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German Pages 392 Year 2015
Nic Leonhardt Piktoral-Dramaturgie
Nic Leonhardt (Dr. phil.) ist gegenwärtig wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, Fachrichtung Schauspiel, und arbeitet als freie Autorin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Theater- und Mediengeschichte, Visual Culture, Schauspieltheorie, Theater- und Medien-Zensur und Telenovelas.
Nic Leonhardt Piktoral-Dramaturgie. Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869-1899)
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 – Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2006 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Der industrielle Vorhang im Kroll-Theater. Holzstich nach einer Zeichnung von L. Loeffler 1872. Mit freundlicher Genehmigung des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz. Lektorat: Nic Leonhardt Satz: Jörg Burkhard, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-596-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
INHALT Vorwort Einleitung Fragestellung und Kenntnisstand Untersuchungsziel und theoretische Kontextualisierung Begriffliches Werkzeug Visual Culture als hybride Interdisziplin des Visuellen Skizzierung des Quellenmaterials Historiographische Überlegungen zum Umgang mit Quellenmaterial Materialkorpus Vorgehensweise Im Fokus: Berlin
7 9 10 22 23 25 38 38 41 50 54
1 Visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts »Bilderflut« – eine kritische Hinführung Stätten der »Schaulust«: Bild-Medien und -Institutionen ›Alles für Alle zu sehen‹: das Panorama Sichtbarmachen von Zeit: das Diorama Technische imitatio naturae: die Fotografie Stereoskopie: Bilder in dritter Dimension Bild- und Textlektüre: Illustrierte Zeitungen und Journale Visueller Konsum en passant: die Passage ZUSAMMENFASSUNG: ›Visueller Horizont‹ des 19. Jahrhunderts
67 68 75 75 83 89 95 99 104 115
2 Ökonomie und Heterogenität theatraler Unterhaltung »Kalamität« und »Krise«: Kritische Zugänge Geschäft mit der Schaulust: Folgen der ›Theater-Freiheit‹ 1869 Gewerbe-Freiheit – Theater-Freiheit Theaterware »Was man sehen wollte, das bot man«: Theater-Angebot und -Nachfrage Geschmacksvielfalt zwischen bon goût und Theatromanie bon goût: Kunsturteil und Distinktion Theatromanie: ›Zerstreuung‹ und (soziale) Integration ZUSAMMENFASSUNG: Theater-»Kalamität« – Theater-Varietät
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3 Mise en scène und Dramaturgie der Bilder Theaterbilder – Bildertheater. Zur ›Multivisualität‹ der Bühnen Bildervielfalt: Facetten des Bild-Begriffs im Theater Schauvielfalt: optische Effekte und szenographische ›Opulenz‹ ZUSAMMENFASSUNG: Bilder- und Schauvielfalt Bilder des Krieges: ›Rückblicke‹ auf 1870/71 Mediale Schau-Plätze des Krieges ›Szenische Rückübersetzungen‹: Theaterbilder des Krieges
147 148 149 156 168 170 174 194
133 137 138 139 143
Bild-Geschichte(n) der Nation Dramaturgie der Kriegs- und Geschichts-Bilder ZUSAMMENFASSUNG: Zirkulation und Standardisierung der Bilder Kolonien im Blick: Schauplätze deutscher ›Fremden-Bilder‹ Deutsche Kolonien im Spiegel der Bildmedien Im dunklen Erdtheil: Ethnographisches Schaustück Interpiktoralität und Intervisualität: Zur Dramaturgie der ›Fremden-Bilder‹
210 215 225 226 229 279 292
Zusammenfassung
297
ANHANG Abkürzungsverzeichnis
303
Abbildungsverzeichnis
305
Fragebogen über den Nothstand eines großen Theils der privaten Theater-Unternehmungen und ihrer Mitglieder
311
Theater in Berlin (1860-1900)
315
Quellen- und Literaturverzeichnis
345
Sachverzeichnis
377
Namenverzeichnis
383
Titelverzeichnis
389
VORWORT Die vorliegende Studie begann ich vor wenigen Jahren auf der Grundlage eines Satzes, der mir bei der Lektüre von Martin Meisels Buch Realizations (1984) ins Auge gestochen war. In dieser Untersuchung der Wechselbeziehungen von Theater, Literatur und bildenden Künsten im 19. Jahrhundert hatte Meisel eher beiläufig formuliert: »But what is striking and characteristic in the nineteenth-century is that its dramaturgy was pictorial, not just its mise en scène […].« Ich nahm Meisels für das britische Theater formulierte Beobachtung zum Ausgangspunkt meiner Studie. Und instrumentalisierte die Bezeichnung »pictorial dramaturgy« oder »Piktoral-Dramaturgie« als Suchbegriff durch die Geschichte des deutschen Theaters im 19. Jahrhundert. Diese Suche nach einer von Bildern durchsetzten, durch Bilder motivierte, an Bildern angelehnten Dramaturgie gestaltete sich zu einer archäologischen Reise durch ein schier endlos verzweigtes Archiv der deutschen (Theater-)Geschichte und ihrer Schreibung, durch visuelle Medien und Bildkünste, durch die Populärkultur und ästhetischen Ideale des 19. Jahrhunderts. »Piktoral-Dramaturgie« erwies sich als weiter, integrativer Begriff, mit dem sich auch die Dramaturgie anderer Bildmedien und Institutionen der Zeit fassen ließ. Die besonderen Qualitäten einer piktoralen Dramaturgie im Theater des 19. Jahrhunderts waren jedoch auch der ikonoklastischen Kritik der zeitgenössischen deutschen Dramatiker, Kritiker, – aber auch der Theaterhistoriker des 20. Jahrhunderts ausgesetzt. Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert, der Untertitel der vorliegenden Studie, indiziert einerseits das Verständnis von Piktoral-Dramaturgie als Dramaturgie im Verbund von Theater und bildender Kunst, aber auch von Theater und visuellen Medien und Institutionen visueller Unterhaltung dieser Zeit. Andererseits verweist der Titel auf die theoretisch-methodische Ausrichtung der Arbeit an dem noch immer sich konturierenden transdisziplinären Forschungsfeld Visual Culture. Theatergeschichtsschreibung und Revision der deutschen Theatergeschichte, bildwissenschaftliche Fragestellungen, Ansätze der Visual Culture – diese Arbeit entstand in einem Zeitraum, in dem historische, aber auch disziplinäre Selbstverständlichkeiten hinterfragt wurden und sich neue ›hybride Interdisziplinen‹ konstituierten. PiktoralDramaturgie kristallisiert eine Momentaufnahme dieser wissenschaftlichen Dynamik und versteht sich daher auch als ein interdisziplinäres ›Lese- und Arbeitsbuch‹, das neben einer Fülle von Fakten und deren ›Hinterfragung‹ auch zahlreiche Einladungen zu weiteren ›archäologischen Suchen‹ beinhaltet. Von Anfang an hat mein Doktorvater, Prof. Christopher B. Balme, dieses Projekt befürwortet und meine Forschungen mit großem Interesse verfolgt.
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Für seine Unterstützung und seinen steten Zuspruch kann ich ihm nicht genug danken. Für wertvolle Impulse und Gespräche während der Vorarbeiten bin ich vor allem Dr. Christiane Brosius, Dr. Wibke Hartewig, Prof. Claudia Jeschke, Prof. Anja Klöck, Prof. Michal Kobialka, Nicole Labitzke, M.A., Prof. Karl N. Renner und Prof. Kati Röttger zu Dank verpflichtet. Mein Dank für die zuvorkommende Kooperation und Hilfsbereitschaft während der Recherchen zu dieser Arbeit geht daneben an folgende Mitarbeiter in den Archiven und Bibliotheken: Die Mitarbeiter des Landesarchivs Berlin, der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Porz-Wahn, die Mitarbeiter der Staatsbibliothek Berlin, der Kunstbibliothek Berlin, der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Freien Universität Berlin (besonders Dr. Dagmar Walach). Ebenfalls herzlich danken möchte ich den Mitarbeitern der Stadtbücherei Hachenburg, der Stiftung Stadtmuseum Berlin, (insbesondere Bärbel Reißmann und Dr. Lothar Schirmer), den Mitarbeitern des Deutschen Historischen Museums Berlin (besonders Anne Dorte Krause) und des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz Berlin (insbesondere Norbert Ludwig). Meinen Freunden danke ich für das Verständnis während arbeitsamer Wochenenden und für ihre wohltuenden Ablenkungen. Schließlich aber wäre die »Arbeit an der Arbeit« nicht möglich gewesen ohne das Verständnis, die Geduld und die stets unterstützenden Worte von Dr. Volker Kämpf. Er war mir als »wandelndes Geschichtslexikon« ein wertvoller Gesprächspartner und wurde im Laufe der Zeit selbst zu einem fachkundigen Berater. Vor allem aber war er mir während der gesamten Zeit eine Insel. Ihm widme ich dieses Buch. Nic Leonhardt, im März 2007
EINLEITUNG Seit einigen Jahren werden innerhalb der Theaterwissenschaft die Herausforderung und Situierung von Theater in der Medienkultur diskutiert. Die historische Dimension der Beeinflussung des Theaters durch neue (Bild-)Medien blieb dabei jedoch bislang weitgehend ausgeklammert. Dabei zeichnet sich insbesondere das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts durch zahlreiche neue, Bilder produzierende Medien und visuelle Institutionen aus, die rasch alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beeinflussten. Die Heterogenität und Dichte dieser ›visuellen Kultur‹ kann, so der Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung, Theater nicht unberührt gelassen haben. Vielmehr ist zu vermuten, dass Theater einerseits auf die Innovationen im Bereich visueller Information und Unterhaltung reagiert, und andererseits einen eigenen Beitrag zur Konstitution der visuellen Kultur jener Jahre und zum wachsenden Bedürfnis der Gesellschaft nach visueller Information und Unterhaltung liefert. Während das Zusammenwirken von Theater im 19. Jahrhundert mit neuen, insbesondere visuellen Medien und deren Ästhetik, außertheatralen Unterhaltungsinstitutionen sowie ökonomischen Faktoren im angloamerikanischen und französischen Wissenschaftsraum längst zum Untersuchungsgegenstand geworden ist, steht die Erforschung des Bezugs von visueller Kultur und Theater in Deutschland im 19. Jahrhundert noch immer aus. Hinzu kommt eine defizitäre Grundlagensicherung in Bezug auf die Kenntnis von Produktion und Rezeption insbesondere populärer Theaterformen dieser Zeit, die aus Rücksicht auf den Wettbewerb zu ständiger Innovation gezwungen sind. Die vorliegende Studie geht der Einbettung des deutschen Theaters in die visuelle Kultur des späten 19. Jahrhunderts, insbesondere in der Zeitspanne 1869-1899, nach. Die damalige Reichshauptstadt und Theatermetropole Berlin bildet das geographische Zentrum der Betrachtung. In theoretischer Anlehnung an die jüngste Visual Culture-Forschung und in enger Arbeit an historischen, zum Teil bislang nicht ausgewerteten Quellenmaterialien werden Bildmedien und Institutionen visueller Kultur vorgestellt und (populäre) Theaterformen in den Blick gerückt, die von der Theatergeschichtsschreibung bislang nur marginal berücksichtigt wurden. Ziel dieser Untersuchung ist es zum einen, an ausgewählten Beispielen und unter zwingend notwendiger Berücksichtigung des zeithistorischen Kontexts die verschiedenen Spielarten der Verwobenheit von visueller Kultur und Theater zu beschreiben und die unterschiedlichen Reflexe begrifflich zu fassen. Zum anderen werden erste Schritte zur Aufarbeitung eines bislang ausgegrenzten Teils der deutschen Theatergeschichte unternommen.
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F r ag e s te l l u n g u n d K e n n t n i ss ta n d In seiner Studie Realizations untersucht Martin Meisel das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen der Künste, im Besonderen von Malerei, Theater und Literatur im 19. Jahrhundert. Das Bestreben, malerische Szenen für die Bühne zu entwerfen, sei schon in früheren Zeiten zu beobachten gewesen, und auch die Orientierung der Bühne an den Gesetzen der Malerei zeige sich beispielsweise in der zentralperspektivischen Gestaltung der Bühne und der Figurenkonstellation.1 Über diese auf die Szenographie zielende Orientierung am ›Malerischen‹ hinaus beobachtet Meisel am Theater des 19. Jahrhunderts indessen eine »neue Dramaturgie«, die sich durch das Wechselspiel von Theater und Malerei ergebe: Nicht nur die Mise en Scéne sei »pictorial«, sondern auch die Dramaturgie. Insbesondere in der Gattung Melodrama ändere sich der Begriff dessen, was ›dramatisch‹ bedeutet, in welchem Verhältnis die Bestandteile eines Stückes zu gewichten und wie ein Stück in Idealform gebaut sei. Die »neue, piktorale Dramaturgie« zeichne sich durch eine Fokussierung auf statische Tableaux und die Reihung (szenischer) Bilder aus: But what is striking and characteristic in the nineteenth-century theater is that its dramaturgy was pictorial, not just its mise en scène and that such pictorialism was strongest in what were regarded as its most ›dramatic‹ genres. […] In the new dramaturgy, the unit is intransitive; it is in fact an achieved moment of stasis, a picture. The play creates a series of such pictures some of them offering a culminating symbolic summary of represented events, while others substitute an arrested situation for action and reaction. Each picture, dissolving, leads into consequent activity, but to a new infusion and distribution of elements from which a new picture will be assembled or resolved. The form is serial discontinuity, like that of the magic lantern, or the so-called ›Dissolving Views‹.2
In der letztgenannten Beobachtung vergleicht Meisel nur kurz die »pictorial dramaturgy« mit den Darstellungsweisen von Laterna Magica (magic lantern) und Nebelbildern (Dissolving Views3). Es handelt sich hierbei um populäre Medien des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, die neben ihrer Integration in eine theatrale Aufführung auch als eigenständige Einrichtungen visu1
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»European theaters before the nineteenth-century have been highly pictorial, in the sense of being perspectivally organized and acutely aware of the visual ensemble, including scenery and spectacle. A primary interest in spectacle is characteristic of renewals of theatrical life, and one thinks of the Florentine theater under the Medici and Davenant’s Restoration extravaganzas.« Meisel 1983, S. 38f. Ebd., S. 39. »Die nebelhafte Verschwommenheit, mit welcher jedes Bild zunächst erscheint, und mit welcher es auch, nachdem es sich auf kurze Zeit zu voller Klarheit entwickelt hat, allmälig [sic!] wieder verschwindet, während gleichzeitig das folgende Bild hervortritt, gab denselben die Benennung, und gerade die Eigenthümlichkeit dieser Darstellungsweise bietet für Unterhaltung einen ungewöhnlichen Reiz. Es wird wohl kaum Jemand geben, welchem derartige Vorführungen unbekannt wären […].« H. R. Böhm: Anleitung zu Darstellungen mittelst der Laterna magica und des Nebel-Bilder-Apparates. Hamburg: Richter 1876, S. 5.
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eller Unterhaltung dieser Zeit prominent sind. Wesentlich in dieser Bemerkung Meisels ist, dass Eigenschaften anderer Medien (hier die serielle Diskontinuität der Projektionen) auch zur Beschreibung neuer dramaturgischer Prinzipien des Theaters hinzugezogen werden. Die visuellen Medien der Zeit scheinen daher ebenso von Bedeutung für die Herausbildung einer piktoralen Dramaturgie im britischen Theater des 19. Jahrhunderts wie es die gegenseitige Beeinflussung der Künste Malerei, Literatur und Theater ist. Es ist dieses Spannungsfeld der dramaturgischen Orientierung an den ästhetischen Konventionen der Bildkünste einerseits und der Herausforderung durch Darstellungsprinzipien und Wahrnehmungsmodi der neuen Bildmedien und Institutionen andererseits, das die vorliegende Studie für das deutsche Theater zwischen den sechziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts diskutiert. Als Beispiel für eine enge Orientierung der Szenographie an der Malerei im deutschen Theater um die Jahrhundertmitte sei die Theaterpraxis Franz von Dingelstedts genannt. Dieser pflegt bekanntlich unter enger Mitarbeit des Historienmalers Wilhelm von Kaulbach einen auf optische Wirkung hin ausgerichteten Inszenierungsstil mit »malerisch« wirksamen Szenengruppierungen. Die Konzentration Dingelstedts auf die Bildwirkung entspricht Meisels Formulierung von einer »pictorial mise en scène«, die auch in den Grands Opéras Anwendung findet, und welche insbesondere in den Ausstattungsstücken der achtziger und neunziger Jahre noch potenziert wird, worauf an anderer Stelle dieser Studie noch eingegangen wird. Als vermeintlicher Pionier einer an bildlichen Effekten ausgerichteten Dramaturgie und Regie gilt innerhalb der deutschen Theatergeschichte noch immer Max Reinhardt. Julius Bab etwa beschreibt Reinhardts Arbeit 1908 als eng an der Malerei orientiert. Der Regisseur sei stets bedacht gewesen, »die ganze Handlung in eine Kette von Bildern aufzulösen, in denen sich Dekorationen und Personen zu Wirkungen von farbiger und linearer Schönheit vereinen.«4 Bis heute gilt Reinhardts Regieführung als bahnbrechendes Beispiel für die enge Orientierung an ökonomischen Faktoren und an visueller Wirkung. Dass Reinhardts Verfahren, »die ganze Handlung in eine Kette von Bildern aufzulösen«, keineswegs originär ist, offenbart Meisels Beschreibung einer piktoralen Dramaturgie im britischen Theater der Jahrhundertmitte. Und auch in einer deutschen Kritik zu einer Posse von O.F. Berg in 3 Akten und 9 Bildern im Deutschen TheaterAlbum vom 13. September 1863 heißt es: »[D]ie einzelnen Bilder sind fast ohne Zusammenhang und dabei von schablonenhafter Kürze, von Charakteristik keine Spur, und an die Regeln dramatischer Dichtkunst hat sich Hr. Berg bekanntlich nie gehalten.«5 Das Aufbrechen dramaturgischer Regeln zugunsten einer Aneinanderreihung zusammenhangloser Bilder ist hier Charakteristikum und Monitum zugleich. Ferner werfen diese Stellungnahme und jene zu Reinhardts Regie sowie Meisels Formulierung einer pictorial dramaturgy die Frage nach dem Facettenreichtum des Bild-Begriffs im Theater jener Jahre auf, der sich, wie zu zeigen sein wird, einerseits nach den ästhetischen Konventionen der Bildkünste richtet und sich andererseits an den neuen medialen Verfahren der Bildproduktion orientiert.
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Julius Bab: Kritik der Bühne. Berlin: Oesterheid 1908, S. 146. Anonymer Verfasser in Dt. Th.-Album, 8. Jg., Nr. 36/37, 13. September 1863, S. 121.
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Theater und andere Medien, »Bilder-Theater« In der Theaterpraxis des 20. und 21. Jahrhunderts ist die Einbeziehung von Medien wie der Filmprojektion, oder digitalen Bildern, der Malerei oder von Elementen der Video-Clip-Ästhetik selbstverständlich. In seiner Publikation Bildertheater kontrastiert Peter Simhandl »konventionelles Theater« und das »Theater der Bilder«, das für das 20. Jahrhundert (seit den sechziger Jahren) charakteristisch sei. Während sich jenes »als Mittel zur Darstellung und Interpretation von Literatur begreift und mit dieser nahezu verschmolzen ist«, so argumentiert er, erzähle das Theater der Bilder in Opposition »keine kaussallogisch aufgebauten Geschichten, sondern reiht bewegte Bilder aneinander und verknüpft sie assoziativ; […] es vermittelt keine rational faßbaren Botschaften in diskursiver Sprache, sondern schafft ganzheitliche Bildwelten.«6 Während das von Simhandl beschriebene »Theater der Bilder« in engem Rekurs auf die bildende Kunst operiert (auch weil es unter Mitwirkung bildender Künstler entsteht), beobachtet Hans Thies Lehmann in seiner Publikation Postdramatisches Theater ein »erweitertes« Bildertheater als wesentliches Merkmal der Theaterästhetik der Gegenwart. Die Aneinanderreihung von Bildern sei ein Charakteristikum postdramatischen Theaters, welches in Wechselwirkung mit Impulsen der so genannten neuen Medien, der PopKultur und kulturindustriellen Momenten stehe: Dazu gehören der rasante Wechsel von Bildern, das Tempo der Konvention in Kürzeln, das Gag-Bewußtsein der TV-Comedies, […] Anspielungen auf den Alltag der Unterhaltungsbranche und ihre Macher, Zitate aus der Popkultur, Unterhaltungsfilmen und Reizthemen der Medien-Öffentlichkeit. […] Postdramatisch sind diese Versuche darin, dass die zitierten Motive, Gags oder Namen nicht in den Rahmen einer kohärenten narrativen Dramaturgie gestellt werden, sondern als Phrasen in einem Rhythmus, als Elemente einer szenischen Bildcollage dienen.7
Die Beeinflussung durch neue Medien führt bekanntlich zu neuen ästhetischen Verbindungen von Theater, Kunst, Populär- und Medienkultur. Der zeitgenössische Zuschauer benötigt im gleichen Zug Medienkompetenz und ›popkulturelles‹ Kapital,8 um diesen komplexen medialen Verflechtungen auf der Bühne folgen zu können. In der Praxis sind solche intermedialen Bezüge längst evident. Und inzwischen gehören sie auch zum Untersuchungsfeld theaterwissenschaftlicher Intermedialitätsforschung, welche die Interrelation von Theater und Medien grob in drei, durchaus permeable Positionen, unter6 7 8
Peter Simhandl: Bildertheater. Bildende Künstler des 20. Jahrhunderts als Theaterreformer. Berlin: Gadegast 1993, S. 8. Hans Thies Lehmann: Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren 1999, S. 419. In Anlehnung an Pierre Bourdieus Begriff des »kulturellen Kapitals«, das dieser als eine Form intellektueller Qualifikation begreift, die durch familiäres Milieu oder Schulbildung geprägt ist. Kulturelles Kapital lässt sich verstehen als objektives Kapital (hierzu gehört der Besitz von Kulturgütern wie Kunst, Büchern), als inkorporiertes Kapital (z.B. (körper-)sprachliche Eloquenz) sowie als institutionalisiertes Kapital (z.B. Schul- oder Universitätsdiplome). Den Formen kulturellen Kapitals geht Bourdieu in verschiedenen Schriften nach, darunter in: Die feinen Unterschiede. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002 [11987].
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teilt: als Transposition von Medieninhalten zwischen verschiedenen Medien (Medienwechsel/Medientransformation), als eine besondere Form von Intertextualität und als Übertragung ästhetischer, medialer Konventionen und/oder Seh- und Hörgewohnheiten eines Mediums in ein anderes.9 Die prominenteste und am fundiertesten beschriebene Wechselbeziehung ist sicherlich diejenige von Theater und Film, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zuweilen konträr diskutiert wurde. Theater – verstanden als »Leitmedium« des 19. Jahrhunderts – schien durch den Film als neue Kunstund Unterhaltungsform in Gefahr verdrängt zu werden. Die Anschauung von Film als Konkurrenzinstanz des Theaters führte zu einer Debatte medialer Konkurrenz und zur Diskussion um die mediale Spezifizität jeweiliger Einzelmedien (das »Filmische«, das »Theatralische« etc.). Die Idee medialer Spezifizität schreibt jedem Medium exklusive Eigenschaften zu, hinsichtlich der ästhetischen Ausdrucksmittel, der technischen Übermittlung und der Betrachtungs- und Wahrnehmungskonvention. Diese Separierung von Medien bereitet Lessing in seiner Laokoon-Schrift vor, in der er die Künste in Zeitund Raumkünste unterteilt, die je eigenen Gesetzmäßigkeiten unterlägen.10 Modi des Sehens und visuelle Darstellungsregeln einzelner Medien, ihre medialen Spezifika also, werden auf andere Medien übertragen, was am Beispiel der Literatur in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach aufgezeigt wurde. Durch diese Aneignungen von anfänglich bestimmten Medien zugeschriebenen Eigenschaften verwischen relativ rasch die klaren Konturen medialer Spezifizität. Schreiben wird »filmisch«, Literatur wird »panoramatisch«, vignettenhaft und piktoral. Der Literaturwissenschaftler Götz Großklaus arbeitet beispielsweise in seinem Aufsatz »Wirklichkeit als visuelle Chiffre. Zur ›visuellen Methode‹ in der Literatur und Photographie zwischen 1820 und 1860«, in den Erzählungen E.T.A. Hoffmanns, Heines, Poes und Baudelaires deren »visuelle Qualitäten« heraus. Die »neue visuelle Wahrnehmung – die neue Thematisierung des Auges und des Bildes« entfalte sich »historisch gleichzeitig in unterschiedlichen Medien«, nämlich in der Literatur, der Fotografie und im Pan9
Christopher Balme: »Theater zwischen den Medien: Perspektiven theaterwissenschaftlicher Intermedialitätsforschung«, in: Ders. und Markus Moninger (Hg.): Crossing Media. München 2004, S. 13-31, hier S. 19f. Zum Begriff der Intermedialität siehe u.a. Irina O. Rajewsky: Intermedialität. Tübingen, Basel: Francke 2002. Siehe auch Georg Christoph Tholens Aufsatz »In Between. Time, Space and Image in Cross-Media Performance«, in: Performance Research 6 (3), 2001, S. 52-60: »One could preliminarily summarize that postmodern performance is no longer orientated towards the utopian and, at the same time, naive mingling of art and life; but towards another mise-en-scène and the reflection of phantasmatic human role models and self-images, inasmuch as these are represented as always having been framed and fractured. This is exactly why contemporary art uses a variety of multi-medial means, because their image-producing ability to frame, cut and move freely can demonstrate the image and sound worlds of mass culture, which spread in their imaginary ephemerality and groundlessness.« Ebd. S. 53. Zur aktuellen Intermedialitätsforschung im Bereich der Theaterwissenschaft siehe den Sammelband von Günther Heeg und Anno Mungen (Hg.): Stillstand und Bewegung. Intermediale Studien zur Theatralität von Text, Bild und Musik. München: Epodium 2004. 10 Gotthold Ephraim Lessing: »Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie«, in: Ders.: Werke. Band 6, Kunsttheoretische und kunsthistorische Schriften. Darmstadt 1996.
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orama.11 Großklaus überträgt damit die visuelle Wahrnehmung dieser Medien auf die Lektüre literarischer Texte: Diese lenkten qua Sprache den (imaginativen) Blick des Lesers. Eine Verbindung, die auch Walter Benjamin in Bezug auf die Erzählung »Des Vetters Eckfenster« von E.T.A. Hoffmann beobachtet, welche in seinen Augen »nichts anderes [ist] als ein solcher Lehrgang des physiognomischen Sehens.«12 Ähnliche mediale Analogien beschreibt Joachim Paech in Bezug auf den Film und »filmisches Schreiben im Poetischen Realismus«, wobei er betont, dass aufgrund des inkompatiblen »Zeichenmaterials« der Medien Literatur (Schrift) und Film (Bild/Ton) allenfalls die Ebene ihrer Erzähl-Strukturen vergleichbar und analog sein kann.13 Johann N. Schmidt hat in seiner Studie Ästhetik des Melodramas über das britische Melodrama sowie in seinem Aufsatz »›Vom Drama zum Film.‹ Filmische Techniken im englischen Bühnenmelodram des neunzehnten Jahrhunderts« die Beziehung zwischen dem Melodrama und dem frühen Film diskutiert.14 Als auffällig stellt Schmidt folgende Gesichtspunkte heraus, die weiter oben auch für das Theater der zweiten Jahrhunderthälfte genannt wurden: Nämlich, dass Aktion und Spektakel auf den Modus ihrer technischen Produktion verweisen, die »effektvoll gestaltete Einzelszene« das Publikum ebenso anspricht wie es die Reihung von Szenen zu einer Geschichte vermag, und schließlich, dass der »Attraktionsund Sensationscharakter« zur Reibungsfläche wird für Vertreter eines überlieferten Kunstverständnisses, das die Qualität (und künstlerische Wertigkeit, so lässt sich ergänzen) des Textes über »pures« visuelles Vergnügen stellt.15
Theater und visuelle Kultur In den vergangenen drei Jahrzehnten sind im französischsprachigen und anglo-amerikanischen Raum innovative interdisziplinäre Arbeiten über das Wechsel- und Zusammenspiel von theatraler Unterhaltung, Praktiken der Populärkultur und neuen Medien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Vergleichbar umfassende Arbeiten zu dieser Interdependenz im 19.
11 Götz Großklaus: »Wirklichkeit als visuelle Chiffre. Zur ›visuellen Methode‹ in der Literatur und Photographie zwischen 1820 und 1860 (E.T.A. Hoffmann, Heine, Poe, Baudelaire)«, in: Harro Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens. Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst. München: Fink 1996, S. 191-208, hier S. 207. 12 Walter Benjamin: Beroliniana. Berlin: Union 1987, Kapitel »Das dämonische Berlin«, S. 132 13 »Tatsächlich macht die Rede von vor-filmischen Analogien nur Sinn, wenn sie einen realen Kern hat. Sie kann meines Erachtens mit zwei Ebenen, die miteinander in Beziehung stehen, verbunden werden: Einmal mit Dispositionen der Wahrnehmung einer (gesellschaftlichen, kulturellen etc.) Realität die für das Schreiben der Literatur vor dem Film ebenso gilt wie für das Drehen von Filmen (das ist Eisensteins Argument), oder zum anderen mit Strukturen (der Semiotik) des Erzählens, deren analoge Organisationsformen (oder narrative Grammatiken) aufeinander abbildbar sind. Beide Ebenen stehen, wie gesagt, in Beziehung zueinander.« Joachim Paech: »›Filmisches Schreiben‹ im Poetischen Realismus«, in Segeberg 1996, S. 237-260, hier S. 243. 14 Johann N. Schmidt: »Vom Drama zum Film. ›Filmische‹ Techniken im englischen Bühnenmelodrama des neunzehnten Jahrhunderts«, in Segeberg 1996, S. 261-277, hier S. 263. 15 Ebd., S. 264f.
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Jahrhundert in Deutschland liegen im deutschen Forschungsraum bislang nicht vor. Zu den Arbeiten über visuelle Kultur und Theater in England und Frankreich, welche die vorliegende Untersuchung methodisch beeinflusst haben, gehört etwa Richard Alticks breit angelegte Studie The Shows of London, in der er die Vielfalt der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts, speziell im Hinblick auf London, zusammengetragen hat und auch Medien in Augenschein nimmt, die von einschlägigen Mediengeschichten nicht berücksichtigt werden, darunter Panoptika, Eidophusikon, Cosmorama, Panorama, Freak Shows etc. Michael R. Booth zeigt in seiner Publikation Victorian Spectacular Theatre 1850-1910 die Vernetzung von spektakulären Theaterformen mit der Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzenden Begeisterung für das ›Spektakuläre‹, das ›Bildliche‹ auf, die sich gleichzeitig in unterschiedlichen Medien und kulturellen Praktiken wiederfindet. »Spectacle was attended with much critical controversy which throws light on this theory and practice, and it grew, […] not from theatre alone but also from society, culture, and the pictorial arts.«16 Im Verlauf seiner Studie erläutert Booth die enge Verflechtung der Emergenz neuer Medien und Institutionen visueller Unterhaltung mit Theater und einem gesellschaftliche Schichten übergreifenden Geschmack für »pictorialism and spectacle«. In Booth’s Darstellung wird ferner ein Aspekt deutlich, den es auch in der vorliegenden Studie zu berücksichtigen gilt: »It is unlikely that [the people’s] standards of theatrical taste were formed only in the theatre. The desire for pictures and spectacle may well have come from elsewhere.«17 Um die Einbettung von Theater in die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts angemessen zu beleuchten, ist folglich die Vergegenwärtigung des zeitgenössischen Kontexts, i.e. die Einbeziehung gesellschaftspolitischer, ökonomischer, populär- und medienhistorischer Aspekte notwendig. In ihrer Untersuchung Theatre to Cinema. Stage Pictorialism and the Early Feature Film liefern Ben Brewster und Lea Jacobs einen fundierten Einblick in die Beeinflussung des frühen Films durch dramaturgische und Techniken der Inszenierung des Theaters. Sich auf A. Nicholas Vardacs Arbeit Stage to Screen. Theatrical Origins of Early Film beziehend, der das Theater des späten 19. Jahrhunderts als »cinéma manqué« (»unvollendetes Kino«) bezeichnet, zeichnen Brewster und Jacobs nach, welche Techniken der Konstituierung von Bühnen- und die Handlung strukturierenden Bildern im Theater (insbesondere in populären Formen wie dem Melodrama) angelegt sind, die gleich nach der Einführung des Films von den Bühnen verschwinden und für die Darstellung bewegter Bilder verwendet werden.18 Vanessa R. Schwartz geht in Spectacular Realities. Early Mass Culture in Fin-de-Siècle Paris (1998) der Durchdringung der Großstädte mit Institutionen zur visuellen Unterhaltung, Konsum und Bildung und schließlich mit dem frühen Film nach und zeigt den engen Zusammenhang von visueller Kultur und der Herausbildung einer Konsum- und Massenkultur auf.19 Alle genanten Publikationen integrieren mehr oder weniger umfangreich auch 16 Michael Booth: Victorian Spectacular Theatre 1850-1910. Boston u.a.: Routledge & Kegan Paul 1981, S. ix. 17 Booth 1981, S. 3. 18 Ben Brewster, Lea Jacobs: Theatre to Cinema. Stage Pictorialism and the Early Feature Film. Oxford, New York : Oxford University Press 1997. 19 Vanessa R. Schwartz: Spectacular Realities. Early Mass Culture in Fin-deSiècle Paris. Berkeley u.a.: University of California Press 1998.
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Theater. Die Aufarbeitung insbesondere des populären Theaters in Frankreich (»théâtre boulevard«) oder dem angloamerikanischen Raum20 diente diesen Studien als wichtige Referenz für ihre vergleichenden Untersuchungen zwischen Theater und anderen Medien der Zeit. Im deutschsprachigen Raum sind vergleichbare Studien größeren Umfangs, die das deutsche Theater im oben skizzierten Spannungsfeld diskutieren, jedoch bislang nur marginal vertreten. In seiner Habilitationsschrift BilderMusik. Panoramen, Tableaux vivants und Lichtbilder als multimediale Darstellungsformen in Theater- und Musikaufführungen vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert hat der Musikwissenschaftler Anno Mungen nachgewiesen, dass der überwiegende Teil der visuellen Unterhaltungsformen des 19. Jahrhunderts (im und außerhalb des Theaters) musikalisch untermalt waren. Unter seiner Fragestellung nach der medialen Interdependenz von Bildmedien und Musik arbeitet Mungen auf der Grundlage umfangreichen Quellenmaterials des 19. Jahrhunderts detailliert die Produktions- und Rezeptionsbedingungen auch solcher Medien auf, die von der Mediengeschichtsforschung unberücksichtigt blieben. Theater zieht er dabei mit ein, es steht aber nicht im Fokus seiner Untersuchung.21 Eine detaillierte Beschreibung von ähnlichen, auf Bildern und spektakulären Effekten basierenden, auch populären Theater- und Unterhaltungsformen bleibt selbst in umfangreichen Publikationen, darunter auch die einschlägigen Theatergeschichtsbücher, unberücksichtigt. Hinzu kommt ein lückenhafter Kenntnisstand über Theater in Deutschland im 19. Jahrhundert, insbesondere was die Zeit zwischen den sechziger und achtziger Jahren betrifft. Das lange dominierende Verständnis von Theatergeschichte als Dramengeschichte und die vergleichsweise späte Öffnung zu Phänomenen der Populärkultur erklärt diese Forschungslücke ansatzweise.
Theatergeschichtliche Vorbehalte Der Theaterhistoriker Manfred Brauneck charakterisiert in Die Welt als Bühne das Theater der zweiten Jahrhunderthälfte als ein privates Theaterwesen, »das sich kompromißlos der Unterhaltung und dem Geschäft verschrieb, ein breites Spektrum theatraler Schauvergnügungen anbot, vom Melodrama und dem lokalen Schwank und Possentheater bis zur Operette und dem Varieté, und Publikum aus allen Schichten der Gesellschaft anzog.«22 Auch Edward MacInnes stellt in Das deutsche Drama im 19. Jahrhundert fest, zwischen den »unleugbar wichtigen Perioden« Vormärz und Naturalismus liege eine Zeit, »in der das Drama in Deutschland in tiefen Verfall gerät und in der – so die allgemeine Meinung – keine Dramen von besonderer dichterischer Be-
20 In Auswahl für England: Michael R. Booth: Theatre in the Victorian Age. Cambridge: CUP 1991. Johann N. Schmidt: Ästhetik des Melodramas. Heidelberg: Winter 1986; in Auswahl für Frankreich: Michel Corvin: Le Théâtre de Boulevard. Paris 1989. John McCormick: Popular Theatres of Nineteenth-Century France. London u.a.: Routledge 1993. J. Paul Marcoux: Guilbert de Pixerécourt. French Melodrama in the Early Nineteenth Century. New York u.a.: Lang 1992. 21 Anno Mungen: »BilderMusik«. Remscheid: Gardez! 2006. 22 Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Band 3. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 1999, S. 18.
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deutung entstanden sind.« Helmut Schanze stellt die Theatersituation nach 1850 wie folgt dar: Es habe »einerseits eine ›klassische‹ Literatur, andererseits eine nicht weiter in den Blick genommene, quantitativ durchaus beachtliche dramatische ›Produktion‹ [gegeben], deren Vorhandensein nur beklagt werden kann.«24 In ihrer Arbeit zur Spielstätte Berliner Theater konzentriert sich Carla Rhode auf die Zeit zwischen 1888-1899 und begründet die weitgehende Ausklammerung der Vorgeschichte dieses bekannten Theaters damit, dass sie »mehr von lokal- und kulturgeschichtlicher als theatergeschichtlicher Bedeutung« sei, weil es sich bei den Theaterprogrammen dieser Zeit »um halbtheatralische Unternehmungen« gehandelt habe.25 Die genannten Veröffentlichungen zur Theatergeschichte eint exemplarisch die Feststellung, es habe im Groben zwischen den sechziger und späten achtziger Jahren keine qualitativ nennenswerte deutsche Dramatik, statt dessen aber eine rege, von der reinen Realisation dramatischer Texte sich weg bewegende Theaterpraxis gegeben. Spezifizierungen dieser heterogenen Theaterpraxis liefert jedoch keine der genannten Studien. Indessen häufen sich die Diffamierungen von solchen Theaterformen, die den normativen Regeln der Dramentheorie nicht standhalten und den dramatischen Text zugunsten optischer Effekte sekundär setzen, im zeitgenössischen Diskurs des 19. Jahrhunderts.
Kritische Reflexion im 19. Jahrhundert und historische Kontextualisierung »Die Dichtung kannte man ja; man ging deshalb nicht mehr ins Theater, sie zu hören, sondern um zu sehen.« (Rudolph Genée 188926)
Die Konsultation deutscher Primärquellen aus der Zeit zwischen 1860 und 1900 (darunter Zeitungskritiken, Schriften zum Theater, Memoiren, Zensurakten Annoncen etc.) legt nahe, dass insbesondere das Theater seit den sechziger Jahren dominiert wird von Fragen der Ökonomie, opulenter Ausstattung und visuellen Effekten, die breiten Anklang beim zeitgenössischen Publikum finden, von der Kritik indessen denunziert werden. Kritiker der Umwandlung der Bühne zum Unternehmen machen mehrere Instanzen gleichgewichtig für den »Qualitätsverlust« verantwortlich: die »geschäftstüchtigen Direktoren«,27 23 Edward MacInnes: Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts. Berlin: Schmidt 1983, S. 11. 24 Helmut Schanze: »›Probleme der Trivialisierung‹ der dramatischen Produktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«, in: Helga De la Motte-Haber (Hg.): Das Triviale in Literatur, Musik und bildender Kunst. Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann 1972, S. 78-88, hier S. 84. 25 Carla Rhode: Das ›Berliner Theater‹ von 1888-1899. Diss. FU Berlin 1966. 26 Rudolph Genée: Die Entwickelung des szenischen Theaters und die Bühnenreform in München. Stuttgart: Cotta 1889, S. 80. 27 »[A]n der großen Calamität, daß unsere Bühnen den Nimbus ehrenwerther, sittenveredelnder Kunstinstitute verloren haben, daran tragen, wie wir dies wiederholt bewiesen haben, doch nur die Directoren die Schuld. Die nichtswürdige Denkungsart dieser Leute, ihre corrupte Moralität, ihre mitunter zuchthauswürdige Gewinnsucht – haben dem Theater massenhaft Feinde zugezogen und die Sympathieen [sic!] aller Besseren entzogen. […]« Adolf Bertram: TheaterWespen. Berlin: Schlingmann 1863, S. 62.
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das »sensationslustige Publikum«28, dessen Theatromanie, seinen in eine »nicht sehr glückliche Richtung«29 tendierenden Geschmack sowie die Orientierung an bildlichen Effekten. Es ist auffällig, dass diese kritischen Stellungnahmen umso signifikanter werden, je »dichter« i.e. ausdifferenzierter die visuelle Kultur der zweiten Jahrhunderthälfte wird. Mit dem Aufstieg der visuellen Medien und der Massendistribution von Bildern kommt eine Bilderfeindlichkeit zum Tragen, die sich auch im Bereich des Theaters deutlich zeigt. »Was die Bedeutung des pictorial turn […] ausmacht, liegt […] [darin], daß Bilder eine sonderbare Reibungsfläche und Anlaß zu Unbehagen in einer breiten Vielfalt von intellektuellen Untersuchungen sind.«30 Was Mitchell hier für den Diskurs des 20. und 21. Jahrhunderts über Bilder formuliert, lässt sich auch auf den deutschsprachigen Diskurs über visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts übertragen. Im Jahr 1869 wird die Gewerbefreiheit im Norddeutschen Bund gesetzlich verankert, was nicht ohne Folgen für die Theaterbetriebe bleibt: Der Erlass der Gewerbefreiheit löst einen regelrechten Boom von Theaterneugründungen aus, Theater und Ökonomie gehen eine bis dahin nicht gekannte Verbindung ein. »Dazu kommt der soziale Aufstieg von bisher theaterfremden Vergnügungsunternehmungen, die ihre Darbietungen nun zum theatralischen Genre hochstilisieren. Zirkus, Café chantant, Tingeltangel, Varieté und Singspielhalle sind die Organisationsformen, die nun theaterfähig werden […].«31 Den volksdidaktischen und ästhetischen Anstrengungen trotzen folglich solche Theater, welche, mit Kaspar Maase gesprochen, als Einrichtungen populärer Kultur zu bezeichnen sind, die »uneingeschränkt Genuß vermitteln bei unterhaltender Rezeption«.32 Sie konstituieren im Wesentlichen die deutsche Theaterkultur im Untersuchungszeitraum, die sich zu keiner Zeit so heterogen in Bezug auf die Darbietungen und das Publikum zeigt wie nach 1869.33
28 Denn dass das Publikum »›eigentlich‹ die gute Kunst will und nur von den dummen Direktoren korrumpiert wird: diese Behauptung wird in ihrer holden Ahnungslosigkeit denn […] durch immer neues Fallieren künstlerischer, durch immer neues Florieren rein geschäftlicher Unternehmungen enthüllt. Allerdings ist es auch unrichtig, dass nur schlechte Kunst Geschäft machen kann. Bei unserm ästhetisch durchaus unkultivierten Publikum spielt schlecht und gut überhaupt keine Rolle: Erfolg hat, was in mode [sic!] kommt – nichts andres!« Bab 1908, S. 162. 29 »Die Theaterlust ist keineswegs so gesunken, wie es [die] ehrenwerthen Thespiskarrenlenker [gemeint sind die Direktoren, NL] gern aller Welt hinaufdisputiren möchten; wohl aber hat der Geschmack der jüngeren Generation unseres Theaterpublikums eine nicht sehr glückliche Richtung genommen.« Bertram 1863, S. 62. 30 W. J. Mitchell: »Der Pictorial Turn«, in: Christian Kravagna (Hg.): Privileg Blick. Berlin: Edition ID-Archiv 1997, S. 15-40, hier S. 16. 31 Max Bucher et al. (Hg.): Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848-1880. Band 1. Stuttgart: Metzler 1981, S. 147, Abschnitt »Gründerzeit und Theater«. 32 Kaspar Maase in Ders. und Wolfgang Kaschuba (Hg.:) Schund und Schönheit: populäre Kultur um 1900. Köln u.a.: Böhlau 2001, S. 20. 33 In einer Ausgabe der Recensionen 1860 heißt es in Bezug auf die zunehmende Heterogenität des Publikums: »Berlin und Wien versammeln in ihren Theatern zweiten Ranges eine bunte Mischung aller socialen Elemente, von der nieders-
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Dabei bilden die szenischen Umsetzungen angesehener Dramentexte nur einen Bruchteil des Repertoires. Als Folge der großzügig ausgeteilten Konzessionen zur Eröffnung von Spielstätten sinke, so diskutieren es Literaten und Kritiker, antiproportional zum Anwachsen der Bühnenbetriebe – trotz oder wegen des Konkurrenzkampfes – das künstlerische Niveau der Theater. Die Bühne entwickelte sich zu einem den Gesetzen des Marktes gehorchenden Unternehmen, zu einem gänzlich »kunstfremde[n] Geschäft.«34 Kommerzialisierung und Konkurrenzdenken lassen aus den Dramatikern marktstrategisch agierende Produzenten und aus Theater-Agenten35 unverzichtbare Zwischenwirte werden.36 Kritiker stimmen darin überein, dass sich zwar das Theater »in ganz ungeheurem Maße entwickelt, während das Drama in einen unaufhaltsamen Verfall geraten ist.«37 Die Perpetuierung und Hochhaltung dramenästhetischer Regeln geschehen ungeachtet der im Wandel begriffenen Theaterpraxis: Das Drama ist im Ideal der Theorie höchste Kunst(-übung), oberste literarische Gattung und wird bekanntlich in theoretischen Schriften während des gesamten 19. Jahrhunderts hochgeschätzt.38 In der Theaterpraxis zeigt sich indes eine Schwerpunktverschiebung weg von der Realisation dramatischer Texte hin zu Ausstattungsstücken und heterogenen theatralen Formaten. Hier scheinen sich die zeitgenössischen mit den Auskünften in den oben zitierten Theatergeschichtsbüchern zu decken. Neben der Kommodifikation von Theater beschäftigt sich die zeitgenössische Kritik jener Jahre mit der Frage, ›wie viel Bild auf dem Theater sein darf‹. Beanstandet werden einerseits Stücke, die ›Bilder‹ (im Sinne einer Szene, einer dramenstrukturellen Einheit) nebeneinander stellen, ohne dass diese durch die Handlung ausreichend motiviert würden. Andererseits geraten Aufführungen in die Kritik, die auf Schaueffekte und Ausstattungsprunk setzen. Diese liefen, so die Vorhaltungen der zeitgenössischen Stimmen, den Regeln des deutschen Dramas zuwider. Ein großer Teil der Theater habe sich, so Köberle 1880, dem »Cultus von Spectakel- und Ausstattungsstücken niedrigster Gattung« verschrieben.39 Die Vereinigung der Medien und Illusionstechniken wird zwar von der zeitgenössischen Kritik gesehen, allerdings unter dem generellen Vorwurf der Kunstlosigkeit diskutiert. Das »Überhandnehmen« anderer als der dichte-
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ten Bildungsstufe aufwärts bis zu einem Quantum von Anforderungen […].« Recensionen 6. Jg., Nr. 11, 14. März 1860, S. 162. Christian Gaehde: Das Theater. Schauspielhaus und Schauspielkunst vom griechischen Altertum bis auf die Gegenwart. Leipzig: Teubner 1908, S. 120. Signor Saltarino listet in seinem Artisten-Lexikon 1895 über drei Dutzend Theater-Agenturen allein für Berlin auf. Signor Saltarino: Artisten-Lexikon. Offenbach am Main: Huber 1984 [1895]. Vgl. hierzu u.a. Ruth Freydank: Theater als Geschäft. Berlin: Edition Hentrich 1995. MacInnes1983, S. 120. Bucher et al. nennen u.a. Rudolph Gottschalls Poetik, 61891, Conrad Beyers in drei Bänden erschienene Deutsche Poetik (Stuttgart 1882-1884), Gustav Freytag: Technik des Dramas (1863), Albert Emil Brachvogel: Theatralische Studien 1863; Wilhelm Henzen: Technik des modernen Dramas 1878, Heinrich Bulthaupt: Dramaturgie der Klassiker, in zwei Bänden 1882: Avonianus: Dramatische Handwerkslehre 1896; Bucher et al. 1981, S. 136. August Köberle: Der Verfall der deutschen Schaubühne und die Bewältigung der Theater-Calamität. Leipzig: Wolff 1880, S. 273.
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rischen – nämlich der »theatralischen« – Mittel zur Spiegelung von Realität auf der Bühne lässt das Theater aus Sicht der gleichsam ikonoklastisch zu nennenden Verfechter einer klassischen, Wort zentrierten Dramenpoetik qualitativ dekadent erscheinen.40 In den zahlreichen Schriften zur ›Krise‹ des Theaters wird demzufolge auch das Schauen, der visuelle Konsum von Theater, thematisiert und dem rationalen Erfassen des Dargestellten entgegengesetzt. Virulent scheint die Frage nach der Problematik oder nach dem Wert des Schauens angesichts der sich differenzierenden visuellen Kultur: Die Industrialisierung, die Entwicklung von zahlreichen medialen Techniken zur Reproduzierbarkeit von Bildern konstituieren die visuelle Kultur ebenso wie ein höherer Freizeitwert durch veränderte Arbeitsbedingungen und die Errichtung zahlreicher Institutionen, die visuelle Information mit Unterhaltung verknüpfen. Neue Bildmedien werden erfunden, naturwissenschaftliche Untersuchungen zur Physiologie des menschlichen Sehapparats führen zu neuen Erkenntnissen in der Optik und zur Entwicklung weiterer optischer Geräte und Unterhaltungsmedien. Hinzu kommt die Prosperität von bildkünstlerischen Medien, die mit technischen Effekten angereichert sind und sich somit als Medien der Illusion innerhalb und außerhalb des Theaters eignen, wie etwa das Panorama oder Diorama.41 Mit der ersten Weltausstellung 1851 ist ein neues Format visueller Präsentation durchgesetzt, Panoptika, Schaufenster, Passagen und Museen sind weitere Institutionen visueller 40 Diese Kritik begegnet auch schon im zeitlichen Umfeld von Richard Wagner und in Bezug auf die Oper, die, so schreibt es Gesell 1886, »den verderblichen Luxus« (gemeint ist die Bühnenausstattung, NL) in die Theaterwelt gebracht habe. C.A. J. Gesell: Die Übelstände des gegenwärtigen deutschen Schauspielwesens und Vorschläge zur Umwandlung desselben. Leipzig 1886. Ernst von Wolzogen schreibt bspw. in seinem Artikel »Die Rettung des klassischen Repertoirs für das deutsche Theater« 1859: »Wen möchte die Muse der Neuzeit, Meyerbeer oder Wagner, Halevy oder Verdi also stimmen? Aus ihren Spektakeln kehrt man heim nicht wie ein Wiedergeborener, sondern wie ein zu Tode Gemarterter, der vor lauter Nervenüberreizung selbst um seinen Nachtschlaf betrogen ist.« Ernst von Wolzogen: »Die Rettung des klassischen Repertoirs für das deutsche Theater«, in: Recensionen, Nr. 28, 13. Juli 1859, S. 441-450, hier S. 446. Siehe auch Gustav Freytag zu Wagner: »Die Freude an unerhörten Decorationswirkungen ist mir immer als der Grundzug und das stille ›Leitmotiv‹ seines Schaffens erschienen.« Gustav Freytag: Erinnerungen aus meinem Leben. Berlin: Nicolai 1995 [1887], S. 122. In den späten achtziger Jahren entfaltet sich insbesondere in München eine Gegenbewegung zum Ausstattungsreichtum der Theater (besonders der Wagner-Opern) und der Fokussierung auf Dekorationen auch in klassischen Stücken (Shakespeare). Die so genannte Bühnen-Reform besteht darin, eine Bühne zu schaffen, »welche in ihrer Einfachheit als eine gewisse Nachbildung der Shakespearschen den Dramen dieses Dichters eine freie und uneingeschränkte Entwickelung gestattet.« Siehe den Abschnitt »Die Münchener Bühnenreform« in Genée 1889. 41 In Verlust der Mitte umreißt Hans Sedlmayr den gleitenden Übergang von der Nutzung der Malerei als szenographisches Mittel zur allmählichen Verselbständigung als visuelle Unterhaltung. »Dem Maler hatte Wagner als höchste Aufgabe die Gestaltung des Bühnenbildes zugedacht. Die Karikatur dieses Programms ist die Vorliebe der Zeit für die sogenannten Kosmo- und Dioramen, Rundbilder, in denen das gemalte Bild nach Art von Bühnenbildern in plastischen Vordergrund übergeht. Es kommt zur Ausstellung von gemalten Bildern unter theatralischen Begleiterscheinungen.« Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte. Salzburg 101983 [1948], S. 47.
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Unterhaltung, Information und visuellen Konsums. Inoffiziell wird Schauen zu einer alle gesellschaftlichen Schichten einenden Beschäftigung. Im kritischen Diskurs steht die von Sensationen und oberflächlichen Bildreizen gelenkte Masse dem rationalen Individuum gegenüber.42 Das S c h a u e n ist eine Krankheit geworden und den gierigen Blicken der Menge können nicht genug neue Feste, täglich seltsamere Darstellungen geboten werden – nur die Sehnerven des Auges schauen noch, verlangen nach Befriedigung; weniger wollen die Gefühle des Herzens, Sehnsucht und Phantasie sich im klaren Strom dichterischer Schöpfungen selbst beschauen, widerspiegeln und wiederfinden.43
Vergleichbar pejorativ gefärbte Äußerungen finden sich auch in anderen Kritiken zum zeitgenössischen Theater wieder. Unter ›Schauen‹ wird ebendort die Rezeption eines Massenpublikums verstanden, die der Kontemplation des gebildeten Betrachters diametral entgegengesetzt sei: [E]s ist keine Kunst, sondern ein Dilettantismus des Genießens, den wir heute treiben, und eben der Flor der Illustrationsmode gibt einen der triftigsten Gründe für diese Frucht ab. Es ist geistige Näscherei, blasierter Gaumen, verzärteler Magen, Bequemlichkeitsliebe, erloschene Phantasie, Verflüchtigung, Zerstreutheit, womit wir den geistigen Inhalt eines Buches in ein paar Illustrationen wegnippen; von dem Genusse, dem dichter nachzuphantasieren, kaufen wir uns los wie von einer Mühe; den Appell an unsere Einbildungskraft verwandeln wir in einen Appell an unsere Augen […].44
Die technische Reproduzierbarkeit von Bildern (die »Illustrationsmode«) führt demzufolge zu einer Veränderung der Wahrnehmung von Kunst und im Alltag.45 Und auch die Theaterpraxis bleibt von den Veränderungen und Ausdifferenzierungen der visuellen Kultur nicht unbeeinflusst. Kritiker begegnen der Ausdifferenzierung der visuellen Eindrücke mit Argwohn und sehen das bis dahin alleinige Gültigkeit besitzende textlich Vermittelte immer mehr durch das Visuelle verdrängt. In seinem Text Literarische Herzenssachen (1877) schreibt Ferdinand Kürnberger, man klage über »das Versiegen 42 »Entlang dieser Opposition wurden vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Geschlechterdiskurse abgehandelt, die der Frau die Rolle der Schauenden zuwiesen. Das bezog sich dann vor allem auf die neuen kommerziellen Bildmedien und den Zusammenhang zwischen Konsum und ›Schauen‹. Schaufenster, illustrierte Zeitungen und Kino.« Werner Michael Schwarz: Anthropologische Spektakel. Wien: Turia und Kant 2001, S. 35. 43 Karl Gutzkow: »Die Bühne der Gegenwart«, in: Ders. (Hg.): Unterhaltungen am häuslichen Herd. Neue Folge, Zweiter Band. Leipzig: Brockhaus 1857, S. 446-447, hier S. 446. Sperrung im Original. Gutzkow gründete die Unterhaltungen am häuslichen Herd, die bis 1864 bei Brockhaus in Leipzig verlegt wurden, im September 1852. 44 Ferdinand Kürnberger: »Das Illustrationswesen« (1911), wiedergegeben in Karl Riha (Hg.): Fundgrube Mediengeschichte: Texte und Kommentare. Frankfurt a.M. u.a.: Lang 1997, S. 19-24, hier S. 21. 45 Vgl. hierzu auch Walter Benjamins Schriften »Das Passagen-Werk«, in: Gesammelte Schriften V.1, hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1982 sowie Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977 [11963].
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der dramatischen Poesie mitten in der Hochfluth der theatralischen Ausstattungs-Industrie. […] Aber was ist denn die theatralische Ausstattung anders, als die I l l u s t r a t i o n im cynischen Riesenformat und beleidigendster Zudringlichkeit?«46 Kürnberger vergleicht also die szenische Realisation der Dramenvorlage mit einer großformatigen Illustration und gibt die zeitgenössische Sorge wieder, das Drama stehe hinter der szenischen Ausstattung weit zurück. Eine Beobachtung, die auch Gaehde teilt, wenn er schreibt: »[E]s konnte [durchaus] geschehen, daß im Gewirr einer großen Szene, in einem breit und realistisch durchgeführten Lebensbilde, die Dichtung zur Nebensache wurde.«47
Untersuchungsziel und t h e o r e t i s c h e K o n te x t u a l i si e r u n g Das Ziel dieser Untersuchung besteht in einer konkreten Beschreibung und Benennung des Verhältnisses von Theater und visueller Kultur. Der Weg führt über eine gründliche Spurensuche anhand von zeitgenössischen Quellen und Beispielen. Der Zeitraum zwischen 1869 und 1899 ist bewusst als zeitlicher Rahmen der Untersuchung markiert. Das Jahr 1869 verweist auf die Einführung der Gewerbefreiheit, die maßgeblich zu einer Ausdifferenzierung der Theaterformen im deutschen Reich beigetragen hat und Theater zu einem frühen Beispiel von Massenunterhaltung werden lässt.48 Zugleich konturiert sich innerhalb dieser zeitlichen Klammer die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts am sichtbarsten. Es wird zu zeigen sein, dass visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert einen synchron wie diachron funktionierenden Verweisungszusammenhang zwischen bildkünstlerischen Traditionen, neuen Bildtechniken und Visualisierungsstrategien bilden, der auch traditionale Grenzziehungen zwischen hoher und niedriger Kunst und Kultur überschreitet. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen populäre Unterhaltungsformate und Spielstätten, die 46 Ferdinand Kürnberger: Kapitel »Bücher-Frou-Frou« in: Ders.: Literarische Herzenssachen. Reflexionen und Kritiken. Wien: L. Rosner 1877, S. 31. 47 Gaehde 1908, S. 126. Solche Vorwürfe, den dramatischen Text zugunsten der optischen Wirkung der Szene zu opfern, treffen auch Anfang des 20. Jahrhunderts Max Reinhardt: »Wenn Max Reinhardt den Ehrgeiz hat, [die durch die Schließung des Victoriatheaters bedingte] Lücke im Berliner Theaterleben auszufüllen, so soll ihm das unbenommen bleiben. Ausbitten muß man sich aber, daß er sich dann auch an die entsprechenden Autoren wendet und daß er seine Hand von den Klassikern läßt, die doch wahrhaftig nicht dazu da sind, den Text herzugeben für Beleuchtungskunststücke und Schaustellungen von Dekorationsmalerei.« Paul Goldmann: Vom Rückgang der deutschen Bühne. Polemische Aufsätze über Berliner Theater-Aufführungen. Frankfurt a.M.: Rüten & Loening 1908, S. 235. 48 »Außer seiner nationalen Bedeutung als Bildungsinstrument erfüllt [Theater] mehr und mehr Funktionen der ›Unterhaltung‹. Vorformen der Unterhaltungsindustrien des 20. Jahrhunderts, Grundstrukturen der Machbarkeit von Unterhaltung bildeten sich im vergleichsweise bescheidenen, aber weitgehend von kommerziellen Rücksichten abhängigen Theaterbetrieb des 19. Jahrhunderts.« Roswitha Flatz: »Das Bühnen-Erfolgsstück des 19. Jahrhunderts«, in: Walter Hinck (Hg.): Handbuch des deutschen Dramas. Düsseldorf: Bagel 1980, S. 310-320, hier S. 318.
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ein heterogenes, soziale Schichten übergreifendes Publikum ansprechen. Diese Fokussierung ist zum einen damit zu begründen, dass die populären Einrichtungen die überwiegende Mehrzahl des Theaterangebots bilden, zum anderen zeigt sich gerade dort die Wechselbeziehung zwischen visueller Kultur und Theater am deutlichsten. Neben der zeitlichen Eingrenzung (1869-1899) ist in der vorliegenden Betrachtung eine geographische Grenzziehung erforderlich, um der Komplexität des Themas beizukommen. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht Berlin als Reichshauptstadt und Theatermetropole des Untersuchungszeitraums. Mit dieser Untersuchung von visueller Kultur und Theater im 19. Jahrhundert soll ein Beitrag zur Visual Culture-Forschung geleistet werden, der die gegenwärtige Diskussion um visuelle Kulturen im 20. und 21. Jahrhundert um eine historische Perspektive, zahlreiche Beispiele aus den Jahren 1869-1899 und zugleich um Theater als Gegenstand dieser Forschungsrichtung ergänzt. Dabei sollen produktions- und rezeptionsästhetische, aber auch ökonomische Facetten der einzelnen Bildmedien und Institutionen des Visuellen besprochen und begrifflich gefasst werden. Theaterhistorisch soll diese Studie erste Schritte zu einer Aufarbeitung eines Bestandteils der deutschen Theatergeschichte unternehmen, dessen spezifische Qualität und Prosperität lange Zeit unterschätzt wurde. Um das hier skizzierte, komplexe Untersuchungsfeld angemessen bearbeiten zu können, ist eine transdisziplinäre Vorgehensweise vonnöten. Dieser Abschnitt zur theoretischen Kontextualisierung stellt die Visual-Culture-Forschung als eine hybride Interdisziplin des Visuellen vor und nennt die für diese Studie entlehnten methodischen Verfahrensweisen. Aufgrund der beschriebenen Forschungsdefizite und Auskunftslücken in den Sekundärquellen ist neben der interdisziplinären Herangehensweise eine Aufarbeitung und enge Arbeit an Primärquellen erforderlich. Die vergleichsweise lückenhafte Dokumentation derjenigen Theaterformen und -häuser, die am engsten in Wechselwirkung mit der visuellen Kultur des späten 19. Jahrhunderts stehen, macht eine penible und kritische Befragung heterogener Quellen notwendig. Aufgrund des großen Umfangs werden diese Materialien in einem eigenen Teilabschnitt gesondert vorgestellt und problematisiert. Es wurde bereits angedeutet, dass der geographische Fokus dieser Schrift auf der damaligen Theatermetropole und späteren Reichshauptstadt Berlin liegt. Das abschließende Teilkapitel dieser Einleitung begründet diese Wahl und beleuchtet die Rolle Berlins innerhalb des Untersuchungszeitraums.
Begriffliches Werkzeug Die Intermedialitätsforschung liefert ein Beschreibungsmodell zur Benennung der Bezüge zwischen Theater und Medien, das auch für die Bestimmung von Theater und visueller Kultur in der vorliegenden Untersuchung nutzbar gemacht wird, allerdings mit notwendigen Einschränkungen und Erweiterungen in Gegenstand und Methode. Denn die Wechselbezüge der Medien treffen auch die Interdependenzen der Bilder, wie Hans Belting andeutet: Intermedialität, ein Grundmuster jeder Mediengeschichte, bringt von selbst die Bilderfrage ins Spiel. Sie ruft Bilder auf, die wir aus anderen Trägermedien kennen und
24 | PIKTORAL-DRAMATURGIE erinnern, und setzt das Bewußtsein von der Koexistenz oder Rivalität verschiedener Medien voraus. […] Intermedialität ist ihrerseits nur eine besondere Spielform in der Interaktion von Bild und Medium.49
Die Behandlung der Relationen von visueller Kultur und Theater im 19. Jahrhundert fokussiert Bild-Medien und -Institutionen, fragt entsprechend nach der visuellen und Medienkompetenz des zeitgenössischen Publikums. Die begriffliche Unterscheidung in ›Bildmedien‹ und Bild-Institutionen/Institutionen visueller Information und Unterhaltung lässt sich wie folgt begründen: als Bildmedien werden Bilder produzierende, optische Medien (wie Panorama, Diorama, Fotografie, Stereofotografie etc.) verstanden. Institutionen des Visuellen sind solche Einrichtungen, die Bilder oder Displays ausstellen, wobei mehrere unterschiedliche Bildmedien an der Produktion beteiligt sein können. Hierzu gehören etwa Passagen oder Panoptika, die verschiedene Bildmedien integrieren, oder das Panorama als Rotunde, in der verschiedene Bildmedien und Bildkünste gezeigt werden. Dass ein Panorama sowohl Bildmedium als auch – verstanden als ein architektonischer Bau, in dem Panorama- wie Dioramabilder anzuschauen sind – visuelle Institution sein kann, zeigt, dass die Unterteilung von Bildmedien und Institutionen des Visuellen eine heuristische, aber notwendige ist. Denn diese Unterscheidung grenzt die vorliegende Untersuchung der Geschichte visueller Kultur, die sich neben den optischen Medien auch anderen Stätten der Bildproduktion und rezeption zuwendet, von einem mediengeschichtlichen Vorgehen, das einzelne Bildmedien im Hinblick auf ihre ›Weiterentwicklung‹ untersucht, ab. Die Geschichte visueller Kultur wird in der vorliegenden Untersuchung nicht als eine lineare Geschichte, sondern als eine permanente Überlagerung, Hybridisierung und Wechselwirkung der Einzelmedien, ihrer Produktions-, Rezeptions- und Distributionsmodi verstanden. Diese Interferenz wird im technischen, ästhetischen und im Hinblick auf ihre Publika angeschaut. Meisels Begriff der pictorial dramaturgy wird in dieser Untersuchung als ein Arbeitsbegriff verstanden, um die Relation von Theater und visueller Kultur des 19. Jahrhunderts zu beleuchten. Ausgehend von Meisels Beobachtung, dass sich Szenographie und Dramaturgie gleichermaßen an der Malerei orientieren und Analogien zu optischen Medien aufweisen, ist an konkreten Beispielen zu fragen, ob und auf welche Weise Phänomene der visuellen Kultur auf die Programme und Ästhetik von Theater einwirken. Dabei soll nicht nur der Einfluss der Bildkünste auf Theater untersucht werden, wie ihn Meisel beschreibt, sondern es werden, wie oben bereits differenziert, unterschiedliche Bildmedien, visuelle Institutionen, deren Wirkung und Funktion sowie die veränderten Ansprüche des Publikums an Theater behandelt. Die visuelle Kultur in der zweiten Jahrhunderthälfte hält verschiedene Formen und Lesarten des ›Piktoralen‹, also einen heterogenen Bild-Begriff, bereit, der mit den ebenso vielseitigen ›Einsatzbereichen‹ von Bildern zusammenhängt: künstlerische, technische, sprachliche oder mentale Bilder zur Vermittlung von Wissen, zur Unterhaltung, Vermittlung von Nachrichten, Geschichte und Geschichten.50 Diese Differenzierungen schlagen sich auch in der Verwendung des Bild-Begriffs im Theater nieder. 49 Hans Belting: Bild-Anthropologie. München: Fink 2000, S. 49. 50 Vgl. hierzu den Aufsatz »Was ist ein Bild?« von W. J.T. Mitchell, in der er von der breiten Vielfalt »des Bildes« spricht, die eine Systematisierung des Bildes
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Der Dramaturgie-Begriff hat sich längst von seiner ursprünglichen Bedeutung als auf die Praxis der Verfertigung und Aufführung von Stücken bezogene Poetik und Ästhetik des Dramas losgelöst und wird auch für nichtdramatische theatrale Formen (e.g. Tanz) sowie andere Medien verwendet. Auch für die vorliegende Untersuchung ist eine Erweiterung des Begriffes vonnöten, die sich von der Fixiertheit auf die Schriftlichkeit des Dramas löst, um all diejenigen Theaterformen und -gattungen, ihre Wirkungsgesetze und -elemente näher zu beleuchten, die nicht ausschließlich auf einem dramatischen Text basieren. Mit besonderem Fokus auf visuelle Aspekte ist demnach nach der Dramaturgie von Medien der visuellen Kultur zu fragen, nach der Integration dieser Medien oder ihrer Wahrnehmungsmuster in den Theatertext oder das Programm51 und nach der Rolle von Bildmedien und Elementen von Institutionen des Visuellen innerhalb der szenischen Aufführung. Schließlich ist die Wirkung der Aufführung auf die Zuschauer, die durch ihre ›passive Aktivität‹ und ihre Funktion als ›implizierte Betrachter‹ immer auch Teil der Theaterproduktion sind, zu berücksichtigen, und ihr (visueller) Bezugsrahmen, ihr ›visueller Horizont‹ zu vergegenwärtigen.52
Visual Culture als hybride Interdisziplin des Visuellen Was immer der pictorial turn also ist, so sollte doch klar sein, daß er keine Rückkehr zu naiven Mimesis-, Abbild- oder Korrespondenztheorien von Repräsentation oder eine erneuerte Metaphysik von piktorialer ›Präsenz‹ darstellt: Er ist eher eine postlinguistische, postsemiotische Wiederentdeckung des Bildes als komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institutionen, Körpern und Figurativität. […]53
Seit nunmehr einem Jahrzehnt diskutieren unterschiedliche Disziplinen die Relevanz und zentralen Merkmale visueller Kultur(en) unter dem gemeinsamen Dachtitel »Visual Culture«. Es handelt sich bei Visual Culture54 um eine Transdisziplin, welche die Produktion und Wirkung von materiellen und Gedächtnisbildern sowie die soziale Konstruktion visueller Erfahrungen erfasst.
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unmöglich mache, weshalb er von einer »Familie der Bilder« oder einem »Familienstammbaum der Bilder« redet: Jeder Zweig des Stammbaums bezeichnet einen Typ von Bildlichkeit, der im Zentrum einer intellektuellen Disziplin steht: geistige Bildlichkeit (Psychologie, Erkenntnistheorie), optische Bildlichkeit (Physik), graphische, plastische und architektonische Bildlichkeit (Kunstgeschichte), sprachliche Bildlichkeit (Literaturwissenschaft). W. J.T. Mitchell: »Was ist ein Bild?«, in: Volker Bohn (Hg.): Bildlichkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 17-68. Unter ›Programm‹ ist hier ebenso die Programmfolge eines Theaterabends wie die Programmgestaltung einer Spielzeit gemeint. Siehe auch Flatz 1980, die formuliert, die Dramaturgie des Publikums richte sich an »Theatermacher und Autoren, deren inszenatorisch-dramaturgische Absichten sich erst im Nachvollzug des Publikums zum ›Ereignis‹ verdichten. Auf die Dauer gesehen hält das Publikum durch diese ›passive‹ Aktivität das Theater in Gang und behauptet sich damit als sein wesentlichster Faktor immer wieder.« Flatz 1980, S. 305. W. J. T. Mitchell 1997, S. 19. Im Folgenden wird der Begriff »Visual Culture« zur Benennung des Forschungsprogramms benutzt, »Visual Culture« als Gegenstand hingegen stets als »visuelle Kultur« bezeichnet.
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Sie untersucht ebenso Bildmedien wie Institutionen des Visuellen in engem Bezug zum zeitpolitischen und gesellschaftlichen Kontext. Visual Culture hält wesentliche Fragestellungen und methodische Verfahrensweisen bereit, die auch für die vorliegende Erarbeitung des Verhältnisses von Theater und visueller Kultur maßgeblich sind. Im deutschsprachigen Raum etabliert sich erst seit Kurzem ein institutionelles Interesse an der Visual Culture-Forschung vergleichbaren interdisziplinären Forschungsprogrammen.55 Als Ausnahme mag das Journal Imagineering gelten, dass unter der Leitung Tom Holerts die angloamerikanischen Ansätze aufarbeitet und Einzelstudien deutscher Visual Culture-Forscher versammelt.56 Die nachfolgenden Abschnitte skizzieren die disziplinären Voraussetzungen von Visual Culture, beteiligte Disziplinen, ihren Gegenstand sowie ihre methodischen Ansätze.
Voraussetzungen In seinem 2003 erschienenen Aufsatz »Interdisziplinarität und visuelle Kultur« beschreibt W. J. T. Mitchell Visual Culture als »eine neue hybride Interdisziplin, die Kunstgeschichte mit Literatur, Philosophie, Filmwissenschaft, dem Studium der Massenmedien, der Soziologie und Anthropologie« verbindet.57 Zum Forschungsgegenstand des weit abgesteckten Feldes der Visual Culture gehören Fragen nach der Funktionsweise und kulturellen Bedeutung von Sehen, Sensuellem, Wahrnehmung und Imagination, zu populären Bildern, Medien und visuellen Alltagspraktiken.58 Die Visual Culture-Forschung bildete sich im Wesentlichen während der neunziger Jahre heraus, vor dem Hintergrund einer zunehmenden Durchdringung der Gesellschaften durch Bilder, deren Produktion und Wirkkraft, kurz: vor dem Hintergrund der von W. J. T. Mitchell »pictorial turn« genannten wissenschaftlichen »Wende zum Bild« und gleichzeitigen Abwendung vom »linguistic turn«.59 Initial für die allmähliche Herausbildung von Visual Culture als transdisziplinärem Projekt war die Tatsache, dass trotz der enormen 55 Ein praxisorientiertes Projekt »Visual Culture I-IV« fand in den späten neunziger Jahren an der Stuttgarter Merz-Akademie statt. Siehe hierzu den Projektbericht von Diedrich Diederichsen: »Visual Culture – Ein Projektbericht«, in: Texte zur Kunst 36, Dezember 1999, S. 47. 56 Nicholas Mirzoeff vermutet, dass diese Verzögerung mit der Tradition der Vorbehalte gegenüber der Kultur- und damit auch der Bilderindustrie in der Nachfolge Adornos und der Frankfurter Schule zu erklären sei. Nicholas Mirzoeff im Interview mit Margaret Dikovitskaya in: Dies.: Visual Culture. Cambridge u.a.: MIT Press 2005, S. 233. Es bleibt zu berücksichtigen, dass auch innerhalb der Visual Culture-Forschung nicht ausschließlich ein »positives« Bild visueller Kultur vorherrscht. Vielmehr entstammt das Interesse an visuellen Phänomenen einem generellen Misstrauen und einer Kritik gegenüber (medialen) Bildern. Der ikonophoben Tradition in den Geisteswissenschaften geht explizit Martin Jay in Downcast Eyes nach. Martin Jay: Downcast Eyes. The Denigration of Vision in Twentieth Century French Thought. Berkeley: University of California Press 2002 [11993]. 57 W. J. T. Mitchell: »Interdisziplinarität und visuelle Kultur«, in: Herta Wolf (Hg.): Diskurse der Fotografie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 38-50, hier S. 42. 58 Vgl. Mitchell 2003, S. 45. 59 W. J. T. Mitchell: Picture Theory. Chicago, London: University of Chicago Press 1994.
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Wirkkraft des Visuellen in historischen und gegenwärtigen, vor allem westlichen Kulturen keine umfassende wissenschaftliche Theoriebildung zu seiner Bearbeitung vorlag.60 Dieses Desiderat benennt Nicholas Mirzoeff, Herausgeber eines der ersten veröffentlichten Reader zum Thema: »[T]he gap between the wealth of visual experience in contemporary culture and the ability to analyse that observation marks both the opportunity and the need for visual culture as a field of study.«61 Visual Culture als ein Disziplinen übergreifendes theoretisches Konzept ergibt sich folglich aus konvergierenden Fragestellungen zu Funktion, Produktion und Wirkung von Bildern aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen wie Kunst-, Medien-, Film-62 oder auch Literaturwissenschaft, die sich genuin mit Bildmedien und deren Wahrnehmungsweisen, Produkten visueller Kultur und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung beschäftigen.63 Die Emergenz von Visual Culture verdankt sich jedoch nicht nur einem Zusammenschluss der auf Visualität bezogenen Disziplinen, sondern auch Verschiebungen der Forschungsinteressen und Paradigmenwechsel innerhalb dieser Fächer.64 In ihrem im Jahr 2005 erschienenen Band Visual Culture. The Study of the Visual after the Cultural Turn zieht Margaret Dikovitskaya Bilanz über die »Genealogie« von Visual Culture. Sie argumentiert, diese verdanke sich weniger einer »Heirat« zwischen Kunstgeschichte und Cultural Studies (wie Mitchell argumentiere) als vielmehr dem »cultural turn« seit den achtziger Jahren, der zur Reintegration sozialwissenschaftlicher, kulturwissenschaftlicher Fragestellungen in die Geisteswissenschaften geführt habe.65 Es würde den Rahmen dieses einführenden Kapitels sprengen, eine Übersicht über die fachgeschichtlichen Bedingungen zu entwerfen. Daher finden sich die jeweiligen disziplinären Voraussetzungen und Beteiligungen in die nach-
60 »Am einfachsten läßt sich dies so ausdrücken, daß wir in einer Zeit, die oft als Zeitalter des ›Spektakels‹ (Debord), der ›Überwachung‹ (Foucault) und einer alles durchdringenden Bildproduktion charakterisiert wird, immer noch nicht genau wissen, was Bilder sind, in welchem Verhältnis sie zur Sprache stehen, wie sie sich auf Beobachter und die Welt auswirken, wie ihre Geschichte zu verstehen ist und was mit ihnen bzw. gegen sie gemacht werden kann.« Mitchell 1997, S. 17. 61 Nicholas Mirzoeff (Hg.): The Visual Culture Reader. London, New York: Routledge 1998, S. 3. 62 Vgl. hierzu Mitchell. »Die meisten mir bekannten akademischen Programme zur visuellen Kultur haben sich aus filmwissenschaftlichen Programmen heraus entwickelt, wo sich eine starke Tradition der Theoriebildung über den Status des Betrachters, über Visualität und über die massenhafte Verbreitung von Bildern anscheinend leicht auf das breiteste Feld der visuellen Kultur – von der Werbung bis zum Alltagsleben – anwenden ließ.« Mitchell 2003, S. 46. 63 Einige grundlegende Publikationen zu Visual Culture sind: Chris Jenks (Hg.): Visual Culture. London, New York: Routledge 1998 [1995]. Mirzoeff 1998; Ders. (Hg.): Diaspora and Visual Culture. London, New York: Routledge 2000. Jessica Evans, Stuart Hall (Hg.): Visual Culture: the Reader. London u.a.: Sage 1999. Richard Howells: Visual Culture. Cambridge: Polity 2003. 64 Vgl. Vanessa R. Schwartz und Jeannene Przyblyski (Hg.) The NineteenthCentury Visual Culture Reader. New York u.a.: Routledge 2004. 65 Dikovitskaya 2005 führte Interviews mit zahlreichen prominenten Vertretern der angloamerikanischen Visual Culture-Forschung und listete die derzeitigen akademischen Institutionen und didaktischen Entwürfe für eine Integration der Visual Culture-Forschung in die Hochschulen auf.
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folgende Übersicht über die Schwerpunkte und methodischen Ansätze von Visual Culture eingebunden.
Begriff Visual Culture wird gelegentlich auch als »Visual Studies« oder »Visual Culture Studies« bezeichnet. Im Gegensatz zu Visual Culture oder Visual Culture Studies eignet sich jedoch die Benennung Visual Studies nur suboptimal als Dachbegriff. Der Grund hierfür liegt in der Unterschlagung der kulturellen, sozialen (der »cultural«) Faktoren, die Visual Culture zu einer TransDisziplin machen, die sich nicht nur visuellen Phänomenen, sondern auch den zeit- und kulturspezifischen Bedingungen ihrer Produktion und Perzeption zuwendet, wie Mitchell erklärt: The name ›Visual Studies‹ seemed to me too vague, since it could mean anything at all to do with vision, while ›Visual Culture‹ (and this is an utterly commonplace notion) suggests something more like an anthropological concept of vision as artifactual, conventional, and artificial […]. By calling the field visual culture, I was trying to call attention to vision as itself prior to consideration of works of art or images, and to foreground the dialectics of […] ›nature/culture‹ in the formation of the visual field.66
Der Begriff »visual culture« stammt ursprünglich von dem Kunsthistoriker Michael Baxandall, übernommen und ausgedehnt wird er durch dessen Fachkollegin Svetlana Alpers. In ihrer Studie über die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, The Art of Describing, leistet Alpers eine Zusammenschau von Phänomenen visueller Kultur.67 In einem Fragebogen zu Visual Culture der Zeitschrift October 1996 resümiert sie ihre Ideen wie folgt: When, some years back, I put it that I was not studying the history of Dutch painting as part of visual culture, I intended something specific. It was to focus on notions about vision (the mechanism of the eye), on image-making devices (the microscope, the camera obscura), and on visual skills (map-making, but also experimenting) as cultural resources related to the practice of painting. […] The term ›visual culture‹ I owed to Michael Baxandall. But my use of the notion was different from his because of the nature of the case. […] I was dealing with a culture in which images, as distinguished from texts, were central to the representation (in the sense of the formulation of knowledge) of the world. I was not only attending to those visual skills particular to Dutch culture, but claiming that in that place and at that time these skills were definitive. On such an account, visual culture is distinguished from a verbal or textual one. It is a discriminating notion, not an encompassing one. Disciplinary boundaries, like differences between artistic mediums, are a subject of investigation, not of denial.68
66 W.J.T. Mitchell im Interview mit Dikovitskaya in Dies. 2005, S. 238-257, hier S. 244 67 Svetlana Alpers: The Art of Describing. Dutch Art in the Seventeenth Century. Chicago 1983. 68 Svetlana Alpers in October. Art, Theory, Criticism, Politics. 1996, o. S.
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Alpers’ Notiz verdeutlicht, dass eine Untersuchung von visueller Kultur verschiedene und auch disziplinär vielfältige Blickwinkel erfordert: den optischen, physiologischen (»notions of vision«, »mechanism of the eye«), einen mediengeschichtlichen (»image-making devices«) sowie die Berücksichtigung visueller Kompetenz der Bild-Produzenten ebenso wie der Rezipienten (»visual skills«). Das Studium visueller Kultur, dies macht Alpers’ differenzierte Beschreibung des Feldes deutlich, geht weit über eine bloße Interpretation von (künstlerischen) Bildern hinaus und betrachtet auch die Macht und Affekte von Bildern.69 Der innovative Gedanke besteht in der theoretischen Kopplung dieser Komponenten an die Fragestellungen der bildenden Kunst.
Gegenstand und methodische Ansätze Visual Culture can be defined first by its objects of study, which are examined not for their aesthetic value per se but for their meaning as modes of making images and defining visual experience in particular historical contexts. Visual culture has a particular investment in vision as a historically specific experience, mediated by new technologies and the individual and social formations they enable.70
Bei aller methodischen Vielfalt und multifokalen Fragenstellungen sei gerade die Bestimmung des Gegenstands noch immer problematisch, so stellt Holert fest. Es sei »nicht einmal den Protagonisten der Visual Culture klar, welchen Status ihr Wissens- und Arbeitsgebiet eigentlich haben soll.«71 Dabei herrscht Konsens darüber, dass Visual Culture sich weniger mit der Bestimmung einer Ontologie oder Hermeneutik des Bildes befasst, sondern dem gesellschaftlich-kulturellen Funktionswandel in der Produktion und Rezeption von Bildern in der je zeitspezifischen Öffentlichkeit nachgeht. Künstlerische Bilder und ästhetische Aspekte von Bildern sind hiervon jedoch nicht per se ausgeschlossen, sondern etwa dort von Interesse, wo Bilder für Propagandazwecke instrumentalisiert werden. Die interdisziplinäre Beschäftigung mit Bildern, ihrer Produktion und Wirkung innerhalb der Visual Culture wirft die Frage nach der Ähnlichkeit dieser wissenschaftlichen Bemühungen mit der Kunstgeschichte, die sich seit ihrem Bestehen ähnlicher Fragen des Bildes angenommen hat, auf. Ebenso wird innerhalb der Visual Culture die Relevanz der traditionellen kunstgeschichtlichen Methodik zur Besprechung von Bildern diskutiert. Mirzoeff argumentiert, Visual Culture sei keine Alternative zur Kunstgeschichte und auch keine modernisierte Version.72 Zum Studium der visuellen Kultur reiche die Kunstgeschichte nicht aus, erklärt Mitchell, weil sie auf einer Unterscheidung von Massenkultur und den »schönen Künsten« basiere und auch beharre, welche Visual Culture jedoch explizit aufhebe.73 Allerdings implementiert
69 Siehe hierzu auch Mitchell 2003, S. 50. 70 Schwartz und Przyblyski 2004, S. 6f. 71 Tom Holert: »Kulturwissenschaft/Visual Culture«, in: Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005, S. 226-235, hier S. 228. 72 Mirzoeff in Dikovitskaya 2005, S. 225. 73 Mitchell in Dikovitskaya 2005, S. 240.
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Visual Culture Methoden der Kunstgeschichte zur Betrachtung von Bildern.74 So sind bildästhetische Fragestellungen hilfreich, etwa um Fiktionalisierungsund Manipulationsstrategien unterschiedlicher Bildtypen offen zu legen. Und in der Untersuchung der Entstehungs- und Bedeutungszusammenhänge des Visuellen scheint Visual Culture zunächst nicht weit weg von der Ikonologie Erwin Panofskys, die neben dem primären Anschauen von Bildern vor allem den Entstehungskontext und den Bedeutungszusammenhang der Darstellungen in ihrer zeitlichen und kulturellen Gebundenheit berücksichtigt.75 Kunstgeschichte als Disziplin wird daher nicht »verdrängt«, sondern wird zur gleichberechtigten Disziplin neben anderen, die das Forschungsfeld Visual Culture bilden.
Hybridität visueller Kultur Alpers’ relativ frühe Anmerkungen zu einem möglichen Forschungsprogramm Visual Culture bleiben auch in den Folgejahren im Zentrum des Interesses und konturieren sich zu zentralen Fragestellungen und zu einem Gegenstand, der nicht nur Einzelmedien, Medienprodukte oder die technische Seite der Medien umfasst. Die innerhalb der Medienforschung lange verfolgte Ontologie von Einzelmedien ist für Visual Culture obsolet, denn ihre Untersuchungsebene bildet die Konvergenz der Bildmedien und Bilder. Wie Mirzoeff formuliert, bestehe »die grundlegende Geste von Visual Culture […] gerade darin, die ›rein optischen‹ […] Dimensionen der modernistischen Untersuchungen der Kunst und anderer visueller Medien zurückzuweisen, zugunsten eines immer schon hybriden Feldes der Repräsentation.«76 Vielmehr wird ein Konvolut heterogener Komponenten visueller Kultur in den Blick gerückt, namentlich Praktiken visueller Produktion und Wahrnehmung (Malerei, Werbung, Fotografie, Film, TV, Kino, Journalismus und Propaganda).77 Erst die Einbeziehung aber von soziologischen, ökonomischen und politischen Faktoren konstituiert Visual Culture als ein, wie W. J. T. Mitchell es benennt, »complex interplay between visuality, apparatus, institutions, discourse, bodies and figurality.«78
74 »Art history has provided many of the tools of visual analysis and visual comparison informing visual culture studies, but it has also proved a site of useful resistance.« Schwartz und Przyblyski 2004, S. 4. 75 Gegenstand der Ikonographie ist die Bestimmung des Inhalts und des Themas von Bildern, Erforschung der Entstehung, der Verbreitung und des Wandels von Darstellungstypen. Panofskys ikonographisch-ikonologische Methode der Bildbehandlung wird von Aby Warburg vorbereitet. Nach Warburg bedeutet Ikonologie die Untersuchung der Funktion und des Gebrauchs von bildlichen Darstellungen in der Kultur. vgl. Abschnitt »Quellenmaterial« in diesem Kapitel. 76 Mirzoeff im Interview mit Tom Holert in Ders.: (Hg.): Imagineering. Köln: Oktagon 2000, S. 34-38, hier S. 35. Dies habe auch Konsequenzen für die einzelnen Disziplinen und ihre Institutionalisierung, so Mirzoeff an anderer Stelle: »If we’re no longer going to teach film studies and media studies and art history separately but all together – which is increasingly becoming the way we are taught – then we need to write new and substantive histories, to which end of course there’s a great deal of research to be done.« Mirzoeff in Dikovitskaya 2005, S. 227. 77 Vgl. Mirzoeff 1998, S. 5. 78 Mitchell 1994, S. 16.
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Visuelle Kultur des Alltags, Affinität von ›elitär‹ und ›populär‹ Von großem Interesse innerhalb der Visual Culture ist die Durchdringung des Alltags mit heterogenen visuellen Phänomenen. W. J. T. Mitchell nennt als Gegenstandsfeld die »vernacular visuality«, was sich mit »dialektaler Visualität« übersetzen lässt, eine Alltagssprache also des Visuellen bzw. der Umgang mit Visualität in Alltag und Populärkultur.79 Bereits im ersten Reader zum Forschungsfeld, The Visual Culture Reader (1998), schlägt der Herausgeber Nicholas Mirzoeff vor, die »visual experience«, die Visualität des Alltags in den Blick zu rücken.80 Die Integration sowohl von Bildern der Kunst als auch der visuellen Kultur des Alltags in das Forschungsprogramm der Visual Culture setzt eine methodische Unterwanderung der Grenzen zwischen »high« und »low«, zwischen elitärer und populärer Kunst und Kultur voraus. Dabei wird diese Trennung nicht gänzlich aufgelöst, sondern eingedenk ihrer traditionellen Funktionalisierung als Mittel der Distinktion behandelt. Die beiden Gegensätze werden als interdependent respektiert, wie Mitchell erklärt: »[O]ne could argue that the emergence of distinctive institutions of fine art actually required a sense of popular or mass culture from which they could be differentiated.«81 Zu den Phänomenen visueller Kultur, die bislang nur marginal behandelt wurden, gehören beispielsweise Bildmedien wie das Panorama oder die Reklame, die sich zwar bildkünstlerischer Techniken bedienen, jedoch (schon zur Entstehungszeit) nicht als Bildkünste anerkannt wurden und daher nicht zum Gegenstandsbereich der Kunstgeschichte zählten. Auch Hans Belting, der einen Entwurf für eine Bildwissenschaft82 vorschlägt, die 79 Mitchell redet von »ordinary everyday practices of seeing« W.J.T. Mitchell in Dikovitskaya 2005, S. 240. 80 In seiner Studie Schund und Schönheit. Populäre Kultur um 1900 unternimmt der Kulturhistoriker Kaspar Maase eine Annäherung an die »Stiefkinder« historischer Forschung, eine »wünschenswerte Historisierung der Populärkultur […] in einer Gesellschaft, die unter dem Schlagwort der Postmoderne (und nicht zuletzt im Medium eines ästhetisierend-gefühligen Historismus) die Geschichtsvergessenheit kultiviert.«80 In seiner 1997 erschienenen Publikation Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970 (1997), bietet er die Lesart von Massenkultur als Element der Demokratisierungsprozesse der Moderne an. »Seit der Industrialisierung identifizierte man Rummel und Groschenlektüre, Tingeltangel und Kino mit den neuen städtischen Unterschichten. Der Aufstieg der Populärkultur wurde – gerade, weil er auf den hartnäckigen Widerstand der Besitzenden und der Bildungsschichten traf – zum Symbol für den Gleichstellungsanspruch der ›Massen‹. An der Verbreitung des populären Geschmacks las man ab, wie weit die ›einfachen Leute‹ sich durchgesetzt hatten.« Maase 1997, S. 17. 81 Mitchell in Dikovitskaya 2005, S. 253. 82 Eine klar umrissene Bildwissenschaft liegt bis heute nicht vor, bislang konstituiert sie sich aus zahlreichen fachspezifischen Einzelstudien zu unterschiedlichen Bildphänomenen. Klaus Sachs-Hombach argumentiert, dass es aufgrund der Heterogenität der Bildphänomene, Bilddisziplinen und Bildparadigmen bislang nicht möglich gewesen sei, eine Bildwissenschaft zu etablieren. Voraussetzung der Besprechung jener ›Vielfalt‹ der Bilder sei jedoch eine allgemeine Theorie des Bildes. Es sei die Aufgabe einer multidisziplinären Allianz Bildwissenschaft, wie er sie vorschlägt, einen theoretischen Rahmen zu entwerfen, der
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der Visual Culture inhaltlich und methodisch nahe kommt, erweitert den Begriff des Bildes. Bilder sind für Belting »Artefakte, die Bildwerke, die Bildübertragungen und die bildgebenden Verfahren, um nur einige Beispiele zu nennen.«83 In seiner Publikation Bild-Anthropologie löst er den Bild-Begriff vom Kunstbegriff ab und öffnet damit die Verhandlung des Bildes für andere als kunsthistorische und kunstwissenschaftliche Diskurse. In dieser Loslösung und durch einen dezidiert kulturwissenschaftlichen Blick zeigt Belting, wie sich einerseits anders über Bilder sprechen, andererseits – geleitet von neuen Perspektiven – auf die Geschichte der Kunstgeschichte und ihrer Gegenstände blicken lässt. Belting redet einer Erweiterung des Werkkanons und vor allem des Bild-Begriffs das Wort, indem er für einen ›Dreischritt‹ bei der Besprechung von Bildern aus anthropologischer Sicht plädiert: Bild – Körper – Medium, beziehungsweise Bild – lebender (Betrachter-)Körper – Bild-Apparat. Er differenziert Bilder in »äußere/materielle«, die einen physischen Bildkörper brauchen, um sichtbar zu werden, und in »innere/mentale« Bilder, entwirft damit aber keinen Dualismus der Bilder, sondern betont deren Wechselwirkung.84 Die Erweiterung der Semantik des Bild-Begriffs und die Ergänzung um die anthropologische Komponente sind nicht neu. Bereits Aby Warburg, der sich überdies eher als »Bildwissenschaftler« denn als Kunsthistoriker sah, betrachtete Bilder über kanonische und kulturelle Grenzen hinweg. In seinem Mnemosyne-Atlas stellt er vor allem die Kontinuität von Bildthemen und Topoi fest, die Epochen und künstlerische Kanones überschreiten. Dabei geht es ihm um die Ermittlung verschiedener Verfahren der Bildproduktion sowie um die Ergründung je zeit- und kulturabhängiger Funktionen von Bildern.85 Mirzoeff bezeichnet Visual Culture auch als eine »transkulturelle Praxis«, womit er sowohl die Überschreitung der vordem genannten Kulturgrenauch die begriffliche Klärung des Bildes und der Bestimmung eines allgemeinen Bild-Begriffs bedürfe, was Sachs-Hombach mit Hilfe des Zeichenbegriffs löst: Bildphänomene sind für ihn in erster Linie »externe Bilder mit Abbildungsfunktion«. Nur in der Kombination von Zeichen, Medium und Wahrnehmung sei eine ›allgemeine Bildwissenschaft‹ möglich, und diese wiederum nur in einer Überwindung der Polarisierung von Natur- und Technikwissenschaften auf der einen und Geistes- und Sozialwissenschaften auf der anderen Seite fruchtbar. Darin, dass er Bilder mit Methoden zu fassen und zu bestimmen versucht, die denen der Sprachwissenschaft zur Behandlung sprachlicher Zeichen vergleichbar sind, distanziert sich Sachs-Hombach – wenn auch nicht expressis verbis –, von Visual Culture, die sich, wie weiter oben wiedergegeben, als postlinguistische, postsemiotische Annäherung an Bilder versteht. Klaus SachsHombach: Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005; Ders.: Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft. Köln: Herbert von Halem 2003. 83 Belting 2000, S. 12. 84 »Zwar steckt im Begriff »Bild« schon der Doppelsinn innerer und äußerer Bilder, den wir nur in der westlichen Denktradition so zuversichtlich als Dualismus begreifen. Doch sind die mentalen und die physischen Bilder einer und derselben Zeit […] so vieldeutig aufeinander bezogen, daß ihre Anteile nur schwer von einander zu trennen sind, es sei denn in einem handfesten materiellen Sinne.« Belting 2000, S. 20. 85 Vgl. Georg Syamken: »Aby Warburg – Ideen und Initiativen«, in: Ders. et al. (Hg.:) Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg. Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1980, S. 33.
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zen als auch die Überschreitung von disziplinären Grenzen zum Ausdruck bringt. Hier zeigt sich die methodische Verwandtschaft mit den Cultural Studies, die selbst keine eigene Disziplin sind, sondern ein Zusammenschluss verschiedener Disziplinen mit durchaus unterschiedlichen Gegen-standsfeldern, aber gleichen Herangehensweisen.86 Visual Culture bringt also visuelle Analysen von Kunstgeschichte, Film- und Medienwissenschaft mit der Interpretation von Kultur zusammen, wie sie von Stuart Hall und anderen in den Cultural Studies bekannt gemacht wurde:87 »Kultur« wird dabei nicht im Sinne einer elitären Kultur verstanden, sondern als Vielzahl von Lebensweisen, ihrer Kommunikations- und Organisationsformen, die sich nicht per definitionem festschreiben lassen, sondern sich in einem Wechselspiel unterschiedlicher kultureller Prozesse und Praktiken in den jeweiligen politischen, sozialen und ökonomischen Zusammenhängen zeigen.88 Die Affinität von ›high‹ und ›low‹ ist auch innerhalb der Populärkulturforschung und der Mediengeschichte diskutiert worden. So erklärt beispielsweise Bernd Busch 1997, die Kunstproduktion habe sich kultureller Praktiken und der Tradition »trivialer Massenmedien« bedient, »die bislang überwiegend den niederen Bevölkerungsschichten vorbehalten gewesen waren«. Hierzu zählten beispielsweise Jahrmärkte, Schaugewerbe, Bänkelsänger oder populäre Druckgrafik, Unterhaltungen also mit Fokussierung auf visuelle Effekte.89 »Nicht scharfe Grenzziehungen, sondern Übergänge und Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Genres und ›Niveaus‹ kennzeichneten die populäre Kultur im 20. Jahrhundert.«90 Auch in der Kunstgeschichte sind schon in den siebziger Jahren erste Ansätze einer Transgression kanonischer Abgrenzungen und einer Beschäftigung mit außerästhetischen Faktoren der 86 »[E]s handelt sich [bei Cultural Studies, NL] um eine Forschungsstrategie, die mittels innovativer methodologischer Ansätze eine Vielzahl von Disziplinen bei der Definition ihrer Gegenstände und der Annäherung an sie betrifft. […] Cultural Studies kann als intellektuelle Praxis benannt werden, die beschreibt, wie das alltägliche Leben von Menschen […] durch und mit Kultur definiert wird, und die Strategien für eine Bewältigung seiner Veränderungen anbietet. In diesem Sinn wird eine Balance zwischen politischem Engagement, theoretischen Zugängen und empirischen Analysen angestrebt.« Christina Lutter, Markus Reisenleitner: Cultural Studies. Wien: Turia und Kant 1998, S. 9. 87 Mirzoeff in Holert 2000, S. 35. 88 Lutter und Reisenleitner 1998, S. 10. Diese Umwertung von Kultur als »a whole way of life« geht auf Raymond Williams in den sechziger Jahren, insbesondere seine Arbeit Culture and Society 1780-1950 aus dem Jahr 1958, zurück. »In Britain, ›culture‹ – and the set of approaches known as ›cultural studies‹ – has been the focus for analyses and ideological power, patterns of domination and subordination, and struggles to mobilize meaning around the social divisions of class, race, and gender.« John Clarke, »Pessimism versus Populism: The Problematic Politics of Popular Culture«, in: Richard Butsch: For Fun and Profit. The Transformation of Leisure into Consumption. Philadelphia: Temple University Press. 1990, S. 28-44, hier S. 28. 89 Bernd Busch: Belichtete Welt. Eine Wahrnehmungsgeschichte der Fotografie. Frankfurt a.M.: Fischer 1997, S. 131f. Bereits 1972 formuliert Helmut Schanze zur Trivialliteratur: »Die Erforschung des Phänomens ›Trivialliteratur‹ könnte das Ergebnis haben, daß der Begriff selber aufzulösen sei zugunsten einer grundsätzlichen Revision literaturwissenschaftlicher Kanonbildung.« Schanze 1972, S. 88. 90 Maase 1997, S. 22.
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Kunst, ihrer Produktion und Funktion zu beobachten; hinzugezogen werden auch Fragen der Soziologie und Ökonomie.91
Historizität, kontextuelle Situiertheit visueller Kultur(en) Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektive auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich sondern auch geschichtlich bedingt. (Walter Benjamin92)
Das Bewusstsein von der kontextuellen Situiertheit visueller Phänomene unterstreicht Martin Jay als notwendige Voraussetzung sämtlicher Untersuchungen zu visueller Kultur.93 Schwartz und Przyblyski plädieren für eine Differenzierung zwischen den einzelnen visuellen Medien oder »forms of spectacles« (wie Weltausstellungen und Wachsmuseen) bei gleichzeitiger Berücksichtigung des zeitspezifischen Kontexts.94 Entscheidend ist der gesellschaftlich-kulturelle Funktionswandel in der Produktion und Rezeption öffentlicher Bilder. Die Art und Weise, wie Bilder in visuellen Kulturen funktionalisiert, bewertet werden und wirken, ist vom jeweiligen Kontext abhängig, aber auch von den jeweils prosperierenden Bildmedien mit eigenen Techniken, die unterschiedliche Kompetenzen erfordern.95 Jonathan Crary diskutiert in seiner Arbeit Techniques of the Observer (1990, deutsch: Techniken des Betrachters, 1996) die »historische[…] Konstruktion des Sehens«96 im 19. Jahrhundert und stellt Fragen des Sehens und Fragen des Betrachters in Relation zum (kultur-)geschichtlichen Kontext. Der Betrachter, als »Objekt der Erforschung« und als »Ort der Erkenntnis«97 sei, so Crary, »in ein System von Konventionen und Beschränkungen eingebettet« und sehe folglich auch »innerhalb dieses Rahmens von vorgeschriebenen Möglichkeiten«.98 Auch Crarys Untersuchung des Sehens, die ein relativ frühes Beispiel für eine umfassende Arbeit im Bereich der Visual Culture ist, beschränkt sich demnach nicht auf Kunst und Literatur, sondern berücksichtigt auch theoretische und experimentelle Fragen »des Betrachters« aus den Bereichen Philosophie, Naturwissenschaft, Technologie und Industrialisierung.99 91 Vgl. Schwartz und Przyblyski 2004, S. 4f. 92 Benjamin 1977, S. 14. 93 Martin Jay im Interview mit Dikovitskaya in Dies. 2005, S. 203-209, hier S. 203. 94 Schwartz und Przyblyski 2004, S. 8. 95 Vgl. Holert in Holert 2000, S. 21. 96 Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Dresden, Basel: Verlag der Kunst 1996, S. 12. 97 Ebd., S. 27. 98 Ebd., S. 17. Siehe zur Geschichtlichkeit des Sehens auch Gottfried Boehm: »Sehen. Hermeneutische Reflexionen«, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie. 1. Jg., Heft 1, 1995, S. 50-67. 99 »Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte ein Betrachter immer mehr in unzusammenhängenden und unvertrauten Gegenden einer Stadt zu funktionieren. Er mußte sich an Zeit- und Wahrnehmungssprünge gewöhnen, die durch den Schienenverkehr, die Telegraphie, die industrielle Produktion und einen Über-
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Betrachter, visuellkulturelle Kompetenz Ein besonderes Gewicht in den Diskussionen visueller Kultur und der BildProduktion kommt dem Betrachter oder ›Konsumenten des Visuellen‹ als aktivem Mitproduzenten zu. Hier setzt die »dynamische Differenz« ein, die Visual Culture von bild- oder medienwissenschaftlichen Betrachtungen unterscheidet, wie Nicholas Mirzoeff unterstreicht: »Die dynamische Differenz von Visual Culture scheint mir gerade darin zu liegen, dass sie sich stärker auf die Schnittstelle zwischen Betrachter/innen und visuellen Technologien konzentriert als auf die Funktion der Technologien oder einen universalisierten ›Blick‹.«100 In der Beschäftigung mit den verschiedenen optischen Apparaturen und Medien des 18. und 19. Jahrhunderts geraten auch der Betrachter und die Modifikation seiner Wahrnehmung durch diese Medien ins Blickfeld. Auch hier spielen die disziplinengeschichtlichen Hintergründe der beteiligten Einzeldisziplinen hinein. So kam beispielsweise lange Zeit innerhalb der kunstgeschichtlichen Annäherung an Bilder dem Betrachter keine bedeutende Rolle zu (auch Panofsky lässt die Frage des Bildrezipienten unerledigt). Wolfgang Kemp hat auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung eines rezeptionsästhetischen Ansatzes aufmerksam gemacht, dessen Prämisse lautet, dass die Betrachterfunktion im Bild vorgesehen ist. Kemps Begriff des »impliziten Betrachters« verweist auf das Bewusstsein des Künstlers vom Betrachter während der Produktion seiner Arbeit, aber auch auf den Akt des Betrachtens als produktiven Part im Entstehungsprozess des Kunstwerks.101 Eine ergänzende Herangehensweise an den Betrachter unternimmt Hans Belting in seiner Diskussion der Interrelation von Bild, Körper und Medium. Belting legt dar, dass ein Bild nur funktioniert, wenn es betrachtet wird: Die Anwesenheit des Bildes im Medium, so unbestreitbar sie von uns erfahren werden kann, birgt auch eine Täuschung in sich, denn das Bild ist auf andere Weise anwesend, als es sein Medium ist. Es wird zuerst zum Bild, wenn es von seinem Betrachter animiert wird. [.] Das filmische Bild ist der beste Beweis für die anthropologische Fundierung der Bilderfrage, denn es entsteht weder auf der Leinwand noch im ›filmischen Raum‹ des Off, sondern im Betrachter durch Assoziation und Erinnerung.102
›Sehen‹, das Betrachten von Bildphänomenen als Bestandteil von Visualität wird innerhalb der Visual Culture als eine soziale und kulturelle Praxis verstanden.103 Diese stehe in Zusammenhang mit der Emergenz neuer technologischer Formen von Spektakel, Schaustellung und Bildmedien im 19. Jahrhundert. In der weiter oben genannten Studie Jonathan Crarys, Techniques of
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fluß an typographischer und visueller Information verursacht wurden. Andererseits war auch die diskursive Identität des Betrachters als eines Objekts der philosophischen Überlegungen und der empirischen Erforschung einer ähnlich drastischen Erneuerung unterworfen.« Crary 1996, S. 22. Mirzoeff in Holert 2000, S. 35. Wolfgang Kemp: »Augengeschichten und skopische Regime«, in: Merkur, Heft 12, 45. Jg., Dezember 1992, S. 1162ff. Belting 2000, S. 30f. Jenks 1998, S. 2.
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the Observer, redet Crary einer Neu- und Umstrukturierung des Sehens das Wort, indem er die mentale und die körperliche, i.e. physiologische Leistung des Betrachtens zusammendenkt: Vor allem in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts – und damit noch vor der Erfindung der Fotografie – habe sich ein Wandel des Sehens und des Betrachterstatus‹ vollzogen. Dem Sehsinn, so Crary, sei noch im 18. Jahrhundert der Tastsinn gleichberechtigt zur Seite gestellt, wohingegen sich im 19. Jahrhundert eine Autonomisierung des Sehens vollzogen habe, basierend auf der wissenschaftlich anthropologischen Aufteilung der Sinne und einer modifizierten Erfassung des menschlichen Körpers.104 Er beobachtet eine Loslösung von klassischen Sehmodellen, für welche die (das zentralperspektivische Zeichnen und Sehen fördernde) camera obscura paradigmatisch ist, und die Hinwendung zu einem »subjektiven Sehen«,105 für das die optischen Apparaturen und Unterhaltungsmaschinerien Stereoskop und Phenakistiskop Modelle seien. Crary diskutiert diese optischen Medien als Schauplätze des Wissens und der Macht, die unmittelbar auf den Körper des Individuums wirken. […] Die betreffenden optischen Geräte sind, und das ist überaus wichtig, Schnittpunkte, an denen philosophische, wissenschaftliche und ästhetische Diskurse mit mechanischen Techniken, institutionellen Erfordernissen und sozioökonomischen Kräften zusammentreffen.106
Visual Culture bezieht diese Idee vom Bewusstsein des Betrachters und der Produktivität des betrachtenden Subjekts nicht auf Bildkunst, sondern auf alle visuellen Phänomene der visuellen Kultur. Hinzu kommt eine Unterscheidung zwischen dem Modus und der Qualität des Betrachtens. Während dem Betrachten von Kunst eine fokussierte, räsonierende Haltung und auch Connaisseurtum zugeschrieben wird, verläuft das Schauen im von visuellen Stimuli bestimmten Alltag eher ohne Fokussierung, weshalb beispielsweise Tom Gunning auch das Wort »experience« anstelle von »perception«, Erleben/Erfahren also anstelle von Wahrnehmen bevorzugt, um die Aktion der Betrachter innerhalb der visuellen Kultur zu benennen.107 In seiner späteren Veröffentlichung Aufmerksamkeit zielt Crary auf den Nachvollzug einer Genealogie der Aufmerksamkeit seit dem 19. Jahrhundert, indem er gleichzeitig untersucht, »auf welche Weise das neue Wissen vom Verhalten und der Ausstattung des Subjekts mit sozialen und ökonomischen Verschiebungen, mit neuen Darstellungspraktiken und einer umfassenden Reorganisierung der visuellen und akustischen Kultur einherging.«108 Dabei behandelt er unterschiedliche Qualitäten oder Ausprägungen von Aufmerksamkeit, geht also 104 105 106 107
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Crary 1996, S. 30. Im Gegensatz zu den die Subjektivität des Sehens unterdrückenden Sehmodellen des 17. und 18. Jahrhunderts. Vgl. Crary 1996, S. 20. Ebd., S. 19. Thomas Gunning im Interview mit Margaret Dikovitskaya in Dies. 2005, S. 173-180, hier S. 173. »The point for me is that in the last one hundred years or so – in the twentieth century and the latter part of the nineteenth century – visual stimuli, whether they are posters or television or photographs in magazines, have multiplied enormously, often outside of the regimes that are usually thought of as culture, such as the museum or the art gallery. These visual stimuli are both part of our experience and a record of it.« Ebd., S. 174. Jonathan Crary: Aufmerksamkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 14.
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weniger von einer Unverrückbarkeit oder Einseitigkeit der Semantik von Aufmerksamkeit, als von deren Vielgesichtigkeit aus. Die Frage nach modalen oder qualitativen Unterschieden des Sehens wird innerhalb der Visual Culture kontrovers diskutiert. Einigkeit herrscht jedoch darin, die visuelle Kompetenz (literacy) der Betrachter in Bezug zu den veränderlichen Bedingungen der Bildproduktion und -rezeption zu berücksichtigen. Die visuelle Wahrnehmung des Menschen unterliegt somit zeitund kulturgebundenen Veränderungen, bedingt durch immer neue Entwicklungen der (visuellen) Medien. Die Physiologie des menschlichen Sehapparats ändert sich nicht, wohl aber die (visuell)kulturell determinierte Wahrnehmung. Problematisch bleibt auch die empirische Erhebung des Betrachtens, der subjektiven Wahrnehmungs- und Deutungsmöglichkeiten, insbesondere in Bezug auf historische Forschung. Es erweist sich generaliter als schwierig, die Wirkung visueller Phänomene zu bestimmen, ohne die einzelnen Publika zu differenzieren, wie Michael L. Wilson formuliert: »Who are the different audiences within visual culture and to what extent can we determine how they do or do not make sense of what they see?«109 Exemplarische Untersuchungen innerhalb der Visual Culture sind geleitet von Fragen nach der kulturellen Kontextualität des Visuellen, der Produktion und Rezeption von Bildern, der Kritik an Bildern, der visuellen und der Medienkompetenz des Betrachters/Publikums. Dieser Katalog heterogener ›Anamnesen‹ des Visuellen verdeutlicht das breite Spektrum von Visual Culture als »interdisziplinäre Kulturwissenschaft des Visuellen«110, die sich auch ökonomischen und manipulatorischen Facetten sowie der sozialen und subjektiven Rezeption von Massenbildern in ›Bildergesellschaften‹ zuwendet. Theater kann als ein Bild-Medium und zugleich als eine Bilder erzeugende und reproduzierende Institution betrachtet werden, die Inszenierungsstrategien, Formen der Darstellung und Wirkung sui generis aus optischen Medien, visuellen Effekten und Formaten des Bildes sowie der visuellen Kompetenz des Zuschauers speist. Trotz dieser offenkundigen Bezüge zum Visuellen, hat sich die Visual-Culture-Forschung dem Theater als Gegenstand ihrer theoretischen Erörterungen bislang nicht angenommen.111 Die rudimentäre wissenschaftliche Behandlung des Untersuchungsfelds Theater und visuelle Kultur im 19. Jahrhundert erfordert für die vorliegende Studie neben einer interdisziplinären Orientierung das Studium historischer Materialien, die nachfolgend vorgestellt und diskutiert werden. 109 110 111
Michael L. Wilson: »Visual Culture. A useful category of historical analysis?«, in Schwartz/Przyblyski 2004, S. 26-33, S. 28. So nennt Holert die deutsche Übersetzung von Visual Culture. Holert in Sachs-Hombach 2005, S. 229. Umgekehrt zeigt sich seit kurzem ein Interesse der Theaterwissenschaft an Fragestellungen insbesondere der Bildwissenschaft, partiell der Visual Culture. Es sei hier auf eine der ersten Tagungen zum Thema mit dem Titel Theaterwissenschaft zwischen Visual Culture und Bildtheorie hingewiesen, die von Kati Roettger und Alexander Jackob initiiert wurde (Universität Mainz, September 2005) Siehe auch Kati Roettger, Alexander Jackob: »Ab der Schwelle zum Sichtbaren. Zu einer neuen Theorie des Bildes im Medium Theater«, in: Christoph Ernst et al. (Hg.): Perspektiven interdisziplinärer Medienphilosophie. Bielefeld: transcript 2003.
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S k i z z i e r u n g d e s Q u e l l e n m a te r i a l s »Die Stelle, an der Baudelaire sich überdie Faszination ausspricht, die der gemalte Theaterhintergrund auf ihn ausübt – wo?«112
Ein generelles Problem historiographischer Forschung stellt der erschwerte Zugang zum Untersuchungsgegenstand dar, bedingt durch dokumentarische Lücken, Kriegsverlust der Materialien oder durch Unterschiede in der Systematik der Archive, welche häufig das Auffinden der Dokumente behindern. Die nachfolgenden Abschnitte umreißen das benutzte Material und skizzieren allgemeine historiographische Probleme im Umgang mit Quellen.
Historiographische Überlegungen zum Umgang mit Quellenmaterial Die Arbeit mit zeitgenössischen Dokumenten bewegt sich in einem Zwiespalt: Um Wissen über die Vergangenheit zu erlangen, sind gesicherte Fakten und verlässliche Daten notwendig. Diese sind jedoch häufig lückenhaft, unvollständig, zum Teil nicht überliefert, oder gar unbekannt. Daher sind Quellen in erster Linie Medien zum Erkenntnisgewinn,113 deren vermeintliche Beweiskraft zu relativieren ist. Denn dem Prozess von Suche und Sichtung des Materials ist immer schon dessen Selektion und Umwertung immanent. Es besteht also auch im Umgang mit historischen Materialien die Notwendigkeit eines relativistischen und selbst-reflexiven Standpunkts, wie er in der vorangegangen theoretischen Kontextualisierung skizziert wurde (Abschnitt »Historizität«). Hierzu gehören das Wissen um die stets nur fragmentarische Überlieferung, die Suche nach möglichen Gründen für Überlieferungslücken, das Bewusstmachen der eigenen, durch die individuelle Fragestellung motivierte Selektion und Wertung des Materials und die Vergegenwärtigung der eigenen historischen Situiertheit. Even when straight from the dusty archive, the evidence always pre-exists within narrative structures and is freightened with cultural meanings – who put the archive together, why, and what did they include or exclude? ›Facts‹ are literally meaningless in their unprocessed state of simple evidential statement. The evidence is turned into ›facts‹ through the narrative interpretations of historians; but facts usually already possess their own narrators, and they gain further meaning when they are organised by the historians as strands in a story producing a particular, appealing, followable, but above all a convincing relationship.114
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Walter Benjamin 1982, S. 417. »So bezeichnet der Ausdruck [Dokument, NL] alles, was vom Historiker in der Absicht untersucht werden kann, eine Information über die Vergangenheit darin zu finden, im Lichte einer Erklärungs- und Verstehenshypothese.« Paul Ricoeur: Geschichtsschreibung und Repräsentation der Vergangenheit. Münster u.a.: LIT 2002, S. 25f. Alun Munslow: Deconstructing History. New York: Routledge 1997, S. 6.
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Wie Alun Munslow hier argumentiert, sind historische Quellen zunächst lediglich fragmentarische Hinterlassenschaften der Vergangenheit, die einer Kontextualisierung und der Vergegenwärtigung ihrer ›Modulationen‹ bedürfen. Denn Quellen tragen ihren Aussagewert auf die Fragen des Historikers und die historische Bedeutung nicht in sich, sondern sie werden erfragt, wie auch die Kulturhistorikerin Ute Daniel darlegt: »[…] Antworten sind anhand von Quellen, aber nicht in den Quellen zu finden. Das heißt aber nichts anderes, als daß die fragende, die um Verstehen bemühte Person, Teil dessen ist was verstanden wird.«115 Ein solcher selbstreflexiv operativer Umgang mit Quellen wendet sich ab von der positivistischen Vorstellung von Geschichtsschreibung als Rekonstruktion.116 Bruce McConachie formuliert für die Theatergeschichte, Positivisten hätten es bei der Beschreibung von Faktenwissen über berühmte Dramen und Personen belassen, ohne die Relation der Einzelfakten zu untersuchen. Diese relativierende Perspektive nachzuholen, sei Aufgabe einer »postpositivistischen« Geschichtsschreibung.117 Die Idee einer postpositivistischen Historiographie geht auf Michel Foucault zurück, der in Technologien des Selbst eine rupture d’évidence proklamiert, das Infragestellen und Aufbre115 116
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Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 32002, S. 110. Die Rekonstruktion vergangener theatraler Ereignisse galt lange Zeit als Ziel von Theatergeschichte und entstammt einer Forderung Max Herrmanns aus der Zeit, in der sich die Theaterwissenschaft als Disziplin zu positionieren und zu legitimieren versuchte. In seiner Einleitung zu Forschungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance (1914) skizziert Max Hermann die Versäumnisse einer theaterwissenschaftlichen Geschichtsschreibung: »Wir begnügten uns meistens damit, glücklich aufgestöbertes Material: Aktennotizen, Kritikerurteile, Bilder zusammenzufügen, und nannten das Ergebnis Theatergeschichte. Ein Zustand, wie er einst in der Literaturgeschichte herrschte, als sie noch Literärgeschichte war.« Max Herrmann: Forschungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance. Berlin. Weidmann 1914, wiedergegeben in Klaus Lazarowicz und Christopher Balme (Hg.): Texte zur Theorie des Theaters. Stuttgart 1991, S. 63. Probleme der Theaterhistoriographie sind fachintern insbesondere in den späten achtziger und den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts diskutiert worden. Die hier vorgestellten Probleme im Umgang mit Quellen spiegeln diese Diskussion partiell. Es kann jedoch nicht im Detail auf die Debatten eingegangen werden, weshalb auf exemplarische Aufsätze zum Thema verwiesen sei. Wesentliche Fragen behandeln etwa Hans-Peter Bayerdörfer: »Probleme der Theatergeschichtsschreibung«, in: Renate Möhrmann (Hg.): Theaterwissenschaft heute. Eine Einführung. Berlin: Reimer 1990, S. 41-63; Thomas Postlewait und Bruce McConachie (Hg.): Interpreting the Theatrical Past. Essays in the Historiography of Performance. Iowa. University of Iowa Press 1989. Nordic Theatre Studies. Special International Issue. New Directions in Theatre Research. Proceeding of the XIth FIRT/IFTR Congress. Herausgegeben von Willmar Sauter. 1990, S. 37-45. Siehe zu den Traditionen gegenwärtiger Geschichtsschreibung auch Mirjana Gross: Von der Antike bis zur Postmoderne. Wien u.a.: Böhlau 1998. »Faced with this difficulty the postpositivist historian would likely use some theoretical constructs to provide an overview of how these disparate developments might relate to each other and to an ongoing process.« Bruce McConachie: »Towards A Postpositivist Theatre History«, in: Theatre Journal 37, 1985, S. 465-486, hier S. 466.
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chen von Aspekten der Vergangenheit, deren Evidenz und Wahrheit gemeinhin akzeptiert sei. Foucaults Taktik bei der Annäherung an geschichtliche Phänomene besteht also darin, die vermeintliche Evidenz (e-vident = ersichtlich) von historischen Sachverhalten und Kontinuitäten zu hinterfragen, womit er zu einem Bruch jener Evidenzen, jener Selbstverständlichkeiten gelangt. Wie Paul Veyne in Foucault: Die Revolutionierung der Geschichte zusammenfasst, verfolgt Foucault das ebenso schlichte wie komplexe Verfahren, Diskurse genauer zu betrachten, um unter deren Oberfläche Praktiken aufzudecken, die für die Konstituierung von Objekten in der Geschichte verantwortlich zeichneten. »[D]ie Methode [besteht] für Foucault darin, zu verstehen, daß die Dinge nur Objektivierungen bestimmter Praktiken sind, deren Bestimmungen ans Licht gebracht werden müssen, weil das Bewußtsein sie nicht erfaßt.«118 Eingedenk der notwendigen Kritik an der positivistischen Verfahrensweise ist jedoch nicht zu vernachlässigen, dass gerade die vermeintlich gesicherte Basis von zusammengetragenen Fakten notwendig war zur Ermittlung, Abgrenzung, Schärfung und Diskussion jeweils aktuellen Theatergeschehens. So erkennt Bruce McConachie, selbst eine »postpositivistische« Theatergeschichte fordernd, als Errungenschaft des Positivismus an, die theatrale Vielfalt im 19. Jahrhundert ermittelt zu haben.119 Dennoch sei die künftige Aufgabe von Theatergeschichte eine ›theatergeschichtliche Umwertung‹ des Materials, verstanden als Umschreiben von Vorhandenem aus verschiedenen Blickwinkeln, eine Re-vision also im wörtlichen Sinne.120 Als wesentliche Kernprobleme bzw. -aspekte der Annäherung an Vergangenheit und Materialien der Vergangenheit, die auch für den Umgang mit Quellenmaterial in der vorliegenden Arbeit maßgeblich sind, lassen sich zu-
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Paul Veyne: Foucault: Die Revolutionierung der Geschichte. Frankfurt a.M. 1992, S. 33. Siehe auch Jürgen Martschukat: Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt u.a.: Campus 2002. »Positivist historians have noted several significant trends during the course of the century – the star system, the increasing importance of realistic illusion, the playwright’s fight for professional status, the rise of the »combination system«, the emergence of the director among them.« McConachie 1985, S. 482. Vgl. hierzu auch Christopher Balme, der in seiner Einführung in die Theaterwissenschaft Beispiele aus der Theaterpraxis und -Forschung anführt, die mit eben dieser genauen Suche nach historischen ›Resten‹ zur Vergrößerung theaterhistorischen Wissens beigetragen haben. Christopher Balme: Einführung in die Theaterwissenschaft. Berlin: Schmidt 32003, besonders S. 27-41. Vgl. hierzu auch Bayerdörfer 1990, S. 58. Bayerdörfer spricht, in Anlehnung an Reinhart Kosellecks Theorie von den drei Modi historischer Erfahrung, welche »unterschiedliche Wege der Geschichtsschreibung vorzeichnet, ohne die universelle und damit dogmatische Methode zu proklamieren.« Im ersten Erfahrungsmodus steht die direkte Konfrontation des Einzelnen mit dem historischen Ereignis, »in überraschender und unerwarteter Weise«. Den zweiten Modus kennzeichnet der Vergleich, denn »es treten in diesem Horizont auch die Fremderfahrung (des anderen) hinzu und die Kollektiverfahrung […]«. Der dritte Modus geschichtlicher Erfahrung »[erstreckt] sich auf langfristige Veränderungen, die auf jeden Fall lebenszeitliche Ausdehnung überschreiten«. S. 55. Dieses dreigliedrige Erfahrungsmodell hält Koselleck in der Formel »Aufschreiben, Fortschreiben und Umschreiben« fest, das Bayerdörfer schließlich unter Zuhilfenahme der Begriffe »Primärerfahrung«, »Vergleich« und »Revision des Blicks, ausgelöst durch neue Erfahrung«, erläutert.
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sammenfassen: erstens das Infragestellen überlieferten Wissens und Materials, zweitens die Erkenntnis einer Notwendigkeit oder auch Möglichkeit der Neu-Ordnung/Neu-Organisation von Vorgefundenem sowie drittens der Selbst-Reflexivität und Erkenntnis der eigenen Historizität des Forschenden.
Materialkorpus Der im Vorliegenden vorgenommene Blick auf historische Quellen ist zweifelsohne und notwendigerweise selektiv. Er ist motiviert durch die Frage nach dem Zusammenspiel von Theater und visueller Kultur des 19. Jahrhunderts, zu dessen angemessener Untersuchung es zunächst herauszufinden galt, welches Angebot Theater- und Institutionen visueller Unterhaltung im Untersuchungszeitraum und -ort bereithalten. Die Spannbreite dieser Frage erfordert die Versammlung eines heterogenen Quellenkorpus’, der auch nicht direkt mit Theater in Verbindung stehende Phänomene und Bereiche einzuschließen hat. Materialgrundlage dieser Studie bilden Primärquellen aus der Zeit zwischen 1850 und 1900, darunter illustrierte Zeitungen, Kritiken und Programmschriften, Theaterzettel, Zensurakten, Almanache sowie Bildmaterial wie Fotografien, Lithographien oder Szenen-Skizzen.
Almanache, Theaterzettel Der Zeit geläufige Theateralmanache wie Ferdinand Roeders Theaterkalender, oder der Deutsche Bühnen-Almanach121 geben Auskunft über Spielpläne, Besetzung, Ausstattung und Direktion vor allem der königlichen und großen Theaterhäuser einer Stadt. Zusätzlich informieren Theaterzettel über die Programme von Geschäftstheatern und Institutionen visueller Unterhaltung. Als Ankündigungen und Beihefte zu einzelnen Aufführungen gedacht, beinhalten diese auch Reklamen für andere Bühnen und Unterhaltungseinrichtungen, ferner so genannte ›Kleine Notizen‹ zu aktuellen Begebenheiten aus der nationalen wie internationalen Theaterszene sowie vereinzelt Illustrationen. Exemplarisch zu nennen sind hier der Leipziger Theaterzettel oder die hauptsächlich aus Anzeigen bestehende Theater-Zwischenakts-Zeitung aus dem Verlag von Ernst Litfass’ Erben in Berlin.122
Zeitungen, Journale, Reiseführer Die Theater-Almanache aus dem dieser Untersuchung zugrunde liegenden Zeitraum informieren zwar über die zur Aufführung gelangten Stücke, enthalten jedoch detaillierte Informationen über die Programmstruktur eines Theaterabends vor. Einrichtungen populärer Unterhaltung, wie sie für die vorliegende Besprechung von Interesse sind, sind durch die Almanache nicht erfasst. Ein wichtiges Medium stellen hier die (illustrierten) Zeitungen aus dem genannten Zeitraum dar, Tages- und Wochenblätter für eine breite Leserschaft, aber auch theater- und kunstspezifische Ausgaben für den interessierten Laien. Im Laufe der Jahrzehnte wachsen die Anzeigenteile der Zeitungen, auf denen auch die Betreiber von Panoptiken, Panoramen oder Café 121 122
Ferdinand Roeder’s Theaterkalender. Berlin: Commissions-Verlag von W. F. Pfeifer. Deutscher Bühnen-Almanach, hg. von A. Entsch. Berlin. Vorhanden in der Handschriftenbibliothek der Staatsbibliothek Berlin, Haus Potsdamer Straße.
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chantants für sich werben. Für die Ermittlung der verschiedenen Facetten der Theater- und visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts sind demnach auch die Annoncen erste Auskunftsträger, denn sie spiegeln die Zusammenstellung der Repertoires und zeugen von einer hohen Varietät der Darbietungen und Programmgestaltung von Theaterbühnen und Unterhaltungseinrichtungen. Tages- und Wochenzeitungen sowie Theatermagazine des behandelten Zeitraums – darunter Vossische Zeitung, Illustrierte Zeitung, Gartenlaube, Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik sowie das Deutsche Theater-Album – sind bekanntlich einflussreiche Plattformen zur Diskussion von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, zur Besprechung von aktuellen Aufführungen, Theaterskandalen sowie vereinzelt der Kritik zu Theorie und Praxis von Theater und Drama. Es bleibt zu berücksichtigen, dass Artikel dieser Zeitungen nur singuläre Eindrücke komplexer zeitgenössischer Ereignisse sind. Vornehmlich Kritiken sind subjektiv, andere Berichte zuweilen ideologisch gefärbt oder willkürlich.123 Soweit aufgrund der Quellenlage möglich, sind die fachlichen und ideologischen Hintergründe der Autoren bei der Verwendung der Kritiken berücksichtigt.124 123
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Es bleibt bei den Kritiken jeweils zu berücksichtigen, ob die Kritiker sich als Theaterreformer oder Traditionalisten verstehen oder gar als Theateragenten Inhaber und Herausgeber des Publikationsorgans sind. vgl. etwa Birgit Pargner: Zwischen Tränen und Kommerz. Bielefeld 1999, S. 191. Schon zeitgenössisch wird die Berichterstattung durch die Theatermagazine kritisch beobachtet. Vgl. hierzu etwa den Vorwurf der »Coterie« an Journalismus und Theater-Direktoren durch Georg Köberle 1872: »Von den Anlässen, welche mitten unter einer an und für sich kerngesunden Regeneration des deutschen Volkslebens die verwahrloste Stagnation im Bereiche der dramatischen und theatralischen Kunst ermöglichen, ist die gänzlich demoralisirte TheaterJournalistik nicht als die letzte und geringfügigste zu bezeichnen. Wir meinen hiermit keineswegs bloß die Berichterstattung in den sogenannten Geschäftsund respective Schmutzblättern der Theater-Agenten, welche mit höchst seltenen Ausnahmen Lob und Tadel nicht etwa in Rücksicht auf die vorhandene Leistung spenden, sondern für Beides einzig und allein das Mißglücken oder Gelingen ihrer direct oder indirect versuchten Attentate auf die Börsen der zu Besprechenden als Maßstab wählen. Noch unheilvoller, als diese ziemlich allgemein durchschaute und daher nicht sehr einflußreiche Gattung von Wegelagerern, wirkt die literarische Cameraderie, welche unter den im Allgemeinen für ehrlich gehaltenen Theater-Berichterstattern für die bessern Journale vorherrscht. Fast unsere gesammte Theater-Kritik ist in ein heilloses Coterietreiben verrannt und agitirt nach dem Grundsatz: »Eine Hand wäscht die andere.« Georg Köberle: Die Theater-Krisis im neuen deutschen Reiche. Stuttgart: Neff 1872, S. 3f. Aufgrund dieser und weiterer Schriften zur Theaterfrage wurde er von seinen Anhängern »Dramaturgischer Lessing der Gegenwart« genannt. Siehe Eintrag »Köberle, Georg«, in: Wilhelm Kosch: Deutsches TheaterLexikon, Klagenfurt, Wien: Kleinmayr 1960, S. 1042. Paul Linsemann mahnt bereits 1897 den Auskunftsgehalt der zeitgenössischen Presse an: »Die Presse! Ist sie denn wirklich so mächtig? Die Direktoren glauben es, die Schauspieler glauben es. Aber vor allem: glaubt ihr das Publikum? Man erlebt da manchmal merkwürdige Dinge. Da lesen sie, wie der ganze Klüngel ein Stück lobt oder ein bestimmtes Theater- und es geht Niemand hinein. Und manchmal verreißen sie das Stück, daß dem Direktor am nächsten Morgen die Haare zu Berge stehen – und [am] Abend ist das Theater voll.« Paul Linsemann: Die Theaterstadt Berlin. Berlin: R. Taendler 1897, S. 9.
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Neben den genannten, weitläufig bekannten großen Zeitungen eignen sich für den hier fokussierten geographischen Raum eher lokalspezifische Blätter wie Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für die Geschichte Berlins und der Mark, der Berliner Compaß oder die Berliner Illustrierte Zeitung sowie Fremden- oder Stadtführer. Diese Organe liefern in ihren Empfehlungen für Stadttouristen wertvolle Informationen über das Unterhaltungsangebot Berlins und führen in die Mentalitätsgeschichte der Großstadtvergnügungen ein.
Zensur- und Polizeiakten Aus den Erträgen der bis hierher genannten Quellentypen ließ sich ein erster Überblick über die Theater und Unterhaltungseinrichtungen Berlins seit den sechziger Jahren erschließen, der bereits über die in den Theatergeschichtsbüchern genannten Spielstätten und Theaterprogramme weit hinaus geht. Ein differenziertes Bild vom Unterhaltungsangebot der Reichshauptstadt ergaben Recherchen im Landesarchiv Berlin. Vornehmlich die Preußische Theaterzensur-Bibliothek informiert detailliert über zur Aufführung gebrachte und verbotene Stücke in der Hauptstadt und gibt Auskunft über erteilte oder verwehrte Konzessionen für theatrale Aufführungen und Unterhaltungseinrichtungen. Die Theaterwissenschaftlerin Dagmar Walach bezeichnet die Berliner Theaterzensurbibliothek als »Speicherort und Gedächtnisraum all dessen, was zwischen 1851 und 1918 das Theaterleben der Reichshauptstadt unter dem stilbildenden Zensurstempel bestimmen sollte.«125 Das archivierte Material ist ein wertvoller Fundus für die historische Arbeit, indem es Auskunft über konkrete Aufführungsdaten, Gründe für etwaige Präventivzensur und nachträgliches Absetzen von Vorstellungen liefert und den Tenor im deutschen Reich spiegelt, wie Theater idealiter zu sein habe.126 Zensur- und Polizeiakten bilden einen Großteil der für diese Arbeit benutzten Quellenmaterialien. Sie sind für die vorliegende Untersuchung von enormem Gewicht, weil sie Einblicke in die Ökonomie, Produktion und Rezeption von Theater 125
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Dagmar Walach: »Das doppelte Drama oder die Polizei als Lektor. Über die Entstehung der preussischen Theaterzensurbibliothek«, in: Antonius Jammers, Dietger Pforte, Winfried Sühlo (Hg.): Die besondere Bibliothek oder: Die Faszination von Büchersammlungen. München: Saur 2002, S. 259-274. An dieser Stelle danke ich Dagmar Walach für ihre Hilfsbereitschaft bei den Recherchen für diese Arbeit in der Theaterwissenschaftlichen Bibliothek sowie der Theaterhistorischen Sammlung Unruh der FU Berlin. In der zeitgenössischen Theaterwissenschaft findet eine genauere Befragung von Zensurakten, der Zensur-Bestimmungen, ihrer Entstehung und Funktionalisierung im jeweiligen Zeitkontext nur in wenigen Fällen statt. Dies überrascht zunächst angesichts des quantitativ und qualitativ hochrangigen Auskunftsgehalts dieser historischen Dokumente, mag aber mit der Schwierigkeit zusammenhängen, dass die überwiegend handschriftlichen Dokumente auch aufgrund ihrer spezifischen Typographie nur schwer lesbar sind. Die Bibliothek der Zensur-Exemplare in Berlin wurde durch den preußischen Finanzminister Johannes Popitz über den Zweiten Weltkrieg gerettet. Vgl. Hans Knudsen: Deutsche Theatergeschichte. Stuttgart: Kröner 1959, S. 255. Der Bestand des Polizeipräsidiums Berlin wurde vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv in das Landesarchiv Berlin übernommen. Im Landesarchiv Berlin hat der Bestand die Bezeichnung A Pr.[eußisch] Br.[andenburgisches] Rep.[ositum] 030. Vgl. zur Zensur Martin Pagenkopf: Das Preußische OVG und Hauptmanns »Weber«. Bonn 1988, insbesondere Kapitel VIII, S. 81-89.
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der Zeit in einer Ausführlichkeit liefern, wie sie Almanache und Zeitungen nicht leisten. Zudem finden sich im Zensurarchiv unveröffentlichte Manuskripte von Theatertexten, die an keiner anderer Stelle zugänglich sind. Richtlinien für die Selektion des umfangreichen Materials waren zum einen Zeitraum und Ort der Untersuchung, ökonomische Aspekte, Fragen nach dem Unterhaltungsangebot und die Suche nach Hinweisen auf die Einbeziehung von Bildmedien oder die Verwendung von Bild-Begriffen in Stücktiteln, Klassifizierungen und Beschreibungen der Aufführungen. Die Auswertung dieser Quellenform ist nicht möglich ohne die Kenntnis der Hintergründe ihres Zustandekommens. Die nachfolgenden Abschnitte geben daher der Besprechung der Grundlage, Systematik und Praxis der spezifischen preußischen Theaterzensur Raum. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 sind theatrale Darbietungen, sofern sie nicht ein »höheres Kunstverständnis« pflegen, wie es im entsprechenden Gesetzestext (§32 der Reichsgewerbeordnung) heißt, als Gewerbe angesehen. Der Hauptanteil der Theaterinstitutionen Berlins, eine Mehrheit von 95 %, sind als Geschäftstheater eingestuft und unterliegen der polizeilichen Kontrolle.127 Ein Kultusministerium ist zu dieser Zeit noch nicht etabliert, ›Theaterangelegenheiten‹ fallen in den Zuständigkeitsbereich keiner speziellen Behörde. Vielmehr entscheiden Polizeipräsidien über die Aufführungserlaubnis von Theaterstücken, musikalischen und deklamatorischen Vorträgen oder lebenden Bildern. Der Polizeipräsident Carl Eduard von Hinckeldey initiiert mit seiner Theaterverordnung vom 10. Juli 1851,128 die bis November 1918 gültig bleibt, die präventive Theaterzensur. Diese Verordnung besagt, dass keine öffentlichen Unterhaltungen ohne explizite Erlaubnis des Königlichen PolizeiPräsidiums veranstaltet werden dürfen. Auf der Grundlage der Wertung von Theater als nationale Bildungs- und moralische Anstalt129 unterliegt das ge127 128
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Die königlichen Bühnen sind hiervon ausgenommen, weil sie offiziell reinen Kunstzwecken dienen. »Wenn, was Preußen und speziell Berlin anbelangte, das Wirken der Zensur recht spät zu einem Faktor wurde, mit dem zu rechnen war, so lag das einmal daran, daß die Zahl der Privattheater bis 1848 minimal war, zum anderen, daß eine präventive Zensur erst mit der Polizeiverordnung vom 10. Juli 1851 in der Hauptstadt eingeführt wurde. Nach der Bildung der Ministerien in Preußen (1808) waren die Theater der Aufsicht der Abteilung C (Kultus und öffentlicher Unterricht) des Innenministeriums, aber schon 1810 der Abteilung A (allgemeine Polizei) zugeteilt worden.« Gerhard Kutzsch: »Theaterzensur in Berlin«, in: Der Bär von Berlin, Folge 38/39, 1989, S. 205-218, hier S. 205. Die Einführung der 15 Paragraphen umfassenden Verordnung sei »für die Konservativen eine Notwendigkeit, für die Liberalen fortan ein Ärgernis,« so Kutzsch. Ebd., S. 207. »Erst wenn der Staat die hohe Bedeutung der Theater durch eine umfassend organisierte Gesetzgebung gewürdigt und den Grundsatz durchgeführt hat, daß die Theater ein moralisches Institut, eine Schule sind, wenn der Staat durch Gründung von Theaterschulen dafür Sorge getroffen hat, daß nur Gebildete die Bühne betreten dürfen und daß die sittliche Haltung der Schauspieler das gewährt, was jetzt Polizeiverordnungen vergebens anstreben, wenn endlich der Schauspieler auch äußerlich unabhängiger von den Launen des Publikums gestellt wird, dann wird die Bühne wieder ein reineres sittliches Leben erhalten, und der Staat wird sie als Hebel zur Beförderung der allge-
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samte Theaterwesen Berlins seit 1851 den 34 Paragraphen jener Verordnung. Im zweiten Paragraphen der Verordnung erhält Theater eine eigene, polizeiliche Definition: Zu den Theatervorstellungen im Sinne des § 1 dieser Polizeiverordnung werden insbesondere alle dramatischen, musikalischen, deklamatorischen, pantomimischen und plastischen Vorstellungen gerechnet, welche entweder in Kostümen oder in einem Lokale veranstaltet werden, welches mit Kulissen, Vorhang oder andren, dieselben ersetzenden Apparaten versehen ist, in welchen mehrere Personen als Darsteller auftreten.130
In einem weiteren Tagesbefehl vom 30. März 1898 sind Theatervorstellungen noch durch »theaterähnliche Vorstellungen« erweitert: Da es an unzweideutigen Bestimmungen darüber fehlt, inwieweit die auf Theaterund theaterähnliche Vorstellungen, sonstige Lustbarkeiten und andern Veranstaltungen bezüglichen Angelegenheiten von Abtheilung I oder II bearbeitet werden, erlasse ich unter Aufhebung aller bezüglichen entgegenstehenden Bestimmungen die nachstehenden Anordnungen, welche vom 1. April d. Js. ab in Kraft treten. 1. Unter Theater- und theaterähnlichen Vorstellungen im Sinne dieses Tagesbefehls werden solche Vorstellungen verstanden, bei denen Schauspiele nämlich Tragödien, Dramen, Lustspiele, Opern, Operetten, Ballets, Pantominen […] oder gesangs- und declamatorische Vorträge oder Schaustellungen von Personen oder sonstige in den Programmen der Specialitäten und Varieté-Bühnen üblichen Darbietungen (wie Projections-, Nebel- Kinematographen-Bilder, spiritistische Experimente u. dgl.) zur Vorführung gelangen.131
Die Erweiterung der Verordnung aus 1851 durch andere Formate der theatralen oder medialen Unterhaltung liest sich nicht nur als Indiz für deren weite Verbreitung und das konkurrierende Nebeneinanderexistieren von Theater und theaterähnlichen Darbietungen. Der Tagesbefehl informiert auch darüber, dass es im späten 19. Jahrhundert übliche Praxis ist, optische Experimente und Bildmedien in die Bühnenprogramme zu integrieren.
