individuen, eine bestimmte Art, ihr Leben zu äußern, eine bestimmte Lebensweise derselben. Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie."45 Wir stellen also fest, daß Marx und Engels die Lebensweise der Menschen als eine bestimmte Art ihrer Lebenstätigkeit bestimmen. Dies, so kann man sagen, ist die grundlegende, die Ausgangsposition für ein richtiges Verständnis der Kategorie „Lebensweise", dies ist die Ausgangsposition des materialistischen Geschichtsverständnisses überhaupt. Marx und Engels weisen darauf hin, daß für die Analyse der Lebensweise der Menschen vor allem der ökonomische Aufbau der Gesellschaft, der spezifische Charakter dieses Aufbaus zugrunde gelegt werden muß, das heißt der Charakter der sozialökonomischen Formation und damit der Charakter der Verhältnisse zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen. Wenn wir diese methodologischen Ausgangsprinzipien für eine Analyse der Lebensweise der Menschen hervorheben, so sprechen wir damit zugleich über die historisch konkreten Individuen, über ihr Bewußtsein, das die ökonomische Struktur der Gesellschaft widerspiegelt, über ihre geistigen Eigenschaften, über ihre Lebenstätigkeit in ihrer konkreten Gegebenheit. Folglich stellt der Begriff der Lebensweise als einer bestimmten Art der Le45
K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, in: MEW, Bd. 3, Berlin 1958, S. 21.
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beristätigkeit der Menschen einen vielseitigen, synthetischen Begriff dar, der als integrale Komponente die ökonomischen, sozialen, ideologischen, psychologischen, sittlichen und anderen Verhältnisse einschließt, die die Bedingungen und Formen der Lebenstätigkeit charakterisieren. E s versteht sich von selbst, daß mit der Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Ergebnis der sozialistischen Revolution die gesamte Lebensweise d t t Werktätigen, ihre ganze Lebenstätigkeit verändert und erneuert wird. D a r über, in welcher Richtung sich die Lebenstätigkeit der Menschen nach der sozialistischen Revolution, in der neuen sozialökonomischen Formation verändert, finden wir bei Marx Überlegungen, die hinsichtlich ihres Inhalts erstaunlich aktuell, man kann sagen, auf ihre Weise prophetisch sind. Marx und Engels wiesen darauf hin, daß im Unterschied zu den voraufgehenden Formationen nur für die sozialistische Produktion das zutrifft, was sie die Kultivierung aller Eigenschaften des gesellschaftlichen Menschen und seine Erzeugung als Mensch mit möglichst reichen Eigenschaften und Beziehungen und deshalb auch Bedürfnissen nannten. Sie begründeten das damit, weil der Mensch, um die Vielzahl der Dinge nutzen zu können, ein in höchstem G r a d e kultivierter Mensch sein muß. Man kann also feststellen, daß nach Marx der Begriff der Lebensweise ein historisch konkreter, klassenmäßiger und vielseitiger Begriff ist, daß er detaillierterb Festlegungen einschließt, so zum Beispiel das Lebensniveau, die Lebensqualität, den Lebensstil und eine Reihe von anderen Elementen, Seiten oder Momenten des Lebens der Menschen. Was wir bei der Analyse des Begriffs der Lebensweise herausgestellt haben, ist sowohl in methodologischer als auch in praktisch-politischer Hinsicht außerordentlich wichtig, weil der so definierte Begriff unser Herangehen an dieses Problem treffend charakterisiert und den Zielen und Aufgaben der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus, den Zielen und Aufgaben unserer Kritik der bürgerlichen Ideologie gerecht wird. D i e sozialistische Lebensweise - das ist die allseitige und harmonische Lebenstätigkeit der Menschen der sozialistischen Gesellschaft, die Einheit von produktiver und geistiger Tätigkeit, die Verbindung von Arbeit und Kultur, von gesellschaftlicher und politischer Tätigkeit. Berücksichtigt man die konkreten Erfahrungen der sozialistischen Gesellschaft, so kann man die Grundzüge der sozialistischen Lebensweise umfassender charakterisieren. Sozialistische Lebensweise heißt: aktive Teilnahme der Massen an der Leitung der Produktion, des Staates, aller Angelegenheiten der Gesellschaft; feste Zuversicht in den morgigen Tag, das Fehlen von Arbeitslosigkeit und Armut, ständig wachsende Befriedigung der materiellen und geistigen Bedürfnisse des Menschen; hohes kulturelles Niveau des sozialistischen Menschen; ideologisch-politische Überzeugtheit, Ergebenheit für die Sache des Kommunismus; Freiheit des Menschen von jeglicher sozialen und nationalen Unterdrückung; Orientierung auf die Aneignung von Wissen, auf Schöpfertum, auf selbstlosen Dienst an der 199
Gesellschaft; allseitige Entwicklung der Persönlichkeit, Kollektivismus, hohes Gefühl der eigenen W ü r d e ; tiefe internationalistische Gefühle und internationalistisches Bewußtsein, soziale Gleichheit und Harmonie der Grundinteressen aller Mitglieder der Gesellschaft; unablässiges Aufblühen der geistigen Kultur der Menschen, Heranführung immer breiterer Massen an die Kultur, ständiges Wachstum hoher geistiger Bedürfnisse. Diese Aufzählung der wichtigsten Züge der sozialistischen Lebensweise enthält keineswegs alle Bestandteile der Lebensweise der Menschen in der sozialistischen Gesellschaft, wo ihre Lebenstätigkeit höchst vielseitig ist und viele Ebenen besitzt. Deshalb ist es schwierig, alle Züge der sozialistischen Lebensweise vollständig zu beschreiben. Außerdem ist die Lebensweise der Menschen in der sozialistischen Gesellschaft äußerst dynamisch, sie ist verbunden mit einem beständig hohen Entwicklungstempo von Produktion und Kultur, mit dem unablässigen wissenschaftlich-technischen Fortschritt, mit einer ständigen Erhöhung des materiellen und des kulturellen Lebensniveaus der Menschen. Wenn man diese Züge der sozialistischen Lebensweise charakterisiert, so m u ß man noch einen weiteren, höchst wichtigen Aspekt hervorheben: das ist die freie Arbeit des Menschen im Sozialismus auf der Basis der Beseitigung des Privat^ eigentums, der Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, der Aufhebung der Entfremdung der Arbeit. Dieser Umstand führt eine grundlegende W e n d e im Leben, im Bewußtsein der Werktätigen, im Charakter und dco Formen ihrer Lebenstätigkeit herbei. D i e Arbeit unter den Bedingungen der Herrschaft des Privateigentums ist bekanntlich entfremdete Arbeit, die den Menschen verunstaltet, die Lebensweise des Menschen, seine Lebenstätigkeit deformiert. Marx stellte jedoch fest, d a ß gerade die Arbeit, die Schaffung der materiellen Werte, den Menschen nicht nur verunstaltet, sondern ihn gleichzeitig auch organisiert und zu seiner Befreiung führt. D a s ist echte marxistische Dialektik in der Betrachtungsweise der Arbeit. D i e befreite Arbeit hingegen, die Arbeit f ü r sich, für die Gesellschaft - das ist Arbeit, die den Menschen zu sich selbst zurückführt, die die Grundlage f ü r eine wahrhaft freie menschliche Lebenstätigkeit schafft. Schon in den frühen Arbeiten von Marx und Engels wird mit allem Nachdruck die Frage der Vermenschlichung des Lebens und der Tätigkeit der Menschen aufgeworfen. So wird nachgewiesen, d a ß sich „der Kommunismus schon als Reintegration oder Rückkehr des Menschen in sich, als Aufhebung der menschlichen Selbstentfremdung (weiß)". 46 Erst im Sozialismus tritt der Mensch in wirklich menschliche Existenzbedingungen ein. Dieser Prozeß der Vermenschlichung der Existenz und der Lebenstätigkeit der Menschen wird begleitet von einer inhaltlich tiefgehenden Umwälzung in der inneren geistigen Welt der Gesellschaft und der Persönlichkeit. Wissen46
K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: MEW, Ergänzungsband. Erster Teil, a. a. O., S. 536.
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schaft, Kunst, Moral und ästhetische Anschauungen werden immer mehr vom kommunistischen Ideal der Arbeit durchdrungen und werden in diesem Falle wahrhaft humanistisch in ihrer sozialen Natur und ihrem Charakter. Der Sozialismus schafft und kultiviert in den Werktätigen ein hohes Bewußtsein und den Glauben an die eigenen Kräfte, ein hohes Gefühl der eigenen Würde und ein praktisch-gestaltendes, schöpferisches Verhältnis zur Wirklichkeit. Marx sagte über das Aussehen der Arbeiter stolz, daß aus ihren von der Arbeit verwitterten Gesichtern menschliche Hochherzigkeit leuchte. Damals war der Sozialismus nur ein Traum, eine ferne Zukunft; und die Arbeit unter den Bedingungen finsterer Ausbeutung verunstaltete den Werktätigen, beraubte ihn seiner menschlichen Würde. Das war die entfremdete Arbeit. Doch das Genie von Marx sah schon damals auf den Gesichtern der Arbeiter jenes Leuchten, jene Schönheit, die mit der Arbeit als einem Schöpfen materieller Werte verbunden ist. Die Arbeit im Sozialismus, das Bestreben der Werktätigen, ihre Arbeit und ihre Lebenstätigkeit an den großen Idealen des Kommunismus zu messen, bedingt die Entwicklung - als eines von der Partei organisierten Prozesses - des kommunistischen Selbstbewußtseins und die sittliche Selbstvervollkommnung des Menschen. Der sowjetische Mensch erkennt sich gerade in der Arbeit als wahrer Erbauer des Kommunismus, als aktiver Teilnehmer an der Verwirklichung der ökonomischen und sozialen Pläne, wird sich seiner selbst als Schöpfer des historischen Prozesses bewußt. Das alles charakterisiert die sozialistische Lebensweise. K. Marx schrieb: „Aber Atheismus, Kommunismus sind keine Flucht, keine Abstraktion, kein Verlieren der von dem Menschen erzeugten gegenständlichen Welt, seiner zur Gegenständlichkeit herausgebornen Wesenskräfte, keine zur unnatürlichen, unentwickelten Einfachheit zurückkehrende Armut. Sie sind vielmehr erst das wirkliche Werden, die wirklich für den Menschen gewordne Verwirklichung seines Wesens und seines Wesens als eines wirklichen.'"17 Die Arbeitstätigkeit der Menschen ist die hauptsächliche soziale Grundlage, die wichtigste Komponente ihrer Lebensweise. Im Sozialismus besitzt die Arbeit unmittelbar gesellschaftlichen Charakter. Im Sozialismus bestimmen allein die Arbeit und der persönliche Beitrag des einzelnen zur gemeinsamen Sache die Stellung des Menschen in der Gesellschaft. Gerade bei einem solchen Charakter der Arbeit entstehen neue Charakterzüge der Menschen, entwickeln sich moralische Werte, werden die schöpferischen Kräfte und Möglichkeiten des Menschen auf neue Weise entdeckt. Ein überaus wichtiges Moment, das die sozialistische Lebensweise charakterisiert, ist das spezifische Wechselverhältnis von Persönlichkeit und Gesellschaft, ist die harmonische Verbindung von persönlichen und gesellschaftlichen Interessen. Die KPdSU widmet in ihrer Tätigkeit dieser Frage höchste Aufmerksamkeit; sie sieht in der richtigen Lösung dieser Frage die wichtigste Grundlage für die Lö-
'•7 Ebenda, S. 583.
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sung der ökonomischen, sozialen und anderen Lebensfragen der Werktätigen, die Grundlage für die kommunistische Erziehung der Menschen. Im Rechenschaftsbericht an den XXIV. Parteitag der KPdSU sagte L. I. Breshnew: „Die Verantwortung eines jeden einzelnen gegenüber dem Kollektiv und die Verantwortung des Kollektivs für jeden Mitarbeiter - das ist ein unveräußerlicher Bestandteil unserer Lebensweise."' 58 Der Sozialismus ist die humanste, demokratischste Gesellschaftsordnung. Er stellt alle materiellen und geistigen Werte umfassend in den Dienst des Menschen, seiner Entwicklung, seines Wohls. Die Sorge der Gesellschaft und des Staates für den Menschen und die Sorge jedes Menschen für die Belange der Gesellschaft und des Staates - das ist ein charakteristischer Zug unserer Lebensweise. Die Verantwortung jedes einzelnen vor der Gesellschaft und vor dem Kollektiv, die Sorge jedes einzelnen um die Angelegenheiten der Gesellschaft, des Kollektivs und des Staates können wir selbstverständlich nicht als rein formale Erfüllung aller Gesetze, Verpflichtungen und Forderungen verstehen, die an jeden einzelnen gestellt werden. Nein, dies muß eine tief bewußte Form der Lebenstätigkeit der Persönlichkeit sein, muß Ausdruck des tiefen Verständnisses der Persönlichkeit für die Prozesse und Aufgaben des kommunistischen Aufbaus sein. Das muß das Ergebnis der ideellen Überzeugtheit und der Interessiertheit der Persönlichkeit an allen Angelegenheiten der Gesellschaft sein. Das moralische Antlitz des Menschen des Sozialismus unterscheidet sich grundlegend von jenen „Werten", von denen sich viele Menschen im Kapitalismus leiten lassen. Der Mensch des Sozialismus mit seinen geistigen und ethischen Qualitäten das ist eine neue Erscheinung im Leben der Menschheit, die die Geschichte noch nicht gekannt hat. Diese neue soziale Erscheinung muß ebenso wie die Gesetzmäßigkeit der Beziehungen zwischen Mensch und Gesellschaft noch in ihrer ganzen Vielseitigkeit, in ihrem ganzen Wesen von unserer Gesellschaftswissenschaft erschlossen werden - von Philosophen, Soziologen, Ökonomen, Juristen und den Vertretern aller Künste. Die grundlegenden moralischen und geistigen „Werte", die das Bewußtsein der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft gestalten und die auf die Menschen und ihre Lebensweise einen verderblichen Einfluß ausüben, sind hinlänglich bekannt. So schrieb C. W . Mills, ein liberaler Soziologe, Publizist und „linker" Kritiker des Kapitalismus, in seinem Buch „Die amerikanische Elite": „In einer Gesellschaft, deren Mitglieder nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind, können keine Männer mit Verantwortungsgefühl heranwachsen. Eine Gesellschaft, welche die Bedeutung des Wortes .Erfolg' einengt, indem sie Erfolg mit Reichtum gleichsetzt und Versagen im Kampf um diesen Erfolg als Hauptsünde brandmarkt, also Geld zum absoluten Wertbegriff erhebt, bringt den rücksichtslosen Manager und 48
L. I. Breshnew, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der K P d S U an den X X I V . Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, a. a. O., S. 1 0 9 .
