One Nation Under a Groove - »Nation« als Kategorie populärer Musik 9783839455814

Auch Popmusik wirkt mit an der Affirmation und Repräsentation nationaler Gemeinschaften und ihrer Werte. Daher ist in Ze

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German Pages 234 Year 2020

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Table of contents :
INHALT
EDITORIAL
»WANN I ' DENK WIE'S FRÜHER WAR.« NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION«
›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS
ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT
FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND DER »LANGEN« 1960ER JAHRE: ZWISCHEN ÜBERWINDUNG UND VERSTÄRKUNG DES NATIONALEN
»VERLIEBT IN EINE INSEL.« DAS IRLAND-BILD IN ZEITGENÖSSISCHEN DEUTSCHEN FOLK-ROCK-SONGS AM BEISPIEL DER BANDS VERSENGOLD UND GHOSTTOWN COMPANY
UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« — ÜBERLEGUNGEN ZUR GEGENWÄRTIGEN BEDEUTUNG VON AUSTROPOP
HYBRIDITÄT IM ÖSTERREICHISCHEN HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM«
»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION.« MUSIKABSPIELGERÄTE UND DIE ›VERKÖRPERUNG DER NATION‹ IN DEN 1950ER JAHREN
VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL: PRODUCTION APPROACHES AND GENERATIONAL EFFECTS
STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC
ZU DEN AUTOR*INNEN
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One Nation Under a Groove - »Nation« als Kategorie populärer Musik
 9783839455814

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Ralf von Appen, Thorsten Hindrichs (Hg.) One Nation Under a Groove – »Nation« als Kategorie populärer Musik

Beiträge zur Popularmusikforschung  | Band 46

Editorial Board Michael Ahlers, Christa Bruckner-Haring, Sarah Chaker, Martin Cloonan, André Doehring, Mario Dunkel, Dietmar Elflein, Magdalena Fürnkranz, Jan Herbst, Barbara Hornberger, Jonas Menze, Rajko Muršič, Martin Pfleiderer, Michael Rappe, Helmut Rösing, Nick Ruth, Melanie Schiller, Mechthild von Schoenebeck, Holger Schramm, Alfred Smudits, Wolf-Georg Zaddach

Ralf von Appen ist Professor für Theorie und Geschichte der Popularmusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Von 2008 bis 2020 war er Vorsitzender der Gesellschaft für Popularmusikforschung (GfPM). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Geschichte, Theorie, Analyse und Ästhetik der populären Musik. Thorsten Hindrichs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie wissenschaftlicher Berater und freier Autor im Rahmen politischer Bildungsarbeit zu Rechtsextremismus und Musik.

Ralf von Appen, Thorsten Hindrichs (Hg.)

One Nation Under a Groove – »Nation« als Kategorie populärer Musik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Indexiert in EBSCOhost-Datenbanken.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustim­ mung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Verviel­ fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Julia Kussius, Hamburg Satz: Philip Maria Stoeckenius, Wien Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5581-0 PDF-ISBN 978-3-8394-5581-4 https://doi.org/10.14361/9783839455814 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

INHALT Editorial Ralf von Appen und Thorsten Hindrichs | 7 »Wann i' denk wie's früher war.« Nationalismus in der »postnationalen Konstellation« Gideon Botsch | 15 ›Nation‹ revisited: Geschichte und Gegenwart eines ambivalenten Konzepts Maria Alexopoulou| 31 Italo Disco. Zwischen Italianität und Internationalität Paul Kaspar | 49 Französische populäre Musik in der Bundesrepublik Deutschland der »langen« 1960er Jahre: Zwischen Überwindung und Verstärkung des Nationalen Maude Williams | 75 »Verliebt in eine Insel.« Das Irland-Bild in zeitgenössischen deutschen Folk-Rock-Songs am Beispiel der Bands Versengold und Ghosttown Company Maria Behrendt | 101

Unser Österreich als »Great Austrian Songbook« — Überlegungen zur gegenwärtigen Bedeutung von Austropop Magdalena Fürnkranz | 115 Hybridität im österreichischen HipHop: Eine Szene, zwei Nationen und ein »dritter Raum« Frederik Dörfler | 141

»Meisterwerke Schwarzwälder Präzision.« Musikabspielgeräte und die ›Verkörperung der Nation‹ in den 1950er Jahren Benjamin Burkhart | 163 Views of German Producers on ›Teutonic‹ Metal: Production Approaches and Generational Effects Jan-Peter Herbst | 183 Strategic Ignorance and the Threat of Knowledge in the Globalisation of Music Keith Kahn-Harris | 2 0 7 Zu den Autor*innen | 229

EDITORIAL In der globalisierten Gegenwart können Musiken aus allen Ecken der Welt gestreamt und lokal angeeignet werden; das Annehmen virtueller Identitäten, das Sich-Wegträumen an kalifornische Strände oder in WolkenkratzerMetropolen erscheint dabei vielen attraktiver als ein herausgestellter Bezug etwa auf die heimischen Mittelgebirge und Wattenmeere oder die allenthalben herbeigeredete ›Leitkultur‹ deutscher Dichter und Denker. Zwar sind Distinktion und Identifikation nach wie vor zentrale Funktionen popkultureller Produkte; die nationale Perspektive spielt dabei auf den ersten Blick jedoch nur eine geringe Rolle. Wenn »das Heimische« gefeiert wird, dann eher die eigene »Hood« in Berlin (UFO 361, BHZ) oder Bietigheim-Bissingen (RIN, Shindy, Bausa). Bezüge auf das Nationale im Pop erscheinen zumindest jenseits explizit nationalistischer Musik-Szenen eher uncool. In jedem Fall gilt das für die Herausgeber, die in der Kohl-Republik aufgewachsen sind und für die englischsprachige Pop- und Rockmusik Befreiung aus provinzieller Spießigkeit bot. Auf Deutschland wollte man sich allenfalls ironisch-distanzierend beziehen. »Unser Lieblingswort heißt Leistung / wir sind auf Fortschritt eingestellt / Nicht ist hier unkäuflich / wir tun alles für gutes Geld / Wir lieben unser Land! / All die Korruption, die Union!«, heißt es z.B. in »1000 Gute Gründe« der Toten Hosen aus dem Jahr 1988. Tatsächlich finden sich jedoch auch unzählige Beispiele, in denen Pop mit ebenso repräsentativen wie affirmativen Symbolen, Haltungen und Handlungen ›des Nationalen‹ aufgeladen bzw. verknüpft wird: Vom 12-Punkte-Wertungssystem des Eurovision Song Contest über die Union-Jack-gewandeten Spice Girls und Oasis als Repräsentat*innen von »Cool Britannia«, nationale Genre-Etiketten wie Italo-Pop, British Invasion, Russendisko oder und New Wave of British Heavy Metal etc. pp., die sicher nicht nur als nur Herkunftsbezeichnungen wirksam sind, bis hin zu Xavier Naidoos Auftritt im schwarzrotgoldenen Dress inklusive Deutschlandfahne zum Halbfinale der Fußball-WM 2006 im ›WM-Studio‹ des ZDF oder in Form eines »autoritären Nationalradikalismus« (Heitmeyer 2018) im »neuen Deutschrock« à la Frei.Wild, Andreas Gabaliers »Volks-Rock'n'Roll« und im RechtsRock. Zugleich und allen Popnationalismen zum Trotz sind Internationalität und Globalismus zentrale Parameter für Sein und Werden von Popularmusik, angefangen bei den nur auf den

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EDITORIAL ersten Blick ›nationalismusfreien‹ Genrekonstruktionen wie ›world music‹ über die trans- und internationalen Verflechtungen weltweiter wirtschaftlicher und/oder medialer Popmärkte bis hin zu den immer wieder behaupteten »internationalen Standards« (Balzer 2016: 205), mit denen Helene Fischer als »Alles-in-allem deutscher Popkultur« (Seeßlen 2018: 115) angeblich mithalten kann. Wie Literatur, Filme etc. wird auch Popmusik wohl überall auf der Welt genutzt, um die Bildung oder Aufrechterhaltung von nationalen Bünden und mit ihnen verbundenen Werten und Ideologien zu befördern. In Zeiten, in denen Nationalismus und Rechtspopulismus in vielen Ländern der Welt wieder mehrheitsfähig geworden sind, ist ein kritischer Blick auf die komplexen Beziehungen von Pop und der Kategorie ›Nation‹ also dringend geboten. Gleich, ob ›Nation‹ nun als »allgemeines Modell der Beziehung zwischen Staat und Volk« (Hobsbawm 2005: XIII) oder als »imagined community« (Anderson 2006) verstanden wird: Angesichts »der weiterhin gegebenen Notwendigkeit, der faktischen und analytischen Berücksichtigung von ›Nation‹ Genüge [zu] tun, ohne erneut dem methodischen Nationalismus zu verfallen« (Alexopoulou 2016: 484), stellt die systematisch ›falsche‹, aber gesellschaftspolitisch äußerst wirkmächtige Ineinssetzung von Volk und Nation, die dem Nationalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts geschuldet ist, nicht nur Politikund Geschichtswissenschaft vor enorme Herausforderungen, sondern auch die Popularmusikforschung. Es ist reiner Zufall, dass die 29. Jahrestagung der GfPM, aus der die Beiträge des vorliegenden Bandes hervorgegangen sind, ausgerechnet in Mainz stattgefunden hat, jener Stadt, in der mit der ›Mainzer Republik‹ von März bis Juli 1793 der erste (mehr oder weniger) bürgerlich-demokratische Staat auf ›deutschem‹ Territorium bestanden hatte. Doch in der Tat beinhaltete das Konzept ›Nation‹ während der mitteleuropäischen ›Sattelzeit‹ in den Jahrzehnten um 1800 zunächst ein durchaus emanzipatorisches, auf eine bessere Zukunft gerichtetes Demokratisierungsversprechen, einschließlich der Sicherung gesellschaftlich-politischer Teilhabemöglichkeiten über die Markierung eines gemeinsam geteilten Territoriums in einem souveränen Staat: »Im Zeitalter der Revolutionen […] war die ›Nation‹ eine Gemeinschaft von Staatsbürgern, deren kollektive Souveränität sie zu einem Staat — als ihrem politischen Ausdruck — machte. Denn was immer eine Nation sonst sein mochte, das Element der Staatsbürgerlichkeit und der Massenteilhabe oder der Wahl fehlte darin nie« (Hobsbawm 2005: 30). Auf dem Weg zur »postnationalen Konstellation« Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich das Konzept ›Nation‹ massiv gewandelt — ein Überblick über die ein-

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EDITORIAL schlägige Forschungsliteratur findet sich in den diesen Band eröffnenden Beiträgen von Gideon Botsch und Maria Alexopoulou — und den nationalistischen Lesarten von ›Nation‹ fehlt deren ursprüngliche Zukunftsgerichtetheit mittlerweile fast völlig: Die Beobachtung, dass Andreas Gabalier in seinen Songs ausschließlich von entweder ›früher‹ oder ›heute‹ singt, kann Botsch in seinem Beitrag aus politikwissenschaftlicher Perspektive erklären. Indes galt auch schon in den Jahrzehnten um 1800 das Demokratisierungsversprechen der ›Nation‹ längst nicht für alle Bürger*innen und schloss Frauen und untere soziale Schichten von gesellschaftspolitischer Teilhabe lange Zeit aus. Das der ›Nation‹ geradezu zwangsläufig innewohnende Prinzip von Einschluss und Ausschluss bestimmter als ›Andere‹ etikettierter Gruppen ist, wie Alexopoulou zeigt, weiterhin wirkmächtig, insbesondere für Migrant*innen und Migrantisierte, die sich — mit Advanced Chemistry — nach wie vor »Fremd im eigenen Land« fühlen (müssen). Diesen grundsätzlichen Reflektionen zum Begriff der Nation folgen Fallstudien zum spezifisch deutschen Blick auf (teils nur vermeintlich) französische, irische und italienische Popmusiken, zu österreichischen Genres und deren Verhältnissen zu den hegemonial wirkenden internationalen Popmärkten sowie zur Wirkmächtigkeit von Zuschreibungen des »typisch Deutschen« in so unterschiedlichen Bereichen wie Heavy Metal und der Markenkommunikation von Audiogeräteherstellern aus dem Schwarzwald. Damit knüpft dieses Buch nicht nur an die Bände Typisch Deutsch. (Eigen-)Sichten auf populäre Musik in diesem unseren Land (Helms/Phleps 2014) und Speaking in Tongues. Pop lokal global (Helms/Phleps 2015) an, sondern auch an die allererste Ausgabe dieser Reihe, die 1986 unter dem Titel Ist Pop die Volksmusik von heute? erschien. Helmut Rösing stellte in seinem Beitrag schon damals unmissverständlich klar: »Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Überlegung, daß die Begriffsbildung ›Volksmusik‹ wohl auf einem Mißverständnis beruht. Denn die Annahme, es gäbe die Musik eines Volkes, oder: die volkstümliche, von einem Volk akzeptierte und tradierte Musik, oder: die Volksmusiken mehrerer Völker, diese Annahme beruht auf einem Konstrukt« (Rösing 1986: 4). Bei aller Notwendigkeit, ›Volk‹ und ›Nation‹ konzeptionell sauber voneinander zu trennen, ist dennoch bemerkenswert, wie deutlich Rösings Gedankengang hier an Benedict Andersons (2006) berühmte Formulierung, Nationen seien als »imagined communities« zu denken, erinnert. Es ist genau dieser Konstruktcharakter von ›Nation‹, der sich wie ein roter Faden durch alle denkbaren Verknüpfungen von Nation und Popularmusik zieht. Ob (scheinbar) ›nationale‹ Genrebezeichnungen wie Italo Disco, ob als ›Sehnsuchtsorte‹ mar-

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EDITORIAL kierte Nationen wie Frankreich oder Irland, ob ›national‹ gelabelte Gebilde wie Austropop oder österreichischer HipHop, ob materielle Verkörperungen des ›Nationalen‹ in Musikgeräten, ob stereotype Klischees ›des Teutonischen‹ im Metal: All diesen (und vielen mehr) Verknüpfungen von ›Nation‹ und Popularmusik liegt eine konstruierte Vorstellung dessen, was je als ›national‹ charakteristisch oder wünschenswert verstanden wird, zu Grunde. Doch trotz — möglicherweise aber auch gerade wegen — ihres jeweiligen Konstruktcharakters unterliegen all diese popnationalen Konstruktionen einer fortwährenden Dialektik von Repräsentation und Affirmation der je adressierten Nation: Austropop wirkt auf Österreich als Nation ebenso zurück wie das ›Made in Germany‹-Gütesiegel von SABA auf Deutschland usw. Obwohl sich Konzepte von ›Nation‹ und ›Nationalismus‹ während der vergangenen gut 200 Jahre teils grundlegend verändert haben, scheinen sich ausgerechnet solche ›nationalen‹ Konstrukte von Popularmusik vergleichsweise stabil zu halten, in denen ›Nation‹ in erster Linie als territoriale, staatlich gelenkte Einheit gedacht wird. Eric Hobsbawms Beobachtung »Die Weltwirtschaft des 19. Jahrhunderts war eher inter-national als kosmopolitisch« (Hobsbawm 2005: 37; Herv. i. O.), gilt aller Globalisierung zum Trotz weiterhin für den weltweiten Musik- bzw. Medienmarkt des 21. Jahrhunderts — beide sind internationale Märkte, keine transnationalen oder gar kosmopolitischen. Das wiederum führt zu der doch recht eigenartigen Konstellation, dass solchermaßen internationale Musik zugleich — wenigstens überall dort, wo es einen einigermaßen schnellen Internetzugang gibt — jederzeit und überall (und damit transnational) verfügbar ist. Das mögliche Wissen um den ›nationalen‹ und/oder ›nationalistischen‹ Konstruktcharakter von Popmusik stellt nun, wie Keith Kahn-Harris im abschließenden Beitrag argumentiert, eine Herausforderung dar, der sich entweder mit dessen kompletter Verleugnung (wie beim ›world music‹-Label Sublime Frequencies), mit dessen gänzlicher Überbetonung (wie im Falle des Eurovision Song Contests 2019 in Tel Aviv) oder aber mit ›gezielter Ignoranz‹ und ›relfexive anti-flexivity‹ (wie im Metal als global gedachter Szene) begegnen lässt. Den Obertitel übernimmt der Band freilich dem gleichnamigen FunkadelicKlassiker (1978), der auf die Sehnsucht verweist, alternative Identifikationsangebote jenseits von Nationalstaaten zu bilden. Ähnlich wie später die HipHop Nation entwerfen Funkadelic das Ideal einer Gemeinschaft Gleichgesinnter im Zeichen einer stark auf Afrika bezogenen Musik, die sie zugleich von den Repressionen und Symbolen eines sich auch religiös legitimierenden Nationalstaates befreit, von dem sie sich nicht repräsentiert finden. Der »Groove«, der den Zusammenhalt sicherstellt, ersetzt hierbei die Formulierung »one nation under god«, die Teil des »Pledge of Alliance«, des rituellen

