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German Pages 368 Year 2018
Robert Seifert Popmusik in Zeiten der Digitalisierung
Studien zur Popularmusik
Robert Seifert, geb. 1980, arbeitet als Autor und Redakteur zu Digitalisierungsthemen in Berlin. Der Mediensoziologe war in Hamburg, München und Chemnitz tätig und promovierte an der Universität Erfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienaneignung, Kommunikationswissenschaft, Cultural Studies und Themen wie Popmusik und digitale Spiele. Er ist leidenschaftlicher Musiksammler und DJ.
Robert Seifert
Popmusik in Zeiten der Digitalisierung Veränderte Aneignung – veränderte Wertigkeit
Die Arbeit ist eine angenommene Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt.
© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4482-1 PDF-ISBN 978-3-8394-4482-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
1. Einleitung | 7
1.1 Relevanz und Erkenntnisinteresse | 9 1.2 Abgrenzung und Einordnung der Arbeit | 30 2. Der Popmusik-Begriff | 51
2.1 Popmusik ist Musik | 53 2.2 Popmusik ist Pop(ulär) | 62 2.3 Popmusik ist politisch | 80 2.4 Popmusik ist Unterhaltung und Vergnügen | 89 2.5 Popmusik ist soziale Konstruktion | 99 2.6 Popmusik – das soziale Medium | 111 2.7 Popmusikgenres | 114 2.8 Was ist Popmusik? | 138 3. Popmusik und Sozialisation | 145
3.1 Musikalische Sozialisation | 145 3.2 Musikalische Selbstsozialisation | 155 3.3 Aneignung von Popmusik | 157 3.4 Popmusik und Identität | 168 4. Popmusik und Technologie | 189 4.1 Musik, Tonträger und Abspielgeräte – Beispiele für Technologieformate und ihre sozialkulturellen Implikationen | 191 4.2 Popmusik in der Mediamorphose | 194 4.3 Mediamorphosen und ihre sozialen Konsequenzen für die Musik | 201 5. Popmusik und Ökonomie | 217
5.1 Popmusik als Ware | 217 5.2 Der Popmusikmarkt | 223 5.3 Die Musikindustrie | 228 5.4 Konsequenzen der veränderten Popmusikökonomie | 240 6. Zwischenfazit – Veränderungen in der Bedeutung und Nutzung von Popmusik | 247
6.1 Digitalisierung | 249 6.2 Aneignung und (De-, Ent- und Re-)Kontextualisierung | 250 6.3 Der Wert von Popmusik | 252
7. Fallbeispiele | 259
7.1 Fallbeispiel 1: MP3 | 260 7.2 Fallbeispiel 2: Musikdownload Blogs | 268 7.3 Fallbeispiel 3: Bandcamp | 286 7.4 Fallbeispiel 4: Streaming | 290 7.5 Fallbeispiel 5: Hipster | 307 8. Fazit | 317
8.1 Demokratisierung und Entsinnlichung der Popmusikerfahrung | 317 8.2 Neubewertung durch Vielfalt und physische Rekontextualisierung | 319 8.3 Bedeutung und Wert von Popmusik | 321 8.4 Unvorhersehbare Nebeneffekte des digitalen Wandels von Popmusik | 322 Literatur | 323
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Einleitung
Wir hören Popmusik, wir sehen Popmusik, wir sprechen und schreiben über Popmusik. Wir lesen von ihr und diskutieren über sie. Wir sind enthusiastische Fans und entdecken neugierig die Popmusikwelt, die uns umgibt. Wir wühlen in der Popmusikgeschichte und freuen uns auf neue Alben. Oder aber: Wir sind gleichgültig Popmusik gegenüber, erleben sie als alltäglich, nehmen sie als Hintergrundrauschen war, sind vielleicht gelangweilt von ihr oder sogar genervt. Denn Popmusik kann auch Lärm sein. Der Streit zwischen Ruhe suchenden Stadtbewohnern und Clubbetreibern ist in den Metropolen der Welt seit langem ein Thema und ein bedeutender Baustein der Gentrifizierungsdebatte (vgl. Heinen, 2013; Lobato, 2006). Popmusik kann sogar gezielt als Folterinstrument eingesetzt werden, wie Berichte aus dem 2. Weltkrieg (vgl. Funk-Hennings & Jäger, 1996, S. 56 ff.) oder aus Guantánamo (vgl. Cusick & Joseph, 2011) zeigen. Popmusik kann aber auch Generationen verbinden (Hartogh, 2013, S. 459-459) oder trennen und Protest ausdrücken (vgl. Baacke, 1999, S. 18-28; S. 55ff.). Sie kann Lebenshilfe sein, als Trauermusik oder bei Liebeskummer (vgl. Schütz, 2008, S. 266) und dabei als Gefühlsregulator fungieren (Schramm & Kopiez, 2011, S. 256-259). Zuallererst denken wir bei Popmusik jedoch meist an Unterhaltung, Zeitvertreib, Entspannung, Vergnügen oder Anregung (vgl. ausführlich Kapitel 2.4). Popmusik wird in dieser Hinsicht zur Verschönerung oder Erleichterung des Alltags genutzt, oft aber auch, um aus dem Alltag auszubrechen (Burkart, 2002, S. 387). Popmusikalische Nutzungsmodi unterscheiden sich dabei stark voneinander. So wird Popmusik heute individuell auf kompakten, tragbaren Geräten oder zu Hause über teure High-End-Anlagen konsumiert. Sie kann mittels Internet gezielt abgerufen werden, oder man kann sich ihr in der Öffentlichkeit aussetzen – spontan, bei überschaubaren Clubveranstaltungen oder bei großen, lange geplanten Events. Popmusik beschreibt jedoch mehr als anhand dieser Nutzungsmodi deutlich wird. Sie bildet heute einen milliardenschweren Markt (IFPI, 2016a) und ist damit wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ökonomisch geht es bei Popmusik um weit mehr als nur um Musik. Die technische Peripherie für das Produzieren, Übertragen und Ab-
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spielen von Musik bildet ebenso Marktsegmente wie Ticketing, Merchandising oder die Medien, die sich der Popmusik als Inhalt bedienen. Aufgrund ihrer immateriellen Verfasstheit berührt Popmusik in vielen Punkten aber auch in besonderer Weise das Recht. Häufig ging es vor allem im Zuge der Digitalisierung in den vergangenen Jahren um Urheberrechtsstreitigkeiten, wie der Fall Moses Pelham gegen Kraftwerk gut illustriert. Pelham nutzte ein ca. zweisekündiges Sample eines Kraftwerkliedes von 1977 für einen Song, den er 1997 für Sabrina Setlur produzierte. Er fragte nicht um Erlaubnis und Kraftwerk klagten folgerichtig. Sie bekamen zunächst recht, ihr Argument des Schutzes geistigen Eigentums griff. Pelham ging bis vor das Bundesverfassungsgericht und berief sich auf die Kunstfreiheit, denn gerade im HipHop sind Samples und deren spontane Nutzung unabdingbar, so die Argumentation. Das Bundesverfassungsgericht gab dieser Klage statt (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 31. Mai 2016). Sampling wurde damit gewissermaßen als Kulturtechnik für die Herstellung von Popmusik anerkannt.1 Dieses Beispiel illustriert bereits das Spannungsfeld aus Technologie, Ökonomie und Kultur, in dem sich Popmusik gegenwärtig – im digitalen Zeitalter – bewegt und permanent verändert. Viele weitere Beispiele wären anzuführen und werden im Verlauf der Arbeit auch thematisiert. Im Mittelpunkt steht dabei neben ökonomischen Interessen und Optionen, die der technologische Fortschritt im Zuge der Digitalisierung verstärkt anbietet, immer auch der ewige Streit um die Frage nach dem künstlerischen Wert von Popmusik. Kunst und Popmusik haben traditionell ein gespaltenes Verhältnis. Sie werden mal mehr, mal weniger zusammengedacht und zusammengeführt und sie unterliegen gesellschaftlichen Kanonisierungen. Wie an mittlerweile etablierten und anerkannten Popmusikhelden der 1950er, 1960er oder 1970er Jahre ablesbar wird. Galten Elvis Presley, The Beatles oder Pink Floyd früher als geschmacklos, gar subversiv und ganz sicher nicht als künstlerisch bedeutsam, so wandelte sich die Sicht auf Popmusik ihre Darstellungsweisen und ihre Bedeutung im Laufe der Jahrzehnte. Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan im Jahre 2016 ist da nur ein vorläufiger Höhepunkt. Popmusik befruchtet heute über Klang, Ästhetik und – wie Dylans Auszeichnung nahelegt – nicht zuletzt auch über Texte viele andere Kulturbereiche. Wie bedeutsam das kulturelle Areal Popmusik jedoch wirklich ist, welchen Wert es für den Einzelnen und vielleicht auch für die Gesellschaft hat, bleibt dennoch ungeklärt. Die vorliegende Arbeit will hier anknüpfen und die Bedeutung von Popmusik herausarbeiten. Im Zentrum der Ausführungen wird dabei die Aneignung von Popmusik stehen, denn, so die Ausgangsthese der Arbeit, an veränderter Aneigung kann die veränderte Wertigkeit von Popmusik abgelesen werden. Die Aneignung von Popmusik ist vor allem sozial, technisch und ökonomisch geprägt und hat sich 1
Der Rechtsstreit wird mittlerweile auf europäischer Ebene fortgesetzt (vgl. Bayer, 2017).
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aufgrund der vielfältigen technologischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte stark verändert. Um dies möglichst konzentriert darzulegen wird das Thema in insgesamt acht Kapitel untergliedert. Zunächst soll die Relevanz der Arbeit geklärt werden und eine wissenschaftliche Einordnung erfolgen (Kapitel 1): Warum und aus welcher Perspektive muss sich Wissenschaft überhaupt mit Popmusik beschäftigen? Popmusik ist als Gegenstand multidimensional und kann von vielen Seiten beleuchtet werden, die in diesem Rahmen unmöglich alle zur Sprache kommen können, beiziehungsweise in großen Teilen nur gestreift werden. Insbesondere sollen in dieser Arbeit die technologisch induzierten Veränderungen der Zugänge zu Popmusik erörtert werden, aber auch die sozialen und historischen Implikationen finden Berücksichtigung. Anschließend wird Popmusik als zentraler Gegenstand der Arbeit herausgearbeitet (Kapitel 2): Was genau soll unter dem Begriff verstanden werden und welche Facetten hat Popmusik? Fragen nach dem Verhältnis von Pop, Kunst, Politik und Musik werden hier geklärt und das soziale Element der Popmusik herausgearbeitet. Im weiteren Verlauf der Arbeit richtet sich der Fokus auf Popmusik und Sozialisation (Kaptiel 3). Insbesondere wird Popmusik hier anhand der Konzepte Aneignung und Identität verhandelt. Schließlich werden die technologische (Kapitel 4) und die ökonomische (Kapitel 5) Seite von Popmusik näher betrachtet. Nach einem Zwischenfazit (Kapitel 6) werden fünf markante Fallbeispiele vorgestellt (Kapitel 7), die entlang des Dreiklangs technologischer, sozialer und ökonomischer Grundlagen Veränderungen in Aneignung und Bewertung von Popmusik verdeutlichen. Ein Fazit (Kapitel 8) schließt die Arbeit ab.
1.1 RELEVANZ UND ERKENNTNISINTERESSE Popmusik ist in aller Ohren, sie umgibt uns tagtäglich. Für manche ist sie von großer Bedeutung, während andere sie eher beiläufig wahrnehmen oder gar als »Müll« (Platzgumer & Neidhart, 2012) abtun. Warum soll sich nun aber diese Arbeit, warum soll sich Wissenschaft mit Popmusik beschäftigen? Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Lange Zeit wurde Popmusik relativ wenig sozialwissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil. Dies ist gerade im deutschsprachigen Raum auch am nachhaltigen Einfluss der Frankfurter Schule festzumachen. Massenhaft hergestellte Kulturgüter wie Popmusik galten für Horkheimer und Adorno (1944/2011), noch unter dem Eindruck des Nationalsozialismus, als minderwertige, vom totalitären Herrschaftssystem der Kulturindustrie durchgeplante Unterhaltung, gewissermaßen als Opium für das Volk, deren Relevanz einzig darin lag, »den Käufer am Markt zu orientieren« und an die großen Konzerne zu binden (vgl. Horkheimer & Adorno, 1944/2011, S. 171). Aus dieser Sichtweise speiste sich lange Zeit die Kritik an allen
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medialen Unterhaltungsangeboten. Besonders in Abgleich mit anderen Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen, die explizite Informationsanteile besitzen, wurde der Popmusik in der Folge nachdrücklich die Relevanz abgesprochen (Friedrichsen, 2008). Mit dem »Cultural Turn« kam es ab der zweiten Häfte des 20. Jahrhunderts zu einem neuen Blick auf das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum, der in einer Hinwendung zur Beforschung alltäglicher sozialer und medialer Praktiken beispielsweise in den Cultural Studies (vgl. Hall, 1973; Riesman, 1950/1990) mündete. Auch in der Kommunikations- und Medienforschung entwickelten sich komplexere und am Nutzer orientierte Kommunikationsmodelle (Beck, 2010a, S. 193ff.). Nach und nach reifte die Einsicht, dass der »Konsum von Produkten der Kulturindustrie […] ein aktiver Prozess der Aneignung im Rahmen der Relevanzstrukturen der Lebenswelt« ist (Mikos, 2015, S. 221). Es kam in der Folge auch in der Kommunikationswissenschaft zu einer Neubewertung des Unterhaltungsbegriffes (Wünsch, 2006). Dies ist nun also die erste Relevanzbegründung: Unterhaltung ist heute als Nutzungsmotiv von Medien anerkannt und bedeutsam und damit wird auch die unterhaltende Popmusik relevant. Popmusik ist aber, wie hier noch herausgestellt werden soll, deutlich mehr als Unterhaltung. Ihre Aneignung hat weitreichende soziale, kulturelle und auch politische Relevanz. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Herausarbeitung der Bedeutung von Popmusik auf individueller wie auf kollektiver Ebene. Die Aushandlung dieser Bedeutungen geschieht entlang der technologischen und ökonomischen Verfasstheit von Popmusik. Eine Verfasstheit, die sich in den Jahrzehnten ihres bestehens stetig gewandelt hat und mit der Digitalisierung völlig neu gedacht werden muss. Ebenso wie digitale Transformation viele andere Lebensbereiche mittlerweile fest im Griff hat2, verändert sie seit Jahren auch die Popmusik nachhaltig. Die zentrale Ausgangsthese dieser Arbeit lautet daher:
Prozesse der Digitalisierung und die damit verbundenen Veränderungen der Aneignungsweisen haben Popmusik auf unterschiedlichen Ebenen stark verändert. Damit veränderten sich auch Bedeutungszuschreibungen an Popmusik.
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Wie stark und umfänglich die digitale Transformation Gesellschaft und Politik verändert und noch verändern wird und welche Bedeutung die Digitalisierung hat, davon zeugen die intensive Beschäftigung journalistischer Medien mit dem Thema (vgl. exemplarisch Broy & Precht, 2017; Hill, 2017; Jung, 2017; Schulz, 2016; Schulz, 2017; Welzer, 2017), Zusammenschlüsse von Industrie und Wirtschaft wie das FTTH Council Europe (www.ftthcouncil.eu), ebenso wie die Neuausrichtung der politischen Agenda auf europäischer Ebene (vgl. European Commission, 2015) oder die Förderung digitaler Infrastruktur in Deutschland (vgl. bspw. Breitbandbüro des Bundes, 2016).
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Popmusik bedeutet heute etwas Anderes als noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir gehen anders mit ihr um, bringen ihr andere Formen und andere Mengen von Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegen. Gleichzeitig haben sich technologische und ökonomische Kontexte stark gewandelt und sind womöglich Auslöser oder aber auch Ergebnis dieser Veränderungen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diese Veränderung von Popmusik und der ihr entgegengebrachten Wertschätzung anhand der sie umgebenden und sich stetig wandelnden Kontexte nachzuzeichnen. Dazu werden, im Anschluss an die eingehende Beleuchtung des Konzepts Popmusik, soziale, technologische und ökonomische Dimensionen der Veränderung aufgezeigt. Diese werden anhand von fünf Fallbeispielen mit unterschiedlichen Schwerpunkten illustriert, um abschließend Ableitungen bezüglich des Wandels der Bedeutung von Popmusik zu treffen. Aus kommunikationswissenschaftlicher, auch aus pädagogischer und soziologischer Sicht interessieren in erster Linie die sozialen Komponenten von Popmusik. Also die Fragen danach, warum sie so einen hohen Stellenwert im Medienensemble hat. Immerhin ist sie für Jugendliche eine der drei wchtigsten Medientätigkeiten im Alltag, nur knapp hinter dem Internet und dem Smartphone (MPFS, 2016, S. 11-12).3 Daran schließen sich Fragen nach dem konkreten Umgang mit Popmusik an: Wie wird Popmusik konsumiert? Warum wird sie so konsumiert? Wie eignen sich Menschen Popmusik individuell oder auch in Gruppen an? Und vor allem: Welche möglichen Folgen oder welchen Nutzen hat dies? Wie wirken diese Aneignungsweisen auf die Popmusik zurück? In welcher Art und Weise kommunizieren Menschen, kommuniziert Gesellschaft über Popmusik? Zur Beantwortung dieser Fragen wird hier immer wieder auf drei Dimensionen von Popmusik rekurriert. Zunächst hat Popmusik wie jedes Medium unbestritten eine technologische Dimension. Nicht erst seit der Digitalisierung verändern sich die Zugänge zu ihr dramatisch. Ohne Speichermöglichkeiten und ohne standardisierte Notenlehre war Musik zunächst eine unmittelbar an Personen gebundene Live-Erfahrung, ähnlich wie Erzählungen, Märchen und Geschichten es ohne Schrift waren. Später konnte Musik verschriftlicht und damit standardisiert an Folgegenerationen weitergegeben werden. Musikstücke konnten damit um die Welt reisen und neue Publika erobern, mussten jedoch noch immer live vor Ort gespielt werden, um ihre auditive Gestalt wahrnehmbar zu machen. Erst die Möglichkeit der Aufnahme von Musikstücken auf Tonträgern, eine Technologie die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert etablierte, ermöglichte die unabhängige Speicherung von Tönen und damit die räumlich und zeitlich entgrenzte Wiedergabe von Musik. Seitdem – beziehungsweise spätestens seit der massenhaften Verbreitung von Tonträgern ab den 1950er Jahren und der steigenden Dominanz musikalischer Inhalte im Radio – ist die mediatisierte 3
Wobei hier eine Abgrenzung schwierig erscheint, da Internet und Smartphone als technische Geräte bzw. Infrastrukturen ebenfalls dem Zugriff auf Musik dienen können.
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Weitergabe und damit der medial vermittelte Zugang zu Musik Normalität. Selbstverständlich finden noch immer Live-Konzerte statt und haben eine gewisse, inzwischen sogar wieder gestiegene Bedeutung. Doch auch hier hat der technologische Fortschritt entscheidenden Einfluss genommen, indem er die Möglichkeiten der Musikpräsentation stark verändert hat. Mit der Digitalisierung erfuhr die Technologie zur Aufnahme, Speicherung und Wiedergabe von Popmusik in den letzten Jahrzehnten einen weiteren bedeutenden Entwicklungsschub, unter dem sich Aneignungsbedingungen und damit mutmaßlich die Bedeutung von Popmusik erneut stark wandelten. Diese jüngeren technologischen Veränderungen werfen neue Fragen auf, die ebenfalls im Zuge dieser Arbeit gestellt und in Teilen beantwortet werden sollen. Welche technologischen Determinanten spielen bei der Produktion und Aneignung von Popmusik heute eine Rolle? Welche Auswirkungen haben veränderte Zugangsweisen? Was macht beispielsweise die ubiquitäre Verfügbarkeit endloser Playlists mit uns, mit der Musik und mit der Wertschätzung, die wir der Musik entgegenbringen? Sind Alben überhaupt noch zeitgemäß? Was hat es mit der Rückkehr von Vinyl auf sich? Wie wirkt sich die Mobilisierung des Popmusikkonsums aus? Wie verändert sich dadurch gegebenenfalls die Rolle von Popmusik für die Gesellschaft? Anhand dieser Fragen wird leicht erkennbar: Die zweite, die soziale Dimension von Popmusik ist von ihrer technologischen Seite nur schwer zu trennen. Der Zugang zu und die Aneignung von medial vermittelten Inhalten wie Musik ist niemals nur sozial, sondern immer auch technologisch gerahmt. Dass Popmusik ein soziales Medium ist, leuchtet ein, denn sie ist mehrheitlich von Menschen für Menschen erzeugte Unterhaltung. Sie war aber darüber hinaus in einigen Fällen auch Medium der Veränderung oder gar der Revolution. Daran anknüpfend stellen sich also Fragen nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Kann Popmusik so etwas wie politische Kraft entfalten oder ist sie nur verkaufsfördernde Hintergrundbeschallung? Ist Popmusik in der Lage sozial und gesellschaftlich etwas bewegen, und wenn ja, was? Aber auch Fragen nach der oft umstrittenen kulturellen Funktion und dem Verhältnis von Pop und Kunst werden Thema dieser Arbeit sein. Ist Popmusik überhaupt Kultur? Hat sie einen kulturellen Wert? Ist sie gar Kunst? Was ist Popmusik überhaupt und welche gesellschaftlichen Bereiche berührt sie oder kann sie berühren? Popmusik hat zudem – und das darf bei allen technologischen, theoretischen und manchmal sehr idealistischen und wohlwollenden Ausführungen niemals vergessen werden – eine sehr ausgeprägte ökonomische Dimension. Ihre Produktion kostet heute in der Regel Geld. Paradoxerweise ist sie dennoch vielfach kostenlos abrufbar. Streaming, Clubbing, Live-Konzerte, Downloads, aber auch nach wie vor physische Tonträger, Radio und Merchandise sind Begriffe, die nicht nur Zugangsweisen zu Popmusik beschreiben, sondern eben auch ihre heterogenen ökonomischen Ankerpunkte umreißen und die in Teilen hier geklärt, gegeneinander abge-
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wogen und mit Blick auf die sozialen und technischen Komponenten eingeordnet werden müssen. Um die genannten Aspekte zu untersuchen, wird diese Arbeit drei wichtige, in Teilen miteinander stark verflochtene, Forschungsinteressen verfolgen, in denen sich die eben angesprochenen drei Dimensionen – Technologie, Soziales, Ökonomie – stets wiederfinden: zunächst beim Zugang zu und bei der Aneignung von Popmusik. Dazu zählen technologische Faktoren, die insbesondere im Hinblick auf die sich verändernden Aufnahme-, Abspiel- und Speichermedien für Popmusik eine bedeutende Rolle spielen. Dazu zählt aber auch die Ökonomie. Popmusik ist eine Ware. Es bedarf bestimmter Mittel, sie herzustellen und es Bedarf bestimmter Mittel, sie zu konsumieren. Der Popmusikmarkt umfasst heute deutlich mehr als die Musik selbst. Künstler verkaufen Merchandise, auf Konzerten und in Clubs werden bestimmte Getränke angeboten, Zeitschriften berichten gegen Bezahlung. Technologie und Ökonomie werden ergänzt um eine soziale Komponente, der sich in dieser Arbeit ausführlich gewidmet werden soll. Alle drei Faktoren – Technologie, Ökonomie und soziale Komponenten – bestimmen und verändern den Zugang und damit auch die Aneignungsweisen und Aneignungskontexte von Popmusik. Ein zweites Forschungsinteresse zielt auf die gesellschaftlichen Folgen dieser Aneignungsweisen, nämlich auf die Rolle von Popmusik als kulturelles Gut und auf ihre meso- und makrosozialen Funktionen. Dazu zählen die Abwägung zwischen Pop als Kunst und Pop als Unterhaltung, die Einordnung von Musik als U- oder E-Musik, die Nutzung von Popmusik als Mittel zur politischen Kommunikation, aber vor allem das Potenzial von Popmusik als ein Medium der Vergemeinschaftung und der Identitätsstiftung. Auch hier spielen für die Popmusik technologische, soziale und ökonomische Komponenten eine bedeutende Rolle; etwa wenn neue Formen der Internetökonomie mit alten Medien wie Schallplatten in einem sozialen Netzwerk wie Bandcamp zusammenkommen (vgl. dazu Kapitel 7.3). Ein drittes Interesse wird nicht explizit behandelt – dies wäre umfassend auch gar nicht leistbar – schwingt aber bei vielen Ausführungen mit: Popmusik als Geschichte. Popmusik hat ohne Frage eine besondere Historizität. Zahlreiche Begriffe, Bezüge, soziale Funktionen, Technologien und Aneignungsleistungen lassen sich nur mit Blick auf den historischen Kontext verstehen. Gleichzeitig bedeutet Historizität aber auch, »daß wir uns in erster Linie auf die Zukunft orientieren« (Giddens, 1999, S. 69). Daher wird in dieser Arbeit die Geschichte von Popmusik, ihre Hauptund Nebenstränge, die Technikgeschichte, aber auch die öknomische und soziale Geschichte immer wieder eine Rolle spielen. Denn ihr Verständnis ist unabdingbar für die Einordnung gegenwärtiger wie zukünftiger Entwicklungen.
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1.1.1 Zugang und Aneignung von Popmusik Der Zugang zu und die Aneignung von Popmusik, so der erste Ausgangspunkt dieser Arbeit, sind technologisch, ökonomisch und sozial bestimmt. Um Entwicklungen und Unterschiede zu verdeutlichen sind vor allem die verschiedenen Zugangsund Aneignungsmodi interessant. Also die Fragen nach dem Wie und dem Wo des In-Kontakt-Tretens mit Musik. Dieser Kontakt kann zum einen ein direkter Audiokontakt sein, also das Musikhören in allen vorstellbaren Kontexten. Neben der Möglichkeit, Musik live bei einem Konzert oder im Club 4 wahrzunehmen, sind Tonträger sowie nichtphysische digitale Formate für die Rezeption von Musik von großer Bedeutung. Zum anderen ist ein Kontakt zu Musik auch über verschiedene weitere Medien im weitesten Sinne möglich (vgl. Tabelle 1). Eine tradierte Form der Speicherung von Musik sind beispielsweise Notenblätter. Hier wird Musik in standardisierter schriftlicher Form festgehalten. Besonders für die Aneignung von Popmusik ist jedoch die komplette Bandbreite von Medien relevant: Zeitschriften, Websites und Bücher, TV-Sendungen, Musikvideos oder Filme. Denn mit ihrer Hilfe erhält man nicht nur Zugriff auf die Musik selbst, es werden durch sie auch Fakten, Hintergrundinformationen und Details präsentiert, die die Musik rahmen, positionieren und damit sozial einbetten. Die meisten Zugänge zu Popmusik erfolgen heute mittels technischer Medien (vgl. Beck, 2010a, S. 83). Es existieren jedoch auch nicht-technisierte Zugänge, beispielsweise über das direkte Gespräch mit Personen. Auch der Kauf von Musik im Handel oder auf einem Flohmarkt kann als nicht-technisiert gelten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Abwesenheit von Technik lediglich auf den ersten Schritt des Zugangs zu-
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Auch wenn im Club oft Tonträger oder als Dateien kodierte Musikstücke abgespielt werden, scheint es mit Blick auf den Erfahrungsmodus naheliegend, das Cluberlebnis aus musiksoziologischer Sicht trotz aller differierender Spezifika mit dem Erlebnis eines Live-Konzertes gleichzustellen. Einerseits finden sowohl Clubbing als auch Konzerte in der Regel in speziell zu diesem Zwecke bereitgestellten oder hergerichteten Orten statt. Es ist also in beiden Fällen notwendig, die Wohnung zu verlassen und diesen neutralen Ort aufzusuchen. Andererseits bringt es die Entwicklung der Popmusik in den letzten Jahrzehnten mit sich, dass die strikte Trennung zwischen »live« spielen und DJing durch moderne elektronische und digitale Instrumente – vom Synthesizer bis zum digitalen DJController – heute bei vielen Künstlern nahezu aufgehoben ist. Immer häufiger wird folgerichtig auch von »Acts« statt von »Bands« gesprochen und bei vielen dieser Acts kommt ein Großteil der Musik vom Band oder von voreingestellten Geräten wie Drummachines. Gleichzeitig erobern DJs zunehmend die großen Bühnen von Festivals, die ehemals als Refugium für Bands galten.
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trifft. Um die empfohlene oder gekaufte Musik zu hören, muss in einem zweiten Schritt wieder auf Technologie zurückgegriffen werden. Tabelle 1: Zugänge zu Popmusik und ausgewählte Beispiele Abspielgeräte
Plattenspieler, Walkman, Radiogerät, Fernseher, CD-Player, PC, Tablet, Smartphone
Träger- und Speichermedien
Notenblatt, Schallplatte, Kassette, CD-DA, MiniDisc, Festplatten
Formate
Notenschrift, analoge Audiosignale, digitale Audiosignale
Technische Verbreitungsmedien und
Radio, Fernsehen, Film, Clubs, Konzerte,
Bezugskanäle
Streamingdienste
Nicht-technische Verbreitungsmedien
Konzerte*, Groß-, Einzel- und Versandhandel,
und Bezugskanäle
Flohmärkte, Personen
Begleitmedien und Artefakte
Bücher, Fanzines, Zeitschriften, Mode,
(nichtauditiv)
Accessoires, Ausstellungen
* Auch wenn es in der Gegenwart nicht die Regel ist, werden einige Konzerte ohne technische Hilfsmittel (›unplugged‹) durchgeführt und verbreiten auf diese Weise musikalische Inhalte.
Komplettiert werden die Zugänge zu Popmusik durch nichtauditive Artefakte wie Fanartikel, beispielsweise T-Shirts, Poster oder Taschen, die im Sinne von UniKommunikation (Cathcart & Gumbert, 1983) ebenfalls als Medien, beispielsweise zur Selbstdarstellung, Identifikation oder Distinktion eingesetzt werden und damit Bausteine für den Zugang zu Musik sein können. Die mit Hilfe dieser Gegenstände in Face-To-Face-Situationen vermittelten Informationen zu Musik, Künstlern oder Kontexten können den Zugang zu Popmusik etablieren, festigen, verändern und nach außen kommunizieren. In Tabelle 1 sind die verschiedenen Zugangsoptionen für Popmusik systematisch zusammengefasst und mit einigen Beispielen ergänzt.5 Es wird deutlich, dass die meisten Zugangsmöglichkeiten medientechnologisch determiniert sind – selbst Notenblätter werden maschinell gedruckt beziehungsweise kopiert – oder zumindest im weiteren Verlauf der Aneignung die Nutzung von Me5
Eine erweiterte Version dieser Tabelle unter Einbezug der verschiedenen Phasen technologischer Veränderung von Musik ist in Kapitel 4.2 zu finden.
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dientechnologie erfordern. Lediglich die heute doch recht seltenen Formen des Akustikkonzerts oder des A-Capella-Gesangs entziehen sich einer medientechnologischen Durchdringung. Die Aneignung von Musik erfuhr durch die Digitalisierung einige entscheidende Veränderungen. Die Unabhängigkeit von physischen Tonträgern führte zunächst zu einem immensen Souveränitätsgewinn auf Seiten der Musikrezipienten. Durch digitale Dienste wie YouTube, iTunes oder Spotify wuchs das verfügbare musikalische Angebot ins Unermessliche, die Entscheidungsfreiheit nahm zu, gleichzeitig stieg jedoch auch der Kompetenzanspruch, denn die neuen Kanäle müssen in den Alltag und den Musikkonsum integriert werden. Dies erfordert Wissen, Beschäftigung mit den relevanten Medientechnologien und Entscheidungen für oder gegen bestimmte Nutzungsweisen. Aus konsumierenden Musikhörern wurden aktive Aneigner, die ihre Medienkompetenz dazu nutzten, die neuartigen Angebote in ihrem Sinne individuell und optimal zu verwenden. Grundsätzlich ist diese aktive Aneignung von Popmusik nichts Neues, sie wurde von den Cultural Studies bereits in den 1960er und 1970er Jahren betont, als es darum ging, die Bedeutung von populären Unterhaltungsmedien – neben Musik vor allem auch TV-Sendungen – gleichberechtigt neben den Konsum von politisch oder künstlerisch vermeintlich wertvollen Medienbotschaften zu stellen. Stuart Halls am Beispiel des Fernsehens durchexerziertes einflussreiches Encoding/Decoding-Modell leistete dafür einen wichtigen Beitrag. Es gestand den Rezipienten große Freiheiten bei der Interpretation von Medienbotschaften zu und machte deren Deutung von der verfügbaren Technologie, vom vorhandenen Wissen sowie vom sozialen Kontext abhängig (vgl. Hall, 1973). Gleichzeitig stellte es klar, dass Medienbotschaften auf Seite der Rezipienten sehr leicht anders verstanden werden können, als sie von Produzentenseite intendiert waren, denn beide Seiten haben unterschiedliche Voraussetzungen für die Kodierung beziehungsweise Dekodierung und »[i]n jeden dieser beiden Prozesse […] gehen unterschiedliche kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen ein […]« (Krotz, 2000, S. 168). Hall selbst beschreibt diese Bedeutungsasymmetrie zwischen gesendetem und empfangenem Kommunikat wie folgt: »The codes of encoding and decoding may not be perfectly symmetrical. The degrees of symmetry – that is, the degrees of ›understanding‹ and ›misunderstanding‹ in the communicative exchange – depend on the degrees of symmetry/asymmetry (relations of equivalence) established between the positions of the ›personifications‹, encoder-producer and decoderreceiver.« (Hall, 1973, S. 4)
Letztlich legt das Encoding/Decoding-Modell damit den Schluss nahe, dass Medienrezeption hochgradig individuell abläuft, da sie von spezifischen technisch und sozial gerahmten Zugangs- und Aneignungsweisen abhängt. Es nahm damit einiges von dem vorweg, was ein paar Jahrzehnte später unter dem Begriff der Medienan-
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eignung Eingang in die medien- und kommunikationswissenschaftliche Rezeptionsforschung finden sollte (Charlton, 1993; Schorb & Theunert, 2000). Dabei wurde der Rezipient als aktiv konzipiert. Er wendet sich Medieninhalten zu, selektiert und nutzt sie, beispielsweise zur Orientierung (Fleischer, 2007). Für die Popmusik trifft dies in besonderer Weise zu, könnte man meinen, folgt man dem Popkonstruktivismus von Diederichsen, denn »[d]er Witz des kulturindustriellen und künstlerischen Formats Pop-Musik ist, dass sie von allen Beteiligten immer wieder aktiv zusammengesetzt werden muss. Das verlorene Ganze, das im Kino von einem medial-technischen Dispositiv zusammengehalten wird, wird in der PopMusik von einem einst neuen Rezipiententypus zusammengefügt: dem Fan. Das Format entsteht nicht in der Produktion, nicht in der Abspielstelle, sondern in der Rezeption.« (Diederichsen, 2014, S. XVIII)
Diederichsen macht hier deutlich, dass Popmusik in zweifacher Weise spannend für die Medienaneignung ist. Einmal, weil sie, wie jede andere medial vermittelte Botschaft, den Unsicherheiten der Medienaneignung unterliegt. Zum zweiten aber – und das macht Popmusik so besonders – weil sie für sich nur als aktive soziale Konstruktion funktioniert. Ohne die Konstruktionsleistung der Hörer und Fans, wäre Popmusik eben keine Popmusik, sondern nur Musik und damit allein über ihre objektiv-konstitutiven audiophysikalischen Merkmale analysierbar. Popmusik jedoch entzieht sich dieser Analyse in großen Teilen. Sie hat unbestritten eine musikalische Komponente, entscheidender jedoch ist ihre soziale Verfasstheit (vgl. dazu auch Kapitel 2.2 und 2.5). Auch wenn die Begriffe Aneignung und Zugang zunächst die Rezeptionsseite fokussieren, erschöpft sich die Sicht auf die aktuelle Medienlandschaft und gerade die auf Popmusik darin nicht. Denn die fortschreitende Digitalisierung und die damit einhergehende Verbreitung von Kommunikationstechnologien ermöglicht Medienhandlungsoptionen, die weit über den bloßen Konsum hinausgehen (vgl. Theunert & Schorb, 2010, S. 244). Was bei der Anfertigung eigener Musikzusammenstellungen – sogenannte Mixtapes – mit dem Aufkommen der Kassetten in den 1970er und 1980er Jahren begann, konnte mit Hilfe digitaler Mittel deutlich einfacher und schneller, beispielsweise in Form von gebrannten CDs, Daten auf USBSticks oder individualisierten Playlists, fortgeführt werden. Medienökonomisch wurden so aus passiven Konsumenten aktive Prosumenten (Toffler, 1983). Doch die Optionen für die Musik-Prosumenten gehen weit über das Erstellen digitaler Mixtape-Äquivalente hinaus. Rezeptions- und Produktionsseite sind heute in der Popmusik noch viel stärker verschränkt. Gerade bei elektronischer Musik geht es immer weniger um das Neukomponieren als vielmehr um das kreative Neuzusammenfügen – um das Remixen – von sogenannten Tracks, die das Original in der Breitenwirkung nicht selten überflügeln. Sampling und Remix sind dabei keine mu-
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sikexklusiven Tätigkeiten. Zitationen und die Bearbeitung von Inhalten, um damit eigene Gedanken und Gefühle auszudrücken oder Informationen zu verbreiten, ist bereits seit den Anfängen des Web 2.0 und sogenannter sozialer Medien eine weit verbreitete Aktivität jugendlicher Mediennutzer (vgl. Lenhart, Madden, Macgill & Smith, 2007). Medienphänomene wie Fan-Fiction (Hellekson & Busse, 2006) oder Machinima (Lowood, 2006; Mascher, 2008) und Medienangebote wie YouTube (vgl. auch Kapitel 8.5) sind genau deshalb so erfolgreich. Autoren wie Alfred Smudits sprechen daher ganz allgemein vom Übergang der »Kulturwirtschaft« in eine »Kreativwirtschaft« (Smudits, 2007a, S. 140). Die Popmusik hat diesen Übergang längst hinter sich. Möglich wurde dies, weil Produktion und Distribution von Musik – aber auch von zugehörigen Texten, Fotos oder Videos – heute problemlos am heimischen Rechner ausgeführt werden können (Vogt, 2013). Nie war der Weg von der Aufnahme eines Musiktitels zur Rezeption so kurz und so direkt. Sind die nötige Software und das entsprechende Fachwissen vorhanden, genügt eine Idee und deren spontane Umsetzung, und ein neues Musikstück kann ohne große Probleme in guter Qualität aufgenommen und zügig verbreitet werden. Im Vergleich zu den immensen Anstrengungen, die junge Künstler im vordigitalen Zeitalter unternehmen mussten um ein adäquates Ergebnis zu erzielen, ist dies geradezu revolutionär. Nicht von ungefähr ist daher von einer Demokratisierung musikalischer Produktion (Anderton, Dubber & James, 2013, S. 19) die Rede, die mit Beschleunigungsvorgängen und letztlich mit einer exponentiell zunehmenden Menge an verfügbarer Popmusik einhergeht. Diese Entwicklung erschwert den Überblick und macht auf Seiten der Konsumenten die Ausbildung neuer Organisations- und Orientierungskompetenzen erforderlich. Aber nicht nur die vereinfachte Produktion lässt die Rezeptionsoptionen wachsen. Auch der mit dem Internet einhergehende Informationsüberfluss leistet einen großen Beitrag dazu, dass plötzlich viel mehr Musik verfügbar ist. So wurden in den vergangenen Jahrzehnten vor allem neue geografische Regionen wie Afrika, Asien oder Lateinamerika popmusikalisch erschlossen und zudem sehr viel Musik aus zurückliegenden Jahrzehnten durch Wiederveröffentlichungen verfügbar gemacht. Das Internet und seine Möglichkeiten wirken dabei als Katalysator und als stetig wachsendes Archiv, wie das Beispiel der Musikdownload Blogs (Kapitel 7.2) veranschaulicht. Zu den technologischen Veränderungen, die unmittelbar mit Popmusik als technischem Medium und damit insbesondere mit deren Produktion und Rezeption zu tun haben, gesellen sich durch die Digitalisierung angestoßene techniksoziologische Veränderungen, die Popmusikaneignung und -zugang ebenfalls überformen. Zum einen ist dies die wachsende gesellschaftliche Mobilität (Urry, 2000), unser »Mobiler Alltag« (Tully & Baier, S. 2006), der sich in Politik, Sozialem, Ökonomie und Kultur spiegelt (ebd., S. 20-30). Dabei geht es aus soziologischer Sicht nicht nur um längere Arbeitswege, Fernbeziehungen und eine Zunahme der Verkehrsströme,
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sondern eben auch um eine »Mobilisierung kultureller Inhalte«, die gemeinsam mit einer »Kultur der Mobilität […] das Erscheinungsbild der Gesellschaft und das der in ihr lebenden Individuen dramatisch« verändert (ebd., S. 30). Popmusik, ihre Aneignungs- und Zugangsweisen sind Ausdruck dieses Mobilitätsschubes (vgl. dazu Kapitel 7.1, 7.4 und 7.5). Zum anderen lässt sich in Anlehnung an Henry Jenkins’ Konvergenzkultur (2006) eine neue Partizipationskultur im Umgang mit Medientechnologien und Medieninhalten diagnostizieren. Einmal verändert sich, so Jenkins, das Verhältnis der Rezipienten zu Medien nachhaltig, andererseits verändert sich damit auch die Medienökonomie in drastischer Weise (vgl. ebd., S. 243). Auf Popmusik gemünzt lässt sich ein stark individualisierter, aktiver Umgang innerhalb von Sub- und Spezialkulturen konstatieren. So werden aus vergessenen Musikstücken neue, beziehungsweise im Rahmen von Retrotrends erneuerte, musikalische Nischen, die durch die Möglichkeiten der Long-Tail-Vermarktung nicht selten auch ökonomisch lukrativ sind (vgl. dazu die Fallbeispiele in den Kapiteln 7.2, 7.3 und 7.4). Die letztlich durch die seit den 1990er Jahren allgegenwärtigen Megatrends Globalisierung und Digitalisierung hervorgerufenen und von Hartmut Rosa (2005, 2013) so plastisch wie prophetisch beschriebenen sozialen Akzelerationsprozesse führen auch auf dem Gebiet der Popmusik zu dramatischen Veränderungen. »Die multidimensional hohen Instabilitäts- und Veränderungsraten transformieren die Beziehungen der Subjekte zu den Orten, an denen sie leben, zu den materialen Strukturen, von denen sie umgeben sind (einschließlich der Kleider, die sie tragen, und der Instrumente, mit denen sie arbeiten), zu den Menschen, mit denen sie in Kontakt stehen, zu den Institutionen, in denen sie sich bewegen, und schließlich zu ihren eigenen Gefühlen und Überzeugungen. Je schneller diese sich verändern bzw. ausgetauscht werden, umso weniger lohnt es, sich mit ihnen intim vertraut zu machen und sie sich gleichsam ›anzuverwandeln‹.« (Rosa, 2005, S. 483-484)
Neben dem technologischen Fortschritt, der als Grundlage für einen veränderten Zugang zu Popmusik gesehen werden kann, sind es also vor allem die sozialen Veränderungsprozesse, die letztlich eine veränderte Aneignung zeitigen. Sie sollen daher zentrales Thema in dieser Arbeit sein. Da Popmusik immer sozial konstruiert ist (vgl. Kapitel 2.5), wird sie durch makrosoziologische Veränderungsprozesse wie Beschleunigung oder wachsende Mobilität und mikrosoziologische Veränderungen wie beispielsweise neue Formen von Identitätserfahrungen maßgeblich mitbestimmt und kann nur unter dem Eindruck dieser Vorgänge verstanden werden.
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1.1.2 Popmusik als kulturelles Gut und ihre gesellschaftliche Rolle Wohl kaum ein Medium ist so variabel in seiner Aneignung wie Popmusik. Ihre Rezeption ist hochgradig subjektiv. Nicht nur, weil Musik ein abstraktes Medium ist und bei Menschen unterschiedliche Emotionen und Erinnerungen auslösen kann, sondern auch, weil zur Popmusik mehr gehört als nur die Musik. Sie ist vielmehr eine individualisierte, weil biografisch geprägte, medienkonvergente Erfahrungswelt (vgl. dazu auch Schuegraf, 2010, S. 292-294), in der das Musikalische nur eine Teilkomponente unter vielen darstellt. Die Diskussionen um Künstler, Stars, Genres, Lyrics, aber auch um Fans und deren Vergemeinschaftungsaktivitäten, werden dies im Laufe dieser Arbeit deutlich machen. Die gesellschaftliche Rolle von Popmusik lässt sich daher eben bei weitem nicht – und das ist der zweite Ausgangspunkt dieser Arbeit – auf den Umgang mit dem musikalischen Material reduzieren. Popmusikkultur besteht aus mehr. Um zu ergründen, woraus sie genau besteht, wird in Kapitel 2 zunächst der Popmusikbegriff detailliert analysiert und unter verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet. Die zentralen Begriffsbausteine Pop, Musik und Kultur werden geklärt, aber auch die Kontexte Kunst und Politik, die in der gesellschaftlichen Realität von Popmusik stets eine tragende Rolle spielen, bilden hier einen Bezugsrahmen. Denn nicht zuletzt lebt Popmusik auch vom Widerspruch zwischen künstlerischem Anspruch und ökonomischem Zwang und an dieser Stelle zeichnen sich gerade unter den Bedingungen der fortschreitenden Digitalisierung und Globalisierung spannende Entwicklungen ab, die im Zentrum des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit stehen. »Insgesamt wird der musikindustrieimmanente Widerspruch zwischen der geradezu zwanghaften Tendenz zur Standardisierung und der belebend notwendigen Diversifikation weiter vorangetrieben. Einerseits klingen Produktionen und Radiostationen, die auf den sogenannten Mainstream hin orientiert sind, nicht sehr unterschiedlich, andererseits waren vermutlich noch nie so viele musikalische Stile gleichberechtigt nebeneinander existent und – vor allem – auch verfügbar.« (Smudits, 2007a, S. 144)
Hier stellen sich weiterführend Fragen nach dem Wert von Popmusik, der aus verschiedenen Perspektiven beurteilt werden kann: ästhetisch, ökonomisch aber eben auch sozial. Ästhetisch spannt sich auch in dieser Arbeit immer wieder die altbekannte Diskussion um Popmusik als Kunst, als kulturellem Gut oder als minderwertige, gut vermarktbare Unterhaltung auf (Friedrichsen, 2008). Existiert überhaupt so etwas wie eine Popmusikkultur und was genau soll das sein? Dazu gehört auch die Unterscheidung zwischen E-Musik und U-Musik, die auf der Verteilungspraxis von
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Verwertungsgesellschaften aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts stammt und nicht zuletzt durch Theodor Adorno (1941/2000; 1962) nachhaltig in die Diskussion um Popmusik eingebracht wurde. Warum diese Einteilung nicht mehr haltbar ist, aber dennoch in vielen Fällen noch immer Anwendung findet, ist eine Frage, mit der sich Kapitel 2 beschäftigen wird. Im Anschluss daran soll auch der soziale beziehungsweise gesellschaftliche Wert von Popmusik untersucht werden. Popmusik ist ein Produkt von Menschen für Menschen, über sie können Botschaften verbreitet und Emotionen transportiert werden. Sie ist in diesem Sinne ein soziales Medium. Denn sie ermöglicht Vergemeinschaftungsprozesse. Es bilden sich Jugendkulturen (Baacke, 1999), Szenen (Bennett & Peterson, 2004), posttraditionale Gemeinschaften (Hitzler, Honer & Pfadenhauer, 2008a) und Club-Kulturen (Thornton, 1996). Diese Gemeinschaften existieren traditionell lokal, sind heute aber zunehmend als translokale und transkulturelle Medienkulturen (Hepp, 2002) zu begreifen, die mit Hilfe des Internets virtuell stabilisiert und zunehmend erst dadurch generiert werden (vgl. Kapitel 7.2). Sie können politisch als Gegenkulturen (Best, 1998) auftreten oder werden als unterhaltungs- und freizeitorientierte Fankulturen (Fiske, 1992) konzipiert. Dennoch haben sie weiterhin ihren gemeinsamen Fokus: die Popmusik. 6 Es geht aber schließlich auch darum, wie Popmusik im sozialen Diskurs entsteht und vor allem was dabei neben der Musik noch eine Rolle spielt, wie Popmusik in ihrer Ganzheit konstruiert ist. Was meint Alfred Smudits, wenn er von einer »Entkanonisierung« der Popmusik spricht (Smudits, 2007a, S. 144) und wieso ist für die Popmusikdiskussion die Geschichte so wichtig? Diese Fragen werden vor allem anhand der komplizierten Genre-Diskussion (Kapitel 2.7), aber auch in einem Fallbeispiel (Kapitel 7.5) beleuchtet. Der ökonomische Wert von Popmusik wird ausführlicher in Kapitel 5 erläutert. Dass Popmusik immer auch ein Produkt auf einem Markt darstellt, ist heute jedem klar. Dass sich dieser Markt in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert und mit Hilfe neuer Technologien Obsoleszenzen aber auch Innovationen hervorgebracht hat, ist eine zentrale Säule, auf die sich diese Arbeit stützt. Von der LiveDarbietung über den Tonträger bis hin zur Musik aus der Cloud haben sich dabei in der Geschichte der Popmusik zahlreiche Veränderungen ergeben, deren ökonomische Bedingungen Beachtung verdienen. Deshalb ist die Ökonomie im Zusammen-
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Neben Popmusik funktionieren Vergemeinschaftungsprozesse selbstverständlich auch um andere Foki herum: Filme, Romane, Serien, Comics, digitale Spiele, Sport. Popmusik stellt jedoch traditionell einen der besterforschtesten Gegenstände dar, weil hier bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts auffällige und in einigen Fällen medial und gesellschaftlich wirkmächtige Gruppierungen existieren.
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spiel mit der Technologie in den Fallbeispielen in Kapitel 7 der zentrale Baustein für die analytische Betrachtung. Der Wert der Popmusik hat sich – so eine zentrale Annahme dieser Arbeit – durch neue Zugangs- und Aneignungsweisen verändert. Aus der Live-Erfahrung wurde die Tonträgererfahrung, aus der Ortsgebundenheit wurde mobiles Hören, aus linearem Hören wurde Fragmenthören und aus Mangel und Beschränkung wurde Multioptionalität. Die Zugänge haben sich also verändert, ökonomisch wie technisch. Dies wirft Fragen zu den sozialen Folgen und zu den Folgen für die Bedeutung von Popmusik auf. »Die enorm angewachsene Zugänglichkeit nicht nur alter, archivierter Pop-Musik, sondern vor allem global verstreuter Pop-Musik macht jeden Versuch der sozialen Bündelung ohnehin überflüssig. Nischen sind in dem Sinne allenfalls vorübergehende und praktikable Knoten der Wissensverdichtung – in Blogs und Foren um meist große Plattformen herum –, nicht mehr Quellen sozialer Identifikation.« (Diederichsen, 2014, S. 445)
Ob und inwiefern Popmusik noch immer so etwas wie soziale Kraft, wie Bedeutung und Identifikation stiften kann, ist angesichts dieser immensen Veränderungen fraglich. Möglicherweise haben sich hier nur Prioritäten verschoben und Umgangsweisen verändert. Aus beständigen Subkulturen wurden fluide Szenen oder kurzlebige posttraditionale Gemeinschaften. Popmusik ist an dieser Stelle nur ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie zeigt an, was passiert, sie wirkt jedoch nicht verbindlich und ist keinesfalls auf ewig beständig, auch wenn dies die Kanonisierungen, die Retrotrends und die Revivals allerorten suggerieren. Dennoch, und damit komme ich zum letzten Punkt dieses Teilabschnittes, spielt für das Verständnis der Funktionsweise, der Aneignung und des Wertes von Popmusik ihre Historie eine entscheidende Rolle. 1.1.3 Popmusik als Geschichte Geschichte hat in der Popmusik einen ganz besonderen Stellenwert. Journalisten, Fans, aber auch Akademiker referieren über die Entwicklung von Popmusik stets entlang bestimmter historischer Linien und Fixpunkte. Dies können prägende Künstler wie Elvis Presley, David Bowie oder Abba sein, deren Schaffen als besonders bedeutend oder stilprägend eingestuft wird. Dies können bestimmte technologische Entwicklungen sein, beispielsweise Instrumente wie der Synthesizer oder Tonträger wie Vinyl oder die CD. Aber auch bestimmte Konzert- oder Festivalmomente, beispielsweise die berühmte Gitarrenverbrennung, die Jimi Hendrix 1967
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gleich zweimal durchführte7 oder das erste Konzert Bob Dylans mit elektrisch verstärkter Gitarre beim Newport Folk Festival 1965. Diese Momente prägen sich in die Popmusikhistorie ein und bilden häufig zitierte Referenzpunkte. Ebenso stehen Clubs, Partyreihen oder auch Städte für spezielle Zeiträume und Entwicklungsphasen der Popmusik. Jeder Musikbegeisterte weiß etwas mit Memphis, Tennessee anzufangen, kennt die Herkunft des Mersey Beat oder Seattle als Hauptstadt des Grunge. Clubs wie das Studio 54, die Hacienda oder das CBGBs, Großveranstaltungen wie die Love Parade, sie alle stehen nicht für sich, sondern für ganze Szenen, für musikalische Entwicklungen und für Epochen mit Vorläufern und Nachfolgern. Die gesamte Popmusikkultur – wie über Popmusik gesprochen wird, wie sie bewertet wird, Abgrenzungen und Einordnungen – funktioniert entlang dieser historischen Narrative, deren Geburtsmythos der US-amerikanische Rock’n’Roll Mitte der 1950er ist (vgl. Regev, 2015, S. 35; Voullième, 1995). Seitdem wird alles Neue in der Popmusik stets mit dem Alten in Verbindung gebracht und sei es nur, weil es so neu und so anders ist, dass es sich unerhört weit vom Alten und Gewohnten abhebt. Die als ›Popmusikkanon‹ beschreibbaren historischen Stil-Linien ziehen sich vom Rock’n’Roll der 1950er über den Folk, den Beat, den Soul, den Ska und den Psychedelic Rock der 1960er, den Glam Rock, den Progressive Rock, den Punk, den Hard Rock und den Disco Sound der 1970er bis zum mannigfaltigen und kaum noch überschaubaren Stilpluralismus der letzten beiden Jahrzehnte des vergangenen Jahrtausends. Dass dabei innerhalb und außerhalb der Popmusik viele Quer- und Rückbezüge stattfanden, wird jedem klar, der sich etwas intensiver mit den einzelnen Epochen auseinandersetzt. Doch erst um die Jahrtausendwende verstärkte sich diese allgemeine Wahrnehmung zu einer Art Großtrend der Historisierung. Wiederholt wird seitdem in akademischen und journalistischen Kontexten moniert, dass Popmusik kaum noch etwas Neues zu erschaffen vermag, dass sich Geschichte wiederholt (Reynolds, 2011, S. 3-54), Stillstand herrscht (Büsser, 2003) oder »postheroische Phantomschmerzen« (Diederichsen, 2014, S. 437ff.) zu diagnostizieren sind. Diese Einsichten gerannen zu einem tiefen Einschnitt in der Betrachtung der Popmusiklandschaft, denn das Lineare der Entwicklung – oder zumindest in ihrer Erzählung – ging spätestens verloren, als Techno und Grunge Mitte der 1990er8 ihre 7
Einmal am 31. März im Astoria in London und zum zweiten Mal am 18. Juni auf dem Monterey Pop Festival in Kalifornien.
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Sowohl Techno als auch Grunge waren auf gewisse Art und Weise bereits Retro-Phänomene: Grunge als Wiederbelebung des Punk mit etwas anderen (ästhetischen) Mitteln und anderen Referenzpunkten, Techno als kulminierende Synthese der elektronischen Stile der 1980er Jahre. Dennoch können beide, vielleicht noch gemeinsam mit dem zu dieser Zeit ebenso populären HipHop, als das Ende der linearen Entwicklung der Popmusikstile, -genres oder –strömungen bezeichnet werden. Sie waren es, die als letzte musikalisch und
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Höhepunkte überschritten hatten. Plötzlich veränderte sich die popmusikalische Geschichtsschreibung. Angesichts der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Welt ist dies rückblickend kaum überraschend. Denn am Ende des Kalten Krieges veränderte sich das Verhältnis zur Zeit, sodass in Anlehnung an Francis Fukuyama (1992) in vielen Kontexten gar vom ›Ende der Geschichte‹ die Rede war. Aus der »Erfahrung gerichteter, fortschrittlicher Bewegung und individueller wie kollektiver Entwicklung [wird] die Wahrnehmung einer richtungslosen Bewegung und damit eines »›rasenden Stillstandes‹« (Rosa, 2005, S. 479). Gründe für diesen Bruch lassen sich auch, aber nicht nur, innerhalb der Popmusik wahlweise anhand der technologischen Entwicklungen, anhand veränderter ökonomischer Bedingungen sowie anhand der daraus resultierenden veränderten sozialen Implikationen nachzeichnen. Dieser Dreiklang aus Technologie, Ökonomie und sozialer Bedeutung repräsentiert nicht zuletzt deshalb die zentralen Ankerpunkte für die Beschreibung einer Veränderung der Popmusiklandschaft, wie sie in der Folge dargelegt wird. Musikalisch jedenfalls war in den 1990ern vieles ausgereizt und fast alles ausprobiert worden. Daher ist es nur folgerichtig, dass wir heute popmusikalisch einer Art »Retromania« (Reynolds, 2011) anheimgefallen sind. Alles, was Popmusik heute zu Tage fördert, kann demnach als rückwärtsgewandt, bereits dagewesen oder eben ganz explizit ein selbstbewusst vermarkteter Retrotrend dechiffriert werden. Allerdings ist diese Sicht durchaus ein wenig zugespitzt, wenn nicht gar einseitig. Denn zum einen hatte bereits die erste Popgeneration ihre Vorbilder, musikalisch wie außermusikalisch, und zum anderen erschaffen Popmusiker der Gegenwart auch Neues und sind nicht immer nur rückbezüglich. Vielmehr kann die Orientierung an der Vergangenheit eher wie ein Automatismus bei der Deutung popmusikalischer Strukturen gelesen werden, sei es, um Orientierung zu geben, sei es, um die Vermarktungsmaschine der Popmusik am Laufen zu halten (vgl. dazu auch Kapitel 5). Dass auch nach den 1990ern noch Neuartiges in der Popmusik entsteht, wird an Phänomenen wie der Musikrichtung Electroswing9, dem Format Boiler Room10 oder ästhetisch Neues für breite Zielgruppen erschufen. Alle späteren Ausdrucksformen, waren rückbezüglich, weniger innovativ oder in der Nachbetrachtung kraftlos. 9
Als Electroswing bezeichnet man eine elektronische Musikrichtung, die mit Elementen des Swing – einer in den 1920ern 1930ern und 1940ern äußerst populären Art des Jazz – arbeitet. Melodien, Instrumentierung und Rhythmik kommen dabei meist aus dem Swing und werden mit Elementen moderner elektronischer Musik, beispielsweise monotonen Bassdrums, Electro-Samples oder auch HipHop Sounds gemischt. Daraus entsteht äußerst tanzbare Musik, die den Charme des Alten durch die Swing-Elemente aber auch durch den an vergangene Zeiten gemahnenden mangelhaften, rauschenden Vintage-Sound konserviert und neu belebt. Auch in der optischen Ästhetik orientieren sich Künstler, Plattenfirmen und Hörer bzw. Partygänger an der Swing-Ära. Electroswing-Partys gibt es in vie-
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Künstlern wie Lady Gaga11 deutlich. Diese Erscheinungen lassen sich allesamt mehr oder weniger auf bereits Dagewesenes zurückführen, dennoch nutzen diese Einzelphänomene technologische, ökonomische oder soziale Neuerungen in einzigartiger Weise, um damit etwas im Wesen Neuartiges zu schaffen. Wie neu das jeweils genau ist, ist – besonders juristisch – streitbar. Eben darum geht es ja auch bei den bereits angesprochenen Auseinandersetzungen zum Sampling und zum Urheberrecht. Aber der Eindruck von Neuheit ist gerade auch in der Popmusik letztlich immer relativ. Simon Frith zeigt dies bei einem kurzen Blick auf die Geschichte musikbegleitender Bilder sehr prägnant: »›New things‹ are rarely as novel as suggested. In 1892, for example, ›song slides‹ became a promotional craze for sheet-music publishers: pictures telling the story were, for years, a necessary sales aid for a new song sheet – they survived the coming of radio and talkies and had measurable effect on the types of song marketed and sold. Video promotion does not just go back to 1930s jazz shorts!« (Frith, 1987, S. 12)
Dass Popmusikgeschichte Prozesse der Aneignung und deren Veränderung besser verständlch macht, liegt auf der Hand. Ohne das Wissen um historische Zusammenhänge und Entwicklungen ist es kaum möglich bestimmte Veränderungen zu bewerten und einzuordnen. Popmusikgeschichte kann daher als eine Art Hilfsdisziplin gesehen werden (vgl. dazu ausführlich Feldman-Barrett, 2015). In der Folge wird es deshalb bei vielen Gelegenheiten immer wieder auch um historische Entwicklungen im Popmusikbereich gehen. Bei der Genregenese (Brabazon, 2012, S. len europäischen Metropolen. Das Phänomen kann als typische hochspezialisierte MikroClubszene kategorisiert werden. Die Musik findet jedoch immer mehr Anhänger. Seit 2012 existiert beispielsweise auch ein dezidiertes Radio für die Musik namens Electro Swing Revolution (www.electroswing-revolution.com). 10 Das Boiler Room Format wurde 2010 initiiert. »DJs werden in kleinen Locations beim Auflegen gefilmt, das Set dabei live gestreamt.« (Kindt, 2016) Viele bekannte Elektronikkünstler beteiligten sich bereits daran: unter anderem Sven Väth, Carl Cox, Jamie xx, Michael Mayer, Four Tet, Laurent Garnier oder Ellen Allien. Der Erfolg des Formats – die Facebook-Seite hat 1.813.802 Gefällt-Mir-Angaben (Stand 25.05.2017) – zeigt, wie moderne Technologie innovativ genutzt werden kann, um Musik erlebbar zu machen. Durch Boiler Room ist es möglich, den DJs aus nächster Nähe auf die Finger zu schauen und exklusive Nischen-Events, für die es nur eine sehr begrenzte Zahl an Eintrittskarten gibt, aus nächster Nähe und in den unterschiedlichsten Städten und Locations zu erleben. 11 Lady Gaga nimmt sicherlich eine Sonderrolle in der modernen Popmusikkultur ein. Sie setzt sich, ihre Musik und ihre Botschaften derart geschickt in Szene, dass Fans, Presse und Kritik ihr zu Füßen liegen. Ähnlich wie Madonna zwei Dekaden vorher wurde Lady Gaga so auch zum beliebten Objekt popkultureller Diskurse (vgl. Gray II, 2012).
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125ff., Frith, 2002, S. 75ff.; Wall, 2013, S. 200ff.), bei den technologischen Entwicklungen (Brabazon, 2012, S. 91ff.), bei den Veränderungen im Verständnis und der gesellschaftlichen Stellung von Musik (Frith, 2002; Machin, 2010; Platzgumer & Neidhart, 2012), bei den ökonomischen Veränderungen (Anderton et al.; 2013; Frith, 1988; Negus, 2005; Seliger, 2013; Wirtz, 2009, S. 493ff.) oder eben bei den neuen, spezifischen Zugangs- und Aneignungsformen von Popmusik wie sie in den Fallbeispielen am Ende der Arbeit dargelegt werden. Stets liegen Vergleiche mit früheren Zeitpunkten der Geschichte auf der Hand und stets ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die betrachteten Entwicklungen nur historische Ausschnitte sind, die gewissen Rahmenbedingungen unterliegen. Dabei werden auch in dieser Arbeit nicht selten bekannte Referenzpunkte auftauchen. Gleichzeitig soll jedoch versucht werden, pophistorisch Unbekanntes oder Randständiges zu integrieren, um der allgemein um sich greifenden Kanonisierung zumindest punktuell zu entkommen, die Tim Wall (2013) zurecht kritisiert. Denn zweifellos sind die typischen Meilensteine – Rock’n’Roll in den 1950ern, Psychedelic Rock und Beat in den 1960ern, Disco und Punk in den 1970ern, synthesizerbasierte Popmusik und Hardrock in den 1980ern, Techno, Grunge und HipHop in den 1990ern – bedeutsam; aber sie erzählen eben nur einen Teil der Geschichte. Wall wehrt sich gegen eine wie er es ausdrückt »totalising theory of the development of music culture« (Wall, 2013, S. 22) und plädiert stattdessen für eine flexiblere Betrachtung, die auch die Ränder und Nebenstränge der Popmusik einschließt. Denn letztlich entstand und entsteht Popmusikkultur in der diskursiven Auseinandersetzung musikalischer und kultureller Repertoires mit sozialen, ökonomischen und technischen Faktoren. Dabei stehen einzelne musikalische und kulturelle Repertoires entgegen der üblichen Wahrnehmung in der Popmusikgeschichte nicht für sich alleine, sondern interagieren mit anderen, gleichzeitig existierenden kulturellen Praxen. Wall zeigt dies anschaulich an der Tradition der Black Music, die immer wieder als eigenständige Quelle verschiedenster popmusikalischer Strömungen dargestellt wird. Dabei wird, schaut man sich die Entwicklung vom einfachen Working Gospel der afroamerikanischen Sklaven bis hin zu House, Techno und Hip-Hop an, schnell deutlich, dass sich all diese musikalischen Praxen stets in Auseinandersetzung mit der weißen Kultur entwickelten und sich eben nicht aus sich selbst heraus entwickelten (ebd., S. 29ff.). Dass Geschichte eine besondere Rolle bei der Betrachtung des Popmusikphänomens spielt, verdeutlicht auch der Trend der Retrologie (Heidingsfelder, 2012a) beziehungsweise Retromanie (Reynolds, 2011). Ohne Frage zeigt sich Popmusik stets frisch und neu, am Puls der Zeit. Aber – und so geht das Argument der Retrologen, zu denen neben Heidingsfelder und Simon Reynolds auch Diedrich Diederichsen gezählt werden kann – gerade in den letzten Jahrzehnten verfestigen sich starke kanonisierende, historisierende oder gar musealisierende Tendenzen, die den Eindruck vermitteln, im Pop sei eigentlich alles Wichtige gesagt, jegliche neue
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Entwicklung sei lediglich ein Aufwärmen alter Trends, beziehungsweise das Alte sei prinzipiell bedeutender als das Neue. Unter Retrologie versteht Heidingsfelder konkret die Fixierung des Popdiskurses und auch der Popausdeutungen auf die Vergangenheit (vgl. Heidingsfelder, 2012a). Er konstatiert eine »Zunahme der Retro-Phänomene«. Dies könne man als »Sättigungseffekt« begreifen (ebd., S. 10). Wenn alles schon da war, wird es immer schwerer Neues zu kreieren. Wobei, wie Heidingsfelder auch herausstellt, nichts nur neu ist, denn »man wäre gar nicht in der Lage, es als neu zu identifizieren« (ebd., S. 13). Daher sind auch in noch so innovativem, aktuellem Pop zwingend immer Rückbezüge zu erkennen. Belege für eine Fixierung auf die Vergangenheit können anhand aktueller Popmusik und deren ästhetischer und musikalischer Elemente ebenso aufgezeigt werden, wie anhand des generellen Umgangs mit dem Popmusikphänomen. Da ist zuvorderst die Flut an Wiederveröffentlichungen12 und Comebacks13 von Künstlern. Aber es gibt weitere Hinweise. Da sind die speziell konzipierten Konzertereignisse, bei denen Bands bewusst nur altes Repertoire aufführen.14 Auch die wachsende Zahl kuratierter Ausstellungen15 bestätigt diesen Trend und nicht zuletzt erschien in den letzten Jahr12 Neben der Wiederveröffentlichung bereits erfolgreicher Alben zu besonderen Anlässen wie Jahrestagen oder aufgrund des Todes von Künstlern, erhielten im Zuge der Digitalisierung, beispielsweise über spezielle Musikblogs, auch kommerziell weniger erfolgreiche Alben neue Aufmerksamkeit, die sich in Wiederveröffentlichungen niederschlug (vgl. dazu auch Kapitel 7.2). 13 Die Liste der Künstler, die seit Ende der 1990er Jahre Comebacks feierten ist schier unendlich: A-ha (gleich mehrere Male), Bauhaus, Black Sabbath, The Jesus & Mary Chain, Kate Bush, Kraftwerk, Led Zeppelin, Pearl Jam, Pink Floyd, Roxette, Simple Minds, Slowdive, The Sex Pistols, The Sonics, The Stooges, The Stranglers, The Who, Visage, Yello sind nur einige Namen. Dabei geht es oft um Geld und geschicktes Marketing und darum, alte zahlungskräftige Fans zu erreichen. Gleichzeitig kann dieser Trend aber als Beleg für die Geschichtsfokussierung der Popmusik gesehen werden. 14 Beispiele dafür gibt es zahlreiche: The Cure spielten 2002 das sogenannte »Trilogy«Konzert in Berlin, bei dem sie drei ihrer Alben – »Pornography« von 1982, »Disintegration« von 1989 und »Bloodflowers« aus dem Jahre 2000 – in der exakten Songreihenfolge live darboten. Kraftwerk verblüfften die Öffentlichkeit mit einer speziellen 3DKonzertreihe namens »Retrospective 12345678« im Museum of Modern Art in New York 2012. Sie spielten an acht Abenden jeweils eines ihrer acht Studioalben, die sie zwischen 1974 und 2003 aufnahmen. 2017 spielten U2 anlässlich des 30-jährigen Jubiläums eines ihrer bedeutendsten Alben – »The Joshua Tree« – im Rahmen einer Stadiontournee in voller Länge. 15 So gibt es seit Jahren zahlreiche Ausstellungen zum Thema Popmusik. Dabei werden verschiedene Epochen, Künstler, Musikrichtungen oder bestimmte Orte, die mit Popmusik verbunden sind museal verarbeitet. Beispiele sind die Ausstellungen Zurück zum Beton
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zehnten eine unübersichtliche Fülle an Literatur, die sich sehr detailliert und immer mit dem Fokus auf historische Entwicklungen mit Stilen oder Epochen (Diesel & Gerten, 2007; Matzke & Seeliger, 2000) Künstlern (Curtis, 1995), Clubs (Hilly, 2005), dezidierten Musikstädten (Esch, 2014) oder der Genese bestimmter Musikszenen (Schneider, 2008) auseinandersetzt. Von subjektiven Berichten zu sehr spezieller ›Underground‹-Musik (Müller, 2013; Pehlemann & Galenza, 2006) über die Exegese regionaler (Rauhut, 2001), nationaler (Boehlke & Gericke, 2007; Willmann, 2012) oder internationaler (Büsser, 2013) Szenen bis hin zur klassischen Bandbiografie (Klein, 2014) ist kaum ein Popmusikgeschichte unerzählt. Dabei reicht die Bandbreite von themengeleiteten lexikonartigen Nachschlagewerken (Nonhoff, 2005) und journalistisch-dokumentarischen Arbeiten (Koch, 2007; Teipel, 2001) über Popmusikromane (Hornby, 1995) bis zur intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung (Wurschi, 2007). Denn die Historisierung von Popmusik ist lange nicht mehr nur in deren kritischer, journalistischer Begleitung ein zentraler Punkt. Auch die akademischen Betrachtungen des Themas, die ›Popular Music Studies‹, verlegen sich in der jüngeren Vergangenheit immer stärker auf geschichtliche Aspekte der Popmusik (vgl. Bennett & Walksman, 2015, S. 6f.). Dies hat drei Gründe. Einmal liegt es an der mittlerweile größeren Akzeptanz von Popmusik als Forschungsfeld. Eine intensive Beschäftigung mit Herkunft, Tradition und Historie des Forschungsgegenstandes ist also folgerichtig und notwendig, um Lücken zunächst einmal aufzuarbeiten. Zum zweiten verändert die Digitalisierung die ursprüngliche Popmusik spätestens seit der Jahrtausendwende immens, und dies hat weitreichende Folgen. Es ist heute beispielsweise viel einfacher an Musik zu gelangen, gleichzeitig (oder deshalb) gilt Musik tendenziell als entwertet und die Konsumweisen verändern sich drastisch (vgl. Platzgumer & Neidhart, 2012, S. 112ff.). Immer, wenn derartige Veränderungen auftreten, drängen sich automatisch Vergleiche mit der Vergangenheit auf. Zu diesem Punkt wird in den Fallbeispielen in Kapitel 7 ausgiebig Stellung genommen. Drittens wurde und wird durch die medial vorangetriebene Globalisierung (vgl. Giddens, 1999, S. 100f.) das Interesse an Popmusik außerhalb der westlichen, angloamerikanischen Sphäre geweckt. Auch Asien, Afrika oder Südamerika haben eine popmusikalische Tradition, die näherer Untersuchung bedarf. Dazu kommt ein zunehmend exakter Blick auf die lokalen und regionalen Popmusiklandschaften, der die weltweite Popmusikkultur um zahlreiche Facetten und Details ergänzt. Dawe (2015) nennt die Entdeckung dieser bisher kaum untersuchten musikalischen Tradi(Kunsthalle, Düsseldorf, 2002), Nirvana: Taking Punk to the Masses (EMP Museum, Seattle, seit 2011), David Bowie is (Victoria & Albert Museum, London, 2013, anschließend: Ausstellungstour), After The Fall: Berlin 1990-2000 (Red Gallery, London, 2015), Rock und Pop im Pott (Ruhr Museum, Essen, 2016 bis 2017) oder Geniale Dilletanten (Haus der Kunst, München, 2015; Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, 2016).
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tionen durch Teile der Academia Ethnomusicology und sieht darin einen wichtigen Schritt zum Verständnis musikalischer Aktivitäten von Menschen überhaupt. »The argument here is that ethnomusicology provides fundamental data necessary for an understanding of not only the bigger picture, but also critical insights into the local nuances of the what, when, where, why and how of music making in particular places and times. […] Yet it will become clear that in terms of its theoretical and methodological approaches, ethnomusicology continues to make a distinct contribution to the study of popular music as a global phenomenon, a worldwide musical network which reflects as much as it rejects international political structures and systems of power and control.« (Ebd., S. 16)
Dawe betont in diesem Zuge die Bedeutung historischer, sozialer und kultureller Zusammenhänge für die Produktion und Rezeption von Popmusik. Demnach ist für das akademische Verständnis popmusikalischer Kontexte eine Beschäftigung mit politischer, sozialer und kultureller Geschichte der jeweiligen Regionen unabdingbar (ebd., S. 18ff.). Dabei kann Musikethnologie helfen und dabei hilft eine zunehmende akademische Aneignung popmusikalischer Geschichte als sozialer Geschichte. Diese verstärkte Historisierung führt zu einer intensiven geschichtlichen Aufarbeitung in Form von Musik selbst – Stichworte: Wiederveröffentlichungen, Retrotrends – oder in Form von Literatur. Nicht zuletzt resultiert aus diesem neuen Geschichtsfokus aber auch eine kontextübergreifende Bedeutungszunahme der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Popmusik. »For popular music studies this rise of interest in the value of popular music history has meant, in no small degree, that the field has found new avenues for gaining legitimization. Museums and other public or private agencies dedicated to popular music preservation have drawn significantly upon the knowledge developed by scholars of popular music and so have given the work of these scholars a wider hearing.« (Bennett & Walksman, 2015, S. 6)
Ohne einen Blick auf die Popmusikgeschichte ist ein Großteil der Popmusikforschung gar nicht möglich. Das Historisierende ist daher bei der Beschäftigung mit aktueller Musik, mit den Märkten, mit der Technologie, aber auch und vor allem mit der kulturellen und sozialen Genese stets präsent und muss mitgedacht werden. Popmusikgeschichte wird in dieser Arbeit aus diesem Grund immer wieder ein Ankerpunkt sein, der Vergleiche, Unterscheidungen und Einordnungen erst ermöglicht, Einblicke in Details gibt und bestimmte Entwicklungen maßgeblich mitbestimmt.
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1.2 ABGRENZUNG UND EINORDNUNG DER ARBEIT Popmusikforschung (›Popular Music Studies‹) ist ein interdisziplinäres Feld. Es ist unmöglich, alle beteiligten Disziplinen angemessen zu würdigen. Daher soll der folgende kurze Überblick gleichzeitig eine Abgrenzung und eine Einordnung der in dieser Arbeit genutzten theoretischen und empirischen Ansätze sein. So sind Musikpädagogik und Musikerziehung16 sowie Musikpsychologie fraglos wichtige Bausteine für die Betrachtung von Musik und Popmusik, sie sollen jedoch aus verschiedenen Gründen hier nur am Rande Berücksichtigung finden. Stattdessen verfolgt diese Arbeit eine mediensozialisatorische Aneignungsperspektive und wird sich daher musiksoziologischen, techniksoziologischen, aber auch musik- und kommunikationswissenschaftlichen und in Teilen auch medienökonomischen Fragen intensiver widmen. Aber auch die Pädagogik wird als für die Aneignungsperspektive wichtige Disziplin in Form von Medienpädagogik immer wieder auftauchen. Dezidiert musikpädagogische und musikpsychologische Sichtweisen hingegen werden im Anschluss kurz umrissen, bleiben als Komponenten für die Arbeit jedoch eher außen vor. 1.2.1 Musikpädagogik und Musikerziehung Musikpädagogik und Musikerziehung zielen stets auf die Vermittlung musikalischer Grundlagen und aktiver Inklusion. Es geht bei diesen Ansätzen neben der Ausbildung von Künstlern für hochkulturelle Veranstaltungen und Institutionen (sog. E-Musik) vor allem auch um die Chance auf Teilhabe an musikalischen Praxen. Musikpädagogik meint historisch »sowohl musikbezogenes Erziehungshandeln als auch […] dessen Theorie« (Kaiser, 1995, S. 11). Sie kann als Institution verstanden werden, deren Ziel es ist, »möglichst vielen Menschen Chancen für eine vielseitige, frei gewählte Beschäftigung mit Musik« zu gewähren, indem sie Angebote zum »Kennenlernen, Lernen und Üben« macht (Richter, 1995, S. 151). Sie kann aber auch als Wissenschaft verstanden werden, die »das besondere Wesen der Musik und ihre besondere Funktion für die Bildung und für die Gestaltung […] des Lebens« ins Zentrum rückt (ebd.). Musikerziehung bezeichnet eine spezifische Einengung der Musikpädagogik. Sie bezieht sich insbesondere auf den biografischen Zeitraum des Heranwachsens (vgl. Kaiser, 1995, S. 11). Musikpädagogik ist also der deutlich breiter aufgestellte Begriff, der sich gerade in Zeiten des demografischen Wandels verstärkt auch mit älteren Zielgruppen befasst (Hartogh, 2013) und Musik ins Verhältnis zu gesellschaftlichen Anliegen setzt. Als Wissenschaft beschäftigt sie sich letztlich mit der »Konstitution musikbezogener Erfahrung« (Kai16 Für Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Begriffe Musikpädagogik und Musikerziehung, sowie deren historischer Herleitung vergleiche im Detail Kaiser (1995).
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ser, 1995, S. 36). Dabei ist Musik jedoch immer als idealtypische Kunstform in einer Erziehungs- oder Bildungsperspektive präsent. Deutlich wird der Ansatz der Musikpädagogik auch anhand von Programmen öffentlicher Institutionen. So geht es in der Weimarer Resolution der Föderation der musikpädagogischen Verbände Deutschlands vor allem um musikalische Bildung in der Schule. Die Forderungen der Resolution umfassen: 1. ein Konzept für musikalische Bildung in jeder Schule 2. genügend qualifizierte Musiklehrerinnen und Musiklehrer in allen Schulformen 3. eine angemessene Ausstattung der Schulen, die unterschiedliche musikalische
Praxen zulässt 4. Ressourcen für kooperative Angebote im Sinne eines lebenslangen, auch indivi-
duell orientierten musikalischen Lernens 5. Verbesserungen bei der Musiklehrerbildung (vgl. VDS, 2012) Musikpädagogik ist also in ihrer Anwendung in erster Linie – und damit erreicht sie große Teile der Gesellschaft zumindest zeitweise – schulischer Musikunterricht. Bei ihr stehen aktive musikalische Handlungsformen wie Singen, Instrumentalspiel, Tanzen, Improvisieren, Gestalten und Notieren im Vordergrund. Musikpädagogik ist aber auch durch Praktiken gekennzeichnet, die im Rahmen dieser Arbeit große Relevanz besitzen, eben das Hören, Diskutieren und Reflektieren von Musik und musikalischen Inhalten. Letztlich geht es der Musikpädagogik heute – und auch da trifft sie sich thematisch mit dieser Arbeit – um einen »lebenslangen bereichernden Umgang mit Musik« (ebd.). Im Kern zielt sie dabei auf die »Teilhabe an musikalisch-kulturellen Praxen« (ebd.), wodurch auch ein Grundstein für die stete Erfindung und Neuerfindung von Popmusik, wie ich sie in der Folge verstehen will, gelegt ist. Einige Punkte, die sich als musikpädagogisch einordnen lassen sind demnach durchaus auch Inhalt dieser Arbeit. Neben den genannten ist dies beispielsweise auch das Verständnis von Musik als Kunst (vgl. dazu Richter, 1995). In dieser Arbeit jedoch steht weniger das der Musikpädagogik immanente, meist idealistische Top-Down-Moment der angemessenen Vermittlung von Musik und musikalischen Praxen im Vordergrund. Es soll eben nicht um gesteuerte oder gezielte Bildung und Erziehung gehen, nicht darum, wie Musik Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen am besten – im Sinne von am für die Gesellschaft günstigsten – nahegebracht werden kann. Sondern es soll um die aktive Aneignung von Popmusik durch Individuen und Gruppen, und damit um eine soziologische, medienpädagogische und auch kommunikationswissenschaftliche Perspektive, die aus individuellen Rezeptionserfahrungen Ableitungen für die Funktion von Popmusik für die Gesellschaft als Ganzes macht, gehen. Im Unterschied zur Musikpädagogik verfolgt diese Arbeit also keinen erzieherischen Ansatz, keine Kultur und Bildung stützenden Perspektive beim Umgang mit
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Musik, sondern eine klar rezipientenorientierte Sichtweise, bei der die individuelle Aneignung von Popmusik betont wird und musikalische Erfahrungen im Sinne der Selbstsozialisation (Sutter, 1999; Zinnecker, 2000) konzipiert werden. Auch die Akteure, die im Zentrum dieser Arbeit stehen, sind daher verschieden vom Ansatz der Musikpädagogik. Während dort insbesondere das öffentliche Bildungssystem und damit verbundene Institutionen und Gruppierungen wie Musikschulen, Musikvereine, Orchester oder Chöre als zentrale Träger und Verantwortliche für die Beschäftigung mit und die Bildung durch Musik gesehen werden (vgl. VDS, 2012) und in diesem Sinne stets der Erwerb musikalischer Kompetenz im Vordergrund steht (Wicke, 1993, S. 7), geht der Ansatz in dieser Arbeit stärker von einer Selbstsozialisationsperspektive im Sinne der individuellen Aneignung popmusikalischer Inhalte aus. Denn »beim Umgang mit Popmusik [geht es] zuvörderst nämlich um den Erwerb sozialer Kompetenz – um Geschlechterbeziehungen und Rollenverhalten, Lebenshaltungen und Lebensstil, um kollektive Werteerfahrungen, um das Ausagieren von Emotionalität und Frust« (ebd.). Die genannten Akteure sind daher, alleine aufgrund ihrer geringen Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Lebensrealität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, lediglich Randfiguren im Vergleich zu populären Musikstars, Clubs, Festivals, Labels, Verkaufs- und Streamingplattformen und den dahinterstehenden Unternehmen. Dass institutionalisierte und zertifizierte musikalische Bildung an dieser Stelle dennoch ihre Berechtigung hat, bleibt indes unbestritten. Schließlich ist es auch für die Popmusiklandschaft hilfreich, wenn Kinder und Jugendliche eine gewisse musikalische Grundbildung genießen und mit dem erworbenen Wissen als kommerzieller oder künstlerisch anspruchsvoller Act im weiten Feld der Popmusik reüssieren. Dennoch muss man auch realistisch konstatieren, dass weite Teile des Popmusikmarktes – auch die Produktion – heute gänzlich ohne musiktheoretische Grundlagen auskommen, da digitale Technologien zentrale Herstellungsweisen von Popmusik stark vereinfacht haben. Sampling und Remixing, Aufnehmen, Speichern, Weitergeben, Bearbeiten und sogar Veröffentlichen sind heute quasi autodidaktisch erlernbar und daher theoretisch für nahezu alle realisierbar. Viel eher sind sie noch von technologischem als von musikalischem Wissen abhängig. Trotzdem kann es immer wieder hilfreich sein, zumindest ein Instrument zu beherrschen oder eine Grundahnung von Harmonielehre mitbekommen zu haben. Der Erfolg britischer Popmusik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der nicht in geringem Maße von den kunstaffinen Art Schools gespeist wurde, zeigt dies eindrücklich (vgl. Frith & Horne, 1987, S. 27ff.). Gleichzeitig verdeutlicht er aber auch, dass Popmusik mehr benötigt als bloße musikalische Bildung um erfolgreich oder gar wirkmächtig zu werden, nämlich kreative Freiräume und die Möglichkeiten, musikalische Ideen künstlerisch, gesellschaftlich oder politisch anzureichern und umzusetzen. Letztlich ist die Herstellung von Popmusik ein technologisch, sozial und ökonomisch determinierter Prozess, zu dem neben Musikern eben auch Technologie, Manager, Journalisten, DJs und weitere
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Akteure sowie deren Perspektiven und Hintergründe gehören (vgl. Longhurst, 2002, S. 55ff.). 1.2.2 Musikpsychologie Musikpsychologie ist ein weiteres Forschungsfeld, das in dieser Arbeit nur rudimentär eine Rolle spielen soll. Sie beschäftigt sich mit den unmittelbaren und mittelbaren Wirkungen von Musik auf die Stimmung oder das Wohlbefinden von Menschen. Anhand musikalischer Merkmale wie Lautstärke, Geschwindigkeit, Tonlage etc. lassen sich verschiedene Auswirkungen auf die menschliche Gemütslage feststellen. Dass Musik emotionale Wirkungen haben kann, ist seit der Antike bekannt. Sie wird seit Menschengedenken gezielt zur Stimmungsmanipulation eingesetzt, ob als Unterstützung für den ekstatischen Rausch am Lagerfeuer, als disziplinierende und anfeuernde Musik in militärischem Kontext oder gar als Folterwerkzeug in Konzentrationslagern oder Gefängnissen. Dennoch, gerade hier »bestehen immer noch beträchtliche Wissenslücken. So ist die Grundfrage nach dem Verhältnis zwischen musikalischem Denken und Fühlen kaum annähernd beantwortet worden.« (Kreutz, 2011, S. 566) Dies verwundert wenig, denn die emotionalen Reaktionen auf Musik unterliegen komplexen Vorgängen, die sich kaum gesichert prognostizieren lassen, weil es dabei auf die heikle Balance zwischen Vorhersehbarkeit und Überraschung ankommt (vgl. Percino, Klimek & Thurner, 2014). Die Wahrnehmung dieser beiden Pole ist stark von individuellen Aneignungsvorgängen aber eben auch von körperlichen Dispositionen abhängig. Diese Komplexität ist der Grund dafür, dass viele emotionale Auswirkungen von Musik bisher nur ansatzweise belegt werden konnten (vgl. Kopiez, 2011). Dennoch herrscht eine gewisse Einigkeit über bestimmte Tendenzen in der Wirkung von Musik. So existieren zahlreiche exemplarische Studien zur psychologischen Wirkung von Musik, die beispielsweise nahelegen, dass laute Musik zur Bewegung anregt (Todd & Cody, 2000), oder die Zusammenhänge zwischen musikalischem Verhalten und Aggression zeigen (Kreutz & Litta, 2003). Auch die Erörterung des Zusammenhangs von musikalischen Merkmalen und verschiedenen Bewusstseinszuständen oder Bewusstseinsmanipulationen, beispielsweise über eine Steigerung der Lautstärke oder durch spezielle, repetitive Rhythmen ist ein Forschungsstrang, mit dem sich die Musikpsychologie näher befasst (Fachner, 2011). Ein weiteres Arbeitsgebiet der Musikpsychologie ist der Erwerb musikalischer Fähigkeiten aus entwicklungspsychologischer Perspektive. Dabei kann es um die Rezeption aber auch um die Produktion musikalischen Materials gehen. Beckers & Beckers (1999) beispielsweise untersuchten die Wahrnehmung und Verarbeitung musikalischen Materials bei Vorschulkindern. Musikanalytisch unterscheiden die Autoren dabei zwischen den Komponenten Rhythmus, Melodie und Harmonie, de-
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ren Beherrschung sich in entsprechenden Einzelfähigkeiten – Erkennen beziehungsweise Nachahmen der Komponenten – niederschlägt (ebd., S. 40ff.). In Anlehnung an die Kognitionspsychologie verstehen sie das Musikhören als »aktive kognitive Leistung« (ebd., S. 20). Dabei betonen sie die Bedeutung von Vorerfahrungen für die Einordnung des Gehörten. Gedächtnis- und damit Wiedererkennungsleistungen sind geprägt durch die Organisation von Merkmalen – das Ausbilden von Schemata – sowie das Vergleichen von Merkmalen mit dem aktuellen Input. Es kommt zur Mustererkennung und Kategorienbildung aufgrund typischer Charakteristika. Wobei typische Beispiele einer Kategorie sogenannte Prototypen darstellen (ebd., S. 29). Diese psychologischen Vorgänge haben auch für die in dieser Arbeit verfolgte Aneignungsperspektive große Bedeutung, denn der Aufbau eines musikalischen Repertoires »ist damit von Erfahrungen abhängig, die die Art der Codierung und Verarbeitung des musikalischen Inputs beeinflussen. Wie wir Musik wahrnehmen und erleben wird also entscheidend davon bestimmt, was wir bereits wahrgenommen und gelernt haben.« (Ebd., S. 30) Ausgehend von einer zunehmenden Mediatisierung auch kindlicher Lebenswelten bedeutet dies, dass die erlebten musikalischen Hörwelten bereits starke Vorprägungen in Form von Schemata und Prototypen kreieren können. Die GenreDiskussion, die hier in Kapitel 2.5.7 noch zu führen sein wird, beginnt also streng genommen bereits im Kindesalter. So gibt es Hinweise darauf, dass Fernsehwerbung einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das musikalische Repertoire von Grundschulkindern hat (Czypionka, 1999). Auch, dass Musik bereits im Mutterleib wahrgenommen wird, ist mittlerweile bekannt und wird zunehmend intensiv erforscht (Arabin, 2002; Parncutt, 2016). Auch wenn die musikalischen Fähigkeiten und damit auch Wahrnehmung, Wiedererkennung und Reproduktion musikalischer Muster stark altersabhängig sind, ist diese entwicklungspsychologisch hergeleitete Präfigurierung nicht außer Acht zu lassen und spielt möglicherweise gerade im Rahmen musikethnologischer Betrachtungen (Dawe, 2015) eine wichtige Rolle. Die emotionale Wirkung von Musik ist also, genau wie die entwicklungspsychologische Perspektive, bei der Popmusikaneignung nicht zu vernachlässigen. Sie findet jedoch in ihren psychologischen Details an dieser Stelle keine Berücksichtigung. Dies umso mehr, weil viele Untersuchungen der Musikpsychologie Popmusik eher links liegen lassen und sich dem Klassikkanon verschreiben (vgl. Kreutz, 2011, S. 566). Dagegen vertreten auch eingefleischte Musikpsychologen die Auffassung, dass der Kontext – so schwer er auch mit ihren Methoden zu untersuchen ist – eine zentrale Rolle bei der Wirkung von Musik spielt. Eben diesem Kontext wird sich diese Arbeit stärker widmen, denn er ist zentral für die Konstitution von Popmusik.
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1.2.3 Musikwissenschaft, Musiksoziologie, Mediensozialisation Nachdem nun mit Musikpädagogik und Musikpsychologie diejenigen Ansätze identifiziert und kurz umrissen wurden, die im Verlaufe dieser Arbeit eher außen vor bleiben oder nur punktuelle Nebenrollen spielen werden, soll eine Einordnung der Arbeit in verschiedene Forschungstraditionen folgen. Um die Aneignung und Wertschätzung von Popmusik angemessen zu beschreiben muss zunächst Popmusik selbst als Gegenstand identifiziert und möglichst scharf umrissen werden. Hier werden vor allem die Musikwissenschaft (Motte-Haber, 2004-2014), aber auch die Musiksoziologie von Bedeutung sein. Für letztere werden sowohl die zentraleuropäischen Klassiker der Musiksoziologie (Adorno, 1941/2000; Blaukopf, 1982; Weber, 1921/1972) eine Rolle spielen als auch die neueren Ansätze, die sich insbesondere aus den britischen und angloamerikanischen Cultural Studies speisen (Frith, 2002; Gelder, 2005a; Hall & Jefferson, 2006; Hebdige, 1979; Longhurst, 2002), herangezogen. Daneben soll Popmusik in ihrer Spezifik als Medium (Beck, 2010a, S. 77-102) beziehungsweise als Sonderform »symbolisch vermittelte[r] Kommunikation« (Burkart, 2002, S. 132) identifiziert werden. Hier rückt also die Kommunikationswissenschaft (Beck, 2010a; Burkart, 2002; Pürer, 2015a; Pürer, Springer & Eichhorn, 2015) in den Fokus. Bezüglich der Aneignung werden zudem die Techniksoziologie (Tully, 2003; 2014) und die Medienpädagogik (Hugger, 2010; Schorb & Theunert, 2000; Theunert & Schorb, 2010) als Spezialdisziplinen herangezogen. Letztlich lassen sich all diese Forschungsstränge zum Begriff der Mediensozialisation verdichten, der in seiner spezifischen Ausprägung, der Musiksozialisation oder der musikalischen Sozialisation für die Aneignungs- und Bewertungsprozesse von Popmusik entscheidend ist (Heyer, Wachs & Palentien, 2013a; Rösing, 2008). Dazu spielen immer wieder medienökonomische (Anderton et al., 2013; Wirtz, 2009, S. 493-544) und schließlich die zahlreichen historischen Aspekte (Bruckmaier, 2014; Stahl, 2010; Wall, 2013, S. 1-94) eine Rolle. Sie bilden jedoch, wie bereits angedeutet, eher eine Art Gerüst für das Verständnis popmusikalischer Aneignungs- und Bewertungsvorgänge und sind vor allem für die Identifikation wichtiger Umbrüche und Veränderungen entscheidend, mit deren Hilfe Entwicklungen veranschaulicht werden können. Auch wenn die ›Popular Music Studies‹ als interdisziplinäres Forschungsfeld zahlreiche weitere Disziplinen umfasst, sollen es doch im Schwerpunkt die genannten sein, auf die sich diese Arbeit konzentrieren wird. In der Folge werden die drei zentralen Forschungsbereiche und ihre Relevanz für die Arbeit näher erläutert.
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1.2.3.1 Musikwissenschaft / Musicology Ein erster wichtiger Strang für die vorliegenden Untersuchungen ist die Musikwissenschaft oder die Musicology. Beschäftigte sie sich traditionell mit klassischer Musik, im deutschen Sprachraum mit sogenannter E-Musik oder Kunstmusik, und deren Charakteristika, umfasst sie heute insbesondere auch Popmusik und die sie umgebenden Phänomene. »The term musicology refers to scholarly approaches that focus primarily on the musical and sonic aspects of popular music as well as to any critical discourse founded on them. These aspects not only include pitch (melody, harmony), rhythm, form, timbre and lyrical related material, but also any sonic phenomena stemming from music performance or the use of technology.« (Lacasse, 2015, S. 64)
Zur Musikanalyse und verschiedenen am Werk orientierten Musiktheorien gesellten sich im Zuge dieser Aktualisierung der Forschungsrichtung damit auch die für diese Arbeit zentralen Kontextbetrachtungen, wie die Produktions- und Rezeptionsweisen von Musik und deren soziale, technische und ökonomische Bedingungen. Die mittlerweile sechsbändige Ausgabe des Handbuchs für systematische Musikwissenschaft (Motte-Haber, 2004-2014) zeugt eindrucksvoll von der großen Bandbreite dieses Forschungsbereiches und von den mittlerweile in großen Teilen überwundenen Grenzen zwischen U-Musik und E-Musik. Letztlich trägt diese Ausweitung wissenschaftlicher Zugänge zu Musik auch dem Status von Popmusik als weit verbreiteter kultureller Praxis Rechnung (Lacasse, 2015, S. 64). Historisch war die Musikwissenschaft keineswegs so breit aufgestellt. Sie ist vielmehr klar in der theoretischen Auseinandersetzung mit klassischer Musik verwurzelt. In der Musiktheorie gab es dabei eine Reihe von historischen Paradigmenwechseln (Velten, 2008, S. 139ff.), die jedoch alle um »musikalische Grundlagenforschung« (ebd., S. 139) kreisen. Ihre Herangehensweisen waren deshalb lange Zeit kaum auf die Popmusik übertragbar (vgl. Wicke, 2003). Ein Beispiel dafür ist der Versuch die klassische Notation, also die Verschriftlichung von Musik auch auf Popmusik zu anzuwenden. »Für eine Aufführungspraxis, in der Notation als Ausgangspunkt musikalischer Produktion dient, mag dieses Verfahren sinnvoll erscheinen. In einer Musikkultur allerdings, die weitgehend schriftlos – selbst nach der Notation durch den Musikwissenschaftler – musiziert, erscheint diese Notation als Endpunkt des nicht-notierten Musikprozesses doppelt unangemessen.« (Doehring, 2012, S. 26)
Aber nicht nur die Methoden der Musikwissenschaft, ihr ganzer Begriffskanon und ihre Ansätze mussten sich ändern, um Popmusik angemessen zu begegnen. Letztlich reifte diese Erkenntnis in der angloamerikanischen Musikforschung in der
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zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – mit etwas Verspätung auch im deutschen Sprachraum. Für Peter Wicke (2003) ist dabei das Zusammenbringen kulturanalytischer und klanganalytischer Ansätze in diesem Rahmen essentiell. Daher müssen neben der Musik selbst immer auch deren Rahmenbedingungen mitgedacht werden. Doehring formuliert diese Erweiterung der Anforderungen an die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Musik wie folgt: »Eine Aufgabe von Musikanalyse [muss] es daher sein herauszustellen, wie das jeweilige Klanggebilde als Musik in unterschiedlichen Kontexten erfahren werden kann.« (Doehring, 2012, S. 28) Ein zentraler Kontext für Popmusik ist Technologie. Technologie bestimmt Produktion, Speicherung, Übertragung und Rezeption von Popmusik seit ihrer Entstehung entscheidend mit. Ein Weg der Übertragung klassischer musikwissenschaftlicher Standards auf die Bewertung und Deutung von Popmusik wurde daher zunächst durch Technologieentwicklung bestimmt. Hier spielt die Erkenntnis, dass elektronisch verstärkte Instrumente, Aufnahmegeräte, Abspielgeräte und Soundmanipulationen mindestens ebenso zum Bild von Popmusik beitragen wie die Musik und Texte der präsentierten Stücke eine große Rolle. Diese Ansicht setzte sich für die Popmusik spätestens in den 1970er Jahren durch (vgl. Lacasse, 2015, S. 65ff.), zunächst jedoch noch mit idealistischem Impetus, der an dem starren Gegensatz aus Kunst und Unterhaltung beziehungsweise E- und U-Musik in der Tradition Adornos festhielt und die Industrialisierung der Produktion von Musik grundsätzlich negativ beurteilte (vgl. Longhurst, 2002, S. 84-89). Heute existieren jedoch auch neutralere oder gar positive Sichtweisen auf die Beziehung zwischen Technologie und Musik. Demokratisierung der Produktion sowie Kreativitätsschübe werden dabei häufig als Folge des Einzugs neuer Technologien genannt. »More optimistic accounts suggest otherwise, arguing that the development of these new technologies can lead to more creativity […] as difficult operations become easier to perform. Further, it has been argued that there is a form of democratization involved in the process whereby the wider availability of these technologies leads to the possibility that more people can be involved in musical creativity.« (Longhurst, 2002, S. 89)
Dass Technologien nicht nur für die Produktion, sondern auch für Prozesse der Rezeption und alle dazwischenliegenden Bereiche des Musiksektors durchaus von Bedeutung sind, hat die Musikwissenschaft erkannt. Im Rahmen der Betrachtungen zu den »Mutationen musikalischen Verhaltens« (Blaukopf, 1982, S. 222-250) wird darauf in dieser Arbeit noch einzugehen sein. An dieser Stelle trifft sich die Musikwissenschaft mit der Musik- und Techniksoziologie, mit der sie traditionell eine enge Verbindung pflegt. Bereits die Arbeiten von Adorno (1941/2000, 1962) verdeutlichen dies. Denn hinter seiner Theorie der zwei Sphären von Musik – Popmusik und ernste Musik – stehen eben auch Feststellungen und Annahmen über die Produktionsbedingungen und die Rezipienten.
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Zu diesen (technik)soziologischen Aspekten, die in einer systematischen Musikwissenschaft im Zeitalter industrieller und digitaler Produktion und Verbreitung von Musik unweigerlich Berücksichtigung finden müssen und auch finden (vgl. im Überblick Motte-Haber & Neuhoff, 2007), gesellt sich in der Musikwissenschaft jedoch nach wie vor die Musikanalyse, die Untersuchung des musikalischen Kerns, also etwa die Tonfolgen, die Melodien, die Rhythmik, die Harmonien (vgl. dazu Fuß, 2008; Motte-Haber & Schwab-Felisch, 2004). Diese musiktheoretischen Aspekte sind wichtig für Theorien über die Verfasstheit musikalischer Werke. Sie sollen jedoch in der hier vorliegenden Arbeit nur am Rande eine Rolle spielen. Denn es geht an dieser Stelle eben nicht um Analysen einzelner Popsongs oder Alben, sondern darum, wie sich die Wertschätzung von Popmusik insgesamt verändert hat. Auf der Gegenstandsseite wird sich die Arbeit in Kapitel 2 daher zwar mit der Musik auseinandersetzen, jedoch weniger aus einer musiktheoretischen, als vielmehr aus einer soziologischen und kulturellen Perspektive. Denn, so wird gezeigt, bei Popmusik stehen viel weniger die objektiv erfassbaren Inhalte im Vordergrund, sondern viel mehr subjektive Bewertungsmaßstäbe und kulturelle Werturteile, die sich aus bestimmten sozialen Kontexten herleiten. Simon Frith spricht in diesem Zusammenhang von einer Soziologie ästhetischer Diskriminierung (Frith, 2002) und rät: »[T]o understand cultural value judgements we must look at the social contexts in which they are made, at the social reasons why some aspects of sound or spectacle are valued over others; we must understand the appropriate times and places in which to voice such judgements, to argue them.« (S. 21-22)
Diese Herangehensweise umgeht gleichzeitig ein Problem, das die Musiktheorie mit aktueller Popmusik oft hat: Es ist letztlich unmöglich Musik neutral zu hören und zu analysieren. Stattdessen müssen die Kontexte und Diskurse, in denen sie verhandelt wird, immer mitgedacht werden (vgl. dazu Machin, 2010, S. 13-31). »In der Konsequenz heißt das, in den kulturellen Zusammenhängen um die analysierten Musikformen und den darin jeweils dominanten Diskursen den Codes nachzugehen, die das Klanggeschehen strukturieren, statt diese als gegeben anzunehmen.« (Wicke, 2003, S. 119) Diesen Diskursen und Kontexten der Popmusik wird sich Kapitel 2 annehmen. Auch die physikalischen Merkmale von Musik, also der gesamte Bereich der Akustik, sind ein zentraler Bestandteil musikwissenschaftlicher Betrachtungen (vgl. dazu Weinzierl, 2014). Ähnlich wie die musikanalytische Seite kommt jedoch auch dieser Bereich nur in rudimentären Ansätzen zur Sprache, vor allem dann, wenn Akustik und Klang zum sozialen Distinktionsmerkmal werden. Bei audiophilen Popmusikhörern und ihren Diskussionen ist dies der Fall, auch bei Clubs, die mit besonderen Soundanlagen werben. Nicht zuletzt ist die vielbeschworene und spätes-
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tens seit 2015 auch mit Marktzahlen untermauerte Rückkehr von Vinyl (vgl. Friedlander, 2016) ebenfalls gespeist von einer Diskussion über die physikalische Seite von Musik. Insgesamt wird die Musikwissenschaft jedoch insbesondere über ihre Spezialdisziplin der Musiksoziologie eine tragende Säule für diese Arbeit sein. Denn die hier eingenommene sozialisatorische Perspektive gebietet einen detaillierten Blick auf diejenigen Phänomene, die in Verbindung mit den individuellen Aneignungsleistungen der Rezipienten stehen. 1.2.3.2 Musiksoziologie »Die Musiksoziologie versucht, die Bestimmungsstücke musikalischen Handelns und Verhaltens aufzuspüren: die materiellen und geistigen, die wirtschaftlichen und politischen.« (Blaukopf, 1982, S. 11) Für Musiksoziologen steht damit neben der Musik selbst und ihrer technologisch-ökonomisch geprägten Entwicklung, vor allem die Untersuchung der Rolle von Musik im Leben ihrer Hörer im Vordergrund. Als Wissenschaft ist die Musiksoziologie zwischen der systematischen Musikwissenschaft und der Kultursoziologie zu verorten (Lenz, 2013, S. 159). Dabei ist sie aufgrund des behandelten Gegenstandes von Haus aus eine konvergente Wissenschaftsdisziplin und speist sich nicht nur aus den beiden genannten, sondern auch aus Anthropologie, Kommunikationswissenschaft und weiteren Forschungsrichtungen (vgl. Blaukopf, 1982, S. 11). Ein wichtiger Ankerpunkt auf der Mikroebene ist häufig der Musikgeschmack und dessen Herausbildung. Diese Geschmacksbildung wurde traditionell meist entlang der Habitustheorie von Bourdieu untersucht (vgl. Gebesmair, 2001). Das heißt, der Musikgeschmack wurde mit sozialstrukturellen (ebd., S. 47-48) oder biografischen (Otte, 2008) Merkmalen ins Verhältnis gesetzt. In diesem Rahmen liegt eine Verbindung zum Konzept des Lebensstils (Simmel, 1900; Veblen, 1912; Zapf, Breuer, Hampel, Krause, Mohr & Wiegand, 1987) nahe. Der Musikgeschmack passt sich demnach ein in eine Reihe anderer Verhaltensweisen und Interessenslagen – das Ausüben von Sportarten, das Tragen bestimmter Kleidung, der Kunstgeschmack und anderes mehr – die zusammen einen individuellen Lebensstil bilden (vgl. Bourdieu, 1982, S. 277-283). Der Ethnologe Paul Willis ging in der Deutung der Ergebnisse seiner Studie zum Musikgeschmack von Hippies und Motor Bike Boys sogar noch weiter und stellte nicht nur in den Verhaltensweisen Parallelen zum Musikgeschmack fest, sondern auch in den Werten und Einstellungen der von ihm untersuchten Gruppierungen (Willis, 1978). Er etablierte damit erstmals eine Sichtweise, die über den spontanen, individuellen Gebrauch von Objekten (Musik, Schmuck, Kleidung) hinausging und zeigte anschaulich, dass die Wahl des Lebensstils und der Mittel, mit denen er nach außen getragen wird, eben kein Zufall sind, sondern die Werte und Einstellungen der jeweiligen Gruppierungen spiegeln (vgl. dazu auch Hebdige, 1979, S. 127-129). Dieses, auch Homologie genannte Konzept, wirkt auf den ersten
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Blick vereinfachend kausal und eindimensional. Es kann jedoch als eines der ersten angesehen werden, das die individuelle und aktive Aneignung von Popmusik durch Rezipienten betont (vgl. de Nora, 2011, S. 74f.). »Aus Willis’ Arbeit ergibt sich daher eine Theorie der musikalischen Bedeutung, die in der Interaktion zwischen musikalischen Objekten und den Musikrezipienten lokalisiert werden kann. Die Theorie betrachtet musikalische Bedeutung als das Resultat einer Interaktion zwischen Merkmalen der Musik (ihre Mobilisierung vertrauter oder geschätzter Materialien, Konventionen, Stile und Gesten) und der Art und Weise wie diese Eigenschaften aufgenommen und beantwortet werden.« (Ebd., S. 74)
Letztlich verdeutlichen diese Betrachtungen nicht nur den Beitrag, den Popmusik für die Herausbildung eines Lebensstils leistet, sondern sie liefern auch Anknüpfungspunkte für sozialisatorisch wichtige Prozesse der Identifikation und Distinktion. Musikalische Inhalte, Künstler oder auch ästhetische Konzepte bestimmter Musikstile werden damit zu wichtigen Ankerpunkten beispielsweise für Vergemeinschaftungsprozesse. Damit kommt die Musiksoziologie auf der Mesoebene an, wo Gruppenbetrachtungen wie die Teilhabe an musikzentrierten Szenen oder Subkulturen (vgl. Hitzler et al., 2008a; Straw, 1991) und die damit verbundenen Phänomene Fantum und Starkult (vgl. Fiske, 1992; Frith, 1987a) Gegenstände wissenschaftlicher Auseinandersetzung sind. Hier kommen auch die Cultural Studies ins Spiel, die sich im Bereich der Popmusik neben den genannten Phänomenen vor allem an der Herstellung einer Verbindung aus Musik, Stilen und Zeichen abarbeiten (Clarke, 2006; Hebdige, 1979) und dadurch gesellschaftliche Unterschiede und Klassenspezifika der Musik- und Medienaneignung zu erklären versuchten (Clarke, Hall, Jefferson & Roberts, 2006). Im Laufe der Zeit pluralisierten sich die soziologischen Zugänge zu Popmusik sowohl auf Seiten der klassischen Geschmackssoziologie als auch bei den Cultural Studies. Das kulturelle Kapital von Bourdieu (1982) spielt heute zwar immer noch eine Rolle, wird jedoch im Rahmen der Omnivorthese (Peterson & Kern, 1996) neu und weniger starr ausgelegt oder es wird in seine Spezialform des subkulturellen Kapitals überführt (Thornton, 2005). Zudem geht die Musiksoziologie über die Cultural Studies auch Verbindungen mit den Theaterwissenschaften beziehungsweise den Performance Studies ein, um beispielsweise die Besonderheit von Live-Auftritten und die wichtige Rolle des Körpers in der Popmusik zu untersuchen (Halberstam, 2005; Ian, 2005). Dass die Rezeption von Musik maßgeblich durch Kommunikation mitbestimmt ist, erscheint klar. Sprechen und Schreiben über Popmusik sind wichtige Bestandteile ihrer Bewertung und Verbreitung. Simon Frith (2002) zeigt dies anschaulich und geht der Bedeutung von Popmusik auf den Grund, indem er die Kommunikation über Musik analysiert. Er untersucht, wie sich Fans über Musik austauschen,
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aber auch wie Musikkritiken als Leitmedien des Popmusikverständnisses konzipiert sind und wie sich daraus individuelle Bewertungsmaßstäbe für Musik ableiten. David Machin verdeutlicht diese kommunikativ-soziokulturellen Vorgänge anhand von Kapiteln über Popmusikdiskurse (Machin, 2010, S. 13-31) und Ikonographien (ebd., S. 32-76). Dabei stellt er klar, dass jegliche Kommunikation über Musik keinesfalls bloß subjektiv ist, sondern sich stets einem Regime des Sprechens und des – gerade in Expertenkreisen wie der musikologischen Community ›richtigen‹ – Denkens über Musik unterordnet (ebd., S. 22-25). An dieser Stelle tritt die historische Verfasstheit der Popmusik wieder in den Vordergrund. Sprechen und Schreiben über Popmusik sind stark historisch geprägt. Von biografischen Erlebnissen, aber eben auch von Zeitzeugen, deren Kritikensprache Referenzen für spätere Popmusikbeschreibungen und -einordnungen bieten (vgl. Frith, 2002, S. 64-74). Die beschriebenen Ansätze sind auf der Mikro- beziehungsweise Mesoebene musiksoziologischer Betrachtungen angesiedelt. Auf der Makroebene nimmt die Musiksoziologie diese Gedanken auf und untersucht darüber die Beziehung von Gesellschaft und Musik. Bereits Max Weber machte sich in diesem Zusammenhang Gedanken über die spezifischen Entwicklungen der abendländischen Musik und fragte sich »[…] warum sich gerade an einem Punkt der Erde aus der immerhin ziemlich weit verbreiteten Mehrstimmigkeit sowohl die polyphone wie die harmonisch-homophone Musik und das moderne Tonsystem überhaupt entwickelt hat, im Gegensatz zu anderen Gebieten mit einer […] mindestens gleichen Intensität der musikalischen Kultur.« (Weber, 1921/1972, S. 52f.)
Begründungen finden sich in gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen, die Weber selbst benennt (vgl. Weber, 1973, S. 522) und die Kurt Blaukopf (1982, S. 222-250) noch einmal detailliert herausgearbeitet und um technologische Entwicklungen ergänzt hat. Im Anschluss daran und eingedenk aktueller musikalischgesellschaftlicher Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, stellt sich aus musiksoziologischer Sicht zum Beispiel die offensichtliche Frage, warum gerade Popmusik – in all ihren verschiedenen Formen und Ausprägungen – die weltweit dominante Musik der Spätmoderne wurde und welche Entwicklungen dazu beitrugen. Offensichtlich spielt hier die jahrzehntelange Dominanz westlicher Massenmedien eine zentrale Rolle. Denn trotz kultureller oder politischer Schranken übt Popmusik seit den 1950er Jahren eine grenzüberschreitende Faszination aus, die in bestimmten Momenten – beispielsweise mit Hilfe des Hörfunks – durchaus auch politische Wirkkraft entfalten konnte (vgl. dazu Stahl, 2010). Nicht nur ihre Dominanz und Wirkkraft, auch ihre wachsende Vielfalt sowie die entsprechenden sozialhistorisch geprägten Entwicklungslinien der Popmusik sind bedeutende Gegenstände der Musiksoziologie. Denn die popmusikalische Ausdifferenzierung zählt zu den bedeutendsten Umwälzungen kultureller Hierarchien in der
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Spätmoderne und spiegelt letztlich Makrotrends wie Individualisierung und Beschleunigung (vgl. Regev, 2015, S. 36f.). In jedem Falle sind Genrediskussionen basaler Bestandteil der Auseinandersetzung mit dem Thema Popmusik. Auf der einen Seite dienen Genres der Orientierung, auf der anderen Seite sind sie nicht selten Anlass für Streit, denn eine intersubjektiv korrekte Zuordnung ist kaum möglich. Vielmehr geht es bei der Zuweisung und Einordnung von Stilen eher um die Herstellung von Bezügen – Rückbezügen oder Querbezügen – die im Sinne von Webers »Idealtypus« (Weber, 1973, S. 193) den kommunikativen Umgang, also das Sprechen und Schreiben über Musik vereinfachen indem Genrebegriffe etabliert und Kanonisierungen vorgenommen werden. Popmusik ist in diesem Sinne ein Feld kultureller Produktion (Bourdieu, 1993), das ständigen Veränderungen unterworfen ist. »In other words, saying that pop-rock is a field of cultural production means that it is a space of hierarchical relations, whose dominant positions consist of consecrated canonic musicians and works, and of corresponding production of meaning positions that maintain the successfully imposed criteria of evaluation and who monitor the entrance into the canon of new (or old) musicians.« (Regev, 2015, S. 38)
Insbesondere im Bereich musikalischer Jugend- und Subkulturen ergeben sich anhand dieser Hierarchien und Klassifizierungen wichtige Hinweise darauf, wie Stilbildung und Vergemeinschaftung anhand von Popmusik funktionieren (MüllerBachmann, 2002), aber auch, wie Musik politisch und kulturell über die eigene Sphäre hinauswirken kann (Rose, 2008; Stahl, 2010). Der mehr oder weniger direkte Zusammenhang liberaler, sozialer Bewegungen – Frauenbewegung, Umweltbewegung, Friedensbewegung, Homosexuellenbewegung, Antiapartheid – mit bestimmter Musik in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren wird dabei immer wieder als Beispiel angeführt (Pfaff, 2013). Die Musiksoziologie ist also vielschichtig und vielfältig. Ihre Ansätze reichen von der Begriffsklärung und -einordnung über historische, vor allem technisch geprägte Entwicklungslinien, individuelle und gruppenspezifische Aneignungsprozesse bis hin zu gesellschaftsrelevanten Wirkweisen von Musik. In dieser Arbeit werden die erläuterten Punkte der Mikro- beziehungsweise Mesoebene als Ausgangspunkte für die Beschreibung veränderter Aneignungsvorgänge herangezogen. Letztlich soll darüber die veränderte Wertzuschreibung an Popmusik erklärt werden, um schließlich Folgen für die globale Entwicklung der Popmusik und damit für ihre makrosoziologischen Potenziale anzudeuten.
