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German Pages [145] Year 2023
Barbara Städtler-Mach Markus Bünemann
Osteuropäische Betreuungskräfte in der häuslichen Pflege Versorgung verantwortlich und fair gestalten
Barbara Städtler-Mach/Markus Bünemann
Osteuropäische Betreuungskräfte in der häuslichen Pflege Versorgung verantwortlich und fair gestalten
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © studio v-zwoelf/Adobe Stock Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-60014-2
Inhalt
Zu diesem Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Grußwort der Diakonie Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Kapitel 1 Warum dieses Buch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Kapitel 2 Versorgung durch osteuropäische Betreuungskräfte – Einführung in die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Kapitel 3 Bisherige Konzepte zu Ansätzen fairer Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . 34 Kapitel 4 Aktuelle Forschungslage. Kurzdarstellung des Forschungsprojektes TRABAM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Kapitel 5 Fehlende Prüfungen der pflegerischen Qualität der Versorgungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Kapitel 6 Rahmenbedingungen für die Versorgung durch eine Betreuungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Kapitel 7 Ausbleibende Regelung hinsichtlich der Gestaltung der arbeitsrechtlichen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
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Inhalt
Kapitel 8 Zukünftige Wege für die Versorgung mit Betreuungskräften in der privaten Häuslichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Kapitel 9 Die Übernahme von Verantwortung für die Gestaltung der Versorgung bei Pflegebedürftigen im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Zu diesem Buch
Das Thema »Grauer Markt Pflege« ist in die Jahre gekommen. Als Herausforderung in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft ist es seit über zwanzig Jahren präsent; nahezu alle Expert:innen aus dem Gesundheitsbereich kennen das Phänomen und seine »Schräglagen«. Denn es ist eigentlich klar, dass dieses Versorgungsmodell, auch wenn es mittlerweile vielen als dritte Versorgungsform neben ambulanter und stationärer Pflege gilt, eine Menge ungeklärter Fragen beinhaltet. Eigentlich – und trotzdem geht es Jahr für Jahr damit weiter: Nach wie vor werden immer neue Agenturen zur Vermittlung gegründet, die sich in immer weiter entfernten Ländern nach Mitarbeiter:innen umschauen müssen. Nach wie vor steigt der Wunsch nach einer solchen Betreuungskraft in Deutschland ständig an. Nach wie vor sehen Pflegefachkräfte aus ambulanten Pflegediensten die Live-Ins bei ihren Hausbesuchen und pflegerischen Tätigkeiten, ohne dass das Verhältnis zwischen den beiden Personen offiziell geregelt ist. Nach wie vor wissen politisch Verantwortliche, dass sie an dieser Stelle ihrer Verantwortung nicht nachkommen und sehenden Auges irreguläre Beschäftigungs- und Pflegeverhältnisse zulassen. Gleichzeitig werden von verschiedenen Seiten seit Kurzem an verschiedenen Stellen neue Ansätze zu einer konkreten Bewältigung der Herausforderungen verfolgt. Für uns als Wissenschaftler:innen an der Evangelischen Hochschule sind dabei die konkreten Vorschläge der Diakonie Deutschland von besonderem Interesse. Das gilt natürlich schon aus dem formalen Grund, dass es sich bei Diakonie Deutschland um den evangelischen Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland handelt. Vor allem aber gilt es aus dem inhaltlichen Grund, dass die Ansätze zu einem »Pflegemix« unseren Vorstellungen einer geordneten Lösung am nächsten kommen. Von daher freuen wir uns sehr, unserem Text das Grußwort von Frau Maria Lohei-
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de, Vorständin im Bereich Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, voranstellen zu können. Wir danken der Evangelischen Hochschule für die finanzielle Unterstützung des Projektes und seiner Veröffentlichung. Wir danken Amrei Fuhrmann für die Unterstützung bei der redaktionellen Bearbeitung des Textes. Wir danken den Mitarbeiterinnen des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht für ihre unkomplizierte und gleichzeitig sehr professionelle Mitwirkung an der Realisierung dieses Buches, Frau Jana Harle in der Programmplanung und Frau Merle Tiaden im Lektorat. Und wir hoffen, dass die großen Linien des komplexen Themas »Grauer Pflegemarkt« allen, die sich neu oder seit langem damit befassen, deutlich werden und einen hilfreichen Überblick ermöglichen. Es ist unser Ziel, zu einer konstruktiven Klärung anstehender Fragen und langfristig zu einer Verbesserung der Situation beizutragen. Nürnberg, im September 2022 Barbara Städtler-Mach und Markus Bünemann
Grußwort der Diakonie Deutschland
Immer mehr Menschen in Deutschland brauchen Pflege, vor allem im hohen Alter. Das ist ein gutes Zeichen! Denn es ist die Folge guter gesundheitlicher Versorgung und einer hohen Lebenserwartung. Doch wenn mehr Menschen über eine längere Zeit Pflege und Betreuung brauchen, müssen mehr Menschen für Pflege und Betreuung zur Verfügung stehen. Wer übernimmt diese Arbeit? Diese Frage wurde lange Zeit damit beantwortet, dass die Erziehung der Kinder, die Pflege der Alten und andere Care-Tätigkeiten der Familie einem vermeintlich privaten Bereich zugeordnet wurden. Damit verbunden ist zwar viel Arbeit, die aber als Sphäre außerhalb der Wirtschaft interpretiert wird und die im Wesentlichen Frauen übernahmen und bis heute in großem Umfang übernehmen. Was hat das mit Live-in-Care zu tun? Sehr viel. Die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte führten dazu, dass das Modell Care-Arbeit als »weibliche« – und damit unentgeltliche – Tätigkeit nicht mehr tragfähig ist. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat deutlich zugenommen und nimmt weiter zu, auch weil die Arbeitskraft der Frauen gebraucht wird. Die demografische Entwicklung führt dazu, dass weniger Jüngere mehr Ältere pflegen müssen. Die Mobilität nimmt zu. Viele Menschen wohnen nicht in der unmittelbare Nähe ihrer Angehörigen und können schon deshalb keine Care-Aufgaben für diese übernehmen. Dennoch bilden die Angehörigen bis heute den größten Pflegedienst – und die Angehörigen, das sind überwiegend Frauen. Wir wissen, dass viele pflegende Angehörige hoch belastet und überlastet sind. Wir wissen, dass die Gesundheit pflegender Angehöriger erheblich leidet. Ihr Gesundheitszustand ist deutlich schlechter als der der Bevölkerung insgesamt. Es ist dringend erforderlich, dass pflegende Angehörige entlastet werden, und offensichtlich, dass die
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häusliche Pflege und ihre Unterstützung in den Mittelpunkt einer Pflegereform gehören. Tritt plötzlich Betreuungs- und Pflegebedarf auf oder ist die Belastung nicht mehr tragbar und Pflege und Beruf unvereinbar, suchen Angehörige – oftmals – nach schneller Hilfe. Wenn die Situation es zulässt, Räumlichkeiten vorhanden sind und die Finanzierung möglich ist, wird eine Live-in-Kraft engagiert. Die Zahl der in Privathaushalten nach Deutschland pendelnde Live-in-Kräfte ist beträchtlich. Eine Vielzahl von Agenturen bietet die Vermittlung von Live-in-Kräften an. Es sind Frauen, die meist aus ost- und südosteuropäischen Ländern nach Deutschland pendeln, um hier als sogenannte »24-Stunden-Pflege«-Kräfte zu arbeiten. Angesichts der wirtschaftlichen Lage in den Herkunftsländern ist es für viele Frauen attraktiv, in Deutschland zu arbeiten und Bedingungen in Kauf zu nehmen, die häufig gegen das geltende Arbeitsrecht verstoßen. Das Arbeitszeitrecht wird nicht berücksichtigt, die Löhne liegen weit unter dem Mindestlohn. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub sind nicht gesichert. Wir müssen uns die Frage stellen, warum es in unserer Gesellschaft selbstverständlich ist, dass Frauen aus ärmeren Ländern Pflege und Betreuung alter Menschen in Deutschland zu diesen Bedingungen übernehmen. Die Betreuung und die pflegerische Versorgung alleinlebender bzw. räumlich getrennt von ihren nächsten Angehörigen lebender Menschen wird zunehmend zu einer Herausforderung. Sie kann allerdings nicht durch eine Hausangestellte/eine Live-in-Kraft erfolgen, die die frühere familiäre Sorge rund um die Uhr ersetzt. Denn für diese Konstellation müssen angemessene Arbeitsbedingungen sichergestellt werden. Eine rechtskonforme, den arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen entsprechende 24-stündige Betreuung in der eigenen Wohnung ist nur durch mehrere Kräfte möglich und damit sehr viel teurer als Angebote, die heute auf dem Markt zur Verfügung stehen. Die Live-in-Kräfte werden zunehmend zur dritten Säule der pflegerischen Versorgung in Deutschland. Umso wichtiger ist es, dass wir genau hinschauen, Angehörige, die plötzlich mit Betreuungs- und
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Pflegebedarf konfrontiert werden, aufklären und beraten, rechtssichere Arbeitsbedingungen für Live-in-Kräfte gewährleistet und flexible Lösungen und servicebasierte Pflegesysteme entwickelt werden. Zur notwendigen Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgung und des Pflegesystems ist die vielfach geforderte Reform der Pflegeversicherung zwingend notwendig. Die Pflegeversicherung muss sich in ihrer Systematik und Finanzierungslogik auf Konzepte flexibler Pflegesettings und -arrangements ausrichten, in denen neben der Angehörigenbetreuung und -pflege unterschiedliche Hilfe- und Unterstützungssysteme von ambulanten Pflegediensten über stationäre und teilstationäre Leistungen, unter Einbeziehung zivilgesellschaftlichen Engagements und stadtteilbezogener sozialer Angebote vernetzt arbeiten und kooperieren. Die Politik muss sich dieser Herausforderung stellen und Verantwortung für die Gestaltung der Versorgung betreuungs- und pflegedürftiger Menschen und für faire Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in Deutschland übernehmen. Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik Diakonie Deutschland Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.
Kapitel 1 Warum dieses Buch?
Wer sich mit der Versorgung pflege- und unterstützungsbedürftiger alter Menschen in der häuslichen Umgebung befasst, weiß, dass es sich um ein schwieriges Thema handelt. Längst ist bekannt, dass die Versorgungsform mit Betreuungskräften viele Problemanzeigen beinhaltet. Die verschiedenen Perspektiven werden seit Jahren benannt, die Liste der wissenschaftlichen Bearbeitungen – vielfältig auch in Form von Qualifikationsarbeiten – ist lang. Verbraucherzentralen und Pflegezusammenschlüsse, Forschungsinstitute und Interessensverbände, politische Parteien und Landes- wie Bundesregierungen greifen das Thema auf. Herausforderungen werden analysiert, die ausstehenden Lösungswege reklamiert. Wir selbst – Forschende und Lehrende an der Evangelischen Hochschule Nürnberg – haben diese Fragestellungen vielfach benannt und sind seit Jahren damit beschäftigt, die Problemanzeigen zu publizieren und zusammen mit weiteren kompetenten Kolleg:innen Antworten zu finden. Den formalen Rahmen dafür bildet das Forschungsnetzwerk »Versorgung durch osteuropäische Betreuungskräfte« an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Es wurde im Anschluss an ein Symposium1 im September 2017 gegründet. Seitdem haben sich Wissenschaftler:innen sowie Praktiker:innen aus den verschiedenen Arbeitsfeldern, die mit häuslicher Pflege und der Versorgungsform der sogenannten 24-Stunden-Pflege befasst sind, zusammengeschlossen. Durchschnittlich zwei- bis dreimal im Jahr finden in Nürnberg oder in Videokonferenzen Treffen zur gegenseitigen Information über aktuelle Forschungsprojekte und Veröffentlichungen sowie Fachtage 1 Symposium »Osteuropäische Betreuungskräfte in der häuslichen Pflege: Verantwortung übernehmen – Transparenz schaffen – Qualität gewährleisten« am 29.09.2017 an der Evangelischen Hochschule Nürnberg.
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statt. Von Bedeutung in diesem Forschungsnetzwerk ist die Tatsache, dass die Sichtweise der Vermittlungsagenturen neben den wissenschaftlichen Perspektiven mit vertreten wird. Insbesondere sind hier Vertreter der Agenturen zu nennen, die sich im vhbp (Bundesverband für häusliche Betreuung) zusammengeschlossen haben. Aus diesem Forschungsnetzwerk heraus ist die Veröffentlichung »Grauer Markt Pflege. 24-Stunden-Unterstützung durch osteuropäische Betreuungskräfte« (Städtler-Mach/Ignatzi 2020) entstanden. Darin sind neben verschiedenen Fachaufsätzen kurze biografische Skizzen von Frauen, die diese Arbeit ausüben, enthalten. Die Resonanz auf dieses Buch hat uns gezeigt, dass insbesondere hinsichtlich der erlebten Praxis dieser Versorgungsform ein großer Bedarf an Information und allgemein verständlicher Darstellung der speziellen Problematik besteht. Aus unserer Sicht – das ist jene von Wissenschaftler:innen einer Hochschule für angewandte Wissenschaft – vollzieht sich das Geschehen und die Bearbeitung der Problematik der sogenannten 24-Stunden-Pflege auf mindestens drei Ebenen: Da sind die betroffenen Menschen, die direkt mit dieser Versorgungsform konfrontiert werden und damit leben (müssen). Da sind die Kolleg:innen, die zu Recht aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachperspektiven die Schwachstellen dieser Versorgungsform analysieren, untersuchen und dann benennen. Und schließlich sind da politisch Verantwortliche, die mit graduellen Unterschieden Kenntnis von den Herausforderungen der Situation haben. Gerade die Vertreter:innen von Wohlfahrts- und Sozialverbänden sowie Gewerkschaften weisen seit Langem auf die Problematik hin, während Politiker:innen auf verschiedenen Ebenen vielfach – seit Jahren – dem Geschehen gewissermaßen freien Lauf gelassen haben. Die Art und Weise, in der die hier genannten Akteur:innen dabei involviert sind, ist naturgemäß und selbstverständlich sehr verschieden. Sowohl deren individuelle »Betroffenheit« als auch ihr Interesse, sich mit der Frage dieser Versorgungsform zu befassen, sind kaum vergleichbar. Die Ziele ihrer Beschäftigung mit der Thematik weisen in der Sache zwar Gemeinsamkeiten auf, divergieren jedoch im Erreichen dieser Ziele erheblich.
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Angehörige von Pflegebedürftigen handeln aus einer Position heraus, die sie nicht frei gewählt haben. Sie befinden sich in der Lage, eine Pflegesituation für angehörige alte Menschen meistern zu müssen, die keinen Aufschub duldet. Sie sind gewissermaßen Betroffene, häufig in einer zeitlich bedrängenden Notsituation. Hinsichtlich ihres Vorwissens und auch im Blick auf die konkreten Vorstellungen, wie Pflege aussehen kann, fehlen ihnen vielfach Kenntnisse zur Bewältigung der Herausforderungen. Dem gegenüber befassen sich Wissenschaftler:innen mit den definierten Schwachstellen dieser Versorgungsform, weil sie in den Fakten eine Problematik erkennen, der sie in ihrer Profession begegnen wollen. Vielleicht mögen der eine oder die andere auch persönliche Erfahrungen mit der Versorgungsform haben. Von ihrem Selbstverständnis her gehen sie jedoch mit einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise an die Bearbeitung der Herausforderungen heran. Gerade die Distanz zum Thema, die möglichst objektive Haltung den Fragestellungen gegenüber, macht die wissenschaftliche Betrachtungsweise zuallererst aus. Allerdings fällt auf, dass die positiven Seiten, die das Versorgungsmodell für die Pflegebedürftigen bedeutet, so gut wie nie benannt werden. Politische Akteur:innen schließlich handeln gewissermaßen auf einer Meta-Ebene, also nicht direkt in den einzelnen Problemfeldern, sondern mit der Perspektive auf das Gesamtgeschehen unserer Gesellschaft. Ihre Aufgabe ist es – je nach Funktion und Spezialwissen – mit Kompetenz die Geschehnisse des Sozialstaates zu gestalten und dabei die unterschiedlichen beteiligten Personen im Blick zu haben. Mit diesem Blick auf das »große Ganze« werden durchaus Kontakte zur Praxis gepflegt und exemplarisch Einzelbeispiele berücksichtigt. Gleichzeitig »verschwinden« dabei die einzelnen Menschen und ihre persönlichen Nöte zeitweise. Politische Verantwortung, die übernommen wird, betrifft und beinhaltet alle Menschen einer Gesellschaft, aktiv gestaltet werden können jedoch immer nur gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Im Austausch mit einzelnen Privatpersonen, vor allem aber in unserer Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen und ehrenamtlichen Gruppen ist uns deutlich geworden, dass auf der Ebene der persönlich Betroffenen in vieler Hinsicht Unklarheiten über diese
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Versorgungsform mit Betreuungskräften im Privathaushalt bestehen. Die wissenschaftliche Bearbeitung – so wichtig sie für den Fachaustausch ist – kommt bei den betroffenen Menschen nicht an. Ihre Situation sieht anders aus: Tag für Tag suchen Angehörige von Pflegebedürftigen nach einer Lösung, die die Versorgung des alten Menschen in der Familie so ermöglicht, dass der:die Betroffene in seiner:ihrer eigenen Häuslichkeit verbleiben kann. Dabei greifen immer mehr Familien von Pflegebedürftigen auf dieses Versorgungsmodell zurück. Sie können sich dabei häufig auf Erfahrungsberichte von anderen Familien berufen, weil diese Form der häuslichen Betreuung ständig zunimmt. Dass es sich dabei tatsächlich um eine Beliebtheit handelt, kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Vielmehr sind die Wahl einer solchen Vermittlung und die entsprechenden Aktivitäten zur Umsetzung der Betreuung eher der Not geschuldet, in der sich die Angehörigen befinden. Unabhängig davon, ob sich die Notwendigkeit aktuell ergibt – beispielsweise nach einem Unfall oder Krankenhausaufenthalt – oder über einen längeren Zeitraum in zunehmendem Maße deutlich wird, stellt die Suche nach einer Versorgung für Angehörige eine große Aufgabe dar. Es bleibt für viele unklar, an welchen Stellen sie Informationen über die Rahmenbedingungen einholen können, vor allem auch, inwiefern diese Informationen tatsächlich unabhängig sind und nicht einem Geschäftsziel dienen. Anrufe bei Agenturen, die sich mit umfangreichen Websites präsentieren und liebevolle wie kompetente Pflege im Zuhause in Aussicht stellen, lassen dabei oft wenig Spielraum zur Überlegung und gar zum Vergleich mit anderen Anbietern. Ist einmal das Interesse durch eine telefonische Anfrage oder das Ausfüllen eines elektronischen Formulars bekundet, sind die zuständigen Mitarbeitenden bei den Agenturen durchaus hartnäckig mit wiederkehrenden Anrufen oder Gesprächsangeboten per Mail. Wie gesagt: Bei gleichzeitiger vielfacher wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema dieser Versorgungsform und einer im wissenschaftlichen Kontext weit fortgeschrittenen Bearbeitung bleiben die Unsicherheiten auf Seiten der Menschen im Vollzug der
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pflegerischen Versorgung bestehen: unklare arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, unzureichende finanzielle Unterstützung durch das System unserer Sozialversicherung, ungesicherte Fachkenntnisse der Live-Ins im Umgang mit Pflegebedürftigen. Aus dieser Erfahrung entstand das Anliegen, mit einem praxisorientierten Buch die Grundlinien dieser Versorgungsform und ihrer Problemstellungen darzustellen. Im Kopf haben wir dabei die Rückmeldungen von Besucher:innen von Vorträgen, die Bitten um Unterstützung von Mitgliedern von Stadt- und Landesseniorenbeiräten, die Fragen von Senior:innen sowie deren Familienmitgliedern, die sich hilfesuchend an uns gewendet haben. Im Blick haben wir dabei auch die Akteur:innen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit, beispielsweise im Rahmen der Quartiersarbeit, mit dieser Betreuungsform konfrontiert werden. Wir denken weiter dabei an Fachkräfte der professionellen Pflege, die den Betreuungskräften immer wieder bei ihrer Arbeit in der ambulanten Pflege begegnen, insbesondere auch an die Verantwortlichen im jeweiligen Pflegemanagement der ambulanten Dienste. Auch niedergelassene Hausärzt:innen kommen bei ihren Patient:innen mit den Betreuungskräften in Kontakt, verfügen jedoch oft über unzureichende Informationen und sind dementsprechend wenig hilfreich für die Angehörigen. Nicht zuletzt wird dieses Buch auch unseren Studierenden der Gesundheits- und Pflegestudiengänge, der Sozialwirtschaft und Sozialen Arbeit dienlich sein. Es ist längst offensichtlich, dass zur akademischen Qualifizierung in diesen Berufsfeldern Grundwissen über sowie ein Verständnis und eine Sensibilisierung für die Problemstellungen der Versorgung im Privathaushalt zählt. In gewisser Weise knüpfen wir mit diesem Buch also an die Veröffentlichung von 2020 an. In der vorliegenden Arbeit richten wir jedoch den Fokus eindeutig einerseits auf der Praxisorientierung, andererseits auch auf die inzwischen erfolgten Veränderungen. Wir stellen die Thematik in den Grundzügen vor. Mit Rücksicht auf die Zeitkapazitäten der Leser:innenschaft und mit dem Ziel, eine handliche Publikation zu erstellen, können dabei nicht alle interessanten Veröffentlichungen aufgenommen oder gar mit eingearbeitet werden. Für manche Fragestellungen ist ein Rückgriff auf wei-
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ter zurückliegende Texte erforderlich. Dazu zählt beispielsweise die Historie der Beschäftigung mit dem Thema im Deutschen Bundestag, wo in einer Anfrage an die Regierung von verschiedenen Abgeordneten bereits 2011 erste Probleme mit der Versorgungsform zur Sprache gebracht wurden. Ansonsten liegt der Schwerpunkt der eingearbeiteten Literatur auf Veröffentlichungen, die allgemein zugänglich sind – daher werden auch relativ viele Onlinequellen genutzt – und deren sprachliche Darstellung für die potenzielle Leser:innenschaft angenehm ist. Hinsichtlich des Erscheinungszeitpunktes der rezipierten Publikationen haben wir uns auf die letzten Jahre konzentriert. Selbstverständlich ist es unser Anliegen, die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens sorgfältig zu berücksichtigen. Dazu gehören neben den handwerklichen Fertigkeiten wie Zitation und Quellennachweis auch die Sachlichkeit der Darstellung und die Ausgewogenheit in der Einschätzung oder gar Bewertung. Gleichzeitig soll die Allgemeinverständlichkeit nie außer Acht gelassen werden. Ziel der gesamten Veröffentlichung ist es, die Ansätze aufzuzeigen, die in der letzten Zeit erfolgt sind, um zu einer konstruktiven Lösung der Problemanzeigen zu kommen. Tatsächlich bewegt sich mittlerweile an verschiedenen Stellen etwas, wenn auch aktuell überwiegend noch in Köpfen, Gremien, im wissenschaftlichen Austausch und auf politischen Papieren. Aber immerhin: Es gibt Ansätze zu Lösungen. Unser Grundanliegen ist es, die gemeinsamen Anstrengungen zur Entwicklung von Perspektiven für die Zukunft zur Geltung zu bringen. Das Aussprechen von Schuldzuweisungen und das sprichwörtliche Zuschieben des »Schwarzen Peters« bringen uns nicht weiter. Nach wie vor gibt es keine ideale Lösung dafür, wie die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit rechtlich, finanziell und vor allem unter Berücksichtigung der pflegerischen Bedarfe des:der Pflegebedürftigen gestaltet werden kann. Von schnellen Lösungen darf niemand ausgehen, so wünschenswert sie auch sein mögen. Die Vorschläge, die von verschiedenen Seiten »auf dem Tisch« sind, beinhalten allesamt eine langfristige Perspektive. Sie setzen einen politischen Handlungswillen voraus, der möglicherweise an verschiedenen Stellen erst entstehen muss.
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Klar ist auch, dass die verschiedenen Beteiligten an diesem Versorgungssystem höchst unterschiedliche, teilweise sich widersprechende Interessen verfolgen. Das allerdings ist für das deutsche Pflegesystem nichts Außergewöhnliches, stellt jedoch bei der häuslichen Versorgung durch Betreuungskräfte, die durch Agenturen vermittelt werden, eine ganz besonders ausgeprägte Form des »Pflegemarktes« dar. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass der politische Wille, der die Voraussetzung zu entsprechenden Handlungsschritten sowohl in der Gesetzgebung wie auch in der Finanzierungsregelung darstellt, auch durch engagierte Bürger:innen befeuert werden kann. Gerade die ehrenamtlichen Organisationen sind vielfach von großem Verantwortungsbewusstsein getragen, das bis hin zur Eingabe einer Petition an den Bundestag reicht. Sie brauchen allerdings Unterstützung durch zugängliche Informationen und bei den Reflexionen über die komplexe Situation der sogenannten Pflegelandschaft. Dass allerdings gerade vonseiten zivilgesellschaftlicher Gruppen zunehmend Anfragen an die Politik herangetragen werden und mehr und mehr Druck auf Politiker:innen aufgebaut wird, ist unbestritten. Somit handelt es sich bei dieser Veröffentlichung um einen Beitrag für die interessierte Allgemeinöffentlichkeit. Die Lesenden sollen befähigt werden, die Problemstellungen und die komplexen Zusammenhänge der Versorgungsform mit einer Betreuungskraft im Privathaushalt mit unserem Pflege- und Versorgungssystem nachzuvollziehen. Die einzelnen Kapitel können jeweils unabhängig voneinander gelesen werden, folgen jedoch einer inneren Logik. Möglicherweise möchten Leser:innen sich in einem Fragekomplex orientieren, ohne die weiteren mit zu bearbeiten. Aus diesem Grund ist am Ende jeden Kapitels die dort zitierte und verwendete Literatur angegeben. Allgemein interessante und grundlegende Veröffentlichungen sind dagegen am Ende des Gesamttextes aufgeführt. Mit der Darstellung der Ansätze zu einer Rechtssicherheit und einer Einbindung in unser Pflegesystem wollen wir die Zuversicht auf eine »gute Lösung« stärken. Gleichzeitig wird in einem abschließenden Kapitel noch einmal grundsätzlich über die Vorstellungen von Altsein und Pflege nachgedacht.
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Letzten Endes ist das unser Anliegen: Bei aller verwirrenden Komplexität der Themen rund um das Altern und die Unterstützung in dieser Lebensphase Mut zu machen, diese Zeit des Lebens grundsätzlich zuversichtlich anzugehen.
Kapitel 2 Versorgung durch osteuropäische Betreuungs kräfte – Einführung in die Problemstellung
Alte Menschen mit Unterstützungs- oder Pflegebedarf, die in ihrer eigenen Häuslichkeit leben und dabei von einer bei ihnen wohnenden Frau2 aus einem mittel- oder osteuropäischen Land betreut werden, gehören zur bekannten Realität unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Im Laufe etwa zweier Jahrzehnte ist diese Versorgungsform so zur Normalität geworden, dass niemand überrascht ist, wenn von einem älteren Menschen der Verwandt- oder Bekanntschaft berichtet wird, dass dort nun eine Hilfe aus Polen arbeite. Dass diese Bezeichnung sich durchgesetzt hat, liegt an der Entstehungsgeschichte dieser Art der Unterstützung, auf die noch näher einzugehen sein wird. So selbstverständlich diese Hilfe für alte Menschen erscheint, so wenig ist sie in unserer Versorgungslandschaft offiziell vorgesehen. Der Beginn dieser Unterstützungsform lässt sich nicht genau festlegen; von Einzelfällen in den 1990er Jahren ausgehend erfreut sie sich einer ständigen Zunahme. Doch soll eingangs der Blick auf die gesetzlich vorgesehene Versorgung und Pflege alter Menschen gerichtet werden: Die Versorgung alter Menschen mit mehr oder weniger großem (offiziell durch eine sogenannte Pflegebegutachtung ermittelten) Pflegebedarf erfolgt im Rahmen des Sozialstaats in Deutschland grundsätzlich auf verschiedene Weise. Entlang der Systematik der Sozialgesetzgebung wird dabei zwischen ambulanter und stationärer Versorgung unterschieden. Die ambulante Pflege erfolgt durch einen ambulanten Pflegedienst, der zu bestimmten Zeiten die Fachpflege in der Häuslichkeit ausübt. In der Tages- und Nachtzeit, zu der kein Pflegedienst anwesend ist, wird der pflegebedürftige Mensch eventuell von Angehörigen oder weiteren privat organisierten Hilfskräf2 Im weiteren Verlauf wird immer von Frauen gesprochen, denn die tatsächliche Versorgung wird fast ausschließlich durch Frauen gewährleistet.
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ten unterstützt. Sehr häufig leben die alten Menschen jedoch auch allein und sind den größten Teil des Tages auf ihre eigenen Fähigkeiten zur Versorgung angewiesen. Daneben existieren teilstationäre Angebote und verschiedene Ansätze für regionale Unterstützung innerhalb eines Quartiers. Der Vollständigkeit halber sollen auch Angebote des Servicewohnens genannt werden. Daneben ist auch die »Netzwerkversorgung« zu nennen: Beispielsweise kommt am Morgen eine Pflegefachkraft der ambulanten Pflege, dann Tagespflege, abends und nachts erfolgt die Versorgung durch eine Live-in-Betreuungskraft. Dem gegenüber bedeutet die stationäre Pflege, dass ein alter Mensch in eine Pflegeeinrichtung einzieht, die dann sein bleibendes Zuhause darstellt. Neben der pflegerischen Versorgung bekommt er dort alles, was zum täglichen Leben gehört, wenn auch häufig nicht (mehr) in einer individuellen Form, sondern abgestimmt auf die Abläufe und Organisation der betreffenden Pflegeeinrichtung. Der bewohnte Lebensraum – häufig ein Zimmer mit Bad und Toilette – ist gegenüber dem ehemaligen Zuhause deutlich beschränkter. Gleichzeitig leben viele, bislang unbekannte alte Menschen in enger Nachbarschaft miteinander, was – verglichen mit dem bisherigen Zuhause – ebenfalls als Einschränkung des persönlichen Lebens wahrgenommen wird. Man muss sich diese beiden klassischen Alternativen verdeutlichen, die jeweils Vor- aber eben auch große Nachteile für alte Menschen haben. Zwar gibt es gleichzeitig auch verschiedene andere Wohn- und Lebensformen, wie beispielsweise Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz oder Betreutes Wohnen, die einen eigenen Lebensstil mit persönlichen Zeitvorstellungen und Freiheiten zulassen. Im Wesentlichen sind die Versorgungsformen für Pflegebedürftige jedoch an der Systematik des Sozialgesetzbuches XI und damit auf die beiden Grundpfeiler »ambulant« und »stationär« ausgerichtet. Von daher erscheint vielen alten Menschen und ihren Angehörigen beim Auftreten einer Pflegebedürftigkeit die Versorgungsform mit einer »Betreuungskraft« als Mittel der Wahl. Dem Verbleiben im eigenen Zuhause wird ein überaus hoher Stellenwert beigemessen, der bei anderen Versorgungsformen nicht erreicht werden kann.
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Die Räumlichkeiten, die für eine ständige Mitbewohnerin zur Verfügung stehen müssen, sind in großen Wohnungen und Häusern vorhanden, sodass der Gedanke schnell entsteht: Hier zieht jemand mit ein, der die ganze Zeit zur Verfügung steht – sei es mit der Versorgung durch Essen und Hauswirtschaft, mit pflegerischer Unterstützung wie Medikamentengabe oder Hilfe beim Laufen und ganz allgemein mit menschlicher Nähe. Berichte von den Vorteilen mit einer Frau, die mit im eigenen Zuhause lebt und als Betreuungskraft zur ständigen Unterstützung zur Verfügung steht, haben sich außerordentlich schnell verbreitet. Obwohl mit einem solchen Pflegearrangement die individuelle Lebens- und Wohnweise deutlich tangiert wird, erfreut sich diese Versorgungsform größter Beliebtheit. Die Zunahme in den letzten Jahren ist nicht zu übersehen, und auch ohne irgendeine gesetzliche Regelung, die in vieler Hinsicht erforderlich ist, ist die Versorgung durch häusliche Betreuung praktisch zur dritten Säule der Pflege alter Menschen geworden. Es scheint, als wären damit viele Probleme alter und pflegebedürftiger Menschen gelöst: Der alte Mensch kann in seinem vertrauten Umfeld bleiben, die Grundbedürfnisse sind gesichert und darüber hinaus auch die Pflege dort, wo sie erforderlich ist. Ganz offensichtlich – so sieht es für viele, die das Arrangement von außen betrachten, aus – gibt es auch Frauen, die ihre Heimat und damit auch eigene Angehörige für eine bestimmte Zeit verlassen, um in ein anderes Leben miteinzutauchen. Insbesondere wird in einer »Netzwerkversorgung« – zum Beispiel morgens ambulante Pflege, dann Tagespflege, abends und nachts Live-in-Betreuungskraft – eine Möglichkeit gesehen, diese Versorgungsform zwar mit großem finanziellen Aufwand, aber legal in Anspruch zu nehmen. Vieles an dieser Versorgung ist jedoch ungeklärt. Besser gesagt: Die Rahmenbedingungen, unter denen diese Versorgung stattfindet, ermöglichen keine Versorgung, die den Ansprüchen an rechtliche Sicherheit, pflegerische Qualität und bereitgestellte Finanzierung auf Seiten der Gepflegten gewährleisten kann. Ebenso sind auf der Seite der unterstützenden Frauen viele Aspekte ungeklärt oder nur unbefriedigend gelöst: ihr Arbeitsverhältnis, ihre pflegerische Kompetenz,
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ihre Einkommenssicherheit. Was »von außen«, wie gesagt, als gute Lösung für die Pflege alter Menschen erscheint, trägt eine Fülle von Problemanzeigen in sich. In diesem Kapitel wird dargestellt werden, wo die Probleme bei der Versorgungsform durch Frauen, die aus osteuropäischen Ländern zur Unterstützung von alten und pflegebedürftigen Menschen kommen, liegen. Dabei wird gleichzeitig auf alle Beteiligten gesehen. Es ist die gesamte Konstruktion dieser Versorgung, die deutliche Defizite aufweist, auch wenn sie scheinbar immer wieder gut gelingt und vielfach als »Win-win«-Situation bezeichnet wird. Längst sind die Problemanzeigen benannt, zu vielen Fragen sind Studien durchgeführt und weitergehend interpretiert und publiziert.
Unklarheit der Bezeichnung für die betreffenden Personen Bevor die einzelnen Herausforderungen differenziert betrachtet werden, ist ein grundsätzliches erstes Problem zu benennen: Für die Menschen, die in dieser Versorgungsform arbeiten, existiert keine offizielle Bezeichnung. Zwar ist landläufig allen Beteiligten klar, was bzw. wer mit dieser Versorgungsform gemeint ist. Umgangssprachlich hat sich die Bezeichnung »eine Polin« durchgesetzt, weil es Polinnen waren, die jahrelang führend für diese Versorgung angeheuert wurden. Es versteht sich von selbst, dass die Bezeichnung, die lediglich das Herkunftsland zur Identifikation gebraucht, keine korrekte, ja nicht einmal eine zutreffende Beschreibung ist. Das liegt nicht nur daran, dass auch aus anderen Ländern Osteuropas Frauen für diese Art der Versorgung kommen. Dass diese Bezeichnung völlig unzureichend ist, liegt auch daran, dass das Herkunftsland nicht die Tätigkeit beschreibt. Im Lauf der Jahre wurde mit der Bezeichnung experimentiert, was die Schwierigkeit der exakten Beschreibung erst recht verdeutlicht. So schreibt Helene Ignatzi 2014 von »südost- und osteuropäischen Pflegerinnen« (2014, S. 17), Bernhard Emunds von »Pflegekräften« (2016), immer wieder wird auch von »Haushaltshilfen« gesprochen. In den letzten Jahren setzt sich die Bezeichnung »Live-Ins« durch,
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was insofern zutreffend ist, als mit dem »im gleichen Haus leben« tatsächlich die Besonderheit der Versorgungsform akzentuiert wird. Allerdings wird diese Bezeichnung fast ausschließlich von Fachleuten, die sich mit den Herausforderungen, die hier im Folgenden dargestellt werden, auseinandersetzen, gebraucht. Für die Betroffenen – sowohl die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen wie auch die Frauen, die sich auf diese Arbeit einlassen – ist das Wort absolut ungebräuchlich und weitgehend auch unverständlich. Vielfach wurde und wird noch immer das Wort »Haushaltshilfe« benutzt. Diese Bezeichnung trifft insofern zu, als ein großer Teil der Tätigkeiten Hilfe im Haushalt der Unterstützungsbedürftigen darstellt. Gleichzeitig zählen bei den meisten Arbeitsverhältnissen eben auch pflegerische Tätigkeiten zum Programm, auch wenn sie vorzugsweise der Grundpflege zuzuordnen sind. In diesen Fällen stellt die »Haushaltshilfe« eine Verkürzung der Tätigkeiten dar, was insofern problematisch ist, weil die Problemlage hinsichtlich der Übernahme einer Tätigkeit, die zu sozialstaatlicher Versorgung zählt, unter den Tisch fällt. Ebenso wenig trifft die Bezeichnung »Pflegende« oder gar »Pflegekraft« zu. Dieses Wort bezeichnet – wenn auch umgangssprachlich verkürzt – den Beruf des:der Gesundheits- und Krankenpfleger:in oder Altenpfleger:in. Durch die Agenturen, die die Frauen aus Osteuropa zur Versorgung organisieren, ist der Begriff »Betreuungskraft« stark popularisiert worden. Sprachlich nimmt er die zweite Worthälfte der Pflegekraft auf, ohne die Pflege zu benennen. Somit wird ein sensibler Aspekt berücksichtigt, nämlich die irrtümliche Vorstellung, es handle sich hier um Pflegekräfte, womöglich um Pflegefachkräfte. Im Hinblick auf professionell Pflegende ist grundsätzlich festzuhalten, dass eine berufliche Tätigkeit in der Regel mit einer festgelegten, womöglich (staatlich) geschützten Berufsbezeichnung beschrieben wird, wie z. B. Lehrerin oder Bäcker. Für den Gesundheits- und Pflegebereich regelt das Pflegeberufereformgesetz von 2020 in Deutschland Voraussetzungen, Prüfungen und die staatliche Berufsanerkennung für die »Pflegefachfrau« und den »Pflegefachmann«. In der Abgrenzung zu den Pflegefachkräften, also Menschen, die eine berufliche Ausbildung im Bereich Pflege nachweisen können,
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wird schon deutlich, dass die Frauen aus Osteuropa durchaus auch pflegerische Tätigkeiten verrichten, dass sie allerdings in aller Regel nicht dafür qualifiziert sind. Ob Betreuungskräfte, Live-Ins, Haushaltshilfen oder Pflegende – jede der Bezeichnungen blendet mindestens einen wesentlichen Aspekt der Versorgungsform aus – in Deutschland ist diese Unterstützung alter Menschen nahezu jeder und jedem bekannt.
