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German Pages 200 Year 2016
Manfred Kühn Peripherisierung und Stadt
Urban Studies
Manfred Kühn (Dr. rer. pol.) geb. 1960, ist Senior Researcher am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner. Der Stadt- und Landschaftsplaner promovierte an der Universität Kassel und forscht langjährig zu Klein- und Mittelstädten sowie dem Umgang der Planungspolitik mit Schrumpfung und Peripherisierung. Er ist Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL).
Manfred Kühn
Peripherisierung und Stadt Städtische Planungspolitiken gegen den Abstieg
Die vorliegende Publikation wurde mit finanziellen Mitteln des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) gefördert.
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Inhalt Vorwort | 9 Einführung | 13
I PERIPHERIE – LAGE AM RAND Peripherie – eine negative Raumzuschreibung | 21 1.1 Niemand will gern Peripherie sein | 21 1.2 Peripherie als Begriff der sozialwissenschaftlichen Raumforschung | 22 1.3 Disparitäten zwischen Zentren und Peripherien | 25 1.4 Auf allen räumlichen Ebenen: Zentrum-Peripherie-Systeme | 26 1
2
Zentrum – die Metropole definiert, wo Peripherie ist | 29
2.1 2.2 2.3 2.4
Milliarium Aureum: Mittelpunkt des römischen Reiches | 30 Hauptstädte als Machtzentren | 33 Die Stadt als Zentrum: Christallers Theorie Zentraler Orte | 35 Von der Stadt zur Metropole | 39
3
Peripherien in der räumlichen Planung und Politik | 41
3.1 3.2 3.3 3.4
Planung als soziale Konstruktion von Räumen | 42 Weniger entwickelte Regionen: Peripherien in Europa | 43 Metropolregionen und ländliche Peripherien in Deutschland | 46 Metropole und Peripherie: Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg | 51
4
Theoretische Konzepte: Von der Peripherie zur Peripherisierung | 59
4.1 Innere Peripherien (Geschichtswissenschaften) | 59 4.2 Aufstieg und Abstieg von Peripherien (Historische Geographie) | 61
4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Polarisationstheorien (Regionalökonomie) | 62 Zentrum-Peripherie-Theorie (Planungswissenschaften) | 64 Benachteiligung und Machtlosigkeit (Politische Soziologie) | 65 Peripherisierung als Exklusion (Governanceforschung) | 67 Zusammenfassung | 68
II P ERIPHERISIERUNG VON STÄDTEN 5
Peripherisierung – ein Untersuchungskonzept | 75
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Abwanderung | 76 Abkopplung | 77 Abhängigkeit | 78 Stigmatisierung | 79 Design und Methodik der empirischen Fallbeispiele | 80
6
Abwanderung: Wie die Autometropole Detroit eine Million Einwohner verliert | 85
6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Der Aufstieg zur Auto-Metropole ... | 86 ... und der Abstieg zur Ruinen-Stadt | 87 Abwanderung aus der Metropole | 88 Stadtpolitik im Umgang mit Peripherisierung | 90 Fazit | 93
7
Abkopplung: Wie die „Schuhmetropole“ Pirmasens den Anschluss verliert | 95
7.1 7.2 7.3 7.4
Der Aufstieg zur „deutschen Schuhmetropole“ … | 96 … und der Abstieg der Stadt | 97 Stadtpolitik im Umgang mit Peripherisierung | 100 Fazit | 102
8
Abhängigkeit: Wie die Zonenrandstadt Eschwege zur inneren Peripherie Deutschlands wird | 105
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Vom Abseits des Zonenrandgebietes … | 106 … zur „inneren Peripherie“ in der Mitte Deutschlands | 107 Stadtpolitik im Umgang mit Peripherisierung | 109 Die Ohnmacht der lokalen Akteure | 112 Fazit | 117
9
Stigmatisierung: Wie Sangerhausen zur „Hauptstadt der Arbeitslosen“ wird | 119
9.1 9.2 9.3 9.4
Der Auf- und Abstieg der Bergarbeiterstadt | 120 Die „Hauptstadt der Arbeitslosen“ | 121 Stadtpolitik im Umgang mit Peripherisierung | 124 Fazit | 126
10
Vergleichende Auswertung | 129
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Prozesse des Aufstiegs von Städten | 130 Prozesse des Abstiegs von Städten | 131 Eine Abwärtsspirale des Niedergangs? | 133 Stadtpolitiken im Umgang mit Peripherisierung | 137 Fazit: Macht und Ohnmacht der Stadtpolitik | 141
III PERIPHERISIERUNG – PERSPEKTIVEN FÜR P LANUNG UND P OLITIK 11
Peripherie als Lage – Peripherisierung als Prozess | 149
12
Peripherisierung und Schrumpfung | 155
13
Peripherisierung und Macht | 161
14
Entperipherisierung: Handlungsoptionen von Planung und Politik | 171
15
Fazit und Ausblick | 175
Verzeichnis der Interviews | 179 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen | 183 Literaturverzeichnis | 185
Vorwort
Die Debatte über Peripherien und Peripherisierung bezieht sich in Deutschland bisher stark auf ländliche Räume. Für periphere ländliche Regionen wird die Gefahr einer Abwärtsspirale beschrieben, die sich aus den Problemen demographischer Schrumpfung, wirtschaftlicher Strukturschwäche, Schließung von Infrastrukturen und kommunaler Finanznot ergibt. Städte gelten in der Raumordnung dagegen als Zentren, die periphere Räume stabilisieren. Ihnen werden Funktionen als „Wachstumspole“, „Innovationsmotoren“ oder „Anker“ zugeschrieben. Die Debatte um schrumpfende Städte zeigt jedoch, dass auch urbane Zentren zur Peripherie werden können. Als relationaler Begriff beschreibt Peripherisierung sozialräumliche Prozesse, seien es Abwanderungen, Abkopplungen oder Abhängigkeiten. Während Peripherie eine geographische Randlage in räumlicher Distanz zu einem Zentrum ist, kann Peripherisierung in der geographischen Mitte eines Zentrums stattfinden. Ein Ziel der vorliegenden Monographie ist es, die weitgehend getrennt geführten Diskurse zu ländlichen Peripherien in der Raumforschung und Raumordnung und zu städtischen Schrumpfungsprozessen in der Stadtforschung stärker miteinander zu verknüpfen und Peripherisierung als einen Erklärungsansatz für das Schrumpfen von Städten und Regionen zu entwickeln. Die vorliegende Studie ist das Ergebnis einer sechsjährigen Forschungstätigkeit am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS). Im Rahmen von zwei Forschungsprogrammen haben wir uns in der Forschungsabteilung Regenerierung von Städten zwischen 2009 und 2014 zum einen mit theoretisch-konzeptionellen Erklärungsansätzen von „Peripherie“ und „Peripherisierung“ auseinandergesetzt. Zum anderen haben wir in einer Reihe von Städten quer durch West- und Ostdeutschland
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empirische Fallstudien zum Umgang mit Peripherisierung durchgeführt. Diese Städte sind: Eschwege (Hessen), Osterode (Niedersachsen), Sangerhausen, Eisleben und Stendal (Sachsen-Anhalt), Pirmasens (RheinlandPfalz) und Völklingen (Saarland). Der Schwerpunkt lag damit auf Kleinund Mittelstädten. Um auch die internationale Dimension von Metropolen einzubeziehen, wird in diesem Buch eine Fallstudie zu Detroit – der früheren Auto-Metropole der Welt und Heimat des Fordismus – ergänzt. Die vorliegende Studie ist aus der fachlichen Sicht der Planungswissenschaften geschrieben, die sich mit der Theorie und Praxis der räumlichen Planung beschäftigen. Als eine Querschnittsdisziplin, welche das Handeln von Akteuren zur Steuerung und Gestaltung von Räumen untersucht, sind die Planungswissenschaften darauf angewiesen, Bezüge zu anderen Disziplinen herstellen, wie z.B. der Wirtschafts- und Sozialgeographie, Stadt- und Regionalökonomie, Stadt- und Regionalsoziologie und den Politikwissenschaften. Das disziplinäre Verständnis der Planungswissenschaften war deshalb nie einheitlich und hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder gewandelt: von einer eher technokratisch-baulich orientierten Ingenieurswissenschaft in der Nachkriegszeit über die stärker polit-ökonomischen Ansätze in den 1970er Jahren bis zu den kommunikativen und diskursiven Planungsmodellen der 1990er und 2000er Jahre. Mit der GovernanceForschung des letzten Jahrzehnts wird die raumbezogene Planung heute wieder stärker als politischer Prozess verstanden. Einem politikbezogenen Verständnis von Planungswissenschaften fühlt sich auch der Autor verpflichtet, nach dem Planung (plan-making) und Politik (decision-making) als „Planungspolitiken“ bei der politisch-administrativen Steuerung von Städten und Regionen zusammenwirken. Zur Untersuchung der Planungspolitiken im Umgang mit Peripherisierung werden in diesem Buch Konzepte des politischen Elitewechsels, der Urban Governance und der strategischen Planung verwendet. Für die Erklärung von Peripherisierungsprozessen rücken in dem vorliegenden Buch auch Machtbeziehungen zwischen Akteuren in den Mittelpunkt, die aus der Community Power-Debatte abgeleitet werden. Das Buch richtet sich vor allem an Forschende auf den Gebieten der Raumplanung, Stadt- und Regionalplanung, angewandten Geographie und lokalen Politikforschung. Dem Motto der Leibniz-Gemeinschaft „theoria cum praxi“ verpflichtet, würde sich der Autor freuen, wenn auch Praxisver-
V ORWORT | 11
treter der räumlichen Planung und Politik die folgende Studie lesenswert finden. Mein Dank gilt meinen früheren und heutigen Kolleginnen und Kollegen in der IRS-Forschungsabteilung „Regenerierung von Städten“ für die stets anregende und motivierende Teamarbeit. Namentlich sind dies (in alphabetischer Reihenfolge): Matthias Bernt, Thomas Bürk, Laura Colini, Heike Liebmann, Ulrike Milstrey und Hanna Sommer. Kerstin Wegel danke ich für das Layout des Buches. Auch den Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) Dortmund sei für die produktive Zusammenarbeit in der ersten Projektphase 2009-2011 gedankt: Rainer Danielzyk, Sabine Weck und Sabine Beißwenger. Vor allem Rainer Danielzyk verdanke ich wichtige Einsichten in die politische Dimension von Peripherien. Trotz der gemeinsamen Durchführung der Fallstudien und gemeinsamer Publikationen mit anderen Autoren ist die vorliegende Monographie durch die Arbeiten des Autors entstanden, der auch für die Richtigkeit der Aussagen und Angaben verantwortlich ist. Erkner im Januar 2016
Manfred Kühn
Einführung
Die Raumordnungspolitik in Deutschland definiert periphere Räume bisher vor allem durch die geographischen Kriterien der Zentrenerreichbarkeit und Siedlungsdichte. Deshalb werden Peripherien meist mit abgelegenen ländlichen Räumen, dünn besiedelten Räumen oder Grenzräumen gleichgesetzt. Peripherien sind demnach durch ihre räumliche Randlage abseits von städtischen Zentren definiert. Sie haben Nachteile durch den Zeit- und Kostenaufwand zur Überwindung von Distanzen. Diese Nachteile einer peripheren Lage sind nach diesem Verständnis in erster Linie durch eine verbesserte Erreichbarkeit der Zentren zu überwinden. Entsprechend streben auch viele Lokalpolitiker in ländlich-peripheren Räumen einen Anschluss an das Autobahn- und Fernstraßennetz oder das schnelle Datennetz an. Wie neuere Studien aus der Raumforschung zeigen, wird eine statische Definition von peripheren Räumen als Lage im Abseits von Zentren der zunehmenden Ausdifferenzierung von demographisch und wirtschaftlich wachsenden und schrumpfenden Städten und Regionen kaum noch gerecht. Auf der einen Seite entwickeln sich manche ländlichen Räume, die früher als strukturschwach galten und fernab der Metropolen liegen, zu dynamischen Wachstumszentren. Beispiel für solche peripher gelegenen Aufsteiger sind das Emsland (Danielzyk/Wiegandt 2005), der Landkreis Cham an der tschechischen Grenze (Troeger-Weiss et al. 2008) und die Bodensee-Region (Köhler 2012). Auf der anderen Seite entwickeln sich altindustrielle Städte und Regionen zu strukturschwachen Gebieten, die durch Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Armut von der gesellschaftlichen Entwicklung zunehmend „abgehängt“ werden. Mit den Folgen der Deindustrialisierung hat das Ruhrgebiet bereits seit den 1970er Jahren zu kämpfen, weite Teile Ostdeutschlands sind seit den 1990er Jahren davon betroffen. Peripherisierung,
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verstanden als ein sozialräumlicher Abstiegsprozess, der mit Bedeutungsund Funktionsverlusten einhergeht, betrifft damit nicht nur ländliche Regionen, sondern auch Städte und Stadtregionen bis hin zu Teilen von Metropolregionen. Durch die soziale Abkopplung von Quartieren und Stadtteilen kommt es in Metropolräumen zu einer „inneren Peripherisierung“ (Danielzyk 2012: 31) und zur Herausbildung „innerer Peripherien“ (Hesse 2010: 77), die den klassischen raumordnungspolitischen Vorstellungen von Zentrum und Peripherie nicht entsprechen. „Peripherie“ und „Peripherisierung“ als Raumkonzepte zu unterscheiden und die Peripherisierung von Städten sowie Auswege der Planungspolitik im Umgang damit zu beschreiben, sind wesentliche Anliegen der vorliegenden Studie. Während die Raumordnung also noch einem geographischen Raumverständnis von Peripherien verhaftet ist, weist die sozialwissenschaftliche Raumforschung auf die zunehmende Bedeutung von nicht-geographischen Faktoren für die Peripherisierung von Räumen hin. „Peripherie“ ist demnach kein geographisches Schicksal, sondern kann durch das Handeln der Akteure beeinflusst werden. Nach dem Ansatz der „aspatial peripherality“ (Copus 2001) wird der Status einer Peripherie immer weniger durch geographische Faktoren wie Lage und Siedlungsdichte determiniert, während stattdessen nicht-geographische („aspatial“) Standortfaktoren wie z.B. die Netzwerkbildung zwischen Akteuren an Bedeutung gewinnen. Ausgangspunkt des Ansatzes ist dabei eine Kritik an konventionellen ZentrumPeripherie-Konzepten, welche Peripherien mit ländlichen Räumen gleichsetzen und strukturelle Nachteile von Peripherien durch höhere Transportund Distanzkosten und schwache Agglomerationsvorteile definieren. Durch ökonomischen Strukturwandel und technische Innovationen wie den IuKTechnologien verlieren diese beiden Faktoren an Bedeutung. Auch andere regionale Studien zur Peripherisierung in Europa weisen auf die hohe Bedeutung von Governance-Konstellationen, die Rolle von Entscheidungszentren und die Exklusion aus Akteurs-Netzwerken hin (Herrschel 2011; Danson/de Sousa 2012). Studien zu peripheren Wachstumsregionen außerhalb von Metropolen in Deutschland messen darüber hinaus dem Engagement von Führungspersonen, den Netzwerken zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung sowie einem qualifizierten Regional-Management eine große Bedeutung zu (Troeger-Weiss et al. 2008). All diese Befunde weisen auf die Relevanz des Handelns von Akteuren in Planung und Politik und ihren Einfluss auf die Entwicklung von Peripherien hin. Der Ansatz der Periphe-
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risierung betont entsprechend stärker die Handlungsoptionen für Akteure und eröffnet aufgrund seiner räumlich-zeitlichen Dynamik sogar die Perspektive einer „Entperipherisierung“ (Köhler 2012): danach kann die Rolle der Peripherie in einem räumlichen System durch neue Formen der Rezentralisierung überwunden werden. Die positive Botschaft lautet: Ein Wiederaufstieg von Städten und Regionen als Zentren nach einer Phase des Abstiegs und Niedergangs ist möglich. Das vorliegende Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil erfolgt zunächst eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Begriff „Peripherie“, theoretischen Raumkonzepten sowie den Anwendungen in der Raumplanung. Kapitel 1 beschäftigt sich mit verschiedenen Begriffsverwendungen in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung und zeigt, dass es sich dabei durchweg um negative Zuschreibungen handelt. Kapitel 2 geht darauf ein, dass Peripherien aus der Perspektive der Zentren definiert und mit den Maßstäben der Zentren gemessen werden. Ausgehend von einem Exkurs in das antike Rom wird gezeigt, dass es die Hauptstädte und Metropolen sind, welche als Machtzentren die räumlichen Mittelpunkte definieren und damit die Distanzen zu den Peripherien bestimmen. Mit der Zentrale Orte-Theorie von Walter Christaller wird auch die Ausweisung von Städten als Ober-, Mittel- und Unterzentren in der Raumordnung begründet. Nach Christaller sind Städte die Mittelpunkte von Gebieten, indem sich dort Markt-, Verkehrs- und Verwaltungsfunktionen konzentrieren. Danach werden ländliche Räume als Peripherien mit entsprechenden Defiziten definiert. Kapitel 3 zeigt, welche Konzepte von Peripherien in der Praxis der räumlichen Planung angewendet werden. Dabei wird auf die Regional- und Kohäsionspolitik der EU, die Raumordnungspolitik in Deutschland sowie die Metropolregion Berlin-Brandenburg eingegangen. In dieser Metropolregion sind die Gegensätze zwischen Metropole und Peripherie besonders stark ausgeprägt. Kapitel 4 skizziert ausgewählte theoretische Ansätze, welche Peripherien beschreiben oder erklären. Dabei werden vor allem historische, wirtschaftsgeographische sowie planungs- und politikwissenschaftliche Theorien berücksichtigt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Peripherisierung von Städten, denen in der Raumordnung gemeinhin ein Status als Zentren zugeschrieben wird. In Kapitel 5 wird ein eigenes Untersuchungskonzept für die Peripherisierung von Städten entwickelt und das Design für die Durchführung der folgenden empirischen Fallstudien vorgestellt. Dabei werden die Prozesse
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der Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung unterschieden. Am Beispiel der Fälle Detroit, Pirmasens, Eschwege und Sangerhausen werden in den Kapiteln 6 bis 9 einzelne Abstiegsprozesse von Städten sowie der Umgang der Stadtpolitik mit den draus resultierenden Problemen analysiert. Eine vergleichende Auswertung dieser Fälle findet sich in Kapitel 10. Dabei werden Auf- und Abstiegsprozesse von Städten analysiert und es wird der Frage nachgegangen, ob es sich bei Peripherisierungsprozessen um Abwärtsspiralen des Niedergangs handelt. Auch die verschiedenen Stadtpolitiken im Umgang mit Peripherisierung werden vergleichend analysiert. In einem Fazit werden die Handlungsspielräume und restriktionen der lokalen Stadtpolitik beschrieben, um Auswege aus der Peripherisierungsspirale zu finden. Dabei wird auch darauf eingegangen, inwieweit sich durch die lokalen Planungspolitiken neue Perspektiven einer „Entperipherisierung“ der Städte eröffnen. Im dritten Teil erfolgt ein theoretischer Vergleich der Raumkonzepte von Peripherie und Peripherisierung. In Kapitel 11 werden wichtige konzeptionelle Unterschiede und deren Implikationen zwischen dem in der Raumordnungspolitik angewandten Peripherie-Konzept und den Peripherisierungskonzepten der sozialwissenschaftlichen Raumforschung herausgearbeitet. Im Kapitel 12 wird der Mehrwert des Konzeptes gegenüber der Schrumpfungsdebatte herausgestellt und Peripherisierung als ein mehrdimensionaler Ansatz zur Erklärung von Schrumpfungsprozessen von Städten und Regionen dargestellt. Schließlich werden in Kapitel 13 weiterführende konzeptionelle Überlegungen zum Verhältnis von Peripherisierung und Macht entwickelt, die sich auf die Community Power-Debatte beziehen. Das Buch soll dem Leser aus den Bereichen der Raumplanung, Stadtund Regionalplanung, angewandten Geographie und lokalen Politikforschung einen Erkenntnisgewinn insbesondere in folgenden Punkten ermöglichen: 1. Dem Verständnis der sozialwissenschaftlichen Raumforschung folgend, will das vorliegende Buch zeigen, dass es sich bei „Peripherie“ nicht um einen essenzialistischen Raumbegriff handelt, der das „Wesen“ eines Raumes beschreibt, sondern um eine negative Raumzuschreibung, die sozial konstruiert wird. Dabei werden konkreten, physisch-materiellen Räumen mit ihren Menschen bestimmte Eigenschaften, Merkmale
E INFÜHRUNG | 17
2.
3.
4.
5.
oder Rollen zugeschrieben. Peripherien sind entweder „rückständig“, „provinziell“, „unterentwickelt“, „benachteiligt“, „abhängig“ oder „machtlos“. Da Peripherie eine negative und oft stigmatisierende Fremdzuschreibung ist, möchte niemand gern Peripherie sein. Das Buch will zeigen, dass Peripherien aus der Perspektive der Zentren entstehen und mit den Normen und Maßstäben der Zentren gemessen werden. Die geographischen Mittelpunkte von zentralistisch organisierten Ländern werden oftmals in den Hauptstädten und Metropolen als Nullpunkte definiert, von hier aus werden die Distanzen in die Peripherie gemessen. Von der Definition räumlicher Mittelpunkte geht auch die Zentrale-Orte-Theorie von Walter Christaller aus, welche die Raumordnung in Deutschland und einigen europäischen Ländern bis heute maßgeblich prägt. In dieser Denktradition haben Städte die Funktion von Zentren, welche „Bedeutungsüberschüsse“ aufweisen. Ländliche Räume sind demnach Peripherien und weisen im Vergleich mit den Zentren „Bedeutungsdefizite“ auf. Städte können nach dieser Theorie keine Peripherie sein. Das Buch zeigt, dass Peripherien nicht nur ein Produkt einer abgelegenen geographischen Lage zu den Zentren sind, sondern durch wirtschaftliche, soziale und politische Peripherisierungsprozesse „gemacht“ werden. Im ersten Teil des Buches werden deshalb verschiedene Erklärungsansätze aus der sozialwissenschaftlichen Peripherisierungsforschung zusammengetragen und kritisch diskutiert, die das „Making“ von Peripherien thematisieren. Dazu zählen vor allem historische, wirtschaftsgeographische sowie planungs- und politikwissenschaftliche Theorien. Das Buch zeigt, dass nicht nur ländliche Räume, sondern auch Städte und Metropolen peripherisiert werden, denen die Raumordnung einen Status als Zentrum zuschreibt. Abstiegsprozesse von Städten und Metropolen entstehen durch Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und/oder Stigmatisierung. Neben der US-amerikanischen „Autometropole“ Detroit werden Peripherisierungsprozesse in den drei deutschen Klein- und Mittelstädten Pirmasens, Eschwege und Sangerhausen empirisch analysiert und es wird beschrieben, wie die Stadtpolitik damit umgeht. Schließlich stellt das Buch „Peripherie“ und „Peripherisierung“ als Raumkonzepte gegenüber und zeigt den Mehrwert des Peripherisie-
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rungsansatzes auf. Dieser liegt vor allem in einer mehrdimensionalen Beschreibung von sozialräumlichen Abstiegsprozessen, bei denen wirtschaftliche, soziale und politische Faktoren zusammenspielen. Damit liegt ein konzeptioneller Ansatz vor, der auch das Schrumpfen von Städten auf komplexere Weise erklären kann als rein demographische oder ökonomische Ansätze. Um den Einfluss des Handelns von Planung und Politik auf die „Entperipherisierung“ von Städten erfassen zu können, wird schließlich die Bedeutung von Machtbeziehungen zwischen Zentren und Peripherien hervorgehoben und in ersten Ansätzen konzeptualisiert. Im vorliegenden Buch wird das generische Maskulinum für Personenbezeichnungen beider Geschlechter verwendet, das heißt, wenn beispielsweise von Planern oder Politikern die Rede ist, sind ausdrücklich immer Frauen und Männer gemeint. Gemäß dem Motto „theoria cum praxi“ der Leibniz-Gemeinschaft ist es ein Anspruch der vorliegenden Monographie, in allgemein verständlicher und komprimierter Form theoretische Erklärungsansätze aus der sozialwissenschaftlichen Raumforschung darzustellen, die auch für die Praxis der Planungspolitiken in Raumordnung und Stadtentwicklung relevant sind. Inwieweit dieser Anspruch eingelöst wird, kann der Leser selbst beurteilen.
I Peripherie – Lage am Rand
1 Peripherie – eine negative Raumzuschreibung
1.1 N IEMAND WILL
GERN
P ERIPHERIE
SEIN
Wittenberge, die frühere Industriestadt an der Elbe, in der strukturschwachen und dünn besiedelten Prignitz gelegen, auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg, Endstation des RE 2 aus Richtung Berlin. Hier standen einst das modernste Nähmaschinenwerk der Welt, eine Zellstofffabrik und eine große Ölmühle. Nach der Wende ging die Industrie, es kam der Niedergang. Die Stadt steht heute symbolisch für den Abstieg schrumpfender Städte, für Deindustrialisierung, Abwanderung, Hoffnungslosigkeit und Tristesse. Wittenberge wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt durch den Film „Yella“ von Christian Petzold aus dem Jahr 2007, der die Abwanderung einer jungen Frau (gespielt von Nina Hoss) aus der durch Ruinen, Brachen und Hoffnungslosigkeit geprägten Stadt in den Westen schildert. In dem mit großer medialer Aufmerksamkeit verfolgten „WittenbergeProjekt“ haben 28 Soziologen und Ethnologen den Alltag in der Kleinstadt untersucht und in einem ZEIT-Magazin (Nr. 10. 4.3.2010) dokumentiert. „Wittenberge ist überall. Überleben in schrumpfenden Regionen“ lautet ein Buchtitel (Willisch 2012), der die Stadt als paradigmatisch für schrumpfende Städte darstellt. In diesem Wittenberge führen wir im Rahmen einer ARL-Arbeitsgruppe im Oktober 2013 einen Workshop durch. Ort: der Technologiepark am Rand der Stadt, DDR-Ambiente. Thema: Wie kommt die Wissensgesellschaft in ländlich-periphere Regionen? Der Bürgermeister der Stadt hält ein Grußwort. Er freut sich über das Interesse der Forscher und äußert die
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Hoffnung, dass diese nicht negativ über die Stadt berichten. Dann weist er darauf hin, dass die Wittenberger ein Problem mit der Zuschreibung als Peripherie hätten. Aus der Sicht der lokalen Akteure sei die Stadt Wittenberge keine Peripherie, sondern Berlin und Hamburg seien peripher. Darauf stellt er den Gästen die Vorzüge der zentralen Lage zwischen den Metropolen Berlin und Hamburg heraus. Neben dem Bürgermeister steht ein Werbeplakat der Wirtschaftsförderung mit dem Titel „Wittenberge – beste Lage“. Dieses kleine Beispiel zeigt: Niemand will gern Peripherie sein, denn Peripherie ist ein negativ konnotierter Raumbegriff. Im allgemeinen Sprachgebrauch meint Peripherie die Lage am Rand eines Raumes. Damit assoziieren wir meist einen abgelegenen Ort, sei es am Stadtrand, im Hinterland der Städte, in der ländlichen Provinz, an der Grenze eines Nationalstaates, auf einer einsamen Insel oder in einem unzugänglichen Berggebiet „am Ende der Welt“. Peripherie steht im Gegensatz zum Zentrum – hier ist der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, hier spielt die Musik. Mit Peripherie assoziieren wir hingegen auch: Rückständigkeit, Abhängigkeit, Perspektivlosigkeit und Bedeutungslosigkeit. Der Gegensatz zum Zentrum, dem Mittelpunkt, um den sich alles dreht und die damit verbundenen negativen Konnotationen machen die Peripherie für die sozialwissenschaftliche Raumforschung so überaus interessant. Doch was berechtigt überhaupt zu einer negativen Zuschreibung als Peripherie? Wie kann man einen Gegensatz von Zentrum und Peripherie wissenschaftlich begründen? Wie gehen die Akteure mit der negativen Fremdzuschreibung als Peripherie durch die Zentren um? Bevor wir uns diesen Fragen zuwenden, gehen wir zunächst kurz auf den Begriff der Peripherie ein und skizzieren seine verschiedenen Bedeutungen in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung. Wir werden sehen, welche Disziplinen diesen Begriff verwenden und mit welchen negativen Zuschreibungen diese arbeiten.
1.2 P ERIPHERIE
ALS B EGRIFF DER SOZIALWISSENSCHAFTLICHEN R AUMFORSCHUNG
Begriffsgeschichtlich stammt „Peripherie“ aus der Mathematik der Antike und bezeichnete die Umfangslinie eines Kreises (griech. Periphéreia, lat. Peripherīa). Die Umfangslinie eines Kreises ist die Summe jener Punkte,
P ERIPHERIE –
EINE NEGATIVE
R AUMZUSCHREIBUNG | 23
die einen gleichen Abstand zum Zentrum aufweisen. Das Adjektiv „peripher“ (griech. peripherēs, spätlat. peripherēs) wurde im 16. Jahrhundert auch in der Weltraumphysik verwendet, um im heliozentrischen Weltbild des Nikolaus Kopernikus die Umlaufbahnen von Himmelskörpern im Sinne von „umkreisend, sich herumdrehend“ zu beschreiben (Vogt 2009). Der Begriff Peripherie wird heute sowohl in den Sozial- und den Naturwissenschaften verwendet: unter anderem der Geographie, der Mathematik, den Politikwissenschaften, der Soziologie, Biologie, Computertechnik und Philosophie (de.wikipedia.org/wiki/Peripherie vom 15.1.2015). Wir wollen uns in diesem Buch nur mit der Verwendung in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung beschäftigen. Dazu zählen die Disziplinen Geographie, Geschichtswissenschaften, Ökonomie, Soziologie sowie Planungs- und Politikwissenschaften. Der Begriff der Peripherie wird von all diesen Kerndisziplinen verwendet, jedoch jeweils unterschiedlich interpretiert: •
•
•
In der Geographie wird der Begriff der Peripherie im klassischen Sinne einer Randlage verwendet. Peripherien werden als „Randgebiete“, „Umkreis“ oder „Umgebung“ definiert, die sich durch die geographische Distanz zu einem Zentrum, dem Mittelpunkt bestimmen lassen. Je weiter entfernt von einem Zentrum, desto peripherer die Lage. In der Zentrale-Orte-Theorie sind Peripherien Ergänzungsräume von Städten und weisen „Bedeutungsdefizite“ auf (Christaller 1933). In den Geschichtswissenschaften wurde das Konzept der „inneren Peripherie“ (Nolte 2001) entwickelt, um Regionen innerhalb Europas zu beschreiben, die durch die Fremdbestimmung einer staatlichen Zentralmacht gekennzeichnet sind. Das Konzept bezieht sich dabei auf historische Provinzen als den unterworfenen Teilen früherer Reiche und Imperien. In der Regionalökonomie und Wirtschaftsgeographie wird Peripherie verwendet, um die Wachstums- und Innovationsschwäche von Regionen zu erklären (Lasuén 1973). Dabei gehen Polarisationstheorien von einer Verstärkung der Disparitäten zwischen Zentren und Peripherien durch die Wanderung auf den Kapital- und Arbeitsmärkten aus (Krugman 1991). „Wachstumspole“ entstehen durch die Agglomerationsvorteile von Städten. Dichte und Ballung fördern Innovationen, die eine weitere Ballung verstärken.
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In den Planungswissenschaften wird der Begriff verwendet, um sozialräumliche Polarisationsprozesse zwischen Zentren und Peripherien durch die Faktoren Innovationsfähigkeit und Macht zu erklären (Friedmann 1973). Peripherien werden als innovationsschwach und machtlos charakterisiert. Viele Zentrum-Peripherie-Theorien beziehen sich auf die marxistisch geprägte Politikforschung, welche die Abhängigkeit und Unterentwicklung von Ländern des globalen Südens durch die Metropolen des kapitalistischen Nordens beschrieben hat (Frank 1967, Amin 1976). Der Gegensatz von Metropole und Peripherie ist konstitutiv für Dependenztheorien (Senghaas 1974) und die Weltsystem-Theorie (Wallerstein 1974). In der politischen Soziologie gibt es einen Ansatz zur Erklärung sozialer Ungleichheit, der eine „periphere Lage“ als soziale Benachteiligung und Exklusion von Machtressourcen versteht (Kreckel 2004). Oft wird in der Stadt- und Regionalsoziologie bzw. Geographie für die Konzentration sozialer Randgruppen auch der Begriff der „Marginalisierung“ verwendet (Waquant 2008, Dangschat 2009; Hillmann 2011).
Diese theoretischen Konzepte von Peripherien und ihre negativen Zuschreibungen werden in Kapitel 4 noch genauer dargestellt. Die kurze Übersicht zeigt aber bereits, dass Peripherie kein einheitliches sozialwissenschaftliches Konzept ist, sondern unterschiedlich interpretiert wird. Neben der geographischen Distanz zu einem Zentrum werden Peripherien vor allem mit ökonomischer Wachstumsschwäche, politischer Abhängigkeit und sozialer Benachteiligung assoziiert. Außer räumlichen Ungleichheiten weisen Zentren und Peripherien auch Ungleichheiten in der zeitlichen Dimension auf. Die historische Geographie hat die Ungleichzeitigkeit der peripheren Regionen gegenüber den Zentren aufgezeigt, die nach den normativen Maßstäben der Zentren als „Rückständigkeit“ bzw. „Unterentwicklung“ (Nitz 1997) interpretiert wird. Gemeinsam ist allen Ansätzen neben der Verwendung negativer Zuschreibungen ein Verständnis von Peripherie als Randlage. Ein wichtiger Unterschied zwischen ihnen besteht jedoch darin, ob diese Randlage primär als eine räumlich-physische Kategorie (wie in der Geographie) oder als eine soziale Kategorie (wie in der Soziologie) verstanden wird. Am Rand eines Raumes bzw. Territoriums zu liegen heißt nicht zwangsläufig am Rand einer Gesellschaft zu stehen. Beispielsweise liegen manche Hauptstädte als
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EINE NEGATIVE
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politische Zentren am geographischen Rand eines Staates, wie zum Beispiel Kopenhagen oder Bratislava. Umgekehrt können sich in der Mitte einer Stadt auch soziale Randgruppen konzentrieren, wie zum Beispiel in Detroit. Damit werden schon wichtige konzeptionelle Unterschiede im Verhältnis räumlicher und sozialer bzw. geographischer und soziologischer Dimensionen deutlich, die für die Raumkonzepte „Peripherie“ und „Peripherisierung“ konstitutiv sind. Die Unterscheidung beider sozialräumlicher Konzepte ist ein wesentliches Anliegen des vorliegenden Buches.
1.3 D ISPARITÄTEN ZWISCHEN Z ENTREN UND P ERIPHERIEN Die kurze Einführung in die Verwendung des Begriffs hat bereits gezeigt, dass sich Peripherien nur im Verhältnis zu Zentren bestimmen lassen. Zentren und Peripherien bilden zwei Pole einer sozialräumlichen Einheit. Der relationale Zusammenhang zwischen beiden Polen entsteht durch ein übergeordnetes System. Je nach fachlichem Blickwinkel kann ein solches System zum Beispiel ein gemeinsamer Staat oder ein Wirtschaftsraum sein. Gemeinsam ist allen Zentrum-Peripherie-Ansätzen, dass damit sozialräumliche Disparitäten innerhalb eines Systems angesprochen werden. Mit Zentrum und Peripherie werden jeweils die Pole wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Ungleichheiten in den Mittelpunkt der Analyse gerückt. Disparitäten zwischen Zentren und Peripherien lassen sich in der Forschung mit ganz unterschiedlichen Kriterien und Indikatoren bestimmen. Verbreitet ist ein dichotomisches Denken. Häufige Gegensatzpaare sind: a) verkehrliche Erreichbarkeit/Abgelegenheit: Die abgelegene Lage von Peripherien wird mit räumlichen Distanzmaßen oder dem Zeitaufwand ausgedrückt, der zur Überwindung der Distanzen erforderlich ist; b) ökonomische Strukturstärke/Strukturschwäche: die „strukturschwachen“ Räume werden meistens mit Indikatoren der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandprodukt je Einwohner) gemessen; c) technologische Innovationsdichte/Innovationsschwäche: die Innovationsschwäche von Räumen wird mit verschiedenen Parametern gemessen. Dazu zählt u.a. der Anteil der Hochqualifizierten an den Beschäftigten, der Anteil der unternehmensbezogenen Dienstleistungen an der Wirtschaftsstruktur, die Dichte von Forschung und Entwicklungs-Aktivitäten, die Zahl der Patente; d) sozialer Wohlstand/
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Armut: die Verarmung von Räumen wird mit Indikatoren wie Durchschnittseinkommen, Anteil der Transferempfänger oder Kaufkraftzahlen bestimmt; e) politische Macht/Abhängigkeit: qualitative Indikatoren für die Abhängigkeit von Peripherien sind: Benachteiligungen bei Entscheidungen von Regierungen, die ungleiche Verteilung staatlicher Mittel, Defizite in der Entscheidungsautonomie oder die Abwesenheit von UnternehmensHeadquartern. Mit diesen Kriterien lassen sich infrastrukturelle, ökonomische, soziale und politische Disparitäten von Zentren und Peripherien unterscheiden. Diese Disparitäten können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Ein ökonomisches Zentrum kann gleichzeitig eine politische Peripherie sein, ein politisches Zentrum kann ein ökonomisches Randgebiet sein.
1.4 AUF ALLEN RÄUMLICHEN E BENEN : Z ENTRUM -P ERIPHERIE -S YSTEME Systeme zwischen Zentren und Peripherien finden sich auf allen räumlichen Maßstabsebenen. In der Raumforschung und Raumplanung werden Zentrum-Peripherie-Systeme von der Makro-, über die Meso- bis zur Mikro-Ebene definiert: •
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Auf globaler Ebene beziehen Dependenztheorien den Begriff auf Entwicklungs- und Schwellenländer der „Dritten Welt“ in Abgrenzung zu den kapitalistischen Zentren in den Industriestaaten. Auf europäischer Ebene werden in der Regionalpolitik rückständige und arme Regionen mit einer unterdurchschnittlichen Wirtschaftsleistung als Peripherien definiert. Auf der nationalen Ebene der Raumordnungspolitik werden Peripherien als abgelegene ländliche Räume definiert, die durch eine schlechte Erreichbarkeit von Großstadtregionen gekennzeichnet sind. Auf der Ebene von Metropolregionen werden Peripherien als suburbane oder ländliche Räume im Verflechtungsbereich von Metropolen definiert. Auf der Ebene von Stadtregionen werden Peripherien als suburbane Stadtrandgebiete oder Umlandgebiete von Großstädten definiert.
P ERIPHERIE –
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EINE NEGATIVE
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Schließlich werden auch auf der sublokalen Ebene von Großstädten sozial benachteiligte Stadtteile gelegentlich als „innere Peripherien“ beschrieben.
Dies zeigt, dass Peripherien nicht nur relational zu den Zentren, sondern auch auf und zwischen den räumlichen Maßstabsebenen betrachtet werden müssen. Neben den horizontalen Beziehungen innerhalb einer Ebene geht es auch um die vertikalen Beziehungen zu den höheren Ebenen. Aus dem politikwissenschaftlichen Ansatz der Multilevel-Governance (Benz 2004) ergibt sich beispielweise die Frage, inwieweit Städte und Regionen ihre Rolle als Peripherie durch einen Maßstabssprung überwinden können, indem sie das nächst liegende Zentrum übergehen und auf einer höheren staatlichen Maßstabsebene agieren. Das Überspringen vertikaler Ebenen wird in der Literatur als „bypassing“ (Peters/Pierre 2001: 131) oder „scale jumping“ (Smith 1995) bezeichnet. Beispielsweise ist es für Kleinstädte in peripheren Lagen im regionalen oder nationalen Kontext möglich, sich zu einem europäischen Netzwerk zusammenzuschließen und damit neue Polyzentralitäten zu erzeugen. Viele Unternehmen in einer peripheren Lage im nationalen Maßstab übergehen die damit verbundenen Standortnachteile, indem sie Netzwerkbeziehungen auf der globalen Ebene aufbauen. Kapitel 3 wird sich mit Peripherien auf der europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Maßstabsebene beschäftigen. Nicht behandelt werden in diesem Buch die globale Ebene und die sublokale Ebene von Stadtquartieren. Gemeinsam ist allen Ansätzen von Peripherien der Vergleich mit den Zentren. Dabei schneiden Peripherien per Definition schlechter ab. Peripherien sind negative Raumzuschreibungen, sie weisen Defizite im Vergleich mit den Zentren auf. Denn Peripherien werden durch die Zentren definiert. Dies soll im nächsten Kapitel zunächst durch einen kleinen Ausflug in die europäische Geschichte illustriert werden.
2 Zentrum – die Metropole definiert, wo Peripherie ist
In der europäischen Antike wurden bereits viele Begriffe geprägt, mit denen wir heute noch Zentren und Peripherien beschreiben: Metropolis und Polis für städtische Zentren, Colonia und Provincia für Peripherien sind solche Begriffe der Griechen und Römer. Im antiken Griechenland war die Polis als Stadtstaat zunächst die beherrschende Staatsform. Die Kolonisierung des Mittelmeerraumes erfolgte, indem Mutterstädte (Metropolis) Tochterstädte gründeten. So bestand Griechenland in der Antike lange Zeit aus einem polyzentrischen Flickenteppich aus ca. Tausend, oft miteinander konkurrierender und Krieg führender Poleis. Ein monozentrischer Gegensatz zwischen Metropole und Peripherie entwickelte sich erst im Römischen Reich – dem ersten Territorialstaat in Europa. Während Rom zur alles beherrschenden Metropole des Imperiums Romanum aufstieg, sanken die eroberten Provinzen auf den Status von Peripherien herab. Im nächsten Kapitel gehen wir am historischen Beispiel des römischen Reiches folgenden Fragen nach: Wie entsteht ein Gegensatz zwischen Metropole und Peripherie? Wie können Metropolen definieren, wo Peripherien sind? Dabei werten wir vor allem die Geschichtsforschung zu den römischen Provinzen aus (Meyer-Zwiffelhoffer 2009).
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2.1 M ILLIARIUM AUREUM : M ITTELPUNKT DES RÖMISCHEN R EICHES Rom, Forum Romanum. Zwischen den Ruinen der Treppe des Saturntempels und der Rostra (Rednertribüne) stehen die Reste eines Sockels, dessen frühere Bedeutung sich nicht ohne weiteres erkennen lässt: hier war der Mittelpunkt des römischen Reiches. Im antiken Rom symbolisierte eine vergoldete Bronzesäule auf dem Forum Romanum das Zentrum des römischen Imperiums: das Milliarium Aureum (Goldener Meilenstein). Diese Säule wurde auf Befehl von Kaiser Augustus seit 20 v. Chr. errichtet. Sie enthielt die Namen der Hauptstädte der römischen Provinzen und die jeweiligen Entfernungen dorthin. Da von hier aus die wichtigsten Römerstraßen sternförmig abgingen, entstand das Sprichwort „Alle Wege führen nach Rom“. Die Definition eines Mittelpunktes ist kein relationales, sondern ein absolutistisches Raumkonzept. Der eigene Standort definiert die Mitte der Welt. Von diesem Mittelpunkt aus erscheinen alle anderen Städte und Regionen mehr oder weniger wie Peripherien. Von hier aus werden die Distanzen gemessen. Kaiser Augustus schuf mit dem Goldenen Meilenstein das Zentrum des römischen Reiches. Die Geschichtsforschung zu den römischen Provinzen verwendet die Zentrum-Peripherie-Metapher, um das Imperium Romanum zu beschreiben: „Das Bild vom orbis terrarum, einem Kreis von Ländern, die als Peripherie das Zentrum Italien mit der Hauptstadt Rom umgeben und von dort aus durch den Kaiser gelenkt (rector orbis terrarum) und befriedet werden (pacator orbis terrarum), gehörte bald zum kaiserlichen Selbstverständnis, das auf Inschriften und Münzen propagiert wurde.“ (Meyer-Zwiffelhoffer 2009: 12). Von der Hauptstadt zur Metropole: Rom Die Festlegung des Mittelpunktes des römischen Reiches zeigt, dass Peripherien durch eine ganz spezifische Form des städtischen Zentrums definiert werden: der Metropole. Auch dieser Begriff wurde in der Antike geprägt. Mētropolis („Mutterstadt“) nannten die Griechen eine Stadt, von der aus eine zugehörige Kolonie gegründet wurde. Metropolen waren dabei Stadtstaaten, welche die Kolonien nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und kulturell beherrschten. Bei den Römern wurde der Begriff
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DIE
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laut dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache für „große Stadt, Hauptstadt (einer Provinz)“ verwendet (dwds.de/metropole vom 8.2.2015). Die größte Stadt und Hauptstadt des römischen Reiches war Rom. In der Zeit der Römischen Republik stieg Rom von der Hauptstadt Italiens zur Metropole des Imperium Romanum auf. Als Metropole beherrschte Rom den gesamten Mittelmeerraum über die drei Kontinente Europa, Afrika und Asien hinweg. Rom wuchs bereits vor Christi Geburt zur ersten Millionenstadt in der Geschichte Europas. Dieser Aufstieg war das Ergebnis militärischer Eroberungen und Annexionen. In der frühen Kaiserzeit unter Augustus kam die Expansion des Imperium Romanum zu einem vorläufigen Ende. Seit der Regierungszeit Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) stabilisierte sich das Verhältnis zwischen der Metropole Rom und den Provinzen für mehrere Jahrhunderte. Unter Augustus setzte sich erstmals ein territoriales Raumverständnis durch, wonach das Imperium Romanum ein einheitliches Herrschafts- und Hoheitsgebiet bildete. Dieses neue territoriale Raumverständnis war auch die Grundlage für die flächendeckende administrative Gliederung des Imperiums in Provinzen (Meyer-Zwiffelhoffer 2009: 13). Bekanntlich verlor Rom in der Spätantike wieder seine Stellung als beherrschende Metropole für die Provinzen. Obwohl die Stadtbevölkerung weiter auf geschätzte 1,5 Millionen gewachsen war, begann in dieser Phase der Abstieg der Stadt, der eng mit der Teilung und dem Niedergang des Reiches verbunden war. Kaiser Konstantin schuf im Jahr 330 n. Chr. mit Konstantinopel eine zweite Hauptstadt mit einem zweiten Senat. Das Imperium Romanum wurde seit 395 n. Chr. faktisch in ein West- und Ost-Reich geteilt. Die Residenzen der weströmischen Kaiser wurden nach Mailand und Ravenna verlegt. Rom wurde im 4. Jahrhundert n. Chr. mehrfach erobert und geplündert. Ein Ausdruck für den Bedeutungsverlust Roms als Metropole war, dass die Römer in der Spätantike begannen, auch viele Provinzhauptstädte metropolis zu nennen. Beispielsweise stieg Trier, die älteste Stadt Deutschlands, in der Spätantike von der früheren Kolonie Augusta Treverorum zur kaiserlichen Residenzstadt auf und erhielt dadurch den Titel Metropole. Trier entwickelte sich mit 80.000 bis 100.000 Einwohnern im 4. Jahrhundert n. Chr. zur größten Stadt nördlich der Alpen.