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das dunkle Geschäft hervor. Gesegnet sind die Zyniker, nur sie haben das Zeug ¿um Erfolg." 4 9 Das ist die ungeschminkte Wahrheit über die Lebensweise in der bürgerlichen Gesellschaft, ausgesprochen nicht von einem Kommunisten, nicht von einem Marxisten, sondern von einem Mann, der voll und ganz auf dem Boden des Kapitalismus steht. Wenn man vom neuen Menschen, vom Menschen der sozialistischen Gesellschaft mit seiner neuen Lebensweise spricht, so darf man nicht annehmen, daß di£se Erscheinung schon absolut allgemein ist und völlig auf alle Menschen der sozialistischen Ordnung zutrifft. Wenn wir vom neuen Menschen sprechen, so sprechen wir von einer neuen Gesetzmäßigkeit, die herangereift ist und sich in allen ihren Haupterscheinungsformen bereits gezeigt hat. Doch das heißt keineswegs, daß es bei uns keine Menschen mit alten Ansichten, Gewohnheiten, mit individualistischen und egoistischen Zügen gibt, ganz zu schweigen von direkt verbrecherischen Elementen, die die elementaren Regeln und Normen des sozialistischen Zusammenlebens, der sozialistischen Lebensweise verletzen. Der Kampf gegen diese negativen Erscheinungen stellt bekanntlich eine wichtige Aufgabe beim Aufbau des Kommunismus sowie der erzieherischen Tätigkeit von Partei und Staat dar. Die bürgerlichen Ideologen, die theoretischen und politischen Vertreter der Bourgeoisie, die unseren entschiedenen Kampf gegen die Überreste des Alten im Bewußtsein des Menschen, gegen antisozialistische Erscheinungen aufmerksam verfolgen, verkünden, daß die Marxisten, die Kommunisten gerade hier, auf diesem Gebiet, eine Niederlage erleiden würden. Die gesamte Geschichte der menschlichen Gesellschaft und vor allem der revolutionären Bewegung zeigt heroische Beispiele menschlichen Verhaltens. Die ganze Geschichte des Sowjetstaates, die große Geschichte der kommunistischen Bewegung widerlegt eine solche Behauptung. Nur der beschränkte Horizont der bürgerlichen Ordnung, das tiefe Unverständnis für die wahren Triebkräfte der Geschichte und der Gesellschaft, für die Triebkräfte der Entwicklung der Persönlichkeit, die Feindseligkeit gegenüber dem Neuen und der äußerste Pessimismus im Hinblick auf den Menschen können die Ideologen der bürgerlichen Gesellschaft 2u solchen unwissenschaftlichen Ansichten verleiten. Allen solchen „Prophezeiungen" ist ein ebensolcher Bankrott gewiß, wie ihn die Geschichte der gesamten bürgerlichen Ordnung, allen ihren materiellen und geistigen Werten bereitet. Es muß dabei festgestellt werden, daß tiefer nachdenkende bürgerliche Wissenschaftler'langsam beginnen, sich der Lehren der Geschichte und der Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung bewußt zu werden. So nötigen die wirklichen Erfolge des Sozialismus und die Antagonismen des Kapitalismus einige Ideologen der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Auffassungen zu revidieren, sich der Situation anzupassen und neue Wege und Formen der Apologie des Kapitalismus zu suchen. ^ C. W. Mills, Die amerikanische Elite, Hamburg 1962, S. 394.
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Als Alternative zur marxistisch-leninistischen Auffassung der sozialistischen L e bensweise, ihrer Vielseitigkeit, ihres reichen synthetischen Inhalts ist in den letzten Jahren in der bürgerlichen und revisionistischen philosophischen, soziologischen und politischen Literatur der Begriff der „Lebensqualität" herausgestellt worden. Besonders oft wird dieser Begriff der Lebensqualität von den Sozialdemokraten benutzt. Wenn sie von der „Lebensqualität" sprechen, dann konzentrieren sie ihre Aufmerksamkeit auf die Probleme der Urbanisierung, der Umweltverschmutzung,, auf die Probleme des Konsumfaktors im Leben des Menschen und der gesamten Gesellschaft. Das sind wirklich reale Probleme, die sich unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution ergeben haben. Doch mit Hilfe des Begriffes der „Lebensqualität", der in einer einseitigen Weise ausgelegt wird, versuchen die Feinde und Verdrehet des Marxismus-Leninismus, die Grundübel der bürgerlichen Ordnung, die grundlegenden Probleme des Eigentums und der Klassengesellschaft der Bourgeoisie in den Hintergrund zu drängen. Bekanntlich wurde das wirtschaftliche Leben der U S A , der hochindustrialisierten kapitalistischen Länder Europas und Japans in den fünfziger Jahren und zu Anfang der sechziger Jahre durch eine Reihe von positiven Kennziffern charakterisiert. In der bürgerlichen ökonomischen und soziologischen Literatur begann man diese Erscheinung als das „Wirtschaftswunder" des 20. Jahrhunderts hochzuloben. E s entstanden eine Reihe von Konzeptionen einer „Gesellschaft des Massenkonsums", einer „Überflußgesellschaft", einer „krisenlosen Entwicklung der bürgerlichen Ordnung unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution", Konzeptionen einer „postindustriellen Gesellschaft", der „technotronischen Gesellschaft", einer neuen Ära des sozialen Lebens usw. „Massenkonsum" und „Überfluß" wurden als wichtigste Charakteristika des Lebensniveaus und der Lebensqualität angesehen. Zugrunde lagen allen diesen Theorien die apologetischen Versuche bürgerlicher Ideologen, einige Momente der technologischen und zum Teil sozialen Veränderungen, die die wissenschaftlich-technische Revolution in der kapitalistischen Produktion verursacht hatte, zu hypertrophieren. Natürlich hat der wissenschaftlichtechnische Fortschritt die überlebte Formation in gewissem Maße galvanisiert, ihr einen gewissen Anschein von „Blüte", „Wohlstand" usw. verliehen. D i e Marxisten-Leninisten kritisierten und entlarvten die Auffassungen der bürgerlichen Apologeten der wissenschaftlich-technischen Revolution, enthüllten deren methodologische Gebrechen, ihre Unwissenschaftlichkeit, ihre Kurzlebigkeit, ihren einseitigen Technizismus. Sie sagten, daß die zeitweiligen, konjunkturbedingten positiven Ergebnisse in der Wirtschaft der kapitalistischen Länder die grundlegenden Gebrechen und Übel des Kapitalismus nicht beseitigen könnten und daß nur wenig Zeit vergehen werde, bis sich die Krisenerscheinungen des Kapitalismus mit neuer Kraft zeigen würden. E s verging einige Zeit; und tatsächlich: D i e allgemeine Krise des Kapitalismus begann sich mit neuer Kraft auszuwirken. Die wissenschaftlich-technische Revo-
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lution befreite den staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht von den Grundwidersprüchen und Antagonismen dieser Ordnung, sondern verstärkte und verschärfte diese im Gegenteil, fügte zu den alten Widersprüchen neue hinzu. D i e wirtschaftliche, die ökologische, die inflationäre, die geistige, die moralische und andere Krisen begannen die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung mit neuer K r a f t zu erschüttern. Die Krisenerscheinungen der bürgerlichen Ordnung zwangen sogar die Apologeten dieser Ordnung, ihre Auffassungen zu überprüfen und zu revidieren. Der Terminus „Lebensqualität" tauchte zum ersten Mal E n d e der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre in der amerikanischen Literatur auf, als der Kapitalismus eine Periode des ökonomischen Booms erlebte. Aus den Arbeiten des Soziologen D . Riesman 5 0 und des Ökonomen J. K . Galbraith 5 1 wurde damals geschlußfolgert, daß die bürgerliche Gesellschaft „das Stadium der ökonomischen Reife erreicht" habe, infolgedessen „den allgemeinen Wohlstand garantieren" könne und die „Lebensqualität" aller Bürger wesentlich anheben werde. Einige Zeit verging, und in den U S A wurden Stimmen laut, daß die Konzeption der „Lebensqualität" offensichtlich verfrüht sei. D a s hänge - so meinten die Soziologen Jack Newfield und Jeff Greenfield - damit zusammen, daß dieser Konzeption die falsche Vorstellung zugrunde liege, die fundamentalen ökonomischen und sozialen Probleme in den U S A seien gelöst. 52 In der T a t : Von welchem „allgemeinen Wohlergehen" konnte die Rede sein, wenn im reichsten Land der kapitalistischen Welt nach wie vor 20 Prozent der „oberen" Familien 40 Prozent des Nationaleinkommens erhielten und sich 20 Prozent der „unteren" amerikanischen Familien mit ganzen 6 Prozent des Nationaleinkommens zufriedengeben mußten? Den ökonomischen Aufschwüngen in den U S A folgen unvermeidlich tiefe und lang andauernde Krisen und Rückgänge der Produktion. Millionen von Menschen leiden unter chronischer Arbeitslosigkeit. Ständig steigen die Lebenskosten, was zu einer Verringerung des Reallohns führte. D a s alles beraubt den Menschen der „Stabilität der Existenz". D i e Ideologen des Kapitalismus verschweigen die Tatsache, daß die schreienden Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft nicht durch die Entwicklung der Technik als solcher hervorgebracht wurden, sondern durch den Charakter des Kapitalismus als eines Gesellschaftssystems, das gekennzeichnet ist durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln, durch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, durch die Anarchie der Produktion und die Spontaneität der Entwicklung der Wirtschaft. 50
Siehe D . Riesman/R. Denney/N. Glazer, D i e einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters, Hamburg 1958; dazu auch: V. Packard, D i e geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewußten in Jedermann, Düsseldorf-Wien 1958.
51
Siehe J. K . Galbraith, D i e Gesellschaft im Überfluß, München-Zürich 1 9 5 9 ; dazu auch: V . Packard, D i e große Verschwendung, Düsseldorf-Wien 1962.
82:
Siehe J. N e w f i e l d / J . Greenfield, A populist Manifesto. The Making of a N e w Majority, N e w York 1972.
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Galbraith hat im November 1970 in einem sensationellen Interview in der Wochenzeitung „Observer" seine eigenen früheren Ansichten einer Kritik untere zogen. E r zeigte die Naivität seines früheren Glaubens an die rettende Mission der „neuen industriellen Gesellschaft". E r meinte, daß es Zeit sei, sich jetzt um wichtigere Dinge zu kümmern. Man müsse darauf hoffen, sogar daran glauben, daß die Produktion eingeschränkt werde. Man dürfe nicht mehr an das Wachstum der Produktion denken, sondern an den Preis, der dafür zu bezahlen sei. Das sei vor allem die Verschmutzung der Umwelt, das Problem des Lebens in einer W e l t , in der man nicht mehr wisse, wo man die Industrieabfälle lassen solle. 53 D i e Rettung liege also in der Einschränkung der Produktion, die Rettung liege darin, daß man das ohnehin so angespannte Leben nicht weiter kompliziere. Das Ziel in dieser Welt - behauptete Galbraith jetzt - sei nicht der Konsum, sondern die vernünftige Nutzung des Lebens und sein Genuß. Galbraith wandte sich gegen die „Kosten" des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. E r verkündete, daß auf dem Wege des fieberhaften ökonomischen Wachstums eine Verbesserung der „Lebensqualität" unmöglich sei. Seiner Meinung nach wird die moderne Industrieproduktion ständig angetrieben durch die Jagd nach der Menge der Waren. Das Ergebnis sei, daß der Mensch heute über eine Masse häufig absolut überflüssiger Dinge verfüge und im fieberhaften B e mühen, „nicht hinter den Nachbarn zurückzubleiben", in einer Situation „der beständigen psychischen Anspannung" lebe. Indem er gegen die Konsumidee, gegen den „Kult der Dinge" auftrat, vermittelte Galbraith in seiner Konzeption der „Lebensqualität" den Eindruck, daß an den sozialen Widersprüchen des Kapitalismus als System ausschließlich die Technik schuld sei. , Galbraith stand in seinem abstrakten Humanismus, in seinen Überlegungen über eine vernünftige Nutzung des Lebens und den Lebensgenuß keineswegs allein. Andere proklamierten die Formel, daß, je mehr sich das Leben beschleuß nige, desto mehr sich seine Qualität verschlechtere: Verschmutzung der Biosphäre, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen usw. Ähnlich wie Galbraith meinte man, daß an allen Gebrechen der bürgerlichen Gesellschaft ausschließlich der tech T nische Fortschritt schuld sei. Wozu brauchen wir die Kybernetik - wurde gefragt - , wenn sie Arbeitslosigkeit hervorbringt? Wozu die Effektivität der Produktion erhöhen, wenn das zur „Dehumanisierung" der Arbeit führt? Solche Standpunkte vertraten auch einige Soziologen, Ökonomen und Politiker der B R D , Englands, Schwedens und anderer kapitalistischer Länder. E s ist jedoch nicht zu übersehen, daß das Hauptziel derartiger Überlegungen darin besteht, die sozialen und Klassenprobleme durch „allgemein menschliche" Probleme zu ersetzen, die Aufmerksamkeit der breiten Massen der Werktätigen von der tiefen und allseitigen Krise abzulenken, in der sich die bürgerliche G e 53
Siehe J. K . Galbraith, The goal in this world is not consumption, but the use and enjoyment of life, in: The Observer, London v. 22. 11. 1970, S. 25.