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EDITORIAL Fahnenschwurs ist, mit dem US-Amerikaner*innen sich regelmäßig (in den Schulen vieler Bundesstaaten täglich) zu ihrer Nation bekennen sollen: »Here's my chance to dance my way out of my constrictions / Givin' you more of what you're funkin' for / Do you promise to funk, / the whole funk, nothin' but the funk / One nation under a groove / Gettin' down just for the funk of it / One nation and we're on the move, nothin' can stop us now« Die 29. Jahrestagung der GfPM, die vom 1. bis 3. November 2019 an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz stattfand, wurde von Thorsten Hindrichs in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der GfPM organisiert. Den zahlreichen Unterstützer*innen der Tagung, insbesondere den studentischen Hilfskräften Moritz Behner, Luisa Hobson, Noah Lieven, Carolin Mahling und Mariam Tarkian, sei hier noch einmal herzlichst gedankt. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Tagung danken wir außerdem dem Ministerium für Frauen, Familie, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz sowie der Landeskoordinierungsstelle »Demokratie leben!« in Rheinland-Pfalz. Für ihre wichtige ehrenamtliche Arbeit zu danken haben wir auch wie in jedem Jahr den Gutachter*innen des anonymen Peer ReviewVerfahrens, die leider, aber selbstverständlich ungenannt bleiben müssen. * Die drei deutschsprachigen Fachverbände IASPM D-A-CH, GfPM und GMM haben im Herbst 2019 eine »Gemeinsame Resolution gegen Rechtspopulismus« verabschiedet, die wir im Anschluss an diesen Text noch einmal dokumentieren. Sie schließt mit den Worten: »Wir betrachten es darüber hinaus als unsere besondere forschungsethische Verantwortung, Macht- und Marktstrukturen sowie kulturelle Zuschreibungen kritisch zu hinterfragen. Wir erteilen allen Positionen eine deutliche Absage, die meinen, dass Ausdrucksformen einer Gruppe von Menschen mehr Wert seien als andere.« Den vorliegenden Band möchten wir ausdrücklich in diesem Sinne verstanden wissen. Ralf von Appen und Thorsten Hindrichs Bremen und Mainz im August 2020

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EDITORIAL

Literatur Alexopoulou, Maria (2016). »Vom Nationalen zum Lokalen und zurück? Zur Geschichtsschreibung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland.« In: Archiv für Sozialgeschichte 56, S. 463-484. Anderson, Benedict (2006). Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London: Verso (2. Aufl.). Balzer, Jens (2016). Pop: Ein Panorama der Gegenwart. Berlin: Rowohlt. Heitmeyer, Wilhelm (2018). Autoritäre Versuchungen — Signaturen der Bedrohung I. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Helms, Dietrich / Phleps, Thomas (Hg.) (2014). Typisch Deutsch. (Eigen-)Sichten auf populäre Musik in diesem unseren Land (= Beiträge zur Popularmusikforschung 41). Bielefeld: transcript. Helms, Dietrich / Phleps, Thomas (Hg.) (2015). Speaking in Tongues. Pop lokal global (= Beiträge zur Popularmusikforschung 42). Bielefeld: transcript. Hobsbawm, Eric (2005). Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Frankfurt/M.: Campus. Rösing, Helmut (1986). »Ist Pop die Volksmusik von heute? (1)«. In: Ist Popmusik die Volksmusik von heute? (= Beiträge zur Popularmusikforschung 1). Hg. v. dems. Hamburg: CODA, S. 3-13. Seeßlen, Georg (2018). Is this the End? Pop zwischen Befreiung und Unterdrückung (= Critica Diabolis 251). Berlin: Edition Tiamat.

Diskographie Advanced Chemistry (1992). »Fremd im eigenen Land« (Single). MZEE Records AC.01.CD.92. Die Toten Hosen (1988). »1000 Gute Gründe.« Auf: Ein kleines bisschen Horrorschau. Totenkopf TOT 66, 209313-630. Funkadelic (1978). »One Nation Under a Groove.« Auf: One Nation Under a Groove. Warner BSK 320.

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Gemeinsame Resolution gegen Rechtspopulismus Gemeinsame1 Resolution gegen Rechtspopulismus IASPM D-A-CH , GfPM2 und GMM3 IASPM D-A-CH, GfPM und GMM Mit wachsendem Befremden beobachten wir, dass im Zuge eines Rechtsrucks von Teilen der Gesellschaft Grundwerte einer offenen und pluralistischen Gesellschaft in Deutschland, Österreich und Mit wachsendem Befremden beobachten wir, dass im Zuge eines Rechtsrucks der Schweiz zunehmend (wieder) in Frage gestellt werden. Namentlich die rechtspopulistische von Teilen der Gesellschaft Grundwerte einermit offenen und betreibt, pluralistischen „Gemeinsame Erklärung 2018“, die eine Entsolidarisierung Geflüchteten wurde von Geeiner erschreckendin hohen Zahl von Menschen auch ausund Wissenschaft und Kultur unterzeichnet. sellschaft Deutschland, Österreich der Schweiz zunehmend (wieder) in IASPM D-A-CH, GfPM und GMM haben mit populärer Musik ein Forschungsfeld, das sich überErdie Frage gestellt werden. Namentlich die rechtspopulistische »Gemeinsame Grenzen von Nationalstaaten, starre Einteilungen nach Ethnien, Geschlechterstereotypen und über klärung 2018«, die eine Entsolidarisierung mit Geflüchteten betreibt, wurde soziale Schranken hinweg konstituiert. Populäre Musik ist darüber hinaus nicht nur ein Produkt, von einer erschreckend von Menschen auch aus Wissenschaft und sondern auch ein wesentlicherhohen Faktor Zahl bei der historischen Entstehung pluralistischer und global vernetzter Gesellschaften. Wir stehen daher für eine offene Gesellschaft, Pluralität und Demokratie, Kultur unterzeichnet. und stellen uns entschieden gegen ethnopluralistische, rassistische, nationalistische oder sexistische IASPM D-A-CH, GfPM und GMM haben mit populärer Musik ein ForschungsDeutungsmuster. feld, das sich über die Grenzen von Nationalstaaten, starre Einteilungen nach Die Popular Music Studies haben mit ihrer namentlichen Kompetenz für die Analyse kultureller Ethnien, Geschlechterstereotypen und überfürsoziale Schrankenderzeit hinweg konstiAushandlungsprozesse eine besondere Bedeutung die Beantwortung drängender politisch-kultureller Aufgabe nehmen nichtnur nur ein in unseren Forschungen, tuiert. PopuläreFragen. MusikDiese ist darüber hinaus wir nicht Produkt, sondernsondern auch auch im gesellschaftspolitischen Diskurs entschieden wahr. Wir betrachten es darüber hinaus als ein wesentlicher Faktor bei der historischen Entstehung pluralistischer und unsere besondere forschungsethische Verantwortung, Macht- und Marktstrukturen sowie kulturelle global vernetzter stehen füreine eine offeneAbsage, GesellZuschreibungen kritischGesellschaften. zu hinterfragen. WirWir erteilen allen daher Positionen deutliche die meinen, dass Ausdrucksformen einer Gruppe von seien als andere. schaft, Pluralität und Demokratie, undMenschen stellenmehr unsWert entschieden gegen ethnopluralistische, rassistische, nationalistische oder sexistische Deutungsmuster. Die Popular Music Studies haben mit ihrer namentlichen Kompetenz für die Analyse kultureller Aushandlungsprozesse eine besondere Bedeutung für die Beantwortung derzeit drängender politisch-kultureller Fragen. Diese Aufgabe nehmen wir nicht nur in unseren Forschungen, sondern auch im gesellschaftspolitischen Diskurs entschieden wahr. Wir betrachten es darüber hinaus als unsere besondere forschungsethische Verantwortung, Macht- und Marktstrukturen sowie kulturelle Zuschreibungen kritisch zu hinterfragen. Wir erteilen allen Positionen eine deutliche Absage, die meinen, dass Ausdrucks1 formen einer Gruppe von Menschen mehr Wert seien als andere. www.iaspm-dach.net 2 3

www.popularmusikforschung.de www.musikwirtschaftsforschung.de

IASPM D-A-CH — GfPM — GMM 27. September 2019

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»W A N N I '

D E N K W I E ' S F R Ü H E R W A R .«

NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION« Gideon Botsch Die Welt des österreichischen »Volks-Rock'n'Rollers« Andreas Gabalier ist überwiegend positiv besetzt. Natur und Heimat werden idealisiert. Dies geschieht außerordentlich formelhaft und auf Äußerlichkeiten orientiert. Die Landschaftsbeschreibungen lesen sich wie standardisierte Passagen aus Reiseführern für die Alpenregion. An seinem Land und seinen Leuten hebt Gabalier hervor, dass »die Dirndl« noch »im Dirndl tanzen gehn« (Gabalier 2009a). Die »Bergbauernbuam« haben große »Wadln« und sind »stork wie unsre Stier« (Gabalier 2011a). Der Text seines Liedes »Dahoam« liest sich wie die Speisekarte einer Wirtschaft, die mit »typisch österreichischer Küche« wirbt: »Bratfettn, Leberwurst und Griesnockerlsuppn […] Wienerschnitzel, Preiselbeeren, ein Würstlstand in Wien a Almochs, a Häferl Milch von der Sennerin […] Von Knödel, Speck und Sauerkraut kriegen wir nicht g'nug […] ja da bin i' geboren und da nur da bin i' dahoam« (Gabalier 2011b). Nun sind derartige Texte bereits in früheren Phasen des Nationalismus feststellbar. Auch für Ludwig Uhland liegt das Deutschtum offenbar im Fleischverzehr begründet. Um 1815, in einer Zeit, als sich die deutsche Nation gerade konstituierte, schrieb er sein »Metzelsuppenlied«: »Wir haben heut nach altem Brauch Ein Schweinchen abgeschlachtet; Der ist ein jüdisch eckler Gauch, Wer solch ein Fleisch verachtet. […] Es reimt sich trefflich: Wein und Schwein, Und paßt sich köstlich: Wurst und Durst, […] Auch unser edles Sauerkraut, Wir sollen's nicht vergessen; Ein Deutscher hat's zuerst gebaut, Drum ist's ein deutsches Essen« (Uhland 1815: 72).

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GIDEON BOTSCH In den Zeilen von Gabalier schwingt indes etwas Anderes mit. Es findet sich in dem kleinen Wörtchen »noch«, das eine dauernd bestehende Bedrohung der von ihm geschilderten Idylle andeutet. Dieses »noch« kommt in einigen seiner Lieder vor, zum Beispiel seinem Weihnachtslied »Es ist die Zeit«, wo Gabalier singt: »Es is schon sonderboar wann i denk wie's früher war so anfoch und so scheen i woas des gibt's noch wo durt und do du wirst schon sehn« (Gabalier 2009b). An derartigen Stellen wird deutlich, dass die von Gabalier trotzig bewahrte und verklärte Idylle in Gefahr ist, aber es bleibt offen, durch wen oder durch was — sieht man von den Feministinnen ab, die er als besonders bedrohlich empfindet. Sogar in seinem »politischsten« Lied, »A Meinung haben«, bleibt alles offen und angedeutet: »Neue Zeit, neues Land wo führt des hin? […] A Meinung hom, dahinter stehn; […] wenn sei muaß ganz allan, do oben stehn […] Die Welt mit eigenen Augen sehn Ned ollas glauben wos a poar so red'n« (Gabalier 2015a). Dieses pathetische Postulat kontrastiert nicht nur mit dem Setting des Vortrags. Denn Gabalier steht ja, bspw. 2016 im ausverkauften Münchner Olympiastadion vor zehntausenden von Fans, keineswegs »ganz allan«. Die Forderung, eine »Meinung« zu haben, kontrastiert mit dem auffallenden Fehlen, eine solche auch konkret zu artikulieren, zum Beispiel bei dieser Gelegenheit in München, wo er einführend erklärt, dass er seine Meinung jetzt lieber nicht ausspricht: »Alles, was i denk, des sag i lieber nicht, weil i auf euch aufpassen muss […] Na, mehr sag i net…« (Gabalier 2016, ab ca. 01:10). Er muss das vielleicht auch nicht: Den Applaus hat er sicher. Auf demselben Album wie »A Meinung haben« erscheint 2015 auch sein Lied »Das kleine Haus«. Es wird nicht so ganz klar, was das für ein Haus im Wald ist, welche Bedeutung es hat, nicht einmal wo es steht und wo der Wald sich befindet. Das Musikvideo ist jedenfalls in einer irischen Heidelandschaft aufgenommen, wo Gabalier mit Akkordeon an einem Bach sitzt. Aus irgendeinem Grund sollen wir bedauern, dass das Haus irgendwann einmal weg ist, denn in der letzten Strophe singt Gabalier:

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NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION« »Jetzt hab'n sie das Häuschen im Wald niedergerissen, das da gestanden hat seit ein paar hundert Jahren. […] Bald weiß keiner mehr, wie schön es mal dort war« (Gabalier 2015b).