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1.2.3.3 Musiksozialisation als Teil von Mediensozialisation Trotz der bereits seit Jahrzehnten andauernden Diskussion um die sozialisatorische Bedeutung von Popmusik – vor allem für Jugendliche – existiert bisher »noch keine anerkannte und umfassende Theorie musikalischer Sozialisation« (Heyer et al., 2013a, S. 6). Die Gründe dafür sind in der soziologischen und kulturellen Bewertung von Popmusik zu suchen. Popmusik ist sozialgeschichtlich noch immer ein recht junges Medium, das sich seine Anerkennung erkämpfen muss und das aufgrund seiner oft grellen Ästhetik immer wieder – und nicht selten auch zu Recht – in die wenig anerkannte Unterhaltungsschublade gerückt wird. Sie galt insbesondere bei Vertretern einer kritischen Medientheorie lange Zeit als nicht authentisch, warenförmig und damit als trivial (vgl. Müller-Doohm, 2000, S. 75ff.). So war die Funktionalisierung von Musik im pädagogischen Kontext, mithin ein zentraler Bestandteil musikalischer Sozialisation, lange Zeit auf E-Musik und auf Musikerziehung ausgerichtet. Ganz in der Tradition von Theodor W. Adorno (1941/2000, 1962), der Popmusik bereits in ihren Anfangstagen Mitte des 20. Jahrhunderts in Anlehnung an die Diskurse um Massenkultur (Benjamin, 1935/1980; Kracauer, 1930) als kulturindustrielle und standardisierte Massenware rahmte, wurden deren Potenziale für Prozesse des Aufwachsens lange ignoriert. Folgerichtig war musikalische Sozialisation nahezu ausschließlich im Forschungsfeld der Musikpädagogik und Musikdidaktik und weniger in der Sozialisationsforschung verortet. Die auch im deutschen Bildungssystem verankerten Ansätze (für einen Überblick vgl. Helmholz, 2008) waren eng am Kunstwerk orientiert (vgl. Alt, 1968), mit dem Erlernen musikalischer Standards, vor allem dem Singen (vgl. Pfeiffer, 2013, S. 189), verknüpft und idealistisch aufgeladen. So galt »bis in die 1970er Jahre […] das Ziel des Schutzes der Jugend vor der Manipulation durch die Kulturindustrie« (ebd., S. 193). Folgerichtig war der Musikunterricht lange Zeit frei von Popmusik und damit in vielen Fällen weit weg von der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen, die sich beginnend bereits in den 1920er Jahren – damals noch dem Jazz, später dann dem Swing –, verstärkt jedoch in den 1950er und 1960er Jahren der aufkeimenden amerikanischen und britischen Popmusikkultur zuwandten (vgl. Baacke, 1999, S. 49-51; Ferchhoff, 2013, S. 20-25). Erst allmählich begriff die Wissenschaft, dass der Umgang mit Popmusik besonders bei Jugendlichen längst im Alltag verankert ist. Sie wurde in der Folge ab den 1980er Jahren in den Bildungskanon integriert (Jost, 2015, S. 200-202; Pfeiffer, 2013, S. 193-194) und gar als »didaktische Chance« (Schütz, 2008, S. 274) rehabilitiert. Auch wenn damit auf die »(subjektiven wie objektiven) Schülerinteressen und -erfahrungen« (ebd.) eingegangen und die große soziale Bedeutung von Popmusik prinzipiell richtig erkannt wurde (vgl. ebd., S. 269), blickte die Musikpädagogik nur selten über den musikalischen und künstlerischen Charakter, also über die Inhalte selbst, hinaus. Der Sozialisationsbegriff hat an dieser Stelle die »musikpädagogische Forschung um eine wesentliche Dimension erweitert«, denn »[v]or al-
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lem Entwicklungs- und Wahrnehmungspsychologie sind heute ohne Berücksichtigung soziokultureller Faktoren kaum noch denkbar« (Rösing, 2008, S. 349). Besonders die aus England stammenden Ansätze der Cultural Studies, die den Rezipienten letztlich mehr Deutungsmacht über Medieninhalte zugestanden und die Inhalte damit gleichzeitig aufwerteten (Hall, 1973; Hebdige, 1979), indem sie dem in Deutschland üblichen Kulturpessimismus ein anderes Kulturverständnis entgegensetzten (vgl. Krotz, 2000, S. 168-169), brachen mit dem Hochkultur-Trivialkultur-Dualismus. Daneben kontrastierten auch die an Pluralisierung und Individualisierung orientierten neueren Ansätze der Sozialisationsforschung – namentlich das produktiv realitätsverarbeitende Subjekt (Hurrelmann, 1983) sowie die Selbstsozialisation (Sutter, 1999; Zinnecker, 2000) – diese Sichtweise. All dies führte letztlich zu einer ernsthaften Debatte über Popmusik als bedeutendes Medium für Prozesse des Aufwachsens (vgl. exemplarisch Bickford, 2013; Müller, Calmbach, Rhein & Glogner, 2007; Müller, Glogner, Rhein & Heim, 2002; Neuhoff & Weber-Krüger, 2007). Heute ist sich die Sozialisationsforschung einig, dass seit dem Durchbruch der Popmusik ab etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts – das heißt seit ihrer erhöhten Verfügbarkeit und ihrer zunehmenden Ubiquität – die Bedeutung von Musik insgesamt, vor allem für Jugendliche, stark zugenommen hat. Seitdem gelten »Jugendund Musikkultur [als] untrennbar miteinander verwoben« (Hajok, 2013, S. 80). So ist »Musik im Zuge von Sozialisationsprozessen weit bedeutsamer als einfaches freizeitliches Interesse, hat sie doch für die Entwicklung, das Aufwachsen und zur Verortung von Jugendlichen im sozialen Raum verschiedene Funktionen« (Heyer, Wachs & Palentien, 2013b, S. 466). Diese sozialisatorischen Funktionen von Musik reichen mittlerweile weit über den konkreten Umgang mit dem Werk hinaus. Denn sie betreffen heute auch die Dimensionen des (technischen) Zugangs und die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen. »Heute wird man nicht nur das Komponieren, das Nachspielen und Nachsingen, die Urteilsbildung und Präferenzbildung in Bezug auf Musik, die Identitätskonstruktion durch musikalische Stilbildung, sondern sicherlich auch die Fähigkeit, etwa in einem Wirtschaftssektor, dem Musikmarkt, kompetent handeln zu können, unter musikalischer Sozialisation fassen.« (Dollase, 2005, S. 153)
Popmusikalische Sozialisation realisiert sich heute mittels der vielfältigen Aneignungsweisen von Popmusik. Sie ist in diesem Sinne sozial (Kapitel 2.6; Kapitel 3), technologisch (Kapitel 4) und ökonomisch (Kapitel 5) verfasst. Ohne diese drei bereits mehrfach pointierten Dimensionen lassen sich in der Gegenwart keine gesicherten Aussagen zu popmusikalischer Sozialisation machen. Der Grund dafür liegt in der in mehrfacher Hinsicht medialen Verfasstheit von Popmusik. Selbstverständlich ist Musik bereits in ihrer ursprünglichsten Form ein
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Medium in dem Sinne, dass sie Botschaften enthält und übermittelt. Popmusik jedoch muss als doppelt oder mehrfach medial, mindestens als technisch vermittelt, verstanden werden. Denn keine ihrer Spielarten, ihrer Produktions-, Distributionsund Rezeptionsweisen wäre heute ohne die Zuhilfenahme weiterer technischer Medien denkbar. Letztlich muss ihre Ubiquität daher als Folge und Symptom der Mediatisierung (Krotz, 2001; mehr dazu in Kapitel 2.6) gelesen werden. Aufgrund der medialen Verfasstheit von Popmusik liegt es nahe, musikalische Sozialisation als Sonderform von Mediensozialisation anzusehen. Denn ebenso wie musikalische Sozialisation »ein Teilbereich des umfangreicheren Sozialisationsprozesses« (Dollase, 2005, S. 153) ist, ist sie – vor allem dann, wenn man genauer von popmusikalischer Sozialisation sprechen würde – ebenso als Teilbereich der Mediensozialisation zu fassen. Was bedeutet dies im Einzelnen? Mediensozialisation ist heute ein sehr umfassendes Forschungsfeld, das zahlreiche soziologische, kommunikationswissenschaftliche, entwicklungspsychologische und pädagogische Ansätze vereint (vgl. dazu ausführlich den Sammelband von Vollbrecht & Wegener, 2010a). Mit der Pluralisierung der Gesellschaft und dem Aufkommen digitaler Technologien hat sich Sozialisation insgesamt stark gewandelt. Sie findet inzwischen vermehrt in Freizeitbezügen statt (vgl. Tully, 1994), was nicht zuletzt daran liegt, dass mehr Freizeit zur Verfügung steht. Insbesondere den Medien kommt dabei eine Sonderrolle zu. Sie gelten manchen neben Familie, Peers und Bildungseinrichtungen mittlerweile als eigene Sozialisationsinstanz (Mikos, 2004). Diese Sichtweise ist allerdings nicht unumstritten, da Aufwachsen und Sozialisation heute unabdingbar und nicht nur in Freizeitkontexten in medial durchdrungenen Umwelten stattfinden. »Die Medien als eine weitere Sozialisationsinstanz neben anderen aufzufassen, führt jedoch in die Irre, da in modernen Gesellschaften, die Medien bzw. mediale Kommunikation anderen Sozialisationsinstanzen längst inhärent sind. So ist Medienpädagogik auch immer Kommunikationspädagogik, Medienrezeptionsanalyse ebenso Kommunikationsanalyse und Medienkompetenz ebenso Kommunikationskompetenz. Die Kommunikationen in der sozialisatorischen Interaktion sind in allen Sozialisationsinstanzen in hohem Maß medial durchdrungen. Somit lässt sich Mediensozialisation von ›allgemeiner‹ Sozialisation empirisch nicht trennen.« (Vollbrecht & Wegener, 2010b, S. 9)
Wie in vielen sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungsbereichen erweisen sich die Cultural Studies auch auf dem Feld der Mediensozialisation als fruchtbarer Ansatz. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, ein besseres Verständnis für den Umgang von Menschen mit der sie umgebenden Kultur, insbesondere auch mit Medien zu gewinnen. Für den Bereich der Mediensozialisation sind es besonders die Medieninhalte, deren Konsum, sowie die damit verbundenen Identitätskonstruktionsleistungen, für die die Cultural Studies Modelle und Analysefolien bieten (vgl. Hipfl,
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2010, S. 89ff.). Sie können in diesem Rahmen als eine Mischdisziplin aus Kommunikationswissenschaft und Soziologie verstanden werden. Sie beschäftigen sich insbesondere mit der individuellen aber auch gruppenspezifischen Aneignung bestimmter Medieninhalte. Dabei betonten sie von Beginn an den aktiven, mündigen Rezipienten. Denn »erst durch Interpretation werden Texte zu sozialen Tatsachen und untersuchbaren Kommunikaten und diese Interpretation ist eine Aktivität der Zuhörer« (Krotz, 2000, S. 168). Daneben ist für die Cultural Studies der Standpunkt entscheidend, dass Medieninhalte kontextspezifisch, also abhängig beispielsweise von Vorwissen, sozialem Umfeld, Produktionsprozessen und nicht zuletzt auch von den technischen Möglichkeiten auf Rezipientenseite angeeignet werden (Hall, 1973). In diesem Sinne spielen dann also nicht ausschließlich die Medieninhalte selbst, sondern zudem ihre sozialen, technischen und ökonomischen Bedingtheiten eine entscheidende Rolle. Neben Untersuchungen unter anderem zum TV-Konsum (Fiske, 1987; Hall, 1973) ist die Popmusik als Medieninhalt eines der wichtigsten Anwendungsfelder der Cultural Studies (Clarke, 2006; Frith, 1988, 1996; Hebdige, 1979). Ein intensiver Einbezug dieser Forschungstradition in diese Arbeit, speziell wenn es um die soziale Verfasstheit von Popmusik (Kapitel 2.5) und genauer um popmusikalische Sozialisation (Kapitel 3) geht, ist daher naheliegend. 1.2.3.4 Popmusikalische Sozialisation: Aneignung zwischen Technik Inhalt und Ökonomie Die Pädagogik weist seit langem explizit auf die Bedeutung der Medien für den Sozialisationsprozess hin (Arnett, 1995; Süß, 2004). Es wird dabei oft von einem »medialen Sozialisationsvorsprung« (Fincke, 1999, S. 246) auf Seiten Jugendlicher gegenüber älteren Generationen gesprochen, da sie mit neuer Technik flexibel, spielerisch und selbstverständlicher umgehen als Erwachsene (Tully, 2004). An dieser Stelle der Verschränkung von Medien- und Techniksozialisation treffen sich unterschiedliche Sichtweisen auf Medien und damit verschiedene Medienbegriffe, die gerade bei der Betrachtung von Popmusik Klärungsbedarf erzeugen. Ohne Zweifel bedeutet der Umgang mit Medien auch immer einen Umgang mit Technologien, mit Geräten, mit Software, mit Schnittstellen. Es klang jedoch bereits an, dass auch unabhängig von der Technologie bestimmte Inhalte – TV-Serien, Zeitungstexte, Web-Bilder oder eben Musik – als Medien bezeichnet werden. Es gibt technische Medien, kommunikative Medien, primäre, sekundäre oder tertiäre Medien, Individual- oder Massenmedien und viele andere Bezeichnungen mehr (für einen Überblick zum Medienbegriff vgl. Beck, 2010a, S. 77-102). Um den Medienbegriff für das Anliegen der Arbeit fruchtbar zu machen soll in Kapitel 2.5.6 Popmusik selbst als soziales Medium gefasst werden, das technisch determiniert ist und verschiedene kommunikative Funktionen erfüllt. Dass Medien für Heranwachende eine herausgehobene Rolle spielen, wird in der soziologischen Jugend- und Jugendmedienforschung spätestens seit den 1990er
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Jahren stetig betont und wiederholt (vgl. u. a. Krüger & Thole, 1992; Süss, 2004; Tully, 2003). Tatsächlich werden für die kindliche und jugendliche Persönlichkeitsentwicklung zentrale Prozesse wie Identitätskonstruktion, Abgrenzung oder Positionierung durch Medien und deren aktive Aneignung getragen (Fleischer & Seifert, 2017; Holzwarth, 2010; Süss & Hipeli, 2010). Gemeint sind damit zunächst vor allem die Medieninhalte. Indem sich Jugendliche mit den häufig von Narrativen begleiteten Medienästhetiken und Medienfiguren auseinandersetzen, setzen sie sich ins Verhältnis zur Welt und ihrem sozialen Umfeld (Fleischer & Seifert, 2016; Lange & Lüscher, 1998). Die so geleistete Identitätsarbeit wird zusätzlich über Anschlusskommunikationen, beispielsweise innerhalb der Peergroup, individuell verhandelt (vgl. Sutter 1999, S. 136). Medieninhalte sind damit wichtige Orientierungshilfen für Prozesse des Aufwachsens und der Vergesellschaftung, indem sie die Konstruktion von Selbst- und Weltbild beeinflussen (vgl. Wegener, 2010, S. 61). Aber auch die Auseinandersetzung mit Medientechnologie spielt eine zentrale Rolle für die Sozialisation Heranwachsender, denn »[s]ie gelten als Experten, was Trends betrifft und als kenntnisreich, wenn es um die Funktionsweise komplizierter Gerätschaften geht« (Tully, 2003, S. 107). Über individuelle Bedienkompetenz und Besitz erfolgen Einbettung und Abgrenzung beziehungsweise »Kontextualisierung« (Tully, 2004). Medientechnologien tragen Sozialisationsprozesse also letztlich in ähnlicher Weise wie Medieninhalte. Popmusik funktioniert aus mediensozialisatorischer Sicht daher über beide Komponenten: Inhalt und Technologie. Als Medieninhalt generiert sie emotionale Erfahrungen. Mit ihrer Hilfe können Emotionen ausgelebt, verstärkt oder aufgefangen werden (vgl. Hartung & Reißmann, 2009; Kreutz, 2011). Ihre spezifischen – oft durch sogenannte Stars nach außen getragenen – Ästhetiken ermöglichen individuelle und gruppenspezifische Identifikations- und Distinktionspraktiken (vgl. Wegener, 2007). Popmusik ist damit ein optimales Medium für die Arbeit an der eigenen Identität und an dieser Stelle insbesondere mit der zentralen jugendlichen Sozialisationsinstanz Peergroup verschränkt (vgl. Eulenbach, 2013, S. 269f.). In diesen Gleichaltrigengruppen wird Popmusik aktiv angeeignet, Bedeutungen ausgehandelt und über Stilistiken reflexiv nach außen getragen. So entstehen Zugehörigkeiten und Abgrenzungen oder wie Harring (2013) es ausdrückt: »Musik setzt in ihrer Symbolik bzw. Ausgestaltung stets auch immer eine kategorisierende Sozialkomponente frei. Die Zuwendung zu bestimmten Musikstilen und insbesondere zu den jeweiligen Interpreten geht nicht selten mit einer ästhetisch (sic!), ethischen, politischen oder moralischen Selbst- oder Fremd-Zuordnung dieser Person, die jene Präferenz aufzeigt, einher.« (Harring, 2013, S. 304)
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Aus technologischer Sicht, sind neben den Rezeptionsweisen auch die Produktion und die Distribution von Popmusik entscheidend. Die Digitalisierung eröffnet für alle drei Komponenten der Popmusiksphäre neue Mittel und Wege. Während auf Produktionsseite das Studio dem Laptop weicht (Vogt, 2013), werden bei der Distribution neue Erlösmodelle mit Hilfe moderner Technologien umgesetzt (Anderton et al., 2013, S. 20; S. 93ff.; Wirtz, 2009, S. 540ff.). Auf Seiten der Rezeption scheint zunächst völlig klar, dass Musik in modernen Gesellschaften nahezu ausschließlich medien- und damit technikvermittelt erlebt wird (Krämer, 2011, S. 471). Erst bei genauerem Hinsehen jedoch wird deutlich, wie Neuerungen in den Popmusikalltag integriert werden und letztlich den Umgang mit Musik und deren Wertschätzung verändern. So sind es mit Blick auf die technische Seite von Medien stets spezielle Artefakte und die damit verbundenen Umgangsweisen, die eine gewisse Prägekraft haben (vgl. Tully & Krug, 2011, S. 18). Anhand des Umgangs mit Technologie wird dabei deutlich, dass oft Jugendliche und junge Erwachsene die treibende Kraft für Veränderungen sind. »Indem Jugendliche die neuesten Techniken aufgreifen, knüpfen sie Gemeinsamkeiten untereinander und bestimmen die eigene und die gesellschaftliche Zukunft.« (Ebd.) Mediensozialisation und die hier spezifisch zu betrachtende popmusikalische Sozialisation sind Bausteine für das Verständnis der aktuellen Popmusiklandschaft und damit für Einblicke in die Wertschätzung von Popmusik. Die Ausführungen haben verdeutlicht, dass sich der veränderten Wertschätzung von Popmusik über den Begriff der Aneignung genähert werden soll. Für das Anliegen dieser Arbeit bedeutet Aneignung dabei mehr als die Auseinandersetzung mit popmusikalischen Inhalten. Stattdessen weist das, was hier als Aneignung konzipiert werden soll, stets deutlich über die inhaltlichen Komponenten, also über die Musik, die Ästhetik und die Lyrics hinaus und integriert techniksoziologische und medienökonomische Ansätze. Gerade die Digitalisierung hat sowohl der Technikzentriertheit der Popmusik als auch neuen ökonomischen Modellen Vorschub geleistet. Nahezu alle17 popmusikalischen Aneignungsleistungen, nicht nur das Hören, sondern auch das Kaufen, das Organisieren, das Archivieren, das Tauschen, das Diskutieren, das Ordnen, das Planen und das Informieren sind heute zu großen Teilen durch die Digitalisierung geprägt. Popmusik findet, wie viele andere Medieninhalte auch, heute zu bedeutenden Teilen im Netz statt. Die Fallbeispiele in Kapitel 7 veranschaulichen diese Veränderungen popmusikalischer Aneignungsvorgänge und die Vermehrung von Aneignungsoptionen eindrücklich. Es wird deutlich, wie stark 17 Eine Ausnahme wäre je nach Sichtweise das Livekonzert oder ein Abend im Club, wobei auch hier in der Regel (Medien-)Technologie für die jeweilige Darbietung zum Einsatz kommt (vgl. dazu auch Tabelle 1). Dennoch handelt es sich aus Aneignungssicht um eine andere Erfahrungskategorie als das Hören von Tonträgern oder das Sehen von Musikvideos.
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musikalische Sozialisation durch moderne Medientechnologien geprägt ist und welche Folgen dies möglicherweise hat.
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Der Popmusik-Begriff
Der zentrale Gegenstand dieser Arbeit ist Popmusik. Er soll hier trotz vieler anderer Bezeichnungsmöglichkeiten wie Pop (Bruckmayer, 2014), Pop-Musik (Diederichsen, 2014), populärkulturelle Musik (Heyer et al., 2013a), Rock- und Popmusik (Wicke, 1992a) oder populäre Musik (Doehring, 2012) in dieser Art und Weise benannt und geschrieben werden, weil damit das musikalische Element betont und gleichzeitig anderer Ballast wie Bindestriche oder Genrebezeichnungen außenvor gelassen werden. In der englischsprachigen Musikforschung haben sich der Begriff und die Schreibweise Popular Music (Adorno, 1941/2000; Longhurst, 2002; Shuker, 2016) bereits seit Längerem relativ eindeutig durchgesetzt, auch wenn vereinzelt noch von Pop-Rock-Music (Everett, 2000) oder Rock (Moore, 2001) die Rede ist. Unabhängig von der Schreibweise muss jedoch hier vor allem klargestellt werden, was genau der Begriff Popmusik bezeichnen soll. Was ist mit Popmusik gemeint? Bevor der Begriff analytisch in seine Bestandteile zerlegt und im Anschluss unter Berücksichtigung seiner Verwendung und des Ziels dieser Arbeit wieder zusammengesetzt werden soll, seien dafür nun ein paar Prämissen, Abgrenzungen und Zuschreibungen formuliert. Popmusik bezeichnet in dieser Arbeit keinen musikalischen Ordnungsbegriff, keinen Stil, kein Musikgenre. Häufig wird unter Popmusik aber genau das verstanden. Das bestätigen nicht nur aktuelle musikjournalistische Exegesen, in denen Pop nicht selten dezidiert als Musikstil, beispielsweise irgendwo zwischen »Soul« und »Hiphop« reüssiert (vgl. bspw. Kittlitz, 2016) oder Versuche musikalischer Taxonomien (Wirtz, 2009, S. 514), sondern auch viele Gespräche, die der Autor im Rahmen dieser Arbeit mit Wissenschaftlern, Fans, Produzenten, Künstlern oder einfach nur normalen Konsumenten führte. Dabei ist die konkrete Zuordnung, was nun genau Popmusik ist, individuell sehr unterschiedlich. Als Popmusik gilt mal leicht Konsumierbares, wenig Anspruchsvolles, mal diejenige Musik, die eine gewisse Verbreitung erfährt oder den Massengeschmack trifft. Nicht selten wird Popmusik auch als Bezeichnung für Musik, die am Puls der Zeit ist, eingesetzt. Anhaltspunkte
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für diese Einschätzungen können sein, dass diese Musik im Formatradio läuft, von sogenannten Majorlabels (Majors) veröffentlicht wird, bei großen Ereignissen und Festen als Pausen- oder Hintergrundmusik fungiert oder anderweitig eine beachtenswerte Reichweite erfährt. Auch Musik, die sich gut verkauft oder viele Klicks im Netz aufweist, gilt umgangssprachlich häufig als Popmusik. Fragt man nach Popmusik, hat also zunächst jeder eine Vorstellung von dem Begriff. Gleichzeitig existieren jedoch sehr viele unterschiedliche Verständnisse. Dies liegt nicht zuletzt am Popbegriff, der in Kapitel 2.2 näher erläutert und zur Musik in Bezug gesetzt werden soll. Für das Popmusik-Verständnis dieser Arbeit muss an dieser Stelle vorauseilend betont werden, dass musikalische Merkmale nur sehr bedingt für eine Einordnung als Popmusik taugen. Heute können härtere Rockstücke ebenso Popmusik sein wie Schlager oder elektronisch produzierte Musik. Langsame Songs, beispielsweise klassische Liebeslieder, sind Popmusik, aber auch schnelle oder aggressive Tracks. Kunstvoll arrangierte Soundcollagen ohne Gesang oder simpelste Drei-Akkord-Stücke mit Schreieinlagen zählen als Popmusik. Popmusik ist damit eben keine Stilbezeichnung, sondern im Sinne des englischen Begriffs popular music »a wide category for a series of types of music« (Wall, 2013, S. IX). Viel eher als ein musikalisches Genre oder als ein Hinweis darauf, welche Art von Musik sich hinter diesem Begriff verbirgt, ist Popmusik als eine soziale Konstruktion zu verstehen. Sie ist in diesem Sinne deutlich mehr als Musik, denn neben dem Musikalischen zählen auch das Inhaltliche – in Texten, dargestellt durch Symbole oder Logos, in Aussagen, in Darstellungsweisen –, das Optische – in Videos, auf Bildern, auf Plattencovern, in Form einer Lichtshow, expliziert auch durch Kleidung oder Frisuren – und das Körperliche – beim Tanzen, Riechen, Fühlen, Berühren in Live- oder Club-Umgebungen – zu den entscheidenden Wahrnehmungsund Verbreitungshorizonten der Popmusik. Für die Arbeit soll Popmusik in Anlehnung an Diederichsen daher verstanden werden als »Zusammenhang aus Bildern, Performances, (meist populärer) Musik, Texten und an reale Personen geknüpfte[n] Erzählungen« (Diederichsen, 2014, S. XI). Dieser Zusammenhang – und das macht Popmusik in ihrem Kern aus – wird durch aktive Nutzung, durch die Kommunikation der Popmusik-Hörer und -Fans erst hergestellt (vgl. ebd.). Zum Popmusik-Begriff selbst gesellen sich noch einige weitere Kontextbegriffe, ohne die Popmusik in ihrer Bedeutung und ihrer Funktionsweise nicht vollumfänglich verstanden werden kann. Offensichtlich handelt es sich bei Popmusik um Pop und um Musik sowie um das Zusammenspiel dieser beiden Begriffe. Weitere wichtige Eckpfeiler, die bei der Analyse des Begriffs und seines Inhaltes eine Rolle spielen sollen, sind Kultur – beispielsweise im Sinne der allgegenwärtigen Popkultur und deren enger Verzahnung mit Musik – und Kunst. Denn das Verhältnis von Popmusik und Kunst wird immer wieder debattiert und ist gerade im deutschen Sprachraum mit seiner Geschichte der strikten Unterscheidung zwischen Hoch- und Trivialkultur spätestens seit den Schriften Adornos (1941/2000; 1962) hochgradig
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umstritten (vgl. bspw. Appen, 2014). Dass Popmusik in der Vergangenheit nicht selten auch eine (sozial-)politische Komponente besaß und diese auch heute noch über spezielle Subkulturen und Szenen mal mehr mal weniger massentauglich nach außen trägt (vgl. bspw. Shuker, 2016, S. 211ff.), soll hier ebenfalls thematisiert werden. Dazu kommt die offensichtlichste Funktion der Popmusik als Unterhaltung (Kapitel 2.4). Der zentrale Aspekt des Begriffs für diese Arbeit ist jedoch die aus verschiedenen Perspektiven herleitbare soziale Konstruktion von Popmusik (Kapitel 2.5).
2.1 POPMUSIK IST MUSIK Popmusik ist zunächst Musik, also eine Abfolge von Tönen beziehungsweise »ein System von Bedeutungen, mit dem man eine symbolische Kommunikation durchführen kann« (Dollase, 2005, S. 170). Allerdings sind die beiden Begriffe Popmusik und Musik nicht deckungsgleich. Musik – und das legen alle historischen und soziologischen Analysen nahe – existiert bereits deutlich länger als Popmusik, die eher als spezifische Ausformung oder auch als Entwicklungsstufe charakterisiert werden kann. Aber wo genau liegen nun Unterschiede und wo gibt es Verbindungen? 2.1.1 Adorno und Popmusik Theodor W. Adorno gilt als einer der ersten und nach wie vor prägendsten Popmusiktheoretiker. Er sah in Popmusik eine Vermassung, ein Zur-Ware-Werden der bedeutenden Kunstform Musik. Dabei zog er sich nicht auf Allgemeinplätze zurück und attestierte der Popmusik per se weniger Kunstfertigkeit oder weniger Qualität, im Gegenteil, er verglich sie an einigen Stellen seines einflussreichen Artikels On Popular Music (Adorno, 1941/2000) mit klassischen Werken und kam zu dem Schluss, dass Popmusik – zu seiner Zeit noch die verschiedenen Spielarten des Jazz – durchaus kunstfertig, anspruchsvoll und hochwertig sein kann. »All works of the earlier Viennese classicism are, without exception, rhythmically simpler than stock arrangements of jazz. Melodically, the wide intervals of a good many hits such as ›Deep Purple‹ or ›Sunrise Serenade‹ are more difficult to follow per se than most melodies of, for example, Haydn, which consist mainly of circumscriptions of tonic triads and second steps.« (Adorno, 1941/2000, S. 305)
Dennoch hat Popmusik für Adorno eine andere, und zwar eine geringere künstlerische Bedeutung als die ernsthafte Musik, der er das Wort redet. Für ihn war es vor
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allem die standardisierte Herstellungsweise, die Popmusik ausmacht und die der Musik den Kunstwerkcharakter raubt. »The whole structure of popular music is standardized, even where the attempt is made to circumvent standardization. Standardization extends from the most general to the most specific ones.« (Ebd., S. 302) Diese Standardisierung ergibt sich für Adorno aus dem Wunsch der Produzenten die Bedürfnisse der Konsumenten zu erfüllen. Diese Bedürfnisse manifestieren sich in Songs von überschaubarer Länge und immer gleichem Aufbau. Dabei wird oberflächlich gezielt der Eindruck von Variation erweckt. »The recipient’s impression of the ever varying is evoked due to the targeted use of specific compositional details and effects.« (Jost, 2015, S. 197) Dieser genormten, auf den Markt zielenden popular music stellt Adorno die serious music gegenüber, bei der es auf jedes Detail ankommt, um das Ganze zu verstehen. »Every detail derives its musical sense from the concrete totality of the piece which, in turn, consists of the life relationship of the details and never of a mere enforcement of a musical scheme.« (Adorno, 1941/2000, S. 303) Er sieht deshalb in Popmusik eben keine Kunst, bei deren Rezeption es auf jede Kleinigkeit ankommt und die nur als großes Gesamtwerk Sinn ergibt (vgl. ebd.). Der Unterschied zwischen Popmusik und ernsthafter, künstlerischer Musik ist nach Adorno die Kleinteiligkeit auf der einen und das Funktionieren als großes Ganzes auf der anderen Seite. In Teilen ist ihm hier sicher zuzustimmen, denn viele Popsongs funktionieren als Einzelstücke kontextübergreifend, während die großen klassischen Kunstwerke kaum aus dem Kontext der jeweiligen Sinfonie gerissen werden können ohne sie ihrer Wirkung zu berauben. Teilweise ist hier aber auch Widerspruch nötig und zwar von zwei Seiten. Erstens ist es aus heutiger Sicht nicht mehr unbedingt nachzuvollziehen, dass populäre Musik weniger wertvoll sein soll als Kunstmusik. Mit der Entwicklung der Popmusik und weiterer primär auf Unterhaltung zielender Formate wie Fernsehen, Kino oder digitale Spiele, die letztlich allesamt Teil der Mediatisierung von Kultur sind (vgl. Hepp, 2013, S. 27-62), kam es auch von Seiten der Wissenschaft zu einer veränderten Bewertung von Medieninhalten. Vorreiter und treibende Kraft hinter diesem Perspektivwechsel waren ohne Zweifel die Forschungen im Umfeld der Cultural Studies, die sich an der kritischen Theorie abarbeiteten und neue Ansätze für Mediennutzung und Medienanalyse vorschlugen (vgl. dazu Kramp, 2015). Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist der Kreislauf der Kultur (du Gay, Hall, Janes, Mackay & Negus, 1997, S. 3), der verdeutlicht, »dass mediale Unterhaltung mit einer komplexen Erfahrungsstruktur verbunden ist und damit bedeutungsgenerierende Freiräume bietet, die neben den verschiedenen Arten des Vergnügens stets auch auf repräsentationelle Aspekte verweisen« (Wimmer, 2015, S. 203). Diese neuen Herangehensweisen an Medien und also auch an Musik schlugen sich bereits relativ früh in veränderten Schulcurricula nieder. So konstatiert Christofer Jost unter Bezugnahme auf Franz Niermanns damals neue didaktische Herangehensweise an den Einbezug populärer Musik in den Unterricht (Niermann, 1987):
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»Music shall no longer be regarded as a fixed shape but rather as an open set of expressive features which comprises a multitude of potentials for recreation.« (Jost, 2015, S. 200-201) Nicht mehr die objektive Form und Ästhetik musikalischer Werke, sondern die subjektiv möglichen Aneignungsweisen von Musik stehen im Vordergrund. Spätestens in den 1990er Jahren schließlich wurde Popmusik auch außerhalb von Fankreisen als kultureller Faktor anerkannt (ebd., S. 201). In jedem Fall ist also die strikte Trennung zwischen Hochkultur und Populärkultur im Musikbereich, wie sie bei Adorno noch geläufig war, mittlerweile nicht mehr aufrecht zu erhalten. Zweitens fallen mit Blick auf die Entwicklung der Popmusik seit den 1960er Jahren zahlreiche Werke ins Auge, die ebenfalls nur in ihrer Gesamtheit Sinn ergeben und im Sinne Adornos einen einzelstückübergreifenden Rahmen für Deutung und Interpretation bereitstellen. Werke wie Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967) von den Beatles, Trans Europa Express (1977) von Kraftwerk oder The Wall (1979) von Pink Floyd gelten als durchkomponierte Konzeptalben, die zwar auch für sich funktionierende Einzelsongs enthalten1, die ihre volle Wirkkraft jedoch nur auf Albumlänge entfalten und stets als zusammenhängendes Werk genannt werden. Des Weiteren existieren heute auch zahlreiche Popmusikstücke, die mit der von Adorno beschriebenen Standardisierung brechen und beispielsweise Atonales, Geräuschhaftes oder anderweitige Soundcollagen integrieren. Avantgarde-Künstler wie Einstürzende Neubauten, Current 93 oder The Legendary Pink Dots und Genres wie Post-Rock oder Industrial seien hier nur beispielhaft genannt. Sie weisen den Weg weg von musikalischer Standardisierung und wenden sich Klangexperimenten zu, die deutlich näher an Kunstmusik liegen als Adorno es vermutlich für möglich gehalten hätte. Zu Gute halten muss man Adorno an dieser Stelle, dass weder die angesprochene Konzeptalbummusik noch die avantgardistischen Klanglandschaften zur Zeit der Veröffentlichung seines Artikels verbreitet waren. Stattdessen stellte der Jazz, den Adorno mit seiner Popmusikkritik meinte, einen seiner Meinung nach vollkommen standardisierten Rahmen bereit, der jederzeit für jedes kleine Stück, also jeden einzelnen Song, aber auch jede einzelne Harmonie und jeden Refrain funktionierte. Folglich ging es bei den Darbietungen nicht um individuell-künstlerischen Ausdruck, sondern immer um das, was Adorno Pseudo-Individualisierung nennt. »This pseudo-individualization is prescribed by the standardization of the framework. The latter is so rigid that the freedom it allows for any sort of improvisation is severely delimited. Improvisations – passages where spontaneous action of individuals is permitted (›Swing it boys‹) – are confined within the walls of the harmonic and metric scheme. In a great many 1
Dies ist bei Stücken klassischer Musik kaum anders. Man denke nur an Mozarts »Eine Kleine Nachtmusik«. Das »Allegro« kennen und mögen Millionen Menschen, wohingegen der Rest des Werks deutlich weniger Hörern bekannt sein dürfte.
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cases, such as the ›break‹ of pre-swing jazz, the musical function of the improvised detail is determined completely by the scheme: the break can be nothing other than a disguised cadence. Here, very few possibilities for actual improvisation remain, due to the necessity of merely melodically circumscribing the same underlying harmonic functions. Since these possibilities were very quickly exhausted, stereotyping of improvisatory details speedily occurred. Thus, standardization of the norm enhances in a purely technical way standardization of its own deviation – pseudo-individualization.« (Adorno, 1941/2000, S. 308)
2.1.2 Popmusik und die Unmöglichkeit ihrer musikalischen Analyse Diese Sichtweise auf Popmusik ist in vielen Bereichen noch heute berechtigt. Denn in der Tat sind und waren Popmusikproduzenten immer an einer Vermassung interessiert, wie Adorno sie feststellt. Bei der Produktion von Popmusik geht es um Vermarktung und Gewinnmaximierung. Letztlich ist es das Ziel, Musik, egal in welcher Form sie gerade verfügbar ist, ob als Notenblatt, auf Schellack, als CD oder als Dateiformat, möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen und dadurch Gewinne zu erzielen (vgl. Garofalo, 2015, S. 103). Als Folge dieser Anstrengungen und mit Hilfe zahlreicher technologischer Innovationen wurde Popmusik ubiquitär (ebd., S. 105). Sie breitete sich also auf viele Lebensbereiche und Orte aus, teilweise ohne die Möglichkeit, sie abzuschalten. So gibt es heute Musik unter anderem in Supermärkten, Fahrstühlen, Hotels, an Bahnhöfen oder Flughäfen (vgl. Schütz, 2008, S. 265). Diese, sich »aus der Kombination von unbewusster und bewusster, intensiver Nutzung« (Reinke, 2012, S. 17) ergebende Ubiquität hatte jedoch naturgemäß auch zur Folge, dass sehr viele Menschen mit Musik in Berührung kamen und immer mehr auch selbst aktiv wurden. Popmusik entwickelte sich damit zu dem unübersichtlichen, facettenreichen Klang-Konvolut, das sie heute ist. Ohne Zweifel kann sie in ihrer Breite, aber auch in ihrer Tiefe mit dem, was Adorno unter Musik verstand, längst mithalten. Darüber hinaus ist sie – und das ist kulturell akzeptierte Tatsache – mittlerweile deutlich mehr als nur Musik. Tatsächlich stellt der Musikbegriff eines der zentralen Probleme zeitgenössischer Popmusikbetrachtungen dar (Doehring, 2012, S. 26). Denn das, was wir als Musik bezeichnen, ist zunächst eine abstrakte Abfolge von Tönen. Musik selbst ist letztlich ein Begriff für die »nicht verbalisierbaren ästhetischen Erfahrung[en]«, die das Musikhören mit sich bringt und er bezeichnet genau das, »was eine diskursive Gemeinschaft darunter verstehen möchte bzw. soll« (ebd., S. 27). Diese Sichtweise auf Musik ist ganz im Sinne eines neuen musikwissenschaftlichen und musiksoziologischen Ansatzes. Ging die Musikwissenschaft früher davon aus, dass Musik analysierbar und über die Analyse in ihrer Erfahrung auch reproduzierbar ist, fanden in den letzten Jahrzehnten, gerade im Zuge der massenhaften Verbreitung von Popmu-
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sik, mehr und mehr die individuellen Aneignungs- und Produktionskontexte Berücksichtigung. Dies gipfelt in der für traditionelle Musikwissenschaftler doch fast ketzerischen Feststellung von Peter Wicke: »Die Annahme, ›musikalische Fakten‹ seien objektive Gegebenheiten, die sich einem ›objektiven Hören‹ fraglos erschließen und also durch Analyse nur zu Bewußtsein gebracht werden müßten, ist angesichts der Vermittlung von Klang und seiner Wahrnehmung als Musik in komplexen, sozial bedingten, technologisch, ökonomisch und diskursiv geprägten kulturellen Zusammenhängen nicht haltbar.« (Wicke, 2003, S. 112)
Hier verdeutlicht Wicke zugespitzt, dass Musik eben keine objektive Sache ist, sondern ein soziales Konstrukt (vgl. dazu auch Kapitel 2.5). Auf Popmusik trifft dies umso mehr zu, da die außermusikalischen Eigenschaften bei ihr noch stärker in den Vordergrund rücken. Dies hat – und damit wären wir wieder beim Anfang dieses Abschnitts – Adorno klug analysiert. Seine abwertende Haltung gegenüber der zeitgenössischen Popmusikform Jazz kann aus heutiger Sicht einem ästhetischen und weltanschaulichen Generationenkonflikt zugeschrieben werden. Denn Adorno kritisiert zuvorderst nicht etwa die Musik selbst, sondern die neuen Aneignungsweisen und Wertverständnisse die seinem Verständnis von Musik- beziehungsweise Kunstrezeption zuwiderlaufen. »It is safe to assume that music listened to with general inattention which is only interrupted by sudden flashes of recognition is not followed as a sequence of experiences that have a clear cut meaning of their own, grasped in each instant and related to all the precedent and subsequent moments. One could go so far as to suggest that most listeners of popular music do not understand music as a language in itself. If they did it would be vastly difficult to explain how they could tolerate the incessant supply of largely undifferentiated material. What, then, does music mean to them?« (Adorno, 1941/2000, S. 311)
Letztlich sind es die mittlerweile anerkannten vielfältigen Funktionen und Aneignungsmodi von Popmusik, die für Adorno so neu waren, dass er sie in Frage stellte. Das Hören im Hintergrund zur Zerstreuung, die Nutzung als Tanzmusik oder das emotionale Abarbeiten, all das, was Popmusik heute ausmacht, waren für Adorno keine positiven Neuerungen, sondern deutliche Zeichen der industriellen Vereinnahmung und der Minderwertigkeit dieser Musik im Vergleich zur Kunstmusik. Er konstatierte: »The autonomy of music is replaced by a mere socio-psychological function.« (Ebd.) Egal ob rhythmisch orientierte oder emotional orientierte Hörer, Adorno gesteht den Popmusikkonsumenten keinerlei Reflexionsvermögen zu, sondern sieht den aufkommenden Popmusikkonsum als passive »catharsis for the masses« (ebd., S. 314).
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Diese kritische Bewertung von Popmusik als standardisierte Ware einer berechnenden Kulturindustrie, die aus dem kritischen Hörer einen willigen Käufer macht (vgl. Adorno, 1938/1982, S. 273), hielt sich lange, scheint aber inzwischen überwunden. Einerseits bewegt sich auch die von Adorno gelobte E-Musik heute mehr und mehr in kommerziellen Sphären, die er als Kulturindustrie bezeichnet hätte. »The Adornesque desire to remain pure of the corrupting influence of commerce and the culture industry is increasingly impossible to achieve.« (Moore, 2009, S. 17) Andererseits ist Popmusik durchaus ernst zu nehmen und kann sehr wohl umfassendes Gesamtkunstwerk sein, bei dem es auf jedes Detail ankommt. Folgerichtig kommt daher mittlerweile auch die Politik, von der die Einteilung mittels Förderung jahrelang in wesentlichem Maße getragen wurde, mehr und mehr zu dem Schluss, dass die Grenze zwischen E- und U-Musik als aufgehoben angesehen werden kann, was einem kulturellen Relevanzgewinn von Popmusik zur Folge hat.2 Dass Popmusik mittlerweile auch musikwissenschaftlich anerkannt ist, zeigt nicht zuletzt der große Fundus an Literatur, der sich mit ihr beschäftigt (vgl. bspw. Covach & Boone, 1997; Everett, 2000; Moore, 2001). Ihre musikwissenschaftliche Analyse ist jedoch problematisch und hochumstritten, denn sie »läuft […] darauf hinaus, den Gegenstand der Analyse so zu konstruieren, dass der Analysierende selbst zum idealtypischen Hörer dafür wird. […] Das Verfahren ist offenkundig zirkelschlüssig.« (Wicke, 2003, S. 114) Wicke weist an dieser Stelle deutlich darauf hin, warum die klassischen Verfahren der Musikanalyse an Popmusik scheitern müssen: Sie arbeiten sich nach wie vor am Paradigma der althergebrachten »klassisch-romantischen Musiktheorie« ab und nehmen beispielsweise deren Tonkonzept als Analysegrundlage (ebd.). Dies, so Wickes These, kann nicht funktionieren. Er gibt drei schlüssige Argumente als Begründung, die bei eingehender Betrachtung die technologische, die kulturelle und die soziale Verfasstheit von Popmusik spiegeln (vgl. ebd., S. 114-115): 1. Überwinden die (neuen) technologischen Möglichkeiten der (Pop- und) Rock-
musik wie Klangsynthese und -manipulation die alten Grenzen mechanischer Klangerzeugung. 2. Ergibt sich aus dem hybriden Charakter von Musik eine Assimilationsfähigkeit, die Elemente aus unterschiedlichsten musikalischen Kulturen, vor allem der afro-amerikanischen, mühelos integriert und damit beispielsweise auch für das europäische Musikverständnis nicht handhabbare Ton-, Rhythmus- und Harmoniesysteme integriert. 2
Als Indiz dafür kann beispielsweise die deutliche Ausweitung der Förderung für Rock-, Pop- und Jazzmusik für das Jahr 2017 von ehemals 3,5 auf nun 8,2 Millionen Euro angeführt werden. Auch wenn diese Summe angesichts eines Gesamtkulturetats von 1,63 Milliarden Euro noch immer marginal erscheint (vgl. Borcholte, 2016).
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3. Trägt die (pop-)musikalische Sozialisation, vor allem deren informeller Charak-
ter, dazu bei, dass die rigiden Grundlagen abendländischen Musizierens – auch hier wird wieder das Tonsystem als Beispiel herangezogen – eben nicht mehr diejenigen sind, nach denen Musik heute funktioniert. Eine ähnliche Inkompatibilität zwischen klassischer Musikanalyse und Popmusik stellte Middleton bereits ein Jahrzehnt vorher fest (vgl. Middleton, 1990). Auch er benennt drei Gründe für diese Problematik (vgl. Longhurst, 2002, S. 158-160): 1. Die Terminologie: Einerseits fehlen Bezeichnungen und Ordnungssysteme für
bestimmte Klangfarben (›Timbre‹) oder Rhythmen der Popmusik, andererseits ist die Verwendung etablierter Begrifflichkeiten wie Harmonie, Melodie oder Tonart ihrerseits nicht neutral, sondern bereits wertend. Viele Popmusikstücke funktionieren auf anderen musikalischen Grundlagen, beispielsweise sind Harmonien oft weniger wichtig als bestimmte Rhythmen. 2. Die Notenschrift: Wie auch Wicke konstatiert Middleton, dass sich Popmusik nur begrenzt dazu eignet, überhaupt in klassischer europäischer Notation festgehalten zu werden. 3. Die Ideologie: In musikwissenschaftlichen Analysen muss sich Popmusik immer wieder gegen den Kanon europäischer Klassik behaupten und kann an diesem Punkt nur verlieren, da sie von einem Großteil der Analysten – unter anderem von Adorno – mehr oder weniger per se als weniger wertvoll angesehen wird. In der Konsequenz lässt sich aus diesen Argumentationen ableiten, dass sich viele Arten von Popmusik aus unterschiedlichen Gründen einer traditionellen musikalischen Analyse entziehen. So ist es für ihre Produktion oft nicht nötig ist, bestimmte Tonsysteme, Harmonielehren oder ähnliches Musikwissen zu besitzen. Entsprechend schwierig gestaltet sich schließlich auch eine Bewertung dieser Musikformen nach althergebrachten Methoden. »Nicht von ungefähr ist Punk Rock beispielsweise, der sich um eine angemessene Repräsentation des tonalen Systems durch hinreichende Intonationsgenauigkeit wenig schert, aus dem Kanon der einer musikalischen Analyse würdigen Musikformen bislang ausgeschlossen.« (Wicke, 2003, S. 115) 2.1.3 Popmusik ist polymorph und nicht nur Musik Popmusik kann in diesem Sinne als neue musikalische Entwicklungsstufe gesehen werden. Begründen lässt sich dies vor allem auch medientechnologisch, anhand der Herstellung, Speicherung und Verbreitung musikalischen Materials. Denn während »die Notenschrift sich mit Bezug auf die reproduktiven, aufführungspraktischen Er-
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fordernisse überwiegend mechanischer Klangerzeugung entwickelt hat« (ebd., S. 116), geht es bei der Popmusik oft ja gerade darum, diese Grenzen zu überwinden und mit Hilfe von Technologie – ob elektroakustisch oder digital – ästhetische Erfahrungen jenseits dieser Regeln zu kreieren. Daraus folgt letztlich eine Art Gegenthese zu Adornos Ausgangspunkt der Popmusikkritik. Popmusik ist zwar Ware und viele Produktionen – vorzugsweise das, was im Formatradio gespielt wird – klingen unüberhörbar sehr ähnlich. Popmusik insgesamt jedoch ist, schaut man auf ihre Vielfältigkeit, kaum standardisiert oder standardisierbar. Vielmehr ist sie, wie Wicke es ausdrückt, polymorph (ebd., S. 118). Das heißt in Gestalt und Aneignung kontextabhängig, wobei der Kontext aus Umgebung, Technologie, Stimmung und dergleichen mehr zusammengesetzt ist. Wicke bringt es auf den Punkt: »Derselbe Song unter Kopfhörern zu Hause gehört, als Bestandteil einer 90-minütigen Bühnenperformance erlebt oder aber im Club als Tanzvorlage genommen, ist nur dem Namen nach derselbe Song. Wird er beim Tanz von der Basslinie her erschlossen, ergibt sich ein anderes strukturiertes Gebilde als beispielsweise bei der subjektzentrierten ästhetischen Wahrnehmung unter Kopfhörern entlang des Wort-Ton-Verhältnisses. Von einer ihre Integrität bewahrenden klanglichen Entität, die sich gegenüber dem kulturellen Umraum als ›Werk‹ konstituiert und darin eine quasi gegenständliche, fixe Existenz erhält, ist hier nicht auszugehen.« (Wicke, 2003, S. 118)
Für die Kommunikationswissenschaft ist dieser Schluss kaum überraschend. Musik als Informationseinheit, als Botschaft zwischen Sender und Empfänger verstanden, unterliegt, ebenso wie andere Signale, Störungen auf allen Seiten. Diese sind bereits in den einfachsten Kommunikationsmodellen – beispielsweise dem wohl bekanntesten von Shannon & Weaver – enthalten (vgl. Beck, 2010a, S. 18). Störungen werden jedoch nicht zwingend als solche wahrgenommen, sondern über Interpretations- und Konstruktionsleistungen auf beiden Seiten – der des Senders und der des Empfängers – kontextualisiert (vgl. dazu auch Neumann-Braun, 2000, S. 34-36). Deshalb geht und ging es für Popmusik als Medieninhalt häufig gar nicht um klangliche Perfektion. Vielmehr trugen beispielsweise die Störungen und die technischen Limitierungen in der Vergangenheit dazu bei, einen speziellen Rezeptionskontext – einen ganz bestimmten Sound – zu kreieren, der nun mittels gezielter technischer Manipulation wiederhergestellt werden kann. Dies spiegelt sich deutlich in der Anpassung aktueller Produktionen an Klangerlebnisse, wie sie einige Jahrzehnte zurückliegen. Der in der Rockmusik allgegenwärtige Phil-Spector-Sound (Gronow & Saunio, 1999, S. 152ff.), konservierter Punk Rock, der noch immer nach 1977 klingt, der sogenannte Garage Rock aktueller Indie Bands (vgl. Reynolds, 2011, S. 267-275) oder Crossover-Phänomene wie Electroswing (vgl. Kapitel 1.1.3) zeugen davon, dass es in der Popmusik eben nicht auf musikalische Perfektion ankommt, sondern auf die Herstellung und Wiederherstellung bestimmter Erfahrungen. Mu-
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siksoziologen nutzen daher häufig semiotische und strukturalistische Ansätze der Cultural Studies um Popmusik fassbar zu machen (vgl. Longhurst, 2002, S. 161168). Zum Musikalischen gesellen sich zudem zahlreiche weitere Bausteine, die mittlerweile untrennbar mit Popmusik verbunden sind, weshalb für die Bedeutungskonstruktion von Popmusik die Betrachtung der musikalischen Ebene allein nicht ausreicht. Beispielsweise spielen Texte in manchen Popmusikkontexten eine große Rolle und auch das Visuelle ist oft wichtig, wie die Bedeutung von Musikvideos oder der Präsentation von Musikstars zeigt (ebd., S. 168-192). Die Bedeutungsaushandlung von Popmusik ist dabei eng mit der Sprache verknüpft. David Machin (2010, S. 22-25) und Tim Wall (2013) zeigen anschaulich, wie über Popmusik geredet beziehungsweise geschrieben wurde und wird und wie anhand dessen Stimmungen, Geschichte und Zuordnungen funktionieren. Wall nennt Elemente, die jeder Popmusikbeschreibung innewohnen. Insbesondere sind dies drei Punkte (ebd., S. 5ff.): 1. »dramatic disruptions«, also besondere Ereignisse und einschneidende Verände-
rungen, Brüche, durch die Popkultur eine Erzählung wird 2. die Unterscheidung von ›Mainstream‹-Pop und einem wie auch immer benannten marginalisierten, oft als ›alternativ‹ bezeichneten Bereich 3. die Beschäftigung mit den jeweiligen Wurzeln der Musik Das Konzept von ›Mainstream‹ und ›Underground‹ ist zu einfach, um Popmusik im Ganzen zu verstehen, dennoch gibt es uns einen Hinweis. Es zeigt, dass Popmusik in verschiedener Weise organisiert ist. »Different parts of the music industry and the wider media are organised around different patterns of music production and promotion. And different social groups give significant meanings to different ways of buying, listening and dancing.« (Ebd., S. 9) Anschaulich nachvollziehen kann man diese Organisiertheit beispielsweise in Seligers (2013) kritischen und teilweise äußerst idealistischen Anmerkungen zur Verfasstheit des Musiksektors, insbesondere des Geschäfts mit der Livemusik in Deutschland. Popmusik hat also gewissermaßen eine kommunikative und eine ökonomische Gestalt. Von der musikalischen Seite allein, zu diesem Schluss muss man unweigerlich kommen, ist Popmusik nur schwerlich zu fassen. Zwar ist die Unterscheidung E und U, beziehungsweise Klassik und Pop, wie sie auch Adorno vertreten hat, verlockend. Angesichts des polymorphen Charakters von Musik und ihrer medialen Überformung durch die vergangenen Jahrzehnte, ist es jedoch unmöglich, den Popmusikbegriff musikalisch, klanglich und ästhetisch von einer, wie auch immer gearteten nichtpopulären Musik zu trennen. Wicke sieht den Grund dafür in der bisher nicht überwundenen »Kluft zwischen musikanalytischen und kulturanalytischen Zugängen« (Wicke, 2003, S. 124). Der Musikbegriff in Popmusik ist also – und das scheint der einzig sinnvolle Schluss dieser Exegese – nicht von den anderen
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Komponenten, von den sozialen, den technischen, den ökonomischen, den ästhetischen zu trennen. Popmusik ist variabel, flexibel oder eben polymorph und damit hochgradig kontextabhängig. Sie ist nur in seltenen Fällen wirklich in einer Notation zu fassen, wie es von klassischen Werken her bekannt ist. Stattdessen spielen immer auch die gewählte Aufführungspraxis, die Produktionsart und nicht zuletzt der Moment der Rezeption eine entscheidende Rolle. Es ist daher unmöglich und wenig sinnvoll, Popmusik auf musikalische Merkmale zu reduzieren (vgl. auch Shuker, 2016, S. 6).
2.2 POPMUSIK IST POP(ULÄR) Viele Formen von Popmusik sind ohne Zweifel populär, nicht von ungefähr wird sie so bezeichnet. Aber was hat es mit dem Begriff Pop und dem Populären auf sich? Ist das Populäre wirklich »[d]as, was alle angeht« (Diederichsen, 2014, S. XII)? In den folgenden Ausführungen soll der Pop-Bestandteil der Popmusik genauer betrachtet werden. Woher kommt er, was bedeutet er und welche Referenzen ergeben sich, insbesondere im Hinblick auf Kunst und Kultur? 2.2.1 Pop Den Beginn des Populären sieht Marcus Kleiner im 19. Jahrhundert, wo es zu einer Verbürgerlichung der Unterhaltung kam (Kleiner, 2012, S. 19). »Als es Pop und Popkultur noch nicht gab, gab es schon die populäre Kultur.« (Ebd., S. 18) Heute findet Pop in vielen Zusammenhängen als schlichte Verkürzung des Begriffs Popmusik Verwendung. Besonders außerhalb des wissenschaftlichen Kontextes wird diese Kurzform häufig automatisch mit dem Popmusik-Begriff gleichgesetzt; so in Jens Balzers Werk »Pop – Ein Panorama der Gegenwart« (2016) oder in Karl Bruckmaiers »The Story of Pop« (2014). Beide Autoren verdeutlichen in ihren jeweiligen Einleitungskapiteln den popmusikalischen Fokus (vgl. Balzer, 2016, S. 913; Bruckmaier, 2014, S. 13-16) und setzen damit wie selbstverständlich die Agenda, ohne auf die vielen möglichen weiteren Begriffsdeutungen von Pop einzugehen. Zwar weisen ihre Werke an vielen Stellen über das Musikalische hinaus, beleuchten Hintergründe, Entwicklungen und Emotionen, Akteure, Ästhetiken und Publikum und verdeutlichen damit trotz der anfechtbaren Verwendung des Pop-Begriffes einmal mehr die Komplexität und Reichweite von Popmusik, jedoch bleibt die Musik stets die Basis dieser Ausführungen. »Dabei geht es nicht allein um das Hören und das Gehörte, um Musik und Rhythmen, Melodien und melodiefreien Krach – sondern genauso um Körperlichkeit, um Erotik und um die Bilder der Welt, die sich in allen Facetten des Pop widerspiegeln.« (Balzer, 2016, S. 11) Alle Facetten des
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Pop sind damit kaum beleuchtet, denn der Pop-Begriff hat ein deutlich größeres Bedeutungsspektrum, von dem Musik nur einen – wenn auch einen bedeutenden – Teil ausmacht. Die selbstverständliche Reduktion des Pop-Begriffes auf Popmusik zeigt allenfalls, dass Pop als »musikzentrierte[r] Traditionsbegriff« verwendet wird (Kleiner, 2012, S. 18). Im Anschluss an Giddens (1999) ist Tradition sinnhafte Routine, also etwas, das sich wiederholt, dass aber stets »kontextuell in das Wesen gelebter Tätigkeiten verwoben« ist (Giddens, 1999, S. 133). So gesehen ist Pop also Bestandteil unser aller Lebenswirklichkeit. Als Popkultur bezeichnet Kleiner »alle Formen der Vergemeinschaftung, die von diesem Popverständnis ausgehen« (Kleiner, 2012, S. 18). Folgerichtig hat sich der Begriff daher im Anschluss an die Entstehung des Rock’n’Roll sukzessive auf andere Felder neben der Musik ausgeweitet, beispielsweise auf den Film, ganz generell auf andere Medienformen, auf Kleidung, auf Veranstaltungsformate aber auch auf Ideologien, Politik und eben auf Vergemeinschaftungsprozesse. Dabei hat Pop in der noch sehr kurzen Zeit seiner Existenz bereits Routinen – oder besser Rituale – hervorgebracht, die seine Tradition tragen und stabilisieren. Eine dieser Praktiken ist das Konzert, eine andere – historisch etwas jüngere – der Clubabend. Sie können als »Routinetätigkeiten« gesehen werden, deren Sinn »in der der Tradition innewohnenden allgemeinen Achtung oder sogar Verehrung sowie im Zusammenhang zwischen Tradition und Ritual« (Giddens, 1999, S. 133) liegt. In Anlehnung an Giddens können diese Poprituale wahlweise als sakramental, zwanghaft oder tröstlich beschreiben werden (vgl. ebd.). Ausgehend von der politischen und juristischen Herkunft des Begriffes »popular« zeigt Williams (2011), dass dem Pop-Begriff drei Bedeutungen eingeschrieben sind. Als populär wird verstanden, was in irgendeiner Form minderwertig oder dem ernsthaften, besseren unterlegen ist. Populär bedeutet auch, dass etwas explizit darauf ausgerichtet ist, zu gefallen. Und schließlich nennt Williams eine dritte, modernere Bedeutung: Populär heißt etwas, wenn es von einer großen Menge von Personen gemocht wird, wobei dies in vielen Fällen die ersten beiden Bedeutungen überlappt (Williams, 2011, S. 4). Der Begriff Pop kann also mehrere Bedeutungen annehmen. Möglicherweise ist er – trotz seiner harmlosen Gebräuchlichkeit – gerade deshalb historisch nicht unumstritten. »Popular is a contested term. For some it means simply appealing to the people, whereas for others it means something much more grounded in or ›of‹ the people. The former usage generally refers to commercially produced forms of popular culture, while the latter is usually reserved for forms of ›folk‹ popular culture, associated with local community-based production and individual craftspeople.« (Shuker, 2016, S. 3)
Im deutschen Sprachraum würden wir für die zweite hier angegebene Bedeutung eher das Wort volkstümlich benutzen. So oder so, populär oder das englische ›po-
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pular‹ werden normalerweise als Beschreibung für Dinge verwendet, die bei relativ vielen Menschen beliebt sind. Dazu kann Volkstümliches wie das Oktoberfest in München oder Karnevalsumzüge ebenso gehören wie aus kommerziellen Gründen Produziertes. Scharf unterscheiden lässt sich dies sowieso kaum noch (vgl. ebd.), denn nahezu alles, was aus dem Volkstümlichen, dem Traditionellen kommt, ist mittlerweile kommerzialisiert und wird warenförmig etabliert und damit populär. Medienfiguren wie Helene Fischer, die etwas Volkstümliches wie den deutschen Schlager mit Modernem verbinden, sind dafür nur ein Beispiel (vgl. dazu Balzer, 2016, S. 203-216). Im Laufe der Zeit wurde aus populär oder ›popular‹ das kürzere ›Pop‹. »The shortening gave the word a lively informality but opened it, more easily, to a sense of the trivial.« (Williams, 2011, S. 4) Pop meint so viel wie »a sudden lively moment«, in vielerlei geläufigen und meist angenehmen, gefälligen Kontexten (ebd.). Pop hat also per se noch nichts mit Musik zu tun. Stattdessen kann das Populäre überall sein: im Sport, in Literatur, in einer Fernsehsendung. Auch Personen können Popstars sein und auch Kunst kann, nicht zuletzt im Sinne der Pop-Art mit diesem Begriff in Verbindung gebracht werden. Pop berührt demnach viele gesellschaftliche Bereiche. In der Folge soll er daher anhand verschiedener Begrifflichkeiten und Kontrastfolien eingeordnet und umrissen werden. Zunächst geht es um den Begriff, der Pop in die Gesellschaft und Kultur einbettet beziehungsweise der die Gesamtheit aller Popphänomene verbindend beschreibt: die Popkultur. Gezeigt wird, was eigentlich Popkultur ist und wie Popmusik innerhalb dieser Popkultur verortet werden kann. Anschließend sollen mit Kunst und Politik zwei vermeintlich pop-freie Felder zur Popmusik in Bezug gesetzt werden. 2.2.2 Popkultur Was genau ist nun Popkultur? Popkultur zu begreifen und zu überblicken stellt sich schwierig dar. Im Anschluss an die vorher benannte dritte Bedeutung des PopBegriffes von Williams (2011, S. 4) könnte man mit Leif Kramp über Populärkultur sagen: »Als alleinig verbindendes Charakteristikum bietet sich die Beliebtheit kultureller Phänomene bei einer Vielzahl von Menschen an.« (Kramp, 2015, S. 208) Popkultur ist facettenreich und umfasst heute zahlreiche oft medial transportierte Ausdrucksformen. Ihre Grenzen sind fließend, »was es erschwert, sie als Theorieobjekt zu konzeptualisieren« (ebd.). Eine Annäherung soll daher über den darin enthaltenen Kulturbegriff erfolgen.
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2.2.2.1 Anthropologische und ethnologische Kulturperspektive Kultur zu definieren erweist sich dabei zunächst als nicht weniger kompliziert und facettenreich, denn es gibt zahlreiche Sichtweisen auf diesen Begriff. Ganz allgemein lässt sich sagen, »dass Kultur eine Vielfalt von Phänomenen […] umfasst, die u. a. […] durch Sprache, Geschichte, Mythen, Rituale« (Trommsdorff, 2008, S. 229) vermittelt werden. Aus anthropologischer Sicht ist Kultur das von Menschen Erzeugte (Fuchs, 2013). Der Begriff Kultur bezeichnet etwas, das erst mit den großen Entdeckerfahrten des 15., 16. und 17. Jahrhunderts überhaupt ins Bewusstsein der Menschen drang. Für Europäer war bis dahin eine eklatante Andersheit, wie sie beispielsweise Schwarzafrikaner, Indianer oder Asiaten schon äußerlich, vor allem aber mit Blick auf Bräuche und Gepflogenheiten, darstellten, nicht vorstellbar. Es zeigten sich allerlei Unterschiede in Religion, Essgewohnheiten und Sprache. Um nun sich selbst vom Anderen zu unterscheiden und Differenzen zu beschreiben etablierte sich der Begriff der Kultur (vgl. Sack, 1971, S. 262-263). Kultur ist also für bestimmte Regionen, Nationen oder anders fassbare Gemeinschaften Typisches. Dies können Verhaltensweisen sein, Sitten, auch schriftlich Fixiertes oder anderweitig Festgehaltenes. Manchmal werden Gesellschaften, auch insgesamt als Kultur bezeichnet. Dies trifft unter anderem auf die antiken Hochkulturen der Ägypter, der Griechen oder der Römer zu. Kultur kann in diesem ethnologischen Sinne als Form der Erfahrungsorganisation verstanden werden. Sie stellt Instrumente bereit, »die von den Mitgliedern einer Gesellschaft oder Gruppe geteilt werden. Darunter sind sämtliche Standards der Wahrnehmung, des Urteilens, des Bewertens, der sprachlichen und begrifflichen Aufbereitung der Umwelt und des Handelns zu verstehen, auf die ein Individuum in seiner Gesellschaft, in der Gruppe, trifft, die ihm kulturell vorgegeben sind. Diese überindividuellen Muster und kulturellen Schablonen werden sichtbar und manifestieren sich in der Regelhaftigkeit menschlichen Verhaltens, im Wiederkehren typischer Handlungsabläufe in gleichen Situationen.« (Ebd., S. 265)
Neben diesem ethnologischen und dem anthropologischen Kulturverständnis lassen sich noch ein soziologisches sowie ein normatives Kulturverständnis unterscheiden (Fuchs, 2013). Für die begriffliche Eingrenzung der Popkultur sind diese beiden Kulturbegriffe ohne Zweifel besonders bedeutsam. 2.2.2.2 Soziologische Kulturperspektive Der soziologische Kulturbegriff »erfasst das Subsystem Kultur mit den Kulturmächten Kunst, Religion, Sprache, Wissenschaft und hat die Aufgabe der Selbstbeobachtung und -deutung der Gesellschaft unter dem Aspekt des Sinns« (ebd.). Neben dieser Makroperspektive, die die gesellschaftlichen Systeme in den Blick nimmt, ist auch der mikrosoziologische Blick auf Kultur hilfreich. Beispielsweise
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stellte Max Weber vor allem »das Alltagsleben in den Vordergrund kultursoziologischer Forschung« (Klein, 2000, S. 222). Für ihn waren »Theorien der Gesellschaft immer auch […] Theorien über Kultur« (ebd., S. 220). Hier schließt auch die aktuelle Soziologie an, für die die Spätmoderne ohne das Konzept der Kultur nicht beschreibbar ist (vgl. bspw. Huntington, 1996). Der Kultursoziologe Andreas Reckwitz identifiziert in diesem Zusammenhang zwei widerstreitende, aber für das Selbstverständnis moderner Gesellschaften wichtige Tendenzen: die Rationalisierung und die Kulturalisierung. »Formale Rationalisierung auf der einen Seite, Kulturalisierung auf der anderen Seite modellieren das Soziale gewissermaßen in entgegengesetzte Richtungen. Im Zuge von Prozessen der Rationalisierung – das wissen wir seit Max Weber – werden Objekte, Subjekte, Handlungen, Räumlichkeiten, Kollektive etc. zum Gegenstand einer Optimierung, sie werden systematisch als Mittel zu gegebenen Zwecken geformt. In Prozessen der Kulturalisierung hingegen werden sie valorisiert und darin zu sozial anerkannten Eigenwerten. In der Rationalisierung findet eine versachlichende Affektreduktion statt, in der Kulturalisierung demgegenüber eine Intensivierung von Affekten in Bezug auf das Wertvolle. Die Rationalisierung profanisiert die Dinge, die Kulturalisierung sakralisiert sie.« (Reckwitz, 2016)
Kultur ist demnach Ausdruck des Umgangs mit Objekten und Praktiken einer Gesellschaft. Dazu gehören die konkreten Einzelobjekte – für den Bereich der Popmusik also beispielseweise Tonträger – aber eben auch Ordnungssysteme, insbesondere Ökonomie, Politik und Religion. Die Unterschiede in den Verständnissen und Bewertungen von Kultur – die unterschiedlichen »Regimes der Kulturalisierung« (ebd.) – lassen Kultur damit heute zu einer Art Schlachtfeld für Ideologien (vgl. Minkmar, 2016) werden. Wobei Reckwitz zwei »Kulturalisierungsregimes« identifiziert, die sich im 21. Jahrhundert gewissermaßen im globalen Widerstreit befinden: Hyperkultur und Kulturessentialismus. Beide »valorisieren« verschiedene Elemente von Kultur (Reckwitz, 2016). Der essentialistische Ansatz betont die Gemeinschaft, die Tradtion und die Gegensätze zu Anderen. Es geht um Stabilität und Identität, das Bewahren und Wertschätzen von Bekanntem. Die Hyperkultur dagegen zeichnet sich aus durch Individualität, Diversität und Variabilität – wenn man so will durch allumfassende Kontingenz. Nichts ist sicher, alles kann individuell bedeutsam für das Ziel der Selbstverwirklichung sein. »Die Kultursphäre bildet hier gewissermaßen einen Attraktions- und Attraktivitätsmarkt, auf dem ein Wettbewerb um Anziehungskraft und das Urteil des Wertvollen ausgetragen wird.« (Reckwitz, 2016) Als wichtige Stützen der Hyperkultur nennt Reckwitz den »Kulturkapitalismus« und die »Medientechnologien«. Popkultur kann in diesem Dualismus ganz klar der Hyperkultur zugeordnet werden. Sie ist gewissermaßen der Inbegriff dieser Hyperkultur. Denn Sie nutzt Medientechnologien und das Wirtschaftssystem um Güter, Begrifflichkeiten und Kategorien zu ästhetisieren, also mit individuellem
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Sinn, mit Emotionen und mit Affekten aufzuladen (vgl. dazu ausführlich Reckwitz, 2012, S. 20ff.). Popkultur begegnet dabei auch essentialistischen Kulturalisierungsregimes. Das heißt, sie überwindet nationale und kulturelle Grenzen (vgl. auch Stahl, 2010). Das bleibt in der globalisierten und vernetzten Welt nicht aus. Ergebnis sind dann nicht selten Spannungen und Umdeutungen. Dies ließe sich an Phänomenen wie der Inhaftierung der feministischen Protestgruppe Pussy Riot oder des Künstlers Ai Weiwei ebenso festmachen wie an der Diskussion um die vermeintliche Steuerflucht von Schauspielern wie Steven Seagal oder Gerard Dépardieu nach Russland. Kultursoziologisch kann man also von Popkultur als offener, flexibler und dynamischer Hyperkultur sprechen. 2.2.2.3 Normative Kulturperspektive Der normative Kulturbegriff betont »die Entwicklung und Veredelung des Menschen« (Fuchs, 2013). Kultur ist in diesem Sinne alles, was Menschen bildet und geistig voranbringt. Hier hat die Fokussierung des Kulturbegriffes auf die sogenannten ›schönen Künste‹ – also Musik, Literatur, Poetik, Architektur, Bildende und Darstellende Künste (vgl. Fillitz, 2011, S. 140) – ihre Wurzeln. Von diesem »engen Kulturbegriff, der Kultur auf die Künste einengt« (Fuchs, 2013), ist es nur ein kleiner Schritt zu dem seit Beginn des 20. Jahrhunderts existierenden Dualismus aus Hoch- und Massenkultur (vgl. Klein, 2000, S. 220). Im Zuge der Etablierung neuer Medienformen wie Film, Fotografie und Comics erweiterte sich der Kulturbegriff jedoch sukzessive (Fillitz, 2011, S. 140) und mit der fortschreitenden Digitalisierung wurden nach der letzten Jahrtausendwende sogar Forderungen laut, auch digitale Spiele in diesen Kanon aufzunehmen (Jenkins, 2005). Letztlich hatte diese Entwicklung eine Aufweichung der Grenzen zwischen Hochkultur und der ihr traditionell entgegengesetzten Massen- oder Volkskultur zur Folge und es gerieten neue »kulturelle Felder wie Alltags-, Arbeiter-, Sub-, Jugend-, Musik- und Popkulturen […] ins Blickfeld und forderten ein verändertes, weniger idealisiertes, vereinheitlichendes und normiertes Verständnis von Kultur heraus« (Klein, 2000, S. 220). Kultur in diesem normativen Sinne existiert heute nur noch »als Sparte, als [ein] kleine[r], sehr spezifische[r] Teil von Gesellschaft, im kommunikativen und sonstigen Handeln als Vorbild und (selten verwirklichtes) Ideal. […] Kultur meint hier […] eine Abteilung, vor der man Respekt hat, zu der man aufschaut; Kultur ist das Erhabene, Anspruchsvolle, Elitäre – Kultur ist hier Hochkultur.« (Faulstich, 1998, S. 44-45)
In einem normativen Sinn lässt sich Popkultur als eine dritte Kulturform neben beziehungsweise zwischen Hoch- und Massenkultur3 einordnen. Niedlich unterstreicht diese relativ neue, differenzierte Sichtweise und verweist in seinem Band 3
Andere Begriffe für Massenkultur sind auch Volkskultur oder populäre Kultur.
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besonders auf die »ästhetischen und politischen Potentiale der Popkultur« (Niedlich, 2012a, S. 9). Er sieht Popkultur in eben diesem Zwischenraum zwischen Kunst und Kommerz und konstatiert für die Wissenschaft in diesem Rahmen eine sukzessive Schließung des »Graben[s] zwischen ›E‹ und ›U‹«, indem »Betrachtungsweisen und Kategorien« aus dem Kunstbereich mehr und mehr auf die Popkultur übertragen werden (ebd.). Für den bedeutenden Teilbereich der Popmusik bedeutet das: Sie ist eben nicht die »urbane Fortschreibung einer präindustriellen ›Volksmusik‹« (Gurk, 1996, S. 21), sondern »cultural work […] done according to different rules« (Frith, 1981, S. 52). Für Hecken beginnt der Schritt von der »popular culture«4 hin zum seiner Meinung nach umfassenderen Konzept von »Pop« oder »Popkultur«5 in den 1950er Jahren als »künstlerisch inspirierte Saboteure auf die Idee verfallen, ihre subversiven oder militant störenden Aktionen« massenmedial zu verbreiten (Hecken, 2013, S. 26). Pop erlangt damit subversives Potenzial und wird in all seinen Formen – u. a. Comics, Filme, Zeitschriften, Fernsehen, Werbung, aber eben auch Musik – nach und nach ernstzunehmendes Protest- und Ausdrucksmittel für politische Widerstandskulturen (Kleiner, 2013). Ein Mittel zur »Sabotage«, wie es Hecken ausdrückt. Hecken stellt besonders heraus, dass damit nun auch ein neues (größeres) Publikum für ehemals hochkulturell begrenzte Ausdrucksweisen, wie beispielsweise Formen von Protest, Subversion, Reflexion empfänglich wird. »Gerade der Pop-Sektor zeichnet sich dadurch aus, zwar häufig Publika abseits der offiziellen Kunst zu erreichen, aber dennoch nicht vollständig konforme, hegemonial gänzlich durchdrungene Schichten zu versammeln.« (Hecken, 2013, S. 26) Auf dieser normativen Ebene muss also unterschieden werden zwischen der sehr speziellen und nur für relativ wenige überhaupt zugänglichen Hochkultur, einer Volks- bzw. Massenkultur, die gewissermaßen das kulturelle Leben breiter Bevölkerungsschichten beschreibt und häufig auch populäre Kultur genannt wird, eben weil viele daran teilhaben und, drittens, einer Popkultur, die insbesondere durch die Musik aber auch andere Kunstformen (Malerei, Film, Literatur) einen Ausruck findet. Popkultur steht gewissermaßen zwischen Massenkultur und Hochkultur. Sie nimmt Elemente aus beiden Bereichen auf. Ihre Besonderheit ist dabei die konsequente Nutzung von Medien und Kommunikationstechnologien zur Verbreitung ihrer Botschaften. Das heißt noch nicht, dass Popkultur in jedem Falle auch populär ist. »Pop war trotz des 4
Übersetzbar etwa als »Populärkultur«. Gemeint ist damit stets im Vergleich zu anerkannten Kunst- und Kulturwerken niedrigwertige Kultur für die (unmündigen) Massen.
5
Beide Begriffe bezeichnen bei verschiedenen Autoren dasselbe. Dabei unterscheiden sie sich von dem, was unter Populärkultur oder populärer Kultur verstanden werden kann. So umfassen Pop bzw. Popkultur nicht (nur) die als minderwertig angesehenen medialen Konsumgüter für die (ungebildete) Masse, sondern sie sind »effektive Aufmerksamkeitsökonomien, die Widerstand als Jugendbewegungen und Jugendkulturen inszenieren [...]« (Kleiner 2013, S. 44).
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Adjektivs ›populär‹, das sich auch in diesem Wort versteckt, zu keiner Zeit in erster Linie populär.« (Bruckmaier, 2014, S. 341, Herv. i. O.) Dennoch lebt Popkultur von ihrer medialen Verbreitung. Diese erfolgt über sogenannte Kulturgüter. Dies können Druckerzeugnisse sein, Fernsehprogramme, Theaterstücke oder eben Musikstücke. Mit Hilfe dieser Medien werden Ideen und Ästhetiken vermittelt, die der Popkultur eine zeitliche Orientierungsfunktion verleihen können. Marcus Kleiner verdeutlicht dies am Beispiel des Films The Wrestler. Dieser nutzt zahlreiche Ästhetiken, die klar für die 1980er Jahre stehen und ermöglicht so Identifikationsleistungen für diejenigen, die diese Zeit erlebt haben und sich so davon angesprochen fühlen. Popkulturelle Medien, so Kleiner, »wirken damit auch als Archive […] und Artikulationsinstanzen für individuelle Auseinandersetzungen mit dem Alter(n)« (Kleiner, 2012, S. 42). 2.2.2.4 Popkultur als Medienkultur Popkultur ist in dieser Hinsicht also eine Medienkultur – das heißt, sie ist omnipräsent, mediengeprägt, wirklichkeitskonstituierend und technisiert (vgl. Hepp, 2013, S. 7-26) – innerhalb der sich Menschen bewegen. Sie stellt eine »Welt aus gedeuteten Symbolen« (Krotz, 1998, S. 69) bereit, innerhalb derer die Teilnehmer symbolisch vermittelt interagieren. »Weil soziales Geschehen und soziale Strukturen aus dem sozialen Handeln der Menschen und damit aus ihren Interaktionen entstehen, wird damit das Bild einer durch und durch sozialen Welt unterstellt.« (Ebd.) Popkultur wird von Menschen für Menschen produziert und entwickelt sich über kommunikative Handlungen weiter. Zentral ist dabei, dass sich Popkultur immer wieder aus dem bereits bestehenden Vorrat bedient und ihn über Rekombination stetig erneuert. Manfred Faßler stellt in diesem Zusammenhang fest: »Kultur ist folglich nicht nur ein Speichermechanismus. Sie ist ein Selektionsapparat. Die getroffene Auswahl an Erfahrungen, Erlebnissen, Werten usw. kann erhalten werden durch die Herstellung von Speichern (Texten/Gebäuden/Orten), die der nachfolgende Nutzer über Hinweise (Indikation) aufnehmen oder ablehnen kann. Die Verallgemeinerung zu erreichen und zu erhalten kann erreicht werden durch die Vervielfältigung von Texten, von relativ gleichen Funktions-Gebäuden, von Bewegungsmöglichkeiten und -einschränkungen. Und die Häufigkeit der Nutzung entscheidet mit über die Vergegenwärtigung der Speicherinhalte.« (Faßler, 1997, S. 66)
Das Speichern und Vervielfältigen ist demnach ein zentrales Moment für Kultur und erst recht für Popkultur. Damit rückt die Technologie in den Fokus (vgl. dazu Kapitel 4), aber auch die Ökonomie (Kapitel 5) spielt für die Popkultur eine zentrale Rolle. Nach Jacke ist populäre Kultur »der kommerzialisierte, gesellschaftliche Bereich […] der Themen industriell produziert, massenmedial vermittelt und durch zahlenmäßig überwiegende Bevölkerungsgruppen mit Vergnügen (als Informa-
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tions- und Unterhaltungsangebote) genutzt und weiterverarbeitet wird« (Jacke, 2004, S. 21). 2.2.2.5 Popkultur und Massenkultur Spannend in diesem Zusammenhang ist und bleibt die Diskussion um die Abgrenzung von der Hochkultur, die prägend für das allgemeine Popkulturverständnis ist. Diese geht nicht zuletzt auf die Schriften von Horkheimer und Adorno (1944/2011) zurück, die »die Zweige geistiger Produktion« (S. 139) und ihre Produkte meinen, wenn sie kritisch von Kulturindustrie sprechen. Kultur vermittelt sich auch bei ihnen in der Hauptsache über sinnlich erfassbare Kulturgüter. Horkheimer und Adorno legen dabei jedoch ein normatives, sehr enges Kulturverständnis zu Grunde, wenn sie diese Güter immer wieder mit dem Kunstwerk ins Verhältnis setzen. Ihrer Meinung nach imitiert die Kulturindustrie die Kunst und beraubt diese damit ihrer gesellschaftlichen Rolle und Bestimmung (ebd.). Ganz grundsätzlich ist Horkheimer und Adorno sogar die Rede von Kultur zuwider, denn damit ergibt sich die Kunst ihrer Meinung nach dem Korsett der normierenden Industrie und ermöglicht die ihrer Meinung nach hochproblematische Vermassung erst. »Von Kultur zu reden war immer schon wider der Kultur. Der Generalnenner Kultur enthält virtuell bereits die Erfassung, Katalogisierung, Klassifizierung, welche die Kultur ins Reich der Administration hineinnimmt. Erst die industrialisierte, die konsequente Subsumtion, ist diesem Begriff von Kultur ganz angemessen.« (Ebd.)
Hauptgrund für die Fokussierung auf kurzlebige Ästhetik, wie sie Popkultur ausmacht, ist für die Autoren der Frankfurter Schule die technische Reproduzierbarkeit von Kunst, die wiederum als Vorlage für Folgeproduktionen dient. Der »permanente Zwang zu neuen Effekten«, der auf unerfüllten Versprechen basiert (Jost, 2007, S. 115f.), führt letztlich zu immer Neuem vom Gleichen. Durch diese Selbstreferenzen befinden sich die Produkte der Kulturindustrie in einer fortwährenden Dauerschleife ohne jemals wirklich Neues zu kreieren. Damit haben Horkheimer und Adorno, wenn man so will, den Code des Pop und der Popkultur bereits entschlüsselt, bevor der Begriff überhaupt etabliert wurde. Bei ihnen und vielen Zeitgenossen ist stets die Rede von der Massenkultur. 2.2.2.6 Rehabilitierung der Popkultur David Riesman (Riesman, Glazer & Denney, 2001) war einer der ersten, der den negativ konnotierten Begriff der Massenkultur zumindest manchmal mit dem der populären Kultur ersetzt (Hecken, 2007, S. 72). Er erkennt die individuell unterschiedlichen Aneignungsweisen als zentrales Moment der Popkultur und betont das differenzierte Konsumverhalten. Als Soziologe richtet er seinen Blick weniger auf die Werke beziehungsweise Produkte, sondern auf das Individuum und dessen Ein-
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stellungen und Nutzungsgewohnheiten. Letztlich kommt er zu dem Schluss, »dass genau dieselben Produkte der Populärkultur auf ganz verschiedene Arten genutzt werden« (ebd., S. 73). Zudem setzt Riesman dynamische Meinungs- und Einstellungsfindung in Peer Groups dem alten Bild der Massengesellschaft entgegen (ebd., S. 75f.). Damit kann er gemeinsam mit Raymond Williams (1989) als ein Vorreiter für Positionen gelten, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb der Cultural Studies etablierten. Diesem mittlerweile etablierten Ansatz der Sozial- und Kulturwissenschaften (Krotz, 2015) fiel es in der Folge zu, die frühe Popkulturkritik, die Nutzer popkultureller Werke zu passiven Konsumenten degradierte, zu relativieren und mit Konzepten wie aktiver Aneignung (Lingenberg, 2015) und Bricolage (Dorer & Marschik, 2015, S. 27-28) neu zu denken. Simon Frith und John Savage (1997) sehen dabei im Anschluss an McGuigan (1992) einen Abschnitt aus Raymond Williams Frühwerk, namens Culture is ordinary (Williams, 1989, S. 3-14) als zentralen Beitrag zum Beginn einer (neuen) akademischen Beschäftigung mit Popkultur. Williams zeigt darin auf, wie unterschiedlich der Kulturbegriff Verwendung findet und plädiert für die Bedeutung beider Perspektiven, wobei er vor allem ihre Berührungspunkte in den Mittelpunkt stellt. »We use the word culture in these two senses: to mean a whole way of life, the common meanings; to mean the arts and learning – the special processes of discovery and creative effort. Some writers reserve the word for one or other of these senses; I insist on both, and on the significance of their conjunction. The questions I ask about our culture are questions about our general and common purposes, yet also questions about deep personal meanings. Culture is ordinary, in every society and in every mind.« (Williams, 1989, S. 4)
In diesem Sinne argumentieren die Autoren entlang der zentralen Ideen der Cultural Studies für eine Aufhebung der Grenze zwischen Pop- und Hochkultur. Hierfür sei insbesondere mehr Wertschätzung gegenüber der Popkultur von Nöten, da diese für alle zugänglich ist. »Understanding life – in other words, appreciating the ordinary« (Frith & Savage, 1997, S. 10). Gleichzeitig betonen sie, dass sich insbesondere die Kritiker und Journalisten dann auch ernsthaft(er) mit Popkultur auseinandersetzen sollten. Das bedeutet nicht, einen feuilletonistischen Stil des Berichtens anzunehmen, sondern die Ernsthaftigkeit bei der Beurteilung popkultureller Produkte zu wahren. Denn Popkultur muss heute als Sozialisationsagentur, als Welterklärungsund Weltbewältigungsmodell verstanden werden (vgl. Kleiner, 2012, S. 41). Innerhalb der Cultural Studies gibt es durchaus unterschiedliche bis konträre Positionen zum Popkulturbegriff. Eine der maßgeblichen Figuren dieser Forschungsrichtung, Stuart Hall, sieht das Populäre als Gegensatz zur elitären, dominierenden Kultur, merkt jedoch an, dass die Objekte durchaus die Seiten wechseln können, wie sich an der kulturellen Anerkennung von Kino und verschiedenen, ursprünglich als Populär- beziehungsweise Massenkultur geltenden Musikformen ab-
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lesen lässt (Hecken 2007, S. 135). Im Gegensatz dazu »spricht [John] Fiske stets von der populären Kultur als einer Kultur der Unterdrückten« (ebd., S. 142), die Widerstand gegen das herrschende System ermöglicht. Dabei fungieren popkulturelle Texte als funktionale, flexible Deutungsangebote, deren Gebrauch und Sinn nicht festgelegt sind, sondern erst über individuelle – teilweise auch gruppenspezifische – Aneignungsprozesse entstehen. »Die seriösen Nachrichten, wie die wissenschaftlichen Verlautbarungen seien dagegen auf eine Lesart festgelegt.« (Ebd., S. 143) 2.2.2.7 Funktionsweise von Popkultur: Referenzierung und rekontextualisierende Aneignung Roy Shuker bringt Popkultur anhand von drei Komponenten auf den Punkt. Für ihn besteht sie aus: 1. gelebter Kultur, dem sozialen Dasein, dem Alltag und dem Erleben derjenigen,
die Popkultur konsumieren, 2. verschiedenen symbolischen Formen der Vermittlung, den sogenannten Texten,
von denen Musik einer ist, 3. den ökonomischen Institutionen und der Technologie, die diese popkulturellen
Texte und Artefakte produzieren. (vgl. Shuker, 2016, S. 6). Bei Popkultur geht es also zum einen immer um Alltägliches, um Konsum und um Aneignung kultureller Produkte. Dabei gehört das Selbstreferentielle von Anfang an zur Popkultur und ist womöglich gar ihr wichtigster Bestandteil. Popkultur zitiert sich permanent selbst, verändert dabei aber sukzessive ihre Gestalt. Dies erfolgt durch aktive Akteure, die Popkulturgüter aneignen und durch Rekontextualisierung in neue Bedeutungen überführen. John Clarke (2006) und Dick Hebdige (1979) verdeutlichen diese Vorgänge anhand der vielfältig entlehnten Stile englischer Subkulturen in den 1960er und 1970er Jahren. Sie machen freilich keinen dezidierten Unterschied zwischen Popkultur und Kultur, sondern sehen in Kultur soziale, bedeutungsstiftende Handlungs- und Umgangsweisen mit Ideen und Artefakten. »We understand the word ›culture‹ to refer to that level at which social groups develop distinct patterns of life, and give expressive form to their social and material life-experience. Culture is the way, the forms, in which groups ›handle‹ the raw material of their social and material existence. […] ›Culture‹ is the practice which realises or objectivates group-life in meaningful shape and form.« (Clarke et al., 2006, S. 4)
Die Studien von Hebdige, Clarke und anderen zeigen, dass eben nicht alles fraglos übernommen wird, was Popkultur anbietet und dass über Rekontextualisierungsleistungen selbst kleinere Gruppierungen auf die globale Popkultur zurückwirken kön-
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nen. Damit ist Popkultur zweitens eben auch immer durchsetzt vom Besonderen, das, beispielsweise in Form seltener Konzertereignisse, limitierter Plattenveröffentlichungen oder exklusiven Clubs weit über das Alltägliche hinausweist. Dekonstruktion (Dorer & Marschik, 2015, S. 25-27) des Hoch- und Massenkulturdualismus, Bricolage (ebd., S. 27-28) als Form der selbstreferentiellen Weiterentwicklung und Medienrezeption als individualisierte Aneignung (Röser, 2015) sowie die damit verbundenen Sozialisationsleistungen sind zentrale Momente für das Verständnis von Popkultur. Auch die Bildung hat Popkultur in ihrer engen Bindung an den Alltag mittlerweile entdeckt. »Informalisierte Bildungsprozesse, wie sie in der der spätmodernen Informationsgesellschaft mehr und mehr gefordert und vollzogen werden, können ohne die Einbeziehung wesentlicher Elemente zeitgenössischer Kultur, nämlich der Massenmedien und der Populären Kultur, nicht gedacht werden.« (Hornberger & Krakenhagen, 2012, S. 504) Die von der Frankfurter Schule und weiteren Anhängern der kritischen Theorie stets monierte Dauerschleife ist der Popkultur dabei immanent. Auf diese Weise produziert sie, so unwahrscheinlich es zunächst klingen mag, Neues. »Die Popkultur feiert seit jeher die Verflüssigung der Zeichen und die Relativierung der Kulturen. Alles kann ihrem Recycling als Stoff dienen« (Edlinger, 2015, S. 103). Im Pop zirkulieren dabei Codes, die häufig widersprüchlich sind (ebd.), aber letztlich Sinn ergeben, einen ganz speziellen Pop-Sinn sozusagen, der je nachdem, wie komplex er angelegt ist, sehr schnell und einfach oder eben auch mal nur von Eingeweihten verstanden werden kann. Dabei ist es nicht immer wichtig, ihn zu verstehen, um ihn genießen zu können. 2.2.3 Popmusik und Kunst Es wurden bis hierhin bereits einige Bezüge zwischen Popmusik und Kunst erörtert. Klar ist, die klassische (deutsche) Teilung in wertvolle E- und weniger wertvolle UMusik, wie sie beispielsweise noch bei Alt (1980) präsent war, ist in großen Teilen und in vielen Köpfen längst überwunden. Der Jazz und viele Folgekünstler wie Elvis Presley, Kraftwerk, John Cage, Brian Eno aber auch traditionelle Rockgruppen wie Pink Floyd, The Velvet Underground oder The Beatles trugen durch ihre langjährige und einflussreiche Präsenz in der Popmusiklandschaft wie in der Gesellschaft dazu bei. Auch Musikwissenschaft und Musikpädagogik tragen dem Rechnung und erkennen Popmusik seit den 1980er Jahren als Forschungsgegenstand beziehungsweise als Teil des Curriculums an (Jost, 2007, S. 359ff.). All dies verhindert jedoch nicht, dass es nach wie vor einen Streit über die künstlerischen Qualitäten von Popmusik gibt. In Teilen verläuft dieser Streit an der althergebrachten Grenze, die durch die »Kulturindustriekatastrophe« (Diederichsen, 2014, S. 181193) entstand. In Teilen hat er sich in die Popmusik selbst verlagert, wo Kritiker,
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Journalisten und andere Akteure nicht davon ablassen, zwischen wertvoller und weniger wertvoller Popmusik zu unterscheiden und damit den vielbeschworenen Popmusik-Kanon bilden (vgl. dazu auch Kapitel 2.7). Die Bestimmung und Ausdeutung des Kunstbegriffes in allen Einzelheiten soll hier nicht das Anliegen sein. Dies wäre die Aufgabe kunstwissenschaftlicher Arbeiten. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht lässt sich sagen: »das primäre Produkt von Kunst seien expressive Symbole, für die ästhetische Synthesen entwickelt werden« (Saxer, 1998, S. 228). Die Schwierigkeit der Beurteilung von Kunst besteht dabei in der »intensiven Wert- und Normhaltigkeit dieser Sphäre […], die zu einer gewissermaßen chronischen Vermengung von Sach- und Werturteilen und entsprechend normativ wie deskriptiv gefärbten Konzepten führt« (ebd., S. 238). Auch wenn – oder gerade weil – im Rahmen von Popmusik immer wieder über die Qualität der ästhetischen Synthesen gestritten und ihnen sozusagen ihre Kunsthaftigkeit aberkannt wird, soll in der Folge dem Kunstbegriff in Relation zur Popmusik nachgegangen werden. Kunst dient für die Sphäre der Popmusik häufig als Kontrastfolie. Aber auch innerhalb der Popmusik selbst wird um den Kunstbegriff gerungen. Popmusiker bezeichnen sich selbst als Künstler, nehmen – und nahmen schon immer – Ideen aus der Kunst auf und verarbeiten diese. 2.2.3.1 Bezüge: Popmusik und Kunsttraditionen Eine zentrale Rolle bei der Zusammenführung von Popmusik und Kunst spielten die britischen Art Schools, die angelehnt an die amerikanische Jazz-Bohemia der 1940er und 1950er Jahre einen neuen Künstlertypus schufen: den Popkünstler. Die Einrichtungen kanalisierten gewissermaßen die Spannung zwischen Kommerz und Kreativität und boten Popmusik als Lösung an (vgl. Frith & Horne, 1987, S. 3). Zahlreiche britische Musikstars6 der 1970er Jahre besuchten Art Schools und prägten damit nicht nur ein neues Verständnis von Künstlern, sondern auch die Beziehung zwischen Kunst und Pop. »The romantic notion of the artist as a bohemian entails ideas about individual creativity, freedom of artistic expression, the conflict between true art and the market and so on.« (Longhurst, 2002, S. 61) GenreBezeichnungen wie Art Rock zeugen noch heute von dieser Verbindung (Frith & Horne, 1987, S. 3). Ein zweiter wichtiger Kunstbezug für Popmusik ist der »European art discourse« (Wall, 2013, S. 41). Für Wall ist er ein zentraler Baustein für das Verständnis der Popmusikkultur. Innerhalb dieses Diskurses stehen sich im Anschluss an den bereits ausgeführten Massen- und Popkulturdualismus Popmusik und Kunstmusik gegenüber. Während Popmusik profanes industrielles Produkt zur Unterhaltung der Massen ist, verkörpert Kunstmusik etwas Nichtalltägliches, Besonderes und Selte6
Eine Übersicht über prägende Künstler der Popmusik, die Art Schools besuchten, ist bei Longhurst (2002, S. 62) zu finden.
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nes. Etwas, das nicht nur einzigartig ist, sondern auch etwas, dessen Herstellung und dessen Rezeption spezieller Fähigkeiten bedarf. »The repertoire of ›art‹ emphasizes the idea that certain gifted individuals can produce music that transcends their historical and social location. Art is seen as requiring considerable knowledge and developed ›taste‹ to appreciate and understand it.« (Ebd., S. 42) Wall macht in seiner musikhistorisch hergeleiteten Argumentation deutlich, dass sich Popmusik und Kunstmusik, anders als man annehmen könnte, bereits sehr früh vermischten und gegenseitig befruchteten und dass sich das Begriffsverständnis mehrere Male änderte. »Given this definition of music as art it is interesting to note that there are a number of styles of music that today would be firmly placed in the art or classical category which have in the past been understood as popular music.« (Ebd.)
Sehr deutlich ist dies beim Jazz der Fall, der als eine der Urformen der Popmusik gelten kann (vgl. Diederichsen, 2014, S. 181ff.) und heute weitgehend als anspruchsvoll, verkopft, gar hochkulturell bedeutend gerahmt und in vielen Fällen nicht einmal mehr als Popmusik wahrgenommen wird (vgl. Wall, 2013, S. 43). Aber es gibt zahlreiche weitere Beispiele, die eine Verschränkung von Popmusik und Kunstmusik veranschaulichen. So spiegelt sich die hochkulturelle Klassik- und Operntradition bereits seit längerem im Popkontext: beginnend mit den deutlich von der Oper inspirierten Kompositionen amerikanischer Popmusik im 19. Jahrhundert über die Auftritte von Künstlern wie Nelson Eddie in den 1930er Jahren (ebd., S. 42-43) und den Gesangsstil von Frank Sinatra in den 1950ern bis hin zu der Verarbeitung klassischer Musik im Progressive Rock wie ihn auf der bekannteren Seite Queen und auf der weniger populären Seite Dream Theatre darbieten. Im Avantgarde Bereich ist Klaus Nomi zu nennen, der aufgrund seiner sexuellen Vorlieben und der ihm eigenen Expressivität besonders in der Queer-Szene eine Art Kultfigur darstellt und seine vier Oktaven umfassende Stimme mit kalten New Wave Klängen zu einem einzigartigen Sound verband. Mittlerweile bereichert Klassik aber nicht nur die Popmusik, vielmehr profitiert auch Klassische Musik von der Reichweite des Pop. Akteure wie die Drei Tenöre (Three Tenors), Vanessa Mae oder Lang Lang dringen mit ihren, ursprünglich als klassische Hochkultur positionierten, Werken in Popmusikbereiche vor und Gruppen wie Adoro vermischen gar einst Unversöhnliches wie Schlager, Pop und Operngesang. 2.2.3.2 Gemeinsamkeiten: Technische Reproduzierbarkeit und permanente Erneuerung Der Streit darum, was Kunst ist und was nicht, ist längst nichts Musikexklusives. Er betrifft, ebenso wie die Erkenntnis, dass sich der Kunstbegriff selbst aufgrund sozialhistorischer und technologischer Entwicklungen stetig wandelt, alle Künste. Wal-
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ter Benjamin hat dieser Thematik seinen bekanntesten Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (Benjamin, 1935/1980) gewidmet. Er hebt darin die erschütternde Wirkung der Massenproduktion auf das Kunstwerk hervor, das durch technische Reproduzierbarkeit seine einmalige Aura einbüßt (ebd., S. 435-436). Benjamin sieht das Zur-Ware-Werden von Kunst jedoch nicht ausschließlich negativ wie andere Zeitgenossen. Vielmehr ist die Loslösung der Kunst vom Primat der Einzigartigkeit demokratisierend und befreiend. »Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks emanzipiert dieses zum ersten Mal in der Weltgeschichte von seinem parasitären Dasein am Ritual.« (Ebd., S. 437) Letztlich bescheinigt Benjamin der Kunst damit eine neue gesellschaftspolitische Position, die sie von ihrer elitären, hochkulturell-bürgerlichen Wahrnehmung befreit und für ein Massenpublikum zugänglich macht. »Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verändert das Verhältnis der Masse zur Kunst. Aus dem rückständigsten, z. B. einem Picasso gegenüber, schlägt es in das fortschrittlichste, z. B. angesichts eines Chaplin, um. Dabei ist das fortschrittliche Verhalten dadurch gekennzeichnet, daß die Lust am Schauen und am Erleben in ihm eine unmittelbare und innige Verbindung mit der Haltung des fachmännischen Beurteilers eingeht. Solche Verbindung ist ein wichtiges gesellschaftliches Indizium. Je mehr nämlich die gesellschaftliche Bedeutung einer Kunst sich vermindert, desto mehr fallen – wie das deutlich angesichts der Malerei sich erweist – die kritische und die genießende Haltung im Publikum auseinander. Das Konventionelle wird kritiklos genossen, das wirklich Neue kritisiert man mit wider willen.« (Ebd., S. 451)
Es geht also bei der Abgrenzung von Kunst immer auch um Weltanschauung, Ideologie, gesellschaftliche Verhältnisse und nicht zuletzt um Traditionen und Herstellungsweisen. Auch Kunst ist sozial, technisch und ökonomisch gerahmt. Musik als Kunstform veränderte sich durch den technologischen Fortschritt Mitte des 20. Jahrhunderts rasant und schuf völlig neue soziale Erfahrungen, die einem tradierten Kunstverständnis entgegenstanden, aber umso mehr Menschen erreichten. Dabei wurde das zügige Ablegen der Skepsis des Publikums vor diesen neuen Erfahrungen bereits früh als positiv wahrgenommen. Für Siegfried Kracauer beispielsweise handelt das Publikum »intuitiv angemessen«, wenn es sich neuen, auf den ersten Blick attraktiveren Inhalten zuwendet und die alten im Gegenzug meidet (Hecken 2007, S. 37). Thomas Hecken sekundiert hier: »Die Abwertung trifft die alten Künste, der Missbrauch die neuen noch nicht.« (Ebd., S. 36) Es ist eine zentrale Eigenschaft von Popmusik, die der Kunst hier von den Medienphilosophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abverlangt wird: die permanente Erneuerung. Unterstützt und getrieben vom unbändigen Vermarktungswillen der Musikbranche zielt das Interesse der Konsumenten stets auf die neueste Popmusik und wendet sich oft schnell von Altem ab. Die zahlreiche Retro-Trends, denen
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die Popmusikkultur spätestens seit den 1990er Jahren ausgesetzt ist und die Simon Reynolds (2011) anschaulich beschreibt, konterkarieren diese These zwar zunächst. Aber letztlich heißt Retro auch: Neues aus Altem schaffen. Popmusik, inklusive die sie umgebende Popkultur, funktionierten immer nur über Anleihen, Referenzen und Bezüge zu Vergangenem. Es ist also nicht selten eine scheinbare Neuheit, die populär wird. Entscheidend ist, dass diese Neuheit – ob nun echt oder nicht – als neu wahrgenommen wird. 2.2.3.3 Popmusik ist (keine) Kunst Ob Popmusik aufgrund dieser parallelen zum erneuerten Kunstverständnis des 20. Jahrhunderts nun auch als Kunst bezeichnet werden sollte, kann hier nicht abschließend geklärt werden. In jedem Fall bedeutet die Möglichkeit ihrer massenhaften Verbreitung, ihre technische Reproduzierbarkeit eine Zäsur für die Kunstform Musik als Ganzes. Der Kunstdiskurs innerhalb der Popmusik kann jedoch als zentral angesehen werden, wenn es um Bedeutung und Wertschätzung geht, denn mit der Veränderung künstlerischer Produktion – mit der massenhaften Herstellung, Übertragung und Speicherung von Musik – veränderten sich auch Wahrnehmung und Bewertung. »Kunst – die in der ideologischen Erzählung des Bürgertums die große Ausnahme von Käuflichkeit und Verwertungszwang darstellen soll (und doch erst durch die Entstehung des Kunstmarktes an das Bürgertum fiel) – war nicht nur markt- und warenförmig geworden, die Verwertung, die industrielle Produktion waren nicht mehr nur sekundäre Systeme, die sich ihrer bemächtigten, sondern sie waren im 20. Jahrhundert so weit in ihr Inneres vorgedrungen, dass die zentrale Idee, die Idee des individuellen Ausdrucks, irreversibel beschädigt schien.« (Diederichsen, 2014, S. 191)
Der individuelle Ausdruck, das Besondere, das Künstlerische galt in einem traditionellen Verständnis seit je her als Merkmal von Kunst. Nicht zuletzt auch im musikalischen Bereich macht sich an dieser Beurteilung fest, ob etwas als Kunst durchgeht oder eben als kulturell irrelevante Massenware. Diese enge Verbindung von Einzigartigkeit, Besonderheit und Wert ist so zwar nicht mehr haltbar, denn letztlich kann heute alles massenhaft hergestellt werden. Dennoch ist es dieser Diskurs, der Popmusik lange Zeit prägte und bis in die Gegenwart nachhallt. »The contrast between music-as-expression and music-as-commodity defines twentieth-century pop experience. It means that however much we use and enjoy its products we retain a sense that the music industry is a bad thing – bad for music, bad for us.« (Frith, 1988, S. 11) Aus dieser negativen Sicht auf die Musikindustrie speisten sich
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schließlich Industrial, Punk und andere einflussreiche DIY7-Bewegungen, die sich seit Ende der 1970er Jahre wahlweise unter Labels wie ›Underground‹, ›Independent‹ oder ›Avantgarde‹ anschickten, eine künstlerisch wertvolle, weil vermeintlich echte Alternative zur Popmusik zu bieten. Letztlich mit mäßigem Erfolg, denn »wer hat gesagt, dass Underground gleich Avantgarde gleich Kunst ist? Diese Gleichung geht schon länger nicht mehr auf« (Adam, 2015, S. 34). Mittlerweile haben auch die letzten begriffen, dass, wenn Popmusikkünstler auftauchen und für sich beanspruchen anders, echt, glaubwürdig, einzigartig, subversiv oder anderweitig besonders zu sein, sie, spätestens dann, wenn sie ihre Musik als Tonträger oder als Datei in die Welt schicken, bereits von der Musikindustrie inkorporiert und damit Teil der Massenware Popmusik geworden sind. Insofern ist ein zentrales Anliegen dieser Arbeit, Popmusik als Begriff wertfrei auf alle ihre Formen anzuwenden. Ob diese Musik nun reißenden Absatz findet und sehr bekannt ist oder nur von ein paar wenigen Enthusiasten konsumiert wird und bei Eingeweihten einen Sonderstatus innehat, kann für ihren Status als Kunst am Ende jedenfalls keine Rolle spielen. »Die Underground-Mainstream-Dichotomie wird von der Kulturindustrie als unverzichtbares Identifikationsangebot gesponsort (sic!). Wer daher Pop als Subversionsmodell konservieren will, bejaht auch den Erhalt seiner kapitalistischen Voraussetzungen.« (Jacob, 1995, S. 86) Popmusik und Kunst ist ein äußerst schwieriges Begriffspaar, das mal deckungsgleich, mal verwandt, mal aber auch völlig verschieden sein kann. Popmusik ist immer auch Ware, industriell Gefertigtes und damit nicht mehr einzigartiges Produkt eines Prozesses, der jedem Künstler zur Verachtung gereicht. Andererseits lässt es »die Autonomie der Kunst (und die regellose Subjektivität des ästhetischen Urteils) […] nicht länger zu, Werke der populären Kultur zur Unkunst zu erklären« (Hecken, 2007, S. 180). Dass der Kunstbegriff mitentscheidend für das Verständnis und die Bewertung von Popmusik ist, bleibt unbestritten. »Art and commerce – whether presented as an opposing binary or as a balance of mutual benefit – have become the lenses through which people understand pop.« (Ewing, 2010) Im Kern geht es heute bei dieser Diskussion immer darum, ob ein bestimmtes popmusikali7
Das Credo ›Do it yourself‹ (DIY) ist in vielen Popmusikszenen verbreitet und gewann insbesondere durch den Punk weltweit Bedeutung. Gewissermaßen als Gegenentwurf zur etablierten Musikindustrie bildeten sich aber bereits seit der Entstehung von Popmusik immer wieder Netzwerke von unabhängigen, vom Idealismus getriebenen Akteuren, die Musik, Medien und Konzerte in Eigenregie produzierten, herstellten und organisierten. Ausdruck der DIY-Kultur sind ›Independent‹-Labels ebenso wie unabhängige Konzertveranstalter oder Fanzines, die im Eigenverlag erscheinen (vgl. auch Wall, 2013, S. 144ff.). Die Grenzen zur etablierten Industrie sind dabei fließend. Die Digitalisierung ermöglichte eine Ausweitung des DIY Gedanken, weil die neuen Herstellungs- und Verbreitungsmöglichkeiten effizienter und kostengünstiger waren (vgl. ebd., S. 149).
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sches Werk oder eine Aufführung als Kunst Anerkennung finden sollte oder ob Musikstars wirklich als Künstler bezeichnet werden können. Diese Einschätzung ist in jedem Falle subjektiv und oft nur für wenige andere nachvollziehbar. Dennoch geht es beim Diskurs um die Kunst in der Popmusik bei weitem nicht nur um abstrakte Bezeichnungen und Zuordnungen, wie ein Gerichtsurteil zum Berliner Technoclub Berghain zeigt (Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.9.2016, 5 K 5089/14). Danach werden DJ-Sets im Berghain nun ebenso als kulturelle Veranstaltungen – und damit letztlich als Kunst – gewertet wie Theateraufführungen, Museumsausstellungen oder Konzerte und das Eintrittsgeld somit mit sieben statt 19 Prozent Umsatzsteuer belegt. Sicher mag es strittig sein und mit Blick auf andere Clubs, deren Veranstaltungen als Unterhaltung gelten und deshalb mit 19 Prozent besteuert werden, möglicherweise sogar unfair (vgl. dazu Eckert, 2016), ausgerechnet Berghain-Nächte kultur- und finanzpolitisch auf eine Stufe mit Sinfoniekonzerten zu stellen. Andererseits ist es die konsequente Fortschreibung popkultureller Entwicklung und Anerkennung. Denn letztlich sind heute die Unterscheidungen zwischen Konzert und Diskothek, zwischen Musiker und Schallplattenunterhalter fließend. Umso mehr, wenn man einen publikumszentrierten Aneignungsbegriff zugrunde legt. Denn dann wird es plötzlich weniger wichtig, mit welchen Instrumenten, Maschinen oder Material die Protagonisten umgehen. »Die meisten Leute, die ins Berghain gehen, kommen wegen der Musik. Und die Kreativität eines DJs beim Mixen von Musik entspricht der eines Dirigenten. Nur mit MaschinenBum-Bum-Bum als Material und keiner Partitur.« (Rapp, 2016) Die Begriffszuschreibungen an Kunst und Popmusik unterliegen also Wandlungsprozessen und sie haben nicht nur theoretische, sondern auch ganz konkrete, beispielsweise finanzielle Bedeutungen für den Umgang mit der darunter subsumierten Musik. Es ist heute unbestreitbar, dass Teile der Popmusiklandschaft in andere Sphären und auch in die Kunst hineinreichen. Gesellschaftliche Veränderungen und konkrete soziale Tatbestände haben hier den Weg geebnet. Protagonisten wie Bob Dylan, der 2016 den Literaturnobelpreis erhielt, werden die Diskussion um die Grenzen und Bedeutung von Popmusik und ihre Verwandtschaft zu anderen Kunstgattungen wie Literatur stetig neu befeuern (vgl. Höbel, 2016). Insofern kann von einer kulturellen Bedeutungszunahme von Popmusik gesprochen werden, die in Zukunft wohl zu noch mehr Anerkennung führen wird. Dabei geht es, das zeigt auch die Auszeichnung von Dylan, sicher um mehr als nur um Musik. Insofern muss Popmusik möglicherweise als neues Kunstgenre gelten; irgendwo zwischen Musik, Literatur, Theater und anderen Formen künstlerischen Ausdrucks. »If we think of popular music as an intertwining of artistic processes, strategies of representations and modes of reception and appropriation […] we need to take into account a converted image of the figure of the musician. For generations, a new art of self-expression has gained prevalence. In principle, this art comprises traditional western musician types such as the vir-
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tuoso or the composer. Undeniably, also, the production of popular music needs a musical idea, which in turn must reveal a tonal structure. However, in addition to this a number of creative practices arose which are not purely tonal in nature, but which are no less important with respect to the physical appearance of a musician […]. This can, among others, include sound manipulation due to guitar effects or synthesizers as well as playful singing, (pseudo) erotic flirtation or acrobatic dance routines.« (Jost, 2015, S. 205)
2.3 POPMUSIK IST POLITISCH Popmusik und Politik können als zwei Systeme mit Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Interdependenzen konzipiert werden. Wendet man sich den Interdependenzen zu, wie das in der Folge geschehen soll, sollten diese beiden Pole wohl bedacht sein. Denn Popmusik ist immer auch Unterhaltung, ästhetische und emotional aufgeladene Ware, zudem – wie gerade festgestellt wurde – oft auch künstlerisch, während Politik sich in ihrem Selbstbild eher als vernunftgeleitet versteht. »Politik und Musik gemeinsam ist, dass sie einerseits ihre Bedeutung nur im gesellschaftlichen Kontext entfalten und andererseits als kollektive Kommunikationsprozesse beschrieben werden können. Das gilt für Populäre Kulturen, Popkulturen und Populären (sic!) Medienkulturen insgesamt. Unterscheidbar werden sie unter anderem mit Blick auf ihr Selbstbild: Politik versteht sich als rational und entscheidungsbasiert, Musik als emotional und unterhaltungsbasiert«. (Kleiner, 2013, S. 51)
Nicht zuletzt aus diesem Grund halten Popkritiker Popmusik oft für gänzlich unpolitisch. Ihrer Meinung nach kann ein auf Unterhaltung zielendes Produkt wie Musik in letzter Konsequenz nichts an den Verhältnissen ändern, sondern ist eher hilfloses Symptom oder – ganz in der popkritischen Tradition der Frankfurter Schule – sogar Ablenkung von politischen Problemstellungen. So entlarven sie die angeblich politische Macht der Popkultur als Mythos, der besonders in der Rückschau wirksam ist und das Widerstands- und Revolutionspotenzial, das sich bestimmte Popmusiker und deren Fans auf die Fahnen schreiben als unbestimmt und damit wirkungslos (vgl. ebd., S. 57). Popmusik ist eine Ware, bei der es um Hedonismus und Unterhaltung geht und eben nicht um politische Standpunkte. Und sollte es doch einmal politisch werden, springt die Popkulturmaschine in Form der Kulturindustrie an und vereinnahmt diese Anflüge auf geschickte Weise. »Oppositionelle Haltungen werden nicht verfolgt, sondern vermarktet. Erst wenn sie nicht mehr vermarktbar sind, wären sie wirklich subversiv bzw. gegenkulturell.« (Ebd., S. 59) Ein grundlegendes Argument gegen die politische Wirkung von Popmusik liefert auch Adorno. Für ihn ist die gesamte Popkultur, nicht zuletzt aufgrund ihrer Produktionsweise, in erster
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Linie standardisiert und starr und »trägt mit ihren schematischen Effekten […] äußerst wirkungsvoll zur Reproduktion der verwalteten Welt und entfremdeten Arbeit bei« (Hecken, 2007, S. 44). Trotz dieser durchaus berechtigten skeptischen Einwände zur politischen Wirkung von Popmusik, existiert spätestens seit der Entstehung der globalen musikalischen Jugend- und Popkulturen nach dem 2. Weltkrieg (vgl. bspw. Ferchhoff, 2013; Baacke, 1999, S. 49ff.) eine rege Diskussion um den Zusammenhang zwischen Popmusik und Politik. Mit Verweis auf die 1960er Jahre und hier insbesondere auf die sogenannte Generation der ›68er‹, den Vietnamkrieg und die Hippiebewegung, wird stets die politische Macht des Pop illustriert. Aus einem Massenpublikum wurde eine Massenbewegung (vgl. Moore, 2009, S. 14). Dies war besonders für die Vertreter der kritischen Theorie zunächst überraschend. Denn dass Standardisierung und Massenkultur politisches Potenzial entfalten könnte, war so nicht vorgesehen. Auch wenn Benjamins einflussreiche Betrachtung der Statusveränderung des Kunstwerkes, an dem sich die Hochkulturapologeten der Frankfurter Schule abarbeiteten, die Politisierung durch Reproduzierbarkeit bereits vorwegnahm. »In dem Augenblick aber, da der Maßstab der Echtheit an der Kunstproduktion versagt, hat sich auch die gesamte soziale Funktion der Kunst umgewälzt. An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual tritt ihre Fundierung auf eine andere Praxis: nämlich ihre Fundierung auf Politik.« (Benjamin, 1935/1980, S. 438)
Um die politische Dimension von Popmusik fassbar zu machen, eignet sich ein Blick in die Geschichte. Karl Bruckmaier zeigt in seinem larmoyanten pophistorischen Abriss, der vor allem die Entwicklung in den USA ins Visier nimmt, an mehreren Stellen sehr eindringlich das komplexe Wesen von Popmusik auf. Nicht selten finden sich Bezüge zu politischen Entwicklungen, wie in seiner Beschreibung eines speziellen Jazz-Tanzes, den Schwarze vor Weißen aufführten: »Die ›Two Real Coons‹, die zwei echten Neger, wie sich Walker und Williams frecherweise nennen, tanzen für sie [die immer weißer werdenden Zuschauer, Anm. d. V.] den Cakewalk. Sie sind zusammen mit diesem ersten Modetanz des Jazz in den Mainstream vorgedrungen, parodieren vor Weißen, die gerade über zwei echte Schwarze lachen, die weiße Gesellschaft, die einen Tanz der Schwarzen nachzumachen versucht, mit dem die Schwarzen ursprünglich den blasierten Habitus, das Gegockel und Geschreite der weißen Plantagenbesitzer veralbert haben: Pop ist schon kompliziert, als es noch gar kein Wort für ihn gibt.« (Bruckmaier, 2014, S. 95)
Bei der Verbindung zwischen Popmusik und Politik geht es, das wird hier abermals sichtbar, immer um Perspektiven, Deutungen, um ›Mainstream‹ und um Subversion um Unterhaltung und um Referentialität und nicht zuletzt um den Diskurs um Mas-
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senproduktion, der nahtlos an die Ausführungen zum Verhältnis zwischen Popmusik und Kunst anknüpft. Es mag insgesamt umstritten sein, ob Popmusik wirklich politische Wirkungen entfalten kann, wie ihr oft rückblickend attestiert wird. Wahr ist jedoch, dass zahlreiche politische Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte zumindest popmusikalisch begleitet wurden und in Popsongs, mittels Text und Ästhetik einen Ausdruck fanden. In jedem Falle können die politischen Fäden der Popmusik anhand vieler Beispiele bis hin zur besonders in Deutschland stark mobilisierenden Technobewegung der 1990er und dem aggressiveren urbanen HipHop der letzten Jahrzehnte nachvollzogen werden.8 2.3.1 Popmusik als sozialpolitischer Gegenstand der Jugend Dabei gelten Jugend und damit die musikzentrierten Jugendkulturen häufig als Scharnier zwischen Popmusik und Politik. So können Popmusik, ihre Szenen und Ästhetiken als Einstieg in politische Protestkulturen fungieren (vgl. Pfaff, 2013, S. 409ff; Shuker, 2016, S. 211ff.) und die Ausbildung von Gruppenidentitäten unterstützen (vgl. Shuker, 2016, S. 177ff.; Wall, 2013, S. 219ff.). Das Verhältnis zwischen Jugend und Popmusik ist aber auch insofern hochpolitisch, weil Musik als zentraler Freizeitinhalt (Harring, 2013) große Bedeutung für den Prozess des Aufwachsens haben kann und deren gezielte Förderung damit leicht im Sinne einer politischen Sozialisations- und Präventionsarbeit rahmbar ist. »[D]iese Musik verkörpert in erster Linie eine sozialisierende Infrastruktur von kaum zu überschätzender Bedeutung – in den öffentlichen Räumen, in denen sie stattfindet, in den Formen des individuellen und kollektiven Umgangs mit ihr, in den sozialen Interaktionen, die sie vermittelt, in den Verhaltenskodes, die in ihre diversen Formen eingeschrieben sind, den sozialen Rollenspielen, denen sie Raum gibt und nicht zuletzt in ihrer Bindung an die Makrostrukturen von Medienmärkten und den Märkten der Tonträgerindustrie. Hier müssen Förderkonzepte ansetzen, wenn sie mehr sein wollen als öffenlichkeitswirksam inszenierte politi8
So gilt Glam Rock als erster Ansatz für die Befreiung von konservativen Geschlechterstereotypen, Punkrock als Kunst (in den USA) oder als Arbeiterrevolution von unten (in Großbritannien) und die Industrial Culture als künstlerische und ethische Provokationskultur, die dem Publikum mit extremen Mitteln die ihrer Meinung nach ebenso extremen Auswüchse menschlichen Lebens auf diesem Planeten aufzeigt (Krieg, Gewalt, Tierversuche usw.). In Deutschland kann die NDW [Neue Deutsche Welle] als erste Phase der Normalisierung und der Erneuerung des Umgangs mit der deutschen Sprache in der Popmusik nach dem 2. Weltkrieg gesehen werden, wodurch zahlreiche Künstler animiert wurden wieder Deutsch zu singen, auf der anderen Seite aber auch Tendenzen zu überbordendem Nationalismus freigelegt wurden.