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sellschaft befindet, von der Unfähigkeit des Kapitalismus abzulenken, eine Antwort auf die höchst zugespitzten und aktuellen Probleme der Gegenwart zu geben. Hinter dieser äußerlichen Kritik am Kapitalismus von den Positionen des Antitechnizismus verbirgt sich ein wohldurchdachtes Programm: den Klassenkampf zu dämpfen, den Kampf für die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft zu erschweren. Auch Rostow sah sich zu einer Revidierung seiner Thesen gezwungen, die er noch in den „Stadien des wirtschaftlichen Wachstums" vertreten hatte.5/i Nunmehr räumt er unter dem Druck der Realität ein, daß die „Gesellschaft des Massenkonsums" weder das Ende des Entwicklungsweges noch dessen Ideal verkörpern dürfe. Es sei vielmehr ein neues Wachstumsstadium erforderlich, in dem an erster Stelle Gesetze des sozialen Wohlstands, der sozialen Sicherheit, Gesetze der Ordnung und der Stabilität, Prinzipien allgemeiner Wohlfahrt stehen müßten. 55 Welch ein Wandel hat sich bei diesem eingefleischten Antikommunisten vollzogen! W a s für ein pessimistischer Utopismus beherrscht sein Denken! Eine Wende hat auch der Futurologe J. Fourastie vollzogen. Hatte er mit der Lobpreisung der kapitalistischen Gesellschaft begonnen, so ist er in den letzten Jahren als ihr Kritiker hervorgetreten. Fourastie kam zu dem Schluß, daß die industrielle Gesellschaft nicht nur in sozialpolitischer Hinsicht, sondern auch in einem radikaleren Sinne äußerst instabil sei: Die Existenz der Zivilisation selbst, die Existenz des Menschen auf der Erde sei in Frage gestellt. 56 Analysiert man die ideologischen Prozesse, die in der bürgerlichen Welt und insbesondere in den USA vor sich gehen, dann muß man das 1973 in New York erschienene Buch „Lebensqualität in Amerika" erwähnen, das eine Gruppe von Autoren unter der Redaktion von David Hill veröffentlicht hat. Die Autoren erklären, daß sie den herrschenden Vorstellungen über die Lebensqualität in Amerika den Fehdehandschuh hinwerfen, und stellen ihre eigene Alternative radikaler Veränderungen vor. Sie stehen mit beiden Beinen auf dem Boden der bürgerlichen Ordnung und sehen in den von ihnen vorgeschlagenen sogenannten radikalen Veränderungen einen Ausweg aus den vorhandenen Antagonismen. Sie schreiben: „Die amerikanische Gesellschaft ist in den siebziger Jahren in eine Verschlingung paradoxaler Widersprüche geraten. Dies ist das reichste Land der Welt, aber Millionen von Amerikanern hungern in ihm. Die Nation war dank enormer technischer Leistungen imstande, Menschen auf den Mond zu bringen, aber sie vermag es nicht, ihre Gewässer und die Luft von Verschmutzungen reinzuhalten. Die Nation ruft die ganze Welt zum Frieden und zu internationaler Ordnung auf, zur gleichen Zeit aber gibt sie die hauptsächlichen gesellschaftlichen Einkünfte für die Rüstung aus. Die amerikanische Gesellschaft erkennt offiziell 54
Siehe W . W . Rostow, Studien wirtschaftlichen Wachstums. Eine Alternative zur marxistischen Entwicklungstheorie, Göttingen 1 9 6 0 .
00
Siehe W . W . Rostow, Politics in the Stades of Growth, Cambridge 1 9 7 1 .
56
Vgl. J. Fourastie, Lettre ouverte ä quatre milliards d'hommes, Paris 1 9 7 0 , S. 1 3 4 .
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die Gleichheit der Rassen, der Glaubensbekenntnisse und der Menschen mit anderer Hautfarbe an, zur gleichen Zeit aber behält sie die Absonderung in Ghettos bei. Unser Land ist stolz darauf, daß es als erstes die Idee der allgemeinen Schulbildung verkündet hat, aber in Wirklichkeit ist eine gewaltige Zahl von Jugendlichen gezwungen, die Schule vor ihrem Abschluß zu verlassen, und folglich müssen wir zugeben, daß es bei uns faktisch keine allgemeine Bildung gibt. In Amerika, wo es die besten Universitäten der Welt gibt, versuchen die Studenten, einen potentiellen Antiintellektualismus zu beleben. Das Volk, dessen Glaubensbekenntnisse gleichermaßen das Leben des Menschen selbst als heilig anerkennen, vermag kein grundlegendes Gesetz anzunehmen, das die Produktion von Waffen kontrolliert, um das Leben der Menschen zu schützen. D i e amerikanische Nation, das ist eine Nation, die Gesetz und Ordnung unterstützt, aber nicht die zunehmende Welle der Verbrechen zu stoppen vermag. Das ist die soziale Realität, das sind die grundlegenden sozialen Probleme, die die in den siebziger Jahren an die Macht gekommene Generation übernommen hat. Amerikas Zukunft, vielleicht sogar seine Existenz wird davon abhängen, wie es dieser Generation gelingt, diese Probleme des modernen amerikanischen Lebens zu lösen. D i e jetzige Generation, die eine so unvollkommene Welt und alte ungelöste Probleme geerbt hat, nimmt keine Ausnahmestellung ein. Jede Generation von Amerikanern mußte eine Vielzahl verwirrender sozialer Probleme lösen. Der prinzipielle Unterschied besteht jedoch darin, daß die heutige Generation von Amerikanern Probleme lösen muß, die nicht so sehr mit der Quantität als vielmehr mit der Qualität des Lebens in Amerika verknüpft sind: Verschmutzung der Flüsse, der Küsten, der Luft, soziale Krankheiten der Städte, die Gefahr, nachts durch die Straßen zu gehen, die fehlende Möglichkeit für die Mehrheit der Bürger, sich an der Lösung der gesellschaftlichen Aufgaben zu beteiligen, die mit der Qualität des Lebens unserer Gesellschaft zusammenhängen. Die Armut in unserer Gesellschaft hängt nicht mit der Armut der Gesellschaft insgesamt zusammen, sie hängt zusammen mit der Ungleichheit der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums." 5 7 Man sollte meinen, daß nach einer solchen - geradezu vernichtenden - Charakteristik der sozialen Widersprüche der heutigen U S A die Autoren logisch anerkennen müßten, daß es aus einer solchen Lage nur einen Ausweg geben kann den Übergang zu einer neuen sozialen Ordnung, zu einer neuen Struktur der G e sellschaft, wo es solche Antagonismen nicht gibt und nicht geben kann. Doch soweit gehn die Autoren nicht; und alle ihre „radikalen" Vorschläge können an der bürgerlichen Ordnung, an der bürgerlichen Lebensweise nichts ändern. Anhänger der Konzeption der „Lebensqualität" erkennen die Unfähigkeit des Kapitalismus an, selbst in den am höchsten entwickelten und reichsten kapitalistischen Ländern die fundamentalen Probleme zu lösen, die mit den sozialen, kulturellen und hygienischen Lebensbedingungen der Werktätigen verbunden sind, doch 57
The Quality of Life in America. E d . D . Hill, N e w Y o r k 1 9 7 3 , S. 2 7 .
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weiter gehen sie nicht. Nicht die Veränderung der Grundlagen des Kapitalismus fordern sie, sondern eine „Verstärkung der staatlichen Einmischung", eine gewisse „Verlagerung" der Investitionen für gesellschaftliche Zwecke. D i e Anhänger dieser Konzeption - besonders diejenigen aus der Sozialdemokratie - versuchen, das ganze Problem als Folge der Kluft zwischen „privatem Reichtum" (worunter nicht das Großkapital, sondern der „übermäßige Konsum" der Werktätigen verstanden wird) und „gesellschaftlicher Armut" darzustellen. Beseitigt werden soll diese Kluft durch staatliche Regulierung, durch die Konzentrierung der Aufmerksamkeit auf einige Verbesserungen der Lebensbedingungen der Bevölkerung, nicht aber durch grundlegende gesellschaftliche Veränderungen. D i e Kernfrage, die Frage der Beseitigung der Herrschaft der Monopole im gesamten gesellschaftlichen Leben der kapitalistischen Länder als der Grundvoraussetzung für die Lösung der sozialen Probleme gerade im Interesse der Mehrheit des Volkes, wird bewußt umgangen. D i e Konzeption der „Lebensqualität", ob in der bürgerlich-konservativen, der bürgerlich-liberalen oder der sozialdemokratischen Variante, gibt auf diese Frage eine Antwort, die für das Großkapital im Prinzip völlig akzeptabel ist. D i e meisten Prediger dieser Konzeption rufen die Werktätigen zur „Konsumbeschränkung" auf, treten für die Einführung höherer direkter und indirekter Steuern zur B e friedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse ein und regen die Gewerkschaften an, die Forderungen nach Lohnerhöhung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen freiwillig in „vernünftigen Grenzen" zu halten. Doch bei der Gegenüberstellung von „quantitativen" und qualitativen" Forderungen der Werktätigen wollen die Anhänger der Konzeption von der „Lebensqualität" nicht sehen, daß für die breiten Massen der kapitalistischen Länder die Qualität, zum Beispiel der Nahrung, der Wohnbedingungen, der Erholung, der Ausbildung der Kinder usw., auf die unmittelbarste Weise von der Quantität ihrer Einkünfte abhängt. Nicht zufällig waren die Arbeiterklasse und ihre Organisationen im Kampf für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen immer gezwungen, gerade „quantitative" Forderungen zu erheben, etwa die Forderungen nach Lohnerhöhung, nach Verringerung der Geschwindigkeit der Fließbänder oder nach der Vergrößerung der Zahl billigerer Wohnungen. D i e Werktätigen verstehen sehr gut, daß derartige „quantitative" Forderungen in bedeutendem M a ß e die „Qualität" ihres Lebens bestimmen. Im Klassenkampf werden die Konzeptionen von der „Lebensqualität" von den Monopolen für den Kampf gegen die dringlichen sozialen Forderungen der Werktätigen ausgenutzt. Mit Hilfe dieser Konzeptionen bemühen sich die bürgerlichen und sozialreformistischen Ideologen und ihre Anhänger, neue Reserven für das soziale Manövrieren im Interesse des staatsmonopolistischen Kapitalismus zu finden und die wachsenden antimonopolistischen Stimmungen unter den Werktätigen nach Möglichkeit zu dämpfen. D i e bürgerlichen und revisionistischen „Theoretiker" versuchen, den Einfluß der wissenschaftlich-technischen Revolution auf die sozialistische Lebensweise als 14
Mitin, Ideologischer K a m p f
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eine Art naturgeschichtlichen Prozeß darzustellen, der zur bürgerlichen Evolution der sozialistischen Lebensweise führt. Besonders deutlich wird das am Beispiel der revisionistischen Erörterungen des jugoslawischen Philosophen Stojanovic aus der Gruppe „Praxis" in dessen Buch „Zwischen Ideal und Wirklichkeit". 5 8 Was verkündet nun dieses Orakel? „Den Asketismus und die Selbstaufopferung der harten Bedingungen des Kampfes mit der alten Welt kann nur eine kleifie Zahl von Menschen ertragen", heißt es. „Für die Masse des Volkes ist es unmöglich, ewig von revolutionärem Enthusiasmus zu leben. Der Versuch der revolutionären Elite, den Zustand eines unreifen Kommunismus zu verewigen, gerät in Konflikt mit dem Leben selbst, mit dem Bestreben des Menschen, sich herauszuheben, persönliche Initiative zu zeigen, seinem Bedürfnis nach materieller Kompensation für die Arbeit, nach einem normaleren, komfortableren Leben." 59 Hier finden wir wiederum die Berufung auf die unveränderliche Natur des Menschen, die ihn zum Egoismus verführt, zur Anbetung des Konsums, zum Abgehen von jeglichen kommunistischen Zielen. Wir finden hier eine ganze Sammlung revisionistischer Schablonen: den Mythos von der „neuen Klasse", die banale Legende von der Natur des menschlichen Egoismus und das alte Märchen von der „kapitalistischen Evolution des Sozialismus". 60 So finden sich die offenen bürgerlichen Ideologen und ihre revisionistischen Helfershelfer in einem Lager zusammen. Durch den äußerst krisenhaften Zustand der bürgerlichen Gesellschaft gezwungen, deren Übel zu konstatieren, bemühen sie sich gleichzeitig mit aller Kraft, den Sozialismus zu verleumden und die Erscheinungsformen des Neuen im Leben der Menschen der sozialistischen Gesellschaft zu verfälschen. Die wissenschaftlich-technische Revolution beeinflußt die Entwicklung der sozialistischen Lebensweise, zugleich aber übt auch diese selbst eine Rückwirkung auf den stürmischen Fortschritt von Wissenschaft und Technik aus. Und auch hier entsteht eine Arena schärfster ideologischer Auseinandersetzungen. Das hängt vor allem damit zusammen, daß die sozialistische Lebensweise die Maßstäbe der wissenschaftlich-technischen Revolution bedeutend erweitert, sie mit den Vorzügen des Sozialismus verbindet und die günstigsten Möglichkeiten für die schnellste Verbreitung neuer wissenschaftlicher Entdeckungen, für das massenhafte Schöpfertum von Millionen, für die Rationalisierung, das Erfinderwesen eröffnet. Das bedeutet auch, daß die wissenschaftlich-technische Revolution einen planmäßig organisierten Charakter im Maßstab der gesamten Gesellschaft erhält, daß sie auf die Erreichung des höchsten sozialen Gesamtnutzens ausgerichtet wird, daß die Kräfte und die Mittel an den entscheidenden Frontabschnitten der wissenschaftlich-technischen Revolution nicht nur dank der rationellen Mobilisierung 58
Siehe S. Stojanovic, Between Ideals and Reality. A Critique of Socialism and its Future, New York 1 9 7 3 .
59
Ebenda, S. 2 0 1 .
,w
Ebenda.