I. Im »Jargon der Eigentlichkeit« schreibt Theodor Adorno 1964: »[Die] Reminiszenz ans Eingehegte und sicher umgrenzte ist gekettet an jenes Moment bornierter Partikularität, das aus sich heraus das Unheil erneuert, vor dem keiner geborgen ist. […] Wie Landschaft häßlicher wird vor dem Bewundernden, der mit den Worten: Wie schön! sie stört, so ergeht es den Bräuchen, Gewohnheiten, Einrichtungen, die sich verschachern, indem sie die eigene Naivetät unterstreichen, anstatt sie zu verändern […]. Die ländlichen Verhältnisse […] stoßen ihre Enterbten in die Barbarei« (Adorno 2018: 430). Man könnte also meinen, das hohle Pathos, die zu Formeln erstarrten, phrasenhaften Beschwörungen in diesen nationalistischen Liedern seien nichts Neues. Wie auch der Historiker Peter Alter, einer der bedeutendsten Interpreten des Nationalismus, vor wenigen Jahren bemerkte, dass der »neue Nationalismus, der heute vielerorts in Europa sein Haupt erhebt, […] im Grunde der alte Nationalismus« sei, den die »Europäer aus ihrer Geschichte zu Genüge kennen« (Alter 2016: 9). Aber so einfach scheint es mir nicht zu sein. Es ist schon auffallend, dass es in Gabaliers Liedern, soweit ich sehe, nur zwei Zeitdimensionen gibt: Eine Gegenwart, in der etwas »noch« vorhanden ist, »da und dort«, und eine Vergangenheit, in der es für »ein paar Hundert Jahre« so »schön« gewesen sei. Was es offenbar nicht gibt, ist eine Zukunft. Und hier scheint mir ein zentraler Unterschied zu jenem alten Nationalismus, etwa bei Ludwig Uhland, zu liegen, der ja in aller Regel auf eine Zukunft bezogen war. Dies gilt auch und gerade dort, wo er sich auf die Überlieferungen der Vergangenheit berief, sie nationalisierte oder geradezu »erfand«: Ob nun Gemeinschaft durch Einschluss erzeugt wurde — im Beispiel, indem der mutmaßlich Erste, der Sauerkraut kultiviert habe, zum Deutschen erklärt wird —, oder ob Wir-Gefühl durch Ausgrenzung eines Fremden erzeugt wurde — hier des Juden, der am alten Brauchtum nicht teilhabe. Jenes Fehlen einer Zukunftsvision, das uns heute häufig im Nationalismus begegnet, ist meines Erachtens kein Zufall, sondern hängt mit einer grundle– gend veränderten Konstellation zusammen, durch welche die Propagandisten einer nationalistischen Agenda sich heute herausgefordert sehen. Im Unterschied zu Uhlands Zeiten, als es galt, eine deutsche Nation noch zu konstruieren, deren Zukunftsvision im souveränen Nationalstaat bestand, aber auch

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GIDEON BOTSCH im Unterschied zum Nationalismus jener Epoche, als der Nationalstaat bereits existierte und seine Propagandist*innen meinten, er müsse sich, sei es auf Kosten von Minderheiten oder anderen Nationen, in einer feindlichen Umwelt behaupten. Dagegen ist ein wesentliches Motiv gegenwärtiger nationalistischer Tendenzen in der rückwärtsgewandten Rekonstruktion eines souveränen Nationalstaats zu sehen.

II. Meine Perspektive auf das Thema ist die eines historisch arbeitenden Politikwissenschaftlers, und die Bezugsgrößen sind für mich Theorie und Empirie des Nationalismus, wie sie in einer jahrzehntelangen Forschung herausgearbeitet wurden.1 Diese Forschung erhielt entscheidende Impulse in den 1960er und 1970er Jahren. Es war die Zeit, in der Geschichtswissenschaft versuchte, sich als moderne Sozialwissenschaft neu zu erfinden. Dies bedeutete eine Einsicht in die eigene Theorie-Bedürftigkeit, der sich Historiker*innen bis dahin oft trotzig verweigert hatten, zugleich eine Öffnung für den Vergleich, die historische Komparatistik, für Systematisierungen und für Typologisierungen. Wir verdanken dieser Phase wesentliche Einsichten. Dazu gehört auch die terminologisch schärfere Trennung zwischen den Phänomenen Nation, Nationalstaat und Nationalismus (vgl. zusammenfassend: Dann 1993; Koselleck et al. 1997). Allerdings stand die federführende Generation von Historiker*innen unter dem bis Mitte des 20. Jahrhunderts prägenden Paradigma einer Historiographie, die Weltgeschichte zumeist im Modus der Entfaltung von Nationalgeschichten schrieb und explizit oder immanent von der Nation als vorgegebener Tatsache ausging. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem essentialistischen Ansatz der Forschungen zu Nation und Nationalismus. Dieser essentialistische Forschungsansatz ist namentlich seit den 1980er Jahren einer kritischen Überprüfung unterzogen worden. Die Durchsetzung einer konstruktivistischen Theorie der Nation kann als die entscheidende Wende in der modernen Nationalismusforschung gelten. Erst jetzt wurden Nationen, Nationalstaaten und Nationalismus konsequent historisiert. Verbunden ist diese Wende vor allem mit den Namen Eric Hobsbawm und Benedict Anderson. Anderson hatte im englischen Titel seines bahnbrechenden Großessays Nationen als »imagined communities« beschrieben, als gedachte Gemeinschaften. Die deutsche Fehlübersetzung dieses Titels als »Erfindung der Nation« (Anderson 1996) zeigt die Richtung auf, in der sich die kon1

Vgl. zum folgenden Forschungsüberblick u.a. Geulen (2004), Weichlein (2006, 2013), Jansen/Borggräfe (2007), Wehler (2011).

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NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION« struktivistische Nationalismusforschung mehr und mehr bewegte, obwohl das keineswegs in Andersons Intention gelegen hatte und auch nicht seinem Vorgehen entspricht: Durch den Aufweis des »konstruierten« Charakters jeder Nation entstand immer mehr der Eindruck, Nationen seien weitgehend frei und aus dem Nichts erfunden. Hobsbawm, der im Anschluss an den französischen Historiker des 19. Jahrhunderts, Ernest Renan (1993), die Bedeutung des »Vergessens« im Konstruktionsprozess der Nation betonte, hat damit die Vorstellung einer rein konstruierten Nation stark gefördert (Hobsbawm 2005). So viel Erkenntnisgewinn sie bringt, birgt sie doch auch die Gefahr, Grundeinsichten konstruktivistischer Sozialforschung aus dem Blick zu verlieren. Peter Berger und Thomas Luckmann hatten ja im Titel ihrer Theorie der Wissenssoziologie von der »gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit« gesprochen und diese Wirklichkeit definiert als »Qualität von Phänomenen […], die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind« (Berger/Luckmann 1987: 1). Dies dürfte auch für die Nation gelten. Besonders seit den 1990ern lässt sich eine rege und dichte empirische Forschung zu unterschiedlichen Phänomenen, Prozessen und Akteuren in den verschiedenen nationalistischen Bewegungen unterschiedlicher Epochen und Regionen feststellen, die das »doing nationalism« an sehr konkreten Beispielen aufzeigten. In den Fokus gerieten zugleich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, Milieus, Strata, Gender-Konstellationen, aber auch Formen nationalistischer Alltags- und Festtagspraxis. Hier leisteten Forschungen zur politischen Kultur, etwa für das Verständnis des deutschen Nationalismus, einen bedeutsamen Beitrag. Vor allem konnten aber fruchtbare Verbindungen zu Nachbardisziplinen, Forschungsansätzen und Interessengebieten geknüpft werden. Geschlechter- bzw. Gender-geschichtliche Arbeiten wären hervorzuheben und solche aus dem eigentlichen Kern der Kulturwissenschaften. Nationalismusforschung ließ sich nunmehr auch als Gegenstandsbereich historischer Sozial- und Kulturwissenschaft definieren (vgl. Weichlein 1997; Frevert 2003; Geulen 2004). Die jüngere Nationalismusforschung hat darüber hinaus das gängige Verdikt gegen den Nationalismus vorsichtig relativiert und die Zwieschlächtigkeit des Phänomens herausgearbeitet, das sich historisch mit unterschiedlichsten politischen, sozialen und kulturellen Bewegungen assoziieren konnte — wie bereits früher Isaiah Berlin und Mario Rainer Lepsius bemerkt hatten (Lepsius 1982: 12; Berlin 1990: 56). In der Regel bedeutete das aber keinen Rückfall in überkommene Affirmationen des Nationalismus, sondern gerade die empirische Forschung konnte auf Ambivalenzen und widersprüchliche Entwicklungen hinweisen. Zunächst bedeuteten weder die konstruktivistische Wende noch die verstärkte Hinwendung zur Empirie eine Abkehr vom Interesse an Theoriebil-

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GIDEON BOTSCH dung. Und wenn auch die »jüngste Nationalismusforschung nicht den Bahnen von Typologien« gefolgt ist (Weichlein 2006: 271), wirken diese zuvor entwickelten Vorschläge doch weiter — und sei es nur implizit. Indes scheinen die älteren Typologien genau jene Verschiebung im Nationalismus, durch welche entscheidende Entwicklungen der letzten Jahre geprägt sind, noch nicht mit zu reflektieren. Analytisch wird weiterhin unterschieden zwischen Nationalismen in Konstellationen, in denen ein zukünftiger Nationalstaat Ziel der nationalistischen Bewegung oder Ideologie ist — etwa zur Zeit Uhlands in Deutschland — und solchen, in denen der souveräne Staat der jeweiligen Nation bereits besteht und der Nationalismus die Funktion hat, seine Bevölkerung zu integrieren, den Staat zu stabilisieren und gegebenenfalls seine Kräfte nach außen zu mobilisieren. Noch unzureichend reflektiert bleiben Phänomene des Nationalismus in einer Konstellation, die Habermas (2013) bereits vor zwei Jahrzehnten als »postnational« gekennzeichnet hat. Deswegen ist es sinnvoll, sich von der aktuellen Tendenz der Nationalismusforschung abzusetzen und erneut über Typologien zu sprechen.

III. Zentraler Fluchtpunkt des Nationalismus bleibt der souveräne Nationalstaat. Jede nationalistische Bewegung muss sich zum Nationalstaat in Beziehung setzen. Hans-Ulrich Wehler (2011: 13) spricht daher vom Nationalstaat als »Kardinalproblem des Nationalismus«. Die Frage nach der Existenz und dem Zustand eines jeweiligen Nationalstaats erhält zentrale Bedeutung für die Typologie, die ich im Folgenden vorschlagen will. Die historische Forschung hat mit Blick auf den Funktionswandel des Nationalismus bisher vor allem im Rahmen von typologischen Phasenmodellen zwischen »Formationsphase und Regimephase« unterschieden, das heißt »die Zeit vor und nach der Nationalstaatsgründung« (Weichlein 1997: 197; vgl. auch Winkler 1979; Alter 1985: 33). Um die historische Entwicklung im vergangenen Vierteljahrhundert, die fundamentale Wandlungsprozesse der Form und Funktion des Nationalstaats erkennen lässt, in die Theoriebildung einzubeziehen, sollen hier nicht zwei, sondern drei Typen von Nationalismus zur Diskussion gestellt werden. Als Maßstab dient der Zustand, in dem sich die Verwirklichung des Ziels eines souveränen Nationalstaats befindet: Strebt der jeweilige Nationalismus die Erreichung eines Nationalstaats für die Zukunft an? Entfaltet sich der Nationalismus im Rahmen eines für die Nation, auf die er referiert, bereits erreichten Nationalstaats? Oder ist sein Bezugspunkt ein Nationalstaat, der

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NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION « — mindestens in der Wahrnehmung seiner Anhängerinnen und Anhänger — wesentliche Elemente von Souveränität im Prozess der so genannten Globalisierung verloren hat? Es ist anzunehmen, dass in verschiedenen Konstellationen Nationalismen nicht nur unterschiedliche Formen annehmen, sondern jeweils auch unterschiedliche Funktionen erfüllen (vgl. Wehler 2011: 76f.). Von »Konstellationen« spreche ich im Rückgriff auf das Konzept der »postnationalen Konstellation«, das Jürgen Habermas in seinem breit diskutierten Essay vor zwei Jahrzehnten, im Jahr 1998, in den Raum gestellt hat. Habermas sprach von »nationalstaatlich verfassten, aber von Denationalisierungsschüben überrollten Gesellschaften« (Habermas 2013: 95f.); den Kontext bildete die »Globalisierung«, worunter er »die Beschreibung eines Prozesses, nicht eines Endzustandes« verstand (ebd.: 101). In der »postnationalen Konstellation« kann der souveräne Nationalstaat in keiner Hinsicht als »aufgehoben« gelten: er ist weder überwunden noch bewahrt noch auf eine qualitativ höhere Stufe gehoben. Für unseren Zusammenhang wichtiger als die empirische Gültigkeit von Habermas' Konzept ist eine öffentliche Wahrnehmung des Bedeutungsverlusts des Nationalstaats. Daran kann der neue Typus des Nationalismus anknüpfen; ich nenne ihn »rekonstruktiven Nationalismus«. In diesem Sinne spreche ich von einem Nationalismus in »pränationalstaatlicher Konstellation«, einem in »nationalstaatlicher Konstellation« und einem in »postnationalstaatlicher Konstellation«. Was also charakterisiert verschiedene Typen von Nationalismus mit Blick auf die Verwirklichung eines souveränen Nationalstaats? In der pränationalstaatlichen Konstellation (oder Formationsphase) muss die Nation als Trägerin des Nationalstaats noch »konstruiert«, das heißt tätig, in Ideologie und Praxis, geschaffen werden. Aus »Traditionen«, seien sie vorgefunden oder erfunden, muss ein für eine hinreichend große Gruppe an Menschen überzeugendes Nationalbewusstsein entstehen, damit diese auf das Ziel der »Nationswerdung« hin, in der Regel im nationalstaatlichen Rahmen, mobilisiert werden kann. Ich nenne ihn den Typ eines »konstruktiven Nationalismus« in einer »pränationalstaatlichen Konstellation«. Mit der Regimephase, der Verwirklichung des souveränen Nationalstaats in einer nationalstaatlichen Konstellation, wandeln sich Formen und Funktionen des Nationalismus markant. Zur ideologischen und praxeologischen Mobilisierung auf die »nationalen Aufgaben und Herausforderungen« verändern sich die Bedürfnisse der Trägerinnen und Träger von Nationalismus. Sie können darin bestehen, die »innere Einheit« der Nation durch Entwicklung und Vertiefung des gemeinsamen Nationalbewusstseins unter Aufgabe von Partikularbewusstsein oder dessen Integration in das Nationalbewusstsein — »out

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GIDEON BOTSCH of many one!« — zu festigen; die Nation auf selbst gestellte oder von außen sich ergebende Herausforderungen hin zu mobilisieren; oder auch das gesellschaftliche Fundament des Nationalstaats in Zeiten der Krise wiederherzustellen. Diese vielfältigen Funktionen lassen sich im deutschen Sprachgebrauch nur unzureichend auf einen Begriff vereinen. Im Englischen werden sie etwa durch die vielfältigen Bedeutungsgehalte des Verbs »to maintain« und des Substantivs »maintainance« abgedeckt. Der Begriff der »Reproduktion« ist das treffendste sprachliche Äquivalent. Den zweiten Typus bezeichne ich also als »reproduktiven Nationalismus« in einer »nationalstaatlichen Konstellation«. Entsprechend verändert sich der Nationalismus erneut, wenn in einer postnationalstaatlichen Konstellation der souveräne Nationalstaat wesentliche Elemente seiner Prärogative an internationale oder regionale Institutionen delegiert hat; wenn er strukturell keine Macht mehr besitzt, sie dauerhaft durchzusetzen; oder wenn er auf andere Weise gezwungen war, sie aufzugeben. Hinzu kommt eine substanzielle, quantitative wie qualitative Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung als Folge internationaler Migration. Den Nationalismen in postnationaler Konstellation geht es vorrangig darum, migrationsbedingte Veränderungen rückgängig zu machen und die Rechte und Vorrechte des Nationalstaats möglichst umfangreich wiederherzustellen, sie zu »rekonstruieren«. Daher bezeichne ich diesen Typus als »rekonstruktiven Nationalismus«.

IV. Die drei Typen sind, insofern sie ein Kriterium einseitig hervorheben, als Idealtypen im Sinne Max Webers gebildet (vgl. Weber 1991). In der empirischen Wirklichkeit sind sie erwartungsgemäß nicht in »reiner« Form auffindbar, vielmehr ist mit vielfältigen und komplexen Mischungsverhältnissen zu rechnen. Sie können und sollen mithin nicht alle Phänomene abdecken, die sich realgeschichtlich feststellen lassen. So können Nationalismen auf vielfältige Weise in unterschiedlichen Phasen verschiedenen Typen stärker oder schwächer angenähert werden. Mit Rücksicht darauf möchte ich eine Reihe von Untertypen vorschlagen, die eine stärkere Annäherung empirisch vorfindbarer Phänomene zulassen, obgleich sie ebenfalls nicht als Realtypen zu verstehen sind.