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Provinzen – die Peripherien des römischen Reiches In der Frühzeit der römischen Republik erfolgte die Expansion des Reiches noch in Form von Kolonien (colonia). Dabei handelte es sich noch nicht um Länder oder Regionen, sondern um Städte, die als militärische Stützpunkte in den eroberten Gebieten planmäßig angelegt wurden. Diese Kolonien dienten später auch der Versorgung von Veteranen und der landlosen Bevölkerung Roms mit Land. Dazu wurden die Städte und ihr landwirtschaftlich genutztes Umland vermessen und in Parzellen aufgeteilt. Die Bewohner der Kolonien mussten das römische Bürgerrecht abgeben. Dies betraf im heutigen Deutschland etwa die Städte Köln, Trier und Augsburg. Die Kolonien waren damit Frühformen römischer Peripherien. Mit der Expansion des römischen Reiches und dem Aufstieg der Metropole Rom entwickelte sich eine neue Form von Peripherien: die Provinzen (provincia). Provinzen waren die römischen Verwaltungseinheiten in den eroberten Gebieten. Die „Provinzialisierung“ eroberter Gebiete war dabei ein rechtsförmiger Akt, womit die Grenzen der Gebiete räumlich definiert wurden (Meyer-Zwiffelhoffer 2009: 58). Die ersten römischen Provinzen waren Sizilien, Sardinien und Korsika, später kamen Teile von Spanien und Griechenland hinzu. Die Zahl der Provinzen erhöhte sich bis auf 119 in der Spätantike. Doch was rechtfertigt es eigentlich, den römischen Provinzen den Status als Peripherien zuzuschreiben? Aus der Geschichtsforschung zu den römischen Provinzen lassen sich folgende Argumente dafür ableiten: • • •
•
Die Provinzen wurden zunächst durch das römische Heer militärisch erobert, unterworfen und kontrolliert. Die Regierung der Provinzen wurde durch Provinzgesetze von Rom aus eingesetzt und kontrolliert. Die Verwaltung der Provinzen erfolgte durch die Einführung zentraler Register aller Städte und Völker, mit denen auch ihre Verpflichtungen und Tribute gegenüber Rom festgelegt wurden. Zur militärischen, politischen und administrativen Führung der Provinzen etablierte sich seit 52 v. Chr. das Amt der Statthalter. Die Statthalter wurden von Rom aus eingesetzt. Sie hatten vor allem die Aufgabe, Steuern einzutreiben, das Militär zu führen und über Todesstrafen zu entscheiden.
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DIE
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Die Provinzen mussten durch Tribute, Steuern, Zwangsdienste und Rekruten die Versorgung des römischen Heeres finanzieren und sicherstellen. Demgegenüber zahlten die römischen Bürger in Italien keine Steuern mehr (ebd.: 46).
Durch die Tatsache, dass die römischen Provinzen zu abhängigen Gebieten eines imperialen Staates wurden, gerieten sie in die Rolle einer Peripherie. Die Geschichtsforschung zu den römischen Provinzen beschreibt jedoch interessanterweise nicht eine wachsende Ausbeutung der Provinzen durch das Zentrum Rom, sondern eine zunehmende Aufhebung des Gegensatzes von Zentrum und Peripherie im römischen Reich. “Das römische Reich zeichnet sich vor anderen Imperien dadurch aus, dass es seine provinziale Peripherie im Laufe der Zeit vollständig integrierte und den Unterschied zwischen herrschender Gesellschaft und unterworfenen Gemeinwesen aufhob.“ (Meyer-Zwiffelhoffer 2009: 117). Die Integration der provinzialen Peripherien wird durch mehrere Faktoren erklärt, welche die Akzeptanz der römischen Herrschaft förderten: die Sicherung des Friedens (pax Romana), die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Provinzen durch den Bau von Staatsstraßen, die stärkere Kontrolle der Statthalter durch den Kaiser und die Aufstiegsmöglichkeiten für die provinziellen Eliten. Die über mehrere Jahrhunderte währende Herrschaft der römischen Kaiser über die teilweise sehr weit entfernten Provinzen basierte damit nicht mehr – wie noch in der Zeit der Republik – auf direkten Formen militärischer Gewalt und politischer Unterdrückung. Vielmehr entwickelten sich in der Kaiserzeit subtilere Formen der Machtausübung: die Akzeptanz der Herrschaft durch eine charismatischen Führerschaft, Ansätze der politischen Partizipation der peripheren Eliten sowie Vorformen eines staatlichen Föderalismus.
2.2 H AUPTSTÄDTE
ALS
M ACHTZENTREN
Welche Lehren können wir aus dem historischen Exkurs in das Römische Reich für das Verhältnis von Metropole und Peripherie ziehen? Das Römische Reich war der erste Territorialstaat in Europa, in dem sich ein ausgeprägter Gegensatz von Metropole und Peripherie entwickelte. Heutige Raumplaner würden von einer „monozentrischen Metropolstruktur“ sprechen. Das Zentrum des Imperiums wurde durch den Sitz der politischen
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Macht bestimmt. Das Millarium Aureum definierte den Mittelpunkt des römischen Reiches. Ähnliche in Stein gefasste Mittelpunkte, von denen die Distanzen in das Land hinein gemessen werden, lassen sich bis heute in einigen Metropolen Europas finden. Solche Mittelpunktsteine – auch „Point Zero“ oder „Kilometre Zero“ genannt – gibt es beispielsweise in Paris neben der Kathedrale Notre Dame, in Madrid im Zentrum der Puerta del Sol, in Moskau auf dem Roten Platz und im Stadtzentrum von Warschau. Gemeinsam ist diesen Mittelpunkten ihre Lage im Herzen der Hauptstädte, nahe den politischen Machtzentren. Es ist kein Zufall, dass es sich bei diesen Hauptstädten um zentralistische und nicht um föderalistisch organisierte Staaten handelt. Man braucht schon sehr viel Macht, um die Mitte der Welt festzulegen und dafür auch noch die Akzeptanz an den Rändern zu gewinnen. Das politische Machtzentrum eines Staates ist in der Regel die Hauptstadt (Mayer et al. 2013). Hier ist der Sitz der obersten Staatsgewalten: Parlament, Regierung, Monarchie oder Oberstes Gericht. In manchen Staaten ist die Hauptstadt auch das größte und wichtigste Wirtschafts-, Finanz-, Verkehrs- und Kulturzentrum eines Landes. Dies trifft zum Beispiel auf London, Paris, Moskau und Wien zu. In anderen Fällen ist die Hauptstadt lediglich Regierungssitz, während größere Städte die wirtschaftlichen und kulturellen Zentren des Landes bilden, so die US-amerikanische Hauptstadt Washington D.C. Hauptstädte sind also immer die politischen Zentren eines Staates, aber nicht immer deren wirtschaftliche, kulturelle und verkehrliche Mittelpunkte. Der Begründer der Zentrale-Orte-Theorie ist noch von der Annahme ausgegangen, dass Hauptstädte den geographischen Mittelpunkt eines Landes bilden (Christaller 1933). Doch das ist eine normative Annahme, die heute nur in wenigen Fällen in Europa zutrifft, wie z.B. für Madrid in Spanien. Das bekannteste Beispiel für eine Verlagerung einer Hauptstadt in die geographische Mitte eines Landes ist Brasilia. Die brasilianische Hauptstadt wurde im geographischen Zentrum des Landes, mitten im Urwald, als neue Stadt gegründet und löste damit das peripher an der Küste gelegene Rio de Janeiro ab. Doch die meisten Hauptstädte in Europa weichen von der Norm der geographischen Mitte ab. Im Gegenteil, viele liegen an der Peripherie eines Landes, wie z.B. Bratislava in Slowenien, Kopenhagen in Dänemark oder auch Berlin in Deutschland. Nicht nur ändern sich im Lauf der Geschichte die Grenzen der staatlichen Territorien, auch werden Haupt-
Z ENTRUM –
DIE
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städte gelegentlich aus politischen Gründen verlagert. In Europa beispielsweise von Moskau nach St. Petersburg und wieder zurück, von Istanbul nach Ankara oder eben von Bonn nach Berlin. Der Goldene Meilenstein im Zentrum Roms wies die römische Bevölkerung auch darauf hin, dass die Peripherien des Imperiums eigene Zentren hatten: die Provinzhauptstädte. Deren Namen und Entfernungen waren auf dem Goldenen Meilenstein im Forum Romanum zu lesen. Die Provinzhauptstädte waren die Sitze der römischen Statthalter und der Provinzlandtage. Sie bildeten die Spitze eines hierarchischen Siedlungssystems in den Provinzen. An oberster Stelle standen die Provinzhauptstädte, darunter kamen die Konventstädte (Gerichtssitze), darunter die übrigen Städte (MeyerZwiffelhoffer 2009: 60). Zwischen diesen Städten bestand oft ein Wettbewerb um den Vorrang in der Provinz. Mit diesem hierarchisch gegliederten Siedlungssystem waren die Römer in der Antike gewissermaßen bereits die Erfinder des Zentrale-Orte-Systems. Dieses wurde erst etwa zweitausend Jahre später durch Walter Christaller als Theorie konzipiert und bestimmt als dreigliedriges System von Ober-, Mittel- und Unterzentren bis heute die Praxis der deutschen Raumordnungspolitik. Deshalb gehen wir im folgenden Kapitel drauf ein.
2.3 D IE S TADT ALS Z ENTRUM : C HRISTALLERS T HEORIE Z ENTRALER O RTE Die wirtschaftsgeographische Theorie zentraler Orte von Walter Christaller versucht die Entstehung und Verteilung von Städten durch ihre Zentrenfunktionen zu erklären (Christaller 1933). Damit ist sie indirekt auch für die Definition von Peripherien relevant. Die Zentrale Orte Theorie wurde auf dem Stand der frühen 1930er Jahre mit einem geographischen Bezug auf Süddeutschland entwickelt. Sie beruht auf neoklassischen Positionen und geht von einer ganzen Reihe vereinfachender Prämissen aus. Eine dieser Prämissen ist, dass es ein Hauptmerkmal von Städten ist, „Mittelpunkt eines Gebietes zu sein“ (ebd.: 23). Die Theorie ist dabei nicht siedlungsgeographisch, sondern funktional angelegt. Sie definiert die zentralen Dienstleistungs-Funktionen, die Städte für ihr Umland haben. Christaller bestimmt die Zentralität eines Ortes nach dem „Bedeutungsüberschuss“ (ebd.: 26) für das umgebende Gebiet. Ein Bedeutungsüberschuss entsteht durch
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die Versorgung eines Gebietes mit „zentralen Gütern und Diensten“ – dazu zählt er vor allem den Handel, aber auch Banken, Handwerker, staatliche Verwaltung, Kirchen, Schulen, Theater, Verkehrswesen und Krankenhäuser (ebd.: 29). Die Zentralität einer Stadt begründet sich nach dieser Theorie also durch einen Überschuss an Versorgungsleistungen für das Umland. Je größer die Anzahl und Reichweite von Gütern und Dienstleistungen in einer Stadt ist, desto höher ist ihre Zentralität und desto größer ist ihr Einzugsgebiet. Christallers Theorie bleibt nicht auf der räumlichen Maßstabsebene einer einzelnen Stadt-Umland-Region stehen, sondern konstruiert ein ganzes System zentraler Orte (ebd.: 63 ff.). Das System zentraler Orte beschreibt die Verteilung und Hierarchie von Zentren innerhalb eines Nationalstaates. Dabei unterscheidet er Zentrale Orte „höherer Ordnung“ und „niederer Ordnung“. Ein hierarchisches System zentraler Orte entsteht, weil die zentralen Orte „höherer Ordnung“ auch die Güter der „niederen Ordnung“ anbieten (ebd.: 28). In der Theorie wird das Zentrale-Orte-System durch drei Prinzipien bestimmt: dem Versorgungs-, dem Verkehrs- und dem Absonderungsprinzip: •
•
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Das „Versorgungsprinzip“ wird durch die Reichweite der zentralen Güter definiert (Marktfunktionen zentrale Orte). Christaller unterscheidet dabei Güter „höherer und niederer Ordnung“ nach der räumlichen Reichweite der Nachfrage aus dem Umland. Dabei steigt die Zentralität mit der Anzahl, Dichte und Reichweite der angebotenen Güter und Dienstleistungen. Das „Verkehrsprinzip“ bezieht sich auf die Verkehrsfunktionen zentraler Orte. Dabei unterscheidet Christaller den Eisenbahn- und Autoverkehr. Während der Eisenbahnverkehr zu einer Zentralisation entlang der Verkehrslinien geführt habe, indem große Zentren bevorzugt wurden, wirke der Autoverkehr dezentralisierend und führe zu einer Auflösung und Auflockerung der Städte (ebd.: 106 ff). Das „Absonderungsprinzip“ bezieht sich auf die politisch-administrative Gliederung eines Nationalstaates. Im Hinblick auf die Hierarchie zentraler Orte betont die Theorie die konkurrenzlosen Funktionen der „Landes-, Provinz- und Kreishauptstädte“ (ebd.: 44).
Z ENTRUM –
DIE
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Das Umland der Zentren übernimmt bei Christaller als „Ergänzungsgebiet“ die funktionale Rolle der Peripherie – ohne dass der Begriff dafür explizit verwendet würde. Ein Ergänzungsgebiet ist nach Christaller „jenes Gebiet, in dem ein Bedeutungsdefizit vorliegt, das durch den Bedeutungsüberschuss des zentralen Ortes ausgeglichen wird, so dass das Gebiet und der zentrale Ort zusammengenommen eine Ganzheit ausmachen.“ (ebd.: 31). Wesentliches Merkmal der Peripherie ist demnach ein „Bedeutungsdefizit“. Hier finden wir wieder eine negative Zuschreibung. Nach der Theorie zentraler Orte werden Räume zu Peripherien wenn sie folgende funktionale „Bedeutungsdefizite“ aufweisen: a) ein Defizit in der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen b) ein Defizit im Anschluss an Verkehrsnetze und c) ein Defizit in der politischen Selbstverwaltung. Diese Defizite treffen allgemein auf ländliche Räume und Stadt-Umland-Räume zu. Ein System von Zentren und Peripherien entsteht durch die Unterscheidung von „Bedeutungsüberschüssen“ und „Bedeutungsdefiziten“. Die Möglichkeit eines Verlustes zentralörtlicher Funktionen von Städten wird in der Zentrale Orte-Theorie punktuell durchaus berücksichtigt, allerdings ohne dass dafür ein zusammenhängender Erklärungsansatz angeboten wird. In einem eigenen, wenig rezipierten Kapitel zu „Vorgängen der Dynamik“ (ebd.: 86 ff.) stellt Christaller dar, wie sich beispielsweise durch neue Verkehrsbeziehungen, neue Güter, technische Fortschritte oder politische Grenzziehungen Zentralitätsfunktionen von Städten räumlich verlagern und Städte niedergehen. Der Niedergang von Zentren reicht dabei bis zur Möglichkeit des „Absterbens“ (ebd.: 19). Als Erklärungsansatz für die Peripherisierung von Städten als Zentren lassen sich in der Zentrale OrteTheorie wiederum die Versorgungs-, Verkehrs- und Verwaltungsfunktionen unterscheiden: •
Eine „Abnahme der Bedeutung des zentralen Orts“ (ebd.: 90) entsteht durch rückläufige Versorgungsfunktionen aufgrund einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung eines Gebietes. Christaller geht davon aus, dass demografische Schrumpfungsprozesse in einer Region auf den untersten Stufen zentraler Orte zu einem „Aussterben“ führen, während die mittleren und oberen Stufen davon nicht betroffen seien oder sogar gestärkt würden. „Bei genereller Abnahme der Bevölkerung eines Gebietes sterben die ohnehin schwächeren hilfszentralen Orte aus, die Bedeutung der übrigen zentralen Orte nimmt nicht im gleichen Verhältnis
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•
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wie die Bevölkerung ab, sondern in geringerem, sie kann unter Umständen sogar eine Steigerung erfahren, eben durch Aufnahme der Nachfrage nach zentralen Gütern, die nach Aufhören des hilfszentralen Orts frei wird.“ (Ebd.: 90 f.). Eine rückläufige Verkehrsfunktion von zentralen Orten kann nach der Theorie durch einen rückläufigen Handel oder durch neue Verkehrssysteme entstehen, die zur Verarmung einer Region führen. Christaller: „Das Netz der Verkehrslinien verliert an Bedeutung (Verringerung des Handels, oder Ersatz des Eisenbahn- durch Kraftwagenverkehrs), gleichzeitig tritt vielleicht eine gewisse Verarmung ein, so dass weniger zentrale Güter gekauft werden können und eine Reihe von zentralen Orten, die bisher in den Versorgungsprozeß eingereiht waren, ausfallen müssen.“ (Ebd.: 115 f.). Eine rückläufige Verwaltungsfunktion von zentralen Orten kann nach Christaller durch „Zusammenfassung mehrerer Territorien in einem großen Staat“ entstehen und dazu führen, dass zentrale Orte „stehen bleiben oder gar in ihrer Entwicklung zurückgehen.“ (Ebd.: 117). Damit spricht Christaller die Auswirkungen staatlicher Gebietsreformen an, die z.B. bei einer Vergrößerung von Landkreisen zum Verlust des Status als Kreisstadt führen kann.
Kritik und Defizite Die Theorie zentraler Orte hat den Anstoß zu einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen und theoretischer Weiterentwicklungen in den Nachkriegsjahrzehnten gegeben, aber auch viel Kritik hervorgerufen. Die Kritik richtete sich vor allem auf die Realitätsferne vieler modellhafter und normativer Vorannahmen (vgl.: Blotevogel 2005). Christaller geht – ähnlich wie Thünen – von idealen und konzentrischen Ordnungsstrukturen aus. Ein weiterer Kritikpunkt richtete sich auf die fehlende Berücksichtigung von Agglomerationsvorteilen, so dass die Entstehung von polyzentrischen Ballungsräumen wie z.B. dem Ruhrgebiet mit der Theorie nicht erklärt werden können (Schätzl 1993). Auch Suburbanisierungsprozesse in Stadtregionen und funktionale Spezialisierungen zwischen zentralen Orten lassen sich damit nicht erklären. Da die Zentrale-Orte-Theorie auf dem Stand der 1930er Jahre geschrieben wurde, ist sie weitgehend auf den nationalen Kontext Süddeutschlands begrenzt und berücksichtigt noch nicht die tief-
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DIE
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greifende Globalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Herausbildung internationaler Metropolen. Christallers Theorie wurde dennoch nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer konzeptionellen Grundlage für die planerische Ausweisung von Ober-, Mittel- und Unterzentren in der Raumordnungspolitik Westdeutschlands, nach der Wiedervereinigung auch in Ostdeutschland. Die Theorie zentraler Orte hat damit maßgeblich zur gängigen Gleichsetzung von „Stadt = Zentrum“ und „ländlicher Raum = Peripherie“ in der Raumordnungspolitik beigetragen. Ländliche Räume werden bis heute oft nur als „Defiziträume“ im Vergleich mit Städten wahrgenommen und als nicht-zentrale Orte negativ definiert (Heintel 1998: 32).
2.4 V ON DER S TADT
ZUR
M ETROPOLE
Am historischen Beispiel von Rom ist deutlich geworden, dass Peripherien durch eine ganz bestimmte Form des Zentrums definiert werden: die Metropole. Aber ab wann wird eine Stadt zur Metropole? Der zeitgenössische Begriff der Metropole ist nicht eindeutig definiert. Umgangssprachlich wird eine Stadt als Metropole bezeichnet, wenn sie den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Mittelpunkt eines Landes bildet. Oft wird eine Metropole auch mit einer „Weltstadt“ oder „Global City“ gleichgesetzt (Reif 2006). In den Planungswissenschaften werden mit dem Begriff der Metropole zentrale Orte der höchsten Hierarchiestufe im Städtesystem bezeichnet. Eine Stadt wird zur Metropole, wenn sie eine internationale bzw. globale Bedeutung als Zentrum besitzt (Blotevogel 2005). Zur Bestimmung von Metropolen haben sich die folgenden drei zentralörtlichen Funktionen durchgesetzt (Tab. 1). Damit wird eine Stadt zur Metropole, wenn sie politische, wirtschaftliche oder infrastrukturelle Zentrums-Funktionen aufweist. Entscheidungsund Kontrollfunktionen, Innovations- und Wettbewerbsfunktionen und Gateway-Funktionen können, müssen sich aber nicht in einer Metropole konzentrieren. Auch kleinere Großstädte können durch eine funktionale Spezialisierung zur internationalen Metropole werden, beispielsweise das englische Oxford zur „Wissenschaftsmetropole“ (BBSR 2010: 13).
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Tab. 1: Funktionen und Merkmale von Metropolen Funktionen von Metropolen
Abgeleitete Merkmale
Entscheidungs- und Kontrollfunktionen
• Privatwirtschaft
• Headquarter großer nationaler und internationaler Unternehmen,
• Finanzwesen: Banken, Börse usw. • breites Spektrum hochspezialisierter Dienstleister
• Staat
• Regierung, Behörden
• sonstige Organisation
• supranationale Organisationen (EU, UN), internationale NGOs
Innovations- und Wettbewerbsfunktionen
• wirtschaftlich-technische
• Forschungs- und Entwicklungs-Einrichtun-
• soziale und kulturelle
• kulturelle Einrichtungen (Theater, Museen,
Innovationen
Innovationen
gen, Universitäten, wissensintensive Dienstleister Großveranstaltungen usw.),
• Orte sozialer Kommunikation (Gaststätten, Sport usw.)
Gateway-Funktionen
• Zugang zu Menschen
• Fernverkehrsknoten, insbesondere Luftver-
• Zugang zu Wissen
• Medien (Fernsehen, Printmedien usw.),
• Zugang zu Märkten
• Messen, Ausstellungen
Quelle: Blotevogel 2005: 645
kehr, ICE-Knoten und Autobahnknoten
Kongresse, Bibliotheken, Internet-Server
3 Peripherien in der räumlichen Planung und Politik
Der Exkurs in die europäische Geschichte hat gezeigt, dass sich im römischen Imperium Peripherien in der Form von Kolonien und Provinzen herausgebildet hatten. Doch heute leben wir in Europa längst in einer Phase des Post-Imperialismus und Post-Kolonialismus. Die letzten Kolonien des Deutschen Reiches wurden bereits 1918 durch den Versailler Vertrag aufgegeben. Mit dem Untergang Preußens sind 1945 hierzulande auch die Provinzen als staatliche Gebietskörperschaften verschwunden (im Unterschied etwa zu Italien oder Belgien). Sind damit Peripherien nicht bloße Relikte der Vergangenheit? Was sind die Peripherien von heute? Auch wenn Provinzen schon lange als staatliche Verwaltungseinheiten in Deutschland abgeschafft wurden, schwingt der alte Gegensatz von Metropole und Provinz noch immer in unserer Umgangssprache mit. Bis heute werden abseits der Metropolen gelegene Räume als „Provinz“ bezeichnet. „Provinziell“ wird meist etwas abfällig für ländliche Räume verwendet und ist mit „Rückständigkeit“ gegenüber den städtischen Zentren konnotiert (Vogt 2008). Es ist die Sicht der Metropolenbewohner auf das Land. Wir wollen im folgenden Kapitel aber nicht diesen alten sozio-kulturellen Distinktionen zwischen „Stadt“ und „Land“ nachgehen, sondern suchen nach Peripherien in der heutigen Praxis der Raumplanung und Raumordnungspolitik. Dafür ist es zunächst erforderlich, aus sozialwissenschaftlicher Sicht aufzuzeigen, was raumbezogene Planer eigentlich tun: Räume konstruieren.
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3.1 P LANUNG ALS VON R ÄUMEN
SOZIALE
K ONSTRUKTION
Was tun eigentlich räumliche Planer, wenn sie Planwerke entwerfen? Aus der Sicht der sozialwissenschaftlichen Raumforschung konstruieren sie Räume. Raumkategorien wie „Zentrum“ und „Peripherie“, „Metropole“ und „Provinz“, „Stadt“ und „Land“, aber auch Raumbilder wie die „Blaue Banane“, „Entwicklungsachsen“ und „Speckgürtel“ um Städte sind planerische Raum-Konstruktionen par excellence. Diese Konstrukte schreiben konkreten, physisch-materiellen Räumen mit ihren Menschen bestimmte Eigenschaften, Merkmale oder Rollen zu (Kilper 2010). Diese Zuschreibungen stehen nicht nur in irgendwelchen Planwerken, sondern können durchaus konkrete materielle Folgen für die betroffenen Menschen haben. Zum Beispiel hat die positive Zuschreibung einer Stadt als „Mittelzentrum“ in der Landesplanung die Folge, dass aus dem kommunalen Finanzausgleich des Bundeslandes mehr Geld pro Einwohner in diese Stadt fließt. Diese sogenannte „Einwohnerveredelung“ wird mit dem Bedeutungsüberschuss begründet, den die zentralen Einrichtungen der Stadt für die Versorgung der umliegenden Gemeinden haben. Nicht zufällig ist die Festlegung des Zentrale-Orte-Systems bis heute eines der wichtigsten Instrumente der Raumordnungspolitik. Zwischen den Kommunen gibt es heute – wie schon im römischen Reich – einen regelrechten Wettbewerb um den ZentraleOrte-Status. Jede Stadt möchte möglichst gern „Metropole“, „Oberzentrum“ oder „Mittelzentrum“ sein. In der Not tut es auch noch der Status „Unterzentrum mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums“. Aber auch die negative Zuschreibung als „Peripherie“ kann sich für die betroffenen Gebietskörperschaften auszahlen. Dann nämlich, wenn Gelder im Rahmen staatlicher Transfer- und Ausgleichssysteme zugunsten „benachteiligter Gebiete“ umverteilt werden. Peripherien werden dabei häufig durch die Abweichung von bestimmten statistischen Durchschnittswerten ermittelt. Staatliche Ausgleichspolitiken streben den Abbau von Disparitäten zwischen reicheren und ärmeren Teilgebieten an. Darauf kommen wir am Beispiel der Kohäsionspolitik der EU noch zurück. Für die Akteure der Kommunalpolitik bleibt die negative Fremdzuschreibung als „Peripherie“ jedoch meistens nicht akzeptabel und wird als eine Form der Stigmatisierung abgewehrt. Mit solchen negativen Botschaften lassen sich schließlich kaum Wähler gewinnen. Eine Selbstzuschreibung als Peripherie kann aller-
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dings von Kommunen auch strategisch genutzt werden, um die eigene Fördermittelbedürftigkeit gegenüber staatlichen Ministerien zu unterstreichen. Die Stigmatisierungsforschung hat dies als Erzeugung von Mitleidseffekten beschrieben. Zum Beispiel hat sich die wirtschafts- und finanzschwache Kleinstadt Eschwege selbst als „innere Peripherie“ im wiedervereinigten Deutschland dargestellt – obwohl sie die frühere Zonenrandlage durch die Wiedervereinigung gerade überwunden hatte (vgl. Kapitel 8). Da „Peripherie“ negativ konnotiert ist, ist zu erwarten, dass dieser Begriff eher in kritischen Analysen der raumbezogenen Forschung verwendet wird, um Disparitäten zwischen Teilräumen festzustellen. „Zentrum“ ist dagegen ein positiv konnotierter Raumbegriff, er impliziert zu einer „Mitte“ zu gehören, und wird von der Politik entsprechend gerne benutzt (Münkler 2010). Um Peripherien in der räumlichen Politik und Planung zu finden, kommen wir deshalb nicht umhin, auch die Zentren zu suchen, durch welche Peripherien indirekt produziert werden. Wir werden im Folgenden sehen, welche Relevanz Peripherien in der Praxis der raumbezogenen Planung haben und inwiefern damit Disparitäten zwischen reicheren und ärmeren Teilräumen adressiert werden. Ob in einem staatlichen Territorium in erster Linie eine Wachstumspolitik zugunsten der Zentren zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit oder eine wohlfahrtstaatliche Ausgleichspolitik der Dezentralisierung betrieben wird: „Peripherie“ wird immer dann zu einem hochgradig politischen Thema, wenn Fragen der räumlichen Verteilung von Wachstum und Wohlstand in den Mittelpunkt gerückt werden. Dies soll mit den folgenden Ausführungen gezeigt werden. Dabei unterscheiden wir drei verschiedene räumliche Maßstabsebenen: die europäische, die nationale und die regionale Ebene.
3.2 W ENIGER ENTWICKELTE R EGIONEN : P ERIPHERIEN IN E UROPA Durch die derzeitige Wirtschaftskrise der EU und die Finanzkrise der Eurozone haben Peripherien in Europa aktuell eine dezidiert politische Bedeutung erhalten. Im Kontext der Eurozone sprechen viele Medien explizit von „Peripheriestaaten“. Peripheriestaaten, damit sind derzeit die hoch verschuldeten Länder Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Irland gemeint. Diese sind von den Auflagen der „Troika“ aus EU, internationalem
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Währungsfond und Europäischer Zentralbank abhängig, welche die Sparund Reformpolitiken in diesen Ländern diktieren. Einen eindrucksvollen Beleg dafür, wie ein ehemaliges Zentrum zur Peripherie absteigen kann, liefert derzeit Griechenland mit der Hauptstadt Athen. Die Wiege Europas und die Mutter der europäischen Metropolen ist in den letzten Jahren wohl am tiefsten auf den Status einer Peripherie herabgesunken. Ob die Selbstzuschreibung des ehemaligen griechischen Finanzministers als „Schuldenkolonie“ Europas allerdings zutrifft oder nicht: Ein „Peripheriestaat“ in der Eurozone zu sein heißt vor allem: abhängig zu sein von den Finanztransfers der Zentren, hier der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds. Unabhängig von dieser politischen Interpretation von „Peripheriestaaten“ unterscheidet auch die Regionalpolitik der Europäischen Union – mehr oder weniger explizit – zwischen Zentren und Peripherien. Erklärtes Ziel der Kohäsionspolitik der EU ist es seit dem Reformvertrag von Lissabon, den „wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten“ (BBSR 2012: 129) zu stärken. Um räumliche Disparitäten zwischen reicheren und ärmeren Regionen auszugleichen sollen wirtschaftlich „rückständige“ Regionen und sozial benachteiligte sowie ausgegrenzte Gruppen besonders gefördert werden. Der fünfte „Bericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt“ der Europäischen Kommission unterscheidet dafür Räume nach ihrem Entwicklungsstand: danach gibt es „weniger entwickelte“, „mäßig entwickelte“ und „hoch entwickelte“ Staaten und Regionen (Europäische Kommission 2010). „Weniger entwickelte“ Gebiete werden im Kohäsionsbericht auch wiederholt als „rückständige Regionen“ bezeichnet. Der einzige Maßstab dafür ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, also ein Indikator für die Wirtschaftsleistung. Strukturschwache Regionen, deren Pro-KopfBIP unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegen, werden als „weniger entwickelte“ Regionen gezielt gefördert. Sie werden als Ziel-Gebiete definiert und erhalten die begehrte Regionalförderung (EFRE). Durch die Erweiterung der EU-27 im Jahr 2004 haben sich die EU-Fördergebiete stark nach Osteuropa verlagert. Der Bericht selbst zeigt, dass die strukturschwächsten Regionen mit einem Pro-Kopf-BIP von unter 50 Prozent des EU-Durchschnitts in den osteuropäischen Staaten Rumänien, Bulgarien, Ostungarn und Polen liegen. Die baltischen Staaten in Nordosten der EU, weite Teile von Tschechien, der Slowakei sowie einige Regionen in den
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südeuropäischen Staaten von Griechenland, Süditalien und Portugal fallen ebenfalls unter den Schwellenwert von 75 Prozent (ebd.: 12). Auffallend an den Dokumenten der Generaldirektion Regionalpolitik ist, dass in den neueren Kohäsionsberichten der Begriff „Peripherie“ für die „weniger entwickelten“ Regionen nicht mehr explizit auftaucht, während er in älteren Dokumenten noch verwendet wurde. So enthielt der zweite Kohäsionsbericht noch eine Karte, in der „zentrale Regionen“, „periphere Regionen“ und „sonstige Regionen“ nach dem Pro-Kopf-BIP dargestellt wurden (Europäische Kommission 2006, Anhang: 10). Der Umgang mit räumlichen Disparitäten auf europäischer Ebene wird also hauptsächlich durch die Wirtschafts- und Regionalpolitik der EU bestimmt. Eine eigene Raumordnungskompetenz existiert in Europa bisher nur auf informeller Ebene (Faludi 2011). So wurde 1999 das Europäische Raumentwicklungskonzept als informelles Dokument verabschiedet, das eine räumlich „ausgewogene“ Entwicklung und eine „polyzentrisches Städtesystem“ anstrebt (Europäische Kommission 1999). Ein ebenfalls informelles, aber aktuelleres Dokument ist die „Territoriale Agenda der Europäischen Union 2020“, welche auf einem informellen Treffen von den Ministern für Raumplanung im Jahr 2011 unterzeichnet wurde. Die Territoriale Agenda spricht die Herausforderung einer „Zentrum-Peripherie-Teilung“ (TA 2011: 4) in Europa explizit an. Diese Teilung wird auf zwei räumliche Ebenen bezogen: die europäische und die nationalstaatliche. Auf europäischer Ebene bezeichnet die Territoriale Agenda das sogenannte „Pentagon“ (ebd.: 6) als den Kernraum Europas, in dem sich die wichtigsten Zentren konzentrieren. Damit wird das Fünfeck zwischen London, Paris, Mailand, München und Hamburg bezeichnet. Im „Pentagon“ liegen auch die Benelux-Länder einschließlich der EU-Hauptstädte Brüssel, Luxemburg und Straßburg. Eine Analyse von Metropolfunktionen in Europa zeigt, dass sich in diesem Fünfeck tatsächlich etwa 50 Prozent aller Metropolfunktionen Europas konzentrieren (BBSR 2010: 9). Nach dieser Analyse sind die fünf bedeutendsten Metropolen Europas (in dieser Reihenfolge): London, Paris, Brüssel, Moskau und Frankfurt am Main. Danach folgen Berlin, Rom, Madrid, Wien und München (ebd.). Als Raumkonstruktion ist das „Pentagon“ also – ähnlich der bekannten „Blauen Banane“ – auf das alte Westeuropa und die Sitze der EU-Institutionen zentriert. In ihm erscheinen so bedeutende Metropolen wie Moskau, Berlin, Rom, Madrid und Wien peripher.
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Auf nationalstaatlicher Ebene weist die Territoriale Agenda auf die Gefahr einer „Polarisierung zwischen Hauptstädten, Metropolregionen und Mittelstädten“ (TA 2011: 6) hin. Tatsächlich zeigen Analysen, dass sich bisher insbesondere in den mittelosteuropäischen Staaten die sozialräumlichen Disparitäten zwischen den Hauptstädten und den übrigen Städten verschärfen (ESPON & European Institute of Urban Affairs 2012). Zu den wirtschaftlichen und demographischen Wachstumszentren zählen in erster Linie die Hauptstädte Sofia (Bulgarien), Bratislawa (Slowakei), Vilnius (Litauen), Tallinn (Estland), Bukarest (Rumänien) und Prag (Tschechien). Diese Hauptstädte bzw. Hauptstadtregionen entwickeln sich aufgrund von Zuwanderungen, dem Ausbau der Infrastrukturen und internationalen Finanzinvestitionen zu prosperierenden Zentren, in denen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Bevölkerung durch Landflucht wächst. In manchen Ländern ist deshalb bereits von einer „Dominanz“ der Hauptstädte die Rede (ESPON & European Institute of Urban Affairs 2012: 24). Dem gegenüber werden viele altindustrielle Städte, ländliche Regionen und Grenzregionen durch Abwanderungen, Alterung und Desinvestitionen von der Wachstumsdynamik abgekoppelt. Diese Polarisierung zwischen den Hauptstadtregionen und den restlichen Landesteilen hat zu einer Rückkehr der Zentrum-Peripherie-Diskussion in diesen Ländern geführt. Die nationale Politik in den CEE-Ländern wird dabei durch die bevorzugte Förderung der Hauptstädte als Wachstumszentren und einer fehlenden Ausgleichspolitik für die Peripherisierung ländlicher Räume verantwortlich gemacht (Ehrlich/Kriszan/Lang 2012).
3.3 M ETROPOLREGIONEN UND LÄNDLICHE P ERIPHERIEN IN D EUTSCHLAND Noch in den 1990er Jahren konnte man lesen, dass Deutschland aufgrund seiner föderalen Staatsstruktur und seines polyzentralen Städtesystems über gar keine richtige Metropole verfüge – vergleichbar mit London oder Paris. Heute hat Deutschland gleich elf Metropolregionen. Diese umfassen 60 Prozent des Bundesgebietes. 70 Prozent der Bundesbürger leben darin – die meisten vermutlich ohne es zu wissen (Zahlen nach: BBSR/IKM 2012: 12/14). Wie ist diese rasante Metropolitanisierung Deutschlands zu erklären?
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Metropolregionen sind räumliche Konstrukte, die nicht nach raumwissenschaftlichen Kriterien, sondern nach normativen Vorgaben der Politik im Wechselspiel von Bund, Ländern und Kommunen definiert wurden. Deren Rolle wurde im Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen durch die Ministerkonferenz für Raumordnung 1995 erstmals als „Motoren der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung“ beschrieben. Metropolregionen stehen seit 2006 in den Leitbildern der Raumentwicklung außerdem für „Wachstum und Innovation“. 1995 wurden zunächst sechs „Europäische Metropolregionen“ auf nationaler Ebene durch einen Beschluss der Ministerkonferenz für Raumordnung anerkannt: Berlin/Brandenburg, Hamburg, München, Rhein-Main, Rhein-Ruhr und Stuttgart. 1997 kam „Halle/Leipzig-Sachsendreieck“ hinzu, das sich später zu „Mitteldeutschland“ erweitert hat. Im Jahr 2005 kamen weitere vier hinzu: Bremen-Oldenburg im Nordwesten, Hannover-Braunschweig-Göttingen, Nürnberg und Rhein-Neckar (Blotevogel 2005). Die Ausweisung von Metropolregionen löste in Deutschland eine Phase des „Metropolenfiebers“ (Leber/Kunzmann 2006) aus. Viele Städte und Regionen wollten nun ebenfalls als Metropole anerkannt werden und bewarben sich um den Titel. Dabei hat die Ministerkonferenz für Raumordnung nur von oben festgelegt, welche und wie viele Räume als Metropolregionen anerkannt werden. Wie sich die Metropolregionen organisieren und räumlich abgrenzen wurde den beteiligten Akteuren in einem bottom-up-Prozess überlassen. Im Ergebnis hat dieser politische Voluntarismus zu einer etwas inflationären Ausweisung von Metropolregionen geführt. Ähnlich wie bereits die alten Römer in der Spätantike begannen, frühere Provinzhauptstädte als Metropolen zu bezeichnen, wurden auch kleinere Großstädte als Metropolregionen anerkannt. Unter den elf Metropolregionen in Deutschland sind Städte wie Bremen und Oldenburg, Nürnberg oder Hannover, Braunschweig, Göttingen und Wolfsburg, die nur durch ihren polyzentrischen Zusammenschluss eine entsprechende Größe und Sichtbarkeit auf der europäischen und globalen Landkarte erreichen. An dieser Stelle soll nicht auf die sehr unterschiedliche Entwicklung der elf Metropolregionen eingegangen werden (vgl. Knieling 2009; Ludwig et al. 2008). Als eine Ursache für die deutlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Metropolregionen in Deutschland hat eine politikwissenschaftliche Studie den Faktor der „metropolitan leadership“ herausgearbeitet (Zimmermann/Heinelt 2012). Wir wollen uns im Folgenden nur mit einer
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Metropolregion beschäftigen: Berlin-Brandenburg. Diese Auswahl lässt sich ganz einfach damit begründen, dass diese Metropolregion die größten Gegensätze zwischen Metropole und Peripherie in Deutschland aufweist. Anhand dieses Falls soll gezeigt werden, wie räumliche Planung und Politik mit Disparitäten zwischen Metropole und Peripherie umgehen. Die Ergebnisse versprechen etwas über den spezifischen Typ der monozentrischen Metropolregion auszusagen, sie sind auf polyzentrische Metropolregionen nicht zu übertragen. „Verantwortungsgemeinschaften“ von Metropole und Peripherie Im Konzept der Metropolregion ist das Verhältnis zwischen Metropolen und Peripherien bereits angelegt. Neben den Metropolkernen umfassen die Metropolregionen auch suburbane und ländliche Räume als metropolitane Verflechtungsbereiche (Hesse 2010). Bei den Metropolregionen handelt es sich in vielen Fällen um informelle Raumkonstrukte ohne feste Grenzen, die teilweise quer zu den politisch-administrativen Territorien von Landkreisen und Bundesländern stehen. Deshalb war mit der Bildung von Metropolregionen die Erwartung verbunden, neue Governanceformen der Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgerschaft zu entwickeln. Für die räumliche Ebene von Metropolregionen wurde der spezifische Begriff der „Metropolitan Governance“ (Blatter/Knieling 2009) geprägt. Im Hinblick auf die Zentrenstruktur von Metropolregionen unterscheidet die Governance-Forschung zwischen dem monozentrischen Strukturmuster der Hierarchie und dem polyzentralen Strukturmuster der Netzwerke (Blatter 2005: 130 f.; Herrschel/Newman 2003). Eine politische Verknüpfung zwischen Metropole und Peripherie wurde in den Leitbildern der Raumentwicklung durch den Begriff der „großräumigen Verantwortungsgemeinschaften“ hergestellt. Nach den Leitbildern ist das Ziel „die Weiterentwicklung des Prinzips der Partnerschaft zwischen Stadt und Land zu einer regionalen Verantwortungsgemeinschaft metropolitaner und ländlicher Räume“ (BMVBS 2006). Da der normative Begriff der „Verantwortungsgemeinschaft“ nicht weiter präzisiert wurde, stieß er in der Raumforschung auf Kritik. Ein prominenter Vertreter der Planungswissenschaften stufte ihn als „leere Raumordnungsrhetorik“ (Blotevogel 2006: 468) ein. Andere sahen darin ein Handlungskonzept „das in der Tagespoli-
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tik ein Lippenbekenntnis bleiben wird, weil die dafür notwendigen Umverteilungsmechanismen zwischen Metropole und peripherem Hinterland im Spannungsverhältnis von lokalen Gebietskörperschaften und Bundesländern in der Regel nicht konsensfähig sein werden.“ (Leber/Kunzmann 2006: 59/60). Die Peripherie ist ländlich: Raumordnung in Deutschland Die nationale Raumordnungspolitik in Deutschland setzt Peripherien und ländliche Räume weitgehend gleich. So verwendet der letzte Raumordnungsbericht von 2011 an vielen Stellen die Kombination der Adjektive „ländlich-peripher“. Diese Gleichsetzung beruht auf der Unterscheidung von vier Raumtypen: „sehr zentral“, „zentral“, „peripher“ und „sehr peripher“ (BBSR 2012a: 68, 125). Nach einer fachlichen Definition des BBSR zählen geographische Lagen als „peripher“ wenn Großstädte mit einer Tagesbevölkerung von 150.000 über die Autobahn in zwei Fahrstunden erreichbar sind. Werden Zentren von nur noch 70.000 Menschen erreicht, ist die Lage „sehr peripher“. „Sehr peripher“ sind demnach besonders die dünn besiedelten Regionen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, aber auch in Ostbayern und entlang der Nordsee. „Peripher“ sind weite Teile des ländlichen Raumes, die keine Großstädte aufweisen (BMVBS/BBSR 2009). Für diese Räume beschreibt der Raumordnungsbericht die bekannten Probleme: demographische Schrumpfung, hohe Arbeitslosigkeit, Schließung von Schulen und Krankenhäusern, Ärztemangel, aber auch Defizite in der Breitbandversorgung mit schnellen Internetanschlüssen. Als eine zentrale Herausforderung für die Raumordnungspolitik von Bund, Ländern und Regionen weist der Bericht auf die Gefahr einer „selbst verstärkenden Abwärtsspirale peripherer ländlicher Räume infolge ungünstiger ökonomischer, demographischer und infrastruktureller Entwicklungen“ (BBSR 2012a: 208) hin. Der Bericht fordert „die Ergreifung von Maßnahmen zur Gewährleistung und Herstellung der Gleichwertigkeit in Teilräumen, in denen bereits eine erhebliche Abweichung vom Bundesdurchschnitt zahlreicher Dimensionen regionaler Lebensverhältnisse festgestellt werden kann“ (ebd.). Die Definition „peripherer“ und „sehr peripherer“ Räume in der deutschen Raumordnung legt also die Erreichbarkeit von Großstädten über die Autobahn als wesentlichem Kriterium zugrunde. Dieses Modell hat mehre-
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re weitreichende Implikationen. Erstens: Großstädte bzw. Großstadtregionen, welche die definierten Schwellenwerte der Bevölkerung überschreiten, werden automatisch zu Zentren. Großstädte können nach dieser Definition nicht Peripherie sein. Damit wird ignoriert, dass viele altindustrielle Städte gravierendere Probleme der wirtschaftlichen Strukturschwäche, sozialen Verarmung und demographischen Schrumpfung aufweisen als ländliche Räume (Danielzyk 2012: 31). Zweitens: Peripherien werden mit ländlichen Räumen gleichgesetzt. Damit wird der in der Raumforschung schon lange als überholt geltende Stadt-Land-Gegensatz festgeschrieben und die starke Ausdifferenzierung städtischer und ländlicher Räume nicht berücksichtigt. Neben strukturschwachen und schrumpfenden ländlichen Räumen gibt es auch prosperierende und wachsende ländliche Räume abseits der Großstadtregionen (Troeger-Weiss et al. 2008; Köhler 2007, 2012). Drittens: Die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln wird in diesem autoorientierten Modell komplett ausgeblendet. Damit wird nicht berücksichtigt, ob eine Stadt einen Anschluss an das Fernverkehrsnetz durch einen ICE-Bahnhof hat oder nicht. Doch gerade diese Fernverkehrsanbindung hat für die Pendlerverflechtungen mit den überregionalen Zentren eine hohe Relevanz und erweitert die Arbeitsmarktregionen deutlich über den üblichen Radius von 60 km. Die raumordnungspolitische Debatte über Peripherien bezieht sich in Deutschland bisher also fast ausschließlich auf ländliche Räume. Eine Peripherisierung von Städten kann mit den zugrunde liegenden ErreichbarkeitsIndikatoren zur Unterscheidung von zentralen bis peripheren Räumen nicht erfasst werden. Damit werden auch die Herausbildung „innerer Peripherien“ (Hesse 2010: 77) und Prozesse der „inneren Peripherisierung“ (Danielzyk 2012: 31) in Metropolregionen ausgeblendet. Wenn einerseits Großstädte in der Strukturkrise schrumpfen und damit in ihrer demographischen und ökonomischen Zentralität absteigen und andererseits peripher gelegene, ländliche Räume zu neuen Wachstumszentren aufsteigen, ist die geographische Distanz zu großstädtischen Ballungsräumen offensichtlich kein geeigneter Indikator mehr, um neue räumliche Muster zu erklären. Deshalb widmet sich der zweite Teil dieses Buches ausführlich den Formen der Peripherisierung von Städten. Zuvor gehen wir aber noch auf eine weitere Kategorie in der Raumordnung ein: die Metropolregionen. An dieser relativ jungen Raumkonstruktion interessiert uns vor allem das Verhältnis zwischen Metropole und Peripherie.