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sche Imagepflege. Wenn Jugendliche keine Möglichkeiten finden, keine Chancen erhalten, ihre Kreativität zu entdecken, ihre eigenen Potenzen zu finden, dann werden sie zur potentiellen Gefahr für die Gesellschaft.« (Wicke, 1992b)
Musik wird hier als zentraler sozialpolitischer Gegenstand präsentiert, über den sich Jugend definiert und an dem man im Rahmen der Jugendarbeit ansetzen kann. Dass dies nicht mehr in jedem Falle so ist, sondern dass sich mittlerweile auch andere medien- und erlebnisorientierte Vergemeinschaftungsangebote identifizieren lassen, die für Jugendliche ähnliche Bedeutung erlangen (vgl. Hitzler & Niederbacher, 2010), verringert die politische Bedeutung von Popmusik im Jugendalter nur zum Teil. Denn nach wie vor ist Musik »zentraler Aktivitätskern« jugendlichen Freizeitverhaltens (Preiß, 2004, S. 132), lediglich die Zugänge haben sich verändert (vgl. Hajok, 2013). Verdeutlichen lässt sich dies anhand quantitativer Betrachtungen. So zählt Musik zu den häufigsten (MPFS, 2016, S. 11-12) und subjektiv als am wichtigsten empfundenen (MPFS, 2015, S. 14-19) medialen Freizeitbeschäftigungen im Jugendalter. 2.3.2 Popmusik als hybrides, politisch vielseitiges Konstrukt Häufig sind es dabei die Texte, die aus politischer Perspektive zum wichtigen Kanal für Botschaften werden. Fraglos können mittels Texten Meinungen – auch politische – ausgedrückt und dem jeweiligen Publikum übermittelt werden. Dies wird immer wieder zum Thema, wenn beispielsweise in Deutschland Veröffentlichungen von Bands der extremen Rechten von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zensiert werden. Mittlerweile gibt es mehr als tausend indizierte Tonträger (Hajok, 2013, S. 85). Im Sinne des Jugendschutzes mag dies hilfreich und juristisch korrekt sein. Aber wie und ob politische Botschaften bei den Rezipienten ankommen, ist doch gerade bei Popmusik sehr fraglich, denn letztlich wird diese häufig zuerst emotional wahrgenommen. »Put simply, popular music often engages the body before it has the chance to engage the mind – you hear a new song for the first time, and your hips start to move before a single lyric has been sung … or even before you have the opportunity to reflect on what the song might be about.« (Rodman, 2015, S. 54)
So ist es beispielsweise wenig verwunderlich, dass eine aus Produzentensicht hochgradig politische Musik wie der Reggae, die in vielen Fällen fraglos als Musik der Unterdrückung, Befreiung, der Kapitalismus- und Kolonialismuskritik produziert wird (vgl. dazu bspw. Hebdige, 2006), auf Seiten der Rezipienten mittlerweile als irgendwie passende Untermalung für Marihuana-Partys fungiert (Rodman, 2015,
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S. 54). Aber auch das umgekehrte Phänomen existiert. Denn unpolitischer Popmusik können über gruppenspezifische Aneignungsprozesse durchaus politische Botschaften eingeschrieben werden. Besonders in der retrospektiven Betrachtung zeigen sich immer wieder Ansätze für dieses Phänomen. So gilt die ursprünglich als hochgradig unpolitisch wahrgenommene Loveparade der Technojünger, bei der es scheinbar nur um Liebe und Hedonismus ging, vielen im Nachhinein als politisches Statement für Offenheit, Toleranz und das Primat der Freizeit (Herma, 2001, S. 138ff.).9 Die Cultural Studies um Angela McRobbie (2002) sehen in der Technound Rave-Kultur gar eine neue subtile und indirekte Form der politischen Auseinandersetzung. Politische und gesellschaftliche Zustände werden hier auf eine Weise negiert, die sich jeglicher direkten Deutung entzieht, denn sie werden gewissermaßen kulturell im Hedonismus aufgelöst. »The parallax of rave culture’s ›politics‹, then, is that it operates through withdrawal from representative and expressive modes due to its constitutive adaptation of the hybridity of labour and leisure. There is a word for this hybridity: culture. In this sense, what rave culture embodies – and enacts worldwide – is the autonomy of a culture, not from the simplism of socioeconomics (from which escape is consumed as ideological fantasy), but to be culture. By being culture, it enacts the only autonomous position possible within network socioeconomic.« (Veen, 2010)
2.3.3 Die Schwierigkeit der Popmusik, politisch wirksam zu sein Sehen kann man das so. Popmusik wäre dann »eine oberflächliche, hedonistische Kraft […], die gegen die rationalisierte, verwaltete, auf entfremdeter Arbeit beruhende Gesellschaft gerichtet ist« (Hecken, 2009, S. 273). Ob elektronische Tanzmusik über diesen Weg wirklich politische, beispielsweise im Sinne einer die gesellschaftlichen Werte verändernden (ebd., S. 277), Wirkung entfalten kann, bleibt aber letztlich ungeklärt. Vielleicht ist dieser neue, indirekte Ansatz jedoch der einzige Weg, den Popmusik gehen kann. Eine explizite Kritik gesellschaftlicher und politischer Zustände, wie sie spezielle Popmusik noch in den 1960er, 1970er und teilweise in den 1980er Jahren mehr oder weniger glaubwürdig vollführte, ist aktuell aus linksintellektueller Sicht jedenfalls kaum noch möglich. »Kritik und Pop schließen einander nicht aus, leiden aber an tendenzieller Unverträglichkeit. Der Appell der Kritik an die diskutierbare oder zumindest darstellbare Begründbarkeit von Einsprüchen, widerspricht der Affektenlehre des Pop, die auf Intensität statt auf Argumentation setzt. Das heißt aber nicht, dass die Popkultur einfach affirmativ verfährt, wie manche 9
Diese Sichtweise wurde im Laufe der Zeit von vielen Autoren kritisiert (vgl. dazu bspw. Büsser, 1997; Lintzel, 2001).
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Vorschnell meinen. Pop ist heute nicht unkritisch, sondern jenseits von Kritik.« (Edlinger, 2015, S. 102)
Dass Popmusik nach wie vor eine Meinung oder zumindest den Ansatz einer Stellungnahme zu aktuellen politischen Ereignissen liefern kann, ist schon deshalb anzuzweifeln, weil an allen Ecken und Enden sofort Vereinnahmung, Kommerz, Institutionalisierung – oder, wie es im Kulturkritikersprech so schön heiß, Affirmation (vgl. dazu Holert & Terkessidis, 1996) – gewittert wird. »There are creative breakthroughs, when the music does express the needs of real communities, but it never takes the industry long to control and corrupt the result.« (Frith, 1981, S. 51) PopProdukte gelten als strikt kommerziell zugeschnitten und damit ästhetisch und moralisch oft als minderwertig oder sogar wertlos (vgl. Hecken, 2009, S. 278). Das Wesen des Pop – gerade im Gegensatz zur Kunst – ist nun einmal die bessere Zugänglichkeit und damit die Masse, die Massenproduktion und die massenhafte Erreichbarkeit. »Deshalb bleibt es für jene Verfechter der Sabotage, die endlich von den Pseudo-Sabotagen innerhalb des Kunstbereichs wegkommen wollen, hochgradig attraktiv, in Sendungen und Arenen des Pop- und Massenkommunikationssektors – wenn sie denn von massenkultureller Bedeutung sind – mit Störungen publik zu werden.« (Hecken, 2013, S. 29)
Die Umsetzung ist zweifellos nicht immer einfach. Sie jedoch, wie Marcus Kleiner, zur Unmöglichkeit zu erklären, führt möglicherweise zu weit. Popmusik, so Kleiner, sei zwar in der Lage politische Inhalte zu transportieren, jedoch gehe die Wirkung aufgrund der Beliebigkeit der Interpretation verloren. Popmusik wird damit »zu einem Behälter, der beliebig und widersprüchlich gefüllt werden kann, alles und daher nichts Bestimmtes meint. Widerstand und Revolution werden so […] zu einer willkürlich leeren Geste.« (Kleiner, 2013, S. 57) An genau dieser Stelle ist Pop für Kleiner dysfunktional, denn er kann sein idealistisch verklärtes Ziel der Subversion nur mit Hilfe des verschmähten Kapitalismus erreichen (ebd., S. 58f.). Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass viele Popmusikkünstler durchaus versuchen, zu kommentieren, zu kritisieren oder zu rebellieren. Auch so schwierige globale Probleme wie beispielsweise die Flüchtlingskrise sind da nicht ausgenommen. »Die Popwelt als Sphäre, die in Wechselwirkung zur Gesellschaft stehend deren Brüche und Brisanzen aufnimmt, versucht derzeit auf das Problem zu reagieren, welches Europa lange nicht erblicken wollte. Dass sich Pop per se dissident und progressiv verhält, ist zwar ein längst entlarvter Mythos, dennoch melden sich mehr und mehr PopprotagonistInnen zu Wort, die dem Gedanken der Festung Europa widersprechen.« (Eder, 2015, S. 32)
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Jähnichen (2006) sieht daher in der intensiven Auseinandersetzung mit Popkultur im akademischen Bereich einen wichtigen Impulsgeber für die Beschäftigung mit dem »Class-Race-Gender-Komplex, ohne den eine ernsthafte, innovative und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Popularmusik nicht auskommen kann« (Jähnichen, 2006, S. 129). Das Thema Popmusik befeuert demnach sehr wohl Themen, die gegenwärtig die gesellschaftliche Agenda weltweiter Demokratien prägen. Es geht in der Popmusik immer auch um die Verhandlung von Geschlechterbildern, von Gleichberechtigung von Macht und Toleranz. Nicht nur inhaltlich im populären Werk selbst, sondern auch auf der Produktions- und Vermarktungsebene. Politik und Popmusikkultur, das gehört also trotz aller Deutungs- und Verbindungsprobleme irgendwie zusammen. Aber das konkrete politische, oder, wie es Hecken formuliert, das »umwälzende Potenzial« (Hecken, 2009, S. 273) von Pop ist im Spannungsfeld zwischen aufrüttelnder Kunst und hedonistischer Unterhaltung oft nur bedingt zu erkennen. Auf der einen Seite erreicht Popmusik mit ihren Ausdrucksformen zwar deutlich mehr Menschen als es die im Hochkulturkanon akzeptierte Kunstmusik je könnte. Andererseits erfolgt der Konsum dieser Popwerke nur in den seltensten Fällen bewusst und reflektiert, sodass eine aktivierende, subversive Wirkung von Popmusik niemals gesichert sein kann. Stattdessen wird »Aktion […] durch Fiktion ersetzt, die an Aktionen erinnern soll, an denen die meisten Nutzer dieser Popkulturen des Widerstandes niemals aktionistisch partizipiert haben« (Kleiner, 2013, S. 44). Daher ist es bei einem Großteil selbst der ambitioniertesten Ausdrucksformen der Popmusik überhaupt fraglich, ob irgendetwas umgewälzt, kritisiert, subversiv durchdrungen wird oder werden soll. Absichten auf Produzentenseite spielen für die erlangte Wirkung auf Rezipientenseite eben nur sehr bedingt eine Rolle. Punk kann das System nicht umstürzen. Retrowellen die alten Zeiten nicht wirklich wiederaufleben lassen und die Hippies haben den Vietnamkrieg genauso wenig beendet, wie HipHop gesellschaftliche Missstände der Großstadt überwindet. Vielmehr sind diese Popformen Ausdruck und Ankerpunkte für Sichtweisen und Ideen, die im Nachhinein oft klarer erscheinen als im Moment ihres Zenits. Musik als Ausdrucksmittel besitzt ein gewisses Potenzial, Menschen zusammenzubringen und Ideen zu transportieren, aber letztlich ist es möglicherweise so, wie es Thomas Edlinger (2015) ausdrückt: »Die Subversion feiert das Fluide der Zeichen, aber die endlose Rekombinierbarkeit richtet sich auf kein beschreibbares Ziel und somit nicht auf eine Subversion von Verhältnissen jenseits der Zeichen.« (Edlinger, 2015, S. 104) Man könnte auch sagen, Pop und Popmusik haben sich zunehmend verselbständigt und dadurch von der Politik abgewandt. Betrachtet man, der Eingangsthese folgend, Politik und Popmusik als zwei Systeme, so lässt sich feststellen, die Überschreitungsmomente zwischen diesen Systemen werden, zumindest aus der Popmusikrichtung, immer seltener und vielleicht auch schwieriger. Popmusik speist sich zunehmend aus sich selbst und beschäftigt sich mit sich selbst. Die bereits mehrfach
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angesprochenen Retrotrends unterstreichen diese ausufernde Selbstreferentialität. Popmusik ist zwar »immer auch Statement und hat diskursives Gewicht« (Eder, 2015, S. 33). Die Frage ist jedoch, für welchen Diskurs sie Gewicht hat. Die Rolle als Sprachrohr für gesellschaftliche Opposition und Subkulturen wird jedenfalls mittlerweile angezweifelt. Heidingsfelder sieht Popmusik in diesem Zusammenhang als Opfer von Fehleinschätzungen. »Offenbar hat man Pop lange Zeit gleichzeitig über- und unterschätzt. Überschätzt hat man sein politisches Potential und seine innovativen Fähigkeiten; unterschätzt hat man die evolutionäre Dynamik, das Tempo, in dem sich die Veränderungen als eigengesetzliches, autonomes Geschehen vollziehen. Denn Pop […] weist grundsätzlich eine zirkuläre – rekursive – Struktur auf.« (Heidingsfelder, 2012a, S. 4)
2.3.4 Politische Diskurse in der Popmusik Damit reduziert sich die Bedeutung von Popmusik auf »Pop II« (Diederichsen, 1999, S. 275), also auf das hedonistisch-ästhetische, unpolitische Moment. Inwieweit »Pop I« (ebd.), die subversive, rebellische, politisch wirkmächtige Seite des Pop überhaupt noch zum Tragen kommt, bleibt unklar. Mit genau dieser Unklarheit wird aber wiederum innerhalb popmusikalischer Randbereiche gerne gespielt. Das Unpolitische wird hier zum Zwillingsbruder der Political Correctness. So nutzen die Protagonisten des Neofolk oder Apocalyptic Folk10 gerne Ästhetiken und politische Symbole, die aus der Zeit des Nationalsozialismus bekannt sind. Sie entgegnen den Kritikern, dass dies aus ihrer heidnischen oder esoterischen Orientierung heraus und keineswegs aus rechtspolitischer Motivation erfolgt (Diesel & Gerten, 2007, S. 375ff.). Auf Rezeptionsebene wird diese Provokation nicht selten vereinfacht politisiert anstatt ihre Ambivalenz aufzulösen (vgl. Peltsch & Niemcyk, 2016). Damit befeuern Journalisten und linke Aktivisten immer wieder den politischen Diskurs um Akteure und Anhänger dieser Szene. Denn anstatt sich politisch klar zu positionieren und sich von den Vorwürfen zu distanzieren11, ist die Reaktion auf derlei Vorhaltungen meist elitär-zurückhaltend und enthält Verweise auf andere Künstler, die sich ähnlicher Elemente bedienen. 10 Die Begriffsverwendung ist wie in vielen Popmusikgenres vielfältig und selten eindeutig (vgl. bspw. Diesel & Gerten, 2007; VLFBERH+T, 2016). 11 In Einzelfällen geschieht dies durchaus, wie der Brief der Gruppe Jännerwein an die Redaktion des Rolling Stone zeigt. Letztlich spiegelt sich darin die selbst auferlegte und von anderen angezweifelte politische Neutralität dieser Gruppen (vgl. o.A., 2016), die vielleicht ein Grund sein könnte, warum gerade das politisch linke Spektrum besonders misstrauisch ist. Denn die vom Neofolk eingeforderte Ambivalenz (vgl. Diesel & Gerten, 2007, S. 422ff.) erschwert klare Einordnungen.
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»Die Neofolk-Musiker, wie viele andere Künstler auch, gehen offenbar von einem intelligenteren Publikum aus und sehen sich nur in begrenztem Umfang dafür verantwortlich, wie das Dargebotene interpretiert wird; von Missverständnissen lassen sie sich kaum beeindrucken. Wer bestimmten Neofolk-Bands das Recht auf ambivalente Auseinandersetzung abspricht bzw. begleitende Erklärungen einfordert, in denen sie sich eindeutig positionieren (die Ambivalenz also aufheben), greift jede unerklärte oder auch unmoralische Kunst und Literatur im Allgemeinen und den ›neuen Diskurs‹ über den Nationalsozialismus im Besonderen an, den Regisseure wie Syberberg (Hitler, ein Film aus Deutschland), Cavani (Il Portiere die Notte, dt. der Nachtportier), Visconti (La Caduta degli Die, dt. Die Verdammten), Pasolini (Salò – Die 120 Tage von Sodom) und Fassbinder (Lili Marleen) sowie Literaten wie Michel Tournier (Le Roi des Aulnes, dt. Der Erlkönig, als Der Unhold von Schlöndorff verfilmt) schon vor vielen Jahren entfacht haben«. (Diesel & Gerten, 2007, S. 384)
Hier offenbart sich eine Schwierigkeit, auf die Popkultur immer wieder trifft: Das Spiel mit Bildern, Symbolen und Ästhetiken hat Grenzen, die keiner genau benennen kann und die für jeden wohl woanders liegen (vgl. auch Jazo, 2017; Stiglegger, 2011). Popmusik spielt mit diesen kulturellen, religiösen oder eben auch politischen Bezügen oft nur, weil sie medial wirkmächtig sind und Aufmerksamkeit garantieren (Spisla, 2014, S. 14f.). Aber es existieren durchaus Künstler, die es ernst meinen mit politischer Gesinnung und die Popmusik nutzen, um ihrer Weltanschauung Ausdruck zu verleihen. In jedem Fall gibt es auch im Neofolk-Umfeld politisch problematische Akteure, nicht zuletzt, weil die Ästhetiken und Texte für Vieles, aber eben auch und vielleicht im Besonderen für nationalsozialistische Deutungen mindestens anschlussfähig sind. Immer wieder gibt es daher gerade bezüglich dieser Strömung der Gothic Szene Diskussionen darüber, wie weit man nun gehen darf, wer welches Symbol zuerst in welchem Kontext verwendet hat und welche Künstler irgendwann einmal Vorgruppe bei allgemein als rechts orientiert geltenden Bands waren oder auf Labels veröffentlich haben, die als problematisch gelten (vgl. zur Übersicht Diesel & Gerten, 2007). Die Unübersichtlichkeit der künstlerischen, politischen und historischen Bezüge wird den Akteuren des Neofolk nicht selten zum Verhängnis. Denn sie bieten mit ihrer Musik und ihren Auftritten politisch rechts motivierten durchaus eine Heimat, das ist bei aller angestrebten Neutralität ihres Schaffens nicht zu leugnen und manifestiert sich nicht zuletzt in Konzertbesuchern wie Götz Kubitschek und Ellen Kositza (Peltsch & Niemcyk, 2016), Protagonisten der sogenannten Neuen Rechten. Nicht selten mündet diese Offenheit nach rechts in Anfeindungen durch die politische Linke und damit in Drohungen und Veranstaltungsabsagen (vgl. Diesel & Gerten, 2007, S. 432ff.; Recherche & Aktion, 2013).
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Intensive politische Auseinandersetzungen finden aber bei weitem nicht nur in diesen relativ begrenzten Zirkeln12 popmusikalischer Randbereiche statt. Auch die intensiven Diskussionen um kommerziell etablierte Bands wie Rammstein13 oder Freiwild14 oder das bewusste Aufgreifen des politischen Diskurses durch populäre Acts wie Jennifer Rostock15 zeigen, dass Politik für die Popmusik nach wie vor eine bedeutende Projektionsfläche bietet, und dass umgekehrt Popmusik politische Wirkung, zumindest im Sinne einer Provokation, entfalten kann. Inwieweit diese Provokationen jeweils wirklich politisches Statement, oder ob sie eher (aufmerksamkeits-)ökonomischem Kalkül geschuldet sind, ist für jeden Einzelfall gesondert zu klären.
2.4 POPMUSIK IST UNTERHALTUNG UND VERGNÜGEN Popmusik dient in erster Linie der Unterhaltung. Zunächst liest sich dieser Satz als Selbstverständlichkeit. Angesichts der Literaturlage kann das jedoch bezweifelt werden. Denn zahlreiche Arbeiten, Überblickswerke oder Sammelbände, die sich näher mit den Funktionen und Bedeutungen von Popmusik für die Gesellschaft oder verschiedene Zielgruppen auseinandersetzen sparen den Begriff der Unterhaltung entweder ganz aus (Hecken, 2009; Heyer, Wachs & Palentien, 2013c; Longhurst, 2002; Schorb, 2012; Wall, 2013) oder erwähnen ihn nur am Rande, obwohl sie ihm, 12 Das größte Festival für diese Art von Musik namens »Runes & Men« fand 2016 in Leipzig statt und hatte über 1.000 Besucher (Spontis, 2016). 13 Die international erfolgreiche Band Rammstein geriet besonders durch ihr Video zu der Neuinterpretation des Depeche Mode Songs »Stripped« ins politische Kreuzfeuer, da hier Filmsequenzen aus Leni Riefenstahls Propagandafilm »Olympia« (1938) zum Einsatz kommen und dies in Verbindung mit der bewusst deutschen Akzentuierung des Textvortrages bestimmte politischen Vorstellungen Vorschub leistet (vgl. auch Spisla, 2014, S. 12ff.). 14 Die Südtiroler Band Freiwild rückte vor allem im Zuge der Musikpreisverleihung Echo 2013 ins musikpolitische Rampenlicht. Aufgrund der Nominierung der als konservativ bis deutschnational geltenden Band kündigten andere geladene Acts an, der Verleihung fern zu bleiben. Dass diese Bands teilweise selbst Jahre zuvor mit ähnlichen Vorwürfen zu kämpfen hatten, zeigt einmal mehr, wie kompliziert Popmusik sein kann, wenn es um Politik geht (vgl. dazu auch Balzer, 2013). 15 Die Musikgruppe Jennifer Rostock machte im Zuge der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Anti-AfD-Song auf sich aufmerksam. Dieser Song erreichte fast eine Million Klicks bei YouTube (Stand 15.11.2016). Bereits vorher bezog die Gruppe immer wieder Stellung zu politischen Themen, insbesondere zur Gleichberechtigung der Geschlechter.
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gewissermaßen unhinterfragt, eine immense Bedeutung beimessen (vgl. Diederichsen, 2014, S. 240; Müller, Glogner, Rhein & Heim, 2002, S. 13). Dies mag mit einer langen Tradition der Geringschätzung von Unterhaltung zu begründen sein, deren Wurzeln abermals in der kritischen Theorie zu finden sind (vgl. ebd., S. 11). Bereits Adorno (1962) sieht in seiner Musiksoziologie den Unterhaltungshörer als quantitativ bedeutendsten Teil der Bevölkerung an. Er schätzt diese Funktion von Popmusik aber überhaupt nicht. Unterhaltungsmusik ist für ihn minderwertig. Berühmt geworden ist seine Bewertung der Unterhaltung als »Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus« (Horkheimer & Adorno, 1944/ 2011, S. 145). Danach dient Unterhaltung der Zerstreuung, der Ablenkung vom »mechanisierten Arbeitsprozeß« (ebd.) und damit – aufgrund ihrer ebenso mechanischen, vorhersehbaren Inhalte – lediglich der Festigung der Verhältnisse. Sie ist genormt, ebenso wie die Arbeit selbst und kann daher nicht künstlerisch anspruchsvoll daherkommen. »Daran krankt unheilbar alles Amusement. Das Vergnügen erstarrt zur Langeweile, weil es, um Vergnügen zu bleiben, nicht wieder Anstrengung kosten soll.« (Ebd.) Dieser kritische Blick auf Unterhaltung, ist gerade bei der Beschäftigung mit Popmusik, die sich häufig noch den Hochkulturattacken der klassischen Musikologen erwehren muss, noch immer präsent und könnte daher ein Grund für die weitgehende Vernachlässigung des Begriffes auf diesem Feld sein. Unterhaltsame Medieninhalte wurden jedoch mittlerweile nicht nur von den Cultural Studies als mehr oder weniger direkte Gegenreaktion auf die kritische Theorie, sondern in den letzten Jahrzehnten insbesondere auch durch die kommunikationswissenschaftliche Rezeptionsforschung, weitgehend rehabilitiert (vgl. Klimmt & Vorderer, 2006). Das Konzept der Unterhaltung wurde zu einem zentralen Begriff (vgl. bspw. Wirth, Schramm & Gehrau, 2006), mit dem sich nicht nur die Medienrezeptionsforschung, sondern beispielsweise auch die politische Kommunikationsforschung (Dohle & Vowe, 2014), die kommunikationswissenschaftliche Bildungsforschung (Singhal, Cody, Rogers & Sabido, 2004), die Medienökonomie (Jöckel, 2009) und die Gesundheitskommunikation (Baumann, Hastall, Rossmann & Sowka, 2014) auseinandersetzen. Diese wissenschaftliche Aufarbeitung könnte zugleich der zweite Grund für die Geringschätzung des Unterhaltungsbegriffes im Rahmen von Werken über Popmusik sein. Denn das Erstarken der Unterhaltung innerhalb kommunikationswissenschaftlicher Forschung (vgl. im Überblick auch Klimmt & Vorderer, 2006, S. 239-240), führte auch zu der Einsicht, dass es sich bei diesem Begriff um ein »vielschichtiges und komplexes Phänomen« handelt, bei dem es schwierig ist »ein eindeutiges stringentes Kriterium zu benennen, ab wann es sich um einen Ansatz oder eine Theorie […] handelt, zumal sich kaum eine/r als solche bezeichnet« (Wünsch, 2006, S. 15).
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2.4.1 Der kommunikationswissenschaftliche Unterhaltungsbegriff Das langandauernde Nischendasein des Unterhaltungsbegriffs in der Kommunikationswissenschaft (vgl. Klimmt & Vorderer, 2006, S. 236) leitet sich vermutlich auch aus der Fokussierung auf »Leistungen und Funktionen publizistischer Medien« (Beck, 2010, S. 92) ab. Obwohl bereits in den 1960er Jahren Unterhaltung als potenziell meinungsbildend im Forschungsfeld verortet wurde (Haacke, 1961), reichte die Bedeutung des Begriffes innerhalb der systematischen Betrachtung der Massenmedien nie über den Status einer Subfunktion hinaus (Beck, 2010, S. 97; Burkart, 2002, S. 382). Unterhaltung war in diesem Sinne stets Teil der Rekreationsfunktion, diente also der »psychische[n] Stimulierung oder Entlastung von den Mühen der Zivilisation« (Burkart, 2002, S. 387). Die Grenzen zur Eskapismusfunktion, das heißt einer Nutzung der Medien um »die Sorgen des Alltags zu vergessen, gleichsam geistig unterzutauchen, um sich sozusagen vor der eigenen Realität zu verstecken« (ebd.), waren dabei oft fließend oder wurden gar nicht erst gezogen (Beck, 2010, S. 99). Dies verweist bereits auf eine gewisse Trennunschärfe bei den Begrifflichkeiten, die in der Folge ausgeräumt werden soll. Mit dem Blick auf neue, interaktive Medien betonen aktuelle Unterhaltungskonzepte häufig den aktiven, mündigen Rezipienten (vgl. Levy & Windahl, 1985). Für das Feld der Popmusik bedeutet dies häufig, dass von einer mehr oder weniger gezielten Wahl von Musikstücken (vgl. Taylor & Friedman, 2014) für die entsprechenden Situationen und mit dem Ziel des entsprechenden Nutzens in dieser Situation im Sinne des Uses & Gratifications-Ansatzes (vgl. dazu bspw. Katz, Blumler & Gurevitch, 1974; McQuail, 1984; Rosengren, 1974; Ruggiero, 2000) ausgegangen wird. Unterhaltung ist dabei als Nutzen häufig ungenau konzipiert oder findet gar keine Beachtung. Bei Schramm & Kopiez (2011), die einen Überblick über die Motive der Musiknutzung im Alltag bieten, ist zwar von Gefühlszuständen wie »Anspannung« und »Entspannung«, von Assoziationen und Erinnerungsleistungen als wichtigen Nutzungsmotiven für Musik die Rede (S. 257-258). Auch werden »Distinktion«, »Ausdruck der eigenen Identität« und »Selbstverwirklichung« genannt, sogar Musik als »Lebenshilfe« (S. 259). Unterhaltung jedoch taucht lediglich einmal in einer Tabelle aus der Studie von Sloboda & O’Neill (2001) als wenig relevante Funktion von Musik auf. Sie landet in dieser Studie mit 6 Prozent auf Platz acht hinter Erinnerungsauslösung (50 Prozent) und verschiedenen stimmungsregulativen Funktionen (vgl. Schramm & Kopiez, 2011, S. 256). Auch bei Hoffmann (2002) spielt Unterhaltung bei der Radionutzung von Jugendlichen keine Rolle. Diese sporadische, oftmals ungenaue Verwendung oder der schiere Verzicht mag darin begründet sein, dass Unterhaltung ein »Allerweltsbegriff« (Wünsch, 2006, S. 10) ist und stillschweigend davon ausgegangen wird, dass er irgendwie immer mit gemeint ist, gerade, wenn es um Musik geht.
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In einem Überblick über verschiedene psychologische und kommunikationswissenschaftliche Studien zum Thema Unterhaltung nennt Bosshart (1998) »Entspannung, Abwechslung, Anregung, Spannung, Spaß, Atmosphäre und Freude« (S. 299) als Merkmale von Unterhaltung. Er überführt diese in die Kategorien Abkoppelung, Aktivierung und Stimmung (ebd., S. 300) und stellt fest, dass es bei Unterhaltung vor allem um »angenehm[e] und positiv erlebte Empfindungen und Erlebniszustände« (ebd., S. 299f.) geht. Hier werden also bereits Eskapismus und Stimmungsregulation unter Unterhaltung subsummiert. Eskapismus kommt dabei hauptsächlich »als ein Nutzungsmotiv [von Medien] unter anderen« (Schweiger, 2007, S. 113) vor, während Mood-Management heute als eigener unterhaltungstheoretischer Ansatz gilt. »Die MMT [Mood-Management-Theorie, Anm. d. V.] wird den Unterhaltungstheorien zugerechnet. Sie erklärt primär, warum sich Menschen zwecks Stimmungsregulation […] unterhaltenden Medien zuwenden und macht Aussagen darüber, welche Unterhaltungsangebote in Abhängigkeit der Stimmungslage von den Menschen ausgewählt werden.« (Wirth & Schramm, 2006, S. 59)
Unterhaltung kann sich demnach aus sehr unterschiedlichen Aktivitäten speisen. Im Bereich der Popmusik reicht die Bandbreite vom Nebenbei-Hören zu Hause über das gemeinsame Erleben von Musik beim Konzert bis hin zur Rezeption von Musikzeitschriften oder dem Besuch einer Autogrammstunde beim Lieblingsstar. Die individuelle Nachfrage nach unterhaltsamen Tätigkeiten hängt von psychologischen, sozialen und biologischen Variablen ab, beispielsweise vom aktuellen Gemütszustand, vom Geschlecht aber auch vom Alter (Bosshart, 1998, S. 304-305). Unterhaltung hat also ein individuelles und situatives Moment und es macht offensichtlich wenig Sinn, die Konzepte Eskapismus oder Stimmungsregulation (MoodManagement) von Unterhaltung zu trennen. Die Kommunikationswissenschaft hat – möglicherweise in Folge der Ausrufung des Zeitalters der Unterhaltung16 – den Begriff eingehender beforscht. Zum einen gelang es, durch die Paarung des englischen Unterhaltungsbegriffes – ›Entertainment‹ – mit zahlreichen anderen Termini, einer integrativen Perspektive gerecht zu werden, »die Unterhaltung nicht allein als separaten Schwerpunkt der Kommunikationswissenschaft begreift, sondern im Gegenteil die zahlreichen Verbindungen zwischen Unterhaltungsaspekten und den traditionell stark besetzten Themenfeldern des Fachs in den Mittelpunkt stellt« (Klimmt & Vorderer, 2006, S. 240). Politainment, Infotainment, Edutainment oder Entertainment-Education erweiterten die Perspektiven und trugen zu höherer Akzeptanz der Unterhaltungsforschung bei. Zum anderen wurde der Unterhaltungsbegriff zunehmend genauer – und komplexer 16 »the entertainment age« (Zillmann & Vorderer, 2000, S. vii).
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– gefasst. In medialer Unterhaltung wird daher heute mehr gesehen als rein hedonistisch motivierte Mediennutzung (Vorderer & Reinecke, 2015, S. 448f.). Konkret ging es weg von der simplen Bedürfnisbefriedigung hin zu komplexeren Unterhaltungsmodellen, die versuchten Phänomene wie Valenztransformation 17 (Wünsch, 2006), Suspension Of Disbelief18 (Vorderer, Klimmt & Ritterfeld, 2004) oder Eudaimonic Entertainment19 (Oliver & Raney, 2011) zu erklären. Bleiben wir aber zunächst bei Perspektiven auf den Unterhaltungsbegriff. Carsten Wünsch (2006) schlägt eine Unterscheidung zwischen rezeptionsorientierten und nicht-rezeptionsorientierten Ansätzen vor. Letztere nehmen den Begriff Unterhaltung eher abstrakt unter die Lupe. Einmal in seiner sozialen Funktion als systemstabilisierend, als kulturelles Kapital und als eigenes Funktionssystem (Wünsch, 2006, S. 16-22), einmal aus literaturwissenschaftlicher und medienästhetischer Sicht als Genre (ebd., S. 22-28) und schließlich aus anthropologischer Sicht, sozusagen als Bedürfnis des Menschen, als »intrinsisch motivierte und […] zweckfreie Tätigkeit« (ebd., S. 31f.). Erstere eignen sich am ehesten für komplexe Modelle und befassen sich vor allem von einer medienpsychologischen Seite mit Unterhaltung (vgl. auch Vorderer, 2000). Sie lassen sich wiederum einteilen in klassisch motivationale Herangehensweisen mit Hilfe des Uses & Gratification-Ansatz (vgl. bspw. Schlütz, 2002), emotions- und erregungspsychologische Perspektiven, wie das im Bereich der Musikforschung bereits etablierte Konzept des Mood-Management (Schramm, 2005), Ansätze zur Unterhaltung als Erlebniskategorie, beispielsweise in Form des FlowErlebens (Csikszentmihalyi, 2010) und, nicht zuletzt aufgrund der gewachsenen Rolle digitaler Spiele als Untersuchungsgegenstand innerhalb Kommunikationswissenschaft, in spielpsychologische Ansätze (Oerter, 2011). Unterhaltung ist demnach letztlich eine prozessuale Erlebniskategorie, die während der Nutzung entsteht. Sie kann aber auch Ergebnis einer Nutzung oder Medienwahl sein. Besonders einige der von Wünsch (2006) näher ausgeführten Motive wie Eskapismus (S. 39-41), Identifikation (S. 41-43) und Neugier (S. 47-49), aber auch die emotions- und erregungspsychologischen Ansätze (ebd., S. 51-67) lassen sich auf den Unterhaltungswert von Popmusik durchaus anwenden. Jedoch – und das sollte bis hierhin klargeworden sein – liegt der Fokus dieser Arbeit keineswegs auf der Medienrezeption 17 Dabei handelt es sich um »ein Phänomen im Kontext von Unterhaltung […], bei dem negative Inhalte zu etwas Positivem und Angenehmen […] transformiert werden« (Wünsch, 2006, S. 283). 18 »The suspension of disbelief is characterized by the willingness to let oneself go into some other world, whether a movie, a game, or any other form of entertainment.« (Bates & Ferri, 2010, S. 7) 19 »[E]udaimonic entertainment […] is described as contemplative, reflective, and associated with warm, tender, and mixed feelings.« (Bartsch, 2012, S. 602)
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allein. Denn während aus der Perspektive kommunikationswissenschaftlicher Rezeptionsforschung Unterhaltung stets »eine Art und Weise [ist], mit medialen Angeboten umzugehen« (Wünsch & Jenderek, 2008, S. 41), muss man für Popmusik konstatieren, dass sie um deutlich mehr kreist, als ausschließlich um mediale Vermittlung. Sie nimmt auch die Technologien, die Gruppendynamiken, die Ökonomie und nicht zuletzt die Objekte in den Blick. Der Fokus auf den Musikkonsum im Sinne des Hörens allein führt immer wieder zu den bekannten musikalischen Funktionen wie die Realität vergessen (Eskapismus) oder im Sinne des Mood Managements Gefühle zu verstärken und abzuschwächen, zu entspannen und Ähnliches (vgl. ausführlich Schramm, 2005). Für Popmusik und ihr Publikum genügt dieser eingeschränkte Blick auf Unterhaltung jedoch nicht. Unterhaltung bieten hier potenziell alle denkbaren »Modes of consumption« (Shuker, 2016, S. 186). Dazu gehört neben dem Hören von Musik auch das Wahrnehmen ihrer mittlerweile starken visuellen Komponente (vgl. Machin, 2010, S. 185ff.; Wall, 2013, S. 249-252), aber auch Tätigkeiten wie das Erwerben von Tonträgern, das Ordnen, das Downloaden, das Recherchieren, das Überspielen, das Teilen von Musik oder das Mixen (vgl. Shuker, 2016, S. 186ff.; Wall, 2013, S. 272ff.) und nicht zuletzt die körperliche, performative Komponente (vgl. ausführlich Frith, 2002, S. 203-225), die sich bei Konzert- und Clubbesuchen durch Tanzen (Frith, 2002, S. 219ff.; Wall, 2013, S. 253ff.) und Jubeln ausdrückt. Es geht also, will man den Begriff der Unterhaltung auf Popmusik übertragen, nicht um Medienrezeption allein, sondern um deutlich vielfältigere Tätigkeiten. Popmusik besteht aus »texts and artifacts« (Hebdige, 1988, S. 12) aber auch aus sozialen Praktiken wie Sammeln, Zeigen, Empfehlen und anderen Kommunikationsakten. Dazu kommen mit der (Live-)Performance und der Bewegung zur Musik körperliche Aktivitäten, die für Popmusik zentral sind. In Anlehnung an Dehm (1984) könnte daher ergänzt werden: Unterhaltung ist eine »spezialisierte Form von Beziehung zwischen Personen und Objekten« (Krotz, 2002, S. 108) und zwischen Personen untereinander. Interessanterweise ist Dehms Studie zur Fernsehunterhaltung, der der erste Teil dieser Einsicht entstammt, am Uses & Gratifications-Ansatz ausgerichtet. Sie macht jedoch, im Gegensatz zu anderen Medienforschern deutlich, dass mediale Unterhaltungsangebote nur einen Teil der potenziell unterhaltenden Objekte ausmachen (Dehm, 1984, S. 82-83). So spielt medial vermittelte Unterhaltung in Form von Musik, Bildern, Texten, Worten oder Videos zwar eine wichtige Rolle für die Popmusik, aber eben nicht die einzige. Ebenso entscheidend sind, je nach individueller Vorliebe, der haptische Umgang mit Tonträgern, die Beschäftigung mit Instrumenten, die Aneignung von Fähigkeiten an einem Mischpult, die dezidierte Auswahl von Boxen, der Besuch ganz bestimmter Clubs und Treffpunkte und nicht zuletzt die themenbezogene Kommunikation mit anderen Personen. In jedem Fall kann sich Unterhaltung in der Sphäre der Popmusik aus zahlreichen Objekten und dem individuellen Umgang damit herleiten. Die Perspektive der
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Medienrezeption kann davon nur einen geringen Teil erklären. Da der Begriff Unterhaltung auch innerhalb der Medienrezeptionsforschung in Teilen noch nicht klar umrissen ist, wie seine Auslassung in aktuellen Überblickswerken und Sammelbänden (Pürer, 2014; Wünsch, Schramm, Gehrau & Bilandzic, 2014) zeigen, eignen sich womöglich andere Bezeichnungen für das Unterhaltungserleben durch Popmusik besser. 2.4.2 Von der Unterhaltung zum Vergnügen Wie nebenbei wurde bereits anhand von Adornos einleitenden Ausführungen (Kapitel 2.4) deutlich, dass für die unterhaltende Funktion von Popmusik äußerst unterschiedliche Bezeichnungen Verwendung finden können. Neben den explizit genannten Begriffen Vergnügen und Amusement, könnten auch noch Spaß, Genuss, Freude oder Lust als Erlebniskategorien von Popmusik herangezogen werden. All diese Bezeichnungen meinen Ähnliches, unterscheiden sich aber doch in ihrer Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Wissenschaftstraditionen, die sich ihrer bedienen. Während das Konzept der Unterhaltung wie gesehen vor allem in der kommunikationswissenschaftlichen Unterhaltungsforschung reüssiert, ist Vergnügen – gerade in Zusammenhang mit Musik – die in den Cultural Studies gebräuchlichere Bezeichnung (vgl. dazu Mikos, 2015). Zur Etablierung von Vergnügen als Erlebniskategorie von Popmusik trugen vor allem Simon Frith (1988; 2002) und John Fiske (1987; 2010) bei. Während Frith das Vergnügen an Popmusik aus der Perspektive eines Musikkritikers ausdeutet und Verbindungslinien zwischen Industrie, Ideologie, Konsum und Spaß zieht, stellt Fiske mit »popular pleasure« ganz in der Tradition der Cultural Studies eine politische Sichtweise auf Popkultur zur Verfügung, die ihr die gesellschaftliche Rolle des Widerstandes zuweist. »Popular pleasures arise from the social allegiances formed by subordinated people, they are bottom-up and thus must exist in some relationship of opposition to power (social, moral, textual, aesthetic, and so on) that attempts to discipline and control them. But there are pleasures associated with this power, and these pleasures are not confined to members of the dominant classes.« (Fiske, 2010, S. 40)
Die Kernelemente für Fiske sind dabei »evasion […] and productivity« (ebd.). »Evasion« bezieht sich auf den Körper und rehabilitiert damit gleichsam das Lustvolle der Popkultur gegenüber ihren Kritikern (vgl. ebd., S. 41). Diese Art des Vergnügens ist »der wollüstigen Lektüre nach Barthes« (Mikos, 2015, S. 222) entlehnt. Zum politischen Instrument wird das auf den Körper bezogene Vergnügen, weil es dabei hilft, widerständige soziale Identitäten auszubilden, die sich der sozialen Kon-
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trolle entziehen (Fiske, 2010, S. 43-44). Dabei geht es nicht unbedingt um direkte politische Wirkungen. Es geht, wie Fiske es ausdrückt, um »empowerment« und das Gewinnen von Freiräumen. »The assertion of people’s right to enjoy popular pleasures may not in itself change the system that subjugates them, but it does preserve areas of life and meanings of experience that are opposed to normal disciplined existence.« (Ebd., S. 44) Diese Freiräume und die damit freiwerdende, zunächst ungerichtete Energie wiederum kann Grundlage für das sein, was Fiske »productivity« nennt. Damit ist der aktive Umgang mit Popkultur gemeint, »das Vergnügen am Wiedererkennen, Bestätigen und Aushandeln der eigenen Erfahrungen und Identität« (Panayotov, 2009, S. 56) in Interaktion mit den Bedeutungen der Medientexte. Was bei Fiske an vielen Stellen durchscheint, aber nie expliziert wird, ist eine bekannte Tatsache: Die Empfindung von Vergnügen ist von bestimmtem (Vor-)Wissen und von Erfahrungen abhängig. »Vergnügen ist […] ein erfahrungsgesättigter Begriff« (Mikos, 2015, S. 224). Ob Weintrinker, Fußballfan oder Musikconnaisseur, die Erfahrung, die in jahrelanger Praxis gewonnen wird, ist mitentscheidend für das Vergnügungspotenzial bei erneutem Konsum. Popmusik hat zwar unbestritten eine affektive Komponente, die sich im Moment des Erlebens, also des Hörens (und Sehens) aus der Interaktion mit der Musik ergibt. Daraus kann auch ohne Zweifel Vergnügen entstehen. Eine andere Komponente fußt jedoch eher auf rationalem Umgang mit Musik: Das Wissen um Popmusik, um ihre Strukturen, ihre Geschichte und Zusammenhänge sowie die kommunikative Zurschaustellung all dessen. Gespräche über Popmusikveröffentlichungen oder Live-Darbietungen, das Ziehen von Parallelen, das subjektive Bewerten und Fachsimpeln ist unter Fans und Musikbegeisterten ein zentrales Element der Generierung von Vergnügen. Dabei vermischen sich Wissen und ästhetische Urteile mit Mythen der Popmusik und ergeben gewissermaßen vergnügliche Momente. »So the very fact that we pride ourselves on recognising talent and good music is part of perpetuating such distinctions. The audience at the jazz basement who said ›yes‹ at the end of a saxophone solo are displaying their aesthetic appreciation and therefore alignment with jazz heritage.« (Machin, 2010, S. 25)
Dieses Bewerten von Popmusik unter Berücksichtigung des eigenen Erfahrungsschatzes und der popmusikalischen Geschichte ist sozusagen eine Art Metavergnügen, für das Wissen und popkulturelles Kapital (Fiske, 1992) vorhanden sein müssen. Darüber funktionierende Prozesse wie Integration, soziale Anerkennung, Identitätskonstruktion und -präsentation sowie Distinktion sind zentrale Vergnügungsstifter. Um den Begriff Vergnügen systematisch von dem der Unterhaltung zu trennen ist die Analyse von Bates & Ferri (2010) lohnenswert. Vergnügen stellt für sie letztlich das Ziel von Unterhaltung dar, eine Ergebniskategorie also, nach der Nutzer
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streben. Dabei geschieht die Auswahl unterhaltsamer Tätigkeiten, die zum Vergnügen führen, keineswegs immer bewusst und Vergnügen ist auch kein diskreter Zustand, der immer gleich ist. Vergnügen ist stattdessen eine sehr subjektive Empfindung, die unabhängig von der Motivation des Publikums eintreten kann (Bates & Ferri, 2010, S. 13). Auch wenn der Begriff Vergnügen damit für empirische Untersuchungen zu vage bleibt, zeigt sich anhand seiner größeren Bandbreite im Gegensatz zum rezeptions- und (medien-)produktorientierten Unterhaltungsbegriff, dass er für das umfassende Erlebnis Popmusik zur Beschreibung besser geeignet ist. Gerade die körperliche Komponente, die eben nicht nur aus vielfach angesprochenen affektiven Erlebnissen bei der Rezeption von Medieninhalten (vgl. Vorderer & Reinecke, 2015), sondern gerade bei Tanz oder ähnlichen Ritualen auch aus performativen Erlebnissen (Frith, 2002, S. 203-225) besteht, hebt Popmusik deutlich von anderen Medieninhalten ab. Für Simon Frith ist sogar jeglicher Umgang mit Popmusik eine Art Performance. »My argument […] is not just that in listening to poular music we are listening to a performance, but further, that ›listening‹ itself is a performance.« (Frith, 2002, S. 203) Dazu kommt die soziale Komponente, die Popmusik durch ihre Aneignung innerhalb von Peer Groups, Szenen, Subkulturen und anderen Formen der Vergemeinschaftung (Shuker, 2016, S. 196-201) realisiert. Auch der Haptik (vgl. Bartmanski, 2015, S. 35-38), der Aura (Shuker, 2016, S. 189-191) und der Authentizität (vgl. dazu Machin, 2010, S. 14), die im Umgang mit Popmusik eine wichtige Rolle spielen, trägt der Begriff Vergnügen Rechnung. So ist es für das Popmusikerlebnis nicht irrelevant, welches Interieur oder »Setting« ein Club oder eine Konzerthalle bieten (vgl. Grazian, 2003, S. 1ff.), ebenso spielt beim aktuellen Vinyl-Revival die schiere Physis der Schallplatte eine zentrale Rolle (vgl. Bartmanski & Woodward, 2015, S. 61ff.). Zentral für den Begriff des Vergnügens auf der hier ausgeleuchteten Mikroebene bleibt die Annahme aktiver und souveräner Rezipienten beziehungsweise Konsumenten, die mit Wissensbeständen, Vorerfahrungen und Erwartungen an Popmusik herantreten und mit dieser umgehen. Diese Prämisse ist innerhalb der Cultural Studies unter dem Begriff der Aneignung (vgl. Lingenberg, 2015) ebenso wie bei den meisten Untersuchungen der Unterhaltungsforschung – hier oft etwas verklausuliert expliziert (Wünsch, 2006) – mittlerweile Standard. Um Vergnügen im Rahmen von Popmusik zu verstehen, müssen daher individuelle und soziale Lebenskontexte mitgedacht werden. »So to understand any kind of value judgement made about music we must look first at the social contexts in which we find them.« (Machin, 2010, S. 25) Nicht umsonst gilt beispielsweise der Musikgeschmack als langfristig ausgebildete musikalische Orientierung (vgl. Reinhardt und Rötter, 2013, S. 133), die mit sozialstrukturellen Merkmalen in Verbindung gebracht wird (vgl. Gebesmaier, 2001). Ein Geschmacksurteil bildet sich stets in der Interaktion zwischen Gesellschaft und Individuum heraus. »Es sind die individuellen Erfahrungen
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mit dem kulturell Verfügbaren, die sich im Laufe der persönlichen Entwicklung oder, wie man heute sagen würde, in der Sozialisation, zu einer individuellen und dennoch gesellschaftlich determinierten Disposition verdichten.« (Ebd., S. 44) Um Popmusik in ihrem Vergnügungspotenzial zu verstehen genügt es daher nicht, auf die Rezeption zu schauen, sondern es müssen immer auch die Kontextdeterminanten mit in den Blick genommen werden. »Populärkultur ist an den aktiven Konsum gebunden und mit Bedeutungsbildung und sinnlichem Erleben im Rahmen lebensweltlicher Zusammenhänge verknüpft. Aus diesem aktiven Konsum resultiert ganz wesentlich das Vergnügen an der Populärkultur.« (Mikos, 2002, S. 224) Die aktive Aneignung von Popmusik in all ihren Modi und mit all ihren Texten und Artefakten steht fraglos im Mittelpunkt des Vergnügens. Unter Aneignung soll dabei im Rahmen von Popmusik an dieser Stelle mehr verstanden werden, als die Rezeption medialer Inhalte. Zur Aneignung gehört in einem soziologischen Sinn auch das »Heimisch- und Vertrautwerden« (Rosa, 2005, S. 484), das heißt, eine »Anverwandlung«, die Zeit in Anspruch nimmt (Rosa, 2013, S. 124) und die sich dann beispielsweise mittels des Musikgeschmacks manifestiert. Das Vergnügen an Popmusikrezeption kann in den unterschiedlichsten Modi auftreten. Vom quasi-passiven Konsum (arbeitsbegleitendes Nebenbeihören) über die Umsetzung von Musik in eigene Aktivität (Tanzen, Jubeln) bis hin zur Anwendung von popmusikalischem Wissen zur Selbstdarstellung von Gruppen- und Individualidentität (Kombination mit Kleidung, Frisuren, Accessoires). Dass dann dazu auch Phasen und Momente gehören, die man als Arbeit bezeichnen könnte – Sortieren, Ordnen, Recherchieren – passt wiederum genau auf die aktualisierten Unterhaltungsmodelle, die von der Kommunikationswissenschaft (vgl. Vorderer & Reinecke, 2015) bereitgestellt werden und über die sich unterhaltsame Medien – wie Popmusik in vielen Fällen zweifelsfrei eines ist – möglicherweise als potente Helfer bei Problemlagen etablieren können. »Despite our often precipitant description of the simplicity of entertainment products, they may in fact provide an array of different opportunities to engage with them, and users appear not to hesitate in using and being affected by them in different, complex, and sometimes even dissonant ways.« (Ebd., S. 451)
Die Medien- und Musikpädagogik haben dieses Potenzial längst erkannt und nutzen das Vergnügen, das Popmusik bereiten kann, in vielerlei Hinsicht (vgl. Hill & Josties, 2007; Jost, 2007, S. 338ff.).
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2.5 POPMUSIK IST SOZIALE KONSTRUKTION In der Rückschau auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Musik konstatiert Peter J. Martin einen seiner Meinung nach unausweichlichen »turn to the social« (Martin, 2000, S. 41). Beginnend bei den Veröffentlichungen von Adorno verändert sich die Betrachtung von Musik, weg von der reinen Noten- und Inhaltslehre – also der faktischen Analyse existierender Werke – hin zu einer Bedeutungsebene, die individuell und im Kollektiv ausgehandelt wird. Dabei ist die Rezeption oder Aneignung ebenso zu beachten wie die Produktion und nicht zuletzt die Kontexte und Strukturen, in denen all dies stattfindet (ebd., S. 41f.). Demnach ist es unzureichend, Musik ausschließlich phänomenologisch zu begegnen. Musik und die Bedeutungszuschreibungen an sie können nur als sozial konstruiert verstanden werden. Martin führt drei zentrale Punkte für die soziologische Betrachtung und damit für die soziale Bedeutung von Musik an. Zunächst fordert er ausgehend von der Unmöglichkeit einer objektiven Bewertung musikalischer Qualität die Aufhebung der Abgrenzung zwischen unterhaltender Pop- und ernsthafter Kunstmusik (ebd., S. 50f.). Diese Forderung ist in der zeitgenössischen, soziologisch orientierten Musikforschung mittlerweile etabliert (vgl. u. a. Hesmondhalgh, 2007; Hibbett, 2005; Wall, 2013, S. 41ff.). Darin enthalten ist auch die auf den ersten Blick banale Einsicht, dass Genrebegriffe – oft aus Marketingüberlegungen heraus – konstruiert und im Zuge der Aneignung sozial überformt und dadurch in ihrer Bedeutung verändert werden. Gute Beispiele dafür sind Begriffe wie Post Punk oder Indie, die seit den 1970ern existieren, aber im Laufe ihrer Existenz verschieden Phasen durchlaufen haben (vgl. dazu auch Kapitel 2.7). Einen zweiten Punkt sieht Martin in der Aushandlung spezifischer Wert- und Bedeutungszuschreibungen an die Musik (Martin, 2000, S. 51f.). Er zielt hier auf die Deutungsmacht von Akteuren der Musikbranche ab, wenn er sagt, dass die Wertigkeit und Einordnung nur wenig mit den eigentlichen musikalischen Merkmalen zu tun hat. Stattdessen geht es darum, wie, was und wo über welche Musik kommuniziert wird, in welchen Kontexten welche Musik präsent ist und wie sie vermittelt wird. »From the point of view of social organisation, these matters are important since they determine the pattern of ›facticities‹ and consequent constraints which real individuals have to confront.« (Ebd., S. 52) Es geht also ganz klar um eine Einordnung der Wertigkeit und Bedeutung von Musik anhand von Beschreibungen durch Akteure der Popmusik: Fans, Journalisten, Künstler. Hier sind deutliche Parallelen zu Machin (2010) auszumachen, der anschaulich darstellt wie das Sprechen und Schreiben über Musik funktioniert, woher das Vokabular kommt und welche Auswirkungen damit verbunden sind (Machin, 2010, S. 22ff.).
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Martins dritter Punkt ist die enge Verbindung zwischen Popmusik und Identität (Martin, 2000, S. 53f.). Es geht dabei sowohl um Individuen wie um Gruppen, die mittels Aneignung von Popmusik Identitätsarbeit leisten (vgl. dazu Kapitel 3.4). Sowohl auf Seiten der Produktion als auch auf der Rezeptionsseite ist Popmusik demnach etwas hochgradig Soziales. Nicht umsonst ist die Soziologie daher einer der Hauptmotoren für die Beschäftigung mit Musik und ihren Funktionen. Kurt Blaukopf geht es dabei »[…] nicht darum, daß sich die Soziologie der Musik bemächtigt, sondern daß aus der Analyse der musikalischen Praxis selbst die Kenntnis der Strukturwandlungen musikalischen Verhaltens, der Veränderung des Musikwollens, des Wechsels der gesellschaftlichen Funktion von musikalischem Handeln und damit insgesamt der ›großen Umbrüche‹ erschlossen wird« (Blaukopf, 1982, S. 222).
Für Simon Frith existiert das gesamte Popmusikangebot, also beispielsweise Songs, Tonträger, Stars und Stile letztlich nur, weil auf beiden Seiten – bei Produzenten und bei Konsumenten – eine Reihe von Entscheidungen darüber getroffen werden, was nun erfolgreich ist und was nicht. Alle Schlüsselbegriffe, um die Popmusikdiskurse kreisen, sind für ihn soziologisch erklärbar. »The result of all these apparently individual decisions is a pattern of success, taste and style which can be explained sociologically.« (Frith, 1987a, S. 134) Popmusik und ihre Bedeutung manifestieren sich jedoch bei weitem nicht nur in der Interaktion zwischen Anbieter und Publikum. Sie werden immer auch innerhalb des Publikums verhandelt. Popmusik verweist stets auf ein kollektives Moment. »Because of its qualities of abstractness, music is, by nature, an individualizing form. We absorb songs into our own lives and rhythm into our own bodies; they have a looseness of reference that makes them immediately accessible. At the same time, and equally significantly, music is obviously collective. We hear things as music because their sounds obey a more or less familiar cultural logic, and for most music listeners (who are not themselves music makers) this logic is out of our control. There is a mystery to our own musical tastes. Some records and performers work for us, others do not - we know this without being able to explain it. Somebody else has set up the conventions; they are clearly social and clearly apart from us. Music, whether teenybop for young female fans or jazz or rap for AfricanAmericans or nineteenth century chamber music for German Jews in Israel, stands for, symbolizes and offers the immediate experience of collective identity.« (Frith, 1996, S. 121)
Sozialer Umgang mit Popmusik, das bedeutet Aushandlungsprozesse, die in vereinbarten Bedeutungszuschreibungen münden. David Machin nennt diese Aushandlungsprozesse Diskurse. »[T]he meaning of any piece of music is not so much in the sounds themselves but in the discourses we have for understanding them.« (Ma-
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chin, 2010, S. 13) Bei Simon Friths eher mikrosoziologischem Ansatz stehen Erzählungen (»narratives«) im Mittelpunkt, auf die Popmusik für jeden individuell verweist und über die soziale und kulturelle Identitäten hergestellt werden (Frith, 1996, S. 121f.). Egal, wie die Bezeichnung nun lautet (»narratives« oder »discourses«), es geht immer um Aushandlungsprozesse an deren Ende Bedeutungen beziehungsweise Identitäten stehen, die wiederum Ausgangspunkt für neuerliche Aushandlungsprozesse bilden. So erneuert sich die Popmusik immer wieder auf Basis ihrer selbst und auf Basis äußerer Einflüsse, denn sie integriert immer wieder und an vielen Stellen Ereignisse aus Politik und Gesellschaft und arbeitet sich an diesen ab (vgl. auch Kapitel 2.3). Auch das ist ein soziales Moment von Musik, die Verbindung zu globalen politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen und Veränderungen. So wird die Nachkriegsära mit dem Aufstieg der Teenager-Kultur und des Rock’n’Roll in Verbindung gebracht, Kalter Krieg und soziale Kämpfe um Gleichberechtigung spiegeln sich in der Folk- und Hippiekultur der 1960er Jahre, während urbane Multikulturalität spätestens ab den 1990er Jahren zu einem Boom von schwarzen Musikstilen wie R&B, Soul und HipHop führte. Industrialisierung, Sklaverei, Digitalisierung, Gleichberechtigung von Mann und Frau, all diese sozialen Konfliktfelder spiegeln sich in Popmusik (vgl. dazu Wall, 2013, S. 49-54). Die Perspektiven auf die soziale Verfasstheit von Popmusik können also sehr verschieden sein und auf Makro-, Meso- und Mikroebene auftreten. Sie betreffen dabei die Entwicklung der Musik selbst, aber auch den Umgang mit der Musik. Münch (2007) spricht in Anlehnung an Autoren aus der Soziologie beispielsweise von Musik • • • • •
als sozialem Handeln (Max Weber) als sozialer Interaktion (Herbert Blumer) als sozialem Tatbestand (Emile Durkheim) als sozialem System (Talcott Parsons, Niklas Luhmann) als sozialer Praxis (Pierre Bourdieu, Anthony Giddens).
Jede dieser Perspektiven soll in der Folge einer kurzen Betrachtung unterworfen und dabei mit Blick auf die für Popmusik relevanten Elemente abgeglichen werden. 2.5.1 Popmusik als soziales Handeln Unter sozialem Handeln versteht Max Weber dasjenige Handeln, »welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist« (Weber, 1980, S. 1). Kurt Blaukopf (1982) nimmt dies als Grundlage für die Definition musikalischen Handelns: »Als musikalisches Handeln könnte, der allgemeinsten Bestimmung nach,
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das auf die Erzeugung von Schallereignissen gerichtete Handeln mit einem auf das Verhalten anderer intendiertem Sinn zu verstehen sein.« (Blaukopf, 1982, S. 18) Dies schließt, wie Blaukopf geistreich anmerkt, auch die Sprache ein, womit ein Abgrenzungsproblem entsteht (ebd.). Aufgelöst wird dies über die kulturelle Errungenschaft der »logische[n] Trennung von ästhetischer und semantischer Informationen« (ebd., S. 19). Erst dadurch sind wir überhaupt in der Lage, Tonfolgen abstrakt als Musik zu bezeichnen. Blaukopf unterstreicht dies durch das Heranziehen ethnologischer und historischer Befunde. Beispielsweise waren im antiken Griechenland, oder sind noch heute in zahlreichen afrikanischen Stammeskulturen, Musik, Sprache und Tanz untrennbar miteinander verknüpft. Ästhetik und Semantik lassen sich in diesen Beispielen also nicht trennen. Sie bilden eine Einheit. Daher findet sich in diesen Kulturen auch der Begriff Musik nicht oder nur in anderer Form wieder (vgl. ebd.). Soziales Handeln ist in seinem Sinn nach bezogen auf andere Menschen. Das heißt, Motive und Intentionen richten sich »auf ein Alter Ego […] und zwar in bewusster Art und Weise […]« (Beck, 2010, S. 34). Popmusik oder popmusikalisches Handeln ist soziales Handeln insofern, dass musikalische Produktion, Musikaufführungen, aber auch die Rezeption von Musik, stets auf andere (Menschen) bezogen sind. Auch wenn dem künstlerischen Akt des Musizierens selbst oft etwas Eigenbrötlerisches, ja Narzisstisches innewohnt, geht es letztlich doch darum, mit Musik andere Menschen zu erreichen, über Melodien, Rhythmen, die Tonalität oder die Lyrics Individuen oder Gruppen zu begeistern oder anderweitig Stimmungen zu beeinflussen. Dies gelingt manchmal wie beabsichtigt, oft scheitert dies aber auch aufgrund der Vagheit und Flüchtigkeit von Musik (Frith, 1996, S. 121) und aufgrund der hochgradig individualisierten musikalischen Aneignungsvorgänge (vgl. Shuker, 2016, S. 186ff.). Soziales Handeln ist der Umgang mit Musik aber immer, denn »[d]er oder die Handelnde (Ego) möchte bei einer/m anderen (Alter) etwas bewirken, genau deshalb wählt er diesen bestimmten Handlungsentwurf und führt ihn aus. […] Die soziale Handlung ist mit ›subjektiv gemeinten Sinn‹ verbunden, sie bedeutet etwas für Ego in Bezug auf Alter.« (Beck, 2010, S. 34)
Die soziale Handlung kann das Herstellen von Musik sein, aber auch der Austausch über Musik ist soziales Handeln und das gemeinsame Hören und Sehen von Popmusik. Dabei herrscht eine gewisse stille Übereinkunft darüber, eine Ahnung davon, wie bestimmte popmusikalische Codes funktionieren, was sie bedeuten und wie sie beispielsweise zu Stimmungsregulation beitragen können. Dieses Erfahrungswissen bildet gewissermaßen die Basis für das soziale Handeln, aufgrund der dann Erwartungen entstehen. Im Falle der Erwiderung der Handlung Egos durch
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Alter entsteht Interaktion, also »wechselseitig aufeinander bezogenes soziales Handeln« (ebd.). Musiker, DJs, aber auch Werbetreibende oder Künstler wissen um die Möglichkeiten, mit Musik bestimmte Reaktionen auszulösen. Dieses Wissen beziehen sie aus gemachten oder anderweitig nachvollzogenen Erfahrungen, die ihre Bedeutungszuschreibungen bestimmen. Sie wissen beispielsweise, was es heißt, wenn Menschen ausgelassen feiern und welche Musik dazu am besten passt. Sie wissen, wie Musik klingen muss, um zum Tanzen anzuregen oder sie wissen, wie man mit einer gewissen Theatralik emotionale Momente noch verstärken kann. 2.5.2 Popmusik als soziale Interaktion All diese Bedeutungen, mit denen Popmusik befrachtet ist, wurden und werden – hält man sich an Blumers symbolischen Interaktionismus – in einem Interaktionsprozess ausgehandelt (vgl. Blumer, 1969, S. 2). Demnach agieren Musiker im Sinne einer sozialen Interaktion, wenn sie beispielsweise ein anwesendes Publikum zum Tanzen bringen wollen. Aktives Musizieren ist in dieser Hinsicht mit anderen Interaktionsformen wie der des Spiels vergleichbar (vgl. Schönherr, 1998, S. 21). Das soziale Handeln von Musikern besteht dann darin, in einer bestimmten Art und Weise zu musizieren, zusätzlich möglicherweise auch, sich bestimmter Ausdrucksweisen oder Symbole, Gesten und anderem mehr zu bedienen und darüber mit dem Publikum zu kommunizieren und Reaktionen wie Jubeln, Tanzen, Schreien zu initiieren. Überträgt man also Blumers Ansatz auf Konzerte, werden in einer solchen LiveSituation in einem interpretativen Prozess Bedeutungen geschaffen und permanent aktualisiert oder verändert. Musiker und Publikum agieren dabei als selbstreflexive Individuen und kreieren diese Bedeutungen. Die symbolische Vermittlung erfolgt hier bei weitem nicht nur durch die Musik, sondern auch durch die untrennbar damit verwobenen Ästhetiken (vgl. Frith, 1996, S. 119ff.), also beispielsweise das Verhalten von Künstlern auf der Bühne (vgl. auch Negus, 1992, S. 53) oder die Reaktion des Publikums davor. Auch Kleidung oder andere äußere Merkmale der Beteiligten und die Beschaffenheit des Ortes (vgl. Gerard, 2004), an dem die Liveoder Club-Situation stattfindet, sind Teil der Ästhetik und damit Teil des symbolischen Vermittlungsprozesses. Die Bedeutung der so vermittelten Kommunikate wird von jedem Einzelnen stets im Abgleich mit den anderen Anwesenden ausgehandelt. Bedeutungen sind im Sinne des symbolischen Interaktionismus soziale Produkte. »Die Menschen zeigen sich wechselseitig an, welche Bedeutung sie einer bestimmten Situation beimessen, wie sie die Bedingungen des nächsten Handelns definieren und wie sie die Ef-
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fekte des Handelns interpretieren. Auch wenn es keinem der Beteiligten bewusst ist: Sie stehen in einem fortlaufenden ›formenden Prozess‹. In diesem wechselseitigen Interaktionsprozess interagiert der Handelnde auch mit sich selbst. Er definiert sich und strukturiert danach sein Handeln. Daraus folgt: Die innere Reaktion eines jeden Beteiligten an der Interaktion ist Reaktion auf die innere Kommunikation jedes anderen Beteiligten.« (Abels, 2009, S. 210)
Musik ist damit auch insofern soziale Interaktion, dass sie ihre Bedeutung für den Einzelnen dadurch erlangt, wie andere – egal ob Musiker, Rezipienten oder beispielsweise auch Journalisten – ihr begegnen. Simon Frith entlehnt deshalb für den Umgang mit Popmusik nicht zu Unrecht den Begriff der Performance aus den Theaterwissenschaften. »[P]erformance defines a social – or communicative – process. It requires an audience and is dependent, in this sense, on interpretation; it is about meanings.« (Frith, 2002, S. 205) Entscheidend ist hier also die Bedeutung von Musik beziehungsweise deren Generierung. Denn der symbolische Interaktionismus »sees meaning as arising in the process of interaction between people. The meaning of a thing for a person grows out of the ways in which other persons act toward the person with regard to the thing« (Blumer, 1969, S. 4). Die Aushandlung der Bedeutung erfolgt in einem wechselseitigen Kommunikationsprozess. Dies geschieht beispielsweise, indem Musiker Reaktionen des Publikums antizipieren, erfassen und darauf wiederum entlang der für sie entstandenen Bedeutungen reagieren. Doch nicht nur in Live-Situationen trifft dies zu. Musik wird häufig auch mit einer bestimmten Absicht geschaffen, die das Ziel hat, bestimmte Dinge zu erreichen. Diese Absicht speist sich nicht zuletzt aus bereits gemachten Erfahrungen. So ist Tanzmusik für ausgelassene Partys anders verfasst als Trauermärsche oder die musikalische Untermalung von Bankenwerbung. Auch das Hören von Musik ist soziale Interaktion. Denn Hörende setzen sich einerseits bewusst oder unbewusst mit den Produzenten der Musik auseinander. Sie fühlen sich von der Musik oder dem Künstler verstanden, bewerten das Gehörte oder erinnern sich an Situationen, bei denen diese Musik früher lief. Andererseits setzen sich Hörende mit Hilfe von Musik untereinander ins Verhältnis. Es geht also aus soziologischer Sicht nicht nur um die Beziehung zwischen Künstlern und Rezipienten, sondern auch um die Beziehungen von Rezipienten oder Musikern untereinander, beispielsweise innerhalb einer Band oder eines anderen musikproduzierenden Kollektivs, innerhalb von musikzentrierten Szenen oder innerhalb eines situativen Publikums bei einer musikalischen Aufführung. Darüber hinaus lässt Popmusik soziale Handlungsspielräume für verschiedene Metaebenen. So werden Musikstücke bestimmten Künstlern, Szenen, Labels, Regionen oder Genres zugeschrieben oder davon abgegrenzt. Sie werden kategorisiert und anhand von diskursiv geschaffenen Systemen geordnet (vgl. bspw. Hibbett, 2005). Jeglicher Umgang mit Popmusik, ob Produktion, Rezeption oder Metakommunikation kann demnach als soziale Interaktion beschrieben werden.
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2.5.3 Popmusik als sozialer Tatbestand Nach Durkheim sind soziale Tatbestände »besondere Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, deren wesentliche Eigentümlichkeit darin besteht, daß sie außerhalb des individuellen Bewusstseins existieren« (Durkheim, 1961, S. 105). Soziale Tatbestände sind »im kollektiven Bewusstsein verankert […]. Es sind Vorstellungen vom richtigen Handeln und Denken, die uns im Prozess der Sozialisation als ganz selbstverständlich nahegebracht werden.« (Abels, 2004, S. 156) Popmusik ist solch ein sozialer Tatbestand. Sie funktioniert nach Regeln, Vorgaben und innerhalb von Kontexten, die durch jahrelange Handlungen eingeübt und dadurch normal wurden. Wir erfahren den sozialen Tatbestand Popmusik also durch Internalisierung, wie Durkheim es nennt. Ihre Regeln mögen für Rezipienten, Musiker, Manager oder andere Beteiligte je nach Sichtweise unterschiedlich ausfallen, entscheidend ist aber, dass es Regeln für den Umgang mit Popmusik gibt. Es gibt bestimmte Arten zu Tanzen, bestimmte erwünschte und unerwünschte Verhaltensweisen auf Konzerten oder in Clubs und bestimmte Kleidung, Frisuren oder Accessoires, die in bestimmten musikalischen Kontexten getragen werden dürfen oder eben nicht. Diese Regeln sind nirgends explizit festgehalten, sie haben sich über den Umgang mit der Musik, ihren Botschaften, ihren Protagonisten, ihren Ästhetiken und den Fans untereinander entwickelt. Sie sind häufig regionalspezifisch, können aber auch globale Wirkmacht entfalten.20 Menschen, die mit Popmusik umgehen, akzeptieren diese Regeln, »weil Konformität die größte Anerkennung findet – oder mindestens die geringste Missbilligung nach sich zieht [und] weil sie [ihnen] selbstverständlich zu sein scheinen« (ebd., S. 157). Für Durkheim setzt jede soziale Handlung – also auch der Umgang mit Popmusik – ein Mindestmaß an Konformität voraus. Das heißt nicht, dass alle das Gleiche hören oder mögen, sondern dass Handelnde »die Prinzipien des gemeinsamen Wertesystems gleichsam in ihr Überich aufnehmen, um wirklich zeitbeständige soziale Beziehungsmuster aufrechterhalten zu können« (Ritsert, 2000, S. 75). Auch Abweichler und Protestmusiker, die es in der Popgeschichte ja 20 Während die englische Punk-Bewegung der Arbeiterklasse (working class) entstammt und ihre Ästhetik weltweit verbreitet hat, entstammt die New Yorker Punk-Bewegung eher Künstler- und Studentenkreisen. Trotz ästhetischer Ähnlichkeiten gibt es daher deutliche Unterschiede, die sich auch auf die Fortentwicklung – in England und Europa hin zur männlich-martialischen Oi!-Musik, in Amerika zum häufig mit intelektuell-reflektiertem Lifestyle verbunden Hardcore – des Stils auswirkten. Letztlich haben sich beide Ästhetiken durchgesetzt, jedoch ist der typische englische 1-2-3-Punkrock, wie ihn die Sex Pistols, The Clash, The Damned oder The Buzzcocks verkörperten global als Marke, auch aufgrund beispielsweise der Verbindung mit dem Union Jack-Symbol, deutlich bekannter als die amerikanische Variante, die zudem mit Vertretern wie The Ramones, Suicide, The Stooges oder Television musikalisch deutlich heterogener daherkommt.
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zu Hauf gibt, orientieren sich an bestimmten Prinzipien und handeln in einem PopSinne entsprechend konform, selbst wenn sie wissentlich oder unwissentlich gegen bestimmte gesellschaftliche Normen verstoßen. Im Aufschrei, der aus dem Normverstoß resultiert, manifestiert sich hier gewissermaßen die Konformität. Damit verändern und gestalten diese Akteure den sozialen Tatbestand Popmusik fortlaufend. Wenn Elvis sexuell anzügliche Hüftschwünge fabriziert, wenn Musik plötzlich elektroakustisch verstärkt und damit laut aufgeführt wird, wenn Männer mit Männern und Frauen mit Frauen tanzen oder wenn nicht mehr komponiert, sondern nur noch collagiert und gemixt wird, dann verändert das gewohnte Perspektiven auf Musik und Popmusik, die in der Folge jedoch Normalität und damit sozialer Tatbestand werden. Nicht zuletzt deshalb ist es so schwierig, Musik als Protestmedium ernst zu nehmen. 2.5.4 Popmusik als soziales System Popmusik ist zudem systemisch zu begreifen. Sie ist nach Parsons (1937) ein soziales System, denn sie besteht aus »konkreten Interaktionen« (Abels, 2009, S. 103). Parsons versteht unter einem sozialen System »[d]as System des Handelns, d. h. den strukturierten Zusammenhang der Handlung aller Beteiligten an einer Situation« (ebd.). Das Situative dieser Definition kann sehr einfach auf Popmusikkonzerte oder andere Situationen des Pophandelns übertragen werden, denn hier finden, wie bereits gezeigt wurde, (soziale) Interaktionen statt. Um jede einzelne Situation gänzlich zu verstehen und zu deuten, ist es jedoch nötig, den Zeithorizont zu erweitern. Denn in einem sozialen System hat nach Parsons jeder Teilnehmer eine Rolle, nur so funktioniert das System. Sowohl die Rollen als auch die sozialen Systeme werden nach Parsons von Werten und Normen reguliert, die wiederum aus dem kulturellen System stammen, »in dem die Werte und Verpflichtungen einer Gesellschaft aufgehoben sind und das insofern normative Funktion hat« (ebd., S. 104). Parsons geht dabei von einem gemeinsamen, durch Sozialisation internalisierten kulturellen System aus. Auf Popmusik übertragen könnte man sagen: Die Gesellschaft legt Regeln (Normen, Werte) fest, nach denen sich das System Popmusik zunächst aufstellt. Popmusik selbst wiederum entwickelt nach und nach eigene Werte und Normen. Es wird damit zu einem eigenständigen (kulturellen) System (vgl. Helms, 2008), das Regeln bereitstellt, wie soziale Handlungen innerhalb dieses Systems auszuführen und zu verstehen sind. Diese Regeln spiegeln sich in den Rollen der Teilnehmer am Popmusiksystem. Die Rolle der Fans beispielsweise ist es, Musik zu konsumieren und dieser Musik einen subjektiven Sinn zuzuweisen, der beispielsweise über Stimmung bei einem Konzert, Onlinefeedback auf Veröffentlichungen oder andere Mechanismen an andere Fans oder an die Künstler selbst weitergegeben wird. Da-
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bei haben Fans, die sehr stark in das Schaffen eines Künstlers involviert sind, wiederum besondere Rollen, beispielsweise stehen sie bei Konzerten ganz vorne 21, kleiden und schminken sich ähnlich wie die Künstler oder werden selbst aktiv, indem sie Konzertberichte schreiben, Platten rezensieren oder nachfolgende Fans mit ihrer Begeisterung für das Werk des Künstlers anstecken. Dadurch sind sie es, die den Diskurs um den Künstler oft entscheidend mitbestimmen, die Musik und die Ästhetik mit- und weitertragen; sei es in Form eigener Medienproduktionen wie Fanwebsites oder Fanvideos, durch die Aktivität in Fanclubs, durch das öffentliche Abspielen der Musik als DJ oder, bei kleineren Künstlern, gar durch die Organisation von Konzerten und Tourneen. Sie verkörpern letztlich das, was Hitzler & Niederbacher als »Organisationselite« (2010, S. 22) bezeichnen. Das heißt, sie »bilden eine Art ›Szenemotor‹, insofern, als die Rahmenbedingungen szenetypischer Erlebnisangebote in erster Linie dort produziert werden und auch Innovationen sehr oft ihren Ursprung dort haben« (ebd., S. 23). Nach Parsons Systemtheorie heißt dies, Popmusikfans verwenden bestimmte Mittel »zur Erreichung von Zielen, unter Berücksichtigung situativer Begebenheiten und der Anwendung normativer Regeln« (Brock, Junge & Krähnke, 2012, S. 202). Die im kommunikativen Austausch entstandenen, der Orientierung dienenden Regeln sind die normative »Grundlage ihrer Handlungsorientierungen« (ebd.) und garantieren eine gewisse Stabilität, denn sie werden auch von anderen Mitgliedern des Systems Popmusik geteilt (vgl. ebd.). Bei Luhmann (1991) sind soziale Systeme zudem autopoietische Systeme, das heißt, diese Systeme erzeugen ihre Elemente und Strukturen selbst aus sich heraus und »[d]ie Elemente solcher Systeme haben […] unabhängig vom System keine Existenz« (Aschke, 2002, S. 58). In der Tat funktionieren viele Elemente des Popmusik-Systems nur innerhalb dieses Systems selbst. Man denke nur an bestimmte Symboliken oder auch an Namensgebungen von Künstlern und Bands, die nur mit Vorwissen zu begreifen sind und für außenstehende oft keinen oder einen fragwürdigen Sinn ergeben. Popmusik ist hochgradig reflexiv und selbstbezogen. Die für Pop zentrale Technik der Bricolage, die nicht nur in den Ästhetiken der Fans, sondern längst auch in der Musikherstellung selbst genutzt wird, um Neues aus Altem zu erzeugen, ist der Inbegriff des Autopoietischen. Um zu funktionieren bedürfen autopoietische Systeme jedoch der permanenten Aktualisierung. Luhmann spricht von einer »radikalen Verzeitlichung des Elementbegriffs« (Luhmann, 1991, S. 28). Er führt weiter aus: 21 Während viele kleine und mittelgroße Konzerte egalitär sind und die unterschiedlichen Fan-Rollen spontan umgesetzt werden – beispielsweise durch frühes Erscheinen, langes Anstehen, nach vorne Drängen –, macht sich die Live-Branche den Unterschied im FanSelbstverständnis bei größeren Konzerten zu Nutze, indem sie seit einigen Jahren sogenannte Front-Of-Stage-Karten anbietet, die deutlich teurer sind und einen Platz in den ersten Reihen garantieren.
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»Die Theorie der sich selbst herstellenden, autopoietischen Systeme kann in den Bereich der Handlungssysteme nur überführt werden, wenn man davon ausgeht, daß die Elemente, aus denen das System besteht, keine Dauer haben können, also unaufhörlich durch das System dieser Elemente selbst reproduziert werden müssen.« (Ebd.)
Daran anschließend begründet Heidingsfelder (2012b) die Selbstreferenzialität des Popsystems. Pop beobachtet sich permanent selbst und nutzt diese Beobachtungen, um sich zu aktualisieren. »Was immer Pop sonst noch sein mag und wie immer er sich vor anderen Aktivitäten auszeichnet, seine Operationen sind zunächst einmal Beobachtungen. Die Besonderheit besteht darin, dass Pop diese Beobachtungen in das Medium der Musik einschreibt, und zwar so, dass sich die Beobachtungen verketten und eine dezidierte Operativität ausdifferenziert, eine Art Permanenz oder ›Weiter-so‹, die als Pop-System begriffen werden kann.« (Heidingsfelder, 2011, S. 153-154)
Der Schlüssel zur Teilhabe zum Verständnis und zur Einordnung des sozialen Systems Popmusik ist Kommunikation. »Der basale Prozeß sozialer Systeme, der die Elemente produziert, aus denen diese Systeme bestehen, kann […] nur Kommunikation sein.« (Luhmann, 1991, S. 192) Um Popmusik als Ganzes zu betrachten und zu verstehen muss man sich vom einzelnen Musikstücken lösen. »Es geht nicht um das Stück und seine Beschaffenheit, oder um eine Menge von Stücken mit einem gemeinsamen Nenner, sondern um die Kommunikation, die zum Beispiel einen Titel als populär beansprucht.« (Helms, 2008, S. 77) Helms operiert bei seiner Analyse des Systems Pop mit den Begriffen Individuation und Proliferation. Ersteres »steht für den Prozess der Vereinzelung eines Phänomens bzw. für die Darstellung und Herausstellung einer Identität in und durch Kommunikation« (Helms, 2008, S. 77). Zweites meint »den Sachverhalt einer eigendynamisch zunehmenden Verbreitung von Kommunikation« (ebd.). Er zeigt auf, wie diese scheinbar gegensätzlichen Begriffe zur Dynamik des Systems Pop führen. »Abgrenzung und Vereinnahmung, Vereinzelung und Vermassung, Anpassung und Protest, Individuation und Proliferation. Nur durch diese Differenz erhält Pop seine Dynamik, bzw. theoriekonformer: seine Temporalität, die ihn zu einem selbstreferenziellen und autopoietischen System macht.« (ebd., S. 78) Diese Gegensätze werden innerhalb der Popmusik als immerfort dauerndes Spiel zwischen Besonderung und Vermassung ausgetragen. Sind ein Künstler und seine Musik neu und möglicherweise besonders gut dazu geeignet, sich darüber als individuell zu profilieren (Individuation), dauert es oft nicht lange und es kommt zur massenhaften Verbreitung (Proliferation), die in den meisten Fällen mit einem Bedeutungsverlust einhergeht. Musik spielt dabei im System Popmusik keineswegs die dominierende Rolle, auch wenn es so scheint, als stehe diese im Mittelpunkt des Systems oder sei dessen
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wichtigstes Element. Der Grund dafür ist, wie Helms ausführt, dass über Musik im System Popmusik nur bedingt und sehr unzuverlässig kommuniziert werden kann. Es handelt sich eher um indirekte Kommunikation. Das heißt, Musiker erhalten im sozialen System Popmusik nur sehr verkürzt oder gar keine Rückmeldungen zu ihrem Schaffen. Besonders die musikalischen Details, um die es aus Sicht der Künstler oft geht, werden kaum in den Kommunikationsprozess einbezogen. Musiker können daher oft »nur spekulieren, warum eine bestimmte Mitteilung ein für [sie] beobachtbares Anschlussverhalten erzeugt und eine andere nicht« (Helms, 2008, S. 84), warum also ein Song gut ankommt und beispielsweise massenhaft gekauft wird und ein anderer nicht. Helms nennt dies den »blinden Fleck des Systems« Popmusik, der letztlich auch dazu führt, dass es weniger um die musikalischen Details, »sondern nur um die Identität des Songs und des Musikers« (ebd.) geht. Diese Identitäten werden, sobald ihre »Proliferation zusammengebrochen ist, […] immer wieder in das System [Popmusik, Anm. d. V.] zurückgeführt, um Individuation zu bewirken und wiederum in den Prozess der Proliferation zu geraten« (ebd., S. 79f.). Das heißt, sobald ein Künstler und dessen Musik keine Verbreitung mehr erfährt, wird er quasi zum Erbgut der Popmusik und kann bei nächster Gelegenheit in Form eines Revivals nutzbar gemacht werden. Oder seine Individuation und Proliferation waren besonders stark, dann kann es sein, dass er in Beurteilungen und Gesprächen über Popmusik als Referenz dient und darüber weiter das System Popmusik mitbestimmt. An diesen Vorgängen wird deutlich: Das System Popmusik mit all seinen Elementen und Handlungen ist hochgradig selbstreferentiell. Es ist zudem sozial insofern, da seine Mitglieder Bedeutungen Austauschen, weiterentwickeln und weitergeben. Diese Bedeutungen sind in nahezu allen Fällen bereits existent gewesen und werden über Rekombination lediglich erneuert. Im Zentrum des Systems Popmusik stehen damit weder Personen noch Handlungen, sondern letztlich der Austausch von Informationen und Bedeutungen, also die Kommunikation. Der elementare, Soziales als besondere Realität konstituierende Prozeß ist ein Kommunikationsprozeß (Luhmann, 1991, S. 193). 2.5.5 Popmusik als soziale Praxis Popmusik lässt sich auch als soziale Praxis konzipieren. Für Pierre Bourdieu ist soziale Praxis Ausgangspunkt des Handelns, sie bildet gemeinsam mit dem Habitus, dem Feld und dem sozialen Raum »die Grundsteine seiner Sozialtheorie« (Barlösius, 2011, S. 30). Dabei sieht Bourdieu das Konzept sozialen Handelns von Max Weber als einengend, weil es mit einem subjektiv gemeinten Sinn verknüpft sein muss (ebd.). Deshalb betont er, »dass der größte Teil menschlichen Handelns nicht auf rationalen Entscheidungen und Abwägungen basiert [, und] dass die Mehrzahl
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der Handlungen spontan und unmittelbar erfolgt« (ebd., S. 31-32). Auch diesen spontanen Handlungen wohnt ein sozialer Sinn inne. »Nur ist er dem Einzelnen, wenn er seine Handlung vollzieht, nicht oder zumindest nicht gänzlich präsent.« (Ebd., S. 32) Letztlich sind für Bourdieu sowohl rationale Handlungen, »denen eine gedankliche Vorstellung über den Zweck und die Mittel« (ebd.) vorausgeht, als auch solche, die spontan und unmittelbar auf die soziale Praxis reagieren, mit Sinn verbunden. Für den Umgang mit Popmusik leuchtet dies schnell ein, denn ein Großteil popmusikalischer Verhaltensweisen, ob Produktion oder Rezeption geschieht spontan und ist unmittelbar an den Moment des Erlebens geknüpft. Es geht, wie Simon Frith betont, um Gesten, Posen, Verführung und Instinkte und um die dahinterliegenden Bedeutungen (Frith, 2002, S. 205). Um dies zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren, bedarf es das, was Bourdieu ein »Gespür für die soziale Welt« nennt, etwas, das man sich im Prozess der Sozialisation aneignet (Barlösius, 2011, S. 31). Daher ist soziale Praxis nach Bourdieu auch kein von anderen Modi abgrenzbarer sozialer Tätigkeitsmodus, sondern eine Bezeichnung für eine wissenschaftliche Perspektive auf das Alltägliche (Bongaerts, 2007, S. 257). Damit werden »alle sozial relevanten Tätigkeiten eingeschlossen« (ebd., S. 258), egal ob sie intentional, routiniert oder gewohnheitsmäßiges Handeln beschreiben. Um die soziale Praxis der Popmusik zu erfahren, zu begreifen und zu erkennen, bedarf es des Körpers (vgl. Barlösius, 2011, S. 36). Musikalische aber auch visuelle Merkmale der Popmusik sind immer nur körperlich – vor allem über den Tanz (vgl. Brabazon, 2012, S. 23ff.) erfassbar. Blaukopf spricht in Anlehnung an Bourdieu von musikalischer Praxis, zu der musikalische Verhaltensweisen, musikalische Verhaltensmuster und musikalische Verhaltenserwartungen gehören (Blaukopf, 1982, S. 20). Diese musikalische Praxis sieht er als zentralen Gegenstand der Musiksoziologie. Wobei »nicht das So-Sein der musikalischen Praxis, sondern ihr Anders-Werden« (ebd., S. 21) von der Musiksoziologie erklärt werden. Blaukopf betont damit den Veränderungscharakter musikalischer Praxis, der sich letztlich auch in den Konzepten der Aneignung wiederfindet und gerade für die Popmusik, bei der das einzelne Kunstwerk eben nicht im Mittelpunkt steht Relevanz hat. So kann die soziale Praxis Popmusik und deren Veränderungen anhand zahlreicher Indikatoren festgemacht werden, wie exemplarisch an den Fallbeispielen in Kapitel 7 deutlich wird.
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2.6 POPMUSIK – DAS SOZIALE MEDIUM Popmusik kann also auf vielerlei Arten als etwas Soziales betrachtet werden. Ihr Mediencharakter verlangt zudem eine gesonderte Betrachtung des Stellenwerts der Medien für Popmusik, woraus letztlich folgerbar wird, dass Popmusik als soziales Medium konzipiert werden kann. Die enge Verknüpfung von Medien und Popmusik liegt auf der Hand. Nicht nur ist Popmusik ohne Zweifel selbst ein Medium in dem Sinne, dass sie Botschaften, seien es musikalische, textuelle oder ästhetische, vermittelt. Sie spielt darüber hinaus auch eine bedeutende Rolle in vielen denkbaren Formen medialer Repräsentationen. »It is hard to think about popular music without the media, and hard to think about the media without popular music.« (Wall, 2013, S. 152) Für die Kommunikationswissenschaft war Musik dennoch lange Zeit ein eher randständiges Untersuchungsobjekt. »Das Interesse der Kommunikationswissenschaft an Musik steht im umgekehrten Verhältnis zur Bedeutung, die sie in den elektronischen Medien und durch die Schallplatte erlangt hat.« (Ronneberger, 1979, S. 5) Sie kann als eigenes Massenmedium betrachtet werden, obwohl sie gleichzeitig Teil beziehungsweise Inhalt vieler Massenmedien (TV, Radio, Internet, auf einer Metaebene auch Printmedien) ist (vgl. Stummer, 2009, S. 7). Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive gilt Musik als Teil der Medienlandschaft und ist daher gemeinsam mit ihren verbreitenden und anbietenden Institutionen als komplexes »zweckerfüllende[s] Sozialsystem[e]« (Saxer, 1980, S. 532) zu fassen: systemisch, weil Machtverhältnisse und Regeln zentral für sein Funktionieren sind, sozial, weil es in Aushandlungsprozessen zwischen Menschen und Institutionen konstruiert wird. Grundsätzlich ist Musik und besonders Popmusik potenzieller Teil aller Massenmedien (Wall, 2013, S. 153). Sie kommt nicht nur in den audiobasierten Medien Radio oder Fernsehen vor, sondern ist auch relevanter Teil der Presseberichterstattung, wenn beispielsweise über sie in den Feuilletons geschrieben wird oder Charts abgebildet sind. Auch für Fotografie ist Popmusik ein zentrales Thema, wie unzählige Ausstellungen oder Fotobände zu dem Thema beweisen. Zudem spielt Musik im Internet eine zentrale Rolle. 2.6.1 Der Mediencharakter von Popmusik Popmusik selbst kann aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Pointierungen als Medium konzipiert werden. Je nach Ausprägung kann sie beispielsweise im Sinne Harry Pross’ (1972) sowohl als primäres als auch als sekundäres oder als tertiäres Medium in Erscheinung treten (Pross, 1972, S. 110ff.). Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht zählt Musik zunächst zu den semiotischen Kommunikationsmitteln (vgl. Hug, 2010, S. 35). Sie ist ihrem Wesen nach
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also nicht zwingend technisch vermittelt, sondern ein akustisches Zeichen beziehungsweise ein Verbund verschiedener akustischer Zeichen. Theoretisch kann diese reduzierte Sichtweise auch auf Popmusik zutreffen, wenn man von der rudimentärsten Form der Live-Darbietung ausgeht und technisch unbearbeiteten A-CappellaGesang als Pop anerkennt. Diese Popmusikform wäre dann nach Pross als primäres Medium zu charakterisieren (Pross, 1972, S. 10ff.), denn »ein technisches Medium ist für keinen der Kommunikanten notwendig« (Beck, 2010, S. 85). Musik kann jedoch ebenso als sekundäres Medium auftreten, nämlich dann, wenn Künstler sich in einer Live-Situation technischer Hilfsmittel ohne elektroakustische Verstärkung – also Instrumente – bedienen, wie es bei einem sogenannten Unplugged-Konzert der Fall ist. Der Rezipient benötigt dann noch immer keinerlei Technologie (vgl. ebd.), sondern nimmt die den Klangkörpern entspringenden Signale über den auditiven Kanal wahr. Sobald Musik aber elektroakustisch verstärkt wird – und dies ist für Popmusikdarbietungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Regel –, ist sie nach dieser Einteilung ein tertiäres Medium, denn nun benötigen sowohl Künstler (Sender) als auch Rezipient (Empfänger) technische Unterstützung (vgl. Pürer, 2015a, S. 20), z. B. in Form von Mikrofonen, Verstärkern, Lautsprechern oder Kopfhörern. Die Digitalisierung beflügelte auch die Kommunikationswissenschaft und fügte der hier vorgestellten medialen Einteilung eine vierte Medienart hinzu: quartäre Medien (vgl. Faßler, 1997, S. 117; Burkart, 2002, S. 38). Aktuelle Rezeptions- und Distributionsweisen von Musik über das Internet, als Download oder als Stream, fallen in eben diese Medienkategorie, denn nun wird auf Sender- und Empfängerseite nicht nur Technologie, sondern ganz spezifisch auch eine Onlineverbindung benötigt (vgl. Pürer, 2015a, S. 20). 2.6.2 Popmusik als vages Ergebnis sozialer und medialer Handlungen Denkt man über Popmusik aus einer Medienperspektive nach, so macht »[d]er Begriff ›Medium‹ […] nur Sinn, wenn er sowohl die (Einzel-)Medientechnik (z. B. Hörfunk) als eben auch die Interpretations- und Konstruktionshandlungen auf zwei Seiten, der ›Input‹- (Kommunikator am Mikrofon) und der ›Output‹-Seite (Rezipient am Radio), umfaßt« (Neumann-Braun, 2000, S. 29). Popmusik ist also nicht nur selbst ein Medium, sondern – und das ist wohl ihr hervorstechendstes Merkmal – sie wird vor allem medial verbreitet und mediatisiert angeeignet. Stahl (2010) spricht in diesem Zusammenhang auch vom »Medien-Pop« und fasst darunter die durch das Mediensystem, insbesondere den Rundfunk vorgenommene Anpassung der Popkultur von oben, also »das von den Rundfunkanstalten anerkannte und dadurch genormte visuelle und akustische Material, welches ihre Deutungen von Jugendkultur abbildet und auf die alltäglichen Handlungen jugendkultureller Strö-
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mungen einige Schritte zugeht« (Stahl, 2010, S. 315). Hier schimmert die klassische hegemoniale Argumentation durch: Pop wird vereinnahmt vom System, abgemildert, angepasst, aber eben auch gleichzeitig anbiedernd bereitgestellt. Stahl stellt dem »Medien-Pop« jedoch den »Freizeit-Pop« an die Seite. Dieser »bezieht sich auf die Herstellung neuer Zeichen durch die teil- und gegenkulturelle Praxis der Besetzung von Produkterzählungen und deren Einfügungen in die alltägiche Lebenswelt« (ebd.). Das soziale Medium Popmusik wird demnach stets individuell angeeignet. Dennoch müssen seine technischen, systemischen und inhaltlichen Elemente stets mitgedacht werden. Denn die Kommunikationswissenschaft geht seit längerem davon aus, dass Medien nicht mehr nur »hardware- und softwaretechnisches Marktsegment«, sondern vor allem »sozialer Handlungsraum« sind (Faßler, 1997, S. 99). Popmusik ist dafür ein gutes Beispiel. Sie ist soziales Medium, denn sie wird von Menschen für ein Publikum durch soziale Handlungen erschaffen. Über sie werden Inhalte, Emotionen, Ideen kommuniziert und transportiert. »Es wird immer weiter gehn’, Musik als Träger von Ideen.« (Kraftwerk, Techno Pop, 1986) Popmusik bedeutet daher immer auch Kommunikation. »Das, was PopMusik-Rezeption und -Kommunikation ausmacht, ist das aktive Transportieren ihrer verschiedenen Rezeptionsszenen in andere Rezeptionsarenen: Intimes in Öffentliches, Peer-Group-Spezifisches in Gesamtgesellschaftliches, Spielerisches in Subkulturelles und vice versa.« (Diederichsen, 2014, S. XXVII) Dennoch ist Popmusik – noch mehr als Musik – für die Kommunikationswissenschaft eher ein Randphänomen. Besonders Einzelmedien, wie die Schallplatte, befinden sich seit Jahrzehnten publizistikwissenschaftlich im Abseits (Saxer, 1980, S. 531). Dabei ist Popmusik – wie andere Untersuchungsgegenstände der Kommunikationswissenschaft auch – Ausdruck von Kultur und wird – insbesondere, wenn sie eine gewisse Reichweite hat – medial intensiv diskutiert. Häufig kommt es jedoch in den Diskussionen, Bewertungen und Einordnungen zu Missverständnissen, Übertreibungen und Unschärfen (vgl. dazu auch Kapitel 2.7). Denn Popmusik ist ein unberechenbares Medium, dem ein performatives Element innewohnt (Frith, 2002). »Weil Popmusik eine aus vielen Medien zusammengesetzte, posenhafte und oft widersprüchliche soziale Aufführung ist, muss jeder Star damit leben, dass im Kopf der Rezipienten und Fans etwas anderes ankommen kann als das, was möglicherweise intendiert war.« (Edlinger, 2015, S. 107f.) Vielleicht wird Popmusik deshalb häufig eher mit den Kunst- und Theaterwissenschaften in Verbindung gebracht als mit der Publizistik und Kommunikationswissenschaft.
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2.6.3 Popmusik als modernes und bedeutsames Netzwerkmedium Popmusik sollte jedoch, gerade angesichts der durch die Verbeitung von Internet und digitalen Technologien angeschobenen Entwicklung, heute als hochrelevantes soziales Medium Anerkennung finden. Denn in gewisser Weise nahm sie vorweg, was viele erst der Digitalisierung und dem Aufkommen sozialer Netzwerke zuschreiben. So definiert der Techniksoziologe Claus Tully soziale Medien am Beispiel von Computernetzwerken und hatte dabei offensichtlich soziale Netzwerke wie Facebook oder LinkedIn im Sinn. Seine Ausführungen lassen sich aber problemlos auf Popmusik übertragen, die diesen Eigenschaften bereits 50 Jahre vorher gerecht wurde. Denn auch Popmusik »dient dem gemeinsamen Austausch, der Übermittlung von Informationen, Werthaltungen und Gefühlen. [Sie] verbindet Menschen an unterschiedlichen Orten der Welt, die sich noch nie gesehen haben« (Tully, 2014, S. 16). In diesem Sinne ist Popmusik ein modernes Medium, das sich zudem aus sich heraus permanent aktualisiert, neueste Technologien problemlos integriert und damit in seiner Existenz und Relevanz gesichert scheint. Dies umso mehr, da der Stellenwert von Popmusik bei Jugendlichen ungebrochen hoch ist (Hajok, 2013). Sie stellt »ganz besonders in der Adoleszenz ein bedeutendes, da auch alltägliches Medium dar« (Harring, 2013, S. 303). Damit wird sie ein Begleiter des Aufwachsens, mit dem entscheidende Sozialisationserfahrungen verbunden sein können (vgl. bspw. Dollase, 2005; Friedemann & Hoffmann, 2013; Kleinen, 2011, S. 45ff.), wie Kapitel 3 ausführlich darlegt.
2.7 POPMUSIKGENRES Sehr plastisch lässt sich die soziale Verfasst- und Konstruiertheit von Popmusik anhand der Entstehung, Verwendung und Bedeutung popmusikalischer Genres zeigen. Ähnlich wie in anderen Kunst- oder Mediengattungen – beispielsweise Malerei, Fotografie, Literatur, Film oder bei digitalen Spielen – dienen Genres auch in der Popmusik der Orientierung und Einordnung, können jedoch gleichzeitig orientierungslos machen, wenn sie zu flexibel und beliebig angewandt werden. Ein gutes Beispiel ist der Begriff Popmusik selbst, der heute noch immer gerne als Genre missverstanden wird, obwohl doch mittlerweile klar sein muss, dass »Popmusik nichts anderes [ist] als eine technisch rekontextualisierte Musik und somit prinzipiell jede Musikform, die einen ökonomisch rentablen Verbreitungsgrad erreichen kann« (Wicke, 1992a). Daher macht es überhaupt keinen Sinn, »sie auf wie immer auch bestimmte musikalische Charakteristika festlegen zu wollen« (ebd.). Popmusik kann letztlich alles sein, vom Schlager über Volksmusik bis hin zu Thrash Metal oder Dada-Punk. Selbst Klassik, die typische E-Musik früherer Jahre, wird mehr
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und mehr Pop (Krämer, 2011, S. 478ff.) und auch Zwölftonmusik findet via Stockhausen und Kraftwerk den Weg zur industriell hergestellten Ware, ebenso gelten musikalische Avantgardisten wie John Cage heute als wichtige Wegbereiter und Inspiratoren für Popmusiker und gehören damit zum Popmusikkanon. Popmusik als Genre ist demnach zwar eine mögliche Bezeichnung22 für leichter zugängliche Klänge. Da sie aber selbst in der naivsten Verwendung Künstler wie Rhianna, U2, Madonna, The Beatles, Andrew Blake oder Bap über einen Kamm schert, hilft der Begriff kaum bei einer stilistischen Kategorisierung, die ja immer auch Differenzierung verlangt. Aber auch die zahlreichen spezifischeren Genrebezeichnungen helfen unter Umständen nur bedingt weiter und leiten nicht selten in die Irre. Um sich den Genre-Begriffen und deren Verständnis zu nähern sollte man fragen: Wozu dienen popmusikalische Genres? Und: Woher kommen die einzelnen GenreBegriffe? Nach einem Blick auf die allgegenwärtigen Ungenauigkeiten, die zu einer regelrechten Genrekonfusion führen, sollen diese Fragen beantwortet werden. Im Anschluss an einige Beispiele werden Popmusikgenres schließlich als soziale Kontextaggregate konzeptualisiert. 2.7.1 Kanonisierung und Genrekonfusion Auf dem Feld der Popmusik existieren unzählige Genres und Subgenres, wie bereits ein oberflächlicher Blick in einschlägige Literatur (Graves, Schmidt-Joos & Halbscheffel, 2003; Reynolds, 2005), in Musikmagazine (vgl. McLeod, 2001, S. 60) oder eine Recherche im Netz23 deutlich machen. Mit Hilfe von Begriffen wie Rock, Pop, Techno, Rap, Soul, Jazz, Funk oder Blues bildete sich im Laufe der letzten Jahrzehnte ein Kanon über die Verwendungsweisen musikalischer Genrebegriffe heraus. »Ganz allgemein kann die Kanonbildung in der Pop-Musik als Produkt einer diskursiven Konstruktion ästhetischer Wirklichkeit beschrieben werden, bei der professionelle Diskursstifter, etwa Journalisten, nach bestimmten Kriterien, die zumeist nicht musikalischästhetische sind, die besten Platten, Singles, Künstler, Produzenten usw. ausloben.« (Kleiner & Nieland, 2010, S. 697) 22 Auch die Begriffe Pop, Rock oder Pop-Rock sind gebräuchlich, aber letztlich mit Blick auf das Stilistische der Musik inhaltsleer und beliebig austauschbar (vgl. bspw. Regev, 2015, S. 34f.). 23 Neben ausufernden Übersichten auf Wikipedia bieten auch spezialisierte Seiten wie Laut.de, Elixic.de, musicgenrelist.com oder allmusic.com Listen oder Beschreibungen
zahlreicher Genres. Daneben sind Genrebezeichnungen auch als sogenannte ›Tags‹ im Netz verfügbar, beispielsweise bei den Musikangeboten Last FM, Discogs (discogs.com) oder Bandcamp (bandcamp.com).
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Diese Kanonisierung hat oft viel weniger mit objektiven Bewertungskriterien als vielmehr mit (Fan-)Ökonomie zu tun (vgl. ebd.). Leider ist dieser Kanon auch wegen seiner Verknüpfung mit der Popmusikökonomie heute nur noch in Teilen nützlich, denn er hat ein großes Problem: Mit der wachsenden Menge an Popmusik wurden von Musikern, Konsumenten, Produzenten, Journalisten und Marketingabteilungen immer mehr Genrelabels und Subgenres erfunden, deren schiere Menge selbst jene oft überfordert, die sich intensiv mit Popmusik beschäftigen. Die genannten Genres existieren nach wie vor und sie helfen in ihrer Eigenschaft als Archetypen auch, bestimmte musikalische Richtungen zu beschreiben, aber in vielen Situationen wird das Genre-Labelling ungenau und dadurch schnell beliebig. Insbesondere mit Punk und Metal kamen Begriffe hinzu, die zwar zunächst passend erscheinen, jedoch letztlich etwas Idealisierendes mitbrachten, das der Differenzierung nicht immer guttut. Nehmen wir als Beispiele einfach mal Musik von Motörhead und von Iggy Pop. Wo soll oder wo kann man deren Werke einordnen? Ohne allzusehr ins Detail zu gehen, könnte man bei Iggy Pop schnell zwischen Pop, Rock und Punk schwanken, bei Motörhead irgendwo zwischen Punk, Metal und Rock. Hier ergibt sich zunächst ein weiteres Problem. Zuordnungen zu Genres werden oft generalisierend für Künstler vorgenommen. Bands und Interpreten, die im Laufe ihrer Karriere sehr unterschiedliche Musik veröffentlichen, werden hier zum Problem. Anhand einer Übersicht von Wirtz (vgl. Tabelle 2) soll diese Problematik näher erläutert werden. Tabelle 2: Übersicht verschiedener Popmusikgenres Genre
Beschreibung
Interpreten
Subkategorien
Rock
Rockmusik ist eine aus Rock’n’roll entstandene Musikrichtung, die durch harte Gitarrenmusik und dem RockbandCharakter besticht
Linkin Park, Metallica, Rolling Stones, Guns’n’Roses, Iron Maiden, Red Hot Chili Peppers, Green Day, Nirvana, Korn
Rock’n’Roll, Surf, Glamrock, Progressive Rock, Art Rock, Psychedelic Rock, Flower Power, Metal, Heavy Metal, Death Metal/Gothic Metal, Thrash Metal, Black Metal, Hardcore Metal, Metal Crossover, Hard Rock, New Metal, Grindcore, Alternative Rock, Punk, Independent, Grunge, New Wave, Dark Wave, Melody Core
Pop
Popmusik gilt als harmonische und melodische
Madonna, George Michael, Lenny Kravitz,
Pop international, Brit Pop, Instrumental Solisten, Pop Instrumental Bands, New Age
Der Popmusik-Begriff | 117
Unterhaltungsmusik mit einem erheblichen kommerziellen Erfolg
Maria Carey, Elton John, Michael Jackson, Gwen Stefani, Britney Spears
Black Musik
Sehr rhythmische Musikrichtung mit teilweisen melodischen Einflüssen – Musikrichtung ist durch einen großen Anteil an »gesprochenen« Elementen charakterisiert
Whitney Houston, Bob Marley, 50 Cent; Eminem, Sean Paul, Black Eyed Peas, Beyonce, Mary J. Blige, Rihanna
Spiritual/Gospel, Rhythm & Blues, Traditioneller R&B, Blues, Delta Blues/ Country Blues, Classic Blues, City Blues, Blues Rock, Soul, Phillysound, Motown, Contemporary Soul, Funk, Hip Hop, Int. HipHop/Rap, Int. Hip Hop Mainstream, Credible Hip Hop/Hardcore, GFunk, Reggae, Mainstream Reggae, Roots Reggae, Dub, Raggamuffin, Ska, Traditional Jazz/Swing, Bigband Swing
Elektronische Musik
Elektronische Musik bezeichnet eine Musikrichtung die mit Hilfe von elektronischen Geräten (Computer, Synthesizern etc.) produziert wird
Global Deejays, David Guetta, Phats & Small, Lords of Acid, Milk & Sugar, Marshall Jefferson, DJ Tonka
Disco, Dance/Dancepop/Eurodance, Techno, Trance, Acid, House, Vocal House, Drum & Bass/Jungle, Big Beat, Electro/Ambient
Folklore/ Volksmusik
Ist gekennzeichnet durch die musikalischen Überlieferungen eines Volkes – die Musikrichtung vereint dabei die klassische Volksmusik, Tanzmusik und auch Theatermusik
Stefan Mross, Wildecker Herzbuben, Helene Fischer
Deutsche Folklore, Marschmusik, Folk/Folklore, Folk Nordamerika, Folk Irland, Folk Schottland, Folklore Skandinavien, Folklore Frankreich, Folklore Italien, Folklore Griechenland, Folklore Osteuropa, Folklore Türkei, Folklore Russland
Country
Eine USamerikanische Musikrichtung, die
Carter Family, Chat Atkins, Hank Williams,
Mainstream Country, Hillbilly/Bluegrass, Country Rock, Western Swing, Texmex,
118 | Popmusik in Zeiten der Digitalisierung
mit klaren und teilweise sehr direkten Texten Lebensbedingungen von aufzeigt
Johnny Cash, Dolly Parton, John Denver, Keith Urban, Shania Twain, Dixie Chicks
Cajun/Zydeco
Klassik/ Orchester
Klassische Musik ist in vielen Epochen seit dem 15. Jahrhundert anzutreffen und kennzeichnet sich durch den Anspruch an Ernsthaftigkeit und Spezialität (insbesondere im Gegensatz zur Populärmusik)
Wiener Kammerchor, Dresdner Philharmonie, Johann Sebastian Bach, Johannes Brahms, Frédéric Chopin, Georg Friedrich Händel, Joseph Haydn, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Pjotr Iljitsch Tschaikowski
Sinfonische-/Orchestermusik, Kammermusik, Kammermusik mit Harfe, Kammermusik, Streichquartett, Soloinstrument, Chor, Neue Musik/ Zeitgenössische Musik, Geräusch/ Klangmusik, Neoklassik, Neoromantik
Weltmusik/ Crossover
Weltmusik ist die Bezeichnung für eine in den 80er Jahren entstandene Musikrichtung, die insbesondere durch das Crossover von Populärmusik und traditionellen (meist nicht westlichen) Musikrichtung entstanden ist
Leo Fuld (Holland), Gjallarhorn (Finnland), Level 42 (England); Lizzy Mercier Descloux (Frankreich), Loreena McKennitt (Kanada), Marie Boine (Norwegen / Lappland)
Weltmusik, World Beat, Weltmusik Arabien, Weltmusik Afrika, Weltmusik Asien, Weltmusik Südsee, Tango, Samba; Salsa, Calypso, Flamenco/Sevillanas, Nationalhymnen, Klassik-RockCrossover, Klassik-JazzCrossover, Klassik-EthnoCrossover
Quelle: Wirtz (2009, S. 514), Ungenauigkeiten wurden beibehalten.
Genretabellen wie diese finden sich zu Hauf in der Literatur oder im Internet. Sie können verschiedene Quellen haben, die allerdings, wie in diesem Falle auch, nicht immer transparent dargestellt sind. Leider ist diese Art von Übersicht, so schlüssig sie auf den ersten Blick wirkt, weder in der Tiefe noch in der Breite erschöpfend.
Der Popmusik-Begriff | 119
Zudem ist sie voller Fehldeutungen und bei genauerer Betrachtung sogar voller Falschangaben. Das beginnt schon beim Unterschied von oberflächlich betrachtet einschlägigen Stilen wie Pop und Rock. Nach Wirtz ist Rockmusik »eine aus Rock’n’Roll entstandene Musikrichtung, die durch harte Gitarrenmusik und dem (sic!) Rockband-Charakter besticht« (Wirtz, 2009, S. 514). Pop dagegen »gilt als harmonische und melodische Unterhaltungsmusik mit einem erheblichen kommerziellen Erfolg« (ebd.). Bereits jemandem, der sich nur rudimentär mit Musik beschäftigt, sollten hier klare Trennunschärfen und die, letztlich bis hin zur Falschaussage, anfechtbaren Beschreibungen auffallen. Die angegebenen Beispiele und ein Versuch der Einbeziehung angegebener Sub-Genres entlarven die Einteilung schließlich als völlig haltlos. Wo beispielsweise Unterschiede im Gitarrenhärtegrad zwischen Guns’n’Roses und Lenny Kravitz liegen sollen, ist unklar. Ebenso ist unverständlich, wieso die Rolling Stones oder die Red Hot Chili Peppers keine harmonische und melodische Musik machen sollten. Gwen Stefani tritt durchaus mit Rockband auf. Ebenso wie die bekannten Britpop-Vertreter wie Oasis, The Smiths oder Blur klaren Rockband-Charakter haben und ihr musikalisches Erbe in der Rockmusik der 1960er und 1970er Jahre sehen. Darüber hinaus suggeriert die Tabelle, dass Rockbands weniger kommerziell erfolgreich sind als Pop-Acts, was, gerade in Anbetracht der gewählten Beispiele, ebenso in die Irre führt. Die Tabelle verdeutlicht die Probleme beim Prozess der Genrezuweisungen bereits in der Genre-Charakterisierung. Denn während Rock und Black Music zumindest teilweise noch über musikalische Merkmale beschrieben werden, charakterisiert der Autor Pop, Folklore/Volksmusik, Elektronische Musik, Country oder Weltmusik auf einer völlig anderen Ebene, nämlich anhand des Erfolges (Pop), anhand der Wurzeln und Einflüsse (Folklore/Volksmusik, Weltmusik), durch die Verwendung bestimmter Geräte beziehungsweise Instrumente (Elektronische Musik) sowie anhand der georgrafischen Herkunft (Country). Dazu kommt, dass die Tabelle vielen aktuellen Künstlern womöglich gar keine Genreheimat bieten würde. Was ist mit The XX, Anohni oder Björk? Sie alle verwenden elektronische Geräte zur Erzeugung von Musik, werden jedoch eher mit dem Begriff Indie beschrieben, der auf ein ökonomisches und künstlerisches Selbstverständnis hinweist, als mit dem Label Elektronische Musik. Die Bezeichnungen von Popmusikgenres basieren also auf völlig unterschiedlichen Ebenen der Betrachtung. Mal beziehen sie sich dezidiert auf bestimmte musikalische Merkmale (Ska, Reggae), mal ist es die Herstellungsweise (Elektronische Musik), mal geht es um Herkunft (Balkan Beat), mal um (gewünschten oder erzielten) kommerziellen Erfolg (Pop) oder um die Einstellung zum Musikbusiness (Indie24). In einigen Fällen sind es konkrete literarisch-ästhetische 24 Der Begriff Indie ist die Kurzform von Independent und wurde in den 1990er Jahren vor allem als Indie Rock populär. In der einfachsten Definition bedeutet er: »not produced by a major record label […] or one of ist affiliates« (Hibbett, 2005, S. 57). Durch die Vermi-
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Vorlagen, die Pate stehen (Gothic), manchmal einzelne Worte mit spezifischen Bedeutungen (Punk, Metal) und manchmal sind es abstrakte Begriffe, die sich zu Popmusikgenres entwickeln (Wave25). Es ist nicht zuletzt diese, den Bezeichnungen und Zuordnungen zugrundeliegende Vielfalt an Faktoren und Quelle, die einer Genrekonfusion Vorschub leistet. Genres werden niemals nur anhand musikalischer Mittel konstruiert. Begriffe wie Plastic Pop, Indie, Witch House, aber auch schon Punk zeigen vielmehr, dass häufig eher Image, Optik und Konnotationen eine entscheidende Rolle spielen. Hinzu kommt noch die Nutzung verschiedener Begriffe für Musik ein und desselben Künstlers oder ein und derselben Gruppe. Während beispielsweise typische 1980er Jahre Gruppen wie A Flock Of Seagulls, Soft Cell, Depeche Mode oder Talk Talk von Spöttern beziehungsweise von eher Rockmusik affinen Menschen gerne als Plastic Pop verunglimpft werden, nennen Fans synthetischer Klänge das Ganze Synthie Pop und diejenigen, die eher das etwas glamouröse, teilweise bizarre Image dieser Gruppen faszinierend finden, bevorzugen den Begriff New Romantic. Auch die Popmusikgeschichte spielt als Begriffslieferant und wichtiger Bezugsrahmen immer wieder eine bedeutende Rolle für die zunehmende Genrekonfusion. Genres und Genrebezeichnungen sind sozialhistorisch geprägt, unterliegen also zeitlichen Veränderungen. So passiert es nicht selten, dass sich Begriffsbedeutungen so stark wandeln, dass es zu Verwirrungen kommen kann. Beispielsweise stand der Beat in den 1960ern für Musik von Bands wie den Beatles. Heute findet man unter »Beat(s)« im Plattenregal oder online Musik, die elektronisch erzeugt und taktlastig ist26 und kaum weiter entfernt sein könnte vom Beatsound der 1960er Jahschung musikalischer Merkmale mit elektronischen Stilen wird mittlerweile meist nur noch von Indie gesprochen. Heute wird der Begriff, wie andere Genrebegriffe nicht selten auch, gewissermaßen irreführend und konträr zu seinem eigentlichen Anliegen, als Marketingwerkezeug benutzt (vgl. ebd., S. 73ff.; Anderton et al., 2013, S. 33). 25 Wave ist eines der abstraktesten Popmusik-Genres. Der Begriff wird für äußerst unterschiedliche Musik verwendet. Wave wird häufig innerhalb der Schwarzen Szene oder Gothic Szene (vgl. dazu Schmidt & Neumann-Braun, 2004) als Subgenre angeführt, jedoch selbst in diesem Rahmen äußerst divers genutzt. Für die einen ist es schlicht die Verkürzung von Dark Wave und damit die konsequent elektronische Fortsetzung von New Wave (Platz, Nym & Balanck, 2010, S. 150), für die anderen fallen auch gitarrenorientierte Bands wie The Cure darunter (Musch, 2010, S. 267). Aktuell zeichnet sich Wave durch eine neue Uneindeutigkeit aus, denn es existieren zahlreiche, teilweise absurd anmutende Subgenrelabels, die sich den Begriff zu eigen machen (vgl. Bandcamp Daily, 2016a). Auch ein Hamburger Label namens wavemusic (www.wavemusic.de) nutzt den Begriff, unter anderem auch für seine Samplerreihe. Es ist musikalisch und ästhetisch jedoch völlig anders ausgerichtet. 26 Vgl. beispielsweise den Onlineversand deejay.de
Der Popmusik-Begriff | 121
re. Ähnliche Probleme treten bei Genres wie Industrial oder Post Punk auf und auch der heute wieder häufig verwendete Begriff Hipster, der in manchen Kreisen als Genrebegriff »Hipster Musik«27 Verwendung findet, beherbergt durchaus Verwechslungspotenzial, da er zwei verschiedene Dinge bezeichnet (vgl. Kapitel 7.5). Genrebezeichnungen sind also nicht nur unpräzise, sondern sie werden in einigen Fällen auch mehrdeutig und damit schwieriger nutzbar. Letztlich kann dies zu einem Verschwinden bestimmter Begriffe führen, genauso aber zum Streit um Deutungshoheiten und zur Desorientierung. 2.7.2 Popmusikgenres als sozial und kulturell hergeleitete Marketingwerkzeuge Beschäftigt man sich ein wenig mit der Zuordnung und Ausdifferenzierung popmusikalischer Genres, stellt man schnell fest, dass sie aufgrund der Beliebigkeit der Betrachtungsebenen insgesamt sehr wenig eindeutig funktionieren. Stattdessen sind sie ungemein dehnbar, flüchtig und häufig sehr ungenau. Genres sind dennoch ein zentraler Baustein popmusikalischer Diskurse. Ohne sie wären Zuordnungen, Abgrenzungen und überhaupt die Kommunikation über Popmusik unmöglich. Um ein Verständnis für Genrebegriffe zu entwickeln muss sich der Fokus auf deren Entstehung richten. Genres bedeuten in der Popmusik heute niemals nur eine Musikrichtung im Sinne einer bestimmten musikalischen Verfasstheit. Sie geben zwar in vielen Fällen auch Hinweise darauf, was zu erwarten ist, beispielsweise ob die Musik schnell, langsam, elektronisch, tanzbar, komplex, eher bekannt oder eher unbekannt ist. Genrebegriffe beinhalten jedoch deutlich mehr Referenzen, die oft nur von Eingeweihten entschlüsselt werden können. Genrebezeichnungen sind soziale Aussagen, die mit Musik verknüpft sind. Das heißt, sie stehen im Zweifel auch für bestimmte Verhaltensweisen, Kleidungsstile, politische Einstellungen oder Umgangsformen, die auf mit diesen Begriffen beschriebenen Veranstaltungen zu finden sind. Genres sind unabdingbar für den Umgang mit dem persönlichen Musikgeschmack und Ankerpunkt für individuelle Zuordnungs- beziehungsweise Abgrenzungsprozesse. »Musik setzt in ihrer Symbolik bzw. Ausgestaltung stets auch immer eine kategorisierende Sozialkomponente frei. Die Zuwendung zu bestimmten Musikstilen und insbesondere zu den jeweiligen Interpreten geht nicht selten mit einer ästhetisch (sic!), ethischen, politischen oder
27 Napster (2017) bietet beispielsweise eine Playlist an, die »Hipster Musik« enthält. Auf Last FM (2017) findet man eine kurze Beschreibung dieses Begriffes und Webseiten wie Hipster-Stuff (2017) erklären ebenfalls, was genau unter dieser Musikrichtung zu verstehen ist.