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meinen Sittlichkeit wie aller seiner Zwecke benutzen können, statt sie, wie jetzt, zu bekämpfen …« Hinckeldey zit.n. Maria Sommer: »Die Einführung der Theaterzensur in Berlin«, in: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte. Heft 14, Berlin 1956, S. 32-42, hier S. 41. Vlg. hierzu auch Kleefeld 1905, der formuliert, die »staatliche Fürsorge im Hinblick auf theatralische Darbietungen« liege »im Wesen« des Theaters und seiner Bedeutung für das »Geistige Volksleben« begründet. Theater sei gemäß dem Horazschen Dictum des aut prodesse volunt aut delectare poetae Unterhaltungsstätte und Bildungsinstitution. Kurt Kleefeld: Die Theaterzensur in Preußen. Berlin: Struppe & Winckler 1905, S. 5. Berliner Theaterverordnung vom 10. September 1851, §2, wiedergegeben u.a. in Fritz Schmidt: Die Theaterzensur und das Theater-Aufführungsverbot. München: Genschel 1931. Tagesbefehl vom 30. März 1898, eingebunden in: Acten des PolizeiPräsidiums zu Berlin, betreffend Tagesbefehle, 1864-1904; A Pr Br Rep. 030 Nr. Th 3. (Meine Hervorhebungen, NL)
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Die Theaterzensur ist präventiv, sie richtet sich also gegen Faktoren, welche als die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdend angesehen werden. Um Vergehen gegen die herrschende Ordnung aufzudecken, bedient sich das Polizeipräsidium eines Kontrollsystems, das die Überwachung ermöglicht. Zur Genehmigung einer Aufführung wird ein systematisches Prozedere entwickelt, und jeder Polizeibeamte wird angehalten, nach definierten Richtlinien und zeitlichen Abläufen vorzugehen.132 Zunächst reicht der Theaterunternehmer beim Königlichen Polizeipräsidium ein Gesuch zur Genehmigung der Aufführung ein, mit Angabe von Titel, Zeit, Ort und Eintritt der geplanten Veranstaltung. Wichtige Unterlage ist das Textbuch, oder, bei mimischen oder plastischen Darstellungen, eine genaue Beschreibung der beabsichtigten Darstellung133 (vgl. Abb. 1). Es obliegt den Beamten, Stellen im Textbuch oder den Ablauf des Programms zu ändern oder zu streichen. Ferner ist der Theaterdirektor verpflichtet, zu jeder Zeit Auskunft zur geplanten Aufführung zu erteilen und einen Beamten des Präsidiums zu einer Generalprobe zuzulassen. Textbücher und Beschreibungen sind stets in zweifacher Ausführung einzureichen – eines bleibt nach der Durchsicht im Präsidium. Bedingt durch diese Vorschrift verfügt das Berliner Zensurarchiv heute über 16000 Zensurexemplare, die den Historikern, mehr noch, als es die Bühnen-Almanache können, Auskunft darüber erteilen, was gespielt wurde – und was untersagt. Eine einzige Zensurakte besteht aus verschiedenen Schriftstücken, die sichtbar und verhandelbar werden lassen, was gegen die Verordnungen verstößt. Hierzu gehören Tagesbefehle an alle Abteilungen, Verordnungen, Zensurexemplare, Kommentare des Polizeipräsidenten oder Protokolle über Aufführungen durch einen Dienst habenden Beamten. Diese Koordinaten bilden das Überwachungsnetz der theatralen Unterhaltungen in Preußen, gesponnen durch die Akteure der königlich-preußischen Polizei. Ihre Untersuchungsschritte und Dokumentationen sind von enormem Wert für die historische Forschung, indem sie einen Einblick in die Idealvorstellungen von Theater, in die Mentalität der Zeit und in die Theaterproduktion gewähren. Eine einseitige Lesart verhindern schließlich die zeitgenössischen Gegenstimmen, die ihrerseits in den Akten verbleiben und angestrichen werden, namentlich Gegenstimmen der Presse, textliche oder bildliche Karikaturen der Polizei. Das Studium von Zensurakten und preußischen Polizei-Verordnungen vermag also Praktiken der Zensur, vor allem aber auch die eigentümliche Konvergenz unterschiedlicher Tendenzen in der Kultur jener Jahre nachzuzeichnen, wie sie Gary D. Stark umschreibt: [O]n the one hand, the growing importance of leisure, popular recreation, and mass entertainments made possible by a lightening of work time after 1880 and facilitated by the growth of a huge leisure industry; and, on the other, the relentless extension of bureaucratic government into more and more areas of life and the unprecedented growth of the state’s power over the minds and bodies of its citizens.«134
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Walach 2002, S. 261 Ebd., S. 263. Gary D. Stark: »Diplomacy by Other Means: Entertainment, Censorship and German Foreign Policy, 1871-1918«, in: John A. McCarthy, Werner von der
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Abb. 1: Tagesbefehl vom 12. Mai 1875. Abtheilung I: Gruppe D:/:Theater:/ Betrifft: Einsendung der Theaterstücke und Lieder zur Censirung in 2 Exemplaren [Abschrift] Die in § 5 der Polizei- Verordnung über öffentliche Theater-Vorstellungen in Berlin vom 10. Juli 1851 enthaltene Vorschrift, daß zur Veranstaltung einer öffentlichen Theater-Vorstellung die polizeiliche Genehmigung eingeholt und mit dem Gesuche das zur Aufführung oder zum Vortrage bestimmte Stück beziehungsweise Gedicht, bei musikalischen Veranstaltungen das Textbuch, bei mimischen und plastischen Vorstellungen eine genaue Beschreibung des Gegenstandes derselben, in zwei gleichlautenden Exemplaren dem Polizei-Präsidium eingereicht werden muß, ist in neuerer Zeit, namentlich seitens der Besitzer der kleineren Bühnen, nicht gehörig beobachtet worden, denn es ist nicht selten vorgekommen, daß auf letzteren Stücke zur Aufführung gelangten, insbesondere Lieder gesungen worden sind, welche dem Polizei-Präsidium niemals zur Prüfung unterbreitet worden waren; auch haben die Theaterunternehmer mehrfach darin den § 5 cit. zu entsprechen unterlassen, daß sie das zur Aufführung bestimmte Stück nur in einem Exemplar, nämlich dem Soufflirexemplar und zwar in nur kurzer Zeit vor dem in Aussicht genommenen Tage der ersten Vorstellung einreichten und auf diese Weise das Polizei-Präsidium in die unangenehme Lage brachten, entweder durch Einforderung eines zweiten Exemplars die Aufführung des Stückes an dem betreffenden Tage zu vereiteln oder ohne daß ein Exemplar des Stückes zurückbehalten werden konnte, letzteres zu genehmigen. Ohe (Hg.): Zensur und Kultur: zwischen Weimarer Klassik und Weimarer Republik. Tübingen: Niemeyer 1995, S. 123-133.
48 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Die Polizei-Reviere werden daher angewiesen, sorgfältig darüber zu wachen, ob die auf den Theatern ihres Bezirkes zur Aufführung gelangenden Stücke dem PolizeiPräsidium zur Prüfung eingereicht und genehmigt worden sind und jeden Contraventionsfall sofort zur Anzeige zu bringen, auch den betreffenden Theaterunternehmern in geeigneter Weise davon Kenntniß zu geben, daß eine Prüfung resp. Genehmigung der Stücke seitens des Polizei-Präsidiums in Zukunft stets erst dann erfolgen wird, wenn die Stücke in zwei gleichlautenden Exemplaren eingereicht worden sind. /: No. 1536 I. B. K. 645:/Berlin, den 7ten Mai 1875, Königl. Polizei-Präsidium
Gemäß der Idealvorstellung von der ›Schaubühne als moralische Anstalt‹ sind folgerichtig solche Darstellungen zu untersagen, die im Verdacht stehen, Bildung, Sitte, Moral und öffentliche Ordnung zu gefährden.135 (Bei der Beurteilung handelt es sich realiter um eine subjektiv gefärbte Einschätzung und Vorhersehung der möglichen Wirkung: Nicht so sehr der Inhalt ist Gegenstand der Zensur, sondern die zu erwartende Wirkung auf das Publikum). Neben der Überprüfung des moralischen und sittlichen Gehalts untersucht der Zensor136 die eingereichten Unterlagen auf Sicherheit sowie gewerbepolizeiliche Bestimmungen. Solcherart geprüft, behält die Zensurbehörde eines der eingereichten Exemplare zurück und lässt Repräsentanten der Polizei, unerkannt in zivil, am Abend der Vorstellung über die peinlich genaue Einhaltung der genehmigten textlichen Vorlage wachen und Protokolle anfertigen.137 Hinckeldeys Theatergesetz wird richtungsweisend für ganz Preußen und setzt »polizeiliche Willkür praktisch ins Recht.«138 So werden denn auch immer wieder Beschwerden laut, welche die mangelnde fachliche Kompetenz der Polizeibeamten hinsichtlich Kunst- und Theaterverständnis anprangern und ein künstlerisches Gremium, bestehend aus Dramatikern und Kritikern, einfordern.139 Auch wird insbesondere um die Jahrhundertwende die juristi135
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Vgl. hierzu weiter Kutzsch 1989, S. 207. »In Preußen war es grundsätzlich nicht zugelassen, daß Mitglieder des Hohenzollern-Hauses ohne besondere Genehmigung auf die Bühne gebracht wurden, Auch biblische Stoffe sollten ausgeschlossen bleiben oder von besonderer Genehmigung abhängig sein. Schon die ›mutmaßliche‹ Wirkung im Sinne der Zensur-Befürchtungen konnte zu dem Verbot führen.« Knudsen 1959, S. 254. In Berlin zeichnet bis zur Aufhebung der Zensur 1918, dem Jahr, in dem die Zensur aufgehoben wurde, Oberregierungsrat von Glasenapp als Zensor Preußens verantwortlich. Hier ist zu ergänzen, dass manche Stücke oder Aufführungsvorhaben in einer Stadt erlaubt, in einer anderen verboten wurden, was häufig für Unmut sorgte. Die wissenschaftliche Untersuchung dieser Differenzen wäre eine wertvolle Forschungsaufgabe für die deutsche Theatergeschichte. »Improvisierte man in den Stücken, so konnte es geschehen, daß der anwesende ›getarnte‹ Beobachter der Preußischen Theaterpolizei in seinem Aufführungsbericht Dinge vermerkte, die zur unausweichlichen Absetzung des Stückes führten […].« Thilo Zantke: Der Berliner Prater. Streiflichter aus der Geschichte einer Freizeit- und Vergnügungsstätte. Berlin: Kreiskulturhaus Prater 1987, S. 61 Walach 2002, S. 264. Ludwig Nelten schreibt 1892 in seiner Dramaturgie der Neuzeit: »Eine Censurthätigkeit der P o l i z e i ist natürlich ebenso lächerlich wie gefahrbringend: aus dem einfachen Grunde, weil dem niedern, in beschränktem Gesichtskreise aufgewachsenen Verwaltungsbeamten, dem obendrein in den
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sche Grundlage der Theaterzensur angezweifelt und ihre Rechtsgültigkeit auf verschiedenen Plattformen diskutiert.140
Bildquellen Eine Untersuchung der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts kommt schließlich nicht ohne die Betrachtung von Bildern als Quellen aus. Die Komplexität des Themenfelds erfordert die Konsultation von heterogenen Bildtypen wie etwa Lithographien, (Werbe-)Plakaten, Kunstbildern, Panorama- und Dioramabildern, Fotografien, Stereobildern und Zeichnungen. Die für die vorliegende Untersuchung benutzten Bildmaterialien stammen aus den Tages- und Wochenzeitungen (insbesondere Illustrierte Zeitung und Gartenlaube), Reiseführern, Programmheften und Theaterzetteln der Zeit sowie aus der angegebenen Sekundärliteratur. Ebenso wie bei schriftlichen Quellen ist auch bei der Verwendung von Bildquellen ein kritischer Umgang mit dem Material geboten. Fragen nach Zweck, Publikum und Autor, aber auch nach den Produktionsbedingungen der Bilder (Technik, Distribution) sind hier notwendig.141 Auch wenn innerhalb der Geschichtswissenschaft die Akzeptanz von Bildern wächst,142 sind Bilder als Quellen in der historischen Forschung noch immer als zweitrangige Auskunftsträger angesehen. Dies mag zum einen mit der Überlieferungssituation von Bildern zu begründen sein: So sind beispielsweise (Zeitungs-)Illustrationen häufig losgelöst vom ursprünglichen Kontext überliefert, seinerzeit populäre Bilder nicht selten von Gebrauchsspuren gezeichnet oder nur rudimentär erfasst. Zum anderen besteht die Schwierigkeit, einen verschiedene Bildtypen umfassenden methodischen Zugang zu ikonographischen Dokumenten zu bestimmen. Bilder als Quellenmaterial können grob in direkte und indirekte Dokumente unterteilt werden.143 Während etwa die direkten Bilddokumente eindeutigen Bezug zu einem historischen oder theatralen Ereignis nehmen (z.B. die Fotografie einer Auffüh-
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weitaus meisten Fällen jede höhere Vorbildung fehlt, die nöthige Einsicht, das unumgängliche Verständnis für die Ziele der dramatischen Dichtkunst abgeht. Die Praxis der Herren beweist diese Behauptung!«. Ludwig Nelten: Dramaturgie der Neuzeit. Essays und Studien über das moderne Theater. Halle a.S.: H. Peter 21892, S. 146. Sich auf Artikel 27 der deutschen Verfassung berufend, argumentieren Kritiker der Zensur, diese widerspräche dem Gesetz der Meinungsäußerung. Es wäre sicherlich ein ertragreiches Unternehmen, dieses Kapitel der Zensurgeschichte, die zeitgenössischen Anfechtungen und öffentlichen Diskussionen der Legitimität der Zensur eingehend zu besprechen. Siehe zur Anfechtung der Rechtsgültigkeit u.a. Robert Heindl: Die Theaterzensur. Wolfratshausen: Schwankl 1907; Paul Lohkamp: Das Recht der Theaterzensur in Preußen. (Diss. Univ. Greifswald) Greifswald: Abel 1916. Es liegen nur wenige Studien zur Kritik und methodischen Verfahrensweise mit Bildquellen vor. Eine ausführliche Besprechung der methodischen Probleme liefert Peter Burke in seiner Publikation Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen. Berlin: Wagenbach 2003. »[T]he history of the production and reception of images and the status and experience of the visual has started to become part of the historian’s legitimate domain of inquiry.« Schwartz/Przyblyski 2004, S. 6. Vgl. zu dieser Differenzierung innerhalb der Theaterikonographie als Zweig der Theaterwissenschaft u.a. Robert L. Erenstein: »Theatre Iconography: An Introduction«, in: Theatre Reseach International 22, 1997, S. 185-189.
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rung), verweisen indirekte Dokumente nur mittelbar auf ein Ereignis, geben nur eine Vorstellung des realen Geschehens (z.B. Zeichnungen, Plakate). Bedingt durch den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit und die technischen Möglichkeiten, dominieren unter den Bildmaterialien indirekte Dokumente. Nur singulär dienen direkte Bilddokumente in Form von Fotografien, die reales Geschehen unmittelbar abzubilden vermögen, als Referenz. Dieses ›referentielle Dilemma‹144 der Mehrzahl ikonographischer Quellen erfordert neben einer primären Sichtung der Bilder ihre sozial-, kulturund gegebenenfalls kunstgeschichtliche Kontextualisierung und die ergänzende Einbeziehung textlicher Informationen.145 Hierzu gehört die Beachtung der jeweiligen künstlerischen oder medialen Konventionen und Darstellungsmodi, des Authentizitätsgehalts des dargestellten Inhalts und schließlich der (zeitgenössischen) Funktion, Rezeption und ›Lektüremöglichkeiten‹ der Bilder.
Vorgehensweise Der Hauptteil dieser Studie orientiert sich zunächst in den einzelnen Bestandteilen des Untersuchungsfelds, der visuellen Kultur (Kap. 1) und des Theaters (Kap. 2) im entsprechenden Zeitraum, die dann mit Hilfe ausgewählter Beispiele im Hauptkapitel zusammengeführt werden, um die Interrelation von Theater und visueller Kultur genauer zu erörtern (Kap. 3). Neben der Überschreitung disziplinärer Grenzen ist aus pragmatischen Gründen auch die Eliminierung epochaler oder auch kanonischer Beschränkungen notwendig. In der Unterwanderung hierarchischer Grenzen zwischen ›high‹ und ›low‹ in Kunst, Literatur oder Kultur folgt diese Arbeit den beschriebenen Ansätzen der Visual Culture: Die im Verlaufe noch näher vorzustellenden Beispiele aus dem Untersuchungsfeld visuelle Kultur und Theater entziehen sich ob ihrer Heterogenität und Komplexität konventionellen theater-, literatur- und kunstgeschichtlichen Kanonisierungen – weshalb sie bis dato nicht systematisch erfasst, zu Nebenschauplätzen oder aus dem disziplinären Gedächtnis gelöscht wurden. 144
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Vgl. hierzu Christopher Balme: »Interpreting the Pictorial Record: Theatre Iconography and the Referential Dilemma«, in: Ebd., S. 190-201. Ein »referential dilemma« wirft Fragen auf wie »Do such pictures index a ›theatrical reality‹, an actual performance, or are they the product of iconographical codes, largely divorced from theatrical practice?« Ebd., S. 190f. Die dreistufige Annäherung an Bilder hat Erwin Panofsky als ikonographischikonologische Methode in der Annäherung an (künstlerische) Bilder in die Kunstgeschichte eingebracht. Sie besteht im Grunde aus drei Phasen, nämlich der vor-ikonographischen Betrachtung (die primäre, unvoreingenommene Beschreibung von Bildern), der ikonographischen Analyse (der (zeitgenössische) Betrachter erkennt aufgrund seiner Quellenkenntnis und seines Kunstwissens die Bedeutungen, Themen und Vorstellungen hinter den dargestellten Motiven) und schließlich der ikonologischen Analyse (aus einer (zeitlichen) Distanz wird der zeitliche, kulturelle und der Bedeutungszusammenhang der Darstellung eruiert). Erwin Panofsky formuliert dieses methodische Modell in unterschiedlichen Publikationen, darunter e.g. in Studies in Iconology. Humanistic Themes in the Art of the Renaissance. New York: Oxford University Press 1939.
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In Kapitel 1, Visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts, sind diejenigen Bildmedien und Institutionen des Visuellen vorzustellen, die sowohl zeitlich, inhaltlich als auch hinsichtlich visueller Inszenierungsstrategien und Ästhetik Berührungspunkte mit Theater zwischen den sechziger und neunziger Jahren aufweisen. Dieses Kapitel stellt die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts anhand zahlreicher Beispiele und Bildmaterialien in ihrer Heterogenität vor. Dies geschieht gleichermaßen durch die Erörterung von Teilaspekten, dem Zusammenwirken der visuellen Phänomene und der Berücksichtigung des jeweiligen zeitlichen Kontexts. Ziel dieses Abschnittes ist es, ›visuellkulturelles‹ Wissen zu schaffen, das für die konkretere Besprechung des Verhältnisses von Theater und visueller Kultur im Hauptkapitel eine entscheidende Grundlage bildet. Kapitel 2 dieses Buches, Theater-Varietät. Ökonomie und Heterogenität theatraler Unterhaltung zeichnet mit Hilfe unterschiedlichen Quellenmaterials, das von der theatergeschichtlichen Forschung bislang weitgehend unbeachtet blieb, Facetten der Ökonomisierung von Theater, Folgen der Einführung der Gewerbefreiheit für die Berliner Bühnen sowie die Differenzierung der Theater und ihrer Programmdramaturgie nach. Zugleich dient dieser Abschnitt dem Entwurf eines Überblicks über die Theaterformate und Spielpläne der populären Theaterhäuser, über die aufgrund der skizzierten mangelnden Grundlagenforschung zum Theater im 19. Jahrhundert nur wenige Informationen vorliegen. Ein besonderes Gewicht liegt auf den kritischen Schriften der Zeit, welche die »Theaterfrage«, die »Krise« des deutschen Theaters und die Veränderung von Geschmack und Bedürfnissen des Publikums diskutieren. Diese Ausführungen sind für die vorliegende Studie zu Theater und visueller Kultur wesentlich, weil sie die Auswirkungen der Konkurrenz zwischen Theatern, aber auch zwischen Theater und visueller Kultur aus einer kritischen Perspektive beleuchten und damit ex negativo Auskunft über deren Wechselwirkung geben. Ferner wird in diesem Abschnitt die Frage nach den ›Qualitäten‹ des Schauens vor dem Hintergrund zeitgenössischen Quellenmaterials des 19. Jahrhunderts diskutiert. Walter Benjamin sieht die zerstreute Wahrnehmung in der Massenkultur und die für die Betrachtung von Kunst notwendige Sammlung als unvereinbar an. Hingegen plädiert Jonathan Crary in Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur (2002) für eine Reziprozität dieser vermeintlichen Gegenspieler. ›Aufmerksamkeit‹ und ›Zerstreuung‹, so Crary, seien in Bezug auf ihre Wechselseitigkeit und je zeitgenössische Verwobenheit mit den sie konstituierenden Normen und Praktiken zu hinterfragen.146 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird zu zeigen sein, dass die ›Spezifizität‹ des Theaters, Fragen danach, wie Theater zu sein habe, welche ästhetischen Kriterien und welche gesellschaftlichen Aufgaben es zu erfüllen habe, während des 19. Jahrhunderts diskutiert werden. Diese Diskussionen stehen in ständigem Widerstreit zu einer Theaterpraxis, die sich nachgerade durch eine permanente Integration, Umwandlung und Zitierung anderer Medien, Künste und Unterhaltungsformen präsentiert. Diese Varietät ge146
»Meine These ist jedoch, daß die moderne Zerstreuung nur durch ihre reziproke Beziehung zum Aufkommen bestimmter Normen und Praktiken der Aufmerksamkeit verstanden werden kann.« Crary 2002, S. 13.
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nauer zu bestimmen und die von der Kritik abwertend als »Krise« und »Theaterfrage« bezeichneten Veränderungen im Theater als quantitativen Aufschwung in der Theaterpraxis zu durchleuchten, ist ein wesentliches Anliegen dieses Abschnittes. Das Hauptkapitel 3, Mise en Scène und Dramaturgie der Bilder, untersteht schließlich der Hauptfrage, ob und auf welche Weise deutsches Theater und visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts in einem Wechselverhältnis stehen. Die Annäherung an das Quellenmaterial folgt dabei dem innerhalb der Intermedialitätsforschung entworfenen Erklärungsmodell für die Beziehung von Medien zueinander, nämlich dem Verständnis von Intermedialität als Co-Existenz verschiedener Medien (Multimedialität), als Transformation von Themen eines Mediums in ein anderes (Medienwechsel) sowie als Übernahme medialer Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen. In Anlehnung an dieses Modell untersucht dieses Kapitel erstens die Integration visueller Medien in die Spielpläne, Programme und Aufführungen, zweitens die Übernahme von Inhalten der (in Kapitel 1 vorgestellten) Bildmedien in die Bühnen-Programme oder Theatertexte, und drittens die Übernahme medialer und Konventionen der visuellen Institutionen in die Produktionsästhetik und Wahrnehmung von Theater. Die in Kapitel 2 angerissene Varietät der Berliner Theater und Theaterprogramme wird im Unterkapitel Theaterbilder – Bildertheater. Zur ›Multivisualität‹ der Bühnen, aufgegriffen. Als strukturelle Gemeinsamkeit verschiedener Genres betont Rainer Ruppert für das deutsche Theater im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert die zunehmende Bedeutung und Opulenz sinnlichoptischer Präsentationsmittel sowie die Verselbständigung sinnlich-spektakulärer Materialien als eigenständige Attraktionswerte.147 Dies lässt sich in ausgeprägter Form auch im späten 19. Jahrhundert beobachten, was dieses Kapitel herauszuarbeiten beabsichtigt. Es soll gezeigt werden, inwiefern sich Theaterprogramme und teils die Szenographie an Medien und visuellen Institutionen orientieren. Vor allem gilt es jedoch – vor dem Hintergrund von Meisels Idee einer Piktoral-Dramaturgie – an ausgewählten Beispielen Spielarten des ›Bildes‹ im theatralen Kontext aufzuzeigen und die jeweiligen BildBegriffe näher zu bestimmen. Produktion und Rezeption von Medien und Bildern sind nicht nachvollziehbar ohne die enge Verflochtenheit der Medien und visuellen Institutionen mit dem jeweiligen zeitgebundenen gesellschaftlichen Kontext. Entsprechend werden in den Teilkapiteln Bilder des Krieges: ›Rückblicke‹ auf 1870/71 und Kolonien im Blick: Schauplätze deutscher ›Fremden-Bilder‹ auf der Grundlage zweier großer Themenkomplexe des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts konkrete Beispiele bearbeitet. Die Selektion dieser Exempel resultiert aus ihrer beispielhaften Verschränkung von Theater, Bildmedien und visuellen Institutionen sowie ihrer gesellschaftlichen Brisanz, welche die Themen zur Entstehungszeit sozusagen ›dramaturgisch tauglich‹ werden lassen, weil sie ein Massenpublikum ansprechen.
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Rainer Ruppert: Labor der Seele und Emotionen: Funktionen des Theates im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Berlin: Ed. Sigma 1995, S. 166f.
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So überschreibt Bilder des Krieges die mediale und theatrale Visualisierung des Deutsch-Französischen Krieges und die Darstellung deutscher Geschichte mit Hilfe ›piktoraler‹ Strategien. Das Kapitel Kolonien im Blick, behandelt Produktion und Rezeption von Bildern des afrikanisch Fremden innerhalb der deutschen Kolonialzeit und zeigt die Funktionalisierung des Visuellen zur Sichtbarmachung kultureller Differenz auf. Die genannten Hauptkapitel folgen stets dem gleichen dreistufigen Aufbau: Auf eine Einführung in den jeweiligen Themenkomplex folgt eine detaillierte Anschauung der Medien und Institutionen der visuellen Kultur und des Theaters der Zeit sowie eine Erörterung der jeweiligen Produktion und Rezeption eines thematischen Bildrepertoires. Von ausgesuchten theatralen Darbietungen und Stücken ausgehend werden die in Einzelportraits vorgestellten Bezüge von visueller Kultur und Theater schließlich zusammengeführt. Es wird zu zeigen sein, dass sich Theater, verstanden als »Seh- und Kulturmodell«, in dem sich die »für die Epoche jeweils wichtigen Sehgewohnheiten, Körperpraktiken und diegetischen Bedürfnisse«148 manifestieren, auch im 19. Jahrhundert als ein Experimentierfeld visueller Kultur erweist. Sämtliche, in diesem Hauptkapitel zu behandelnden Beispiele sind in den Theatergeschichten nicht besprochen und häufig nur spärlich dokumentiert. Ihre kontextgebundene Betrachtung ist daher unverzichtbar. Das nachfolgende, diese Einleitung abschließende Teilkapitel Im Fokus: Berlin fungiert gleichsam als Brücke zwischen den bislang umrissenen theoretisch-methodischen Aspekten der vorliegenden Studie und ihrer praktischen Durchführung. Die Untersuchung der Theater- und visuellen Kultur in Deutschland erforderte, wie bereits erwähnt, eine sowohl zeitliche als auch örtliche Fokussierung. Für die vorliegende Studie steht Berlin im Zentrum der Betrachtung, der behandelte Zeitraum umfasst ungefähr drei Jahrzehnte, von den späten sechziger Jahren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die neue Rolle Berlins als Hauptstadt des Deutschen Reiches beurteilen zeitgenössische Beschreibungen, entnommen so unterschiedlichen Texttypen wie Zeitungen, Lebenserinnerungen und Reiseführern, welche als Materialbasis für den nachfolgenden Abschnitt dienen, ambivalent.149 Gerade diese Heterogenität der Lesarten aber ermöglicht die notwendige kritische Distanz aus der Sicht des Forschenden. Die Verzahnung von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren machen Berlin auch und besonderes für die Untersuchung deutschen Theaters und visueller Kultur im 19. Jahrhundert zu einem Präzedenzfall.
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So nennt es Christopher Balme: »Zwischen Artifizialität und Authentizität. Frank Wedekind und die Theaterfotografie«, in: Andreas Kotte (Hg.): Theater der Region – Theater Europas. Basel: Ed. Theaterkultur-Verlag 1995, S. 175187, hier S. 185. Dabei fungieren die Erörterungen in Geschichtsbüchern und Monographien der Stadt hier nur als Orientierungslinien. Dieses Kapitel beansprucht keineswegs, eine Ergänzung zur Politikgeschichte des Deutschen Reiches zu sein, sondern zieht von den bekannten Eckdaten ausgehend die bislang nur marginal vorhandenen Fäden zur Theater- und Unterhaltungsgeschichte Berlins.
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I m F o k u s: B e r l i n »Nach Überzeugung des Kaisers bot die Hauptstadt des Deutschen Reiches zu wenig kulturelle Erbauung und viel zuviel Gosse. Als Paradebeispiel galt ihm die Berliner Theaterszene.«150
Berlin als Reichshauptstadt Die »ohne Zweifel […] physiognomieloseste und häßlichste unter den größeren Städten Deutschlands« […], gleichzeitig »die arbeitsamste und lebendigste«151 wird 1871 zur Hauptstadt des Deutschen Reiches ernannt: Berlin, ehemals provinzielle königliche preußische Residenzstadt, wird zum Zentrum des politischen und kulturellen Lebens unter Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck. Der Ernennung gehen bekanntermaßen weitere Ereignisse voran: Der Sieg der Koalition deutscher Staaten unter Preußens Führung im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, die Begründung des Deutschen Reiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles sowie die Verabschiedung der neuen Staatsverfassung am 16. April desselben Jahres durch die süddeutschen Staaten und den Norddeutschen Bund. Das Kriegsende und die Gründung des neuen Reiches sind nicht allein Ausschlag gebend für den Aufschwung Berlins, denn bereits zuvor werden
Abb. 2: »Die Kaiserstadt aus der Vogelschau. Nach der Natur aufgenommen von Adolf Eltzner«. (Gartenlaube, 19. Jg., Nr. 28, 1871) 150 151
David Clay Large: Berlin. Biographie einer Stadt. München: C. H. Beck 2002, S. 76. Karl Scheffler: Berlin. Ein Stadtschicksal. Berlin: Reiss 21910, S. 235.
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zahlreiche Weichen für die Aufwärtsentwicklung gestellt. Das rapide Wachstum Berlins beginnt mit den Anfängen der Industrialisierung in den dreißiger Jahren, welche die Stadt zum attraktiven Wunschziel für zahlreiche Einwanderer macht.153 Dennoch beschleunigt die beträchtliche Kriegskontribution, die Frankreich nach seiner militärischen Niederlage 1871 an Deutschland zu zahlen hat, die wirtschaftliche Prosperität in besonderem Maß. Fünf Milliarden Goldmark, die Anfang der siebziger Jahre in den Staatshaushalt fließen, ermöglichen den einzelnen Ländern die Rückzahlung von Kriegsanleihen und Staatsschulden.154 So wird das neue Reich »mit einem goldenen Löffel im Mund geboren«, wie David Clay Large in seiner Biographie Berlins bemerkt,155 wobei der Profit für die neue Hauptstadt am höchsten ist. Neben der Kriegsentschädigung bilden jedoch weitere gewichtige Faktoren den Grundstein für die erstarkende Konjunktur.156 Die Expansion unterschiedlicher Wirtschaftszweige wird wesentlich auch mitbestimmt durch die Auflösung bis dato noch gültiger Binnenzölle und eine stetige Verbesserung der Infrastruktur, die Vereinfachung von juristischen Bestimmungen in Bezug auf das Walten von Banken und Aktiengesellschaften (bis 1872 entstehen 174 neue Aktiengesellschaften). Industrialisierung und Aufschwung der Großstadt sind eng miteinander verzahnt, funktionieren im Wechselspiel. Unmittelbar nach 1871 etablieren sich zahlreiche Unternehmen in Berlin oder verlagern ihren Geschäftssitz dorthin.157 Die Flucht der Arbeit suchenden Landbewohner aus dem Umkreis 152
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»Der deutsch-französische Krieg und die Reichsgründung wären ohne den vorherigen Aufschwung der deutschen Wirtschaft, vor allem der Schwerindustrie des Ruhrgebietes und Oberschlesiens, ebensowenig möglich gewesen wie ohne die Finanzhilfe der Berliner Disconto-Gesellschaft, des Berliner Bankhauses Bleichröder und der übrigen Berliner Großbanken.« Franz F. Wurm: Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland 1848-1948. Opladen: Leske 21975, S. 87. »In 1871 Berlin had become the capital of a united Germany, but prior to this it had begun a period of rapid growth as a consequence of industrialization, which had begun in the 1830s and subsequently attracted an ever-increasing flow of immigrants, mostly from the east. Between 1800 and 1900, Berlin’s population increased from 170,000 to nearly 2 million, at the peak of the city’s growth, between 1871 and 1919, the population of Greater Berlin quadrupled, from 915,000 to 3,7 million. This phenomenal tempo of development and the surge of construction it generated made Berlin the most modern city in Europe – a decidedly mixed blessing.« Charles W. Haxthausen, Heidrun Suhr (Hg.): Berlin: Culture and Metropolis. Minneapolis, Oxford: University of Minnesota Press 1991, S. xv. Vgl. Ruth Glatzer: Berlin wird Kaiserstadt. Panorama einer Metropole 18711890. Berlin: Siedler 1993, S. 85. Large: 2002, S. 32. »Gefördert wird der wirtschaftliche Boom nicht nur durch die französischen Milliarden, die den deutschen Kapitalmarkt überfluten, sondern auch durch die Aufhebung des Konzessionszwangs für Aktiengesellschaften. Bis zum Juni 1871 war die Gründung von Aktiengesellschaften von der Genehmigung durch den preußischen Staat abhängig gewesen, und die wurde nur selten erteilt. […] Alteingesessene, renommierte Firmen wie Wöhlert, Egells, Schering oder Ludwig Loewe verwandeln sich in Aktiengesellschaften und nutzen das zufließende Kapital zur Erweiterung und Modernisierung ihrer Betriebe.« Glatzer 1993, S. 86f. Vgl. hierzu auch Large 2002, S. 32. Vgl. Glatzer 1993, S. 88f.
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in die Stadt ergibt sich als logische Konsequenz aus dem wachsenden Arbeitsmarkt und der Bündelung von Stätten industrieller Produktion in der Großstadt, was sich auch auf die Bevölkerungsstatistik auswirkt.158 Die kommunale Entwicklung Berlins war in dieser Zeit von einem raschen Bevölkerungszuwachs bei annähernd gleichbleibendem Stadtgebiet, 1881 betrug es 63 km2, gekennzeichnet. Die Einwohnerzahlen stiegen von 826341 im Jahre 1871 auf über eine Million 1877 und 1678794 im Jahre 1890. Die Metropole hatte die Wirkung eines Magneten. In keine andere Stadt des deutschen Kaiserreiches ergoß sich nach 1871 ein solcher nicht abreißender Strom von Zuwanderern.159
Der wirtschaftliche Aufschwung zu Beginn der Reichsgründung ist auch gekoppelt an einen zukunftsgläubigen Optimismus, der aus den (ein nationales Einheitsgefühl stiftenden) Faktoren der Zusammenlegung der deutschen Teilstaaten und dem Sieg über Frankreich resultiert. Hinzu kommen der Ausbau von Außenhandelspositionen sowie der Erwerb von Kolonien in den achtziger Jahren. Gebremst wird die Entwicklung schon zwei Jahre nach der Reichsgründung infolge des »Schwarzen Freitags« vom 9. März 1873, der das gesamte Reich betrifft. 1874 geht die Börsenkrise über in ein Jahr der Produktions- und Absatzkrise, die erst Ende des Jahrzehnts wieder nachlässt. Damit einher gehen Veränderungen im Produktionsprozess, welche wiederum nicht ohne die zunehmende Technologisierung zu denken sind: »Nur wer rationell produzieren kann, hat eine Chance auf dem Markt. Der Übergang von handwerklicher Einzelfertigung zur industriellen Serienproduktion gewinnt an Tempo«, merkt Ruth Glatzer in ihrer Studie über Berlin als »Kaiserstadt« an.160 Verbesserung der Infrastruktur und Erhöhung der Mobilität durch die Erschließung neuer Verkehrswege gehören zu den folgenreichsten gesellschaftlichen Wandlungen im 19. Jahrhundert. Für Berlin bedeuten Maßnahmen wie der Bau der Stadtbahn, der Ausbau von Kanalisation und Straßenbeleuchtung sowie die Errichtung repräsentativer Bauten einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Metropole. Dies reflektiert auch die Gartenlaube in einer Ausgabe des Jahres 1874: Noch vor gar nicht so langer Zeit trugen die Straßen Berlins fast durchweg den Charakter tödtlicher Nüchternheit und echtester Kleinstädterei. Erst neuerdings und Hand in Hand mit dem Erwachen des nationalen Selbstgefühls ist auch der Sinn für schöne und der deutschen Residenz würdige Bauten erwacht, welcher in einer großen Reihe schnell hintereinander entstandener Werke seinen Ausdruck fand.161
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Diese Entwicklung des Städtewachstums ergreift nach und nach auch die Städte anderer industrialisierten Länder. Siehe hierzu e.g. Jürgen Paul. »Großstadt und Lebensstil. London und Paris im 19. Jahrhundert«, in: Monika Wagner (Hg.): Moderne Kunst. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1991, S. 50-74, hier S. 51. Berlin 1871-1945. Ausst.-Kat. des Museums für deutsche Geschichte Berlin. Berlin 1987, S. 5. Glatzer 1993, S. 104. GL, 22. Jg., Nr. 48, 1874, S. 781.
EINLEITUNG | 57
Zum infrastrukturellen Ausbau, der auch den Bewohnern des Stadtrandes den Kontakt zur Hauptstadt ermöglicht, kommt ein höheres Pensum an Freizeit für jeden Einzelnen, was sich auch in einem steigenden Unterhaltungsbedarf niederschlägt. Die rasche Ausdehnung der heranwachsenden Großstädte trifft auf ein gesteigertes Amüsierbedürfnis der Großstadtbewohner.162 Friedrich Freiherr von Khaynach vermutet 1893 gar, dass Berlin mit der Zeit zu einem »Brennpunkt« geworden sei, aufgrund vieler »fähiger Leute« sowie wegen des Vergnügungsangebots und -interesses der Stadtbewohner.163 In der steigenden Nachfrage an Freizeitunternehmungen wittern Berliner Aktiengesellschaften und Unternehmer Profit und betrachten auch Theater und Unterhaltungseinrichtungen fortan als potentielle Spekulationsobjekte. Dieses Zusammenwirken von Ökonomie und Unterhaltung erweist sich als fundamental auch für das Theater- und Unterhaltungswesen dieser Zeit (vgl. Kap. 2). Theater und Bühne der Gründerzeit partizipieren an den expansiven Tendenzen, die die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung kennzeichnen. Die Expansion auf dem Gebiet des Theaters ist umgreifend und erstreckt sich auf dramatischen Autor, Theaterinstitution und -organisation sowie Publikum gleichermaßen. Die Theaterlandschaft erfährt dadurch eine weitgehende und folgenreiche Umstrukturierung.164
Metropolisierung qua Amüsement Wirtschaftswachstum und Industrialisierung, Vergrößerung der Stadt und infrastrukturelle Optimierung stellen hohe Anforderungen an die junge Hauptstadt. Der Imagewechsel von einer »entschieden spartanischen und rustikalen Lebensart«165 hin zu einer kosmo-politischen, urbanen Lebenskultur erweist sich als unumgänglich. Dieser Wandel vollzieht sich jedoch keineswegs automatisch durch die Ernennung allein, sondern fußt auch auf einer gezielten Umfunktionierung. Neben dem (lokal-)patriotischen Jubel über den Sieg der deutschen Truppen und die Hauptstadtfrage lenken andere Zeitgenossen den prüfenden Blick auf Berlin als sich in Windeseile selbst konstituierende 162
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»Es ist eigenartig, wie schnell dieser weitverbreitete Zweig der Vergnügungsindustrie in knapp 50 Jahren völlig in Vergessenheit geraten konnte.« Hannes König und Erich Ortenau: Panoptikum. Vom Zauberbild zum Gaukelspiel der Wachsfiguren. München: Isartal 1962, S. 70. gl. Hierzu auch Howaldt 1994: »Mit dem Leben in der von Industrie und Dienstleistungsgewerbe geprägten Großstadt verlagerte sich das Freizeitbedürfnis von der Familie in die Öffentlichkeit. Dem suchten die hier entstehenden zahlreichen Erholungs-, Vergnügungs- und Kulturstätten, vor allem Gartenlokale, in denen Familien Kaffee kochen konnten, Weißbier ausgeschenkt, Tanz und allerlei Attraktionen geboten wurden, zu entsprechen.« Martina Howaldt: »Der ›Berliner Prater‹«, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des LA Berlin. Berlin: Siedler 1994, S. 133-151, hier S. 133. »Das Theater hat einen ganz außerordentlichen Aufschwung genommen, die Musik kann es mit jeder andern Musikstadt aufnehmen, die Baukunst ist freilich noch ziemlich jämmerlich und in Berlin ist es auch wie in allen modernen, allzu rasch großgewordenen Riesenstädten Sitte, die wildeste Stil- und Geschmacklosigkeit mit billigem Putz zu verbrämen.« Friedrich Freiherr von Khaynach: Anton von Werner und die Berliner Hofmalerei. Zürich: VerlagsMagazin 1893, S. 4. Bucher et al. 1981, S. 147. Vgl. Large 2002, S. 35.
58 | PIKTORAL-DRAMATURGIE
europäische Metropole und decken die hierfür eingesetzten Verfahrensweisen auf. Im Folgenden kommen beide Parteien zu Wort, welche die Veränderung Berlins mit patriotischem Impetus begrüßen oder aber die angestellten Bemühungen, die Stadt zur Metropole zu machen, einer kritischen Prüfung unterziehen. Den Beobachtungen, die aus dem dieser Studie zugrunde liegenden Zeitraum stammen, ist zu entnehmen, dass das kulturelle Leben bei dieser Verwandlung eine entscheidende Rolle spielt.166 Ein Führer durch die Stadt, der 1874 (also erst drei Jahre nach der Ernennung Berlins zum politischen Zentrum) erscheint, informiert: Im bürgerlichen Leben, besonders seit der Fortentwicklung der Stadt als deutsche Reichshauptstadt, macht sich in Berlin ein ganz neuer, selbstbewußter, stolzer Gemeinsinn geltend. Man will nicht mehr bloß Residenz sein, man fühlt augenscheinlich, daß die Stadt, so viel sie auch in der Periode ihrer Entwickelung der Gunst des Hofes und dem Glanze desselben zu danken hatte, factisch heutzutage an und für sich eine reelle Macht ist[.]167
Gut zwei Jahrzehnte später zeugt ein weiterer Reiseführer, der sich zugleich als »Heimatkunde für Schule und Haus« etikettiert, vom (Selbst-)Verständnis Berlins als Weltstadt. Die hierin aufgelisteten historischen Stätten, Denkmäler, Museen und Theater-Einrichtungen werden als gleichermaßen repräsentativ für die deutsche Kultur und lehrreich für die »heranwachsende Bürgerschaft« beschrieben. Die Publikation beabsichtigt, so der Textlaut im Vorwort, »in faßlicher und anschaulicher Weise das Verständnis für die Größe und Bedeutung unserer Vaterstadt zu erschließen«, die Vaterlandsliebe zu wecken und zu fördern.168 Demzufolge liest sich die Umgestaltung Berlins zu einer europäischen Metropole zum einen als innen- und außenpolitische Notwendigkeit, zum anderen als Drang nach Aufwertung − genährt durch Kalkül der Regierenden und patriotischen Stolz. Wie bereits angedeutet, ist in den frühen Jahren des deutschen Reiches die Meinung über die neue Rolle Berlins jedoch alles andere als einhellig. Oh, Berlin, wie weit ab bist du von einer wirklichen Hauptstadt des Deutschen Reiches! Du bist durch politische Verhältnisse über Nacht dazu geworden, aber nicht durch dich selbst. Wirst es, nach dieser Seite hin, auch noch lange nicht werden. Vielleicht fehlen die Mittel, gewiß die Gesinnung.169
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»Preußen, der rücksichtsloseste Raubstaat der Neuzeit, der in der Kunst nur ganz Minimales geleistet hat, im Vergleich mit den süddeutschen Stämmen, hat aber seit 1870 derartigen politischen Einfluß gewonnen, die Hauptstadt Berlin übertrifft an Geldmitteln und an Menschenmassen derartig alle andern Städte des Reiches, daß man jetzt, in diesen schönen Friedenszeiten […],auch wohl mit der Kunst anfangen kann.« von Khaynach 1893, S. 3. Berliner Compaß. Wegweiser durch Berlin mit Berücksichtigung aller Locale, wo was los ist. Berlin: R. Gensch 101876, S. 18. Friedrich Gindler, O. Stephan. Die Weltstadt Berlin. Sehenswürdigkeiten und Denkmäler, Einrichtungen und Umgebung der Stadt Berlin. Berlin: Siegismund 1893, Vorwort (o. S.). Theodor Fontane an seine Frau Emilie, Mailand, 10. August 1875, Aus: Ders.: Wie man in Berlin so lebt. Beobachtungen und Betrachtungen aus der Hauptstadt. Hg. von Gotthard Erler. Berlin: Aufbau 2000, S. 26f.
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Solchermaßen kommentiert Theodor Fontane in einem Brief 1875 den Missstand der Stadt, den er ökonomisch und kulturhistorisch begründet. Arthur Eloesser deckt die Versuche auf, Berlins Mangel an ›Großstadtkompetenz‹ durch Anleihen insbesondere bei zwei europäischen Großstädten zu kompensieren, die in ihren urbanen, industriellen und kulturellen Errungenschaften − für die Maßgaben der damaligen Zeit –, Berlin um einige Jahrzehnte voraus sind, namentlich Paris und London.170 Wir müssen mit Stimulantien, mit Surrogaten, mit Imitationen arbeiten, damit der Vorsprung der älteren Hauptstädte eingeholt, damit der neue Typus des Berliners angefertigt wird, rüstiger als der angeblich dekadente Franzose, geistig wichtiger als der insular beschränkte Engländer. Vorläufig nehmen wir von beiden, aber nicht immer das Richtige, damit der neue Großstädter werde. Was nicht von unten kommt, wird auf die Oberfläche geklebt, und was die Sache schuldig bleibt, leistet die Etikette. Wir haben ein Moulin rouge, wo nie eine Mühle gestanden hat, und wir machen die Kabaretts des Montmartre nach, als ob der Kreuzberg das Eigengewächs einer Künstlerbohème zur Erheiterung unserer Nächte gezeugt hätte.171
Die obigen Ausführungen entlarven die Orientierung Berlins an europäischen Metropolen als Flickwerk, das in vielen Bereichen mehr ein Abkupfern als eine Anlehnung sei. Die so beschrieben nicht immer geschickte Umwandlung der Stadt ruft weitere Gesellschaftskritiker auf den Plan, die dem kulturellen und ästhetischen »Verfall« der Stadt mit Polemik und traditionellen Idealen entgegenzuwirken versuchen.172 Karl Scheffler beispielsweise attestiert der neuen Metropole in seiner Schrift Berlin – Ein Stadtschicksal (1910) retrospektiv »Kulturlosigkeit«. Den Vergleich mit Paris und London hält Berlin zwar längst nicht stand, wie auch andere zeitgenössische Quellen immer wieder betonen,173 aber immerhin ist es 1871 die bevölkerungsreichste Stadt Deutschlands und rangiert hinter den beiden größten europäischen Metropolen auf dem dritten Platz.174 »Berlin, die jetzige Kaiserstadt, hat in dem letzten Decennium gar mächtig an Ausdehnung gewonnen«, heißt es in der Gartenlaube 1872, »[n]eue Straßen sind entstanden, Prachtpaläste erbaut, und die vermehrte Anzahl von Eisenbahnen führt täglich viele Tausende von Fremden herbei.«175 Es sei jedoch erst in einigen Jahren zu erwarten, dass Berlin als Metropole gelten könne. Eine Rezeptur dessen, was idealiter zu einer Großstadt gehöre, liefert Arthur Eloesser: 170 171 172
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Vgl. Large 2002, S. 35. Arthur Eloesser: Die Straße meiner Jugend. Berliner Skizzen. Berlin: Das Arsenal 1987 [11919], S. 76. Eine »Kunststadt« sei Berlin keineswegs, und »[O]bwohl man dort ebensoviel Leinwand verschmiert wie anderswo und ebensoviel Thon zu Statuen zerknetet, es fehlt eben jenes gewisse Etwas, jener Kunstgeist, vor allem eine fest in allen Herzen eingewurzelte und durch Jahrhunderte befestigte Volkskunst.« Statt dessen sei aber eine »Hofkunst« anzutreffen. Von Khaynach 1893, S. 5. So steht schon in der Einleitung zum Berliner Compaß 1876, dass »Berlin an Größe Paris und London nach[stehe].« Berliner Compaß 101876, S. 1. »Anfang des Jahres 1867 ergab die allgemeine Volkszählung ein Resultat von mehr als 750,000 Seelen, und die letzte weit über 900,000 Einwohner. Berlin ist nach London und Paris die nächstgrößte Stadt Europas«. Ebd., S. 17f. GL 20. Jg., Nr. 3, 1872, S. 48.
60 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Das Amüsante, Überraschende, Spannende, Sensationelle, der verstärkte Reiz, die täglich erneuerte Versuchung. Was gehört zweitens dazu, damit sie Charakter ansetzt, den Stolz ihrer Geschichte, das Bewußtsein rühmlichen Alters und aristokratische Abgeschlossenheit in festen Neigungen und Vorurteilen? Dazu bedarf es einer breiten, starken Schicht, die langsam mißtrauisch empfängt, die die edle Aufgabe der Aussonderung und Ablehnung hat.176
Die Ansprüche an das urbane Angebot sind demnach hoch und abstrakt formuliert. Die angestrebte Idealunion von »täglich erneuerter Versuchung« einerseits und dem »langsam misstrauischen Empfangen und Räsonnement einer breiten Schicht« ist nicht in einem harmonischen Gleichgewicht zu leisten; zu unstet und überfordert sei »der« Berliner: [E]r ist der begehrlichste Großstädter, den die Welt kennt, und er schlingt alle Leckerbissen in sich hinein, ohne je zur Verdauung zu kommen. Mit Aufopferung seiner Zeit, seiner Kräfte, seiner Nerven arbeitet er an der Herstellung der berühmten großstädtischen Kultur, die er sich als Pensum gesetzt hat, und er wird hoffentlich bald daran müde werden, damit er zum Besten, zur Ruhe kommt.177
Das oben skizzierte Schielen nach Frankreich und England bewegt sich schon bald im Zwist zwischen gezielter Übernahme kultureller Einrichtungen und ihrer entschiedenen Ablehnung. Autonome Bedürfnisse des Publikums sowie Französisierung und die viel gescholtene »Amerikanisierung«, von der insbesondere seit den neunziger Jahren die Rede ist,178 sollten sich einen Platz neben einer deutschen Kultur mit nationalistischem Gestus einräumen. Die Kreierung Berlins zur politischen und kulturellen Hauptstadt mit Weltgeltung erweist sich als komplexes Unternehmen mit konkreten Zielvorstellungen, Umsetzungen, die ebenso patriotisch wie weltoffen sind. Hinzu kommt eine Bevölkerung, welche ebenso die Tradition verleugnet, wie sie von neu aufkommender Vaterlandsliebe geprägt ist, in summa jedoch der Vorstellung von einem einheitlichen Publikum zuwider läuft. [D]as Berliner Publikum besitzt […] wohl eine Reihe vorzüglicher Eigenschaften; es ist anständig, strebsam, wohlwollend, geduldig, manchmal sogar zu geduldig. Allein
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Eloesser 1987 [1919], S. 78. Ebd. Von einem »amerikanischen Kunstgeschmack« redet Alfred Kerr in seiner Besprechung des Berliner Olympia-Theaters, das mit seiner Konzentration auf die Sinne adressierende Spektakel versuche, »amerikanischen Kunstgeschmack in das Land der Dichter und Denker (das sind wir ja wohl?) zu übertragen. Und die Provinz weiß dieses Entgegenkommen zu schätzen.« Alfred Kerr am 26. Juli 1896, in: Ders.: Wo liegt Berlin? Berlin: Aufbau 51998, S. 180f. Karl Scheffler bringt das Stichwort »Amerikanisierung« wie folgt ins Spiel: »Alle diese Großstadttendenzen Berlins wirken nun traditionszerstörend auf das gesamte deutsche Leben, weil die alte Kolonialstadt von Tag zu Tag mehr auch geistig zu einer Reichshauptstadt wird; in dem Maße nämlich, wie der moderne Industrialismus überall an Boden gewinnt, wie sich das Schicksal der allgemeinen Amerikanisierung vollzieht, muß die darin am weitesten vorgeschrittene Stadt zum natürlichen Führer auf dem Wege zur Modernität werden.« Scheffler 21910, S. 226.
EINLEITUNG | 61 es fehlen in der Bevölkerung der neuen Reichshauptstadt, die aus allen Teilen Deutschlands zugewandert ist, jene bestimmten künstlerischen Traditionen, die in der alteingesessenen Bevölkerung von Städten, wie Wien oder Paris, auf Grund einer jahrhundertelangen Kunstübung sich herausgebildet haben.179
Beinahe ausnahmslos jedes großstädtische Milieu vermag aufgrund materieller und infrastruktureller Momente die Entwicklung neuer Formen der Unterhaltung nicht nur zu fördern, sondern auch einen Nährboden für deren Experimentierung darzustellen. Berlin ist in seinen Unternehmungen, seinem Ansehen großstädtische Couleur zu verleihen, eklektisch,180 verfügt jedoch auch, wie beispielsweise Scheffler zugesteht, über »lebendige Zukunftsinstinkte.«181 Diese führen dazu, dass sich ureigen Bodenständiges mit fremder Innovation paart. Das Lokale habe in Berlin stets eine geringere Rolle gespielt als in anderen Städten, nicht aber das Nationale und Internationale, so wertet Zobelitz.182 Diese Einschätzungen lassen sich ebenso auf den Bereich der (theatralen) Unterhaltung übertragen. Dabei spielen auch theaterökonomische Aspekte, auf die an anderer Stelle noch ausführlich einzugehen sein wird, wie die Konzessionserteilungen und die 1869 eingeführte Gewerbefreiheit, eine bedeutende Rolle (vgl. Kap. 2).
›Theaterinflation‹ »Die Bühne dominiert mehr als je über alle anderen Interessen. »[M]ehr als je ist sie uns eine Macht geworden. […] Daß man sich lieber ein Billet als ein gutes Buch kauft, ist eine bekannte Tatsache«183
Die Ausdifferenzierung und räumliche Dichte von neu gegründeten Theaterund Unterhaltungs-Institutionen vollzieht sich in keiner deutschen Stadt in so 179
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Goldmann 1908, S. 226. Vgl. hierzu auch Theodor Fontanes Einschätzung des Berliner Publikums als wenig kunstbeflissen: »Denn der Berliner, wenn es sich nicht um ein Stück von Moser oder Schönthan handelt (zu deren Verehrern ich übrigens auch gehöre) repräsentirt kein sehr angenehmes Publikum, – er hat alle Schwächen des Parisers und nichts von den Vorzügen desselben, weil der eigentlich künstlerische Sinn hierlandes doch furchtbar schwach vertreten ist. Klüngel, Coterie, Tendenz, Mode, – Verständniß wenig. Ich werde den Wechsel dieser Dinge nicht mehr erleben.« (an Hans von Hopfen, Berlin, 27. Mai 1888). Theodor Fontane: Werke, Schriften und Briefe, Band 3, hg. von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger. München: Hanser 1980, S. 608. »Manche der europäischen Metropolen hatte durch die neue Vielfalt öffentlicher Freizeitstätten bereits seit längerer Zeit ihr jeweils unverwechselbares Kolorit erhalten. Großstädte wie Paris und Wien hatten dabei den Anfang gemacht. Das mit großer Schnelligkeit aufstrebende Berlin begann nun, einiges davon einfach zu kopieren, anderes aber zugleich in besonderer Weise umzubilden, den spezifischen Bedingungen der Stadt anzupassen.« Zantke 1987, S. 18. Scheffler 21910, S. 234. Vgl. Fedor von Zobelitz: Chronik der Gesellschaft unter dem letzten Kaiserreich. Hamburg: Alster 1922, S. 267: »[Das Berliner Publikum] hat vor allen Dingen einen ausgesprochenen Widerwillen gegen alles Nationale und Volkstümliche und begeistert sich mit Vorliebe für das, was aus dem Auslande kommt.« Ebd.
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rasanter und ausgeprägter Form wie in Berlin. Beinahe jedem Publikumsbedürfnis wird mit Einführung einer entsprechenden Freizeitinstitution Rechnung getragen.184 »Da Berlin niemals eine Hauptstadt deutscher Dichtung gewesen ist, so ist es auch nie eine Theaterstadt im eigentlichen Wortsinne gewesen«, argumentiert Scheffler 1910. Eine Begründung für diese Absage liefert der Staatsbeamte Ludwig Hahn 1880, indem er in Berlin einen »Zustand des Zerfalls, und des geistigen und sittlichen Bankerotts in gewissen Regionen des Theaterwesens« attestiert. Man werde vermutlich in wenigen Jahren nicht nachvollziehen können, in welchem Ausmaß die dramatische Kunst in Berlin »herabgesunken« gewesen sei, so Hahn.185 Schefflers und Hahns Beurteilungen sind andere entgegenzusetzen, die Berlin seit der Jahrhundertmitte als die deutsche Theatermetropole ansehen.186 Herbert A. Frenzel beispielsweise hält dagegen, Theater sei in Berlin immerhin hoch differenziert gewesen: Es war manchmal Bildungstheater von bedenklicher Hohlheit, es war bisweilen Unterhaltungstheater von betäubendem Stumpfsinn, es war moralische Anstalt und unmoralische Veranstaltung, extremes Agitationstheater, exklusives Experimentiertheater, Startheater und Ensembletheater, es war virtuos, und es war stümperhaft. Aber es war immer Arena geistig-musischer Auseinandersetzungen.187
So vielfältig wie die Spielstätten sind die Programme und Genres (vgl. Abb. 3). Die deutsche Theater- und Unterhaltungskultur des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts zeichnet sich durch zahlreiche Innovationen aus, die jedoch häufig als künstlerisch wertlos beurteilt werden, wie etwa in der folgenden Beschreibung Hans Ostwalds: Wohl gab es außer dem erstarkten Hoftheater noch einige andere Bühnen in der Stadt, die bald eine Million Menschen beherbergte und auf die fast die ganze Erde neugierig und auch neidisch zu blicken begann, als die großen politischen Ereignisse
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Vgl. Zantke 1987, S. 30. Ludwig Hahn: Das deutsche Theater und seine Zukunft. Berlin: Wilhelm Herz, 21880 [11876], S. 149f. Zuvor liefen andere Städte, in der Hauptsache durch die Gründung von Nationaltheatern, Berlin den Rang als Theaterhauptstadt ab. »Ein eigentliches Theaterleben setzte spät ein in Berlin. Als die Bevölkerung den Künsten des ›starken Mannes‹ und des Hanswursten Schuch entwachsen war, und der Prinzipal Koch es wagen konnte, ein ständiges Theater einzurichten und regelrechte Stücke zu geben, da war man in Wien eifrig bei der Gründung eines Nationaltheaters, da hatte Ekhof in Gotha schon ein mustergültiges Hoftheater geschaffen und Schröder die guten Hamburger Kaufleute zu Lessing und Shakespeare erzogen. Berlin kam langsam hintennach – so langsam, daß es ein wirklich künstlerisch arbeitendes Theater erst bekam, als Iffland ihm seine eminente Arbeitskraft und sein selbstloses Streben widmete.« Charlotte Engel Reimers: Die deutsche Bühne und ihre Angehörigen. Leipzig 1911, S. 715. Vgl. zur Geschichte Berlins als Theaterstadt auch Ruth Freydank: Theater in Berlin. Von den Anfängen bis 1945. Berlin: Henschelverlag 1988. Herbert A. Frenzel: »Theater im alten Berlin«, in: Gesellschaft für Theatergeschichte (Hg.): Theater im alten Berlin. Berlin 1954, S. 3-8, hier S. 8.
EINLEITUNG | 63
Abb. 3: »Vergnügungs-Etablissements und Sehenswürdigkeiten«. Anzeigenseite der Berliner Theater-Welt und Concert-Zeitung vom 13. Mai 1897. Berlin in den Vordergrund rückten. Aber die Kultur war bei dem zu raschen Wachstum zu kurz gekommen.188
Neben den Hofbühnen, die klassische Dramatik in ihre Spielpläne aufnehmen, bilden Vergnügungslokale (Café chantants oder Spezialitäten-Bühnen), Possen und Schwänke aufführende Theaterhäuser sowie Bühnen, die beinahe ausschließlich Ausstattungsstücke darbieten, das Gros der theatralen Einrichtungen. Nicht die Hofbühnen bestimmen also das öffentliche Bild Berlins als Theaterstadt, sondern die in starkem Konkurrenzkampf stehenden Privatbühnen oder Geschäftstheater.189 Gab es bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts nur das 1824 eröffnete Königstädtische Theater am Alexanderplatz, das vornehmlich Volksstücke und Possen zur Aufführung brachte, und die Königlichen Hofbühnen wie das Königliche Opernhaus Unter den Linden, das Königliche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, welche durch ein Privilegium vor jedem Wettbewerb geschützt waren, so entstehen in den fünfziger und sechziger Jahren schnell hintereinander das Friedrich-Wilhelmstädtische, das Belle-Alliance-Theater, das Thalia-Theater, das Kroll’sche Etablissement, das Woltersdorf-Theater, das Walhalla-, das Wallner-, das Residenz188 189
Hans Ostwald: Die Berlinerin. Berlin: Verlag für Kunstwissenschaft 1921, S. 224. Vgl. Hans Knudsen: »Aus der Geschichte des neueren deutschen Theaters«, in: Martin Hürlimann (Hg.): Das Atlantisbuch des Theaters. Zürich u.a.: Atlantis 1966, S. 681-718, hier S. 684.
64 | PIKTORAL-DRAMATURGIE
und das Alexanderplatz-Theater, um nur die bekanntesten Neugründungen zu nennen.190 »Berlin liegt an der Spitze dieser Theaterinflation. 1859 noch mit 7 Theatern gleichauf mit Wien, ist es 1885 mit seinen 21 Bühnen die tonangebende Theatermetropole des deutschsprachigen Raumes«, so bilanzieren Bucher et al.191 In diese Rechnung sind diejenigen Häuser nicht einbezogen, die per definitionem zwar keine Theaterinstitutionen sind, jedoch nach der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 die Befugnis erhalten, vermehrt theatrale Unterhaltungen in ihre Programme aufzunehmen, nämlich Varietés, Café chantants, Spezialitätentheater, Panoptika und Zirkus. Hinzu kommen all diejenigen Institutionen des Visuellen wie Panorama-Rotunden, Panoptiken oder Zirkusse, die auf den ersten Blick außerhalb der Institution Theater stehen, bei genauerer Ansicht und unter Berücksichtigung des Publikumsgeschmacks jedoch eng mit Theater der Zeit verflochten sind (siehe Kap. 2 u. 3). Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und im besonderen Maße seit der Ernennung als Reichshauptstadt wandelt sich Berlin zum kulturellen und politischen Zentrum des deutschen Reichs. Infrastrukturelle und soziale Änderungen resultieren auch in einer höheren Nachfrage nach Freizeitunterhaltung in allen gesellschaftlichen Schichten. Theater und andere Institutionen der Information und Unterhaltung werden gleichermaßen zugänglich, »daß bislang so viele davon ausgeschlossen waren, hatte das allgemeine Interesse nur bestärkt.«192 Wie die neue Hauptstadt, so stehen auch Theater und andere Unterhaltungsinstitutionen im Zeichen von Innovation, Eklektizismus und Wiederaufbereitung. Hinzu kommt, dass Theaterdirektoren kleinerer Städte Inszenierungen und theatrale Formate, die in Berlin produziert werden, übernehmen und »die Inszenierung und Regie möglichst genau [kopieren]«, so bilanziert Charlotte Engel Reimers 1911.193 Berlin gibt durch seine (konstruiert) exponierte Stellung und seine während der Gründerjahre rasant sich ausbreitenden Unterhaltungseinrichtungen 190
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Siehe Übersicht Theater in Berlin 1860 bis 1900, Material A1 im Anhang. Auf der Grundlage von Zensurakten und Findbüchern des Landesarchivs Berlins, Zeitungen, Theaterzetteln und Zwischenaktszeitungen sowie zeitgenössischen Beschreibungen und Sekundärliteratur zum Berliner Theater sind Daten zum Standort, den erteilten Konzessionen, dem Repertoire, und Besonderheiten in der Aufführungsgeschichte der Theaterhäuser und Vergnügungseinrichtungen Berlins zwischen 1860 und 1900 aufgeführt. Bucher et al. 1981, S. 147. Freydank 1995, S. 10. Engel Reimers 1911, S. 730. »Diese sklavische Abhängigkeit der kleineren Stadttheater von Berlin ist natürlich in höchstem Maße beklagenswert. Sie verhindert die Bildung eines lokalen, dem Bildungsniveau und Gedankenkreis der betreffenden Stadt angepaßten Repertoires.« Ebd. »Provinzen und Städte, die seit Jahrhunderten berühmt sind […], akzeptieren widerstandslos die Berliner Speisenkarte und die Berliner Kleidermoden. Am Strande des Meeres findet man das Berliner Schnitzel mit Konservengemüsen wieder und auf den bayerischen Bergen ist es in derselben garküchenhaften Zubereitung zu haben. Und nicht anders, als wäre er ein Menü, wird der Theaterspielpan aus der Reichshauptstadt bezogen. Die Possen, Sensationen und Tendenzen, die für abgearbeitete, nervöse Großstädter, […] eine gewisse Berechtigung haben, werden in der Provinz gründlich und mit Behagen genossen.« Scheffler 21910, S. 228f.
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das Bild eines Schmelztiegels ab, dem repräsentative ›Portionen‹ der Konvergenz von Politik, Ökonomie und Kultur im weitesten Sinne zu entnehmen sind. Aufgrund seines Status’ als politisches Zentrum und deutsche ›Theaterhauptstadt‹ im Untersuchungszeitraum eignet sich Berlin daher als geographischer Fokus dieser Studie.
1
VISUELLE KULTUR
DES
19. J A H R H U N D E R T S
»Zur Signatur der Gegenwart gehört die […] sich immer mehr steigernde Bilderproduktion. Dieselbe mag kaum irgend jemals einen solchen Umfang wie jetzt erreicht haben. Es scheint, als ob unsere Zeit vorzugsweise disponirt wäre, eine sehende zu sein.«1
»Welchen Beinamen würden Sie diesem Jahrhundert geben?«, fragt die Redaktion der Berliner Illustrirten Zeitung in ihrer letzten Ausgabe des Jahres 1898.2 Zahlreiche Leser folgen dem Aufruf und legen ihren Benennungsvorschlägen einen breiten Fächer von Errungenschaften und Innovationen der vergangenen Jahrzehnte zugrunde. Anfang 1899 sind die Einsendungen ausgezählt, die erkennen lassen, was in der Rückschau Epoche macht: Industrialisierung, Technisierung, die Verbesserung des Verkehrswesens, die politischen Neuerungen auf nationaler wie internationaler Ebene sowie die Emergenz einer Vielfalt von Verfahren zur Produktion und Reproduktion bildlicher Darstellungen werden schon von den Zeitgenossen als wesentliche Merkmale des 19. Jahrhunderts eingestuft.3 Die Auswertung der Leserumfrage übergeht eine Spezifizierung der Entdeckungen, Erfindungen und Fortschritte. Von besonderem Interesse für die vorliegenden Besprechungen sind diejenigen Phänomene, welche die »Nervosität«, die »Schnelllebigkeit« und das »Übermaß an Surrogaten«, mitverantworten, von denen im Umfrageergebnis signifikant häufig die Rede ist. Der Fokus liegt im Folgenden auf Medien und Institutionen, die auf je spezifische Weise zur Ausformung einer visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts beitragen, und die ebenso unterhaltenden wie edukativen Zwecken dienen. Teils entwickelt aus zunächst rein wissenschaftlichen Interessen und aus Erkenntnissen zur Physiologie des menschlichen Sehsinns, werden optische Apparaturen und Medien schnell auch zu Instrumenten und eigenständigen Institutionen bildlicher Information und Unterhaltung.4 1 2 3
4
Oldenberg 1997 [1859], S. 27. Artikel »Die Bilanz des Jahrhunderts«, in: BIZ, 8. Jg., Nr. 8, 19. Februar 1899, S. 8. Siehe zur Rolle von Industrialisierung und Technisierung in Bezug auf Gesellschaft und Kultur u.a. Wolfgang Schivelbusch: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert. München, Wien: Hanser 1983; Johannes Rohbeck: Technik – Kultur – Geschichte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000. Hermann von Helmholtz veröffentlicht 1855 seine ›Theorie des Sehens‹ in einem Vortrag »Über das Sehen des Menschen«. Vgl. hierzu u.a. Timothy Lenoir: »Das Auge der Physiologen. Zur Entstehungsgeschichte von Helmholtz’s Theorie des Sehens«, in: Philip Sarasin, Jakob Tanner (Hg.): Physiologie und industrielle Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 99-128. Siehe zum
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Neben der Fotografie, deren technische Finesse bekanntlich die »Industrialisierung des Bildermachens«5 befördert, zählen zu denjenigen Techniken und optischen Geräten, die auf eine höchst mögliche Illusionswirkung zielen, optische Apparaturen wie das Skioptikon, ein seit 1869 gängiges, der Laterna magica ähnliches Projektionsgerät, das 1877 entwickelte Praxinoskop sowie das nach 1850 massenhaft gebrauchte Stereoskop.6 Hinzu kommen Bildmedien wie Panoramen, Dioramen sowie die Fotografie.
» B i l d e r f l u t« – e i n e k r i ti sc he H i n f ü h r u n g »Looking at the world through the medium of pictures […] became a habit«, so bilanziert Michael Booth für das 19. Jahrhundert. »[A]s the pictorial means of information and entertainment grew more sophisticated and better adapted to mass public consumption, the bombardment of visual and specifically pictorial stimuli became inescapable; the world was saturated with pictures.«7 Die Auswirkungen dieser »Bilderflut« auf die Gesellschaft, die Booth hier anreißt, bezeugen zahlreiche prominente Zeitgenossen in ihren Schriften und verleihen dem Jahrhundert Etiketten wie etwa ›Zeitalter des Bildes‹, der ›Simulakren‹ und des ›Spektakels‹. Im Vorwort der zweiten Ausgabe von Das Wesen des Christentums (1843) stellt Ludwig Feuerbach fest, seine Zeit ziehe »das Bild der Sache, die Kopie dem Original, die Vorstellung der Wirklichkeit, den Schein dem Wesen« vor.8 Im benachbarten Frankreich redet parallel der Kritiker Théophile Gautier von seiner Zeit als der des »spectacle purement oculaire.«9 Mit Scharfblick sieht auch Eduard Fuchs sein Umfeld und umschreibt die später
5 6
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8
9
engen Konnex von Physiologie und optischen Apparaturen Crary 1996 sowie Barbara Maria Stafford und Frances Terpak: Devices of Wonder: From the World in a Box to Images on a Screen. Los Angeles: Getty Publications 2002. Crary 1996, S. 24. Eine ausführliche Übersicht zu den unterschiedlichen optischen Apparaturen verschiedener Jahrhunderte findet sich im Katalog zur Ausstellung im Kölner Museum Ludwig, Ich sehe was, was Du nicht siehst. Sehmaschinen und Bilderwelten, hg. von Bodo von Dewitz und Werner Nekes. Göttingen: Steidl 2002. Siehe auch Barbara Maria Stafford: Kunstvolle Wissenschaft. Amsterdam, Dresden: Verlag der Kunst 1998, sowie Ulrike Hick: Geschichte der optischen Medien. München: Fink 1999. Booth 1981, S. 8. Booth beschreibt in dieser (zu Beginn der vorliegenden Arbeit schon vorgestellten) Publikation das viktorianische Theater und die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts in England, welche sich dort früher herauskristallisierte als in Deutschland – vergleichbar etwa der zeitlichen Verzögerung in der Industrialisierung, die in England früher datiert ist. Ludwig Feuerbach. »Das Wesen des Christentums«, in: Ders:. Gesammelte Werke. Band 5, hg. von Werner Schuffenhauer, Berlin: Akademie 1984 [11841 Leipzig], S. 20. Zitiert nach Wehinger 1988, S. 42. »In seinen Theaterkritiken wiederholte er mit Nachdruck den Aspekt des Spektakulären und Schauspielhaften, der Bühne und Publikum des Boulevards charakterisiere: ›À savoir que les habitués des théâtres secondaires veulent être pris surtout par les yeux. Nous croyons qu’il n’y a pas d’exemple de mélodrame à décorations, à costumes et à feux de Bengale, qui n’ait, au moins, rendu ce qu’il avait couté.« (Th. Gautier 1858-59) Bd. 3, S. 146.) Wehinger 1988, S. 42.
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von Walter Benjamin so ausgiebig diskutierte Reproduzierbarkeit des Bildes10 als ein weiteres wesentliches Momentum der (visuellen) Kultur des 19. Jahrhunderts. In seiner Illustrierten Sittengeschichte beobachtet Fuchs folgendes: Seit schließlich die Ansichtspostkarte erfunden wurde, dominiert überhaupt das Bild. Unser Auge stößt darauf, wo auch sein Blick hinfällt, und man kann ihm heute nicht mal mehr entfliehen. Denn könnte man wohl die illustrierte Zeitung unbeachtet lassen und mit Gewalt die Ansichtspostkarte ignorieren, so bleibt immer noch das Plakat, die bildliche Reklame, die uns auf Weg und Steg bis in die Einöde der Natur und auf allen unentbehrlichen Gebrauchsgegenständen des Lebens verfolgt, um uns ihre Meinung […] aufzuzwingen.11
Fuchs weist auf zwei entscheidende Änderungen hin, welche der zunehmende Stellenwert des Bildhaften mit sich bringt: Die Bildmedien (genannt hier die Illustrierte, die Ansichtskarte, das Plakat) übernehmen die bis dato dem Schriftlichen vorbehaltene Funktion der Information. Und die Vielfalt der optischen Medien sowie die Möglichkeit der Reproduktion (vgl. Abb. 4) tragen wesentlich zur Distribution und Konsumption des Bildlichen bei und resultieren in einer unaufhörlich wachsenden »Bilderflut« und »Ubiquität« von Bildern (der niemand entkommen kann, wie Fuchs sagt), sowie einer sozial indifferenten Begeisterung für unterschiedliche, die Bildwirkung in den Mittelpunkt rückende Darbietungs- und Unterhaltungsformen. Sämtliche, im Verlauf dieses Kapitels noch weiter vorzustellende Bildmedien und Institutionen, die Sehen und ›visuellen Konsum‹ absolut setzen, kennzeichnet eine Doppelgesichtigkeit, das heißt eine ambivalente Wirkabsicht: Zum einen die kraft technischer Finesse hervorgebrachte »Naturtreue«, der »Realismus« in der Ab-Bildung der Wirklichkeit, zum anderen die damit korrelierende wissentliche Täuschung des Betrachters, dessen Staunen und Freude am Spektakulären, Exzessiven12, am phantasmagorischen Effekt.13 Als 10 »Die Dinge sich räumlich und menschlich ›näherzubringen‹ ist ein genau so leidenschaftliches Anliegen der gegenwärtigen Massen, wie es ihre Tendenz einer Überwindung des Einmaligen jeder Gegebenheit durch die Aufnahme von deren Reproduktion ist. Tagtäglich macht sich unabweisbarer das Bedürfnis geltend, des Gegenstands aus nächster Nähe im Bild, vielmehr im Abbild, in der Reproduktion, habhaft zu werden.« Benjamin 1977, S. 15. 11 Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte. Frankfurt a.M.: Fischer 1985, S. 27ff. Der Artikel wurde zuerst am 3. August 1853 in der Ostdeutschen Post (Wien) veröffentlich, später in der Sammlung »Fünfzig Feuilletons« erneut gedruckt. Das erste farbige künstlerische Plakat ist ein Theaterplakat: in Frankreich wirbt 1867 ein Plakat für eine Vorstellung mit Sarah Bernhardt. Vgl. Werner Faulstich und Corinna Rückert: Mediengeschichte in tabellarischem Überblick von den Anfängen bis heute. Bardowick: Wissenschaftler-Verlag 1993, Band 1, S. 118. 12 vgl. Don Slater, der »spectacular« mit den Epitheta »excessive, astounding, larger than life« umschreibt. Don Slater: »Photography and Modern Vision. The Spectacle of ›natural magic‹«, in: Jenks 1998, S. 218-237, hier S. 230. 13 »Phantasmagorisch« hier in dem Sinne verstanden, dass das Staunen des Betrachters über die neuen Apparaturen und ihrer Effekte auf seiner Unfähigkeit basiert, deren Funktionsweise nachzuvollziehen. Siehe auch Slater. »The real-
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Abb. 4: Optische Apparate. Anzeigenseite der Illustrirten Zeitung vom 13. April 1889 »moderne Wunder« seien die neuen Medien wahrgenommen worden, bemerkt Don Slater: [T]hey were both concrete and symbolic enactments of modernity’s ability to command appearances and thus transform the world (a world which had been reduced to appearances). They had at their core the essence of modern vision: detailed realistic representation, the highest perceptual fidelity to the surface attributes of discrete material objects. And yet their effect was to produce a belief in modernity by using its techniques in complete opposition to its own aims and principles: to re-enchant the world through natural magic, rather than to demystify it through objective vision.14
Bei allen Unterschieden in technischen Details kreuzen sich die Bildmedien auf der Ebene der Motivik: Sie folgen und diktieren gleichermaßen, was sehens- und somit auch der Aufzeichnung/der Aufnahme wert sei, so wie vormals in der bildenden Kunst kanonisch festgelegt war, was als pittoresk, als
ism of the effect is all-important – it doesn’t work if we are not convinced – […]. ›Natural magic‹ indicates a further dimension to this experience: that the power of science and technique at the height of their rationality appear to us (who do not understand them) as a new form of magic.« Slater in Jenks 1998, S. 227. Vgl. hierzu auch Belting, der den phantasmagorischen Effekt umschreibt, ohne ihn explizit zu nennen. »Jedem Medium liegt in der Praxis die Tendenz nahe, entweder auf sich hinzuweisen oder aber im Gegenteil sich im Bild zu verbergen. Je mehr wir bei einem Bild auf das Medium achten, desto mehr ›durchschauen‹ wir seine Steuerfunktion, und distanzieren wir uns davon. Umgekehrt verstärkt sich seine Wirkung auf uns, je weniger wir uns seinen Anteil am Bild bewußt machen, als existierte das Bild aus eigener Macht.« Belting 2000, S. 22. 14 Slater in Jenks 1998, S. 236.
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malerisch zu gelten habe. Es ist eine Folge der romantischen Bewegung, dass auch die außerhalb der ästhetischen Bereiche liegenden Erscheinungen ästhetisiert, d.h. hier, nunmehr als Bilder wahrgenommen werden. »Das Bild fungiert als Medium, das Leben in Genreszenen zu fixieren,« wie Georg Maag argumentiert.16 Maag erklärt, dass sich der Begriff »pittoresk« um die Jahrhundertwende – in engem Zusammenhang mit den Reproduktionsmöglichkeiten – mit einer neuen Bedeutung auflädt und sich mit dem Begriff des »Illustrierten« gleichsetzen lässt. Damit stehen die neuen, Bilder produzierenden Medien in der Tradition der Kunst und greifen – auch als Konkurrenzinstanzen – deren dominante Rolle in der ästhetischen Geschmacksbildung an. Andererseits reagieren auch die ›hohen‹ Künste auf die ›Trivialisierung‹ (etwa durch die Genremalerei) und die ästhetischen Herausforderungen durch die neuen Bild (re-)produzierenden Medien der Zeit.17 Befürworter der Reproduktion von Kunstwerken heben deren demokratischen Nutzen hervor, weil auf diese Weise »die Meisterwerke alter Kunst allen leicht zugänglich« seien.18 Bekanntlich ruft diese Entwicklung auch zahlreiche Kritiker auf den Plan, welche die Folgen der Technisierung und Mediatisierung für Gesellschaft und Kunst diskutieren.19 Jedes Ausfeilen von 15 Vgl. hierzu den Eintrag »pittoresk« im Conversations-Lexikon. Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände. Band 8. Leipzig: Brockhaus 1835, S. 589: »Pittoresk oder malerisch, ist in Hinsicht des Stoffs alles Dasjenige, was sich für malerische Behandlung eignet. Dies sind die sichtbaren Gegenstände, insofern sie von einer Seite (als Fläche) angesehen, eine Mannichfaltigkeit [sic!] von Farbentönen für einen Überblick entfalten, und durch diesen Farbenreiz einen Schein von Bewegung und Freiheit empfangen, oder sich erst durch Licht und Farbe in höherer Bedeutung zeigen. Leicht lässt sich dieser Begriff auf die malerische Darstellung selbst übertragen. Erfindung und Anordnung sind malerisch, wenn sie diesen Bedingungen entsprechen. Gedichte und Beschreibungen nennt man pittoresk, wenn sie die Einbildungskraft zur vollkommen lebendigen Vorstellung malerischer Gegenden und Ansichten leicht und angenehm anregen. Auch Reisen werden pittoresk genannt, in welchen Beschreibungen dieser Art, vorzüglich mit bildlichen Darstellungen begleitet, enthalten sind.« 16 Georg Maag: Kunst und Industrie im Zeitalter der ersten Weltausstellungen. Synchronische Analyse einer Epochenschwelle. München: Wilhelm Fink 1986, S. 205. 17 Vgl. Busch 1997, S. 131. 18 »[Diesem] Zweck […] dient auch eine neue Unternehmung, welcher man den größten Erfolg schon jetzt mit Sicherheit voraussagen kann. Wir meinen den ›Klassischen Bilderschatz‹, der von Fr. von Reber und Ad. Bayersdorfer ausgesucht, uns ›die sämtlichen Meisterwerke der bildenden Kunst aller Zeiten‹ in autotypischer Nachbildung nach den photographierten Originalen in der Weise bietet, wie es die Reclamsche Universalbibliothek für die Dichtung thut. Natürlich wäre ein solches Unternehmen vor der Ausbildung der Autotypie völlig undenkbar gewesen, sie allein ermöglichte es, ein hübsch ausgestattetes Heft in Großquart mit sechs Abbildungen klassischer Meisterwerke der Malerei für den unglaublichen Preis von 50 Pf. liefern zu können und dabei diese Abbildungen so gut herzustellen, daß man den jeweiligen Meister beim ersten Bild erkennt, ja alle Eigentümlichkeiten seines Vortrags, alle Feinheiten seiner Köpfe verfolgen kann, wie sie uns das Lichtbild, aber ein Holzschnitt oder Schnitt nie wieder zu geben vermag.« Die Kunst für Alle, 4. Jg., Heft 8, 15. Januar 1889, S. 128. 19 »Es ist nicht nur zu vermuten, daß die durch das Prinzip massenhafter Illustration entstandene Bildschwemme – auch das Kunstwerk erscheint nun allerorts –
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Techniken zur Illusionssteigerung sowie die Möglichkeit unbegrenzter Reproduktion lassen sie das Ende von Kunst, Authentizität des Originals20 und insbesondere des connaisseurhaften Kunstgenusses beklagen. (vgl. Kap. 2) Im Gegensatz zur Konzentration und längere Zeiten der Aufmerksamkeit fordernden Betrachtung von Kunstwerken verurteilen Kritiker die anwachsende ›Schaulust‹ als unstet, als sprunghaft und bar jeder nachhaltigen Wirkkraft: Wie bequem ist das Bild, auch dem Halbschlafenden, dem interesselos Blätternden, dem Trägen und Übersättigten ohne die lästige Arbeit des Lesens [s]einen flüchtigen Gedanken Genuß zu geben! Und darauf allein hat ein großer Theil unserer journalistischen Illustration es abgesehen.21
Teils polemisch, teils pejorativ gefärbte Vorbehalte gegenüber dem Bildlichen, Illustrativen, dominieren schon vor dem behandelten Zeitraum den ästhetischen Diskurs.22 In größerem Ausmaße als zuvor jedoch droht – bedingt durch die neuen Techniken der Reproduktion – die als niedrig erachtete, weil sinnliche demonstratio ad oculos die Oberhand zu gewinnen und das rationale Räsonnement der Bildbetrachtung zu verdrängen. Der Wiener Journalist Ferdinand Kürnberger beispielsweise liest den ›Illustrationskultus‹ als »böses Zeichen der Zeit«:23
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mit einem allgemeinen Bedürfnis der Epoche zusammentrifft, sondern auch, daß das Bild, wie die Photographie, in die Wahrnehmung ihre Spuren eindrückt und sich zwischen die Wirklichkeit und ihren Betrachter stellt.« Maag 1986, S. 202. Zur Erinnerung: »Für den Verfall der Aura ist, innerhalb der Massenproduktion […] die massive Reproduktion des Bildes [von Bedeutung].« Benjamin 1982, S. 425. In Bezug auf die bildende Kunst heißt dies auch die Popularisierung von Kunstwerken, besonders auch durch Bildbeilagen in der Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt, gegr. von Ernst Keil 1853. Diese Zeitschrift gilt als Prototyp der deutschen Massenunterhaltungszeitschriften. Vgl. Faulstich/Rückert 1993, Band 1, S. 110. »Die Vielzahl von Techniken, die das Zeitalter der Erfindungen ausbildete, um den mittelständischen Massen die Kunst ins Haus zu bringen, übertraf alle Erwartungen. Manche Hersteller schreckten nicht einmal vor dem fragwürdigen Versprechen zurück, die emotionale Wirkung des Originals einzufangen. Von der Lithographie zu Anfang bis zur Fotogravüre gegen Ende des Jahrhunderts produzierte eine rasch expandierende Industrie eine Fülle von Illustrationen, für die sie in der Presse und durch den Versand aufwendiger Kataloge warb. […]« Peter Gay: Bürger und Bohème. Kunstkriege des 19. Jahrhunderts. München: C. H. Beck 1999, S. 81. Friedrich Oldenberg: Ein Streifzug in die Bilderwelt. Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses 1859; abgedruckt in Riha 1997, S. 27-30, hier S. 30. Dieser Text des Autors F. Oldenberg, der in seinen Schriften auf eine christliche Erbauung der Leser setzte, erschien zunächst unter dem Titel Von Bildern und Illustrationen in den Mai-Ausgaben der Fliegenden Blätter des Rauhen Hauses 1856 und 1857. Wegen der besonders hohen Nachfrage wurde der Text noch einmal aufgelegt, diesmal unter obigem Titel als separate Ausgabe der »Agentur des Rauhen Hauses«, ein Verlag, der an die evangelische Erziehungsanstalt der Inneren Mission angeschlossen war. Der überwiegend negative Tenor in den vorliegenden zeitgenössischen Urteilen über die visuelle Kultur zeigt sich auch in den Aussagen über die Unterhaltungskultur, wie an anderer Stelle noch zu zeigen sein wird. (Kap. 2) Kürnberger 1997, S. 22.
VISUELLE KULTUR DES 19. JAHRHUNDERTS | 73 [E]s ist keine Kunst, sondern ein Dilettantismus des Genießens, den wir heute treiben, und eben der Flor der Illustrationsmode gibt einen der triftigsten Gründe für diese Furcht ab. Es ist geistige Näscherei, blasierter Gaumen, verzärtelter Magen, Bequemlichkeitsliebe, erloschene Phantasie, Verflüchtigung, Zerstreutheit, womit wir den geistigen Inhalt eines Buches in ein paar Illustrationen wegnippen; von dem Genusse, dem Dichter nachzuphantasieren, kaufen wir uns los wie von einer Mühe, den Appell an unsere Einbildungskraft verwandeln wir in einen Appell an unsere Augen [.]24
Friedrich Oldenbergs Text Ein bunter Streifzug in die Bilderwelt ist eine weitere Stellungnahme zur anwachsenden Zirkulation von Bildern und Illustrationen. In dieser, bereits weiter oben zitierten Schrift fügt er eine anthropologische Komponente des Bildes hinzu, indem er diesem zutraut, »Lebensgeschichte und Fleisch von unserm Fleische« zu werden. »Was der Mensch producirt, wird wesentlich mitbestimmt durch das, was er recipirt, und wie das Bild ein Kind ist des Denkens und des Wollens, so wird es für uns alle Vater und Mutter von Gedanken, von Wollen und That.«25 Oldenberg will gegen das »Bilderunwesen der Zeit« anschreiben – und damit gegen die »Verbilderung der Wirklichkeit«, eine ›Spektakularisierung der Gesellschaft‹, wie sie Guy Debord gut ein Jahrhundert später auch für seine Zeit diagnostizieren wird.26 Welchen Part aber spielt Theater,27 sui generis auf optische Wirkung und die Produktion von Illusionen angelegt, in jenem ›Jahrhundert der Erfindungen‹, der ›Nervosität‹ und der ›Surrogate‹? Einen Hinweis liefert der Schriftsteller und Kritiker Paul Linsemann 1897: 24 Ebd., S. 21. 25 Oldenberg 1997 [1859], S. 27. 26 »Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln. Alles, was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen.« Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin: Edition Tiamat 11996, S. 13, einleitender Satz. 27 Unter der Nennung »das Theater« werden nachfolgend die explizit als »Theater« geführten Institutionen/Schauspielhäuser verstanden. Daneben bilden sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zahlreiche Einrichtungen heraus, die sich im weitesten Sinne auf theatrale, spektakuläre Darbietungen spezialisieren oder diese in ihr Programm aufnehmen und für ein Massenpublikum aufbereiten, die jedoch zunächst nicht unter den herkömmlichen Begriff des ›Theaters‹ fallen. Hierzu zählen auch Institutionen wie Zirkus, Café chantant, Varieté, Panoptikum. Immer dann, wenn im Folgenden von »Theater« ohne Nutzung des Artikels die Rede ist, sind die Konventionen und Regeln beider Formen gemeint. Die Notwendigkeit einer Differenzierung unterstreicht Adolf Graf von Westarp 1892: »Es giebt eine Menge von Schaustellungen, auch solche in dramatischem Gewande, an welche niemand einen künstlerischen Maßstab legen wird, – Erzeugnisse vom Tage und für den Tag, für eine flüchtige Stunde, die mit anderen Vergnügungen des modernen Kulturmenschen, mit Gastmählern und Bällen, Wettrennen, Circus und Taschenspielerstücken auf einer Stufe stehen, ja oft genug noch erheblich niedriger. Sie brauchen die Bühne als räumliches Mittel der Darstellung, im übrigen haben sie mit den Brettern, die die Welt bedeuten, […] nichts gemein.« Adolf Graf von Westarp: Der Verfall der deutschen Bühne. Berlin: Lüstenöder 1892, S. 3f.
74 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Du suchst Alles Andere im Theater: Zerstreuung und Sensation, aber kein ernsthaftes literarisches Interesse bindet dich mehr an diese Stätte. Was ist die Kunst? Du kannst das Theater nicht mehr vom Wintergarten oder vom Zirkus unterscheiden.28
Linsemann zeigt sich unüberhörbar enttäuscht von der inkompetenten Rezeptionshaltung seines imaginären Publikums. Dass diese nicht erst ein Phänomen seiner Zeit sei, belegt er mit den Worten Friedrich Hebbels: Dieser habe schon einige Jahre zuvor beklagt, dass niemand mehr »in den Hallen [gemeint sind die Theater, NL] noch Bildung [suchte], wo, so stolz sie auch dastehen und so prahlerischer die Inschriften auch lauten mögen, die Bilder sinn- und planloser durcheinander fliegen, wie die Karten, mit denen die Kinder spielen.«29 Linsemann diagnostiziert eine Ununterscheidbarkeit zwischen Theater als Kunstanstalt und den Unterhaltungsetablissements dieser Zeit. In seinem Rekurs auf Hebbel liefert er als mögliche Ursache das große Durcheinander von Bildern, ohne diese näher zu spezifizieren. Die kritische Stimme spricht in larmoyanter Färbung dieser Veränderung die kunstvolle Inszenierung des Wortes ab und denunziert die Phänomene der sich herausbildenden visuellen und den ›niederen‹ Bedürfnissen frönenden Kultur als Qualität mindernd für die Theaterpraxis sowie den Publikumsgeschmack. Dem sinnigen Auge und erhobenen Herzen eines hochgebildeten Publikums stehe nur mehr der visuelle Genuss, die Lust am Schauen gegenüber, so bemängelt Gutzkow 1857, der eine Charakterisierung des Schauens anfügt, welche für die Untersuchung der Situierung von Theater innerhalb der visuellen Kultur entscheidend ist: Das S c h a u e n ist eine Krankheit geworden und den gierigen Blicken der Menge können nicht genug neue Feste, täglich seltsamere Darstellungen geboten werden – nur die Sehnerven des Auges schauen noch, verlangen nach Befriedigung; weniger wollen die Gefühle des Herzens, Sehnsucht und Phantasie sich im klaren Strom dichterischer Schöpfungen selbst beschauen, widerspiegeln und wiederfinden.30
Bereits um 1850, dies legen die bisherigen Ausführungen nahe, beginnt sich in Deutschland eine visuelle Kultur herauszubilden, die im Laufe der Jahrzehnte immer differenzierter wird und gekennzeichnet ist durch eine »Bilderflut« aufgrund der Möglichkeit der Reproduktion von Bildern: Illustrierte Presse, Plakate, Reklame, Schaufenster, visuelle Unterhaltungsformen wie Panoramen, Dioramen, Fotografie sowie die wachsende Lust eines breiten Publikums an visuellen Darbietungen aller Art perpetuieren, etablieren und kumulieren Möglichkeiten, Funktionen und Distributionsweisen von Bildern und deren Rezeption.31 Theater, so eine zentrale These dieser Untersuchung, 28 29 30 31
Linsemann 1897, S. 28. Ebd., S. 2. Gutzkow 1857, S. 446. Sperrung im Original. Slater redet von einer »Explosion von Spektakeln« seit der Jahrhundertmitte: »There is firstly an explosion in commercialised leisure and entertainment which stretches from sports and circuses through the revival of the theatre as mass entertainment […] and very much includes a massive expansion of the staged, professional magic show itself […]. Secondly, an explosion in the display of manufactured material world: shop display and advertising, museums, the international exhibitions starting with Crystal Palace. Thirdly, the consump-
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ist fester Bestandteil dieser sich im Laufe des Jahrhunderts immer weiter differenzierenden visuellen Kultur und bündelt deren Elemente exemplarisch.
S t ät t e n d e r » S c h au l u s t« : Bild-Medien und -Institutionen Die nachfolgenden Abschnitte dienen einer ersten Hinführung an die seinerzeit bei einem breiten Publikum besonders erfolgreichen (bild-)medialen Unterhaltungsformen und Institutionen, welche in die visuelle Kultur des hier zu behandelnden Zeitabschnittes von den sechziger bis in die neunziger Jahre eingebettet sind und diese wesentlich mitgestalten. Die Hauptfragestellung dieser Studie nach der Situierung und Funktion von Theater in der visuellen Kultur zwingt zu einer Reduktion dieser Übersicht auf diejenigen Bildmedien und Institutionen des Visuellen, die hinsichtlich des Umgangs mit visuellen Mitteln und deren Wirkung im weitesten Sinne mit Theater korrelieren:32 Die Medien Panorama, Diorama, Illustrationen sowie Fotografie, Panoptika und Einrichtungen der urbanen Bauform Passage. Diese vorläufige Konzentration schließt Querverbindungen zu anderen visuellen Medien und deren kulturund theatergeschichtliche Relevanz freilich nicht aus. Vielmehr bestätigen Bezüge zu anderen Medien und visuellen Unterhaltungseinrichtungen die Komplexität und Engmaschigkeit visueller Kultur.
›Alles für Alle zu sehen‹: das Panorama »Der Weg zu dem Verdeck des Schiffes führt den Besucher durch eine Damenkajüte, die in ihrer Einrichtung genau der wirklichen entspricht, und weiter über eine kurze Treppe. Dann befindet man sich mit einem Schlage auf dem Achterdeck des Dampfers inmitten des kolossalen Rundblickes. Ueber den Beschauer spannt sich ein wirkliches Sonnenzelt aus, da stehen die bekannten Klappstühle der Lloyddampfer, greifbar nahe und wirklich vorhanden sind die Ventilatoren, Masten, Spanten, Taue, Rettungsgürtel und Ankerketten […]. Nach vorwärts zu sieht man wie über die Riegelung hinweg auf das Hauptdeck des Schiffes […]; dahinter erscheinen Passagiere […], unter denen allen sich die Erwartung der bevorstehenden Landung deutlich bemerkbar macht. Ueber die Gruppen hinweg ragen die mächtigen rauchenden Schlote des Riesendampfers. Die Illusion ist wirklich vollkommen, und das Auge schweift nun über den Bordrand des Schiffes hinaus, um sich an der prächtigen landschaftlichen Schau zu weiden. Wir haben die deutliche Empfindung, als ob das Schiff unter unsern Füßen sich in voller Fahrt befinde, und unwillkürlich wendet sich der Blick dem zurückgelegten Wege zu.«33 tion of modern reality as spectacular: the flâneur, new buildings and bridges, events such as Nadar’s balloon ascent.« Slater in Jenks 1998, S. 230. 32 Vereinzelt liegen Monographien zu diesen Medien und Institutionen vor, die Entwicklung, Funktionsweise und Rezeption beleuchten. Auf die einschlägigen Publikationen zu den einzelnen Medien wird an den jeweiligen Abschnitten in diesem Kapitel hingewiesen. 33 Artikel »Das bremer Panorama der Hafeneinfahrt von Newyork«, in: IZ Nr. 2467, 11. Oktober 1890, S. 388.
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Wirklichkeit oder Illusion? – der Autor des oben wiedergegebenen Artikels der Illustrirten Zeitung schwankt in seiner Beschreibung des Panoramas der Hafeneinfahrt, das er 1890 in Bremen besichtigt. Detailliert gibt er seine Wahrnehmung wieder, bewegt sich durch die täuschend echte Damenkajüte, genießt den »kolossalen Rundblick« auf dem Achterdeck unter einem »wirklichen« Sonnenzelt, nimmt Passagiere wahr, die haptische Plastizität von Mast und Anker: Qua Betrachtung wird er Mitreisender des norddeutschen Lloyd-Dampfers Lahn. Erst im letzten Abschnitt der Rezension redet er von »Illusion«, von einem »Als-ob«. Die empfundene Bewegung bleibt dem »schweifenden Auge« vorbehalten. Am Ende der Vorstellung wird der Redakteur noch immer in Bremen, nicht im Hafen von New York sein. Denn der »Dampfer« ist nicht real, sondern das Panorama eines Dampfers, ein Konstrukt aus Malerei, plastischen Elementen und Architektur. Der Marinemaler Hans Petersen34, der das Panorama der New Yorker Hafeneinfahrt anfertigte, hatte sich, Zeitungsberichten zufolge, für die Anfertigung von Studien für das großformatige Bild längere Zeit ›an Ort und Stelle‹ aufgehalten. Wissend um die Attraktivität und Aktualität des Bildthemas genügt Petersen dem Interesse eines breiten Publikums an der Betrachtung von Panoramen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgrund ausgefeilter Herstellungstechniken zunehmend »wirklichkeitstreuer« werden. Neben einem großformatigen Rundbild, das der Autor hier en detail beschreibt, und das allein aufgrund seiner räumlichen Ausmaße und dreidimensionalen Wirkung die Illusion des Echten hervorruft, setzt Petersen Elemente ein, welche die Plastizität des Bildes – und damit die Wirklichkeitsnähe – potenzieren helfen: Es galt bei der Darstellung dieser Situation, die wirklich plastischen und gemalten Theile des Schiffes miteinander in Verbindung zu bringen, sodaß der Beschauer sich auf das Promenadendeck des Dampfers wirklich versetzt glaubt, rings vom wogenden Meere umgeben, mitten in dem bunten Getriebe eins Westhafens, wie ihn Newyork besitzt. […]35
Ein weiterer Kniff zur Illusionserzeugung ist die Ausstattung der Rotunde – des Gebäudes, das einzig für die Präsentation des Panoramas angefertigt wird – als Kajüte, durch die sich die Zuschauer zunächst bewegen, bevor sie »an Deck« das Rundbild betrachten.36 Mit diesem Verfahren vollbringt Petersen keine Pionierleistung, sondern rekurriert auf Techniken der Panoramagestal34 Der deutsche Marinemaler Hans Petersen (geb. 24.02.1850, Husum, gest. 18.06.1914, München) beginnt seine Laufbahn als Panoramamaler als Mitarbeiter von Louis Braun bei der Anfertigung des Panoramas Deutsche Colonien 1885. Neben seinem bekanntesten Panorama, der oben besprochenen Ankunft eines norddeutschen Lloyd-Dampfers in New York, fertigt er die Ausgrabung von Pompeji (1890), Helgoland mit der deutschen Kriegsflotte (1891), Rückkehr des New Yorker Doppelschrauben-Dampfers ›August-Victoria‹ aus ferner Welt nach Hamburg (1891) sowie Flottenparade vor Kaiser Wilhelm II. im Kieler Hafen. Vgl. Sehsucht. Das Panorama als Massenunterhaltung des 19. Jahrhunderts. Hg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1993, S. 171. 35 Artikel »Das bremer Panorama der Hafeneinfahrt von Newyork«, in: IZ Nr. 2467, 11. Oktober 1890, S. 388. 36 Vgl. Sehsucht 1993, S. 171.
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tung und -produktion, die sich bis in die neunziger Jahre als wirkungsvoll und gewinnbringend erwiesen hatten. »Die enormen Honorare, die im überhitzten Panoramageschäft gezahlt wurden, verleiteten auch Hans Petersen […], sein Talent und seine Arbeitskraft an die Riesenrundgemälde zu verschwenden.«37 Das Panorama der Hafeneinfahrt von Newyork ist nur ein Beispiel für ein frühes Massenmedium, das sich um die Wende zum 19. Jahrhundert international und unter allen gesellschaftlichen Gruppen großer Beliebtheit erfreut.38 In die »Bilderarmut« des 18. Jahrhunderts »platzten die ersten Riesenrundgemälde, die gegen einen verhältnismäßig geringen Obolus für jedermann zugänglich waren, wie eine Bombe.«39 So umschreibt der Kulturhistoriker Stephan Oettermann das Panorama, »dessen Erfindung und Entwicklung […] den Beginn des ›optischen Zeitalters‹« markiere, und das »vielleicht das wichtigste Leitfossil in der modernen Geschichte des Sehens« genannt werden kann.40 Oettermann liefert eine basale Definition eines Panoramas: Ein Panoramabild ist ein großes, zylindrisches Gemälde, das einen vollständigen 360-Grad-Rundumblick darstellt. Ausgestellt wird dieses Gemälde in eigens konstruierten Gebäuden (gleichen Namens), wo es gegen Eintrittsgeld betrachtet werden kann. Erst Bild und Gebäude – beides zusammen – bilden das Panorama, dessen ausschließliche Bestimmung die öffentliche, allgemein zugängliche Schaustellung ist.41
Im Jahr 1792 lässt sich der Ire Robert Barker42 seine Erfindung »la nature à coup d’oeil« patentieren, die in einer Fußnote der Veröffentlichung des Patents mit »Panorama« bezeichnet wird, eine »Alles-Schau« im doppelten Wortsinne: als Bild, auf dem alles für alle sichtbar ist.43 Rasch nach Barkers Patentierung werden zunächst vornehmlich in Frankreich und England, seit 37 Ebd. 38 »[T]he panorama seems to have been a largely middle-class spectacle.« Robin Lenman et al.: »Imperial Germany: Towards the Commercialization of Culture«, in: Robert Burns (Hg.): German Cultural Studies. New York: Oxford University Press 1995, S. 9-52, hier S. 42. 39 Stephan Oettermann. »Das Panorama – Ein Massenmedium«, in: Sehsucht. Ausst.-Kat. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: Steidl 1995, S. 72-82, hier S. 73. Oettermann hat die bislang umfangreichste Monographie zum Panorama vorgelegt, auf die sich alle nachfolgenden Arbeiten zum Thema direkt oder indirekt beziehen: Das Panorama: die Geschichte eines Massenmediums. Frankfurt a.M.: Syndikat 1980. 40 Oettermann in Sehsucht 1995, S. 72. 41 Ebd., S. 74. 42 Barker hatte bereits am 31. Januar 1788 vor einem Publikum in Edinburgh ein Panorama-Bild der schottischen Hauptstadt gezeigt. 43 »Heute, wo die Kunstform der Riesengemälde in Vergessenheit geraten ist, definiert jedes Wörterbuch den Begriff Panorama als Benennung einer Naturerfahrung und deutet den ursprünglichen Terminus technicus für die Medienmaschine als davon abgeleiteten Begriff.« Oettermann in Sehsucht 1995, S. 79. Zum Entstehungskontext und Barkers Weiterentwicklung der eigenen Erfindung vgl. Sehsucht 1993, Heinz Buddemeier: Panorama. Diorama. Photographie. München: Fink 1970. Ein früher Aufsatz von Kurt Karl Eberlein zum Verhältnis von »Diorama, Panorama und Romantik« erscheint im ersten Jahrgang der Zeitschrift Das Nationaltheater 1928/1929, S. 35-43.
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der Jahrhundertwende dann auch in Deutschland mit großem Erfolg Panoramen gezeigt. Als Pionier der deutschen Panoramamalerei gilt Johann Adam Breysig, Perspektivkünstler und Lehrer an der Magdeburger ProvinzialKunstschule. Die erste Rotunde wird 1800 durch den Kupferstecher Johann Friedrich Tielker auf dem Berliner Gendarmenplatz aufgestellt. Als Standorte gewährleisten insbesondere diejenigen Viertel, in denen sich schon länger auch andere Unterhaltungseinrichtungen etabliert hatten, eine gute Erreichbarkeit.44 Hierzu zählen auch die Jahrmärkte, zu deren Anlass meist Sonderformen der Panorama-Theater gezeigt werden.45 Die notwendigen Investitionen für den aufwändigen Bau und die Anfertigung eines Panoramas führen zur Gründung von Unternehmen, in denen Geschäftsleute, Geldgeber, Architekten, leitende Künstler, Arbeitsteams zur effizienten Teilung der Arbeit, Verkürzung von Produktionszeit und -kosten zusammenarbeiten. Nach 1850 entstehen zahlreiche, teilweise international tätige Panorama-Aktiengesellschaften, welche die Finanzierung der kostspieligen Kolossalbauten und -gemälde tragen.46 Damit wird die Panoramamalerei zweifelsohne auch zu einem wirtschaftlichen Unternehmen. Die Einführung von Standardmaßen für Leinwandformate und Architektur der Rotunden sowie die Errichtung von Vertriebsnetzen sind weitere, auch aus Gründen der Ökonomie gewichtige Faktoren, denn nur durch eine Normierung sind überregionaler und internationaler Austausch der Bilder gewährleistet.47 Allerdings führe der finanzielle und Konkurrenzdruck nicht selten zu einer »schleuderhaften Ausführung« durch die Maler, »von der Ungeduld der kapitalistischen Unternehmer gedrängt«, wie Hausmann 1890 anmerkt48. Industriell vorgefertigte Materialien (Eisenfachwerkbau für die Rotunde, fabrikmäßig hergestellte Farben und Leinwände49) vereinfachen den Produktionsprozess. Um am jeweiligen Standort so schnell wie möglich Gewinn zu erzielen, sind die Panoramabetreiber und -künstler zur absoluten Aktualität in den 44 Vgl. Weidauer 1996, S. 6. 45 »In [diesen Mischformen] vereinten sich charakteristische Elemente des alten Guckkastens mit solchen des Bänkelsängergewerbes und typischen Merkmalen der echten Panoramen. […] Zwischen den Bildern sorgten schwarze Abspannungen für ungeteilte Aufmerksamkeit auf das jeweilige Bild.« Die Bildmotive ähnelten denen der originalen Panoramen. Ansichten, biblische Stoffe, historische oder aktuelle Ereignisse, Szenenfolgen eines Ereignisses etc. Erika Karasek: »Jede Neuheit schnell und gut! Oder: Panoramen – älteste Berichterstattung der Welt?«, in: Schilder Bilder Moritaten. Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin. Berlin 1987. 46 Für Deutschland berichtet Hausmann 1890 von der Gründung einer PanoramaAktiengesellschaft in Frankfurt a.M. unmittelbar nach dem Erfolg des hiesigen Sedan-Panoramas aus dem Jahr 1880. S. Hausmann: »Die neueste Entwicklung der deutschen Panoramenmalerei«, in: Die Kunst für Alle, 4. Jg., Heft 17, 1. Juni 1890, S. 257-263, hier S. 258. »Wie heute der Filmproduzent, verteilten sie die Starrollen; die Stars waren die Künstler, d.h. die Maler und Hersteller der Rundbilder, und sie erhielten wahrhafte Märchenhonorare dafür. Der Maler Bruno Piglhein erhielt nachweisbar für seine Arbeiten an dem Rundbild »Kreuzigung Christi« für eine vorausgehende Studienreise nach Palästina 40000 Mark.« König/Ortenau 1962, S. 70. 47 Bernard Comment: Das Panorama. Die Geschichte einer vergessenen Kunst. Berlin: Nicolai 1999. S. 18. Hausmann 1890, S. 259. 48 Ebd. 49 Oettermann in Sehsucht 1995, S. 77.
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Bildthemen und deren Umsetzung verpflichtet. Somit oszilliert das Panorama zwischen kommerziellen Interessen, Bildungs- und Unterhaltungsanspruch. Die in den Kritiken der Zeit als »Panoramania«50 betitelte, in ganz Europa kursierende Begeisterung für großformatige Rundgemälde dauert nicht während des gesamten Jahrhunderts an, sondern unterliegt Schwankungen. In Deutschland erlebt die Unterhaltungseinrichtung Panorama mit dem DeutschFranzösischen Krieg 1870/71 nach einer längeren Pause ein ›Comeback‹. Die monumentalen, jetzt vermehrt die deutsche Geschichte und Politik darstellenden Bilder werden nun ganz gezielt auch zu Propagandazwecken oder auch als Medium der Reklame für das Deutsche Reich anlässlich der Weltausstellungen eingesetzt, was in Kapitel 3 noch ausführlicher zu besprechen sein wird. Während der achtziger Jahre gilt Berlin als Zentrum der Panoramaproduktion, zwischen 1880 und 1913 finden sich hier sechs fest stehende Rotunden mit 24 Panoramen.51 Ab 1880 übernimmt Deutschland die Führung in Panoramapräsentation und -Export.52 Die Bildthemen reichen von »nationalpatriotischen Darstellungen von Szenen aus dem Deutsch-Französischen Krieg über historische Ereignisse und »Ruhmestaten«.53 Im Dezember 1885 thematisiert das so genannte Colonial-Panorama eine blutige Strafaktion in der westafrikanischen Kolonie Kamerun (vgl. Kap. 3, Abschnitt Kolonien im Blick). Die Darstellung unterstreicht bewusst die imperialistische und rassistische Ideologie. Auf der Weltausstellung 1889 wird Die Geschichte des Jahrhunderts gezeigt, ein Panorama mit Abbildungen berühmter Persönlichkeiten seit 1789.54 Für kein Panorama jedoch wird ein höherer Aufwand betrieben als für das 1883 eröffnete Panorama der Schlacht von Sedan des Historienmalers Anton von Werner. Es dient patriotisch propagandistischen und kommerziellen Interessen. Neben diesem am Berliner Alexanderplatz55 aufgestellten Sedan-Panorama – das in Kapitel 3, im Teilkapitel Bilder des Krieges noch ausgiebig besprochen wird –, empfiehlt ein Stadtführer Berlins aus dem Jahr 1893 das 1881 eröffnete Nationalpanorama in der HerwarthStraße 4 hinter dem Generalstabsgebäude56 zur Besichtigung sowie das Panorama am Bahnhof Tiergarten.57 Als »Sehenswürdigkeit ersten Ranges« preist ein Redakteur der Zeitung Der Bär das im Atelier-Gebäude am Bahnhof Tiergarten in Berlin ausgestellte Panorama Jerusalem zur Stunde der Kreuzigung Christi. Ein gemischtes Publikum, darunter auch »eine Reihe von 50 Vgl. die gleichnamige Publikation von Ralph Hyde: Panoramania! The Art and Entertainment of the ›All-Embracing‹ View. London: Trefoil Publications 1988. 51 Weidauer 1996, S. 16. Das erste Panorama in Deutschland wurde, so Comment 1999, bereits 1800 in Berlin eröffnet. Es handelte sich um eine Ansicht Roms von den Ruinen der Kaiservilla, gemalt von Johann Adam Breysig. Das Panorama von Palermo von Karl Friedrich Schinkel wurde 1808 in Berlin gezeigt. Comment 1999, S. 51. 52 Vgl. Oliver Grau: »Das Sedanpanorama«, in: Jürgen Fohrmann et al. (Hg.): Medien der Präsenz. Köln: DuMont 2001, S. 143-169, hier S. 144. 53 Weidauer 1996, S. 16. 54 Comment 1999, S. 70. 55 Noch heute trägt eine Straße in unmittelbarer Nähe zum Alexanderplatz den Namen »Panoramastraße«. 56 Weidauer datiert die Eröffnung auf 1880. 57 Gindler/Stephan 1893, S. 92.
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hohen, als Gäste des Hofes in Berlin weilenden Persönlichkeiten«, zeigt sich begeistert: »Völlig gefesselt von der gewaltigen, düsteren Landschaft, vertiefen sich die Beschauer in die einzelnen Abschnitte des weltgeschichtlichen Aktes, welchen die Hand des Künstlers hier in so ergreifender Weise dargestellt hat.«58 Als eines der bekanntesten Panoramen ist schließlich noch das am 21. Januar 1892 an der Moltkebrücke in Berlin eröffnete Bild 250 Jahre Hohenzollern zu nennen, das Philip Fleischer, ein Münchner Maler, nach Henri Gervex’ und Alfred Stevens’ Panorama de l’Histoire du Siècle und auf der Grundlage der Fotografien, die diese von ihren berühmtesten Zeitgenossen angefertigt hatten, gestaltete (Abb. 5).59
Abb. 5: Die Hohenzollerngalerie, das neue Panoramagebäude nahe der Moltke-Brücke in Berlin Von Anfang an zählen pittoreske Stadtansichten und Landschaften sowie historische und politische Ereignisse – »Augenblicke patriotischer Erhebung«60, »Wendepunkte der Zeiten«61 – zum ständigen Repertoire der Panoramamaler in ganz Europa. Thematisch, aber auch formal lassen sich durchaus Vorbilder in der Kunstgeschichte, beispielsweise Theaterprospekte, Veduten oder Historiengemälde, finden. Die großformatigen Szenen entfalten eine beeindruckende monumentale und realistische Wirkung – hervorgebracht durch die vergleichsweise einfachen Mittel der vollständig geschlossenen Rundumsicht von 360 Grad und die Berücksichtigung der Gesetze der Zentralperspektive.62 58 O.S.: »Das Panorama ›Jerusalem zur Stunde der Kreuzigung Christ‹« in: Der Bär. 15. Jg., Nr. 42, 20. Juli 1889, S. 521. 59 Marie-Louise von Plessen: »Der gebannte Augenblick. Die Abbildung von Realität im Panorama des 19. Jahrhunderts«, in: Sehsucht 1993, S. 12-19, hier S. 17. 60 Comment 1999, S. 8. 61 O.S. 1889, S. 521 (siehe FN 58). 62 Zu Beginn eignet sich die Laterna magica als Medium zur perspektivisch genauen Skizze. Diese wurde anschließend mit Hilfe von Projektionslampen (auch
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Die vollkommene Naturnachahmung ist dabei oberstes Anliegen, die Darstellung von Tageszeitenwechsel, »Heraufziehen des Mondes« oder »Rauschen der Wasserfälle« zählen zu den besonderen Herausforderungen. Wie Walter Benjamin berichtet, rät »David […] seinen Schülern, in den Panoramen nach der Natur zu zeichnen. Indem Panoramen in der Natur täuschend ähnliche Veränderungen hervorzubringen trachten, weisen sie über die Photographie auf Film und Tonfilm voraus.«63 Das Streben nach höchst möglicher Illusion im Großbild resultiert, wie beschrieben, in der Beigabe von plastischen Elementen sowie dem Einsatz von Bewegung wie etwa in den exemplarisch zu nennenden Sonderformen Mareoama und Moving Panorama, die auch Zeitabläufe darzustellen vermögen (vgl. Abb. 6). Beim Mareorama wird vor den Augen der Betrachter eine großformatige Roll-Leinwand, meist mit Szenen maritimen Inhalts, etwa Küstenlandschaften, abgespult.64 Häufig ist die Besucherplattform, wie im oben beschriebenen Panorama der Hafeneinfahrt von Newyork, als Schiffsdeck gestaltet, so dass den Zuschauern suggeriert wird, sie befänden sich an Bord eines Schiffes, das am gezeigten Küstenstreifen vorbeifahre. Die überlieferten Aussagen der Rezipienten künden beinahe einhellig von der ungeheuren Wirkkraft der vraisemblance sowie von verblüfftem Staunen der Menge über die »Realitätstreue« und Monumentalität des Rundgemäldes. »Schwindel und Übelkeit« empfindet ein Zeitgenosse angesichts der panoramatischen Bildwirkung, infolge der »Unmöglichkeit, sich der Täuschung zu entziehen. Ich fühle mich mit eisernen Banden an sie gefesselt. Der Widerspruch zwischen dem Scheine und der Wahrheit ergreift mich.«65 Auch das ›Moving Panorama‹ vermittelt die Illusion einer Reise durch den Raum. Es besteht aus einem Gemälde in Form eines Streifens, der sich, gespannt zwischen zwei senkrechte Spulen, langsam von einer Spule zur nächsten abrollt.66 Der Zuschauer soll das Abrollen des Bildes als eigene Bewegung durch die dargestellte Landschaft empfinden, wie etwa während einer Zugreise.67 Dabei kommt, anders als beim unbewegten Panorama, das zur Erläuterung des Gezeigten einzig die Texthefte bereithält, ein narratives Element zum Tragen, indem während des Abrollens des Rundgemäldes ein Vor-
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diese der Laterna magica ähnlich), auf das zehnfache vergrößert. Gegen Ende des Jahrhunderts finden auch Fotografien als Vorlagen für die Panoramabilder Verwendung. Benjamin 1982, S. 48. Benjamin weist noch auf den Konnex von Panorama und »panoramatischer Literatur« hin, darunter Le livre des Cent-en-Un, Le diable à Paris oder La grande ville. Sie bestehen aus einzelnen Skizzen, deren anekdotische Einkleidung dem plastisch gestellten Vordergrunde der Panoramen, deren informatorischer Fond deren gemaltem Hintergrund entspricht.« Ebd. »Die perfekte Illusion einer stürmischen Reise auf hoher See führte das Mareorama von Hugo d’Alesi vor. Es bestand aus zwei Leinwänden von 750 Metern Länge, die sich auf Trommeln aufrollen ließen. Bewegte Meeresszenen, deren Bildwandel über einen komplizierten hydraulischen Mechanismus erzeugt wurden, heulende Sirenen und Meeresbrisenduft sollten das Erlebnis verdichten.« von Plessen in Sehsucht 1993, S. 18. Vgl. Buddemeier 1970. Sehsucht 1993, S. 230. Der Vergleich der Panoramawirkung mit einer Zugreise ist mittlerweile ein Gemeinplatz. Vgl. hierzu z.B. Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. Frankfurt: Fischer 32004.
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Abb. 6: Hotel de Russie. Risley’s Grosses bewegliches Original-Panorama des Mississippi-Flusses. leser die Darstellung im Bild erläutert.68 Somit wird das optische Spektakel der Panoramaschau zu einer Reise mit den Augen, genährt durch das während des 19. Jahrhunderts stetig anwachsende Verlangen nach der Erkundung fremder Kontinente, unbekannter Städte und einer quasi enzyklopädischen Erfassung des Weltgeschehens69 (vgl. Kap. 3). In seiner Programmstruktur, angelegt auf die Vermittlung von gezielt selektierten geschichtlichen, geographischen und vaterländischen Ereignissen und ›Fakten‹ popularisiert das Panorama ein kulturelles Wissen, das vormals einer Elite vorbehalten war. Die stereotypen Darstellungen bzw. Darstellungen von Stereotypen auf/in den Panoramen finden Einzug in das BildRepertoire anderer Medien, in die Reklame und in das kollektive Gedächtnis ihres Publikums. Zusätzlich zur vollkommen neuen optischen Erfahrung für ein breites Publikum – das Panorama als Massenmedium im Sinne eines 68 Oettermann in Sehsucht 1995, S. 80. 69" Die Panoramen, die eine Umwälzung im Verhältnis der Kunst zur Technik ankündigen, sind zugleich Ausdruck eines neuen Lebensgefühls. Der Städter, dessen politische Überlegenheit über das Land im Laufe des Jahrhunderts vielfach zum Ausdruck kommt, macht den Versuch, das Land in die Stadt einzubringen. Die Stadt weitet sich in den Panoramen zur Landschaft aus wie sie es auf subtilere Art später für den Flanierenden tut.« Benjamin 1982, S. 48.
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›Mediums für die Massen‹ – sind die ›emotionale Involviertheit‹ und der ›Zauber der Szenerie‹ bedeutsam. »Nicht mehr die Meinung geistiger Vorbilder war maßgeblich, es kam darauf an, daß die Masse sich unterhielt,« so Comment.70 Trotz – oder auch wegen – der Publikumsbegeisterung, trifft das Panorama aber auch die Diffamierung als außerhalb der ›richtigen‹ Kunst befindliches Bildmedium. Nichts sei »unkünstlicher als ein Panorama«, merkt e.g. Friedrich Freiherr von Khaynach an. Die Panoramamalerei habe nur den einen Zweck, dem »Mob etwas zu gaffen« zu bieten, der als Steuerzahler auch solche Formen der Unterhaltung zu verlangen legitimiert sei. Die individuelle Handschrift des Malers verschwände, so Khaynach weiter, zudem »jede technische und künstlerische Eigenart des Malers«, so dass die Panoramamalerei nur mehr »buchstäblich farbige Momentphotographie« sei.71
Sichtbarmachen von Zeit: das Diorama Den bei der Darbietung von Panoramen empfundenen Mangel an Bewegung sucht neben den genannten Sonderformen des Panoramas ein weiteres Medium auszugleichen, welches diesen im Format und teilweise thematisch zwar ähnelt, in der Funktionsweise jedoch ganz verschieden ist: das Diorama. Die Illusion einer als real empfundenen Situation entsteht nicht aufgrund der panoramatischen Dimension, sondern durch den Beleuchtungswechsel, der dem Bild eine zeitliche Dimension, einen transitorischen Charakter verleiht, durch den qua Licht simulierten Wechsel der Tageszeiten. Mit dem Panorama hat das Diorama zunächst nichts außer dem Großformat gemein. Comment vermutet direkte Wurzeln des Dioramas, das »viel mit Magie und Vorspiegelung zu tun«72 habe, in den Phantasmagorien, und zieht eine Verbindung vom Eidophusikon Philippe-Jacques de Loutherbourgs, das »durch Beleuchtungswechsel die Bewegung bestimmter mechanischer Teile den Wechsel von Zeit und Ort [simulierte]«.73 Neben dem pittoresken Gehalt beeindruckt insbesondere das Moment der Bewegungsillusion des Dioramabildes durch die gezielte Verwendung von Lichtquellen. Je nachdem, ob das Scheinwerferlicht von vorn oder von hinten auf die Leinwand trifft, erscheint die dargestellte Szene bei Tag oder nach Einbruch der Dunkelheit. Durch geschickten Wechsel der Beleuchtung vom Auflicht zum Durchlicht sowie durch langsames Auf- und Abblenden kann zudem die Illusion einsetzender und wieder vergehender Morgen- oder Abenddämmerung erzeugt werden.74
Es ist der Theatermaler und spätere Mit-Erfinder der Fotografie Jacques Louis Mandé Daguerre (1787-1851), der 1822 als erster ein Diorama entwickelt und es dem Pariser Publikum vorführt.75 Diesem ist er bereits vor Erfindung des Dioramas als Ausstattungschef der Pariser Oper bekannt. 70 Comment 1999, S. 116. 71 von Khaynach 1893, S. 29, hauptsächlich zum Sedanpanorama Anton von Werners. 72 Comment 1999, S. 61. 73 Ebd. 74 Sehsucht 1993, S. 205. 75 Jacques-Louis Mandé Daguerre und Charles-Marie Bouton (Schüler des Malers Jacques Louis David) fertigen eines der ersten oder sogar das erste Diorama an.
84 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Hier machte er sich durch seine ungewöhnliche Geschicklichkeit, mit der er die Trompe-l’œil-Malerei für illusionistische Bühnendekorationen praktizierte, einen Namen. Bald wurde er auch zum Fachmann für trickreiche Beleuchtungseffekte. Das Beherrschen dieser Techniken gab ihm den Anstoß zur Eröffnung des Dioramas […].76
Die ›Geburt‹ des Dioramas aus den Illusionsbedürfnissen der Theaterbühnen legt bereits ihr Einsatzfeld als Medium der Illusions- und Stimmungserzeugung in Opern oder Ausstattungsstücken nahe. Ebenso wie Panoramen, finden jedoch auch Dioramen Verwendung als eigenständige Medien mit exklusiven Vorführungen. Heinz Buddemeier erklärt Aufbau und Funktionsweise: Jedes Dioramabild, von denen immer zwei ausgestellt wurden, hatte eine Höhe von 22 Meter und eine Breite von 14 Meter. Als Farbträger diente transparente Leinwand, die nach einem von Daguerre entwickelten Verfahren je nach dem gewünschten Effekt deckend oder durchscheinend bemalt wurde. Das Licht fiel teils durch ein Oberlicht vor dem Bild und teils durch Fenster in der Rückseite des Gebäudes ein, wobei die Lichtmenge durch mehrere, verschiedenfarbige Blenden reguliert werden konnte. Die Zuschauer befanden sich in einem theaterähnlichen Raum mit ansteigenden Rängen, in dem fast völlige Dunkelheit herrschte. […] Wegen der komplizierten Beleuchtungseinrichtungen mußten die Bilder fest installiert werden; der Zuschauerraum war dagegen so gebaut, daß man ihn um die Mittelachse drehen konnte. Nach der Vorführung des ersten Bildes, die mit allen Beleuchtungseffekten, die vom Mondschein bis zum vollen Sonnenlicht gehen konnten, eine Viertelstunde dauerte, wurde der Zuschauerraum samt dem Tunnel vor das zweite Bild gedreht.77
Zu den bildthematischen und Programm-Schwerpunkten zählen die für die dioramatische Wirkung besonders geeigneten Darstellungen von Nebel, ziehenden Wolken, obskuren Gebäuden und Szenen, Wetterveränderungen und Nuancen des Lichts.
Der Bühnenbildner Carl Wilhelm Gropius eröffnet 1827 in Berlin eine große Rotunde, die bis 1850 in Betrieb bleibt, und auf der drei Szenen zugleich abgebildet sind, nämlich das Innere der Kirche von Bacharach, eine Ansicht der Stadt Genua sowie der Gletscher bei Grindelwald. Wie Comment informiert, fertigte Gropius insgesamt 26 Dioramen an. Comment 1999, S. 59. Für das Théâtre Ambigu-Comique arbeitet Daguerre, zusammen mit dem Bühnenbildner Luc-Charles Cicéri (1782-1868) an der Entwicklung aufwändiger Kulissen, die sich ineinander verschieben lassen und passend zum Szenenbild beweglich sind. Siehe Brauneck 1999, S. 291. 76 Ich sehe was, … 2002, S. 434 (= Abschnitt »Glossar der optischen Medien«). 77 Buddemeier 1970, S. 25f. Im Gegensatz zur umfangreichen Aufarbeitung der Geschichte des Panoramas konzentriert sich die Materiallage zum Diorama auf einzelne Aufsätze, oder auf Kurzdarstellungen in Arbeiten zum Panorama oder allgemeineren Medien- oder auch Filmgeschichten. Vgl. Astrid Weidauer: Berliner Panoramen der Kaiserzeit. Berlin: Mann 1996; Birgit Verwiebe: »Lichtspiele und Bewegungsbilder. Zur Geschichte des Dioramas«, in: Ich sehe was… 2002, S. 314-327.
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Nebelbilder/Dissolving Views Ähnliche Licht- und Zeitverschiebungseffekte wie sie die dioramatischen Bilder erzielen, kennzeichnen auch die so genannten ›Nebelbilder‹ oder ›Dissolving Views‹, weshalb sie an dieser Stelle eine skizzierende Beschreibung verdienen.78 Den Dissolving Views liegt eine besondere Projektionstechnik der Laterna Magica zugrunde: Zwei Bilder derselben Landschaft, einmal in Tages-, einmal in Nachtansicht, werden mit Hilfe zweier Projektionsgeräte so ineinander auf eine Leinwand projiziert, dass der Eindruck eines fließenden Übergangs von einem zum anderem Bild – also von Tag zu Nacht – entsteht.79 Im deutschsprachigen Raum wird dem Wiener Zauberkünstler Ludwig Döbeler (1810-1864) zugeschrieben, als erster Nebelbilder vorgeführt zu haben, im Jahr 1843 im Josephstädter Theater. In den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts sind solche Vorführungen auch in deutschen Theaterhäusern relativ häufig. Ein Beispiel für die Präsentation von Nebelbildern ist in der Vossischen Zeitung 1868 angekündigt: In Agoston’s Zauber-Salon im Rappo-Theater, Friedrichstraße 12, Berlin, präsentiert am 7. Januar 1868 der Eskamoteur Heubeck Stehnsche Wandelbilder. Themen dieser Bilder sind die Seeschlacht bei Lissa – Der Ausbruch des Aetna – Der Japanese Arr-Joo – Die dressirten Hunde.80 Die Fertigkeiten des Vorführers sind in der gleichen Ausgabe der Zeitung ausführlich beschrieben: Seine Kunstfertigkeit zeigt er besonders durch Belebung der vorgeführten Landschaften mit Menschen und Thieren, so wie durch merkwürdige, der Natur äußerst treu abgelauschte Lichteffekte. Er läßt das Sonnen- und Mondlicht auf den Wasserspiegeln, den Mond hinter heraufziehenden Wolken verschwinden – wobei die Lichteffekte der Wirklichkeit getreu copiert werden, bengalische Feuer in der blauen Grotte unter Capri aufflammen, ein Feuerwerk die rothen Felsen von Helgoland bestrahlen, auf den Gewässern des Schweriner Schlosses erleuchtete Gondeln eine Lustfahrt machen, den Löwenbrunnen im Vorhofe der Alhambra springen, eine Prozession mit Fackeln durch die Kirche St. Germain zu Paris ziehen, deren röthliche Strahlen sich an den mondbeschienenen Gewölbebögen brechen, ein Gewitter mit Blitz und Donner über ein Gehöft hinziehen, dessen Scheune von einem Blitzstrahl getroffen, in hellen Flammen auflodert, dann taucht allmälig der Mond wieder aus den Wolken und bescheint die glimmenden Balken und die letzten leisen Rauchsäulen. Besonders bemerkenswerth sind bei allen diesen Kunststücken die naturgetreuen allmäligen Übergänge der Lichteffekte in einander.81 78 Eine sehr ausführliche Darstellung bietet F. Paul Liesegang in seinem Artikel »Der Ursprung der Nebelbilder«, in: Deutsche optische Wochenschrift. 10. Jg., Nr. 15-16, 27. April 1924, S. 187-192. Siehe auch das Anleitungsbuch des Glasmalers und Produzenten von Nebelbilder-Apparaten H.R. Böhm: Anleitung zu Darstellungen mittelst der Laterna magica und des Nebel-Bilder-Apparates: für Schaustellungen, Lehranstalten und Privatgebrauch, nebst praktischer Methode der Glasmalerei. Hamburg: Richter 1876, sowie Olive Cook: Movement in Two Dimensions. London et al.: Hutchinson 1963. 79 Vgl. Liesegang 1924, S. 188. Siehe zur Funktionsweise und Geschichte auch: Ich sehe was … 2002, S. 434. 80 Voss. Ztg. vom 7. Januar 1868, erste Beilage. 81 Ebd.
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Für die Dissolving Views gilt wie für alle anderen, Realität simulierenden optischen Medien, dass sie sowohl den Appetit der Zuschauer auf die Darstellung von Realismus und Dokumentation als auch auf unerklärliche illusionistische Effekte befriedigen.82 Neben der Kombination von Dioramen und Nebelbildern innerhalb eines Programms, ist die Zusammenlegung von Diorama- mit Panoramaschauen in einem Gebäude üblich. Die Simulation von Zeit- und Stimmungswechseln des Dioramas und der Illusionsgehalt des Panoramas ergänzen sich etwa im Nordland-Panorama, das in den späten achtziger Jahren in der Wilhelmstraße 10 in Berlin gezeigt wird, und dessen Herstellung offenbar durch die Nordkap-Fahrt Kaiser Wilhelms II. angeregt wurde. Das neu eröffnete ›Nordland-Panorama‹ Berlin, Wilhelm-Strasse No. 10 Umfasst jetzt folgende Ausstellungen 1. Das Colossal-Rundgemälde (115 Meter lang, 15 u. 20 Meter hoch), Gebirgslandschaft aus den Lofoten dem Raftsund und den Vesteraalen-Inseln in Norwegen, 300000 Mtr. Über dem nördlichen Polarkreis, auf der Tour nach dem Nordcap gelegen. Der Beschauer befindet sich inmitten schneebedeckter Berge und eisiger Gletscher auf dem Berge Digermulkollen, welcher am 21. Juli 1889 auf der Nordlandfahrt von Sr. Majestät dem Kaiser erstiegen wurde, um das Rundgemälde von diesem Punkte in natura zu sehen. 2. Die 3 Dioramen stellen die grössten Naturphänomene des hohen Nordens dar und zwar: a) Polarnacht in Hammerfest, der nördlichsten Stadt d. Erde b) Mitternachtssonne am Nordcap. (Vom 13. Mai bis 31. Juli.) c) Nordlicht a.d. Westküste Spitzbergens, v. Stor-Fjordaus. Sämmtliche Motive der Scizzen für die Gemälde sind an Ort und Stelle durch die Künstler aufgenommen worden.83
Zur gründlichen Besichtigung des Nordlandpanoramas gehören eine Orientierungskarte sowie ein ausführlicher Führer, der die einzelnen Bilder beschreibt und mit geologischen sowie geographischen Daten untermauert, wodurch die Ausstellung gleichsam zum naturkundlichen Anschauungsunterricht wird. Zu den Dioramen heißt es im Textbuch: Wenn dem Beschauer in dem Kolossalrundgemälde die ganze Pracht einer nordi-
82 In den Worten Martin Meisels: »The Dissolving Views could be recommended, to parents and others, as ,real‹ illustration (of Contantinople and the Scenery of the Bosporus, for example), and be enjoyed for the wonder of the machinery and the enchantment of the transformations. In the name of improvement and truth many pleasures could be relished, while facts had a relish all their own.« Meisel 1983, S. 33. 83 Führer durch das Nordland-Panorama in der Friedrichstadt, Wilhelmstrasse 10, Berlin. Nebst Karten und Gemälde-Abbildungen. Das grosse Rund-Gemälde. Gebirgs-Landschaft. Aus den Lofoten- und Vesteraalen-Inseln (Norwegen). Text von Carl Planer. Berlin: Selbstverlag, o.J.
VISUELLE KULTUR DES 19. JAHRHUNDERTS | 87 schen Gebirgslandschaft vor Augen geführt wird, so soll in dem ersten Dioramenbilde sich das kulturelle Leben des hohen Nordens wiederspiegeln, während die beiden anderen Gemälde in naturgemässer Aufeinanderfolge den Uebergang, gewissermassen das Ausklingen der Natur bis zur Region des ewigen Polar-Eises veranschaulichen sollen.84
Die prominenten Gäste des Nordland-Panoramas äußern sich begeistert und bekräftigen dessen künstlerischen und geographischen Wert. Wilhelm II. bezeichnet die Gemälde als »das Beste und Vollendetste, was ich bis jetzt in der Panorama-Malerei gesehen, die Ausführung ist künstlerisch meisterhaft!« Und der König von Schweden zeigt sich überrascht von der »Naturtreue der Darstellung«, deren »Colorit und Beleuchtung […]. Die Kunstausstellung ist eine Anzeichnung [sic!] für mein Land und macht die landschaftlichen Vorzüge desselben Vielen bekannt.«85 Als ein weiteres Beispiel für die Präsentation von Dioramen aus späterer Zeit sei der Kristallpalast in Leipzig genannt, der unter anderem für Kunstreitervorstellungen, Musikfeste und Massenversammlungen dient.86 In dessen Ausstellungsbau sind sieben großformatige, von Münchner Künstlern gestaltete Dioramen ausgestellt, von denen die Illustrirte Zeitung vom 13. August 1887 berichtet. Zu sehen sind eine Ansicht von Monaco und Monte Carlo und das »Alpenglühen auf den Spitzen der Jungfrau«, Motive aus dem Süden, die nach Information des Rezensenten zu den Spezialgebieten des Malers, Edmund Berninger, zählen. Hermann Schneider, Experte für »klassische Frauengestalten«, malte das Bad einer römischen Kaiserin, der als Panoramamaler bekannte Louis Braun fertigte gemeinsam mit dem Landschaftsmaler Leopold Schönchen und dem bereits genannten Marinemaler Hans Petersen ein »Seemanöver in der Danziger Bucht« sowie den »schmachvollen Rückzug des großen Napoleons« aus der Völkerschlacht von Leipzig. Petersen, auch als Zeichner für die Illustrirte Zeitung tätig, bereist zur Zeit der »Negeraufstände« Kamerun und produziert für den Leipziger Kristallpalast ein Diorama der »Aquastadt Camerun«. Von Franz Simm stammt schließlich die Darstellung eines Harems.87 Farbenspiele der Natur, exotische Landschaften und Szenerien fremder Kulturen dominieren dieses Bild-Programm. Neben der Präsentation von Dioramen als eigenständige Medien in Rotunden oder ihrer Verwendung als Bühnenprospekte integriert etwa die Urania-Gesellschaft in Berlin die großformatigen Durchscheinbilder in ihr »wissenschaftliches Theater« (vgl. Abb. 7). Gegründet 1888 durch W. Foerster und M. Wilhelm Meyer, macht diese Gesellschaft es sich zur Aufgabe, anhand von Vorträgen und bildlichen Darstellungen naturwissenschaftliche Kenntnisse zu popularisieren.88 Im gleichnamigen Schaugebäude Urania in 84 Ebd., S. 8. 85 Ebd. 86 Siehe zum Kristallpalast die unveröffentlichte Magister-Arbeit von Thomas Bitterlich: Varietégeschichte um 1900. Studien zum Vergesellschaftungsprozess einer sozialen Figuration im Bereich der Freizeit. Universität Leipzig 2002. 87 Artikel »Aus dem Diorama des Krystallpalastes zu Leipzig«, in: IZ Nr. 2302, 13. August 1887, S. 159. 88 vgl. Hans-Jürgen Mende: Von der Kaiserstadt nach Groß-Berlin. Illustrierte Chronik 1871 bis 1920. Berlin 1993. Vorbild der Berliner Urania ist die gleichnamige Institution in Wien, die Meyer zuvor etabliert hatte. Vgl. hierzu Richard
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der Invalidenstraße sind Ausstellungssäle, Experimentiersäle und jene so genannten ›naturwissenschaftlichen Theater‹ untergebracht. Bereits im Eröffnungsjahr der Urania 1889 begleiten Dioramen mit Mondlandschaften den Vortrag »Von der Erde bis zum Monde«. Im Jahr 1890 wird ein kompletter Dioramenzyklus zur geologischen Vorgeschichte der Erde, nach Gemäldevorlagen aus der Hand von Landschaftsmaler Olof Winkler, gezeigt. Die Illustrirte Zeitung vom 11. Januar 1890 liefert eine detaillierte Beschreibung des Bilderzyklus, hier diejenige des ersten Bildes: Die erste dieser Landschaften ist ein ideales Bild der Steinkohlenzeit. Es bildet in dem geologischen Theaterabend der Urania die Schlußscene des ersten Actes. Und in der That war in dem gewaltigen Schöpfungsschauspiel dieses plötzliche Auftreten einer unbeschreiblich großartigen Vegetation ein höchst effectvoller Abschluß des ersten großen Actes des wildbewegten Dramas der Entwickelungsgeschichte unseres Planeten. Als der wallende Vorhang der dichten Nebel über den ersten kahlen Inselgruppen emporstieg, da begann dieses urgewaltige Drama.89
Abb. 7: Theater der Urania. Darstellung einer Sonnenfinsternis. Der Erfolg der wissenschaftlichen Vorträge – »Von der Erde bis zum Monde« wird 1889 wegen des hohen Publikumszuspruchs 120 Mal wiederholt – ist den beschriebenen visuellen Effekten der dioramatischen Bilder sowie dem Modus ihrer Präsentation zuzuschreiben. Die Bilder werden nicht als Projektionen vorgeführt, sondern als sich verwandelnde Gemälde mit gesondertem Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Begleitet durch erläuternde Texte ziehen »alle hauptsächlichsten Phasen der Erdgeschichte in einer abendlichen Vorstellung an dem Beschauer vorüber […].«90 Das Sichtbarmachen von Zeit und das Hervorbringen von Stimmungsbildern durch Beleuchtungswechsel sind mediale Spezifika des Dioramas. Anders als Wrede und Hans von Reinfels (Hg.): Das geistige Berlin. Berlin: Storm 1897, S. 341f. 89 Artikel »Zwei urzeitliche Landschaften aus dem neuen Dioramencyklus der Urania in Berlin« IZ Nr. 2428, 11. Januar 1890, S. 44. 90 Ebd.