Verbreitung dieser Versorgungsform Diese Versorgungsform hat sich in Deutschland wie auch in Österreich und der Schweiz, stellenweise auch in Italien, seit ca. zwanzig Jahren neben der stationären und ambulanten Altenpflege entwickelt. In wie vielen Haushalten sie anzutreffen ist, lässt sich schwer sagen, da sie zu einem erheblichen Teil als illegale »Schwarzarbeit« vollzogen und damit nicht erfasst wird. Die Schätzungen differieren dabei gewaltig: Verena Rossow und Simone Leiber geben geschätzt 300.000 Mittel- und Osteuropäerinnen an, wobei sie darauf hinweisen, dass in der Regel zwei Frauen im Tandem arbeiten, wobei sich jeweils eine in Deutschland aufhält (2019, S. 38). Geschätzt werden 600.000 Pflegesituationen mit einer Betreuungskraft, die tatsächliche Zahl dürfte erheblich größer sein. Eine wesentliche Ursache für die häufige Wahl dieser Versorgung ist der Wunsch von Pflegebedürftigen, auch bei fortschreitendem Angewiesensein auf Unterstützung möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit zu verbleiben. Dieser Wunsch entsteht, weil die Selbstbestimmung möglichst lange aufrechterhalten werden soll, die neben dem Lebensstil und der Vertrautheit mit dem eigenen Zuhause auch die möglichst komfortable Situation im Blick hat, im höheren oder gar hohen Alter nicht einen neuen Wohnort bzw. eine Pflegeunterkunft aufzusuchen. Gerade dieser Aspekt der Selbstbestimmung ist es allerdings auch, der im Vollzug der Betreuung durch dieses Modell immer wieder infrage gestellt wird. Pflegebedürftige haben nur in sehr begrenztem Maße die Möglichkeit, mitzubestimmen, wer zu ihnen kommt, in ihrer Häuslichkeit wohnt und sie unterstützt und versorgt.
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Der weit verbreitete Wunsch alter und pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen, »zu Hause« alt zu werden und möglicherweise auch das Leben dort zu beenden, wird – unabhängig von der jeweils individuellen Situation – durch die nicht mehr zu befriedigende Nachfrage von Pflegefachpersonal unterstützt. Mit anderen Worten: Der Mangel an Pflegekräften in Deutschland unterstützt die Wahl, das Alter zu Hause zu verbringen und dabei von »Laienkräften« unterstützt zu werden. Die zunehmende Zahl dokumentiert die Popularität dieser Versorgung im Alter. Mit der umgangssprachlich längst bekannten »Polin« wird eine Frau bezeichnet, die ihr Herkunftsland verlässt, um in Deutschland (oder auch einem anderen europäischen Land) für eine bestimmte Zeit bei einem alten Menschen in der Wohnung zu wohnen und dabei den Haushalt zu führen sowie grundlegende pflegerische Tätigkeiten zu übernehmen. In gewisser Weise wird diese Frau, deren Tätigkeit bislang, wie gesagt, noch nicht einmal eine offizielle Bezeichnung erlangt hat, zu einem Mitglied der Familie oder zumindest einer sehr nahestehenden Person für den pflegebedürftigen alten Menschen. Wenn nicht die Bezeichnung als Polin vorherrschend ist, wird häufig auch von Pflegerin oder Betreuungskraft gesprochen; die Bezeichnung Live-In existiert praktisch nur in wissenschaftlichen Kontexten und dürfte der allgemein hier betroffenen Personengruppe nicht bekannt sein. Der hohe Anteil der Pflegebedürftigen, die sich für diese Versorgungsform entscheiden, ändert nichts daran, dass es hier um eine nicht ausreichend geregelte Tätigkeit/Versorgung für Pflegebedürftige geht. Mit graduellen Unterschieden werden dabei Problemanzeigen genannt, die unter juristischen, pflegewissenschaftlichen, finanziellen und ethischen Gesichtspunkten angeführt werden.
Rechtliche Fragestellungen Die unklare Arbeitsrechtslage steht im Fokus zahlreicher Auseinandersetzungen mit dem Thema. Zunächst sind grundsätzlich die Rahmenbedingungen zu betrachten, unter denen der Einsatz von Betreuungskräften aus dem Ausland in Deutschland erfolgen kann.
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Dabei ist zwischen Ländern der EU und außerhalb der EU zu unterscheiden. Auch bei der innerhalb der EU möglichen Arbeit durch das Arbeitnehmerfreizügigkeitsgesetz von 2014 sind zahlreiche juristische Details zu berücksichtigen. Die weitgehend als legal betrachtete Anstellung bei einer der sogenannten Agenturen in einem Land außerhalb Deutschlands, die durch Entsendung zustande kommt, ist nicht in jedem Fall mit deutschem Arbeitsrecht in Deckung zu bringen. Selbst bei einer Versorgung alter Menschen durch eine bei einer »Agentur« angestellten Frau sind die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen für die deutsche Rechtsprechung nicht zufriedenstellend gelöst. Im Wesentlichen konzentrieren sich bei der bisherigen Behandlung der juristischen Aspekte die Forschungen auf die Regelung der Arbeitszeit der Betreuungskräfte. Schwerpunktmäßig geht es dabei immer wieder um die Frage, wie die Arbeitszeiten mit Pausen, freien Tagen etc. so gestaltet werden können, dass sie dem deutschen Arbeitsrecht entsprechen.
Fragen der Pflegequalität Problematisch ist auch die Qualität der Versorgung unter pflegerischen Gesichtspunkten einzuschätzen. In der Regel arbeiten in diesem Versorgungsmodell Frauen, die nicht aus einem pflegerischen Beruf kommen. Auch bei einem Angestelltenverhältnis bei einer Agentur kann nicht von einem fachlichen Grundwissen – etwa im Umfang einer Qualifikation für pflegende Angehörige – ausgegangen werden. Zwar erwerben Frauen, die in mehreren häuslichen Arrangements gearbeitet haben, Erfahrungen und Fertigkeiten, die die Pflege unterstützen. Gleichzeitig bleiben viele Erfordernisse unbeantwortet, beispielsweise das Wissen um die Wirkung von Medikamenten, die Bedeutung der Ernährung im Alter und natürlich auch der Umgang mit den je eigenen Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz. Die Berücksichtigung der Pflegequalität bei dem Versorgungsmodell der Betreuungskraft in häuslicher Gemeinschaft wird von den Betroffenen – Pflegebedürftigen und deren Familienangehörigen – vielfach erst im Vollzug der Betreuungssituation in den Blick genommen. Dies ist insofern verständlich, weil die Not, eine Versorgung für den pflegebedürftigen alten Menschen zu finden, sehr groß
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Kapitel 2
ist und oftmals auch überraschend oder zumindest unvorhergesehen eintritt, beispielsweise nach einem Klinikaufenthalt.
Finanzierung Die Finanzierung der Versorgungsform ist nicht im Rahmen der Sozialgesetzbücher geregelt. Von daher sind Pflegebedürftige, die weder von einem ambulanten Pflegedienst noch in einer stationären Pflegeeinrichtung versorgt werden, finanziell gegenüber den beiden anderen Versorgungsformen benachteiligt. Prinzipiell ist die Finanzierung dieser Versorgungsform durch das persönliche Vermögen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu erbringen. Die Einstufung in einen Pflegegrad, die mit der Zahlung von Pflegegeld verbunden ist, ermöglicht zwar die Nutzung dieses Pflegegeldes auch für die Bezahlung einer Betreuungskraft. Der Umfang des Pflegegeldes entspricht aber in keiner Weise den erforderlichen Finanzen. Hinzu kommt, dass die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit zusätzlich geldwerte Leistung durch das zur Verfügung stellen von Wohnraum – in der Regel mindestens einem eigenen Zimmer, durchaus darüber hinaus auch eines abgeschlossenen Appartements –, die Übernahme sämtlicher Nebenkosten wie Energie, Wasser, Telefon und Internetanschluss sowie die vollständige Gewährung von Verpflegung erbringt. Hier können unter Umständen deutliche Mehrkosten gegenüber der Versorgung für die zu Pflegenden entstehen, weil durch die Betreuungskräfte eine bestimmte Ernährung hinsichtlich Unverträglichkeiten o. ä. erforderlich wird oder der Einkauf von Lebensmitteln nicht in dem Maße preisbewusst erfolgt wie bei den Angehörigen der Pflegebedürftigen. Im Einzelfall sind die finanziellen Rahmenbedingungen zu betrachten, da sie – vor allem bei der Vermittlung durch eine Agentur – in hohem Maß differieren.
Politische Perspektiven Die Gesamtlage des Phänomens ist nicht ohne Berücksichtigung der allgemeinen Betrachtung der Versorgung von Pflegebedürftigen zu verstehen. Die seit Jahren andauernde Zunahme von immer
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älter werdenden Menschen bedeutet auch einen ständig wachsenden Bedarf an Pflege. So werden nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln bis zum Jahr 2035 im stationären Bereich rund 307.000 Pflegekräfte fehlen, insgesamt – also inklusive der ambulanten Pflege – knapp 500.000 Fachkräfte. Diesen Berechnungen liegt die Voraussage der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland zugrunde, deren Zahl bereits 2017 3,4 Millionen Menschen ausmacht. Bis zum Jahr 2060 werden 4,53 Millionen Pflegebedürftige erwartet (Radtke 2022). Vonseiten der Pflegenden, ihrer Verbände und wissenschaftlichen Vertreter:innen wird darauf seit Jahren hingewiesen. Die Zahlen der Pflegebedürftigen sind bekannt, die Zunahme ist berechenbar. Gleichwohl wurde der Beruf der Pflegenden gesellschaftlich vernachlässigt: Weder sind die Rahmenbedingungen beruflicher Pflege so verändert worden, dass eine langjährige Tätigkeit in diesem Beruf gut möglich ist, noch ist die gesellschaftliche Anerkennung der Notwendigkeit auch nur annähernd gefolgt. Die in der ersten Phase der Coronakrise wahrzunehmende Aufmerksamkeit für die Pflege innerhalb der Gesellschaft hat – so viel lässt sich zwei Jahre später konstatieren – nicht zu einer nachhaltigen Wertschätzung der Pflegeberufe geführt. Die politische Bereitschaft zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist erkennbar, dennoch fehlt es an grundsätzlichen Strukturveränderungen. Dies trifft insbesondere auf die Förderung der technologischen Entwicklung und deren Finanzierung zu. Weithin wird der Konkurrenzfähigkeit im technischen Bereich eine größere Relevanz für das Wohl der Gesellschaft zugeschrieben als der Weiterentwicklung einer Ausgestaltung ihrer sozialen Belange. Grundsätzlich kann in einem Sozialstaat Politik nicht nur nutzenorientiert und ökonomisch ausgerichtet sein. Eines ihrer Ziele ist neben aller Bedeutung des wirtschaftlichen Erfolges auch das Gemeinwohl. 3
3 An dieser Stelle muss jedoch auch erwähnt werden, dass der Gesundheitsund Sozialbereich für sich genommen einen bedeutsamen Anteil des Arbeitsmarktes darstellt (Puch/Schellberg 2010).
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Kapitel 2
Diese Problematik, Geringschätzung bei gleichzeitig steigendem Mehrbedarf, teilt der Pflegeberuf mit anderen Berufen der CareArbeit, also des Sorgens für andere. »Als Care-Arbeit gilt die gesamte Breite von Sorge- und Pflegetätigkeiten im Lebenszyklus von der Kindheit bis zum Alter. […] Zum Verständnis von Care sind zwei Aspekte wichtig: Versorgung und Betreuung sowie Emotionsarbeit. Analytisch betrachtet muss ›Care‹ als ›entgrenzte Arbeit‹ definiert werden, bei der das Engagement der Versorgenden den Bedürfnissen der Sorgeempfänger angepasst werden muss.« (Lutz 2010, S. 29) Die Bedeutung der Care-Arbeit und die gleichzeitige politische Vernachlässigung dieser gesellschaftlichen Aufgabe lässt sich neben der Pflege der Älteren auch in der Betreuung und Bildung der Kinder aufzeigen. So prognostiziert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Datenbasis des Bevölkerungsstandes, der Kinder- und Jugendhilfestatistik, der Kinderbetreuungsstudie sowie des Fachkräftebarometers 2017 folgende Situation für die Kindheitspädagogik (ohne Unterscheidung der Qualifikation als Erzieherin oder Kindheitspädagogin): »Bis zum Jahr 2025 (2030) werden insgesamt bis zu 372.000 (484.000) zusätzliche Fachkräfte in der Frühen Bildung (Erzieher*innen und Kindheitspädagog*innen) benötigt. Gemäß den werden jedoch nur bis zu 181.000 (285.000) Neuzugänge durch Absolvent*innen der einschlägigen Ausbildungen und Studiengänge zur Verfügung stehen […]. Der Personalbedarf, der sich aus der demografischen Entwicklung, steigenden Betreuungsbedarfen und besseren Betreuungsschlüsseln […] ergeben wird, wird hingegen größtenteils nicht durch die erwarteten Neuzugänge kompensiert werden können […]. Die Personallücke in der Frühen Bildung wird demnach bis zum Jahr 2025 (2030) bis zu 191.000 (199.000) Erzieher*innen betragen.” (Weßler-Poßberg et al. 2018, S. 4) Allein schon durch prognostizierte Zahlen wird deutlich, dass die Care-Arbeit insgesamt nicht in der erforderlichen Verbreitung pro-
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fessionell abgedeckt werden kann. Das sind selbstverständlich keine Zufallsbefunde. Der Fachkräftemangel in den Sozialberufen fußt auf einer geringen Bedeutungszuschreibung, die seit langem in unserer Gesellschaft zu beobachten ist. Weder hinsichtlich der Systemrelevanz noch der Professionalität erfahren die Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsberufe die erforderliche Wertschätzung und Förderung. »Leider werden diese Berufe in ihrer wirtschaftlichen Produktivität und mit ihrem Beitrag für Demokratie und die Ermöglichung der sozialen Teilhabe oft marginalisiert; bis dahin, dass soziale Berufe als ›Frauenberufe‹ tituliert werden.« (Diakonie Deutschland 2022, S. 1) Durch die hier skizzierte Ausrichtung und Bewertung der CareArbeit wird deutlich, dass die Realität der Versorgungsform durch osteuropäische Live-Ins nicht aus dem Gesamtzusammenhang pflegerischer Betreuung herausgenommen und isoliert betrachtet werden kann. Der häufig anzutreffende Standpunkt, die Wahl für diese Betreuung sei eine ausschließlich private Entscheidung, greift zu kurz. Wohl sind die Rahmenbedingungen, die die Gestaltung dieser Versorgung ermöglichen, unmittelbar an die individuellen Möglichkeiten gebunden: Vorhandener Wohnraum, zur Verfügung stehendes Vermögen, persönliche Kompetenzen zur Organisation und grundsätzliche Einstellung zur selbstbestimmten Gestaltung des Lebensabends sind zweifellos Voraussetzungen, die für dieses Pflegearrangement unabdingbar sind. Dennoch werden alte Menschen nicht »zwangsläufig« durch eine Betreuungskraft versorgt. Dass sich zunehmend diese »dritte Säule« in der Pflege alter Menschen entwickeln konnte, ist auch ein Ergebnis nicht ausreichender und nicht bedarfsgerechter Gestaltung der Pflegemöglichkeiten alter Menschen. Konkret haben Angehörige, die ihre Verantwortung für pflegebedürftige alte Menschen wahrnehmen wollen, in der Gesamtlage der altenpflegerischen Versorgung nur begrenzte Möglichkeiten – hinsichtlich der konkreten Versorgungsform, der Finanzierungsmöglichkeiten und der individuellen Wahlfreiheit. Welche Optionen bieten sich im Kontext der Unterstützungsbedürftigkeit alter Menschen? Es lässt sich nicht leugnen, dass Pflege-
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bedürftigkeit nicht einfach »weggedacht« werden kann. Insbesondere die Zunahme von Menschen mit Demenz innerhalb der Pflegebedürftigen verdeutlicht, dass Pflegebedarf die Realität von Menschen und deren Familien und Zugehörigen bestimmt. Wird ein alter Mensch mehr und mehr unselbständig, bedarf es zunächst einer Unterstützung und in der Folge auch einer pflegerischen Versorgung und die familiale oder auch freund- und partnerschaftliche Übernahme der erforderlichen Tätigkeiten kommt an ihr Ende. Gleichzeitig können sich viele alte Menschen und auch deren Angehörige nicht vorstellen, ihre letzte Lebenszeit in einer stationären Pflegeeinrichtung zu erleben. Die Übersiedelung in ein Altenheim, insbesondere bei bereits entstandener Pflegebedürftigkeit, stellt für viele Menschen einen Schritt dar, den sie unter keinen Umständen gehen wollen. Leben in einer Altenpflegeinrichtung wird mit Einbußen der Selbständigkeit, dem Nebeneinander mit Menschen, die sich unfreiwillig zusammengefunden haben, von daher mit Verlust der Individualität und schließlich vielleicht sogar mit Gewalt verbunden. Von daher ist die Betreuung durch eine Frau aus Osteuropa geradezu die »Ideallösung«: Der alte Mensch bleibt in seinem vertrauten Zuhause, möglicherweise auch mit dem:der Ehepartner:in, und hat gleichzeitig die Gewissheit, bei Bedarf eine Unterstützung zu haben, die der:die Partner:in und auch die (möglicherweise weit weg wohnenden) Kinder nicht bieten können oder wollen. Wenn die Versorgungsform durch osteuropäische Betreuungskräfte in den Blick genommen wird, muss die sozialstaatliche Gesamtsituation miteinbezogen werden. Insbesondere Schuldzuweisungen in irgendeine Richtung sind nicht zielführend. Lediglich eine »Fehlentwicklung« zu konstatieren, auf Beteiligte an allen Seiten mit pflegerischer und juristischer, finanzieller und ethischer Kritik zu reagieren, greift zu kurz. Sehr wohl sind die einzelnen Einwände aus diesen Perspektiven genau zu prüfen, doch können »Lösungen« nicht von den Betroffenen nur jeweils einer Seite erwartet werden. Letzten Endes stehen die Akteure in der politischen Verantwortung vor der Herausforderung, die Rahmenbedingungen in allen genannten Aspekten so zu gestalten, dass das Modell mit Betreuungskräften als häusliche Versorgungsform aus dem »Grauen Pflegemarkt« herauskommt.
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Literatur Diakonie Deutschland (2022): Take care! Zur Attraktivität sozialer Berufe. Eine Aktion der Diakonie Deutschland. Berlin. Emunds, B. (2016): Damit es Oma gut geht. Pflege-Ausbeutung in den eigenen vier Wänden. Frankfurt a. M. Ignatzi, H. (2014): Häusliche Altenpflege zwischen Legalität und Illegalität, dargestellt am Beispiel polnischer Arbeitskräfte in deutschen Privathaushalten. Münster. Lutz, H. (2010): Wer übernimmt die Care-Arbeit zu Hause? Über die transnationalen Versorgungsketten von Ost- nach Westeuropa. Forschung Frankfurt, 2/2010, 28–31. Puch, H.-J./Schellberg, K. (2010): Sozialwirtschaft Bayern: Umfang und wirtschaftliche Bedeutung. München. Radtke, P. (2018): Bedarf an Pflegekräften in Deutschland bis 2035. https:// de.statista.com/statistik/daten/studie/172651/umfrage/bedarf-an-pflege kraeften-2025/ (Zugriff am 14.04.2022). Rossow, V./Leiber, S. (2019): Kein Schattendasein mehr. Entwicklungen auf dem Markt für »24-Stunden-Pflege«. Aus Politik und Zeitgeschichte, 69 (33–34), 37–42. Weßler-Poßberg, D./Huschik, G./Hoch, M./Moog, S.: Zukunftsszenarien – Fachkräfte in der Frühen Bildung gewinnen und binden. https://www.bmfsfj.de/ resource/blob/131412/a0c3b93fcd6de48eedeb349a3c5d6532/prognos-studie2018-data.pdf (Zugriff am 11.04.2022).
Kapitel 3 Bisherige Konzepte zu Ansätzen fairer Lösungen
Die Versorgung durch die 24-Stunden-Betreuungskräfte hat sich in den vergangenen Jahren auf unterschiedliche Weise entwickelt. Hinsichtlich der Quantität sind enorme Zuwächse in Deutschland zu beobachten: »Dass die sog. 24-Stunden-Pflege in Deutschland – auch im internationalen Vergleich – weit verbreitet ist, wird in der einschlägigen Literatur von niemandem bestritten« (Emunds/Habel 2020, S. 113). Schwierig ist es, eine genaue Zahl für die Pflegebedürftigen und ihre Familien zu nennen, die sich an dieser Versorgungsform beteiligen. Eben weil ein großer – vermutlich der größte – Teil der Beteiligten im Schwarzmarkt oder zumindest im »grauen« Markt agiert, lassen sich nur annäherungsweise Zahlen nennen. 2009 geht das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung von 100.000 Haushalten aus (Neuhaus/Isfort/Weidner 2009, S. 17). Die Verfasser der Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Thema nehmen 2017 an, dass in 163.000 deutschen Haushalten mit Pflegebedürftigen osteuropäische Betreuungskräfte tätig sind (Hielscher/Kirchen-Peters/Nock 2017, S. 95). Ver.di nennt 300.000 Betreuungskräfte aus Osteuropa, was ebenfalls geschätzt ist (Steffen 2015). Es gibt allerdings noch deutlich höhere Zahlen: »Laut Deutschem Berufsverband für Pflegeberufe werden nach Schätzungen zwischen 100.000 bis 800.000 Pflegehilfen illegal in Privathaushalten beschäftigt« (Zentrum für Qualität in der Pflege o. J., S. 1). Mit der Verbreitung dieser Versorgungsform sind die Herausforderungen gewachsen. Dabei sind die Problemlagen, die im ersten Kapitel überblicksartig beschrieben worden sind, keineswegs gelöst. Darin liegt das große Problem dieser Versorgungsform des »Grauen Pflegemarktes«. Angesichts der hohen Verbreitung erscheint es fast unvorstellbar, dass in einem Sozialstaat, der alle Leistungen für
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soziale Herausforderungen in seinen Sozialgesetzbüchern löst und für eine geregelte Finanzierung sorgt, die Unterstützung alter und pflegebedürftiger Menschen durch Betreuungskräfte (aus dem europäischen Ausland) nicht proaktiv angegangen wird. Gleichzeitig existieren verschiedene Ansätze, die die Situation legal regeln wollen. Diese vorhandenen Ansätze werden in diesem Kapitel zusammenfassend dargestellt. Dabei kann auf verschiedene Modelle verwiesen werden, die den bekannten Herausforderungen begegnen und den Problemanzeigen ganz konkrete Formen entgegensetzen. Inwiefern sie als Lösungswege bezeichnet werden können, hängt dabei natürlich stark von den jeweiligen Interessen der Beteiligten ab. Im Folgenden werden diese Ansätze vorgestellt und jeweils kritisch betrachtet.
Das österreichische Modell4 Für Österreich lassen sich hinsichtlich der demografischen Entwicklung und der damit verbundenen Erfordernisse zur Pflege- und Unterstützungsbedürftigkeit vergleichbare Rahmenbedingungen wie in Deutschland konstatieren: So beschreibt eine Studie im Auftrag des österreichischen Sozialministeriums die genaue Bedarfslage der Pflege (BMSGPK 2019). Seit 2006 existiert in Österreich für die Versorgung von Pflegebedürftigen in der häuslichen Umgebung durch eine dort mit lebende Betreuungskraft ein eigenständiges Modell. Die Entwicklung und Fortschreibung dieses Konzeptes entstand aus der Einsicht, dass die Situation eines »Grauen Pflegemarktes« dauerhaft keine sozialstaatliche Lösung darstellt. Ziel ist es dabei, eine qualitätsgesicherte 24-Stunden-Betreuung auf legaler Basis zu gewährleisten, zu dem parallel mittlerweile ein entsprechendes Fördermodell entwickelt wurde (BMSGPK 2019, S. 7). Am 01.11.2006 tritt in Österreich die nach dem Arbeitsminister Martin Bartenstein benannte »Bartenstein-Verordnung« in Kraft. Diese Verordnung ermöglicht Bürger:innen aus den (damals »neuen«) EU-Mitgliedsstaaten trotz des österreichischen Ausländerbe4 Vgl. zum Ganzen Marschitz 2017.
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Kapitel 3
schäftigungsgesetzes in der Pflege und Betreuung von Personen in Privathaushalten tätig zu werden. Im Folgejahr 2007 erfolgte eine gesetzliche Regelung, die die Grundlage für die heutige Rechtslage bietet. Diese gesetzliche Regelung wurde geschaffen, weil die bis dahin übliche Praxis »einen Verstoß gegen mehrere Rechtsvorschriften (z. B. Ausländerbeschäftigungsrecht, Sozialversicherungsrecht, Berufsrecht, Mindestlöhne, etc.)« darstellte, die die »Novellierung der Gewerbeordnung und die Schaffung eines neuen Hausbetreuungsgesetzes« erforderlich machte (BMSGPK 2019, S. 7). Inzwischen ist die »24-Stunden-Betreuung zu Hause« in Österreich fester Bestandteil der Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen. Das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz in Wien veröffentlicht dazu eine im Internet zugängliche und zusätzlich sogar in leichter Sprache erhältliche Darstellung der gesamten Gesetzeslage, des Fördermodells des Sozialministeriums sowie eine detaillierte Beschreibung der möglichen Modelle (BMSGPK 2019). Bemerkenswert daran ist vor allem, dass neben der Klarstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen im gleichem Text auch die »hohe Qualität bei sämtlichen Pflege- und Betreuungsdienstleistungen« hervorgehoben wird (BMSGPK o. J., S. 5). Die Anstellungsformen für eine Betreuungskraft sind in Österreich klar geregelt. Demnach kann eine Betreuung im Privathaushalt durch drei zu unterscheidende Beschäftigungsmöglichkeiten legal organisiert werden: Die Familie wird selbst zur Arbeitgeberin, welche die Betreuungskraft als Arbeitnehmerin führt, die Betreuungskraft wird von einem gemeinnützigen Anbieter angestellt oder die Betreuungskraft agiert als selbständig Erwerbstätige, was den Besitz eines Gewerbescheins zur Personenbetreuung beinhaltet. Diese »Personenbetreuung« stellt seit 2015 einen »eigenständigen Gewerberechtstatbestand« im Rahmen der seit 1994 geltenden Gewerbeordnung dar. Bezeichnet werden damit die »Gewerbetreibenden, welche Dienstleitungen im Bereich der Vermittlung von selbständigen Personenbetreuungskräften an Privathaushalte anbieten«, also praktisch die Vermittler von Personenbetreuung (BMSGPK o. J., S. 9). Gesetzlich geregelt ist in Österreich auch genau, was die Betreuungskraft tun darf und was ausgeschlossen ist. Neben den klassischerweise als »Betreuung« verstandenen Tätigkeiten wie Unter-
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stützung bei der Körperpflege, bei der Nahrungsaufnahme und dem Toilettengang können »im Einzelfall« auch sogenannte ärztliche Tätigkeiten an die Betreuungskräfte delegiert werden. Dazu zählt das Verabreichen von Arzneimitteln und subkutanen Insulinspritzen sowie die Blutentnahme zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels u. a. m. (BMSGPK o. J., S. 11). Die Anordnungen müssen jedoch durch ärztliches oder professionelles pflegerisches Personal in schriftlicher Form erfolgen. Zur Versorgung durch eine Betreuungskraft ist in Österreich berechtigt, wer Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz mindestens der Stufe 3 oder bei einer diagnostizierten Demenzerkrankung der Stufen 1 und 2 erhält. Des Weiteren sind die Arbeitsbedingungen der Betreuungskräfte klar geregelt. Eine entscheidende Voraussetzung besteht darin, dass sich die Betreuer:innen als solche registrieren lassen. Nach der grundsätzlichen »Legalisierung« der Betreuungskräfte wird in einer zweiten Phase mit dem:der »Personenbetreuer:in« eine neue gesetzliche Regelung geschaffen (BMSGPK 2021). Personenbetreuer:innen sind Menschen, die pflegebedürftigen Menschen in deren häuslicher Umgebung helfen, wobei sie als Selbständige, Unselbständige und Träger auftreten können. Entscheidend für die Verbreitung dieses Modells war für Österreich die Änderung des Bundespflegegeldgesetzes, das die Voraussetzungen für die Finanzierung dieser Betreuungsform schafft. Die Caritas Österreich führt ihr Modell in verschiedener Hinsicht als Erfolgsmodell an. »Caritas rundum Zuhause betreut« zeichnet sich durch einheitliche Standards aus und ist mit dem Österreichischen Qualitätszertifikat ÖQZ ausgezeichnet. Damit ist die Caritas »unter den ersten Organisationen, die dieses Zertifikat vom BMASGK [Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Konsumentenschutz] erhielten« (Caritas Rundum Zuhause betreut o. J.a). Auf der entsprechenden Website wird auch darauf hingewiesen, dass das Versorgungsmodell »Caritas rundum Zuhause betreut« bereits 2018 Platz 1 beim Test des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) erreicht hat (Caritas Rundum Zuhause betreut o. J.b). Mittlerweile haben sich unter dem Namen »24 h Betreuung. Sicher. Kompetent. Fair« die großen österreichischen Sozialorganisationen Caritas, Hilfswerk und Volkshilfe in der Organisation der häuslichen Betreuung
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Kapitel 3
zu einem gemeinsamen Qualitätsstandard verpflichtet. Die deutliche Benennung der unzureichenden Rechtslage durch das Sozialministerium Österreich zu Beginn der Entwicklung eines Gesetzes und der entsprechenden Fördermöglichkeiten zeigt eindrücklich, wie die im illegalen Bereich entstandene Versorgung in häuslicher Gemeinschaft zunehmend in sichere Rechtsverhältnisse und finanzierbare Fördermöglichkeiten überführt wurde.
FairCare In Deutschland war eines der ersten Modelle zur Verwirklichung von legaler Beschäftigung im Rahmen der Betreuung zu Hause das Modell »Faircare«. Es entstand aus einer gemeinsamen Aktion des Diakonischen Werkes Württemberg, des Vereins für Internationale Jugendarbeit Württemberg (vij), der Evangelischen Frauen in Württemberg (efw) in Zusammenarbeit mit der Diakonie Polen und AID Rom Rumänien (Diakonie der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen 2012/2013). In der damals bestehenden Form wurde das Projekt 2013 beendet. Aktuell umfasst diese Aktion sowohl die Vermittlung von Betreuungskräften unter konkreten Bedingungen, auf die noch einzugehen sein wird, als auch ein Beratungszentrum zu Fragen häuslicher Betreuung in Stuttgart. Im Unterschied zu anderen Vermittlungsagenturen handelt es sich bei FairCare um eine Non-Profit-Organisation. FairCare – wie bereits der Name beinhaltet – verfolgt das Ziel, den Einsatz von Betreuungskräften in der häuslichen Versorgung unter für alle Beteiligten fairen Bedingungen zu organisieren. Die Trägerschaft der Diakonie und des Vereins für Internationale Jugendarbeit zeigt die wertebasierte Ausrichtung dieser Arbeit, die an jahrzehntelanges Engagement für einerseits alte und kranke Menschen, andererseits für Mädchen und Frauen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, anknüpft: »Der VIJ berät und begleitet Menschen im Migrationsprozess seit über 130 Jahren und fühlt sich im Verbund mit der Diakonie christlichen Werten verpflichtet« (Verein für Internationale Jugendarbeit o. J.). Sowohl die Vermittlung von Betreuungskräften als auch das Beratungszentrum setzen sich für die »sichere Vermittlung sowie die legale und ge-
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rechte Beschäftigung osteuropäischer Arbeitskräfte in der häuslichen Betreuung« (Verein für Internationale Jugendarbeit o. J.) ein. Insbesondere sind dabei die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen sowie der Sozialschutz für die Arbeitnehmerinnen im Fokus. Im Klartext bedeutet das: Vorrangig geht es darum, zwischen der Betreuungskraft und der entsprechenden Pflegeperson bzw. deren Familie ein reguläres Arbeitsverhältnis zu etablieren. Das Anliegen von FairCare ist es, »der Arbeitsausbeutung von Betreuungskräften entgegenzuwirken«. Gleichzeitig »sind uns auch das Wohlergehen und die individuellen Bedürfnisse der zu betreuenden Personen und deren Angehörigen sehr wichtig«, so die Darstellung auf der entsprechenden Website. Das beinhaltet sowohl einen geregelten Lohn als auch alle anderen Bestandteile eines Arbeitsverhältnisses wie Urlaubsanspruch, Probezeit und Kündigungsbedingungen. Die FairCare Vermittlungsstelle sucht für die betroffenen Pflegebedürftigen nach einer individuellen Beratung eine möglichst passende Person, wobei den Familien mehrere Vorschläge zur Auswahl vorgelegt werden. Sie koordiniert den Wechsel der Betreuungskräfte und organisiert bei Bedarf die Kooperation mit ortsansässigen Diakonie- und Sozialstationen. Als Arbeitgeber stellt FairCare den Arbeitsvertrag zur Verfügung, organisiert An- und Abmeldung beim Sozialversicherungsträger und erstellt die laufenden Lohnabrechnungen (Verein für Internationale Jugendarbeit o. J.). Als monatlicher Lohn wird der Betrag von 2080 Euro (brutto) verabredet, zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge und Reisekosten. Inklusive der zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge beläuft sich die monatlich zu zahlende Summe auf ca. 2.700 Euro pro Monat. Dazu kommen zusätzlich einmalig 500 Euro Vermittlungsgebühr. Auch hinsichtlich der Praxis des Vorgehens hat FairCare einen speziellen Ansatz: Es ist ihnen wichtig, das Betreuungsverhältnis mit einem »ganzheitlichen Ansatz« durchzuführen. Dazu zählt auch der Service, der bereits vor einer Vermittlung bzw. dem Arbeitseinsatz beginnt. So soll bei der unterstützungsbedürftigen Person eine genaue Analyse des Bedarfs erfolgen, um dann gezielt die Personalsuche für die Betreuungskraft zu starten. Entscheidend ist neben der arbeitsrechtlichen Klarheit auch die pflegerische und medizinische Qualität der Versorgung: »Die fach-
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gerechte medizinische Versorgung der zu betreuenden Personen ist durch Kooperationen mit den Sozialstationen der Diakonie Württemberg möglich« (Verein für Internationale Jugendarbeit 2021, S. 2). Das zweite Angebot des VIJ in diesem Kontext ist das Beratungszentrum für häusliche Betreuung in Stuttgart. Auch hier steht neben der Information über diese Versorgungsform die Aufklärung über Schwarzarbeit und die Beratung zur Durchführung einer legalen Beschäftigung im Vordergrund: Die umfassende Beratung dient auch dazu, »sich im ›Dschungel möglicher Dienstleistungsangebote‹ zurecht finden zu können und nicht an dubiose Vermittlungsagenturen zu geraten« (Verein für Internationale Jugendarbeit o. J., S. 2). Die Beratung erfolgt durch ein fachlich ausgebildetes Team, ist neutral, unabhängig und kostenfrei.