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moralischen Selbst- oder Fremd-Zuordnung dieser Person, die jene Präferenz aufzeigt, einher.« (Harring, 2013, S. 304)
Popmusikgenres sind daher immer auch als Codes zu lesen, über die Prozesse der Identifikation und Distinktion mit bestimmten Künstlern, Veranstaltungen und Gruppen funktionieren. Es ist wichtig, diese Codes zu verstehen, denn nicht selten kommt es aufgrund postmoderner Stilbegriffsvielfalt heute zu Missverständnissen im Umgang mit Popmusik. Genres dienen letztlich der Positionierung und Referenzierung von Musik und deren Künstler. Das heißt, Genres sind als Ordnungswerk in Plattenläden, Onlinestores, Radios, bei Streamingdiensten und im heimischen Plattenregal oder der digitalen Ordnerstruktur nicht wegzudenken. Sie sind Grundlage zahlreicher Diskussionen, Gespräche und journalistischer Beiträge. Sie helfen bei der Zuordnung und Abgrenzung neuer und alter Musik und bei der Orientierung in der Club-, Festivalund Konzertlandschaft. Ohne Frage sind sie zudem – und das vielleicht in erster Linie – Marketingwerkzeug. Wie Negus (2005, S. 24ff.) und auch Krämer (2011) darlegen, können Genres der Popmusik zunächst vor allem als von der Musikindustrie induzierte Orientierungsmarker gelesen werden. In Verbindung mit dem Starsystem und den Medien dienen sie als wichtige Vermarktungshilfen, gewissermaßen als Meta-Institutionen, die einen Kanon etablieren, an dem sich Kritiker und Fans abarbeiten. »Genres can be seen themselves not only as stylistic types, but also as bundles of institutions, sorts of meta-institutions that structure the musical field as a whole.« (Ebd., S. 484) Diese ökonomische Sichtweise macht vor allem die Marketingabteilungen der Plattenfirmen und Labels (vgl. dazu Kapitel 5.3) für die Prägung von Genrebegriffen verantwortlich. Aus der Perspektive der Musikindustrie sind Genres zentrale Kategorien, die helfen, den mannigfaltigen Unsicherheiten des Marktes zu begegnen (vgl. Negus, 2005, S. 47ff.). »[G]enre provides a way of linking the question of music (what does it sound like?) to the question of its market (who will buy it?).« (Ebd., S. 47) Dennoch, so Negus weiter, ist der Prozess der Genreentstehung weit davon entfernt unidirektional und eindimensional zu sein, wie dies Theorien unter dem Schlagwort »Kulturindustrie« (Horkheimer & Adorno, 1944/2011, S. 128ff.) nahelegen. Standardisierung und serielle Produktionsweise sind zentrale Merkmale der Popmusikindustrie. Dennoch sind bei der Produktion eines Kulturgutes wie Musik auch andere Dynamiken am Werk. »[M]y point is that any attempt to study the ›production of culture‹ needs to do more than understand culture as a ›product‹ that is created through technical and routine processes and institutionalized practices.« (Negus, 2005, S. 20) So werden Genres, auch wenn sie aus ökonomischer Sicht letztlich den Verkauf von Musik steuern sollen, eben nicht einfach frei erfunden. Vielmehr sind sie, selbst wenn sie von Seiten der Musikindustrie über deren mediale Kanäle lanciert werden – was bei weitem nicht immer der Fall ist – Ergebnis der
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sozialen und kulturellen Verfasstheit von Popmusik. Das bedeutet: Zufall, Experimentierfreude, die Art und Weise der Aneignung und nicht zuletzt individuelle Erfahrungen, der am Prozess der Herstellung von Popmusik beteiligten Akteure, spielen eine wichtige Rolle bei der Genrekonstruktion und dabei, welche Begriffe sich in welcher Weise durchsetzen oder etablieren. Diese individuellen Erfahrungen sind beispielsweise bestimmte Erlebnisse bezüglich des Umgangs mit Klassen oder Milieus, persönliche Erfahrungen mit verschiedenen Ethnien oder mit Geschlechterproblematiken. Aber auch der Ort, die Region oder das Land, an dem ein musikproduzierendes Unternehmen sitzt, haben Einfluss auf diesen Prozess (ebd., S. 20f.). Für Negus ergeben sich die »genre cultures« (ebd., S. 29) aus dem Zusammenspiel von Medien- und Musikindustrie, Hörer- und Fanaktivitäten, Musikernetzwerken und Popmusikgeschichte. »[G]enre cultures are shaping the music business as much as the music business is shaping the meanings of genres.« (Ebd., S. 30) Dabei sollten wir uns davon verabschieden, dass ein popmusikalisches Genre homogen klingt. Denn es ist, genau wie bei anderen Kunst- und Mediengattungen auch, nicht nur der Inhalt – in diesem Fall also die musikalische Verfasstheit –, der das Genre ausmacht. Sondern es sind sehr häufig Kontextvariablen wie das pophistorische Erbe, das Aussehen und Auftreten von Bands oder deren Fans, die geografische Herkunft der Musik, das Label, auf dem bestimmte Musik erscheint, der Club, in dem bestimmte Bands auftreten oder in dem deren Repertoire gespielt wird oder manchmal gar einzelne Veröffentlichungen, die Genres begrifflich konstituieren und auf die stets referiert wird, wenn es zu Diskussionen oder Vergleichen kommt. 2.7.3 Genreherleitung Grundsätzlich können sich Genres für Kunst- und Medienformate jeweils sehr unterschiedlich herleiten und funktionieren in diesem Sinne auch sehr verschieden. Bei der Malerei, aber auch in der Fotografie rekrutiert sich das Genre zum Beispiel häufig aus dem Motiv, also dem Inhalt des Bildes. Es gibt Bezeichnungen wie Landschaftsmalerei oder Aktfotografie. Aber auch die Technik kann eine Rolle spielen und führt letztlich zu Sub- oder Spezial-Genres in beiden Gattungen, zum Beispiel Schwarz-Weiß-Aktfotografie oder Aquarell-Landschaftsmalerei. Literatur wiederum teilt sich klassisch in eigene übergeordnete Gattungen – Lyrik, Dramatik, Epik – und dazugehörige Genres wie Ballade, Komödie oder Roman ein. Hier rührt die Genrebezeichnung sowohl von den konkreten Inhalten als auch von der Art des Schreibens oder von eher technischen Variablen wie der des Umfangs eines Werkes her (vgl. dazu ausführlich Zymner, 2010). Bei digitalen Spielen begründet sich eine Kategorisierung oft aus der Art der Nutzung oder des Ablaufs – Actionspiel, Rollenspiel – jedoch können auch hier an-
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dere Variablen, beispielsweise technisch bedingte Darstellungsweisen – 3DShooter, Sidescroller, Third-Person-Action-Adventure – oder das Setting – Horroradventure, Sci-Fi-Shooter – eine Rolle spielen, besonders, wenn es darum geht, die grundständigen Genres in weitere Sub-Genres einzuteilen oder marktgerechte neue Genres zu kreieren. Dazu gibt es vor allem bei digitalen Spielen zahlreiche GenreMischformen.28 Auch die Namen von Popmusikgenres können sich aus Technologienutzung (Elektronische Musik), Rezeptionsweisen (Dance Music) oder inhaltlich-ästhetischen Komponenten (Blues) speisen. Darüber hinaus existieren jedoch zahllose weitere Quellen für deren Benennung, die sich aus der komplexen Verwobenheit von Popmusik und Gesellschaft ergeben. Fabbri (1981) nennt fünf Kategorien, nach denen sich Genres konstituieren (vgl. Wall, 2013, S. 202f.): • Formale und technische Regeln, die Musikaufnahmen und Live-Performance be-
stimmen • Semiotische Regeln, die die Art und Weise der Interpretation von Musik be-
stimmen • Verhaltensregeln oder Rituale, die Auftritte von Künstlern, die Verhaltensweisen von Intermediären und die Reaktionen des Publikums bestimmen • Soziale und ideologische Regeln, die bestimmen, wofür die Musik steht • Kommerzielle und juristische Regeln, die Anerkennung und kritische Bewertungen innerhalb der jeweiligen Genrekultur bestimmen Hier zeigt sich deutlich, dass Genres neben der musikalischen Komponente vor allem aus Kontextkategorien bestehen. Sie vereinen die musikalische Leistung mit deren Deutung und Bewertung sowie mit entsprechenden Verhaltensweisen. »[G]enres are far more than types of music but ways of understanding what music is.« (Ebd., S. 203) Entsprechend vielfältig ist die Herkunft von Genrebegriffen in der Popmusik. 2.7.3.1 Popmusikgeschichte erschafft und verändert Genres Eine bedeutende Rolle für Genrebezeichnungen spielt die Popmusikgeschichte. Viele Genres sind beispielsweise an bestimmte pophistorische Epochen gebunden. So ist Rock’n’Roll typisch für die 1950er Jahre, Beatmusik ein integraler Bestandteil der 1960er, Disco und Punk stehen für die 1970er und Techno gilt als ein Produkt der 1990er Jahre, auch wenn die Anfänge deutlich weiter zurückreichen. Viele dieser Genres existieren nach ihrem jeweiligen kommerziellen beziehungsweise kulturellen Höhepunkt weiter, verlieren jedoch an Relevanz oder entwickeln sich, nicht 28 Für eine Genrediskussion bei digitalen Spielen vgl. Fritz (1997) oder weiterführend Seifert (2007, S. 14ff.).
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selten auch begrifflich, weiter. So findet man heute beispielsweise den Begriff Techno nicht mehr so häufig wie noch in den 1990er Jahren. Stattdessen gehen junge Leute auf Electro-Partys, obwohl dies musikästhetisch kein wirklicher Unterschied ist, beide Genres sind beatlastig, tanzzentriert, werden elektronisch erzeugt. Meist referenzieren Produzenten, Fans und Veranstalter auch eher auf Subgenres wie House, Acid, Jungle oder Drum’n’Bass, die detaillierter beschreiben, was musikalisch vom jeweiligen Produkt zu erwarten ist. Electro ist – wie seinerzeit Techno – eher als Oberbegriff zu verstehen. In den Clubszenen großer Metropolen erfährt der Technobegriff selbst wiederum seit einigen Jahren ein Revival. Nicht zuletzt, weil sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass diese Musik und die daran geknüpften kulturellen Erscheinungen wie die Loveparade, historisch bedeutsam waren, sich also eine Art positives Geschichtsbewusstsein etabliert hat, das nicht selten auch politische und gesellschaftliche Rahmenbedinungen mit einbezieht.29 Die Bindung an historische Kontexte wird hier von dem überlagert, was Heidingsfelder »Retrolologie« (2012a) nennt, also der Fixierung des Popdiskurses auf die Vergangenheit. Denn »[W]ie in anderen kulturellen Feldern wird auch in der Popmusik mit ausreichend Zeitabstand fast jede Stilepoche irgendwann reif für eine Neubetrachtung.« (Weber, 2015, S. 27) Diese Neubetrachtung heißt dann nicht nur, dass Altbekanntes wiederveröffentlicht wird, sondern dass neue Künstler unter alten Genre-Labels vermarktet werden. Da aber Produktionstechnik und Songwriting aufgrund des Zeitabstandes verändert sind, erfahren die ehemals fix geglaubten Genrebegriffe damit, je nach Perspektive, eine Erweiterung oder eben eine Verwässerung. Beispiele dafür sind der Neo Glam Rock von The Darkness (ab 2000), das Andocken von Gruppen wie The Strokes (ab 1998) oder The White Stripes (19972011) an den Low-Fi-Sound der 1960er und 1970er oder die Wiederentdeckung eines Genres wie Italo Disco ab etwa 2010, das ein Update durch neuartige Sounds erfährt aber eben dennoch klare Verbindungen zum Originalgenre der 1980er aufweist. Popmusikgeschichte ist heute die wohl vielfältigste und bedeutendste Herkunft für Popmusikgenres. Bezeichnungen beziehen ihre Namen oft einfach aus bereits existenter Musik. Wenn klar ist, dass die Musik klingt »wie damals die Band XY« ist es logisch und konsequent, ähnliche Genrebezeichnungen dafür anzuführen. Häufig wird in diesem Fall auch mit bestimmten Vorsilben, beispielsweise »Neo« oder »New« gearbeitet, um den Unterschied zum klassischen dennoch anzuzeigen. Ob dann musikalisch und kulturell Ähnliches in dem bezeichneten Stil enthalten ist, wie bei seinen vermeintlichen Ahnen, ist nur für den Einzelfall zu entscheiden und aus einer Aneignungsperspektive sowieso hochgradig subjektiv. Denn wer will behaupten, das The Darkness Album »Permission to Land« (2003, Atlan29 Medial transportiert wird dieses neue Geschichtsbewusstsein von Buchveröffentlichungen wie ›Als Wir Träumten‹ (Meyer, 2006) oder ›Der Klang der Familie – Berlin, Techno und die Wende‹ (Denk & von Dühlen, 2012) oder Filmen wie ›Berlin Calling‹ (2008).
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tic) klinge nach Kiss oder das The Strokes Album »Is This It« (2001, Rough Trade) sei ein Abziehbild von Veröffentlichungen von The Velvet Underground oder The Ramones.30 Ohne Frage liegen da Welten dazwischen. Andererseits: Parallelen in Sound und an einigen Stellen auch in der Darbeitung sind deutlich zu erkennen. Dadurch erscheinen sie gerade im Rückblick weniger originell und werden nicht von allen ernst genommen (vgl. Reynolds, 2011, S. 267-275). Aber »dass eine ästhetische Praxis, ihrer Form und ihrem Inhalt nach, im Zuge des historischen und technischen Fortschritts ihre Aura einbüßen kann, weil sie nachgeahmt wird, das ist eigentlich ein alter Hut […]« (Adam, 2015, S. 35). 2.7.3.2 Popgeografie als Quelle für Popmusikgenres Ein weiterer Faktor, der Genrebezeichnungen stark beeinflusst, ist die geografische Herkunft von Künstlern. Orte und Regionen sind zentrale Ankerpunkte für den Umgang mit Popmusikstilen. Nicht selten konstruieren Genres im Gegenzug geografische Zusammenhänge neu (vgl. dazu im Überblick Stokes, 1996). »Auch dass Musikstile mit bestimmten Orten verknüpft werden, ist ein Standardphänomen in der Musikgeschichte: Merseybeat, Seattle-Sound, Manchester-Rave, Italopop und viele andere Labels sind über die Jahrzehnte entstanden, um mehr oder weniger treffend aktuelle Musik auf einen lokalen Nenner zu bringen.« (Weber, 2015, S. 27)
In manchen Fällen kann sich dies direkt auf die Bezeichnung für ein Genre niederschlagen. Beispielsweise etablierte sich der Begriff Madchester in Anlehnung an die britische Stadt Manchester als Klammer für eine dort, Mitte der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre, aufkommende Musikrichtung. Musikalisch verbanden Vertreter wie The Happy Mondays, The Stone Roses, 808 State, in Teilen – und zu bestimmten Zeiten – auch New Order, Indie-Rock mit psychedelischen und elektronischen Elementen, die nicht selten dem zu dieser Zeit ebenfalls populären Acid House entlehnt waren. Zentraler Ort für Entstehung und Entwicklung dieses Stils war der berühmte Hacienda Club in Manchester. Madchester ist zudem ein gutes Beispiel dafür, dass Popmusikgenres als Ordnungssysteme keinesfalls auf musikalischen Gemeinsamkeiten beruhen müssen. So sind diesem Genre eher rocklastige, Gitarrenmusikgruppen wie Inspiral Carpets, aber auch elektronische Acts wie A Guy Call Gerald zuzuordnen. Die Klammer bildet also die geografische Herkunft und nur teilweise die ähnlich klingende und erzeugte Musik. In anderen Fällen geografischer Genreherleitung lässt sich die Herkunft nicht direkt am Namen ablesen. So bezieht sich die Bezeichnung No Wave auf Musik, die sich um 1980 herum als Gegenentwurf zu New Wave aus der New Yorker 30 Genannte Bands werden neben anderen immer wieder als Inspiration des Retro-Sounds der Begründer der neuen Post Punk-Welle genannt (vgl. bspw. Ihle, 2009).
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Punksubkultur herausschälte. Die Musik war nihilistisch wie Punk, aber ungleich experimenteller in der Verwendung musikalischer Mittel. So wurden von Vertretern wie Lydia Lunch, James Chance oder Suicide durchaus auch atonale Klänge und Elemente des Jazz, Funk oder Blues verarbeitet und auch neue Technologien wie Drummachines oder Synthesizer einbezogen. Obwohl es auch an anderen Orten ähnliche Musik gab, verweist No Wave explizit und exklusiv auf Künstler aus New York zu dieser Zeit. Auch beim Grunge ist die Region am Namen nicht ablesbar. Grunge ist eine andere Bezeichnung für den Seattle-Sound, der über die Musik hinaus das Genre auch kulturell und ästhetisch einbettete. Wie beim Grunge können Orte und Regionen Stile und Genres hervorbringen, die sich dann global verbreiten. Sie können jedoch auch namentlich genutzt werden, um die Spezifik eines Genres zu schärfen, das in ähnlicher Form auch woanders existiert, beispielsweise im Falle von UK Punk oder Swedish Death Metal, die für Kenner auf ganz bestimmte Musik beziehungsweise Künstler verweisen und andere, trotz ähnlichem Klang und Erscheinungsbild explizit ausschließen. Oft sind diese Bezeichnungen eng mit einer gut funktionierenden Szene vor Ort verknüpft, beziehungsweise sie leiten sich daraus ab. Die Bindung von Genrebezeichnungen an Regionen kann soweit führen, dass Musiker, die nicht aus der ›richtigen‹ geografischen Region stammen, von Puristen auch dann nicht dem Genre zugeordnet werden, wenn sie musikalisch und ästhetisch starke Ähnlichkeiten aufweisen. So werden Bands wie Tuxedomoon, die musikalisch durchaus dem No Wave nahestehen, nicht zu diesem Genre gerechnet, weil sie von der Westküste der USA kommen und daher mit der New Yorker Szene nichts zu tun haben. Ähnlich verhält es sich im Genre Cold Wave. Dies ist exklusiv auf Frankreich respektive den französischen Sprachraum begrenzt. Englische, Deutsche oder Schweizer Gruppen, die ähnlich klingen, firmieren meist unter Genrelabels wie Wave, Gitarren Wave oder werden anderen lokalen Genrebezeichnungen wie der Neuen Deutschen Welle (NDW) zugeordnet. Bei belgischen Bands streiten sich Fans und Kritiker um die Zuordnung. Andererseits kann die Genregeografie auch dazu führen, dass Künstler ungerechtfertigt in einem Genre verortet werden, weil ihre Herkunft die musikalischen Unterschiede gewissermaßen überschreibt. Dies trifft auf viele deutschsprachige Projekte anfang der 1980er Jahre zu, die der Neuen Deutschen Welle zugerechnet werden, weil sie zeitlich und geografisch in das Schema passen obwohl sie letztlich andere musikalische Wurzeln und Ideen hatten. Beleg dafür sind Beiträge von Falco oder Rio Reiser auf entsprechend benannten Samplern.31
31 Der Sampler ›NDW – Die Vierte‹ (1992, Polyphon) enthält jeweils von beiden einen Song. Im Falle von Falco ist darüber hinaus vielsagend, dass er nicht nur auf zahlreichen NDW-Samplern auftaucht, sondern auch auf Samplern, die Genrebezeichnungen wie Austro Pop, Disco, Pop, Dance, Rock, Schlager und sogar Italo Disco als Musikrichtung
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2.7.3.3 Weitere Genrequellen: Ästhetik, Labels, Clubs, Veröffentlichungen und Kritiker Eine weitere typische nichtmusikalische Quelle für Genrebezeichnungen ist das Auftreten von Fans und Bands. Die sogenannten New Romantics sind ein Beispiel dafür. Diese Bezeichnung wurde zunächst als Beschreibung für die Anhänger von Bands genutzt, die nach Abebben der Punkwelle zu Beginn der 1980er Jahre häufig synthesizerbasierte Musik spielten. Nach und nach manifestierte sich der Begriff New Romantic auch als Stilrichtung. Als Vertreter gelten gemeinhin Depeche Mode, Soft Cell oder Ultravox. Labels sind wichtige Aggregatoren der Musikindustrie und so verwundert es kaum, dass auch sie stilprägend, im Sinne von namensgebend für ein Genre, wirken können. Ein Beispiel dafür ist das 1959 in Detroit gegründete Label Motown, das mit Künstlern wie The Supremes, The Marvelettes oder den Temptations speziell in den 1960er Jahren so erfolgreich wurde, dass es einen ganzen Stil prägte. Ähnliches gilt auch für das kleine New Yorker Label Minimal Wave. Seit 2005 werden dort viele, meist sehr seltene synthesizer-basierte ›Underground‹-Veröffentlichungen der 1980er Jahre neu aufgelegt. Damit stülpte das Label einer bestimmten Form von Popmusik, die bis dahin gemeinsam mit weltweit bekannten Vertretern wie Depeche Mode, Pet Shop Boys oder Erasure meist unter dem Namen Synthie Pop reüssierte, einen neuen Begriff über und half dabei, diese Musik spezieller zu machen, also stärker vom ›Mainstream‹ abzugrenzen. Dass auch Clubs Genres prägen können, zeigt nicht nur das bekannte Warehouse in Chicago, das Pate für den Begriff House stand (Rietveld, 1998), sondern auch das Batcave in London. Letzteres wurde 1982 gegründet und entwickelte sich schnell zum Treffpunkt der aufkeimenden Gothic Kultur. Künstler, die im Club auftraten, die ihn besuchten, deren Musik dort gespielt wurde, ordnet man heute nicht selten in das gleichnamige Genre. Zur Verfestigung des Begriffes trugen auch der Sampler »Batcave: Young Limbs And Numb Hymns« (1983, London Records) sowie diverse Veröffentlichungen von Bands wie den Specimen oder Alien Sex Fiend bei, in deren Titel das Wort Batcave auftauchte. Dass Veröffentlichungen Paten für Genrenamen sind, ist keine Seltenheit. So wurde aus dem Sampler »The Best Of Italo-Disco« (1983, ZYX) ein eigenständiges Genre (vgl. Kringiel, 2010), ebenso wie aus der zweiten Plattenveröffentlichung der englischen Band Venom, die den Namen »Black Metal« (1982, Neat) trug. Für die Begründung neuer Genrebezeichnungen oder die Zuordnung einer Band zu einem Genre genügt oft ein einflussreicher journalistischer Artikel. So geschehen beim Genre Post-Rock als dessen Taufvater Simon Reynolds gilt (vgl. Bandcamp Daily, 2016b), weil er den Begriff mutmaßlich als erster nutzte (Reynolds, angeben und dies teilweise mit den gleichen Songs. Hier zeigt sich in höchstem Maße die Relativität und Flexibilität von Popmusikgenres.
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1994a; 1994b), oder auch bei der Bezeichnung Neue Deutsche Welle, die der Verleger Alfred Hilsberg (1979) in einem Sounds-Artikel einführte, mutmaßlich inspiriert durch einen Fanzine-Artikel des Beuys-Schülers Jürgen Kramer (Schneider, 2008, S. 12). Wie anhand der Beispiele deutlich wird, sind es häufig Zufälle, gepaart mit größeren oder kleineren musikalischen, kulturellen oder technischen Neuerungen, die dann kommunikativ verwertet und medial verfestigt werden und so schließlich zu neuen Genrebezeichnungen führen. 2.7.3.4 Die Unübersichtlichkeit popmusikalischer Genrewelten Auf dem Feld der Popmusik kann seit den 1980er Jahren von einer regelrechten Genre-Explosion gesprochen werden. Der Punk, der Ende der 1970er Jahre für eine Neuformierung der Popmusik verantwortlich zeichnete und in dessen Schatten die facettenreiche Indie-Kultur zum Leben erwachte, kann hier als Wende hin zu einer stärkeren Fragmentierung und damit zu einer postmodernen Phase der Popmusik gelten (vgl. auch Longhurst, 2002, S. 111ff.). Besonders der Einsatz elektronischer Elemente führte zu derart vielen Variationsmöglichkeiten, dass selbst Kenner kaum noch den Überblick behalten können und es nahezu unmöglich ist, in jedem Genre das nötige Orientierungswissen zu erlangen. Metal, Rock, Punk, HipHop oder Elektronische Musik wurden zu Oberkategorien ihrer vielen Spezialsegmente und können kaum noch als eigenständige, wirklich aussagekräftige Stilbeschreibungen gelten. Vielmehr differenzierten sie sich mit der Zeit aus und integrierten neue musikalische oder ästhetische Elemente. So entstanden Subgenres. Das Problem der Subgenres jedoch ist, dass nur wirklich Eingeweihte sie verstehen. Für Außenstehende erscheinen selbst die Metal-Subgenres32, die vermutlich zu den eher transparenteren gehören, kryptisch und undurchringbar. Dass die großen GenreArchetypen trotz der Masse an Subgenres weiterhin Verwendung finden, liegt an ihrer Etablierung im popmusikalischen Diskurs. Sie werden, im Gegensatz zu spezielleren Genrebegriffen wie Cold Wave, Post-Rock oder Crust Punk von einer größeren Menge Menschen verstanden, zumindest in dem Sinne, dass sich jeder irgendetwas darunter vorstellen kann. Es ist also nicht so einfach mit den Genres der Popmusik, wie man oberflächlich meinen möchte. Popmusikalische Genres werden sozial, medial und im Austausch mit der Musikindustrie konstruiert. Sie entstehen nicht von alleine und auch nicht in akademischen Diskursen. Um ihre Entstehung, Manifestation und Nutzung zu verstehen ist eine Auseinandersetzung mit den ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen notwendig (vgl. Frith, 2002, S. 88f.). In der Folge soll die Komplexität der Genregenese, der Benennung und Bedeutung von Genres innerhalb der Popmusik anhand von drei Beispielen erläutert werden. Dabei werde ich insbeson32 Black Metal, Death Metal, Thrash Metal, Speed Metal, Gothic Metal usw. (vgl. auch Helsper, 1998)
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dere auf Begriffe eingehen, die streitbar sind und die in dieser Arbeit auch an anderen Stellen immer wieder eine Rolle spielen und damit ohnehin einer genaueren Betrachtung bedürfen. 2.7.3.5 Post Punk Einer der schillerndsten Begriffe der letzten Jahrzehnte ist der des Post Punk, vielfach auch Postpunk oder Post-Punk geschrieben. Als Genrebegriff bezieht er sich in der Tradition vieler anderer Begriffe auch auf ein Grundgenre – nämlich den Punk – und fügt dem etwas hinzu, wodurch das Bezeichnete an Spezifik gewinnen soll. Ähnliches gilt für diverse Rockgenres wie Hard Rock, Space Rock, Psychedelic Rock oder Glam Rock, die in Ableitung vom Grundgenre Rock gebildet wurden und bei denen die Erweiterung auf eine Integration von für das Grundgenre neuen Elementen verweist. Hard Rock lässt dabei auf eine gewisse Steigerung des Härtegrades der Musik (was auch immer das sein soll) im Vergleich zu Rock schließen. Glam Rock zeigt an, dass die Musik (oder die Kleidung der Protagonisten?) glamouröser wird. Bereits hier ist jedoch deutlich zu sehen, dass selbst diese sprechenden Bezeichnungen allein kaum hinreichende Orientierung bieten können. Genres wie Post Punk, aber auch Neoklassik oder Post Dubstep orientieren sich begrifflich ausschließlich zeitlich, entlang (pop)musikhistorischer Entwicklungslinien und sagen dadurch letztlich noch weniger über die musikalische Anmutung aus. Neoklassische Musik enthält zwar, wie der Name vermuten lässt, Elemente klassischer Musik; insbesondere die Instrumentierung erinnert teilweise an klassische Werke, was aber genau an Neoklassik nun neo, also neu ist, bleibt zunächst unklar. Ebenso sieht es bei einem Musikgenre wie Post Dubstep aus. Das Genre ist ähnlich wie sein Vorfahre der Dubstep grundsätzlich ein elektronischer Musikstil. Wie die spezifische Ausgestaltung jedoch klingt, kann man anhand der Bezeichnung allein kaum erahnen. Beim Post Punk ist dies genauso. Doch was ist nun Post Punk? Der Begriff bezeichnet weniger einen spezifischen Stil, als vielmehr ein Konglomerat an Musikstilen (vgl. bspw. Reynolds, 2005; Wilkinson, 2016), die nach dem Punk, also etwa ab 197833 aufkamen. Dabei ist das Typische für Post Punk, dass es keinen typischen Post Punk gibt. Denn sowohl Vertreter gitarrenorientierter Klänge wie Gang Of Four oder The Sound als auch Elektronikvorreiter wie Cabaret Voltaire oder The Human League gelten, je nach Betrachtungsweise, als Post Punk. Post Punk umfasst kommerzielle und weltweit 33 Man könnte – sich wie bei vielen anderen Genrebezeichnungen auch – streiten, welches Jahr, welcher Monat oder welcher Tag – respektive welche Veröffentlichung, welches Konzert oder welche Bandgründung – genau die Geburtsstunde des Post Punk darstellt. Mit 1978 beziehe ich mich hier explizit auf Simon Reynolds’ Post Punk Anthologie (2005), die den Zeitraum von 1978 bis 1984 umfasst. Die Wurzeln des Genres reichen bis in die 1960er Jahre zurück (vgl. Wilkinson, 2016, S. 20).
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erfolgreiche Bands wie Depeche Mode oder The Cure genauso wie relativ unbekannte Künstler dieser Zeit, beispielsweise die Young Marble Giants oder The Slits. Post Punk bezeichnet also eher eine popmusikalische Ära, einen Zeitraum – nämlich jenen nach Punk – und eben gerade keinen dezidiert musikalischen Stil. Aufgrund der Unmöglichkeit einer Zuordnung musikalischer Merkmale wird häufig auch von verschiedenen Post Punk Stilen gesprochen. Zu ihnen zählen unter anderem New Romantic, No Wave, Gothic Rock, Synthie Pop, aber auch Ska oder Shoegaze, die in selbst wiederum ungenau definiert sein können. Letztlich wird Post Punk als Reaktion auf Punk aber auch auf die materialistischen Perfektionismusorientierung der Rockmusik der 1970er Jahre gesehen und nicht selten als eine Art Befreiung oder Erneuerung der Popmusik beschrieben. In manchen Betrachtungen wird auch ein politisches Moment deutlich (Wilkinson, 2016, S. 37ff.) Dabei sind bei nahezu allen Künstlern klare Bezüge zu einigen wenigen Vorläufern erkennbar. »It was a particular kind of ›art rock‹ to which post-punk pledged allegiance, though, not prog’s attempt to merge amplified electric guitars with nineteenth-century classical instrumentation and and extended compositions, but the minimal-is-maximal lineage that runs from The Velvet Underground to Krautrock and the more intellectual end of glam. For a certain kind of hipster, the music that sustained them through the ›wasteland‹ of the seventies was made by a cluster of kindred spirits – Lou Reed, John Cale, Nico, Iggy Pop, David Bowie, Brian Eno – who were united by their descent from or depts. to The Velvet Underground, and who collaborated with one another in various combinations throughout this period.« (Reynolds, 2005, S. xxi)
Das Interessante am Post Punk im Hinblick auf eine Genrediskussion ist jedoch seine Erneuerung. Hier wird deutlich, welchen Einfluss Popmusikgeschichte und Marketing auf die Verwendung von Genrebegriffen haben. Das Post Punk Revival begann mit einer vermehrten Verwendung des Begriffes um die Jahrtausendwende (ebd., S. 526) und hält bis heute an. Die Bezeichnung Post Punk wird mittlerweile nicht mehr nur für die Musikgenres unmittelbar nach Punk genutzt. Auch aktuelle Musik, die man noch in den 1990ern unter Alternative oder Indierock eingeordnet hätte, bekommt nun den Post Punk Stempel. Dabei ist auffällig, dass es sich bei neueren Vertretern, die diesem Genre zugeordnet werden, zunächst eher um gitarrenorientierte Bands handelte. Bekannte Beispiele aus der Dekade nach 2000 sind Interpol oder auch Arcade Fire. Die heutige Begriffsverwendung scheint hier im Marketingsinne ein klassisches Retrophänomen zu sein, das in die Jahre gekommene Musikkonsumenten und eine jüngere Zielgruppe, die an der Vergangenheit interessiert ist, für aktuelle Bands gewinnen will, indem auf ›alte Helden‹ wie Joy Division, Gang of Four oder Public Image Limited Bezug genommen wird. Andererseits ist der Post Punk Begriff heute so unkonkret, dass er es auch erlaubt,
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deutschsprachige Bands wie Messer oder das amerikanische ›Underground‹-Dance Projekt Boy Harsher unter diesem Label zu vermarkten.34 Ob nun eher dunkel angehauchte Stadionrocker wie die Editors, Studentenrockbands wie Franz Ferdinand oder experimentellere Projekte wie LCD Soundsystem – Post Punk scheint im neuen Jahrtausend auf Vieles zu passen und hat musikalisch aber auch ästhetisch kaum noch gemeinsame Nenner. Stattdessen sieht sich der Popmusikhörer mit unzähligen, teilweise deutlich unterschiedlichen Subgenres konfrontiert, wenn er Künstler, Veranstaltungen oder Playlists mit dem Post Punk Tag sucht. Dies bestätigt ein Blick auf das Onlinemagazins Post-Punk.com, das sich eklektisch zwischen zahlreichen Musikstilen verortet. 2.7.3.6 New Wave New Wave ist eine unspezifische Beschreibung von Popmusik-Phänomenen, die weltweit mit, beziehungsweise kurz nach dem Punk aufkamen. Je nach Sichtweise ist das Genre relativ deckungsgleich, gar synonym mit dem Post Punk der ersten Phase, also etwa zwischen 197835 und 1984 nutzbar. Musikalisch gibt es kaum Grenzen (vgl. auführlich Cateforis, 2011). So lassen sich Punkbands wie Generation X und die Nachfolgekarriere deren Sänger Billy Idol ebenso zuordnen wie der opernartige Gesang eines Klaus Nomi oder die Funk-Experimente der Talking Heads. Auch die zahlreichen Revivals und Neuinterpretationen von Stilen wie Ska – beispielsweise mit Gruppen wie The Selecter oder The Specials –, Garagerock – allen voran The Cramps –, Folk – mit The Pogues als wohl populärsten Vertretern – oder Rockabilly – der von The Meteors und nachfolgenden Bands zum härteren Psychobilly transformiert wurde – lassen sich unter dem Label New Wave einordnen; ebenso die unzähligen synthesizerbasierten Acts der späten 1970er und frühen 1980er Jahre, unter anderem Devo, Fad Gadget oder auch Depeche Mode. Selbst Künstler wie The Police, U2 oder The Pretenders, die im Laufe ihrer Karriere eher dem ›Mainstream‹-Rock anheimfielen, können um 1980 der New Wave Bewegung zugeordnet werden. Neben Weltstars wie Blondie, Kate Bush oder Gary Numan fanden mit dem Label New Wave unzählige experimentierfreudige und weitgehend unbekannte Gruppen wie November Group oder Indians in Moscow in die Musikwelt, von denen einige, beispielsweise die Kieler Band No More noch immer – oder wieder – existieren. New Wave bedeutete vor allem eine Erneuerung des Selbstverständnisses der Popmusik. Indem die Künstler Ästhetiken, Technologien und Ideen aus anderen 34 Messer wird auf discogs als »German post punk band« geführt und Boy Harsher nutzen den Tag »post-punk« auf ihren Bandcamp-Seiten. 35 Genaugenommen beginnt New Wave bereits früher und integriert nicht selten auch zahlreiche Punk- und Proto-Punk-Bands (vgl. dazu auch Cateforis, 2011, S. 20ff.; Schneider, 2008, S. 35).
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Kulturgebieten aufnahmen und aktive in ihre Arbeit einfließen ließen, gingen sie über die reine Protesthaltung von Punk hinaus. So wurde zahlreichen, bis heute anhaltenden Verbindungen zwischen Musik, Mode, Technologie und Kunst der Weg bereitet. »New Wave […] ist eingefasst in sozial-, subkultur-, ästhetik- und stilgeschichtliche Entwicklungen innerhalb der populären wie der antipopulären Kultur. Popkultur vollzieht sich als Zusammenspiel von Medien-, Technologie-, Kultur-, Bewusstseins- und Mentalitätsgeschichte. Computertechnologie wird im Umfeld von New Wave zum Beispiel schneller und vielschichtiger rezipiert als in der Literatur oder im Feuilleton, wo sie seinerzeit lediglich als Platzhalterin für bildungsbürgerliche Kontrollverlustängste herhalten musste.« (Schneider, 2008, S. 36)
Insbesondere ihre ›Underground‹-Vertreter stehen mit ihrer DIY-Attitüde (vgl. auch Kapitel 2.2.3.3) und ihrer Experimentierfreudigkeit bei der Nutzung neuer Technologien wie Synthesizer, Drum Computer, Videotechnik und Kassetten prototypisch für die Erneuerung der ›Independent‹-Musik. Im deutschsprachigen Raum wurde aus New Wave schnell die bekannte Neue Deutsche Welle, die sich ebenso wie das Muttergenre durch eine unübersichtliche Stilvielfalt auszeichnet (vgl. Kemper, 1998). 2.7.3.7 Cold Wave Eines der Post Punk und New Wave Subgenres ist Cold Wave (auch: Coldwave). Immer wieder werden vor allem Frankreich (Hall, 2016), etwas später auch Polen als wesentliches Verbreitungsgebiet (Nixon, 2010; Savetier, 2013; Terich, 2012) und das Zeitfenster zwischen 1978 und 1983 als bedeutendste Periode (Nixon, 2010; Sanz, 2008) für dieses Genre genannt. Es existieren jedoch auch in anderen Ländern, insbesondere in Europa und Nordamerika, und letztlich bis heute Künstler, die sich hier zuordnen ließen (vgl. Hall, 2016; Nixon, 2010). Abgeleitet vom sehr unspezifischen Genrebegriff New Wave kombinierten die Vertreter dieses Subgenres die DIY-Attitüde und die provozierenden Strategien des Punk mit den damals neuen Möglichkeiten des Musizierens mit Synthesizern. Cold Wave Gruppen wie Clair Obscur, Guerre Froide oder Trisomie 21 arbeiteten sich inhaltlich und ästhetisch unter anderem an historisch bedeutsamen Kunstgenres wie Futurismus, Konstruktivismus, Symbolismus oder Dadaismus ab. Auch Literatur und Kino, insbesondere die Nouvelle Vague, waren wichtige Anknüpfungspunkte. Zudem beschäftigten sich viele mit damals neuen Technologien wie Robotern und Gefahren wie Atomkraft oder Umweltverschmutzung und nutzten neben Musik auch verschiedene visuelle Ausdrucksformen (Sanz, 2008). Musikalisch ist Cold Wave vor allem von den frühen, dunklen Nachfahren des Punk in England, wie Joy Division, The Cure oder Siouxsie & The Banshees beeinflusst. Der Klang der Musik wird häufig als ›kalt‹ beschrieben, woraus sich letztlich
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der Name ableitete (Terich, 2012). Nicht selten wird auch der Kalte Krieg als Namensgeber herangezogen. So bezeichnet Hall (2016) Cold Wave als »French PostPunk Fantasies of Berlin«. Auch Remineszenzen an Kraftwerk und Suicide sind immer wieder erkennbar. Denn viele Künstler nutzten vermehrt, teilweise auch ausschließlich, elektronische Mittel zum Musizieren, was zu einer starken Vermischung mit Synthie Pop und Minimal Wave, man könnte auch sagen, zu einer Aufspaltung in eine eher populäre und eine eher weniger populäre Schiene von Synthie Pop führte (vgl. Nixon, 2010). Denn während Synthesizergruppen wie Depeche Mode, The Human League oder Pet Shop Boys in den 1980er Jahren große kommerzielle Erfolge feierten, blieb das oft minimalistische, teils auch unzugänglichere und rauhere Material von Cold Wave Gruppen wie Kas Product End Of Data oder Martin Dupont größtenteils Geheimtipp. Cold Wave ist ein gutes Beispiel für die vielen Geheimnisse und Anekdoten, die um Namen, Entstehung und Deutungen von Genres kreisen und für die Vagheit von musikalischen Stilistiken innerhalb der Popmusik insgesamt. »In addition to the minimal electronic sound that marked the music we now classify as ColdWave, the other main signifier of the genre was its tone: the icy, emotionless, apocalyptic and often irreverent atmosphere conjured up against a backdrop of global recession, Iranian political crisis and nuclear threat. The name Cold-Wave remains so enduring precisely because it synthesized the political meteorological metaphors of the time with a convenient description of the atmosphere of the music. Not to mention the wave suffix. That never gets old.« (Nixon, 2010)
Ob die Künstler damals wirklich das politische Reflexionsvermögen zu dieser Musik führte, sei dahingestellt. Letztlich stellt Cold Wave eine kleine aber nicht unbedeutende Einflussgröße auf die heute zunehmend eklektische Dark Wave oder Gothic Kultur dar, die sich eng mit Punk und DIY verbunden gibt. Als sehr spezielles Subgenre ist Cold Wave ein Beispiel für einen Stil, der nur wirklich Eingeweihten bekannt ist und in einer kleinen, übersichtlichen Szene, jedoch heute – spätestens durch die neuen Möglichkeiten der Vernetzung – weltweit rezipiert wird. Dabei sind selbst Connaiseure nicht immer sicher bezüglich der Verwendung des Begriffes, der als umstritten gilt und sich gegenüber zahlreichen Alternativbegriffen36 ebenso wie bezüglich der Herkunft der Künstler oder der Epochen der Musikentstehung wahlweise abgrenzend oder vereinnahmend zeigt. So umfasst der Begriff heute gitarrendominierte Musik ebenso wie rein synthesizerba-
36 Guitar Wave, Minimal Wave, Synth Wave, Minimalelektro, Minimal Synth und andere mehr.
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sierte Produktionen (vgl. Hall, 2016, S. 151ff.). Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Zusammenstellung von Compilations, die den Namen enthalten. 37 »The idea of Cold-Wave as a genre remains a difficult beast to try and capture, file or contain. The music often collected under that banner is strongly associated with the evolution of late 70’s French and Belgian punk bands, but it also grew to take in electronic experimenters from Canada to Austraila as well as UK Industrial acts and American minimalists. As its primarily signifier is and was the use of newly affordable electronic instruments there’s an argument to be made that the ›genre‹ should embrace Eastern European bands cut off by Cold War politics from any pretence of a francophone ›scene‹.« (Nixon, 2010)
Wie Post Punk auch – nur in deutlich geringerem kommerziellen Umfang –, ist Cold Wave seit einigen Jahren in einer Art Revival-Modus. Alte Künstler rücken wieder ins Rampenlicht. Gleichzeitig tauchen neue auf, die sich des Genres aktiv annehmen oder von außen dazugerechnet werden. Das bereits angesprochene Label Minimal Wave und weitere Retro-Labels wie Dark Entries sind hieran ebenso maßgeblich beteiligt wie zahlreiche Musikblogs (vgl. auch Kapitel 7.2). Sie machten in den vergangenen vergangenen Jahren durch Downloadangebote und vor allem durch Wiederveröffentlichungen und mittels neuer Compilations den Zugang zu alten Cold Wave Künstlern und deren Musik wieder einfacher. Dadurch erfuhr das Genre, wenn auch in kommerziell sehr begrenztem Maße, wieder neue Aufmerksamkeit. Es kam zu vielen Konzerten, zahlreiche Partyreihen und einige kleine Festivals entstanden und parallel gründeten sich neue Bands, die sich diesem Genre zuordnen lassen. 2.7.4 Popmusikgenres als soziale Kontextaggregate Die angeführten Beispiele zeigen: Musiktypologien entstehen nicht aus objektiver Abstraktion, sondern werden von den Akteuren der Popmusik, also von Produzenten, Plattenfirmen, Künstlern, Fans, Kritikern, Journalisten und Medien stets in sozialen Prozessen ausgehandelt, neu erdacht, überarbeitet und im Zuge zahlloser Retro-Trends wiederbenutzt und weiterentwickelt. Wie bei Post Punk und New Wave gesehen konkurrieren Genrebegriffe um Deutungsmacht. Zahlreiche Überlappungen und Ungenauigkeiten in der Zuordnung erschweren ebenso die Orientierung wie die Historizität und Flexibilität vieler Künstler, die zwar in bestimmten Genres starten und damit in der medialen Wahrnehmung nicht selten dort verharren, die 37 Der Sampler »B9 Bis (Belgian Cold Wave 1979-1983)« (2007, LTM) enthält Gitarrenbands wie The Names oder Siglo XX ebenso wie rein elektronisch musizierende Künstler wie Polyphonic Size oder Front 242. Der Sampler »Cold Waves + Minimal Electronics Volume One« (2010, Angular) weist bereits im Titel auf Abgrenzungsprobleme hin.
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sich mit der Zeit stark verändern.38 Wie das Beispiel Cold Wave und auch der Begriff Post Punk zeigen, können Genres auch wiederbelebt werden, wodurch sie sich nicht selten in ihrer Bedeutung stark wandeln. Von außen betrachtet scheint die Vielzahl popmusikalischer Genres für den analytischen Blick heute kaum noch fassbar. Dennoch sind Genres wichtig, um über Musik reden und schreiben zu können, um Bedeutungen und Identitäten kommunikativ zu verhandeln und Abgrenzung aber auch Vergemeinschaftung zu ermöglichen. Genres dienen letztlich als instabile, prozesshafte Verknüpfungen bestimmter musikalischer und ästhetischer Phänomene mit Kontextvariablen wie Zeit, Ort und den damit wiederum in Verbindung stehenden Voraussetzungen, beispielsweise verfügbare Technologien, politische, gesellschaftliche oder ökonomische Umstände. Die Cultural Studies haben für diese sehr instabilen Phänomene, die sich bei vielen kommunikativen kulturellen Praxen zeigen, den Begriff der Articulation eingeführt. »What articulation provides is a model of how linkages come about that recognizes three major things: (1) that work has to be done to create those linkages in the first place; (2) that work has to be done to maintain those linkages over time; and (3) that those linkages can be undone […]. As such, cultural studies recognizes that a whole host of things that matter to the analysis of popular music – for example, how meaning is produced, how identities are constructed and maintained, how particular hierarchies of power are maintained through culture – are fundamentally unstable processes.« (Rodman, 2015, S. 53)
Articulation beschreibt das Prozesshafte, Flüchtige, in der Herstellung von Bedeutung und damit auch in der Etablierung bestimmter Begriffe. In diesem Kontinuum aus Flüchtigkeit und Etablierung bewegt sich der Genrediskurs. Wie am Beispiel des Cold Wave sichtbar wurde, bestimmen Fans, aber auch Labels und nicht zuletzt Medien diesen Diskurs wechselseitig. Genres werden also gewissermaßen festgelegt, indem Worte mit Künstlern, Musik oder Szenen immer wieder verknüpft werden. Diese Verknüpfung kann anfangs sehr willkürlich sein, die Idee eines Journalisten, die Antwort eines Musikers in einem Interview oder der Name einer Veröffentlichung genügen jedoch bei entsprechender medialer Reichweite und gegebenenfalls bei einer gewissen Anzahl an Nachahmern, um Genres zu etablieren. 38 Ein anschauliches Beispiel ist die amerikanische Band Blondie, die im Umfeld des berühmten Punk Clubs CBGB in New York ihre Karriere starteten und ganz im Sinne der eklektischen New Wave sowie orientiert am kommerziellen Erfolg, je nach Veröffentlichung, mal Disco (»Heart Of Glass«, 1978, Chrysalis; »Atomic«, 1979, Chrysalis), mal Ska (»The Tide Is High«, 1980, Chrysalis), mal Punk (»Rip Her To Shreds«, 1977, Chrysalis) und sogar HipHop (»Rapture«, 1980, Chrysalis) für sich entdeckten. Dennoch gilt Blondie vielen nach wie vor als Punk-Ikone und genießt trotz vermeintlicher musikalischer Ausfälle in der Punkszene einen exzellenten Ruf.
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Wozu aber benötigen wir Genres, wenn sie in vielen Fällen kaum etwas über die Musik aussagen, die ihnen zugeordnet wird oder diese Aussagen zeitlich stark begrenzt sind? Im Kern geht es um die Schaffung von glaubwürdigen oder zumindest passenden Kontexten für die Musik. Erst diese sozial geschaffenen Kontexte geben der Popmusik ihre Relevanz. »Pop musicians work to make contexts (image, look) that help to make the sounds they make relevant and more interesting to people.« (Machin, 2010, S. 24) Kontext meint in diesem Fall alles, was eben nicht musikalisch ist, aber dennoch zur Musik gehört. Je nach Genre können dies Kleidung, Frisuren, Accessoires, Schriftarten, Bilder, Videos, Storys rund um die Künstler, bestimmte politische oder religiöse Einstellungen und vieles mehr sein. Eben diese Kontexte sind für die Beschreibung und Verortung eines Popmusikgenres letztlich mindestens genauso wichtig wie die Musik selbst. Sehr häufig werden Kontexte gar zum eigentlichen genrekonstituierenden Element. So spielt beim Rechtsrock die Zuschreibung einer politischen Einstellung eine wichtige Rolle, White Metal sieht sich als religiös begründetes Genre und Fun Punk zeigt direkt den Kontext, für den das Genre steht, in Form einer Erlebniskategorie an. Über musikalisch-ästhetische Inhalte, die über das jeweilige Grundgenre hinausgehen, sagen diese Genrebegriffe nur bedingt etwas aus. Schaut man genauer hin, gilt dies letztlich für jeden Popmusikgenrebegriff. Denn die scheinbar natürliche Passung von Worten auf bestimmte Musikformen kann jederzeit versagen, je nachdem, wie Vorerfahrungen und Begriffsnutzung zusammenpassen. Musik objektiv zu beschreiben ist – gerade wenn es sich um die unzähligen Formen von Popmusik handelt – unmöglich. Zwar klingt Metal möglicherweise irgendwie ›hart‹, Pop gefällig und Punk schlecht produziert. Aber in eben diese Kategorien würde nach jenen einfachen Zuordnungsmustern auch ganz andere Musik fallen, wenn Fans dieser Genres befragt würden oder bestimmte Künstler zugeordnet werden sollen, auf die das nicht zutrifft. So klingt die Metalband Nightwish für viele Metal-Fans nicht wirklich ›hart‹, ebenso, wie die Musik von Lady Gaga – ohne Zweifel von vielen als Pop beschrieben – nicht in jedem Falle gefällig ist und die Punkband Die Toten Hosen wird zwar immer noch als solche wahrgenommen, aber schlecht produziert sind deren Alben schon lange nicht mehr. Genres sind also nichts Anderes als Gewohnheit und gelernte Kontextualisierung. Aufgrund ihrer fluiden und individuellen Genese werden sie schnell dysfunktional. Dennoch sind Genres als Ordnungssystem essentiell für die Popmusik. Sie unterstützen und begleiten den kommunikativen Austausch über Musik. Für das Verständnis popmusikalischer Genres ist es wichtig den Kontext, das heißt zeitliche Einordnung, Vorerfahrungen und Bezugspunkte des Gegenübers, beispielsweise des Textschreibers oder eben des Gesprächspartners, zu kennen. In diesem Sinne sind Popmusikgenres Kontextaggregate. Sie fügen Musik und deren Kontexte zusammen und bringen diese Verknüpfung auf einen Begriff. Dieser Begriff wird mittels Aneignungsprozessen von Popmusikkonsumenten inkorporiert und in Kommu-
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nikationsprozessen in seiner Bedeutung immer wieder erneuert und verändert. Dadurch bleiben Popmusikgenres hochgradig fluide Gebilde, unter denen sich der Einzelne – so das Genre für ihn von einer gewissen Relevanz ist – dennoch etwas vorstellen kann.
2.8 WAS IST POPMUSIK? An den Ausführungen dieses Kapitels wurde deutlich, wie komplex die Perspektiven auf Popmusik sein können. Hier sollen nun noch einmal die bedeutendsten Punkte zusammengefasst werden. Was also ist Popmusik nun? 2.8.1 Popmusik ist ein komplexes soziales Medium Sie ist zunächst ein komplexes soziales Konglomerat, das weit mehr umfasst als nur Musik. Münch (2007) bestätigt diese Komplexität, indem er zwei Ebenen ausmacht: zunächst die des aktiven musikalischen Handelns, also der Interaktion zwischen Musiker und Publikum (S. 58f.). Zweitens die Ebene der gesellschaftlichen Struktur, verkörpert durch den Musikmarkt mit seinen Institutionen und den Tauschwert, den Musik jeweils erzielt, sowie das Wissen um Musik, musikalische Normen und musikalische Standards. Gesellschaftliche Veränderungen haben Münch zufolge daher auch großen Einfluss auf die Entwicklung des Systems Musik. »Der Wandel von Musik im soziologischen Sinn ergibt sich schon aus der Dualität von Struktur und Handlung, wird endogen durch die Prämierung von Originalität und exogen durch die Expansion des Musikmarktes und die Pluralisierung der Sozialstruktur vorangetrieben.« (Ebd., S. 59) Popmusik funktioniert daran anschließend also auf einer Mikroebene und auf einer Makroebene. Bei der Ersten geht es um individuelle Handlungen und Aneignungsprozesse (vgl. auch Kapitel 3), bei der Zweiten um Aushandlungsprozesse innerhalb der Gesellschaft, die jedoch von den Prozessen auf der Mikroebene kaum zu trennen sind. Die Bedeutung von Popmusik wird damit stets im Austausch zwischen den Individuen und den strukturell bedeutenden Akteuren verhandelt. »[…] the meanings we apply to a piece of popular music are not produced simply by the primary text – the recorded sound – but by our engagement with all the forms of production, consumption and context. Recorded sound does not exist in isolation in our experience, as it is contextualized by which radio station we hear it on, how the press write about it, and how it is presented online.« (Wall, 2013, S. 154)
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Auf der Mikroebene unterhält Popmusik vor allem affektuell. Bei Popmusik geht es darum Emotionen auszudrücken, nachzuvollziehen und zu erleben. Sie dient dem Mood Management, indem sie als unspezifischer Trigger funktioniert. Lyrics können die Gefühle konkreter abbilden und der Musik zusätzliche Bedeutungen einschreiben. Anhand der »Emphatisierung des Banalen« zeigt Diederichsen (2010, S. 114) in diesem Zusammenhang, wie emotionale Deutungen speziell bei sogenannter Schwarzer Musik funktionieren. Er reiht sich damit in den Diskurs um die »black identity« (Machin, 2010, S. 21) ein, die eine vorgestellte Andersartigkeit der Schwarzen im Popdiskurs aufzeigt, aus der sich letztlich die emotionalen Qualitäten von Stilen wie Jazz, Rap oder Soul ergeben (vgl. auch Best, 1998; Mailer, 1957). Dies verdeutlicht, wie wichtig die medial geschaffenen Kontexte und nicht zuletzt die Sprache (Machin, 2010, S. 22-25) für den Unterhaltungswert von Popmusik sind, und dass dieser Metatext damit mindestens genauso entscheidend für deren Aneignung ist wie das Musikalische. »[W]hat is said about the music shapes the ways the music is heard, and the ways music is heard shapes what is said about it. All of these ways of hearing and talking constitute this metatext.« (Taylor, 1995, S. 510) Vor allem diese Metatexte sind es, die Popmusik zu einem sozialen Medium machen. Mehr noch als das, was nicht unter den Begriff der Popmusik zu fassen ist, lebt Popmusik geradezu davon, sozial vermittelt zu sein, also auf dem kommunikativen Austausch zwischen Menschen und zwischen Menschen und Medien zu beruhen. Dabei spielen auch unterschiedliche, mit Popmusik verbundene Artefakte eine Rolle. Popmusik ist ein »sozialer Raum, in welchem die verschiedenen Verwendungen und komplementären Umdeutungen von Kleidungsstücken, Tonträgern, Spielfilmen, Comics, Fernseh- und Hörfunksendungen dessen Außengrenzen markieren. Es sind instabile Trennlinien.« (Stahl, 2010, S. 315) Ihre soziale Konstruiertheit verdeutlicht sich darin, dass über Prozesse der Aneignung die unterschiedlichsten Bedeutungen in sie eingeschrieben werden können. Sie kann sein: Kunst, Kultur, Politik, Unterhaltung oder Vergnügen. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der vitalen Diskussion um Genrebegriffe und -zuordnungen. Popmusik ist, mit ihren zahlreichen Genres, Begriffen und Zuschreibungen nach Bruckmaier (2014) auch individuelle Erinnerungsfolie. Das heißt, sie hilft bei der Verortung in der Welt und hat die Kraft, Identitäten zu beschreiben (vgl. auch Kapitel 3.4) und Familiengeschichten samt Herkunft zu erläutern; also genau das, was früher so ernsthafte Ereignisse wie Kriege, Vertreibungen oder Ähnliches vermochten. »Ab jetzt wird man seinen Kindern und Enkeln nicht mehr sagen müssen, dass man in Alamo gekämpft und auf Mexikaner geschossen hat, sondern Mama war ein Flapper, Papa einer aus der Coney Island Crowd und Opa war ein Punk.« (Bruckmaier, 2014, S. 118) In diesem Sinne ist Popmusik ein individueller und gesellschaftlicher Erfahrungsspeicher.
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Insgesamt ist der Popmusikbegriff heute umfassender zu gebrauchen als noch vor 50 Jahren. Die Trennung zwischen E- und U-Musik, zwischen Popmusik und Klassik oder anderer ernsthafter Musik jedenfalls ist nicht länger haltbar. Denn »[c]lassical or ›serious‹ music, in short, is not exempt from social use« (Frith, 1987a, S. 122). Potenziell kann demnach heute jede musikalische Darbietung Popmusik sein. »Denn es ist wie mit jeder neuen Kunstrichtung, die erst wird, was sie wird, weil bestimmte Leute Übereinkünfte geschlossen haben, daß sie etwas sei.« (Diederichsen, 2014, S. 70) Faktisch trifft die Beschreibung Popmusik aber deswegen noch nicht auf alle verfügbare Musik zu. Nach wie vor existieren hochkulturelle Sphären für Musik, sie sich abseits des Popmusikdiskurses bewegen. Doch diese Sphären werden kleiner. 2.8.2 Popmusik ist medientechnologisch und medienökonomisch verfasst Ihre mediale Verfasstheit macht Popmusik abhängig von technischen Innovationen (vgl. Kapitel 4). Sie war lange geprägt von elektroakustischen Aufnahme-, Wiedergabe- und Speicherprozessen, die heute allesamt digitalisiert sind. Sie ist durch diese Technologien Musik, die potenziell massenhafter Verbreitung unterliegt, das heißt, auf Tonträgern oder in anderen duplizierbaren Formaten existiert. Gleichzeitig ist sie aber auch in ihrer Bedeutung, ihrem Kontext beziehungsweise Metatext in großen Teilen medial konstruiert. Das bedeutet, Medien als publizistische Organe bestimmen das Bild von Popmusik entscheidend mit. Insofern ist Popmusik eng mit der Entwicklung von Kommunikationstechnologien verbunden. »It is no coincidence that the history of popular music unfolded over the same period that the communication technologies of the twentieth century developed. One of the defining qualities of popular music is that it’s the product of the mass media technologies and production processes of film, radio, television and video. These technologies made it possible to record or relay music performance beyond the geography and culture of its original production.« (Wall, 2013, S. 54)
Nicht zuletzt dadurch ist Popmusik vor allem auch (medien-)ökonomisch geprägt (vgl. Kapitel 5). Popmusik ist etwas, was man besitzen kann und will. Damit ist jedoch nicht (nur) der Besitz von Musik mittels eines Tonträgers gemeint, sondern dies kann auch ein ideeller, abstrakter Besitz sein, der Popmusik zu einem Teil von uns und unserer Identität macht und der zusätzlich über den Konsum außermusikalischer Waren und Texte funktioniert. Allen voran sind dies Fanartikel wie T-Shirts, Autogrammkarten oder Poster, aber auch Hifi- und Elektronikgeräte. Medienökonomisch gesehen entfaltet Popmusik vor allem über das zunehmend knappe Gut der
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Zeit beziehungsweise der Aufmerksamkeit, also über die sogenannten »Opportunitätskosten« (Wirtz, 2009, S. 27) seine Wirkung. 2.8.3 Popmusik ist reflexiv Popmusik ist heute rückwärtsgewandt und aktuell zugleich (vgl. auch Diederichsen, 2010, S. 56ff.). Sie lebt von der Zitation, von der individuellen Aneignung und von Veränderungen, die auf Grundlage bereits bestehender popmusikalischer Ausdrucksformen vorgenommen werden. Wall (2013) argumentiert, dass Musiker bei der Ausübung ihrer Tätigkeit, beim Komponieren, beim Spielen vor Publikum, sich stets an bereits Existierendem beziehungsweise Vergangenem orientieren. Dabei ist jedoch nicht nur die Musik oder der Text ein Orientierungsanker, vielmehr geht es auch um das Wie, um die Ausführung, die Pose, um, wie Wall es nennt, die kulturellen Praxen, die in ihrer Gesamtheit unser Verständnis von Popmusik prägen. Diese kulturellen Praxen gehen nicht allein von den Musikern oder Performern aus, sie entstehen auch bei der Produktion, Präsentation, Vermarktung und Reflexion des Materials durch Medien, Plattenfirmen, Kritiker oder Produzenten »[…] so it is not simply that musicians have ›musical influences‹ but rather ›musical cultural influences‹« (Wall, 2013, S. 23). Diedrich Diederichsen beschreibt in seinem 1985 erschienen Werk eine PopBohemia, die er »The Privileged Poor« nennt (vgl. Diederichsen, 2010, S. 60ff.). Diese Bohemia ist maximal reflexiv, das heißt spätestens ab der sogenannten zweiten Popgeneration – der Generation nach der Popexplosion in den 1950ern und 1960ern – bezieht sie sich in ihren Inhalten immer wieder »nur auf das von ihnen selbst errichtete System« (ebd., S. 60). Wo früher noch Ideale und Visionen vermutet wurden, ist nun alles nur noch rückbezüglich. Diese Rückbezüglichkeit ist ein zentrales, wenn nicht das wichtigste Moment der Popmusik. »Popmusik ist nun einmal Durcharbeiten, Zitat, Appropriation, Bricolage, Versatz, Weiterdenken, Umdrehen, Absage; Verdauen und Ausscheißen genauso wie zärtliches Konservieren und Fetischisierung des unausweichlichen Verfalls, den das Fortschreiten der Zeit mit sich bringt.« (Threat, 2014, S. 21) Insofern sind popmusikalischen Retrobewegungen zwar auch eine Art Nostalgiemedienphänomen, mit dessen Hilfe Konsumenten in imaginierten Vergangenheiten schwelgen und Produzenten gutes Geld verdienen. Andererseits ist Rückbezüglichkeit eben die Funktionsweise der Popmusik. Anstatt Popmusikevolution als Kausalkette von Entwicklungen zu lesen, sollte daher dessen ziellose Eigendynamik, das Kreisen um sich selbst, das Verharren im Moment akzeptiert werden. »Ihre Erneuerungen sind immer Neuverknüpfungen, Mixturen, Additionen, Veränderungen der Perspektiven.« (Platzgumer & Neidhart, 2012, S. 42) Dabei gibt es kein Gut oder Schlecht, sondern nur einen »permanent produzierten Überschuss an Möglichkeiten« (Heidingsfelder, 2012a,
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S. 6), der dann, je nach aktueller Lage und individueller Befindlichkeit, in die eine oder andere Richtung ausgedeutet wird. »Pop-Praxis hinterlässt Spuren, reaktivierbare Möglichkeiten. Pop kann sich so verfeinern, diversifizieren – immer abhängig von dem, was vorher da war, denn das Vorher ist es ja, das Differenzen etabliert, die dann als Fundament nachfolgender Differenzen dienen. Deshalb ist jeder Pop-Song immer beides: Wiederholung und Neuheit zugleich.« (Ebd.)
2.8.4 Der Popmusikbegriff – offen aber nicht allumfassend Aus etymologischer Sicht muss noch festgehalten werden, dass Popmusik keinesfalls mit populärer Musik gleichzusetzen ist, auch wenn dies häufig geschieht und für viele Teilbereiche der Popmusik sicher auch gültig wäre. Popmusik ist eben nicht immer populär in dem Sinne, dass sie ein Massenpublikum erreicht, sondern sie kann auch randständig, gegenkulturell und subversiv funktionieren. Dabei grenzt sie sich von Hochkultur ab und integriert diese an anderer Stelle wieder (vgl. auch Diederichsen, 2014, S. 377-379). Der hier und in der Folge verwendete Popmusikbegriff ist sehr offen, weil er eben nicht nur das populäre, leicht verdauliche Oeuvre der Radio- und TV-Stationen, nicht nur die Veröffentlichung der Majors mit einbezieht, sondern auch das Hinter- und Untergründige, Musik abseits des ›Mainstreams‹, Musik der Subkulturen, Netzkulturen, Spezialkulturen meint. Dennoch ist er in gewisser Weise auch determiniert, da die Perspektive auf Popmusik notwendig eine westliche, also anglo-amerikanisch geprägte ist, obwohl dem Autor bewusst ist, dass darüber hinaus deutlich mehr und deutlich andere Formen von Popmusik existieren. Global und kulturübergreifend betrachtet gehören zum Feld der Popmusik in jedem Falle noch sehr viele weitere Formen, die hier nicht oder nur in Nuancen Berücksichtigung finden können. »[W]hen examined globally, the term popular music includes genres and musical cultures such as pre-rock styles and non Anglo-American genres such as Spanish flamenco, Argentinean tango, Japanese enka, Brazilian samba and many others.« (Regev, 2015, S. 35, Herv. i. O.) Die hier genannten und gemeinten Stile, die häufig auch unter Zusammengehörigkeit suggerierenden Genrebegriffen wie Weltmusik oder Ethno-Musik firmieren, sind dabei keineswegs ein unkommerzieller oder ›natürlicher‹ Gegenentwurf zur Popmusik. Stattdessen beeinflussen sie neben klassischer Musik und Kunstmusik mehr und mehr auch aktuelle Popmusik oder werden selbst zu solcher. Dies wird an so unterschiedlichen Künstlern wie Youssou N’Dour, Manu Chao, den Gypsy Kings oder Dead Can Dance deutlich, ist jedoch insgesamt nichts Neues, denn bereits The Beatles zeigten sich durch ihre Indienreise 1968 stark beeinflusst von der regionalen Musiklandschaft und verarbeiteten dies in einem ihrer berühmtesten Werke: »The Beatles« (1968, Apple), auch bekannt als »The White Album«. Und letztlich
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entstammt auch der Rock’n’Roll einer schwarzafrikanisch-schwarzamerikanischen Musikverbindung, ähnlich wie auch die ursprünglich karibischen und heute global hochbedeutsamen Popmusikgenres Ska oder Reggae. Trotz dieser globalen Ingredenzien bleibt Popmusik in dieser Arbeit Teil einer westlich geprägten Hyperkultur (Reckwitz, 2016), da die kapitalistischen Strukturen der Musik- und Medienindustrie ebenso wie die Medientechnologien entscheidende Wirkung auf ihre Entstehung und ihre Entwicklung haben. Popmusik »ist die künstlerische Ausdrucksform der freien Marktwirtschaft« (Platzgumer & Neidhart, 2012, S. 89). Popmusik ist insofern eng verknüpft mit gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der westlichen Welt. Industrialisierung, Digitalisierung, Rassenund Klassenkämpfe, Kriege, die Frauen- oder die Umweltbewegung sind nicht nur zentrale diskursive Inhalte von Popmusik, sondern bieten auch immer wieder Anlässe, die Popmusik öffentlichkeitswirksam nutzt. Diederichsen spricht vom »Talent der Popmusik, Zeitgenössisches aufzunehmen, zu bilden und zu vermitteln«, von ihrer »Schnelligkeit […] heute hier […] und morgen vergessen« (Diederichsen, 2010, S. 58). Popmusik wird sich schon deshalb weiter verändern und immer wieder gesellschaftliche oder technologische Entwicklungen spiegeln. Ihre Bedeutung ist von Beginn an viel mehr als Musik. Popmusik ist Lebensart, Aneignungsweise, Produktionsmodus, politische Auffassung, publizistische Wirkmacht, Kultur, soziale Beziehung, Vergemeinschaftung und Individuierung, Massen- und Spezialprodukt. Und sie wird heute eben nicht mehr nur anhand von Stilen, Kleidung, Frisuren, Texten, Tonträgern oder Videos kommuniziert, sondern sie ist gewissermaßen allumfassend, ubiquitär. Oder wie Bruckmaier es ausdrückt: »Pop meint heute vor allem anderen, dass klassenübergreifend, über alle Ländergrenzen hinweg, durch alle Religionen hindurch und inzwischen alle Generationen umfassend ein jeder den Zugang zu kulturellen Produktionsmitteln und digitalen Publikationsmöglichkeiten hat.« (Bruckmaier, 2014, S. 340) Die Bedeutung von Popmusik wird im Prozess des Konsums über die ihr eingepflanzten Botschaften verhandelt. Im Fokus dieser Arbeit stehen daher letztlich nicht die konkreten musikalischen oder textlichen Inhalte, sondern die Formen der Aneignung von Popmusik. »[…] the meaning of popular music is not found in a strict study of musical form, but in an understanding of each music’s ›cultural message‹.« (Wall, 2013, S. 10) Popmusik soll daher in der Folge als in die Lebenswelt der Nutzer eingebettet und mit Hilfe von Institutionen (Medien, Industrie) gesellschaftlich verfestigt verstanden werden. Sie wird »durch Sozialisation von den handelnden Individuen verinnerlicht« (Münch, 2007, S. 48), also aktiv angeeignet. Zur Popmusik gehört dabei nicht nur das Musikalische, sondern auch das Außermusikalische, das Musikerzeugende und die Folgen der Musikerzeugung.
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»Popmusik repräsentiert [spätestens, Anm. d. V.] seit den achtziger Jahren nicht mehr nur eine Musikpraxis, sondern ein komplexes kulturelles System, in das die Medien ebenso einbezogen sind wie charakteristische Konsummuster. Aus der populären Musik wurde damit einer der zentralen kulturellen Reproduktionsmechanismen der modernen Industriegesellschaften.« (Wicke, 1992a)
Ob nun David Bowie, Helene Fischer, AC/DC, Dropkick Murphys, Brian Eno, Kraftwerk, Michael Jackson, Pink Floyd, Pet Shop Boys, Mortician, Jay-Z, Kassetten, Neu!, Philip Glass, Sex Pistols, Neil Young, David Guetta, Capitol Records, MP3, Musikvideos, Plattenläden, Fanzines, New Wave, Konzerte, Ostgut Ton, Lang Lang, Moshpits, Musicals, Clubs, Charts, das Wacken Open Air, Plateauschuhe, Netzstrümpfe, Musikdownload Blogs, Hipster, Buttons, Teddyboys, Vinyl, Napster, Sicherheitsnadeln, Parkas, Smileys, Undercuts, iTunes oder Bandcamp, sie alle sind Teil von Popmusik. Wie all diese Manifestationen und Ausdrucksformen von Popmusik ineinandergreifen und konkret funktionieren soll unter anderem im folgenden Abschnitt, der sich mit Aneignung, Identität und dem darüberliegenden Konzept der Sozialisation beschäftigt, geklärt werden.
3
Popmusik und Sozialisation
Bei Sozialisation geht es um das »Mitgliedwerden in einer Gesellschaft« (Hurrelmann & Ulich, 1998, S. 6). Sie ist kein einseitiger Akt, sondern gilt als interaktiver Prozess (Faltermaier, 2008, S. 157f.) zwischen Individuum und dessen sozialer und physischer Umwelt. Dabei laufen Veränderungen auf beiden Seiten ab. Auf der Seite des Individuums kommt es zur Herausbildung »stabiler Persönlichkeitseigenschaften« und »intersubjektiver Handlungsvorstellungen« (Hurrelmann, Grundmann & Walper, 2015, S. 15). Aus der Perspektive von Persönlichkeitsentwicklung werden diese Prozesse auch als Internalisierung von Werten, Haltungen, Gewohnheiten sowie als Aneignung von Fertigkeiten im täglichen Leben beschrieben (Schugurensky, 2006). Dies ist jedoch nur eine Sicht auf den Sozialisationsprozess, der heute kaum noch konsistent beschreibbar ist und »mindestens […] pluralistisch, wenn nicht widersprüchlich [ausfällt]« (Kübler, 2010, S. 24). Aus Gesellschaftsperspektive müssen die Entstehung kultureller Praktiken und die Entwicklung sozialer Vernetzungen mitgedacht werden. Geulen (2009) bezieht in seinem subjektorientierten Sozialisationsansatz beide Blickwinkel mit ein. Im Kern stellen die von ihm als »Sozialisatorische Lernprozesse« bezeichneten Abläufe soziale Wirklichkeit her und bilden damit die Voraussetzung für handlungsfähige Individuen sowie das Funktionieren der Gesellschaft auf kollektiver Ebene (Geulen, 2009, S. 29ff.).
3.1 MUSIKALISCHE SOZIALISATION Ganz allgemein kann unter musikalischer Sozialisation »das Vertraut werden und das Erlernen des Umgangs mit Musik« (Lenz, 2013, S. 165) verstanden werden. Aus psychologischer Sicht stellt Musik einen akustischen Reiz für das menschliche Gehirn dar, der neben anderen Sinneseindrücken wie Bildern, Texten oder Gerüchen steht. Für deren Verarbeitung gibt es zunächst drei verschiedene Formen: parallel, konvergent und divergent (Rösing, 2003, S. 12). Rösing betont jedoch, dass es niemals bei einer reinen Reizverarbeitung bleibt. Vielmehr spielt bei der Wahr-
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nehmung von Musik der Abgleich mit Vorerfahrungen und Wissen eine zentrale Rolle (ebd.), Faktoren also, die in Sozialisationsprozessen angeeignet werden. Der Wahrnehmungsprozess mit seinen verschiedenen Stufen der internen Verarbeitung bis hin zur kognitiv realisierten Wahrnehmung beruht auf weit mehr als allein auf der Grundlage der über einen Sinnesrezeptor eingehenden Reize. Er ist das Ergebnis des Miteinanders der eingegangenen Reizstrukturen mit all dem, was im Langzeitspeicher des Gehirns (Gedächtnis) bereits als Erfahrungsinventar (Wissen) existiert (ebd., S. 13). Demnach sind Bedeutungszuschreibungen und Bewertungen von Musik Ergebnis einer »Konvergenz der Sinne« (ebd.). Das heißt, es kommt neben dem Gehörten auch auf die Situation, den Modus und die Erfahrung mit ähnlicher Musik an. Auf diese Weise können auf individueller Sozialisation beruhende Gedächtnisinhalte, also Wissen und Gefühle (emotionale Bewertung) die Verarbeitung von Information bereits auf der untersten neuronalen Ebene beeinflussen – bis hin zu dem Extremfall, dass Wahrnehmung blockiert wird, weil sie unbekannt ist oder als bedeutungslos eingestuft wird (ebd., S. 13f.). Für Rösing resultiert musikalisches Handeln und Verhalten demnach aus Aneignung und Vergegenständlichung durch das Individuum. Er betont die Prozesshaftigkeit und – wie Geulen – den Austausch zwischen Individuum und Kultur, wobei beide Interaktionspartner stetigem Wandel unterliegen (vgl. Rösing, 2008, S. 349f.). Die Akzeptanz und Einordnung von Musik ist daher stark »durch die gesellschaftlich und historisch hergestellte ›Imagegeschichte‹ bestimmt« (Dollase, 2005, S. 169). Dollase führt dazu aus, dass beispielsweise Beethovens Messe ›Missa Solemnis‹ stets in Kirchenkontexten feierlich und ernsthaft präsentiert wird und deshalb kaum je zur typisch rebellischen Jugendmusik werden kann (ebd., S. 169f.). Er unterstellt damit einen gesellschaftlich-historisch gewachsenen Bedeutungskanon, dem sich nicht zuletzt auch die komplexe Genregenese in der Popmusik verdankt (vgl. dazu auch Kapitel 2.7). Was Popmusik für den Einzelnen sozialisatorisch bedeutet, ergibt sich demnach aus dem Zusammenspiel von intra- und interindividuellen Variablen. Das System Popmusik mit seinen technologischen und ökonomischen Besonderheiten spielt dabei eine ebenso bedeutende Rolle wie die Region, in der man aufwächst, der soziale Nahraum oder das kulturelle Kapital. Rösing nennt in seinem Überblick drei Kategorien von »Bedingungsvariablen musikalischer Sozialisation«: • Alter, Geschlecht, Persönlichkeit • Elternhaus, Peers, Ausbildung und sozialer Status • Historische Zeit, Umwelt und Massenmedien (Rösing, 2008, S. 356-363)
Auch Dollase identifiziert neben den individuellen Faktoren zahlreiche Kontextvariablen wie technische Entwicklung (Dollase, 2005, S. 173), Medien (ebd., S. 174f.) und die klassischen Sozialisationsinstanzen, also Elternhaus, Schule und Peers (ebd., S. 176ff.). Mit Blick auf musikalische Sozialisation spricht Dollase auch vom
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»Mitgliedwerden in einer Teilstruktur der Gesellschaft« (ebd., S. 155). Er nennt diese Teilstruktur »musikalische Kultur« (ebd.). Da die für Sozialisation entscheidenden individuellen Lernprozesse anhand »gesellschafts- und kulturspezifische[r] Sozialisationsinstanzen modelliert« (Rösing, 2008, S. 349) sind, fungiert diese musikalische Kultur gewissermaßen als Sozialisationsinstanz für die musikalische Sozialisation. Das heißt, sie führt die Individuen strukturell und inhaltlich an Musik heran und gibt »grundlegende Handlungskompetenzen« (ebd.) weiter. Das Individuum baut »gemäß den Strategien von Assimilation und Akkommodation einfachste musikalische Schemata [auf und erweitert] diese anschließend in Anlehnung an externe musikalische Strukturen zu umfassenden Skripten« (ebd.). Rösing nennt diesen Vorgang auch Entwicklung beziehungsweise Enkulturation, meint also damit jenen Teil von Sozialisation, der das Hineinwachsen des Individuums in einen bestimmten kulturellen Kontext betont. Auch bei Trommsdorff sind »Kultur und Sozialisation untrennbar miteinander verbunden« (Trommsdorf, 2008, S. 229). Sie geht ebenfalls von »Wechselwirkungsprozessen zwischen Kultur und Person[en]« (ebd., S. 230) aus. Das heißt, auch aus ihrer Perspektive findet ein Austausch zwischen der Individual- und der Kollektivebene statt. » [U]nter Sozialisation [kann] das Zusammenwirken von Individuum, sozialen Gruppen und Institutionen verstanden [werden]. Mit dieser Definition werden alle Handlungen der an der Sozialisation beteiligten Personen, Gruppen und Institutionen sowie die Bedingungen und Wirkungen dieser Handlungen berücksichtigt.« (Ebd., S. 229) Musikalische Sozialisation erscheint damit als interaktiver Prozess der weit über die Individualebene hinausgeht und vor allem vom kulturellen Kontext des Aufwachsens abhängt. »Das Ineinandergreifen von soziokulturellen und personenabhängigen Bedingungsvariablen und die Einbettung dieser Variablen in einen historisch-dynamischen Kulturbegriff verdeutlichen die Komplexität des Sozialisationsprozesses. Es handelt sich um ein multifaktorielles System von Wirkungen und Wechselwirkungen.« (Rösing, 2008, S. 350) Kleinen sieht die kulturelle Perspektive auf Sozialisation als eine dritte Lesart neben der Subjektperspektive und der Perspektive auf gesellschaftliche Institutionen (vgl. Kleinen, 2011, S. 42f.). Sie enthält auch musikbezogene Verhaltensweisen. Kultur stellt in diesem Sinne »Schemata der Weltinterpretation« bereit und ermöglicht darüber ästhetisch-wertende Entscheidungen der Individuen (ebd., S. 43). Nicht umsonst gilt die Herausbildung musikalischer Präferenzen im Jugendalter als zentraler Schritt und gewissermaßen als »Manifestation des musikalischen Sozialisationsprozesses« (Reinhardt & Rötter, 2013, S. 131). Diese musikalischen Präferenzen sind situative Vorlieben und in diesem Sinne variabel. Sie »stehen in Zusammenhang mit spezifischen Funktionsvorstellungen der rezipierten Musik« (ebd., S. 133). Der Musikgeschmack hingegen gilt als langfristige musikalische Orientierung, die Einfluss auf die situative Entscheidung für oder gegen ein Musikstück hat (Behne, 1993, S. 339). Musikgeschmack stellt damit letztlich den übergeordneten Begriff dar (Reinhardt & Rötter, 2013, S. 133). So-
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wohl musikalische Präferenzen als auch der sich sukzessive ausbildende Musikgeschmack unterliegen in hohem Maße historischen und zeitgeschichtlichen Einflüssen (Gembris, 2011, S. 164) und dienen in vielerlei Hinsicht als Werkzeug für die Identitätsarbeit. 3.1.1 Familiale musikalische Sozialisation Obwohl auch über das Jugendalter hinaus der Einfluss des Elternhauses auf die popmusikalische Sozialisation bestehen bleibt (vgl. Kleinen, 2011, S. 45), wird bei genauer Recherche deutlich, dass gerade die familiale musikalische Sozialisation stark musikpädagogisch und musikpsychologisch geprägt ist. Shuter-Dyson nennt vier Faktoren für den Einfluss der Familie auf die musikalische Entwicklung: • • • •
Eltern singen mit dem Kind Gemeinsames Musizieren Konzertbesuche Musikalischer Hintergrund der Eltern (vgl. Shuter-Dyson 2002, S. 307)
Es geht bei dieser Perspektive immer um das aktive Musikmachen, beispielsweise das Instrumentalspiel, also um den »Einstieg der Kinder in die Idiome der westlicheuropäischen Musik« (Rösing, 2008, S. 359) und um die Entwicklung »elementarer musikalischer Wahrnehmungs- sowie Reproduktions- und Produktionsleistungen« (Pape, 2013, S. 227). Popmusik und ihre vielfältigen Aneignungsweisen bleiben damit im Rahmen der familialen Sozialisation fast vollständig ausgeklammert (vgl. ebd., S. 228). Ein möglicher Grund für diese Nichtbeachtung popmusikalischer Bezüge ist die lange nachwirkende These der Familienkluft. Das heißt, dass sich Kinder während der Pubertät, also beim Übergang von Kindheit ins Erwachsenenalter von den Eltern ablösen. Es kommt zu Streitereien und Unstimmigkeiten zwischen Eltern und Kindern, die aufgrund von Veränderungen in der Beziehung durch körperliche und psychosoziale Entwicklung auftreten. Dies führt, so die Annahme, zu bewussten Gegenpositionen die sich in Form einer Abwendung von elterlichen Werten und Normen ausdrücken (vgl. Kleinen, 2011, S. 56-57). Gleichzeitig verstärkt sich die Orientierung an Peers und auch an Popmusik, wobei hier jeweils darauf geachtet wird, dass den Gegenpositionen entsprochen wird. Die Periode um die Pubertät gilt daher als die wahrscheinlichste Zeit für den Anschluss an Jugend- oder Subkulturen (Backe, 1999; Schwendter, 1973/1993). In der Familienforschung wurden die Thesen der Generationskluft jedoch bereits in den 1970er Jahren revidiert (vgl. u. a. Bengtson 1975; Lerner, Karson, Meisels, & Knapp 1975). Heranwachsende haben demnach deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit ihren Eltern als mit den Peers. Dies betrifft vor allem den Werte- und Einstellungskanon (Petersen, Sil-
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bereisen, & Sörensen, 1992, S. 15f.). Der Generationenkonflikt der 1960er und 1970er ist heute »entpolitisiert und privatisiert« (Tully & Krug, 2011, S. 18). Eltern und Jugendliche existieren eher friedlich nebeneinander. Konflikte werden daher oft jugendkulturell, das heißt innerhalb beziehungsweise zwischen den verschiedenen Geschmacks- oder Gesinnungsgemeinschaften ausgetragen. Bestätigung finden diese Feststellungen im Bereich der Musik- und Subkulturforschung, die den gemeinsamen Lebenskontext von Jugendlichen und Eltern betont. »Members of a subculture may walk, talk, act, look ›different‹ from their parents and from some of their peers: but they belong tot he same families, go tot he same schools, work at much the same jobs, live down the same ›mean streets‹ as their peers and parents. In certain crucial respects, they share the same positions […], the same fundamental and determining life-experiences, as the ›parent‹ culture from which they derive.« (Clarke, Hall & Jefferson, 2006, S. 95)
Familiale Vorprägungen sind daher popmusiksozialisatorisch nicht zu unterschätzen. Hier bedarf es aber »weiterer […] empirischer Resultate, die Genaueres aussagen, über einen sich offensichtlich ändernden Stellenwert des Musikhörens im herkömmlichen Mediennutzungsbereich« (Pape, 2013, S. 242). 3.1.2 Popmusikalische Sozialisation in der Jugendphase und darüber hinaus Musikalische Erfahrungen beruhen auf Lernvorgängen (Rösing, 2008, S. 351). Wie genau diese Lernprozesse ablaufen, ob bewusst, unbewusst, durch Schlüsselerlebnisse oder gar über operantes Konditionieren, dafür gibt es verschiedene Theorien (vgl. Reinhardt & Rötter, 2013, S. 129). Fest steht, dass dabei die individuelle biophysische und psychische Entwicklung eine Rolle spielt. Deshalb ist auch das Jugendalter derart im Fokus musiksozialisatorischer Betrachtungen (vgl. Kleinen, 2011, S. 57ff.). In dieser Lebensphase wird »die Genese tiefgreifender Veränderungen des Individuums lokalisiert« (Reinhardt & Rötter, 2013, S. 129). Diese Zeit hat »Auswirkungen auf das gesamte nachfolgende Leben« (Kleinen, 2011, S. 44) und gilt damit als »Biographisierungsphase« (ebd., S. 57). Die tiefgreifenden Veränderungen, so der Konsens, werden mittels Musik gut aufgefangen. Popmusik kann Jugendlichen helfen, den von Umbrüchen und Emotionen geprägten Prozess des Aufwachsens individuell entgegenzutreten, sie ist wichtig für die Verarbeitung von Gefühlen und hilft, kritische Lebensereignisse zu meistern (Kleinen, 1997; Münch, 2002). In diesem Sinne werden mittels Popmusik Entwicklungsaufgaben bewältigt (vgl. Münch & Bommersheim, 2000, S. 62ff.). Mit Beginn der Jugend gewinnen soziale Kontakte mit Gleichaltrigen den größten Einfluss auf die Sozialisation. Sie
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lösen das Elternhaus als Orientierungsanker ab (vgl. Kleinen, 2011, S. 45ff.) und sind selbst Entwicklungsaufgabe aber auch Grundbedürfnis (Rohlfs, 2010). Popmusik spielt hier eine entscheidende Rolle. Sie gilt als bedeutendstes mediales Themenfeld für Jugendliche (MPFS, 2016, S. 11-12). Peers dienen in dieser Zeit als wichtige Orientierungsfolie und sind entscheidend für die Ausprägung musikalischer Präferenzen und das Testen dieser vor anderen. Peers sind zudem Basis für Prozesse musikzentrierter Vergemeinschaftung. Auch wenn Musik sich heute gegenüber anderen medialen Freizeitangeboten mit Vergemeinschaftungspotenzial, wie digitalen Spielen, behaupten muss, ist ihre Bedeutung für die jugendliche Freizeitgestaltung nach wie vor kaum zu überschätzen (Hajok, 2013, S. 80-82). Gleichzeitig muss, gerade in Verbindung mit Popmusik, darauf hingewiesen werden, dass heute mehr und mehr unklar wird, was Jugend eigentlich meint. Denn Jugend ist aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen nicht mehr ausschließlich am Alter festzumachen. Erwachsenenaufgaben beziehungsweise Verpflichtungen dringen in den Alltag der Jugendlichen ebenso ein, wie sich das Jugendalter mittlerweile über ursprünglich gültige Grenzen von 18, 21 oder 27 hinaus ausdehnt (vgl. Tully & Krug, 2011, S. 17).1 In den letzten Jahren verlängert sich die Diskussion um musikzentrierte Gemeinschaften und um Musiknutzung daher zunehmend und wenig überraschend in die Postadoleszenz und ins Erwachsenenalter (Bruhn & Schröter, 2011; Gembris, 2011; Hodkinson, 2007a). Kleiner spricht von einer »Kultur des Alter(n)s« (Kleiner, 2012, S. 15). Dies passt zum Verständnis von Sozialisation als lebenslanger Aufgabe (vgl. Hurrelmann, Grundmann & Walper, 2008). Wer die großen Festivals und Konzerttourneen besucht, merkt schnell, dass auch Popmusik heute bei weitem kein Jugendphänomen mehr ist. Die Jugend hört nach wie vor ihre spezielle Musik, aber vor allem Erwachsene gönnen sich, nicht zuletzt dank finanzieller Möglichkeiten, ausgiebige Clubbesuche, Konzertoder Festivalreisen oder leben ihre Faszination für subkulturelle Musikstile aus (Bennett, 2006; Hodkinson, 2011). Auch der aus pophistorischer Sicht mögliche Beginn popmusikalischer Prägung in den 1950er oder 1960er Jahren trägt dazu bei, dass die intensive Beschäftigung mit Popmusik und daraus resultierende sozialisierende Wirkungen heute durchaus bis ins Rentenalter reichen können.
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Diese Altersfestlegungen, die im Alltag oft die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsensein bilden, manifestieren sich oft juristisch, beispielsweise im Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfegesetz) von 1990. Danach gelten Personen bis 14 Jahren als Kinder, Personen zwischen 14 und 18 Jahren als Jugendliche, Personen zwischen 18 und 27 Jahren als volljährige Jugendliche (vgl. Tully & Krug, 2011, S. 17). Eine weitere bekannte Altersgrenze ist 21. Dies ist das Alter, indem deutsche Staatsbürger vom Strafrecht als Erwachsener angesehen wird. In vielen Bundesstaaten der USA ist erst ab diesem Alter Alkoholkonsum gestattet.
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»Für ältere Menschen, zumal wenn sie aus den Verpflichtungen des Berufslebens ausgeschieden sind und ihren Nachwuchs längst großgezogen haben, eröffnen sich Chancen, mit der gewonnenen frei verfügbaren Zeit etwas Sinnvolles anzufangen und ihre musikalischen Vorlieben, deren Grundlagen vier oder fünf Jahrzehnte früher gelegt worden sind, wieder aufzugreifen. Musik kann nun wieder als aktives Hobby gepflegt werden […].« (Kleinen, 2011, S. 60)
Die Gleichung ›Popmusik = Jugendmusik‹ geht daher nicht mehr in allen Fällen auf. Bestimmte Alterseffekte, wie ein schlechteres Gehör oder abnehmende motorische und körperliche Fähigkeiten, die für Musikrezeption und -produktion nicht unwesentlich sind (vgl. auch Bruhn & Schröter, 2011, S. 190ff.), sind biologisch bedingt unabwendbar. Dazu schränken mögliche berufliche oder familiäre Verpflichtungen das Hobby Popmusik möglicherweise ein. Ältere Popmusikfans schaffen es aber, entsprechend ihrer körperlichen und zeitlichen Möglichkeiten, neue Wege des Auslebens ihrer Leidenschaft zu finden (vgl. Bennett, 2006; Hodkinson, 2011). Beispielsweise geht der Fokus weg von der gruppenorientierten hin zur individuellen Teilhabe (Bennett, 2006, S. 223) oder die Frequenz des Ausgehens sinkt (Hodkinson, 2011, S. 268f.). Zudem involvieren sich die Älteren körperlich nicht mehr so bei Konzerten. Sie müssen anderen nichts mehr beweisen. Als Ausweis ihrer Authentizität, beispielsweise als Punk, genügt vielmehr, dass sie schon lange dabei sind (vgl. Bennett, 2006, S. 232). Das Altern der Popmusikfans wiederum beeinflusst umgekehrt auch das Selbstverständnis und das Angebot der jeweiligen Szenen. »Finally, in various ways, the organizational and entrepreneurial infrastructure of the goth scene had responded to the developing priorities of its ageing participants. Many clubs had adjusted to running monthly due to the unwillingness of a substantial portion of their clientele to go out more often. Although many clubs continue to play new music, an increasing number of nostalgia-themed events had emerged […] Other developments included an increasing provision of types of clothing compatible with older bodies and identities among subcultural retailers. The increasing prevalence of parenthood among goths, meanwhile, had prompted the emergence of goth children’s clothes as an important new line of business […].« (Hodkinson, 2011, S. 279)
So haben der Wunsch nach mehr Komfort (vgl. ebd., S. 277) und die größeren finanziellen Ressourcen zur Folge, dass statt eines Zeltplatzes vermehrt Apartments oder Hotelzimmer als Übernachtungsmöglichkeit für Festivals in Frage kommen.2 2
Teilweise wird dies direkt vom Veranstalter mit ins Angebot aufgenommen. So bietet der seit 2009 jährlich stattfindende Rolling Stone Weekender Apartments in verschiedenen Größen auf der Website (www.rollingstone-weekender.de) an, die mit dem FestivalTicket kombiniert werden können. In der von Paul Hodkinson (2011) untersuchten Go-
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Auch im Alter kann Popmusik also eine bedeutende Rolle spielen. Jacke unterstreicht dies, wenn er sagt, dass Alter heute »potentiell kulturell gestaltbar« ist (Jacke, 2004, S. 22). Die gesellschaftliche Bedeutung von Alter wird in diesem Sinne, wie die der Jugend, historisch unterschiedlich soziokulturell verhandelt. Alter kann genauso Gegenstand gesellschaftlicher Strukturierung und Positionierung werden. Für das popmusikalische Handeln spielt dieses soziale Alter durchaus eine Rolle, denn es hat in einem sozialisatorisch-interaktiven Verständnis wiederum Einfluss auf die Ausgestaltung der Popkultur und ihrer Teilbereiche, die mehr und mehr Angebote für alternde Teilnehmer schaffen. So gilt die als Jugendkultur gestartete musikzentrierte Gemeinschaft der Goths ebenso wie die der Punks, Metaller3 und vieler anderer mittlerweile eher als »ageing communitiy« (Hodkinson, 2011, S. 279), die nach wie vor Sozialisationsleistungen für die Individuen erbringt, nicht zuletzt indem Referenzpunkte der individuellen popmusikalischen Geschichte immer wieder mit Neuem abgeglichen werden und damit Identitätsarbeit weit über die Jugendphase hinaus geleistet wird. »Musikalische Sozialisation vollzieht sich somit auch durch die Genese subjektiver Bedeutungen musikalischer Objekte in der Lebensgeschichte.« (Lenz, 2013, S. 176) Wenn also hier und anderswo in der Folge von Jugend oder Jugendlichen die Rede ist, sollte dies stets mit dem Vorbehalt gelesen werden, dass sich Jugend heute »nicht mehr als eine soziokulturell ›geregelte‹ oder zumindest angeleitete Lebensphase dar[stellt], die mit dem Ende der Kindheit beginnt, bestimmte Ereignis- und Erlebnisabfolgen impliziert und mit dem Eintritt ins Berufsleben endet« (Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 13). Von daher sind ehemals als jugendkulturelle Gemeinschaften existierende musikzentrierte Gesellungsformen mittlerweile nicht mehr zwingend als jugendlich im Sinne eines juristisch definierten Alters zu denken. Der Teilhabe an diesen Gemeinschaften ist keinerlei konkrete Altersgrenze zuzuweisen, sondern Alterungsprozesse werden in das Selbstverständnis dieser Gebilde eingearbeitet. Eine popmusikalische Sozialisation innerhalb dieser Gruppen erfolgt damit potenziell lebenslänglich (vgl. auch Kapitel 3.4.1.). thic Szene und ihrer zahlreichen Randbereiche ist es zudem üblich, via Facebook oder auf der entsprechenden Website örtliche Übernachtungsmöglichkeiten in Hotels oder Pensionen zu kommunizieren. Das ›Wave Gotik Treffen‹ als weltweit größtes Festival der Gothic Szene wird nicht zuletzt aufgrund der gealterten und damit finanziell gut aufgestellten Besucher mittlerweile als Segen für die Hotel- und Gastronomiebranche Leipzigs gesehen (Schiller, 2016). Hotels wie das The Westin machen hier bereits Monate im Voraus speziell gerahmte Angebote auf ihrer Website (vgl. The Westin Leipzig, 2017). 3
Für Anhänger von Metal sind unterschiedliche Selbst- und Fremdbezeichnugen üblich. Neben Metaller sind auch Begriffe wie Metalheads, Mosher, Headbanger oder ganz neutral Metal-Fans üblich.
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3.1.3 Popmusiksozialisation als Mediensozialisation Medien sind zentraler Bestandteil von Popmusik. Für Sozialisationsprozesse ist deren technische Ebene ebenso entscheidend wie die Inhaltsebene (vgl. Kübler, 2010, S. 23ff.). Während die kommunikationswissenschaftliche, psychologische und pädagogische Mediensozialisationsforschung meist die Inhalte und deren Nutzungsweisen im Blick hat (vgl. im Überblick Vollbrecht & Wegener, 2010a), untersucht die Techniksoziologie eher den instrumentellen Einsatz der Geräte und Anwendungen (Tully, 2009, S. 10). Im Sinne der ersten Perspektive werden Medien als »an der Schaffung von Wirklichkeiten und an der Gestaltung von Kommunikationsprozessen beteiligt« konzipiert (Hug, 2010, S. 32). Sozialisationsprozesse beruhen auf Erfahrungen, die Subjekte in der wahrgenommenen Realität machen. Dies schließt Medienerfahrungen explizit ein. Mit Blick auf die techniksoziologische Perspektive spricht Claus Tully von einer »Medienkompetenz der digitalen Art« (Tully, 2004, S. 42), deren Kennzeichen nicht mehr das Verstehen der Funktion bestimmter technischer Vorgänge – Motoren, elektrische Schaltungen, Magnete etc. – ist, sondern in der Bedienungsgeschicklichkeit der Apparate liegt. Technische Objekte sind »Objekte des Jugendalltags« (Tully, 2009, S. 12) und helfen beim Eintauchen in die jugendkulturelle Lebenswelt, bei der kommunikativen Einbettung, bei der Selbstdarstellung über Selbstausdruck und bei der Vermittlung von sozialer Nähe (ebd., S. 11). Der Umgang mit Technologie, deren alltägliche Nutzung und Einbettung bestimmen daher in nicht unwesentlicher Weise popmusikalische Aneignungsprozesse. Popmusikalische Sozialisation findet strukturell – wie Mediensozialisation – in allen Sozialisationsinstanzen statt: in Bildungseinrichtungen, in der Familie, im Umgang mit Peers. Viele Beiträge zur Mediensozialisationsforschung lassen Popmusik jedoch fast komplett außen vor. Es scheint, als sei die Abstraktheit von Musik und womöglich die Dominanz der Bilder im Verhältnis zur Musik in heutigen Mediengesellschaften dafür verantwortlich. Besonders in der Kindheit ist (pop)musikalische Sozialisation aus Sicht der Forschung kaum bedeutend. Das zeigen Überblickstexte zur kindlichen oder familialen Mediensozialisation, in denen Musik wenig bis gar nicht berücksichtigt wird (Lange & Sander, 2010; Zerle & Lange, 2010). Zwar werden im Rahmen der Geräteausstattung Musikmedien wie Radio (Zerle & Lange, 2010, S. 173) oder Kassettenrekorder beziehungsweise CD-Player (Lange & Sander, 2010, S. 186) genannt. Inhaltliche Auseinandersetzungen finden jedoch ausschließlich mit dem kindlichen Leitmedium Fernsehen (ebd.; Zerle & Lange, 2010, S. 174-175), dem Umgang mit dem Computer oder mit Büchern (Zerle & Lange, 2010, S. 175-177) sowie mit dem Internet (Lange & Sander, 2010, S. 187188) statt. Popmusik ist vermutlich zu wenig greifbar und vielleicht auch nach wie vor nicht angesehen genug, um sich mit ihr aus Sicht der Mediensozialisation inten-
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siver auseinanderzusetzen. Allenfalls ist ihr auditiver Teil an der eher physiologisch gerahmten Hörsozialisation (Münch, 2010) beteiligt. Dabei ist Popmusik heute ubiquitär (Diederichsen, 2014, S. 49ff.) und für Kinder bereits seit Jahren ein bedeutendes Alltagsmedium (Schorb, Hartung, Reißmann, 2009, S. 11; Weber, Bullerjahn & Erwe, 1999, S. 124ff.). Trotz medientechnologischer Überformungen hat der Umgang mit Popmusik nach wie vor nichtmediale, sozial-interaktive Komponenten. Plattenläden, Konzertbesuche oder das persönliche Gespräch, diese beinahe archaisch anmutenden Arten und Plätze popmusikalischen Austausches, existieren nach wie vor. Popmusikalische Sozialisation ist geprägt von dieser Vielfalt. Ein großer Teil dieser auf den ersten Blick nichtmedialen Tätigkeiten lässt sich heute dennoch als mediensozialisatorischer Prozess verstehen. Denn die unterschiedlichen Medien agieren »quer in Raum und Zeit […] als Sozialisationsagenten [und man kann] von einer Art hybrider Sozialisation sprechen« (Kübler, 2010, S. 24). Mit dieser Hybridität meint Kübler das gleichzeitige Auftreten medialer und nichtmedialer Sozialisationsagenten und die sich daraus ergebende Beeinflussung nichtmedialer Sozialisationsagenten durch Medien. Hier ergeben sich auch Anknüpfungspunkte an die Cultural Studies (vgl. auch Friedemann & Hoffmann, 2013, S. 381; Lenz, 2013, S. 163), die von Kultur, als mediatisiert, »von Medien durchdrungen, über Medien artikuliert und von diesen geprägt« (Hepp, Krotz, Lingenberg & Wimmer, 2015, S. 11) konzipieren. Damit meinen sie aber keineswegs, dass alles nur noch über Medien funktioniert, sondern dass »Medien als Institutionalisierungen und Verdinglichungen unser kommunikatives Handeln und damit auch unsere Artikulationen von Wirklichkeit [verändern]. Dies manifestiert sich […] in verschiedenen Feldern und Kontexten auf vielfältige Weise.« (Hepp, 2013, S. 131-132) Medien greifen also nicht nur unmittelbar, sondern vor allem mittelbar, gewissermaßen über mediatisierte Zwischeninstanzen in das Leben und den Sozialisationsprozess ein. Dies betrifft beispielsweise den medialen Einfluss »in der Strukturierung von Zeit, der Rhythmisierung des Alltags, der Zuwendung von Aufmerksamkeit und Finanzen, bei der Einrichtung des Zuhauses, bei der Qualifizierung und Ausstattung von Rollen und Beziehungen« (Kübler, 2010, S. 24). Blicken wir in diesem Rahmen auf Popmusik, zeigt sich, dass große Teile popmusikalischer Erfahrungen mediatisiert sind, weil Popmusik nun einmal über Töne und Bilder funktioniert. Die Bereiche, die nicht- oder nur teilmediatisiert erscheinen, sind mittelbar insofern mediengeprägt, weil Popmusik selbst ohne Medien und mediale Verbreitung nicht denkbar wäre. Aus sozialisatorischer Sicht ergeben sich damit die Bedeutungszuschreibungen an popmusikalische Sachverhalte, ob sie nun mediatisiert auftreten oder nicht, aus dem Vorwissen und das wiederum ist geprägt von der hochgradig mediatisierten Genese der Popmusik. Die popmusikalische Sozialisation, der sich hier angenähert werden soll, kann daher zwar zunächst als Spezialform der Mediensozialisation konzipiert werden.
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Bei genauerer Betrachtung jedoch lässt sie sich nur schwer von dieser trennen. Ebenso schwer wie sich Mediensozialisation selbst von Sozialisation trennen lässt (vgl. Vollbrecht & Wegener, 2010b, S. 9). Ausgangspunkte für die Konzeption popmusikalischer Sozialisation sollen in der Folge die musikalische Sozialisation und die Selbstsozialisation über Musik bilden. Im Zentrum des Verständnisses soll die aus verschiedenen Perspektiven beleuchtete Aneignung von Popmusik stehen, über die mittels Distinktion, Identifikation und Vergemeinschaftung Identitätsarbeit geleistet werden kann. 3.1.4 Popmusikalische Sozialisation als Identitätsarbeit Die individuelle und gruppengeleitete Auseinandersetzung mit Popmusik ist stark mit der Arbeit an der eigenen Identität (vgl. dazu ausführlich Eulenbach, 2013, S. 267ff.), mit Prozessen der Distinktion und Identifikation verknüpft. So werden beispielsweise Popmusikstars zu Sozialisationsagenten (Wegener, 2007). Das heißt, sie sind wie die Medien, in denen sie auftreten, Bestandteil des Alltags und bieten Heranwachsenden Projektionsflächen, indem sie unterschiedliche Identitätsfelder wie soziale Beziehungen, Arbeit und Leistung oder persönliche Werte besetzen (vgl. Pürer, 2015b, S. 187-188). Über sie wird also Identitätsarbeit geleistet. Dies kann direkt über die Medienrezeption beispielsweise in Form parasozialer Interaktion (vgl. Eulenbach, 2013, S. 272) geschehen oder aber über die mit den Stars verknüpften popmusikalischen Kommunikate – Musik und Texte – sowie über ästhetische Ausdrucksformen wie Tanz oder Kleidung. Jugendliche machen dabei mit Hilfe von Popmusik nicht nur ihre eigenen sozialisatorischen Erfahrungen. Ihr Umgang mit popmusikalischen Erzeugnissen bleibt nicht in allen Fällen individuelles Erlebnis, denn er kann, beispielsweise im Sinne von »Retroaktive[r] Sozialisation« (Klewes, 1983; Baacke, 1999, S. 246), auch auf ältere Generationen wie Eltern oder andere Verwandte zurückwirken. Nicht umsonst sind allen Retromanien zum Trotz Jugendliche und junge Erwachsene »am ehesten diejenigen, die neue musikalische Trends favorisieren« und in dieser Hinsicht als Lehrmeister ihrer Eltern auftreten (Baacke, 1999, S. 248).
3.2 MUSIKALISCHE SELBSTSOZIALISATION Gerade mit Blick auf Popmusik wird häufig von sogenannter Selbstsozialisation gesprochen (vgl. u. a. Hoffmann, 2002; Müller, 1995; Müller, Glogner & Rhein, 2007; Zinnecker, 2000). Der Begriff ist nicht unkritisch, denn mit der Betonung des ›Selbst‹ wird »nur eine Seite des für Sozialisation konstitutiven Verhältnisses von Selbst und sozialisatorischer Interaktion zum Ausdruck gebracht« (Krappmann,
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2014, S. 184). Sozialisation, so die Sorge dieser Kritik, wird dadurch verkürzt dargestellt (ebd., S. 184f.). Dies ist jedoch gar nicht der Fall. Denn Selbstsozialisation ist nicht als umfassende und schon gar nicht als neue Theorie zu verstehen. Es geht bei diesem Begriff lediglich darum, den aktiven Teil des Sozialisanden zu pointieren (vgl. auch Hoffmann & Schmidt, 2008, S. 286f.). So gesehen kann Selbstsozialisation als logische Konsequenz aus der Hinwendung zu konstruktivistischen Sozialisationsmodellen gelesen werden (Kleinen, 2011, S. 55). Angesichts der Zunahme der Kontextkomplexität kommt der Aktivität des Einzelnen oder dem »produktiv realitätsverarbeitenden Subjekt« (Hurrelmann, 1983) eine Schlüsselrolle zu. Das heißt eben nicht, dass »die Vorstellung [von] Sozialisation als wechselseitige[m] Bedingungsverhältnis von sich bildendem Selbst und sozialer Interaktion [verloren geht]« (Krappmann, 2014, S. 179), sondern lediglich, dass gerade im Hinblick auf Medien und Musik aktive und sozialisatorisch konstruktive Rezipienten modelliert werden (vgl. Kübler, 2010, S. 21ff.). »Der Prozess der Selbstsozialisation beinhaltet nicht nur, dass das Individuum durch Wahlentscheidungen seine Zugehörigkeit zu verschiedenen kulturellen Strömungen definiert, sondern auch mit Hilfe einer aktiven Teilnahme als Mitglied dieser Kulturen und deren Symbolik auf diese einwirkt und sie kreativ mit- und umgestaltet.« (Friedemann & Hoffmann, 2013, S. 377)
Für den Umgang mit Popmusik bedeutet dies konkret, dass sich Jugendliche die für sie wichtigen Inhalte heute selbst aussuchen. Dies führt zur Herausbildung spezieller Aufmerksamkeitsschemata. Beispielsweise zeigen Münch & Boehnke (1996) in ihrer Studie, dass das Radio als Medium des Wortes keine Bedeutung für Jugendliche hat, sondern es hier fast ausschließlich um die Musik geht, die ja nur ein Bestandteil dieses Mediums ist. Und Claudia Wegener kommt im Rahmen ihrer Studie zur Identitätsarbeit Jugendlicher mit Hilfe von Stars zu dem Schluss, dass die Wahrnehmung von Musikstars »in wesentlichen Teilen abhängig von den eigenen Erfahrungen und somit gleichsam die Spiegelung des eigenen Selbst im medial vermittelten Gegenüber« (Wegener, 2008, S. 376) ist. Das heißt, Stars bieten – wie das Radio auch – eher einen »Fundus symbolischen Materials« (ebd.), der dann, entsprechend der Präferenzen und Bedürfnisse der Fans, individuell angeeignet wird. So offerieren Songtexte beispielsweise Orientierungen, die nicht einfach unreflektiert übernommen, sondern über Prozesse der Distinktion und Identifikation angeeignet werden (Hoffmann, 2008).
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3.3 ANEIGNUNG VON POPMUSIK Wie dargelegt beruht popmusikalische Sozialisation auf der Auseinandersetzung mit Medieninhalten, Medientechnologie und der daraus folgenden Herausbildung von Bedeutungszuweisungen an diese Inhalte und Technologien. Im Lichte der bis hierhin aufgezeigten kulturellen Bezüge und der Kontextabhängigkeit von Sozialisation und angesichts der Modellierung der Sozialisanden als aktiv werden für diesen auch als Aneignung bekannten Prozess die Cultural Studies anschlussfähig, denn diese zeichnen sich durch eine »radikale Kontextualität« (Hepp, Krotz, Lingenberg & Wimmer, 2015, S. 10) und Publikumszentriertheit (Kübler, 2010, S. 22) aus und tragen damit den stark auf Wechselwirkungen zwischen kulturellen Kontexten und aktiven Teilnehmern angelegten Definitionen Rechnung. Aneignung betont im Gegensatz zum Begriff Rezeption die »aktive Konstruktion von Bedeutungen« und wird »als produktiver und kulturell umfassend kontextualisierter Prozess des Sich-zu-Eigen-Machens verstanden« (vgl. Lingenberg, 2015, S. 109-110). Dieser Prozess ist als Vermittlung zwischen Alltagswelt und Subjekt zu verstehen (ebd.). Für das Verständnis des Medienaneignungsprozesses wird von den Cultural Studies zunächst betont, dass Bedeutungen »nicht einfach übernommen, sondern im Kontext von lebensweltlichen Erfahrungen, die an die Medientexte herangetragen werden, verhandelt und produktiv angeeignet« werden (Röser, 2015, S. 131). In diesem Sinne ist also Vor- und Kontextwissen zentral für die Art und Weise, wie Medieninhalte verstanden und verarbeitet werden. Zudem ist das Medienhandeln »in Routinen und Zeitstrukturen des Alltags eingebunden [und] in weiten Teilen ein sozialer und kollektiver Prozess« (ebd., S. 132). Damit rücken auch nichtmediale Erfahrungen, Orte, Situationen und soziale Konstellationen in den Fokus des Interesses. Ähnlich sieht die Medienhandlungsforschung den Begriff der Medienaneignung. Er dort wird als »Prozess der Auseinandersetzung des Individuums mit den Medien« aufgefasst (Schorb & Theunert, 2000, S. 34). Dazu gehört auch das Integrieren der Medien in den Alltag (ebd.). Daraus folgt ein Wechselspiel zwischen Erfahrungen und Lebenskontexten und der Nutzung von Medien. Ausgangspunkte für diese Betrachtungen bilden dabei sowohl die materielle Seite der Medien, also Technik und Inhalt, als auch die Subjekte (ebd.). Schorb und Theunert gliedern die Medienaneignung in vier Dimensionen: • Die erste ist die Mediennutzung. Darunter fällt die individuelle Medienauswahl,
für die Akzeptanz und Präferenzen eine Rolle spielen, aber auch Umfang und Dauer der Nutzung gehören zu diesem Punkt. • Die zweite Dimension ist die der Wahrnehmung, also das individuelle Rezipieren des Mediums, wobei der subjektive Erfahrungskontext mitgedacht werden
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muss. Das heißt angewandt auf Popmusik konkret: Wenn zwei Menschen ein und denselben Popsong hören, nehmen sie aufgrund individueller Erfahrungsund Geschmacksunterschiede letztlich zwei verschiedene Popsongs wahr. • Als dritte Dimension nennen sie die Bewertung der Medien, die ganz stark an medialen Erfahrungen, Moral und Normen des Individuums orientiert ist. • Schließlich wird die Verarbeitungsdimension genannt. Hier geht es gewissermaßen um den Transfer (vgl. auch Fritz, 2011, S. 87ff.), also darum, inwieweit das Gesehene oder Gehörte, das medial Erlebte, Verhalten oder Handeln des Rezipienten beeinflusst. Auch hier sind sowohl individuelle Charakteristika (Erfahrung, Kontext) als auch Medieneigenschaften (Ästhetik, Dramaturgie) bedeutend. (Schorb & Theunert, 2000, S. 34-35) Wie hier deutlich wird, sind beide Aneignungsbegriffe eng miteinander verwandt, wobei die Medienhandlungsforschung eher die Individualebene in den Blick nimmt, während die Cultural Studies stets die Verbindung zwischen Medienkultur, Individual- und Gruppenebene betonen. In der Literaturwissenschaft – um einen dritten verwandten Ansatzpunkt zu beleuchten – steht Aneignung in engem Bezug zur Adaption, unterscheidet sich jedoch von ihr in seinem Veränderungspotenzial: »[…] appropriation frequently affects a more decisive journey away from the informing source into a wholly new cultural product and domain. This may or may not involve a generic shift, and it may still require the intellectual juxtaposition of (at least) one text against another […].« (Sanders, 2006, S. 26)
Julie Sanders zeigt, wie Aneignung aus Sicht der Theater-, beziehungsweise Musical- und Filmproduktionen funktioniert (ebd., S. 27ff.). So lassen sich viele moderne Stücke auf Shakespeare und andere klassische Autoren zurückführen, was oft als Hommage gelesen werden kann. Ginge man hierbei jedoch analytisch vor, sähen sich viele Werke Plagiatsvorwürfen ausgesetzt, denn die Grenzen zwischen verehrender Hommage und einfallsloser Kopie sind oft fließend (ebd., S. 32). Dieses Prinzip tritt in der Popmusikkultur ebenfalls deutlich zu Tage. Sowohl intra- als auch intermediäre Bezugnahmen sind gewissermaßen an der popmusikalischen Tagesordnung. So ist es Standard, dass sich Künstler bereits durch den Bandnamen auf Filme4, Bücher5, Brettspiele6, Kunstepochen7 oder – klassisch selbstreferenziell
4
Black Sabbath (seit 1969) benannten ihre Band nach einem gleichnamigen Horrorfilm von 1963.
5
Die Band The Doors (1966-1973) benannte sich nach dem Essay »The Doors of Perception« von Aldous Huxley (1954). Dies kann als ein Grund für die enge Verknüpfung der Band mit Drogen gelesen werden. Denn Huxleys Essay thematisiert den Gebrauch der
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– auf andere Künstler oder deren Werke8 beziehen. Dieses als Zitieren zu verstehende Aneignen ist mithin von der Aneignung der Popmusikrezipienten auf Individualebene zu unterscheiden, jedoch legt es einen Mechanismus offen, den zu verstehen auch die Aneignung, wie sie in den Cultural Studies gemeint ist, zum Ziel hat: Es geht um das Neuzusammensetzen und die Sinnerneuerung von bereits vorhandenen Elementen, um das Bricolagieren (vgl. auch Kapitel 3.3.1). Erinnerungen und Reminiszenzen spielen dafür eine bedeutende Rolle. Das System Popmusik funktioniert »nach dem Konzept plötzlich wachgerufener Erinnerungen. Ist dem nicht so, verstehen wir zuerst mal gar nichts. Auch das Innovative vertraut auf das Prinzip süßer Reminiszenzen.« (Platzgumer & Neidhart, 2012, S. 20) Popmusik lebt von diesen Zitaten. Popmusik funktioniert immer auch situativ, indem die individuellen Präferenzen mit dem auditiv oder visuell Dargebotenem abgeglichen werden. Vorhandenes Kontextwissen stellt jedoch einen zusätzlichen Rahmen bereit, über den Popmusik unabhängig von ihrer konkreten Ausprägung angeeignet werden kann. Ähnlich wie bei Literatur, Film oder Malerei hilft es demnach, Popwissen anzureichern, um mitreden zu können, und um spezifische Erfahrungen des Genusses zu machen. »Of course, not every member of the audience will necessarily take pleasure from a particular entertainment, or from a given portion of an entertainment.« (Bates & Ferri, 2010, S. 13) Die Aneignung von Popmusik hängt demnach nicht ausschließlich von der konkreten musikalischen Erfahrung, sondern auch vom vorhandenen Kontextwissen ab. Popmusik in ihrer Tiefe und Breite stellt hier nahezu unendliche Symbolvorräte bereit, mit denen sich Fans auseinandersetzen um das Vergnügen zu steigern. John Fiske nennt dies »productive pleasures« und sieht darin eine wichtige Ressource für Empowerment und Selbstbewusstsein (Fiske, 2010, S. 40-55). halluzinogenen Substanz Meskalin. The Velvet Underground (1965-1973) benannten sich nach dem gleichnamigen Buch von Michael Leigh (1963). 6
Die britische Band The Human League benannte sich nach einem Begriff aus dem Brettspiel »Starforce: Alpha Centauri«.