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im Panoramabild ist im Diorama, wie Buddemeier argumentiert, nicht die Vorspiegelung einer Schein-Realität vorrangiges Ziel der Vorführung. Dies erkläre sich einerseits durch die Anordnung der Zuschauer, die in bequemen Sesseln inmitten eines abgedunkelten Vortragssaales sitzen91, der zum Sujet des Bildes keinen Bezug nimmt. Der totalen Täuschung stehe zudem entgegen, dass zwei Bilder gezeigt werden, und dass die Diskrepanz zwischen der realen und gezeigten Zeit zu hoch sei.92
Technische imitatio naturae: die Fotografie [Die] umfassende bildliche Orientierung und Beeinflussung der Massen wurde ermöglicht durch die Ergänzung, die die Hand des Zeichners und Malers in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in der Photographie gefunden hat. Dadurch ist nicht nur der Umfang des bildlichen Darstellungsgebietes der sichtbaren Erscheinungswelt schließlich ins ungeheure gestiegen, sondern auch der dokumentarische Wert des Bildes ist ungleich zuverlässiger geworden, und zwar der sämtlicher Bilder.93
Von allen im Kontext dieser Untersuchung vorzustellenden Bildmedien des 19. Jahrhunderts ist der Fotografie in medienhistorischen Arbeiten am ausgiebigsten Rechnung getragen und ihr eine exponierte Rolle in der visuellen Kultur des 19. Jahrhundert zugewiesen worden. Im Kontext der vorliegenden Zusammenschau von visueller Kultur und Theater soll nur auf ausgewählte Aspekte und technische Innovationen, die dieses Medium seit der Jahrhundertmitte prosperieren lassen, sowie auf Theaterfotografie als eine besondere Spielart der künstlerischen Fotografie eingegangen werden.94 Daneben ist zu zeigen, dass auch das fotografische Bild neben seinen technischen Voraussetzungen auf ästhetischen Konventionen der Bildproduktion basiert.
Technik des Bildes Die vermutlich weltweit erste Fotografie zeigt eine schemenhafte Hausfront in Frankreich (1827). Zugeschrieben wird sie allgemein dem Franzosen Nicéphore Nièpce (1765-1833), dem es 1826 gelingt, Metallplatten lichtempfindlich zu machen, und der aus seinem Arbeitszimmer ein Abbild der benachbarten Häuserreihe auf einer Platte festhält. In den Folgejahren arbeitet Nièpce zusammen mit Louis-Jacques Mandé Daguerre (s.o.) an der Weiter91 Es ist möglich, dass Richard Wagner die Idee, den Zuschauerraum zu verdunkeln, von solchen bildmedialen Vorführungen übernommen hat, deren Bild- und Lichteffekte erst durch die Verdunkelung des Vorführraums ihre Wirkung entfalten. 92 Buddemeier 1970, S. 27. 93 Fuchs 1985, S. 28. 94 Es kann hier nicht in aller Ausführlichkeit auf die Geschichte und Technik von Daguerreotypie und Fotografie eingegangen werden. Siehe hierzu die folgenden Darstellungen: Helmut Gernsheim: Geschichte der Photographie. Frankfurt a.M. 1983; Beaumont Newhall: Geschichte der Photographie. München 1984; Wilfried Wiegand: Frühzeit der Photographie 1826-1890. Frankfurt a.M. 1980; Silber und Salz. Zur Frühzeit der Photographie im deutschen Sprachraum 1839-1860. Ausst.-Kat., hg. von Bodo von Dewitz und Reinhard Matz. Köln, Heidelberg 1989; Busch 1997; Gisèle Freund: Photographie und Gesellschaft. Hamburg: Rowohlt 1997.
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entwicklung dieser Erfindung. Daguerre gelingt es nach Nièpces Tod, mittels Quecksilberdämpfen Bilder auf eine mit Jod sensibilisierte Silberfolie zu fixieren. Seine Entdeckung wird jedoch erst nach ihrer Ankündigung durch den Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Dominique François Arago, am 19. August 1839 auch der Öffentlichkeit bekannt. Schon bald nach ihrer Bekanntmachung löst die Erfindung eine Begeisterung unter weiten Teilen der Bevölkerung aus, die zeitgenössisch »Daguerreomanie« bezeichnet wird. Die mediale Eigenschaft der nach Daguerre »Daguerreotypie« genannten Erfindung, nämlich einen detailgetreuen Ausschnitt aus der Realität und einen Moment im Bild festzuhalten, verleiht den Bildern einen bis dato nicht möglichen Realismus.95 Durch nachträgliches Kolorieren der Bilder – initiiert vermutlich durch den Schweizer Maler Johann Baptist Isenring (1839-1842) – lässt sich der realistische Effekt noch steigern. »Man wunderte sich nur […] daß die Personen und die Bäume, die auf diesen naturgetreuen Bildern zu sehen waren, sich nicht bewegten,« so erinnert sich der Literat Max Dauthendey 1921.96 Die befürchteten Folgen für die bildende Kunst der Zeit sind bekannt: Die Malerei sei künftig obsolet, abgelöst durch ein nichtkünstlerisches Medium, das weitaus optimierter als die Malerei ein »objektiver Spiegel« der Natur sei.97 Zwei Mängel der Daguerreotypie – die stets spiegelverkehrte Abbildung des Originals sowie die Tatsache, dass jedes Bild ein Unikat bleibt – bleiben bestehen und verhindern die Entwicklung der Daguerreotypie zu einem Massenmedium. Erst die Verfeinerung und Verbesserung der Aufnahmetechnik in den Folgejahren ermöglichen das »Schreiben mit Licht«, die Fotografie. Der Engländer W. Henry Fox Talbot erfindet annähernd zur gleichen Zeit wie Daguerre und Nièpce ein verwandtes Verfahren, die Realität im Bild festzuhalten, indem er statt der Silberfolie der Daguerreotypien transparentes Papier als Material für Negative benutzt, mit denen sich auch Reproduktionen anfertigen lassen. Der entscheidende Aspekt für die Vereinfachung der Aufnahme besteht schließlich in der Verkürzung der Belichtungszeiten. Die Wiener Brüder Johann und Joseph Natterer reduzieren diese bereits im Jahr 1841 auf wenige Sekunden durch Sensibilisierung der Fotoschichten.98 Die Einführung verschiedener Formate des fotografischen Bildes, wie etwa das carte-de-visite-99 oder das Cabinet-Format, die wesentlich handlicher sind als
95 Zu Beginn wird die Daguerreotypie auch als »Pariser Modell der camera obscura« bezeichnet. Dies weist auf das Medienverständnis der Zeit hin, das in der neuen Erfindung eine Weiterentwicklung eines älteren Mediums sieht. 96 Max Dauthendey: Der Geist meines Vaters. Aufzeichnungen aus einem begrabenen Jahrhundert. München 1921, S. 72. 97 Die Malerei sei »tot von heute an«, soll der Maler Paul Delaroche (1797-1865) nach der Veröffentlichung der Erfindung geäußert haben. Vgl auch Gerhard Plumpe: Der tote Blick. Zum Diskurs der Photographie in der Zeit des Realismus. München 1990. 98 Vgl. Ursula Peters: Stilgeschichte der Photographie in Deutschland 1839-1900. Köln 1979, S. 26. 99 Carte-de-Visite-Format heißen Bilder in der Größe einer Visitenkarte. Sie entstehen durch sukzessive Teilbelichtung desselben Negativs, durch die mehrere, zumeist acht, Aufnahmen desselben Motivs in der Größe 5,7 x 9 cm bzw. 6,3 x 10,2 cm aufgenommen werden konnten. Die Erfindung dieses Verfahrens lässt sich 1854 André Adolphe Disdéri (1819-1889) patentieren. Siehe hierzu Freund 1997.
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die daguerreotypischen Platten, sowie ihre leichte Vervielfältigung beschleunigen zusätzlich die Entwicklung der Fotografien zu Massenbildern. Die hier in aller Knappheit beschriebenen technischen Voraussetzungen beeinflussen wesentlich die Motive und Anwendungsbereiche der Fotografie. Galt zum Beispiel das Portrait in der Malerei als Privileg der oberen Schichten, so wird die Porträtfotografie auch für den »Durchschnittsbürger« erschwinglich, das Atelier wird zu einer Bühne eines »gesellschaftliche[n] Persönlichkeitstheater[s]«, wie Busch anmerkt, dort findet ein »perfektioniertes Zusammenwirken der Beteiligten, die fotografische Synchronisation von gesellschaftlichen Idealbildern, tradierten Konventionen, individueller Physiognomie, technischem Verfahren und künstlerischer Ambition« statt.100 Die Verewigung der eigenen Person im Bild wird möglich, prominente Personen werden vor Einführung der illustrierten Presse für die Öffentlichkeit visuell verfügbar.101
Künstlerische Fotografie, Theaterfotografie Schon in der Frühphase der Fotografie ist die Frage strittig, ob die Fotografie als Kunst anzusehen ist. Gegner der Fotografie bemängeln die Dominanz der Technik, die keinen individuell kreativen Raum lasse, durch den sich künstlerische Arbeit auszeichne. Zahlreiche bildende Künstler billigen zwar nicht den künstlerischen Eigenwert der Fotografie, nutzen jedoch ihre Technik als optisches Hilfsinstrument für ihre Arbeit, ebenso wie sie zuvor die Camera obscura als assistierendes Medium zur perspektivisch genauen Wiedergabe etwa von Land- oder Raumansichten angewandt hatten.102 Statt des Originals nehmen Maler und Bildhauer häufig fotografische Aufnahmen zur Vorlage, um Objekte nachzuzeichnen oder nachzubilden. Der ›dokumentarische‹ Gehalt der ›objektiven‹, weil apparativen Fotografien hilft somit einen Bild›Realismus‹ hervorzubringen, wie ihn zuvor kein Medium oder eine Kunstform erreicht hatte. Es lässt sich also formulieren, dass sich die Weiterentwicklung der Fotografie auch dem Bedürfnis bildender Künstler nach neuen Möglichkeiten exakter Aufzeichnung von Motiven verdankt.103 Wie Walter Benjamin ausdrückt, arbeiten »die überkommenen Kunstformen in gewissen Stadien ihrer Entwicklung angestrengt auf Effekte hin, welche später zwanglos von der neuen Kunstform erzielt werden.«104 Befürworter des neuen Bildmediums nutzen Kompositionstechniken und Inszenierungsstrategien zur Herstellung fotografischer Bilder und führen mit der künstlerischen Fotografie eine eigene Gattung des technischen Bildes ein. Die Orientierung der Fotografen an bildästhetischen Konventionen105 zeigt 100 101 102
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Busch 1997, S. 314. Vgl. Freund 1997. Vgl. zur Camera obscura, ihrer Technik und Funktionalisierung u.a. Busch 1997, Crary 1996; Ludwig Fischer: »Perspektive und Rahmung. Zur Geschichte einer Konstruktion von ›Natur‹, in: Segeberg 1996, S. 69-96. Vgl. zum Verhältnis von Fotografie und bildender Kunst etwa Anette Geiger: Urbild und fotografischer Blick. München: Fink 2004, besonders S. 151-180. Benjamin 1977, S. 37. Diese Orientierung des technischen, vermeintlich objektiven Mediums Fotografie an Kunst und Inszenierungsstrategien stößt auf Kritik, beispielsweise bei Siegfried Kracauer: »Die Arrangements, die über die geschickte Anlehnung an bekannte Manieren nicht hinausweisen, verfehlen genau die Darstellung des Naturrestes, die der entwickelten Technik in gewissem Umfange möglich wäre. […] [Die künstlerische Photographie] arbeitet nicht den der
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sich auch in der Selektion der fotografischen Motive. Diese beruht auf Vorstellungen des Pittoresken verstanden als das Armselige, Fremdartige und Antiquierte, das Bedeutsame, i.e. das Reiche, Illustre und Schöne.106 Neben der Selektion der Aufnahmeobjekte sind auch die Maßnahmen ihrer ästhetischen Aufbereitung Konventionen der Malerei, tradierten Wahrnehmungs- und ikonographischen Mustern geschuldet. »Die im herkömmlichen Verständnis naheliegende Chance, das Bildresultat bestimmten Erwartungen gemäß zu beeinflussen, war die Gestaltung der Szene – das Arrangement dessen, was zur Ansicht gebracht werden sollte« wie Bernd Busch ausführt.107 Dies betrifft insbesondere die künstlerische Fotografie seit den fünfziger Jahren, die Portraitfotografie (die sich in Bezug auf die Positionierung des Modells und der Einbeziehung von – den sozialen Status repräsentierenden – Requisiten an der Ikonographie des Herrscherportraits orientiert) und die Theaterfotografie. Im Hinblick auf das im Vorliegenden zu untersuchende Verhältnis von Theater und visueller Kultur ist die Theaterfotografie insofern bedeutsam, als diese Form der künstlerischen Fotografie den engen Konnex von bildkünstlerischen Konventionen, Fragen der Bildkomposition und neuen Techniken des Visuellen beleuchten hilft. In seinem Aufsatz Die Kunstwürde der Fotografie (1864) beschreibt Ernest Reulbach, wie eine im fotografischen Atelier nachgestellte historische Szene aufzubauen sei. Die Analogien seiner Ausführungen mit den Anforderungen einer gut komponierten Theaterszene sind evident. [Der Fotograf wird] die Geschichte und Charaktere derjenigen Personen kennen müssen, welche er vorzuführen im Sinne hat; Kostüme, Draperien und sonstige Beiwerke müssen genau dem Zeitalter angepaßt sein, in welchem die Handlung sich entwickelt. Aber auch die äußeren Gesichts- und Körperformen sollen ein möglichst getreues Konterfei der darzustellenden Personen geben, weshalb die Hauptschwierigkeiten in dem Auffinden und der Stellung der Modelle liegen, welche in Haltung und Gesichtsausdruck genau der Idee des fotografischen Künstlers entsprechen sollen. Er soll außerdem durch geschickte Zusammenstellung der Charaktere, sowie durch einen richtig gewählten Moment nicht nur den ganzen Vorgang klar vor Augen stellen, sondern selbst das Vorhergegangene wie das Folgende einigermaßen ahnen lassen und so in Anordnung wie Behandlung des historischen Stils eine dramatische Wirkung hervorzubringen suchen.108
Reulbach beruft sich in seinen Anforderungen an die künstlerische Fotografie implizit auf die ästhetischen Konventionen der Historienmalerei und des Theaters. Die Gestaltung einer Fotografie historischen Inhalts hat trotz der technischen Komponente Regeln der ›visuellen Wahrscheinlichkeit‹ zu berücksichtigen, zu deren Gelingen auch die genaue Figurenkonzeption und
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photographischen Technik zugeordneten Gegenstand heraus, sondern möchte das technische Wesen stilvoll umkleiden.« Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977, S. 28. Vgl. Susan Sontag: Über Fotografie. Frankfurt a.M. 1999, S. 65. Busch 1997, S. 307. Ernest Reulbach: »Die Kunstwürde der Fotografie« (1864), wiedergegeben in Wolfgang Kemp (Hg.): Theorie der Fotografie. München 1980, S. 126-129, hier S. 127.
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-konstellation sowie die Wahl eines fruchtbaren Moments, aus dem sich Vorher und Nachher erschließen lassen, gehören. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts kann unter ›Theaterfotografie‹ am wenigsten die »Live-Aufnahme« von Aufführungsmomenten verstanden werden. Zu begründen ist dies mit den noch relativ langen Belichtungszeiten, die konträr stehen zur Transitorik des szenischen Spiels. Fotografische Liveund Momentaufnahmen sind nur partiell seit den späten achtziger Jahren realisierbar.109 Wie Erich Stenger informiert, werden im Jahr 1884 im Berliner Opernhaus »beim Licht elektrischer Glühlampen während der Aufführung der ›Walküre‹ zwei Aufnahmen von der mittleren Königsloge aus [angefertigt].«110 Bis dahin sind fotografische Szenenbilder ausschließlich gestellte. Die Schwierigkeiten, den Raum angemessen auszuleuchten sowie die langen Belichtungszeiten sind der Grund für die Verlagerung von »Szenen-Aufnahmen« in die Ateliers. Dort werden mit großem Aufwand die Dekorationen und Requisiten der Aufführungen aufgebaut, und Kernmomente und Schlüsselszenen des jeweiligen Theater- oder Opernstückes nachgestellt. Fertig entwickelt, werden die solcherart rekonstruierten Szenen mit entsprechenden Titeln, Textstellen oder Dialogen unterlegt und seriell durchnummeriert, so dass der Betrachter sich die Inszenierung nach der eigentlichen Aufführung noch einmal qua Bild vergegenwärtigen kann. Einen Hauptteil der Theaterfotografie bilden die Portraits berühmter Schauspieler und Sänger im Carte de visite oder Cabinet-Format.111 Den Darstellern dienen die Bilder zur Eigenwerbung, indem sie entweder einzelne Rollenportraits im Visitkartenformat anfertigen lassen und bei potentiellen Arbeitgebern verteilen, oder eine Collage von photographischen Rollenstudien fertigen, um einen Querschnitt über ihr Rollenrepertoire vorzeigen zu können (vgl. Abb. 8). Bereits in den fünfziger Jahren fotografieren Etienne Carjat, Napoleon Sarony oder Félix Tournachon Nadar Schauspieler. Die Aufnahmen werden in den Schaukästen der Fotografen für die Passanten ausgestellt und sind später auch in Zeitungen zu sehen. Von dieser neuartigen Konfrontation der Akteure mit der Öffentlichkeit berichtet Nadar: »Das Publikum drängte sich vor den zahlreichen Portraitaufnahmen bekannter Persönlichkeiten, die es noch nicht kannte, vor berühmten Theaterschönheiten, die es bisher nur von wei109
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Niemann datiert die ersten tatsächlichen fotografischen Theateraufnahmen um die Jahrhundertwende. Carsten Niemann: Aus meinem Hannoverschen Bühnenalbum. Erfurt: Sutton 1998, S. 7. Erich Stenger: Siegeszug der Photographie in Kultur, Wissenschaft, Technik. Seebruck am Chiemsee 1950, S. 1098. Stenger gibt an, in den USA seien 1881 die ersten gestellten Theaterszenen auf der Bühne fotografiert worden, wenn auch nicht während der Aufführung. 1884 sei das erste Mal das Publikum von der Bühne aus aufgenommen worden, wobei die Belichtungszeit noch immer vierzig bis sechzig Sekunden betragen habe. Ebd. Siehe zur Theaterfotografie weiterführend folgende Publikationen: Claudia Balk: Theaterfotografie. München 1989; Balme 1995; Glanzrollen. Darstellerfotografie vom 19. Jahrhundert bis 1933. Hg. von der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Köln. Pulheim-Brauweiler 1995; Niemann 1998; Laurence Senelick: »Eroticism in Early Theatrical Photography«, in: Theatre History Studies 11, 1991, S. 1-50.
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Abb. 8: Fächerbilder der Darsteller des Berliner Victoria-Theaters, anlässlich der 200. Vorstellung von Stanley in Afrika 1890. Foto: Dr. Mertens & Cie, Berlin. tem bewundert hatte und nun in Bildern, wie lebend vor sich sah.«112 Der Privatier erwirbt eine Fotografie, später eine Postkarte ›seines Bühnenstars‹ für den Hausgebrauch und wird zum ›Anteilseigner‹ dessen Ruhmes, wenngleich nur visuell. Die Massen-Distribution und Vermarktung der Fotografien weist fortan ein Bild als eine Ware aus, und die Käuflichkeit des Abbilds verringert imaginär die Distanz zwischen Bühnenkünstler und Zuschauer.113 Der voyeuristische Blick des Zuschauers, der mit Hilfe seines Opernglases die Bühne und physiognomische Details heranzoomt, wird somit zum Modus der Betrachtung auch der Darstellerfotografien. Gegen Ende des Jahrhunderts wächst die Anzahl der Amateurfotografen, die Produktion und Reproduktion von Bildern der realen Welt werden gesellschaftsfähig und verleihen der Fotografie eine demokratische Komponente – wenngleich der Maßstab, welche Objekte ›sehenswert‹ und daher ›abbildenswert‹ seien, gleichsam ästhetisch präskriptiv ist. Denn diese ›Ansichten‹ des Pittoresken rekurrieren auf ›Wahrnehmungsschulungen‹ der Fotografen, aber auch der Betrachter durch vorangegangene Bildmedien und die bildende Kunst. Für die vorliegende Untersuchung ist die Fotografie insofern von In112 113
Félix Tournachon Nadar: Als ich Photograph war. Bern, Zürich 1978 [1900], S. 155. Gleichzeitig wächst das Interesse an der Privatsphäre der Darsteller, wofür Julius Bab den älteren Begriff der Theatromanie verwendet. Für ihn bedeutet diese das »dauernde Verhältnis weiter Bevölkerungskreise zum Theater« und dem Interesse an der Korrespondenz von öffentlichem und privatem Gesicht der Künstler. Julius Bab: Theater im Lichte der Soziologie. Leipzig 1931, besonders S. 130-135.
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teresse, als sie die Massendistribution von Bildern, die zum Charakteristikum der visuellen Kultur des 19. Jahrhundert gehört, mittels technischer Innovationen forciert.
Stereoskopie: Bilder in dritter Dimension Aus den Beschäftigungen mit der Physiologie des Sehsinns, insbesondere mit den Techniken des Binokularsehens, geht ein weiteres Bildmedium hervor, das sich insbesondere im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einem (heute weit gehend vergessenen) Massenmedium etabliert: die Stereofotografie. Es handelt sich bei Stereobildern um zwei (fotografische) Aufnahmen desselben Motivs, die perspektivisch leicht voneinander abweichen, nämlich um das gleiche Maß, um das die Blickwinkel des menschlichen Auges voneinander divergieren. Die beiden Aufnahmen werden nebeneinander auf einem Bildträger fixiert.114 Beim Anschauen des Doppelbilds in einem Betrachtungsgerät, dem Stereoskop, konvergieren die Bildhälften zu einem einzigen dreidimensionalen Gesamtbild. Damit imitieren die stereoskopischen Bilder die Funktionsweise des menschlichen Binokularsehens, das ebenfalls auf der Konvergenz beider Sehachsen zu einem räumlichen Bild basiert. Der Physiker Charles Wheatstone (1802-1875) weist die physiologischen Bedingungen des Raumsehens nach, trägt sie am 21. Juni 1838 der Royal Society vor und publiziert seine Beobachtungen in den Philosophical Transactions of the Royal Society.115 Wheatstone belegt, dass beim Betrachten von Gegenständen, die weit vom Betrachter entfernt liegen, die Sehachsen beinahe parallel sind, während sie beim Betrachten nahe gelegener Gegenstände sehr unterschiedlich sind. Auch im Fall der Stereofotografie kann nicht en detail auf deren Funktionsweise und Rezeption eingegangen werden, weshalb auf die einschlägigen Publikationen zum Thema verwiesen sei.116 Von Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist die Stereofotografie als Massenmedium, als ein Bildmedium, das für alle Gruppen der Gesellschaft Zugang zum Bild schafft und zur Reproduktion von Bildern, Bildwissen und zur visuellen Unterhaltung beiträgt. Mit der technischen Reproduzierbarkeit des fotografischen Bilds wird auch die Stereofotografie massenhaft hergestellt, zumeist von Manufakturen, die sich auf die Herstellung der Bilder spezialisieren und schnell die Stereofotografie zu einem Profit trächtigen Geschäftszweig werden lassen, darunter die London Stereoscopic Company oder die Underwood & Underwood Company, um nur zwei der bekanntesten zu nennen.117 Obwohl die Stereofotografie von der technisch bedingten 114
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Der Stereo-Effekt ist auch ohne Fotografie möglich, allerdings erhöht die Genauigkeit der fotografischen Aufnahme auch die Wiedergabe der Bilddetails, so dass mit Hilfe der Fotografie auch der dreidimensionale Effekt präzisiert wird. Gerhard Kemner (Hg.): Stereoskopie. Berlin 1989, S. 19. Weiterführende Darstellungen zu Technik und Geschichte der Stereofotografie liefern, in Auswahl: Kemner 1989; William C. Darrah: The World of Stereographs. Gettysburg, Pennsylvania: Darrah 1977; John Jones: Wonders of the Stereoscope. New York: Knopf 1976, sowie die weiter oben angegebenen Fotogeschichten. Vgl. Fußnote 95. »In its first two years the company [gemeint ist die London Stereoscopic Company, NL] sold half a million stereoscopic viewers, and in 1858 its advertised stock numbered 100,000 different views.« Jones 1976, S. 26.
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Exaktheit der Fotografie profitiert – durch die Genauigkeit in der Abbildung werden die Details deutlicher sichtbar, der Raumeffekt verstärkt –, bleibt sie doch ein eigenes Bildmedium, wenngleich ein hybrides: Die Doppelbilder sind auch nach Skizzen oder als Collage von fotografischen und gemalten Elementen gestaltet oder bestehen, vergleichbar dem Diorama, aus transluziden Bildträgern, die bei Beleuchtung von vorn oder hinten das Bild zum Leuchten bringen, wodurch die Bilder eine zeitliche oder stimmungsvolle Ebene erhalten.118 Neben der Massenproduktion der Stereobilder dient auch die Vereinfachung und Verkleinerung der zur Ansicht notwendigen Betrachtungsgeräte der schnellen Entwicklung des neuen Bild- zu einem Massenmedium. Hatte Wheatstone noch mit einem Spiegelstereoskop gearbeitet, dessen Handhabung sich für den Hausgebrauch nicht eignete, so entwickelt David Brewster Ende der vierziger Jahre einen handlichen und preiswert herstellbaren Betrachtungsapparat, den er offiziell auf der ersten Weltausstellung 1851 in London präsentiert.119 Zehn Jahre später führt der amerikanische Schriftsteller und Arzt Oliver Wendell Holmes das Handstereoskop ein, ein handliches Betrachtungsgerät für den Hausgebrauch. Holmes’ Worte beim Betrachten der Raumbilder sind viel zitiert, weil sie den stereoskopischen Effekt anschaulich beschreiben: Die dürren Äste eines Baumes im Vordergrund kommen auf uns zu, als wollten sie uns die Augen auskratzen. Der Ellbogen einer Figur steht derart heraus, daß wir uns bedrängt fühlen. Und dann ist da eine so erschreckende Fülle von Details, daß wir den gleichen Eindruck einer unendlichen Vielfalt empfangen, wie ihn die Natur selbst hervorbringt. Ein Maler gibt uns Massen; das stereoskopische Bild unterschlägt nichts – alles ist da, […]. Viele Leute glauben, daß sie auf Miniaturabbildungen der dargestellten Objekte schauen, wenn sie durchs Stereoskop sehen. Sie sind erstaunt, wenn sie erfahren, daß sie die meisten Objekte so groß sehen, wie sie ihnen in der Natur erscheinen würden.120
Der Betrachtungsmodus des Stereoskops ist ein sehr privater, kann doch eine Aufnahme immer nur von einer Person angeschaut werden. Damit trägt die Stereofotografie zwar zur Massendistribution von Bildern bei, ermöglicht aber als einziges visuelles Massenmedium jener Jahre für den Moment der Betrachtung einen ungeteilten, subjektiven Blick auf das dreidimensionale Bild.121 Holmes hat in seiner Schilderung des Gesehenen diese Privatheit und 118
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Vgl. hierzu Senelick: »[T]he stereoscopic image is more than in the tradition of the diorama and the peepshow than in that of the daguerreotype and his successors.« Laurence Senelick: »Double Vision: Second Empire Theatre in Stereographs«, in: Theatre Research International, Vol. 24, Nr 1, 1999, S. 8288, hier S. 85. Siehe auch David Brewsters Schrift: The Stereoscope. Its History, Theory, and Construction. New York 1856. (deutsch: Das Stereoskop, seine Geschichte, Theorie und Construction. Weimar 1857). Oliver Wendell Holmes: »Das Stereoskop und der Stereograph« (1859), in: Kemp I 1980, S. 114-121, hier S. 116f. Siehe auch Gernsheim 1983. Es gibt im 19. Jahrhundert auch Versuche, die Dreidimensionalität des Bildes durch Projektion gleichzeitig einem größeren Publikum vorzuführen, wie gegenwärtig in den 3D-Filmen üblich. Allerdings bleibt ein vergleichbarer Erfolg, wie er bei der Stereofotografie zu beobachten ist, aus, was vermutlich
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Intimität von Betrachter und Bild bereits angedeutet. Laurence Senelick, der sich aus theaterwissenschaftlicher Perspektive mit der Stereofotografie befasst, beschreibt diese Privatheit: »[T]he stereoscope’s possessor had the Faustian option to halt the moment, linger over the sharply defined details, and mentally devise a context.«122 Die Begeisterung über das neue Medium bei weiten Teilen der (europäischen und amerikanischen) Bevölkerung wird zeitgenössisch als »Stereoskopomanie« bezeichnet.
Motivische Präferenzen der Raumbilder Eng mit den physiologischen und technischen Voraussetzungen der Stereoskopie verbunden ist die Privilegierung bestimmter Bildinhalte durch die Stereofotografen: Bevorzugt werden solche Motive mit mehreren Bildebenen, bei denen der Bildvorder- und Mittelgrund sehr detailreich, während der Bildhintergrund eher klar und flächig bleibt.123 Zudem sind per se plastische Gegenstände für eine stereoskopische Aufnahme prädestiniert, weil ihre Körperlichkeit bei Betrachtung im Stereoskop noch potenziert wird. Es lässt sich gleichsam von einer Typologie des Stereobildes sprechen, die Aufnahmen von Städten, Landschaften, Skulpturen, Architektur, Aktdarstellungen, so genannte Akademien,124 Adaptionen von Literatur und Theater umfasst. Mit Ausnahme der erotischen Abbildungen empfiehlt bereits Brewster 1856 diese stereoskopischen Bildthemen, weil sie den plastischen Effekt der Bilder potenzieren helfen. So streicht er etwa Funktion und Wirkung der Wiedergabe einer Theaterszene im Stereobild heraus: »[T]he most interesting scenes in our best comedies and tragedies might be represented with the same distinctness and relief as if the actors were on the stage.«125 Vermutlich stellt der französische Fotograf Léon Constant Lamiche (genannt Lamiche fils) als erster Stereobilder mit theatralen Sujets her. Daneben sind insbesondere die Fotografen François Lamiche, Adolphe Block und Jules Marinier bekannt durch ihre Theaterbilder mit Raumeffekt. Hauptsächlich in den siebziger und achtziger Jahren fertigen sie Serien zu den besonders erfolgreichen und bekannten Opern- oder Theateraufführungen, darunter e.g. die Grands Operas L’Africaine, Robert le Diable, La Muette de Portici, Guillaume Tell, Faust sowie Féerien und Darstellerpor-
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mit dem beschriebenen subjektiven Sehen zusammen hängt. Vgl. hierzu u.a. Karl Rosenberg: Beiträge zur Stereoskopie und zur stereoskopischen Projektion. Wien, Leipzig: Hölder 1912. Senelick 1999, S. 85. »[U]m den stereoskopischen Effekt hervorzurufen, müssen dem binokularen Blick genügend Punkte zur Verfügung stehen, die entsprechende Variationen für die konvergierenden Winkel der Sehachsen erlauben«, erläutert Hick 1999, S. 81. »Akademien« heißen die Aktfotografien aufgrund ihres offiziellen Zwecks als Vorlagen für Aktstudien in Zeichnungen oder Plastiken. Inoffiziell werden die erotischen und pornographischen Stereobilder (teils illegal) gehandelt. Zunächst, in den fünfziger Jahren, als kostspielige daguerreotypische Unikate produziert, werden seit den sechziger Jahren preisgünstigere Stereofotografien vertrieben. Zentrum der Produktion von »Akademien« ist Paris. Die Skulpturen werden dabei zumeist von Schauspielerinnen oder Tänzerinnen, selten von bürgerlichen Frauen, gestellt. Vgl. hierzu Hans Christian Adam: Die erotische Daguerreotypie. Eine mediengeschichtliche Bestandsaufnahme. Prag: Odephil Ed. 1998. Brewster 1971 [1856], S. 204.
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traits. Diese Serien mit den übergreifenden Titeln Les Théâtres de Paris (Adolphe Block) bzw. Les Actualités Théâtrales (Jules Marinier) zirkulieren international und ermöglichen somit einem Massenpublikum das (Nach-) Erleben von Schlüsselszenen der bekannten Opern- und Ausstattungsstücke – unabhängig von einem realen Besuch im Theater.126
Abb. 9: Les Huguenots. Stereobild aus der Serie zur Grand Opéra. Vertrieb Adolphe Block (B.K.) Abbildung 9 gibt eine stereoskopische Aufnahme der Grand Opéra Les Huguenots (Die Hugenotten) wieder, die aus der Serie Adolphe Blocks stammt. Beim Blick durch ein Stereoskop werden die unterschiedlichen Bildebenen sowie die Vielfalt des benutzten bildtechnischen Materials deutlich sichtbar. So sind Hintergrund und Bäume gemalt, die Treppe im Bild rechts ist plastisch (die Kombination von gemalten und plastischen Requisiten ist etwa seit der Jahrhundertmitte üblich). Die dargestellten Figuren sind nicht statisch, sondern in Bewegung zu sehen. Allerdings ist wahrscheinlich, dass die Figurenaufnahmen nicht während des Spiels angefertigt wurden, sondern dass es sich um Portraits der Darsteller mit nachgezeichneten Kostümen handelt. Es ist möglich, dass während der eigentlichen Aufführung ein Bildgestalter die entscheidenden Szenen skizzierte und sie dann im Atelier nachstellen ließ. Der realistische Bildeindruck wird also in diesem Bild nicht durch eine fotografische Kopie der Wirklichkeit ermöglicht, sondern durch den dreidimensionalen Effekt beim Betrachten des Doppelbildes im Stereoskop.127
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Weitere Bildserien mit Theaterbezug sind, um nur einige zu nennen: Prominent Portraits von Edward Anthony (USA, 1862), die Belles Actrices des Vertriebs Linde-Sophus Williams (Berlin, 1868-1875), Célébrités Théâtrales (1867-1873), Pierrot dans diverses attitudes (= Charles Debureau) von Numa fils (i.e. Émile Haering); Stereoportraits von Akteuren von Napoleon Sarony; Portraits d’actrices von Pognet (i.e. Anatoly Cyrus), Célebrités Artistiques von Vaury Louis sowie die Serie Actrices von Nicolas Vige. Vgl. zur theaterspezifischen Stereofotografie folgende Publikationen : Dénis Pellerin: La photographie stéréoscopique sous le second Empire. Paris 1995; Darrah 1977; Jones 1976; Senelick 1999; Paul Wing: »Les Theatres de Paris«, in: Stereo World Nr. 18, 1991, S. 4-12. Nic Leonhardt: »›… in die Tiefe des Bildes hineingezogen‹: Die Stereofotografie als visuelles Massenmedium des 19. Jahrhunderts«, in: Balme/Moninger 2004, S. 99-108 sowie dies.: Stereofotografie und Theater, unveröffentlichte M.A.-Arbeit, Universität Mainz 2000.
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Obwohl ein Großteil der stereoskopischen Bildserien zunächst außerhalb Deutschlands gefertigt wird, sind sie für die Untersuchung der visuellen Kultur in Deutschland von Bedeutung, weil der Vertrieb der Bilder von Anfang an international funktionierte. Dass zahlreiche Stereofotografien ausländischer Hersteller in deutschen Foto-Sammlungen archiviert sind, bezeugt nur deren transnationalen Konsum. Die Distribution sowie die motivische Spezifik der Stereofotografie werden insbesondere in Kapitel 3 dieser Arbeit noch weiter beschäftigen.
Bild- und Textlektüre: Illustrierte Zeitungen und Journale Die bislang genannten Medien mit edukativem und unterhaltendem Wert für ein heterogenes Publikum sind primär Einrichtungen für ein zeitlich begrenztes visuelles Vergnügen. Eine weitaus regelmäßigere Nutzung erfahren unter den neuen Medien des 19. Jahrhunderts die in monatlichem, wöchentlichem oder auch täglichem Turnus edierten illustrierten Zeitungen und Zeitschriften. Ihre Erfolgsgeschichte beginnt in den dreißiger Jahren, zeitgleich, jedoch voneinander unabhängig in allen europäischen Ländern.128 Gemeinsame Merkmale der illustrierten Zeitungen sind die inhaltliche Universalität, und die in den Text gedruckten Abbildungen, deren Ausdifferenzierung, Optimierung und allmählicher Bedeutungszuwachs für die vorliegende Darstellung von besonderem Interesse sind. Obwohl in erster Linie Schrift-Medien, verdienen die illustrierten Zeitungen daher in dieser einleitenden Übersicht über die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts Beachtung. Die fortschreitenden Verbesserungen der Reproduktionsmöglichkeiten haben direkte Auswirkungen auf die Auflagenzahlen und Angebotsvielfalt des Pressewesens.129 Tech-
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England gilt als Vorreiter der illustrierten Zeitungen und Magazine. Das erste illustrierte Magazin, Charles Knight’s Penny Magazine, wurde zum ersten Mal im März 1832 veröffentlicht mit der »Society for the Diffusion of Useful Knowledge« als Herausgeberin. Unter den benutzten Zeichnungen zählten die von William Hogarth zu den häufigsten. Vgl. hierzu Peter Goodall: High Culture, Popular Culture. St. Leonards: Allen 1995, S. 11. Um nur einige in den dreißiger und vierziger Jahren gegründeten Zeitungen zu nennen: England: Penny Magazine, Saturday Magazine, Illustrated London News; Frankreich: Magasin pittoresque, Magasin universel, Musée des familles, L’Illustration; Deutschland: Pfennig-Magazin, Heller-Magazin, Sonntags-Magazin; National-Magazin, Pfennig-Magazin für Kinder, Heller-Blatt, Panorama des Universums, Leipziger IZ, Vgl. Hartwig Gebhardt: »Die Pfennig Magazine und ihre Bilder«, in: Rolf Wilhelm Brednich et al. (Hg.): Populäre Bildmedien. Reinhausen bei Göttingen: Schmerse 1989, S. 18-41. Vgl. zum Zusammenhang von Verbesserungen in der Technik und der Entwicklung der Massenpresse u.a. Marina Sauer: Mit Schirm, Charme und Melone. Kiel 1994, S. 23: »Die Entstehung von Großverlagen und Konzernen fiel in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit schufen Rudolf Mosse, August Scherl, Leopold Ullstein und August Huck die ersten großen Zeitungs- und Verlagsunternehmen. Vor allem aufgrund einer verbesserten Technik konnten die Periodika weit billiger als früher angeboten werden. Betrugen die Auflagen Mitte des Jahrhunderts erst einige Zehntausend, so erreichten sie Ende des Jahrhunderts oftmals mehr als Hunderttausend.«
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niken wie beispielsweise Lithographie130 und Fotografie verleihen seit der Jahrhundertmitte den Zeitungen ein neues Erscheinungsbild und ermöglichen die private ›Versorgung‹ der Leser unterschiedlicher sozialer Herkunft mit Informationen in Bildform. (vgl. Abb. 10)
Abb. 10: Titelseite der Beilage zur Illustrirten Zeitung vom 9. Oktober 1869. Dabei ist anzumerken, dass einmal benutzte Bilder, die bspw. in der Londoner illustrierten Presse benutzt wurden, mit einigen Monaten Verzögerung in einer französischen oder deutschen Zeitung abgedruckt werden.131 Dies deutet auf eine Wanderung der Bilder hin, auf eine »Motivpopularisierung«132, 130
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Die massenhafte Reproduktionen ermöglichende lithographische Schnellpresse wird seit 1869 in Paris gehandelt. Vgl. Wolfgang Brückner: »Trivialisierungsprozesse in der bildenden Kunst zu Ende des 19. Jahrhunderts, dargestellt an der ›Gartenlaube‹«, in De la Motte-Haber 1972, S. 226-254, hier S. 235. Vgl. Gebhardt 1989, S. 27. Diesen Begriff wählt Wolfgang Brückner in seinem bereits genannten Aufsatz »Trivialisierungsprozesse in der bildenden Kunst zu Ende des 19. Jahrhunderts«, in dem er die Trivialisierung von Werken der bildenden Kunst beschreibt. »Den Käufermarkt für die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufblühende Reproduktionsindustrie bereiteten neben den schon länger existierenden bürgerlichen Kunstvereinen im wesentlichen die illustrierten Familienzeitschriften vor. Sie fungierten für ihr Lesepublikum als geschmacksbildende Vermittlungsinstanz des gängigen Bilderangebots der öffentlich anerkannten zeitgenössischen Kunstproduktion, und sie popularisierten zugleich den herrschenden Kanon der historisch gewordenen Malerei, wie er von den großen Galerien dokumentiert wurde.« Brückner 1972, S. 230.
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auf die internationale Verständlichkeit und Wirkkraft der Bildsujets – aber auch auf die Beliebigkeit hinsichtlich ihrer inhaltlichen Platzierung in den unterschiedlichen Ausgaben. In rascher Folge »und höchster Vollkommenheit« sei das Bild der Zeitung eingegliedert worden, erläutert Fuchs, als »selbständige Beigabe, später immer mehr als Kommentar, Ergänzung und Illustration des Textes; schließlich wurde das Bild vielfach zur Hauptsache, der Text nur zur orientierenden Beigabe.«133 Zur Erfüllung dieser neuen Funktion als Medium der Informationsund Wissensvermittlung muss das Bild unmittelbar eingängig sein und gleichsam informativ wirken. In seiner ›dokumentarischen‹ Funktion als bildlicher Stellvertreter eines Ereignisses oder einer Szene, der den Wahrheitsgehalt des geschriebenen Wortes betont und durch Details erweitert, benötigt das Bild Realitätstreue und Glaubhaftigkeit. Genrebilder, Landschafts- oder Personenaufnahmen, humoristische Skizzen oder, wie im Fall der Theater-Journale, gemalte oder fotografische Abbildungen beliebter Bühnenkünstler und -szenen besonders erfolgreicher Inszenierungen,134 fungieren sozusagen als divertierende Elemente zwischen den Zeilen. Auch Fortsetzungsreihen von Romanen oder Novellen sind durch die Beigabe eines Bildes (eine Figur der Erzählung, eine Szene) geschmückt. Ein Verfahren, das auch in den gebundenen Ausgaben dieser Erzählungen in Buchform zur Aufwertung angewendet wird, und das Ferdinand Kürnberger im Abschnitt »Bücher-Frou-Frou« seiner Schrift Literarische Herzenssachen als »frechste« Ausformung des »Kleider-Luxus« der Bücher beschimpft: Was würde Jean Paul erst heute sagen, wenn er unser Illustrations-Wesen oder Unwesen erlebt hätte?! Der Kleiderluxus der Bücher bleibt längst nicht mehr beim Kleide, d.h. beim Einbande stehen; auch kann ich den vergoldeten, lackirten, gepreßten und geschniegelten Buchbinder-Quark im schlimmsten Falle herunterreißen, in jedem Falle erbleicht er, vergilbt er und blamirt er sich selbst mit der Zeit; wie aber rettet man sich vor dem frecheren Kleiderluxus der Bücher, vor der Illustration, womit das Innere des Buches durchschossen ist, so daß dem Freund des edlen unverfälschten Geschrifts sein reiner Wein wie mit schändlichem Bleizucker vergiftet wird? Das ist schon nicht mehr Kleiderluxus, das ist verderblicher Naschluxus, innerlich einzunehmen!135
Auch Friedrich von Khaynach wertet die Illustrationen in Zeitschriften und Büchern als nutzlos und dilettantisch ab. »Da ziehe ich einen schlichten Text vor. […] Illustriert werden bei uns zudem meistenteils die schlechtesten Bü133 134 135
Fuchs 1985, S. 27. Z.B. das Dt. Th.-Album. »Es thäte wahrlich ein zweiter Lessing noth, der »über die Grenzen der Poesie und Malerei« aber diesmal in einem anderen Sinne das gebildete Publikum aufklärte, ehe es rettungslos der Begriffsverwirrung über Mein und Dein und aller Verwilderung verfällt, welche aus verwirrten Fundamental-Begriffen der Aesthetik, fast möchte ich sagen, der Sittlichkeit entspringt. […].« Kürnberger 1877, Abschnitt »Bücher-Frou-Frou«, S. 29f. Mit dem lautmalerischen Begriff »Frou-frou« wird das Rascheln und Knistern der insbesondere im ausgehenden Jahrhundert üblichen eleganten weiblichen Unterbekleidung bezeichnet.
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cher, Anthologien, süßliche Gedichtsammlungen und epische Dichtungen […].«136 Gegen Ende des Jahrhunderts sind einzelne Bildformate so weit vom originären Publikationskontext Zeitung abgelöst, dass sie eigens als Beilagen auf dem Markt gehandelt werden – ein Angebot, dass sich umgekehrt wiederum auf die Produktion der Zeitungen auswirkt, wie Ludwig Brauner argumentiert: »[D]em Bedürfnis, wichtige Geschehnisse in bildlicher Darstellung zu sehen, [muss] von der Presse Rechnung getragen werden.«137 Dies gelte insbesondere für den »viel beschäftigten Großstädter«, der für eine vertiefte Lektüre der Tageszeitung nur wenig Zeit übrig habe, und dem diese BildBeilagen zuweilen gar das Lesen erspare. Das Bild biete ihm, so Brauner weiter, »den geistigen Anhaltspunkt, sich in wenigen Sekunden eine Situation, einen Vorgang mit allen Details zu vergegenwärtigen oder ihm ein älteres Ereignis, das beim Erscheinen der Reproduktion durch ein neues bereits überholt wurde, in Erinnerung zu rufen.«138 Mediengeschichtlich betrachtet, können solche Verselbständigungen von Bildmaterial mit Zeitbezug (politisch, historisch), wie sie in den Schlachtenbildern, Panoramen oder in den Bild-Kriegsberichterstattungen der Zeitungen zu finden sind, als Vorläufer der kinematographischen ›Aktualitäten‹ angesehen werden139 (vgl. Kap. 3). Durch vielfache Wiederholung in den Medien der Zeit festigen sich die an historische, gesellschaftlich oder politisch relevante Begebenheiten erinnernden Bilder im piktoralen Gedächtnis der Zeitgenossen und sind abrufbar. Ein Vorgang, der sich als ›Imagination im umgekehrten Sinn‹ beschreiben ließe: Nicht Text oder Melodie rufen ein mentales Bild hervor, sondern die Vergegenwärtigung des Bildes selbst hat eine apperzeptive Ergänzung durch Sprache oder Erinnerung zur Folge.140 Es bleibt zu berücksichtigen, dass, um mit Roland Barthes zu sprechen, die Gesamtheit der Information (verstanden hier als die Vermittlung von Inhalten aller Art) immer von zwei ›Strukturen‹ getragen wird: von Bild (Lithographie, Foto, kinematographisches Bild) und Text (Titel, Bildunter-
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von Khaynach 1893, S. 11. Ludwig Brauner: »Ein Zeitungskinosalon in Berlin«, in: Der Kinematograph, Nr. 117, 24. März 1909. Zitiert nach Riha 1997, S. 44. Ebd. Brauner 1997 [1909], ebd., S. 44f. Dieser neue Anspruch an das Bildliche: ohne großen Zeitaufwand immer schneller, immer aktuellere Informationen zu bekommen, bildet die Basis für die Idee einiger Kinematographen-Betreiber für die Einrichtung so genannter Zeitungs-Bios oder eines Bio-Depeschensaals in Berlin, in dem – im Dienste der Tageszeitung stehend – jüngste Ereignisse »nicht mehr in toten Einzelphotographien, sondern in lebendiger Beweglichkeit« gezeigt werden sollen. Ebd., S. 43. Versuche dieser Art gab es mehrere, die sich jedoch nicht durchsetzen konnten. Roland Barthes spricht in Bezug auf die Fotografie vom »Konnotationscode« des Bildes, der stets historisch, i.e. zeit- und kulturgebunden sei: »Den »Konnotationscode erfassen hieße also, alle ›historischen‹ Elemente der Fotografie erfassen und strukturieren, alle Teile der fotografischen Oberfläche, die ihre Diskontinuität aus einem bestimmten Wissen des Lesers beziehen oder, wenn man so will, aus seiner kulturellen Situation.« Roland Barthes: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 23.
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schrift, Artikel etc.). Was jedoch Kürnberger ebenso wie andere Kritiker und Literaten im Wesentlichen verfluchen, ist das Übermaß an Illustrationen, die dem schriftlichen Text den Rang abzulaufen und die Aufmerksamkeit des Lesers in Gänze auf sich zu ziehen drohen. Die wachsende »Einmischung« des Bildes in eigentlich dem rein Schriftlichen, Literarischen vorbehaltene Bereiche sehen sie mit Unbehagen, geht doch mit dieser Veränderung auch ein Wandel im Lesemodus einher.142 Nicht immer wird die Fülle an Bildern in den Zeitungen als bereichernd für den Leser empfunden, wie es die oben zitierte Stellungnahme von Brauner 1909 zunächst vermuten ließe. Zur Zeit der größten Veränderungen auf dem Gebiet des Pressewesens merkt Oldenberg an, wer die Illustrationen der Journale anschaue, erkenne sofort, »für welche Augen sie geschnitten« seien.143 Seine Einschätzung sei hier in Gänze wiedergegeben, weil sie auch über das Bild-Angebot der Zeitungen informiert: [D]as Journal [wird] zum bunten Guckkasten [gemacht], welcher die vielgestaltige Welt mit ihrer Herrlichkeit, ihrer Arbeit und ihrer Thorheit möglichst treu abconterfeit und den blätternden Zuschauer von Bild zu Bild mit Siebenmeilenstiefeln in alle vier Winde führt: vom Eiscap zum Aequator, von den Pascherräs bis zum Leviathan, vom Leviathan flugs nach den Australischen Diggins, von den Diggins bis in das goldene Tintenfaß des Friedenskongresses. Was läßt sich nicht alles abkonterfeien! Fürsten, Kammerpräsidenten, Festessen, Kunstwerke, Wettrennen, Thierschau, Komödianten, Schlachtfelder, Jahrmärkte, Schiffbrüche, – kurz, alles Sehens- und Staunenswerte, zum Theil in der That lehrreich, zum Theil mehr leer als lehrreich, und sehr wesentlich auf die unruhige Schaulust berechnet, die überall hinlaufen möchte, wo ›etwas los ist‹ die Alles an141
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»Natürlich ist die Fotografie, selbst im Hinblick auf eine rein immanente Analyse, keine isolierte Struktur; sie kommuniziert zumindest mit einer weiteren Struktur, nämlich mit dem Text (Titel, Bildbeschriftung oder Artikel), der jedes Pressefoto begleitet. Die Gesamtheit der Information wird als von zwei verschiedenen Strukturen getragen (von denen eine sprachlich ist);« Barthes 1990, S. 11f. Hier ist zu ergänzen, dass noch zur Zeit der Einführung der Zeitungen in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts ein Großteil der deutschen Bevölkerung des Lesens nicht mächtig war. Dies wandelt sich im Laufe des Jahrhunderts, so dass die Pfennigmagazine auch von einem Publikum gelesen werden, das nicht den gebildeten gesellschaftlichen Gruppen angehört. »The decisive turning-point in the development towards mass literacy occurred between 1850 and 1870, and by 1880 illiteracy was virtually eliminated in Prussia […].« Burns 1995, S. 22. Auch wenn Oldenbergs Beschreibung den Schluss zuließe, dass die Illustration ihre ausschließliche Funktion als Bilderschmuck bereits in den 50er Jahren aufgebe, so ist die Anzahl vom Text losgelöster Illustrationen in den Zeitungen, deren Inhalt und Bedeutung nun wiederum durch beigefügte Texte erläutert wird, doch erst im letzten Drittel des Jahrhunderts rapide angestiegen. (s.o.) Die hier nur oberflächlich skizzierte Entwicklung der illustrierten Presse lässt sich auch an der Etymologie des Wortes »illustriert«, »Illustrierte« ablesen. Vom lateinischen »illustrare« = erleuchten, erhellen, erläutern, ausschmücken und »illustratio« = Erhellung und anschauliche Darstellung stammend, erscheint diese Bedeutung bereits in Texten des 17. und 18. Jahrhunderts als »illustriren« und »Illustration«. Erst mit dem Aufkommen bebilderter Textausgaben und Zeitungen erscheinen diese allerdings in der Bedeutung »mit Bildern schmücken/geschmückt«.
104 | PIKTORAL-DRAMATURGIE gafft und doch nichts sieht, die, wenn sie gegafft, sich umwendet und fortläuft, um schnell Neues zu gaffen […].144
Die belehrende Kraft der Illustrationen von Schauplätzen der ganzen Welt hebt Oldenberg hervor, um im gleichen Atemzug ihre Scheinheiligkeit zu entlarven. Denn die pure Existenz dieser Bilder von sehenswerten Orten oder bestaunenswerten Phänomenen sei auf die »Schaulust« hin berechnet und mache aus dem konzentrierten Leser einen sensationsgierigen Zuschauer. Ein Vorwurf, der auch im Bereich des Theaters dieser Zeit mit signifikanter Häufigkeit erhoben wird, worauf in Kapitel 2 noch näher eingegangen wird. Die Rezeption werde stetig unruhiger und oberflächlicher und schließlich führten, so Oldenbergs Argument, die »getreuen Konterfeie« zu dem materiellen Wunsch, all diese Dinge leibhaftig zu sehen – oder auch zu besitzen. Dieses Vermögen des Bildes, die Aufmerksamkeit der Leser zu erhaschen und dessen Konsumlust zu reizen, macht sich explizit die Zeitungsreklame zunutze. Ebenfalls anfänglich ein Nebenprodukt des Zeitungsmarktes, verselbständigt sie sich gegen Ende des Jahrhunderts ebenso wie vormals die Illustrationen. [D]ie heutige Zeitungsreklame, [zwingt] mit Scharfsinn, mit Zähigkeit und Phantasie, mit künstlerischer Empfindung und mit dem feinsten Tastsinn für die Erfordernisse des Tages und die gerade herrschende Geschmacksrichtung in Wort und Bild die hastenden Menschen zum Stillstehen und Aufhorchen, [diese] lockt und reizt, schmeichelt und blendet, […] trommelt und kreischt, trompetet und posaunt, um in dem heißen, alle Sinne und Kräfte anspannenden Wettbewerb als Sieger hervorzugehen [.]145
Das Aufkommen illustrierter Zeitungen, der Bildbeigaben sowie der Reklame stößt folglich auf Widerstand unter den Kritikern. Als Stein des Anstoßes wird, zusammenfassend, der wechselseitige Bezug zwischen dem erhöhten Angebot bildlicher Darstellungen, unsteter, oberflächlicher Schaulust und dem Hang zum visuellen Konsum, auf den notwendig der materielle folge, kritisiert. In einem anderen Format setzt sich dieses Zusammenwirken fort: In der Passage, einer weiteren Institution des Visuellen des 19. Jahrhunderts, deren Besprechung dieses Kapitel abschließt.
Visueller Konsum en passant: die Passage An der linken Seite der Straße ›Unter den Linden‹, dicht an der Friedrichstraße, erhebt sich ein Gebäude, durch dessen hohe Portale man täglich viele Tausende von Menschen aus- und eingehen sieht. Wir folgen dem Menschenstrom von den Linden aus und befinden uns in einer, mit einem Glasdach überdeckten hohen Halle, welche abends von unzähligen Gasflammen tageshelle erleuchtet ist. Es ist die Kaisergalerie oder Passage (Durchgang). Auf beiden Seiten sehen wir Läden, deren geschmackvoll geordneter Inhalt die Wandelnden zum Kauf einladen soll. In dem PassagePanopticum, das eine Sammlung von allerlei Merkwürdigkeiten ist, fesseln unsere 144 145
Oldenberg 1997 [1859], S. 28. Felix Philippi: Alt-Berlin. Erinnerungen aus der Jugendzeit. Berlin: Mittler 1915, S. 24.
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Abb. 11: Die Passage an der Ecke der Friedrich- und Behrenstraße in Berlin. Augen besonders zahlreiche Wachsfiguren, während im Kaiser-Panorama eine ganze Reihe von Bildern an unserm Auge langsam vorüber ziehen. […] An der Ecke der Behrenstraße, Friedrichstraße 165, befindet sich der […] Palast des Pschorr-Bräu (Printz), dessen obere Stockwerke Castan’s Panoptikum einnimmt. Die Brüder Castan sind seit einer Reihe von Jahren die ersten Künstler Europas im Nachbilden lebensgroßer Gestalten in Wachs: Fürsten und Staatsmänner, Genrebilder und Familienscenen stellen sie meisterhaft in Wachs dar. Eintritt 50 Pfg.146
Mit einiger zeitlicher Verspätung etabliert sich in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts auch in den deutschen Großstädten die in Frankreich bereits drei Jahrzehnte zuvor zum Stadtbild gehörende Passage. Dieser neue Bautyp der überdachten Verbindung zweier Straßen reicht von Anfang an über die rein logistische Bestimmung hinaus und beherbergt Ladengeschäfte, gastronomische Betriebe und Stätten öffentlichen Vergnügens. Die Malls oder ›Urban Entertainment Center‹ des 21. Jahrhunderts sind der Passage nicht unähnlich: hier wie dort können Passanten Waren konsumieren und sich in Unterhaltungseinrichtungen zerstreuen (lassen). Als Locus classicus für die Beschreibung der Passagen nennt Walter Benjamin einen Pariser Führer aus dem Jahr 1852, in welchem die Passage als »neuere Erfindung des industriellen Luxus« verkündet wird, als eine »Stadt, eine Welt im Kleinen […], in der der Kauflustige alles finden wird, dessen er benötigt.«147 146 147
Gindler/Stephan 1893, S. 61. (meine Hervorhebungen, NL) Benjamin 1982, S. 83. Benjamin wie auch andere Schriftsteller und Kulturkritiker beschäftigt die »urbane Inszenierung des Kauferlebnisses«. An der Wende zum 20. Jahrhundert entstehen in Europas Metropolen neben den genannten Passagen Warenhäuser, die in ihren Schaufenstern, die wie kleine Bühnen
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Die oben wiedergegebene Beschreibung der Berliner Kaisergalerie, die 1873 fertig gestellt wird,148 zeigt, dass nicht nur Kauflustige, sondern auch Schau- und Vergnügungslustige beim Flanieren durch diese »Welt im Kleinen« auf ihre Kosten kommen: Neben den Geschäften und Restaurants locken Panoptikum, Theater und Kaiserpanorama mit Kuriositäten, Divertissements und »Novitäten« aus aller Welt. Wie Kracauer erinnert, habe die Passage primär »die körperliche Notdurft und die Gier nach Bildern, wie sie in Wachträumen erscheinen«, befriedigt.149 Die Passage prägt eine enge Allianz von Kommerz und Unterhaltung. Konsumiert wird nicht nur materiell durch den Kauf, sondern auch visuell durch das Betrachten der Schaufenster (ebenfalls eine Erfindung des 19. Jahrhunderts) und durch die Teilnahme an den Formaten visueller Unterhaltung in den genannten Institutionen, die sich insbesondere seit den achtziger Jahren in der Passage einrichten. In seinem Passagenwerk, jenem Archiv von Beobachtungsfragmenten, in dem er, den flüchtigen und unsteten Blick des Flaneurs nachahmend, der Passage ein Denkmal setzt, beschreibt Walter Benjamin die Passage als groteskes Gebilde: Handel und Verkehr sind die Komponenten der Straße. Nun ist in den Passagen deren zweite ausgestorben; ihr Verkehr ist rudimentär. Sie ist nur geile Straße des Handels, nur angetan, die Begierden zu wecken. Weil in dieser Straße die Säfte stocken, wuchert die Ware an ihren Rändern und geht phantastische Verbindungen wie die Gewebe in Geschwüren ein.150
Die Berliner Passage Unter den Linden entsteht 1871 infolge der Gründung eines »Actien-Bauvereins ›Passage‹«151, gebaut nach den Plänen der beiden Jung-Architekten Walter Kyllmann und Adolf Heyden. Am 21. März 1873,
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gestaltet werden, in bis dahin nicht gekannter Weise Produkte und Lebensstile feilbieten, indem sie sie in ausgeklügelten Techniken des Displaying inszenieren. Vgl. hierzu u.a. Anne Friedberg: Window Shopping: Cinema and the Postmodern. Berkeley u.a.: University of California Press 1993 sowie Schwartz 1998. Ein Jahr nach der Fertigstellung der Passage Friedrichstraße/Unter den Linden/Behrenstraße heißt es hierzu in der GL: »Das großartige, 1873 vollendete Werk, an dem nur eines, der französische Name, zu bedauern ist, bedurfte zu seiner nach dem Entwurfe der Baumeister Kyllmann und Hyden ausgeführten Erbauung eines Zeitraums von drei Jahren. In einer Länge von vierhundertundzehn, einer Breite von sechsundzwanzig Fuß und einer Höhe von zweiundvierzig Fuß bildet die Passage, eine mit Glas überdeckte Verbindung zwischen der Straße »Unter den Linden« und der Behrenstraße.« Bereits in den siebziger Jahren sind hier ein »Concert- und Redoutensaal«, »echt großstädtisch eingerichtete Geschäftsräume«, ein »Restaurationslocal« sowie »Magazine« (Geschäfte) untergebracht. GL 22. Jg., Nr. 48, 1874, S. 781. Kracauer 1977, S. 327. Benjamin 1982, S. 93. Vgl. hierzu die Anmerkung Peter Letkemanns, der den Aktienbauverein als »typische Spekulationsunternehmung der sog. Gründerzeit« etikettiert, mit dem Verweis auf Otto Glagaus Schrift Der Börsen- und GründungsSchwindel in Berlin. Leipzig 1876. Peter Letkemann: »Das Berliner Panoptikum«, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 69, Nr. 11, 1973, S. 319-326, hier S. 320.
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dem Geburtstag des deutschen Kaisers (und Namensgebers), wird das Gebäude eingeweiht: 128 Meter lang und mit Glas überdacht, sind in dem Bau Ladengeschäfte, Restaurants, Berlins erstes Wiener Café, das in unmittelbarer Nachbarschaft des Wachsfigurenkabinetts der Brüder Louis und Gustav Castan (Laden 33) liegt, untergebracht. Während der Umsatz der Läden und Gastronomiebetriebe anfangs offenbar spärlich ist, schreiben die Brüder Castan gleich zu Beginn schwarze Zahlen. Ihr Panoptikum sollte »ein immer wechselndes Bild der fortschreitende[n] Kultur in plastischer Darstellung von Personen und Dingen«152 sein. Ein Unternehmen, dessen Leumund schon bald nach der Eröffnung weit über die Stadtgrenzen hinaus reicht.
Castans Panoptikum Die Mieter Louis und Gustav Castan verlegen ihr Wachsfiguren- oder Kuriositätenkabinett im Spätsommer 1888 in den benachbarten Pschorr-BräuNeubau der Architekten Kayser und Großheim im Haus Ecke Behrenstraße/Friedrichstraße 165. Neben der traditionellen Ausstellung von Wachsfiguren beantragen sie immer wieder auch die Konzession zu Gesangs- und Zaubervorstellungen sowie Zurschaustellungen von Personen.153 »In Guckkästen sind plastische Bilder aus fremden Ländern, von Schlachten, Bränden, Unglücksfällen sowie – für Damen und Herren getrennt – vom Aufbau des menschlichen Körpers und anderes zu sehen«154 (vgl. Abb. 12). Bis zum Tod Gustav Castans 1899 bleibt die Einrichtung im Besitz der Brüder, dann übernimmt sie eine Gesellschaft unter der Leitung von Ernst Skarbina und O. Gottschalk, im gleichen Jahr wird sie um ein Anatomisches Museum erweitert.155
Passage-Panoptikum Die nach dem Umzug von Castans Panoptikum in die Behrenstraße frei stehenden Räume in der Passage werden am 1. Oktober 1888 für die kommenden zwanzig Jahre an die »Aktiengesellschaft Passage-Panopticum« vermietet (s. Abb. 13). Am 8. Dezember156 desselben Jahres öffnet das Konkurrenzunternehmen zu Castans, das Passage-Panoptikum unter der Direktion des Bildhauers Richard Neumann.157 Paul Lindenberg berichtet in der Zeitschrift Der Bär von der Eröffnung des Passage-Panoptikums, in dessen »künstleri-
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Aus dem Illustrierten Führer des Panoptikums (1910), zitiert nach Johann Friedrich Geist: Die Kaisergalerie. München, New York: Prestel 1997, S. 40. »Berlin, den 29then September 1888. Das königliche Polizei-Präsidium wird ergebenst benachrichtigt, daß dem Gustav Castan heut die Erlaubniß zur Veranstaltung von Gesangsvorträgen und Zaubervorstellungen, sowie zur Schaustellung von Personen in dem Hause Friedrichstraße 165 […] ertheilt worden ist.« Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend Castan’s Panoptikum, 1884/1904; LA Berlin, Pr. Br. Rep 030 Berlin, Theater, 914. Mende 1993, S. 9. »Als Hauptbeteiligter an dieser Transaktion fungierte der Geschäftsführer der Schloßbrauerei Schöneberg, Max Fincke, der das ›Pschorrbräu‹ übernommen und auch gleich das Panoptikum aufgekauft hatte.« Letkemann 1973, S. 323. Letkemann nennt den 7. Dezember als Eröffnungsdatum. Letkemann 1973, S. 325. Geist 1997, S. 45.
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Abb. 12: Gruss aus Castans Panoptikum. Postkarte mit Ausschnitten aus den Ausstellungen. Um 1900. sche[r] Ausschmückung« die Stadt Berlin in spezieller Weise bedacht worden sei. In Dioramen nämlich von Otto Günther-Naumburg158 und E. Becker, welche die Stadt episodenhaft in den Jahren 1500, 1670 und um 1780 wiedergeben. Die Gegenwart ist in Dioramen bedacht, die teils mit plastischen Elementen und Figuren versehen sind. Dargestellt sind e.g. Kaiser Wilhelm und sein Enkel, Graf Moltke bei der Besprechung eines Manövers, Reichskanzler Bismarck im Reichstag und am Sterbebett des Kaisers.159 Ein Diorama von Georg Koch160 zeigt Fürst Bismarck im Reichstage. Im Illustrirten Catalog des Passage-Panopticums heißt es hierzu: Der eiserne Kanzler, in der Uniform seiner gelben Kürassiere, erscheint wie aus Erz errichtet; aufrecht und gerade steht er da, die Augen unter weissen, buschigen Brauen, prüfend und klar ausschauend, die Hände auf das Rednerpult gestützt, auf dem
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Otto Günther-Naumburg (1856-1941), Landschafts- und Architekturmaler; Panorama von Potsdam, Zeichner für Leipziger IZ, Daheim, GL. ThiemeBecker, Band 16, 1992, S. 210. Paul Lindenberg in: Der Bär, 15. Jg., Nr. 9, 1. Dezember 1888, S. 170. Im gleichen Jahr bereiten die Maler Max Koch und Carl Saltzmann (Marinemaler, geb. 23.09.1847, Berlin, gest. 14.01.1923 ebd.) die Gestaltung des viel besprochenen Sintflut-Panoramas in der Passage Unter den Linden vor, dessen Ausge-staltung des plastischen Vordergrunds die Bildhauer Karl Albert Bergmeier (geb. 28.02.1856 Steglitz b. Berlin, gest. 28.02.1897, ebd.) und Risch (Vorname unbekannt) besorgen. Vgl. Die Kunst für Alle, 4. Jg., Heft 3, 1. November 1888, S. 46. Georg Koch (1857-1936), Berliner Maler, Holzschneider, Lithograph; Debüt als bildender Künstler 1874 auf der Berliner Akademie-Ausstellung; in der Folgezeit fertigt er hauptsächlich Panoramen und Dioramen für Berlin, Leipzig, Dresden, Städte der USA.
VISUELLE KULTUR DES 19. JAHRHUNDERTS | 109 des Fürsten langer Bleistift liegt, die Worte, häufig durch leichtes Räuspern unterbrochen, langsam und ohne Pathos hervorbringend. […].161
Abb. 13: Eingang zur Kaisergalerie (Passage) an der Friedrichstraße, Ecke Behrenstraße, mit Werbung für das Passage-Panoptikum. Lindenberg nennt das neue Passage-Panoptikum eine »überraschend reichhaltige […] Galerie von Sehenswürdigkeiten.«162 In dieser wird der Repräsentation deutscher Geschichte anhand von Darstellungen berühmter und ›sehens-werter‹ Szenen und Personen fortan ausreichend Platz eingeräumt. Wie in einem später erschienenen Führer durch das Passage-Panoptikum aus dem Jahr 1905 zu lesen, warten beispielsweise in der Fürstenhalle, auch Ruhmeshalle genannt, (Wachs-)Nachbildungen Kaiser Wilhelms I., Kaiser Friedrichs III., Kaiser Wilhelms II. sowie der Kaiserin Victoria auf die staunenden Augen ihrer Besucher. In der Akademie der Berühmtheiten sind durch Erfindungen oder andere Verdienste bekannte, auch internationale Personen untergebracht, darunter Rudolph Virchow, Hans von Bülow, Robert Koch, G. Engels, Thomas A. Edison, Ludwig Pietsch, Henrik Ibsen, Franz Betz und andere.163
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Die weitere Beschreibung des Reichskanzlers im Katalog ist dessen Sprechmodus gewidmet. Illustrirter Catalog des Passage-Panopticums Berlin Unter den Linden 22-23. Kaiser-Gallerie 1888, S. 7-9. Paul Lindenberg: »Drei Berliner Dioramen«, in: Der Bär, 15. Jg., Nr. 24, 16. März 1889. R. Virchow: Arzt der Berliner Charité, H. v. Bülow: Musiker und Komponist, R. Koch: Entdecker der Cholera- und Schwindsuchts-Bazillen, G. Engels: Schauspieler und vormals Mitglied des Deutschen Theaters, Th. A. Edison: Erfinder von Phonograph, Mikrophon, elektrischem Glühlicht, L. Pietsch:
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Nur relativ wenige Beschreibungen sind überliefert, aus welchen Programmatik und Erfahrungsmodus des Panoptikums noch näher zu erschließen wären. Die wenigen tradierten Zeugnisse, Anzeigen und Führer durch die Panoptiken aus dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, legen jedoch eine Stringenz des »Dreiklang[s] von patriotischer Schau, Genreszenen bzw. Allegorien und Gruselkabinett«164 nahe. Hinzu kommen andere Attraktionen wie das »Aquanopticum« oder die »Reise um die Welt in 18 Minuten«, um nur einige illustre Beispiele zu nennen. Daneben sind Panoramen, Dioramen, Märchenszenen, Badeszenen, Exotica, sowie Schaustellungen von Personen, darunter Angehörige fremder Kulturen zu sehen.165 »[K]urz, ein Sammelsurium, in dessen Inhalt – wie die Presse zurückhaltend schrieb – ›sich Ernst und Scherz, künstlerische Ziele und Spekulation auf die Schaulust teilen‹.«166 Ein Auszug aus einem Programm, das unter anderem den Besuchern als Orientierung und Lese-Anleitung der Bilder diente, vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt der Darbietungen: Der grosse Theater- und Concert-Saal. Derselbe ist der prächtigste, reich in Gold- und Orangetönen decorirte, mit Bilden von den Professoren Ernst Hildebrandt und Oscar Begas geschmückte Saal des grossen Etablissements, in welchem entweder Schaustellungen fremder Völkerracen etc. stattfinden, oder auf der im October 1891 neu erbauten Bühne Specialitäten-Künstler ersten Ranges ihre anmuthigen und staunenswerthen Künste vorführen. Neuerdings werden […] auch Operetten und Burlesken cultivirt. 35. Grotte mit lebendem Getier […] 37. Transparentbild: Sonnenbeleuchtete südliche Landschaft (von Herwarth.) 38. Decoration des Treppenhauses aus Raritäten. Chinesischer Krieger, Chinesin, Delphin, Sägefisch, […]. 39. Das Linden-Schaufenster mit stets wechselnden Gruppen.167
Zur Steigerung der Illusionswirkung dieser narrativen Skizzen dienen Hintergrundmalereien und die Verwendung plastischer Elemente und Figuren, meist aus Wachs gefertigt.168 Hierin gleichen sich die szenischen Gestaltun-
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Schriftsteller und Feuilletonist, Redakteur der Voss. Ztg., F. Betz: Königlicher Opernsänger. Führer durch das Passage-Panopticum 1905, S. 10. Letkemann 1973, S. 321. Die Quellenlage zum Panoptikum ist vergleichsweise dürftig, und vorhandene Zeugnisse oder Arbeiten über diese Institution zum Teil widersprüchlich. Richard Neumann bittet am 3. Januar 1891 das Berliner Polizei-Ministerium um Erlaubnis, »daß ich auch Schaustellungen von Personen veranstalten darf. Diese Art Schaustellungen bilden einen wesentlichen Theil unseres Unternehmens und hoffen mir um so mehr auf Erfüllung unserer gehorsamen Bitte, als unsere Räume lange Jahre hindurch seitens der Herren Gebr. Castans zu derartigen Schaustellungen benutzt worden sind.« Schreiben R. Neumanns eingebunden in Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend Passage-Panoptikum, 1888/1899; Pr. Br. Rep 030 Berlin Tit. 74, Theater, No. 913. LA Berlin. Letkemann 1973, S. 325. Auszug aus dem Illustrirten Catalog des Passage-Panopticums Berlin 1888. Vgl. zur Wirkung des Wachses und plastischer Figurengruppen in Panoptika und Kabinetten u.a. Gudrun Gersmann: »Welt in Wachs: Das Pariser Musée Grevin. Ein Wachsfigurenkabinett des späten 19. Jahrhunderts«, in: Fohrmann
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gen der Panoptika und die »erweiterten« Panorama-Bilder, die ebenfalls, etwa um eine Landschaftsszene noch naturgetreuer wirken zu lassen, zum gleichen Trick griffen. König/Ortenau stellen Panoptikum und Panorama gar in direkten Vergleich und sehen einen unmittelbaren ›Gleisanschluss‹: »[E]benso schrullig der Überechtheit verhaftet in der Auffassung der Darstellungen und ebenso von der Aktualität des Zeitgeschehens abhängig, wie das Panoptikum, bewegte sich das Panorama der modernen Zeit entgegen.«169 Vergleichbare Strategien der Inszenierungen sind in der Zurschaustellung von (fremden) Kulturen auf den Welt- oder Kolonialausstellungen und in den so genannten Völkerschauen zu finden. Einzig die Wachsfiguren sind auf diesen Schaustellungen durch die realen, kulturell fremden Körper ersetzt.170 Die Zurschaustellungen fremder Völker finden im Panoptikum neben der Ausstellung von anthropologischen oder sexualmedizinischen Kuriositäten und so genannten ›Abnormitäten‹171 statt. Der Wert dieser Schaustellungen als
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2001, S. 129-142. Siehe auch Maurice Samuels: The Spectacular Past. Ithaca, London: Cornell University Press 2004. König/Ortenau 1962, S. 64. Der Tiermaler Heinrich Leutemann entwickelt in den siebziger Jahren die Idee eines belebten Dioramas, in dem vor einem gemalten (Diorama)Hintergrund Vertreter fremder Kulturen in Nationaltracht und gemeinsam mit in ihrer Herkunftsregion heimischen Tieren Alltags- Kampf- oder Tanzszenen vorführen. Vgl. Stefan Goldmann: »Wilde in Europa. Aspekte und Orte ihrer Zurschaustellung«, in: Thomas Theye (Hg.): Wir und die Wilden. Reinbek: Rowohlt 1985, S. 243-269, hier S. 256ff. Als ›Abnormitäten‹, auch ›Freaks‹, werden menschliche Körper mit sichtbaren Missbildungen bezeichnet. Durch ihre auffälligen körperlichen Merkmale stellten sie insbesondere im späten 19. Jahrhundert beliebte ›Anschauungsobjekte‹ für Mediziner und Wissenschaftler, für den Großteil der Bevölkerung ein gleichermaßen faszinierendes wie Schaudern erregendes Kuriosum, ein ›Naturwunder‹ dar. Einige der »merkwürdigen Menschen« – so der Titel eines Berichts in der IZ vom 11. April 1891 – gelangten zu weltweiter Prominenz. Rudolf Virchow führt am 15. April 1891 einen Inder zur »medizinischen Begutachtung« vor, dessen Zwilling mit dem Kopf in seiner Brusthöhle verwachsen ist. Vgl. IZ, Nr. 2504, 27. Juni 1891, S. 702. Neben den siamesischen Zwillingen, – von denen bereits 1869 in der GL berichtet wird, sie seien »aus Gründen des Gelderwerbs« gegen eine chirurgische Trennung ihrer Körper (GL 1869, Nr. 39, S. 626) – zählen Riesen oder Kleinwüchsige zu den menschlichen Kuriositäten; ferner Haarmenschen, bzw. bärtige Frauen wie Julia Pastrana, die nach ihrem Tod präpariert zu besichtigen ist, oder Annie Jones-Elliot, genannt »Esau-Lady«, die auch im Passage-Panoptikum gezeigt wurde. Das Aztekenpaar Maximo und Bartolo wurde wegen seiner auffälligen Schädelmaße Objekt der Anschauung in unterschiedlichen Institutionen, darunter auch bei Castan in Berlin. Offenkundig zur Potenzierung ihrer Andersartigkeit demonstrieren die Darsteller zudem ihre Virtuosität bspw. im Spielen eines Instrumentes, in überdurchschnittlicher Intelligenz oder im Gesang. Maximo und Bartolo beeindrucken etwa das Publikum durch ihre »aztekischen Pianissimo-Gesänge«. In der genannten Ausgabe der IZ heißt es: »Trotz des kleinen Gesichtswinkels ist Maximo ein durchaus intelligenter Herr, dessen aztekischen Pianissimo-Gesänge in unsere Notenschrift zu übertragen wol keinem Sterblichen gelingen wird. Ob das kleine, in deutsche Balltoilette gezwängte Paar für unsere Mode schwärmt, ist wol mehr als zweifelhaft.« Artikel »Merkwürdige Menschen«, in: IZ Nr. 2493, 11. April 1891, S. 396. Berichte über »Abnormitäten« finden sich regelmäßig auch in anderen illustrierten Zeitungen der Zeit. Vgl. zum Thema auch Gaston Escudier: Les Saltim-
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populäres Unterhaltungsformat ist eng verbunden mit gesellschaftspolitischen Themen seit Mitte der achtziger Jahre, wie Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus und der Begründung von Anthropologie und Ethnologie als eigenständige Wissenschaften.172 Insbesondere in Bezug auf ihre Dramaturgie und Inszenierung verdienen die Völkerschauen im Teilkapitel Kolonien im Blick noch ausführlichere Behandlung. Zu den Staunen erregenden Vorführungen im Passage-Panoptikum zählen neben den bislang genannten auch (populär-)wissenschaftlich ausgerichteten Experimente und Magie-Schauen. Die Lust an Sensation, Neugierde auf Fremdes, der Kitzel des Wechsels zwischen eigener Unversehrtheit und täuschend echter Nachstellung von Kriegs-, Gräuel- und Wundertaten – insbesondere in den Räumen, deren Besuch ›Nervenschwachen nicht empfohlen‹ wird,173 – treiben den Passanten aus dem Gang der Passage ins Panoptikum. Aus Mangel an Alternativen, so argumentiert Letkemann, suchten sie die Passage als Stätte visuellen Vergnügens auf, »schließlich steckten die Photographie und der Bildjournalismus noch in den Kinderschuhen, der Film war noch nicht geboren«. Hier ist Letkemann zu widersprechen: der sich seit den dreißiger Jahren kontinuierlich weiterentwickelnde Bildjournalismus ist gegen Ende des Jahrhunderts, wie bereits angerissen wurde, keineswegs mehr in der Experimentierphase; die weiter oben beschriebenen Medien Panorama und Diorama sowie Fotografie und erste kinematographische Vorführungen bieten reichlich Gelegenheit zur Befriedigung visueller Lust. Dennoch kommt insbesondere im Panoptikum die Gier nach Sensation, welche ein zweidimensionales Gemälde oder eine Zeitungslithographie nicht bieten können, im dreidimensionalen – und häufig lebensgroßen – Arrangement der Panoptikum-Szenen vollends auf ihre Kosten. »Es scheint mir hoffnungslos« so Eduard Spranger, »dem heutigen Geschlecht die Gemütswirkung klarzumachen, die damals von einem Panoptikum ausging.« Und er spielt mit der Wortbedeutung des Panoptikums, wenn er behauptet, es sei dort »wirklich ›alles zu sehen‹ [gewesen], wie bei Borchardt ›alles zu haben‹.«174
Kaiser-Panorama Eine weitere Form visueller Unterhaltung findet ihren Platz in der Passage Unter den Linden: Über den Räumen des Panoptikums eröffnet August Fuhrmann 1885 sein Kaiser-Panorama, dessen Erfolg wesentlich auf der Verwandlung zweidimensionaler Fotografien in dreidimensionale Rauman-
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banques. Leur Vie – Leurs Mœurs. Paris 1875. Rosemarie Garland Thomson. Extraordinary Bodies. Figuring Disability in American Culture and Literature. New York: Columbia University Press 1997. Kerstin Gernig, (Hg.): Fremde Körper – Zur Konstruktion des Anderen in europäischen Diskursen. Berlin: Dahlem University Press 2001. vgl. Schwarz 2001, S. 14. Letkemann 1973, S. 321. Eduard Spranger: Berliner Geist. Aufsätze, Reden und Aufzeichnungen. Tübingen: Wunderlich 1966, S. 25f. »Borchardt« ist eines der ersten und bekanntesten Kaufhäuser in Deutschland. In Paris hatte 1852 Bon Marché eröffnet, in Wismar 1881 Rudolf Karstadts, in Gera 1882 Hermann und Oskar Tietz‹ gleichnamiges Warenhaus. Die ersten Kaufhäuser Berlins, Tietz und Wertheim, öffnen Ende der neunziger Jahre.
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sichten ruht. Der Zuschauer des Kaiser-Panoramas sitzt vor einem der Panorama-Rotunde vergleichbaren, polygonalen Gebilde und schaut durch ein Okular auf (kolorierte) Stereo-Fotografien (vgl. Abb. 14). Die stereoskopischen Aufnahmen von Landschaften, berühmten Plätzen oder Personen laufen in zeitlichen Intervallen zyklisch an ihm vorbei, wie Spranger erinnert: »Im Kaiserpanorama saßen die Betrachter farbiger Landschaftsbilder auf Stühlen um einen großen polygonalen Kasten herum, und jeder blickte durch sein Guckloch ins Innere. Alle zwei Minuten machte es ›kling‹, und ein neues Bild rückte vom Nachbarn heran.«176
Abb. 14: August Fuhrmanns Kaiser-Panorama. Ganz dem Diktum der ›belehrenden Unterhaltung‹ (dem Horazschen prodesse et delectare), verpflichtet, wirbt Fuhrmann nicht unbescheiden mit dem edukativen Wert seines Panoramas. In seinem Goldenen Buch der Zentrale für Kaiser-Panoramen (1909) bemerkt er rückblickend: Seit Bestehen des Kaiser-Panoramas war ich mit Erfolg bestrebt, die Heimat- und Vaterlandsliebe durch Aufnahme des Schönsten in Deutschland zu pflegen, daneben aber wollte ich auch alles Interessante und Schöne der Erde, das Gott, Menschengeist und Menschenkraft geschaffen haben, durch mustergültige Urkunden der Glasstereos jedermann, auch den Ärmsten, zugänglich machen. Die Mahnung unseres Kaisers schwebte mir immer vor, ›Die Kunst soll mithelfen, erzieherisch auf das
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Weniger geläufig sind die zeitgenössischen Synonyme Photoplastikon, Stereorama oder Weltpanorama. Fuhrmann ließ sich seine Erfindung nicht patentieren, weshalb auch in anderen europäischen Ländern solche Panoramen aufgestellt wurden. Vgl. hierzu Hermann Lemke: Das Kaiserpanorama. Starkow 1913. Spranger 1966, S. 26. Siehe zum Kaiserpanorama auch: Das Kaiserpanorama. Bilder aus dem Berlin der Jahrhundertwende. Ausst.-Kat., hg. von den Berliner Festspielen Berlin 1984. Michael Bienert, Erhard Senf: Berlin wird Metropole. Fotografien aus dem Kaiser-Panorama. Berlin 2000.
114 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Volk einzuwirken, sie soll auch den unteren Ständen nach harter Mühe und Arbeit die Möglichkeit geben, sich an den Idealen wieder aufzurichten. […]‹177
Die beschriebenen Einrichtungen der Passage schwanken in ihrem Anspruch zwischen Sensation, Vergnügen, visuellem Konsum sowie der mit didaktischem Impetus unterlegten Vermittlung von geographischem und historischem Wissen. Diese Mischung präsentiert auch das 1901 in der Passage eröffnete Passage-Theater unter der Direktion von Theodor Rosenfeldt. Das Programm umfasst alle derzeit bei einem breiten Publikum beliebten Unterhaltungsformate, die auch zuvor schon in der Passage zu sehen waren: Varieté, Cabaret, Vorführungen von Kuriositäten und Erfindungen.178 Eberhard Buchner schreibt dem Passage-Theater in Varieté und Tingeltangel 1905 »seine Eigentümlichkeiten« zu und sieht das Besondere dieser Institution gerade in der einmaligen Verbindung zum gleichnamigen Panoptikum. Man vergißt im Theater nicht, daß der Weg dahin zwischen Wachspuppen und allerlei lustigem, erotisch-romantischem Firlefanz hindurchführte. Und sollte man doch einmal in Versuchung kommen es zu vergessen, so sorgt die große Pause dafür, daß sich einem der Eindruck von neuem machtvoll ins Gedächtnis einpräge. Da zieht das Publikum, durch den Leiter der Vorstellung aufgefordert, in langgedehntem Gänsemarsch dem ›kleinen Theater‹ zu, wo sich bei den Weisen einer flotten, in fremdländische Tracht gekleideten Kapelle das dickste Weib der Erde, ein Zwerg oder Riese oder ein armseliger Idiot mit sechsfingrigen Händen und noch etwelchen anderen physiologischen Defekten einem erstaunten Publikum produziert. Die Luft ist mit Sensationen dieses Genres geschwängert und man kann sich ihnen nicht entziehen. […]179 177 178
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August Fuhrmann: Das Goldene Buch der Zentrale für Kaiser-Panoramen. Berlin 1909, wiedergegeben in Geist 1997, S. 44. Im Jahr 1915 übernimmt der Ägypter Achmed Soliman Panoptikum, PassageTheater, das Anatomische Museum sowie das Wiener Café. Bis zur – durch die Inflation bedingte – Versteigerung schrieb das Unternehmen unter Soliman Erfolgszahlen. »Das Panoptikum war das Ziel der Heimurlauber, das Passage-Theater wurde zum Uraufführungskino, die Kronprinzessin sah sich höchstpersönlich hier die neuesten Kriegsfilme an, und im Anatomischen Museum konnte sich die Jugend, streng auf das Alter hin gemustert, an naturalistischen Gips- und Wachsmodellen die erste Aufklärung holen, verbunden mit dem Schauer vor den zahllosen, veristisch dargestellten Krankheiten bis hin zu einem von Lustseuchen völlig zerstörten Penis.« Geist 1997, S. 48. Eberhard Buchner: Varieté und Tingeltangel in Berlin. Berlin, Leipzig: Verlag von Hermann Seemann Nachfolger 61905, S. 60. Benjamin bemerkt, dass die Unterbringung von Theatern in der Passage in Frankreich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich ist. »In der Passage des Panoramas findet man das Théâtre des Varietés, neben dem Kindertheater des M Comte, ein anderes das Gymnase des Enfants in der Passage de l’Opéra, wo es dann gegen 1896 das berichtende naturaliste Theater von Chirac gegeben hat: das théâtre de vérité, in dem ein nacktes Liebespaar Einakter gab. Noch heute findet man in der Passage Choiseul die Bouffes Parisiennes und wenn die übrigen den Szenen ihren Platz haben räumen müssen, eröffnen die kleinen blanken Kabinette der Billetagenturen wie einen Geheimgang in alle Theater. Aber das kann keine Darstellung davon geben, wie strikt ursprünglich die Verbindung von Passage und Theater gewesen ist.« Benjamin 1982, S. 997. (Französische Klammern in der Vorlage).
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Ebenso heterogen wie die Darbietungen ist auch das Publikum, das tags und nachts den ›Durchgang‹ passiert, um sich zerstreuen zu lassen oder aber um seine Aufmerksamkeit durch Sehens-Wertes zu fesseln, sei es in den Schaufenstern, deren pittoresk drapierte Auslagen die Schaulust schüren und zum Kauf anregen sollen, sei es in den Panoptika, im Kaiserpanorama oder im Theater. Die »Relation von Zeigen, Schauen und Konsumieren, die das städtische Exterieur kennzeichnet«180, funktioniert in den Passagen beispielhaft: Hier werden verschiedene Formate der Unterhaltung zu Objekten visuellen Konsums, werden Darstellungs- und Wahrnehmungsweisen der visuellen Kultur der letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts gebündelt. Der Passant reagiert fragmentarisch kontemplativ, sprunghaft punktuell oder flanierend auf ein Umfeld, das zu Bildern geronnen scheint. Die Grenzen zwischen theatraler Darbietung, visueller Vermittlung von Geschichts- und Geographie-Wissen, Kuriositäten-Schau, der Präsentation optisch-technischer Apparaturen und Wachstableaux lösen sich auf zugunsten eines wechselseitigen Austauschs von Inhalten und Darstellungsprinzipien.
Z u s am m e n f a s su n g : › V i s u e l l e r H o r i z o n t‹ d e s 1 9 . Ja h r h u n d e r t s Die im Vorangegangenen vorgestellten »Stätten der Schaulust« sind Bestandteile der visuellen Kultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die für das Theater der Zeit gleichsam Konkurrenz und Bereicherung bedeuten. Die Beschreibung ihrer Funktionsweise, Situierung im urbanen Raum und ihrer Rezeption dient zugleich der Vergegenwärtigung des ›visuellen Horizonts‹ der zeitgenössischen (Theater-)Zuschauer: Der Sehsinn nimmt im 19. Jahrhundert eine vorherrschende Stellung ein. Von Bedeutung ist die Ausdifferenzierung der Sehmodi sowie die allmählich wachsende visuelle Kompetenz – die Fähigkeit der Bevölkerung zum Lesen heterogene Bildmedien zu nutzen und verschiedene Bildertypen zu ›lesen‹. Die skizzierten visuellen Massenmedien reagieren reflexartig auf die veränderte Wahrnehmung und das differenzierte Unterhaltungsbedürfnis eines großstädtischen Massenpublikums, wie umgekehrt neue Medien der Zeit ein neues Sehverhalten evozieren, das auf Beschleunigung und Zerstreuung setzt. So werden der zunehmenden Bevölkerungs- und Wohnraumdichte und der öffentlichen Beengtheit die Großformate der Panoramen entgegengesetzt, welche die perspektivische Weite nutzen. Auf die den Städten attestierte Hektik antworten Panorama und Fotografie mit dem Arretieren des Augenblicks, das Diorama mit dem allmählichen dissolving der Zeitebenen. Walter Benjamin reflektiert in seinem Passagenwerk und dem Kunstwerk-Aufsatz die nachhaltigen Veränderungen in der Wahrnehmung durch die Häufung von reproduzierten Bildern und reproduzierenden Medien. Wahrnehmung in der so genannten klassischen Moderne sei nicht mehr länger als Kontemplation benennbar. Vielmehr habe die Zerstreuung als Modus der Rezeption die Kontemplation verdrängt: Das Betrachten von Bildern sei kein monolateraler, fokussierter Vorgang des Einzelnen, sondern ein verzweigtes, kaleidoskopartiges ›Springen‹ der Masse. In den Worten Jonathan Crarys:
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Brunhilde Wehinger: Paris-Crinoline. München: Fink 1988, S. 33.
116 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Man hat nie mehr ein einzelnes Objekt vor sich; das Sehen ist immer vielfach, es grenzt an und überschneidet immer andere Objekte, Begierden und Vektoren. […] Im 19. Jahrhundert war der Betrachter eines Bildes immer auch zugleich einer wachsenden Menge von anderen optischen und sensorischen Erfahrungen ausgesetzt. […] Gemälde […] entstanden nicht in irgendeiner – unmöglichen – ästhetischen Isolation oder in einer kontinuierlichen Tradition von Codes in der Malerei, sondern als eines unter vielen konsumierbaren und flüchtigen Elementen innerhalb eines wachsenden Chaos von Bildern, Waren und Stimulationen.181
Die Ausdifferenzierung der Bild-Medien und -Institutionen hängt in je unterschiedlicher Gewichtung mit technologischen Verbesserungen, einem wachsenden Bedürfnis nach realistischer Darstellung und Illusionierung zusammen, aber auch mit der allmählichen Übernahme von ehemals in den Bereich der bildenden Kunst gehörenden ästhetischen und gestalterischen Prinzipien in den populären Sektor der Unterhaltung, in dem Bilder wie Waren konsumiert werden. Bei allen Unterschieden zwischen den Medien und Institutionen visueller Unterhaltung sind Übereinstimmungen festzuhalten, die auch für Theater dieser Zeit von Bedeutung sind. Hierzu zählen das Streben nach Realismus und Illusion, um die Glaubhaftigkeit des Dokumentationswertes, aber auch den Effekt der Täuschung des Bildes zu gewährleisten, ferner die Reproduzierbarkeit und Industrialisierung bei der Bildherstellung, welche von den Zeitgenossen als »Bilderflut« oder »Illustrationskultus« wahrgenommen werden. Für das Theater zwischen den sechziger und neunziger Jahren sind die genannten Faktoren von erheblicher Bedeutung, denn sie sind nicht unwesentlich an der Umgestaltung des Theaters in ein Institut spektakulären Vergnügens beteiligt. Im Umkehrschluss eine direkte Abhängigkeit des Theaters von den beschriebenen Medien zu konstatieren und seine allmähliche Ausdifferenzierung seit den sechziger Jahren mit dem Einfluss der medialen Innovationen zu erklären, wäre jedoch zu unilateral gedacht und würde die ebenso gewichtige wie komplexe Verwobenheit von Theater, theatralen Formen und den beschriebenen Institutionen visueller Unterhaltung unterlaufen, von denen in den nachfolgenden Kapiteln die Rede ist. Es wurde mehrfach erwähnt, dass den Hervorbringungen der visuellen Kultur häufig denunzierend begegnet wird, die Neugierde weiter Kreise der Bevölkerung an den Innovationen ikonophobisch als »Schaulust« oder »Sensationsgier« abgewertet wird. Dies geschieht zum einen in Bezug auf die Literatur oder das Zeitungswesen, in Bereichen also, in denen die schriftliche Vermittlung im Vordergrund steht. Zum anderen fühlen sich Vertreter der Kunst mit edukativem oder das kulturelle Kapital eines Connaisseurs erfordernden Anspruch vom Eindringen nichtkünstlerischer und populärer Techniken überrannt. Es sind diese Vorwürfe und Beobachtungen, die über mehrere Jahrzehnte den kritischen Diskurs über die Ökonomie und Heterogenität deutschen Theaters bestimmen, von dem das nachfolgende Kapitel handelt.
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Crary 1996, S. 31.
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ÖKONOMIE UND HETEROGENITÄT THEATRALER UNTERHALTUNG
Geehrter Herr! Sie haben die Freundlichkeit gehabt, auch an mich ein Exemplar Ihres der Enquête über das Elend beim Theater dienen sollenden offenen Briefes zugehen zu lassen. Schon heut will ich Ihnen darauf […] in aller Kürze mittheilen, daß nach meiner Meinung, welche auch zugleich die meines an Erfahrung so reichen Vorgängers gewesen, das ganze Elend dem [sic!] Theater nur auf die Theaterfreiheit zurückzuführen sein dürfte, durch welche ein verhältnismäßig großes Proletariat einerseits und andererseits eine Uebersättigung des Publikums mit theatralischen Genüssen angebahnt wurde.1
Dieser Brief des Grafen von Hochberg, Präsident des Deutschen BühnenVereins, vom 15. Februar 1889, ist im Bericht über die Resultate der Untersuchung des Nothstandes der privaten Theater-Unternehmungen und ihrer Mitglieder abgedruckt, herausgegeben von der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger 1891.2 Bei der im Brief genannten »Enquête über das Elend beim Theater« handelt es sich um einen sechzig Fragen umfassenden Katalog zu den Theaterverhältnissen in den Städten des Deutschen Reiches,3 den die Genossenschaft im Jahr 1889 an insgesamt 800 Kommunen geschickt hatte. Der Titel des Berichts ist gleichsam Programm: die Ergründung der Ursachen des »Notstandes« des Theaters und seiner Angehörigen. Graf von Hochberg zählt zu den 665 Adressaten, die den umfangreichen Fragekatalog nicht wunschgemäß an die Genossenschaft zurückschicken. Statt dessen kennzeichnet er in seinem Schreiben mindestens zwei Probleme als Ursachen für die »Theaterfrage« oder »Theater-Kalamität«, sprich das diskutierte »Elend beim Theater«: Einerseits die »Theaterfreiheit« genannte, 1869 auch im Norddeutschen Bund erlassene Gewerbefreiheit für das Theaterwesen sowie andererseits die »Übersättigung des Publikums mit theatralischen Genüssen«. Auch ein Redakteur der Zeitschrift Der Bär, Paul Burger, konstatiert 1888 einen »Verfall deutscher Theaterkunst« und macht als weitere Ursache die deutsche Dramatik aus, die »seit langen Jahren im Großen und 1
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Brief des Grafen von Hochberg, Präsident des Deutschen Bühnen-Vereins, vom 15. Februar 1889. Wiedergegeben Jocza Savitz: Bericht über die Resultate der Untersuchung des Nothstandes der privaten Theater-Unternehmungen und ihrer Mitglieder. Berlin: Verlag der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger 1891, S. 3. Der Bericht ist das Resultat der Delegierten-Versammlung der Genossenschaft vom 11. Dezember 1890. Siehe Anhang der vorliegenden Publikation, Fragebogen über den Nothstand eines großen Theils der privaten Theater-Unternehmungen und ihrer Mitglieder.
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Ganzen ein Bild trauriger Zerfahrenheit und Schwächlichkeit« gewähre.4 Georg Köberle sieht in seiner Schrift Die Theater-Krisis im neuen deutschen Reiche (1872) die Erklärung für den Verfall gar in der Spezifizität des Theaters begründet, »veredeltes Spiegelbild der Gegenwart« und Vorbild der Zeitgenossen zu sein, stets der »ästhetisch-ethischen Richtung« verpflichtet. Da die Bühne aber auch stärker als andere Künste auf das Zeitgeschehen reagierte, sei in der Folge im Theater ein »Abgleithen vom ästhetisch-ethischen Gehalte« zur »hohlen und verflüchtigenden Zeitphrase« zu beobachten.5
» K al am i t ä t« u n d » K r i se « : K r i ti sc he Z u g ä n g e Die hier vorerst skizzenhaft wiedergegebenen Einschätzungen einer ›misslichen Lage‹ des Theaters zwischen den sechziger Jahren und der Jahrhundertwende stehen stellvertretend für eine Phalanx von Schriften zur ebenso komplexen wie hartnäckigen »Theaterfrage«.6 Angeregt durch aktuelle Aufführungen, welche in ihren Augen ästhetische Richtlinien und Idealanschauungen von Theater unterwandern, diskutieren zahlreiche Kritiker, Redakteure der Tages- und Fachzeitungen oder auch Staatsdiener Produktionsbedingungen, Qualität und gesellschaftlichen Auftrag des zeitgenössischen Theaters. Dessen »Übelstand« resultiere aus der zunehmenden opportunen Orientierung von Theater an geschäftlichen Interessen und einem sich wandelnden Publikumsgeschmack, aus einem »Tiefstand« der Bühne und der dramatischen Literatur. In Kritiken und »Rettungsvorschlägen« formulieren sie theoretische, dramaturgische und programmatische Schriften zur Beseitigung der deutschen Theater-Kalamität.7 Denn die mit der Theaterzensur beauftragten preußischen Beamten ohne künstlerische (Aus-)Bildung sehen sie als unfähig an, die Flut von am Markt orientierten Neugründungen einzudämmen und gegen die »Verflachung« des Theaterwesens anzugehen.8 4
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Auszug einer Rezension Paul Burgers zu Ernst von Wildenbruchs vaterländischem Schauspiel »Die Quitzows«, in: Der Bär, 15. Jg., Nr. 9, 1. Dezember 1888, S. 104-106, hier S. 104. Köberle 1872, S. 19. Ein Blick in einschlägige Bibliographien zum Theater zwischen 1850 und 1900 offenbart eine signifikante Häufigkeit von Publikationen zum »Verfall« oder zur »Misere« der Bühne, des Theaters (s. Literaturverzeichnis). Eine Aufarbeitung der Reformvorschläge würde weit über das Themengebiet dieser Studie hinausgehen. So plädiert schon Bertram 1863 für eine »Reorganisation des Bühnenwesens«, um die Rechte und Interessen der Direktoren und Bühnenkünstler zu schützen und fordert hierfür die Einführung eines »Allgemeinen Theatergesetzbuches«. S. 70. Bertram sieht unter anderem vor, durch gezielte Auswahl der Theaterleiter die Qualität der Spielstätten zu sichern. Die rein am Profit orientierten Direktoren schließt er hiervon aus. »Wer es redlich mit der Kunst meint, wem eine erfreuliche Neugestaltung und Verbesserung unserer Theaterzustände am Herzen liegt, der muß dafür stimmen, daß Maßregeln getroffen werden, welche darauf abzielen, daß unsere Theaterangehörigen durchweg aus honnetten Leuten bestehen.« Bertram 1863, S. 76. Neben den oben genannten Gegenmodellen zur Theaterkultur der Zeit ist ein weiteres die Gründung eines »Reichsministerium[s] für theatralische Kultur«, das »durch Bestellung einer Zentralkommission die Oberaufsicht führen« soll. Dieser Plan wird jedoch ebenso wenig realisiert wie die Idee, zur besseren Aus-
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In der Folge entstehen etwa seit der Jahrhundertmitte mehr theoretische Schriften zum Theater, als dass eine genuin deutsche Dramatik auf den Bühnen Erfolg hat.9 »Wenn man all jene Bücher, Broschüren und Zeitungsartikel durchlesen wollte, welche in dem letzten Jahrzehnt über den ›Niedergang des deutschen Theaters‹ erschienen sind«, zieht Karl Pauli 1887 vorläufig Bilanz, »so würde man bald die feste Ueberzeugung gewinnen, daß die dramatische Kunst aus Mangel an Schauspielern, Dichtern und Publikum bereits in den letzten Zügen läge.«10 Die in den Quellen vorzufindende Diskussion um den qualitativen »Verfall« ist, darauf wurde bereits in der Einleitung dieser Studie hingewiesen, auch in den Theatergeschichtsbüchern gespiegelt. Das Theaterwesen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei eines, »das sich kompromißlos der Unterhaltung und dem Geschäft verschrieb, ein breites Spektrum theatraler Schauvergnügungen anbot, […] und Publikum aus allen Schichten der Gesellschaft anzog.«11 Diese bereits an anderer Stelle wiedergegebene Einschätzung Manfred Braunecks sei noch einmal in Erinnerung gerufen, weil sie sich in jenem Spannungsfeld des Theaters zwischen der Gebundenheit an ökonomische Prinzipien sowie an den Publikumsgeschmack und der Heterogenität theatraler Darbietungen bewegt. Innerhalb der Geschichtswissenschaft hat sich in den vergangenen Jahren ein neuer Forschungsbereich herausgebildet, der sich mit dem Begriff des ›Marktparadigmas‹ oder der ›Konsumgeschichte‹ zusammenfassen lässt. Zunächst in den amerikanischen Geschichtswissenschaften verhandelt, beschäftigen sich seit den späten neunziger Jahren auch deutsche Historiker mit dieser Verzahnung von Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Als gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen, auch Epochen übergreifenden Annäherungen an Geschichte aus dem Blickwinkel der Ökonomie und des Konsums fasst Paul Nolte 1997 die Beleuchtung von Prozessen ökonomischer Marktbildung »in ihren sozialen und vor allem kulturellen Konsequenzen« sowie die Analyse von Konsum und Kultur als »kulturell bestimmte und bestimmende Strukturen und Prozesse« zusammen.12 Konzepte und Leitbegriffe sind der ›Markt‹, die Geschichte des Konsums und der ›Konsumgesellschaft‹, ferner ideengeschichtliche Zugriffe auf die Geschichte des Kapitalismus sowie Prozesse kultureller Kommerzialisierung insbesondere im 18. und im 20. Jahr-
bildung des Theaterpersonals eine »Reichstheaterschule« oder ein »ReichsAkademietheater« zur Förderung von Schauspielern und Dichtern einzurichten. Vgl. hierzu u.a. Gesell 1886. Siehe zu einem vergleichbaren Versuch in der nachrevolutionären Zeit 1848/49, die staatliche Bedeutung des Schauspiels durch die Errichtung einer alle Künste umfassenden Akademie zu unterstreichen, Hans Devrient: Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Band 2, Berlin: Elsner 1905, S. 506ff. 9 Vg. auch Schanze 1972 zum Ungleichgewicht des Verhältnisses von Dramentheorien und deren ästhetische Regeln ignorierende Bühnenpraxis. 10 Karl Pauli: Die Befreiung der Deutschen Bühne vom Drucke der Geldspekulation. Berlin: Otto Dreyer 1887, S. 3. 11 Brauneck 1999, S. 18. 12 Paul Nolte: »Der Markt und seine Kultur – ein neues Paradigma der amerikanischen Geschichte?«, in: Historische Zeitschrift, Band 264, 1997, S. 329-360, hier S. 333.
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hundert – das 19. Jahrhundert wurde bislang von diesem neueren Zweig der Geschichtsforschung nur marginal berücksichtigt.13 Konsumgeschichte untersucht die Interaktion zwischen Produkt und Konsument, zwischen Hervorbringungen der Kultur und ihrer Rezeption.14 Damit finden zunächst ökonomierelevante Fragen nach Konsum und Strategien der Vermarktung sozusagen durch die Hintertür ihren Einzug in das Gegenstandsfeld auch derjenigen Disziplinen, die sich genuin mit ästhetischen Phänomenen beschäftigen und ökonomische bislang außen vor ließen.15 Von besonderem Interesse für die vorliegenden Betrachtungen sind vornehmlich die Interaktionsbeziehung zwischen Markt und Konsument. Ann Bermingham exemplifiziert die Unmöglichkeit einer strikten Trennung an der Verwicklung von ›high culture‹ mit kommerziellen Strategien. It is [the] entanglement of high culture with commerce that we must come to see if we are to understand the nature of both modern culture and consumption. For what seems clear is that the need to preserve art from kitsch which has been so much a part of modernist aesthetics, and which ultimately develops out of the eighteenth century’s anxiety about industrialism and the commercialization of culture has effectively obscured the fact that since the industrial revolution it has been virtually impossible to separate art and culture from the economic forces of commerce and mass consumption.16
Vor diesem Hintergrund skizzieren die nachfolgenden Abschnitte die eklatantesten Kritikpunkte zur vermeintlichen »Erniedrigung« des Theaters »zum bloßen Geschäft«, nämlich: die Folgen der Anwendung des Gesetzes der Gewerbefreiheit auf das Theater 1869, die bereits um die Mitte des Jahrhunderts sich anbahnende Kommodifikation der Künste, i.e. die Umgestaltung von Kunst in ein Konsumgut, die auch das Theater keineswegs unberührt lässt, sowie die »Theatromanie«, die Theaterbegeisterung des Publikums, welche den Wechselbezug von Produktion und Rezeption, in der Sprache der Ökonomie: das Prinzip von Angebot und Nachfrage, auch für das Theater dingfest macht. Eine Trennung dieser jeweiligen Ursachen ist nicht durchgängig möglich, denn realiter ist gerade ihre enge Verwobenheit Teil der Problematik. Ziel der Ausführungen ist eine Annäherung an das Theater- und Unterhaltungsangebot Berlins zwischen 1869 und den neunziger Jahren und die unterschiedlichen Bühnenformate außerhalb der in den Almanachen genannten und in den Theater- und Literaturgeschichten kanonisch gelisteten Dramatik.
13 Dagegen hält Werner Grasskamp in seiner Abrechnung mit der »Konsumsucht«
des 20. und 21. Jahrhunderts, »[w]enn es so etwas wie eine Konsumgesellschaft je gegeben hat, dann dürfte das 19. Jahrhundert ihr am nächsten gekommen sein.« Walter Grasskamp. Konsumglück. Die Ware Erlösung. München: C.H. Beck 2000. 14 »Vielleicht liegt in dieser Wendung die Krönung des historiographischen Triumphes einer Kultur des Marktes.« Nolte 1997, S. 349. 15 Gudrun M. König: »Im Bann der Dinge. Geschmackserziehung und Geschlechterpolitik«, in: Maase/Kaschuba 2001, S. 343-377, hier S. 345. 16 Ann Bermingham. »The consumption of culture. Image, object, text«, in: Dies. (Hg.): The Consumption of Culture. London: Routledge 1993, S. 1-20, hier S. 5.
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Materialgrundlage bilden die oben erwähnten Quellentexte: Schriften zur »Kalamität«, Spielpläne, Theaterzettel, Anzeigen und Zensurakten. Die selektierten Texte stammen überwiegend aus dem genannten Zeitraum von drei Dekaden – in denen sich der kritische Tenor gegenüber dem Theaterwesen offenkundig nicht veränderte.17 Nur vereinzelt sind zeitgenössische Rezensionen zu Aufführungen dieser Zeit überliefert18, und dieser Mangel erschwert eine Beschreibung und Charakterisierung der Aufführungen und Unterhaltungsformen ex post. Hier lassen sich die oben angesprochenen Debatten über den ›künstlerischen Qualitätsverlust‹ und die ›Krise der Theaterlandschaft in Deutschland instrumentalisieren. Denn sie ermöglichen – eingedenk des der Textform ›Kritik‹ eigenen subjektiven Sprachduktus‹ – einen tieferen Einblick in Theater der Zeit, indem sie qua Kritik, gleichsam ex negativo, die in den Tages- und Theaterzeitungen angekündigten Theaterangebote, die Vielfalt der Bühnenformate und veränderliche Publikumsansprüche charakterisieren. Die gebotene kritische Annäherung an dieses Quellenmaterial hat zu berücksichtigen, dass einerseits die Quantität von überlieferten Quellenaussagen keineswegs deren ausschließliche Gültigkeit belegt, und dass andererseits Behauptungen eines Rück-, Niedergangs oder eines Qualitätsverlustes freilich Idealen und Konventionen unterliegen. Hier bleibt auch zu berücksichtigen, dass auch die Verfasser kritischer Schriften sowie die Gegner der »neuen Tendenzen« des Theaters wiederum selbst in die Kritik geraten.19 Eingedenk dieser Kritik an der Kritik sind die Schriften wertvolle Quellentexte, die trotz und wegen ihres negativen Grundtenors eine Annäherung an die ›Angebotspalette‹ des Theaters erlauben und ästhetische Normen und Geschmack der damaligen Zeit näher bringen. Es sei vorangeschickt, dass die von den Kritikern der Zeit überwiegend negativ bewertete materielle Seite der Theater-Kalamität, der »Druck der Geldspekulation«, wie es Pauli nennt, in der Rückschau eine – lange Zeit von der (deutschen) Theatergeschichtsforschung unterschätzte – eigene Dynamik und Kreativität im Sinne einer Ausdifferenzierung der Genres und Angebote innerhalb des deutschen Theaterwesens hervorgebracht hat, wie Frenzel resümiert: So gewiß mit dem Theater in Berlin seit Cerf Geschäft gemacht worden ist, bei dem in moralischen Krisenzeiten die Kunst nicht nur verkauft, sondern auch verraten wurde, dankt die künstlerische Gesamtentwicklung Männern, die sich wie Brahm im
17 In seiner Hartnäckigkeit schien dieser Teil der »Theater-Kalamität« den zeitge-
nössischen Kritikern zu einem unlösbaren Problem zu mutieren. Noch 1911 macht bspw. Karl Strecker das Publikum, »richtiger gesagt die Zusammensetzung des Publikums infolge wirtschaftlich-sozialer Wandlungen«, hauptverantwortlich für den »Niedergang« Berlins als Theaterstadt. Karl Strecker: Der Niedergang Berlins als Theaterstadt. Berlin: C. A. Schwetschke 1911, S. 12f. 18 Dies ließe sich zum einen mit der enormen Anzahl an Theaterhäusern begründen, die der zeitgenössischen Kritik eine umfassende Rezensionsarbeit erschweren, zum anderen mit der zuweilen entschiedenen Ablehnung der Kritiker, sich den populären Theaterformen aufgrund deren »geringen Niveaus« zuzuwenden. 19 Vgl. zur Kritik an der Kritik auch von Wolzogen 1859; Bertram 1863; Ella Mensch: Der neue Kurs. Litteratur, Theater, Kunst, Journalismus der Gegenwart. Stuttgart: Levy & Müller 1894; Linsemann 1897, Bab 1908.
122 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Lessing-Theater buchstäblich jeden Abend den Kassenrapport vorlegen ließen, nicht hoch genug anzuschlagende Bereicherung.20
Es wird zu zeigen sein, dass durch diese Verschränkung von ästhetischen, ökonomischen und Facetten der populären Kultur sowie die Ausdifferenzierung von Bühnenformaten Theater der zweiten Jahrhunderthälfte zu einem frühen ›massenkulturellen‹ Phänomen wird. Die zunehmende Orientierung an visuellen Effekten, die Bevorzugung des zerstreuenden Schauens vor der rationalen Kontemplation sind signifikante Merkmale dieser Entwicklung.
G e sc h äf t m i t d e r S c ha u l u s t: F o l g e n d e r › T he a t e r - F r e i he i t ‹ 1 8 6 9 Die Bühne – ein Gewerbe! Das ist die Ursache des ganzen Verfalls.21 Allein, so wahr es ist, daß das Deutsche Theater sich seinem Niedergange entgegenneigt, so ist es doch ein ganz anderer Faktor, mit dem wir zu rechnen haben, […] das Theater krankt an einem bedenklichen Uebel, welches ihm seine eigentliche Bestimmung raubt und aus demselben, statt es der Pflege der Kunst zu widmen, ein Geschäft macht. Es ist der Druck der Geldspeculation, welcher auf dem Theater lastet, und der es der Kunst immer ferner bringt, es immer mehr und mehr zum bloßen Geschäft erniedrigt.22
Karl Paulis hier auszugsweise wiedergegebene Schrift Die Befreiung der Deutschen Bühne vom Drucke der Geldspekulation (1887) ist eine von zahlreichen Publikationen aus den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, welche das Theater aufgrund des zunehmenden Diktats ökonomischer Prinzipien von einer »Heimstatt der Kunst«, einer Institution der »Erbauung und Bildung«, zu einem »industriell geleiteten Vergnügungsinstitut« degradiert sehen. In Myriaden von ›Befreiungsvorschlägen‹ und Reformmodellen suchen Kritiker und Schriftsteller die Kunst wieder auf die Bühnen zu bringen, künstlerischen Prinzipien die führende Rolle zuzuweisen.23 Geschäftstheater oder Kulturtheater? lautet noch Anfang des 20. Jahrhunderts der Titel einer Publikation Ludwig Seeligs. Theater sieht Seelig als »Kulturfaktor« mit edukativen Absichten und zur Läuterung des Menschen an.24 Das Geschäftstheater hingegen habe den Menschen allmählich für wirtschaftlichen Profit instrumentalisiert 20 Frenzel 1954, S. 4. Rudolph Cerf ist Direktor des Berliner Victoria-Theaters.
21 Gesell 1886, S. 17. 22 Pauli 1887, S. 3. 23 »Im Uebrigen blieb, seit den politischen Unruhen, das Theaterleben der Privat-
unternehmungen in Berlin von dem allgemeinen industriellen Schwindel ergriffen, aus dem nur die nachtheiligsten Wirkungen auf die Schauspielkunst hervorgehen konnten.« Devrient 1905, S. 337. 24 Ludwig Seelig: Geschäftstheater oder Kulturtheater? Berlin: Günther 1914, S. 3. »[Das Theater] bringt uns Schönheit und Erhebung. Es entwickelt sich als etwas Naturnotwendiges aus aller höheren geistigen Kultur. Die Dienste, die es der Menschheit zu leisten hat, stellen es in der Tat neben die Kirche und die Schule.« Ebd., S. 4.
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und die Kunst zur Handelsware gemacht.25 Karl Paulis und Ludwig Seeligs Argumentationen reflektieren hier stellvertretend die schon in der Jahrhundertmitte einsetzende Dichotomisierung von Kommerz und Kultur, von ›Geschäftstheater‹ und ›Kulturtheater‹. Im Ideal stellen für die Kritiker der Bildungsauftrag der gesellschaftlichen Institution Theater und die materielle Verwertung von Theater als Produkt des Unterhaltungskonsums unvereinbare Antagonismen dar.
Gewerbe-Freiheit – Theater-Freiheit Anfang Mai 1870 hat im Berliner Nowack-Theater in der Blumenstraße 9 Theater-Freiheit Premiere, eine »Posse mit Gesang in 3 Akten und 6 Bildern« von W. Mannstädt, in Szene gesetzt von Regisseur Meißner. Die Theater-Zwischen-Aktszeitung vom 7. Mai des Jahres informiert über die Bildfolge: Erster Akt, erstes Bild: Ein Kunst-Enthusiast Zweites Bild: Auf der Schauspieler-Börse Zweiter Akt, drittes Bild: Geheimnisse eines Theater-Büros Viertes Bild: Das Theater der Zukunft Dritter Akt, fünftes Bild: Ein Künstler-Asyl Sechstes Bild: Backstuben-Abenteuer26
Eine Inhaltsangabe dieses Stücks liefert der Theaterzettel nicht, jedoch haben die Titel ihrer Bilder Signalwirkung: Theater-Freiheit überschreibt die Themen »Schauspieler-Börse«, »Theater-Büro«, »Theater der Zukunft« – es sind dies aktuelle Schlagworte der damaligen Zeit. Die Kunst leitet die Posse in Gestalt eines »Kunst-Enthusiasten« ein, der im »Asyl« endet. Der Titel der Posse ist gleichsam Programm: Thema ist die »TheaterFreiheit« genannte Anwendung des neuen Gesetzes der Gewerbefreiheit vom 22. Juni 1869 auf Theaterunternehmen. Die Premiere findet fast zeitgleich zum Jahrestag der Einführung dieses Gesetzes sowie der Eröffnung des Nowack-Theaters statt. Denn das Theater in der Blumenstraße verdankt – wie 25 Ebd., S. 6. In den Folgekapiteln thematisiert Seelig vor allem die sozialen Miß-
stände der Bühnenmitarbeiter. Herausgeberin seiner Schrift ist die Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger in Berlin, die 1871 infolge des Pachttheater-Booms und seiner Konsequenzen für die Arbeitsbedingungen der Schauspieler gegründet wird. Der Begriff des Geschäftstheaters ist eng mit der Etablierung der Genossenschaft verbunden. Sie stößt sich nicht nur an den qualitativ vermeintlich minderwertigen Aufführungen der privaten Theaterunternehmungen, sondern kritisiert insbesondere die auf die saisonalen Spielzeiten der Privattheater befristeten Arbeitsverträge der Schauspieler. Mit der Kommerzialisierung des Theaterbetriebs entsteht ein Theaterproletariat, dessen ungünstige Lebensbedingungen die Genossenschaft mit Hilfe von Gesetzen abzuschaffen sucht. Die Kritik der Genossenschaft an sozialen und künstlerischen Misslagen, ihr Plädoyer für ein »Kulturtheater«, d.h. ein Theater mit »anspruchsvollem« Spielplan und beständigem Ensemble zeigt erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts Erfolge, indem ehemalige Pachttheater von kommunalen Trägern übernommen werden. vgl. Eintrag »Geschäftstheater« in: Theaterlexikon, hg. von C. Bernd Sucher. Band 1. München 1996, S. 190f. 26 Theater-Zwischen-Akts-Zeitung vom 7. Mai 1870.
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zahlreiche andere Berliner Bühnen auch – seine Gründung 1869 nicht zuletzt den gesetzlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung. Mit dieser werden »die alten feudalstaatlichen Restriktionen und Zunftgesetze, die Industrie und Handel in den deutschen Staaten in ihrer Entwicklung bisher entscheidend gehemmt hatten, beseitigt«, die »Entfaltung kapitalistischer Produktionsformen« ermöglicht, wie Ruth Freydank festhält.27 Theater firmiert nach dem damals gültigen Gesetz als Gewerbe – als Anstalt für »gewerbsmäßig theatralische Vorstellungen ohne höheres Kunst-Interesse«28 – und wird in der neuen Gewerbeverordnung unter Paragraph 32 wie folgt berücksichtigt: Schauspielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der Erlaubniß, dieselbe ist ihnen zu ertheilen, wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb darthun. Beschränkungen auf bestimmte Kategorien theatralischer Darstellungen sind unzulässig.29
Künstlerische Qualität der Darbietungen sowie die Bedeutung von Theater für die Gesellschaft finden in diesem Gesetzestext keine Erwähnung. Dabei war die Einführung der Theaterfreiheit, der Gewerbefreiheit für die Theater, auch als Chance für eine neue ›klassische Kunst-Aera‹ herbeigesehnt worden, für einen Aufschwung des Theaterwesens, dem es, den zeitgenössischen Quellen zufolge, bereits vor 1869 an künstlerischer Produktivität mangelt.30 Bis 1869 sind die Aufführungen von Trauerspiel, Oper und Ballett den Hoftheatern vorbehalten und Ausnahmen nur mit Genehmigung des Generalintendanten möglich, womit das Königliche Theater den Ausschluss jedweden Konkurrenzkampfes beabsichtigte.31 Doch der durch die »Befreiung von den Fesseln der Konzessionen und Monopols« erhoffte »Aufschwung«32 der dramatischen Kunst tritt auch nach 1869 nicht ein.33 Dies stellt auch Karl Pauli fest: »Ein großer Irrthum, daß die ›frische fröhliche Concurrenz‹ dem Theater von Nutzen sei, daß dem Publikum aus ihr irgend welcher Nutzen erwachse.«34 27 Freydank 1988, S. 286. 28 Fragebogen der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger zu den Theater-
verhältnissen in Deutschland, siehe FN 3. 29 Gesetzestext wiedergegeben nach Devrient 1905, Band 2, S. 510. 30 »Immer lauter erscholl nach 1830 der Wunsch nach völliger Gewerbefreiheit
des Theaters, die erst 1869 erreicht wurde.« Gaehde 1908, S. 109. 31 Die Privattheater-Betreiber, qua Konzession also auf ein bestimmtes Repertoire
beschränkt, versuchen das Monopol der Hofbühnen auf Klassikeraufführungen mit Hilfe von Titelabänderungen oder dramaturgischen Bearbeitungen zu umgehen. Vgl. hierzu Gerhard Walther: Das Berliner Theater in der Berliner Tagespresse 1848-1874. Berlin: Colloquium 1968, S. 74f. 32 Köberle 1880, S. 262. 33 vgl. Hahn 1880, S. 38. »Die Freiheit, die das Theater im Jahre 1869 erhielt, blieb so, wie die Verhältnisse des neu gegründeten preußisch-deutschen Staates waren, etwas Halbherziges. Seine Unterstellung unter die Aufsicht der Polizei, das heißt des Innenministeriums und nicht des Kultusministeriums, signalisierte von vornherein das Desinteresse der Politiker, das Theater als eine Institution von höherer gesamtstaatlicher Bedeutung einzustufen.« Freydank 1995, S. 14. 34 Pauli 1887, S. 12. Pauli errechnet ein Finanzierungsmodell zur »Befreiung der deutschen Bühne vom Drucke der Geldspekulation«, das auf dem Kauf von Theater-Aktien durch die Zuschauer basiert. Vgl. Pauli 1887, insbesondere S. 16ff.
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Stattdessen modifiziert ein wesentlicher Grundsatz des Gewerbegesetzes die Theaterkultur in anderer Weise: Die Lockerung in den Bestimmungen zur Konzessionserteilung ermöglicht fortan jeder Person – auch ohne Bühnenerfahrung – die Eröffnung einer Spielstätte.35 Ein unmittelbar nach 1869 im gesamten deutschsprachigen Gebiet einsetzender Boom von Theaterneugründungen ist erste unübersehbare Folge der Gewerbefreiheit, zweifelsohne mitgeschürt durch das beinahe zeitgleich, nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 einsetzende generelle Wirtschaftswachstum des neuen Deutschen Reiches. (vgl. Einleitung) »Namentlich in Berlin, das ja unverhältnismäßig rasch sich vergrößerte, herrschte ein lebhaftes Interesse für Theaterneugründungen«, bilanziert Gaehde 1908.36 Die Anzahl der Theaterhäuser steigt seit Beginn der siebziger Jahre rapide an.37 Mehrere Gastrono35 Insbesondere Gastwirte, vereinzelt auch Handwerker, reichen Petitionen um
eine Theater-Konzession ein. 1879 beantragt der Maurermeister Gustav Adolf Eduard Gause die polizeiliche Zulassung als Schauspielunternehmer für das Louisenstädtische Theater in der Dresdener Straße (Vgl. LA B, Pr. Br. Rep. 030 2109). »Von einem Bühnenleiter wird nicht der geringste Nachweis einer allgemeinen und speziell fachlichen Bildung, in einigen deutschen Ländern nicht einmal der Besitz eines guten Leumundes verlangt; […] es kann [die Konzession] ein Restaurateur oder jeder andere erlangen, welchem es dann obliegt, eine Schauspielertruppe zu engagieren.« Gesell 1886, S. 28. Auch der Verfasser der Schrift Der Verfall unseres Theaters hält eine Reformierung der Konzessionserteilung für notwendig, soll die Qualität der Bühnen wieder eine bessere werden. Drei Fragen müssten geklärt sein, namentlich »daß gegen den Bewerber in moralischer Beziehung nichts vorliegt, daß er den nöthigen Bildungsgrad und die erforderlichen Betriebsmittel besitzt. Der dritte Punkt müßte eine Verschärfung dahin erfahren, daß das Vermögen in vollster Form nachgewiesen wird.« Anonym: Der Verfall unseres Theaters. Berlin: Siegismund 1893, S. 28f. Gesell weist noch darauf hin, dass das Theater am 26. April und 3. Mai 1880 Angelegenheit des deutschen Reichstages gewesen sei mit der Folge, dass die Gewerbeordnung zwar beibehalten, §32 jedoch modifiziert worden sei. Konzessionsinhabern kann nun die Erlaubnis verwehrt werden, »wenn die Behörde auf Grund von Thatsachen die Überzeugung gewinnt, daß der Nachsuchende die zu dem beabsichtigten Gewerbebetriebe erforderliche Zuverlässigkeit, insbesondere in sittlicher, artistischer und finanzieller Hinsicht nicht besitzt.« § 32 der Gewerbeordnung, zitiert nach Gesell 1886, S. 65. Vgl. hierzu den Artikel »Die revidirte deutsche Gewerbeordnung« in der IZ vom 23. Februar 1884, S. 146. Durch einen Ministerialerlass vom 5. Mai 1893 wird die ebenfalls lange Zeit geforderte Einschränkung der Gewerbefreiheit durchgesetzt: Von nun an wird gefordert, »vor Erteilung der Konzession den Vorstand eines der beiden Bühnenvereine, bei denen vorzugsweise eine Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse vorausgesetzt werden kann, nämlich des Deutschen Bühnenvereins und der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, beide in Berlin, um Auskunft zu ersuchen.« Wortlaut des Ministerialerlasses, wiedergegeben nach Gaehde 1908, S. 121. 36 Gaehde 1908, S. 109. 37 Berliner Theaterneugründungen um 1869/1870 sind u.a.: Nowack-/ResidenzTheater (1869), Tonhallen-Theater (1869), Walhalla-Volkstheater (1869), A. Wolf’s Etablissement/Belle-Alliance-Theater (1869), Salon-Royal-Theater, Sinnig’sches Schauspiel, Stadttheater Charlottenburg, (1872), American-Theater (1873), Königstädtisches Theater (1872 (1874)), Flora (1874, durch eine AG), Germania-Theater (1875). Vgl. Anhang des vorliegenden Buches, Theater in Berlin 1860-1900. Vgl. zur Relation von Gewerbefreiheit und Theatergründungen auch Susanne Brachetti: Kultur und Kommerz. Geschäftstheater in Bo-
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men, die vor 1869 Gaststätten mit gelegentlichen Aufführungen theatraler Darbietungen führen, verbinden die ihnen erteilte Konzession für Theateraufführungen mit der Umgestaltung ihrer Schankbetriebe in Theater-Häuser.38 Die Vielzahl der Neugründungen von Theaterbühnen und Umgestaltungen von Unterhaltungseinrichtungen infolge der Einführung der Gewerbefreiheit erschwert für Theaterhistoriker heute den genauen Nachvollzug der zur Aufführung gelangten Darbietungen. Hinzu kommt der häufig vollzogene Wechsel von Theaterbesitzern und -direktoren, der die eindeutige Zuordnung eines Repertoires zu einer Spielstätte undurchsichtig werden lässt, denn mit dem personellen Austausch der Leitung ändert sich nicht selten auch die Ausrichtung der Genres und Programmpräferenzen.39 So stellt etwa das Berliner Kroll-Theater ein prominentes und relativ vollständig dokumentiertes Beispiel für einen Wechsel in der Programmatik dar. Von einem ›Etablissement‹ mit Sommertheater, das in den fünfziger und sechziger Jahren Konzerte, Schwänke und Tanz bietet, wandelt es sich in ein Königliches Operntheater.40 Ein weiteres Beispiel für einen auffälligen Programmwechsel ist das OstendTheater, dessen Direktor Max Samst 1892 bittet, sein Haus in ›VictoriaTheater‹ umbenennen zu dürfen. Er beabsichtige hauptsächlich »Ausstattungsstücke«41 zur Aufführung zu bringen. Schließlich sei noch exemplarisch das Berliner Theater genannt, das anfänglich, noch unter dem Namen Walhalla-Theater, ein »Vergnügungsetablissement mit Puppentheater und Luftspringern« ist, das Varieté, Possen, Ballett und Oper zeigt und dann in den späten achtziger Jahren unter Leitung von Ludwig Barnay als ›Berliner Theater‹ insbesondere ›klassische‹ Dramen vorführt, worin es die »gleiche[n] Ziele wie das königliche Schauspielhaus« verfolgt.42 Das Gros der Bühnen nach 1870 besteht insbesondere in Varietés mit dramatischen Programmen, Vorstadtbühnen oder solchen Einrichtungen, die sich nicht auf ein Genre spezialisieren dürfen und wollen, weil jegliche Eingrenzung in Zeiten enormer Konkurrenz im Unterhaltungswesen das wirt-
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chum während des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Herne: Verlag für Wissenschaft und Kunst 1996. Über die Gesuche zur Konzessionserteilung informieren die Findbücher und Zensurakten im Berliner Landesarchiv. Vgl. zu dieser Vorgeschichte der Berliner Privatbühnen auch Petra Louis: »Vom Elysium zum Prater. Berliner Vorstadtbühnen, der Beginn des privaten Theaterbetriebes im 19. Jahrhundert«, in Freydank 1995, S. 23-38. Vgl. hierzu Übersicht Theater in Berlin 1860-1900 im Anhang. Das Etablissement Kroll gehört zu den am gründlichsten erforschten Unterhaltungstheatern Berlins des 19. Jahrhunderts. Umfassende Übersichten über die Facetten dieser Spielstätte liefern Hans J. Reichardt: …bei Kroll 1844 bis 1957. Ausst.-Kat. Landesarchiv Berlin. Berlin: Transit 1988 und Thomas Wieke: Vom Etablissement zur Oper. Die Geschichte der Kroll-Oper. Berlin: Haude & Spener 1993. Vgl. zum Begriff des Ausstattungsstückes Kapitel 3. Gindler/Stephan 1893, S. 88. »Das Berliner Theater ist aus der alten ›Walhalla‹ hervorgegangen, der ersten größeren Singspielhalle der Hauptstadt. Das Tingeltangelwesen stand damals noch nicht so sehr in der Blüte als heute, aber Herr Großkopf, der Besitzer der ›Walhalla‹, verstand es doch, sein Haus allgemach aus der niedrigen Sphäre der Feuerfresser und Degenschlucker auf ein vornehmeres und künstlerischeres Niveau zu bringen. Vor 30 Jahren gehörte die ›Walhalla‹ […] zu den populärsten Vergnügungslokalen Berlins.« Zobelitz 1922, S. 240.
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schaftliche Aus bedeuten könnte. Zahlreiche neu gegründete Theater halten dem Wettbewerbsdruck nicht stand, die vorübergehende konjunkturelle Schwäche, die 1873 das deutsche Reich ereilt, tut auch für das Theaterwesen ein Übriges. »[U]m so toller mußte nach dem Zusammenbruch Geld um jeden Preis verdient werden, damit die entstandenen Verluste wieder eingebracht würden.«43
Theaterware Wenigen neuen Theaterleitern oder Konzessionsinhabern ist die Pflege theatraler Kunst entscheidendes Movens zur Gründung. Obwohl vielleicht manche Schauspielunternehmer die Kunstinteressen berücksichtigten, würden doch die meisten, »sie mögen nun eine große oder kleine Bühne leiten, […] von der Spekulation getrieben«, mutmaßt Gesell 1886. Die »Haupttriebfeder ihrer Unternehmungen« sei stattdessen das »materielle Interesse.«44 Für finanzstarke Unternehmer oder Aktiengesellschaften wird das Theater zum Spekulationsobjekt. Sie sehen in theatraler Unterhaltung einen Marktwert, kaufen Theaterhäuser oder Grundstücke für den Bau von Theatern und tragen schließlich erfahrenen Personen die Bühnenleitung zu.45 Gegen Ende des 43 Gaehde 1908, S. 120. Um wenigstens den Schein eines Erfolges hervorzubrin-
gen, die »größte Sorge eines Berliner Theaterunternehmers«, wie Engel Reimers betont, versuchen sie »mit allen Mitteln« die Aufführungszahl künstlich in die Höhe zu treiben, – auch wenn die Aufführung nicht den Erfolg beim Publikum habe –, bis »das Stück von selbst« gehe. »Die Zahl wirkt suggestiv. Alles wird in Bewegung gesetzt, um ein volles Haus vorzutäuschen. Vereine erhalten die Billette zu stark reduzierten Preisen, alle Freunde und Bekannte des Autors und der Darsteller werden hereingezogen.« Engel Reimers 1911, S. 727; siehe auch Kutzsch 1989 und Zobelitz 1922. 44 Gesell 1886, S. 16. Dies zeigt sich auch in der Beantragung von Konzessionen durch Kaufleute, wie etwa Herrmann Lucas für das Borussia-Theater in der Wrangelstraße, oder Friedrich Erich Schrader 1879 und 1881 für das GermaniaTheater im Weinbergsweg 10-11. Zu den Neugründungen im Zusammenhang mit dem gründerzeitlichen Spekulationsfieber merken Bucher et al. 1981 an: »Die Häufigkeit des Theaterkrachs, verursacht durch verantwortungslose Theaterpächter, belegt die Unsolidität dieser Hausse: so geht z.B. das Breslauer Stadttheater innerhalb von 10 Jahren fünfmal bankrott.« Bucher et al. 1981, S. 147. 45 »Die Theater werden mit unerhörtem Leichtsinn gegründet, manchmal aus keinem anderen Grund, als um ein Grundstück zu exorbitanten Preisen zu verkaufen. Merkwürdigerweise finden sich immer Kapitalisten, die bereit sind, ihr Geld herzugeben, und Pächter, ihre Existenz zu riskieren.« Engel Reimers 1911, S. 728. »Es hat sieben Jahre gedauert, und die eigentliche ›Gründerzeit‹ war fast vorüber, bis die Herren Geldgeber das Theater als eben so rentabel betrachteten wie bis dahin den Bau von Eisenbahnen, Maschinenfabriken oder Mietskasernen. Wenn wir einem gelehrten Nationalökonomen wie Gustav Schmoller glauben dürfen, sind die Handlungsunternehmen so wenig rentabel geworden, daß sogar die Kunst das »bessere Geschäft« zu sein schien. Also steckte, wer Geld besaß und es arbeiten lassen wollte, sein Geld ins Theater, womit die Epoche von etwa 1880 bis 1900 beginnt.« Hans Erman: »Wo man baute, wo man spielte«, in: Theater im alten Berlin. Berlin: Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte 1954, S. 9-14, hier S. 12. Die Finanzierung von Unterhaltungseinrichtungen durch wohlhabende Privatiers oder Aktiengesellschaften wurde auch am Beispiel des Panoramas oder des Panoptikums aufgezeigt. (vgl. Kap. 1)
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Jahrhunderts existieren in Berlin beinahe ausschließlich Geschäftstheater. Nirgends sei das Theater »so zur Industrie, zum Spekulationsobjekt geworden, wie in der Reichshauptstadt«, so Engel Reimers.46 Zur Vermarktung ihrer »Produkte« greifen Theaterdirektoren auf Prinzipien der Werbung und Aufmerksamkeitslenkung zurück, die in den nachfolgenden Abschnitten vorzustellen sind. Für zusätzliche Geldeinnahmen nutzen Theaterhäuser Prinzip und Effektivität der Reklame, deren Erfolgsgeschichte bekanntlich selbst erst in der zweiten Jahrhunderthälfte beginnt,47 indem sie die Pausen zwischen den Akten für »Werbeunterbrechungen« im Sinne des Wortes verwerten.48 Bereits in den frühen siebziger Jahren werben, beispielsweise im Kroll-Theater, Berliner Geschäfte auf Reklame-Vorhängen für ihre Produkte oder Dienstleistungen. (Abb. 15) Auch im Berliner Circus Renz, alias (Neues) OlympiaRiesentheater, wird der Vorhang unter den Pächtern Bolossy Kiralfi und Hermann Haller in den späten neunziger Jahren während der Pausen als Projektionswand für Reklame genutzt.49 Der amerikanische Showman, Kuriositäten-Händler und Circusdirektor Phineas Taylor Barnum50 wird 1884 in seiner Schrift The Art of Money-getting, 46 Engel Reimers 1911, S. 728. 47 »[D]ie Reklame [strebt] mit allen Mitteln dahin, Schöpfungen des Augenblicks
zu poussiren, um den kurzen Glanz derselben bis zur Neige auszubeuten, sie alsdann aber, sobald der falsche Schimmer erbleicht, ebenso geschwind aufzugeben und fallen zu lassen, wie sie ihnen zuvor Weihrauch gestreut und sie gehoben hat.« Otto Girndt: »Die Reklame«, in: Recensionen, 5. Jg., Nr. 46, 16. November 1859, S. 735-738, hier S. 736. 48 Auf die Annäherung von Werbestrategien an diejenigen der Theater- und Unterhaltungskultur und vice versa im 19. Jahrhundert hat u.a. Asa Briggs aufmerksam gemacht: »Advertising provides an additional link between retailing and entertainment. Advertising and showmanship were closely associated in the 1880's, and the successful proprietor of a departmental store had to have some of the qualities of a successful showman. Like his predecessors in the fairs and his contemporaries in the development of patent medicines, he had to understand, and, if need be, tap human credulity.« Asa Briggs : Mass Entertainment: The Origins of a modern Industry. Adelaide: Griffin Press 1960, S. 10. 49 Vgl. Wolfgang Carlé und Heinrich Martens : Kinder, wie die Zeit vergeht. Eine Historie des Friedrichstadt-Palastes Berlin. Berlin: Henschelverlag 1987, S. 32. 50 Phineas Taylor Barnum (geb. 5. Juli 1810, gest. 7. April 1891) gilt als Pionier marktstrategischen Handelns im Bereich theatraler Unterhaltung. Barnum erkennt die Reklame als einen Kardinalweg zum wirtschaftlichen Erfolg und gestaltet populäre Unterhaltungsformen wie Ausstellungen von Riesen, Zwergen, Kuriositäten etc. zum Industriezweig. Er tritt 1835 einer Schauspielergesellschaft, später einer Kunstreitergesellschaft bei und macht sich kurz danach selbständig, indem er eine ältere Frau, die er für die Amme Washingtons ausgibt, für Geld zur Schau stellt. Er übernimmt 1840 das amerikanische Museum in New York, macht den Kleinwüchsigen Charles Stratton unter dem Namen Tom Thumb berühmt. Später leitet er Konzerte von Catharine Hayes und die erste Gastspielreise von Sarah Bernhardt in Amerika, unternimmt Tourneen mit einer Menagerie und einer asiatischen Karawane, stellt Kinder und Hunde aus. Nach finanziellem Bankrott in den sechziger Jahren gelingt ihm mit der Wiedereröffnung des Museums am Broadway der wirtschaftliche Aufschwung. Die Zeitungen dieser Zeit berichten in relativer Häufigkeit von Barnums neuesten Unternehmungen, wodurch er einen hohen Bekanntheitsgrad auch in Deutschland er-
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Abb. 15: »Der industrielle Vorhang im Kroll-Theater (1872)« or, Hints and Helps to Make a Fortune, die in deutscher Übersetzung seriell in der Gartenlaube erscheint,51 explizit den Theatervorhang als Werbefläche empfehlen. Als weitere Erfolg versprechende Werbemaßnahmen nennt Barnum Annoncen auf Ladenschildern oder »Plakatenmännern (Sandwiches)«. Auch legt er den Geschäftsleuten ans Herz, ihren Namen oder den Namen ihres Produktes »im Roman oder Lustspiel« nennen zu lassen, um »allgemein bekannt [zu geben], was auf allgemeine Beachtung Anspruch macht.«52 Eine bekanntere, weil auch heute noch üblichere Symbiose von Handel und Theater- oder Unterhaltungsinstitut sind die Annoncen in den Theaterzwischenakts-Zeitungen bzw. Programmen, die für die Werbenden den Gewinn von Aufmerksamkeit, für die Theater finanzielle Einnahmen bedeuten. Häufig überlagern die Anzeigen das eigentliche Abendprogramm: So sticht das unten abgebildete Programm von Henry de Vry’s Galerie lebender Bilder im Berliner Wintergarten in der Nachbarschaft der bunten Anzeigen kaum noch ins Auge (Abb. 16).
hält. Vgl. IZ, Nr. 2119, 9. Februar 1884, S. 119f. Zu Barnum siehe u.a. Saltarino 2 1895, Philip B. Kunhardt et al.: P.T. Barnum. America’s Greatest Showman. New York: Alfred A. Knopf 1995. 51 Die Übersetzung von Barnums Schrift durch Leopold Katscher erscheint als Buch bereits 1887 in der zweiten Auflage: Die Kunst Geld zu machen. Nützliche Winke und beherzigenswerthe Rathschläge. Berlin: Elwin Staude. 52 Ebd., S. 39.