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3.4 M ETROPOLE UND P ERIPHERIE : DIE HAUPTSTADTREGION BERLIN-BRANDENBURG Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg weist mehrfach ausgeprägte Gegensätze zwischen Metropole und Peripherie auf. Der durch die politische Teilung Deutschlands und Berlins bedingte West-Ost-Gegensatz bis 1989 hat zumindest in den 1990er Jahren noch das Zusammenwachsen zu einer gemeinsamen Region erschwert. Eine Länderfusion scheiterte im Jahr 1996 bei einer Volksabstimmung vor allem durch das negative Wählervotum in Brandenburg und Ost-Berlin. Ein zweiter Anlauf wurde bisher durch die Landespolitik aufgrund der geringen Erfolgsaussichten bei den Wählern in Brandenburg nicht gewagt. Deshalb besteht bis heute auch ein politischadministrativer Gegensatz zwischen den beiden Bundesländern. Berlin liegt als Bundeshauptstadt und Stadtstaat in der geographischen Mitte Brandenburgs. Brandenburg bildet als eigenständiges Bundesland einen Kragen um Berlin. Dazu kommt ein siedlungsstruktureller Gegensatz: die dicht bebaute 3,5-Millionen-Metropole Berlin und das dünn besiedelte, ländlich strukturierte Flächenland Brandenburg mit knapp 2,5 Millionen Einwohnern stehen sich gegenüber. Das starke Zentrum-Peripherie-Gefälle kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass das Berliner Umland mehr als fünffach so dicht besiedelt ist wie der Berlin ferne weitere Metropolenraum (GL 2013: 21). Diese historischen, siedlungsstrukturellen, kulturellen und politischadministrativen Gegensätze in der Metropolregion Berlin-Brandenburg wurden weiter verstärkt durch eine deutliche Auseinanderentwicklung zwischen dem Berliner Umland und den Randregionen Brandenburgs. Seit 1990 entwickeln sich beide Teilräume in ihren demografischen und wirtschaftlichen Dynamiken entgegengesetzt. Kurz gesagt: Wachstum von Bevölkerung und Beschäftigung im Berliner Umland, Schrumpfung in den Randregionen. Die gegensätzlichen Entwicklungsdynamiken zwischen der Metropole, ihrem Umland („engerer Verflechtungsraum“) und den peripheren Regionen („weiterer Metropolenraum“) kommen in der folgenden Tabelle zum Ausdruck.
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Tab. 2: Entwicklungsdynamiken in der Metropolregion BerlinBrandenburg 1993
1998
2003
2008
2013
3.475.392 (=100)
3.398.822 (= 98)
3.388.477 (=97)
3.431.675 (=99)
3.421.829 (=98)
660.341 (=100)
757.418 (=115)
845.315 (=128)
895.070 (=136)
919.763 (=139)
1.877.320 (=100)
1.832.957 ( =98)
1.729.206 (=92)
1.627.423 (=87)
1.529.430 (= 81)
Bevölkerung Berlin Berliner Umland Weiterer Metropolenraum
Gesamtwanderungssaldo je 1.000 Einwohner Berlin
6,4
-6,2
0,1
4,5
12,3
Berliner Umland
8,8
41,4
15,5
9,1
11,6
Weiterer Metropolenraum
3,2
-2,5
-6,9
-8,2
0
SV-pflichtig Beschäftigte am Arbeitsort (je 30.06.) Berlin
k.A.
1.132.570 (=100)
1.065.424 (=94)
1.081.660 (=96)
1.220.774 (=108)
Berliner Umland
k.A.
261.829 (=100)
245.955 (=94)
267.210 (=102)
293.986 (=112)
Weiterer Metropolenraum
k.A.
585.299 (=100)
486.980 (=83)
469.877 (= 80)
478.397 (=82)
Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Berechnungen Landesamt für Bauen und Verkehr 2015, Bevölkerungsstand und relativer Wanderungssaldo 2013 auf Basis des Zensus 2011
Bei der längerfristigen Analyse der Bevölkerungsentwicklung innerhalb der letzten zwanzig Jahre zeigen sich eine weitgehende Stabilisierung in Berlin, ein starker Zuwachs im Umland Berlins und eine kontinuierliche Schrumpfung in den Randregionen. Der Indikator des Wanderungssaldos verweist auf steigende Zuwanderungsgewinne in Berlin seit 2008, den Boom der Suburbanisierung im Umland Berlins mit einem Höhepunkt Ende der 1990er Jahre und einer anhaltenden Zuzugsdynamik bis heute. In der Peri-
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pherie verlieren die massiven Wanderungsverluste in den letzten Jahren zugunsten einer ausgeglichenen Wanderungsbilanz an Bedeutung. Dies erklärt sich auch dadurch, dass inzwischen die mobilen Bevölkerungsgruppen abgewandert sind. Bei der Beschäftigtenentwicklung fallen die positive Entwicklung in Berlin und dem Berliner Umland zwischen 2008 und 2013 auf, die jedoch dem allgemeinen Bundestrend entsprechen. Dagegen stagniert die Beschäftigtenentwicklung in der Peripherie eher, der weitere Metropolenraum wird damit im Vergleich zum positiven Bundestrend weiter abgehängt. Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg ist – nach der inzwischen weitgehend gescheiterten Konstruktion von „Mitteldeutschland“ – die flächengrößte Metropolregion in Deutschland. Der in der Planersprache sogenannte „weitere Metropolenraum“ reicht bis an die Grenzen des Landes Brandenburg und umfasst ländlich-periphere Regionen wie z.B. die Prignitz, Uckermark oder Lausitz. Zum „weiteren Metropolenraum“ gehören auch Städte wie Eisenhüttenstadt, Guben, Schwedt oder Wittenberge. Diese Städte, die in der DDR planmäßig industrialisiert wurden, haben zwischen 1990 und 2014 beinahe 50 Prozent ihrer Einwohner verloren. Metropolitane Merkmale wie Internationalität, Wachstum und Innovation verbindet man mit diesen Orten deshalb nicht (Hesse 2010: 76). Die Randregionen Brandenburgs sind bis heute durch eine anhaltende wirtschaftliche Strukturschwäche, eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie im Berliner Umland und eine starke Abwanderung gekennzeichnet. Trotz einer Belebung vieler märkischer Dörfer und Landschaften durch Touristen und Sportler, den Zuzug von Stadtflüchtigen, Künstlern und Aussteigern aus Berlin sowie der Ausbreitung des Zweitwohnens hält die Schrumpfungskrise in den Randregionen weiter an. Amtlichen Prognosen zufolge wird die Bevölkerung im „weiteren Metropolenraum“ bis 2030 um weitere 17,6 Prozent schrumpfen (GL 2013: 31). Umgekehrtes gilt für das Umland von Berlin. Nach dem Fall der Mauer wuchsen Berlin und seine Umlandgemeinden wieder enger zusammen. Suburbanisierungsprozesse führten seit Mitte der 1990er Jahre zur Herausbildung des sogenannten „Speckgürtels“. Die Dynamik der Suburbanisierung im Umland Berlins erreichte aber bereits Ende der 1990er Jahre einen vorläufigen Höhepunkt, da sich die Wachstumspotenziale der strukturschwachen Metropole Berlins, deren Wirtschaftsleistung noch unter dem Bundesdurchschnitt liegt, erschöpften. Seit etwa 2005 entwickelt sich Ber-
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lin aufgrund der starken Nachfrage vor allem von internationalen Investoren, Studierender, Besucher und Touristen wieder zu einer wachsenden Metropole. Dies führt dazu, dass auch die Berliner Umlandgemeinden in Brandenburg in Zukunft weiter wachsen werden. Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der Hauptstadtregion In den ersten Leitbildern und Konzepten wurde zunächst nur das engere Umland rund um Berlin zur Metropolregion Berlin-Brandenburg gezählt. Im Jahr 2005 entschieden die brandenburgische Landesregierung und die Berliner Senatsverwaltung jedoch, die Hauptstadtregion auf das ganze Land Brandenburg auszudehnen. Diese Abgrenzung beruhte nicht auf der Analyse funktionaler Verflechtungsbeziehungen. Im Gegenteil, aus der Raumforschung wurde diese Abgrenzung als eine „Flächenüberdehnung“ kritisiert. „Aus fachlicher Sicht muss diese Flächenüberdehnung des Metropolregionskonzepts sehr kritisch gesehen werden, weil nicht erkennbar ist, wie die peripheren Landesteile Brandenburgs in einer realistischen Weise in eine metropolitane Entwicklungspolitik mit einbezogen werden.“ (Blotevogel 2006: 14). Die Entscheidung beruhte vielmehr auf der politischen Sorge einer räumlichen Spaltung des Landes Brandenburg in ein prosperierendes Berliner Umland und den durch Schrumpfung und Strukturschwäche gekennzeichneten Randregionen. In der Landeshauptstadt Potsdam – selbst unmittelbar im boomenden Umland von Berlin gelegen – wollte man damit den Eindruck einer weiteren Abkopplung der märkischen Peripherie von der Metropole vermeiden. Eine weitere Erklärung dürfte sein, dass in der Landespolitik Brandenburgs der ländliche Raum eine starke Lobby hat. Vertreter des ländlichen Raums dominieren im Landtag und besetzen nicht selten auch Führungspositionen in den Ministerien. Das starke Zentrum-Peripherie-Gefälle und die Zunahme der sozialräumlichen Disparitäten zwischen Berlin, dem Berliner Umland und den Randregionen in Brandenburg lassen sich allerdings nicht mit einer möglichen Benachteiligung der Randregionen in der Landespolitik erklären. Im Gegenteil, die Brandenburgische Landespolitik hat in den letzten 25 Jahren vieles versucht, um eine weitere Abkopplung der Peripherie zu vermeiden. In den 1990er Jahren wurde zunächst mit dem Leitbild der „Dezentralen Konzentration“ der Versuch unternommen, wirtschaftliche Entwicklungs-
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impulse von Berlin in die Randregionen zu verteilen. Die Städte des Städtekranzes – Cottbus, Frankfurt (Oder), Luckenwalde, Jüterbog, Brandenburg an der Havel, Neuruppin und Eberswalde – sollten als „Entlastungszentren“ vergleichbar mit den New Towns um London oder Paris fungieren. Die Landkreise wurden als keilförmige „Tortenstücke“ zugeschnitten, um ein Stück des Berliner „Specks“ in die ärmeren Landesteile der Peripherie umverteilen zu können. Viele Versuche der Ansiedlung großer Industrieunternehmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Randregionen scheiterten trotz hoher staatlicher Subventionen (u.a. Chip-Fabrik in Frankfurt (Oder), Cargo-Lifter Brand, Lausitzring). Im Jahr 2005 wurde die Gemeinsame Landesplanung schließlich durch die beiden Landesregierungen reformiert. Die restriktive Flächensteuerung im Berliner Umland wurde aufgegeben, stattdessen wurde die Landesplanung stärker als Instrument zur Wachstumsförderung des Gesamtraumes eingesetzt. Seitdem werden in Abstimmung mit der Wirtschaftsförderung „regionale Wachstumskerne“ gefördert – viele davon sind Städte in der märkischen Peripherie. Welche konkreten Formen der „Stadt-Land-Partnerschaft“ bzw. „Verantwortungsgemeinschaft“ zwischen der Metropole Berlin und den peripheren Regionen Brandenburgs gibt es in der Hauptstadtregion? Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: 1. Die räumliche Abgrenzung der Metropolregion und Ausdehnung auf
das gesamte Bundesland Brandenburg war eine bewusste politische Entscheidung zur Inklusion der peripheren Regionen. Eine fachlich begründbare Begrenzung der Metropolregion auf Berlin und das Berlin nahe Umland hätte dagegen eine Exklusion der Peripherie aus der Metropolregion zur Folge gehabt. Der Preis dafür ist, dass die Lebenswirklichkeiten in den peripheren Regionen und die planerische Konstruktion des „weiteren Metropolenraums“ bisher weit auseinanderklaffen. 2. Nachdem planerische Konzepte der Umverteilung von Wachstumsüberschüssen aus dem Zentrum Berlin in die märkische Peripherie nach dem Modell der „dezentralen Konzentration“ gescheitert waren, erfolgte eine programmatische Neuausrichtung der Landesplanung von der Ausgleichs- zur Wachstumspolitik (Förderung regionaler Wachstumskerne). Ansätze der aktiven Dezentralisierung und Umverteilung von Wachstum aus der Metropole in die Peripherie wurden damit aufgegeben.
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3. Die „Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg“ wird bisher im Wesentli-
chen von einem staatlichen Akteur getragen: der Gemeinsamen Landesplanungsabteilung (GL). Diese tritt als Dachinstitution der Hauptstadtregion auf, fungiert als Ansprechpartner in der Öffentlichkeit und vertritt die Region auch im Initiativkreis Europäische Metropolregionen in Deutschland (Segebade/Elsing 2008). Eine breitere Beteiligung der Wirtschaft und Bürgerschaft und eine öffentliche Kommunikation in den Medien sind außer in der Anfangsphase bisher nicht erfolgt. Ein Gutachten im Auftrag der GL stellt entsprechend fest: „Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg scheint jedoch vor allem in Fachkreisen wahrgenommen zu werden und weniger im alltäglichen Handeln der Akteure von Bedeutung zu sein.“ (GL 2008: 57). 4. Als informelles Instrument der Hauptstadtregion liegt seit 2006 ein Leitbild vor, das auf einer öffentlichen Diskussion in zwei Fachkonferenzen entwickelt wurde (GL 2006). Als formelles Planungsinstrument liegt seit 2009 der Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg (LEP B-B) vor. Beide Dokumente enthalten keine konkreten Aussagen zur Ausgestaltung des Verhältnisses von Metropole und Peripherie. Im Rahmen der Modellvorhaben der Raumordnung wurde durch die GL das Projekt „Kooperation und Vernetzung im Nordosten“ durchgeführt, um das Schlagwort der „Großräumigen Verantwortungsgemeinschaft“ zu konkretisieren. Allerdings bezog sich das MORO-Projekt nicht nur auf Berlin-Brandenburg, sondern umfasste auch Mecklenburg-Vorpommern und damit einen noch größeren und heterogeneren Raum (GL 2008). 5. Als das wichtigste Großprojekt der Hauptstadtregion gilt der Flughafen Berlin-Brandenburg International (BER). Aufgrund der großen Konflikte mit den Nachbargemeinden im Berliner Umland in Bezug auf die Lärmbelastungen, die massiven zeitlichen Verzögerungen einschließlich eines abgesagten Eröffnungstermins, vieler technischer und organisatorischer Pannen, Managementfehler sowie steigender Kosten wurde das Flughafen-Projekt in der Öffentlichkeit schon mit viel Spott und Kritik bedacht. An dieser Stelle genügt es deshalb darauf hinzuweisen, dass dieses Projekt nicht zum politischen Zusammenwachsen der Metropolregion beigetragen hat. Im Gegenteil, die Kooperation zwischen beiden Bundesländern wird erheblich belastet, nicht zuletzt aufgrund
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unterschiedlicher Positionen zwischen Berlin und Brandenburg beim Konflikt-Thema Lärmschutz. Insgesamt zeigt die Fallstudie zur Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg, dass sozialräumliche Disparitäten zwischen Metropole und Peripherie zunehmen, obwohl die peripheren ländlichen Regionen in der Landespolitik eine starke Interessenvertretung haben. Die Peripherisierung der Randregionen ist deshalb keine Folge einer politischen Benachteiligung, sondern entsteht durch marktwirtschaftliche Entscheidungen privater Akteure, in der Peripherie nicht zu investieren, Unternehmen zu schließen oder abzuwandern. Die Möglichkeiten der Landespolitik zu einem aktiven Umgang mit der Peripherisierung ländlicher Räume sind bisher begrenzt, solange keine neue Form der Dezentralisierungspolitik zur „Entlastung“ der Metropole Berlin verfolgt wird. Die Landesplanung konzentriert sich derzeit auf eine defensive Sicherung der Daseinsvorsorge durch die Förderung interkommunaler Kooperationen. Die Proklamierung einer Metropolregion selbst bleibt in diesem Fall weitgehend ein räumliches Konstrukt von Planungsexperten, dem auch die kommunalen und regionalen Akteure in der Peripherie keine große Bedeutung zumessen.
4 Theoretische Konzepte: Von der Peripherie zur Peripherisierung
In diesem Kapitel werden einige theoretische Konzepte vorgestellt, welche die Entstehung von Peripherien begründen, beschreiben oder erklären. Aus einer Vielzahl vorhandener Ansätze in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung wählen wir dafür Konzepte der Geschichtswissenschaften, historischen Geographie, Wirtschaftsgeographie, Regionalökonomie, politischen Soziologie sowie den Planungswissenschaften aus. Mit dieser Auswahl ist kein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden. Berücksichtigt werden diejenigen Konzepte, die für die angewandte Raumforschung und Raumplanung von besonderer Bedeutung sind. Wir stellen diese Theorien in den nächsten Kapiteln auch nicht umfassend dar, sondern werten diese gezielt nach folgenden drei Leitfragen aus: 1. Welche (negativen) Eigenschaften werden Peripherien zugeschrieben? 2. Durch welche Faktoren wird die Entstehung von Peripherien erklärt? 3. Welches Verhältnis zwischen Zentren und Peripherien wird konstruiert? Abschließend werden die theoretischen Ansätze einer kritischen Bewertung unterzogen, indem ihre Stärken und Defizite aufgezeigt werden.
4.1 I NNERE P ERIPHERIEN (G ESCHICHTSWISSENSCHAFTEN ) Historische Theorieansätze zu „inneren Peripherien“ beziehen sich auf globaler Ebene auf die Weltsystem-Theorie (Wallerstein 1974). Nach Immanuel Wallerstein ist die kapitalistische Weltwirtschaft in drei Schichten un-
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terteilt: Kerne/Zentren, Semi-Peripherien und Peripherien. Zentren sind politisch starke Staaten mit einer hohen Produktivität für höherwertige Güter. Peripherien sind politisch schwache Staaten mit einer einfachen Güterproduktion. Semi-Peripherien sind Staaten zwischen beiden Polen, die durch den Ausgleich der Gegensätze das System stabilisieren. Der Historiker Hans-Heinrich Nolte hat diese Theorie des Weltsystems auf Regionen innerhalb europäischer Staaten übertragen. Als „innere Peripherien“ definiert Nolte „eine Region innerhalb eines Staates, in der die Bedingungen so organisiert sind, dass die Vorteile den Menschen einer anderen Region zugutekommen, die wir Zentren nennen.“ (Nolte 2001: 15). Als historische Prozesse beschreibt Nolte die „Provinzialisierung“ von Regionen, die mit der Herausbildung souveräner Staaten Hand in Hand ging (ebd.: 8). Darunter wird die Integration ehemals autonomer Regionen in einen modernen Nationalstaat verstanden – und damit ihre Unterordnung unter eine Zentralmacht. Das Konzept wird dabei auf vier Bereiche bezogen: Wirtschaft, Sozialstruktur, Politik sowie Ideologie und Religion. Nach Nolte lassen sich „innere Peripherien“ am deutlichsten auf dem Feld der Politik nachweisen – als Fremdbestimmung von Provinzen durch ein politisches Herrschaftszentrum und als überproportionale Mittelausgaben eines Landes für die Zentren (ebd.: 24 f.). Das Zentrum-Peripherie-Verhältnis wird durch Nolte als eine Benachteiligung und Unterdrückung der Peripherien durch den Zentralstaat konzipiert. Ein wesentlicher Verdienst des Ansatzes ist es, die Erklärung von Peripherien aus dem globalen Kolonialismus außerhalb Europas auf staatliche Territorien innerhalb Europas zu übertragen. Defizite des Ansatzes bestehen aber in der vagen Definition von „inneren Peripherien“. Diese betont die Vorteile für die Zentren ohne zu sagen, ob damit auch Vorteile für die Peripherien verbunden sind (Nitz 1997: 20). Die vage Definition erschwert einen empirischen Nachweis, welche Austauschprozesse konkret nur zum einseitigen Vorteil der Zentren organisiert sind. Auch lassen sich die historischen „Provinzen“ kaum auf heutige Nationalstaaten in Europa übertragen, in denen periphere Regionen im Rahmen repräsentativer Demokratien durchaus eine politische Lobby in den Hauptstädten haben und ein mehr oder weniger starkes Gegengewicht gegen die Zentren bilden können.
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4.2 AUFSTIEG UND ABSTIEG VON P ERIPHERIEN (H ISTORISCHE G EOGRAPHIE ) In der historischen Geographie hat Hans-Jürgen Nitz einen grundlegenden Beitrag zur Entstehung und Erklärung von Peripherien auf regionaler Ebene geleistet (Nitz 1997). Dabei untersucht er den Rollenwandel von Peripherien innerhalb staatlicher Systeme und damit die funktionalen Verflechtungen von Zentren und Peripherien in Europa. Die Rolle der Peripherien in der Arbeitsteilung mit den Zentren wird beschrieben durch a) die Lieferung von Rohstoffen, b) die Abwanderung von Arbeitskräften, c) die Herstellung einfacher Produkte durch ein niedriges Lohnniveau und d) Dienstleistungsangebote im Fremdenverkehr (ebd.: 22). Im Unterschied zu einer geographischen Lage wird Peripherie in diesem Ansatz funktional definiert. „Peripherie zu einem Zentrum zu sein bezeichnet eine Rolle, eine Funktion: Peripherie in diesem Sinne ist ein funktionaler Raumbegriff.“ (Nitz 1997: 20). Als „primäre Peripherisierung“ bezeichnet Nitz die Integration bisher autarker Regionen in nationale oder internationale Wirtschaftssysteme in der Rolle der Peripherie (ebd.: 28). Als historische Beispiele für primäre Peripherisierungsprozesse werden der Mezzogiorno in Süditalien, Galicien in Spanien und Anatolien in der Türkei genannt. Im Weiteren werden Abstiegs- und Aufstiegsprozesse von Peripherien unterschieden. Eine „absteigende Peripherisierung“ entsteht, wenn frühere Semiperipherien oder Kernräume ihre bisherige Rolle im System verlieren und zu einfachen Peripherien mit Bedeutungs- und Wohlstandsverlusten absinken. Aufstiegsprozesse von Peripherien sind möglich, wenn einfache Peripherien eine höherrangige Rolle im System übernehmen. Als historisches Beispiel wird der Aufstieg der alpinen Agrarperipherien in Tourismusregionen genannt. Als weitere Möglichkeit werden gleichzeitige Auf- und Abstiegsprozesse in Peripherien genannt. Dabei erleben Teile der regionalen Bevölkerung durch Modernisierungsprozesse einen Aufstieg, während andere Teile absteigen. Als Beispiel dafür werden Industrieholzperipherien in Nordskandinavien aufgeführt. Ein wichtiger Verdienst dieses Ansatzes ist es, ein dynamisches Verständnis in der historischen Herausbildung von Peripherien zu entwickeln. Peripherie wird dabei nicht als eine geographische Lage, sondern „Peripherisierung“ wird als eine Rolle und Funktion in einem Wirtschaftssystem definiert. Peripherie ist damit ein funktionaler Raumbegriff. Nitz erklärt die
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Rolle von Peripherien im Kern mit der ökonomischen Arbeitsteilung zwischen Regionen: Er schreibt den Peripherien die bekannte Rolle der Ausbeutung durch die Zentren zu: Rohstofflieferant, Abwanderung von Arbeitskräften, Niedriglohnproduzent und Fremdenverkehr. Damit orientiert sich dieser Ansatz stark an globalen Dependenztheorien des „ungleichen Tausches“. Ein Defizit des Ansatzes ist es aber, stark auf Fragen der ökonomischen Arbeitsteilung verengt zu sein. Die Rolle der staatlichen Politik für den Ausgleich von Disparitäten zwischen Zentren und Peripherien wird nicht ausreichend berücksichtigt. So ist z.B. die Mezzogiorno-Debatte ein Beispiel für eine jahrzehntelange – und wenig erfolgreiche – staatliche Politik zum Ausgleich des Nord-Süd-Gefälles in Italien.
4.3 P OLARISATIONSTHEORIEN (R EGIONALÖKONOMIE ) Polarisationstheorien sind seit den 1950er Jahren in der Regionalökonomie aus der Kritik der neoklassischen Annahme eines Gleichgewichts der Märkte entstanden, wonach Wanderungen von Kapital und Arbeit zu einer Angleichung zwischen Regionen führen (Myrdal 1957). Ausgangspunkt der Polarisationstheorien ist die gegenteilige Feststellung einer Verstärkung von Ungleichheiten zwischen Regionen (auf Theorien der sektoralen Polarisation wird hier nicht weiter eingegangen). Kumulative Wachstums- und Schrumpfungsprozesse zwischen den Regionen werden mit dem Prinzip der zirkulären Verursachung erklärt. Wachstumsprozesse in den Zentren sind durch die interregionale Mobilität von Menschen, Gütern und Kapital mit Schrumpfungsprozessen in den Peripherien verknüpft. Hirschman erklärt die Polarisation durch die Konzentration von Leitsektoren in den Zentren, die durch ihre Wachstumseffekte kurzfristig die räumlichen Ungleichgewichte verschärfen (Hirschman 1958). Langfristig entsteht jedoch eine Tendenz zum räumlichen Gleichgewicht durch Gegenkräfte in den Agglomerationen. Myrdal und Hirschman konzipierten ihre Polarisationstheorien u.a. am Fallbeispiel des süditalienischen Mezzogiorno. Aus den Polarisationstheorien gingen in den 1960er und 1970er Jahren Konzepte von „Wachstumspolen“ und „Wachstumszentren“ hervor, die sich auf die räumliche Maßstabsebene von Städten und deren Umland bezogen. Ein Wachstumspol entsteht durch die Agglomerationsvorteile von
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Städten und der Dichte der dort konzentrierten Funktionen und Aktivitäten. Diese Ballung führt zur Adoption von Innovationen, die wiederum weitere Aktivitäten anziehen und die Ballung verstärken (Lasuén 1973). Dadurch können Städte einen Vorsprung gegenüber peripheren ländlichen Regionen ausbauen. Die Neue Ökonomische Geographie hat die polarisationstheoretischen Annahmen weiter entwickelt, indem die Agglomerationseffekte von Zentren durch Einbeziehung von Transportkosten und historischen Entwicklungspfaden einbezogen wurden. Die Erklärung der Herausbildung von Zentren und Peripherien wurde weiter ausdifferenziert, indem ein Wechselspiel von zentripetalen Kräften (Agglomeration und Ausweitung der räumlichen Disparitäten) und zentrifugalen Kräften (Deglomeration und Abbau von räumlichen Disparitäten) sowie die Wirksamkeit von historischen Zufällen angenommen werden (Krugman 1991). Aktuelle Ansätze zur Wissensökonomie gehen ebenfalls von einer räumlichen Konzentration wissensintensiver Wirtschaftsbereiche in den Metropolen und Großstädten aus. Weitgehende Einigkeit besteht in der Regionalökonomie heute darüber, dass mit dem Wandel zur Wissensgesellschaft neue regionale Disparitäten zwischen Metropolen und Peripherien zu erwarten sind (Kujath/Zillmer 2010). Die Kritik an den regionalökonomischen Zentrum-Peripherie-Theorien bezieht sich auf verschiedene Punkte. Erstens unterstellen Polarisationstheorien mit dem Prinzip der zirkulären Verursachung einen gewissen Determinismus: räumliche Disparitäten nehmen zu. Zentrum bleibt Zentrum, Peripherie bleibt Peripherie. Dadurch können Wendepunkte wie der historisch belegte Niedergang von Zentren und der Aufstieg von Peripherien nicht wirklich erklärt werden (Nitz 1997), obwohl diese Theorien auch Ansätze für eine „Entperipherisierung“ enthalten. Zweitens unterliegen die Wachstumspol-Theorien einem inhärenten Wachstumsparadigma und schließen ein Schrumpfen von Städten aus. Schrumpfende Städte gelten demgegenüber in der heutigen Stadtforschung als neuer Typ der Stadtentwicklung (Häußermann/Läpple/Siebel 2008). Drittens richtet sich die Kritik gegen die Annahme, dass ländliche Räume per se wirtschaftliche Standortnachteile durch höhere Transport- und Distanzkosten und schwache Agglomerationsvorteile aufweisen (Copus 2001). Die Annahme einer Benachteiligung ländlicher Räume verliert demnach durch den Strukturwandel zur Dienstleistungswirtschaft und durch Innovationen wie den IuK-Technologien an Bedeutung. Dadurch können auch abgelegene ländliche Räume global ver-
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netzt sein. Demgegenüber gewinnen „weiche Standortfaktoren“ wie Qualifikationen, Lebensqualitäten und Netzwerke an Bedeutung. „Peripheralität“ werde demzufolge immer weniger durch räumliche Faktoren wie Lage und Dichte als durch nicht-räumliche Faktoren determiniert (Copus 2001). Ein vierter Kritikpunkt der Polarisationstheorien richtet sich darauf, dass ländlichen Räumen eine Wachstums- und Innovationsfähigkeit grundsätzlich abgesprochen wird, da Innovationen nur durch die Agglomerationsvorteile städtischer Zentren möglich erscheinen (Heintel 1998). Dies ignoriert die Tatsache, dass es auch prosperierende ländliche Wachstumsräume außerhalb von Großstadtregionen gibt. So weist der ESPON-Atlas beispielsweise nach, dass es auch reichere Regionen in den ländlichen Peripherien Europas gibt (BBSR 2007: 34 f.). Auch in Deutschland werden dafür verschiedene Beispiele debattiert (Troeger-Weiss et al. 2008; Köhler 2007; Danielzyk/ Wiegandt 2005).
4.4 Z ENTRUM -P ERIPHERIE -T HEORIE (P LANUNGSWISSENSCHAFTEN ) Eine Weiterentwicklung der ökonomischen Polarisationstheorien stellt die Zentrum-Peripherie-Theorie des Planungswissenschaftlers John Friedmann dar. In seinem Aufsatz „A theory of polarized development“ (Friedmann 1973) verbindet er ökonomische und politische Aspekte miteinander, um Prozesse der räumlichen Peripheriebildung zu erklären. In seiner Theorie unterscheidet Friedmann zwischen Kernregionen („core regions“) und peripheren Regionen („peripheral regions“). Kernregionen sind die Zentren technischer, ökonomischer und sozialer Innovation, Peripherieregionen sind alle übrigen Gebiete. Kerne und Peripherien konstituieren ein räumliches System zwischen den Polen von Innovationsdichte und Innovationsschwäche. Das Verhältnis zwischen beiden ist durch Dominanz und Abhängigkeit geprägt. Friedmann spricht sogar von einer organisierten Abhängigkeit („organized dependency“, ebd.: 51) der Peripherien durch die Macht der Zentren. Damit bezieht er sich ebenfalls auf die lateinamerikanischen Dependenztheorien. Die polarisierte Entwicklung zwischen Zentren und Peripherien wird durch selbstverstärkende Effekte hervorgerufen. Dabei unterscheidet er Dominationseffekte (durch Entzug von Ressourcen aus der Peripherie), In-
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formationseffekte (durch eine höhere Interaktionsdichte in Zentren), psychologische Effekte (innovativere Milieus in Zentren), Modernisierungseffekte (offenere Werte, Attitüden und Institutionen in Zentren), Kopplungseffekte (Innovationen schaffen neue Märkte in Zentren) und Produktionseffekte (Kostenreduktion durch Innovationen in Zentren). Das politische Verhältnis zwischen Zentren und Peripherien ist durch Konflikte zwischen zentralen und peripheren Eliten geprägt. In den Peripherien werden sich die Eliten ihrer Abhängigkeit bewusst und fordern eine größere regionale Autonomie. Nach Friedmann kann dieser Konflikt vier mögliche Ergebnisse haben: 1. Repression und Unterdrückung der Eliten in der Peripherie, 2. Neutralisierung der Eliten in der Peripherie, 3. Teilhabe der Eliten der Peripherie durch begrenzte Dezentralisierungen und 4. Ablösung der Eliten des Zentrums. Nach Friedmann ist sogar eine Durchbrechung der Polarisationseffekte möglich, indem in der Peripherie neue Zentren entstehen („the emergence of new core regions on the periphery“, ebd.: 56) und damit die dominante Rolle der alten Zentren schwächen. Die Theorie von Friedmann stellt durch die Verbindung von ökonomischen und politischen Faktoren einen komplexen Erklärungsansatz für die Erklärung von Peripherien dar und ist damit eigentlich der politischen Ökonomie zuzuordnen. Auch Friedmann unterstellt dabei, dass technische, ökonomische und soziale Innovationen nur in Zentren stattfinden. Ein Defizit aus politikwissenschaftlicher Sicht ist die Verengung der Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie auf Konflikte zwischen den Eliten. Die dependenztheoretischen Aussagen beziehen sich sehr auf Entwicklungsländer des globalen Südens und frühere Kolonien und lassen sich nicht einfach auf demokratische Staaten übertragen. Denn durch diese Übertragung werden politische Aushandlungsformen und Ausgleichspolitiken zwischen staatlichen Teilräumen, die demokratische Wohlfahrtsstaaten kennzeichnen, vernachlässigt (Claval 1980).
4.5 B ENACHTEILIGUNG UND M ACHTLOSIGKEIT (P OLITISCHE S OZIOLOGIE ) In der „Politische Soziologie sozialer Ungleichheit“ verwendet Reinhard Kreckel explizit die Zentrum-Peripherie-Metapher zur Erfassung von sozialen Ungleichheiten. Dafür schlägt er den Begriff der „peripheren Lage“ vor,
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den er so definiert: „Periphere Lagen sind strukturell verankerte Bedingungskonstellationen, aus denen sich die Betroffenen Benachteiligungen hinsichtlich ihrer Zugangsmöglichkeiten zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten materiellen und/oder symbolischen Gütern und hinsichtlich ihres Spielraums für autonomes Handeln ergeben. Periphere Lagen können in lokalen, regionalen, nationalen und weltweiten Strukturzusammenhängen auftreten, die einander überlagern können.“ (Kreckel 2004: 43). Damit bezieht sich dieser Ansatz auf keine bestimmte räumliche Maßstabsebene. Im Mittelpunkt des Ansatzes zur Erklärung von Peripherien steht vielmehr der Begriff der Benachteiligung. Kreckel stellt weiterhin die Hypothese auf, dass periphere Lagen durch „mangelnde Konfliktfähigkeit“ gekennzeichnet sind, die sich aus dem „Ausschluß von den jeweils dominierenden Machtressourcen sowie aus der mangelnden Möglichkeit, Fähigkeit oder Bereitschaft zur Bildung von Gegenmacht“ ergeben (ebd.: 44; Hervorh. im Original). Eine „Gegenmacht“ bildet sich erst durch die Entstehung eines „Peripheriebewußtseins“ und einer entsprechenden Organisation der Interessen der Peripherie. Dies stellt nach Kreckel eher einen seltenen Sonderfall dar. Kreckel weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der sozialen Wahrnehmung von Akteuren zwischen Zentren und Peripherien hin. „Nur wenn Zentrum und Peripherie als sozial (im Durkheimischen Sinne: als moralisch) zusammengehörig betrachtet werden, kann die Frage nach der Legitimität von ungleichen Verteilungen und Beziehungen überhaupt zum Problem werden. Das heißt, die (subjektive) Wahrnehmung eigener Benachteiligung ist stets an die Unterstellung eines gemeinsamen Lebenszusammenhanges oder zumindest Relevanzrahmens gebunden, der die Inhaber zentraler und peripherer Lagen miteinander verknüpft.“ (ebd.: 49). Unter Bezug auf Kreckel stellt auch die Soziologin Claudia Neu diesen Aspekt in den Mittelpunkt ihrer Definition von Peripherie: „Sich nicht mehr gegen Benachteiligungen wehren zu können, das bedeutet Peripherie.“ (Neu 2006: 13). Die Autorin bezieht sich dabei auf dünn besiedelte ländliche Räume und unterstellt eine schwache Stellung der Akteure, die nicht in der Lage seien eine „Gegenmacht“ zu bilden und ihre Interessen zu artikulieren (ebd.). Hervorzuheben ist bei dem Ansatz von Kreckel, dass Peripherie nicht als eine räumliche Lagerelation – durch die geographische Distanz zum Zentrum – definiert, sondern als ein soziales Verhältnis konzipiert wird. In dessen Mittelpunkt steht der Begriff der Benachteiligung und der Machtlo-
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sigkeit. Defizite dieses Ansatzes bestehen insbesondere in der konzeptionellen Unklarheit, wie sich Macht, Gegenmacht bzw. Machtexklusion in politischen Entscheidungsprozessen von demokratischen Systemen konkret manifestieren und empirisch nachweisen lassen. So gibt es durchaus empirische Hinweise darauf, dass periphere ländliche Räume eine starke Lobby in der Politik vieler Bundesländer haben (Danielzyk 2012). Dafür steht auch das Beispiel der Metropolregion Berlin-Brandenburg in diesem Band (Kapitel 3.4).
4.6 P ERIPHERISIERUNG ALS E XKLUSION (G OVERNANCEFORSCHUNG ) In der internationalen Raumforschung wird das auf geographische Distanzen zum Zentrum bezogene Peripherie-Verständnis zunehmend durch eine prozessuale Sichtweise erweitert. Das prozessuale Verständnis drückt sich in einer neuen Konjunktur der Begriffe „peripheralisation“ und „marginalisation“ (Herrschel 2011; Danson/de Souza 2012; Lang 2012; Fischer-Tahir/ Naumann 2013) aus. Damit rücken dynamische Prozesse der Peripheriebildung gegenüber statischen Bestimmungen einer Randlage in den Mittelpunkt. In Deutschland hat Karl-Dieter Keim den Begriff der Peripherisierung in die Stadt- und Regionalforschung eingeführt. In Abgrenzung zu statischen Begriffen wie „Randständigkeit“ und „strukturschwache Räume“ verwendet Keim in seinem Aufsatz „Peripherisierung ländlicher Räume“ einen sozialräumlichen Prozessbegriff, der soziale, ökonomische, funktionale und kulturelle Dimensionen aufweist. Peripherisierung wird dabei wie folgt definiert: „Peripherisierung wird hier zusammengefasst als graduelle Schwächung und/oder Abkopplung sozial-räumlicher Entwicklungen gegenüber den dominanten Zentralisierungsvorgängen bezeichnet.“ (Keim 2006: 3). Der Ansatz bezieht sich explizit auf dünn besiedelte ländliche Räume, während Zentralisierungsprozesse den größeren Stadtregionen bzw. Metropolen zugeschrieben werden. In den Zentren werden auch die wesentlichen Ursachen der Peripherisierung verortet: „Es sind die Logik und die Dynamik der räumlichen Zentralisierungen, also etwa in den größeren Stadtregionen, die in erheblichem Maße die Peripherisierung der übrigen Räume bestimmen, und zwar dadurch, dass sie Menschen, wirtschaftliche
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Produktivität und Infrastrukturfunktionen bündeln und so den übrigen Regionen entziehen.“ (Ebd.). Peripherisierungsprozesse entstehen demzufolge weniger durch die inneren Bedingungen in den Peripherien, sondern durch das „Abgehängtsein“ von den Zentren. Defizite des Ansatzes sind die unklare Unterscheidung zwischen Schwächung und Abkopplung sowie die Einengung von Peripherisierung auf ländliche Räume. Einen direkten Zusammenhang zwischen Peripherisierungsprozessen und der Exklusion von Akteurs-Netzwerken wird in der GovernanceForschung hergestellt (Herrschel 2011). Tassilo Herrschel bezieht sich dabei auf die Maßstabsebene von Regionen innerhalb der Europäischen Union. Der Ansatz unterscheidet zwischen zwei Typen von „Peripheralität“: räumliche und netzwerk-bezogene. Beide Typen können sich überlappen. Als zentrales Merkmal der Peripherisierung definiert Herrschel die Exklusion von Netzwerken. „The outcome is peripheralisation through `in between-ness´, that is exclusion from a network, rather than distance-based spatial edgeness or peripherality.” (Herrschel 2011: 86). Der GovernanceAnsatz richtet sich dabei auf den Ausschluss von politischen Machtsystemen und Entscheidungsprozessen. „As a result, marginalised actors, in their varied forms, may find it difficult to join, so as not to upset the existing relationships and balances of power negotiated between those who are part of the system and thus 'included' in the process of shaping and implementing decisions and control, and those who are not.“ (Herrschel 2011: 98 f.). Herrschel erklärt damit Peripherisierung vor allem mit dem politischen Faktor der Exklusion von Entscheidungs-Netzwerken, ohne jedoch konkretere Hinweise zu geben, welche politischen Akteure und Policy-Netzwerke bei welchen Entscheidungsprozessen wen ausschließen. Auch zum politischen System von Zentren und Peripherien und der Verteilung von Macht in demokratischen Staaten finden sich keine konkreten Aussagen.
4.7 Z USAMMENFASSUNG Im Folgenden werden die skizzierten Theorieansätze zusammenfassend ausgewertet. Dabei greifen wir die drei Leitfragen wieder auf.
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Welche negativen Eigenschaften werden Peripherien zugeschrieben? Da Peripherien mit den Maßstäben der Zentren gemessen und verglichen werden, werden ihnen eine ganze Reihe negativer Eigenschaften und Defizite zugeschrieben. Diese sind: •
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die Fremdbestimmung durch den Verlust von Autonomie in historischgeographischen Theorieansätzen von „inneren Peripherien“ (Nolte 2001; Nitz 1997), die Bedeutungsdefizite von „Ergänzungsgebieten“ in der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in der Theorie Zentraler Orte (Christaller 1933), die wirtschaftliche Wachstums- und Innovationsschwäche durch fehlende Agglomerationsvorteile in regionalökonomischen Theorien der Polarisation (Lasuén 1973; Krugman 1991), die Benachteiligung im Zugang zu Ressourcen durch den Ausschluss von Macht in Theorien der politischen Soziologie (Kreckel 2004), die politische Abhängigkeit in planungswissenschaftlichen ZentrumPeripherie-Theorien (Friedmann 1973), und die Exklusion von Entscheidungsprozessen und Netzwerken in der Governance-Forschung (Herrschel 2011).
Während die wirtschaftsgeographischen und regionalökonomischen Theorieansätze eher funktionale Strukturdefizite von Peripherien beschreiben, stellen die historischen sowie planungs- und politikwissenschaftlichen Ansätze stärker den Bezug auf das Handeln von Akteuren heraus. Benachteiligung, Abhängigkeit und Exklusion sind in diesen Handlungstheorien Kontextbedingungen, die auf das politische „Making“ von Peripherien verweisen. Welche Faktoren führen zur Entstehung von Peripherien? Während einige Theorieansätze unterstellen, dass Peripherisierungsprozesse als strukturelle Kehrseite der Zentralisierung von Arbeitskräften, Infrastrukturen und Kapital in den Zentren und damit passiv entstehen (Keim 2006), gehen andere Ansätze von einem aktiven „Making“ von Peripherien
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aus. So haben die älteren Polarisationstheorien von einer „organized dependency“ (Friedmann 1973) der Peripherien durch die Eliten in den Zentren gesprochen. Neuere Beiträge aus der Politik- und Planungsforschung betonen vor allem die Exklusion von Akteurs-Netzwerken und Machtressourcen als Ursache von Peripherisierung (Kreckel 2004; Herrschel 2011). Insgesamt rücken damit die Akteure und ihr Handeln viel stärker in den Mittelpunkt der Peripherie-Forschung. Die Entstehung von Peripherien wird in den einzelnen Theorien durch folgende Faktoren erklärt: • •
• • • •
die „Provinzialisierung“ vorher autonomer Regionen durch ihre Integration in historische Reiche oder Staaten (Nolte 2001), die funktionale Arbeitsteilung mit den Zentren durch Rohstofflieferung, Abwanderung von Arbeitskräften, niedriges Lohnniveau, Tourismusfunktionen (Nitz 1997), die Abwanderung von Menschen, Gütern und Kapital auf den Märkten (Myrdal 1957; Hirschman 1958; Krugman 1991), die sich selbst verstärkenden Effekte von Innovationen in den Zentren (Lasuén 1973), den Ausschluss von Machtressourcen in der Politik (Kreckel 2004; Neu 2006), die Exklusion von Entscheidungsprozessen (Herrschel 2011).
Welches Verhältnis zwischen Zentren und Peripherien wird konstruiert? Dass Zentren und Peripherien zusammenhängende räumliche Systeme bilden, wird in den historischen, ökonomischen und politischen Theorieansätzen deutlich. Als räumliche Systeme werden Nationalstaaten (Nolte 2001) und Marktgebiete (Nitz 1997) beschrieben. Die Theorie von Friedmann verbindet die Systeme von Wirtschaft und Politik indem Innovationsschwäche und Abhängigkeit als zwei Kennzeichen von Peripherien beschrieben werden (Friedmann 1973). In der politischen Soziologie wird die Frage der ungleichen Verteilung von Ressourcen – und damit der sozialen Ungleichheit – erst durch einen gemeinsamen gesellschaftlichen Systemzusammenhang begründet (Kreckel 2004). Die historische Geographie hat weitere wichtige Einsichten geliefert, indem sie Peripherie nicht als eine Lage, sondern als Rolle bzw. Funktion in einem System definiert (Nitz 1997). Dazu
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gehört die funktionale Arbeitsteilung mit den Zentren. Im Unterschied zu geographischen Lagefaktoren (Erreichbarkeit, dünne Besiedlung) lässt sich eine gesellschaftliche Rolle leichter ändern – wenn die Akteure die Macht dazu haben. Doch die planungs- und politikwissenschaftlichen Theorien betonen gerade die Machtlosigkeit, Abhängigkeit und Exklusion der Peripherien. Auf diesem planerisch-politischen Aspekt liegt deshalb ein fachlicher Schwerpunkt im zweiten Teil des Buches. Schlussfolgerungen In der sozialwissenschaftlichen Raumforschung zeigt sich insgesamt ein Trend, weniger den Begriff der „Peripherie“ und mehr den der „Peripherisierung“ zu verwenden. Bereits die älteren, neomarxistischen Theorieansätze aus den 1970er Jahren haben den Peripherie-Begriff nicht als geographische Lage, sondern im dynamischen Sinne eines gesellschaftlichen „Makings“ von Peripherien verstanden. Der Begriff der „Peripherisierung“ setzte sich hingegen erst in den 1990er Jahren langsam durch (Blowers/Leroy 1994; Nitz 1997; Heintel 1998). Deshalb ist der Begriff „Peripherie“ bis heute doppeldeutig. Im Verständnis der angewandten Geographie und Raumordnung meint er eine geographische Randlage abseits der Zentren, im sozialwissenschaftlichen Verständnis eine gesellschaftliche Randposition. Im Hinblick auf die Verräumlichung sozialer Ungleichheiten zeigen die beschriebenen Ansätze, dass sich Peripherisierungsprozesse immer weniger durch den Faktor der räumlichen Distanz zu einem Zentrum erklären lassen. So können im territorialen Kontext Peripherisierungsprozesse im geografischen Zentrum eines Landes (z.B. das ehemalige Zonenrandgebiet in Deutschland) oder in abgelegenen Randgebieten (z.B. Brandenburg) stattfinden. Auf der städtischen Maßstabsebene können sich „innere Peripherien“ im historischen Zentrum von Großstädten (z.B. Downtown von Detroit) oder am Rand von Metropolen (z.B. Banlieus in Paris) entwickeln. Viele der beschriebenen theoretischen Ansätze beziehen Peripherien bisher auf ländliche Räume. Eine Übertragung des dynamischen Ansatzes der Peripherisierung auf Städte ist bisher kaum erfolgt. Dabei liegt es nahe, den Ansatz auf den Typ schrumpfender Städte in der Strukturkrise anzuwenden, welche durch Abwanderungs-, Beschäftigungs- und Funktionsverluste gekennzeichnet sind. Dieser Typ ist in Europa heute bereits stärker verbreitet als der Typ wachsender Städte und wird in Zukunft weiter an Bedeutung
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gewinnen. Peripherisierung wäre damit ein Erklärungsansatz, um die in vielen europäischen Ländern zunehmende Polarisierung zwischen wachsenden und schrumpfenden Städten zu erklären.