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NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION« 1) Im Bereich des konstruktiven Nationalismus lassen sich eine Reihe von Typologien bereits vorfinden, die für die Bildung von Untertypen hilfreich sein können. So lassen sich, anknüpfend an das Phasenmodell von Theodor Schieder (1992), folgende drei Untertypen bilden: (a) National-revolutionärer Nationalismus dort, wo eine territoriale staatliche Einheit bereits besteht, breite Teile der Bevölkerung sich als »Nation« formieren und Anspruch auf revolutionäre Umgestaltung des Staates zum Nationalstaat, auf dessen »Nationalisierung« erheben. (b) Unifizierender Nationalismus dort, wo eine Vereinigung verschiedener, getrennter Territorien zu einem Nationalstaat angestrebt wird. (c) Sezessionistischer oder separatistischer Nationalismus dort, wo sich Bevölkerungsteile in einem bestimmten Territorium oder auf Grund eines bestimmten — ethnisch, kulturell, religiös oder anderweitig definierten — gemeinsamen Merkmals von einem Territorial- oder Nationalstaat bzw. einem übernationalen imperialen Staat lösen und einen eigenen Nationalstaat bilden wollen. 2) Formen und Funktionen des Nationalismus in der »nationalstaatlichen Konstellation« gestalten sich ebenfalls sehr unterschiedlich. Nationalistische Mobilisierung erfolgt im Übrigen nicht nur, wie der Begriff »Regimephase« nahelegen könnte, »von oben«, sondern kann auch oppositionelle Formen annehmen oder ein Wechselspiel zwischen Eliten und breiteren Bewegungen erkennen lassen. Erscheinungsformen des Nationalismus in der »nationalstaatlichen Konstellation« lassen sich drei weiteren Untertypen annähern: (a) Integrativer Nationalismus besteht da, wo eine im Nationalstaat verfasste Bevölkerung ihre »innere Einigung« zur Nation noch oder wieder erreichen soll. Nationalismus mobilisiert dann nach innen zur Überwindung trennender Unterschiede auf Grundlage von Herkunft, historischer, regional-sozialgeographischer oder soziologischer Eigenarten oder Spaltungen, die entweder verschwinden oder in den Bestand der Nation eingehen sollen. (b) Expansionistischer oder imperialer Nationalismus mobilisiert die Kräfte der Nation nach außen; sei es, dass Gebietsansprüche außerhalb der nationalstaatlichen Grenzen erhoben werden; dem Nationalstaat eine machtvollere internationale Bedeutung, eine »Weltgeltung« verliehen werden soll; oder gar eine imperiale Position für die eigene Nation angestrebt wird, deren Hegemonie

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GIDEON BOTSCH oder unmittelbarem Machtzugriff sich andere Nationen und Bevölkerungsgruppen unterordnen sollen. (c) Revanchistischer Nationalismus entsteht nach einer empfundenen oder tatsächlichen territorialen, ökonomischen, politischen, kulturellen oder anderweitigen Deprivation der Nation, die indes den Nationalstaat an sich nicht beseitigt hat, obwohl bestimmte Aspekte seiner Souveränität eingeschränkt sein mögen. 3) Diese Typen und Untertypen können sowohl auf eine breite historische Erfahrung als auch auf eine breite geschichts-, kultur- und sozialwissenschaftliche empirische und theoretische Forschung aufbauen. Demgegenüber ist der Typus des rekonstruktiven Nationalismus, der sich erst in einer postnationalstaatlichen Konstellation entfaltet, noch weniger deutlich greifbar. Gleichwohl möchte ich auch für diesen Typus drei Untertypen vorschlagen: (a) Als retrovertierten Nationalismus bezeichne ich eine eher nostalgische, antiquarische Rückwendung auf den früheren Nationalstaat. (b) Fundamentaloppositioneller Nationalismus kämpft aktiv gegen die Denationalisierung der Politik, gegen die Einbindung in regionale oder internationale Normen, Regime, Verträge und dergleichen sowie gegen grenzüberschreitende Migrationsbewegungen. Wenn rekonstruktiver Nationalismus aus der fundamentaloppositionellen Rolle heraustritt, können die ihn tragenden politischen Parteien und Bewegungen versuchen, als kleinerer Partner im Rahmen von Koalitionsregierungen auf Renationalisierung in möglichst vielen Aspekten hinzuwirken. In Andreas Gabaliers Heimatland Österreich ist dies mehrfach der Fall gewesen, und auch in anderen europäischen Ländern lässt sich diese Tendenz beobachten. Dabei steht die nationalistische Bewegung immer noch mit einem Bein in der Fundamentalopposition, in die ihre politischen Träger immer wieder zurücktreten können und deren außerparlamentarische Kräfte sie zu mobilisieren versuchen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Sie verweist aber bereits auf eine neue Funktion, die einem dritten Untertypus zugeordnet werden kann: (c) Autoritär-plebiszitärer Nationalismus dürfte die Form und Funktion des rekonstruktiven Nationalismus an der Macht bestimmen.

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NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION « Typus

Konstellation

1) Konstruktiv

Pränationalstaatlich

Untertyp (a) National-revolutionär (b) Unifizierend (c) Sezessionistisch/Separatistisch

2) Reproduktiv

Nationalstaatlich

(a) Integrativ (b) Expansionistisch/Imperialistisch (c) Revanchistisch

3) Rekonstruktiv

Postnationalstaatlich

(a) Retrovertiert (b) Fundamentaloppositionell (c) Autoritär-Plebiszitär

Abb. 1: Typologie von Nationalismen

V. Dieser Vorschlag zur Typologie kann helfen, die neue — für viele Beobachter*innen unerwartete — Dynamik des Nationalismus besser zu verstehen. Dessen »Rückkehr« lässt sich nun in Beziehung setzen zum Prozess der Globalisierung und der Krise, in die dieser Prozess selbst inzwischen geraten ist. Der für längere Zeit vorherrschende Trend einer kapitalistischen Globalisierung, die auf demokratische Legitimation und Teilhabe wenig Rücksicht nimmt, ist vorläufig an Grenzen gestoßen, während das Projekt einer linken und demokratischen Gegen-Globalisierung bislang wenig internationale Perspektiven entwickeln konnte. Die jüngste Welle des autoritären Nationalismus ist mindestens auch eine Flucht in die Renationalisierung als Reaktion auf die Globalisierung (vgl. Hirsch/Jessop/Poulantzas 2001; Mense 2016). Dabei ist der idealtypische Charakter der Typologie im Blick zu behalten. Auch die aktuellen Herausforderungen durch Nationalismus lassen sich nicht durchgängig einem Typus zuordnen und pauschal als »rekonstruktiv« bezeichnen; meist mischen sich Züge verschiedener Typen. Das gilt nicht nur für die einstmals großen Imperien, die USA, Russland, die Türkei, vielleicht China, in denen der jeweilige Nationalismus stark revanchistische, im Ansatz auch expansiv-imperialistische Züge tragen kann. Es gilt auch für die jüngeren Nationalbewegungen etwa in Schottland oder Katalonien, vermutlich auch in Kurdistan, die deutlich stärker konstruktive Züge aufweisen. Indes besteht ohne eine erneute Diskussion über die Typologisierung nationalistischer Bewegungen die Gefahr, dass die neuen Nationalismen auch empirisch nur durch die Brille des »alten«, »bekannten« untersucht und so ihre Spezifika und besonderen Ausprägungen übersehen werden. Wenn sich die Konstellationen des

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GIDEON BOTSCH Nationalismus im 21. Jahrhundert gewandelt haben, wenn zu den Nationalismen in Formierungs- und in Regime-Phasen solche treten, die quasi in »PostRegime-Phasen« fallen, dann ist zu erwarten, dass sich auch Formen und Funktionen wandeln. Das hat Rückwirkungen auf die Empirie. Wenn der historische Konstellations-, Funktions- und Formwandel angemessen berücksichtigt und durch eine erweiterte Typologie an Theoriebildung anschlussfähig wird, könnten sich bspw. auch nationalistische Äußerungen im kulturellen Bereich, etwa in der Popularmusik, besser verstehen und leichter interpretieren lassen. Eingangs habe ich behauptet, dass diesem neuen Nationalismus oft eine Zukunftsperspektive fehlt. Das findet sich nun keineswegs nur in Andreas Gabaliers breitentauglichem »Volks-Rock'n'Roll«, sondern auch in anderen Genres und Feldern, in völlig anderen Formen nationalistischer Popularmusik. Ich habe etwa ein Video vor Augen, das die französische, im Neonazismus zu verortende Black Metal-Band Peste Noire (auch: Kommando Peste Noire) 2015 zu ichrem Song »Dans ma nuit« veröffentlicht hat (Peste Noire 2015).2 Es zeigt eine morbide, graue, von Ruinen und Müll geprägte französische Provinzlandschaft, durch einen Schriftzug als »Le Enfer« ausgewiesen, und eine Gruppe Männer mittleren Alters in einer ungerichtet aggressiven, tieftraurigen, versoffenen Szenerie. Das siebenminütige Video nimmt nach knapp fünf Minuten Fahrt auf. Es entsteht der Eindruck, als würden die Protagonisten sich in die große Stadt begeben. An einer Straßenbrücke erscheint das Graffito »Je chie sur vortre metropole« (»ich kack' auf Eure Metropole«). Nachdem die Angehörigen der Gruppe kurz mit Schnellfeuergewehren und anderen Schusswaffen eingeblendet werden, folgen Bilder großstädtischer Verwahrlosung und Obdachlosigkeit — die jetzt deutlich auch ein »multikulturelles« Gesicht tragen. Bei allem Kontrast zwischen dieser zutiefst beschädigten »Heimat« und dem Bild einer »noch« intakten Waldidylle in Andreas Gabaliers »Das kleine Haus« fällt ein verbindendes Element auf: Es gibt dort keine Zukunft. Vielleicht ist der Satz verallgemeinerbar: Vielleicht hat der rekonstruktive Nationalismus keine Zukunft. Das könnte bedeuten, dass er nach einiger Zeit wieder verschwindet. Aber es könnte genauso gut bedeuten, dass die durch Globalisierung ihrer Nation beraubten »Enterbten« zurückfallen in jene »Barbarei«, vor der Adorno in den 1960ern warnte. Denn schon heute ist erkennbar, dass der rekonstruktive Nationalismus, wo es in seiner Macht steht, behindert oder sogar verhindert, dass die Herausforderungen der Gegenwart im Interesse einer lebenswerten Zukunft gestaltet werden können. 2

https://www.youtube.com/watch?v=5LLNTURw_7Y — Den französischen Text des Liedes habe ich mit Blick auf meine Fragestellung zunächst völlig ausgeblendet.

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NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION«

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GIDEON BOTSCH Weichlein, Siegfried (2013). Nationalbewegungen und Nationalismus in Europa. Darmstadt: WBG. Wehler, Hans-Ulrich (2011). Nationalismus. Geschichte — Formen — Folgen. München: Beck (4. Aufl.). Winkler, Heinrich August (1979). Liberalismus und Antiliberalismus. Studien zur politischen Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Diskographie Gabalier, Andreas (2009a). »Steirerland«. Auf: Da komm' ich her. Stall-Records / Koch Universal Music CD 06025 271252 6. Gabalier, Andreas (2009b). »Es ist die Zeit«. Auf: Es ist die Zeit. Koch Universal Music CD 06025 2741032 6. Gabalier, Andreas (2011a). »Bergbauernbuam«. Auf: Herzwerk. Koch Universal Music CD 06025 2741032 6. Gabalier, Andreas (2011b). »Dahoam«. Auf: Herzwerk. Koch Universal Music CD 06025 2741032 6. Gabalier, Andreas (2015a). »A Meinung haben«. Auf: Mountain Man. Stall-Records CD 06025 4728410. Gabalier, Andreas (2015b). »Das kleine Haus«. Auf: Mountain Man. Stall-Records CD 06025 4728410; Musikvideo: https://www.youtube.com/watch?v=mU-CVdAn1eQ (Version v. 31.10.2015; Zugriff: 13.3.2020). Gabalier, Andreas (2016). »A Meinung Haben« — Olympiastadion München, 30.07.2016 [Ausschnitt aus dem Live-Auftritt], https://www.youtube.com/ watch?v=VqOLFQsIIyk (Version v. 31.7.2016; Zugriff: 13.3.2020). Kommando Peste Noire (2015). »Dans ma nuit«. Auf: La Chaise-Dyable, La Mesnie Herlequin LMH08; Musikvideo: https://www.youtube.com/watch?v=5LLNTURw_ 7Y (Version v. 12.7.2017; Zugriff: 15.3.2020).

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NATIONALISMUS IN DER »POSTNATIONALEN KONSTELLATION«

Abstract The successful Austrian pop-musician Andreas Gabalier has devoted several of his songs to his Styrian homeland. Gabalier's work and performance has often been perceived as nationalist. When analyzing some of his lyrics, an astonishing observation can be made: Most references to the »homeland« are backward-looking. This article argues that the remarkable lack of a national »future« in Gabalier's work is characteristic for contemporary nationalist manifestations, not only in popular culture, but also in ideologies and politics. The article introduces a new typology of nationalist movements. With regard to the character of the related nation-state, three types are discussed: »constructive nationalism« whereby the nationalist movement strives for a future sovereign nation state; »maintaining nationalism« wherein a nation state already exists; and »reconstructive nationalism« where nationalists believe that the nation state has lost its independence, sovereignty, and freedom in the course of globalization and hope for a reconstruction. However, these types are defined here as »ideal types« in a Weberian sense and will hardly be found in their »pure« forms in history or social reality.

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›N A T I O N ‹

REVISITED: EINES

GESCHICHTE UND GEGENWART AMBIVALENTEN KONZEPTS

Maria Alexopoulou Ist ›Nation‹ noch so relevant und damit wert, prominent in das Zentrum wissenschaftlicher Diskussion gestellt zu werden? ›Nation‹ verliert sowohl als Konstrukt als auch als materielles Objekt sukzessive an Bedeutung. Das gilt auch für ›Nation‹ als Ausgangspunkt kulturwissenschaftlicher, soziologischer und historischer Untersuchungen: Die Abkehr vom methodischen Nationalismus — also dem Blick auf Phänomene mit einer Fokussierung auf das nationale Level, national(staatliche) Kategorien und Ordnungsprinzipien verknüpft mit der Auffassung, Nation(alstaat) sei ein abgeschlossener Container — vollzieht sich allmählich, aber immer durchgreifender. Selbst wenn der Gegenstand der Untersuchung noch national geframed ist — bspw. die Geschichte der Einwanderungsgesellschaft Deutschland — kommen andere Ansätze zum Tragen, so etwa die multi-level Perspektive, die vom Lokalen ausgehend versucht, alle relevanten Akteurs- und Praxis-Ebenen einzufangen (Alexopoulou 2016) oder verflechtungshistorische Ansätze. Parallel erhält sich das ›Nationale‹ konzeptionell teilweise gerade da, wo man sich davon zu lösen meint, etwa in transnationalen Perspektiven oder auch beim historischen Vergleich nationaler Einheiten, beides sehr stark verbreitete Zugriffe in der zeithistorischen Forschung. Momentan ist das Nachdenken über ›Nation‹ vor allem auf seine Wiederbelebung durch rechtspopulistische Bewegungen zurückzuführen, die sich in den letzten Jahrzehnten weltweit ausgebreitet und zunehmen die Diskurse und das Geschehen mitbestimmt haben. Rechtspopulist*innen greifen ›Nation‹ auf als einen jener flottierenden Begriffe, die sich nicht exakt definieren lasen, ein Konzept, dessen Wirkmacht unsere Geschichte und Wirklichkeit jedoch tief geprägt hat (Hall 2018). Vielerorts scheint der Rekurs auf das Nationale rechten/rechtsradikalen Bewegungen einen Anker zu bieten — so auch in Deutschland —, um andere Inhalte, wie etwa den gegen Migrationsandere gesamtgesellschaftlich vorhandenen Rassismus sagbarer und handelsleitender

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MARIA ALEXOPOULOU zu machen, was Teil ihrer noch weitgehend unklaren Agenda ist. Geht es ihnen also wirklich in erster Linie um die Nation? Im Folgenden soll argumentiert werden, dass es sich bei der aktuellen Konjunktur des Nationalen eher um einen Backlash handelt, der die Dekonstruktion der Nation als Gegenbild zur globalisierten Welt zwar aufhalten oder zurückdrehen, dabei aber eigentlich andere Konzepte und Wissensbestände schützen will: in den USA etwa die White Supremacy, in Deutschland, das im Mittelpunkt meiner Überlegungen steht, das deutsche Volk. Im einem weiteren Schritt sollen verschiedene Elemente, die sich im Konzept ›Nation‹ kreuzen, besprochen und gleichzeitig ein kursorischer Überblick darüber geben werden, wie Geschichtswissenschaft traditionell Nation verstanden und dabei auch Nationalhistoriographie produziert hat, die weiterhin den Rahmen vorgibt, wie retrospektiv auf vergangenes Geschehen geschaut wird. ›Nation‹ hat dabei trotz ihres Konstruktcharakters auch materielle Entsprechungen, so etwa in Form des Nationalstaats, der global nach wie vor das zentrale Ordnungsprinzip darstellt. Schließlich soll besprochen werden, welche Identitätsoptionen das Konzept ›deutsches Volk‹1 einer Gesellschaft bietet, die schon seit langem eine herkunftsdiverse Einwanderungsgesellschaft ist.