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Abb. 16: Henry de Vry’s Galerie lebender Bilder. Programm des Wintergartens vom 11. März 1894. Die hohe Anzahl sowie die Konkurrenz der Bühnen gehen einher mit einem erhöhten Bedarf an Schauspielern, Stücken, Requisiten, Bühnenbildern und technik, welche ihrerseits eine Einnahmequelle für Theater-Ateliers und agenten darstellen. Letztgenannte werden »Notwendigkeit mit dem Momente, als bei der wachsenden Bühnenzahl die Direktionen den Markt nicht mehr übersehen konnten.«53 Diese profitieren von der obligatorischen Nennung der an der Theater-Produktion beteiligten Personen, Ateliers und Werkstätten in den Programmen, in denen sie, häufig mit vollständiger Geschäftsadresse und der Auflistung erfolgreicher Produktionen, nach der Beschreibung der Szenenfolge aufgeführt sind. Als ein Beispiel für diese Form »versteckter« Werbung sei die Liste der an dem 1886 im Residenz-Theater aufgeführten Schwank Eheglück (Le bonheur conjugal) beteiligten Ausstattungsfirmen wiedergegeben: Die Ausstattung der Scenerie hat sich im Residenz-Theater den Ruf erworben, das Erzeugniss eines auserwählt feinen Geschmackes zu sein. Ausgeführt werden die damit verbundenen Arbeiten von der renommirten Bronce- und KunstgusswaarenFabrik von Czarnikow & Busch in Berlin, Friedrichstrasse 62, deren alleiniger Inha53 Gaehde 1908, S. 112.
ÖKONOMIE UND HETEROGENITÄT THEATRALER UNTERHALTUNG | 131 ber, Herr Julius Czarnikow, Inhaber der Medaille für Kunst ist. Ein beredtes Zeugniss für die Leistungsfähigkeit dieser Firma war das ›Junggesellenzimmer Brichanteaus‹ in dem letztaufgeführten ›Grossstädter‹. Ebenso wie die Scenerie steht auch die dekorative Ausstattung im Residenz-Theater in einem wohlbegründeten Rufe. Dieselbe wird von dem Atelier für Dekorationsmalerei von G. Hartwig, Hinze & Harder in Berlin, Chausseenstrasse 36/37, ausgeführt, welche Firma die Lieferantin fast sämmtlicher Berliner Theater ist und u.a. auch die Dekorationen zu Theodora, Danischeffs, Grossstädter, und Georgette gemalt hat.54
Um im Konkurrenz-Kampf bestehen zu können, gehorchen die Theaterbetreiber folglich Gesetzen und Strategien des Marktes, befolgen dabei weniger die Prinzipien der Kunst: »[D]ie Frage nach dem Wahren oder Falschen, nach dem Guten oder Schlechten [löst sich auf] in die Frage […]: Was fördert oder was hemmt unsern augenblicklichen Erfolg?«55 Der harte Wettbewerb im Gerangel um Aufführungszahlen und Publikumszulauf resultiert in einem gegenseitigen Übertrumpfen der Bühnen in ihren Programmen. Das Konzept von Privat-/Geschäftstheater wandelt die Idee von Theater als ›moralische Anstalt‹, von einem Ort, an dem, so Karl Scheffler 1910, die Bevölkerung »etwas Sakrales« finden kann, hin zum Theater als »industriell geleitete[s] Vergnügungsinstitut«.56 In nicht unerheblichem Maße diktiert folglich die Orientierung nach Bilanzen die Gestaltung der Spielpläne. Vergleichbar der Reklamierung von Konsumprodukten, preisen die Theaterleiter in Theaterzetteln, bei den Programmbeschreibungen und Ankündigungen in den Tageszeitungen theatrale Darbietungen an wie Konsumprodukte. Mit plakativen Titeln werben sie für die anstehenden Aufführungen, in fetten Buchstaben kündigen sie »Novitäten«, »nie da gewesene Sensationen« und exklusive Gastspiele berühmter, teils internationaler Künstler als Kassenmagneten an. Die angepriesenen Formate und Genres werden somit Teil der Zurichtung für einen gesättigten Markt, auf dem nur noch das herauszustechen vermag, was Besonderes, Neues verheißt oder emotional aufgeladen wird. Im Vorsatz, den Geschmack des Publikums zu befriedigen, schüren und schaffen die Ankündigungen gleichsam dessen Bedürfnisse.57 54 Illustrierte Theaterzeitung 1886, nicht näher bestimmbarer Zeitungssausschnitt,
eingelegt in die Archiv-Mappe Residenz-Theater 1886/86, des Stadtmus. B. 55 So ›Max, der Pessimist‹, in Köberle 1880. Diese Person ist Mitglied einer Ge-
sellschaft von »Reformfreunden«, deren Federführung Köberle innehat, und die sich zum Ziel setzt, über die ›brennenden Theaterfragen‹ Untersuchungen anzustellen. Die Aufzeichnungen in Köberle 1880 sind Auszüge aus dem Protokoll des ersten Gesellschaftsabends. Insbesondere die »gewerbsmäßige Veranstaltung von Musikaufführungen, Schaustellungen und theatralischen Aufführungen, bei welchen kein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft obwaltet« stößt auf heftige Kritik. Ebd. 2 56 So charakterisiert Scheffler 1910, S. 110, die Theatersituation in Berlin nach der Jahrhundertmitte. 57 Vgl. auch Peter Jelavich: »Modernity, Civic Identity, and Metropolitan Entertainment: Vaudeville, Cabaret, and Revue in Berlin, 1900-1933«, in: Haxthausen/Suhr 1991, S. 95-110, hier S. 100. Ähnlich argumentieren später Adorno und Horkheimer in Dialektik der Aufklärung. Sie sehen den Ausschluss des ›tatsächlich‹ Neuen – bei gleichzeitiger Reklame für das Neue – als Kennzeichen der Massenkultur (hier am Beispiel des Films): »Das Neue der massenkulturellen Phase gegenüber der spätliberalen ist der Ausschluß des Neuen. Die Ma-
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Auf die Verzahnung von visuellem Konsum und Unterhaltung wurde bereits in der Beschreibung der Berliner Passagen in Kapitel 1 eingegangen. Sie sei an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung gerufen. Jelavich 1991 zeigt die enge Verwandtschaft von Strategien der Aufmerksamkeitslenkung der Warenwelt (Schaufenster, Reklame) zu denen urbaner theatraler Unterhaltungsformen auf. Shop-window displays became more extravagant, advertisements became more colorful and catching, and entertainments became more lavish and ›sexy‹ in order to feed the hunger for overt stimulation. Just as window displays and trade exhibitions presented an increasing diversity of goods attractively packaged and presented, vaudeville provided a variety of different entertainments that increasingly claimed to be ›the world’s best, ›the most beautiful‹ ›the most daring‹ ›the sensation of Europe‹.58
Die Ankündigung von ›neuen‹, ›sensationellen‹ oder ›zum wiederholten Mal‹ präsentierten Stücken soll die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Theaterprogramme lenken. Bei der Auswahl der Stücke schauten zudem, so Otto Gensichen 1909, die Direktoren nicht darauf, ob die eingereichten Dramen »hohe dichterische Vorzüge« aufweisen, sondern vielmehr, ob deren Aufführungen auch »Bühnenwirkung« erwarten ließen.59 Das Versprechen, effekt-
schine rotiert auf der gleichen Stelle. Während sie schon den Konsum bestimmt, scheidet sie das Unerprobte als Risiko aus. […] Darum gerade ist immerzu von idea, novelty und surprise die Rede, dem, was zugleich allvertraut wäre und nie dagewesen. Ihm dient Tempo und Dynamik. Nichts darf beim Alten bleiben, alles muß unablässig laufen, in Bewegung sein. Denn nur der universale Sieg des Rhythmus von mechanischer Produktion und Reproduktion verheißt, das nichts sich ändert, nichts herauskommt, was nicht paßte.« Theodor Adorno, Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt a.M.: Fischer 132001, S. 142. 58 Jelavich 1991, S. 99f. 59 Otto Gensichen: Kulissenluft. Berlin: Paetel 1909, S. 43. Adolf Bertram weiß 1863 von den Theaterdirektoren zu sagen, es gäbe solche, »die Alles gethan zu haben glauben, wenn sie auf eine prachtvolle Garderobe, auf schöne Waffen und feenhaft schöne Decorationen große Summen verwenden.« Vgl. zu einer ähnlichen Differenzierung des Bühnenangebots in der ersten Jahrhunderthälfte August Wilhelm Schlegel, der dem Repertoire deutscher Bühnen einen »ärmlichen Reichtum« attestiert: »Das Repertorium unsrer Schaubühne bietet […] in seinem armseligen Reichtum ein buntes Allerlei dar, von Ritterstücken, Familiengemälden und rührenden Dramen, welche nur selten mit Werken von größerem und gebildetem Stil von Shakespeare oder Schiller abwechseln. Dazwischen können wir die Übersetzungen und Bearbeitungen der fremden Neuigkeiten, besonders der französischen Nachspiele und Operetten, nicht entbehren. Bei dem geringen Wert des einzelnen lenkt sich die Schaulust bloß auf den flüchtigen Reiz der Neuheit, zu großem Nachteil der Schauspielkunst, da eine Menge unbedeutender Rollen übereilt eingelernt werden müssen, um sogleich wieder vergessen zu werden.« August Wilhelm Schlegel: »Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur. Zweiter Teil «, in: Ders.: Kritische Schriften und Briefe VI, hg. von Edgar Lohner. Stuttgart et al.: W. Kohlhammer 1967, 37. Vorlesung, S. 286.
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volle Szenen zu zeigen, üppige Dekorationen, »illusionierende szenische Tricks«60, spekuliert auf die Schaulust eines breiten Publikums. Ja, wir gehen noch einen Schritt weiter und behaupten, daß die meisten Bühnen überhaupt kein festes Repertoire haben, noch haben können, denn die Direktoren warten immer erst den Erfolg dieses oder jenes Kassenstücks ab und wiederholen dasselbe, wenn es gefallen hat, so oft, als es Kasse bringt, wenn es auch den Schauspielern schon längst zum Ekel geworden ist.
»Was man sehen wollte, das bot man«: Theater-Angebot und -Nachfrage Berlin hat augenblicklich nur 23, jeden Abend seine Pforten öffnende Musentempel mit und ohne Rauch, und zwar: Königl. Opernhaus, königl. Schauspielhaus, Friedrich-Wilhelmstädtisches, Wallner-, Victoria-, Woltersdorff-, und Kroll’s Theater, Vorstädtisches, Louisenstädtisches, Königstädtisches- und Norddeutsches Theater, National-, Germania-, Belle-Alliance- und Residenz-Theater, Callenbach’s Théâtre Varieté, Réunion-Theater, Walhalla-Volkstheater, Berliner Prater, Schweizer-Garten und endlich Huth’s Salon-Theater. – hiermit ist die Liste noch nicht geschlossen, denn noch kleinere und kleinste Unternehmen zeigen ›Theater-Vorstellungen‹ unter den sonderbarsten Bezeichnungen an.61
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass zeitgleich mit dem Gründungsboom der Theater auch das Theaterinteresse eines breiten Publikums wächst. Verbesserungen der städtischen Infrastruktur und der systematische Ausbau von Verkehrswegen tragen ihren Teil zur ›Demokratisierung‹ – hier im Sinne einer Erreichbarkeit und daher Rezeptionsmöglichkeit für alle Bevölkerungsgruppen – von theatraler Unterhaltung bei. Diese zunehmende Mobilität trifft auf die Vermehrung von Freizeit infolge verbesserter Arbeitsbedingungen.62 (vgl. Einleitung) Die zunehmende Begeisterung für Theater scheint zunächst 60 Flatz 1980, S. 309. Flatz sieht im Theater das einzige Medium des 19. Jahrhun-
derts, das Handlung darzustellen imstande ist, ein Monopol, das es »nicht nur für die Kunst, sondern für den Kommerz [nutzte] und […] damit durch illusionistische Gefälligkeit die Kritikfähigkeit des Publikums [abstumpfte].« Ebd., S. 306. Vgl. auch Théophile Gautiers Einschätzung der Vorliebe des Publikums für prächtig ausgestatte und zuweilen überladene Darbietungen: »Le peuple est amoureux du beau, du brillant, du pompeux, précisement parce que son existence est mesquin, obscure, misérable.« Gautier zitiert nach Brunhilde Wehinger: Paris-Crinoline. Zur Faszination des Boulevardtheaters und der Mode im Kontext der Urbanität und Modernität des Jahres 1857. München: Fink 1988, S. 41. 61 Leipziger Theaterzettel Nr. 26, 3. Oktober 1871, Rubrik »Kleine Notizen«. 62 »Die Industrialisierung schuf neue Wohn- und Lebensräume. Sie ließ Bevölkerungsschichten entstehen, die es bis dahin nicht gegeben hatte oder die rein zahlenmäßig von so untergeordneter Bedeutung gewesen waren, daß sie im Bewußtsein der Öffentlichkeit keine Rolle gespielt hatten Es waren die klein- und mittelbürgerlichen Schichten und das Proletariat, die einen gewaltigen Zuwachs erlebten und die zugleich wesentlichen Anteil als Träger des ›Fortschritts‹ an den strukturellen Veränderungen der Gesellschaft hatten. Auf die Bedürfnisse dieser neuen Besucherschicht hatte sich das Theater einzustellen, und es konnte dies auch dank der nach 1869 entstandenen Situation.« Freydank in Freydank 1995, S. 13.
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erhöhte Absatzmöglichkeiten für die zahlreichen Bühnen zu versprechen. Doch realiter resultiert die Dichte des Unterhaltungsangebots in einem Wettbewerb, der die Theaterleiter zwingt, wie es Hahn 1880 formuliert, »in Bezug auf das Repertoir durch die Gebote der Konkurrenz auf möglichst reiche Abwechselung [sic!]« zu achten. Denn von den Vorlieben des Publikums seien die Bühnenleiter abhängig, dessen Neugierde und »Sinnenkitzel« – nicht die moralische oder belehrende Wirkung – seien bei der Auswahl der Dramen und Darbietungen zu berücksichtigen. In den Worten Linsemanns: [U]nsere Direktoren haben den Kopf und was schlimmer ist – manchmal das Portemonnaie verloren. Da ist von keinem künstlerischen Programm mehr die Rede und wie die Idealismen aus der Rumpelkammer heißen mögen, sondern: wo ist das Zugstück für die Saison und wo ist der oder die Schauspielerin, die gerade en vogue sind? Und schlägt das Stück nicht ein, dann wird herumexperimentirt mit Possen und klassischen Stücken – den Helfern in der Noth – dann wird lüderlich Stück auf Stück herausgehetzt, bis endlich wieder etwas einschlägt. Ein ruhiges und verständiges Arbeiten gibt es nicht mehr. […] Man fragt nicht: […] Welches Genre will ich eigentlich geben? – Man giebt eben das, wovon man sich ein paar Mark mehr Kasseneinnahmen verspricht.63
Die Gesetzmäßigkeiten von Angebot und Nachfrage erteilen dem – durchaus verschiedenen – Geschmack des Publikums maßgebliches Gewicht. In den Großstädten, insbesondere in Berlin, beantworten und kreieren die Bühnenleiter diese Geschmacksvielfalt.64 Das Interesse an Theater, so analysiert Genée 1889, basiere weder auf der Liebe zur dramatischen Kunst noch habe es die Schulung des ästhetischen Urteilsvermögens oder der Kunstanschauung zum Ziel. Der höhere Zweck des Theaters, eine Pflanzstätte der Volksbildung zu sein, geht immer mehr verloren. Sinnliche Raffinirtheit oder oberflächliches Amusement stellen alle ernsteren und edleren Anforderungen in den Schatten. […] [U]nd zu Allem gesellen sich als neue Species, noch diese sogenannten Spektakelstücke, welche wenigstens das eine Gute an sich haben, daß sie sich ehrlich als das annonciren, was sie sind.65
Das Außerliterarische, Spektakelhafte spricht ein breites Publikum an. Dessen Ansprüche und Vorlieben verändern sich äquivalent: Ein Theatergänger muss nicht mehr Connaisseur dramatischer Literatur und Kunst sein, sondern 63 Linsemann 1897, S. 7f. 64 Vgl. Gaehde 1908 und Pauli 1887, der, ohne den Direktoren Vorwürfe zu ma-
chen, deren Kalkül umschreibt: Sie seien »gezwungen, auf Einnahmen zu sehen und müssen Stücke bevorzugen, die, ob gut, ob schlecht, unter der Flagge des bekannten Dichters segelnd volle Häuser machen. Die Direction muß, wie das Theater heut liegt, vor Allem das Geschäft im Auge haben; erstens um die Verpflichtungen zu decken, die sie übernommen hat, zweitens um zu verdienen, denn jeder Geschäftsmann, und das Theater von heute ist Geschäft, will, und muß verdienen.« Pauli 1887, S. 8. 65 So der Wortlaut einer Besprechung des »Spektakelstückes« Rózsa Sándor, aufgeführt am Berliner Victoria-Theater unter Emil Hahn 1874 in: Zweite Beilage zur Voss. Ztg. Nr. 76, 31.März 1874.
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er darf Ausstattungsstücke konsumieren, die auch ohne große Worte für ein heterogenes Publikum verständlich sind. Die Theater seien, so Rudolph Genée, »durch die ›allgemeine‹, aber eben wegen ihrer Allgemeinheit auch verdünnte Bildung […] Abendunterhaltung[en]« geworden, »an der sich alle Klassen der Gesellschaft beteiligen.«66 Das Theater gälte diesem Publikum nur mehr als eine »Vergnügungsanstalt«, die in einer Reihe stehe mit Spezialitäten- und Equilibristenbühnen. Hier zeigt sich die scheinbare Widersprüchlichkeit der Geschmackskultur, die sich, wie Peter Gay formuliert, dadurch auszeichnet, dass der »Kunstgenuß […] auf jeweils unterschiedlichen Bewußtseinsebenen [entsteht] und […] das derbste erotische Vergnügen ebenso [einschließt] wie die feinsinnigste Würdigung diffiziler Details in Form und Ausführung.«67 Einen exemplarischen Einblick in ein solches Konsumverhalten eines Theatergängers bieten die Aufzeichnungen des Naturwissenschaftlers Ernst Haeckel (1834-1919). Anlässlich seiner Berlin-Aufenthalte in den Jahren 1886 und 1887 berichtet er seiner Frau Agnes von seinen Unternehmungen in der Hauptstadt: Potsdam, 15. April 1886 Dienstag abend war ich mit Karl und Tante Bertha im Zirkus Renz […]. Mittwoch […] zwei Stunden in der National-Galerie geschwelgt (Prometheus!). Abends im Camerun-Panorama und mit Tante Bertha im hübschen Walhalla-Theater, wo wir das komische Potpourri-Stück ›Das lachende Berlin‹ sahen (das alte Berlin von 1800-1830 und darauf als Gegensatz das neue!) […] Heute morgen 6 Stunden in Kunst geschwelgt, erst Aquarell-Ausstellung bei Gurlitt (international großartig!), dann die heute eröffnete Ausstellung des berühmten russischen Malers Wereschtschagin. Prachtvolle Bilder aus Indien und dem Orient, höchst originell, kühn und flott, grausige Bilder aus dem russisch-türkischen Krieg, ferner das berühmte naturalistische Bild ›Die heilige Familie‹. Darauf im Panoptikum 1 Dutzend lebendige Exemplare von 2 höchst interessanten Menschenrassen, Bella-Coola-Indianern aus Nordamerika, und kleinen Zwergenmenschen aus der Kalahari-Wüste in Südafrika, büschelartig.68
Am 20. Oktober des Folgejahrs berichtet Haeckel, er sei abends »dreimal im Theater!« gewesen, habe »Montags französisches Schauerdrama mit Vergiftung im Residenz-Theater, Dienstag den ausgezeichneten Komiker und Mimiker Schweighofer im Belle-Alliance-Theater« gesehen und schließlich mittwochs die Operette Farinelli im Friedrich-Wilhelmstädtischen-Theater besucht, ein »niedliches Spiel mit Musik«.69
66 Genée 1889, S. 68. 67 »[E]in eifriger Theaterbesucher mochte sich an einem der Dramen von Bouci-
cault erfreuen, in denen ganz und gar unglaubwürdige, simpel gestrickte Helden nicht minder unglaubwürdigen und ebenso simpel gestrickten Bösewichtern gegenüberstanden, und doch zugleich Henrik Ibsens schonungslose Problemstücke als ein Geschenk für die Zivilisation würdigen.« Gay 1999, S. 150. 68 Ernst Haeckel an seine Frau Agnes am 15. April 1886, wiedergegeben in: Konrad Huschke: Ernst und Agnes Haeckel. Ein Briefwechsel. Jena: Urania 1950, S. 152. 69 Haeckel am 20. Oktober 1887, wiedergegeben ebd., S. 156.
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Der uneinheitliche, unstete Geschmack des Publikums, wie er bei Haeckel anklingt, erfordert ein mehr zerstreuend als ›veredelnd‹ oder ›erziehend‹ wirkendes Theater- und Unterhaltungsangebot. Der nachfolgend wiedergegebene Ausschnitt aus dem »kurzgefassten Führer« Der Zuschauer im VictoriaTheater, der über die Anfänge dieses Hauses zur Amtszeit Rudolph Cerfs als Konzessionsinhaber und Besitzer berichtet, legt die Orientierung an den Vorlieben des Publikums einmal mehr offen: Da beim Beginn der Theaterunternehmung noch nicht abzusehen, welcher Zweig der dramatischen Kunst auf der Victoriabühne vorzugsweise cultivirt werden soll und welche am Meisten auf die Theilnahme des Publikums geistig einwirken wird, so wäre es voreilig, jetzt schon mit Bestimmtheit auf einen Erfolg für die eine oder andere Gattung rechnen zu wollen. Ursprünglich war das Unternehmen zur Förderung deutscher Kunst bestimmt. Aus Kassenrücksichten, die immer eine Privatbühne im Auge zu behalten verpflichtet ist, wird von dieser ursprünglichen Bestimmung abgewichen werden müssen, und bestätigt sich dies auch schon durch das Engagement einer italienischen Oper. Im Interesse deutscher dramatischer Kunst ist zu wünschen, dass fremdländische Erscheinungen nur zu den Ausnahmen gehören, und dass die Werke deutscher Dichter auf dieser deutschen Bühne stets die erste Stelle einnehmen mögen!70
Die Aufstellung des Programms, so wird an diesem Beispiel deutlich, orientiert sich an den zu erwartenden Kasseneinnahmen und folgt ganz den Neigungen des Publikums.71 Für die vorliegende Studie entscheidend ist der Hinweis im zitierten Führer des Victoria-Theaters, dass aus wirtschaftlichen Erwägungen der italienischen Oper der Vorzug vor dem deutschen Drama gegeben wird. Der Historienmaler Anton von Werner erinnert sich, das Berliner Victoria-Theater habe von den Berliner Theatern dieser Zeit den größten Bühnenraum besessen und sich »für phantastische Darstellungen mit malerischer Bühnenwirkung, sowie zur Entfaltung von Massenvorführungen« geeignet.72 Dellé merkt an, die unterschiedlichen Leiter des Victoria-Theater griffen »nach allem Neuen und Sensationellen […] aber ein Privattheater muß eben auch Kassenrücksichten nehmen.«73 Der pekuniäre Erfolg der Oper im Victoria-Theater steht stellvertretend für den auch an anderen Bühnen zu beobachtenden Erfolgstrend von mehr 70 Der Zuschauer im Victoria-Theater. Kurzgefasster Führer durch alle Räume
dieses Theaters, nebst den prächtig ausgeführten Uebersichts-Plänen des Winter- und Sommer-Theaters. Berlin: Eduard Bloch, o.J., S. 15. 71 Siehe auch Pauli 1887, S. 11f.: »Das Repertoir des deutschen Theaters redigirt der Kassenrapport, behauptete einst ein geistvoller Feuilletonist, und dies ist eins der zugleich wahrsten als auch traurigsten Zeugnisse, welches man dem deutschen Theater ausstellen kann.« 72 Anton von Werner anlässlich der Faust II-Inszenierung von Otto Devrient im Victoria-Theater. Anton von Werner: Erlebnisse und Eindrücke 1870-1890, Berlin: Mittler 1913. 73 »Auf jeden Fall behauptet das Victoria-Theater in der Berliner Theatergeschichte einen ehrenvollen Platz und steht in seiner kulturellen Bedeutung keineswegs hinter den anderen Theatern der damaligen Zeit zurück und bietet vor allen Dingen ein besonderes Bild der damaligen Berliner Kulturgeschichte.« Eberhard Dellé: »Dramatisches Mädchen für Alles. Das Viktoria-Theater in Berlin«, in: Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins. Berlin 1952, S. 161-182.
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visuellen und sensuellen Darbietungen anstelle von Wortdramen:74 Gefragt sind ›Spektakelstücke‹, ›Ausstattungsstücke‹ mit aufwändigen Szenenbildern und Tänzen, die qua definitionem »auf ein Publikum niedern Bildungsgrades berechnet« (Brockhaus 1895)75, bzw. deren Wirkung »vorzüglich auf die Schaulust der großen Masse des Publikums berechnet« sind (Meyers Conversations-Lexikon 1907)76. Es ist aussagekräftig, dass das ursprüngliche Ansinnen des Victoria-Theaters, deutsche Kunst und Dramatik zu den tragenden Säulen des Spielplans zu machen, auch in den Folgejahren ›aus Kassenrücksichten‹ und aufgrund der Begeisterung des Publikums für Ausstattungsstücke obsolet werden sollte. Ein Artikel in der Illustrierten Zeitung 1891 bilanziert, dass »nicht weniger als drei Bühnen, das Königliche Schauspielhaus, das Deutsche Theater und das Berliner Theater an die Traditionen und die Meisterwerker unserer großen Dichter [anknüpfen].«77 Zwar integrieren neben den hier genannten auch andere Theaterhäuser die klassische Dramenliteratur in ihre Spielpläne, wenngleich häufig in gekürzter Form. Auffällig ist jedoch, dass sich an einer Vielzahl der Berliner Bühnen zwischen den sechziger und neunziger Jahren zunehmend Aufführungsformate mit vordergründig visueller Wirkung durchsetzen. Es wird noch zu zeigen sein, dass die Spielstätten auch Adaptionen der klassischen Literatur in ihren Programmen mit optischen Divertissements und Spezialitäten unterbrechen, oder aber Stücke zur Aufführung bringen, die den dramatischen Text gänzlich in den Hintergrund drängen, und damit die Nachfrage des Publikums nach zerstreuender Unterhaltung beantworten. (s. Kap. 3)
G e s c h m a c k sv i e l f a l t z w i s c h e n bon goût und Theatromanie Kritiker beäugen eine Sprunghaftigkeit des Interesses für theatrale und visuelle Unterhaltungen, wie sie Haeckel in seinen Briefen beschreibt, mit Argwohn. Der anonyme Verfasser der Publikation Der Verfall unseres Theaters (1893) etwa konstatiert, die Spezialitäten-Theater seien »Abend für Abend gefüllt«, die »vornehmen Theater jedoch nur mäßig, oft sogar nur spärlich besucht.«78 Ein weiterer Aspekt, der für die vorliegende Untersuchung von Interesse ist, offenbart sich in den Vorlieben des gebildeten Forschers Ernst Haeckel als Privatperson: Die Bedürfnisse des so genannten Bildungsbürgertums sind im Wandel begriffen, denn von einer kleinen Bildungselite abgesehen, präferiert es, zum Unbehagen der Kritik, zunehmend Unterhaltung. Mit Bausinger 2001 ist »Amüsement«, das »Sich-Amüsieren« ein wesentliches Leitmotiv bürgerlicher Geselligkeit im 19. Jahrhundert. Zunächst schichten74 Vgl. hierzu MacInnes 1983: »Symptomatisch für die Problemlage des Dramas
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zu dieser Zeit ist das immer größere populäre wie auch kritische Ansehen der Oper.« MacInnes 1983, S. 121. Eintrag »Spektakelstücke« in Brockhaus‹ Konversations-Lexikon. Band 15. Leipzig et al. : Brockhaus 1895, S. 136. Eintrag »Spektakel, Spektakelstück« in : Meyers Conversationslexikon. Band 8. Leipzig und Wien: Meyer 1907. Artikel »Berliner Schauspieler«, in: IZ Nr. 2492, 4. April 1891, S. 367. Anonym 1893, S. 7.
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spezifisch distinktiv wirkend, diene es schnell auch als Legitimation des Bürgertums für den Konsum einfacherer Unterhaltungsformen, die auch einem breiteren Publikum offen stünden.79 Dieser Bedeutungswandel des Amüsements beinhaltet auch das massenkulturelle Phänomen der Aussöhnung und Angleichung von »hoher« Kunst und »zerstreuender Unterhaltungskunst« – offiziell vertreten durch die diametral entgegen gesetzten sozialen Klassen. Die Distanz zwischen Arbeiterschicht und Kleinbürgertum minimiert sich auf der Ebene der Freizeitgewohnheiten. Angebote eines ›mittleren Geschmacks‹ (Bourdieu) sprechen ein breites Publikum an, das besser verdienende Gruppen und Arbeiter gleichermaßen umfasst.80 Berlin und Wien versammeln in ihren Theatern zweiten Ranges eine bunte Mischung aller socialen Elemente, von der niedersten Bildungsstufe aufwärts bis zu einem Quantum von Anforderungen, die man weder mit Ammenmärchen, noch mit Hanswurstiaden befriedigt. Bildung, Unbildung und Verbildung reichen sich im Zuschauerraum die Hände […].81
bon goût: Kunsturteil und Distinktion Noch um die Wende zum 19. Jahrhundert wird ›Geschmack‹ überwiegend als die Fähigkeit des Subjekts zur Beurteilung von Kunst und Schönem betrachtet. Geschmack, verstanden noch als bienséance/bon gôut eines Connaisseurs, wird zu einem zentralen normativen Begriff der Kunstkritik. ›Geschmackvoll‹ zu sein, wird zu einem Maßstab zur Beurteilung von Kunstwerken, aber auch von Wahrnehmung. Als »Reflexionsgeschmack« bezeichnet Kant dieses Vermögen des Rezipienten, ›ohne Interesse‹, d.h. ohne individuelle Beziehung/Begehrung, Kunst von Nicht-Kunst, ästhetisch (und moralisch) ›gut‹ und ›schlecht‹ zu unterscheiden. Dem gegenüber stehe als Empfindung des Angenehmen, als Beurteilung des individuellen Vergnügens, des (Interesses), der »Sinnengeschmack«. Beide Annäherungen sind subjektivästhetisch, dennoch wurden Fundamente eines normativ ›guten‹ Geschmacks – (des bon goût) – diskutiert, wie etwa die moralischen, humanitären Anlagen, ein sensus communis oder auch die Orientierung an Regeln und Normen. Die enge Verwobenheit der Geschmacksurteile mit der sinnlichen Wahrnehmung von Kunst führt seit Schelling und Hegel zu einem weiteren, nun eher abwertenden Blick auf ›Geschmack‹.82 Thorstein Veblen ebenso wie später Pierre Bourdieu haben Metamorphosen und gesellschaftliche Funktionen von Geschmack diskutiert. Im Kapitel »Die Normen des Geschmacks« seiner Theorie der feinen Leute (Theory of the Leisure Class) argumentiert Veblen 1899, dass verschiedene Ansichten 79 Hermann Bausinger: »Populäre Kultur zwischen 1850 und dem Ersten Welt-
krieg«, in: Maase/Kaschuba 2001, S. 29-45, hier S. 37. Bausinger lehnt sich in seiner Argumentation an die Arbeit von Angelika Linke: Sprachkultur und Bürgertum. Zur Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1996 an. 80 Vgl. Maase 1997, S. 106. 81 Recensionen, 6. Jg., Nr. 44, 31. Oktober 1860, S. 163. 82 Siehe auch Eintrag »Geschmack« von Konrad Lotter in: Lexikon der Ästhetik. Hg. von Wolfhart Henckmann und Konrad Lotter. München: C. H. Beck 1992, S. 88ff.
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vom ›(Kunst-)Schönen‹ von verschiedenen Normen des Prestiges abhängen, die darüber bestimmen, welche Dinge als geschmackvoll und als Kunst rezipiert/konsumiert werden.83 Der Connaisseur gebraucht sein Kunst-Verständnis zur Demonstration seiner Bildung und sozialen Zugehörigkeit. Die Rezeption von Kunst, so hat Veblen aufgezeigt, wird in diesem Gestus zur öffentlichen offenkundigen Konsumption (conspicuous consumption, »demonstrativer Konsum«). Bourdieu differenziert Veblens distinktiv verstandenes Konzept von Geschmack und betrachtet ihn als Instrument zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Klassenunterschieden.84 Der in der vorliegenden Studie behandelte Zeitraum, stellt, wie sich aus dem Quellenmaterial folgern lässt, in Bezug auf Geschmack gleichsam eine Übergangsphase dar. Die Ausdifferenzierung des Kunst- und Theaterangebots führt zunächst zu einer Loslösung von der elitären Bestimmung von Geschmack als bon goût eines connaisseurs, um gegen Ende des Jahrhunderts eben dieser Bedeutung wieder Gewicht zu verleihen – zur Abgrenzung des ›Kunstverständigen‹ von der ›Massenrezeption‹. »Was breiteren Widerhall fand, galt von vornherein als zweifelhaft«, so Maase 1997. »Bis dahin stand Unterhaltung nur im Verdacht, von Arbeit, Lernen und Gebet abzuhalten; nun wurde sie auch als Feind wahrer Kunst gebrandmarkt und ästhetisch exkommuniziert.«85
Theatromanie: ›Zerstreuung‹ und (soziale) Integration Die historische Bedingtheit des Geschmacks, seine Transformationen und Modifikationen, zeigen sich im Diskurs über die Theater-Kalamität, der seinerseits an dem althergebrachten Verständnis von Geschmack als bon gôut festhält, während sich in den kulturellen und theatralen Praktiken Definition, Funktion und Funktionalisierung von Geschmack weiter ausdifferenzieren. Geschmack im Diskurs und Präferenzen in der Theaterpraxis formieren sich zu Gegenspielern. Dabei ist zu beobachten – wie weiter oben anhand der Beurteilung von Ernst Haeckel exemplarisch notiert –, dass insbesondere auch 83 »Die verschiedenen Ansichten über das Schöne entsprechen aber nicht etwa
verschiedenen Normen des unverdorbenen Schönheitsempfindens. Es handelt sich keineswegs um einen konstitutionellen Unterschied der ästhetischen Begabung, sondern eher um unterschiedliche Prestigenormen, die bestimmen, welche Gegenstände jeweils in den Bereich des ehrenvollen Konsums einer Klasse fallen. Es handelt sich um verschiedene Traditionen der Schicklichkeit, die jeweils festlegen, welche Dinge – ohne Beeinträchtigung des Konsumenten – geschmackvoll sind und als Kunstgegenstände konsumiert werden dürfen. Mit wenigen Ausnahmen werden diese Traditionen mehr oder weniger durch die finanzielle Lebenshaltung der betreffenden Klasse bestimmt.« Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute. Frankfurt a.M.: Fischer 1997 [1899], S. 134. 84 Pierre Bourdieu »Die Metamorphose des Geschmacks«, in. Ders.: Soziologische Fragen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, S. 153-164. Siehe hierzu auch Bermingham 1995: »According to Bourdieu, taste is not merely a reflection of class distinctions but the instrument by which they are created and maintained. He demonstrates, for instance, how among certain classes cultural capital (the knowledge of high art and a taste for it) is valued more highly than the conspicuous display of wealth. For Bourdieu class identity is not static but dynamic and relational. As a result the consumption of culture is a function of the changing relationships between classes.« Bermingham 1995, S. 12. 85 Maase 1997, S. 61.
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diejenigen Teile der Bevölkerung, welche Geschmack zuvor als Klassifikationsagent und Ausdruck von Klassenzugehörigkeit instrumentalisiert hatten, die Theaterbegeisterung und den Geschmack des Massenpublikums teilen.86 »Theatromanie«, diese mehr pejorativ besetzte Benennung der Besessenheit des adligen Bürgertums von »dem Theater« sowie dessen Hingabe an das eigene theatrale Spiel gegen Ende des 18. und in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts, mutiert im Laufe des Jahrhunderts, gekoppelt an sinnliche, vorwiegend visuelle Wahrnehmung, zu einem Phänomen, das sich über Grenzen der Klassenzugehörigkeit hinwegsetzt. Das Theater des späteren 19. Jahrhunderts, so hat es Hans Sedlmayr in Der Verlust der Mitte beschrieben, sei ein »dionysisches Gegenstück zum apollinischen Kunsttempel des Museums«. Kern dieses Gegenstücks sei die »Idee von dem idealen Gesamtkunstwerk«, die sich, auf der Ebene des Theaters, »in einer Rückkehr zur Dynamik, einer erneuten Vorliebe für das Sinnliche, Farbige und Bewegte und in einer neuen Synthese aller Sinne im Kunsterleben«87 äußere. Im Diskurs zur Theater-Kalamität sind Normen des Geschmacks Idealmodelle zur Diskussion (und Denunzierung) des ›theatromanischen‹ und ›verderbten‹ zeitgenössischen Geschmacks. »Geschmack« existiert unter dem Theaterpublikum nur als Negativum, als »Geschmack-Losigkeit«, deren Objekt die theatrale Unterhaltung, deren Subjekt die Art und Weise der Rezeption bildeten. In ihren Charakterisierungen der Geschmacklosigkeit »greifen Kritiker auf Idealkonstituenten des »guten Geschmacks« zurück: Kontemplation, Tiefe, Aufmerksamkeit, Absorption, Imagination, rationales und gebildetes Urteil – und verkehren diese in ihr Gegenteil. Damit erhält die »Geschmacklosigkeit« die Signa der Oberflächlichkeit, Zerstreuung, Verlust der Phantasie, visuelles Inter-esse88, Präferenz des reinen Schauens (visueller Konsum) und Sensationsgier. Es sind dies Begriffe, die innerhalb der Kritischen Theorie, aber auch von neueren Forschungen der Kulturstudien als basale Kriterien von Populärkultur diskutiert worden sind.89 Benjamin sieht in seinem Kunstwerk-Aufsatz vor allem den Film als Experimentierfeld der Rezeptionsform Zerstreuung und legt eine Opposition von Sammlung und Zerstreuung offen: Man sieht, es ist im Grunde die alte Klage, daß die Massen Zerstreuung suchen, die Kunst aber vom Betrachter Sammlung verlangt. Das ist ein Gemeinplatz. […] Zer86 Eintrag »Geschmack« in Lexikon der Ästhetik 1992, S. 90. 10 1 87 Sedlmayr 1983 [ 1948], S. 40. In Personalunion vereine Richard Wagner diese
»neuen« Qualitäten »mit unvergleichlich größerer Wucht […]: das Theatralische, das Dramatische, die Tendenz zur Synthese aller Künste und zur Synästhesie aller Sinnesgebiete in der Kunst, zum Leidenschaftlichen, Bewegten, Farbigen, kurz zum Dionysischen.« Ebd., S. 42. 88 »Inter-esse« hier im etymologischen Sinn des Wortes als »dazwischen sein«: Etwas spielt sich zwischen dem (betrachtenden) Subjekt und dem (betrachteten) Objekt ab. 89 Paradoxerweise bedienen sich die Kritiker zur Streuung ihrer Urteile überwiegend Zeitungen und Magazinen – als Medien der Distribution konstitutive Elemente der frühen Massenkultur. »Amüsement, Unterhaltung, Sensation, sinnlicher Genuß – so lauteten einige der Etiketten für neue, kommerziell erfolgreiche Angebote wie für die spezifischen Aneignungsweisen des breiten Publikums.« Maase in Ders. und Kaschuba 2001, S. 290.
ÖKONOMIE UND HETEROGENITÄT THEATRALER UNTERHALTUNG | 141 streuung und Sammlung stehen in einem Gegensatz, der folgende Formulierung erlaubt: Der vor dem Kunstwerk sich Sammelnde versenkt sich darein; er geht in dieses Werk ein, wie die Legende es von einem chinesischen Maler beim Anblick seines vollendeten Bildes erzählt. Dagegen versenkt die zerstreute Masse ihrerseits das Kunstwerk in sich.90
Der Modus der ›Zerstreuung‹, bedingt durch Modernisierung, Fragmentierung, Kollektivrezeption, stehe konträr zur ›Sammlung‹ oder ›Absorption‹, welche zuvor Kennzeichen des ›Kunstgenusses‹ eines Connaisseurs waren. Benjamins Aufteilung gleicht somit den Beanstandungen der Kritiker an der Theater-Kalamität, an den Ausdifferenzierungen von Theater und den Modifizierungen des Publikumsinteresses, die den ›Verfall des Theaters‹ bedingten. Es wurde bereits angedeutet, dass die Kritik an den Produkten, den theatralen Unterhaltungsformen, vornehmlich deren Fokussierung auf Schaueffekte und rasche Eingängigkeit sowie die Reduktion des verbal Vermittelten beanstandet. Äquivalentes Monitum auf der Rezeptionsseite ist die unstete ›Schaulust‹ des Publikums, die den punktuellen, visuellen Konsum vor den kontemplativen, rationalen Nachvollzug stellt. Die Verfemung des Bildlichen, bereits in Kapitel 1 angesprochen, ist integrales Moment des Aufkommens visueller Medien und rekurriert, auch dies wurde bereits angedeutet, auf die protestantische Bilderfeindlichkeit. Im Zentrum der Kultur stehe das Wort, so die Argumentation, und die ›Bilderflut‹ sei verantwortlich für den modernen Analphabetismus. Übertragen auf Theater, wird die Kritik an der ›Kalamität‹ auch vor dem Hintergrund dieses Ikonoklasmus nachvollziehbar. Seinen ›Kunstwert‹ erhält das Theater durch die Realisation des Dramas in der Aufführung. Wird der dramatische Text jedoch, bedingt durch das Konkurrenzverhältnis und den schnellen Wechsel der Repertoires sowie das »Überhandnehmen von Äußerlichkeiten« (i.e. szenischen, theatralen Mitteln) und visuellen Effekten in der Praxis in den Hintergrund gedrängt, so bleibt das Ideal nur mehr Wunschvorstellung der Theorie. In der Zeitschrift Die Kunst für Alle 1892, beargwöhnt der Kritiker Benno Becker die »neue Mode« der »Sensationsbilder« in der Malerei. Insgesamt seien die Maler in jüngster Zeit einer »verderbliche[n]« Wirkung ausgesetzt, verführt zum »Extravaganten, Sensationellen«. Wer die Aufmerksamkeit auf sich lenken will, muß etwas recht Absonderliches, Verrücktes aushecken, muß übertreiben und vergröbern. So entsteht ein Ding, das frühere Zeiten nicht kannten; das Sensationsbild, ein Virtuosenstück, das seinen Zweck erfüllt hat, wenn es von sich reden macht, das keinem inneren Drange sein Entstehen verdankt, sondern aus der Sucht nach Erfolg, dem Wunsche alles zu überschreien, was daneben hängt. Das Panoptikum und die Schreckenskammer bekommen gefährliche Konkurrenten. Der widersinnige und durchaus unkünstlerische Begriff des ›guten Ausstellungsbildes‹ wird aller Welt geläufig und richtet in den Köpfen der Maler und der Kunstfreunde Verheerungen an, verdirbt den Geschmack und überreizt die Nerven, sodaß sie nur noch auf die allerschärfsten Reizmittel reagieren. Statt erzieherisch zu wirken, das Publikum heranzubilden, sinkt das Gros der Maler 90 Ebd., S. 40.
142 | PIKTORAL-DRAMATURGIE immer mehr zum Sklaven des Kunstpöbels herab und fröhnt den Instinkten der Masse, statt sie zu bekämpfen.91
Die Debatte um die Theater-Kalamität kann auch als diskursive Verhandlung, als Feld der Konstituierung von Fragen des Geschmacks verstanden werden. Zugleich liefern die kritischen Reflexionen Einblick in die Theaterpraxis dieser Zeit. Kritischer Diskurs und Theaterpraxis zwischen den fünfziger und späten achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts bilden scheinbar unvereinbare Gegenspieler. Die genaue Betrachtung dieses Antagonismus, seiner Absichten, Funktionen und Einflüsse vermag diejenigen Parameter historischer Theaterpraxis aufzudecken, welche die ›Theater-Krise‹ mitbestimmen und die Heterogenität theatraler Formen bedingen. Das öffentliche Urteil über Theater wird durch die Maßstäbe »von Bildung und Erhebung, Versenkung und Vergeistigung« bestimmt, wie Maase erörtert. »Doch hinter der Wand aus Worten vollzog sich eine gegenläufige Entwicklung. Selbst die Mehrzahl derer, die dem ästhetischen Purismus mit den Lippen Tribut zollten, zog sinnliche Effekte und beiläufiges Konsumieren vor.«92 Als Mittel zur Distinktion der Klassen halten sich Fragen des Geschmacks zwischen den sechziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts nur mehr im Diskurs. In praxi dienen sie als Orientierungspunkte zur Steigerung des ökonomischen Profits, indem sich etwa Theaterleiter an bestehende Geschmacksrichtungen anlehnen, oder unter Zuhilfenahme von Mitteln der Manipulation (wie etwa der Reklame) neue Vorlieben lancieren. Die Lust an ›Zerstreuung‹ ›Sensationen‹ und die Neugierde auf ›Novitäten‹ eint die als sozial different klassifizierten Publika93 und weitet den Theater-Besuch zur ›Massenunterhaltung‹, zur Unterhaltung für die Massen aus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, so formuliert Kaspar Maase, waren schon alle Akteure versammelt, die die Massenkultur und Freizeitwelt der industriellen Moderne prägen würden.«94
91 Benno Becker: »Die Ausstellung der Secession in München«, in: Die Kunst für
Alle, Nr. 8, 1892, S. 343-344, hier S. 343. Diesen Umständen zufolge sei einer der Hauptpunkte des »Secessionsprogramms«, künstlerische Ausstellungen »ohne jeden Kompromiß« zu unterstützen: Statt »Verkaufsware« oder »Schablonenmalerei« sollte nur eine konzentrierte Anzahl von Bildern »in intimen Räumen aufgestellt« werden. Ebd., S. 344. 92 »Aber hinter den antikisierenden Fassaden der Theater, Opernhäuser und Zirkusse, der Varietépaläste und Konzertsäle, in den kommerziellen Leihbibliotheken und beim Auftritt der Militärkapellen dominierten die verdammten ›außerkünstlerischen‹ Motive.« Maase 1997, S. 61. 93 Strecker beklagt die Zustände des deutschen Theaters und weist die Hauptschuld des »Niedergangs« den Theaterbesuchern zu. »Für den Niedergang Berlins als Theaterstadt sind […] in erster Linie die Theaterbesucher verantwortlich zu machen, richtiger gesagt die Zusammensetzung des Theaterpublikums infolge wirtschaftlich-sozialer Wandlungen.« Strecker 1910, S. 12, insbesondere Kapitel II »Ohne ›Glaube und Heimat‹. Berliner Publikum.« 94 »Mit Ballhausbetreibern und Leitern von Music-Hall-Konzernen, Schaubudenbesitzern und Impresarios, Reiseveranstaltern und Theaterdirektoren war eine Schicht von Unternehmern entstanden, die die Gewohnheiten breiter Schichten zu bedienen und ihre Bedürfnisse aufzuheizen wußten.« Maase 1997, S. 77f.
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Z u s am m e n f a s su n g : T he a te r - » K al am i tä t« – T h e ate r - V ar i e t ät Ein basales Motiv der Theaterfreiheit – den Aufschwung der deutschen Theaterlandschaft herbeizuführen –, scheint paradoxerweise ausgerechnet durch den von deutschen Kritikern quittierten »künstlerischen Abwärtstrend« realisiert worden zu sein. Die wachsende Orientierung von Theater an den ökonomischen Prinzipien von Angebot und Nachfrage, die Lust des heterogener und größer werdenden Publikums an visuellen Effekten, Sensationen, Unterhaltung und Zerstreuung bringen Veränderungen in den Spielplänen und dem theatralen Angebot mit sich. Die Kritiker sehen in dieser Bewegung einen »Verfall«, nur selten jedoch unterziehen sie in ihren Anklagen und ›Rettungsvorschlägen‹ die eigenen theoretischen Festen einer kritischen Überprüfung oder unternehmen Umformulierungen.95 Die Schuldzuweisungen an der vermeintlichen ›Theater-Kalamität‹ durch die Kritiker des 19. Jahrhunderts gehen, darauf wurde mehrfach hingewiesen, gleichermaßen an die ›geschäftstüchtigen‹ Theaterdirektoren wie an die Rezipienten, namentlich die ›unfähigen‹ Rezensenten sowie das Publikum. An die Stelle des Ideals von Theater als »Bildungsanstalt im engeren Sinne« tritt in ihren Augen »in erster Reihe ein Vergnügungsinstitut«.96 Theater in Deutschland wird somit nach 1869 zu einem vielfältigen Unterhaltungsmedium mit janusköpfiger Basis: Die Kommodifikation von Theater und die Konkurrenz unter den Spielstätten resultieren insbesondere für das Bühnenpersonal in sozialen Mißständen, gefährden diejenigen Häuser, die nicht Schritt halten können mit dem raschen Austausch von ›Novitäten‹ und dem wechselnden Publikumsgeschmack. Auf der anderen Seite verfügen just kommerzielle Orientierung der Direktoren und der beschriebene Wettbewerb über ein dynamisierendes Potenzial, indem sie Differenzierungen des Theater-Angebots notwendig, dadurch aber auch möglich machen. Im Rückblick also lassen sich Prozesse der Diversifizierung und Schaffung neuer Märkte, Parameter also einer Logik der Ökonomie,97 auch für das Theaterwesen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anwenden. 95 Vgl. MacInnes 1983, S. 29f. »Auf dem Gebiet des Dramas fehlt im Gegensatz
dazu [gemeint ist: zum Roman, NL], eine ähnliche Wechselwirkung von Kritik und kreativer Tätigkeit fast gänzlich. Ja, es kommt oft eine merkliche Diskontinuität oder gar Diskrepanz zum Vorschein.« MacInnes 1983, S. 30. Selbst die dramentheoretischen Schriften Gustav Freytags oder Otto Ludwigs, entwickelt, so MacInnes, aufgrund des eigenen »Versagens als praktizierende Dramatiker«, hätten wohl für die Theorie und im Rahmen der allgemeinen Dramendiskussion, nicht aber für die Praxis Konsequenzen gehabt. Ebd. 96 So Genée, der auch anführt, dass »das eine […] ja das andere keineswegs aus[schließe], und je mehr die Privattheater durch das Interesse am Erwerb dazu sich gedrängt fühlen, den schlechteren und der »Kunst« schädlichen Neigungen des Publikums Rechnung zu tragen, um so mehr wird es die Pflicht der Hoftheater bleiben, die rein künstlerischen Ziele im Auge zu behalten, und man wird damit auch auf den Geschmack des Publikums Einfluß erlangen, wenn der Leiter Entschlossenheit, Verständnis und Ausdauer besitzt.« Genée 1889, S. 64. 97 »The enterprises involved in cultural production and distribution have followed the characteristic economic logics of capitalist organization: the process of concentration (the absorption and elimination of competition); the process of diver-
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Eine solche Hybridisierung der Unterhaltungsformate ist fundamentales Kennzeichen von Populärkultur, in der sich, wie Bausinger formuliert, »die Konturen verschiedener Gattungen […] im Zeichen des auf Buntheit gerichteten Unterhaltungsbedarfs [vermischen]«98, und Konsum und Unterhaltung die Rezeption bestimmen. Die beschriebene Ökonomisierung und Diversifizierung theatraler Unterhaltung beobachtet der Theaterhistoriker Thomas Postlewait auch für den amerikanischen Raum. Er datiert den Beginn der amerikanischen theatralen »Unterhaltungsindustrie« ebenfalls auf »um 1870«: It is a rich, complex era of theatrical developments and transformations. During these decades American entertainment became one of the largest industries in the country, encompassing not only dramatic performances and musical theatre (from revues to opera) but also minstrelsy, vaudeville, amusement arcades and parks, circuses, and the new media of film and radio.99
Das Populärtheater der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist – in Anlehnung an Clarkes Definition von Populärkultur als für eine breite Bevölkerung, aber nicht von ihr produzierte Kultur – Theater für eine breite Bevölkerung. Hier wie dort sind Produktion und Rezeption untrennbar reziprok: Die Rezeptionsform ist durch die mehr passive des Konsumierens gekennzeichnet, die Produktion ist eine massenhafte im doppelten Sinne: Sie beinhaltet eine Bandbreite an Unterhaltungswaren, schafft und erreicht ein Massenpublikum. Theater wird somit zum Bestandteil einer frühen Form von »Massenkultur«, einer Kulturindustrie, als deren Charakteristikum unter anderen Theodor W. Adorno die Annäherung der »jahrtausendelang getrennten Bereiche hoher und niederer Kunst« festgehalten hat. »Die hohe wird durch die Spekulation auf den Effekt um ihren Ernst gebracht; die niedrige durch ihre zivilisatorische Bändigung um das ungebärdig Widerstehende […].«100 Als Kollektivsingular steht Massenkultur für die massenhafte Produktion und Reproduktion von Waren, Aktivitäten, aber auch Bildern, die der Unterhaltung und Vergnügung dienen. Ihr Rezipientenkreis ist heterogen, dessen Rezeptionsmotivation besteht primär in der Ablenkung, dem Sich-Amüsieren, der Unterhaltung. Zerstreuung, unstetes, sprunghaftes Aufnehmen oder auch Konsumieren der Massenwaren kennzeichnet den Rezeptionsmodus.101
98 99
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sification (both horizontal and vertical); and the creation of new markets.« Vgl. Clarke 1990, S. 31. Bausinger 2001, S. 36. Thomas Postlewait: »The Hieroglyphic Stage: American Theatre and Society, Post-Civil War to 1945«, in: Don B. Wilmeth, Christopher Bigsby (Hg.): The Cambridge History of American Theatre. Vol. 2 (1870-1945). Cambridge: CUP 1999, S. 107-195, hier S. 107. Theodor W. Adorno: »Résumé über Kulturindustrie« (1963), in: Lorenz Engell, Joseph Vogl (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Stuttgart: DVA 22000, S. 202-208, hier S. 202. Enorme Kritik übt bekanntermaßen die Frankfurter Schule, allen voran Adorno und Horkheimer, an der Massenkultur. Für sie ist die Hingabe an massenkulturelle Phänomene als Anpassung und Verlust der Kritikfähigkeit zu lesen: »Die ursprüngliche Affinität aber von Geschäft und Amusement zeigt sich in dessen eigenem Sinn: der Apologie der Gesellschaft. Vergnügtsein heißt Einverstandensein.« Adorno/Horkheimer 132001, S. 153.
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Die Heterogenität theatraler Unterhaltung und der Publikumsbedürfnisse kann als ›Theater-Varietät‹ bezeichnet werden. Der beinahe Gleichklang von ›Varietät‹ mit ›Varieté‹ ist intendiert. Denn eine ähnliche Mischung der Programmpunkte, wie sie sich in den Theatern der sechziger bis neunziger Jahre abzeichnet, wird später zum wesentlichen Charakteristikum des Varietés.102 Die beschriebenen ökonomischen Bedingungen sowie die in Kapitel 1 behandelte Prominenz des Visuellen und der visuellen Unterhaltung sind für das im Folgenden konkreter zu diskutierende Verhältnis von Theater und visueller Kultur von Gewicht. Als zunächst außerhalb des Theaters liegende Parameter beeinflussen sie die ›Mise en Scène und Dramaturgie der Bilder‹ im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.
102
»Mit dem Rezept der Vielseitigkeit und schnellen Abwechslung hatte das Varieté im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das deutsche Publikum erobert und sich kulturell etabliert […] Ein typisches deutsches Varieté-Programm ›echten Stils‹ bestand aus einem runden Dutzend Beiträgen und reihte gemäß der Devise: variatio delectat: ›Abwechslung ergötzt‹.« Corinna Müller: Frühe deutsche Kinematographie: formale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen 1907-1912. Stuttgart, Weimar: Metzler 1994, S. 11 und 12.
3
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER »The stage is a picture frame, in which is exhibited that kind of panorama where the picture being unrolled is made to move, passing before the spectator with scenic continuity.« (Dion Boucicault)1
Die Heterogenität der Berliner Theaterprogramme ist zum einen, darauf wurde im vorangegangenen Kapitel eingegangen, mit der zunehmenden Konkurrenz zu begründen. Die Spielstätten sind darauf angewiesen, den sprunghaften Geschmack des zahlenden Publikums zu treffen und beantworten diese Herausforderung mit ausdifferenzierten Formaten. Zum anderen ist die Produktivität der Theater mit der zeitgleichen Prosperität der in Kapitel 1 vorgestellten Medien und Institutionen visueller Unterhaltung zu erklären, deren Publikum sie teilen. Das nachstehende Kapitel führt die zuvor beschriebene ›TheaterVarietät‹ im Sinne einer Heterogenität von theatraler Unterhaltung und Publikumsbedürfnissen sowie die in Kapitel 1 beschriebene Prominenz des Visuellen und der visuellen Unterhaltung zusammen und bespricht ihr Zusammenspiel an ausgewählten Beispielen. Dieses Hauptkapitel besteht aus drei Teilen: der erste Teil, Theaterbilder– Bildertheater, führt in die vielfältige Verwendung des Bild-Begriffs im Bereich des Theaters ein und gibt einer Besprechung der Einbeziehung von Bildmedien und visuellen Effekten in die Stücke – insbesondere der Ausstattungsstücke – und in die Programme Raum. Die Kapitel Bilder des Krieges und Kolonien im Blick sind der fokussierten Besprechung von Beispielen gewidmet, die auf je unterschiedliche Weise das Verhältnis von Theater und visueller Kultur exemplifizieren helfen. Es handelt sich bei den gewählten Beispielen um bislang von der Theatergeschichtsschreibung unbeachtete, aber zum Teil überaus erfolgreich aufgeführte Stücke oder theatrale Unterhaltungsformen. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Beispiele aus pragmatischen Gründen Themenfeldern zugeordnet sind, die zwischen 1869 und 1899 eine gesellschaftliche Relevanz und eine hohe Bedeutung in allen Medien der Zeit und im Theater aufweisen. Die Besprechung des Verhältnisses von visueller Kultur und Theater geschieht folglich in Bilder des Krieges anhand von Bildern des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 und der deutschen Geschichte, in Kolonien im Blick anhand von Bildern aus der deutschen Kolonialzeit in Afrika und des ethnisch Fremden. Jedem dieser Teilkapitel steht zunächst eine Skizzierung des zeithistorischen Kontexts voran. Diese Kontextualisierung ist erforderlich für die Besprechung der Verarbei1
Dion Boucicault, zitiert nach Meisel 1983, S. 50.
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tung der jeweiligen Thematik durch Bildmedien und Institutionen des Visuellen. Schließlich sind anhand von Stücktexten und Inszenierungsbeispielen die Transformationen der jeweiligen Themen in Theater zu diskutieren. Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die enge Verflechtung von visueller Kultur und Theater am Beispiel der genannten Themen nachzuweisen und begrifflich zu fassen. Es soll gezeigt werden, dass sich die Integration unterschiedlicher Bildtypen und -inhalte in die Stücktexte und die Integration von visuellen Effekten in die Aufführungen als Spielarten von Piktoral-Dramaturgie verstehen lassen. Besonderes Augenmerk im Hinblick auf Dramaturgie und Mise en scène verdienen in diesem Kapitel der Einbezug von und die Orientierung an Ästhetik und Konventionen der Bildkünste sowie die Integration von und die Orientierung an medialen Darstellungstechniken der sechziger bis neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Diese diachronen (bildkünstlerische Konventionen) und synchronen (zeitgenössische visuelle Kultur) Beziehungen werden anhand damalig erfolgreicher Bühnenproduktionen und -formate besprochen. Die Diskussion und stückweise Aufarbeitung dieser heute vergessenen Theaterformen und –texte sind weitere Teilziele der folgenden Ausführungen.
T he a te r b i l d e r – B i l d e r th e at e r . Zur ›Multivisualität‹ der Bühnen Betrachtet man zeitgenössische Almanache, Theaterzettel und Zeitungsankündigungen des 19. Jahrhunderts, so sticht – neben der zuvor beschriebenen Heterogenität der Spielstätten und Programme – die signifikante Häufung des Bild-Begriffs ins Auge: Stücke werden in ›Tableaux‹ unterteilt, einige Aufführungen sind als Folgen von Bildern oder ›Ausstattungsdrama in 11 Bildern‹, als ›Sittengemälde‹ oder ›Genrebild‹ angekündigt, es ist von ›Illusionen‹ die Rede und von ›optischen Effekten‹. Der Bild-Begriff bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen Malerei und Medien der Bildproduktion. Der Versuch einer Bestimmung eines Bild-Begriffs ist stets in Abhängigkeit auch des technologischen und des zeitlich gebundenen Status der Produktion und Reproduktion von Bildern zu betrachten. Martin Meisel hat etwa nachgezeichnet, dass der Begriff ›Illustration‹ am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch eine andere Bedeutung hat als in der Jahrhundertmitte. Bedeutet das Verb »illustrieren« zuvor noch einen − nicht explizit auf Visualität bezogenen − Sachverhalt, nämlich »(durch Material) bereichern« oder »durch Anmerkungen zu ergänzen«, so erhält es ab etwa 1820 eine andere Bedeutung; zu einem Zeitpunkt also, da neue Technologien entwickelt werden, die bildliche Ergänzung von Texten ermöglichen. Eine Illustration bedeutet dann »anything pictorial or ornamental«.2 Dieser Begriff wird schon bald inflationär gebraucht, was sich in der Kritik dieser Zeit widerspiegelt, die den »Illustrationskultus« beanstandet (vgl. Kapitel 1 und 2). Eine malerische/piktorale oder bildhafte Wirkung kann in der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts fortan nicht nur durch ein Gemälde erzielt werden, sondern auch durch andere Medien und visuelle Phänomene. Die Häufung des Bild-Begriffs trifft auf seine Vielfalt in der Verwendung.
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Vgl. Meisel 1983, S. 30.
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Bildervielfalt: Facetten des Bild-Begriffs im Theater In den nachfolgenden Abschnitten sollen zeitgenössisch gebräuchliche Facetten des Bild-Begriffs erläutert werden.3 Der vielfältige Gebrauch der Bilder unterliegt keiner Willkür, sondern spiegelt, wie zu zeigen sein wird, die Verzahnung von Theater und bildender Kunst, von Theater und den Medien sowie Rezeptionsweisen der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts.
Bühne als Gemälde, Szene als Tableau »It was surprisingly not until 1880 that anyone thought to put a picture frame entirely around the stage, and then it had an unexpected atmospheric effect that suggests what the painters called ›keeping‹«4
Bereits im 18. Jahrhundert setzen sich Begriffe wie »bewegtes Gemälde« oder »lebendes Gemälde« als Synonyma für eine Theaterproduktion oder Schauspielkunst durch.5 Es ist im Wesentlichen Denis Diderot, der für die Verbreitung von der Idee der Gleichsetzung der Theaterbühne mit einem Gemälde verantwortlich zeichnet. Seine Gedanken über das Theatertableau entwirft Diderot vor dem Hintergrund der zu seiner Zeit üblichen deklamatorischen Theaterpraxis, an der er einen glaubhaften Realismus vermisst. Als Modell für wirklichkeitsnahe Szenen gilt ihm die Malerei Jean-Baptiste Greuzes (1725-1805), welche Diderot in ihrer wahrscheinlichen, realistischen Darstellung überzeugt. Solcherart sollten auch Theaterszenen wirken: Vergleichbar einem gut gestalteten Gemälde sollen auch Theater-Bilder – als »stumme Malerei«6 – idealiter Kernmomente einer Erzählung, eines Ereignisses zu einem stimmigen und eingängigen Gesamt formen. Der Darsteller sollte so agieren, als würde er vor einer ›vierten Wand‹ spielen, also ohne Kenntnis vom Publikum. Die Herausforderung für den Schauspieler bestehe in dem Paradoxon, natürlich zu wirken und diese Natürlichkeit durch Kalkulation zu produzieren. Roland Barthes fasst die Ästhetik Diderots wie folgt zusammen: Das perfekte Stück ist eine Abfolge von Bildern, das heißt eine Galerie, eine Ausstellung. Die Bühne bietet dem Zuschauer ›ebensoviele wirkliche Bilder wie es in der Handlung für den Maler günstige Momente gibt‹. Das Bild (in der Malerei, im
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Eine Übersicht über die Bildtypen im deutschen Theater des 19. Jahrhunderts liegt bislang nicht vor. In exemplarischen Aufsätzen und Studien sind jeweils Teilaspekte und einzelne Bildtypen untersucht worden. Hervorzuheben sind hier: Günther Heeg: »Jenseits der Tableaus – Das geteilte Bild der Gemeinschaft«, in: Christian Janecke (Hg.): Performance und Bild. Performance als Bild. Berlin: Philo & Philo Fine Arts 2004, S. 336-363; Brewster/Jacobs 1997, Birgit Jooss: Lebende Bilder. Berlin: Reimer 1999. Meisel 1983, S. 44. Ruppert 1995, S. 39. Diderot sieht das Studium von Gemälden als Übung an, die stumme Sprache des Darstellens zu erlernen. »Die Qualität einer Darstellung bemisst Diderot also allein danach, was sie auch ohne den entsprechenden Texthindergrund erbringt.« Geiger 2004, S. 13.
150 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Theater, in der Literatur) ist ein unumkehrbarer, unzersetzbarer, reiner Ausschnitt mit sauberen Rändern, der seine ganze unbenannte Umgebung ins Nichts verweist und all das ins Wesen, ins Licht, ins Blickfeld rückt, was er in sein Feld aufnimmt.7
Gemäß diesem Verständnis vom »Bild« als »Idealbild«, das den Wirkungsrichtlinien eines gut gestalteten Gemäldes folgt, bestehen Theatertext und seine Aufführung idealtypisch aus einer (zeitlich bestimmten) Reihung solcher Tableaux. Neben der Gestaltung der Einzelbilder ist ihre Abfolge entscheidend für den Aufbau eines Stückes. Ein Bild wird somit zum strukturellen Element einer szenischen Produktion. Im Theater der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begegnet häufig die Kritik, dass Stücke aus einer ›unmotivierten‹ Reihung von Bildern beständen, die Bilder selbst zum eigentlichen Ziel eines Stückes würden. So schreibt e.g. ein Redakteur des Deutschen Theater-Albums 1863 zu einer Posse von O.F. Berg in drei Akten und neun Bildern: »Von einer eingehenden Kritik kann gar keine Rede sein, die einzelnen Bildern sind fast ohne Zusammenhang und dabei von schablonenhafter Kürze, von Charakteristik keine Spur, und an die Regeln dramatischer Dichtkunst hat sich Hr. Berg bekanntlich nie gehalten.«8 Häufig tragen die Tableaux eines Stückes eigene Bezeichnungen, die sozusagen als Szenenüberschriften die Erwartung der Zuschauer wecken und ihre Wahrnehmung lenken sollen. Dies belegt eine von zahlreichen denunzierenden Bemerkungen in der folgenden Kritik: Ein Rezensent der Königlich Privilegirten Zeitung kritisiert das »grausige Schauerspiel« Va banque! und dessen dramaturgische Behandlung durch Wilhelm Ewers: »Wer übrigens auf den näheren Inhalt des vortrefflichen Dramas neugierig sein sollte, dem brauchen wir nur einige von den famosen Überschriften der sieben ›Tableaux‹ zu verrathen.«9 Der Inhalt des Stücks erschließt sich hier also allein qua Nennung der Tableaux-Titel, welche als Gliederungselemente und gleichsam als inhaltliche Kürzel dieses »Schauerspiels« fungieren. In den zeitgenössischen Ankündigungen und Klassifizierungen der Aufführungen häufig benutzt und auch im Theater der Gegenwart noch geläufig ist der Bild-/Tableaubegriff als Synonym für das Szenenbild und damit als ein Terminus der Szenographie. Ein Wechsel der Bilder ist dann gleichzeitig auch ein Wechsel von Dekoration und Beleuchtung. Die Anzahl der Bilder gibt einen Hinweis auf den Ausstattungsaufwand: Je mehr Bilder in einer Aufführung vorkommen, desto aufwändiger und kostspieliger ist die Inszenierung. Theaterformate, die sich durch viele Bilder und häufige Bildwechsel auszeichnen, sind beispielsweise Féerien, Ausstattungsstücke und Pantomimen, auf die an anderer Stelle dieses Teilkapitels noch eingegangen wird.
Tableau und Realisation: Effekt und Stillstand der Handlung Eine weitere Variante des Theaterbildes ist die Stillstellung eines Szenenbildes, beziehungsweise das als »Realisation« bezeichnete Nachstellen von be7 8 9
Roland Barthes: »Diderot, Brecht, Eisenstein«, in: Ders. 1990, S. 95. Vgl. auch Heeg 2004. Anonymer Verfasser in: Dt. Th.-Album. 8. Jg., 1. Semester, Nr. 36 & 37, 13. September 1863, S. 121. Dritte Beilage zur Königl. Privil. Ztg. Nr. 106, Mittwoch, 7. Mai 1873.
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kannten Gemälden, Bildern oder Bildmustern. Martin Meisel untersucht diese Facette der Interrelation von bildender Kunst und Theater in seiner Arbeit Realizations und gibt an, ein Tableau sei »the fullest expression of a pictorial dramaturgy […], where the actors strike an expressive stance in a legible symbolic configuration that crystallizes a stage of the narrative as a situation, or summarizes and punctuates it.«10 Als »Realisation« bezeichnet Meisel sowohl das Körperlichwerden eines mentalen Bildes als auch das szenische Nachstellen und damit die Verleihung von Dreidimensionalität eines bekannten (zweidimensionalen) Gemäldes auf der Bühne: ›Realization,‹ which had a precise technical sense when applied to certain theatrical ta-bleaux based on well-known pictures, was in itself the most fascinating of ›effects‹ on the nineteenth-century stage, where it meant both literal re-creation and translation into a more real, that is more vivid, visual, physically present medium. To move from mind’s eye to body’s eye was realization, as when words became picture, or when picture became dramatic tableau. Always in the theater the effect depended on the apparent literalness and faithfulness of the translation, as well as the material increment.11
Im britischen oder amerikanischen Melodrama ist, wie Martin Meisel, Michael R. Booth u.a. gezeigt haben, das Nachstellen eines bekannten Gemäldes im Verlauf eines Stückes (zumeist am Ende, seltener in der Mitte einer Szene) gängig. Die benutzten Bildvorlagen sind dem Publikum aus Galerien, Museen, von Plakaten oder Reproduktionen in den Zeitungen bekannt. Ein Tableau wird als effektvoller Abschluss eines Aktes eingesetzt, in dem sich die Figuren der vorangegangenen Szene zu einem Schlussbild gruppieren und ihre Position halten.12 Innerhalb der Handlung kann ein solches Innehalten als Überraschungseffekt angelegt sein, oder um der vorangegangenen Situation besonderen Nachdruck zu verleihen. Die Arretierung einer Szene zum Tableau hält für eine Weile den Fluss der gesamten Handlung an, um die Bedeutung des im Tableau Gezeigten hervorzuheben. Das Tableau im Stillstand hat somit eine dramaturgische Funktion, die Brewster und Jacobs mit den Worten beschreiben: »[Tableaux contribute] to the tex-
10 Meisel 1983, S. 48. Meisel skizziert die Etymologie des Begriffs und seine
Nähe zur Bühne: »›Realization‹ and its verb ›to realize‹ are often found in dramatic contexts, where they carry the sense of materialization, even reification. Interestingly, the first listed use for »realize« in the sense of »To make realistic or apparently real« in the Oxford English Dictionary comes from Sheridan’s The Critic (1779), when Dangle comments on the firing of a cannon, ›Well, that will have a fine effect‹, and Puff replies, ›I think so, and helps to realize the scene.‹« Meisel 1983, S. 29. 11 Ebd., S. 3. 12 »The stage presentation of a famous painting took the form of a tableau at the end of a scene or act. The tableau method was used to depict a climax of action in melodrama and was entirely pictorial in groupings, attitudes, and the sense that all motion was absent.« Booth 1981, S. 10. Meisel exemplifiziert die Realisation von Gemälden an George Cruikshanks The Bottle (1847) oder David Wilkie The Rent Day und Distraining for Rent. Siehe hierzu auch Schmidt 1986.
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ture of the drama, the way they interrupt the continuity of the action and rhythmically articulate the performance of the play.«13 Die Transitorik der Aufführung wird konterkariert durch das Innehalten oder auch Wiederholen imposanter Szenen, das Aufgreifen besonders erfolgreicher, weil ›eindrucksvoller‹ Bildwirkungen. In der Realisation/dem Tableau läuft das Einfrieren der Zeit dem Fortgang der dramatischen Handlung zuwider, wodurch sich ausgesuchte Szenen, Gemälde und auch Ideen forcieren lassen.
Apotheose: ornamentales Schlussbild als ›allegorisches Bildfinale‹ Ein ähnliches Austarieren der Stellungen mit besonderer Akzentuierung der Anschaulichkeit findet sich in den Apotheosen. Im Gegensatz zu den Tableaux entwickelt sich die Apotheose weder aus einer Vorgängerszene noch basiert sie auf einem bekannten Gemälde. Vielmehr wird durch gezielte Choreographie der Bühnenfiguren, Berechnung des Bild-/Bühnen-Ausschnitts und sorgfältiger Berücksichtigung von Beleuchtung, Ausstattung und Kostümen ein meist symmetrisches Ensemble-/Bühnenbild geformt (vgl. Abb. 17). Die Apotheose ein effektvolles, feierliches Schluss-Tableau, das insbesondere in der Barockoper, in Festspielen und Féerien eingesetzt wird, und das der Glorifizierung von Personen dient.14 Elementar ist die Darstellung von (personifizierten) Allegorien und Symbolen, die auf (aktuelle, gesellschaftliche, historische) Momente Bezug nehmen, welche außerhalb der Handlung des Stückes liegen. Wesentliches Element der Apotheose ist ferner die Verwendung von Licht. Mit der Einführung der Elektrizität in den Theatern häufen sich auch die Darstellungen von Apotheosen, die als Repräsentationsbilder des technischen – und kulturellen – Fortschritts instrumentalisiert werden: An anderer Stelle sind noch Apotheosen zu besprechen, die in unterschiedlichen theatralen Formaten der Verherrlichung von Patriotismus und Imperialismus dienen. In der Apotheose verdichten sich Konventionen der Bildkomposition, ikonographische Muster, kontemporäre Themen und Bilder und Ausstattungstechnik des Theaters. Der Darstellerkörper selbst wird zum Bestandteil des Gesamtbildes.
Tableaux Vivants, lebende Bilder, lebendige Reliefs: Körper als Bild Ein weiteres Bildformat im Theater ist das Tableau vivant, das sich von den vorangegangenen Bildern darin unterscheidet, dass es auch ›eigenständig‹, 13 Brewster/Jacobs 1997, S. 45. Brewster und Jacobs untersuchen die Übernahme
von spezifischen Theaterbildern »with a strong pictorial effect« durch frühe Filme. Der Tableaubegriff wird zum Terminus auch der Filmsprache und bezeichnet dann, wie Brewster/Jacobs formulieren »a characteristic type of shot in early films, and a type of construction which relies on that type of a shot. This is the centered axial long shot, looking at an interior as if at a box set on stage from the centre of the theatre stall. Many early films consist largely of such shots, linked by intertitles; they lack scene dissection, or even alternation between simultaneous scenes. This has come to be called ›tableau construction‹ […].« Brewster/Jacobs 1997, S. 38. 14 Vgl. Eintrag »Apotheose« in: Henning Rischbieter (Hg.): Theater-Lexikon. Zürich, Schwäbisch Hall: Orell Füssli 1983, S. 55.
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Abb. 17: Apotheose der Féerie Cendrillon., Einzelbild der Stereo-Serie Les Théâtres de Paris von Adolphe Block. d.h. ohne direkten Bezug zur Aufführung bestehen kann. Tableaux vivants, auch ›lebende Bilder‹15, ›plastische Bilder‹ oder ›lebendige Reliefs‹ genannt, sind körperliche Reproduktionen einer konkreten Bildvorlage (Gemälde, Emotionen, Allegorien oder Bildmotiv) oder das Stellen von Bildern in freier Komposition.16 Bekanntlich wird dieses theatrale Format bereits im 18. Jahrhundert als Freizeitunterhaltung der adligen Gesellschaft praktiziert, im 19. Jahrhundert findet es auch Einzug in die Institutionen theatraler Unterhaltung. Es erscheinen zahlreiche Gebrauchsbücher mit schriftlichen und bildlichen Anleitungen und Anregungen zum Bilderstellen für Privatgebrauch und Bühnenzwecke, darunter e.g. Ludwig Blochs Gemälde-Galerie Lebender Bilder […] Eine Reihenfolge lebender Bilder mit verbindenden Worten17, Edmund Wallners Tausend Sujets zu lebenden Bildern18 (vgl. Abb. 18) oder E. Sédouards Buch der lebenden Bilder (1890). Die hohe Anzahl solcher Musterbücher sowie die Häufigkeit der Ankündigungen von Tableaux VivantsVorstellungen in den Tages- und Theaterzeitungen zeugt von deren Popularität im späten 19. Jahrhundert. Den Reiz der nachgestellten Bilder beschreibt Edmund Wallner damit, »daß der Beschauer vergessen muß, wirkliche Menschen vor sich zu sehen, und nun ergriffen wird von der plastischen Wahrheit, der Farbenpracht eines vor ihm enthüllten Gemäldes.«19 Das Nachstellen von Kunstwerken – allen voran Figuren berühmter Gemälde, antike Skulpturen, später auch z.B. der Reklametafeln Alphonse Mu15 Als »lebende Bilder« werden in den neunziger Jahren ebenfalls kinematogra-
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phische Vorführungen bezeichnet. Die Begriffe kursieren also vorübergehend gleichzeitig. Zur vertiefenden Lektüre siehe Jooss 1999, S. 221- 243; Bettina Brandl-Risi: »Tableau’s von Tableaus«, in: Heeg/Mungen 2004, S. 115-128; Norbert Miller: »Mutmaßungen über lebende Bilder. Attitüde und ›tableau vivant‹ als Anschauungsform des 19. Jahrhunderts«, in: De la Motte-Haber 1972, S. 106-130. Ludwig Blochs Gemälde-Galerie Lebender Bilder. Berlin: Bloch o.J. Edmund Wallner: Eintausend Sujets zu lebenden Bildern. Erfurt 41895. Ebd.
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Abb. 18: Eintausend Sujets zu lebenden, Bildern und Anleitung zu deren Darstellung von Edmund Wallner. Titelseite der Buchausgabe von 1895. chas, so genannte »lebende Affichen«20 – findet sich immer wieder auch als divertierender Programmpunkt eines Theaterabends, insbesondere in den größeren Häusern und, wie noch zu zeigen ist, im Zirkus.21 Wallner versichert in der Vorbemerkung zu seinem Anleitungsbuch, er habe nur solche Bilder ausgewählt, deren Originale »meist in billigen Photographien leicht zu erhalten, oder welche in solchen Werken und Zeitschriften enthalten, die allgemein verbreitet und in den meisten Leihbibliotheken anzutreffen sind.«22 Als nachzustellende Sujets empfiehlt er biblische und histori20 Die »lebenden Affichen« nach Mucha werden 1901 im Wintergarten vorge-
führt, siehe Zobelitz 1922, S. 305: »Und diese köstlichen Affichen [Muchas] plastisch wiederzugeben, war jedenfalls ein vortrefflicher Gedanke. Man wählte dazu ein hübsches Kind, das Modell Lygie. Mucha selbst stellte die Bilder und alle Dekorationen. Kostüme und Requisiten wurden nach seinen Entwürfen angefertigt. So ist eine Reihe wundervoller Tableaux entstanden. Die Plakate für die ›Kameliendame‹, für ›Gismonda‹ und ›Prinzessin Jointaime‹, die ›Lebenden Blumen‹ und die ›Schönheit‹ Muchas ziehen in hoher lebendiger Verkörperung an uns vorüber: eine melodische Farbenharmonie, in der die Töne sich aneinander verschmelzen und gleichsam elektrisch durchleuchtet sind.« Ebd. 21 Siehe z.B. die Aufführung Gallerie lebender Bilder im Walhalla-Volkstheater März 1874. Die Ankündigung in der Voss. Ztg. lautet: »Mittwoch, 11. Gastspiel der Frau Direktorin Charlotte Rappo mit ihrer schwedischen DamenGesellschaft in einer G a l l e r i e l e b e n d e r B i l d e r. 11. Gastsp. des Direktors Herrn Francois Rappo.« Voss. Ztg. Nr. 53, Mi., 04. März 1874. 22 Die beschriebenen Bilder seien u.a. folgenden Zeitschriften und Jahrbüchern entnommen: Die Gartenlaube, Daheim, Illustrirte Welt, Über Land und Meer, Omnibus. Wallner gibt sogar die Referenz an, mit konkreter Angabe von Band, Jahrgang, Erscheinungsdatum und Seite.
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sche Bilder, Genre-Bilder, allegorische und mythologische Figuren, Szenen aus Schauspielen und Opern23, Kinder-Gruppen, »Illustrirte Volkslieder«, Bilder aus dem Krieg 1870/71, Darstellung von Redensarten und Illustrationen zu »deutschen Classikern«. Wallner erachtet Beschreibungen des Kostüms oder der Dekoration als irrelevant, denn es könne erwartet werden, dass dem Publikum der Inhalt jener Schauspiele und Opern, aus welchen er Szenen vorschlägt, vertraut sei.24 Einen ähnlichen Bildthemen-Katalog bietet auch E. Sédouard, allerdings verzichtet er auf die Nennung der Bildreferenzen zugunsten einer ausführlichen Szenenbeschreibung, einer Auflistung von Versen und Empfehlungen für die musikalische Untermalung.25 Gegen Ende des 19. und in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts machen Cafés chantants, Revue und Varieté von der malerischen Wirkung ornamentaler Körper-Formationen Gebrauch.26 In die Kritik geraten insbesondere die Nachstellungen von Skulpturen, denen weniger ein Kunstwert, denn ein nudistischer Charakter zugesprochen wird. Die Berliner Theaterzensurbehörde archiviert zahlreiche Fälle, in denen Aufführungen von »plastischen Reliefs« aufgrund ihres »unzüchtigen« Charakters präventiv zensiert werden oder nach einem »die Sitten gefährdenden« Auftritt polizeilich untersagt werden.27
Genrebild, Zeitgemälde: Theaterbilder als ›Formate‹ Häufig sind Stücke und Aufführungen unter Verwendung verschiedener Spielarten des Bild-Begriffs klassifiziert. Bezeichnungen wie ›Genrebild‹, ›Sittengemälde‹ oder ›Charakterskizze‹ rekurrieren auf die gleichnamige Gat23 Abteilung V: Scenen aus Schauspielen und Opern. Folgende Schauspiel-Szenen
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empfiehlt Wallner zum Nachstellen (in Auswahl): »Der sterbende Attinghausen« aus Wilhelm Tell (Akt IV, 2. Auftritt); Die Braut von Messina, 2. Akt, 3. Szene, »Seher vor dem Könige«; die »Kapuzinerpredigt« aus Wallensteins Lager; Faust, Scene aus »Auerbachs Keller«; Szenen aus Sohn der Wildnis, Glöckner von Notredame, »Gerichts-scene« aus Der Kaufmann von Venedig, die »Balcon-Scene« aus Romeo und Julie etc. aus Opern und Singspielen schlägt er die folgenden Szenen zur Nachahmung vor (in Auswahl): Hugenotten, Robert der Teufel, Afrikanerin, Nordstern, Joseph in Egypten, Stumme von Portici, Weiße Dame, Freischütz, Fidelio etc. Zu den Empfehlungen gehört auch gleichsam eine Galerie der Nationen: Wallner beschreibt nationale Stereotypen (für Deutschland, England, Polen, Rußland, Lappland, Türkei, Frankreich, Holland, Italien, China) und flicht sie in kurze Szenen ein, die er zur Darstellung vorschlägt. Wallner 41895, S. 158. E. Sédouard. Das Buch der lebenden Bilder. Berlin: Bloch 1890. Vgl. hierzu Brygida Ochaim, Claudia Balk, Varieté-Tänzerinnen um 1900. Frankfurt a.M. 1998; Reinhard Klooss, Thomas Reuter: Körperbilder. Menschenornamente in Revuetheater und Revuefilm. Frankfurt a.M.: Syndikat 1980. Vgl. hierzu Zensurakten des LA Berlins, darunter Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend das öffentliche Theaterwesen 1857-1876, LA Berlin A Pr. Br. Rep. 030-Tit. 74, Nr. Th 41; Anzeigen über die Veranstaltung von Nackttänzen, Genehmigungen und Verbote von Schönheitsabenden (Th 1502, Nr. 1364, Bd. 1 1908-1909); Verbot von anstoßerregenden Tänzen in Berlin und anderen Orten (Th 1512, Nr. 1669, 1913-1926); Auftreten der Goldenen Venus (Th 1604, Nr. 1304; 1906-1907); Kontrolle der Vorführung plastischer Gruppen durch nackte mit einer farbigen Masse bestrichene weibliche Modelle (Th 1607 Nr. 1310; 1907-1912).
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tungsbezeichnungen der bildenden Kunst, dienen wie diese der Umreißung des thematischen und gestalterischen Schwerpunkts und bieten den Zuschauern eine erste Einordnung des Gezeigten. Dieselben Bild-Begriffe werden zeitgleich auch in den illustrierten Zeitungen dieser Zeit – der Gartenlaube etwa oder der Leipziger Illustrierten Zeitung – benutzt, Ressorts oder Artikel tragen den Begriff des Bildes im Titel (e.g. wie »Pariser Bilder«, »ein Sittengemälde«, »Bilder aus dem Kampfgeschehen« etc.).28 Die Fotografie löst Objekte aus ihrer Umgebung und stellt sie als repräsentativen Teil eines Ganzen dar. In den ›Genrebildern‹ oder ›Zeitgemälden‹ der Malerei, der Zeitungen und von Theater ist das Moment des Ausschnitthaften, das diese Klassifizierungen in sich tragen, wesentlich. Komplexe Vorgänge oder Ereignisse, die gemalt, gespielt oder über die berichtet wird, werden separiert in inhaltlich vereinfachte ›Einzelbilder‹. In Bezug auf Theater impliziert die Verwendung von Klassifizierungen wie Genre- oder Sittenbild auch die weiter oben beschriebene Idee der Theaterbühne als Gemälde. Ein Genrebild im Theater besteht dann aus aneinander gereihten Einzelbildern, nämlich typischen Ausschnitten aus dem täglichen (bürgerlichen, bäuerlichen, höfischen) Leben in immer gleichen dramaturgischen Mustern. Diese Kategorisierungen wecken Erwartungen und wirken wahrnehmungslenkend.
Schauvielfalt: optische Effekte und szenographische ›Opulenz‹ Neben die beschriebene Vielfalt der Bilder in begrifflicher, ästhetischer und funktionaler Hinsicht tritt die Vielfalt der visuellen Angebote, die ›SchauVielfalt‹ in den Spielstätten. Hierzu gehören die Integration von optischen Medien und Effekten in die Programme eines Theaterabends ebenso wie die Dominanz visueller über sprachliche Elemente in den Aufführungen. Es wurden bereits in Kapitel 1 und 2 einige Theater vorgestellt, die nach der Präsentation eines Melodramas oder eines Lustspiels optische Experimente zeigen: Etwa die ›dissolving views‹ von Prof. Buck aus London im Anschluss an das Melodrama Drei Tage aus dem Leben eines Spielers im Königstädtischen Theater 1844, oder die »Stehnschen Wandelbilder« in Agoston’s Zauber-Salon im Rappo-Theater 1868. Das Walhalla-Volkstheater in der Charlottenstraße (gegründet 1869), zeigt Einakter, Possen, Singspiele, aber auch Spezialitäten, darunter englische Akrobaten, Tiroler Sänger, »amerikanische Exzentriker«, sowie Operetten.29 Im Januar 1876 treten hier die »Japanesen-Gesellschaft Jakitschi« und der »echte Indianer John Sunjon Batschi in seinen Exercitien auf dem Seile« auf. »Überraschende Beleuchtungs-Effecte[…]« bringt die »Wunder-Fontaine« hervor, unter Anleitung von Prof. Mark Wheeler. In seinen Erinnerungen benennt Felix Philippi diese mit wechselnden Lichtern beleuchtete Fontaine als »Kalospintechromokrene« und besondere Sensation auf dem Spielplan des Walhalla-Theaters. In der gleichen Vorstellung am 17. Januar 1876 treten noch die beiden »Indier Gebrüder Baljeau« auf – bevor zum Schluss das
28 Vgl. Schöberl 1996, S. 225. 29 Philippi 1915, S. 109.
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fünfzehn Minuten dauernde »Original-Lustspiel« in 1 Akt von Otto Schreier, Nur nicht heirathen auf die Bühne gelangt.30 Im Volks-Theater Charlottenburg tritt am Dienstag, 21. März 1871 im Anschluss an Nichte und Tante, ein Lustspiel in 2 Akten, »Herr Meunier in der Salon-Magie« auf, darauf folgt ein »ländliches Gemälde mit Gesang in 1 Act« (Abb. 19). Ähnlich ist ein Theaterabend im Theater in Stolp strukturiert. Hier wird am 6. Juni 1871 das »Rococo-Lustspiel« Des Königs Befehl, oder Friedrich der Große und seine Zeit gegeben. Danach tritt der Physiker Max Oelsner aus Berlin auf und führt seine »künstlich belebten Pracht-Hydrooxigen Gas-Bilder« vor. Themen der Bilder sind: Aus den Zeiten der Inquisition, »große geschichtlich-dramatische Vorführung in 8 Tableaux« und Der Erlkönig, »dramatische Ausarbeitung der Geistererscheinungen in 3 Abtheilungen«.31 »Phantasmagorische Belustigungen« beenden das Programm (vgl. Abb. 20).
Abb. 19: Programm des Volks-Theater, Charlottenburg vom 21. März 1871.
Abb. 20: Programm des Theaters in Stolp vom 6. Juni 1871.
Die bis hierher skizzierte Durchmischung der Programme mit optischen Effekten und die Einbeziehung von optischen Medien finden sich überwiegend in den Geschäftstheatern und den Spezialitätenbühnen. Indessen bieten auch die Hofbühnen zunehmend luxuriöse Ausstattung, Amüsement und Effekt und scheinen sich so an den vorherrschenden Publikumsbedürfnissen zu orientieren beziehungsweise die entstandene Konkurrenz durch die Privatbühnen zu beantworten. So zeugt ein Inserat in der Vossischen Zeitung vom 23. Oktober 1874 von der Einbeziehung optischer Effekte in das Programm 30 Vgl. Jansen 1990, S. 77. Bei Jansen findet sich der entsprechende Theaterzettel
des Walhalla-Volks-Theaters vom 17. Januar 1876 abgedruckt. Wolfgang Jansen: Das Varieté. Berlin: Ed. Hentrich 1997. Zu den lebenden Bildern merkt Zobelitz an: »[E]ine Masse meist ziemlich garstiger, in Trikot genähter Frauenzimmer, die auf einem drehbaren Podium in gliederverrenkender Haltung posierten, während die bengalischen Leuchtfeuer sie bald grün, bald gelb, bald rosarot bestrahlten. Heute würde man das außerordentlich geschmacklos finden; damals aber stellte man geringere Ansprüche und amüsierte sich königlich.« Zobelitz 1922, S. 240f. 31 Theaterzettelslg. StaBi Berlin.
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des Königlichen Schauspielhauses: Unter den Theaterankündigungen heißt es dort: »Königliches Schauspielhaus. Jeden Abend 7 Uhr: Vorstellung. Amüsante Physik, Magie, Optik, sowie Darstellung der indischen Wunderkiste.«32
»Stärkere Reize für die Augen«: Spektakelstücke »[E]s mußte durch Augenweide für den verscheuchten Geist Ersatz geboten werden. […]Die Bühnen sind ganz äußerlich geworden.«33
Die vorangegangenen Auszüge von Spielplänen ausgewählter Theaterhäuser machen deutlich, dass neben den Aufführungen von Schauspielen, von Sprechtheater, auch andere Programmpunkte und Unterhaltungsformen zu gleichberechtigten Bestandteilen des Programms werden. Die Vermischung von theatertraditionellen und Elementen der visuellen Kultur sowie die durch die neuen Illusions- und Illustrationstechniken forcierten Publikumserwartungen lassen sich auch innerhalb der Aufführungen beobachten, wie in diesem Abschnitt am Beispiel der Gattung ›Ausstattungsstück‹ gezeigt werden soll. Es handelt sich hierbei um eine spezielle Theaterform des späten 19. Jahrhunderts, die vielerorts zeitgenössisch, aber auch retrospektiv als im Sinne der Dramentheorie qualitativ minderwertig kritisiert wird, jedoch bei einem breiten Publikum beliebt ist. Trotz der zeitgenössischen Kritik dominieren die Spektakelstücke die Spielpläne und werden schließlich auch für den Zirkus attraktiv weil profitträchtig. Seinen Erfolg verdankt dieses Format der Dominanz der Ausstattung und visueller Effekte. Das gesprochene Wort wird zur Nebensache. Stattdessen wird die Bühne zu einem Experimentierfeld von Illusion erzeugenden Medien (Dioramen, Panoramen), Maschinen, und szenischen Effekten. Dieser »plurimediale Präsentationscharakter«34 überlagert und verstärkt gleichermaßen die Bühnenillusion. Optische Opulenz – Ausstattung der Szene Die Integration von Medien – Panorama, Diorama als Hintergrundprospekt, Projektionen – in die Aufführung ist eine im 19. Jahrhundert gängige Praxis zur Erzeugung von Stimmungen oder visuellen Effekten und der Illusion von ›Realismus‹. Die je aktuellen illusionstechnischen Innovationen werden relativ schnell auch für die Bühne nutzbar gemacht. Bereits 1887 konstatiert Karl Pauli, die dekorative Ausstattung der Bühnen stehe »mit allen technischen Hülfsmitteln [sic!] der Neuzeit versehen heut auf einer Höhe der Vollkommenheit […], die nur wenig Verbesserungen möglich erscheinen« lasse.35 Als Problem erweise sich jedoch die stimmige Integration der Schauspielerkörper in das Szenenbild. Die Realisierung eines guten Ausstattungsbildes, in dem die Bühnenelemente mit den Darstellern zu einem malerischen Gesamtbild fusionieren, findet sich erst relativ spät. Ein solches »fully pictorial theater, in which actor and crowds were fused with the setting in a sustained atmospheric and compositional unity« hinke der früheren Etab32 Zweite Beilage zur Voss. Ztg. Nr. 248, 23. Oktober 1874. 33 Rohde 1864, S. 27. 34 So bezeichnet Johann N. Schmidt vergleichbare Allianzen von Theater und
Medien im britischen Theater des 19. Jahrhunderts. Schmidt 1996, S. 264. 35 Pauli 1887, S. 6.
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lierung einer »dominant pictorial dramaturgy« hinterher, so beobachtet Meisel.36 Als »szenische Hilfsmittel« bezeichnet Rudolph Genée die Bühnenmedien, die er idealiter als im Dienste des Dramas stehende sieht. Mit Blick auf das deutsche Theater beobachtet er allerdings 1889, dass die »Äußerlichkeiten«, also die genuin »theatralen« Elemente die Vormachtstellung gegenüber der dramatischen Dichtung errungen hätten37 und dem Drama die Autonomie38 in der Aufführung entzögen, geschürt durch das Verlangen des Publikums nach Theatralik und visuellen Effekten. Worauf Genée anspielt, ist die Verselbständigung der szenischen Mittel, die das dramatische Geschehen begleiten sollen, zu den eigentlichen Schauplätzen und Momenten der Aufmerksamkeit. Dies betrifft ebenso die Aufführung dramatischer Texte wie die Ausstattungsstücke/Féerien. Der häufige Gebrauch eines Zwischenaktsvorhangs »zerreiße« das dramatische Geschehen an ungeeigneten Stellen in mehrere Teile. »Dieser Vorhang verschuldet es, dass man für den Ausputz der Scene sich immer noch mehr Zeit lässt, und dass die Zerreißung eines Aktes in verschiedene Teile immer fühlbarer und dadurch dem Eindrucke der Dichtung nachtheiliger wird.«39 In den per se auf optische Opulenz ausgerichteten Ausstattungs-, Spektakel- oder Schaustücken oder ›Pantomimen‹ gerät der dramatische Text in den Hintergrund und dient häufig nur noch als Gerüst für optische Effekte. 36 Meisel 1983, S. 44. Auch Devrient erinnert an die Schwierigkeiten und Heraus-
forderungen für die Schauspieler angesichts des hohen szenographischen Aufwands. Diese spielten zu sehr en face und isolierten sich somit vom Bühnenapparat, was zu einer Störung der beabsichtigten realistischen Wirkung führte: »Von den Darstellern mußte freilich noch erwartet werden, daß sie allgemeiner ihr Spiel in Zusammenhang mit der Decoration setzten, daß sie die malerische Perspective derselben mehr berücksichtigten, beim Auftreten und Abgehen, bei Richtung der Bewegungen u.s.w. für Stellungen und Gruppen mehr benutzten und ihrem Spiele durch einen gefälligen Gebrauch der Möbel im Conversationsstücke etwas mehr Unbefangenes, häuslich Gewohntes oder Charakteristisches gäben. Noch immer isolierte der deutsche Schauspieler seine Darstellung zu sehr vom Bühnenapparat und hielt am alten Herkommen der Facestellung im Proscenium, wohl auch am Souffleurkasten fest, er entzog dadurch seiner Darstellung ein wichtiges Moment der Lebendigkeit und Natur, dem Ganzen des scenischen Eindruckes die harmonische Zusammengehörigkeit, das malerische Gesammtleben.« Devrient 1905, S. 465. 37 »Die scenisch-theatralische Ausbildung im Schauspiel, jener ganze komplizierte Apparat, welcher der dramatischen Kunst eigentlich nur als beiläufiges Hilfsmittel dienen sollte, ist nur deshalb so stark in den Vordergrund getreten, weil das künstlerische Element, die eigentliche ›dramatische‹ Kunst, an der das Genie des Dichters und das des reproduzierenden Schauspielers gleichmäßigen Anteil haben, die innere Kraft verloren hat, um für sich selbst zu genügen.« Genée 1889, S. 57. 38 »Die Dichtung ist die Königin des Abends; alle darstellenden Künste und das gesamte leitende und darstellende Personal, vom Intendanten und Direktor bis zum Friseur, zum Coulissendiener und Maschinisten, müssen bescheiden in ihrem Gefolge einherziehen. Der Dichter allein soll der schaffende, der lenkende und ordnende Geist der Schaubühne sein, die sich auch dann verirren würde, wenn die Darstellenden ihn entweder aus mangelnder Fähigkeit falsch verstehen, oder aus Selbstsucht und Eitelkeit absichtlich so auslegen würden, wie es für ihre Zwecke am meisten paßt.« Gesell 1886, S. 12. 39 Genée 1889, S. 74.
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»Goldpapier und Silberpappe, […] Feuerregen und sprudelnde […] Wasserkünste[…]« seien Bestandteile der Schaustücke des Woltersdorff-Theaters, schreibt zum Beispiel der Berliner Compaß 1876.40 Handlungsthema und muster sind mit strenger Beachtung der visuellen Wirkung und des Ausstattungsaufwands gewählt. In den Schaustücken, »welche gewöhnlich inhaltsleer sind und, weil sie viel kosten, so oft als möglich wiederholt werden müssen, so dass zur Aufführung ernster Sachen keine Zeit bleibt,«41 komme es, so Schneidereit 1973, weniger »auf den Inhalt an, sondern auf die Möglichkeit, unausgesetzt die verblüffendsten Bühneneffekte anbringen zu können.«42 Vergleichbare Theaterformate sind auf den Bühnen Frankreichs, Englands oder den USA schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts geläufig.43 Das Publikum besuche vorrangig solche Veranstaltungen, in denen ihm szenische und mechanische Effekte geboten werden, mit denen es seine Augen verwöhnen kann, beschreibt Michael Booth in seiner Arbeit Victorian Spectacular Theatre analog für England.44 Für England und Frankreich sind solche Pantomimen (»Extravaganzas«) und melodramatischen Schaustücke weitaus besser dokumentiert. Dort prosperieren die Ausstattungstücke einige Jahrzehnte früher als in Deutschland. Sie werden schon in den sechziger Jahren regelmäßig von der deutschen Presse rezipiert, was zum einen die Novität und Wirkung dieser Stücke belegt, zum anderen als weiteres Indiz dafür dient, dass sich die deutschen Theaterleiter auch an den ausländischen Nachbarn orientieren.45 Repertoire der Schaustücke Das Victoria-Theater ist eines der ersten Häuser in Berlin, die Ausstattungsstücke ins Repertoire aufnehmen. Es folgt in seinem Repertoire dem Grundsatz der Varietät und zeigt in unterschiedlicher Gewichtung, abhängig von der jeweiligen Leitung, Possen (anfänglich), Opern (u.a. von Donizetti, Rossini, Verdi) und – insbesondere seit der Amtszeit Rudolf Cerfs – Ausstat-
40 Berliner Compaß 1876, S. 80f. 41 Gesell 1886, S. 16. Tatsächlich übernehmen sich einige Theaterhäuser mit den
kostspieligen Ausstattungsstücken. 42 Schneidereit zu den Ausstattungsstücken im Victoria-Theater. Otto Schneider-
eit: Berlin, wie es weint und lacht. Berlin 1973, S. 68. 43 Vgl. Slater in Jenks 1998, 231. 44 Booth 1981, S. 2. 45 Im Dt. Th.-Album vom 15. März 1863 heißt es: »Im Cirque Imperial in Paris
wird demnächst die erste Aufführung des neuen Spektakelstücks ›Marengo‹ stattfinden. Die Scenerie soll an Realismus alles bisher Dagewesene übertreffen. Nicht nur, daß wirklich bespannte Geschütze auf der Bühne erscheinen werden, die letztere ist sogar, um den Pferden das Galoppiren zu gestatten, mit Steinen gepflastert worden.« Dt. Th.-Album, Jg. 8, Nr. 11, 15. März 1863, S. 43. Im gleichen Jahr bespricht das gleiche Blatt die Féerie Peau d’Âne im Pariser Porte St. Martin-Theater: »Man sprach seit Wochen von nichts, als von dem großartigen Acquarium, welches im dritten Akte vorkommt. Der Anblick ist wirklich verblüffend. Ob das Wasser, das man zu sehen meint, wirklich naß ist oder nicht, kann ich Ihnen mit Gewißheit nicht angeben; sicher ist aber, daß diese Dekoration Richard Wagner ungeheuer interessiren würde von wegen seines ›Rheingolds‹. Das Stück spielt von 7 Uhr bis halb 2 nach Mitternacht; es läßt sich also denken, wie viel da der Schaulust geboten wird.« Dt. Th.-Album, Jg. 8, Nr. 36&37, 13. September 1863, S. 121.
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tungsstücke und Féerien, die zum Teil aus Paris ›importiert‹ werden.46 »Die Berliner brauchten stärkere Reize für ihre Augen« formuliert Ostwald 1921, und für diese allein habe die Bühne des Victoriatheaters gearbeitet.47 In einem solchen Schauspiel, Die Nordamerikaner, braust ein Eisenbahnzug über die Bühne und stürzte in eine zusammenbrechende Brücke.«48 Unter Emil Hahn als Direktor gelangen die »ethnographischen Schaustücke« von Jules Verne und Adolphe d’Énnery, Die Reise um die Welt in 80 Tagen und Die Kinder des Kapitän Grant mehrere hundert Male zur Aufführung.49 Dellé bilanziert, »das rezitierende Drama [habe sich] auf die Dauer in diesen großen Räumen nicht wohlgefühlt«, und die dramatischen Texte seien »immer mehr zu einem bedeutungslosen Füllwerk degradiert« worden.50 Anton von Werner, der bekannte Historien- und Schlachtenmaler, von dem an anderer Stelle noch ausführlicher die Rede sein wird, sieht im April 1884 die Faust II-Inszenierung Otto Devrients im Victoria-Theater51 und schildert seine Eindrücke: Ich hatte […] den Eindruck, daß Devrient seinen Erfolg zum größten Teil der außerordentlich reichen und malerischen Ausstattung des Stückes verdankte, wie sie mir beim Lesen immer in phantastischer übersinnlicher, undarstellbarer Pracht vor Augen geschwebt hatte und wie sie sich – nach meiner Meinung – auch der Dichter selbst, dem alles Ärmliche zuwider war, gedacht haben mochte. […] Vor allem in der mystischen Schlußszene mit den Engelchören, dem aus der Höhe herabrieselnden, die Bühne überflutenden Regen von Rosen und dem Erscheinen der Mater gloriosa erreichte die Zusammenwirkung von Dichtung und Ausstattung ihren Höhepunkt an überwältigender Schönheit.52
Die Konkurrenz unter den Bühnen, die auf das Produkt Ausstattungsstück setzen, nimmt rasch zu. Dass dieses Format aus theaterökonomischer Sicht 46 Gerhard Wahnrau: Berlin, Stadt der Theater. Berlin: Henschel 1957, S. 454. In
47 48
49 50 51 52
Paris werden die Féerien vornehmlich im Chatelet-Theater, Théâtre de la Porte St. Martin oder dem Eden-Theater gespielt, wie Wahnrau angibt. Siehe ebd. Ostwald 1921, S. 144. Dellé 1952, S. 169. Hierzu bedurfte es einer weiträumigen Bühne und einer ausgefeilten Bühnentechnik. Vgl. hierzu die Beschreibung der Ausstattung des Hauses in Der Zuschauer im Victoria-Theater: »Die Bühne gehörte zu den grössten von allen, welche in Deutschen Theatern vorhanden […]. Was aber vorzugsweise für den Kenner des Bühnenwesens zu beachten, ist die wirklich meisterhafte Einrichtung der Maschinerieen, um deren Anfertigung und Zusammenstellung sich die rühmlichst bekannten Maschinisten des Darmstädter Hoftheaters, die Herren Brand, Vater und Sohn, überaus verdient gemacht haben. Das ganze Podium ist von einer Menge grosser und kleiner Versenkungen durchschnitten, mittelst welcher man die grössten Decorations-Objecte aus der Tiefe – diese misst 25 Fuss – heraufbringen kann. Der Raum vom Podium bis zum höchsten Schnürboden zerfällt in 10 Etagen, von welchen die fünf obersten die Maschinerieen über den Soffiten – Flugwerke u. dergl. – in sich fassen. In scenischer Beziehung ist die Bühne ebenfalls ein Meisterwerk.« Der Zuschauer im Victoria-Theater o.J., S. 13f. Dellé 1952, S. 171. Ebd., S. 177. Die Premiere von Faust I und II, inszeniert von Otto Devrient, findet am 3. und 4. Juli 1880 statt. Vgl. Frenzel 1954, S. 4f. Von Werner 1913, S. 286f.
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sozusagen ein Erfolgsgarant ist, belegt das Beispiel des Central-Theaters in der Alten Jacobstraße, das unter Direktion von Richard Schultz (seit 1893/94) wieder zum gefragten und florierenden Unterhaltungstheater wird, als dieser Ausstattungsstücke ins Repertoire aufnimmt. In der nachstehenden kritischen Sicht auf die Dramaturgie dieser Stücke wird deutlich, welche geringe Rolle Logik und Stringenz der Handlung sowie eine textliche Vorlage spielen. Windelboth schreibt 1956: Was [Schultz] hier in den Ausstattungsrevuen […] bietet, sind nur noch Augenblickseffekte, die von der Regie geschickt und mit großem Tempo aneinandergereiht sind. Das, was verschämt als Handlung stehenbleibt, ist die immer gleiche Geschichte von dem Provinzler, der durch alle Sehenswürdigkeiten Berlins gehetzt, die groteskesten Abenteuer erlebt, bis sich schließlich die Handlung gänzlich in ein ›entzückendes‹, wahnsinniges Gemisch von Zirkusspiel, Clownspäßen, Ballett, Operette, Athletensport, Feuerwerkerei, […] auflöst. Worauf es ausschließlich ankommt, ist der choreographische Effekt, der Kalauer, die Ausstattung, die groteske Situation, kurz, der ›Trick‹, der den Zuschauer in immer neue, ungeahnte und begeistert aufgenommene Überraschungen stürzt.53
Im Jahr 1898 übernimmt Schultz das Theater Unter den Linden, das er in »Metropol-Theater« umbenennt, und das sich bekanntermaßen später durch Varieté- und Revue-Vorstellungen einen Namen machen wird. Um Publikum anzuziehen und vor der Konkurrenz bestehen zu können, multiplizieren die Bühnenleiter Dekoration und visuelle Effekte – zuungunsten der inhaltlichen Qualität und Logik, wie ein Rezensent in der IZ 1889 meint: »Es konnte nicht ausbleiben, daß darüber der geistige Inhalt der prunkvollen Bilder oft zurücktrat und die Zuschauer nur selten mit Kopf und Herzen bei der Sache waren.«54 Als »verwerflich« bezeichnet Bulthaupt 1891 die »schlauen Gauklerkünste der Bühnentechnik, die auf keine natürlichen und künstlerischen Bedürfnisse« zurückzuführen seien, sondern vielmehr als »Mittel zur Ueberlistung urtheilsloser Zuschauer« Einsatz fänden.55 Pantomime: »Schaustück« mit Aktualität Eine besondere Spielart des Ausstattungsstücks mit einer relativ stabilen Form ist die Pantomime, die im Theater des 20. Jahrhunderts kein Pendant findet. Die Form der Pantomime im deutschen Theater des 19. Jahrhunderts ist bereits im späten 18. Jahrhundert bestimmt. Ein hybrides Genre, mischt 53 Horst Windelboth: »›Kleiner Musentempel in der Alten Jacobstraße‹. Über das
Berliner Central-Theater«, in: Der Bär von Berlin, 6, 1956, S. 86-107, hier S. 101. 54 Aus einer Rezension des nationalen Ausstattungsstücks Germania von Ernst Scherenberg am Victoria-Theater 1889, vgl. Abschnitt Bilder des Krieges. Anonymer Verfasser IZ Nr. 2385, 16. März 1889, S. 254. 55 Heinrich Bulthaupt: Dramaturgie des Schauspiels. Band 3. Oldenburg, Leipzig 1891, S. IX. siehe vergleichbar auch Scherl 1898: »[W]eil alles technisch Vollkommene noch vielfach begeisterte Verehrer findet, eben deswegen sind die ernsten Theater leer – die Spezialitätenbühnen und verwandte Stätten erdrückend voll. Zu solchen Vergnügungen zieht ihre Anhänger im Grunde nichts als das auf’s Höchste gesteigerte Interesse für alle Vorführungen, die weder durch Geist noch Schönheit, sondern allein durch das rein Technische […] verblüffen.« Scherl 1898, S. 5f.
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die Pantomime Farce, Satire, gesprochenen Text, mimische Darstellungen, Tanz, Elemente der Commedia dell’arte, szenische Tableaux verstanden als arretierte Bilder, die am Ende eines Aktes signifikante Momente oder Stimmungen einfrieren, oder Apotheosen.56 Mehr als ein inhaltsleeres Schaustück zu sein, integriert die Pantomime aktuelle Themen aus Politik oder Zeitgeschehen und trägt damit, so argumentieren zeitgenössische Befürworter dieser theatralen Form, neben der Unterhaltung des Publikums auch zu dessen Information und Unterrichtung über jene Themen bei. Im Berliner Olympia Riesentheater wird in den neunziger Jahren, (zu Beginn der Amtszeit Bolossy Kiralfys und Hermann Hallers als Pächter) die Pantomime Constantinopel aufgeführt. Die Fabel ist schnell formuliert: Zwei abenteuerlustige Engländer reisen, von ihren adligen Vätern finanziell gut unterstützt, durch Südosteuropa in den Orient und erleben dort Zauberei und orientalische Exotik. Die Pantomime rekurriert damit auf die zeitgenössische Tourismusmode und das Interesse an Bühnenexotik. Ausstattung und visuelle Darstellung der Reiseerlebnisse stehen im Vordergrund der Aufführung. Der eingängige Inhalt und die schlichte Handlung dienen nur als Vorwand, den Wechsel der Szenen zu rechtfertigen. Später wird die Revue diese Folge von spektakulären und opulenten Bühnen-Bilderreisen übernehmen und zeigt dann als »Ersatz für den noch nicht vorhandenen Massentourismus und die schon abgerissenen Panoramen«, wie Klooss/Reuter argumentieren,57 in rascher Abfolge Szenen aus exotischen Ländern. Ziele dieser Aufführungen sind sowohl die Befriedigung als auch die Evokation des ›Schau-Vergnügens‹ der Zuschauer. In dieser oberflächlichen, auf den Schau-Effekt abzielenden Darstellung der Fremde gleichen sich Ausstattungsstück und Revue. »Sie zeigen nicht, was, sie zeigen, dass sie zeigen. Ihnen entspricht ein von der Suche nach Bedeutungen entlastetes, ein entspanntes Sehen.«58 Vergleichbare Schlüsse zieht Johann N. Schmidt in Bezug auf das britische Melodrama, das bekanntlich ebenfalls auf optische Effekte und die Bildhaftigkeit der Szenen hinwirkte. Die direkte Stimulation mittels Schock, Überraschung und emotiver Teilnahme war stärker als das Bemühen, mittels kausaler Themenbezüge ein diegetisches Erzähluniversum zu schaffen. Daher auch die Konzentration auf die Bildhaftigkeit, die den Terminus ›picture play‹ noch vor dem Kino etablieren half. Dabei war die innere Ausgestaltung des Bildes von ebenso großer Bedeutung wie der bewegungshafte Ablauf der Bilder bzw. ihr Vermögen, eine Szene zum klimaktischen Stillstand zu bringen. In dieser Hinsicht spielten Tableau und Panorama eine kaum zu unterschätzende Rolle.59
Insbesondere die noch zu besprechenden Stücke Stanley in Afrika und Im dunklen Erdtheil sind einer der Pantomime vergleichbaren Dualität von optischen Effekten und zeitpolitischem Bezug verpflichtet.
56 Vgl. Iain McCalman »Spectacles of Knowledge: OMAI as Ethnographic Trave-
logue«, in: Cook & Omai: the Cult of the South Seas. National Library of Australia 2001, S. 9-15. 57 Klooss/Reuter 1980, S. 44. 58 Ebd., S. 26, Hervorhebungen im Original. 59 Schmidt 1996, S. 270.
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Zeitgenössische Kritik: Übermaß an »Äußerlichkeiten« Vor allem Ausstattungsbilder, Bilderreihen und die Handlung unterbrechende Tableaux unterliegen harscher Kritik. An der aufwändigen Ausstattung der Szenenbilder/-tableaux monieren Kritiker die hohen Kosten, die Verblendung der Zuschauer durch die Dominanz von ›Äußerlichkeiten‹, welche die Bedeutung des dramatischen Textes entscheidend minimieren. Die »theatralen Elemente«, die »helfenden Künste« seien zu instrumentalisieren, den dramatischen Text und die Schauspielkunst zu unterstreichen. In den Vordergrund dürften sie jedoch nicht gestellt werden. »[D]as Dichterische [ist] nicht das Dramatische, das Dramatische nicht das Theatralische«, schreibt Heinrich Bulthaupt in seiner Dramaturgie des Schauspiels.60 Eine Ausgewogenheit von »dramatischen« und »theatralischen« Elementen benötige das Drama, um als Kunstform zu gelten.61 Selten jedoch fände man »die drei Elemente ›innig gestellt‹« vor. Ein jeweiliges Übergewicht dieser Kriterien, Abweichungen und Innovationen, die in den Berliner Theaterprogrammen zu finden seien, fallen der Kritik anheim und liefern generaliter Anlass zur Diskussion des Theaterauftrags. Auch der bereits an anderer Stelle angeführte Karl Robert Pabst entwirft für das Zusammenwirken der Künste auf der Bühne klare Richtlinien. Eine Kunst allein – im Falle des Theaters die dramatische –, habe die Vormachtstellung, während sich die anderen (Mimik, Musik, szenische Ausgestaltung) dieser einen unterzuordnen habe. Im Falle eines Gleichgewichtes der Künste untereinander sei Gefahr gegeben, dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers sprunghaft sei, zwischen den Künsten hin und her gerissen, ohne dass ein einheitlicher Eindruck entstehen könne.62 Sobald das Schauspiel in der Deklamation, der Musik, dem Kostüm, der Scenerie, in dem Auftritt und den Gruppierungen der Darstellenden von den Gedanken des Dichters sich loslösen oder über sie hinausgehen will, sobald die im Dienst des Schauspiels stehenden übrigen Künste, selbständig auftretend für sich allein die Aufmerksamkeit der Zuschauer, aber auch die Kraft der Darstellenden in Anspruch nehmen, wird die Schaubühne zu einem Konzertsaal, wenn nicht gar zu einem Tingel-Tangel, oder zu einem Panorama, einem Panoptikum oder zu einem Cirkus.63 60 »[B]ald täuscht uns ein bloßer Theatereffect über das Fehlen der dramatischen
Gesetzmäßigkeit, bald ordnet sich das Dramatische schlecht in den Raum und die perspectivischen Gesetze der Bühne, bald vergißt die dichterische Phantasie, ganz an ihre Träume hingegeben, daß das Drama keine breiten lyrischen Verweilungen gestattet.« Bulthaupt 31891, S. VIII. 61 Das Ideal des Dramas ist »dichterisch, dramatisch und theatralisch zugleich«, so Bulthaupt ebd., S. IX. 62 Als geradezu verfehlt sieht Pabst etwa den Versuch an, lebende Bilder (hier gemeint als das Nachstellen von Bildern) durch parallelen Gesang intensivieren zu wollen. »Denn die zur aesthetischen Auffassung, zum Verständnis und Genuss eines nur einigermassen reichhaltigen Gemäldes einerseits eines Tonwerkes andererseits erforderlichen Geistesthätigkeiten sind von einander so verschieden und finden in einer so entgegengesetzten Zeitfolge statt, dass sie, weit entfernt einander zu unterstützen, sich vielmehr nur gegenseitig stören.« Karl Robert Pabst: Die Verbindung der Künste auf der dramatischen Bühne. Berlin: Haller 1870, S. 70. 63 Gesell 1886, S. 12.
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Was Gesell hier in kritischem Tenor bereits 1859 festhält, wird in den Folgejahrzehnten zum – in der Forschung wenig beachteten – Merkmal des deutschen Theaters zwischen den siebziger und neunziger Jahren. Die Heterogenität der Theaterprogramme und die Einbeziehung von unterschiedlichen visuellen Medien und optischen Effekten in die Schaustücke verwässern die gewohnten Zuschreibungen von Repertoire zu einer bestimmten Institution und die Klassifikation der Darbietungen. Der Übergang von Theater zu noch volksnäheren Einrichtungen ist fließend, was die Übernahme von Ausstattungsstücken und Pantomimen in die Zirkusprogramme belegt.
›Circensisches Theater‹: Konkurrenz und Aufweichung institutioneller Grenzen Der Berliner Zirkus Renz, in dem keineswegs nur Artistik und Tierdressur geboten werden, spezialisiert sich in den letzten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts auf Ausstattungsstücke, Pantomimen/Féerien. Wie Bucher et al. informieren, befriedigt der Zirkus »durch Pflege von Pantomime, Ballett und Schaustellung in prunkvoller Ausstattung auf sozial niedriger Ebene die gleichen Bedürfnisse wie die Oper bei Adel und gehobenem Bürgertum.«64 Die am 2. August 1891 zur Aufführung genehmigte, »große hydrologische Ausstattungs-Pantomime« Seebad Helgoland veranschaulicht die Dimensionen des Einsatzes theatraler und technischer Mittel zum Erzeugen spektakulärer Effekte. »Wassermassen rauschen in die Manege, ein Schiff schaukelt auf den Wellen, eine 25 Meter hohe, farbig angestrahlte Fontäne steigt auf, Menschen und Thiere stürzen sich in die Wogen […]«65 (vgl. Abb. 21). Mit der aktuellen Thematik reagiert der Circus Renz auf die Übergabe der Nordseeinsel von England an das deutsche Reich. Im Gegenzug erhält Großbritannien die deutsche Kolonialbesitzung Sansibar.66 Das an inhaltlicher Entwicklung eingängige und auf Schauwirkung mit aktuellem Zitat ausgerichtete Stück besteht aus zwei Abteilungen, »Ebbe« und »Fluth« mit Tänzen (»Helgoländer Fischertanz«, Ende der 3. Szene) und Musik durchsetzt. Eine »Polka comique« sowie ein »Einzug verschiedener Nationen« formen zum Abschluss der ersten Abtheilung ein »Tableaux mit großartiger Beleuchtung.« Die zweite Abteilung, »Fluth«, bestimmt die Klassifizierung der Pantomime als »hydrologisch«. Innerhalb von zwei Minuten, so gibt es das Scriptum vor, »überfluthen mehr denn 150 Cubikmeter Wasser den Circus, in mächtigen Cascaden und Fällen sich ergießend.«67 Die restliche Handlung spielt sich beinahe gänzlich im Wasser ab, drei »anmuthige[…]« Schwimmerinnen »werfen sich in kunstge-
64 Bucher et al. 1981, S. 147. 65 Carlé/Martens 1987, S. 26. 66 Weitere Aufführungen aktuellen Bezugs sind die Pantomimen Episoden aus
dem Schleswig-Holsteinischen Krieg und Erstürmung der Düppeler Schanzen oder Harlekin à la Edison, oder: Alles elektrisch. Vgl. Carlé/Martens 1987, S. 25. 67 Seebad Helgoland im Circus Renz. Große hydrologische AusstattungsPantomime in 2 Abtheilungen (Zensurexemplar vom 2. August 1890; LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Nr. Th 1535), S. 7.
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Abb. 21: Seebad Helgoland im Circus Renz. Titelseite des Zensurexemplars 1891. rechtem Sprunge in die Wellen, in denen sie darauf ein ebenso graciöses wie kunstvolles Spiel beginnen.« Eine Apotheose beendet die Pantomime mit einer »Grande fontaine lumineuse«, die »bei prachtvoller Beleuchtung bis zur Höhe von 80 Fuß empor[strahlt]«.68 Mit solchen Pantomimen, Balletten und Schaustellungen in prunkvoller Ausstattung antwortet auch der Zirkus auf die Schaulust eines breiten Publikums. Alfred Kerr hält am 26. Juli 1896 seinen Eindruck von einer theatralen Vorführung im Circus Renz fest: Es wirken nur tausend Personen auf der Bühne mit, zahlreiche Tiere daneben, um bunte Bilder aus dem alten Osten in unerhörter Farbenpracht zu zeigen. Dieser Reichtum, dieser Glanz und diese Massenhaftigkeit arbeiten zusammen, um auch einem skeptischen Betrachter ein vorübergehendes Staunen abzuringen. Offenbar sollen die Norddeutschen von ihrem asketischen Geschmack geheilt und zu höherer Schätzung einer sinnlichen Kunst erzogen werden. Die Sinnlichkeit soll Triumphe feiern, obgleich sie im Grunde in Berlin nicht zu kurz kommt. Sie kommt auch […] in diesem Theater nicht zu kurz. Dafür sorgt der erwähnte Glanzmoment, wenn sich
68 Ebd., S. 8.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 167 vier- bis achthundert Trikotbeine à tempo in die Luft strecken. Hier bricht immer frenetischer Beifall los. Hier ist man Mensch, hier darf mans sein.69
Die allmähliche Loslösung vom Kerngeschäft des Circus Renz, der Akrobatik und Equilibristik bedauert Signor Saltarino in seinem Artistenlexikon als »künstlerische Decadence« mit Prestige-Verlust auf dem Gebiet der Artistik. Saltarinos Vorwürfe geben einen zusätzlichen Eindruck vom Charakter der Darbietungen: Equestrisches Gebiet und circensische Kunst traten in dem Institut in den Hintergrund, die Dressur […] blieb ganz zurück und das fremde Element blosser Prachtund Ausstattungspantomimen, in denen nur noch die künstlerischen Leistungen der Garderoben- und Requisiten-Kammern das Massgebende waren, wurde cultivirt und immer weiter ausgebildet, – ein fremdes Element, das um so weniger zu billigen oder gar willkommen zu heissen ist, als es, theatralische Schaustücke ohne Theater, ohne die scenischen Hülfsmittel und die nothwendige optische Stafffage eines solchen zu geben prätendirend, dem wirklichen Theater immer nur unvollkommen nachzuhinken vermag […].70
Indem sich die Zirkusdirektoren an den Formaten des ›eigentlichen Theaters‹ orientieren, suchen sie von einem zeitgemäßen Erfolgsgarant zu profitieren. Während Saltarino moniert, der Zirkus vernachlässige sein Kerngeschäft und könne überdies die Ausstattungsstücke nur unvollkommen präsentieren, äußern offizielle Bühnenvertreter Bedenken, dass der Zirkus eine wirkliche Konkurrenz zum Theater werden könne. Bereits am 21. Juli 1888 wendet sich der Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger an die Berliner Polizei. Anlass ist die drohende Konkurrenz der Theaterhäuser durch den Zirkus, dessen Vorstellungen mehr und mehr auch Theater beinhalteten. Es bedürfe einer dringenden Überprüfung der Konzessionsbestimmungen: Es wird geltend gemacht, daß die Cirkus-Theater in der neueren Zeit fast regelmäßig Ballets und größere Ausstattungsstücke, in welchen sogar gesprochen und gesungen werde, veranstalteten und in dieser Weise den Theatern eine schwer zu bestehende Konkurrenz machten. Auf Grund eines Beschlusses der Generalversammlung des deutschen Bühnen-Vereins hat der Präsident des letzteren die Frage, wie nach dieser Richtung hin Abhilfe zu schaffen sei, in Anregung gebracht. Behufs Beurtheilung dieser Frage ist es mir von besonderem Interesse, darüber unterrichtet zu werden, wie sich das fragliche Verhältniß bezüglich der in der hiesigen Stadt betriebenen großen Cirkus Unternehmungen thatsächlich gestaltet. Es dürfte wesentlich darauf ankommen, festzustellen, welche einzelne Arten von Schaustellungen […] als in der den Cirkusinhabern nach § 33a der Reichsgewerbeordnung ertheilten Erlaubniß einbegriffen angesehen zu werden pflegen, ferner ob für einzelne der in Rede stehenden Gewerbebetriebe auch die Konzession zu Schauspiel-Unternehmungen ertheilt ist, und in welcher Weise die Kontrole darüber ge-
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69 Alfred Kerr: Wo liegt Berlin? Berlin: Aufbau 1998, S. 180. 70 Saltarino [1895] 1984, S. 170f.
168 | PIKTORAL-DRAMATURGIE handhabt wird, daß sich die Cirkus-Vorstellungen innerhalb der Grenzen der ertheilten Konzessionen halten.71
Gegen Ende des Jahrhunderts führt das Olympia-Theater (Circus Renz) das Ausstattungsstück Mene Tekel auf. Der Rezensent der Berliner Illustrirten Zeitung ordnet es in die Reihe jener Bühnenwerke ein, »die durch blendende Ausstattung und gewaltige Massenentfaltung das gesprochene Wort gleichsam erdrücken«.72 Die Hauptfigur des Stückes, ein unglücklich verliebter, »reicher Emporkömmling«, fällt während eines Sylvesterballs in tiefen Schlaf und wird von einem Traumgott durch verschiedene phantastische und reale ›Bilder‹ geführt: in Lucifers Reich, zum »Tempel der Schönheit«, ins Goldland Klondyke, in das Berliner Warenhaus Wertheim, und schließlich wieder zurück in sein Haus, wo ihm der Traumgott die Gefahren des Geldes erörtert. Dieses Handlungsgerüst lässt den Text fast gänzlich in den Hintergrund geraten, zentral ist die Idee einer Traumreise, die hier sozusagen als ›dramaturgische Idee‹ und Legitimation für eine Folge von Bildern bekannter ›realer‹ und ›phantastischer‹ Orte firmiert. Der Redakteur zeigt sich sichtlich zufrieden über diese Bevorzugung des Visuellen, über das Format der Bilder- statt Szenenfolgen. Glücklicherweise ist […] der Text meist nicht so bedeutend, als daß man die etwas einseitige Bevorzugung, die das Auge erfährt, bedauern könnte. Das gesprochene und gesungene Wort ist gleichsam die lockere Verbindung zwischen all den blendenden Bildern, die sich auf der Bühne vor unsern entzückten Augen entrollen.73
Es wird hier einmal mehr deutlich, wie nahe die Dramaturgie der Ausstattungsstücke den Revuen kommt. Auch das Abschlussbild, das hier als ›berauschende Farbsymphonie‹ in einem grandiosen ›Treppenballett‹ gestaltet ist, wird in vergleichbar ornamental formierten Szenenbildern zu einem charakteristischen Bestandteil der Revuen.
Z u s a m m e n f a s su n g : B i l d e r - u n d S c ha u v i e l f a l t Neben die Vielfalt der Theater und Theaterprogramme tritt in der zweiten Jahrhunderthälfte die Vielfalt von Theaterbildern: Der Bild-Begriff wird benutzt zum Verständnis der Bühne als Gemälde, zur Benennung der Ausstattung des Szenenbildes als opulente und pittoreske Szenerie. ›Bild‹ oder ›Tableau‹ bedeutet ferner die Untereinheit eines Aktes und wird somit zum 71 Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin betreffend die in Puhlmann’s Theater
(Reiff’s American) zur Aufführung gelangenden Theaterstücke. LA, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74 Nr. Th 505. Vgl. hierzu auch Frage 46 aus dem Fragebogen der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger im Anhang dieser Arbeit: »Kommt in ihrer Stadt öfter vor, daß in vorübergehender Weise theatralische oder pantomimische Vorstellungen durch Circusbesitzer u. dergl. veranstaltet werden, und erwächst hieraus dem stehenden Theater eine schädliche Konkurrenz?« Savitz 1891, S. 13. 72 Artikel »Mene Tekel«, in: BIZ, 8. Jg., Nr. 2, 1899, S. 12. 73 Ebd.
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strukturellen Element des Theatertextes oder der Aufführung. Ein Bild im Theater kann ferner die Formierung eines austarierten Bildes oder die Realisation eines bekannten Gemäldes oder Bildmotivs sein, das dramaturgisch zur Handlungsunterbrechung oder zur Erzeugung eines Effekts verwendet wird. Mit diesen Bildtypen verwandt, aber auch als eigenständiges Format gängig ist das Tableau Vivant als körperliche Reproduktion von Gemälden, Skulpturen oder Allegorien. Ein finales Bild mit symbolischer Bedeutung und Experimentierfeld neuer Techniken stellt die Apotheose dar. Die hier skizzierten Varianten des Theaterbildes im 19. Jahrhunderts teilen das Moment des Ausschnitthaften, des Anschaulichen, das nur durch Konzentration auf wesentliche Kernmomente einer Erzählung oder einer Idee, dargestellt mit mimetischen und Illusionstechniken, affektiv und effektiv wird. Schließlich kann die Verwendung des Bild-Begriffs auch als Klassifizierung einer Aufführung dienen, die Erwartungen weckt, indem sie – etwa als ›Genrebild‹, über die Gattung/den thematischen Schwerpunkt eines Stückes informiert. Die Vielfalt der Theaterbilder trifft auf eine ›Schauvielfalt‹, eine optische Varietät in den Theaterprogrammen, die sich durch die vermehrte Integration von Medien und Phänomenen der visuellen Kultur auszeichnet: Optische Apparaturen oder phantasmagorische Effekte, Tableaux vivants, Darbietungen, die aus anderen Einrichtungen wie etwa dem Panoptikum oder dem Zirkus bekannt sind, wie die Präsentation von ›Abnormitäten‹ und Spezialitäten, equilibristischen und circensischen Vorführungen. Von der Kritik, die bereits die Umwandlung des Theaters in ein ›Geschäft‹ kommentiert hatte, bleibt freilich auch die mehrende Integration nichtdramatischer Formen der Unterhaltung in die Repertoires, aber auch in den Programmablauf, nicht unbemerkt. Sie diskreditieren die zunehmende Ausstattung der Bühnen, die Varianz in den Schaueffekten als moralisch bedenklich, und verurteilen die ›Sensationen‹ als die Sinne – insbesondere den Sehsinn –, aber vor allem auch die »Sinnlichkeit«74 ansprechende Darbietungen. Die Ausstattung lenke die Aufmerksamkeit der Zuschauer von der Dichtung ab, wie Gesell in Rekurs auf Aristoteles argumentiert, der in der Poetik die Inszenierung als das »Kunstloseste« bezeichnet hatte.75 Die im Vorangegangenen skizzierte Bilder- und Schauvielfalt von Theater lässt sich mit dem Begriff der ›Multivisualität‹ fassen. Die Bühnenangebote des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts zeichnen sich durch eine Orientierung an bildkünstlerischen Vorlagen, visuellen Medien und der Lust des Publikums an visueller Unterhaltung aus. Bevorzugt lässt sich Multivisualität 74 »Das gefährlichere Uebel aber, dasjenige, durch welches die dramatische Bühne
dem äussersten Verderben und dem schmachvollsten Untergang zugetrieben wird, bleibt immer die den Geist übertäubende und jedes tiefere und edlere Gefühl verdrängende, die dramatische Handlung aushöhlende und zuletzt ganz verdrängende Ueberreizung der Sinnlichkeit.« Pabst 1870, S. 220. 75 Gesell 1886, S. 40. Er schlägt statt dessen vor, die Ausstattung auf Andeutungen zu reduzieren, damit die Phantasie der Zuschauer angeregt werde. Nach Ansicht von Winds 1925 ist F. A. Immermanns ›Regiekonzept‹ für diese geforderte Bevorzugung von Andeutungen, insbesondere seiner Shakespeare-Inszenierungen, beispielhaft. Dieser lässt alles Illusorische, ›Opernhafte‹ der Szene weg und konzentriere sich auf die ›menschliche Handlung‹ als Haupt- und den Schauplatz als Nebensache. Winds 1925, S. 77ff. Aristoteles: Poetik, Kap. 6. Stuttgart: Reclam 1994, S. 25.
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in den Geschäftstheatern nachweisen, die königlichen Theater adaptieren den Programmmodus der Vielseitigkeit partiell. Rudolph Genée bestätigt, das Hoftheater trage gegenwärtig »dieser Zeitströmung« einzelner Stücke Rechnung76, und von Wolzogen kommentiert, dass auch die Leiter der ›höheren Bühnen‹ vor der Umorientierung hin zu ›leichter Unterhaltung‹ nicht Halt machen, denn dies verbiete sich aufgrund der Konkurrenz durch den gewachsenen Markt an visueller Unterhaltung. Die hier besprochenen Theaterbildtypen und Aufführungsformate interessieren auch in den nachfolgenden Teilkapiteln, die sich anhand ausgewählter Beispiele der Einbettung von Theater in die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts zuwenden. Neben den zuvor skizzierten Theaterbildern ist insbesondere der Integration von Bildern anderer Medien und Institutionen sowie der Einspielung von medialen und Sehkonventionen in Theater Rechnung zu tragen.
Bilder des Krieges: ›Rückblicke‹ auf 1870/71 »Ein Siegestag in Berlin«: Einen solchen Siegesjubel, wie wir ihn gestern überall in unserer Stadt wahrgenommen, hat Berlin lange nicht […] erlebt. […] Kurz vor acht Uhr Morgens war die Depesche des Königs von der Gefangennahme Napoleons und Mac Mahons sammt seiner Armee hier bekannt geworden; schon die ungewöhnliche Bewegung auf den Straßen verrieth, daß etwas Entscheidendes beim Heere geschehen sein müßte. Ueberall sah man frohe, lachende Gesichter; der Ruf: ›Er ist gefangen! Sie haben ihn erwischt!‹ mit welchem die Jugend zu den Schulen eilte, klärte uns über den Grund der Freude auf; […] Den Mittelpunkt des Jubels aber bildete der Platz vor dem Standbilde Friedrich des Großen, welcher bald nach 9 Uhr von einer zahllosen Menschenmasse bedeckt war, die wiederholt dem tapferen Heere und seinen Führern, dem Könige und dem Kronprinzen wie den verdienten Generalen Lebehochs ausbrachte, dazwischen die ›Wacht am Rhein‹ anstimmend.
Dieser Ausschnitt aus der Königlich Privilegirten Berlinischen Zeitung vom 4. September 1870 reflektiert ein entscheidendes Ereignis des DeutschFranzösischen Krieges 1870/71: Die Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. nach dem Sieg der deutschen über die französischen Truppen in der bekannten Schlacht bei Sedan am 2. September. Die Depesche von der Festnahme macht schnell die Runde in Berlin, die Neuigkeit wird von der Stadtbevölkerung bejubelt. Das Ereignis, seine Folgen und der Stolz der jungen Nation sind bestimmende Themen in der stetig 76 Genée 1889, S. 63. Er zieht aber dennoch die Möglichkeit in Betracht, dass die
Hoftheater den Geschmack des Publikums auch wieder umzulenken imstande seien. »Das Theater ist keine Bildungsanstalt im engeren Sinne, sondern in erster Reihe ein Vergnügungsinstitut. Aber das eine schließt ja das andere keineswegs aus, und je mehr die Privattheater durch das Interesse am Erwerb dazu sich gedrängt fühlen, den schlechteren und der ›Kunst‹ schädlichen Neigungen des Publikums Rechnung zu tragen, um so mehr wird es die Pflicht der Hoftheater bleiben, die rein künstlerischen Ziele im Auge zu behalten, und man wird damit auch auf den Geschmack des Publikums Einfluß erlangen, wenn der Leiter Entschlossenheit, Verständnis und Ausdauer besitzt.« Genée 1889, S. 64.
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Abb. 22: Die Ausschmückung des Denkmals Friedrichs des Großen in Berlin zur Feier des Sieges von Sedan. wachsenden Großstadt, in der (illustrierten) Presse – und in den Institutionen theatraler Unterhaltung. Bereits für den 18. September, also nur zwei Wochen nach dem eigentlichen Ereignis, kündigt etwa das Belle-Alliance-Theater das Stück Bei Sedan, oder Des Kaiserreiches letzte Stunde an.77 Zahlreiche weitere Bühnen reagieren in den Folgemonaten und -jahren inhaltlich auf die Kriegsgeschehnisse und interagieren mit den Berichten sowie bild-lichen Referenzen anderer Medien zum Krieg. Sämtliche, in Kapitel 1 dieser Studie besprochenen Bildmedien und Institutionen, ›hohe‹ Kunst ebenso wie populäre Informations- und Unterhaltungsmedien reflektieren noch mehr als drei Jahrzehnte nach dem DeutschFranzösischen Krieg die Ereignisse, teils zeitnah zu den eigentlichen Geschehnissen, teils in zeitlichem Abstand als ›Rückblicke‹, i.e. als szenische Realisationen anlässlich der Jahrestage. Fakten und Legenden über die Ereig77 Ankündigung in Dritte Beilage zur Königl. Privil. Berl. Ztg. vom 18. September
1870.
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nisse von 1870/71 werden in Bilder des Krieges als Produkte der Zeitgeschichte – verstanden als die Geschichte der Mitlebenden – geformt.78 In Bezug auf die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts merken Sabrow et al. 2003 an, die öffentliche Vermittlung von »Ergebnisse[n] zeithistorischer Forschung« verlaufe »häufig […] über die Foren der Massenmedien, angefangen von den Kulturseiten der großen Tages- und Wochenzeitungen bis hin zu den Histotainment-Formaten der Rundfunkanstalten.«79 Für die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts gilt diese Anmerkung analog. Und am Beispiel der bildlichen Verarbeitung der Kriegsthematik lässt sich auch die Affinität von Kunstproduktion und Populärkultur jener Jahre exemplifizieren.80 Schlachtenmalerei und Porträts prominenter Feldführer des 17. und 18. Jahrhunderts haben ein Vokabular, eine Ikonographie des Kriegsbildes entwickelt, welche für die Darstellung von Szenen des Krieges auch außerhalb der Malerei mustergültig bleiben. Ihre Adaption und Perpetuierung in den Medien festigt die ikonographischen Muster. In seiner im Jahr 2004 erschienenen Publikation Bilder des Krieges – Krieg der Bilder macht der deutsche Historiker Gerhard Paul auf die Bedeutung der Fotografie des späten 19. Jahrhunderts für die Bildgeschichte des Krieges aufmerksam. »Ikonographiewie wahrnehmungsgeschichtlich bedeutete sie gleichermaßen Kontinuität wie Bruch mit den bisherigen Konventionen der Kriegs- und Schlachtenmalerei.«81 Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Festhalten an Konventionen der Kunst und deren Vernachlässigung durch medientechnische Neuerungen eint die neuen Medien des 19. Jahrhunderts. Mit der technischen Reproduzierbarkeit wird eine bis dato nicht gekannte Vervielfältigung und Zirkulation der Bilder auch von Schlachten und Kriegen möglich, durch die weite Teile der deutschen Bevölkerung über Einzelgeschehnisse der nachhaltig bedeutsamen militärischen Aktionen informiert werden. Bilder unterschiedlicher Formate und Distribution popularisieren so den Krieg. In der oben genannten Publikation behandelt Gerhard Paul die enge, beinahe untrennbare Verbindung von Bildern und Kampfgeschehen, zwischen Medien und Krieg. Seine Ausführungen, die er »eine »Zeitreise durch die Geschichte der Visualisierung der kriegerischen Auseinandersetzungen«82 nennt, umspannen den auf der Zeitachse der Geschichte relativ kurzen, für die technische Entwicklung und gesellschaftliche Einflussnahme der Bildmedien jedoch intensiven und prägenden Zeitraum von den ersten fotografisch
78 Der Begriff der Zeitgeschichte soll hier in Anlehnung an seine Bedeutung seit
79
80 81 82
den fünfziger/sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Geschichte der ›Epoche der Mitlebenden‹ benutzt und auf die zeitnahe Vergangenheit, hier: nach dem Deutsch-Französischen Krieg, angewendet werden. Vgl. zur Zeitgeschichte als Teil der Disziplin der Geschichtswissenschaft u.a. Martin Sabrow, Ralph Jessen, Klaus Große Kracht (Hg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. München: Beck 2003, insbesondere die Einleitung der Hg., S. 9-18. »Die wissenschaftlichen Vermittlungs- und Prüfungskanäle werden dadurch abgekürzt oder umgangen, und der Historiker, gedrängt durch die Abgabetermine der Zeitungsredaktionen und ein geschichtskulturelles Event-Management, droht zum öffentlichen Kolumnisten zu werden, der in seiner Rolle als public historian in den Identitätsdebatten der Mit- und Überlebenden Stellung beziehen muß.« Ebd., S. 10. Vgl. Busch 1997, S. 131. Gerhard Paul: Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. München: Fink 2004, S. 79. Paul 2004, S. 11.