CariFair5 Auch der Deutsche Caritasverband sieht seit der zunehmenden Verbreitung der Betreuungskräfte die vielfältige Problematik dieses Versorgungsmodells. Bereits 2012 sind in der Zeitschrift des Verbandes »neue caritas. Migration und Integration. Info« erste Beiträge zu der Situation veröffentlicht worden: »Als dieses Phänomen vor Jahren verstärkt wahrgenommen wurde, war die erste Reaktion schroffe Abwehr. Eine illegale Pflegemafia mache sich breit, die bewährten Strukturen der ambulanten Pflege würden gefährdet. Doch pauschale Ablehnung ist weder gerechtfertigt noch hilft sie den Pflegebedürftigen und den Frauen aus Osteuropa.« (Cremer 2012, S. 1) Seit 2009 hat sich der Caritas-Diözesanverband im Erzbistum Paderborn mit der Caritas Polen zu einer Kooperation zusammengeschlossen. Ziel dieser Kooperation ist es, für die Arbeit polnischer Haushaltshilfen und Betreuungskräfte im Privathaushalt älterer Menschen im Gebiet des Erzbistums Paderborn geordnete und legale Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese Kooperation fungiert unter 5 Vgl. zum Ganzen Menebröcker 2017.
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der Bezeichnung CariFair (Caritasverband für das Erzbistum Paderborn o. J.a). Zwischen der Caritas Polen und dem Caritas-Diözesanverband Paderborn wurde eine Vereinbarung getroffen, die die Rahmenbedingungen für eine faire und legale Beschäftigung polnischer Haushalts- und Betreuungskräfte in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen definiert. Diese Vereinbarung hat das Ziel, die Interessen der in Deutschland tätigen Frauen und Männer und ihrer Heimatfamilien und die Interessen der Menschen mit Unterstützungsbedarf und ihrer Angehörigen gleichermaßen zu schützen. Aktuell organisiert der Caritasverband Paderborn diese Kooperation für Betreuungen im Raum Paderborn, Höxter und Detmold. Im Land Nordrhein-Westfalen wird die Organisation vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NordrheinWestfalen unterstützt. CariFair arbeitet auch in Baden-Württemberg und Bayern mit einzelnen Caritas-Sozialstationen zusammen, hat seinen Schwerpunkt jedoch nach wie vor im Erzbistum Paderborn. Was leistet CariFair? Der Slogan von CariFair charakterisiert die Ausrichtung und Tätigkeit dieser Organisation: »CariFair: gut betreut – fair bezahlt – legal angestellt«. CariFair hat die drei beteiligten Gruppen am Prozess der Versorgung durch eine polnische Hilfe im Blick: die Pflegebedürftigen, die Betreuungskräfte und die Organisation der Caritas, die die legalen Rahmenbedingungen gewährleistet. Im Prinzip werden die Familien, die eine Betreuungskraft benötigen, zur Arbeitgeberin in engster Kooperation und mit vielfältiger Dienstleistung der Organisation CariFair. Die Auftraggeberinnen, also die Familien, legen mit dem Verband eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit fest, die ihren individuellen Bedürfnissen angepasst ist. Innerhalb von CariFair arbeiten Koordinator:innen, die mit den Familien – also den zukünftigen Auftraggeberinnen – die Bedarfe und Versorgungswünsche ermitteln und besprechen. Die Koordinationskräfte beraten ab dem ersten Interesse an einer Betreuungskraft, informieren über eventuell weiter erforderliche Unterstützungsangebote und begleiten – vor allem – die auftraggebende Familie bzw. den:die Pflegebedürftige:n während des gesamten Zeitraums der Betreuung. Auf Wunsch übernimmt CariFair auch die Tätigkeiten, die einem Arbeitgeber obliegen, wie beispielsweise die Meldung bei der zuständigen Berufsgenossenschaft oder die Bean-
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tragung der Arbeitgeber-Betriebsnummer. Ebenso übernimmt CariFair die Gehaltsabrechnung für die Betreuungskraft, wenn die Auftraggeberinnen, also die Familien oder die Pflegebedürftigen selbst, dies wollen. Wenn fachliche Pflege erforderlich ist, arbeitet CariFair mit den Pflegekräften der Caritas-Sozialstationen zusammen. Dieser Versorgungs- und Pflegemix aus »einer Hand«, also von Versorgungsleistungen in einer Trägerschaft, stellt eine Besonderheit der Tätigkeit von CariFair dar. Im Sinne des Mottos von CariFair liegt der zweite Schwerpunkt der Organisation bei den Betreuungskräften im Haushalt der pflegebedürftigen Personen. CariFair organisiert den Kontakt zwischen Pflegebedürftigen und den Betreuerinnen aus Polen. Die dafür zuständigen Mitarbeiterinnen sind alle polnischsprachig, ebenso existiert ein Flyer, in dem die wichtigsten Informationen auf Polnisch dargestellt werden. CariFair adressiert von Anfang an seine Grundidee an polnische Arbeitsinteressierte und spricht dabei das Hauptanliegen explizit an: »CariFair ermöglicht Ihnen, in Deutschland legal und unter fairen Bedingungen als Haushalts- und Betreuungskraft zu arbeiten (Caritasverband für das Erzbistum Paderborn o. J.b).« Die Website beinhaltet alle wichtigen Informationen, die auf Deutsch und Polnisch verfügbar sind. Dabei werden auch die Erwartungen an eine Betreuungskraft aufgezählt: Sie soll Deutschkenntnisse auf Sprachniveau A 1 besitzen, über Erfahrungen in der Haushaltsführung verfügen, vom Wesen her freundlich und geduldig sein und bereit sein, eine Schulung zur Vorbereitung, eventuell auch einen Sprachkurs vor dem Einsatz in Deutschland zu absolvieren. Die zu erwartenden Aufgaben für die Betreuungskraft werden im Allgemeinen beschrieben, wobei jeweils die in der konkreten Familie anfallenden Verantwortlichkeiten gemeinsam mit der Koordinierungskraft und der betroffenen auftraggebenden Familie festgelegt werden. Die polnische Betreuungskraft wird informiert, dass sie durch die Familie bzw. den:die Pflegebedürftige:n angestellt wird. Sie erhält von dem:der Pflegebedürftigen bzw. seiner:ihrer Familie einen Arbeitsvertrag, für den die Bestimmungen des deutschen Ar-
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beits- und Tarifrechts maßgeblich sind. Die Betreuungskraft wird sozialversichert, was die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung umfasst. Bei Kindern kann auch Kindergeld in Deutschland beantragt werden. Die an der Stelle interessierte Polin füllt einen Bewerbungsbogen aus, in dem neben den persönlichen Daten auch arbeitsbezogene Kenntnisse abgefragt werden, wie zum Beispiel die Erfahrung im Umgang mit Dementen. Da das Angebot von CariFair zu den Leistungen der Caritas zählt, werden die Rolle und der konkrete Beitrag des Wohlfahrtsverbandes im Rahmen der Selbstdarstellung reflektiert. Der jeweilige CaritasVerband auf deutscher wie auf polnischer Seite tritt als Kontaktvermittlung auf, die für beide Seiten – pflegebedürftige Person und deren Angehörige als Arbeitgeber:innen und polnische Betreuungskraft als Arbeitnehmerin – als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Die Leistung der Caritas besteht vor allem in der klaren Beschreibung der legalen Bedingungen, wie Arbeitszeit, Urlaubstage, Bezahlung, und der Rahmenbedingungen in der Häuslichkeit für die Betreuungskraft, wie eigenes, abschließbares Zimmer, Telefon- und Internetanschluss. Bei der Festlegung der Bezahlung wird eigens darauf hingewiesen, dass Unterkunft und Verpflegung als geldwerte Leistung von der Betreuungskraft anzugeben und zu versteuern ist. Entsprechend dem kirchlichen Selbstverständnis der Caritas und ihrem Auftrag als katholischem Wohlfahrtsverband beinhaltet die Leistung des Caritas-Diözesanverbandes auf deutscher Seite auch das Angebot spiritueller Begleitung sowie soziale Austauschrunden für die polnischen Betreuungskräfte in der jeweiligen Region. Das Modell CariFair erhielt sowohl in Polen wie auch in Deutschland mehrere Auszeichnungen (Caritasverband für das Erzbistum Paderborn o. J.c). Die Zusammenarbeit mit der polnischen Caritas und der Einsatz für Polinnen, die in Deutschland als Betreuungskräfte arbeiten, wird in Polen aufmerksam seit Beginn der Kooperation verfolgt. So hat bereits 2011 der damalige Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig in Warschau von der Beauftragten für Menschenrechte in Polen, Irena Lipowicz, das Ehrenzeichen »Für Verdienste um die Menschenrechte« erhalten. »Seit vielen Jahren ist uns die Situation der oft illegal arbeitenden polnischen Frauen im Ausland ein Dorn im Auge […]. Das Caritas-Projekt ist ein wichtiger Beitrag, sich der
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Gewalt gegen Frauen entgegenzustellen.« Es trage wesentlich dazu bei, das Thema Menschenwürde in den Mittelpunkt zu rücken (Caritasverband für das Erzbistum Paderborn o. J.c). Das Projekt CariFair wurde 2011 – damals noch unter der Bezeichnung »Caritas 24 – zu Hause gut betreut« in Deutschland mit dem »Häusliche Pflege Innovationspreis« ausgezeichnet. Dieser Preis wird von der Fachzeitschrift »Häusliche Pflege« verliehen und zeichnet beste Management-Lösungen von Pflegediensten aus (Caritasverband für das Erzbistum Paderborn o. J.c).
DIN SPEC 33454 Ein weiterer Beitrag zur Klärung der Arbeitsbedingungen für die häusliche Betreuung ist die Entwicklung einer DIN SPEC, wodurch die »ungeordneten« Rahmenbedingungen für diese Betreuungsform systematisiert und einheitlich geregelt werden sollten. Zum allgemeinen Verständnis einer DIN SPEC ist zu sagen, dass sie gewissermaßen der Vorläufer für eine DIN-Norm sein kann. Ziel einer DIN SPEC ist es, aus neuen, noch in der Forschung befindlichen Prozessen oder Produkten Standards zu formulieren, die auf dem entsprechenden Markt etabliert werden können. Die Initiative zu einer DIN SPEC kann von jedem ergriffen werden. Im Anschluss daran wird ein Workshop gebildet und durchgeführt, der die entsprechenden Standards erarbeitet. Das DIN Deutsche Institut für Normung e. V. veröffentlicht die DIN SPEC und macht sie damit allen Interessierten zugänglich (DEKRA e. V. o. J). Hinter dem Namen DIN SPEC 33454 verbirgt sich eine Beschreibung von Qualitätsstandards zur Regulierung der sogenannten 24-Stunden-Pflege. Der gesamte Text trägt den Titel »Betreuung unterstützungsbedürftiger Menschen durch im Haushalt wohnende Betreuungskräfte aus dem Ausland – Anforderungen an Vermittler, Dienstleistungserbringer und Betreuungskräfte« und ist auf der Website des DIN Deutsches Institut für Normung e. V. einzusehen (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2020). Sie wurde von einem interdisziplinären Gremium erarbeitet, dem Expert:innen aus der Pflegewissenschaft, den Rechtswissenschaften, Verbraucherschützer:innen und Vertreter:innen von Angehörigen und Betroffenen
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angehörten. Die DIN SPEC wurde mit dem PAS-Verfahren erarbeitet, was bedeutet, dass der Text in einem Konsortium formuliert wurde, allerdings nicht zwingend unter Einbeziehung aller interessierten Kreise. In der Einleitung zu dem DIN SPEC 33454-Text wird unmissverständlich der Ausgangspunkt für die Erarbeitung dieser Standards benannt: »Im Zuge der Erweiterung des Europäischen Binnenmarktes kam in den letzten Jahrzehnten eine […] Versorgungsform hinzu: die Betreuung und Pflege durch ausländische Hilfskräfte. Diese Form der Versorgung ist zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Dokuments immer wieder intensiver Kritik ausgesetzt: Die Betreuungskräfte würden menschenunwürdig behandelt, schwarz beschäftigt und die Betreuten würden der Gefahr unkundiger Behandlungen und Misshandlungen ausgesetzt. […] Eine Vielzahl von Anbietern aus dem In- und Ausland arbeiten in einem beachtlich großen Markt, der durch erhebliche Qualitätsunterschiede und mangelnde Transparenz für den Verbraucher gekennzeichnet ist.« (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2021) Der Text dieser DIN SPEC beschreibt vier Teilbereiche: Anforderungen an die Betreuungskräfte, an den Einsatz und den Einsatzort, an die Vermittler von Betreuung im häuslichen Umfeld sowie an die Dienstleistungserbringer von Betreuung im häuslichen Umfeld. Eingangs werden die betroffenen Rechtsgrundlagen aufgeführt, die auch durch entsprechende Hinweise im Internet aufzufinden sind. Ebenso werden grundlegende Fachbegriffe – wie beispielsweise »Dienstleistungserbringer« – erläutert, wodurch der Text auch für die allgemeine Öffentlichkeit verständlich wird. Zusammenfassend können die Anforderungen in den genannten vier Teilbereichen folgendermaßen charakterisiert werden: Für die Betreuungskräfte (Abschnitt 4) wird ein Höchstalter von 67 Jahren bei gesundheitlicher Eignung und einem polizeilichen Führungszeugnis angesetzt. Deutsche Sprachkenntnisse sollen mindestens dem Level A1 des gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen. Die Betreuungskräfte sollen über sozial-kom-
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munikative Kompetenzen und »betreuungsbezogenes Grundwissen« verfügen. Dazu zählen »Haus- und Alltagswissen« ebenso wie Basiswissen in der Pflege. Als Anforderungen an den Einsatzort (Abschnitt 5) werden der Wohnraum sowie verfügbare finanzielle Mittel, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und die Benennung einer Kontaktperson genannt. Die »Anforderungen an Vermittler von Betreuung im häuslichen Umfeld« (Abschnitt 6) werden unterschieden zwischen »Allgemeine Anforderungen an alle Vermittler« und »Spezielle Anforderungen an Vermittler von Dienstleistungserbringern mit nicht selbständigen Betreuungskräften«. Diese Anforderungen werden detailliert aufgeführt und umfassen Informationen zu rechtlichen Rahmenbedingungen, Krankenversicherungsschutz, Darstellung der Anforderungen an eine Betreuungskraft auf der Grundlage der Beschreibung der betreuungsbedürftigen Person(en), Eignungsbeurteilung der Betreuungskraft durch den Vermittler, Anforderungen an die Qualitätssicherung u. a. m.
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Caritasverband für das Erzbistum Paderborn (o. J.c): Auszeichnungen in Polen und Deutschland. https://carifair.de/fuer-haushalts-und-betreuungskraefte/ auszeichnungen/ (Zugriff am 19.10.2022). Cremer, G. (2012): Editorial »Alltagsbegleitung legal organisieren«. neue caritas. Migration und Integration. Info, 3, 1. Dekra e. V. (o. J.): DIN SPEC 33454 Zertifizierung: Bessere Versorgungsqualität und faire Arbeitsbedingungen in der sogenannten »24 Stunden Pflege«. https://www.dekra.de/de/din-spec-33454-zertifizierung/#elementnull01, (Zugriff am 31.10.2022). Diakonie der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen (2012/2013): Polnische Diakonie Newsletter Dezember 2012-Januar 2013. https://diakonia.org. pl/wp-content/uploads/2015/08/nn2.pdf (Zugriff am 04.11.2022). DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (2020): Erster DIN-Standard zur Vermittlung von ausländischen Betreuungskräften. https://www.din.de/de/ue�ber-normen-und-standards/nutzen-fuer-den-verbraucher/verbraucherrat/ ueber-uns/erster-din-standard-zur-vermittlung-von-auslaendischen-betreuungskraeften-773496 (Zugriff am 28.10.2022). DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (2021): DIN SPEC 33454. Betreuung unterstützungsbedürftiger Menschen durch im Haushalt wohnende Betreuungskräfte aus dem Ausland – Anforderungen an Vermittler, Dienstleistungserbringer und Betreuungskräfte. Berlin. Emunds, B./Habel, S. (2020): Von der Schwarzarbeit zum »grauen Markt« – und darüber hinaus? Neuere und künftig notwendige Entwicklungen der sog. 24-Stunden-Pflege. In: K. Jacobs/A. Kuhlmey/S. Greß/J. Klauber/A. Schwinger (Hg.): Pflege-Report 2020. Neuausrichtung von Versorgung und Finanzierung (S. 111–122). Berlin. Hielscher, V./Kirchen-Peters, S./Nock, L. (2017): Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten: Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geben Auskunft. Düsseldorf. Marschitz, W. (2017): Die »24-Stunden-Betreuung« in Österreich. Konzepte und Lösungen von Nachbarn. In: S. Arend/T. Klie (Hg.): Wer pflegt Deutschland? Transnationale Pflegekräfte – Analysen, Erfahrungen, Konzepte (S. 65–90). Hannover. Menebröcker, C. (2017): CariFair: Qualitätsgesicherter Einsatz mittel- und osteuropäischer Haushalts- und Betreuungskräfte in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Personen: In: S. Arend/T. Klie (Hg.): Wer pflegt Deutschland? Transnationale Pflegekräfte – Analysen, Erfahrungen, Konzepte (S. 53– 64). Hannover. Neuhaus, A./Isfort, M./Weidner, F. (Hg.) (2009): Situation und Bedarfe von Familien mit mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen (moH). https://www. dip.de/fileadmin/data/pdf/material/Endbericht_Haushaltshilfen.pdf (Zu� griff am 15.05.2022). Steffen, M. (2015): … raus aus der Schwarzarbeit. Gute Arbeit in Privathaushalten. Europäische Erfahrungen und mögliche Gestaltungsansätze der Be-
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schäftigung osteuropäischer Haushaltshilfen und Pflegekräfte. Herausgegeben von ver.di. Berlin. Verein für Internationale Jugendarbeit (vij) (2021): FairCare menschlich betreut. Informationen für Haushalte. http://www.vij-faircare.de/fileadmin/ Downloads/2021_FairCare_Info_f%C3%BCr_Haushalte.pdf (Zugriff am 19.10.2022). Verein für Internationale Jugendarbeit (vij) (o. J.): Beratungszentrum für häusliche Betreuung. Information. Möglichkeiten der häuslichen Betreuung. https://vij-wuerttemberg.de/sites/default/files/2021-11/Flyer_Beratungszentrum%20f%C3%BCr%20h%C3%A4usliche%20Betreuung.pdf (Zugriff am 19.10.2022). Zentrum für Qualität in der Pflege (o. J.): Pflegeversorgung – Grauer Pflegemarkt. https://www.zqp.de/wp-content/uploads/Fachartikel_Grauer_Arbeitsmarkt. pdf (Zugriff am 19.10.2022).
Kapitel 4 Aktuelle Forschungslage. Kurzdarstellung des Forschungsprojektes TRABAM
In diesem Kapitel wird das Forschungsprojekt TRABAM (Transnationale Betreuungskräfte in der häuslichen Versorgung alter Menschen) vorgestellt, das den Ausgangspunkt dieses Buches bildet. Der Anlass, dieses Forschungsprojekt durchzuführen, war die Erfahrung im Rahmen des Forschungsschwerpunktes »Betreuungskräfte aus Osteuropa zur häuslichen Versorgung«, dass die Projekte zur wissenschaftlichen Untersuchung des Versorgungsmodells zwar die Probleme benennen, aber keine konkreten Lösungen aufzeigen können. Einfach gesagt: Die Hindernisse, die sich bei der Versorgungsform mit ausländischen Betreuungskräften in der häuslichen Umgebung in verschiedenen Perspektiven auftun, sind hinlänglich bekannt. An vielen Stellen sind sie in Vorträgen, Arbeitspapieren und Veröffentlichungen in unterschiedlichem Format verbreitet worden. Mit Ausnahme vielleicht mancher Angehöriger, die – meistens der Not gehorchend – schnell zu einer Hilfe durch diese Versorgungsform kommen wollen und sich nur am Rande mit den Schwachstellen der Betreuung auseinandersetzen können, sind alle Betroffenen mit den Herausforderungen dieses Modells vertraut. Dessen ungeachtet erfreut sich die Versorgung mit »Live-Ins« zunehmender Beliebtheit. So entstand die Frage, warum es nicht gelingt, zu befriedigenden Lösungen oder zumindest Lösungsansätzen zu gelangen. In dem Projekt TRABAM sollen die möglichen Ursachen erhoben werden, die einer Realisierung abgestimmter Rahmenbedingungen in politischer, pflegerischer, finanzieller und rechtlicher Hinsicht entgegenstehen. Bevor auf dieses Projekt und seine Ergebnisse näher eingegangen wird, wird im Folgenden zunächst die Forschungslage skizziert, auf der das Projekt TRABAM aufbaut.
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Aktuelle Forschungslage – ein Überblick Die Betreuung alter und pflegebedürftiger Personen in ihrem Zuhause durch ausländische Betreuungskräfte hat – darauf wurde schon hingewiesen – durch die Gewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit 20046 enormen Zuwachs erfahren. Insbesondere für Frauen und Männer aus Polen und Rumänien ist dadurch die Möglichkeit zur Arbeit in Deutschland eröffnet worden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt stellt die Unterstützung durch (überwiegend) Frauen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten in der Versorgung alter Menschen eine Realität, die nicht mehr zu übersehen ist, dar. Die rechtlichen Regelungen dafür hat bereits 2006 die Juristin Sylwia Timm untersucht. Im Zuge dieser gesetzlichen Möglichkeiten werden für die interessierten Betroffenen zunehmend Ratgeber und Erfahrungsberichte veröffentlicht. Dabei reicht das weite Spektrum von eher individuell ausgerichteten erzählenden Darstellungen bis hin zu sachbezogenen und informativen Veröffentlichungen. Zum ersten Typ zählt beispielsweise das Buch von Georg Neumann (2010), der anschaulich die Erlebnisse mit polnischen Betreuungskräften schildert. Neben den Erzählungen beinhaltet sein Buch auch konkrete Hinweise zur Finanzierung und Entscheidungshilfen bei der schwierigen Frage nach der angemessenen Betreuung. Zum zweiten Typ lässt sich exemplarisch die Veröffentlichung von Hermann Bierlein (2013) anführen. Auf der Grundlage von Zahlen und Fakten zur Pflegebedürftigkeit sowie zur Finanzierung von Pflege liefert er eine Fülle von Aspekten zur konkreten Gestaltung der »Pflege daheim«. Obwohl diese Versorgungsform erstaunlich schnell mehr und mehr in Anspruch genommen wurde, blieb sie in der wissenschaftlichen Bearbeitung lange wenig berücksichtigt. Helma Lutz, die sich schwerpunktmäßig mit Migration unter Genderaspekten befasst, beklagt eine »miserable« Datenlage (2009, S. 43). Auch fünf Jahre später konstatiert Helene Ignatzi in ihrer Dissertation zum Thema: 6 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – das Freizügigkeitsgesetz/EU ermöglicht die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit im Aufnahmemitgliedstaat.
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»Betrachtet man den Stand der Forschung in Deutschland einerseits bezogen auf die aktuellen Zahlen der beschäftigten ausländischen Pflegekräfte im häuslichen Pflegesektor und andererseits auf deren reale Lebenssituation, so lässt sich feststellen, dass dieser Bereich ähnlich wie in den anderen europäischen Ländern noch unzureichend erforscht ist.« (Ignatzi 2014, S. 90)7 Die wissenschaftlichen Arbeiten, die zu dem Thema der Versorgung durch (überwiegend) osteuropäische Betreuungskräfte existieren, haben mittlerweile aus verschiedenen Perspektiven zugenommen. Dabei können deutliche Schwerpunkte ausgemacht werden. Ein wesentlicher Teil der Forschung kommt durch Wissenschaftler:innen zustande, die sich mit dem Thema auch aufgrund ihrer eigenen Biografie auseinandersetzen. Sie führen vielfach an, dass sie selbst einen Migrationshintergrund haben, der sie für die Menschen und die Situation der (Pendel-)Migration besonders sensibel und aufgeschlossen macht. Ihr kulturelles Verständnis für Frauen aus ihrem eigenen Herkunftsland und ihr Interesse an deren Ergehen sind verständlicherweise sehr ausgeprägt. Auch ihre sprachlichen Möglichkeiten sind durch die eigene Zweisprachigkeit eine gute Voraussetzung für die Bearbeitung des international angelegten Themas. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt von daher sehr stark auf der Untersuchung der Situation für die betroffenen Betreuungskräfte. Die prominentesten Vertreterinnen sind dabei – in der Reihenfolge der Entstehung ihrer Veröffentlichungen genannt – Johanna Krawietz (2014, Dissertation 2012), Helene Ignatzi (2014), Agnieszka Satola (2015) und Patrycja Kniejska (2016). Bei allen Arbeiten, die durchweg wissenschaftliche Qualifizierungsarbeiten darstellen, handelt es sich um qualitative Forschung. Die Autorinnen haben jeweils Interviews mit polnischen Betreuungskräften geführt, was durch ihre eigene
7 Dass die Autorin durchgängig von »Pflegetätigkeit« und »osteuropäischen Pflegekräften« spricht, lässt sich mit der Zuordnung ihrer Forschung in den Bereich der wissenschaftlichen Sozialen Arbeit erklären, die – zumindest 2014 – zwischen betreuenden und pflegenden Personen nicht durchgängig differenziert.
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muttersprachliche Kompetenz und den dadurch vertrauensvollen Zugang zu den Befragten ermöglicht werden konnte. Johanna Krawietz hat ihre Dissertation mit dem Titel »Sorgearrangements transnational organisieren. Eine Studie grenzüberschreitender Vermittlungen der Care-Arbeit« im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs »Transnationale Soziale Unterstützung« erstellt. Sie analysiert die Arrangements, durch welche die Vermittlung von Betreuungskräften durch Agenturen zustande kommen. Helene Ignatzi untersucht auf der Grundlage des LebenslagenKonzeptes die Lebensbedingungen von polnischen Betreuungskräften in Deutschland und kommt zu dem Schluss, dass die Erfahrungen in Deutschland einerseits die Lebensmöglichkeiten der Betroffenen erweitern, andererseits aber auch begrenzen. Zu den Erweiterungen und Verbesserungen zählen der Einkommens- und Versorgungsspielraum sowie das Wohnen im Herkunftsland, das durch die verbesserte finanzielle Lage begünstigt wird. Die Pflege von Kontakten zu Familienangehörigen und Freunden ist dem gegenüber eher benachteiligt, was durch die räumliche Distanz auch nicht zu verändern ist. Agnieszka Satola legt eine biografische Studie vor, innerhalb derer sie bei polnischen Live-Ins in deutschen Haushalten biografischnarrative Interviews durchführt. Die Befragten schildern sowohl die schwierigen Arbeits- und Lebensverhältnisse, aber auch die von ihnen erlebte subjektive Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit. Insgesamt schreiben sie der irregulären Tätigkeit eine neue Professionalisierung zu – neu insofern, als sich dieses Verständnis vom sozialwissenschaftlich verstandenen Professionalisierungsbegriff deutlich unterscheidet. Patrycja Kniejska untersucht – ebenfalls in qualitativen Interviews, aber auch mit teilnehmenden Beobachtungen sowie drei Expert:inneninterviews – die Selbsteinschätzung polnischer Betreuungskräfte in ihrer Lebens- und Arbeitswelt »zwischen familiärer Nähe und beruflicher Distanz«, wie der Untertitel ihrer Veröffentlichung besagt. Dabei thematisiert sie auch die Rolle der Vermittlungsagenturen, die von den Befragten sehr kritisch gesehen wird. Bedeutsam für die Forschungslage zu dem Versorgungsmodell der Live-Ins ist die Tatsache, dass neben der Fokussierung auf die
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einzelnen Personen und ihr Erleben zunehmend auch andere Forschungsrichtungen Erkenntnisse zum Verstehen des Ganzen beitragen. Exemplarisch sei hier die kulturgeografische Masterarbeit von Tobias Schneider genannt (2019). Sein Interesse an dieser Versorgungsform beruht darauf, dass »Migrations- und Wanderungsbewegungen eine Kernkompetenz der Kulturgeografie darstellen und das Thema eine außerordentliche gesellschaftliche Relevanz besitzt« (Schneider 2019, S. 6). Schneider untersucht die persönlichen Beziehungen der »transnational« tätigen Betreuungskräfte und kommt zu dem Ergebnis, dass sie »isoliert« in Deutschland leben und »hauptsächlich transnationale Interaktionen« durchführen: »Diese lassen sich in schwache transnationale Beziehungen, starke transnationale Beziehungen und transnationale Sozialräume einteilen. Sie unterscheiden sich voneinander im Grad der Intensität, in der Dauerhaftigkeit, in der Häufigkeit und in ihrem Einfluss auf den Alltag der Betreuungskräfte.« (Schneider 2019, S. 90) Die wesentlichen transnationalen Beziehungen unterhalten die Betreuungskräfte zu Familie und Freund:innen im Herkunftsland. Zu Menschen in Deutschland entwickeln sie – abgesehen von den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen – praktisch keine Beziehungen. An der kulturgeografischen Betrachtungsweise, die Tobias Schneider einbringt, ist vor allem von Interesse, dass bei den von ihm beobachteten Besonderheiten der transnationalen Betreuungskräfte bemerkenswerte Unterschiede zu anderen transnational tätigen Menschen nachzuweisen sind. Ein festzuhaltendes Ergebnis ist die Tatsache, dass Betreuungskräfte durchaus in zwei Kulturen zu Hause sind, dass jedoch keine Zweifel bei ihnen selbst darüber besteht, dass ihr Herkunftsland ihr entscheidendes Bezugssystem darstellt. Ein weiterer großer Teil der Forschung konzentriert sich parallel zu der Betrachtung der Gruppe der Betreuungskräfte auf die strukturelle Bedeutung der Versorgung zu Hause. Dabei ist die Arbeitsmigration grundsätzlich ein Thema der globalen Betrachtung von Sorgearbeit, vor allem im Hinblick auf die Gender-Thematik. Insbesondere Helma Lutz (2018) untersucht die frauenspezifische Ausrichtung der Migration im Care-Bereich. Sie lenkt den Blick auf die
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Herkunftsländer der Betreuungskräfte und verdeutlicht, dass dort vielfach ein kritischer Blick auf die Arbeit der Frauen in Deutschland geworfen wird. An dieser Stelle ist schon einmal auf die sogenannten Vermittlungsagenturen hinzuweisen, die als Vermittler zwischen den ausreisewilligen Frauen und den Pflegebedürftigen in Deutschland fungieren. Einen wesentlichen Beitrag zur Beforschung des Versorgungsmodells durch Betreuungskräfte als Live-Ins bietet die Studie der HansBöckler-Stiftung, welche die »Pflege in den eigenen vier Wänden« (Hielscher/Kirchen-Peters/Nock 2017) untersucht. Bei der Darstellung der Rahmenbedingungen und Herausforderungen einer Altenpflege im eigenen Zuhause kann die Berücksichtigung der Pflege durch Live-Ins nicht fehlen. Auch im Rahmen dieser Studie werden die gravierenden Probleme benannt. Die häusliche Altenpflege durch Live-Ins bringt im Hinblick auf die Gestaltung pflegerischer Versorgung Problemanzeigen hervor, die die sozialstaatliche Verantwortung für Pflegebedürftige betrifft. So entstehen zunehmend auch kritische analysierende Texte und Veröffentlichungen, die auf diese ungeklärten politischen, rechtlichen und sozialethischen Verhältnisse hinweisen. 2019 widmete die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrer Zeitschrift »Aus Politik und Zeitgeschichte«, die der Wochenzeitung »Das Parlament« beiliegt, eine ganze Ausgabe dem Thema Pflege. In dem Beitrag »Kein Schattendasein mehr. Entwicklungen auf dem Markt für ›24-Stunden-Pflege‹« skizzieren Verena Rossow und Simone Leiber (2019) die Entwicklung des Marktes, den rechtlichen Rahmen, die Forschungsperspektiven und »neue Akteure«. In ihrem »Ausblick: Zeit für politische Antworten« zeigen sie auf, welche Möglichkeiten zu einer politischen Antwort derzeit diskutiert werden: Als eine Option wird das österreichische Modell genannt, dessen Schwachstellen jedoch zugleich zu einer Abkehr von dieser Regelung führen. Für alle anderen Varianten folgern sie, dass die »Idee einer Rund-um-dieUhr-Betreuung durch eine einzige Person« (Rossow/Leiber 2019, S. 42) nicht umsetzbar ist. Zuletzt erschien die Dissertation von Verena Rossow aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Auch sie hat mithilfe von Interviews erarbeitet, was diese Versorgungsform bedeutet – allerdings mit dem
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Schwerpunkt auf den Angehörigen. Die Tatsache, dass sie auf der Grundlage ihrer Daten auch sehr pointiert herausstellt, dass Änderungen in der Versorgung alter Menschen und damit auch in unserem Gesundheitssystem unabdingbar sind, hat ihre Arbeit aktuell besonders in den Fokus gestellt. Verena Rossow hat für ihre Dissertation den Studienpreis der Körber-Stiftung erhalten. Überblickt man die Forschungsgeschichte der fünfzehn Jahre, in denen das Versorgungsmodell der Betreuungskräfte in häuslicher Gemeinschaft aus verschiedenen Perspektiven untersucht und reflektiert wurde, ist eine eindrucksvolle Zunahme der Relevanz zu konstatieren. War zu Beginn des Entstehens des Grauen Pflegemarktes die Wahrnehmung der Situation der überwiegend bearbeitete Gegenstand der Forschungen, stehen zunehmend die kritischen sozialen und politischen Fragen im Vordergrund. Zu den Darstellungen, die die Probleme der Versorgungsform benennen, zählen auch die Veröffentlichungen von gewerkschaftlicher Seite. Seit 2014 nimmt ver.di kritisch Stellung (Böning/Steffen 2014, Steffen 2019). Von Anfang an haben Bernhard Emunds und das Nell-BreuningInstitut im Zuge ihrer sozialethischen Arbeit die Rahmenbedingungen der Versorgungsform mit osteuropäischen Betreuungskräften in der häuslichen Umgebung kritisch begleitet. Bereits die erste Veröffentlichung im Jahr 2016 mit dem Untertitel »Pflege-Ausbeutung in den eigenen vier Wänden« (Emund 2016) zeigt die grundsätzlichen Problemstellungen auf. Das Buch ist ein Teil des Forschungsprojektes »Ausländische Pflegekräfte in Privathaushalten«, welches durch die Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde. Emunds zeichnet darin die großen Verbindungslinien zwischen der jeweils akuten Situation einer betroffenen Familie, der Vermittlung durch Agenturen und der Situation der Osteuropäerinnen.8 Er beschreibt die fehlende Regulierung durch die Politik auf Bundesebene: »Wenn es aber um die Gestaltung der ›24-Stunden-Pflege‹ und die Live-in-Pflegekräfte geht, dann duckt sich die deutsche Politik einfach nur weg; sie entzieht 8 Emunds verwendet den Begriff Live-In, der allerdings lediglich die Wohnbzw. Lebensform bezeichnet und nichts über den Inhalt der Tätigkeit aussagt. Die Bezeichnung »Pflege-Tätigkeit«, die er favorisiert, erscheint problematisch in der Abgrenzung zu pflegerischen Fachkräften.
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sich ihrer Verantwortung« (Ermunds 2016, S. 151). Diese aus sozialethischer und sozialpolitischer Perspektive gewonnene Bewertung der beteiligten Akteure wird von Seiten des Nell-Breuning-Instituts kontinuierlich ausgebaut und mit unterschiedlichen Studien, Workshops und Fachvorträgen untermauert. Zuletzt haben Simone Habel und Theresa Tschenker eine interdisziplinäre Untersuchung vorgelegt, in der sie die Arbeitszeit der Live-Ins untersucht haben (Habel 2021). Zur ethischen Auseinandersetzung mit dieser Versorgungsform sind auch Veröffentlichungen von Barbara Städtler-Mach (zuletzt 2020) zu nennen. Parallel zu den Publikationen wird das Thema auch regelmäßig in Vorträgen, Tagungen und Symposien aufgegriffen. Die Schwerpunktsetzung gestaltet sich dabei natürlich im Hinblick auf die jeweiligen Zielgruppen. Exemplarisch ist das Symposion »Transnationale Pflegekräfte« des Kuratoriums Wohnen im Alter (KWA) im Jahr 2016 in München zu nennen. Die Vorträge wurden in Buchform ein Jahr später veröffentlicht (Arend/Klie 2017).