Nation oder Volk? Mit Blick auf Deutschland stellt sich die Frage, welche Rolle ›Nation‹ eigentlich spielt. So kommt ›Nation‹ im Grundgesetz, der Verfassung der Bundesrepublik, als eigenständiger Begriff nicht vor. Als Derivat erscheint er zehn Mal: als Teil von ›international‹, ›supranational‹ und ›Nationalsozialismus‹. Es liegt nahe anzunehmen, dass der Begriff gerade wegen dieser letzten, exponierten Nennung in Deutschland nach 1945 verbrannt war. Das mag sein, doch interessanterweise spielte er selbst für die Nationalsozialisten keine besondere Rolle, er wurde von einigen Propagandisten sogar eher als Ärgernis empfunden, denn die Nationalsozialisten bezogen sich nicht auf Nation, wenn sie über das Kollektiv der Deutschen sprachen, sondern auf das deutsche Volk und die Volksgemeinschaft als eine zu erschaffende Utopie. Auch Volksge1

Die Wendung ›deutsches Volk‹ wird in diesem Text wie weitere Begriffe in einfache Anführungsstriche gesetzt, wenn er als Konzept adressiert wird; kursiviert wird ›deutsches Volk‹ sowie ›Volksgemeinschaft‹, ›Ausländer‹ u.a., um das rassistische Wissen, das diesen Begriffen inhärent ist, visuell zu markieren (siehe Alexopoulou 2019b und 2019c). Ansonsten werden fremdsprachige Begriffe oder Wendungen kursiviert. Ironische oder sonstige Distanzierungen von Begriffen werden durch doppelte Anführungsstriche kenntlich gemacht.

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS meinschaft hatten sie nicht erfunden, das Konzept wurde vielmehr in der Weimarer Republik von fast allen politischen Parteien, außer den kommunistischen und sozialistischen, genutzt und hatte schon damals eine biologischkulturelle, völkisch-rassische Prägung. Zudem setzte es dem als westlich empfundenen Konzept der eher individualistisch geprägten Gesellschaft das der organischen Gemeinschaft entgegen (Retterath 2016: passim). Im »Dritten Reich« wurde Volksgemeinschaft dann entsprechend weiter in diesem Sinne aufgeladen (Schmiechen-Ackermann 2012: passim). Vor 1933, während des NS und nach 1945 dominierte jedenfalls eine Komponente dieses Konzepts, nämlich ›Volk‹, in den Diskursen über das Kollektiv der Deutschen — nicht ›Nation‹. In der Weimarer Verfassung kommt ›Volk‹ als Einzelwort oder Kompositum 58-mal, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 61-mal vor. ›Volk‹ wird dabei in einigen Aspekten deckungsgleich mit ›Nation‹ benutzt, in anderen impliziert es viel mehr oder anderes. Es meint zum einen den Demos, also die Gesamtheit jener, die über das Gemeinwohl bestimmen, zum anderen die Plebs, also das einfache Volk »da unten«, aber auch eine herkunftshomogene, organische Gemeinschaft, die durch Sprache, Kultur und »Blut« verbunden ist. Gerade der deutsche Begriff ›Volk‹ bedarf somit der Einzelbetrachtung, wenn man Phänomene der Identitätsbildung und des kollektiven Zusammengehörigkeitsgefühls in Deutschland adressieren will, um die es im Folgenden auch gehen soll.

Kampf der Narrative Die Nation ist eine Narration, so der Postkolonialismus-Theoretiker Homi Bhabha (Bhabha 1990). Angesichts der teilweise erbitterten Kämpfe um das vorherrschende nationale Narrativ, die seit einigen Jahren in vielen Gesellschaften toben, gewinnt dieser Ausspruch eine praxeologische Plastizität und damit auch Plausibilität. So erzählten die USA 2008 mit der Wahl Barack Obamas zum ersten schwarzen Präsidenten, dessen Vater zudem ein Einwanderer muslimischen Glaubens war, die Erfolgsgeschichte der nation of immigrants, in der allen qua Geburt die gleichen Möglichkeiten offenstehen. Diesem historischen Wendepunkt, an dem Martin Luther Kings so charismatischer und zum Nationalsymbol geronnener Ausspruch »I have a dream« verwirklicht schien — auch wenn die Euphorie schon im Verlauf von Obamas Präsidentschaft in Enttäuschung gemündet war und sich heute heftiger denn je in der Black Lives Matter-Bewegung äußert — setzte Donald Trump ein diametral entgegengesetztes Nationalnarrativ gegenüber. Das tat und tut er freilich mit seiner ganz

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MARIA ALEXOPOULOU persönlichen Note, die ihn als Phänomen insofern einzigartig und neu machen. Doch tatsächlich wurzelt seine Version der US-amerikanischen Nation ebenso im Fundus US-amerikanischer Nationalnarrative: Als einer Nation, die ihr eigenes Interesse nicht in Bündnissen sieht — in entangling alliances, vor denen schon Präsident Thomas Jefferson 1801 gewarnt hatte —, sondern ihr nationales Interesse im Alleingang sucht. Diese unilaterale Politik hatten die USA ohnehin erst seit dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben. Nach Trumps Narrativ wird Immigration immer noch als konstitutives Element der amerikanischen Nation betrachtet, diese soll jedoch verstärkt nach Herkunft reguliert werden, der Zugang anhand einer Herkunftshierarchie ermöglicht oder verhindert werden. Diese rassistische Einwanderungspolitik hat in den USA Tradition: So wurde 1882 mit dem Chinese Exclusion Act chinesische Arbeitsmigration und Einwanderung generell verboten. Einen Höhepunkt erreichte die Restriktion von Immigration mit den national origin quotas der 1920er Jahre, die bis 1965 gültig waren, mittels derer neben weiteren Asiat*innen auch Süd- und Osteuropäer*innen an der Einwanderung gehindert wurden bzw. diese anhand festgelegter Quoten stark gedrosselt wurde — auch das aus offen rassistischen Motiven (Riemers 2016). Diese Tradition lässt die Rhetorik Trumps und der Republikaner somit als Backlash erscheinen, als Versuch einer Rückkehr. Diese Politik produziert kein neues Narrativ, sondern versucht, ein altes wieder zur Geltung zu bringen, was freilich Diskurse und Praktiken unterfüttert, die materielle Folgen haben, womit dieser Backlash nicht lediglich in der Narration verharrt, sondern neue Realitäten schafft. Eine gewissermaßen parallele Entwicklung lässt sich auch in Deutschland beobachten: Hier feierte man sich zu jener Zeit, als Obama Präsident wurde, selbst als erfolgreiche und saturierte Demokratie, wie etwa in dem im Jahr 2006 publizierten und weit rezipierten Werk des Heidelberger Historikers Edgar Wolfrum Die geglückte Demokratie. Inzwischen war Deutschland nicht nur »Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung«2, sondern hatte auch den Sozialismus hinter sich gelassen und war als vereintes Deutschland in der Mitte Europas zur verantwortungsvollen europäischen Führungsmacht avanciert. Man verstand sich als eine postnationale Nation (Jarausch 1995), womit der Identitätswandel der Deutschen zu Demokraten und Nicht-Nationalisten besiegelt und die These vom nationalen Sonderweg endgültig ad acta gelegt wurde. Man gönnte sich nun auch das Recht, in einem alle Nationen inkludierenden Partypatriotismus die eigene Nation zu feiern, was im »Sommermärchen 2006« einen Höhepunkt fand (Mutz/Gerke 2019: 87ff). Dass zu jener Zeit 2

Dieser Ausspruch wird dem ungarischen Schriftsteller Péter Esterházy zugeschrieben; so etwa von Elena Stepanova (2009: 17).

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS auch erstmals die no-go areas für dunkelhäutige Menschen im Osten zum Thema wurden, spielte dabei keine besondere Rolle. Auch strukturelle Ungleichheiten für einen großen Teil der bereits seit zwei oder drei Generationen in Deutschland eingewanderten Menschen wurden zu jener Zeit nur am Rande diskutiert und zumeist als deren Defizit und nicht als ein der Bundesrepublik inhärentes Problem betrachtet. Dass gerade im Jahr 2010 Thilo Sarrazins offen rassistisches Buch Deutschland schafft sich ab zum erfolgreichsten Sachbuch in der Geschichte der Bundesrepublik avancierte, nahm auf die Bewertung des Erfolgsmodells Bundesrepublik ebenso wenig Einfluss. Erst Pegida, AfD und die sogenannte Flüchtlingskrise brachten dieses Selbstverständnis nachhaltig ins Wanken und tun es immer noch, so auch nach der Wahl in Thüringen im Herbst 2019, die der AfD und dem offenbar überzeugten Nationalsozialisten Björn Höcke mehr als 23 Prozent der Wählerstimmen brachte. Im Sommer und Herbst 2015 prallten die laut hörbaren, offen rassistisch-völkischen Parolen auf eine Willkommenskultur, die vom Gefühl her direkt an den Partypatriotismus des »Sommermärchens 2006« anzuknüpfen schien: Die Deutschen waren die Guten, hießen die Fremden fast frenetisch willkommen und freuten sich ihrer eigenen Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft. Im Sommer 2015 fand in Deutschland tatsächlich eine Zäsur statt, die mit den Ereignissen am Silvesterabend 2015/16 auf der Kölner Domplatte wieder eine neue Ausdifferenzierung erfuhr und nicht nur zwei, sondern mehrere Lager schuf. Doch die Zäsur war nicht, wie es eine Mehrheit weiterhin anzunehmen scheint, dass Deutschland nun praktisch über Nacht zum Einwanderungsland wurde, sondern sie besteht darin, dass sich nun ein offener Konflikt der Narrative gerade entlang der Frage der Migration entfaltet hat, die weitere Themenfelder umfasst, so auch die Frage der Demokratie. Während also eine Mehrheit der Bevölkerung und etablierten Politik meint, dass Deutschland 2015 zum Einwanderungsland geworden sei und das akzeptiert oder zumindest toleriert, ein kleiner Teil der Bevölkerung das sogar als positiv und wünschenswert erklärt bzw. das schon weit vor 2015 getan hat, ist etwa ein Viertel der Bevölkerung ausdrücklich dagegen.3 Für sie scheint das deutsche Volk, das die Grundlage der deutschen Nation bildet, in seiner biologischen oder kulturellen Substanz gefährdet. Übrigens sprach sich schon seit den 1980er Jahren, als man anfing diese Frage systematisch zu erheben, relativ konstant etwa ein Viertel der Bevölkerung in repräsentativen Umfragen gegen Ausländer aus, wie diese damals neue, permanent anwe3

Das legen mehrere Studien nahe, so auch die repräsentative Umfrage der Bertelsmann Stiftung von 2017, siehe besonders S. 23 und auch deren neuere Studie von 2019 von Kober/Kösemem, hier besonders S. 13f.

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MARIA ALEXOPOULOU sende Bevölkerungsgruppe genannt wurde.4 Ebenso gab es Zeiten, als sich führende Politiker*innen der CDU und der SPD öffentlich und hinter verschlossenen Türen entsprechend äußerten und Politik machten. So erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl seiner britischen Amtskollegin im Jahr 1982, dass man die Zahl der Türken in Deutschland unbedingt halbieren müsse (Alexopoulou 2018: 29f.). 1988 soll der damalige stellvertretende CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber Journalisten gegenüber geäußert haben, dass die Deutschen nicht »durchmischt und durchrasst« werden wollten (o.A. 1988). Auch die AfD hat also kein neues Narrativ erfunden bzw. musste dabei nicht bis ins Jahr 1945 zurückgehen, wie es der NS-Experte Michael Wildt (2017) impliziert. Der Backlash, den Pegida und AfD lostraten, sollte in diesem historischen Moment nicht nur die »Flüchtlingskrise« und die Willkommenskultur rückgängig machen, sondern wendet sich allgemein gegen die Tatsache, dass eine Mehrheit nun das anerkennt, was seit einigen Jahrzehnten Realität ist, nämlich dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist und dass sich das deutsche Volk ebenso immer sichtbarer zu einem herkunftsdiversen und nicht mehr biologisch und kulturell homogenen Kollektiv wandelt — denn Deutsche sind nun auch viele, die weiterhin von AfD, aber auch beträchtlichen Teilen der Gesamtgesellschaft als Andere geframed werden.

Die Materialität des Konstrukts ›Nation‹ War also angesichts dieser an vielen Orten der Welt zu beobachtenden Kämpfe um das nationale Narrativ die Annahme, dass das Nationale erodiere und an Bedeutung verliere, eine vorschnelle Prognose? Genau wie die Zeitdiagnose des Historikers Francis Fukuyama 1992 vom »Ende der Geschichte«, nachdem der Kalte Krieg zugunsten des westlichen demokratischen Nationalstaats-Modells offiziell für beendet erklärt worden war? Die Geschichte ging weiter mit mehr oder minder dramatischen Ereignissen globalen und lokalen Ausmaßes. Genauso waren weder 1992 noch heute die Nation und das Nationale überwunden. Das liegt jedoch nicht allein an einem mehr völkischrassistischen als einem primär nationalistischen Backlash, der aktuell die Globalisierung der Welt zurückdrehen will, die sich seit langem nicht allein

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Daten zur Haltung der Bevölkerung zu Ausländern wurden erst seit den 1980er Jahren regelmäßig erhoben, systematisch erst seit den 1990er Jahren. Siehe einen Überblick über die Studien, die sich lange Zeit nur mit Rechtsextremismus und weniger mit rassistischen Haltungen in der Mitte der Gesellschaft befassten, Frindte u.a. 2016. Zur Haltung von Politik und Bevölkerung in den 1980er Jahren s. auch Alexopoulou (2018).

