254 43 11MB
German Pages 399 [404] Year 1884
Percy Lysshe Shelley.
4869.
Percy Sysshe Shelley von
H. Druskowih, Dr. phil.
Serlin, Verlag von Robert Oppenheim. 1884.
Uebersetzungsrecht Vorbehalten.
Druck von Metzger & «Bittig in Leitztig.
Vorwort. Die wichtigsten Vorgänge
von
im Leben
Percy
Bysshe Shelley, so weit sie bis jetzt bekannt sind, dar
seine
zustellen,
Individualität
zu begreifen
und
den
philosophischen und ästhetischen Gehalt seiner poetischen Schöpfungen durch ausführliche Analysen derselben zu
würdigen, ist die Aufgabe, welche dieses Buch zu lösen sucht.
Welcher
große Dichter
Neuzeit
der
wäre
in
Wird seine
Deutschland so wenig gekannt wie Shelley?
Weltflüchtigkeit, sein excentrischer Idealismus auch stets ein Hinderungsgrund sein, daß Shelley irgendwo oder
irgendwann populär werde, so ist der Umstand doch be trübend, daß er, Englands größter Lyriker, der ideale
Dichterphilosoph, Engländer,
selbst
der
den
freigeistigste
hochgebildeten
klassen fast ein Fremder ist. auffallenden
Mangel
und
an
kiihnste
deutschen
aller Leser
Die Hauptschuld an diesem Interesse
für
den
großen
Dichter trägt jedoch der Umstand, daß unsere Literatur
forscher
denselben dem Publikum
haben.
Shelley ist von diesen
zu
wenig
vermittelt
in hohem Grade ver-
VI nachlässigt worden.
Es existirt in Deutschland keine einzige
größere Arbeit über ihn.
Die wenigen Kenner und Ver
ehrer Shelley's werden jedoch einräumen, daß wir ihm eine Würdigung schuldig sind, und in Denjenigen, die
wird eine solche vielleicht den
ihn noch nicht kennen,
Wunsch erwecken, ihn kennen zu lernen. In England selbst ist Shelley's Stellung eine ganz
andere.
England ist zur Einsicht gekommen, was es an
ihm besessen und was es an ihm verbrochen hat, ja, es
wird von dem freisinnigeren Publikum vielleicht kein an derer Dichter des Landes gegenwärtig derart gefeiert wie
Shelley.
Es fehlt dort deshalb auch nicht an den man
nigfachsten Schriften und Arbeiten über sein Leben und
seine Werke.
Was das erstere anbelangt, so existirt eher
Ueberfluß als Mangel an Quellen, obwohl keineswegs alle Punkte desselben genügend aufgehellt sind, da immer
noch viel Material zurückgehalten wird.
Unter den eng»
lischen Shelley-Biographien nehmen indeß zwei Schriften
eine Sonderstellung ein, indem sie sich von einem Theil
der übrigen durch wissenschaftliche Genauigkeit und Objek tivität, von dem anderen durch die größere Bollkommmheit
und Abgeschlossenheit des Lebensbildes, das sie geben, unterscheidm;
welches
es sind dies das
Rossetti
seiner
kriüschen
vortreffliche Memoire, Ausgabe
der
poe
tischen Werke Shelley's vorangestellt und das Werkchen
„Shelley“, das I. 9L Symonds für Morley's Collektion der „English Men of Leiters“ geschrieben hat. beiden
Schriften
hat
jede neue Biographie
An diese
Shelley's
----
VII
----
anzuknüpfen. — Was die Würdigung der Werke Shelley's
anbelangt, so hat sich hierum Niemand ein größeres Ver dienst erworben, als der in seinem Vaterlande auch als
Dichter bekannte I. Todhunter in seinem ausgezeichneten
Buche: „A Study of Shelley“ (London 1880). Während bei Rossetti und Symonds der Schwerpunkt in der Biographie
liegt und die Werke Shelley's meist ganz kurz besprochen werden, beschränkt sich Todhunter ganz und gar auf die Würdigung der letzteren.