TRABAM (Transnationale Betreuungskräfte in der häuslichen Versorgung alter Menschen) Es ist deutlich, dass mit unterschiedlichen Fragestellungen das Versorgungsmodell mit Betreuungskräften in der häuslichen Umgebung aus verschiedenen Forschungsrichtungen und von politischen Ansätzen her kritisch betrachtet wird. Mehr noch: An vielen Stellen kommen die Autor:innen, Forschungsgruppen und beteiligten Organisationen zu dem Ergebnis, dass der »Graue Pflegemarkt« nicht so weiter bestehen kann. Die kritische Sicht wird von allen Untersuchenden und für die Gestaltung sozialpolitischer Rahmenbedingungen geteilt, wenn auch der Inhalt der Kritik variiert. Wie schon mehrfach benannt: Trotz zahlreicher ernst zu nehmender Einwände und gravierender Kritikpunkte weitet sich dieses Versorgungsmodell in Deutschland ungehindert weiter aus. Trotz zahlreicher begründeter rechtlicher, ethischer und pflegewissenschaftlicher Infragestellungen existieren weiterhin Vermittlungsagenturen mit (teilweise) arbeitsrechtlich unzureichenden Geschäftsabschlüssen – und trotz aller bekannten Missstände nimmt die illegale
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Beschäftigung von ausländischen Betreuungskräften weiterhin zu. Somit entsteht die Frage: Wie kann es sein, dass praktisch auf allen verantwortlichen Ebenen der Politik, der Organisation von Pflege und Sozialem und der Vertreter:innen des Sozialstaates, die Erkenntnis der unzureichenden Rahmenbedingungen existiert, gleichzeitig aber keine für alle verträgliche Gestaltung dieser Rahmenbedingungen angestrebt wird? Kurz gesagt: Wenn »alle« wissen, dass es in einem großen Bereich sozialstaatlicher Gestaltung derartige Missstände gibt, an einer Behebung aber nicht mit vereinten Kräften gearbeitet wird, scheint es dafür wesentliche Gründe zu geben. Oberflächlich betrachtet kann von divergierenden Interessenlagen ausgegangen werden, für die auch schnell die Hauptverursacher ausgemacht sind. Es wird von einer Win-win-Situation gesprochen, von der alle Beteiligten profitieren. Auf der einen Seite werden die Pflegebedürftigen genannt, die zu Hause bleiben und in ihren eigenen Räumen versorgt werden können. Der Kreis derer, die durch dieses Versorgungsmodell »Gewinn« erzielen, wird durch die Angehörigen der Pflegebedürftigen erweitert. Sie sind in der Regel froh, dass die alten Menschen – wenn schon innerhalb der Familie keine Versorgung gewährleistet werden kann – in einer familienähnlichen Formation betreut oder sogar gepflegt werden. Die zweite Gruppe der »Winner« sind die Menschen – überwiegend Frauen – aus Osteuropa, die sich mit diesem Geschäftsmodell einen relativ guten Lohn erarbeiten – gut zumindest in der Hinsicht, was den Verdienst anbelangt, der schlussendlich bei ihnen verbleibt. Die Nicht-Beachtung von Arbeitszeiten und Mindestlohn-Zahlungen durch die Anstellungsmodalitäten (insbesondere bei Schwarzarbeit) wird dabei billigend in Kauf genommen. Das Gleiche gilt für die eigene Nicht-Beachtung korrekter Arbeitsbedingungen im Hinblick auf Steuern und Sozialabgaben. Zunehmend wird als dritter »Winner« der Sozialstaat – in zunächst nicht näher definierter Konkretheit – genannt, da durch die derzeit geübte Umsetzung des Versorgungsmodells auch die Finanzierung durch sozialstaatliche Leistungsträger ausbleibt. An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt TRABAM an. Warum – so stellten wir die Frage – kommen keine tragfähigen Lösungen
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für dieses Problem zustande, wo doch alle Akteure darum wissen? Oder differenzierter: Welche Gründe gibt es dafür, dass in diesem offensichtlich bekannten Missstand keine Besserung – wenigstens in Ansätzen – erkennbar ist?9 Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wurden im 2. Quartal 2021 Expert:innen befragt, um ihre persönliche Einschätzung der stagnierenden Lösungswege für die 24/7-Versorgung darzustellen. Ganz bewusst wird bei der Befragung auf die subjektive Anschauung und Einschätzung der Befragten abgehoben. Das Sichtbarmachen subjektiver Einschätzungen im Hinblick auf das Bearbeiten der vorhandenen Fragestellungen ist Grundlage dafür, die Zielrichtung von Handeln und Nicht-Handeln an den betroffenen Stellen, bei Akteur:innen, Verbraucher:innen etc. in alltäglichen Situationen zu verstehen. Das Erkenntnisinteresse leiten dabei folgende Fragen: – Welche subjektiven Theorien explizieren Akteur:innen im Handlungsfeld der 24/7-Versorgungsform hinsichtlich der Stagnation der Verrechtlichung und der damit einhergehenden Formalisierung der 24/7-Versorgungsform? – Welche subjektiven Theorien explizieren Akteur:innen im Handlungsfeld hinsichtlich der Ermöglichung der Legalisierung und Finanzierung dieser Versorgungsform? – Welche Einflussmöglichkeiten sehen sie dabei im Rahmen ihres eigenen Handelns? – Welche Faktoren zur Verbesserung der wohlfahrtsstaatlichen Verantwortungsübernahme sehen sie? Die subjektiven Einschätzungen werden durch Befragungen der betroffenen Akteur:innen ermittelt. Dabei sind folgende Akteur:innen zu berücksichtigen:
9 Auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes im Sommer 2020 wird noch näher einzugehen sein. Die darin enthaltene Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns war als eine echte Verbesserung der Arbeitssituation gedacht, wird aber inzwischen als nicht hilfreich gesehen. Im Gegenteil: Viele Angehörige umgehen eine legale Anstellung, um die Bezahlung niedriger zu halten, was letzten Endes eine Zunahme der Schwarzarbeit bedeutet.
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1. Politische Verantwortliche auf Bundesebene: Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) 2. Abgeordnete des Deutschen Bundestags und des Europäischen Parlaments 3. Verantwortliche in Pflege- und Wohlfahrtsverbänden 4. Bundesvereinigung VHBP der Agenturen zur Vermittlung von 24/7-Kräften 5. Betroffene Familien (mit guten und mit schlechten Erfahrungen) 6. Kooperativ arbeitende ambulante Pflegedienste 7. Pflegekassen 8. Zivilgesellschaftliche Akteur:innen im Bereich der Pflege Aufgrund mehrfacher Vorarbeiten bestehen zu allen genannten Zielgruppen der Interviewpartner:innen bereits Kontakte, teilweise auch mit bewährter jahrelanger Zusammenarbeit. Mit den Expert:innen wurden anhand des folgenden Leitfadens Interviews geführt: – Name, Beschäftigung/Funktion im Hinblick auf die Thematik 24/7. – Bitte beschreiben Sie kurz, auf welche Weise und wie lange Sie mit der Thematik 24/7 befasst sind. – Wo sehen Sie die Chancen dieses Versorgungsmodells? – Welche Problemanzeigen können Sie bei diesem Versorgungsmodell benennen? – Welche Akteure müssten Ihrer Meinung nach aktiv werden, um diese Problemanzeigen zu bearbeiten? – Wo sehen Sie die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung dieser Probleme? – Bitte skizzieren Sie die Schritte, die gegangen werden müssten, um die Schwierigkeiten bzw. Problemanzeigen bei dieser Versorgungsform anzugehen? – Welche Konsequenzen hat es Ihrer Meinung nach, wenn diese Problemanzeigen nicht angegangen werden?
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Kapitel 4
Die Expert:innen10 werden hier namentlich aufgeführt, ihre Antworten sind jedoch nicht einzeln ausgewiesen. Baehrens, Heike: MdB, Pflegebeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion. Döring, Ulrike: Vorsitzende des Evangelischen Fach- und Berufsverbandes für Pflege und Gesundheit. Fajardo, Annemarie: Vizepräsidentin Deutscher Pflegerat, Mitglied der Bundespflegekammer-Konferenz. Loheide, Maria: Diakonie Deutschland, Vorständin Sozialpolitik. Seebohm, Frederic: Geschäftsführer des Bundesverbandes für häusliche Betreuung und Pflege, Vorsorgeanwalt. Segmüller, Tanja: Prof. Dr., Professorin für Alterswissenschaften, Hochschule für Gesundheit in Bochum. Sigl-Lehner, Georg: Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern, Lehrer für Pflegeberufe. Ullmann, Andrew: MdB, Prof. Dr.med. Welskop-Defaa, Eva: Caritas Deutschland, Vorständin Sozial- und Fachpolitik. Westerfellhaus, Andreas: Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, Staatssekretär. Die Ergebnisse der Interviews können in folgenden vier Schwerpunktthemen zusammengefasst werden: – mangelnde Bereitschaft der politischen Entscheidungsträger zu einer politisch akzeptablen Lösung, – fehlende Prüfungen der pflegerischen Qualität der Versorgungsform, – unzureichende finanzielle Absicherung der Versorgungsform durch Strukturen der sozialen Sicherungssysteme, – ausbleibende Kontrolle hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Bedingungen.
10 Der Erhebungszeitraum (2. Quartal 2021) wurde bereits genannt. Die hier angegebenen Funktionen beziehen sich auf den Zeitpunkt der Befragung. Bei einigen Befragten hat sich mittlerweile eine Änderung der Funktion bzw. des Verantwortungsbereichs ergeben.
Aktuelle Forschungslage
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Die Darstellung der Auswertung und damit die Veranschaulichung der Gründe für mangelnde »Lösungswege« aus dem vielfach beschriebenen Dilemma erfolgt in einer summarischen Betrachtung der Äußerungen zu dem jeweiligen Themenschwerpunkt. Dies erscheint für die Aussage der Interviews relevanter als die in der Darstellung wissenschaftlicher Studien üblichen Angabe von genannten Worten und Begrifflichkeiten.
Literatur Arend, S./Klie, T. (Hg.) (2017): Wer pflegt Deutschland? Transnationale Pflegekräfte – Analysen, Erfahrungen, Konzepte. Hannover. Bierlein, H. (2013): Pflege daheim. Planung – Finanzierung – Unterstützung aus Osteuropa. Gütersloh. Böning, M./Steffen, M. (2014): Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten – Problemstellungen und politische Herausforderungen. Berlin. Emunds, B. (2016): Damit es Oma gut geht. Pflege-Ausbeutung in den eigenen vier Wänden. Frankfurt a. M. Hielscher, V./Kirchen-Peters, S./Nock, L. (Hg.) (2017): Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geben Auskunft. Düsseldorf. Ignatzi, H. (2014): Häusliche Altenpflege zwischen Legalität und Illegalität, dargestellt am Beispiel polnischer Arbeitskräfte in deutschen Privathaushalten. Münster. Kniejska, P. (2016): Migrant Care Workers aus Polen in der häuslichen Pflege. Zwischen familiärer Nähe und beruflicher Distanz. Wiesbaden. Krawietz, J. (2014): Pflege grenzüberschreitend organisieren. Eine Studie zur transnationalen Vermittlung von Care-Arbeit. Frankfurt a. M. Lutz, H. (2008): Vom Weltmarkt in den Privathaushalt: die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung. Opladen. Lutz, H. (2018): Die Hinterbühne der Care-Arbeit: Transnationale Perspektiven und Care-Migration im geteilten Europa. Weinheim/Basel. Neumann, Georg (2010): Rettung aus Polen. Wie Pflege zuhause tatsächlich gelingt. Freiburg i. Br. Rossow, V. (2021): Der Preis der Autonomie. Wie sorgende Angehörige Live-inArbeitsverhältnisse ausgestalten. Leverkusen. Satola, A. (2015): Migration und irreguläre Pflegearbeit in Deutschland. Eine biographische Studie. Stuttgart. Schneider, T. (2019): »Leben zwischen den Welten«. Transnationale Alltagssorge osteuropäischer 24-Stunden-Betreuungskräfte in der häuslichen Altenpflege. Magisterarbeit Friedrich-Alexander-Universität. Erlangen. Städtler-Mach, B. (2020): Versorgung alter Pflegebedürftiger in der häuslichen Umgebung durch »24-Std.-Betreuungskräfte«. Menschenrechtliche und ethi-
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sche Fragen. In: A. Frewer/S. Klotz/C. Herrler/H. Bielefeldt (Hg.): Gute Behandlung im Alter? Menschenrechte und Ethik zwischen Ideal und Realität (S. 223–246). Bielefeld. Städtler-Mach, B./Ignatzi, H. (Hg.) (2020): Grauer Markt Pflege. 24-StundenUnterstützung durch osteuropäische Betreuungskräfte. Göttingen. Timm, S. (2006): Zur Freizügigkeit von polnischen Arbeitnehmern in Deutschland: Regelungen vor und nach dem Beitritt Polens in die Europäische Union. Dissertation. Berlin.
Kapitel 5 Fehlende Prüfungen der pflegerischen Qualität der Versorgungsform
Ein immer wiederkehrendes bzw. in den Expert:inneninterviews des Forschungsprojektes TRABAM häufig genanntes Problem ist die unzureichende Prüfung der pflegerischen Qualität in der Versorgung durch Betreuungskräfte. Streng genommen geht es dabei nicht um die Prüfung allein, sondern um die Frage der Qualität aus pflegerischer bzw. pflegewissenschaftlicher Sicht in dieser Versorgungsform überhaupt. Die Betreuungskräfte, die von den Agenturen vermittelt werden, arbeiten hinsichtlich ihrer Kenntnisse oder gar Qualifikation auf sehr unterschiedlichem Niveau. Was tatsächlich an pflegerischer Tätigkeit erfolgt, geschieht in den sprichwörtlichen vier Wänden, in die – zu Recht – auch grundsätzlich niemand Einblick zu nehmen hat. Gleichzeitig existiert bei vielen Pflegebedürftigen ein echter Pflegebedarf, der in vielen Fällen von keiner Stelle, gelegentliche Hausbesuche durch ein:e Ärzt:in ausgenommen, begutachtet oder gar kontrolliert und in Folge dessen eventuell verbessert wird. Für Menschen, die von Pflege betroffen, selbst aber nicht professionelle Pflegekräfte sind – also Pflegebedürftige und deren Angehörige – ist das, was als Qualität bezeichnet wird und was sich vornehmlich an eigenen und fremden Erfahrungen festmachen lässt, sehr präsent. Als Qualität wird dabei umgangssprachlich das bezeichnet, was dazu verhilft, dass sich der pflegebedürftige Mensch gut versorgt und respektvoll behandelt fühlt. Dabei sind die einzelnen Schritte und Tätigkeiten, Vorgehensweisen und Entscheidungen der Pflegenden im Einzelnen gar nicht maßgeblich und können oftmals auch nicht explizit benannt werden. Entscheidend sind der Gesamteindruck und das subjektive Gefühl, das durch die Behandlung und den Kontakt mit den Pflegepersonen entsteht. Allein schon die Rede von guter Pflege – meist als »gutes Krankenhaus« oder »gutes Altenheim« bezeichnet – trifft allerdings bei
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Kapitel 5
vielen Pflegebedürftigen und deren Umfeld einen neuralgischen Punkt. Es ist leicht nachvollziehbar, dass für Menschen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf die Beschäftigung mit dem Thema Pflege ganz allgemein von großer Bedeutung ist. Erzählungen anderer im Freundes- und Bekanntenkreis sowie eigene Erfahrungen bei Besuchen in Pflegeeinrichtungen und zunehmend auch Berichte und Informationen in den Medien prägen die Vorstellungen und Wünsche, immer wieder aber auch die Ängste und Widerstände gegenüber Pflegeeinrichtungen. Generell steht dabei die stationäre Pflege im Vordergrund, sowohl was die Versorgung in einem Krankenhaus oder (Groß-)Klinikum als auch in einer Pflegeeinrichtung für alte Menschen anbelangt. Auf die Pflege in der stationären Krankenversorgung muss in unserem Kontext nicht weiter eingegangen werden. Wohl aber ist die Aufmerksamkeit auf stationäre Altenpflegeeinrichtungen zu richten, denn gerade die Erfahrungen, Bilder und Phantombilder, die Menschen mit solchen Pflegeeinrichtungen verbinden, sind es, die die Versorgung zu Hause besonders attraktiv erscheinen lassen. Hinsichtlich der ambulanten Pflege, die der Versorgung durch eine Betreuungskraft in häuslicher Umgebung am nächsten kommt, existieren eher wenig Studien zur Pflegequalität.11 Immer wieder wird dabei von sogenannten Pflegeskandalen berichtet, also Zuständen, Handlungen und Fehlverhalten in bestimmten Einrichtungen oder durch einzelne Pflegende (bspw. Joeres 2022). Selbst wenn in diesem Zusammenhang zu Recht darauf verwiesen wird, dass in den meisten Einrichtungen mit den Pflegebedürftigen gut umgegangen wird, zeigen solche Berichte Einfluss. Dabei geht es nicht nur um die Außenwirkung, also die Rezeption dieser Berichte bei Menschen außerhalb dieser Einrichtungen. Selbstverständlich bewirken Nachrichten über Pflegeskandale auch nachteilige Empfindungen und Einstellungen bei den Bewohner:innen und Mitarbeitenden der jeweiligen Einrichtung selbst. Der Hinweis auf die stationären Pflegeeinrichtungen ist zu Beginn einer Betrachtung der Qualität in der Versorgung durch Live-Ins unabdingbar. Keineswegs entstehen die Vorstellungen, dass die Versorgung durch eine Betreuungskraft zu Hause eine sehr angenehme 11 Vgl. zum Ganzen Garms-Homolová/Roth 2004.
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Lösung für Pflegebedürftige ist, unabhängig von den Einschätzungen einer stationären Pflege. Denn die Wahrnehmung von Altenpflegeeinrichtungen trägt tatsächlich dazu bei, dass Menschen mit Pflegebedarf so lange wie möglich zu Hause bleiben wollen. Erst wenn sie in der Grundversorgung auf Hilfe angewiesen sind, kommt die Möglichkeit einer Übersiedelung in eine Pflegeeinrichtung in den Blick. Das bedeutet: Die Vorstellung von einem Leben in einer Pflegeeinrichtung, welches man auf keinen Fall möchte, ist ein wesentlicher Faktor für die Entscheidung, sich auf die Versorgungsform mit einer Betreuungskraft in häuslicher Gemeinschaft einzulassen. Gleichzeitig existiert für die Überprüfung der Qualität der Pflege oder Betreuung durch Live-Ins praktisch keinerlei Qualitätskontrolle. Zugespitzt könnte man urteilen: Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wählen die Versorgung durch eine Betreuungskraft in der häuslichen Umgebung, um einer schlechten Pflegeorganisation zu entgehen, besitzen gleichzeitig aber nahezu keine Gewähr für eine gute Qualität in dieser Versorgung. Das Phänomen der Pflegequalität muss deshalb näher betrachtet werden.
Qualität der Pflege12 Es lohnt sich, das Phänomen und die Profession der Pflege im Hinblick auf die Qualität der Versorgung durch Live-Ins genauer zu betrachten. Zwar erscheint die Pflege von kranken und alten Menschen als allgemeines Bildungsgut, da jeder Mensch irgendwann pflegerische Zuwendung erfahren und häufig auch selbst geleistet hat. Daher rührt auch die Vorstellung, pflegen könne jede:r, verbunden mit der häufigen Frage, was denn an einer pflegerischen Versorgung professionell sein mag. Tatsächlich stellt die Pflege durch nicht ausgebildete Menschen, in der Regel durch Angehörige von Pflegebedürftigen, einen wesentlichen Bestandteil der Versorgung von Pflegebedürftigen dar. Selbst wenn sie dank Erfahrung, Routine und möglicherweise Anleitung durch professionelle Pflegende vieles »richtig« machen und auch ein12 Für die Bearbeitung dieses Abschnitts verdanken wir unserer Kollegin Prof. Dr. Claudia Winter wertvolle Hinweise.
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schätzen, bleiben erhebliche Unterschiede zur Pflege als Beruf. Diese Beschreibung der beruflichen Bedeutung sowohl gegenüber den pflegenden An- und Zugehörigen als auch den anderen Berufen im Gesundheitsbereich stellte ein zentrales Merkmal in der Entwicklung der Pflege dar, der als Professionalisierung bezeichnet wird. Er vollzieht sich in Deutschland seit den 1980er Jahren, maßgeblich verstärkt durch den Pflegenotstand der Jahre 1988–1992. Exemplarisch für das dabei neu entstehende Selbstverständnis der Pflegenden kann die Berufsordnung für Pflegeberufe des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe aus dem Jahr 1992 angeführt werden. Dort heißt es gleich zu Beginn: »Pflege ist als eigenständiger Beruf und selbständiger Teil des Gesundheitsdienstes für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit, die Planung, Ausführung und Bewertung der Pflege zuständig« (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 1992, S. 3). Im Zuge der zunehmenden Professionalisierung entsteht auch die Festlegung – immer wieder neu reflektiert und bearbeitet – der Qualität von Pflege. Die Diskussion über das Verständnis von der Qualität der Pflege ist dabei Teil der allgemeinen Wertschätzung des Qualitätsgedankens. In Bezug auf Dienstleistungen und Einrichtungen werden dabei ab den 1990er Jahren der Begriff und die Tätigkeiten des Qualitätsmanagements eingeführt. Generell beschreibt Qualität immer die Güte oder Art (im Sinne der Beschaffenheit) eines Produktes oder – wie im Fall der Pflege – einer Dienstleistung. Wenn die Dienstleistung in ihrer Qualität gut ist, sind alle Beteiligten zufrieden: Pflegebedürftige und Angehörige, Pflegende und Verantwortliche für die Pflegesysteme und deren Finanzierung. Was ist gute Pflege? Die Beantwortung dieser Frage stellt eine zentrale Grundlage professionellen Pflegehandelns dar. Sie wird seit mehreren Jahren durch die Pflegewissenschaft bearbeitet. Grundlegend ist dabei bis heute die Umsetzung des Pflegeprozessmodells nach Verena Fiechter und Martha Meier. Die beiden Schweizerinnen haben ein Modell engwickelt, das sechs »Kriterien zur Beurteilung von Pflegequalität im Spital« enthält: – Berücksichtigung von Lebensgewohnheiten, – Erhaltung und Förderung der Selbständigkeit, – Hilfe zu Anpassung an veränderte Bedingungen,
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– Aufrechterhaltung und Förderung der Beziehungen nach außen, – Hilfe zum Verständnis von Krankheit, Diagnostik, Therapie und Pflege, – Planung der Pflege. Hierbei wird die Pflegequalität in vier Stufen, die jeweils einen Grad de Ausprägung darstellen, unterteilt: 1. optimale Pflege, 2. angemessene Pflege, 3. sichere Pflege, 4. gefährliche Pflege (Fiechter/Meier 1993). Die einzelnen Kriterien werden in den vier definierten Stufen unterschiedlich umgesetzt. Zur Veranschaulichung beschreibt Rupert Lay: »Beispielsweise bedeutet ›optimale Pflege‹ im Bereich ›Planung der Pflege‹, dass die gepflegte Person sowie ihre Angehörigen bei Zielsetzung, Planung und Beurteilung der Pflege mit einbezogen werden« (Lay 2004, S. 117). Mittlerweile existieren vielfältige Konzeptionen dessen, was als Pflegequalität beschrieben werden kann. Ebenfalls aus der Schweiz stammt der Ansatz von Liliane Juchli (1979), die »vier Grundprinzipien pflegerischer Tätigkeit« definiert: Wohlbefinden, Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit. Sie werden immer wieder überarbeitet und mit anderen Schwerpunkten versehen. Insbesondere die Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit ist ein bedeutsamer Bestandteil des Qualitätsbegriffs geworden. 1992 ist in der DIN EN ISO 8402 der Begriff der Qualitätssicherung durch den des Qualitätsmanagements ersetzt worden. Er findet sich häufig in der Abkürzung QM und wird gleichsam bereits umgangssprachlich verwendet. Ein Qualitätsmanagement umfasst »alle Tätigkeiten des Gesamtmanagements, die im Rahmen des Qualitätsmanagementsystems die Qualitätspolitik, die Ziele und Verantwortungen festlegen sowie diese durch Mittel wie Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Qualitätssicherung/Qualitätsmanagementdarlegung und Qualitätsverbesserung verwirklichen.« (Kamiske/Bauer 2007, S. 195) Entscheidend für die Verwendung des Begriffs Pflegequalität ist die Beschreibung dessen, was als Pflegeprozess definiert wird. 1985 wurden im deutschen Krankenpflegegesetz die einzelnen Bestandteile
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des Pflegeprozesses als Ausbildungsziele für Krankenpflegekräfte aufgenommen. Da die Pflege Bestandteil der staatlichen Ausgestaltung sozialer Verantwortung ist, findet sie auch Eingang in die Soziale Gesetzgebung.13 Seit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 ist die professionelle Pflege Inhalt des Elften Sozialgesetzbuches – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI). Dadurch, dass die Pflegeversicherung ein Teil der Sozialversicherung wurde, hat die Frage nach der Qualität der Pflege zunehmend Aufmerksamkeit erfahren (Neumann/Schaper 2008). Faktisch entspricht das SGB XI dem Pflegeversicherungsgesetz, das die Versorgungsleistungen für Pflegebedürftige beinhaltet. In diesem Gesetz sind die Leistungsansprüche wie auch die Finanzierung der Versorgung für Pflegebedürftige festgeschrieben. Sie erfolgt durch das Pflegegeld, das aufgrund des jeweils festgestellten Pflegegrads gezahlt wird. Darauf wird im Kapitel sieben näher eingegangen. Zum 01.01.2002 ist das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz (PQsG) in Kraft getreten, das insbesondere die Qualität der Altenhilfe steigern und gewährleisten soll. Dessen Bestimmungen zur Qualitätssicherung sind in Kapitel 11 des Elften Sozialgesetzbuches aufgenommen worden. Mit der Einführung der Gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung nach § 80 des Elften Buches Sozialgesetzbuches wurde 1996 die Anwendung des Pflegeprozesses und der entsprechenden Pflegedokumentation in allen deutschen Pflegeeinrichtungen verbindlich. Weil die Leistung der Pflegequalität eine Kernaufgabe von professionell Pflegenden ist, hat der Begriff der Pflegequalität eine zentrale Stellung innerhalb der Ausbildung oder eines Studiums der Pflege. In der Pflegewissenschaft wird derzeit unter Pflegequalität verstanden, dass die Pflegenden sich an den Schritten des Pflegeprozesses orientieren. Das bedeutet: Professionell Pflegende unterscheiden sich von Hilfskräften in der Pflege oder auch von (den meisten) pflegenden Angehörigen dadurch, dass 13 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es in Deutschland kein einheitliches Pflegegesetz gibt. Vielmehr sind die zahlreichen rechtlichen Ausführungen zur Pflege und zu Pflegeleistungen über alle zwölf Sozialgesetzbücher verteilt.
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sie den Pflegeprozess kennen und ihr pflegerisches Handeln daran orientieren. Die Fachkommission sieht darin auch das Alleinstellungsmerkmal professioneller Pflege: »Der besonderen Verantwortung der Pflegefachfrau/des Pflegefachmannes wird vor allem im selbständigen Verantwortungsund Aufgabenbereich entsprochen […]. Mit der Feststellung des Pflegebedarfs, der Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses sowie der Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege sind Aufgaben erfasst, die Pflegenden mit der Berufsbezeichnung Pflegefachfrau/Pflegefachmann vorbehalten sind. Sie beschreiben zugleich die berufsspezifische Arbeitsmethode des Pflegeprozesses.« (Bundesinstitut für Berufsbildung 2020, S. 9) Die Bedeutung des Pflegeprozesses als Umsetzung der Pflegequalität ist seit dem 01.01.2020 den Pflegefachkräften mit einer dreijährigen Ausbildung (oder einem entsprechenden grundständigen Pflegestudium) vorbehalten. Das regelt § 4 des Pflegeberufegesetzes.14 Das bedeutet: Andere Pflegende als examinierte Fachkräfte oder Bachelor-Absolvent:innen mit staatlicher Berufsanerkennung dürfen nicht nach den Schritten des Pflegeprozesses pflegen. Für alle anderen Pflegenden – beispielsweise auch Pflegehelfer:innen – gelten diese Beschränkungen auf examiniertes Pflegepersonal ebenso. Nun stellt sich die Frage nach der Überprüfung der Pflegequalität bzw. der Durchführung von Pflege durch entsprechend qualifiziertes Fachpersonal.
Qualitätsprüfung in der ambulanten Pflege Die Prüfung der Qualität sowie der Abrechnung in stationären Pflegeeinrichtungen aufgrund des SGB XI wurden durch das Inkrafttreten des Dritten Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) auf ambulante Pflegedienste ausgeweitet. 2017 wurde durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen die »Qualitätsprüfungs-Richtlinie Häusliche Kran14 § 4 PflBG.
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kenpflege (QPR-HKP)« auf der Grundlage des § 275b des fünften Sozialgesetzbuches verabschiedet. Sie ist für die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung, die Krankenkassen und ihre Verbände verbindlich (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund 2017). Als eines der Ziele dieser Richtlinien wird das »Leistungsgeschehen« in der ambulanten Pflege benannt: »Die Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen auf der Grundlage dieser Richtlinie sollen dazu beitragen, eine größere Transparenz in das Leistungsgeschehen zu bringen und die Qualität der Leistungen weiterzuentwickeln« (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund 2017, S. 6). Der Prüfansatz ist beratungsorientiert und »ermöglicht schon während der Qualitätsprüfung bei festgestellten Qualitätsdefiziten das Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten (Impulsberatung)« (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund 2017, S. 8). Im Hinblick auf die in der häuslichen Umgebung erbrachte Pflegeleistung werden die Inhalte bei der Durchführung eindeutig beschrieben: »Die Prüfungen beinhalten Inaugenscheinnahmen des gesundheitlichen und pflegerischen Zustandes von durch den Leistungserbringer versorgten Personen. Hierzu können auch die versorgten Personen, die Beschäftigten des Leistungserbringers, Angehörige und Betreuer befragt werden« (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund 2017, S. 9). Neben den auf die gepflegte Person fokussierten Prüfungen beinhaltet die Prüfungsrichtlinie genaue Hinweise zur Abrechnung mit den entsprechenden Unterlagen. Sämtliche Prüfungen werden regelmäßig durchgeführt und deren Ergebnisse dokumentiert. Bei auftretenden Problemen oder Hinweisen und Beschwerden können auch zusätzliche Kontrollen, sogenannte Anlasskontrollen, zu den regelhaften Überprüfungen erfolgen.
Konsequenzen für die Frage nach der Qualität der Betreuung durch Live-Ins Im Anschluss an die Ausführungen zu Pflegequalität und den entsprechenden gesetzlichen Regelungen zu den gesetzlich vorgegebenen Qualitätsprüfungen sind unausweichlich zwei Fragekomplexe zu betrachten. Erstens: Kann bei der Versorgung durch Live-Ins überhaupt von Pflege gesprochen werden? Zweitens: Wenn die Live-Ins
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tatsächlich die Pflege im Sinne des SGB XI ausüben, wer ist dann für die Überprüfung der Qualität verantwortlich? Es ist offensichtlich, dass diese Fragen zentrale Aspekte der Versorgung durch Live-Ins oder Betreuungskräfte aus Osteuropa betreffen. Ebenso augenscheinlich ist es, dass sie klar beantwortet werden können: Im Sinne einer gesetzlich geordneten Pflege handelt es sich bei den meisten Betreuungskräften nicht um professionelle Pflegekräfte – die Ausnahme wäre eine examinierte Pflegefachkraft, die über eine Agentur vermittelt wird oder als selbständige Fachkraft arbeitet. Ebenso wenig existiert eine geordnete Qualitätskontrolle der in der häuslichen Umgebung geleisteten Arbeit. Mit dieser ernüchternden Feststellung soll die Situation der gepflegten Pflegebedürftigen aber nicht einfach als »unmöglich« abgetan werden. In der Wahrnehmung der Betroffenen handelt es sich grundsätzlich um eine geeignete Möglichkeit, unterstützungs- und pflegebedürftige Menschen angemessen zu versorgen. Wenn die Versorgung für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen als »gute Pflege« im Sinne der zu Beginn beschriebenen Bewertung angesehen wird, spricht aus der Sicht der Familien, die sich für diese Versorgungsform entschieden haben, auf den ersten Blick nichts gegen diese Unterstützung. Keineswegs sollen sich hier die Beteiligten – sowohl die deutschen Familien als auch die Frauen aus Osteuropa, die in dieser Versorgungsform arbeiten – kritisiert oder gar an den Pranger gestellt fühlen. Dennoch muss klar festgehalten werden: Bei der Versorgung durch osteuropäische Betreuungskräfte handelt es sich nicht um Pflege im gesetzlichen Sinne, auch wenn tatsächlich Leistungen aus dem Tätigkeitskatalog der Pflege vollzogen werden. Ebenso entfällt jede Kontrolle der Tätigkeiten am Pflegebedürftigen durch eine unabhängige Instanz.
Tätigkeit der Live-in-Kraft zwischen Haushaltsführung und Pflege Die hier geführte Diskussion über die Berechtigung, bei der Tätigkeit einer Live-In von Pflege zu sprechen, verdankt sich im Wesentlichen der pflegewissenschaftlichen Sicht. Das heißt: Aus dieser Perspek-
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tive handelt es sich bei der Tätigkeit einer Live-In aus verschiedenen Gründen nicht um Pflege im professionellen Sinne. Aus der Sicht der Betroffenen, d. h. des pflegebedürftigen Menschen und seiner Familie, die sich für diese Versorgungsform entschieden haben, ist diese Zuordnung nicht entscheidend. Wichtig ist tatsächlich, dass sich die Menschen, die nicht mehr den ganzen Tag über allein zurechtkommen, umsorgt und nicht einsam fühlen. Dazu zählen natürlich ebenso die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten wie Kochen, Aufräumen, Waschen, Einkaufen und manches mehr – Tätigkeiten also, die ohnehin nicht von Pflegenden ausgeführt werden. Dazu kommt die Ausübung dessen, was als soziale Interaktion bezeichnet werden kann: miteinander sprechen, spazieren gehen, vielleicht fernsehen, vorlesen oder ein Spiel miteinander spielen. Gerade die Vermischung verschiedener Aktionen in der Schnittmenge von Haushaltshilfe und Pflegekraft ist es, die diese Versorgung ausmacht. Dabei kann der Anteil der beiden Tätigkeitsfelder sehr schwanken: In der Versorgung des einen Unterstützungsbedürftigen ist der Anteil »echter« Pflege tatsächlich hoch, in der Arbeit mit einem anderen Menschen handelt es sich eher um Alltagsbegleitung und hauswirtschaftliche Grundversorgung. Genau diese unklare Mischung der beiden Tätigkeitsbereiche – die sich auch in der in Kapitel 1 beschriebenen unklaren Bezeichnung der Unterstützung abbildet – ist es aber, die dem Bedarf nach Unterstützung in den allermeisten Fällen entgegenkommt. Solange die Versorgung durch eine Betreuungskraft ausreicht, sind die Empfänger dieser Leistung zufrieden, unabhängig davon, wie aus fachwissenschaftlicher Sicht der Blick darauf ausfällt. Viele alte Menschen, die in ihrer häuslichen Umgebung durch eine Betreuungskraft versorgt werden, sind zugleich Patient:innen eines ambulanten Pflegedienstes. Für bestimmte Verrichtungen, die der professionellen Pflege zugeordnet sind und entsprechend finanziert werden, kommen zusätzlich zur Betreuungskraft Fachkräfte der Pflege zum Einsatz.