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aller Ressourcen, sondern auch durch die immer größere Harmonisierung der persönlichen und der gesellschaftlichen Interessen konzentriert werden. Und hier stellt sich den marxistisch-leninistischen Philosophen und Soziologen immer von neuem die Aufgabe, im Kampf mit den bürgerlichen und den revisionistischen Theoretikern die Wahrheit zu verbreiten, daß die Befreiung der Gesellschaft die wichtigste Bedingung für die Befreiung der Persönlichkeit ist, daß die sozialistische Lebensweise dem Menschen die wichtigste Freiheit garantiert - die Freiheit, für sich, für seine Gesellschaft zu arbeiten, daß die Erfolge jedes einzelnen dadurch bestimmt werden, inwieweit der Mensch sich der Einheit seiner persönlichen Interessen mit den Interessen der Gesellschaft bewußt ist. Die entwickelte sozialistische Gesellschaft beweist täglich ihre gewaltigen potentiellen Kräfte, ihre Vorzüge gegenüber dem Kapitalismus. Das Voranschreiten zum Kommunismus - das ist unser Weg. Der Zerfall und die Bewegung auf sein natürliches und gesetzmäßiges Ende zu - das ist der W e g des Kapitalismus. Im Rechenschaftsbericht auf dem XXV. Parteitag der KPdSU gab L. I. Breshnew eine tiefe marxistisch-leninistische Analyse der Krisenerscheinungen, die dem heutigen Kapitalismus eigen sind. Diese Krise, stellte er fest, ist keine gewöhnliche Krise. „Die Labilität des Kapitalismus wird immer augenfälliger." 6 1 Er hob hervor, daß sich die ideologisch-politische Krise der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Machtorgane verstärkt hat, daß die elementaren moralischen Normen ins Wanken geraten und der Niedergang der geistigen Kultur sich fortsetzt. Zugleich sagte L. I. Breshnew: „Die Kommunisten sind weit davon entfernt, einen .automatischen Zusammenbruch' des Kapitalismus zu prophezeien. Er verfügt noch über beträchtliche Reserven. Aber die Ereignisse der letzten Jahre bestätigen mit neuem Nachdruck, daß der Kapitalismus eine Gesellschaft ohne Zukunft ist." 62 (il
L. I. Breshnew, X X V . Parteitag der K P d S U , Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik, a. a. O., S. 36.
62
14«
Ebenda, S. 37.
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KAPITEL 5
Die Entspannung der internationalen Lage und die Aufgaben des ideologischen Kampfes in der gegenwärtigen Etappe
Bei aller Kompliziertheit des Bildes der gegenwärtigen Welt ist die Tendenz zur internationalen Entspannung, zur Festigung der friedlichen Koexistenz zwischen Ländern mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zum bestimmenden, dominierenden Zug der internationalen Lage geworden. Diese Tendenz besitzt tiefe objektive Gründe und wurde möglich dank der Veränderung des Kräfteverhältnisses in der internationalen Arena zugunsten des Friedens und des Fortschritts, zugunsten des Sozialismus. Diese Prozesse haben in der letzten Zeit auch den Inhalt, die Besonderheiten, den Charakter und die Formen des ideologischen Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus bestimmt. Gewaltige Bedeutung besitzen in diesem Zusammenhang die Materialien der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Helsinki 1975). Die geschaffene günstige Atmosphäre für die Entwicklung der politischen Beziehungen zwischen den Teilnehmerländern, für die Stimulierung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Wissenschaft und Technik, der Kultur und des Bildungswesens stellt einen überaus starken Faktor des internationalen Lebens dar. 1 D a s in der Geschichte beispiellose Treffen der führenden Politiker von 33 europäischen Staaten, der U S A und Kanadas schuf die Grundlage für eine neue Etappe der Entspannung und war ein Schritt auf dem Wege zur Festigung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz und zur Herstellung von Beziehungen der gleichberechtigten Zusammenarbeit von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. In Helsinki wurde kollektiv die notwendige politische Bilanz des zweiten Weltkriegs gezogen, wurde die Fruchtlosigkeit und Schädlichkeit der Politik der Stärke und des „kalten Krieges" bestätigt. Zugleich eröffnete die Konferenz neue Möglichkeiten für die Lösung der zentralen Aufgabe unserer Zeit - die Festigung des Friedens und der Sicherheit der Völker. D i e Vereinbarungen, die auf der Grundlage der Berücksichtigung der Meinungen und Interessen aller Teilnehmer des Treffens und mit allgemeiner Zu1
Vgl. dazu auch W. Hänisch/D. Vogel, Helsinki - Ergebnisse und Perspektiven, Berlin 1 9 7 7 ; Sechs Jahrzehnte K a m p f um Frieden und Sicherheit in Europa. Eine Dokumentation zu den Initiativen der Sowjetunion und der anderen Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages für die kollektive Gewährleistung der europäischen Sicherheit. Zusammengestellt und eingeleitet von Ernst Laboor, Berlin 1977.
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Stimmung erreicht wurden, entsprechen den Interessen aller Völker Europas ebenso wie denen der Völker anderer Kontinente. Diese Konferenz war ein Sieg der Vernunft, ein Sieg derer, denen am Frieden und an der Sicherheit auf unserem Planeten gelegen ist. In ihrer politischen Dimension und ihrer internationalen Bedeutung reicht die Konferenz weit über die Grenzen des europäischen Kontinents hinaus. Das Schlußdokument der Konferenz wirkte sich in Richtung auf die weitere Konsolidierung der Entspannung, auf die Minderung der Kriegsgefahr und auf einen bisher ungekannten Aufschwung der gegenseitig vorteilhaften und gleichberechtigten Zusammenarbeit auf der Erde aus. Es ist ein höchst wichtiges Dokument der Theorie des Völkerrechts und der Theorie der internationalen Politik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Schlußdokument der Konferenz ist zugleich ein überaus konkretes Dokument. Die von den Teilnehmern des Treffens in Helsinki verkündeten zehn Prinzipien wurden in der Weltpresse mit vollem Recht als „Charta des Friedens" und „Verhaltenskodex der Staaten" bezeichnet. Es liegt eine eigene historische Gesetzmäßigkeit darin, daß nach der Zerschlagung des Faschismus die Friedensbewegung gerade in Europa im gesellschaftlichen Leben neuen Zustrom erhielt und heute einen zentralen Platz in der weltweiten Friedensbewegung einnimmt. In dieser Bewegung bilden die sozialistischen Länder mit der Sowjetunion an der Spitze die stärkste Triebkraft. Die Geschichte Europas stellt eine fast ununterbrochene Kette blutiger Kriege dar. Zur Zeit tragen die Völker der Staaten, die an der Konferenz von Helsinki teilnahmen, Militärausgaben, die 85 Prozent der gesamten Aufwendungen für militärische Zwecke in der Welt ausmachen. Darum betrachtet das Sowjetvolk die Ergebnisse der Konferenz nicht einfach als eine notwendige politische Bilanz des zweiten Weltkrieges, sondern auch als ein Begreifen der Zukunft, das von den Realitäten des heutigen Tages und den viele Jahrhunderte langen Erfahrungen der europäischen Völker ausgeht. In seiner Rede auf der Konferenz von Helsinki betonte L. I. Breshnew: „Die Vereinbarungen sind nicht etwa dadurch zustande gekommen, daß die einen Teilnehmer der Konferenz anderen ihre Ansichten aufgezwungen hätten, sondern sie sind durch Berücksichtigung der Meinungen und Interessen aller mit allgemeiner Zustimmung erzielt worden. Wenn es hier Kompromisse gibt, so sind es begründete Kompromisse, Kompromisse, die dem Frieden nutzen, ohne die Unterschiede in Ideologie und Gesellschaftsordnung zu verwischen." 2 Die internationale Entspannung wird in ständig zunehmendem Umfange mit konkretem materiellen Inhalt erfüllt. Die Materialisierung der Entspannung das ist das Wesen all dessen, was den Frieden in Europa tatsächlich stabil und unerschütterlich machen soll. Jetzt geht es selbstverständlich darum, die verkündeten Prinzipien und Vereinbarungen im politischen Leben in die Praxis umzu2
L. I. Breshnew, Rede 1. August 1975.
auf
der Konferenz von Helsinki,
in: Neues Deutschland
vom
213
setzen. Die Konferenz zog die Bilanz all des Positiven, was auf unserem Kontinent beim Übergang vom „kalten Krieg" zur Entspannung, zur Verwirklichung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz getan worden ist. Zugleich ist sie auch der Ausgangspunkt für das weitere allseitige Voranschreiten Europas auf dem Wege eines stabilen Friedens und der Verbannung des Krieges aus dem Leben der Völker. Die Konferenz von Helsinki ist ein gewaltiger moralisch-politischer Sieg der Sowjetunion und der Gemeinschaft der sozialistischen Länder, der Initiatoren und Kämpfer für die Einberufung dieser Konferenz. W i e in der Entschließung des Politbüros des ZK der KdPSU, des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR und des Ministerrates der UdSSR „Über die Ergebnisse der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" hervorgehoben wird, besteht die Hauptsache jetzt darin, die politische Entspannung durch die militärische zu ergänzen. Eine der erstrangigen Aufgaben auf diesem Gebiet besteht darin, Wege für eine Verringerung der Streitkräfte und der Rüstungen in Mitteleuropa ohne Beeinträchtigung der Sicherheit der Beteiligten, sondern im Gegenteil zum Nutzen für alle zu finden. Die wichtigsten Forderungen unserer Zeit sind, eine Verringerung und dann die Einstellung des Wettrüstens zu erreichen, fortzuschreiten auf dem Wege zur allgemeinen und völligen Abrüstung, die militärische Konfrontation auf europäischem Boden abzubauen, bis hin zur Überwindung der Teilung Europas in sich gegenüberstehende militärische Blöcke. Unter den Bedingungen des Friedens, im friedlichen Wettstreit entfalten sich die Vorzüge der sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung am vollständigsten. Diese Vorzüge gewinnen besondere Bedeutung in der Periode der wissenschaftlich-technischen Revolution, in der das privatkapitalistische Eigentum an Produktionsmitteln mit vorher nicht gekannter Schärfe in Widerspruch zu den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Lebens gerät. Die Verringerung der Gefahr des Ausbruchs eines Krieges, die Gesundung des politischen Klimas in der Welt wirken sich günstig auf die Möglichkeiten unseres wirtschaftlichen Wachstums aus. Folglich kann der Kurs der Partei auf die Erhöhung des Volkswohlstandes, auf die weitere Verbesserung des Lebens der Sowjetmenschen mit größerer Effektivität verwirklicht werden. Höchste Bedeutung für die Sicherung des Erfolges im Kampf für den Frieden und die internationale Zusammenarbeit besitzen die Geschlossenheit und Abgestimmtheit der Handlungen der Länder des Sozialismus. Die enge Zusammenarbeit der Bruderländer ist jener Schmelztiegel, in dem ihre politische Einheit noch weiter gestählt wird. Alle diese Prozesse haben dem ideologischen Kampf zwischen Sozialismus und Imperialismus in starkem Maße ihren Stempel aufgedrückt. Daher ist es wichtig, die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten des ideologischen Kampfes unter den Bedingungen der internationalen Entspannung hervorzuheben. Der Kampf gegen die Entspannung, die Versuche, sie zu behindern oder rückgängig zu machen, Barrieren auf dem Wege zu ihrer Festigung und Vertiefung aufzubauen, verwandeln sich in der gegenwärtigen Zeit faktisch in direkte oder indirekte, offene oder verdeckte, 214
verschleierte oder unverhüllt zynische Angriffe gegen die Dokumente, die von den eigenen Staatsoberhäuptern in Helsinki unterzeichnet worden sind. Hier gibt es für die Entspannungsgegner freilich nicht geringe Schwierigkeiten. Sie versuchen, neue Formen und Mittel für ihre subversive Tätigkeit zu finden. Sie sind gezwungen, zu manövrieren und neue Ansatzpunkte zu suchen. Doch die imperialistischen Kreise, die reaktionären Kräfte zeichnen sich - wie die Erfahrungen der Geschichte zeigen - nicht durch sonderliche Skrupel aus, dagegen greifen sie zu allen Mitteln, um ihre Linie durchzusetzen, wenn ihre Interessen das erfordern. Uns Marxisten-Leninisten wundert das nicht. Wir verstehen sehr gut, daß in der Welt ein Klassenkampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus im Gange ist und daß die friedliche Koexistenz eine Form des Klassenkampfes ist. Unter den gegenwärtigen Bedingungen nimmt dieser Kampf subtilere, kompliziertere Formen an, erfordert tiefere Kenntnisse, besser begründete, wissenschaftliche Argumente und vor allem konkrete wissenschaftliche Antworten auf alle brennenden Fragen der Gegenwart. Die K P d S U hat im Verlaufe ihrer gesamten Tätigkeit, in der Auseinandersetzung mit dem Trotzkismus, mit jeglicher Art des Anarchismus, mit dem Linksradikalismus und mit dem Maoismus gegen jene Positionen gekämpft, nach denen der soziale Fortschritt in der Gesellschaft hauptsächlich durch eine solche Zuspitzung aller sozialen Widersprüche erfolgen müsse, die in Weltkatastrophen, in Kriege zwischen den Staaten mündet. D a solche zutiefst antihumanistischen Positionen, die sich gewissenlos über die Leiden der Volksmassen hinwegsetzen und skrupellos mit millionenfachem T o d spekulieren, auch in der Gegenwart vertreten und mit täuschenden Etiketten wie „links" oder „revolutionär" versehen werden, bleibt die ideologische Auseinandersetzung mit der Ideologie und Politik dieser Richtung eine aktuelle Aufgabe für die marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaftler. D i e Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, daß sich der revolutionäre Weltprozeß gerade unter den Bedingungen der Entspannung erfolgreich entwickelt, wo sich optimale Möglichkeiten für die Entwicklung der inneren Triebkräfte der revolutionären Prozesse, für deren Aktivierung ergeben. D a s bedeutet keineswegs, daß der Imperialismus unter den heutigen Bedingungen seinen aggressiven Charakter verloren, daß er sich mit dem Sozialismus „ausgesöhnt" hat. Ganz im Gegenteil: D a s Wesen des Imperialismus ist unverändert aggressiv geblieben. Doch die wachsende Macht des Sozialismus und die offensive, auf die Entspannung gerichtete Politik der sozialistischen Länder, ihr Kampf für die Verwirklichung und Festigung der von W. I. Lenin in den ersten Jahren des sozialistischen Sowjetstaates verkündeten Prinzipien der friedlichen Koexistenz schränken die Möglichkeiten des Imperialismus rapide ein, Gewalt gegen die revolutionären und alle progressiven Kräfte anzuwenden. Eingeschränkt wurden auch die Möglichkeiten des bewaffneten Exports der Konterrevolution. Dem steht in erster Linie die Macht des sozialistischen Lagers 215