7
Die von vier Kunststudenten gegründete Band Bauhaus (1978-1983 sowie 2005-2008) nannte sich zunächst Bauhaus 1919 und verweist mit ihrem Namen klar auf die von Walter Gropius im Jahre 1919 in Weimar gegründete Kunstschule, deren Stilistik prägend für Design und Architektur der klassischen Moderne war.
8
Die Reihe der Bands und Künstler, die sich nach Alben, Songs oder Textzeilen anderer Popmusikkünstler benannt hat, ist schier endlos. The Sisters Of Mercy (seit 1980) referenzieren auf den 1967 von Leonard Cohen veröffentlichten gleichnamigen Song. Die deutsche Rockband Love Like Blood (1988-2011) ließen sich vom gleichnamigen Lied der britischen Band Killing Joke (seit 1979) inspirieren und die britische Band Crass (1977-1984) bezog ihren Namen von einer Textzeile des David Bowie Songs ›Ziggy Stardust‹.
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Nicht zuletzt aus diesem Grund reicht die Beschäftigung mit Popmusik vor allem im Jugendalter weit über das Hören hinaus (vgl. Sander 1999, S. 227). »Eine besondere ›sozialisatorische Kraft‹ entfaltet sich im Gesamtprozess des Umgangs Jugendlicher mit Musik, der das vorgelagerte Erlangen von Aufmerksamkeit und die Suche nach Neuem ebenso miteinschließt, wie die nachgelagerte Auseinandersetzung mit dem Rezipierten.« (Hajok, 2013, S. 82) Der Begriff der Aneignung muss in diesem Sinne über das Medium (Musik) hinaus erweitert werden um der Gesamtheit popmusikalischer Ausdrucksformen gerecht zu werden. Sowohl die Cultural Studies (Göttlich, 2015a) als auch die die Soziologie (Rosa, 2005; 2013) bieten hierfür Ansätze. Angeeignet werden können in diesem Sinne popmusikalisch auch Ästhetiken und Stile in Form von Objekten (Clarke, 2006), Orten (Seifert, 2013, S. 560) oder der Zeit (Rosa, 2013, S. 136-140). All diese Formen werden im Sinne einer Medienkultur (Hepp, 2013) mindestens teilweise mediatisiert angeeignet. Dennoch existieren Erfahrungen und Praktiken, die ohne Medienkommunikation auskommen und für die Popmusik von Bedeutung sein können. 3.3.1 Stil und Objekte Ein Stil, der sich über getragene Kleidung, Frisuren, Accessoires, aber auch Sprache und Gestiken ausdrückt, speist sich aus dem kreativen Umgang mit konkret vorhandenen Objekten. Für die »stylistic generation« (Clarke, 2006, S. 149) wird häufig das Konzept der Bricolage des Strukturanthropologen Claude Levi-Strauss (1962) auf jugendliche Gemeinschaften übertragen (vgl. Clarke, 2006; Hebdige, 1979). Der Ansatz von Levi-Strauss stellt das wissenschaftliche oder planvolle Denken dem kreativen Denken gegenüber. Danach nutzen Menschen vorhandene Objekte nicht immer zielgerichtet und rational, sondern erschaffen neue Bedeutungszusammenhänge durch Rekontextualisierungsleistungen. Die alte Bedeutung der Objekte bleibt dabei teilweise erhalten, wird jedoch durch eine neue ergänzt, sodass die Symbolik insgesamt mehrdeutig und flexibel wird. Clarke (2006) beschreibt dies als »re-ordering and re-contextualisation of objects to communicate fresh meanings, within a total system of significances, which already includes prior and sedimented meanings attached to the objects used« (Clarke, 2006, S. 149). Die mit bestimmten Objekten assoziierte Bedeutung verändert sich je nach Kontext und Objektnutzer. Ein populäres Beispiel ist die Sicherheitsnadel: Im Büro steht sie für Ordnung, im Ohr oder in der Nase eines Szenegängers für Aufbegehren, für »Punk« und, wie im vergangenen Jahrzehnt des Öfteren zu sehen, als Mützen-Piercing, könnte man sie als Statement für die neue Angepasstheit des Aufbegehrens interpretieren. Niemand will sich damit heute noch das Gesicht durchbohren, aber man zeigt durch die Nutzung als Accessoire, dass man um die ehemalige Bedeutung weiß und konser-
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viert diese auf weniger martialische Art und Weise. Dieses Wissen um die ehemalige Bedeutung ist Medienaneignungsprozessen geschuldet. Die neuerliche Aneignung im Sinne einer Bedeutungsveränderung hingegen basiert auf der Kreativität der jeweiligen Protagonisten. In der Popmusikgeschichte waren bestimmte Bedeutungen vor allem dann erfolgreich, wenn sie sich als Ergebnis einer »Episode gemeinsamer Aufmerksamkeit« (Crawford, 2016, S. 366), also im Austausch mit anderen Menschen konstituiert haben. Zunächst manifestiert sich die Bedeutung dann am konkreten Objekt, in einem überschaubaren Rahmen, bevor sie erneut medial kommuniziert und damit translokal oder sogar global wird. Gegenwärtig kommt der medialen Verbreitung eine ungleich größere Rolle zu als noch vor 20, 30 oder 40 Jahren. Ästhetiken werden heute über Bilder und Videos in die ganze Welt transportiert und erst dadurch zu einem global geteilten Stil. Dennoch sind es die lokalen, dinglichen und physischen Erfahrungen, der konkrete Umgang mit Objekten, die spezifische Ästhetiken erst hervorbringen und Aneignung, oder wie Rosa es nennt, »Anverwandlung«, erst ermöglichen. Denn »Anverwandlung […] ist zeitintensiv und erfordert das Sich-Einlassen auf die Dinge sowie die Bereitschaft, sich selbst zu verändern, sich gleichsam aufs Spiel zu setzen; zugleich ist sie nur dort möglich, wo Selbstwirksamkeit erfahrbar wird, was wiederum den Einsatz von Zeit, Aufmerksamkeit, Libido und Energie voraussetzt.« (Rosa, 2016, S. 433)
Diese Form der Aneignung, der Umgang mit Dingen, ist hochbedeutsam für die Sozialisation, denn physische Artefakte erzeugen und sichern auf vielfältige Weise Identität, indem sie individuell mit Bedeutungen aufgeladen werden und Prozesse des Vertrauens, der Wahrnehmung, der Kreativität sowie das Ausleben von Emotionen unterstützen (vgl. Bosch, 2014). 3.3.2 Orte und Räume Erschienen Orte mit Bezug auf Medien lange bedeutungsschwach, ist mittlerweile klar, dass wachsende kommunikative Reichweiten »Rückbettung« (Giddens, 1999, S. 176f. [orig.: re-embedding]; Tully, 2007) einfordern. »Je weiter sich die Subjekte von ihren vertrauten Räumen entfernen, desto wichtiger wird es ihnen, sich über diese einzubetten.« (Tully, 2007, S. 36) Das Lokale und konkret Örtliche wird gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung wieder bedeutend. Denn Orte spielen eine zentrale Rolle, wenn es um die Verarbeitung und Schaffung medialer Erfahrungen, um Aneignung und damit letztlich um Identität und Einbettung geht (Pirker, 2009). Der virtuelle Raum ersetzt den realen nicht, er vermehrt lediglich die Handlungsoptionen. Er muss als »techno-sozialer Zusatzraum, der bisher relevante Wirklichkeiten ergänzt und erweitert« (Ahrens, 2009, S. 32), verstanden werden.
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Für die Sozialwissenschaften beschreibt der sogenannte »Spatial Turn« die Aufwertung der Bedeutung des Raumes in Bezug auf Medien (vgl. dazu Tillmann, 2009). Räume sind dabei nicht mehr nur als physische Räume zu fassen, sondern sie können auch medial konstruiert sein und in diesem Sinne »durch Prozesse, also konkrete gemeinsame Handlungen der Menschen entstehen« (Pirker, 2009, S. 92). Ahrens (2009) betrachtet die durch Kommunikations- und Medientechnik möglich gewordene soziale Raumkonstruktion als zentrales neues Paradigma im Vergleich zur bloßen Raumüberwindung durch Vehikel des Industriezeitalters. Raum kann nun also auch erschaffen werden. Mit Blick auf jugendliche Sozialisation heißt dies: »Neben den Peers spielt die mediengestützte Kommunikation für die Jugendlichen eine zentrale Rolle für gesellschaftliche Partizipation und Identitätsbildung.« (Ahrens, 2009, S. 40) Onlinewelten, soziale Netzwerke und ähnliche technische Kommunikationsräume geraten also verstärkt Blick. Sie gelten als »sozial hergestellt« (Berg & Roitsch, 2015, S. 149). Orte dagegen sind weniger prozesshaft, sondern eher statisch zu verstehen. Trotz medialer Vernetzung bleiben ihre Charakteristika erhalten. Es »sind jene, die nicht durch Interaktionen mit konkreten anderen Personen, sondern nur durch die (mehr oder minder statische) Ansammlung von Informationen beziehungsweise medialen Repräsentationen und deren Rezeption konstituiert werden« (Pirker, 2009, S. 92). Darunter können neben konkreten realweltlichen Orten auch klassische Medien wie TV, Film oder Zeitungen verstanden werden (vgl. ebd.). Bei der Aneignung popmusikalischer Räume und Orte geht es, wie bei der Aneignung von Medien auch, um Auseinandersetzung, das Versehen mit Bedeutungen und die Verknüpfung mit Alltagserfahrungen (vgl. Lingenberg, 2015, S. 109). Es geht dabei aber auch um wiederholte oder ritualisierte Nutzung, die den Aneignungsprozess unterstützt und zu Sicherheit und Vertrautheit führt (Seifert, 2013, S. 560). Es geht um Rückbettung als »Gegenstück zur Dislozierung« (Giddens, 1999, S. 176). Für die Popmusik sind hier besonders Clubs, Konzerthallen und andere physische Orte, an denen Musik stattfindet oder die mit Popmusik verbunden sind, bedeutend. Dies können auch Plattenläden, Verkehrsmittel oder häufig frequentierte informelle Treffpunkte sein. Über individuelle Bedeutungszuweisungen werden mit diesen Orten bestimmte popmusikalische Erlebnisse verbunden und in den Erfahrungsschatz aufgenommen. Die Erwartungen an diese Orte können durchaus medial präfiguriert sein. Wer das Berliner Berghain besucht, erwartet tanzbare elektronische Musik, die Hamburger Bar 20 Flight Rock steht für Rockabilly und Psychobilly und das Münchener P1 für massentauglichen House und R’n’B. Entsprechende, aus Erfahrungen und medialem Vorwissen gespeiste Erwartungen bringen Besucher dem Publikum oder den dort auftretenden Künstlern entgegen. Setzt sich der Besucher damit jeweils im Vorfeld auseinander, beispielsweise über einen Besuch der Internetseite, weiß er ungefähr, was auf ihn zukommt – jedenfalls wenn er die dortigen Codes popmusikalisch entschlüsseln kann. Hier spielen dann
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also gewissermaßen die popmusikalischen Medienräume eine Rolle, die Bilder, Ästhetiken und damit Erwartungen transportieren und damit den physischen Ort bereits mit bestimmten Bedeutungszuschreibungen verknüpfen, ohne dass man ihn betreten muss. Vor Ort jedoch geht es dann auch um Geruch, Haptik, Temperatur, Taktilität. Diese Sinneswahrnehmungen spielen eine wesentliche Rolle für das popmusikalische Erlebnis. Die körperliche Erfahrung vor Ort involviert alle Sinne und wird damit »Teil unserer alltäglichen Lebenserfahrung, Identität und Geschichte« (Rosa, 2013, S. 125). Das Begehen eines popmusikalischen Ortes kann als »Prozeß der Aneignung des topographischen Systems« und als »räumliche Realisierung« verstanden werden (de Certeau, 1988, S. 189). Mit Blick auf misslungene Aneignung ist häufig von Begriffen wie »De-Kontextuierung« (Rosa, 2005, S. 341), Dislozierung (Giddens, 1999, S. 175) oder »Entbettung« (Rosa, 2005, S. 342) die Rede. Eine wichtige Handlungsweise für die gelingende Aneignung popmusikalischer Orte ist die körperliche Erfahrung des Tanzes. Sie verbindet physische Raumerfahrung und Popmusik auf einzigartige Weise. Tanzen ist affektiv und vor allem vergänglich. Es stellt damit einen besonderen Erfahrungsmodus dar, der als vom Alltag abgetrennt erlebt wird (Brabazon, 2012, S. 24). Bei Tanz geht es um Physis und Körperlichkeit. Es ist gleichzeitig individuell und auf andere bezogen, eine Kombination aus »socialised pleasures and individualised desires« (McRobbie, 1991, S. 194). Entsprechend bedeutsam und besonders können die Orte des Tanzes werden. »There is a seperation between the dancing space and the living space. The feelings and experiences while dancing gain meaning later, when the dancefloor has been vacated.« (Brabazon, 2012, S. 24) Dadurch erschließt Tanzen popmusikalische Orte häufig erst, denn die Aussicht auf die körperliche Erfahrung, das Bewegen im Einklang mit der Musik ist häufig die Motivation, diese zu besuchen. Tanzen ist in vielen Fällen auch eine soziale Erfahrung, denn es lebt von der Gegenwart anderer, von der Gruppendynamik. Es unterliegt dabei in manchen Fällen speziellen pophistorischen Normen. »Particular forms of dance are associated with specific music genres, such as line dancing in country, slam-dancing and the pogo in punk, break dancing in some forms of rap, and head banging and ›moshing‹ at concerts by heavy metal and grunge and alternative performers.« (Shuker, 2016, S. 187)
Gleichzeitig ist es eine hochgradig individualisierende Tätigkeit, die Identifikations- und Distinktionsprozesse ermöglicht, indem es den Körper und das eigene Körpergefühl auf eine ganz spezielle Art und Weise ausstellt. Der Ort und die damit unweigerlich verbundene körperliche Erfahrung scheint eine wichtige Ressource für das popmusikalische Handeln. Die Unmittelbarkeit des Ortes ist für den Abgleich von Körperbildern oder musikalischen und stilistischen
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Präferenzen, aber auch für bestimmte Formen der musikalischen Rezeption – Tanzen zu lauter Musik, gemeinschaftliches Bejubeln von Künstlern – unabdingbar. Popmusikalische Orte werden damit identitätsstiftend und ihre Aneignung zu einem zentralen Ankerpunkt für das Körperselbstkonzept (Hoffmann & Schmidt, 2008, S. 290). 3.3.3 Zeit Unter Aneignung der Zeit kann – in Anlehnung an den Aneignungsbegriff der Cultural Studies (Lingenberg, 2015, S. 109-110) – das Sich-zu-eigen-Machen bestimmter Erlebnisse verstanden werden. Das bedeutet konkret, dass popmusikalische Einzelerfahrungen nicht episodisch-abstrakt bleiben, sondern dass ihnen individuelle Bedeutungen zugeschrieben und sie damit in die Gesamterfahrung und den Lebenskontext eingebettet werden. Hartmut Rosa nennt dies »Anverwandlung der Zeit« (Rosa, 2013, S. 140). Es geht darum, »die erlebte Zeit zu ›unserer‹ Zeit zu machen« (ebd.). Scheitert dies, bleiben uns die Dinge, mit denen wir diese Erfahrungen gemacht haben, fremd. Diese Sichtweise unterstützt die häufig zitierte Bindung von Musik an spezifische Situationen und Erinnerungen (vgl. Kleinen, 2011, S. 60; Röttger, 1994) und macht auch klar, warum Nostalgie und Revivals ein wichtiger Quell popmusikalischen Genusses sein können. Das Bewusstmachen von Zeitverläufen, von Geschichte und persönlichen Erinnerungen gilt als zentrale Funktion von Popmusik (vgl. Frith, 1987a, S. 142). Popmusik wird hier zum kulturellen und persönlichen Gedächtnis, das über Zitate und Bezüge an bestimmte Popmusikepochen und damit auch an bestimmte biografische Phasen erinnert (vgl. Nieper & Schmitz, 2016). »Als Speicher gelebter Erfahrung bietet sie damit die Möglichkeit, diese in Rückblenden erneut zu fokussieren und aus der Sicht des Jetzt zu reflektieren.« (Hartung, 2010, S. 98) Bezüglich des Verhältnisses zwischen Musik, Zeit und Sozialisation unterscheidet Dollase die individuelle und die historische Zeit (vgl. auch Rösing, 2008, S. 362), die sich in Alters-, Zeit- und Generationeneffekten manifestiert (vgl. Dollase, 2005, S. 182ff.). Alterseffekte betreffen dabei die individuelle biologische und psychologische Entwicklung mit Blick auf Musik, beispielsweise den »Bereich der kognitiv auditiven musikalischen Entwicklung im Kindesalter« (ebd., S. 184). Es geht dabei also um die »Stadien der musikalischen Sozialisation« (Kleinen, 2011, S. 45). Unter Zeiteffekten werden die Einflüsse des Popmusikangebotes zu einer bestimmten Zeit subsumiert – »etwa die Kenntnis aktueller Schlager« (ebd.) – die unabhängig vom Alter alle Menschen teilen. Generationen- oder Kohorteneffekte können diese Zeiteffekte überlagern (vgl. Rösing, 2008, S. 362). Hier spielen historische Einflüsse eine Rolle (Dollase, 2005, S. 184), die bestimmte Momente popmusikalischer aber auch gesellschaftlicher Entwicklung konstituieren. So prägt
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Popmusik zu bestimmten individuellen aber auch zu bestimmten historischen Zeiten Alltag und Biografien, nicht selten in Verbindung mit Politik (vgl. bspw. Stahl, 2010), indem sie Ideen und Bilder der Welt vermittelt, Möglichkeiten zur Vergemeinschaftung und Anlässe für Kommunikation bietet. In Anlehnung an den Begriff der Mediengenerationen (Hepp, Berg & Roitsch, 2014; Hörisch 1997) kann hier durchaus von Popmusikgenerationen gesprochen werden. Nach Mannheim (1928) sind Generationen9 Erlebnisgemeinschaften, die bestimmte zeitgeschichtliche Erfahrungen teilen. Diese Erfahrungen formen »Bewusstsein, Denken und Handeln« (Tully & Krug, 2011, S. 17). Dabei trägt insbesondere die kindliche und jugendliche Sozialisationsphase zur Formierung eines Generationenbewusstseins bei (ebd.). Popmusik mit ihrer besonderen Historizität ist an dieser Stelle eine kulturelle Ressource. Das Wissen über ihre Vergangenheit kann dazu verwendet, »mit ebendieser Vergangenheit zu brechen – oder allenfalls das zu bewahren, was sich in prinzipieller Weise rechtefertigen lässt« (Giddens, 1999, S. 69). Als Medieninhalt und in Form der mit ihr verbundenen technischen Artefakte wurde und wird Popmusik in den Alltag eingebunden und kann damit Gruppen von Individuen nachhaltig formen und somit Generationen entstehen lassen (vgl. bspw. Wurschi, 2007). Spezifischer können an ihr Mediengenerationen abgelesen werden, die durch ganz bestimmte mediale Erfahrungsräume und Konstellationen von Medienaneignungspraktiken gekennzeichnet sind (Hepp, 2014, S. 30f.). Für heute Aufwachsende sind Internet und Streaming völlig normal, während ältere Menschen mit Popmusik Tanz, Kofferradio oder Schallplatten verbinden. In diesem Zusammenhang ist auch der politische und soziale Einfluss von Popmusik auf bestimmte Generationen nicht zu unterschätzen (vgl. dazu auch Shuker, 2016, S. 211ff.). »Der Sound und die Ästhetik der Popkultur einer Generation ist in Liedern, Melodien und Klängen gespeichert.« (Stahl, 2010, S. 336) Dies funktioniert dank der entsprechenden Medientechnologie auch grenzüberschreitend. Beispielsweise wirkte Popmusik während der deutschen Teilung als verbindendes Element. Es kam zur »Ausbildung doppelter musikalischer und popkultureller Präferenzen in der DDR und in West-Berlin« (ebd.). Damit wurde Popmusik zum Resonanzraum für politische, soziale, ästhetische und kulturelle Erfahrungen. 3.3.4 Aneignung von Popmusik – sozial, medial, körperlich Der Blick auf das Medium Popmusik als an physische Objekte, geografische Orte und bestimmte Zeiten gekoppelt macht in diesem Rahmen Sinn, weil, auch wenn Kultur heute mediatisiert ist, nicht die gesamte Alltagswelt und damit auch nicht die Gesamtheit aller popmusikalischen Erfahrungen aus medial vermittelten Kommu9
Zum Generationenbegriff und zur Generationenforschung vergleiche ausführlich den Sammelband von Künemund und Szydlik (2009).
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nikaten besteht. Die »Rückbettung«, wie es Giddens (1999) ausdrückt, oder die »Resonanz« (Rosa, 2016) hat auch in einer mediatisierten Popkultur körperliche Anteile. Der seit Jahren anhaltende Boom des Live-Sektors (Frith, 2007; MontoroPons & Cuadrado-García, 2011) unterstreicht dies. Die umfassende Mediatisierung und die daraus folgende permanente Verfügbarkeit von Popmusik führen eben nicht dazu, dass Konzerte und andere LiveEvents irrelevant werden. Stattdessen zwingt die soziale Verfasstheit von Popmusik die Nutzer gewissermaßen in die physische Welt zurück (Brennan, 2015). »Die sozialen, lokalen, temporalen und sachlichen Koordinaten des Wohlbekannten werden bewusstseinspflichtig.« (Tully, 2007, S. 36) Gerade popmusikalische Erfahrungen leben von körperlichen Erfahrungen und damit von nicht- oder nur teilmediatisierten Tätigkeiten. Ein Beispiel dafür gibt Walter Bühl (2004), wenn er von der sozialen Funktion des Rhythmus spricht. Rhythmus meint einmal einen Bestandteil von Musik, neben Melodie, Metrik und anderen Faktoren. Daneben hat Musik aber auch einen sozialen Rhythmus. »Rhythmen entstehen durch Sequenzierung; die soziale Funktion ist jedoch die Synchronisation der Akte […].« (Bühl, 2004, S. 66) Bühl verdeutlicht dies anhand der Ausdrücke »kontextuelle Rahmung« und »institutionelle Einbindung«. Erst indem Musik an etwas Außermusikalisches gebunden wird, an Riten, Bräuche, Gewohnheiten, räumliche oder zeitliche (Erlebnis-)Kontexte wird sie ein Angebot für viele. Musik wird Bühl zu Folge »entproblematisiert«, indem sie »routinemäßig im Sinne einer Aufführungspraxis« sequentiell geordnet wird (ebd., S. 67). Nur durch diesen Spagat aus Erwartbarkeit und Neuheit wird es möglich, dass kundige und unkundige Hörer gemeinsam Musikdarbietungen genießen können. Unter dem Begriff der Aneignung kann also für den Umgang mit Popmusik folgendes verstanden werden. Zunächst geht es im Sinne der Medienaneignung um Auswahl, Rezeption, Bewertung von popmusikalischen Medienbotschaften (Musik, aber auch Bilder, Ästhetiken, Texte) und um das anschließende individuelle Einpassen dieser Kommunikate in das eigene Leben, also den Transfer. Zudem heißt Aneignung aber auch, dass Popmusik und die damit verbundenen Zeichen und Symbole von Konsumenten und Produzenten in ihrem Sinn verändert werden können. Das System Popmusik eignet sich die eigenen Produkte sozusagen immer wieder selbst an und produziert basierend darauf Neues und gleichzeitig seine eigene Geschichte. Hier ist also eine Produktionsebene gemeint, die noch einmal die Kontextabhängigkeit der Popmusik unterstreicht. Wichtige Koordinaten dieses Kontexts sind Orte, Räume, Zeiten und Objekte. Diese werden im System Popmusik medial mit Bedeutungen aufgeladen, aber gleichzeitig konkret individuell angeeignet. An dieser Stelle wird die Popmusikerfahrung sozusagen verdinglicht, körperlich, man könnte sagen: real. Popmusik ist in ihrer Zusammensetzung aus Musik, Objekten und Orten fluide, sodass Popmusikkonsumenten daraus jeweils individualisierten Nutzen ziehen kön-
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nen, je nachdem wie Vorwissen, Erfahrungen, Erlebnisintensität und Geschmack ausgebildet sind. Dementsprechend sind Bezüge und Referenzen wichtige Koordinaten für Popmusik. Das heißt aber wiederum nicht, dass man alles kennen muss, um sich an Popmusik zu erfreuen. Jemand, der Madonna zum ersten Mal in den 00er Jahren mit dem Album »Music« (2000, Warner) hörte, wird die Musik komplett anders wahrnehmen als jemand der Madonna seit den 1980ern mit Hits wie »Holiday« (1983, Sire) oder »Like A Virgin« (1984, Sire) kennt. Dennoch können beide Spaß an der Musik haben. Im ersten Fall möglicherweise, weil die Musik neu und gut produziert ist und beim Discothekenbesuch zum Tanzen animiert. Im zweiten Fall, weil Madonna für zahlreiche, im Laufe der Biografie mit bestimmten Erinnerungen verknüpfte Referenzpunkte steht. Es geht bei popmusikalischer Sozialisation daher nicht allein um den konkreten Umgang mit Musik, sondern es werden verschiedene Dimensionen der Aneignung berührt. Das Ergebnis dieser mannigfaltigen Aneignungsvorgänge ist, vor allem im Jugendalter, Selbstfindung beziehungsweise die Herstellung einer eigenen (popmusikalischen) Identität. Es geht in diesem Sinne nicht nur um das Vertrautwerden mit speziellen popmusikalischen Ausdrucksformen, sondern darüber hinaus ergeben sich vor allem für Jugendliche »soziale und kulturelle Positionierungen, welche – vermittelt durch die Sozialsymbolik populärer Musik respektive den damit einhergehenden Identitätsinsignien – jugendliche Kulturkonsumenten (wenn auch häufig implizit) vor längerfristige identitätsrelevante Entscheidungen stellen« (Hoffmann & Schmidt, 2008, S. 284). Damit kommen auch den Orten, der mit Popmusik unweigerlich verknüpften biografischen Zeit und den Objekten, die den Körper zum Ort performativer Inszenierung machen, sozialisatorische Bedeutung zu. Indes ist nicht von der Hand zu weisen, dass Popmusik gerade über die mit ihr verbundenen Symbole, Bilder und Ästhetiken letztlich immer medial rückgekoppelt funktioniert. Popmusikkultur kann dabei als ein nicht herauslösbarer Bestandteil von Medienkultur gesehen werden und ist in diesem Sinne als omnipräsent (vgl. Hepp, 2013, S. 7ff.) und ubiquitär zu begreifen. Das heißt, wir begegnen Popmusik heute in verschiedensten Medien (TV, Internet, Zeitschriften, Radio, Tonträger), in verschiedensten Formen (Musik, Bilder, Videos, Texte), an allen denkbaren Orten (Arbeit, Schule, Online, Club, zu Hause) und zu allen möglichen Zeiten (Wochenende, Arbeitszeit, Urlaub, Weihnachten, morgens, abends usw.). Popmusik ist damit alltäglich, kann jedoch zugleich auch für besondere Momente sorgen (vgl. auch Kapitel 2.2.2). Gelungene Popmusikaneignung bedeutet letztlich, Popmusik für sich selbst so zu nutzen, dass sie die jeweils gewünschte Funktion erfüllt. Popmusik schafft individualisierte Erlebniswelten, auf die beispielsweise mit dem Ziel der Gefühlsregulation, des politischen Engagements oder des Beziehungsmanagements zurückgegriffen werden. Sie kann insofern als wichtige Handlungsressource im Sinne sozialen Empowerments angesehen werden (Fiske, 2010, S. 40-55).
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3.4 POPMUSIK UND IDENTITÄT Musik dient seit längerem als Mittel zu Selbstfindung und zur Positionierung Einzelner oder Gruppen in der Gesellschaft. Bereits die Herrscher der Renaissance nutzten Orchester oder Hofmusiker als wichtiges Werkzeug der Selbst- und Außendarstellung (Lindell, 1994). Mit Aufkommen der Popmusik funktionierte Musik über die Live-Darbietungen hinaus durch Inbesitznahme von Tonträgern und, wie Bourdieu vielzitiert feststellte, durch die Akkumulation von Wissen darüber als abgrenzendes kulturelles Kapital (Bourdieu, 1982). Bourdieus Studien orientierten sich dabei noch an der mittlerweile hinfälligen Unterscheidung zwischen U-Musik und E-Musik. Die Omnipräsenz marktorientierter Popmusik führte zu neuen Betrachtungsweisen von Distinktion und Identitätsfindung mit musikalischen Mitteln. So werden popmusikalische Präferenzen heute als zentrales Distinktionsmerkmal beispielsweise auf Websites (Münch & Bommersheim, 2000, S. 74) oder in Kontakt- und Heiratsanzeigen (Kleinen, 2011, S. 59f.) sowie mittlerweile verstärkt in sozialen Netzwerken (Schorb, 2012, S. 30ff.) genutzt. Differenz und Zugehörigkeit als zentrale Identitätskomponenten werden dadurch kommunikativ ausgehandelt. Als Menschen weisen wir Popmusik einen Sinn zu und wissen, dass andere dies ebenso tun. »Music seems to be a key to identity because it offers, so intensely, a sense of both self and others, of the subjective in the collective.« (Frith, 1996, S. 110) Zudem ist seit den 1950er Jahren ein medial gestütztes Aufkommen musikzentrierter Jugendkulturen zu beobachten (Ferchhoff, 2013). Aufgrund deren anfänglich noch sehr starker Milieu- beziehungsweise Klassengebundenheit wurden sie in Anlehnung an die kriminologischen und soziologischen Studien von Milton M. Gordon (1947) und Albert K. Cohen (1955) zunächst als Subkulturen (Clarke et al., 2006; Schwendter, 1973/1993) bezeichnet. Beschleunigt und gefiltert durch Radio, Tonträger sowie Zeitschriften und etwas später Musikvideos entstanden schnell globalisierte, musikzentrierte Gemeinschaften. Bezeichnet werden sie wahlweise als Music Scenes (Bennett & Peterson, 2004), Szenen (Hitzler & Niederbacher, 2010), Club Cultures (Thornton, 1996), Jugendkulturen (Baacke, 1999), posttraditionale Gemeinschaften (Hitzler et al., 2008a; Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 1315) oder Neo-Tribes (Bennet, 1999). Damit befinden sie sich in der Nähe anderer gesellschaftlicher Freizeitphänomene wie sie beispielsweise Maffesoli (1996) für die Spätmoderne beschreibt. Konstituierend, also identitätsstiftend für diese »Gesinnungsgemeinschaften« (Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 16), können neben Popmusik auch zahlreiche andere Themen sein, beispielsweise Sportarten, digitale Spiele, Weltanschauungen, politische Ideen, Fernsehserien, Konsumgegenstände und andere mehr (ebd., S. 34ff.). Für die an dieser Stelle interessierenden musikzentrierten Vergemeinschaftungsformen sind neben der spezifischen Popmusik häu-
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fig auch Kleidung, Symboliken, Sprache und spezifische Rituale identitätsstiftend im Sinne von Distinktion und Identifikation. In den Cultural Studies wird dieses Paket an Ausdrucks- und Tätigkeitsformen oft als ›Stil‹ (»Style«) zusammengefasst (Clarke, 2006). Zunächst soll im Anschluss an die Ausführungen zur Identitätsarbeit hier jedoch ein mit diesen Vergemeinschaftungstendenzen eng zusammenhängender identitätsstiftender Aspekt beleuchtet werden, der vor allem die bereits angesprochene körperliche oder performative Verfasstheit popmusikalischer Erfahrungen betont und der in vielen Arbeiten bisher kaum Beachtung fand: die Bedeutung physischer Erfahrungsräume. Orte, Plätze und die Bewegung dazwischen in Form von Mobilität, scheinen in Zeiten von Globalisierung, kommunikativer Vernetzung und umfassender Mediatisierung an Wert zu verlieren. Für die Identitätskonstruktion durch Popmusik kann die Aneignung realer Orte, die körperliche Erfahrung bei Konzerten oder in Clubs jedoch hochbedeutsam sein (vgl. Kapitel 3.3.2). »Treffpunkte«, wie Hitzler und Niederbacher (2010) die szenespezifischen Orte nennen, sind für das Selbstverständnis und das Funktionieren von Gesinnungsgemeinschaften von »essentieller Bedeutung« (Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 30), sie sind »bedeutungsgeladene Lokalitäten der Kristallisation« (Hepp, 2002, S. 863). Diese Bedeutung strahlt heute auch in Wirtschaft, Politik und andere Kulturbereiche wie Architektur aus. Besonders wenn es um die Entwicklung von Stadtraum geht, ist dies zu beobachten. Clubkultur gilt als Kulturgut (Clubcommission, 2016) und Wirtschaftsfaktor (Rapp, 2009). Sie ist bedeutsam für die kreative Infrastruktur einer Stadt und steht daher häufig im Zentrum der Debatten um Gentrifizierung (Hae, 2012). Dass Clubs als reale Orte nach wie vor hochbedeutsam sind, scheint angesichts digitaler Vernetzung und hochmobilen Musikkonsums zunächst ein Anachronismus. Ihre Existenz ist jedoch für die soziokulturelle Verfasstheit von Popmusik essentiell. Vor allem sind sie wichtig für die Entwicklung lokaler Popmusikkultur und angesichts rückläufiger Einnahmequellen aus Plattenverkäufen sind sie auch ökonomisch zunehmend bedeutsam (vgl. Johansson, Gripshover & Bell, 2016, S. 115ff.). Schaut man auf aktuelle soziologische Identitätsdebatten, zeigt sich, dass Orte in einer spätmodernen Welt, in der sich »Raum-, Zeit- und Objektbeziehungen der Subjekte und eben dadurch ihr Selbst- und Weltverhältnis […] nachhaltig verändern« (Rosa, 2005, S. 376), als Identitätsanker und Rückversicherung fungieren können. Denn Identität funktioniert, das ist spätestens seit den Arbeiten von George Herbert Mead (1973) bekannt, über Perspektiv- und Rollenübernahme. Diese Prozesse finden heute zwar verstärkt mittels Kommunikationsmedien statt, eine räumliche Verortung ist also nicht zwingend nötig. Entkoppelt sich jedoch ein Prozess wie jener der Identitätskonstruktion komplett von der physischen Welt, droht Entfremdung (vgl. Rosa, 2013, S. 123ff.). Möglicherweise leisten Popmusikevents, die Bewegung zu realen Orten einfordern, und deren Ruf jugendliche und erwachsene Popmusikkonsumenten zunehmend folgen, hier Präventionsarbeit in dem Sinne,
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dass Musik besonders in Verbindung mit speziellen Orten identitätsstiftenden Charakter annimmt. Denn die Zeit, die an einem Ort verbracht wird, unterstützt Prozesse der Anverwandlung und den Aufbau von Intimitätsbeziehungen, die bis zum Heimatgefühl reichen können (vgl. Seifert, 2013). Und was ist identitätsstiftender als Heimat? 3.4.1 Identitätsarbeit mit Popmusik – Rückbettung über Medien, Körper und Ort Mit Hilfe popmusikalischer Ausdrucksformen können die eigene Identität oder zumindest Teile davon aktiv konstruiert werden. Der Prozess der Identitätskonstruktion wird häufig mit dem Arbeitsbegriff konzeptualisiert. Heiner Keupp spricht in diesem Zusammenhang von Ressourcenarbeit und Narrationsarbeit (Keupp, 2006, S. 189). Anja Hartung benennt biografische Arbeit und Kontinuierungsarbeit (Hartung, 2010, S. 93). In diesen Begriffen spiegelt sich neben den dem Arbeitsbegriff inhärenten Modi der Anstrengung und Aktivität auch eine zeitliche Komponente, die auf eine gewisse biografische Kontinuität verweist. Es geht bei der Identitätskonstruktion also um eine Form der kontinuierlichen »Selbsterzählung« (Lenz, 2013, S. 176). Zu den Identitätsleistungen gehört neben dieser »Selbstnarration« auch eine »biografische Selbstreflexion« (Wegener, 2010, S. 60), die das Subjekt in Relation zur Zeitgeschichte setzt. Hier knüpft die Zeitgeistfunktion von Popmusik an, die Frith (1987a, S. 142f.) beschreibt. Popmusik hilft hier bei der Verortung und kann in Form einzelner Songs als Schlüssel zur Erinnerung an die intensivste Popmusikzeit Jugend fungieren. Diese Erinnerungsfunktion ist nicht von der Hand zu weisen, sie akzentuiert jedoch Identität und popmusikalische Identität als etwas, das sich im Kindes- und Jugendalter fixiert und dann so erhalten bleibt. Identitätsarbeit ist aus heutiger Sicht jedoch nicht mehr nur auf das Heranwachsen beschränkt, sondern sie umfasst die gesamte Lebensspanne (vgl. Wegener, 2010, S. 56), wie anhand popmusikalischer Aneignung im Erwachsenenalter bereits deutlich wurde (vgl. Kapitel 3.1.2). Die Arbeit an der eigenen Identität bedeutet damit das lebenslange sukzessive Erzählen der eigenen Lebensgeschichte, die aktive Gestaltung der Biografie, das permanente Stiften von Kohärenz und Sinn. Baacke spricht von »[a]utobiographische[r] Ich-Konstruktion« (Baacke, 1999, S. 258). Dabei muss das Subjekt auch Widersprüchliches miteinander vereinbaren (vgl. Wegener, 2010, S. 57). Popmusik kann dafür als »Orientierungsrahmen und folglich als Ressource und Kontext der Sozialisation« (Friedemann & Hoffmann, 2013, S. 376) dienen. Sie ermöglicht Abgrenzung und Einbettung, Besonderung und Gemeinschaftsgefühle zugleich. Für Simon Frith ist Identitätsarbeit deshalb der wichtigste Grund für den Konsum und den Genuss von Popmusik. »The pleasure that pop music produces is
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a pleasure of identification – with the music we like, with the performers of that music, with the other people who like it.« (Frith, 1987a, S. 140) Baacke nennt Identität eine Beziehungsleistung. »[S]ie entsteht durch Imitation, Identifikation, Vergleich mit anderen.« (Baacke, 1999, S. 254) Mit Blick auf Popmusik sind diese anderen entweder die Popmusikstars und deren Kommunikate oder andere Popmusikhörer. Popmusik mit ihren Symbolen und Ästhetiken bietet damit einen Rahmen, innerhalb dessen auch bestimmte Identitätsexperimente möglich sind, einen Kontext, der Distanz zum normalen Leben und damit Freiräume ermöglicht. Und Popmusik bietet gleichzeitig auch konkrete Projektionsflächen, anhand derer Identifikationsleistungen möglich werden. Sie macht also »Identitätsangebote [, die] als Vorlage zur reflexiven Auseinandersetzung mit der eigenen Person im Sozialisationsprozess« (Wegener, 2010, S. 58) dienen können. Das SichWiedererkennen in den Zeilen eines Songs oder das Nacheifern von Tanzschritten, das Imitieren von Frisuren, Kleidungsstilen oder Make-ups der Stars oder anderer Fans stehen beispielhaft dafür. Diese Aktivitäten können zum konkreten Erleben von Identifikation, zu einem Gefühl der Verbundenheit führen. Zu diesen Identifikationsleistungen gehören aber auch immer die Nichtidentifikation oder die Distinktion, denn gerade bei Musik spielt nicht nur das, was gemocht wird, eine wichtige Rolle, sondern eben auch das, was persönlich abgelehnt wird (Frith, 1987a, S. 140). Aus der Vorstellung über das, was man musikalisch mag und das, was man musikalisch ablehnt, setzt sich letztlich der Musikgeschmack zusammen. »Damit werden in einem Schritt sowohl Abgrenzung und Besonderung als auch Teilhabe beziehungsweise Zugehörigkeit deutlich gemacht. Beides zentrale Aspekte der Entwicklung eines eigenen Identitätskonzepts.« (Münch & Bommersheim, 2000, S. 76) Identität ist also gleichzeitig eine Relativierungsleistung, denn Identität bedeutet, sich in Relation zu setzen: zu anderen und zur Welt (Baacke, 1999, S. 254). Identitätsbildung über Popmusik funktioniert demnach über Inklusion und Exklusion. Popmusik ist dabei die Ressource, die diese aktive Identitätsarbeit, also die permanente Auseinandersetzung mit dem Selbst, die vom Subjekt Eigenaktivität erfordert, ermöglicht. Bei Jugendlichen wird die aktive Konstruktion der eigenen Identität auch als Meta-Entwicklungsaufgabe verstanden. Das heißt, darunter werden Entwicklungsaufgaben wie das Streben nach einem positiven Körperselbstkonzept, Autonomie und Selbstwirksamkeit, Geschlechterorientierung, politische und berufliche Orientierungen und der Aufbau verschiedener Arten von Beziehungen subsumiert (vgl. Friedemann & Hoffmann, 2013, S. 375). Dergestalt hilft Popmusik einen Platz in der Gesellschaft zu finden, Selbstbestätigung zu erlangen und am eigenen Selbstkonzept zu arbeiten. Diese Funktion können auch andere Medieninhalte übernehmen, beispielsweise das Fernsehen (Strotmann, 2010, S. 136f.; Wegener, 2010, S. 57f.) oder das Internet (Süss & Hipeli, 2010, S. 147f.). Simon Frith benennt jedoch Popmusik als dasjenige mediale Ange-
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bot mit dem höchsten Identifikationspotenzial. Als Grund dafür gibt er die Unmittelbarkeit von Musik in Live-Situationen an. »The pleasure of pop music, unlike the pleasures to be had from other mass cultural forms, does not derive in any clear way from fantasy: it is not mediated through day-dreams or romancing, but is experienced directly. For example, at a heavy metal concert you can certainly see the audience absorbed in the music; yet for all the air-guitar playing they are not fantasizing being up on stage. To experience heavy metal is to experience the power of the concert as a whole - the musicians are one aspect of this, the amplification system another, the audience a third.« (Frith, 1987a, S. 140)
Hier wird also erneut auf die körperliche, die nicht- beziehungsweise teilmediatisierte Komponente der Popmusik verwiesen, die für die Aneignung eine bedeutende Rolle spielt (vgl. Kapitel 3.3). Das Überschreiten der medialen Grenze erscheint in diesem Lichte gewissermaßen als ein Bonus für die identitätsstiftende Bedeutung von Popmusik. Popmusik erlaubt uns an imaginierten Formen von Demokratie und Verlangen, an sozialen Bewegungen und sexuellen Freiheiten so direkt wie nur irgend möglich teilzuhaben (Frith, 2002, S. 274). Die Möglichkeit dieser unmittelbaren körperlichen Erfahrung ist eine Art »Rückversicherung« (Tully, 2007, S. 12) oder »Rückbettung« (Giddens, 1999, S. 176). »Music constructs our sense of identity through the experiences it offers of the body, time, and sociability, experiences which enable us to place ourselves in imaginative cultural narratives.« (Frith, 2002, S. 275) Dadurch werden komplexe, und möglicherweise ungenaue mediale Erfahrungen geerdet und greifbar, möglicherweise auch um etwas ergänzt, das medial so nicht erlebt werden kann. In jedem Falle unterstützen die körperlichen Erfahrungen mit Popmusik das Ausleben der eigenen Individualität und damit die Identitätskonstruktion. Denn insbesondere die anhaltende Entwicklung hin zur Individualisierung nimmt heute Einfluss auf die Ausbildung und auch die Vorstellung von Identität. Es kommt zu einer Betonung der Bedeutung des Individuums gegenüber Gemeinschaften oder Kollektiven (vgl. Burkart, 2008, S. 238f.). Burkart nennt diesbezüglich drei Dimensionen der Individualisierung: • Unabhängigkeit, Handlungsautonomie und Selbstbestimmung durch Freiset-
zungsprozesse • Besonderheit (Individualität im Sinne von Einzigartigkeit) durch Distinktions-
prozesse • Selbstreflexion (Subjektivierung) durch Institutionen der Selbstthematisierung
(ebd., S. 243, Herv. i. O.)
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Dazu passt die von Niedlich (2012b) beschriebene postmoderne Identität, die im Unterschied zur klassischen, auf Descartes zurückgehenden, humanistischen Auslegung als Einheit, Kohärenz und Kontinuität des Subjektes, als eine Zuweisung an das dezentrierte Subjekt funktioniert. Das heißt, Identität bedeutet heute Fragmentarität, Heterogenität und Kontingenz. Identitätsarbeit beinhaltet damit auch »die Möglichkeit zum Experiment und zur Neugestaltung von Identität« (Niedlich, 2012b, S. 53). Identität wird also letztlich zu einer lebenslangen Aufgabe, die nicht selten mit Brüchen einhergeht. Die Ablösung des standardisierten Lebenslaufes durch den individualisierten Lebenslauf (Baacke, 1999, S. 260) ist die Folge einer sich stetig weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft (Schimank, 2000) und des allgemein fortschreitenden Prozesses der Individualisierung, also der »Herauslösung individueller Handlungs- und Lebensvollzüge aus starr vorgegebenen sozialen Rollen und Positionen und aus verpflichtenden Traditionen und Konventionen, [wodurch] das Ausmaß an individueller Gestaltungsfreiheit, aber auch an Verantwortung für das je eigene Leben deutlich erhöht wird« (Rosa, 2005, S. 355-356). Für die Sozialisation des Subjekts bedeutet dies: Anstatt vorgegebenen Standards einer festen Reihung von Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter zu entsprechen, kommt es zu einer fortwährenden Aneignung von Individualität im Lebenslauf (vgl. Baacke, 1999, S. 264ff.). Die Folge ist eine nach dem Credo »vieles ist möglich – alles ist erlaubt« (ebd., S. 270) hergestellte Unsicherheit. Identität wird situativ und revidierbar (Rosa, 2005, S. 362ff.) Aus soziologischer Sicht steigt damit die »Notwendigkeit von selbsthergestellter Integration und Inklusion« (Tully & Baier, 2006, S. 105) um der von Rosa diagnostizierten »De-Kontextuierung« (Rosa, 2005, S. 385) oder »Entfremdung« (Rosa, 2013, S. 122ff.) und der »im Charakter der situativen Identität angelegte[n] Unfähigkeit (oder Unwilligkeit), zeitstabile Relevanzen zu setzen und entsprechende Handlungsprioritäten im Sinne einer ›Aufgabe‹ zu entwickeln« (Rosa, 2005, S. 384f.) zu entkommen. Hierfür bedarf es der mehrfach angesprochenen Rückbettung im Sinne Giddens um so etwas wie Vertrautheit und Verbindlichkeit wiederherzustellen. Ein Weg, wie diese Rückbettung funktioniert, führt über musikgebundene körperliche Aktivität, also über das Herstellen von musikalischen Erlebnissen, die Simon Frith »bodily matters« und »real experience« nennt (Frith, 2002, S. 274). Informationen, wo diese Erfahrungen möglich sind, sind heute dank der digitalen Medien im Überfluss verfügbar. Hier wird deutlich: Die Mechanismen, die »soziale Beziehungen und den Informationsaustausch aus spezifischen raumzeitlichen Kontexten heraus[heben, bieten gleichzeitig] neue Gelegenheiten für ihre Wiedereingliederung« (Giddens, 1990, S. 176). Um diese Gelegenheiten wahrzunehmen ist jedoch Mobilität unabdingbar (vgl. Kapitel 3.4.2). In diesem Sinne kann Popmusik über das Vehikel der körperlichen Anwesenheit Raum und Zeit einerseits überwinden und andererseits bestimmte Orte, Plätze und damit Momente definieren und festhalten. Beides hat im Sinne popmusi-
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kalischer Sozialisation identitätsstiftenden Charakter, denn es führt zu einem Abbau von Kontingenzen und erzeugt damit potenziell Ordnung und Orientierung. »Music is the cultural form best able both to cross borders – sounds carry across fences and walls and oceans, across classes, races, and nations – and to define places: in clubs, scenes, and raves, listening on headphones, radio, and in the concert hall, we are only where the music takes us.« (Ebd., S. 276)
Das, was im Englischen »commitment« genannt wird, die selbstauferlegte Pflicht des Dabeiseins und die Erfüllung dieser Pflicht in Form von körperlicher Anwesenheit, spielt für die popmusikalische Erfahrung seit jeher eine bedeutende Rolle. Musikevents zu besuchen ist Teil der popmusikalischen Erlebniswelt. Eintrittskarten, Bändchen an Handgelenken, Fotos sowie die weniger sichtbaren, aber individuell umso bedeutsameren ortsspezifischen Erfahrungen zeugen von diesem identitätsstiftenden Engagement, in Form einer physischen Teilnahme an Popmusikereignissen. Identitätsarbeit mittels Popmusik, das bedeutet, so soll hier pointiert argumentiert werden, nicht nur eine Anhäufung von Objekten, also das Sammeln von Musik und Devotionalien, beispielsweise in Form von Tonträgern, wie dies John Fiske (1992, S. 43) feststellte. Die Objekte signalisieren nach wie vor popkulturelles Kapital (ebd.). Aber gerade in Zeiten, da Musik als Datenstrom viele Objekte überflüssig macht, geht es auch darum, neue Artikulationen für die identitätsstiftende Beziehung zur Popmusik zu finden. Eine Möglichkeit scheint die erneuerte Betonung der körperlichen Aneignung von Räumen und Örtlichkeiten zu sein, die identitätsstiftenden Charakter bekommen können, wenn sie gleichsam anverwandelt zu einem Teil des Konzepts Heimat werden (vgl. Seifert, 2013, S. 558ff.). Das Wissen, das seit jeher Basis für die Gewinnung kulturellen Kapitals ist, bleibt wichtig. »In fandom as in the official culture, the accumulation of knowledge is fundamental to the accumulation of cultural capital.« (Fiske, 1992, S. 42) Der Umsetzung des (geheimen) Wissens10, also der Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen jedoch, sollte mehr Aufmerksamkeit im Identitätsdiskurs zu Teil werden. Denn erst die Etablierung einer körperlichen Weltbeziehung ermöglicht »Resonanz« (Rosa, 2016) im Sinne von Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung. Diese Form der Teilhabe an der Popmusikkultur geht also weit über den bloßen Musikkonsum oder die Ob10 Gemeint ist damit, das Wissen darum, wo die nächste Party stattfindet und wie man sich auf ihr zu verhalten hat (Dresscode), wann welche Band tourt oder ein neues Album herausbringt, wie und wann man an bestimmte (rare) Festival- oder Konzerttickets kommt usw. Dieses Wissen ist aufgrund der kommunikativen Vernetzung heute weltweit verfügbar. Netzwerke und die Pflege dieser Netzwerke sind jedoch nötig um es bei Bedarf abzurufen und bestimmte Termine nicht zu verpassen.
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jektsammelei hinaus. Sie findet an Orten statt, die schon lange als konstituierend für Gemeinschaften gelten. Es sind beispielsweise wichtige »Szenetreffpunkte« (Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 19) und Plätze, an denen Subkulturen exzessiv und unbeobachtet ihren Aktivitäten nachgehen können (Gelder, 2005b, S. 215). Diese Orte dienen damit nicht nur einem spezifischen Aneignungsmodus der Popmusik, sondern sie sind Kristallisationspunkte für eine körperliche Weltbeziehung (Rosa, 2016, S. 83ff.). Sie sind und bleiben damit trotz Mediatisierung hochbedeutsam für Popmusik und ihr identitätsstiftendes Potenzial. 3.4.2 Popmusik, sozialisierende Raumaneignung und der mobile Mensch11 Um diese bedeutsamen Orte zu erreichen ist Bewegung im Raum, also eine bestimmte Form von Mobilität12 nötig. Die wachsende Mobilität der spätmodernen Gesellschaft spielt für die veränderten Sozialisationsbedingungen insgesamt eine entscheidende Rolle. Gerade die sozialisatorisch wichtige Phase des Jugendalters kreist um das »Sich-Treffen« (Tully & Baier, 2006, S. 134), das Zusammenkommen und um den Austausch in Gleichaltrigengruppen. Mobilität galt deshalb lange Zeit als Privileg der Jugend. Raumaneignung war für Pädagogik und Soziologie spätestens seit den Studien von Martha und Hans Heinrich Muchow (1935) ein wichtiger Baustein im Prozess des Aufwachsens. Ausgehend von diesen Arbeiten präferierte die Sozialökologie zunächst das sogenannte Zonenmodell, das die sukzessive Erweiterung des vom Kind beziehungsweise Jugendlichen erschlossenen Raums rund um ein ökologisches Zentrum – meist die Familie – in den Mittelpunkt stellt (vgl. Baacke, 1999, S. 162ff.). Unter dem Einfluss moderner technischer Entwicklungen verliert dieses Konzept jedoch allmählich an Bedeutung und weicht dem sogenannten Inselmodell (Zeiher & Zeiher, 1994), das eingedenk moderner Lebensweisen insbesondere in größeren Städten das Umherstreifen als stark eingeschränkt darstellt und stattdessen verinselte Funktions- und Aktivitätszonen, die durch technische Hilfsmittel verbunden sind, in das Zentrum der Betrachtung rückt. Der Raumaneignung wird somit das Raum- und Mobilitätsmanagement zur Seite gestellt (Tully, 2009, S. 15f.). Nicht mehr nur die konkrete Erfahrung vor Ort ist ausschlaggebend, sondern auch die Art und Weise wie möglichst effizient und bequem zu diesen Orten gelangt werden kann. Mit dem technischen Fortschritt geht also eine Steigerung und Optimierung der Mobilität einher: zunächst in Form von 11 Das Konzept des mobilen Menschen umfasst nicht nur die Bewegung der Person im Raum, sondern auch den Austausch von Informationen sowie die soziale, kulturelle, politische und ökonomische Mobilität. Mobilität wird also hier als Flexibilität in allen Lebensbereichen konzeptualisiert (Tully & Baier, 2006, S. 15ff.). 12 Für weitere Mobilitätsbegriffe vgl. Tully & Baier (2006, S. 30ff.).
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Vehikeln als Hilfsmittel für eine faktische Mobilisierung, also zur Überwindung der immer größeren Distanzen des Alltags. Studien zu den Arbeits- und Ausbildungswegen verdeutlichen dies (vgl. Pooley & Turnbull, 1999; Pooley, Turnbull & Adams, 2005). Dies gilt nun nicht mehr nur für Heranwachsende und deren experimentelles Erkunden der erreichbaren Orte, sondern im Zuge der Ausweitung der Jugendphase (vgl. auch Tully & Baier, 2006, S. 125ff.) verstärkt für ältere Jugendliche und Erwachsene, die aufgrund steigender mehr oder weniger verbindlicher Verpflichtungen wie Ausbildung, Studium, Beruf, Nebenjob oder Freundeskreis auf eine mobile Lebensweise angewiesen sind oder diese präferieren. Ermöglicht wird dies heute zum einen durch moderne Transportvehikel und zum zweiten durch die Kommunikationstechnologie. Dabei ersetzt Kommunikation faktische Mobilität, also die Bewegung von A nach B, nicht; auch wenn man dies zunächst meinen könnte. Claus Tully beschreibt wachsende Mobilität anhand von Raumaneignung und Multilokalität. Die Anzahl der Räume erhöht sich, die Optionen wachsen, auch die Vernetzung verdichtet sich. Dafür benötigen wir technische Hilfsmittel, die diesen neuen Alltag in entsprechender Geschwindigkeit organisieren. Die gestiegene kommunikative Vernetzung bereitet Mobilität also vor und unterstützt diese (vgl. Tully, 2009, S. 19). Die permanente Erreichbarkeit ermöglicht zwar, jederzeit mit der ganzen Welt zu kommunizieren. Aber um die kommunikativ angebahnten Optionen wirklich wahrzunehmen, benötigt es physischer Bewegung im Raum, denn »Lokalität ist ein unhintergehbarer Aspekt der physischen Komponente des menschlichen Daseins« (Hepp, 2002, S. 863). Dies hat Jacob Maurer, der detailliert zeigt, dass kommunikationstechnische Innovationen stets zu einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens führen (Maurer, 2000, S. 117ff.), ebenso nachgewiesen wie John Urry im Rahmen seiner Anwesenheitsverpflichtungen, die sich aus verschiedenen Quellen speisen können und unterschiedliche Folgen haben (vgl. Urry, 2003, S. 162ff.). »As a result of travel people come to be bodily in the same physical space as various others, including work-mates, or business colleagues, or friends, of partner or family. Travel result in intermittent moments of physical proximity to particular peoples, places or events. This proximity is obligatory, appropriate or desirable.« (Ebd., S. 162f.)
Gesellschaftlich kann ein wachsendes Interesse an Mobilität und Vernetzung konstatiert werden (Wimmer & Hartmann, 2014, S. 12), das über Kommunikationstechnologien abgefangen und gestaltet wird. »Dank umfassender Vernetzung schreitet die Entwicklung hin zu einem multilokalen Alltag.« (Tully, 2014, S. 192) Kommunikationstechnologie und Mobilität gehen Hand in Hand. Hepp spricht deshalb auch von kommunikativer Mobilität (Hepp, 2007). Durch die Entwicklung der Kommunikationstechnologien wird die faktische Mobilität oder zumindest der Wunsch danach verstärkt. Tully beschreibt diesen Zusammenhang als »Mobilisie-
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rung des Mobilen« (Tully, 2007). Konsequenterweise verändert sich in diesem Prozess auch die Einstellung zur Mobilität und die Optionen zur Gestaltung des Alltags vervielfältigen sich. Wenn alles unterwegs erledigt werden kann, also beispielsweise sich verabreden, Einkaufen, Lesen, Telefonieren, Reservieren etc., ist ein fester Ort für diese Tätigkeiten nicht mehr länger von Bedeutung. Wenn aber Kommunikationstechnik mobil wird, verändert sie auch den öffentlichen Raum (vgl. Höflich, 2009), indem ihre Nutzer eine neuartige Präsenz an den Tag legen und ehemals private bis intime Praktiken in die Öffentlichkeit tragen. So verursacht wachsende gesellschaftliche Mobilität immer auch Problemen, beispielsweise bei der Vereinbarung von Familie und Beruf. Hier können der sinnvolle Einsatz von Technologie aber auch Politik helfen (Schneider, Ruppenthal & Lück, 2009). Für die Popmusik und die hier interessierenden, mit ihr verbundenen identitätsstiftenden Prozesse, bedeutet dies Zweierlei. Erstens unterliegt die gesamte Popmusiksphäre quasi seit Jahrzehnten einer immensen Mobilisierung, die die Ortsgebundenheit scheinbar aufhebt. Nicht von ungefähr kann beispielsweise in Bezug auf den MP3-Player von einem kometenhaften Aufstieg gesprochen werden (Feierabend & Klingler, 2009, S. 198). Er war einfach zu bedienen, kompakt und relativ erschwinglich. Vor allem aber war er hochmobil und fügt sich damit in eine lange Reihe technischer Entwicklungen auf dem Gebiet der Popmusik ein, die vor allem die Mobilisierung und die Individualisierung der Rezeption von Musik nachhaltig veränderten. Ob Tonträger, Radio, Kofferradio, Walkman, MP3-Player oder Streaming, all diese Technologien ermöglichten die Ablösung der Musik von räumlicher (und zeitlicher) Festlegung. Diese Entwicklung bestätigt sich im Smartphone als dem mittlerweile zentralen Zugangsgerät für Popmusikinhalte (vgl. IFPI, 2016b). Heute kann Musik damit weitgehend entkoppelt von Orten individualisiert und mobil rezipiert werden. Auch die Produktion ist mobiler geworden. Wofür früher große Studios nötig waren, genügen heute unter Umständen ein Laptop und die entsprechende Software (Anderton et al., 2013, S. 82f.; Vogt, 2013; Watson, 2016). Mitglieder von Bands und Musikproduzenten tauschen Dateien aus und müssen somit nicht mehr zusammen an einem Ort sein, wenn ein Musikstück entsteht. DJs müssen keine schweren Plattenkoffer mehr tragen, sondern kommen mit dem USBStick zum Gig. Sowohl auf Produktions- wie auf Rezeptionsseite ist Popmusik, wie viele andere Bereiche der Gesellschaft auch, also deutlich mobiler geworden. Dennoch – und das ist der zweite Punkt, auf den hier aufmerksam gemacht werden soll –, die Bindung von Popmusik an physische Orte ist noch immer groß, da nur hier allumfassende körperliche Erfahrungen gemacht werden können (vgl. auch Kapitel 3.3.2). Im Sinne Urrys kann diese Ortsbindung der Popmusik je nach Schwerpunkt auf »social obligations« (Urry, 2003, S. 163), »obligations of place« (ebd., S. 163-164) oder »event obligations« (ebd., S. 164) zurückgeführt werden. Beim Ersten geht es insbesondere um persönliche Nähe, um die face-to-faceSituation, die für den Vergleich mit anderen auch im Sinne der Identitätsfindung
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unersetzlich ist. Mit dem Zweiten hebt Urry eben jene Spezifika von Orten hervor, die auch für popmusikalische Erfahrungen bedeutsam sein können. »Such ›leisure places‹ need to be experienced ›for oneself‹, directly through a ›face-to-place‹ copresence with the body immersed in that ›other‹ place.« (Ebd., S. 163) Diese Ortserfahrungen gehen in die individuelle Erinnerung über und stützen so ebenfalls die Identitätskonstruktion. Urrys »event-obligations« können zunächst als Mischform der beiden Erstgenannten angesehen werden. Es geht auch hier um das Dabeisein, um körperliche Präsenz sowie um spezifische Ortserfahrungen. Der Event-Begriff betont jedoch nochmal die Einzigartigkeit und wird meist, so auch bei Urry, für besonders bedeutsame – große, weitreichende, an viele Menschen adressierte – Ereignisse genutzt. Für die Popmusik gehören Events, wie in vielen anderen Gesellschaftsbereichen auch, heute jedoch »zu unseren alltäglichen Routinen« (Hepp, Höhn & Vogelgesang, 2010a, S. 14). Sie finden im Großen wie im Kleinen statt (vgl. im Überblick Hepp, Höhn & Vogelgesang, 2010b). Mit Blick auf Identität schaffen sie temporale und partikulare Zugehörigkeit zu posttraditionalen Gemeinschaften (Hitzler et al., 2008a). Popmusikevents finden in Clubs, Konzerthallen oder auf Open-Air-Geländen statt. Sie bieten Auftrittsmöglichkeiten für Künstler und Treffpunkte für Fans und werden damit zu Ankerpunkten für die Vernetzung translokaler Szenen (Virani, 2016). Aufgrund gestiegener Mobilität sind diese Events heute sehr einfach zu erreichen. Wachsende ökonomische, technische und zeitliche Ausstattung ermöglichen weitere Wege und damit eine Zunahme der Teilnahmeoptionen. Wohnt man in Hannover und die Lieblingsband spielt in Bremen und Hamburg, hat man die Wahl, kann vielleicht sogar beide Konzerte besuchen.13 Popmusikevents erfordern im Gegensatz zu den anderen Rezeptionsmodi das Aufsuchen eines bestimmten Ortes und bilden damit ein Gegengewicht zur allumfassenden Kontingenz ubiquitärer Nutzung, die permanente Multioptionalität mit sich bringt. Mit dem Besuch eines Events legt sich der Teilnehmer fest, zeigt ›commitment‹ und setzt sich einer körperlichen Erfahrung aus. Nach Baacke ist Identität »nicht denkbar ohne Vergänglichkeit und Risiko« (Baacke, 1999, S. 254). Teilnahmen an Popmusikevents kreieren – nicht zuletzt durch die Möglichkeit des Tanzens – genau diese risikobehafteten Identitätserfahrungen. »Stories of identity are told through dance.« (Brabazon, 2012, S. 22) Besucher setzen sich mit ihrer Teilnahme dem Risiko aus, dass das Event nicht gefällt, dass der Aufwand – Anfahrt, Kosten, Zeit – sich nicht lohnt, zudem setzen sie – und besonders das ist für die Identitätserfahrung bedeutsam – sich selbst, ihren Körper und ihre Bewegungen den Blicken und und Beurteilungen anderer aus. Den auftretenden Künstlern geht es 13 Das Hinterherreisen bei Bands ist heute nichts Seltenes mehr. Ähnlich wie Fußballfans, die ihre Mannschaften zu jedem Auswärtsspiel begleiten, planen Fans die Touren ihrer Bands quasi parallel mit und besuchen mehrere Konzerte, teilweise europa- oder sogar weltweit. Grenzen setzen nur das Budget und die verfügbare Zeit.
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im Übrigen nicht anders. Auch für sie ist die körperliche Präsenz zentral. Das Gelingen der unmittelbaren Interaktion mit dem Publikum hängt von dem Umgang mit dieser physischen Nähe ab und trägt wesentlich zur positiven Bewertung eines DJAuftrittes bei. Es ist in dieser Hinsicht Teil einer umfassenderen Form von Medienkompetenz (Mühlig & Stamm, 2016). Die gestiegene kommunikative Vernetzung wirkt sich zwar auf die Wahrnehmung der Eventorte aus und beeinflusst damit Erwartungen und Identitätsarbeit. Die »von den Medien bereitgestellten Bedeutungen dringen in den Alltagsraum ein und werden zur Konstruktion der eigenen Identität verwendet oder abgelehnt« (Pirker, 2009, S. 99). Die konkrete Erfahrung vor Ort kann diese Vernetzung aber nicht ersetzen. Das ist es letztlich was Rosa mit seinen »Körperliche[n] Weltbeziehungen« (Rosa, 2016, S. 83ff.) meint. »Die Vorgängigkeit und Unhintergehbarkeit einer Welt, auf die sich Subjektivität schon immer bezogen hat, ist dabei zuerst und zunächst eine leibliche: Durch die Wirkung der Schwerkraft auf unsere Körper, durch die Funktionsweise unserer Sinne und durch die Taktilität der Haut entsteht […] eine fühlbare Welt und mit ihr jede Art von Bewusstsein immer als Bewusstsein und Wahrnehmung einer Präsenz, einer Gegenwart von etwas, auf das sich der oder die Erfahrende nicht nur bezogen findet, sondern das auch konstitutiv für die Erfahrung und damit auch das Subjekt selbst ist.« (Ebd., S. 66)
Insofern ist die körperliche Komponente der Popmusik als Antwort auf die Suche nach Verlässlichkeit in einem immer flexibler werdenden Alltag zu sehen (vgl. Tully, 2007, S. 12). Orte und Räume werden in diesem Zusammenhang zu wichtigen identitätsstiftenden Erfahrungskontexten, faktische Mobilität zugleich zur Folge und Bedingung dieser körperlichen Komponente. 3.4.3 Popmusikzentrierte Vergemeinschaftung An Popmusik gekoppelte Gemeinschaften existieren bereits Ende der 1930er Jahre als der Swing jugendliche Bevölkerungsgruppen zu begeistern vermochte. Karl Bruckmaier stellt anhand dieser frühen Gruppierungen, der sogenannten Swing Kids, eine Eigenart von Pop und der Verbreitung von Popmusik fest. Er zeigt auf, dass bestimmte Gruppen, deren gemeinsamer Nenner die Musik ist, nicht nur an einem Ort der Welt auftauchen, sondern »dass sich unabhängig voneinander gleichzeitig und weltweit und über Standes- und Rassengrenzen hinweg identische Merkmale […] herausbilden« (Bruckmaier, 2014, S. 204). Bruckmaier beschreibt diesen Vorgang als mehr oder weniger undurchsichtig, ja magisch: »Ein Hörensagen, ein osmotisches Wahrnehmen bruchstückhafter Informationen reicht also aus, in kurzer Zeit ganze Subversionsgeflechte auszubilden, die sich bis ins kleinste Detail gleichen.« (Ebd.) Paris, Los Angeles, New York, Berlin, Hamburg, London in vielen
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Großstädten der westlichen Welt trägt der Swing ähnliche, wenn auch lokal immer wieder leicht andersartig adaptierte Früchte. Jedenfalls werden die Musikrichtung und die damit einhergehende Mode – knielange Sakkos, Sonnenbrillen, etwas längere Haare usw. – Ausdrucksmittel jugendlicher Rebellion und Andersartigkeit (vgl. ebd., S. 203ff.). Ob diese Verbreitung wirklich so magisch funktionierte und welche Funktion diese Gemeinschaften haben, soll im Anschluss an die Klärung einiger Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit musikzentrierter Vergemeinschaftung gezeigt werden. Diese Klärung ist nötig, denn wie es der Titel des Sammelbands von Hodkinson und Deicke »Youth Cultures. Scenes, Subcultures and Tribes« (2007) bereits deutlich, aber gleichzeitig immer noch unvollständig auf den Punkt bringt: Die Begriffsvielfalt beim Umgang mit Formen musikzentrierter Vergemeinschaftung ist ebenso groß wie verwirrend. Diskurse um die Verwendung von Bezeichnungen wie Subkultur (Sack, 1971), Jugendkultur (Baacke, 1999), Gegenkultur (Williams & Hannertz, 2014), Szenen (Hesmondhalgh, 2005) oder Neo-Tribes (Bennett, 1999) durchziehen (jugend)soziologische Debatten seit Jahrzehnten. Oft bringen die einschlägigen Autoren hier ihre jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Ansichten und ihre wissenschaftlichen Positionen mit ein. Während Kulturanthropologen und Kriminologen den Subkulturbegriff anhand abweichender jugendlicher Banden oder Gangs prägten, kam es bei der Übernahme in die musikalische Sphäre beispielsweise durch Schwendter (1973/1993) oder Hebdige (1979) in den 1960er und 1970er Jahren zu einer Politisierung des Konzeptes und nicht zuletzt dadurch zu einer nachhaltigen Verknüpfung von Popmusik mit Politik (vgl. auch Kapitel 2.3). Erziehungswissenschaftlern wie Dieter Baacke (1999) wiederum ging es immer um einen pädagogischen Ansatz. Aus der Verbindung von Cliquen und Peer-Groups mit deren kulturellen Aktivitäten leitete sich daher der Begriff der Jugendkulturen ab. Wobei die Unschärfe des Begriffes bereits eingepreist wurde. Denn »tendenziell verliert ›Jugendkultur‹ ihr im Bestimmungswort liegendes Ansinnen, an eine bestimmte Lebensphase (Jugend) gebunden zu sein, wird vielmehr Ausdruck eines Lebensgefühls von Schnelligkeit, Plötzlichkeit, Intensität, das prinzipiell allen Altersgruppen zugänglich ist und sich in der Überbeanspruchung abnutzt« (ebd., S. 147). Vergemeinschaftung ist demnach heute nicht mehr nur auf verschiedenen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Feldern zu verorten und milieuübergreifend, sondern sie ist auch über das Jugendalter hinaus noch relevant (vgl. dazu auch Kapitel 3.1). Daher ist es wenig verwunderlich, dass sich (jugendliche) Vergemeinschaftung immer stärker auch an den jeweils aktuellen soziologischen Debatten unter den Bedingungen der Post- oder Spätmoderne abarbeitet (vgl. Hodkinson, 2007b, S. 8-14). Auffällig ist insgesamt, dass es in großen Teilen der Forschungsarbeit zum Thema Vergemeinschaftung – insbesondere in großen Teilen der auf diesem Feld renommierten Cultural Studies – relativ wenig um die Musik selbst geht, die als
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Ankerpunkt für die untersuchten Jugendlichen zwar eine zentrale Konstante bildet, aber letztlich für die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Sub- und Jugendkulturen nur sehr bedingt eine Rolle spielte. »Significantly, most of the subcultural research had very little (if anything) to say about the music itself, even as it routinely pointed to the centrality of music to the lives of the youths who were part of the subcultures in question.« (Rodman, 2015, S. 57)
Zentraler waren immer die Fragen nach politischen, sozialen, nach klassen- und rassenspezifischen aber auch nach ästhetischen Auswirkungen dieser jugendkulturellen Formationen. Wieviel politisches Potenzial steckt in der Gruppierung? Wie anders im Vergleich zur Mehrheitskultur ist sie? Und ist sie damit nun eher als Subkultur, als Jugendbewegung als Gegenkultur oder als Teilkultur zu fassen? Insbesondere verkompliziert sich die Begriffsakrobatik, da die Vokabeln, mit denen die einzelnen Gruppen bezeichnet werden, scheinbar willkürlich auf bestimmte Lebensbereiche abzielen und diese teilweise mit dem zentralen Element der Musik vermischen. So kommt der Begriff Rocker keineswegs aus der Rockmusik (vgl. Ferchhoff, 2013, S. 27) ebenso wie der Beatnik nicht musikgeleitet entstand (Baacke, 1999, S. 51ff.). Punks wiederum sind eng mit der jeweils prägenden Musikrichtung verknüpft, erweiterten im Laufe der Zeit jedoch ihren Spielraum für Lebensweltaktivitäten erheblich. Für Anhänger der Gothic Szene gibt es eine Vielzahl an Bezeichnungen (vgl. exemplarisch Nym, 2010), die mal mehr, mal weniger treffend, nicht immer musikalisch ableitbar und selbst innerhalb der Szene stark umstritten sind. Und beim HipHop wird deutlich, dass er von Anfang an mehr war als bloß Musik. Hier wird immer wieder die Triade aus Musik, Tanz und Kunst (Graffiti) genannt (Rose, 1997), wobei sich dort wiederum schnell spezialisierte Gruppierungen wie Sprayer, Breaker oder Rapper abspalteten. Begriffsverwendungen sind immer auch Wandlungen innerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen unterworfen. Mit wachsendem Erkenntnisstand und durch die veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung verfestigen sich die einen und verändern sich die anderen Begriffe in ihrer Bedeutung. So wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Begriffe wie Subkultur (subculture) und Gegenkultur (counterculture) noch nahezu synonym verwendet. Ein paar Jahre später entwickelten sich daraus völlig unterschiedliche Bedeutungen. »By the end of the 1960s, subculture and counterculture had become analytically distinct terms within sociology.« (Williams & Hannertz, 2014) Kann bis in die 1960er Jahre hinein also von einer »Engführung des Gegenkulturbegriffes« (Stahl, 2010, S. 76) gesprochen werden, so erlebt die Jugendkulturforschung spätestens mit der Etablierung der Cultural Studies eine Wende hin zur Fokussierung auf individuelle und gruppengeleitete Aneignungspraxen. So zeigt Stahl am Beispiel der Ost- und Westberliner Radiosender in den 1960ern und 1970ern, wie DDR-Jugendliche Popmusik als gegenkulturelle Sti-
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le »durch die teil- und gegenkulturelle Praxis der Besetzung von Produkterzählungen und deren Einfügung in die alltägliche Lebenswelt« entwickelten (ebd., S. 315). Hier vermischen sich also Subkultur, Alltagskultur, Popkultur und Gegenkultur. Es geht darum, wie popkulturelle Zeichen und Praxen gemeinschaftlich und individuell angeeignet werden. Im Zuge neuerer soziologischer Debatten um Prozesse der Individualisierung, Globalisierung und Digitalisierung kam es spätestens seit den 1980er Jahren auch zu einem erneuerten Blick auf Vergemeinschaftungsprozesse. Beispielsweise rücken Konzepte wie posttraditionale Gemeinschaften (Hitzler et al., 2008a) oder Neotribalismus (Maffesoli, 1996) in den Fokus. Beide sollen hier kurz skizziert werden. 3.4.3.1 Neotribalismus Michel Maffesoli sieht seine analog zu den Naturvölkern bezeichneten neuen Stämme (Neo-Tribes) als Antwort und Reaktion auf die Auflösung von Strukturen in der Gesellschaft. Innerhalb dieser Stämme existiert ein archaisches Gefüge aus Ritualen, Zwängen und Verpflichtungen, denen es sich zu unterwerfen gilt, um dabei zu sein. Der Zusammenhalt entsteht dabei nicht mehr deterministisch qua Geburt, sondern auf Basis geteilter ästhetischer Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle. Ästhetik ist dabei zentrales Bindeglied und Orientierungslinie für postmoderne Menschen. Maffesoli spricht auch vom homo aestheticus (vgl. Maffesoli, 1991). Diese Ästhetiken werden innerhalb der Neo-Tribes fortwährend über gemeinsam vollzogenen Rituale, Sitten und Bräuche – ähnlich wie bei traditionellen Stämmen – reproduziert. Die Wahl, welchem Stamm wir angehören wollen, wird einzig bestimmt von ästhetischer Identifikation. Übertragen auf popmusikalische Vergemeinschaftungen bedeutet dies, dass Menschen die freie Wahl obliegt, welcher Gemeinschaft sie sich anschließen. Letztlich entscheidet die popmusikalische Präferenz. Künstler, Formen des Tanzes, das Treffen in Clubs, spezifische musikalische Stimmungen, Anzugsordnung und weitere Komponenten fließen in dieses Geschmacksurteil ein. Der Kollektivierungsprozess der Neo-Tribes ist weder totalitär wie bei den Naturvölkern – die keine Wahl hatten und ihrem jeweiligen Stamm kaum entkommen konnten – noch ist er vertraglich geregelt. Er basiert lediglich auf einer Ästhetik entindividualisierender Gemeinschaftserfahrungen. Daraus ergibt sich auch das gesellschaftlich wohl folgenreichste Merkmal dieses Neo-Tribalismus: Der Einzelne ist nicht permanent und exklusiv Mitglied eines einzelnen Stammes, sondern führt gewissermaßen ein Nomadenleben, in dessen Verlauf er immer wieder in verschiedne Gemeinschaften eintaucht (vgl. Keller, 2011, S. 259). Für popmusikzentrierte Gemeinschaften bedeutet dies, dass sie hochgradig verflüssigt sind. Einerseits bedeutet dies Instabilität, denn Mitglieder können jederzeit die Mitgliedschaft kündigen. Andererseits heißt dies auch hochgradige Flexibilität, denn Interessierte können auch schnell und in großer Zahl zur Gemeinschaft stoßen.
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3.4.3.2 Posttraditionale Gemeinschaften Ähnlich wie Maffesoli konzeptualisieren in der deutschsprachigen Jugendsoziologie Ronald Hitzler und weitere Autoren die neuen Formen der Vergemeinschaftung. Auch bei ihnen ist die individualisierte, pluralisierte, globalisierte und subjektivierte Moderne, in der sich Schichten und Klassen auflösen, Ausgangspunkt der Betrachtungen (Hitzler et al., 2008b, S. 9). Es kommt aufgrund wachsender Optionsvielfalt zu zunehmender Uneindeutigkeit, Unverbindlichkeit und daraus resultierender Unsicherheit. »Sozial gesehen geht es somit zunehmend um die Frage der Verläßlichkeit, d. h. um die Frage, wie wir wieder ›Sicherheit‹ gewinnen können im Umgang miteinander. Und individuell gesehen geht es um die Suche nach biographischen Optionen zur Wiedervergemeinschaftung jenseits quasi-natürlicher sozialmoralischer Milieus.« (Hitzler & Pfadenhauer, 1998, S. 87)
Es geht also auch hier um das Wiedererlangen von Bezügen zur Welt, um Rückbettung (Giddens, 1999) und Resonanz (Rosa, 2016). Posttraditionale Gemeinschaften bieten hier Lösungen an. Diese neuen Formen der Vergemeinschaftung sind im Gegensatz zu althergebrachten Gemeinschaften nicht mehr biologisch oder sozialstrukturell begründet, sondern kulturell und sie müssen sich daher fortlaufend produzieren und reproduzieren. Das heißt auch, jeder Einzelne trägt zur Aufrechterhaltung und Konstitution der Gemeinschaft bei. Die Gemeinschaft kann in diesem Sinne durchaus zu einer Aufgabe und einem Lebensinhalt werden. Hier finden also Prozesse der Identifikation statt, indem sich der Einzelne als Teil einer Gemeinschaft fühlt und mit seinem Handeln zur Konstitution dieser Gemeinschaft beiträgt. Gleichzeitig ist auch Distinktion ein wesentliches Merkmal dieser Gemeinschaften, denn die Abgrenzung nach außen und gegenüber anderen wirkt für die Gemeinschaft stabilisierend (vgl. Hitzler et al., 2008b, S. 15f.). Hier wiederum ähnelt das Konzept der posttraditionalen Gemeinschaften den klassischen Gemeinschaften. Geboten werden – zumindest relative – »Sicherheit und Fraglosigkeit« (ebd., S. 16) und nicht zuletzt Selbstwirksamkeitserfahrungen. Die größten Differenzen bleiben letztlich, wie bei den Stämmen von Maffesoli, die Nicht-Exklusivität, der TeilzeitCharakter, die Themen- oder gar die Situationsspezifik (vgl. auch Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 14). »Das heißt, dass der Einzelne diese kleinen sozialen Teilzeit-Welten typischerweise eben nicht (mehr) als Oktroys mit dem Anspruch auf (relative) Alternativlosigkeit erlebt, sondern als prinzipiell mit relativ geringen ›Kosten‹ wähl- und abwählbare Optionen, deren vorläufige bzw. zeitweilige Akzeptanz ihm auch keine bzw. vernachlässigbare Restriktionen auferlegt in Bezug auf parallele oder gar sequentiell verschobene ›Mitgliedschaften‹ in anderen Gemeinschaften.« (Ebd.)
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Posttraditionale Gemeinschaften sind also potenziell unverbindlich. Die Mitgliedschaft ist jederzeit kündbar (Hitzler & Pfadenhauer, 1998, S. 88) und kann auch nicht wirksam sanktioniert werden (vgl. Hitzler et al., 2008b, S. 17f.). Das gemeinsame Handeln innerhalb dieser Gemeinschaften folgt dabei nicht unbedingt geteilten Interessen, vielmehr erzeugt es diese Interessen erst (ebd., S. 18). Solidaritäten und Loyalitäten entstehen nicht aus existenziellen Notwendigkeiten, sondern aus eher emotional motivierten situativen Entscheidungen für situatives prosoziales Handeln. Im Zentrum der Handlungen stehen im Falle popmusikalischer posttraditionaler Vergemeinschaftungsformen die entsprechenden Zeichen, Symbole, auch Rituale und nicht zuletzt die Musik. »Die Mitgliedschaft in einer posttraditionalen Gemeinschaft besteht somit im Wesentlichen in der Übernahme und im Vollzug von bzw. im Bekenntnis zu für diese (Teilzeit-)Kultur symptomatischen Zeichen, Symbolen und Ritualen. D. h., dass man sich eben nicht oder zumindest weniger aufgrund solidaritätsstiftender gemeinsamer Wertsetzungen, sondern sozusagen ästhetisch und prinzipiell vorläufig für die Mitgliedschaft entscheidet.« (Ebd., S. 13)
Beide Modelle – jenes der Neo-Tribes und das der posttraditionalen Gemeinschaft – sind eng verwandt14 und lassen sich aufgrund ihrer Situativität, Flexibilität und Offenheit sehr gut auf heutige popmusikzentrierte Vergemeinschaftungsformen übertragen. 3.4.3.3 Szenen – Ein globaler Begriff für ein translokales Phänomen Immer wieder gibt es auch Versuche, ältere, aber nach wie vor, gerade in der Umgangssprache etablierte Konzepte von Vergemeinschaftung zu spezifizieren und im Lichte neuer Erkenntnisse zu rekonzeptualisieren. Hitzler & Niederbacher (2010) vollziehen dies mit dem Szene-Begriff. Da dieser auch international besonders für musikzentrierte Vergemeinschaftung alltagssprachlich wie wissenschaftlich genutzt wird (vgl. Hesmondhalgh, 2007; Hodkinson & Deicke, 2007; Straw, 2005), erscheint eine nähere Betrachtung auch hier sinnvoll. Ronald Hitzler sieht Szenen als prototypisch für posttraditionale Gemeinschaften (Hitzler, 2008, S. 57). Man wird nicht in sie hineingeboren oder hineinsozialisiert, vielmehr sucht man sie sich entsprechend seiner Interessen aus (Hitzler & 14 Dass diese beiden Konzepte mindestens eng verwandt sind, zeigt sich bereits am Umgang mit dem Neotribalismus in den Veröffentlichungen Ronald Hitzlers und seiner CoAutoren. Sehr häufig wird hier explizit und teilweise ausführlich auf Maffesolis Schriften verwiesen (vgl. bspw. Hitzler, 2008, S. 64; Hitzler et al., 2008b, S. 11ff.; Hitzler & Pfadenhauer, 1998, S. 88f.). In diesem Sinne kann unter posttraditionaler Gemeinschaft eine eingedeutschte und etwas weiter in Richtung Jugendkultur ausgearbeitete Version des Neotribalismus gesehen werden.
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Niederbacher, 2010, S. 15f.). Aus der Mitgliedschaft ergeben sich keinerlei Verpflichtungen für den Austritt gibt es keinerlei Sanktionen bis auf die, dass man nicht mehr Teil der Szene ist. Da Szenen keinerlei Druckmittel haben, verführen sie anhand ihres geteilten Themas – Maffesoli würde sagen: ästhetisch – zur Mitgliedschaft (vgl. Hitzler, 2008, S. 55). Ganz allgemein verstehen Hitzler und Niederbacher unter einer Szene »[e]ine Form von lockerem Netzwerk; einem Netzwerk, in dem sich unbestimmt viele beteiligte Personen und Personengruppen vergemeinschaften« (Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 15). Eben dieser Netzwerkgedanke erscheint eingedenk der globalen Verbreitung popmusikalischer Szenen besonders zentral (vgl. auch Bennett & Peterson, 2004). Letztlich changieren Szenen zwischen lokaler Verwurzelung und globaler Ausbreitung. Zusammengehalten werden sie von einem Erlebniskern, von einem zentralen Thema, um das sich »so etwas wie ein Lifestyle mit eigenen Sprachgewohnheiten, Umgangsformen, Treffpunkten bzw. Lokalitäten, Zeitbudgetierungen, Ritualen, Festen bzw. Events« gruppiert (Hitzler, 2008, S. 64). Diederichsen umschreibt den Szenebegriff – in seiner Sprache sind es lokale Bohemias – und seinen konstituierenden Grundstoff anhand eines Vergleichs mit der Wissenschaft: »Wenn also in Wissenschaftlerkreisen Erkenntnisse, Auslegungen und dergleichen Schulen bilden, Zirkel und Kreise, dann, weil diese Wissenschaftler tatsächlich ihre Wissenschaft in den Mittelpunkt stellen und als ihr Leben betrachten. In Bohemia wird aber nicht das Erarbeitete als Leben empfunden, sondern das Erlebte, das, was sich in dieser immer längeren, möglichst unendlichen Freizeit zugetragen hat.« (Diederichsen, 2010, S. 67f.)
Im Mittelpunkt des Szenelebens steht also die Aktivität, das Erleben, das Event, der Club mit seinen örtlichen Besonderheiten (vgl. auch Kapitel 3.3.2 und 3.4.2) und der kommunikative Austausch zwischen den Szenemitgliedern. Dieser kommunikative Austausch funktioniert zunächst lokal vor Ort. Szenen haben ganz klar eine lokale Basis. Durch Prozesse der Globalisierung, Deterritorialisierung (Hepp, 2002) und Mediatisierung werden sie jedoch zu globalen Phänomenen. Sie funktionieren je nach Sichtweise glokal (Lorig & Vogelgesang, 2011), transnational (Majouno & Vogelgesang, 2015, S. 232f.) oder translokal (Virani, 2016; Wynn & DominguezVillegas, 2016). Medienkommunikation und die kommunikative Vernetzung sind bedeutende Faktoren für die Verbreitung einer Szene (vgl. Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 17). Aber weder werden wichtige Szenethemen, Ästhetiken, Zeichen und Symbole aus den Medien einfach übernommen, noch lösen sich durch die gestiegene globale Konnektivität die lokalen Stile auf. Vielmehr entsteht eine »komplexe Geographie translokaler Medienkulturen« (Hepp, 2002, S. 874). Auch wenn bestimmte Elemente einer Szene global funktionieren, ist es »das Lokale, d. h. solche Netzwerke von erreichbaren Lokalitäten, das in dem kommunikativen Netzwerk der
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Konnektivität für den Einzelnen bzw. die Einzelne der primäre Fokus des Alltags ist« (ebd.). Wenn also, wie am Kapitelanfang gezeigt, Bruckmaiers Swing Kids Ende der 1930er Jahre scheinbar magisch an verschiedenen Orten der Welt in ähnlicher Kleidung auftauchen, haben wir es mit einer der ersten popmusikzentrierten Jugendkulturen zu tun. Diese Verbreitung funktionierte notwendigerweise medial, indem mindestens die Musik, mittels des zu dieser Zeit bereits massenmedial etablierten Radios, medial weitergegeben wurde. Zusätzlich ist denkbar, dass Plakate, Bilder und erste Filme auch einen gewissen ästhetischen Kanon herstellten, der dann lokal differenziert ausgestaltet wurde. Als Verbreitungsmechanismus kommen zudem physische Reisebewegungen von Künstlern oder Anhängern – beispielsweise Schauspieler und andere Berufsreisende – in Frage. Ähnlich wie beim Punk, dessen zentrale Genese-Achse zwischen New York und London sichtbar wird oder beim Hipsterphänomen (vgl Kapitel 7.5), das insbesondere auf dem Austausch zwischen New York und Berlin beruht, sind Reisende ein zusätzlicher, oft sogar entscheidender Einflussfaktor der Verbreitung. Das heißt dann aber am Ende nicht, das Punk in London und in New York identisch ist. Während er auf der einen Seite des Atlantiks als oppositionelle Künstlerkultur funktionierte, wurde er in Großbritannien von der Arbeiterklasse annektiert. Global funktionierende Merkmale wie DIY-Ethos, Drei-Akkord-Musik, schwarze Lederjacken, Irokesenfrisur besitzt er dennoch, mal aus der einen, mal aus der anderen Quelle. Ebenso funktioniert dies in anderen Szenen auch auf geringere Entfernung. Man gehe nur einmal zu Konzerten der gleichen Bands15 in München, Berlin, Köln, Hamburg und Leipzig oder zu entsprechenden Club-Veranstaltungen. Szenen haben immer Lokalkolorit: Vor Ort werden global gültige Merkmale adaptiert und entlang lokal gängiger Prinzipien umgewandelt. Ergebnis sind regionale Unterschiede in der Szeneausprägung, die sich musikalisch und ästhetisch niederschlagen.16 15 Es sollten kleinere (maximal 500 Besucher) Konzerte sein, denn auf Großkonzerten lassen sich lokale Eigenheiten oft nur schwer ausmachen. 16 In der Gothic Szene in Deutschland gibt es dadurch beispielsweise ein Art Nord-SüdGefälle. Während der Süden stark von den ehemaligen Zentren Bayreuth und Karlsruhe geprägt ist und man dort (Bayern und Baden-Württemberg) jahrelang noch Szenegänger mit typischer Samt-Rüschen-Kleidung antraf, ist dies im Norden nahezu ausgeschlossen. Hier setzten sich die Mitglieder nur noch selten und wenn dann anders – beispielsweise durch Anleihen aus dem Fetisch-Umfeld – glamourös in Szene. Auch musikalische Unterschiede existieren: Beispielsweise ist in Berlin der Elektronikeinfluss innerhalb der Szene deutlich dominanter als im Rest der Republik, wodurch es hier ab etwa 2010 einerseits zu einer Wiederbelebung elektronischer Sounds der 1980er Jahre, beispielsweise EBM oder New Beat, und andererseits zu einer Vermischung mit der in Berlin traditionell starken Techno-Szene kam (vgl. auch Aleks, 2016; Kindt, 2016).
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Szenen funktionieren also nach wie vor lokal. In einem Globalisierungsprozess werden sie heute weltweit adaptiert und man findet sie in europäischen Großstädten ebenso wie in Afrika oder Asien. Ob ihrer Ausprägung in jedem Falle Regionalspezifisches beigemischt wird, hängt von der Aktivität vor Ort ab. Der Verbreitungsprozess ist in jedem Falle hauptsächlich medial vermittelt. Mit Giddens könnte man ihn als Dislozierung bezeichnen (Giddens, 1999, S. 174f.). Die Behaglichkeit und Routine des Nahraums, auf dem die Szene basiert, »leitet sich nicht von den Besonderheiten des jeweiligen Ortes her«, sondern ist womöglich »in Wirklichkeit ein Ausdruck weit entfernter Ereignisse […]« (ebd., S. 175). Für Giddens bedeutet eine derartige Entwicklung nicht Entfremdung vom Lokalen, sondern »Integration in globalisierte Gemeinschaften gemeinsamer Erfahrung« (ebd., S. 176). Gemeinsam ist den hier vorgestellten neueren Ansätzen zur Vergemeinschaftung aus soziologischer Sicht, dass sie in Zeiten wachsender Unverbindlichkeit ein Gefühl der Zugehörigkeit erzeugen. Ihre sozialintegrative Wirkung und damit auch ihre Funktionen für Sozialisation und Identitätsbidung können an dieser Stelle mit jenen der klassischen Milieus verglichen werden. Neo-Tribes, posttraditionale Gemeinschaften oder Szenen sind damit Reaktionen auf den sozialen Wandel und die wachsenden Unsicherheiten. Sie werden zur (Teilzeit-)Heimat für ihre Mitglieder. Dabei steht bei diesen neueren entlokalisierten Perspektiven auf Vergemeinschaftung vor allem die Vernetzung der Akteure im Mittelpunkt. Vor allem popmusikalische Vergemeinschftungsprozesse basieren dabei nach wie vor auf dem Lokalen. Nicht zuletzt deshalb touren Bands, DJs oder ganze Festivals um die Welt.
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Popmusik und Technologie
Popmusik begrifflich zu fassen und abzugrenzen ist nicht zuletzt deshalb so schwer (vgl. dazu Kapitel 2), weil sie sich permanent verändert. Treiber dieser Veränderung ist die technologische1 Etwicklung. »What counts as popular music has been shifted many times – for example, by the dissemination of the personal computer […].« (Driscoll, 2010, S. 525) Technologie in der Popmusik umfasst neben Apparaten und Objekten (Abspielgeräte, Tonträger, Mixer, Smartphones) auch Daten und die sie steuernde und ordnende Software (Musikdateien, Treiber, Archivierungsprograme, Browser, Internetplattformen u. a. m.). Es ist unbestreitbar, dass die Technologiebedingungen, unter denen Popmusik heute produziert, verbreitet und angeeignet wird, umfassender Betrachtung bedürfen, um Prozesse der Veränderung und daraus resultierende Ableitungen bezüglich der Bedeutung von Popmusik zu identifizieren. Einige der technologisch induzierten Veränderungen sollen daher in der Folge näher beleuchtet werden, bevor die in diesem Zusammenhang ebenso wichtige ökonomische Seite der Popmusik näher betrachtet wird. Aus techniksoziologischer Sicht umfasst die Analyse von Technologie mehrere Dimensionen (vgl. Tully, 2014, S. 26-27):
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In der Folge wird meist der Begriff Technologie verwandt, da Technik vom Begriffsverständnis her »durchgängig ingenieurwissenschaftlich«, also vor allem an Maschinen gebunden, konnotiert ist. Technologie dagegen ist »notwendig wissenschaftlich und systematisch begründet« (Tully, 2003, S. 33f.). Gerade die Digitalisierung und ihre Softwarelösungen legen daher nahe, von Technologie zu sprechen. Denn es geht hier immer auch um »organisiertes Wissen« (ebd., S. 30). Insgesamt jedoch »ist es statthaft, ›Technik‹ und ›Technologie‹ synonym zu verwenden« (ebd.). Für die aktuelle Popmusik sind vor allem die Technologien relevant, die Claus Tully Technik II nennt, also anwendungs- und ergebnisoffene Technologien für einen potenziell sehr großen Nutzerkreis, die spielerisch und unsystematisch angeeignet werden (vgl. ebd., S. 57ff.). Aus verschiedenen Gründen existiert durchaus auch noch die zweckrationale Technik I innerhalb der Popmusik. Vor allem Schallplatten und Schallplattenspieler sind hier zu nennen.
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die Entstehungsbedingungen der Technologie (Technikgenese) Technologieentwicklung und -förderung Technologiefolgen gesellschaftliche Urteile zu Technologien technologiebezogene Einstellungen und Verhaltensweisen, aus denen sich kulturelle Muster ergeben
Mit Blick auf Popmusik soll hier vor allem auf die Technologieentwicklung, insbesondere auf markante Veränderungen durch die Digitalisierung fokussiert werden, die dann bestimmte Folgen zeitigt, aus denen sich neue kulturelle Muster ergeben. Inwieweit eine bestimmte Technologie das System Popmusik jeweils beeinflusst, hängt davon ab, »in welchem Ausmaß neue technologische Möglichkeiten die [seine, Anm. d. V.] Funktions- und Reproduktionsbedingungen« (Dolata, 2008, S. 346) berühren. Im Anschluss an einige historische Beispiele soziokultureller Implikationen von Technologie, sollen daher entlang des vielfach als Mediamorphose (Blaukopf, 1982; 1989; Smudits, 2002; Sperlich, 2007) bezeichneten umfassenden Wandels der Popmusik technologische Veränderungen exemplarisch aufgezeigt werden, um daraus anschließend kulturelle und soziale Folgen abzuleiten. Auch die ökonomischen Folgen werden dabei immer wieder gestreift. Sie werden anschließend jedoch nocheinmal gesondert verhandelt (vgl. Kapitel 5). Die von Tully benannten gesellschaftlichen Urteile, also die Bewertung von Technologie (vgl. Tully, 2014, S. 27), ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Technologie, deren Nutzung und deren Folgen. Sie sind, so sie nicht bereits historisch sind und damit an der einen oder anderen Stelle im Rahmen der Genese von Popmusik abgehandelt wurden, prospektiv in den Fallbeispielen (Kapitel 7) zu finden. Ähnlich verhält es sich mit den technikbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen sowie mit den kulturellen Mustern. Auch sie sind, soweit bereits belegbar, exemplarisch besipielsweise in Kapitel 2 auffindbar. Soweit sie jedoch in die Zukunft weisen, wird auf sie in Kapitel 7 im Rahmen der Fallbeispiele eingegangen.
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4.1 MUSIK, TONTRÄGER UND ABSPIELGERÄTE – BEISPIELE FÜR TECHNOLOGIEFORMATE UND IHRE SOZIALKULTURELLEN IMPLIKATIONEN Dass technologische Innovationen in der Popmusik in erheblichem Maße zu soziokulturellen Veränderungen von Produktions- und Rezeptionsweisen beitrugen, ist vielfach bestätigt (vgl. Friederici, Schulz & Stromeyer, 2006). Anhand ausgewählter Beispiele soll dies in der Folge kurz verdeutlicht werden. Tonträger wie Kassetten, Schallplatten oder Compact Discs (CDs) waren lange Zeit elementare Bausteine der Popmusik – für viele sind sie es noch immer. Das Fassungsvermögen dieser Tonträger ist determiniert durch die physische Größe – die Fläche, auf der Musikinformationen gespeichert werden können – und die Technologie, also die Art und Weise, wie diese Informationen kodiert sind: analogelektronisch bei der Schallplatte, optisch-digital bei der CD. Im Laufe der Popmusikgeschichte haben sich ganz bestimmte Formate herausgebildet, die einen Standard bildeten. Bei der Schallplatte sind dies die sogenannte »12-Inch«2 sowie die »7-Inch«, die jeweils 30, beziehungsweise 17,5 Zentimeter Durchmesser haben.3 Bei der CD gibt es in der Hauptsache die handelsübliche Größe mit etwa zwölf Zentimetern Durchmesser. Im Fassungsvermögen unterscheiden sich die Medien deutlich. Während auf die beiden Seiten einer kleine Platte insgesamt circa zehn bis zwölf Minuten und auf die einer großen etwa 45 bis 60 Minuten Musik passen, waren CDs anfangs mit 74 Minuten später gar mit 80 Minuten Musik bespielbar. Warum ist dies so und warum setzten sich gerade diese Größen durch?
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Die von Columbia Records 1948 eingeführte Langspielplatte (12-Inch-LP; LP = long play) war lange Zeit der Standard für Albenveröffentlichungen. Ihr Abspieltempo liegt standardmäßig bei 33 1/3 Umdrehungen pro Minute. Zudem existieren seit den 1970ern auch noch die sogenannten Maxi-Singles, die einer Langspielplatte äußerlich gleichen, jedoch sowohl als 45er als auch als 33 1/3-Versionen gepresst wurden und längere Abspielzeiten für Single-Veröffentlichungen ermöglichten.
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Es existieren auch andere Größen, beispielsweise die Zwischengröße ›10-Inch‹ (ca. 25 Zentimeter Durchmesser), die ebenfalls für Singel- beziehungsweise Maxi-Veröffentlichungen sowie für das Zwischenformat ›EP‹ (extended play) genutzt wird. Sie haben jedoch im Vergleich zu den hier genannten Standards nur geringe Relevanz. Zudem ist das Fassungsvermögen immer abhängig von Produktionsdetails, beispielsweise wie hoch die tieffrequenten Anteile der Musik sind – mehr tieffrequente Anteile benötigen mehr Platz – und ob die Platte für eine Laufgeschwindigkeit von 45 oder 33 Umdrehungen pro Minute produziert wurde. Erstere lässt theoretisch bessere Qualität (Höhenauflösung) zu, verringert jedoch im Gegenzug das Fassungsvermögen.
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Dass die Durchsetzung von Technologie im Popmusikbereich oft von wichtigen und auf dem Markt nachgefragten Details abhängt, zeigt bereits der Wettstreit zwischen den parallel erschienen ersten Musikaufnahme- und Abspieltechnologien von Emil Berliner und Thomas Edison. Obwohl Edisons 1877 vorgestellter Phonograph sowohl aufnehmen als auch abspielen konnte, setzte sich das Grammophon Berliners durch. Seine Scheiben waren im Gegensatz zu den Zylindern Edisons handlicher und einfacher zu produzieren, außerdem hatten sie einen Lautstärkevorteil (vgl. Garofalo, 2015, S. 104). Ähnliche Details entschieden auch bei späteren Tonträgern. Am Anfang von Produktentwicklungen stehen Leitbilder und Leistungsversprechen (vgl. Tully, 2003, S. 47ff.). So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Entwicklung von Tonträgern zunächst an musikalischen Idealen ausgerichtet war, die aber ihrerseits wiederum technisch präfiguriert waren. Zu Beginn der Schellackplattenproduktion am Eingang des 20. Jahrhunderts passten etwa vier Minuten auf eine Seite der Platten (Bruckmaier, 2014, S. 122). Da diese Form der Produktion weltweit durchgeführt wurde, »passen sich bald indische Ragas, ›klassische‹ Kompositionen eines Paul Hindemith oder Igor Strawinsky genauso wie kurdische Hochzeitslieder der neuen Zeitnorm für Musik von etwa vier Minuten an […]. Dieses Diktat gilt unumstößlich, bis Bob Dylan 1965 seine Single ›Like a Rolling Stone‹, die weit über sechs Minuten dauert, mit einer falschen Zeitangabe versehen lässt und so das ungeschriebene Gesetz amerikanischer Radiostationen aushebelt.« (Ebd.)
Es gibt hier also eine soziotechnische Linie, die von Emil Berliners Schellackplatten über die Formatierung von Musik im Radio bis in die Mitte der 1960er Jahre reicht. Eine lange Zeit dominierende Form der Tonträger, die sich mit 45 min-1 drehende, sogenannte 7-Inch-Schallplatte4 von RCA Victor, kam 1949 eben deshalb in dieser Größe auf den Markt. Vier bis Fünf Minuten Spielzeit genügten für damalige Musikstücke, die durch Schellack und Radio gewissermaßen technologisch domestiziert waren. Die Doppelseitigkeit war bereits um die Jahrhundertwende bei den Vinyl-Vorläufern eingeführt worden (vgl. Osborne, 2016, S. 143ff.). Diese Formatierung mit zwei Seiten à vier bis fünf Minuten war folgenreich. Typische 7-Inches hatten später genau zwei Titel, eine sogenannte A-Seite und eine B-Seite.5 Dieses Format wurde auch noch eingehalten, als längst die CD – die ja nur eine Seite hatte – etabliert war. So war es üblich, einem Popsong, der als Single auf die 4
Die kleinen PVC-Platten hatten ein etwa 38 Millimeter großes Mittelloch. Nur Pressungen aus Großbritannien hatten, wie die 12-Inch-Platten, ein ca. sieben Millimeter kleines Mittelloch.
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Es gibt darüber hinaus auch zahlreiche Veröffentlichungen die drei, vier oder sogar mehr Titel enthielten, je nach Länge der Songs. Typisch ist jedoch die Anzahl zwei.
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Charts abzielte, eine sogenannte B-Seite hinzuzufügen. Obwohl der Tonträger nur noch eine Seite hatte hielt sich der Begrif B-Seite weiterhin. Grund dafür war die popkulturelle Bedeutsamkeit, die sich B-Seiten im Laufe der Zeit erarbeiteten. Sie gelten oft als das spannendere, interessantere musikalische Material. Dies unter anderem, weil sie in der Regel weniger öffentlich präsent waren und beispielsweise kaum im Radio gespielt wurden. Dadurch ermöglichten sie in hohem Maße Prozesse der Distinktion und Identifikation (vgl. auch Kapitel 3.4). Oft sind B-Seiten, im Gegensatz zu den A-Seiten, nicht auf den Alben zu finden und damit etwas Exklusives, gewissermaßen ein Bonus, den nur besitzt, wer auch die Single und nicht nur das Album kauft. In der Folge haben viele Künstler und Bands mittlerweile neben den obligatorischen Best-Of-Alben – die meist die A-Seiten, also die wichtigsten Hits, enthalten – eine oder mehrere B-Seiten-Sammlungen veröffentlicht. B-Seiten und die sozialkulturellen Umgangsweisen mit ihnen sind also Folge eines technologischen Standards und wurden auch nach Obsoletwerden dieses Standards als Format beibehalten. Die CD wiederum trug auf andere Art und Weise zur Veränderung des SingleFormats bei. Durch den zusätzlichen Speicherplatz war es nun möglich, neben dem titelgebenden Song und seinem Begleiter, der B-Seite, auch diverse Remixe, längere Versionen oder Liveinterpretationen des Hauptstücks hinzuzufügen. Damit erweiterten sich die Möglichkeiten der Singleveröffentlichung. Die CD-Single wurde damit zur Maxi-Single, vergleichbar etwa mit den seit den 1970er Jahren bereits existierenden großformatigen 12-Inch-Maxis. Mehr noch, ihr wurden in manchen Fällen sogar Video-Inhalte beigefügt, die Nutzer dann am heimischen Rechner oder DVD-Player abspielen konnten. Mit Blick auf die immense Popularität des Musikfernsehens seit dem Start von MTV 1982 war dies eine naheliegende Abschöpfung technischer Ressourcen und ein Vorgeschmack auf die anstehende Medienkonvergenz (Jenkins, 2006), die auch die Popmusik erfasste. Hier erfolgte letztlich eine Anpassung des Inhaltes (Popmusik) an die Möglichkeiten der Technologie (Speicherplatz), weil diese neue »Gestaltungsparameter« (Tully, 2014, S. 28) bereitstellte. Die Geburt des CD-Formates selbst war inhaltsgesteuert, also wiederum Ergebnis eines Leitbildes. Die Kapazität zur Speicherung von 74 Minuten Musik bekam sie, einer sich hartnäckig haltenden Legende zu Folge, aufgrund der Anpassung an die Länge der »Neunten Sinfonie« Ludwig van Beethovens (vgl. Pohlmann, 1992, S. 11f.).6 Das Leitbild oder das Leistungsversprechen, an dem sich die Entwicklung 6
Möglich wären auch deutlich größere oder kleinere Datenträger gewesen. Beispielsweise war im Gespräch, sich an der Spielzeit von Langspielplatten zu orientieren und die CD daher auf 60 Minuten zu beschränken. Auch eine Orientierung an den physischen Ausmaßen der Langspielplatte wäre möglich gewesen, die CD hätte dann ein Vielfaches an Speicherkapazität gehabt. Dies jedoch hätte unter anderem die damals etablierte Ver-
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der neuen Technologie CD orientierte, war also die Möglichkeit des ununterbrochenen Genusses der »Neunten Sinfonie«. Es gibt viele weitere formale Folgen für die Popmusik, die sich aus technologischen Zwängen oder Formatierungen ergeben. So befanden sich Balladen beispielsweise aus akustischen und produktionstechnischen Gründen oft am Ende von LP-Seiten, denn sie haben wenige Höhen und diese wurden, besonders an den Innenseiten von Schallplatten schnell verzerrt wiedergegeben (vgl. Rosenkranz, 2016, S. 43). Diese Positionierung wurde bei anderen Formaten wie Kassetten oder CDs oft beibehalten und sei es nur aus pragmatischen Gründen, beispielsweise um die Titelliste identisch zu halten. Wie anhand dieser Beispiele deutlich wird, kommen technologische Standards der Musikindustrie nicht aus dem Nichts, sondern sie leiteten sich von sehr spezifischen Bedürfnissen ab, die in Kombination mit verfügbaren technologischen Möglichkeiten zu bestimmten Formaten führen. Umgekehrt haben diese Formate in der Folge jahre-, oft sogar jahrzehntelange Auswirkungen auf die Popmusiklandschaft. »Technical standards have acquired and changed symbolic meanings, and they have become means of cultural distinction as well as an object of economic strategies.« (Krämer, 2011, S. 476)
4.2 POPMUSIK IN DER MEDIAMORPHOSE Wie gesehen ist Popmusik seit ihrer Entstehung7 stark technologisch determiniert. Bereits vor der Speicherung von Tönen und auch vor der schriftlichen Standardisierung von Noten war zusätzlich zu der Lauterzeugung mit Stimme und Körper häufig Technologie in Form von Instrumenten im Einsatz, um Musik zu erzeugen. Mit marktung der Formate Album und Single möglicherweise unabsehbar verändert. Sony entschied sich für eine sanfte Revolution und erhöhte die Kapazität der Tonträger auf 74 Minuten. Dadurch musste der Durchmesser der CD auf zwölf Zentimeter festgelegt werden. 7
Egal woran man das Entstehungsdatum der Popmusik festmacht, ob an der Aufnahmesession zu »Rock around the Clock« von Bill Haley & His Comets von 1954 als Manifestation der Verschmelzung von afroamerikanischen (Rythm & Blues) und westlichen (Country & Western) Musikeinflüssen, wie es Dieter Baacke implizit vorschlägt (Baacke, 1999, S. 55), an der Marktreife der in der Nische nach wie vor gängigen Formate 12-Inch Vinyl-LP beziehungsweise 7-Inch Vinyl-Single (vgl. Bartmanski & Woodward, 2015, S. 70), an der Entwicklung von bestimmten Musikstilen wie Blues oder Jazz im ersten Drittel des 20 Jahrhunderts oder noch früher, an der Etablierung der Verlagsindustrie in der berühmten Tin Pan Alley in New York (vgl. Wall, 2013, S. 25ff.), Technologie spielt in all diesen Zusammenhängen eine prägende Rolle.
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Erfindung der Notenschrift wurde es dann möglich, Musik standardisiert festzuhalten und dementsprechend wiederzugeben. Ein weiterer Einschnitt war die elektroakustische Wende im Musiksektor, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts, unter anderem mit der Entwicklung des Phonographen, ihren Anfang nahm und durch Radio, Vinyl und weitere Tonträger vervollständigt wurde. Diese Erfindungen prägen die Popmusik bis heute maßgeblich. Musik konnte dadurch erstmals gespeichert, transportiert und an Orten fern der Klangerzeugung wiedergegeben werden. Sie wurde sozusagen vom Zwang der Kopräsenz befreit. Die dritte Veränderungswelle ist nun maßgeblich von der Digitalisierung bestimmt, die vor allem Miniaturisierung aber auch eine zusätzliche Mobilisierung von Musik und mit ihr in Verbindung stehender Technologie mit sich brachte (vgl. Anderton et al., 2013, S. 150ff.). Auf diese Phasen weitreichender technologischer Veränderungen und ihrer sozialen Implikationen für die Musik hat umfassend erstmals Kurt Blaukopf (1982, S. 270ff.; 1989) ausführlich hingewiesen. Blaukopf sieht in der Wahl technischer Mittel für die musikalische Praxis die »Manifestation eines gesellschaftlichen Verhaltens« (Blaukopf, 1982, S. 224). Bei seinen musiksoziologischen Betrachtungen stehen allmähliche, aber auch radikalere Wechsel in der Techniknutzung im Mittelpunkt. Er nennt diese Veränderungen »Mutationen«, ein Begriff, »[…] der das Verstehen geschichtlicher Wandlungsprozesse erleichtern soll. Von Mutationen werden wir dann sprechen dürfen, wenn sich einige Merkmale des musikalischen Verhaltens so verändern, daß eine entscheidende Veränderung der Gesamtstruktur des Verhaltens konstatierbar wird.« (Ebd.) Mit Alfred Smudits (2002) und weiteren Autoren wurden die von Blaukopf in den Blick genommenen Wandlungsprozesse zu einem zentralen mediensoziologischen Untersuchungsparadigma vor allem der Wiener Musik- und Kultursoziologie. Ausgangspunkt dabei ist die Technologie, sie löst die Mediamorphosen gewissermaßen aus und erfasst in der Folge »alle Elemente der musikalischen Kommunikation« (Blaukopf, 1989, S. 5). Die Mediamorphosen umfassen damit technologische Entwicklungen in der Produktion und medialen Vermittlung von Musik aber auch die Auswirkungen auf musikalische Praktiken (Inhetveen, 2010, S. 331f.). Diese interdisziplinäre Sicht auf Veränderungen und aktuelle Entwicklungen der Musik- und Popmusiklandschaft berücksichtigt demnach nicht nur die Technologie selbst, sondern in einem techniksoziologischen Sinne immer auch deren Auswirkungen und Bedinungen (vgl. dazu auch Tully, 2003, S. 9ff.). Damit werden für die Popmusik auch soziale, ökonomische, rechtliche, politische und kulturelle Aspekte bedeutsam (vgl. Smudits, 2007b, S. V). In Anknüpfung an die Cultural Studies könnte man sagen, die Betrachtungen zu Popmusik und Technologie berühren die gesamte Bandbreite des Technologiebegriffs: »Technologien als Praktiken, Technologien als Diskurse und Technologien als materielle Objekte« (Hartmann, 2015, S. 358). Ob im Studio mit tonmanipulierenden und musikaufzeichnenden Anlagen; ob beim typischen stromverstärkten Rockkonzert; ob als Sendung durch Radio, Fernsehen oder Webstream; ob als individuell zugeschnitte-
196 | Popmusik in Zeiten der Digitalisierung
nes jederzeit konsumierbares Produkt oder als protesaktivierendes Gruppenerlebnis; ob als Hintergrundrauschen oder als Leidenschaft – Popmusik und ihre mannigfaltigen Veränderungen sind ohne Technologie nicht zu denken. Die wenigen Ausnahmen, in denen Popmusik ohne Technologie auskommt, beispielsweise akustische Kleinkonzerte, Chorauftritte oder ähnlich gelagerte musikalische Darbietungen, sollen hier keine Rolle spielen. Sie existieren, stehen jedoch nicht im Zentrum popmusikalischer Betrachtungen, da wir unter Popmusik immer auch medienvermittelte Musik verstehen wollen (vgl. Kapitel 2.8). Bedeutsam im Sinne der Popmusik sind in jedem Falle die medien- und kommunikationstechnologisch gestützten Verbreitungsprozesse von Musik, die soziale und kulturelle Wandlungsprozesse zur Folge haben. Die zahlreichen Technologien, die im Laufe der Zeit die Entwicklung der Popmusik maßgeblich prägten (vgl. zur Übersicht Wall, 2013, S. 56), fungierten dabei historisch immer wieder als Spiegel und Impulsgeber. Technologie richtete sich einerseits zwar immer wieder an inhaltlichen Vorgaben der Musik aus. Sie entstand und entsteht nicht zufällig, sondern wird aus bestimmten Gründen und Bedürfnissen heraus entwickelt. Andererseits: Ist sie einmal etabliert, präfiguriert und formt sie popmusikalische Inhalte nachhaltig. Denn im Anschluss an Durkheim fungieren die technischen Artefakte – im Feld der Popmusik sind dies beispielsweise die Tonträger – als Gussform (Durkheim, 1961, S. 126). Popmusik und Technologie wirken also gewissermaßen reziprok aufeinander. Sie verändern beziehungsweise bestimmen sich und ihre Entwicklung gegenseitig. Sozialkulturell ist Technologie damit sowohl Bedingung als auch Folge der Popmusik (vgl. Tully, 2014, S. 30). Ohne Technologie kann Popmusik nicht genutzt werden, und eben weil Technologie im Spiel ist, entwickelt sich Popmusik in bestimmten Bahnen. Alfred Smudits nennt insgesamt fünf verschiedene Mediamorphosen des Kulturschaffens (vgl. Smudits, 2002, S. 44ff.) die alle ihre Bedeutung für die Entwicklung von Popmusik und für die Kultur insgesamt haben (vgl. Tabelle 3). In der Folge sollen sie kurz vorgestellt und vor allem auf die bedeutenden historisch gesehen neusten beiden eingegangen werden. Dabei werden immer wieder Parallelen zu Mediengeschichte (McLuhan, 1962) deutlich. Tabelle 3: Zugänge zu Popmusik in den verschiedenen Phasen der Mediamorphose Abspielgeräte
Träger-
Formate
Verbrei-
nicht-
und Spei-
tungsme-
mediatisier-
auditive Be-
chermedien
dien, medi-
te Bezugs-
gleit-medien
ale
kanäle
und Artefak-
Bezugskanäle
Nicht-
te
Popmusik und Technologie | 197
1. grafische Mediamorphose – Kodierung von Zeichen und Symbolen → Schrift / Notenschrift, Herausbildung von Standards Instrumente,
Erinnerung
einzelne
Stimme
Papier
Personen
Texte/ Aufzeichnungen 2. grafische Mediamorphose – Buchdruck
→ erhöhte Produktions- und Verbreitungsgeschwindigkeit, Verfestigung von Standards Instrumente,
Notenblätter
Stimme
standardi-
Bücher,
Personen,
Bücher,
sierte No-
Zeitschriften
Konzerte
Zeitschriften,
tenschrift,
Zeitungen
Texte 3. Mediamorphose – chemisch-mechanisch → elektronische Aufnahme und Wiedergabe, elektrisch verstärkte Instrumente Grammo-
Schellack
phon
analoge
Bücher,
Personen,
Bücher,
Formate
Zeitschriften
Konzerte
Zeitschriften, Zeitungen
4. Mediamorphose – elektronisch → elektronische Aufnahme und Wiedergabe, elektrisch verstärkte Instrumente Radiogerät,
Vinyl,
analoge
Radio,
Groß-, Ein-
Bücher, Zeit-
Plattenspie-
analoge
Formate
Fernsehen,
zel- und
schriften, Zei-
ler,
Kassetten-
Kino / Film
Versand-
tungen, Fan-
Kassetten-
formate
handel,
zines,
abspiel-
(CC, VHS)
Flohmärkte,
Mode,
Clubbing
Accessoires,
gerät, Walkman,
Ausstellun-
Fernseher
gen
198 | Popmusik in Zeiten der Digitalisierung
5. Mediamorphose - Digitalisierung → Computer / Internet als Basistechnologie (stationäre
ATRAC,
Online-
Blogs und
und tragba- Speicher-
magnetische
CD-Audio,
Ver-
andere mu-
re)
AAC,
sandhandel,
sikzentrierte
DVD-,
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MP3,
Cloud
Online-
MiniDisc-,
DCC, Fest-
FLAC,
vices,
und platten),
OGG,
Videopor-
Media-
optische
MP4,
tale,
Player,
Speicher-
WAV
Web-Radio,
Handy/
medien
Communi-
Smart-
(CD-DA,
ties,
phone,
SACD,
Blogs,
Tablets,
DVD),
Down-
Laptop/PC
magneto-
loadplatt-
optische
formen,
Speicher-
Streaming-
medien
dienste
MP3-
Ser-
medien
(MiniDisc) Flashspeicher Quelle: Tabelle in Anlehnung an Blaukopf (1989, 2010) und Smudits (2002)
Die erste grafische Mediamorphose hat ihre Grundlage in der Kodierung von Zeichen und Symbolen. So konnten Kommunikate, Worte, aber eben auch Musik, erstmals abstrakt in Form von Schrift beziehungsweise Notenschrift festgehalten und damit auch weitergegeben werden. Vor dieser Neuerung konnte im Bereich der Musik lediglich auf das Gehörte und Erinnerte Bezug genommen werden. »Das Musikleben ist nun durch die Differenz zwischen lebendiger Kodierung und Vermittlung sowie von der Aufzeichnung grafischer Unikate geprägt.« (Sperlich, 2007, S. 23) Diese Stufe der Mediamorphose entspricht gewissermaßen dem Übergang von der oralen Stammeskultur zur Manuskriptkultur, wie sie McLuhan für seine Epochen des Medienwandels beschreibt (Beck, 2010a, S. 80f.). Die zweite grafische Mediamorphose ist aus medienhistorischer Sicht dementsprechend der Übergang zur »Gutenberg-Galaxis« (ebd., S. 81) durch die Erfindung des Buchdrucks. Damit wurden die Produktions- und Verbreitungsgeschwindigkeit der bereits standardisierten Zeichen und Symbole deutlich erhöht. Es entstanden Schreib- und Lesekulturen. Die Notenschrift vereinheitlichte und verbreitete sich.