Vorliegendes Buch versucht in
gleichem Maße ein Bild von dem Menschen, wie von dem Dichter Shelley zu geben, denn in der That müssen bei ihm mehr als bei jedem anderen Dichter Leben, Denken und
Schaffen im innigsten Zusammenhänge betrachtet werden.
Es bleibt der Kritik zu entscheiden überlassen, inwiefern
dieser Versuch im Vergleich mit den Leistungen der eben
genannten Autoren selbständigen Werth besitzt.
Wien, März 1883.
H. Druskowih.
Inhalt. Seite
I. II. III. IV. V.
Familie und Kindheit.................................................... 1 Eton........................................................................................... 15 Erste Liebe. — Poetische Versuche......................................25 Oxford...................................................................................... 31 Erster Aufenthalt in London und erste Ehe. - Edin-
burg. — Keswick.................. 56 VI. Shelley als politischer Agitator in Irland .... 81 VII. Züge und Flüge.................................................................91 Vin. „Königin Mab"..................................................................... 104 IX. Zweiter Aufenthalt in London. — Trennung von Harriet................................................................. 121 X. Verbindung mit Mary Godwin und erste Reise nach der Schweiz. — London. — Bishopsgate Heath . 136 XI. „Alastor." - Prosaschriften.............................................. 142 XII. Zweite Reise nach der Schweiz. — Begegnung mit Lord Byron. — „Hymne an die geistige Schön
XIII.
XIV. XV.
heit"..................................................................... 160 Harriet's Selbstmord. — Zweite Ehe. — Aufenthalt in Marlow. — Der Schiedsspruch des Kanzlei gerichtes ........ 172 „Laon und Cythna".................................................. 184 Reise nach Italien und erste Zeit des dortigen Auf
enthaltes ........................................................... 204 XIV. „Rosalinde und Helena." — „Prinz Athanase." — „Julian und Maddalo." —„DieEuganeen"..213 XVII. Neapel. — Rom. — Balsovano. — Florenz... 236 XVIII. „Der Entfesselte Prometheus".................................. 252
Seite
„Die Cenci"........................................................................... 282 Aufenthalt in Pisa. — Naturgedichte aus den Jahren 1819 und 1820. — Politische Gedichte und Satiren 301 XXI. Rückkehr nach Pisa.— „Epipsychidion."— „Adonais" 314 XXII. „A Defence of Poetry.“ — „Hellas." — Besuch in Ravenna bei Lord Byron. — Letzter Aufenthalt in Pisa.................................................................................. 330 XXIII. Die letzten Tage............................................................. 349 XXIV. Schlußwort....................................................................... 369 XIX. XX.
Ouellen. The Poetical and Pröse Works of Percy Bysshe Shelley, edited by Mrs. Shelley. (Moxon 1840, 1845.) The Works of Percy Bysshe Shelley in Verse and Prose, edited by H. B. Forman. (Reeves and Turner 1876—1880.) 8 vols. Relics of Shelley, edited by B. Garnett. (Moxon 1862.) Selected Letters of Percy Bysshe Shelley, edited by R. Garnett. (Kegan Paul 1882.) Th. Medwin, Life of Shelley. (Newby 1847.) 2 vols. Th. S. Middleton, Shelley and his Writings. (1858.) 2 vols. Th. 8. Hogg, Life of Shelley. (Moxon 1858.) 2 vols. Shelley Memorials, edited by Lady Shelley. (Henry 8. King 1875.) 3. edition. Leigh Hunt, Lord Byron and Some of his Contemporaries. — Correspondence. — Autobiography. (Smith and Elder 1878.) New edition. Th. Moore, Life of Lord Byron. E. J. Trelawney’s Records of Shelley, Byron and the Author. (Pickering 1878.) 2 vols. W. M. Rossetti, Memoir of Shelley (der kritischen Ausgabe von Shelleys poetischen Werken vorgedruckt). D. F. Mac-Carthy, Shelleys Early Life. (Chatto and Windus 1877.) J. A. Symonds, Shelley, erschienen in der Collektion der English Men of Letters von I. Morley. (Macmillan 1881.) Aufsätze: De Quincey, P. B. Shelley, Works I — T. L. Pea cockes Artikel über Shelley (Frasefs Magazine 1858, 1860). — Th. Hunt, Shelley by one who knew him (Atlantic Monthly
—
XII
—
1863). — R. Garnett, Shelley in Pall Mall (Macmillan’s Magazine, Juni 1860). — W. M. Rossetti, Lectures on Shelley (üniversity Magazine, Februar und März 1878). — R. Garnett, Shelleys Last days (Fortnightly Review, Juni 1878). — H. B. Forman, Shelleys Life near Spezzia his Death and Burials (Macmillan’s Magazine, Mai 1880). — W. Hate White, Notes of Shelley’s Birthplace (Macmillan’s Magazine 1881).