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS auf Waren beschränken lässt, sondern auch immer Menschen, Kulturen und Werte umfasst. Der Grund ist vielmehr, dass Nation auch unabhängig von diesen Kämpfen eben mehr als eine Narration ist, insofern Nationen Objekte bezeichnen, denen trotz ihres Konstrukt-Charakters auch Materialität und extreme Wirkungsmacht zukommt.5 Diese Materialität und Wirkungsmacht ist aber auch auf einer Metaebene narrativ eingebunden: Die Tatsache, dass Nation heute als selbstverständliches Element unserer aller Lebensrealität gilt, hat viel mit der Art zu tun, wie wir, die Wissenschaft, das Thema betrachten und beschreiben. Die Geschichtswissenschaft hat dabei einen besonderen Anteil, da ja primär sie die Geschichte der Nation erzählt und somit den Stoff zur Verfügung stellt für das kollektive Bewusstsein, das sich erst in einer gemeinsamen Vergangenheit konstituiert und zu einer Identität gerinnt. Die Geschichtswissenschaft bereitet das Meisternarrativ auf, das als Erinnerungskultur konserviert wird. Dabei ist Nation schon als historischer Großbegriff kaum exakt zu bestimmen oder eindeutig zu bewerten: Entstanden das Konzept ›Nation‹ und jene Gemeinschaften, die sich als Nationen definierten, im Zuge der Moderne oder war die europäische Moderne auch Folge von Nationsbildungen und Nationalbewegungen? Waren Nationalbewegungen Motor für die Entwicklung moderner politischer und wirtschaftlicher Systeme, die auf die neuen Realitäten der Industrialisierung reagierten? Oder korrelieren Nation und die Form der Herrschaft, die sie ausprägen, gar nicht miteinander? War der Nationalstaat, der aus den Nationalbewegungen als politische Organisationseinheit entstand, Ausdruck der allmählichen Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker als neuer Souverän nach außen und nach innen? Oder war die Nation Ergebnis einer zunächst nach innen gerichteten Homogenisierung der Bevölkerung, die mit Dominanz, Hegemonie und Gewalt durchgesetzt wurde? Diese Dominanz und Hegemonie einzelner Nationen richtete sich auch nach außen gegen Andere, die man vermeintlich zum Wohle der eigenen Nation eroberte, kolonisierte oder in Grenzkonflikten einverleibte und ausbeutete. Ebenso äußerte sich das nationale Interesse in Form mehrerer Großkriege und zweier Weltkriege, in denen die imperialen Nationen untereinander um die Weltdominanz kämpften. Auch in der heutigen Weltordnung besteht trotz internationaler Kooperation der Konflikt zwischen Nationalstaaten weiter, ist aber mittels militärischer Hochrüstung und entsprechender Bündnisse eingedämmt. Dennoch äußert er sich immer wieder in Stellvertreterkriegen sowie mittels ökonomischer Konflikte und Dominanz in neoliberalen Konstellatio-

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Siehe auch zum Folgenden kursorisch Dormal (2017: 19-67) und Richter (2011).

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MARIA ALEXOPOULOU nen, die wiederum neokoloniale Verhältnisse herstellen, in denen mächtige Nationalstaaten und das Kapital bzw. die Wirtschaft Hand in Hand agieren. In der Geschichtswissenschaft überwog bis vor einiger Zeit die Meinung, dass Nationen und Nationalstaaten Etappen des Fortschritts hin zur Entstehung der aktuellen globalen Ordnung waren.6 Nach der Überwindung der Irrwege von Nationalismus, Imperialismus und dem Zeitalter der Extreme — des Faschismus und des Kommunismus — entwickelten sie sich zu Garanten einer stabilen Weltordnung und im Inneren zu demokratischen und pluralistischen Gesellschaften. Lange Zeit befasste man sich damit, die unterschiedlichen Formen der europäisch-atlantischen Nationsverständnisse und Nationalismen in dieser quasi deterministisch betrachteten Entwicklung zur liberalen, demokratischen Nation hin zu typologisieren: Angefangen von der Unterscheidung in die Kultur- und die Staatsnationen (Meinecke 1969 [1905]); zu der Bestimmung eines westlichen Nationsverständnisses, liberal und an Staatsbürgerschaftsrechten orientiert wie bei der britischen, französischen und USamerikanischen Nationalvorstellung, und eines östlichen an Volk, Blut, Kultur und Autoritarismus orientierten, wie in Deutschland und Russland (Kohn 1950); zu der Typologisierung in ein ethnisches, ein individualistisch- und ein kollektivistisch-staatsbürgerliches Nationalverständnis (Greenfeld 1992). Freilich konnten diese Typologien letztlich die Komplexität der Phänomene, die sie beschrieben, kaum erfassen. Zudem wird bei diesen Kategorisierungen oftmals der Konstruktcharakter von Nationen ausgeblendet, den Denker wie Gellner (1983), Anderson (2006 [1983]) und Hobsbawm (2005 [1990]) herausgearbeitet haben. Nationen seien demnach keine vorexistierenden Objekte gewesen, die durch den Anstoß technischer und geistiger Entwicklungen, die im 18. Jahrhundert an Wirkkraft gewannen — Aufschwung in Buchdruck und -distribution, Aufklärung, Frühindustrialisierung —, zu einem bestimmten historischen Moment sich ihrer selbst bewusst wurden und nach diesem Akt der Emanzipation nach Herrschaft strebten. Vielmehr waren Nationen erdachte Herrschaftsräume, die von Eliten, die sich neben der Aristokratie und der Monarchie herausgebildet hatten, produziert und ideologisch propagiert wurden, gerade um eigene Machtansprüche geltend zu machen und neue Formen von Ökonomie und Wirtschaft zu ermöglichen. Im Konzept ›Nation‹ verbanden sich unter dem Einfluss des Nationalismus Kultur und Politik (Gellner 1983: 52-58, passim) und schufen laut Anderson eine neue »imagined political community« (Anderson 2006: 6).

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Siehe dazu und zum Folgenden Langewiesche (2000).

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS Der politische Aspekt verkompliziert die historische Einordung von Nation insofern, als dass hier eine Verschränkung mit der Geschichte von Demokratie, Liberalismus und der Menschenrechte vorliegt. Diese wurden von Teilen der Nationalbewegungen vertreten und waren zentrale Elemente der Modernität des Nationalgedankens, waren aber gleichzeitig — und das wird oft ausgeblendet — gerade auch Teil internationaler oder vielleicht treffender: nicht-nationaler Bewegungen wie des Sozialismus, der Frauen- und der Friedensbewegung. Es waren die Gender, Cultural und die Postcolonial Studies, die einen großen Anteil daran hatten, dass diese Verschränkungen in ihrer Komplexität und in ihren Ambivalenzen erkannt wurden, die sie in ihrer Verbindung mit der Nation oder in deren Vereinnahmung durch nationale Narrative entwickelten. Damit dekonstruierten diese Ansätze das Ideal der sog. westlichen, offenen und demokratisch gesinnten Nationalverständnisse. Die Tatsache, dass Bürger- und Menschenrechte auch in den westlichen Nationen zunächst weiterhin nur für Eliten galten, werteten sie nicht als notwendige Entwicklungsetappen, sondern als Ausdruck von Machtstrukturen, die bewusst nach innen und außen aufrechterhalten wurden. Das betraf die Kolonisierten, für die westliche politische Ideale und Werte nicht galten, da sie vielmehr, gerade mittels dieses Ausschlusses von Rechten zu Noch-nicht-ganz-Menschen, minderen Völkern und Rassen erklärt wurden. Das betraf in vielen Hinsichten auch Frauen oder die unteren sozialen Schichten im Inneren der sich entwickelnden Nationalstaaten, die rechtlos waren oder nur Teile der Rechte zuerkannt bekamen, was ebenso mit der Minderwertigkeit ihres Wesens legitimiert wurde. Rassismus, Klassismus, Sexismus und Gender-Rollen waren also eng mit der Geschichte von Nationen, die Demokratiegeschichte und die Entwicklungen von Nationalstaaten verwoben. Dass die Idee der Nation gerade auch mittels und über diese Differenzen hinweg funktionierte, daran hatten die Narrative vom gemeinsamen Ursprung, dem gemeinsamen Schicksal, der gemeinsamen Zukunft und die daraus entstehenden affektiven Bindungen ebenso ihren Anteil, wie der Umstand, dass man sich immer auch gegenüber den Anderen, die Außen standen, gemeinsam abgrenzen und selbst erhöhen konnte (Hall 2018). Dass Frauen und Arbeiterschaft gerade innerhalb der Nationalstaaten ihre Gleichberechtigung erkämpften, wirkte wiederum stabilisierend auf die nationale Gemeinschaft (Kantola 2016). Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierte sich die Welt dann vollends nach dem nationalstaatlichen Modell, nachdem auch die kolonisierten Bevölkerungen Nationalbewegungen entwickelten und Nationalstaaten aufbauten. Die United Nations als die Repräsentanz aller Nationalstaaten der Welt symbolisieren diese internationale nationale Weltordnung bis heute. Wie flottie-

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MARIA ALEXOPOULOU rend und an den Rändern zerfranst das ordnungspolitische Prinzip Nation aber letztlich dennoch bleibt, zeigt sich auch daran, dass es im Grunde keine klaren Regeln gibt, wie neue Mitglieder diesem Club beitreten können. Zwar verkündeten die UN und andere Körperschaften des Völkerrechts 1966 endgültig das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Norm, dabei wurde aber nicht klar definiert, was die entscheidende Passage ist, in der aus einem Volk bzw. einer bestimmten Bevölkerung eine Nation wird, die ihren Anspruch auf eigene Herrschaft und auf ein eigenes Territorium, auf dem es diese Herrschaft verwirklichen kann, irgendwie durchsetzt. Viele der neuen Nationen waren nicht einmal Ergebnis nationaler Bewegungen: so alle am Reißbrett und in Geheimverhandlungen zwischen Kolonialmächten entstanden Staaten, die meistens den Interessen der letzteren und nicht denen der betroffenen Bevölkerungen entsprachen — die Folgen zeigen sich etwa im Mittleren und Nahen Osten seit Jahrzehnten. Selbst der Islamische Staat bezieht sich darauf: In seinem Gründungsmythos beruft sich der IS auf das Sykes-Picot-Abkommen von 1916, einem Geheimvertrag zwischen Frankreich und Großbritannien, in dem sie die Region unter sich in Einflusssphären aufteilten und die Staaten oder vorstaatlichen Gebilde entsprechend gestalteten. Doch auch der Weg in die Selbstbestimmung ist alles andere als eindeutig: Während die Passage etwa der Kroat*innen in eine eigene Nation mittels eines Kriegs vollzogen wurde und Kroatien heute ein stabiler Nationalstaat ist, gelingt dies in anderen Fällen schon seit Jahrzehnten nicht, wie z.B. bei den Katalan*innen, die sich inzwischen auch zur Nation erklärt haben und nicht nur Autonomie, sondern einen eigenen Staat fordern, die aber momentan mittels juristischer und sicherheitspolitischer Maßnahmen daran gehindert werden, den spanischen nationalen Staatsverband zu verlassen. Kurd*innen bauen seit einigen Jahren in ihrem Autonomiegebiet im Irak und Syrien einen eigenen Staat auf, nachdem ihre Versuche, den Status einer Nation und eigene Staatlichkeit zu erlangen, seit einem Jahrhundert keinen Erfolg zeigten. Erneut ist es die Türkei, die die Kurd*innen militärisch und diplomatisch bekämpft, primär da sie die Sezession eines Teils ihres Staatsterritoriums verhindern will. Auch der tragische Konflikt zwischen Israeli und Palästinenser*innen, beides höchst konstruierte imaginierte politische Gemeinschaften, besteht darin, dass letztlich beide erbittert und dabei aus sehr guten Gründen um das gleiche Territorium kämpfen (Krämer 2002). Gerade diese letzten Fälle demonstrieren, dass neben dem narrativen Aspekt, der historisch gewachsenen Materialität sowie dem inhärent politischen Element, das ja aus der Nation erst eine solche macht und sie damit von anderen Identitätsgruppen unterscheidet, auch der räumliche Aspekt der Nation

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS zentral ist. Anerkannt wird eine Nation erst, wenn sie sich räumlich verorten kann und den Staat, den sie ja per definitionem aufweisen muss, um als solche zu gelten, auch in räumlicher Hinsicht verwirklicht. Die Bevölkerungen, die durch die Nationalstaaten verwaltet, regiert und repräsentiert werden, verstehen sich als geschlossene, räumlich verortete Gemeinschaften. Sie erhalten ihre Exklusivität dadurch, dass der Zugang zum »Club der Nationen« durch den Staat, der sie repräsentiert, mittels multipler Grenzziehung reguliert wird. Der Staat entscheidet dabei zuerst mittels physischer Grenzen, wer überhaupt in das Staatsterritorium eintreten, wie lange er anwesend sein oder ob er dauerhaft bleiben darf. Vermittels des Staatsangehörigkeitsrechts entscheidet der Staat weiterhin, wer vollwertiges Mitglied der Nation werden kann. Insofern reguliert der Staat in dieser Form von Biopolitik sehr real die Zusammensetzung der Bevölkerung, indem er bestimmt, welche Merkmale diejenigen vorweisen sollen, die innerhalb seiner Herrschaftsgrenzen leben dürfen, wer Teil der Nation werden und zudem, welche Rechte wem zugeteilt werden, seien es soziale, politische, kulturelle oder sonstige Rechte. Damit bestimmt der Staat nicht zuletzt die Identitäten mit, die sich auch aus der Position ergeben, die den verschiedenen Gruppen in Relation zu dieser Gemeinschaft zugewiesen werden und aus der ganz reale Lebens-, Gestaltungs- und Partizipationschancen erwachsen. Raum spielt dabei eine zentrale Rolle, da diese Prozesse räumlich verortet sind, womit auch Identitäten sich räumlich binden.

Heimat und Identität Das drückt sich auch im deutschen Begriff ›Heimat‹ aus, der national, aber immer auch stark lokal geframed ist. Die fast inflationäre Nutzung des Begriffs ›Heimat‹ im Sinne eines lokalen Verbundenheitsgefühls in den letzten zwei Jahrzehnten — nicht nur durch wertekonservative Milieus, sondern auch durch progressive Biobauern, die Hipster-Gastro-Szene, Modelabel, die Musik und vieles mehr — zeigt, dass die Verortung von Identität auch im Zeitalter der Globalisierung weiterhin eines spatial level bedarf, was dann in Konzepten wie Glokalität zum Ausdruck kommt. Auch Migrant*innen in Deutschland haben sich zunehmend mit dem Begriff der Heimat befasst und viele kamen zu dem Ergebnis, dass die Stadt oder die Nachbarschaft, in der sie leben, ihre Heimat ist. Migrant*innen in Deutschland kam es im ersten und zweiten Jahrzehnt der 2000er Jahre eher über die Lippen, sich etwa als Mannheimer Türke denn als Deutsch-Türke zu bezeichnen. Das bestätigen mehrere, auch europäisch vergleichende soziologische Stu-

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MARIA ALEXOPOULOU dien: Diese stellen fest, dass sich Migrant*innen nicht nur, doch besonders in Deutschland, lokal und nicht national beheimaten. Offenbach, Mannheim, Berlin, Hamburg, München, und selbst Kleinstädte oder Regionen wie Schwaben werden als Heimat empfunden, nicht Deutschland.7 Schnell argumentierten Einige mit der starken nationalistischen Verbindung der Migrant*innen zu ihren Herkunftsländern, was wieder Ausdruck davon sei, dass sie sich nicht integrieren wollten. Schaut man jedoch genauer hin, so gibt es Indizien dafür, dass es nicht unbedingt das Land ist, aus dem ihre Eltern, ihre Großeltern oder sie selbst kamen, das sie als weitere Heimat empfinden, sondern eher ein konkreter Ort, sei es ein Dorf, eine Stadt, eine Region, eine Insel und Menschen aus diesen Orten, die wiederum überall in der Welt leben können. Angesichts derartiger Befunde ist zu fragen, ob man solche Konstellationen weiterhin mit transnational bezeichnen sollte oder ob es nicht angemessener wäre, von translokalen Räumen und Identitäten zu sprechen; das Transnationale bleibt letztlich ohnehin auf das Nationale bezogen. Diese translokalen Identitäten entwickeln und binden sich an materielle Zeugnisse sowie in raumfüllenden sozialen Praktiken, mittels derer Migrant*innen Räume für sich vereinnahmen. Seien es Viertel wie Kreuzberg oder der Mannheimer Jungbusch, seien es Treffpunkte im öffentlichen Raum wie Moscheen, Afro-Shops usw., oder gar Objekte wie etwa der Döner (Möhring 2007). Diese türkische Erfindung aus Berlin (manche behaupten Mannheim) hat sich so sehr in die ›Normalität‹ eingeschrieben, dass Touristen aus Deutschland ihn nun auch im Urlaub anfragen und ihn selbst in Thailand bekommen. Denn auch die alteingesessene ›deutsche‹ Bevölkerung lebt ja in translokalen Städten (Alexopoulou 2019a). Doch sollte das Translokale nun nicht den Hype um die hybriden Kulturen ablösen. Die Theorien der Cultural und Postcolonial Studies, die die Hybridisierung der (post)migrantischen Kulturen in den Metropolen des Globalen Nordens durch Migration beschreiben, verweisen auch immer auf die Erfahrungen von Entrechtung und Diskriminierung, die damit zusammenhängen und die mittels kultureller Selbstpositionierung sublimiert werden. Doch die Mehrheitsgesellschaften dieser Metropolen erlebten die Hybridisierung primär als interessanten Konsumartikel in ›Multikulti-Vierteln‹, womit aber die Probleme der Repräsentation, Selbstpositionierung sowie der Partizipation für Migrant*innen und Migrantisierte kaum gelöst wurden.8 Sowohl der Bedarf, hybride Kulturen erklären zu müssen, als auch ihr Auftreten in migrantischen Communities sind nicht Ausdruck eines sich 7 8

Dazu und zu folgendem sowie zur entsprechenden Literatur siehe Alexopoulou (2016). Eine frühe deutschsprachige Kritik formulierten Mayer/Terkessidis (1998).