II Peripherisierung von Städten
5 Peripherisierung – ein Untersuchungskonzept
Die Raumentwicklung Europas ist aktuell durch zunehmende Ungleichheiten sowohl zwischen als auch innerhalb von Städten, Regionen und Ländern gekennzeichnet. Besonders in den mittelosteuropäischen Ländern ist dabei eine Polarisierung zwischen wachstumsdynamischen Metropolregionen und schrumpfenden Städten und Regionen zu beobachten. Durch internationale Zuwanderungen und Kapitalinvestitionen sowie den Ausbau der Infrastrukturen boomen nicht nur klassische westeuropäische Metropolen wie z.B. London und Paris, sondern auch osteuropäische Hauptstädte wie Bratislava, Budapest, Prag oder Warschau. Die Kehrseite dieser Zentralisierungsprozesse ist eine wachsende Zahl von Städten und Regionen, die von der Entwicklungsdynamik in den Metropolen „abgehängt“ werden. Neben vielen dünn besiedelten, ländlichen Regionen zählen dazu auch altindustrialisierte Städte und Regionen. In der internationalen Forschung führen die Prozesse des Niedergangs von Städten und Regionen als Folge von Schrumpfung, Abwanderung und Strukturschwäche zu einer neuen Konjunktur des Begriffs „Peripheralization“ (Herrschel 2011; Danson/De Souza 2012; Lang 2012; Fischer-Tahir/Naumann 2013). In Deutschland bezieht sich die Forschung über Peripherisierung bisher fast ausschließlich auf ländliche Räume (Keim 2006; Barlösius/Neu 2008; Beetz 2008; Naumann/Reichert-Schick 2012). Am Beispiel peripherer ländlicher Räume werden die Probleme der demografischen Alterung und Schrumpfung, der Abwanderung sowie wirtschaftlichen Strukturschwäche vielfach beschrieben. Die Dynamik der Schrumpfung in peripheren ländli-
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chen Räumen wird dabei häufig als eine sich verstärkende „Abwärtsspirale“ (Dehne et al. 2008: 3; BBSR 2012b: 81) dargestellt. Doch Abwärtsspiralen sind längst nicht mehr nur eine Gefahr für peripher gelegene ländliche Räume. Vielmehr kämpfen auch altindustrielle Städte und Stadtregionen, welche die Krise der Deindustrialisierung nicht bewältigt haben, mit Bevölkerungs- und Beschäftigungsverlusten, städtebaulichen Leerständen, Schließung und Rückbau von Infrastrukturen, sozialer Verarmung und kommunaler Finanznot. Das alte und gängige Bild von städtischen Zentren, die Motoren für Innovationen und wirtschaftliches Wachstum sind und ländlichen Peripherien, die sich entleeren, ist vor diesem Hintergrund immer weniger in der Lage die neuen sozialräumlichen Disparitäten zu erklären. Geographische Strukturindikatoren wie Lage, Erreichbarkeit und Siedlungsdichte reichen deshalb nicht mehr aus, um Aufstiegs- und Abstiegsprozesse von Städten und Regionen zu erklären. Entsprechend wird im folgenden Kapitel ein Erklärungsansatz entwickelt, der Peripherien nicht als einen geographischen Lagenachteil versteht, sondern Peripherisierung als sozialräumlichen Prozess konzeptualisiert. Im Unterschied zu einer peripheren Lage oder dünnen Besiedlung, die sich nur schwer und nur sehr langfristig verändern lassen, können Peripherisierungsprozesse durch das Handeln der Akteure beeinflusst werden. Dies schliesst sogar eine Trendwende der „Entperipherisierung“ (Köhler 2012) durch Rezentralisierungsprozesse nicht aus. Gegenüber einer statischen Definition von Peripherie als geographische Lage rücken damit die dynamischen Prozesse in den Fokus, durch welche Peripherien produziert werden. Peripherisierung wird dabei als ein mehrdimensionaler Abstiegsprozess verstanden, der wirtschaftliche, infrastrukturelle, politische und sozialkommunikative Teilprozesse umfassen kann. Die Prozesse der Peripherisierung können in Städten und Regionen unterschiedlich ausgeprägt sein, wirken jedoch in der Regel auf komplexe Weise zusammen. Der Stand der Forschung legt es nahe, folgende Prozesse zu unterscheiden: Abwanderung Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung (vgl. Kühn/Weck 2012).
5.1 ABWANDERUNG Nach dem Sozialwissenschaftler Gerd Vonderach sind peripherisierte Regionen in Deutschland nur zum Teil durch geographische Randlagen und
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dünne Besiedlung gekennzeichnet. Als gemeinsames Merkmal sieht er vielmehr die Abwanderung (Vonderach 2006: 29). Abwanderungen sind „Abstimmungsprozesse mit den Füßen“, die auf Defizite auf den Arbeitsund Wohnungsmärkten hinweisen. Abwanderungen schwächen die Innovationsfähigkeit von Städten und Regionen, weil durch den brain drain die jungen, gebildeten und qualifizierten Akteure fehlen, um ökonomische und politische Neuerungen einzuführen. Selektive Abwanderungen führen zu einer Dequalifizierung von Städten und Regionen in der Wissensgesellschaft. Eine Folge der Abwanderung aus Städten und Regionen ist – bei gleichzeitig fast überall vorhandenen Geburtendefiziten – die demographische Schrumpfung und überdurchschnittliche Alterung der Wohnbevölkerung. Während Städte und Regionen durch Abwanderungsprozesse peripherisiert werden, führt komplementär die Zuwanderung zum Bevölkerungswachstum von prosperierenden Zentren und forciert somit bereits bestehende Zentralisierungsprozesse. Im Ergebnis ist für Deutschland eine Polarisierung in Zuwanderungs- und Abwanderungsregionen bzw. wachsende und schrumpfende Regionen festzustellen (BBSR 2012a).
5.2 ABKOPPLUNG Eine weitere Dimension der Peripherisierung stellt die Abkopplung dar (Keim 2006). Eine „Abkopplung“ von Städten und Regionen bedeutet, dass sich ihre Integration in die übergeordneten Systeme von Markt und Staat lockert. Eine Abkopplung kann ökonomische und infrastrukturelle Dimensionen umfassen. Eine ökonomische Abkopplung von Städten und Regionen erfolgt durch Innovationsschwäche, wodurch die Unternehmensstrukturen veralten. Diese Innovationsschwäche kann sich u.a. in fehlenden Hochschulen, niedrigen industriellen FuE-Aktivitäten, einem niedrigen Bildungs- und Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte oder einer geringen Investitionstätigkeit der Unternehmen in neue Produkte und Verfahren ausdrücken. In ökonomischer Hinsicht steht die Abkopplung von der Innovationsdynamik der wissensbasierten Ökonomie im Vordergrund, welche zu den wesentlichen Trägern des Beschäftigungswachstums zählt (Kujath/Zillmer 2012).
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Die Abkopplung kann aber auch die sozio-technischen Infrastrukturnetze betreffen (Naumann/Reichert-Schick 2012). Hier haben die staatlichen Politiken einen größeren Einfluss, je nachdem ob gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilräumen gewährleistet werden oder die Förderung von Wachstumsregionen stärker in den Vordergrund gerückt wird. Insbesondere die Ausdünnung und Schließung von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge – wie z.B. Schulen, Krankenhäuser oder Sport- und Kultureinrichtungen – oder die Stilllegung von Haltestellen und Strecken im öffentlichen Bahnverkehr sind staatliche Politiken, welche die Peripherisierung von Räumen fördern. Eine Abkopplung kann jedoch nicht nur als aktiver Vorgang, sondern auch als passives „Zurückfallen“ von Räumen gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen verstanden werden. So haben einige dünn besiedelte Regionen bisher noch keinen Zugang zu schnellen Internetverbindungen („digital divide“), da sich der Ausbau der Breitbandversorgung zunächst auf die städtischen Zentren und Ballungsräume konzentrierte. Komplementär zur ökonomischen Abkopplung können Zentralisierungsprozesse durch Innovationen auf der Basis von Forschung und Entwicklung, hochqualifizierten Beschäftigten sowie Technologie- und Wissenstransfer entstehen. Infrastrukturelle Prozesse der Zentralisierung können durch den Ausbau von Flughäfen, Fernverkehrsbahnhöfen und Autobahnanschlüssen entstehen. Nicht zufällig werden nach diesen Merkmalen auch die „Innovations- und Wettbewerbsfunktionen“ sowie „Gatewayfunktionen“ von Metropolregionen bestimmt (Blotevogel/Danielzyk 2009).
5.3 ABHÄNGIGKEIT Eng verwandt mit der Dimension der Abkopplung steht auch die Diagnose der Abhängigkeit peripherer Städte und Regionen. Diese lässt sich auf die neomarxistische Dependenztheorie zurückführen (Amin 1976; Senghaas 1974), welche auf globaler Maßstabsebene die „Unterentwicklung“ von Entwicklungsländern und früheren Kolonien durch die Abhängigkeit von kapitalistischen Zentren erklärt hat (Wallerstein 1974). Charakteristisch für Peripherien ist demnach ein Mangel an Autonomie, der diese abhängig von Entscheidungen der Zentren macht (Friedmann 1973). Eine wirtschaftliche Abhängigkeitsform, welche die Dependenztheorien beschrieben hat, be-
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zieht sich auf regionale Zweigwerke mit überwiegenden Fertigungsfunktionen („verlängerte Werkbänke“), die von den Entscheidungszentralen externer Unternehmen abhängen. Die Headquarter von Konzernen und Großunternehmen außerhalb der Region kontrollieren und steuern die Wirtschaftsentwicklung von Städten und Regionen, indem sie über Ausbau oder Schließung von Zweigwerken bestimmen. Aufgrund der Globalisierung von Wirtschaftsunternehmen betrifft dies längst nicht mehr nur Standorte in ländlichen Räumen, wie aktuelle Beispiele von Auto- oder Solarfabriken in Städten belegen. Komplementär zur Verstärkung der Abhängigkeit peripherisierter Räume können Zentralisierungsprozesse durch die Konzentration von Entscheidungsmacht der Wirtschafts- und Politikzentralen entstehen. So zählen die „Entscheidungs- und Kontrollfunktionen“ der Headquarter nationaler und internationaler Unternehmen sowie der Sitz von Parlamenten, Regierungen, Gerichten und Behörden sowie Nichtregierungsorganisationen zu den Merkmalen von Metropolregionen (Blotevogel/Danielzyk 2009).
5.4 S TIGMATISIERUNG Eine letzte Dimension von Peripherisierung bezieht sich auf kommunikative Prozesse. Im Fokus steht hier die Frage, wie und mit welchen Folgen in öffentlichen Medien Peripherien kommuniziert werden. Dieser Erklärungsansatz bezieht sich sozusagen auf die „Peripherisierung in den Köpfen“. Peripherisierte Städte und Regionen werden dabei in den Medien häufig mit dramatisierenden Problemzuschreibungen wie „Entleerung“, „Verödung“, „Vergreisung“ und „Sterben“ kommuniziert. Diese negativen Problemzuschreibungen können eine Abwärtskarriere peripherisierter Städte und Regionen in zweifacher Hinsicht verstärken: erstens durch negative Fremdbilder und Images, welche Zuwanderer und Investoren hemmen. Häufig ist weniger die Abwanderung von jungen Menschen das wichtigste Problem, sondern die fehlende Zuwanderung. So kann ein starker Rechtsradikalismus in peripherisierten Regionen die notwendige Zuwanderung von Immigranten hemmen. Zweitens durch negative Selbstbilder, welche die aktive Handlungsfähigkeit der Bevölkerung beeinflussen und Resignation und Apathie fördern können. Fremd- und Selbstzuschreibungen als Peripherie können damit negative Entwicklungsdynamiken eines Raumes verfestigen
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und verstärken. Eine „Peripherisierung in den Köpfen“ entsteht durch Stigmatisierung. Stigmatisierung ist die Zuschreibung negativer Merkmale auf Personen oder Gruppen, die von der Mehrheit abweichen und „die damit in eine randständige Position zur Gesellschaft geraten“ (Hohmeier 1975). Stigmatisierung kann damit Ursache und Folge der Produktion sozialer Randgruppen sein. Stigmata unterscheiden sich von negativen Images dadurch, dass mit den Prozessen der Stigmatisierung eine soziale Diskriminierung und Marginalisierung der Betroffenen einhergeht (Waquant 2008). Durch die Zuschreibung negativer Eigenschaften wird ein Stigma zu einem generalisierenden Merkmal, das die degradierte Stellung einer Person in der Gesellschaft maßgeblich bestimmt. Stigmatisierte sind deshalb besonders solche soziale Gruppen, die über wenig gesellschaftliche Deutungsmacht verfügen und damit nur einen verminderten Zugang zu gesellschaftlichen Positionen haben oder sogar von diesen ausgeschlossen werden (Hohmeier 1975: 6).
5.5 D ESIGN UND M ETHODIK DER EMPIRISCHEN F ALLBEISPIELE Abwanderungen, Abkopplungen, Abhängigkeiten und Stigmatisierung wirken komplex zusammen und verursachen den Abstieg von Städten und Regionen. Mit „Abstieg“ ist eine relationale und funktionale Positionsschwächung im Vergleich zu anderen Räumen bzw. den Durchschnittswerten eines Handlungsraumes gemeint. Um trotz der Komplexität einzelne Prozesse identifizieren zu können, wird im Folgenden ein eigenes heuristisches Modell der Peripherisierung dargestellt. Dieses Modell dient dazu, die folgenden Fallbeispiele von einzelnen Städten zu strukturieren. Zu einer wesentlichen Ursache der Peripherisierung von Städten und Regionen zählt die Abwanderung, welche durch ihre alters- und qualifikationsspezifische Selektivität die demografische Schrumpfung, Alterung und Dequalifizierung („brain drain“) der Bevölkerung verstärkt. Ein zweiter Prozess der Peripherisierung ist die Abkopplung von der gesellschaftlichen Entwicklungsdynamik. Formen der Abkopplung entstehen durch die Struktur- und Innovationsschwäche der Wirtschaft oder die Schließung von Infrastrukturen der Daseinsvorsorge. Wirtschaftliche Folgen der Abkopplung sind die geringe Wettbewerbsfähigkeit ansässiger regionaler Unternehmen, Desinves-
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titionen, ausbleibende Unternehmensansiedlungen, Verlagerungen, Übernahmen und Schließungen von Unternehmen sowie negative soziökonomische Arbeitsmarkt- und Beschäftigungseffekte. Ein weiterer Prozess der Peripherisierung ist die Verstärkung der Abhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Machtzentralen, die zur Benachteiligung und Exklusion bei Entscheidungen führen kann. Dies kann eine Stigmatisierung in den überregionalen Medien zur Folge haben. Dadurch werden die betroffenen Städte und Regionen in der öffentlichen Kommunikation sozial ausgegrenzt und negative Images werden verstärkt. Alle identifizierten Prozesse der Peripherisierung können verstärkend aufeinander wirken. Ursachen und Wirkungen sind dabei nicht eindeutig zu trennen. Sie werden in der folgenden Grafik dargestellt. Abb.1: Prozesse der Peripherisierung
Eigene Grafik
Das Modell ist darauf ausgerichtet, einzelne Peripherisierungsprozesse und selbst verstärkende Effekte zwischen diesen Prozessen abzubilden, die den relationalen Abstieg von Städten erklären. Dies kann, muss aber nicht
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zwangsläufig zu einer „Abwärtsspirale“ führen. In dem Modell dargestellt sind deshalb auch mögliche Auswege aus der Peripherisierungsfalle durch Formen der sogenannten „Entperipherisierung“. Dieses heuristische Modell wurde durch Fallstudien empirisch geprüft. Mit empirischen Fallstudien kann einerseits ein grundlagen-orientierter Forschungsbeitrag geleistet werden, um das Wissen über Peripherisierungsprozesse von Städten zu erweitern. Andererseits versprechen Fallstudien anwendungs-orientierte Erkenntnisse, um Handlungsspielräume von Städten im Umgang mit Peripherisierung zu analysieren und daraus Hinweise für die Weiterentwicklung der gegenwärtigen Stadt- und Raumordnungspolitik abzuleiten. Die Fallbeispiele in den folgenden Kapiteln stellen nicht die im Projekt erarbeiteten Fallstudien selbst dar, sondern versuchen deren wichtigste Ergebnisse und Erkenntnisse in knapper und lesbarer Form zu kondensieren. Für die Leser mit einem tiefergehenden Interesse an den Städten sei auf die ausführlichen Fallstudien verwiesen, die im Literaturverzeichnis aufgeführt und teilweise online verfügbar sind. Die folgenden Fallbeispiele sind nach gemeinsamen Leitfragen gegliedert. Diese sind: 1. Welche Prozesse der Zentralisierung bestimmen den Aufstieg der Städte? 2. Welche Prozesse der Peripherisierung bestimmen den Abstieg der Städte? 3. Inwieweit wirken Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeiten und Stigmatisierung zusammen und schaffen eine Abwärtsspirale? 4. Welche lokalen Politiken im Umgang mit Peripherisierung gibt es in den Städten und wie lassen sich diese Stadtpolitiken bewerten? 5. Welche Ansätze für eine Entperipherisierung der Städte sind erkennbar? Der Umgang der Stadtpolitik mit Prozessen der Peripherisierung wird in den Fallbeispielen anhand von drei Aspekten ausgewertet: dem Wechsel industrieller Eliten, der Urban Governance und der Strategiebildung. •
Nach der Theorie des urbanen Niedergangs (Friedrichs 1993) verstärkt das konservierende Handeln der alten Industrie-Eliten die lokale Innovationsschwäche und bremst die Regenerierung von Städten. Ein postindustrieller Strukturwandel erfordert daher einen Elitewechsel in den
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•
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Städten, um neue Träger für einen Wiederaufstieg und eine Regenerierung von Städten zu finden. Um die Handlungsfähigkeit der lokalen Politik zu stärken, wird Formen der Urban Governance zwischen öffentlichen und privaten Akteuren eine wichtige Rolle zugeschrieben (Pierre 2011; Di Gaetano/Strom 2003). Dabei entstehen Netzwerke zwischen Stadtverwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die in vielen Fällen als „growth coalitions“ oder „growth machines“ (Logan/Molotch 1987) charakterisiert werden. In Bezug auf die Stadtpolitik wird in der Forschung häufig die Annahme vertreten, dass ein strategisches Handeln erforderlich ist, um die Strukturkrise der Städte zu bewältigen. Strategische Planungskonzepte sollen aus einer Problemanalyse heraus langfristige Ziele und Leitbilder zur gemeinsamen Orientierung der Akteure bestimmen und die verfügbaren Ressourcen einsetzen, um diese Ziele in Stadtentwicklungsprojekten zu verwirklichen (Kühn/Fischer 2010).
Bei der Durchführung der Fallstudien wurde ein Methodenmix eingesetzt. In quantitativen Analysen wurden die verfügbaren Sekundärdaten zur Analyse der demografischen und sozioökonomischen Entwicklung der Städte ausgewertet und teilweise mit umliegenden Landkreisen, Metropolregionen oder dem Durchschnitt der Bundesländer verglichen. Dabei wurde versucht, möglichst längerfristige Zeiträume abzubilden, um Abstiegsprozesse der Städte historisch zu rekonstruieren. Den Schwerpunkt der Fallstudien bildete jedoch die qualitative Analyse. Dazu zählen Literatur-, Dokumenten- und Internetanalysen. Die Fallstudie Detroit basiert weitgehend auf einer Sekundäranalyse von Fachliteratur und Presseartikeln, die eigenen Erhebungen fanden bereits 2002 statt. In den Fallstudien zu den deutschen Städten ist die wichtigste Methode jedoch die Durchführung halbstrukturierter Experteninterviews. In diesen Fallstudien wurden jeweils zwischen acht bis fünfzehn Interviews mit Experten aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Lokalpresse im Zeitraum von 2009 bis 2013 durchgeführt. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte auf der Basis einer ersten Dokumentenanalyse von Schlüsselakteuren und wurde nach der „Schneeball-Methode“ erweitert. Die Interviews wurden mit Fragenleitfäden teilstandardisiert durchgeführt und transkribiert. Diese Methode erlaubt eine begrenzte Zahl von Personen zu befragen und wenig beforschte Themen tiefergehend auszuleuch-
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ten. Wenn in den folgenden Fallbeispielen O-Töne aus den Interviews verwendet werden, werden diese nach Stadtkürzel, Nummer und Datum des Interviews in anonymisierter Form zitiert. Ein Verzeichnis der Interviews findet sich am Ende des Buches.
6 Abwanderung: Wie die Autometropole Detroit eine Million Einwohner verliert
Detroit, Michigan, USA. Ein Parkhaus mitten in der Downtown. Die Reste von Stuckdecken, Wandfresken und eines Samtvorhangs hinter einer Zwischendecke aus Beton zeigen, dass dieses Gebäude einmal bessere Tage erlebt hat. Es handelt sich um das Michigan Theatre Building, ein ehemaliges Filmtheater, das im Jahr 1926 inmitten des ehemaligen Vergnügungsviertels der Stadt mit 4.000 Sitzplätzen im prunkvollen Stil der französischen Renaissance erbaut wurde. In der Blütezeit besuchten täglich 20.000 Menschen das Theater am Grand Circus Park, dem zentralen Knotenpunkt der Bahnlinien und Straßen. Nach der Schließung im Jahr 1967 sollte das Filmtheater abgerissen werden. Schließlich erfolgte 1977 der Umbau zu einem Parkhaus mit 160 Stellplätzen (Kleinmann/Van Duzer 1995). Das Michigan Theatre Building ist nur ein besonders krasses städtebauliches Beispiel für den Niedergang der Stadt. Detroit ist heute ein weltweit bekanntes Beispiel für den Abstieg einer Metropole, die durch die Abwanderung von über einer Million Einwohnern radikal geschrumpft ist. Die Ruinen von Detroit sind längst zur Kulisse für viele Filme, Modefotos, Websites und Musikvideos des Motown-Sounds geworden, welche die schöne Schrecklichkeit des urbanen Verfalls inszenieren. Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität und Verwahrlosung konzentrieren sich heute in der früher einmal wohlhabenden Stadt. Formen des Urban Gardening verbreiten sich auf den vielen Brachflächen der Stadt. Damit werden auch die Suppenküchen für die vielen Armen und Drogenabhängigen beliefert (Roloff 2013, Hahn 2015). Die folgende Fallstudie geht auf die Teilnahme des Autors an einer geographischen Exkursion der Universität Trier zurück. Die eigene Feldforschung
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bestand damals in Kartierungen, Fotodokumentationen, Führungen und Expertengesprächen mit Vertretern der örtlichen Wayne State University, der Greater Downtown Partnership und den General Motors Global Headquarters. Die Aktualisierung der Fallstudie erfolgte durch die sekundäranalytische Auswertung von Fachartikeln und Presseberichten.
6.1 D ER AUFSTIEG ZUR AUTO -M ETROPOLE ... Detroit gilt als die „Motor City“ des 20. Jahrhunderts, weil hier seit den 1920er Jahren die weltweite Verbreitung des Automobils ihren Ursprung genommen hat. Der steile Aufstieg der Stadt zur Auto-Metropole, ihr rasantes Wachstum von 280.000 Einwohnern im Jahr 1900 auf 1,85 Millionen im Jahr 1950 sind eng mit dem Namen von Henry Ford verbunden, der der ganzen Epoche der industriellen Massenproduktion und des Massenkonsums seinen Namen gegeben hat („Fordismus“). Der Aufstieg Detroits zur viertgrößten Stadt der USA seit den 1920er Jahren basierte auf der weltweit größten Konzentration der Automobilindustrie. Detroit war der Sitz der Headquarter der „Big Three“: Ford (1903), General Motors (1908) und Chrysler (1924). Zugleich erkämpften die Arbeiter-Gewerkschaften in den 1930er Jahren die höchsten Industrielöhne in den USA. Detroit entwickelte sich zu einer prosperierenden Stadt. 1960 hatte Detroit das höchste ProKopf-Einkommen aller Städte in den USA. Diese wirtschaftliche Ballung und der wirtschaftliche Wohlstand schlugen sich in einer städtebaulichen Verdichtung der Downtown nieder, die zur drittgrößten Wolkenkratzer-Stadt der USA aufstieg. Gleichzeitig wurde Detroit zu einem globalen Vorreiter des autogerechten Ausbaus der Städte. In Detroit wurde weltweit die erste geteilte Fahrbahn markiert (1911), die erste Verkehrsampel der Welt aufgestellt (1915) und es wurde mit dem Industrial Expressway die erste Stadtautobahn der Welt eröffnet (1942). Ein gigantisches Netz von Stadtautobahnen wurde in den1950er Jahren für 400.000 Pendler mit Hilfe staatlicher Gelder ausgebaut. Auf Betreiben der Autoindustrie wurde der Eisenbahnverkehr in der Nachkriegszeit völlig eingestellt, die ehemalige Michigan Railroad Station ist heute eine Ruine inmitten einer leeren Brachfläche. Die mehr als 100.000 Einpendler können seitdem den Central Business District ausschließlich mit dem eigenen Auto erreichen. Henry Ford selbst wird 1923 mit folgenden stadtfeindlichen Sät-
A BWANDERUNG : DIE A UTOMETROPOLE D ETROIT
| 87
zen zitiert: „Wenn unsere Städte heute zusammenfielen, man würde sie nicht mehr aufbauen. Man würde statt ihrer weit verstreute Siedlungen und Industriedörfer (industrial villages) anlegen, die gesund wären, frei von Lastern, inmitten von Landwirtschaft und nach dem Maßstab des Automobils geplant.“ (zitiert nach: Fehl 1995: 2035).
6.2 ...
UND DER
ABSTIEG
ZUR
R UINEN -S TADT
Der Niedergang der „Motor City“ in den letzten sieben Jahrzehnten ist legendär und wurde vielfach beschrieben (Van Buren Jones 1995; Unger 1995; Sugrue 2004; Galster 2012; McDonald 2014). Im Jahr 1953 erreicht die Stadt ihre höchste Einwohnerzahl und schrumpft seitdem kontinuierlich. Die Zahl der Einwohner ist um über 60 Prozent von 1.850.000 im Jahr 1950 auf heute 714.000 zurückgegangen. Im Größen-Vergleich der USStädte ist Detroit damit von Platz vier auf 18 gerutscht. Seit den 1960er Jahren ist die weiße Mittelschicht aus der Stadt in die wohlhabenden Vororte der Metropolitan Area abgewandert. In den Jahren zwischen 2000 und 2010 folgte auch eine Abwanderungswelle der schwarzen Mittelschicht. Als Folge dieser Stadtflucht ist Detroit heute eines der größten Armenhäuser in den USA: 36 Prozent der mehrheitlich schwarzen Stadtbewohner und 60 Prozent der Kinder leben unter der nationalen Armutsgrenze – das ist die höchste Quote in den USA. Viele Bewohner ernähren sich von Suppenküchen und können sich Wasser und Strom in ihren Wohnungen nicht mehr leisten. Die meisten Kaufhausfassaden an der Woodward Avenue, einst die zentrale Einkaufsstraße der Stadt, sind heute verschlossen, so dass die Bewohner für größere Einkäufe in die Shopping-Center der Vororte fahren müssen. Etwa 78.000 der im viktorianischen Holzbaustil gebauten Wohnhäuser und unzählige Büro- und Geschäftsgebäude stehen leer. Weite Teile des Stadtgebietes liegen durch eine radikale Abrisspolitik von leerstehenden Häusern in den letzten Jahrzehnten brach. Viele Straßenlaternen funktionieren nicht mehr. Unsere Kartierung ergab, dass die größte Flächennutzung in der Downtown Autoparkplätze sind. Seit Juli 2013 ist die Stadt Detroit außerdem aufgrund eines Schuldenbergs in Höhe von 14 Milliarden US-Dollar bankrott. Als Folge der Zwangsverwaltung durch den Gouverneur von Michigan hat die Stadt die eigene Finanzkontrolle verloren. Der Zwangsverwalter hat die Schließung von kommunalen Schulen, Schwimm-
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bädern und Parks verfügt. Die Müllabfuhr, die Wasserwerke und das Elektrizitätsnetz wurden privatisiert. Wasser und Strom werden in den verarmten Haushalten abgestellt, wenn sie die Gebühren nicht mehr bezahlen können.
6.3 ABWANDERUNG
AUS DER
M ETROPOLE
Detroit ist heute ein weltweit bekanntes Beispiel für die Peripherisierung einer Metropole (Herrschel 2014: 146). Indikatoren dieser Peripherisierung sind vor allem der langwährende Rückgang der Einwohner und Beschäftigten in der Stadt. Die folgende Tabelle zeigt, dass die Stadt Detroit im Zeitraum 1950 bis 2010 mehr als eine Million Einwohner verloren hat, das ist ein Rückgang um über 60 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten schrumpfte um mehr als zwei Drittel. Dabei sind vor allem die Arbeitsplätze in der Industrie weggebrochen. Deren Zahl verringerte sich um 92 Prozent. Tab. 3: Indikatoren der Peripherisierung von Detroit (im Vergleich zur Metropolregion) 1950
1970
1990
2010
Stadt Detroit
1.850
1.511
1.028
714
Metropolitan Area
3.016
4.431
4.249
4.296
759
561
336
202
1193
1655
1916
1622
Einwohner (in 1.000)
Beschäftigte am Wohnort (in 1.000) Stadt Detroit Metropolitan Area
Industrie-Beschäftigte am Wohnort (in 1.000) Stadt Detroit
349
201
69
28
Metropolitan Area
560
589
474
488 (2000)
Quelle: McDonald 2014: 3316, 3318, 3321, 3322
Ein ganz anderes Bild ergibt sich für die Metropolregion Detroit. Die Metropolitan Area Detroit umfasst heute 127 Städte und Gemeinden sowie 5
A BWANDERUNG : DIE A UTOMETROPOLE D ETROIT
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Landkreise (Counties). Im Großraum von Detroit haben sich die Einwohner- und Beschäftigtenzahlen seit den 1970er Jahren weitgehend stabilisiert. Die Zahl der Industriebeschäftigten ist in den Zeiträumen zwischen 1950 und 1970 sowie 1990 und 2000 sogar gewachsen. Welche Faktoren haben zu diesem rasanten Abstieg der Millionenstadt geführt? Die Peripherisierung der Stadt ist vor allem das Ergebnis von Abwanderungsprozessen. Dabei lassen sich zwei Ursachen unterscheiden: Deindustrialisierung und Suburbanisierung. 1. Deindustrialisierung: Der Nordosten der USA mit Städten wie Chicago, Pittsburgh, Cleveland, Buffalo und Detroit galt seit den 1920er Jahren als Industriegürtel der USA. Seit den 1960er Jahren war diese Region als Folge der Globalisierung von einer Deindustrialisierung massiv betroffen. Durch die vielen stillgelegten Stahl-, Eisen-, Kohle-, Textilund Auto-Fabriken erhielt die Region seit den 1970er Jahren den Titel „rustbelt“. Mit der Krise der US-amerikanischen Automobilindustrie, die sich besonders stark in Detroit konzentrierte, setzte in der Nachkriegszeit auch die Deindustrialisierung der Stadt ein. Die Zahl der Industriearbeitsplätze ging in der Stadt zwischen 1950 und 2010 massiv von 349.000 auf 28.000 zurück. Detroits Automobilfabriken wanderten bereits früh aus der Stadt in die Suburbs ab. Bereits seit 1908 produzierte Henry Ford im benachbarten Highland Park sein berühmtes T-Modell und evozierte hier die Entwicklung eines zweiten Stadtzentrums. Seit den 1970er Jahren befindet sich der Sitz von Ford im Vorort Dearborn, wo auch das vielbesuchte Henry Ford Museum liegt. Mit dem Niedergang der Automobilindustrie verlor die Stadt hunderttausende Arbeitsplätze sowie die wichtigsten Steuerzahler. Auch Chrysler wanderte nach Auburn Hills etwa 50 km nördlich der Stadt ab. Von den „Großen Drei“ hat heute nur noch General Motors seinen Welthauptsitz in Detroit. Vom Renaissance Center am Ufer des Detroit-River aus werden unter anderem auch die Geschicke der Opelwerke in Bochum und Eisenach bestimmt. 2. Suburbanisierung: Ein weiterer Faktor für den Abstieg der Stadt ist der gleichzeitige Aufstieg der Suburbs. Die Metropolitan Area Detroit umfasst heute 127 Städte und Gemeinden sowie fünf Landkreise (Coun-
90 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
ties). Während die Kernstadt selbst nur noch ca. 714.000 Einwohner zählt, wohnen in der Metropolitan Area etwa 4,3 Millionen Einwohner. Das Einwohnerverhältnis von City und Suburbs beträgt demnach etwa 20:80 und ist damit etwa umgekehrt zum Verhältnis von Berlin und Umland. 1954 eröffnete hier die erste suburbane Shopping Mall der USA. Diese war der Prototyp für viele andere Malls in den Suburbs. Bereits seit den 1950er Jahren setzte eine große Stadtflucht der weißen Bevölkerung Detroits in suburbane Eigenheimsiedlungen ein. Diese Stadtflucht wurde durch die gewaltsamen Aufstände (urban riots) gegen Diskriminierung und Rassismus im Jahr 1967 weiter angeheizt. Damals wurden 2.500 Geschäfte geplündert oder in Brand gesetzt, 43 Menschen kamen ums Leben. Erst Panzer der US-Army beendeten die Aufstände. Die Abwanderung aus Detroit wurde außerdem durch die höchste Kriminalitätsrate in den USA verstärkt, die der Stadt das Image einer „murder city“ einbrachte. Das Wohnen im Stadtzentrum wurde durch die Ghettobildung zu einem Stigma (Sugrue 2004: 234). Die Metropolregion ist heute die sozial und ethnisch am stärksten segregierte in den USA: Während 82 Prozent der Detroiter Bürger Afroamerikaner sind, bestehen die Suburbs zu 78 Prozent aus Weißen. Während die verarmte Bevölkerung Detroits ein Durchschnittseinkommen von 47 Prozent der Suburbs erzielt, zählt der benachbarte Oakland County zur drittreichsten Region der USA (Sugrue 1996; Galster 2012).
6.4 S TADTPOLITIK IM U MGANG P ERIPHERISIERUNG
MIT
Während die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen der Peripherisierung von Detroit damit relativ klar erscheinen, ist die Frage schwieriger zu beantworten, welchen Anteil die Stadtpolitik am Niedergang der Stadt hat und wie sie auf die Probleme der Peripherisierung reagiert. Als Geburtsstadt des Fordismus war Detroit im 20. Jahrhundert durch den Korporatismus zwischen Konzernzentralen und Gewerkschaften geprägt. Die Gewerkschaft United Automobile Workers erkämpfte hohe Löhne und Pensionen für die Arbeiterschaft. Diese bildeten die Grundlage für den früheren Wohlstand der Stadt. Der Korporatismus trug allerdings zur Konservierung der Monostruktur der Stadt bei. Die einseitige Ausrichtung auf die Autoindustrie und
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die ausbleibende Diversifizierung ihrer Wirtschaftsstruktur machten die Stadt sehr krisenanfällig gegenüber der Globalisierung. Die Lokalpolitik der Stadt Detroit war in den 1970er und 1980er Jahren nicht in der Lage, auf diese Krise angemessen zu reagieren. Die Politik der Stadt wird als schwach und fragmentiert beschrieben (Galster 2012; McDonald 2014: 3311). Diese Handlungsschwäche der Stadtpolitik hat verschiedene Gründe: •
•
Die ersten Versuche zur Revitalisierung gingen von der privaten Organisation Detroit Renaissance aus, zu der sich Geschäftsleute zusammenschlossen hatten, um den weiteren Niedergang des Standorts aufzuhalten. Im Jahr 1977 wurde am Detroit River ein großer HochhausKomplex mit dem programmatischen Namen „Renaissance Center“ eröffnet. Dieses auf Initiative von Henry Ford II gebaute Zentrum besteht aus vier Bürotürmen für ca.15.000 Arbeitsplätze und einem Hotelturm mit 1.400 Betten. Im Jahr 1996 wurde das Renaissance Center der Sitz der Weltzentrale von General Motors. Da dieses mit Läden, Restaurants, Bars und Theater voll ausgestattete Zentrum jedoch weitgehend autark ist und wie eine Zitadelle von Schutzwällen abgeschlossen wird, blieben Impulse zur Revitalisierung der Innenstadt aus. Im Gegenteil entstanden sogar Abzugseffekte von Geschäften aus der Downtown in das Center (Sugrue 2004). Die Stadtpolitik war bis in die 1980er Jahre hinein durch die Geschichte des Rassismus tief gespalten, der soziale Segregationsprozesse und politische Spannungen verstärkt hat. Die weißen Bürgermeister der Stadt haben bis in die 1960er Jahre die Interessen der weißen Bevölkerung vertreten und versucht, die Schwarzen aus den Wohngebieten der Weißen auszuschließen. Mit der Durchsetzung des Wahlrechts für die Schwarzen und dem Zuzug von Afroamerikanern aus den Südstaaten verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse bei den Kommunalwahlen. Von 1974 bis 1994 regierte Coleman Young als erster schwarzer Bürgermeister die Stadt. Dessen Politik der Bevorzugung von Schwarzen in der Stadtverwaltung und der erzwungenen Durchmischung von Schulen wurde ebenfalls als spaltend kritisiert (McDonald 2014: 3311). Die Krise der Stadt verschlimmerte sich in seiner Regierungszeit (Sugrue 2004: 232).
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Die Stadtpolitik entwickelte sich in der langjährigen Regierungszeit von Bürgermeister Young von einer anfänglichen Allianz mit der lokalen Wirtschaftselite zu einem „Klientelismus“ und verschlossenen „Küchenkabinett“ (DiGaetano/Lawless 1999: 560). Nur ein kleiner Kreis von Freunden um den Bürgermeister entschied seit den 1980er Jahren über Stadtentwicklungs-Projekte und die Aufträge an Entwickler, die zur Renaissance von Detroit beitragen sollten. Einige der Projekte, wie die Ansiedlung der GM Poletown factory, stießen auf Kritik und Proteste von Anwohnern, Politikern und Medien, weil dafür historische Gebäude ohne Rücksicht auf die Stadtgeschichte abgerissen wurden. Im Jahr 1987 legte die private Organisation Detroit Renaissance einen Strategieplan vor, um die soziale, ökonomische und finanzielle Krise der Stadt zu bewältigen. Zwischen dem Bürgermeister und der Wirtschaftselite entspannte sich ein Machtkampf um die strategische Führung in der Stadt (DiGaetano/Lawless 1999: 561). Dies zeigt die relativ schwache Rolle der Stadtpolitik. Durch die Abwanderung der Autokonzerne Ford und Chrysler, die Stadtflucht der Mittelschichten und Kürzungen staatlicher Finanzhilfen in der Reagan-Ära schrumpften in den 1980er Jahren die Steuereinnahmen der Stadt (Sugrue 2004: 237). Die wohlhabenden Gemeinden in der Metropolregion Detroit verweigerten einen Interessenausgleich zwischen Stadt und Suburbs, den Detroits Bürgermeister einforderte. Da es keine planerische Steuerung auf der Ebene der Metropolregion gibt und sich US-Städte im hohen Maß über lokale Steuern finanzieren, fehlten der Stadtpolitik eigene finanzielle Ressourcen, um die Krise durch gezielte Investitionen zu bewältigen (McDonald 2014). Der von 1994 bis 2001 regierende Bürgermeister Dennis Archer etablierte wieder ein stärker korporatistisches Modell zwischen Stadtpolitik, Verwaltung und Wirtschaftselite. Dazu wurde die Greater Downtown Partnership gegründet. Nach dem Scheitern von Projekten zur Reindustrialisierung der Stadt setzte der neue Bürgermeister weiter auf neue Großprojekte: dazu gehören ein Konferenz- und Ausstellungszentrum, zwei Casinos und zwei Sportstadien. Die Casinos sollten Geld in die Stadtkasse bringen (DiGaetano/Lawless 1999: 562 f.). Auch diese Projekte tragen aber nur temporär und punktuell zur Revitalisierung der Stadt bei (Sugrue 2004: 237). Seit den 1990er Jahren versucht die Greater Downtown Partnership eine städtebauliche Aufwertung, indem zent-
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rale Plätze, Straßen und die Riverfront wieder als öffentliche Räume gestaltet und begrünt werden.
6.5 F AZIT Die Peripherisierung von Detroit lässt sich in erster Linie durch Abwanderungsprozesse erklären: der Abwanderung der beiden Autokonzerne Ford und Chrysler folgte die Abwanderung der Mittelschichten in die Suburbs. Auslöser für die massenhafte Abwanderung zunächst der weißen Mittelschichten in die Suburbs waren die schweren Rassenunruhen im Jahr 1967. Seit den 1990er Jahren folgte auch die Abwanderung der schwarzen Mittelschichten. Diese Abwanderungsprozesse haben zu einer beispiellosen Konzentration der sozialen Armut von Afroamerikanern in der Downtown von Detroit geführt. Detroit wurde zu einer „zutiefst gespaltenen Metropole“ (Sugrue 2004: 234). Die Prozesse der Deindustrialisierung, Suburbanisierung und sozialen Segregation führten zu extrem schwierigen Strukturbedingungen für die Stadtpolitik in Detroit. Im Umgang mit den Problemen und Herausforderungen war die Stadtpolitik überfordert, angemessene Strategien gegen den weiteren Abstiegsprozess der Stadt zu entwickeln. Eine strukturelle Begründung dafür ist sicherlich, dass sich diese notleidende Stadt in der Krise weitgehend aus eigenen Einnahmen finanzieren musste und staatliche Hilfen in der Reagan-Ära gekürzt wurden. In Detroit hat jedoch nach übereinstimmender Ansicht kritischer Beobachter zusätzlich der bestehende Rassismus zwischen weißen und schwarzen Akteuren die Stadtpolitik über lange Zeit gelähmt, die Akteure gespalten und die Handlungsfähigkeit der Stadtpolitik geschwächt. Bezeichnend für die Handlungsschwäche der öffentlichen Akteure in der Stadtpolitik und Verwaltung ist, dass eine private Organisation von Geschäftsleuten, Detroit Renaissance, die lokalen Strategien zur Revitalisierung der Stadt bestimmt hat und sich darüber ein Machtkampf zwischen dem Bürgermeister und den Wirtschaftseliten entspannte. Zum weiteren Niedergang der Stadt beigetragen hat nach Ansicht kritischer Beobachter auch eine verfehlte Stadtpolitik der Bürgermeister, die weiterhin auf die Reindustrialisierung der Stadt gehofft und auf Großprojekte gesetzt haben, deren Wirkungen auf die Renaissance der Stadt heute sehr kritisch bewertet werden. Dass das Renaissance Center als frühes Schlüsselprojekt der Stadtentwicklung mit hohen Schutzwällen
94 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
aus Beton gebaut wurde, spricht für sich. Zu den Fehlern gehört auch die radikale Abrisspolitik von leerstehenden Gebäuden, welche die Geschichte der Stadt weitgehend negiert hat. Nach dem Bankrott im Jahr 2013 wird Detroit in der Presse heute häufig als eine hoffnungslose Stadt dargestellt, über deren Untergang spekuliert wird. Dennoch gibt es Anzeichen für die wirtschaftliche Regenerierung der Stadt. Einige Unternehmen sind aus den Suburbs in die Downtown zurückkehrt, einzelne Millionäre investieren wieder Geld in die Stadt. Bereits 2003 hat sich die Zentrale einer Computerfirma mit etwa 3.000 Arbeitsplätzen angesiedelt – trotz doppelt so hoher Steuern im Vergleich zu den Suburbs und anfallender Parkgebühren. Ein weiterer Unternehmer zog 2003 mit seiner Hypothekenfinanzierungsfirma und 5.000 Arbeitsplätzen aus einem Vorort in die Downtown. Er hat inzwischen 60 Gebäude in der Downtown gekauft. Ein anderer Milliardär investiert in den Bau eines neuen Hockeystadions einschließlich eines eigenen Stadtteils mit Einkaufszentrum (Hahn 2015). Durch die wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Krise der Stadt entstehen gleichzeitig neue Möglichkeiten und Freiräume für alternative Ansätze und dezentrale Community-Projekte. Viele Brachflächen stehen für neue Nutzungen zur Verfügung. Eine davon ist das Urban Gardening, das in Detroit zu einer sozialen Bewegung geworden ist. Aufgrund des Überangebotes auf dem Wohnungsmarkt sind Wohnhäuser in Detroit sehr preiswert, zum Teil bereits für 5.000 Dollar zu kaufen. Dies zieht Künstler, Alternative und Firmengründer an. Im Bereich der IT-Wirtschaft entstehen in den letzten Jahren außerdem viele Start-ups, welche neue Hoffnungen auf eine Trendwende in der Stadtentwicklung wecken (Roloff 2013). Ob Detroit mit diesen Ansätzen eine längerfristige Entperipherisierung gelingt, indem sie wieder zu einer blühenden und attraktiven Metropole wird, bleibt eine offene Frage.
7 Abkopplung: Wie die „Schuhmetropole“ Pirmasens den Anschluss verliert
Pirmasens, Innenstadt, die Fußgängerzone, gestaltet im Stil der 1970er Jahre. Wenige Menschen, viele leerstehende Läden und Kaufhäuser, nebenan steht eine große Schuhfabrik leer. Am Schuhmacherbrunnen aus Bundsandstein steht: „Der Schuh hat uns hier groß gemacht, drum Schuh und Schuster nicht veracht!“ Dieser Spruch bringt den Aufstieg und Fall der Stadt auf den Punkt. Pirmasens war in der Nachkriegszeit die „deutsche Schuhmetropole“. 300 Schuhbetriebe gab es, viele Fabriken standen mitten in der Stadt. Eine internationale Schuhmesse lockte zehntausende Fachbesucher aus aller Welt nach Pirmasens. Heute ist von der Schuhindustrie nicht viel geblieben. Pirmasens kämpft gegen seinen Abstieg und seinen Ruf als verarmte Provinzstadt. Die kreisfreie Stadt mit ca. 40.000 Einwohnern am südwestlichen Rand von Rheinland-Pfalz gelegen, zählt heute zu den am stärksten schrumpfenden Städten in Westdeutschland. Die Stadt ist zudem durch eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit und ein unterdurchschnittliches Bildungsniveau gekennzeichnet. Pirmasens weist einen sehr hohen Anteil an privaten Haushalten auf, die staatlichen Transferleistungen empfangen und Insolvenzen angemeldet haben. Aufgrund hoher Sozialleistungen und niedriger Steuereinnahmen ist die kommunale Verschuldung hoch. Das folgende Fallbeispiel zeichnet den Abstieg von Pirmasens als „deutsche Schuhmetropole“ nach und beschreibt lokale Strategien und Projekte im Umgang mit der Peripherisierung. Die Empirie basiert auf eigenen Erhebungen in den Jahren 2012 bis 2014 sowie Ergebnissen des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund (Beisswenger/Weck 2010; Weck/Beisswenger
96 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
2013), die im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts in den Jahren 2009 bis 2011 durchgeführt wurde.