Popmusik und Technologie | 199
Der Prozess der »Trennung zwischen DarbieterInnen/InterpretInnen und eigentlichen UrheberInnen, den KomponistInnen« (Sperlich, 2007, S. 24), der bereits in der ersten grafischen Mediamorphose begann, wird zu einem Ende geführt: Die Flüchtigkeit der Musik verschwand, Regeln hielten Einzug. Damit veränderten sich Musizieren und Musikhören. Sie wurden weniger spontan und stärker standardisiert. Die Musikwerke der Klassik fallen in diese Zeit. Es begann eine Kanonisierung bestimmter musikalischer Ausdrucksformen und Musiker konnten sich intensiver und detaillierter ihrer Arbeit oder ihrem Hobby widmen. Folglich entstand bereits eine Art Arbeitsmarkt für Musiker, Manager, Verleger und Agenten (vgl. Smudits, 2002, S. 113). Die chemisch-mechanische Mediamorphose gilt als die erste technische Mediamorphose. Sie ist gewissermaßen eine Zwischenphase hin zur elektronischen Mediamorphose und findet in McLuhans historischem Abriss der Mediengeschichte keinen gesonderten Platz. Musik- und kulturgeschichtlich ist sie jedoch bedeutsam und daher bei Smudits auch extra benannt, weil durch Erfindungen wie Grammophon oder Fotografie jenseits der Schrift und der Malerei neue naturalistische Repräsentationsmodi entstanden. Dieser Schritt markierte damit die Befreiung des Klangs vom Ort der Produktion. Musik konnte erstmals tonal festgehalten und weitergegeben werden. Die Vorstufe der Massenproduktion von Tonträgern fällt ebenfalls in diese Zeit. Schellack-Platten waren zunächst noch qualitativ limitiert, wurden jedoch nach und nach in immer größerem Stil gefertigt. Auch hier entstanden neue Berufsgruppen, beispielsweise erste Studiomusiker (Sperlich, 2007, S. 25). Die elektronische Mediamorphose vollendete diese Ansätze. Auch sie findet ihre Parallele in McLuhans Mediengeschichte und zwar als »elektronisches Zeitalter« (Beck, 2010a, S. 81). Kennzeichnend für diese zweite technische Mediamorphose ist der Einsatz von Elektrizität für das Kulturschaffen. Im Musikbereich heißt dies also die Verwendung elektronischer Hilfsmittel zum Musizieren, zum Übertragen und zum Konsum von Musik (vgl. auch Smudits, 2007, S. 112). Zu den wichtigen Innovationen zählt zunächst vor allem der Rundfunk, der eine neue Art der Weitergabe von Tönen ermöglichte. Später kamen Schallplatten und Kassetten hinzu, wodurch die industrielle Produktion von Musik entgültig ermöglicht wurde. Es kommt in dieser Phase also zur zunehmend medialen Vermittlung musikalischer Codes und Zeichen und damit zu einer »Industrialisierung kulturellen Schaffens« (Smudits, 2002, S. 142). Die Massenproduktion, die bereits in der chemischmechanischen Mediamorphose ihren Anfang nahm, bestimmt nun den Umgang mit Musik. Prozesse der »Mediatisierung«8 und »Kommerzialisierung« führen zu »Ver8
Smudits Mediatisierungsbegriff meint lediglich die »Vermitteltheit von Kunstwerken durch technische Medien« (Sperlich, 2007, S. 16) und ist dabei keineswegs so umfassend wie der mittlerweile etblierte Mediatisierungsbegriff, den beispielsweise Friedrich Krotz (2001) verwendet.
200 | Popmusik in Zeiten der Digitalisierung
änderungen der konkreten technischen und ökonomischen Produktionsbedinungen« (Smudits, 1988, S. 113). Diese Mediamorphose steht im Mittelpunkt von Blaukopfs Betrachtungen (vgl. dazu ausführlich Blaukopf, 1989; Blaukopf, 2010). Dieser zeigt auf, wie sich die Musiklandschaft durch die Neuerungen der Elektroakustik an allen Stellen – Produktion, Rezeption, Wertschöpfung – entscheidend verändert. Für die Produktion heißt das zum Beispiel, dass die Option der Tonaufnahme im Studio die Musik zunächst von der Live-Situation emanzipiert und zudem neue Produktionsmöglichkeiten offeriert, mit denen vorher undenkbare Klänge erzeugt werden können, und die teilweise auch keiner Verschriftlichung mehr gerecht werden. Für die Rezeption heißt dies, dass Musik nun das Einmalige, das Ereignishafte ein Stück weit einbüßt, da sie in der Hauptsache medienvermittelt und damit potenziell allgegenwärtig (Friederici, Schulz & Stromeyer, 2006, S. 120f.) wird. Die durch Benjamin (1935/1980) popularisierte »Aura des Kunstwerkes« geht verloren, es kommt zu einer »Entgeschichtlichung« (Friederici, Schulz & Stromeyer, 2006, S. 121f.) von Musik. Für die Wertschöpfung ergeben sich immense Umbrüche, die auch durch Veränderungen im Urheberrecht entstehen. Und es gibt weitere Auswirkungen: Blaukopf weist beispielsweise mit Blick auf Kulturförderung darauf hin, dass »fördernde Maßnahmen, die sich allein auf ›lebendige‹ Musik erstrecken an Wirksamkeit einbüßen« (Blaukopf, 2010, S. 156). Die digitale Mediamorphose ist die dritte technische Mediamorphose und vollendet gewissermaßen einige Prozesse, die in der noch immer in Teilen präsenten elektronischen Mediamorphose begannen. Erfindungen wie der Computer und die damit ausgelöste Digitalisierung sind die wichtigsten Treiber dieser Phase. Musik kann nun digital codiert werden. Im Unterschied zur analogen Codierung bedeutet dies einen immensen Zuwachs an Speicher- und Kanalkapazitäten und eine starke Vernetzung verschiedener Technologien. Für Smudits ergibt sich dadurch eine »prinzipielle Veränderung in Bezug auf die Erstellung von […] Klängen: Mittels digitaler Kodierung wird ›Wirklichkeit‹ nicht exakt wiedergegeben, sondern es werden prinzipiell immer eigene ›Wirklichkeiten‹ geschaffen.« (Smudits, 2002, S. 128) Die Folge: Musik kann nun digital produziert, mittels Internet übertragen und hochmobil rezipiert werden. Damit beschleunigen sich alle Prozesse des Musikschaffens. Auch die digitale Mediamorphose hat weitreichende Konsequenzen für das Urheberrecht (vgl. Lepa, 2015). Insbesondere der vereinfachte Austausch von Musik über das Internet, überhaupt die Nutzung von Musikdateien und die Möglichkeit des Kompilierens eigener CDs brachten die Wertschöpfungskette der etablierten Industrie ins Wanken (vgl. Dolata, 2008). Streamingformen wie YouTube, die einige Jahre später den Markt dominieren, wiederholten diesen Vorgang (vgl. Kapitel 7.4). Die digitale Mediamorphose begann jedoch bereits in den 1970er Jahren mit der Einführung digitaler Studiotechnik zur Produktion von Musik (vgl. Bartmanski & Woodward, 2015, S. 16ff.). Ein erster wichtiger Schritt war dann die CD, die sich als digitaler und damit potenziell verlustfreier Datenträger schnell
Popmusik und Technologie | 201
etablierte. Mit dem Internet, den Verfahren zur Datenkompression (MP3) und aktuelleren Technologien wie Streaming und Cloud Computing ergaben sich aus der digitalen Mediamorphose weitere bedeutsame Entwicklungen für die Popmusik.
4.3 MEDIAMORPHOSEN UND IHRE SOZIALEN KONSEQUENZEN FÜR DIE MUSIK Technologische Entwicklungen und die damit entstehenden Zwänge hatten in jeder Phase bedeutenden Einfluss auf die Popmusik und transformierten diese nachhaltig. Mediamorphose bedeutet immer technologische, vor allem aber auch kulturelle und soziale Evolution. Diese Evolutionsprozesse und ihre Folgen lassen sich anhand vieler Beispiele aus dem Bereich der Musiktechnologiegeschichte anschaulich darlegen. Technologie wird auch in der Popmusik vor allem »am Gebrauch von Artefakten sichtbar« (Tully, 2014, S. 23). Die Nutzung von Grammophon, Kofferradio, Walkman, CD-Player, Plattenspieler, Fernseher, Mikrofon oder MiniDisc zeugen von der technologischen Vielfältigkeit der Popmusik. Manche Geräte oder Artefakte sind nur stationär zu Hause nutzbar, andere mobil, einige sind nur für Einzelpersonen gedacht, andere beschallen Gruppen in der Öffentlichkeit. Bei einigen handelt es sich um Abspielgeräte, die ein Trägermedium benötigen, andere empfangen Musik von einem Sender. Heute sind es jedoch nicht mehr nur diese berührbaren Artefakte, »Apparate« oder »Gadgets« wie Tully (ebd., S. 17) es ausdrückt, vielmehr sind es in der digitalen Mediamorphose vor allem digitale Technologien basierend auf Computer, Internet und Smartphone (vgl. Tully & Krug, 2011, S. 18), die den Zugang zu und den Umgang mit Popmusik formen. Popmusik funktioniert inzwischen nicht mehr nur über Tonträger, Livemusik und massenmediale Berichterstattung, sondern vor allem über Streamingangebote wie Spotify, über Formate wie MP3 oder MP4, über soziale Netzwerke wie Facebook, Videoplattformen wie YouTube oder über spezielle Musikplattformen wie Bandcamp oder Last FM. Hier gab es also im Zuge der Digitalisierung einen radikalen Wandel, eine soziotechnische Transformation (Dolata, 2011). Die individuellen Beweggründe für die Beschäftigung mit Musik haben sich dabei zunächst kaum verändert. Eine neue Qualität bildet lediglich der Zugang, also der Kanal, über den Popmusik konsumiert werden kann. Möglicherweise bedeutet dies eine stärkere Hinwendung zu Technologie insgesamt. So nennen Münch & Bommersheim (2000) als wichtige Gründe für die intensive Beschäftigung Jugendlicher mit Musik im Internet vier Gründe, an denen eine starke Technologieorientierung deutlich wird:
202 | Popmusik in Zeiten der Digitalisierung
• Musik und die damit verbundenen Kulturen sind gewissermaßen ein Vorreiter
der Globalisierung und damit idealer Bezugspunkt für globale Netzkommunikation. • Popmusik ist oft sehr schnelllebig und aktuell. Nur über das Netz kann dieser Zeitdruck abgefangen werden. • Die Nutzung neuester Technologien ist besonders bei populärer Musik selbstverständlich – sowohl auf Produktions- wie auch auf Rezeptionsseite. Audiophilie wird hier also mit Technikinteresse beziehungsweise Spaß an Technik gleichgesetzt. • Die Aneignung von Musik geschieht aktiv, daher ist das Internet als interaktives Medium dafür sehr gut geeignet. Die Aneignung kann in Aufwand und Intensität via Netz sehr individuell gesteuert werden. »Vom ziellosen Herumsurfen […] bis hin zu Teilnahme an Chats und Mail-Lists« (Münch & Bommersheim, 2000, S. 70f.). Popmusik ist also eng an jugendliche Medien- und Technologienutzung gebunden. Dies ist kein Phänomen, das erst mit der Digitalisierung einsetzte. So macht auch Heiner Stahl deutlich, dass Technikverbreitung und Popmusikkonsum Hand in Hand gehen, wenn er feststellt, dass Radiogeräte im Laufe der 1960er und 1970er Jahre preiswerter und damit – meist als Geschenk – für immer jüngere Jugendliche zugänglich wurden (Stahl, 2010, S. 316). Ohne Frage erfordern heute nahezu alle Optionen Popmusik zu erleben, eine bestimmte technische Ausstattung und Wissen über den Umgang mit den notwendigen Technologien und technischen Apparaten. Damit rücken Medienkompetenz (Hugger, 2010) und Prozesse der kontextualisierten und informellen Aneignung von Technologie (Tully, 2003, S. 165) ins Blickfeld. Sie bestimmen die sozialen Folgen technologischer Entwicklungen mit. Je nachdem wie »souverän, sinnvoll und kreativ« (Hugger, 2010, S. 430) Medien und Technologien eingesetzt werden, etablieren sich bestimmte informelle Muster für den Umgang mit ihnen. Schlüsseltechnologien sind daher nicht von Beginn an als solche zu identifizieren, sondern sie werden es erst durch ihren sozialen Gebrauch. Dies gilt für die Popmusik, die eng mit der Verwendung von Medientechnologien verknüpft ist, in besonderem Maße. 4.3.1 Konsequenzen der elektronischen Mediamorphose Seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben technologische Entwicklungen wie Mikrofone, elektronische Speichermedien oder elektronisch arbeitende Instrumente wie E-Gitarren, später auch Synthesizer und Drum Machines die Musiklandschaft nachhaltig geprägt. Allen voran wurde Musik nun nicht mehr nur schriftlich festgehalten, sondern plötzlich auch in ihrer eigentlichen Form, also als hörbares Signal.
Popmusik und Technologie | 203
Damit entfiel aus soziologischer Sicht der Zwischenschritt der Umsetzung der Noten in Klang und Musik konnte nun nicht mehr nur »live«, sondern auch aus der Konserve (Schallplatte, Kassette, Radio, später CD usw.) angeeignet werden. Dies veränderte die Musiklandschaft und den Umgang mit Musik nachhaltig. Denn offenkundig ist es mit weniger Aufwand verbunden, das Radio anzuschalten oder Tonträger abzuspielen als ein Stück vom Blatt abzuspielen oder ein Live-Konzert zu besuchen. Musik wurde damit also auch für Menschen zugänglicher, die selbst keine Möglichkeit zum Musizieren hatten oder nie gelernt hatten ein Instrument zu spielen. Beziehungsweise andersherum: Es war nicht mehr nötig, musikalisch ausgebildet zu sein, um sich bestimmte Musik nach Hause zu holen. Musik wurde damit alltäglicher, da der Aufwand der Live-Inszenierung entfiel. Entgegen anfänglichen Befürchtungen verschwanden Live-Konzerte damit keineswegs, vielmehr wurde ein zusätzlicher Modus für das Musikhören kreiert, der so vorher nicht existierte. Damit wurde Musik deutlich flexibler. Produktion und Konsum wurden zeitlich und räumlich separiert. »There was a simultaneity and ephemerality of production and consumption. Sound recording changed all that. By embedding sound in objects, recording enabled time- and space-shifting of music events. By commodifying sound in this way […] recording turned music not just into an item that could be bought and sold (sheet music had already done that), but one which separated the production of musical sound from its consumption.« (Garofalo, 2015, S. 104)
Aus kommerzieller Sicht hieß dies: Auch, wenn es bereits zuvor einen Markt für Notenblättern gab, die verschriftlichte Musik enthielten, wurde Musik nun noch einmal ganz neu verkäuflich, sammelbar und manipulierbar (Katz, 2010, S. 4). Soziologisch war vor allem seit der massenhaften Verbreitung von Vinyl-Schallplatten ein neues Moment für Popmusik erreicht. Denn neben dem Wegfall der Bindung an Raum und Zeit, die Aufnahmeverfahren und Tonträger bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ermöglichten, eroberte Musik nun auch die Haushalte (vgl. Bartmansik & Woodward, 2015, S. 6). Die kleineren und größeren technischen Innovationen während des 20. Jahrhunderts veränderten den Musiksektor sukzessive. Auf Schellack folgte Vinyl (ab 1948), womit Kostensenkungen, Qualitäts- und Komfortsteigerungen einhergingen. Kassetten (1963) und der Walkman (1979) machten Musik mobiler, über das Radio konnte plötzlich ein Massenpublikum erreicht werden. Schließlich veränderte auch das Fernsehen den Musikmarkt (vgl. ausführlich Garofalo, 2015). Aber Technologie war nicht nur entscheidender Bestandteil des Aufnahme- und Wiedergabeprozesses. Nicht nur die Speicherung von Musik und deren Rezeption zeigen sich technologisch determiniert. Mit dem Rock’n’Roll setzte sich Technologie mehr und mehr auch als Experimentierfeld für die kreative Herstellung von Musik mit Hilfe elektronischer Manipulation durch.
204 | Popmusik in Zeiten der Digitalisierung
»Wether born of records or not, rock’n’roll’s connection to technology was different from other popular musics. Initially, sound recording was thought of as a documentary process intended to preserve the quality of a live performance. But rock’n’roll, like certain avant-garde experimental musics, incorporated the capabilities of the technology into the creative process itself, using such effects as echo, editing, overdubbing, multitracking, and other technical effects to distort or enhance the live performance.« (Ebd., S. 112)
Die neuen technischen Möglichkeiten versetzen Musiker in die Lage, auch ohne Ausbildung ihre Kreativität auszuleben (Kummer, 2016, S. 148). Es ging plötzlich nicht mehr darum, festzuhalten, wie Musik live klingt, wie man sie erlebt hätte, wenn man die Möglichkeit gehabt hätte, Zeuge des Konzerts zu sein. Technologie wurde spätestens mit dem Rock’n’Roll ein wichtiger Teil der Musik selbst. Verschiedene Manipulationsverfahren ermöglichten Klänge, die live teilweise gar nicht mehr reproduzierbar waren. In der Folge stand besonders seit den 1970er Jahren die Perfektionierung des Klangs, das Ausnutzen aller irgendwie verfügbaren Studiotechnologien zum Zwecke der Erschaffung immer neuer, perfekter Höreindrücke im Mittelpunkt. Produzenten wurden zeitweise bedeutender als Musiker (vgl. Moorefield, 2005). Entweder weil sie wie Phil Spector, Rick Rubin oder Brian Eno Musik im Studio in ganz bestimtmer Art und Weise veränderten und so den Klang der Veröffentlichungen maßgeblich bestimmten. Oder weil sie, wie Frank Farian in der Lage waren, bestimmte Künstler-Musik-Konstellationen zu kreieren, die sich zuvorderst sehr gut verkaufen ließen. Diese Tendenz der Produzentenmusik hält vor allem in den populären Sparten der Popmusik bis heute an. Namen wie Timbaland oder Paul Epworth haben maßgeblichen Anteil am Erfolg der von ihnen produzierten Künstler. Eine weitere bedeutende Veränderung betrifft die Musik selbst. Gemeint ist zunächst die Struktur von Popsongs. Die klassische Songstruktur – also StropheRefrain-Strophe-Refrain-Solo-Strophe-Refrain – geht zurück bis ins 19. Jahrhundert. Und noch heute basiert eine große Menge Popmusik auf dieser Struktur (vgl. Wall, 2013, S. 173ff.). Neben Experimenten mit der Länge von Songs, wie sie im Anschluss an Bob Dylans »Like A Rolling Stone« (vgl. Kapitel 4.1) in der Rockmusik vor allem live und auf Albenveröffentlichungen stattfanden9, verändert vor allem die primär auf Tanz ausgerichtete Clubmusik ab Ende der 1970er Jahre die 9
Der Titel ›In-a-gadda-da-vida‹ (1968) der amerikanischen Psychedelic Rock Band Iron Butterfly nahm 1968 die gesamte zweite Seite des gleichnamigen Albums ein. Er war über 17 Minuten lang. Auch Gruppen wie The Doors oder Pink Floyd wurden Ende der 1960er Jahre berühmt für ihre überlangen Songs. Das Stück ›Interstellar overdrive‹ vom Pink Floyd-Album ›The Piper at the gates of dawn‹ (1967) war in der Albumversion knapp zehn Minuten lang. Auf Konzerten wurde die Länge nicht selten deutlich weiter ausgedehnt.
Popmusik und Technologie | 205
Songstruktur.10 Die Produzenten dieser Musik waren oft DJs und keine ausgebildeten Musiker und die Songs entstehen durch das Experimentieren mit Instrumenten, elektronischen Geräten (Synthesizer, Drum Machines u. a. m.) oder Software. Gespiegelt werden diese technologischen Veränderungen in veränderten Konsummustern, vor allem durch die Zunahme des Wunsches nach körperlichen musikalischen Erfahrungen. Ergebnis ist die Etablierung von Diskotheken ab Ende der 1960er Jahre, bei denen das Abspielen bereits aufgenommener Musik und nicht mehr wie vorher Livemusik im Zentrum stand. Spezielle Clubmusik, die möglichst unterbrechungsfreie Tanzbarkeit zum Ziel hatte, entstand. Ausdruck dieser Entwicklung sind die Einführung der 12-Inch-Maxi und die Veränderung der Musik von Disco in den 1970ern über House in den 1980ern hin zu den zahlreichen elektronischen Stilen der 1990er und der 00er Jahre. Lyrics nahmen sukzessive weniger Raum ein oder hatten zumindest eine geringere Bedeutung. »Musical forms which are consumed through dancing rather than listening place less importance on the verse, and often downgrade the importance of the song, or even singing, as a primary musical characteristic.« (Wall, 2013, S. 175) Die Idee der 12-Inch-Maxis war es letztlich, mehr Platz für die Musik zu haben. Singles hatten bis Mitte der 1970er durch die physische Begrenzung auf einen Durchmesser von sieben Zoll eine sehr geringe Spieldauer von maximal etwa fünf Minuten pro Seite. Dies war für DJs anstrengend und für Soundtüftler, die verstärkt die Tanzfläche im Auge hatten und neue Produktionsmöglichkeiten dahingehend ausreizen wollten, nicht hinreichend (vgl. ausführlich Boße, 2016). Die Vergrößerung der Fläche und damit der Speicherkapazität ermöglichte die Veröffentlichung von längeren Songs. Oft enthielten 12-Inch-Maxis – ebenso wie 7-Inches – genau zwei Songs, einen auf jeder Seite. Dabei konnten nun die prägnanten Teile, beispielsweise der Refrain oder auch spannende Intros verlängert werden. Die B-Seite enthielt nicht selten eine Instrumentalversion der A-Seite. So konnte die aufkeimende DJKultur mit zwei gleichen Platten völlig neue Mixe kreieren (ebd., S. 34). Die Songs wurden dabei jedoch nicht auf LP-Länge verlängert, was physikalisch möglich ist, sondern auf etwa sieben bis zehn Minuten11. Dies geschah aus Klanggründen, denn der zweite wichtige Aspekt der 12-Inch-Maxi war der bessere und vor allem lautere Klang. Da mehr Fläche für weniger musikalisches Material zur Verfügung steht, haben die Rillen auf der Platte mehr Platz, »die Frequenzen kommen sich nicht in 10 Auch der deutsche Krautrock gilt ab Ende der 1960er Jahre als Wegbereiter für die Veränderung von Songstrukturen. Gruppen wie Neu!, Can, Popol Vuh, Faust, Harmonia, Cluster, Guru Guru, Tangerine Dream, Amon Düül oder Kraftwerk experimentierten nicht nur mit völlig neuen Klangbildern, sondern machten sich auch daran, klassische Songstrukturen aufzulösen (vgl. Stubbs, 2015). 11 Die Grenze liegt bei 15 Minuten, jenseits davon leidet der Sound und der Vorteil gegenüber dem Klang der LP oder der 7-Inch-Single wäre dahin (Boße, 2016, S. 35).
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die Quere, der Pegel ist lauter, Verzerrungen bleiben aus« (ebd., S. 32-34). Dies war auch Folge des Schnittes auf 45 Umdrehungen pro Minute (vgl. Fußnote 73). Die Songs waren dadurch besonders Clubtauglich, sie klangen laut und deutlich intensiver als vorher. Auch das Handling der 12-Inch-Maxis kam der Nutzung in Clubs entgegen (Boße, 2016, S. 35). So ist es nicht verwunderlich, dass vor allem Club- und Tanzmusik also synthetische und elektronische Musikstile das Medium nutzten und es als ein wichtiger Wegbereiter der Mix- und Remix-Kultur gilt. Im Umfeld der Gitarrenmusik, das Remixe eher ablehnte und auf Authentizität aus war, wurde die 12-Inch-Maxi oft zur EP, einem Zwischenformat aus Single und LP mit meist vier Songs (ebd., S. 30f.). In den Zeitraum der Etablierng des 12-Inch-Maxi-Formates Ende der 1970er fällt zudem ein technologischer Umbruch in der Musikproduktion, der jedoch auch als Beginn der digitalen Mediamorphose gesehen werden kann. Computer ermöglichten einen neuartigen Umgang mit Klang und Musik. So wurden mehr Samples, also bereits vorhandene Töne oder Tonfolgen, die dann mit Software oder Hardware weiter manipuliert werden können, benutzt. Speziell das digitale Sampling ab Ende der 1970er Jahre bedeutete einen immensen Umbruch in der Musikproduktion (vgl. Shuker, 2016, S. 27). Damit entstanden völlig neue Möglichkeiten der Musikkreation, die über das klassische Songwriting weit hinausgehen (vgl. Anderton et al., 2013, S. 60f.). Auch sprachlich schlägt sich die Veränderung nieder. Aus »Songs« werden »Tracks«. Gleichzeitig werden dadurch neue Regelungen und Vorgehensweisen auf dem Gebiet des Urheberrechts nötig (ebd., S. 62). All die hier kurz umrissenen Veränderungen der elektronischen Mediamorphose wirken bis heute, bis hinein in die digitalen Mediamorphose nach. Sie können als Schritte hin zu einer Demokratisierung beziehungsweise Ubiquitarisierung des Musikkonsums gelesen werden. Popmusik wurde durch die neuen elektronischen Möglichkeiten für immer mehr Menschen immer einfacher zugänglich. Dies betrifft sowohl die Rezeption wie die Produktion. Nicht zuletzt deshalb gelang es Popmusik im Laufe des 20. Jahrhunderts immer besser, ihre Geschichten, Ideen und Werte zu verbreiten und damit politisch und kulturell wirkmächtig werden (vgl. Kapitel 2). 4.3.2 Konsequenzen der digitalen Mediamorphose In der digitalen Mediamorphose setzte sich dieser Trend fort, da Popmusik nun noch allgegenwärtiger wurde. Dies ist für ihre Bedeutung möglicherweise folgenreicher als man zunächst meinen könnte. Technologie und Technologieschübe sind auch immer mit Versprechungen und Potenzialität verknüpft (Tully, 2014, S. 23ff.). »Potenzialität meint, dass mit Technik etwas möglich gemacht wird, was bisher so noch nicht gemacht wurde« (ebd., S. 23).
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4.3.2.1 CD und MP3 Als die Ablösung der analogen Schallplatte durch die digitale CD in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ihren Höhepunkt erreichte, schrieb Simon Frith: »We are coming to the end of the record era now (and so perhaps, to the end of pop music as we know it).« (Frith, 1988, S. 12) Er sollte, zumindest mit etwas Verzögerung recht behalten. Die CD veränderte die popmusikalische Landschaft immens; allerdings bei weitem nicht in dem Maße, in dem die weiteren Digitalisierungsschritte ab Ende der 1990er Jahre den Markt und den Umgang mit Musik veränderten. Dennoch, als Startpunkt popmusikalischer Digitalisierung gebührt der CD ohne Zweifel die Ehre, eine gewisse Relevanz für die musikalische Aneignung in der Zeitspanne zwischen 1985 und 2000 zu besitzen. Sie war zunächst vor allem ein Bequemlichkeitsfortschritt. Sie war platzsparend, einfacher zu handhaben und versprach besseren Klang. Gleichzeitig wurde dieser neue Tonträger vor allem durch die ab den 1990er Jahren verfügbaren CD-Brenner, die auch Endverbrauchern perfekte Kopien ermöglichten, ungeahnt schnell banalisiert und entwertet (vgl. Bartmnski & Woodward, 2015, S. 19-20). Aus technologischer Sicht war die CD der erste Schritt in der Digitalisierung der Musikrezeption. Digitale Tonträger speichern den Klang im Gegensatz zu analogen Tonträgern wie der Schallplatte nicht mehr als kontinuierliches Signal, sondern in Form von diskreten Zahlenwerten (Daten), die den Spannungswerten entsprechen. Diese Daten werden beim Abspielen wieder in ein analoges Tonsignal umgewandelt. Aus theoretischer Sicht bestehen auch bei sehr hochauflösend kodierter Musik – die Audio CD hat beispielsweise eine Samplingrate von 44.100 Hz, das Signal wird also in 44.100 Teile pro Sekunde zerlegt – Verluste gegenüber dem Analogsignal (Anderton et al., 2013, S. 18), in der Praxis ist dies jedoch nicht zu hören. Allerdings ergeben sich für die CD und andere digitale Formate aus verchiedenen Gründen dennoch etwas andere Klangeigenschaften als für das analoge Medium Schallplatte. So gilt die CD als eher kühl und klinisch, sie löst die Höhen gut auf und ist daher optimal geeignet für Dynamik und Lautstärkenunterschiede und damit beispielsweise für Klassische Musik, während der Klang der Schallplatte oft als warm und organisch beschrieben wird und beispielsweise für Blues, elektronische Musik oder Rock das bessere Medium darstellen soll (vgl. dazu auch Bartmanski & Woodward, 2015, S. 46ff.). Aus ökonomischer Sicht war die CD der Schlüssel für rasant steigende Umsätze bei plötzlich deutlich niedrigeren Produktionskosten und damit für die unglaublichen Gewinnmargen, die der Tonträgerindustrie vor allem in den 1990er Jahren zuteilwurden (Anderton et al., 2013, S. 18). Abgelöst wurde die CD durch das Datenformat MP3. Dessen Entwicklung begann bereits 1982 am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen (Musmann, 2006); zu einer Zeit also, da die CD gerade Marktreife erlangte. Als technischer Standard wurde das Format 1992 zertifiziert (Garofalo, 2015, S. 115). Mitte der 1990er Jahre schließlich einigten sich die Forscher auf die Dateiendung
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mp3 (vgl. Musmann, 2006). Die MP3-Audiokodierung verringert mittels eines speziellen Datenkompressionsverfahrens den benötigten Speicherplatz für Musik, indem Daten aus dem Musikformat entfernt werden, die weniger Bedeutung für die Klangqualität haben (Wirtz, 2009, S. 501). Tatsächlich handelt es sich dabei also um ein verlustbehaftetes Verfahren, das sich dennoch schnell durchsetzte. Die Vorteile, das geringe Datenvolumen und die damit deutlich vereinfachte Speicherung und Mobilität von Audiodaten, wogen die klanglichen Verluste deutlich auf. Als Ende der 1990er Jahre die Prozessoren schnell genug waren um MP3-Dateien problemlos abzuspielen, erschienen schnell passende Abspielsoftware und mobile Geräte, die das Format nutzten. Die ersten tragbaren MP3-Player gab es bereits 1998. Ein Jahr später ging Napster (napster.com) online und machte die neue Technologie für Internetnutzer attraktiv, indem es dabei half, Musikstücke im Netz aufzufinden und auf den heimischen Rechner zu holen. Der Dienst setzte auf den sogenannten Peer-To-Peer Datenaustausch. Das heißt, er ermöglichte es Nutzern nicht nur, nach Musik im Netz zu suchen. Sofern etwas gefunden wurde konnten diese Dateien auch direkt von den Computern anderer Nutzer heruntergeladen werden (vgl. Kühl, 2012). Napster war bis 2001 die erfolgreichste sogenannte ›Tauschbörse‹. Zahlreiche weitere Angebote wie Gnutella (ab 2000), Soulseek oder Kazaa (beide ab 2001) erschienen kurze Zeit später. Im Jahre 2001 musste Napster vorerst schließen, da der Dienst wegen Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung verurteilt wurde (vgl. Bettinger, o. J.). Im Jahr 2017 ist Napster Anbieter für Musikdownloads und Streaming. Napster und andere Tauschbörsen waren eine völlig unvorhergesehene Folge der technologischen Entwicklung. Damit war plötzlich der massenhafte Tausch von Musik über das Internet möglich. Dieses illegale, oder – wenn man es positiv wenden möchte – soziale Potenzial, war bereits in der MP3-Technologie angelegt, wurde aber zunächst nicht von allen, insbesondere nicht von der Musikindustrie, erkannt. Dolata begründet den soziotechnischen Umbruch der Popmusik in der digitalen Mediamorphose auch mit der Unfähigkeit der Musikindustrie angemessen auf die Veränderung zu reagieren (Dolata, 2008). Er konstatiert eine geringe Antizipations- und Adaptionsfähigkeit sowie »technologischen Konservatismus« (ebd., S. 359ff.). 4.3.2.2 Loudness Wars Die Industrie nutzte aber andere technologische Möglichkeiten der digitalen Mediamorphose, um Popmusikverkäufe zu erhöhen, wie sich am Beispiel der »Loudness Wars« (Anderton et al., 2013, S. 75f.) zeigt. Um die Musik groß und kraftvoll erscheinen zu lassen und auch um andere, konkurrierende Songs im Radio im Wettbewerb um Aufmerksamkeit auszustechen, so die Ausgangsidee, muss sie lauter klingen als andere. Lautheit bedeutet Aufmerksamkeit und führt im besten Falle zu mehr Verkäufen. Zu beobachten war dies eine Zeit lang oft im Fernsehen oder Kino, wo Werbung deutlich lauter als das Programm war. Ebenso wurde bei Produkti-
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onen von Popmusik – beispielsweise für Radioproduktionen - verfahren, um Titel hervorzuheben. Technologisch wurde dies erreicht, indem die Musik während der Produktion digital verändert wurde und zwar indem leisere Stellen auf ein höheres Lautstärkeniveau gehoben werden. So klingt die Musik insgesamt lauter (ebd.). Der Vorgang dahinter nennt sich Audiokompression, denn die Dynamik wird damit reduziert, also die Pegelunterschiede der Lautstärkekurve angeglichen. Das ist erst einmal nicht in jedem Falle ein Problem und kann durchaus auch hilfreich sein (vgl. auch Boeing & Reinecke, 2012). »Engineers use compression for a variety of reasons, including getting specific sounds, giving the music added heft, and increasing separation amongst instruments. Compression doesn’t kill music; people who wield compression like a cudgel kill music. The real problems begin when our quest for loudness makes us greedy, when people decide that compression is something we’ll have to prye out of their cold, dead hands.« (Milner, 2010, S. 252)
Lautstärke und andere Parameter spielten für die Popmusikproduktion schon immer eine Rolle (vgl. Devine, 2013). Schon immer wurde damit gespielt und gewissermaßen manipuliert. Es wird jedoch zum Problem, wenn dies alle machen und sich die Produktionsteams, Künstler und Marketingabteilungen gegenseitig in punkto »Loudness« befeuern und übertreffen wollen (Boeing & Reinecke, 2012). Daher der Begriff »Loudness Wars«. Im Ergebnis kam es durch die Möglichkeiten digitaler Audiokompression vor allem ab den 1980er Jahren zu einer Erhöhung der »Loudness« und damit einer Verringerung der Dynamik bei einem immer größeren Teil der Popmusikproduktionen. Die leisen Töne und vor allem die Unterschiede gingen nach und nach verloren und wie mittlerweile deutlich wird, setzen auf Seiten der Musikhörer Gewöhnungseffekte ein, die Musik ohne Audiokompression in der Gunst der Hörer plötzlich schlecht abschneiden lassen (ebd.). Audiokompression wird damit zum Diktum in der Popmusik. »Because wether or not you thougth loudness and compression were a problem, it was clear that the Loudness War was changing the way people heard music.« (Milner, 2010, S. 256) Dadurch wurde nicht zuletzt auch das Versprechen des Dynamikgewinns durch die CD nivelliert. Die CD besitzt im Gegensatz zu einer Schallplatte mit 96dB etwa 20 dB mehr Dynamikumfang. Sie reicht also im Grunde besser an die natürlichen Voraussetzungen des Ohres (130dB) heran und ist in der Lage Musik besser – im Sinne von dynamischer – zu speichern und wiederzugeben. Dennoch ist es heute nicht ungewöhnlich, dass Popproduktionen einen Dynamikumfang von lediglich 6dB besitzen (vgl. ebd.), damit sie laut und kraftvoll klingen. Nicht selten kommt es bei zu starker Audiokompression (»over-compression«) sogar zu Störungen im musikalischen Eindruck, beispielsweise durch das sogenannte Clipping, einer Abweichung von der kontinuierlichen Wellenform des Tonsignals, das Musik verzerrt erscheinen lässt (Anderton
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et al., 2013, S. 76). Für Musikhörer kann Audiokompression, je nach Intensität des Einsatzes und abhängig vom Genre, jedoch auch Positives bewirken. »Tracks that have a greater dynamic range have a sense of space, so when loud events do occur, they have a greater dramatic impact – an impact that is lost due to compression. In addition, compressed audio has a denser sound, and can contribute to a sense of ›ear-fatigue‹ when listening. This denser sound can be very desireable to a point in many forms of rock and pop music, but less so in classical or jazz recordings.« (Ebd.)
4.3.2.3 Medienkonvergenz, Unübersichtlichkeit und Individualisierung der Popmusikerfahrung Eine strukturelle Veränderung in der digitalen Mediamorphose ist die zunehmende Medienkonvergenz. Damit ist das Zusammenwachsen ehemals strikt getrennter Medien gemeint. Das heißt einmal, dass Inhalte auf verschiedenen medialen Plattformen angeboten werden (Jenkins, 2006, S. 243). Die zahlreichen Formate, in denen uns Musik heute begegnet, (Streaming, Download, Tonträger) sind nur ein Ausdruck dessen. Auch die zunehmende Verfügbarkeit von Musikvideos ist in diesem Zusammenhang bedeutsam. Sie existieren bereits seit Jahrzehnten und wurden mit MTV ab den 1980er Jahren zu einem wichtigen Marketinginstrument der Musikindustrie, um den Verkauf von Tonträgern anzukurbeln. Videos ermöglichen multimodale Medienaneignung und sie haben das Potenzial, die Bedeutung von Popmusik zu erweitern (Machin, 2010, S. 185ff.). In der digitalen Mediamorphose lösen sich nun die Grenzen zwischen Video und Musik auf, denn Videos werden mittels Angeboten wie YouTube zur bedeutenden, oft dominierenden Musikrezeptionsquelle (Schorb, 2012; vgl. auch Kapitel 7.4.1). Zum Zweiten bedeutet Medienkonvergenz eine verstärkte Zusammenarbeit, auch ein Zusammenwachsen (ehemals) verschiedener Medienindustrien (Jenkins, 2006, S. 243). An der Angebotserweiterung von Amazon oder Apple hin zu Musikdownload und Streaming wird dies deutlich. Schließlich bedeutet Medienkonvergenz auch mehr Publikumsaktivität, die sich beispielsweise in Wanderbewegungen Fragmentierung ausdrückt (ebd.). Der Wechsel von einem Anbieter zum nächsten ist digital meist einfacher und die Bindung, beispielsweise an den Plattenladen vor Ort durch Mobilität und Digitalisierung quasi aufgehoben. Popmusik ist angekommen im Multioptinalitätszeitalter (vgl. Gross, 1994). Für den Popmusikrezipienten bedeutet die fünfte Mediamorphose dank MP3 und Internet ein stark wachsendes potenzielles Repertoire. Dabei umfasst das relativ einfach erreichbare musikalische Material mehr als je angehört werden kann 12. Durch dieses Überangebot läuft der Rezipient Gefahr, die Orientierung zu verlieren. 12 So weisen die Macher der sozialen Musiknetzwerks Soundcloud darauf hin, dass pro Minute 10 Stunden Audiomaterial auf die Seite hochgeladen wird (Soundcloud, 2012).
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Friederici, Schulz & Stromeyer (2006, S. 136f.) nennen dies Anomie und beziehen sich dabei auf den pessimistisch-kulturkritischen Ansatz von Adorno (1967). Aufgrund der Unübersichtlichkeit kann der Rezipient keine Zugehörigkeit mehr herstellen, die »Weltbeziehung« oder die »Resonanz« (Rosa, 2016) kommen ihm gewissermaßen abhanden. Damit wird es letztlich immer schwerer, an der Musikwelt zu partizipieren, da die Flut an verfügbarer Musik nicht bewältigt werden kann. Diese kritische Sichtweise ignoriert jedoch einseitig die Veränderungen im Umgang mit Musik. So stellt Krämer (2011) neben dieser problematischen Seite auch positive Entwicklungen fest. Es gibt beides: Passivität, Unübersichtlichkeit und Isolation aber eben auch neue Erfahrungsmöglichkeiten, neue Chancen für Kreativität, aktive Beteiligung und Kontrolle bei der Musikaneignung. Eine Folge der gestiegenen Verfügbarkeit von Musik ist die Zunahme omnivorer Hörweisen (Peterson, 1992; Peterson & Kern, 1996). Damit ist die Erweiterung des genutzten popmusikalischen Repertoires gemeint. Waren Hörer früher eher auf bestimmte Genres festgelegt, so ist mit dem Anwachsen der Vielfalt auch ein in die Breite wachsender Konsum zu beobachten. Statt orientierungslos außen vor zu sein, passt sich der Musikhörer an und erweitert seine Präferenzen. Wichtig ist damit nicht mehr das ›Richtige‹, sondern möglichst viel Verschiedenes zu hören und zu kennen, um gewissermaßen überall mitreden zu können. Sinnbild dieser Entwicklung ist die Beantwortung der Frage nach den musikalischen Präferenzen mit dem Satz: »Ich höre eigentlich alles.«13 Zu bedenken ist dabei, dass Zeit und Geld nötig sind, um Wissen und musikalisches Material, beziehungsweise den Zugang dazu zu akquirieren, um also den omnivoren Habitus auszuleben. Denn »Omnivorousness steht zunächst einmal – und vor allem – für eine kulturelle Mobilität, die aus der Partizipation an heterogenen sozialen und kulturellen Settings resultiert« (Hengst, 2017, S. 50f.). Das Zurschaustellen eines umfangreichen Musikrepertoires dient heute, ebenso wie die nach wie vor existente Betonung eines exklusiven Geschmacks, der Distinktion (Gebesmair, 2001, S. 184) und hat damit identitätsstiftende Funktion. In diesem Sinne unterstützt und verändert die gestiegene Verbreitung und Verfügbarkeit von Musik über das Internet Prozesse der Identitätsaushandlung. Denn »der Versuch, mit Hilfe von Musik sich selbst sozial zu positionieren, um so Aussagen über die eigene Identität zu machen« (Münch & Bommersheim, 2000, S. 74) ist heute selbstverständlicher Teil der Netzkommunikation und findet in rasender Geschwindigkeit und schier unglaublicher Quantität statt. Es handelt sich dabei letztlich um den gleichen Mechanismus, den musikalische Präferenzen bereits in vordi13 Die Aussage versinnbildlicht die Unfähigkeit, in der aktuellen Musikflut Präferenzen klar benennen zu können (vgl. exemplarisch Götz, 2015). Meist gelingt es Menschen eher mitzuteilen, was sie nicht mögen, als die musikalischen Präferenzen klar zu umreißen. Das fiktive Zitat war Titel von Seminarsitzungen, die der Autor in den Jahren 2011 bis 2014 an der Universität Erfurt durchführte.
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gitalen Zeiten unterstützten. Durch die einfachere Bedienbarkeit und die Verbreitung von digitaler Technologie wird diese Art der Identitätsarbeit jedoch mehr Menschen zugänglich. Möglicherweise kommt es durch diese Beschleunigung jedoch zu einer kulturellen Entwertung von Popmusik (vgl. Bartmanski & Woodward, 2015, S. 15-20). Diese Gefahr lässt sich nicht nur auf Seiten der Rezeption, sondern auch auf Produktionsseite zu identifizieren Produktion. Analog zu den festgestellten Veränderungen durch die Klangexperimente in den Studios der elektronischen Mediamorphose, verändert sich durch die neuen digitalen Möglichkeiten die Herangehensweise an Popmusik. Dies beginnt bereits bei der Inspiration. »Ohne Zweifel ermöglicht heute die digitale Verfügbarkeit ehemals schwer zugänglicher Musik, sich selbst im eigenen Keller in deren Geist zu erfinden und entsprechend mit dem Namen einer heiligen Kuh […] im eigenen Interesse […] hausieren zu gehen.« (Adam, 2015, S. 34)
Musiker haben heute Zugriff auf derart viele Musikstücke und können mit Hilfe des Computers und entsprechender Programme wie beispielsweise Cubase unzählige Klänge und Varianten produzieren. Dabei müssen sie nicht einmal in ein Studio, sondern das alles ist bequem von zu Hause aus möglich. Die unbegrenzten Möglichkeiten können jedoch auch überfordern oder verwirren. Einige Musiker haben daher seit Jahren die Limitierungen analoger Geräte (Drum-Machines, Synthesizer und andere Instrumente) für sich entdeckt. »When you start making music, it’s actually easier to have limitations the way you do with machines.« (Hauff, 2015) Sie kommen damit besser klar, weniger Optionen zu haben und diese stattdessen vollständig auszunutzen. Die Folge sind Retrotrends in der Popmusik, die sich auf Phasen der elektronischen Mediamorphose beziehen. Synthesizersounds der 1980er oder Gitarenklänge der 1960er und 1970er werden dafür geschickt genutzt und aktualisiert. Unbestreitbar hat die digitale Mediamorphose also entscheidende Auswirkungen auf alle Bereiche der Popmusik. »Just as the music industries were profoundly and irrevocably changed in the shift from the print age tot he electric age, so too are we seeing a profound reconfiguration of the music industries as we shift from the electric to the digital age. Digital technologies have continued to transform every aspect of the music business from composition right through to consumption.« (Anderton et al., 2013, S. 16-17)
Die technologischen Neuerungen lassen Raum- und Zeitstrukturen in der Popmusik noch weiter erodieren als zuvor, bis hin zur ihrer völligen Auflösung. Produktionen können nun im Heimstudio oder unterwegs am Laptop entstehen und für den indivi-
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duellen Genuss von Musik werden nicht einmal mehr Tonträger benötigt. Ein Internetzugang und ein voller Akku genügen. Damit ist, wie Stefan Lepa (2015, S. 12f.) etwas idealistisch feststellt, möglicherweise sogar ein gewisser Rückzug von der Wahrnehmung von Popmusik als Ware verbunden. Denn im Zentrum der digitalen Mediamorphose stehen eher Zugänge, über die dann auf hochgradig individuelle musikalische Erfahrungen unterschiedlicher Qualitäten zugegriffen werden kann. Dies muss nicht einmal unbedingt Musikhören sein. Auch Sammeln (McCourt, 2005; Shuker, 2016, S. 188f.) und andere Modi der Rezeption unterliegen Veränderungen. So wurde das Internet bereits in einer frühen Phase, Ende der 1990er Jahre, intensiv für den Umgang mit Popmusik genutzt. Aufgrund technischer Restriktionen – insbesondere der geringen Datenübertragungsgeschwindigkeit – stand jedoch nicht das Hören im Mittelpunkt, sondern eher »die Darstellung eigener Interessen und der kommunikative Austausch über Musikstile und Interpreten, das Sammeln von Informationen oder auch einfach nur das Treffen mit Gleichgesinnten« (Münch & Bommersheim, 2000, S. 70). Popmusik bleibt damit zwar ein zentraler Inhalt, aber ihre Warenform, der kostenpflichtige Konsum, verliert möglicherweise an Bedeutung (vgl. dazu auch Kapitel 8.2). »Es spricht einiges dafür, dass die digitale Mediamorphose allmählich auf diese Weise Musik wieder zu einer rein rituellperformativen Kunstform macht und die Idee von Musik als Ware und Werk mit Urheber zu Grabe trägt.« (Lepa, 2015, S. 13) 4.3.3 Unerwartete Konsequenzen der digitalen Mediamorphose Es existieren auch Ausnahmen und Abweichungen von dieser häufig sehr linear dargestellten Entwicklung hin zum ›immer schneller‹ und ›immer mehr‹ und ›immer digitaler‹. Denn, wie aus der Mediengeschichte bekannt, verdrängen neue Technologien alte meist nicht vollständig. »Erfolgreiche Medieninnovationen können aber die relative Bedeutung eines ›alten‹ Mediums, seine Organisation und die Formen seines Gebrauchs (Institutionen) sowie seine gesellschaftlichen Funktionen […] durchaus verändern.« (Beck, 2010a, S. 237) Deshalb ist es nicht überraschend, dass es trotz umfassender Digitalisierung der Produktionsbedingungen nach wie vor Künstler gibt, die Alben ›live‹ einspielen und auf Effekte verzichten. Mal aufgrund mangelnder Ressourcen – Studiozeit und Produktion sind teuer – mal ist dies Teil einer Marketingstrategie oder künstlerischen Positionierung, wie beim letzten Album der Rolling Stones, das angeblich innerhalb von drei Tagen eingespielt und damit als besonders authentisch positioniert wurde (vgl. Doebeling, 2016). Digitale Technologie kann jedoch auch helfen, den Sound aus früheren Dekaden wieder aufleben zu lassen und ihn mit neuen Elementen zu kombinieren. So geschehen bei Retrophänomenen wie Electroswing.
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Ein besonders populäres Beispiel für die Veränderung sozialer Bedeutungen von Technologie im Zuge der Digitalisierung ist das Comeback von Vinyl (vgl. dazu Bartmanski & Woodward, 2015, S. 26ff.). Nachdem die Schallplatte ab den 1990er Jahren von der CD verdrängt wurde, stieg der Vinyl-Umsatz parallel zum digitalen Umsatzwachstum von Popmusik wieder an. »In half a decade between 2009 and 2014, the analogue record had ist breakthrough, or seemed to have broken one more record – it gained a new commercial life and unexpected publicity.« (Ebd., S. 7) Die Rückkehr von Vinyl scheint dabei zunächst ein Anachronismus zu sein. Sie zeigt einmal mehr, wie eng die kulturelle und die technologische Seite von Popmusik verbunden sind. Denn trotz der als übermächtig – weil kostengünstig – vermarkteten CD, hielten Musikschaffende in den Sub- und Spezialkulturen der 1980er und 1990er an der Schallplatte fest um sich schließlich nach Beendigung der vollständigen Digitalisierung von Musik in einer Zeit wiederzufinden, in der Vinyl neben Digitalmusik steht und eine Bedeutung erfährt, die es vorher kaum je erfahren hat (Elster, 2015). »During much of these two turbulent decades vinyl went underground and remained healthy there, carrying remarkable momentum into the early 2000s. What may have been inconvenient for the general public prove practical for DJs. The alternative electronic dance music was always about computer innovation and digital sound but vinyl remained central in all its divisions.« (Bartmanski & Woodward, 2015, S. 22)
Woran dies genau liegt, ist schwer zu sagen, es gibt keinen einzelnen isolierbaren Grund. Vielmehr ist die Rückkehr von Vinyl eine Mischung aus dem Wunsch nach Entschleunigung und Ritualen, dem Verlangen nach Sinnlichkeit, Haptik und auch ein wenig Nostalgie. »Vinyl zu hören ist viel mehr. Es geht um das Ritual, die LP vorsichtig aus dem Sleeve zu ziehen und aufzulegen, den Plattenspieler auf 33 oder 45 rpm zu justieren, die Platte sorgsam mit der Bürste zu reinigen und behutsam den Tonarm aufzusetzen. Es geht um das satt ploppende Knack-Geräusch, wenn die Nadel in die Rille gleitet. Darum, sich während der nächsten Minuten auf die Musik zu konzentrieren, das Artwork zu bestaunen, die Texte mitzulesen, die Haptik des Albums zu erfahren. Es geht darum, einen Song nicht zu skippen. Es geht darum, nach einer Weile aufzustehen, um die Platte umzudrehen, und Musikgenuss mit allen Sinnen zu zelebrieren.« (Schulz & Lohrmann, 2016)
Vinyl ist also nicht ausschließlich ein Retrotrend, dafür erscheint mittlerweile auch zu viel unterschiedliche Musik – Neues wie Altes, Clubtaugliches genauso wie seltene Sammlerstücke – auf Schallplatten. Das Vinyl-Revival steht vor allem für »[d]as Comeback des Analogen im digitalen Kosmos« (Heller & Hartmann, 2016), ein Trend, der auch anhand der Popularität weiterer vordigitaler Artefakte wie Pola-
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roid-Fotos, Super-8-Filme oder Kassetten14 deutlich wird. Medien und Objekte aus der elektronischen oder gar aus der chemisch-mechanischen Mediamorphose erlangen durch die Digitalisierung offensichtlich wieder neuen Wert, weil sie Eigenschaften mitbringen, die Daten nicht haben (vgl. dazu ausführlich Bartmanski & Woodward, 2015, S. 61ff.). »Indeed, we find the concrete, material qualities and entanglements of vinyl central to ist resurgence in the digital age, a key to its status as ›the other‹ of digital mainstream.« (ebd., S. 62) Diese Erkenntnis reiht sich ein in den Kanon neuerer soziologischer und philosophischer Forderungen nach »Resonanz« (Rosa, 2016) oder der »Wiedergewinnung des Wirklichen« (Crawford, 2016), die körperlichen Erfahrungen wieder mehr Bedeutung beimessen. Einher mit dem unvermittelten Boom von Vinyl gehen logistische Probleme in der Produktion. Die wenigen verbliebenen Presswerke waren noch zu Beginn des Jahrtausends, als Vinyl totgeglaubt schien und seinen Platz nur noch in Spezialszenen fand, froh über jeden ›Underground‹-Künstler mit kleinen Auflagen (vgl. Vook, 2003). Durch die steigende Nachfrage können sie sich die Kundschaft nun aussuchen. Im Gegenzug verloren sie jedoch das Interesse an Kleinstauflagen, von denen sie jahrelang gelebt hatten. Aus rational-ökonomisch völlig nachvollziehbaren Gründen konzentrierten sie sich nun auf die Produktion großer Mengen, die die Labels bekannter Künstler wie Pink Floyd, Michael Jackson, Adele oder The Rolling Stones wieder pressen ließen. Die Folgen waren schlechte Serviceleistungen für Abnehmer kleinerer Margen (vgl. Hogan, 2015). Aufgrund der begrenzten Kapazitäten für den aufwendigen chemisch-mechanischen Prozess der Schallplattenherstellung (vgl. dazu Elster, 2016) und stark zunehmender Aufträge herrschte zeitweise ein regelrechter »Vinylstau« (Lintzel, 2015, S. 41). Dies schlägt sich letztlich in teilweise extremen Wartezeiten für Nischenveröffentlichungen nieder. Die immens gestiegene Nachfrage hat hier zwar bereits zu Anpassungen in der Produktion15 geführt; ob hier jedoch ein Gleichgewicht hergestellt werden kann, hängt auch davon ab, inwieweit die sich bereits andeutenden Innovationen und die steigenden Investitionen in Technologien greifen, um die aufgebaucten Defizite zu egalisieren. 14 Die erneuerte Popularität von Kassetten hat vermutlich auch nostalgische Gründe (vgl. Billyphobia, 2016). Die Gründung neuer, spezialisierter Kleinstlables wie Aufnahme+Wiedergabe, Wool-E Tapes, Beläten oder Werkstatt Recordings, deren Fokus zunächst Kassettenveröffentlichungen waren, die Musik jedoch gleichzeitig mit Hilfe von Dienstleistern wie Bandcamp auch digital zum Download anbieten und mittlerweile CDund Vinylveröffentlichungen realisieren, zeigt zudem, dass sich Kassetten als günstiges Einstiegsmedium in die Musikindustrie eignen und heute eine Option unter vielen innerhalb der multimodalen Popmusik sind. 15 Die monatliche Produktion von Schallplatten im bedeutendsten deutschen Presswerk Optimal hat sich von unter 300.000 Stück im Jahr 2005 auf über eine Million Tonträger ungefähr vervierfacht (Bartmanski & Woodward, 2015, S. 28).
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An der Wiederbelebung der Schallplatte zeigt sich, wie komplex das Verhältnis von Technologie und Popmusik ist. Vinyl schien mit der Einführung der CD veraltet und es galt als Frage der Zeit, bis die Schallplatte komplett verschwindet. Als technisches Artefakt jedoch ist Vinyl mit kulturellen Bedeutungen aufgeladen, die weit über seinen Gebrauchswert hinausgehen (vgl. Elster, 2015, S. 282ff.). Daran zeigt sich, dass Technologie immer auch sozialer Bedeutungsträger sein kann (vgl. Tully, 2003, S. 44). Sie ist kulturell eingebettet und gestaltet dadurch den Alltag, auch den Umgang mit Popmusik. So gesehen ist es am Ende wenig verwunderlich, dass mittlerweile die CD als obsolet gilt und alles darauf hin, dass Vinyl als gesunde Nischentechnologie seinen einst überlegen erscheinenden Nachfolger überleben wird (Firlus-Emmrich, 2016).
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Popmusik und Ökonomie
Popmusik ist Unterhaltung und Medium. Sie kann Kunst sein und politische Wirkmacht entfalten. Sie ist sozial konstruiert und technisch determiniert. Popmusik ist aber immer auch Ware. Denn sie wird – jedenfalls in der Masse – aus ökonomischen Gründen oder mindestens innerhalb bestimmter ökonomischer Rahmenbedingungen produziert und einem Publikum zugänglich gemacht. Die wirtschaftliche Seite von Musik scheint heute auch angesichts des allmählichen Verschwindens der Grenzen zwischen E- und U-Musik stärker betont denn je. Nach und nach weicht die Kulturregulierung der Ökonomie als regelnder Kraft. Alfred Smudits (2007a, S. 141) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer verstärkten Komodifizierung des Marktes. Am Ende des Theorieteils ist es daher unerlässlich noch einen Blick auf die Marktzusammenhänge zu werfen, in die Popmusik eingebettet ist, denn diese sind für Prozesse der Aneignung und Bewertung nicht unerheblich. Nachdem die Besonderheiten der Ware Popmusik identifiziert wurden, folgt in Überblick über die Musikindustrie, insbesondere den Markt für Musikaufnahmen und den Livemusik-Markt. Zum Abschluss des Kapitels werden einige Auswirkungen der digitalen Mediamorphose auf die Ökonomie der Musikbranche dargestellt, die gravierende Folgen für die Musikindustrie, die Musikrezeption und damit für die Popmusik insgesamt haben.
5.1 POPMUSIK ALS WARE Der Wert der Ware Popmusik kann unterschiedlich gemessen werden. Friedrichsen identifiziert einen Gebrauchswert und einen Tauschwert (Friedrichsen, 2008, S. 25f.). Der Gebrauchswert leitet sich aus der individuellen Nutzung und Bewertung, also aus »der emotionalen Ansprache, […] der Möglichkeit zur Unterhaltung, Entspannung, Repräsentation und Identifikation« (ebd., S. 25) ab. Der Tauschwert ist der Geldwert von Musik, also deren Preis auf dem Markt (ebd.). Für diesen Markt ist die Ware Popmusik gekennzeichnet von enigen besonderen Eigenschaften, die
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typisch für Medienprodukte sind. Zunächst ist Popmusik heute zuvorderst eine Dienstleistung, denn Popmusik ist immateriell und erfüllt besonders »im Moment der Produktion die konstitutiven Eigenschaften von Dienstleistungen« (Wirtz, 2009, S. 29). Egal ob es sich um Livemusik oder um Musikaufnahmen handelt, grundsätzlich entsteht Popmusik zunächst als immaterielles Produkt. Übertragen auf einen Tonträger wird sie zum Sachgut. Passender ist jedoch, gerade angesichts des Fokusses auf den Inhalt, der Begriff der veredelten Dienstleistung. Diese hat »teilweise Sachgut und teilweise Dienstleistungscharakter« (ebd.). Sie kann nun beispielsweise gelagert und transportiert werden. Je nach Sichtweise trifft dies auch auf digitalisierte Musik zu. Durch die Digitalisierung und der damit verbundenen Leistungssteigerung bei Datenübertragung und Speicherung (ebd., S. 45) kommt es jedoch zu zahlreichen Veränderungen für die Ware Popmusik. Insbesondere unterliegt deren Lagerung und Transport zu Zwecken des Verkaufes im Vergleich zum Verkauf physischer Tonträger heute nur noch minimalem Aufwand. Dies hat bedeutende Folgen für die Musikindustrie. »For artists, MP3 meant they could distribute their music to a global audience without the mediation of the established music industry.« (Shuker, 2016, S. 36) Auch wenn Musik durch die Digitalisierung heute quasi ubiquitär verfügbar ist, unterliegt ihre Nutzung bestimmten Schranken. Rechtlich ist es nur dem Urheber von Popmusik, also dem Künstler, der die Musik kreiert hat, erlaubt, darüber zu entscheiden, »ob und wie sein Werk veröffentlicht werden darf« (Wirtz, 2009, S. 503). Die Verwaltung dieser Rechte erfolgt meist zentral durch Verwertungsgesellschaften (ebd.). In Deutschland ist dies insbesondere die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie erhebt Gebühren für die Musiknutzung und reicht diese »nach Abzug des Sach- und Personalaufwands« an die Urheber weiter (ebd.). Dabei sind alle Nutzungsarten, also Livedarbietungen (Konzerte), öffentliche Vorführungen der Werke von Tonträgern beziehungsweise mit Hilfe von Dateien (Radio, Club, Fernsehen, Internet) und auch die Vervielfältigung, die Vermietung und der Verleih von Werken betroffen (ebd., S. 503f.). 5.1.1 Ökonomische Eigenschaften von Popmusik Ökonomisch betrachtet ist Popmusik eine Art »quasi-öffentliches und meritorisches Gut« (Friedrichsen, 2008, S. 26). Das heißt, für sie gelten die Kriterien von Nichtrivalität im Konsum und Nichtausschließbarkeit vom Konsum. Aufgrund der unterschiedlichen Zugänge zu Popmusik ist dies jedoch vom Einzelfall abhängig (vgl. Abbildung 1). Nichtrivalität gilt insbesondere, wenn man Musik als Medieninhalt (Content) begreift, denn dieser nutzt sich nicht ab (vgl. Wirtz, 2009, S. 28). So kann jeder Hörer eines Streams oder jeder Zuschauer von Musikvideos die Musik unab-
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hängig von den anderen Zuschauern erleben.1 Auch im Tonträgermarkt gilt prinzipiell Nichtrivalität (Friedrichsen, 2008, S. 26), denn es existieren im Normalfall genug Tonträger, um jeden Einzelkonsumwunsch zu erfüllen und der Konsum des einen schränkt andere in ihrem Konsum nicht ein. In Einzelfällen, nämlich dann, wenn die Verfügbarkeit geringer ist als die Nachfrage kommt es jedoch auch bei Tonträgern zur Rivalität im Konsum. Die Musikindustrie hat dies als Möglichkeit erkannt, Fans und Sammler besonders zu aktivieren und durch künstliche Limitierungen höhere Preise zu erzielen. Daher werden zusätzlich zur normalen Veröffentlichung oft eine oder mehrere Sondereditionen angeboten, die sich nicht selten durch Spezialverpackungen und Zusatzinhalte auszeichnen und nur in begrenzter Menge verfügbar sind. Im Vinylbereich und in Spezialgenres ist eine limitierte Auflage auch aufgrund des Abwägens zwischen Herstellungskosten und äußerst begrenzter Nachfrage besonders verbreitet. Hier werden nicht selten nur 1.000, 500 oder gar nur 300 Exemplare einer Platte gepresst. Bei den digitalen Vertriebsformen Streaming und Download hingegen spielen Limitierungen kaum noch eine Rolle. Allerdings bestehen auch hier Möglichkeiten einer künstlichen Verknappung des Angebotes, indem beispielsweise nur eine begrenzte Zeit Zugriff auf Inhalte gewährt wird.2 Dies wird in der Realität jedoch nur äußerst selten genutzt, sodass für Musikdateien oder Streams grundsätzlich von Nichtrivalität im Konsum gesprochen werden kann (vgl. Abbildung 1). Das Kriterium der Ausschließbarkeit vom Konsum ist für das immaterielle Gut Popmusik nur über »Hilfskonstrukte wie das Copyright« realisierbar (Friedrichsen, 2008, S. 26). Erst dadurch lässt sich für Popmusik ein Preis oder eine Gebühr erzielen, wodurch sie wirtschaftlich verwertbar wird (vgl. ausführlich Anderton et al., 2013, S. 161ff.). Aus ökonomischer Sicht kommt jedoch gerade an dieser Stelle beim Popmusikkonsum häufig eine Art Trittbrettfahrerverhalten vor. Songs und Alben können konsumiert werden, ohne dass dafür gezahlt wird, beispielsweise indem sie illegal heruntergalden werden.
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Verbindungsprobleme, die sich aus dem gleichzeitigen Zugriff zu vieler Nutzer ergeben existieren zwar theoretisch, sind jedoch gerade bei reinen Musikangeboten, die auf Bewegtbildinhalte verzichten (Audio-Streams), eher selten. Generell ist zudem absehbar, dass diese Verbindungsprobleme auch beim Video-Streaming, bspw. YouTube, mit dem technischen Fortschritt sukzessive verschwinden.
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Eine weitere Möglichkeit, die jedoch aus der idealistischen Motivation herrührt, Musik vor allem auf Vinyl zu verkaufen, nutzt beispielsweise das Label Oraculo Records. Sie bieten Alben digital für den völlig unrealistischen Preis von 1.000 Euro auf der Plattform Bandcamp an, während die Vinyl-Version, die den Download zusätzlich enthält, 49 Euro kostet (vgl. Oraculo, 2016).
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Abbildung 1: Musik als ökonomisches Gut
Quelle: eigene Darstellung
Wie Abbildung 1 zeigt, kann Popmusik je nach Erscheinungsform und konkreter Ausgestaltung vielfältige ökonomische Wareneigenschaften annehmen. Wird Musik im Radio oder im Fernsehen aufgeführt, kann sie als öffentliches Gut gelten, denn dann sind weder ein Ausschluss vom Konsum noch eine Rivalität im Konsum gegeben. Ausnahmen wären hier Bezahlsender, Popmusik würde dann zum Clubgut. Ähnlich verhält es sich mit Streamingangeboten. Auch sie sind Clubgüter, da prinzipiell keine Rivalität im Konsum besteht, über die Gebühr jedoch Ausschließbarkeit gewährleistet ist. Sind Streamingangebote kostenlos, kann man von öffentlichen Gütern sprechen, da jeder auf sie zugreifen kann. Dies gilt beispielsweise für YouTube aber auch für bestimmte Varianten der Angebote von Spotify oder Deezer (vgl. dazu auch Kapitel 7.4). Auch Musikdownloads können aus ökonomischer Sicht als Clubgüter klassifiziert werden. Letztlich kauft man sich den Zugang zu Musik, die man jederzeit herunterladen kann, unabhängig davon, ob und wieviele
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andere diesen Kauf ebenfalls getätigt haben. In der Praxis führt die einfache Kopierbarkeit von Musikdateien jedoch dazu, dass diese in einigen Fällen auch zu öffentlichen Gütern werden. Die juristisch gesetzten Schranken werden technologisch umgangen, wenn Musik unerlaubt kostenlos im Netz zum Download angeboten wird. Wieder anders verhält es sich mit Konzerten oder Clubabenden. Hier hängt eine Klassifizierung vom Einzelfall ab. Typische Popkonzerte zeichnen sich sowohl durch Rivalität als auch durch Ausschließbarkeit vom Konsum aus, denn der Platz ist begrenzt – nicht jeder kann in der ersten Reihe stehen oder überhaupt hineingelangen – und es kostet Eintritt. Popmusik ist in diesen Fällen privates Gut. Es gibt jedoch auch zahlreiche kostenlose Konzerte, beispielsweise die jährliche Silvesterfeier am Brandenburger Tor in Berlin. Auch hier ist in der Regel der Platz begrenzt, es besteht also durchaus Rivalität im Konsum. Ein Ausschluss über den Preis ist jedoch nicht möglich. Diese Konzerte werden damit zum Allmendegut. Nichrivalität im Konsum wäre gegeben, wenn für Konzerte oder andere Musikveranstaltungen genug Platz für alle Interessierten wäre, um das Ereignis dem individuellen Empfinden nach optimal wahrzunehmen. Nun hängt eine Klassifizierung als Clubgut oder öffentliches Gut lediglich davon ab, ob ein Eintrittsgeld erhoben wird oder nicht (vgl. Abbildung 1). Die Meritorik von Popmusik ist streitbar. Meritorische Güter werden weniger nachgefragt als es gesellschaftlich erwünscht ist. Üblicherweise wurde E-Musik als meritorisch und U-Musik als demeritorisch klassifiziert (Friedrichsen, 2008, S. 27). In Anbetracht der Auflösung der Grenzen zwischen diesen beiden Musikformen, die beispielsweise auch den Bereich der Ausbildung an Musikschulen betrifft, sind klare Aussagen bezüglich der Meritorik nicht immer einfach zu treffen. Staatliche Förderungen, die heute neben hochkulturell anerkannten Musikformen wie Klassik oder Oper durchaus auch Popmusik betreffen – wenn auch eher in Kanada, Skandinavien oder Großbritannien als in Deutschland – legen jedoch nahe, dass Popmusik prinzipiell durchaus meritorisches Gut sein kann. 5.1.2 Popmusik als Erfahrungsgut Popmusik ist nach wie vor in hohem Maße ein Erfahrungsgut. »Das heißt, der Nutzer kann aufgrund der immateriellen Komponente die Qualität, beziehungsweise die Eigenschaften des Produktes vor dem Konsum (ex ante) nicht beurteilen. Die daraus resultierende Unsicherheit führt zu hohen Informationskosten des Konsumenten.« (Hiller, 2011, S. 13) Tonträger, besonders Vinyl, aber auch digitale Formate besitzen zwar durchaus auch Prüfqualitäten3 und in Fan- und Spezialkulturen sind
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Für Vinylfans sind unbeschädigte Platten und Plattencover sehr wichtig. Eine Prüfung ist zumindest im Laden, spätestens jedoch nach dem Entpacken möglich. Mängel führen
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nicht selten Vertrauensqualitäten4 dominant (Wirtz, 2009, S. 31f.), letztlich liegt der Hauptzweck des Konsums der Ware Popmusik jedoch in ihrem Erleben und eine qualitative Beurteilung kann nur auf Basis dieses Erlebens geschehen (vgl. Jöckel, 2009, S. 60f.). Dabei ist die Qualitätsbeurteilung von Popmusik im Vergleich zu anderen Mediengütern, beispielsweise Filmen oder digitalen Spielen deutlich weniger zeitaufwändig aber auch deutlich volatiler. Sie ist weniger zeitaufwändig, weil insbesondere das Hören einzelner Songs nur einen Bruchteil der Zeit benötigt, die für die Rezeption des audiovisuellen Mediums Film oder des interaktiven audiovisuellen Mediums digitales Spiel nötig wäre. Sie ist volatiler in der Qualitätsbeurteilung, weil eben dieser geringe Zeitaufwand ein mehrmaliges Hören deutlich einfacher und auch wahrscheinlicher macht und die unterschiedlichen Rezeptionssituationen – zu Hause, unterwegs, Club, alleine, in Gesellschaft – gekoppelt mit den sozialen Prozessen – Gespräche, Bewertungen, Tanzen, Erinnerungen an bestimmte Momente – zu Veränderungen in der Beurteilung führen können. Dies ist zwar auch bei den anderen genannten Medien der Fall, aber Popmusik und ihre Rezeptionsmodi sind, speziell wenn man an einzelne Songs denkt, doch deutlich flexibler und vielgestaltiger. Für die Ware Popmusik und ihre Eigenschaften als Erfahrungsgut ergibt sich daraus, dass sie zunächst schneller beurteilt werden kann, dass dieses Qualitätsurteil im Vergleich zu anderen Medienformen weniger festgefügt ist. 5.1.3 Popmusik als Verbundprodukt Schließlich gilt für die Ware Popmusik, dass sie, ähnlich wie es andere Medienprodukte von Haus aus schon seit längerem sind, durch Konzentrationsprozesse und die Möglichkeiten der Digitalisierung mehr und mehr zu einer Art multimedialem Verbundprodukt wird. Dabei geht es nicht um die klassische Dualität aus Werbeund Rezipientenmarkt, wie man sie bei Zeitungen oder im Rundfunk vorfindet (vgl. Wirtz, 2009, S. 27-28). Vielmehr ist die Verbundqualität von Popmusik gekoppelt an die zunehmende Medienkonvergenz und oft nach innen gerichtet. Ware und Werbung verschmelzen dabei nicht selten. So galten Musikvideos lange Zeit als Werbung für die zu verkaufenden Tonträger. Ebenso können Konzerte oder die Platzierung von Songs im Radio als Werbung für den Verkauf von Musik gesehen werden. Dies hat zur Folge, dass Künstler, Produzenten und Plattenfirmen darauf häufig zu Rücksendungen. Bei digitalen Formaten gibt zumindest das jeweils erhältliche Dateiformat und dessen Bitrate Auskunft über bestimmte Qualitäten. 4
Bedeutsam sind hier vor allem Stars, deren Veröffentlichungen von Fans nicht selten ungeprüft gekauft werden und bereits vorher mit Bedeutungen aufgeladen werden. Aber auch Labels können für eine bestimmte Qualität stehen und werden aufgrund bestimmter Qualitäten ihres Backkataloges besonders von DJs aber auch von Fans mit vorauseilenden Boni in der Qualitätseinschätzung, also mit Vertrauen, bedacht.
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achten, dass Popmusik radiotauglich ist, beziehungsweise die Videos fernsehtauglich gestaltet sind. Umgekehrt sind die Sender angewiesen auf Stars, deren Zugkraft beim Publikum und damit deren Musik. Es existieren also wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse über mediale Plattformen hinweg. Dabei fungiert das immaterielle Produkt Popmusik heute zudem häufig als Werbemittel für daran gekoppelte Dienstleistungen oder Produkte, zuvorderst Tonträger und Live-Konzerte aber auch Merchandiseartikel, Filme, Zeitschriften, Autos und dergleichen mehr. Man könnte auch von einer eigenen ›Music Promotion Industry‹ sprechen, die verschiedene Marketingwerkzeuge nutzt, um mit der Ware Popmusik über verschiedene Kanäle Gewinn zu erzielen (vgl. dazu Anderton et al., 2013, S. 100ff.). Keith Negus sieht die Medien in Bezug auf Popmusik als die zentrale Vermittlungsinstanz zwischen Produktion und Konsum (Negus, 1996, S. 66ff.). Dabei geht es ihm um drei zentrale Prozesse. Zunächst erzeugen die Medien Bedeutungen für die Popmusik, indem sie sie über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg übertragen. Dann sind Medien auch Organisationen, deren Mitarbeiter als Gatekeeper fungieren. Das heißt sie filtern und entscheiden über den Inhalt dessen, was gesendet oder gedruckt wird. Gerade im Hinblick auf Erfolg und Verbreitung von Popmusik nehmen Medien dadurch eine bedeutende Funktion ein, indem sie darüber bestimmen, welchen Songs oder welchen Künstlern sie eine Plattform bieten und welchen nicht (ebd., S. 50). Als dritten Punkt sieht Negus die Medien als Teil des sozialen Beziehungsgeflechts, in dem sie Popmusik die Rolle der Unterhaltung zuweisen (ebd., S. 67f.). Popmusik ist zudem ein crossmedial funktionierendes Verbundprodukt, das verschiedenste Medien integriert und von verschiedenen Medien integriert wird (vgl. dazu ausführlich Anderton et al., S. 100ff.; Brabazon, 2012, S. 71ff.; Machin, 2010, S. 154ff.; Wall, 2013, S. 153ff.).
5.2 DER POPMUSIKMARKT Entsprechend hat sich auch der Markt für Popmusik mittlerweile verändert. Tim Wall skizziert hier zwei gegenläufige Tendenzen: Einmal die hin zur Konzentration, Globalisierung und zum »Multimedia Entertainment« (Wall, 2013, S. 106) und als Zweites die Tendenz hin zu einer stärkeren Untergliederung der Abteilungen in Musikunternehmen, zu einer stärkeren Vielfalt der Musikproduktionen und des Musikkonsums und zu einem immer vielfältigeren Erscheinungsbild von Popmusik in den Medien (ebd.). Verantwortlich für diese beiden Tendenzen ist das ganz spezielle Spannungsfeld aus Wirtschaftsgut und kulturellem Angebot, in dem sich die Ware Popmusik wiederfindet (Friedrichsen, 2008).
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»It is the distinctive economic and cultural characteristics of record production and consumption which account for the two counter-tendencies: towards concentration, globalisation and multimedia entertainment on the one hand; and towards corporate departmentalisation, a diversity of international music production and consumption, and differences in the way music appears across different media on the other.« (Wall, 2013, S. 106)
5.2.1 Popmusik und ihre ökonomischen Determinanten Es ist zwar so, dass die Industrie mit Rücksicht auf ökonomische Rahmenbedinungen, die für die Produktion von Popmusik, deren Vervielfältigung und deren Vertrieb zentral sind, in das Angebot eingreift. Schließlich sind die Unternehmen privatwirtschaftlich organisiert und haben das Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Allerdings werden, wie in vielen anderen Bereichen der Medienwirtschaft (vgl. zur Übersicht Wirtz, 2009), »nicht ausschließlich ökonomische Aspekte bei der Portfolioentscheidung herangezogen« (Friedrichsen, 2008, S. 23). Vielmehr findet der Entscheidungsprozess auch anhand der ästhetisch-kulturellen und sozialen Komponenten von Musik statt. »[T]he music industry is not simply a site of production. It is a corporate space within which various people attempt to manage the often fragmentary social relationships through which music is produced, consumed and given meaning.« (Negus, 2005, S. 47) Weil ein Grundsatz des Musikmarktes der ist, dass Produkte von einem Konsumenten nur einmal erworben werden 5 (vgl. Wall, 2013, S. 113), muss, um Umsatz zu garantieren, stetig Neues produziert werden. Dieser Zwang zu Neuem beinhaltet jedoch große wirtschaftliche Risiken. Da Popmusik ein hochgradig emotionales Erfahrungsgut ist, herrscht auf Seiten der Musikindustrie große Unsicherheit (vgl. Anderton et al., 2013, S. 100f.). Es kann nicht einfach ein bestimmter Bedarf nach Popmusik diagnostiziert und dann dafür produziert werden. Stattdessen sind Experimente nötig, von denen man vorher nie weiß, ob sie auf dem Markt funktionieren (Friedrichsen, 2008, S. 24). Diese Experimente sind jedoch wichtig, um Trends frühzeitig aufzuspüren und in der sich ständig ändernden Popmusiklandschaft am Puls der Zeit zu bleiben. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Aufbau von Stars. Die Popmusikindustrie benötigt Stars, um Unsicherheit zu reduzieren (Wall, 2013, S. 113), um Labels zu positionieren, um Musik emotional aufzuladen und um dadurch letztlich das Publikum zu mobilisieren und das Produkt Popmusik zu verkaufen (Shuker, 2016, S. 61). Andererseits sind diese Stars sich ihrer zentralen Rolle oft bewusst und nehmen aus künstlerischem Selbstverständnis Einfluss auf die Produktion von Musik. »So gibt es mittlerweile viele Künstler, die 5
Ausnahmen sind spezielle Wiederöffentlichungen, Sammlereditionen oder Formatneuerungen. Beispielsweise war der Wechsel von Vinyl auf CD eine willkommene Gelegenheit für die Musikindustrie Vieles erneut und in verbesserter Qualität (»remastered«) zu verkaufen (vgl. Wall, 2013, S. 113).
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sich ihr Plattenlabel in erster Linie danach auswählen, ob ihr Entfaltungsspielraum gegeben ist bzw. wie stark das künstlerische Schaffen durch das Plattenlabel dirigiert und reguliert wird.« (Wirtz, 2009, S. 531) Der zielgerichtete und sensible Umgang mit Stars ist daher ein Kernelement musikwirtschaftlichen Handelns. Dass dies nicht immer einfach ist, davon zeugen zahlreiche Skandale und Streitereien um Geld, die Kontrolle über das geistige Eigentum und die künstlerische Freiheit zwischen Popstars und Plattenfirmen.6 Deutlich wird diese sich aus verschiedenen Quellen speisende Unsicherheit der Musikwirtschaft anhand einer schlechten und auch nach Jahrzehnten kaum maximierten Erfolgsquote: Nur etwa eine von zehn Veröffentlichungen gilt als erfolgreich oder gewinnbringend (vgl. Frith, 1978, S. 10; Schulze, 1996, S. 304; Wirtz, 2009, S. 531). Ähnlich wie in anderen Medienbranchen findet daher »vielfach eine Quersubventionierung« (Wirtz, 2009, S. 53) statt. Das heißt, ein erfolgreiches Produkt finanziert die Produktion der neun verlustbringenden mit. Misserfolge sind also eingeplant und gehören zur Musikindustrie. Denn ohne Experimente können keine neuen erfolgreichen Künstler, kann keine erfolgreiche neue Popmusik gefunden und damit die wirtschaftliche Zukunft nicht gesichert werden (Wall, 2013, S. 114). Entsprechend ist die Portfolio-Strategie der großen Unternehmen der Musikindustrie auf Diversifikation und Risikostreuung ausgelegt. Neben rentablen »Stars« und »Cash Cows« existieren immer auch risikobehaftete »Wild Cats« und verlustbringende »Dogs« (Negus, 2005, S. 47ff.). Unter rein ökonomischen Gesichtspunkten sollten letztere aus dem Portfolio gestrichen werden. »However, record companies may retain a dog for reason other than immediate financial gain. This has sometimes been the case with more experimental or avant garde performers and with classical music and jazz. This practice can benefit a company, both internally and externally. Such a strategy can impress and attract other artists and it can boost the morale of personnel within the company. It can be used to justify the claim that the company is interested in ›art‹ as much as profits (although such a strategy can also have indirect commercial benefits).« (Ebd., S. 48-49)
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Wegen Streitereien um die Urheberrechte an seinen Songs brach Prince 1993 mit seiner Plattenfirma Warner und nutzte vorübergehend ein Symbol als Namen, folgerichtig wurde er Symbol, genannt, oft aber auch TAFKAP (»The artist formerly known as Prince«). Nach Vertragsende nutzte er ab 2000 wieder seinen alten Künstlernamen. Ähnlich wie Prince ging es auch George Michael um die Freiheit, von seinem Vertragsverhältnis mit dem Plattenlabel – in diesem Falle Sony – zurückzutreten und seine Songs anderweitig zu vermarkten. Sony gewann den Streit, der bereits 1992 mit der Rückzahlung einer Garantiesumme von Seiten George Michaels an Sony begann, in einem Gerichtsprozess 1994. Das Label entließ den Künstler aber dennoch 1995 vorzeitig aus seinem Vertrag.
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Für die Musikindustrie sind Künstler also auch von strategischer Bedeutung. Dies zeigt sich bereits daran, dass die zentrale Abteilung aller Plattenfirmen Artist & Repertoire (A&R) genannt wird. Sie ist zuständig für das Entdecken von Künstlern und deren Entwicklung hin zu Stars (Longhurst, 2002, S. 72f.). Es gestaltet sich jedoch nicht immer einfach, Künstler gezielt als Stars aufzubauen, da zahlreiche Eigenschaften zusammenpassen müssen. Keith Negus (1992, S. 53) nennt sechs Kriterien, die für (erfolgreiche) Künstler wichtig sind: • • • • • •
Live- und Bühnenqualität Originalität und Qualität des Songmaterials Qualität von Stimme und Studioaufnahmen Auftreten und Image Persönliche Motivation, Engagement und Enthusiasmus Bisherige Erfolge
Da nicht zuletzt auch das Publikum entscheidend zur Konstruktion von Stars und deren Images beiträgt (Eulenbach, 2013) und auch unkontrollierbare äußere Einflüsse Starimages stark verändern können (vgl. Anderton et al., 2013, S. 101), kommt die planmäßige Schaffung neuer Stars nicht selten einem Glücksspiel gleich. Neben anhaltender Anstrengungen, immer wieder neue und erfolgreiche Künstler und deren Musik zu etablieren und zu verkaufen, hat die Musikindustrie daher zahlreiche Strategien entwickelt, um bereits bestehendes Repertoire gewinnbringend zu vermarkten (vgl. im Überblick Wirtz, 2009, S. 533-540). Peter Wicke ist gar der Meinung, dass »die Musikindustrie nicht Musik, sondern Publika, in immer wieder neuen Zusammensetzungen und in immer größeren Dimensionen« produziert (Wicke, 1993, S. 53). Hier schimmern wieder die altbekannten Kulturindustriethesen von Horkheimer und Adorno (1944/2011, S. 128ff.) durch, die den Sieg der Ökonomie über die Ästhetik anprangern. Wicke relativiert dies jedoch, indem er Popmusik als Medium »im Schnittpunkt von ökonomischen, technologischen, administrativen, kulturellen, sozialen und ästhetischen Entscheidungen« (Wicke, 1993, S. 65) sieht. 5.2.2 Popmusik zwischen Ökonomie und Aneignung Dass Popmusik keinen einseitigen und einförmigen hegemonialen Gegenstand darstellt, davon ist auch Keith Negus überzeugt, wenn er die unterschiedlichen Ausprägungen der Musikökonomie für verschiedene Genres zeigt. Denn die Beschaffenheit und damit auch unsere Wahrnehmung von Popmusik sind abhängig davon, wie diese Musik von der Industrie vermittelt wird, aber es ist genauso essentiell, den umgekehrten Weg zu betrachten. Denn die Popmusikindustrie selbst ist abhän-
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gig von der Popkultur, die sie nie ganz unter Kontrolle haben kann, in der sie aber produziert und von der sie existiert. »Musical sounds and meanings are not only dependent upon the way an industry is producing culture, but are also shaped by the way in which culture is producing an industry.« (Negus, 2005, S. 13) Popmusik entsteht also an der Schnittstelle zwischen Kultur und Industrie, die sich beide wechselseitig prägen und die beide auf die Verfasstheit von Musik einwirken. Popmusik ist inhaltlich wie technologisch maßgeblich von genau dieser Schnittstelle bestimmt. Darstellen lässt sich dieser Zusammenhang über den in den Cultural Studies verbreiteten Kulturkreislauf (vgl. Abbildung 2). An ihm wird deutlich, wie Aneignung und Produktion ineinandergreifen. Im Sinne des Kulturkreislaufes konstituiert sich Popmusik über Aneignung, Produktion und Repräsentation. Sie verweist als Bedeutungsangebot »auf kulturell vermittelte Aneignungsweisen« (Hepp, 2005, S. 68). Popmusik ist ein Medienprodukt und Medienprodukte sind immer bestimmte Repräsentationen (Hepp, 2002, S. 879). Die Repräsentation beschreibt die Vermittlung von Popmusik, den Übergang von der musikindustriedominierten Produktion zur publikumszentrierten Aneignung. Sie drückt sich aus in Musikstilen oder aber in Stars, Images, visuellen Komponenten von Musik und dergleichen mehr. Über diese Repräsentationen, die nicht selten als Marketingvehikel daherkommen, wird die Anschlussfähigkeit für Aneignungsprozesse hergestellt (ebd., S. 878f.), beispielsweise, indem Identitätsangebote gemacht werden. Die Aneignung wird in der Folge individuell oder kollektiv verhandelt (vgl. auch Kapitel 3.3) und wirkt auf die Produktionsebene zurück. Gleichzeitig zeigt sich auch die regulative Ebene stark von Aneignungsprozessen und den daraus resultierenden Veränderungen der Produktionsebene beeinflusst, wie das bereits in der Einleitung ausgeführte Beispiel des Rechtsstreits zwischen Moses Pelham und Kraftwerk zeigt. Daran wird deutlich, wie komplex und dynamisch popmusikalische Zusammenhänge sind. Das Kreislaufmodell bietet an dieser Stelle die Möglichkeit, Medienökonomie und individuelle Aneignungspraxen als interdependent zu betrachten (vgl. Göttlich, 2015b, S. 38) und damit Musikindustrie und Publikum als gleichwertige Akteure im Kreislauf der Popkultur zu positionieren. Dies ist für das Verständnis des Popmusikmarktes notwendig. Denn obwohl die Musikindustrie mit ihren zahlreichen Marketingwerkzeugen und ihrer weitgehenden Kontrolle der Produktion und Distribution immer wieder als übermächtige Kulturindustrie dargestellt wird, entscheidet sie nicht allein über ökonomischen Erfolg oder Misserfolg und schon gar nicht über Wert und Bedeutung ihrer Produkte. Sie stellt den ökonomischen und meist auch den technologischen Rahmen bereit, letztlich sind jedoch Künstler und Publikum ebenso Marktteilnehmer. Das Verhältnis zwischen den Akteuren des Musikmarktes ist dabei kein Einseitiges, sondern es ist geprägt von wechselseitigen Bezugnahmen und Reaktionen aufeinander.
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Abbildung 2: Kulturkreislauf der Popmusik
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Hepp (2002, S. 875) »Auf diese Weise löst sich der Widerspruch, daß die Musikindustrie tatsächlich in Abhängigkeit von einem für sie unkalkulierbaren musikalischen Geschehens agiert, dieses aber dennoch sehr maßgeblich prägt. Die Publikumskonstellationen, die sie produziert, zeitlich begrenzte Allianzen ganz unterschiedlicher sozialer Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Ansprüchen, wirken direkt auf den Musikprozeß zurück, weil er immer nur im Verhältnis zu einem Publikum stattfinden kann. Das Ganze ist eine überaus komplexe mehrstellige Relation, weil der Hörer niemals nur einem Publikum angehört, sondern sich ständig in mehreren solcher Publikumskonstellationen bewegt, für verschiedene Musiker, als Medienrezipient, Plattenkäufer, Ticketkäufer usw.« (Wicke, 1993, S. 53)
5.3 DIE MUSIKINDUSTRIE Die Musikwirtschaft oder Musikindustrie umfasst im weitesten Sinne Akteure, Technologien und Handlungen, die der Herstellung, Rezeption und vor allem der Verbreitung von Popmusik dienen. Diese drei Ebenen7 sind jedoch nur analytisch trennbar. Denn beispielsweise wird bereits bei der Musikproduktion an die Rezeptionsphase gedacht, wie das Beispiel der Audiokompression (vgl. Kapitel 4.3.2) deutlich macht. Weiterhin ergibt sich ein nicht zu unterschätzender Teil des Rezeptionsvergnügens aus dem Wissen oder dem vermeintlichen Wissen um die Produktionsweise der Musik. Authentizität, Genrebegriffe, die Bedeutung von Stars und der an 7
Negus nennt sie »creation, circulation and consumption« (Negus, 2005, S. 3).
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sie gebundenen Vorstellungen – kurz: die verschiedenen Formen der Repräsentation (vgl. Kapitel 5.2.2) – spielen hier eine zentrale Rolle. Die mit der Verbreitung, Vermittlung oder Vermarktung von Popmusik betrauten Akteure wiederum sind sich der Prozesse auf Produktions- und Rezeptionsseite bewusst und gestalten diese entscheidend mit (vgl. Negus, 2005). Aufgrund dieser Verzahnung ist es nicht verwunderlich, dass sich ein hochgradig integrierter Markt mit oligopolistischen Strukturen entwickelt hat (Wirtz, 2009, S. 496). Zur Musikindustrie gehören heute alle Organisationen, Firmen, Strukturen und Personen, die damit beschäftigt sind, Musik in irgendeiner Weise den Konsumenten zuzuführen, also »all diejenigen Akteure, die sich mit der Darbietung, Aufnahme, Produktion, Vermarktung, Verwertung und Distribution von Musik beschäftigen« (ebd.). Das Spektrum der Tätigkeiten reicht in diesem Zusammenhang von der Bereitstellung und Produktion der Technologie für das Aufnehmen von Musik über den Druck von Notenblättern – sogenannte »Sheet Music« (vgl. Garofalo, 1999) –, die Herstellung und Verbreitung von Musik aber auch von Videos, die Lizensierung von Rechten, die Organisation und Durchführung von Konzerten oder Clubabenden bis hin zur Herstellung und zum Verkauf von Merchandise-Artikeln oder Geräten zum Abspielen von Musik. Demnach gehören heute Produzenten von Mikrophonen, Mischpulten oder Gitarren letztlich genauso zur Musikindustrie wie Presswerke für CDs oder Schallplatten, Musikverlage, Konzertveranstalter, Clubbetreiber, Radiosender, Zeitschriftenverlage, Software-Produzenten, Unternehmen, die Fanartikel mit den Aufdrucken von Künstlern produzieren beziehungsweise verkaufen und nicht zuletzt Medien, die von Popmusik als Inhalt leben, mittels derer für Popmusik geworben wird und die Popmusik beispielsweise für Werbung und andere Zwecke nutzen. Analytisch gesehen, muss der Begriff ›Musikindustrie‹ daher ein Oberbegriff für diese und alle weiteren Strukturen sein. In der Praxis und auch in der wissenschaftlichen Analyse wird jedoch häufig, »[i]m Sinne eines engeren Begriffsverständnisses […] der Fokus auf den Markt für konservierte Musik, d. h. den Markt für Musikaufnahmen gerichtet« (Wirtz, 2009, S. 496). Deutlich nachzuvollziehen ist dies auch anhand einiger Verbände und deren Veröffentlichungen zum Musikmarkt. Hier suggerieren Namen, Erhebungen und Texte nicht selten, dass das Geschäft mit Musik einzig aus dem Verkauf von Musikaufnahmen besteht (vgl. BVMI, 2016; IFPI, 2016c).8 Der Begriff Musikindustrie dient also häufig als Syno8
Während die IFPI (International Federation of the Phonographic Industry) an einigen Stellen ihrer Website und Berichte zumindest noch deutlich darauf hinweist, dass sie lediglich die »recording industry« repräsentiert, bleibt dies beim deutschen BVMI (Bundesverband Musikindustrie) auf den ersten Blick unklar. Letztlich nutzen beide Begriffe wie Musikindustrie oder Musikmarkt so, dass der Eindruck entstehen kann, als seien Musikaufnahmen und deren Verkauf das einzige ökonomische Maß für die Erfassung von Musik.
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nym für die Tonträgerindustrie. Die digitale Mediamorphose hat jedoch zuvorderst aufgrund der Durchsetzung von komprimierten Audioformaten (MP3) und Streaming Media zu einer zunehmenden »Entstofflichung« (Elster, 2015, S. 286), also einer Abkehr von physischen Medien geführt, daher ist der Begriff Tonträgerindustrie nur noch bedingt zutreffend. Vielmehr muss von einer MusikinhalteIndustrie, kurz: Content-Industrie, gesprochen werden. Diese jedoch kann keineswegs für die Gesamtökonomie der Branche stehen, wie dies häufig suggeriert wird (vgl. Anderton et al., 2013, S. 26; Seliger, 2013, S. 119, Fußnote 1; UK Music, 2016, S. 7-9; Williams, 2009). Ein wichtiger Grund für die oft limitierte Begriffsverwendung ist die Dominanz der Plattenfirmen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. Garofalo, 1999). »Because the centrality of record companies has predominated in the second half of the twentieth century, this phase of development remains the popular conception of the music industry, even though its structure has shifted markedly in recent years. Consequently, the prevailing view of the popular music industry is that of record companies at the center, with radio, music videos, live concerts, booking agencies, management firms, indeed musicians themselves, playing various supporting roles.« (Ebd., S. 119)
Garofalo deutet hier bereits Ende der 1990er Jahre an, dass diese Sichtweise als überholt angesehen werden kann. Seit Jahrzehnten sind Produktions-, Verbreitungsund Rezeptionsprozesse durch die andauernde digitale Mediamorphose extremen Rekonfigurationen ausgesetzt (vgl. Kapitel 4.2), dennoch liegt nach wie vor ein Großteil des Einflusses auf den Musikmarkt in der Hand weniger nach dem alten Modell der Plattenfirmen operierenden Akteure: den Majorlabels. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch deutliche Veränderungen. »Digital recording, distribution, marketing and sales have become commonplace as have financially affordable tools for achieving a professional product. This does not mean the traditional model is in danger of being entirely replaced or that the major record labels and publishers will necessarily lose their predominant position. But it does mean that the model is being actively reconfigured at all scales of the music industries […].« (Anderton et al., 2013, S. 1)
Aufgrund dieser Veränderungen muss auch ein neues Bild der Musikindustrie gezeichnet werden. Verkauf und Lizensierung von Musikaufnahmen spielen zwar noch immer eine zentrale Rolle. Aber gerade die Jahre ab 2000, als der Tonträgermarkt rasant zu schrumpfen begann, waren nicht nur eine Phase, in der neue, ehemals branchenexterne Unternehmen »aus der Computerindustrie (Apple), der Telekommunikationsindustrie (T-Online), der Mobilfunk- und Handyindustrie (Vodafone, Nokia) oder aus dem Handel (Amazon, Wal-Mart)« (Dolata, 2008, S. 365) in
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den Musikmarkt eintraten. Es entstanden durch neue Vertriebsmodelle wie Streaming (vgl. Kapitel 7.4) auch völlig neue Akteure, beispielsweise Spotify. Zudem waren es gerade diese Jahre, die auch von einer stetig wachsenden LivemusikIndustrie geprägt waren (Karp, 2016). Den klassischen Akteuren der Musikwirtschaft – Autoren und Interpreten, Musikverlage, Tonträgerhersteller, Tonstudios und Produzenten, Radio-/TV-/Filmindustrie, Musikdistribution/-handel (vgl. Wirtz, 2009, S. 497) – müssen eingedenk dieser Entwicklung daher weitere zur Seite gestellt werden. Neben den genannten neuen oder ehemals branchenexternen Technologieunternehmen sind dies vor allem jene, die mit dem Live-Geschäft in Verbindung stehen, also so genannte Konzert- oder Tour-Promoter und Ticketing-Unternehmen. In der Folge sollen mit dem dem Tonträger- und Content-Markt sowie mit dem Live-Musik-Sektor die bedeutenden Teilmärkte der Musikindustrie näher beleuchtet werden. Erstgenannter ist nach wie vor eine zentrale Wertschöpfungsinstanz. Nicht zuletzt, da seine Aktuere, die Plattenfirmen, viele Bereiche, die für die Musikproduktion und Distribution unerlässlich sind, integriert haben und der Markt traditionell um Musikaufnahmen herum organisiert ist (vgl. Anderton et al., 2013, S. 124). Mit der Betrachtung der Live-Musik soll im Anschluss ein Schlaglicht auf einen Teilmarkt geworfen werden, dessen kommerzieller Erfolg angesichts der digitalen Mediamorphose zunächst überraschend scheint. Tatsächlich ist Livemusik jedoch nicht zuletzt wegen schwächelnder Absätze im Tonträger- und Content-Markt eine verlässlich wachsende Einnahmequelle, die im Vergleich zum Markt für Musikaufnahmen das Doppelte umsetzt (Rutherford, 2016) und nicht selten der wichtigste Umsatzgenerator für Künstler ist (Ernesto, 2013). In der öffentlichen Diskussion um den Musikmarkt findet sie jedoch bisher nur selten Beachtung (vgl. Seliger, 2013, S. 8). Verbände wie UK Music tragen der Entwicklung jedoch Rechnung, indem dort neben Musikverkäufen auch das Live-Segment Beachtung findet (UK Music, 2016). Der Musikindustrie nutzt der Live-Boom, weil so der Gesamtumsatz des Musikmarktes trotz Einbußen beim Geschäft mit Musikaufnahmen stabil gehalten werden kann. So blieben die Umsätze der Musikindustrie zwischen 2000 und 2013 insgesamt zwar relativ konstant. Sie speisten sich jedoch im Jahr 2000 noch zu 60 Prozent aus Tonträgerverkäufen, während diese 2013 nur noch 36 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachten (Mulligan, 2014). »The balance of power has firmly shifted away from labels to the live value chain.« (Ebd.) Es lassen sich weitere Teilmärkte für die Musikindustrie identifizieren. So spielt der Handel nach wie vor eine große Rolle als Intermediär, denn sowohl beim Tonträgerabsatz als auch im Musik-Download-Bereich »dominieren indirekte Distributionsmodelle« (Wirtz, 2009, S. 538). In der digitalen Mediamorphose entstehen zudem zahlreiche neue Distributionsmodelle, die teilweise eng mit der Musikproduktion und der Musiknutzung verknüpft sind. Dem wird insbesondere in Kapitel 7.3 beispielhaft Rechnung getragen. Auch die überaus komplexe Verknüpfung von
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Popmusik und Medien (vgl. dazu Wall, 2013, S. 153ff.) wäre als Teilmarkt möglicherweise identifizier- und beschreibbar. »Popular music can be found in all the mass media: it is the key element of most radio; it is the soundtrack to films, adverts and television programmes; it Is the subject of newspaper and magazine articles and photographs; it is an element within websites and computer games; and frequently a common thread across all the media as an artist appears in videos, websites, the press and on television.« (Ebd., S. 153)
An dieser Stelle soll, angesichts der Perspektive der Arbeit auf Veränderungen in der Aneignung und Bedeutungszuschreibung von Popmusik im Zuge der Digitalisierung, auf einen detaillierten Blick auf Medien und den Handel verzichtet werden und stattdessen der Fokus auf die Musikinhalte und die Live-Musik genügen. 5.3.1 Tonträgermarkt und Content-Markt Die Tonträgerindustrie wird repräsentiert durch die Gesamtheit der sogenannten Plattenfirmen. Sie »selektieren Künstler und Talente, produzieren die Titel in Musikstudios mit Hilfe von Produzenten und betreiben das Marketing« (Wirtz, 2009, S. 496). Bereits hier wird deutlich, dass die Akteure der Tonträgerindustrie nicht nur für die Planung und Produktion von Tonträgern verantwortlich sind, sondern an allen Stellen der Wertschöpfungskette, also Komposition, Aufnahme, Rechtehandel, Tonträgerproduktion, Distribution (vgl. ebd., S. 516) beteiligt sind. Zuvorderst ist dies bei den sogenannten Majors9 der Fall. Diese unterhalten beispielsweise auch eigene Musikverlage, über die Urheber- und Vervielfältigungsrechte für Musik verwaltet werden (ebd., S. 499). Dadurch sichern sie sich zusätzlich Einnahmen aus der Lizensierung. 5.3.1.1 Struktur des Tonträgermarktes Der Musikmarkt ist demnach nicht nur durch horizontale Konzentration, also die Übernahme beziehungsweise Zusammenlegnung von Labels gekennzeichnet, sondern vor allem auch durch starke vertikale Konzentrationsprozesse. »The major recording companies are also verticallly […] integrated. Vertically integration means that they own (in full or in part) a range of firmst hat specialize in other areas of the music industries. Examples include recording studios, pressing plants, and distribution companies.« (Anderton et al., 2013, S. 32)
9
Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes sind dies noch drei: Sony Music Entertainment, Universal Music, Warner Music.
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Weiterhin haben auch diagonale Konzentrationsprozesse zugenommen. Das bedeutet eine Ausdehnung der Geschäftsaktivitäten auf Felder außerhalb des Bereiches der Musikaufnahmen. Marketing, Sponsoring, Medien und Merchandise (ebd.), aber auch die noch zu betrachtende Live-Musik gehören dazu. Bekannte Beispiele dafür sind Synergien mit bekannten Medien wie die Partnerschaft zwischen Warner und MTV (Shuker, 2016, S. 131) oder die zwischen Universal und RTL für das Format Deutschland Sucht den Superstar. Zudem sind die großen Plattenfirmen selbst Teil von übergeordneten Großkonzernen oder Gesellschaften – Vivendi im Falle von Universal Music, Access Industries bei Warner Music und Sony bei Sony Music Entertainment. Da diese Großkonzerne auf verschiedene Arten im Medienbereich tätig sind, ergeben sich hier weitere Synergiemöglichkeiten. Insgesamt wird es durch diese Verflechtungen schwierig, den Markt überhaupt noch abzugrenzen. Denn an vielen Stellen bleibt unklar, wieviel Wertschöpfung, wieviel Aufwand und welche Instanzen nun genau hinter einer Veröffentlichung stecken, wenn beispielsweise hauseigene Kanäle Werbung für das Produkt schalten oder Musik in Filmen oder digitalen Spielen genutzt wird, die andere Unternehmen des Konzerns produzieren. Zu den zentralen Aufgaben der Tonträgerindustrie gehören vor allem die Künstlergewinnung und -betreuung, Produktentwicklung, Produktmanagement, Marketing und der Vertrieb (Wirtz, 2009, S. 521). Je nach Größe des Unternehmens sind mehr oder weniger dieser Bereiche in das Unternehmen integriert. So übernehmen Majors beispielsweise die Distribution grundsätzlich selbst, besitzen eigene Presswerke und Studios für die Produktion von Musik (Wall, 2013, S. 126f.), während ›Independent‹-Labels (Indies) diese Dienstleistungen oft einkaufen müssen. Die Majors sind daher mit einer großen Marktmacht ausgestattet, die es ihnen im Laufe der Zeit ermöglicht hat, zahlreiche Indies ganz oder teilweise aufzukaufen. Dies führte zu komplexen Strukturen und Abhängigkeiten innerhalb der Tonträgerindustrie (Anderton et al., 2013, S. 32). Denn aus Marketing- und Positionierungsgründen wurden viele der Sublabels beibehalten. Nicht nur ehemalige Indies auch große Labels wie Decca, Geffen oder Interscope gehören daher inzwischen zu Majors, in diesem Fall zu Universal, existieren namentlich jedoch weiterhin. Tim Wall schlägt mit Blick auf diese Unübersichtlichkeit vor, zwischen »record label«, »record company« und »parent corporation« (Wall, 2013, S. 124) zu unterscheiden. Während das Label oft mit charakteristischem Logo den Kern und die Marke der jeweiligen Musikproduktion verkörpert, ist die Plattenfirma die Geschäftseinheit dahinter, die das Label und möglicherweise viele weitere Labels besitzt und die Veröffentlichungen organisiert. Diese Plattenfirmen wiederum sind, möglicherweise neben anderen, im Besitz der Muttergesellschaft (vgl. ebd.). Bei den Majors handelt es sich in allen Fällen exakt um diese Muttergesellschaften. Ihnen gehören mehrere Plattenfirmen oder Anteile daran und damit zahlreiche Labels. Der Begriff Majorlabel ist insofern irreführend, denn diese Unternehmen leisten dank vertikaler Konzentration
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weit mehr als es Labels tun. Auf Indies trifft der Begriff Label schon häufiger zu. Nicht selten sind die Indies jedoch im Sinne Walls Einteilung Indie-Plattenfirmen, die wiederum mehrere Labels unter sich vereinen und auch eigene Vertriebsstrukturen besitzen. Friedrichsen nennt diese Akteure »Major-Independents«, weil sie »hinsichtlich Beschäftigungszahl und Finanzausstattung vielfach mittelständische Dimensionen annehmen« und »nicht Teil eines integrierten Konzerns sind« (Friedrichsen, 2008, S. 22). Beispiele sind Rough Trade oder Mute, die jedoch zeitweise auch Teil von Majorlabels waren. Walls Unterscheidung hilft also insofern weiter, dass dadurch verschiedene Ebenen der Tonträgerindustrie sichtbar werden, dennoch können daraus nur schwerlich Angaben zur konkreten Ausgestaltung der Abläufe und Abhängigkeiten gemacht werden, denn die Beziehungsgeflechte zwischen den Ebenen sind äußerst komplex und verändern sich zudem permanent (Wall, 2013, S. 124). »There is no one model of the relationship between the label, company and corporation, and the variation covers virtually every permutation possible. Sometimes a company only releases records on one label and has no direct ownership or control relationships with a corporation. […] It is more common for a company to produce music under a label identity, but to be owned by a corporation along with a number of other semi-autonomous companies, each with their own label. These companies could alternatively release records on a range of labels, each with their own distinct ›label identity‹ and style of music. Or again, the company could be part of a larger division which coordinates the activities of a number of labels or companies. In other instances, ownership is shared between a corporation and the person who runs the company.« (Ebd.)
5.3.1.2 Strukturwandel: Vom Tonträger- zum Content-Markt Für alle Akteure des Marktes jedoch gilt: Der sogenannte Tonträgermarkt hat sich aufgrund technologischer Entwicklungen mittlerweile zu einem breiter aufgestellten Content-Markt gewandelt. So sind nicht mehr nur die physischen Tonträger marktbestimmend, sondern es gewinnt mehr und mehr Musik in Form von Dateien (MP3, OGG, FLAC10 und ähnliche Formate) und Streamingangeboten (Spotify, Deezer, etc.) an Bedeutung. Zieht man die Zahlen der IFPI, des Verbandes der Tonträgerund nun auch der Musik-Content-Industrie heran, wurden 2015 weltweit fünfzehn Milliarden US-Dollar umgesetzt. Dies war ein Wachstum von etwa 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr (IFPI, 2016a). Dazu ist anzumerken, dass in diesen Umsätzen auch die Wertschöpfung aus Aufführungsrechten (»performance rights«, 14 Pro10 Der »Free Lossless Audio Codec«, kurz FLAC ist, wie auch MP3, eine Methode zur Audiokompression. Wie der Name suggeriert, ist das Format kosten- und verlustfrei. Das bedeutet, es gibt im Gegensatz zu MP3 keine Qualitätseinbußen. Dafür benötigen die Dateien deutlich mehr Speicherplatz (vgl. im Detail xiph.org/flac/).
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zent) und aus der Verwendung von Musik in anderen Medien wie Filmen oder Werbespots (»Syncs«, 2 Prozent), enthalten sind. Abbildung 3: Umsatz der Tonträger und Content-Industrie weltweit seit 2005
Quelle: Rutherford (2016)
Der Hauptteil des Umsatzes wurde jedoch mit dem Verkauf physischer Tonträger (39 Prozent) und Einnahmen aus digitaler Verwertung (45 Prozent) gemacht (vgl. Abbildung 3). Damit war 2015 nicht nur das erste Jahr seit der Etablierung digitaler Formate, in dem die Umsätze wieder stiegen, sondern auch das erste Jahr, in dem Einnahmen aus digitaler Distribution die aus physischer Distribution übertrafen (IFPI, 2016a). Digitale Einnahmen kommen dabei inzwischen auch zu großen Teilen aus dem Streaming. Sie stiegen hier um 45 Prozent auf 2,9 Milliarden US Dollar und konnten damit den Rückgang im Downloadgeschäft um 10,5 Prozent auf 3 Milliarden US Dollar mehr als ausgleichen (ebd.). Einnahmen aus dem Verkauf physischer Tonträger fielen erneut, jedoch mit 4,5 Prozent etwas weniger stark als in den Vorjahren auf nun 5,8 Milliarden US-Dollar. Dominierender Tonträger ist weiterhin die CD. Vinylumsätze zeichnen trotz des gefühlten Booms (vgl. Kapitel 4.3.3) lediglich für zwei Prozent des Gesamtmarktes verantwortlich. Der Milliardenmarkt der Tonträger- und Content-Industrie wird nach wie vor von den bereits angesprochenen Majors bestimmt. Seit Jahren liegt deren Anteil am Gesamtmarktvolumen zwischen 70 und 80 Prozent (vgl. Anderton et al., 2013, S.
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25; Wall, 2013, S. 137; Wirtz, 2009, S. 499), wobei dies auch eine Frage der Lesart ist. Neuere Berichte kommen auf bis zu 37,6 Prozent Marktanteil für die Indies und dementsprechend deutlich geringere Zahlen für die Majors (MBW, 2016). Die unterschiedlichen Daten ergeben sich nicht zuletzt aus dem angesprochenen komplexen Marktstrukturen. Denn einmal haben die Majors heute zahlreiche Sub-Labels, von denen einige trotz Abhängigkeit als Indie-Labels gelten. Zum anderen übernehmen sie für manche Indies die Distribution und rechnen sich so die Umsätze zu (vgl. Buckingham, 2015). Zusammenfassend lässt sich für den Markt der Tonträger und musikalischen Inhalte noch immer das Stadium einer umfassenden Transformation konstatieren. Aufgrund des technologischen Fortschrittes werden physische Tonträger sukzessive von digitalen Vertriebsformen – zunächst Downloads, später Streaming (Mulligan, 2012; 2014) – als bedeutende Quellen für Musik ersetzt. Daraus ergeben sich nicht nur »signifikante institutionelle Veränderungen und sozioökonomische Struktureffekte« (Dolata, 2008, S. 357) sondern auch völlig neue Voraussetzungen für die Aneignung von Popmusik. Denn, wie beim Kulturkreislauf gesehen, greifen die Bedingungen der Produktion, Repräsentation und Aneignung ineinander. Bevor jedoch einige sich daraus ergebende Perspektiven und Schlüsse aufgezeigt werden, soll noch ein Blick auf den Markt für Live-Musik folgen. 5.3.2 Livemusik-Markt Lange galt Livemusik als Werbung für den Absatz von Tonträgern (Anderton et al., 2013, S. 125). Denn während Konzerte und Tourneen aufwändig und teuer sind, konnten die großen Plattenfirmen beim Verkauf von Tonträgern stärker von Economies of scale profitieren (Wirtz, 2009, S. 532). Dies war besonders im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts der Fall, als sukzessive neue Technologien entwickelt wurden, die nicht nur durch die Klangqualität, sondern auch Licht-, Video- und weitere Showeffekte bei Live-Events stark verbesserten. Konzerte wurden damit zu immer hochwertigeren Erlebnissen, die immer höhere technologische, logistische und damit finanzielle Anforderungen mit sich brachten. Gleichzeitig begannen Plattenfirmen verstärkt, Konzerte explizit für ihre Ziele – Zuwächse bei Absatzzahlen von Tonträgern – zu instrumentalisieren (vgl. Anderton et al., 2013, S. 127). Tourneen wurden nun gezielter organisiert und es bildeten sich, ähnlich wie im Tonträgermarkt Netzwerke, Abhängigkeiten und Spezialisierungen heraus die zu starken Konzentrationsprozessen führten. Die konkrete Aufteilung und Benennung der bedeutendsten Akteure des Livemusik-Marktes variiert in der Literatur (vgl. ebd., S. 137; Seliger, 2013, S. 27ff.; Wilkström, 2013, S. 59ff.), das Grundmuster, also die Ebenen, die zwischen Künstler und Publikum aktiv werden, damit Livekonzerte zu Stande kommen, ist jedoch immer gleich (vgl. Abbildung 4).
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5.3.2.1 Strukturen des Livemusik-Marktes Global gesehen kommt hier den sogenannten »Booking Agents« beziehungsweise »Booking Agencys« (Anderton et al., 2013, S. 137; Wilkström, 2013, S. 59) die größte Bedeutung zu. Diese haben Künstler unter Vertrag und den Auftrag, für sie Tourneen oder Konzerte zu vermitteln. Seliger unterteilt diese Ebene weiter in Agenten, die meist kontinental, also beispielsweise europaweit agieren und direkt mit Band und Management verhandeln, und sogenannte »Tourveranstalter« (Seliger, 2013, S. 29). Diese kümmern sich um Tourneen oder Einzelkonzerte in kleineren Gebieten. In Europa sind dies meist einzelne Länder, daher werden sie auch als »national promoter« bezeichnet. Sie organisieren die landes- oder regionspezifische Werbung und PR-Arbeit, beispielsweise über Poster, Zeitschriften oder Auftritte im Rundfunk (ebd., S. 29f.) und haben optimalerweise entsprechende Kontakte zur nächsten Ebene. Dies sind die »Promoter« (Anderton et al., 2013, S. 137; Wilkström, 2013, S. 59). Sie tragen ein nicht unerhebliches Risiko, denn sie kümmern sich um Location, Technik, Personal, die lokale Werbung und letztlich die Abwicklung des Konzertes vor Ort (Seliger, 2013, S. 30). Sie legen also – in Abstimmung mit Künstler, Management und Booking Agencys – auch den Ticketpreis fest und führen die Abrechnung des Konzertes durch (Anderton et al., 2013, S. 138). Schließlich existieren die sogenannten »Venue Operators« (ebd., S. 137; Wilkström, 2013, S. 59). Diese stellen die Räumlichkeiten, nicht selten die Technik und oft auch weitere Dienstleistungen wie Getränkeausschank, Kasse, Parkplätze oder Security gegen Bezahlung oder Beteiligung an den Einnahmen zur Verfügung (Wilkström, 2013, S. 60). Diese Ebenen sind nicht so festgefügt wie es zunächst erscheint. Ihre konkrete Ausgestaltung ist abhängig von der Bedeutung des Künstlers und der Größe der Konzerte oder Tourneen. Im DIY-Bereich fungieren die Bands oder Künstler of selbst als Booker oder sogar als Promoter. Und auch die Ebenen der Clubbetreiber und Promoter vermischen sich häufig, denn für Clubs ist es sinnvoll, selbst Künstler zu buchen. »Promoters may rent venues or own their own, and it’s not uncommon for venues to act as promoters themselves (known as in-hourse promotion) or for regional and national-level promoters to manage chains of venues.« (Anderton et al., 2013, S. 138) Aus der Konstellation dieser Ebenen ergeben sich für Livemusik ganz bestimmte Machtverhältnisse. Seliger beschreibt das Geschäftsfeld als »von oben nach unten organisiert«, wobei oben der Agent mit der meisten Macht und unten die örtlichen Veranstalter mit der wenigsten Macht positioniert sind (Seliger, 2013, S. 30f.).