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS entwickelnden avantgardistischen kosmopolitischen Bewusstseins, sondern Transkulturalisierungsprozesse, die nur wegen der Prävalenz des Nationalen erklärungsbedürftig sind: Das Nationale imaginiert homogene Kultur, in vielen Fällen auch homogene Bevölkerung als Normalfall — alles andere ist somit Abnormität. Dass aber Kultur per se Produkt von Austausch, also schon immer Transkultur war, und in einer nach Machtstrukturen geordneten Welt auch von hegemonialen Appropriations, Aneignungen, lebt, ist außerhalb der Kulturwissenschaften wohl ein weitgehend noch ignorierter Wissensbestand. Wie eng aber auch Partizipationsmöglichkeiten mit Identität und dem Postulat eines homogenen Volkes zusammenhängen, soll mit einem Schlaglicht auf einen Schnittpunkt der neueren deutschen Musik- und Migrationsgeschichte angedeutet werden. Advanced Chemistry (1992). »Fremd im eigenen Land« Ich habe einen grünen Pass mit 'nem goldenen Adler drauf dies bedingt, dass ich mir oft die Haare rauf […] ein echter Deutscher muss auch richtig deutsch aussehen, blaue Augen, blondes Haar keine Gefahr, gab's da nicht 'ne Zeit wo's schon mal so war?! »Gehst du mal später zurück in deine Heimat?« »Wohin? nach Heidelberg? wo ich ein Heim hab?« »Nein du weißt, was ich mein...« Komm lass es sein, ich kenn diese Fragen seitdem ich klein bin in diesem Land vor zwei Jahrzehnten gebor'n doch frag' ich mich manchmal, was hab' ich hier verloren! Ignorantes Geschwätz, ohne End […] ich hoffe die Radiosender lassen diese Platte spielen, denn ich bin kein Einzelfall, sondern einer von vielen. Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land, kein Ausländer und doch ein Fremder. Mit diesem frühen deutschsprachigen Hip-Hop Song gab Advanced Chemistry 1992 einer ganzen Migrant*innen-Generation, den in den 1970er und 80er Jahren noch so genannten »Ausländerkindern«, eine Stimme. Zwar waren die Crewmitglieder nicht repräsentativ für die migrantischen und migrantisierten jungen Menschen in Deutschland, da die allermeisten von ihnen zu jenem Zeitpunkt noch keinen deutschen Pass und nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, also formaljuristisch Ausländer*innen waren. Dennoch teilten sie das Gefühl, hier beheimatet, aber dennoch beständig fremd und zu

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MARIA ALEXOPOULOU Anderen gemacht, in Institutionen, Strukturen, Diskursen und Alltagspraktiken immer wieder als Ausländer fixiert zu werden. Gegen diese Festlegung auf den Status von Dauerausländern ohne volle Bürgerrechte hatte sich schon längst eine Bewegung migrantischer Aktivist*innen entwickelt. Zum Wechsel des Jahrzehnts, der »Hoch-Zeit« der Wiedervereinigungseuphorie, agierten sie dabei in einer gesellschaftlichen und politischen Atmosphäre, die vielerorts, in West wie in Ost, bereits seit längerem durch einen Anstieg von rassistischer Gewalt, Hassrede und sonstigen rassistischen Mikroaggressionen gegen Migrant*innen geprägt war. Im Frühjahr 1990 hatten migrantische Vereine und Initiativen in München, Hamburg und Berlin in großen Demonstrationen gegen das neue Ausländergesetz protestiert, das der damalige CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble vorgelegt hatte.9 »Das neue Gesetz ist diktiert von Überfremdungsangst«, kritisierte der Münchner Ausländerbeirat Oskar Frankovic während einer Kundgebung in München, bei der etwa 10.000 Teilnehmer*innen anwesend waren (o.A. 1990: 4), denn es brachte nicht die erhoffte und schon lange von aktivistischen Migrant*innen geforderte Erleichterung der Einbürgerung. »Wir sind auch das Volk!« skandierten die Demonstrant*innen und griffen dabei das Motto auf, das zum Schlachtruf des Zusammenbruchs der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands wurde. Einige Monate später, im Oktober 1990, erlebten die migrantischen Aktivist*innen eine weitere Niederlage, welche die Bevölkerungsgruppe der Ausländer in einer weiteren Hinsicht in ihrem Recht auf politische Partizipation und damit auf ein essentielles Bürgerrecht in der Demokratie nachhaltig beschränkte. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das kommunale Wahlrecht für Ausländer*innen, das seit den 1970er Jahren ein politisches Desiderat migrantischer Aktivist*innen gewesen war und das das Land Schleswig-Holstein per Landtagsbeschluss im Februar 1989 einführen wollte, als verfassungswidrig. Das Wahlrecht stehe nur dem deutschen Volk zu, der Gesetzgeber solle entsprechend den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für dauerhaft anwesende Ausländer erleichtern, befand das höchste Gericht; dadurch würden auch sie Teil des deutschen Volkes, das nach Grundgesetz der Souverän und Ursprung aller Staatsgewalt sei. Das neue Ausländergesetz, das bereits im Juli 1990 in Kraft getreten war, erfüllte diese Maßgabe allerdings nicht und auch in der Mehrheitsbevölkerung galten die Einwander*innen weiterhin weder als Teil des deutschen Volkes noch als Teil des Demos, und damit nicht als Bürger*innen, denen gleiche politische Rechte zustanden.

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Siehe dazu und zum Folgenden Alexopoulou (2019b).

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS Diese Situation fasste Hakkı Keskin, Vorsitzender des Bündnisses türkischer Einwanderer Hamburg, das auch für die Demonstrationen im Frühjahr 1990 und die Initiativen zur Einführung des Kommunalwahlrechts in Hamburg federführend war, in der taz im Oktober 1992 so zusammen: »Ein sehr großer Teil der Ausländer und ihrer Familienangehörigen, die als Arbeitsimmigranten nach Deutschland kamen, leben seit Jahrzehnten hier. Ein Drittel von ihnen sind mittlerweile gebürtige Bundesrepublikaner oder in Deutschland aufgewachsen. Dieses Land ist für sie zur Heimat geworden. [...] Zu Intoleranz und Haß gegenüber Ausländern trägt die bisherige falsche und zum Teil orientierungslose Ausländerpolitik entscheidend bei. Daher müßte die Einbürgerungspolitik in Deutschland grundlegend geändert und der längst vollzogenen Entwicklung angepaßt werden. Die bisherige Einbürgerungspolitik nach deutschem Blut und aufgrund deutscher Abstammung ist rassistisch. Deutschland hat deshalb weltweit die niedrigsten Einbürgerungsquoten« (Keskin 1992). Ein Großteil dieser faktischen Einwander*innen blieb auch lange danach weiterhin Ausländer, da dieser Status erblich war und zu jenem Zeitpunkt schon in der dritten Generation an die neu hinzu Geborenen weitergegeben wurde, bis 1999 dann das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht grundlegend reformiert wurde. Inzwischen werden die Kinder von länger anwesenden Migrant*innen als deutsche Staatsbürger*innen geboren, und zunehmend nennen sich auch Eingebürgerte selbstbewusst oder gar trotzig die »neuen Deutschen«.10 Aber als Teil des deutschen Volkes werden sie von vielen weiterhin nicht betrachtet. Gleichzeitig haben die neuen Rechten und Rechtsradikalen in einem Akt der cultural appropriation den Groove einer Generation in eine rechte Kakophonie umgewandelt, denn inzwischen haben sich NPD, Pegida und AfD »Fremd im eigenen Land«, den Songtitel von Advanced Chemistry, als Motto angeeignet, um ihre Zwecke zu verfolgen.11 Doch selbst daran lässt sich das Fehlen eigener Impulse und kreativer Ideen ablesen, was wiederum ebenfalls bezeugt, dass diese Bewegungen nichts Neues repräsentieren, sondern mit aller(letzter?) Kraft versuchen, einen Backlash zurück zum homogenen »völkischen Volk« zu bewerkstelligen. Ist aber der Anspruch von Migrant*innen, Deutsche und damit Teil des (deutschen) Volkes zu sein, ein Innovations- und Demokratiemotor, der gerade die Essenz des »völkischen Volkes« angreift, indem die herkunftsdiver10 Federführend ist hier die Initiative der Neuen deutschen Organisationen, siehe: https://neuedeutsche.org. 11 Ich danke Thorsten Hindrichs für den Hinweis auf diesen Sachverhalt und auf eine Sendung zum Thema im Deutschlandfunk (s. Khamis 2018).

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MARIA ALEXOPOULOU sen Anwesenden nun den Demos, also die political community bilden? Und: Kann diese Heterogenität der Herkunft ein Vehikel dafür sein, ganz im Sinne Hannah Arends Ausspruch vom Recht, Rechte zu haben12, Recht als Recht jedes Individuums und nicht geschlossener nationaler Gruppen global weiterzuentwickeln?

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12 Auf philosophischer Ebene hat sich Seyla Benhabib mit Arendts Postulat intensiv auseinandergesetzt: s. Benhabib (2004: 49-69).

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›NATION‹ REVISITED: GESCHICHTE UND GEGENWART EINES AMBIVALENTEN KONZEPTS Hall, Stuart (2018). Das verhängnisvolle Dreieck. Rasse, Ethnie, Nation. Berlin: Suhrkamp. Hobsbawm, Eric (2005). Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Frankfurt/M.: Campus. Jarausch, Konrad H. (1995). »Die postnationale Nation, Zum Identitätswandel der Deutschen 1945-1995«. In: Historicum 14 (Frühjahr), S. 30-35. Kantola, Johanna (2016). »Nation/State.« In: The Oxford Handbook of Feminist Theory. Hg v. Lisa Disch u. Mary Hawkesworth. Oxford: Oxford University Press, S. 915-933. Keskin, Hakkı (1992). »Höchste Zeit für einen Konsens.« In: Die Tageszeitung (taz) vom 9.10., S. 10. Khamis, Sammy (2018). Freistil. Fremd im eigenen Land. Ein Satz wandert vom Pop nach rechts, Sendung vom 30.6.2019, Bayerischer Rundfunk. Kohn, Hans (1950). Die Idee des Nationalismus. Ursprung und Geschichte bis zur französischen Revolution. Heidelberg: Lambert Schneidern. Kober, Ulrich / Kösemem, Orkan (2019). Willkommenskultur zwischen Skepsis und Pragmatik. Deutschland nach der »Fluchtkrise«. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Krämer, Gudrun (2002). Geschichte Palästinas: Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel. München: C. H. Beck. Langewiesche, Dieter (2000). Nation, Nationalismus und Nationalstaat in Deutschland und Europa. München: C. H. Beck. Mayer, Ruth / Terkessidis, Mark (Hg.) (1998). Globalkolorit: Multikulturalismus und Populärkultur. St. Andrä-Wördern: Hannibal. Meinecke, Friedrich (1969). Weltbürgertum und Nationalstaat. München: Oldenbourg [Erstaufl. 1908]. Möhring, Maren (2007). »TransLokal. Ausländische Gaststätten in der Bundesrepublik Deutschland.« In: traverse 3, S. 85-96. Mutz, Michael / Markus Gerke (2019). Fußball und Nationalstolz in Deutschland. Eine repräsentative Panelstudie rund um die EM 2016. Wiesbaden: Springer VS. o.A. (1988). »Das Letzte«. In: Die Zeit 46, https://www.zeit.de/1988/46/das-letzte (Zugriff 5.7.2020). o.A. (1990). »Lieber bunte Mischung als braune Einheit.« In: Die Tageszeitung (taz) vom 2.4., S. 4. Reimers, David (2016). »The Impact of Immigration Legislation: 1875 to the Present.« In: The Oxford Handbook of American Immigration and Ethnicity.« Hg. v. Ronald H. Bayor. Oxford Handbooks Online, www.oxfordhandbooks.com (Zugriff: 5.7.2020). Retterath, Jörn (2016). »Was ist das Volk?«. Volks- und Gemeinschaftskonzepte der politischen Mitte in Deutschland 1917-1924. Berlin: De Gruyter Oldenbourg. Richter, Emanuel (2011). »Supranationalität und Demokratie. Überlegungen zur ›post-nationalen‹ Konstellation.« In: Staat und Nation. Die Theorien der Nationalismusforschung in der Diskussion. Hg. v. Samuel Salzborn. Stuttgart: Franz Steiner, S. 101-126. Sarrazin, Thilo (2010). Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München: DVA. Schmiechen-Ackermann, Detlef (Hg.) (2012). »Volksgemeinschaft«: Mythos, wirkungsmächtige soziale Verheißung oder soziale Realität im »Dritten Reich«?, Paderborn: Ferdinanth Schöningh Paderborn. Stepanova, Elena (2009). Den Krieg beschreiben. Der Vernichtungskrieg im Osten in deutscher und russischer Gegenwartsprosa. Bielefeld: transcript. Wildt, Michael (2017). Volk, Volksgemeinschaft, AfD. Hamburg: Hamburger Edition.

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Abstract The global spread of right-wing populist notions and politics compels us to reconsider the concept ›nation‹ in its meanings and history. Right-wing populists use elements of their respective national master narratives to roll back globalization and its consequences. In the German case the focus is not on the nation per se, but on the German Volk, the German cultural-biological-(racial) entity, that has to be »protected« from migrants. After discussing the constructionist character of the concept ›nation‹ and some aspects of its historiographical utilizations, I turn to the material side of ›nation‹ and its ambivalent legacies: in many cases nation-states were vehicles of democratization, but at the same time denied equal rights or even the status of citizens to many of their permanent inhabitants, including women. Taking on the spatial dimension of ›nation‹ the article expounds upon the German concept of Heimat and how the need to define identity fostered trans-local identities for immigrants in Germany who were denied equal rights for decades as they were not granted membership within the German Volk.