entgegen, aber auch das neue System internationaler Abkommen, die neuen politischen Methoden zum Schutze des Rechts revolutionärer Völker, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Und wenngleich die Versuche des Exports der Konterrevolution auch nicht aufgehört haben und augenscheinlich nicht aufhören werden, solange der Imperialismus existiert, ist eine Lage entstanden, in der es für die imperialistischen Staaten immer schwieriger wird, ihre Absichten zu verwirklichen. Die beispiellose Niederlage des amerikanischen Imperialismus im Vietnamkrieg hat noch einmal der ganzen Welt gezeigt, daß, wenn ein Volk für seine Freiheit, seine Errungenschaften und seine nationale Unabhängigkeit kämpft, keine K r a f t auf die Dauer etwas dagegen ausrichten kann. D i e Politik der friedlichen Koexistenz wirkt sich günstig auf die progressiven Prozesse aus und fördert den Erfolg des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse in der ganzen Welt. Unter diesen Bedingungen verstärkt sich die Anziehungskraft der Arbeiterbewegung für ihre natürlichen Verbündeten. Breite Schichten der Bauernschaft, der Intelligenz und selbst Teile der Bourgeoisie begreifen zunehmend, daß die Hauptgefahr für ihre soziale Wohlfahrt der staatsmonopolistische Kapitalismus ist, der unfähig ist, die sozialen und ökonomischen Probleme zu lösen. Ebenso erleichtert und beschleunigt die Entspannung den Prozeß der Konsolidierung aller antiimperialistischen Kräfte in den Entwicklungsländern. Der Einfluß des Sozialismus auf die Wahl des Weges, auf dem die Entwicklung dieser Länder erfolgen wird, nimmt zu. Die Entspannung der internationalen Lage begünstigt also den Kampf der Volksmassen für den sozialen Fortschritt, sie aktiviert und beschleunigt diesen Kampf mehr und mehr. Die Atmosphäre des „kalten Krieges" hemmte den Entwicklungsprozeß des Klassenbewußtseins der Arbeiter und aller progressiven Kräfte der Gegenwart. Sie wirkte sich negativ auf die Entfaltung und Aktivierung des Kampfes für gesellschaftliche Veränderungen aus. D i e Entspannung der internationalen L a g e fördert dagegen objektiv die soziale Entwicklung und schafft günstige Bedingungen für das gesellschaftliche Handeln aller fortschrittlichen Kräfte, vor allem für die Arbeiterbewegung und die nationale Befreiungsbewegung. Die neue Qualität der gegenwärtigen Lage schafft eine kompliziertere, tiefere Wechselbeziehung zwischen der Entspannung und dem revolutionären Weltprozeß, erfordert eine genauere Untersuchung dieser Wechselbeziehung, erfordert die Berücksichtigung der konkreten Situation sowie solche Formen des Kampfes, die zur Festigung und Entwicklung der Entspannung beitragen und folglich auch den revolutionären Weltprozeß fördern und stärken. Die Prinzipien der friedlichen Koexistenz sind heute im allgemeinen in der politischen Öffentlichkeit der kapitalistischen Länder bekannt und zum großen Teil anerkannt; sie sind sogar in Beschlüsse der U N O eingegangen. Anerkannt von den meisten bürgerlichen Politikern ist auch ein anderes Prinzip, nämlich der Grundsatz, daß Entspannung und friedliche Koexistenz keineswegs die Beendi216
gung des ideologischen Kampfes bedeuten. In entsprechendem Sinne äußerten sich zu dieser Frage der ehemalige Präsident der U S A G. Ford und auch der ehemalige Außenminister H. A. Kissinger, Englands ehemaliger Premierminister H. Wilson und der Bundeskanzler der B R D H. Schmidt. Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky rief dazu auf, die Unterschiede zwischen den Idealen der „politischen Demokratie" und des Kommunismus nicht zu bagatellisieren und zu ignorieren, und betonte zugleich, daß „die Koexistenz - unter der wir die heute mögliche Form friedlicher Beziehungen verstehen - nicht als für den ideologischen Bereich gültig angesehen werden kann". 3 Jedoch wurde in den Reden einiger Teilnehmer der Konferenz von Helsinki auch die Idee einer angeblich notwendigen ideologischen „Aussöhnung", „Toleranz" und „Duldsamkeit" geäußert. So meinte der belgische Ministerpräsident Leo Tindemans, daß sich ideologische Differenzen auf gemeinsame Handlungen hinderlich auswirken können. Um konkrete Aufgaben dennoch gemeinsam zu lösen, müsse man seine Beschlüsse in die Tat umsetzen und sich dabei einer systematischen Kritik enthalten, sich vom Geist der ideologischen Duldsamkeit leiten lassen. 4 In der Rede des französischen Präsidenten Giscard d'Estaing hieß es, daß man eingestehen müsse, daß ein gewisser Widerspruch zwischen der Bekräftigung der Entspannung einerseits und der Fortführung der ideologischen Konfrontation andererseits bestehe. Es sei jedoch natürlich, daß auf Grund der unterschiedlichen politischen und philosophischen Meinungen ein ideologischer Wettbewerb bestehe, und zwar sowohl innerhalb von Staaten als auch jenseits der Grenzen. Doch der Geist der Entspannung erfordere es, die Schärfe dieser Rivalität, einer ideologischen Rivalität, zu beschränken. 5 Sehr charakteristisch erscheinen in diesem Zusammenhang einige Äußerungen führender bürgerlicher Ideologen zur Frage der Entspannung. Raymond Aron zum Beispiel bezeichnete die Konferenz von Helsinki als „Komödie", als „diplomatischen Jahrmarkt", der eine rein symbolische Bedeutung habe. Die Konferenz von Helsinki war seiner Meinung nach sinnlos, denn der „kalte Krieg" sei seit langem zu Ende, und eine Notwendigkeit zur „moralischen Ratifikation" der europäischen Grenzen habe auch nicht bestanden. Aron meint, daß die gefaßten Beschlüsse die Welt zur Apokalypse führen würden. Die letztere Behauptung mag er mit seinem Gewissen ausmachen. Offensichtlich ist, daß Aron jene großen positiven Ergebnisse nicht sehen wollte, die in den Beschlüssen der Konferenz zur Schaffung eines neuen geistigen Klimas in den Beziehungen zwischen den Staaten in Europa erreicht worden sind. Ein Mitarbeiter des Zentrums zum Studium der internationalen Beziehungen am Nationalinstitut für politische Wissenschaften (Paris), Pierre Hassner, vertrat 3 4 5
Vgl. in den Reden zum Abschluß der Konferenz von Helsinki, in: Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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die Auffassung, daß die Entspannug nichts anderes sei als der „Übergang vom kalten Krieg zum heißen Frieden". Dabei bedeutet der Terminus „heißer Frieden" nichts anderes, als daß man der Entspannung der internationalen Lage ständig mit Mißtrauen begegnen müsse. Der Politologe und Publizist S. Haffner postuliert auf eben dieser Linie: „Die ,Entspannung' hat daher ebenso in eine Sackgasse geführt wie der ,kalte Krieg' vor ihr." 6 Zwar bedeute dies nicht automatisch einen Rückfall in die Situation der fünfziger Jahre, wohl aber die Tatsache, daß sich als „Dauerzustand" „kalter Krieg und heißer Frieden" kaum unterschieden. 7 Dies alles zeigt, daß die marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaftler eine große theoretische und propagandistische Arbeit zu leisten haben, damit alle Ideen der Schlußakte der Konferenz von Helsinki sowie die Ideen über die Entspannung und den revolutionären Weltprozeß von den Menschen - und besonders von der ganzen fortschrittlichen Menschheit - richtig verstanden werden. Die gegenwärtige Situation in der Welt wird durch eine positive Entwicklung gekennzeichnet, die ihren Grund im veränderten Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Kapitalismus, in den großen Erfolgen bei der Verwirklichung der Leninschen Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, in der kontinuierlichen Vorwärtsentwicklung der UdSSR und der Länder der sozialistischen Gemeinschaft auf dem Hintergrund der zugespitzten Krisenerscheinungen in der Welt des Kapitalismus hat. Ein wesentliches Charakteristikum des gegenwärtigen ideologischen Kampfes besteht darin, daß immer günstigere Bedingungen für den Sozialismus als wissenschaftliche Theorie und für den Sozialismus als real existierendes und sich erfolgreich entwickelndes Gesellschaftssystem, für die weitere Offensive der marxistisch-leninistischen Lehre geschaffen werden. Unbestreitbar befindet sich die Ideologie des Marxismus-Leninismus heute weltweit in der Offensive. Schon W. I. Lenin hat festgestellt, daß die friedliche Koexistenz der Staaten mit unterschiedlicher sozialer Ordnung den Aufgaben der allseitigen Entwicklung des revolutionären Weltprozesses nicht nur nicht im Wege steht, sondern im Gegenteil ihre Lösung fördert. Die Außenpolitik der Sowjetunion, die Politik der friedlichen Koexistenz ist keine empirisch-pragmatische Politik, wie das einige unserer Gegner manchmal hinzustellen versuchen; nein, sie ist eine zutiefst ideologische Politik, eine sozialistische, klassenmäßige, internationalistische Politik, die auf den Prinzipien des Marxismus-Leninismus basiert. Der wichtigste Faktor der gesamten gegenwärtigen Weltlage ist die grundlegende Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus - in ökonomischer, politischer, ideologischer, militärischer und kultureller Hinsicht. In seiner Rede auf der Festsitzung zum 30. Jahrestag des Sieges über den Faschismus sagte L. I. Breshnew: „Die große Kraft der sozialistischen Solidarität 6
S. Haffner, Nach der Entspannung, in: Merkur, Stuttgart, 11/1976, S. 1009.
7
Ebenda, S. 1005.
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hat die Gemeinschaft der im Warschauer Vertrag und im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe vereinigten Staaten zu einem der mächtigsten Organismen im internationalen Leben werden lassen. Ihre Politik ist zum entscheidenden Faktor des Schutzes der Interessen des Friedens und der Unabhängigkeit der Völker geworden." 8 In der Atmosphäre eines unvergeßlichen Volksfeiertages wurde in unserem L a n d e und in der ganzen Welt der 30. Jahrestag des Sieges über den Faschismus begangen, eines Sieges, der von entscheidender Bedeutung nicht nur für das Schicksal unserer sozialistischen Heimat, sondern auch für die Zivilisation und den Fortschritt in der ganzen Welt war. Überaus wichtige Ereignisse waren die Siege der Völker von Vietnam und Laos über den amerikanischen Imperialismus und die von ihm eingesetzten volksfeindlichen Marionettenregimes sowie die Siege der Völker des afrikanischen Kontinents über den Kolonialismus. D i e Erfolge des Sozialismus zerschlugen die Hoffnung des Imperialismus auf militärische Überlegenheit gegenüber dem Sozialismus. Unter diesen Bedingungen setzen sich die Leninschen Prinzipien der friedlichen Koexistenz immer stärker in deti internationalen Beziehungen durch. „ D i e Entspannung ist ein Objekt harter politischer und ideologischer Auseinandersetzungen", stellte M. A. Suslow fest. „Unsere Einschätzungen ihres Verlaufs und ihrer Perspektiven sind leninistisch realistisch, und gerade deshalb sind sie von historischem Optimismus durchdrungen. Denn der Entspannung liegt eine fundamentale Veränderung des Kräfteverhältnisses auf dem Schauplatz des internationalen Geschehens zugunsten des Friedens und des Sozialismus zugrunde. D a s ist jedoch ein Faktor von ständiger Wirksamkeit, ein Faktor von wahrhaft unvergänglicher Bedeutung." 9 D i e Entspannung der internationalen Lage verläuft widersprüchlich, dialektisch, setzt sich jedoch unablässig fort, schreitet voran, weil dieser Prozeß tiefe objektive Grundlagen besitzt. D i e Konsequenz und Entschiedenheit im Kampf für die Vertiefung und Erweiterung der Sphären der Entspannung der internationalen Lage, für die E r gänzung der politischen Entspannung durch die militärische, für die Erweiterung der gegenseitig vorteilhaften Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, die die K P d S U und die Sowjetregierung zeigen, zerschlagen und entlarven die Manöver der Entspannungsgegner und rufen Interesse, Anerkennung und Begeisterung bei immer neueft Kräften hervor, die für die Festigung des Friedens in der ganzen Welt kämpfen. Die Politik der U d S S R im Kampf für den Frieden, für die Entspannung der L. I. Breshnew, Rede auf der Festsitzung anläßlich des 30. Jahrestages des Sieges über den Faschismus, in: Neues Deutschland vom 9. Mai 1975. ^ M. A. Suslow, Der Leninismus ist Anleitung zum revolutionären Handeln, in: Neues Deutschland vom 23. April 1975, S. 3. 8
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internationalen Lage ist eine zutiefst humanistische, wissenschaftlich fundierte, im Interesse aller Menschen der Welt, aller Völker liegende Politik. Diese Politik wird in die Weltgeschichte, in die Geschichte der Menschheit als das wichtigste Moment eingehen, das unter den gegenwärtigen Bedingungen die große progressive Rolle der UdSSR und der Länder der sozialistischen Gemeinschaft charakterisiert. Die KPdSU ging und geht davon aus, daß der Klassenkampf der beiden Systeme - des kapitalistischen und des sozialistischen - in der Sphäre der Ökonomie, der Politik und natürlich der Ideologie weitergehen wird. Das kann auch nicht anders sein. Denn die Weltanschauung und die Klassenziele von Sozialismus und Kapitalismus sind gegensätzlich und unversöhnlich. Doch wir werden erreichen, daß dieser historisch unvermeidliche Kampf in Bahnen gelenkt wird, in der keine Kriege, keine gefährlichen Konflikte und kein unkontrolliertes Wettrüsten drohen. Das wird ein gewaltiger Gewinn für die Sache des Friedens in der ganzen Welt, für die Interessen aller Völker, aller Staaten sein. Der ideologische Kampf um die Entspannung ist der wichtigste Teil des ideologischen Kampfes in der gegenwärtigen Zeit. Den wissenschaftlichen Kadern aller Gesellschaftswissenschaften ist die Aufgabe gestellt, die Prinzipien der friedlichen Koexistenz weiter allseitig auszuarbeiten. Es ist notwendig, die Gegner der Entspannung gründlich zu entlarven, die Schädlichkeit und Falschheit ihrer Argumente und Überlegungen aufzudecken. Es ist nötig, in der internationalen Arena in immer umfassenderer Weise allseitig und fundiert die Leninsche Politik der friedlichen Koexistenz, der Entspannung zu propagieren. Alle Kräfte müssen angespannt werden, um die Entspannung unumkehrbar zu machen, denn es gibt zur Entspannung keine andere Alternative als die Gefahr einer kriegerischen Katastrophe. Das Mitte der siebziger Jahre entstandene neue Kräfteverhältnis in der internationalen Arena macht tiefen Eindruck auf die bürgerlichen Wissenschaftler und Ideologen, die sich mit internationalen Problemen beschäftigen, und veranlaßt sie, die eigenen Auffassungen zu revidieren und nach einer Antwort auf die Frage nach der Zukunft der internationalen Beziehungen zu suchen. Die „Theorien" von der „Beseitigung des Kommunismus" gehören schon fast der Vergangenheit an; immer schwächer sind die Stimmen von der „Eindämmung des Kommunismus" zu vernehmen; immer mehr aber wird von einer begrenzten Rolle der USA in den nächsten Jahren im Vergleich zur voraufgegangenen Nachkriegsperiode gesprochen; es wird festgestellt, daß die amerikanische Außenpolitik in zunehmendem Maße nicht allein von den USA, sondern auch von anderen Kräften abhängen wird, die heute entscheidende Bedeutung besitzen. Bekannte Forschungszentren - wie z. B. das Washington Center for Foreign Policy Research, das Institute of W a r and Peace Study, die Hoover Institution of War, Revolution and Peace, die Graduate Group in Peace Research der Ufiiversity of Pennsylvania, das Center for International Affairs der Harvard University, das International Institute for Strategie Studies in London, das Institut 220