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Der Verzicht auf geordnete Pflegeverhältnisse Wir gehen noch einmal an den Ausgangspunkt zurück: Die Tatsache, dass sich deutsche Pflegebedürftige bzw. ihre Angehörigen für die Unterstützung durch eine osteuropäische Betreuungskraft entscheiden, hat wesentlich mit der pflegerischen Versorgung alter Menschen in unserem Land zu tun. Wenn ein alter Mensch einen körperlichen oder geistigen Zustand erreicht hat, der ein selbständiges Leben in der häuslichen Umgebung nicht mehr ermöglicht, wird nach einer Unterstützung für diesen Menschen gesucht. Dabei ist es für viele Betroffene ein wichtiges Ziel, den:die pflegebedürftige:n Angehörige:n möglichst lange in seiner:ihrer vertrauten Umgebung leben zu lassen. Die Option einer Pflegeeinrichtung wird in den meisten Fällen als bestenfalls zweitrangig angesehen, häufig – aus den genannten Gründen der in den Köpfen vorhandenen »Bilder« von Altenheimen – ausgeschlossen. Wenn die Betreuung durch eine Live-In zur stabilen Versorgung und zu einem möglichst selbstbestimmten Leben des alten Menschen führt, ist es für die Angehörigen zunächst nicht erheblich, ob diese Betreuung im gesetzlichen Sinne als Pflege bezeichnet werden kann. Eine gesetzliche Anerkennung einer pflegerisch tätigen Person als Pflegefachkraft (mit dreijähriger Ausbildung und der legalen Befähigung, den Pflegeprozess umzusetzen) ist für die Organisation der Versorgung in der Familie im Hinblick auf die Versorgung des:der Patient:in nicht Gegenstand ihrer Überlegungen. Wichtig ist, dass der pflegebedürftige Mensch das Empfinden hat, »gut« umsorgt und gepflegt zu werden. Die Frage nach der Bezahlbarkeit dieser Versorgung wird in Kapitel sieben noch eingehender betrachtet; hier steht die Reflexion der pflegerischen Qualität im Vordergrund. Trotzdem ist es vor allem die Frage nach der Pflegequalität, die die Situation der Betreuungskräfte in ihrer Klarheit im gesetzesfreien Raum zeigt. Inwiefern eine über eine Agentur vermittelte oder auch privat ermittelte Betreuungskraft tatsächlich zum Pflegen imstande ist, bleibt jeweils offen. Der Blick auf die Angebote der Agenturen zeigt, dass auf der Seite der Vermittler durchaus ein Bewusstsein für die unzureichende gesetzliche Voraussetzung im Sinne des deutschen SGB XI existiert:
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Vielfach wird das Wort Pflege vermieden oder in einem Atemzug mit Betreuung genannt. Eine Vielzahl von Adjektiven, die durchweg das Gesamtbild »guter Pflege« ergeben, werden den Betreuungskräften beigegeben. Sie sind professionelle Betreuungskraft, zuverlässig, einfühlsam, kompetent und bei vielen Anbietern »geschult«. Dazu kommen auch Angebote von Qualitätsaspekten: Es gibt die Möglichkeit, leitende Pflegekräfte zu einem Qualitätssicherungsgespräch zu den Kund:innen nach Hause zu bitten oder auch Zufriedenheitsbefragungen anzubieten. Das bedeutet: Die Frage nach der Qualifikation – auch wenn sie in kaum einem Fall einer Pflegefachkraft entspricht – ist durchaus im Fokus der Anbieter. Bei den unterbreiteten Angeboten, die zukünftige Kund:innen auf Anfrage hin zugesandt bekommen, werden die einzelnen Aspekte, die einer professionellen Pflegetätigkeit zugeordnet werden könnten, auch benannt. So wird beispielsweise aufgeführt, welche Tätigkeiten eine Betreuungskraft bereits ausgeführt hat, an welchen Krankheiten die von ihr versorgten Patient:innen litten und über welche Erfahrung sie im Umgang mit dementen Personen verfügt. Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Qualifikation ist das Beherrschen der deutschen Sprache. Da Kommunikation grundlegend zur Versorgung eines Menschen zählt, ist die Möglichkeit, sich in der deutschen Sprache zu verständigen, sehr entscheidend für die Qualität der pflegerischen Beziehung. Manche Anbieter benennen die Sprachfähigkeit in der Systematik des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER), der die Sprachfähigkeit in definierte Bereiche einteilt. Je nach Fähigkeit, zu verstehen und sich selbst auszudrücken, wird die entsprechende Stufe angegeben (vgl. Europarat 2001). Die Nennung der jeweiligen Stufe innerhalb des GER erfolgt vor allem dann, wenn gute oder sehr gute deutsche oder ggf. englische Sprachkenntnisse vorhanden sind. Häufig wird aber die Sprachfähigkeit überhaupt nicht benannt oder auch unspezifisch beschrieben, beispielsweise mit dem Satz »Sie kann sich gut verständigen«. Die Qualitätskontrolle der Versorgung durch Betreuungskräfte findet praktisch kaum statt. In vielen Fällen können bei Konflikten oder Schwierigkeiten telefonisch Mitarbeitende der Agenturen erreicht werden, häufig auch tatsächlich zu einer sehr weiten Sprechzeit an allen Tagen der Woche. Die Hilfe bei Konflikten ersetzt aber
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keine Kontrolle der Qualität der Versorgung – wenn man schon nicht von Pflege sprechen kann. Inwiefern die Qualitätsprüfungs-Richtlinien (QPR) des Medizinischen Dienstes (MD) bzw. des PKV zur Anwendung kommen, bleibt bei den Agenturen offen.15 2009 wurden siebzehn »Vermittlungsagenturen für osteuropäische Betreuungs- und Pflegekräfte« durch die Stiftung Warentest geprüft und als Dienstleister nach verschiedenen Kriterien bewertet: Bedarfsanalyse und konkrete Personalvorschläge, Transparenz der Vermittlungstätigkeit, Rechtsaufklärung und -umsetzung, Kostentransparenz, Kundenservice, Verträge und Angebotsinformationen wurden dabei untersucht (Stiftung Warentest 2009). Die Bewertungen in den einzelnen Punkten fielen sehr unterschiedlich aus und umfassten alle Noten von sehr gut bis mangelhaft, wobei keine einzige Agentur in allen Bereichen Noten im Spektrum von sehr gut bis befriedigend erreicht hat. So lässt sich insgesamt sagen, dass die einzelnen Anbieter qualitativ sehr unterschiedlich zu bewerten sind. Der Erhebungszeitraum für die Befragung war Oktober 2008 bis Januar 2009 und liegt damit mehr als zwölf Jahre zurück. Die Betreuungskosten – in der Regel monatlich zu begleichen – sowie die einmalige Vermittlungsgebühr haben sich dem Zeitraum 2008/2009 gegenüber natürlich verändert. In der zusammenfassenden Gesamtschau des ausdifferenzierten Ergebnisses kommt der Pflegewissenschaftler Michael Isfort vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung hinsichtlich der Versorgung durch Pflegekräfte aus Osteuropa zu dem Ergebnis: »Die meisten sind sehr zufrieden« (Isfort 2009). Das Grundproblem der pflegerischen Versorgung alter Menschen bleibt jedoch: Nach dem Willen des Gesetzgebers im Anschluss an pflegewissenschaftliche Erkenntnisse ist qualitätsvolle Pflege nur durch die Umsetzung des Pflegeprozesses möglich. Gleichzeitig besteht im gesamten Pflegebereich ein eklatanter Fachkräftemangel. Wenn aber ausschließlich die Pflegefachkräfte es sind, die den ge15 Für diese Veröffentlichung konnten naturgemäß nicht alle bestehenden Vermittlungsagenturen erfasst werden. Damit bleibt das Bild über die Qualitätsprüfungen unvollständig. Insbesondere kann über die illegal oder im rein privaten Bereich vermittelten Betreuungskräfte hinsichtlich ihrer Qualifikation nichts ausgesagt werden.
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setzlichen Qualitätsansprüchen genügen, kann die Schlussfolgerung nur heißen: Unter fachlichen Gesichtspunkten wird die Pflege immer weniger gut. Langfristig wird also die Pflegequalität noch unzureichender sein als sie es gegenwärtig schon ist. Mit der Verabschiedung des Pflegeberufereformgesetzes im Jahr 2020 sind die Ansprüche an professionelles Pflegehandeln noch höher gesetzt. Angesichts der Gleichzeitigkeit des Fachkräftemangels bedeutet das: Es besteht eine gravierende Differenz zwischen dem Zustand in der häuslichen Versorgung, wie er dem fachwissenschaftlichen Pflegeverständnis entsprechend sein soll, und dem, wie er tatsächlich ist. Das heißt: Die Tätigkeit von in der Regel – im Sinne der beruflichen Pflege – unqualifizierten Frauen aus Osteuropa macht den Notstand einer guten Pflegequalität unmissverständlich deutlich. Anders gesagt: Weil die professionelle Pflege nicht ausreichend Personal aufbringen kann, um gute Pflege auf allen Ebenen anzubieten und entsprechende Qualität zu gewährleisten, wird auf überwiegend unqualifiziertes Personal zurückgegriffen. Im Einzelnen wird deshalb auch näher zu betrachten sein, inwiefern es sich bei den osteuropäischen Betreuungskräften um pflegerisches Personal handelt.
Literatur Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.) (2020): Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz: Begleitmaterialien zu den Rahmenplänen der Fachkommission nach 53 PflBG. O. O. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V. (1992): Berufsordnung des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) für Altenpflegerinnen und Altenpfleger, Kinderkrankenschwestern und Kindekrankenpfleger, Krankenschwestern und Krankenpfleger. Eschborn. Europarat (2001): Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GER). https://europaeischer-referenzrahmen.de/ (Zugriff am 20.10.2022). Fiechter, V./Meier, M. (1993): Pflegeplanung. Eine Anleitung für die Praxis (9. Aufl.). Basel. Garms-Homolová, V./Roth, G. (2004): Vorkommen, Ursachen und Vermeidung von Pflegemängeln: Forschungsbericht im Auftrag der Enquetekommission »Situation und Zukunft der Pflege in Nordrhein-Westfalen« des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Berlin/Göttingen. Isfort, M. (2009): Pflege zu Hause. Interview: »Die meisten sind sehr zufrieden«. https://www.test.de/Pflege-zu-Hause-Vermittlungsagenturen-im-Test1772650-1772430/ (Zugriff am 04.11.2022).
Fehlende Prüfungen der pflegerischen Qualität der Versorgungsform
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Joeres, A. (2022): Pflegeskandal: Gut gepflegt wurde vor allem die Rendite. https:// www.zeit.de/wirtschaft/2022-02/frankreich-pflege-skandal-orpea-vernachlaessigung (Zugriff am 20.10.2022). Juchli, L. (1979): Allgemeine und spezielle Krankenpflege. Stuttgart. Kamiske, G. F./Brauer, J.-P. (2007): Qualitätsmanagement von A-Z. Erläuterungen moderner Begriffe des Qualitätsmanagements (6. aktual. Aufl.). München. Lay, R. (2004): Ethik in der Pflege. Ein Lehrbuch für die Aus-, Fort und Weiterbildung. Hannover. Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (Hg.) (2017): Qualitätsprüfungs-Richtlinie häusliche Krankenpflege. Grundlagen der Qualitätsprüfungen nach § 275b SGB V. QPR-HKP. Essen. Neumann, L. F./Schaper, K. (2008): Die Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland (5. aktual. u. überarb. Neuaufl.). Frankfurt a. M. Stiftung Warentest (2009): Pflege zu Hause. Vermittlungsagenturen im Test. https://www.test.de/Pflege-zu-Hause-Vermittlungsagenturen-im-Test-177 2650-2772650/ (Zugriff am 04.11.2022).
Kapitel 6 Rahmenbedingungen für die Versorgung durch eine Betreuungskraft
So »segensreich« die Versorgung mit einer osteuropäischen Betreuungskraft auch von den einzelnen Familien und deren Pflegebedürftigen wahrgenommen wird, so wenig sind die Rahmenbedingungen aus der Sicht von Expert:innen annähernd zufriedenstellend. Viele Faktoren wirken dabei zusammen. In der Summe lässt sich sagen, dass allein die Tatsache, dass ein:e Angehörige:r versorgt wird, auch wenn er allein in der eigenen Häuslichkeit lebt, für diese insgesamt positive Versorgungsform spricht. Dennoch ist aus fachlicher Sicht die gesamte Konstruktion kritisch zu betrachten: »Die für die Betroffenen als segensreiche Entlastung empfundenen Hilfen im Graubereich unserer Gesellschaft des langen Lebens werfen dringende Fragen auf: Wie kann die Entlastung legal, sozialstaatsgemäß und in humanen, kontrollierbaren Arbeitsverhältnissen erfolgen?« (Zentrum für Qualität in der Pflege o. J., S 1 f.)
Die Finanzierung der häuslichen Betreuung durch eine osteuropäische Kraft Ein ganz wesentlicher Faktor in der Versorgung mit einer Betreuungskraft ist die Finanzierung. Tatsächlich setzt sich die Vielfalt der möglichen Leistungen im Fall der Pflegebedürftigkeit eines Menschen aus sehr verschiedenen, für den einzelnen Betroffenen fast unübersichtlichen Einzelleistungen zusammen. Rüdiger Jungbluth charakterisiert die aktuelle Situation im Anschluss an eine allgemein verständliche Übersicht der Finanzierungsmöglichkeiten: »Die gesetzlichen Regelungen zur Kurzzeit und Ersatzpflege sind kompliziert. Kommunen und Pflegekassen bieten Beratung an, dennoch kapitulieren viele Menschen davor« (Jungbluth 2022, S. 27).
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Auch wenn – wie mehrfach ausgeführt – die Leistungen in der häuslichen Versorgung nicht im engeren Sinne als Pflegeleistungen bezeichnet werden können, können sie als Bestandteil einer Pflege leistung betrachtet werden. Ambulante Pflege wird grundsätzlich durch Kranken- oder Pflegekassen, Eigenleistungen oder in bestimmten Fällen auch durch den Sozialhilfeträger finanziert. Überblicksartig können die Rahmenbedingungen der Finanzierung folgendermaßen dargestellt werden:16 Sogenannte Behandlungspflegeleistungen werden von der Krankenkasse übernommen. Behandlungspflegeleistungen sind Leistungen, die ein:e Ärzt:in verordnet, wie beispielsweise Wundverbände, Injektionen, Versorgung bei einem Dauerkatheter oder Kompressionstherapien. Diese und weitere Pflegeleistungen dienen der Unterstützung der ärztlichen Behandlung. Die Kosten für die Verordnungen häuslicher Krankenpflege in diesem Rahmen werden (nach entsprechender Beantragung) von der Krankenkasse übernommen. Anders verhält es sich mit den Leistungen der Pflegekasse. Hier müssen die Versicherten oder ihre Angehörigen zunächst einen Pflegeantrag an die Pflegekasse stellen. Die Pflegekasse bzw. Medicproof bei privat Versicherten sind dann für die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit zuständig. Durch einen Hausbesuch, bei dem sowohl die körperliche Verfassung als auch der geistig-seelische Befund mittels eines Fragebogens erfasst werden, wird ein Pflegegutachten erstellt. In diesem Gutachten werden Punkte für die einzelnen Beobachtungen bzw. Antworten vergeben und abschließend festgelegt, ob der pflege- oder unterstützungsbedürftige Mensch einen sogenannten Pflegegrad erhält. Aktuell ist das Spektrum der Unterstützungs- und Pflegebedürftigkeit in fünf Pflegegrade unterteilt. Dabei werden derzeit (August 2022) folgende monatliche Summen ausgezahlt. – Pflegegrad 1: keine Finanzierung – Pflegegrad 2: 316 € – Pflegegrad 3: 545 € – Pflegegrad 4: 728 € – Pflegegrad 5: 901 €17 16 Vgl. zum Ganzen: Bundesministerium für Gesundheit 2022a und 2022b. 17 In Bayern gibt es bei einem festgestellten Pflegegrad und einem festen Wohn-
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Um die Leistungen der Pflegekasse kontinuierlich beziehen zu können, erwartet die Pflegekasse in regelmäßigen – je nach Pflegegrad halb- oder vierteljährlichen – Abständen einen Pflegeberatungs besuch durch einen anerkannten Pflegedienst. Das jeweilige Pflegegeld wird dem:der Pflegeversicherten überwiesen und kann für die Finanzierung einer osteuropäischen Betreuungskraft verwendet werden. Wird die Pflege durch einen anerkannten Pflegedienst erbracht, übernehmen die Pflegekassen auch Leistungen der Grundpflege, die sogenannten Pflegesachleistungen. Auch deren Höhe nimmt mit dem festgestellten Pflegegrad zu: – Pflegegrad 1: 125 € – Pflegegrad 2: 724 € – Pflegegrad 3: 1.363 € – Pflegegrad 4: 1.693 € – Pflegegrad 5: 2.095 € Auf der Grundlage des Pflegeergänzungsgesetzes haben alle Versicherten mit einem Pflegegrad Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen von monatlich 125 €. Von diesem Geld können haushaltsnahe Dienstleistungen bezahlt werden, sofern sie von einem Anbieter mit entsprechender Zulassung erbracht werden. In der Regel wird ein Mensch, bei dem ein Pflegegrad festgesetzt worden ist, von einer sogenannten Pflegeperson im eigenen Haushalt versorgt. Im Fall der Verhinderung der Pflegeperson – zum Beispiel bei eigener Krankheit o. ä. – übernimmt die Pflegekasse die Leistungen der Verhinderungspflege, vorausgesetzt die Einstufung in einen Pflegegrad besteht mindestens seit sechs Monaten. Die Leistungen für die Verhinderungspflege betragen 1.612 € oder maximal 42 Tage pro Jahr. Zusätzlich zu den genannten Leistungen können verschiedene Zuschüsse beantragt werden, wie beispielsweise für die Veränderung des Wohnumfeldes, also bauliche Maßnahmen, um die häusliche Pflege zu ermöglichen, oder ein Hausnotrufsystem.
sitz der:des Pflegebedürftigen in Bayern zusätzlich das Landespflegegeld. Es beträgt pro Jahr derzeit 1000 €.
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Mit Blick auf die möglichen Kostenübernahmen für die Versorgung Pflegebedürftiger wird schnell deutlich: Die Kosten, die durch eine osteuropäische Betreuungskraft entstehen, können durch die Leistungen der Pflegeversicherung nur teilweise übernommen werden.
Räumliche und sächliche Voraussetzungen Mit der Bezahlung der Betreuungskraft ist die Finanzierung jedoch nicht abgeschlossen. Könnte man hier von Personalkosten sprechen, kommen weitere Sachkosten dazu. Dazu zählt in jedem Fall der Raum oder gar die Wohnung, die für die Betreuungskraft zur Verfügung gestellt werden muss. In der Regel handelt es sich um ein oder zwei Zimmer in der Wohnung oder im Haus des:der Pflegebedürftigen, die anderweitig nicht genutzt werden. Um sie als Unterkunft verwenden zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Die Räumlichkeiten werden ausschließlich von der Betreuungskraft genutzt und müssen abschließbar sein. Die Möglichkeit, ein Bad und eine Toilette zu benutzen oder mindestens mitzubenutzen, ist unabdingbar. Sehr häufig werden Räumlichkeiten dafür eigens hergerichtet, möglicherweise umgebaut oder frisch gestrichen und mit passenden Möbeln ausgestattet. Auch wenn diese Kosten in der Regel nur einmalig anfallen, sind sie in die Gesamtkalkulation mit aufzunehmen. Wären die Wohnung, das Appartement oder Zimmer ansonsten vermietet, entsteht ein Ausfall von Mieteinnahmen, der auch mit zu kalkulieren ist. Darüber hinaus entstehen, wie bei jedem:jeder Mitwohnenden, Nebenkosten durch Energie- und Wasserverbrauch, anfallenden Müll, sehr häufig auch durch einen eigens für die Betreuungskraft erworbenen Internetzugang. In manchen Fällen benutzt die Betreuungskraft ein Fahrrad oder ein Auto des Pflegebedürftigen, was ebenfalls mit Ausgaben verbunden ist. All diese Kosten können nirgendwo abgerechnet werden. Selbstverständlich kommen die Mehrausgaben für die Verpflegung hinzu. In der Regel bereitet die Betreuungskraft die Mahlzeiten für den pflegebedürftigen Menschen, eventuell auch dessen Angehörige und in jedem Fall für sich selbst zu. Häufig übernimmt sie auch die Einkäufe, wo sie natürlich auch ihren eigenen Vorlieben
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nachgehen kann. Selbst wenn für die Betreuungskraft keine eigenen Lebensmittel eingekauft werden, ist der Bedarf für eine Person mehr zu berücksichtigen und finanziell einzuplanen.
Kosten einer Agentur Entscheidend sind die Kosten, die die Agentur für die Vermittlung einer Betreuungskraft in Rechnung stellt, sowie die dazukommenden Kosten der entsendenden Firma im europäischen Ausland (vgl. Kapitel 7) oder die Finanzen, die Angehörige als Arbeitgeber:innen im Falle des Selbständigenmodells aufbringen müssen. Unabhängig von der jeweils rechtlich zu beurteilenden Anstellungsform variieren die Kosten je nach Agentur auch sehr erheblich. Seriöse Anbieter unter den Agenturen zeigen transparent auf, wie hoch die Kosten sind und wie sie sich zusammensetzen. Exemplarisch wird dies bei der Vermittlung mecasa ersichtlich. Dieses Unternehmen wird deshalb hier aufgeführt, weil es maßgeblich zur DIN SPEC 33454-Zertifizierung beigetragen hat und selbst zertifiziert ist, weiterhin durch die EU gefördert wird und Demenzpartner der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ist. Das Engagement von mecasa ist auch Gegenstand der Interviews in dem Forschungsprojekt TRABAM (Mecasa 2021). Mecasa zeigt auf, dass sich die Kosten für eine Betreuungskraft aus unterschiedlichen Faktoren zusammensetzen: Anzahl der im gleichen Haushalt betreuten Personen, Betreuungsaufwand sowie Grad der Deutschkenntnisse. Im Durchschnitt liegen sie bei monatlich 2.400 bis 2.900 €, sofern es sich bei der Betreuungskraft nicht um eine Pflegefachkraft handelt. Die Verbraucherzentrale gibt – ebenfalls unterschieden nach den individuellen Erfordernissen bei den Pflegebedürftigen und den Kenntnissen bei den Betreuungskräften – einen Betrag von monatlich 2.300 bis 3.000 € an. Bei Angeboten, die deutlich unter diesem Preis liegen, ist – so die Verbraucherzentrale – kritische Vorsicht geboten, da die seriöse Finanzierung mit entsprechender Sozialversicherung für die Betreuungskraft im Herkunftsland und Berücksichtigung des Mindestlohns und der entsprechenden Arbeitszeitvorschriften nicht mit einem kleineren Preis gewährleistet werden kann (Verbraucherzentrale 2022).
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Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass in manchen Vertragskonstruktionen sowohl ein Vertrag mit der Vermittlungsagentur als auch mit der entsendenden Firma im europäischen Ausland abzuschließen ist. In diesem Fall müssen die entstehenden Kosten natürlich im Ganzen gesehen werden.
Die Vermittlung einer Betreuungskraft aus Osteuropa Bislang war der Prozess, wie eine Familie mit entsprechendem Bedarf eine Betreuungskraft aus Osteuropa findet oder wie eine Betreuungskraft aus Osteuropa in den deutschen Pflegehaushalt gelangt, noch nicht im Fokus der vorliegenden Betrachtungen. Tatsächlich spielt die Vermittlung einer solchen Unterstützung in diesem Bereich jedoch eine wesentliche Rolle. Familienangehörige, die überlegen, nach dieser Versorgungsform zu suchen, erfahren sehr schnell, dass es dafür – anders als im Fall einer professionellen Pflegeunterstützung – keine offizielle Stelle für unabhängige Informationen gibt. Für die Vermittlung eines ambulanten Pflegedienstes oder auch einer stationären Einrichtung stehen Beratungsstellen zur Verfügung. Die Organisation und die Arbeitsweise sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Beispielsweise stehen in Bayern dafür die Pflegestützpunkte zur Verfügung, in denen persönlich oder auch telefonisch kostenlos und unabhängig informiert wird, welche Pflegeleistungen in der jeweiligen Situation infrage kommen. Teilweise weisen Pflegestützpunkte auch auf die Live-in-Versorgung hin, inwieweit jedoch eine unabhängige Beratung sichergestellt werden kann, bleibt offen. Für die Vermittlung einer osteuropäischen Betreuungskraft sieht das anders aus. Nachdem diese Versorgungsform mittlerweile über Jahrzehnte als Geschäftsfeld existiert, bestehen dafür auch verschiedene Möglichkeiten. Häufig genutzt wir die Vermittlung durch persönliche Kontakte. Weil die Betreuung eines:einer Ehepartner:in oder Elternteils bei Nachbar:innen und Bekannten für alle Beteiligten zufriedenstellend erfolgt, wird dort zunächst eine Information eingeholt. Vielfach werden dann die gleichen organisatorischen Wege genutzt. Die Sicherheit, bereits ein Beispiel »gelungener Pflege« zu kennen, ist dafür ausschlaggebend, nicht an irgendeiner, womög-
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lich unbekannten Stelle weiter nachzufragen. An dieser Stelle kann bereits der erste Kontakt dazu führen, sich auf eine illegale Vermittlung einzulassen. Ein häufig vorkommender Ablauf sieht dann so aus: Die Betreuungskraft A in Familie B findet durch persönliche Kontakte in ihrem Herkunftsland eine weitere Person C, die bereit ist, in Familie D eine ähnliche Leistung zu erbringen. Dieser informelle Kontakt erfolgt auf Bitten von Familie D, die sich ganz auf die guten Erfahrungen mit der Betreuungskraft A in Familie B einlässt. Die Kommunikation über die Bedingungen – Inhalt der Tätigkeit, Unterbringung, Arbeitszeitregelung, Bezahlung etc. – erfolgt über die Kontaktperson A. Diese Art der Vermittlung ist nach wie vor sehr verbreitet, auch wenn den betroffenen Familien durchaus bewusst ist, dass es sich um eine illegale Arbeit – »Schwarzarbeit« – handelt. Wer sich eingehender mit den Rahmenbedingungen befasst, erfährt schnell, dass es Firmen gibt, die solche Betreuungskräfte vermitteln. Da sie auf unterschiedliche Weise als Vermittlerinnen tätig sind, hat sich für diese Firmen in Deutschland der Begriff »Agentur« eingespielt. Agentur heißt eine Firma dann, wenn sie die Betreuungskraft vermittelt und dabei als direkte Ansprechpartnerin für die suchende Familie auftritt. Wie die rechtliche und arbeitsrechtliche Situation dabei aussieht, ist häufig kein Gegenstand der Vermittlung. Auch die Qualifikation der zu erwartenden Frau – gern als Pflegerin bezeichnet – wird im ersten und auch in weiteren Kontakten nicht thematisiert. Mittlerweile ist die Vielfalt, in der Agenturen auftreten, sehr differenziert zu betrachten. Das Spektrum der Unternehmen ist sehr groß und für den:die einzelne:n Verbraucher:in unüberschaubar. Nach wie vor gibt es Unternehmen, die lediglich mit Kleinanzeigen in Tageszeitungen werben, vielfach nur unter einer Mobiltelefonnummer erreichbar sind und lediglich mit Schlagworten wie »24-Stunden-rundum-Betreuung«, »Pflegekraft aus Polen« oder ähnlichen Texten ihre Dienstleistung anbieten. Sie sind – auch wenn die Anzeige eine Art Vermittlung suggeriert – häufig nichts anderes als irreguläre Anbieter für eine ebensolche Vermittlung. Dem gegenüber existieren mittlerweile sehr viele Agenturen, deren Bestreben es ist, Seriosität, Glaubwürdigkeit und Kompetenz darzustellen. Ein erheblicher Teil hat sich in einem Bundesverband
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zusammengeschlossen: Verband für häusliche Betreuung und Pflege. Dieser Verband ging aus dem Bundesverband für häusliche Seniorenbetreuung e. V. (BHSB) hervor. Beide Verbände haben sich 2020 zusammengeschlossen. Anliegen des Verbandes sind die Beförderung der »öffentlichen Akzeptanz der Betreuung in häuslicher Gemeinschaft (BihG), Toleranz gegenüber ausländischen Betreuungs- und Pflegekräften in Europa, Finanzierung von BihG durch die Sozialhilfe- und Sozialversicherungssysteme, Sicherstellung des Arbeitsschutzes bei BihG« und anderes mehr. Aktuell umfasst der Verband 45 Mitglieder, die auf der entsprechenden Website namentlich zu sehen sind (Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege o. J.).
Das Zusammenleben mit einer Betreuungskraft Entscheidend für das Gelingen dieser Versorgungsform ist das alltägliche Zusammenleben. Inwieweit dieses gelingt, hängt von vielen Faktoren ab. Sprachliche Kommunikation
Naheliegend und doch immer wieder nicht ausreichend bedacht ist die sprachliche Verständigung. Die Betreuungskräfte kommen aus ost- und südosteuropäischen Ländern und sprechen in der Regel nicht oder nur wenig Deutsch, ebenso nur wenig oder gar nicht Englisch. Pflegebedürftige Personen wiederum sind nicht immer in der Lage, sich auf ein rudimentäres Deutsch einzustellen, oder sprechen ihrerseits vielfach Dialekt, der von den Betreuungskräften nicht verstanden wird. Spricht man mit Menschen, die für ihren Angehörigen die Beschäftigung einer osteuropäischen Betreuungskraft in Erwägung ziehen, stehen oft die Sprachbarrieren im Vordergrund der Vorstellungskraft. Wie soll der alte Mensch, wie sollen seine An- und Zugehörigen verstehen und verstanden werden? Dabei ist zunächst nur an die Verständigung über Alltagsabläufe wie Essen, Waschen, Toilettengang u. ä. zu denken. Mittlerweile hat sich Nutzung eines Übersetzungsprogramms, das auf dem Handy gespeichert und von daher überall verfügbar ist, bei vielen bewährt. Ist die Benutzung eines Wörterbuchs einigermaßen zeitaufwändig, kann mit dem Übersetzungsprogramm auf dem
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Computer sehr schnell gearbeitet werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass das Finden und auch Aussprechen eines einzelnen Wortes oder eines halben Satzes keine wirkliche sprachliche Verständigung darstellt. Insbesondere Patient:innen mit Demenz kommen bei dieser Art der sprachlichen Kommunikation schnell an Grenzen, die sie unsicher und eventuell auch aggressiv machen. Auch für Schwerhörige, die keine Hörhilfe benutzen, ist die unzusammenhängende Sprechweise schwierig. Verschiedene Vermittlungsagenturen betonen, dass ihre Betreuungskräfte vor dem Einsatz in einem deutschen Haushalt einen Sprachkurs absolvieren. In manchen Fällen trägt eine jahrelange Beschäftigung in deutschen Familien auch zu einer guten Fähigkeit, sich auf Deutsch zu verständigen, bei. Sind einfache oder auch gehobene Deutschkenntnisse vorhanden, gelten sie als Qualifikation, für die eigens bezahlt werden muss. Persönliche Betreuung geht dabei noch deutlich weiter. So zählt die Kommunikation zu den Aktivitäten des täglichen Lebens, die in der häufig sehr eingeschränkten (Um-) Welt alter Pflegebedürftiger auf wenige Menschen in einem kleinen Radius beschränkt ist. Wirklich persönliche, wichtige Gespräche über Schmerzen, Ängste, Wünsche und Erinnerungen setzen tatsächlich bei Betreuungspersonen ein umfassenderes Verständnis der Sprache des:der Pflegebedürftigen voraus. Die Bedeutung der Verständigungsmöglichkeit wird durch die vielfach ausgeprägte altersbedingte Schwerhörigkeit der zu Betreuenden noch unterstrichen. Festlegen der Tätigkeiten. Gestaltung des Tagesablaufs
Ganz wesentlich hängt das Gelingen des Einsatzes einer Betreuungskraft von der passenden Gestaltung des Tagesablaufs ab. Auf die vielfach ungeregelten Arbeitszeiten wird in Kapitel 7 unter den arbeitsrechtlichen Aspekten noch einzugehen sein. Was das Zusammenleben mit einem pflegebedürftigen alten Menschen betrifft, sind neben dieser grundsätzlichen Frage der Rechtssicherheit die individuellen Formen des Zusammenlebens zu bedenken. Durch die gleichsam familiäre Struktur, die dieses Versorgungsmodell charakterisiert, wohnen Betreuungskraft und pflegebedürftiger Mensch wie auch eventuell im Haushalt lebende Angehörige eng zusammen. Die festen Punkte des Tagesablaufs, wie
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Aufstehen und Zubettgehen, Körperpflege, Mahlzeiten, eventuell kleine Spaziergänge oder Aufenthalte im Freien – Garten oder Balkon –, stellen Herausforderungen an die Gemeinschaftsabläufe in der »Hausgemeinschaft« dar. Insbesondere bedeutet die Festlegung freier Zeiten – Mittagsruhe, Feierabend – für die Betreuungskraft eine Prägung des Tages, die die Tagesstrukturierung des pflegebedürftigen Menschen wesentlich tangiert. Das durch die Agenturen vermittelte Bild der »24-Stunden-Pflege«
Wie schon mehrfach benannt, bewegt sich die Arbeit der Betreuungskraft im Schnittfeld von Pflege und Betreuung sowie Hauswirtschaft. Was bei der Durchführung der gleichen Mischformen von betreuenden Aktivitäten durch Familienangehörige für selbstverständlich gehalten wird, ist bei den quasi-professionellen Betreuungskräften oftmals eine Überschneidung unscharf getrennter Tätigkeiten, die Problempotenzial beinhaltet. Nach wie vor sind die Firmen, deren Geschäft die Vermittlung von Betreuungskräften darstellt, wesentlich an der Darstellung der Dienstleistung, die sie vermitteln, beteiligt. Im Allgemeinen bewerben sie ihre Leistungen durch professionelle Internetauftritte und die verschiedenen Websites sind die ersten Zugänge für Familien, die eine entsprechende Betreuungskraft suchen. Allein die Eingabe eines Schlagwortes wie »24-Stunden-Pflege« oder »Pflege zu Hause« oder »ausländische Pflegekraft« rufen eine hohe Anzahl von Einträgen auf, die entsprechende Angebote machen. Es versteht sich von selbst, dass in den Onlinedarstellungen der Firmen unterschiedliche Schwerpunkte wahrzunehmen sind. Sie vermitteln durch eine Diversität in der Wortwahl natürlich leicht modifizierte Angebote, die in der Summe jedoch auf das gleiche Bild hinauslaufen: Wer sich sorgt, für einen pflege- oder unterstützungsbedürftigen Angehörigen eine Rundum-Betreuung zu organisieren, sei mit einem Angebot der Firma bestens bedient. Die dort arbeitenden Pflegekräfte (!) wären erfahren und kompetent, sehr freundlich und zugewandt und erfüllten je nach Bedarf individuelle Wünsche der Betroffenen. Auf jeder dieser Websites finden sich ansprechende Fotos des immer gleichen Aufbaus: Mit einer älteren, meist grauhaarigen Person
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ist eine junge Frau zu sehen, die sich lächelnd zuwendet und in irgendeiner Form mit dem alten Menschen beschäftigt ist. Sehr häufig trägt die jüngere Frau eine Art Berufskleidung, die an Pflegekräfte erinnert, etwa ein weißes T-Shirt und eine weiße Hose. Die beiden Personen sind sowohl bei Spaziergängen als auch beim gemeinsamen Sitzen und einer offenbar anregenden Unterhaltung in einem Wohnzimmer zu sehen. Immer wieder werden auch Fotos gezeigt, auf denen ein alter Mensch und die offensichtliche Betreuungskraft in geradezu zärtlicher Umarmung zu sehen sind, dem Verhältnis sich zugeneigter Familienmitglieder nicht unähnlich. Krawietz (2014) zeigt bei ihren Untersuchungen auf, dass sich die Vermittlungsagenturen im »Bild eines romantischen Pflegedienstleisters« (S. 97) präsentieren: »Die Selbstdarstellungen suggerieren enge emotionale Bindungen, die sich durch ›Geborgenheit‹, ›menschliche Wärme‹ und ›Herzlichkeit‹ auszeichnen« (Krawietz 2014, S. 99). Das Ziel derartiger Websites ist klar: Den an einer Unterstützung Interessierten wird vermittelt, dass die Pflege – oder auch in Abwandlung »pflegerische Unterstützung« – von geschulten und gleichzeitig zugewandten Menschen übernommen wird, denen uneingeschränkt Vertrauen entgegengebracht werden kann. »Das Ideal von uneingeschränkter Aufgehobenheit und Zuwendung verorten die Agenturen dabei im Privaten in der Familie, im ›eigenen Zuhause‹. […] Die Anpreisung von Betreuungskräften als Freundinnen, die Umschreibungen der Pflegebeziehung als Geborgenheit im eigenen Heim deuten auf normative Leitbilder familiärer Pflege hin im Alter.« (Krawietz 2014, S. 99) An dieser Stelle wird die Unschärfe dieses Versorgungsmodells hinsichtlich der Rolle und der Qualifikation der Betreuungskraft besonders anschaulich. Dass es sich bei dieser Versorgung nicht um Pflege im professionellen Sinne handelt – wie in Kapitel 5 ausführlich beschrieben – wird verschwiegen. Äußeres Auftreten, sichtbare Tätigkeiten und vor allem die Einschätzung mit Eigenschaften und Fähigkeiten, die üblicherweise mit »Pflege« verbunden werden, rücken die Betreuungskraft in der Wahrnehmung der Interessierten sehr nah an Pflegekräfte als auch an Familienangehörige.