I. Familie und Kindheit. Die Familie Shelley kann sich eines hohen Alters und
Ansehens und eines beträchtlichen Wohlstandes rühmen. Ohne auf ältere,
halb sagenhafte Ehren,
die
ihr
zu
Theil wurden, eingehen zu wollen, sei nur erwähnt, daß sie in der älteren Linie im Jahre 1611 durch eine Baronie ausgezeichnet wurde,
und
im Jahre 1806 durch eine
zweite in der jüngeren Linie.
Und zwar war es in der
letzteren der Großvater des Dichters, Sir Bysshe Shelley,
dem durch Vermittlung seines Freundes, des Herzogs von Norfolk, der Baronstitel verliehen wurde.
Sir Bysshe zeigte verschiedene Züge, die wir, wenn auch in anderer Form, bei seinem Enkel wiederfinden werden: er war überaus energisch, ungestüm und excentrisch. Obwohl er der Träger eines altaristokratischen Namens war, hatte er doch sich selbst und seinen persönlichen Vorzügen Ehren,
Stellung und Reichthum zu verdanken.
Er wurde 1731
zu Ehrist's Church in Newark (Nord-Amerika) geboren
und begann daselbst seine Laufbahn als Quacksalber
als er später nach England kam,
gewann er durch sein
1 Thomas Medwin, Life of Shelley I, p. 2 ff. Druslowitz, Shelley.
1
2 einnehmendes Wesen Herzen und Vermögen zweier Erb
töchter.
Von seiner ersten Frau» Mary Catharine, der
Tochter eines Rev. Michell von Horsham, hatte er einen
Sohn, Namens Timotheus, und eine Tochter, von seiner zweiten Frau, Elisabeth Jane, der Tochter eines Mr.
Sidney von Penshurst, drei Söhne und zwei Töchter. Auch dem ältesten Sohne seiner zweiten Ehe, der den Namen Shelley-Sidney von Penshurst führte, wurde der
Baronstitel verliehen und dessen Sohn zum Lord de l'Jsle
und Dudley ernannt.
Unter den vielen Gerüchten, welche
über Sir Bysshe umliefen, ist das merkwürdigste dies,
daß er beide Erbtöchter entführt habe, nachdem er früher in Amerika mit einer Frau vermählt gewesen sein soll,
die er gleichfalls entführt hatte und ebenso sollen zwei seiner Töchter entführt worden fein1 2— Vorgänge, die
sich im Leben des großen Enkels von Sir Bysshe wieder holen sollten.
Um das Bild von Sir Bysshe zu vervoll
ständigen, sei noch erwähnt, daß er, der Aussage seines
großen Enkels zufolge, ein „vollständiger Atheist"
wesen sein soll?
ge
Er starb im Jahre 1815 und er, der
mit Nichts begonnen, hinterließ seiner Familie ein Ver mögen von 300,000 Pf. und Güter, die jährlich 20,000 Pf. 1 Medwin (I, p. 7) erzählt, daß ihre Flucht durch das elende Leben, das sie im väterlichen Hause führen mußten, veranlaßt wor den sei. Sir Bysshe sei im vorgerückten Alter ein Geizhals und Despot geworden und habe, obwohl er ein Schloß erbaut (Goring Castle), ein kleines Haus in Horsham bewohnt, in dem die größte Dürftigkeit herrschte. Auch Th. Jefferson Hogg (Life of Shelley II, p. 37) spricht von dem dürftigen Leben, das Sir Bysshe aus Geiz geführt haben soll. 2 S. W. M. Rossetti, Memoir of Shelley, p. XXXII.