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dokumentierten Kriegen Europas in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum viel besprochenen Ereignis 9-11 im Jahr 2001. Pauls Argumentation zufolge haben visuelle Darstellungen von Kriegsszenen den Modus ihrer Wahrnehmung geprägt wie umgekehrt Kriege die (Weiter-)Entwicklung neuer Medien, ihrer Techniken und Ausdruckssprache forciert oder gar initiiert haben.83 Demgegenüber erteilen die Medien dem Krieg ein ›Image‹ oder, in der Formulierung Siegfried Kracauers, »ein »Photographiergesicht«.84 Paul diskutiert die ästhetischen Qualitäten und Ikonographie von Bildern des Krieges und bespricht ihren Gebrauch als manipulative und propagandistische ›Waffen‹. Sein Verdienst besteht darin, die unterschiedlichen Medien inhaltlich und ästhetisch zusammenzuführen. Theaterbilder finden jedoch in seiner umfassenden Besprechung der Bilder des Krieges seit der Jahrhundertmitte keinen Platz. Dies deckt sich mit der in Kapitel 1 formulierten Beobachtung, dass Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Visual Culture Theater als Bilder hervorbringende Institution bislang unberücksichtigt ließen. Pauls Beobachtungen dienen dennoch für die nachstehende Untersuchung der Integration von Theater in die visuelle Kultur am Beispiel des DeutschFranzösischen Krieges mehrfach als Referenzpunkte. Die nachfolgenden Abschnitte skizzieren die nach dem Deutsch-Französischen Krieg anwachsende öffentliche Vielfalt von Bildern zum Kriegsgeschehen bis in die neunziger Jahre. Im Fokus der Betrachtung liegt weiterhin Berlin, das im Kontext des Krieges von 1870/71 erst als Zentrum und dann als Hauptstadt des ›Siegerlandes‹ fungiert. Ein vergleichender Blick auf die visuelle Repräsentation des Krieges in Frankreich würde den Rahmen dieser in summa auf visuelle Kultur in Deutschland bezogene Studie sprengen.85 Ziel ist es, das Gefüge der visuellen Thematisierungen des Krieges 1870/71 durch die Besprechung von Beispielen für theatrale Umsetzungen jener Kriegsereignisse zu erweitern, sowie bildproduktive und ästhetische Strategien herauszuarbeiten, die für einen Großteil der Medien dieser Zeit grundlegend sind. Von besonderem Interesse ist demnach, ob und in welcher Weise Theaterbilder und Bilder zeitgenössischer Medien in Wechselwirkung stehen, sowohl hinsichtlich der Thematik, der Motivik/Ikonographie und der Strategien der visuellen Umsetzung der Kriegsmomente. Innerhalb dieses 83 »Der Krieg brachte bestimmte Formen der Kriegsberichterstattung hervor, be-
gründete die Profession des Bildberichterstatters, begünstigte den Aufstieg der illustrierten Massenpresse und beförderte eine bestimmte Weise des Sehens auf kriegerische Gewalt.« Paul 2004, S. 471. 84 Kracauer 1977, S. 34. Vgl. Paul 2004, S. 471. 85 Den Blick auf den Krieg aus französischer Perspektive behandelt z.B. Wolfgang Schivelbusch in seiner 2003 erschienenen Untersuchung Die Kultur der Niederlage. Frankfurt a.M.: Fischer 2003. Paul 2004 betrachtet die französische Fotografie der Pariser Commune und zeigt auf, wie namhafte Fotografen nicht nur die Pariser Straßenszenen des Aufstands festhalten, sondern die Bilder auch manipulieren. Während der Tage der Commune werden die Fotografen bspw. von Bruno Braquehais in den Schaufenstern von Pariser Schreibwarenhändlern ausgestellt. Gerhard Paul nennt Eugène Appert als exemplarisch für die Manipulation der Bilder durch die Franzosen, der die Szenen des Aufstands dramatisiert, indem er Höhepunkte von Schauspielern und Statisten nachstellen lässt. Nach den Aufständen werden die Fotos je nach politischer Lage entweder als »Belege der Zerstörung der französischen Zivilisation gedeutet« oder, eine Generation später, »als Ausdruck des revolutionären Volks- und Freiheitskampfes gefeiert«. Paul 2004, S. 77.
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zeitlichen Rahmens steht insbesondere die Schlacht von Sedan im Fokus, als historischer Moment, dessen realgeschichtliche Bedeutsamkeit durch die hohe Signifikanz seiner bildlichen Repräsentationen noch potenziert wird. Die Geschichte des Krieges sei, so Paul, wesentlich auch die Geschichte seiner Bilder: Es sind vornehmlich Bilder denkwürdiger Augenblicke dieses Krieges, welche die Geschichte und öffentliche Wahrnehmung des Deutschen Reiches vermitteln und prägen. Theater hat an dieser Prägung entscheidenden Anteil. Der erste Teil dieses Kapitels, Mediale Schau-Plätze des Krieges ist der Reflexion des Krieges in den illustrierten Pressen und Kriegschroniken, den Medien Fotografie, Diorama, Panorama und Projektion gewidmet. Als Medium und Institution, das mehrere Medien in sich vereint, gebührt in diesem Abschnitt insbesondere dem Berliner Sedan-Panorama eine ausgiebige Besprechung. Es ist sicherlich eine der wichtigsten Erinnerungsstätten des 1870er Krieges für die Berliner Bevölkerung.86 Obwohl dieses Panorama in zahlreichen Publikationen über die Geschichte des Mediums erwähnt ist, werden hier dennoch einige Elemente und Besonderheiten hervorgehoben, die maßgeblich Fragen der Bildselektion, -umsetzung und -wirkung berühren. Der zweite Teil, Szenische Rückübersetzungen: Theaterbilder des Krieges stellt in einem Überblick Bühnenumsetzungen von Kriegsmomenten und Momenten patriotischen Gedenkens vor, die autonom oder mit direktem Bezug auf die anderen bildmedialen Schau-Plätze operieren. Der dritte Teil, Bild-Geschichte(n) der Nation konzentriert sich auf piktorale Vergegenwärtigungen der deutschen Geschichte, ausgelöst durch den Sieg von 1871, der nationalteleologisch als Klimax der deutschen Vergangenheit zelebriert wird. Der abschließende Teil führt die vorgestellten Medien- und Theaterbilder zusammen und fasst wesentliche Aspekte der Selektion, Dokumentation, Aktualität sowie der öffentlichen Wirkkraft der Bilder vom Krieg als Konstituenten einer piktoralen Dramaturgie des Krieges jener Jahre zusammen. Als theaterhistoriographisches Problem erweist sich auch für diesen Part einmal mehr die mangelnde Dokumentation der Aufführungen: Von einigen wenigen Zensurexemplaren im Berliner Landesarchiv abgesehen, verraten nur noch alte Zettelkataloge oder Ankündigungen in (Theater-)Zeitungen von der Existenz und Prosperität szenischer Darstellungen zum Krieg. Der Inhalt der je überlieferten Titel lässt sich im Idealfall allenfalls durch eine Auflistung der Szenen-/bzw. Bilderfolgen auf den Theaterzetteln oder in Besprechungen der Feuilletons erschließen. Umso gewichtiger sind abermals die zeitgenössische Kontextualisierung der Stücke und die Konsultierung vergleichbarer und vergleichsweise besser dokumentierter Medieninszenierungen der Kriegsereignisse.
Mediale Schau-Plätze des Krieges Zur Erinnerung Am 19. Juli 1870 hatte Frankreich unter Napoleon III. den Krieg an Preußen erklärt, im August marschieren unter Führung des Generals von Moltke erste Truppen in Frankreich ein. Am 1. September kapituliert bei Se86 Die Panorama- und Dioramabilder des Panoramas erscheinen ihrerseits auch in
anderen Medien, beispielsweise in Die Kunst für Alle, einer für ein relativ breites Publikum edierten Zeitschrift mit Themen zur zeitgenössischen Kunst.
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dan die Armee Mac Mahons und Napoleon III. wird gefangen genommen, womit das Ende des französischen Kaiserreiches eingeleitet ist. Zwei Tage später wird in Paris die Republik ausgerufen.87 Von Mitte September an umlagern die deutschen Truppen Paris, mit dem 28. Januar 1871 herrscht Waffenstillstand. Ende Februar wird der so genannte Vorfriede von Versailles beschlossen. Der Aufstand der Pariser Kommune im März desselben Jahres zielt zum Einen auf die Verteidigung der Nation gegen den deutschen Feind, zum Anderen auf »Regierung und Nationalversammlung, die mit der Kapitulation dem Vaterland in den Rücken gefallen waren«, wie Schivelbusch zusammenfasst.88 Im Mai wird der endgültige Frankfurter Friede geschlossen, demzufolge Frankreich Elsass und Lothringen an das deutsche Reich abtritt und fünf Milliarden Francs Kriegskontribution entrichtet. Das Ende des Krieges wird mit dem Einzug der deutschen Truppen am 16. Juni 1871 in Berlin gefeiert.89
Visualisierung des Triumphs im urbanen Raum In der Vorbereitung zu den Feierlichkeiten des 16. Junis in den Prachtstraßen Unter den Linden, Wilhelm- und Friedrichstraße, stehen neben den Festdekorationen in erster Linie die bildhauerischen und architektonischen Andenken an die Kriegsereignisse und ihre Verantwortlichen im Zentrum öffentlichen Interesses. Ein Redakteur der Gartenlaube etwa schildert seine Eindrücke zwei Tage vor dem Einzug der Truppen und beschreibt wesentliche bildkünstlerische Monumente des Krieges, darunter den Fries Deutschlands Erhebung – Abschied und Auszug der Soldaten von Rudolf Siemering und August Wolff (Abb. 23):90 Die Passanten, so berichtet der Zeitschriftenredakteur, quittieren den Realismus der dargestellten öffentlichen und privaten Situationen der Kriegstage mit einem kontemplativen Versinken beim Betrachten des Fries’:
87 Die Ausrufung der Republik am 4. September begeistert den Großteil der Fran-
zosen und drängt die jüngste Niederlage in den Hintergrund, die nur mehr die persönliche Niederlage Napoleons bleibt. Vgl. Schivelbusch 2003, S. 22. 88 Ebd., S. 135. 89 Der Bekanntheitsgrad dieses Tages sei enorm, heißt es in der GL, es gäbe nur wenige Mitbürger, die sich nicht bewusst seien, dass dieser Tag die »aus der Waffengenossenschaft erwachsene nationale Einheit besiegelte. Wenige, die ihrem Kaiser nicht entgegenjubelten, weil sie in ihm wie den Neuerbauer des Reiches, so auch, seinem Worte vertrauend, den Mehrer von des Volkes Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung erblickten. Allen bezeichnete der Tag die feierliche Eröffnung einer neuen Aera, welche Deutschland an die Spitze der Staaten, die deutsche Nation zur Gebieterin der Erde emporhob.« GL 1871, 19. Jg, Nr. 29, S. 495. Auch Gustav Freytag hat seine Erfahrungen in diesem Krieg festgehalten, siehe Gustav Freytag: Bilder von der Entstehung des Deutschen Reiches. Schilderungen von Gustav Freytag. Leipzig: Fiedler 1913. 90 Rudolf Siemering, geb. 10.08.1835-23.01.1905, Bildhauer, ausgebildet an der Berliner Akademie (seit 1858); Dieser Fries, eine Auftragsarbeit der Stadt Berlin, war ursprünglich für den Sockel des Germania-Denkmals von Martin Gropius und Heino Schmieden entworfen und wurde zum Einzug der deutschen Truppen vor dem Berliner Schloss aufgestellt. In der Folge wurde er häufig in kleinerem Maßstab nachgebildet. Vgl. Paul Ortwin Rave, Irmgard Wirth: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Berlin: Gebr. Mann 1961, S. 371.
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Abb. 23: Aufbruch der Krieger – Detail des Frieses von R. Siemering an der Germania-Statue vor dem Schloß (Ostseite). Wie verzückt hingen die Augen an den so frisch und markig versinnlichten Scenen aus dem häuslichen Leben der Nation, hier an dem bärtigen Landwehrmann, welcher seinem Jüngsten, das ihm die weinende Gattin emporreicht, den Abschiedskuß auf den Mund drückt, während der Aelteste das Knie des Vaters umklammert; dort an dem Reservisten, der mit schon kriegerisch geschwollener Lippe sein Liebchen beruhigt. Daß die Trennung nicht lange währen und er sicher mit heilen Gliedern und ruhmgekrönt wieder heimkehren werde; […] Mit einem Worte: die Bilder, wie sie mit dem Herzen erdacht sind, greifen zum Herzen, und während die Zahl ihrer Beschauer von Minute zu Minute noch immer wächst, halten sie auch uns gefesselt […].91
Am Tag des Einzugs der Truppen wird die Straße Unter den Linden, unter Leitung der Berliner Akademie der Künste, in eine via triumphalis verwandelt, vom Tempelhofer Feld zum Berliner Stadtschloss reichend. Am Pariser Platz empfangen die Stadtbewohner die heimkehrenden Soldaten und begrüßen Wilhelm als neuen Kaiser Wilhelm I. Quer über die Straße Unter den Linden sind fünf Velarien gespannt, Gemälde, auf denen die jüngsten Ereignisse in allegorischer Überhöhung wiedergegeben sind, gefertigt durch derzeit namhafte Künstler. Bei den Bildern handelt es sich um Herausforderungen zum Kampf von Otto Knille, Waffenbrüderschaft zwischen Nord- und Süddeutschland von Ernst Johanns Schaller, Kampf und Sieg von Anton von Werner (Abb. 24), die Schaffung des Deutschen Kaiserreiches Ernst Ewalds und August von Heydens Wiederkehr des Friedens.92
91 GL 19. Jg., Nr. 29, 1871, S. 495. 92 Vgl. Anton von Werner. Geschichte in Bildern. Ausst.-Kat., hg. von Dominik
Bartmann. München: Hirmer 1993, S. 315. August von Heyden, geb. 13.06.1827-01.06.1897, Historien- und Monumentalmaler; 1882/83 Professor für Kostümkunde an der Berliner Akademie der Künste.
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Abb. 24: Aufbau eines Velariums mit dem Bild »Kampf und Sieg« von Anton von Werner an der »Triumphstraße« für Kaiser Wilhelm I. (Fotografie) Das Überspannen der Straße mit Velarien mit nationalpolitischen Motiven, die in Stein gemeißelte Reminiszenz an Schlachten- und Genreszenen des jüngst vergangenen Krieges, die temporäre Umgestaltung der neu ernannten Hauptstadt zu einer Bühne, auf der Soldaten ebenso wie die Stadtbewohner selbst als Protagonisten eines ›Theatrons der Nation‹ auftreten: Nach 1870 scheinen die einstigen Ideen von Nation, Volk und Staat Realität geworden, materiell verwirklicht in einer hohen Quantität von Bildern: Bilder in und an öffentlichen Gebäuden93, Skulpturen, in der bildenden Kunst und in der Erinnerung der Zeitzeugen des Krieges.
(Bild-)Berichterstattung in Illustrierten, Chroniken und Bilderserien Während der Kriegsjahre erstatten die Tages- und Familienzeitungen – darunter die Illustrirte Zeitung (Abb. 25), die Bilderzeitung der Gegenwart oder die von Beginn an auf Berichterstattung mit Bildern spezialisierte Zeitschrift Über Land und Meer – regelmäßig in Text und Bild Bericht über die Geschehnisse. Ab Ausgabe 34 der Gartenlaube erscheint 1870 der WochenRapport »Aus den Tagen des Kampfes«. In Rapport 3 und 4 der Ausgabe 37, 1870, heißt es zum Kampf bei Sedan, das »nun wahrlich sieggewohnte deutsche Volk« stehe »wie vor einem Wunder vor der neuen Zeitung [gemeint ist die Nachricht, NL]«94 über die Gefangennahme Napoleons und die Kapitula93 »In vielen Städten des Deutschen Reiches entstehen Wallfahrtsstätten des neu
erwachten Patriotismus. So begannen beispielsweise 1877 die Umbauten im Berliner Zeughaus zu einer ›Ruhmeshalle‹ der Preußischen Armee.« Weidauer 1996, S. 13. 94 »Aus den Tagen des Kampfes.« Wochen-Rapport Nr. 3 und 4, in: GL 18. Jg., Nr. 37 1870, S. 605-607, hier S. 606.
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tion der französischen Armee. Auch das eingangs zitierte Beispiel aus der Königlich Privilegirten Zeitung macht den patriotischen Taumel deutlich.
Abb. 25: Titelblatt der Illustrierten Zeitung vom 8. Juli 1871. Neben den etablierten, regelmäßig erscheinenden Zeitungen werden eigens für die Kriegsberichterstattung bzw. zur Nachlese des Krieges Blätter ediert, darunter die Bilder vom Kampfgeschehen, die 1870 in verschiedenen Nummern herauskommen, die Illustrierte Kriegschronik (Leipzig 1871), die Publikation Vom Kriegsschauplatz. Illustrierte Geschichte des Kriegs von 187071 für Volk und Heer (Stuttgart 1870/71) oder die Illustrirte Chronik der Zeit (seit 1871 in vierzehntägiger Folge), um nur einige zu nennen. Unmittelbar nach dem Krieg setzen auch Erinnerungen am Krieg direkt oder indirekt beteiligter Krieger in aufwändigen Text- und Bildbänden den Geschehnissen ein Denkmal.95 Diese Reflexionen, e.g. die Erinnerungen aus dem Heiligen Kriege, erscheinen in fortlaufender Nummer als eigenständige Ausgaben oder werden innerhalb der gängigen Zeitschriften publiziert. Gemeinsam ist den genannten publizistischen Organen die Reduktion komplexer Sachverhalte und Ereignisse auf inhaltlich vereinfachte ›Textvignetten‹ oder ›textliche Bild-Einheiten‹ und die Reihung der Geschehnisse als Folge von Bildern oder ›Szenen‹ (z.B. die oben genannten Bilder vom Kampfgeschehen). Ein Verfahren, das bereits an anderer Stelle als Merkmal des zeitgenössischen Pressewesens beschrieben wurde (Kap. 1), und dessen Ziel darin besteht, einem möglichst großen Kreis von Lesern eine übersichtliche Chronik der Zeitereignisse zu bieten.96 Joachim Schöberl weist in seinem 95 Ein prominenter Berichterstatter ist bekanntlich Theodor Fontane, der den Krieg
gegen Frankreich ausführlich kommentiert, etwa in »Der Krieg gegen Frankreich 1870-71«, in: Ders.: Werke, Schriften und Briefe. Band V. München: Hanser 1986, S. 385-454. 96 Vgl. Bernd Weise: »Aktuelle Nachrichtenbilder ›nach Photographien‹ in der deutschen illustrierten Presse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«, in: Charles Grivel et al. (Hg.): Die Eroberung der Bilder. München: Fink 2003, S. 62-101, hier S. 69.
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Aufsatz über das Verhältnis von Wort und Bild in den illustrierten Zeitungen nach, dass etwa in der Gartenlaube sowohl in fiktionalen Beiträgen als auch in Berichterstattungen Vorgänge in einzelne »Genrebilder« aufgeteilt werden, die dann aneinandergereiht und für den Leser als leicht zu rezipierende, abgeschlossene »Einzelszenen« zugeschnitten werden.97 Analog zur Genremalerei ist die Konzentration auf den Augenblick, hier: des Alltagslebens, hoch gehalten und gekennzeichnet durch eine anekdotische Grundfigur: In jedem Genrebild verbergen sich Geschichten, »die von den täglichen Vorfällen und vom Inventar des bürgerlichen Lebens erzählen.«98 Die Abbildung von Soldaten und deren Leben im Kriegsalltag bricht mit der bis dato gültigen Tradition der exklusiven Repräsentation von Feldführern und Herrschern als Hauptfiguren politisch-militärischer Aktionen. »Erstmals schauten sich […] die gemeinen Soldaten und nicht mehr nur die in Öl porträtierten Feldherren selbst ins Gesicht, avancierten gewöhnliche Soldaten und Szenen des Kriegsalltags zu Sujets der visuellen Darstellung.«99 Vergleichbar der laienfreundlichen Präsentation wissenschaftlicher Entdeckungen oder komplizierter Sachverhalte in den populärwissenschaftlichen Abteilungen der Zeitungen werden auch die komplexen Kriegsgeschehnisse schnell eingängig in Situationsberichte (mit begleitendem Bild) unterteilt. »Auch ohne Illustration werden dem Leser durch diese Art der Präsentation, die quasi immer einen Betrachtungsrahmen bereitstellt, innerhalb dessen eine deutlich erfaßbare Situation erscheint, Vorgänge in bildhafter Weise nahegebracht.«100 Was Joachim Schöberl hier für die Vermittlung wissenschaftlicher Themen in den Zeitungen formuliert, gilt auch für das Zugänglichmachen der Kriegsereignisse. Es wurde bereits angedeutet, dass die illustrierte Presse des 19. Jahrhunderts entscheidenden Anteil an der überregionalen Bild-/Text-Vermittlung unter allen sozialen Schichten hat. Tatsächlich wirkten die Zeitungsberichte »hundertfach« auf die Gesellschaft, wie Eduard Fuchs notiert: Der einzelne bekommt […] nicht mehr bloß eine zufällige und oberflächliche Kenntnis von den wichtigsten Ereignissen und speziellen Zuständen des öffentlichen und privaten Lebens der Individuen, Klassen und Völker, wie dies im Zeichen des Einblattdruckes allgemein für die große Masse galt […].101
Parallel zur Verkürzung bzw. zur Reduktion komplexer Texte mehren sich die Illustrationen in den Zeitungen. Bereits in der ersten Ausgabe der Gartenlaube ist die visuelle Vermittlung von Wissen und Unterhaltung als wesentlicher Teil des Profils des Familienblattes formuliert. So werden auch diejenigen Leser adressiert, welche weniger die Text- als die Bildlektüre bevorzugen.102 Die Berichterstattung mit Bildbeigabe gehört schon früh zum Repertoire der Illustrierten Zeitungen, allerdings können die bebilderten Rapports der Kriegsjahre aufgrund der noch unzureichenden Technik nicht als Bildbericht97
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Joachim Schöberl: »›Verzierende und erklärende Abbildungen‹: Wort und Bild in der illustrierten Familienzeitschrift des neunzehnten Jahrhunderts am Beispiel der Gartenlaube«, in: Segeberg 1996, S. 209-236. Busch 1997, S. 130. Paul 2004, S. 81. Schöberl 1996 S. 225, 227. Fuchs 1985, S. 27f. Siehe auch Schöberl 1996, S. 218.
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erstattung im Wortsinn bezeichnet werden. Mit der Tagesaktualität der späteren Tageszeitungen sind sie zu dieser Zeit noch nicht vergleichbar. Denn in den frühen siebziger Jahren muss zur visuellen Vermittlung der Ereignisse noch die vor Ort gefertigte Skizze und deren nachträgliche »bildmäßige Komposition«103 genügen. Zwar werden auch während des Deutsch-Französischen Krieges vor Ort Fotografien angefertigt, etwa durch das so genannte »Königlich Preußische Photographie-Detachement«, dessen Fotografen allerdings eher für militärische Zwecke wichtige Geländestreifen fokussieren.104 Eine Bildreportage mit ›dokumentarischem‹ Wert der Aufnahmen ist erst mit der Autotypie (seit 1881) und der Momentfotografie möglich, denn bis dato haftet der Fotografie noch das Manko an, keine bewegten Szenen einfangen zu können.105 Dies bedeutet nicht, dass die Fotografie während des Krieges keine Rolle gespielt hätte. Fotografen verkaufen ihre Bilder des Krieges etwa im Carte de Visite-Format, in Foto- und anderen Geschäften. Zu einem späteren Zeitpunkt werden sie für die Ausstattung der aufwändigen Kriegsbildbände verwertet. Zur Vervielfältigung für Pressezwecke taugen die Fotografien indessen noch nicht. Denn die drucktechnische Reproduktion in den Zeitungen – und damit die Zugänglichkeit der Kriegsfotografie für ein Massenpublikum –, ist erst seit den achtziger Jahren möglich.106 Die Bilder aller il103
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Als Holzschnitte oder -stiche sind sie frühest mögliche bildliche Wiedergaben von (geschichtlichen) Ereignissen. Vgl. Christa Pieske: »Vermittlung von Geschichte in den Medien der Zeit Anton von Werners«, in: AvW 1993, S. 163173, hier S. 164. Siehe Weise 2003, S. 92. »Insgesamt waren auf deutscher Seite vom Krieg nicht sehr viele Photographien entstanden. Die Gartenlaube hatte 1870 deshalb den deutschen Photographen den Vorwurf gemacht, die Gelegenheit zur Aufnahme historisch denkwürdiger Punkte versäumt zu haben. Als Erklärung beklagten die Photographen dagegen sowohl die Schwierigkeiten der Zulassung von Zivilpersonen zu den interessanten Kriegsschauplätzen als auch die fast unüberwindlichen Hindernisse, um in jene Gegenden zu gelangen. […]« Ebd. Paul 2004 weist darauf hin, dass der eigentliche Beginn der Professionalisierung der fotografischen Kriegsberichterstattung erst mit dem SpanischAmerikanischen Krieg Ende des 19. Jahrhunderts datiert werden könne. Paul 2004, S. 76, siehe auch ebd., S. 476. Wirklich aktuelle Bilder kann, wie Schöberl angibt, erst die 1892 gegründete BIZ vorweisen, die einen modernen Zeitschriftentypus darstellt, welcher der Aktualität, im Sinne einer Aktualität der Bilder, besondere Bedeutung beimisst. Vgl. Schöberl 1996, S. 234. Paul 2004 informiert, dass die erste drucktechnisch reproduzierte Fotografie im Zeitungswesen 1884 in der Leipziger IZ erscheint. Paul 2004, S. 73. Gisèle Freund nennt als Zeitpunkt, zu dem »zum ersten Mal in einer Zeitung eine Photographie, die auf rein mechanischem Wege reproduziert worden ist«, erscheint, das Jahr 1880. Freund 1997, S. 115. »Ein mit dem neuen Verfahren gedrucktes Photo erscheint am 4. März 1880 im New Yorker Daily Graphic unter dem Titel ›Shantytown‹ (Elendsviertel). Die neue Technik besteht darin, eine Photographie durch einen gerasterten Schirm hindurch zu reproduzieren, der es in eine Vielzahl von Punkten unterteilt. Anschließend läßt man das auf diese Weise von einer Photographie erhaltene Klischee zusammen mit einem gesetzten Text durch eine Presse laufen. Dieses Verfahren ist die heute allgemein übliche Autotypie.« Freund 1997, S. 116. Siehe auch die 2006 erschienene Publikation von Ute Daniel (Hg.): Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. bis 21 Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. Vgl. Paul 2004, S. 74.
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lustrierten Berichte zum Krieg sind daher meist Zeichnungen »nach einer Fotografie« oder vor Ort aufgenommene Skizzen, welche zunächst die Kernpunkte der Szenen festhalten, um sie später zu einem Gesamtbild zu vervollständigen, wie Bernd Weise 2003 erläutert: Den Photographen, die an diesem Krieg teilnahmen […], war es nicht möglich, die Kampfhandlungen direkt zu photographieren. Mit ihren Laborwagen und Kamerastativen hätten sie vielmehr ein stehendes wehrloses Ziel abgegeben. Während die Photographen deshalb ihre Bilder durchweg nur hinter der Front aufnehmen konnten, hatten Zeichner die Möglichkeit, schwungvoll stilisierte Kampfbilder zu liefern, die ganz in der Tradition der Historien- und Schlachtenmalerei entworfen waren. Aber auch die Übermittlung der Zeichnungen vom Kriegsschauplatz verzögerte sich über Monate, so daß z.B. das Bild von der am 4.12.1870 stattgefundenen Schlacht bei Orléans erst am 6.5.1871 in der IZ erschien.107
Wenngleich also zu Kriegszeiten die Aufnahmetechniken der Fotografie für die Abbildung der Schlachtenszenen noch unzureichend sind, belegen dennoch Zeichnungen in reproduzierter Form als Lithographien und Holzstiche visuell den textlichen Bericht. Die »Objektivität zeichnerischer Berichterstattung« wird selten angezweifelt, »garantiert[…] doch die persönliche Anwesenheit des Künstlers beim Ereignis dessen authentische Wiedergabe«, so Christa Pieske 1993.108 Die Anwesenheit des Zeichners wird durch den Zusatz »nach der Natur aufgenommen« in der Bildunterschrift belegt (vgl. Abb. 26). Text und Bild ergänzen und forcieren sich auf diese Weise gegenseitig und erhöhen ihren ›Wahrheitsgehalt‹. Verselbständigung der Bilder in verschiedenen Formaten Wie schon in Kapitel 1 erläutert, verselbständigen sich Illustrationen der (Zeitungs-)Texte zu größeren Einzelbildern: Schon wenige Monate nach der Veröffentlichung in den genannten Printmedien können die Stiche/Lithographien qua Reproduktion in unterschiedlichen Formaten in den privaten Besitz der Konsumenten übergehen.109 Die genannten Sammelbände und Chroniken des Krieges etwa sind eine Form solcher gedruckter BildRepertorien. Eine andere ist der Bilderbogen (Einblattdruck), ein seit dem 15./16. Jahrhundert traditionell populäres Medium, das trotz der neu entstehenden Konkurrenz durch die Illustrierten Zeitungen auch in der Nachzeit des Krieges eingesetzt wird. Ein bekanntes Beispiel für kriegsspezifische Drucke ist etwa die Bilderbogen-Serie Zündnadeln. Ernste und heitere Bilder aus dem deutschen Nationalkrieg gegen Napoleon III., gefertigt von Hermann Müller, Darmstadt.110 Zu populären Bildpublikationen gehören ferner Bilderbücher wie das Lulu-Bilderbuch für Jung und Alt »zur Erinnerung an den Siegeszug der Deutschen in Frankreich« von Füsilier Kutschke.111 Ab Weihnachten 1871 sind Postkarten im Handel, die den Krieg auf kleine, 107 108 109 110 111
Weise 2003, S. 90f. Pieske 1993, S. 163. Vgl. Pieske 1993, S. 166. Vgl. Gabriele Toepser-Ziegert: Ernste und heitere Bilder aus dem deutschfranzösischen Krieg 1870/71. Bilderbogen und Karikaturen. Dortmund 2000. Als potentielles Weihnachtsgeschenk beworben in der IZ vom 2. Dezember 1871, S. 430.
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überschaubare piktorale Szenen der Ereignisse und Schlachten von 1870/71 sowie Genreszenen aus den Kriegsjahren reduzieren.112 Und auch als Stereofotobilder sind die entscheidenden Szenen für den öffentlichen und den Hausgebrauch fixiert – wenn auch die Doppelbilder erst einige Jahre nach dem Ereignis realisiert und zum Verkauf angeboten werden.
Abb. 26: Am Wachtfeuer von Rézonville nach der Schlacht vom18. August. »Nach der Natur aufgenommen« von Fritz Schulz. Aus der GL Nr. 45, 1870.113 Die stereoskopische Aufnahme von Ereignissen der Zeitgeschichte und Politik empfiehlt schon David Brewster 1856: »[I]n our day, binocular pictures of trials, congresses, political, legislative, and religious assemblies, in which the leading actor were represented, might be provided for the stereoscope.«114 August Fuhrmann, Betreiber des Berliner Kaiserpanoramas (s. Kap. 1), hatte in den Feldzügen 1870/71 als Kombattant gewirkt. Zur Eröffnung seines Kaiserpanoramas in Breslau führt er unter dem Titel Hochinteressante Erinnerungen aus den glorreichen Tagen von 1870/71 Glas-Stereobilder vor, die dem Zuschauer Kernmomente zeigen, und die, so beschreibt es Fuhrmann in einem Firmen-Prospekt, »eine vorzügliche patriotische Stimmung und schöne Erinnerungen wachrufen.«115 Bei der in Abbildung 27 wiedergegebenen Szene in Stereoformat handelt es sich um ein fotografisch genau gemaltes (nicht fotografiertes) Glas-Doppelbild, allerdings ohne stereoskopische Tiefenwirkung. Es ist Nummer 24 des insgesamt 39 Glasstereobilder umfassenden Zyklus Szenen aus den glorreichen Tagen von
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Vgl. Pieske 1993, S. 171. Fritz (Friedrich) Schulz, geb. um 1823, gest. 22.08.1875. Schlachtenmaler in Berlin, nimmt als Kriegszeichner an den Feldzügen 1864, 1866, 1870/71 teil. Brewster [1856] 1971, S. 204. August Fuhrmann zitiert nach Bienert/Senf 2000, S. 12.
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1870/71.116 Dargestellt ist eine der Schlüsselszenen des Krieges am 1. und 2. September 1870, in der General Reille im Auftrag Napoleons den Kapitulationsbrief an Wilhelm überreicht. Diese Szene wird in beinahe alle Bildmedien transformiert und spielt auch in den weiter unten noch zu besprechenden Theatertexten eine gewichtige Rolle.
Abb. 27: »General Reille überbringt Napoleons Brief dem Kaiser Wilhelm«. Aus dem Zyklus Hochinteressante Erinnerungen aus den glorreichen Tagen von 1870/71 aus August Fuhrmanns Kaiserpanorama
Geschichtliche Momente im Großformat: das Sedan-Panorama Eine großformatige Verselbständigung erfahren die visuellen Momente des Krieges in den Panoramen und Dioramen. Nach einem vorläufigen Rückgang dieser Bildmedien in der Jahrhundertmitte beschert der Krieg 1870/71 ihnen einen neuerlichen Gipfel öffentlichen Interesses. Die deutsche Panoramamalerei bedient sich vor allem »der großen Ereignisse […], welche in aller Herzen nachzitterten, und [nimmt] ihre Motive vornehmlich aus den Schlachten des großen Kriegsjahres«, wie es in der IZ 1890 heißt.117 Schon das von dem Schlachten- und Historienmaler Félix Philippoteaux gefertigte Panorama der Verteidigung des Forts Banves gegen die Deutschen, das auf der Pariser Weltausstellung 1878 ausgestellt ist,118 findet auch bei den deutschen Ausstel-
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Dieser Zyklus befindet sich mittlerweile vollständig im Bestand der Sammlung des Deutschen Historischen Museums Berlin, Sammlung Erhard Senf. Die Glasstereobilder sind Miniaturmalereien, keine Fotografien. Die leuchtenden Farbflächen – etwa das Gras oder die Mäntel in Abb. 27 – werden durch großflächigeren Farbauftrag auf der Rückseite des Glases bewirkt. IZ vom 11. Oktober 1890, S. 388. Vgl. hierzu Hausmann 1890, S. 257-263. »[Philippoteaux] ist es, der ganz besonders den künstlerischen Charakter des Rundbildes zur Geltung zu bringen suchte, und gleichzeitig die Erkenntnis der Notwendigkeit, derartige Werke in den größtmöglichen Raumverhältnissen durchzuführen, praktisch bethätigte. So schuf er denn auch mit seiner ›Verteidigung des Forts Banves gegen die Deutschen‹ ein Werk, das bei der Pariser Weltausstellung von 1878 die Aufmerksamkeit der ganzen Kunstwelt in hervorragendem Grade auf sich
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lungsbesuchern regen Zuspruch und schürt die Idee, wie Friedrich Pecht 1888 wissen lässt, »durch ähnliche Arbeiten die deutschen Triumphe des Jahres 1870 verewigen zu lassen«.119 Anfang der achtziger Jahre produzieren dann auch deutsche Maler Großbilder mit Szenen des Krieges und adressieren mit ihnen ein Massenpublikum. Die Schlachtenmalerei im Panoramaformat wird zur »volkstümlichste[n] aller Künste«, so Pecht: [D]ie Nation war entzückt, endlich einmal ihre Siege in einer ihrer Größe besser als bisher angepaßten Form zu sehen und berauschte sich förmlich darin. Die bisher so verachtete Schlachtenmalerei ward auf einmal die volkstümlichste aller Künste und die ärmsten Bauern scheuten tagelange Reisen nicht, um nur den Ort und das Bataillon zu sehen, wo ihre Söhne gefochten.120
Am Sedantag 1883 versammelt sich eine große Menschenmenge auf dem Alexanderplatz in Berlin, um die Eröffnung des Sedan-Panoramas zu feiern: Ein ca. 15m hohes und 115m breites Rundgemälde, untergebracht in einer architektonischen Rotunde von 39m Durchmesser, das diejenige Schlacht abbildet, die dem Deutsch-Französischen Krieg die entscheidende Wende geben sollte121 (vgl. Abb. 28). Die Darstellung militärischer Eingriffe fokussiert die für den deutschen Sieg letztlich maßgebliche Abwehr der französischen Kavallerie-Angriffe gegen die deutschen Fußtruppen. Von den Kämpfen in der Umgebung zeugen nur die gezeichneten Rauchschwaden. Unter geladenen Gästen und neugierigen Passanten befinden sich bei der Eröffnung auch »fachverständige Kritiker, die bei der Schlacht mit ›dabei gewesen‹ waren«122 sowie Kaiser Wilhelm I. Gegen ein Entgelt von zwei Groschen kann jeder Besucher von einer drehbaren Tribüne aus den Blick über die panoramatische Szenerie schweifen lassen. Wegen des großen Andrangs und zur Erhöhung der Besucherkapazität ist die äußere Plattform der
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lenkte und das ganz besonders auch bei den deutschen Besuchern der Ausstellung reiche Anerkennung fand.« Ebd. S. 257. Friedrich Pecht: Geschichte der Münchener Kunst im neunzehnten Jahrhundert. München: Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft 1888, S. 415f. Pecht 1888, S. 416. Vgl. zu Baudaten und Entstehungsgeschichte des Sedan-Panoramas Anton von Werners AvW 1993, S. 270ff., sowie von Werner 1913, insbesondere S. 344-350 und 371-378. Von Werner gibt in seinen Erinnerungen 1913 an, um 1880 von einer belgischen Gesellschaft gefragt worden zu sein, ein Panorama der Schlacht bei Sedan auszuführen. »Eine belgische Gesellschaft hatte in Berlin bereits ein Gebäude errichtet, in welchem Emil Hünten und Simmler aus Düsseldorf den Angriff unserer Garde auf St. Privat zu malen im Begriffe waren. Eine andere belgische Gesellschaft wollte von mir die Zusage für ein Panorama der Schlacht bei Sedan, eine dritte meldete sich in denselben Tagen zu gleichem Zwecke […]« von Werner 1913, S. 277. »Der Aufsichtsrat der Panorama-Aktiengesellschaft hatte die Einladungen dazu ergehen lassen und gegen 10 Uhr Vormittags erschienen Generalfeldmarschall Graf Moltke, Fürst A. Radziwill, Graf Lehndorff, Graf Pückler, Graf Perponcher, Graf Eulenburg, Prinz Reuß, die Generale v. Willisen, v. Winterfeld, v. Oppeln-Bronikowski, v. Faber du Faur – alles fachverständige Kritiker, die mit ›dabei gewesen‹ waren –, der Reichstagspräsident v. Levetzow, der Stadtverordnetenvorsteher Dr. Straßmann, die Minister v. Puttkamer, v. Bötticher, Dr. Friedberg, Fürst Dolgorucki, der Aufsichtsrat u.a.« Von Werner 1913, S. 374.
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Abb. 28: Das Sedan-Panorama am Alexanderplatz in Berlin im Jahr 1884 mit dem Rundgemälde der Schlacht bei Sedan 1870. Zeitgen. Holzschnitt nach einer Zeichnung von Wilhelm Geißler. Schautribüne drehbar, die Beschauer werden an dem Rundgemälde »vorbeitransportiert.«123 Eine zeitgenössische Beschreibung gibt einen Eindruck von der Darbietung: Das Rundgemälde schildert jenen Moment der Schlacht bei Sedan am Nachmittage des 1. September 1870, zwischen 1 1/2 und 2 Uhr, in welchem die französische Armee – […] – den letzten verzweifelten Versuch macht, die preußischen Linien zu durchbrechen und eine Rückzugstraße zu gewinnen. […] Beim Austreten auf die Plattform blickt der Beschauer weithin über das liebliche Maasthal; in der Tiefe vor ihm liegt das Dorf Floing […], welches seit 12 1/2 Uhr Mittags vollständig von den Deutschen besetzt ist.124
Als Historienmaler, der sich jedoch mehr »an die Ereignisse seiner Gegenwart« hält, »die den Aufstieg des deutschen Kaiserreiches begleiten«125, zeichnet Anton von Werner für die künstlerische Herstellung des SedanPanoramas verantwortlich. Die Produktionskosten von etwa einer Million Goldmark (für Bau, Grundstück, Gemälde) trägt eine eigens gegründete Panorama-Aktiengesellschaft.126 Von Werner wohnt als Bildberichterstatter diesem entscheidenden Augenblick des Deutsch-Französischen Krieges bei, skizziert ihn also vor Ort – und unterstreicht dadurch den ›Wahrheitsgehalt‹ von Bild und dargestellter Szene. Als Vorbereitung zur Erstellung des Rundgemäldes befragt von Werner Augenzeugen (s.o.), fertigt Studien von Rüst-
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Vgl. König/Ortenau 1962, S. 69. Panorama der Schlacht bei Sedan. Offizieller Führer. Berlin 51885, S. 1f. Ein gedruckter Führer, der eine genaue Beschreibung der Bilder und teils kultureller oder historischer Hintergründe enthält, gehörte zu jedem Panorama und konnte – wie der Sedan-Führer etwa – für 20 Pfennig, Karten und Abbildungen für 10 Pfennig erworben werden. Solcherart beschreibt Werner Hager von Werners Motivation. Werner Hager: »Leben mit Geschichte«, in AvW 1993, S. 11-18, hier S. 11. Vgl. Grau 2001.
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zeug und Uniformen an, reist mit Künstlern und Kunstkritikern127 nach Paris, um die hiesigen Panoramen von Vionville-Mars-la-Tour und VilliersChampigny von Edouard Detaille und Alphonse de Neuville zu studieren, und fährt schließlich nach Sedan, um die Umgebung zu erkunden und zu skizzieren.128 »Daß Sie durch Ihr Meisterwerk dem Volke die Erinnerung und das Verständnis für den Tag von Sedan nahe gerückt haben und meine vollste Anerkennung dafür mag Ihnen der schönste Lohn für Ihre Arbeit sein.« Von Werner gibt diese Worte des Kaisers beim Anblick des Bildes in seinen Lebenserinnerungen 1913 wieder.129 Der höhere Zweck des Sedan-Panoramas ist somit formuliert: Es dient als überdimensioniertes Signum der Erinnerung an die militärische Bezwingung Frankreichs und als künstlerisches Medium der Vermittlung nationalgeschichtlicher Kenntnis und nachhaltiger patriotischer Bedeutung der Schlacht Anfang September 1870. Bemerkenswert ist, dass das Sedan-Panorama erst zwölf Jahre nach dem eigentlichen Ereignis fertig gestellt, jedoch bis 1904 erfolgreich betrieben wird. Diese lang andauernde ›Aktualität‹ und Popularität des Themas wurde auch in Bezug auf die rasche Umsetzung auf den Theaterbühnen bereits angedeutet und wird an anderer Stelle noch beschäftigen.
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Mit dabei sind der Maler Christian Wilberg, der den landschaftlichen Part übernehmen sollte, Akademieprofessor Wilhelm Gentz und Kunstkritiker Ludwig Pietsch. Zurück in Berlin, stehen Personen und Pferde zum Detail-Studium Modell im Garten des Malers. Gemeinsam mit seinen Gehilfen, unter ihnen sein engster Mitarbeiter Eugen Bracht, wird in penibler Ausführung die Schlacht auf die überdimensionierte Leinwand gebracht. Offenbar nahmen von Werner und Bracht aus Studienzwecken an Manövern teil, »um maßstabsgetreu die Größe und Ausdehnung des Pulverdampfs der Geschütze in ihre Panoramabilder einarbeiten zu können.« von Plessen in Sehsucht 1993, S. 17. Das Panorama wird arbeitsteilig angefertigt: der Entwurf stammt von Anton von Werner, die Gestaltung der Landschaft von Eugen Bracht, Ausführung neben den genannten durch die Maler K. Schirm, G. Koch, C. Röchling und Studierenden der Hochschule für bildende Künste. Vgl. Panorama der Schlacht bei Sedan. Offizieller Führer. Berlin 51885, S. 5. Die Arbeitsteilung unter zumeist zehn oder mehreren Mitarbeitern ist erforderlich zur effizienten Herstellung des Panoramabildes. Vgl. Weidauer 1996, S. 15. von Werner 1913, S. 376. Es kann hier nicht näher auf von Werners unbestrittene elitäre Position und seine Gunst beim Kaiser eingegangen werden. Zeitgenössische Kritiker monieren allerdings seine opportune Verhaltensweise und nennen ihn einen »geschäftstüchtigen Patrioten«. Stellvertretend für die Gegenpositionen zu von Werner sei hier Friedrich Freiherr von Khaynach genannt, der in Anton von Werner und die Berliner Hofmalerei mit Kritik an dem Historienmaler nicht zurück hält. Er schätzt ihn als »Handwerker«, der seine künstlerischen Arbeiten mit Sorgfalt ausführe, nicht jedoch als Künstler, denn er sei »phantasielos«, male »kalt, glatt, trocken und hart«. Harscher wird von Khaynachs Urteil jedoch in Bezug auf von Werners »geschäftseifrige[n]« Patriotismus. »Er blieb [am Hof] das, was er immer gewesen war, zugleich ein Treter und ein Kriecher, zugleich ein Hoflakei und ein Tyrann, soweit nur irgend seine wachsende Macht und sein vermehrter Einfluß reichten.« Von Khaynach 1893, S. 13.
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Den Eröffnungstag des Sedan-Panoramas nennt Oliver Grau in seinem Aufsatz über dasselbe ein »politisches und mediales Ereignis ersten Ranges«.130 Es handelt sich bei dem Berliner Panorama jedoch nicht um das einzige Rundbild, das die ›zentrale‹ Szene des deutsch-französischen Krieges festhält, wenngleich unter anderen Hausmann 1890 das über deutsche Grenzen hinaus bekannte Sedan-Panorama von Werners als ein »Musterbild eines Schlachtenpanoramas« bezeichnet.131 Bereits am Sedantag 1881 wird das Sedan-Panorama des Münchner Schlachtenmalers Louis Braun, (unter Mitwirkung des Architekturmalers Karl Hubert Frosch und des Landschaftsmalers Biberbach) am Palmengarten in Frankfurt a.M. aufgestellt.132 Die Anfertigung des 1800 Quadratmeter großen Rundbilds, das ebenfalls »die denkwürdige Schlacht bei Sedan historisch-treu wiedergiebt«, wie es in der Gartenlaube heißt133, geht laut Hausmann auf die Idee eines »reiche[n] Holländer[s]« namens Diemont aus Arnheim zurück, der zuerst die Idee hatte, »deutsche Künstler die deutschen Kriegsthaten von 1870/71 im Rundbilde verherrlichen zu lassen.«134 Der Berliner Theater- und Geschäftsanzeiger kündigt im November 1884
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»Im ganzen Reich fanden Festzüge, patriotische Chorkonzerte, Schulfeiern und Feste der Bürger- und Kameradschaftsvereinigungen statt.« Grau 2001, S. 145. 1890, S. 259. Auch findet sich das Thema 1870/71 in der zeitgenössischen Malerei. Deutsche Schlachtenmaler, die den Krieg zum Thema ihrer Arbeiten machen, sind u.a. Franz Adam (1815-1886), Georg Bleibtreu (1828-1892), Wilhelm Camphausen (1818-1885), Carl Röchling (1855-1920). Vgl. auch Pieske 1993, S. 243. Zu Wilhelm Camphausen merkt Paul 2004 an: »Seine Bilder demonstrierten eine Einheit der Nation, die es realgeschichtlich noch gar nicht gab. Sie waren so eher propagandistische Versprechungen als Abbildungen der Realität.« Paul 2004, S. 38. Ein Redakteur der GL beschreibt Bewegungsmodus und Blicklenkung im Sedan-Panorama ausführlich: »Beim Eintritt in den großen Rundbau […] befinden wir uns zunächst in einer Casematte, in der sich unseren Blicken ein Diorama darbietet. Es stellt am Ende des dunklen Ganges die Ruinen von Bazeilles, vom Mondlicht erhellt, dar. Von hier aus betreten wir das Podium des großen Panoramas, in welchem unter dem vollen Effecte des Sonnenlichtes das große Rundgemälde sich befindet. Wir stehen auf einem zwischen Frénois und Sedan gedachten, erhöhten Punkte und haben den Stand der Schlacht etwa um die vierte Nachmittagsstunde vor uns. Was in nächster Nähe an Erdreich, Bäumen, Sträuchern etc. zu erblicken ist, sind natürliche Gegenstände; wir können jedoch auch mit bewaffnetem Auge kaum unterscheiden, wo die Natur aufhört und das Gemälde beginnt. […] Das Gemälde giebt diese wichtigen Kämpfe, welche den Aufgang von Deutschlands neuer Größe bezeichnen, so wahrheitsgetreu wieder, daß, um ein Beispiel anzuführen, gelegentlich eines Besuches des Panoramas am 20. October vorigen Jahres Kaiser Wilhelm beim Anblick der Scenerie sich sofort zu orientiren wußte. So möge denn dieses Institut Alle, die es besuchen, an die schweren Stunden des heiligen Krieges und an Diejenigen erinnern, die auf jenen Gefilden für Deutschlands Ruhm und Ehre ihr Blut vergossen!« GL 1881, Nr. 37, S. 600. Ebd. Hausmann 1890, S. 258. »So kam es denn, daß die neueste großartige Entwicklung des Panoramas bei uns in Deutschland nicht durch die deutsche Schlachtenmalerei, sondern vielmehr, so unangenehm es uns klingen mag, durch das Großkapital und noch dazu durch außerdeutsches Kapital herbeigeführt ist.« Ebd.
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das Rundgemälde Die Vertheidigung von Paris mit dem Diorama Die besiegte Commune von Philippoteaux an, das im National-Panorama-Gebäude Am Königsplatz »von 9 Uhr morgens bis zur Dunkelheit« geöffnet ist.135 Neben der rein terminlichen Information verdeutlicht dieser Eintrag auch, dass Panorama und Theater offenkundig das gleiche Publikum ansprechen, sind doch die Vorstellungen des Rundgemäldes im Theater- und Geschäftsanzeiger annonciert. Auch das so genannte Panorama in Mannheim zeigt mit Die Erstürmung von Bazeilles (Sedan) am 1. September 1870 Sedan-Szenen im Großformat. Das überlieferte Textheft zum Panorama informiert in einem kurzen Überblick über die Hintergründe und liefert anschließend eine ausführliche Beschreibung des Gemäldes (vgl. Abb. 29). Letztere ist beinahe »realistisch« im literarischen Sinne136 zu nennen, denn in einem Rundblick wird der Leser förmlich Punkt für Punkt über das Bild gelenkt, über genau benannte Landschaftsabschnitte, Ausblicke auf Ortschaften, Häuser- und Personengruppen.137 Das Mannheimer Großbild integriert auch genrehafte Momente, die über eine objektive Schilderung des Dargestellten hinausgehen. So emotionalisiert etwa die Beschreibung eines Privathauses und die Personifizierung der Pflanzen in dessen Vorgarten die ›historischen Augenblicke‹:
Abb. 29: Panorama in Mannheim. Die Erstürmung von Bazeilles (Sedan) am 1. September 1870. Titelseite des Programmhefts.
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Berliner Theater- & Geschäfts-Anzeiger. Nr. 326, 23. November 1884. Dieser Anzeiger scheint abends in sämtlichen Theatern. Zu den Erzählmethoden des »Realismus« zählt unter anderem die Einbeziehung von zahlreichen Faktoren, die erst das Erzählte wahrheitsgetreu werden lassen, sowie die Exaktheit in zeitlichen und räumlichen Details. »Die Figuren des Rundbildes wurden gemalt von L .Putz, F. Neumann und M.Z. Diemer, die Architektur von C.H. Frosch und H. Niesle und die Landschaft von Jos. Krieger.« Vgl. Textbuch zum Panorama in Mannheim, vorhanden in der StaBi Berlin.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 189 Dicht an der Strasse, durch eine niedere Mauer davon getrennt, liegt ein noch vor kurzem sorgfältig gepflegter Blumen- und Gemüsegarten, sowie das mit seinem sauberen weissen Anstrich und dem rothen Ziegeldach gar freundlich aussehende Gärtnerhäuschen. Auch in diese Idylle hinein hat der Krieg bereits mit rauher Hand gegriffen; die zerstampften Beete und geknickten Rosenstämmchen sind noch Zeugen von dem wenige Stunden früher stattgehabten Kampf, den die rasch vorgedrungenen Abtheilungen des 2. und später des Leibregiments hier gegen die überlegenen feindlichen Streitkräfte geführt hatten. Eben bringen Sanitätssoldaten auf einer Tragbahre einen Verwundeten herein, den der mit dem alten Gärtner verhandelnde Arzt in dem Häuschen unterbringen lässt. Weiter rechts bemerkt man an der Strasse den Kommandeur der 1. Marinebrigade, General Reboul mit seinen Adjutanten. Auf der Strasse sowohl, als in den ihr gegenüber liegenden Gärten erblickt man da und dort noch todte bayerische Infanteristen, Opfer des mehrerwähnten bayerischen Vorstosses am Morgen.138
Der beschreibende Text berücksichtigt gleichermaßen die Bewegungen des schweifenden Blickes im wiedergegebenen Raum, wie die unterschiedlichen Zeitebenen des Geschehens. Schon Walter Benjamin redet im Passagenwerk von zeitgenössischen Literaturformen, die er in Anlehnung an das Medium Panorama als »panoramatische Literatur« bezeichnet. Diese Formen bestehen aus Einzelskizzen, »deren anekdotische Einkleidung dem plastisch vorgestellten Vordergrunde der Panoramen, deren informatorischer Fond deren gemaltem Hintergrund entspricht.«139 Götz Großklaus hat eine solche Integration bildmedialer Verfahren in die Literatur als eine ›visuelle Methode‹ in der Literatur bezeichnet und an E.T.A. Hoffmanns Erzählung Des Vetters Eckfenster (1821/22) exemplifiziert. Dieser Text sei prototypisch »vor-photographisch«140 für die neue Thematisierung des Auges und stehe durch die Fixierung und Detaillierung des Blicks für die »neue visuelle Methode der Selektion«, wie Großklaus es nennt, und für eine »neue visuelle Spurensuche, die sowohl auf eine Stillstellung des Augenblicks: seine Dehnung, wie auch auf die Begrenzung des räumlichen Ausschnitts angewiesen ist.«141 Visuelle Spurensuchen und Methoden der Selektion ereignen sich gleichzeitig in unterschiedlichen Medien. Die Bildbeschreibung des Sedan-Panoramas, so lässt sich demzufolge argumentieren, ist einer doppelten ›visuellen Methode‹ verpflichtet: der Text hat die Tendenz des panoramatischen Sehens, indem er einen Überblick über die Landschaft entwirft, dem die Augen des Betrachters 138 139 140
141
Panorama in Mannheim. Die Erstürmung von Bazeilles (Sedan) am 1. September 1870. Textbuch zum gleichnamigen Panorama. Benjamin 1982, S. 48. Großklaus 1996, S. 191. Die Begriffe »vor-fotografisch« oder auch »précinematisch« werden insbesondere innerhalb der Medien- und Filmgeschichte verwendet. Sie implizieren ein Verständnis von Mediengeschichte als Geschichte der Weiterentwicklung der Medien zu einem expliziten Ziel – nämlich Fotografie (»vor-fotografisch«) oder Kino (»pré-cinematisch«). Diese ›medienteleologische‹ Sicht steht dem dieser Publikation zugrunde liegenden Verständnis von einem sich gegenseitig befruchtenden Nebeneinander der Medien und Institutionen des Visuellen entgegen. Sofern in Folgenden benutzt, sind die Benennungen »vorfotografisch« und »pré-cinematisch« daher immer zitierte. Großklaus 1996.
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folgen können, oder die eine Rotation des gesamten Körpers/der Plattform notwendig machen. Der Text »wandert« also entlang dem Bild, was am Ende der Beschreibung deutlich wird, wenn es heißt: »Damit sind wir am Ausgangspunkt unserer Wanderung wieder angelangt.« Gleichzeitig adaptiert der Text die fotografisch punktuelle Bevorzugung des Details, wenn e.g. auch Pflanzen und – in der Gesamtwirkung sicherlich sekundäre – Häuserreihen aufgezählt werden. Dem Betrachter bietet der Begleittext zum Bild beide Sicht-Weisen an: den panoramatischen Überblick über die Ferne sowie den fotografisch selektiven Fokus des Nah- und Rahmensehens. Der selektierte und arretierte Moment wird, »zum gerahmten Tableau ausgeweitet […], um in Rundblicken, Detailbeschreibungen, Intensivierungen an Ort und Stelle ausgestaltet zu werden.«142 Diese, auch von Joachim Paech vor dem Hintergrund exemplarischer Analogien von Literatur und Film gewonnene Erkenntnis, lässt sich ohne weiteres auch auf das Medium Panorama und den es erläuternden Text anwenden. Die Dioramen der Sedan-Rotunde Außer dem Rundgemälde des Berliner Sedan-Panoramas lässt von Werner noch drei andere Szenen als Diorama-Bilder in den Räumen der Panoramarotunde am Alexanderplatz aufstellen. Allerdings beginnt er seine Arbeit hieran erst im Eröffnungsjahr des Panoramas 1883. Eine detaillierte Besprechung dieser Dioramabilder erfolgt in engem Bezug zum Theater im Abschnitt Szenische Rückblicke dieses Kapitels. Die nachfolgenden Beobachtungen dienen einer charakterisierenden Vorbereitung und Beschreibung der Funktion der Dioramabilder in diesem Rundbau. Die Reihenfolge der Bilder vergleicht von Werner mit den »letzten drei Akte[n] eines Dramas.«143 Wesentlich für die Gestaltung und Wirkung dieser Bilder sind die konkreten zeitlichen Angaben: Festgehalten sind die prominenten »drei großen geschichtlichen Momente«144 nach dem Ende der Schlacht um zwei Uhr am Nachmittag: »[U]m 7 Uhr abends die Übergabe von Napoleons Brief an Kaiser Wilhelm; um 12 Uhr nachts die Kapitula-
142 143 144
Paech 1996, S. 246. Von Werner 1913, S. 395. Ebd. Von Werner beschreibt in seinen Erinnerungen genau die Produktionsbedingungen der Dioramabilder. Er befragte die an den Szenen beteiligten Generäle nach den Konstellationen der Personen in den Verhandlungsräumen, nach ihrer Kluft und weiteren Details. »Bei meiner Darstellung des Zusammentreffens von Bismarck und Napoleon am Morgen des 2. September hatte ich mich an das gehalten, was ich von Bismarck früher selbst gehört hatte und was sich mit dem deckte, was der Fürst dem Baurat Ende einst gelegentlich in Barzin erzählt hatte, und außerdem an die Mitteilungen, die mir in Sedan selbst durch dortige Einwohner über den Privat-Landauer, den der Kaiser Napoleon benutzt hatte, und andere Einzelheiten bei meiner Anwesenheit dort gemacht wurden. Die sich hieraus ergebenden Kombinationen für die malerische Darstellbarkeit des historischen Vorganges entsprechen nicht völlig der Schilderung, die Bismarck in seinem bekannten offiziellen Bericht davon gibt. Vor allem erschien mir ein preußischer General – hier gar Bismarck! – in dienstlicher Angelegenheit mit abgezogener Mütze – vor wem es auch sei – so unwahrscheinlich, daß es mir richtiger schien, den Moment bildlich so darzustellen, wie er mir nach Bismarcks früheren intimeren Mitteilungen vor Augen stand.« Von Werner 1913, S. 400.
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tionsverhandlungen zwischen Moltke und Wimpfen; um 5 Uhr morgens das Zusammentreffen zwischen Bismarck und Napoleon«. Die zeitliche Präzision paart sich hier mit der ästhetischen Absicht, die unterschiedlichen Tagesabschnitte – Abend, Nacht, Morgen – und ihre je eigenen Lichtverhältnisse mit Hilfe der Dioramen stimmungsvoll in Szene zu setzen. Für die Darstellung der ausgewählten Tages-/Nachtzeiten scheint das Diorama demzufolge besonders geeignet. Die geschichtlichen Momente werden durch das Spiel mit dem Licht einerseits mystifiziert – und durch die Simulation von Zeit gleichzeitig ›authentifiziert‹. Die drei Großbilder sind im Mittelgeschoss des Berliner Panoramagebäudes aufgestellt, hell beleuchtet vom Oberlicht, die Zuschauer befinden sich in einem abgedunkelten Raum genau in der Höhe des Bildhorizonts. Wie in Kapitel 1 anhand anderer Dioramen beschrieben, bilden auch in den Sedan-Dioramen plastische Materialien wie Gras, Erde, Stein, Waffen etc., den Vordergrund, der in den gemalten Teil übergeht. Der Effekt ist die Vortäuschung einer »greifbaren Wirklichkeit«.145 Um dem zweidimensionalen Rundgemälde die Illusion einer dritten Dimension zu verleihen, »verfiel [von] Werner auf den Gedanken, die Lichter, insbesondere bei den im Sonnenlicht blitzenden Waffen und Musikinstrumenten, plastisch aufzumodellieren und dann zu versilbern oder zu vergolden.«146 Diese Kombination von zweidimensionalem Bild und plastischen Requisiten gilt schon den Panoramakünstlern vor von Werner als gängiges Verfahren zur Potenzierung des Realitätseffekts. Kritikern dienen diese Mittel zur Potenzierung der Illusion häufig als Kriterium zur Aberkennung des künstlerischen Werts der Panoramen. Erst durch die völlige Ausscheidung der »szenischen Teile« könne das Panorama »ästhetische Berechtigung erlangen.«147 Ähnlich lautet die Kritik des Frankfurter Sedan-Gemäldes: Es müsse »über das Unkünstlerische der Grundtendenz, welche in der Herbeiführung einer möglichst großen Täuschung, einer Verwechslung des Scheins mit der Wirklichkeit« bestehe, hinweggesehen werden.148 Insbesondere die plastischen Beigaben zum gemalten Bild führe die »Wahrheit in der Wiedergabe der Natur zu weit«, wie von Werner den Maler Wassilij Wereschtschagin zitiert, der seine Dioramen als »un peu trop executé peut être« beschrieben hatte.149 Eine einflussreichere Instanz jedoch bescheinigt den Dioramen Realitätstreue. Schon seine bloße Erwähnung des Vorhabens, die drei Szenen im Diorama festzuhalten, habe beim Kaiser konkretes Erinnern und Nachempfinden der realen Augenblicke jener Kriegstage evoziert, wie von Werner in 145 146 147 148 149
Ebd. Dolf Sternberger: Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Insel 1981, S. 15. Hausmann 1890, S. 263. Ebd. S. 258, Hausmann gibt hier einen nicht näher benannten »scharfe[n] Kritiker« der Lützowschen Zeitschrift wieder. Von Werner 1913, S. 401. Von Werner schreibt »V. Vereschagin«. Wassilij Wassiljewitsch Wereschtschagin, 26.10.1842-13.04.1904, russischer Schlachtenmaler und Reiseschriftsteller. Auch von Khaynach bleibt dieser »Hyperrealismus« nicht unverborgen: »Giebt es etwas Gemeineres, als diesen Vordergrund aus Gips oder Holz, mit grünem Moos beklebt, auf dem tote ausgestopfte Soldaten liegen, womöglich mit roter Farbe Blutlachen gemalt sind? […] Und solche Mätzchen, Wippchen und Fisematenten nennt man da Kunst. Es ist ein Jammer.« Von Khaynach 1893, S. 30.
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seinen Lebenserinnerungen informiert. In Bezug auf das Bild Briefübergabe durch Reille etwa schilderte Seine Majestät mit größter Lebendigkeit nicht nur diese Szene, sondern auch sein Zusammentreffen mit Napoleon am 2. September in dem Schlößchen Bellevue. Er beschrieb das Kostüm des Generals Reille mit allen Einzelheiten, machte mir die Bewegungen vor, wie Reille mit abgezogenem Käppi, ein Spazierstöckchen in der Hand, in die Brusttasche griff, um das Schreiben Napoleon’s herauszuholen […]. Er durchlebte angesichts dieses Bildes die ereignisreichen Tage des 1. und 2. September von 1870 immer wieder von neuem, erinnerte sich vieler kleiner Einzelheiten und kam auch auf seine Zusammenkunft mit Napoleon in Schloß Bellevue zu sprechen, die er so schilderte: ›Der Kaiser kam mir auf der Treppe, die zur Haustür führte, einige Stufen heruntersteigend mit abgezogenem Käppi und mit einer Verbeugung entgegen.‹ […]150
Vergleichbare Referenzen des (begeisterten) Eindrucks von berühmten Zeitgenossen angesichts der Bilder finden sich häufig. Sie werden als Mittel zur Betonung der authentischen Bildwirkung verwendet und taugen auch zu Reklamezwecken, denn die Zitate der Anwesenden und Augenzeugen finden sich in Werbetexten oder Textbüchern zu den Bildmedien abgedruckt. Solcherart wird der künstlerische, insbesondere aber der realistische und wahrheitsgemäße Anspruch der Darstellung potenziert, welche eine Autorität bereits als ›sehens-wert‹, weil ›wahrheitsgetreu‹ quittiert hat. Zusätzlich zum Panoramabild und den Dioramen im Berliner Sedangebäude fertigen schließlich die beteiligten Maler Carl Röchling151 und Georg Koch152 noch Wandbilder mit dem »Soldatenleben im Frieden von der heiteren Seite« an, die im Restaurant im Erdgeschoss der Rotunde angebracht sind. Von Röchling stammen Die Morgentoilette, Abkochen, Die Schützenkette mit dem durchbrechenden Hasen im Manöver, von Georg Koch Die Ulanen in der Hammelherde, Rekruten-Reitstunde und Reservisten auf der Heimfahrt.153 Die Titel der Bilder weisen auf deren Charakter als Genrebilder hin, die in vergleichbarer Weise auch in den eingangs erwähnten Theateradaptionen der Kriegsthematik und dem Fries von Siemering verwendet sind. Sie berichten außerhalb der kriegerischen Taten und Schlüsselereignisse vom Alltagsleben in den Gräben und Lagern und fokussieren mehr die Soldaten als die Befehlsinhaber. Ein ähnliches Nebeneinanderstellen von entscheidenden Momenten des Krieges und teils heiteren, anekdotischen Skizzen des Feldlebens findet sich auch in dem eingangs erwähnten Fries Deutschlands Erhebung – Abschied und Auszug der Soldaten. Und auch in den Theaterbildern des Krieges wird sich dieses Mittel der Kontrastierung nachweisen lassen. Die architektonische Gliederung der Panoramarotunde bestimmt die Platzierung der Bildformen und spiegelt deren zeitgenössische Hierarchisierung 150 151
152 153
von Werner 1913, S. 375. Neben der Mitarbeit am Sedan-Panorama fertigt Röchling zusammen mit Georg Koch und Eugen Bracht auch das Panorama der Schlacht von Chattanooga für Philadelphia (1885). Vgl. Kap. 1. Vgl. von Werner 1913 und AvW 1993.
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(vgl. Abb. 30): Das künstlerische Panoramabild findet unter dem Dach der Rotunde seinen Ort, die auf die phantasmagorische Wirkung des Lichts zielenden Dioramen im Mittelgeschoss. Die angesiedelten Genrebilder mit teils heiteren Szenen sind der Alltagswirklichkeit am nächsten und bestücken das Restaurant. Das Sedan-Panorama ist ein multimedialer Schauplatz, indem es unterschiedliche Medien in sich aufnimmt. Panorama, Diorama und Wandgemälde sind räumlich getrennte, eigenständige Medien mit je spezifischen Funktionen und Wirkungen in Entsprechung ihrer Bildinhalte. Thematisch jedoch bedingen sie sich gegenseitig, indem sie dem Publikum in einem patriotischen Gestus verschiedene Facetten des Krieges nahe bringen. Die bis hierher besprochenen Bildmedien Illustrierte Zeitungen, Bildbände, Stereofotografien, Panorama, Diorama und Malerei eint bei allen Unterschieden im Detail und ungeachtet ihrer jeweiligen medialen Spezifizität die Selektion der Motive: Der Krieg wird in stimmungsvolle Bilder zerlegt, die Ereignisse auf eingängige piktorale Momente reduziert, welche in Form gedruckter, plastischer oder beweglicher Bilder den Zuschauern den visuellen Nachvollzug der realen Ereignisse ermöglichen. Durch ständige visuelle Verfügbarkeit (das Panorama steht mehrere Jahre an einem Platz) oder Wiederholung (die Aufnahme der Bilder in andere Medien wie etwa die Kunstzeitschriften oder Zeitungen), aber ohne signifikante Änderungen des Bildinhaltes formen diese medialen Bilder des Krieges auch Gedächtnis und Sichtweise des Krieges. Indem die unterschiedlichen Medien in der Summe alle gesellschaftlichen Schichten erreichen, lässt sich –quantitativ aufgrund der Distributionsrate und inhaltlich aufgrund der Mischung von Genre- und militärischen Szenen – von einer ›Demokratisierung‹ der Bildinhalte sprechen, der Krieg ›zu Bildern geronnen‹ popularisiert. Hinter dem in allen Fällen betonten dokumentarischen Wert der unterschiedlichen Bilder stehen jedoch Strategien der Ästhetisierung des Krieges, die sich im Spannungsfeld zwischen
Abb. 30: Querschnitt durch das Sedan-Panorama am Alexanderplatz. Zuschauer stehen auf einer Plattform und schauen das Schlachtengemälde an. Unten rechts die Restauration im Kellergeschoss mit Genregemälden.
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der ›Demonstratio‹ (dem ›Zeigen, was war‹) und dem Verdecken bewegen.154 Herausgestellt und ins Bild geformt werden »namhafte« Augenblicke des Krieges. Die Dramaturgie der bildlichen Wiedergabe des Krieges in den Medien lässt sich in den Rückblicken auch auf die Kriegsereignisse selbst übertragen. Der Krieg von 1870/71 wird somit von Zeitgenossen als ein Krieg angesehen, der durch bedeutende Ereignisse bedeutsame Bilder hervorgebracht hat, verfügbar in den Medien der Zeit und abrufbar in mentalen Bildern. An der Ästhetisierung und Perpetuierung von Bildern des Krieges hat auch Theater maßgeblichen Anteil. In ihrer Dreidimensionalität und szenischen Verkörperung erlauben die szenischen Bilder des Krieges einen unmittelbareren Zugang zu den Kriegsereignissen.
›Szenische Rückübersetzungen‹: Theaterbilder des Krieges Am 3. Oktober 1871, einen Monat nach der Schlacht bei Sedan, hat das Alte Theater Leipzig »Eine Serie von Bildern aus den Schreckenstagen« im Programm, dargestellt durch den »elektrischen Lichtapparat Agioscop«, ein der Zeit geläufiges Projektionsmedium.155 Diese Bilderserie mit dem Titel Paris unter der Commune stellt die »wichtigsten Ereignisse rund um Paris« dar. Bemerkenswert ist ihre Platzierung im Programm des Leipziger Theaters: Aus dem Theaterzettel, der diese Veranstaltung ankündigt, geht hervor, dass die Serie aus zwei »Abtheilungen« besteht, die eine Posse mit Gesang in einem Akt, Durchs Schlüsselloch, einrahmen (vgl. Abb. 31). In einer späteren Aufführung am 8. Oktober sind die beiden Abteilungen dann zu einem eigenständigen Pogramm zusammengeschlossen, das im Anschluss an das Lustspiel Bürgerlich und romantisch von Eduard von Bauernfeld156 gezeigt wird. Folgende Bilder, zu deren Erklärung »an der Casse für 3 Neugroschen« ein Textheft bereit liegt, sind Bestandteil der Serie: Die Titel der Bilder sind beinahe durchweg gleich lautend mit den Bildunterschriften der illustrierten Presse jener Jahre. Paris unter der Commune greift die in den Zeitungen viel berichtete Belagerung Paris’ durch die deutschen Truppen auf, welche den Aufstand der Pariser Kommune evoziert. Auf der Place Vendôme errichten Kommunarden, Nationalgardisten und gegnerische
154 155
156
Vgl. hierzu Paul 2004, S. 81. Vgl. hierzu W. Bahr 1875: »Das Agioskop ist durch drei Laternen zusammengesetzt, deren Achsen alle auf eine und dieselbe Wand gerichtet sind. Um den Uebergang von Sommer im Winter durch Schneefall darzustellen, sind bei sehr complicirten dioramatischen Veränderungen oder beweglichen Bildern hierdurch mitunter Vortheile zu erreichen, jedoch ist die Handhabung umständlicher und schwieriger, als beim Nebelbilder-Apparat und seine Einrichtung kostspieliger.« Das Agioskop habe daher, so Bahr weiter, keine große Verbreitung gefunden. W. Bahr: Der Nebelbilder-Apparat, seine Handhabung und die Anfertigung transparenter Glasbilder. Leipzig: Koch 1875, S. 11. Eduard von Bauernfeld 13.1.1802-9.8.1890. Verfasser von Lustspielen, Konversations- und Salonstücken.
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Abb. 31: Paris unter der Commune. Eine Serie von Bildern aus den Schreckenstagen, dargestellt durch den elektrischen Lichtapparat Agioscop. Theaterzettel vom 3. Oktober 1871, Altes Theater Leipzig. Regierungstruppen Barrikaden, ein beliebtes Foto-Motiv der Zeit, das somit auch als Agioskop-Bild auf der Leipziger Bühne Verwendung findet.157 Es wurde bereits zu Beginn dieses Kapitels auf die Einbettung von Bildmedien in die Spielpläne der Bühnen aufmerksam gemacht, die im eigentlichen Programm eigenständig sind, d.h. ohne inhaltlichen Bezug zu den anderen Aufführungen. Neben dieser Form der Integration anderer Medien bringen zahlreiche Berliner Theater zwischen 1870 und den neunziger Jahren auch selbst theatrale Formate hervor, die Kriegsszenen und zeitgemäße Ideen des Nationalbewusstseins beinhalten. »[O]pportun waren im Kaiserreich Militärschwänke, in denen der Krieg fröhliche Urständ feierte. Zwischen 1871 und 1914 tauchten auf Bühnen des Reiches 843 Kriegsstücke auf, also rund zwanzig pro Spielzeit«, informieren Michael/Daiber 1990.158 Es würde jedoch 157
158
Vgl. zu den Fotografien der Commune Paul 2004, S. 74ff. Wie Paul 2004 schreibt, verfügen die Communarden zwar nicht über eigene Fotografen, jedoch stehen mit den bekannten Fotografen Adolphe-Eugène Disdéri (18191889), Félix Nadar (1820-1910) oder Pierre Petit (1832-1909) Experten zur Verfügung, die sämtliche Möglichkeiten des relativ neuen Mediums auch im Hinblick auf die Aufnahme der Kriegsszenen auszuschöpfen wissen. Paul bespricht ebenfalls ausgiebig die frühen Formen der Fotofälschung und Montage. Ebd. Friedrich Michael, Hans Daiber: Geschichte des deutschen Theaters. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 97.
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zu kurz greifen, die die Kriegsereignisse thematisierenden theatralen Produktionen einzig auf Schwänke zu reduzieren. Denn die in Kapitel 2 diskutierte Theater-Varietät greift auch in Bezug auf die Stücke zum Krieg, wie der folgende Querschnitt von Berliner Aufführungen zeigt: Am 2. September, dem Tag nach der namhaften Schlacht, zeigt das Théâtre Variète [sic!] Die Wacht am Rhein. Deutsche Herzen, ein »patriotisches Zeitbild aus der Gegenwart in 3 Akten.«159 Am 17. September desselben Jahres führen sowohl das Berliner Victoria-Theater als auch das Louisenstädtische Theater ›Volksstücke‹ mit Gesang auf. Sie tragen Titel wie Berliner in Krieg und Frieden160 bzw. Berliner in Frankreich161 und enthalten überwiegend Genreszenen wie etwa »Das Versprechen hinter’m Heerd [sic!]« oder »Des Kriegers Traum in Feindesland«. Tags darauf schon, am 18. September, wird die erst zwei Wochen zurückliegende Schlacht bei Sedan auf der Bühne des Belle-Alliance-Theaters mit Bei Sedan, oder Des Kaiserreiches letzte Stunde zum Programmpunkt.162 Im Jahr 1873, zwei Jahre also nach Beendigung des Deutsch-Französischen Kriegs, erscheint das Lustspiel Umgesattelt, oder Die Sedan-Feier von Adolf Stegemann163, das am Vorabend des Sedantags spielt und von den Vorbereitungen und der Bedeutung der Sedanfeier für die deutschen Privathaushalte handelt.164 Das Berliner Woltersdorff-Theater vergegenwärtigt die Zustände in Paris nach der offiziellen Beschließung des Krieges im Frühjahr 1871. Für den 17. Mai kündigt dieses Haus ein »Tableau« mit dem Titel Versailles und die Commune von Paris, oder: wie es jetzt in Paris aussieht, als Novität an.165 Die Thematisierung des Krieges, besser: seine Verherrlichung und die Betonung seiner nationalgeschichtlichen Bedeutung, hält bis in die neunziger Jahre an. In unterschiedlichen Aufführungsformaten – Genrebild, Schwank, Oper, lebende Bilder, Tragödie, Festspiele – und Theatertexten werden Szenen des Krieges neu arrangiert (siehe nebenstehende Tabelle).166 Zumeist entziehen sich die Formate einer klaren Definition, in signifikanter Häufung jedoch findet sich der Begriff des »Bildes« – so facettenreich wie im ersten Teilabschnitt dieses Kapitels skizziert – im Titel oder in der Charakterisierung des Stückes. Auffällig ist ferner die zeitliche Nähe der Aufführungen/Stückproduktionen zu den wichtigen Jahrestagen – etwa dem Sedantag am 2. September oder den Feierlichkeiten zum Einzug der deutschen Truppen in Berlin am 16. Juni. Ebenso wie die anderen Geschichtsmedien, beansprucht Theater gleichermaßen Dokumentation und Unterhaltung als produk159 160 161 162 163 164 165 166
Ankündigung in Dritte Beilage zur Königl. Privil. Berl. Ztg. vom 2. September 1870. Ankündigung in Dritte Beilage zur Königl. Privil. Berl. Ztg. vom 17. September 1870. Ebd. Ankündigung in Dritte Beilage zur Königl. Privil. Berl. Ztg. vom 18. September 1870. Stegemanns Lebensdaten sind weit gehend unbekannt. Vgl. Koschs Theaterlexikon 1998, S. 2293. Adolf Stegemann: Umgesattelt oder Die Sedan-Feier. Breslau 1875, S. 96f. Ankündigung in Dritte Beilage zur Königl. Privil. Berlin. Ztg. Nr. 120, 17. Mai 1871. Vgl. zur Geschichte des Festspiels, mit ausgewählten Beispielen für SedanFeiern und patriotische Feste Peter Sprengel: Die inszenierte Nation. Tübingen: Francke 1991.
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tive Leitlinien und auch als ökonomische Größen. Die Platzierung der zeitpolitischen Stücke ins Programm der Spielstätten ist opportun und wirtschaftlich strategisch: Denn die Aktualität der Geschehnisse schafft Interesse beim Gros des Publikums und erhöht dadurch auch die Absatzchancen. In den achtziger und neunziger Jahren gilt diese Gesetzmäßigkeit analog für die Erinnerung jener Momente. Im Fokus der nachfolgenden Abschnitte stehen drei Beispiele für szenische Rückübersetzungen, für die Vergegenwärtigung der Kriegsereignisse auf den Bühnen, namentlich Rückblicke, ein »Genrebild mit Gesang und Tanz«, 40 Lebende Bilder aus den Kriegsjahren sowie Die Kapitulation von Sedan. Die Besprechung erfolgt vor dem Hintergrund des Bezugs von Theater zur visuellen Kultur jener Zeit und entlang der Fragen, welchen Beitrag die verschiedenen Theaterformen zu den Bildern des Krieges von 1870/71 leisten, und auf welche Weise sie mit den Visualisierungen des Krieges operieren. Aufführungen und Stücktexte zur Kriegsthematik zwischen 1870 und 1891 (Auswahl) Jahr
Theater
Titel
Genre/Format
Autoren
Die Wacht am Rhein. Deutsche Herzen
Patriotisches Werel [?] Zeitbild in 3 Akten
1870 02. 09. Théâtre Variète [sic!] Victoria-Theater 17. 09. Victoria-Theater
Frieden im Kriege Berliner in Krieg und Frieden
Volksstück mit Gesang in 3 Akten
17. 09. Louisenstädtisches Berliner in Theater Frankreich 18. 09. Belle-AllianceTheater
Bei Sedan, oder Des Kaiserreiches letzte Stunde
1871 Feb. (?)
Kroll-Theater
Rückblicke
Genrebild mit Gesang und Tanz in 3 Akten
C. Marobson M. G. Lehnhardt
14. 05. Wallner-Theater
An der Spree und am Rhein 1870
Zeitbild mit Gesang in 4 Akten und 7 Bildern
Hugo Müller M.: Conradi, königl. Musikdirektor
17. 05 WoltersdorffTheater
Tableau (neu): Versailles und die Commune von Paris, oder: wie es jetzt in Paris aussieht
Tableau [?]
29. 05. Theater in Stolp
Rückblicke! Oder: Von Berlin nach Versailles
Genrebilder mit Gesang und Tanz in 3 Akten und 7 Tableaux
C. Marobson M. G. Lehnhardt R.: Damberger
198 | PIKTORAL-DRAMATURGIE 3. 10.
Altes Theater (Leipzig)
Paris unter der Commune
»Eine Serie von Bildern aus den Schreckenstagen«. AgioscopVorführung
Wallner-Theater
Vorwärts, mit Gott Vaterländisches A. Müller für König und Zeitbild in 5 Akten Vaterland
Théâtre variété
Die Wacht am Rhein, Deutsche Herzen. Ein Ulanenstueckchen
National-Theater
Alles fürs Vaterland
Posse mit Gesang in 3 Akten
Wegner
Viktoria-Theater
Berlin, Kurfürst, König, Kaiser
Bilder und Tableaux vivants, mit begleitender Erzählung
E. Pasqué und G. Horn
Stuckenbrock Wexel
1876 05/06
1879 Kaiser Wilhelm der Festspiel in 5 Siegreiche, oder: Aufzügen Ems, Sedan und Paris
?
Publ.: Leipzig
Die Schlacht bei Sedan oder Konfusion ohne Ende
Lustspiel in 1 Akt
Ottobald Bischoff
Publ.: Leipzig
Sedan
Tragödie in 5 Akten, mit einem Prolog
Heinrich Hart
Publ.: Regensburg
Sedan
Trauerspiel
Josef Schiesl
1880
1882
1885
1888 30.08. Belle-AllianceTheater Publ.: München
Rückblicke. Zeitbild mit (s. Kroll-Th., 1871) Gesang in 3 Akten und 7 Tableaux
C. Marobson M.: G. Lehnhardt
Tags nach Sedan
Festspiel in 1 Akt
Rudolf von Belzig, Rudolf Koch
Im neuen Reich
»Zehn Richard Rackwitz vaterländische Festspiele für Kaisers-Geburtstag und Sedan,«
1890
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 199 1891 Feen-Palast
40 lebende Bilder aus den Kriegsjahren 18701871
Lebende Bilder mit Johannes Diehl begleitender Dichtung und Musik; am Schluss: Apotheose
Publ.: Hamm (Westf.):)
Die Kapitulation von Sedan
Historische Darstellung in 7 Aufzügen.
1892 Johannes Diehl
Rückblicke – Genrebild und Zeitbild mit Gesang und Tanz Im Januar 1871 erreicht das Berliner Polizei-Präsidium ein Gesuch des KrollTheaters zur Aufführungsgenehmigung von Rückblicke, einem »Genrebild mit Gesang und Tanz in 3 Akten und sieben Bildern« von C. Marobson und mit Musik von G. Lehnhardt (Abb. 32). »Der erste Act spielt in Berlin – der zweite im Elsaß – der dritte in Versailles. Zwischen dem zweiten und dritten Act liegt ein Zeitraum von drei Monaten; Zeit: Die Gegenwart«, heißt es im eingereichten Belegexemplar.167 Es ist, wie bei den meisten anderen populären Stücken der Zeit, äußerst wenig Material über die Produktion und die Aufnahme beim Publikum überliefert.
Abb. 32: Rückblicke. Genrebild mit Gesang und Tanz in 3 Akten von C. Marobson, Musik von G. Lehnhardt. Titelseite des beim Berliner Polizeipräsidium eingereichten Belegexemplars. 167
LAB A Pr. Br. Rep. 030-02 Nr. R 111.
200 | PIKTORAL-DRAMATURGIE
Rückblicke, Genrebild in Musik und Tanz (1871; 1888), Abfolge der Bilder Erster Act
Zweiter Act.
Dritter Act.
Erstes Bild.
Drittes Tableau
6tes Tableau
Es geht los! […]
In Feindes Land
Berlin in Versailles […]
Zweites Bild
Viertes Tableau
7tes Tableau
Adieu Berlin! […]
Napoleon I. […]
Waffenstillstand168 [bzw.
Fünftes Tableau
Das eiserne Kreuz169]
Sieg oder Tod […]
Dennoch scheint Rückblicke überaus erfolgreich gewesen zu sein, denn bereits am 29. Mai desselben Jahres wird im ›Theater im Neuen Schützensaale‹ in Stolp die ›Novität‹ Rückblicke! Oder: Von Berlin nach Versailles als »fortwährendes Repertoirstück des Kroll’schen Theaters« angekündigt.170 Noch siebzehn Jahre später, 1888, bittet auch die Direktion des Berliner Belle-Alliance-Theaters um die Erlaubnis, Rückblicke aufzuführen: Textliche Grundlage der Aufführung ist jenes Scriptum des Kroll-Theaters, einzig die Klassifizierung ist geändert in »Zeitbild mit Gesang in 3 Acten und 7 Tableaux«. Die Selektion und Abfolge der Bilder stehen ganz im Zeichen der Vergegenwärtigung als wesentlich erachteter Augenblicke der Kriegsjahre 1870/71: Vom Kriegsbeginn (»Es geht los!«), Aufbruch der deutschen Truppen in Berlin (»Adieu Berlin!«) über die Fehden in »Feindes Land«, Napoleons Festnahme, den Ereignissen in Versailles bis hin zum Waffenstillstand. Die Fassung vom Januar 1871 wird noch während der Kriegszeit aufgeführt. Die Bilderfolge entspricht der Chronologie der Ereignisse, das letzte Bild stellt den Waffenstillstand dar, welcher realgeschichtlich erst im Januar geschlossen wird. Die Aufführung von Rückblicke reagiert demnach sehr zeitnah auf das Zeitgeschehen: Im Berliner Kroll-Theater im Februar, kurz nach dem Waffenstillstand also, im Theater in Stolp erneut am 29. Mai, knapp drei Wochen nach Beschluss des Frankfurter Friedens. In der späteren Version aus dem Jahr 1888 endet das Stück mit der Ehrung der deutschen Soldaten mit dem ›eisernen Kreuz‹, wodurch einmal mehr die patriotische Stimmung, die der Krieg – und seine entsprechende mediale Reflexion – hervorgebracht hat. Die Titel der Bilder offenbaren, stellvertretend für das Deutsche Reich, die Berliner Perspektive auf den Krieg. Emotive Titel wie »Es geht los!«, »Adieu Berlin« oder »In Feindes Land« stehen neben mehr sachlichen Überschriften wie »Napoleon I« oder »Waffenstill168 169
170
Fassung Kroll 31. Januar 1871. Auszug aus dem dem Berliner Polizeipräsidium vorgelegten Beleg-Exemplar LA Berlin A Pr. Br. 030-2 R 111. Auf der Titelseite ist als aufführende Spielstätte das Kroll-Theater genannt, 31.01.71, (Stempel: 6.2.1871, vgl. Abb. 32), auf der letzten Seite des Exemplars findet sich der Vermerk »genehmigt [auch] für das Belle-Alliance-Theater Berlin 30. 08. 88«. Es ist also davon auszugehen, dass das Belle-Alliance-Theater mit zeitlichem Verzug von siebzehn Jahren die gleiche Version wie das Kroll-Theater aufführt. Theaterzettel des Theaters in Stolp 1871. Staatsbibliothek Berlin, Theaterzettelsammlung, YP 4802 (Theaterzettel aus verschiedenen Städten 1842-1871, Nr. 130).
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stand«. Es ist demzufolge zu vermuten, dass die ›Rückblicke‹ einmal aus Soldatensicht, personifiziert, dargestellt sind, einmal eher sachlich/faktenorientiert. Eine analoge Vorgehensweise konnte am Beispiel des Fries’, des Sedan-Panoramas und der Rezeption des Krieges in den illustrierten Ausgaben festgehalten werden. Nur in ihrer szenischen Realisation aber ist es möglich, »Genre«- und »Zeitbilder« in einer zeitlichen Abfolge alternierend zu setzen. Couplets in Versen erweitern die Bildaussage,171 Tanzeinlagen zwischen den Bildern dienen zur Auflockerung im Sinne eines Divertissements. Rückblicke ist Zeitbild, weil es auf die Zeitgeschichte Bezug nimmt, es ist Genrebild, weil es Szenen des Kriegsalltags und Szenen des Privaten in den Kriegsjahren aufgreift. Die wiederholte Aufnahme von Rückblicke in die Spielpläne verschiedener Theaterhäuser bezeugt den anhaltenden Erfolg sowie die nachhaltige Relevanz des Deutsch-Französischen Krieges für das deutsche Publikum des späten 19. Jahrhunderts.172
Vierzig lebende Bilder aus den Kriegsjahren 1870/71 Unter der Leitung des Bühnendirektors Robert Unger zeigen im Jahr 1891 auf der Bühne des Berliner Feen-Palastes insgesamt 200 Darsteller 40 lebende Bilder aus den Kriegsjahren 1870-71 mit begleitender Dichtung und Musik von Johannes Diehl (Abb. 33).173 Zu dieser, vom Komitee der »KriegsFestspiele« organisierten Aufführung existiert ein Textbuch mit dem Titel Kriegs-Scenen. Darstellung von lebenden Bildern aus dem Kriegsjahre 1870/71 mit verbindender Dichtung und Musik, das in zweiter Auflage 1894
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Die Couplets sind vollständig wiedergegeben im genannten Beleg-Exemplar. Eine den Rückblicken vergleichbare Mischung von Genre- und politischen Szenen bietet das »Zeitbild mit Gesang in 4 Akten und 7 Bildern« An der Spree und am Rhein von Hugo Müller172, mit Musik von M. Conradi (»königl. Musikdirector«), das als »fortwährendes Repertoirstück« des Berliner Wallner-Theaters am 14. Mai 1871 auch im bereits genannten Theater in Stolp zu sehen ist: 1. Bild: (1. Akt): Auf dem Gipfel des Glücks; 2. Bild (2. Akt): Fabrikherr und Arbeiter; 3. Bild. Die Enttäuschung; 4. Bild (3. Akt): Im Bivouak, oder: Ein Königl. Hof- und Reservisten-Theater; 5. Bild. Freund und Feind; 6. Bild (4. Akt): Im Feld Lazareth; 7. Bild: Für seinen König stirbt der Preusse gern; »Das heutige Zeitbild wurde nach der Schlacht von Wörth von Hugo Müller, dessen dramatische Arbeiten auch dem Hiesigen Hochgeehrten Publikum genügend bekannt sind, geschrieben und wurde das ununterbrochen einige 60mal bei Wallner, und nach dieser Zeit von allen guten und renommirten Theatern gegeben, und erlaub ich mir daher auf die heutige Novität ganz besonders aufmerksam zu machen.« Theaterzettel in der TheaterzettelSammlung der StaBi Berlin, Mappe Yp 4802, »Theaterzettel aus verschiedenen Städten«, Nr. 117. Johannes Diehl, Lehrer, Verfasser von Erzählungen, Dramen, Komponist von (patriotischen) Volksliedern (e.g. Vaterlandslieder zum Gebrauch bei patriotischen Feiern in höheren Schulen. Hannover: Oertel 21892.). Diehl veröffentlicht 1904 seine Kriegs-Erlebnisse von 1870/71, mit 120 Abb. Und 3 Illustrationsbeilagen Minden i.W. 1904. Siehe von Robert Unger: Deutschland unter unseren 3 Kaisern in Lied, Dichtung und Bildern. Es handelt sich hierbei um ein Textbuch mit gedichteten Versen zu bekannten Bildern der deutschen Kaiser (Kaiser Friedrich III, Wilhelm I, Wilhelm II) und Gedichten zu Kriegsthemen(Abschied der Krieger, »Deutscher Edelmuth bis in den Tod«, »Die Wacht am Rhein«, Brief an die Mutter etc.
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in Hamm i.W. erscheint.174 In der Einleitung zu diesem »von echt patriotischem Geiste durchwehte[n] Werk« ist die Absicht formuliert, mit den lebenden Bildern, zu deren Aufführung es nur eines Rezitators, einiger Personen sowie eines Pianisten oder Orchesters bedürfe, einen geeigneten Stoff anzubieten, die nun schon längere Zeit zurück liegenden Kriegsereignisse öffentlich zu erinnern.175 Und dies für diejenigen, die in die Geschehnisse direkt involviert waren, aber auch für solche Mitbürger, »welche nicht das Glück hatten, an dem großen Nationalwerk thatkräftig mitzuwirken.«176 Die Kriegs-Scenen werden authentifiziert durch die persönliche Beteiligung des Verfassers Johannes Diehl als Kombattant im Feldzug 1870/71 und seine Auszeichnung mit dem eisernen Kreuz. Im Vorwort betont er seine eigene Erfahrung als Beteiligter und nimmt seine persönlichen Anschauungen und Erlebnisse, die den Lebenden Bildern zur Grundlage dienen, als Garanten für ihre Wirkkraft. Mittels der Bilder, so Diehl, könne sich das Publikum »ganz lebhaft in jene Zeit zurückversetzen, und […] in dem Zeitraume von zwei bis drei Stunden den ganzen Feldzug in seiner Entstehung, seiner Entwickelung und seinen Erfolgen in einem Abend auf der Bühne [den] Augen und Ohren nahegerückt sehen.«177
Abb. 33: Feen-Palast Berlin. Programm der Kriegsfestspiele. Kriegs-Scenen aus dem Feldzuge 1870-71. Grosse Darstellung von 40 lebenden Bildern. 174
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J. Diehl: Kriegs-Scenen. Darstellung von lebenden Bildern aus dem Kriegsjahre 1870-1871 mit verbindender Dichtung und Musik. Hamm i.W.: Verlag der Carl Dietrisch’schen Buchhandlung 21892. Auf dem Titelblatt der zweiten Ausgabe der Textvorlage sind mehrere Städte genannt, in denen die KriegsScenen aufgeführt wurden, darunter: Hamm i.W., Dortmund, Hagen, Essen, Altena (sic!), Soest, Elberfeld, Neheim, Hohenlimburg, Lüdenscheid, Menden, Münsterberg i. Schlesien, Stockum, Hemer, Paderborn, Ruhrort, Hattingen etc. »Je länger uns nun die Gegenwart von jener erhabenen Vergangenheit trennt, desto mehr macht sich der Mangel an geeignetem Stoffe zur Verherrlichung dieser Erinnerungsfeier geltend.« Diehl 21892, S. 3. Diehl 21892, S. 3. Ebd.
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Die hohe Anzahl der Darsteller weist darauf hin, dass ›lebende Bilder‹ hier noch als Nachstellung von Szenen oder Gemälden durch Personen verstanden sind178, die bekanntlich während des gesamten 19. Jahrhunderts mit wechselnder Häufigkeit Bestandteile der Theaterspielpläne bilden. Anleitungen zum Nachstellen von Bildern mit Kriegsthematik bietet e.g. das Brevier der Konversation und gesellschaftlichen Unterhaltung 1876. Und auch im weiter oben vorgestellten Anleitungsbuch zur Gestaltung von Tableaux vivants von Edmund Wallner, Eintausend Sujets zu lebenden Bildern, sind unter der Rubrik »Historische Bilder, die deutsche Geschichte in Bildern« auch »Bilder aus dem Kriege 1870-71« zum Nachstellen empfohlen.179 Allerdings wählt Wallner überwiegend Genreszenen, nicht die militärischen Szenen, aus. Aus dem Fundus der Bilder zum Krieg ließe sich »leicht eine Serie interessanter Bilder zur Darstellung bringen«, äußert Wallner, und nennt die Referenzen: »Stoff liefert fast jedes illustrirte Journal sowie jede illustrierte Kriegsgeschichte.«180 Es ist also im Fall der lebenden Bilder, aber auch in Bezug auf die szenischen Realisationen von Kriegsereignissen davon auszugehen, dass sich die Produzenten der Aufführungen an konkreten Bildvorlagen, die zuvor schon in anderen populären Medien oder visuellen Institutionen veröffentlicht wurden, orientieren. Unter den nachgestellten Bildern sind Darstellungen von Schlachten oder Einzelkämpfen eher selten, auch wenn sich diese als Bild im Panorama oder den Holzstichen der illustrierten Pressen finden lassen. Franz von Akats widmet in der Kunst der Scenik der »Darstellung einer Schlacht« einen eigenen Abschnitt und warnt nachgerade vor der Bühnenimitation eines Kampfgeschehens, weil »das übliche Zusammentreffen von großen Abtheilungen, welche dann mit ihren Waffen sinn- und bedeutungslos in der Luft herumfahren« eine »wahre Parodie eines Kampfes« sei.181 Zur Vermeidung der potentiell unfreiwilligen Komik einer Schlachtenszene kommt auch Akats auf den Gedanken, einen »fruchtbaren Moment« der Schlacht herauszugreifen und nachzustellen. Man »lasse die Schlacht unsichtbar vorangehen bis auf einen gewissen Moment, in welchem die Handlung vorgehen soll, die zum Fortgang oder zur Entwicklung des dramatischen Gedichtes notwendig ist.«182 Sei eine Schlacht am Ende eines Stückes vorgesehen, sozusagen als ›SchlußSpektakel‹, so könne durchaus an die Stelle einer ›realen‹ Schlacht auf der Bühne ein großes Tableau treten.183 Auch für die Gestaltung der 40 lebenden Bilder dienen Berichte und Dokumente des Kriegsgeschehens sowie die zur Reproduktion verfügbaren (weil 178
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In den neunziger Jahren wird der Begriff der lebenden Bilder häufig auch auf die ersten kinematographischen Darbietungen angewandt. Der Gleichlaut weist darauf hin, »daß sich das Kino nicht nur über seine der Fotografie ähnlichen räumlich-mimetischen Möglichkeiten definierte, sondern auch durch seine zeitlich-mimetischen Eigenschaften und seine Fähigkeit, Dauer und Bewegung darzustellen.« William Uricchio: »Aktualitäten als Bilder der Zeit«, in: Frank Kessler et al. (Hg.): Aktualitäten. Basel, Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1997, S. 43-50, hier S. 47. Wallner 41895, S. 303. Ebd. Franz von Akats: Kunst der Scenik. Wien: Mausberger 1841, S. 127. Ebd. Ebd.
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reproduzierten) Zeichnungen und Gemälde als Ausgangspunkte »nachempfindbarer, bildender ›Rückübersetzungen‹.«184 Vier Abteilungen gliedern das Programm, das Szenen der Politik, des Feldzuges sowie Genreszenen beinhaltet. Zu den politischen Szenen gehören etwa »König Wilhelm und Benedetti in Bad Ems« (1. Bild), »General Reille überbringt dem König Wilhelm das Schreiben Napoleons« (27. Bild) sowie »Gefangennahme Napoleons« (29. Bild). Szenen aus dem Feldzug sind unter anderen »Thätigkeit der Frauen-Vereine für im Felde verwundete und erkrankte Krieger« (7. Bild), »Ueberrumpelung und Waffenstreckung« (24. Bild) sowie die berühmte »Schlacht bei Sedan« (26. Bild). Im Anschluss an die »Kaiserproklamation« (39. Bild) und die »Darstellung der Heimkehr« (40. Bild) bildet eine Apotheose das Finale: Die heimgekehrten Soldaten werden von ihren Familien am Bahnhof in Empfang genommen, der Deklamator kommentiert die Szenen und verweist auf die friedvolle Zukunft des deutschen Reiches, das Orchester erklingt, und die beteiligten Darsteller singen gemeinsam »Heil dir im Siegerkranz«. Der Vorhang senkt sich, hebt sich nach einer Verwandlung, die aus dem vorherigen Szenenbild ein effektvolles Schlusstableau werden lässt: Bengalische Flammen illuminieren die Bühne, und sämtliche Darsteller blicken, ihre Position ruhig haltend, ins Publikum. Durch ihre Blicke ins Publikum öffnen die Darsteller die Vierte Wand und lassen die Zuschauer somit an dieser andächtigen Verherrlichung des Deutschen Reiches teilhaben. Was die 40 lebenden Bilder vom bis dahin üblichen Bilderstellen unterscheidet, ist die unbedingte Verflochtenheit der Einzeltableaus: Obwohl jedes Bild auch für sich wirkt, wird erst in der Zusammenschau der Bilderfolge einer piktoralen Nacherzählung des Kriegsgeschehens in seinem zeitlichen Verlauf Rechnung getragen. Die 40 lebenden Bilder aus den Kriegsjahren bleiben somit einerseits der traditionalen szenischen Darstellungsform der Verlebendigung bekannter Zeichnungen und Gemälde verpflichtet, beinhalten andererseits aber in ihrer Konsekutivität schon ein wesentliches narratives Element des frühen Films.
Die Kapitulation von Sedan – Szenische Realisation berühmter Einzelbilder Die Schlacht von Sedan. Hinter geschlossener Bühne hört man Kanonendonner und Infanteriefeuer, welches etwa 3 bis 5 Minuten anhält. Dann ertönt einigemal das Signal: ›Hahn in Ruh!‹ dem ein mehrfaches ›Hurrah!‹ folgt. Die Schlacht hat ihr Ende erreicht. (Vorhang auf.) I. Aufzug Szenerie: Freie Gegend. Personen: König Wilhelm nebst Gefolge. Der Generalstab ist mit Feldstechern versehen und blickt nach der Gegend von Sedan. (Links durch die Kulissen.)185
Mit dieser Szenenanweisung beginnt die »historische Darstellung in 7 Aufzügen« Die Kapitulation von Sedan, wie die zuvor besprochenen 40 lebenden Bilder verfasst von Johannes Diehl. Der Inhalt des Stückes ist »nach den bes184 185
Pieske 1993, S. 173. Johannes Diehl: Die Kapitulation von Sedan. Hamm: Dietrich 1892.
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ten Quellen und zum Teil nach den eigenhändigen Aufzeichnungen des französischen Hauptmanns D’Orcet, seiner Zeit Kriegsgefangener in Stettin«, bearbeitet. Das Textbuch erscheint 1892, ob das Stück zur Aufführung gelangte, ließ sich nicht ermitteln. Gegenstand dieser »historischen Darstellung« sind die Folgeereignisse nach der Schlacht von Sedan (siehe die Szenenanweisung oben: »Die Schlacht hat ihr Ende erreicht«), nämlich erstens die Übergabe des Kapitulationsbriefs Napoleons an König Wilhelm durch General Reille und zweitens die Kapitulationsverhandlungen zwischen den deutschen und französischen Repräsentanten. Eine Szenerie in »freier Gegend« bildet Beginn und Ende des Stücks. Erklärte Ziele des Stückes sind Erinnerung an die Kriegsjahre und (zeit-)historische Bildung. Durch das Nachstellen der Szenen werden die historischen Begebenheiten im Sinne des Wortes vergegenwärtigt. Dialog und erklärender Text, darunter Stellungnahmen bei den Kämpfen beteiligter Generäle, untermauern das Gezeigte. Trotz der Dominanz und Länge der Textpassagen ist Die Kapitulation von Sedan von Bedeutung für die hier zu untersuchende Interrelation von Theater und visueller Kultur. Es soll in diesem Teilabschnitt nachgewiesen werden, dass der Autor sowohl hinsichtlich der Anordnung als auch in Bezug auf die Beschreibung der Szenen auf die seit Kriegsende zirkulierenden Bilder, konkret: auf die durch Anton von Werner geprägten Bildmuster der entscheidenden Augenblicke dieser Schlacht, rekurriert. Unter diesen Bildmustern, die bereits im Abschnitt über die medialen Bilder des Krieges vorgestellt wurden, stechen folgende heraus: die Gruppierung der deutschen Generäle um Wilhelm I. auf dem Hügel vor Sedan, die Perspektive eines Feldherrenhügels gewährend, die genau beschriebene und gezeichnete Situation, in welcher der französische General Reille Napoleons Brief überreicht, und drittens die Kapitulationsverhandlung. Mehr als nur die Bildthemen aufzugreifen, so die These des folgenden Abschnitts, nutzt Diehl die weiter oben angesprochenen, bei einem breiten Publikum bekannten Dioramen Anton von Werners im Sedan-Panorama als konkrete Ausgangspunkte für die szenischen Rückübersetzungen in Die Kapitulation von Sedan, die Konfiguration und Konstellation der Figuren. Der Rekurs auf von Werners Bilder findet sich an keiner Stelle des Theatertextes expressis verbis erwähnt. Eine Gegenüberstellung der überlieferten Szenenanweisungen und der Dioramabilder von Werners soll jedoch im Folgenden die detailgenaue Orientierung Diehls an den Lichtbildern vor Augen führen. Die Briefübergabe durch General Reille Bereits im II. Aufzug von Die Kapitulation von Sedan, in dem sich Napoleon im Salon der Präfektur in Sedan mit seinen Generälen beratschlagt, kündigt der französische Kaiser die berühmt gewordene Briefübergabe an: »Was meine Person betrifft, so werde ich den General Reille mit einem Schreiben an Seine Majestät den König von Preußen senden(7).186 Der Zuschauer/Leser bekommt auf diese Weise eine Zusatzinformation zum bekannten Bild – aus französischer Sicht. Wieder auf dem ›Feldherrenhügel‹, nähert sich Reille dann den deutschen Generälen. Die Beschreibung von Reilles Ankunft in Diehls Textvorlagen gleichen en detail den Darstellungen Reilles 186
Die Zahlen in Klammern kennzeichnen im Folgenden die Seitenzahlen des Texthefts von Johannes Diehl. Kursiv gesetzte Textpassagen bedeuten die Szenenanweisung.
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in den Bildern von Werners (vgl. Abb. 34 und 35). Im dritten Aufzug des Stücks schaut General von Moltke durch einen Feldstecher und gibt bekannt, was er sieht: Majestät, eine französische Parlamentärflagge bewegt sich in gerader Linie nach hier, von einem unserer Offiziere und einem Trompeter begleitet.
Der Generalstab richtet darauf die Gläser in die gleiche Richtung, zu sehen ist General Reille, dekoriert mit der Krim- und Solferino-Medaille, sein »Käppi ehrerbietig in der Linken«. General Reille, gefolgt von Bronsart von Schellendorf, reitet an Wilhelm I und seine engsten Vertrauten heran, steigt ab und verneigt sich vor dem König, um ihm den Brief Napoleons zu überreichen. Hinter Wilhelm haben sich die wichtigsten Führer des Feldzuges versammelt. Reille und König Wilhelm gehen aufeinander zu, der General überreicht den Brief, den Wilhelm I. seinen Generälen vorliest: »Mein guter Bruder! Nachdem ich den Tod inmitten meiner Truppen nicht finden durfte, bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Degen in die Hände Ew. Majestät zu legen. Ich bin Ew. Majestät guter Bruder Napoleon.«(7)
Abb. 34: Kaiser Wilhelm I. empfängt bei Sedan den Brief Napoléon III. mit der Ankündigung der Übergabe. (01.09.1870, 19 Uhr). Dioramabild des Sedan-Panoramas am Bahnhof Alexanderplatz, 1884. Im Vordergrund des Bildes steht schon der Stuhl bereit, auf den sich Wilhelm auch in Diehls Theatertext kurze Zeit später setzen wird, um das Schreiben des französischen Kaisers zu beantworten:
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 207 »Mein Herr Bruder! Indem ich die Umstände bedauere, in denen wir uns begegnen, nehme ich den Degen Ew. Majestät an und bitte Sie, einen Ihrer Offiziere zu ernennen, der mit Ihren Machtvollkommenheiten versehen, um über die Kapitulation der Armes zu unterhandeln, welche sich unter Ihren Befehlen so tapfer geschlagen hat. Meinerseits habe ich den General v. Moltke bezeichnet. Ich bin Ew. Majestät guter Bruder. Vor Sedan, 1. September 1870. Wilhelm« (8)
Von Werner beschreibt in seinen Lebenserinnerungen die Akribie in der Skizzierung des historischen Augenblicks dieser Szene. Er habe die beteiligten Generäle um Auskunft gebeten, wie ihre Konstellation auf jenem Hügel gewesen sei, welche Kleidung getragen worden sei und auf welche körperliche Merkmale bei der Anfertigung zu achten sei. Von Werner gibt so zu verstehen, dass die Szene des Bildes zwar eine mit künstlerischen Mitteln konstruierte ist, dass sie jedoch nachgerade eine Kopie des historischen Moments sei, authentifiziert durch die Aussagen und Korrekturen der Beteiligten.187 Diehl orientiert sich in der Szenenbeschreibung, der Figurenkonzeption und konstellation an der bildlichen Vorlage von Werners oder einer anderen Vorlage, welche die berühmte Version des Historienmalers kopiert. Diese Anlehnung an die ›verbürgt‹ authentische piktorale Repräsentation lässt auch die Nachstellung der Szenen auf der Bühne der ›historischen Wahrheit‹ umso näher kommen. Kapitulationsverhandlungen Auch für die Gestaltung des Bildes der Kapitulationsverhandlung, das 1885 fertig gestellt wird, wendet sich v. Werner an die anwesenden Generäle, die aus mal guter, mal schwacher Erinnerung die Szene wiedergeben.188 Diehl schöpft seinerseits aus der Anwesenheit des Generals D’Orcet bei den eigentlichen Unterredungen, der ihm für sein Textbuch die historischen Fakten sowie die Stimmung im Raum schildert und somit auch die Anordnung der Beteiligten auf dem Bild von Werners bestätigt. Von Werners Diorama-Bild (Abb. 35) ist sehr dunkel gehalten, soll es doch die nächtliche Stimmung in diesem provisorischen Verhandlungszimmer in Donchery wiedergeben. Nach von Werners Berichten leuchtete die Lampe auf dem Tisch im Diorama wirklich und bewirkte Lichtreflexe auf den Waffen und Uniformknöpfen, wodurch die Illusion des ›Realismus‹ des Bildes gesteigert wird.189 Die Szenenanweisung in Diehls Textbuch entspricht von Werners Vorlage evident, wie aus der folgenden Zusammenschau von Text und Bild hervorgeht:
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»Über die Vorgänge des ersten Abschlusses war ich durch Kaiser Wilhelm selbst, den damaligen Oberstleutnant Bronsart v. Schellendorff I, Major v. Winterfeldt und andere Augenzeugen genügend unterrichtet und erfuhr noch allerlei durch die Herren, die mir für ihre Porträts auf dem Bilde Modell standen. Als ich bei Generalfeldmarschall Moltke brieflich anfragte, ob er bei Sedan den Helm oder die Mütze getragen habe, erschien er sofort bei mir im Atelier, um mir mündlich Antwort zu bringen und mir noch nähere auf den Vorgang bezügliche Mitteilungen zu machen.« Von Werner 1913, S. 395f. von Werner 1913, S. 396ff. Ebd., S. 400.
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Abb. 35: Kapitulationsverhandlungen in der Nacht zum 2. September 1870 in Donchéry (von links: Rittmeister d’Orcey, General Faure, General Castelnau, General v. Wimpffen, General-Quartiermeister v. Podbielski, Graf Moltke, Bismarck, Hauptmann v. Winterfeldt, Graf Nostiz, Oberstleutnant Verdy du Vernois, Major du Claer.) Diorama-Gemälde von Anton v. Werner für das Berliner Sedan-Panorama, 1885. IV. Aufzug. Bühne dunkel. Szenerie: ein Salon; in der Mitte steht ein viereckiger, von zwei Kerzen beleuchteter Tisch mit Schreibutensilien und roter Decke, außerdem noch eine Anzahl Stühle. Personen: Wimpffen, Castelnau, Faur, Reille, D’Orcet, von Moltke, von Bismarck, von Blumenthal und etwa 7-8 Offiziere. Gruppierung: An der einen Kopfseite des Tisches befindet sich in der Mitte von Moltke; links von ihm von Bismarck, rechts von ihm von Blumenthal. An der gegenüberliegenden Seite des Tisches befindet sich ganz nach vorn General Wimpffen; rechts der General Faur und links General Castelnau; hinter ihm, weiter zurück, die Generale Reille und D’Orcet. Die französischen Generale und Offiziere werden von einem preußischen Adjutanten eingeführt. (8)
Nachdem alle Beteiligten ihre Plätze eingenommen haben, beginnen die Verhandlungen, die hauptsächlich von Wimpffen (französische Seite) und von Moltke führen. Als Protokollant wird Graf Nostiz bestimmt, der die Kernpunkte in seinem Notizbuch festhält. Letzteres ist eine explizite Szenenanweisung – in von Werners Bild ist Graf Nostiz mit seinem Block unverkennbar. Neben die Augenzeugenschaft D’Orcets, auf die sich auch Diehl in der Gestaltung dieser Szene stützt, tritt in diese Szene die schriftliche Dokumentation des Gesprächsinhalts durch Nostiz. Seine Aussage soll ebenso den Wahrheitsgehalt der realgeschichtlichen Szene gewährleisten wie die Realitätstreue des Gemäldes von von Werner, der zahlreichen Stiche zu den Verhandlungen und schließlich des vierten Aufzuges von Diehls »historischer Darstellung« Die Kapitulation von Sedan ›bezeugen‹. Die Dialoge von Wimpffens und von Moltkes sind außergewöhnlich lang und gleichen in ihrer Genauigkeit eher den Erläuterungen der Dioramen oder auch den Ausführungen der Ereignisse in Geschichtsbüchern oder den Kriegsrapporten. Politische Einseitigkeit in der Darstellung wird durch die Aufteilung der Textumfänge der jeweiligen Partei (i.e. deutsch und französisch) verhindert. Von Werner hatte die Komposition des Bildes der Kapitulationsverhandlungen so angelegt, dass die Mitte des Tisches gleichsam die
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geometrische Grenze zwischen der französischen und der deutschen Partei zieht. Im vierten Aufzug des gleichnamigen Stückes von Diehl ist diese Komposition aufgegriffen und bestimmt die Konstellation der Figuren ebenso wie den Dialog der Protagonisten dieser Szene. Pecht sagt über von Werners bildliche Anordnung der Figuren Moltke und Wimpffen, von Werner habe »bewies[en], wie die Kriegsdarstellung eigentlich behandelt und zu einer Hauptgattung der Geschichtsmalerei erhoben werden müßte, bei der sich das Schicksal aus den einander gegenüberstehenden Charakteren mit innerer Notwendigkeit entwickelt.«190 Anders als realgeschichtlich dokumentiert, werden in Diehls Stück die Verhandlungen unterbrochen, und die Begegnung Bismarcks und Napoleons eingeschoben, die Begebenheiten in Textpassagen differenzierter dargeboten als auf den Bildern möglich.191 Hier zeigt sich zum einen die Wirkabsicht des Autors: die realhistorischen Fakten zu erinnern beziehungsweise ein jüngeres Publikum über die Einzelheiten zu unterrichten. Zum anderen wird deutlich, dass Bild und Text in Diehls Stück unterschiedliche Funktionen haben: Die Bilder geben die Stimmungen wieder und sind, insbesondere für ein zeitgenössisches Publikum, das die Bilder aus anderen Medien kennt, internalisierte Bilder des Krieges für die entscheidenden Momente der Schlacht. Die Texte hingegen untermauern das Gezeigte und liefern zusätzliche Informationen, die ›historischen Fakten‹, die das Bild, als ›verdichtete Einheit‹, unterminiert, und lehren ein Publikum, das die Kriegsereignisse nicht mitverfolgen konnte, die Bedeutung der Bilder lesen. Die abschließende Szene ereignet sich erneut auf freiem Feld, mit dem preußischen König und dem gesamten Generalstab als Hauptfiguren. Erneut werden Nachrichten der französischen Seite, nämlich »das Schriftstück der vollzogenen Kapitulation […] gegeben zu Fresnois am 2. September 1870« (17, 18), diesmal durch Moltke überreicht. Die relativ kurze Schlussszene besteht ausschließlich im Vortrag der Kapitulationsbedingungen durch von Tresko und einer abschließenden Rede und Danksagung König Wilhelms. Sie wissen nun, meine Herren, welch großes, geschichtliches Ereignis sich zugetragen hat. Ich verdanke dies den ausgezeichneten Thaten meiner Armeen, denen ich mich gerade bei dieser Veranlassung gedrungen fühle, meinen königlichen Dank auszusprechen […]. [S]chon jetzt meinen Dank J e d e m, der ein Blatt zum Lorbeer- und Ruhmeskranze unseres Vaterlandes hinzugefügt. Der König reicht jedem der Anwesenden die Hand. Vorhang zu. Ende. (18)
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Pecht 1888, S. 411. Bemerkenswert ist beispielsweise die charakterliche Gestaltung von Moltkes und Napoleons: während ersterer zu keinem Einlenken bereit ist und bedingungslos die Kapitulation fordert, schlägt Napoleon vor, in seiner Funktion als Kaiser zu kapitulieren, sein Volk jedoch unbelastet zu lassen. »Ich bedaure das Unglück dieses Krieges. Ich habe den Krieg nicht gewollt; leider mußte ich dem Drucke der öffentlichen Meinung nachgeben und den Krieg erklären.« (V., 15)
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Diehls Absicht besteht offenkundig darin, in der Form eines ›Re-Enactments‹ die (potentiellen) Zuschauer (noch einmal) mit den Ereignissen zu konfrontieren. Die Konfiguration der Beteiligten im Bild erweist sich durch ihre »Kopie« auf der Bühne als nicht willkürliche Setzung durch den bildenden Künstler. Vielmehr erhöht sich die ›Authentizität‹ von Dargestelltem und Darstellung in der szenischen Anordnung und – eine Information gleich zu Beginn des Stücks, die nicht zu unterschlagen ist – : durch die Augenzeugenschaft des Generals D’Orcet, der auf dem Titelblatt von Diehls Kapitulation von Sedan als gewissenhafter Auskunftsträger genannt ist. Neben der Prominenz der Dioramen und der Reproduktion ihrer Motivik in anderen Bildmedien gibt es möglicherweise einen anderen Grund für Diehls Orientierung an von Werners Bildern: Nach den Bestimmungen der preußischen Theaterverordnung von 1851 ist die »handelnde Darstellung« von Angehörigen des Königshauses auf der Bühne nicht gestattet.192 Als Grund für dieses Verbot gilt die durch die Verlebendigung auf der Bühne – etwa durch einen »dilettantischen« Schauspieler bedingte – potentielle Verzerrung der Person und des Charakters eines Mitglieds des Königshauses, die dessen gesellschaftlichem Ruf schaden könnte. Die Exekutive schreibt dem belebten Bild mehr Realistik, eine intensivere, lebendigere Wirkung zu als dem unbewegten, statischen Tableau. Wenn sich Diehl nun präzis an der bildlichen Darstellung von Bismarck und Wilhelms I. in von Werners Dioramen orientiert, die ja sogar vom Kaiser persönlich als sehenswert autorisiert wurden (s.o.), und diese in unbewegten Tableaus nachstellen lässt, umgeht er auf jeden Fall eine eigene Charakterisierung und etwaige »Fehlzeichnung« der Politiker. Über dieses Einzelbeispiel hinausgehend wäre die rege theatrale Praxis des Bilderstellens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts folglich auch mit den skizzierten zensurrechtlichen Einschränkungen zu erklären.
Bild-Geschichte(n) der Nation Schon von Werners Historienbilder hatte Friedrich Freiherr von Khaynach als »Reklamebilderbogen für das neue deutsche Reich«193 bezeichnet. Der deutsche Sieg erweckt neben dem Nationalgefühl auch das Interesse für die Geschichte der eigenen Nation. Einen wichtigen Anteil an der Propagierung dieser Gedanken haben die medialen und szenischen ›Rückblicke‹. Der Sieg der deutschen über die französischen Truppen wird in der Nachkriegszeit nationalteleologisch als Vervollständigung bzw. Klimax deutscher Geschichte zelebriert. »Die Ansicht war weit verbreitet«, so Mommsen 2000, »daß auf dem Schlachtfeld von Sedan nicht allein die preußisch-deutschen Waffen, sondern auch die deutsche Kultur gesiegt habe.«194 192 193 194
Preußische Theaterverordnung vom 10. Juli 1851, wiedergegeben u.a. in Schmidt 1931. Von Khaynach 1893, S. 11. Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Frankfurt a.M.: Fischer 2000, S. 246. Siehe hierzu auch Burns 1995: »Certainly it seemed in the aftermath of 1871 as if the gap that had developed in Germany since the late eighteenth century between the state and society was now being closed. Burckhardt might in private anticipate Nietzsche’s anxiety with his vision of a ›teleological view of world history from Adam onwards in terms of German victories‹, culminating in 1870-71; but it was clear that the authorities‹ understanding of the role of culture in the reinforcement of this process
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Die nationale Geschichte wird einerseits innerhalb der, einem teleologischen Geschichtsverständnis verpflichteten, Historiographie dieser Zeit gespiegelt, andererseits innerhalb der populären Medien und Kultur. Die zeitgenössische Auffassung des 19. Jahrhunderts, dass geschichtliche Prozesse als Erklärungsmodell für die Gegenwart anzusehen seien, wird untermauert durch die Vergegenwärtigung bedeutender historischer Ereignisse als Bildgegenstände. »Für die Zeitgenossen war […] ein Grundbestand gegeben«, so Mommsen, nämlich ein tiefes Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der geschichtlichen Entwicklung, die, ungeachtet immer wieder auftretender Rückschläge, schrittweise in eine bessere Zukunft führen werde, an deren vorläufigem Ende eine voll entfaltete bürgerliche Gesellschaft stehen werde.«195 Für eine ›objektive‹ Geschichtsschreibung, wie sie in Deutschland erstmals durch den Historiker Leopold Ranke196 im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts praktiziert wird, eignen sich Bilder unterschiedlichen Formats, welche vermeintlich faktisch treu Historie abbilden, als Supplement zum Text. In der offiziellen Ikonographie des deutschen Kaiserreiches dominieren schnell die res gestae einer jungen Nation mit langer Tradition, nahezu messbar an der Quantität von nationalen Festen und unterschiedlichen Formen der Vergegenwärtigung sowohl der »jüngsten Ereignisse« (s.o.) als auch der dynastischen Geschichte der Jahrhunderte. Berlin fungiert dabei erneut als politisches und Zentrum der Bildproduktion. In Bezug auf die Historienmalerei beschreibt der Maler Paul Hippolyte Delaroche197 zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Beziehung von Geschichtsschreibung und bildender Kunst: Warum soll es dem Maler verwehrt sein, mit den Geschichtsschreibern zu wetteifern? […] Warum soll nicht auch der Maler die Wahrheit der Geschichte in ihrer ganzen Würde und Poesie lehren können? Ein Bild sagt oft mehr als zehn Bände, und ich bin fest überzeugt, daß die Malerei ebensogut wie die Literatur berufen ist, auf die öffentliche Meinung zu wirken.198
Am 21. März 1876 wird die Nationalgalerie in Berlin eröffnet, die sich »als eine mit den ›Mitteln der Kunst gebildete Selbstdarstellung‹ der Nation« versteht.199 Zum Fundus der Galerie gehören zu dieser Zeit 391 Gemälde und 16 Bildwerke, darunter auch zahlreiche großformatige Historien- und Schlachtenbilder, welche die ›vaterländische‹ Geschichte verherrlichen, und deren Anzahl besonders in den siebziger und achtziger Jahren erheblich steigt. Beim Durchschreiten der Hauptsäle im ersten Hauptgeschoss sind Darstel-
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owed much to their ability to harness the educated middle classes as opinionmakers.« Burns 1995, S. 10f. Paul weist zu Recht darauf hin, dass nicht alle Kriege in gleicher Form medial repräsentiert wurden, sondern bevorzugt die Staatsbildungs- und Bürgerkriege jener Jahre, nicht aber die Kolonialkriege. Paul 2004, S. 80. Mommsen 2000, S. 99. Leopold Ranke, 21.12.1795-23.05.1886, seit 1841 Historiograph Preußens, führt die Methoden von Quellenforschung und Kritik in die Geschichtsschreibung ein und vertritt unbedingte Objektivität in der historischen Arbeit. Paul Hippolyte Delaroche (eigtl. Hippolyte), geb. 17.07.1797, gest. 04.11.1856. Wiedergegeben in: Anton Springer: Die Kunst des 19. Jahrhunderts. Leipzig: E. A. Seemann 31906. Jörn Grabowski. »Leitbilder der Nation«, in: AvW 1993, S. 91-100.
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lungen aus der Zeit der Befreiungskriege 1813/15 zu sehen, Szenen aus den Kriegen von 1864, 1866 und im Besonderen militärische Höhepunkte aus 1870/71, ›zentrale‹ Ereignisse also der jüngsten Vergangenheit. Am 26. Mai 1876, und damit nur zwei Monate nach der Eröffnung der Nationalgalerie, bittet die Direktion des Berliner Viktoria-Theaters um Aufführungsgenehmigung des Stücks Berlin, Kurfürst, König, Kaiser von Ernst Pasqué200 und Georg Horn.201 Es besteht aus Bildern und Tableaux vivants, die eine teleologische Ereignisgeschichte der »Kaiserstadt von ihren Anfängen bis zur Gegenwart« darstellen: Von den Berliner Bürgern im elften und zwölften Jahrhundert (1. und 2. Bild), im Jahr 1449, (3. Bild) unter Kurfürst Joachim, (4. Bild), den Kroaten in Berlin 1757 (6. Bild), dem Berliner Völkerfrühling 1813 (7. Bild), »Berlin in Frankreich 1870« (8. Bild) bis zur Gegenwart (»Daheim« 1871, 9. Bild)202 Eine begleitende Erzählung verbindet die neun Einzelbilder. Die szenische Bilderfolge dieses Stückes ist demzufolge dem Bildprogramm der neuen Nationalgalerie sehr ähnlich, und es ist möglich, dass die Galerie – und ihr ideologisches Programm der Vaterlandsverherrlichung – den Autoren Ernst Pasqué und Georg Horn bei der Konzeption von Berlin, Kurfürst, König, Kaiser Modell standen. Damit wäre ein Beispiel dafür gegeben, dass neben der szenischen Form der Realisation eines bekannten Gemäldes auch Bildprogramme, sprich, -folgen anderer Medien und Institutionen (hier der Nationalgalerie) für die Bühne nutzbar gemacht werden. Auf vergleichbare Wechselwirkungen von Theater und visueller Kultur dieser Zeit, die über die Motivzirkulation hinausgehen, wird im Teilkapitel Kolonien im Blick noch näher eingegangen werden. Ein weiteres Beispiel für eine vergleichbare serielle Repräsentation von Geschichte bietet die Darstellung Berlins auf Dioramen von Otto GüntherNaumburg und Max Koch Carl Becker203 im Berliner Passage-Panoptikum 200
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Ernst Pasqué, 1821-1892; Verfasser von Erzählungen, Opernlibretti, Theatertexte, darunter Eine Visitkarte Bismarcks. Erzählung, 1899 (= Kürschners Bücherschatz Nr. 146); gemeinsam mit Oskar Blumenthal: Frau Venus, ein modernes Märchen in 3 Akten. Musik von Carl Alexander Raida. Berlin 1883. Georg Horn, 1831-1897. Verfasser von Lustspielen, Schwänken und Schauspielen. Darunter Eine Tochter Brandenburgs, Geschichtliches Schauspiel in 4 Aufzügen. Berlin 1875. Zur goldenen Hochzeit des deutschen Kaiserpaares. Mit 6 Ill. Von H. Lüders, erschienen in: Illustrierte Frauenzeitung Jg. 6, Nr. 12, 16. Juli 1879. Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend die Anzeigen über die auf dem Victoria-Theater zur Aufführung zu bringenden Theaterstücke. 1846/1878, LA Berlin A. Pr. Br. Rep. 030, Nr. Th 394. Bereits 1868 kommen ähnliche Stücke insbesondere lokalgeschichtlichen Bezugs zur Aufführung. Darunter beispielsweise Die ersten Kömodiantinnen in Berlin, humoristisches Zeitbild aus der brandenburgischen Geschichte, in vier Abtheilungen, von Carl Görlitz, im Berliner Woltersdorff-Theater. »Das Stück bildet eine Fortsetzung der historischen Dichtungen: Das alte Berlin, Das Bier von Stendal, Das Jahr 1539, in der Schilderung der Zustände in der Mark Brandenburg; es spielt unter der Regierung Johann Sigismunds im Jahre 1612, und dürfte das Publikum wohl besonders interessiert werden durch die erste Theatervorstellung Berlins. Eine Teufelskomödie, die im dritten Bilde historisch treu in Ausstattung und Costümen vorgeführt wird.« Zweite Beilage zur Königl. Privil. Ztg., Nr. 7, Donnerstag, 9. Januar 1868. Carl Becker, vermutlich 18.12.1820-20.12.1900, Genre- und Historienmaler, Präsident der Berliner Akademie.
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Unter den Linden im Jahr 1888.204 Paul Lindenberg schreibt hierzu in Der Bär folgendes: Drei große von Max Koch und Günther-Naumburg gemalte Dioramenbilder veranschaulichen uns die Stadt [Berlin, NL] zu verschiedenen Zeiten. In der Periode ihres allmählichen Aufblühens, […] im Mittelalter mit einer effektvollen Gerichtsscene vor dem Köllnischen Rathhause und unter der Regierung Friedrichs des Großen mit einer Parade der Berliner Garnison unter den ›Linden‹ vor dem alten Fritz und seinen siegreichen Generalen. Andere Dioramen haben auf die neueste Zeit Bezug: Fürst Bismarck im Reichstag sprechend, Kaiser Wilhelm mit seinem Enkel, dem jetzigen Herrscher, in vertraulichem Gespräch mit seinem historischen Arbeitskabinet, Graf Moltke bei der Kritik eines Manövers, Schloß Friedrichskron, die Friedenskirche bei Potsdam etc. etc. Unter den plastischen Gruppen dürfte besonders eine: Fürst Bismarck am Sterbebette Kaiser Wilhelm’s, große Anziehung ausüben.205
Die an anderer Stelle (Kap. 1) erwähnten plastischen Nachbildungen historischer Personen, etwa Kaiser Wilhelms I., Kaiser Friedrichs III., Kaiser Wilhelms II. sowie der Kaiserin Victoria, die in der Fürstenhalle/Ruhmeshalle des Passage-Panoptikums aufgestellt sind, setzen der Geschichte personifiziert ein Denkmal und lassen den Zuschauern Personas und Geschichte leibhaftig werden. Die von Paul Lindenberg erwähnten Szenen des neu eröffneten PassagePanoptikums scheinen – vergleichbar dem oben zitierten Stück im ViktoriaTheater und der chronologischen Hängung der Historienbilder in der Nationalgalerie –, den Zuschauern einen piktoralen ›Ritt‹ durch die Geschichte des Deutschen Reiches zu liefern. Die Reduktion auf schlagkräftige Augenblicke ermöglicht den visuellen Konsum en passant, bei dem rasches Wiedererkennen des Dargestellten und seine Aneinanderreihung eine tief gehende, langwierige Betrachtung obsolet werden lassen. Als abschließendes Beispiel für die Inszenierung des deutschen Nationalstolzes nach der Reichsgründung sei das Ausstattungsstück Germania genannt, das in einem Artikel der Illustrirten Zeitung vom 16. März 1889 ausführlich besprochen ist (vgl. Abb. 36).206 Die zugrunde liegende ›dramatische Dichtung‹ stammt von Ernst Scherenberg, Bruder des Theaterdirektors Gustav Scherenberg. Germania entrollt, so beschreibt es der Redakteur dieser Zeitung, »ein breites culturhistorisches Weltbild […] und [bringt] die Hauptepochen der Menschheit auf geistreiche und patriotische Art mit der Gründung des Deutschen Reichs in Verbindung.«207 Scherenberg schildert das geeinte Deutschland, so heißt es weiter in dem Artikel, »als die Vollbringung dessen, was die vorausgegangenen Culturvölker der Griechen, Römer und Mauren als Ideale aufgestellt haben. Freiheit und Macht, Kunst und Wissenschaft, Reichthum und Glauben, alle diese Güter, die jenen Völkern nur getrennt zugefallen sind«. Nicht die Darstellung »trockene[r] geschichtliche[r]
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Illustrirter Catalog des Passage-Panopticums 1888, S. 7, 11. Paul Lindenberg in: Der Bär. 15. Jg, Nr. 9, 1. Dezember 1888, S. 170. Ohne Autorangabe, Artikel »Ernst Scherenberg’s nationales Ausstattungsstück ›Germania«, in IZ Nr. 2385, vom 16. März 1889, S. 254. Ebd.
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Abb. 36: »Aus Ernst Scherenberg’s nationalem Ausstattungsstück Germania im Victoriatheater zu Berlin. Nero beschuldigt die Christen, Rom in Brand gesteckt zu haben.« Zeichnung von A. Dressel aus der IZ, Nr. 2385, vom 16. März 1889. Thatsachen« sei Scherenbergs Absicht, vielmehr sei der »Stoff pathetisch erfaßt und auf einen wohlthuenden Herzenston gestimmt«.208 Die textliche Grundlage des Ausstattungsstückes sei für den Zweck der Aufführung an verschiedenen Stellen gekürzt, doch bliebe »noch genug übrig […], um den Schwung und die Kraft der Sprache bei der Verbindung der einzelnen Theile erkennen zu lassen.« Im zusammenfassenden Urteil des Redakteurs wird die Verschränkung von historisch bedeutsamen Szenen, Teilen der ›geschichtlichen Tatsachen‹, welche vorrangig die Teleologie des Deutschen Reiches nachzeichneten und die prunkvolle Ausstattung hervorgehoben. Mit Germania sei ein Stoff gewählt worden »bei dem sich etwas denken und empfinden läßt, ohne daß darüber der Eindruck auf das Auge irgendwie zu kurz gekommen ist.«209 Und auch Devrient urteilt über die Geschichtsdramen und szenischen Geschichtsbilder seit den achtziger Jahren, sie nutzten den Text nur noch als »dienende Form der Historie«: Beängstigt von der Fülle des Begebenheitlichen, wohl wissend, daß die vorgeschrittene Verbreitung der Geschichtskenntniß im Publicum nicht mehr erlaubt von der historischen Wahrheit abzusehen – wie Goethe und Schiller es theilweis (sic!) gethan – nehmen diese Dichter ihre Zuflucht zu einer Aneinanderreihung von schildernden Scenen, die immerhin nur abgerissen scheinen […].«210
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Ebd. Ebd. Devrient 1905, Band 2. S. 475.
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Hier findet sich expressis verbis formuliert, was an den anderen, in diesem Kapitel vorgestellten Beispielen szenischer Rückübersetzungen zu beobachten ist und noch weiter beschäftigen wird: Die Sprache, der Text, ist nicht dominantes Medium dieser Stücke, sondern vermittelt nur mehr zwischen den Einzelbildern. Analog zu den Berichterstattungen in den Illustrierten Zeitungen fungiert das Textmaterial als Bildunterschrift, die Dominanz der Botschaft liegt beim Bild.
Dramaturgie der Kriegs- und Geschichts-Bilder Die Theaterinstitutionen reagieren rasch auf die Ereignisse der Zeit. Wenige Tage nur nach entscheidenden Angriffen (Sedan, Pariser Commune), oder Ereignissen (Kriegsbeginn, Waffenstillstand, Friede von Versailles), greifen die Theaterinstitutionen sie in ihren »Zeitbildern« und »Genrebildern« auf. Es ist zu vermuten, dass die Informationen über die Kriegsereignisse primär über die illustrierten Zeitungen vermittelt werden, welche das Theater aufgreift, indem es die Rapports, Bilder und Bildtitel übernimmt und szenisch umsetzt. Die weiter oben erwähnte Beobachtung von Michael/Daiber, die Geschäftstheater des 19. Jahrhunderts reagierten opportun, indem sie zeitgebundene Ereignisse zur Aufführung brächten, teilt auch Barbara Lesák 1990: »Ultimately condemned to failure, material taken from life was formed in a dramaturgical tour de force and presented on a stage which was constantly being re-equipped and modernized in accordance with general technical inventions.«211 Die hier als »tour de force« bezeichnete ›dramaturgische Taktik‹ (die als Fokussierung auf Novitäten und ›Sensationen‹ bereits in Kap. 2 begegnete) eröffnet jedoch eine weitere Dimension von Theater im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts: Durch die rasche Adaption zeitpolitischer Themen wird theatrale Unterhaltung zu einer Institution der Information – gleichrangig neben der (illustrierten) Presse, jedoch in ihrer Wirkung unmittelbarer. Durch die teils subtile, teils plakative Inszenierung zeitgeschichtlicher Themen und Motivik übernimmt der Bereich theatraler Unterhaltung in einem frühen Stadium des Krieges die Funktion eines Bildberichts, einer Aktualitätenschau und wird zu einem wesentlichen, weil unmittelbar und »sensuell« wirkenden, Medium und Institution nationaler und patriotischer Propaganda. Es ist jedoch gerade diese Aktualität, die Theater-Kritiker des 19. Jahrhunderts als Kriterium heranziehen, um das Verfahren der Theater als nichtkünstlerisch und von den Franzosen ›abgeschaut‹ zu beurteilen. In einer Kritik zu einer Burleske des Berliner Wallner-Theaters, Berliner in Cairo (April 1870), die auf die Eröffnung des Suezkanals reagiert212, heißt es etwa:
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Barbara Lesák: »Photography, Cinematography and the Theatre. A History of a Relationship«, in: Mikulás Teich, Roy Porter (Hg.): Fin de Siècle and its Legacy. Cambridge et al.: CUP 1990, S. 132-146, hier S. 133. Ein Original-Manuskript dieser Burleske befindet sich in der StaBi Berlin. Die Handlung spielt an Bord eines Dampfers, der vor Ägypten liegt und sich am Schluss des Stückes von der Bühne bewegt, begleitet vom Gesang aller Figuren: »Lebe wohl Egypterland,/Heimwärts geht’s zum Pankestrand,/Der Kanal so stolz und breit/Wird von uns jetzt eingeweiht.« Hugo Müller: Berliner in Cairo. Burleske in 3 Akten und 7 Bildern. Berlin: Ernst Kühn 1870, S. 76.
216 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Die deutschen Bühnendichter haben in letzter Zeit den Franzosen manchen Kunstgriff abgelauscht, manchen dramatischen Effect abgeborgt, vor Allem aber die schnelle Benutzung der Tagesereignisse und gerade aufsehenerregenden Begebenheiten für das Theater nachzuahmen versucht.213
Zum genauen szenischen Ablauf und der Aufführungspraxis der Genrebilder und Zeitbilder auf den Berliner Theatern ist nur wenig überliefert. Dennoch sind die präzisen Benennungen der gereihten ›Bilder‹ und ihre Klassifizierungen für die Untersuchung des Verhältnisses von Theater und visueller Kultur wertvoll. Dieses Verhältnis erweist sich zumal im Umfeld des Krieges und in Bezug auf die visuelle Vermittlung von Wissen über die Geschichte des jungen deutschen Reiches sowie die emotionale Wirkkraft der Bilder zur Erzeugung eines Nationalbewusstseins – als engmaschig. Die Dramaturgie der bildlichen ›Rückblicke‹ auf den Bühnen visueller Unterhaltung in den letzten drei Dekaden des 19. Jahrhunderts ist Fragen der Selektion, der Aktualität, des dokumentarischen, fiktionalen und emotiven Gehalts der zeitgeschichtlichen Ereignisse, der Wirkung auf die Zuschauer und deren Einbeziehung verpflichtet. Die Strategien zur Reproduktion der Augenblicke folgen zwei generell unterschiedlichen Verfahren: der bildkünstlerischen Kreierung des »fruchtbaren« Moments, einer idealisierten inhaltlichen wie zeitlichen Verdichtung der Ereignisse im Bild, sowie der medial ›bezeugenden‹ Dokumentation des (geschichtlichen) Zeitpunkts. Dem dokumentarischen Charakter der Kriegsbilder in den optischen Medien und im Theater wird besonders hohe Bedeutung beigemessen, was in den vorherigen Abschnitten wiederholt anklang. Die Bekräftigung etwa durch Augenzeugen ist dabei ebenso gewichtig wie die Herbeiführung von zeitlicher und historischer Genauigkeit mittels Strategien zur Erhöhung der ›faktischen Richtigkeit‹ und Vraisemblance. Diese basieren einerseits auf theatralen Konventionen der Illusionserzeugung, andererseits auf den medialen Techniken der visuellen Medien.214 Bernd Busch redet von einer »eigentümliche[n] Verschwisterung der Bedürfnisse nach illusionistischen Reizen mit der sachlichen Exaktheit und Detailtreue des malerischen Positivismus.«215 Realismus, Authentizität und Dokumentationswert sind Wirkungsziele der Bildmedien. Dabei wohnt der Tendenz zur faktischen Genauigkeit in der visuellen Umsetzung (medienunabhängig) die Ambivalenz inne, ›Echtheit‹ durch Illusion zu erwirken. Produktion wie Rezeption fordern den Vergleich zwischen Faktischem/›Wirklichkeit‹ und Reproduziertem/Darstellung heraus.
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Artikel »Berliner in Kairo«, in: Zweite Beil. zur Königl. Privil. Ztg. vom 5. April 1870. Viele frühe non-fiction-Filme, so Uricchio 1997, »stehen für eine Auffassung von Zeitlichkeit und Dokumentation, die in der fotografisch illustrierten Presse seit den 1880er Jahren existiert. Weit eher als der Film war es die Fotografie, die den herrschenden Erwartungshorizont für dokumentarische Bilder schuf. Die Einführung relativ kostengünstiger Drucktechniken im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts führte über die Vielzahl illustrierter Zeitschriften und Magazine, über die Stereographie sowie die Bildpostkarte rasch zur Festlegung bestimmter Darstellungskonventionen.« Uricchio 1997, S. 45. Busch 1997, S. 133.