français d'études stratégiques in Paris - revidieren ihre alten Konzeptionen und versuchen, die neue Situation, das neue Kräfteverhältnis in der Welt zu begreifen und mit entsprechenden Theorien eine neue Politik, die diesen Veränderungen angepaßt ist, zu begründen. Alle diese Ideologen bauen jedoch ihre Theorien in gewissem Sinne auf Sand. Ihre Sicht ist begrenzt durch den engen Horizont der bürgerlichen Klasseninteressen, sie besitzen keine wahrhaft wissenschaftliche Methodologie. Das Wachstum der revolutionären Kräfte in der Welt - des Weltsystems des Sozialismus, der Arbeiterbewegung in den Ländern des Kapitals und der nationalen Befreiungsbewegungen - , die Zunahme der revolutionären Gärung unter der Jugend und innerhalb der Armeen bürgerlicher Länder sowie die Revolutionierung der fortschrittlichen Intelligenz - all das begreifen die bürgerlichen Ideologen nicht, wollen sie nicht begreifen. Die Krise des Kapitalismus und das Wachsen der Macht der sozialistischen Gemeinschaft führen ihre Theorien ad absurdum, neue Theorien tauchen auf und geraten wieder in Vergessenheit, ohne jemals nennenswerte Bedeutung erlangt zu haben. Der revolutionäre Weltprozeß aber schreitet voran, er entwickelt sich, wobei sich diese Entwicklung nicht gleichmäßig, nicht geradlinig, sondern dialektisch, widersprüchlich und mit unterschiedlichem Tempo vollzieht. Eine überaus wichtige Besonderheit der Gegenwart besteht in der gewaltigen Zunahme der Rolle, die die Ideen des Marxismus-Leninismus auf dem Erdball spielen. Immer deutlicher stellt sich heraus, daß die Epoche der revolutionären Erneuerung unseres Planeten, die Epoche des Ubergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zugleich auch ein Prozeß der immer weiteren Verbreitung der Leninschen Ideen in der Welt ist. Der Marxismus-Leninismus, der heute die dominierende geistige Kraft in der Welt darstellt, übt einen vielfältigen Einfluß auf die Entwicklung der Politik und der Ideologie der verschiedenen Klassen und politischen Parteien sowohl in den industriell entwickelten kapitalistischen Ländern als auch in den Entwicklungsländern aus. Selbst Gegner des Marxismus-Leninismus und des realen Sozialismus kommen nicht umhin, die gewaltige internationale Bedeutung des Sozialismus in Theorie und Praxis zu berücksichtigen und - wenn auch widerwillig - anzuerkennen. Auch der Einfluß des Marxismus-Leninismus und des praktischen Beispiels des Aufbaus des Sozialismus auf die nationalen Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen, der damit zusammenhängende antiimperialistische Charakter dieser Bewegungen muß immer mehr zur Kenntnis genommen werden. Es hat in den letzten Jahren eine Reihe von internationalen wissenschaftlichen Konferenzen, Symposien und Kongressen in den Gesellschaftswissenschaften gegeben. Diese wissenschaftlichen Foren haben anschaulich gezeigt, wie die Autorität, wie das Ansehen des Marxismus-Leninismus, unserer Philosophie, des wissenschaftlichen Kommunismus, der revolutionären Weltanschauung gewachsen ist. Höchst augenfällig war die Überlegenheit des schöpferischen Marxismus auf 221
dem Internationalen Philosophenkongreß in Warna. Der Kongreß zeigte noch einmal, daß es nur von den Positionen der marxistisch-leninistischen Theorie möglich ist, eine philosophische Verallgemeinerung und ein Verständnis der zentralen Prozesse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und d e Entwicklung der Menschheit zu gewinnen. Der Kongreß war dem Thema „Mensch, Wissenschaft, Technik" gewidmet. Der bürgerlichen Philosophie stellten die Vertreter der marxistisch-leninistischen Philosophie wissenschaftliche, umfassend begründete und beweiskräftige Antworten auf alle im Rahmen dieses Themas aufgeworfenen Fragen entgegen, was selbst von Antimarxisten anerkannt werden mußte. Auf dem VIII. Internationalen Soziologenkongreß, der im August 1974 in Toronto stattfand, wurde in den Reden vieler Soziologen aus kapitalistischen und Entwicklungsländern festgestellt, daß es ohne Hinwendung zum Marxismus unmöglich ist, die fortschreitende Entwicklung der Gesellschaft, die in ihr vorgehenden Prozesse und den diesbezüglichen Einfluß der wissenschaftlich-technischen Revolution zu analysieren. Der Einfluß der marxistisch-leninistischen Theorie war so bedeutend, d a ß der durch seine antikommunistischen Auftritte bekannte amerikanische Soziologe S. M. Lipset gezwungen war festzustellen, daß es schwer sei zu begreifen, wo der Kongreß stattfinde - in Kanada oder irgendwo in der Sowjetunion, an der Universität Toronto oder an der Moskauer Universität. Immer häufiger sprechen bürgerliche Ideologen heute davon, daß man sich von der Voreingenommenheit gegenüber dem Marxismus-Leninismus freimachen müsse. Doch daraus werden höchst paradoxe Schlußfolgerungen gezogen. Es geht ihnen darum, die bürgerlichen Theorien durch Teile des Marxismus abzustützen, aber ohne den Leninismus, ohne den wissenschaftlichen Kommunismus, ohne den revolutionären Geist. Die bürgerlichen Ideologen verkünden die „Wiedergeburt von Marx". Dabei versuchen sie, Marx in einen Stubengelehrten zu verwandeln. Sie befassen sich damit, einzelne Aussagen der marxistischen Theorie mit den Werken E. Dürkheims, M. Webers und anderer „Klassiker" des bürgerlichen Denkens zu vergleichen, Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen, um dann schließlich das Wesen des Marxismus-Leninismus zu entstellen. Die bürgerlichen Ideologen unternehmen Versuche, neue Formen des Kampfes gegen den Marxismus-Leninismus zu entwickeln. Gehen wir auf einige Manöver der Ideologen der Bourgeoisie, des Reformismus und des Revisionismus ein, die darauf gerichtet sind, sich der Situation anzupassen. Der bürgerliche rechte Extremismus, der engstirnige, fanatische Antikommunismus, ist noch keineswegs von der geschichtlichen Bühne verschwunden. Dieser Antikommunismus, der unter dem Einfluß der Veränderungen, die in der historischen Situation vor sich gehen, eine offensichtliche Krise durchmacht, ist gezwungen, anderen Arten und Formen des Antikommunismus, die ihr Wesen verschleiern und maskieren, Platz zu machen und in den Hintergrund zu treten. Doch er existiert trotz seiner historischen Defensive weiter. Sein strategisches Hauptziel 222
besteht darin, die Länder des Sozialismus zu spalten und Chauvinismus und Nationalismus zu propagieren. In diesem Zusammenhang muß auch die Gefahr des Neofaschismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen hervorgehoben werden. Als politische und ideologische Reservewaffe der Monopolbourgeoisie existiert der Neofaschismus nicht nur weiter, sondern entwickelt auch neue Aktivitäten sowohl in den USA als auch in Italien, in Frankreich, in der B R D und in einer Reihe von lateinamerikanischen Ländern. In Fällen äußerster Notwendigkeit nimmt die Monopolbourgeoisie voll und ganz zu dieser W a f f e Zuflucht (Chile). Wenn ihre Herrschaft bedroht ist, dann bricht die Bourgeoisie, ohne sich lange zu besinnen, mit der bürgerlichen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und den bürgerlichen Freiheiten und wechselt auf die Gleise des Faschismus über. Betrachtet man jedoch die ideologische Situation im ganzen, so ist zu sagen, daß in der ideologischen Strategie unserer Gegner heute elastischere Formen in den Vordergrund treten, äußerlich reputierlichere Ansichten und Konzeptionen, die sogar Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben; Konzeptionen, deren allgemeiner Sinn in Aufrufen und Versuchen besteht, den „modernen Kapitalismus zu reformieren, seine Gebrechen zu überwinden und ihm ein „modernes", für die Massen annehmbares Aussehen zu verleihen. In den letzten Jahren wird in den philosophischen, politologischen, soziologischen und politökonomischen Arbeiten bürgerlicher Autoren sowie in speziellen Untersuchungen zur Logik, zur Erkenntnistheorie und Gesellschaftstheorie immer häufiger die These von der „Pluralität" der Wahrheit herausgestellt. Der allgemeine Inhalt der Überlegungen zu diesem Thema läuft darauf hinaus, daß angeblich alle Ergebnisse der modernen Wissenschaft zu der Idee führten, daß es eine „Pluralität der Wahrheiten" gäbe. Dabei wird hervorgehoben, daß diese These gewissermaßen die Grenzen der Gnoseologie erweitere und die Möglichkeit eröffnet, die „einseitige" Sicht auf viele natürliche und soziale Prozesse zu überwinden. Aus der Konzeption folgt - und ihre Anhänger geben das auch unumwunden zu - , daß sowohl die bürgerlichen Theorien als auch die marxistisch-leninistischen Theorien wahr seien. Die Idee vom „Pluralismus der Wahrheit" offenbart heute ihre deutlich ausgeprägte Klassengrundlage. Die Versuche einer relativistischen Erklärung der Geschichte durch die Negierung von Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung führen zu extremer Forschrittsfeindlichkeit, zur Predigt des Zynismus. Es entspricht ganz dieser ultrareaktionären Linie, wenn - mit pluralistischer „Argumentation" - behauptet wird, daß auch ein Sieg des Faschismus im zweiten Weltkrieg ein Beitrag zum Fortschritt der Menschheit gewesen wäre. Denn auch ein Sieg des Faschismus wäre als „Wahrheit" betrachtet worden, weil die faschistische Propaganda danach behauptet hätte, daß die Faschisten mit dem Sieg über die Kommunisten die „abendländische Welt befreit" und die „Zivilisation gerettet" hätten. 223
Selbstverständlich ist die imperialistische Propaganda in der Lage, beliebigen antikommunistischen Dogmen, selbst menschenfeindlichen, faschistischen, eine „höhere Weihe" zu geben. Aber die Position eines solchen sozialen Relativismus ist zutiefst unwissenschaftlich. Der soziale Fortschritt ist kein Spiel blinder Kräfte der Geschichte. Der Faschismus als politisches System, als Ideologie, war aufgrund der ihm eigenen sozialen Eigenschaften zum Untergang verurteilt. Und das fand im Verlaufe der geschichtlichen Entwicklung, durch seine Zerschlagung eine volle Bestätigung. Wenngleich der reaktionäre Charakter der Konsequenzen, die sich aus der These von der „Pluralität" der Wahrheit ziehen lassen, offensichtlich ist, so muß man sich doch mit dieser These gründlich auseinandersetzen, denn sie nimmt im ideologischen Arsenal der Gegner des Marxismus-Leninismus einen besonderen Platz ein. Das gewachsene Interesse der bürgerlichen Ideologen an den Problemen der Persönlichkeit ist in der gegenwärtigen Epoche insbesondere darauf zurückzuführen, daß der Sozialismus reale Möglichkeiten für die harmonische, allseitige Entwicklung des Menschen schafft, während sich im imperialistischen Stadium des Kapitalismus die Prozesse verstärken, die zur Entpersönlichung und Degradierung der Persönlichkeit führen, die die Macht der Entfremdung des Menschen verstärken. Daher rührt auch das Bestreben der bürgerlichen Autoren, diese Prozesse in einer verzerrten Perspektive darzustellen und die Aufmerksamkeit auf abstrakte Gegenüberstellungen der technischen Zivilisation und des Menschen zu fixieren. Besonders deutlich trat dieses Motiv bei den Vertretern der sogenannten Frankfurter Schule zutage. Das ist eine typisch bürgerliche philosophische und soziologische Schule, die - mitunter durch die Flagge des „authentischen Marxismus" getarnt - versuchte, die Übel des Kapitalismus und gleichzeitig die „Unzulänglichkeiten und Übel" des Sozialismus zu kritisieren. Welches sind die charakteristischsten und wesentlichsten Züge der ideologischen, sozialpolitischen und philosophischen Auffassungen der Frankfurter Schule? Das ist erstens die sogenannte Kritik am modernen Kapitalismus als industrieller oder superindustrieller Gesellschaft; eine Kritik, die sich in gleichem Maße auch auf den entwickelten Sozialismus bezieht, der als „Art der Industriegesellschaft" angesehen wird. Das ist zweitens die für alle Ideologen dieser Schule typische Weigerung, die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse anzuerkennen. Das ist drittens die Verwandlung der Kategorie der „Negation" in eine Art Absolutum, das das kritische Wesen der Dialektik angeblich in der klarsten Form ausdrücke. Man muß hervorheben, daß im Ausland, in den Kreisen der westeuropäischen, amerikanischen und lateinamerikanischen Philosophen und Soziologen sowie unter den Vertretern breiter Kreise der Intelligenz die Frankfurter Schule oft als „Neomarxismus", als „westlicher Marxismus" bezeichnet wird, der dem „östlichen Marxismus", d. h. mit anderen Worten dem Marxismus-Leninismus gegenübergestellt wird. 224
E s muß festgestellt werden, daß viele Vertreter der „Neuen Linken", Studenten und Hochschullehrer die Vertreter der Frankfurter Schule - Horkheimer, Adorno, Marcuse, Fromm, Habermas - als Repräsentanten des modernen Marxismus betrachten. D i e Vertreter der Frankfurter Schule, die einen gewissen Beitrag zur Entwicklung einer kritischen Einstellung gegenüber den Mängeln der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft leisteten, versuchten, aus dieser Tatsache Kapital zu schlagen. Im ganzen gesehen hat jedoch die politische Philosophie Adornos, Marcuses, Fromms, Horkheimers und Habermas' nichts mit dem Marxismus gemeinsam, sondern stellt ein typisches Beispiel für die verzerrte Widerspiegelung des Marxismus in der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Literatur dar. D i e Frankfurter Schule und ihre „Theoretiker" behinderten die Jugend dabei, sich die Lehre des Marxismus-Leninismus anzueignen. Sie entwaffneten ideologisch und desorientierten die wirklich fortschrittlichen Kreise unter der westeuropäischen und amerikanischen Intelligenz. Ausführlich, auf hohem theoretischen Niveau und von den Positionen des Marxismus-Leninismus aus werden die „negative Dialektik" Adornos, die freudistische, psychoanalytische Theorie Fromms, die „linksradikalen" Positionen Marcuses über die Integration der Arbeiterklasse im Kapitalismus, Horkheimers Betrachtungsweise der Ideologie als eines schlechthin falschen Bewußtseins, als eines Phänomens der Manipulierung des Massenbewußtseins und andere Standpunkte in einer von Dawydow vorgelegten Arbeit untersucht. 10 Bekanntlich trägt W. I. Lenins Arbeit „Der ökonomische Inhalt der Volkstümlerrichtung und die Kritik an ihr in dem Buch des Herrn Struve" den charakteristischen Untertitel „ D i e Widerspiegelung des Marxismus in der bürgerlichen Literatur". Schon damals hat Lenin den Charakter der Ansichten des „legalen Marxismus", des Struvismus als einen bestimmten Ausdruck der Verfälschung des Marxismus in Form seiner teilweisen verbalen Anerkennung bestimmt. Schon damals zeugte diese Methode von der mächtigen K r a f t des Marxismus. Jetzt, da der Marxismus die herrschende Ideologie in den sozialistischen Ländern ist, da sich Millionen von Menschen in der ganzen Welt unter seinem Einfluß befinden, ist die Widerspiegelung des Marxismus im Bewußtsein bestimmter bürgerlicher und kleinbürgerlicher Kreise zu einer weitverbreiteten Erscheinung geworden. Als eine dieser Erscheinungen, an der wir nicht achtlos vorübergehen können, sind auch die philosophischen und sozialen Auffassungen der sogenannten Frankfurter Schule anzusehen, deren Schöpfer sowie Epigonen gern mit dem Marxismus kokettieren und sich sogar „Marxisten" nennen, obwohl ihre Ansichten vom Marxismus ebenso weit entfernt sind, wie die Ansichten Struves in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vom Marxismus entfernt waren. Ihre „kritische Theorie" betrachtet den heutigen Kapitalismus unter dem Blickwinkel eines Phänomens der Wissenschaft und Technik. In ihr wird die sich 10
Siehe J . N . Dawydow, Kritik der sozialphilosophischen Anschauungen der „Frankfurter Schule", Moskau 1977.