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Fairerweise ist jedoch auch davon zu sprechen, dass es Agenturen gibt, die sich um große Transparenz bemühen. Gerade in der jüngsten Vergangenheit wird deutlich, dass die Unternehmen die expliziten und auch nur »unter der Hand« weitergegebenen Kritikpunkte an der Arbeit der Agenturen zur Kenntnis und ernst nehmen. Dies betrifft sowohl die Hinweise auf die Grenzen der (arbeits)rechtlichen Korrektheit als auch die deutliche Ansage, dass die Tätigkeit der Betreuungskraft nicht mit professioneller Pflege gleichzusetzen ist. Exemplarisch ist hier die Veröffentlichung der Agentur Pflege zu Hause Küffel GmbH zu nennen: Markus Küffel, Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Diplom-Gesundheitswissenschaftler, Firmengründer und Geschäftsführer seiner Agentur, nennt seine Publikation einen »Ratgeber«. Er trägt in gut verständlicher Sprache das Grundwissen zu Pflegebedürftigkeit, Pflegeversicherung und Betreuungsformen vor, ergänzt durch ein eigenes Kapitel über »Sterben, Tod und Trauer« und zahlreiche Checklisten, Anträge und Formulare (Küffel 2021). Bei den üblichen Betreuungsformen unterscheidet der Verfasser zwischen häuslichen Betreuungsformen, stationären Betreuungsformen und alternativen Betreuungsformen wie betreuten Wohngemeinschaften (Senioren-WGs) und betreuten Hausgemeinschaften. Küffel spricht deutlich an, dass es sich bei der »24-StundenPflege« um einen »irreführenden Slogan« handelt: »Bezeichnungen wie ›24-Stunden-Pflege‹ oder ›Rund-um-die-Uhr-Betreuung‹ sind irreführend und sollten vermieden werden« (Küffel 2021, S. 39). Gleichwohl benutzt er selbst diese Bezeichnung – sogar als Titel seiner Veröffentlichung – und klärt die Lesenden auf: »Leider haben sich diese Begriffe gesellschaftlich und medial so etabliert, dass sämtliche Vermittlungsagenturen für osteuropäische Betreuungskräfte aus Gründen des Marketings gezwungen sind, diese Slogans zu verwenden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.« Damit seine eigene Einschätzung der Unbrauchbarkeit dieser Bezeichnung deutlich wird, fügt er an: »Allerdings sollte eine seriöse Vermittlungsagentur ihre Kunden bereits auf der Homepage, spätestens aber im Beratungsgespräch über diese Diskrepanz aufklären« (Küffel 2021, S. 39).
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Veränderung der Familienstruktur durch eine Betreuungskraft
Bereits die Vorbereitungen in einem Haushalt auf den »Einzug« einer Betreuungskraft sind mit Anstrengungen und vielen Tätigkeiten verbunden. Zum einen sind die häuslichen Bedingungen für die Unterbringung zu erstellen, zum anderen ist die »richtige« Kraft auszuwählen, was mit der Beschäftigung mit den möglichen Agenturen beginnt und der Entscheidung für einen Vorschlag, den die gewählte Agentur unterbreitet, endet. Sehr anschaulich erzählt der als Fritz Schmid bezeichnete Sohn von Eltern, die durch mehrere Betreuungskräfte versorgt wurden, den gesamten Prozess dieser Zeit. Exemplarisch seien einige Zeilen aus seinem Bericht zitiert: »Die gute Unterbringung: Der Kellerraum, den einst meine Oma bewohnte, ist über die Jahre zum Warenlager verkommen. Acht arbeitsintensive Wochen, entrümpeln, ein neuer Boden, veränderte Elektroinstallationen, frische Tapeten, neue Möbel, Leuchten und Gardinen, Schlafbereich, Sitzecke, Schreibtisch, Telefon und ein kleiner Esstisch, dazu ein einheitliches Gesamtkonzept bei den Farben und den Dekorationselementen. Das Zimmer kann sich sehen lassen.« (Schmid 2020, S. 160) In jedem Fall führt die Anwesenheit einer Betreuungskraft zu Veränderungen im Zusammenleben der Familienangehörigen mit dem Pflegebedürftigen. Wesentlich geprägt wird die quasi-familiäre Gemeinschaft durch die Anzahl der miteinander in der gleichen Häuslichkeit Lebenden. Besteht die »Hausgemeinschaft« ausschließlich aus dem:der Pflegebedürftigen und der Betreuungskraft, entsteht hier oft ein sehr persönliches und nahes Verhältnis. Die Unterstützung alter pflegebedürftiger Menschen durch eine Betreuungskraft betrifft natürlich auch die Mitglieder der Familie, die nicht im gleichen Haushalt leben. Sehr häufig sind es die Kinder und Schwiegerkinder, die sich um diese Versorgungsform bemühen, weil sie weit weg vom Haus der Eltern leben und arbeiten und deren Unterstützung nicht übernehmen können. Ihre Vorstellung, dass bei den Eltern »alles« gut geregelt sei, ist ein wesentliches Moment der Aufrechterhaltung dieses Systems. Doch hat diese Ver-
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sorgungsform auch Konsequenzen für die Angehörigen, wenn sie weit weg wohnen, vielleicht sogar im entfernten Ausland, und die Eltern nur gelegentlich besuchen können. Das Verhältnis zwischen alten Menschen und ihrer Betreuungskraft wird tatsächlich oft sehr persönlich. Selbst wenn dieses auch von Spannungen gekennzeichnet sein sollte, handelt es sich hier um eine sehr enge Zweisamkeit, an der beispielsweise Kinder, die in einem anderen Ort leben, nicht teilhaben. Je weiter die räumliche und persönliche Entfernung zwischen pflegebedürftigem Menschen und seinen Familienangehörigen ist, desto enger wird nahezu zwangsläufig das Miteinander mit der Betreuungskraft. So berichten erwachsene Kinder von Pflegebedürftigen mit einer osteuropäischen Betreuungskraft, dass sie bei einem Besuch ihrer Eltern von der Betreuungskraft als Gäste des Hauses betrachtet und behandelt wurden, wo sie nach ihrem Verständnis doch in ihr Elternhaus kommen, in dem sie sich wie selbstverständlich bewegen. Belastungen der Betreuungskräfte
Zu den Rahmenbedingungen der Versorgung mit Betreuungskräften zählen selbstverständlich auch die Erlebnisweisen der Betreuungskräfte selbst. Die immer wieder mit Worten wie Ausbeutung, moderne Sklaverei und Dienstbotenverhältniss bezeichneten Lebens- und Arbeitsverhältnisse hinterlassen bei den betroffenen Arbeitskräften entsprechende Spuren. Da aufgrund der Arbeitsverhältnisse im Privathaushalt der Zugang zu den Betreuungskräften erschwert und für Studien fast unmöglich ist, gibt es nur wenige wissenschaftliche Arbeiten zu der Frage nach den Belastungen der Betreuungskräfte. 2019 wurde durch ein Konsortium von Wissenschaftler:innen aus vier verschiedenen bundesweit tätigen Instituten mit dem Schwerpunkt des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf eine Studie durchgeführt. Diese Untersuchung ist eine »qualitative explorative Analyse der Arbeits- und Gesundheitssituation von 24-StundenBetreuungskräften mit dem Fokus auf arbeitsplatzbezogene Belastungen und Ressourcen« (Schilgen et al. 2019, S. 1). Die potenziellen Interviewpartnerinnen wurden über Vermittlungsagenturen, Anzeigenportale und soziale Netzwerke akquiriert. Insgesamt wurden neun Frauen aus Polen und Litauen, zum Zeitpunkt des Interviews
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zwischen einem und fünfzehn Jahren in dieser Tätigkeit beschäftigt, interviewt. Ihre Beschäftigungsverhältnisse waren sowohl regulär wie irregulär. Die Interviews wurden hinsichtlich der Belastungen nach vier Kategorien ausgewertet: psychische Belastung, physische Belastung, interpersonelle Konflikte und unklare Rahmenbedingungen. Hinsichtlich der Ressourcen wurden die Kategorien Selbstwirksamkeit, gutes Arbeitsklima und Motivation gebildet. An Belastungen werden in dieser Studie vor allem die Betreuungstätigkeiten bei Pflegebedürftigen mit Depression oder Demenz genannt. Weiter werden persönliche Befindlichkeiten angeführt: das Empfinden, sich »eingesperrt und einsam zu fühlen«, und »das Gefühl, ständig verfügbar sein zu müssen« (Schilgen et al. 2019, S. 3). An körperlichen Belastungen werden »Schlaflosigkeit« sowie das »Heben und Tragen von KlientInnen« (Schilgen et al. 2019, S. 4) genannt. Die interpersonellen Konflikte liegen im Bereich der Kommunikation (z. T. wegen geringer Deutschkenntnisse) und der Position zwischen einer Hausangestellten und einem Familienmitglied. In dieser Unklarheit werden die Betreuungskräfte auch in Spannungsverhältnisse in der Familie hineingezogen. Zu den Belastungen zählen schließlich auch unklare Rahmenbedingungen bei der Arbeitsgestaltung. So wird von der Pflicht zur Übernahme von Aufgaben berichtet, die vertraglich nicht vereinbart wurden (Schilgen et al. 2019, S. 4). Gleichzeitig beschreiben die Interviewten auch ihre Ressourcen: Als »Selbstwirksamkeit« wird benannt, was zusammenfassend als zunehmend professionelle Arbeitsweise bezeichnet werden kann, wie das Erlernen von Kompetenzen, das Treffen klarer Absprachen und die Fähigkeit, sich vom belastenden Arbeitsalltag zu distanzieren. Positiv für das Erleben der Betreuungskräfte ist ein gutes, von gegenseitigem Respekt gekennzeichnetes Verhältnis zu den Pflegebedürftigen und die »Unterstützung durch Dritte«, wie beispielsweise die Angehörigen (Schilgen et al. 2019, S. 5). Als Motivation für die Arbeit als Betreuungskraft werden gute Bedingungen wie »umfassender Krankenversicherungsschutz, eine legale Beschäftigung und ein geregeltes Einkommen« (Schilgen et al. 2019, S. 5) genannt. Im Gesamten kommt diese Studie zu einer Bestätigung der psychischen und physischen Belastungen, wie sie schon knapp zehn Jahre vorher beschrieben wurden (Karakayali 2010). Gleichzeitig kann
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»die in Deutschland geführte Diskussion über prekäre Arbeitsverhältnisse auch im Kontext einer zu geringen Entlohnung nicht bestätigt werden. […] Ganz im Gegenteil berichten sie [die Interviewten], ihr Gehalt sei um ein Vielfaches höher als das in ihrem Heimatland und dies sei einer der Gründe für die Aufnahme einer Tätigkeit in Deutschland.« (Schilgen et al. 2019, S. 5) Die Verfasser:innen der Studie stellen als Schwäche ihrer Studie die kleine Zahl der Interviewten bzw. die schwere Erreichbarkeit ihrer Personengruppe dar. Hinsichtlich der Einschätzung des Verdienstes und seiner positiven Bewertung unterscheidet sich das Ergebnis durchaus von Rückmeldungen einzelner Betreuungskräfte. Für das Gesamtsystem der Versorgungsform ist die Wahrnehmung der Betreuungskräfte und deren Selbsteinschätzung ihrer Situation unerlässlich. Grundsätzlich wäre eine Kommunikationsplattform durch die Vermittlungs- oder Entsendeagenturen denkbar. Faktisch könnten die betroffenen Frauen und Männer sich durch Informationsaustausch oder kollegiale Beratung unterstützen. Vermittlungsagenturen tragen zu der gegenseitigen Kontaktpflege und Unterstützung von Betreuungskräften jedoch keine strukturelle Unterstützung bei. Die kollegiale Vernetzung kommt durch informelle Kontakte, häufig bei den Busfahrten zur An- und Abreise zustande. Der immer wieder geäußerten Beschreibung der Einsamkeit und Kontaktlosigkeit der Betreuungskräfte wird an verschiedenen Stellen auch mit zivilgesellschaftlichem Engagement begegnet. Angebote für Begegnungen mit anderen Betreuungskräften und Bürger:innen des Wohnortes erfolgen durch die Initiativen von sozialpolitisch interessierten Privatpersonen oder Gruppen. Sie kommen vielfach auch durch ehrenamtliche Aktivitäten – überwiegend aus kirchlichen Gruppierungen heraus – zustande. Exemplarisch kann hier die Gruppe RESPEKT innerhalb der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) in der Diözese Aachen genannt werden. Hier wurde nach schweizerischem Vorbild das KAB-Netzwerk RESPEKT im Kreis Heinsberg gegründet. Die Mitglieder des Netzwerkes beraten Betreuungskräfte und machen sie ebenso mit spirituellen Angeboten vertraut (Bistum Aachen o. J). Gleichzeitig treten sie durch
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Kapitel 6
Veranstaltungen zu dieser Versorgungsform in die Öffentlichkeit. So fand beispielsweise 2018 zum »Welttag für menschenwürdige Arbeit«, der am 7. Oktober begangen wird, eine Informationsveranstaltung statt. Zum »Welttag der menschenwürdigen Arbeit« 2022 startete die Plattform Respect care für Betreuungskräfte (Bistum Aachen o. J). Ein weiteres Beispiel ist das Engagement ebenfalls katholischer Frauen in Markdorf im Bodenseekreis. Hier existiert im Mehrgenerationenhaus der politischen Gemeinde seit Jahren eine Gruppe zum Themenschwerpunkt »Solidarität mit osteuropäischen Haushaltshilfen und Pflegehelferinnen«. Einmal wöchentlich wird ein Treffen zum Austausch und zur Hilfe für Betreuungskräfte angeboten; jede zweite Woche findet ein Deutschkurs für diesen Personenkreis statt (Familienforum Markdorf e. V. o. J.).
Literatur Bistum Aachen (o. J.): Respekt. https://kab-aachen.de/unsere-projekte/respekt/ index.html (Zugriff am 31.10.2022). Bundesministerium für Gesundheit (2022a): Pflegeleistungen zum Nachschlagen. Berlin. Bundesministerium für Gesundheit und Pflege (2022b): Pflege zu Hause: Finanzielle Unterstützung und Leistungen für die ambulante Pflege. Berlin. Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege (o. J.): Alles über den Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege. https://www.vhbp.de/ueberden-vhbp (Zugriff am 20.07.2022). Familienforum Markdorf e. V. (o. J.): Solidarität mit osteuropäischen Haushaltshilfen und Pflegehelferinnen. https://www.mgh-markdorf.de/solidaritaetmit-osteuropaeischen-haushaltshilfen-und-pflegehelferinnen-9411/ (Zugriff am 12.05.2022). Jungbluth, R. (2022): ZEIT für Geld. DIE ZEIT, 33/2022, 27. Karakayali, J. (2010): Die Regeln des Irregulären – Häusliche Pflege in Zeiten der Globalisierung. In: K. Scheiwe/J. Krawietz (Hg.): Transnationale Sorgearbeit. Rechtliche Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Praxis (S. 151– 170). Wiesbaden. Krawietz, J. (2014): Pflege grenzüberschreitend organisieren. Eine Studie zur transnationalen Vermittlung von Care-Arbeit. Frankfurt a. M. Küffel, M. (2021): 24 Stunden Pflege zu Hause. So finden Sie die optimale Betreuung. Berlin. Mecasa (2021): Sicher versorgt im eigenen Zuhause. Zertifizierte häusliche Betreuung. Stuttgart.
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Schilgen, B./Savcenko, K./Nienhaus, A./Mösko, M. (2019): Arbeitsbezogene Belastungen und Ressourcen von ausländischen 24-Stunden-Betreuungskräften in deutschen Privathaushalten – eine qualitative Studie. Gesundheitswesen, 82 (2), 196–201. https://doi.org/10.1055/a-1005-7024 (Zugriff am 20.10.2022). Schmid, F. (2020): Erfahrungen eines pflegenden Angehörigen. In: B. Städtler- Mach/H. Ignatz (Hg.): Grauer Markt Pflege. 24-Stunden-Unterstützung durch osteuropäische Betreuungskräfte (S. 157–169). Göttingen. Verbraucherzentrale (2022): Wie finde ich eine seriöse Vermittlungsagentur. https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/projekt-pflegevertraege/wiefinde-ich-eine-serioese-vermittlungsagentur-fuer-haeusliche-betreuung51547 (Zugriff am 13.05.2022). Zentrum für Qualität in der Pflege (o. J.): Pflegeversorgung – Grauer Pflegemarkt. https://www.zqp.de/wp-content/uploads/Fachartikel_Grauer_Arbeitsmarkt. pdf (Zugriff am 20.10.2022).
Kapitel 7 Ausbleibende Regelung hinsichtlich der Gestaltung der arbeitsrechtlichen Bedingungen
Die arbeitsrechtlichen Bedingungen für die Beschäftigung von osteuropäischen Betreuungskräften gehören seit vielen Jahren mit zu den größten Problemanzeigen bei diesem Versorgungsmodell. In nahezu allen Interviews des Projektes TRABAM bilden diese unzureichend gelösten Rahmenbedingungen einen Gegenstand, bei manchen der Gesprächspartner:innen sogar den Schwerpunkt ihrer Ausführungen. Die bereits erfolgten Rechtsprechungen sowie viele offene Detailfragen, die nicht eindeutig beantwortet werden können, rufen nicht abreißende Kritik hervor. Verständlicherweise wird sie auf wissenschaftlicher Seite vor allem aus juristischer und ethischer Perspektive vorgebracht.18 Auch die Verbraucherzentralen innerhalb der Länder stellen sich diesem Problem und setzen eigene Fachexpertise zur Bearbeitung der anstehenden Fragen mit ein. Sie bieten mit Tagungen und vor allem öffentlich zugänglichen Informationen Hilfestellungen für die einzelnen Interessierten und potenziellen Nutzer:innen dieses Versorgungsmodells. Exemplarisch kann die Website der Gemeinschaftsredaktion der Verbraucherzentralen Berlin und Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem Pflegewegweiser für Nordrhein-Westfalen für das Netzwerk der Verbraucherzentralen in Deutschland genannt werden (Verbraucherzentrale 2022). In unserem Zusammenhang wird ein Gesamtblick auf die arbeitsrechtliche Situation gerichtet.19 Für speziellere juristische Ausführungen wird auf die genannten allgemeinverständlichen fachjuristischen Darstellungen verwiesen (Bucher 2018, Kocher 2019). 18 Exemplarisch seien genannt: Scheiwe 2014, Emunds 2016, Bucher 2018. 19 Für wertvolle Hinweise zu der Erstellung dieses Kapitels danken wir Uwe Lesche (Diplom-Jurist), Vorsitzender des Rechts- und Verfassungsausschusses der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
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Verschiedene Modelle zur Beschäftigung einer Betreuungskraft Um die arbeitsrechtlichen Fragestellungen besser verstehen zu können, ist der Blick auf die gängigen Modelle der Beschäftigungen erforderlich. Die sogenannte 24-Stunden-Betreuung kann entweder in einer »abhängigen Beschäftigung oder in selbständiger Erwerbstätigkeit erbracht werden« (Thüsing 2019, S. 120). Grundsätzlich werden für die Beschäftigung der Betreuungskräfte verschiedene Beschäftigungsmodelle genutzt: Das Entsendemodell, das Selbständigenmodell und das Arbeitgebermodell. Alle drei – so lässt sich vorweg zusammenfassend feststellen – »gelten als Risikoträger eines ›Grauen Pflegemarktes‹ oder führen im schlechtesten Fall in eine illegale Beschäftigung« (Zentrum für Qualität der Pflege o. J., S. 2). Das Entsendemodell kommt derzeit am häufigsten zur Anwendung. Es basiert auf folgender Konstruktion: Innerhalb der EU kooperieren zwei Unternehmen, wovon eines seinen Sitz in Deutschland, ein zweites in einem (süd)osteuropäischen Land hat. Für das Unternehmen in Deutschland wird häufig der Begriff Agentur verwendet, da es praktisch die Vermittlung der Betreuungskräfte bewerkstelligt. Das Unternehmen im europäischen Ausland akquiriert in seinem Land die Mitarbeiterinnen, häufig durch Anzeigen, mündliche Weitergabe oder auch direkte Ansprache der infrage kommenden Frauen. Diese Betreuungskräfte sind bei dem Unternehmen in Polen, Rumänien, Bulgarien etc. beschäftigt und werden zu dem Unternehmen in Deutschland, also der Agentur, entsendet. Diese Entsendung der Betreuungskraft gibt der Beschäftigungsform den Namen »Entsendemodell«. In der Regel schließen die pflegebedürftigen Menschen oder ihre Angehörigen, die innerhalb des Verfahrens meistens als Kund:innen bezeichnet werden, einen Vertrag mit der deutschen Agentur. Es kommt sodann zusätzlich zu einem Vertragsverhältnis zwischen den deutschen Kund:innen und der Firma im europäischen Ausland, vermittelt durch die Agentur. Das Entsendeunternehmen schließt seinerseits einen Vertrag mit der Betreuungskraft, die dann in Deutschland arbeitet. Das bedeutet: Die Firma im Ausland beschäftigt die
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Betreuungskraft. Sie ist für ihre Entlohnung ebenso zuständig wie für ihren Versicherungsschutz und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge. Die Firma im europäischen Ausland entscheidet über den Einsatz der Betreuungskraft in der deutschen Familie und ist damit weisungsbefugt. Die Firma übernimmt auch die Organisation ihrer Reise bei Beginn und am Ende des Einsatzes in Deutschland. In manchen Fällen kommt es auch direkt zu einem Vertragsverhältnis zwischen der Familie in Deutschland und dem osteuropäischen Entsendeunternehmen ohne Vermittlung durch eine Agentur in Deutschland. Um Einzelheiten des Vertrags zu gestalten, unterhält die osteuropäische Firma in diesen Fällen eine eigene Infrastruktur in Deutschland, die sich – analog einer Vermittlungsagentur –um den Einsatz und eventuell auch um Hilfe bei Problemen zwischen Betreuungskraft und dem:der Pflegebedürftigen in Deutschland kümmert. Aus der Sicht der Betreuungskräfte ist das Entsendemodell von Vorteil: Die Sozialversicherungsbeiträge werden stets im Entsendeland entrichtet, unabhängig von der Dauer des Vertrags mit den Betreuungskräften und unabhängig davon, welches Heimatland sie haben. Als Nachweis für die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge im Heimatland gilt die sogenannte A1-Bescheinigung. Sie bescheinigt nicht nur das Bezahlen der Sozialversicherung, sondern verhindert auch die doppelte Bezahlung in zwei Staaten.
Selbständigenmodell Die Voraussetzung für diese Arbeitskonstruktion ist die Möglichkeit, als Selbständige innerhalb der EU Dienstleistungen in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zu erbringen. In diesem Modell arbeitet die Betreuungskraft als Selbständige in der Familie. Die Betreuungskraft, die in ihrem Herkunftsland als Selbständige ein Gewerbe angemeldet hat, akquiriert Kund:innen in Deutschland und schließt mit ihnen einen Dienstvertrag ab. Wird die Betreuungskraft tatsächlich als Selbstständige tätig, hat sie im Rahmen ihres im Herkunftsland angemeldeten Gewerbes ordnungsgemäß Rechnungen für ihre Leistungen zu stellen und Gewerbesteuer zu bezahlen. Bestandteil einer echten Selbständigkeit ist es auch, regelmäßig mehrere Kund:innen vorweisen zu können. Im konkreten Vollzug arbeitet die selbständige
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Betreuungskraft unabhängig von Weisungen der Familie und legt vor allem auch ihre Arbeitszeit, die sie für die pflegebedürftige Person erbringt, selbständig fest. Tatsächlich werden Selbständige aber auch von Agenturen vermittelt. Dann wird zwischen der Agentur und der selbständigen Betreuungskraft ein Vertrag erstellt. Sind die Bedingungen einer Selbständigkeit nicht erfüllt, handelt es sich um eine »Scheinselbständigkeit«. Die Pflegebedürftigen bzw. ihre Angehörigen müssen dann die Sozialversicherungsbeiträge in diesem Falle entrichten. Wenn also die Familie die Weisungen gibt, die Betreuungskräfte keine anderen Kund:innen haben und sie sich die Zeit nicht selbst einteilen können, dann sind sie nicht selbständig, sondern arbeiten nicht-selbständig. Ist ihr:e Arbeitgeber:in und Weisungsberechtigte:r der:die Pflegebedürftige, dann ist diese:r sozialversicherungsrechtlich und strafrechtlich für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich. Ist die Agentur die eigentliche Arbeitgeberin (Weisungsrecht etc.), trifft die Verantwortung die Agentur. Schließlich gibt es noch das Arbeitgebermodell. Arbeitgebermodell bedeutet, dass die pflegebedürftige Person oder eine ihrer Angehörigen der:die Arbeitgeber:in für die Betreuungskraft werden. Zwischen beiden wird ein Arbeitsvertrag abgeschlossen, der – wie jeder Arbeitsvertrag – Beginn (und bei Befristung auch Ende) der Arbeit beinhaltet, den Umfang und die Bezahlung. Das umfasst die vollständige Beschäftigung der Betreuungskraft in dieser Familie: Erhebung und Abführung der Beiträge für die Sozialversicherung, Anspruch auf Mindestlohn, gesetzlichen Mindesturlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie vor allem die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses inklusive Festsetzung der Arbeitszeiten. Der Betreuungskraft gegenüber ist allein die als Arbeitgeber:in auftretende Person, meist also ein:e Angehörige:r der pflegedürftigen Person weisungsberechtigt. Auf der Seite der Betreuungskraft als Arbeitnehmerin liegt die Verpflichtung zur Versteuerung des Einkommens.
Zu den Problemen der jeweiligen Modelle Grundsätzlich ist ein Arbeitsverhältnis für den:die Arbeitnehmer:in im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) geregelt. Es legt im Wesentlichen die
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werktägliche Arbeitszeit von maximal acht Stunden (§ 3 ArbZG), die feststehenden Ruhepausen (§ 4 ArbZG) und die Einhaltung einer Ruhezeit von mindestens elf Stunden (§ 5 ArbZG) fest. Wichtig im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer Betreuungskraft ist die Tatsache, dass Ruhezeit nicht als Bereitschaftsdienst ausgestaltet sein darf. Gregor Thüsing formuliert 2019 in seinem Gutachten für das Bundesministerium für Gesundheit, dass »die zwingenden arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften anzuwenden [sind], also insbesondere die Bestimmungen zum Mindestlohn und zum Arbeitszeitrecht« (S. 123). Insofern bedeutet das Einhalten einer werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden eine Absage an eine 24-Stunden-Betreuung, zumal die nächtliche Ruhezeit keineswegs als Bereitschaftszeit gelten kann. Im Rahmen einer durch eine ausländische Firma und eine deutsche Agentur vermittelten Betreuungskraft, die als Arbeitnehmerin arbeitet, wird das Arbeitszeitgesetz nur einzuhalten sein, wenn die Betreuung sich tatsächlich über einen Zeitraum von maximal acht Stunden pro Werktag erstreckt. Das bedeutet: Wenn die Betreuung eines pflegebedürftigen Menschen in den eigenen Räumen nicht auf täglich acht Stunden beschränkt ist, erfolgt sie nicht im rechtskonformen Rahmen. Es versteht sich von selbst, dass die Berücksichtigung des Arbeitszeitgesetzes nur erfolgen kann, wenn zusätzlich zur Betreuungskraft weitere Akteur:innen im Einsatz sind, also während der anderen sechzehn Stunden des Tages beispielsweise Angehörige oder weitere Unterstützer:innen. Ein Grundprinzip des Entsendemodells ist die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch die entsendende Firma in deren Land. Die Sozialversicherungsbehörde stellt – wie beschrieben – als Nachweis über die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherung die A1-Bescheinigung aus. Diese Praxis unterliegt seit einigen Jahren einer Betrugsanfälligkeit. Die Erklärung der entsendenden Firma wird frühestens nach einem Jahr mittels einer Sozialversicherungsprüfung durch den deutschen Zoll kontrolliert. Das Selbständigenmodell ist mehrfach hinsichtlich seiner Rechtssicherheit reflektiert worden. Immer wieder wird dabei betont, dass die individuelle konkrete Situation zur Bewertung herangezogen werden muss. Dabei werden bestimmte Faktoren benannt, die für
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eine echte Selbständigkeit erbracht werden müssen. Gregor Thüsing (2019) formuliert diese in seinem Gutachten für das Bundesministerium für Gesundheit; die wesentlichen werden hier genannt: Individualität der Pflegeleistungen, Entscheidungsfreiheit bzgl. Ausgestaltung täglicher Arbeits- und Ruhezeiten, unternehmerisches Risiko bzgl. Akquise von Anschlussaufträgen, kein Lohn- bzw. Entgeltfortzahlungsanspruch bei Urlaub bzw. Krankheit sowie Vorhandensein mehrerer Auftraggeber (S. 120 f.). Im Wesentlichen geht es also darum, dass für eine echte Selbständigkeit das »Vorhandensein von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen« maßgeblich ist (Thüsing 2019, S. 121). Für alle in Deutschland arbeitenden Arbeitnehmer:innen gelten die Grundlagen des deutschen Arbeitsrechtes. Diese sind im Kontext der Betreuungskräfte vor allem die Schutzvorschriften für Arbeitnehmer:innen, die sich hauptsächlich auf Arbeits- und Ruhezeiten, die Bezahlung (den gesetzlichen Mindestlohn) und den gesetzlichen bezahlten Mindesturlaub beziehen. Von daher sind – unabhängig vom jeweilig gewählten Beschäftigungsmodell – zwei Problemanzeigen auszumachen. Problemanzeige Arbeitszeit
Selten kann ein Problem in der strukturellen Ausgestaltung einer Dienstleistung bereits in der Bezeichnung der Dienstleistung so präzise erfasst werden, wie das bei der sogenannten 24-Stunden-Betreuung oder gar der 24-Stunden-Pflege der Fall ist. Dass eine Person eine personenbezogene Dienstleistung von 24 Stunden pro Tag erbringt, ist schon vom Begriff her nicht realistisch. Auch wenn zunächst offenbleibt, worin die »Pflege« oder die »Betreuung« besteht, ist schnell nachvollziehbar, dass dies nicht 24 Stunden am Stück erfolgen kann, erst recht nicht an sieben aufeinanderfolgenden Tagen. Zwar haben sich viele Akteure und Betroffene im Umfeld des Versorgungsmodells bereits an diese Bezeichnung gewöhnt und finden sie – so legt zumindest der fortgesetzte Gebrauch dieser Bezeichnung nahe – zutreffend. Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass eine solche Leistung nicht erbracht werden kann. Es braucht weder eine fachliche Expertise des Begriffs Arbeitszeit noch eine in der Frage des Personalbedarfs für die Versorgung pflegebedürftiger Menschen, um
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nachzuvollziehen, dass hier ein völlig unzutreffender Begriff in den Sprachgebrauch eingegangen ist. Mit anderen Worten: Grundsätzlich stellt eine arbeitsrechtlich korrekte Gestaltung der Arbeitszeit eines der Hauptprobleme des Versorgungsmodells der sogenannten 24-Stunden-Betreuung dar. Zuletzt haben Simone Habel und Theresa Tschenker (2022) die Ergebnisse des Forschungsprojektes »Modell der Live-in-Pflege. Rechtswissenschaftliche und sozialethische Vorschläge zur Weiterentwicklung einer personenbezogenen Dienstleistung«, finanziert von der Hans-Böckler-Stiftung, veröffentlicht. Sie gehen von der Tatsache aus, dass »in dieser Branche immer wieder gegen arbeitsrechtliche Regelungen verstoßen« wird (Habel/Tschenker 2022, S. 7). Die Untersuchung, die die Möglichkeiten der Reduktion von Arbeitszeit im Fokus hat, gründet sich wesentlich auf diejenigen Agenturen, die hier andere Wege beschreiten wollen. Sie haben sich durch ihre eigene proaktive Kritik an den Verhältnissen und ihre daraus entstehenden politischen Aktivitäten das Ziel einer Selbstregulierung durch freiwillige Maßnahmen gesetzt. Sechs dieser als »Pioniere« bezeichneten Agenturen werden durch Interviews mit Expert:innen sowie durch die Auswertung ihrer Arbeitsverträge auf die Umsetzung der Maßnahmen zur Reduktion von Arbeitszeit untersucht. Die Fragen in den Interviews beziehen sich auf die Gestaltung der Arbeitsverträge, die Formen der Bedarfserhebung vor Arbeitsantritt, das Angebot eines Pflegemix sowie das Angebot digitaler Unterstützungstechnologien zur Reduktion von Arbeitszeit. Darüber hinaus werden die Gestaltungsvorschläge der Agenturen in den sozialpolitischen und rechtswissenschaftlichen Fachdebatten sowie die rechtliche und ethische Bewertung bisheriger Maßnahmen erfragt. Von den beteiligten Agenturen werden jeweils von zwei Firmen das Entsende-, das Arbeitgeber- und das Selbständigenmodell angeboten. Alle der beteiligten Agenturen ergreifen – so das Ergebnis des Forschungsprojektes – Maßnahmen zur Reduktion der Arbeitszeit. Simone Habel fasst zusammen: »So sind als zentrale Maßnahmen vor dem Arbeitsantritt eine korrekte Bedarfserhebung auf Basis eines Ortsbesuchs, Aufklärungs-
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gespräche mit den Familien zur Arbeitszeitproblematik und der Ausschluss von Fällen mit zu hoher Arbeitszeitbelastung identifiziert worden.« (Habel 2021, S. 15) Ergänzt werden diese Maßnahmen durch das Angebot von Ansprechpartner:innen für die Betreuungskräfte vor Ort und/oder auch im Herkunftsland für den Konfliktfall (Habel/Tschenker 2022, S. 16). Die Gesprächspartner:innen aller Agenturen distanzieren sich deutlich vom Begriff der »24-Stunden-Pflege«. Die kritischen Punkte sind jedoch auch zu benennen: Ausschließlich im Arbeitgebermodell können verbindliche Vorgaben zur Arbeitszeit gemacht und eingehalten werden. Beim Entsendemodell muss die Live-In selbst aktiv werden und sich bei der Entsendefirma bezüglich nicht eingehaltener Arbeitszeiten beschweren. Beim Selbständigenmodell werden die beteiligten Agenturen erst aktiv, wenn die vereinbarten Zeiten nicht eingehalten werden. Im Ergebnis zeigt die Studie auch die Lücken der Arbeitszeitregulierung in den Unternehmen, die sich um konkrete Maßnahmen zur Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorgaben bemühen. Simone Habelt folgert: »Infolge kann argumentiert werden, dass eine unternehmerische Selbstregulierung allein unzureichend für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Live-In-Pflege ist.« Sie fordert folgerichtig: »Vielmehr bedarf es staatlicher Regulierungs- und Kontrollinstrumente, um das zentrale Problem der Arbeitszeit in der LiveIn-Pflege anzugehen« (Habel 2021, S. 17). Problemanzeige Mindestlohn
Ebenso wenig wie die Bezeichnung »24-Stunden-Betreuung« der Realität entsprechen kann, trifft dies für die Bezahlung der Live-Ins zu, welche die Leistung in dem Versorgungsmodell erbringen. Diese Feststellung gilt unabhängig davon, in welcher Form des Arbeitsverhältnisses sie dies tun, also in welchem der möglichen Modelle sie arbeiten. Der Blick auf die Frage nach dem Mindestlohn umfasst dabei zwei Perspektiven: Zum einen ist die Tatsache entscheidend, welche Inhalte die Arbeit der Live-In tatsächlich umfasst. Auch wenn sie vielfach fälschlicherweise als Pflegekraft bezeichnet wird, erbringt sie in vielen Fällen zu einem großen Teil hauswirtschaftli-
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che Leistungen. Dem entspricht die Zuordnung des Mindestlohns für Hauswirtschaft. Verrichtet die Betreuungskraft auch pflegerische Tätigkeiten, würde der Mindestlohn für Pflegende angesetzt werden können – wohl wissend, dass die Live-In in aller Regel keine Pflegefachkraft darstellt, sondern bestenfalls ein bestimmtes Fachwissen durch Erfahrung einsetzen kann (vgl. Kapitel 5). In Deutschland existiert seit dem 01.01.2015 ein allgemeiner flächendeckender Mindestlohn. Er stellt eine verbindliche Lohnuntergrenze dar, die nicht unterschritten werden dar. Ziel der Einführung dieser Lohnuntergrenze ist es, Arbeitnehmer:innen vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen. Neben dem allgemeinen Mindestlohn existieren etliche Branchenmindestlöhne. Zu diesen Branchen zählt auch die Pflege, wobei dieser Branchenmindestlohn nach Qualifikation und Tätigkeit unterschieden wird. Welcher Mindestlohn zugrunde gelegt wird, hängt von der Zusammensetzung der Tätigkeit ab. Sie ist in der Regel in dem Vertrag mit der Betreuungskraft festgelegt, unabhängig davon, wie die vertragliche Regelung des Arbeitsverhältnisses (entsprechend der oben beschriebenen »Modelle«) gestaltet ist. In Abhängigkeit von der Art der Tätigkeit der Betreuungskraft zahlt der Pflegebedürftige den vereinbarten Preis entsprechend des jeweiligen Mindestlohns. Die Bezahlung erfolgt beim Entsendemodell direkt an das Entsendeunternehmen, das wiederum die Betreuungskraft als angestellte Live-In bezahlt. Den jeweiligen Mindestlohn muss der ausländische Arbeitgeber auch an seine in Deutschland arbeitenden Beschäftigten bezahlen. Faktisch weiß der:die Pflegebedürftige jedoch nicht, was die Betreuungskraft vom entsendenden Arbeitgeber erhält. In der Regel ist der Lohn, der an die Betreuungskraft ausbezahlt wird, deutlich niedriger als die Summe, die der deutsche Haushalt aufbringt. Entscheidend für die Problematik ist, dass die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen in Deutschland davon ausgehen, dass die Betreuungskraft einen entsprechenden Lohn erhält, darüber jedoch keinerlei Nachweis einfordern können. Die einzelnen Agenturen wie auch die im Ausland sitzenden Entsendefirmen bewahren darüber Stillschweigen. In nicht wenigen Fällen berichten die Betreuungskräfte auch davon, dass sie von ihrem Arbeitgeber – der Entsendefirma – angehalten sind, mit den deutschen Familien nicht über ihren Ver-
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dienst zu sprechen. Das Gleiche gilt auch für die Kommunikation mit anderen Betreuungskräften. Die Annahmen in dieser wesentlichen Frage bewegen sich daher im Ungefähren. So schreiben Herweck und Weg (2022, S. 401) sehr allgemein: »Berichtet wird, dass bei Rechnungsbeträgen für den Privathaushalt in Höhe von etwa 2.400 bis 2.900 € die Betreuungskraft als Nettozahlung etwa die Hälfte erhält.« Diese Angaben können durch anonym bleibende Informationen durch Betreuungskräfte an die Verantwortlichen des Projektes TRABAM sowie durch die Angaben verschiedener Interviewpartner:innen – bestätigt werden. Unabhängig von dieser Intransparenz bleibt die Frage nach der Höhe der Bezahlung im Hinblick auf die Einhaltung des Mindestlohns. Gerade mit Blick auf die erneute Anhebung des Mindestlohns zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro pro Stunde, wie sie im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung festgelegt wurde, verschärft sich das Thema der Bezahlung für die Betreuungskräfte. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das Forschungsinstitut der Bundesanstalt für Arbeit, hat eine Stellungnahme zur Erhöhung des Mindestlohns erstellt (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2022). Es spricht dabei von einer »aufzuholenden Lohnlücke« und dem Ausmaß, in welchem die Beschäftigten von der Mindestlohnerhöhung profitieren (S. 6). Aufgrund der Intransparenz der Bezahlung der Betreuungskräfte durch die entsendenden Firmen wird sich nicht nachweisen lassen, inwiefern die Erhöhung des Mindestlohns eine Konsequenz in der Bezahlung der Betreuungskräfte nach sich zieht. Bei der Beschäftigung einer Betreuungskraft kommt der Frage, ob überhaupt ein Mindestlohn bezahlt wird, natürlich ein gravierendes Gewicht zu. Aufgrund der vielfach beschriebenen »grauen« oder gar »schwarzen« Beschäftigungslage lassen sich darüber keine verlässlichen Daten bieten. Wohl können die in den jeweiligen Verträgen benannten Kosten beschrieben und verglichen werden. Allerdings bleibt offen, welcher Betrag im Fall des Entsendemodells an die Betreuungskraft tatsächlich ausbezahlt wird – darauf wurde schon hingewiesen. Außerdem lassen sich die jeweiligen Kosten nur individuell nach Inhalt und Umfang der Beschäftigung wirklich am Kriterium des Mindestlohns messen.