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Verdichtung der Ereignisse zum Bild: ›Bildwirklichkeit‹ und ›faktische Treue‹ Ein ausgewählter Stoff kann dann als ›dramaturgisch tauglich‹ gelten, wenn das Interesse einer größeren Öffentlichkeit an dem Geschehen, eine sowohl individuelle wie kollektive Beziehung, gegeben ist. Aus der Folge von Ereignissen und Schauplätzen des Krieges werden besonders bedeutsame oder der Reproduktion werte Szenen durch beauftragte Berichterstatter ausgewählt. Da die Bilder des Krieges nationale Interessen propagieren, wohnt dem Prozess der Selektion freilich der Hiatus von Offenlegen und Verbergen inne: Das Zeigen von selektierten Ereignissen heißt Sichtbarmachen, Hervorheben und populäres Erinnern der Ereignisse. Im Umkehrschluss impliziert das ›visuelle Verschweigen‹ von historischen Begebenheiten deren Übergehen und Vergessen. Der durch die Reproduktion und massenhafte Distribution vordergründig egalitäre, ›demokratische‹ Zugang zu den Bildern des Krieges (dank der technischen Reproduzierbarkeit) erhält durch die gleichzeitige Manipulierbarkeit der Bilder und ihrer Betrachter eine Doppelgesichtigkeit. Die Wiedergabe eines Ereignisses im Bild, so lässt sich mit Susan Sontag argumentieren, kreiert nicht eo ipso das Ereignis. Allerdings werden Bilder instrumentalisiert, um dem (als solchem definierten) Ereignis Nachdruck zu verleihen. »Ein Ereignis, das wir durch Fotografien kennen, erlangt für uns zweifellos mehr Realität, als wenn wir diese Bilder nie gesehen hätten […].«216 Die eigentliche Szene – in der Malerei, in den optischen Medien, auf der Bühne – wird zu einem Idealbild umgewandelt, die Wiedergabe beruht auf Auswahl und Gerinnung der »fruchtbarsten Augenblicke« wie Lessing sie in seiner Laokoon-Schrift formuliert hat.217 Die interessante, wirkungsvolle Einzelsituation verdrängt den großen geschichtlichen Gesamtvorgang, die Ereignisse werden in einem Bild verdichtet.
›Bildwirklichkeit‹, Gerinnung des ›fruchtbaren Augenblicks‹ In seiner Kunst der Szenik 1841 fordert Franz von Akats einen ›begrenzten Historismus‹ für die Bühne, der ausschließlich realgeschichtlich motiviert 216 217
Sontag 111999, S. 26. »Kann der Künstler von der immer veränderlichen Natur nie mehr als einen einzigen Augenblick, und der Maler insbesondere diesen einzigen Augenblick auch nur aus einem einzigen Gesichtspunkte, brauchen; sind aber ihre Werke gemacht, nicht bloß erblickt, sondern betrachtet zu werden […]: so ist es gewiß, daß jener einzige Augenblick und einzige Gesichtspunkt dieses einzigen Augenblickes, nicht fruchtbar genug gewählet werden kann. Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel läßt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzudenken können. Gotthold Ephraim Lessing, »Laokoon« in Ders.: Werke, Band 6, Darmstadt 1996, S. 25f. Wie Anette Geiger darlegt, wird mit der Wende zum Klassizismus des 18. Jahrhunderts die Forderung laut, Historienmaler sollten sich an den textlichen Vorlagen der Antike orientieren und diese »buchstabengetreu« umsetzen. »Im Gegensatz zur Momentaufnahme soll der Künstler in einer einzigen Darstellung die ganze Geschichte erzählen, indem er zum Beispiel alle relevanten Attribute, Gesten und Hinweise in diesem Ausschnitt unterbringt.« aus der sie wichtige Augenblicke selektieren. Lessing hingegen empfiehlt die Selektion des »prägnantesten Augenblicks«, aus dem Vorher und Nachher hervorgehe. Geiger 2004, S. 47f.
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sein solle. Er empfiehlt die Konsultierung der Geschichtswissenschaft, um Auskunft über die Zeit des Ereignisses zu erlangen, über »deren Sitten und Gebräuche« und Charaktere der Hauptpersonen. Daraufhin sei »die Art der Kostüme, der Dekorationen und des ganzen Bedarfs« zu erschließen.218 In Bezug auf weiter zurück liegende historische Ausschnitte bestimme zudem der Publikumsgeschmack, besser: die »Vorstellungen des Publikums von der dargestellten Epoche« die Gestaltung der Bilder/Szenen.219 Auch Pabst redet in Die Verbindung der Künste auf der Bühne einem »eingedämmten« Realismus das Wort. Statt wahrhaft realistisch zu wirken, sei die »in realistischem Sinn übertrieben und auffallende Treue der Nachahmung für den wahren aesthetischen Genuss nicht minder störend als auffallende Verstösse gegen die natürliche oder geschichtliche Wirklichkeit«. Denn jene sowohl als diese forderten zum kritischen Vergleich heraus und lähmten »das freie Spiel der Phantasie […].«220 Damit entspricht die Verdichtung der Ereignisse im Bild der Idealumsetzung der fruchtbaren Augenblicks im Sinne Lessings: Die Einbildungskraft müsse beim Betrachten eines Bildes »eine Stufe höher« beziehungsweise »eine Stufe tiefer steigen«, das Dargestellte also nuancieren, mit Transitorik versehen können. Erhält aber »dieser einzige Augenblick durch die Kunst eine unveränderliche Dauer: so muß er nichts ausdrücken, was sich nicht anders als transitorisch denken läßt.«221 Die Bilder des Krieges und der Geschichte gewinnen ihre vermeintliche Präzision in gleichen Teilen durch Orientierung an der historischen Realität wie durch Idealisierung mit Mitteln der Kunst. Im Spannungsfeld zwischen Idealisierung und historischer Genauigkeit steht die bildliche Wiedergabe der zeitlichen Dimension, die Arretierung des darzustellenden Moments. Wie Jürgen Fohrmann darlegt, ist der Begriff des ›Anhaltens‹ im 19. Jahrhundert »in besonderer Weise mit dem ›Bild‹ verbunden und lässt sich daher als Vorgang der Ikonisierung fassen.«222 Der realhistorische zeitliche Verlauf ist auf 218 219
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Von Akats 1841, S. 2 »Ist die Fabel des dramatischen Gedichts ein geschichtlicher Stoff, so unterrichte man sich von der Zeit, in welcher die Handlung vorgeht, von den Sitten und Gebräuchen dieser Zeit, von den Charakteren der Hauptpersonen, und wiefern ihre Handlungsweise g e s c h i c h t l i c h gehalten ist – und man wird alsdann die Art der Kostüme, der Dekorationen und des ganzen Bedarfs ersehen, wobei man aber nicht mit zu ängstlicher Genauigkeit im Sinne der damaligen Zeit verfahren dürfe, – sondern dem Geschmacke, den Begriffen, Gewohnheiten und Ansichten unserer Zeit die gehörige, jedoch gemäßigte Rücksicht schenken müsse, in so fern es nicht das Charakteristische des Zeitalters, und die beabsichtigte Wirkung und Klarheit des Gedichts aufhebt, und denselben widerspricht; – dabei vergesse man nicht, die Kosten zu berücksichtigen, welche die neuen Anschaffungen veranlassen könnten; […]« Akats 1841, S. 2. Vgl. auch Ibscher 1972, S. 78. Pabst 1870, S. 220. »Alle Erscheinungen, zu deren Wesen wir es nach unsern Begriffen rechnen, daß sie plötzlich ausbrechen und plötzlich verschwinden, daß sie das, was sie sind, nur einen Augenblick sein können; alle solche Erscheinungen, sie mögen angenehm oder schrecklich sein, erhalten durch die Verlängerung der Kunst ein so widernatürliches Ansehen, daß mit jeder wiederholten Erblickung der Eindruck schwächer wird, und uns endlich vor dem ganzen Gegenstande ekelt oder grauet.« Lessing: Laokoon 1996, S. 26. Jürgen Fohrmann: »Medien der Präsenz«, in Ders. et al. (Hg.) 2001, 7-10, S. 7.
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das Ereignis verdichtet, der Prozeß auf den Moment, wie Rainer Rother in seinem Aufsatz »Nationen im Film« beschreibt: Die Schlacht gerinnt zur Schluß-Geste, der Prozeß wird von einem entscheidenden Augenblick aus begriffen, die Geschichte zur Situation stilisiert. […] [D]as ›So war es‹, das im geglückten Historienbild für seine Betrachter realisiert ist, besteht nicht in der Rekonstruktion der Abläufe, wie sie eigentlich gewesen sind, sondern in der überhöhten Fassung eines Kulminationspunktes.223
›Faktische Treue‹ Die positivistische Haltung in den Wissenschaften schlägt sich im Bereich der Kunst als Forderung nach höchst möglichem Realismus in der Wiedergabe der realen Wirklichkeit nieder. An die Stelle der Idee tritt die Tendenz,224 später die Genauigkeit, die Betonung des Faktums, des Details. »Nicht mehr so sehr die Schaffung eines Kunstwerkes aus der Idee, sondern die Abbildung der Realität galt nun als Kriterium von Kunst.«225 Es genügt nicht länger das künstlerische Erlangen von veri-similitude, von Ähnlichkeit mit dem und Nähe zum ›Wahrhaftigen‹, nicht länger eine idealisierende Wiedergabe des Faktischen. Techniken und Medien des 19. Jahrhunderts üben sich im Verbessern der Wahrscheinlichkeit, in der Erhöhung der Illusionswirkung. Für die Zeitgenossen genügt die seit der Jahrhundertmitte technisch stetig verbesserte Fotografie diesem Anspruch in vermeintlicher Perfektion, indem sie scheinbar objektive Bilder liefert. Die verlangte positivistische Genauigkeit des ›so-gewesen-Seins‹ stellt auch theatrale und visuelle Unterhaltung des späten neunzehnten Jahrhunderts in ihren Dienst.226 So ist beispielsweise die Beachtung der historischen Wahrheit nicht von Anfang an vorrangiges Ziel der Panoramamaler, gewinnt aber, vermutlich auch bedingt durch die zunehmende Genauigkeit, wie sie die Fotografie ›verspricht‹, immer mehr an Bedeutung. David Brewster hatte für die Photographie, das Schreiben und Aufzeichnen mit Hilfe des Lichts im Wortsinn, formuliert, die Sonne solle für die Nachgeborenen zum »Geschichtsschreiber der Zukunft« werden. In der »Treue ihres Pinsels und in der Genauigkeit ihrer Geschichtsschreibung« werde »die Wahrheit selbst erhalten werden und die Geschichte aufhören, fabelhaft zu sein.«227 Schon die Daguerreotypie, wenig später die Fotografie, trägt den zeitlichen, räumlichen Momenten durch Arretierung, Fixierung, Detaillierung und Vergegenwärtigung des Vergangenen Rechnung. Die Fotografie schließlich kann als bildmediales Pendant zum Positivismus angesehen werden, denn beide selektieren und archivieren vermeintlich objektiv Segmente der Wirklichkeit, »wie sie ist«.228 Oder, in den Worten
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Rainer Rother: »Nationen im Film«, in: Ders. (Hg.): Mythen der Nationen. Völker im Film. München: Deutsches Historisches Museum 1998, S. 9-17, hier S. 11. Vgl. Fritz Martini: Deutsche Literatur im bürgerlichen Realismus 1848-1898. Stuttgart: Metzler 31974, S. 212. Paul 2004, S. 37. Vgl. etwa die Theaterpraxis der Meininger oder Franz von Dingelstedts »historischen Realismus«. Brewster 1857, S. 172. Vgl. Jenks in Ders. (Hg.)1998, S. 1-25.
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Gisèle Freunds, für den Fotografen ist »die Wirklichkeit der Natur identisch mit der optischen Bildwirklichkeit«.229 Zeit erfährt eine besondere Gewichtung in den visuellen Darstellungen der Ereignisse. Aus den Begleittexten, die zu Bildvorführungen etwa der Panoramen und Dioramen ausgeteilt und verkauft werden, wird »die modische Neuwertung der Sekunde« erkennbar, die Blitzlichtsekunde des Fotografen Ottomar Anschütz’.230 Das oben beschriebene Sedan-Panorama ist auf den »1. September 1870, zwischen eineinhalb und zwei Uhr« datiert, die Briefübergabe auf 19 Uhr. Andere Bildbeschreibungen, beispielsweise zu dem Kolossalgemälde mit der Schlacht bei Lützen, mit dem Tod des schwedischen Königs Gustav Adolf simuliert den Moment am 16. November 1632 »um die zweite Stunde des Nachmittags«.Die Diskussion um den Vorrang von historischer Exaktheit oder idealisierter »Charakterisierung und Wiedergabe des Stimmungsgehaltes« hält sich hartnäckig und scheint verstärkt durch die Vielfalt der Illusionsmedien des späten neunzehnten Jahrhunderts. Von Khaynach beanstandet am Panorama diesen Zwiespalt von künstlerischem Anspruch einerseits und Bestreben der dokumentarischen Darstellung andererseits. Unkünstlerisch sei das Panorama durch seine Verpflichtung gegenüber dem »trockene[n] Referat« des »So war es!« (während die Kunst ein »So will ich es!« verlange) Demgegenüber seien Dioramen korrekter, »denn wie könnte ein Chromophotograph inkorrekt arbeiten?«231 Es wurde weiter oben gezeigt, dass die visuellen Repräsentationen des Krieges und der deutschen Geschichte – neben ihrem direkten oder indirekten Bezug auf die zirkulierenden Bilder vom Krieg und die Ikonographie des Historienbildes – auf schriftlichen Berichten und Dokumenten basieren. Dies gilt für die 40 lebenden Bilder aus den Kriegsjahren ebenso wie für Die Schlacht von Sedan und andere Kriegsstücke. Als »verstandesmäßige Rekonstruktion […] eines geschichtlichen Faktums«232 bezeichnet von Khaynach das Panorama. Ernst von Wildenbruch233 betont in seinem »Heldenlied« Sedan, das in dritter Auflage 1896 in Berlin erscheint, die besungenen Ereignisse basierten »auf geschichtlich verbürgter Ueberlieferung.«234 Ein weiteres Mittel, die historische Genauigkeit der bildlichen Darstellung zu erhöhen, besteht im Zitat der Augenzeugen (Krieger, Generäle), die dem realen Geschehen beigewohnt hatten. Sie werden entweder zur eigentlichen Herstellung der Bilder des Krieges als Berater herangezogen, oder es wird damit geworben – in den Programmheften, den Berichten der TheaterDirektoren, der Maler oder in Werbeanzeigen –, dass die Augenzeugen die täuschende Echtheit des Gezeigten bereits bezeugt hätten. In den Worten Bartmanns: »Die angeblich objektive Berichterstattung wurde […] häufig der Schaulust des Publikums geopfert. Doch trotz aller spektakulärer Zutaten
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Freund 1997, S. 85. Vgl. König/Ortenau 1962, S 71. Von Khaynach 1893, S. 30. Ebd., S. 29. Ernst von Wildenbruch, geb. 03.02.1845 (Beirut), gest. 15.01.1909 (Berlin). Zu seiner Zeit viel gespielter Dramatiker. Zu den bekanntesten Stücken von Wildenbruchs zählen Die Quitzows (1888). Ernst von Wildenbruch: Sedan. Ein Heldenlied. Berlin: Freund & Jeckel 3 1896.
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Abb. 37: Sedanpanorama in Berlin: Kriegsveteranen vor dem Rundgemälde mit militärischen Szenen. hatte die Erscheinung der Dinge dem fernstecherprüfenden Blick des Veteranen, der ›dabei gewesen‹ war, zu genügen.«235 (vgl. Abb. 37). Die Augenzeugen, ganz gleich ob der Soldat oder der General als idealisierte Persönlichkeit verifizieren somit die Bilder des Krieges und dienen dem Publikum als ›Perspektivgeber‹ oder verlässliche, weil sachkundige Lenker des Blicks.
(Mentale) Transitorik und Sequenz der Bilder Die zu Bildern verdichteten Ereignisse der jüngsten (Kriegs-)Geschichte werden in den Bildfolgen gereiht, ihre textliche Erläuterung gerät zunehmend in den Hintergrund.236 Idealiter geschieht die logische Verknüpfung der Einzelbilder durch den Zuschauer. Bereits Lessing unterscheidet die Künste in Raum- und Zeitkünste und benennt die verschiedenen Rezeptionsformen von Literatur und Theater. In einem Brief an Gerstenberg schreibt er: Bey dem Dante hören wir die Geschichte als g e s c h e h e n: bey Ihnen sehn wir sie als g e s c h e h e n d. Es ist etwas ganz anders, ob ich das Schreckliche hinter mir, oder vor mir erblicke. Ganz etwas anders, ob ich höre, durch dieses Elend kam der Held durch, das überstand er: oder ob ich sehe, durch dieses soll er durch, dieses soll er überstehen. Der Unterschied der Gattung macht hier alles.237
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Dominik Bartmann in AvW 1993, S. 271. Vgl. Ibscher 1972, S. 4. Lessing an Gerstenberg, 25. Februar 1768, in: G.E. Lessing: Sämtliche Schriften. Hg. von Karl Lachmann. Leipzig: G. I. Göschen’sche Verlagshandlung 1904, S. 247.
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Vor dem Hintergrund der Vermittlung von Geschichte erlangt diese Differenzierung eine besondere Bedeutung. Sie weist dem literarischen Text die Abgeschlossenheit, dem dramatischen Text/der szenischen Umsetzung das Bevorstehen und die Entwicklung der Handlung zu. Ereignisse der Geschichte lassen sich dieser Unterscheidung zufolge während der Aufführung mitoder nach-verfolgen. Ähnlich beim (bewegten) Panorama: Auch wenn die offizielle Eröffnung des Panoramas rund zwölf Jahre nach dem eigentlichen Ereignis datiert, kann dies der Begeisterung einer großen Schar von neugierigen Besuchern keinen Abbruch tun. Zu hoch ist der Bekanntheitsgrad dieses historischen Augenblickes, bewirkt auch durch die illustrierten Berichterstattungen der Zeitungen aus den Kriegsjahren. In ihm kulminieren Kapitulation und Gefangennahme Napoleons III., die Niederlage Frankreichs und der Startschuss für die Gründung des Deutschen Kaiserreiches. »Von jedermann, der das Panorama zu betrachten kam, konnte und mußte erwartet werden, daß er sich die Situation vergegenwärtigen und nach rückwärts oder vorwärts in der Zeit ergänzen oder erfüllen würde.«238 Die Sequenz der Bilder, ihre Verkettung in der Aufführung lässt sich vergleichen mit dem Verständnis von Geschichte als Abfolge von Ereignissen, eine Geschichte als Montage von res gestae (vgl. das beschriebene Bildprogramm der Nationalgalerie 1876, des Panoptikums 1888 und die Bildfolge auf dem Viktoria-Theater 1876). Es ist also nicht der Verismus der Darstellungen nationaler Geschichtspartikel allein Ausschlag gebend für deren Erfolg, sondern das Nach-Empfinden und Erinnern der Ereignisse durch die Zuschauer im Angesicht der Bilderreihen, die – im jeweiligen Einzelbild – schließlich zu ikonischen Memoranda nationaler Identifikation werden. Bilder, insbesondere dreidimensional wirkende wie lebende Bilder, Theater-Szenen Panoramen oder Dioramen bieten einem Massenpublikum die Möglichkeit, kollektiv den entscheidenden Augenblicken des gewonnenen Krieges nachträglich ›beizuwohnen‹. Entsprechend der überlieferten Aussagen der Zuschauer kann das vermittelnde visuelle Medium sogar als Surrogat des ›vor-bildlichen‹ Geschehens gereichen und zu einem ›medialen Ereignis‹ mutieren.239 Bilder wirkten auf »das Volk«, das, wie Fritz Hansen 1893 formuliert, »um so empfänglicher für den Gedanken ist, in je konkreterer Form sie ihm dargeboten werden«. Und weiter stellt er fest: Mit philosophischen Verallgemeinerungen, mit abstrakten Begriffen darf man ihm [»dem Volk«, NL] nicht kommen – es hat kein Interesse daran, es versteht sie einfach nicht. Aber im Gemälde […] kann es sich hineinfühlen, denn sowohl die einzelnen Momente als auch das aus diesen zusammengefügte Ganze steht klar und deutlich vor seinem geistigen Auge. Und diese gleichsam wirklichen Sinneseindrü-
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Sternberger 1981, S. 77. Dieser Gedanke ist Uricchios Ausführungen zur actualité/den Aktualitäten entlehnt. »Die actualité konnte sogar zum Ersatz oder zur Steigerung des profilmischen Geschehens werden und damit zu einer Art medialem Ereignis aufsteigen.[…].« Uricchio 1997, S. 49. Uricchio sieht sich selbst ständig dem Vergleich der Aktualitäten mit der Fotografie konfrontiert. »Es ist tatsächlich erstaunlich, daß man die Strategien der actualité anscheinend einfach dadurch beschreiben kann, daß man die Überschneidungen mit den formalen, gattungsmäßigen und kommerziellen Praktiken der Fotografie auflistet.« Uricchio 1997, S. 49.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 223 cke führt es in sein Gehirn, treibt es von da in sein warmes Herz, in seine Faust, in sein flammendes Auge […].240
In beinahe allen besprochenen Medien ist eine alternierende Setzung von Zeit- und Genrebildern erkennbar, die den dramaturgischen Gesetzen von Spannung und Entspannung entspricht und den Wiedererkennungs- und Identifikationsgehalt der theatralen Bildfolgen für die Zuschauer ermöglicht. Diese kontrastierende Komposition von emotiven und ›faktenorientierten‹ Bildern dient dem Ausgleich zwischen »heiteren« und »ernsten« Szenen, zwischen Unterhaltung mit ›oberflächlichem‹, i.e. tief gehendes Sinnieren negierendem Rezeptionsmodus und der Darstellung gesicherter, auf ihre Evidenz hin geprüften Fakten – in idealisierter Form.
Interpiktoralität: transmediale Wanderung der Bilder Bildthematisch ergibt sich bei den visuellen Darstellungen von Momenten des Krieges und der deutschen Geschichte in den vorgestellten Medien eine klare Schnittmenge. Auch aus gegenwärtiger Perspektive sind viele der wiederholt zur Aufführung gelangten szenischen Umsetzungen von Kriegsschauplätzen, -Ereignissen oder auch der Genreszenen bekannt. Dem zeitgenössischen Zuschauer sind sie jedoch aufgrund seiner direkten oder indirekten ›Mitzeugenschaft‹ ungleich vertrauter. Bereits während des Krieges, insbesondere aber in der Nachzeit, scheinen die Erinnerungen des deutschen Publikums zu medial vermittelten Bildern verdichtet, in denen Augenblicke des Krieges zu piktoralen Einheiten geformt sind. Ein Moment, das hier als ›interpiktoral‹ bezeichnet werden soll: Die malerischen Einzelszenen »wandern« sozusagen als fixe Bildmuster durch die unterschiedlichen Medien; sie werden zitiert, ohne dass ihre Bildinhalte verändert werden. Es sind die für die weitere Entwicklung des jungen deutschen Reiches als maßgeblich eingestuften Ereignisse, die wieder und wieder szenisch nachgestellt und medial reproduziert werden: Die Schlacht bei Sedan, die Gefangennahme Napoleons oder die Verhandlungen in Versailles, ferner die den Nationalstolz evozierenden und bekräftigenden Szenen wie der Einzug der Truppen in Versailles und Berlin, sowie die genreartigen Momente des Abschiednehmens, der Sehnsucht und Heimkehr. Insbesondere die Bilder des Krieges halten ihren ›Aktualitätswert‹ über viele Jahre. Es wurde anhand von Beispielen gezeigt, dass noch Jahrzehnte nach den eigentlichen Kriegsereignissen Bilder produziert werden, die auf den ›Pool‹ visueller Repräsentationen zu 1870/71 rekurrieren. Eine vergleichbare Hartnäckigkeit von Bildthemen beschreibt Uricchio in Bezug auf Aktualitätenfilme. Das non-fiction-Material sei »bisweilen noch zehn Jahre nach Ankauf systematisch wiederaufgeführt« worden. »Ohne eine in sich kohärente Erzählung und in ihrer nahezu ausschließlichen Abhängigkeit von 240
Fritz Hansen: Die Arbeiterbewegung und ihr Verhältnis zur Kunst. Berlin: Selbst-Verlag 1893, S. 13. (beigeheftet in die Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend das Verbot ›Bilder aus der großen Revolution‹. LA Berlin A Pr. Br. Rep. Nr. 111 adh. 6, Th. 54.) Die beschriebene Wirkung von Bildern auf die breite Bevölkerung liest sich in der Zusammenschau der beiden Dokumente ambivalent: Während Hansen den gesellschaftlichen Impakt von Bildern als Möglichkeit der Mobilisierung sieht, gereicht er der PolizeiBehörde scheinbar als Argument für das Verbot einer von Bildern dominierten episch-dramatischen Dichtung zur ›großen Revolution‹.
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intertextuellen Bezügen mögen diese Formen nicht-fiktionaler Bilder Waren mit äußerst kurzem Verfallsdatum gewesen sein.«241 Im Hinblick auf die zeitgenössische Rezeption der Aufführungen ist zu vermuten, dass die Titel-Ankündigungen und Kurzbeschreibungen der Stücke/Bilder somit Signalwirkung haben in einem antizipatorischen Sinne: Sie wecken Erwartungen und wirken wahrnehmungslenkend. Die Zuschauer wissen qua Nennung der Einzelbilder um das, was sich in der Vorführung ereignen wird. Die Antizipation bedient die rezeptive Erwartungshaltung und beruht auf (imaginativ) verinnerlichten, kulturell habituellen Kenntnissen der Betrachter von den Kriegsszenen, im vorliegenden Fall der Bildkenntnis und visuellen/visuellkulturellen Kompetenz, aber auch des Interesses etwa der Zeitzeugen. Die lange Laufzeit, oder auch: die Hartnäckigkeit in der Zirkulation der piktoralen Ausschnitte des Deutsch-Französischen Kriegs durch unterschiedliche visuelle Medien und Institutionen zwischen 1870 und den neunziger Jahren ließe sich mit deren emotionaler und unmittelbarer Wirkung auf die Zuschauer erklären. Die Aktualität der Zeit- und Ereignisbilder bleibt durch die Perfektionierung der Illusion sowie durch die Erinnerung der Miterlebenden erhalten. »Teilhabe und Entfremdung«, wie Paul 2004 konstatiert, »sind […] gleichermaßen Produkt der neuen Bildmedien.«242 Die Jahrestage zu den Kernmomenten der deutschen Zeitgeschichte des späten 19. Jahrhunderts institutionalisieren und evozieren das Gedenken, das wiederum die Theaterund Unterhaltungseinrichtungen mit der Produktion neuer Stücke und piktoraler Serien auf der Bühne beantworten. Die Distribution der Bilder vom Krieg und der deutschen Geschichte sind in Relation zu anderen Aktivitäten und Botschaften zu sehen, die auf die »gelebte Erfahrung des Betrachters« Einfluss nehmen.243 Vaterländische Gesinnung bildet dabei nicht nur die Voraussetzung dafür, daß Panoramen entstehen und massenwirksam werden können – umgekehrt werden patriotische Tendenzen durch die Medien – genährt und wachgehalten.244 Der Alltag wird mit Bildern von Krieg und Nationengeschichte, mit einem ikonologischen Programm durchdrungen, das in seiner Eingängigkeit Schichten übergreifend wirkt. In den Worten Susan Sontags: »Nach Ablauf des Ereignisses wird noch immer das Bild existieren und ihm eine Art Unsterblichkeit (und Bedeutsamkeit) verleihen, die es andernfalls niemals hätte beanspruchen können.«245 Die Reproduktion und Distribution der Bilder, die Bilderwanderung durch die jeweiligen Bildmedien forcieren die Gewichtung der historischen Ereignisse und tragen zu ihrer nachhaltigen Verankerung im nationalen Bildgedächtnis bei. Die Geschichte des Krieges kann somit auch als Geschichte seiner Bilder angesehen werden. Als Produkt der Umwandlung von faktischen Momenten in malerische und mediatisierte Bilder erhält sie eine eigene, hier: theatrale oder mediale Wirklichkeit. Die Zuspitzung der Kriegsjahre 241
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»Die Vertriebspraxis weist uns aber darauf hin, daß wir genauer betrachten müssen, innerhalb welcher Strukturen solche Filme gesehen wurden, da dies die Bandbreite ihrer möglichen Bedeutungen bestimmt.« Uricchio 1997, S. 46. Paul 2004, S. 83. Clark 1997, S. 11. Weidauer 1996, S. 13. Sontag 111999, S. 17.
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auf jene Schlüsselstellen prägt die Wahrnehmung der Zeitgenossen wie das Perpetuieren der reduzierten Bilder die Kriegswahrnehmung der Folgegenerationen nachhaltig geformt hat.
Z u s am m e n f a s su n g : Z i r k u l a ti o n u n d S ta n d a r d i s i e r u n g d e r B i l d e r Die deutsche Geschichte von 1870/71 und der Folgejahre wird auf isolierte Momente reduziert, die wiederum in die unterschiedlichen Bildformen der beschriebenen Medien übersetzt werden, weshalb von einer transmedialen246 Zirkulation der Bildthemen, von Interpiktoralität gesprochen werden kann: Die eindrucksvollsten oder folgenreichsten Kriegsszenen »zirkulieren« als piktorale Abbreviaturen sozusagen durch die Medien und werden bis zu drei Jahrzehnte nach dem eigentlichen Geschehen ins Gedächtnis gerufen: als Panorama- und Diorama-Bilder, als Illustrationen in den Zeitungen, in der Skulptur, in der Malerei, Fotografie und Stereofotografie, als »lebende Bilder« oder als szenische Tableaux und Abfolge von Bildern auf Bühnen. Der zugeschriebene Objektivitätsanspruch der Bilder bleibt unangefochten, vielmehr erfährt die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit des Visuellen eine neuerliche Schärfung. Sämtliche Rückblicke auf Vergangenes nutzen Bilder zur Dokumentation, zur Untermauerung des Wahrheitsgehalts. »[S]eeing is believing«, wie Slater festhält, »vision is a vehicle of knowledge and truth (indeed the only one) in empiricist culture.«247 Theater und andere Medien der visuellen Kultur dieser Zeit sind gleichermaßen den Richtlinien der Dokumentation und Unterhaltung verpflichtet. »Die Faszination, die alle diese Bildmedien beim Publikum besaßen, strahlte auf das Realereignis Krieg zurück, das auf diese Weise immer stärker zum Gegenstand der Massenunterhaltung wurde und mental eine positive Konnotierung erhielt«, wie Paul 2004 bilanziert.248 Der Inhalt des Dargestellten ändert sich nicht, wohl aber die Form visueller Vermittlung. Ihre Zirkulation durch unterschiedliche Medien des 19. Jahrhunderts macht die Bilder zu nachhaltigen Spitzen in der Geschichte des deutschen Reiches. Diese materiell/medial unterschiedlichen, ›äußeren‹ und ›inneren‹ Bilder des Krieges sind kompatibel, sie bedingen sich wechselseitig in ihrer Wirkung. Für die Zeitgenossen ist durch den gleich bleibenden Inhalt die Anagnorisis der selektierten Ereignisse garantiert. Sie sind im Bild-Gedächtnis verankert, ihre Entschlüsselung ist abrufbar. Die visuelle Kompetenz der Zuschauer wächst mit der Differenzierung der Medien, gleichzeitig reproduzieren sie die Bilder vom Krieg mental. Es sind, in den Worten Gerhard Pauls, »überzeitliche, interkulturelle, ikonographische Deutungs- und Überschreibungsmuster […], die die inneren Bilder des Krieges in den Köpfen der Daheimgebliebenen zugleich standardisierten.«249 246
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Vgl. hierzu den Begriff der Transmedialität von Rajewsky 2002, der »medienunspezifische Phänomene« umfasst, welche sich »jenseits von Mediengrenzen bzw. ›über Mediengrenzen hinweg‹ manifestieren.« Rajewsky 2002, S. 13. Slater in Jenks 1998, S. 220. Paul 2004, S. 474. Ebd., S. 471.
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Kolonien im Blick: S c h au p l ä t z e d e u t s c h e r › F r e m d e n - B i l d e r ‹ 250 »Der oberflächliche Anlaß, das Exotische, Pittoreske wirkt nur auf Fremde.« (Walter Benjamin251)
Am 13. August 1889 geht im Berliner Victoria-Theater in der Münzstraße, unter der Leitung Emil Litaschys252 das Ausstattungsstück Stanley in Afrika »mit freundlichem Erfolg« in Szene, ein »Zeitgemälde in elf Bildern« von Alexander Moszkowski und Richard Nathanson.253 Dieses Ausstattungsstück verknüpft inhaltlich verschiedene gesellschaftlich und politisch relevante Themen der Zeit: den aufstrebenden Tourismus, den Geschmack für Exotik sowie die deutsche Kolonialpolitik. Die Handlung orientiert sich an den Reisen des britisch-amerikanischen Forschers und Journalisten Henry Morton Stanley nach Afrika, die dieser zwischen 1874 und 1877 im Auftrag der Tageszeitungen New York Herald und des Londoner Daily Telegraph unternimmt.254 H.M. Stanleys Entdeckungen und kartographische Arbeiten im 250
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Unter »fremd« und »Fremdheit« ist im Folgenden vornehmlich eine ethnische Differenz gemeint. In Anlehnung an den Soziologen Alois Hahn wird Fremdheit als »Definition einer Beziehung«, als eine »Zuschreibung, die auch anders ausfallen kann«, aufgefasst. »Fremdheit hat zumindest zwei Dimensionen, die zwar nicht voneinander unabhängig sind, aber auch nicht völlig konvergieren. Einmal wird als ›fremd‹ beschrieben, was ›anders‹ ist bzw. dem Anderssein zugeschrieben wird. Die zweite Dimension bezieht sich auf unser Wissen vom anderen. Fremd ist dann, was uns unvertraut, unbekannt, neu und unerforscht vorkommt.« Alois Hahn: Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 33 Benjamin 1987, S. 183. Emil Litaschy nimmt die Erfolgsstücke seiner Vorgänger Scherenberg und Hahn wieder auf, darunter Die Reise um die Erde in 80 Tagen, Die weiße Katze und Die Kinder des Kapitän Grant, s. Dellé 1952, S. 179. IZ Nr. 2408, 24. August 1889, S. 193. Über die Bearbeiter, Moszkowski und Nathanson, ließen sich nur rudimentäre Angaben finden. Neuere Theaterlexika führen beide nicht auf, Koschs Deutsches Theaterlexikon informiert zu Alexander Moszkowski, (geb. 15. Januar 1851 in Pilica, Polen, gest. 26. September 1934 in Berlin), er sei als Musikkritiker und Journalist für verschiedene Zeitungen tätig gewesen, seit 1886 Chefredakteur der Lustigen Blätter in Berlin. Unter seinen Arbeiten für die Bühne sind nur und drei Komödien im Jahr 1901, Die lustigen Musikanten, genannt. Siehe Koschs Theaterlexikon. Band 2. Klagenfurt, Wien 1960, S. 1529. Henry Morton Stanley, mit Geburtsnamen John Rowland (geb. 28. Januar 1841 in Denbigh/Wales, gest. 10. Mai 1904 in London), Sohn einer Farmerfamilie. Seine Vita vor seinem Leben als berühmter Journalist und Reisender lag lange weitgehend im Dunkeln. Bekannt ist, dass er bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr im Armenhaus aufwächst, dann als Schiffsjunge in New Orleans arbeitet, wo ihn dann ein Krämer namens Henry Hope/Morton Stanley als Lehrling in den Dienst nimmt und ihn später adoptiert. Später nimmt John Rowland dessen Namen an, nennt sich fortan Henry Morton Stanley. Vgl. Paul Reichard: Stanley. Berlin: Ernst Hofmann 1896, S. 9. Stanley dient im Alter von 21 erst auf der Seite der Konföderierten, dann als Freiwilliger in der Armee der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg, bereist nach dem
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›dunklen Kontinent‹ stoßen auf ein großes Interesse in der Ethnographie, Geographie und Imperialpolitik der Zeit. Und auch dem deutschen Publikum werden H.M. Stanleys Erkundungen in Afrika durch zahlreiche Berichte und Erzählungen vermittelt. Die Verbindung der Zeitthemen mit fiktionalen Elementen im Zeitgemälde Stanley in Afrika erweist sich als Erfolgsgarant, denn schon im Jahr 1890 feiert das Victoria-Theater die zweihundertste Vorstellung des Stücks, zu deren Anlass das Album zur freundlichen Erinnerung an die 200te Vorstellung erscheint, das an die Besucher der Vorstellung ausgeteilt wird. Neben Stanley in Afrika verdient ein weiteres heute vergessenes Stück, das die deutsche Kolonialisierung Afrikas thematisiert, in diesem Kapitel vertiefende Betrachtung: Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo), eine »equestrische Original-Pantomime« mit Tänzen und militärischen Exerzitien, das 1890 unter der Leitung von Ernst Renz im gleichnamigen Circus in Berlin aufgeführt wird. Die Etikettierung des Stückes als Pantomime indiziert bereits die Kombination von spektakulären Elementen mit zeitgenössischem Bezug. Im dunklen Erdtheil und Stanley in Afrika sollen in diesem Kapitel als zwei weitere Beispiele für den engen Zusammenhang von Theater und Medien und Institutionen der visuellen Kultur im 19. Jahrhundert besprochen werden. Es soll gezeigt werden, dass in diesen Stücken nicht nur Bildmotive und -themen, sondern auch die Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen anderer Medien und Institutionen der visuellen Kultur dramaturgisch nutzbar gemacht werden. Die fehlende Behandlung dieser Beispiele in der Fachliteratur und ihr enger Bezug zu zeitaktuellen Themen jener Jahre macht eine Vergegenwärtigung ihres Entstehungs- und Wirkungskontextes unumgänglich. Die Durchdringung der visuellen Kultur mit exotischen Sujets und Motiven wird durch die imperialen Bestrebungen und die Vielfalt der Bildmedien im letzten Drittel des Jahrhunderts forciert, wie Ellen Strain ausführt: The marketing of touristic pleasures in the pre-cinematic era helped popularize a coherent set of strategies for viewing cultural Otherness, a set of strategies which can only be analyzed in the context of a culturally-shared world view and late nineteenth-century developments, including the professionalization and popularization of anthropology, improved transportation, the consolidation of capitalism, and the cultural ascendancy of the mechanically-produced image.255
Das Kapitel Deutsche Kolonien im Spiegel der Bildmedien bespricht daher in Kurzform wesentliche Koordinaten der Afrikapolitik des deutschen Reiches, und liefert eine exemplarische Zusammenschau visueller Darstellungen von Fremdheit durch Bildmedien und Institutionen des Visuellen, die mit je eigenen Mitteln die Kolonialinteressen der deutschen Bevölkerung und die kolonialen Machtverhältnisse spiegeln. Es werden visuelle Darstellungen der
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Friedensschluss als Zeitungskorrespondent die Türkei und Kleinasien, nimmt 1867 als Berichterstatter für den New York Herald am Feldzug der Engländer gegen Theodor von Abessinien teil. Ellen Strain: »Exotic Bodies, Distant Landscapes. Touristic Viewing and Popularized Anthropology in the Nineteenth Century«, in: Wide Angle Vol. 18, Nr. 2, April 1996, S. 73.
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afrikanischen Landschaft, Körper256 und Kultur besprochen, welche für die anschließende Diskussion der Kolonialthematik in den genannten Stücken wesentlich sind, darunter Weltausstellungen, Illustrationen, Panoramen, Panoptikum und Reklame. Besonderes Augenmerk verdienen die Völkerschauen, die ihrerseits unterschiedliche visuelle Darstellungsweisen integrieren, um der deutschen Bevölkerung ein ›lebhaftes Bild‹ von Afrika zu liefern. Edward Said hat 1978 in seiner breit angelegten Studie Orientalism die These aufgestellt, dass ›der Orient‹ nur mehr eine (strategische) europäische Erfindung257 sei, basierend auf der Idee einer Opposition von Ost und West, die insbesondere nach der Aufklärung durch Literaten, Philosophen, Politiker aber auch durch populäre Publikationsorgane wie beispielsweise Reiseführer etc. zu einem Diskurs im Sinne Michel Foucaults festgeschrieben wurde. Zu einem Corpus der Theorien, Praktiken und Wissens über den Orient, der auf einem ungleichen Machtverhältnis ruht, mit dem Westen als Machtinhaber: »Orientalism […] is not an airy European fantasy about the Orient, but a created body of theory and practice in which, for many generations, there has been a considerable material investment.«258 Die nachfolgenden Abschnitte sind einer postkolonial kritischen, selbstreflexiven Annäherung an die Thematik verpflichtet. Im Vordergrund steht jedoch, der Ausgangsfrage dieser Untersuchung gemäß, stets das Wechselverhältnis von Theater und visueller Kultur des 19. Jahrhunderts, hier am Beispiel der medialen Repräsentation des afrikanisch Fremden in der deutschen Kultur des späten 19. Jahrhunderts. Das heißt, es werden sämtliche zeitgenössische Resistenzen gegenüber den kolonialen Unternehmungen ausgeklammert zugunsten einer Untersuchung der innerhalb der deutschen visuellen Kultur unternommenen Strategien der Repräsentation, verstanden als Konstrukte von Vorstellungen des Fremden, nicht als wahrheitsgetreue Abbildung desselben.259 »Visual culture is the field in which social differences manifest themselves most dramatically. It is the site, […] where we encounter the Other and produce templates or search mechanisms for discriminating types of people.«260 Dieser Aussage W.J.T. Mitchells folgend, stehen in diesem Kapitel also nicht nur die produzierten und reproduzierten Bilder des Fremden zur Diskussion. Weitaus dringlicher ist zu fragen, mit welchen visu256
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Die nachfolgende Besprechung der medialen Repräsentation von »fremden Körpern« versteht sich nicht als eigenständiger Beitrag zum Alteritätsdiskurs, leiht jedoch Perspektiven der insbesondere in den neunziger Jahren geführten Diskussionen um die Differenz zwischen dem Eigenen und dem Fremden in medialer und künstlerischer Darstellung. Vgl. hierzu u.a. Gernig 2001. Thomas Koebner, Gerhart Pickerodt (Hg.): Die andere Welt. Studien zum Exotismus. Frankfurt a.M.: Athenäum 1987. »The Orient was almost a European invention, and had been since antiquity a place of romance, exotic beings, haunting memories and landscapes, remarkable experiences.« Edward Said: Orientalism. London u.a.: Penguin 1995 [1978], S. 1. Ebd., S. 6. Vgl hierzu Said, der betont, dass es sich bei den Repräsentationen des Fremden (am Beispiel des Orients) freilich nicht um dessen ›natürliche‹ Abbildungen (»depictions«) handelt. »The things to look at are style, figures of speech, setting, narrative devices, historical and social circumstances, not the correctness of the representation nor its fidelity to some great original.« Said 1995, S. 21. W. J. T. Mitchell im Interview mit Dikovitskaya, in Dies. 2005, S. 245.
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ellen Strategien die deutschen Kolonien ›in den Blick gerückt‹, ethnische Differenzen sichtbar gemacht werden und wie eine Kollektion von visuellen Inszenierungen des Fremden hervorgebracht wird, die das Bild Afrikas in der deutschen Öffentlichkeit nachhaltig prägte.
Deutsche Kolonien im Spiegel der Bildmedien Zur Erinnerung: Daten zur deutschen Kolonialpolitik In den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts befinden sich die europä-ischen Unternehmungen in Afrika auf ihrem Zenit. Am 12. September 1876 beruft der belgische König Leopold II. eine Länder übergreifende geographische Konferenz nach Brüssel, auf der die Anwesenden, deutsche, französische und britische Forscher261, die Gründung der Internationalen Afrikanischen Gesellschaft beschließen.262 Offizielles Anliegen der Gesellschaft sind die Kommunikation gemeinsamer strategischer Ziele sowie die Vermehrung von Wissen über Afrika. Ein weiteres Ziel ist es, gemäß einer zeitgenössischen Erklärung, der »Civilisation den einzigen Erdteil, wohin sie noch nicht gedrungen ist, zu eröffnen, die Dunkelheit zu zerstreuen, welche ganze Völkerschaften umhüllt, und einen Kreuzzug zu unternehmen, welcher dieses Jahrhunderts des Fortschritts würdig ist.«263 Das hohe Interesse der deutschen Bevölkerung an Afrika und den dort durchgeführten geographischen und missionarischen Unternehmungen erfährt in den frühen achtziger Jahren eine enorme Steigerung durch die aktive Partizipierung Deutschlands an der Kolonialisierung Afrikas.264 Am 6. Dezember 1882 formiert sich der erste Deutsche Kolo-nialverein, mit dem 24. April 1884 wird unter Bismarck die erste deutsche Kolonie in Kamerun, Südwestafrika erworben265 (vgl. Abb. 38), im gleichen Jahr kommen weitere afrikanische Kolonien in Deutsch-Südwest-Afrika, Togo, im Folgejahr dann Deutsch-Ostafrika hinzu.266 »Seit die d e u t s c h e Flagge an den Küsten Afrikas aufgezogen ist, haben wir Deutschen die Empfindung, als ob uns der ›dunkle‹ Erdteil näher gerückt sei und weniger geheimnisvoll erscheine,« resümiert der Stanley-Biograph Volz im Jahre 1890.267
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Leopold II. wird Präsident der Gesellschaft. Vgl. Berthold Volz: Henry M. Stanleys Reise durch den dunklen Weltteil. Leipzig: Brockhaus 51890, S. VI. Angehörige dieser Gesellschaft waren zahlreiche renommierte Persönlichkeiten, darunter der deutsche Forscher Gustav Nachtigal oder Ferdinand Lesseps. Siehe Jean de la Guérivière : Die Entdeckung Afrikas. München: Knesebeck 2004, S. 127. Wiedergegeben in Volz 51890, S. VI. Dabei ist die Einstellung gegenüber dem Erwerb von Kolonien zunächst kontrovers. Selbst Reichskanzler Bismarck steht diesem Projekt verhalten gegenüber mit der Begründung, das deutsche Reich sei als Nationalstaat noch nicht gefestigt genug, Gebiete in Übersee zu sichern. Die deutsche Regierung stellt die Besitzungen des Bremer Kaufmanns A. Lüderitz in Südwestafrika unter den Schutz des Deutschen Reiches. Hinzu kommen 1884/85 Neuguinea und die Marshall-Inseln. In summa sichert sich Deutschland Kolonien in Togo (1884), Kamerun (1884), Ost-Afrika (1885, heute Tansania, Ruanda, Burundi) und Südwest-Afrika (1884, heute Namibia) sowie die Samoa-Inseln (1899, heute West-Samoa). Nach dem Ersten Weltkrieg verliert Deutschland seine Kolonien. Volz 1890, S. V.
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Abb 38: »Die Entfaltung der deutschen Flagge in Camerun an der afrikanischen Westküste. Nach einer Skizze von Lieutenant z. S. Mandt.« Auszug aus der Titelseite der IZ Nr 2151 vom 20. September 1884. Mit der Annexion der Gebiete mehren sich die Berichterstattungen über Ereignisse und deutsche Aktivitäten in Afrika in den Zeitungen und Fachblättern. Am Neujahrstag 1885 erscheint die erste Auflage der Colonialpolitischen Correspondenz als Organ des Deutschen Colonialvereins in Berlin. Auf der »Kongo-Konferenz«, der Westafrikanischen Konferenz, die am 15. November 1884 in Berlin im Palais des Reichskanzlers eröffnet wird, grenzen schließlich fünfzehn Mächte ihre Kolonial- und Handelsinteressen in Zentralafrika ab. Als Ergebnis wird Ende Februar die »Kongo-Akte« ediert. Die Ostafrikanische Gesellschaft erhält kaiserliche Schutzbriefe, die europäischen Staaten teilen systematisch die Gebiete Afrikas unter sich auf.268 Prominenter Teilnehmer an der Konferenz ist Henry Morton Stanley, wie Berthold Volz 1890 retrospektiv berichtet: [S]eit wir den Mann, der das größte Geheimnis, das es barg, Afrika entrissen, als Gast in der Reichshauptstadt gehabt oder vielleicht selbst die kleine gedrungene Gestalt, das lebhaft gefärbte, narbenreiche, energische Antlitz Stanleys mit dichtem Schnurrbart und den hellen blitzenden Augen geschaut und seine bald begeisterungsvolle, bald durch frappierende, stets aber eigenartig fesselnde Rede, wo man mit Festen ihn feiert, gehört haben: will es uns fast bedünken, als ob er einer der unseren geworden. Ist aber damit das Interesse für ihn verringert worden? Mit nich268
Am 29. April 1885 schließen Deutsches Reich und Großbritannien einen Vertrag über Neuguinea ab, am 7. Mai über West-Afrika. Mit Inkrafttreten des Versailler Vertrags (1919) muss Deutschland seine Kolonien abtreten, Frankreich fällt Togo und ein Großteil Kameruns, England die restlichen Gebiete Kameruns und Tanganjika (Tansania) zu. Belgien erhält Ruanda und Burundi.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 231 ten. Wenn irgend etwas, so beweist der Umstand, daß er des Geheimnisvollen nicht bedarf, um das höchste Interesse zu fesseln, die Bedeutung Stanleys, so wie die hochbedeutenden Folgen, welche an sein Entdeckungswerk sich angeschlossen haben, die großartige Wichtigkeit desselben in greifbarster Weise darthun.269
Im Jahr 1887 rekrutiert sich aus dem Zusammenschluss des Deutschen Kolonialvereins und der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation (1884) die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG), deren vorrangiges Ziel darin besteht, Verständnis und Interesse für die deutschen Kolonialbestrebungen unter der breiten Bevölkerung zu schaffen.270 Geeignete Mittel für diese Propagandaabsicht findet die DKG in Sammelbildchen und Kolonialausstellungen (1896), der Installation von Landkarten der deutschen Schutzgebiete in öffentlichen Gebäuden und, zunehmend in den neunziger Jahren, in Lichtbildvorträgen.271 Wie Wolfgang Fuhrmann informiert, bietet die DKG bereits 1895 eine einhundert Bilder umfassende Serie über Deutsch-Ostafrika an, begleitet von einem Manuskript für den erfolgreichen »erklärenden Vortrag«.272 Die Sujets der Bilder entstammen sämtlichen Bereichen der kolonialen Unternehmungen vor Ort.
Fremde Ansichten: Magazin, Panorama Dem in der zweiten Jahrhunderthälfte anwachsenden Interesse an fernen Gegenden tragen illustrierte Magazine Rechnung, indem sie Rubriken zu den Themen Geographie und Reise einrichten oder sich ganz auf »Länder- und Völkerkunde« spezialisieren, wie etwa die Hefte Das wohlfeilste Panorama des Universums (das bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erscheint), Über Land und Meer, oder das französische Magazin Le Tour du Monde. In den achtziger und neunziger Jahren berichten diese zum Teil mit aufwändi-
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Volz 1890, S. V. Zu Stanleys Bild von den Deutschen siehe dessen Brief an den Leipziger Brockhaus-Verlag: »[I]ch benutze diesen Anlass, um die unermessliche Befriedigung auszudrücken, welche ich empfand, als alle meine alten Vorurtheile betreffs Deutschlands sich in leere Luft auflösten nach meinem persönlichen Besuche von Berlin, Köln, Frankfurt und Wiesbaden. Wenn meine deutschen Leser nach dem Lesen dieser Bände, welche Sie jetzt herauszugeben im Begriff sind, ebenso frei von Vorurtheilen wären in Bezug auf das arme, alte und vielgeschmähte Afrika, wie ich jetzt frei bin von denen, welche meine Unkenntnis einst genährt hatte, so würde das eine Krönung meines Zwecks und die Erfüllung meiner Hoffnung sein. […]« Der Brief ist als Vorwort der zweiten Auflage der deutschsprachigen Ausgabe von Henry M. Stanleys Der Kongo und die Gründung des Kongostaates. Arbeit und Forschung vorangestellt, das 1887 bei Brockhaus in Leipzig erscheint. siehe hierzu: Wolfgang Fuhrmann: »Lichtbilder und kinematographische Aufnahmen aus den deutschen Kolonien«, in: Frank Kessler et al. (Hg.): Film und Projektionskunst. Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern 1999, S. 101116. Ebd., S. 101. »Die Produzenten der Bilderreihen, die in vielen Fällen ihre Serien selbst editierten, rekrutierten sich, ähnlich wie die Redner, aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, die in einem kolonialen Bezug standen: Völkerkundler wie Siegfried Passarge […] oder Karl Dove […] waren ebenso vertreten wie Armeeangehörige oder Personen, die sich eine gewisse Reputation auf dem kolonialen Gebiet erworben hatten […].« Ebd., S. 104.
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gen Lithographien versehenen Zeitschriften auch über die Kolonialpolitik des deutschen Reichs.273 Bereits Forschungsreisende des 18. Jahrhunderts halten ihre Eindrücke von fremden Landschaften und Personen auf ihren Expeditionen bildlich fest. Manche reisen in Begleitung eines Zeichners, wie etwa James Cook, der auf seinen Südsee-Reisen von dem Maler und Illustrator John Webber, oder David Livingstone, der von dem Maler Thomas Baines begleitet wird. Andere Forscher fertigen selbst Zeichnungen an, so auch später Henry Morton Stanley, der seine Berichte mit Skizzen versieht, die dann zusammen mit den Reportagen veröffentlicht werden (s.u.). Die Beigabe von Lithographien oder Stichen zum schriftlichen Bericht des Forschers ist wesentlich für die Herausbildung einer westlichen Ikonographie zur afrikanischen Kultur. Mit der Verbesserung der fotografischen Technik und der Verkürzung der Belichtungszeiten im späten 19. Jahrhundert nehmen Fotografien und Stereofotografien die Stelle der Illustrationen ein. Ihr vermeintlich dokumentarischer Gehalt wertet die Aufnahmen zu Bild-Belegen der Berichte und zu Surrogaten der Originalschauplätze in der ›realistischsten‹ Form aller Bildmedien. Auf dem Bildrücken der Doppelbilder finden sich häufig Angaben zum jeweiligen Klima, der Bevölkerung oder landestypischer Kunst, die den dokumentarischen Gehalt und damit auch die Tauglichkeit der Stereobilder für edukative Zwecke unterstreichen sollen. Bedeutsam ist, dass das Bild auch hier nicht länger einen Text, sondern umgekehrt der Text den Informationsgehalt des Bildes ergänzt. Gleichzeitig trägt eine solche Union von visuellem Realitätsfragment und skizzenhafter Nennung kultureller Eigentümlichkeiten zur schematischen Erfassung der Welt bei und fördert eine unkritische Aneignung des Fremden durch Stereotype. »Viele der Motivjäger arbeiteten für Postkartenverlage. Besonders gefragt waren Bilder von den Errungenschaften der Europäer wie Bahnhöfe, Brücken, Handelsstationen und vom traditionellen Alltagsleben im Busch«, wie Jean de la Guérivière in seiner 2004 erschienenen Publikation Die Entdeckung Afrikas informiert.274 Vorrangig genutzt, um »an geeigneten Stellen, wo es die eingehendere Schilderung von wichtigen Örtlichkeiten oder Personen gilt, die Anschaulichkeit wie die Abrundung der Darstellung zu fördern«,275 schult und prägt die Distribution die bildliche Vorstellungskraft, die Imagination der Leser von jenem Kontinent, seiner Flora, Fauna und indigener Kultur. 273
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Es erscheinen seriell auch populäre fiktive Reiseerzählungen, darunter e.g. die Voyages Extraordinaires von Jules Verne, bevor sie als Buch ediert werden. Der Reiseroman schürt und reagiert auf das breite Interesse an fernen Ländern und ist gekennzeichnet durch die Dualität von geographischer Beschreibung und verklärender Schilderung der betreffenden Regionen. In Erzählungen von Joseph Conrad, Rudyard Kipling oder Karl May zeigt sich diese Dualität in der imperialistischen Doktrin von der westlichen Überlegenheit einerseits und andererseits dem Entwurf eines eskapistischen Gegenmodells zur Industrialisierung der europäischen Kultur in Form von exotisch malerischen Szenerien und Handlungsmustern. Siehe auch Hartwig Gebhardt: »Kollektive Erlebnisse. Zum Anteil der illustrierten Zeitschriften im 19. Jahrhundert an der Erfahrung des Fremden«, in: Ina-Maria Greverius et al. (Hg.): Kulturkontakt – Kulturkonflikt. Frankfurt a.M. 1988, S. 517-543. De la Guérivière 2004, S. 204. So Volz 1890, S. X.
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Bilder aus den Kolonien werden einem breiten Publikum bereits kurze Zeit nach dem Erwerb der ersten deutschen Kolonie in Afrika auch in Panoramen, beispielsweise im Kolonialpanorama in Berlin zugänglich gemacht, das sich zwischen Friedrich- und Wilhelmstraße befand. (vgl. Abb. 39) Hier werden, – den Themenkonventionen eines Panoramas entsprechend (Vgl. Kap. 1) – unter anderem Landschaften und Kämpfe in den deutschen Kolonien wiedergegeben. Wie im Fall des Panoramas der Schlacht von Sedan (s.o.) ist auch bei den im Kolonial-Panorama gezeigten Gemälden davon auszugehen, dass Maler die Gebiete der Kolonien bereisten und vor Ort Skizzen anfertigten.
Abb. 39: Panorama Deutscher Kolonien zwischen Friedrich- und Wilhelmstraße in Berlin. Holzstich 1886.
›Profit mit Fremdheit‹: Reklame In enger Verbindung zur Kolonisierung Afrikas werden Bilder des Fremden seit Mitte der achtziger Jahre auch für die Reklame genutzt und sind damit rasch auch im deutschen Alltag omnipräsent.276 Die Strategie etwa, Afrika mit ›weiß machenden‹ Substanzen wie beispielsweise Seife in Verbindung zu bringen, eignet sich zur piktoralen Inszenierung des Kontrasts von hell/ dunkel und wird schnell für das Bildprogramm der Werbung verwertet. Es finden sich zahlreiche Plakate, auch noch aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts überliefert, auf denen Schwarze versuchen, sich mit Seife weiß zu waschen. Auch die Verknüpfung von Kolonialwaren und den exotischen Landschaften der Herkunftsländer ist ein beliebtes Motiv für die Bewerbung von Kaffee, Tee, Schokolade oder auch Zigaretten.277 276 277
Vgl. hierzu Marie Lorbeer, Beate Wild (Hg.): Menschenfresser, Negerküsse. Das Bild vom Fremden im deutschen Alltag. Berlin: Elefanten Press 21993. Vgl. hierzu insbesondere Das exotische Plakat. Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart. Stuttgart: Cantz 1987. Siehe auch den Aufsatz von Anne McClintock: »Soft-Soaping Empire: Commodity Racism and imperial Advertising«, in: Paul Marris, Sue Thornham (Hg.): Media Studies. A Reader. New York: NYUP 2000, S. 751-765.
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Eine die zweidimensionale Ansichtigkeit überschreitende Werbelösung stellt die folgende dar: Im Zusammenhang mit den infrastrukturellen Maßnahmen in der Reichshauptstadt Berlin wächst auch die Konkurrenz unter den Straßenbau- und Baufirmen. Eine Werbemaßnahme einer amerikanischen Straßenbaufirma, der »The Barber Asphalt Paving Company« in Berlin, sorgt für die folgende Schlagzeile in der Illustrirten Zeitung vom 4. Dezember 1886: Auf einer »der frequentesten Gegenden, nämlich [auf dem Stück] der Landsbergerstraße zwischen Alexanderplatz und Katharinenstraße«, so informiert der Artikel, habe die genannte Baufirma »[n]ach echt amerikanischer Eigenart« folgende Reklame inszeniert: [S]ie [die Company NL] hatte fünf echte Neger mitgebracht. Während sonst die schwarzen Menschenbrüder zwischen Affen und bunten Papageien als Ausrufer in der Hasenheide vor Thierbuden, Seiltänzerplätzen oder verheißungsvollen, aber etwas mystischen ›Cabinets‹ von der Volksmenge angestaunt wurden, sah man die Farbigen plötzlich als Straßenarbeiter. Hunderte von Neugierigen umstanden von früh bis spät den Arbeitsplatz … Aus den entferntesten Winkeln der Stadt eilte jede Menge herbei, welche immer Zeit hat, sich an einer lohnenden Stelle mit größter Ausdauer als müßiger Zuschauer aufzupflanzen … Diese ›dunklen Ehrenmänner‹ als fleißige, geschickte Arbeiter anerkennen zu sollen, das war für einen gewissen Theil der berliner Bevölkerung eine schwierige Sache … Da die vermeintlichen Cameruner sich vor den Augen des Publikums als wirkliche Musterarbeiter erwiesen, welche ihren Brotherren nur Ehre machen, war schließlich alt und jung mit ihnen befreundet.278
Die Verwunderung der Berliner Passanten über den Arbeitseinsatz der Kameruner offenbart im Umkehrschluss die Zuschreibung von Faulheit als Teil des Stereotypenrepertoires des afrikanisch Fremden. Dass die genannte Baufirma in ihrer Reklame bewusst – und, wie oben beschrieben, auch erfolgreich – mit diesem Stereotyp operiert, um die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zu lenken, legt nahe, dass ein Großteil der Bevölkerung in den achtziger Jahren das gleiche Fremdenbild teilt. In der Topographie der Großstadt, so informiert dieser Bericht weiter, haben »sonst die schwarzen Menschenbrüder« ihren Ort »zwischen Affen und bunten Papageien als Ausrufer in der Hasenheide vor Thierbuden, Seiltänzerplätzen oder […] Cabinets«. Die Stadtbewohner erwarten, die Vertreter kolonisierter Gebiete in Zentren des Vergnügens »bestaunen« zu können. Deren – von der Baufirma inszenierte – Lokalisierung im Arbeitsalltag hingegen quittieren sie als Moment der Störung dieser Erwartung mit Verwunderung. In Bezug auf die bis hierher genannten Bilder des afrikanisch Fremden ist die rasche Durchdringung weiter Teile der deutschen Kultur mit Bildern aus oder zu den Kolonialgebieten in den Zeitungen, der Werbung oder schließlich als »Fremdkörper« im Stadtbild von Bedeutung. Forschungsreisen mit Berichten und vor Ort gefertigten Bildern zu beglaubigen, ist ein Verfahren, in der Heimat die Kenntnis über fremde Länder zu mehren. Gegenstände (Ethnographica) und die Vertreter dieser Kulturen – zumeist einen repräsentativen Querschnitt – aus der Fremde ins eigene Land 278
IZ vom 4. Dezember 1886.
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zu holen und dort zu präsentieren, ein weiteres.279 In der öffentlichen Sichtbarmachung des Körpers kreuzen sich, wie Sarasin zusammenfasst, »medizinische Leitvorstellungen und das Imaginäre der Zuschauer, dominante Forschungsinteressen und Metaphern der Macht.«280 Dieses Zusammenwirken garantiert auch die Bedeutung der afrikanischen Völkerschauen und Verlebendigungen starrer Displays durch Repräsentanten der afrikanischen Kultur.
Fremde Objekte, fremde Körper: Museum, Panoptikum, Völkerschau Eine öffentliche, institutionelle Antwort auf das wachsende Bedürfnis nach Information über fremde Kulturen ist das 1873 gegründete Völkerkundemuseum, das 1886 in ein eigenes Gebäude in der Königgrätzer Straße zieht, und das der Präsentation von Waffen, Haushaltsgegenständen oder Handwerkskunst fremder Völker Raum gibt.281 Nach Barbara Kirshenblatt-Gimblett ist das museale Ausstellungskonzept dem Modus der in context-Präsentation verpflichtet.282 Die Anordnung der Ausstellungsobjekte folgt einem übergeordneten System, beispielsweise der Evolution oder historischen Entwicklung, das einen Vergleich (z.B. verschiedener Kulturen) gleichsam intendiert. In in context-Displays sind die ethnographischen Objekte die Akteure, das westliche Wissen animiert und ordnet sie, ihr Präsentationsmodus (»performative mode«) ist der ausstellende und demonstrierende.283 »In-context approaches exert strong cognitive control over the objects, asserting the power of classification and arrangement to order large numbers of artifacts from diverse cultural and historical settings and to position them in relation to one
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In Wien veranstaltet z.B. der Afrikaforscher Emil Holub (1847-1902), der sich Livingstone als Vorbild nimmt, eine Südafrikanische Ausstellung in der Rotunde: »Die Hottentottenrasse ist vertreten durch die echten Hottentotten und Buschmänner und der Mischlingsstamm durch die Ma-Kalahari. Diese 14 wie noch weitere 20 Stämme sind veranschaulicht durch Wohnungen und Gehöfte, durch lebensgroße, getreue Gipsmodelle sowie durch 2000 Industrieartikel von 34 Stämmen Süd- und Centralafrikas.« Gleichsam als ›Katalog zur Ausstellung‹ und Dokumentation der Reiseunternehmungen erscheint im gleichen Jahr in Wien ein »mit vielen Illustrationen ausgestattete[s] Werk hin, in welchem Dr. Holub seine und seiner Gattin mit tausend Fährlichkeiten verknüpfte Reise durch Südafrika in anschaulicher Weise schildert.« IZ Nr. 2521, 24. Oktober 1891, S. 437. Die Inszenierung von Körpern in der Öffentlichkeit hat stets auch die Konfrontation der Zuschauer mit den Körpern der Darsteller/den ausgestellten Körpern zur Funktion. Kultur- und Wissenschaftshistoriker wie etwa Philipp Sarasin haben auf die Geschichtlichkeit solcher öffentlichen Körperinszenierungen und die intensive Verschränkung von Naturwissenschaft, populärwissenschaftlichen Elementen und kulturellem Kontext in diesen Schauen aufmerksam gemacht. Philip Sarasin: »Der öffentlich sichtbare Körper. Vom Spektakel der Anatomie zu den »curiosité physiologiques«, in: Ders. und Jakob Tanner (Hg.): Physiologie und industrielle Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 419-452, hier S. 422. Das Deutsche Kolonialmuseum am Lehrter Bahnhof in Berlin eröffnet erst 1899. Barbara Kirshenblatt-Gimblett: Destination Culture. Berkeley: University of California Press 1998, besonders S. 17-78. Ebd., S. 3.
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another.«284 Die Betrachtungsweise der in context-Präsentation ist durch die kontextuelle Anordnung gelenkt, i.e. den Zuschauern sind Prinzipien des Schauens vorgegeben.285 Weitaus populärer als die Ausstellung von Ethnographica im Museum ist insbesondere im späten 19. Jahrhundert die Konfrontation der eigenen mit der fremden Kultur in Form von belebten Displays. Es wurde bereits in Kapitel 1 erwähnt, dass Panoramen von fremden Regionen häufig »authentifiziert« oder »verlebendigt« werden, indem ethnische Gruppen, landestypische Pflanzen oder Tiere im Bildvordergrund Platz nehmen und beispielsweise musizieren. In den Worten Edward Ziters: »When pure backdrop images lose their ›realistic‹ effect, live performances and natives are incorporated and become themselves parts of the picture. The exotic body becomes meaningful through its placement on a highly detailed display environment.«286 Hatte dieser Zusatz von körperlichen, plastischen Elementen die Funktion, die Realistik des Gemäldes zu unterstreichen, so geraten die dar-/ausgestellten Vertreter fremder Kulturen in den Welt- und Kolonialausstellungen, den Panoptika und schließlich in den Völkerschauen in den Fokus der (eurozentrischen) Betrachtung und des Kulturenvergleichs. Im Gegensatz zum in contextDisplay des Museums, so weiter Kirshenblatt-Gimblett folgend, lässt sich der Präsentationsmodus von Panoptika, Weltausstellungen (insbesondere der landestypischen ›Dörfer‹),287 Völkerschauen oder Karawanen als in situ charakterisieren, als eine environmentale und mehr vertiefende, immersive Anordnung, die den Wahrnehmungsmodus des ›leibhaftigen Erfahrens‹ privilegiert. Im Vordergrund steht die Wiedergabe bspw. des Alltagslebens einer fremden Kultur, indem Szenen in dreidimensionalen Arrangements möglichst »authentisch« nachgestellt sind. Indessen ist diese Authentizität eine mit Mitteln der Inszenierung hergestellte. »In-situ installations, no matter how mimetic, are not neutral. They are not a slice of life lifted from the everyday world and inserted into the museum gallery, though this is the rhetoric of the mimetic mode.«288 Ein Beispiel für eine Repräsentation der fremden Kultur mit Hilfe von Tableaux liefert das Berliner Passage-Panoptikum, das in seiner Programmstruktur dem steigenden Interesse der Berliner Bevölkerung an populärwissenschaftlichen Themen, Anthropologie und Evolution entgegenkommt. Dort werden gleichermaßen Genreszenen, Allegorien, Exotika, Objekte und Angehörige fremder Kulturen ausgestellt. (vgl. Kap. 1.) Im Jahr 1888 ist hier, im so genannten »Italienischen Saal«, auch eine ethnographische Sammlung aus Kamerun zu besichtigen, ergänzt durch eine häusliche Scene in einer Kamerun-Hütte, deren Innenwände mit Waffen, Schildern und Fellen drapirt sind; der sitzende Neger übt sich auf dem Elimbe, einem Musik-
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Ebd., S. 21f. Ebd., S. 23. Ziter 2003, S. 17. Vgl. zu den Weltausstellungen im 19. Jahrhundert u.a. Martin Wörner: Vergnügung und Belehrung. Volkskultur auf den Weltausstellungen. Münster u.a.: Waxmann 1999. Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen. Frankfurt a.M., New York: Campus 1999. Kirshenblatt-Gimblett 1998, S. 19f.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 237 instrument, mit Hilfe dessen sich die Neger auf weite Entfernungen hin durch eine eigenthümliche Tonsprache verständigen können.289
Ein weiteres Tableau, Nr. 138 im Führer, zeigt einen »Kameruner Häuptling mit Familie«, im nächstfolgenden sind »Ringspiele der Kamerun-Neger vor dem deutschen Consul und seiner liebreizenden Tochter«290 – vermutlich in Wachs – nachgestellt. Der Hintergrund, ein Kameruner Landschaftsbild, stammt von dem Berliner Maler und Illustrator Rudolf Hellgrewe. Er reist 1885 nach Deutsch-Ostafrika und fertigt nach seiner Rückkehr zahlreiche Gemälde, Dioramen und Panoramen mit kolonialer Thematik wie z.B. das Kaiser-Panorama mit Darstellungen aus Afrika in der Jubiläumskunstausstellung in Berlin 1886 oder Landschaftsbilder für die Kolonialabteilung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896.291 Seine Nennung im Führer des Panoptikums zielt daher einerseits auf seinen Bekanntheitsgrad als »Experte« auf dem Gebiet der Kolonialbilder, zudem untermauert sie die Wirklichkeitstreue des gemalten Hintergrundes: Die Landschaft wurde vom Künstler ›vor Ort‹ aufgenommen und komplettiert die plastische Szene der Konfrontation des deutschen Konsuls mit den Kamerunern. Die Anwesenheit des Kindes in der Szene bezeigt die vermeintlich friedlichen Absichten der Europäer im Kolonialgebiet.
Abb. 40: Vorführung eines Tanzes in der Tonga-Abteilung. Anders als im frontalen Betrachtungsmodus des musealen Displays nähern sich die Zuschauer den in situ-Arrangements raum- und zeiteinheitlicher Konfrontation ›environmental‹: Insbesondere bei der Vorführung von Tänzen, Musik, Kämpfen und Ritualen umstellen sie die Szenerien (kreisförmig) und kommen der fremden Kultur somit räumlich näher, ähnlich den Touris289 290 291
Illustrirter Catalog des Passage-Panopticums 1888. Ebd. Rudolf Hellgrewe (Hellgreve), Mitarbeiter an Dioramen und Panoramen (lieferte Illustrationen zu den Publikationen Hermann Major von Wissmanns und gab mit A. Wünsche koloniale Anschauungsbilder für Schulen heraus. Vgl. Eintrag »Hellgrewe, Rudolf« in: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker. Hg. von Hans Vollmer. Band 16. Leipzig: E.A. Seemann 1923, S. 338f.
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ten oder Forschungsreisenden (vgl. Abb. 40). »Live displays, whether recreations of daily activities or staged as formal performances, also create the illusion that the activities you watch are being done rather than represented, a practice that creates the effect of authenticity.«292 Die Annäherung vollzieht sich jedoch beinahe ausschließlich über das Sehen, denn eine wirklich soziale, körperliche Kontaktaufnahme der unterschiedlichen Kulturen ist nicht intendiert. Es ist ein ›pan-optisches‹ Sehen, das dem Sehenden die kontrollierende Betrachtung ermöglicht, ohne dass er selbst gesehen wird.
Kontrastierende Displays: Weltausstellung Welt- und Kolonialausstellungen legen Muster für die Inszenierung der Kontraste – eigen/fremd, wild/zivilisiert293, dunkel/hell vor: Hier begegnen die Besucher Vertretern außereuropäischer Länder, arrangiert als (An-)Sammlung kurioser Orte und Kultur.294 »Im konstruierten Hereinholen alles geographisch und zeitlich Entfernten an einen räumlich begrenzten Ort«, betont Wehinger 1988 die eminente Bedeutung des Zur-Schau-Stellens auf der Weltausstellung, »wird die gesamte Menschheitsgeschichte überschau- und genießbar.«295 In Bezug auf die Pariser Ausstellung 1867 schreibt Julius Lessing 1900, man habe »das ethnographische Moment und noch mehr das Moment des rein äußerlichen Vergnügens in den Vordergrund« gestellt, überall seien »Verkaufsstätten, Buden, Theater« aufgebaut.296 Als Zeitgenosse ist Lessing in seinem Rückblick den Schauen gegenüber wenig kritisch, sondern gibt den damalig verbreiteten Tenor wieder, diese Ausstellungen seien eigentlich ein Familienfest des »ganzen[n] Menschengeschlechts«.297 Ihre Präsentation – Thomas Kuchenbuch spricht von einer »einmaligen Ineinanderschiebung von Zwangszitierung und Gewährenlassen des Exotischen«298 – wird zu einer Art Weltenzyklopädie, die sich flanierend erfassen ließ. Der Rezeptionsmodus der Besucher kann als ›visuelles Flanieren mit Zerstreuung des Blicks‹ bezeichnet werden. Die Art und Weise der Ausstellungskonzeption bemächtigt sie, das Fremde neben dem Eigenen, repräsentiert in Tableaux zu Tradition und Handwerk und Industrieprodukten, der vergleichenden Betrachtung zu unterwerfen. Die im 19. Jahrhundert dominierende eurozentrische Perspektive der »Kulturstufe« lässt am Ergebnis des Vergleichs zwischen der eigenen und der fremden, zwischen eigener und kolonisierter Kultur keinen Zweifel. »Gerade im imperialen Zeitalter wurden die physischen Differenzen in einem hierarchischen Stufenmodell zivilisatorischen Fortschritts eingeordnet, an dessen Spitze sich die Europäer sahen.«299 292 293
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Kirshenblatt-Gimblett 1998, S. 55. »Der Kolonialismus hat den Mythos von den ›Wilden‹ und den ›Zivilisierten‹ geschaffen und sich hinter der hochmütigen Maske der Zivilisation verborgen.« Fritz Kramer: Verkehrte Welten. Zur imaginären Ethnographie des 19. Jahrhunderts. Frankfurt a.M.: Syndikat 21981, S. 87. »[T]he distant ends of the earth were not just represented as a collection of curios but as visitable spaces« Strain 1996, S. 81. Wehinger 1988, S. 37f. Julius Lessing: Das halbe Jahrhundert der Weltausstellungen. Berlin: Leonhard Simion 1900, S. 19. Ebd., S. 7. Kuchenbuch 1992, S. 151. Gernig in Gernig 2001, S. 17. Vgl. auch Josef Franz Tiel 1987: In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts herrschte bei uns der Evolutionismus,
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Besonders die Eingeborenen der Kolonien werden auf den Weltausstellungen als Attraktionen inszeniert und wahrgenommen. Alfred Kerr besucht im Frühjahr die Berliner Gewerbeausstellung, die auch die Deutsche Kolonialausstellung anbindet. Kerr betätigt sich als Flaneur und notiert seine gewohnt subjektiven Eindrücke über das »Negerdorf« und »Kairo«, eine besondere Attraktion dieser Ausstellung, und »im Grunde […] nur ein enormes Tingeltangel. Aber eines, das die Phantasie in ungeahntem Maße anregt.«300 Berichte von Besuchern solcher Schauen sind nur selten so ausführlich überliefert wie die Beschreibungen Alfred Kerrs. Aufgrund ihrer Anschaulichkeit und ihres Informationsgehalts zum Nachvollzug des Dargebotenen sei eine längere Passage aus Kerrs Notiz vom 10. Mai 1896 wiedergegeben: In der Kolonialausstellung gibt es Negerdörfer mit Eingeborenen. Die Eingeborenen sind aus unsern fernen Siedelungen hertransportiert, die primitiv-grotesken Hütten wohl künstlich nachgeahmt. Ein unglaubliches Tohuwabohu empfängt den Besucher. […] Die ganze Schar aber scheint sich sehr wohl zu fühlen; fast alle lächeln und bekunden einen gewissen Übermut. […] Man schreitet durch die einzelnen eingezäunten Abteilungen und Gehöfte der Dörfer, blickt in die zahlreichen niederen Binsenhütten und bekommt immerhin einen halben Einblick in die Kultur unserer Mitbürger. […] Bald stößt man wieder auf einen Stamm, der heulend und unermüdlich monotone Nationaltänze aufführt. Hier bildet sich eine schwarze Gruppe um einen anwesenden Kolonialfreund, den man nicht bloß am Scheitel und dem eigentümlich knapp sitzenden Jacket erkennt; dem man auch die praktische Erfahrung in den Kolonien am bronzefarbenen Gesicht ansieht. […] Auch andere Eingeborene kommen hinzu, sie kennen den Herrn ebenfalls. Auffallend ist die etwas heuchlerische und gezwungene Freude, die auch bei ihnen zutage tritt. Man ahnt, daß sich diese Gesellschaft gegebenenfalls sehr geschickt verstellen kann. Sie benehmen sich wie Schulknaben gegenüber einem Lehrer, den sie im Privatleben irgendwo treffen; das Zusammentreffen läßt sie eine hocherfreute und angenehm berührte Miene aufsetzen, sie wären aber zehnmal froher, wenn sie ihn nicht getroffen hätten. […] Höchst fesselnd ist die Kolonialhalle, die sich jenseits einer Riesentreppe in der künstlich hergerichteten Zanzibar-Stadt befindet. Hier bekommt man eine klare Einsicht in die Mittel der afrikanischen Kolonisierung und zugleich in die Kultur der Kolonisierten, in ihre Waffen, ihre Fetische, ihre Lebensmittel. Daneben eine Masse von Jagdtrophäen berühmter Deutsch-Afrikaner, ausgestopfte Tiere, Geweihe, Elfenbein. Es ist vieles sehr schön, aber ein gewisser renommistischer Zug geht durch das Ganze – etwas Knabenhaftes.301
Neben der rein musealen Präsentation der materiellen Kultur fremder Völker bewirken insbesondere die oben beschriebenen Vorführungen landestypischer Musik, Gesänge und Tänze eine Verlebendigung und Authentifizierung
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und zwar nicht nur in der Biologie. Vielfach wird verkannt, daß er in den Geisteswissenschaften seinen Ausgang genommen hat. Man sah also in den Kolonialvölkern und ihren Institutionen primitive Entwicklungsstadien, die auch die ›Hochkulturvölker‹ und ihre ›Hochreligionen‹ in grauer Vorzeit einmal durchlaufen hatten.« Josef Franz Tiel: »Der Exotismus in Bezug auf Mission und Kolonialismus«, in: Exotische Welten 1987, S. 82-87, hier S. 82. Alfred Kerr: Mein Berlin. Schauplätze einer Metropole. Berlin 2002, S. 124f. Ebd., S. 126ff.
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des Gezeigten und setzen eine andere Form der Betrachtung durch den Zuschauer frei. Sie ist nicht mehr nur frontal betrachtend, sondern täuscht ein Erleben der Kultur vor, das gleichzeitig eine visuelle, akustische und – bedingt durch die Tänze und Kämpfe – auch rhythmische Wahrnehmung des »Anderen« ermöglicht. Es ist entscheidend für diese Wahrnehmung des Anderen, so Kerstin Gernig, »ob der vertraute kulturelle Rahmen verlassen wird, womit auch die vertrauten Referenzmuster der Wahrnehmung und Bewertung einen anderen Stellenwert erhalten oder ob der andere in der eigenen Kultur wahrgenommen wird.«302
Fremde in Berlin: Parade, Völkerschau Am Vorabend des siebzigsten Geburtstages des Reichskanzlers Bismarck findet zu seinen Ehren ein Fackelzug durch Berlin statt, an dem zehntausend Bürger der Stadt, darunter allein fünftausend Fackelträger, teilnehmen. Unter den Beteiligten findet sich auch eine Gruppe aus Kamerun, über deren Auftreten die Deutsche Illustrierte Zeitung vom 25. April 1885 folgendes berichtet. Als die K a m e r u n g r u p p e […] erschien und die wilden Alliirten [sic!] einen ganz absonderlichen Kriegstanz speerschwingend und knirschend ausführten, fing die Bismarck’sche Familie herzlich zu lachen an, und namentlich der Reichskanzler amüsirte sich köstlich und applaudierte hier zum ersten Male äußerst lebhaft.303
Abb. 41: »Die Bismarcktage. Die Kamerungruppe zieht vor dem Kanzlerpalais vorüber« (1885) Abbildung 41 zeigt die »Kamerungruppe« lebhaft vor Bismarcks Fenster vorbei ziehen, in unterschiedlicher Kleidung und Bewegung: Einige der Kameruner reiten auf Pferden und Dromedaren, andere führen, im Zentrum des Bildes abgebildet, mit Federschmuck, Waffen und Zweigen ausgestattet, den beschriebenen Kriegstanz auf, ein afrikanisches Paar in europäischer Kleidung, in Krinoline und Domino, begleitet die Karawane gehend. Auf die »speerschwingenden« Aktionen der »wilden Alliirten« [sic!], reagiert der 302 303
Gernig in Gernig 2001, S. 18. Artikel »Die Kameruner beim Bismarck-Fackelzuge« in Dt. IZ vom 25. April 1885, S. 231f.
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Kanzler trotz der »absonderlichen« und »knirschenden« Wirkung mit Amüsement und Beifall. Der Auftritt der Kameruner wird innerhalb der städtischen Parade zu einer unterhaltsamen Nummer. Völkerschau Es ist zu vermuten, dass sowohl die zuvor genannte Kamerungruppe der Bismarck-Parade als auch die Kameruner im weiter oben erwähnten »WerbeGag« eines Bauunternehmens während ihres Aufenthaltes in Berlin im Rahmen einer der populären Schaustellungen, Völkerschauen oder anderen Unterhaltungseinrichtungen auftreten. Völkerschauen, die Zurschaustellungen von Vertretern fremder Kulturen, beginnen in Deutschland in den siebziger Jahren, kurz nach der Gründung des Deutschen Reiches, und erleben eine Hochkonjunktur nach dem Erwerb von deutschen Kolonien in Afrika und auf Samoa.304 Am 10. August 1889 heißt es in der Illustrirten Zeitung: Die Schaustellungen von Vertretern fremder Völkerschaften und von ganzen Karavanen, bei denen selbst die Hausthiere nicht fehlen, sind in Berlin so zur Alltäglichkeit geworden, dass es schwer, ja fast unmöglich schien, noch etwas neues auf diesem Gebiete zu bringen, etwas, was allgemein anzog und im Stande war, dauernd das Interesse der gesammten berliner Bevölkerung zu fesseln.«305
Werner Michael Schwarz hebt in seiner 2001 erschienenen Studie über die Schaustellungen fremder Völker in Wien explizit deren Gebundenheit an den urbanen Raum hervor und erklärt ihre Anziehungskraft auf das Großstadtpublikum nachgerade mit dieser Lokalisierung. Die Schaustellungen, so Schwarz waren unbestritten aktuell, versprachen das in Natura zu zeigen, was man von anderer Seite bereits gehört oder gelesen hatte und was die Erwartungen disponierte. […] Schaustellungen dieser Art waren großstädtische Spektakel, deren Anziehungskraft gerade auch darin bestand, daß sie etwas anboten, was mit diesen konkreten Erfahrungen in Verbindung stand, sie thematisierte und in gewisser Weise simulierte, sei es als Verlängerung, Gegenmodell oder Exilort des eigenen Lebens.306 304
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In den vergangenen Jahren hat das Phänomen Völkerschau, zumeist unter Berücksichtigung einzelner Regionen, Städte oder Kulturen, ausgiebige wissenschaftliche Behandlung erfahren. Pionierarbeit auf diesem Gebiet leistete sicherlich Hilke Thode-Arora mit ihrer 1989 erschienenen Arbeit über den Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck. Hilke Thode-Arora: Für fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen. Frankfurt: Campus 1989. Weiterführend seien folgende Publikationen zum Thema genannt: Eric Ames: »Wilde Tiere: Carl Hagenbecks Inszenierung des Fremden«, in: Alexander Honold, Klaus R Scherpe (Hg.): Das Fremde. Wien: Lang 2000, S. 123-148; Schwarz 2001; Erika Fischer-Lichte: »Rite de passage im Spiegel der Blicke«, in: Gernig 2001, S. 296-315; Balthasar Staehlin: Völkerschauen im Zoologischen Garten Basel 1879-1935. Basel 1993; Anne Dreesbach, Helmut Zedelmaier (Hg.): »Gleich hinterm Hofbräuhaus waschechte Amazonen«: Exotik in München um 1900. München: Dölling und Galitz 2003. A. Oskar Klaußmann: »›Wild-Amerika‹. Skizze aus der Reichshauptstadt«, in: IZ Nr. 2406, 10. August 1889, S. 137. Schwarz 2001, S. 15.
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In Deutschland gilt der Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck als der Initiator der Völkerschau (1875), weitere bekannte Organisatoren und Impresarios sind Carl Marquardt, oder Willy Möller.307 Schauplätze dieser Veranstaltungen sind Zoologische Gärten, Rummelplätze, in Berlin die Hasenheide, der Zirkus oder das Passagepanoptikum.308 Im Jahr 1892 zeigt Castans Panoptikum eine »Interessanteste Völkerschaft Inner-Afrikas: Schuli B. Emin Pascha-Reich. 30 Personen, Männer, Frauen, Kinder«309 oder im April desselben Jahres »Salomon Fleury, der weiße Neger aus Sierra-Leone – Westafrika«.310 Aufgewertet durch die Beigabe von Ethnographica311, welche die Darbietungen zu authentifizieren trachten, dienen die Schauen ebenso dem Interesse eines schaulustigen Publikums wie Wissenschaftlern. Die beiden Publika nähern sich den fremden Kulturen auf unterschiedliche Weise: Während das Publikum die sichtbare, körperliche Fremdheit bestaunt wie exotische Figuren auf dem Theater, suchen die Wissenschaftler die Zurschaustellung durch medizinisch anthropometrische Untersuchungen zu legitimieren.312 Wissenschaftler nutzen das Medium Fotografie zur genauen Ablichtung einzelner Körperpartien, die sie wiederum als Bilddokumente für ihre Körpervermessungen verwerten. Für beide Publika wird die kostspielige Fern- und Forschungsreise obsolet. »Um Afrika zu sehen, macht man keine lange Reise, sondern geht zu den 100 Somali im Somalidorf in Hagenbeck’s Tierpark«,313 heißt es auf einer Reklametafel, die repräsentativ auch für die Bewerbung anderer Schauen ist, die als preiswertes Reise-Surrogat vermarktet – und vermutlich auch perzipiert – werden.
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Willy Möller, so de la Guérivière, »gelang es, zwischen Hamburg und Kopenhagen Hunderttausende von Schaulustigen anzulocken, die herbeiströmten, um die ›Artisten‹ zu bewundern, die er aus Afrika importierte und durchaus angemessen bezahlte. […] Zu Möllers großen Erfolgen zählte die Präsentation der »Krieger des Mahdi« (eigentlich waren es Kenianer, die er für diese Rolle engagiert hatte).« De la Guérivière 2004, S. 172. »It was not uncommon in the nineteenth century for a living human rarity to be booked into a variety of venues – theaters, exhibition halls, concert rooms, museums, and zoos – in the course of several weeks or months as part of a tour«. Kirshenblatt-Gimblett 1998, S. 42 Theater-Zwischenakts-Zeitung vom 23. 02. 1892. Theater-Zwischenakts-Zeitung vom 09. 04. 1892. Die Völkerschauen der Hamburger Familie Hagenbeck werden bspw. mit Ethnographica des Völkerkundlichen Museums I.F.G. Umlauff bestückt. Durch eine Heirat zwischen Hagenbeck und Umlauff werden die Geschäfte untereinander gefestigt, worauf Thode-Arora hingewiesen hat. Hilke ThodeArora: »Herbeigeholte Ferne. Völkerschauen als Vorläufer exotisierender Abenteuerfilme«, in: Triviale Tropen. Exotische Reise- und Abenteuerfilme aus Deutschland 1919-1939. München: Edition Text + Kritik 1997, S. 19-33, besonders S. 24 und 26. Virchow nimmt anthropometrische Messungen an den Körpern der Vertreter fremder Kulturen vor und wird dabei von dem Fotografen Carl Günther und dem Bildhauer Louis Castan unterstützt, die fotografische Aufnahmen bzw. Wachsabdrücke anfertigen. Vgl. zu derartigen Messverfahren, die insbesondere seit der Etablierung von Anthropologie und Ethnologie als wissenschaftliche Disziplinen üblich wurden, Martin Kemp, Marina Wallace: Spectacular Bodies. The Art and Science of the Human Body from Leonardo to Now. Berkeley u.a. :. University of California Press 2000. Wiedergegeben in Thode-Arora 1989, S. 140.
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Die Organisation und Rezeption der Schauen, die eine Präsentation der materiellen Kultur, Lebensart, Musik, Rituale und Tänze umfassen, ist komplex, dienen sie doch dem zeitgenössischen Publikum als kurzweiliges Unterhaltungsprogramm und simultan als edukativer »Anschauungsunterricht«. Aus der »Echtheit« der Ausgestellten ergibt sich ihr wissenschaftlicher Wert, der betont wird durch Informationstafeln oder Vorträge, in denen kulturelle und phänotypische Besonderheiten aufgelistet werden, um den dokumentarischen und didaktischen Anstrich dieser Fremdenschau zu belegen. Diese Hochachtung des wissenschaftlichen und edukativen Werts verleiht den Völkerschauen den Anstrich von Authentizität. Offiziell werden die Angehörigen fremder Kulturen nicht mehr, wie ehemals in Kuriositätenkabinetten üblich, als fremde Wunder oder kuriose Exotica ausgestellt, sondern treten in den vermeintlich höheren Dienst der Repräsentation exotischer Völker und Länder mit Hilfe performativer Mittel. »Neben der erklärten Absicht, die Weltkenntnis zu befördern« so Stefan Goldmann 1985, war das erklärte Ziel dieser Ausstellungen, weite Kreise der Bevölkerung für deutsche Kolonialinteressen zu gewinnen. […] In demselben Maß, wie diese Völkerausstellungen das Interesse an den Kolonialbestrebungen schürten, boten sie gleichfalls eine Anleitung zur Bewältigung der Angst vor dem wilden Unbekannten.314
Eugen Zabel reflektiert 1891 im Berliner Pflaster über »Fremde in Berlin«, seit der Ausdehnung der Kolonialpolitik sei das Interesse »an den farbigen Völkerstämmen, den Naturvölkern fremder Gegenden, immer größer und nachhaltiger geworden. […] besonders hat Afrika mit seinen Kamerunern herhalten müssen, auf die wir ja für die Zukunft unsere Hoffnung setzen.«315 Ein weiteres Argument, das auch in den zeitgenössischen Zeitungsberichten über die Schauen immer wieder angeführt wird, ist der zunehmende Seltenheitswert der ausgestellten Völker gerade angesichts des Eindringens der Europäer in die indigene Kultur und die Veränderungen durch die Kolonialisierung. Diese wird jedoch auch als großer Gewinn für die Zurschaugestellten gewertet, wie aus Carl Hagenbecks Rückblick hervorgeht: »Wo meine Pioniere, Kundschafter, Jäger und Transporteure nicht hingekommen sind, leben […] Eingeborene, die einst Glieder einer Völkerschau waren. Sie haben ohne ihr Wollen Belehrung eingeheimst und Kultur in die Wildnis mit hinausgenommen.«316 Szenische Darstellungen von Landschaften, Menschen oder Ereignissen erscheinen besonders dann dokumentarisch verbürgt, wenn ihre Inszenierung 314 315
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Goldmann in Theye 1985, S. 257f. »Wer zählt die Völker, nennt die Namen aller derjenigen, die nach Berlin pilgerten und einen unauslöschlichen Eindruck von der Größe und Schönheit unserer Stadt mit nach Hause nahmen! Wir aber dürfen uns freuen und mit verdoppeltem Eifer vorwärts schreiten, wenn wir daran denken, daß das ehemalige Fischerdorf jetzt sogar bei den Rothäuten, den Bewohnern des stillen Ozeans, der Tropen und der Nordpolargegenden Vorstellungen von ungeahnter Größe, Macht und Bedeutung erweckt.« Eugen Zabel: »Fremde in Berlin«, in: Moritz Reymond (Hg.): Berliner Pflaster. Berlin 1893, S. 245-264, hier S. 263f. Carl Hagenbeck: Von Tieren und Menschen. Erlebnisse und Erfahrungen. Berlin: Vita deutsches Verlagshaus 1909, S. 106.
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verdeckt bleibt, »so als ob der Zuschauer ›Natur im Rohzustand‹ vor Augen bekäme«, wie Jan Berg es in seiner Arbeit Exotik im Dokumentarfilm formuliert.317 Dies gilt in gleichem Maße auch für die Völkerschauen. Deren Inszenierungsgrad wird jedoch nicht immer erfolgreich verborgen. Zur Ausstellung der Sioux-Indianer im Berliner Passage-Panoptikum 1884 heißt es etwa: Es gewährt einen hochinteressanten Anblick, wenn die buntfarbigen Wilden auf den für sie im Hintergrund der Bühne aufgestellten langen Bänken lachend, schwatzend und schellenklingelnd Platz nehmen. Wir empfangen den Eindruck, als sollte ein ländlicher Ball gefeiert werden. Die durch europäische Kleidung stark ›übertünchten‹ Vertreterinnen des schönen Geschlechts glätten ihre schwarzen Haare und rücken die massigen Glasperlenschnüre zurecht, die Männer ordnen die Federn des Kopfputzes und die sonstigen haarigen Anhängsel und blicken sehnsüchtig nach dem einzigen vorhandenen Musikinstrument, einer großen Trommel, die übrigens durch ihre moderne Construction verräth, daß sie nicht in dem Thale von Nebraska ›geboren‹ ist.318
Was aus Sicht der Ethnographie als »echt« angesehen wird, ist in den Augen der Zuschauer oftmals enttäuschend »unecht«. Entscheidend für die öffentliche Vorführung dieser Schauen ist, welche individuellen und kollektiven Imaginationen, welche Phantasien die Betrachter mit den lebendigen Displays verbinden oder hineinlesen.319 Zur größtmöglichen Authentizität gereichen daher wieder erkennbare Handlungsmuster (Musik, Tanz, Kampf, Gesang), (über Jahrhunderte) tradierte Stereotypen, Erkennungsmuster (e.g. körperliche Merkmale) unabhängig vom zur damaligen Zeit gesicherten Wissen über Phänotypen, materielle Kultur und kulturelle Praktiken.320 Hier zeigt 317 318
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Berg 1987, S. 347. Artikel »Die Sioux-Indianer im berliner Panoptikum«, in: IZ Nr. 2118, 2. Februar 1884, S. 91. Der Bericht beschreibt sehr ausführlich die Vorführungen, besonders aber die körperlichen Merkmale, Kostüme und Bewegungen der Sioux-Gruppe, die aus 20 Personen, Frauen, Männer und Kindern, besteht, und die zu einem aussterbenden Stamm in Nebraska gehören, der bereits zur Zeit der Schaustellung, so der Bericht, auf 1200 Personen reduziert war.« Eine andere Beschreibung, insbesondere der körperlichen Bewegung, findet sich an anderer Stelle: Der Autor macht eine Ähnlichkeit in den Bewegungen der unterschiedlichen 1883 in Berlin gezeigten Völker aus: »Wer die wilden Völkerschaften, welche sich während des verflossenen Jahrs [1883, NL] dem berliner Publikum vorgestellt haben, in ihren Tänzen vergleicht, findet eine überraschende Uebereinstimmung. Singhalesen, Araukaner, Kalmücken, Nubier u.a. bewegen den Körper oder einzelne Glieder nach den Rhythmen eines trommelähnlichen Instruments, pfeifen, schreien oder singen dazu und empfinden eine gewisse Befriedigung, den Zuschauern durch die nach ihrer Meinung einzig dastehenden und unerreichbaren Leistungen zu imponiren.« IZ. Nr. 2118, 2. Februar 1884, S. 91. Vgl. hierzu Jan Berg: »Der Beute-Gestus«. Dokumentarische Exotik im Film. In: Thomas Koebner und Gerhart Pickerodt (Hg.): Die andere Welt. Studien zum Exotismus. Frankfurt a.M. 1987, S. 345-362, S. 347. Ein relativ bekanntes Beispiel für eine solche Divergenz ist die Schau der Bella-Coola-Indianer 1885/86. Thode-Arora fasst den Misserfolg zusammen: »Hochgelobt von allen Spezialisten der damaligen Ethnologie, die über Aussehen, Kleidung, Schnitzkunst, Tänze und andere Darbietungen dieser Indianer der amerikanischen Nordwestküste in Entzücken gerieten, stand das Publikum ihnen verständnislos bis hämisch-ablehnend gegenüber: Das sollten
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sich die generelle Diskrepanz zwischen einem ethnographischen Gegenstand und seiner Darstellung, zwischen »dem Fremden« und seiner visuellen Repräsentation. Ungeachtet der offiziellen Rechtfertigung der Präsentation von Kulturen in den Völker- oder auch den Weltausstellungen, geht es realiter nicht um das Verständnis oder die unbedingte Toleranz des ethnisch Distinkten. Im Blickpunkt stehen utilitaristische Ziele im Kontext der Kolonialbestrebungen, und die Adressierung der Curiositas des Publikums am Anderen. Die Überlegenheit im Kulturverständnis markiert die Überlegenheit eines westlichen Blickes. Diesem unterliegt auch die Fokussierung Afrikas, dessen Bewohner nicht mehr, wie noch im 18. Jahrhundert, dem Rousseau’schen Typus des »Edlen Wilden« entsprechen, sondern in den Koordinaten des Darwinschen (Kultur-)Evolutionismus gesehen werden. Im Umgang mit Angehörigen nicht-europäischer Kulturen schlägt sich diese wissenschaftlich legitimierte Überheblichkeit unter anderem in einer Infantilisierung321 des Fremden nieder, die auch in den Stücken Stanley in Afrika und Im dunklen Erdtheil dramaturgisch instrumentalisiert wird. »In Wahrheit wurden die ›Wilden‹ wie exotische Tiere zur Schau gestellt und damit der Ethnozentrismus der Industrienationen verfestigt.«322 Hilke Thode-Arora vermutet, die Völkerschauen seien Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Film als Unterhaltungsmedium zur Darstellung des ethnisch Distinkten abgelöst worden, weil aufgrund der filmischen Technik »viel besser eine exotische Traumwelt« suggeriert werden konnte, »als es selbst die bestausgestattete Völkerschau noch vermochte […].«323 Gisela Welz hingegen sieht umgekehrt gerade in der »Unmittelbarkeit« der Bühnenund Live-Darbietungen des ethnisch Distinkten den Wunsch des Publikums nach der »Erfahrung des ›unvermittelt Authentischen‹« gegeben. Denn diese beruhten »auf der Ko-Präsenz von musealem Objekt und Betrachter bzw. der raum- und zeiteinheitlichen Angesichtigkeit von Darsteller und Publikum.«324
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›echte‹ Indianer sein? Ohne Adlernasen, Perlstickerei und Federhauben, wie sie bei mehreren anderen zeitgleich durch Deutschland tourenden Völkerschauen üblich waren?« Thode-Arora 1997, S. 30. Vgl. zur Infantilisierung der Kolonisierten durch die Europäer Speitkamp 2005: »Primär war der ›Eingeborene‹ ein Kind, unreif, entwicklungsbedürftig, von kurzer Erinnerungsfähigkeit, aber durchaus hohem Gerechtigkeitssinn, treu, wenn er richtig geführt wurde, instinktgetrieben, wenn die Zügel lockergelassen wurden. Die Standardisierung der Wertungen erleichterte die Erklärung und mentale Bewältigung komplexerer Probleme wie der Aufstände, sie erschwerte aber die Reaktion auf neue koloniale Herausforderungen.« Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte. Stuttgart: Reclam 2005, S. 148. Josef Franz Thiel: »Der Exotismus in bezug auf Mission und Kolonialismus«, in: Exotische Welten 1987, S. 82-87, hier S. 87. Diese Hierarchisierung gelte nicht für die Schaustellungen der Samoaner, wie Christopher B. Balme argumentiert. Diese seien der deutschen Bevölkerung als »unsere neuen Landsleute« präsentiert worden unter Betonung gemeinsamer Wurzeln im körperlichen und geistigen Ideal der Antike. Christopher B. Balme: Pacific Performances. New York: Palgrave Macmillan 2007, insbesondere Kapitel 5, »Kindred Spirits: Spectacles of Samoa in Wilhelminian Germany«. Thode-Arora 1997, S. 23. Gisela Welz: Inszenierungen kultureller Vielfalt. Berlin: Akademie 1996, S. 20.
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Allerdings speisen sich auch diese vermeintlich ›un-mittelbaren‹ Darstellungen des Fremden aus bereits zirkulierenden Bildern des Fremden und verstärken diese nachgerade durch belebte Displays. Neben der Bedeutsamkeit der Schauen für die europäische und besonders auch die deutsche Kolonialgeschichte sind die Aspekte und Techniken ihrer Inszenierung von enormem Belang auch für theatergeschichtliche Forschung. Das theaterwissenschaftliche Interesse an Dramaturgie und Inszenierungsstrategien der Zurschaustellung von Fremden entwickelte sich erst im Zuge der Beschäftigung mit Fragen zu kulturellen Praktiken des Kolonialismus und zur Inszenierung von Fremdheit im weitesten Sinne.325 Innerhalb dieses Diskurses ist vielfach erörtert worden, dass es sich bei den Völkerschauen weniger um die objektive Darstellung des »authentisch Fremden« handelt, sondern vielmehr um eine ›Inszenierung von Authentizität‹326, ein ›dokumentarisches Als-ob‹, die Herrichtung kultureller Abweichungen zu Formaten mit festgelegtem Repertoire und starrer Dramaturgie. Auf Spielarten dieser Dramaturgie ist bei der Besprechung von Im dunklen Erdtheil noch näher einzugehen. Eine Vielzahl unterschiedlicher Medien und Traditionen der Darstellung des ethnisch Distinkten bereichern in den letzten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts das Bildvokabular der deutschen Kolonien. Auch in Bezug auf die Darstellung fremder Landschaft und Kultur sind die Medien und Institutionen der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts den tradierten bildkünstlerischen Konventionen und ikonographischen Mustern verpflichtet, wie es im vorangegangenen Kapitel am Beispiel des Krieges gezeigt wurde. Jedoch tragen sie auf je medienspezifische Weise dazu bei, diesen Katalog an ›Welt-Ansichten‹ zu perpetuieren und durch neue Perzeptionsmodelle zu erweitern. In den Worten Georg Maags markiert das 19. Jahrhundert »die zeitliche Schwelle, an der die Phantasie-Bilder der Ferne systematisch abgebaut werden durch den Informationsfluß von zunächst nur verhältnismäßig genauen Bildern, später durch Photographien und Weltausstellungen.«327 Dabei hegen sie den Anspruch, über die fremde Kultur zu informieren, indem ihre Alterität durch geographische und naturwissenschaftliche Fakten und begleitende Abbildungen erklärt wird. Gleichzeitig überführen die Medien und Institutionen des Visuellen jedoch Elemente der ethnischen Fremdheit in pittoreske, weil exotische Anschauungsobjekte. Für die Bestimmung des zeitgenössischen Diskurses des afrikanisch Fremden spielen die ›Schauplätze des Fremden‹ innerhalb der visuellen Kultur daher eine gewichtige Rolle. Ikonographische Muster und Konventionen der visuellen Darstellung des »Anderen« dienen der Sichtbarmachung von ethnischer Differenz, von Unter- und Überlegenheit und sind immer auch politisch motiviert.328 Der Blick auf das Andere ist keine primäre, unvoreingenommene Anschauung, sondern einer stets vermittelten, mediatisierten, auf tradierte Darstellungsmuster rekurrierenden Wahrnehmung gewichen. Da325 326
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Vgl. Referenzen in FN 55. Den Begriff der »staged authenticity« hat Dean MacCannell zur Beschreibung der Schaustellungen für Touristen geprägt. Dean MacCannell: »Staged Authenticity: Arrangements of Social Space in Tourist Settings«, in: American Journal of Sociology, Nr. 3, 1973, S. 589-603. Maag 1986, S. 113. Vgl. hierzu auch Schwartz und Przyblyski 2004, S. 287ff.
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durch enthalten bildliche/mediale Repräsentationen des ethnisch Distinkten immer eine Doppelgesichtigkeit: Die Darstellung des Fremden aus der Perspektive der europäischen Kultur reflektiert diese selbst.329 Der visuell determinierte Diskurs des Fremden prägt den europäischen Blick auf die fremde Realität, und lässt gleichzeitig die Überlegenheit des westlichen Blicks sichtbar werden. Die Spielpläne der Berliner Theater aus den achtziger und neunziger Jahren belegen die wiederholte Aufnahme von zahlreichen Stücken, die das Stichwort »Afrika« im Titel tragen. So zeigt das Victoria-Theater schon 1877 eine Ausstattungsposse, Die Afrikaner von Berlin, von H. Wilkem.330 1884, vermutlich im Januar, zeigt das Neue Friedrich-Wilhelmstädtische Theater die Operette Die Afrikareise von Franz von Suppé (1819-1895).331 Eine andere Verarbeitung des Stanley-Stoffes ist mit dem Titel Stanley als »Zeitgemälde« klassifiziert.332 Ferner zu nennen sind das Lustspiel Afrikaner von Rudolf Hermann und eine Posse mit Gesang in 3 Akten von Otto Trendies, Die Afrikaner, die am 17.08.1883 zur Aufführung im Louisenstädtischen Theater genehmigt wird. Eine Version für Sprechtheater in 3 Akten, Die Afrikareise, von U. West und Rudolph Genée, genehmigt für das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater findet am 7. Januar 1884 statt, eine Singspiel-Burleske mit Ballett, Eine Afrikareise oder Rosen aus dem Süden, wird für den Berliner Prater am 29. 03. 1884 genehmigt.333 In den neunziger Jahren bringt Richard Schultz, Leiter des Central-Theaters, in einem »Kairobild« der Ausstattungsrevue Eine wilde Sache einen Trupp »echter Araber ›nebst Eseln und Kamelen‹« auf die Bühne. Mit Stanley in Afrika und Im dunklen Erdtheil werden im Folgenden zwei ausgewählte Beispiele für die Bühnenumsetzung der Kolonialthematik besprochen. Mit Hilfe einer engen Arbeit an den Manuskripten und der Berücksichtigung des zeitpolitischen Kontexts interessiert im Folgenden die produktions- und rezeptionsästhetische Interferenz von Theater und den zuvor beschriebenen Medien und Institutionen visueller Kultur. Ziel der folgenden Ausführungen ist es, das Zusammenwirken von Theater und visueller Kultur im 19. Jahrhundert am konkreten Beispiel der Kolonialthematik zu überprü329
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Kramer belegt diese Doppelgesichtigkeit und zum Teil synkretische Note z.B. mit den Zeichnungen Vertretern fremder Ethnien durch europäische Künstler im späten 18. und im 19. Jahrhundert: »Oft genug kann man in den Physiognomien der vorgeblichen Polynesier und Indianer die Nationalität des Malers erkennen. […] Immerhin wären viele der Illustratoren sicher in der Lage gewesen, Europäer zu porträtieren, aber ihre ›Wilden‹ sind bei aller ethnographischen Genauigkeit kostümierte Europäer, ihr Bildausdruck bleibt den Klischees der Jugend- und Reiseliteratur verhaftet.« Kramer 21981, S. 96. Archiviert im LA B, A Pr. Br. Rep. 030-05 A 8. Das Stück wurde genehmigt am 2. September 1877. Angekündigt im Berliner Theater- & Geschäfts-Anzeiger vom 24. Januar 1884. Siehe auch IZ Nr. 2118, 2. Februar 1884, S. 95, Rubrik »Theater und Musik«: »Suppé’s Operette ›Die Afrikareise‹ hat im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin eine sehr freundliche Aufnahme gefunden«. Bis auf die Hinweise auf die Existenz dieser Stücke oder ihre Aufführung in den Verzeichnissen oder in der zeitgenössischen Presse ließen sich keine weiteren Details eruieren. Falls nicht anders angegeben, sind die Genehmigungsdaten und Angaben zu den Stücken dem Zettelkatalog der Zensurbibliothek des LA Berlin entnommen.
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fen, und die intertextuellen, im Besonderen die intervisuellen Bezüge im Hinblick auf die Produktion und Rezeption der ›Fremdenbilder‹ herauszuarbeiten. Der Begriff ›Intervisualität‹/intervisuality stammt von Nicholas Mirzoeff, der ihn in seinem Artikel »The Multiple Viewpoint. Diaspora and Visual Culture« als »the simultaneous display and interaction of a variety of modes of visuality« definiert. The diasporic visual image is necessarily intertextual, in that the spectator needs to bring extratextual information to bear on what is seen within the frame in order to make full sense of it. However, in the visual image, intertextuality is not simply a matter of interlocking texts but of interacting and interdependent modes of visuality that I shall call intervisuality. From a particular starting point, a diasporic image can create multiple visual and intellectual associations both within and beyond the intent of the producer of that image.334
Intervisualität lässt sich folglich als eine spezifische Art von Intermedialität visueller Medien und Institutionen bezeichnen, verstanden als Transformation von medialen und Wahrnehmungskonventionen eines Mediums in ein anderes. Und schließlich als Aktivierung des Bild- und Medienwissens des zeitgenössischen Publikums. Stanley in Afrika: die Forschungsreise als »Zeitgemälde« Stanley in Afrika, das Zeitgemälde in elf Bildern von Alexander Moszkowski und Richard Nathanson, das im Sommer des Jahres 1889 als ›Novität‹ des Berliner Victoria-Theaters angekündigt wird und bereits 1890 seine 200. Aufführung feiert, gehört zu den zahlreichen Ausstattungsstücken des späten 19. Jahrhunderts, die erfolgreich und – zumeist – auch für die Theaterleitung Gewinn bringend aufgeführt wurden, jedoch heute weitgehend unbekannt sind. Für die in dieser Studie behandelte Interferenz von visueller Kultur und Theater dieser Zeit eignet es sich in besonderer Weise wegen seiner engen Orientierung an der medialen Rezeption der Unternehmungen des Journalisten und Forschers Henry Morton Stanley und als präzedentes Beispiel für die wenig beachtete Gattung des Ausstattungsstücks. Die Charakterisierung des Stückes als »Ausstattungsdrama in elf Bildern« deutet bereits eine Orientierung an optischen Effekten und aufwändiger Szenographie an. Von besonderem Interesse sind bei der folgenden Besprechung des Stückes erstens der explizite Rekurs des Manuskripts auf die Reisen, Reiseberichte und Zeichnungen Henry Morton Stanleys. Zweitens ist, ausgehend von ausgewählten Passagen des Theatertextes, die Integration von Medien und Institutionen der visuellen Kultur des späten 19. Jahrhunderts in die Handlung des Stückes zu beleuchten. Vor dem Hintergrund dieser Besprechungen gilt es schließlich, Begriffe herauszuarbeiten, die über das Einzelbeispiel hinaus anwendbar sind für die Beschreibung einer Interrelation von Theater und visueller Kultur.
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Nicholas Mirzoeff: »The Multiple Viewpoint. Diaspora and Visual Culture«, in: Mirzoeff 22002, S. 209.
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Abb. 42: Stanley in Afrika, Titelseite des Zensurexemplars von 1889
Abb. 43: Stanley in Afrika, Zweites Bild, Zeichnung der Szene. Aus dem Zensurexemplar von 1889
Trotz des lang anhaltenden Erfolgs dieses Stückes und seiner zeitpolitischen Relevanz findet sich in den deutschen Theatergeschichten weder ein Hinweis auf die Textfassung noch auf die Aufführung. Materialgrundlage für die folgende Besprechung des Stückes bildet daher das Manuskript aus dem Jahr 1889, das die Direktion des Victoria-Theaters zur Genehmigung beim Berliner Polizeipräsidium einreicht, und das am 22. Juli ebendort zur Aufführung zugelassen wird (vgl. Abb. 42).335 Es handelt sich bei diesem Belegexemplar um die einzige ausführliche vorhandene Quelle, aus der sich der Inhalt des Stückes erschließen lässt. Diesem handschriftlichen Exemplar sind mehrere Szenenskizzen hinzugefügt, die Bühnenbild und Konstellationen der Figuren auf der Bühne vorschreiben (vgl. Abb. 43). Eine Anzeige im Allgemeinen Berliner Theater- und Concert-Anzeiger, Nr. 33, 1889, belegt, dass die Aufführung am 21. August 1889 stattgefunden hat, mit einer leichten Veränderung der Bildfolgen. Neben dem Belegexemplar dient als weiteres Referenzdokument für die folgenden Ausführungen ein Jubiläumsalbum, das anlässlich der 200. Vorstellung von Stanley in Afrika angefertigt und an die Zuschauer verteilt wurde. Es beinhaltet eine Kurzbeschreibung der elf Bilder sowie fotografische Szenen-Aufnahmen, die einen Eindruck von der szenischen Umsetzung liefern, auch wenn es sich bei den Fotografien um nachgestellte Szenen handelt. Dieses Album ist heute in der Berliner Stiftung Stadtmuseum, Abteilung Theater und documenta artistica, archiviert. Im Gegensatz zum Manuskript informiert das Jubiläumsheft auch über die für die Inszenierung Verantwortlichen, namentlich Wilhelm Hock (Re-
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Das Manuskript Stanley in Afrika befindet sich heute im LA B in der Akte A Pr. Br. Rep. 030-05-01, Nr. S 774. Das Datum der Erstaufführung ließ sich nicht ermitteln. Der Neue Theater-Almanach aus dem Jahr 1890 listet unter »Victoria-Theater« das Stück Stanley in Afrika als einzige »Novität« an dieser Bühne für 1889 an. Neuer Theater-Almanach für das Jahr 1890. Hg. von der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger. 1. Jg., Berlin 1890.
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gie), C.A. Raida336 (Musik) und Cäsar Severini (Ballett). Über die Genannten liegen allenfalls rudimentäre Informationen vor. Koschs Theater-Lexikon informiert über Wilhelm Hock (1832-1904), dieser habe erst als Schauspieler, dann als Oberspielleiter in Leipzig, Wien und Breslau gearbeitet, gemeinsam mit Albert Rosenthal die Leitung des Berliner Residenz-Theaters übernommen, und sei nach einer kurzen Tätigkeit am Victoria-Theater erst nach Hamburg (Vereinigte Theater, 1874-1884), und schließlich nach New York gegangen, um dort als Direktor der Metropolitan Opera zu wirken (neben/mit Leopold Damrosch).337 Nach der Leitung der Anglo-Amerikanischen Oper in Melbourne sei er nach Berlin zurückgekommen, habe am Victoria-Theater als »Oberregisseur« sowie am Belle-Alliance-Theater gewirkt und eine Theaterakademie geleitet. Sein Debut als Regisseur hat Hock in der ersten deutschen Originalfassung des Tannhäuser von Richard Wagner an der Metropolitan Opera, die am 17. November 1884 aufgeführt wird.338 Seiner Arbeit an Stanley in Afrika im Berliner Victoria-Theater ist folglich die Inszenierung einer auch in Bezug auf die Ausstattung aufwändigen Oper vorausgegangen. Und es ist zu vermuten, dass er die Berichte von und über den Journalisten Henry Morton Stanley in der New Yorker Presse verfolgen konnte, wie dies zur gleichen Zeit in Deutschland möglich war.339 Henry Morton Stanleys Reisen zwischen Forschung, Politik und Medien [M]ir wird immer erst wieder wohl, wenn ich von 10 bis 3 Uhr Nachts mit meinem Freunde Stanley um den Victoria-Nyanza-See herumfahre und in der Schilderung seiner Erlebnisse die Stimme der Natur zu hören glaube.340
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Carl Alexander Raida, geb. 4.Oktober 1852 in Paris, gest. 25. Februar 1923 in Berlin. Dirigent und Direktor des Victoria-Theaters Berlin, Bühnenschriftsteller und Komponist. Zu den eigenen Arbeiten gehören neben der Musik zu Stanley in Afrika die Ausstattungsstücke Frau Venus, Die Kinder des Kapitän Grant, Reise um die Erde. Vgl. Eintrag »Raida« in Kosch: Theater-Lexikon Bd. 3, 1992. Über die Musik der Aufführung ist bislang nichts Näheres bekannt. Sie wird in den folgenden Ausführungen nicht berücksichtigt. Wilhelm Hock, geb. 22. September 1832 in Lübeck, gestorben 6. August 1904 in Berlin. Sohn des Schauspielerehepaares Alexander und Johanna Hock. Eintrag, »Hock, Wilhelm« in: Kosch: Theater-Lexikon Bd. 1, Klagenfurt: Kleinmayr 1953, S. 807. Vgl. hierzu die Website der Metropolitan Opera, New York, www.metopera family.org/metopera Die Recherchen nach Versionen von Stanley in Afrika, Im dunklen Erdtheil oder vergleichbaren szenischen Realisationen von Stanleys Forschungsreisen auf den britischen oder amerikanischen Bühnen jener Jahre verliefen bislang erfolglos, was angesichts der Popularität des Stoffes insbesondere in diesen Ländern überrascht. Nach den Annals of the New York Stage (1865-1891) von George C.D. Odell beginnt mit dem 2. Dezember 1872 die dreiwöchige Vorstellung einer Burleske mit dem Namen Africa; or how I found Livingstone von Neil Warner am Theatre Comique. Es handelt sich hierbei vermutlich um eine Thematisierung von Stanleys Vorträgen. Ich danke Rosemarie Bank für diesen Hinweis. Theodor Fontane in einem Brief an seine Frau Emilie vom 11. Juni 1879, wiedergegeben in Gotthard Erler (Hg.): Emilie und Theodor Fontane. Die Zu-
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In diesem Ausschnitt eines Briefes Theodor Fontanes an seine Frau Emilie 1879 bekundet der deutsche Schriftsteller sein Interesse an den Berichten Henry Morton Stanleys über seine Afrikareisen. Es ist ein früher Beleg für die deutsche Rezeption der Erzählungen des amerikanischen Journalisten und Forschers, die, das lässt Fontanes Äußerung vermuten, durchaus lebendig und anschaulich geschrieben gewesen sein müssen. Fontanes Lektüre belegt ferner exemplarisch die Bekanntheit Henry Morton Stanleys und seiner Schriften im deutschen Reich während der Kolonialzeit. Diese enge zeitliche und thematische Verbundenheit von deutscher Kolonialpolitik und Stanleys Forschungsreisen bestimmt auch die Dramatisierung von Stanley in Afrika im Victoria-Theater. Der Besprechung des Stückes sei daher eine kurze Skizzierung des Verlaufs der Reise, die der Berliner Bühnenfassung zugrunde liegt, der Selbst-Vermarktung Stanleys und der Rezeption seines Werks in Deutschland vorangestellt.341 Die bekannteste von insgesamt sieben Reisen nach Afrika unternimmt Henry Morton Stanley 1871-1872, die der Auffindung des in Afrika verschollen geglaubten schottischen Arzt und Pastor David Livingstone dient.342 Der Eigentümer des New York Herald, James Gordon Bennett, beauftragt Stanley, Livingstone zu finden, der sich seit 1840 für Missionszwecke in Ostafrika aufhält, und sich seit 1849 im Auftrag der London Missionary Society der Evangelisation kartographisch noch nicht erfasster Territorien widmet. Stanley findet Livingstone unter großen Schwierigkeiten am 3. November 1871 in Udjiji nahe dem See Tanganjika. Die Begegnung der beiden Männer ist in zahlreichen zeitgenössischen Stichen festgehalten. Der international besprochene Erfolg dieser Unternehmung sowie Stanleys protokollierte geographische Entdeckungen und kartographischen Messungen etikettieren ihn in der öffentlichen Wahrnehmung als Afrika-Experten. Wie Paul Reichard in seiner Publikation über H.M. Stanley hervorhebt, wirkte dieser durch die Art seiner Reiseorganisation bahnbrechend. »[D]enn erst von seinem Auftreten in Afrika an beginnt die energisch durchgeführte Erforschung Afrikas. […] Bisher galt Livingstone als Typus unter den Afrikareisenden, und nun war es mit einem Male Stanley.«343
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neigung ist etwas Rätselvolles. Der Ehebriefwechsel 1873-1898. Berlin: Aufbau-Verlag 1998, S. 173. Eine detaillierte Übersicht über Henry Morton Stanleys Reisen und Forschungen zu liefern, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es sei stattdessen auf die folgenden neueren und umfangreichen Publikationen zu H.M. Stanley hingewiesen, die neben biografischen Einzelheiten auch die zeitgenössische Rezeption seiner Unternehmungen behandeln: James L. Newman: Imperial Footprints. Henry Morton Stanley’s African Journeys. Washington, D.C.: Brassey’s 2004. Alan Gallop: Mr Stanley, I Presume? The Life and Explorations of Henry Morton Stanley. Stroud: Sutton 2004. Es gelingt Stanley nicht, Livingstone zur Rückkehr nach Europa zu überreden. Livingstone stirbt am 1. Mai 1873 in Afrika. Vgl. Reichard 1896. Reichard 1896, S. 85. Trotz der Errungenschaften und Fortschritte bleibt Stanleys Vorgehen nicht ohne Kritik: »Man war bis dahin, hauptsächlich seit der jüngsten Epoche der Neubelebung der Afrikaforschung, dem Vorbilde Livingstones folgend gewohnt, Reisen unter großer Rücksichtnahme auf die Eingeborenen und deren Launen zu unternehmen. […][Stanley] ging mit einer Rücksichtslosigkeit ohne gleichen auf sein Ziel los; wo alle Versuche friedlicher Lösung scheiterten, brach er sich mit der Flinte Bahn.« Ebd.
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Das auf dem Berliner Victoria-Theater wiederholt zur Aufführung gelangte Stück thematisiert Stanleys für die kartographische Erfassung Afrikas bedeutende Reise durch die unbekannten Gebiete dieses Kontinents zwischen 1874 und 1877. Financiers dieser Expedition sind erneut die Herausgeber des New York Herald und des Londoner Daily Telegraph. Sie beauftragen Stanley, die geographische Lage der Seen im Inneren Afrikas zu ermitteln sowie Fluss-Lauf und -Mündung des Lualaba zu lokalisieren, auf den zuerst Livingstone aufmerksam gemacht hatte.344 Weiterer Bestandteil von Stanleys Vertrag sind regelmäßige Berichte über seine Erlebnisse, Begegnungen mit Eingeborenen sowie die klimatischen und geographischen Besonderheiten der unerforschten Gebiete Afrikas. Gemeinsam mit den Europäern Franz und Eduard Pocock und Friedrich Barker345 verlässt Stanley am 15. August 1874 England, beschafft sich in Sansibar einen Trupp von dreihundert Soldaten und Trägern, Ausrüstung und ein zerlegbares Boot, die »Lady Alice«. Von Sansibar ausgehend startet die Expedition am 17. November 1874 in der ostafrikanischen Küstenstadt Bagamojo ins Landesinnere. Der Reiseverlauf führt über den Ukerewesee/Victoriasee nördlich des Tanganjika-Sees, wo Stanley den Berg Ruwenzoni und den Edwardsee (Rutanzigesee) entdeckt. Durch schwer begehbares Gebiet gelangt der Zug am 27. Februar 1874 nach Kagei am südlichen Ufer des Victoria-Sees, einer der europäischen Begleiter, Eduard Pocock, stirbt auf diesem Abschnitt. Im Januar 1876 bezieht Stanleys Mannschaft am Nordufer des Sees Quartier im Palast des Königs Mtesa von Uganda, der ihm 2000 Speerträger für eine Reise durch das feindliche Land Unjoro zum Albertsee, dem anderen großen Quellsee des Nils, zur Verfügung stellt, und gemeinsam mit Stanley nach Rubaga, Hauptstadt von Uganda reist. Stanley gelingt es, Mtesa zur Taufe und zur Duldung von Missionaren in seinem Land zu überreden.346 Die Mannschaft umschifft die großen Seen im Inneren des Landes und gelangt zum Lualaba-Fluss, wo Stanley Livingstones Entdeckungen und Aufzeichnungen über den Verlauf fortzusetzen beabsichtigt. Er trifft in Muana Mamba auf den Elfenbein- und Sklavenhändler Tibbu-Tibb347, der gegen ein Entgelt Stanleys Mannschaft mit eigenen Leuten verstärkt und in den zu durchwandernden Gebieten seinen Einfluss geltend machen lässt. Im selben Jahr gelingt Henry Morton Stanley die Lokalisierung des Kongo-Laufes, (er stellt die Identität des Lualaba mit dem Kongo fest348). Am 5. November 1876
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David Livingstone entdeckt den Lualaba auf seiner Reise 1867-73. Es geht auf Stanleys Expedition konkret darum, herauszufinden, ob der Lualaba-Fluss die Quelle des Nils sei, wie David Livingstone behauptete, oder ob der Nil am Nordufer des Victoria-Njanzas entspringe, wie John Speke argumentierte. E.P. Scott: Stanley und Emin Pascha: Stuttgart: Felix Krais 1890, S. 48. Von den genannten Weißen überlebt letztendlich nur Stanley die Reise. Vgl. Scott 1890, S. 51. Auch »Tippo-Tipp« geschrieben. Wie de la Guérivière informiert, war TippoTip ein Elfenbein- und Sklavenhändler aus Sansibar, der bekannt war für seine Hilfsbereitschaft Weißen gegenüber. Nachdem er dem britischen Forschungsreisenden Verney Cameron geholfen hatte, verschafft er 1876 Stanley gegen 5000 Dollar einen Begleittrupp, Waffen und Verpflegung. De la Guérivière 2004, S. 120. Die Lokalisierung des Kongolaufs lenkt erneut die Aufmerksamkeit Europas auf den afrikanischen Kontinent, und zieht Pläne zur Nutzung des FlussLaufes für Handel und weitere Expansionen nach sich.
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schiffen sich Stanley und seine Mannschaft auf dem Lualaba ein und gelangen nach einer gefährlichen Fahrt flussabwärts, die über zahlreiche Katarakte und Schnellen führt, und unter aufreibenden Kämpfen mit den Eingeborenen, im Januar 1877 zu Wasserfällen, den »Stanley Falls« (heute Tsungu-Fälle). Am 8. (Scott 1890: am 9.) August 1877 kommt der Trupp in Boma am unteren Kongo an und erreicht nach einer Fahrt um das Kapland wieder Zanzibar, von wo aus im Januar 1878 die Rückkehr nach Europa beginnt.349 Reiseberichte und Rezeption Wie eingangs erwähnt, sind die Unternehmungen des britischen Forschers gleichsam bis ins Detail dem europäischen Publikum bekannt. Während seiner Reisen hält H.M. Stanley seine Erkundungen schriftlich fest, erst als Tagebuch, und schließlich als romanhaften Report, der Beobachtungen und Fakten mit Grusel und Exotik mischt. Seine Beschreibungen prägen den zeitgenössischen Diskurs und die Vorstellungswelt über und von Afrika maßgeblich, wie Newman zusammenfasst: […] [T]hings happened because of Stanley, and in more than one instance profound and lasting consequences for Africa followed his actions. Furthermore, Stanley wrote and spoke about Africa constantly. No one at the time, and really no one since, produced as many words on the subject for the public to consume. All of Stanley’s books went through multiple editions and were translated into many languages. His other writings and lectures number in the hundreds. That Stanley became a controversial figure worked to further his African connection. As a Spectator editorial put it, ›attention to Stanley is attention to Africa.‹350
Stanleys Reportagen erscheinen in den Auftrag gebenden Tageszeitungen, zusätzlich berichtet die ausländische, auch die deutsche, Presse regelmäßig über Stanleys jüngste Entdeckungen und seinen Verbleib.351 Von der Ausführlichkeit dieser Berichte zeugt ein Artikel in der Gartenlaube 1890, in dem es heißt, »die Einzelheiten seines Zuges« seien »ja durch die Tagespresse zur Genüge bekannt.«352 Zeitgleich diskutieren die geographischen Gesellschaften Stanleys Entdeckungen und Erkenntnisse auf ihren Versammlungen. 349
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Scott 1890, S. 53. Zwei Jahre später rekrutiert sich, erneut veranlasst durch den belgischen König, in Brüssel das Comité d’études du haut Congo, später Internationale Kongo-Gesellschaft genannt, mit dem Deutschen General Oberst Strauch als Präsident. Das Komitee beauftragt Stanley nach dessen Rückkehr nach Europa 1878, Gebiete für Studien der oberen Kongoregion in Besitz zu nehmen und einen unabhängigen Kongostaat zu gründen. Von August 1879 bis 1881 unternimmt dieser folglich erneut eine Reise nach Afrika, um Stützpunkte an den Ufern des Kongo bis zur Höhe des Stanley-Pools, wo er schließlich 1881 angelangt, einzurichten. Bereits 1884 hat Stanley die Gründung des »Freien und Unabhängigen Kongostaates« unter der Schutzherrschaft Leopolds II. von Belgien vollzogen. Vgl. hierzu u.a. den Artikel »Feder und Peitsche« von Joachim Fritz-Vannahme, in: Die Zeit Nr. 19, 29. April 2004, S. 88. Newman 2004, S. 336. Etwa »Stanley’s Expedition zum Entsatze Emin Paschas« IZ, Nr. 2423, 7. 12. 1889, S. 598; »Die neuste Nachricht über Stanley«, IZ Nr. 2413, 28. September 1889. C. Falkenhorst: »Die Entdeckung der Nilquellen und Stanleys jüngster Afrikazug«, in: GL Nr. 2, Jg. 23, 1890, S. 24-27, hier S. 27.
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Hinzu kommen Vorträge des Entdeckungsreisenden, die er vornehmlich in den USA und England hält, und die, wie seine Aufzeichnungen auch, seine Unternehmungen und Erkenntnisse dokumentieren, seinen Bekanntheitsgrad erhöhen sollen. Nach der Beendigung seiner Reise sorgt Stanley selbst für eine rasche Veröffentlichung seiner – kritischen Zeitzeugen zufolge – oftmals subjektiv gefärbten, abenteuerlich übertriebenen Reise-»Dokumentationen« als Reiseberichte oder Romane. Schon kurz nach ihrer Erstveröffentlichung werden seine Berichte auch in andere Sprachen übersetzt und international publiziert. Die Erfahrungen seiner für die damalige geographische Forschung bedeutsamen Reise von 1874-1877 – welcher in weiten Teilen auch die Dramatisierung für das Victoria-Theater folgt (s.o.) – veröffentlicht Stanley bereits vier Monate nach seiner Rückkehr in seinem Bericht Through the Dark Continent (London 1878). Bereits im gleichen Jahr erscheint die deutsche Übersetzung unter dem Titel Durch den dunklen Welttheil oder die Quellen des Nils bei Brockhaus in Leipzig.353 Stanleys Expeditionen, so heißt es in der Illustrirten Zeitung 1890, bleiben trotz »des bildnerischen Schmuckes […], mit welchem der die Reclame liebende Amerikaner seine Berichte so gern zu überdecken pflegt«, nachhaltig bedeutsam für die Geschichte der Afrikaforschung.354 Henry Morton Stanleys Publikationen über seine Expeditionen und Entdeckungen in Afrika sowie deutsche Übersetzungen der Hauptwerke. H. M. Stanleys Schriften im Original
H.M. Stanleys Schriften in deutscher Übersetzung
1872: How I Found Livingstone. Travels and Adventures in Central Africa
1879: Wie ich Livingstone fand. Reisen und Abenteuer in Zentralafrika. (anonym, Leipzig)
1873: My Kalulu, King and Slave 1874: Coomassie and Magdala: The Kumassi und Magdala Story of Two British Campaigns in Africa355 1878: Through the Dark Continent, 2 vols.
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1878: Durch den dunklen Welttheil oder Die Quellen des Nils. Reisen um die großen Seen des Aequatorialen Afrika und den Livingstone-Fluß abwärts nach dem Atlantischen Ocean.356
In deutscher Übersetzung von C. Böttger in zwei Bänden. Vgl. zum genauen Verlauf der Reise 1874-1877 beispielsweise Reichard 1896, S. 86ff. Artikel »Im dunkelsten Afrika«, in: IZ Nr. 2452, 28. Juni 1890, S. 681. Kumassi und Magdala erscheint in Folge des englischen Ashantikrieges, an dem Stanley im Dienst des »New York Herald« als Berichterstatter teilnimmt. Vgl. Reichard 1896, S. 85. Autorisierte deutsche Ausgabe. Aus dem Englischen von C. Böttger. Dritte Auflage. 2 Bände. Mit 240 Abbildungen und 10 Karten. Leipzig: Brockhaus. Es handelt sich hierbei um Stanleys Hauptwerk, in dem er seine Erlebnisse und Entdeckungen auf der abenteuerlichen Fahrt, die ihn den Lauf des Kongos entdecken ließ, schildert.
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1886: My African Travels 1890: In Darkest Africa, or the 1890, 1891: Im dunkelsten Quest, Rescue, and Retreat of Emin, (finstersten) Afrika. Die Suche nach Governor of Equatoria 2 vols. Emin Pascha, seine Wiederentdeckung und der Rückzug 1893: My Dark Companions and Their Strange Stories 1895: My Early Travels in America and Asia, 2 vols. 1895: The Congo and the Founding 1885: Der Kongo und die Gründung of its Free State, 2 vols. des Kongostaates (Übers. Von H. von Wobeser, Leipzig; umfasst 100 Abbildungen und Tafeln) Ein Artikel von Friedrich Meither in der Deutschen Illustrierten Zeitung zeugt von der Hochschätzung und Glaubwürdigkeit von Stanleys Schriften in der deutschen Rezeption: Stanleys Werk gehört nicht einer speciellen Wissenschaft an, sondern ist für den Kreis der Gebildeten überhaupt bestimmt. […] wer aber ermüdet ist von den unendlich ausgesponnenen Schilderungen von Land und Leuten Afrikas, wie sie die jetzt in großer Anzahl auftauchenden noch ungeübten Reisebeschreiber uns geben, der wird in stiller Mußestunde Stanleys neues Werk ohne jegliches Bangen zur Hand nehmen, weil es ihm sein gebrochenes Vertrauen an die Möglichkeit einer anziehenden literarischen Verwertung von Erlebnissen und Forschungen auf einer an harter Arbeit und fortwährenden Kämpfen gegen die Elemente der Natur und feindliche Bewohner reichen Expedition wiedergegeben wird.357
Wie Meither überzeugt von der »völlige[n] und unbestreitbare[n] Wahrheit« sowie der internationalen Relevanz seiner Berichte argumentiert Henry Morton Stanley selbst, im Vorwort der deutschen Übersetzung von Der Kongo und die Gründung des Kongostaates 1887,358 sein Ansinnen bestehe darin, »alle Unternehmungslustigen darauf hinzuweisen […], wie Afrika von einem commerziellen Gesichtspunkte aus anzuschauen ist«. Es liege ihm fern, »irgendwelche Gemälde zu schaffen«, vielmehr wolle er die Leser anleiten, »den interessanten Gegenstand im Hinblick auf [seinen] Nutzen zu studiren.«359 357 358
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Artikel »Der Kongo II. Stanleys Kongowerk« von Friedrich Meither, in: Dt. IZ, 1. Jg., Nr. 43, 6. Juni 1885, S. 359. Stanley widmet dieses Buch dem belgischen König. Leopold II. verfolgte das persönliche Ziel, die Kongoregion wirtschaftlich nutzbar machen, und stellt für die Unternehmungen dort Privatkapital und Mittel belgischer Geldgeber bereit. 1885, auf der Berliner Konferenz, die den Freistaat Kongo anerkennt, kann er seine Ansprüche geltend machen. Aus dem Vorwort von Henry M. Stanley: Der Kongo und die Gründung des Kongostaates. Arbeit und Forschung. Aus dem Englischen von H. von Wobeser. Autorisierte deutsche Ausgabe. Zweite Auflage, erster Band. Leipzig: Brockhaus 1887, S. XIII. Bei dem Vorwort handelt es sich um einen Brief Stanleys vom 18. April 1885 an den Verleger.
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Indessen kritisieren schon Stanleys Zeitgenossen dessen subjektive Auslegung des Erlebten. So moniert etwa Berthold Volz 1890 den »unruhige[n] Tagebuchcharakter mit stark subjektiver Färbung«, und beschreibt Stanleys textliches Verfahren und Stil als »[ü]berschwänglich«, dem »Reflex des momentanen Eindrucks« folgend, und ausgezeichnet durch »oft dramatische Lebendigkeit«.360 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, fügt Stanley den Texten eigenhändig vor Ort angefertigte Skizzen bei, welche die Beschreibungen der afrikanischen Landschaften und Bewohner erweitern und konkretisieren. Mit der Illustration seiner Schriften folgt Stanley somit dem zu dieser Zeit noch recht jungen, weiter oben beschriebenen Verfahren der Illustration von Literatur und Tageszeitungen zur Untermauerung der schriftlichen Aussagen über die jeweilige Kultur.361 Ein Großteil der Zeitgenossen liest Stanleys Schriften folglich als Konglomerat von dokumentarischem Wert, abgesichert durch Stanleys qua Profession und Auftrag erlangte Objektivität und Wahrheit (s.o.) und seine persönliche Anwesenheit am Ort der Beschreibung. Seine Bild-Skizzen erhalten damit beinahe fotografische Beweiskraft des So-Gewesenseins.362 Vermarktung des Forschers Als einer der ersten Forscher nutzt Stanley auch die künstlerischen und Techniken der Reproduktion zur Erhöhung seines Bekanntheitsgrads und wird so zu einem frühen »Mann der Medien«: Er lässt sich, meist bekleidet mit seinem beigefarbenen Expeditionskostüm, auf zahlreichen Fotografien, Holzschnitten und Zeichnungen abbilden, die er seinen Romanen und Schriftsammlungen beifügt, und mit denen Zeitungsberichte über ihn illustriert sind. Wie Stanley bei all seinem Thun es nicht liebt, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, so hat er auch dafür Sorge getragen, sein Bildnis der Nachwelt zu überliefern. […] Nach seiner letzten großen Afrikareise hat ihn der bekannte deutsch-englische Maler Herkomer gemalt. Wie für alles, was Stanley ausführte, ein reklamehafter Anstrich kennzeichnend ist, so finden wir auch hier Spuren davon.363
Die Bedeutung und Bekanntheit von Stanleys Geschichten in der Populärkultur jener Zeit belegt nicht zuletzt der Verkauf von Brettspielen wie beispielsweise Die Eroberung Afrikas, bei dem sich die Spieler auf den Spuren Stanleys und Livingstones ›bewegen‹ und die Stationen des Spiels den Etappen der Reise entsprechen.364 In den neunziger Jahren schlägt die Industrie aus dem Bekanntheitsgrad Henry Morton Stanleys Profit, nutzt die Produktreklame seine Prominenz: Werbe-Illustrationen zeigen Stanley mit »Kongo-Seife«, oder Livingstone und Stanley beim gemeinsamen Tee-Trinken in ihren afrikanischen Zelten.365 360 361 362 363 364 365
Volz 1890, S. X. Vgl. Gebhardt 1988, S. 538. Vgl. »Der Name des Noemas der PHOTOGRAPHIE sei also: ›Es-ist-sogewesen‹ oder auch: das UNVERÄNDERLICHE.« Barthes 1989, S. 87. Reichard 1896, S. 201. Vgl. hierzu De la Guérivière 2002, S. 124f. »Nearly twenty years after Stanley’s rescue of David Livingstone, coverage of his 1890 Emin Pasha Relief expedition was inescapable with the major illus-
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Stanley in Afrika auf dem Berliner Victoria-Theater Die Bekanntheit Henry Morton Stanleys und das Interesse der deutschen Öffentlichkeit an seinen Unternehmungen werden in Stanley in Afrika aufgegriffen. Für die szenische Umsetzung eignen sich Stanleys Berichte aufgrund ihrer Substanz an ›authentischen‹ Skizzen einerseits und den dramatisch geschilderten, spannenden und exotischen Begegnungen mit dem Fremden. H.M. Stanleys Beschreibungen und Zeichnungen sowie ihre Rezeption im deutschen Reich werden in der Bühnenfassung zusammengebracht. Angereichert mit den realen Berichten, dem ikonographischen Repertoire des Fremden und unter Einbeziehung geläufiger visueller Darstellungsmodi, wie sie weiter oben vorgestellt wurden, wird die Forschungsreise auf dem Berliner Victoria-Theater dramaturgisch in eine szenische Bilderreise transformiert.
Abb. 44: Das Victoria-Theater in der Münzstraße Das Zeitgemälde als Bilderreise Zwar manche Gefahr mußte bestanden werden, aber dafür ist auch jede Bucht, jede Insel durchsucht; Und somit ist wieder eine Strecke mehr in dem unbekannten Afrika entdeckt. (Figur des Stanley in Stanley in Afrika, 4. Bild, »Victoriasee«)
Nach dem Manuskript und dem Jubiläumsalbum anlässlich der zweihundertsten Aufführung im Berliner Victoria-Theater beginnt Stanley in Afrika im Büro des Daily Telegraph in London.(1. Bild) Eine Gesellschaft feiert die Verabschiedung des Journalisten Henry Morton Stanley, der am Folgetag seine Reise nach Afrika antreten wird. Die eigentliche Abmachung Stanleys mit den Besitzern der Zeitung, M. Levy, Edward L. Lawson sowie dem Herausgeber des New York Herald, James Gordon Bennett, ist bereits geschlossen.366 Anwesend sind neben Stanley der Industrielle Brandford, Edward L.