7.1 D ER AUFSTIEG ZUR „ DEUTSCHEN S CHUHMETROPOLE “ … Pirmasens liegt in der Region Südwestpfalz doppelt peripher. Erstens an der Landesgrenze von Rheinland-Pfalz, naturräumlich abgeschnitten von der Metropolregion Rhein-Neckar durch den Pfälzer Wald – der früher so genannten „Hinterpfalz“. Zweitens durch die Lage an der Bundesgrenze zu Frankreich, die nur etwa 20 Kilometer entfernt ist. Die Stadt Pirmasens in der Region Südwestpfalz entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert zu einem Zentrum der deutschen Schuhindustrie. In der ehemaligen Residenzund Garnisonsstadt wurde die Produktion von Schuhen zum Lebensunterhalt für die Soldaten und ihre Familien, nachdem eine Garnison aufgelöst und die Soldaten entlassen wurden. Aus kleineren Handwerksbetrieben und Manufakturen entwickelten sich im Laufe der Industrialisierung im 20. Jahrhundert zahlreiche Schuhfabriken in Familienbesitz (Schamp 2005). Der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt beruhte neben den Schuhfabriken auch auf der Entwicklung von Zuliefererindustrien wie der Schuhmaschinenbau und der Produktion von Schuhsohlen und Klebstoffen. Ihre Blütezeit erreichte die pfälzische Schuhindustrie mit ihrem Zentrum in Pirmasens in den 1960er Jahren. Damals waren in der Stadt etwa 25.000 Menschen in 300 Schuhfabriken beschäftigt. Zur internationalen Schuhmesse kamen in Spitzenzeiten 70.000 Fachbesucher aus aller Welt, die Stadt war dann voller ausländischer Gäste. Ein Vertreter der Stadtverwaltung im Interview zur damaligen Blütezeit der Schuhmetropole: „[…] Da war noch die große Schuhmesse, internationale Schuhmaschinenmesse, da sind die Busse noch beflaggt durch die Stadt gefahren, da war die Stadt voll mit ausländischen Besuchern. Und dann hat man gemerkt Schuhindustrie, Schuhmaschinenindustrie geht immer weiter zurück, die Messe wird immer kleiner, die Konkurrenz […] wurde immer größer, ging immer weiter zurück, bis dann nur noch kleine Messetage oder -standorte waren, das hat man dann schon gemerkt.“ (Beisswenger/Weck 2010: 21). Pirmasens wurde aufgrund der vielen Schuhfabriken und der internationalen Schuhmesse auch als „deutsche Schuhmetropole“ (Schäfer 1927;
A BKOPPLUNG : DIE „S CHUHMETROPOLE“ P IRMASENS | 97
Gabler 2012: 198) bezeichnet. Die Karriere der Stadt als „Schuhmetropole“ beruhte auf der Herausbildung einer industriellen Monostruktur. Die Fabrikbesitzer wurden reich, manche zu Millionären. Sie wurden in der Stadt „Schuhbarone“ genannt (Gabler 2012: 200). Von seiner Sozialstruktur her entwickelte sich Pirmasens allerdings zu einer Arbeiterstadt. Die Schuhfabriken waren durch gering qualifizierte Arbeitsplätze geprägt. Viele Stellen wurden durch angelernte Kräfte ohne eigene Lehrqualifikation besetzt. 60 Prozent der in der Schuhindustrie Beschäftigten waren weiblich. Da das Lohnniveau niedrig war, arbeiteten oft beide Ehepartner in der Fabrik. In Pirmasens entwickelte sich über mehrere Generationen hinweg eine lokale Tradition in den Arbeiterfamilien, die eigenen Kinder möglichst bald nach der Schule in die Fabrik zu schicken. Höhere Bildungsabschlüsse wurden nicht angestrebt, da Jugendliche oft den Lohn durch Akkordarbeit aufbessern konnten. Dadurch entstand in der Stadt eine breite Arbeiterschicht, die sich heute politisch korrekt als „bildungsfern“ beschreiben lässt. Die soziale Polarisierung zwischen den „Schuhbaronen“ und der „Arbeiterschicht“ wird heute von städtischen Repräsentanten als das Fehlen einer bürgerlichen Mittelschicht in der Stadt gedeutet: „Vielleicht hängt das damit zusammen, dass es hier immer eine sehr dünne Oberschicht gab (…) und auf der anderen Seite auch eine große Unterschicht (…) und in der Mitte war da relativ wenig.“ (Interview PIR 02, 28.10.2013). Neben der Schuhindustrie entwickelte sich Pirmasens nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Garnisonsstadt. Mit der Ansiedlung der amerikanischen Streitkräfte ab 1951 auf dem Kasernengelände Husterhöhe zogen rund 6.000 Soldaten und ihre Familienangehörigen in die Stadt. Dadurch entstanden rund 4.000 Arbeitsplätze für Zivilbedienstete. Durch das Militär wurden auch der Einzelhandel, die Gastronomie und die privaten Vermieter in der Stadt gefördert. Die amerikanischen Soldaten nannten Pirmasens „PTown“.
7.2 … UND
DER
ABSTIEG
DER
S TADT
Seit den 1970er Jahren setzte der Abstieg der „Schuhmetropole“ mit dem Niedergang der Schuhindustrie ein. Die wirtschaftliche Ursache dafür war die zunehmende Globalisierung der Schuhproduktion und die wachsende Konkurrenz von Billigprodukten aus Asien. Die Produktion der Schuhe
98 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
wurde zunehmend ins Ausland verlagert, während Produktentwicklung und Verwaltung zunächst in Pirmasens verblieben. Nach und nach kam es jedoch zu Betriebsschließungen. Die Zahl der Beschäftigten in der Schuhindustrie sank von 32.000 in den 1960er Jahren auf heute unter 1.000 (Beisswenger/Weck 2010:10). Heute produziert nur noch eine, die älteste Schuhfabrik der Stadt mit ca. 500 Arbeitnehmern in Pirmasens. Einige wenige Schuhunternehmen haben noch ihr Verwaltungs-, Marketing- und DesignZentrum in Pirmasens. Als Relikte der ehemaligen „Schuhmetropole“ ist die Stadt heute noch der Sitz des Prüf- und Forschungsinstituts Pirmasens e.V. und des Verbandes der Schuhindustrie Rheinland-Pfalz e.V. Um die technologische Schuhkompetenz zu erhalten, bieten die deutsche Schuhfachschule und die örtliche Filiale der Fachhochschule Kaiserslautern Ausbildungen als Schuhtechniker an. Weiterhin wurde das ISC-International Shoe Competence Center mit Mitteln des Landes Rheinland-Pfalz gegründet, um die technologischen Kompetenzen der Schuhproduktion zu bündeln und Dienstleistungen weltweit anzubieten (Stein/Kujath 2013). Ein Stadtpolitiker betont: „Die Schuhindustrie ist nie in ihrem Know-How aus Pirmasens abgewandert, das heißt ein Riesenteil der in Deutschland und Europa verkauften Schuhe wird immer noch in dem Design, in der Technik, im Know-How und im Vertrieb über Pirmasens abgewickelt. Natürlich nicht mehr mit 30.000, sondern nur noch mit 3.000 Arbeitsplätzen. Also Schuhkompetenz ist nach wie vor vorhanden, wenn es irgendwelche Innovationen im Schuhbereich gibt, kommen die meistens immer noch aus Pirmasens“ (Beisswenger/Weck 2010: 40). Die Stadt Pirmasens hat durch den Niedergang der Schuhindustrie seit den 1970er Jahren etwa ein Drittel ihrer früheren Größe verloren. Die Einwohnerzahl ist von 60.000 auf heute etwa 40.000 gesunken. Neben einer negativen natürlichen Bevölkerungsentwicklung ist Pirmasens in den letzten Jahrzehnten – mit Ausnahme der Jahre 1989 bis 1994 – durch eine kontinuierliche Abwanderung der jüngeren Generationen gekennzeichnet. Etwa ein Drittel dieses Verlustes geht auf Abwanderungen aus der Stadt in den benachbarten Landkreis zurück. Von der Schließung von Schuhfabriken im ähnlichen Maße betroffen ist auch der Pirmasens umgebende Landkreis Südwestpfalz. Hier setzte die Deindustrialisierung nur zeitlich verzögert in den 1990er Jahren ein. Der Landkreis weist heute ebenfalls eine ausgeprägte Strukturschwäche auf, die sich u.a. in einer geringen Arbeitsplatzdichte und Wirtschaftsleistung ausdrückt.
A BKOPPLUNG : DIE „S CHUHMETROPOLE“ P IRMASENS | 99
Tab. 4: Indikatoren der Peripherisierung von Pirmasens (in %) 1980
1985
1990
1997
2002
2007
2012
Stadt Pirmasens
100
93,8
96,1
95,1
89,4
84,4
81,2
Rheinland-Pfalz
100
99,2
103,3
110,3
111,4
111,1
109,5
100
102,9
103,5
103,1
101
Bevölkerung
Bund SV-Beschäftigte am Arbeitsort Stadt Pirmasens
100
101,3
93,8
73
72
66,2
70,4
Rheinland-Pfalz
100
97,9
105,6
105
108,4
106,9
114,7
100
101,1
98,4
106
Bund
Quelle: BBSR 2015, eigene Berechnungen
Die Arbeitslosigkeit liegt in Pirmasens mit über 13 Prozent heute weit über dem Landes- und Bundesdurchschnitt, der Anteil gering Qualifizierter in der früheren Arbeiterstadt ist sehr hoch (Weil 2011). Die Stadt weist mit 17,8 Prozent einen weit überdurchschnittlichen Anteil an privaten Haushalten auf, die staatlichen Transferleistungen empfangen und Insolvenzen angemeldet haben. 28 Prozent der Kinder und Jugendlichen leben in einem Haushalt, die Transfereinkommen beziehen. Aufgrund der hohen Sozialleistungen und niedrigen Steuereinnahmen ist die kommunale Verschuldung hoch (Beisswenger/Weck 2010). Einen weiteren Schub der Peripherisierung erlebte die Garnisonsstadt Pirmasens in den 1990er Jahren durch den Abzug der amerikanischen Streitkräfte mit etwa 10.000 Soldaten. Durch ihren Abzug fiel ein großes Kasernengelände brach, etwa 4.000 Arbeitsplätze für Zivilbedienstete gingen verloren (Beisswenger/Weck 2010). Als Folge davon ist die Kaufkraft in der Stadt weiter gesunken. Pirmasens hat seitdem auch als Einkaufsstadt deutlich an Zentralität in Konkurrenz mit der Nachbarstadt Zweibrücken und einem großen Factory Outlet Center eingebüßt. In der innerstädtischen Fußgängerzone, die in der finanzschwachen Stadt teilweise noch im Stil der 1980er Jahre gestaltet ist, stehen heute etwa 30 Prozent der Geschäfte leer.
100 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
7.3 S TADTPOLITIK IM U MGANG P ERIPHERISIERUNG
MIT
Vorliegende Ergebnisse der Forschung deuten darauf hin, dass die Stadtpolitik nur sehr verzögert auf den schleichenden Niedergang der Schuhmetropole seit der 1970er Jahren reagiert hat (Beisswenger/Weck 2010). Eine wirtschaftsgeographische Studie beschreibt einen politischen „lock-in“, der in den 1980er Jahren sogar zur Abwehr einer neuen Industrieansiedlung von Siemens geführt habe (Schamp 2005: 625). Erst durch den Abzug der amerikanischen Streitkräfte in den 1990er Jahren wurde den lokalen Akteuren das ganze Ausmaß der Strukturkrise der Stadt durch den Leerstand von Wohnungen sichtbar. Zu einem im Stadtbild deutlich sichtbaren Zeichen für die Strukturkrise wurden die leerstehenden Schuhfabriken. Seit 1995 standen die größte Schuhfabrik Europas, Rheinberger und die Salamanderwerke als stadtbildprägende Gebäude in der Innenstadt leer. Insbesondere die Rheinberger Schuhfabrik gilt als das wichtigste bauliche Symbol der Schuhindustrie. Für die Pirmasenser Bevölkerung war der längere Zeit leerstehende Gebäudekomplex ein baulicher Ausdruck des Niedergangs der Stadt (Baumann/Hesse/Karsten 2010: 45). Als erster Akteur in der Stadt Pirmasens hat – in der lokalen Tradition der früheren „Schuhbarone“ – ein privater Schuhunternehmer die Initiative ergriffen und gründete 1995 einen Stadtmarketingverein. In diesem Verein engagierten sich Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgerschaft, um ein Leitbild „Pirmasens 2010“ für die Stadt zu entwickeln. Der Unternehmer wandelt als erster 1993 auch die ehemalige Schuhfabrik Neuffer in ein Dienstleistungs- und Wohngebäude um. Als zweite Schuhfabrik hat der gleiche Unternehmer die ehemaligen Salamanderwerke zu „PTown-Lofts“ umgewandelt. Die Stadtverwaltung reagiert seit dem Wechsel des Oberbürgermeisters im Jahr 2003 mit einer zunehmend strategischen Ausrichtung auf die Strukturkrise. Aus anfänglichen reaktiven Einzelmaßnahmen entwickelte die Stadt im Jahr 2007 ein strategisches Stadtentwicklungskonzept, auf das sich viele Akteure bis heute beziehen. In Pirmasens wurden einige strategische Projekte entwickelt, um der Peripherisierung der Stadt zu begegnen. Die wichtigsten Projekte: •
Ein frühes Schlüsselprojekt zur Bewältigung des Strukturwandels war die Ansiedlung einer Außenstelle der Fachhochschule Kaiserslautern
A BKOPPLUNG : DIE „S CHUHMETROPOLE“ P IRMASENS | 101
•
•
im Jahr 1989 auf einem Kasernenstandort (Stein/Kujath 2013). Dieses Konversionsprojekt wurde nicht nur in Pirmasens, sondern auch in der Nachbarstadt Zweibrücken durch das Land Rheinland-Pfalz gefördert, um die periphere Region Südwestpfalz regionalpolitisch zu stärken. Auf dem Campus Pirmasens studieren heute ca. 540 junge Menschen in den Fachbereichen Pharmazie, Chemie- und Kunststofftechnik, Lederverarbeitung und Schuhtechnik sowie Textiltechnik. Als ein Schlüsselprojekt der Stadtentwicklung gilt heute die Umwandlung der ehemals größten Schuhfabrik Europas „Rheinberger“ in das erste rheinland-pfälzische Science Center „Dynamikum“ seit 2008. Hier wurde mit Mitteln des Bund-Länder-Programms Stadtumbau West die Revitalisierung einer Industriebrache erreicht, die zuvor ein bauliches Symbol für den Niedergang der Schuhindustrie war. Als eine Dachorganisation für die Kinder- und Jugendarbeit wurde 2008 der „Pakt für Pirmasens“ gegründet. In diesem Netzwerk haben sich ehren- und hauptamtliche Vertreter von Kindergärten, Schulen, Unternehmen, Kirchen, Vereinen und anderen Organisationen zusammengeschlossen, um Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten zu fördern und deren Bildungschancen zu verbessern.
Sowohl die Fachhochschul-Filiale als auch die Umwandlung der Schuhfabrik Rheinberger in ein Science Center sind als Schlüsselprojekte der Stadt maßgeblich durch Bundes- und Landesmittel finanziert worden. Die Interviews im Rahmen der Fallstudie Pirmasens bestätigen nicht die gängige These der Peripherieforschung (vgl. Kapitel 4.5 und 4.6), dass die Stadt durch politische Entscheidungen benachteiligt, von Ressourcen ausgeschlossen oder „abgehängt“ wird. Im Gegenteil, einige Interviewpartner betonen das hohe politische und finanzielle Engagement des Landes Rheinland-Pfalz für die Belange der notleidenden Stadt. Die Landesebene unterstütze in der Regel alle Anträge auf Fördermittel aus Pirmasens. Ein Interviewpartner sagt: „[…] In den letzten Jahren ist eigentlich alles unterstützt worden, was von uns ausgegangen, wo Pirmasens gemeint hat, das wäre was, da bemühen wir uns drum.“ (Beisswenger/Weck 2010: 15). Nur als der Oberbürgermeister den Anschluss der Stadt an die Metropolregion Rhein-Neckar versuchte, scheiterte er bei der Landesregierung. Dies wurde mit dem nachvollziehbaren Argument einer zu starken Ausweitung der Metropolregion abgelehnt (Kühn/Weck 2012: 95).
102 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
7.4 F AZIT Die Peripherisierung von Pirmasens lässt sich mit einem doppeltem Bedeutungs- und Funktionsverlust der Stadt erklären: 1. Als Industriestadt durch die Schließung und Verlagerung der Schuhfabriken in globale Billiglohnländer, die lokal zur Abwanderung und Arbeitslosigkeit geführt hat. 2. Als Garnisonsstadt durch den Abzug des US-Militärs, der lokal zum Brachfallen eines großen Kasernenstandortes und einem örtlichen Kaufkraftverlust geführt hat. Der Niedergang beider strukturprägender Wirtschaftsbereiche konnte in Pirmasens bisher nicht durch den Aufbau neuer Wirtschaftsbranchen kompensiert werden. Ein wesentliches Hemmnis für den postindustriellen Strukturwandel stellt heute die Sozialstruktur der Arbeiterstadt dar, die mit einem geringen Bildungs- und Qualifikationsniveau der örtlichen Bevölkerung einhergeht. Dadurch kann auch der vorhandene Fachkräftemangel in den Unternehmen nicht durch die örtlichen Arbeitskräfte gedeckt werden. Die Langzeit-Arbeitslosigkeit hat zu einer Verfestigung der sozialen Armut vieler Arbeiterfamilien geführt, die von staatlichen bzw. kommunalen Transferleistungen abhängig sind. Ein Interviewpartner aus Pirmasens nennt dieses Phänomen „Sozialadel“: Armut und Transferabhängigkeit werden an die eigenen Kinder vererbt. Pirmasens wurde vor allem durch den Prozess der Deindustrialisierung von der Industriegesellschaft abgekoppelt. Da in Deutschland allgemein die Industriebeschäftigung im Strukturwandel zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie rückläufig ist, besteht die Peripherisierung von Pirmasens heute mehr darin, durch die Dequalifizierung der Wohnbevölkerung den Anschluss an die Wissensgesellschaft zu verlieren (Stein/Kujath 2012). In den Bereichen Bildung und Qualifizierung liegt deshalb der Schlüssel für eine erfolgreiche Bewältigung der Peripherisierung der Stadt. Die lokalen Handlungsspielräume der Stadt Pirmasens im Umgang mit den Problemen der Peripherisierung sind sehr begrenzt. Aufgrund der geringen Steuereinnahmen und der hohen Sozialausgaben ist die Stadt hoch verschuldet. Dadurch sind praktisch kaum eigene finanzielle Ressourcen vorhanden, um strategische Projekte zu verwirklichen. Hieraus ergibt sich eine hohe Abhängigkeit von den staatlichen Fördertöpfen der EU, des Bundes und des Landes. Im Unterschied zu Detroit fließen nach Pirmasens bisher viele staatliche Fördermittel, um der verarmten und verschuldeten Stadt zu helfen. Die Ansiedlung der Fachhochschule war ein frühes Projekt des
A BKOPPLUNG : DIE „S CHUHMETROPOLE“ P IRMASENS | 103
Landes gegen die Peripherisierung. Nicht zuletzt aufgrund ihrer begrenzten Größe werden damit bisher noch kaum wirksame Struktureffekte erzielt (Weil 2011: 920). Aufgrund der leeren Stadtkasse ist die Stadtpolitik zur Verwirklichung von Schlüsselprojekten auch von privaten Unternehmen abhängig. Hier zeigt die Pirmasenser Tradition der „Schuhbarone“ dass es bis heute noch lokal verwurzelte Unternehmer gibt, die eine Verantwortung für die Stadtentwicklung übernehmen. Ein Schuhunternehmer initiierte die Entwicklung eines Leitbildes für die Stadt, indem er einen Stadtmarketingverein gründete. Die „Abkopplung“ der Stadt Pirmasens von der Entwicklung des übrigen Landes ist im Kern eine sozioökonomische Abkopplung. Die Stadt verliert den Anschluss an die Wissensgesellschaft vor allem auf die Dequalifizierung der Wohnbevölkerung in der früheren Arbeiterstadt. Eine politische Abkopplung durch die Benachteiligung oder Exklusion seitens der Landespolitik besteht bisher nicht. Die lokale Stadtpolitik von Pirmasens ist heute durch eine hohe Aktivitätsdichte und einen hohen Vernetzungsgrad der lokalen Akteure gekennzeichnet (vgl. Gabler 2012). Es fehlt in Pirmasens deshalb heute weder an Führung in der Stadtpolitik, noch an GovernanceFormen zwischen Politik und Verwaltung mit Wirtschaft und Bürgerschaft oder an strategischen Stadtplanungsansätzen, die aus längerfristigen Leitbildern konkrete Projekte ableiten. Man kann resümieren, die Akteure versuchen alles, um die sehr ungünstigen Strukturbedingungen der Stadt zu überwinden. Neben der geographischen und verkehrlichen Randlage erschweren jedoch das geringe Qualifikationsniveau der lokalen Arbeitskräfte, die kommunale Finanznot, das schlechte Image sowie die Konkurrenzen mit der Nachbarstadt Zweibrücken und dem umliegenden Landkreis Südwestpfalz eine Rezentralisierung der Stadt.
8 Abhängigkeit: Wie die Zonenrandstadt Eschwege zur inneren Peripherie Deutschlands wird
Eschwege, 19.000 Einwohner, Kreisstadt des Werra-Meißner-Kreises in Nordhessen. Die kleine Fachwerkstadt liegt heute abseits der Hauptverkehrswege im Dreiländereck von Hessen, Niedersachsen und Thüringen. Während der Teilung Deutschlands lag Eschwege in der Peripherie von Westdeutschland. Die Stadt war Teil des westdeutschen Zonenrandgebietes, in das viele staatliche Fördermittel flossen. Mit der deutschen Wiedervereinigung ist die Stadt seit 1990 wieder in den geographischen Mittelpunkt von Deutschland gerückt. Nach einer kurzen Boomphase in den Jahren nach der Wende verliert die Fachwerkstadt jedoch seitdem wieder an Bedeutung als Wirtschafts-, Wohn- und Einkaufszentrum. Eschwege gehört heute zu den am stärksten schrumpfenden Städten in Hessen, die Bevölkerung altert hier überdurchschnittlich stark. In der Fachwerk-Altstadt stehen viele Wohnungen und Geschäfte leer, Kaufhäuser haben geschlossen, die Fußgängerzone ist nicht mehr so belebt wie in den früheren Jahrzehnten. Das Stadtentwicklungskonzept bezeichnet Eschwege selbst als „Teil der inneren Peripherie Deutschlands mit spezifischer Problemlage, gezeichnet durch die lange Phase des Zonenranddaseins.“ (Magistrat Eschwege 2007: 3). Die folgende Fallstudie beschreibt die Peripherisierung der Stadt vor allem als das Ergebnis von Abhängigkeiten: einerseits von staatlichen Transferleistungen als Folge der Zonenrandförderung, andererseits von Entscheidungen internationaler Konzerne, lokale Betriebe als Filialen zu übernehmen, zu verlagern und zu schließen.
106 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
8.1 V OM ABSEITS
DES
Z ONENRANDGEBIETES …
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen zunächst viele Flüchtlinge und Vertriebene aus dem deutschen Osten in die Stadt Eschwege und die umliegenden Dörfer. Aufgrund der Wohnungsnot und hohen Arbeitslosigkeit wurde der Landkreis Eschwege durch das Land Hessen 1951 zum Notstandsgebiet erklärt. Mit der deutschen Teilung und der Grenzziehung der DDR geriet die Stadt Eschwege seit den 1960er Jahren in eine geographische Randlage. Die engen verkehrlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen nach Thüringen und in die Nachbarstadt Eisennach wurden gekappt. Die Stadt war nur noch über zwei Bundesstraßen und den Bahnverkehr an die „nordhessische Metropole“ Kassel und die südniedersächsische Universitätsstadt Göttingen angebunden. 1985 wurde die Bahnstrecke nach Kassel stillgelegt. Der Stadtbahnhof Eschwege wurde geschlossen, die Stadt war jetzt nur noch per Busverkehr über den Außenbahnhof Eschwege-West an die Strecke Bad Hersfeld-Göttingen angeschlossen. Der nächste Autobahnanschluss ist mehr als 30 Kilometer entfernt. Eschwege hat seit den 1960er Jahren kontinuierlich an Wohnbevölkerung verloren. Nur kurzfristig nahm die Bevölkerung durch die Eingemeindung im Jahr 1974 sowie den Boom nach der deutschen Wiedervereinigung in den Jahren 1990 bis 1993 vorübergehend zu. Die Ursachen für die demographische Schrumpfung der Stadt sind Geburtendefizite und Abwanderungen. Nicht nur Auszubildende und Arbeitsplatzsuchende wandern ab, sondern auch viele Familien verlassen die Stadt. Die gewerbliche Wirtschaftsstruktur von Eschwege war in der Nachkriegszeit durch einige krisenanfällige und innovationsschwache Branchen wie z.B. der Textil- und Lederindustrie geprägt. In Eschwege siedelten sich in den 1950er und 1960er Jahren verschiedenen Fabriken als „verlängerte Werkbänke“ ohne lokale Entscheidungskompetenzen neu an, u.a. aus den Branchen Chemie, Landmaschinenbau und Textilien. Dies war ein Ergebnis der staatlichen Förderung, um die Standortnachteile der Zonenrandlage auszugleichen. Eines der größten Erfolge war die Ansiedlung des USamerikanischen Landmaschinenherstellers Massey-Ferguson, der im Jahr 1951 seine gesamte deutsche Mähdrescherproduktion und 1972 auch seine deutsche Hauptverwaltung von Kassel nach Eschwege verlagerte. Das Werk hatte in Spitzenzeiten bis zu 3.000 Mitarbeiter in Eschwege beschäftigt. Für die Arbeiter des Werkes wurde eigens die Hochhaussiedlung „Am Heuberg“ in der Stadt für 2.000 Menschen gebaut. Eschwege wollte sich
A BHÄNGIGKEIT : E SCHWEGE –
VOM
ZONENRAND
ZUR INNEREN
P ERIPHERIE | 107
damit auch den Anschluss an die städtebauliche Moderne sichern (Nuissl/Rink 2015). Das Mähdrescherwerk in Eschwege wurde allerdings bereits in den 1970er Jahren wieder geschlossen. Teile von Massey Ferguson wurde von der Hydraulikfirma Hyco Pacoma übernommen. Diese Restrukturierung ging mit dem Abbau vieler Arbeitsplätze einher. Seit den 1970er Jahren schlossen in der Stadt eine ganze Reihe weiterer Unternehmen, vor allem aus der Textil- und Lederindustrie. In der Folge schrumpfte die Zahl der Industriearbeitsplätze in Eschwege deutlich, während der Dienstleistungssektor stagnierte und die Beschäftigungsverluste im verarbeitenden Sektor bei weitem nicht kompensiert werden konnten. Eine Stärkung als Zentrum erfuhr Eschwege in den 1970er Jahren allerdings in seiner Funktion als Verwaltungs- und Einkaufsstadt für die umliegende Region. Durch die Kreisgebietsreform 1974 wurde Eschwege Kreisstadt des Werra-Meißner-Kreises und setzte sich gegen die Nachbarstadt Witzenhausen durch. Nicht zuletzt aufgrund der relativ großen Entfernung zu den Großstädten Kassel und Göttingen hatte sich die Fachwerkaltstadt seit den 1970er Jahren zu einem Einkaufszentrum für einen größeren regionalen Einzugsbereich von ca. 55.000 Einwohnern entwickelt. Die Basis dafür war ein breites Einzelhandelsangebot durch familiär geführte Fachgeschäfte (u.a. Modehäuser), die Ansiedlung größerer Kaufhaus-Filialen und die städtebauliche Einrichtung von Fußgängerzonen in der Altstadt. Besonders stolz war man auf die Ansiedlung eines Karstadt-Kaufhauses. Der frühere Bürgermeister dazu: „Und dann haben wir als Magnetbetrieb die Firma Karstadt gehabt. Alle haben uns beneidet um Karstadt: Mensch, wie ist das möglich, dass eine Stadt eurer Größenordnung ein Karstadt-Haus hat? Das hat wirklich auch eine Strahlkraft gehabt in einen großen Einzugsbereich.“ (Interview ESW 12 19.1.2010).
8.2 … ZUR „ INNEREN P ERIPHERIE “ IN DER M ITTE D EUTSCHLANDS Seit der Öffnung der innerdeutschen Grenze im Jahr 1989 ist die Stadt aus der Randlage an der ehemaligen Zonengrenze wieder in die geographische Mitte Deutschlands gerückt. Daraus entstanden in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung auch einige Wachstumsimpulse: Neue Bewohner aus Ostdeutschland wanderten zu und vor allem der Einzelhandel profitierte
108 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
von dem Nachfrageboom aus Thüringen. Doch diese Wachstumsimpulse versiegten bald wieder, die Strukturschwäche der Stadt trat wieder hervor. Seit Mitte der 1990er Jahre setzt sich der Schrumpfungs- und Alterungsprozess der Stadtbevölkerung weiter fort. Die Stadt hat im Jahr 2010 die Grenze von 20.000 Einwohnern unterschritten und ist damit auf dem Weg zu einer Kleinstadt. Nach den Prognosen wird die Einwohnerzahl weiter sinken. Viele Wohnungen stehen heute in Eschwege leer, nicht nur in der Großwohnsiedlung Heuberg, sondern auch in den historischen Fachwerkhäusern der Altstadt. Tab. 5: Indikatoren der Peripherisierung von Eschwege (in %) 1980
1985
1990
1997
2002
2007
2012
Eschwege
100
96,4
94,3
93,8
90,4
85,3
81,2
Hessen
100
98,7
102,9
107,7
108,5
108,4
107,4
100
102,9
103,5
103,1
101
100
95,2
81,5
86,1
Bevölkerung
Bund SV-Beschäftigte am Arbeitsort Eschwege Werra-Meißner-Kreis
100
89,7
100,2
99,9
91,5
80,9
83,8
Hessen
100
97,3
108,2
106,5
111,3
108,1
115,4
100
101,1
98,4
106
Bund
Quelle: BBSR 2015, eigene Berechnungen
Seit den 1990er Jahren wurde auch die zentralörtliche Funktion Eschweges als Einkaufsstadt für die ländliche Region des Werra-Meißner-Kreises geschwächt. Das einst hochwertige Einzelhandels-Angebot in der Stadt ist mehr und mehr Billigketten und Filialen gewichen. Seit 1990 hat sich der Anteil der Discounter in der Innenstadt auf über 40 Prozent verdoppelt. Kleinere inhabergeführte Läden und Geschäfte fanden keine Nachfolger und schlossen. Dazu gehörten auch die zwei hochwertigen Bekleidungshäuser Koch und Weber. Eine Signalwirkung für die Stadtpolitik hatte die Schließung des Karstadt/Hertie-Kaufhauses im Jahr 2009. Nach der Schlie-
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ßung des Kaufhauses gründete die Stadt Eschwege selbst eine Stadtentwicklungsgesellschaft, um das Kaufhaus weiter zu betreiben. Die Stadt trat dabei als Generalmieter auf und übernahm erhebliche finanzielle Risiken. Seit 2013 hat die Stadt das Kaufhaus wieder an einen privaten Investor verkauft. Dieses wird heute als eine Ladengalerie mit verschiedenen Shops betrieben. Eine gewisse Bedeutung als Tourismuszentrum hat Eschwege neben der Fachwerkaltstadt vor allem durch die Lage im Werratal und die Anlage des Werratalsees erlangt. Diese locken Ruderer, Camper, Rad- und Wasserwanderer an. Dennoch ist Eschwege im harten touristischen Wettbewerb der Ferienorte kein sehr bedeutendes Reiseziel. Direkte Konkurrenzen bestehen mit den Nachbarstädten Bad Sooden-Allendorf und Witzenhausen. Viele touristische Angebote in der Fachwerkaltstadt, wie Hotels und Gaststätten wirken auf den Besucher heute etwas veraltet. Da die Inhaber nicht mehr investieren, entsteht der Eindruck, dass die Zeit in der Stadt irgendwann stehen geblieben ist. Die Wirtschaftsentwicklung von Eschwege ist auch seit den 1990er Jahren durch eine ganze Reihe von Insolvenzen, Schließungen und Übernahmen von Unternehmen gekennzeichnet (vgl. Kühn/Sommer 2011). Bereits 1991 schloss eine Strumpffabrik. Einzelne Unternehmen wanderten auch aufgrund des Fördergefälles nach Thüringen ab. Einen besonderen Verlust stellt die Übernahme des inhabergeführten Pharma-Unternehmens Woelm durch einen US-amerikanischen Konzern im Jahr 1991 dar. Das Pharmaunternehmen stellte in seinen besten Zeiten bis zu 600 qualifizierte Arbeitsplätze zur Verfügung und war damit für die Kleinstadt Eschwege einer der wichtigsten Arbeitgeber. Nach der Übernahme wurde das Unternehmen an andere Investoren weiter verkauft und schließlich mit Fördermitteln der EU die Produktion nach Spanien verlagert (Interview ESW 12 19.1.2010).
8.3 S TADTPOLITIK IM U MGANG P ERIPHERISIERUNG
MIT
Die Stadtpolitik von Eschwege ist heute sehr aktiv im Umgang mit den Problemen der Peripherisierung. Das Stadtentwicklungskonzept bezeichnet Eschwege selbst als „Teil der inneren Peripherie Deutschlands mit spezifischer Problemlage, gezeichnet durch die lange Phase des Zonenrandda-
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seins.“ (Magistrat Eschwege 2007: 3). Ein Vertreter der Wirtschaftsförderung spricht von einer „zentralen Randlage“ und verortet die Stadtentwicklung seit der Wiedervereinigung Deutschlands „vom Rand ins Zentrum der abgehängten Räume, denn ringsum von uns findet nur Schrumpfung statt.“ (Kühn/Sommer 2011: 22). Zusammen mit dem Werra-Meißner-Kreis versuchen die Akteure Lösungen für den demographischen Wandel – Rückgang und Alterung der Bevölkerung – zu finden. Schrumpfung wird deshalb von der Stadtpolitik nicht mehr tabuisiert, sondern offen thematisiert. Damit haben Eschwege und der Werra-Meißner-Kreis eine Vorreiterrolle in Hessen und Westdeutschland übernommen, wo viele Lokalpolitiker immer noch stark wachstumsgläubig sind. Aufgrund der sichtbaren Wohnungs- und Geschäftsleerstände wurde Eschwege als einer der ersten drei Modellstädte in Hessen in das Programm „Stadtumbau West“ aufgenommen. Als besonderes Problem nehmen die Akteure in Eschwege den schleichenden Funktionsverlust als Einkaufsstadt für die ländliche Region wahr. Die Schließung von Läden und die Ausbreitung von Billigketten haben die Stadtpolitik mobilisiert. Ein Einzelhandels- und Zentrenkonzept wurde in Auftrag gegeben (Stadt- und Regionalplanung 2009). Die Schließung des zentralen Karstadt-Kaufhauses im Jahr 2009 wurde von den lokalpolitischen Akteuren als ein so gravierender Einschnitt empfunden, dass die Stadt bereit war, selbst in die Rolle des Unternehmens zu schlüpfen und finanzielle Risiken in Kauf zu nehmen. Die Stadt Eschwege hat sich – gemessen an ihrer Größe – an einer erstaunlichen Vielzahl von staatlichen Förderprogrammen beteiligt. Die Stadt war eine der ersten in Hessen, die in die Städtebauförderung aufgenommen wurden. Neben der klassischen Städtebauförderung, dem Denkmalprogramm, der Dorferneuerung, der Sozialen Stadt (seit 1991) ist vor allem der Stadtumbau West (seit 2005) von Bedeutung für den Umgang mit Peripherisierung. Darüber hinaus war Eschwege u.a. auch Modellstadt in den Programmen „Ab in die Mitte Hessen“ (2003-2005), „Stadtumbau in Hessen“ (seit 2005), „neues Altern in der Stadt“ (2005) sowie „Kulturwirtschaft und Stadtumbau“ (2009). Über das Stadtumbau-Programm wurde ein integriertes Stadtentwicklungskonzept erarbeitet (Magistrat der Kreisstadt Eschwege 2007). Dieses Konzept definiert Ziele und Handlungsfelder und leitet daraus wichtige Projekte der Stadtentwicklung ab:
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Das Projekt „Nahtstelle Stadt/Fluss“ will die räumliche Verbindung zwischen Innenstadtkern und der Flussaue der Werra wieder herstellen und für die Bürger der Stadt wie die Touristen erlebbar gestalten. Die kurz- und mittelfristigen Einzelmaßnahmen, die dafür vorgeschlagen werden, sind überwiegend städtebaulicher Natur (u.a. Schaffung einer Uferpromenade, Gebäudegestaltungen). Das Projekt „Revitalisierung Wohnen und Arbeiten in der Altstadt“ soll kurz- und mittelfristig durch die Kulturfabrik Altes E-Werk sowie das Marktplatzkarree realisiert werden. Das leerstehende alte E-Werk soll durch Umbauten als Kulturhalle genutzt werden. „Durch die Entwicklung des Alten E-Werks zum Veranstaltungsmittelpunkt gewinnt Eschwege ein Stück Kreisstadtzentralität zurück und kommt der Positionierung zwischen den Oberzentren Eisenach, Kassel und Göttingen als „kulturelles Mittelzentrum“ näher.“ (Ebd.: 148).
Das Marktplatzkarree ist ein Stadtumbauvorhaben, um vierzehn denkmalgeschützte Häuser im Einzeleigentum in zentraler Innenstadtlage am Marktplatz als Betreibergenossenschaft zusammenzuschließen, um eine Nutzungsmischung aus Wohnen für Ältere, Einzelhandel und Handwerk zu erreichen. Ziel ist eine modellhafte Bewältigung des Stadtumbaus durch Zusammenführung privater und öffentlicher Akteure. Mit dem integrierten Stadtumbaukonzept von 2007 hat sich die Stadtpolitik von Eschwege stärker strategisch ausgerichtet. Zu den Besonderheiten der lokalen Strategie zählt die Professionalisierung von leitenden Stellen in der Stadtverwaltung. Die Stadt Eschwege reagiert auf die vielfältigen Problemlagen nicht zuletzt sehr innovativ mit einer Strategie der Professionalisierung von Führungspositionen in der Stadtverwaltung. Die Besetzung leitender Funktionen durch qualifizierte Führungspersonen in den Bereichen Tourismus, Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung erfolgte mit dem Ziel, neue und kreative Lösungsansätze für die Probleme zu finden. Dies beinhaltet eine breitere Auffächerung von Themen und die Einführung neuer Themen, neue Methoden bei der Implementierung von Themen und die Überwindung der Passivität der Stadtpolitik, die herrschte, als Finanztransfers allein aufgrund von Strukturschwäche ohne eigenes Zutun in die kommunalen Haushalte der Stadt flossen. Die Professionalisierung von Führungspersonen betraf bisher die Ressorts Tourismus (seit 1988), Wirtschaftsförderung (seit 2004) und Stadtentwicklung (seit 2007). Herausge-
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hoben kann hier der Bereich Wirtschaftsförderung betrachtet werden, der neu als Ressort geschaffen wurde und in seiner Ausgestaltung deutliche inhaltliche und methodische Weichenstellungen für die Umgangsformen mit Peripherisierung beinhaltet. Der ehemalige Bürgermeister sagt dazu: „In dieser Situation können wir nicht nur die klassischen Register der Wirtschaftsförderung ziehen, sondern da muss noch ein bisschen was dazu kommen, dann brauchen wir da auch einen kreativen Kopf. Und dann kam die Idee mit der Stabsstelle, die eben jetzt nicht irgendwo in den Zwängen einer Dezernatsgliederung sich bewegen muss und dann haben wir die Stelle – da haben wir wirklich tief in die Tasche gefasst –, bundesweit ausgeschrieben, und so ist das dann gekommen. (...).“ (Interview ESW 12 19.1.2010). Der an der Einstellung beteiligte ehemalige Stadtkämmerer dazu: „(...) Herrn C., der ganz bewusst damals unter dem Aspekt Kreativität gesucht wurde und auch gefunden. Er ist also keiner, der irgendwo in einer Verwaltung groß geworden ist oder nur als Verwaltungsmann gearbeitet hat, sondern immer in irgendeiner Form auch schon in Kommunen kreativ gewesen ist und der sich von Anfang an sehr um Vernetzung und Netzwerke gekümmert hat wie Bündelung von Potenzialen, von Betrieben in Eschwege, die überhaupt erstmal lernen mussten, miteinander zu kommunizieren und dadurch Potenzial freisetzen.“ (Interview ESW 13 19.1.2010). Gleichzeitig beinhaltet die Professionalisierung von Führungspersonen für die Stadt Eschwege neue Umgangsformen mit den Folgen der Peripherisierung. Für die Stadtpolitik von Eschwege bis dahin ungenutzte Wege im Umgang mit Problemen wie der Bildung von Netzwerken, Ansätze interkommunaler Kooperation, Zielgruppenfokussierung, der aktiven Suche nach wirtschaftlichen Nischen abseits der Innovationsdynamik und einem reflektierten Problembewusstsein sind auf Impulse der neuen Führungspersonen zurückzuführen. Ebenso wurde das Themenspektrum beim Umgang mit Peripherisierung erweitert. So wurden als Reaktion auf nachlassende Impulse in Folge rückläufiger Innovationsdynamiken die Themen Kultur, Kunst, Sport und Tourismus entweder ganz neu eingeführt oder inhaltlich neu ausgerichtet.
8.4 D IE O HNMACHT
DER LOKALEN
AKTEURE
Auch wenn der Umgang der Stadtpolitik von Eschwege mit den Problemen der Peripherisierung durch mehrere kreative Köpfe, vielfältige Ideen und
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Aktivitäten sowie einer strategischen Ausrichtung der Stadtentwicklungspolitik geprägt ist, verweisen die Experten-Interviews immer wieder auf die hohen Abhängigkeiten der Stadt von Entscheidungen externer Akteure. Kennzeichnend für die peripherisierte Position von Eschwege sind dabei vor allem zwei verschiedenartige Abhängigkeiten: von staatlichen Transferleistungen und von privaten Unternehmenszentralen. Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen Die Stadtpolitik in Eschwege steht in einer Jahrzehnte alten Tradition der Abhängigkeit von staatlichen Fördermitteln. Bereits im Juni 1951 wurden der Landkreis Eschwege mit weiteren nordhessischen Gebieten durch den hessischen Landtag aufgrund großer Flüchtlingsströme, der starken Zerstörung der Infrastruktur und der hohen Arbeitslosigkeit zum Notstandsgebiet erklärt, in dem umfassende Sanierungs- und Förderprogramme anliefen. Damit wurden die bereits im ersten landesweiten Hessenplan formulierten Ziele der Integration von Flüchtlingen, Verbesserung der Infrastruktur und Förderung von Industrieansiedlungen ermöglicht. Mit dem Beginn der Zonenrandförderung 1971 wurden die staatlichen Fördermittelzuwendungen auf der Grundlage struktureller Defizite der Region im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe bis 1990 verstetigt. Zwischen 1971 und 1990 bestand die Zonenrandförderung des Landkreises Werra-Meißner und seiner Vorgängerlandkreise. Diese beinhaltete die Förderung aller Landkreise, die mit über 50 Prozent ihrer Fläche oder ihrer Bevölkerung nicht weiter als 40 km von der Zonengrenze entfernt lagen. Ziel war es, die Leistungskraft des Zonenrandgebietes zu stärken und die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die Wirtschafts- und Sozialstrukturen denen im gesamten Bundesgebiet anzupassen. Als eine der größten Städte im nordhessischen Zonenrandgebiet, profitierte die Stadt Eschwege deutlich von den staatlichen Finanztransfers. Im Zusammenhang mit der Zonenrandförderung stand auch das Investitionszulagengesetz von 1975. Darüber fand eine weitergehende Förderung des Landkreises über steuerfreie Zulagen für betriebliche, volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen im Zonenrandgebiet als Investitionsanreiz statt. Auch hiervon profitierte Eschwege deutlich. Bis zum Auslaufen der Zonenrandförderung flossen die Fördermittel von Bund und Land ohne Zutun der Stadt allein aufgrund der Lagenachteile. Die Abschaffung der Zonenrandförderung durch die Bundesregierung
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im Jahr 1990 wurde von der Stadtpolitik zunächst als „Schock“ und als Benachteiligung gegenüber den neuen Bundesländern wahrgenommen. Der damalige Bürgermeister dazu: „Ich war nach meinem Dienstantritt auch als Vertreter der kommunalen Spitzenverbände in den damaligen Zonenrandausschuss gewählt worden, und wir waren geradezu schockiert, dass nach der Grenzöffnung die Bonner Regierung nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Zonenrandförderung abzuschaffen und zwar ersatzlos. Und man hat den gesamten Mitteleinsatz und die gesamte Planung komplett auf die neuen Bundesländer konzentriert und dabei eben auch die Anpassungsprozesse, die der ehemalige Zonenrand auf westlicher Seite hatte, sträflich vernachlässigt. Das hat dazu geführt, dass dann hier eben zunächst diese Planungen nicht forciert worden sind, denn auch hier bestand ja dann ein Nachholbedarf im Sinne einer Anpassung an die neue Situation, und dann kam noch hinzu, dass man dieses steile Fördergefälle geschaffen hat.“ (Interview ESW 12 19.1.2010). Mit dem Ende der Zonenrandförderung und des kurzen Nachwendebooms wurde die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt zunehmend eingeschränkt. Eschwege blieb nur durch finanzielle Transferleistungen über staatliche Förderprogramme handlungsfähig. Der mit Ausnahme der Mittel durch die Gemeinschaftsaufgabe fehlende Automatismus der Zuwendungen zwang die Akteure der Stadtpolitik dazu, Fördermittel über Eigeninitiative zu akquirieren. Die Handlungsfähigkeit der Stadt Eschwege in Bezug auf freiwillige Leistungen beim Umgang mit Peripherisierung sehen die lokalen Akteure vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Haushaltslage der Stadt und deren prekärer Entwicklung in den letzten 15 bis 20 Jahren nur auf der Basis von Fördermitteln gewährleistet. Dazu stellt der frühere Bürgermeister fest: „Also ohne die Förderprogramme, die wir hier in Anspruch nehmen konnten, wäre vieles nicht möglich gewesen in den letzten Jahrzehnten.“ (Interview ESW 12 19.1.2010). Genauso die Leitungsebene des Stadtplanungsamtes: „Also wir sind schon immer durch viele Förderprogramme gefördert worden, (...) wir sind auch relativ umtriebig (...). Es ist natürlich so, dass das auch viel auf unseren Raum zutrifft und wir dann immer zu den dann ja doch Begünstigten gehören.“ (Interview ESW 03 3.11.2009). Diese Abhängigkeit wird von den Akteuren der Stadtpolitik kritisch reflektiert und auf die spezifische Geschichte und aktuelle Situation der Stadt bezogen. So wird im Stadtumbaukonzept von Eschwege selbstkritisch an-
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gemerkt: „Das Sammeln von Programmteilnahmen ist aber kein Selbstzweck. Vielmehr ist es eine Notwehrmaßnahme und ein notwendiger Instrumenteneinsatz zur Bewältigung der anstehenden Probleme.“ (Magistrat Eschwege 2007). Dadurch bildete sich ein persistentes lokalpolitisches Muster heraus, welches die strategische Handlungsfähigkeit der Stadt fast ausschließlich an staatliche Transfers koppelt. Verändert haben sich allerdings die Rahmenbedingungen der Transfers: bis 1990 wurden die Mittel der Zonenrandförderung allein aufgrund struktureller Defizite zugewiesen. Danach waren kreativ-fachliche Eigenleistungen im Zuge der Mittelbeantragung erforderlich. Da die meisten Anträge aus Eschwege in der Landeshauptstadt Wiesbaden bisher positiv beschieden wurden, besteht zwar eine finanzielle Abhängigkeit der Stadt, aber aus der Sicht der lokalen Akteure keine Benachteiligung durch landespolitische Entscheidungen. Denn die Akteure in Eschwege fühlen sich nicht von der Landespolitik in Hessen im Stich gelassen oder abgeschrieben. Der frühere Bürgermeister spricht von einem „offenen Ohr, das wir im hessischen Wirtschaftsministerium, bei welcher Regierung auch immer, gefunden haben“ (Interview ESW 12 19.01.2010). Auch ein Vertreter der Wirtschaftsförderung betont die guten persönlichen Kontakte in die Landeshauptstadt Wiesbaden, die für die Fördergelder erforderlich wären (Interview ESW 08 04.11.2009). Abhängigkeit von Unternehmenszentralen Eine wirtschaftliche Form der Abhängigkeit der Stadtpolitik besteht in der Ohnmacht gegenüber Entscheidungen von Konzernzentralen, welche über das Schicksal lokaler Unternehmen extern bestimmen. Dafür werden in den Interviews mehrere Beispiele genannt. Im Jahr 1991 wurde das inhabergeführte Pharmazieunternehmen Woelm, das in Eschwege viele hundert qualifizierte Arbeitsplätze angeboten hatte, von einem amerikanischen Konzern übernommen. Nach mehrmaligen Weiterverkäufen wurde die Produktion mithilfe von EU-Zuschüssen nach Spanien verlagert. In Eschwege wurde das Werk geschlossen. Der frühere Bürgermeister zur Rolle der Stadt in diesem Entscheidungsprozess: „Was soll ich denn machen wenn die Amerikaner beschließen, Woelm hier zuzumachen. Ich weiß noch, wir haben mit dem Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums, mit dem Landrat und meiner Wenigkeit, zusammen mit dem Manager der Amis da zusammenge-
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sessen, der war aber nur ein Verkünder. Wir würden gerne mit den Entscheidungsträgern darüber noch mal reden, zu jeder Zeit, an jedem Ort dieser Welt, wir setzen uns ins Flugzeug. Weder der hessische Wirtschaftsminister und schon gar nicht der Eschweger Bürgermeister sind zu den Entscheidungsträgern vorgelassen worden. Die haben gesagt, das ist entschieden, Zack. Und da hat man ein Gefühl der Ohnmacht, das ist unglaublich.“ (Interview ESW 12 19.01.2010). Da Eschwege sich als Einkaufsstadt für die ländliche Region profiliert hatte, war die Schließung des lokal rentabel wirtschaftenden Kaufhauses Karstadt/Hertie ein wichtiger Einschnitt in die Stadtentwicklung. Auch in diesem Fall wurde wieder eine Entscheidung in der Konzernzentrale völlig unabhängig von den lokalen Bedingungen und Akteuren getroffen. Der frühere Bürgermeister: „Wir hatten immer einen sehr, sehr engen und fast freundschaftlichen Kontakt zu den jeweiligen Karstadt-Geschäftsführern, die auch stolz waren, gemeinsam mit ihrem hoch motivierten Team immer zu den Besten in der Unternehmensgruppe zu gehören. Der Umsatz, bezogen auf den Quadratmeter Verkaufsfläche, da waren sie immer ganz oben an der Spitze und haben damit gezeigt, dass Eschwege wirklich auch das Potenzial hat, erfolgreich ein Kaufhaus betreiben zu können. Nun sind die auch ein Opfer der allgemeinen Kaufhauskrise geworden. Und dann wurde aus Karstadt Karstadt-Kompakt und dann hat man den alten Namen Hertie wieder ausgegraben und dann ist Hertie aus bekannten Gründen bundesweit geschlossen worden. Und das Ganze hat auch mit dem agieren bestimmter Finanzinvestoren zu tun, und dagegen ist man machtlos, und nun steht man da.“ (Interview ESW 12 19.1.2010). Die Abhängigkeit von Unternehmenszentralen ist in Eschwege teilweise das Ergebnis der Ansiedlung von Unternehmensfilialen. In der Tradition der Zonenrandförderung wurden einige „verlängerte Werkbänke“ angesiedelt, die keine eigene Entscheidungsautonomie haben. Schwerwiegender erscheint jedoch die Abhängigkeit, die sich aus dem Verkauf von lokal verwurzelten Familienunternehmen ergeben hat. Aufgrund von Nachfolgeproblemen oder Innovationsschwächen ging die Firmenleitung von lokal verwurzelten Unternehmern auf internationale Konzerne über, für die Eschwege im wahrsten Sinne nur eines ist: Peripherie.