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Für öffentliche Beachtung dieser Frage und zugleich für eine rechtliche Klarstellung hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17.08.2020 gesorgt. Der Klägerin, einer bulgarischen Betreuungskraft, wurde die Nachzahlung des gesetzlichen Mindestlohns zugesprochen. Sie half einer 96-jährigen Pflegebedürftigen ohne feste Arbeitszeiten (»rund um die Uhr«) bei der Körperpflege, beim Ankleiden und Essen und unterstützte sie bei sozialen Aufgaben. Ihr Arbeitsvertrag war mit einer bulgarischen Firma abgeschlossen, vermittelt wurde die Betreuungskraft über eine deutsche Agentur. Für vertragliche 30 Wochenarbeitsstunden erhielt die Bulgarin netto 1.000 Euro. Die Nachzahlung, die das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg der Klägerin zugesprochen hat, beträgt allein für das Jahr 2015 30.000 Euro und ist von der bulgarischen Entsendefirma aufzubringen.20 Die Klägerin wurde von der Gewerkschaft ver.di und dem Deutschen Gewerkschaftsbund in ihrem Prozess unterstützt. Deshalb wurde der Ausgang des Prozesses von dieser Seite aus auch sehr begrüßt. Sylvia Bühler vom ver.diBundesvorstand kommentierte in diesem Zusammenhang erneut die Versorgung durch osteuropäische Betreuungskräfte: »Das System ist so ausgelegt, dass die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutschland in weiten Teilen auf der illegalen Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte basiert […]. Das Modell der sogenannten 24-Stunden-Pflege basiert auf systematischem Gesetzesbruch – das ist schon lange bekannt und nun auch gerichtlich bestätigt.« (ver.di 2020, S. 2) Das Bundesarbeitsgericht hat am 24.06.2021 geurteilt, dass eine Livein-Kraft Anspruch auf den Lohn ihrer vollständigen Arbeitszeit hat.21
20 Weitere Einzelheiten zur Begründung des Urteils des LAG Berlin-Brandenburg vom 17.08.2020 sind ersichtlich unter: https://openjur.de/u/2303053. html (Zugriff am 21.10.2022). 21 BAG, Urteil vom 24. Juni 2021–5 AZR 505/20.
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Mögliche Wege Die Gestaltung der Versorgung durch Betreuungskräfte in der häuslichen Umgebung bedarf einer rechtssicheren Gestaltung – darüber sind sich alle Beteiligten klar. Aufgrund der unterschiedlichen Interessen in der komplexen Struktur des Versorgungsmodells gehen die Vorschläge allerdings in verschiedene Richtungen. Aktuell liegt ein neuer Vorschlag vom Deutschen Verein für Fürsorge mit dem Ziel, »die Versorgung durch osteuropäische Betreuungskräfte [nicht] zurückzudrängen, sondern […] sie zu einem festen Bestandteil, einer weiteren Säule des Pflegesystems zu machen« (Herweck/ Weg 2022, S. 400), vor.22 Dafür sehen Rudolf Herweck und Marianne Weg verschiedene Schritte als erforderlich an: 1. Die Einhaltung der Rechtsvorschriften in dieser Versorgungsform muss von deutschen Behörden überprüft und bei Nicht-Einhaltung sanktioniert werden. 2. Die Doppelung eines entsendenden Unternehmens im europäischen Ausland und die Vermittlung durch eine deutsche Agentur muss zugunsten einer Agentur in Deutschland aufgehoben werden. 3. Hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Regelung muss die Bedeutung von Schutzvorschriften im Vordergrund stehen, wie sie auch für andere Bereiche »in der modernen Arbeitswelt« (Herweck/Weg 2022, S. 402) gilt. Für Arbeits- und Bereitschaftszeit muss der Mindestlohn gezahlt werden. 4. Das gesellschaftliche Bewusstsein muss dahingehend entwickelt werden, die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft als »qualifizierte, anforderungsreiche Erwerbsarbeit« (Herweck/Weg 2022, S. 403) anzuerkennen. 5. Bei der Bewertung der Arbeit durch Betreuungskräfte darf nicht allein die Arbeitszeit im Fokus der Betrachtung stehen. Vielmehr muss der Blick auf die Arbeitsbelastungen der Betreuungskräfte konzentriert werden. 6. Ziel der Betreuung Pflegebedürftiger in der häuslichen Umgebung muss ein »Pflegemix« sein, also die Zusammenführung familiärer Ressourcen, ambulanter Dienste und 22 Auf die juristisch bedeutsame Zuordnung der Arbeit der Live-Ins als »Betreuung in häuslicher Gemeinschaft« wird hier nicht eingegangen. Tatsächlich beinhaltet die Bewertung der Betreuung in diesem Sinne wesentliche juristische Grundannahmen. Vgl. dazu Bucher 2018.
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ehrenamtlicher Unterstützung sowie kommunaler Angebote. Dieser ist in einem Betreuungsplan festzuhalten. 7. Um dieses Versorgungsmodell nicht nur wohlhabenden Pflegebedürftigen zukommen zu lassen, muss den Pflegebedürftigen eine finanzielle Entlastung zukommen. Dafür schlagen Herweck und Weg (2022, S. 404) konkrete Finanzierungswege vor. Neben den konkreten Umsetzungsvorschlägen thematisieren sie auch die grundsätzliche Sichtweise auf diese Versorgungsform. Sie grenzen sich deutlich gegenüber einer Kritik an Familien, die sich für diese Versorgungsform entscheiden, ab: »In der Debatte um eine Zukunftslösung für die Betreuung Pflegebedürftiger in ihrem Zuhause wollen wir die normative Einstellung nicht wiederauferstehen lassen, dass Frauen ihrer unbezahlten Care-Arbeit in der Familie zwingend den Vorrang geben müssen vor einer bezahlten Erwerbsarbeit. Das halten wir gleichstellungspolitisch weder für osteuropäische Frauen – Ehefrauen, Mütter, Töchter und Schwiegertöchter – für akzeptabel, noch für Ehefrauen, Mütter, Töchter und Schwiegertöchter in den Familien in Deutschland.« (Herweck/Weg 2022, S. 404) Es ist zu erwarten, dass auf diesen Vorstoß juristische wie sozialethische Repliken erfolgen.
Literatur Bucher, B. (2018): Rechtliche Ausgestaltung der 24-h-Betreuung durch ausländische Pflegekräfte in deutschen Privathaushalten. Eine kritische Analyse. Baden-Baden. Emunds, B. (2016): Damit es Oma gut geht. Pflege-Ausbeutung in den eigenen vier Wänden. Frankfurt a. M. Habel, S. (2021): Reduktion der Arbeitszeit in der Live-In-Pflege – Ein Projektbericht. In: Oswald von Nell-Breuning Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen (Hg.): NBI-Jahresbericht 2021 –Themen eines Jahres 2021 (S. 15–17). Frankfurt a. M. Habel, S./Tschenker, T. (2022): Reduktion der Arbeitszeit in der Live-In-Pflege. Eine interdisziplinäre Untersuchung von Maßnahmen der Vermittlungsagenturen, Study 471. Düsseldorf.
Ausbleibende Regelung
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Kapitel 8 Zukünftige Wege für die Versorgung mit Betreuungskräften in der privaten Häuslichkeit
Die Herausforderungen und die Handlungsbedarfe hinsichtlich der pflegewissenschaftlichen, der rechtlichen und der sozialpolitischen Akteure sind beschrieben worden. Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren in vielen Kontexten, in der Zusammensetzung interprofessioneller Gruppen und vor allem bei verschiedenen Trägern Linien gedacht worden, um eine zukünftige rechtssichere Möglichkeit zu erreichen. Was also tun in dieser schwierigen Lage? Wer nach einer Betreuung für alte Pflegebedürftige Ausschau hält, fühlt sich angesichts der in Deutschland existierenden Vielfalt von Versorgung in der Altenhilfe schnell überfordert. Der Besuch einer stationären Pflegeeinrichtung, der eventuell einmal erfolgt ist, mag positiv oder negativ empfunden werden – die Frage nach einer Entscheidung, ob eine »Heimunterbringung« angesagt ist, bekommt immer eine fast angsterregende Dimension, wenn eigene Angehörige betroffen sind. Schließlich bedeutet der Umzug in eine Pflegeeinrichtung das Aufgeben der eigenen Häuslichkeit und das Einziehen in ein System, in dem – trotz vieler guter Ansätze – nur bedingt ein individuelles Leben möglich ist. Abgesehen davon, dass es nicht unbedingt leicht ist, die entsprechende Heimunterbringung in der gebotenen Zeit zu organisieren, bedeutet der Umzug einen tiefen Einschnitt in das persönliche und familiäre Leben. Von daher ist es naheliegend, erst einmal den »umgekehrten« Weg zu denken. Statt auszuziehen, um Hilfe im Alter zu bekommen, soll jemand in die eigene Wohnung oder das eigene Haus einziehen, um entsprechend zu helfen. Die Versorgungsform mit osteuropäischen Betreuungskräften hat in Deutschland mittlerweile einen so hohen Bekanntheitsgrad, dass sie wie selbstverständlich als Option für Unterstützung angesehen wird. Sowohl bei der Information durch eine Vermittlungsagentur wie auch in den nahezu überall erreichbaren Berichten von Erfahrungen mit eigenen Angehörigen setzt
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sich der Eindruck durch, dass diese Unterstützung ganz »normal« und im Grunde naheliegend ist. Die Vorstellung der Tatsache, dass ein fremder Mensch in das vertraute Heim einzieht und dort fast wie ein Familienmitglied lebt, wird oftmals gar nicht ganz erfasst. Aus dem bisher Ausgeführten wird ersichtlich, dass die Verantwortung für die vielfach ungeklärten Rahmenbedingungen dieser Versorgungsform nicht nur bei den einzelnen individuellen Akteur:innen liegt. Die bisherigen Kapitel zeigen auf, dass in verschiedener Perspektive Handlungsbedarf existiert, um aus der Versorgungsform mit Betreuungskräften wirklich die »dritte Säule« der Altenhilfe neben stationärer und ambulanter Altenpflege zu machen.
Die Verantwortung liegt nicht allein bei den Betroffenen Seit Jahren und immer weiter zunehmend wird die Situation der Pflege innerhalb Deutschlands von sehr verschiedenen Seiten kritisch gesehen. Insbesondere die Altenpflege steht dabei im Fokus der Aufmerksamkeit. Keineswegs betrifft dies nur die individuelle Wahrnehmung von Privatpersonen oder einzelnen Gruppen, die sich aus persönlichen Gründen oder gesellschaftlichem Interesse mit der Versorgung alter Menschen befassen. Auch von wissenschaftlicher Seite aus sind die Grenzen des (staatlichen) Handelns benannt (Schroeder 2022). Es wird deutlich, dass die Rahmenbedingungen für bezahlte und unbezahlte »Sorge-Arbeitende« (vgl. Kapitel 9) nicht nur kritisch gesehen werden, sondern dass aus politischen, zivilgesellschaftlichen, kirchlichen und berufspolitischen Gruppierungen heraus versucht wird, das Gesamtsystem »Gesundheit und Sorge« zu reformieren. Verschiedene Ansätze können in diesem Zusammenhang benannt werden. Aus dem überwiegend politisch motivierten Kontext ist das Netzwerk Care Revolution anzuführen. Dieses Netzwerk wurde bereits 2014 gegründet, um die Arbeitsbedingungen für die Care-Beschäftigten (Pflegende, Erzieher:innen und andere Sorge-Berufe) ins öffentliche Bewusstsein zu heben (Netzwerk Care Revolution o. J). Ziel dieser Bewegung ist es, die politischen Verhältnisse dahin gehend zu
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beeinflussen, dass die Sorge-Arbeit innerhalb der Gesellschaft aufgewertet und mit dem ihr zustehenden Stellenwert versehen wird. Bei dem Netzwerk Care Revolution sind mehr als achtzig Gruppen und Personen innerhalb Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zusammengeschlossen, die neue Modelle der Care-Arbeit entwickeln und gesellschaftlich umsetzen wollen. Dabei geht es nicht um den Ersatz für einen gewerkschaftlichen Zusammenschluss der SorgeBerufe. Vielmehr ist das Anliegen, die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Profitmaximierung durch neue Modelle von SorgeBeziehungen und eine Care-Ökonomie in den Fokus zu stellen. Die Grundanliegen hat Gabriele Winker (2015) in ihrer Veröffentlichung »Care Revolution« dargestellt. In eine ähnliche Richtung geht die Aktion des seit 2013 bestehenden Zusammenschlusses Care.Macht.Mehr (Care.Macht.Mehr o. J). 2020 veröffentlichte die Gruppe ein Positionspapier im Anschluss an die Erfahrungen mit den Care-Berufen in der Coronakrise. Unter dem Titel »Großputz! Care nach Corona neu gestalten. Ein Positionspapier zur Care Krise aus Deutschland, Österreich, Schweiz« wird im Rahmen der kritischen Betrachtung der Pflegesituation auch Stellung zur Versorgung mit Betreuungskräften genommen: »Die Krise in Care-Bereichen, die durch die Corona-Pandemie nun noch viel deutlicher zu sehen und zu spüren ist, zeigt sich am ohnehin schon bestehenden Mangel an Pflegefachpersonen ebenso wie an der Not von 24-Stunden-Betreuerinnen aus osteuropäischen Ländern.« (Care.Macht.Mehr 2020, S. 1) In dem Positionspapier werden mehrere Arbeitspakete vorgeschlagen, die erforderlich sind, um den »Großputz« durchzuführen. Vorrangig geht es dabei um Arbeitsbedingungen für die Care-Berufe und um eine angemessene Bewertung deren gesellschaftlichen Beitrags: »Der kommende Großputz wird nur zu bewerkstelligen sein, wenn alle – gerade auch die unterschiedlichen Interessensgruppen – zusammenwirken. Wir als Initiativkreis von Forscher*innen können sozial- und gesundheitswissenschaftliche Expertise liefern. Aber es braucht zusätzlich Fachwissen aus der Praxis, von Nut-
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zer*innen und Beteiligten aus allen Care-Bereichen: Pflege, Betreuung, Versorgung, Erziehung, Beratung, Sozialer Arbeit. Unverzichtbar sind dabei die Wohlfahrtsverbände, Verwaltungen, Gewerkschaften und Initiativen, die sich mit einzelnen oder übergreifenden Care-Themen befassen.« (Thiessen et al. 2020, S. 7) Die allgemein kritische Einschätzung der gesellschaftlichen Situation zu den Care-Berufen und insbesondere zur Pflege stellt den Rahmen dar, in dem speziell auch die Kritik an dem Modell mit Betreuungskräften eingezeichnet wird. Was konkret die Versorgung alter Pflegebedürftiger in der eigenen Häuslichkeit anbelangt, wird diese Situation – wie hinlänglich beschrieben – allgemein in Fachkreisen kritisch gesehen. Die jeweilige Einschätzung und Bewertung hängt natürlich in hohem Maße von der Interessenslage ab. Der Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege e. V. (vhbp), in dem zahlreiche Vermittlungsagenturen zusammengeschlossen sind, spricht in Bezug auf diese Versorgungsform – wie so viele – von der »dritten Säule der Versorgung alter und kranker Menschen«. Seine an anderer Stelle schon benannten Aktivitäten sehen auch politische Veränderungen vor. Zwangsläufig stehen dabei jedoch die Geschäftsinteressen – die Vermittlung osteuropäischer Betreuungskräfte in deutsche Privathaushalte – im Vordergrund. Dem gegenüber sehen andere Organisationen einen grundsätzlichen Veränderungsbedarf. Nicht einzelne politische Veränderungen in der pragmatischen Durchführung der Vermittlung, sondern ein anderer Ansatz ist aus Sicht dieser Organisationen und Akteur:innen gefragt. Dass Menschen zu dieser Form der Versorgung greifen, dass sich in Deutschland Pflegebedürftige auf sie einlassen und sich in Osteuropa Frauen für diese Arbeitsform zur Verfügung stellen, ist ein Ergebnis unzulänglicher Organisation und Finanzierung von häuslicher Pflege im Alter durch die Systeme unserer sozialen Sicherung. Letzten Endes verursacht die Diskrepanz zwischen den Aufgaben unseres Sozialstaates und den Möglichkeiten zu selbstbestimmter und ausreichend finanzierter Unterbringung bei Pflegebedürftigkeit im Alter eine ethisch brisante Situation. Für die einzelne Familie wird die Versorgung eines pflegebedürftigen Mitglieds im eigenen Zuhause zur schier nicht zu bewältigenden Aufgabe, für die eine
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Betreuungskraft als (bezahlbare) Lösung erscheint. Diese »Lösung« wiederum schafft neue unlösbare Aufgaben, nämlich die einer legalen und finanzierbaren Anstellung von Frauen zur Unterstützung in der häuslichen Umgebung. Die Zurückhaltung politisch Verantwortlicher lässt sich bis zu einem gewissen Grad mit der Komplexität des Problemfeldes erklären. Für viele – darauf wurde hier schon hingewiesen – stellt die Versorgungsform eine für alle Beteiligten gute Lösung dar. Dennoch kann eine pragmatisch eingeübte Verfahrensweise bei einer Vielzahl von nicht zuletzt ethischen Fragestellungen nicht als »gut« bezeichnet werden. Die wieder und wieder gebrauchte Formulierung, hier handle es sich um eine »Win-win-Situation« für alle Beteiligten, trifft nicht zu. Auf den ersten Blick ist es eine »günstige« Finanzierung häuslicher Versorgung für die Familien in Deutschland sowie eine auskömmliche Beschäftigung für Frauen aus Osteuropa. Vor allem aber ist die unklare Beschäftigungslage – eben der Graue Pflegemarkt – eine »Win-Situation« für den Sozialstaat. Den großen Teil der Versorgung finanzieren die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen selbst. Dazu zählen neben der Bezahlung der Betreuungskräfte das ZurVerfügung-Stellen eines Zimmers oder Appartements ebenso wie die Mitfinanzierung der Verpflegung und der Nebenkosten. Gleichzeitig werden – da sie in dieser Versorgungsform nicht vorgesehen sind – die Leistungen aufseiten des Staates, die für die Sicherung im Alter aufzubringen sind, eingespart. So lässt sich bei der Frage nach den verantwortlichen Akteur:innen sehr direkt auf die staatliche Verantwortung hinweisen.
Ansätze zu Wegen aus der schwierigen Situation Im Folgenden werden die Ansätze vorgestellt, die zu neuen Wegen in der Versorgung mit Betreuungskräften gedacht werden. Im Januar 2022 hat die Diakonie Deutschland (Bundesverband der Diakonie) einen »Workshop Live-in Care« durchgeführt. Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen haben dabei unterschiedliche Perspektiven auf dieses Phänomen vorgestellt und mit Teilnehmer:innen diskutiert. Als Folge dieses Workshops wurde das »Positions-
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papier der Diakonie Deutschland zur sogennanten ›24-StundenBetreuung‹« (Live-in Care) formuliert und im Juli 2022 vorgestellt (Diakonie Deutschland 2022). Nach der grundsätzlichen Feststellung von Rahmenbedingungen dieser Situation (unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung in Deutschland, Pflegestatistik) beschreibt Diakonie Deutschland »Politische Handlungsnotwendigkeiten«. Als Ausgangspunkt stellt sie dabei mit kritischer Haltung gegenüber den politisch Verantwortlichen fest: »Pflege und Betreuung durch Live-ins, die als Pendelmigrant:innen aus Ländern, zu denen ein erhebliches Wohlstandsgefälle besteht, nach Deutschland kommen, sind ein komplexes soziales Phänomen, das in der Politik bislang nicht ausreichend thematisiert und bearbeitet wurde. Während die Politik ›wegschaute‹, hat Live-in Care für die Versorgung betreuungs- und pflegebedürftiger Menschen in Deutschland eine immer größere Bedeutung erlangt und wird gesellschaftlich mittlerweile als ein selbstverständliches Betreuungs- und Pflegesetting wahrgenommen. […] Die Politik muss sich dieser Tatsache stellen und ihre Verantwortung für die Gestaltung der Versorgung betreuungs- und pflegebedürftiger Menschen und für faire Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in Deutschland wahrnehmen.« (Diakonie Deutschland 2022, S. 4 f.). In einem ersten Abschnitt werden die Rahmenbedingungen für die »Versorgung von betreuungs- und pflegebedürftigen Menschen in ihrer Häuslichkeit« benannt. Diakonie Deutschland definiert dabei klar den Bezugsrahmen: »Das Ziel einer Neugestaltung der Versorgung muss darin liegen, den Wünschen betreuungs- und pflegebedürftiger Menschen im Rahmen der gesetzlichen Regelungen in Bezug auf Art und Form möglichst gerecht zu werden.« Dabei werden sowohl pflegefachliche Grenzen (Selbst und/oder Fremdgefährdung) wie auch die Finanzierung durch die sozialen Sicherungssysteme angesprochen. Diakonie Deutschland plädiert für eine »bedarfsgerechte Versorgung des Pflegebedürftigen in der eigenen Häuslichkeit« und verweist auf Erfahrungen von FairCare, dass häufig mehr Betreuungszeit eingefordert wird als tatsächlich erforderlich
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ist. Mit Darstellung der arbeitsrechtlich gesetzten Grenzen der täglichen Arbeitszeit sowie der vorgeschriebenen Ruhezeit stellt Diakonie Deutschland klar, »dass eine häusliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine Person nicht umsetzbar ist« (Diakonie Deutschland 2022, S. 7). Weiter folgert sie: »Im Ergebnis bedeutet das, dass eine möglichst umfassende Rundum-die-Uhr-Betreuung im Rahmen des aktuellen Versorgungssystems nur durch ein Pflegearrangement aus Live-in-Betreuung, Angehörigenpflege und professioneller Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst oder eine Tagespflegeeinrichtung legal möglich sein wird.« (Diakonie Deutschland 2022, S. 7) In der starken Nachfrage nach Live-Ins sieht Diakonie Deutschland »deutliche Indikatoren dafür, dass die Pflegeversicherung, die Hilfe zur Pflege und kommunale Altenhilfe reformiert werden müssen.« Ihre Analyse fällt eindeutig aus: »Die Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Bedürfnissen pflegebedürftiger Menschen und den Angeboten der Sozialleistungsträger zeigt, dass das bestehende Angebot ambulanter, teilstationärer und vollstationärer Leistungen den Bedürfnissen dieser Menschen nicht entspricht.« (Diakonie Deutschland 2022, S. 8) Diakonie Deutschland fordert die Reform der Pflegeversicherung, die »auf Konzepte flexibler Pflegesettings« ausgerichtet sein müsste. Dazu gehöre auch eine Vernetzung im Sozialraum unter Einbeziehung der Live-in-Kräfte. Konkret schlägt die Diakonie ein »komplexes Paket von legislativen und anderen Maßnahmen« vor. Dazu zählt im Rahmen einer grundlegenden Pflegereform der Ausbau der Pflegeversicherung zu einer »Vollversicherung«, die dem Bedarfsdeckungsgrundsatz unterliegt, dabei aber einen politisch zu bestimmenden fixen Eigenanteil, der im Fall der Bedürftigkeit von der Sozialhilfe zu tragen ist, enthält (Diakonie Deutschland 2022, S. 9).23 23 Hier wird zum besseren Verständnis auf das Positionspapier der Diakonie Deutschland »Grundlegende Pflegereform« verwiesen. Diakonie Deutsch-
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Zur konkreten Situation der Unterstützung durch Live-Ins schlägt die Diakonie Deutschland Informationskampagnen vor, und zwar sowohl für Bürger:innen als auch für Live-Ins. Hinsichtlich der Information für Bürger:innen, also (zukünftigen) Nutzer:innen dieser Versorgungsform, sieht die Diakonie Deutschland die Notwendigkeit der Aufklärung, dass die »24-Stunden-Betreuung« für weniger als 3000 € monatlich nicht realisierbar sei. Hier gehe es darum, den Menschen verlässliche und sachliche Informationen über Rechtsgrundlagen und Risiken zu geben (Diakonie Deutschland 2022). Den Betreuungskräften wiederum seien Informationen über die Vertragsgestaltung für ihre Arbeit in Deutschland in ihrer Muttersprache zu geben. Ebenso sind sowohl den betroffenen Familien als auch den Live-Ins Beratungsangebote zu unterbreiten, die im Rahmen einer unabhängigen Beratungsstruktur erfolgen. Beratungen durch Vermittlungsagenturen sind dem gegenüber von Eigeninteresse geprägt. Insgesamt verweist die Diakonie Deutschland auf ihr Konzept für eine grundlegende Pflegereform. An dieser Stelle kann lediglich auf die öffentlich zugängliche Darstellung hingewiesen werden (Diakonie Deutschland 2019). Ebenfalls zu einem Vorschlag zur Ermöglichung der häuslichen Versorgung durch einen »Leistungsmix« gelangen die Autor:innen des »Policy Papers: Doppelte Personenzentrierung – Leitidee für den Leistungsmix in der häuslichen Versorgung« (Hagedorn/Hänselmann/ Emunds/Heimbach-Steins 2022). Dieses Arbeitspapier ist im Rahmen eines Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema »Zukunftsfähige Altenpflege. Sozialethische Reflexionen zu Bedeutung und Organisation personenbezogener Dienstleistungen« des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster und des Oswald von Nell-Breuning-Instituts der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main entstanden. Der Schwerpunkt des Projektes und der auf seinen Ergebnissen entwickelten Empfehlungen liegt dabei in der häuslichen Versorgung. Gerade weil der Staat auch die Verantwortung für die Menschen, die land: https://www.diakonie.de/diakonie-texte/062019-konzept-fuer-einegrundlegende-pflegereform/ (Zugriff am 21.10.2022).
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von häuslicher Betreuung betroffen sind, übernehmen muss, darf die häusliche Pflege nicht »als reine Privatsache« verstanden werden (Hagedorn/Hänselmann/Emunds/Heimbach-Steins 2022, S. 1). Das Forschungsteam argumentiert: »In privaten Haushalten können sowohl das Wohl der Pflegebedürftigen als auch das Wohl der Pflegepersonen erheblichen Gefährdungen ausgesetzt sein. Hinsichtlich dieser Gefährdungslagen ist der Staat verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, Grundrechtsbeeinträchtigungen von beiden Personengruppen vorzubeugen bzw. diesen entgegenzuwirken.« (Hagedorn/Hänselmann/ Emunds/Heimbach-Steins 2022, S. 1) In diesem Sinne zielen die Vorschläge auf eine »doppelte Personenzentrierung«, wie der Titel des Policy Papers es benennt, ab. Die Forschergruppe sieht für die Zukunft ein »Zwei-Säulen-Modell« innerhalb der Pflegeversicherung für erforderlich. Die Pflegeversicherung muss demnach so weiterentwickelt werden, dass »den Leistungen für die Pflegebedürftigen […] eine eigenständige finanzielle Absicherung der pflegenden An- bzw. Zugehörigen zur Seite gestellt wird« (Hagedorn/Hänselmann/Emunds/Heimbach-Steins 2022, S. 5). Dieses Pflegendengeld stellt – natürlich – nicht in erster Linie eine Antwort auf die Versorgung durch häusliche Betreuungskräfte dar. Es bietet aber die Voraussetzung, um als pflegende:r An- und Zugehörige:r unter besseren Rahmenbedingungen die Tätigkeit als »pflegende:r Angehörige:r« durchzuführen. Gleichzeitig sieht die Forschendengruppe auch die Notwendigkeit weiterführender »unterstützender Care- und Pflegestrukturen«. Dazu zählen teilstationäre Leistungen und Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege, ergänzt durch »ambulante Pflegedienstleistungen, Hilfs- und Betreuungsdienste« sowie »haushaltsnahe, hauswirtschaftliche Dienstleistungen« (Hagedorn/Hänselmann/Emunds/Heimbach-Steins 2022, S. 8). Im Ergebnis kommt die Forschendengruppe zu dem Vorschlag einer bedarfsgerechten Versorgung durch Kooperationen und einer veränderten Finanzierung. Entscheidend für die individuelle Ausgestaltung der Versorgung ist ein Case-Management sowie eine Be-
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gutachtungen der häuslichen Versorgung durch den Medizinischen Dienst. Diese Aufgabe soll nach der Vorstellung der Verfasser:innen von »Pflegestützpunkten plus« übernommen werden. Diese Pflegestützpunkte plus bilden sich aus den bestehenden Einrichtungen der Pflegestützpunkte und unabhängigen Beratungsangeboten, beispielsweise der Pflegekassen. Sie »verknüpfen die Beratung von Beteiligten häuslicher Pflegekontexte und die Koordination notweniger Leistungen im Einzelfall (Case-Management in wohnortnahen Pflegestützpunkten plus)« (Hagedorn/Hänselmann/Emunds/Heimbach-Steins 2022, S. 9). Nach der Vorstellung der Forschenden sind die Pflegestützpunkte plus in der Trägerschaft der Kommunen, da auf diese Weise der »staatlichen Schutzverantwortung für Pflegebedürftige und der subsidiären Verantwortung des Staates für Pflegepersonen« entsprochen wird. Finanziert werden soll diese pflegerische Infrastruktur durch Landesmittel (Hagedorn/Hänselmann/ Emunds/Heimbach-Steins 2022, S. 10). Verena Rossow und Simone Leiber übernehmen in die Überschrift ihres Beitrags im Publikationsorgan des Deutschen Instituts für Interdisziplinäre Sozialpolitik die wörtliche Formulierung des Titels des Koalitionsvertrages der »Ampel-Koalition aus SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP vom 24.11.2021: ›Mehr Fortschritt wagen‹« (Rossow/Leiber 2022). Sie greifen damit die Zusage der Bundesregierung auf, die im Rahmen der Vorhaben im Bereich Gesundheit und Pflege auch die Schaffung einer Rechtssicherheit für diese Versorgungsform in Aussicht stellt. Eingangs halten die Autorinnen fest, was ein Kernproblem in der derzeitigen Situation darstellt: »Das deutsche Pflegeversicherungssystem hält keine passenden und finanzierbaren Angebote für diese Familien [die sich um eine Betreuungskraft bemühen] bereit« (Rossow/Leiber 2022, S. 1). Rossow und Leiber machen erneut die rechtliche Bewertung dieser Betreuungsform zum Thema: »Die entsprechenden Arbeitsverhältnisse werden derzeit im Rahmen verschiedener rechtlicher Varianten angeboten, welche mehr oder weniger anfällig für Rechtsverstöße sind (wobei Kontrollen im Privathaushalt weiterhin die absolute Ausnahme darstellen)« (Rossow/Leiber 2022, S. 2). Sie gehen davon aus, dass für die ausstehende juristische Regulierung grundsätzlich zwei Modelle zur Verfügung stehen. Zum einen kommt für
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sie das »Modell Österreich« in Betracht, zum anderen sehen sie ein eigenständiges Arbeitnehmermodell als Möglichkeit. Die Rechtslage in Österreich sieht seit 2006/2007 vor, dass durch das Hausbetreuungsgesetz (HBeG) eine legale Beschäftigung ermöglicht wird. Dabei können die Betreuungskräfte (in Österreich: Personenbetreuer:innen) sowohl angestellt als auch selbständig arbeiten. Darüber hinaus existiert seit 2019 die Zertifizierung ÖQZ24 zur Sicherung der Qualität der Vermittlung. In Österreich – so Rossow und Leiber – dominiere die Arbeitsform der Selbständigkeit, die allerdings aufgrund der möglichen Scheinselbständigkeit »durchaus umstritten« ist: »Das Kernproblem jeglicher Live-in-Arrangements – überlange Arbeitszeiten – wird auch im österreichischen Modell nicht aufgelöst. Mit Hilfe staatlicher Förderungen werden überlange Arbeitsund Bereitschaftszeiten im Rahmen einer selbständigen Dienstleistungstätigkeit regulär institutionalisiert – mit entsprechenden Risiken für die Überforderung von Betreuungspersonen und damit auch die Versorgungsqualität.« (Rossow/Leiber 2022, S. 3) Für eine denkbare Lösung in Deutschland nehmen Rossow und Leiber die Modelle der Caritas (CariFair) und der Diakonie (vij-FairCare) auf, die sich dadurch auszeichnen, dass die Betreuungskraft als Arbeitnehmer:in direkt im betreffenden Haushalt angestellt ist: »Ein Haushalt mit Betreuungsbedarfen würde hier als Arbeitgeber fungieren und immer zwei Betreuungskräfte gleichzeitig beschäftigen, die sich in einem Tandem-Modell wochen- oder monatsweise abwechseln« (Rossow/Leiber 2022, S. 3). Beide werden sowohl während des Einsatzes in Deutschland wie auch während des Aufenthalts im Herkunftsland weiter bezahlt und nach deutschem Recht sozialversichert. Zum Modell gehören weiterhin die Aufklärung und Beratung der Kund:innen und der Betreuungskräfte. Angehörige und ein ambulanter Pflegedienst werden zusätzlich miteinbezogen, sodass ein »gemischtes Pflegesetting« (Rossow/Leiber 2022, S. 3) entsteht. Durch Kontrollen könnte die Arbeitszeit überprüft werden, wobei die Verfasserinnen offenlassen, wer diese Kontrollen durchführt und wer eventuelle Sanktionen vollzieht.