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trated weeklies‹ news of the expedition pausing only to bring readers advertisements featuring Stanley endorsing ,Congo Soap‹ or Livingstone and Stanley sipping tea inside their tent.« Strain 1996, S. 73. Reichard 1896 schildert das Zustandekommen des Kontrakts wie folgt: »Nach Stanleys Darlegung war es zuerst einer der Besitzer des »Daily Telegraph«,
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Lawson, Kitty Tinney, eine Zeichnerin der Illustrierten Zeitung, ihre Tante Ellen sowie weitere, nicht näher benannte Gäste. Die Zuschauer werden vermittels Dialoge über den Anlass der Reise, Auftraggeber und Financier informiert, es wird über Sinn und Zweck des Reisens und die Bedeutung der Forschungsreise für die Wissenschaft diskutiert. Stanley: […] Welche Völkerschaften und Stärke, welche Berge, Seen und Ströme dort verborgen sein mögen, Niemand weiß es, Niemand ahnt es. Sollte es mir beschieden sein, das Dunkel jenes Erdtheils durch das Licht der Forschung aufzuhellen, so wird ein Theil des Dankes meinem Freunde Lawson und seinen Collegen vom Daily-Telegraph gebühren.367
Gleich im zweiten und dritten Bild ist das Markttreiben in Sansibar dargestellt, dem Ausgangspunkt aller nach dem Innern Ostafrikas gerichteten Expeditionen, von wo auch Stanley und sein Trupp die Expedition starten. Leila, die junge Sklavin eines Zauberarztes, schließt sich der Reisegruppe an, nachdem sie sich aus den Händen des Arztes befreit hat und weiht zum Dank die Reisenden in lokale Besonderheiten, Gefahren und Bräuche ein. Auflistung der Bilder nach dem Zensurexemplar, am 22. Juli 1889 vom Königl. Polizei-Präsidium genehmigt. Stanley in Afrika Bilderfolge Bild 1: Kleiner Saal in der Redaktion des Daily Telegraph Bild 2: Marktplatz in Zanzibar Bild 3: Rastpunkt auf dem Markt Bild 4: Im Lager am Victoriahafen Bild 5: offene Felsgrotte Bild 6: Beim Kaiser Mtesa Bild 7: Im Urwald Bild 8: Die Stromschnellen Bild 9: Felsen-Scenerie Bild 10: Stanleys Traum Bild 11: Steinig-wüste Gegend Bild 12 [Heimfahrt]
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welcher den von Stanley angeregten Gedanken [Livingstones Werk zu vervollständigen, NL] aufgriff und, wie eben gesagt, Stanley die Ausführung des großartigen Planes antrug. Stanley war aber noch James Gordon Bennett, dem Besitzer des »New York Herald« verpflichtet, und so telegraphierten die Eigentümer des »Daily Telegraph«, M. Levy, Edward L. Lawson und der mitbetheiligte Edwin Arnold nach New-York, ob sich der »New York Herald« mit dem erstgenannten Blatte verbinden wolle, zu »einer Sendung Stanleys nach Afrika, um die Entdeckungen Spekes, Burtons und Livingstones zu vervollständigen«. Innerhalb vierundzwanzig Stunden kam die lakonische Antwort zurück: »Ja – Bennett«.« Reichard 1896, S. 87. Stanley in Afrika, Manuskript. Nachfolgend benutzte Zitierweise von Textpassagen aus dem Manuskript ohne Seitenzählung.
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Der Hauptteil des Stückes (Bilder 3 bis 11) folgt den Schritten Stanleys durch das Innere Afrikas. Aufgegriffen werden die Begegnung zwischen Stanleys Mannschaft und Kaiser Mtesa (Bild 6), die Stromschnellen und die Konfrontation mit ›Kannibalen‹. Im zehnten Bild fällt Stanley in einen tiefen Schlaf, in dem er visionär seine Expedition als Heldentat träumt. Das elfte Bild zeigt schließlich die Mannschaft wohlbehalten nach Europa zurückkehrend. Stanley in Afrika, Bilderfolge und Besetzung der Aufführung vom 21. August 1889. Aufstellung nach der Ankündigung des Stückes im Allgemeinen Berliner Theater- und Concert-Anzeiger. Nr. 33, 1889. Die Bilderfolge weicht geringfügig vom eingereichten Zensurexemplar ab. Victoria-Theater Mittwoch, den 21. August 1889 Stanley in Afrika Zeitgemälde in 11 Bildern von Alexander Moszkowski und Richard Nathanson Musik von C. A. Raida. Ballet von Caesar Severini In Scene gesetzt von Ober-Regisseur Wilhelm Hock 1. Bild: Daily-Telegraph (London 1874) 2. Bild: Aufbruch (Zanzibar, November 1874), 3. Bild: Rastpunkt 4. Bild: Im Lager am Victoria-See 5. Bild: Beim Kaiser Mtesa (Rabaza in Uganda, Januar 1876) 6. Bild: Im Urwald 7. Bild: Die Stromschnellen des Lualaba. 8. Bild: Pocock’s Tod (Congo, nahe der Westküste) 9. Bild: Stanley’s Traum 10. Bild: in höchster Noth 11. Bild: Durch den bunten Continent (Mbona, Congo-Mündung, 8. August 1877) Personen und Besetzung Ballet Im 2. Bilde; Abschieds-Huldigung der Odalisken, ausgeführt von Franziska und Elise Bahn und den Damen des Corp de Ballet. Im 5. Bilde: Marsch-Evolutionen und Waffentänze der kaiserlichen Amazonen-Garde, ausgeführt von den Solotänzerinnen Maria Ala und Frida Frédéric, sowie den Damen des Corps de ballet. Im 9. Bilde: Stanley’s Traum (Allegorie). Die Traumgöttin: Martha Savary; Afrika: Signora Carlotta; Europa: Antonie Mühldorf; Columbia: Auguste Moser; Hispania: Maria Ala; Italia. Frida Frédéric; Britannia: Margarethe Loth; Germania: Elsa Loth; Gallia: Anna Steinke. – Marokkaner, Araber, Nubier, Zalus, Hottentotten, Engländer, Spanier, Deutsche, Italiener, Franzosen. Die europäische und amerikanische Cultur, Industrie, Gewerbe und Künste in ihren verschiedenen Darstellungen als: Telegraphie, Telephonie, Maschinerie, Malerei, Eisenbahn, Architektur, Bergbau, Landwirthschaft, Handwerk, Militair, Sport u.s.w, ausgeführt von den gesammten Damen des Corps de ballet, den Eleven, Kindern, sowie den Damen und Herren der Comparserie. Die neuen Decorationen von Leopold Hüttersen. Bühnen-Einrichtung vom Maschinenmeister W. Willreuther. Die electrische Beleuchtung der Bühne sowie des äuße-
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›Mitreisende‹ Eine regionale Note und damit die Möglichkeit der Identifikation für die Berliner Zuschauer erhält Stanley in Afrika durch die Beteiligung zweier Berliner, eines Industriellen (Lehnstadt) und seines Gehilfen (Fritz), an Stanleys Reise. Sie lernen den Forscher auf der Überfahrt mit dem Dampfschiff nach Sansibar kennen und entscheiden spontan, Stanley zu begleiten. Mit Fritz ist gleichzeitig die für Pantomime und Lokalposse typische komische Figur eingeführt, die das fremde Geschehen naiv kommentiert. Im Gegensatz zur exotistischen Operette, in der die exotische gleichzeitig die komische Figur ist,368 hat hier der lokale Held die komische Rolle inne. Seine Kommentare über die Afrikaner und ihre Gewohnheiten zielen auf ein gemeinsames Lachen der (kulturellen) Überlegenheit. Lehnstadt steht für den Großindustriellen, der, der exklusiven Reisemode der Zeit gemäß, »eine Vergnügungsreise nach Egypten« beabsichtigt.369 Brandford wird als Inhaber einer Glasfabrik vorgestellt, den an Afrika allenfalls der Handel mit Perlen interessiert. »Ja, meine Fabrikate! Ich müsste sie eigentlich einmal direkt exportiren. Wenn man nur wüßte, wo die solventesten Neger da drüben wohnen« (Bild 1). Zudem betont er seine Vorliebe für eine rein bildliche Erfahrung der Welt in der Heimat, eine visuelle Mobilität: Brandford: Bei mir ist diese Sehnsucht [gemeint ist die Sehnsucht nach fernen Regionen, NL] stets eine höchst platonische geblieben. Meine Glasfabrik würde mir ja am Ende Geld genug liefern, auch zu reisen. Aber ich setze mich ruhig in meinen Lehnstuhl, öffne irgend ein rotbändiges Reisehandbuch, und komme mir dabei vor, wie Faust auf dem Zaubermantel. An einem Nachmittag durchklimme ich so mehr 368 369
Vgl. hierzu u.a. Ragnhild Gulrich: Exotismus in der Oper und seine szenische Realisation (1850-1910). Anif, Salzburg: Müller-Speiser 1993, S. 60. Das Interesse an und das Geschäft mit Reisen in ferne Länder entwickelt sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts, Reisen wird gesellschaftsfähig. In Berlin organisiert das Reisebüro von Carl Stangen als eines der ersten in Deutschland professionell aufwändige Gesellschaftsreisen und macht mit der neuen Reiselust wirtschaftlich Gewinn. Stangen publiziert Reisehandbücher, die auch denjenigen »die nicht so glücklich sind, den ganzen Erdball bereisen zu können«, eine authentische Schilderung, ein »nicht verkünsteltes, wahrheitsgetreues Bild von den fremden Ländern« ermöglichen sollen. Carl Stangen: Eine Reise um die Erde 1878/79. Berlin: Carl Stangens Reise-Bureau 21880, S. iv. Im Theaterzensurkatalog des Berliner LA sind Zensurexemplare von Stücken mit den Titeln Stangens Vergnügungsfahrt (Victoria-Theater) und Stangens Orientreise verzeichnet. Grundlage dieser »humoristischen Reisebilder mit Gesang und Tanz« sind vermutlich die realen Reisen und ihre Vermarktung durch Carl Stangens Agentur. Der Bekanntheitsgrad dieses Reisebüros und die bebilderten Reiseführer dürften Anregungen für die szenische Realisation als »humoristische Reisebilder« geboten haben.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 261 Gebirge, als ein wirklicher Reisender in Monaten. Ich besteige den Montblanc in Pantoffeln, fliege im Schlafrock über die tiefsten Abgründe, zünde mir ohne jede Erlaubniß im Vatikan eine Cigarre an, und wohne in sämtlichen Hôtels der Welt, ohne mich ein einzige Mal über den Hausknecht zu zögern. – das ist bequem! Lawson: Und bei diesen Grundsätzen sind sie Mitglied der Geographischen Gesellschaft geworden? Brandford Ich bin eben der geborene Klubmensch (Stanley in Afrika, Manuskript, erstes Bild)
Reisebildbände kommen mit den Möglichkeiten der Reproduktion von Bildern auf. Für Sammler und ›Lehnstuhlreisende‹ fertigt beispielsweise die Firma Underwood & Underwood Stereobildserien von fünfzig, beziehungsweise einhundert Aufnahmen von Städten und Landschaften und ediert diese Bilder in Form eines Bildbandes.370 Die zeitgenössische Presse und Werbebroschüren der Bildvertriebe bewerben die dreidimensionale Wirkung der Stereobilder und ihr Potential als visuelles Reisesubstitut. In den Photographischen Monatsheften von 1862 heißt es etwa: Es ist einmal eine schöne Sache, vergnügt im ruhigen Stübchen daheim, bei einer Cigarre und gemüthlicher Unterhaltung, die fernen Alpen, Paris, London, New-York in wirklicher körperlicher Ansicht, nur im verkleinerten Massstabe vor sich zu sehen, wie dies die stereoscopischen Bilder in der stereoscopischen Camera thun.371
Der ›Lehnstuhlreisende‹ Brandford beobachtet Stanleys Pläne mit Skepsis. Darüber hinaus schließt er mit Stanley die Wette ab, dass dieser nicht beweisen kann, dass der Fluss Lualaba eine Quelle des Nils ist. Die Idee der Wette erinnert an die Wette in Jules Vernes Reise um die Erde in achtzig Tagen, die dort der Ausgangspunkt der Reise von Phileas Fogg und Passepartout bildet.372 Für Stanley in Afrika ist die Wette gleichsam notwendiges dramaturgisches Mittel, weitere Perspektiven auf die Forschungsreise zu etablieren. Denn als eigentlich bequemer ›Bildtourist‹ reist Brandford zur Überprüfung des Wettabkommens gemeinsam mit Ellen und Kitty Tinney Stanley hinterher. Kitty Tinney ist eine weitere fiktive Figur, eine Zeichnerin für eine nicht näher benannte illustrierte Zeitung. Mit Kitty ist die Figur einer emanzipierten Bildjournalistin kreiert, die Henry Morton Stanleys Aufgabe des Zeichnens vor Ort übernimmt. Die Zuschauer erfahren aus ihrem Blickwinkel, ›was sich zu zeichnen lohnt‹, zugleich steht sie für eine Minderheit weibli-
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Eine solche Serie von Underwood & Underwood ist in der Foto-Sammlung des Münchener Stadtmuseums archiviert. Photographische Monatshefte 1862, S. 119f. wiedergegeben in Hoerner 1989, S. 27. »In Amerika hatte ein Verfechter der neuen Abbildungstechnik 1863 die Vision, daß man demnächst in ›the Imperial, National, or city Stereographic Library‹ gehen könne und ›jedes Objekt, ob natürlich oder künstlich‹ zur Ansicht verlangen könne.« Winfried Ranke: »Bilder, die die Welt bedeuten«, in: Das Kaiser-Panorama 1984, S. 12-18, hier S. 18. Die Reise um die Welt in 80 Tagen von Jules Verne wird ebenfalls auf dem Victoria-Theater in Berlin aufgeführt, im Jahr 1887. Ein Pflicht-Exemplar ist vorhanden im LA Berlin Rep. 030-02 Nr. R 59.
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cher Forschungsreisender des 19. Jahrhunderts.373 Dem Zuschauer sind mit diesen – unterschiedlich motivierten – Mitreisenden Identifikationsfiguren und Blickwinkel gegeben, die ihn in seinem individuell imaginären Nachvollzug der dargestellten Reise unterstützen. Der Nachvollzug der Expeditionsroute wird dem zeitgenössischen Leser von Stanleys Berichten offenkundig durch die Genauigkeit der Beschreibung sowie durch die Beigabe von Kartenwerk und einem ausführlichen Itinerarium erleichtert. Es sei hier noch einmal an Theodor Fontane erinnert, der sich bei seiner Lektüre des Stanley-Buches nachgerade ›mit auf die Reise begibt‹. In einem Brief an seine Frau schreibt er am 8. Juni 1879: Gestern Abend machte ich mich noch ernsthaft an Stanleys Reise durch Afrika und habe auf den beiden Riesenkarten die ganze Reise von Ort zu Ort verfolgt, wozu einem ein angehängtes Itinerarium (Reise-übersicht) von nur etwa 30 Seiten gute Gelegenheit giebt. Ich weiß nun ganz genau über den Gang im Großen und Ganzen Bescheid, und kann, mit Uebergehung alles Nebensächlichen, die Hauptsachen im Detail leicht nachholen.374
Fontane fertigt Notizen zu Stanleys Werk an, listet Details und eigene Gedanken auf, die in einer Inhaltsübersicht überliefert sind. Aus dem ersten Stanley-Band hebt er den Aufzeichnungen zufolge die Seerundfahrt Stanleys entlang den Küsten des Viktoriasees hervor, daneben die »Naturgefahren und die Naturschönheiten«, »die schönen Tage bei Kaiser Mtesa«, die »bösen Tage bei dem Könige von Brumbireh.«375 Als weitere reizvolle Elemente nennt Fontane »König Mtesa in Uganda, den arabischen Handelsplatz, Kafurro (an einem Nebenfluß des Kagera) sowie den Aufenthalt in Udschidschi.«376 Die von Fontane als bemerkenswert genannten Schauplätze und Details der Reise finden sich, mit wenigen Ausnahmen, auch als »Bilder« in der szenischen Bearbeitung für das Victoria-Theater wieder. Pittoreske Schauplätze des Fremden: Szenographie und Blickführung Die Stationen der Reise im Stück folgen den überlieferten Beschreibungen H. M. Stanleys. Für die Bühne werden solche Szenen selektiert, wie sie Stanley in seinen Berichten als besonders abenteuerlich, dramatisch, pitto373
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Zu nennen sind die Holländerin Alexine Tinne, die eine wichtige Rolle bei der Erkundung der Sahara innehat, die Britin Mary Kingsley sowie Florence, die Lebensgefährtin Samuel Bakers. Vgl. De la Guérivière 2002, S. 77. Theodor Fontane in einem Brief an Emilie Fontane vom 8.6. 1879, in: Erler 1998, S. 169. Hervorhebungen im Originalbrief unterstrichen, in der hier zitierten Brandenburger Ausgabe kursiv. Fontane wiedergegeben in Karl Schubarth-Engelschall: »Notizen Fontanes zu Stanleys Reisebericht ›Durch den dunklen Welttheil‹, in: Fontane-Blätter, Band 3, Heft 7, 1976, S. 502-507, hier S. 504. Schubarth-Engelschall 1976, S. 505. Zudem notiert Fontane mehr die Absonderlichkeiten als die Beschreibungen des afrikanischen Alltags und stellt den Handlungsverlauf beider Bände vom Aufbruch in Sansibar bis zum Ziel an der Kongo-Mündung zusammen. Schubarth-Engelschall macht mehrere Stellen in den Romanen und Erzählungen Theodor Fontanes aus, in denen direkt und indirekt Bezug auf die Lektüre von Stanleys Schrift Durch den dunklen Welttheil genommen wird, darunter Effi Briest, Kapitel 10 und 35. Fontane plante auch einen Aufsatz über H. M. Stanley. Vgl. hierzu Erler 1998, S. 616.
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resk, befremdlich oder auch als besonders gefährlich schildert. Im Manuskript wird die Zuhilfenahme von Stanleys eigenen Illustrationen der beschriebenen Szenen empfohlen, um die szenische Umsetzung so nah wie möglich an die textliche Vorlage Stanleys anzugleichen, aber auch, um eine möglichst genaue Wiedergabe der Landschaftsbilder und der Indigenen zu gewähren. Die Zeichnungen dienen somit als Anleitungen für die szenische Umsetzung mit ›dokumentarischem‹ Gehalt.377 Bereits H. M. Stanleys Blick sucht die pittoreske und befremdliche Szenerie, folgt indirekt den Konventionen der visuellen Darstellung fremder Regionen. »Natur-Schönheiten und Katastrophen, Vulkanausbrüche, Wasserfälle, ›wilde‹ Menschen und Tiere, Abenteuer versprechende Bilder von Expeditionen, Jagdreisen«378 konturieren sich im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts zu einem Repertoire »exotischer« Ansichten. »Malerisch« wird gemäß bildästhetischer Konvention eine Landschaft durch die plastische Darstellung von Flora und Fauna, einen tiefen Bild-Hintergrund, der die Weite der Landschaft betont und durch die Einfügung von (indigenen) Menschengruppen, die das Bild komplettieren. [Das Malerische] beruht […] auf den fremdartig-bunten Eigenschaften einer unvertrauten, zum Teil exotischen, aber nicht bedrohlichen Wirklichkeit oder Randzonen des gesellschaftlichen Lebens. Im 19. Jh. tendierte das M. zur Darstellung von wildromantischen Landschaften, abenteuerlich-fremdartigen oder idyllischen Lebenswelten, erfuhr aber durch die Fotografie teils eine Aufwertung […] teils eine massenhafte Verbreitung und Vermarktung in Werbung und Touristik.379
Im dritten Bild spielt die Handlung bereits an der Ostküste Afrikas. Rastpunkt auf dem Markt. Landschaft mit einigen Baobabbäumen, Zwergakazien, Gummisträuchern und (Euphorbien). Im Hintergrunde ansteigende Hügel. Sonnendurchdörrtes Hochplateau[…]
Die afrikanische Exotik wird hier über die tropischen Pflanzen bewirkt, welche, darauf weist der Theaterzettel hin, aus dem »Natur-Pflanzen-Atelier C.
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Schon von Akats empfiehlt 1841, jedem Manuskript – der Oper im Besonderen – Zeichnungen zur Szenographie beizufügen, um zu gewährleisten, dass ein und dasselbe Stück auf verschiedenen Bühnen vergleichbar inszeniert werde. Der Nutzen dieses Unternehmens sei vielfältig für Direktoren, Autoren und Zuschauer: die Autoren könnten sich gewiss sein, dass ihre Ideen wie vorgesehen umgesetzt würden »daß kein Zuviel und kein Zuwenig die äußere Form verdürbe, die innere Wahrheit der Handlung würde mit der äußern Ausschmückung auf das Genaueste in Einklang kommen«. Auf der anderen Seite könnte die beigefügte Komposition zusätzliches Interesse wecken, und es sei keine »unschickliche, Sinn zerstörende Anordnung zu fürchten.« Die Direktoren schließlich könnten anhand des Entwurfs vorzeitig die Kosten der Aufführung überschlagen und seien auch nicht mehr der »Willkühr der Regisseure in ihren Bedarfs-Angaben« ausgeliefert. Vgl. von Akats 1841, S. 135f. Eine vergleichbare Nutzbarmachung der Zeichnungen in der Bühnenumsetzung von Stanley in Afrika ist nicht bekannt, aber möglich. Berg 1987, S. 348. Eintrag »das Malerische« in: Lexikon der Ästhetik, hg. von Wolfhart Henckmann und Konrad Lotter. München 1992, S. 153.
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Druse« stammen. Die Szenenbeschreibung des siebenten Bilds gibt ein Beispiel von der aufwändigen Ausstattung: Im Urwald. Der vorderste Theil der Bühne bildet eine kleine Lichtung. Von der Mitte der Bühne ab bis tief in den Hintergrund eine dem […] Auge undurchdringliche Reihe von Versatzstücken und Prospectcoulissen welche hohe, abenteuerlich ineinander verschlungene Bäume, deren Gipfel sich dem Auge entziehen, darstellen. Zwischen denselben hohe spitzige Halme, welche von allerlei Schlingpflanzen durchsetzt – und überwuchert sind. Zwischen den Baumkronen ranken sich guirlandenartig Schlinggewächse, in denen Affen sich wiegen und bunte Vögel nisten. Das Ganze macht einen lebhaft farbigen Eindruck. Der Vorhang geht unter, Präludium langsam auf.
Nach Eröffnung der beschriebenen Szene kommentiert Kitty, die Zeichnerin, begeistert: »Welch großartiger Anblick«. Kittys Ausruf dirigiert den Blick, lenkt die Aufmerksamkeit der Zuschauer und der ›Mitreisenden‹ auf den Schauplatz, den Kitty als professionelle Zeichnerin als ›pittoresk‹ deklariert. Die Szenenanweisung rekurriert vermutlich auf Stanleys Beschreibungen des Dschungels, wie folgender Auszug nahe legt. In dem Familienmagazin Die Gartenlaube, Nr. 2, 1890, verfasst der Autor C. Falkenhorst einen Rückblick über »Die Entdeckung der Nilquellen und Stanleys jüngster Afrikazug«. Es findet sich in diesem Artikel ein Brief Stanleys zitiert, indem dieser den Anblick des Urwaldes beschreibt, den »Schauplatz unseres Dasein während fünf Monate«, wie er schreibt. Stellen Sie sich vor, diese wunderbare Vegetation in den verschiedenen Epochen ihrer Entwicklung in üppigem Wachsthum oder düsterm Zerfall; die jungen frischen Lianen einen todten Riesen des Waldes umschlingend. … Das Summen allerlei geflügelter Insekten begleitet das Geschrei der Affen und der Vögel.380
Im Dickicht des Dschungels verliert die Reisegruppe die Orientierung. Fritz setzt versehentlich einige Sträucher in Brand, das Feuer brennt eine Schneise durch das Gestrüpp und der gesuchte Fluss Lualaba wird sichtbar. In der Szenenanweisung heißt es »man sieht durch eine mächtige Lichtung auf ein weites Flusspanorama«. Die Verwendung des Terminus ›Panorama‹ deutet möglicherweise auf die tatsächliche Verwendung eines Panoramabildes als Hintergrundprospekt hin, wie es bereits früher im 19. Jahrhundert für die Ausstattung der Grands Opéras üblich ist.381 380 381
Falkenhorst 1890, S. 27. Gebräuchlich ist auch die Gestaltung des Hintergrunds mit Hilfe der Laterna Magica. Stenger berichtet, bereits 1892 sei vorgeschlagen worden, die gemalten Prospekte durch Projektionen zu ersetzen. Vgl. Stenger 1950, S. 108. Die Grands Opéras scheinen aufgrund ihrer Privilegierung des Visuellen am ehesten geeignet, durch die Opulenz der Szenographie die Couleur Locale eines dargestellten Landes zu erreichen – und europäische Projektionen des Fremden umzusetzen. Musik und Tänze, die in europäisierender Verfremdung das Lokalkolorit von Rhythmus, Harmonien und Bewegung aufgreifen, werden zu gleichberechtigten Bestandteilen. »Die meisten der bekannten exotistischen Opern bis 1880 gehören zur Gattung der Grand Opéra, wie Giacomo Meyerbeers ›Africaine‹, Jules Massenets ›Le Roi de Lahore‹, Hector Berlioz‹ ›Troy-
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Der Palast des Kaisers Mtesa Im sechsten Bild gelangt der Trupp zum Palast des Mtesa, Kaiser von Uganda, der ihnen einen festlichen Empfang bereitet (Abb. 45). In der Szenenbeschreibung wird zur Gestaltung der Bühne explizit auf Stanleys schriftliche Vorlage hingewiesen (im Zitat von mir hervorgehoben, NL). H.M. Stanleys Darstellung des Palastes wird demnach in die theatrale Realisation transformiert und beantwortet erneut das Zuschauerinteresse an malerischer Exotik: Rechts die Palasthütte Mtesas mit einem baldachinüberdachten Vorbau./Seite 429 des Stanleyschen Werkes Band I./Unter dem Baldachin ein phantastischer Thronsessel. Im Hintergrunde sieht man durch eine Baumallee die Stadt Mtesas auf einem blühenden Hügel, zu welcher ein breiter Weg hinaufführt. Zu beiden Seiten des Weges schöne exotische Pflanzungen mit Hütten (Seite 428 I). Links zwei Halbkreise aus Säulen, auf welchen Elephanten, Bären und Krokodill(sic!)-Köpfe […] Zwischen den Säulen – Bananen […] und glühend farbige Blumen. Mtesa und sein Hof sind reich und abenteuerlich costümirt.
Der Palast Mtesas bietet eine Fülle von Möglichkeiten zur Inszenierung kultureller Fremdheit. Haremsfrauen, eigentlich weiße Sklavinnen, die Mtesa zu Kriegerinnen ausgebildet hat, sollen durch Waffentänze den Mut seiner Krieger anfeuern; vor Stanleys Trupp sollen sie einen Waffentanz aufführen. Es folgt ein Zug der Frauen des Harems, den Sklavinnen und Eunuchen als Wächtern, sodann ein Aufmarsch des gesamten Hofes, Truppen mit Musik-
Abb. 45: Stanley in Afrika. »Beim Kaiser Mtesa«, Gruppenbild 5 des Albums zur 200. Vorstellung im Victoria-Theater 1890. ens à Carthage‹ oder stehen in deren Tradition wie Giuseppe Verdis ›Aida‹ und Karl Goldmarks ›Königin von Saba‹, mit großen tableauartigen Szenen, in die Handlung integrierten Balletten und einer Dramaturgie, die nach dem Kontrastprinzip aufgebaut ist.« Gulrich 1999, S. 57; siehe auch Edward Ziter: The Orient on the Victorian Stage. Cambridge: CUP 2003.
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chor, Trommlern, Pfeifern defilieren vor den Augen der Europäer/der Zuschauer. Dass hier nicht nur das afrikanisch Fremde zum Bestandteil der Vorführungen wird, tut der schillernden Wirkung dieser Szene keinen Abbruch. Sie bestätigt vielmehr den der Zeit gemäß undifferenzierten Blick auf ›das Andere‹, das in der Repräsentation alles sein kann, nur nicht das Eigene, Vertraute. Stromschnellen und Kannibalen Die gefährlichen Stromschnellen des Lualaba, die H.M. Stanley und seine Mannschaft mit Kanus zu überwinden hatten, gehören zu den bekanntesten, weil abenteuerlichsten Momenten seiner Reiseberichte. In Scott 1890 heißt es zu dieser gefährlichen Etappe in Stanleys Afrikareise: Ueber zwanzig Tage brauchte man, um die Fälle zu passieren, und während der ganzen Zeit wurden fortgesetzt Angriffe seitens der Kannibalen auf Stanley und seine Leute gemacht. Nach Ueberwindung des letzten Wasserfalls war es Stanley wieder möglich, seine Reise – noch über tausend Meilen – auf dem Flusse fortzusetzen, da sie keine Stromschnellen und Fälle mehr antrafen bis ›Stanley Pool‹.382
In der Darstellung des Fremden ist neben den Stromschnellen zusätzlich die Gefährdung der Mannschaft durch Kannibalen interessant.383 Im achten Bild des Stückes werden beide Gefahren realisiert. Erneut ist die Szene inhaltlich und szenographisch streng an der Vorlage ausgerichtet. Die Stromschnellen. Im hinteren Theile der Bühne der Fluß, über welchen von rechts nach links die Bote [sic!] gehen. Das erste Boot landet leicht in der Nähe der Coulisse. Die beiden anderen Canons [sic!] landen nicht auf der Bühne selbst, sondern schießen über die Bühne hinweg. Der vordere Theil der Bühne ist leer, ohne Seitencoulissen: Für Decorationsbilder siehe Stanley Band II: Musik bis zu dem Moment der Landung des ersten Bootes, in welchem sich Stanley, Pocock, Uledi und Einige Wagwana befinden.
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Scott 1890, S. 52. »Am 5. November 1876 verließ die Expedition Njangwe, und begann die gefahrvolle Reise auf dem Lualaba, stromabwärts, um Länder zu durchwandern, die bis dahin den Weißen völlig unbekannt, ja nicht einmal von den Arabern gekannt waren. Einige Plätze waren von Menschenfressern bewohnt, und ein Gebiet von Zwergen, sehr flinken Leutchen, die durch ihre vergifteten Pfeile äußerst gefährlich wurden. In diesem von Zwergen bewohnten Lande war es, wo Tibbu-Tibb umkehrte, da seine Begleiter sich weigerten, durch ein so unwirthliches von so wilden Menschen bewohntes Land weiterzugehen. Stanley mußte […] immer wieder mit Kannibalen [kämpfen], deren schreckliches Schlachtgeschrei ›Fleisch, Fleisch!‹ war, wenn sie die Flottille Stanleys angriffen; diese bestand jetzt außer der ›Lady Alice‹ aus mehr als zwanzig Kanoes, die er den Eingeborenen abgenommen hatte. Die Menschenfresser schienen zu glauben, daß jeder, der ihr Land passierte, eine rechtmäßige Beute für sie wäre, um ihn zu fangen, zu töten und aufzufressen.« Scott 1890, S. 52.
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Abb. 46: »In den Stromschnellen«. Aus: Stanley’s sämtliche Reisen in Afrika, Band 1.
Abb. 47: Stanley in Afrika, »Pocock’s Tod«. Gruppenbild 8 aus dem Album zur 200. Vorstellung im Victoria-Theater Berlin, 1890. Die Gefahr der Stromschnellen wird diskutiert, Stanley gibt Auskunft, sein Barometer zeige eine hohe Meereshöhe, weshalb noch weitere Stromschnellen zu erwarten seien. Abbildung 47 zeigt die Aufnahme dieser Szene und lässt erkennen, dass, wie im Manuskript beschrieben, die Kannibalen im Schilf sitzen und kampfbereit auf die Reisenden warten. Schon in Stanleys Reisenotizen nimmt die Beschreibung der Gefahren durch »Kannibalen« einen großen Raum ein. Im Stück sind sie als Spannung erzeugendes Moment sowie als weiteres unterhaltendes spektakuläres Element notwendig. Der Zuschauer sieht sie schon vor der Truppe im Schilf sitzen, diese Vorinformation verleiht der Szene ›suspension‹. »Die Kannibalen sind ganz schwarz, prall bemalt, mit Federschmuck, mit Bogen bewaffnet. Sie stürzen mit wildem Geschrei herein und weichen beim Anblick der Weißen starr zurück.« Es kommt zum Gefecht mit Giftpfeilen, ein Kannibale wird von Uledi und Stanley gefasst und man beschließt, ihn in die Stromschnellen zu werfen. Der Gefangene wehrt sich, »Nangu – nangu Congo« rufend, während er auf den Fluß zeigt. Stanley hält inne und triumphiert: »Der Congo! – Hört Ihr es wohl? Das Geheimniß dieses Stromes ist enthüllt. […] Dieser Wilde war mit all seiner Nichtwürdigkeit doch ein Geschenk des Himmels. Laßt den Schurken laufen.« Die von H. M. Stanley in seinen Berichten geschilderten und in den Skizzen fixierten Gefahren des »dunklen Kontinents« – Gewässer und Flora sowie Kannibalismus – dienen im Stück dramaturgisch als Spannung erzeu-
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gende sowie als spektakuläre Momente. Neben die Wiedergabe der fremden Landschaften in Stanleys Text, seinen Skizzen und der Bühnenversion treten Kannibalen und Kampfvorführungen und verlebendigen das Bild. Dies gleicht der Idee von Panorama und Dioramamalern fremder Regionen, die zweidimensionalen Großgemälde durch plastische Elemente und Bewohner jener Regionen zu ergänzen und dadurch die vraisemblance der Bilder zu erhöhen (vgl. Kap. 1). Das Gefährliche, Unbehagliche der afrikanischen Kultur wird zum konstituierenden Bestandteil eines malerischen Bildes: In der Wahrnehmung des Forschungsreisenden, in der schriftlichen Vorlage, den Skizzen und schließlich in der Bühnenfassung. Die Stationen der realen Reise H.M. Stanleys geben in der Theaterfassung die Anordnung der Bilder, verstanden hier als Szenenbilder und als strukturelle Elemente der Dramatisierung, vor und legitimieren gleichzeitig die szenographische Opulenz des Ausstattungsstücks. Insbesondere die Konzentration auf die malerischen Szenen diktiert die Struktur von Stanley in Afrika und macht das Ausstattungsstück zu einer szenischen Bilderreise. Apotheotische Vision und Visualisierung des Fortschritts: »Stanleys Traum« In Gänze losgelöst von Stanleys Berichten ist das – wohl auch im Hinblick auf den zeitlichen Rahmen der eigentlichen Aufführung – umfangreichste zehnte Bild, das eine Vision Stanleys zum Thema hat. In diesem werden die bisherigen Stationen der Reise unterbrochen zugunsten eines szenischen Kaleidoskops aus Tanz, Verwandlungen, Musik, belebten Allegorien und Tableaux. Beschreibung des Traums Stanley liegt auf einem Felsvorsprung und schläft. Über seinem Kopf öffnet sich ein Felsen, dem eine Traumgöttin entsteigt, von kolossaler Gestalt und bekleidet mit einem grauen Gewand mit schwarzen Flügeln. Sie singt ein Melodram über Europa und Afrika. Die mittlere Bühne öffnet sich, und ›Afrika‹ erscheint, auf einem Thron sitzend, umgeben von einer farbenfrohen Gruppe von Völkern, Stämmen aus Marokko, Arabien, Ägypten, »Zulus«, »Hottentotten«. Sodann ereignet sich eine pantomimische Szene, in der Kämpfe unter afrikanischen Stämmen vorgeführt werden. Die Häuptlinge versuchen Afrika wegzutragen, auf deren Schreien hin eilen europäische Nationen, Gruppen von Briten, Franzosen, Deutschen, Spaniern, Italienern und Portugiesen herbei, überwältigen die afrikanischen Stämme und zwingen sie, vor Afrika niederzuknien, was sie verweigern. Im Hintergrund erscheint ›Europa‹, langsam die Stufen hinabsteigend, und ebenfalls in melodramatischer Weise von Stanleys Errungenschaften und Verdiensten sprechend. Sie redet über den ›jungfräulichen Zustand‹ Afrikas, seine vorherrschende »Wildheit« und »unzivilisierten« Gebiete im Vergleich zu den zivilisierten europäischen Nationen. In dem Moment, in dem sie Europas und Columbias potentiellen Einfluss auf Afrikas Moral erwähnt, erscheint Columbia auf einem Thron, ausgestattet mit Sternenbanner und Adler. Europa und Afrika schreiten zu Columbia hinauf. In der Zwischenzeit hat sich die Bühne geleert und ein »Ballett der Nationen« beginnt.
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Abb. 48: Stanley in Afrika: Stanley’s Traum. Gruppenbild 9 aus dem Album zur 200. Vorstellung im Victoria-Theater Berlin, 1890. Solotänzer stellen die europäischen Nationen dar, personifizierte industrielle Errungenschaften der Zeit wie Telegraphie, Telefon, Eisenbahn, ferner Maschinisten, Feuerwehrleute, Jockeys, Winzer, Bergbauarbeiter, Handwerker etc. Plötzlich bewegen sich auf jeder Seite der Bühne Wände, die Mittelbühne öffnet sich und Maschinen werden sichtbar; auf der linken Seite erscheint eine Rheinlandschaft mit Dampfbooten, auf der rechten Seite ein Berg mit einer Eisenbahn in Betrieb. Jede der Gruppen ist in Bewegung, bis ein schriller Akkord ertönt und alle zum Stillstand bringt. Friedensengel kommen auf Wagen auf die Bühne, Silberzweige schwingend und die Massen beruhigend. Daraufhin formieren sich alle Tänzer zu einer Parade, eine Gruppe Soldaten, Matrosen in einem Boot sowie auf Fahrrädern sitzende Jungen gesellen sich hinzu. Europa, Afrika und Columbia steigen von ihren Thronen herab und positionieren sich in der Mitte der Bühne. Afrika kniet vor den beiden nieder. Wenn der Vorhang sich senkt, werden Blumengirlanden, dekoriert mit goldenen Engeln, sichtbar. Über den Köpfen der Engel ist in goldenen Lettern »Stanley« zu lesen. Aus der bewegten Szene heraus formen die Darsteller ein symmetrisches Tableau (Abb. 48). Theaterästhetisch weist die im Vorangegangenen beschriebene Szene verwandte Züge zu den so genannten ›Vision scenes‹ des englischen und amerikanischen Melodramas auf. In solchen Traum- oder Visions-Szenen werden Gedanken oder Träume der Hauptfigur visualisiert oder (räumlich und zeitlich) fern stattfindende Ereignisse visionär erschaut.384 Die Apotheose verherrlicht schließlich Stanleys Forschungsergebnisse, eine Vielfalt an imperialen Errungenschaften, wie die philanthropischen Unternehmungen (wie Missionierung und Schulung der Kinder und des Militärs), die, worauf bereits hingewiesen wurde, auch in zahlreichen Bildern der Zeit wiedergegeben sind, aber auch technische Neuerungen der Industrialisierung. Das symmetrische 384
Vgl. hierzu Schmidt 1996, S. 275. Für die vision scene werden Lichtquellen für Auf- oder Abblendungen eingesetzt, welche die Gedanken des Protagonisten »sichtbar« werden lassen.
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Schluss-Tableau am Ende dieser ohnehin exkursiven Szene unterbricht die Handlung des Stückes erneut und dient der Vergegenwärtigung jener imperialen und technischen Errungenschaften durch den Zuschauer. Der Zeit gemäß, in der sich die einzelnen Nationen profilieren und ein Nationalbewusstsein entsteht, werden die in erster Linie wirtschaftlich und machtpolitisch motivierten imperialen Aktionen metaphorisch aufgeladen, erhöht und mystifiziert. Zahlreiche deutsche Forscher und Missionare propagieren während der achtziger Jahre kolonialistisches Gedankengut und rechtfertigen ihre Unternehmungen in Afrika in Berichten und Schriften. Ihre Arbeit in den Kolonien umschreiben sie in signifikanter Häufigkeit mit Metaphern des Lichtes und der Erleuchtung. Sie treten für eine »Auf-Klärung« im Wort-Sinne ein, wenn sie ihre Tätigkeiten und Strategien damit umschreiben, »Licht ins Dunkel« des afrikanischen Kontinents zu bringen – indem sie bekanntlich Ideale und Normen ihrer westlichen Kultur auf die afrikanische applizieren. Aber auch auf einer anderen Ebene hat die Bemühung dieser Lichtmetaphorik Wirkung: Sie ist im Zusammenhang mit der zunehmenden Umgestaltung der urbanen Infrastruktur und ihren seit dem späten 19. Jahrhundert mit elektrischem Licht ausgestatteten Straßen und Plätzen zu sehen. Elektrisches Licht dient als ein Indiz des Fortschritts. In der Produktion von Stanley in Afrika auf der Bühne des Victoria-Theaters, das als eine der ersten Berliner Bühnen mit einer komplizierten Beleuchtungstechnik ausgestattet ist, sind Lichtmetaphorik und Hell-Dunkel-Kontrast auch ästhetische Mittel. Sensationelle Beleuchtungseffekte und spektakuläres Farbenspiel werden zu Elementen der Darstellung des afrikanisch Fremden – und zur Inszenierung eines Kulturvergleiches. Es sei hier auf eine dem Schlussbild der Traumszene in Stanley in Afrika vergleichbare Apotheose hingewiesen: »Die Apotheose Sieg des Lichtes« aus der Pantomime Pandora/Götterfunken von Emil Litaschy (Regie) und Wilhelm Hock (Text), die anlässlich der elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt a.M. 1891 aufgeführt wird (Abb. 49). Gerade weil die Theater am ehesten von den neuen Beleuchtungseffekten, die durch Elektrizität möglich sind, profitiert hätten, so heißt es in einer Besprechung in der IZ, sei die Pantomime ins Programm der Ausstellung aufgenommen worden.385 »Natürlich« bildeten Ballett und Beleuchtungseffekte die Hauptsache in dieser Pantomime, die im Olymp spielt. Im zweiten Akt wird der »Raub des Feuers durch Prometheus, das große Ballet ›Auf der Höhe der Cultur‹ und die Apotheose ›Sieg des Lichtes‹« gezeigt. In der Apotheose treten schließlich »reich costümirte Balleteusen auf: die Cultur, die Erdtheile Europa, Asien, Amerika, Australien, Afrika, die Metalle und Fossilien, die für die Darstellung der Electricität wichtig sind, wie Kohle, Eisen, Kupfer, Silber, dann die praktischen Verwirklichungen der Electricität: Telegraphie, Telephonie, Photographie, Phonographie.« Der Bild-Komposition einer Apotheose wird auch in diesem Stück die finale Anordnung der Performer gerecht: Sie gruppieren sich am Schluss huldigend um das Licht, »das plötzlich durch Verschwinden des Hintergrundes vor einem zweiten sehr reich decorirten Prospect erscheint.«386 385 386
Artikel »Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a.M.«, in: IZ, Nr. 2508, 25. Juli 1891. Autor unbekannt. Ebd.
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Abb. 49: »Internationale Elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a.M. Apotheose »Sieg des Lichtes« aus der Pantomime Pandora/Götterfunken. Von Wilhelm Hock (Text), Emil Litaschy (›Regie‹), Fritz Krause (Musik) Charakteristikum solcher Apotheosen wie sie in Sieg des Lichtes und Stanley in Afrika eingesetzt werden, ist die symmetrische ornamentale Anordnung der Darsteller und Bühnenelemente im Stillstand (s.o.). Diese Anordnung ermöglicht gleichzeitig eine Hierarchisierung der allegorischen Figuren und liefert hier ein Bildformat der »Kulturstufe« jener Zeit: Europa und Columbia stehen aufrecht, während Afrika vor ihnen kniet. Es gilt im Folgenden, den Fokus auf Stanley in Afrika als Spiegel auch für die Interrelation von Theater, Bildmedien und visuellen Institutionen zu lenken. Denn über die optische Opulenz der Szene hinaus finden sich zahlreiche Verweise auf und Transformationen von Medien und Institutionen visueller Unterhaltung der Zeit in das Stück, welche die Handlung motivieren und das visuellkulturelle Wissen der Zuschauer aktivieren.
(Bild-)Medien und -Institutionen in Stanley in Afrika Im Handlungsverlauf von Stanley in Afrika finden sich immer wieder Referenzen zu zeitgenössischen Medien, visuellen Einrichtungen und Anspielungen auf das Bildgedächtnis und die visuelle Kompetenz des Publikums. Von Interesse ist ferner die Instrumentalisierung von Visualität und Medienwissen im Stück zur Inszenierung eines Vergleichs zwischen der deutschen und afrikanischen Kultur. Zeitungswesen H.M. Stanleys Reisen werden, wie oben erläutert, von den Zeitungen New York Herald und Daily Telegraph in Auftrag gegeben und finanziert. Vertraglich festgelegt ist die regelmäßige Berichterstattung des Forschers in diesen Organen. Als Erstmedien informieren auch andere Zeitungen über Stanleys Verbleib. Dem Medium Zeitung kommt daher für das Forschungsprojekt eine wichtige Rolle zu, die sich auch in der Dramatisierung der Berichte niederschlägt: Einerseits werden seine Produktionsprozesse ins Stück
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eingeflochten, andererseits übernehmen Zeitungszitate die dramatische Funktion der Information. Im ersten Akt nähert sich ein Setzer aus der Druckerei des Daily Telegraph Lawson mit einem Korrekturbogen der Zeitungsausgabe des Folgetages: 1. Dame Ach! So sieht also eine Zeitung im Urzustand aus? Lassen Sie mich lesen. Lawson O, es steht ganz etwas Besonderes darauf. Der Leitartikel in welchem wir morgen dem Publikum die Abreise unseres Freundes Stanley und die Bedeutung seiner Mission anzeigen.
Dem Publikum wird einerseits ein Teil des Produktionsprozesses dieses noch jungen Massenmediums gezeigt. Andererseits hat die Thematisierung der Presse an dieser Stelle erneut dramaturgische Funktion, enthält doch der Korrekturbogen die Ankündigung von Stanleys Abreise. Die Festgesellschaft bittet die Zeitungsillustratorin Kitty, den Pressetext vorzusingen. Kitty (singt) Verlag und Redaktion des Daily Telegraph beehren sich hierdurch den Lesern anzuzeigen, daß sie am heutigen Tage den Journalisten Stanley zu einer Forschungsreise nach Afrika entsenden. Sichre Hoffnung hegen wir, daß der schon bewährte Forscher in dem dunklen Continente ein ersprießliches Culturwerk für die Wellt vollbringen wird. Reichliche finanzielle Mittel geben wir ihm auf die Reise mit. Daraus soll er den Schlüssel formen, der ihm das Rätsel des Weltspieles erschließt. Wir sind der Ueberzeugung, daß alle unsere Leser am Tag, da er sich anschickt, die Heimath zu verlassen, mit uns den Wunsch empfinden, daß ihm sein Werk gelinge. Amerika und England vereinigen sich heute in einem lauten Rufe: ›Glück auf‹ der Forschung Stanleys! Dem Forscher Stanley ›Glück auf Glück auf!‹
Mit diesem Text erfährt der Zuschauer wesentliche Details zur Reise – und damit auch über den bevorstehenden Handlungsverlauf des Stückes. Aus dem Gesang entwickelt sich ein Walzer, der die Anwesenden zum Tanzen animiert, womit der erste Akt beschlossen wird. Illustration Es wurde bereits auf die Instrumentalisierung der Figur der Kitty Tinney, »Zeichnerin der Illustrierten Zeitung«, hingewiesen. Kitty möchte als Illustratorin an Stanleys Afrikareise teilnehmen, ihre Zeitung hat ihr die Finanzierung zugesagt, was von Lawson, dem Inhaber des Daily Telegraph, mit den Worten kommentiert wird: »Ganz im Ernst. In dem Fräulein ist plötzlich das Zigeunerblut des Künstlerweibes zum Durchbruch gekommen. Und ich glaube, ihre Verleger verdrehen ihr noch etwas den Kopf, weil sie mit Skizzen aus Afrika ein großes Geschäft zu machen hoffen.« Kitty wird letztlich, in Begleitung ihrer Tante Ellen und Brandfords, an der Reise teilnehmen und auch in lebensbedrohlichen Situationen pittoreske Szenen zeichnen.
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Mehrere indigene Afrikaner vor Augen, ist Kitty begeistert von der »reizenden Gruppe« und zeichnet sie, »[d]as giebt wieder ein prächtiges Blatt! Origineller Kopf!«, ausrufend. Im sechsten Bild, »die Sonne hat langsam während der letzten Scene die Bühne wieder etwas erhellt und bricht jetzt strahlend hervor«, wie es in der Szenenanweisung heißt, nimmt Kitty ihr Skizzenbuch hervor und zeichnet den Moment, sowie wenig später den Einzug von Haremsdamen mit ihren Sklavinnen und Eunuchen als Wächter sowie ein Amazonenballett. Zeichnungen wie diese erscheinen, darauf wurde in den vorherigen Abschnitten immer wieder hingewiesen, in den illustrierten Zeitungen häufig. Erneut wird dem Zuschauer vorgeführt, wie Medienbilder »gemacht« werden. Dass Kittys Verleger mit den Illustrationen »ein großes Geschäft« machen wollen, wie Lawson feststellt, unterstreicht gleichzeitig den ökonomischen Wert der Zeichnungen ferner Länder und ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Optische Geräte Im fünften Bild erscheinen, am Rande eines Gewässers (Fels und Schilf), Fritz, Stanley und Lehnstadt, die ein Krokodil geschossen haben. Kannibalen haben sich im Schild versteckt. Der eigentliche Grund für den Aufenthalt der Europäer am Gewässer ist, mit Hilfe eines Kompass und eines Fernrohrs die Landschaft zu vermessen. Stanley trägt ein Chronometer bei sich und behauptet, mit dessen Messgenauigkeit die Insel lokalisieren zu können. Afrikaner treten heran und bestaunen das Fernrohr, welches Fritz in der Hand hält, und das sie als »Zauberrohr« bezeichnen. Fritz fürchtet sich zunächst vor den Indigenen, bemerkt jedoch rasch, dass er mit einer magischen Geschichte um die Funktion des Zauberrohrs ablenken kann. Chronometer, Fernrohr und Kompass haben hier eine Doppelfunktion. Sie sind Instrumente der geographischen Messung und stehen damit stellvertretend für die zeitgenössischen kartographischen Vermessungen der Kolonialgebiete durch H.M. Stanley und diverse Geographen. Zudem stehen diese Instrumente für eine technische und kulturelle Überlegenheit der Europäer; durch die Zuschreibung von magischen Kräften seitens der Afrikaner wird diese Differenz noch forciert. Diese Doppelfunktion lässt sich auch anhand des Bildmediums Fotografie zeigen, dessen Gebrauchs- und Wahrnehmungsmodus direkt und indirekt in das Stück integriert ist. Fotografie Bei der Ankunft am Palast Mtesas (Bild 6) geht Pocock, Stanleys engster Begleiter, um die Säulen des Gebäudes und fragt einen der Palastmitarbeiter, Magassa, warum sie so sonderbar ausgeschmückt seien. Magassa: Mein Herr und Kaiser Mtesa will sich Eurem Führer noch einmal in seiner Herrlichkeit zeigen. Er will sein Antlitz und den Platz hier vor seinem Palaste durch die Sonne in den merkwürdigen Glasplatten brennen lassen, welche sein Freund Stanley in der Röhre seines Kastens hat. Pocock: Ach so, er will sich photographieren lassen? Er hat jetzt keine Angst mehr vor diesem Verfahren seitdem er an einem seiner Sklaven die Unschädlichkeit der Lichtbildnerei erprobt hat.
274 | PIKTORAL-DRAMATURGIE Magassa […] Ich halte das nicht für so unschädlich. Das Volk befürchtet, die Lichtbilder werden den Feldern die Farbe wegtragen.
Zwei Aspekte sind hier von besonderer Bedeutung hinsichtlich der Einbettung des Stückes in die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts. Zum einen wird der Palast besonders pittoresk, sozusagen »fotografietauglich« hergerichtet, um Mtesa eine geeignete Kulisse zu bieten, wenn er sich fotografieren lässt. Einmal mehr wird dem zeitgenössischen Publikum vorgeführt, wie und unter welchen Umständen diejenigen Bilder und Aufnahmen entstehen, die sie nur als vermittelte in den illustrierten Zeitungen, Bildbänden, Panoramen oder Stereobildern anschauen können. Die zeichnerische und fotografische »Dokumentation« der fremden Regionen durch die Forschungsreisenden wird durch die mühevolle Herrichtung des Palastes durch Mtesa ad absurdum geführt. Indem der inszenatorische Gehalt der Szene herausgestellt wird, wird die apparatbedingte Authentizität unterlaufen – zugleich ist hier das Eingreifen der Europäer in die fremde Kultur und ihre Manipulation für den westlichen, das Pittoreske suchenden Blick angedeutet.387 Die Figur des Mtesa kennt die Absicht des Fotografierens als ›Einfangen‹ eines bildhaften Moment, durch den wiederholten Kontakt mit Europäern hat Mtesa auch ein westliches ›Verständnis vom Bild‹ erfahren, oder anders gesagt, er ist durch die westlichen Bildmedien kolonisiert. Die Produktion und Wirkung des fotografischen Bildes berücksichtigend, reagiert er und richtet die Szenerie her. Ganz anders sein Sklave Magassa, der, wie andere seiner Standesgenossen auch, befürchtet, die Belichtung der Kamera könnte Einwohner und Felder gefährden. Zur Aufführungszeit von Stanley in Afrika, 1889, ist die Fotografie in Deutschland schon relativ weit verbreitet (siehe Kap. 1). Die Ängste Magassas und sein Vokabular zur Beschreibung der fotografischen Kamera stehen stellvertretend für die anfänglichen Ängste auch der europäischen Bevölkerung vor möglichen schädlichen Wirkungen der technischen Fotografie auf Individuen und Kultur. Diese Facette der Technophobie ist typisch für die Anfangsjahre der Fotografie. Max Dauthendey etwa beschreibt sie in seinen Erinnerungen Der Geist meines Vaters: Die Kinder hielten sich […] die Ohren zu, in der Erwartung, daß aus dem kanonenähnlichen Messingrohr des Kastens vielleicht einmal ein Schuß ertönen könnte. […] Die einen meinten, daß mein Vater das Sonnenlicht einfangen wollte, um Gold daraus zu machen; die anderen vermuteten, daß von dem Apparat vielleicht eine heilende Wirkung [….] ausginge, eine magnetische oder eine electrische Wirkung. [D]a der Sommer dürr und heiß war, behaupteten einige, an der Dürre sei die verfluchte Kamera schuld, die […] wahrscheinlich viel zu viel Lichtstrahlen auf die Erde lockte.388 387
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Susan Sontag spricht von einer »Kolonisierung durch die Fotografie« am Beispiel der Erschließung des amerikanischen Westens durch Eisenbahn, Tourismus und Fotografie in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts. »[Die] Touristen drangen in die Privatsphäre der Indianer ein, knipsten Kultgegenstände, Kulttänze und Kultstätten, bezahlten notfalls dafür, daß sich die Indianer in Positur stellten, und bewogen sie, Kulthandlungen so zu verändern, daß sie möglichst fotogen wurden.« Sontag 1999, S. 66. Dauthendey 1921, S. 67f. Bernd Busch vertritt die These, dass die Fotografie im 19. Jahrhundert in zwei sich ergänzende Deutungsmuster eingespannt ist.
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Es ist wahrscheinlich, dass Magassas Äußerungen vom zeitgenössischen Publikum als antiquiert und unerfahren aufgenommen und mit einem Lachen der Überlegenheit quittiert wurden. Daneben differenziert Wissen und Nichtwissen um die Funktion und Wirkung des Bildmediums Fotografie auch intrakulturell. Institutionen visueller Unterhaltung und Information Im dritten Bild, Stanley, Lehnstadt, Fritz, Pocock, einige Wangwana sind bereits in Afrika angekommen, werden zwei der Begleiter als Kundschafter ausgeschickt, das Dorf zu finden: Die Botschafter kommen zurück mit der Nachricht, dass ein Zauberarzt geschickt werde, der Mediziner und Priester in Personalunion und wichtige Brücke für die Kontaktaufnahme zu den Eingeborenen sei.389 Der Zauberarzt, mit langem Bart und getürmtem Kopfhaar, tritt auf, kommentiert von Fritz mit den Worten: »Der ist reif für Hagenbeck«
Es soll Blutsbrüderschaft zwischen dem Arzt und Stanley geschlossen werden, der Zauberarzt nimmt eine Lanzette, taucht sie in mitgebrachtes Widderblut in einer Opferschale ein, ritzt erst sich, dann bei Stanley. Wieder kommentiert Fritz mit einer Anspielung auf eine zeitgenössische Institution: »Erlauben Sie mal Herr Quacksalber – das Messer kriegen sie nicht wieder. Das kommt ins Museum für Völkerkunde«. Die Nennung der beiden Einrichtungen, Hagenbecks Völkerschauen, auf die Fritz hier expressis verbis anspielt und das Museum für Völkerkunde, das 1886 erst sein Stammhaus bezogen hatte, ist nicht bloß Zitat. Beide Institutionen, darauf wurde bereits hingewiesen, sind zur Zeit der Vorstellung von Stanley in Afrika äußerst populäre Einrichtungen zur visuellen, unterhaltsamen Belehrung über kulturelle Fremdheit. Ihre Platzierung im Stück belegt die Bekanntheit von Völkerschau und Völkerkundemuseum beim Theaterpublikum, denn ohne die Kenntnis dieser Institutionen und ihrer Angebote funktioniert die offenbar als komisch angelegte Szene nicht. Die Figur des Fritz erkennt ausschließlich durch sein über das Völkerkundemuseum und die Völkerschau vermitteltes Wissen von der afrikanischen Kultur den materiellen und Ausstellungswert von Zauberarzt und Messer. Dem Publikum wird zudem erneut ein Teil des Prozesses des Sammelns und Rekrutierens von Vertretern und Ethnographica der fremden Kultur nahe gebracht.
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Einerseits wurde sie in den zeitgenössischen Bewertungen als Vorgriff auf die Wiedergewinnung einer unberührten, weil nun künstlich-technisch fabrizierten Natur verstanden – als eine Inschrift der Welt im Schöpfungsakt der »machina«. Andererseits erschien dieser Automatismus verselbständigter List, dessen Willkür den Menschen tendenziell als Täter ersetzt, derart ungeheuerlich, daß beständig auf die tradierten Diskurse abendländischen Denkens zurückgegriffen wurde – der Ursprung, die Ursache der fotografischen Wahrheit, ›techné‹ als produktiver Eingriff in die Natur wurden als Selbst-Tätigkeit der Natur aufgefaßt oder Gott zugeschrieben.« Busch 1997, S. 214f. Vgl. Die Begegnung mit dem Zauberarzt in Stanley. Durch den dunklen Welttheil 1878, S. 26ff.
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Bildzitat als Kulturzitat Magassa beklagt Pocock gegenüber, es habe sich erneut durch die Ankunft der Weißen etwas an ihrem Hof verändert. Seine Ausführungen spiegeln den afrikanischen Blick auf das nicht-afrikanisch Fremde: Jedesmal, wenn andersfarbige Männer dieses Reich Uganda besucht haben, werden uns andere Sitten, andere Gebräuche, andere Vorschriften vom Kaiser anbefohlen. Erst kamen die Araber den Nil hinauf und Allah wurde eingesetzt, den noch nie ein Mensch gesehen hat. Jetzt seid Ihr durch die Länder der Wilden gekommen, und nun verlangt Mtesa gar, wir sollen geflügelte Engel anbeten und vor einem Kreuz knien, welches man höchstens zum Annageln der Feinde benutzen könnte. (Manuskript, 6. Bild)390
Diese Beobachtung Magassas impliziert eine Kritik an den missionarischen Aktivitäten der Europäer in Afrika. Die christliche Ikonographie ist kulturspezifisch und daher in der afrikanischen Kultur der Zeit nicht verständlich. Panofskys Vokabular folgend, kann Magassas Bildwahrnehmung als ›vorikonographische‹ Beschreibung betrachtet werden, auf die keine ›ikonographisch-ikonologische‹ Ergänzung folgt. Losgelöst aus seinem kulturellen Kontext funktioniert in der Folge das Bild für ihn allenfalls als ›europäisches Kuriosum‹. Neben den religiösen Sitten seien es insbesondere die militärischen, die von den Europäern (den Deutschen) oktroyiert würden. Im nachfolgenden Beispiel ist es das Exerzieren, das mit Musik zu einem exotischen Divertissement in das Stück eingefügt wird. Im Hintergrund hört man Trommel und Triangel, Lehnstadts Stimme, »Marsch« rufen; Magassa: Das ist auch so eine Neuerung, den ganzen Tag wird Krieg gespielt u. die Leute müssen sich üben, auf einem Bein zu stehen. Eine Abtheilung von Mtesa’s Leibwache marschirt militairisch über die Bühne unter Lehnstadts Führung. Fritz am linken Flügel, Kitty schlägt die Trommel und Leila die Triangel. Sie treten sämtlich von links auf und gehen rechts wieder ab. Der Vorübermarsch muß ohne jede absichtliche Komik, durchaus ernst geschehen. (bezüglich der Instrumente Seite 448 I.) Pocock: Sie als Oberst sollten sich doch freuen, daß Lehnstadt dem Kaiser den Gefallen thut, ihm die Mannschaften nach dem Muster der europäischen Armee ein bißchen einzuexerzieren. 390
In Stanleys Durch den dunklen Welttheil heißt es zur Bekehrung Mtesas durch Stanley: »Eine [Besprechung mit Mtesa, NL] hatte [Stanley] dahin auszunutzen gesucht, um den mächtigen Mann für das Christentum einzunehmen. Nicht daß er jemals durch dogmatische Spitzfindigkeiten ihn verwirrt: er zeichnete ihm in einfachen Zügen das Bild des Gottessohnes, welcher sich für das Heil aller Menschen ohne Ausnahme […] erniedrigt habe und, während er in Menschengestalt einherging, ergriffen und von gottlosen Menschen, […] gekreuzigt worden sei […].« Ebd., S. 60.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 277 Magassa Das soll Kriegsübung sein, wenn immer vom langsamen Schritt die Rede ist? Auf den schnellen Schritt kommt es an. […]
Lehnstadt, der die Kommandos ruft, sagt, die Männer seien zwar nicht talentlos, aber »Unserem Moltke möchte ich sie noch nicht vorexerzieren.«391 Zu Kitty, welche die Trommel schlägt, sagt er »Fräulein Kitty haben sie mal die Regimentstochter gesehen?«. Wieder findet sich im Manuskript der Verweis auf Stanleys textliche Vorlage, um die Szene so »authentisch« wie möglich zu gestalten (im Zitat markiert). Das Vorführen des militärischen Exerzierens durch die Kolonisierten ist in den achtziger und neunziger Jahren ein beliebtes Bildmotiv und Komponente der Völkerschau, in welchem der Kontrast des zugeschriebenen »ungeordneten Wilden« und dem »disziplinierten Kultivierten« der deutschen Soldatenausbildung augenfällig werden soll. Als augenfälliges Mittel, die Konfrontation der unterschiedlichen Kulturen zu inszenieren, werden die Militärübungen auch in das noch zu besprechende Stück Im dunklen Erdteil integriert. Weitere intertextuelle, oder konkreter: interpiktorale Verweise finden sich in Lehnstadts Äußerungen, der die Berliner Sicht auf die Afrikareise vertritt. Die afrikanischen Soldaten seien noch nicht weit genug, Graf von Moltke vorgeführt zu werden, jenem General des Deutsch-Französischen Kriegs, der das deutsche Heer zum Sieg über Frankreich geführt hatte und noch Jahrzehnte nach Kriegsende patriotisch gefeiert und in Werken der Bildkunst verewigt wird. Die ›Regimentstochter‹, welcher Kitty – Lehnstadts Äußerung zufolge – in ihrem Trommelspiel gleichen soll, ist eine deutliche Anspielung auf die auch in Deutschland überaus erfolgreiche Opéra comique Die Regimentstochter (La Fille du Régiment) von Gaetano Donizetti, Jules Henri de Saint-Georges und Jean-François Alfred Bayard, in der die von Soldaten großgezogene Marie (die Regimentstochter) naiv-idealisierend dargestellt ist. Von besonderer Bedeutung ist hier die bildliche Gestaltung der Marie seit der Uraufführung 1840. Sie ist stets mit dem gleichen Kostüm und einer kleinen Trommel wiedergegeben, sowohl auf den Bühnen als auch in zahlreichen Stichen und Fotografien in Folge der Erstaufführung. Diese fixieren ein Idealbild der Regimentstochter, dem Kitty offenkundig in dieser Szene entspricht, und das dem Publikum des Victoria-Theaters durchaus vertraut gewesen sein muss. Der Vergleich der Bühnenfigur mit der Regimentstochter fungiert hier somit als interpiktoraler Verweis, als ein weiteres kulturspezifisches Bildzitat. Die theatrale Realisation von Henry Morton Stanleys Unternehmungen in Afrika auf der Bühne des Victoria-Theaters in Berlin nimmt Stanleys Berichte und Bildmotive – festgehalten in Beschreibungen sowie in Form von Zeichnungen – auf und durchdringt die Erzählungen mit der deutschen Rezeption seiner Expeditionen und zugeschriebenen Verdienste. Damit antwortet die Produktion auf die zeitgenössische Begeisterung für die Kolonialbe391
In einem Bericht über sudanesische Wachtruppen heißt es: »Wenn der Präsentirgriff auch nicht bei jedem Mann ganz correct ist […] so läßt doch die stramme Körperhaltung auf gute Ausbildung unserer dunkelfarbigen Truppen schließen.« (IZ Nr. 2467, 11. Oktober 1890, S. 388)
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strebungen und den Wissensdurst des deutschen Publikums nach Informationen über eine ethnisch distinkte und von Industrialisierung und Technisierung (vermeintlich) unberührte Kultur.392 Die reale Forschungsreise wird demzufolge auf der Grundlage der medialen Rezeption dramatisiert und mit deutschen Projektionen und Imaginationen des Fremden verknüpft.393 Dokumentierte Passagen und Zeichnungen mit Zeitbezug, mediale und künstlerische Konventionen der Darstellung pittoresker Ansichten des afrikanisch Fremden und die Adaption des Reisemodus für die Dramatisierung bilden das dramaturgische Gerüst des »Zeitgemäldes« Stanley in Afrika. Neben interpiktoralen Verweisen, der Orientierung an und Zitierung von Bildmustern des afrikanisch Fremden, konnten im Vorangegangenen auch Interferenzen zwischen visueller Kultur und Theater ausgemacht werden, die sich mit dem weiter oben skizzierten Terminus der ›Intervisualität‹ begrifflich fassen lassen. Den Zuschauern von Stanley in Afrika wird eine visuelle Kompetenz abverlangt, ohne die sie Anspielungen und Bildzitate nicht nachzuvollziehen imstande sind. Die Zitierung einer visuellen Institution (»der ist ja reif für Hagenbeck«) verlangt die Kenntnis dieser Institution beim Publikum. Anhand eines Ausschnittes, eines Details, eines (Bild-)Zitats sind die Zuschauer gefragt, sowohl in Bezug auf den Bildinhalt, Sujets und Motivik als auch in Bezug auf die angewandten/zitierten Medien auf ein größeres Ganzes i.e. hier: das (populäre) Wissen über die kolonialen Aktionen ihrer Nation, zu schließen. Mit der im nachfolgenden Teilkapitel zu besprechenden Pantomime Im dunklen Erdtheil sei diese Form der Interrelation von Theater und visueller Kultur und insbesondere der Aspekt der Intervisualität noch an einem weiteren Beispiel besprochen.
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Zahlreiche Schriften und Flugblätter erscheinen während der achtziger Jahre, die sich der Besprechung der politischen und kulturellen Begebenheiten in Deutsch-Afrika annehmen. So u.a. eine Flugschrift mit dem Titel »Mehr Licht im dunklen Welttheil« von Dr. G. A. Fischer, die 1885 im Hamburger Verlag L. Friedrichsen und Comp. erscheint. Sie soll ein »Recept für die vielen Leute, die von einem bedenklichen Afrikafieber ergriffen sind« sein. Fischer gilt, so die Gartenlaube, als »eifriger Anhänger der Kultivierung Afrikas« und will mit seiner Schrift zur Verbreitung »richtiger Ansichten« beitragen. Themen sind die für Afrika »so brennend gewordene Arbeiterfrage und die Akklimatisation der Deutschen im tropischen Afrika«. Hinweis auf die Schrift in der GL Nr. 19, 1885, S. 320. Diesem Prinzip folgen auch die Verfilmungen von Henry Morton Stanleys Unternehmungen im 20. Jahrhundert. Darunter: Stanley among the Woo Doo Worshippers 1915 Watson Roy USA; Stanley and the Slave Traders 1915 Watson Roy 195, USA; Stanley at Starvation Camp 1915, Watson Roy, USA; Stanley in darkest Africa 1915, Watson Roy USA; Stanley takes a trip, 1947, Mackay Jim, Muro Grant ANS CND; Stanley, the lion-killler 1914, Drew Sidney USA; Stanley’s close call 1915, Montgomery Frank E. USA; Stanley’s search for the hidden city 1915 Bonavita Jack, USA; The Livingstone case 1910, Porter, Edwin S., USA; Livingstone 1925, Wetherell, M.A. Eine relativ frühe Verfilmung ist With Stanley in Africa (1922), Regie William James Craft und Edward Krull, produziert von der Universal Film Mfg. Co. Inc. Am bekanntestens ist Stanley and Livingstone (1939), eine s/w Verfilmung über die Auffindung Livingstones durch Stanley, unter der Regie von Henry King. Produziert von der 20th Century Fox Corporation, USA mit Spencer Tracey als Henry M. Stanley.
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Im dunklen Erdtheil: Ethnographisches Schaustück
Abb. 50: Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo). Titelseite des Zensurexemplars der im Berliner Circus Renz aufgeführten Pantomime von E. Renz. Im Jahr der 600. Aufführung von Stanley in Afrika wird unter der Leitung von Ernst Renz im gleichnamigen Berliner Zirkus Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo) zur Aufführung gebracht, eine »equestrische Original-Pantomime mit Tänzen, Gruppirungen [sic!], Evolutionen und militärische[n] Exercitien«. Es wurde bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass in den neunziger Jahren auch der Zirkus Theater aufführt. Auch der Zirkus Renz – die »räumlichst größte Bühne Berlins«, so die Berliner Illustrirte Zeitung 1899394 –, zeigt zu dieser Zeit nicht nur circensische Darbietungen. Vielmehr werden dort auch Völkerschauen, aufwändige Ausstattungsstücke und -Pantomimen sowie »verschiedene überraschende Novitäten auf equestrischem und künstlerischem Gebiete«395, teils mit aktuellem gesellschaftspolitischen Bezug, zur Aufführung gebracht. Saltarino bezeichnet die (vorübergehende) Annäherung des Zirkus an Theater als »Massenschaustellung«. Für diese seien gleichermaßen Exotis394
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BIZ, 2. Jg., Nr. 2 1899, S. 12. In einer anderen Ausgabe heißt es, das Haus sei »ganz auf Dekorationseffekte und trikotierte Balleteusenbeine« gestellt. BIZ 2. Jg., Nr. 13, 26 März 1899, S. 3. Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend den Circus »Renz«. LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Th 1525.
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mus, Sensation und Werbung als »spannungserzeugende Hilfsmittel« eingesetzt worden.396 Im dunklen Erdtheil verbindet thematisch die deutschen Unternehmungen in den Kolonialgebieten und die jüngsten Ereignisse und Aufstände ebenda. Wie bei dem Zeitgemälde Stanley in Afrika ist auch für die Besprechung dieses Stückes wegen seiner Zeitgebundenheit ein kurzer Überblick über den Kontext vonnöten. Im Anschluss ist besonders den interpiktoralen und intervisuellen Referenzen im Stück nachzugehen. In Bezug auf die Motivik sind die Szenenbilder von Im dunklen Erdtheil denen in Stanley in Afrika ähnlich, was einmal mehr die Zirkulation der Bilder des Fremden bezeugt. Darüber hinaus soll im folgenden Teilabschnitt dargestellt werden, dass sich in Renz’ equestrischer Pantomime Intervisualität auch als dramaturgische Verwandtschaft zur Völkerschau ausmachen lässt.
Hintergrund: Die Aufstände in Bagamoyo und die Auffindung Emin Paschas Der Titel der Pantomime Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo) rekurriert zum einen auf H.M. Stanleys Publikationen Durch den dunklen Weltteil (1878) und Im dunkelsten Afrika – Die Suche nach Emin Pascha (1890). Zum anderen nimmt der Titel Bezug auf eine aktuelle Thematik der deutschen Kolonialpolitik: die Aufstände von Afrikanern und ihre Niederschlagung durch Europäer in Bagamoyo. Diese Küstenstadt im Osten von Tansania, gegenüber Sansibar gelegen, ist von 1885-1896 Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas und Mittelpunkt des afrikanischen Sklavenhandels sowie Ausgangsstelle für Karawanen und Expeditionen ins Innere des Landes, beispielsweise für Stanleys weiter oben besprochene Reisen. Seit 1889 zeichneten arabische Truppen und ihnen dienstpflichtige Afrikaner für Kriege in dieser Region verantwortlich und zerstörten wichtige Stationen mit Ausnahme Bagamoyos und Daressalams. Der deutsche Reichskommissar und Afrikaforscher Major von Wißmann wird 1889 beauftragt, unter Mithilfe von afrikanischen Truppen, die deutschen Offizieren unterstehen, die Unruhen in den Ostafrikanischen Küstengebieten zu beseitigen und gegen den Sklavenhandel einzuschreiten.397 Berthold Volz schreibt in seinem Vorwort zu Henry M. Stanleys Reise durch den dunklen Weltteil 1890 über Wißmanns Auftrag: Mit eigenen Augen hat Wißmann im Gebiete des oberen Kongo, […] das Vorrücken der alles vernichtenden Sklavenjagden wahrgenommen. Und es bedarf keines Beweises, daß, soweit sich die Sklavenjagden erstrecken, in Afrika niemals eine höhere Gesittung sich entwickeln kann.
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Saltarino 1895, S. 16. Saltarino sieht diese Veränderung durch den an anderer Stelle genannten P.T. Barnum beeinflusst. Der Offizier und Afrikaforscher Hermann von Wißmann (1853-1905) durchquert 1881-82 Afrika von West nach Ost, erforscht 1884 den Kasai und seine Nebenflüsse Lulua und Kuango und reist von 1886-1887 vom Kongo über den Njassasee und Sambesi nach Moçambique. Bereits zu Lebzeiten hält ihn Richard Neumann in einem Gemälde fest, das 1888 im Berliner PassagePanoptikum Unter den Linden zu besichtigen ist. (vgl. Kap. 1) Wißmann verarbeitet seine Erfahrungen in Afrika in mehreren Schriften, darunter Im Innern Afrikas (1888), Unter deutscher Flagge quer durch Afrika 1880-83 (1888), Meine zweite Durchquerung Äquatorial-Afrikas (1891).
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Abb. 51: »Verlag von R. Oldenbourg, München und Leipzig: Die deutsche Emin Pascha Expedition von Dr. Carl Peters. Reich illustriert. Als Osterund Konfirmationsgeschenk empfohlen Für christliche Familien, Geistliche und Kunstfreunde.« Anzeige in der IZ, 7. März 1891. Mit gerechter Befriedigung haben wir es daher begrüßt, daß unter dem deutschen Banner durch die erfolgreiche Wißmannsche Expedition mit nachdrücklicher Anteilnahme unserer braven Marine dem Sklavenhandel die Ausfuhr verlegt und damit die Hauptlebensader unterbunden, daß die Herrschaft der Araber, auf welche zu allermeist der Sklavenhandel sich stützt, Schritt für Schritt gebrochen ist.398
Am 8. Mai 1889 erstürmen die Wißmann-Truppen das Lager des feindlichen Führers Buschiri bei Bagamoyo, in den Wochen darauf schlagen sie die Aufstände im gesamten Küstengebiet nieder. Neben dem deutschen Reichskommissar ist zeitgleich H. M. Stanley im Auftrag der britischen Regierung in der Region. Er soll in den Unruhen den zum Islam konvertierten deutschen Arzt Emin Pascha (alias Eduard Schnitzer) auffinden und in Sicherheit bringen, der von dem Briten Charles Gordon, (genannt Gordon Pascha) zum Verantwortlichen einer sudanesischen Provinz ernannt worden war.399 Am 4. Dezember 1889 treffen in Bagamoyo H.M. Stanley, Emin Pascha und Wißmann zusammen (vgl. Abb. 52): Um 8 Uhr kamen Stanley und Emin Pascha am Kingani an. Major Wißmann ließ sich sofort übersetzen und begrüßte die Reisenden mit einem herzlichen ›Willkommen an der Küste!‹ Es war ein interessantes Bild, Wißmann und Stanley, die be-
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Volz 1890, S. V und VI. Vgl. de la Guérivière 2004, S. 129: »Die britische Regierung fühlte sich für die Ereignisse in diesem Gebiet verantwortlich, das bis vor kurzem noch unter ihrer Oberherrschaft gestanden hatte. So verfiel man auf Stanley, der Emin Pascha in den Weiten des Sudan aufspüren sollte. Wenn er Livingstone gefunden hatte, dann sollte seine Erfahrung nun Emin Pascha zugute kommen.« Das Unternehmen glückt, wenngleich Emin Pascha, wie de la Guérivière informiert, sich weder in Gefahr wähnte noch an einer Rückkehr nach Europa interessiert war.
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Abb. 52: »Von der Wißmann Expedition in Ostafrika: Reichscommissar Major Wißmann begrüßt Stanley, Emin Pascha und Casati am Kingani am Morgen des 4. December 1889. Nach einer Zeichnung des Illustrators und Berichterstatters C. Weidmann.« (IZ vom 1. Feb. 1890) rühmtesten Afrikareisenden der Gegenwart, welche sich sonderbarer Weise noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten, Hand in Hand stehen zu sehen.400
Im Folgejahr der Aufstände, 1890, widmen sich die deutschen Schutztruppen dem Aufbau der durch die Aufstände zerstörten Gebäude und nehmen neue Zollstellen in Bagamoyo in Betrieb, das aufgrund des Elfenbeinmarkts von hoher Bedeutung für das deutsche Interessengebiet ist. Die deutschen Zeitungen dieser Jahre erstatten ausführlich und in detaillierten Bildern Bericht über die Ereignisse in Deutsch-Ostafrika und die Wißmann-Truppe (die Abbildungen 52 und 53 sind im Originalkontext zeitgenössischen Zeitungsmeldungen beigefügt). Die hier nur knapp geschilderten, für die deutsche Kolonialpolitik wesentlichen Ereignisse in Bagamoyo sind folglich durch die emsige Nachrichtenübermittlung in Schrift und Bild weiten Teilen der deutschen Bevölkerung bekannt. Es ist also davon auszu400
Artikel »Die Wißmann-Expedition in Ostafrika«, in: IZ Nr. 2431, 1. Februar 1890. Die Emin Pascha-Expedition H. M. Stanleys hat ebenfalls großes öffentliches Interesse auch in Deutschland erregt. Als thematisch eng verwandte Bühnenrealisation ist das im Jahr 1890 zur Aufführung im Ostend-Theater genehmigte Stück Um Emin Pasha [sic!], ein »Zeitgemälde« in 4 Akten und 9 Bildern zu nennen. Verfasser ist Paul Waser, der als Schauspieler in der Produktion von Stanley in Afrika im Victoria-Theater mitgewirkt hatte. Die Titel der Bildfolge lauten wie folgt: »Stanley’s Plan« (1), »Die Untreue TippuTibs« (2), »Stanleys Ankunft in Wadelai« (3) »Emins Traum« (4), »Der Aufstand« (5), »Die Rettung« (6), »Dekoration wie im dritten Bild« (7), »Die deutsche Hilfe« (8), »Unter deutscher Fahne« (9). Die letzte Szene wird durch den Dialog Wißmanns und Emin Paschas bestimmt. Letzterer preist Deutschland und den Kaiser, schließlich spielt das patriotische Stück »Heil Dir im Siegerkranz«. Um Emin Pascha. Zeitgemälde in 4 Acten und 9 Bildern von Paul Waser. 1890. Ostend-Theater. Zensurexemplar (Manuskript) LA B, A Pr Br. Rep. 030-05-01 U 169). Vgl. hierzu auch den Artikel von Joachim FritzVannahme: »Der Herr von Äquatoria«, in: Die Zeit Nr. 44, 27. Oktober 2005.
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gehen, dass der Doppeltitel Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo) doppelte Signalwirkung besitzt: Der erste Teil verweist auf Stanleys bekannte Schriften, der zweite Teil evoziert Erinnerungen an und Gedächtnisbilder der Geschehnisse im ostafrikanischen Küstenort, vermittelt durch aktuelle Presse- und Bildberichte.
Völkerschau als dramaturgisches Modell für Renz’ Pantomime Direktor Renz bringt die beschriebenen Zeitthemen – den Sklavenhandel, die kriegerischen Auseinandersetzungen und die Rechtfertigung des deutschen Eingreifens – zusammen und macht sie zur narrativen Grundlage der Pantomime. Die aktuellen Geschehnisse motivieren, wie im Folgenden gezeigt werden soll, eine Serie von ›Bildanlässen‹: fremde Schauplätze, Tänze und Kämpfe. Der gesprochene Text macht dabei nur einen Bruchteil aus. Eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Bühnenverarbeitungen der Afrikathematik ist die explizite Anlehnung an die Dramaturgie der populären Völkerschauen, die sich, wie an anderer Stelle besprochen, aus einem festen Muster aus typischen Szenen wie Tänzen, Kämpfen, Überfällen, Festen und der Vorführung alltäglicher Praktiken zusammensetzt. Die Bestandteile der Zurschaustellung fremder Kulturen im 19. Jahrhundert seien mit Goldmann noch einmal zusammengefasst: In dramaturgisch aufwendigen und choreographisch effektheischenden Darstellungen wurde der europäische [sic!] Augen exotisch anmutende Alltag dieser Völkerschaften inszeniert: Hantierungen in Haus und Hof, besonders aber Reiterspiele, Waffenkämpfe, Tänze und Gesänge übten eine derartige Faszination auf das europäische Publikum aus, daß bis zu 40000 Besucher an Sonn- und Feiertagen zu diesen spektakulären Aufführungen herbeiströmten.401
Mehr als eine Institution visueller Unterhaltung zu sein, bedeutet die Völkerschau für die kolonialen Maßnahmen in Afrika dreierlei: erstens die Legitimation deutscher Unternehmungen zur Missionierung und »Zivilisierung« der afrikanischen Bevölkerung, zweitens (paradoxerweise) die Demonstration der Bewahrung der afrikanischen Kultur unter deutschem »Schutz« und drittens ein unterhaltsames Spektakel zur Schaustellung ethnischer Fremdheit. Renz’ Pantomime greift diese Funktionen auf und formt sie in eine Variante der Völkerschau als ›szenische Kulturbegegnung‹. Im Vorwort des Manuskripts erklärt Direktor Renz, die bisherigen Forschungsreisen hätten das Interesse für Afrika unter weiten Teilen der Bevölkerung nachhaltig geschürt. Mit deren Wissbegierde sei auch die Häufung von »Karawanen« sowie von Völkerschauen zu begründen. Die Karawanen afrikanischer Eingeborener, die seit den achtziger Jahren nach Europa überführt würden, seien »dazu angethan […] ein anschauliches Bild von dem Leben und Treiben, den Sitten und Gebräuchen der Bewohner Afrikas, speciell Ost-Afrikas zu geben«402 (vgl. Abb. 53). Renz zeigt sich beeindruckt von die-
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Stefan Goldmann: »Zur Rezeption der Völkerausstellungen um 1900«, in Exotische Welten 1987, S. 88. Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo). Zensurexemplar LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Nr. Th 1525, S. 4. Nachfolgend zitiert als »Erdtheil«.
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ser Form visueller Information und Unterhaltung und nimmt sie als direktes Vorbild für seine Pantomime, deren Dramaturgie und szenische Umsetzung. Im Vorwort erklärt Renz weiter: Und so ist denn auch die Idee zu dem nachstehend skizzirten Ausstattungsstück aus dem Wunsche entsprungen dem neuerwachten Interesse des Publikums Rechnung zu tragen. Zwar kann ein solches Ausstattungsstück nicht Anspruch darauf machen gleich den vorerwähnten Karawanen einzig zu belehren, denn sein Hauptzweck wird immer die Unterhaltung und Belustigung sein, aber nebenbei ist ihm auch das Bestreben zu Grunde gelegt, durch möglichst naturgetreue Nachahmung und theilweise Benutzung echter Costüme und originaler Waffen und Instrumente dem Beschauer einen ungefähren Be-griff von den letzten Vorgängen an der Ostküste Afrikas zu geben.403
Abb. 53: Aus Deutsch-Ostafrika. Einzug einer Uniamwesi-Karawane in Bagamoyo. Nach einer Zeichnung von C. Weidmann. Inhalt In einem ausführlicheren Modus sei nachfolgend der Inhalt von Im dunklen Erdtheil dargestellt. Die Ausführlichkeit ist notwendig zur anschließenden Besprechung der interpiktoralen und intervisuellen Bestandteile von Ausstattungsstück und Völkerschau. Im dunklen Erdtheil. Figuren und Bilder-/Szenenfolge. (Aufstellung nach dem Manuskript. (LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Nr. Th 1525)). Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamojo) Große equestrische Original-Pantomime Tänze, Gruppirungen, Evolutionen und militärische Exercitien; arrangiert und in Scene gesetzt von Director E. Renz Tänze: Balletmeister A. Knoll, Musik: A. Cahnbley Personen Lichtblume, afrikanische Prinzessin • Gluthauge, deren vertraute Sklavin • Leichtfuß, Lichtblumes Geliebter • Stierkopf, sein Freund • Buschiri, Negerhäuptling • Favoritin • AfrikaReisender • Naturforscher • Lehrer und Missionar • deutscher 403
Erdtheil, aus dem Vorwort E. Renz‹.
MISE EN SCÈNE UND DRAMATURGIE DER BILDER | 285 Unteroffizier • alte Negerin • 2 Negerweiber • Stellungspflichtige Eingeborene • Pavian • Baggara-Neger • Afrikaner • Rekruten • Bajaderen • Zauberinnen • Priesterinnen • FetischAnbeter • Deutsche Kaufleute • Krieger • Sklaven und Sklavinnen • Infanteristen und Marinesoldaten •Schlangenbeschwörer • Medicinmänner •Kinder Bilderfolge I. Arabische Reiter-Fantasie II. Sklavenkarawane III. Flucht und Kampf IV. Schulscene V. Militärische Exercitien und Rekrutirung VI. Handelskarawane VII. Tauschhandel VIII. Affe und Krokodil IX. Kriegertanz X. Einzug d. Negerkönigs mit Gefolge XI. Großes Fest-Divertissement XII. Der Kampf um Bagamojo Apotheose
Gemäß dem Manuskript stellt die Bühne (i.e. die Manege) des Circus Renz »einen freien Platz am Meere in der Nähe eines großen Negerdorfes« dar. Im Vordergrund stehen Palmen und eine hohe Flaggenstange, ringsherum tropisches Gebüsch und hohes Gras. Im dunklen Erdtheil wird mit einem equestrischen Part eröffnet, wie er für eine Völkerschau (oder eine Buffalo Bill Show) üblich ist: Durch wildes Schreien und Rufen kündigt sich eine Schaar Araber [als] Vortrupp einer größeren Karawane [an]. Im wilden Durcheinander, bewaffnet mit langen Gewehren, jagen sie auf den Platz und führen in toller Lust eine Art Reiter-Fantasie aus.404 (Bild 1: Arabische Reiter-Fantasie) Im ersten Bild betreten Lichtblume, eine afrikanische Prinzessin, und Glutauge, ihre Sklavin, die Bühne. Lichtblume erzählt Glutauge von der Entführung ihres Geliebten und Verlobten Leichtfuß durch Araber. Ein deutscher Afrikareisender betritt die Bühne und warnt die Frauen vor einer herbeireitenden Arabertruppe. Die drei verstecken sich, und es nähert sich eine Sklavenkarawane (Bild 2). Weibliche und männliche Sklaven werden, teils gefesselt, in demütigender Weise von Arabern auf die Bühne getrieben. (Bild 3, Flucht und Kampf): Am Ende der Sklavenkarawane befinden sich Leichtfuß und Stierkopf, sein Freund, beide gefesselt und sichtlich geschwächt. Ein anderer Sklave befreit die beiden, Lichtblume rennt zu ihrem Geliebten, gefolgt von Glutauge und dem Deutschen, was einer der Antreiber bemerkt, der die Männer wieder einzufangen versucht. Ein Kampf beginnt, in dem einer der Araber getötet wird. Dennoch bleiben die Araber überlegen. In Kontrast zu dieser bewegten Szene steht die folgende Schulscene (Bild 4). Eine Frau und eine Gruppe von Kindern, die eine Tafel mitbringen, sowie ein Lehrer betreten die Bühne. Unmittelbar nach deren Auftritt erfolgt der Wech-
404
Szenenanweisung aus dem Manuskript.
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sel in Bild 5, Militärische Exercitien und Rekrutirung: Ein Trommelwirbel ertönt; eine Truppe afrikanischer Soldaten in deutschen Uniformen, angeführt von einem Trommler, zieht die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich. Die Soldaten werden von einem deutschen Offizier gedrillt und führen militärische Übungen durch. Es beginnt eine Musterung der gesamten Truppe, an der auch Leichtfuß und Stierkopf teilnehmen. Jedermann simuliert körperliche Blessuren, ohne Erfolg. Die Gruppe verlässt die Bühne. Es folgt eine Handelskarawane, bestehend aus einem berittenen Reisenden, begleitet von Baggara (Hirten) und gefolgt von einem Wagen, der mit Kisten, Werkzeugen, einem Höhenmesser und einer Fotokamera beladen ist (Bild 6, Handelskarawane). Die Karawane entschließt sich zu einer Pause. Ein Naturforscher, der den Reisenden begleitet, beginnt mit seinen Untersuchungen. Afrikanische Eingeborene, Männer, Frauen und Kinder nähern sich der Karawane und beginnen einen Tauschhandel (Bild 7). Die Tauschszene kippt ins Komische, weil die Schwarzen, betrunken vom eingetauschten Alkohol, die europäischen Waren zu benutzen versuchen. Ein Angehöriger der Handelskarawane will mit seiner Pistole die Eingeborenen in die Flucht schlagen. In der Zwischenzeit versucht der Naturforscher mit seinem Altimeter, den geographischen Standpunkt zu lokalisieren. Plötzlich erscheint im Hintergrund ein Pavian, zwischen Gebüsch und Bäumen springend, und ein ebenfalls sich näherndes Krokodil verjagend. Die Eingeborenen nähern sich der Karawane, eingeschüchtert durch den Anblick des Höhenmessers. Die Reisenden und die Kinder kommen zurück. Als der Wissenschaftler im Begriff ist, die Gruppe zu fotografieren, erscheint wiederum der Affe und will ein Kind entführen, wobei er von einem der Reisenden erschossen wird. Eine weitere Gruppe Afrikaner aus dem benachbarten Dorf kommt herbei, begleitet von Händlern. Beim Anblick des toten Affen beginnen die Afrikaner einen »typischen Siegestanz« (Bild 8, Affe und Krokodil). Diejenigen Figuren, die nicht tanzen, formieren sich um die Tänzer und begleiten den Tanz mit Musikinstrumenten (Bild 9, Kriegertanz). Die Deutschen werden über die Ankunft eines mächtigen afrikanischen Königs informiert, der sodann, ausgestattet mit exotischem und prächtigem Schmuck, auftritt. (Bild 10, Auftritt des Negerkönigs). Berittene Araber, Krieger, weibliche und männliche Sklaven, Bajaderen, Priester, Kinder, führen die Prozession des Königs an und tragen ein Götzenbildnis. Sobald sich alle auf der Bühne versammelt haben, wird der König von zwölf Sklaven auf einer Bahre herein getragen. Sein Gewicht und seine enorme Größe machen es für ihn unmöglich, sich selbst zu bewegen. Die Eingeborenen begrüßen ihren König. Dann werden der deutsche Reisende, der Forscher und die Händler dem König vorgestellt, der daraufhin anordnet, ein großes Fest vorzubereiten. (Bild 11, Großes Fest-Divertissement). Das Fest beginnt und wird sogleich wieder unterbrochen durch den Kampf um Bagamojo (Bild 12): Ein Eingeborener kündigt keulenschwingend und mit einem Kriegsschrei die Annäherung feindlicher Truppen an. Alle beantworten den Kriegsschrei und beeilen sich, ihre Besitztümer zu verstecken. Von allen Seiten nähern sich Schwarze und es beginnen gewaltsame Kämpfe. Plötzlich eilen Matrosen eines deutschen Schiffes herbei, um die Deutschen zu retten. Kanonen und Granaten explodieren. Die Deutschen schlagen die Schwarzen nieder und nehmen einige von ihnen gefangen. In der Zwischenzeit hat sich ein Kriegsschiff dem Platz genähert. Während die Matrosen die deutsche Flagge hissen, erklingt die Nationalhymne. Alle knien nieder und beten. (Apotheose)
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Bildzitate und Visualisierung von Kulturkontrasten Die beschriebenen Bilder der Pantomime gleichen inhaltlich und in der Reihenfolge den Bestandteilen einer Völkerschau. Wie in einer solchen Schau, ist auch die Dramaturgie von Im dunklen Erdtheil einer alternierenden Setzung von malerischen und spektakulären Bildern/Szenen verpflichtet: Auf eine lebhafte Kampfszene oder einen Überfall folgt ein retardierendes Moment, etwa ein Tanz, das Fest-Divertissement oder auch die Schulszene. Die aktuellen Ereignisse in Bagamoyo, der Sklavenhandel, die Karawanen und die Eingriffe der Deutschen dienen in Im dunklen Erdtheil als neuerliche Aufhänger zur Aufbereitung des Ausstattungsstücks mit der Dramaturgie einer Völkerschau. Ins Stück verarbeitet werden sie allerdings nur mehr als Bildzitate. Die Bestandteile von Renz’ Pantomime, die jeweiligen Bildzitate der und die Referenzen zur aktuellen Kolonialthematik seien nachfolgend deutlicher herausgestellt. Bemerkenswert ist hierbei, dass, abgesehen von der Demonstration der Tänze, die für eine Völkerschau charakteristischen Bestandteile in Im dunklen Erdtheil gleichzeitig zu einer gezielten Visualisierung und Inszenierung des Kulturvergleichs geformt werden. Tanz Nahe an der Integration von Tänzen in die zeitgenössischen Völkerschauen ist die Demonstration eines Tanzes, nachdem der »Afrikareisende« einen Pavian getötet hat. Die Eingeborenen formen einen Kreis um den toten Affen und führen einen »charakteristischen Siegestanz« auf. Die anderen gruppieren sich um die Tanzenden und begleiten den Tanz »auf mannigfaltigen eiligst herbeigeholten, zum Theil recht primitiven Instrumenten.«405 Die Anordnung der Nichttänzer oder der Musiker um die Tanzenden herum ist ein Kennzeichen nichtwestlicher Tänze mit sozialer und/oder ritueller Funktion. In dieser Szene ist die kreisförmige Gruppierung doppelbödig, denn der Tanz wird einerseits von den »Indigenen« gezeigt, wie er auch in den Völkerschauen als kulturspezifisch ›authentisch‹ wiedergegeben wird.406 Andererseits sind auch die Europäer Teil dieser Gruppierung und werden damit zu Zuschauern des Fremden in der Fremde. Der Modus des Zuschauens gleicht in diesem Fall dem weiter oben behandelten in situ-Modus der Völkerschau. Die Performer-Zuschauer formieren sich environmental um die tanzenden Schwarzen, ihre Blicke auf das Gezeigte werden durch die realen Zuschauer des Stückes im Circus dupliziert. Das Publikum sieht sowohl den exotischen Tanz als auch die westlichen Forscher und Beobachter, und nimmt dadurch visuell an dem Geschehen teil.
405 406
Erdtheil S. 7. Es sei hier auf das Einzelprojekt der Tanzwissenschaftlerin Claudia Jeschke, »Zur Modellierung von Fremdheit im Tanztheater des 19. Jahrhunderts« im Rahmen der DFG-Forschergruppe »Kulturelle Inszenierungen von Fremdheit im 19. Jahrhundert« hingewiesen. Jeschke beschäftigte sich in diesem Projekt mit Zuschreibungen von Fremdheit in Bewegung. Vgl. Claudia Jeschke, Helmut Zedelmaier (Hg.): Andere Körper – Fremde Bewegungen. Theatrale und öffentliche Inszenierungen von Fremdheit im 19. Jahrhundert. Münster: LIT 2005.
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Schule und Militär Ein wichtiger Bereich der missionarischen Tätigkeiten in Afrika ist die schulische und militärische Ausbildung der Bewohner. Erste staatliche Schulen werden in Kamerun 1887 eröffnet, 1891 in Togo und im Jahr 1892 in Ostafrika. Insbesondere das Missionsschulwesen expandiert rasch, wie Speitkamp 2005 erklärt: »Es ging darum, christliche Gesinnung unter Heranwachsenden zu verbreiten und diese den religiösen Einflüssen ihrer Herkunftskultur zu entziehen, einheimische Helfer für die Christianisierung heranzuziehen [und] europäische Arbeits- und Zeitdisziplin zu vermitteln […].«407 Solch edukativ motiviertes Eingreifen in die afrikanische Kultur findet sich in der angedeuteten Schulszene (Bild 4) sowie in den militärischen Übungen (Bild 5) in der Pantomime wiedergegeben. Auch in der Gestaltung dieser Szenen lassen sich bildliche Vorlagen finden, die in den späten achtziger und neunziger Jahren über die visuellen Medien vermittelt werden. Schon in der Frühzeit der deutschen Kolonisierung zählen Berichte und Darstellungen von Missionaren, welche die Bewohner der Schutzgebiete (ausgestattet mit Tafel und Staffelei) unterrichten, zum standardisierten Repertoire in der Vermittlung der deutsch-afrikanischen Unternehmungen vor Ort. In Bild 4 ist eine solche Szenerie zitiert, die für die kulturellen Eingriffe der Deutschen in Afrika steht. Neben der schulischen findet sich auch die militärische Ausbildung wiedergegeben. Wie in Stanley in Afrika gehört auch in Im dunklen Erdtheil das Exerzieren zum Repertoire der visuellen Darstellung der Kolonisierung durch deutsche Kolonialherren. Im Manuskript heißt es: Die Soldaten, große und kleine, dicke und magere Eingeborene, stecken in deutscher Uniform und werden, zum Gaudium der Jugend, von einem deutschen Unteroffizier gedrillt. Griffe werden geübt, Wendungen und Marschübungen ausgeführt und der ›langsame Schritt‹ wird natürlich nicht vergessen.408
Hier findet sich die Oktroyierung westlicher Zivilisierungsmodelle, Ordnungssysteme und Bewegungsmuster auf die fremde Kultur als unterhaltsamer Kontrast dargestellt. Die militärischen Übungen, besonders der ›langsame Schritt‹, durch die Schwarzafrikaner, werden auch hier zum Divertissement – und zum komischen Element (vgl. Abb. 50, Titelblatt des Manuskripts). 407 408
Speitkamp 2005, S. 98. Erdtheil, S. 6. Eine ähnliche Form der Komisierung der Kolonisierten in Militärkluft und der gleichzeitigen patriotischen Verherrlichung der deutschen Präsenz in den Kolonialgebieten bildet auch die Grundlage für die »schwarzweiße Kolonial-Pantomime« Kabale und Liebe in Kamerun von E. Sédouard. Die Kontraste werden im Schlussbilds dieser Pantomime mit Musik zu ornamentalen Elementen formiert: »Wauwau und Baubau [zwei schwarze Sklaven, NL], welche jeder einen preußischen Soldatenrock über ihre Kleidung gezogen und einen Helm oder eine Feldmütze aufgesetzt haben, [springen] zu den Fenstern herein, ihre Gewehre auf Schau-Teh [einen ›Negerhäuptling‹] haltend, welcher […] vor Angst zusammenbricht [während] Wacker [dt. Obermaat] hinten die deutsche Flagge durch die Fensteröffnung steckt. Baubau und Wauwau präsentieren die Gewehre. (Der Vorhang fällt.).« E. Sédouard: Kabale und Liebe in Kamerun. Schwarz-weiße Kolonial-Pantomime mit Musik in 2 Bildern. Berlin: E. Bloch 1890.
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Apparate Eine ähnliche Konfrontation des Fremden mit dem Eigenen ist der Einsatz von Medien und Apparaturen der westlichen Kultur, wie er bereits im Abschnitt über Stanley in Afrika besprochen wurde. So werden auf einem Wagen der Karawane für das Publikum sichtbar ein Theodolit (i.e. ein Höhenmesser) und ein photographischer Apparat mitgeführt. Der Naturforscher stellt seinen Theodoliten auf und erfährt von einem Mitreisenden, der die Gegend erkundet hatte, dass sie sich auf dem Weg zum »Kilima Ndscharo« und »in der Nähe des Stammes der Bushiri« befinden. Als die Eingeborenen die aufgestellten Apparate, besonders aber den Höhenmesser, erblicken, weichen sie entsetzt zurück, bis der Forscher alle Neugierigen zu einer großen Gruppe formt, um schließlich eine fotografische Aufnahme von ihnen zu machen. (Erdtheil, S. 7) Auch hier wird, wie in Stanley in Afrika, die technische Apparatur als repräsentatives Moment für den technischen (und damit hier: den kulturellen) Fortschritt benutzt, durch den Einsatz der Geräte und der unterschiedlichen Annäherung der beiden Gruppen (Deutsche und Afrikaner) deren kulturelle Differenz visualisiert. Die Integration der – zu wissenschaftlichen Dokumentationszwecken mitgeführten – Kamera in die Handlung mündet auch hier in eine fotografische Aufnahme der Gruppe durch den Forscher. Die Szene verleiht der Gruppe der Indigenen dadurch einen pittoresken Gehalt und rekurriert auf die der Zeit gemäße Archivierung der fremden Kultur als ›malerisches Moment‹.
Kampf Neben den Tänzen sind mehrere Kampfaktionen in die Bilderfolge des Stückes integriert. Wie bei den Völkerschauen auch, handelt es sich um »konsequenzverminderte« Kämpfe, die als malerische und spannungserzeugende dramaturgische Elemente Tempo in die Handlung bringen. Eine realgeschichtliche Komponente erhalten jedoch die kriegerischen Aktionen durch das Eingreifen der Deutschen, wie etwa in Bild 12: Ein auf die Bühne eilender Afrikaner meldet die Ankunft eines feindlichen Stammes mit Kriegsabsicht: Von allen Seiten schleichen sich die schwarzen Gestalten heran, und es entspinnt sich in überraschend kurzer Zeit ein äußerst hitziger Kampf. Der Sieg neigt sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite, doch unverhofft kommt den deutschen Schutzbefohlenen Hülfe. Ein deutsches Kriegsschiff wirft hart an der Küste Anker. Die Matrosen eilen herbei, und mit lautem Hurrah, begleitet von dem Donner der Kanonen und dem tosenden Crepiren der Granaten, werfen sich die braven Blaujacken auf die hinterlistigen Schwarzen, sie in kürzester Zeit besiegend und zum größten Theil gefangen nehmend.« (Erdtheil S. 8).
Den körperlichen Kämpfen der Afrikaner und der Afrikareisenden steht die Kampfausstattung der deutschen Matrosen, Granaten, Schiff und Kanonen, gegenüber. Diese Szenenbeschreibung knüpft en detail an die weiter oben besprochene illustrierte Berichterstattung über die Ereignisse in Bagamoyo an. Auch hier kann davon ausgegangen werden, dass die Zuschauer einge-
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Abb. 54: »Von der Wißmann-Expedition in Ostafrika. Nach Skizzen unseres Spezialzeichners und Berichterstatters C. Weidmann.« IZ Nr. 2406, 10. August 1889. hend über die Aufstände und ihren Verlauf sowie mittels bildlicher Darstellungen über die Schauplätze und die Ausstattung der gegnerischen Parteien unterrichtet sind. Abbildung 54 zeigt eine Zeichnung aus der IZ, welche die Erstürmung der Ostküste durch deutsche Truppen und Gehilfen wiedergibt. In Erdtheil finden sich die Angriffe analog zur Zeichnung zitiert. Die deutsche militärische Intervention wird als Sieg der »braven Blaujacken« über die »hinterlistigen Schwarzen« gefeiert, der reale Kampf um Bagamoyo folglich durch sein ›Re-Enactment‹ in Renz’ Völkerschaustück noch einmal in seiner Bedeutung forciert. Die Apotheose am Schluss verdichtet den deutschen Eingriff zu einem ornamentalen Bild voller Symbolik »[W]ährend die Matrosen auf dem Lande die von den Feinden schnöde heruntergerissene Fahne wieder hissen, intonirt die Musik die Nationalhymne, Alle beugen das Knie und senden ein Dankgebet zum Himmel […].«409 In den Völkerschauen wird die Fremdheit und »Wildheit« der Indigenen in Kämpfen und Tänzen, ihr ›heidnischer‹ Glaube an rituelle Handlungen dargestellt, die Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit soll sich in nachgestellten Überfällen auf Karawanen zeigen. Auch alltägliche, soziale Handlungen (bevorzugt die Bereitung des Essens oder das Handwerken) sind dramaturgische Bestandteile sofern – und hier kommt die unbedingte Verflochtenheit dieser Schauen mit visuellen Konventionen zum Tragen – sie pittoresk und anschaulich umsetzbar sind. Sitten und Gebräuche werden »auf spektakuläre Nummern reduziert, die überdies über keinen inneren Zusammenhang verfügten. Was der Titel der Schau versprach, wurde hier gehalten.«410 Dabei ist die Selektion der Sujets einer multiplen Sicht auf das Fremde verpflichtet: gewählt und im Bild vermittelt wird zum einen die offenkundige Alterität, zum anderen die von deutscher/europäischer Hand missionierte, aus Sicht der Kolonialherren »kultivierte« Fremde, deren Fremdheit durch das Applizieren eigener Regeln und Kategorien gleichermaßen potenziert wie minimiert wird. Die Völkerschau Afrikas, die Renz hier vorstellt, ist im Grunde die Sichtbarmachung einer von Weißen durchdrungenen und dominierten Kultur im Wandel, in der traditionelle Elemente der afrikanischen durch auferlegte Regeln und Sitten der deutschen Kultur verdrängt werden – was, der Zeit gemäß, als westlicher Erfolg und Gestus der Überlegenheit vermittelt wird. Renz bietet in Im dunklen Erdtheil eine Variante der Völkerschau an, in der
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Erdtheil S. 8. Vgl. Staehlin 1993, S. 71.
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das Fremde als unkoordiniertes Spektakel präsentiert, aber auch die Stereotypen der Deutschen in die Bilder integriert werden: in Form der geordneten, geometrisch formierten Apotheose oder der Inszenierung des geradlinigen »langsamen Schritts« im Gegensatz zum Kriegstanz der Afrikaner. Die Kontrastierung der beiden Kulturen geschieht somit auch auf der Ebene der Bildästhetik und schließlich durch den Aufbau des Stückes, der mit einer belebten Reiterszenerie beginnt und mit Andacht endet: Die Apotheose am Schluss, in der alle beteiligten Figuren vor der deutschen Flagge knien, musikalisch eingerahmt durch die Nationalhymne, unterstreicht diesen Gestus. Das Schlussbild impliziert in seiner eindeutigen Referenz auf die christliche Ikonographie der Anbetung die ›(wieder)hergestellte Ordnung‹ an der afrikanischen Ostküste, die mit dem Hissen der Flagge in Kamerun 1884 begann: In ihrer formalen Schlichtheit und ›Ruhe‹ steht sie zum Eingangsbild der Pantomime, »Arabische Reiterfantasie«, inhaltlich und bildästhetisch in Kontrast. Völkerschau und Ausstattungspantomime: dramaturgische Konvergenz Wie Eric Ames in seinen Studien zur Völkerschau in Deutschland argumentiert, reicht in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts die reine Demonstration der fremden Gruppen nicht mehr als Attraktion aus, weshalb die Impresarios, allen voran Carl Hagenbeck, der Darstellung der fremden Kultur ein narratives Muster beigeben oder die Präsentation des ›Anderen‹ wie ein Varietéprogramm gestalten. Melodramatische Muster, Überfälle, Kämpfe und Konflikte zwischen Parteien, Abfolgen von Tänzen, Musik und Akrobatik vermitteln nunmehr die fremde Kultur durch performative Konventionen der eigenen Kultur.411 Im dunklen Erdtheil verfolgt den umgekehrten Weg und integriert die dramaturgischen Elemente der visuellen Darstellungsform Völkerschau in das theatrale Format der Pantomime, die sich durch reiche Ausstattung und zeitpolitischen Bezug auszeichnet. Diese Transformation des Darstellungs- und Wahrnehmungsmodus der Völkerschau liest sich als ein Beleg dafür, dass die Völkerschau durch die Einführung neuer Medien wie der Kinematographie nicht gänzlich »verschwindet«, wie u.a. Hilke Thode-Arora behauptet,412 sondern von anderen visuellen, theatralen Formaten adaptiert wird. Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass das Modell der Völkerschau auch zur Demonstration der eigenen, i.e. deutschen Kultur (und deren »Überlegenheit« nach damaligem Verständnis) instrumentalisiert wird. Gelten die Völkerschauen als Formen des in situDisplays der fremden Kultur, so bringt Renz in seine Pantomime Momente des in context-Display, in denen sich afrikanische und deutsche Kulturgepflogenheiten begegnen, und die den unmittelbaren Vergleich zweier Kulturen auf der Grundlage eines Themas (Kampf, Bildung, (technischer) Fortschritt etc.) und aus westlicher Sicht zumindest visuell möglich macht: In einer Legierung zweier Formate zum ›ethnographischen Schaustück.‹413
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Vgl. Ames 2004. Vgl. Thode-Arora 1989. Als »ethnographische Schaustücke« bezeichnet Dellé auch die szenischen Umsetzungen von Die Reise um die Welt in 80 Tagen und Die Kinder des Kapitän Grant von Jules Verne und Adolphe d’Ennery. Dellé 1952, S. 171.
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Interpiktoralität und Intervisualität: Zur Dramaturgie der ›Fremden-Bilder‹ Die Faszination der deutschen Zuschauer für heterogene Darbietungsformen afrikanischer Fremdheit bleibt bis um die Jahrhundertwende ungebrochen. Durch die imperialen Bestrebungen des Deutschen Reiches seit den achtziger Jahren bekommt die bildliche Erfassung der Welt beziehungsweise die Erfassung der Welt durch ihre Bilder, wie sie im Vorangegangenen erläutert wurde, eine neue Dimension. Die Tätigkeiten in den afrikanischen Kolonien fokussieren das geographische Interesse weiter Teile der Gesellschaft auf die Schutzgebiete, ihre Landschaft und Kultur, und es wächst das Interesse an und die Anzahl der die Fremde wiedergebenden Bilder. Illustrierte Berichte aus den Kolonialgebieten in Zeitungen, Berichte der geographischen und ethnographischen Gesellschaften oder Reporte der Forschungsreisenden informieren die deutsche Bevölkerung über die politischen Ereignisse, kolonialen Errungenschaften, geographischen und kulturellen Besonderheiten Afrikas. In der Beschreibung alles ›Fremden und Befremdlichen‹ bewahren die Bildmedien neben der vermeintlichen Aufklärung mit dokumentarischem Stempel auch Unverständnis, Faszination und Schauder für den dunklen Kontinent. Dabei geht es sowohl um eine malerische Darstellung des Fremden als auch um eine Inszenierung der Kolonialherren, Forschungsreisenden und Kaufleute als ›Abenteurer‹. Die reale Kolonialpolitik wird umgeformt in abenteuerliche Geschichten mit Fokussierung der ›pittoresken‹ Fremdheit. Hinzu tritt verstärkt die Nutzbarmachung der Einrichtungen visueller Kultur für die Kolonialpolitik. In vielfältiger Form werden Bildmedien und visuelle Institutionen eingesetzt, um über die Kolonialgebiete in Afrika (und Samoa) zu informieren, die deutschen Unternehmungen ebenda zu legitimieren und um kulturelle Unterschiede zu visualisieren.
Multivisualität: Fremdheit in Bildmedien und Ausstattungsstücken Die Popularität des ›dunklen Kontinents‹ in der Alltagskultur des deutschen Reichs nimmt mit der kolonialen Ausdehnung zu. Koloniale Belletristik414 und unterschiedliche Formen ästhetischer Repräsentation tragen zur geheimnisvollen Verklärung afrikanischer Bewohner und Kultur und gleichzeitig zur ›Dokumentation‹ der deutschen Tätigkeiten vor Ort bei. Stanley in Afrika antwortet auf den seit der Jahrhundertmitte gängigen Bühnenexotismus der Grand Opéras und Ausstattungsstücke und verwebt zeitgenössische Medien, ihre Produktion und Rezeption direkt und indirekt in die Handlung des Stückes. Die Zitation von Aspekten der europäischen/deutschen visuellen Kultur dient zur Inszenierung eines Kulturvergleichs.415 Sie belegt die Interferenz von Theater und visueller Kultur auch am Beispiel der Darstellung des afri414
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Speitkamp nennt als Autoren etwa Frieda von Bülow, die 1886 den Deutschen Frauenverein zur Krankenpflege in den Kolonien gründete und zwischen 1889 und 1899 in Reiseberichten, Romanen und Erzählungen von ihren missionarischen Tätigkeiten in den Schutzgebieten berichtet; oder den Roman des Pfarrers Gustav Frenssen, Peter Moors Fahrt nach Südwest. Speitkamp 2005, S. 143. Goldmann 1987, S. 93.
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kanisch Fremden und gibt Einblick in den Wahrnehmungshorizont, das ›kollektive Bildgedächtnis‹ und die visuelle Kompetenz (verstanden als »literacy«) der zeitgenössischen Zuschauer. Der Erfolg der Ausstattungsstücke ist im Hinblick auf den Einsatz visueller Mittel und ihrer strukturellen Besonderheit als Bilderfolgen nicht ohne die zuvor beschriebene visuelle Kultur und ihre Einzelmedien zu denken: Panoramen, Dioramen, Illustrationen in Magazinen, Bild-Postkarten und Fotografien, die afrikanische Landschaften, Bewohner oder kulturelle Praktiken abbilden, begleiten, ergänzen und beleihen die Ausstattung der Bühne und ihre Dramaturgie. Die Repräsentationen Afrikas durch die Medien und Institutionen der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts zielen – auch in ihrer zeitnahen Reaktion auf aktuelle Ereignisse – darauf, dem deutschen Publikum die Geschehnisse im fernen ›dunklen Kontinent‹ näher zu bringen, und gleichzeitig dem Wunsch nach visueller Vielfalt und Unterhaltung zu begegnen. Aktualität und Multivisualität der Bühnen – verstanden als Vielfalt der Darstellungsmittel, Quantität der Ausstattungsmittel und Bildverweise –, eignen sich als auch pekuniäre Erfolgsgaranten, welche die Privatbühnen in ihren Programmen zu berücksichtigen haben (vgl. Kap. 2). Sight-Seeing: Schauplätze des Fremden als szenische Bilder Die Bilder/Szenen des Ausstattungsstücks Stanley in Afrika folgen der Direktive des Pittoresken, des ›Sehens-Werten‹. Bereits in der schriftlichen Vorlage durch den Journalisten und Forscher Henry Morton Stanley als ›pittoresk‹, weil abenteuerlich und ›fremd‹ erfasste Schauplätze und Kulturbegegnungen werden auch in der theatralen Adaption des Stanley-Stoffes übernommen. Wie Susan Sontag für die Fotografie festgehalten hat, ließen sich die europäischen Fotografen »weitgehend von der Vorstellung des Pittoresken (d.h. des Armseligen, des Fremdartigen und des Antiquierten)« lenken (vgl. Kap. 1).416 Dies gilt für die Strategien der Motivselektion der Zeichner analog. Die Zuschauer von Stanley in Afrika lernen durch den Blick der Zeichnerin Kitty Tinney den ›Bildwert‹ der fremden Körper und Kultur einzuschätzen oder erhalten durch Kittys Kommentare eine Bestätigung ihres Verständnisses vom ›Sehens-Werten‹. Der Begriff des ›sight-seeing‹, verstanden als Anschauen von ausgewiesenen Sehens-Würdigkeiten, taucht erstmals um 1850 auf.417 Was als »sehens-wert« erachtet wird, beruht auf einer tradierten Schulung des ästhetischen und später des touristischen Blickes: Schon vor dem 19. Jahrhundert werden die Blicke der Reisenden von vornherein durch bildliche Darstellungen auf optimale Ansichten ›trainiert‹. Der reale Akt des Betrachtens ist dann nur mehr eine Bestätigung des verinnerlichten Bildes, seine Anagnorisis. So ist bekannt, dass vor 1800 Zeichner die Camera obscura als Hilfsmedium für eine perspektivisch genaue Wiedergabe der Landstriche benutzten –, die sie durch das Gerät gleichzeitig optisch rahmen. Es entwickelt sich innerhalb der Landschaftsmalerei ein Kanon heraus, der prä-selektiert, was sehenswert und pittoresk sei. Kitty Tinney hat diese Konventionen qua Profession verinnerlicht und diktiert die Blicke auf das Sehenswerte im ›dunklen Kontinent‹. In den Worten Barbara Kirshenblatt-Gimbletts: »The passion for close visual 416 417
Sontag 1999, S. 65. Vgl. Kloos/Reuter 1980 S. 24. Sie datieren die Einführung des Begriffs auf 1847.
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observation on the spot had transformed how landscapes were experienced and described during the eighteenth century […]«418 Der pittoreske Schauplatz (»sight«) wird der Sehens-Würdigkeit und schließlich seiner künstlerischen und technischen Reproduktion äquivalent. Heraus kommt eine Enzyklopädie der Welt, oder, um einen Terminus von Aby Warburg zu bemühen, ein »Bilderatlas« ferner Regionen und Kulturen. Innere und äußere Bilder des Fremden manifestieren sich in Literatur, Kunst und Theater zu stereotypen Bildformeln. Die Landschaften und Bewohner anderer Kulturen scheinen durch den Konsum ihrer Bilder visuell objektiviert oder zu einer spektakulären Szenerie konvertiert. Hinter der vermeintlichen Verfügungsmacht über die Welt als Bildersammlung verbirgt sich folglich die Direktion des Blicks auf die Welt durch Strategien der Selektion und Aufbereitung, welche auch die Medien und Institutionen der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts trotz ihrer technischen Unterschiede eint. Der Reisende – auch Henry Morton Stanley, der Skizzen zu seinen Berichten anfertigte – bewegt sich auf den Spuren bereits gefestigter und illustrierter Sehenswürdigkeiten, will sie wiedererkennen und bestätigt wissen. In summa sind die Erfahrungen der Europäer mit dem (ethnisch) Fremden immer nur vermittelte Bilder und damit Erfahrungen »aus zweiter oder dritter Hand«. Die bildliche Erfassung der Welt suggeriert die Möglichkeit, die Welt durch ihre Bilder zu erfassen. ›Gelegenheiten zum Bild‹ als dramaturgischer ›Fahrplan‹ Tom Holert analysiert in seinem Aufsatz Bildfähigkeiten so genannte »Photo ops (= opportunities)«, ›Gelegenheiten zum Bild‹ also, die sich, wie er erklärt, Politiker auf ihren Staatsreisen in ferne Regionen zunutze machen, um sich als weltoffen zu inszenieren. Holert geht sogar so weit zu behaupten, die Reisen seien gleichsam nach solchen »photo ops« geplant.419 Dies beeinflusse entscheidend die Strukturierung von Bewegung und den Ablauf der Reise. Eine vergleichbare Orientierung an der bildlichen Wirkung lässt sich auch für die Bilderfolge in Stanley in Afrika und Im dunklen Erdtheil ausmachen. Auch hier bestimmen die »photo«, oder, weniger fotografiespezifisch formuliert, die ›picture ops‹ die Dramaturgie der Ausstattungsstücke/Pantomime als szenische Reisesurrogate. Die Stationen einer nachzuahmenden Reise geben die Struktur der Stücke und medialen Bildserien vor, Bewegung wird durch den häufigen Wechsel der Bilder simuliert. Die Reise wird zum eigentlichen Zweck der Handlung, diese nur durch den Wechsel der Schauplätze/Sehenswürdigkeiten/Bilder motiviert. Die Tourismusmode und das verbreitete Interesse an fernen Ländern werden im späten 19. Jahrhundert in zahlreiche Ausstattungsstücke integriert, indem die Reise als narratives Modell adaptiert wird. Die Exotik der Schauplätze und die Stationen der Reise legitimieren den szenischen Ausstattungsaufwand und Wechsel der Szenen. Die Motivation der Handlung verdankt sich allein der ›Dramaturgie‹ der Reise und den ›Gelegenheiten zum Bild‹. Dieses dramaturgische und Wahrnehmungsmuster einer Reise erweist sich über mediale Grenzen hinausgehend 418 419
Kirshenblatt-Gimblett 1998, S. 43. Tom Holert: »Bildfähigkeiten. Visuelle Kultur, Repräsentationskritik und Politik der Sichtbarkeit«, in: Ders. 2000, S. 14-38, hier S. 25. Holert zeigt dies am konkreten Beispiel von Bill Clintons Besuch in Indien im Jahr 2000.
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als konstant. Auch in Bezug auf die Panoramen und Dioramen wurde die Simulation von Bewegung qua Bildwechsel beschrieben (Kap. 1), später wird sie durch die kinematographischen Vorführungen und den Film adaptiert. In Bezug auf die Bilderserien der Deutschen Kolonialgesellschaft 1901 etwa beschreibt Fuhrmann am Beispiel des mit 68 Bildern versehenen Vortrags Eine Wanderung durch unsere Kolonien, das Publikum werde »auf eine ›Rundreise‹ mitgenommen. Von Hamburg ausgehend werden mit dem Dampfer alle Kolonien besucht, um ›den Wissensdurst des Zuschauers zu stillen‹.«420
Interpiktoralität: Wanderung von Bildideen des ethnisch Distinkten Die mehrfach erwähnte Doppelwirkung der Medien, Dokumentation und Illusionierung, zeigt sich am Beispiel der Repräsentationen des Fremden besonders deutlich. Hierbei ist wesentlich, dass diese ›Repräsentationen‹ stets unter Zuhilfenahme inszenatorischer Mittel, den Zugriff auf Konventionen bildkünstlerischer und -ästhetischer Darstellung sowie durch die Wiederholung und Zirkulation von Stereotypen und Bildformeln das Fremde darstellen und konzipieren. Aby Warburgs Modell der Bilderwanderung, der zufolge bestimmte Bildstereotypen und Topoi in unterschiedlicher Form in der bildenden Kunst redundant sind, lässt sich auch auf die im Vorangegangenen beschriebenen Verfahren der visuellen Wiedergabe des (afrikanisch) Fremden applizieren. Die genannten Medien und Einrichtungen visueller Unterhaltung und Information – Panorama, Diorama, illustrierte Zeitung, Werbung, Panoptikum, Weltausstellung, Völkerschau –, speisen das Bildvokabular der theatralen Darbietungen. Die Reproduzierbarkeit und wachsende Verfügbarkeit der genannten Medien etablieren und perpetuieren ein piktorales Vokabular afrikanischer Kultur, angereichert mit westlichen Blicken, Ideologien und Bewertungsmaßstäben, und tragen zur Stabilisierung einer westlichen Ikonographie Afrikas bei. Die Redundanz einmal etablierter Stereotypen der Darstellung des Fremden in unterschiedlichen Medien – durch die Wanderung der ›Bildideen vom Fremden‹, so lässt sich formulieren – perpetuiert und zementiert diese. Wie am Beispiel der Kriegsthematik, lässt sich auch am Beispiel von Stanley in Afrika und Im dunklen Erdtheil der Bezug von Theater zur visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts aufzeigen: Theater bezieht direkt und indirekt Bilder des afrikanisch Fremden, die gleichzeitig in unterschiedlichen Medien zirkulieren, in die Mise en scène und Dramaturgie ein. Als Institution visueller Unterhaltung fungiert Theater somit als weiterer Multiplikator reproduzierter Bilder. Für eine solche Transformation von Bildmotiven und -mustern eines Mediums/einer visuellen Institution in ein anderes/eine andere wurde bereits an anderer Stelle dieser Untersuchung der Begriff der Interpiktoralität eingeführt. Dieser Begriff ist auch hinsichtlich der Produktion und Zirkulation von externen und internen Bildern des Fremden nutzbar. Durch die wiederholte visuelle Perzeption dieser Bilder festigen sich die Ansichten vom Fremden und die Blicke auf die fremde (und eigene) Kultur auch beim Betrachter. Die auf Schaueffekte, auf Spektakel angelegten Aufführungen etwa von Im dunklen Erdteil oder Stanley in Afrika schöpfen aus 420
Fuhrmann 1999, S. 103.
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dem bereits vorhandenen Bildarsenal zu fremden Kulturen und setzen es dramaturgisch bewusst ein: Indem hier auf die zirkulierenden Bilder und deren Botschaften rekurriert wird, bedarf die Handlung keiner oder nur geringfügiger sprachlicher Ergänzung: Die Apperzeptionsleistung der Zuschauer funktioniert idealiter unmittelbar durch die Fähigkeit, Bilder zu lesen oder, mit Hilfe des individuellen oder kollektiven kulturspezifischen Bildarchivs, Bilder wieder zu erkennen. »Sinnliche Schaueffekte« wie Licht, Musik oder Tanz sind (auch emotive) Ergänzungen zur Forcierung.
Intervisualität: Varietät visueller Modi und visuellkulturelle Kompetenz Der im Vorangegangenen auch für die visuelle Repräsentation des Fremden erprobte Begriff der Interpiktoralität zur Bezeichnung der Transformation von einem Bildthema in unterschiedliche Medien lässt sich durch den Begriff der Intervisualität ergänzen. Die Besprechung der beiden theatralen Inszenierungen des Fremden hat gezeigt, dass sich Intervisualität gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Referenzen manifestiert, wobei dem Betrachter stets eine entscheidende Entschlüsselungsfunktion obliegt. Intervisualität besteht in der Übernahme visueller Darstellungsstrategien und Wahrnehmungsweisen eines Bildmediums oder einer Institution des Visuellen durch ein anderes Medium/Institution. Die Demonstration des afrikanisch Fremden für das deutsche Publikum vollzieht sich in unterschiedlichen Medien mit unterschiedlichen Darstellungs- und Wahrnehmungskonventionen. In den Theaterversionen Stanley in Afrika und Im dunklen Erdtheil fusionieren Medienzitate und -konventionen der Zeit. Diese Fusion ist auf eine visuelle, beziehungsweise visuellkulturelle Kompetenz der zeitgenössischen Zuschauer angewiesen, das heißt die Kenntnis der Medien und Institutionen der visuellen Kultur, aber auch ihrer Bilder und Wahrnehmungsmodi. In Im dunklen Erdtheil findet sich auf dramaturgischer Ebene eine Spielart von Intervisualität und damit der Interferenz von Theater und visueller Kultur. Renz adaptiert Darstellungsmodus und Dramaturgie der Völkerschau für die Umsetzung seiner Ausstattungspantomime mit Zeitbezug. Darstellungsmodus der Völkerschau – als Reihung von spektakulären, die fremde Kultur ›repräsentierenden‹ Bildern und die Bestandteile einer Pantomime, zu der neben den aktuellen Referenzen auch Bildformate wie die Apotheose und Ballette gehören, konvergieren zu einem ethnographischen Schaustück. Die räumliche Anordnung der kreisförmigen Manege imitiert den Modus des in situ-Displays und der environmentalen Anordnung der Zuschauer einer Völkerschau. Interpiktoralität und Intervisualität spielen in den Darstellungen des afrikanisch Fremden zusammen. Zum Begreifen der besprochenen Stücke sind keine Literaturkenntnisse erforderlich, vielmehr machen visuellkulturelles Wissen und Kompetenz den Erfolg der Stücke aus. Die Dramaturgie der Bilder ›funktioniert‹ nur durch die Wiederholung der Bilder in unterschiedlichen Bildmedien und Institutionen des Visuellen sowie durch die Betrachtung, mentale Aktivierung und Ergänzung durch die Zuschauer.
ZUSAMMENFASSUNG Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kristallisiert sich in Deutschland eine visuelle Kultur heraus, bestimmt durch heterogene Bildmedien und Institutionen visueller Unterhaltung und Information, wie sie in dieser Studie vorgestellt wurden: Panorama, Diorama, Fotografie, Stereoskopie, Kaiserpanorama, Passage, Projektionsmedien, illustrierte Zeitungen, Museen, Völkerschauen sowie Plakate dienen gleichermaßen der Unterhaltung wie der Information, tangieren die Kunstproduktion und durchdringen die Alltagskultur, schüren und beantworten die ›Schaulust‹, das Interesse weiter Teile der Bevölkerung an visuellen Darstellungen. Die Vielfalt der die visuelle Kultur des 19. Jahrhunderts konstituierenden Medien und Institutionen ist eine synchrone: Ältere Medien werden nicht durch neuere verdrängt, sondern stehen mit diesen im Austausch. Zu den Kennzeichen der visuellen Kultur gehören eine permanente Überlagerung, Hybridisierung und Wechselwirkung der Einzelmedien in Bezug auf Produktion, Rezeption und Distribution. Visuelle Kultur ist variabel und dynamisch. Als Konstanten lassen sich der Tausch, die Aneignung und das Angebot von Medien, Sehweisen und piktoralen Mustern festhalten, die Publikumsbedürfnisse befriedigen und auf eine flexible visuellkulturelle Kompetenz der Betrachter setzen. Theater in Deutschland wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr von den genannten Einrichtungen visueller Kultur flankiert und teilt deren Publikum. Die Ausdifferenzierung der visuellen Kultur entspricht der Diversifizierung von Theater. Es reagiert auf die Innovationen im Bereich visueller Information und Unterhaltung und fungiert selbst als eine weitere wesentliche Institution des Visuellen, agiert als Multiplikator reproduzierter Bilder. In Bezug auf die Wechselwirkung von Theater und anderen Künsten in England im 19. Jahrhundert hat Martin Meisel argumentiert, dass nicht nur die Mise en scène, sondern auch die Dramaturgie, insbesondere des Melodramas, ›piktoral‹ genannt werden könne. Im deutschen Theater der zweiten Jahrhunderthälfte lassen sich Interferenzen von Theater, Kunst und visuellen Medien und Institutionen beobachten, die sich sowohl auf die Mise en scène als auch auf die Dramaturgie heterogener Theaterformate auswirken. ›Piktoral-Dramaturgie‹ lässt sich im deutschen Theater des 19. Jahrhunderts als Produkt eines Austauschs von Theater und visueller Kultur verstehen. Das Ziel dieser Untersuchung bestand in einer konkreten Beschreibung und Benennung dieses Austauschs. Auf der Basis heterogenen Quellenmaterials, unter einer engen Berücksichtigung des historischen Kontexts und anhand von Beispielen der Medien- und Theaterbilder vom Deutsch-Französischen Krieg, der deutschen Geschichte sowie der visuellen Repräsentation von Fremdheit wurde dieser Beziehung nachgegangen. Aufgrund der Bespre-
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chung der Beispiele und ihrer dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten ließen sich Begriffe ableiten, die verschiedene Spielarten der Wechselwirkung von Theater und visueller Kultur konkretisieren helfen: Die Begriffe ›Multivisualität‹, ›Interpiktoralität‹ und ›Intervisualität‹ lassen sich generaliter zur Benennung der Interdependenz von Theater und visueller Kultur verwenden. Theater und visuelle Kultur zwischen den sechziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts kennzeichnet eine ›Bildervielfalt‹ und eine ›Schauvielfalt‹, die sich als Multivisualität fassen lässt. Signifikant ist die Häufung des Bildbegriffs zur Benennung und Klassifizierung von Stücktexten und Aufführungsformaten. Er bewegt sich zwischen dem traditionellen theaterästhetischen und dem Vokabular der bildenden Kunst und greift Varianten des Bildes auf, die zeitgleich in anderen Medien der visuellen Kultur begegnen. Ein Bild im Theater kann die Bühne meinen, die Szene als strukturelle Einheit eines Theatertextes oder einer Aufführung. Als Tableau oder Tableau vivant können Bilder zu eigenen Darbietungsformen werden. Bildkünstlerische Bezeichnungen wie ›Sittengemälde‹ oder ›Historienbild‹ klassifizieren und wirken wahrnehmungslenkend. Es wurde gezeigt, dass sich das, was ›ein Bild‹ ist, in Abhängigkeit von der visuellen Kultur, den vorherrschenden Darstellungsprinzipien und Bildtechniken wandelt. Die Bestimmung eines Bildbegriffes ist folglich nur kultur- und zeitbezogen möglich. Die Vielfalt der Theaterbilder trifft auf eine optische Varietät in den Theaterprogrammen. Vermehrt werden Medien und Phänomene der visuellen Kultur in einzelne Aufführungen oder auch in den Ablauf eines Theaterabends eingeflochten. Entweder als unterstützende Medien zur Erhöhung der szenischen Illusion, oder als eigenständige divertierende Programmpunkte. Interpiktoralität benennt die Transformation eines Bildmotivs/Bildmusters, die Zirkulation oder Wanderung von Bildern zwischen unterschiedlichen Medien und Institutionen. Die Wiederholung der Bildmuster ist wesentlich, um Ereignisse dauerhaft zu erinnern, und um ideologische Botschaften und kulturelle Unterschiede zu visualisieren. Die (szenische/mediale) ›Rückübersetzung‹ der Ereignisse ins Bild wird zum Stellvertreter der Vorgänge, angereichert mit ästhetischen Mitteln der Inszenierung. Die Anagnorisis von Bild-Themen und Topoi, aber auch von hinter dem sichtbaren Bild liegenden Ereignissen und Ideen, welche das Bild bündelt, geschieht unabhängig vom Medium. Für die Dramaturgie der Bilder ist die Fähigkeit des Betrachters, Bildmuster und -inhalte wiederzuerkennen, wesentlich. Mediengeschichtlich gesehen, bietet sich das Prinzip Interpiktoralität verstanden als Wiederholung immergleicher Bildmuster und -kompositionen zur Erprobung neuer Illusions- und Reproduktionstechniken an. Die Konstanz der Bildmuster durchläuft eine Varianz von Darstellungstechniken. Theater nimmt Bilder, Darstellungsprinzipien und Rezeptionsformen anderer Medien und Institutionen auf, adaptiert sie und formt sie um. Intervisualität – von Mirzoeff als »interdependent modes of visuality«1 beschrieben – lässt sich als eine spezifische Art von Intermedialität der visuellen Medien und Institutionen bezeichnen, verstanden als Transformation von Darstellungs1
Mirzoeff 2002, S. 209.
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und Wahrnehmungskonventionen zwischen den Medien, die sich, wie am Beispiel der Ausstattungspantomime Im dunklen Erdtheil gezeigt, auch in Form einer dramaturgischen Konvergenz niederschlagen kann. Auch diese Fusion bedarf einer visuellen, beziehungsweise visuellkulturellen Kompetenz der zeitgenössischen Zuschauer, i.e. die Kenntnis der Medien und Institutionen der visuellen Kultur, ihrer Bilder und Wahrnehmungsmodi. Es zeigt sich, dass sowohl die Medien und Institutionen der visuellen Kultur, Theater eingeschlossen, gekennzeichnet sind durch einen synchron wie diachron funktionierenden Verweisungszusammenhang zwischen Konventionen der Bildkunst, der Bildästhetik einerseits und den neuen Techniken der Produktion und Reproduktion von Bildern andererseits. Die traditionalen Grenzziehungen zwischen ›elitärer‹ und ›populärer‹ Kunst und Kultur werden in der Theorie aufrecht erhalten, während sie in der Praxis obsolet werden. Zur gleichen Zeit, in der die Ästhetik des deutschen Dramas Gegenstand zahlreicher theoretischer Schriften ist, orientiert sich die Theaterpraxis an ökonomischen Richtlinien, an aktuellen Themen auch der Populärkultur und an den Wirkungsgesetzen bildlicher Darstellung in unterschiedlicher Form. Gründe hierfür sind die Kommodifikation von Theater nach Einführung der Gewerbefreiheit 1869 und die Verdichtung der visuellen Kultur zur gleichen Zeit. Die intensiv geführten Diskussionen um die ›Theaterfrage‹, ›Theaterkalamität‹, ›Theaterkrisis‹ liefern als Quellenmaterial wertvolle Hinweise zur Theaterpraxis und zum Idealbild von Theater der Zeit. In eine ›Krise‹ gerät Theater jedoch nur aus der Sicht derer, die ein Unbehagen gegenüber der zunehmenden Bedeutung von Bildern und visueller Unterhaltung hegen. Fragen des Bildes werden innerhalb des kritischen Diskurses um die ideale Beschaffenheit von Drama und Theater gerade wegen der schichtenübergreifenden Prominenz und Wirkkraft der Bilder virulent. Visuelle Zerstreuung der populären Unterhaltungen und Kontemplation von Kunst werden in der Kritik als Gegenspieler angesehen. Dem Übermaß an unkonzentrierten, diskontinuierlichen Betrachtungsweisen und visuellem Konsum wird das Ideal des versunkenen Anschauens gegenübergestellt. Die optische Vielfalt in visueller Kultur und Theater befriedigt und evoziert indessen Möglichkeiten des Sehens, die konträr zum Ideal der versunkenen Rezeption und einer Theaterästhetik stehen, die Visualität unter den Logos stellt. Die beschriebenen Theater und Medien der Bilder im untersuchten Zeitraum sind sozial integrativ. Die Diskussion um Zerstreuung oder Aufmerksamkeit als unvereinbare Gegensätze unterminiert deren veränderliche Qualitäten und übersieht die neuen Anforderungen an den Betrachter, dem eine andere Form der Konzentration bzw. ein anderes Wissen abverlangt wird: Der Zuschauer braucht zum Zugang und Verständnis von Theater kein literarisches Wissen, sondern internalisiertes Bildwissen und eine visuellkulturelle Kompetenz. Das Zusammenspiel von Theater und visueller Kultur im 19. Jahrhundert ist charakterisiert durch Multivisualität, Interpiktoralität und Intervisualität. Die Dramaturgie der (Theater-)Bilder ist durch dieses Zusammenspiel im zeithistorischen Kontext und das Interesse der Zuschauer an bildlicher Information und Unterhaltung geprägt.
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»Spectacle […] grew […] not from theatre alone but also from society, culture, and the pictorial arts,«2 so hat Michael R. Booth in Bezug auf das viktorianische Theater der zweiten Jahrhunderthälfte formuliert. Für das deutsche Theater dieser Zeit gilt dies analog. Wenn auch Theater nicht der alleinige Ausgangspunkt für das Interesse am Visuellen generell ist, so kann abschließend aufgrund der vorangegangenen Ausführungen formuliert werden, dass Theater für sämtliche Elemente und Institutionen der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts (1869-1899) zum Experimentierfeld wird, auf dem Bilder, Medien, Sehweisen und piktorale Muster getauscht, angeeignet und angeboten werden.
2
Booth 1981, S. ix.
A NHANG
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Ausst.-Kat. Ausstellungskatalog AvW 1993 Anton von Werner. Geschichte in Bildern. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Berlin Museums und des Deutschen Historischen Museums Berlin, Zeughaus (7. Mai bis 27. Juli 1993). Hg. von Dominik BARTMANN. München: Hirmer 1993. Der Bär Der Bär. Illustrierte Wochenschrift für die Geschichte Berlins und der Mark. BIZ Berliner Illustri(e)rte Zeitung BPK Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Dt. IZ Deutsche Illustrierte Zeitung Dt. Th.-Album: Deutsches Theater-Album GL Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt Inv.-Nr. Inventar-Nummer IZ Illustrirte Zeitung Königl. Privil. (Berl.) Ztg. Königlich Privilegirte (Berlinische) Zeitung LA B, A Pr Br Rep 030 … Landesarchiv Berlin. Akten des Pr.[eußisch] – Br.[andenburgischen] Rep. [ositums]; [interne Abkürzung des Landesarchivs Berlin] Recensionen Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik.