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8.5 F AZIT Die Peripherisierung von Eschwege lässt sich als das Ergebnis einer doppelten Abhängigkeit beschreiben: einerseits von staatlichen Transferleistungen, andererseits von Konzernzentralen. Die Abhängigkeit von staatlichen Fördergeldern entsteht durch die kommunale Finanznot einer wirtschaftlich strukturschwachen und verschuldeten Kleinstadt. Nur durch Kredite und Transferzahlungen bleibt die Stadtpolitik finanziell handlungsfähig. Nur durch die Teilnahme an Förderprogrammen entstehen Spielräume für die Verwirklichung von kreativen Ideen und Projekten der Stadtentwicklung. Daran mangelt es in Eschwege nicht. Im Gegenteil, die Stadtpolitik zeichnet sich durch eine für Kleinstädte ungewöhnliche Strategie der Professionalisierung aus. Führungspositionen in der Stadtverwaltung wurden gezielt mit „kreativen Köpfen“ besetzt, ein integriertes Stadtentwicklungskonzept ist die Grundlage des strategischen Handelns lokaler Akteure. Dennoch entsteht der Eindruck einer gewissen Verzettelung der Akteure, da sich die kleine Stadt an einer großen Vielzahl verschiedener Themen, Programme und Modellvorhaben beteiligt. Diese Fördermittelabhängigkeit beschreiben die lokalen Akteure im Stadtumbaukonzept der Stadt selbst als eine „Notwehrmaßnahme“. Solange Eschwege nicht aus eigenen Ressourcen handlungsfähig ist, bleibt die Stadt also in der Rolle eines „FördermittelJunkies“. Da staatliche Fördermittel insbesondere aus dem Land Hessen bisher ausreichend in die Stadt fließen, kann nicht von einer Benachteiligung der Stadt durch Entscheidungen der Landespolitik gesprochen werden. Weil aber das Volumen staatlicher Förderprogramme in Zukunft voraussichtlich rückläufig sein wird und dadurch die Verteilungskonflikte zunehmen werden, könnte sich die politische Abhängigkeit der Stadt von staatlichen Transfers allerdings in Zukunft verschärfen. Die Finanznot der Stadt ist letztlich auch eine Folge der struktur- und innovationsschwachen Wirtschaft. Eine hohe Anzahl von Unternehmensinsolvenzen in den vergangenen vier Jahrzehnten, die Schließung von ortsansässigen Zweigwerken und die Übernahme von ehemaligen FamilienUnternehmen haben die Abhängigkeiten von den Entscheidungszentralen der produzierenden Wirtschaft deutlich verstärkt. Abhängigkeiten von Entscheidungszentralen im Einzelhandel werden an der Schließung eines großen Kaufhauses deutlich, das lokal rentabel gewirtschaftet hat. Um den weiteren Abstieg als Einkaufsstadt für ein weiteres Umland zu verhindern,
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sah sich die Stadt gezwungen, selbst kurzzeitig die Rolle eines Unternehmers zu übernehmen. Unter diesen strukturellen Bedingungen der Abhängigkeit haben es auch die aktivsten Macher und kreativsten Köpfe der Stadtpolitik schwer, eine Abwärtsspirale der Peripherisierung aufzuhalten und eine Deperipherisierung der Stadt einzuleiten. Besonders der frühere Bürgermeister beschreibt diese Abhängigkeiten eindrucksvoll mit dem Gefühl der „Ohnmacht“. Die Fallstudie Eschwege bestätigt damit die These, dass Peripherisierungsprozesse von Städten stark durch Machtlosigkeit und empfundene Abhängigkeitsbeziehungen entstehen. Allerdings besteht diese Abhängigkeit bisher weniger von den politischen Entscheidungszentren. Der Fall Eschwege zeigt, dass das Bundesland Hessen bisher seiner föderalen Verantwortung nachkommt und die peripherisierte Stadt nach den Möglichkeiten finanziell fördert. Die eigentliche Abhängigkeit von Eschwege besteht deshalb von den Entscheidungszentren internationaler Unternehmen. Diese entsteht jeweils dann, wenn sich Filialbetriebe ansiedeln oder einheimische Familienunternehmen an größere Konzerne verkauft werden.
9 Stigmatisierung: Wie Sangerhausen zur „Hauptstadt der Arbeitslosen“ wird
„Hauptstadt der Arbeitslosen“ – so wird die frühere Bergbaustadt Sangerhausen im Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt in vielen bundesdeutschen Medienberichten genannt. Damit wird der Stadt eine bundesweite Zentrumsfunktion zugeschrieben, allerdings mit dem negativen Merkmal der Arbeitslosigkeit. In den Medien wird dieses Merkmal benutzt, um ein allgemeines Bild des Niedergangs der Stadt zu beschreiben. Zu diesem Bild gehören arbeitslose Bergmänner an der Trinkbude, aber auch dumpfe Rechtsradikale, marode Plattenbauviertel und stillgelegte Abraumhalden. Das folgende Fallbeispiel beschäftigt sich mit Stigmatisierung als einer Form der Peripherisierung von Städten. Dabei geht es um die soziale Konstruktion von Wirklichkeit durch mediale Kommunikation. Stigmatisierung, so die Annahme, verstärkt bereits vorhandene strukturelle Benachteiligungen und Entwicklungshemmnisse von peripherisierten Städten, indem sie als Wahrnehmungs- und Deutungsfilter auf das Denken und Handeln der lokalen Akteure zurückwirkt (vgl. Steinführer/Kabisch 2007). Die Fallstudie Sangerhausen wurde durch das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (Bernt/Becker/Liebmann 2010) im Rahmen des Forschungsprojektes „Stadtkarrieren in peripherisierten Räumen“ durchgeführt. Empirische Basis bildeten 17 transkribierte Experteninterviews aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgerschaft sowie Dokumenten- und Literaturanalysen. Die im Folgenden verwendeten Originalzitate beziehen sich auf die Liste der anonymisierten Interviews am Ende der Fallstudie. Für die Stigmatisierungsforschung wurden zusätzlich Medienanalysen sowie ein fokussiertes Gruppengespräch mit fünf Experten in Sangerhausen
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am 16. Juni 2011 durchgeführt. Teile der folgenden Fallstudie wurden bereits in englischer Sprache publiziert (Bürk/Kühn/Sommer 2012).
9.1 D ER AUF - UND ABSTIEG DER B ERGARBEITERSTADT Sangerhausen, Kreisstadt des Landkreises Mansfeld-Südharz mit heute rund 30.000 Einwohnern, blickt auf eine achthundertjährige Geschichte einer Bergarbeiterstadt zurück. Sangerhausen war vor der deutschen Wiedervereinigung eine prosperierende Industriestadt. Auf der Basis des Kupferschieferbergbaus erfuhr die Region Mansfeld nach 1945 ein anhaltendes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Die Einwohnerzahl der Stadt verdoppelte sich im Zeitraum von den frühen 1950er bis Mitte der 1980er Jahre. In der DDR-Zeit wurde die Stadt als Teil des Mansfeld-Kombinats zu einem Zentrum des Kupferbergbaus. Durch den Zuzug von Bergarbeitern wuchs die Bevölkerung der Stadt bis in die 1980er Jahre hinein. Ein Stadtpolitiker: „Ich kann mich als Kind gut daran erinnern, dass hier die ganze Stadt eigentlich über das Bergwerk gesteuert wurde. Das war das Kombinat, da hatten Tausende ihre Arbeitsplätze, da hingen die Familien dran. Sangerhausen war also quasi nach 1945 erstmal eine aufblühende Stadt, 1952 ist der Schacht geteuft worden und dann ist Sangerhausen gewachsen bis auf 33.000 Einwohner“ (Interview SGH 05 26.1.2010). Die Bergarbeiter hatten in der DDR ein hohes soziales Prestige und einen ausgeprägten Berufsstolz und waren entsprechend privilegiert. In dem Gruppengespräch verweist ein Stadtpolitiker auf den damaligen Ausspruch: „Ich bin Bergmann, wer ist mehr?“. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar war, dass der Bergbau in der Region keine Zukunft haben wird und erste Schritte zu einer Umstrukturierung der Wirtschaftsstruktur eingeleitet worden waren, führte die politische Wende 1989 doch zu einem beschleunigten und in seiner Radikalität auch für ostdeutsche Regionen besonders massiven Strukturbruch. Die tragende wirtschaftliche Basis von Stadt und Region wurde abrupt geschlossen. In Folge dieser rasanten Deindustrialisierung kehrten vor allem qualifizierte Arbeitskräfte und junge Menschen nach dem Schulabschluss der Stadt den Rücken. Allein in den ersten 15 Jahren nach der Wende sank die Bevölkerungszahl so um 28 Prozent. Trotzdem liegt die Arbeitslosigkeit mit 24,3 Prozent (2008) nach wie vor
S TIGMATISIERUNG : S ANGERHAUSEN – „H AUPTSTADT
DER
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deutlich über dem Landes- und Bundesdurchschnitt. Auslöser für diese Stigmatisierung ist ein statistischer Spitzenwert in der Arbeitslosenquote, den die Stadt durch die vollständige und abrupte Stilllegung des Kupferbergbaus nach der Wende zeitweise aufwies. Dies brachte der Stadt bereits in den 1990er Jahren in überlokalen Medien ein bis heute immer wieder aufgegriffenes Stigma als „Hauptstadt der Arbeitslosen“ ein. Tab. 6: Indikatoren der Peripherisierung von Sangerhausen (in %) 1990
1997
2002
2007
2012
Sangerhausen
100
89,2
80,9
74,3
67,3
Sachsen-Anhalt
100
94,0
88,7
83,9
78,6
Bund
100
102,9
103,5
103,1
101
Sangerhausen
100
76,8
75,2
77,6
LK Mansfeld-Südharz
100
82,7
74,1
76,5
Sachsen-Anhalt
100
86,9
81,3
83,9
Bund
100
101,1
98,4
106,0
Bevölkerung
SV-Beschäftigte am Arbeitsort
Quelle: BBSR 2015, eigene Berechnungen
9.2 D IE „H AUPTSTADT
DER
ARBEITSLOSEN “
Stigmata sind Zuschreibungen von negativen Merkmalen auf Personen oder Gruppen, die von der Mehrheit abweichen und die damit in eine randständige Position zur Gesellschaft geraten (Hohmeier 1975). Stigmata unterscheiden sich von negativen Images dadurch, dass mit den Prozessen der Stigmatisierung eine soziale Diskriminierung und Marginalisierung der Betroffenen einhergeht (Wacquant 1993, 2007). Die Stadt Sangerhausen stand seit den frühen 1990er Jahren regelmäßig im Fokus von Medienberichten überregionaler Zeitschriften und vereinzelt auch von Filmbeiträgen. Vor diesem Hintergrund wurde eine inhalts- und medienanalytische Untersu-
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chung durchgeführt, um eine Stigmatisierungsanalyse von Sangerhausen zu erstellen. Grundlage der Auswertung bilden zwölf Beiträge mehrheitlich überregionaler Zeitungen und Zeitschriften (Die Zeit, Focus, Der Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, SUPERillu, Der Tagesspiegel, Berliner Morgenpost, Frankfurter Rundschau) und ein ZDFFernsehbeitrag aus dem Zeitraum zwischen 1992 und 2010. In einem Beitrag der Wochenzeitung „Die Zeit“ wird Sangerhausen bereits in den frühen 1990er Jahren mit zentralen Zuschreibungen einer lokalen Stigmatisierung ausgestattet (Dieckmann 1992). Vorgestellt wird eine Stadt, die sich wie alle ostdeutschen Städte seit der Wiedervereinigung im Wandel befinde. Allerdings wird hier die historische Bruchstelle der Wende auch zur Zäsur der jahrhundertealten Geschichte der Stadt des Bergbaus, in der „das Alte abhandengekommen und das Neue noch nicht da“ ist. Die Zukunftsperspektiven der Stadt seien vor allem vom Niedergang der einstmals „stolzen“, in der DDR privilegierten Bergarbeiterschaft und der steigenden Arbeitslosenzahlen geprägt. Dies münde in der drohenden Gefahr der Radikalisierung der bereits lokal verorteten neonazistischen Rechten (Dieckmann 1992: 6). Deren Parolen gelten auch als Stigmata der Beweisführung in einem sechs Jahre später ebenfalls in dieser Wochenzeitschrift erschienenen Beitrag (Mehr 1998). Hier wird unter der zum ersten Mal in bundesdeutschen Medien verwendeten Zuschreibung auf Sangerhausen als „Hauptstadt der europäischen Arbeitslosigkeit“ – unter Bezug auf eine französische Wochenzeitung – das dann zukünftig immer wieder aufgerufene Szenario noch einmal narrativ und bildlich fest verschnürt: Hohe Stimmenanteile für eine rechtsradikale Partei werden mit der „deutschen Misere“ des allgemeinen ökonomischen Niederganges in Ostdeutschland mit lokalen Szenen leer stehender „Plattenbauten“, „Schuldnerberatung“ und dem „schmutzigen Graubraun“ einer ehemaligen Industrieregion im Bild der Abraumhalde aufgeladen (Mehr 1998). Auch ein Beitrag im Wochenmagazin „Focus” im Herbst desselben Jahres bemüht die europäische Vergleichsperspektive des „Mezzogiorno des Ostens“ mit den düsteren Zukunftsaussichten einer ehemals von privilegierten Bergleuten geprägten Stadt und dem ökonomisch „gebrochenen Genick“ einer ganzen Region (Horstkötter/Sauga/Schumacher et al. 1998: 250 ff.). Weitere Beiträge der späten 1990er Jahre betonen die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und den selbst nach dem Bau der Bundesautobahn A 38 nicht erfolgten Aufschwung (z. B. Smoltczyk 1999). Im Wochenmagazin Spiegel wird im Jahr 2004
S TIGMATISIERUNG : S ANGERHAUSEN – „H AUPTSTADT
DER
A RBEITSLOSEN “ | 123
ebenfalls das Bild „Sangerhausen – Hauptstadt der Arbeitslosen, immer wieder, immer noch“ (Der Spiegel 47/2004) beschrieben. Illustriert wird dies Bild durch Trinker vor dem Bahnhofskiosk. Die überregionalen Medien bedienen sich bevorzugt der Figur der arbeitslosen Trinker am Kiosk als Referenzpersonen. Diese Figur symbolisiert nicht nur den verlorenen Stolz und das geschwächte Selbstbewusstsein, sondern auch die geschwächte Handlungsfähigkeit der Betroffenen. Auch wenn aus der lokalen Perspektive aus heutiger Sicht die Bergarbeiter in den Jahren nach der Schließung der Gruben eher zu den sozial über Betriebsrenten besser abgesicherten Gruppen gehören, wurde das Bild des arbeitslosen Bergmannes als Leitikone des Stigmatisierungsdiskurses aufgegriffen. Auch die ab dem Jahr 2006 erschienenen Beiträge, beispielsweise in der Zeitschrift „SUPERillu”, folgen weiterhin dem alten Muster der „Heimat in Not“, einer von Abwanderung, niedrigen Geburtenraten, unsanierten Häusern und Plattenbauten gekennzeichneten Lage und der Prognose „Der Ort stirbt“ (o.V. 2006). Auf der „Landkarte der Arbeitslosigkeit“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung” hat im Jahr 2007 Sangerhausen die schlechteste Bilanz im gesamten Bundesgebiet (o.V. 2007a). Unter dem Motto „Schicht im Schacht“ wird fast 20 Jahre nach Stilllegung der Zechen im Mansfelder Land noch von der „weggebrochenen“ Bergbauindustrie gesprochen und deren Folgen in Abwanderung und niedrigen Mieten verortet (o.V. 2008a). Die nun zunehmend in Tageszeitungen erschienenen Beiträge verfolgen immer dasselbe Muster: „6.000 im Bergbau beschäftigt, nach der Wende Zeche geschlossen, Arbeitslosigkeit liegt bei 19 Prozent, viele junge Leute gehen“ (Eubel 2008). Die Kontinuität der Krise in Sangerhausen, die Betonung, dass sich hier seit der Wende „nicht viel verändert habe“, wird im Zeitungsbeitrag zu einer „Reise durch ein seltsames Land“ (Keseling 2009). Im Jahr 2010 wird wieder über Sangerhausen im Modus der „Hauptstadt der Arbeitslosen“ berichtet. Für lokales Aufsehen sorgt vor allem ein Beitrag im ZDFWirtschaftsmagazin WISO im Januar 2010. Unter dem Titel „Armes Sangerhausen – Höchste Arbeitslosenquote in Deutschland und kaum Perspektiven“ wird dort ein etwa fünf Minuten langer Bericht zur Lage in der Stadt Sangerhausen ausgestrahlt. In der Anmoderation wird diese Stadt wie folgt vorgestellt: „In Sangerhausen im Südharz steht jahrzehntelang der Kupferbergbau für den Wohlstand der ganzen Region. Nach der Wiedervereinigung aber kommt das Aus für die Zeche, Massenentlassungen folgen“. Il-
124 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
lustriert werden diese ersten Sequenzen des Beitrags mit einer Kamerafahrt entlang einer Großwohnsiedlung, einzelnen Bildern der Förderanlagen, des Schachtgeländes sowie technischer Geräte aus der Bergbaugeschichte (ZDF 2010). Dem überregionalen, meist negativen Stadtdiskurs zu Sangerhausen steht die Wahrnehmung und Rezeption auf der regionalen und lokalen Ebene gegenüber. Selbst bei Unterschieden in der Vollständigkeit bei digitalisierten Zeitungsartikeln kann zur Rezeption der regionalen und lokalen Medien („Neue Nordhäuser Zeitung“ und „Mitteldeutsche Zeitung“) folgendes festgestellt werden: Ein auch nur annähernd ähnliches negatives Bild zu Stadt und Stadtentwicklung lässt sich in der lokalen und regionalen Berichterstattung nicht auffinden. Lediglich am Rande erwähnen Beiträge der Blätter das überregional kommunizierte Stigmatisierungsszenario Sangerhausens.
9.3 S TADTPOLITIK IM U MGANG P ERIPHERISIERUNG
MIT
Wie können die lokalen Akteure der Stadtpolitik mit dieser Form der Stigmatisierung umgehen? Was können sie gegen diese negativen Medienberichte tun? Nach Goffman existieren fünf Umgangsformen mit Stigmatisierungsprozessen: die Anpassung an die Norm, die Strategie der Gegenbeweise, die Erzeugung von Mitleidseffekten, die Abkehr von der Norm und die Abwehr (Goffman 1992: 18 f.). Sie können in der Realität in weniger deutlichen Formen und in Überschneidungen oder Kopplungen auftreten. Auch spielen die jeweils vorliegenden und eingesetzten Stigmata, deren Faktizität und Deutung eine zentrale Rolle für die Umgangsformen mit Stigmatisierungen. In Sangerhausen ist der lokale Umgang mit der Stigmatisierung stark durch Reaktionen der trotzigen Abwehr und des passiven Erduldens der negativen Zuschreibungen gekennzeichnet. Ein Stadtpolitiker antwortet auf die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten gegen die Stigmatisierung als „Hauptstadt der Arbeitslosen“: „Sie brauchen nicht gegen diese Sachen ankämpfen, das schaffen sie sowieso nicht. Sie brauchen auch nicht versuchen, was richtig zu stellen. Sie müssen einfach konsequent ihren Weg nach vorn weitergehen. Was stört mich das Geschwätz was gestern in der
S TIGMATISIERUNG : S ANGERHAUSEN – „H AUPTSTADT
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Zeitung stand, ich muss sehen, dass ich bessere Schlagzeilen produziere, indem ich wirklich was erreiche. Richtigstellungen, Diskussionen mit Journalisten an der Stelle bringen meines Erachtens wenig. Das ist die Erfahrung, die ich jetzt einfach habe“ (Interview SGH 05, 26.01.2010). Im Gruppengespräch betonen andere Vertreter der Stadtpolitik die „Resistenz“, welche diese mittlerweile gegen die Medienberichte entwickelt haben. Die Akteure in der Stadt zeigen zudem Ansätze einer Abkehr von der Norm durch Formen der Selbststigmatisierung. Eine Selbststigmatisierung kommt beispielsweise in der Medien-Kampagne „Sangerhausen – na und?“ zum Ausdruck. Hier wurden mit Billigung der Stadtpolitik durch einen Grafiker Plakate und Postkarten veröffentlicht, welche die Peripherisierung der Stadt mit einem selbstironischen „Na und?“ thematisieren (z. B. „Am A… der Welt? Na und!“ „Scheiß Rosen? Na und!“, „Bergarbeiter? Na und!“). Im Gruppengespräch verweisen Stadtpolitiker darüber hinaus auf die Beiträge eines aus Sangerhausen abgewanderten Kabarettisten, der die Tristesse, den Niedergang und die „Entvölkerung“ seiner Heimatstadt ironisch thematisiert. Natürlich gibt es in Sangerhausen auch Versuche, ein positives Image zu kreieren. Die Stadtverwaltung beschreibt und bewirbt ihre Stadt heute öffentlich als „Berg- und Rosenstadt“. Dieser Slogan stellt einen Kompromiss zwischen alter und neuer Identität dar. Der frühere Bürgermeister dazu: „Sie müssen auf jeden Fall zurzeit immer noch sagen, wir sind auch Bergstadt. Ich sag es mal so mit einem leichten Lächeln. Wir benutzen das auch, wobei Tourismuswissenschaftler sagen, das ist Quatsch, zwei solcher Wertebegriffe einzubringen: Bergstadt, Rosenstadt. Mit der Bergstadt können wir historisch arbeiten oder mit dem Denkmal, was wir haben. Aber eigentlich ist der Bergbau als solcher erledigt. Aber natürlich ist die Anzahl der Bergleute, sei es dass sie im Rentenalter sind oder in anderen Berufen arbeiten, sich aber immer noch als Bergleute fühlen, noch groß. Und das heißt also, es ist auch eine emotionale Bindung mit dem Bergbau hier vorhanden, in Familien vorhanden. Und insofern ist die Geschichte, ich sage bewusst noch mal, über 800 Jahre Bergbau hier in dem Mansfelder Revier, nicht wegzudenken“ (Interview SGH 02, 26.01.2010). Von der einstigen „Bergstadt“ zeugen heute nur noch ein Museum der Bergbaugeschichte sowie eine große Abraumhalde am Rande der Stadt. Die „Rosenstadt“ bezieht sich auf das „Rosarium”, das in den letzten Jahrzehnten zur größten Rosensammlung der Welt ausgebaut wurde. Heute kommen
126 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
jährlich viele Rosenliebhaber als Besucher und Touristen nach Sangerhausen. Für die Stadtpolitik bietet dies einen wichtigen Identifikationsanker. Das Rosarium wird von den lokalen Akteuren auch für eine „Strategie der Gegenbeweise“ genutzt: „Es ist das bedeutendste Rosarium der Welt, wenn man so will. Das ist nicht nur so daher gesagt. Wir sind die Genbank Rose der Bundesrepublik. Die Anerkennung haben wir voriges Jahr erst bekommen.“ (Interview SGH 02 26.1.2010). Der Peripherisierung der Stadt wird hier mit einer Zuschreibung als Zentrum, und zwar weltweit, widersprochen. Da die „Rosenstadt“ jedoch nur eine überwiegend ältere Zielgruppe der Rosenliebhaber anspricht, werden damit kaum Identifikationsangebote für jüngere Bevölkerungsgruppen geschaffen. Befragt nach der Herausbildung einer neuen positiven Identität in Sangerhausen sagt ein Stadtpolitiker im Gruppengespräch: „Die Rose ist es nicht, der Berg ist es auch nicht.“ (…) Dies zeigt, dass alte wie neue Deutungen bisher nicht ausreichen, um die Identitätskrise zu bewältigen.
9.4 F AZIT Stigmatisierungen entstehen durch Zuschreibungen von einzelnen negativen Merkmalen in medialen Diskursen auf konkrete Orte, die zu einem pauschal negativen Bild von der Stadt verallgemeinert werden. Stigmata unterscheiden sich von negativen Images dadurch, dass mit den Prozessen der Stigmatisierung eine soziale Diskriminierung und Marginalisierung der Betroffenen einhergeht. Durch die Zuschreibung negativer Eigenschaften wird ein Stigma zu einem verallgemeinerten Merkmal, das die randständige Stellung einer Gruppe bzw. Stadt in der Gesellschaft maßgeblich bestimmt. Stigmatisierte sind deshalb besonders solche soziale Gruppen bzw. Orte, die über wenig gesellschaftliche Deutungsmacht verfügen und damit nur einen verminderten Zugang zu gesellschaftlichen Positionen haben oder sogar von diesen ausgeschlossen werden. Die Stigmatisierer sind wiederum die Redakteure in den Medien, welche ein Interesse an der Skandalisierung von Abweichungen haben und damit die Verlierer einer Entwicklung noch zusätzlich blamieren. Durch ihre Deutungsmacht übernehmen die Medien die Rolle des gesellschaftlichen Zentrums (vgl. Bürk/Beisswenger 2013: 144).
S TIGMATISIERUNG : S ANGERHAUSEN – „H AUPTSTADT
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In Sangerhausen wurde die Zuschreibung „Hauptstadt der Arbeitslosigkeit“ dominant. Dabei gingen die Redakteure in den Medien, die Akteure der Stigmatisierung, von einer sozialen Normabweichung aus. Ein Mittel, um solche Normen festzustellen, sind Statistiken. So wurde die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenrate im Fall von Sangerhausen zum Gegenstand der Stigmatisierung durch die überregionalen Medien. Obwohl sich stigmatisierende Medienberichte im Kern auf die Betroffenen des Strukturwandels beziehen, pauschalieren sie den „schlechten Ruf“ einer ganzen Stadt und erschweren so eine differenziertere Wahrnehmung. Stigmatisierung lässt sich damit als eine Form der „Peripherisierung in den Köpfen“ verstehen. Stigmata sind Ursache und Folge von sozialräumlicher Peripherisierung. Sie können Abwanderungen, Abkopplungen und Abhängigkeiten verstärken. Medienberichte Dieckmann, C. (1992): Eine Stadt wartet auf das Wunder, in: Die Zeit vom 29. Mai 1992, Seite 6. Eubel, C. (2008): Die Linke im Aufwind – Alte Länder, neue Sitten, in: Der Tagesspiegel vom 1. März 2008. Horstkötter, D.; Sauga, M.; Schumacher, C.; Schwartz, S.; Wendt, A. (1998): Leerlauf im Osten, in: Focus Magazin vom 2. März 1998, Seiten 250-257. Keseling, U. (2009): Reise durch ein seltsames Land, in: Berliner Morgenpost vom 21. Juni 2009. Mehr, T. (1998): Die Hauptstadt der Arbeitslosen, in: Die Zeit Online vom 20. Mai 1998. o.V. (2006): Heimat in Not – was tun? in: SUPERillu vom 29. März 2006. o.V. (2007a): Die Landkarte der Arbeitslosigkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Januar 2007. o.V. (2007b): München top, Bremen flop, in: Süddeutsche Zeitung vom 27. November 2007. o.V. (2008a): Erwerbslosenquote: Freising schlägt Sangerhausen, in: Focus 1/2008. Quelle: http://www.focus.de/finanzen/news/arbeitsmarkt/ arbeitslosigkeit/erwerbslosenquote_aid_235863.html Smoltczyk, A. (1999): Leben in der Kiste, in: Spiegel Spezial 5/1999, Seiten 142-147.
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ZDF (2010): Armes Sangerhausen. Höchste Arbeitslosenquote in Deutschland und kaum Perspektiven, in: ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO am 11. Januar 2010.
10 Vergleichende Auswertung
Welche Lehren lassen sich aus dem Vergleich der Fallstudien zur Peripherisierung von Städten ziehen? Sicher sind die ehemalige Millionenmetropole Detroit in den USA und die Klein- und Mittelstädte Pirmasens, Eschwege und Sangerhausen in Deutschland in vielerlei Hinsicht schwer zu vergleichen. Nicht nur die Stadtgröße und städtebauliche Struktur sind höchst unterschiedlich, sondern auch die Sozialstruktur der Bewohner, die Zeiträume des Auf- und Abstiegs der Städte sowie der gesellschaftliche Kontext, in denen die lokalen Akteure der Planungspolitik agieren. Da die USStädte als öffentliche Kommunen in viel stärkerem Maße auf sich gestellt sind, wird durch diesen Kontrast die starke Einbettung der deutschen Städte in die staatliche Mehrebenen-Politik viel deutlicher. Vergleichbar sind die Städte hinsichtlich ihrer Wirtschaftsstruktur. Zumindest bei Detroit, Pirmasens und Sangerhausen handelt es sich um ehemals monostrukturierte und spezialisierte Industriestädte, die durch die Krise der tragenden Auto-, Schuh- und Bergbauindustrie einen grundlegenden Funktionsverlust erfahren haben, der zu einem Abstieg der gesamten Stadt geführt hat. Nur Eschwege wies nach dem Zweiten Weltkrieg eine stärker diversifizierte Wirtschaftsstruktur auf, jedoch in innovationsschwachen Branchen wie der Textil- und Lederindustrie, die ebenfalls durch die Globalisierung weitgehend verdrängt wurden. Aus den drei dargestellten Fällen aus Deutschland können natürlich keine verallgemeinerbaren Ergebnisse abgeleitet werden. Damit werden nur Schlaglichter auf die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen und Sachsen-Anhalt geworfen. Die Ergebnisse von weiteren Fallstudien wie Völklingen, Eisleben, Osterrode und Stendal (Bernt/Liebmann 2013; Kühn/Weck 2012; Weck/Beisswenger 2014; Kühn/Milstrey 2015) verbreitern jedoch die empirische Basis auf die Bundesländer Saarland und
130 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
Niedersachsen und stärken die Absicherung der hier gewonnenen Erkenntnisse. Aus einem Quervergleich der Fallstudien lassen sich deshalb einige interessante und neue Erkenntnisse für die Peripherisierungsforschung ziehen und daraus Schlussfolgerungen ableiten. Dabei gehen wir nach den in Kapitel 5 gestellten Leifragen vor.
10.1 P ROZESSE
DES
AUFSTIEGS
VON
S TÄDTEN
Die Fallbeispiele zeigen, dass der historische Aufstieg der Städte im Kern auf der Basis einer Zentralisierung von Wirtschaftsfunktionen und Unternehmenszentralen erfolgte. Die in den Industrien entstandenen Arbeitsplätze lockten Zuwanderer an, die zu einem Wachstum der Einwohnerzahlen und zu einer städtebaulichen Konzentration geführt haben. Der Sprung von der Stadt zur Metropole entsteht, wenn sich wichtige Steuerungs- und Kontrollfunktionen lokal konzentrieren. In allen Fällen sind dabei weniger die administrativen Funktionen als Hauptstädte oder die verkehrlichen Funktionen als Knotenpunkte, sondern wirtschaftliche Funktionen als Headquarter von Unternehmen von Bedeutung für die Aufstiegsprozesse von Städten. In Detroit war dies der Aufstieg zur „Motor City“ seit den 1920er Jahren auf der Basis der weltweit größten Konzentration der Automobilindustrie und der Headquarter von Ford, General Motors und Chrysler. Detroit wuchs durch diese Konzentration zu einer Millionenstadt und wurde eine weltweite „Autometropole“. Zu einer eher nationalen „Metropole“ entwickelte sich Pirmasens auf der Basis der örtlichen Schuhindustrie. „Der Schuh, der hat uns groß gemacht“ heißt es auf dem Schuhmacherbrunnen in der Fußgängerzone. Die Stadt entwickelte sich auf der Basis vieler familiengeführter Schuhfabriken im Laufe des 20. Jahrhunderts zur „deutschen Schuhmetropole“, die durch internationale Messen auch weit über den nationalen Maßstab hinaus ausstrahlte. Die damalige Macht der oft reichen Fabrikbesitzer kommt in der ortsüblichen Bezeichnung als „Schuhbarone“ zum Ausdruck. Von einem „Aufstieg“ der Stadt in der Nachkriegszeit kann im Fall von Eschwege eigentlich gar nicht gesprochen werden. Die nordhessische Fachwerkstadt wurde durch die deutsche Teilung vielmehr zu einem peripher gelegenen Zentrum im Zonenrandgebiet. Eine Stärkung erfuhr Eschwege allerdings durch die administrative Funktion als Kreisstadt im Rahmen einer staatlichen Kreisgebietsreform sowie durch ihre Funktion als Einkaufs-
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stadt für den Landkreis. Nicht zuletzt durch staatliche Fördergelder siedelten sich einige Unternehmen meist als Filialbetriebe an, während immer mehr lokal verwurzelte Familienbetriebe aufgaben oder übernommen wurden. Eschwege ist damit in der Phase der westdeutschen Nachkriegszeit durch einen Verlust von privatwirtschaftlichen Steuerungsfunktionen gekennzeichnet, der durch staatliche Ausgleichsmaßnahmen nicht dauerhaft kompensiert werden konnte. Sangerhausen im „roten“ Eichsfeld blickt auf eine lange Geschichte als Bergbaustadt zurück, die während der DDR-Zeit als Teil des Mansfeld-Kombinats zu einem Zentrum des ostdeutschen Kupferbergbaus aufstieg. Das eigentliche Entscheidungs- und Kontrollzentrum der Stadt war das staatliche Kombinat, worüber viele Belange der Stadt gesteuert wurden.
10.2 P ROZESSE
DES
ABSTIEGS
VON
S TÄDTEN
Der Abstieg der Städte durch Funktionsverluste und Schrumpfungsprozesse hängt eng mit einem Prozess zusammen: dem der Deindustrialisierung. Darunter wird allgemein der Bedeutungsverlust der industriellen Produktion im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft und der Verlagerung in die Billiglohnländer infolge der Globalisierung verstanden. Deindustrialisierung heißt nicht, dass ganze Industrien verschwinden, aber dass der Anteil an der Wertschöpfung und Beschäftigung gegenüber anderen Bereichen wie den unternehmensbezogenen Dienstleistungen deutlich schrumpft. Es liegt auf der Hand, dass besonders der Typ der Industriestädte von diesem Prozess betroffen ist. Der Abbau von Arbeitsplätzen und die Schließung von Industriewerken führen zu Abwanderungen, die wiederum eine wesentliche Ursache für die demografische Schrumpfung dieser Städte sind. Die Deindustrialisierung führt auch zu einer ökonomischen Abkopplung, da gering qualifizierte Arbeitskräfte in den Industrien die Sozialstruktur der Städte prägen und einen postindustriellen Strukturwandel hin zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft erschweren. Der Fall Pirmasens ist unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Abkopplung durchaus mit Detroit vergleichbar. Hier war als lokale Ökonomie die Schuhindustrie prägend, die gering qualifizierten Arbeitsplätze in den Fabriken sind der Globalisierung zum Opfer gefallen. Die Schuhproduktion findet heute in den Billiglohnländern der Welt statt. Ganz
132 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
anders der Fall Sangerhausen. In diesem staatlich gesteuerten Kombinat kam es mit der deutschen Wiedervereinigung durch politische Entscheidungen zu einem radikalen Strukturbruch. Der Kupferbergbau wurde vollständig geschlossen, das Kombinat entmachtet, die Bergarbeiter verloren als Arbeitslose ihre frühere soziale Stellung. Die Deindustrialisierung leitete den Abstieg der Stadt nach der Wende ein: Abwanderungen und vor allem die hohe Arbeitslosigkeit führten in der Folge zu einer Stigmatisierung als „Hauptstadt der Arbeitslosen“. Die Deindustrialisierung ist damit eine gemeinsame Ursache für den Funktions- und Bedeutungsverlust von Groß- und Mittelstädten. Eine zweite Ursache ist dagegen ein Spezifikum von Großstädten: die Suburbanisierung. Die Abwanderung der Bewohner in das suburbane Umland schwächt die zentralörtliche Funktion der Großstädte als Wohnstandorte ungleich mehr als die der Klein- und Mittelstädte. Der Fall Detroit ist ein Extrembeispiel für die Abwanderung von mehr als einer Million Einwohnern über mehrere Jahrzehnte und in mehreren Schüben. Dabei wanderten zunächst die weißen Mittelschichten, später auch die schwarzen Mittelschichten ab. Betrachtet man sich die Strukturindikatoren der Metropolitan Area von Detroit, dann kann von einer Peripherisierung der Stadtregion gar nicht die Rede sein. Das Verhältnis zwischen der Kernstadt und den Suburbs hat sich durch die Suburbanisierung in dieser Stadtregion einfach umgekehrt. Die Suburbs entwickelten sich zu postsuburbanen Zentren des Arbeitens, Einkaufens und Wohnens, während die Kernstadt in einem für europäische Verhältnisse unvorstellbaren Ausmaß peripherisiert wurde. Detroit hat seine zentralen Funktionen als Arbeits- und Wohnort weitgehend verloren, zurück bleiben die armen Afroamerikaner sowie leerstehende Hochhäuser, Wohngebäude und Brachflächen. Die Radikalität der Suburbanisierung in der Metropolregion Detroit ist nur durch einen spezifischen US-amerikanischen Faktor zu erklären: den Rassismus der Akteure als Triebkraft für die enorme soziale Segregation. Segregation ist ein Faktor, der in den deutschen Klein- und Mittelstädten aufgrund der geringen sozialen Differenzierung nur eine untergeordnete Rolle spielt, auch wenn es hier einige Anzeichen dafür gibt, dass besserverdienende und höherqualifizierte Bewohner die alten Stadtkerne verlassen und sozial benachteiligte Schichten zurückbleiben.
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10.3 E INE ABWÄRTSSPIRALE
DES
N IEDERGANGS ?
Viele wissenschaftlichen Studien und Berichte in der Presse zeichnen oft ein sehr schwarzmalerisches Bild von der Zukunft der peripherisierten Städte. Oft wird deren Hoffnungslosigkeit beschworen und sogar der „Untergang“ oder das Sterben der Städte prophezeit. Auch amtliche Bevölkerungsprognosen in Deutschland bestärken oftmals ein pessimistisches Bild, in dem sie bestehende Trends der demografischen Schrumpfung und Abwanderung in die weitere Zukunft langfristig fortschreiben. Im Nachhinein zeigt sich jedoch oft, dass unerwartete Trendwenden oder Zuwanderungen auftreten können und die Prognosen zu eindimensional und deterministisch angelegt waren. Die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa ist dafür ein Beispiel. Nach den Polarisierungstheorien (Kapitel 4.3) sind die Wachstumsprozesse in den Zentren durch die interregionale Mobilität von Menschen, Gütern und Kapital mit Schrumpfungsprozessen in den Peripherien verknüpft. Die Zentrum-Peripherie-Theorie von Friedmann (Kapitel 4.4) unterstellt selbst verstärkende Effekte, welche eine Abwärtsspirale in Gang setzen können. Inwieweit treffen diese Theorien einer „Abwärtsspirale“ des Niedergangs in den untersuchten Städten zu? Dass es sich selbst verstärkende Effekte aus Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung gibt, ist in der Forschung relativ unstrittig und konnte auch in den Fallstudien belegt werden. So verstärkt die selektive Abwanderung von jüngeren und gut gebildeten Menschen die Qualifikationsdefizite und Alterung der verbleibenden Wohnbevölkerung in den Städten. Die Dequalifizierung der Residualbevölkerung wiederum schwächt die Chancen für die Entwicklung innovativer Unternehmen und verstärkt die Abkopplung der Städte von der Wissensgesellschaft. Eine wirtschaftliche Abkopplung entsteht durch Innovationsschwäche. Dann bleiben Investitionen aus, Angebote oder Produkte veralten und sind auf den Märkten nicht mehr konkurrenzfähig. So entsprechen viele touristische Angebote in den Klein- und Mittelstädten von Pirmasens, Eschwege und Sangerhausen nicht mehr den heutigen Ansprüchen und Standards. Wenn die Bevölkerung schrumpft, zentralörtliche Funktionen verloren gehen und Immobilien leer stehen, dann erhöht sich auch der Druck zur Schließung von nicht ausgelasteten Infrastrukturen. Auch dies verstärkt die infrastrukturelle Abkopplung der Städte. Die Schließung des Michigan Theatre in Detroit 1967 ist nur ein städtebauliches Symbol für den Niedergang des
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einstigen pulsierenden Vergnügungsviertels der Stadt. Auch der Eisenbahnverkehr in der Autometropole wurde auf Betreiben der Autoindustrie eingestellt, die Michigan Railroad Station geschlossen. Die Abkopplung von verkehrlichen Infrastrukturen ist in den deutschen Klein- und Mittelstädten bisher dagegen noch kein Problem. In Eschwege wurde der Stadtbahnhof 1985 zwar geschlossen, jedoch 2009 wieder eröffnet. Die Bergbaustadt Sangerhausen wurde infrastrukturell sogar durch eine neue Autobahnverbindung zwischen Göttingen und Halle an das bundesdeutsche Verkehrsnetz angeschlossen – allerdings bisher ohne nennenswerte Struktureffekte. Von einer politischen Abkopplung der Städte im Sinne einer Benachteiligung bei Entscheidungen durch die Landespolitik kann in allen drei Fällen nicht gesprochen werden. Hier zeigen die Fallstudien, dass die vorherrschenden Theorien zur Peripherisierung unter den Bedingungen des bundesdeutschen Föderalismus bisher nicht zutreffen. Dieser Befund wird im dritten Teil des Buches im Kapitel „Peripherisierung und Macht“ aufgegriffen. Die Stigmatisierung als dritter Prozess der Peripherisierung ist nicht in allen untersuchten Fällen von Bedeutung. In den deutschen Klein- und Mittelstädten zeigte sich besonders Sangerhausen davon betroffen. Spitzenwerte in der bundesweiten Arbeitslosenstatistik brachten der Stadt das Stigma der „Hauptstadt der Arbeitslosen“ ein. Hier wird also durch die Medien der Stadt eine nationale Zentrumfunktion zugeschrieben, allerdings mit einem negativen Merkmal, welches die Opfer des Strukturwandels zusätzlich blamiert. Es liegt auf der Hand, dass die Häufung von negativen Presseberichten in den bundesweiten Medien das Image einer Stadt verschlechtert und die Ausgrenzung verstärken kann. Ob dadurch die Ansiedlung von Investoren oder die Zuwanderung von Bewohnern tatsächlich verhindert wird, lässt sich schwer nachweisen. Im Fall der hoch verschuldeten Stadt Pirmasens hat der Oberbürgermeister jedenfalls berichtet, dass Medienberichte über die „Pleitestadt“ einen Investor für ein Kaufhaus abgeschreckt hätten. In der bundesweit wenig bekannten Kleinstadt Eschwege spielt die Stigmatisierung dagegen so gut wie keine Rolle. Hier findet eher eine Selbststigmatisierung der Akteure als „innere Peripherie“ von Deutschland statt. Ein vierter und vielleicht der bedeutendste Aspekt der Peripherisierung ist die Abhängigkeit von Entscheidungszentralen der Wirtschaft und Politik. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ergibt sich in den strukturschwachen
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Städten von Firmenzentralen und Investoren, denen häufig der „rote Teppich“ in Form von großen Gewerbegebieten, günstigen Gewerbesteuersätzen und staatlichen Subventionen ausgerollt wird. Dabei spielen heute weniger die bekannten „verlängerten Werkbänke“ eine Rolle, da die industrielle Massenproduktion mit gering qualifizierten Beschäftigten ohnehin bereits weitgehend globalisiert wurde. Wie der Fall Eschwege zeigt, werden aber lokale Familienbetriebe übernommen, weil sie sich als innovationsschwach und veraltet erwiesen oder keinen Betriebsnachfolger gefunden haben. Als Folge der Übernahme entscheiden dann die Unternehmenszentralen in der Ferne über die Zukunft der Filialen vor Ort. Eine politische Abhängigkeit ergibt sich aus der schlechten kommunalen Finanzsituation der Städte. Aufgrund der strukturschwachen Wirtschaft und der schrumpfenden Einwohnerschaft handelt es sich um relativ arme Städte, die teilweise nur durch Verschuldung und staatliche Finanzhilfen ihre öffentlichen Aufgaben erfüllen können. Da die eigenen Ressourcen in Form von Steuereinahmen knapp sind, ergibt sich eine große Abhängigkeit von staatlichen Förderprogrammen und Finanzzuweisungen. Die Rolle als „Fördermittel-Junkies“ wurde besonders am Fall Eschwege deutlich. Die folgende Tabelle fasst die Prozesse der Peripherisierung und die daraus resultierenden Strukturprobleme in den untersuchten Städten zusammen. Tab. 7: Prozesse und Probleme der Peripherisierung in Städten Prozesse der Peripherisierung
Strukturelle Folgeprobleme in Städten
Abwanderung … von Arbeits- und Ausbildungskräften
… von Unternehmen
• Fachkräftemangel, Dequalifizierung der Erwerbsbevölkerung
• Alterung und Schrumpfung der Wohnbevölkerung • Wohnungsleerstände und Immobilienpreisverfall • Arbeitslosigkeit und Kaufkraftverluste • rückläufige kommunale Steuereinnahmen • Schließung lokal verankerter Unternehmen
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Abkopplung … von der Innovationsdynamik der Wirtschaft … von Infrastrukturnetzen
• geringe Forschungs- und Entwicklungsdynamik • ausbleibende Investitionen • kein direkter Autobahnanschluss bzw. unzureichende IC/ICE-Anbindung
• Schließung und Alterung von Infrastrukturen (Schulen, Krankenhäuser etc.)