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Dass die von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden bislang durchgeführten Modelle nur aufgrund der Nicht-Profit-Orientierung ihrer Anbieter funktionieren, wird benannt – ebenso wie der hohe Bürokratieaufwand für Familien, die als Arbeitgeber auftreten. Die Verfasserinnen fordern den Gesetzgeber zu einem »bürokratisch vereinfachten Melde- und Verwaltungsverfahren« auf. Die mit Sicherheit deutlich höheren Kosten für ein derartiges eigenständiges Arbeitnehmermodell sollten nach Rossow und Leiber durch eine »sozialrechtliche Förderung von Live-in-Arrangements« übernommen werden. Gleichzeitig sollten »Entlastungsangebote zur Verfügung gestellt« werden: »Maßnahmen wie Gutscheinmodelle für Haushaltshilfen sowie der Ausbau von ambulanten Sachleistungen der Pflegeversicherung« (Rossow/Leiber 2022, S. 3). Hinsichtlich der nicht unkomplizierten Funktion eines Arbeitgebers oder einer Arbeitgeberin favorisieren die Autorinnen ein vereinfachtes Anmeldeverfahren ähnlich dem Haushaltscheck bei Minijobs. Zusammenfassend formulieren Rossow und Leiber vier Handlungsempfehlungen: neues Denken der Live-Ins als Angestelltenverhältnis, Klärung deren Tätigkeitsprofils und damit verbundener Qualifikationsanforderungen, Abbau bürokratischer Hürden für die Festanstellung im Privathaushalt sowie die Erweiterung der Minijobzentrale auf weitere Dienstleistungen privater Haushalte. Als »flankierende Maßnahmen« nennen sie verpflichtende Qualitätsstandards für Agenturen, die Stärkung der kommunalen Pflege(beratungs)infrastruktur, staatliche Förderung »guter« Live-InCare-Arbeit sowie generell die Stärkung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und die Interessenvertretung der Migrant:innen (Rossow/ Leiber 2022, S. 4). Der Vorschlag dieses neuen »Entwicklungspfades« zeigt den Versuch, die Versorgungsform durch Betreuungskräfte beizubehalten und in ihrer Qualität zu stärken, was letzten Endes zugunsten der Pflege- und Unterstützungsbedürftigen sowie deren Angehörigen geht. Inwiefern die Etablierung des Arbeitgeber-Daseins für Familien funktioniert, die üblicherweise nicht mit den Gesetzesvorgaben und Finanzierungsaufgaben einer Arbeitgeber-Position vertraut sind, müsste (durch Pilotprojekte) untersucht und bewertet werden. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass Angehörige, die sich mit einer
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Pflegesituation arrangieren müssen, nur begrenzte Ressourcen für die Aufgabe des:der Arbeitgeber:in zur Verfügung stellen können. Insgesamt bleibt bei diesem Vorschlag die Finanzierung (»staatliche Förderung« im Verbund mit privater Eigenleistung) vollkommen offen. Ansprechend sind die benannten langfristigen Prozesse »Stärkung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und die Interessenvertretung der Migrant:innen«, auch wenn die Verfasserinnen im Unklaren lassen, wer jeweils das Subjekt dieser Entwicklung sein sollte und könnte.
Schlussbetrachtung Die vorgestellten Neuansätze in der Organisation der häuslichen Versorgung stimmen – obgleich sie unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen entstanden sind – darin überein, dass sie die Struktur der Betreuung durch Live-Ins aufbrechen. Damit wird die Veränderung an die »Wurzel« des Versorgungsmodells gelegt, die in der Vorstellung einer Rundum-Betreuung durch eine Person begründet ist. Insbesondere die Vorschläge des Leistungsmix der Diakonie Deutschland wie der Forschungsgruppe der Universität Münster und der Hochschule Sankt Georgen machen deutlich, dass für die häusliche Versorgung differenzierte Angebote zu denken sind. Dabei ist eindrucksvoll, dass zum einen jeweils alle Beteiligten am häuslichen Pflegeprozess gesehen werden. Das ist insofern neu, weil der Blick auf die Pflegebedürftigen oftmals hinter der kritischen Sicht auf die Strukturen des Versorgungsmodells durch Live-Ins aus Osteuropa verschwunden ist. Zum anderen besticht an den vorgelegten Lösungsideen, dass die »einfache« Vorstellung der Rundum-Versorgung von der Betrachtung individualisierter Pflegeerfordernisse abgelöst wird. Nicht das »All inklusive«-Denken von Angehörigen und sorgenden Personen steht im Vordergrund, sondern die auf die jeweilige Situation der Pflegebedürftigen abgestimmten Erfordernisse bestimmen die Leistungen und deren Organisation. Natürlich erfordert eine solche individuelle Wahrnehmung der Pflegebedürftigkeit und der entsprechenden Organisation eine kompetente Beratung und unabhängige Information für die sorgenden An- und Zugehörigen. Auch an die-
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sem Punkt liegen die Vorstellungen von Diakonie Deutschland und der Forschendengruppe Münster-Sankt Georgen nahe beieinander.
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Kapitel 9 Die Übernahme von Verantwortung für die Gestaltung der Versorgung bei Pflegebedürftigen im Alter Eine zusammenfassende Einschätzung der Versorgung durch osteuropäische Betreuungskräfte in der privaten häuslichen Umgebung kommt ohne einen Gesamtblick auf die Situation der Sorge für alte Menschen in unserem Land nicht aus. Die Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen – in welcher Form auch immer – ist in die Bestrebungen einzelner Menschen wie der gesamten Gesellschaft, Sorge für andere zu übernehmen, eingebunden.
Sorge: Grundpfeiler unserer Existenz Das Sorgen für uns und für andere ist ein Wesensmerkmal menschlicher Existenz. Sie umfasst die Alltagssorge für jede:n Einzelne:n und gleichzeitig mit graduellen Unterschieden auch die Sorge für andere. Menschen kümmern sich um sich und andere, damit das Leben vollzogen werden kann, und das möglichst in der Form, dass es als individuell »gelungen« bezeichnet werden kann. Menschen entwickeln von sich bewusst oder unbewusst eine Vorstellung, wer sie sind und wie sie leben. Dadurch bestimmen sie ihre persönlichen Vorstellungen ihrer Identität und ihres Lebensstils. Das Gesamtkunstwerk Leben soll dabei natürlich »gelingen«. »Die Rede vom gelingenden Leben hat in ganz verschiedenen Lebensbereichen Bedeutung gewonnen. Im Zusammenhang des Nachdenkens über psychosoziale Identität vor allem wird nicht nur nach Gelingen gefragt, vielmehr wird häufig das gesamte menschliche Leben als gelingender Lebensentwurf oder gelingende Identität betrachtet.« (Schneider-Flume 2002, S. 14) Das Gelingen des Lebens – wie auch immer es im einzelnen Fall vorgestellt und verfolgt wird – ist auf jeden Fall auch ein Bild, das in der
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Sorge für Menschen zielführend ist. In besonderer Weise beinhaltet die Sorge für das Leben die Sorge für andere Menschen, vor allem für solche, die sich selbst nicht allein versorgen können.24 Dazu zählen im biografischen Lebenslauf Säuglinge und Kinder, alte und sterbende Menschen sowie in bestimmten Phasen des Lebens Kranke, Ratlose und weitere Gruppen, die Unterstützung brauchen. Dazu zählt auch die Sorge für randständige Gruppen der Gesellschaft. Die Sorge für andere, die aufgrund ihres Lebensalters der Sorge bedürfen, stellt gewissermaßen eine Dauersituation dar: Kinder und Alte brauchen kontinuierlich Sorge durch andere. Dabei soll sich die Sorge – aus der Sicht derer, die sich sorgen und die die Sorgeleistungen empfangen – möglichst unter den Bedingungen vollziehen, die für den:die Einzelne:n ideal sind. In unserem Kontext steht die Sorge um alte und pflegebedürftige Menschen im Fokus. Durch die kontinuierliche Zunahme der Lebenserwartung und die damit verbundene Lebenszeit, die dem Alter zugerechnet wird,25 nimmt die Sorge für alte und pflegebedürftige Menschen zu. Wenn von dieser Kohorte innerhalb der Lebensalter gesprochen wird, entstehen Bilder, manchmal auch Stereotypen, die möglicherweise oder auch gar nicht zutreffen. Im Allgemeinen werden mit »alten und pflegebedürftigen Menschen« solche Personen verbunden, die dauerhaft körperliche und geistige, vielleicht auch psychische Einschränkungen aufweisen, einen überschaubaren Lebensradius haben und überwiegend mit wenigen sozialen Kontakten auskommen. Manche sind auch als einsam zu bezeichnen. Auch wenn durchaus positive Kennzeichen des Alters vermerkt werden können: Weisheit, Gelassenheit, Freiheit von beruflichen Aufgaben etc., so wird Alter in der Kombination mit Pflegebedürftigkeit innerhalb der Gesellschaft als ein defizitärer Lebensabschnitt eingeschätzt. Gleichzeitig verändern sich seit Jahrzehnten die Lebensverhältnisse einzelner Menschen und ihrer Familien durch eine hohe Individualisierung der Lebensgeschichten. Unterschiedliche Berufsbio24 Einen neuen interessanten Ansatz bietet Keller (2022), die innerhalb der Sorge den Selbstsorge-Prozess akzentuiert. Das ist insofern besonders, weil sie dies gerade bei Menschen mit Demenz aufzeigt. 25 Zum Ganzen vgl. Lang 2012.
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grafien, sich wandelnde Lebensstile und Schwerpunktsetzungen im eigenen Lebensvollzug, grundlegende Veränderungen in der Vorstellung dessen, was Familie ist, und nicht zuletzt häufige Wechsel des Wohnortes markieren die Vielfalt – aktuell gern als Diversität bezeichnet – des menschlichen Zusammenlebens. Diese Diversität sowohl in der Haltung der Einzelnen wie auch in der pragmatischen Gestaltung des Alltags stellt die Sorge für alte Menschen, die traditionell seit Langem in der Familie angesiedelt ist, vor neue Herausforderungen. War es für frühere Generationen vielfach klar vorgegeben, sich um Eltern oder Schwiegereltern zu »kümmern«, so sind die Vorstellungen davon, wie eine Übernahme der Sorge innerhalb der Generationen aussehen kann, aktuell deutlich unterschiedlicher. Von dieser Unterschiedlichkeit sind sowohl die Bilder von Sorge bei denen betroffen, die die Sorge »empfangen«, als auch bei den Sorgenden selbst. Trotz dieser großen Diversität moderner Familien (und trotz der Einführung der Pflegeversicherung) ist »die Versorgung von Pflegebedürftigen in Deutschland […] immer noch primär eine Privatsache der Familien« (Hielscher/Kirchen-Peters/Nock 2017, S. 98). Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Zeitaufwand und zu den Kosten der »Pflege in den eigenen vier Wänden« kommt zu dem Ergebnis: »Mehr als 70 % der pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause versorgt. Dabei bringen Pflegehaushalte nicht nur einen hohen zeitlichen Einsatz, sondern auch erhebliche finanzielle Mittel auf, um diese häusliche Versorgung aufrecht zu erhalten.« (Hielscher/ Kirchen-Peters/Nock 2017, S. 98) Die im Sozialstaat vorgesehene Unterstützung und Sorge sind – wie es einer staatlichen Aufgabe entspricht – durch eine Gesetzgebung für alle weitgehend gleich geregelt. Die Systeme sozialer Sicherung sehen Leistungen vor, die die Risiken im Alter abfedern und auffangen. Dabei führen der soziale Wandel und die demografische Entwicklung zu »einem steigenden Bedarf an Pflegeleistungen: Immer weniger der älteren Menschen können auf eine hinreichende Familiensolidarität vertrauen. […] Immer mehr Frauen werden erwerbs-
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tätig, unterliegen der Doppelbelastung in Beruf und Familie und sind oft mit zusätzlichen Pflegeleistungen überfordert. […] Die pflegenden Familienangehörigen werden mit steigender Lebenserwartung der zu Pflegenden ebenfalls immer älter, kränker und wegen der Überlastung selbst pflegebedürftig.« (Neumann/Schaper 2008, S. 245) 1994 wurde zur Gewährleistung der Sorge im Alter die Pflegeversicherung eingeführt und mittlerweile mehrfach modifiziert. Aktuell sind diese Leistungen durch die stationäre und ambulante Pflege und abgestufte Angebote zwischen beiden Versorgungsformen gekennzeichnet. Daneben vollzieht sich Sorge für alte Menschen in immer neuen Formen, die sich auch beständig weiterentwickeln: Wohngemeinschaften für Menschen mit und ohne Demenz, Mehrgenerationenhäuser, Tagespflegeeinrichtungen und andere mehr. Die bereits angesprochene Vorliebe für individualisierte Lösungen hinsichtlich der eigenen Sorgeform wird von den Sorgebedürftigen teilweise mit Vehemenz vorgetragen. Die sozialstaatlich und gesetzlich vorgedachten und vorgesehenen Versorgungsformen entsprechen bei vielen nicht der eigenen Vorstellung vom Alter. Hilfe von außen in Form eines Pflegedienstes zu beanspruchen oder in eine Pflegeeinrichtung – umgangssprachlich immer noch als Altenheim bezeichnet – zu ziehen, kommt für viele Sorgebedürftige in ihrer eigenen Vorstellung von Sorge nicht infrage. Dabei ist der Ausdruck von Individualisierung in hohem Maße an die eigene Häuslichkeit gebunden. Zum einen spielt sicher die Vertrautheit mit den Räumlichkeiten und der Umgebung des Wohnortes eine Rolle. Zum anderen stehen die Wohnung oder das Haus, in dem das Alter verbracht wird, auch für das bisherige Leben. Hier hat sich abgespielt, was zur Identität gehört, hierin wird abgebildet, was jemand geschaffen hat oder – um an den Anfang des Kapitels anzuknüpfen – wo das Leben gelungen ist. Zu diesen individuell gedachten Vorstellungen von Leben im Alter und insbesondere vom Leben mit Pflegebedürftigkeit passt die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit perfekt. Hierfür hat sich der Begriff »aging in place« etabliert: »Hiernach wird das Verweilen im Alter in der vertrauten Umgebung als Richtschnur ›guten
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Alter(n)s‹ erachtet« (Schweppe/Bender 2021, S. 115). Auch dann im eigenen Zuhause bleiben zu können, wenn eine dauerhafte Unterstützung erforderlich ist, erscheint vielen alten Menschen und auch ihren Angehörigen als die beste aller denkbaren Lösungen. Insofern unterstützen die Rahmenbedingungen, welche die Versorgungsform durch Betreuungskräfte ermöglicht haben, diese individualisierten Wunschvorstellungen.
Zur Sorge im Alter aus der Sicht des:der Einzelnen Es ist der Wunsch alter pflegebedürftiger Menschen, in ihrem eigenen Zuhause zu verbleiben, der das Versorgungsmodell der »24-StundenPflege« stabilisiert hat und seiner ständig zunehmenden Verbreitung Vorschub leistet. Um diesen Wunsch besser verstehen zu können, hilft es, sich die Entstehung der Situation – in einer hier natürlich verallgemeinernd darzustellenden Form – vorzustellen. Ältere Menschen erleben, dass sie mit der Alltagsorganisation ihres persönlichen Lebens immer schlechter zurechtkommen. Was in »jüngeren Jahren« problemlos erfolgte, ist immer weniger möglich. Neben den Tätigkeiten, die außerhalb der Häuslichkeit stattfinden, geht es dabei zunehmend auch um die Selbstsorge der eigenen Person im Zuhause. Insbesondere alleinlebenden Menschen wird mehr und mehr deutlich, dass Defizite entstehen, die auf Dauer das Leben deutlich beeinträchtigen. Nach den Betroffenen nehmen auch ihre An- und Zugehörigen diese Veränderungen und die dadurch entstehenden Notwendigkeiten zum Handeln wahr. Dabei ist es – was das Erleben betrifft – nicht entscheidend, ob der Pflege- oder Unterstützungsbedarf sehr schnell, zum Beispiel nach einer Krankheit, oder schleichend aufgrund des fortschreitenden Alters erfolgt. In besonderer Weise macht das Auftreten einer Demenz die veränderte Situation den Betreffenden und ihren Angehörigen deutlich. Spätestens bei den Untersuchungen und Gesprächen zur Feststellung einer Pflegebedürftigkeit ist erkennbar, worin die Defizite des:der Betreffenden liegen und wie sich der Pflegebedarf aufgrund des festzusetzenden Pflegegrades gestaltet. Wird über die Versorgung bei einer Pflegebedürftigkeit nachgedacht, äußern sehr viele alte Menschen die Scheu oder direkt eine
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Ablehnung vor dem Hinzuziehen professioneller Hilfen. Die Vorstellung, dass ein Pflegedienst in die eigene Häuslichkeit kommt, um zu helfen, ist für manche alten Menschen einfach nicht akzeptabel. Ebenso wenig können sich viele vorstellen, bei zunehmendem Pflegebedarf in eine Pflegeeinrichtung umzuziehen. Die bestehenden Vorstellungen, (Phantom-)Bilder und möglicherweise Erfahrungen im Verwandten- oder Bekanntenkreis tragen dazu bei. Insbesondere wenn der Umzug zwei Menschen – etwa ein Ehepaar – beträfe, wird die Realität für die Betroffenen belastend. Eine Wohnung oder ein Haus aufzugeben oder auszuräumen, eventuell zu verkaufen, stellt zum einen den Abschied vom bisherigen Leben, zum anderen natürlich eine große praktische Herausforderung dar. So passt in die Überlegungen, wie denn das Leben weitergehen könnte, sehr gut die Idee, sich jemanden zu organisieren, der das Weiterleben im eigenen Zuhause ermöglicht und gleichzeitig die entstandenen Defizite in der Sorge um sich selbst ausgleicht. Eigentlich – so sieht es aus der Perspektive der Pflegebedürftigen aus – bleibt alles beim Alten und die persönlichen Vorstellungen vom Leben können auf diese Weise weiterhin umgesetzt werden. Für die Versorgung wird jemand geholt, der dafür bezahlt wird, sodass eine Sicherheit bei den eigenen Unzulänglichkeiten gegeben ist. Selbst wenn die Vorstellung, dass eine »fremde Person« in die eigene Wohnung einzieht und immer präsent ist, zunächst auch nicht ganz angenehm wirkt, bedeutet diese fortwährende Anwesenheit doch eine große Beruhigung für den alten Menschen. Für das Gefühl der Sicherheit und der Möglichkeit, im eigenen Zuhause zu bleiben, wird die Präsenz einer Person, die bis dahin fremd gewesen ist, in Kauf genommen. Dem entspricht auf der Seite der in der Familie Sorge Tragenden der Wunsch, den pflegebedürftigen Angehörigen gut versorgt zu wissen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Angehörigen – Kinder, Schwieger- oder Enkelkinder – nicht in der Nähe des:der Pflegebedürftigen leben. Je größer die räumliche Entfernung, desto unwahrscheinlicher ist eine tatsächliche Versorgung alter Angehöriger, insbesondere dann, wenn die sorgenden Menschen der nächsten Generation selbst in berufliche und familiäre Verpflichtungen und Lebensformen eingebunden sind. Unterstützt wird diese Sorge von
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dem Lebensgefühl vieler Menschen in der Generation vor den älteren Pflegebedürftigen: Multiple gesellschaftliche Krisen weltweit, globale Herausforderungen, die in den privaten Lebensraum hineinragen, Sorge um eigene stabile Lebensverhältnisse – die Grundempfindungen vieler Menschen orientieren sich an dem Wunsch nach Zuverlässigkeit und Sicherheit. Stabilität hat einen hohen persönlichen und gesellschaftlichen Wert. Von daher ist das Gefühl der Sicherheit nachvollziehbar, die ein »Rundum-Betreuungs-Versprechen« für die Versorgung des alten Elternteils oder der Eltern gibt. Zugrunde liegt die Vorstellung, dass – wenn man als Tochter oder Sohn schon nicht in die Unterstützung eingebunden sein kann – doch eine gute Versorgung der alten Eltern geboten ist. An dieser Stelle soll kurz darauf hingewiesen werden, dass für viele Kinder und Schwiegerkinder die Versorgung alter Eltern auch als Pflicht – eventuell aus einem christlichen Verständnis des vierten Gebotes heraus – verstanden wird. Unabhängig davon, welche Weltanschauung sie selbst vertreten, fühlen sich Kinder und Schwiegerkinder (auch) für die Unterstützung ihrer alten Eltern verantwortlich und empfinden durchaus ein schlechtes Gewissen, wenn sie dieser Verantwortung der Sorge nicht nachkommen. Dementsprechend trifft die Möglichkeit einer Rundum-Versorgung alter Pflegebedürftiger auf fruchtbaren Boden der nachfolgenden Generation. Solange diese Versorgung auch noch finanziell geleistet werden kann, erscheint dieses Modell der Live-In als offensichtlich ideale Möglichkeit, der Pflegebedürftigkeit zu begegnen, ohne in eine Pflegeeinrichtung umziehen zu müssen.
Zur Sorge im Alter aus gesellschaftlicher Sicht Dem gegenüber ist die Einbindung der Gesamtgesellschaft in einen Blick auf das Alter deutlich umfassender. Die Sorge um die Menschen und die Gewährleistung entsprechender Strukturen in einem sozialen Sicherungssystem ist das Kennzeichen eines Sozialstaates. Es ist als Sozialstaatsgebot im Grundgesetz in Art. 20 Abs. 1 GG (demokratischer und sozialer Bundesstaat) und in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG (sozialer Rechtsstaat) festgehalten. Dadurch ist die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit als Ziel staatlichen Handelns benannt.
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Der Sozialstaat setzt dabei auch Inhalte der christlichen Nächstenliebe – in diesem Kontext meist als Solidarität bezeichnet – um. Umgekehrt sieht die Evangelische Kirche auch »die Stärkung und Weiterentwicklung des Sozialstaates […] als Aufgabe von höchster gesellschaftlicher Bedeutung« (Jähnichen 2022, S. 15). Gerade im Hinblick auf die Pflege alter Menschen wird dies immer wieder zum Ausdruck gebracht: »Die Sicherung der Würde aller Menschen ist gerade dann notwendig, wenn Menschen aufgrund von Einschränkungen Unterstützungen und Hilfeleistungen für die alltägliche Lebensführung und die Teilhabe am gemeinsamen Leben benötigen.« (Jähnichen 2022, S. 16) Zu den Aufgaben der Politik gehört es, diese Sicherung strukturell festzulegen und ihre Durchführung finanziell stabil zu ermöglichen. Dabei erfolgen diese Maßnahmen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland durch gesetzlich vorgeschriebene »Unterstützung- und Versorgungsstrukturen«: »Sie erhöhen die individuelle Sicherheit und Selbstbestimmung, entlasten aber auch An- und Zugehörige in der Fürsorge für Menschen, die von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Behinderungen betroffen sind.« (Diakonie Deutschland 2021a, S. 2 f.) Zur Umsetzung sozialpolitischer Ziele sind die Strukturen in gesetzlicher und finanzieller Hinsicht das eine. Tatsächlich sind die Menschen, die professionell die Sorge-Arbeit leisten, das andere. Zwischen den Möglichkeiten zur professionellen Sorge-Leistung und deren konkreter Umsetzung liegen große Defizite. Nicht erst die Coronapandemie hat aufgezeigt, inwiefern soziale Berufe systemrelevant sind und in welcher Höhe allerdings auch die entsprechenden Fachkräfte fehlen.
Die Krise des Sorgens Hinsichtlich der Sorge für andere ist schon lange von einem Fachkräftemangel die Rede (vgl. Kapitel 2). Die allgemeine Einschätzung
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der sozialen Berufe hat in den vergangenen Jahren nicht nur zu dem entsprechenden Fachkräftemangel, sondern auch zu einem schlechten Image der professionellen Sorge für andere geführt. Vielfach wird dieser Tätigkeit sogar die Professionalität abgesprochen. Die entsprechenden Ausbildungen und Studiengänge sind in ihren Inhalten nicht bekannt oder von einem Zerrbild bestimmt. Die Sorge für Kinder und alte Menschen wird durch ihre Nähe zur Familienarbeit als allgemeines Können interpretiert: Mit Kindern spielen und pflegen kann jede:r. Solche oder ähnliche Einschätzungen im persönlichen Umfeld werden durch strukturelle Tatbestände verifiziert. So sind soziale Berufe beispielsweise nicht im Bundesministerium für Bildung und Forschung vertreten und erscheinen auch nicht in dessen Berufsbildungsbericht. Sie sind nicht Bestandteil der Berufsbildungsforschung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Charakteristisch sind auch die länderspezifischen Ausbildungsgänge und Abschlüsse, wodurch bundesweit ein uneinheitliches Bild dieser Berufe entsteht. Entscheidend für die Geringschätzung der sozialen Berufe und damit der professionellen Sorge für andere ist deren Marginalisierung in wirtschaftlicher Hinsicht. Für die Gesamtgesellschaft haben sie angeblich keine wirtschaftliche Bedeutung, obgleich die Größenordnung der Sozialwirtschaft deutlich belegt ist.26 Soziale Berufe sind auch in der politischen Diskussion marginalisiert. Während den technischen und kaufmännischen Berufen und deren (akademischen) Qualifikation Wertschätzung und Förderung entgegengebracht werden, ist es bei den sozialen Berufen kaum möglich, sie in politischen Diskussionen und Verlautbarungen in ihrer Bedeutung für die Gesamtgesellschaft zu platzieren. Zur Steigerung der Attraktivität sozialer Berufe hat Diakonie Deutschland zusammen mit der Rektor:innenkonferenz der kirchlichen Hochschulen für angewandte Wissenschaft (RKHD) 2021 eine bundesweite Aktion »Take care« durchgeführt. An vielen Hochschulstandorten und bei verschiedenen diakonischen und caritativen Trägern fanden Veranstaltungen statt, bei denen die Qualität dieser sozialen Berufe und ihrer (akademischen) Qualifikation in For26 Vgl. zum Ganzen exemplarisch Schellberg/Puch (2010).
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schungs- und Praxisbeispielen vorgestellt wurden. Ziel war es und wird es bei weiteren Durchführungen sein, die Bedeutung sozialer Berufe für die Gesellschaft unter dem Aspekt der Sorge für andere darzustellen. Dabei geht es insbesondere um die gesellschaftliche Anerkennung sowie Wertschätzung der sozialen Berufe und Berufswie Bildungsbiografien. Ganz konkret gehören dazu auch die Aufrufe, die Bereitschaft in Gesellschaft und Politik, Löhne und Arbeitsbedingungen in sozialen Berufen zu verbessern und die Attraktivität sozialer Berufe insgesamt zu steigern (Diakonie Deutschland 2021b). Dass soziale Berufe zum Bestandteil des Fachkräftemangels geworden sind, hat direkte Konsequenzen für die Versorgung alter Pflegebedürftiger. Weil in Deutschland keine ausreichenden Angebote für Pflege im Alter vorhanden sind oder weil die vorhandene Qualität nicht als zufriedenstellend bewertet wird, suchen Menschen für ihre Sorge für die alten Angehörigen andere Möglichkeiten. Dazu zählt auch die Versorgung mit osteuropäischen Live-Ins in der häuslichen Umgebung. Schweppe und Bender sprechen hier von »transnationalen Sorgeverflechtungen im Alter«. Auch wenn sie diese Entwicklungen schwerpunktmäßig an dem Einzug in ausländische Pflegeeinrichtungen aufzeigen, sehen sie in der »zum Massenphänomen gewordenen Anstellung von osteuropäischen 24-h-Kräften in Privathaushalten zur Pflege alter Menschen« ein »weiteres Beispiel« für diese grenzüberschreitenden Sorgeverhältnisse (Schweppe/Bender 2021, S. 115).
Die Ambivalenz in der Sorge durch den Grauen Pflegemarkt Fasst man die verschiedenen Perspektiven des Sorgens um Menschen im Alter, der eigenen Situation der betroffenen Angehörigen, der gesellschaftlichen Verantwortung und des Fachkräftemangels zusammen, wird schnell deutlich: In der Situation des Grauen Pflegemarktes kommt es zu einer Vermischung der Sorge für andere, dem Wunsch nach einem Leben in individueller Gestaltung auf der einen und nicht zufriedenstellenden Rahmenbedingungen und dem Wunsch nach Geldverdienen auf der anderen Seite. Die Uneindeutigkeit und Ungleichheit der Beziehungen provozieren ein »Dazwischen« in vielerlei Hinsicht.
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Dieses Dazwischen existiert zum einen in der unklaren Abgrenzung von Angehörigen-Sorge und der quasi-professionellen Sorge durch eine Betreuungskraft. Die Betreuungskraft lebt wie eine Angehörige (Live-In) im häuslichen Rahmen, übernimmt durch die Anstellung und Bezahlung jedoch eine Tätigkeit im nicht-familiären Rahmen. Das Dazwischen ereignet sich zum anderen auch in der nicht kontrollierten Qualität der (teilweise pflegerischen) Versorgung, der juristisch nicht klaren Anstellung und den Grenzen der Arbeitszeit sowie der Bezahlung auf der Basis des Mindestlohns. Sämtliche Kontrollen, die bei staatlich anerkannten Betreuungsformen funktionieren, wie beispielsweise die Heimaufsicht, sind hier ausgeschlossen. Für die pflegerische Qualität der Versorgung existiert praktisch keine staatlich autorisierte Begutachtung. Das Gleiche gilt für die juristischen und finanziellen Rahmenbedingungen. Auch die Überprüfung von Arbeitszeiten und Lohnhöhe ist nicht möglich, da sich die Arbeit im Privathaushalt abspielt. Genau darauf weisen auch die zahlreichen Problemanzeigen bei diesem Versorgungsmodell hin. Dadurch ist letzten Endes bei keiner der beteiligten Personen eine wirkliche Sicherheit vorhanden – und das gerade bei dem vorherrschenden Gefühl der Sicherheit auf der Seite derer, die sich für diese Versorgungsform entscheiden. Erfolgt die Versorgung durch eine osteuropäische Betreuungskraft nicht zur Zufriedenheit der Kund:innen, wird die Unklarheit der Anstellung schnell deutlich. Auch die Zusage der beteiligten Vermittlungsagenturen kann dann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sorge trotz der versprochenen Sicherheit im luftleeren – oder besser: ungesicherten – Raum verloren geht. Somit entsteht die Frage nach der Verantwortung für die Sorge im Grauen Pflegemarkt. Auf welcher Seite entsteht hier welche Verantwortung? Wer ist bereit, wirklich seine Verantwortung zu übernehmen? Und wenn es sich um Sorge für Pflegebedürftige – also abhängige und vulnerable Personen – handelt: Wer kontrolliert die entsprechende Übernahme von Verantwortung? Hinsichtlich der Strukturen unserer Übernahme von Versorgung im Sozialstaat muss die Frage gestellt werden, wie es zu einer Sorge außerhalb der familiären und gesellschaftlichen Sorge-Strukturen kommen kann, ohne dass eine geordnete Überprüfung dieser Strukturen stattfindet.
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Das Interesse an einer Antwort auf die jeweiligen Fragen führte zu unserem Forschungsprojekt TRABAM (vgl. Kapitel 3). Auf diese Frage – eine wesentliche in unseren Leitfaden gestützten Interviews – wurde von den Interviewpartner:innen – keine eindeutige Antwort gegeben. Das Entstehen dieser Versorgungsform kann durchaus erläutert werden; das hat an verschiedenen Stellen auch stattgefunden. Wer die Verantwortung für die ethischen Implikationen dieser Versorgungsform zu übernehmen hat, ist unklar. Benannt werden von allen Expert:innen in den Interviews politisch Verantwortliche. Gleichzeitig werden – was eine Kontrolle der Rahmenbedingungen anbelangt – die politischen Akteur:innen durchgängig als nicht ausreichend initiativ beschrieben. Vertreter:innen von Pflegebedürftigen einerseits und Lobbyist:innen für Arbeitsrechtssicherheit andererseits sehen ebenfalls vorrangig Erfordernisse in der praktischen Politik. Anderer Meinung sind die Betroffenen, die diese Versorgungsform wählen: Familien und pflegende Angehörige suchen vor allem nach der Übernahme von Sorge für ihre alten Pflegebedürftigen. Die rechtliche Absicherung und die finanzielle Unterstützung stehen dabei im Hintergrund. Was die Rechtssicherheit des Versorgungsmodells betrifft, berufen sich Angehörige nach unserer Erfahrung auf die Verbreitung des Modells – was so populär ist, kann nicht wirklich falsch sein – und die Empfehlungen der Vermittlungsagenturen. Diese wiederum sind nur bedingt an einer Übernahme der Verantwortung für die ethischen Perspektiven der Übernahme von Sorge interessiert. Ihr Zugang ist ein profitorientierter, die Versorgung durch Betreuungskräfte in der Form der Live-Ins ist ihr Geschäftsfeld. Daran ändert die politische Gesprächsbereitschaft einiger Agenturen nicht grundsätzlich etwas.
Realistische Begrenzungen der »Sorge für andere« Die Vorstellung, Sorge für alle zu tragen, wird neben der Begrenztheit der personellen Ressourcen bei den sorgenden Berufen durch eine andere Realität limitiert. Sie ist meist weniger im Blick, weil sie vielfach als Defizit des Menschen betrachtet werden müsste und von daher nicht gern wahrgenommen wird. Leichter lässt sich von
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Zahlen und fehlenden Fachkräften als Ursache für unzureichende Gestaltung von Sorge reden als von der Begrenztheit des Menschen. Geht es bei der unzureichenden Zahl der professionellen Pflegenden um eine gesellschaftliche Realität – die zumindest abgemildert, wenn auch nicht grundsätzlich gelöst werden kann –, so geht es bei der weiteren Begrenzung um eine Grundbefindlichkeit des Menschen. Diese menschliche Begrenztheit kann als die Unmöglichkeit, Sorge für andere vollumfänglich zu übernehmen, beschrieben werden. Anders gesagt: Es gibt keine umfassende Sorge für andere. Genauer ausgedrückt: Was wir als umfassend bezeichnen, lässt dennoch immer eine »Lücke« in dem, was umfassend erforderlich ist. Dies meint nichts anderes als den hart klingenden Satz: Es gibt keine einhundertprozentige Sorge und schon gar nicht das einhundertprozentige Versorgtsein. Was bedeutet das für Menschen, die Sorge für andere – persönlich oder gesellschaftlich – übernehmen wollen und sich dafür verantwortlich fühlen? Es bedeutet vor allem, dass wir anerkennen, dass unsere Sorge als begrenzt wahrgenommen werden kann. Auf Menschen, die pflegebedürftig sind, wird geachtet, sie werden gefördert und ernährt, gewaschen und mit Medikamenten versorgt. Ihr Schlaf wird beachtet und sie erleben Gemeinschaft, Unterhaltung und Abwechslung. Sie sind trotzdem niemals »rund um die Uhr« versorgt. Immer wird es einen Moment geben, in dem ein pflegebedürftiger alter Mensch sich verletzen oder stürzen kann, in dem er etwas tut, was ihn oder andere beschädigt, in dem sein Leben für eine kurze Zeit nicht umsorgt ist. Dieses »Restrisiko« bei der Sorge um andere ist auch bei allen anderen Menschen, die umsorgt werden, vorhanden. Säuglinge und Kinder können sich ebenso in einer kurzen unbeaufsichtigten Zeit Schaden zufügen, Kranke auch in einer stationären Einrichtung Momente erleben, in denen niemand für sie da ist. Diese Einsicht stellt für Pflegende und Sorgende – unabhängig davon, in welcher Qualifikation und in welcher Beziehung zum:zur Umsorgten sie das tun – eine große Herausforderung dar. Natürlich kommt es dabei zu Situationen, die für die Sorgenden eine große Infragestellung bedeuten. Ein Vater, der erlebt, dass sein Kind sich trotz der väterlichen Anwesenheit schwer verletzt, indem es beispielsweise einen Topf mit kochendem Wasser zu sich
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heranzieht, leidet in der Regel an den Folgen seiner unzulänglichen Aufsicht mindestens so lange wie das Kind an den Wunden seiner Verbrühung. Bei alten Menschen kommt es zu solchen Momentverletzungen häufig durch Stürze, die sich trotz großer Aufmerksamkeit der Betreuenden nicht verhindern lassen. Selbst das ständige Zusammenleben zweier Menschen – etwa eines alten Ehepaares in der gemeinsamen Wohnung – kann nicht ausschließen, dass einem:einer von beiden etwas zustößt, obwohl der:die andere den:die Partner:in mit größter Aufmerksamkeit verfolgt und eine ständige Nähe der beiden besteht. Kein Mensch, der Pflege- oder Sorgebedürftige betreut, kann garantieren, diese Sorge ohne Pause durchführen zu können. Die Vorkehrungen, die im Bereich der Digitalisierung getroffen werden, um solche Ausfälle möglichst gering zu halten, unterstreichen die Problematik. Das Installieren einer Notrufanlage oder das Tragen eines Funkchips verhindern nicht das Liegenbleiben auf dem Boden in der eigenen Wohnung bei Alleinstehenden und das unbeaufsichtigte Hinauslaufen eines Menschen mit Demenz. Mit anderen Worten: Eine »Sorge für andere« kann immer nur fragmentarisch sein. Die Idee einer 24-Stunden-Betreuung negiert die anthropologische Seite der Pflegebedürftigen wie der Pflegenden oder Betreuenden. Die Zuschreibung des Umsorgt-Werdens ohne Zugeständnisse an eine Pflegeeinrichtung oder einen Pflegedienst in der individuellen Lebensform unterstützt den Grauen Pflegemarkt. Gleichzeitig negiert diese Betreuungsform – zumindest das Phantombild von ihr – die Realität, dass keine Betreuung vollumfänglich sein kann. Welche Konsequenz hat das für die Sorge von alten Pflegebedürftigen in Form des Versorgungsmodells einer Betreuungskraft im häuslichen Umfeld? Die Bestrebungen, diese Versorgungsstruktur durch einen Pflegemix differenzierter auszugestalten, sind tatsächlich strukturell unabdingbar. Erst durch die beschriebene Vielfalt (vgl. Kapitel 9) der pflegerischen Versorgung werden Rahmenbedingungen geschaffen, die eine gute Versorgung zu Hause ermöglichen. Darin sind auch die Voraussetzungen für eine Umsetzung der finanziellen Erfordernisse enthalten (Diakonie Deutschland 2019). Gleichzeitig ist – gerade auch im Hinblick auf das Bemühen, Angehörige umfassend zu versorgen – zu respektieren, dass jeder Sorge für andere Grenzen gesetzt sind.
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