15
Mitin, Ideologischer K a m p f
225
verstärkende Sinnlosigkeit des Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft und das Schwinden humanistischer Motive fixiert. Dabei wird die klassenmäßige Analyse ersetzt durch eine Betrachtung des „Menschen an sich". Die Notwendigkeit der sozialen Revolution wird ersetzt durch eine Evolution des gesellschaftlichen Bewußtseins. Horkheimer und Adorno haben sich pessimistisch über die Möglichkeiten der sozialen Befreiung des Menschen geäußert. Marcuse dagegen und Habermas meinten, daß die Befreiung möglich sei auf der Grundlage der einfachen Negation des Kapitalismus durch gesellschaftliche Randgruppen. Die Frankfurter Schule kritisiert die bürgerliche Gesellschaft, ihre Humanitätsfeindlichkeit, die Erniedrigung der Persönlichkeit usw. Doch diese Theorie richtet die Spitze ihrer Kritik auch gegen den Sozialismus als einzige Alternative zum Kapitalismus. Damit erweist sich diese Doktrin als eine spezifische Variante der bürgerlichen Ideologie. In der „kritischen Theorie" liegt die Rückkehr vom konsequenten Materialismus zum Idealismus auf der Hand. Die Ignorierung der Rolle der Arbeiterklasse desorientiert die progressiven Studenten, deren Aktionen nur im Rahmen des revolutionären Kampfes erfolgreich sein können. Die „kritische Theorie" stellt also eine Verfälschung und Verdrehung von grundlegenden Aussagen der marxistisch-leninistischen Lehre von den Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung und des Ubergangsprozesses vom Kapitalismus zum Sozialismus dar. Einzugehen ist an dieser Steller ferner auf Positionen, wie sie von Klaus Mehnert, Chefredakteur der Zeitschrift „Osteuropa" und Mitglied der Leitung der „Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas", vertreten werden. 1 1 Mehnerts Positionen sind eindeutig von antikommunistischen und antisowjetischen Prämissen gekennzeichnet. Er analysiert die ideologischen Prozesse und die Gärungen unter der Jugend, die in der westlichen Gesellschaft, d. h. im Kapitalismus, im Gange waren, und stellt die Frage, ob die Sowjetunion in dieser Hinsicht wirklich „immun" sei. Was sind nach Mehnerts Ansicht die Ursachen für die in der westlichen Welt zu beobachtenden Erscheinungen unter der Jugend, für die Entstehung der Ideen der „neuen Linken"? Es sind „Faktoren der modernen Zivilisation", die in den Ländern des Westens zur Entstehung einer „Konsumgesellschaft" geführt und die Bewegung der „neuen Linken" hervorgerufen haben, und zwar: die Akzeleration, die Vergrößerung der Freizeit, die Urbanisierung, die Entfremdung, die Einsamkeit, die sozialen Anomalien, die Rauschgiftsucht, die Kriminalität usw. Doch Mehnert zählt diese Erscheinungen, die es zweifellos gibt, nicht nur auf, sondern er geht zur Erklärung dieser Erscheinungen über. Und hier wird sofort die Unzulänglichkeit der Methodologie des Autors sichtbar, das Fehlen einer sozialökonomischen Analyse dieser Erscheinungen, das Unvermögen, ihre soziale Grundlage und ihre wirklichen Ursachen aufzudecken. Dann analysiert Mehnert die Lage in der Sowjetunion und gelangt zu dem 11
Siehe K . Mehnert, Moskau und die neuen Linken, Wien-München-Zürich
226
1973.
Schluß, daß es dieselben Erscheinungen auch in der UdSSR gäbe. Doch es ist interessant, wie er bei ihrer Erklärung vorgeht. Die meisten bürgerlichen Autoren und auch einige sowjetische Autoren - meint Mehnert - vertreten die Auffassung, daß die „neuen Linken" ein Gewächs seien, das auf dem Boden und im Klima der modernen Industrie- und Konsumgesellschaft gewachsen und erblüht ist. Wenn das zutrifft, so ergeben sich zwei Fragen: 1. Hat der Westwind diese Pflanze nach dem Osten getragen? 2. Sind der Boden und das Klima in der Sowjetunion von der Art, daß sie es derartigem Samen zu keimen und der Saat sich zu entwickeln erlauben? Man erhält in Moskau verschiedene Antworten, meint Mehnert. Aber die meisten Autoren seien optimistisch. Doch man müsse sich die Aufgabe stellen, umfangreiches Material aus sowjetischen Quellen zu dieser Frage zu analysieren und darauf Schlußfolgerungen zu gründen. Mehnert, der diese Quellen auf seine Weise und wiederum entsprechend seiner eigenen „Methodologie" verfälscht und „präpariert", kommt zu der Schlußfolgerung, daß viele Erscheinungen der „westlichen industriellen Gesellschaft" auch in der UdSSR anzutreffen seien und daß ein Teil der sowjetischen Jugend dem Einfluß dieser Erscheinungen der „Zivilisation" ausgesetzt sei. Ziemlich offen verleiht er seinen Hoffnungen Ausdruck: Mögen diese Prozesse in der Sowjetunion zunehmen; mögen sie sich in den verschiedensten Modifikationen entfalten - letzten Endes werden sie - so hofft der Autor - ihre Ergebnisse zeitigen, werden sie unmerklich die sowjetische Gesellschaft zersetzen. Da die bürgerlichen Ideologen gegenüber dem Marxismus-Leninismus zwar nicht freiwillig kapitulieren, jedoch zu Anpassungsversuchen gezwungen sind, wählen viele die Flucht in die totale Utopie. Natürlich findet man auf diesem Weg ins historische Abseits auch Garaudy. Als er einen „neuen Gott" inthronisierte und behauptete, daß seine früheren atheistischen Ansichten falsch gewesen seien, da schien es, als könne es mit diesem Renegaten nicht weiter abwärts gehen. Doch übertraf sich Garaudy - selbst zur Verwunderung seiner „Freunde" und Nutznießer - selbst, als er eine politische Mystik kreierte, die jeden aufgeklärten Menschen im 20. Jahrhundert nur in Erstaunen versetzen kann. Garaudy behauptet, daß sich „der Mensch des 20. Jahrhunderts" unvermittelt seiner ungewöhnlichen Möglichkeiten bewußt geworden sei, aber nicht wisse, nach welchen Zielen er streben solle. Ja, der Begriff des Zieles verfalle selbst einer zunehmenden skeptischen Ablehnung. Dies einmal anerkannt, führt zu dem Schluß, daß folglich auch der Kommunismus kein Ziel darstellen könne. Auch die Philosophie, die in der modernen Welt vernichtet worden sei und über die der Positivismus, der Pragmatismus und der Behaviorismus Siege errungen hätten, könne dem Menschen keine Orientierung mehr geben. Eine reale Antwort auf den Sinn des Lebens könne nur noch eine „neue Religion des Tanzes" geben. Als letzte Weisheit verkündet Garaudy, daß in Wahrheit die durch das Leben beschwingt und unbekümmert Tanzenden die „wahren Philosophen" seien. 12 Siehe R. Garaudy, Die Alternative. Ein neues Modell der Gesellschaft jenseits von K a p i -
12
talismus und Kommunismus, Wien/München/Zürich 1 9 7 3 .
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Man gewinnt dabei den Eindruck, daß das eine Phantasmagorie ist, daß all dies jenseits des logischen Denkens liegt. D i e Aufgabe dieser ideologischen Produktion liegt jedoch klar auf der H a n d : Die Aufmerksamkeit der Jugend und der Werktätigen soll von den wirklichen, realen Zielen des Kampfes für ihre Zukunft, von den Aufgaben des Kampfes gegen den Kapitalismus, von den wirklichen Aufgaben, die der heutigen Menschheit gestellt sind, abgelenkt werden. Was mit Garaudy im einzelnen und mit dem Revisionismus im allgemeinen geschehen ist, stellt eine höchst eindrucksvolle Bestätigung der Leninschen These dar, daß jegliches, selbst das geringste Abgehen vom Marxismus auf Grund der Logik der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Logik des Klassenkampfes, des ideologischen Kampfes in den Sumpf des Opportunismus führt. Im Jahre 1974 erschien in Frankreich das Buch „Sozialismus im Atomzeitalter" von Jules Moch. Moch ist ein Vertreter der französischen sozialistischen Partei, französischer Staatsmann und Politiker, ein bekannter Ideologe des sogenannten demokratischen Sozialismus. E r ist bekannt nicht nur für seine antisowjetischen und antikommunistischen Ansichten; er ist auch bekannt als aktiver Verteidiger der politischen und sozialen Institutionen des kapitalistischen Staates. In seiner Arbeit behauptet er, daß die marxistische These von der Konzentration der Produktion veraltet sei. Der Konzentrationsprozeß, der besonders in den U S A an seine Grenze gekommen sei, habe aufgehört, und es habe ein Prozeß der Dekonzentration begonnen. Veraltet ist nach Mochs Ansicht auch die marxistische These von der Rolle des Eigentums an den Produktionsmitteln. D a s schon jetzt bestehende nichtkapitalistische Eigentum gehöre faktisch den Administratoren, den „Technokraten", und daher bestehe „für den demokratischen Sozialismus keine Notwendigkeit, den Charakter des Eigentums zu ändern". Wenn es noch einer Charakteristik des Wesens des „demokratischen Sozialismus" als einer in Beziehung zum Kapitalismus apologetischen „Theorie" bedurft hätte, so können die „Ideen" Jules Mochs als eine besonders offene Repräsentanz für dieses Wesen, für die direkte Verteidigung des Kapitalismus angesehen, werden. Entsprechend seiner Ausgangsthesen legt Moch folgende „Arten des modernen Sozialismus" fest: a) den demokratischen weltlichen Sozialismus, b) den demokratischen religiösen Sozialismus, c) den kooperativen Sozialismus - Nächstenliebe, allgemeine Vergebung, Achtung der religiösen Gebote, d) den liberalen Sozialismus, e) den autoritären Sozialismus. 13 Schlußfolgernd daraus, behauptet Moch, daß der „autoritäre Sozialismus" der Prototyp des Kommunismus, der Antipode des „demokratischen Sozialismus" sei. Alle diese Klassifizierungen des Sozialismus gebraucht Moch dazu, um sein Dogma von der „Pluralität" des Sozialismus in der gegenwärtigen Welt zu bekräftigen. Als Antwort darauf können wir feststellen: E s gibt nur einen einzigen Sozialismus - den realen Sozialismus auf der Basis des wissenschaftlichen Sozialismus. 13
Vgl. J. Moch, Socialisme de l'ère atomique, Paris 1974, S. 22.