Abhängigkeit … von Entscheidungszentralen der Wirtschaft
… von Entscheidungszentralen der Politik
• Schließung von Unternehmensfilialen bzw. Verlagerung von zentralen Funktionen
• Schließung von Kaufhausfilialen • Leerstände in den Innenstädten • Schließung von staatlichen Einrichtungen (u.a. Bundeswehr)
• kommunale Finanznot und Transferabhängigkeit • kein Zugang zu Metropolregionen
Stigmatisierung … von sozialen Randgruppen … von Städten
• Diskriminierung und Ausgrenzung der Verlierer des Strukturwandels
• Negative Images schrecken Investoren und Zuwanderer ab
Quelle: Eigene Darstellung
Auch wenn sich damit selbst verstärkende Effekte zwischen den Prozessen der Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung nachweisen lassen, erscheint die Peripherisierung von Städten dennoch nicht als ein unabwendbares Schicksal. Eine Abwärtsspirale des Niedergangs ist möglich, aber nicht zwangsläufig. Als sozialräumlicher Begriff betont der Ansatz der Peripherisierung gerade die Perspektive auf die Akteure und ihr Handeln. Im Weiteren gehen wir deshalb der These nach, dass eine „Entperipherisierung“ auch vom Handeln der Akteure in der Stadtpolitik abhängt und durch diese beeinflusst werden kann. Darauf geht das nächste Kapitel ein.
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10.4 S TADTPOLITIKEN IM U MGANG MIT P ERIPHERISIERUNG Der Umgang der Stadtpolitik mit Prozessen der Peripherisierung wird im Folgenden anhand von drei Aspekten ausgewertet: der Frage des Elitewechsels, der Urban Governance und der Strategiebildung. Kontinuität und Wechsel der Eliten Nach der Theorie des urbanen Niedergangs (Friedrichs 1993) verstärkt das konservierende Handeln der alten Industrie-Eliten die lokale Innovationsschwäche und bremst die Regenerierung der Städte auf der Basis eines postindustriellen Strukturwandels. Diese Theorie wird durch die Fallstudie Detroit bestätigt. In der Autometropole war es das industrialistische Bündnis zwischen Autokonzernen und Gewerkschaften, das trotz der Globalisierungskrise zunächst an einer Strategie der Reindustrialisierung der Stadt festhielt (Sugrue 2004). Diese auch als „Fordismus“ bezeichnete lokale Wachstumskoalition lief mit der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Autoindustrie und der zunehmenden Globalisierung ins Leere. Andere strategische Optionen wie die Förderung neuer Wachstums- und Dienstleistungsbranchen u.a. in Forschung und Entwicklung, Kunst und Kultur oder IT-Technologien wurden durch den „Industrialismus“ in den Köpfen der Akteure vernachlässigt. Auch die lokale Schuhindustrie in Pirmasens wurde zu einem Opfer der Globalisierung. Um an dem einstigen Glanz und der Größe als „deutsche Schuhmetropole“ festzuhalten, versucht die Stadtpolitik bis heute die lokalen Kompetenzen in der Schuhtechnologie zu sichern, während die Produktion von Schuhen praktisch aufgegeben wird. Hier war es ein ehemaliger „Schuhbaron“ selbst, der den postindustriellen Strukturwandel der Stadt einleite, indem die alten Schuhfabriken in Lofts und Dienstleistungszentren umwandelt wurden. In Sangerhausen dagegen bedeutete der Strukturbruch der Schließung der Bergwerke auch einen Bruch mit den lokalen Eliten. Anstelle der Kombinatsleitung übernahmen andere Personen aus der DDR-Oppositionsbewegung und kritische Bürger die Führungspositionen in der Stadtverwaltung und Stadtpolitik. Der Bergbau wird nur noch als museale Tradition weitergeführt, der postindustrielle Strukturwandel hin zur „Rosenstadt“ auf der Basis eines Rosariums bleibt mangels Alternativen allerdings fragil.
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Urban Governance Um die Handlungsfähigkeit der lokalen Politik zu stärken, wird den Urban Governance-Netzwerken zwischen öffentlichen und privaten Akteuren eine wichtige Rolle in den Planungs- und Politikwissenschaften zugeschrieben (Pierre 2011; DiGaetano/Strom 2003). Bezogen auf die beteiligten Akteure lassen sich drei Formen der Governance unterscheiden (Kilper 2010): Governance by Government: Interaktionen staatlich-öffentlicher Akteure aus Politik und Verwaltung, Governance with Government: Interaktionen öffentlicher und privater Akteure und Governance without Government: Interaktionen zwischen privaten Akteuren aus Wirtschaft und/oder Bürgerschaft. Die Fallstudie Detroit zeigt, wie stark der vorhandene Rassismus zwischen den Akteuren die Handlungsfähigkeit der Stadt geschwächt und ein koordiniertes Vorgehen von Politik, Stadtverwaltung, Unternehmen und Zivilgesellschaft verhindert hat. Besonders unter der langjährigen Regierung des ersten schwarzen Bürgermeisters (1974-1994) war die Stadtpolitik durch eine starke Spaltung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren gekennzeichnet. Bezeichnend ist, dass sich zwischen dem Bürgermeister und der Wirtschaftselite ein Machtkampf um die strategische Führung in der Stadt entspannte (DiGaetano/Lawless 1999: 561). Die von Geschäftsleuten gegründete private Organisation Detroit Renaissance entwickelte eigene Strategien in Konkurrenz zur Stadtverwaltung (Governance without Government). Deshalb scheint die These begründet, dass die Konflikte zwischen den lokalen Akteuren die Handlungsfähigkeit der Stadtpolitik geschwächt und einen gemeinsamen Umgang mit den Prozessen der Peripherisierung verhindert haben. In den deutschen Klein- und Mittelstädten finden sich sehr unterschiedliche Governance-Strukturen zur Bewältigung der Peripherisierungskrise (Bernt/Liebmann 2012). Die Stadtpolitik von Pirmasens wird stark vom Engagement einzelner privater Unternehmer getragen. Dies steht in der lokalen Tradition der „Schuhbarone“. Die entwickelten Leitbilder, Konzepte und Strategien der Stadt sind zwischen der Stadtverwaltung und der privaten Wirtschaft abgestimmt und versuchen Synergien herzustellen (Governance with Government). Dagegen ist die Stadtpolitik von Eschwege sehr stark durch öffentliche Akteure der Stadtverwaltung (Governance by Government) geprägt. Nicht zuletzt weil es keine starken Unternehmen in der Stadt mehr gibt, sind die Strategien der Stadt sehr stark auf die Einwer-
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bung von staatlichen Fördermitteln angelegt. Im Fall des geschlossenen Kaufhauses hat die Stadt zeitweise selbst die Rolle eines Unternehmers übernommen. Auch in Sangerhausen sind die Governance-Formen mehr durch das Government der Stadtverwaltung geprägt. Aufgrund des wirtschaftlichen Strukturbruchs gibt es auch hier wenig starke Unternehmen, welche sich in die Stadtpolitik einbringen. Sangerhausen ist deshalb sehr aktiv in der Gestaltung von Multilevel-Governance-Beziehungen, insbesondere mit dem Land Sachsen-Anhalt. Die Ausweisung eines großen Industriegebietes an der neuen Autobahn ist in enger Abstimmung mit der Landespolitik erfolgt. Strategische Konzepte In Bezug auf die Stadtplanung und Stadtpolitik wird in der Forschung häufig die Annahme vertreten, dass ein strategisches Handeln erforderlich ist, um die Strukturkrise der Städte zu bewältigen. Strategische Planungskonzepte sollen aus einer Problemanalyse heraus langfristige Ziele und Leitbilder zur gemeinsamen Orientierung der Akteure bestimmen und die verfügbaren Ressourcen einsetzen, um diese Ziele in Stadtentwicklungsprojekten zu verwirklichen (Kühn/Fischer 2010). Solche strategischen Stadtentwicklungskonzepte wurden in Pirmasens (2007), in Eschwege (2006) und Sangerhausen (2002) entwickelt. Sie sind besonders im Rahmen der Stadtumbau-Programme West und Ost inzwischen die Grundlage für die Zuweisung von staatlichen Städtebauförderungsmitteln. Diese Förderprogramme sind wie „goldene Zügel“ für die Städte: sie erschließen neue Ressourcen für die armen Städte, geben jedoch stark von oben die Richtung vor. Dennoch weisen die drei Städte erstaunliche Unterschiede in der lokalen Strategieentwicklung auf. Manche der untersuchten Städte weisen längerfristige Leitbilder auf, die eine Steuerungs- und Koordinierungswirkung für die Akteure haben, andere nicht. In Pirmasens wird dem Leitbild „Pirmasens 2010“ eine hohe Steuerungsfunktion zugeschrieben, das auf der Basis eines Stadtmarketingprozesses auf Initiative eines Schuhunternehmers entwickelt wurde. In Eschwege wurde ebenfalls ein Leitbildprozess durchgeführt, jedoch aufgrund der starken Diversifizierung der Stadt ohne ein klares Ergebnis. In Sangerhausen hat die Stadtpolitik auf die Entwicklung eines Leitbildes bewusst verzichtet, um zukünftige Handlungsoptionen für die Stadt offen zu halten
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und sich nicht einzuschränken. Dies zeigt die besondere Not dieser Stadt im Hinblick auf wirtschaftliche und sonstige Entwicklungspotenziale. Welche „Schlüsselprojekte“ wurden durch die Stadtpolitik definiert und realisiert, um weitere Impulse für die Stadtentwicklung auszulösen? In allen drei Städten setzt sich die Lokalpolitik für einen besseren Verkehrsanschluss an das Straßennetz ein. Da der Bau von Autobahnen und Bundesstraßen jedoch eine Aufgabe des Bundes und der Länder ist und sich auch viele Widerstände dagegen formieren, liegt dies außerhalb des lokalen Einflusses. In Sangerhausen wurde ein großes Industriegebiet an der neu eröffneten A 38 Göttingen-Halle ausgewiesen in der Hoffnung auf neue Ansiedlungen von Investoren. In Pirmasens und Eschwege wurden bessere Verkehrsanschlüsse dagegen bis heute nicht realisiert. Wichtige städtebauliche Schlüsselprojekte waren in Pirmasens die Umwandlung der ehemals größten Schuhfabrik Europas in ein Science Center sowie die Ansiedlung der Fachhochschule und eines Technologieparks auf einem leerstehenden Kasernengelände. In Eschwege war die Wiedereröffnung des Stadtbahnhofs ein wichtiges Projekt. Die Stadt setzt außerdem vor allem auf den Ausbau des Tourismus durch die Vermarktung der Fachwerkaltstadt, die Nahtstelle von Altstadt und Werra sowie den Werratalsee. Die Bergbaustadt Sangerhausen setzt heute als „Berg- und Rosenstadt“ stark auf das größte Rosarium in Deutschland. Eine besondere Strategie im Umgang mit Peripherisierung weist Eschwege auf. Die Stadt Eschwege hat auf die vielfältigen Problemlagen nicht zuletzt mit einer Strategie der Professionalisierung von Führungspositionen in der Stadtverwaltung reagiert. Die Besetzung leitender Funktionen durch qualifizierte Führungspersonen in den Bereichen Tourismus, Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung erfolgte mit dem Ziel, neue und kreative Lösungsansätze für die komplexen Probleme zu finden. Ein ganz anderes Bild – nämlich das einer weitgehend gescheiterten Strategieentwicklung – vermittelt das Fallbeispiel Detroit. Hier zeigt sich nicht nur, wie sehr die strategische Stadtplanung durch private Geschäftsleute dominiert wurde und wie schwach die Rolle der Stadtverwaltung dabei war. Die ethnische Spaltung der Akteure verhinderte außerdem lange Zeit die Entwicklung gemeinsamer Leitbilder und Visionen für die Stadt. Das erste Schlüsselprojekt zur Regenerierung der Stadt – das Renaissance Center – zeigt genau diese Spaltung auf, indem es als abgeschlossene Zitadelle in die Downtown implementiert wurde. Auch viele andere Projekte, wie der Bau von Sportstadien und Casinos, haben auf große, temporäre
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Events gesetzt und nicht die erhofften Wirkungen für die Regenerierung der Stadt erbracht.
10.5 F AZIT : M ACHT UND O HNMACHT DER S TADTPOLITIK Welchen Einfluss hat das Handeln von Akteuren der Stadtpolitik auf die Peripherisierungsprozesse? Lassen sich Peripherisierungsprozesse von Städten durch ein koordiniertes und strategisches Vorgehen der Stadtpolitik abschwächen oder sogar eine Trendwende im Sinne einer "Entperipherisierung" erreichen? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten, da Rückwirkungen von lokalen Handlungen auf den Strukturkontext in einem begrenzten Zeitraum generell schwer nachzuweisen sind. Da unsere Fallstudien auf der lokalen Handlungsebene angesetzt haben, können im Folgenden nur die besonderen Bedingungen beschrieben werden, unter denen die lokalen Akteure der Stadtpolitik in peripherisierten Städten handeln. Eine zentrale Restriktion für die lokale Politik in peripherisierten Städten stellen die knappen Kommunalfinanzen dar. Diese ergeben sich aus geringen Steuereinnahmen und hohen Sozialausgaben. Am spektakulärsten zeigt sich dies in der „Pleitestadt“ Detroit. Hier musste die Stadt im Jahr 2013 ihren Bankrott erklären. Seitdem steht sie unter der Zwangsverwaltung des Bundesstaates Michigan. Die eingeleiteten Privatisierungsauflagen der kommunalen Versorgungswerke drohen den sozialen Niedergang der Stadt zu verstärken, da vielen insolventen Haushalten in der Stadt nun Wasser und Strom abgeschaltet wird. Dies ist eine ganz existenzielle Form der „Abkopplung“. Aber auch in Pirmasens und Eschwege ist die kommunale Verschuldung so hoch, dass fast keine Handlungsspielräume für die kommunalen Akteure verbleiben. Die knappen Finanzressourcen der Städte verweisen auf ein zentrales Merkmal peripherisierter Städte: ihre hohe Abhängigkeit von externen Ressourcen. Stadtpolitik und Stadtverwaltung sind sowohl von Entscheidungszentren des Staates wie auch der Wirtschaft abhängig. Im Kontext des deutschen Sozialstaates und politischen Föderalismus gewährleistet der solidarische Ausgleich zwischen strukturstarken und strukturschwachen Kommunen durch Zuweisungen aus den Finanzausgleichen weitgehend die Erfüllung kommunaler Pflichtaufgaben. Dennoch sind die Städte meist auf zusätzliche staatliche Fördermittel angewiesen, um in-
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novative Ideen auszuprobieren, strategische Konzepte aufzustellen und Leitprojekte zu realisieren. Dies erklärt, warum sich viele Klein- und Mittelstädte so stark auf die Bundes- und Landespolitiken ausrichten. Die Beteiligung an Förderprogrammen erschließt einerseits neue finanzielle Ressourcen und Möglichkeiten, führt andererseits jedoch zu einem hohen Wettbewerbsaufwand und der Gefahr eine Verzettelung des Handelns durch viele kurzfristige Aktivitäten. „Projektitis“ hat dies ein Bürgermeister aus Eschwege treffend genannt. Wenn sich im Hinblick auf die Erschließung finanzieller Ressourcen die Abhängigkeit der strukturschwachen Städte von staatlichen Ministerien auch verstärkt, so widerlegen die Fallstudien doch eine zentrale Annahme der Peripherieforschung: der politischen Benachteiligung und Exklusion. In der Politischen Soziologie wird die Benachteiligung durch den „Ausschluss von Machtressourcen“ (Kreckel 2004) und in der Governanceforschung die „Exklusion von Netzwerken“ (Herrschel 2011) begründet. Die lokalen Akteure in Eschwege, Pirmasens und Sangerhausen betonen dagegen die guten Kontakte in die zuständigen Länderministerien und die weitgehende Berücksichtigung ihrer Interessen in der Förderpolitik. Nur in einzelnen Ausnahme-Fällen wurden die peripherisierten Städte bisher durch Entscheidungen bei der Fördermittelvergabe benachteiligt. Solch ein Fall eines Ausschlusses von Netzwerken wurde aus Pirmasens berichtet. Dabei wurde das Ansinnen der Stadtpolitik, Mitglied der Metropolregion Rhein-Neckar zu werden, vom Land Rheinland-Pfalz mit dem nachvollziehbaren Argument einer räumlichen Überdehnung der Metropolregion abgelehnt. Ohne die Ebene der Landespolitik genauer untersucht zu haben, deuten die Fallstudien darauf hin, dass die peripherisierten Städte in den drei Bundesländern bisher eine starke Lobby haben und deshalb nicht „vergessen“, „abgehängt“ oder „abgeschrieben“ wurden. Auch die Fallstudie zur Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg hat dies gezeigt (Kapitel 3.4). Landtagsabgeordnete aus der Peripherie haben demnach offenbar in den deutschen Landeshauptstädten eine Stimme. Dieses Ergebnis verweist auf die Vorteile des föderalistischen Politiksystems in Deutschland gegenüber Zentralstaaten wie z.B. in Großbritannien und Frankreich, in denen die Interessen der Peripherien gegenüber den Hauptstädten weniger Gewicht haben. Eine zweite Form der Abhängigkeit peripherisierter Städte hat sich in allen Fallstudien als noch relevanter erwiesen: die Abhängigkeit der Stadtpolitik von Unternehmenszentralen. In den US-Städten ist diese Abhängig-
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keit aufgrund des schwachen Staates besonders groß. Durch die Abwanderung der Autokonzerne Ford und Chrysler hat die Stadt Detroit wichtige Steuerzahler verloren. Die Finanznot zwingt die Stadtpolitik dazu, mit privaten Unternehmen zu kooperieren. Diese Koalitionen werden in der Urban Regime-Theorie durch die Fragmentierung der Macht begründet: die Stadtpolitik ist auf die Ressourcen der Investoren angewiesen, die Investoren sind auf politische Entscheidungen der Stadt angewiesen (Stone 1989). Im Fall von Detroit hat diese Governance-Konstellation zwischen Rathaus und Wirtschaftselite über längere Zeiträume nicht funktioniert. Die Stadtverwaltung war selbst zu schwach, um eigene Strategien der Regenerierung zu entwickeln. Auch in den deutschen Klein- und Mittelstädten zeigt sich die Abhängigkeit von privaten Unternehmen. In Sangerhausen wird potentiellen Investoren ein „roter Teppich“ ausgerollt. Die strukturschwache Stadt verfügt derzeit über keine ressourcenstarken Unternehmen, welche in der lokalen Stadtpolitik mitmischen könnten. Auch in Eschwege trifft dies zu. Hier wurde durch den ehemaligen Bürgermeister besonders deutlich die „Ohnmacht“ der Stadtpolitik gegenüber Konzernzentralen beschrieben, welche aus der Ferne über das Schicksal der lokalen Betriebe entscheiden. In Pirmasens wiederum gibt es trotz des Niedergangs der Schuhindustrie noch einzelne Unternehmer mit lokaler Verantwortung, welche auch eigene Ressourcen für die Stadtentwicklung bereitstellen. Welchen Einfluss diese Unterschiede in der Stadtpolitik auf den Verlauf von Peripherisierungsprozessen hat und ob eine Trendwende zur Rezentralisierung der Städte möglich ist, hängt nicht nur vom Handeln der Stadtpolitik ab. Oft sind es auch ungeplante Marktprozesse, welche eine Regenerierung der Städte einleiten. In der bereits tot gesagten Stadt Detroit etwa blüht durch soziale Bewegungen „von unten“ langsam neues Leben aus den Ruinen. Ob die Kraft der neuen Start-ups, Kreativen und urbanen Gärtner allerdings ausreichen wird, um die Stadt zu einer neuen Blüte zu bringen, bleibt offen.
III Peripherisierung – Perspektiven für Planung und Politik
Im diesem Teil III des Buches sollen die bisherigen Theorien zur Entstehung und zum Making von Peripherien (Teil I) mit den empirischen Befunden aus den Fallbeispielen zur Peripherisierung von Städten (Teil II) zusammengeführt und im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Perspektiven für Planung und Politik ausgewertet werden. Damit wird auch die regionale und lokale Maßstabsebene zu einer gemeinsamen Sichtweise auf die Peripherisierung von Städten und Regionen integriert. In den folgenden Kapiteln werden vorhandene theoretische Konzepte zur Erklärung der Peripherisierungsprozesse von Städten und Regionen weiter entwickelt, bestehende Forschungsdefizite aufgezeigt und Handlungsoptionen der räumlichen Planung und Politik im Umgang mit Peripherisierung genauer bestimmt. Im nächsten Kapitel werden zunächst die beiden Raumkonzepte „Peripherie“ und „Peripherisierung“ vergleichend gegenübergestellt und wesentliche Unterschiede herausgearbeitet (Kapitel 11). Durch den Vergleich werden auch die unterschiedlichen Implikationen beider Konzepte für die Anwendung in der Planung und Politik deutlich: in einem geographischen Verständnis als Randlage bezieht sich die Raumzuschreibung „Peripherie“ auf nicht-urbane Räume außerhalb von Großstädten. Diesem Verständnis folgend setzt die Raumplanung Zentren mit städtischen Räumen und Peripherien mit ländlichen Räumen gleich. Dagegen kann das Konzept „Peripherisierung“ auf alle Raumtypen und räumliche Maßstabsebenen angewendet werden, von der Quartiersebene in Großstädten und Metropolen bis zur globalen Ebene der Weltgesellschaft. Während eine geographische Lage die strukturellen Defizite von Peripherien – schlechte Erreichbarkeit und geringe Siedlungsdichte – relativ statisch determiniert, ist eine gesellschaftliche Rollenzuschreibung als Peripherie wesentlich dynamischer und kann durch die Akteure auch verändert werden.
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In einem weiteren Kapitel wird dann auf den Mehrwert des Forschungsansatzes der Peripherisierung gegenüber einer Analyse von Schrumpfungsprozessen eingegangen (Kapitel 12). Da Peripherisierung ein mehrdimensionaler Ansatz ist, lassen sich damit das Zusammenwirken sozioökonomischer, politischer und kommunikativer Dimensionen in der Raumentwicklung erfassen, die unterschiedliche Ursachen für Schrumpfungsprozesse von Städten und Regionen sind. Der Ansatz geht damit über monodisziplinäre Ansätze hinaus, die Schrumpfungsprozesse primär mit demographischen oder wirtschaftlichen Faktoren erklären. In einem weiteren Kapitel wird auf den in vielen Stellen deutlich gewordenen Zusammenhang von Peripherisierung und Macht(-losigkeit) eingegangen (Kapitel 13). Dazu werden Ansätze der Community PowerDebatte ausgewertet und angewendet, um aus planungs- und politikwissenschaftlicher Sicht konkrete Formen der Macht empirisch untersuchen zu können. Die Auswertung unserer empirischen Studien zu Klein- und Mittelstädten in Deutschland mit Machtkonzepten der Community PowerDebatte zeigt, dass bisher gängige politikwissenschaftliche Annahmen zur Machtlosigkeit von Peripherien zu unkritisch aus dem globalen Kontext der Entwicklungsländer bzw. früheren Kolonien auf die Bedingungen demokratischer Staaten in Europa übertragen wurden. Unsere empirischen Ergebnisse deuten stattdessen darauf hin, dass peripherisierte Städte und Regionen bisher nicht generell durch die Landeshauptstädte benachteiligt werden und in den Landespolitiken durchaus eine Lobby haben. Schließlich geht das letzte Kapitel auf die Chancen einer „Entperipherisierung“ ein, die eine prozessuale Sicht auf das Making von Peripherien eröffnet (Kapitel 14). Dabei wird besonders der Frage nachgegangen, inwieweit eine verstärkte Netzwerk-Bildung zwischen Akteuren im Sinne einer endogenen Entwicklungsstrategie und einer stärkeren Unabhängigkeit gegenüber den Zentren geeignet ist, um Peripherisierungsprozesse von Städten und Regionen abzuschwächen oder sogar eine Trendwende hin zu einer Re-Zentralisierung zu erreichen.
11 Peripherie als Lage – Peripherisierung als Prozess
Die im ersten und zweiten Teil des Buches dargestellten Fallbeispiele zeigen, dass Peripherisierungsprozesse von Städten und Regionen nur sehr bedingt durch den Faktor der räumlichen Distanz zu einem Zentrum, einer Hauptstadt oder einer Metropole erklärt werden können. Peripherisierungsprozesse können in geographischen Randgebieten (z.B. Pirmasens am Rand von Deutschland und Rheinland-Pfalz) oder in der geographischen Mitte eines Landes (z.B. Eschwege in der Mitte Deutschlands) auftreten. Aus historischer Perspektive zeigen die Fallstudien, dass bei gleichbleibender Lage und Erreichbarkeit einzelne Städte verschiedene Aufstiegs-, Blüte- und Abstiegsphasen erleben, die mit Wachstums- und Schrumpfungsprozessen der Bevölkerung und Wirtschaft einhergehen. So konnte beispielweise die Stadt Pirmasens trotz ihrer geographischen Randlage unter den sozioökonomischen Bedingungen des beginnenden 20. Jahrhunderts zur „deutschen Schuhmetropole“ mit einer internationalen Ausstrahlung aufsteigen. Dass auch das historische Zentrum einer Millionen-Metropole peripherisiert werden und zur „inneren Peripherie“ einer größeren Metropolregion absteigen kann, zeigt das Beispiel Detroit. Während die geographische Lage und Erreichbarkeit der Stadt im US-Kontext gleich geblieben ist, hat sich die ganze Region seit Mitte des 20. Jahrhunderts vom Industriegürtel zum „Rostgürtel“ der USA transformiert. Ein umgekehrtes Beispiel für „äußere Peripherien“, die von der Entwicklungsdynamik der Metropole nicht zuletzt durch große geographische Distanzen abgekoppelt werden, sind die märkischen Randgebiete in der Metropolregion Berlin-Brandenburg.
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In den aktuellen Forschungen wird das ältere, auf Distanzen zum Zentrum bezogene Verständnis von Peripherien deshalb zunehmend durch eine neue, prozessuale Sichtweise erweitert. Damit rücken dynamische Prozesse der Peripheriebildung gegenüber statischen Bestimmungen der abgelegenen Lage in den Mittelpunkt. Die folgende Tabelle vergleicht wesentliche Merkmale der sozialräumlichen Konzepte von „Peripherie“ und „Peripherisierung“. Tab. 8: Peripherie und Peripherisierung: Vergleich der Raumkonzepte Peripherie
Peripherisierung
Sozialräumliches Verständnis
Am Rand des Raumes: Geographische Lage mit sozialen Auswirkungen
Am Rand der Gesellschaft: Soziale Rolle/Beziehung mit räumlichen Auswirkungen
Zeitverständnis
Statischer Zustand
Dynamische Prozesse
Indikatoren
• Distanzen zu Zentren (Erreichbarkeit, Abgelegenheit) • Dünne Besiedlung
• • • •
Handlungskontext für Akteure
• Strukturelle Defizite • Durch Lage determiniert
• „Making“ von Peripherien • Veränderbare Rolle bzw.
Nicht-urbane Räume:
Urbane und ländliche
(Peripherie als „Schicksal“)
Anwendungsfelder in Planung und Politik
Abwanderung Abkopplung Abhängigkeit Stigmatisierung
Funktion im System (Entperipherisierung)
Räume: • Ländliche Räume • Metropolen, Städte und • Grenzräume Regionen • Randgebiete von Metropo• Großstadtquartiere lregionen und Städten • Ländliche (nichtmetropolitane) Räume
Quelle: Kühn 2015: 369
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Beim Lesen der Tabelle sind allerdings unterschiedliche Verständnisse von „Peripherie“ in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung und der angewandten Raumordnungspolitik zu beachten. Zum einen beschreibt „Peripherie“ ein geographisches Verständnis als Randlage in Bezug zu einem städtischen Zentrum. Die Abstufung vom Zentrum zur Peripherie erfolgt nach den klassischen geographischen Standorttheorien von Thünen, Christaller und Lösch in ringkonzentrischer Form. Dieses konzentrische Raummodell stellt bis heute die konzeptionelle Grundlage für die Raumordnungspolitik und Zentrale-Orte-Politik in Deutschland dar. Danach werden Städten je nach ihrer Größe bestimmte Zentrumsfunktionen für die umliegenden Gebiete zugeschrieben. Die linke Spalte zur „Peripherie“ bezieht sich ausschließlich auf dieses geographische Raumverständnis. Zum anderen beschreibt „Peripherie“ im neomarxistischen Verständnis der politischen Ökonomie ein soziales Verhältnis von Abhängigkeit, das dem Verständnis von „Peripherisierung“ in der rechten Spalte entspricht. In diesem Verständnis werden Peripherien durch gesellschaftliche Prozesse „gemacht“ und sind nicht durch ihre geographische Lage determiniert. Diese Doppeldeutigkeit des Begriffs „Peripherie“ in der Forschung ist entstanden, weil der Prozessbegriff der „Peripherisierung“ in den frühen PeripherieTheorien der 1970er Jahre (Wallerstein 1974; Friedmann 1973; Amin 1976) noch nicht verwendet wurde, sondern erst später und nur allmählich Eingang in die Debatte gefunden hat (Blowers/Leroy 1994; Nitz 1997; Heintel 1998). Weitere Missverständnisse sind dadurch möglich, dass Vertreter der politischen Soziologie die soziale Position von Benachteiligten in einem nicht-räumlichen Sinn als „periphere Lage“ (Kreckel 2004) beschreiben. Unterschiedliche Implikationen aus beiden Raumkonzepten ergeben sich für die Handlungskontexte der Akteure. Während geographische Distanzen zu städtischen Zentren und Siedlungsdichten nur schwer und sehr langfristig zu verändernde Bedingungen von peripher gelegenen Räumen sind, ist eine gesellschaftliche Rollenzuschreibung als Peripherie durch die Akteure grundsätzlich veränderbar: Peripherie muss nicht Peripherie bleiben (Heintel 1998), eine Entperipherisierung ist möglich (Köhler 2012). Für die Anwendung in der raumbezogenen Planung und Politik hat die Unterscheidung der Raumkonzepte „Peripherie“ und „Peripherisierung“ noch weitreichendere Implikationen: im raumordnungspolitischen Verständnis von „Peripherie“ als geographische Randlage können größere Städte keine Peripherie sein, solange bestimmte Schwellenwerte von Einwohnerzahlen
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und Siedlungsdichten nicht unterschritten werden. „Peripherien“ werden in der räumlichen Planung deshalb ausschließlich in nicht-urbanen und nichtmetropolitanen Gebieten verortet. Demgegenüber ist das dynamische Konzept der „Peripherisierung“ in der Anwendung offen für alle urbanen, suburbanen und ruralen Raumtypen. Offen bleibt in der bisherigen Forschung allerdings das Verhältnis von peripherer Lage und Peripherisierungsprozessen. Welchen Anteil haben geographische und nicht-geographische Faktoren an den Abstiegsprozessen von Städten und Regionen? Unbestritten ist, dass eine abgelegene Lage im Raum, eine schlechte verkehrliche Erreichbarkeit und eine dünne Besiedlung deutliche wirtschaftliche Standortnachteile für Städte und Regionen mit sich bringen können. So hat eine auf quantitativen Datenanalysen basierende Studie zu Klein- und Mittelstädten in Deutschland nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen der peripheren Lage und der Schrumpfungsdynamik von Städten besteht: je peripherer die Lage, desto stärker schrumpft die Bevölkerung (BBSR 2012b: 60). Der Zusammenhang zwischen einer peripheren Lage und einer negativen Beschäftigtenentwicklung ist dagegen weniger eng: „Eine periphere Lage im Bundesgebiet erhöht zwar das Risiko für negative Beschäftigungstrends und mangelnde Nutznießung von gesamtwirtschaftlichen, konjunkturellen Aufschwüngen, ist aber nicht unabänderliches Schicksal. So liegen rund zwei Fünftel der wachsenden kleinen Kleinstädte mit überdurchschnittlichem Beschäftigtenzuwachs abseits der großen Zentren.“ (BBSR 2012b: 85). Die folgende Tabelle stellt die Schnittmengen zwischen den Faktoren der peripheren Lage und den Prozessen der Peripherisierung dar und zeigt verschiedene ideale Entwicklungstypen auf. Da periphere Lagen und Peripherisierungsprozesse jeweils relationale Größen im Verhältnis zu Zentren innerhalb sozialräumlicher Systeme sind, werden in der Tabelle auch die gegensätzlichen Pole zentraler Lagen und Zentralisierungsprozesse dargestellt. Auch eine periphere Lage ist eine relationale Größe, da sie von dem gewählten Raumausschnitt und der räumlichen Maßstabsebene abhängt. Beispielsweise liegt Eschwege in der geographischen Mitte von Deutschland, aber am Rand des Bundeslands Hessen. In der Tabelle werden gemäß den ökonomischen Polarisationstheorien (Kapitel 4.3) die Indikatoren der Zu-/Abwanderung und Des-/Investitionen zur Unterscheidung von Peripherisierungs- und Zentralisierungsprozessen verwendet. Welche Entwick-
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lungstypen ergeben sich nun aus der Überschneidung von geographisch peripheren Lagen und sozialen Peripherisierungsprozessen? Tab. 9: Peripheralitätstypen: periphere Lage und Peripherisierungsprozesse Lage / Prozesse Periphere Lage
Zentrale Lage
Peripherisierung
Zentralisierung
Peripherien in der „Abwärtsspirale“ Durch Abwanderung und Desinvestitionen schrumpfende Städte und Regionen abseits von Metropolen
„Periphere Zentren“
Beispiele: Pirmasens, Sangerhausen, „weiterer Metropolenraum“ Berlin-Brandenburg
Beispiele: Emsland, Bodenseeregion
„Innere Peripherien“ Durch Abwanderung und Desinvestitionen schrumpfende Städte und Regionen in zentraler Lage
„Metropolitane Zentren“ Durch Zuwanderung und Investitionen wachsende Städte und Regionen in zentraler Lage
Beispiele: Detroit, Eschwege
Beispiele: London, Paris, Brüssel, Moskau
Durch Zuwanderung und Investitionen wachsende Städte und Regionen abseits von Metropolen
Quelle: eigener Entwurf
„Peripherien in der Abwärtsspirale“ weisen die schwierigsten Strukturbedingungen für die Akteure in Planung und Politik auf. Damit sind peripher gelegene Räume gemeint, die noch dazu durch Peripherisierungsprozesse qualifizierte Arbeitskräfte, Kapital, zentralörtliche Funktionen und damit Entscheidungsmacht verlieren. In diesen Räumen besteht am ehesten die Gefahr von sich selbst verstärkenden, kumulativen Effekten des Niedergangs und Abstiegs. Trotz einer peripheren Lage abseits von Metropolen können Städte und Regionen aber auch Menschen, Kapital und zentralörtliche Funktionen aus anderen Räumen anziehen und konzentrieren. Wir bezeichnen diesen Typ als „periphere Zentren“. Bekannte Beispiele für die Zentralisierung ländlich-peripherer Räume in der deutschen Raumforschung sind das Emsland und die Bodensee-Region. Diese Räume haben sich auch ohne die Agglomerationsvorteile von großen Metropolen zu prosperierenden Wirtschaftsräumen mit Bevölkerungs- und Beschäftigten-
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zuwächsen entwickelt. Auf diese beiden Beispiele kommen wir in Kapitel 14 noch zurück. In der unteren Zeile der Tabelle dargestellt sind zwei Raumtypen mit einer zentralen Lage, aber gegensätzlichen Entwicklungsdynamiken. „Innere Peripherien“ entstehen in geographisch zentralen und verkehrlich gut erreichbaren Lagen durch Peripherisierungsprozesse. Detroit ist ein Beispiel für eine im US-amerikanischen Industriegürtel gelegene Metropole, die in ihrer Rolle als Motor City vor allem durch Abwanderungsprozesse peripherisiert wurde. Eschwege ist dagegen ein Beispiel für eine Kleinstadt, die durch die Wiedervereinigung in eine neue geographische Mittelpunktlage innerhalb von Deutschland gerückt ist. Die neue Mittelpunktlage des früheren Zonenrandgebietes auf nationaler Ebene hat jedoch eine Peripherisierung der Region in den beiden letzten Jahrzehnten nicht verhindert, da sich die Zuwanderungen und Investitionen räumlich in die neuen Bundesländer verlagert haben. Schließlich stellt die Tabelle mit den „metropolitanen Zentren“ den klassischen Typ von wachsenden Metropolräumen in zentraler Lage dar, auf den in diesem Buch nicht weiter eingegangen wird.
12 Peripherisierung und Schrumpfung
Die empirischen Fallstudien in diesem Buch haben gezeigt, dass Peripherisierungsprozesse vor allem in schrumpfenden Städten und Regionen auftreten, die sich in der Strukturkrise befinden und Einwohner und Arbeitsplätze verlieren. Daraus ergibt sich die Frage, welche konzeptionellen Unterschiede zwischen Peripherisierungs- und Schrumpfungsprozessen bestehen und welchen Mehrwert der Forschungsansatz der Peripherisierung gegenüber der Schrumpfungsdebatte hat? Unter „schrumpfenden“ Städten und Regionen wird in Deutschland seit etwa der Jahrtausendwende allgemein meist ein längerfristiger Rückgang der Bevölkerung verstanden (Oswalt 2004; Häußermann/Läpple/Siebel 2008: 203 ff.). Aus demographischer Sicht entsteht eine schrumpfende Bevölkerung durch zwei Faktoren: Geburtendefizite und Abwanderungen. Bei einer negativen natürlichen Bevölkerungsentwicklung verstärkt ein negatives Wanderungssaldo die Schrumpfungsprozesse. Doch mit einer eindimensionalen Betrachtung des „demographischen Wandels“ wird nur ein Symptom an der Oberfläche beschrieben, ohne die tieferen sozioökonomischen Ursachen der Schrumpfungsprozesse zu ergründen. Wenn niedrige Geburtenraten nicht durch Zuwanderungsüberschüsse ausgeglichen werden, schrumpft unweigerlich die Wohnbevölkerung in einem Raum. Zur Reproduktion und Stabilisierung ihrer Bevölkerungszahl sind Städte und Regionen also auf Zuwanderungen angewiesen. Sie können eine demographische Schrumpfung nur vermeiden, wenn sie attraktiv für Zuwanderer und Migranten sind (Hillmann 2011). Die arbeitsmarktbedingte Zuwanderung wiederum hängt stark vom Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft und den zu erwartenden Arbeits- und Einkommenschancen ab. Strukturschwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ziehen weniger Zuwanderer auf den Arbeitsmärkten an. Dieser einfache Zusam-
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menhang zeigt bereits, dass eine schrumpfende Bevölkerung das Ergebnis einer komplexen Überlagerung demographischer, wirtschaftlicher und sozialer Prozesse ist. In schrumpfenden Städten und Regionen wirken in der Regel geringe Geburtenraten, ökonomische Strukturschwäche, Abwanderung und soziale Armut zusammen. Die ökonomische Ursache von schrumpfenden Städten und Regionen ist eine rückläufige Beschäftigungsund Erwerbsbasis, da diese maßgeblich auch die demographische Tragfähigkeit der Wohnbevölkerung bestimmt. Entsprechend wird in der deutschen Raumbeobachtung zur Messung von Schrumpfung und Wachstum ein Indikatoren-Set verwendet, das demographische (Bevölkerung, Wanderungssaldo), wirtschaftliche (Arbeitsplatzentwicklung), soziale (Arbeitslosenquote) und finanzielle (Gewerbesteuereinnahmen) Daten kombiniert (BBSR 2012a). Welchen Mehrwert bietet nun der Ansatz der Peripherisierung, um Schrumpfungsprozesse von Städten und Regionen zu erklären? Hier sind vor allem drei Argumente relevant. Erstens ist Peripherisierung ein mehrdimensionaler Erklärungsansatz, der das komplexe Zusammenwirken verschiedener sozialräumlicher Prozesse beschreibt. Nach dem in Kapitel 5 dargestellten Modell von Peripherisierung zählen zu diesen Prozessen: a) die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, b) die Abkopplung von der ökonomischen Innovationsdynamik bzw. von materiellen Infrastrukturen, c) die Abhängigkeit von Entscheidungszentren und d) die Stigmatisierung. Zu a) Die Prozesse der Abwanderung sind ein Indikator für Defizite auf den Arbeits- und Wohnungsmärkten von Städten und Regionen. Wanderungsprozesse sind ein demographischen Ausdruck der Mobilität von Menschen („Abstimmung mit den Füssen“), aber haben sozioökonomische Ursachen und Folgen. Eine selektive Abwanderung von jüngeren Altersgruppen für die Ausbildungs- und Berufskarriere verstärkt die Alterung der Residualbevölkerung. Eine selektive Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aufgrund von fehlenden Jobs schwächt die Innovationskraft der Wirtschaft, weil durch den brain drain die jungen und höher gebildeten Schichten fehlen, um Neuerungen einzuführen. Zu b) Die Prozesse der Abkopplung beziehen sich auf wirtschaftliche und infrastrukturelle Dimensionen. In der wirtschaftlichen Dimension erfolgt eine Abkopplung der Unternehmen von der Innovationsdynamik: Produkte und Produktionsverfahren veralten, sind nicht mehr konkurrenzfähig, Erneuerungs-Investitionen bleiben aus. Eine zentrale ökonomische Ursache
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für das Schrumpfen von Städten und Regionen ist dabei die Deindustrialisierung. Durch die Schließung und Verlagerung von Industrien im Kontext der Globalisierung erleiden vor allem die altindustriellen und monostrukturierten Städte und Regionen hohe Bevölkerungs- und Beschäftigungsverluste. Da in den altindustriellen Städten und Regionen das Ausbildungsund Qualifikationsniveau der Arbeiterschaft relativ niedrig ist, werden diese Räume vom Strukturwandel zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie abgekoppelt. Die Abkopplung von der Innovationsdynamik verstärkt wiederum die wirtschaftliche Strukturschwäche von Städten und Regionen, sie führt zu niedrigen Lohnniveaus und hoher Arbeitslosigkeit, die wiederum wichtige sozioökonomische Ursachen für Abwanderungen sind. Eine materiell-physische Abkopplung von Infrastrukturen erfolgt, wenn in schrumpfenden Städten und Regionen beispielsweise Bahnhöfe, Schulen, Schwimmbäder oder Krankenhäuser aus Kapazitäts- und Rentabilitätsgründen geschlossen werden. Solche Schließungen können Schrumpfungsprozesse verstärken, da sie aufgrund der sinkenden Lebensqualität Abwanderungen fördern und Zuwanderungen erschweren. Zu c) Prozesse der Abhängigkeit von Entscheidungszentralen der Wirtschaft und Politik sind wiederum eine Folge von wirtschaftlicher Strukturschwäche und politischer Machtlosigkeit. Durch die Schließung bzw. Übernahme von mittelständischen Unternehmen, deren Inhaber mit dem Standort verbunden waren, und die Ansiedlung von Zweigbetrieben und Unternehmensfilialen verlieren die betroffenen Städte und Regionen ökonomische Entscheidungsmacht. Wenn Kaufhäuser und Filialbetriebe von den Unternehmenszentralen aus der räumlichen Distanz heraus geschlossen werden, dann verstärkt dies die Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung und damit die Abwanderung. Eine politische Abhängigkeit der Kommunen von staatlichen Finanztransfers besteht durch die knappen Kommunalfinanzen, die auch eine Folge der Strukturschwäche sind. Auch die kommunale Finanzknappheit ist ein Faktor, der die Schrumpfung verstärken kann, wenn öffentliche Dienstleistungsangebote um Kosten zu sparen abgebaut werden und damit die Attraktivität der Kommune sinkt. Zu d) Mit dem Fokus auf Prozesse der Stigmatisierung rückt der Ansatz der Peripherisierung schließlich auch die kommunikativ-diskursive Dimension der Raumentwicklung in das Blickfeld, die in der Schrumpfungsdebatte kaum eine Rolle spielt. Indem überregionale Medien über schrumpfende Städte und Regionen negativ berichten, diese als „zukunftslos“, „hoff-
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nungslos“ oder „sterbend“ darstellen und die Verlierer des Strukturwandels als soziale Randgruppen ausgrenzen, können sich negative Images von Räumen – wie z.B. „Arbeitslosen-Hauptstadt“, „Armenhaus“, „Altersheim“, „Pleitestadt“ – verstärken. Dadurch werden Zuwanderungen und Investoren gehemmt, was wiederum Schrumpfungsprozesse verstärkt. Durch die skizzierten kausalen Zusammenhänge wird deutlich, dass Schrumpfungsprozesse von Städten und Regionen nur durch einen mehrdimensionalen Ansatz wie der Peripherisierung erklärt werden können und Abwärtsspiralen das Ergebnis einer Überlagerung verschiedener Faktoren sind. Ein zweiter Mehrwert des Peripherisierungsansatzes gegenüber der Analyse von Schrumpfungsprozessen liegt in seiner stärkeren räumlichen Dimension. Durch die Konstruktion sozialräumlicher Systeme – insbesondere Arbeits- und Kapitalmärkte und Territorialstaaten – werden Abstiegsprozesse von Peripherien in Relation zum Aufstieg von Zentren gebracht. Funktions- und Bedeutungsverluste in den Peripherien gehen demnach mit Funktions- und Bedeutungsgewinnen in den Zentren einher. Damit wird auch eine Verbindung von schrumpfenden und wachsenden Räumen hergestellt. Dieser Zusammenhang wird in den in Kapitel 4.3 und 4.4 skizzierten Polarisationstheorien für die mobilen Produktionsfaktoren der Arbeitskräfte (Zu- und Abwanderung) und des Kapitals (Investitionen und Desinvestitionen) konstruiert. Eine sozialräumliche Polarisierung entsteht durch Wanderungsprozesse. Denn unter der Bedingung einer insgesamt rückläufigen Bevölkerung – wie dies heute ist in den meisten Ländern Europas durch niedrige Geburtenraten und begrenzte internationale Zuwanderungen der Fall ist – führen Abwanderungen aus den Peripherien zu Zuwanderungen in die Zentren. Peripherisierungsprozesse sind unter dieser Bedingung also die strukturelle Kehrseite von Zentralisierungsprozessen und verstärken sozialräumliche Polarisierungsprozesse (Ehrlich/Kriszan/Lang 2012). Dies erklärt die zunehmenden räumlichen Disparitäten zwischen demographisch wachsenden und schrumpfenden Räumen in vielen Ländern Europas. Ein dritter Mehrwert des Peripherisierungsansatzes gegenüber der Schrumpfungsdebatte liegt in seinem stärkeren Bezug auf die Handlungsebene von Akteuren. Während Schrumpfungsprozesse von Städten und Regionen oft auf der strukturellen Ebene – z.B. mit Bevölkerungs-, Wirtschafts-, Sozial- oder Infrastrukturen – erklärt werden, rückt der Peripherisierungsansatz auch die Handlungsebene von Akteuren und die Steuerbarkeit von Prozessen in das Blickfeld. So wurde in unseren empirischen Fall-
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beispielen deutlich, dass Schrumpfungsprozesse von Städten oft auf konkrete Entscheidungen von Akteuren zurückgehen: beispielsweise die Entscheidung der Autokonzerne Ford und Chrysler, ihren Unternehmensstandort aus Detroit zu verlagern, die Entscheidungen eines Kaufhauskonzerns zur Schließung einer Filiale in Eschwege oder die Entscheidung der Treuhandanstalt, den Bergbau im Mansfelder Land zu schließen. Die Struktureffekte dieser Entscheidungen hatten eine enorme Tragweite und waren in diesen Fällen eine wesentliche Ursache für die Schrumpfungskrise von Städten und Regionen. Die Entscheidungs- und Kontrollmacht von Akteuren, ihr Einfluss auf Peripherisierungsprozesse und das Making von Peripherien wird deshalb als Thema im nächsten Kapitel vertieft.