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Abbildung 4: Organisationsebenen und Konzentration des Livemusik-Marktes
Quelle: eigene Darstellung
5.3.2.2 Ticketing, Konzentration und die wachsende Bedeutung des Livemusik-Marktes Insbesondere ab 1996 kam es in der Livemusik-Industrie zu starken Konzentrationsprozessen (vgl. ausführlich Budnick & Baron, 2011). Heute sind in vielen Fällen die Ebenen, Booking, Promotion und lokales Veranstaltungsmanagement inklusive des lukrativen Ticketings11 und des Verkaufs von Merchandise, Getränken und Es-
11 Ticketing wird das Abwickeln des Kartenverkaufes bei Events genannt. Dies kann der Promoter theoretisch selbst übernehmen, beispielsweise an der Abendkasse. Auf Ticketing spezialisierte Unternehmen bieten vor allem den Vorverkauf als Dienstleistung an. Sie erstellen und versenden Tickets und verdienen an den darauf erhobenen Gebühren. Die Einnahmen aus diesen Gebühren haben sich durch den Boom der Live-Events seit Beginn des Jahrtausends vervielfacht (vgl. Seliger, 2013, S. 106ff.). Damit wurde Ticketing zu einem eigenen, wichtigen Geschäftszweig der Live-Industrie. Große Ticketingfirmen sind heute oft Teil von Live-Konzernen (Ticketmaster gehört zu Live Nation Entertainment) oder haben sich selbst sukzessive in die anderen Geschäftsfelder der Live-
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sen in einer Hand. Besonders der Konzern Live Nation Entertainment, hervorgegangen aus de Medienunternehmen Clear Channel Communication und SFX Entertainment dominiert mit zahlreichen eigenen Konzerthallen, Aufkäufen von Tourveranstaltern (ebd., S. 63ff.) und nicht zuletzt durch die Eingliederung des damals weltweit größten Ticketing-Unternehmens Ticketmaster im Jahre 2010 einen großen Teil des Marktes (Wilkström, 2013, S. 60). Diese Konzentrationsprozesse wurden begleitet von steigenden Ticketpreisen und einer generellen Zunahme des Interesses an Livemusik und Musikevents. Da auf der anderen Seite die Umsätze aus Musikaufnahmen seit der Jahrtausendwende rückläufig waren, kam es folgerichtig zu einem Wechsel der Machtverhältnisse in der Musikindustrie. Ab etwa 2005 überstiegen die Einnahmen der Liveindustrie die der Tonträger- und Content-Industrie (Seliger, 2013, S. 68). Vor allem die wachsende Zahl der Festivals und großen Konzerttouren trug dazu bei. Hier werden nicht nur Einnahmen aus Ticketing, Merchandise und Verpflegung vor Ort generiert, sondern auch aus Werbung und Sponsoring. Musikevents sind vor allem für Unternehmen aus dem Finanzsektor, der Getränke- und der Unterhaltungselektronikindustrie attraktive Werbemöglichkeiten, da dort ein attraktives Zielpublikum in emotionalen Momenten erreicht werden kann (Anderton et al., 2013, S. 136). Neben klassischem Sponsoring, das anhand von Werbebannern, Logos auf dem Promomaterial und den Websites der Events erkennbar ist, werden mehr und mehr auch Namensrechte für einzelne Bühnen, ganze Locations, Tourneen oder Festivals verkauft (ebd.). Mit seiner wachsenden Marktmacht koppelt sich der Livemusik-Markt zusehends vom Tonträger- und Content-Martk ab. Mehr noch, die neu entstandenen Konzerne nehmen zunehmend Einfluss auf die Künstler und greifen ins Management ein, eine Rolle, die vorher für die Plattenfirmen reserviert war. So wird versucht sogenannte 360 Grad Verträge mit den Künstlern zu verhandeln, die den Konzernen Einnahmen aus weiteren – im Extremfall aus allen – Geschäftsbereichen zusichern (Seliger, 2013, S. 65ff.). Ähnlich wie es früher bei Plattenfirmen üblich war, erhalten die Künstler eine Garantiesumme, binden sich dafür eine gewisse Zeit an den Konzern und treten Einnahmen aus Tourneen, Plattenverkäufen, Merchandise komplett ab. Prominente Beispiele, die Verträge mit Live Nation Entertainment eingingen sind U2, Jay-Z oder Madonna (Anderton et al., 2013, S. 144). Die großen Konzerne dominieren insbesondere den Markt der mittelgroßen und großen Musik-Events (ebd., 145). Sie besitzen die Organisatoren zahlreicher Festivals (vgl. etwa Seliger, 2013, S. 98ff.), die als »Goldgrube des Live-Markts« (ebd., S. 99) gelten und die Tourveranstalter großer Künstler. Nach wie vor existieren jedoch auch im mittleren und großen Konzertmarkt unabhängige Veranstalter, die national und vor allem regional und lokal tätig sind. Der finanziell weniger lukrative Industrie eingekauft (CTS Eventim hält die Mehrheit an zahlreichen bedeutenden Konzertagenturen in Deutschland und Europa) (vgl. ausführlich ebd., S. 71-102).
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»grassroots sector« (Anderton et al., 2013, S. 132f.) wird von enthusiasitschen DIYBookern und Musikern dominiert. Dieser Sektor der Kleinstkonzerte ist nach wie vor bedeutsam für die Musikindustrie, insbesondere für das Entdecken neuer potenzieller Stars (ebd., S. 145). In der digitalen Mediamorphose ergeben sich für Akteure in diesem Bereich insofern neue Möglichkeiten, dass Vernetzung und damit das Organisieren von Tourneen und Konzerten mit Hilfe der sozialen Medien heute deutlich einfacher ist als früher.
5.4 KONSEQUENZEN DER VERÄNDERTEN POPMUSIKÖKONOMIE Welche Folgen ergeben sich nun aus den skizzierten ökonomischen Veränderungen? Betrachtet man den Popmusikmarkt aus medienökonomischer Sicht ist zusätzlich zu den ohnehin schon starken Konzentrationsprozessen eine starke Medienkonvergenz im Sinne von vertikaler und diagonaler Konzentration zu verzeichnen. Es kommt zu einer »Zusammenführung einzelner Wertschöpfungsbereiche aus der Telekommunikations-, der Medien- und der Informationstechnologiebranche« (Wirtz, 2009, S. 44-45). Dies trifft auf den Inhaltemarkt genauso zu wie auf den Markt für Livemusik. Es geht den großen Konzernen nicht mehr nur um die Ausnutzung von economies of scale durch Massenproduktion, sondern vor allem um die Ausnutzung von economies of scope, also um Verbundeffekte und Synergien (Wall, 2013, S. 156ff.). Wall spricht von »metacommodities«, die von den Medien bereitgestellt werden (ebd., S. 155). Er meint damit den Kontext, in dem die Musik jeweils medial präsentiert wird, je mehr Reichweite, je mehr Aufmerksamkeit, desto besser. Da diese »metacommodities« gleichzeitig direkt und indirekt zu Umsatzund Gewinnsteigerungen führen können, wurde aus Unternehmenssicht die Akquise verschiedener Medienakteure sinnvoll (diagonale/laterale Konzentration), um die Präsentation und die Wertschöpfung des Produktes Popmusik auf allen Ebenen zu kontrollieren. Gute Beispiele dafür sind vor allem die Majors, die allesamt nicht allein Musik in ihrem Portfolio haben, sondern über Tochterfirmen oder die übergeordneten Eigner jeweils auch in anderen Medienbereichen aktiv sind und damit für die mediale Präsenz ihrer Popmusikprodukte sorgen können. Massenmedien wie Radio, Fernsehen und Zeitungen spielen dabei noch immer eine Rolle. Aber heute haben vor allem internetbasierte Medien, die nicht selten gleichzeitig Wertschöpfungskanäle sind, immense Bedeutung für die Reichweite und damit für die Sicht- und Hörbarkeit von Popmusik. Medienwirksame Diskussionen um die Präsenz im Angebot von Apple oder Spotify betrafen im vergangenen Jahrzehnt vor allem große, umsatzstarke Stars und Künstler wie Die Ärzte, Taylor Swift, Metallica, Herbert Grönemeyer,
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AC/DC, Rammstein oder The Beatles. Letztlich geht es dabei um die Aushandlung von Marktmacht und die Verhandlung von Konditionen zwischen Inhaltelieferanten und Rechteinhabern und den neuen digitalen Distributoren. Es scheint, als käme es dabei mehr und mehr zu Einigungen, denn die digitalen Anbieter können ihre Kataloge sukzessive erweitern und locken in Teilen mit exklusiven Inhalten (vgl. exemplarisch Digital Trends Staff, 2016; Preusser, 2016). Die totale Verfügbarkeit von Popmusik veränderte auch den Musikjournalismus. Plattenkritiken stellen heute keine poetisch-emotionale Verbindung zum nicht oder noch nicht verfügbaren Werk her, sondern regen an, auf einen Play-Button zu drücken und sich die Musik direkt anzuhören. »Die Review steht neben der Musik, ist ein Supplement, ein Double und als solches ziemlich unbestimmt. Sie vermischt sich mit Verkaufstexten und Social-Media-Geplapper.« (Waltz, 2015) 5.4.1 Durch die Digitalisierung induzierte Veränderungen des Popmusikmarktes Für den Kern der Musikindustrie war vor allem die durch die Digitalisierung erzeugte Beschleunigung und Vereinfachung der Verbreitung von Musik die bestimmende Neuerung. Nach Dolata (2008, S. 357) kam es dadurch zu einer dreifachen Veränderung: 1. Eine Veränderung der rechtlichen Grundlagen 2. Gravierende Verschiebungen in Produktion, Distributions- und Marktstrukturen 3. Substanzielle Veränderungen in den Akteurskonstellationen und Machtbezie-
hungen Rechtlich gesehen wurde das Copyright ausgehebelt. »Because of the small files’ size that comprises an MP3 popular music track, the mobility of songs without copyright permission was high.« (Brabazon, 2012, S. 194) Die Musikpiraterie, die in Form von überspielten Kassetten und gebrannten CDs bereits existierte, wurde dadurch immens erleichtert und ist seither nicht umsonst eines der zentralen ökonomischen Probleme der Tonträger- und Content-Industrie. Abwehrversuche mittels rechtlicher Schritte (vgl. Anderton et al., 2013, S. 174-177; Dolata, 2008, S. 350f.) und protektionistischer Technologie (Dolata, 2008, S. 351) waren nur mäßig erfolgreich und konnten die Entwicklung nicht aufhalten. Mit funktionalen Angeboten für Streaming und Musikdownloads wurde jedoch ein Weg gefunden, der auf die veränderten technologischen Bedinungen des Sektors und die neuen Wünsche der Kunden eingeht (Anderton et al., S. 179). Dies zeigt sich vor allem anhand des Erfolges neuer Services wie iTunes (vgl. Dolata, 2008, S. 354ff.) oder Spotify (Ruther-
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ford, 2016) und drückt sich in den wachsenden Umsatzzahlen digitaler Distribution insgesamt aus (IFPI, 2016a). Das ohnehin schon schwierige Musikgeschäft wurde besonders für die traditionellen Plattenfirmen noch schwieriger, denn sie taten sich aus verschiedenen Gründen schwer mit der Anpassung an die neuen Gegebenheiten (Dolata, 2008). Plattenfirmen mit ihren angeschlossenen Labels waren lange Zeit bestimmend für die Popmusikökonomie (vgl. Kapitel 5.3.1). Sie verbanden Technologie, Ökonomie und Nutzung, waren Intermediär zwischen Künstlern und Publikum. Im Idealfall taten sie das so kompetent, dass sie zu regelrechten Marken wurden und die Kunden wussten, was sie erwartete, wenn sie Musik von einem dieser Labels kauften. Das Verhältnis von Künstlern zu Labels war dabei zwar oft kritisch. Negus beschreibt das Verhalten der dominierenden Akteure im Musiksektor als »peculiar mixture of reckless abandon and cautious indecision« (Negus, 2005, S. 1). Jedoch stellten die Plattenfirmen eben genau die Werkzeuge – Technologie, Netzwerk, Marktmacht, Know-how – bereit, um Popmusik zu vermarkten und Künstler bekannt zu machen. Sie waren damit in einer zentralen Machtposition auf dem Musikmarkt, die sich durch Konzentrationsprozesse weiter festigte. Vor allem die großen Plattenfirman – die Majors – waren jedoch im Moment des zuvorderst technologisch induzierten »sektoralen Wandels« (Dolata, 2008, S. 358) nicht in der Lage angemessen zu reagieren. Sie waren zu träge, unterschätzten die technologischen Möglichkeiten und überschätzten gleichzeitig ihre eigene Macht. Dadurch fiel es ihnen insgesamt schwer sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen (ebd., S. 363). Kleinere Akteure von den »nichtkommerziellen Rändern des Sektors« (ebd., S. 364) und vor allem die Musikhörer waren da flexibler. »The record industry is in a paradoxical position. While the economics of record production give massive advantages to large-scale production, and provide corporations with substantial market power to control consumption, the culture of consumers is more dynamic and often purposely fickle.« (Wall, 2013, S. 151)
Als Folge sank die Marktmacht der Tonträger- und Content-Industrie insgesamt. Künstler und Fans nahmen dies zunächst als Befreiung wahr (vgl. Heuer, 2011, S. 82). Musiker konnten sich nun individuell vermarkten und ihre Alben selbständig über das Netz verkaufen ohne die trägen Plattenfirmen mitfinanzieren zu müssen. »Man hoffte auf die Demokratisierung der Kunst, auf einen Putsch gegen die großen Plattenlabels – und auf sprudelnde Gewinne.« (Schultz, 2010)
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5.4.2 Nichterfüllte Hoffnungen und neue Formen der Nutzung Bald jedoch war vom Internet als »Armenhaus für Musiker« (ebd.) die Rede. Denn erstens funktionieren Streaming und Musikdownloads als Distributionsmodelle anders als Tonträger. Bei gleicher verkaufter Menge wird deutlich weniger Gesamtumsatz generiert, weil ein Download-Song meist maximal einen Euro kostet, während ein Album mit acht bis zehn Songs vorher für deutlich über zehn Euro verkauft wurde. Für Streaming gibt es sogar noch erheblich weniger Geld (ebd.; Mulligan, 2016). Zweitens ist die von einigen Künstlern angestrebte Umgehung von Plattenlabels zwar möglich. Jeder kann heute theoretisch Vertrieb, Produktion und auch Marketing selbst in die Hand nehmen und selbst Musik im Netz anbieten (vgl. Heuer, 2011, S. 84f.). Dennoch hat sich das traditionelle Distributionsmodell des Sektors nur zum Teil verändert. »Auch der Verkauf digitaler Musikfiles erfolgt vornehmlich über darauf spezialisierte Zwischenhändler.« (Dolata, 2008, S. 365) Ebenso verhält es sich mit neuen Distributionsformen wie Streaming. Letztlich ist die einzige Veränderung, dass die Künstler oder deren Management mit neuen Akteuren verhandeln müssen. Denn die sinkende Marktmacht der etablierten Majors hinterließ eine Lücke, die von »etablierten sektorexternen Akteuren« (ebd., S. 364) wie Apple, Amazon und von neuen Anbietern wie Spotify gefüllt wurde. Mit diesen neuen Anbietern und ihren spezialisierten Plattformen veränderte sich drittens auch die Art der Musiknutzung und damit die des Musikverkaufs. So werden im Internet, anders als auf den Datenträgern des elektronischen Musikzeitalters, kleinste Nutzungseinheiten – einzelne Songs – zur Ware (pay per track). Wo früher noch Alben wegen einem oder zwei Songs gekauft wurden, ist dies heute nicht mehr nötig. Streaming ermöglicht über Werbefinanzierung gar kostenloses Hören, wenn die Nutzer zu einigen Einschränkungen bereit sind. Das fragmentierte Hören der Nutzer scheint dabei der bedeutendste Umbruch für die Ökonomie der Branche (Heuer, 2011, S. 86), die lange Zeit im Album ihr zentrales Produkt sah und in großen Teilen noch immer nach diesem altbewerten Muster verfährt. »Perhaps the biggest problem with streaming’s dissolution of the album is that the wider industry is still catching up with the concept. Artists still consider the album as their core creative construct, their novel. Similarly, labels still build P&Ls, marketing campaigns and their core business models around albums and album release schedules. There will long remain a market for albums, especially among core fan bases, as TIDAL’s exclusive album campaigns for Kanye West and Beyoncé reveal. But it is just that: a market, not the market anymore.« (Mulligan, 2016)
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5.4.3 Quantitätssteigerung, Individualisierung und der »Long Tail« – Angebote für die neue Flexibilität der Musiknutzung Die Popmusiknutzer sind da deutlich weiter. Aus ihrer Sicht bedeutet Digitalisierung vor allem, dass mehr Musik schneller und flexibler verfügbar ist. Mit einem Klick oder einer Sucheingabe kann heute mehr Musik als je zuvor gefunden und sofort angehört werden. Dennoch bleibt Popmusik ein Erfahrungsgut, es ist ein gewisser Zeitaufwand nötig, um sie beurteilen zu können. Um die steigende Menge an Musik zu bewältigen, sind daher neue Rezeptionsstrategien notwendig. Viele Menschen kommen heute nach wie vor über die altbekannten Zugänge mit Musik in Kontakt, also massenmedial – über Radio oder Fernsehen – oder über direkten Kontakt mit anderen, also im sozialen Austausch, beispielsweise über das Teilen von Musik. Für diesen Punkt haben soziale Medien eine herausgehobene Bedeutung. »In relation to popular music, social network sites provide an opportunity for performers to promote their music and activities, including new recordings, but also concerts and touring. Fans can get involved in this process, as well as ›meet‹ those interested in similar styles of music, to exchange information and debate opinions.« (Shuker, 2016, S. 192)
Viele Musikanbieter im Netz haben daher Funktionen für den kommunikativen Austausch integriert, die weit über das Verkaufen von Musik hinausgehen (ebd., S. 191). Bei Produzenten wie bei Konsumenten ist zudem eine Professionalisierung identifizierbar, die sich in der Bedienkompetenz zunehmend komplexerer Geräte und Software zeigt (vgl. Smudits, 2007a, S. 141). Die relativen Hürden des Zugangs zum Musikmarkt schwinden also, weil Technologien vereinfachten und ubiquitären Zugriff auf Inhalte ermöglichen. Popmusik wird dadurch auch transparenter, denn die Möglichkeit Musik im Internet vorzuhören ist nicht nur bei großen Onlinehändlern12 alltäglich, sondern das Netz ermöglicht über die Einbindung von Plattformen wie YouTube, Bandcamp oder Discogs auch hochspezialisierten Händlern13 oder Labels14 mit überschaubaren Ressourcen Vorschauwerkzeuge anzubie12 Beispielsweise Amazon (amazon.de), HHV (hhv.de), JPC (jpc.de) oder Deejay (deejay.de) 13 Der kleine Plattenversand Kernkrach ist spezialisiert auf Vinyl und Kassetten aus dem Synth, Wave und Post Punk-›Underground‹. Die einzelnen Angebote sind fast immer mit Verweisen zu YouTube-Videos ergänzt, wo sich der Kunde direkt einen Höreindruck verschaffen kann oder es gibt einen Link zur Plattform Discogs, die ihrerseits häufig YouTube-Videos verlinkt und weitere Informationen zur Veröffentlichung anbietet (vgl. Kernkrach.de).
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ten. Was in früheren Zeiten abseits der Radio- und Musikfernsehrotationen der großen Hits nur in ausgewählten Plattenläden möglich war, ist heute hochgradig individualisiert, zeit- und ortsunabhängig verfügbar. Die Unsicherheit beim Konsum des Erfahrungsgutes Popmusik wird dadurch beträchtlich reduziert. Die gestiegene individuelle Verfügbarkeit begünstigt eine beschleunigte Ausbreitung spezieller Musikstile und musikaffiner Moden und Ästhetiken. Es existieren immer mehr Kleinstlabels, die eine wachsende Zahl winziger Nischen bedienen. Individualisierung allerorten also. Angebote wie die Musikverkaufsplattform Bandcamp (vgl. auch Kapitel 7.3) bringen Übersicht in dieses Chaos und sind letztlich die Realisierung dessen, was Chris Anderson bereits 2004 prognostisch-analytisch mit den neuen Möglichkeiten am »Long Tail« zu verdienen, beschrieb (vgl. Anderson, 2004; 2006). Aufgrund deutlich geringerer Produktions- und Marketingkosten, die der Wegfall der Bindung von Musik an Tonträger und die Optionsvielfalt des Internets mit sich brachten, kann heute auch mit wenigen verkauften Einheiten Geld verdient werden. Gleichzeitig besteht aufgrund der Musikflut die Gefahr einer Banalisierung des Gegenstandes Popmusik. Letzteres trifft vor allem auf Musikaufnahmen zu. Sie erscheinen durch ihre Flüchtigkeit und einfache Verfügbarkeit als Dateien oder Stream heute tendenziell ökonomisch entwertet (Reinke, 2012, S. 18). Im Gegenzug lässt sich bereits eine Rückkehr der Physis in den Musikkonsum verzeichnen. Der Nischenboom von Vinyl – der ökonomisch bisher jedoch noch nicht allzu ernst zu nehmen ist (Rutherford, 2016) – vor allem aber das immense Wachstum der Livemusik-Industrie verdeutlichen dies. In Zeiten des Überflusses steigt die Nachfrage nach Qualität und Einzigartigkeit, genau das bieten Club-Events und Live-Erlebnisse. Damit kehrt sich das Verhältnis um und Popmusik als Musikaufnahme wird zum Werbemittel für andere Geschäftsbereiche, beispielsweise für Merchandising-Produkte, insbesondere aber für Livemusik. Zusammenfassend zeigt sich, dass die Digitalisierung für die Popmusikökonomie in vielen Bereichen immense Auswirkungen hatten und sowohl die Akteurskonstellationen als auch die Wertschöpfung insgesamt deutlich veränderte. Diese Transformationsprozesse sind noch nicht abgeschlossen, zeigen aber, wie anhand der Marktzahlen von Livemusik, physischen Verkäufen und digitaler Wertschöpfung (vgl. Kapitel 5.3) deutlich wird, dass neue Akteure mit anderen Distributionsmodellen den Markt eroberten. Aufgrund veränderter Kostenstrukturen kann heute theoretisch auch mit kleineren Absatzmengen Geld verdient werden. Demgegen14 Spezialisierte, kleine Labels wie Aufnahme+Wiedergabe (aufnahmeundwiedergabe.bandcamp.com), Domestica (domestica.bandcamp.com) oder Oraculo (oraculorecords.bandcamp.com) nutzen, mal zusätzlich zur eigenen Seite, mal ausschließlich, häufig den Service der Plattform Bandcamp (vgl. auch Kapitel 7.3), die Vorhören per Audiostream ermöglicht.
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über steht ein immenses Angebotswachstum und vor allem die schier endlose Verfügbarkeit von Musikaufnahmen. Damit wird es für einzelne Künstler und Labels schwer, die nötige Aufmerksamkeit zu generieren. Akteure wie die Massenmedien und Internetplatformen sind daher bedeutend um Popmusik eine Plattform zu geben und sie sichtbar zu machen. Letztlich sind die Hauptveränderungen jedoch nicht bei Plattenfirmen oder Medien zu suchen, sondern in den Konsum- und Aneignungspraxen und –kulturen der Fans. Sie finden im Internet neue Angebote, die keine Wiederholung der traditionellen Modelle sind (vgl. auch Wall, 2013, S. 150f.). Diese reichen von Downloadplattformen (Amazon, iTunes, aber auch Blogs) über verschiedene Onlineradioformate (Pandora, Last FM, Byte FM) und Streaming Services (Spotify, Deezer, Apple Music) bis hin zu digitalen Musikarchiven (Discogs), sozialen Musiknetzwerken (Bandcamp) und Mischformen aus all diesen. Einige dieser Formen werden in den Fallbeispielen in Kapitel 7 ausführlicher betrachtet.
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Zwischenfazit – Veränderungen in der Bedeutung und Nutzung von Popmusik
Die Ausgangsthese der Arbeit lautete:
Prozesse der Digitalisierung und die damit verbundenen Veränderungen der Aneignungsweisen haben Popmusik auf unterschiedlichen Ebenen stark verändert. Damit veränderten sich auch Bedeutungszuschreibungen an Popmusik.
Wie gezeigt wurde, hat sich Popmusik selbst zunächst stark verändert. Der Schritt von der exklusiven situativen und persönlichen Übertragung bei Liveaufführungen hin zur Verschriftlichung machte Musik zunächst mobil aber auch archivierbar und damit überhaupt erst analyse- und diskursfähig. Später erlaubten es die Möglichkeiten des Industrie- und Elektronikzeitalters Musikstücke auch in ihrer akustischen Form aufzuzeichnen und (theoretisch) unendlich oft abzuspielen. So wurde der Zugang zu Musik demokratisiert. Jeder (in der westlichen Welt) konnte – in gewissem Maße abhängig von Interesse, ökonomischer Ausstattung und Talent – Sammler, Kritiker, Fan oder Musiker werden. Popmusik ist das Ergebnis dieser Vorgänge und besteht daher noch heute aus Musik und den um sie herum geschaffenen Kontexten. Zu diesen Kontexten gehören neben den kommunikativ verhandelten Bedeutungen vor allem Technologie und Ökonomie. Es entwickelte sich ein wachsender Markt für die unterschiedlichen Warentypen, die auf Popmusik basieren. Die Digitalisierung schließlich vermochte es, Kontexte, Popmusiknutzer und die Popmusik selbst entscheidend zu verändern. Ausgehend von technologischen Veränderungen, die das verlustfreie und später – mit Hilfe des Internets und verschiedener Datenkomprimierungsverfahren – das nahezu unbegrenzte Tauschen, Speichern, Archivieren und Beziehen von Popmusik möglich machten. Kam es zu Umwälzungen auf der ökonomischen Ebene und letztlich auch auf der Ebene der Aneignung und Bedeutungsverhandlung von Popmusik (vgl. Abbildung 5).
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Abbildung 5: Wie die Digitalisierung die Bedeutung von Popmusik verändert
Quelle: eigene Darstellung
Viele Veränderungen, die die Digitalisierung für die Aneignung von Popmusik mit sich brachte sind bereits angeklungen. Bevor einigen dieser Veränderungen anhand von fünf Fallbeispielen im Detail nachgegangen werden soll, werden die für die Bedeutung von Popmusik zentralen Begriffe noch einmal eingeordnet. Zunächst ist dies die Digitalisierung selbst, die gewissermaßen die technologische Grundlage für Veränderungen der Popmusik bildet, als globales Phänomen jedoch weit über die Technologie selbst hinausweist. Ein zweiter bedeutender Begriff ist jener der Aneignung. Es ist der Vorgang, bei dem individuelle Bedeutungszuweisungen an Popmusik entstehen. Dies geschieht stets in Abhängigkeit von zahlreichen Kontextvariablen. Diese werden von der Popmusik bereitgestellt, sie sind aber auch in der Rezeptionssituation selbst zu finden. Popmusikalische Aneignung beruht auf individuellen Kontextualisierungsleistungen, auf dem Einpassen von Popmusik und ihrer Metatexte in spezifische situative und langfristige Lebenszusammenhänge. Diese Kontextualisierungsleistungen sollen hier noch einmal einem gesellschaftlichen Kontextualisierungsbegriff samt seiner Mutationen und Kontradiktionen – De-Kontextualisierung, Ent-Kontextualisierung und vor allem Re-Kontextualisierung – gegenübergestellt werden, da sich hierin ein möglicher Schlüssel für die gesellschaftlichen Bedeutungsaushandlungen von Popmusik verbirgt. Schließlich soll der Begriff der Bedeutung noch anhand verschiedener, die Popmusik berührende Wertbegriffe – ökonomisch, ästhetisch, sozial – präzisiert wer-
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den, um damit die Idee eines individuellen und gesellschaftlichen Wertes von Popmusik zu verfolgen.
6.1 DIGITALISIERUNG Wie gesehen bedeutet Digitalisierung technisch gesprochen eine Veränderung in der Repräsentation von Daten. Aus analogen Größen werden digitale Größen. Das bedeutete für die Popmusik insbesondere: Das schnelle Erstellen exakter Kopien wird ebenso Normalität wie die Mobilität von Musik, die von Verfahren der Datenreduktion einer Zunahme der Rechenleistung und Speicherkapazitäten profitierte. Während dieser Text entsteht, hat die Digitalisierung nicht nur die Popmusik, sondern die ganze Welt vollumfänglich erfasst und verändert. Beck (2016) spricht von einer digitalen (Neu-)Konstruktion der Welt, die nicht weniger als einen »Copernicanian Turn 2.0« (Beck, 2016, S. 134) bedeutet, also eine grundlegende Veränderung aller Lebensbereiche, so grundlegend wie einst die Einsicht in die Sonnen-Planetenkonstellation das Weltgeschehen veränderte. Die von ihm diagnostizierte Metamorphose geht dabei soweit, grundlegende soziologische Konzepte zu überformen. Die Digitalisierung ist ein grundlegender Teil dieser Metamorphose. Sie verändert, so Beck, Sozialisations- und auch Generationen-konzepte vollständig (ebd., S. 188). Demnach sind es aktuell nicht mehr (politische) Handlungen, die Generationen prägen, sondern die Digitalisierung selbst, beispielsweise in Form der Nutzung von Smartphones, wodurch sich Kommunikationsprozesse, das Zusammenleben und das Aufwachsen vollständig wandeln. Ähnliches meint Friedrich Krotz, wenn er von Mediatisierung spricht (Krotz, 2001) und auch Prozesse der Techniksozialisation sind davon insofern betroffen, dass die althergebrachte Ordnung zwischen Alt und Jung nicht mehr zu funktionieren scheint. »Of course, there are still fields in which parents know better. But there are increasingly fields in which this is no longer the case – in fact, in which the roles are reversed: the younger generation turns into the teacher of the older, showing the elderly the way forward.« (Beck, 2016, S. 189)
Statt der klassischen unidirektionalen Beziehung zwischen alten Lehrmeistern und jungen Lehrlingen spricht man heute daher beim Umgang mit Technologie häufig von wechselseitigen Sozialisationsprozessen (vgl. Tully, 2003, S. 159). Es ist daher wenig überraschend, dass die Digitalisierung in Form von zeitlicher und räumlicher Entgrenzung auch auf die Verfasstheit des Mediums und Alltagsgegenstandes Popmusik immense Auswirkungen hat. Sie konfrontiert sowohl die Musikindustrie als auch die Rezipienten mit zahlreichen neuen Optionen und den ent-
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sprechenden Adaptionsschwierigkeiten (vgl. Anderton et al., 2013, S. 19-20). Deutlich wird dies an neuen Zugängen zur Musik ebenso wie an neuen Nutzungs- und Herstellungsweisen, wie sie in der Folge (Kapitel 7) anhand ausgewählter Beispiele beschrieben werden sollen.
6.2 ANEIGNUNG UND (DE-, ENT- UND RE-)KONTEXTUALISIERUNG Aneignung ist ein zentrales Konzept für das Verständnis der Funktionsweise von Popmusik. Als Medienaneignung steht der Begriff für die aktive Auseinandersetzung mit Popmusik und ihrer medialen Kontexte. Diese werden über Kontextualisierungsleistungen in den Alltag integriert. Kontextualisierung meint dabei das Einbetten der individuellen Gebrauchsmodi von Popmusik in die Lebenswelt. Zudem stehen Rekontextualisierungsleistungen im Zentrum des Gebrauchs und der Entwicklung von Popmusik. Durch Rekontextualisierungen werden vorhandene Zeichenvorräte in ihren Bedeutungen verändert und neu zusammengesetzt (Bricolage). Damit erschafft sich Popmusik immer wieder neu. Rekontextualisierung hilft Nutzern, Popmusik zu verstehen oder vielmehr, eine subjektive Sicht auf sie zu generieren. Denn was für den einen hart klingt, ist für den anderen normal, was für manche tanzbar ist, muss es für andere noch lange nicht sein und traurige Musik wird nicht von allen als traurig empfunden. Der für alle offene Prozess der Rekontextualisierung sorgt letztlich auch dafür, dass Popmusik überlebt und sich weiterentwickelt. Denn nur so wird immer wieder Anschlussfähigkeit hergestellt, auch für Musik, die aus der Zeit gefallen, gewissermaßen dekontextualisiert erscheint. Coverversionen, Remixe und Retrowellen helfen der Popmusik hier immer wieder, nicht nur aus Altem Neues zu generieren, sondern sie sorgen auch für Einbettungsund Rückbettungssignale an verschiedene Altersgruppen. Dekontextualisierung ist dabei eine der zentralen Möglichkeiten, Popmusik diesen neuen Verwendungszwecken und Aneignungsmodi zuzuführen. Aus soziologischer Sicht ist Dekontextualisierung zunächst stets negativ konnotiert. Es geht um das Fremdwerden bestimmter Dinge, um das Verlieren des Kontaktes zum (vermeintlich) echten Leben. Giddens (1999) nutzt die Begriffe »Entbettung« (S. 33ff.) der »Dislozierung« (S. 174ff.), um auf die Entfremdung von Mensch, Ort und Zeit aufmerksam zu machen. Rosa nennt dieses Phänomen »De-Kontextuierung« (Rosa, 2005, S. 385). Im Kern geht es um Abkoppelungsprozesse und Bedeutungsverluste, die das Ergebnis von Optionszunahmen (vgl. auch Gross, 1994) und Deregulierung in unserer fluiden Moderne sind (vgl. Bauman, 2012, S. 29). Faßler (1997) dagegen sieht den Begriff aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht deutlich neutraler. Er bezeichnet mit »Entkontextualisierung […] eine Form der Vermittlung, die dann
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einsetzt, wenn ein Austauschprozess nicht mehr zeit- und raumeinheitlich stattfinden kann« (Faßler, 1997, S. 67). Anstatt diesen Begriff »[i]n die Nähe von Trennung, Verselbständigung, von Fremde, von Unzulänglichem« (ebd., S. 66-67) zu rücken, sieht er, darin eine notwendige Voraussetzung für so wichtige Prozesse wie Reflexion und Abstraktion (ebd., S. 67f.), ohne die Kommunikation letztlich unmöglich wäre. Er beschreibt genauer drei Ebenen: • Die Bezeichnung und Benennung, die in der konkreten Situation erlaubt, auf an-
deres, evtl. Vergleichbares zu verweisen • Die Abstraktion von der Materialität und Zeitlichkeit des Bezeichneten und die Verallgemeinerung der Zeichenordnung jenseits der Zeit- und Prozeß-Bindung • Die Verselbständigung der Zeichen-Ordnung gegenüber dem Herkunftsmilieu und der individuellen Entschlüsselung (ebd., S. 65-66) Entkontextualisierung heißt also Abstraktion, »Entlastung der Bezeichnungen von ihrem konkreten Verwendungsdruck« (ebd., S. 66) und ist damit nachgerade die Voraussetzung für Kommunikation, die, wenn sie gelungen sein soll, eine Rekontextualisierungsleistung erfordert. Diese Rekontextualisierungsleistungen werden auf dem Gebiet der Popmusik auf zwei Ebenen besonders sichtbar. Einmal im oben bereits beschriebenen klassischen Sinne der Aufnahme, Verarbeitung und Veränderung von Zeichen und Symbolen, also in der Produktion immer wieder neuer popmusikalischer Bedeutungen. Zweitens sind die veränderten Aneignungsweisen von Popmusik auch in einem makrosoziologischen Sinne als Reaktion auf die mittels Digitalisierung herbeigeführten Entfremdungsvorgänge verstehbar. Livekonzerte und die stärkere Nachfrage nach Vinyl können somit als Symptome eines ungebrochenen Wunsches nach physischen Erfahrungen der Menschen gelesen werde. Entkontextualisierung ist bei weitem nichts Neues, auch wenn das Aufkommen elektronischer und digitaler Medien und Kommunikationstechnologien ein neues Licht auf diesen Prozess wirft. Entscheidend ist letztlich, wie Entkontextualisiertes wieder zusammengefügt werden kann. Popmusik bietet hierfür Freiräume und Ansatzpunkte. Über sie kann (Re-)Kontextualisierung als »individuelle[r] kreative[r] Akt der Aneignung von Technik« (Tully, 2004, S. 37) und weiteren sie berührende Ebenen neu gedacht werden.
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6.3 DER WERT VON POPMUSIK Im Bereich der Musikindustrie wird die Wertigkeit von Musik anhand der ökonomischen Potenziale gemessen, doch dies ist nur eine sehr eingeschränkte Perspektive auf den Wertbegriff. Daniel Reinke (2012) beschäftigt sich intensiver mit dem Wert von Musik und kommt zu dem Schluss, »dass allein eine ökonomische Betrachtung für die Feststellung von Wertschätzung nicht ausreicht« (Reinke, 2012, S. 19). Er nennt »Zahlungsbereitschaft« als Ausdruck ökonomischer Wertschätzung und »Beschäftigungsbereitschaft« als Ausdruck kultureller Wertschätzung (ebd., S. 20) als Bewertungsfaktoren. Während der ökonomische Wert anhand von Kennzahlen messbar ist, gilt dies nicht für den kulturellen Wert. Er ist ein »multidimensionales Konstrukt«, das weit über die Ware Musik hinausgeht (ebd., S. 20f.) und sich in Tim Walls drei, für die Bedeutung von Musik, essentiellen Bereichen wiederfindet: die Aufführung, der Metatext und das Genre (Wall, 2013, S. 184). 6.3.1 Bedeutung und ästhetischer Wert Es geht also bei der Feststellung des Wertes von Popmusk bei weitem nicht ausschließlich um den ökonomischen Wert, sondern vielmehr um den hier immer wieder zur Seite gestellten Begriff der Bedeutung. Bedeutung ist ein subjektives Konzept, das nur situativ auf einen bestimmten Gegenstand bezogen verstanden werden kann. Popmusik kann so ein Bedeutungsträger sein (ebd., S. 184ff.). Bedeutung kann durchaus intersubjektiv teilbare – und somit messbare – Komponenten beinhalten. Häufig wird Dingen eine gewisse Bedeutung zugeschrieben, wenn sie eine gewisse Größe, ein gewisses Ausmaß oder eine gewisse Verbreitung erreicht haben. Genauer hingeschaut, handelt es sich dabei um ein demokratisches Prinzip in den jeweiligen Referenzsystemen. Parteien mit mehr Wählern sind bedeutender als solche mit wenigen. Staaten mit vielen Einwohnern sind bedeutender als solche mit wenigen. Konzerne mit mehr Umsatz sind bedeutender als solche mit geringem. Im Medienbereich sind Auflage, Einschaltquoten, Verkäufe oder Klicks die Währung, in der nicht nur (ökonomischer) Erfolg, sondern oft auch Bedeutung gemessen wird. Ganz so simpel funktioniert die Welt jedoch nicht. Die Bedeutung von Popmusik kann sich auch in subjektiv empfundener Wichtigkeit, Nützlichkeit oder Anerkennung ausdrücken. Nicht selten wird sie vor allem wenn es um die Bedeutung von Künstlern und deren Werken geht, retrospektiv verhandelt. So gelten gerade in der Popmusik viele Bands als sehr bedeutend, die gar nicht so viele Platten verkauft haben, nur kurze Zeit existierten oder deren Konzerten nur sehr wenige Menschen beiwohtnen. Beispielsweise beeinflussten die Sex Pistols trotz ihrer äußerst kurzen Bestehenszeit von nur knapp zweieinhalb Jahren und trotz
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ihres sehr überschaubaren Oeuvres von nur vier Singles und einem Studioalbum das Image von Punk nach innen wie nach außen nachhaltig.1 Ein bekanntes Beispiel für hochgradig einflussreiche, aber zu ihrer Zeit kaum erfolgreiche Künstler, ist die Band The Velvet Underground. Gegründet 1965 in New York, galt sie eine Zeit lang als Hausband von Andy Warhol. Die Mitglieder residierten und probten in Warhols berühmter Factory, hatten jedoch nie wirklich kommerziellen Erfolg bei einem breiteren Publikum. Dennoch gelten sie gerade für alternative Musik jenseits von Soul, Metal, Psychedelia und Rock’n’Roll als äußerst bedeutsam (vgl. auch Reynolds, 2005, S. xxi).2 Diese zwei Beispiele illustrieren, dass Bedeutung in der Popmusik keinesfalls nur eine quantitative Komponente hat. Stattdessen kann die subjektive Bedeutung, die einzelne Bands, Künstler, deren Werke oder Auftritte entfalten, großen Einfluss auf die Werke nachfolgender Künstler und die Berichterstattung von Kritikern ausüben und sich mittels medial überformter pophistorischer Aneignungspraktiken im Laufe der Zeit verstärken. Klar ist, die Bedeutung von Popmusik geht über die reine Textebene und die dort getroffenen Aussagen, beziehungsweise die darin enthaltenen Tonfolgen, hinaus. Vielmehr geht es um die Erzeugung von Gefühlen, das Knüpfen von Verbindungen, das Erinnern an bestimmte Ereignisse, Orte oder Begegnungen mit anderen (Frith, 1996, S. 221f.; Wall, 2013, S. 185). Auch Simon Frith (1987a) stellt die Frage nach dem Wert von Popmusik. Er arbeitet sich dabei am Begriff der Authentizität ab, der sich seit dem 19. Jahrhundert als entscheidendes Bewertungskriterium 1
Einfaches Songwriting, wenig musikhandwerkliches Know-how, Pöbeleien statt Interviews und anarchische PR-Aktionen, wie das Konzert am 7. Juni 1977 zum Thronjubiläum der Queen auf der Themse, wurden zum Markenzeichen der Band und fanden Nachahmer und Bewunderer weit über Großbritannien hinaus. Noch extremer ist die Geschichte eines der Bandmitglieder: Sid Vicious. Er stieß erst anfang 1977 zur Band und war nicht einmal ein Jahr lang Mitglied, dennoch vereint er als Popkulturikone heute alles auf sich, was Punk ausmacht. Wie viele andere Musikheroen auch wurde er nach seinem, durch eine Überdosis Heroin herbeigeführten, Tod zusätzlich überhöht. Sein Verhalten, seine Ausdrucksweise, sein Dilettantismus wurden zur Blaupause für viele Punk- und Protestmusiker nach ihm, sein Kleidungsstil und seine Haartracht werden noch immer von Anhängern der Punk-Subkultur kopiert.
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So gilt David Bowie als großer Verehrer des Schaffens der Band. Inspiriert durch Lou Reed, John Cale, Sterling Morrison und Maureen Tucker beschloss er selbst Musiker zu werden. In der Folge wurde Bowie einer der erfolgreichsten und reichsten Künstler der Popgeschichte und arbeitete unter anderem auch nach der Auflösung von The Velvet Underground mit Lou Reed zusammen und produzierte dessen Soloalbum ›Transformer‹ (1972). Auch mit John Cale gab es Ende der 1970er Jahre ein kurzes Zusammentreffen für ein Live-Konzert.
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für kulturelle und künstlerische Arbeiten etabliert hat (vgl. Machin, 2010, S. 14f.). Für Popmusik gilt Authentizität als zentrale Beurteilungskategorie, die nicht selten das Handwerkliche oder die Innovativität als Kriterium überstimmt. »Even music that is clearly predictable can be thought of as being from the heart if it is the right genre. I have sat in blues bars where the musicians looked and sounded like a cliche of blues. Yet from the facial expressions, movements and responses of the punters it was clear that they were witnessing music from the heart and certainly nothing contrived.« (Ebd., S. 16)
An dieser Stelle werden Anklänge an das Unterhaltungskonzept des Suspension of Disbelief (Bates & Ferri, 2010, S. 7) erkennbar. Um den Moment und die Atmosphäre nicht zu zerstören, sieht das Publikum bis zu einem gewissen Grad über unglaubwürdige Klischees hinweg und wendet sich den Kontextvariablen zu, die glaubhaft und positiv erscheinen und damit auf den gesamten Auftritt und letztlich auf die Beurteilung der Musik ausstrahlen. Dies kann theoretisch bei jeder Art von Musik funktionieren und erklärt zu einem gewissen Teil, warum beispielsweise Schlager und Volksmusik, die nach wie vor in vielen Fällen sehr offensichtlich mit Playback arbeiten, als Musik funktionieren. Authentizität ist demnach keine objektive Kategorie. Für eine neutrale Beurteilung von Popmusik hilft das Konzept der Authentizität deshalb nicht weiter (vgl. Frith, 1987a, S. 137). Verdeutlichen lässt sich dies anhand der völlig unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen bei verschiedenen Formen von Popmusik. Beispielsweise ist das Konzept des Interpreten im Bereich klassischer Musik, aber auch im Jazz und im Folk völlig normal. Authentizität wird hier aus der möglichst emotionalen, besonderen oder technisch perfekten Interpretation erlangt. Bei Boybands hingegen gilt gerade das Merkmal, dass sie nicht selbst Musik schreiben als Ausweis der Nichtauthentizität (vgl. Machin, 2010, S. 17f.). Frith schlägt zur Beurteilung der Wertigkeit von Popmusik daher einen alternativen Ansatz vor: »The question we should be asking is not what does popular music reveal about ›the people‹ but how does it construct them?« (Frith, 1987a, S. 137) Authentizität sieht er als völlig missverstandenen und auf die falsche Fährte führenden Begriff, wenn es um die Frage nach der Bewertung von Popmusik geht. Es geht nicht darum, wie authentisch oder wahrhaftig Popmusik irgendetwas beschreibt oder ausdrückt, sondern wie Popmusik etwas erschafft und eröffnet, etwas Eigenes kreiert. Diese Kreation von Bedeutungen erfolgt in der Popmusik zu großen Teilen medial und retrospektiv. Sie wird gewissermaßen permanent im Publikum verhandelt. Malcolm Chapman (1996) zeigt dies am Beispiel von Folk3, der als 3
Chapman nutzt den Begriff Celtic Folk, der im Gegensatz zum im deutschen Sprachraum sehr populären Begriff Irish Folk umfassend für die aus verschiedenen (keltischen) Traditionen hervogegangene Musik steht. Insbesondere zählen dazu neben irischen auch schottische, walisische und englische Folksongs.
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besonders authentisch gilt, jedoch gezwungenermaßen ganz anders klingt als vor hunderten von Jahren, beispielsweise, weil bestimmte Instrumente, die heute romantisch verklärt werden, damals noch gar nicht existierten. »Also the idea of ›traditional‹ Celtic instruments is equally fictious. The three-drone bagpipe is a relatively new invention, yet it is now internationally accepted as an authentic Celtic sound that speaks of ancient times and people of the land.« (Machin, 2010, S. 16) Celtic Folk hat aus einer romantisch verklärten Sicht auf Altes und Vergangenes etwas Neues, Eigenes und mit Gefühlen und erfundenen Erinnerungen Aufgeladenes geschaffen. So wurde diese Musik zum Erfolgreichen Genre. »[S]uccessful pop music is music which defines its own aesthetic standard.« (Frith, 1987a, S. 137) Die Bedeutung von Popmusik ergibt sich also durchaus aus ihrer spezifischen Ästhetik. Diese jedoch ist kaum objektivierbar. Passend dazu geht bereits der tschechische Musikwissenschaftler Vladimir Karbusicky (1975) von der Neutralität der Musik aus. Ihr ästhetischer Wert erschließt sich immer erst in der Beziehung zur Person, die mit ihr umgeht. 6.3.2 Sozialer Wert Die Bedeutung oder der Wert von Popmusik ist demnach eine soziale Zuschreibung. Ökonomisch funktioniert der Wert kaum anders. »Wenn wir in der Ökonomie vom Wert einer Sache sprechen, meinen wir damit die Zuschreibung eines Wertes, die von der Gemeinschaft geteilt werden muss, um zuzutreffen. Das ist die Bedeutung des Preises einer Sache.« (Crawford, 2016, S. 227) Anhand eines Beispiels verdeutlich Crawford, dass dieser Wert, beispielsweise der ökonomische Wert einer verrichteten Arbeit, immer auch abhängig von Bestätigung und Feedback ist (ebd., S. 227ff.). Der Wert entsteht zwar ökonomisch aus Angebot und Nachfrage, aber eben auch sozial, weil es eine gewisse gesellschaftliche Zustimmung für die Bemessung dieses Wertes gibt. Weil wir uns einig darüber sind, dass Geld ein angemessenes Tauschmittel ist und wieviel Geld im Einzelfall angemessen ist. Der persönliche Wert, den Popmusik, aber auch andere Dinge für uns haben, ist ökonomisch daher nicht final messbar. Vielmehr ergibt er sich aus der Beziehungsleistung, aus der Art und Weise, wie wir uns die Objekte anverwandeln (vgl. ausführlich Rosa, 2016, S. 420ff.). »Resonanz ist kein rechtliches oder ökonomisches Besitzverhältnis.« (Ebd., S. 433) Diese Objekte müssen verfügbar sein. Das ist die Voraussetzung und letztlich die Funktion der Musikindustrie: das Verfügbarmachen von Popmusik. Die Beurteilung des Wertes von Popmusik erfolgt auf der individuellen Ebene über den Geschmack. Das heißt, wir bewerten Musik, die wir mögen und ordnen ihr eine Bedeutung zu. Aber wir bewerten auch diejenige Popmusik, die wir nicht mögen (vgl. auch Frith, 2002, S. 21f.). »Of course, we also hold views on the value and meaning of music we do not like.« (Wall, 2013, S. 171) Solcherlei
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Bewertungen können heute aufgrund der wachsenden Verfügbarkeit von Popmusik – wachsendes Angebot, aber auch vereinfachter Zugang – nicht mehr allumfassend für jede Musik durchgeführt werden. Popmusikgenres und Popmusikstars sind hier Vehikel für die Musikindustrie und Projektionsfolien, aber auch Anker für die Popmusiknutzer. An ihnen wird im Abgleich mit den Kontexten, in denen Popmusik angeboten wird, Bedeutung ausgehandelt. »Musicians and music consumers do not arbitrarily choose to play or like one type of music over another. Nor is it just a matter of individual preference. The music we like is a significant expression of what is available to us and what we make it mean.« (Ebd., 2013, S. 48)
Aus dieser persönlichen und individuellen Wertschätzung können sich dann gesellschaftliche und politische Bedeutungszuschreibungen ableiten, die vor allem retrospektiv wirksam werden. Von den musikinspirierten Jugendkulturen der Nachkriegsgesellschaft über den befreienden Geist des Civil Rights Movement in den USA und der sogenannten Achtundsechziger in Deutschland und Teilen Europas bis hin zum Feminismus in den 1970ern oder der Friedensbewegung in den 1980ern spielt Popmusik auch gesellschaftlich eine gewisse Rolle. Durch die Digitalisierung, so eine häufige Argumentation, wird Popmusik nun tendenziell entwertet. Dem Mehr an Musikproduktionen durch zunehmend beherrschbare und prozessvereinfachende Aufnahme- und Distributionstechnologien auf der einen stehen weniger Musikkäufer auf der anderen Seite gegenüber (Platzgumer & Neidhart, 2012, S. 113f.). »Wir alle sind überfordert mit hunderttausend neuen Releases pro Jahr, von denen kaum einer wirklich neu ist. Wenn mich irgendeine Musik interessiert, so habe ich sie sofort auf meiner Festplatte und bilde mir eine schnelle Meinung darüber. Superpraktisch, nur schenke ich ihr dementsprechend wenig Aufmerksamkeit, gönne ihr gerade soviel Zeit, wie ihr Download dauert.« (Ebd., S. 114)
Neue Technologien, so die hier – und auch an anderen Stellen (vgl. etwa Crawford, 2016) – vertretene These, führen automatisch zu reduzierter Aufmerksamkeit und eben diese Aufmerksamkeit scheint Ausdruck des Wertes zu sein, den wir einer Sache zuweisen. »Die Frage, auf welche Dinge wir unsere Aufmerksamkeit richten sollten, ist durchaus eine Frage danach, welchen Dingen wir Wert beimessen […].« (Ebd., S. 17) Ob die zunehmend begrenzte Aufmerksamkeit, die einzelne Popmusikstücke erfahren, jedoch wirklich zu einer völligen Entwertung führt oder ob die vom »Aufkommen neuer Verwendungen« (Stahl, 2009, S. 326f.) begleitete Digitalisierung nicht einfach nur neue Umgangs- und Aneignungsformen zeitigt, die anders funktionieren, soll anhand der Beispiele nun untersucht werden. Eines ist klar:
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Die Modi der Musiknutzung haben sich durch die wechselseitige Erzeugung neuer technologischer Optionen und sozialer Bedürfnisse, verändert und ausdifferenziert. »Auch an Popkultur bildeten sich gekreuzte Rezeptionsmuster heraus, die sich als unterschiedlich starke Doppelnutzungen fortschrieben. Damit waren selektive Entnahmen verbunden, die über die Abgleiche mit den eigenen lebensweltlichen Erfahrungen in diesen Umwelten als Umkodierungen eingefügt wurden.« (Ebd., S. 327)
Was Stahl hier für den Rundfunk der 1960er und 1970er Jahre feststellt, gilt ebenso für die Digitalisierung des Musikkonsums. Technologien in Form von mobilen Angeboten für Musik, großen Onlinearchiven und Formen wie Streaming oder Download schufen und schaffen die Möglichkeiten für neue soziale Bewertungsstrategien von Popmusik.
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Fallbeispiele
Soziotechnische, ökonomische und musikkulturelle Implikationen
Die Frage, inwiefern sich die Wertigkeit von Popmusik in den letzten Jahrzehnten geändert hat, lässt sich nur beantworten, wenn sowohl technologische als auch ökonomische und soziale Komponenten mitgedacht werden. Alle drei spielen eine zentrale Rolle bei der Aneignung von Medien und also auch bei der Aneignung von Popmusik. Anhand von fünf Fallbeispielen soll dies in der Folge veranschaulicht werden. Bei allen werden soziotechnische Veränderungen – insbesondere die in Folge der Digitalisierung auftretenden veränderten Zugangsweisen –, ökonomische Implikationen und schließlich die sich daraus ergebenden musikkulturellen Neuerungen und Veränderungen herausgearbeitet. Die Beispiele zeigen exemplarisch Entwicklungen auf, wie sie die Popmusiklandschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts prägen. Damit sind nicht alle Veränderungen erschöpfend beschrieben, aber es zeigt sich, wie Einzelphänomene – seien es technologische Innovationen, neue Geschäftsmodelle oder besondere Formen der Aneignung – den Umgang mit und die Wertigkeit von Popmusik beeinflussen und damit deren Bedeutung verändern. Grundlegend ergeben sich dabei Hinweise darauf, dass sich der Alltagsgegenstand Popmusik anhand der großen gesellschaftlichen und soziologisch ausformulierten Metaentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte beschreiben lässt; unter anderem entlang von Globalisierung (Giddens, 1999), Metamorphose (Beck, 2016), Multioptionalität (Gross, 1994), Beschleunigung (Rosa, 2005), Fluidität (Bauman, 2012), Reflexivität und Individualisirung (Beck, 1993), Mobilität (Tully & Baier, 2006). Allerdings wird ebenfalls deutlich, dass Popmusik im Gegensatz zu anderen Medienformen Besonderheiten aufweist, die den Umgang mit ihr stellenweise geradezu anachronistisch erscheinen lassen.
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7.1 FALLBEISPIEL 1: MP3 Das wohl prominenteste und grundlegendste Beispiel für die Veränderung der Popmusiklandschaft durch die Digitalisierung ist die Erfindung und Etablierung des MP3-Standards als wichtigstes digitales Format für Musikdateien. »For consumers, MP3 enabled access to a great variety of music, and they can selectively compile their own collections of songs by combining various tracks without having to download entire albums. For artists, MP3 meant they could distribute their music to a global audience without the mediation of the established music industry. Yet MP3 also raised concerns about potential loss of income and led to heated debates around copyright and access.« (Shuker, 2016, S. 36)
Aus techniksoziologischer Sicht kann man von einem zentralen Moment der digitalen Mediamorphose (Smudits, 2002) sprechen. Auch wenn das digitale Fundament bereits mit der 1980 erstmals präsentierten und 1982 in den Musikmarkt eingeführten CD gelegt wurde, war es das MP3-Format, das letztlich die Digitalisierung vollendete, weil es durch die Reduzierung von Speicherbedarf gemeinsam mit anderen technischen Innovationen1 eine Loslösung der Musik von Tonträgern bewirkte. Als entscheidender Zeitraum für diese Veränderung kann die Zweijahresspanne zwischen Mitte 1998 und Mitte 2000 identifiziert werden. Damals etablierte sich nicht nur das MP3-Format selbst, auch erste Anwendungen wie Tauschbörsen, insbesondere Napster (vgl. auch Kapitel 4.3.2), und Onlineshops für Musik öffneten. Zudem kam es zu Veränderungen in der Rechtsprechung. Insbesondere der Digital Millenium Copyright Act in den USA, der ab 1998 eine Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen ermöglichte, spielt hier eine wichtige Rolle (vgl. Bhattacharjee, Gopal, Lertwachara, Marsden & Telang, 2005). Aber auch die Urheberrechtsnovelle in Deutschland, die 2003 erlassen wurde und eine Verfolgung der Musikpiraterie ermöglichte (vgl. Friederici, Schulz & Stromeyer, 2006, S. 132), war eine Reaktion auf MP3 und die damit verbundenen Folgen.
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Hier sind insbesondere die wachsende Speicherkapazität und der Geschwindigkeitszuwachs bei gleichzeitiger Verringerung der Größe verschiedener Formen von Informationstechnologie zu nennen. So wurde nicht nur das massenhafte Speichern von Daten – also auch von Musikdateien – möglich, sondern auch das problemlose, ubiquitäre Abspielen. Mit fortschreitender Entwicklung wurden diese Technologien zudem günstiger und einfacher bedienbar. Einer massenhaften Verbreitung stand damit nichts mehr im Weg.
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7.1.1 MP3 und die Folgen Die Möglichkeit Musik digital zu speichern und über das Internet zu beziehen, hatte immense Auswirkungen auf den Umgang mit Popmusik und den ihr zugeschriebenen Wert. Das Zeitalter physischer Tonträger ging damit zu Ende. Technisch, ökonomisch, sozial und auch rechtlich kam es zu massiven Veränderungen für die Popmusik. Die Folgen lassen sich vor allem an drei Faktoren ablesen: an der deutlich zunehmenden Menge der verfügbaren Musik, an der abermals wachsenden Mobilität des Mediums und drittens, an der daraus folgenden Veränderung der Aneignung. Mit der Etablierung des MP3-Formates war der Geist gewissermaßen aus der Flasche. Die Audiokompression ermöglichte einen bis dahin nie gekannten ubiquitären und beschleunigten Umgang mit Musik. 7.1.1.1 Soziotechnische Implikationen – Vereinfachter Zugang, Beschleunigung und Entfremdung Zuallererst wurde es einfacher an Musik zu gelangen. Das MP3-Format und die Möglichkeit via Napster oder über andere Tauschbörsen an Musik zu gelangen, machte mehr Musik verfügbar, im Sinne von direkt und individuell abrufbar. Die Popmusikhörer und -konsumenten waren nicht mehr auf das Radio, den Fernsehen oder den Musikhändler um die Ecke angewiesen, um sich Musik zu beschaffen, sondern konnten jederzeit nach der Musik suchen, die sie interessierte. Es entstanden große Musiksammlungen auf heimischen Rechnern. Das Wort Diskografie wurde vielen erst durch die Möglichkeit bekannt, eben jene komplett und einfach über das Netz zu laden. Aufgrund der Kompaktheit des MP3-Formates und aufgrund günstigerer Speichermedien konnte diese Musik nun nicht mehr nur zu Hause archiviert werden, sondern es wurde auch möglich, sie mobil und hochindividualisiert mit Hilfe von MP3-Playern oder selbstgebrannten CDs zu nutzen. Die Popmusik erlebte durch die beschriebenen technischen Entwicklungen also eine erneute Mobilisierung. Bereits die Erfindung der Tonträger am Ende des 19. Jahrhunderts, aber auch Entwicklungen wie das Kofferradio, das Autoradio, Kassetten, der Walkman oder der Discman mobilisierten den Musikkonsum. Ging es bei Tonträgern wie Schellack- und Vinylplatten zunächst darum, Musik überhaupt transportabel zu machen, um Musik so beispielsweise auch zu Hause und nicht nur im Konzertsaal anhören zu können, so lassen sich die Folgeentwicklungen im Sinne einer sich mobilisierenden, ja mobilitätszentrierten Gesellschaft (Scholl & Sydow, 2002; Tully & Baier, 2006) interpretieren. Es ging darum, Popmusik immer dabei zu haben beim Leben »On The Road« (Kerouac, 1957/2000). Popmusik wird so bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Ausdrucksformen eines neuen, jugendzentrierten und vor allem mobilen Lebensstils.
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Das MP3-Format und die dadurch ermöglichte neue Kompaktheit mobiler Abspielgeräte verstärkten diese Mobilisierung von Popmusik noch. Bereits die zweite Ipod-Generation (ab 2002) konnte mit ihren 20 Gigabyte fassenden Festplatten mehrere hundert Stunden Musik und damit die komplette Musiksammlung vieler Menschen mobil verfügbar machen. Musik konnte so nicht nur in viel größerem Umfang, sondern auch zielgerichtet mobil konsumiert werden. Auch Kassetten und CDs waren bereits unabhängig vom Ort nutzbar, aber hier war der Umfang an mobiler Musik durch die Speicherkapazität und die Physis der Datenträger stark beschränkt. Und auch wenn man mit einem Kofferradio bereits mobil quasi unendlich mit Musik versorgt werden konnte, so fehlte dort die Individualisierungsmöglichkeit, denn man war abhängig vom empfangbaren Radioprogramm. Die Verfügbarkeit von Musik im MP3-Format ermöglichte hochgradig individualisierten, mobilen Konsum und wurde darin ein paar Jahre später durch Musikstreaming-Angebote nochmals übertroffen (vgl. Kapitel 7.4). Eine dritte Veränderung, die ebenfalls unter dem Schlagwort des vereinfachten Zugangs subsumiert werden kann, ist das veränderte Verhältnis von Musik und Zeit. MP3 sorgte für eine immense Beschleunigung in der Übermittlung musikalischer Informationen. Das Kopieren eines Musikstücks musste nicht mehr mühsam in Echtzeit oder unter Qualitätsverlusten in etwas erhöhter Geschwindigkeit – sogenanntes High-Speed Dubbing – stattfinden, es wurde um ein Vielfaches beschleunigt. Suchen, Finden, Downloaden, Hören, das alles funktioniert dank der MP3Technologie und dank des Internets innerhalb von wenigen Minuten – mittlerweile sind es Sekunden. Diese beschleunigte Beschaffung von Musik korrespondiert mit dem »Erreichen des Echtzeitniveaus in der Informationsübermittlung« (Rosa, 2005, S. 336) und ist damit Bestandteil einer sich beschleunigenden spätmodernen Gesellschaft wie sie Hartmut Rosa in seinem Hauptwerk beschreibt. Sie hat, so ist zu vermuten, auch Folgen für die Aneignung oder, wie es Rosa mit pointierten Blick auf die Zeitkomponente dieses Prozesses ausdrückt, für die »Anverwandlung« (Rosa, 2013, S. 140). Letztlich spiegelt sich in diesen Veränderungen eine Entwicklung, die auch andere Gesellschaftsbereiche erfasst hat. Musik kann schneller, einfacher und in größeren Mengen beschafft werden. Ein Überspielen in Echtzeit ist nicht mehr nötig, stattdessen werden abstrakte Daten binnen Sekunden hin- und hergeschoben. Diese aufgrund des technologischen Fortschritts nun mögliche beschleunigte und flexiblere Aneignung von Musik unterscheidet sich stark von der vordigitalen. Letztlich bedeuten mehr und schneller zur Verfügung stehende Optionen auch höhere Anforderungen an die Organisation des eigenen Konsums. Jedenfalls dann, wenn man eine gewisse Nachhaltigkeit zum Ziel hat, also beispielsweise Musikstücke wiederfinden, passend einsetzen oder weiterempfehlen möchte. Dass der Umgang mit Musik durch die Digitalisierung in mancherlei Hinsicht schwieriger wurde, verdeutlichen Berichte von Sammlern (vgl. Scharnegg, 2015). Einerseits spielt
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hier die Umgewöhnung eine Rolle. Ein Umstieg von einem Format auf das andere ist nie leicht. Aber die Nutzung digitaler Musik birgt eben neben all den Vorteilen des ›Schneller‹ und ›Mehr‹ und ›Einfacher‹ durchaus auch weitere problematische Aspekte. Das, was Hartmut Rosa Anverwandlung nennt, nämlich das Erfahren und Sich-Zu-Eigen-Machen, das In-Beziehung-Treten zu den Dingen und das Einbetten in die eigene Erinnerung über relevante Erinnerungsspuren (Rosa, 2013, S. 136ff.), ist durch die massenhafte Verfügbarkeit erschwert. »Aus dem aktiven Musikhören wurde in kurzer Zeit ein passives, unmündiges Datenhaben.« (Scharnegg, 2015) Einfach weil die Zeit fehlt, um der wachsenden Optionensvielfalt Aufmerksamkeit entgegenzubringen (vgl. auch Platzgumer & Neidhart, 2012, S. 114). Rosa konstatiert in diesem Zusammenhang ein generelles Scheitern der Anverwandlung von Zeit. »Wir scheitern daran, die erlebte Zeit zu ›unserer‹ Zeit zu machen. Die Erlebnisepisoden samt der für sie aufgewendeten Zeit bleiben uns fremd. Eine gescheiterte Aneignung unserer Handlungen und Erfahrungen kann jedoch nur zu einer Verstärkung der Selbstentfremdung führen.« (Rosa, 2013, S. 140)
Übertragen wir dies auf die Popmusik, ist aus soziologischer Sicht klar: Wir entfremden uns von der Musik. Dies liegt nicht daran, dass es nicht möglich wäre, digitale Musik ebenso anzueignen wie diejenige, die auf haptischen Tonträgern ausgeliefert wird. Es liegt am schieren Zuwachs der Optionen. Musik wird heute (in der Masse) eben nicht mehr einzeln, tonträgerweise gekauft und über spezielle Abspielgeräte gehört, sondern ordnerweise kopiert oder im Hintergrund als Stream beziehungsweise individuelle, womöglich randomisierte, Playlist abgespielt. Zudem erschwert die Masse an neuer Musik eine nachhaltige, sinnliche Anverwandlung. Viele Aspekte, die im Umgang mit Tonträgern völlig normal und automatisch abliefen, gehen durch die Digitalisierung verloren oder werden flüchtig. Niemand schaut mehr ein Cover, geschweige denn die Rückseite an, während die Musik läuft, sondern vielleicht eher das Video zum Song oder den Wikipedia-Eintrag des Künstlers oder eben schon wieder die potenziell nächsten Tracks, die nur ein paar Mausklicks entfernt sind. In Anlehnung an Walter Benjamin diagnostiziert Rosa eine erlebnisreiche aber erfahrungsarme Gesellschaft (Rosa, 2005, S. 470; Rosa, 2013, S. 139). Für die Sphäre der Popmusik jedenfalls ist dem zuzustimmen. Seine Entsprechung findet diese Entwicklung im Umgang mit Begleitmaterial zur Musik. So existieren zu einigen Veröffentlichungen zwar Booklets als PDF, aber meist wird digitale Musik lediglich mit einem einzigen Bild, das in vielen Musikbibliotheken die Verkörperung der jeweiligen Veröffentlichung darstellt und gegebenenfalls beim parallelen physischen Release als Front-Cover dient, veröffentlicht. Was oft völlig entfällt, sind Hintergrundinformationen zur Band, Fotos oder Lyrics. Nicht, dass es die nicht gäbe. In den meisten Fällen sind diese Informatio-
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nen vorhanden. Sie sind jedoch nicht mehr an das Release gekoppelt, sondern optional frei verfügbar im Netz. Sie werden also nicht automatisch mitgeliefert, sondern sind, unabhängig davon ob die Musik gekauft wurde oder nicht, aktiv zu erschließen und ergeben sich nicht nebenbei. »Musikhören war komplizierter geworden und die Rechnung: Platte + Anlage = Musik auf einmal zu wenig. Dank Touchscreen begann ich, den Kontakt zur Musik zu verlieren. Ganz wörtlich, aber eben auch inhaltlich. Ich wusste nicht mehr, welches Cover zu welcher Platte gehörte, welche Songs zu welchem Album […].« (Scharnegg, 2015)
7.1.1.2 Ökonomische Implikationen – Veränderung des Musikmarktes Die beschriebenen Veränderungen in der Popmusikaneignung aufgrund neuer technologischer Optionen gingen nicht spurlos am Musikmarkt vorbei. MP3 hatte als technische Innovation gemeinsam mit der Ausbreitung des Internets erheblichen Einfluss auf den Umbruch in der Musikbranche. Umsatzeinbußen und eine wachsende Bedrohung durch die nun deutlich vereinfachte Musikpiraterie waren Symptome dieser Veränderungen, der Eintritt neuer Marktteilnehmer und die Etablierung neuer Geschäfts- und Erlösmodelle die Reaktion darauf (vgl. Wirtz, 2009, S. 495). Wenn Musik einfacher und vor allem kostenlos zugänglich ist, leuchtet ein, dass dieser Zugang schnell Anhänger findet. Die Tonträgerindustrie bekam das um die Jahrtausendwende sehr zügig zu spüren. Nachdem mit Hilfe der CD Musik, die bereits auf Vinyl veröffentlicht wurde, in den 1990er Jahren erneut und mit deutlich größeren Margen verkauft werden konnte (vgl. Bartmanski & Woodward, 2015, S. 18f.) und dadurch der Umsatz kurz vor der Jahrtausendwende ungeahnte Höhen erreichte, brach der Tonträgermarkt relativ plötzlich ein (vgl. Tschmuck, 2009, S. 142ff., Wirtz, 2009, S. 497f.). Die Musikindustrie hatte es versäumt, angemessen und flexibel auf die Digitalisierung des Musikkonsums zu reagieren (Dolata, 2008). Die Hörer wollten MP3s, Downloads und die Flexibilisierung der starren physischen Formate. Die Musikindustrie jedoch hielt zunächst an ihren alten Strukturen fest und versuchte, über juristische Wege ihren Umsatz zu sichern (vgl. Anderton et al., 2013, S. 176f.; Friederici, Schulz & Stromeyer, 2006, S. 132ff.). Dabei ist die aus den Anfangsjahren der Musikdownloads stammende, vereinfachte Perspektive der großen Akteure der Musikwirtschaft, die der Musikpiraterie einen Großteil der sinkenden Umsatzzahlen anlastet, mittlerweile umstritten. Neben dem gegenläufigen Befund, dass unerlaubte Musikdownloads die Auseinandersetzung mit dem Medium befördern und damit das Kaufverhalten am Ende sogar positiv beeinflussen können, gibt es auch komplexere Modelle, die unter bestimmten Voraussetzungen beide Optionen für möglich halten (vgl. dazu Wall, 2013, S. 276f.). Die Rechnung jedenfalls, dass Musik, die unerlaubt heruntergeladen wurde, gekauft würde, wenn diese illegalen Optionen nicht bestünden, ist so nicht haltbar
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und heute eher als verzweifelte Argumentation einer veralteten Sichtweise zu begreifen. Vielmehr wirkt ein umfangreiches und aufgrund seiner simplen Abrufbarkeit nicht selten legitim empfundenes Onlineangebot als Anreiz für regelmäßige und intensive Nutzung im Sinne der Rational-Choice-Theorie (Friederici, Schulz & Stromeyer, 2006, S. 132f.). Aufgrund der starren Strukturen der Musikindustrie waren die DownloadAngebote aus der Grauzone des Internets der kommerziellen Konkurrenz lange Zeit in vielen Belangen – vor allem im Umfang des verfügbaren Angebotes, aber auch in der Bedienbarkeit – überlegen. Erst Seiteneinsteiger Apple schaffte es mit seinem iTunes-Angebot und dem iPod die neuen technischen Möglichkeiten mit den Kundenwünschen zu versöhnen. Heute gilt der Download als ebenbürtiges Format und sorgte gemeinsam mit anderen Angebotsformen dafür, dass der Umsatz mit digitaler Musik im Jahre 2014 erstmals mit dem Umsatzzahlen aus physischen Formaten gleichzog (IFPI, 2015) und diese 2015 sogar deutlich überholte (IFPI, 2016a; vgl. auch Kapitel 5.3.1). Dabei ist seit kurzem ein Rückgang der Download-Umsätze zugunsten der Umsätze durch Streaming zu verzeichnen (vgl. Kapitel 7.4.3). 7.1.1.3 Musikkulturelle Implikationen – Folgen für die Wertschätzung von Musik Drei relevante musikkulturelle Implikationen lassen sich aufgrund der Etablierung von MP3 identifizieren. Erstens: Popmusik wird vollständig ubiquitär. Zweitens: Die Bedeutung von Authentizität und damit die von Live-Events steigt. Drittens, und das war die anfänglich wohl überraschendste Folge: Die Bedeutungshierarchie der Tonträger CD und Vinyl-Schallplatte kehrt sich um. Zunächst ist es überall zu lesen und auch in Statistiken zu erfahren: Nie war Musik so präsent und allgegenwärtig, so ubiquitär wie heute (vgl. bspw. Diederichsen, 2014, S. 49ff.; Garofalo, 2015, S. 105). Musik in Supermärkten, Musik beim Frisör, Musik an Bahnhöfen, das MP3-Format erleichterte den Umgang, erhöhte die Verfügbarkeit und ermöglichte eine nie gekannte flexible Einsatzweise von Musik, sodass sich der öffentliche Raum mittlerweile von Popmusik durchdrungen zeigt. Aber auch das durch MP3 stark vereinfachte individuelle mobile Musikhören, das besonders für Jugendliche und junge Erwachsene eine große Bedeutung hat, verhilft Popmusik zu einer nie dagewesenen Allgegenwärtigkeit. Doch die Ubiquität von Popmusik hat noch eine weitere Dimension. MP3 veränderte den Status von Popmusik insofern, dass mit seiner Hilfe Musik auf einfachem Wege entdeckt werden konnte, an die zuvor kaum oder sehr schwer zu gelangen war. Beispielsweise weil die Veröffentlichungen vergriffen waren oder weil das Interesse dafür gar nicht erst geweckt werden konnte. So wurde durch MP3 auch Nischenmusik neu belebt und damit insofern ubiquitärer, dass sie sich über ihre ursprüngliche, geografisch oder subkulturell beschränkte Einflusssphäre hinaus verbreitete. Im Gegenzug wurde dadurch eifrigen Musiksammlern in Teilen die Da-
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seinsberechtigung entzogen. Wenn jeder, immer und überall auch an seltene Musik kommt, ist das Sammeln seltener Musik plötzlich kein sinnvolles Distinktionsmerkmal mehr, das einen von der Masse abhebt und damit identitätsstiftend wirkt. Musikalische Artefakte, die Musik selbst werden damit im Sinne Georg Simmels ihres Wertes beraubt. Denn die Mühen und Hindernisse, die es zu überwinden, die Opfer, die es zu bringen gilt, um bestimmte Dinge – in diesem Fall seltene Tonträger – anzuhäufen sind entscheidend für den kulturellen Wert, der diesen Objekten zugeschrieben wird (vgl. Simmel, 2008, S. 149). Popmusik zeigt sich durch MP3 also durchaus tendenziell entwertet. Die Musikindustrie, die Künstler selbst, aber auch die Fans suchten daher nach neuen Bewertungsmechanismen und fanden diese zunächst in Form von Live-Events. Je virtueller die Musik wurde, desto wichtiger wurden Authentizität, die Nähe zwischen Künstler und Publikum und desto mehr wurde auf die Besonderheit von LiveAuftritten Wert gelegt. So begann das Live-Geschäft zu blühen. Konzerte und Festivals wurden zum Ersatz für die an Entfremdung krankende Musik aus der Konserve. Denn die Darbietung von Künstlern kann man sich nur bedingt – beispielsweise in Form von Mitschnitten – unbegrenzt und einfach nach Hause holen. Sie ist, selbst bei einer Tour, die aus zahlreichen Einzelkonzerten besteht und selbst bei komplett durchchoreografierten Shows, einmalig. Der Ort und seine Spezifika, die Fans und ihre individuellen Reaktionen, die Unberechenbarkeit des Ablaufs und alle anderen Unwägbarkeiten lassen ein Konzert stets zur Erfahrung und eben nicht nur zum Erlebnis werden (vgl. auch Kapitel 3.3.2). Als Konsequenz wurde »Ich war dabei« statt »Ich habe die Platte« zum neuen Distinktionsansatz. Nicht umsonst sind Live-Konzerte, Festivals und mit ihnen der Ticketmarkt für die Musikindustrie heute bedeutender denn je (vgl. Rutherford, 2016). Für Künstler eröffnete MP3 als neue Schlüsseltechnologie gemeinsam mit dem Internet völlig neue Möglichkeiten der Selbstvermarktung. Ohne die vielen Zwischenschichten, die Plattenfirmen und deren Marketingabteilungen in den Jahrzehnten zuvor eingezogen hatten, eröffnete sich gerade für Nischenmusiker ein direkter Weg zu den Fans. David Bowie, einer der Protagonisten dieser neuen Art mit dem Publikum umzugehen – und ironischerweise gleichzeitig ein Vertreter der alten Schule – sah diese Entwicklung bereits früh vorher: »[…] there’s a new demystification process going on between the artist and the audience.« (Bowie, 1999) Das Verkaufen von Musik war dabei nicht mehr in jedem Falle zentrales Anliegen. Die Musik selbst wurde stattdessen zum Marketingwerkzeug (vgl. Andert, Dubber & James, 2013, S. 179) und die so generierte Bekanntheit zahlte sich via Merchandising oder eben durch den Verkauf von Eintrittskarten aus. Im Zuge der Digitalisierung begann das Geschäft mit Sondereditionen und speziellen, limitierten Veröffentlichungen völlig neue Dimensionen anzunehmen. Wenn Musik ubiquitär verfügbar ist, geht es darum, in welcher Art und Weise man sie besitzt und verkauft. Zahlreiche neue aber auch alte Veröffentlichungen wurden
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auf besonderen Tonträgern in limitierten Boxen oder mit speziellen Begleitmaterialien angeboten. Nicht zuletzt ist auch der auf den ersten Blick überraschende VinylBoom eine Auswirkung dieser Entwicklung. So kommt es in Folge einer umfassenden Wiederentdeckung von seltener und obskurer Musik, an der unter anderem die Musikdownload Blogs (vgl. Kapitel 7.2) entscheidend beteiligt waren, aber auch von Seiten der Major-Labels und namenhafter Künstler zu massenhaften Wiederveröffentlichungen auf Vinyl. 2 Das einst als überlegen gefeierte Medium CD hingegen erscheint angesichts der digitalen Verfügbarkeit von MP3-Dateien zunehmend obsolet und wertlos. »In fact, it was the CD, that just 20 years after their invention became a paradigmatic ›cheap plastic‹ […]. This created a new dynamic context in which analogue records could be seen as a comparatively valuable and stable format, the only physical sound carrier that made sense precisely because it was not digital.« (Bartmanski & Woodward, 2015, S. 20)
Unterstrichen wird der Vinyl-Hype auch von einer rasant steigenden Beliebtheit von Plattenspielern. So waren diese fast archaisch anmutenden Geräte im Weihnachtsgeschäft 2015 plötzlich ziemlich gefragt und avancierten zu den meistverkauften Audioutensilien (vgl. Hughes 2015, Lee, 2016). Die Wiederaufnahme der Plattenspieler-Marke Technics3 unter dem Slogan »Rediscover Music« (vgl. Technics, 2014), neue Vinyl-Magazine wie Mint4 oder Vinyl Stories5 und die neuerliche Produktion einer ›Vinyl Jukebox‹ (Wilson, 2016) unterstreichen diesen Trend.
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Schaut man sich die Vinyl-Veröffentlichungen der letzten Jahre an, sind dort nahezu alle großen Künstler mit ihren bekannten Alben vertreten. Von den Rolling Stones über Pink Floyd, Michael Jackson, Phil Collins und U2 bis hin zu den wichtigen Künstlern der 1990er und Nuller Jahre wie Nirvana, Radiohead oder Amy Winehouse. Im ›Underground‹-Bereich werden vor allem vergriffene Platten neu aufgelegt, aber auch Veröffentlichungen, die vorher nur auf Kassette erhältlich waren, werden nun erstmals auf Vinyl gepresst.
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Die Marke ›Technics‹ ist berühmt für die DJ-Plattenspieler ›SL1210 MK2‹ bzw. ›SL1200 MK2‹. Panasonic hatte erst 2010 die Einstellung der Produktion dieser Geräte aufgrund der zunehmenden Dominanz digitalen DJings bekannt gegeben (vgl. van Dijk, 2010). Im Rahmen der Internationalen Funkausstellung 2015 kündigte die Firma Panasonic an, auch wieder Plattenspieler unter der Marke Technics herzustellen (Panasonic, 2015). Im Jahr 2016 wurde bestätigt, dass es Nachfolgemodelle der berühmten SL-1200-Serie geben wird (Rundle, 2016), der sich nun jedoch offensichtlich nicht mehr an DJs sondern an das Marktsegment der audiophilen Hörer richtet (Spice, 2017).
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Die erste Ausgabe erschien im Dezember 2015.
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Die erste Ausgabe erschien im November 2016.
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Die lange totgeglaubte Schallplatte erfuhr durch die Digitalisierung also einen starken Bedeutungszuwachs – zumindest kulturell. »Vinyl may indeed be the king of contemporary musical culture: it does not rule but it reigns.« (Bartmanski & Woodward, 2015, S. 30) Zwar sind die Verkaufszahlen von CDs zum Erscheinungszeitpunkt dieser Arbeit noch deutlich höher als die von Vinyl-Schallplatten. Es ist aber absehbar, dass dieses Verhältnis in den kommenden Jahren weiter in Richtung Vinyl kippen und die CD als relevanter Tonträger möglicherweise sogar komplett verschwinden wird.
7.2 FALLBEISPIEL 2: MUSIKDOWNLOAD BLOGS Ein zweites Fallbeispiel, an dem durch Digitalisierung induzierte Veränderungen der Popmusiklandschaft deutlich werden, sind sogenannte Musikdownload Blogs. Hier wird das weit verbreitete Format des Weblogs dazu genutzt, Musik mit anderen Nutzern zu teilen. Dass sie überhaupt in dieser Form existieren, verdanken Musikdownload Blogs einmal mehr bestimmten technologischen Entwicklungen. Eine dieser Technologien wurde bereits im vorigen Kapitel ausführlich beschrieben: Das MP3-Format. Erst die Möglichkeit, Musik digital zu speichern und über eine spezielle Komprimierung die Datenmenge zu reduzieren, machte eine Verbreitung im Netz und damit auch über Blogs überhaupt möglich. 7.2.1 Filehosting Eine zweite für Musikdownload Blogs unerlässliche Technologie ist das sogenannte Filehosting. Dabei handelte es sich ursprünglich um einen Weg, Dateien, die zu groß für Email-Anhänge sind zu tauschen, zu teilen oder langfristig zentral abzulegen. Jede Datei bekommt eine einzigartige URL zugewiesen und kann darüber dezentral abgerufen werden (Lobato & Tang, 2014, S. 424). Anders als beim dezentralen Peer-To-Peer (P2P) Austausch, der sich ab der Jahrtausendwende für Musikdateien etabliert hatte (vgl. im Detail Kusek & Leonhard, 2005), werden die Nutzer beim Filehosting nicht direkt mit eingebunden, ihre Rechner also nicht als Server für andere mitbenutzt. Zudem existieren in den meisten Fällen auch keine Suchmöglichkeiten (vgl. Lobato & Tang, 2014, S. 424). Stattdessen werden die Daten vom Anbieter – also beispielsweise vom Betreiber eines Musikdownload Blogs – zentral auf einem Server gespeichert für den es wiederum einen externen Anbieter – den Filehoster – gibt. Damit sind diese Daten für jeden, der den meist verschlüsselten Link besitzt, verfügbar. Das Urheberrecht wird damit, ähnlich wie bei der Peer-To-Peer-Technologie, umgangen, allerdings ist es schwerer, die Uploader zu belangen, da der Filehoster-Service in der Regel anonymisiert angeboten wird. Zu-
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dem sind die Filehoster schwerer juristisch zu verfolgen, da die Server oft in Ländern stehen, in denen die Urheberrechtsgesetze nicht greifen. Die Links zu den Daten werden über Sammelseiten, Foren, Newsgroups oder eben Weblogs verbreitet und stehen nicht selten nur kurze Zeit zur Verfügung, da die Datenpakete auch aus Angst vor juristischer Verfolgung oft schnell wieder gelöscht werden. Nachdem um die Jahrtausendwende bereits Apple und LG Filehosting-Dienste anboten (ebd., S. 425), standen im Jahre 2004 mit Rapidshare und QFile die ersten kommerziellen und unabhängigen Dienste zur Verfügung, die sich schnell für das Teilen von Software, Filmen und Musik etablierten. Weitere folgten etwa mit Megaupload (2005) oder Mediafire (2006). Das Geschäftsmodell war bei allen ähnlich. Die Dienste boten Speicherplatz gegen Geld an, wobei ein bestimmtes Volumen meist kostenlos war, ebenso wie der Download mit begrenzter Geschwindigkeit. Für hohe Downloadgeschwindigkeiten und mehr Speicherplatz musste gezahlt werden. Meist handelte es sich um Beträge zwischen 5 Euro und 20 Euro pro Monat oder um entsprechende Jahresbeiträge. Filehosting-Dienste wurden zu zentralen Akteuren der Medienpiraterie und gerieten daher ins Visier der Rechteinhaber. Einige sind mittlerweile geschlossen, andere mussten ihre Nutzungsbedingungen verändern (ebd., S. 427). Mittlerweile wurden sie zudem durch Cloudangebote wie Dropbox, Google Drive, Apples iCloud oder Microsoft OneDrive abgelöst, die letztlich ähnliche Funktionen erfüllen, jedoch besser mit Officeanwendungen verknüpft sind und ein größeres Optionsspektrum haben. Dennoch existieren auch im Jahr 2017 noch verschiedene Möglichkeiten des klassischen Filehostings. 7.2.2 Blogs Der dritte entscheidende Bestandteil für die Entwicklung von Musikdownload Blogs ist der des Blogs. »Weblog bzw. Blog steht als Kurzform für webbasiertes Logbuch, also eine Art chronologisch geordnetes Tagebuch im Web, das in der Regel öffentlich zugänglich ist.« (Beck, 2010b, S. 29) Die Entstehungsgeschichte von Blogs reicht bis in die Anfangszeit des World Wide Web in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zurück. Auch wenn der Begriff selbst erst einige Jahre später – Weblog 1997, beziehungsweise Blog 1999 – zum ersten Mal verwendet wurde (vgl. Chapman, 2011). Um die Jahrtausendwende bildeten sich dezidierte BloggingPlattformen wie LiveJournal (1999), Blogger (1999) oder WordPress (2003) heraus, die das Führen von Blogs mit Hilfe von Content Management Systemen vereinfachten und so auch Laien den produktiven Zugang ermöglichten. Spätestens seitdem sind Blogs zentraler Bestandteil der Netzkultur, zwischenzeitlich wurden sie sogar zu einem der bedeutendsten Kommunikationswerkzeuge für Webnutzer und damit zu einem wichtigen Teil des sogenannten Web 2.0 (Vila & RibeiroSoriano, 2014, S. 399). Zwischenzeitlich hat die Relevanz klassischer Blogs wieder
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etwas abgenommen, teilweise wurden sie von sozialen Netzwerken ersetzt, teilweise entstanden andere, alternative Formate wie Micro Blog Angebote, die eine flexiblere Nutzung ermöglichen (vgl. Chapman, 2011). 7.2.2.1 Blogosphäre und Sub-Blogosphären Blogs sind im Prinzip digitale Tagebücher. Im Unterschied jedoch zum klassischen handgeschriebenen Tagebuch, das oft lediglich der persönlichen Reflektion und Rekapitulation dient und deshalb meist geheim bleibt, hat ein Blog eine sehr starke soziale Komponente (vgl. Vila & Ribeira-Soriano, 2014, S. 403). Denn die Kommentarfunktion erlaubt es Nutzern, auf Inhalte zu reagieren und über Verlinkungen und sogenannte Trackbacks können auch ältere Einträge und Kommentare leicht für eine fruchtbare Diskussion herangezogen werden. Da es die Möglichkeit gibt, sich beispielsweise per E-Mail benachrichtigen zu lassen, sobald ein neuer Kommentar zu einem Thema veröffentlicht wurde, kann so fortlaufend diskutiert werden. Auf diese Weise entsteht »eine neue kooperative Form von Hypertext« (Beck, 2010b, S. 30). Die Verlinkung vieler Blogs untereinander über sogenannte Blogrolls ermöglicht zudem relativ einfach eine wechselseitige Bezugnahme auf die verschiedenen Inhalte. »Sowohl jeder einzelne Post als auch Kommentare von Lesern des Blogs sind durchgängig referenzierbar. Das Verlinken auf fremde Blogbeiträge oder Kommentare gehört zum Kern von Weblogs; das Zitieren und Verlinken von Texten, die man anderswo gelesen hat, ist eine wichtige Tätigkeit des Bloggens […].« (Schenk, Niemann & Briehl, S. 2014)
Die Gesamtheit aller Blogs heißt Blogosphäre. Die Begrifflichkeit erinnert an die Diskussion um neue Formen von Öffentlichkeit (»public sphere«, vgl. Habermas, 1989) und suggeriert eine themenübergreifende Vernetzung aller Blogs im Sinne einer umfassenden Globalisierung von Kommunikation. »The blogosphere provides an interweaving of these different locations as it pushes users to a network of information, views and perspectives, thus bringing a broader journalistic conversation to life.« (Reese, Rutigliano, Hyun & Jeong, 2007, S. 238) In der Tat trugen Blogs und andere neue, internetbasierte Medien- und Kommunikationsformen zu einer Vernetzung der Welt bei (vgl. Anheier & Isar, 2007, S. 489 ff.). Dennoch ist die Darstellung einer Blogosphäre, in der alle Blogs irgendwie miteinander verbunden sind stark vereinfachend. Heute existieren Millionen Blogs zu äußerst spezifischen Thematiken (Chapman, 2011). Es gibt politische Blogs, Medienblogs, Blogs zum Thema Essen (Foodblogs), Blogs zum Thema Brettspiele, Sportblogs und viele andere mehr. Eine Studie im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes kam bei der Untersuchung deutscher Themenblogs auf 16 Kategorien (vgl. Schenk et al., 2014). Die Studie einer Online-Agentur zur deutschen Blogosphäre zählte insgesamt 28 Themen (Basta!Media, 2015). Manche Blogs sind mehr, manche sind we-
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niger multithematisch angelegt und es kann durchaus vorkommen, dass beispielsweise der Autor eines Medienblogs auch über politische oder juristische Themen berichtet oder darauf verweist, weil diese den Kernbereich seines Blogs – Medien – berühren. Abbildung 6: Musikdownload Blogs in der Blogosphäre
Quelle: eigene Darstellung
Dennoch sind diese viele dieser Special Interest Blogs thematisch derart verschieden, dass eine allumfassende kommunikative Vernetzung kaum seriös begründbar ist. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass sich aufgrund individueller Interessen eine Art Vorläufer der berühmten Filterblase (Pariser, 2011) entwickelte,
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die in der Blogosphäre nicht auf Algorithmen basiert, sondern durch die Fokussierung auf individuell relevante Informationen entsteht. Aus Öffentlichkeit werden Teilöffentlichkeiten und aus der Blogosphäre Sub-Blogosphären. Eine dieser SubBlogosphären soll hier als Musikblogosphäre bezeichnet werden. Sie enthält neben anderen Formen auch Musikdownload Blogs (vgl. Abbildung 6). 7.2.2.2 Arten und Funktionen von Blogs Um sich einer Einteilung von Blogs abseits der Inhalte aus kommunikationssoziologischer Perspektive zu nähern, ist es sinnvoll, nach den kommunikativen Funktionen von Blogs zu fragen. Bei vielen Blogs geht es um Selbstdarstellung und Identitätsmanagement (vgl. Döring, 2010, S. 165ff.) oder die Kommunikation von Gefühlen (Beck, 2010b, S. 30). Unabhängig vom Thema nutzen Blogger ihre Seiten, um der Welt mitzuteilen, wie es ihnen geht oder was sie gerade beschäftigt und damit ein Stück weit auch zu sagen, wer sie sind. Es gibt aber auch zahlreiche Blogs, die eine klar journalistische Funktion haben oder haben möchten. Das heißt, die Blogbetreiber beobachten, recherchieren und geben Erkenntnisse wieder. Sie informieren damit die Öffentlichkeit und tragen zur Meinungsbildung bei. In ihrer Selbstwahrnehmung sehen die Schreiber ihr Werk dabei nicht selten als »neue oder andere Art von Journalismus« (Schenk et al., 2014, S. 38). Eine dritte Funktion von Blogs und deren Betreibern ist die der »[…] serviceorientierte[n] Unterhalter. In dieser Funktion möchten sie neue Trends und Ideen aufzeigen, eigene Ansichten dazu anbieten und als Ratgeber agieren.« (Ebd., S. 37) Schließlich haben insbesondere die professionell geführten Blogs auch klar kommerzielle Ziele. Ihre Funktion ist es, Menschen von Produkten, Firmen oder Dienstleistungen zu überzeugen. Blogs dienen in diesem Sinne als strategische Kommunikationsinstrumente (Beck, 2010b, S. 31). Entlang dieser Funktionen lassen sich kommunikationssoziologisch drei verschiedene Formen von Weblogs unterteilen (vgl. Beck, 2010b; Schenk et al., 2014; Schmidt, 2006): • Persönliche Online-Journale oder –Tagebücher: Sie richten sich an einen relativ
kleinen, meist persönlich bekannten Kreis von Personen. Diese Weblogs werden nicht selten als Kommunikationswerkzeug für private oder gar intime Themen und Gefühle genutzt, dennoch sind sie öffentlich zugänglich (vgl. Beck 2010b, S. 30). • Laienjournalistische oder professionelle Medienblogs: Die Betreiber dieser Blogs halten ihr Thema aus verschiedenen Gründen für relevant und wollen bestimmte Teilöffentlichkeiten erreichen. »Ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung oder zumindest ein Forum öffentlicher Meinungsbildung ist intendiert.« (Ebd.) In diese Kategorie fallen die Blogs mit journalistischen Funktionen und Ratgeberblogs.
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• Corporate Blogs: Corporate Blogs werden von Institutionen wie Unternehmen,
Parteien, NGOs oder Verbänden betrieben. Sie dienen der strategischen Kommunikation (vgl. Schenk et al., 2014, S. 5). Blogs dienen also einmal der persönlichen oder unternehmerischen Selbstdarstellung. In diesem Sinne sind sie Medien der Uni-Kommunikation, denn durch sie »[…] kann das Individuum Aspekte der eigenen Identität für sich selbst bekräftigen und vor anderen ein bestimmtes Image aufbauen« (Döring, 2002, S. 378). Darüber hinaus ermöglichen Weblogs auch reziproken kommunikativen Austausch, also Diskussionen. Damit sind sie auch Medien der Gruppenkommunikation (Beck, 2010b). Viele Blogbetreiber versuchen Geld mit ihrer Tätigkeit zu verdienen, hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten, beispielsweise Werbung, Affiliate Marketing oder die Bezahlung für Artikel über bestimmte Produkte (vgl. Basta!Media, 2015; Schenk et al., 2014, S. 25). Die Angaben, wieviel genau damit verdient werden kann, schwanken von Studie zu Studie. Eine Befragung von Seeding Alliance unter 1149 Bloggern ergab, dass 70 Prozent der befragten Blogger Geld mit ihren Weblogs verdienen, wobei immerhin 73 Prozent davon auf 100 Euro oder mehr pro Monat kommen (Basta!Media, 2015). In der Studie von Schenk et al. sind die Gewinnaussichten deutlich geringer. Lediglich 50 Prozent derjenigen, die diese Frage beantworteten, lagen hier in diesem Gewinnbereich (Schenk et al., 2014, S. 24). Ein Grund für diese Diskrepanz ist möglicherweise der etwas spätere Zeitpunkt der erstgenannten Befragung, denn laut Selbstauskunft haben sich die Verdienstmöglichkeiten für Blogger zwischen 2012 und 2015 nochmals deutlich verbessert (Basta!Media, 2015). Weiterhin bleibt unklar, welche Arten von Blogs in die Studie der Seeding Alliance einbezogen wurden. Möglicherweise sind hier deutlich mehr professionelle oder halbprofessionelle Blogs – also Corporate Blogs bzw. laienjournalistische oder professionelle Medienblogs – zu finden als in der Studie von Schenk et al., die explizit auch 10,2 Prozent persönliche Online-Journale oder -Tagebücher mit einbezieht (2014, S. 12). Als Fakt bleibt, dass zahlreiche Blogger mit ihren Onlineaktivitäten Geld verdienen beziehungsweise es zumindest versuchen. Die Blogs, um die es hier in der Folge gehen soll, zählen nicht dazu. Dennoch trugen sie zumindest mittelbar zu einer gewissen Wertschöpfung bei. 7.2.3 Was sind Musikdownload Blogs? Wer sich über Popmusik informieren oder darüber diskutieren will, dem stehen neben den Musikmedien selbst und den klassischen Begleitmedien der Musikbranche, wie Zeitschriften, Fernsehen oder Büchern, eine Vielzahl von Blogs zur Verfügung. Dabei beherbergt die Musikblogosphäre alle der im Kapitel zuvor erläuterten Blog-
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formen: von persönlichen Blogs, die sich mit dem individuell rezipierten Musikrepertoire auseinandersetzen6 über laienjournalistische Musikblogs, die beispielsweise Neuerscheinungen oder Wiederveröffentlichungen in journalistischer Form rezensieren7, bis hin zu Corporate Blogs, die Künstler und deren Repertoire professionell promoten und meist an Labels angegliedert sind8. Bei Musikdownload Blogs handelt es sich aus kommunikationssoziologischer Sicht in der Regel um persönliche Online-Journale oder -Tagebücher. Ihr zentraler Inhalt sind Links, über die Besucher Musik beziehen können. Diese Links führen meist zu einer Archivdatei, die auf dem Server eines Filehosting-Dienstes liegt. Die Musik stammt in der Regel aus der privaten Sammlung der Blogger. Diese halten es aus verschiedenen Gründen für relevant, sie einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Musikdownload Blogs bewegen sich damit häufig in einer juristischen Grauzone. Unter ihnen befinden sich illegale Blogs beziehungsweise Blogs mit einzelnen illegalen Einträgen, die ganz klar unter Musikpiraterie fallen. Aber es existieren durchaus auch als legal einzustufende Blogs, deren Anliegen es ist, sehr spezieller Nischenmusik, die es nicht mehr regulär zu kaufen gibt oder nie gab, eine Plattform zu bieten.9 Die Möglichkeit des Downloads spielt dabei eine zentrale Rolle und nicht selten ist der Download-Link, gegebenenfalls mit einem Foto des Covers der Veröffentlichung, der einzige Blog-Inhalt.10 Jedoch geht es Musikdownload Blogs nicht selten auch um die Vermittlung von popmusikalischem Kontextwissen zu Künstlern, Genres oder Veröffentlichungen. In vielen Fällen enthalten die Blogs daher zusätzlich zum Downloadangebot subjektiv gefärbte Berichte. Insbesondere sind dies Bewertungen der angebotenen Musik und eine persönliche Einordnung. Aber auch historische Zusammenhänge und Informationen über Bands, Clubs, La6
Ein Beispiel dafür ist der Blog ›Systems of Romance‹ von Frankie Teardrop. Er wurde 2007 ins Leben gerufen und ist damit einer der ältesten, noch aktiven Musikdownload Blogs. Er bietet neben den Downloads von seltenen, teilweise verschollenen oder vergessenen Musikveröffentlichungen auch stets einen individuellen Begleittext zum besprochenen Werk beziehungsweise zu den Künstlern (www.systemsofromance.com).
7
So beispielsweise der hobbymäßig betriebene Blog ›Outeredspace‹ (www.outeredspace. de/).
8
Ein Beispiel dafür ist der ›BMI‹-Blog, der News zu hauseigenen Künstlern und deren Veröffentlichung bietet (www.bmi.com/news).
9
Typisch sind seltene Vinyl-Veröffentlichungen aus den 1980er Jahren. Häufig handelt es sich aber auch um Musik aus dem Kassettenuntergrund, der ebenfalls zu dieser Zeit florierte (vgl. exemplarisch Pehlemann & Galenza, 2006).
10 Der Blog ›And Then She Lied Again‹ (andthensheliedagain.blogspot.de, ab 2011, letzter Eintrag am 11. November 2016) war dafür ein Beispiel. Hier wurde lediglich ein Foto des Tonträgers, meist Kassetten oder Vinyl, sowie die Tracklist neben dem Download-Link angeführt.
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bels oder Musikrichtungen sind zu finden. Hier werden die Angebote also zu laienjournalistischen Blogs, die Teilöffentlichkeiten konstituieren können. Abbildung 7: Spezialisierung in der Musikdownload Blogosphäre
Quelle: eigene Darstellung
Aufgrund ihrer inhaltlichen Spezifik, die sich in der Konzentration auf verschiedene popmusikalische Genres manifestiert, zerfallen Musikdownload Blogs bei genauerer Betrachtung darum in einzelne Untergruppen. Diese genrespezifischen SubBlogosphären zeichnen sich durch eine immense Spezialisierung aus und konstituieren häufig auch selbst Genres und Genrediskurse. Viele Musikdownload Blogs sind in der Hauptsache am verfügbaren Repertoire und am musikalischen Interesse der jeweiligen Autoren orientiert und bieten daher oft eklektische Musikmischun-
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gen. Einige sind jedoch hochspezialisiert und puristisch in ihrer Anlage, beispielsweise fokussieren sie ausschließlich auf Kassettenveröffentlichungen, bestimmte Zeitfenster oder haben geografische Schwerpunkte (vgl. Abbildung 7). Hier zeigt sich an konkreten Beispielen, was bereits in Kapitel 2.7 dargestellt wurde: Genrebildende Ordnungskraft geht nicht zwingend von musikalischen Gemeinsamkeiten aus. Auch Veröffentlichungsformen, Städte, Zeitfenster oder Produktionsweisen können Blogmusikrepertoire und damit auch Popmusikgenres konstituieren. Zu betonen ist, dass viele Musikdownload Blogs und die dahinterstehenden Personen offen idealistisch auftreten. Sie wollen seltene oder vergessene Musik einem breiten Publikum zugänglich machen. Viele weisen explizit darauf hin und verwehren sich gegen den Vorwurf der Piraterie, indem sie in ihren Blogbeschreibungen öffentlich anbieten, die Daten wieder zu löschen, wenn es seitens der Künstler gewünscht ist. »This blog is about music that lies in cellars, dug out by a group of people who care about great music. We share this music for free as a labor of love and because we want to share forgotten tunes of the past. If you are a musician and you feel its inappropriate that we post your music, please send us an e-mail […] with a request to remove the link. We will do so as soon as possible.« (433 RPM, 2007)
7.2.4 Aufstieg und Fall der Musikdownload Blogs Bestand die Blogosphäre Ende der 1990er noch aus einiger Handvoll Blogs (Chapman, 2011), waren es Mitte 2006 bereits rund 50 Millionen weltweit (Sifry, 2006) und Ende 2010 schließlich 152 Millionen (Chapman, 2011). Das Medium explodierte also in den Nullerjahren regelrecht und es ist daher kein Zufall, dass die Zahl der Musikdownload Blogs in dieser Zeit ebenfalls rasant stieg. Mark Allen benennt den Zeitraum zwischen 2004 und 2008 als den wichtigsten und führt dies vor allem auch auf die Verfügbarkeit von Filehosting-Diensten zurück (Allen, 2012). Ermöglicht durch neue technologische Optionen kam es innerhalb weniger Jahre zur Verbreitung dieser neuen Plattform für Musikaneignung. Ähnlich schnell wie sie gekommen waren, verschwanden viele Musikdownload Blogs jedoch wieder von der Bildfläche. Die Gründe für das Schließen eines Blogs oder zumindest das Stoppen der Aktivität waren vielfältig und nicht immer sichtbar. Viele Blogger versuchten Transparenz herzustellen und ihr Verhalten zu erklären, andere stellten einfach das regelmäßige Posten ein. Verschafft man sich eine Übersicht über Blogs, die in den Jahren 2009 und später schlossen, beziehungsweise inaktiv wurden, lassen sich drei Gründe umreißen. Ein erster Grund ist Zeitmangel und Prioritätenveränderung. Gerade bei Musikdownload Blogs investieren viele Blogger immense Zeit in Postings. Da die Musik
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oft von alten Schallplatten oder Kassetten stammt, ist da zunächst der Aufwand der Digitalisierung dieser Tonträger. Dazu kommen teilweise sehr umfangreiche Texte mit Kontextinformationen und Wertungen sowie die Recherche nach diesen Informationen, die gerade bei seltenen Veröffentlichungen und unbekannten Künstlern nicht einfach ist. Da diese Blogs in den meisten Fällen nichtkommerziell betrieben werden, verwundert es nicht, wenn aufgrund wichtiger privater oder beruflicher Ereignisse oder einfach aus Zeitmangel die Aktivität zurückgefahren oder ganz aufgegeben wird (vgl. bspw. Rambul, 2015). Dass nicht selten Abschiedsposts oder Entschuldigungen für längere Pausen veröffentlicht werden, verdeutlicht die enge persönliche Bindung der Blogschreiber an die Leser. »Due to some very serious personal and family-related issues that I’ve been confronting, Mutant Sounds will now be placed on hold for the time being. All the older texts and all links attached to the new and authorized files from the last few months’ posts will remain, but Mutant in its current incarnation will cease operations. Instead, what will follow at the (to be determined) time when activities re-start will be a revival of Mutant in an entirely new format as an internet radio show. Until then, thanks to all of you for all the years of support and patronage.« (Lumbleau, 2013)
Einen zweiten Grund möchte ich als Relevanzverlust bezeichnen. Dieser kann, je nach Ausrichtung des Blogs, mehrere Ursachen haben. Bei regelmäßigem Bloggen über sehr spezielle alte Musik ist es durchaus möglich, dass irgendwann jede als relevant erachtete Veröffentlichung hochgeladen und besprochen wurde. »Maybe its time to retire this blog altogether. I have no more obscure vinyl albums to rip - or if I do, they are so obscure that even I have forgotten about them.« (Witchseason, 2013) Dass zeitgleich auch andere Blogs in ähnlichen Genres aktiv sind, kann die Relevanz des eigenen Blogs zusätzlich beeinträchtigen. Denn es geht Bloggern nicht selten auch darum, erster und möglichst einziger zu sein, der eine bestimmte Musik veröffentlicht. Zudem können auch die zahlreichen Wiederveröffentlichungen Blogs irrelevant machen. So führten die durch die Blogs selbst ausgelösten Revivals und deren kommerzielle Verwertung in vielen Fällen zur Entfernung von Links auf den Blogseiten, da die Musik nun wieder verfügbar war und sich die Blogger von der Musikpiraterie deutlich distanzieren wollten. Je nach Perspektive hat der Blog dann das Ziel, vergessene Musik wieder einer Öffentlichkeit zuzuführen, erreicht, sich selbst den Todesstoß versetzt oder Beides. Nicht zuletzt ist auch der immense Bedeutungsgewinn sozialer Netzwerke ein Einschnitt in der Nutzung von Musikdownload Blogs. Waren Blogs trotz vereinfachender Software immernoch etwas für IT-affine Webnutzer und Spezialisten, richteten sich soziale Netzwerke mit ihren einfachen und mobilen Nutzungsmöglichkeiten auch an technisch weniger bewanderte Nutzer. Nun konnte jeder über die simple Einbettung von Videos, öffentlich über Musik schreiben und sie teilen.
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Ein dritter wichtiger Grund für die Schließung vieler Musikdownload Blogs ist in juristischen und technischen Problemen zu sehen. Ab 2012 kam es zu einer verstärkten Verfolgung der Filehoster und in der Folge zur Schließung zahlreicher Anbieter (vgl. Allen, 2012; Lobato & Tang, 2014, S. 427ff.). Mit dem Verlust der technologischen Grundlage standen viele Blogger vor der Wahl, Alternativen zu suchen oder die Aktivität ganz einzustellen. »As you can see, all the content from Blogger has been imported to this site, with all the posts and the comments from phase one still intact. Most of the backlogs have been reuploaded to Rapidshare for now, pending any new options that may present themselves in the future.« (Teardrop, 2012)
Die Existenz von Musikdownload Blogs kann damit letztlich als kurzes Zeitfenster in der Geschichte der Musiknutzung und -aneignung skizziert werden. Im Jahr 2017 existieren sie zwar weiter, jedoch haben ihre Relevanz, ihre Menge und die Frequenz, mit der neue Beiträge erstellt werden, deutlich abgenommen. 7.2.5 Musikdownload Blogs und die Folgen Die wenigen Jahre der Existenz und intensiven Nutzung von Musikdownload Blogs reichten aus, um popmusikalische Trends, zumindest in den Nischen stark zu beeinflussen. In Verbindung mit hochspezialisierten Subkulturen veränderten und belebten sie Popmusik sozial und ökonomisch neu. Einige Musikdownload Blogs hatten dabei bedeutende kommunikative und szenebildende Funktionen. Indem sie Musik und gegebenenfalls zugehöriges Kontextwissen anboten, ermöglichten sie Nutzern das kostenlose Entdecken neuer oder alter, bisher unbekannter Künstler. Darüber hinaus kam es immer wieder zu intensivem Austausch zwischen den Bloggern sowie zwischen Bloggern und deren Lesern. Es gab eine regelrechte Jagd nach immer neuen und seltenen Wiederentdeckungen (Allen, 2012). Am Ende führte dies in bestimmten Sub-Blogosphären – hier werden einige Beispiele aus dem Umfeld des Wave und Post Punk beleuchtet – soweit, dass neues Interesse an längst vergessen geglaubter und Musik generiert wurde, die selbst zur Zeit ihrer Entstehung wenig Aufmerksamkeit erhielt.
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7.2.5.1 Soziotechnische Folgen – Weblogs als Werkzeug für Selbstdarsteller und als Plattform für digitales Digging 11 Einmal mehr sind technologische Optionen für die Etablierung neuer Formen des Popmusikzugangs verantwortlich. Ohne die MP3-Technologie, die Musikdaten auf transferierbaren Umfang reduzierte, ohne Software wie Blogger oder Wordpress, die den aktiven Umgang mit Blogs vereinfachten und ohne die erwähnten Filehosting-Dienste wären Musikdownload Blogs in dieser Form nicht realisierbar gewesen. Sie ermöglichten Sammlern, ihr Wissen translokal zu teilen und mit konkretem Material – der Musik als digitalem Download – zu unterfüttern. Engagierte Musikkonsumenten und Fans, die vorher lediglich auf lokaler Ebene, beispielsweise in Clubs und Kneipen, auf der Arbeit oder zu Hause die Möglichkeit hatten, Einfluss auf den Musikgeschmack oder die musikalische Sozialisation anderer beziehungsweise auf deren Wertschätzung von Musik zu nehmen, konnten mit Hilfe der neuen Werkzeuge auf einfache Weise ihr Wissen und ihre Leidenschaft nach außen tragen. Unabhängig davon wie detailliert die Inhalte aufbereitet sind, ob nur Musik oder zusätzlich auch Informationen angeboten werden – Musikdownload Blogs dienen immer auch der Darstellung des eigenen Wissens über Popmusik. Sie sind damit Werkzeug für Identitätsmanagement und Selbstdarstellung. Aufgrund ihrer meist sehr hohen Genre-Spezialisierung ermöglichen sie es den Autoren, sich popmusikalisch zu verorten und Wissen anzuzeigen. Letztlich geht es bei Musikdownload Blogs damit aus Sicht der Blogger auch um die Zurschaustellung kulturellen Kapitals, um eine Möglichkeit als Sammler und Kenner wahrgenommen und geschätzt zu werden. Dies funktioniert insbesondere, weil sich Musikdownload Blogs inhaltlich oft mit sehr kleinen Nischen beschäftigen. Der Besitz von Musik, die nur wenige kennen und die kaum verbreitet ist, ist ein optimales Mittel zur Distinktion. Die Zurschaustellung von Wissen anhand von oft sehr speziellen Kontextinformationen untermauert dieses Anliegen. Das Bloggen und darauffolgendes Feedback aus der Community – sei es in Form von Downloadzahlen, sei es in direktem kommunikativem Austausch – ermöglicht damit die aktive Arbeit an der eigenen Identität. Dass viele Blogger auch als Radio- und Club-DJs aktiv sind, zeigt, dass Popmusik für sie zentraler Lebens- oder zumindest Freizeitinhalt ist. Bei Musikdownload Bloggern handelt es sich in der Regel um passionierte Musiksammler, die Spaß da11 Als ›Digging‹ (von »to dig«=graben) bezeichnet man in der Popmusik das Suchen von spezieller, meist älterer Musik, aber auch die intensive Auseinandersetzung mit Genres und Künstlern. Ganz im Sinne der Tätigkeit eines Archäologen, der immer mehr Details einer Ausgrabung zu Tage fördert (vgl. auch Browne & Browne, 1991), dringt der Suchende (›Digger‹) dabei immer tiefer in die Details von Künstlern und deren Veröffentlichungen oder spezieller Musikrichtungen vor und findet nach und nach Stücke oder Informationen, die als besonders wertvoll gelten, weil sie nur wenige kennen.
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ran haben, Popmusik kommunikativ zu nutzen, sie zu teilen, über sie zu schreiben und zu diskutieren. Musikdownload Blogs verlagern damit Tätigkeiten ins Netz, die vorher in persönlichen Begegnungen vollzogen wurden. Musikblogger sind in diesem Sinne gleichzeitig Prosumenten einer neuen mediengestützten Konvergenzkultur, die dafür sorgen, dass der Zugang zu Medieninhalten, in diesem Falle zu Popmusik, über neue Kanäle möglich wird (vgl. Jenkins, 2006, S. 243). Sie stellen Inhalte bereit und reichern sie mit Wissen an. Sie archivieren Popmusik und sorgen damit im Zusammenspiel mit den verfügbaren Technologien für eine gewisse Infrastruktur, auf die Nutzer jederzeit zugreifen können. Musikdownload Blogs dienen in diesem Sinne nicht nur als Bezugsquelle für Musik, sondern auch als Nachschlagewerk und Wissensspeicher, eine Funktion, die moderne soziale Netzwerke mit ihrer Flüchtigkeit nur bedingt ausfüllen. Musikdownload Blogs dienen auch der Raumüberwindung und globalisieren den Austausch über Popmusik auf der persönlichen Ebene. Dabei bleiben sie gleichzeitig – und das unterscheidet sie von vielen anderen digitalen Popmusikangeboten – hochspezialisiert, bieten also eine immense thematische Tiefe selbst für Popmusikspezialisten. Aus Sicht der Nutzer gewähren sie die Option, sich über obskure, andersartige oder einfach nur seltene Musik zu informieren und diese direkt zu beziehen. Über Kommentare und Blogverlinkungen sind zudem viele ähnliche Veröffentlichungen schnell erreichbar, die möglicherweise wieder von anderen Bloggern unter anderen Kontextgesichtspunkten dargestellt werden. So ermöglichen Musikdownload Blogs »digitales Digging«, also die intensive Auseinandersetzung mit äußerst speziellen Facetten der Popmusik und damit hochgradig individuellen Aneignungsprozesse. 7.2.5.2 Ökonomische Folgen – Weblogs als Wegbereiter der Long-Tail-Ökonomie Musikdownload Blogs funktionieren in der Masse außerhalb gängiger Marktstrukturen. Sie waren (und sind) in erster Linie Plattformen für Nischenmusik, die auch abseits vom großen Streit um Urheberrechte stattfinden. »While the RIAA was suing dead people for downloading Michael Jackson songs (and Madonna was using Soulseek to curse at teenagers), obscure music blogs racked up millions of hits, ripping and sharing 80s Japanese noise, 70s German prog, 60s San Francisco hippie freak-outs, 50s John Cage bootlegs, 30s gramophone oddities, Norwegian death metal, cold wave cassettes made by kids in their garages, and the like. It was the mid aughts, and the advent of digitization had inadvertently put the value of the music industry’s ›Top Ten‹ commercial product in peril.« (Allen, 2012)
Außerhalb dieser gängigen Strukturen etablieren Blogger und Blognutzer im Sinne einer Partizipationskultur (Jenkins, 2006, S. 245-253) neue Nischenökonomien.
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Zwar bieten die klassischen Musikdownload Blogs zunächst nur kostenlose Downloads an. »Diese Märkte sind [also zunächst] weniger Preis- oder Leistungsmärkte als hochgradig affektiv unterfütterte Attraktivitätsmärkte, die von der Aufmerksamkeitslenkung und kulturellen Valorisierung leben.« (Reckwitz, 2017, S. 114) Als Plattformen für kommunikativen Austausch und als Aggregatoren sehr spezieller popmusikalischer Inhalte führten sie in einigen Fällen jedoch zu neuen Teilöffentlichkeiten und zur Entstehung neuer Märkte. Sie sind damit Ausdruck dessen, wozu kreative, produktive und auf gemeinsamen Interessen basierende Mediennutzung führen kann. »[W]hen people who have access to multiple machines consume – and produce – media together, when they pool their insights and information, mobilize to promote common interests, and function as grassroots intermediaries ensuring that important messages and interesting content circulate more broadly.« (Jenkins, 2006, S. 245)
Ökonomisch führte dies beispielsweise im Wave und Post Punk Umfeld zur Gründung unzähliger Nischen-Labels wie Dark Entries12, Minimal Wave13 (vgl. auch Kapitel 2.7.3), Mecanica14 oder Domestica15, zur Gründung neuer Bands, die sich klar auf diese alte Musik bezogen sowie zu neuen Party- Festival- und Konzertreihen (vgl. Kapitel 7.2.5). Die neuen Akteure und Plattformen ermöglichten es der sehr speziellen, von Musikdownload Blogs protegierten Popmusik über Wiederveröffentlichungen und später auch in Form zahlreicher neuer Releases eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Sie profitierten dabei ebenso wie die Musikdownload Blogs selbst von der technologisch induzierten Demokratisierung des Marktes, die Chris Anderson (2006) detailiert beschreibt. »The democratized tools of production are leading to huge increase in the numbers of producers. Hyperefficient digital economics are leading to new markets and marketplaces. And finally, the ability to tap the distributed intelligence of millions of consumers to match people with the stuff that suits them best is leading to the rise of all sorts of new recommendation and marketing methods, essentially serving as the new tastemakers.« (S. 57)
So sind Musikdownload Blogs ökonomisch gesehen Wegbereiter der »Long-Tail«Ökonomie in der Popmusik. Sie kreieren Öffentlichkeit für längst vergessene und sehr spezielle Inhalte und schaffen damit eine Basis für neue Labels, aber auch für neue Künstler, Partyreihen und Konzerte, die in einigen Fällen heute bis weit in den 12 www.darkentriesrecords.com 13 minimalwave.com 14 www.mecanica-records.com 15 domesticarecords.com
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kommerziellen ›Mainstream‹ reichen und Popmusik nach Jahren des Umsatzrückgangs neuen ökonomischen Schwung verleihen. Grund dafür ist nicht zuletzt der Zugang zu neuen sozialen Strukturen (vgl. Jenkins, 2006, S. 246), den Musikdownload Blogs ermöglichten. Sie wurden neben anderen Angeboten Teil einer Partizipationskultur mit der die Diversifikation inhaltlicher Optionen ebenso einhergeht wie eine erhöhte Responsivität traditioneller Massenmedien (ebd., S. 249). Diese sehen sich heute durch neue Optionen in Produktion, Vertrieb und Logistik ökonomisch motiviert, auch Nischeninhalte anzubieten. Für die Popmusik wird dadurch der »Long Tail« Realität: »This is the Long Tail. You can find everything out here in the Long Tail. There’s the back catalog, older albums still fondly remembered by longtime fans or rediscovered by new ones. There are live tracks, B-sides, remixes, even (gasp) covers. There are niches by the thousands, genres within genres within genres […]. There are foreign bands, ones priced out of reach on a shelf in the import aisle, and obscure bands on even more obscure labels […].« (Anderson, 2006, S. 22)
7.2.5.3 Musikkulturelle Implikationen – neu belebte Nischen, Retrologie und der Boom von Wiederveröffentlichungen Im Fahrwasser von Musikdownload Blogs kam es zu einer Neubelebung zahlreicher musikalischer Nischen. Im Wave- und Post Punk-Umfeld machte sich dies konkret an der Wiederaufnahme oder dem Sichtbarwerden von Aktivitäten alter Künstler bemerkbar.16 In einigen Fällen handelte es sich um umfassende Revivals inklusive neuer Veröffentlichungen, andere begnügten sich mit einem oder einigen wenigen Gigs. Dazu kamen unzählige neue Künstler, die sich musikalisch und ästhetisch klar von diesen Ahnen inspiriert zeigten.17 Einige dieser neuen Acts wurden höchst erfolgreich und schafften es, dem ›Underground-Status‹ zu entfliehen18, andere konstituieren heute eine Art ›Retro-Underground‹, der die positiven Momen16 Gruppen wie Absolute Body Control, Charles De Goal, Eleven Pond, Kas Product, Kitchen & The Plastic Spoons, Oppenheimer Analysis, Rational Youth, Sad Lovers & Giants, The Chameleons oder UV Pop die dem ›Underground‹ der 1980er Jahre entstammten, traten in den Jahren ab 2005 wieder vermehrt auf, veröffentlichten ihre alten Alben wieder und produzierten in vielen Fällen auch neue Musik. 17 Unter anderem Automelodi, Blacklist, Frustration, Hante, Martial Canterel, Peine Perdue, Selofan oder Sixth June. 18 Projekte wie The Soft Moon oder Cold Cave traten im Rahmen größerer Touren von bekannten Künstlern – Depeche Mode, Nine Inch Nails – als Vorband auf und wurden dadurch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Aber auch The KVB oder Lebanon Hanover, deren immer größer angelegte Konzerte regelmäßig ausverkauft sind, sind mittlerweile weit über den ›Underground‹ hinaus bekannt.