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Alle übrigen „Formen des Sozialismus" sind entweder bürgerliche Theorien unter der Flagge des Sozialismus, die dessen Popularität und Anziehungskraft auf die Massen ausnutzen, oder revisionistische Fälschungen und Entstellungen rechter oder „linker" Machart zur Diskreditierung des wissenschaftlichen Sozialismus. Schon im „Manifest der Kommunistischen Partei" haben Marx und Engels die Konzeption eines feudalen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Sozialismus einer vernichtenden Kritik unterzogen. Die Idee einer Pluralität von „Sozialismen", auf die die bürgerlichen Ideologen heute spekulieren, wurde schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geboren. Viele Ideologen, die der Arbeiterklasse zutiefst feindlich gegenüberstanden und denen die Interessen der Arbeiterklasse fremd waren, haoen die Anziehungskraft des Sozialismus auf die breiten Massen der Menschen auszunutzen versucht. Den Worten von K. Marx und F. Engels zufolge trug das sozialistische Ideal in diesen Lehren oft einen Scheincharakter, einen pseudowissenschaftlichen, verfälschten Charakter. Nicht selten stellte es die kleinbürgerliche Auslegung der proletarischen Befreiungsbewegung dar. Die klassenmäßige Charakteristik der verschiedenen Versionen der sozialistischen Lehre in der Epoche der westeuropäischen bürgerlich-demokratischen Revolutionen, die in den Werken der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus •enthalten ist, besitzt auch heute eine große methodologische Bedeutung für das Studium der Evolution der bürgerlichen Ideologie und der Verfahren ihrer weltanschaulichen Mimikry. Sie hilft, den konjunkturellen Charakter vieler gegenwärtiger pseudosozialistischer Doktrinen zu entlarven. Die „Sozialismen" sind Produkte der im bürgerlichen Bewußtsein vollzogenen Widerspiegelung jenes Ideals, zu dem Millionen von Menschen streben. D i e Idee von der Pluralität der „Sozialismen" ist keine proletarische, sondern eine bürgerliche Idee. In eine „sozialistische Toga" versuchen sich heute ^ogar die am weitesten rechts stehenden Reaktionäre zu hüllen. Man darf nicht vergessen, d a ß die deutschen Faschisten unter der Flagge des Nationalsozialismus auftraten. Alle diese Manöver der bürgerlichen und revisionistischen Ideologie, die auf die Schwächung der wachsenden Macht der marxistisch-leninistischen Ideen gerichtet sind, erfordern von uns einen aktiven und offensiven Kampf. Im Rechenschaftsbericht auf dem XXV. Parteitag der KPdSU sagte L. I. Breshnew dazu: „Im Kampf der zwei Weltanschauungen darf es keinen Raum für Neutralismus und Kompromisse geben. Hier bedarf es hoher politischer Wachsamkeit, aktiver, operativer und überzeugender propagandistischer Arbeit und einer rechtzeitigen Abwehr aller feindlichen ideologischen Störversuche." 13 Das ist ein edler Kampf für unsere großen Ziele, das ist Klassenkampf für den Menschen, für den Triumph des brüderlichen Bündnisses zwischen den Völkern, für den Triumph des Friedens, des Sozialismus und des Kommunismus. )/'
L. I. Breshnew, XXV. Parteitag der KPdSU, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und die nächsten Aufgaben der Partei in der Innen- und Außenpolitik, Berlin 1976, S. 91.
229
Namenverzeichnis
Abraham, K. 55 Adler, M. 131 Adorno, Th. W. 155, 179, 225, 226 Aptheker, H. 69 Aron, R. 50, 66, 68, 88, 114, 133, 162, 217 Ascheri-Osterlow, A. 131 Aspaturjan, V. P . 63 Astrov, V. 23
Ballenström, K. H. Bardet, B. 171 Bartsch, G. 133 Basta, D . 66 Bauer, B. 152 Belkina, G. 90
133
Breshnew, L. I. 7, 8, 51, 78, 82, 91, 99 r 102, 103, 105, 111, 113, 195, 196, 198, 202, 211, 213, 218, 219, 229 Brousse, P. 130 Bruce-Briggs, B. 98 Brzezinski, Z. K. 29, 30, 96, 190 Bucharin, N. 22, 23 Buhr, M. 58, 90, 143, 154, 157 Bulgakov, S. N . 22 Buret, A.-E. 139
Campbell, J. 63 Cazelle, Ph. 58 Comte, A. 164 Cornu, A. 150
Bell, D . 25, 29, 68, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 116 Berdjaev, N . A. 22, 171 Bergner, D . 182 Bergson, H. 171 Bemal, J. 56 Bernstein, E. 17, 131 Besse, G. 58 Bettelheim, Ch. 79 Beyer, W. R. 90, 144, 155 Beyme, K. von 63 Blake, S. 63 Bloch, E. 153
Dahrendorf, R. 88 Danilin, G. 117 Darwin, Ch. 58 Dawydow, J. N . 225 Denike, J. P. 23 Denny, R. 205 Deutscher, I. 139 Dietzgen, J. 27 Diligenski, G. G. 115 Drucker, P. F. 115, 116 Dubrovinski, I. 129 Dühring, E. 62. 133, 138, 144 Dürkheim, E. 89, 222
Bocheñski, J. M. 77, 78, 130, 133 Bogdanov, A. 129 Bohr, N. 146 Bohring, G. 168 Borgius, W. 136, 137 Bottomore, T. B. 132 Boulding, K. E. 31
Earle, W. 147, 148 Edeling, H. 177 Einstein, A. 28. 146 Ellul, J. 49, 50, 88, 118, 119, 170, 17U 184, 191 Engelberg, E. 162
230
Engels, F. 8, 11, 16, 17, 18, 22, 35, 38, 40, 42, 58, 62, 78, 80, 89, 90, 91, 120, 125, 128, 129. 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 144, 145, 149, 150, 156, 157, 160, 162, 175, 182, 188. 198, 199, 200, 229 Enzensbergec, H. M. 81 Etzioni, A. 29 Fcrsman, A. 54 Fetscher, I. 83. 133 Feuerbach, L. 11, 38, 134, 135, 137, 142, 155, 156, 182 Fichte, J. G. 150, 151, 152, 153, 156 Fischer, E. 15, 79, 83, 108, 130, 153 Flechtheim, O. K. 84, 140, 169, 170 Ford, G. 217 Fourastié, J. 29, 207 Frank, S. L. 22 Freud, S. 25, 118 Frolow, I. 109 Fromm, E. 38, 89, 94, 96, 171, 182, 183, 184, 185, 191, 225 Fulbright, J. W. 101 Galbraith, J. K. 29, 75, 205, 206 Gaietti, A. 162 Garaudy, R. 66, 79, 81, 90, 108, 117, 118, 126, 130, 149, 150, 151, 152, 153, 189, 227, 228 Gedó, A. 90 Gejzenberg, V. 146 Giscard d'Estaing, V. 217 Glazer, N. 205 Gleserman, G. J. 95 Gollwitzer, H. 89 Gorki, A. M. 16 Graeber, F. 156 Graeber, W. 156 Greenfield, J. 205 Griffith, W. A. 84 Grlic, D. 66 Grossner, C. 73 Habermas, J. 225, 226 Hànisch, W. 212 Haffner, S. 218 Hassner, P. 217
Haym, R. 144 Hegel, G. W. F. 8, 12, 13, 15, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 160, 161, 162, 163, 164, 165, Heidegger, M. 89, 174, 180, 181 Heisenberg, W . 146 Hertzfeld, R. 7 Heussi, K. 161 Hilferding, R. 23 Hill, D. 207, 208 Hörz, H. 146 Hollitscher, W. 189 Hook, S. 145
134, 149, 153, 166,
142, 150, 159, 196
Horkheimer, M. 179, 225, 226 Hrzal, L. 90 Hume, D. 129 Hyppolite, J. 154, 155 Iribadzakov, N. 128 Izgoev, A. S. 22 Jacobs, P. 70 Jaeglé, P. 58 Jaspers, K. 89, 179 Joffe, A. F. 53, 54, 55 Jowtschuk, M. 1 . 128 Julier, E. 90 Jungk, R. 170 Kahn, H. 29, 72, 73, 96, 98 Kant, I. 1 2 , 1 6 , 1 5 1 , 1 5 2 . Karsavin, F. W. 22 Kassof, A. 63, 64 Kierkegaard, S. A. 146 Kissinger, H. A. 102, 217 Klaus, G. 143, 154 König, H. 124 König, R. 88 Kohn, H. 94 Kolakowski, L. 130 Komarov, V. L. 54 Kon, I. S. 162, 165 Korsch, K. 131 Kosik, K. 130 Kosing, A. 94 Kreisky, B. 217
231
Küttler, W. 162 Kugelmann, L. 43, 44, 45 Kulow, H. 177 Laboor, E . 21? Labriola, A. 131 Landau, S. 70 Landgrebe, L. 130 Lapin, N . 150 Lefèbvre, H. 15 Lenin, W. I. 7. 8, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 40, 41, 42, 43. 44, 4:S, 46, 47, 48, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 62, 65, 77, 78, 79, 80, 83, 89, 90, 92, 93, 98, 99, 100, 103, 105, 113, 120, 121, 125, 126, 129, 130, 131, 132, 138, 139, 149, 151, 155, 158, 161, 162, 163, 181, 196, 215, 218, 219, 220, 221, 225, 228 Leonhard, W. 83 Leont'ev, A. N . 22 Lessing, G. E . 143 Lévi-Strauss, C. 149 Lewin, G. 63 Ley, H. 58, 146 Lichtheim, D. 133 Liebknecht, K. 140 Lippmann, H. 120 Lipset, S. M. 68, 89, 222 Lobkowicz, N . 132 Losskij, N. O. 22 Lübbe, H. 161 Mandel, E. 79, 139 Marcuse, H. 26, 27, 81, 83, 89, 139, 157, 185, 186, 191, 225, 226 Marek, F. 83, 130 Markov, W. 157 Marx, K. 11, 14, 16, 17, 18, 22, 25, 29, 32, 35, 38, 39, 40, 42, 43, 44, 45, 46, 58, 59, 62, 67, 71, 78, 80, 81, 83, 89, 90, 91, 118, 120, 125, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 147, 149, 150, 152, 153, 155, 156, 157, 158, 160, 161, 162, 163, 1 7 3, 174, 175, 176, 181, 182,
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183, 185, 187, 188, 192, 193, 198, 199, 200, 201, 222, 229 Masaryk, T. 89 McCarthy, J. 86 McLuhan, M. 71 Meadows, D. 109 Mehnert, K. 124, 226, 227 Mehring, F. 150 Melnikow, A. N 115 Mendelssohn, M. 143 Mercier, A. 127 Metzger, J. 58 Micurin, I. V. 54 Milhau, J. 58 Mills, C. W. 70, 89, 202, 203 Mocek, R. 182 Moch, J. 228 Modrshinskaja, E. D. 71, 85, 105 Monod, J. 58 Morgenthau, H. S. 171 Moskwitschew, L. N . 67 Münchmcyer, H.-H. 73 Mumford, L. 184 Naville, P. 139 Nemec, V. 56 Newfield, J. 205 Niemeyer, G. 133 Nietzsche, F. 66, 67, 118, 146 Ninio, J. 58 Nixon, R. 86 Odujew, S. F. 67 Oetker, A. 73 Oiserman, T. I. 90, 150 Osborn, R. 25, 26 Ovsjannikov, M. 150 Packard, V. 205 Papst Paul VI. 102 Pareto, V. 89 Pavicev, V. 67 Pearce, B. 182 Pellikani, L. 133 Petrovic, G. 15? Picht, G. 171 Planck, M. 55
Platon 144 Plechanow, G. W . 12, 43, 132 Popper, K. R. 89, 144, 145, 146 Potemkin, A. V. 57 Poulantzas, N. 139 Pozzoti, C. 131 Radlov, E. L. 22 R e d d a w a y , P. 83 Reich, Ch. 186 Reich, W . 189 Reichenbach, H. 146 Reissmann, L. 80, 81 Rieft, Ph. 172 Riesman, D. 205 Rostow, W . W . 75, 207 Roubaud, P. 58 Rubel, M. 132, 133 Rumi, V. 128 Sagladin, W . 109 Saint-Simon, C. H. de 75 Sartre, J . P. 89, 189 Sassulitsch, V. F. 131 Schaff, A. 189 Schapiro, L. 83 Scharlau, W . 101 Schelling, F. W . J . von 146, 152 Schelsky, H. 81 Schieder, W . 133 Schlesinger, A. M . 34 Schmidt, A. 133 Schmidt, H. 217 Schopenhauer, A. 144, 146 Semjenow, B. 114 Sève, L. 188, 189 Shils, E. 68 Sik, O. 108 Sismondi, J. Ch. L. S. de 139 Slepkov, A. N. 23 Sobol'ev, M. 22 Soboul, A. 157 Solov'ev, V. 22 Sorel, J. 89 Sorokin, P. A. 31, 32, 33, 34, 88, 89, 165 Spencer, H. 162, 164 Spengler, O. 165
Spinoza, B. 143 Steigerwald, R. 27, 90 Steinberg, H. 24 Steinbüchel, Th. 25 Stepanjan, Z. A. 71 Stepun, F. A. 22 Stirner, M. 152 Stojanovic, S. 210 Struve, P. B. 13, 14, 225 Sulzbach, W . 94 Suslow, M. A. 219 Tadlok, M . 172 Taylor, F. 115 Teilhard de Chardin, P. 149 Thomas von Aquino 25 Tindemans, L. 217 Tönnies, F. 89 Toffler, A. 171, 191, 192 Touraine, A. 116, 117 Toynbee, A. J. 18, 19, 164, 165, 170, 171 Tucker, R. 133 Türkauf, M. 59 Turgot, A. R. J. 162 Ulam, A. B.
83
Vavilov, S. I. 53, 54, 55, 56 Veblen, Th. B. 89 Verne, J. 170 Vogl, D. 212 Vvedenskij, A. I. 22 Watt, J. 141 Waxman, C. I. 68 Weber, M. 75, 89, 222 Weizsäcker, C. Chr. von Wessel, H. 91 Wetter, G. A. 15, 130 White, M . 34 Wiener, A. J . 72 Wilson, H. 217 Wipper, R. J . 22 Wittgenstein, L. 25 Wolfe, T. 63 Zimmerli, W . Ch.
73
95
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