13 Peripherisierung und Macht
In den ersten beiden Teilen dieses Buches ist an vielen Stellen deutlich geworden, dass Zentrum und Peripherie in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung weniger eine räumliche Lage bezeichnen, als ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das zu ungleicher räumlicher Entwicklung führt. Dabei wird die soziale Position der Peripherisierten durch Machtlosigkeit bzw. Ohnmacht beschrieben (Friedmann 1973; Blowers/Leroy 1994; Kreckel 2004; Lang 2012). Dieses Machtverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie wurde an einer ganzen Reihe von Fallbeispielen deutlich: im historischen Beispiel des Imperium Romanum als Abhängigkeit der unterworfenen Provinzen durch die Metropole Rom (Kapitel 2.1); im raumplanerischen Konzept von Metropolen, welche u.a. durch Entscheidungs- und Kontrollfunktionen als Sitz von Regierungen und Unternehmens-Headquarter bestimmt werden. Durch diese Funktionen besitzen die Metropolen Entscheidungsmacht über die nicht-metropolitanen Räume (Kapitel 2.4); in der Metropolregion Berlin-Brandenburg, in der sich die sozialräumlichen Disparitäten zwischen der Metropole und der Bundeshauptstadt Berlin und den abgelegenen märkischen Randregionen verstärken (Kapitel 3.4); in der Fallstudie Eschwege, in der die Ohnmacht der lokalen Politik gegenüber Entscheidungen von Konzernen zur Schließung von lokalen Betrieben deutlich wurde (Kapitel 8.4) und schließlich auch in der Fallstudie Sangerhausen, in der die Ohnmacht der lokalen Akteure gegenüber der Stigmatisierung in den bundesweiten Medien als „Hauptstadt der Arbeitslosigkeit“ deutlich wurde (Kapitel 9.3). Die Frage, worin die Macht des Zentrums und die Ohnmacht der Peripherie genau bestehen, wird in den im ersten Teil des Buches diskutierten Theorieansätzen allerdings unterschiedlich beantwortet. Aus planungswis-
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senschaftlicher Sicht werden Peripherisierungsprozesse vor allem mit dem Fehlen einer Entscheidungs- und Kontrollmacht in Verbindung gebracht, die in den Zentren und Metropolen verortet wird (Blotevogel 2005). Die älteren Polarisationstheorien gehen in dieser Hinsicht von einer „organisierten Abhängigkeit“ (Friedmann 1973: 51) der Peripherien durch die Eliten in den Zentren aus. Neuere Beiträge aus der Governance- und Politikforschung betonen vor allem die Exklusion von Entscheidungs-Netzwerken (Herrschel 2011) und Machtressourcen (Kreckel 2004) als Kennzeichen von Peripherisierung. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, worin eigentlich die Machtvorteile von Zentren gegenüber Peripherien bestehen. Welche Ressourcen können von diesen zur Durchsetzung eigener Interessen eingesetzt werden? Warum verfügen sie über diese Ressourcen? Und welche Möglichkeiten zur Bildung von Gegenmacht haben die Betroffenen? Machtkonzepte in der Community Power-Debatte Um das Verhältnis von Peripherisierung und Macht zu klären, werden im folgenden Kapitel die Macht-Konzepte in der Community Power-Debatte dargestellt (vgl. zusammenfassend: Dowding 2011). Dabei gehen wir auf die Unterscheidung der three faces of power (Angolano 2011) ein und die Unterscheidung zwischen power over und power to (Pansardi 2011). Die Community Power-Debatte ist aus folgenden Gründen geeignet, um das Verhältnis von Peripherisierung und Macht zu beleuchten: a) sie stellt eine Verbindung her zwischen Konzepten von Macht, den Methoden ihrer Untersuchung und empirischen Studien und ermöglicht damit eine kritische Prüfung von theoretischen Annahmen; b) unter den vielen Formen von Macht – u.a. ökonomische, militärische, politische, kommunikativ-diskursive – begrenzt sich die Debatte auf das Zusammenwirken von politischer und wirtschaftlicher Macht und ermöglicht damit auch Bezüge zu Urban Governance; c) die Debatte bezieht sich auf die lokale Ebene der Stadtpolitik in demokratischen Staatssystemen und ermöglicht daher, Formen der Macht in den Planungspolitiken europäischer und deutscher Städte zu untersuchen. In der politikwissenschaftlichen Community Power-Debatte, die bereits seit den 1950er Jahren und überwiegend in den USA geführt wurde, stand die Untersuchung von Machtbeziehungen in der Lokalpolitik von Städten im Mittelpunkt. Die Beantwortung der Kernfrage „Who governs?“ führte
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dabei zu erheblichen Kontroversen unter den Forschern, da damit Fragen zum demokratischen Charakter der amerikanischen Gesellschaft unter der Bedingung der zunehmenden Konzentration von wirtschaftlicher Macht aufgeworfen wurden. In dieser Debatte kristallisierten sich zwei unterschiedliche Positionen heraus. Eine elitentheoretische Position betonte die zentrale Rolle einer lokalen Machtelite in den Städten. In einer empirischen Studie über Atlanta zeigte Hunter, dass vor allem eine kleine Gruppe von Geschäftsleuten, die über ein hohes soziales Prestige und große finanzielle Ressourcen, aber keine politische Legitimation verfügten, zur lokalen Machtelite gezählt wurden (Hunter 1953). Dagegen betonte eine pluralistische Position, dass es in der Lokalpolitik nicht eine, sondern verschiedene Machteliten gibt. In einer empirischen Studie zur Stadt New Haven zeigte Dahl, dass in verschiedenen Politikfeldern der Stadt – untersucht wurden Wahlnominierung, Stadterneuerung und Bildung – Entscheidungen von unterschiedlichen Akteursgruppen getroffen wurden (Dahl 1961: 169). In der pluralistischen Position konkurrieren verschiedene Interessensgruppen in der Stadtpolitik um Einfluss, wobei dem Bürgermeister und der Stadtverwaltung eine zentrale Rolle zugeschrieben wurden. Das Verständnis von Macht bei Dahl bezog sich auf die politische Entscheidungsmacht. Er definierte Entscheidungen als praktizierte Macht und sah Ressourcen dagegen als potenzielle Macht an. Sein Entscheidungsansatz wurde später als „first face of power“ bezeichnet (Dowding 2011). Am Ansatz von Dahl wurde bald kritisiert, dass er zu eng auf den institutionellen Kontext der Lokalpolitik fokussiert sei und nur formelle Beschlüsse und öffentlich beobachtbare Entscheidungsprozesse in den Blick genommen habe. In ihrer Publikation „The two faces of power“ erweiterten Bachrach und Baratz das zugrundeliegende Machtverständnis, indem sie die Kontrolle über das Agenda-Setting der Lokalpolitik berücksichtigten. Für die Macht, bestimmte Themen nicht auf die öffentliche Agenda zu setzen, prägten die Autoren den Begriff der non-decisions (Bachrach/Baratz 1962). In seinem Buch „Power: A Radical View“ führte Lukes schließlich das „third face of power“ ein (Lukes 1974). Er argumentierte, dass die versteckteste, aber stärkste Form von Macht darin bestehe, dass die Machthaber das Bewusstsein der Menschen beherrschten, die ihre realen Interessen nicht mehr erkennen und damit ihre Rolle als Beherrschte akzeptierten (Lukes 1974: 24). Das „dritte Gesicht der Macht“ unterstellte also eine weitgehende Form von unbewusster und in unsichtbaren Strukturen versteckter
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Macht. Diese etwas ominöse Vorstellung von Macht wurde in der Folge viel rezipiert und kritisiert, entfernte sich zugleich aber weit von den empirischen Grundlagen der Gemeindemachtforschung. Bis zu diesem Punkt hatte die Community Power-Debatte Macht als soziale Kontrolle konzipiert, um eigene Interessen gegen andere durchzusetzen („power over“). Macht in der Kommunalpolitik wurde als Entscheidungsmacht (Dahl 1961), als Kontrollmacht über das Agenda-Setting durch Nicht-Entscheidungen (Bachrach/Baratz 1962) bis hin zur unbewussten Domination (Lukes 1974) bestimmt. Das Ausmaß der „Macht über andere“ ist in den drei Gesichtern der Macht jeweils ansteigend. Eine Erweiterung des Machtverständnisses in eine neue Richtung lieferte die Urban RegimeTheorie. Diese stellte eine Fortsetzung der Community Power-Debatte unter einem stärker polit-ökonomischen Blickwinkel dar (Eltkin 1987; Stone 1989; Mossberger/Stoker 2001). Die Urban Regime-Theorie hat Macht nicht mehr als soziale Kontrolle konzipiert, sondern als soziale Produktion. In seinem Buch „Regime Politics“ entwickelte Stone am Beispiel einer empirischen Studie über Atlanta die konzeptionelle Unterscheidung zwischen „Power over“ und „Power to“ (Stone 1989: 219 ff.). Mit „Power to“ ist die Herstellung von Handlungsfähigkeit der Akteure gemeint. „Power to“ ist die Kapazität, die eigenen Ziele durch Koalitionen mit anderen Akteuren zu erreichen. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Macht in den US-Städten zwischen Politik und Wirtschaft fragmentiert ist. Die Stadtpolitik ist von den Investitionen der Unternehmen abhängig, die Unternehmen von den Entscheidungen der Stadtpolitik. Urbane Regimes sind informelle Partnerschaften zwischen Akteuren, die Zugang zu Ressourcen haben um Regierungsentscheidungen zu beeinflussen (Stone 1989; Moosberger/Stoker 2001). Damit werden auch die engen Bezüge zur Urban Governance-Diskussion (Di Gaetano/Strom 2003; Pierre 2011) deutlich. Kritik und Defizite der Community Power-Debatte Die „drei Gesichter der Macht“ in der Community Power-Debatte – Entscheidungen, Kontrolle über das Agenda-Setting und Domination – sind durch ein Verständnis von „power over“ geprägt. Damit liegen die Autoren ganz in der sozialwissenschaftlichen Tradition von Max Weber, der eine bis heute viel zitierte Definition von Macht vorgelegt hat: „Macht ist die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen
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Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ (Weber 1985, zitiert in: Anter 2012: 15). Seitdem besteht in den Sozialwissenschaften ein großer Konsens, dass Macht eine Eigenschaft sozialer Beziehung ist, wobei diese Beziehung asymmetrisch ist. Nach Weber hat der Begriff der Macht keine konkrete Gestalt und ist „soziologisch amorph“ (ebd.: 57). Das erschwert es in der planungs- und politikwissenschaftlichen Forschung, Macht empirisch zu fassen. Die Community Power-Debatte hat eine weitere und heute viel diskutierte Form von Macht gar nicht berücksichtigt: die Macht der Kommunikation und Diskurse, welche nicht nur durch die Arbeiten von Foucault (Foucault 1982), sondern auch in der Planungstheorie zu einem dominanten Paradigma geworden ist (Forester 1989; Healey 1997, Innes/Booher 2015). Die Macht der Kommunikation wurde am Beispiel der Stigmatisierung der Stadt Sangerhausen deutlich. Hier hat sich gezeigt, dass die überörtlichen Medien eine große Deutungsmacht haben, welche die Peripherisierung der Stadt verstärken kann. Trotz dieser Einschränkungen erlaubt es die Community Power-Debatte, verschiedene Formen von Macht zu unterscheiden, die in der Planungspolitik von Städten zusammenwirken: a) die Entscheidungsmacht ist eine konstituierende Grundlage der Politik und in lokalen Demokratien an den Gemeinde- bzw. Stadtrat übertragen (Dahl 1961); b) die Kontrollmacht über das Agenda-Setting besteht in der Form von Nicht-Entscheidungen durch Eliten aus der Lokalpolitik und Stadtverwaltung (Bachrach/Baratz 1962); c) die Ressourcenmacht entsteht durch die Verfügungsgewalt über Finanzen, Personal und Besitz von privaten Investoren, Unternehmen und Eigentümern (Stone 1989). Nach der Urban Regime-Theorie sind diese Machtformen in den Städten zwischen öffentlichen und privaten Akteuren separiert, deshalb sind beide Seiten gegenseitig aufeinander angewiesen. Die Kombination beider Machtformen in Koalitionen ermöglicht erst die Handlungsfähigkeit der Akteure. Die Urban Regime-Theorie bezieht sich auf die spezifischen Bedingungen der US-amerikanischen Städte und lässt sich nur sehr eingeschränkt auf europäische Städte übertragen (Moosberger/Stoker 2001). In Europa ist aufgrund der viel stärkeren Einbettung der Kommunen in staatliche Mehrebenen-Systeme die Abhängigkeit der Lokalpolitik von Unternehmen ungleich geringer, andererseits jedoch der Einfluss der staatlichen Ministerien auf die Lokalpolitik ungleich größer. Die lokale Politikforschung in Deutschland hat ihre Forschung entsprechend stärker auf Machtstrukturen
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und Entscheidungsprozesse im politisch-administrativen System gelegt (Bogumil 2002). Dabei kam dem Verhältnis von Rat und Stadtverwaltung eine wichtige Rolle zu. Macht in der Lokalpolitik wurde mit den Modellen der „Vorentscheider“ (Banner 1972) konzeptualisiert. Danach hat der Gemeinderat als demokratisch legitimiertes Entscheidungsgremium eine eher marginale Bedeutung, während eine einflussreiche Gruppe aus Bürgermeister, Dezernenten, Rats- und Fraktionsvorsitzende sowie einzelnen Führungspersonen die eigentliche Entscheidungs- und Kontrollmacht in der Gemeinde ausübt. Die Ohnmacht der Peripherisierten Welche Ansätze und Erkenntnisse aus der Community Power-Debatte lassen sich zur Erklärung von Peripherisierungsprozessen durch das Handeln von Akteuren unter den Bedingungen von Peripherisierung übertragen? Unterschieden nach den verschiedenen Formen von Macht sind peripherisierte Akteure durch zwei relevante Machtdefizite gekennzeichnet: a) Defizite in der Entscheidungs- und Kontrollmacht. Die kommunale Planungshoheit in Deutschland sichert der lokalen Planungspolitik grundsätzlich das Entscheidungsrecht über alle örtlichen Angelegenheiten. Wie die Fallstudien jedoch gezeigt haben, fallen viele strukturpolitisch wichtigen Entscheidungen in peripherisierten Städten gar nicht auf der lokalen Ebene, sondern in Zentren auf viel höheren räumlichen Ebenen. In Pirmasens beispielsweise die Entscheidung der US-Army, die Garnisonen komplett aus der Stadt abzuziehen; in Eschwege die Entscheidung der Bundesregierung, die Zonenrandförderung nach der deutschen Wiedervereinigung einzustellen und stattdessen die ostdeutschen Länder besonders zu fördern; in Sangerhausen die Entscheidung der Treuhandanstalt, den Kupferbergbau im gesamten Mansfeld zu schließen. Diese Entscheidungen hatten erhebliche negative Struktureffekte für die Städte, teilweise waren sie sogar die Ursache für ihre Peripherisierung oder haben zumindest deren Abstiegsprozesse verstärkt. Defizite in der Entscheidungs- und Kontrollmacht bestehen im Peripherisierungskontext jedoch nicht nur bei Entscheidungen zum Nachteil der Städte, sondern auch zu deren Vorteil. So liegen viele strukturpolitische Entscheidungen zur Stärkung der Städte außerhalb der kommunalen Entscheidungsmacht und werden auf Bundes- und Landesebene getroffen. Dazu zählen beispielsweise die Ansiedlung einer Fachhochschule
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(Pirmasens), die Durchführung einer Kreisgebietsreform mit der Festlegung der Kreisstadt (Eschwege) und der Bau einer neuen Autobahn mit einem Gewerbegebiet für landesweite Ansiedlungen (Sangerhausen). Eine Entscheidungs- und Kontrollmacht der Lokalpolitik setzt ausreichende Kommunalfinanzen sowie Entscheidungsspielräume der Städte über die eigenen Ressourcen voraus. Wie das Extrembeispiel der „Pleitestadt“ Detroit zeigt, hat die Stadtpolitik heute durch die Zwangsverwaltung des Gouverneurs von Michigan die lokale Finanzkontrolle verloren. Die Zwangsverwaltung ist wohl eine der stärksten Formen von Ohnmacht, da die lokalen Akteure gegen Entscheidungen zu ihrem Nachteil – z.B. durch Sparauflagen oder Privatisierungsmaßnahmen – nichts mehr ausrichten können. Auch in Deutschland gibt es erste Beispiele von verarmten Städten, die ihre Schulden nicht mehr bedienen können und von staatlichen Stellen zwangsverwaltet werden. Doch auch bereits eine hohe kommunale Verschuldung schränkt die lokalen Entscheidungsspielräume der peripherisierten Städte deutlich ein und verstärkt die Abhängigkeiten von staatlichen Finanztransfers. b) Defizite in der Ressourcenmacht. Ein weiteres Kennzeichen peripherisierter Kommunen ist es, über geringe wirtschaftliche Ressourcen – vor allem Finanzen und Personal – zu verfügen. Aufgrund der strukturschwachen Wirtschaft, der Innovationsschwäche der Unternehmen und dem niedrigen Lohnniveau der Arbeitnehmer sind die eigenen Einnahmen der Kommunen durch die Gewerbe- und Einkommenssteuer gering, die Sozialausgaben aufgrund überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit und hoher Anteile der Wohnbevölkerung an Transferempfängern jedoch hoch. Die daraus resultierende Finanzarmut der Kommunen macht diese doppelt abhängig von externen Ressourcen: von privaten Investoren und von öffentlichen Finanzhilfen des Staates. Die hohe Abhängigkeit von privaten Investoren zeigt sich in strukturschwachen Städten wie Sangerhausen besonders darin, dass diesen der „rote Teppich“ in Form von großen Gewerbegebieten und staatlichen Subventionen ausgerollt wird. Die Stadtpolitik in Sangerhausen hat sich dabei bewusst gegen ein Stadtentwicklungs-Leitbild entschieden, um alle Entwicklungsoptionen offen zu halten. Aus dieser Position der Abhängigkeit erscheinen langfristige Leitbilder der Stadtentwicklung als Luxus, den man sich nicht leisten kann (Bernt/Becker/Liebmann 2010: 30). Manche strategischen Projekte der Planungspolitik in peripherisierten Städten scheitern gerade an der Abwesenheit von privaten Investoren (z.B. Ein-
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kaufszentrum in Pirmasens; Luxus-Hotel in Eschwege). Eine lokale Abhängigkeit von der staatlichen Politik zeigt sich besonders darin, dass die Strategieentwicklung von Städten sich heute sehr stark auf vorhandene Förderprogramme ausrichtet. Dabei haben insbesondere die Programme Stadtumbau Ost und West einen großen Einfluss auf die Erarbeitung integrierter Stadtentwicklungskonzepte (Kühn/Weck 2012). Diese Abhängigkeit von den „goldenen Zügeln“ der Förderprogramme wurde besonders im Fall von Eschwege deutlich. Die Gegenmacht der Peripherie Nach der Peripherieforschung verfügen peripherisierte Akteure über keine Gegenmacht, um ihre Interessen zu artikulieren: „Sich nicht (mehr) gegen Benachteiligungen wehren zu können, das bedeutet Peripherie. Den Akteuren gelingt es nicht, sich aufgrund ihrer ‚schwachen‘ sozialen Stellung und in dünn besiedelten Räumen wohl auch wegen der großen Entfernungen zusammenzuschließen und Gegenmacht zu bilden, um Handlungsspielräume für die Gestaltung der eigenen Lebensvorstellungen (zurück)zugewinnen. Ja es gelingt den Betroffenen in peripheren Lagen nicht einmal ihre Interessen ‚lautstark‘ zu artikulieren, um sich so Gehör und Einfluss zu verschaffen.“ (Neu 2006: 13). Auch wenn peripherisierte Kommunen in Deutschland über eine schwache Entscheidungs- und Kontrollmacht sowie eine schwache Ressourcenmacht verfügen, deuten unsere Fallstudien darauf hin, dass die betroffenen lokalen Akteure in der raumbezogenen Planung und staatlichen Mehrebenenpolitik nicht völlig machtlos sind und Formen von Gegenmacht entwickeln können. Die Fallstudien zu Pirmasens, Eschwege und Sangerhausen sowie auch zur Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg zeigen vielmehr, dass die Thesen einer politischen Domination von Peripherien durch die Zentren (Friedmann 1973), einer Benachteiligung bei der Ressourcenverteilung (Nolte 2001; Kreckel 2004) und Exklusion von Entscheidungs-Netzwerken (Herrschel 2011) in der Praxis der untersuchten Städte bisher kaum zutreffend sind. Diese Thesen wurden aus globalen Theorien von Weltsystemen und Dependenzen (Wallerstein 1974), die sich auf die Entwicklungsländer und früheren Kolonien beziehen, zu unreflektiert und unkritisch auf die Bedingungen der parlamentarischen Demokratie in Europa übertragen. Ein einfaches Zentrum-Peripherie-Verhältnis im Sinne von Macht und Ohnmacht erscheint jedenfalls nicht angemessen, um die
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komplexen Bedingungen der politischen Mehrebenenverflechtung in einem föderalistischen und demokratischen Staat wie Deutschland zu beschreiben. Keiner der interviewten lokalen Führungsakteure in Pirmasens, Eschwege und Sangerhausen fühlt sich bisher durch die Landespolitiken benachteiligt, „vergessen“, „abgehängt“ oder ausgeschlossen. Vielmehr wird aus deren Sicht die Stimme peripherisierter Städte in den Landeshauptstädten durchaus gehört. Auch eine Benachteiligung bei der Verteilung von staatlichen Ressourcen und der Vergabe von Fördermitteln in Wettbewerbsverfahren wird durch die lokalen Akteure bisher nicht festgestellt. Worin jedoch die „Gegenmacht“ der Peripherisierten in den politischen Entscheidungszentren genau besteht, erfordert eine Mehrebenenanalyse, die wir in unseren Fallstudien nicht untersucht haben. Eine naheliegende demokratietheoretische Erklärung könnte das politische Gewicht von Wählerstimmen in den Peripherien sein. Da es sich jedoch bei den untersuchten Fällen um relativ kleine Städte und dünn besiedelte ländliche Regionen handelt, fällt dieses Argument aufgrund der bestehenden Mehrheitsverhältnisse in den Bundesländern nicht so sehr ins Gewicht. Im Gegensatz dazu bildet in den Randregionen von Brandenburg die Wahlbevölkerung noch eine Mehrheit im Land gegenüber dem Umland von Berlin. Diese Mehrheitsverhältnisse könnten erklären, warum die Landespolitik in Potsdam die Interessen der Peripherien bisher besonders stark unterstützt. Eine andere Erklärung könnten starke Lobbys von peripheren Eliten in den Landeshauptstädten sein. Ein solches Lobbying kann durch die Herkunft von Führungspersonen in der Regierung und den Ministerien oder von Landtagsabgeordneten aus der Peripherie erklärt werden. Auch kann der politische Druck von einzelnen Wirtschaftseliten – z.B. die Agrar- und Kohle-Lobby – ein Faktor für die Gegenmacht von Peripherien sein. Welche politische Gegenmacht peripherisierte Städte und Regionen bei gleichzeitigen Defiziten an Entscheidungs-, Kontroll- und Ressourcenmacht unter den Bedingungen des bundesdeutschen Föderalismus und der repräsentativen Demokratie haben, kann nur durch eine politische Mehrebenen-Analyse untersucht werden und bleibt eine offene Forschungsfrage.
14 Entperipherisierung: Handlungsoptionen von Planung und Politik
Weitere Forschungsdefizite bestehen auch im Hinblick auf die Handlungsoptionen der Akteure in den von Peripherisierungsprozessen betroffenen Städten und Regionen. Was können Planung und Politik unter den schwierigen Strukturbedingungen tun, um eine Abwärtsspirale aufzuhalten, die Nachteile einer peripheren Lage zu überwinden und eine Trendumkehr zur Entperipherisierung zu bewirken? Welche Auswege aus der Peripherisierung sind möglich? Hier wird in vielen Beiträgen der Peripherieforschung die Bildung endogener Netzwerke zwischen den Akteuren empfohlen, um die exogenen Abhängigkeiten von den Zentren zu verringern. Schon Friedmann hat in seiner Zentrum-Peripherie-Theorie darauf verwiesen, dass Peripherien ihre Innovationsschwäche und Abhängigkeit überwinden können und hat damit die Möglichkeit einer Entperipherisierung eröffnet („the emergence of new core regions on the periphery“, Friedmann 1973: 56). Auch der Ansatz der „nicht-räumlichen Peripheralität“ betont die Möglichkeit, durch lokale Wirtschaftsnetzwerke, institutionelle Netzwerke zwischen Politik und Wirtschaft sowie Links zu europäischen bzw. globalen Netzwerken die Nachteile von peripheren ländlichen Regionen in Europa zu überwinden (Copus 2001). Im Kontext der „eigenständigen Regionalentwicklung“ in Österreich wurden bereits seit den 1990er Jahren die Mobilisierung regionaler Potenziale, der Aufbau regionaler Netzwerke und Wirtschaftskreisläufe sowie die Bildung dezentraler Strukturen in ländlichperipheren Regionen in der Praxis der Regionalpolitik angestrebt (Heintel 1998). Nach den theoretischen Erklärungsansätzen von Peripherien handelt es sich dabei allerdings um Akteure, die wirtschaftlich innovationsschwach
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und politisch abhängig (Friedmann 1973), arm, benachteiligt und machtlos (Kreckel 2004) sind. Mit anderen Worten: schwache Akteure ohne viele eigene Ressourcen. Welche Potenziale und Grenzen können vor diesem Hintergrund endogene Strategien zur Bewältigung von Peripherisierungsprozessen tatsächlich innehaben? Inwieweit bleiben diese von den exogenen Ressourcen aus den Zentren abhängig? Zu den Chancen und Strategien einer Entperipherisierung von Städten und Regionen liegen bisher insgesamt nur wenige empirische Studien vor. Deshalb gehen wir auf zwei regionale Beispiele ein, die in der deutschen Raumentwicklungspolitik immer wieder angeführt werden. Das erste Beispiel bezieht sich auf das Emsland in Südwest-Niedersachsen. Für diese Region wird ein erfolgreicher Wandel von einem strukturschwachen und peripher gelegenen Raum zu einem prosperierenden ländlichen Raum beschrieben (Danielzyk/Wiegandt 2005). Die Entwicklung der Bevölkerung und Beschäftigung in der Region ist heute durch überdurchschnittliche Wachstumsraten gekennzeichnet. Das Emsland galt noch in der Nachkriegszeit aufgrund der dünnen Besiedlung, der schlechten Verkehrserschließung, den ertragsarmen landwirtschaftlichen Böden und einer mangelhaften Infrastruktur sowie der vielen Kriegs-Flüchtlinge als das „Armenhaus Deutschlands“ (ebd.: 47). Der Aufstieg zu einem heute prosperierenden Raum erfolgte auf der Basis eines klassischen staatlichen Modernisierungs- und Erschließungsprogramms. Der Deutsche Bundestag verabschiedete 1950 den Emslandplan („Emslanderschließungsprogramm“). Als gesamtstaatliche Aufgabe flossen dadurch viele Fördermittel des Bundes und des Landes Niedersachsen in die Region. Damit wurden in der ersten Phase der 1950er Jahre vor allem Bodenmeliorationen, landwirtschaftliche Ansiedlungen sowie gewerbliche und handwerkliche Betriebe gefördert. In der zweiten Phase seit Ende der 1960er Jahre wurde eine Strategie der planmäßigen Industrialisierung der ländlichen Region verfolgt. Große Industrieunternehmen – u.a. zwei Atomkraftwerke, ein Elektrostahlwerk und eine Papierfabrik – wurden bevorzugt in den regionalen Zentren Lingen und Papenburg angesiedelt. Diese Ansiedlungserfolge waren insofern ein Ausdruck einer peripherisierten Rolle, da die politische Akzeptanz von umweltbelastenden Industrien im Emsland aufgrund der wirtschaftlichen Notlage besonders groß war (ebd.: 48). Die heutige demografische und wirtschaftliche Prosperität der Region wird u.a. auf die verbesserte Erschließung durch die neue Autobahn A 31 sowie der positiven Beschäfti-
E NTPERIPHERISIERUNG : H ANDLUNGSOPTIONEN
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gungsdynamik einer Werft in Papenburg als größtem Arbeitgeber in der Region zurückgeführt. Das Emsland ist damit ein Beispiel für eine klassische staatliche Modernisierungspolitik, die hauptsächlich auf exogene Impulse durch Infrastrukturausbau und große Industrieansiedlungen gesetzt hat. In der Zeit seit den 1960er Jahren war diese Strategie noch erfolgreich, da die Industrialisierung noch nicht an ihre Wachstumsgrenzen aufgrund der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft gekommen war. Ein anderes und jüngeres Beispiel für die „Entperipherisierung“ eines peripher gelegenen Raumes ist die Region Bodensee-Oberschwaben (Köhler 2012). Die periphere Lage dieser Region ergibt sich durch ihre nationale Grenzlage in Deutschland, die trennende Wirkung des Bodensees, der Barriere der Alpen sowie durch die großen Entfernungen zu den landes- und bundespolitischen Entscheidungszentren in Stuttgart und Berlin. In der Region fehlt außerdem ein markantes Zentrum durch eine Metropole, sie liegt damit abseits von Metropolregionen. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Region von einem ländlich strukturierten und strukturschwachen Raum zu einem technologie-orientierten und innovativen Wirtschaftsraum entwickelt, der heute eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten in Deutschland aufweist. Dieser Aufstieg der Region führt ein Lokal- und Regionalpolitiker vor allem auf zwei Faktoren zurück: a) die starke Vernetzung der Akteure in der Region durch Formen interkommunaler Kooperationen, Städtenetze und Regional Governance-Formen zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft; b) die grenzüberschreitende Kooperation mit Nachbarregionen aus Österreich und der Schweiz. Diese bilden als Internationale Bodenseeregion einen „Club der Peripheren“ (Köhler 2012: 61). Durch diese Internationalisierung sei es gelungen, die Nachteile einer peripheren Lage in Vorteile umzuwandeln. Die Entperipherisierung der Bodenseeregion wird vor allem durch endogene Strategien der Vernetzung von Akteuren und Kommunen erklärt. Der Beitrag verweist allerdings auch darauf, dass auch exogene Impulse und Ressourcen zur Entperipherisierung der Region beigetragen haben. Dazu wird die Entscheidung des Landes BadenWürttemberg gezählt, verschiedene Hochschulen und Fachhochschulen in der Region anzusiedeln, die zur Deckung des Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräfte beigetragen haben (ebd.: 58). Beide Beispiele bestätigen auf der räumlichen Maßstabsebene von Regionen unsere Befunde zu den Mittelstädten, dass erst durch die Kombination von endogenen Akteurs-Netzwerkbildungen mit der Nutzung exogener
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Ressourcen neue Handlungsspielräume für die Peripherisierten entstehen (Kühn/Weck 2012). Strukturelle Defizite von Peripherien in der Wissensgesellschaft liegen heute weniger in verkehrlichen Infrastrukturen, sondern in der digitalen Infrastruktur (Zugang zu schnellem Internet durch Breitbandversorgung) sowie im beruflichen Qualifikationsniveau der Bevölkerung. So hat sich in den Fallstudien zu den deutschen Mittelstädten die Bildungs- und Qualifizierungspolitik als ein Schlüssel zur Bewältigung von Peripherisierungsprozessen erwiesen. In Pirmasens sind die Ansiedlung der Fachhochschule und der Pakt für Pirmasens strategische Handlungsansätze, um die Bildungsferne in der früheren Arbeiterstadt zu verbessern. Da Hochschulen und Fachhochschulen ihren Sitz in der Regel nur in größeren Mittelstädten haben, verfügen kleinere Städte hier meist über keine Handlungsoptionen, um Studierende anzuziehen. In Eschwege ist deshalb die Einstellung von hoch qualifiziertem Leitungspersonal in der Stadtverwaltung – bei angespannter kommunaler Haushaltslage und knappen Personalressourcen – ein innovativer Handlungsansatz, um kreative Ideen und Projekte in der Kleinstadt zu verwirklichen. Anstelle die knapp vorhandenen Ressourcen peripherisierter Städte und Regionen in städtebauliche Projekte oder Verkehrs-Projekte zu investieren, verspricht die Investition in qualifiziertes Personal eher neue Wege zur Entperipherisierung von Städten und Regionen zu eröffnen. Damit kommt der Qualifizierung von Menschen in Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen sowie in den Verwaltungen von Städten, Landkreisen und Regionen eine maßgebliche Bedeutung zu, um eine weitere Abwärtsspirale von Städten und Regionen zu vermeiden und den Anschluss an die Wissensgesellschaft zu sichern.
15 Fazit und Ausblick
Die vorliegende Monographie hat einen Bogen von den klassischen Raumkonzepten der „Peripherie“ hin zu neueren Ansätzen der „Peripherisierung“ geschlagen. Während im raumordnerischen Verständnis „Peripherie“ eine geographische Randlage abseits von städtischen Zentren beschreibt und meist in Bezug auf ländliche Räume angewendet wird, ist „Peripherisierung“ ein sozialräumlicher Prozessbegriff, der sich auch auf die Entwicklung von Städten anwenden lässt. Die empirischen Fallbeispiele haben gezeigt, dass auch Städte und sogar Metropolen als Zentren einen Bedeutungs- und Funktionsverlust erfahren können und damit an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Dies erfolgt durch Prozesse der Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung. Der Ansatz der Peripherisierung ermöglicht es zugleich, diese Abstiegsprozesse nicht als schicksalhaft oder durch strukturelle Defizite bedingt zu verstehen, sondern auch das „Making“ von Peripherien durch das Handeln von Akteuren zu erfassen und Wege aus der Abwärtsspirale der Peripherisierung zu finden. Zum „Making“ von Peripherien gehören aus planungswissenschaftlicher Sicht vor allem Fragen von Machtbeziehungen zwischen den Akteuren. Die bisherige Peripherieforschung unterstellt dabei eine weitgehende Machtlosigkeit, Abhängigkeit und Ohnmacht der Peripherisierten. Machtlosigkeit und Abhängigkeiten sind sicher wichtige Faktoren, um sozialräumliche Abstiegsprozesse zu erklären. Da sich Macht aufgrund ihres amorphen Charakters jedoch empirisch nur schwer untersuchen lässt, wurde in diesem Buch deshalb der Versuch unternommen, ältere Ansätze der Community Power-Debatte für empirische Studien zur Planungspolitik von Städten und Regionen fruchtbar zu machen. Danach lassen sich Entscheidungs-, Kontroll- und Ressourcenmacht als konkrete Formen von Machtbeziehungen in
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Städten und Regionen unterscheiden. Unsere Fallbeispiele bestätigen, dass peripherisierte Städte durch einen Verlust von Entscheidungs-, Kontrollund Ressourcenmacht gekennzeichnet sind. Viele strukturpolitische Entscheidungen, die große Auswirkungen auf die Peripherisierung von Städten haben, werden auf höheren Maßstabsebenen durch staatliche Stellen oder private Unternehmenszentralen fernab der betroffenen Städte getroffen. Dazu zählen beispielsweise in Pirmasens die Entscheidung der US-Army, die Garnisonen aus der Stadt komplett abzuziehen, in Eschwege die Entscheidung der Karstadt-Zentrale, die lokale Filiale trotz guter Geschäftslage zu schließen und in Sangerhausen die Entscheidung der Treuhandanstalt, den Kupferbergbau im gesamten Mansfeld zu schließen. Die lokalen Akteure sind dabei weitgehend ohnmächtig und verfügen nicht über ausreichende Ressourcen, um eine starke Gegenmacht zu bilden. Dennoch kann – und dies ist eine der wesentlichen neuen Erkenntnisse der vorliegenden Studie – von einer politischen Benachteiligung, Exklusion oder Abkopplung der untersuchten Mittelstädte im föderativen Politiksystem von Deutschland bisher keine Rede sein. Im Gegenteil, die peripherisierten Städte und Regionen haben in den Landeshauptstädten durchaus eine Stimme, die dort auch gehört wird. Deshalb besteht insbesondere ein weiterführender Forschungsbedarf darin, Formen der Macht, Ohnmacht und Gegenmacht von peripherisierten Städten und Regionen in demokratischen Staatssystemen zu untersuchen. Vielversprechend wäre ein internationaler Vergleich zwischen unterschiedlich stark zentralisierten Staaten Europas, um den Einfluss der Machtverteilung zwischen den politischen Ebenen auf die Herausbildung von Peripherien zu bestimmen. Peripherie und Peripherisierung sind negativ konnotierte Raumzuschreibungen, mit denen sich die betroffenen Akteure in den Städten und Regionen naturgemäß nicht gerne identifizieren. Niemand zählt sich gern zur Peripherie, jeder will im Zentrum des Geschehens stehen. Auch in diesem Buch wurden Städte als Peripherien sozial konstruiert und damit eine Perspektive von außen eingenommen. Die Zuschreibung negativer Merkmals erfolge jedoch nicht mit der Absicht zu stigmatisieren, sondern diente dazu, die begrenzten Handlungsoptionen der Akteure aufzuzeigen. Denn die dahinter stehenden Prozesse der Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung bilden einen problematischen Strukturkontext, der es den handelnden Akteuren in der Planungspolitik außerordentlich schwer macht, Auswege aus der Abwärtsspirale zu finden. Welche Auswe-
F AZIT
UND
A USBLICK | 177
ge aus der Peripherisierung können dies sein? Die Fallbeispiele zeigen folgende konkrete Möglichkeiten der „Entperipherisierung“ auf: 1.) Governance-Netzwerke zwischen öffentlichen und privaten Akteuren erhöhen die strategische Handlungsfähigkeit von peripherisierten Städten und Regionen insbesondere gegenüber höheren staatlichen Ebenen. Jedoch fehlen im Peripherisierungskontext von Klein- und Mittelstädten typischerweise oft gerade private Unternehmen als ressourcenstarke Partner. Dies ist eine Folge der Strukturschwäche der Wirtschaft und des Verlustes von Firmenzentralen. Eine endogene Vernetzung von Akteuren reicht demnach nicht aus, da die Akteure in peripherisierten Städten und Regionen meist arm, abhängig und ressourcenschwach sind. 2.) Eine Kombination von endogenen Netzwerken mit exogenen Ressourcen ist demnach ein vielversprechender Weg, um der Peripherisierungsspirale zu entkommen. Dies erfordert im staatlichinstitutionellen Kontext von Deutschland für die betroffenen Städte und Regionen vor allem den Aufbau von politischen Mehrebenen-Beziehungen (Multilevel-Governance) zu staatlichen Ministerien, um Fördermittel auf europäischer, nationaler und föderaler Ebene zu erhalten. Damit lassen sich zumindest die engen Handlungsspielräume durch kommunale Finanznot erweitern, während gleichzeitig die Abhängigkeit von staatlichen Politiken steigt, da Fördermittel wie „goldene Zügel“ eingesetzt werden. 3.) Bildung und Qualifizierung der ansässigen Bevölkerung haben sich in den untersuchten Klein- und Mittelstädten als ein Schlüssel zur Bewältigung von Peripherisierungsprozessen erwiesen. Um das Qualifikationsniveau zu sichern und Studierende anzuziehen, hat die Ansiedlung von Fachhochschulen und Hochschulen eine strategische Bedeutung für viele größere Mittelstädte. Für viele Kleinstädte und kleinere Mittelstädte ist dies jedoch keine Option. In diesen Fällen ist die Qualifizierung des Personals in Politik und Verwaltung eine wichtige Strategie, um kreative Ideen und Projekte zu verwirklichen. Stärker als der Bau von Autobahnen oder die Ausweisung von Gewerbegebieten bietet die Qualifizierung der Menschen heute einen möglichen Ausweg aus der Peripherisierung, um den Anschluss an die Wissensgesellschaft zu sichern.
Verzeichnis der Interviews
Expertengespräche Detroit Gespräch DET 01
Prof. Dr. Robin Boyle, Wayne State University Detroit
30.09.2002
Gespräch DET 02
Kate Beebe, Greater Downtown Partnership Detroit
01.10.2002
Gespräch DET 03
Carol Pickens, General Motors Global Headquarters Detroit
01.10.2002
Experteninterviews Pirmasens Interview PIR 01
Stadtpolitik
28.10.2013
Interview PIR 02
Stadtverwaltung: Finanzen
28.10.2013
Interview PIR 03
Stadtverwaltung: Stadtentwicklung
29.10.2013
Interview PIR 04
Stadtverwaltung: Wirtschaftsförderung
30.10.2013
Interview PIR 05
Lokalpresse
29.10.2013
Interview PIR 06
Stadtpolitik Zweibrücken
29.10.2013
Interview PIR 07
Lokalpolitik Umlandgemeinde
30.10.2013
Interview PIR 08
Landkreis Südwestpfalz
13.11.2013
180 | P ERIPHERISIERUNG UND STADT
Experteninterviews Eschwege Interview ESW 01
Verein für Regionalentwicklung
16.09.2009
Interview ESW 02
Kulturverwaltung
3.11.2009
Interview ESW 03
Stadtplanung
3.11.2009
Interview ESW 04
Industrie- und Handelskammer
3.11.2009
Interview ESW 05
Volkshochschule
3.11.2009
Interview ESW 06
Landfrauen
3.11.2009
Interview ESW 07
Arbeiterwohlfahrt
3.11.2009
Interview ESW 08
Wirtschaftsförderung der Stadt
4.11.2009
Interview ESW 09
Tourismusförderung
4.11.2009
Interview ESW 10
Musikschule Werra-Meißner
4.11.2009
Interview ESW 11
Amtierender Bürgermeister seit 2009
19.01.2010
Interview ESW 12
Ehem. Bürgermeister 1985-2009
19.01.2010
Interview ESW 13
Ehem. Stadtkämmerer
19.01.2010
Interview ESW 14
Unternehmer
20.01.2010
Interview ESW 15
Stadtmarketing
20.01.2010
Experteninterviews Sangerhausen Interview SGH 01
In Sangerhausen tätiger Stadtplaner
18.01.2010
Interview SGH 02
Lokalpolitiker
26.01.2010
Interview SGH 03
Stadtverwaltung, Bereich Wirtschaftsförderung / Stadtplanung
26.01.2010
V ERZEICHNIS DER I NTERVIEWS | 181
Interview SGH 04
Vertreter der Wohnungswirtschaft
26.01.2010
Interview SGH 05
Leitender Angestellter der Stadtverwaltung
26.01.2010
Interview SGH 06
Journalist
26.01.2010
Interview SGH 07
In Stadtentwicklungsprojekten engagierte Bürger
27.01.2010
Interview SGH 08
In Sangerhausen tätiger Stadtplaner
08.03.2010
Interview SGH 09
Kreisverwaltung Mansfeld-Südharz, Fachbereich Bauen und Regionalentwicklung / Wirtschaftsförderung
16.03.2010
Interview SGH 10
Vertreter der Wohnungswirtschaft
16.03.2010
Interview SGH 11
Angestellter der Stadtverwaltung
16.03.2010
Interview SGH 12
Ehemaliger Kreispolitiker
16.03.2010
Interview SGH 13
Geschäftsführer eines Unternehmenszweigsitzes in Sangerhausen
19.04.2010
Interview SGH 14
Unternehmer
20.04.2010
Interview SGH 15
Vertreter der Wohnungswirtschaft
20.04.2010
Interview SGH 16
Bürgermeister eines Ortsteils
20.04.2010
Interview SGH 17
Industrie- und Handelskammer HalleDessau
20.04.2010
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abb.1: Prozesse der Peripherisierung
81
Tab. 1: Funktionen und Merkmale von Metropolen
40
Tab. 2: Entwicklungsdynamiken in der Metropolregion BerlinBrandenburg
52
Tab. 3: Indikatoren der Peripherisierung von Detroit (im Vergleich zur Metropolregion)
88
Tab. 4: Indikatoren der Peripherisierung von Pirmasens (in %)
99
Tab. 5: Indikatoren der Peripherisierung von Eschwege (in %)
108
Tab. 6: Indikatoren der Peripherisierung von Sangerhausen (in %)
121
Tab. 7: Prozesse und Probleme der Peripherisierung in Städten
135
Tab. 8: Peripherie und Peripherisierung: Vergleich der Raumkonzepte
150
Tab. 9: Peripherialitätstypen: periphere Lage und Peripherisierungsprozesse
153
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Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.) Die Welt reparieren Selbermachen und Openness als Praxis gesellschaftlicher Transformation Mai 2016, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-3377-1
Karsten Michael Drohsel Das Erbe des Flanierens Der Souveneur – ein handlungsbezogenes Konzept für urbane Erinnerungsdiskurse März 2016, 286 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3030-5
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Urban Studies Lilo Schmitz (Hg.) Artivismus Kunst und Aktion im Alltag der Stadt 2015, 278 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3035-0
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Alain Bourdin, Frank Eckardt, Andrew Wood Die ortlose Stadt Über die Virtualisierung des Urbanen 2014, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,99 €, ISBN 978-3-8376-2746-6
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