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te des Blicks zurück absondert und in die Gegenwart transferiert (vgl. Heidingsfelder, 2012a, S. 3). Der regelrechte Hype um Bands wie Joy Division oder New Order – der nicht zuletzt auch literarisch und filmisch untermauert wurde19 und in geringerem Maße ebenso für deren Zeitgenossen wie The Sound, Siouxsie & The Banshees oder Bauhaus gelten kann, zeigt einmal mehr, wie Popmusik funktioniert; nämlich zirkulär und eben doch permanent am Puls der Zeit. Die fortwährende mediale und popkulturelle Präsenz von Gruppen wie The Smiths, The Cure, Echo & The Bunnymen steht dafür. Ebenso die Aneignung und Modernisierung stilistischer Fragmente, die auf damalige Plattencover verweisen – insbesondere sind hier die Veröffentlichungen des Labels Factory Records mit ihren reduziert-artifiziellen Artworks zu nennen, aber beispielsweise auch die Ästhetik von Kraftwerk. Doch hier wird nicht einfach die Sehnsucht nach der »guten alten Zeit« deutlich. Stattdessen steht das Retroelement immer auch für den kreativen, aktiven Umgang mit dem Existierenden. Entlang einer postmodern-retrologischen Perspektive, die die »Freiheit im Kombinieren alter Formen, die durch die Identifikation aus ihren Kontexten herausgezogen, für sich als wiederholenswert konfirmiert werden« (ebd., S. 4), betont, entwickelt sich Popmusik auch in ihren Spezialgenres zu einem zirkulären Konvolut voller Querbezüge, das aber immer wieder Neues zu Tage fördert. Der ›Retro‹Begriff unterstellt dabei zwar stets die »Wiederholung alter Formbestände. Aber selbst die bloße Wiedervorlage – wozu im strengeren Sinne ja nur Re-issues zählen – legt ja nicht dasselbe vor, weil das Wiedervorlegen an einer anderen Zeitstelle geschieht und die Neu-Auflage derart notwendig und automatisch mit Sinn anreichert.« (Ebd., S. 5) Deutlich wird dieses Neue, das aus Altem entsteht, an den zahlreichen Verbindungen des mittels Musikdownload Blogs neu belebten Wave- und Post Punk›Undergrounds‹ mit anderen Spezialgenres. Zunächst ist hier die facettenreiche Gothic-Kultur zu nennen, als dessen popmusikalischer Vorfahre sich Wave und Post Punk bezeichnen lässt. So traten in den letzten Jahren viele der genannten neuen ›Underground‹-Künstler bei großen, klar kommerziell ausgerichteten, sogenannten ›Gothic-Festivals‹ auf und bereicherten diese damit um neue Facetten.20 In vielerlei Hinsicht grenzt sich das Wave- und Post Punk-Umfeld jedoch auch klar vom kom19 Einem größeren Publikum bekannt wurden vor allem Anton Corbijns Biopic ›Control‹ (2007) sowie die von Deborah Curtis – Witwe des früh durch Suizid verstorbenen Joy Division-Frontmanns – verfasste Biografie ›Touching from a distance – Ian Curtis and Joy Division‹ (Curtis, 1995). 20 Unter anderem Absolute Body Control 2015 beim ›Mera Luna‹ in Hildesheim; Lebanon Hanover 2014 und 2017 beim ›Wave Gotik Treffen‹ in Leipzig und 2016 beim ›Amphi‹ Festival in Köln; Hord 2017, Sixth June 2012 und 2017 sowie The KVB, Xeno & Oaklander und Martial Canterel 2013 beim ›Wave Gotik Treffen‹ in Leipzig.
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merziellen Fokus der Gothic-Kultur ab und hat stattdessen zahlreiche neue Schnittmengen mit dem Elektronik-, dem Industrial-, dem Indie- oder dem Punk-›Underground‹ etabliert. In letzter Konsequenz entstanden hier Revivals, die zunächst Nischenstatus hatten, jedoch über Rekontextualisierungsprozesse auch breiter wirksam wurden. So ist der Einfluss des als Post Punk, Minimal Wave oder Synth Wave bezeichneten Genres auf die aktuelle elektronische Musiklandschaft kaum zu übersehen. Beispielsweise sind nicht wenige der in diesem Umfeld gestarteten Labels und Künstler mittlerweile eher im Techno-Bereich zu Hause.21 Musikalisch wachsen hier seit Jahren alte Wave- und Post Punk-affine Spezialgenres der 1970er und 1980er wie EBM, NDW, New Beat, Industrial oder Synth Wave mit Techno zusammen. Erstgenannte Genres wurden dadurch wahlweise weniger vocal-lastig oder tanzbarer, Techno wurde dunkler und bedrohlicher (vgl. dazu auch Aleks, 2016; Kindt, 2016). Eine Veränderung, die klar retrologisch daherkommt und dennoch Neues schaffte, indem sie durch Rekombination von Klang und Ästhetik alte Genres wiederbelebte und damit nicht zuletzt neue Publika erreichte. Ablesbar und konkret erfahrbar wurde diese Entwicklung anhand neuer Partyreihen22 in den westlichen Metropolen und deren musikalischer Fokusse. Diese reichen von klassisch anmutenden, melodischen Gitarren über massenkompatiblen Synthie Pop bis hin zu harten, technoiden Beats und harschem Industrial. Sie bieten der über die Musikdownload Blogs befeuerten retrologischen Erneuerung der Popmusik lokale Plattformen. Darüber hinaus entstanden einige, mittlerweile regelmäßig stattfindende Festivals.23 Oft sind dies Sonderausgaben bereits existierender Partys oder Konzertreihen24 oder auch Label-Festivals25.
21 Labels wie Aufnahme+Wiedergabe oder Mannequin Records sind durch ihre vielfältigen Veröffentlichungen seit einigen Jahren Bindeglieder zwischen dem Post Punk und WaveUmfeld, der Techno- und der Industrialszene. Besonders deutlich wird diese Verbindung auch bei Künstlern wie Phase Fatale oder Silent Servant. Diese haben einen Post PunkHintergrund, verorten sich mit ihren aktuellen Veröffentlichungen jedoch ebenso klar im Technobereich wie mit ihren regelmäßigen Auftritten in Clubs wie dem Berghain. 22 Wierd in New York (ab 2003), Future Echo in Wien (ab 2011) oder Rare in Prag (ab 2011); in Deutschland unter anderem Attaque Surprise in Köln (ab 2006), Death#Disco in Berlin (ab 2010); Lost Places in Hamburg (ab 2011), White Circles in Leipzig (ab 2013), coinciDANSES in Bremen (ab 2014). 23 Beispielsweise das ›Gothic Pogo Festival‹ (Leipzig, Deutschland, ab 2000), das ›Kalabalik‹ (Tyrolen/Alvesta, Schweden, ab 2011) das ›Waveteef‹ (Wommel/Antwerpen, Belgien, ab 2014), das ›Young and Cold‹ (Augsburg, Deutschland, ab 2014). 24 Beispielsweise das ›Mini Cave Festival‹ in Münster (ab 2013) oder das ›Damaged Goods Festival‹ in Hamburg (ab 2016). 25 Beispielsweise das ›Kernkrach Festival‹ (ab 2003 in Warendorf, später in Bielefeld).
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Anzumerken ist, dass es eine große Diversität bezüglich der Breitenwirkung neuer Retrostile und -nischen gibt. Während Clubs wie der Tresor oder das Berghain Woche für Woche tausende Menschen mit retroerneurtem Techno versorgen, sind einige der angesprochenen Festivals oder Partys für vergleichsweise äußerst geringe Besucherzahlen ausgelegt. Sie finden in Kellern und kleinen Clubs mit Fassungsvermögen zwischen 50 und 200 Menschen statt und wollen letztlich auch gar nicht größer werden. Sie folgen eher dem DIY-Gedanken und deuten die mangelnde Reichweite nicht selten in Exklusivität um. So gab es für das dreitägige ›Waveteef‹-Festival in Wommel bei Antwerpen in den Jahren 2017 und 2018 jeweils nur 200 Tickets. Ähnliches gilt für das ›Young and Cold‹-Festival in Augsburg mit einer Limitierung auf 99 Tickets für alle drei Tage26. Hier findet sich der Distinktion ermöglichende Exklusivitätsgedanke der hochspezialisierten Musikdownload Blogs im Festivalgewandt wieder. Ökonomisch bedeutsamer sind Musikdownload Blogs mit ihrer Wiederbelebung vergessengeglaubter Genres für den Tonträgermarkt. Dies macht sich insbesondere an den zahlreichen Wiederveröffentlichungen bemerkbar, die den Vinylboom flankieren. Popmusik, die zur Zeit ihrer Veröffentlichung kaum wahrgenommen wurde, wird nun von Konsumenten völlig neu entdeckt und gekauft. Zwar sind die Auflagen vieler dieser Wiederveröffentlichungen stark limitiert – meist auf einige hundert Exemplare. Dennoch zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre – die wachsende Zahl an Labels, die deutlich steigenden Preise für Vinyl 27 und nicht zuletzt der Bedarf an Nachpressungen, der nicht nur für alte Veröffentlichungen, sondern auch für Wiederveröffentlichungen existiert28 –, dass hier ein lukrativer Nischenmarkt entstanden ist. Bezogen auf den Wert von Popmusik haben Musikdownload Blogs letztlich zwei gegenläufige Trends mitgesetzt, bei denen sich zeigen muss, welcher nachhaltiger sein wird. Einerseits erhöhten sie den Wert von Popmusik, indem sie vergessener Musik zu neuer Präsenz verhalfen und dazu beitrugen, dass sich Altes und Neues gegenseitig befruchtete und daraus wiederum immer neue Rekombinationen entstanden. Damit intensivierte sich gewissermaßen die kommerzielle und kulturelle Auswertung von Popmusik. 26 Da jeder Tag in einer anderen Location stattfindet, sind für Freitag beziehungsweise Samstag jeweils mehr Karten erhältlich. 27 Das Label Oraculo Records (oraculorecords.bandcamp.com) veröffentlichte im Februar 2017 mit dem Sampler »Ride The Wave« und dem neuen Album von Synths Versus Me namens »Sex/Body/Touch« gleich zwei Doppel-LPs für einen Preis von je über 40 Euro. Ähnliche Tendenzen zeichnen sich bei anderen Labels ab. 28 Das Label Minimal Wave (minimalwave.com) veröffentlichte 2017 nach 2012 und 2010 bereits die dritte Auflage der LP-Zusammenstellung »Decadence« der französischen 1980er-Band Deux.
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Andererseits trugen Musikdownload Blogs auch zu einer Entwertung von Popmusik bei, die Mark Allen (2012) in seinem Beitrag über den Aufstieg und Fall von Musikdownload Blogs anschaulich darlegt. Wenn einst rare Tonträger digitalisiert online Angeboten werden, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Wert der Musik abnimmt. Irgendwann hat jeder Interessent das ursprünglich seltene Material. Damit wird es für Experten schwerer, ihren Expertenstatus zu erhalten. »Suddenly everyone in the world had the coolest record collection in the world; and soon, nobody in the world had the coolest record collection in the world.« (Allen, 2012) Musikdownload Blogs wurden daher auch nicht wie Tauschbörsen (Napster, Bittorrent) juristisch geschlossen oder in kommerzielle Angebote überführt, sie brannten gewissermaßen von selbst aus.
7.3 FALLBEISPIEL 3: BANDCAMP Bandcamp wurde 2008 gegründet. Der Service bietet die Möglichkeit, Musik herunterzuladen und zu streamen. Dennoch sieht sich Bandcamp weder als Downloadplattform noch als typischen Streamingservice. Wichtiger ist dem Anbieter, nach eigener Aussage, eine direkte Verbindung zwischen Künstlern und Publikum zu ermöglichen (vgl. Bandcamp Daily, 2016c). Kombiniert mit dem DIY-Gedanken bietet Bandcamp genreübergreifend Künstlern die Gelegenheit, ihre Musik selbst zu vermarkten. Die Bedienung ist einfach und in seiner zweiten Iteration trumpft Bandcamp zusätzlich mit klassischen sozialen Funktionen wie »jemandem folgen« oder »Musik verschenken« auf. Bandcamp richtet sich vor allem an kleinere ›Independent‹-Künstler beziehungsweise Labels. Im Firmenstatement auf der Website heißt es: »We treat music as art, not content, and we tie the success of our business to the success of the artists who we serve.« (Bandcamp, 2015) In der Tat haben Künstler oder Labels, die Bandcamp nutzen, relative große Kontrolle über ihre Veröffentlichungen. Nach Anlegen eines Accounts können Musik und Begleitmaterial wie Booklets oder Bilder auf den Bandcamp-Server geladen werden. Die Künstler entscheiden, wann und wie sie ihre Musik veröffentlichen wollen; wie viel die von ihnen veröffentlichte Musik kosten soll; ob sie vor dem Kauf ganz, teilweise oder gar nicht via Streaming angehört werden kann und wie Versand- und Zahlungsmodalitäten aussehen. Bandcamp bietet die Umwandlung der Rohdaten in verschiedene Audioformate, darunter auch in das bei Audiophilen beliebte verlustfreie FLAC-Format (vgl. Fußnote 96). Neben Musik können auch physische Produkte über Bandcamp verkauft werden, wobei sich die Künstler um Versand und Lagerhaltung kümmern müssen. Bandcamp zeigt lediglich das Produkt online und wickelt den Kaufvorgang über seine Plattform ab. Um seinen Service zu finanzieren behält Bandcamp 15 Prozent des Umsatzes mit
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digitaler Musik und 10 Prozent des Umsatzes mit physischen Produkten ein. Nach eigenen Angaben ist die Firma damit seit 2012 profitabel. Im Jahr 2016 wuchs der Umsatz der Seite um 35 Prozent, sodass monatlich in der Summe 4,3 Millionen USDollar bei den Künstlern ankamen (Bandcamp Daily, 2016c). Im Jahr 2016 wuchs Bandcamp erneut, gab jedoch keine Umsatzzahlen, sondern lediglich ein Stückwachstum von 20 Prozent bei Albenverkäufen, 23 Prozent bei Einzelsongverkäufen und 34 Prozent bei Merchandiseverkäufen an (Bandcamp Daily, 2017). Auch die Stückzahl verkaufter Tonträger nahm deutlich zu. Insbesondere ist dies auf stark steigende Kassetten- und Vinylverkäufe zurückzuführen (ebd.). Die Plattform hat mehrere Millionen aktive Nutzer (Bandcamp Daily, 2016c) und verkauft nach eigenen Angaben alle drei Sekunden eine Platte (Bandcamp Daily, 2017). Damit stemmt sich Bandcamp erfolgreich gegen Branchentrends wie Streaming, sinkende CD-Verkaufszahlen und fallende Digitalumsätze (ebd.). Aus Sicht der Musiker und Labels ist Bandcamp eine gute Möglichkeit Musik auf einfache Art und Weise selbst zu vertreiben. Aus Sicht der Nutzer und Fans ist Bandcamp ein weiterer digitaler Musik-Service, der neben Download und Streaming auch den Erwerb physischer Produkte wie Schallplatten, CDs, Kassetten, aber auch Fanartikel, beispielsweise T-Shirts, Taschen oder Poster ermöglicht. Dabei hat es sich etabliert, zusätzlich zu den physischen Tonträgern immer auch eine Downloadvariante der Musik zu erhalten, die dann in der sogenannten »Collection« gelistet wird. Bandcamp bietet damit auch eine Art Sicherung für die erworbene Musik an, denn einmal Gekauftes kann jederzeit erneut heruntergeladen werden. Dieser Service wird auch von anderen großen Anbietern wie Amazon oder dem Universal-Dienst Umusic29 angeboten. Eine aus kommunikationssoziologischer und ökonomischer Perspektive wichtigere Funktion, die Bandcamp von anderen digitalen Musikangeboten unterscheidet, ist die Sichtbarkeit dieser Sammlung für andere. Damit erlangt Bandcamp den Status eines sozialen Netzwerks für Musik. Es ist nämlich zusätzlich möglich, anderen Nutzern zu folgen und auf dem Laufenden über deren Neuerwerbungen zu bleiben. Regelmäßige Mailings, Einstellmöglichkeiten für Lieblingstitel oder die Option, Musik über Bandcamp zu verschenken, unterstreichen die Absicht, vielfältige Kaufanreize zu generieren. Bandcamp bietet auch eine Handyapp an, mit der es möglich ist, die eigene Musiksammlung zu streamen. Bandcamp grenzt sich selbst immer wieder von reinen Streaming- oder Downloadplattformen ab und betont stets den engen Bezug zu den Künstlern, denen volle Kontrolle über ihre Veröffentlichungen gewährt werde (vgl. Bandcamp 2016c; Bandcamp Daily, 2017).
29 www.umusic.me
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7.3.1 Bandcamp und die Folgen 7.3.1.1 Soziotechnische Implikationen – Bandcamp als soziales Musiknetzwerk Bandcamp lässt sich als soziales Musiknetzwerk begreifen. Die Plattform macht die eigene Musiksammlung sichtbar und ermöglicht darüber das Teilen des eigenen Popmusikrepertoires mit anderen Nutzern. Damit dient sie als hochspezialisiertes Kommunikationswerkzeug. Dass Popmusik mit anderen geteilt wird, ist keineswegs neu (vgl. Wall, 2013, S. 286). Das Eingehen von Bandcamp auf dieses schon immer existierende Bedürfnis kann als wichtiger Grund für den Erfolg der Plattform gesehen werden. Direkte Empfehlungen, die Möglichkeit Geschenke zu machen, Hinweise auf die Käufe befreundeter Nutzer und Erinnerungen an neue Veröffentlichungen sind Ausdruck einer verstärkten kommunikativen Vernetzung und sozialen Einbettung, bei der in diesem Fall Popmusik die zentrale Rolle einnimmt. Bandcamp bietet die Option, die auf der Plattform erworbene Musiksammlung öffentlich auszustellen und so gewissermaßen – ähnlich wie Musikdownload Blogs auch – popmusikalisches Kapital anzuzeigen. Dies ermöglicht soziale Positionierung, Distinktion und Identitätsarbeit. Zudem kann auf die Sammlungen anderer Nutzer zugegriffen werden. Dadurch bietet die Plattform eine gute Möglichkeit, neue Musik kennenzulernen. Ferner führt die Option anderen Nutzern zu folgen zu umgehender Information über deren neuerworbene Inhalte und Gegenstände. Eine Besonderheit von Bandcamp ist außerdem die Verknüpfung der physischen und der digitalen Ebene von Popmusik, denn hier findet Musik nicht nur immateriell statt, sondern es ist auch möglich, Tonträger und weitere Produkte zu kaufen und zu handeln. Damit steht die digitale Plattform stellvertretend für die Rückkehr des Materiellen in einer durchdigitalisierten Popmusikwelt. 7.3.1.2 Ökonomische Implikationen – neue Perspektiven der Distribution für Nischenmusik Bandcamp ist ein Weg unter vielen, neue Musik zu kaufen und virtuell zu archivieren. Für die Künstler ermöglicht der Dienst eine sehr direkte Art des Vertriebes, ohne die oft zeit- und geldraubenden Verträge mit Labels. Durch die individuelle Gestaltung der Preise und die Möglichkeit sowohl einzelne Titel als auch ganze Alben oder gar ganze Diskografien zu verkaufen, ist die Nutzung des Services sehr flexibel und damit individuell gestaltbar. Die Möglichkeit, sich per Mail über neue Veröffentlichungen ganz bestimmter Bandcamp-Anbieter (Labels, Künstler) informieren zu lassen und die Information darüber, was andere gekauft haben, ähnelt anderen E-Commerce Angeboten. Gleichzeitig verfügt man mit Bandcamp über einen sehr direkten Weg, Künstler oder Labels zu kontaktieren. Anfragen an die angegebenen Mailadressen werden
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häufig und schnell beantwortet und die Zahlung erfolgt ohne Umwege und landet – abgesehen von dem Anteil, den Bandcamp selbst einbehält – direkt bei den Musikern. Bandcamp hat sich als Plattform für Nischenmusik etabliert. Viele Künstler die auf DIY-Basis, ohne Plattenvertrag und mit kleinen Stückzahlen operieren, nutzen die Möglichkeiten und verkaufen nun Merchandise und Tonträger nicht mehr nur auf Konzerten, sondern auch auf diesem Wege. Bandcamp trägt dabei besonders der Partikularisierung der Popmusik Rechnung. Hier ist jede Nische vertreten und jeder Konsument kann seine Nische finden (vgl. Hughes, Evans, Morrow & Keith, 2016, S. 124). Ökonomisch gesehen wird damit Andersons »Long Tail« Realität (vgl. dazu ausführlich Anderson, 2006, S. 52-57). Bandcamp selbst verdient an jeder einzelnen Veröffentlichung mit. Die Plattform bietet dabei lediglich die immer günstiger werdende technologische Infrastruktur und schließt Verträge mit den Anbietern (Künstler, Labels) ab. Sie hilft damit, Popmusik sichtbar zu machen. Der eigentliche Aufwand für jede Bestellung – Administration, Lagerung, Kundenkontakt, Versand und dergleichen mehr – ist entweder stark automatisiert oder ausgelagert an die einzelnen Anbieter. Diese wiederum finden in Bandcamp eine relativ einfache Möglichkeit ihre Musik zu kommerzialisieren, unabhängig davon, wie berühmt sie sind und wieviele Menschen sie potenziell erreichen. Bandcamp demokratisiert auf diesem Wege die Distribution von Popmusik, indem es den Zugang zu Nischen deutlich vereinfacht und umgekehrt den Anbietern in den Nischen den Zugang zu einem Markt erst ermöglicht. Es ist damit ein Service, der beispielhaft aufzeigt, wie die Long-Tail-Ökonomie vom Internet profitiert. »The Internet simply makes it cheaper to reach more people, effectively increasing the liquidity of the market in the Tail.« (Ebd., S. 55) Darüber hinaus ist Bandcamp einer der Vorreiter freiwilliger Bezahlmodelle, denn für alle Artikel besteht die Möglichkeit mehr als den angegebenen Preis zu zahlen. Nicht selten wird diese Option wahrgenommen und dabei auch für kostenlos verfügbares Geld bezahlt (vgl. Benkler, 2011, S. 29). Offensichtlich trägt der ungefilterte, direkte Kontakt zu den Künstlern, den Bandcamp ermöglicht, dazu bei, diese freiwilligen Zahlungen zu generieren. Hier deutet sich eine neue Sicht auf die Wertschätzung musikalischer Inhalte an, die sich auch ökonomisch niederschlägt, jedoch vom kommunikativen Engegament der Künstler abhängig zu sein scheint. Individuelle Netzwerkarbeit als Ausweis von Nahbarkeit und Authentizität kann sich hier auszahlen. Bandcamp bietet auch dafür die technische Infrastruktur. »The design of the interaction requires an engaged artist willing to communicate with his or her fans continuously; a trusting platform rather than a ›trusted system‹, at least technically and in many cases also in terms of Creative Commons licensing as well; and elements that are designed to elicit a dynamic of reciprocity rather than the antagonism that the traditional system, transposed to the digitally-networked environment, has tended to create.« (Ebd., S. 31)
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7.3.1.3 Musikkulturelle Implikationen – Vernischung und die Verbindung von Digitalem mit Physischem Musikkulturell versinnbildlicht Bandcamp zuvorderst die Vernischung der Popmusik. Alleine im Jahr 2016 erweiterte sich das Angebot um über 2.000 neue Labels und hunderttausende neuer Künstler (Bandcamp Daily, 2017). Wenn Musikdownload Blogs jeweils die musikalischen Interessen einzelner an das Blogpublikum kommunizieren, dann ist Bandcamp die Plattform für eine umfassende Suche nach Künstlern, Genres und Musik, die rechts und links neben diesen Interessen liegt. Über Tags, Empfehlungen und Mailings wird das bereits bei Musikdownload Blogs ermöglichte »digitale Digging« innerhalb eines riesigen Netzwerks möglich. Es ist unmöglich, die gesamte Menge an Musik zu konsumieren, die bei Bandcamp angeboten wird. Die Plattform bietet mit ihrer Fülle an Spezialgenres und dem einfachen Zugriff darauf aber optimale Voraussetzungen für das Entdecken und Aneignen neuer Popmusik. Bandcamp verdeutlicht zugleich, dass die vielfältigen popmusikalischen Nischen kulturell und ökonomisch höchst lebendig sind. Als Kanal, der direkt von Künstlern oder kleinen Labels bedient werden kann, zeigt sich die Plattform äußerst flexibel und immer aktuell. Über die Kaufoptionen, die auch physische Tonträger und Merchandise miteinschließen, wird die Verbindung in die physische Welt auf einfache Weise hergestellt. Damit kann erarbeitetes Spezialwissen nicht nur online über die Darstellung der »Collection«, sondern auch offline sozial wirkungsvoll zum Einsatz kommen, wenn der Popmusikkonsument mit den gekauften Tonträgern, T-Shirts oder ToteBags bei der nächsten Party oder dem nächsten Treffen reüssiert.
7.4 FALLBEISPIEL 4: STREAMING Streaming ist das zum Erscheinungszeitpunkt dieser Arbeit wohl gesamtgesellschaftlich und musikkulturell bedeutendste Fallbeispiel für den digitalen Wandel der Popmusik. Beim Streaming handelt es sich um gefühlte Echtzeitdatenübertragung. Auf Inhalte – neben Musik sind dies vor allem Bewegtbilder – wird dabei über eine Internetverbindung zugegriffen. Im Gegensatz zum Musikdownload werden jedoch zunächst keine Dateien abschließend und vollständig heruntergeladen und auf der Festplatte gespeichert, sondern lediglich Teile davon. Dabei lassen sich aus technischer Sicht Live-Streaming und On-Demand-Streaming unterscheiden. Beim reinen Live-Streaming werden die Daten unabhängig vom Server ausgetauscht. Das Internet dient sozusagen als Kanal, der das Erlebnis einer LiveSituation am anderen Ende der Leitung ermöglicht, wie bei Skype-Gesprächen oder Onlinespielen auch. Bricht die Verbindung kurz ein, leidet sofort auch die Qualität. Beispiele dafür sind das klassische Onlineradio, aber auch TV-Streaming-
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Angebote, wie sie beispielsweise die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland bereitstellen. Hier verschwimmen jedoch bereits die Grenzen zum On-Demand-Streaming, denn auch die Live-Mediathek-Angebote lassen sich mittlerweile pausieren und, zumindest begrenzt zurück- und – bis zum aktuellen LiveZeitpunkt – auch wieder vorspulen. Das bedeutet, hier werden wie beim On-Demand-Streaming Datenpakete lokal gespeichert und bereitgehalten. Auf diese Weise lassen sich auch Verzögerungen aufgrund schwankender Verbindungen ausgleichen. Die Daten landen im Zwischenspeicher – dem sogenannten Cache – des lokalen Gerätes. Die Speicherung nennt man Buffering (Puffern). Während eines solchen On-Demand-Streams wird also nicht unbedingt eine komplette Datei gespeichert, dennoch wird der gesamte Inhalt nach und nach heruntergeladen. Abhängig von den Browsereinstellungen befindet er sich möglicherweise auch nach dem Konsum noch auf der Festplatte. Dies erleichtert einerseits die Interaktion mit dem Medieninhalt: Nutzer können jederzeit zu beliebigen Punkten des Streams springen oder anderweitig flexibel mit den Inhalten umgehen – ganz so, als wären diese lokal verfügbar. Andererseits verändert sich dadurch die juristische Sichtweise auf das Streaming.30 Denn – und so argumentieren vor allem die legalen Anbieter – letztlich handelt es sich um einen Download, also um eine Kopie des Inhaltes und die ist nur mit Zustimmung des Urhebers beziehungsweise der ihn vertretenden Unternehmen rechtmäßig. Dabei ist zu beachten, dass Anbieter illegaler Streams, also Plattformen wie kino.to oder dessen Nachfolger kinox.to, die eben nicht die Rechte für ihr Angebot erworben haben, immer gesetzeswidrig handeln. Nutzer jedoch können juristisch nur belangt werden, wenn sie wirklich eine Kopie des Angebotes lokal speichern und gegebenenfalls weiternutzen oder weitergeben. Beim Streaming ist also die Frage nach der Speicherung juristisch entscheidend. Ob diese Speicherung, beispielsweise im Sinne des Rechtes auf eine Kopie für private Zwecke erlaubt ist oder nicht, ist dabei umstritten (vgl. o. A., 2015a). In jedem Falle wird sie von kommerziellen Anbietern häufig auch mit zusätzlichen technischen Mitteln unterbunden oder zumindest erschwert. Theoretisch können via Streaming alle möglichen audiovisuellen Inhalte von Anbietern zu Konsumenten übertragen werden. Selbst das Streamen interaktiver Inhalte wie digitaler Spiele ist ein bereits erprobtes Szenario.31 Aus technischer Sicht 30 Der juristische Blick auf Streamingangebote soll hier nur am Rande Beachtung finden. Für Details zur Problematik sind aktuelle Gerichtsurteile wie sie beispielsweise auf www.urheberrecht.org zu finden sind zu konsultieren. Außerdem geben viele Anwaltskanzleien Hilfe und Tipps zum Thema (vgl. Herrmann, 2015). Für eine Übersicht zur Problematik vgl. bspw. die Veröffentlichungen von Oelgeschläger (2014) oder Schwaiger (2015). 31 Anbieter wie ›OnLive‹ (onlive.com) oder ›Gaikai‹ (www.gaikai.com) sind hier Pioniere, deren Technologien sich bisher allerdings als nicht marktfähig erwiesen haben.
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entlastet Streaming die lokalen Speicherkapazitäten der Konsumenten, belastet gleichzeitig allerdings die Datenverbindung. Aus Sicht der Medienaneignung wird dadurch, bei entsprechender technischer Ausstattung, der Konsum mobilisiert und das potenziell jederzeit verfügbare Angebot wächst – zumindest theoretisch – ins Unendliche. Dies zeigt sich besonders beim Musikstreaming, wo Anbieter mit sukzessive wachsenden Bibliotheken aufwarten und mittlerweile bis zu 40 Millionen Titel im Programm haben.32 Einschränkungen des Zugriffs gibt es entsprechend bei mangelnder Internetversorgung, beispielsweise in bandbreitenschwachen Regionen. 7.4.1 YouTube und Videoplattformen Der bekannteste Streaminganbieter ist wohl YouTube33. Das Portal erlaubt es Nutzern, Videos hochzuladen und stellt diese zur Ansicht bereit. Um sie anzusehen muss nichts heruntergeladen werden, sondern es wird per Stream darauf zugegriffen. YouTube ist im Gegensatz zu vielen anderen Streamingdiensten kein Inhalteanbieter. Weder kreiert es eigene Videos, noch erwirbt es Rechte an diesen. Das Angebot lebt ausschließlich von sogenanntem »User Generated Content«, also den Inhalten, die Nutzer erstellen. Professionelle Vermarkter wie Plattenfirmen, Filmverleihe oder Werbetreibende nutzen YouTube, um für ihre Produkte zu werben, beispielsweise indem Trailer oder auch Teile des fertigen Produktes angeboten werden. Veröffentlicht ein bekannter Künstler neue Musik oder kommt ein Film in die Kinos, ist eine Marketingkampagne ohne YouTube heute in der Regel undenkbar. Musikvideos, Filmtrailer, Behind-The-Scenes-Material, Interviews mit den Akteuren, all das erscheint häufig zuerst auf YouTube oder vergleichbaren Plattformen. Aber auch Privatpersonen nutzen YouTube als Kommunikationskanal. Beispielsweise werden hier Videotagebücher angelegt oder semi-professionelle thematische Videoblogs angeboten, mit denen die Betreiber Geld verdienen. Besonders bei Jugendlichen sind diese von Amateuren inszenierten YouTube-Formate, die sich mit Mode, digitalen Spielen, Make-Up, Comedy, aktuellen Nachrichten oder einfach nur dem Alltag Jugendlicher beschäftigen, sehr populär (vgl. Tabelle 4).
32 Die Zahl der Titel wächst kontinuierlich. Tests aus dem Jahr 2014 und 2015 zeigen, dass die meisten Anbieter ein Repertoire zwischen 20 und 30 Millionen Titeln angeben (vgl. u.a. Dettweiler, 2015, Schulze-Siebert, 2016). Im Januar 2016 warb der Dienst Deezer bereits mit 40 Millionen Titeln auf seiner Homepage, Napster nannte eine Zahl von 34 Millionen (vgl. auch Leissner, 2017). 33 www.youtube.com
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Tabelle 4: Übersicht über ausgewählte YouTube-Stars im deutschsprachigen Raum. Views des erfolgreichsten Videos
You Tube-Kanal
Zeitraum der Aktivität
Gronkh
seit 2006
Games
4.500.198
2.102.289.31 7
9.710.222
Y-Titty
2008 - 2015
Comedy, Musik
3.148.282
766.309.692
27.441.885
LeFloid
seit 2007
Nachrichten, Politik
3.053.560
526.282.828
5.209.943
Bibi’s Beauty Place
seit 2012
Make-Up
4.328.416
1.210.483.25 8
12.538.149
Dagi Bee
seit 2012
Alltag weiblicher Jugendlicher: Kosmetik, Mode, Gefühle
3.383.791
637.273.381
41.214.906*
Die Lochis
seit 2011
Comedy, Musik
2.289.272
721.285.541
Inhalt / Themen
Abonnenten
Kanalaufrufe
20.048.501
Quelle: youtube.com, Zahlen vom 26.01.2017; *Hierbei handelt es sich um ein Musikvideo mit KC Rebell und Moé. Aufgrund der Verbeitung über andere Kanäle hat es überproportional viele Views.
So gibt es mittlerweile zahlreiche YouTube-Stars, deren Videos millionenfach gesehen werden und die dadurch insbesondere bei der jungen Zielgruppe größere Bekanntheit erreichen als viele TV-Akteure. Ihre Videos gelten als authentisch und nah am Publikum. Sie verdienen Geld mit Werbung, Product-Placement oder Produktbesprechungen und werden nicht selten auch von den traditionellen Medien hofiert. Damit durchbrechen diese Stars oft die medialen Schranken, finden sich plötzlich im TV wieder oder sind Thema in Zeitungen und Zeitschriften. Im deutschsprachigen Raum gelang es beispielsweise dem Nachrichten-YouTuber LeFloid im Sommer 2015 ein 30-minütiges Interview mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu führen. Das spannende Experiment wurde von den etablierten Medien zwar hart kritisiert, es zeigt aber, welche Bedeutung YouTube mittlerweile erlangt hat. Für LeFloid und seine Bekanntheit war es ebenfalls sehr zuträglich. Das Video34 avancierte mit über fünf Millionen Aufrufen zum meistgesehensten seines 34 www.youtube.com/watch?v=5OemiOryt3c
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YouTube-Kanals. Auch die Musikbranche ist ein dankbarer Abnehmer für die Popularität dieser neuen Stars. Die Comedy-Musik-Gruppe Y-Titty gewann 2014 beispielsweise den Musikpreis Echo in der Kategorie »Bestes Video National«. Der Gruppe Die Lochis gelangen ebenfalls musikalische Erfolge. Sie konnten bereits einige Singles in den deutschen Charts platzieren und drehten sogar einen Kinofilm. Internationale YouTube-Stars wie PewDiePie, Smosh oder HolaSoyGerman sind noch erfolgreicher und erreichen mit einem Video teilweise über 100 Millionen Aufrufe (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Übersicht über ausgewählte internationale YouTube-Stars.
YouTubeKanal
PewDiePie HolaSoy German Smosh
Zeitraum der Aktivität
seit 2010
Seit 2011
Seit 2005
Views des Inhalt / Themen
Abonnenten
Kanal-
erfolg-
aufrufe
reichsten Videos
Games Alltag, Comedy Comedy
52.721.381
30.843.476
22.548.367
14.489.877.7 16 2.957.208.21 1 6.220.156.03 6
76.225.334
71.395.625
80.930.580
MakeUp, Zoella
seit 2007
Mode,
11.533.964
915.022.352
20.284.785
Lifestyle The Slow Mo Guys Miranda Sings
Alltag, seit 2010
Gemischt,
8.862.007
Zeitlupen seit 2008
Music, Comedy
7.521.935
1.078.324.39 4 1.202.908.47 5
154.987.705
23.824.239
Quelle: youtube.com, Zahlen vom 26.01.2017.
YouTube konkurriert mit seinem von Nutzern generiertem Angebot einerseits mit etablierten Medien wie dem Fernsehen, kommerziellen Streamingdiensten oder Musikanbietern. Andererseits stellt YouTube einen neuen Kanal für Kommunikation und Unterhaltung dar. Obwohl YouTube eine Videoplattform ist, hat das Angebot große Relevanz für den Musikkonsum, vor allem bei Heranwachsenden. Nach
Fallbeispiele | 295
Schorb sind YouTube und vergleichbare Plattformen wie Clipfish35 oder MyVideo36 gar das »Musikmedium Nr.1« bei 12- bis 19-Jährigen (Schorb, 2012, S. 20). Videoplattformen bieten mit ihrem einfachen und kostenlosen Zugang, dem schier unendlichen Angebot und den Verlinkungsoptionen einen guten Einstieg in den Musikkonsum. Schorb konstatiert daher folgerichtig: »Wollen die Heranwachsenden einfach und schnell an neue Musik herankommen, wenden sie sich YouTube zu.« (Ebd., S. 18) Dabei sind Videostreaming-Plattformen weit von einer auf den Musikkonsum ausgerichteten Optimierung entfernt. Sie übertragen neben der Audioauch immer eine Videospur und benötigen dadurch mehr Bandbreite. Auch Audioqualität und Funktionsumfang fallen häufig geringer aus als bei dezidierten Musikstreaming-Angeboten. Ihr Vorteil ist, dass sie früher da waren und offen für sehr unterschiedliche Nutzungswege sind. Sie bieten gleichzeitig mehrere Unterhaltungsmodi an. Ein Wechsel zwischen Musikkonsum, dem Anschauen einer Serie oder dem Verfolgen der oben beschriebenen thematischen Videoblogs ist jederzeit mit wenig Aufwand möglich. Seit Jahren »stellt YouTube die wichtigste und meist genutzte Anlaufstelle für musikbezogene Tätigkeiten im Internet dar. Gründe hierfür sind die spezifischen Merkmale des Angebotes, die […] wie kaum ein anderes Musikmedium unterschiedlichste Umgangsweisen ermöglichen.« (Ebd., S. 22) Es sind also einmal mehr die Optionen, die diese Technologie so erfolgreich machen und ihr, wie es Claus Tully ausdrückt, »soziale[n] Sinn« verleihen (Tully, 2014, S. 159). Schorb fasst die herausgehobene Bedeutung YouTubes für die Musikaneignung in vier Punkten zusammen (vgl. Schorb, 2012, S. 22f.). Danach ist die Plattform: • Quelle für musikbezogene Informationen, denn die Nutzer entdecken über sie
neue Musik, informieren sich über Trends und gehen Informationen nach, die sie woanders erhalten haben. • Bezugsquelle für Musik, weil Nutzern einerseits legale und kommerzielle Möglichkeiten angeboten werden, die angebotene Musik zu erwerben, beispielsweise über Verlinkungen mit Downloadplattformen. Andererseits existieren einfache technische Möglichkeiten, die YouTube-Tonspur direkt aus dem Video zu beziehen. • Online-Community, denn YouTube ermöglicht die Kontaktaufnahme, Interaktion und Vernetzung von Musikern und Publikum oder auch von Musikern untereinander. Und entgegen seiner Spezifik als Videoplattform ist YouTube eben auch
35 www.clipfish.de 36 www.myvideo.de
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• ein auditiver Kanal. So geben viele Nutzer an, dass sich ihr Umgang mit YouTu-
be auf das Hören von Musik beschränkt. Das Video läuft dann im Hintergrund oder in einem inaktiven Browsertab und findet keine Beachtung. Die Plattform wird damit als reine Musikquelle genutzt. »Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und die breite Musikauswahl machen YouTube zu einem attraktiven Musikarchiv und zur primären Abspielstation.« (Ebd., S. 24) Aber auch hier gibt es juristische Komplikationen. Rechtlich problematisch wird es dann, wenn Privatpersonen Inhalte hochladen, die urheberrechtlich geschützt sind. Dies geschieht nicht selten, beispielsweise mit privat erworbenem Musikmaterial. Ein Video zu den urheberrechtlich geschützten Audioinhalten ist schnell erstellt und hochgeladen. Oft bestehen diese Fanvideos aus Slideshows, also einer Aneinanderreihung von Fotos oder anderen statischen Bildern. Die Musik wird dadurch jedoch frei im Netz zugänglich. Plattenfirmen und Verwertungsgesellschaften wie die GEMA verhandeln deshalb seit Jahren mit YouTube, um sich und ihre Künstler an den Einnahmen, die auf den attraktiven Popmusikinhalten basieren, zu beteiligen (vgl. o. A., 2015b). Teilweise gehen sie auch juristisch gegen diese Angebote vor, indem sie YouTube mit einstweiligen Verfügungen dazu bringen, bestimmte Videos wieder aus dem Netz zu entfernen oder zumindest für bestimmte Länder unzugänglich zu machen (ebd.). Von Vorteil und ein wichtiger Grund für den Erfolg von YouTube ist die Möglichkeit, Videos in andere Webseiten einzubetten. Bei diesem sogenannten Framing erscheint das Video inklusive aller Steuermöglichkeiten auf einer beliebigen Website und kann dort genutzt werden, ohne dass die YouTube-Seite selbst besucht werden muss. Die Daten bleiben dabei auf dem Youtube-Server. Diese Funktion, die auch andere Streaminganbieter anbieten, wird vor allem von Weblogs und in den sozialen Netzwerken genutzt, aber auch Nachrichtenseiten bedienen sich des Framings. Juristisch war auch hier lange Zeit umstritten, wer die Verantwortung für die dargestellten Inhalte trägt. Mittlerweile scheint der Umgang mit der Einbettung von Inhalten im Internet allerdings weitestgehend geklärt (vgl. Warr, 2014). YouTube und vergleichbare Videoplattformen verkörpern jedoch nur eine – wenn auch sehr populäre – Sonderform des Musikstreamings. Es gibt einige weitere Formen. Seit einigen Jahren gewinnen vor allem dezidierte Musikstreaminganbieter mit riesigen Bibliotheken mehr und mehr an Bedeutung. Sie werden Downloads als Form digitalen Musikkonsums absehbar den Rang ablaufen.
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7.4.2 Arten des Musikstreamings Nachdem Streaming zunächst vor allem für Bewegtbilder, also für Filme, Serien, Musikvideos und das TV-Programm37 ein großes, auch kommerzielles Thema war, etablierten sich reine Musikstreaming-Dienstleister erst um das Jahr 201038. Bereits vorher – ab Ende der 1990er Jahre – gab es eine frühe Form des Musikstreamings: das Internetradio. In Zeiten relativ geringer Bandbreite waren Audiosignale, zumal MP3-kodiert, bereits ohne Probleme übertragbar. Das klassische Internetradio war eines der ersten weit verbreiteten Streaming Media. In vielen Fällen war es lediglich ein neuer Verbreitungsweg bereits existierender terrestrischer Sender. Diese begannen Teile ihres Programms über das Netz zu senden und konnten so neue Hörergruppen erreichen. Die neuen Angebote hatten es zunächst schwer, Akzeptanz beim Publikum zu finden. So blieb das Radio für die Nutzer vorerst terrestrisch (vgl. Reißmann, Hartung & de Reese, 2009, S. 200ff.), aber die Möglichkeiten der Digitalisierung veränderten das Medium und es etablierten sich neben den Ablegern der terrestrischen Sender – beispielsweise Flux FM39 – spezialisierte Netzradioanbieter mit eigenem Programm – im deutschsprachigen Raum etwa Byte FM (2008) oder Detektor FM (2009). Diese Radios funktionieren als Musikangebot wie terrestrische Sender. Das heißt, sie haben ein redaktionell gestaltetes, zeitlich getaktetes Programm. Nur der Übertragungsweg und mit ihm die potenzielle Reichweite unterscheiden sich vom klassischen Radio. Anders sieht es bei den Individualradios wie Last FM40 oder Pandora41 aus. Hierbei handelt es sich um reine Musikangebote ohne redaktionellen Anteil. Sie ha37 YouTube startete 2005. Maxdome nahm 2006 seinen Betrieb auf. Netflix stieg 2007
ins Video-On-Demand Geschäft ein. Die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen TV Sender sind ebenfalls seit 2007 online. 38 Spotify kam 2008 auf den Markt und erreichte 2009 eine Million Nutzer. Seitdem steigen Nutzerzahlen und Umsatz. 39 Gestartet 2006 als Motor FM. 40 www.last.fm. Last FM wurde 2002 als Internetradio und Musik-Community gegründet. Nach zahlreichen technischen und rechtlichen Veränderungen wurde der Streamingservice 2014 eingestellt. Heute ist Last FM eine Art Musik-Community und Musikinformationsseite. Über einen sogenannten Audioscrobbler greift Last FM auf die lokal von Nutzern angehörte digitale Musik zu und erstellt so individuelle Statistiken zum Musikkonsum. Daneben bietet Last FM Hinweise auf Livekonzerte oder neue Künstler. Um Musik anzuhören verlinkt die Seite nun auf externe Anbieter wie Spotify. 41 www.pandora.com. Pandora ist ein im Jahr 2000 gegründetes Musikstreamingangebot, das auf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Musik basiert. Das Music Genome Project analysiert einzelne Musikstücke anhand von mittlerweile 450 Chrakteristika (Stand 2015) und bringt sie darüber in Verbindung. Pandora nutzt diese Datenbank und
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ben kein festgelegtes Programm. Stattdessen funktionieren sie über Algorithmen. Gespeist werden sie von Daten, die durch soziale oder musikalische Informationen von Nutzern oder aus der Musik ermittelt werden (Krause, 2006). Anhand eines individuellen Einstiegspunktes, also eines vom Nutzer angegebenen Songs oder Künstlernamens, werden vermeintlich passende weitere Titel vom Programm ausgewählt und in einer Art Endlos-Stream als Onlineradio angeboten. Über Interaktionsmöglichkeiten wie Like- oder Dislike-Buttons ermitteln die Algorithmen in der Folge weitere Passgenauigkeiten. Teilweise ist es dabei möglich, aktuell laufende Songs bei Nichtgefallen abzubrechen und direkt mit dem nächsten fortzufahren (Skipping). Pandora, Last FM und ähnliche Angebote können als Zwischenstufe in der Entwicklung vom kuratierten Radiostreaming, das noch stark in der Tradition des Massenmediums Radio stand, hin zum individualisierten Musik-Streaming gesehen werden. Die aktuell bestimmenden Anbieter von Musikstreaming wie Spotify, Deezer oder Tidal bieten wie Pandora und Last FM auch kostenlose und kostenpflichtige Accounts an, sind jedoch eher mit einer cloudbasierten Musikbibliothek als mit einem Radioangebot zu vergleichen, weil bei ihnen die Tracks und Alben von Künstlern – so sie denn im Angebot sind – direkt angewählt werden können. Letztlich bieten aber auch sie so etwas wie eine Radiofunktion, denn ihre individuellen Mixes oder Playlists versprechen passenden und endlos langen Musikgenuss. Anbieter wie Soundcloud, Mixcloud oder Bandcamp sind ebenfalls zu den Streamingdienstleistern zu zählen. Allerdings haben sie eine andere Herangehensweise an den Musikkonsum oder an die Verwaltung von Inhalten und sind daher von den vorgenannten zu unterscheiden. Abbildung 8 gibt eine Übersicht über die für den Musikkonsum relevanten Streamingangebote mit ihren jeweiligen Spezifika und einigen Vertretern. Eine exakte Abgrenzung ist problematisch, da sich mehrere Ansätze der Refinanzierung, der Zugangsweisen und des Bereitstellens und Verwaltens von Inhalten überschneiden. Grob gliedern lässt sich das Streamingangebot jedoch in drei Typen. Die Gratis-On-Demand-Angebote (Typ 1), die Flatrate-OnDemand-Angebote (Typ 2) und die Radioangebote (Typ 3). Die Gratis-On-Demand-Angebote zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Hauptsache kostenlos genutzt werden. Auch wenn einige dieser Angebote kostenpflichtige Premium-Accounts offerieren, gelten sie aus Sicht der meisten Anwender als kostenlose Plattformen und werden vor allem darum so intensiv genutzt. Unter ihnen ist mit YouTube das aktuell meist genutzte Musikportal, aber auch Soundcloud erfreut sich großer Beliebtheit. Beide können sowohl stationär am PC als auch mobil mit Smartphones genutzt werden. Bei diesem Typ 1 lassen sich wiederum reine Audioangebote von Audio-Video-Angeboten unterscheiden. Zu den reierrechnet anhand von Nutzerinput Songs, die dem individuellen Geschmack entsprechen. Aufgrund von juristischen Problemen ist Pandora seit 2007 außerhalb der USA nicht mehr nutzbar.
Fallbeispiele | 299
nen Audioangeboten zählen Dienste wie Soundcloud oder Mixcloud. Die bekannten Videoplattformen sind YouTube, Vimeo, MyVideo oder auch TapeTV. Diese sind in vielen Fällen keine reinen Musikplattformen, spielen jedoch aus Nutzersicht eine bedeutende Rolle bei der Popmusikaneignung. Auch Bandcamp kann zu den zu den Gartis-On-Demand-Angeboten gezählt werden, mit den Besonderheiten, dass es erstens nicht nur ein Streamingangebot ist, sondern dass hier auch Musik und Fanartikel in physischer und digitaler Form erworben werden können und dass zweitens die Künstler bestimmen, ob und in welchem Umfang ihre Musik dort kostenlos gestreamt werden kann (vgl. dazu Kapitel 7.3). Abbildung 8: Typen musikrelevanter Streamingangebote
Quelle: eigene Darstellung; *Streamingservice seit 2014 eingestellt
Typ 2, die Flatrate-On-Demand-Angebote, sind ohne Frage die aktuell bedeutendste Streamingform. In ihnen wird großes ökonomisches Potenzial gesehen. Sie gelten als neue, revolutionäre Form des Musikkonsums und gleichzeitig als das eigentliche Musikstreaming, denn letztlich sind sie es, die gemeint sind, wenn umgangssprachlich von Musikstreaming gesprochen wird. Während die anderen Typen eher traditionellen Pfaden folgen (Typ 3) bzw. stark spezialisierte oder fragmentierte Partizipationsangebote darstellen (Typ 1), nutzt dieser Typ 2 des Musikstreamings ökonomische und technologische Neuerungen der Digitalisierung und schafft damit eine neue Form des Musikkonsums. Mittels Flatrate-On-Demand-Angeboten können Nutzer mobil auf riesige Musikbibliotheken zugreifen. Über eine Internet-
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verbindung ist die Musik jederzeit nutzbar. Dabei sind vielfältige Interaktionen mit den Inhalten möglich, im besten Fall so als wäre die Musik zu Hause lokal gespeichert: Skippen, Spulen, Stoppen, den Titel wechseln usw., all das funktioniert jederzeit und in Echtzeit. Eine lokale Speicherung entfällt, ist aber auf Wunsch ebenfalls möglich, beispielsweise wenn Zeiträume ohne Internetzugang zu überbrücken sind. Die Radioangebote (Typ 3) wurden eingangs bereits ausführlich beschrieben. Auf der einen Seite sind da die traditionellen »Live«-Angebote, die mit einem kuratierten Programm arbeiten. Diese Ableger terrestrischer Radios nutzen das Netz einfach als weiteren Verbreitungskanal. Sie sind durch ihre lokale bzw. regionale Anbindung beispielsweise für Nutzer interessant, die Nachrichten aus der Heimat hören wollen und außerhalb des terrestrischen Sendegebietes leben. Die reinen Internetradios kommen zu großen Teilen ohne diese lokalen Bezüge aus. Dort geht es, gerade bei den musikorientierten Sendern, eher um die musikalische Verortung durch Spezialisierung. Oft haben gerade diese musikalisch sehr spezialisierten Radios einen sehr geringen oder gar keinen Sprachanteil. Sie werden ganz im Sinne einer modernen Partizipationskultur (Jenkins, 2006, S. 240ff.) nicht selten in Form eines offenen Kanals mit Hilfe engagierter ehrenamtlicher betrieben. Die Digitalisierung ermöglicht dabei eine denkbar einfache Produktion: das Streamen von zu Hause aus.42 Jedoch gibt es unter den dezidierten Internetradioangeboten auch breiter aufgestellte und professioneller agierende Sender mit eigenen Studios, Angestellten und Redakteuren. Beispiele dafür sind Byte FM oder Detektor FM. Interessanterweise zeigen diese sich, vermutlich auch aufgrund eben dieser zentralisierten Produktionsbedingungen, durchaus lokal angebunden. So unterstützt Byte FM vor allem Konzerte im Raum Hamburg und Detektor FM geriert sich als Leipziger Sender. Der Zugriff auf die Radio-»Live«-Streams erfolgt online, beispielsweise über die Website der Sender. Dort wird ein Stream, manchmal auch in verschiedenen Qualitätsstufen, angeboten. Über Softwareschnittstellen wie TuneIn ist ein deutlich vereinfachter Zugriff auf diese Sender auch mobil oder mittels moderner Audiosysteme möglich ohne die Website zu besuchen. Die zweite Form der Radioangebote unterscheidet sich von den eben beschriebenen dadurch, dass sie das Internet nicht einfach als neuen Kanal für Radioübertragungen begreifen, sondern gleichzeitig einen neuartigen Radioservice anbieten. Es handelt sich um reine Musikangebote, die auf Basis von Algorithmen individualisierte, unendliche – und daher radioähnliche – Playlists für ihre Nutzer kreieren. Ihr Programm wird also nicht redaktionell begleitet oder von Menschenhand gemacht, sondern basiert ausschließlich auf den Daten, die diese Programme zur Verfügung haben. Daher gibt es auch keine zeitliche Staffelung, wie man es vom Radio 42 Ein Beispiel für diese Angebote ist das musikalisch hochspezialisierte Xwave Radio (xwaveradio.org/).
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gewohnt ist, keine Einteilung in Stunden, Morgen- und Abendprogramm oder Ähnliches. Sobald diese Dienste aufgerufen werden und ein Einstiegssong oder künstler gewählt wurde, spielen sie Musik und hören erst auf, wenn der Rezipient dies veranlasst. Soziotechnisch können diese Angebote als Zwischenstufe zwischen den Radio-»Live«-Angeboten und den Flatrate-On-Demand-Angeboten gelesen werden. Der Fokus bei ihnen verschiebt sich weg von Programmplanung und gemischten Inhalten hin zu einem reinen, datenbankbasierten und bestenfalls individuell zugeschnittenen Musikangebot. Allerdings können eben nicht unendlich oft neue Titel angewählt oder ganze Alben beziehungsweise individualisierte, selbst erstellte Playlists abgerufen werden, wie es bei den Flatrate-On-Demand-Angeboten möglich ist. Das Radio-Überrschungsmoment bleibt sozusagen erhalten. Dieser Bonus gegenüber Flatrate-On-Demand-Angeboten nivelliert sich mittlerweile jedoch dadurch, dass immer mehr dieser Typ 2 Streamingangebote randomisierte oder an bestimmten Kriterien festgemachte Playlists anbieten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass mit Last FM einer der bekanntesten Vertreter des individualisierten Radios seinen Service mittlerweile eingestellt hat und als Musik-Community und Musik-Informationsseite weiterexistiert. 7.4.3 Streaming und die Folgen 7.4.3.1 Soziotechnische Implikationen – totale Individualisierung, totale Mobilität, totale Freiheit Die Möglichkeit, Inhalte zu streamen, hat den Musikkonsum stark verändert und wird dies weiterhin tun. »Content streaming has critically changed how internet users around the world consume their music through audio and video formats.« (Salman, 2016) Überraschenderweise war es kein auf Musik spezialisierter Streamingdienst, der dieser Art Musik zu hören zum Durchbruch verhalf, sondern die Plattform YouTube. Sie war lange der bedeutendste Weg, vor allem für Jugendliche, um Musik über das Internet zu konsumieren. Technisch und ästhetisch gesehen kann YouTube dabei sogar ein Nachteil attestiert werden, denn eigentlich ist es nicht auf den reinen Musikkonsum zugeschnitten, da es eine Videostreamingplattform ist. So müssen, auch wenn nur die Musik gehört werden soll, immer auch Videodaten mitgeladen werden. Es gibt bei YouTube keine der üblichen GenreEinteilungen und die Darstellung wirkt im Vergleich zu spezialisierten Musikstreaminganbietern eher reduziert bis unübersichtlich. YouTube war und ist so erfolgreich, weil es den Wunsch des Publikums nach individueller Wahlmöglichkeit mit Optionen – Hinweise und Verlinkungen zu anderen, ähnlichen Videos, beziehungsweise Musikinhalten – geschickt kombiniert und damit undendliche Freiheiten anbietet, gleichzeitig aber immer Neues bereitstellt. Zudem ist das YouTube-
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Interface, nicht zuletzt dank der Einbettung in zahlreichen anderen Angeboten, heute Standard, nahezu jeder kann es bedienen. Streaming macht es möglich, zu jedem Zeitpunkt43 zwischen nahezu unendlich vielen Titeln zu wählen und die Musik so perfekt an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Von Klassik über Pop und Metal bis hin zu krudesten ›Underground‹Künstlern haben Streaming Anbieter heute bereits sehr viel – wenn auch nicht alles44 – im Programm und es wird tendenziell eher mehr. Streaming ermöglicht damit den Zugriff auf gefühlt unendlich viel Musik zu jeder Zeit und an jedem Ort. Dieser hochgradig multioptionale und ubiquitäre Zustand hat neben ökonomischen und musikkulturellen Folgen, vor allem Folgen für die soziale Rolle von Popmusik. Man darf gespannt sein, wie der Konkurrenzkampf zwischen kuratierten Programmen, Zufallsgeneratoren und individueller Wahl des Musikmenus ausgehen wird. 7.4.3.2 Ökonomische Implikationen – digitale Nutzungsweisen etablieren sich Ökonomisch gesehen hat Streaming sehr großes Potenzial. Im Sommer 2014 nutzen bereits 18 Millionen Bundesbürger Musikstreaming (Bitkom, 2014a), mehr als doppelt soviele schauen Videos per Stream (Bitkom, 2014b). Die größte Streamingplattform YouTube hatte im selben Jahr bereits über eine Milliarde Nutzer, die gemeinsam mehr als sechs Milliarden Stunden Inhalte abriefen. Gleichzeitig wurden pro Minute etwa 300 Stunden Videoinhalte hochgeladen. YouTube konnte aus diesen gigantischen Nutzerzahlen 2014 mehr als vier Milliarden US-Dollar Umsatz generieren, Tendenz steigend (vgl. Salman, 2016). Auch wenn YouTube nach wie vor wichtig für das Musikstreaming ist, haben sich mittlerweile andere Anbieter 43 Bei aller Mobilität und Ubiquität muss angemerkt werden, dass die vollständig indi-
vidualisierte und spontane Nutzung von Musikstreaming trotz aller Offlne-Optionen einen Internetzugang voraussetzt. An Orten, an denen kein mobiles Netz gegeben ist oder die Bandbreite zu schwach ausfällt – und dies sind weltweit nach wie vor einige –, kann die volle Funktionalität von Streaming nicht ausgereizt werden. Zwar ermöglicht der sogenannte Offline-Modus das Hören bestimmter Playlists ohne Internetzugang, jedoch ist dazu Vorbereitung nötig. Die Musik muss ausgewählt werden und die Software kopiert vor dem Betreten des Ortes ohne Netzzugang (beispielsweise Flugzeug o. Ä.) die Songs auf das mobile Abspielgerät. Dies unterscheidet sich letztlich nicht vom bereits bekannten Umgang mit MP3s, die auf einen mobilen Player kopiert werden und dann – ebenfalls ohne Internetzugang – gehört werden können. 44 Nach wie vor gibt es Künstler, die sich den Streaminganbietern verweigern, da sie
ihre Musik durch diesen Service entwertet sehen oder die daraus resultierenden Zahlungen als zu gering einstufen. So gibt es seit dem Durchbruch des Streamings Diskussionen um die Vergütung der Künstler und Vergleiche mit anderen Geschäftsmodellen werden bemüht.
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etabliert, insbesondere solche, die sich auf die Audiokomponente konzentrieren, also auf reines Musikstreaming setzen. Der derzeit wohl bedeutendste, weil ökonomisch vielversprechendste Streamingtyp sind die Flatrate-On-Demand-Angebote. Die Plattformen bieten für einen monatlichen Betrag Zugriff auf ein Angebot von bis zu 40 Millionen Titeln. Der erfolgreichste unter ihnen ist Spotify. Das 2008 in Schweden gegründete Unternehmen hatte 2016 die Marke von 100 Millionen Nutzern erreicht (Smith, 2017). Neben Spotify existieren einige weitere auf Musikstreaming spezialisierte Unternehmen. So hat sich Napster mittlerweile zu einem solchen entwickelt, aber auch Deezer oder Tidal zählen zu den bekannteren Anbietern. Daneben haben inzwischen auch die großen Player der Digitalwirtschaft wie Amazon, Apple, Microsoft oder Google eigene Musikstreamingangebote. Dabei ist zu beachten, dass viele dieser Angebote mit bestimmten Einschränkungen kostenlos sind. Aber die Zahlungsbereitschaft für diese Dienstleistungen steigt. So registrierte die Musikindustrie im Jahr 2014 bereits 41 Millionen zahlende Abonnenten für Musikstreamingservices. Das sind 33 Millionen mehr als noch 2010 (IFPI, 2015). Ein Jahr später waren es 68 Millionen (IFPI, 2016a). Im März 2017 hat Spotify alleine bereits 50 Millionen zahlende Nutzer (Smith, 2017). Aus Künstlersicht hat Streaming im Vergleich zu anderen Vertriebsformen einige Vorteile aber auch viele Nachteile. Ähnlich wie bei anderen digitalen Angeboten gibt es daher kleine und große Musikstars, die sich weigern, ihr Material zur Verfügung zu stellen (vgl. Havens & Graves, 2016). Einige setzen auf Exklusivrechte für einzelne Plattformen, andere verweigern sich dem Streaming völlig. Als Begründung wird nahezu immer die unfaire oder zu geringe Bezahlung angegeben. So sagt Country-Pop Star Taylor Swift, die sich beispielsweise Deezer und Spotify verweigert und daher nur mit einigen wenigen Titeln dort vertreten ist: »I’m not willing to contribute my life’s work to an experiment that I don’t feel fairly compensates the writers, producers, artists and creators of this music.« (Knopper, 2015) Nur erfolgreiche Künstler haben die Marktmacht, die Vergütung durch die großen Anbieter zu verhandeln. Bei der Downloadplattform iTunes waren dies lange Zeit The Beatles, AC/DC oder auch Metallica, die sich aus ökonomischen, manchmal auch aus ideologischen Gründen der Digitalisierung verweigerten. Bei den Streaminanbietern sind ebenfalls die alten bekannten wie Metallica und The Beatles, aber auch Künstler wie eben Taylor Swift und Radiohead-Frontmann Thom Yorke federführend. Doch auch weniger erfolgreiche Künstler verweigern sich den digitalen Modellen der Musikindustrie. Sie nehmen dabei in Kauf – und das gilt gemeinhin als das größte Gegenargument – auf den Plattformen unsichtbar zu sein und damit deutlich an Bekanntheit einzubüßen. Denn tatsächlich bringt Streaming den Künstlern nur in seltenen Fällen wirklich große Einnahmen; und keinesfalls sind diese Geldflüsse vergleichbar mit den Einnahmen, die physische Tonträger lange Zeit generierten. Stattdessen wird Streaming von vielen, ähnlich wie Radiopräsenz als
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Werbung für die Musik gesehen, die dann mit Hilfe von Live-Konzerten und Merchandise und gegebenenfalls auch physischen Tonträgern in Geld umgewandelt wird. Die in Kapitel 7.4.2 verdeutlichte Vermischung von Streaming- und Radioangeboten bestätigt diese Sichtweise. Insgesamt sorgt der Erfolg von Streaming gemeinsam mit den nach wie vor wichtigen Download-Formaten dafür, dass die Musikindustrie weniger abhängig vom physischen Verkauf wird (IFPI, 2015). Dabei können die rasant steigenden digitalen Umsätze die großen Einbrüche im Tonträgergeschäft nicht kompensieren. Sie helfen jedoch, die Verluste abzufedern. Eine Gefahr für die Major-Labels ist vor allem die relativ schnelle und leichte Handhabe der digitalen Services. So können auch kleine und kleinste Musiklabels oder gar die Künstler selbst relativ einfach ein großes Publikum erreichen, weil sie nicht mehr von komplexen Vertriebsstrukturen abhängig sind (vgl. auch Kapitel 7.3.1). Aufgrund seiner zunehmend einfacheren Nutzungsweise, des angestrebten flächendeckenden Breitbandausbaus und dem Fokus auf das Smartphone als Musikund Alltagsmedium ist absehbar, dass Streaming in den kommenden Jahren die bedeutendste Quelle für Musikeinnahmen sein wird. Bereits im Jahr 2015 stieg der Streaminganteil am Gesamtumsatz der Musikverkäufe auf dem größten Musikmarkt USA bis auf 34,3 Prozent (Friedlander, 2016). Damit war Streaming dort sogar knapp vor dem Download (34 Prozent) und etwas deutlicher vor den physischen Tonträgern (28,8 Prozent) führender Umsatzgenerator (ebd.), eine Tendenz, die sich weiter fortsetzen wird. Global lag der Streamingumsatz 2015 nur noch knapp hinter dem Downloadumsatz (vgl. IFPI, 2016a). 7.4.3.3 Musikkulturelle Implikationen – mobil, flexibel und endlos, das Beste aus allen Musikwelten Streaming ist der neueste und aktuell wie vermutlich auch zukünftig der bequemste Weg, auf Musik zuzugreifen. Ohne Frage ist Streaming unter vielen Musikhörern sehr populär, denn es ist einfach zu bedienen und es ist deutlich unverbindlicher als der Kauf eines Tonträgers. Zu all den Modi, die Live-Konzerte, Downloads, Radio, Club-Events und Tonträger bereits bieten, gesellt sich mit Streaming ein neuer, hochindividualisierter und hochflexibler Zugang zu musikalischen Inhalten. Dabei ist Streaming lediglich eine neue Technologie, mit Hilfe derer es nun möglich wird, bereits bekannte Rezeptionsweisen einfacher, mobiler und vielfältiger zu replizieren. Letztlich ist Musikstreaming aus Rezeptionssicht je nach Spezifik des Angebots (vgl. Abbildung 8) eine Mischung aus der Ungebundenheit und der Endlosigkeit des Musikradios und der Individualität einer eigenen Plattensammlung. Je nach Plattform und persönlichen Einstellungen genügt beispielsweise das Einschalten respektive das Drücken der Play-Taste, um für unzählige (theoretisch unendliche) Stunden Musik aus bestimmten Genres oder von bestimmten Künstlern zu hören.
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Gleichzeitig offeriert Streaming aber auch klassischen LP-Hörern die Möglichkeit das Werk einer Band wie gewohnt in Gänze und am Stück zu konsumieren und sich nach dessen Beendigung weiteren Alben zuzuwenden. Auch für das Entdecken neuer Musik sind die Streamingangebote mit ihren Vorschlägen, Verlinkungen und Kontextinformationen gut geeignet. Tatsächlich ist jeder bekannte oder jeder unbekannte Song oft nur einen Klick entfernt.45 YouTube als bedeutendster Musikstreamingkanal ist darüber hinaus noch ein Paradebeispiel für die konvergente Medienkultur im Sinne von Henry Jenkins (2006). Denn die Plattform ist nicht nur als technische Verbindung von Musikhören und Videosehen von TV und Radio, von mobilem wie stationärem Medienkonsum zu verstehen, sondern sie ermutigt ihre Nutzer in nie dagewesener Weise zur Partizipation, zur Teilnahme und Teilhabe (vgl. ebd., S. 245). Wie stark Streaming andere Modi zurückdrängt, ist noch nicht geklärt, aber dass es etwas bewegt, scheint schon heute klar. Es ist, ganz im Sinne der westlichen hochindividualisierten Gesellschaft, eine Option, die alle Optionen offenlässt. »Nicht Zwang, sondern die Möglichkeit fungiert als Aufforderung. Die Impulse für den Gebrauch entspringen einem inneren Bedürfnis, einer ›intrinsischen‹ Motivation und werden in selbst strukturierten Handlungsmustern der Nutzer umgesetzt.« (Tully, 2014, S. 159) Welche Handlungsmuster sich dabei am Ende durchsetzen, muss sich noch zeigen. Soziologisch gesehen sind kostenloser Zugriff oder Abos mit monatlicher Kündigungsmöglichkeit kombiniert mit Mobilität und einem kompletten Wegfall von Speichermedien, um die man sich – ob nun physische Tonträger, Festplatten oder Flashspeicher – in irgendeiner Form kümmern müsste, sind genau die Art von Unverbindlichkeit, die Autoren von Peter Groß (1994) bis Hartmut Rosa (2016) seit Jahren diagnostizieren. Symptomatisch ist vor allem der Einfluss von Streaming auf andere relativ neue Technologien und Phänomene, wie sie in den Fallbeispielen eins bis drei (MP3, Musikdownload Blogs und Bandcamp) besprochen wurden. So drängt Streaming in Nutzung und Umsatz den MP3Download merklich zurück. Die Menge der aktiven Musikdownload Blogs erscheint nicht zuletzt aufgrund der Etablierung der Streamingplattformen stark redu45 Einschränkend muss hier angemerkt werden, dass die Menge der verfügbaren Titel und das konkrete Angebot immer von der jeweiligen Streamingplattform abhängt. Es gibt noch immer zahlreiche Musiktitel, die nicht oder nur auf einzelnen Plattformen per Stream verfügbar sind. Bandcamp hat hier im Bereich der Nischenmusik Vorteile gegenüber den großen Anbietern, die ihrerseits wiederum mit den großen Labels zusammenarbeiten und damit bei bekannten Musikstars im Vergleich zum Spezialanbieter Bandcamp klar im Vorteil sind. Zu diesen Einschränkungen kommen die Exklusiv-Deals einiger Künstler und andere Einschränkungen, sodass es absehbar kaum möglich sein wird, mit einem Streamingdienst die gesamte Bandbreite der Popmusikwelt abzudecken. Aber auch einschlägige Plattenläden oder Online-Händler können nie wirklich ›Alles‹ anbieten.
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ziert, wie ein Post auf dem Blog This Eternal Rotation46 vom 2. Februar 2016 unterstreicht: »Does anyone download music anymore now that the new Rihanna album is only on TIDAL??« (Eden, 2016) Schließlich implementierte das als Download-Service gestartete Angebot Bandcamp nicht ohne Grund zügig einen Streaming-Service und eine App für mobile Plattformen. Als wichtiger Gegentrend wiederum kann der Bedeutungsgewinn von Vinyl gesehen werden. Streaming war in der Musikindustrie, bei Künstlern und auch bei Musikkonsumenten jahrelang hochumstritten. Besonders die ökonomischen Probleme wurden immer wieder ins Feld geführt. Dabei hat Streaming, wenn man den Blick weitet, eine bedeutende Umwälzung in den Zugangsweisen zu Musik zu verantworten. »Meistens beschränkt sich die Argumentation auf verschwindend geringe Lizenzen, auf miese Label-Deals und die Ausbeutung der Künstler und Produzenten. Immer geht es um den Untergang der Musikindustrie und um das niemals endende (berechtigte) Gejammer von Rechteinhabern. Aber nur selten, eigentlich fast nie, fällt der Blick auf die völlig neue Qualität des Zugangs zu Musik, der sich uns mit dem kommerziellen, legalen Streaming eröffnet hat.« (Kowalski, 2015, S. 53)
Neben all den ökonomischen Problemen, die eigentlich nur Neuerungen sind, hat Streaming auf seine ganz eigene Weise die Musikkultur nachhaltig verändert, indem es den Zugang zu Musik massiv vereinfachte und statt Technologien wieder den Inhalt – die Musik – in den Mittelpunkt stellte. Aus soziologischer Sicht ist damit das Ende eines Individualisierungsprozesses erreicht, wie Ulrich Beck ihn mit Verweis auf Giddens zusammenfasst. »Individualisierung meint erstens die Auflösung und zweitens die Ablösung […].« (Beck, 1993, S. 150) Aufgelöst werden im Falle von Streaming die vormals durch Tonträger industriell oder etwas später durch die Verfügungsgewalt über MP3-Dateien fixierten Bezüge zu einzelnen Musikstücken, -formaten aber auch zu Hörsituationen. Damit löst sich Popmusik zunächst von materiellen und in einem zweiten Schritt auch von immateriellen – aber als konkreten Daten noch immer fixierten – Abhängigkeiten. Beim Streaming ist die Auswahl eben nicht limitiert, sondern potenziell unendlich. Die Ablösung von diesen veralteten Zusammenhängen erfolgt dann über Rekontextualisierungsleistungen – in Giddens’ Worten »reembedding« (Giddens, 1999, S. 102f.) – und sind von jedem einzelnen Musikhörer individuell zu erbringen, um Popmusik mit Bedeutung aufzuladen und Resonanzerfahrungen (Rosa, 2016) zu generieren. Wie und inwiefern das gelingen kann, dafür scheint jeder selbst verantwortlich.
46 thiseternalrotation.blogspot.de
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7.5 FALLBEISPIEL 5: HIPSTER Das letzte Fallbeispiel fällt insofern etwas aus der Reihe, weil es nur zum Teil mit Popmusik zu tun hat. Der Hipster-Begriff dreht sich zudem nicht zuvorderst um technologische oder ökonomische Entwicklungen, sondern ist selbst eine soziale Folge verschiedener Faktoren (vgl. im Überblick Wilpert & Zwarg, 2017). Dennoch können auch hier soziotechnische, ökonomische und musikkulturelle Implikationen abgeleitet werden, die in enger Verbindung mit dem Phänomen Hipster stehen. Dabei sind die vorher behandelten Fallbeispiele hilfreich für das Verständnis, denn sie sind in bestimmten Ausprägungen integraler Bestandteil des Hipster-Lebensstils, seiner Ausdrucksweisen und seines ästhetikgetriebenen Selbstverständnisses. 7.5.1 Was ist ein Hipster? Bei Hipstern handelt es sich um ein neuartiges (jugend-)kulturelles Phänomen. Vergemeinschaftung, Szene oder ähnliche Begriffe taugen nur bedingt für dessen Beschreibung, da sie zu einschränkend und fixierend wären (vgl. dazu auch Kapitel 3.4.3). Aus popmusikalischer und soziokultureller Sicht lassen sich Hipster weder auf Genres noch auf Events, weder auf festgelegte Verhaltensweisen noch auf die eine dezidierte Ästhetik beschränken. Vielmehr sind sie im Sinne Grossbergs eine kulturelle Formation, die für eine bestimmte Zeit oder Epoche und den Umgang mit – unter anderem auch popmusikalischen – Artefakten in dieser Zeit steht. »Unlike notions of genre, which assume that such identities depend on the existence of necessary formal elements, a formation is a historical articulation, an accumulation or organization of practices […] To account for the emergence of the formation, one must look elsewhere, to the context, the dispersed but structured field of practices in which the specific articulation was accomplished and across which it is sustained over time and space.« (Grossberg, 1992, S. 69f.)
In einer Annäherung an den Begriff wird zunächst deutlich, dass beim Hipster die in der Soziologie vielbemühte Dehnung des Jugendbegriffs voll zum Tragen kommt. Denn ein Großteil der Hipster ist aus juristischer Sicht bereits lange erwachsen. Es handelt sich eher um adoleszente Mittzwanziger bis Enddreißiger, die ihr Geld hauptsächlich für Kunst, spezielle Kleidung und Accessoires, aber eben auch und nicht zuletzt für Popmusik, seien es Zeitschriften, Tonträger – hier vor allem Vinyl – oder Konzerte ausgeben. Als Lebensstil geriet diese neuartige ›Hipness‹ im Zuge von Diskussionen um Trends wie Gentrifizierung, Veganismus oder ökologisch-nachhaltigem Leben etwa ab 2010 immer stärker in den sozial- und kul-
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turwissenschaftlichen Fokus (vgl. bspw. Greif, Ross, Tortorici, & Geiselberger, 2012; Maly & Varis, 2015; Wilpert & Zwarg, 2017). 7.5.1.1 Wurzeln des Hipster-Begriffs Die Herkunft des Hipster-Begriffs hat nur bedingt etwas mit seiner heutigen Ausprägung zu tun, einige Parallelen lassen sich aber durchaus erkennen. Ursprünglich bezeichnete die Wortschöpfung Hipster – von »to be hip« als Gegensatz zu »to be square« – einen, sich ab den 1940er Jahren etablierenden Mischlebensstil, der sich vor allem aus drei Einflüssen speiste: die kulturelle und philosophische Affinität einer gebildeten Bohemia, die Rebellion delinquenter Jugendlicher und das gesellschaftliche Außenseitertum der Schwarzen (Mailer, 1957). Konkret waren Hipster damals vor allem weiße Mittelschichtjugendliche in den USA, die sich schwarzer Musik und schwarzer Lebensweise aus Abenteuerlust und der Sehnsucht nach neuen, aufregenden Betätigungsfeldern annäherten (ebd.). In großen Teilen geschah diese Annäherung nur symbolisch, denn das prekäre, das gefährliche, das wirklich schwere Leben hatten die meist männlichen weißen Vorstadtjugendlichen nicht zu ertragen. Vielmehr imaginierten sie sich in einen idealen Schwarzen, der trotz aller Widerstände die Welt mit seiner Musik – damals in der Hauptsache Jazz – und seiner Lebensweise ertrug und das Beste aus seiner Situation machte (vgl. Hebdige, 1979, S. 46ff.). Hipster können in diesem Sinne auch als ein Gegenentwurf zur sich damals etablierenden (amerikanischen) Massenkonsumgesellschaft gesehen werden (Maly & Varis, 2015, S. 638). Mit ihrer Form der Rekontextualisierung von Symbolweten, Artefakten und medialen Inhalten, sind sie Blaupause für die Formierung vieler Nachkriegsjugendkulturen und deren Umgang mit Identität. Insbesondere gingen die Beatniks und damit die Folkbewegung aus ihnen hervor, ebenso wie später die namentlich verwandten Hippies (vgl. Baacke, 1999, S. 51ff.; Hebdige, 1979, S. 49ff.). Auch Diederichsen spricht bei der Beschreibung seiner »Bohemia« Mitte der 1980er Jahre von Hipstern. Er meint damit den »nach Bohemia hineingeborenen Leichtfuß, der von Haus aus Zugang zu den geheimeren Revieren hat« (Diederichsen, 2010, S. 64). Die Bohemia kennzeichnet nach Diederichsen vor allem, dass sie arm ist und gleichzeitig über ihre Verhältnisse lebt. Dafür hat sie jedoch eine Art Geheimwissen, sie ist »[i]m Gegensatz zu allen anderen Armen […] informiert« (ebd., S. 61). Diederichsen meint mit Hipstern also Großstadtbewohner, die sich in einer Szene tummeln und deren »Sujet«, also das, woraus die Szene besteht, charakterisieren, während die von ihm in Kontrast gesetzten »Hip-Intellektuellen« für den »Überbau der Szene« sorgen (ebd., S. 62ff.). War der ursprüngliche Hipster also ökonomisch komfortabel ausgestattet, ist er bei Diederichsen arm aber gebildet. Handelte es sich beim ursprünglichen Hipster um einen gesellschaftlichen Gegenentwurf, nicht selten um Aussteiger, die sich in politischen Protestkulturen zusam-
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menfanden, verortet sich der Hipster bei Diederichsen in einer kulturellen Elite, die sich, wenn überhaupt, auf individuellen, symbolischen Protest beschränkt. 7.5.1.2 Der Hipster von heute – translokal, diffus und rastlos Das aktuelle Verständnis von Hipstern ist nicht zuletzt aufgrund dieser bereits sehr unterschiedlichen Quellen äußerst inkonsistent. So werden die »21st-century hipster« (Maly & Varis, 2015) durchaus auch als pekär lebende aber gebildete Großstadtbewohner charakterisiert, die sich über Wissen und eben nicht über Geld definieren. »[H]ipster knowledge compensates for economic immobility […] pride comes from knowing and deciding, what’s cool in advance of the rest of the world.« (Greif, 2010) Gleichzeitig werden sie aber auch als konsumorientierte Elite dargestellt. Sie sind abhängig von ökonomischem Kapital, weil sie nur so ihren Lebensstil aufrechterhalten können (vgl. Henke, 2013, S. 122f.). Ein deutlicher Unterschied, der den aktuellen Hipster von seinem Vorgänger Mitte des 20. Jahrhunderts unterscheidet, ist die Wahl der konkreten Symbolvorräte. Diese Veränderung liegt auf der Hand, denn die vergangenen 60 Jahre Popkultur hatten viel zu bieten und die Hipster bedienen sich ausgiebig und entdecken immer neue, überraschende Nischen. Waren sie bei Mailer (1957) noch klar an Schwarzen und deren – wenn auch teilweise imaginierten – Lebensstilen orientiert, sind die Inspirationsquellen zur Jahrtausendwende alle erdenklichen »marginalized populations« (Henke, 2013, S. 123). Der amerikanische Neo-Hipster, der etwa ab 1999 im New Yorker Stadtteil Williamsburg und kurz darauf auch in anderen Metropolen auftauchte, verweist mit seinem Äußeren stark auf die typisch ländliche amerikanische Kultur (vgl. Greif, 2012a, S. 23-28). Kleidung, Accessoires, Haartracht, Körperschmuck oder Wohnungseinrichtung sind mit »low culture symbols« (Henke, 2013, S. 117) wie Trucker-Mützen, Feinripp-Unterhemden als Oberbekleidung, Pilotenbrillen, Tattoos, Johnny-Cash-Platten und anderem mehr (vgl. Greif, 2012a, S. 28) durchsetzt. Über Rekontextualisierungsleistungen werden diese und andere, selbst im damaligen ›Mainstream‹ als unmodisch geltende, kulturelle oder physische Artefakte gewissermaßen in einem Upcycling-Prozess umgedeutet. Clayton (2012) zeigt dies zum Beispiel anhand der Aneignung traditioneller Musikformen durch Hipster in Peru. Auch in Deutschland scheinen Traditionen zentrale Inspirationsquellen für Hipster zu sein. Ob Hirschgeweih, Stickereien oder Bier, ehemals spießig empfundene Symbolwelten geraten durch Rekontextualisierung zu angesagten – hippen – Insignien oder Freizeitinhalten (vgl. Seifert, 2013, S. 559). »Trash« wird kulturell recyclet (vgl. Roepert, 2017, S. 28-29). Es kommt zu einem »Kulturalisierungsschub« (Reckwitz, 2017, S. 102), vor dem prinzipiell kein Gegenstand, keine Dienstleistung, kein Ereignis und kein Medieninhalt sicher ist. Denn in der Spätmoderne werden all diese Objekte zu »Affektgüter[n], die von ihren emotionalen Effekten und Identifikationsmöglichkeiten leben« (ebd., S. 113). Dieser kulturelle Bedeutungsgewinn verdankt sich vor allem globaler medialer Verbreitung.
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Aus ursprünglich provinziellen Zeichenvorräten werden im Lichte der Globalisierung internationalisierte und damit bedeutungsvolle Symbolwelten, die im Rekurs das Lokale aufwerten. »Sobald sie hören, dass ein Schnipsel peruanischer Musik auf der Weltbühne gespielt wird, klingt der Sound, der zuvor als uncooles, ja piefiges Unterklassenphänomen wahrgenommen wurde, plötzlich offen, zeitgemäß und kosmopolitisch.« (Clayton, 2012, S. 43) Dies flankiert die Sehnsucht nach Ursprünglichem, wie man sie im seit Jahren andauernden Trend zum eigenen Garten und dem Leben – oder zumindest dem Urlaub – auf dem Land erkennen kann und zeigt damit, dass Hipster durchaus eine Rolle als Deutungs-Avantgarde einnehmen, wie sie schon Diederichsen (2010, S. 62-65) beschreibt. Als translokales Phänomen gibt sich Hipstertum stets lokal eingefärbt (Maly & Varis, 2015, S. 642ff.). Dies überrascht nicht, wenn man sich mit der Entwicklung von Jugendkulturen als translokalen Medienkulturen auseinandersetzt. Stets existieren hier global verbindende Elemente, aber gleichzeitig eben auch lokale Besonderheiten (vgl. Hepp, 2002; Lorig & Vogelgesang, 2011). Beide sind permanenten Veränderungen ausgesetzt und befruchten sich immer wieder gegenseitig. Konkret nachvollziehbar wird dies am bidirektionalen Ästhetikaustausch zwischen New York und Berlin (vgl. Rapp, 2012, S. 164-167), der für das Hipster-Phänomen ähnliche Bedeutung erlangt hat wie das Verhältnis zwischen London und New York für die Genese von Punk in den 1970ern (vgl. Kapitel 3.4.3). Auffällig ist, dass sich Hipster zunächst vor allem über Äußerlichkeiten, insbesondere über Mode beschreibbar zeigen (vgl. auch Kiapour, Yamaguchi, Berg & Berg, 2014). Wie inkonsistent und ungreifbar das Hipstertum dabei ist, wird bereits daran deutlich, dass zu den angesprochenen Trash-Ästhetiken schnell auch Skinny Jeans, iPhones oder Wollmützen hinzukamen, die sich als globale Insignien durchsetzten (vgl. Maly & Varis, 2015, S. 640) und letztlich wenig mit den vermeintlichen Rändern der Gesellschaft zu tun haben. Dies deckt sich mit der von Mark Greif postulierten dritten Definition vom Hipster als dem hippen Konsumenten oder dem rebellischen Verbraucher. Der Hipster ist in diesem Sinne »eine Person, die Konsumentscheidungen – das richtige T-Shirt, die richtige Jeans, das richtige Essen – als eine Kunstform versteht« (Greif, 2012a, S. 30). Genau hier trifft sich das Ideologische mit dem Ästhetischen. Der scheinbar oberflächliche Konsum der Hipster zeigt sich stellenweise durchaus mit Werthaltungen unterfüttert. Diese jedoch sind über die Gesamtpopulation ebenso widersprüchlich wie die konsumierten Gegenstände selbst (vgl. Henke, 2013, S. 120ff.) und reichen von Veganismus, Vegetarismus, Tier- und Umweltschutz über Feminismus, Pazifismus und Egalitarismus bis hin zu purem Hedonismus oder Neoliberalismus. So werden Hipster mit alternativen Lebensformen ebenso in Verbindung gebracht (vgl. Maly & Varis, 2015, S. 639) wie mit Gentrifizierung (Greif, 2012b, S. 126ff.), mit modernen Wellnessund Biotrends ebenso wie an »Trash« ausgerichteten oder retrologisch geprägten Konsumhaltungen (vgl. Roepert, 2017). Hipster stellen sich damit sowohl ästhetisch
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wie ideologisch unkategorisierbar, diffus und vielfältig dar (vgl. auch Greif, 2012a, S. 28-30). »Man erkennt sie, wenn man sie sieht« (Tortorici, 2012), bleibt die einzige Möglichkeit einer abstrakten Beschreibung. Das Bild vom Hipster wurde anfangs bestimmt vom überraschenden Umgang mit nahezu vergessenen Ästhetiken und vermeintlich neuen Konsumformen. Beides wurde in der Folge jedoch sukzessive (re-)kommodifiziert. Dickrandige Brillen, Bärte und die Sorge darum, ob der Kaffee »fair trade« ist, taugten somit nur kurze Zeit zur Distinktion. Die kommerzielle Vereinnahmung dieser und anderer Bedeutungsträger macht daher eine permanente Weiterentwicklung erforderlich (vgl. Ferrier, 2014). Diese rastlose Suche, das stetige Arbeiten an der Erneuerung der Authentizität scheint das Verbindende aller Hipster und Hipstergenerationen. Wissen um Neues – auch wenn dieses Neue letztlich meist aus Altem rekontextualisiert ist – und die effektvolle Anwendung dieses Wissens, der demonstrative, der Distinktion dienende Konsum schälen sich dabei als Kernelemente heraus. 7.5.2 Implikationen des Hipsters Hipster sind ein kultureller Ausdruck der Individualisierungsdebatte. Sie verkörpern eine neuartige Form von Superdiversität (Maly & Varis, 2015). Der Drang nach Einzigartigkeit bringt bei gleichzeitiger Unendlichkeit der verfügbaren Optionen potenziell alle irgendwie verfügbaren Symbolwelten zusammen. Einzelne Teile aus der Fülle lokaler Insignien »wurden […] aus Gründen, die den handelnden Personen rätselhaft blieben, plötzlich cool« (Greif, 2012b, S. 126-127). Rekontextualisiert über die Möglichkeiten des Remixes und des Samplings und verbreitet mittels neuer internetbasierter Medienformen entstehen so fluide, translokale und vielschichtige Symbolwelten, die nur in seltenen Fällen verallgemeinerbar und keineswegs auf Dauer gestellt sind. »Being a hipster, however, is a polycentric and layered affair, as the identity indexicals differ from one context to another, with some of them being recognisable in a global scale (e.g. the big glasses), while others have more local purchase (specific to particular country, city, etc.).« (Maly & Varis, 2015, S. 649f.)
7.5.2.1 Soziotechnische Implikationen – neue Ästhetiken und Verhaltensweisen im urbanen Raum Aus soziotechnischer Sicht können Hipster vor allem als urbanes, translokales und stark mediatisiertes Phänomen begriffen werden. Als Avantgarde integrieren sie neue Medientechnologien zuerst umfassend in ihren Alltag und werden durch ihr Auftreten, aber auch durch ihr Konsumethos zu Protagonisten neuer Formen urbanen Lebensstils (ebd., S. 648-649). Der Hipster taucht nicht zufällig gerade um die
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Jahrtausendwende auf. Letztlich verkörpert er eine neue kulturelle Elite, die sich innerhalb der kosmopolitischen Metropolen, ganz im Sinne von Becks »cosmopolitan communities« (Beck, 2016, S. 169-171), jedoch ohne deren Risikodimension, ausbreitet. Ihm ist es mehr oder weniger egal, in welchem Nationalstaat er sich aufhält. Was zählt ist das kulturelle Angebot (Clubs, Plattenläden, Flohmärkte, Bars, Restaurants, formelle und informelle Treffpunkte) der Stadt. Multikulturalität und multinationaler Umgang sind dabei eingepreist, ebenso wie Umweltbewusstsein, das sich beispielsweise in der Wiederbelebung des Fahrrads als wichtigstem Fortbewegungsmittel spiegelt (vgl. ebd., S. 174; Maly & Varis, 2015, S. 639). Der Hipster wird damit Zielgruppe der »New Urban-Cosmopolitan Realpolitik« (Beck, 2016, S. 180) und verkörpert diese gleichzeitig. Moderne Stadtentwicklung wäre ohne seine Einflüsse auf Verkehr, Ernährung und Gebäudenutzung kaum denkbar. Er verbindet dabei scheinbar gegensätzliche Dinge, die vorher kaum zusammengehörig gedacht wurden (vgl. auch Henke, 2013, S. 120ff.). »This new realpolitik weaves together in new patterns what was previously thought of as separate: cooperation and competition; economy and environment; equality and inequality; solidarity and self-interest; localism and cosmopolitanism. None of these binaries works any longer if we want to capture and diagnose the metamorphosis of urban political decisionmaking.« (Beck, 2016, S. 180)
Der Hipster befördert mit seinen neuen Formen von Konsum, Ethos und dem variantenreichen, unberechenbaren Umgang mit Ästhetik die Auflösung von Gegensätzen und sozialen Bezügen, insbesondere auch den Gegensatz von ›Mainstream‹ und Gegenkultur (vgl. Henke, 2013, S. 127-129). Das Hipsterphänomen und seine Verbreitung über die Großstädte weltweit ist zudem ein eindringliches Beispiel für Dislozierung und Rückbettung (Giddens, 1999) und damit für die Mobilität von popkulturellen Aneignungsweisen. Dislozierung in dem Sinne, dass sich in der Übernahme des Stils eine »Vertrautheit mit Ereignissen, Handlungen und dem Erscheinungsbild physischer Umgebungen« manifestiert, »die Tausende von Kilometern weit von dem Ort entfernt sind«, an dem wir sie zufällig wahrnehmen (ebd., S. 176). Rückbettung insoweit, dass die lokalen Hipster-Vergemeinschaftungen mit ihren spezifischen Besonderheiten dem Einzelnen eine Ankermöglichkeit, eine »Gelegenheit [zur] Wiedereingliederung« (ebd.) bieten. Medientechnologie dient dafür als entscheidende Infrastruktur. Mithilfe des Internets verbreiten sich die hochindividuellen Stilkonglomerate ebenso wie die dispersen Weltanschauungen der Hipster. Gleichzeitig reiht sich der Hipster mit seiner Fixierung auf Konsumobjekte und Körperlichkeit (Bart- und Haartracht, Tattoos, Kleidung, Brillen etc.) ebenso wie mit den Diskussionen um seine Präsenz im urbanen Raum in den Reigen jener Folgen der Digitalisierung ein, die das Physische, die Dinge, die Orte, die Räume und den Körper wieder mit Bedeutung aufladen.
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7.5.2.2 Ökonomische Implikationen – symbolischer, effektvoller Konsum Ökonomisch steht der Hipster vor allem für das sukzessive Eindringen von Nischen in den Massenmarkt und damit letztlich für neoliberale Konsumkultur (Maly & Varis, 2015, S. 650). Ausgehend von ihrem Selbstverständnis als Avantgarde suchen Hipster stetig nach Neuem beziehungsweise nach Altem, das neu belebt werden kann und machen dieses Neue vor allem durch demonstratives und effektvolles Konsumieren und die damit einhergehende ästhetische Präsenz im urbanen Raum (vgl. dazu Greif, 2012b, S. 118ff.) populär. Die Konsumorientierung der Hipster richtet sich auf bestimmte als authentisch wahrgenommene Labels und Marken aus der Musik- Mode- und Medienwelt (vgl. Maly & Varis, 2015, S. 643), aber auch aus anderen Lebensbereichen wie Ernährung oder Handel (Henke, 2013, S. 121). Entsprechend seiner Werte achtet er dabei auf unterschiedliche Faktoren. So werden Massenproduktion, umweltschädliche oder unmenschliche Produktionsweisen nicht selten abgelehnt. »The selectivity of hipster consumerism favors independently or alternatively produced goods, with a slant against the mass-produced, heaviuly-marketed, and poorly crafted.« (Ebd., S. 121f.) In Folge steigender Präsenz und Popularität werden diese Marken oder Produkte nicht selten zu eben jenen Inbegriffen von Massenproduktion, die Hipster ablehnen. Immer wieder werden Marken wie American Apparel, Urban Outfitters oder Ray-Ban als dezidierte Hipster-Marken genannt. Diese Marken integrieren die vermeintlich authentischen Werte und Stile der Hipster gekonnt in ihre Images (Maly & Varis, 2015, S. 647-648) um Absätze zu steigern. Hipster treten damit auch hier in einer Art AvantgardeRolle auf, die sich in der Ausbreitung neuer Konsumtrends wie Craft Bier, Nahrung aus Hofläden, Slow Food oder Fair Trade Produkten zeigt. In Bezug auf Popmusik ist der Hipster ebenfalls eine wichtige Zielgruppe. Ebenso wie bei anderen Produkten zeigt sich auch hier seine Neigung zu unabhängigen oder alternativen Produktionsweisen (Henke, 2013, S. 122). Musikalisch ist der Konsum bestimmt von breit angelegter Kennerschaft und Omnivoriszität. Es existiert also keine Genre-Festlegung. Bedeutsam ist individuelles Gefallen mindestens ebenso wie die wahrgenommene Authentizität der Künstler (ebd.). Denn auch Musik dient dem symbolischen Konsum. Hipster nutzen die Zunahme der Informations- und Bezugskanäle ausgiebig, um ihr Wissen zu erweitern. Bildeten sich zunächst Leitmedien wie Vice47 (Greif, 2012b, S. 120) oder Pitchfork 48 heraus, die 47 Das 1994 in Kanada und mittlerweile in New York beheimatete Vice Magazine ist 2017 ein Verbund aus verschiedenen Medienplattformen (Vice Media) und sieht sich selbst in Anlehnung an die ›New York Times‹ als »The #1 youth media company in the world« (Vice, 2016). Neben Magazinausgaben in verschiedenen Ländern betreibt es jeweils lokalisierte Special-Interest-Webseiten und Netzwerke für Musik, Mode, Technologie, Sport und weitere Lebensbereiche.
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einen wesentlichen Einfluss auf die Durchsetzung bestimmter Produkte hatten, sind heute Pattformen wie Bandcamp oder Soundcloud ideale Bezugs- und auch Informationsquellen für Popmusik. Hier kann hochgradig individualisiert konsumiert werden. Hipster sind mit ihrem Fokus auf Distinktion die optimale Zielgruppe für eine Nischen- und Long-Tail-Ökonomie wie sie über das Internet für die Popmusik möglich wurde. Gleichzeitig verkörpern Hipster auch einen wichtigen Baustein des neuerlichen Wachstums im Vinylmarkt. Denn sie benötigen immer auch Objekte für ihre Identitätskonstruktion. Die Faszination für das vermeintlich veraltete Medium Vinyl spiegelt die Präferenz für Vintage-Ästhetik im Modebereich und passt damit perfekt in das Hipstergesamtbild. 7.5.2.3 Musikkulturelle Implikationen – Vielfalt als Distinktionsquelle Auch wenn Hipster vor allem über optisch wahrnehmbare Ästhetiken und Stile identifizierbar sind, ist Popmusik eines ihrer zentralen Medien (vgl. Greif, 2012b, S. 136ff.; Henke, 2013, S. 122) und dient in Form von Vinyl oder Bandshirts als identitätskonstituierendes Ausdrucksmittel. Dass typisch Begriffe des Umgangs mit Popmusik im Hipstertum – im traditionellen wie im modernen Begriffsverständnis – auf einer sprachlichen Ebene bereits angelegt sind (vgl. Maly & Varis, 2015, S. 638), unterstreicht dies. Gerade in Verbindung mit Schallplatten ist hier auf das ›digging‹ zu verweisen, das für eine besondere Form des Suchens und Aneignens von sehr spezieller Musik steht. Gründe für die Bedeutung von Popmusik für Hipster sind ihre Warenform und ihre Vielfalt. Sie stellt damit eine Ressource bereit, die es ermöglicht, Wissen zu demonstrieren und symbolischen Konsum zu betreiben. Das bereits bei Diederichsen (2010) angesprochene Geheimwissen über Popmusik und damit verbundene Lebensweisen, Stile und Ästhetiken dienen als Mittel zur Distinktion. Seinen Ausdruck findet dies im Konsum der Popmusik von Künstlern, die allein durch ihre Unbekanntheit zunächst authentisch erscheinen, in der Folge jedoch nicht selten bekannt und damit im Hipstersinne untragbar werden (vgl. Tortorici, 2012, S. 99). Da die Popmusikwelt heute jedoch schier unendlich viele Optionen bereithält, fällt es nicht schwer, immer wieder Neues zu entdecken. Folgerichtig gibt es auch nicht die spezielle Hipstermusik (vgl. auch Greif, 2012a). Vielmehr setzen sich Fluidität, Translokalität und Vielschichtigkeit, die bereits für Werthaltungen und Ästhetiken festgestellt wurden, auch in den multiplen 48 Das Online-Musik-Magazin Pitchfork mit Sitz in Chicago ist mit über sieben Millionen monatlichen Nutzern eine der bekanntesten journalistischen Musikseiten im Netz und nach eigenen Angaben »The most trusted voice in music« (Pitchfork, 2017). Es bewertet Alben und berichtet über Künstler und neue Entwicklungen in der Popmusik, insbesondere aus dem sogenannten ›Independent‹-Spektrum. Dabei wird ihm ein immenser Einfluss auf Erfolg und Verkaufszahlen von Bands nachgesagt (vgl. Itzkoff, 2015).
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Popmusikpräferenzen fort. Der Hipster verkörpert den modernen omnivoren Popmusikkonsumenten und ist auch in dieser Beziehung ein Trendsetter. Ob Punk, Elektro, Black Metal, HipHop, Post-Rock oder Wave, ob neue, über Blogs und Internetmagazine gehypte Popmusik oder Altes, Vergessenes und Trashiges – keine Musik entzieht sich prinzipiell einer potenziellen Aneignung durch Hipster. Die in den Fallbeispielen eins bis vier dargestellten digitalen Möglichkeiten Musik zu konsumieren, unterstützen dieses Verhalten, indem sie mannigfaltige Optionen für die beschleunigte individualisierte Musikaneignung zur Verfügung stellen. Dies hilft bei der permanenten Erneuerung und Reproduktion von Authentizität und unterstützt damit das Hauptanliegen der Hipster: Distinktion (vgl. Maly & Varis, 2015, S. 650) und Nicht-Vereinnehmbarkeit. Hipster sind gewissermaßen immer einen Schritt weiter (vgl. Diederichsen, 2010, S. 24).
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Fazit
Dass Technologieentwicklungen soziale Veränderungen zeitigen, ist keinesfalls etwas Neues, auch im Bereich der Musik nicht. Bereits die ersten Tonträger veränderten die Musik, ja bereits die Notenlehre und deren Verbreitung trugen dazu bei, dass sich das Medium Musik in bestimmter Art und Weise veränderte. Es ist somit keine Frage aktueller digitaler Technologien, sondern letztlich modifiziert jede neue Verfahrensweise, jede Veränderung der Zugangs- und Aneignungsweisen Kultur, kulturelle Güter, ihre Nutzung und die Einstellung zu ihnen. Die ausgeführten Fallbeispiele zeigen deutlich: Neue technische Möglichkeiten generieren neue Modi der Aneignung und erzeugen damit einen neuen Umgang mit Popmusik sowie neue Bewertungsstrategien. Die Grundlage dieser tiefgreifenden Veränderung bildet für die gewählten Beispiele ohne Frage die 5. Stufe der Mediamorphose, in der Computer und das Internet als Basistechnologien fungieren. Die vorläufige Vollendung erfolgte hier durch das kompakte MP3-Format und ein paar Jahre später durch die Möglichkeiten des Streamings. Durch sie passte sich Popmusik einer Mobilitätsgesellschaft (Urry, 2000) an, deren Ausdruck sie schon seit längerem ist (Baier & Tully, 2006, S. 29). Popmusik wurde vor allem deutlich einfacher handhabbar. Sie ist heute prädestiniert für ubiquitäre, orts- und zeitunabhängige Nutzung und sie ist in unvorstellbar großer Menge verfügbar.
8.1 DEMOKRATISIERUNG UND ENTSINNLICHUNG DER POPMUSIKERFAHRUNG Die immens gewachsene Verfügbarkeit von Popmusik wird heute vor allem durch Streaming, der Königsdisziplin aktueller Popmusikdigitalisierungstendenzen, verkörpert. Streaming bedeutet soziologisch die Allverfügbarkeit von Optionen, Ungebundenheit an die determinierenden Kontexte Ort und Zeit, den permanenten Zugang zu maximaler Vielfalt, zudem Mobilität – örtlich wie zeitlich. Letztlich ist dies zunächst Ausdruck des vereinfachten Zugangs zu Popmusik und damit eine Demo-
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kratisierung des Konsums. In Zeiten digitaler Angebote kann dieser Konsum mit sehr geringen, in vielen Fällen sogar völlig ohne Geldaufwendungen erfolgen. Dazu bietet die schiere Unendlichkeit an Optionen zunächst perfekte Distinktionsmöglichkeiten. Diese nützlich erscheinenden Folgen der Digitalisierung von Popmusik werden jedoch durch deren Ubiquität umgehend wieder ad absurdum geführt. Denn, zwar gibt es Popmusik bei Bedarf überall und nicht selten kostenlos, noch immer ist aber mindestens ein gewisser Zeitaufwand nötig, um sich Musik anzueignen. Das bloße Kopieren auf die Festplatte, das Einfügen in die Musiksammlung oder, traditioneller, das Kaufen eines Tonträgers bedeutet ökonomisch gesehen zwar bereits Musikkonsum, aus der Aneignungsperspektive gehört jedoch mehr dazu. So führt die Allverfügbarkeit in vielen Fällen zu einer Art anomischer Orientierungslosigkeit. Popmusik wird entsinnlicht. Beschleunigung des Konsums – sei es, weil man alles kaufen, alles downloaden oder alles streamen kann – heißt nicht gleichzeitig beschleunigte Aneignung. Denn die Aneignung selbst, das Einpassen in Lebenskontexte und das Verleihen von individuellem Sinn, ist, wie Hartmut Rosa eindrücklich darlegt, nicht unendlich stark beschleunigbar. Sie braucht Erfahrungszeit und Reflexion. Nach Rosa ist eine Strategie, »sich den Beschleunigungs- und Flexibilitätserfordernissen der Spätmoderne anzupassen«, die Gleichgültigkeit gegenüber Inhalten (Rosa, 2005, S. 484). Anhand einiger Fallbeispiele lässt sich dies nachzeichnen. Beispielsweise beim Hipsterphänomen, das augenscheinlich durch zur Schau gestellte ästhetische Oberflächenerfahrungen geprägt ist, die permanent erneuert werden müssen. Eine Fixierung auf Inhalte ist bei Hipstern jedenfalls nicht erkennbar, eher geht es um den schnellen Wechsel von Ästhetiken und Nutzungsweisen, die Prozessen der Anverwandlung wie sie Rosa beschreibt zuwiderlaufen. Auch bei der Verwendung von Streaming und endlosen Playlists, die Popmusik zum Hintergrundrauschen degradieren und bei deren Verwendung nur noch eine vage formulierte Genre- oder Künstlerklammer für inhaltlichen Zusammenhalt sorgt – Skippen jederzeit möglich – ist diese schwach ausgeprägte Fixierung auf Inhalte und intensive Auseinandersetzung zu erkennen. Nicht zuletzt werden Anverwandlungsdefizite auch bei der Verwendungsweise von YouTube als reinem Audiokanal deutlich: Alles, was zu viel Aufmerksamkeit verlangt – in diesem Falle also Videos – wird zurückgedrängt, während Nebenbeimedien wunderbar flexibel und in vielen Kontexten funktionieren. Die Möglichkeit des exzessiven Konsumierens von Musik erschwert den Aufbau von Bedeutung und Sinn. Popmusik wird durch massenhafte Verfügbarkeit entsinnlicht, indem sie ihres Kontextes beraubt wird. Dieser jedoch ist für sie bestimmend, denn Popmusik funktioniert nicht ohne Kontextualisierung (vgl. Kapitel 6.2). Im Sinne Rosas kommt es an dieser Stelle zur »De-Kontextuierung von Erlebnissen, welche die Alltagserfahrung zu einer Folge von wechselseitig unverbundenen
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Episoden werden lässt« (Rosa, 2005, S. 341). Genauso funktioniert Popmusik heute in der Breite: als unübersichtliches Angebot aus Einzelepisoden beziehungsweise Einzeltiteln. Relevanz kann hier nur über Rekontextualisierungsleistungen, das »reembedding«, wie es Giddens (1999, S. 102f.) ausdrückt, wiedergewonnen werden. Dafür ist der Musikkonsument heute weitgehend selbst verantwortlich. An dieser Stelle muss richtiggehend Medienarbeit geleistet werden. Bei Spezialisten erfolgt dies über eine detaillierte Auseinandersetzung mit Popmusik, das Zusammenstellen von Compilations, die intensive Recherche zu Stilen, Künstlern und Hintergründen, aktives Online-Engagement oder den Besuch von Live-Konzerten. Hipster zeigen in Kombination mit spätmoderner Mediennutzung (Soziale Netzwerke, Blogs, Vinyl) andere Strategien auf, mit denen sie versuchen auch beim Thema Popmusik immer einen Schritt voraus zu sein. In Zeiten ubiquitärer Verfügbarkeit von Popmusik ist dies jedoch nur schwer realisierbar. Die Masse der Popmusikhörer kann oder will Rekontextualisierungsleistungen kaum erbringen. Sie kosten Kraft und Zeit. Unter diesen Bedingungen, die sich weiter zu verfestigen scheinen, sind möglicherweise sogar einige der diagnostizierten Funktionen von Popmusik für das Aufwachsen – Identifikation, Distinktion, Identitätsarbeit – in Gefahr.
8.2 NEUBEWERTUNG DURCH VIELFALT UND PHYSISCHE REKONTEXTUALISIERUNG Wenn Aneignung im eigentlichen Sinne nicht mehr möglich oder nicht mehr erstrebenswert erscheint, wird aus der Popmusikerfahrung ein Popmusikerlebnis; also im Sinne Rosas etwas Unverbundenes, das einer Rekontextualisierung bedarf (Rosa, 2005, S. 470). Um die, von der Soziologie angemahnten Prozesse der De- oder Entkontextualisierung positiv zu wenden, sollte man daher fragen, wie die Rekontextualisierungsprozesse aussehen und welche Folgen daraus erwachsen. Popmusik bietet hier, mittels ihrer Inhalte und auch mittels ihrer sozialen, ökonomischen und technologischen Verfasstheit zahlreiche Anknüpfungspunkte. Dass es in der Popmusik Rückbettungs- und Rekontextualisierungstendenzen gibt, lässt sich ebenso deutlich diagnostizieren wie die Tendenz zur Entwertung. Die Zuschreibung eines Sinns für Popmusik und die neue Sinnhaftigkeit von haptischen und körperlichen Erfahrungen zeigen sich in verschiedenen aktuellen musikkulturellen Phänomenen, die scheinbar – zumindest aus den Zeitabfolgen ist dies zu abzulesen – als Reaktion auf die Entsinnlichung durch die Digitalisierung folgen. So kommt es (auch) auf dem Gebiet der Popmusik zu einer Art Entschleunigungstrend, für den beispielsweise die langanhaltende Konjunktur verschiedener Folkund sogenannter Singer-/Songwriter-Künstler steht. Das Ursprüngliche, Authentizität und Glaubwürdigkeit sind in der Popmusik offensichtlich bedeutsame Erlebnis-
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faktoren. Diese Kategorien scheinen immer wieder die Rückbettung durch Konzerte und physische Erfahrungen zu benötigen. Besonders spannend ist dabei, dass Popmusik trotz ihrer Immaterialität über den Verkauf von Tonträgern, Merchandise oder Konzerttickets immer wieder auf die physische Komponente zurückgeführt wird. Scheinbar sogar umso stärker, je weiter die Digitalisierung voranschreitet. Wachsende Konzert- und Festivalmärkte und ein steigender Vinylabsatz unterstreichen dieses Phänomen. Hier scheint sich die Digitalisierung – wie viele andere technologische Entwicklungen auch – nicht linear und unidirektional durchzusetzen, sondern Seitenstränge und Spezialkulturen zu erzeugen. Ob dies nachhaltig sein wird – und damit die enge historische Verbindung von Körperlichkeit und Musik stabilisieren kann – oder ob es sich dabei gewissermaßen um eine Retrowelle, um ein letztes nostalgisches Aufflammen althergebrachter Aneignungsmodi handelt, wird die Zukunft zeigen. In jedem Fall steigerte die Digitalisierung die Vielfalt der Popmusik, indem Nischen neu- und wiederbelebt wurden. Die Möglichkeit, selbst obskurste Musik online zu finden und dafür ein Publikum zu begeistern, wurde zunächst mittels Musikdownload Blogs außerhalb ökonomischer Schranken umgesetzt. Dass hier in den meisten Fällen nicht neue, sondern alte, unbekannte oder vergessene Popmusikinhalte im Zentrum standen, bestätigt die retrologische Verfasstheit von Popmusik. Diese funktioniert immer rückbezüglich, verarbeitet Dagewesenes und erschafft daraus wieder Neues, das bei genauerer Betrachtung nur im Sinne einer Bricolage Neuzusammengesetztes ist. Zu den popkulturellen Folgen von Musikdownload Blogs gehören daher wenig überraschend auch die Etablierung neuer Künstler, die sich deutlich an alten Popmusikformen abarbeiten und die Genese von Retroszenen. Beides kommt letztlich der Vielfalt von Popmusik zu Gute. Die ökonomische Auswertung dieser Vielfalt erfolgt zunehmend durch neue Verkaufs- und Streamingplattformen. Sie etablieren technologische und ökonomische Infrastrukturen für die zunehmende Vernischung von Popmusik, die zwar spätestens seit Ende der 1970er Jahre mit der Punk- und DIY-Bewegung Fahrt aufnahm, jedoch erst durch die Möglichkeiten des Internets ihr volles Potenzial entfaltete, und nutzen so die Möglichkeiten der Digitalisierung im Sinne des Long Tail. Streamingdienste und Angebote wie Bandcamp machen Nischen damit kommerziell verwertbar und massentauglich.
Fazit | 321
8.3 BEDEUTUNG UND WERT VON POPMUSIK Die Bedeutung von Popmusik ist letztlich eine soziale Zuschreibung. Sie ist niemals nur anhand des Inhalts, weder musikalisch noch textlich, ablesbar. Stattdessen wird ihre Bedeutung über die Verknüpfung vieler Komponenten auf unterschiedlichste Art und Weise hergestellt. »[…] meaning only exists insofar as it is articulated – that is, it results from the intersections of particular texts (objects, events, etc.) with particular people (audiences, artists, industry executives, policy-makers, etc.) and practices (fashions, slang, lifestyles, etc.) in particular contexts (social, cultural, economic, political, historical, national, etc.).« (Rodman, 2015, S. 53)
Vielleicht ist und bleibt Musik – und aktuell ist es eben die sogenannte Popmusik, die unsere Hörgewohnheiten dominiert – deshalb so wertvoll und gleichzeitig so mysteriös in der Wirkung, weil sie eben nicht zu einer »Inversion der Zeiterfahrung« (Rosa, 2013, S. 138) führt, wie andere Medien dies tun. Popmusikerfahrungen sind nicht dekontextualisiert oder entsinnlicht »gegenüber unserem eigenen Leben« (ebd.), sondern sie ergeben ganz im Gegenteil immer erst dann Sinn, wenn sie individuell in Besitz genommen und ausgedeutet werden. Dies kann auf unterschiedlichste Weisen passieren. Einerseits kann Musik problemlos im Hintergrund, also nebenbei gehört werden, andererseits unterliegen wir bei intensivem Hören zahlreichen Emotionen, die eben genau nur mit uns zu tun haben und dem spätmodernen Leben aus anderen Kontexten möglicherweise nicht mehr vertraut sind. So gesehen kann Popmusik – ob nun rezipiert im Konzertkontext, im Club, unterwegs oder zu Hause – als eine Ausbruchsmöglichkeit aus der sich beschleunigenden, entsinnlichten Welt gesehen werden. Sie ist möglicherweise – vor allem im Kontext von Live- oder Club-Erfahrungen – das körperlichste aller Medien. Körperlich nicht nur, weil man zu ihr tanzen kann, sondern auch, weil ihre elektroakustischen Signale bei einer gewissen Lautstärke eben nicht nur hör-, sondern auch spürbar sind und weil ihr Konsum einen Anlass bietet, neue Räume physisch zu erkunden. Sie ist so schwer zu fassen, weil sie trotz noch so konkreter Lyrics am Ende stets vage – eben individuell kontextualisiert – bleibt. Und da wo es um individuelle Kontextualisierungsleistungen geht, sind Missverständnisse vorprogrammiert.
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8.4 UNVORHERSEHBARE NEBENEFFEKTE DES DIGITALEN WANDELS VON POPMUSIK Zusammenfassend kann die Entwicklung der Popmusik, ihre ökonomische und kulturelle Globalisierung, ihre technologische Vielfalt, ihre Mobilisierung, ihre immer wieder erneuerten Angebote, ihre stark beschleunigten und damit veränderten Aneignungsprozesse genauso wie die Rekontextualisierungsreaktionen auf diese Zustände als Symptom der von Ulrich Beck als »Metamorphose« bezeichneten Veränderung der Welt (Beck, 2016) gelesen werden. Dabei geht es weder (ausschließlich) um Transformation, um soziale Veränderung, um Revolution oder Evolution, sondern um den Modus der Veränderung menschlicher Existenz und vor allem um die Bedeutung von nicht intendierten und nicht vorhersehbaren Nebeneffekten (ebd., S. 20). »Metamorphosis, understood in this way as a global revolution of side effects in the shadow of speechlessness, triggers a chain reaction […].« (ebd., S. 29) Auf Popmusik – nicht der bedeutsamste, dafür aber ein sehr sichtbarer und hörbarer Schauplatz der Spätmoderne – bezogen, lässt sich diese vom Unvorhersehbaren und Unkontrollierbaren der Technologieentwicklung geleitete These leicht nachzeichnen. Anhand der in den Fallbeispielen ausführlich beschriebenen Neuerungen werden zahlreiche Entwicklungen deutlich, die in dieses Muster passen. Niemand ahnte, was das MP3-Format mit Musik machen könnte, dass sich Downloadsubkulturen, neue Produktionsweisen, Massenvernischung und völlig veränderte Rezeptions- und Kaufverhalten herausbilden würden. Ebenso lassen sich die Rückbettungseffekte, die zahlreichen Retrotrends, die steigende Zahl von Konzerten, Festivals und deren Besuchern sowie das überraschende Comeback von Vinyl als Tonträger als unvorhergesehene Nebeneffekte beschreiben. Der Status und die Wertschätzung, die der Popmusik gegenwärtig zukommen, sind letztlich eine Entsprechung unserer gesellschaftlichen Zustände. Streaming und dessen zunehmende Nutzung ist die zum Entstehungszeitpunkt dieser Arbeit dominierende Stufe der popmusikalischen Metamorphose. Möglicherweise ist es vorerst die letzte, möglicherweise werden sich andere tiefgreifende Veränderungen hinzugesellen.
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Thomas Phleps (Hg.)
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Musikwissenschaft Lars Oberhaus, Christoph Stange (Hg.)
Musik und Körper Interdisziplinäre Dialoge zum körperlichen Erleben und Verstehen von Musik 2017, 342 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3680-2 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3680-6
Sylvia Mieszkowski, Sigrid Nieberle (Hg.)
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