3
abwarfen.
Nach seinem Tode ging die Baronie auf Sir
Timotheus über. Sir Timotheus, der Vater des Dichters, wurde im September 1753 geboren.
Im Jahre 1791 vermählte er
sich mit Elisabeth, einer Tochter von Charles Pilfold, Esquire zu Effingham, einer Frau von großer Schönheit, sanftem, liebenswürdigem und nachgiebigem Wesen, doch
ohne hervorstechende geistige Begabung. Der älteste Sohn
dieser Ehe war Percy Bysshe, Bysshe nach seinem wunder
lichen Großvater, Percy nach einer entfernten Beziehung zu dem herzoglichen Hause von Northumberland genannt;
vier Töchter, Elisabeth, Mary, Hellen und Margaretha,
alle berühnlte Schönheiten, und ein Sohn Namens John,
der im Jahre 1866 starb, waren die anderen Sprößlinge der Ehe von Sir Timotheus. Es war das Verhängniß dieses keineswegs schlecht, doch unbedeutend und unerquicklich
gearteten
Mannes,
daß er, der nur dazu berufen gewesen wäre, der Vater eines gewöhnlichen Menschen zu sein, der Vater eines Percy Bysshe Shelley werden mußte.
Er war ein Land
edelmann gewöhnlichen Schlages, Anhänger alles Be
stehenden, also rechtgläubig, correct und ganz und gar in der konventionellen Moral seines Standes befangen.
Er
äußerte sich, daß er seinem Sohne niemals eine Mes
alliance verzeihen werde, daß er aber uneheliche Kinder
desselben, so viel er wolle, zu versorgen bereit sei? Sir
Timotheus
nach
irgend
einer
Richtung
Daß
geistige
Vorzüge besessen hätte, davon hat wohl Niemand gehört.
1 Medwin I, p. 11.
— 4 — Er war Mitglied des Parlamentes, ohne je eine Rolle zu spielen, und stimmte blind mit seiner Partei.
Dem
Maße seiner Fähigkeiten entsprach das seiner Bildung, ob
wohl ihm für den Werth des Wissens keineswegs der Sinn fehlte, vielmehr mahnte er seinen Sohn stets, so lange sich dieser auf Schule und Universität befand, seinen Studien mit Fleiß obzuliegen und Kenntnisse zu erwer
ben, nur er selbst war unfähig Kenntnisse zu sammeln, cokettirte indeß mit allerlei unverdautem Wissen, liebte es, sich auf den Schöngeist hinauszuspielen und gefiel sich
darin, wie Lord Chesterfield in den Briefen an seinen Sohn, diesen „My dear boy“ zu nennen.
Es ist nicht zu
bezweifeln, daß es Sir Timotheus nicht ungern gesehen
hätte, hätte man seine Briefe überhaupt mit denjenigen seines Vorbildes verglichen; in Wahrheit konnten aber
Briefe einander nicht leicht unähnlicher sein, als die be rühmten von
Lord Chesterfield
von Sir Timotheus.
und
die
unberühmten
Es war dem letzteren nämlich nicht
möglich, einen Gedanken festzuhalten und er kam stets vom Hundertsten ins Tausendste.
so sprach er,
Und wie er schrieb,
sprach überdies mit lauter,
kreischender
Sttmme, so daß er einen ebenso peinlichen wie komi schen Eindruck machte?
Wir dürfen jedoch nicht ver
gessen hervorzuheben, daß er als Landwirth wohl an
seinem Platze war, auch war er ein gastfreier Schloß
herr und in Haus und Familie so lange freundlich, als
sein Wille geschah.
Dieser Wille war aber von äußerst
hartnäckiger, ja tyrannischer Art.
1 Hogg, Life I, p. 304.
Mit solchen Eigen-
5 schäften war