304 | ANHANG
Stiftung Stadtmus. B. Th. u. d. a. Stiftung Stadtmuseum Berlin, Abteilung Theater und documenta artistica. SPK Sammlung Preußischer Kulturbesitz Berlin StaBi Berlin Staatsbibliothek Berlin vorh. vorhanden Voss. Ztg. Vossische Zeitung
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1 Tagesbefehl vom 12. Mai 1875. Abtheilung I: Gruppe D:/:Theater:/Betrifft: Einsendung der Theaterstücke und Lieder zur Censirung in 2 Exemplaren. (LA B A Pr. Br. Rep. 030 Nr. Th 3) Abb. 2 Die Kaiserstadt aus der Vogelschau. Nach der Natur aufgenommen von Adolf Eltzner. (GL 19. Jg., Nr. 28, 1871, S. 464f.) Abb. 3 Vergnügungs-Etablissements und Sehenswürdigkeiten. Anzeigenseite der Berliner Theater-Welt und Concert-Zeitung, 22. Jg., Nr. 132, 13. Mai 1897. (Stiftung Stadtmus. B.) Abb. 4 Optische Apparate. Anzeigenseite der IZ Nr. 2359 vom 13.April 1893. Abb. 5 Die Hohenzollerngalerie, das neue Panoramagebäude nahe der MoltkeBrücke in Berlin. (BPK) Abb. 6 Hôtel de Russie. Risley’s Grosses bewegliches Original-Panorama des Mississippi-Flusses. Enthaltend 4000 Meilen von Amerika, in drei grossen Abtheilungen. (Stiftung Stadtmus. B.) Abb. 7 Theater der Urania. Darstellung einer Sonnenfinsternis. (BPK) Abb. 8 Fächerbilder der Darsteller des Berliner Victoria-Theaters anlässlich der 200. Vorstellung von Stanley in Afrika 1890. Lichtdruck: Dr. Mertens & Cie, Berlin. (Stiftung Stadtmus. B.; Repro: Friedhelm Hoffmann)
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Abb. 9 Les Huguenots. Le Refus. Stereobild zur Grand Opéra. Aus der Bildserie Les Théâtres des Paris von Adolphe Block (B.K.). (Stadtmuseum München, Fotoabteilung) Abb. 10 Titelseite der Beilage zur IZ Nr. 1371, 9. Oktober 1869. Abb. 11 Die Passage an der Ecke der Friedrichs- und Behrenstraße in Berlin. Nach einer Originalzeichnung von Professor Doepler in Berlin. (GL, 22. Jg, Nr. 48, 1874) Abb. 12 »Gruss aus Castans Panoptikum«. Postkarte mit Ausschnitten aus den Ausstellungen. Um 1900. (SPK, St 140) Abb. 13 Eingang zur Kaisergalerie (Passage) an der Friedrichstraße, Ecke Behrenstraß, mit Werbung für das Passage-Panoptikum. (BPK) Abb. 14 August Fuhrmanns Kaiser-Panorama (DHM, Sammlung Senf) Abb. 15 Der industrielle Vorhang im Kroll-Theater (1872) Holzstich nach einer Zeichnung von L. Loeffler 1872. (BPK, St 133a) Abb. 16 Henry de Vry’s Galerie lebender Bilder. Programm des Wintergartens vom 11. März 1894. (Stiftung Stadtmus. B.; Repro: Friedhelm Hoffmann) Abb. 17 Apotheose der Féerie Cendrillon. Einzelbild der Stereo-Serie Les Théâtres de Paris von Adolphe Block (B.K.). (Stadtmuseum München, Fotoabteilung) Abb. 18 Eintausend Sujets zu lebenden Bildern und Anleitung zu deren Darstellung von Edmund Wallner. Titelseite der Buchausgabe von 1895. (StaBi Berlin/BPK) Abb. 19 Programm des Volks-Theaters Charlottenburg vom 21. März 1871. (StaBi Berlin, Theaterzettel-Sammlung)
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Abb. 20 Programm des Theaters in Stolp vom 6. Juni 1871. (StaBi Berlin, Theaterzettel-Sammlung) Abb. 21 Seebad Helgoland im Circus Renz. Große hydrologische AusstattungsPantomime in 2 Abtheilungen. Arrangirt und in Scene gesetzt von Director E. Renz. Titelblatt des beim Königlichen Polizeipräsidium eingereichten Zensurexemplars. (LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74 Nr. Th 1535) Abb. 22 Die Ausschmückung des Denkmals Friedrich’s des Großen in Berlin zur Feier des Sieges von Sedan. (BPK) Abb. 23 Aufbruch der Krieger – Detail des Frieses von R. Siemering an der Germania-Statue vor dem Schlofl (Ostseite). (BPK) Abb. 24 Aufbau eines Velariums mit dem Bild Kampf und Sieg von Anton von Werner an der »Triumphstraße« für Kaiser Wilhelm I. (BPK) Abb. 25 Titelblatt der IZ vom 8. Juli 1871. Abb. 26 Am Wachtfeuer von Rézonville nach der Schlacht vom 18. August. »Nach der Natur aufgenommen« von Fritz Schulz. (GL Nr. 45, 1870, S. 753) Abb. 27: General Reille bringt Napoleons Brief dem Kaiser Wilhelm. Aus dem Zyklus Hochinteressante Erinnerungen aus den glorreichen Tagen von 1870/71 aus August Fuhrmanns Kaiserpanorama (DHM, Sammlung Senf) Abb. 28 Das Sedan-Panorama am Alexanderplatz in Berlin im Jahr 1884 mit dem Rundgemälde der Schlacht bei Sedan 1870. Zeitgenössischer Holzschnitt nach einer Zeichnung von Wilhelm Geißler. (BPK, Leipziger IZ 83/214) Abb. 29 Panorama in Mannheim. Die Erstürmung von Bazeilles (Sedan) am 1. September 1870. Titelseite des Programmhefts. (StaBi Berlin/BPK)
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Abb. 30 Querschnitt durch das Sedan-Panorama am Alexanderplatz. Zeitgenössischer Holzstich nach einer Zeichnung von Wilhelm Geifller, 1883 (BPK, St 140) Abb. 31 Paris unter der Commune. Eine Serie von Bildern aus den Schreckenstagen, dargestellt durch den elektrischen Lichtapparat Agioscop. Theaterzettel vom 3. Oktober 1871, Altes Theater Leipzig. (StaBi Berlin, Theaterzettelslg./BPK). Abb. 32 Rückblicke. Genrebild mit Gesang und Tanz in 3 Akten von C. Marobson, Musik von G. Lehnhardt. Titelseite des beim Berliner Polizeipräsidium eingereichten Belegexemplars (LA B, A Pr. Br. Rep. 030-02 Nr. R111) Abb. 33 Feen-Palast Berlin. Programm der Kriegsfestspiele. Kriegs-Scenen aus dem Feldzuge 1870-71. Grosse Darstellung von 40 lebenden Bildern. Aus den Kriegsjahren 1870-71. (LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Nr. Th 752) Abb. 34 Kaiser Wilhelm I. empfängt bei Sedan den Brief Napoléon III. mit der Ankündigung der Übergabe. (01.09.1870, 19 Uhr). Dioramabild des SedanPanoramas am Bahnhof Alexanderplatz, 1884. (BPK) Abb. 35 Kapitulationsverhandlungen in der Nacht zum 2. September 1870 in Donchéry. Holzstich nach dem Diorama-Gemälde Anton von Werners für das Berliner Sedan-Panorama, 1885. (BPK, 1238) Abb. 36 Aus Ernst Scherenberg’s nationalem Ausstattungsstück Germania im Victoriatheater zu Berlin. »Nero beschuldigt die Christen, Rom in Brand gesteckt zu haben.« Originalzeichnung von A. Dressel. (IZ, Nr. 2385, vom 16. März 1889, S. 252) Abb. 37 Sedanpanorama in Berlin: Kriegsveteranen vor dem Rundgemälde mit militärischen Szenen. (BPK) Abb. 38 Die Entfaltung der deutschen Flagge in Camerun an der afrikanischen Westküste.
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Auszug aus der Titelseite der IZ vom 20. September 1884. Nach einer Skizze von Lieutenant z.S. Mandt (IZ Nr. 2151, 20. September 1884) Abb. 39 Panorama Deutscher Kolonien zwischen Friedrich- und Wilhelmstraße in Berlin. Holzstich 1886. (BPK, St 140) Abb. 40 Vorführung eines Tanzes in der Tonga-Abteilung. (BPK) Abb. 41 Die Bismarcktage. Die Kamerungruppe zieht vor dem Kanzlerpalais vorüber (1885) Aus: IZ, Nr. 37, 25. April 1885, S. 232 Abb. 42 Stanley in Afrika. Titelseite des Zensurexemplars von 1889. (LA B, A Pr. Br. Rep. 030-03, Nr. S 774) Abb. 43 Stanley in Afrika. Zweites Bild, Zeichnung der Szene. Aus dem Zensurexemplar von 1889. (LA B, A Pr. Br. Rep. 030-02 Nr. S 774) Abb. 44 Das Victoria-Theater in der Münzstraße. (BPK) Abb. 45 Stanley in Afrika, »Beim Kaiser Mtesa«, Gruppenbild 5 des Albums zur 200. Vorstellung im Victoria-Theater 1890. Aus dem Album zur freundlichen Erinnerung an die 200te Vorstellung von Stanley in Afrika im Victoria-Theater. Lichtdruck: Dr. Mertens & Cie, Berlin. (Stiftung Stadtmus. B.; Repro: Friedhelm Hoffmann) Abb. 46 »In den Stromschnellen«, (aus Rumbaur 1891/StaBi/BPK) Abb. 47 Stanley in Afrika. »Pocock’s Tod«, Gruppenbild 8 aus dem Album zur 200. Vorstellung im Victoria-Theater 1890. Aus dem Album zur freundlichen Erinnerung an die 200te Vorstellung von Stanley in Afrika im Victoria-Theater. Lichtdruck: Dr. Mertens & Cie, Berlin. (Stiftung Stadtmus. B.; Repro: Friedhelm Hoffmann)
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Abb. 48 Stanley in Afrika: »Stanley’s Traum«, Gruppenbild 9 aus dem Album zur 200. Vorstellung im Victoria-Theater Berlin, 1890. Aus dem Album zur freundlichen Erinnerung an die 200te Vorstellung von Stanley in Afrika im Victoria-Theater. Lichtdruck: Dr. Mertens & Cie, Berlin. (Stiftung Stadtmus. B.; Repro: Friedhelm Hoffmann) Abb. 49 »Aus der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt a.M.: Aus dem Festspiel-Theater (Apotheose: Sieg des Lichts). Originalzeichnung unseres Specialzeichners E. Simmer«. (IZ, Nr. 2508, 25. Juli 1891, S. 100-101) Abb. 50 Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo). Titelseite des Zensurexemplars der im Berliner Circus Renz aufgeführten Pantomime von E. Renz. (LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Nr. Th 1525) Abb. 51 »Verlag von R. Oldenbourg, München und Leipzig: Die deutsche Emin Pascha Expedition von Dr. Carl Peters. Reich illustriert. Als Oster- und Konfirmationsgeschenk empfohlen für christliche Familien, Geistliche und Kunstfreunde.« Anzeige. (IZ vom 7. März 1891) Abb. 52 »Von der Wissmann Expedition in Ostafrika: Reichscommissar Major Wißmann begrüßt Stanley, Emin Pascha und Casati am Kingani am Morgen des 4. December 1889«. Nach einer Zeichnung des Illustrators und Berichterstatters C. Weidmann. (IZ Nr. 2431, 1. Feb. 1890, S. 110) Abb. 53 »Aus Deutsch-Ostafrika. Einzug einer Uniamwesi-Karawane in Bagamoyo«. Nach einer Zeichnung von C. Weidmann. (IZ, Nr. 2524, 14. November 1891) Abb. 54 »Von der Wißmann-Expedition in Ostafrika. Nach Skizzen unseres Spezialzeichners und Berichterstatters C. Weidmann.« (IZ Nr. 2406, 10. August 1889, S. 138f.)
F R AG E B O G E N Ü BE R D E N N O T H S T A N D E I N E S GROSSEN THEILS DER PRIVATEN THEATERUNTERNEHMUNGEN UND IHRER MITGLIEDER aus: Jocza Savitz: Bericht über die Resultate der Untersuchung des Nothstandes der privaten Theater-Unternehmungen und ihrer Mitglieder. Mitgetheilt im Auftrage des Central-Ausschusses der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger in der Delegirten-Versammlung am 11. Dezember 1890 zu Berlin. Berlin: Verlag der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger 1891. (= Beilage zur Dt. Bühnengen. XX, Nr. 2, 1890). I. Theater-Zustände in der Stadt, lokale Theater-Verhältnisse. 1) Wie viel Einwohner zählt Ihre Stadt und wie viel sind davon durchschnittlich Theaterbesucher? 2) Welches ist das erste Theater in Ihrer Stadt und wem gehört das Gebäude? 3) Wird dasselbe subventionirt und a) wie viel beträgt die baare Subvention? b) wer bezahlt sie? c) wer bekommt sie? d) für welche Zeit ? 4) Begreift die Subvention andere Erleichterungen in sich und a) welche? b) wer gewährt sie? c) wer bekommt sie? 5) Wenn der Besitzer des Theaters ein Verein oder eine Aktiengesellschaft ist: a) zahlt diese Aktien-Gesellschaft Zinsen oder Dividende? b) oder ist dieselbe ohne den Zweck geschäftlichen Gewinnes gegründet? c) Zahlen die Mitglieder des Theater-Vereines resp. der Aktien-Gesellschaft Beiträge und wofür? d) Haben sie für die Beiträge oder als Aequivalent für Ihre Aktien vom Theater Vortheile? Preisermäßigung oder Freiplätze? e) Wie viel Vorstellungen finden in der Winter-Spielzeit statt? Wie viel Vorstellungen in der Sommer-Spielzeit? f) Welche Gesammt-Einnahme erzielen dieselben durchschnittlich im Winter? im Sommer? g) Welche Gesammt-Ausgaben lasten darauf? im Winter? im Sommer? 6) Ist das Theatergebäude in einer Feuerversicherung? in welcher? mit welcher Summe? zu wie viel Prozent? 7) Welchen Werth repräsentirt das Gebäude des Theaters, einschließlich Grund und Boden und den etwaigen Neben-Gebäuden? 8) Besitzt das Theater einen eigenen Betriebsfundus an a) Dekorationen, im Werthe von ? b) Garderobe, im Werthe von? c) Waffen, im Werthe von ? d) Möbel, im Werthe von ? e) Requisiten, im Werthe von ? f) wie hoch und zu wie viel Prozent ist der Fundus versichert? 9) Wer ist der konzessionirte Unternehmer des Theaters? 10) Wird die Uebernahme des Theaters öffentlich ausgeschrieben? 11) Wer hat die Entscheidung über die Bewerber? 12) Was hat der Pächter an Miethe u.s.w. für das Theater zu leisten? 13) Wie viel Sitzplätze faßt das Theater und zu welchen Preisen? Wie viel Stehplätze faßt das Theater und zu welchen Preisen?
312 | ANHANG 14) Wird hergebrachtermaßen ein Abonnement eröffnet und in welchem Durchschnittsverhältnis zum gesammten Zuschauer-Raum? 15) Wie lange wird an diesem Theater gespielt? (.) 16) In welchen anderen Städten spielt die Theater-Gesellschaft noch? Wie lange ist dies eingeführt und wie hat es sich bewährt? 17) Wenn dies nicht der Fall ist, könnte es vielleicht eingerichtet werden? In welchen Städten könnte Ihre Theater-Gesellschaft dann noch spielen und in welcher Eintheilung? 18) Oder auf welche andere Weise könnte die Theater-Gesellschaft zusammengehalten werden, um dem Unternehmer eine längere Spielzeit, den Mitgliedern längere Kontrakte, dem Publikum durch ein besseres Ensemble ein besseres Theater und im Allgemeinen eine Besserung Ihrer Theater-Verhältnisse zu gewährleisten? 19) Welche Direktoren haben in den letzten fünf Jahren in diesem Theater gespielt und in welchen Monaten in jedem Jahre? 20) Waren dieselben bereits konzessionirt oder welchem wurde die Konzession erst bei der Uebernahme Ihres Theaters verliehen? 21) Wurde deren Konzession auch in den anderen Städten anerkannt oder bei dem Einen oder Andern Bedenken erhoben, ob bei ihrem Schauspiel-Unternehmen ein höheres Kunst-Interesse obwalte und daher ein Wandergewerbeschein von ihnen verlangt? 22) Ist es Ihnen erinnerlich, welche Direktoren in Ihrer Stadt innerhalb der letzten fünf Jahre ihre Zahlungs-Verbindlichkeiten den Mitgliedern gegenüber nicht haben erfüllen können? 23) Welche Direktoren haben ihre Zahlungen den Mitgliedern gegenüber öfter als einmal eingestellt? 24) Ist es Ihnen bekannt, daß solche Direktoren auf Grund derselben Konzession innerhalb des Deutschen Reiches in anderen Städten unbeanstandet TheaterUnternehmungen errichtet haben? 25) Welche von diesen Direktoren waren zu Zahlungs-Einstellungen durch den Einfluß anderweitiger Umstände, also demnach ohne eigentliche eigene Schuld genöthigt? 26) Welche Direktoren haben in Ihrer Stadt ihre Unternehmungen stets gut durchgeführt? 27) Sind in dem Falle des Bankrotts des Theater-Unternehmers die Mitgliede zu schaden gekommen, oder ist ihnen einigermaßen geholfen worden und wie? 28) Welches Repertoir ist das beliebteste in Ihrer Stadt? 29) Hat dieses (erste) Theater in Ihrer Stadt auch einmal einen Direktor gehabt, welcher darin theatralische Vorstellungen u.s.w. ohne höheres Interesse der Kunst (im Sinne der Gewerbe-Ordnung) gegeben hat und wann? 30) Wer entscheidet in Ihrer Stadt, ob bei einem Schauspiel-Unternehmen ein höheres Interesse der Kunst obwalte, und welche Personen werden etwa als Sachverständige darüber gehört? 31) Wurde Ihr Theater auch schon von einem Direktor geleitet, welcher nicht auf seine eigene Rechnung spielte, und in wessen Namen waren dann die Kontrakte der Mitglieder abgeschlossen worden? 32) Welche andere (sic!) Theaterlokale und Singspielhallen giebt es noch in Ihrer Stadt und wem gehören sie?
FRAGEBOGEN | 313 33) Haben die Theaterbesitzer Konzession zum Theaterbetriebe nach § 32 d. G.-O. und in welcher Weise nützen sie dieselbe aus? 34) In welchen von diesen Theaterlokalen werden gewerbsmäßig theatralische Vorstellungen ohne höheres Kunst-Interesse allein oder vermischt mit anderen Aufführungen u.s.w gegeben? 35) Wird in denselben geraucht, getrunken, sind Tische im Zuschauerraum aufgestellt? 36) Welche auswärtigen Unternehmer haben innerhalb der letzten fünf Jahre in denselben gespielt? 37) Spielten dieselben auf ihre eigene Konzession oder auf jene des Theaterwirthes? 38) Wenn der Theaterwirth auf seine Konzession spielen läßt, werden auch die Kontrakte der Mitglieder auf seinen Namen abgeschlossen? 39) Welches Lokal paßt für den Winter und warum? 40) Welches für den Sommer und warum? 41) Wie viel Zuschauer faßt jedes Lokal […] 42) Wie viel Monate im Jahre wird in jedem dieser Theater-Lokale gewöhnlich gespielt? 43) Welche Unternehmer haben Bankrott gemacht? 44) Sind die Mitglieder zu Schaden gekommen oder konnte ihnen irgendwie geholfen werden? 45) Welches Repertoire ist das beliebteste in diesen Theatern? 46) Kommt in Ihrer Stadt öfter vor, daß in vorübergehender Weise theatralische oder pantomimische Vorstellungen durch Circusbesitzer u. dergl. veranstaltet werden, und erwächst hieraus dem stehenden Theater eine schädliche Konkurrenz? 47) Welches sind die hauptsächlichen und größten Uebelstände der Konkurrenz der verschiedenen Theater-Unternehmungen in Ihrer Stadt untereinander? 48) Giebt es in Ihrer Stadt dramatische Dilettanten-Vereine, welche öffentliche theatralische Vorstellungen gegen Eintrittsgeld veranstalten? a) wie heißen diese Vereine? b) wie groß ist die Mitgliederzahl derselben? c) wie oft veranstalten sie Vorstellungen? 49) Sind diese Dilettanten-Vereine eine offenbare Konkurrenz für die Theater? 50) Bezahlen diese Dilettanten-Vereine an die Autoren der Stücke, die sie aufführen, irgend ein Honorar oder eine Tantième? 51) Wenn dies nicht der Fall ist, wie kann man die Autoren schützen? 52) Werden in Bezug auf Bau-, Feuer, Sicherheits-, Gesundheits- etc. Polizei an die Singspielhallen, Dilettanten-Theater etc. geringere Anforderungen gestellt als an das ständige Theater? II. Sonstige Erfahrungen des Befragten […] III. Mittel zur Abhülfe 56) Sind die Bestimmungen der Gewerbeordnung über Ertheilung und Zurücknahme der Konzession als Theater-Unternehmer (§§ 32,53) einer Abänderung bedürftig (z.B. in der Richtung, daß nur Sachverständigen die Konzession ertheilt werden kann – oder in der Richtung, daß den nach § 32 konzessionirten Unter-
314 | ANHANG nehmern die gleichzeitige Veranstaltung von Vorstellungen höherer und niederer Art untersagt wird? u.s.w.) Bedürfen die Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Ertheilung von Konzessionen zum Betrieb sogenannter Singspielhallen und über die Zurücknahme dieser Konzessionen (§33a) der Aenderung, und eventuelle in welcher Richtung? (z.B. in der Richtung, daß den nach §33a konzessionirten Singspielhallenbesitzern die Veranstaltung von Vorstellungen höherer Art (Opern, Schauspiele, Lustspiele, Ballets) untersagt wird? u.s.w) IV. Schlußfragen 60) Welche Theater-Uebelstände vermögen Sie noch anzuführen und wie ist ihnen abzuhelfen?
THEATER
IN
B E R L I N (1860-1900)
Übersicht über die Berliner Spielstätten zwischen 1860 und 1900 einschließlich Angaben über die Gründung, Direktion, Repertoire und zeitgenössische oder Kommentare der Sekundärliteratur. Reine Sommertheaterbühnen sind aufgrund ihres befristeten Bestands nicht miteingeschlossen.
Anmerkungen Grundlage der Übersicht sind die Verzeichnisse der Theaterzensurbibliothek des LA Berlin, die Ordner-Sammlung von Horst G. Looser in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der FU Berlin sowie die jeweils genannte Sekundärliteratur. Die Dokumente zu den Spielstätten dieser Zeit sind nur bruchstückhaft überliefert. Die vorliegende Übersicht ist nach gründlichsten Recherchen zusammengestellt, kann jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern dient als eine erste Orientierungshilfe, die durch Auffinden weiterer Hinweise stets ergänzt werden kann. Die Nennung der Spielstätten geschieht in alphabetischer Reihenfolge. Doppelungen der Namen von Häusern und Direktoren ergeben sich aus dem häufigen Wechsel der Leitung und Programme. Es ist zu beachten, dass die benutzten Quellen partiell widersprüchliche Angaben zu Jahreszahlen und Namen beziehungsweise Schreibweisen von Namen enthalten. Die Standorte sind nicht immer eindeutig zu bestimmen, häufig aufgrund der Änderungen der Straßennamen. Die Zeile Direktion/Konzession informiert über die Leitung der Theater oder die Inhaber der Konzession zur Aufführung von bestimmten Genres. Nicht in allen Fällen liegen Informationen über die Ausstattung der Bühne vor. Daher ist diese Zeile nur bei einem positiven Befund in die Liste aufgenommen. Die Zeile Bsp. Aufführung liefert typische Beispiele für das Repertoire der jeweiligen Spielstätte und dokumentiert die Varietät der Programme, die häufig über Sprechtheater hinausgehen.
Abkürzungen: Auff.: Aufführung Konz. z. Ltg.: Konzession zur Leitung Th.unternehmer: Theaterunternehmer Th.zw.akts.ztg.: Theaterzwischenaktszeitung Leipz. Th.zettel: Leipziger Theaterzettel Zul.: Zulassung
316 | ANHANG
A . W o l f’ s E t ab l i s sem en t Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz. Repertoire: Kommentare:
Referenzen:
vormals Volks- und Kinderfest-Stätte August Wolf bis 1887 (Verkauf am 1. Juli 1887 für 1.125.000 Mark) »Volksschauspiel«, ab 1880 Operettentheater »Wenn August Wolf seinem Publikum etwas Besonderes bieten wollte, machte er’s wie die größeren Operettenbühnen und ließ einen der Wiener Operettenstars gastieren.« (Schneidereit 1973, 54) Schneidereit 1973.
Adolph-Ernst-Theater Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Ausstattung: Repertoire: Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Referenzen:
Louisenstädtisches Theater, Eden-Theater, Thalia-Theater Dresdener Straße 72-73/Dresdenerstraße 97 eröffnet 1869 in einem umgebauten Gasthaussaal; renov. 1888, Umbau 1890; als Louisenstädtisches Theater: Julius Witt 1869-1871, Hermann Schreier 18711879, Adolph Ernst 1879-1880 Joseph Firmans 1880-1887 als Eden-Theater: Hermann Meier 1887-1888 als Adolph-Ernst-Theater Adolph Ernst 1888-1896 als Thalia-Theater: W. Hasemann 18.9.1896-1899, Jean Kreen (Crane, Schauspielunternehmer, Bühnenname Kren) 9.9.1899-1901, auch Konz. zur Ltg. von Belle-Alliance-Theater, Neues Operettentheater, Neues Operettenhaus 1899-1902), Alfred Schönfeld 1901-1917 [Anmerkung: variierende Angaben der Jahreszahlen] 1349 Sitzplätze (1890-1895), 1100 (1896-1901) Possen, Oper, Operette, Schwank 1879 beantragt der Maurermeister Gustav Adolf Eduard Gause die polizeiliche Zulassung als Schauspielunternehmer für das Louisenstädt.Th. (LA B Pr. Br. Rep. 030 2109) Violetta, die Dame mit den Camelien, Oper in 4 Akten; Die schwarze Venus (Neger-Gastspiel von Gustav Görss) (s. Wrede/Rheinfels 1897, S. 140) Anonym 1893; Weddigen 1904, Schneidereit 1973; Looser.
THEATER IN BERLIN | 317
Alcazartheater Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Ausstattung: Repertoire: Referenz:
Dresdener Straße 52-53; Citty-Passage 1. Sept. 1890 (Eröffnung) Richard Winkler, später Clara Winkler, geb. Bernhardt, Erteilung Theaterkonz. 1897-1910 (zusätzlich für Feen-Palast, Palasttheater) Regie: E. Stempel; Kapellmeister R. Martin; Eigentümer 18998: H. v. Westernhagen (1898) 600 Sitzplätze (1898) Varieté, Spezialitäten, Possen, Gastronomie Programm vom 1. Oktober bis 1. November 1895 vorh. in Berlin, Stiftung Stadtmus. Th. u. D.A. Ordner »Apollo-Theater«.
A l e x a n d e r p l a tz - T he a te r weitere Namen:
Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Ausstattung: Repertoire:
ehemals Quargs Vaudeville-Theater; Königstädtisches Theater (1890), National-Theater (unter Samst), Bürgerliches Schauspielhaus (1890), später Victoria-Theater (1899), Secessionsbühne (1900), Überbrettl, Buntes Theater (1901), Buntes Brettl, Intimes Theater (1902) Alexanderstraße 40 (im Grand Hotel) 1824 als Königstädtisches Theater als Quargs Vaudeville-Theater: 1874-1884 Richard Quarg; Emil Thomas, Henneberg als Königstädtisches Theater: 1884-1885 Richard Quarg 1885-1889 Gebr. Rosenfeld als National-Theater ab 1889 Max Samst Anton Ludwig Grüneke (Schauspielunternehmer), Erteilung Konz. z. Ltg. 1891, 1898, Fritz Schäfer, Dramaturg und Regisseur (auch am National-Theater) Seit 15.09.1894 Quarg’s Vaudeville-Theater Eigentümer: Walter & Co KG; Richard Quarg 1894-1895, Anton und Donat Herrnfeld 1896 1872-1897 (Konz. Z. Direktion): Richard Quarg (auch Reichshallen-Th, Grand Hotel u.a. Lokale); Emil Thomas; Henneberg; Anton Ludwig Grüneke (Schausp.unternehmer), Erteilung Konz. z. Ltg. 1891, 1898; Samst; 1895-1898: Wilhelm Schultze, gen. Paulet; 1000 Plätze vor 1884: Schwänke, Gastspiele z.B. eines »Zwergentheaters«; seit 1884 Gesangspossen mit Einlagen, komponiert von Paul Lincke;
318 | ANHANG
Kommentare:
Besonderheiten/Auff.:
Referenzen:
Opern als Quargs-Vaudeville (R. Quarg Direktor): Ausstattungs-Burlesken; Schauspiele nach dem Französischen; Couplets; »halb Berliner, halb Wiener Posse« (anonym 1893, S. 25); Oper Unter Samst drastische Preissenkung der Tickets, so dass man »momentan in der Reichshauptstadt Berlin für ganze zehn Pfennige Komödien anschauen kann. Gewiß auch ein Zeichen der Zeit.« (Anonym 1893, S. 26) »Im National-Theater haben die Opernvorstellungen aufgehört, da das Publikum keinen Geschmack daran gefunden hatte. Das Theater bleibt für die nächste Zeit geschlossen.« (Leipz. Th.zettel 1872, No. 164); Hugenotten (1872); Der Mikado oder Ein Tag in Japan: Parodistische Ausstattungsposse mit Gesang und Evolutionen in 2 Acten in einem Vorspiel von Max Mauthner (1894). Leipz. Th.zettel 1872, Nr. 164; Anonym 1893; Weddigen 1904; Wahnrau 1957.
Alhambratheater Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
vormals Königstädtisches Theater/AmericanTheater, Königstädtisches Vaudeville-Theater Wallnertheaterstraße 15 1855 1870-1871: Louis von Selar; 1883-1904: Paul Strewe (auch Ostendtheater und Schweizer Garten)
American-Theater Standort: Direktion/Konz.: Repertoire: Kommentare:
Besonderheiten/Auff.: Referenz:
Dresdener Straße 55 August Reiff (auch Puhlmanns Theater 18781897) Possen, Liederspieler, Genrebilder, Tanz, Parodien, Spezialitäten »Es bringt zwar nur musikalische und deklamatorische Spezialitäten, nicht auf gymnastische, […]; allein man kultiviert hier das komische Singspiel mit ganz hübschem Erfolge und erhebt sich sogar bis zum Genre der Ausstattungsoperette.« (Berliner Pflaster 1893, S. 43.) Die Reise in die Astronomie (Urania-Parodie) Berliner Pflaster 1893.
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B e l l e - A l l i a n c e - T he a te r Weitere Namen:
Berliner Operettentheater/Neue Deutsche Oper/Viktoria-Theater (vor 1869 Salon und Jardin Belle-Alliance)
Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Bellealliancestraße 7-8, (Mehringdamm) 1862 von August Wolf gegr.; 1869 Umbau August Wolf (Direktion und Eigentümer, OberRegisseur; früher Darsteller d. Kroll’schen Theaters (so in Berliner Compass 1876); 18921908: Hermann Sternheim; 1895-1898: Charles Friedrich Maurice; ohne genaue Konzessionsdaten: Frantz, Treumann; Waldemar Haesener; 1897-1899 Georg Dröscher; 1892, 1896: Wilhelm Hock; Ausstattungsstücke, Possen, Klassiker (Shakespeare, Ibsen) »besonders für Fremde interessant« (Anonym 1893, S. 20) Berliner Compaß 1876; Anonym 1893.
Repertoire: Kommentare: Referenzen:
B e l l e v u e th e at e r Standort: Direktion/Konz.:
Alt-Moabit 1870-1874: Alexander Golch (polizeil. Zul. als Th.unternehmer); 1872-1874: W. Füllgrabe (Restaurateur); 1873-1875: August Friese (Restaurateur): 1874: Wilhelm Altvater (Geschäftsführer) Gesuch um Genehmigung zur Auff. von Th.stücken;
B e r l i n e r P r a te r t h e at e r Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Ausstattung: Repertoire:
Kastanienallee 6-9 1852 (Bierausschank, Gartenlokal);1867 Konz. Theater als Café chantant; 1867-1898 (Erteilung Th.konz.) Johann Friedrich Kalbo (Gastwirt); 1898-1902: Paul Kalbo; 1896: Hugo Scholz, artistischer Leiter Bühne Lustspiele, Operetten, Possen, Rührstücke, Musik (Ouvertüren aus beliebten Operetten), Marionettentheater, Pantomimen, klass. Repertoire (ab 1902); erste kinematographische Vorführungen ab 1903;
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Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Referenz:
Programm vom 26. April 1896 vorh. in Berlin, Stiftung Stadtmus. Th. u.d.a. Ordner »ApolloTheater« Lebende Bilder, Lustspiel in einem Aufzug (genehmigt zur Auff. i.d. 80er Jahren (Pflichtexemplar vorh. in LA B. A. Pr. Br. Rep. 030-02, L 316) Zantke 1987; Howaldt 1994.
B e r l i n e r T he a te r Standort: Gründung/UA: Direktion/Konz.:
Ausstattung:
Repertoire:
Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Charlottenstraße 90-92 als Berliner Theater 1888 unter Ludwig Barnay eröffnet eröffnet als Walhalla durch Gottlob Großkopf; umbau des Hauses durch Sohn Emil Großkopf; Verpachtung an Theaterunternehmer Franz Steiner bis 1887; Verpachtung des Hauses ans Schauspieler Ludwig Barnay (jetzt Berliner Theater, Schauspielbühne) 3000 Plätze Wintertheater, 2000 Plätze Sommertheater (unter Großkopf sen.), 1900 unter Großkopf jun. anfänglich Vergnügungsetablissement mit Puppentheater und Luftspringern, Varieté, Possen, Ballett, Oper; dt. (klass.) Dramatik; unter Barnay klass. Dramen, »gleiche Ziele wie das Königliche Schauspielhaus« (Gindler/Stephan 1893); »Das Berliner Theater ist aus der alten ›Walhalla‹ hervorgegangen, der ersten größeren Singspielhalle der Hauptstadt. Das Tingeltangelwesen stand damals noch nicht so sehr in der Blüte als heute, aber Herr Großkopf, der Besitzer der ›Walhalla‹, verstand es doch, sein Haus allgemach aus der niedrigen Sphäre der Feuerfresser und Degenschlucker auf ein vornehmeres und künstlerischeres Niveau zu bringen. Vor 30 Jahren gehörte die ›Walhalla‹ […] zu den populärsten Vergnügungslokalen Berlins. Das Eintrittsgeld für den Parterreraum kostete drei Silbergroschen; […] Es gab allerhand Schönes zu sehen: lustige Einakter, Possen und Singspiele, dazwischen Spezialitätennummern […]. Bei all‹ dem wurde Großkopf ein reicher Mann. Und er kam eines Tages auf die Idee, die ›Walhalla‹ in ein ›Walhalla-Theater‹ zu verwandeln;« Zobelitz 1922, S. 240f. Eröffnung unter Emil Großkopf mit Offenbachs Die Tochter des Tambourmajors
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Referenzen:
Gindler/Stephan 1893; Weddigen 1904; Zobelitz 1922; Schneidereit 1973.
B e r l i n e r V o l k sth e a te r Standort: Direktion/Konz.:
Alexanderstraße 27 1873-1874: Friedrich Otto Jeenicke (Kaufmann) (Zul. als Th.unternehmer)
B o r u s si a- T he a te r Weitere Namen: Standort: Direktion/Konz.:
Urania-Theater (ab 1891) Wrangelstraße 9-10 (Taubenstraße 48-49) 1880 (Datum der Konz.erteilung): Herrmann Lucas (Kaufmann); Urania-Th.: Rudolf Krause
B u n d e s h al l e n - T h e a te r Weitere Namen:
Standort: Direktion/Konz.:
vormals Königstädtisches Vaudeville-Theater/ Wallner-Theater, später Königstädtisches Theater, Heinsdorff Theater, Alhambra-Theater; Berliner Stadttheater, American Theater Wallnertheaterstraße 15 Alexander Golch (auch Bellevuetheater, 18701874); 1871-1874 Bennecke (Konz.inhaber für kleinere Stücke); 1872-1876 (Ert. Konz.): Emil Seyfarth; 1869, 1874-1877: Friedrich Wilhelm Schmiedel (Leiter d. Königstädt. Th. unter dem alten Namen Bundeshalle); 1880 (Konz. Kapellmeister): Ernst Nießen; 1878-1898: Louis Kalbo (Gastwirt), Zulassung als Schauspielunternehmer, Übernahme des B.-Th.
C al l e n b a c h s V au d e v i l l e - T he a te r Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Referenzen:
Callenbachs Theater-Varieté/Théâtre Variété/ Callenbach Theater/Grunow Theater/Thalia-Th. Am Johannistisch 6 C.s Vaudeville-Th.: 1860-1869; C.s Th.-Varieté: 1869-1880 1860-1869: Karl (Carli) Callenbach; 18691876: Ernst Callenbach (Direktion); 1876-1877: Friedrich Bente; 1877-1879: Weidtlandt und Theodor Grunow (Schauspieler und Theateragent); 1879: Natalie Callenbach, geb. Reissig, Erteilung Konz. als Leiterin; 1879-1880: Wilhelm Ahlers Wahnrau 1957.
322 | ANHANG
C as t an s P a n o p ti k u m Weitere Namen: Standort: Direktion/Konz.: Repertoire:
Bsp. Aufführung:
Referenzen:
Chatnoir/Rattenfänger von Berlin Friedrichstraße 165, Ecke Behrenstraße später Erst Skarbina, Bildhauer, Mitglied des Vorstandes der GmbH Zauber-Vorführungen, gesangliche Vorträge, Schaustellung von Personen, Marionetten, Cabaret Die Kamelien-Damen (Annonce 06. Mai 1873 i.d. Königl. Privilegierten Ztg.) »ColossalGruppe: Bauern-Aufstand«; (Th.zw.akts.ztg. 1892, 5. Jan.); »Fliegende Geigen-Fee. Lebend, ohne Extra-Entrée. Neueste musikalische Illusion.« (Th.zw.akts.ztg. 1892, 23.Jan.); »Interessanteste Völkerschaft Inner-Afrikas: Schuli b. Emin Pascha-Reich. 30 Personen, Männer, Frauen, Kinder« (Th.zw.akts.ztg. 1892, 23. Feb.); »Salomon Fleury, der weiße Neger aus Sierra Leone – Westafrika« (Th.zw.akts-Ztg. 1892, 09.April); »Riesin und Puppenfee. Aama, größte Riesin, 16 Jahre alt, 9 Fuß groß. Prinzeß Pauline, 16 Jahre alt, 40 Cmtr. groß« (Th.zw.akts-Ztg. 1892, 09.05.); »Große Ausstellung zahlreicher Novitäten, Magneta-Galatea-Schreckenskammer« (Th.zw.akts-Ztg. 1892, 16.05.); verbesserte Ausführung des mechanischen »Hamilton-Theaters« von Max Richard Skladanowsky 1890, das mit Lichteffekten arbeitete; »Stephan Sedlmayer, kleinwüchsig, sogen. Haarmensch, wird als »Löwenknabe« ausgestellt«; Solisten-Abend von Fröhnert’s SolistenEnsemble; Werke von Beethoven, Rossini, Rubinstein etc. am Di., 07. Nov. 1893; (Programm vorh. in Stiftung Stadtmus. Th. U. d.a., Ordner Apollo-Theater) Th.zw.akts.ztg 1892, 5. und 23. Jan, 23. Feb., 9. April, 9. Mai.; Stiftung Stadtmus. Abt. Th. u.d.a., Ordner Apollo-Theater; Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend Castan’s Panoptikum, 1884/1904; (La Berlin, A Pr. Br. Rep. 030, Theater 914.).
Concordia-Etablissement Weitere Namen: Standort:
Concordia-Theater/Apollotheater Friedrichstraße 218
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Gründung/Eröffnung:
Direktion/Konz.:
Repertoire:
Kommentare:
25.12.1884 als Etablissement Flora Concordia gegr.; Eröffnung als Apollo-Th. am 26. August 1892; seit 1884: Adolph Düssel; nach Umbau zum Theater als Concordia Th. Unter Franz Düssel; unter Dorn und Baron Apollo-Theater; 1896: E. Waldmann Direktion; 1897-1898: Max Ziegra Spezialitäten, Ausstattungs- und Ballett-Theater; Possen, Lustspiele, Operetten; im Etabliss. Flora: Pflanzenschauen zur Eröffnung am 26. August 1892 aus der Volks-Zeitung vom 28. August 1892, in: Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend Concordia Etablissement, Concordia Palast Theater, Apollo Theater 1888-1893; LA B A Pr. Br. Rep. 030, Tit. 74 Th 645) »Die Eröffnung des Apollo-Theaters hat gestern die Schaulustigen in hellen Schaaren nach der Friedrichstraße gelockt. Der Wiener Maler Veit stellte bekanntlich den Einzug der heitern Künste durch das Brandenburger Thor auf der Decke des Ronacher-Theaters dar. Mir scheint, dieser Einzug vollzieht sich in Wahrheit von allen Seiten der Stadt und das lustige fahrende Volk kommt in solchen Massen nach Berlin gezogen, daß ein Teil stark ins Gedränge geraten muss. Das vormalige Concordiatheater hat durch die Umwandlung in das Apollotheater seitens der Direktoren Dorn und Baron noch an Pracht der Ausstattung und an zweckmäßiger Abrundung der Galerie bedeutend gewonnen. Die lange Eingangshalle hat sich in eine Pergola mit goldenen Stäben verwandelt, deren offene Wandflächen mit phantastischen Landschaften bemalt sind. Die von goldenen Säulen getragne Galerie hat ihre fatalen Einbuchtungen verloren und es giebt, Dank dieser Neuerung, keine »todten Plätze« mehr im Hause. […] Die Eröffnungs-Vorstellung bot außerordentliche Dinge in solcher Fülle, daß die Genussfähigkeit des Publikums gegen das Ende hin erlahmte. Sie begann mit einem großen modernen Ballet-Divertissement von Katti Lanner, »Am Meeresstrand«. Das Ballet versetzt uns, wie der Titel besagt, an den Meeresstrand eines englischen Badeorts. Der Kiosk des Hotels, in welchem die Badekapelle spielt, wie die Lage des Hafens lassen auf Brighton schließen. In einer Reihe von humoristischen Szenen und rasch wechselnden Aufzügen veranschaulicht das Ballet die Vergnügungen eines englischen Ba-
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deorts; da giebt es Fischertänze, einen Chor badender Damen, eine Kinderschaar, die lustige Walzer ausführt, dann Savoyarden, Schotten, englische Gemüsehändler und viele andre fröhliche Schaaren, welch in rasche Folge den Strand mit heitern Tänzen beleben und ein pittoreskes Gruppenbild nach dem anderen bieten. Die Figurinen sind von entzückender Schönheit. Den farbenreichen und doch harmonisch abgetönten Kostümen der Italiener steht die charakteristisch und mit solider Pracht ausgeführte Tracht der londoner Gemüsehändler gegenüber, in der sich ein Stück des merry old England spiegelt. Aus den anmutigen Reigen aber heben sich die Solotänze der »Sterne« heraus, unter denen Maria Ginri am hellsten strahlt. Was diese Primaballerina assoluta in einer Tarantella im Fußspitzentanz, in schwebenden Bewegungen, bei denen höchste Kraft mit höchster Grazie sich vermählten, und was sie in tollen Wirbeln leistet, ist einfach unvergleichlich. Die Zuschauer fühlten sich in ihre Wirbel mit hineingerissen und spendeten tosenden Beifall. […] Auch Herr Albertieri erwies sich als Tänzer ersten Ranges und verdienten Beifall fand auch Sgr. Anita dell’Agostina für ihre Variation.«
Bsp. Aufführung: Referenzen:
Venus auf Erden, burlesk-phantastische Operette (Paul Lincke und Heinrich Bolten-Baeckers); Zu Frau Luna: »Nicht nur die Musik, sondern auch die Schauplätze der Operette üben auf das Publikum großen Reiz aus. In »Frau Luna« landet der Berliner Fritz Steppke nach einigen Experimenten auf dem Mond und begegnet dort der sagenhaften Frau Luna, der »Frau im Mond«. Heinrich Bolten-Baeckers, der das Libretto für die Operette geschrieben hat, nutzt geschickt das zur Zeit aktuelle Thema einer Reise zum Erdtrabanten. Mit seiner Musik begründet (Paul) Lincke den neuen Typ der Berliner Operette, die in ihrer Art wesentlich derber ist als das Wiener Vorbild.« (Chronik Berlins, 2 1991) Afrikaner-Familie, Erdmenschen, Tierdressuren, Liedbeiträge, Akrobaten; Buffalo Bill Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betr. Concordia Etablissement Friedrichstraße 218 1884-1888; LA B. A Pr. Br. Rep. 030, Tit. 74; Buchner 1905; Schneidereit 1973; Carlé/ Martens 1987; Chronik Berlins 21991.
THEATER IN BERLIN | 325
D e u t sc he s Re i c h s t he a te r Standort: Direktion/Konz.:
Wrangelstraße 64-65 Carl Poersch (Rentier, auch Germania Theater)
D e u t sc he s V o l k s t h e a t e r Standort: Direktion/Konz.:
Schönhauser Allee 156 1871-1889 (Ert. Konz. Z. Ltg.): Eduard Jestel (Restaurateur); (1887: August Kleinschmidt (Erteilung Konz.f. Sommerbühne))
Feen-Palast Weitere Namen: Standort: Direktion/Konz.:
Ausstattung: Repertoire: Referenzen:
Palast-Theater Burgstraße 22 (zw. Kaiser-Wilhelms-Brücke und Börse) 1895: Hermann Schulte; 1897-1910: Richard Winkler, später Clara Winkler, geb. Bernhardt (auch für Alcazar, Dresdener Straße 52-53) 5000 Personen fassend Vergnügungs-Etablissement; Konzerte; LA B. A. Pr. Br. Rep. 030 Tit.74, Nr. Th 752.
Flora Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.: Ausstattung: Repertoire:
Bsp. Aufführung: Referenzen:
Charlottenburg 1874 von einer AG gegründet; Saalbau, »Etablissement« Pflanzenschauen, Aufstiege von Heißluftballons, Rollschuhbahn, Hochradrennen, seit den 90er Jahren auch Opernvorstellungen und Spezialitäten Buffalo Bill; Zünders in Matzker 1993.
Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Deutsches Theater (seit 1883) Schumannstraße 1848-1872 bis 1883 1848-1872: F.W. Deichmann; 1872-1880: Albert Hoffmann; 1880-1881: Heinrich Ottomeyer; verpachtet 1881-30. August 1883 an Julius Fritzsche; Wiedereröffnung als Deutsches Theater unter L’Arronge am 29. September 1883;
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Repertoire:
Referenzen:
Dt. Th.: Otto Brahm; seit 1895 Emil Lessing Ober-Regisseur Zug- und Kassenstücke; Lustspiele, Volksstücke, Spielopern, Operetten (von Strauß, Millöcker, Suppé, Offenbach); Gastspiele Leipz. Th.zettel 1872, Nr. 75; Wrede/Reinfels 1897; Gaehde 1908; Philippi 1915; Wahnrau 1957; Schneidereit 1973.
G e r m a n i a- T h e at e r Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.: Referenzen:
Vorstädtisches Th. Zehdenicker Straße 1878-1882 (abgerissen) 1878-1879: Julius Ascher; 1879-1881: Fred H. Smith-Shrader (?); 1881-1882: Eduard Pröstel Wahnrau 1957; Meidow 1983.
G e r m a n i a- T h e at e r Standort: Direktion/Konz.:
Weinbergsweg 10-11 1872-1876: Carl Poersch (Rentier) Erteilung Th.konz. (auch Dt. Reichsth., Wrangelstraße 64-65); 1879, 1881: Friedrich Erich Schrader (Kaufmann), Erteilung Th.konz. z. Ltg.
K ö n i g l i c he s S c h a u sp i e l h a u s Standort: Repertoire: Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Schillerplatz zwischen Frz. und Dt. Dom dt. (klass.) Dramatik – »[E]s bringt die schönsten Stücke unserer besten Bühnendichter zur Darstellung.« [Gindler und Stephan 1893, S. 88] – »[Es] verharrte mit seinem Intendanten Botho von Hülsen in einer Art passiven Widerstandes gegen alle und jegliche literarische Neuheit. […]« [Gaehde 1908, S. 122] – »Das Königliche Schauspielhaus mit seinen einfacher decorirten, aber immer schönen Räumen versammelt in der Regel ein ästhetisch gebildetes Publikum, das auch ohne Musik der vortrefflichen Aufführung klassischer Stücke sich freut, zu denen nach der Auffassung der Berliner Damenwelt, bekanntlich auch die Birchpfeiffer’schen Schauspiele gehören.« Berliner Compaß 1876, S. 77. Neben oben genanntem Repertoire auch »Amüsante Physik«, Magie, Optik, sowie Darstellung der indischen Wunderkiste«
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Referenzen:
Berliner Compaß 1876; Gindler/Stephan 1893; Gaehde 1908.
K r o l l ’ s E ta b l i s s e m e n t Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire: Bsp. Aufführung: Referenzen:
Neues Königliches Operntheater Königsplatz, Platz der Republik 7 (Tiergarten) 1844 unter Joseph Kroll ab 1848: Auguste Kroll; 1850 Th.konz erhalten; 1850-52: Auguste Kroll; 1852-1855: Joseph C. Engel; 1855-1862: Heinrich Bergmann; 18621876: Joseph C. Engel (Eigentümer und Direktion) Oper, Feerien, Experimente, Weihnachtausstellungen Oskar Messters Wunderfontäne »Kalospintechromokrene« hier zum ersten Mal gezeigt Wahnrau 1957; Walther 1968; Reichhardt 1988.
L e s si n g th e a t e r Standort: Gründung/UA: Direktion/Konz.:
Ausstattung: Repertoire:
Kommentare: Aufführungen u.a.:
Referenzen:
Friedrich-Karl-Ufer 1 (An der Kronprinzenbrücke) 1888 unter Oskar Blumenthal 1888-1897: Oskar Blumenthal (Konz. Z. Ltg.); Oskar Blumenthal; Ernst Possart (ChefRegisseur); ab 1904 Otto Brahm; Willy Grunewald; 1897-1907 (Konz. Z. Ltg.): Otto Neumann; fasst 1100 Personen Schauspiel, Gesellschaftskomödie, frz. Sittenstücke, dt. (klass.) Dramatik; Dramen des Naturalismus (unter Brahm) »Gleiche Ziele wie das Königliche Schauspielhaus« (Gindler/Stephan 1893) Eröffnungsvorstellung Nathan der Weise; Hauptmann: Vor Sonnenaufgang (20.10.1889 UA); Hermann Sudermann: Die Ehre (27.11.1889, UA) Gindler und Stephan 1893; Wilcke 1958.
National-Theater Weitere Namen: Standort: Gründung: Direktion/Konz.:
Alhambratheater Weinbergsweg 6-7 vermutlich abgebrannt 1883 1870-71 (Ert. Konz. z. Ltg.): Louis von Selar; 1871-1896 (Konz. z. Ltg.): Georg Kruse (auch Krüsemann); Schauspielunternehmer, Konz. zur Ltg. 1871-1896
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Repertoire: Kommentare:
Referenzen:
1871-1874: Friedrich Gumtau Konz. z. Ltg.; 1870-71 Louis von Selar 1870-71 Altmann 1874-1878 Robert Buchholz 1878 Paul Borsdorff 1878-1882 C.F. van Hell 1882-1883 Benno von Donat klassische Dramen L’Arronge 1896: »Das erste Theater, das es neben dem Königlichen Schauspielhause in Berlin versuchte, das Publikum für ein ernsthaftes Repertoire, namentlich für die Aufführung klassischer Dramen zu gewinnen, war das auf dem Weinbergsweg erbaute große Nationaltheater. Gute Schauspielkräfte, die den Berlinern hätten imponieren können, waren schon damals nicht mehr zu haben; sie hätten auch zu hohe Gagensprünge gemacht. Um nun die Minderwertigkeit der Darstellungen auszugleichen, nahm man verhältnismäßig kleine Eintrittspreise; es sollte ja auch ein Volkstheater sein. Aber das sogenannte Volk wollte sich auch damals selbst für kleine Preise keine schlecht gespielten Dramen ansehen … Das Nationaltheater fristete nur vorübergehend bei Gastspielen einzelner beliebter Künstler, so namentlich wenn Ludwig Barnay sich dort zeigte, seine Existenz; im übrigen war der Besuch des Theaters kläglich, die Unternehmer wechselten von Jahr zu Jahr, und das Theater ging bald elend zugrunde.« Wahnrau 1957; L’Arronge 1896, zitiert nach Glatzer 1993, S. 340.
Nowack-Theater Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Referenzen:
vormals Thalia-Theater Blumenstraße 1869 1869: A. Rosenthal; Eigentümer seit 1869: Spekulant Schmidt; 1869-1873: (Konz.f. Aufführungen im Lokal): Otto Nowack; J.C. Engel (Kroll-Theater) Pächter des Nowack-Theater mit dem 1. 10. 1871 bis 1. Jan. 1872. Meyer 1956.
N e u e s T he a te r am S c hi f f b au e r d am m Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung:
später Neues Operettenhaus Schiffbauerdamm 4a 1892
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Direktion/Konz.:
Repertoire:
Kommentare: Bsp. Aufführung: Referenzen:
ab 1897 Sigmund Lautenburg (zgl. Direktor des Residenztheaters Blumenstraße); Carl Schönfeld (Schauspieler, Regisseur, Dramaturg, Bühnenschriftsteller), Oberregisseur und stellvertr. Direktor seit 1896. Schauspiel bis 1906; Genrevielfalt, »man scheint sich nicht im klaren darüber zu sein, was man eigentlich will« (Anonym 1893, S. 27) »theure Eintrittspreise« (Anonym 1893, S. 27) Orpheus in der Unterwelt (unter Max Reinhardt 1906) Anonym 1893; Weddigen 1904.
( N e u e s) O l ym p i a - Ri e s e n t he a te r G m b H weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Ausstattung:
Repertoire: Kommentare:
Circus Renz/Circus Schumann Alexanderstraße, Ecke Magazinstraße, Friedrichstraße 141a erste Vorstellung 1882 (?) Ernst Renz; Bolossy Kiralfy, Hermann Haller; (mit Erlaubnis vom 19. Nov. 1897, jetzt als Neues Olympia-Riesentheater, nach dem Olympia-Theater in London)); am 28. Oktober 1899 Übernahme des Gebäudes durch Zirkus Schumann; 1918 Abschiedsvorstellung, Haus wird von National-Theater AG aufgekauft; »von großartigen Dimensionen und geschmackvoll mit Wandmalereien durch Steffeck geschmückt« (Berliner Compass 1876, S. 84); Unter Kiralfy u. Haller: Erweiterung des Maschinen und Beleuchtungsapparats, Umbau der Bühne, Proszeniumsöffnung auf 44m erweitert; Reitkünstler, Ausstattungs-Pantomimen, mit Zeitbezug; Ausstattungsstücke; – »In Breslau, wo Direktor Renz mit seiner Gesellschaft gegenwärtig in dem von ihm neu gebauten, prachtvollen Cirkus Vorstellungen giebt, ist das Haus Tag für Tag ausverkauft. Aus der Umgegend Breslaus treffen sogar wöchentlich mehrmals Extrazüge ein, welche eigens für die Cirkusbesucher arrangirt worden. Nach Berlin bringt Herr Kommissionsrath Renz verschiedene überraschende Novitäten auf equestrischem und künstlerischem Gebiete mit, ganz abgesehen von der neuen Pracht-Pantomime »Mikado«, welche alles früher Gesehen an Luxus und szenischen Effekten überbieten soll. Jedenfalls darf sich Papa Renz eines freudigen Willkommens hier versichert halten.« aus: Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend den
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Bsp. Aufführung:
Referenzen:
Circus »Renz«. LA B A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Th 1525 – »ganz auf Dekorationseffekte und trikotierte Balleteusenbeine« gestellt (BIZ 2. Jg., Nr. 13. 26 März 1899, S. 3). – Alfred Kerr am 26. Juli 1896: »Die Geistlosigkeit streift hier nahezu das Erhabene. Es wirken nur tausend Personen auf der Bühne mit, zahlreiche Tiere daneben, um bunte Bilder aus dem alten Osten in unerhörter Farbenpracht zu zeigen. Dieser Reichtum, dieser Glanz und diese Massenhaftigkeit arbeiten zusammen, um auch einem skeptischen Betrachter ein vorübergehendes Staunen abzuringen. offenbar sollen die Norddeutschen von ihrem asketischen Geschmack geheilt und zu höherer Schätzung einer sinnlichen Kunst erzogen werden. Die Sinnlichkeit soll Triumph feiern, obgleich sie im Grunde in Berlin nicht zu kurz kommt. Sie kommt auch […] in diesem Theater nicht zu kurz. Dafür sorgt der erwähnte Glanzmoment, wenn sich vier- bis achthundert Trikotbeine à tempo in die Luft strecken. Hier bricht immer frenetischer Beifall los. Hier ist man Mensch, hier darf man’s sein.« (Kerr 51998, S. 180). 19. September 1891 Auf Helgoland oder Ebbe und Flut, »große hydrologische AusstattungsComödie«; Eröffnungspantomime unter Kiralfy/Haller: »Constantinopel«. Mene Tekel, Berliner Ausstattungsstück; Bacchus und Cambrinus, oder: Der Sieg des Champagners. Internationale Charakterbilder […] In Scene gesetzt von Director E. Renz. Musik arrangirt vom Kapellmeister Cahnbley. (Textbuch vorh. in Stiftung Stadtmus. Abt. Th. u. d.a., Ordner »Renz«); Episoden aus dem Schleswig-Holsteinischen Krieg und Erstürmung der Düppeler Schanzen; Im dunklen Erdteil ; Constantinopel (als Eröffnungspantomime nach Renovierung und Umbenennung durch Kiralfy und Haller); Harlekin àl Edison oder: Alles elektrisch; Napoli, oder: Salvator Rosa und die Banditenfürstin. Große romantische Pantomime in 3 Abtheilungen von Director E. Renz. Musik arrangirt von Capellmeister Cahnbley; 1918 Abschiedsvorstellung, Übernahme des Hauses durch National-Theater AG (Carlé und Martens 1987, S. 35) Berliner Compaß 1876; BIZ 2. Jg., Nr. 13. 26 März 1899; Carlé und Martens 1987; Kerr 5 1998.
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O s t en d - T h ea t er Weitere Namen:
Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire:
Ausstattung:
Carl-Weiß-Theater/Volkstheater/VictoriaTheater (seit 1892), Nationaltheater (Herbst 1892) Große Frankfurter Straße 132, (Karl-MarxAllee) 1877 als Nationaltheater Robert Buchholz (Th.unternehmer, Konz. z. Auff. 1874-1877); 1877-1879 Hermann Arnold Lüders; Bernhard Rose 1878: Eugen Rosenstiel 1877: Familie Rose 1878-1883: Hermann Grünfeld (Dr. jur., später gerichtliche Aberkennung der Konz.; siehe Kommentar) 1886-1900 (Konz. z. Ltg.): August Kurz (Schauspieler u. Regisseur); als Victoria-Theater: 1882-1883 Hahn 1883-1886: Paul Strewe; 1886-1888 August Kurz (Schauspieler, Regisseur, Konz. z. Ltg.) 1887-1897: Louis Clausius, Konz. z. Ltg. 1888 Clausius & Schwark als Volks-Theater: 1. Sept. 1888 bis 1889: Fritz Witte-Wild als Ostend-Theater: 1889: G. Girod ab 1889-1896: Max Samst von 1893 bis 1894 beteiligt sich Flugpionier Otto Lililenthal an der Finanzierung des Hauses (vgl. Schneidereit 1973) 1899-1906: Carl Weiß 1906: Bernhard Rose unter Girod (Ostendtheater) Spezialitäten; Volkstheater; Zeitbilder, »neben dem leichtem Unterhaltungsstück auch Faust und Gerhart Hauptmanns Hamlet-Bearbeitung« (Knudsen 1966, S. 686)«; Dorf und Stadt (1891), Gullivers Reisen (1891); Robinson (1891), Nebelbilder; nach Umbenennung in Victoria-Theater Ausstattungsstücke verfügt 1890 über Gas- und elektrische Beleuchtung s. LAB Pr. Br. Rep. 030-05 Tit 74 Th 577 (Akte enthält Bauzeichnungen, Grundrisse der Bühne)
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Kommentare:
Referenzen:
»Aus der Fülle der uns zugegangenen TheaterNeuigkeiten greifen wir folgende besonders bemerkenswerth heraus: Das Ostendtheater wurde vorgestern gerichtlich geschlossen. Da nun Dr. Gründfeld allem Anscheine nach am 1. April die fälligen 32 000 Mark weder wird bezahlen können, noch wollen, tritt Director Hahn mit diesem Tage an die Spitze des Unternehmens und dürfte Mitte April daselbst die Vorstellungen beginnen.« aus Berliner BörsenZeitung vom 15.03.1882, eingeheftet in Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend das Ostend-Theater, Große Frankfurter Straße, Volks-Theater, 1877-1885; LAB A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Th 575; – Grundstück »schuldenhalber« zwangsversteigert zum 2. März 1888 (Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend das Ostend-Theater, Volks-Theater, Ostend-Theater 1885-1890) LAB Pr. Br. 030 Tit. 74 Th 576) Richter 1936; Knudsen 1966; Schneidereit 1973.
(Berliner) Parodie-Theater weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.: Kommentare:
Referenzen:
später Wiener Volkstheater Oranienstraße 52 1889 1897-1902 (Ert. Th.konz.): Hermann Koeppen »Anderwärts hat es so etwas wie das Berliner Parodie-Theater nicht gegeben. Hier hat man von 1889 bis 1910 Oper und Drama jeder Art, Richard Wagner wie Wildenbruch, Gerhart Hauptmann wie Sudermann unmittelbar nach der Premiere witzig, geistreich, frech parodiert […].« (Knudsen 1966, S. 687). Knudsen 1966.
P a s s ag e - P a n o p ti k u m Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.: Ausstattung: Repertoire:
Kommentare:
Passage-Panopticum/Theater-Variété Unter den Linden, Kaisergalerie 08. 12. 1890 R. Neumann, E. Fiebelkorn, H. Seemann 1892; Otto Heinemann (um 1906) japanischer Salon; 1000 Plätze Werke von Franz von Suppé, lebende Bilder (besonders in den späten neunziger Jahren), Spezialitäten, Sänger; ständige und wechselnde Ausstellungen von Dioramen, Wachsfiguren, Tableaux, Gemälden; vgl. Kap. 1 dieser Arbeit
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Bsp. Aufführung:
Referenzen:
Aga-Illusion (»Die schwebende Jungfrau«); Illusion »Nereide« (zwei Mädchen erscheinen nacheinander in einem Glaskasten voll Wasser); »Abnormitäten«; spiritistische Vorstellungen. BIZ, 2. Jg., No. 8, 1893; Looser.
P a s s ag e - T h e at e r Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire: Referenzen:
Unter den Linden 22-23 01.09.1895 (1900, so Looser) Eigentümer Aktien-Bauverein »Passage« 1892, 1900 Theodor Rosenfeld Neumann, Fiebelkorn, Seemann 1892 (1. November 1900) Carl Rosenfeld (1909/10) komische Oper/Operetten Buchner 1905; Looser.
Pavillontheater Standort: Direktion:
Greifswalder Straße 8 1872-1874 (Konz. z. Ltg.): Philipp Schellenberger
P u h l m a n n ’ s V au d e v i l l e - T h e a t e r Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire: Referenzen:
Puhlmanns-Theater/Reiff’s American/Froebels Allerlei Theater Schönhauser Allee 148 1869 als Puhlmann’s Vaudeville 1869-1885: Carl Puhlmann (Direktor) 1869-1874: Julius Paetsch Erteilung Konz. 1878-1897: August Reiff 1880-1884: Carl Schneider (Schauspieler und Regisseur, Erteilung Th.konz.) als Vaudeville Theater: August Kentsch 1885-1890 Puhlmann’s Vaudeville: August Kentsch 1891-1892 August Reiff 1892-1893 als Puhlmann’s Sommer-Theater: August Reiff 1893-1894 Eugen Nadolny 1895-1898 als Puhlmann’s Vaudeville: F. Lehmann 1898-1899 hauptsächlich »Volkstheater«; Vaudeville, Operette, Lustspiele; Schneidereit 1973.
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R a p p o - T he a te r Standort: Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Friedrichstraße 12 »Im alten Rappo-Theater in der Lindenstraße [!] saßen feiste Damen auf dem Drehbrett, hielten die Arme hoch und schnitten Gesichter, dazu wurden sie hell beleuchtet, so daß man die Nähte ihrer Trikots erkennen konnte.« Zobelitz 1922, S. 275f. Eskamoteur Heubeck; Prof. Stehn und seine Wandelbilder
R e i c hs h al l e n - T h e a te r Standort: Direktion/Konz.: Ausstattung: Repertoire: Kommentare: Referenzen:
Leipziger Straße 77 1897.1905: Richard Quarg (auch Quargs Vaudeville-Th. u.a Lokale); »mit allem modernen Komfort« ausgestattet (Berliner Pflaster 1893, S. 45) hauptsächlich gymnastische Künste; Pantomimen, Burlesken »Unglaubliche Heiterkeit bemächtigt sich der Gemüter« (B. Pflaster 1893, S. 46) Berliner Pflaster 1893.
R e si d e n z - T he a te r Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.
Repertoire:
Kommentare:
Blumenstraße, später Wallnertheater-Straße 1871 1871-1876: Albert Rosenthal (mit Wilhelm Hock); 1876-1879: Emil Claar (Oberregisseur); 1879: Otto von Schimmelpfennig; 1879-1884: Emil Neumann; 1884: Anton Anno (Ert. Th.konz. z. Ltg.); 1885 (Ert. Konz.): Gustav Kadelburg; frz. Sitten-/Gesellschaftsstücke (Sardou, Dumas unter Claar), Komödien; später Stücke von Ibsen, Björnson; – »Im alten Residenz-Theater wagte man eben 1887 auch die als gefährlich geltenden ›Gespenster« (Frenzel 1954, S. 5). – »Der betriebsame und geschäftswitzige Direktor des Residenztheaters hält stets ein langes Fernrohr nach Paris gerichtet, um etwas möglichst Dekolettirtes dort zu erspähen. Hat er gefunden was er braucht, so entsteht die große Taktfrage, wie es beginnen, daß der polizeilichen Censur nicht zu viel geopfert und dem Pu-
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Referenzen:
blikum nicht zu wenig geboten werde.« Schlenther 1894, S. 146. Berliner Compaß 1876; Schlenther 1894; Frenzel 1954; Weddigen 1904.
S al o n - Ro y al - T he a t e r Weitere Namen: Standort: Direktion/Konz.:
Tivoli-Theater/London-Pavillon-Theater Kronenstraße 17 (Chaussesstraße 42) 1869-1874(?): Rudolph Fuchs, Ert. Konz. z. Gründung; 1869-1870: Theophil Kopka (Ert. Konz.);
S k a ti n g - Ri n k - T h e a te r Weitere Namen: Standort: Direktion/Konz.:
Philharmonie-Th. Bernburger Straße Georg Kruse (Phil.-Th.)
S t ad tt h e a t e r Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Ausstattung: Repertoire:
Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Charlottenburg, Lützow Straße 3 1872 Theaterunternehmer Kampfhenkel; 1873-1876: (Konz.): Friedrich Richard Hahn (Th.unternehmer); 1875-1893: Karl Janecke; 12-Mann-Orchester, 19 Schauspieler, Restaurant selbst ernanntes »Volkstheater«, Possen, Charaktergemälde, Genrebilder, historische Zeitgemälde, Spezialitäten – »Das hiesige Stadttheater, das erst seit wenigen Tagen eröffnet ist, scheint sich in seinen Leistungen den besseren Bühnen der Hauptstadt würdig anreihen zu wollen. Seine Stärke wird dasselbe, wie es den Anschein hat, vorzugsweise in der Kultivirung des feineren Lustspiels suchen und hat es für dieses Genre angemessene Kräfte zu erwerben gewußt. Es ist auch äußerlich gut ausgestattet und bequem eingerichtet, kurz es scheint keine ephemere Erscheinung werden, sondern festen Fuß in der Gunst der gebildeten Kreise fassen zu wollen.« (Leipz. Th.zettel 1872, No. 30) Auftritt einer »amerikanischen Negergesellschaft« in Onkel Toms Hütte (Februar 1880) (s. Zünders in Matzker 1993, S. 29; fünfaktiges »Zeitbild« von Marc Aurel: »die Tendenz dieses Stückes soll wesentlich politischer Natur sein« (Leipz. Th.zettel 1872, Nr. 32)
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Referenzen:
Leipz. Th.zettel 1872, N. 32; Zünders in Matzker 1993.
T hal i a- T h e a t e r Standort: Direktion/Konz.:
Gartenstraße 13-14 1869-1881: August Friedrich Gunkel, polizeil. Zulassung als Th.unternehmer;
T he a ter d e s We s t e n s Standort: Gründung/UA: Direktion/Konz.:
Ausstattung:
Repertoire: Kommentare:
Referenzen:
Kantstraße 8-12 04.09.1895 Grundsteinlegung; Eröffnung 1. Oktober 1896 Gründung durch Paul Blumenreich; betrieben von GmbH; Leiter Direktor Witte-Wild; Alois Prasch (Theaterunternehmer aus Berlin-Charlottenburg), Konz. z. Ltg. 1895-1912 (zugleich Konz. z. Ltg. des Berliner Theaters); Max Hofbauer Großveranstaltungshaus mit moderner Bühnentechnik; verfügt über einen 1500 Personen fassenden Zuschauerraum; entworfen von Architekt Bernhard Sehring Oper »Es ist ein Riesenunternehmen auf einem Riesenterrain, mit Park und besonderem Restaurant und Bildwerken erster Meister und mit mehr als dem üblichen Komfort der Neuzeit: es kommen die Phantasien eines dekorativen und weltmännischen Kopfes, wie es der Baumeister Sehring ist, hinzu. Es wird an nichts gespart, und bis zum Beginn der ersten Vorstellung werden volle sechs Millionen Mark verausgabt sein. An dem Theater werden kleine Besonderheiten ziehen.« (Kerr 2002, S. 95) Matzker 1993; Kerr 2002.
T he a t e r U n t e r d e n L i n d e n Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire:
Metropol-Theater Behrenstraße geplant 1891, eröffnet 24. September 1892 Anton und Alois (auch Rudolf) Ronacher; 1894-1895 Rudolf Krause; Julius Fritzsche; später Richard Schultz (Metropol) Schwank, Liedvorträge, (Wiener) Operette; Revuen (insbes. nach Engagement von Victor Hol-
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Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Referenzen:
laender 1901), später als »Metropol« Spezialitäten; – »Man ist im Theater Unter den Linden von jeher an opulente Ausstattung, an Massenaufgebote jugendschöner Frauengestalten gewöhnt« (BIZ 2. Jg., Nr. 46, 1893, S. 7). – »bis heute hat das Theater nicht die geringste Aussicht auf Lebensfähigkeit gezeigt« (Anonym 1893, S. 27). – »Nach dem Willen der Erbauer sollte es ein ausgesprochenes Zentrum des Vergnügens für die Berliner Lebewelt sein.« (Schneidereit 1973, S. 113). Das Modell 1893; Der Mikado 1893 (Operette), Die Fledermaus; Orpheus in der Unterwelt 1894; englische Komiker-Gesellschaft, Liliputanertruppe aus New York; italienische Operngesellschaft; Die Göttin der Vernunft 1898; Eröffnung unter Schultz mit Paradies der Frauen 3. September 1898, »Original-Dressur-Akt: Der Affe als Jockey«; »Plastische Darbietungen« (Seldom); Der Sonnenvogel (Hdlg. angelehnt an Roman Die Zeitmaschine von H.G. Wells, den Hollaender 1895 in London gelesen hatte). Anonym 1893; BIZ Nr. 46, 1893; Schneidereit 1973.
Tonhallen-Theater Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.: Repertoire: Referenzen:
Friedrichstraße 112 1869 1869-1905 (Konz. z. Ltg.): Rudolf Ferdinand Rosseck (Theaterunternehmer und Gastwirt) ab 1874 Varieté Wahnrau 1957.
U n i v e r su m Standort: Direktion/Konz.: Repertoire:
Brunnenstraße Maximilan Görner; Johann Peter Caspar (Konz. z. Ltg. von Th.stücken) Singspiele, Possen, Schwank, Lustspiele, Genrebilder, Stücke von Salingré, L’Arronge, Paul Hübner
Urania Standort: Direktion/Konz.:
zunächst Moabit, ab 1896 Taubenstraße (siehe »Borussia«) M. Wilhelm Meyer; Privatgesellschaft
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Repertoire:
Kommentare:
Referenzen:
»Anstalt für volksthümliche Naturkunde«, täglich Vorstellungen im Wissenschaftlichen Theater; – einem Laienpublikum werden durch bildliche Darstellungen Naturereignisse vermittelt; – »Die neue Berliner ›Urania‹ enthält ein höchst geschmackvoll eingerichtetes Theater, das über 760 Plätze verfügt und mit allem Komfort ausgestattet ist, den der verwöhnte Bewohner der Reichshauptstadt verlangt; Foyer, Wandelgang – alles ist hier vorhanden. Auf der verhältnismäßig sehr geräumigen Bühne werden dem Zuschauer unter Verwendung der vollendetsten Mittel moderner Bühnentechnik die großen sich ewig wiederholenden Schauspiele vorgeführt, welche die Körper im Weltenraum und auf unserer Erde vollbringen. Was einst Jules Verne in Form des Romanes gab, giebt die ›Urania‹ in dramatischer Form. Die Phantasie wird also aufs lebhafteste durch die Dekoration, durch Wandelbilder und durch Beleuchtungseffekte unterstützt. Der Zuschauer folgt einer Reise durch den Sternenraum; man zeigt ihm die interessantesten Gegenden unseres vielzerklüfteten Nachbars, des Mondes; oder man läßt vor seinem Auge sich die wechselvollen Vorgänge abrollen, die sich während einer Sonnenfinsternis vollziehen. […] Bei naturwissenschaftlichen Vorträgen war man bisher gewohnt, den Vortragenden in mehr oder minder lehrhaftem Ton seinen Stoff entwickeln zu hören. In der ›Urania‹ spricht ein Bühnenkünstler den vom Direktor, oder einem anderen in volkstümlicher Darstellungsweise erfahrenen Schriftsteller verfaßten Text, der sich fast immer in anmutigen, gewandten, ja zuweilen poetischen Formen bewegt. Die Vorgänge auf der Bühne geben dazu die Illustration.« aus Artikel »Die neue Berliner ›Urania‹« von Franz Bendt, in: GL 1896, Nr. 38, S. 632-37, hier S. 634 GL Nr. 1, Jg. 36, 1888; GL 1896, Nr. 38; Wrede/Reinfels 1897; Mende 1993.
V i c t o r i a- T h e a te r Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Münzstraße 40 21.12.1859-1891 (abgerissen) 1859-1871: Rudolf Cerf (Direktor und Eigentümer); 1865 Plan zur Bildung einer AG zur Übernahme des V.-Th. (A Pr. Br. 030, Eintrag 397); 1871 (Sept.)-1871 (Okt.): Julius Behr;
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Ausstattung:
Repertoire:
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Bsp. Aufführung:
Referenzen:
1871 (Nov.): Herman Hendrichs; 1871-1881: Emil Hahn (übernimmt danach das OstendTheater); 1881: Moritz Ernst; 1882-1889: Gustav Scherenberg; Eigentümer 1890 ist die Königstädtische Baugesellschaft, künstlerische Leitung 1889-1891: Emil Litaschy, 31. März 1891 letzte Vorstellung, danach Abriss Entwurf von Architekt Titz (Bau 1856-59); eine Sommerbühne (1400 Sitze), eine Winterbühne (1432 Sitze); »Die Bühne gehörte zu den grössten von allen, welche in Deutschen Theatern vorhanden […].« Der Zuschauer im VictoriaTheater, o.J., S. 13; »Allesspieler vom Klassiker bis zur Posse, von der Oper bis zum Singspiel und Spezialist in Feerien nach Jules Verne […] » (Frenzel 1954, S. 4); Feerien, Bälle, vor allem unter Cerf Ausstattungsstücke (aus Paris); Revue; Ballettrevue; Opern (z.B. von Donizetti, Rossini, Verdi) »Tatsächlich hat […] das Viktoria-Theater in den dreißig Jahren seines Bestehens allen Gattungen der dramatischen Kunst [….] gedient, ohne jedoch nur Geschäftstheater mit abhängiger Dramaturgie zu sein.« (Dellé 1952, S. 181). – (s.o.); »Die Berliner brauchten stärkere Reize für ihre Augen, denn für die allein arbeitete die Bühne des Viktoriatheaters.« (Ostwald 1921) – zu den Ausstattungsstücken: »Bei ihnen kam es nicht auf den Inhalt an, sondern auf die Möglichkeit, unausgesetzt die verblüffendsten Bühneneffekte anbringen zu können.« (Schneidereit 1973, S. 68) – »Manches von dem, was dort gezeigt wurde, fand seine Fortsetzung in den Aufführungen der Revue- oder Operettentheater, die nach der Jahrhundertwende entstanden.« (Schneidereit 1973, 68f.) – seit 19. Juni 1872 jeden Abend nach der Vorstellung außen mit elektrischem Licht beleuchtet (Leipz. Th.zettel 1872, S. 168); – »Das Viktoria-Theater war […] das erste große Theater Berlins, das das Genre des prächtigen Ausstattungsstücks pflegte.« (Dellé 1952, S. 169) Berliner EA von Wagners Ring unter Anwesenheit des Komponisten; Berliner EA von Goethes Faust I und Faust II durch Otto Devrient am 3. und 4. Juli 1880 (Frenzel 1954, S. 4.); Die Kinder des Kapitän Grant; Die Reise um die Welt in 80 Tagen; Neuer Theater-Almanach für das Jahr 1890; Zuschauer im Victoria-Theater o.J.; Philippi
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1915; Ostwald 1921; Dellé 1952; Wahnrau 1957; Walther 1968 (insbes. zum Fall der Konz.überschreitung bei der Tell-Oper); Schneidereit 1973; Carlé/Martens 1987.
V o r st äd ti sc h e s T he a te r Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire:
Kommentare:
Bsp. Aufführung: Referenzen:
Germaniatheater (ab 1878, siehe dort) Weinbergsweg 10/Ecke Zehdenicker Straße 1849-1878 1849-1854: Louis Gräbert; 1854-1870: Julie Gräbert; 1870-1871: F. Pickenbach; 1871-1876: Max Fritze; 1876-1877: Eugen Bandow; 18771878: N.J. Anders Volkstümliche Stücke (Possen) mit Couplets, teils Operette; »auch Kleist, Schiller, Goethe und Lessing waren nicht vergessen.« (Meidow 1983, S. 83), »Das Vorstädtische Theater, Weinbergsweg Nr. 10, vor dem Rosenthaler Thore, bitten wir inständig, nicht mit dem schon beschriebenen ›kleinen Opernhause‹ in der Gartenstraße zu verwechseln. Wenn wir uns auch einer eingehenden Kritik seines Repertoires enthalten wollen, so können wir doch nicht dem ganz ernsthaften künstlerischen Streben der verstorbenen Directrice, genannt Mutter Gräbert, und ihrem vortrefflichen Weißbier unsere Anerkennung versagen. Die Eintrittspreise sind sehr mäßig und das Publicum das beste und dankbarste, welches ein Schauspieler sich wünschen mag.« (Berliner Compass 1876, S. 81) Der Glöckner von Nôtre-Dame Berliner Compass 1876; Philippi 1915; Wahnrau 1957.
W al h al l a- V o l k st h e at e r Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire: Kommentare:
Walhalla-Theater/Walhalla-Operettentheater Charlottenstraße 90-92 W.-Volksth.:1869-1881; W.-Th.: 1881-1883; W.-Operettenth.: 1883-1888 1869-1873: F.G. Großkopf; 1873-1885: Emil Großkopf; 1885-1888: Friedrich (Franz?) Steiner; 1887-1907: Ludwig Barnay (nun Berliner Theater); Einakter, Possen, Singspiele, Spezialitäten, lebende Bilder, später Operette »Das Walhalla-Volks-Theater […], ursprünglich Circus, besaß bis vor kurzer Zeit den Ruf des bedeutendsten Café chantant der Residenz.
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Bsp. Aufführung:
Referenzen:
Hier wurden allabendlich allerliebst niedliche Scenen aufgeführt, sowie Gymnastik und dergleichen mehr getrieben. Trotzdem befand sich der Besitzer, Herr Großkopf, nie recht wohl, weil ihm die Behörde Kostüms und Vorhang, als ein Vorrecht der Theater zu seinen Vorstellungen nicht gestatten wollte, wo doch in gewissen Beziehungen ein Vorhang oft sehr nötig gewesen wäre. Das Übel ist gehoben! Der Vorhang hebt sich nun, und kleine Possen, Vaudevilles, Gymnastik und höchstinteressante lebende Bilder, welche wohl großentheils von den Damen der Walhalla gestellt werden, erheitern uns den Abend. Hier, namentlich auf den Gallerien, sieht sich das Spiel des Lebens immer heiter an, wenn man den sichern Schutz im Portemonnaie trägt. Das ›Walhalla-Volks-Theater‹ darf man also in der Ueberzeugung besuchen, daselbst einen heiteren Abend zu verleben. Auch hier ist das Entrée nur sehr billig normirt.« (Berliner Compaß 1876, S. 83f.) Kalospintechromokrene, eine mit wechselnden Lichtern beleuchtete Fontaine; lebende Bilder, englische Akrobaten; Tiroler Sänger; amerikanische Exzentriks (s. Philippi 1915). Berliner Compaß 1876; Philippi 1915; Zobelitz 1922; Wahnrau 1957.
Walhalla-Parodie-Theater Weitere Namen: Standort: Direktion/Konz.: Repertoire: Bsp. Aufführung:
später, 1890/1891 Aufteilung in WalhallaParodie-Th. und Erstes Berliner Parodie-Th. Oranienstraße; nach der Teilung W.-P.-Th. Oranienstraße Hugo Busse; Max Samst Parodien auf gerade auf den großen Bühnen laufende Schauspiele und Opern z.B. Nach Sonnenaufgang von Erhart Glaubtmann (von der Zensur verboten), als Response auf Hauptmanns Vor Sonnenaufgang, am 26.11.1889; Tannhäuser, parodistische Oper in 1 Akt, März 1890; Das Rheingold, parodistisches Singspiel in 1 Akt, August 1890.
W al l n e r - T h e a t e r Weitere Namen: Standort: Gründung:
Schillertheater/Schiller-Theater-Ost (ab 1899) Wallner-Theater-Straße 9 (ab 1858 Wallnertheaterstraße) 1858 (Knudsen 1966) 1864 durch Franz Wallner, gebürtiger Wiener (»Königl. Preuß. Ge-
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Direktion/Konz.:
Repertoire: Kommentare:
Referenzen:
heimer Commissionsrath, Ritter hoher Orden, wohnhaft auf Villa Wallner in Graz« (Roeders Th.kal. 1871, S. 55); als Schiller-Theater-Ost 1899-1910 durch Lebrun 1864-1868: Franz Wallner; 1868-1886: Theodor Lebrun (Pächter); ab 1886-1901: Wilhelm Hasemann (Ert. Th.konz.; auch Charlottenburger Schillerth.); 1896-1897: Hans Julius Rahn (Ert. Konz. z. Ltg.) frz. Schwankstücke, Lokalposse, ab 1891 Schauspiel Vorwurf an Hasemann, mit Aufnahme frz. Schwankstücke die Zukunft des Theaters geschädigt zu haben durch: Anonym 1893, S. 18. Anonym 1893; Schlenther 1894; Philippi 1915; Meyer 1956; Wahnrau 1957; Knudsen 1966.
W i l he l m t h e a t e r Weitere Namen: Standort: Direktion/Konz.:
vormals Hennigsches Theater Chausseestraße 21 1865-1882 (Th.konz.): Woltersdorff; 1879-1880 (Ert. Th.konz. z. Ltg.): Gustav Richter.
W i n t e r g ar te n Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.: Repertoire:
Bsp. Aufführung:
Kommentare:
Referenzen:
Im Central-Hotel; Georgenstraße 18-24; Dorotheenstraße 18-21 (Bahnhof Friedrichstraße) 1888 Franz Dorn, Julius Baron Konzerte, Parodie-Theater, Gastspiele, Maskenbälle; Genrebilder; Tänzer, musikalische Clowns; »lebende Affichen«, Bioscop (Skladanowsky 1895), Velociped; später (Jh.wende) auch Operetten; Kino 1. Nov. 1895: Brüder Skladanowsky zeigen hier zum ersten Mal öffentlich »Bewegte Bilder« »Geisterfenster«, die »größte Sensations-Illusion der Gegenwart« »Nach erfolgreichen Versuchen mit ›lebenden Bildern‹ im Wintergarten etablieren sich in Berlin die ersten ständigen Lichtspieltheater. Im Herbst des Jahres [1896] übernimmt der Filmpionier O. Anschütz das ›Kientopp‹ in der Allee Unter den Linden. Der Eintritt kostet 10 bis 20 Pfennige. Gezeigt werden vornehmlich Straßenszenen.« Mende 1993, S. 61. Berliner Pflaster 1893; Buchner 1905; Zobelitz 1922; Mende 1993.
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W o l te r s d o r f f - T h e a te r Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung: Direktion/Konz.:
Repertoire:
Kommentare:
Bsp. Aufführung:
Referenzen:
Wilhelmtheater/Neues Friedrich Wilhelmstädtisches Theater Chausseestraße 27 1865-1883; 3. 10. 1882 als Neues Friedrich Wilhelmstädtisches Theater 1865: Arthur Woltersdorff; 1866-1867: Emil Neumann; 1867-1874: Arthur Woltersdorff (Direktor und Eigentümer); 1875-1877: Emil Thomas; später aufgekauft von Julius Fritzsche (ehemals Pächter des F.W.-T. ab 1881) Possen; Burlesken; Operette (Offenbach) (ab 1882, zehn Jahre lang führende Operettenbühne im dt.sprachigen Raum (Schneidereit 1973); »Das Woltersdorff-Theater, früher Meyselsche, in der Chausseestraße Nr. 27, jetzt unter Direction von Thomas, hatte sich bisher darauf beschränkt, durch eine unverantwortlich zu nennende Verschwendung von Goldpapier und Silberpappe, von Feuerregen und sprudelnden Wasserkünsten und erklecklichen Ausgaben für reinliche und räumliche Tricots Effect zu machen; unter dem jetzigen Regime strebt es augenscheinlich nach höheren Kunstproductionen.« (Berliner Compass 1876, S. 80f.) Auftritt mit Gesang und Tanz »à quatre pieds« der »zweiköpfigen Nachtigall« Christine Miller aus Nord-Carolina. »Dieses wunderbare Naturspiel dürfte dem Mediciner und Psychologen ein sehr interessantes Object für wissenschaftliche Forschungen sein; daß es einen Kunsttempel betritt, dürfte höchstens dadurch gerechtfertigt sein, daß der Gesang der zusammengewachsenen Zwillinge ein recht sympathischer ist. Beide von kleiner Statur, ist die eine etwas schwächlicher als die andere.« (Leipz. Th.zettel 1873, Nr. 33); Das eiserne Kreuz (1871). Roeders Theaterkalender 1871; Leipz. Th.zettel 1872, Nr. 51; Philippi 1915; Wahnrau 1957; Schneidereit 1973.
Z e n tr al t he a te r Weitere Namen: Standort: Gründung/Eröffnung:
Centraltheater/Orpheum/Reunion-Th./Hennes Volkstheater Alte Jakobstraße 30-32 30. 10. 1869 Eröffnung durch Carl Bente; 1879 Übernahme durch Schauspieler Wilhelm Henne, danach geschlossen bis Sommer 1880; 28.
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Direktion/Konz.:
Repertoire:
Kommentare:
Referenzen:
August 1880 Eröffnung als Central-Theater durch Adolf Ernst (ehemals Direktion Luisenstädtisches Theater) bis 1883; ab 1883 Heinrich Wilken, Bühnenautor und Schauspieler, danach wieder Ernst; 1887 Emil Thomas; Neubau, am 3. September 1890 als Thomas-Theater eröffnet; Übernahme durch Carl Mallachow (Zahnarzt) und Hermann Schaumberg, Eröffnung 1. April 1893; Versteigerung des Hauses 22. Juli 1893; 1893/94 Richard Schultz; Übernahme durch José Ferenczy am 1. September 1898; am 20. April 1908 Schließung. Fritz Bente (Eigentümer 1871, so Roeders Th.kal. 1871)), W. F. Zimmermann (artistischer Direktor 1871, so Roeders Th.kal. 1871)); 1882: Heinrich Wilken, Erteilung Th.konz. zur Ltg. ; J. Ferenczy unter Bente: Grand bal masqué et paré, Ballett, Tableaux vivants féeriques; Konzerte, Opernakte, allegorische Tableaux, Possen, Klassiker; ab 1875 Café chantant; unter Ernst Possen, Volksstücke, Parodien, (z.B. Nibelungen-Parodie, nach Erscheinen des Ring der Nibelungen im Victoria-Theater; unter Ernsts zweiter Direktionsphase Ausstattungsstücke; in der Folge Possen, Ausstattungsstücke und -schwänke, Dominanz von Schaueffekten; unter Ferenczy Operette; – »hat sich [unter Thomas] immer nur mühsam über Wasser gehalten« [Anonym 1893, S. 21] – Unter Schultz, seit 1893/94, wird das CentralTheater »mit einem Schlag […] wieder zum gesuchten Unterhaltungstheater in Berlin […]. Was er [Schultz] hier in den Ausstattungsrevuen […] bietet, sind nur noch Augenblickseffekte, die von der Regie geschickt und mit großem Tempo aneinandergereiht sind. Das, was verschämt als Handlung stehenbleibt, ist die immer gleiche Geschichte von dem Provinzler, der durch alle Sehenswürdigkeiten Berlins gehetzt, die groteskesten Abenteuer erlebt, bis sich schließlich die Handlung gänzlich in ein ›entzückendes, wahnsinniges Gemisch von Zirkusspiel, Clownspäßen, Ballett, Operette, Athletensport, Feuerwerkerei, Gerson-Ausstellung‹ auflöst. Worauf es ausschließlich ankommt, ist der choreographische Effekt, der Kalauer, die Ausstattung, die groteske Situation, kurz, der ›Trick‹, der den Zuschauer in immer neue, ungeahnte und begeistert aufgenommene Überraschungen stürzt.« Windelboth 1956, S. 101. Anonym 1893; Windelboth 1956; Schneidereit 1973.
QUELLEN-
UND
LITERATURVERZEICHNIS
Quellenmaterialien Theatertexte DIEHL, Johannes: 40 lebende Bilder aus den Kriegsjahren 1870-71. Ders.: Kriegs-Scenen. Darstellung von lebenden Bildern aus dem Kriegsjahre 1870-1871 mit verbindender Dichtung und Musik. Hamm i.W.: Verlag der Carl Dietrich’schen Buchhandlung 21892. Ders.: Die Kapitulation von Sedan. Historische Darstellung in 7 Aufzügen. Nach den besten Quellen und zum Theil nach den eigenhändigen Aufzeichnungen des französischen Hauptmanns D’Orcet, seiner Zeit Kriegsgefangener in Stettin, für die Bühne bearbeitet von Joh. Diehl, Lehrer. Hamm (Westf.): Verlag der Carl Dietrich’schen Buchhandlung 1892. Im dunklen Erdtheil. (Einnahme von Bagamoyo). Große equestrische Original-Pantomime. 1890 [Zensurexemplar LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Nr. Th 1525]. Ludwig Bloch’s Gemälde-Galerie Lebender Bilder. Berlin: Eduard Bloch. o.J. MAROBSON, C.: Rückblicke. Genrebild mit Gesang und Tanz in 3 Akten. Musik von G. Lehnhardt. Zensurexemplar des Kroll-Theaters. [LA B A Pr. Br. Rep. 030-02 Nr. R 111]. MÜLLER, Hugo: Berliner in Cairo. Burleske in 3 Akten und 7 Bildern. Musik von R. Bial. Berlin: Ernst Kühn 1870. SÉDOUARD, E.: Kabale und Liebe in Kamerun. Schwarz-weiße KolonialPantomime mit Musik in 2 Bildern. Berlin: E: Bloch 1890. Ders.: Das Buch der lebenden Bilder. Mit begleitenden Versen zu jedem der lebenden Bilder sowie genauer Angabe der Stellung der Personen und Stellungsplänen für größere Gruppenbilder. Berlin: Bloch 1890. Seebad Helgoland im Circus Renz. Große hydrologische AusstattungsPantomime in 2 Abtheilungen (Zensurexemplar vom 2. August 1890). MOSZKOWSKY, Alexander und Richard NATHANSON: Stanley in Afrika. Ausstattungs-Drama in 3 Acten/zehn Bildern. Manuskript, Zensurexemplar. [LA B, A Pr. Br. Rep. 030-02 Nr. S 774]. STEGEMANN, Adolf: Umgesattelt oder Die Sedan-Feier. Breslau 1875. WASER, Paul: Um Emin Pascha. Zeitgemälde in 4 Acten und 9 Bildern. 1890. Ostend-Theater. [LA Berlin, A Pr Br. Rep. 030-05-01 U 169]. WALLNER, Edmund (Hg.): Eintausend Sujets zu Lebenden Bildern. Ein Verzeichniß von mehr als 1000 kleineren wie größeren Genrebildern, historischen Gruppen und biblischen Tableaux, welche sich zur Darstellung im Familienkreis wie für größere Gesellschaften besonders eignen. Mit genauer Angabe der Quellen und Maler, sowie mit Notizen über Cos-
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tüme, Decoration, Musikbegleitung, Zahl der Darstellung, nöthigen Personen und anderen practicablen Notizen. Erfurt: Bartholomäus 41895. WILDENBRUCH, Ernst von: Sedan. Ein Heldenlied. Berlin. Verlag von Freund & Jeckel 31896.
Theaterzettel, Programme und Almanache Allgemeiner Berliner Theater- und Concert-Anzeiger. Organ für Theater, Concerte, Bühnen-Gesellschaften u. Vereine. No. 33, 1889. [Stiftung Stadtmus. B., Abt. Th. u. d. a., Kartei »Victoria-Theater 1888/89«]. Berliner Theater-Anzeiger. Nauck & Hartmann. Nr. 247, Jg. XII, Sonntag, 6. September 1891. Berliner Theater- und Geschäftsanzeiger, 5. Jg., Nr. 326, 23. November 1884., 5. Jg., Nr. 24, 24. Januar 1884. Berliner Theater-Welt und Concert-Zeitung. 22. Jg., Nr. 132, 13. Mai 1897. Carl Stangen’s Reise-Bureau. Special-Programm für die 7. Reise um die Erde 1897. Carl Stangen’s Reise-Bureau. Special-Programm für die Orient-Reisen 1897. Berlin. Dritte veränderte Auflage 1897. Deutscher Bühnen-Almanach. Hg. von Th. Entsch, A. Heinrich’s Nachfolger. Berlin (Jg. 18-57, 1854-1893) (vormals Almanach für Freunde der Schauspielkunst. 1837-1853). Ferdinand Roeder’s Theaterkalender. Berlin: Commissions-Verlag von W. F. Pfeifer. 1858-1879. Ferdinand Roeder’s Theaterkalender auf das Jahr 1871. Jg. 14, Berlin: Verlag von Ernst Kühn. Führer durch das Passage-Panopticum. Berlin Unter den Linden 22, BerlinGleiwitz: Neumanns Stadtbuchdruckerei, Graphische Kunstanstalten um 1890. Führer durch das Nordland-Panorama in der Friedrichstadt, Wilhelmstrasse 10, Berlin. Nebst Karten und Gemälde-Abbildungen. Das grosse RundGemälde. Gebirgs-Landschaft. Aus den Lofoten- und Vesteraalen-Inseln (Norwegen). Text von Carl Planer. Berlin: Selbstverlag o.J. [OriginalExemplar vorh. in der Stiftung Stadtmus. B. Abt. Th. u. d. a.] Illustrirter Catalog des Passage-Panopticums Berlin Unter den Linden 2223. Kaiser-Gallerie. 1888. Leipziger Theaterzettel (LT) [Vorhanden in der Theaterzettelsammlung der Staatsbibliothek Berlin, Haus Potsdamer Straße.] LT Nr. 26, 3. Oktober 1871. LT Nr. 32., 1872. LT Nr. 51., 1872. LT Nr. 75, 1872. LT Nr. 164, 1872. LT Nr. 164, 1872. LT Nr. 5, 1873. National-Panorama. Die Vertheidigung von Paris. Selbstverlag des NationalPanoramas o.J. [Beiheft zur Ausstellung). [Original vorh. in Stiftung Stadtmus. B., Abt. Th. u. d. a.] Neuer Theater-Almanach für das Jahr 1890. Hg. von der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger. 1. Jg., Berlin 1890.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS | 347
Panorama der Schlacht bei Sedan. Offizieller Führer. V. Auflage. Berlin 1885. [Original vorh. in Stiftung Stadtmus. B., Abt. Th. u. d. a.]. Panorama in Mannheim. Die Erstürmung von Bazeilles (Sedan) am 1. September 1870. Begleitendes Textheft zum Mannheimer Sedan-Panorama. [Original: StaBi Berlin [Si 4091/128]]. STANGEN, Carl: Eine Reise um die Erde 1878/79. Mit einem Gruppenbilde von Theilnehmern. Berlin: Carl Stangens Reise-Bureau. 21880. Theaterzettel aus verschiedenen Städten, Akte YP 4802 der Theaterzettelsammlung der StaBi Berlin. (Th-Zw.-Ztg.) Theater-Zwischenakts-Zeitung. Th-Zw.-Ztg., Nr. 126, 7. Mai 1870. Th-Zw.-Ztg., Nr. 3, 1892. Th-Zw.-Ztg., 5. Januar 1892. Th-Zw.-Ztg., 23. Januar 1892. Th-Zw.-Ztg., 23.Februar 1892. Th-Zw.-Ztg., 9. April 1892. Th-Zw.-Ztg., 9. Mai 1892. Der Zuschauer im Victoria-Theater. Kurzgefasster Führer durch alle Räume dieses Theaters, nebst den prächtig ausgeführten Uebersichts-Plänen der Plätze des Winter- und Sommer-Theaters. Als Anhang: Theatralischer Adress-Kalender und genaue Angabe der Preise der Plätze, der Verkaufs-Stellen und der Verkaufs-Stunden, sowohl für die Billets des Victoria-Theaters, als auch sämmtlicher anderer Berliner Theater etc. etc. Berlin: Theateragentur Eduard Bloch o.J.
Archivakten, Zensurakten Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend das Verbot ›Bilder aus der großen Revolution‹. (LA B A Pr. Br. Rep. Nr. 111 adh. 6, Th. 54 Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend Castan’s Panoptikum, 1884/1904; (La Berlin, A Pr. Br. Rep. 030, Theater 914.) Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend den Circus »Renz«. (LA Berlin A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Th 1525) Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betr. Concordia Etablissement Friedrichstraße 218, 1884-1888 (LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030, Tit. 74). Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend Concordia Etablissement Concordia Palast Theater, Apollo-Theater 1888-1893. (LA Berlin A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Th 645) Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend das öffentliche Theaterwesen 1857-1876. (LA B A Pr. Br. Rep. 030-Tit. 74, Nr. Th 41) Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend das Ostend-Theater, Große Frankfurter Straße, Volks-Theater, 1877-1885; (LA B A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74, Th 575) Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend PassagePanoptikum, 1888/1898; (LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030, Tit. 74, Theater, Nr. 913) Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin betreffend die in Puhlmann’s Theater (Reiff’s American) zur Aufführung gelangenden Theaterstücke.(LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030 Tit. 74 Nr. Th 505.)
348 | ANHANG
Acten des Polizei-Präsidiums zu Berlin, betreffend Tagesbefehle. 18641904.(LA Berlin A Pr. Br. Rep. 030 Nr. Th 3.) Acta des Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend Verwaltungsbericht des Polizeipräsidiums 1891-1900/1900-1903.(LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-05, Nr. 5.) Acta des Königlichen Polizei-Präsidii zu Berlin, betreffend die Anzeigen über die auf dem Victoria-Theater zur Aufführung zu bringenden Theaterstücke. 1864/1878.(LA Berlin A. Pr. Br. Rep. 030, Nr. Th. 394.) Akten des Polizei-Präsidiums zu Berlins, betreffend Vorführung plastischer Gruppen durch nackte mit einer farbigen Masse bestrichene weibliche Modelle.(LA Berlin, A Pr. Br. 030; Nr. Th. 1607. Th. Nr. 1310, 19071912) Anzeigen über die Veranstaltung von Nackttänzen, Genehmigungen und Verbote von Schönheitsabenden.(LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030 Th 1502, Th. Nr. 1364, Bd. 1 1908-1909) Verbot von anstoßerregenden Tänzen in Berlin und anderen Orten.(LA Berlin, A Pr. Br. Rep. 030, Th 1512, Th. Nr. 1669, 1913-1926) Auftreten der Goldenen Venus.(LA Berlin A Pr. Br. Rep. 030, Th 1604, Th. Nr. 1304; 1906-1907) LOOSER, Horst G.: Recherche-Akten zum Dissertationsvorhaben »Theater als kommunaler Treffpunkt. Standortuntersuchung von Theatern am Beispiel Berlins 1848-45«, Stand 1971, Berlin, Freie Universität, Bibliothek des Instituts für Theaterwissenschaft. Residenz-Theater 1886/86, Aktenmappe des Berliner Residenz-Theaters in der Stiftung Stadtmus. B., Abt. Th. u.d.a.
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IZ Nr. 2406, 10. August 1889. IZ, Nr. 2385, 16. März 1889. IZ, Nr. 2302, 13. August 1887. IZ, 4. Dezember 1886. IZ, Nr. 2160, 22. November 1884. IZ, Nr. 2151, 20. September 1884. IZ, Nr. 2135, 31. Mai 1884. IZ, Nr. 2128, 12. April 1884. IZ, Nr. 2121, 23. Februar 1884. IZ, Nr. 2119, 09. Februar 1884. IZ, Nr. 2118, 2. Februar 1884. IZ, 8. Juli 1871. IZ, Nr. 1483, 2. Dezember 1871. IZ, Nr. 1355, 19. Juni 1869. (Königl. Privil. Ztg.) Königlich Privilegierte Zeitung Königl. Privil. Ztg., Nr. 106, 7. Mai 1873. Königl. Privil. Ztg., 6. Mai 1873. Königl. Privil. Ztg., Nr. 226, 18. September 1870. Königl. Privil. Ztg. 17. September 1870. Königl. Privil. Ztg., 4. September 1870. Königl. Privil. Ztg., 2. September 1870. Königl. Privil. Ztg., 5. April 1870. Königl. Privil. Ztg., Nr. 63, 16. März1869. Königl. Privil. Ztg., Nr. 7, 9. Januar 1868. Königl. Privil. Ztg., 8. Jg., Nr. 36 & 37, 13. September 1863. Die Kunst für Alle Die Kunst für Alle, Nr. 8, 1892. Die Kunst für Alle, 5. Jg., Heft 17, 1. Juni 1890. Die Kunst für Alle. 4. Jg. Heft 8, 15. Januar 1889. Die Kunst für Alle, 4. Jg., Heft 3, 1. November 1888. Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nr. 582, 9. Dez, 1888. (Recensionen) Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik Recensionen, 6. Jg., Nr. 44, 31. Oktober 1860. Recensionen, 6. Jg., Nr. 11, 14. März 1860. Recensionen, 5. Jg., Nr. 46, 16. November 1859. Recensionen, 5. Jg., Nr. 28, 13. Juli 1859. (Voss. Ztg.) Vossische Zeitung Voss. Ztg. Nr. 5, Erste Beilage, 7. Januar 1868. Voss. Ztg., dritte Beilage Nr. 53, Mi., 4. März 1874. Voss. Ztg., zweite Beilage Nr. 76, Di., 31. März 1874. Voss. Ztg. Nr. 248, Zweite Beilage, 23. Oktober 1874.
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Internet-Referenz www.metopera-family.org
SACHVERZEICHNIS A. Wolf’s Etablissement 316 Abnormitäten 111, 169, 333 Adolph-Ernst-Theater 316 Agioskop 194f. Agoston’s Zauber-Salon 85, 156 Akademie der Künste 176 Aktiengesellschaft (AG) 55, 78, 107, 127, 184, 185, 311 Aktualität 76, 78, 102, 111, 162, 180, 186, 197, 215, 222ff., 293 Alcazartheater 317, 325 Alexanderplatz-Theater 64, 317 Alhambratheater, Alhambra-Theater 318, 321, 327 Allegorie 152, 153, 169, 236, 259, 268 American Theatre 321 Amerikanisierung 60 Amüsement 7, 137ff., 157 Anschauungsunterricht 86, 111, 237, 243 Anthropologie 26, 112, 236, 242 Anzeige 41, 63, 70, 110, 121, 129, 220, 281 Apollo-Theater 317, 320, 322, 323 Apotheose 152f., 163, 166, 169, 204, 269ff., 285, 286, 290, 291 Aufmerksamkeit 36f., 51, 72, 78, 103, 104, 115, 128, 129, 132, 140, 141, 164, 169, 234, 254 Augenblick („fruchtbarer“ ) 80, 115, 128, 174, 179, 185, 188, 189, 191, 194, 200, 205, 207, 213, 216, 217ff., 222f., 344 Augenzeuge 185, 192, 208, 210, 220f. Ausstattungsstück 11, 19, 20, 63, 84, 98, 135, 137, 148, 150, 158ff., 165, 167, 168, 213f., 226, 248, 250, 268, 279, 284,
287, 292, 293, 294, 318, 319, 323, 329, 330, 331, 339, 344 Authentizität 50, 72, 210, 216, 236, 243, 244, 246, 274 Belle-Alliance-Theater 63, 125, 133, 135, 171, 196, 197, 198, 200, 250, 316, 319 Bellevuetheater 319, 321 Berliner Operettentheater 319 Berliner Parodie-Theater 332 Berliner Prater, Berliner Pratertheater 133, 247, 319 Berliner Stadttheater 321 Berliner Theater 17, 126, 137, 320, 336 Berliner Volkstheater 321 Bild-Begriff 11, 24, 32, 44, 147ff., 152, 155, 156, 168, 169 Bildbericht, Bildberichterstattung 173, 179, 185, 215, 283 Bildende Kunst 12, 72, 90, 277, 299 Bilderatlas 294 Bilderbogen 181, 210 Bilderfeindlichkeit 20, 141 Bilderflut 68f., 116, 141 Bilderfolge, Bilderreihe 174, 200, 204, 212, 258, 259, 285, 289, 293, 294 Bilderreise 163, 257, 268 Bildervielfalt, siehe auch Multivisualität 149, 156, 168f., 298 Bilderwanderung, Wanderung der Bilder 100, 224, 295, 223ff., 295f., 298 Bildformel, Bildidee, Bildmuster 78, 151, 153, 169, 205, 223, 227, 277, 278, 294, 295, 298 Bildinhalt 97, 193, 223, 278 Bildkomposition 92, 152, 153, 180, 208, 223, 270, 298
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Bildkunst, Bildkünste, siehe Bildende Kunst Bildlektüre 50, 99ff., 179 Bildmotiv, siehe Bildthema Bildthema 76, 84, 223, 296, 298 (siehe auch Bildinhalt) Bildwirkung 11, 69, 81, 152, 192 Bildwissen 299 Bildzitat 276ff., 287 Binokularsehen 95 bon goût 138ff. Borussia-Theater 127, 321, 337 Bühnenbild 20, 130, 152, 249 Bundeshalle, Bundeshallen-Theater 321 Buntes Brettl 317 Buntes Theater 317 Bürgerliches Schauspielhaus 317 Café chantant 18, 41, 63, 64, 73, 155, 319, 340, 344 Callenbach’s Theater-Varieté 133, 321 Camera obscura 28, 36, 90, 91, 293 Carl-Weiß-Theater 331 Carte-de-visite 93, 180 Chatelet-Theater 161 Chatnoir 322 Circus, siehe Zirkus Circus Renz, siehe auch Olympia Riesentheater 128, 165ff., 279, 285, 329f. Cirque Imperial 160 Colonial-Panorama 79 Concordia-Etablissement, Concordia-Theater 322f. Connaisseur 72, 116, 134, 139, 141 conspicuous consumption 139 Cosmorama 15 Daguerreotypie 89f., 219 Daily Telegraph 226, 252, 257, 258, 259, 271 Deutsches Reichstheater 325 Deutsches Theater 325 Deutsches Volkstheater 325 Deutsch-Französischer Krieg 53f., 79, 125, 170ff., 224, 225, 268, 277, 295, 297 Die Gartenlaube 32, 49, 72, 129, 154, 177, 179, 253, 264
Diorama 20, 24, 83ff., 96, 111, 112, 115, 158, 174, 188, 190ff., 205ff. Dissolving Views, siehe Nebelbilder Divertissement 137, 201, 285, 286, 287 Dokumentation 86, 116, 174, 196, 216, 225, 254, 292, 295 Dreidimensionalität 76, 95, 96, 98, 112, 151, 194, 222, 236, 261 Eden-Theater 161, 316 Eidophusikon 15, 83 Einbildungskraft (siehe auch Imagination) 21, 71, 73, 217, 218 Elektrizität 93, 152, 270, 331 England 15, 16, 60, 68, 77, 99, 155, 160, 165, 230, 252, 254, 272, 297 Ethnographisches Schaustück 279ff. Ethnologie 112, 242, 244 Exotik, Exotismus, exotistisch 87, 163, 226, 227, 232, 233, 236, 238, 242ff. 253, 257, 260, 263, 265, 276, 283, 286, 294 Extravaganza, siehe Pantomime Feen-Palast 199, 201, 202, 317, 325 Féerie (siehe auch Pantomime) 97, 150, 152, 153, 159, 160, 161, 165 Festspiel 152, 196, 198, 201f. Film 8ff., 30, 81, 114, 144, 152, 190, 204, 216, 223, 245, 278, 295 Flaneur 106, 239 Frankreich 16, 55f., 60, 68, 77, 89, 99, 105, 114, 160, 174f., 178, 181, 186, 212, 222, 277 Fremdheit 226, 227, 233f., 242, 246, 265, 275, 283, 290, 292ff., 297 Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger 117, 123, 167, 311ff. Genrebild 101, 105, 148, 155f., 169, 179, 192, 196ff., 215f., 223, 314, 335, 337, 342 Genreszene 71, 110, 177, 182, 196, 203f., 223, 236
SACHVERZEICHNIS | 379
Geschäftstheater 41, 44, 63, 122ff., 128, 131, 157, 170, 215, 339 Geschichtsschreibung 38ff., 147, 211 Geschmack, Geschmacksbildung 15, 18, 51, 60, 71, 74, 118ff., 130f., 134, 143, 147, 170, 218 Gewerbefreiheit 18, 22, 44, 51, 64, 117, 120, 123ff., 299 Gewerbeordnung 44, 124, 125, 313f. Grand Opéra 98, 264, 292 Historienmalerei 11, 92, 211, 183, 185, 207, 211, 217 Hoftheater 62, 170 Holzstich 181, 203 Hotel de Russie 82 Huth’s Salon Theater 133 Ikonographie 30, 92, 172f., 211, 220, 232, 276, 291, 295 Illusion 19,20, 68, 72ff., 81, 83ff., 110, 116, 158, 191, 207, 216, 220, 224, 295, 298, 333 Illustration 21f., 41, 49, 72, 75, 101, 103f., 148, 158, 179, 181, 225, 228, 232, 237, 256, 263, 272f., 293 Illustrationskultus 72, 116, 148 Illustrierte, Illustrierte Zeitung, Illustrierte Zeitung 67, 69, 70, 76, 87, 88, 99ff., 137, 156, 168, 177ff., 193, 213, 234, 240f., 254f., 261, 295, 297 Imagination 26, 102, 140, 232, 244, 278 Imperialismus 112, 152 in context-Display 235f., 291 in situ-Display 236f., 287, 291 Industrialisierung 55, 57, 67f., 116, 133, 269, 278 Intermedialität 12f., 23, 24, 52, 248, 298 Interpiktoralität, interpiktoral 223ff., 277, 278, 280, 284, 292, 295ff., 298f. Intervisualität, intervisuell 248, 278, 280, 296ff., 284 Intimes Theater 317 Journal, siehe auch Magazin, Zeitung 41f., 99ff., 103
Kaiserpanorama 113, 106, 115, 182 Kinematographie, kinematographisch 45, 102, 112, 203, 291, 295, 319 Kolonialausstellung 111, 231, 236, 238, 239 Kolonialismus, Kolonialpolitik 112, 246, 226, 229f., 232, 243, 251, 280, 282, 292 Kommodifikation 19, 120, 143, 299 Königliche Oper 63 Königliches Schauspielhaus 158, 326 Königstädtisches Theater 125, 133, 317, 318, 321 Königstädtisches VaudevilleTheater 321 Konsum, Konsumption 15, 20, 21, 69, 104ff., 114, 119f., 131f., 138ff., 144, 213, 299 Kontemplation, kontemplativ 21, 115, 122, 140, 175, 299 Kristallpalast 87 Kroll’s Etablissement, Kroll’sches Etablissement, Kroll-Theater 63, 126, 128, 133, 197ff., 319, 327 Kulturindustrie 12, 144 Laterna magica 10, 68, 80f., 85, 264 Le Tour du Monde 231 Lebende Bilder (siehe auch Tableaux Vivants) 16, 152ff., 164, 169, 196, 198, 199, 201ff., 212, 222, 320, 322, 341, 344 Lichtbild, Lichtbildvortrag 71, 205, 231, 274 Lithographie 41, 49, 100, 112, 181, 232 Louisenstädtisches Theater 133, 197, 316 Lustspiel 45, 129, 156f., 198, 247, 314, 319, 323, 326, 333, 335, 337 Magazin (siehe auch Zeitung) 99, 103, 140, 216, 231, 293 Magie 83, 112, 158, 326 malerisch, siehe pittoresk Mareorama 81
380 | ANHANG
Massenkultur (siehe auch Populärkultur) 15, 29, 31, 51, 122, 131, 140, 142, 144 Massenpublikum 21, 52, 73, 98, 115, 140, 184, 222 Massenunterhaltung 22, 142 Medienwissen 248, 271 Melodrama 10, 14ff., 151, 156, 160, 163, 269, 291 Metropolitan Opera 250 Metropol-Theater 162, 336 Momentfotografie, Momentphotographie 83, 180 Motivselektion 293 Moving Panorama 81 Multivisualität 148ff., 169, 292f., 298f. Museum für Völkerkunde 275 Musik 16, 44, 47, 87, 155, 164, 165, 199, 200, 201, 212, 239, 243, 244, 250, 264, 266, 268, 276, 290f., 296, 324 Nationalgalerie 211f., 222 Nationalpanorama 79 Naturnachahmung, Naturtreue 69, 81, 87 Nebelbilder 10, 85ff., 115, 156, 194, 331 Neues Friedrich Wilhelmstädtisches Theater 343 Neues Königliches Operntheater 327 Neues Operettenhaus 316, 328 Neues Theater am Schiffbauerdamm 328f. New York Herald 226, 251, 252, 254, 257, 258, 271 Norddeutsches Theater 133 Nordland-Panorama 86f. Ökonomie, Ökonomisierung (s. auch Kommodifikation) 17f., 34, 43, 57, 65, 78, 116ff., 143 Olympia-Riesentheater GmbH (s. auch Circus Renz) 60, 128, 163, 168, 329 Oper 20, 45, 83, 84, 97f., 124, 126, 136, 137, 152, 155, 160 , 169, 196, 250, 263, 316, 318, 320, 325, 327, 332, 336, 339, 341
Operette 16, 45, 110, 132, 135, 156, 162, 247, 260, 316, 319, 323, 324, 326, 333, 337, 339, 340, 342ff. Optische Apparatur 68, 70 Optische Effekte 156ff., 159, 163 optische Experimente 45, 156 Optische Wirkung 11, 73 Orpheum 343 Ostendtheater, Ostend-Theater 282, 318, 331f. Palast-Theater 325, 317 Panoptikum 135, 141, 164, 169, 213, 222, 235f., 242, 280, 295 Panorama de l’Histoire du siècle 80 Panorama der Hafeneinfahrt von New York 75, 81 Panorama deutscher Kolonien 233 Pantomime 159ff., 227, 260, 270f., 278f., 284, 287f., 296 Passage-Panoptikum 103ff., 212f., 236, 244, 332 Passage-Theater 114, 333 Pavillontheater 333 Phantasmagorie, phantasmagorisch 69f., 83, 157, 169, 193 Philharmonie-Theater 334 Photoplastikon, s. Kaiserpanorama 113 Physiologie des Sehsinns 20, 29, 36, 37, 67, 95, 97, 114 pictorial dramaturgy 11, 24, 159 pictorial turn 18, 25ff. pittoresk 70f., 80, 92, 94, 168, 226, 246, 262ff., 274, 289f., 292ff. Plakat 69, 74, 151, 154, 233, 297 Populärkultur (siehe auch Massenkultur) 14, 16, 31, 33, 140, 144, 172, 299 Positivismus 39f., 216, 219f. Posse 11, 16, 63, 123, 126, 134, 150, 156, 160, 198, 247, 260, 316ff., 323, 335, 337, 339, 340, 341 Postkarte 69, 94, 108, 181, 216, 232, 293 Praxinoskop 68
SACHVERZEICHNIS | 381
Privatbühnen, Privattheater, siehe Geschäftstheater Projektion 11, 12, 68, 80, 85, 96, 158, 194, 264, 297 Propaganda 29, 30, 79, 215, 231 Puhlmann’s Theater 168, 318 Puhlmann’s Vaudeville-Theater 333 Quarg’s Vaudeville, Quargs Vaudeville-Theater 317f., 334 Rappo-Theater 85, 156, 334 Realismus 69, 86, 87, 116, 149, 158, 160, 175, 188, 207, 216, 219 Realitätstreue (s. auch Realismus) 81, 101, 191 Re-Enactment 70, 210, 290 Reichshallen-Theater 317, 334 Reiff’s American, siehe Puhlmann’s Theater Reklame 31, 41, 69, 74, 79, 82, 104, 128, 132, 142, 153, 210, 228, 233f., 256 Reproduktion, Reproduzierbarkeit 20, 67, 69ff., 74, 94f., 99f., 132, 144, 148, 151, 153, 180f., 203, 210, 216f., 224, 256, 261, 273, 294, 298 Reunion-Theater 343 Revue 144, 155, 162f., 168, 339 Salon-Royal (-Theater) 125, 335 Schaufenster 20, 74, 105f., 110, 132, 173 Schaulust 72, 103, 104, 110, 115, 116, 120ff., 132, 133, 137, 141, 160, 166, 220, 242, 297 Schauspieler 44, 93, 97, 119, 123, 130, 149, 158f., 173 Schaustück, siehe Ausstattungsstück Schauvielfalt (s. auch Multivisualität) 156ff., 168f., 298 Schillertheater 341 Schlachtenbild, Schlachtengemälde, Schlachtenmalerei 102, 172, 181, 184, 187, 193 Sedan-Panorama 78, 79, 174, 183ff., 201, 205ff., 220 sehenswert, das Sehenswerte 94, 210, 293 Sehenswürdigkeit 109, 162, 294, 344
Sensation 14, 18, 21, 60, 64, 74, 104, 112, 114, 132, 136, 140ff., 169, 215, 280 Sensationsbild 141 sight-seeing 293f. Simulation von Bewegung, Bewegungssimulation 260, 295 Sinnig’sches Schauspiel 125 Sinnlichkeit, siehe Sensation Sittengemälde 148, 155, 156, 298 Skioptikon 68 Spektakel, Spektakelstück, siehe Ausstattungsstück Spezialitäten, Specialitäten, Spezialitätenbühne 63, 64, 137, 156, 157, 162, 169, 317, 318, 323, 331, 332, 335, 340 Stadttheater Charlottenburg 125, 335 Stereorama, siehe Kaiserpanorama Szenographie, szenographisch 10, 11, 24, 52, 150, 262ff. Tableau, Tableaux 10, 149ff., 163, 164, 165, 197f., 225, 236, 238 Tableaux vivants 152ff., 169, 198, 203, 212, 344 Tanz 111, 126, 163, 165, 197, 199, 201, 237, 240, 244, 260, 265, 268, 272, 285, 286, 287, 291, 296, 318 Thalia-Theater 63, 316, 328, 336 Theater-Agent, Theater-Agentur 19, 42 Theaterfotografie 91ff. Theater-Freiheit 122ff. Theatergeschichtsschreibung, Theater-Historiographie 9, 39, 121, 147, 174 Theater-Kalamität, siehe TheaterKrise Theater-Krise 117, 118, 121, 139144 Theaterneugründungen 18, 125 Theaterprospekt 80 Theater-Varieté 321, 332 Theaterzeitung 121, 153, 174 Theaterzensur 43ff., 118, 155, 315 Theaterzwischenakts-Zeitung 123, 129, 242
382 | ANHANG
Théâtre Ambigu-Comique 84 Théâtre de la Porte St. Martin (Paris) 160, 161 Théâtre Varieté 321 Theatromanie 18, 94, 120, 139f. Tingel-Tangel 18, 31, 126, 164, 239, 320 Tonhallen-Theater 125, 337 Transitorik, transitorisch 83, 93, 152, 218, 221 Über Land und Meer 154, 177, 231 Überbrettl 317 Universum (Spielstätte) 332 Urania, Urania-Gesellschaft, Urania-Theater 87f., 318, 321, 337f. Varieté 16, 18, 45, 64, 73, 126, 145, 155, 162, 291, 317, 320, 337 Vaudeville 144, 317f., 321, 333 Vedute 80 Victoria-Theater, Viktoria-Theater 22, 94, 136f., 160ff., 196, 197, 212, 214, 226ff., 247ff., 282, 317, 331, 338, 339 visuelle Kompetenz, visuellkulturelle Kompetenz 35, 37, 115, 225, 224, 271, 293, 297, 299 Völkerschau, siehe Zurschaustellung von Personen Volkstheater Charlottenburg 157 Vorstädtisches Theater 326, 340 Vossische Zeitung 85, 150, 157, 170, 178 Vraisemblance 81, 216, 268 Wachsfiguren 105, 107, 111, 332 Walhalla 126, 320 Walhalla-Operettentheater 340f. Walhalla-Parodie-Theater 341 Walhalla-Volkstheater 125, 133, 154, 156, 157, 340f. Wallner-Theater 197, 198, 215, 321, 341 Wandelbild (s. auch Dissolving Views, Nebelbilder) 85, 156, 334, 338
Wanderung von Bildmustern, Bildideen (s. auch Interpiktoralität) 100, 223ff., 295, 298 Weltausstellung 20, 34, 79, 96, 183, 228, 236, 238ff., 245, 246, 295 Weltpanorama, siehe Kaiserpanorama Werbung 30, 128, 130, 233f., 263, 280, 295 Wiener Volkstheater 332 Wilhelmtheater 342, 343 Wintergarten 74, 129, 130, 154, 342 Wirklichkeit 68, 69, 73, 76, 85, 98, 149, 191, 216, 218, 219, 220, 224, 237, 263 Woltersdorff-Theater 133, 160, 196, 197, 212, 343 Zeitbild, Zeitgemälde 196ff., 212, 215, 216, 331, 335 Zeitschrift 72, 100f., 107, 141, 154, 174, 177f., 180, 216, 232 Zeitung (s. auch Illustrierte Zeitung, Vossische Zeitung) 41ff., 49, 64, 93, 99ff., 116, 118f., 131, 140, 148, 151, 172, 174, 177ff., 193f., 215, 222, 225, 230, 234, 243, 253, 256, 261, 271ff., 282, 292, 297 Zensur (s. auch Theaterzensur) 41, 43ff., 64, 118, 121, 126, 155, 174, 210, 334 Zentraltheater (Centraltheater) 343f. Zerstreuung 51, 74, 115, 139ff., 238, 299 Zirkus 18, 64, 73f., 128, 135, 154, 158, 162, 165ff., 242, 279, 285, 287, 329f., 340 Zurschaustellung (von Personen) 107, 111f., 228, 235, 236, 240ff., 246, 275, 277, 279f., 283ff., 287, 289ff., 295f.
NAMENVERZEICHNIS [Anmerkung: Rufnamen sind in den Quellenmaterialien häufig auf den Anfangsbuchstaben verkürzt. Nicht in allen Fällen ließen sich die Vornamen ermitteln.] Adorno, Theodor W. 26, 131, 144 Ahlers, Wilhelm 321 Akats, Franz von 203, 217f., 263 Altvater, Wilhelm 319 Anschütz, Ottomar 220 Anthony, Edward 98 Appert, Eugène 173 Arago, Dominique François 90 Ascher, Julius 326 Baines, Thomas 232 Bandow, Eugen 340 Barker, Robert 77 Barnay, Ludwig 126, 320, 328, 340 Barnum, Phineas Taylor 128f., 280 Baron, Julius 323, 342 Barthes, Roland 102, 149f, 256 Bauernfeld, Eduard von 194 Bayard, Jean-François Alfred 277 Becker, Benno 142 Becker, Carl 212 Becker, E. (Dioramamaler) 112 Begas, Oscar 110 Behr, Julius 338 Benjamin, Walter 14, 21 34, 38, 51, 69, 72, 81f., 91, 105f., 114, 140f., 189, 226 Bente, Carl 343 Bente, Friedrich (Fritz) 321, 344 Berg, O. F. 11, 150 Bergmann, Heinrich Bergmeier, Karl Albert 108 Berlioz, Hector 264 Bernhardt, Sarah 69, 128 Berninger, Edmund 87 Betz, Franz 109, 110 Birchpfeiffer, Charlotte 326
Bismarck, Otto von 54, 108, 190f., 208ff., 213, 229, 240f. Bleibtreu, Georg 187 Block, Adolphe 97f., 153 Blumenreich, Paul 336 Blumenthal, Oskar 212, 327 Böhm, H.R. 10, 85 Bolten-Backers, Heinrich 324 Borsdorff, Paul 328 Boucicault, Dion 147 Bourdieu, Pierre 12, 138, 139 Bouton, Charles-Marie 83 Bracht, Eugen 186, 192 Brahm, Otto 121, 326, 327 Braquehais, Bruno 173 Braun, Louis 76, 87, 187 Brewster, David 96f., 182, 219 Breysig, Johann Adam 78f. Buchholz, Robert 328, 331 Buffalo Bill (i.e. Cody, William Frederick) 285, 324, 325 Bülow, Hans von 109 Burger, Paul 117f. Busse, Hugo 341 Cahnbley, A. 284, 330 Callenbach, Ernst 321 Callenbach, Karl (Carli) 321 Callenbach, Natalie, geb. Reissig 321 Camphausen, Wilhelm 187 Carjat, Etienne 93 Caspar, Johann Peter 337 Castan, Gustav 107, 110 Castan, Louis 107, 110 Cerf, Rudolph (Rudolf) 121, 122, 136, 160, 338f. Cicéri, Luc-Charles 84 Claar, Emil 334
384 | ANHANG
Clausius, Louis 331 Conrad, Joseph 232 Conradi, M. 197, 201 Cook, James 232 Cruikshank, George 151 D’Alesi, Hugo 81 D’Énnery, Adolphe 291 Daguerre, Jacques-Louis Mandé 83f., 89f. Damrosch, Leopold 250 Dauthendey, Max 90, 274 David, Jacques Louis 83 De Saint-Georges, Jules Henri 277 De Vry, Henry 129f. Deichmann, F.W. 325 Delaroche, Paul Hippolyte 90, 211 Dell’Agostina, Anita 324 Detaille, Edouard 186 Devrient, Otto 136, 161, 339 Diderot, Denis 149 Diehl, Johannes 199-206 Dingelstedt, Franz von 11, 219 Disdéri, Adolphe 90, 195 Döbeler, Ludwig 85 Donat, Benno von 328 Donizetti, Gaetano 160, 277, 339 Dorn, Franz 323, 342 Dressel, A. 214 Dröscher, Georg 319 Dumas, Alexandre 34 Düssel, Adolph 323 Düssel, Franz 323 Edison, Thomas A. 109 Emin Pascha (i.e. Eduard Schnitzer) 252ff., 280ff., 322 Engel, Joseph C. 327 Engels, G. 109 Ernst, Adolf (Adolph) 316, 344 Ernst, Moritz 339 Ewald, Ernst 176 Ewers, Wilhelm 150 Ferenczy, José 344 Feuerbach, Ludwig 68 Fincke, Max 107 Firmans, Joseph 316 Fleischer, Philip 80 Foerster, W. 87 Fontane, Theodor 58ff., 178, 250, 251, 262
Freytag, Gustav 20, 143, 175 Friedrich der Große (II) 157 Friedrich III. 201 Fritze, Max 340 Fritzsche, Julius 325, 336, 343 Frosch, Karl Hubert 187, 188 Fuchs, Eduard 68, 69, 101, 179 Fuchs, Rudolph 335 Fuhrmann, August 112ff., 182f. Gautier, Théophile 68, 133 Geißler, Wilhelm 185 Genée, Rudolph 17, 134, 159, 170, 247 Gentz, Wilhelm 186 Ginri, Maria 324 Girod, G. 321 Goethe, Johann Wolfgang von 214, 340 Golch, Alexander 319, 321 Goldmark, Karl 265 Gordon Pascha (i.e. Charles Gordon) 281 Görlitz, Carl 212 Görner, Maximilian 337 Görss, Gustav 316 Gottschalk, O. 107 Gräbert, Julie 340 Gräbert, Louis 340 Greuze, Jean-Baptiste 149 Gropius, Carl Wilhelm 84 Großheim, Karl von 107 Großkopf, Emil 126, 320, 340 Großkopf, Gottlob 320, 340 Grüneke, Anton Ludwig 317 Grunewald, Willy 327 Grünfeld, Hermann 331 Grunow, Theodor 321 Grunow, Weidtlandt 321 Gumtau, Friedrich 328 Gunkel, August Friedrich 336 Günther, Carl 242 Günther-Namburg, Otto 108, 212, 213 Gutzkow, Karl 21, 74 Haeckel, Ernst 135, 137, 139 Haesener, Waldemar 319 Hagenbeck, Carl 241ff., 275, 291 Hahn, Emil 134, 161, 226, 331, 332, 339 Hahn, Friedrich Richard 335 Haller, Hermann 128, 163, 329f.
NAMENVERZEICHNIS | 385
Hasemann, Wilhelm 316, 342 Hauptmann, Gerhart 43, 327, 331, 332, 341 Hayes, Catharine 128 Hebbel, Friedrich 74 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 138 Heinemann, Otto 332 Hellgrewe (Hellgreve), Rudolf 237 Hendrichs, Herman 339 Hermann, Rudolf 247 Herrnfeld, Anton 317 Herrnfeld, Donat 317 Herwarth (Dioramamaler) 110 Heubeck (Eskamoteur) 85, 334 Heyden, Adolf 106 Heyden, August von 176 Hildebrandt, Ernst 110 Hock, Wilhelm 249f., 259, 270, 271, 319, 334 Hofbauer, Max 336 Hoffmann, E.T.A. 13f., 189 Hogarth, William 99 Holmes, Oliver Wendell 96 Holub, Emil 235 Horn, Georg 198, 212 Huck, August 99 Hülsen, Botho von 326 Hünten, Emil 184 Ibsen, Henrik 109, 135, 319 Immermann, F.A. 169 Isenring, Johann Baptist 90 Janecke, Karl 335 Jestel, Eduard 325 Kadelburg, Gustav 334 Kalbo, Johann Friedrich 319 Kalbo, Louis 321 Kalbo, Paul 319 Kant, Immanuel 138 Katscher, Leopold 129 Kayser, Heinrich 107 Keil, Ernst 72 Kentsch, August 333 Kerr, Alfred 60, 166, 167, 239, 330, 336 Khaynach, Friedrich Freiherr von 57ff., 83, 101f., 186, 191, 210, 220 Kipling, Rudyard 232 Kiralfi, Bolossy 128
Kleinschmidt, August 325 Kleist, Heinrich von 340 Knille, Otto 176 Knoll, A. (Ballettmeister) 284 Köberle, Georg 19, 42, 118, 124, 131 Koch, Georg Friedrich 108, 186, 192 Koch, Max 212, 213 Koch, Robert 109 Koeppen, Hermann 332 Kopka, Theophil 335 Krause, Fritz 271 Krause, Rudolf 321, 336 Krean (Kren, Crane), Jean 316 Kroll, Auguste 327 Kroll, Joseph 327 Kruse (Krüsemann) Georg 327, 335 Kürnberger, Ferdinand 21f., 72, 101, 103 Kurz, August 331 Kyllmann, Walter 106 L’Arronge, Adolph 325, 328, 337 Lamiche, François 97 Lamiche, Léon Constant 97 Lanner, Katti 323 Lautenburg, Sigmund 329 Lebrun, Theodor 342 Lehnhardt, G. 197 Leopold II. 229, 255 Lessing, Emil 326 Lessing, Gotthold Ephraim 11, 62, 217, 218, 221, 340 Leutemann, Heinrich 111 Lilienthal, Otto 331 Lincke, Paul 317, 324 Linsemann, Paul 42, 73, 74, 121, 134 Litaschy, Emil 226, 270, 271, 339 Livingstone, David 232, 235, 250, 251, 252, 254, 256ff., 278, 281 Loutherbourg, Philippe-Jacques de 83 Lucas, Herrmann 127, 321 Lüders, Hermann Arnold 212, 331 Ludwig, Otto 143 Mac Mahon, Patrice de 170, 175 Mallachow, Carl 344 Mannstädt, Wilhelm 123
386 | ANHANG
Marinier, Jules 97f. Marobson, C. 197f. Marquardt, Carl 242 Massenet, Jules 264 Maurice, Charles Friedrich 319 Mauthner, Max 318 May, Karl 232 Meier, Hermann 316 Meißner (Regisseur) 123 Messter, Oskar 327 Meyer, Wilhelm 87, 337 Meyerbeer, Giacomo 264 Miller, Christine 343 Millöcker, Karl (Carl) 326 Möller, Willy 242 Moltke, Helmut General Graf von 108, 174, 184, 191, 206ff., 213, 277 Mosse, Rudolf 99 Moszkowski, Alexander 226, 248, 259 Mucha, Alfons 154 Müller, Hermann 181 Müller, Hugo 197, 201, 215 Nadar, Félix Tournachon 75, 93f., 195 Napoleon III 70, 174, 175, 181 Nathanson, Richard 226, 248, 259 Natterer, Johann 90 Natterer, Joseph 90 Neumann, Emil 334, 343 Neumann, Richard 107, 110, 280, 322 Neuville, Alphonse de 186 Nièpce, Nicéphore 89f. Nießen, Ernst 321 Nowack, Otto 328 Numa fils (i.e. Émile Haering) 98 Oelsner, Max 157 Offenbach, Jacques 320, 326, 343 Oldenberg, Friedrich 67, 72, 73, 103, 104 Ottomeyer, Heinrich 325 Pabst, Karl Robert 164, 169, 218 Paetsch, Julius 333 Panofsky, Erwin 30, 35, 50, 276 Pasqué, Ernst 198, 212 Petersen, Hans 76, 77 Petit, Pierre 195 Philippi, Felix 156 Philippoteaux, Felix 183, 188
Pickenbach, F. 340 Pietsch, Ludwig 109, 186 Piglhein, Bruno 78 Poersch, Carl 325, 326 Pognet (i.e. Anatoly Cyrus) 98 Possart, Ernst 327 Prasch, Alois 336 Pröstel, Eduard 326 Puhlmann, Carl 333 Quarg, Richard 317, 318, 334 Rahn, Hans Julius 342 Raida, Carl Alexander (C.A.) 212, 250, 259 Ranke, Leopold 211 Rappo, Charlotte 154 Reiff, August 318, 333 Reille, Honoré-Charles (General) 183, 192, 204ff. Reinhardt, Max 11, 22, 329 Renz, Ernst 227, 279f., 329 Richter, Gustav 342 Röchling, Carl (Karl) 186, 187, 192 Ronacher, Alois 336 Ronacher, Anton 336 Rose, Bernhard 331 Rosenfeldt, Theodor 114 Rosenstiel, Eugen 331 Rosenthal, Albert 250, 328, 334 Rosseck, Rudolf Ferdinand 337 Rossini, Giacomo 160, 322, 339 Saltarino (i.e. Hermann Waldemar Otto) 19, 129, 167, 279, 280 Samst, Max 126, 317, 318, 331 Sardou, Victorien 334 Sarony, Napoleon 98 Schaller, Ernst Johann 176 Schaumberg, Hermann 344 Schellenberger, Philipp 333 Scherenberg, Ernst 162, 213, 214, 226 Scherenberg, Gustav 339 Scherl, August 99, 162 Schiller, Friedrich von 132, 214, 340 Schimmelpfennig, Otto von 334 Schinkel, Karl Friedrich 79 Schlegel, August Wilhelm 132 Schmiedel, Friedrich Wilhelm 321 Schmieden, Heino 175
NAMENVERZEICHNIS | 387
Schneider, Carl 333 Schneider, Hermann 87 Scholz, Hugo 319 Schönchen, Leopold 87 Schönfeld, Alfred 316 Schrader, Friedrich Erich 127, 326 Schreier, Hermann 316 Schreier, Otto 157 Schulte, Hermann 325 Schultz, Richard 162, 247, 336f., 344 Schultze, Wilhelm (gen. Paulet) 317 Schulz, Fritz (Friedrich) 182 Schweighofer, Felix (Mimiker) 135 Sedlmayer, Stephan 322 Sedlmayr, Hans 20, 140 Sédouard, E. 153, 155, 288 Seemann, Hermann 114, 332, 333 Sehring, Bernhard 336 Selar, Louis von 318, 327, 328 Severini, Cäsar 250, 259 Seyfarth, Emil 321 Shakespeare, William 20, 62, 132, 169 Siemering, Rudolf 175f., 192 Simm, Franz 87 Skarbina, Ernst 322 Skladanowsky, Emil 342 Skladanowsky, Max Richard 342 Stanley, Henry Morton (i.e. John Rowland) 226, 227, 229ff., 248, 250-283, 294 Stegemann, Adolf 196 Stehn, Prof. (Vorführer von Wandel-/ Nebelbildern) 85, 156, 334 Steiner, Franz 320 Sternheim, Hermann 319 Stevens, Alfred 80 Strauß, Johann 326 Strewe, Paul 318, 331 Sudermann, Hermann 327, 332 Suppé, Franz von 247, 326, 332 Talbot, W. Henry Fox 90 Thomas, Emil 317, 344 Thumb, Tom 128 Tielker, Johann Friedrich 78 Trendies, Otto 247
Ullstein, Leopold 99 Unger, Robert 201 Van Hell, C.F. 328 Veblen, Thorstein 138f. Verdi, Giuseppe 20, 160, 339 Verne, Jules 161, 232, 261, 291, 338, 339 Victoria (Kaiserin) 109, 213 Vige, Nicolas 98 Virchow, Rudolf (Rudolph) 109, 111, 242 Wagner, Richard 20, 89, 140, 160, 250, 332, 339 Waldmann, E. 323 Wallner, Edmund 153ff., 203 Wallner, Franz 341f. Warburg, Aby 30, 32, 294, 295 Warner, Neil 250 Webber, John 232 Weidmann, C. 282, 284, 290 Weiß, Carl 331 Wells, H.G. 337 Wereschtschagin, Wassilij Wassiljewitsch 135, 191 Werner, Anton von 79, 136, 161, 176f., 180, 184ff., 190ff., 205ff. West, U. 247 Westarp, Adolf Graf von 73 Westernhagen, H. von 317 Wheatstone, Charles 95f. Wheeler, Mark 156 Wilberg, Christian 186 Wildenbruch, Ernst von 118, 220, 332 Wilhelm I 54, 176f., 184, 201, 205f. Wilhelm II 76, 87, 201 Wilkem, H. 247 Wilken, Heinrich 344 Wilkie, David 151 Winkler, Clara, geb. Bernhardt 317, 325 Winkler, Olof 88 Winkler, Richard 317, 325 Wißmann, Hermann Major von 237, 280ff., 280 Witt, Julius 316 Witte-Wild, Fritz 331, 336 Wolf, August 316, 319 Woltersdorff, Arthur 342, 343 Ziegra, Max 323
TITELVERZEICHNIS Africa; or how I found Livingstone 250 Afrikaner 247 Aida 265 An der Spree und am Rhein 197 Auf Helgoland oder Ebbe und Flut 330 Bacchus und Cambrinus, oder: Der Sieg des Champagners 330 Bei Sedan, oder Des Kaiserreiches letzte Stunde 196, 197 Berlin, Kurfürst, König, Kaiser 212 Berliner in Cairo 215 Berliner in Frankreich 196 Berliner in Krieg und Frieden 197 Cendrillon 153 Constantinopel 163, 330 Das eiserne Kreuz 343 Das lachende Berlin 135 Das Modell 337 Der Glöckner von Nôtre-Dame 340 Der Kaufmann von Venedig 155 Der Mikado (oder: Ein Tag in Japan) 318, 229, 337 Der Sonnenvogel 337 Des Königs Befehl, oder Friedrich der Große und seine Zeit 157 Die Afrikaner von Berlin 247 Die Afrikanerin (L’Africaine) 97, 155, 264 Die Afrikareise 247 Die Braut von Messina 155 Die Ehre 327 Die Fledermaus 337 Die Göttin der Vernunft 337 Die Hugenotten (Les Huguenots) 98 Die Kapitulation von Sedan 197, 204, 205, 208
Die Kinder des Kapitän Grant 161, 226, 250, 291, 339 Die Königin von Saba 265 Die Nordamerikaner 161 Die Quitzows 118, 220 Die Regimentstochter 277 Die Reise in die Astronomie 318 Die Reise um die Erde in achtzig Tagen, Die Reise um die Welt in 80 Tagen 161, 226, 261, 291, 339 Die schwarze Venus 316 Die Stumme von Portici (La Muette de Portici) 97, 155 Die Tochter des Tambourmajors 320 Die Wacht am Rhein 196, 197, 198 Die weiße Katze 226 Die Zeitmaschine 337 Distraining for Rent 151 Dorf und Stadt 331 Drei Tage aus dem Leben eines Spielers 156 Eheglück 130 Eine Afrikareise, oder Rosen aus dem Süden 247 Eine Tochter Brandenburgs 212 Eine Visitkarte Bismarcks 212 Eine wilde Sache 247 Episoden aus dem SchleswigHolsteinischen Krieg 165, 330 Farinelli 135 Faust 97, 155, 331 Faust I 161, 339 Faust II 136, 161, 339 Fidelio 155 Frau Luna 324 Frau Venus 212, 250 Freischütz 155 Germania 162, 213, 214
390 | ANHANG
Gullivers Reisen 331 Hamlet 331 Harlekin à la Edison, oder: Alles elektrisch 165, 330 Im dunklen Erdtheil (Einnahme von Bagamoyo) 163, 227, 245ff., 279-291, 294-296, 299 Joseph in Egypten 155 Kabale und Liebe in Kamerun 288 Le Roi de Lahore 264 Lebende Bilder 320 Marengo 160 Mene Tekel 168, 330 Nach Sonnenaufgang 341 Napoli, oder: Salvator Rosa und die Banditenfürstin 330 Nathan der Weise 327 Nichte und Tante 157 Nordstern 155 Nur nicht heirathen 157 Omai: Or, a Trip Round the World 163 Onkel Toms Hütte 335 Orpheus in der Unterwelt 329, 337 Pandora/ Götterfunken 270f. Paradies der Frauen 337 Paris unter der Commune 194, 195, 198 Peau d’Âne 160 Rheingold 160, 341 Ring der Nibelungen 344 Robert der Teufel (Robert le Diable) 97, 155 Robinson 331
Romeo und Julie 155 Rózsa Sándor 134 Rückblicke 199 Rückblicke, Oder: von Berlin nach Versailles 197, 200 Seebad Helgoland 165f. Sohn der Wildnis 155 Stangens Orientreise 260 Stangens Vergnügungsfahrt 260 Stanley in Afrika 94, 226, 227, 245, 247, 248f., 288, 289, 292ff. Tannhäuser 250, 341 The Bottle 151 The Critic 151 The Rent Day 151 Troyens à Carthage 265 Um Emin Pasha 282 Umgesattelt, oder Die Sedan-Feier 196 Va banque! 150 Venus auf Erden 324 Versailles und die Commune von Paris, oder: wie es jetzt in Paris aussieht 196, 197 Vierzig lebende Bilder aus den Kriegsjahren 201ff. Violetta, die Dame mit den Camelien 316 Vor Sonnenaufgang 327, 341 Voyages Extraordinaires 232 Walküre 93 Wallensteins Lager 155 Wilhelm Tell (Guillaume Tell) 97, 155 Zur goldenen Hochzeit des deutschen Kaiserpaares 212
Kultur- und Medientheorie Hans Dieter Hellige (Hg.) Mensch-Computer-Interface Zur Geschichte und Zukunft der Computerbedienung
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