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT Paul Kaspar 1. ›Disco aus Italien‹ und ›Italo Disco‹ Viele populäre Musikstile entwickeln sich durch Aneignungen, Hybridisierungen und Interpretationsprozesse unabhängig von nationalen oder kontinentalen Grenzen. Dennoch gibt es Genrebezeichnungen, die den Bezug auf eine Nation oder einen Staat herausstellen. So auch ›Italo Disco‹: Der Begriff mag zunächst nahelegen, dass es sich dabei um Disco aus Italien handelt. Dass jedoch ›Italo Disco‹ und ›Disco aus Italien‹ zwei verschiedene Phänomene sind, verdeutlicht die in Abb. 1 gezeigte quantitative Darstellung. ›Disco aus Italien‹ ist zeitlich vor allem in den 1970er Jahren zu verorten und die Verbreitung verläuft parallel zur Entwicklung der internationalen Disco-Kultur. Erste italienische Produktionen werden in der ersten Hälfte der 1970er Jahre der Kategorie ›Disco‹ zugeordnet. Die Häufigkeiten nehmen zu, bis in den Jahren 1977-1979 national wie international ein Höhepunkt erreicht wird und die Zahl der Produktionen anschließend wieder sinkt. 1977 wurden der international überaus erfolgreiche Disco-Film Saturday Night Fever von John Badham und der zugehörige Soundtrack veröffentlicht. Auch das sogenannte »Schicksalsjahr« (Mühlenhöver 1999: 63) der Disco im Jahr 1979 spiegelt sich im Diagramm wider. Nach dem Höhepunkt an Chart-Aktivitäten und Grammy-Verleihungen für Disco-Produktionen in den USA gab es in der zweiten Jahreshälfte einen von der »Disco Demolition Night« begleiteten Stimmungswechsel samt stark rückläufigen Zahlen an Disco-Produktionen (vgl. ebd. sowie Echols 2010: 201-213). ›Italo Disco‹ zugeordnete Produktionen traten dagegen erst ab 1980 in Erscheinung und ihre Anzahl wuchs bis zu einem Höhe- und Wendepunkt im Jahr 1985.

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PAUL KASPAR 1400 1200

Italo Disco / 7"

Disco / Italy / 7"

1000 800 600 400 200

19 73 19 74 19 75 19 76 19 77 19 78 19 79 19 80 19 81 19 82 19 83 19 84 19 85 19 86 19 87 19 88 19 89 19 90 19 91

0

Abb. 1: Bei discogs.com registrierte 7"-Veröffentlichungen zu den Suchbegriffen »Disco + Italien« sowie »Italo-Disco«1

2. Forschungsstand und Ziel Bisher geben überwiegend journalistische Publikationen einen Überblick darüber, was es genau mit ›Italo Disco‹ auf sich hat. Ein frühes und ausführliches Portrait findet sich im Spex-Artikel von Hans Keller (1985). Darüber hinaus erschienen ab den frühen 2000er Jahren, als Italo Disco ein Revival erlebte und wieder bekannter wurde (vgl. Johannsen 2015), retrospektive Zeitschriftenartikel wie etwa Brewster (2008) oder Joswig (2010), filmische Dokumentationen mit zahlreichen Interviews von Protagonist*innen (z.B. De Iulis 2012, West/Brewster 2016, Anton 2018), Bücher wie der Bildband Italo-Disco — Elektropop-Romantik im Discolicht (Gullo 2010) sowie das — leider in sehr schlechter englischer Übersetzung vorliegende — Buch The History of Italo Disco (Verrina 2015). Eine Vielzahl weiterer Artikel und Interviews findet sich im Internet. 1

Die Zahlen wurden aus der Datenbank von discogs.com gewonnen. Die Gesamtheit aller Einträge wurde zum einen nach Stil = »Disco« und Land = »Italien«, zum anderen nach Stil = »Italo-Disco« gefiltert. In beiden Kategorien wurde wiederum auf das Format = »7"« eingeschränkt, um lediglich Single-Veröffentlichungen zu berücksichtigen und Alben und Compilations auszuschließen. Da Singles in der Regel sowohl als 7"-Single als auch als 12"-Maxi-Single veröffentlicht wurden, ist nicht davon auszugehen, dass dadurch eine merkliche Zahl an Einträgen verloren geht. Die Darstellung vermittelt einen groben Eindruck, wie sich die Zahlen über die Jahrgänge verändert haben. Da discogs.com eine offene Datenbank ist, kann jedes registrierte Mitglied die Daten verändern. Einem diskursiven Genrebegriff entsprechend verändern sich die genauen Zahlen deshalb immer wieder. Im Forum auf discogs.com (bspw. »Italo-Disco & NOT Italo-Disco«, https://www. discogs.com/de/group/thread/521459#5112462) werden solche Fragen und Zuordnungen diskutiert und begründet. Stand der Auswertung: 1.11.2019.

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT Eine ausführliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Italo Disco hat bislang jedoch noch nicht stattgefunden. Zwar gibt es etwa in Martinelli (2014) einen zweiseitigen Abschnitt mit der Überschrift ›Italo Disco‹, der einen Einblick in die geschichtliche Entwicklung, Stilistik und weitere Aspekte des Genres bietet. Auch ein zweiseitiger Enzyklopädie-Eintrag (Conti/Kirby 2017) bietet gute Einblicke, manche Aussagen scheinen jedoch nicht auf fundierter Erforschung zu beruhen.2 Das Kapitel in Shapiro (2005) porträtiert die durch Disco in Italien gegebenen Rahmenbedingungen und die musikalischen Einflüsse, aus denen Italo Disco hervorgehen konnte, sowie die Bedeutung und Rezeption der Musik in den US-amerikanischen Städten New York, Detroit und Chicago. Darüber hinaus ist Italo Disco in wissenschaftlicher Literatur aber eher als Nebenschauplatz zu finden, wenn es zum Beispiel um die Rezeption der Musik in der New Yorker Disco- und Clubkultur (z.B. Lawrence 2016) geht, oder Italo Disco als wichtiger Faktor in der Entwicklung von House und Techno genannt wird (Sicko 2010: 23). Dass eine musikanalytische Auseinandersetzung mit Italo Disco noch aussteht, ist symptomatisch für eine Tendenz der Popularmusikforschung, die André Doehring benennt: »Viele Bereiche sind fast nicht präsent: etwa der stets nur mit spitzen Fingern angefasste Pop, der die Charts dominiert, oder die gesamte Palette der elektronischen Tanzmusik, die sowohl als zu neu […], zu redundant […] oder gar überhaupt nicht behandelbar mit den Werkzeugen der Musikwissenschaft gilt« (Doehring 2012: 24f.). Italo Disco trägt beide genannten Prädispositionen: Mit zahlreichen internationalen Hits war die Musik in den Charts durchaus sichtbar und gleichzeitig Teil der Entwicklung elektronischer Tanzmusik. Dieser unbefriedigende Forschungsstand war einer der Anlässe für ein Stilporträt, das ich auf Grundlage einer Korpusanalyse erarbeitet habe (Kaspar 2018), in deren zentrale Ergebnisse dieser Beitrag einen Einblick geben soll. Im vorliegenden Beitrag steht dabei die Frage nach der nationalen Komponente im Vordergrund: ob und wie ›Nation als Kategorie populärer Musik‹ am Beispiel der Italo Disco funktioniert. Welche Bezüge zum ›Italienischen‹ lassen sich in der Musik finden? Oder steht ›Italo‹ vielmehr für eine Projektion von Klischees und Stereotypen eines bestimmten Italienbildes, das Roland 2

Bernhard Mikulski, Betreiber des Labels ZYX, wird hier bspw. fälschlich als Produzent bezeichnet (Conti/Kirby 2017: 418). Auch die Aussage »Italo disco never really reached an Italian [audience]« (ebd.) ist anzuzweifeln, zumal viele Hits durchaus in den italienischen Charts vertreten waren (vgl. hierzu die Übersichten auf http://www.scheul.de/Charts.htm oder http://italodisco.ch/Italocharts_ main.htm [Zugriff bei beiden: 1.7.2020]); auch in der Rubrik »Hits of the World« im Billboard-Magazin findet sich bspw. in der Ausgabe vom 22.12.1984 [Nr. 51, S. 12] der Titel »Self Control« von RAF (1984) in den ›Top Pop Singles‹ für Italien.

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PAUL KASPAR Barthes (1990: 43) mit »Italianität« bezeichnet (»Die Italianität ist nicht Italien, sie ist das kondensierte Wesen all dessen, was italienisch sein kann, von den Spaghetti bis zur Malerei«)? Vor diesem Hintergrund werde ich zunächst auf die Herkunft und Verwendung des Begriffs Italo Disco eingehen und im darauf folgenden Kapitel Ergebnisse meiner Korpusanalyse zur Stilistik zusammenfassen. Anschließend stelle ich zunächst die Frage nach Anhaltspunkten, die eine Verbindung zu Italianität oder Italien herstellen, in einem zweiten Schritt nach konträren Tendenzen, die auf internationale Bezugnahmen verweisen.

3. Begriffsherkunft, Festigung und Verwendung Der Begriff Italo Disco, mit Varianten in der Schreibweise wie etwa als ›Italodisco‹ oder ›Italo-Disco‹, lässt sich auf Bernhard Mikulski, den Gründer des deutschen Labels ZYX, zurückführen. Dieser begann 1983 damit, bestimmte Musikimporte aus Italien als ›Italo Disco‹ zu vermarkten.3 Eine erste öffentliche Verwendung des Begriffs findet sich in Form des ZYX-Samplers The Best Of Italo-Disco (Various 1983a). Darüber hinaus ist auf ZYX-Versionen von MaxiSingles aus dem Jahr 1983 (im Unterschied zu den italienischen Pressungen!) zusätzlich zu Titel und Projektname die Information »ITALO DISCO« oder »ORIGINAL ITALO-DISCO« in großer Schrift vermerkt (s. bspw. Hypnosis 1983 u. Moonbase 1983). Die Kennzeichnung als Italo Disco auf dem Cover ging außerdem oftmals mit einer visuellen Verbindung zu Italien einher: So wurden bspw. die Farben der italienischen Nationalflagge für die Cover-Gestaltung verwendet oder die Flagge zusätzlich auf die Plattenhülle gedruckt (s. Kex 1983b u. Flowchart 1983). Ein weiteres Beispiel stellen die Cover der Italo Boot Mix-Ausgaben dar — eine Reihe mit DJ-Mixes, die ZYX ebenfalls 1983 ins Leben gerufen hat. Auf den ersten beiden Ausgaben ist ein Karton mit geschnittener Pizza abgebildet, ab der dritten Ausgabe dann der als »Stiefel« bezeichnete Umriss Italiens (vgl. Abb. 2). Innerhalb Italiens wurde die Musik hingegen ohne eine solche Verbindung zur Nation vermarktet, was auch der Intention und Wahrnehmung der Produzent*innen entsprach. In Italien nannte man die Musik schlicht ›Disco‹ bzw. ›Dance Music‹ (vgl. Verrina 2015: 20; West/Brewster 2016: 04:15).

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Nach Martinelli (2014: 211) hat Mikulski den Begriff schon in den späten 1970er Jahren verwendet. Dafür finden sich allerdings sonst keine Belege oder Hinweise auf Tonträgern.

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT

Abb. 2: Cover der ZYX-Compilations Italo Boot Mix Vol. 1 und 10 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Labels)

Außerhalb Italiens sprach man von ›Disco aus Italien‹ oder »Spaghetti-Dance« (Brewster 2008: 64) — bevor ZYX die Bezeichnung Italo Disco einführte. Linda Jo Rizzo, Sängerin des US-amerikanischen Projekts The Flirts, erinnert sich, dass sie nicht wusste, was mit Italo Disco gemeint sein sollte, bis sie realisierte, dass sie längst Teil davon war (Anton 2018: 03:20). Vielen Menschen in Italien, die die Musik aus dem Radio kannten, war der Begriff Italo Disco nicht geläufig — sie nahmen die Musik ganz einfach als zeitgenössische Popmusik wahr: »Many people in Italy […] do remember the hits from the 80s but many people don't consider this Italo disco, for them it was just a timeframe of popular music. Also many producers are not aware that in some scenes around the world their music is still very popular, in the 80s they just created music that was in fashion not as part of the Italo Disco movement« (Giovane 2013). Sänger und Produzent Fred Ventura betrachtet die Vermarktung durch ZYX als »very simple and effective« (West/Brewster 2016: 04:49), und das war sie auch: Das deutsche Label hat das Phänomen ›von außen‹ identifiziert und es mit einem markanten, einprägsamen Namen versehen. Man kaufte nicht mehr eine bestimmte Single, sondern ein Stück Italo Disco. Zahlreiche ZYX-Compilations wie die jeweils 16-teiligen Reihen The Best of Italo-Disco (1983a, wurde bis Vol. 16. in 1991 fortgesetzt) und Italo Boot Mix (16 Ausgaben von 1983 bis 1991, ab 2004 wieder fortgeführt) bündelten diesen Sound und verstärkten die Verknüpfung mit Italien-Bildern in der visuellen Gestaltung der Plattenhüllen. Bis heute wird bei ZYX diese Kompilierungs-Praxis mit Reihen wie The Italo Disco Collection (1989), ZYX Italo Disco New Generation (2012), Italo Disco Classics (2013) oder Italo Disco 12" Hits (2014) fortgeführt.

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PAUL KASPAR Die Herkunft der Musik war dabei jedoch nur anfangs relevant, als es sich bei den von ZYX als Italo Disco deklarierten Tonträgern tatsächlich um ItalienImporte handelte. Die Bezeichnung emanzipierte sich schon bald von der Herkunft der Produktion und wurde vielmehr zu einer stilistischen Kategorie: »It is important to note that ›Italo-disco‹ […] refers to a specific type of disco rather than disco of Italian origin« (vgl. Shapiro 2005: 270 [FN 2] bzw. 338). Was Italo Disco zugeordnet wird und was nicht, steht — einem diskursivem Genrebegriff entsprechend (vgl. Holt 2007: 20-29) — in einem permanenten Verhandlungsprozess. So beschrieb Keller schon 1985: »Und es gibt auch Leute, welche die Italo-Kanadier Lime, Gino Soccio, Frank Dana oder Cerrone in die Italo-Disco-Geschichte reinzitieren« (Keller 1985: 34). Anschaulich lässt sich dies bspw. auf dem DJ-Mix »Hellboys (Italo Megamix)« (DJ Hell 2007) erkennen. Neben typischen Italo Disco-Projekten aus Italien (wie etwa Casco, Klapto, Mr. Flagio, Klein & M.B.O. oder Hypnosis4) ist darauf auch Musik aus den Niederlanden (Digital Emotion), Frankreich (Cerrone) oder aus Japan (Yellow Magic Orchestra) vertreten, die dadurch in eine ›Italo‹-Beziehung gesetzt wird. Auch in der Dokumentation Italo Disco Legacy (Anton 2018) werden The Flirts aus den USA, Mike Mareen und Fancy aus Deutschland sowie Lime aus Kanada als Protagonist*innen der Italo Disco vorgestellt und interviewt, was die These von Italo Disco als stilistischer Kategorie ohne notwendige Produktionsherkunft aus Italien stützt.

4. Italo Disco als stilistische Kategorie: Ergebnisse einer Korpusanalyse Zur Beantwortung der Fragen, ob es sich bei Italo Disco um eine abgrenzbare Stilistik handelt und wie sich dieser Stil beschreiben lässt, habe ich einen Korpus von 35 Aufnahmen analysiert (s. Kaspar 2018). Um eine möglichst große Bandbreite abzudecken, basiert die Auswahl der 35 Songs auf verschiedenen Quellen: Zum einen wurden kommerziell erfolgreiche Stücke berücksichtigt, die in den (internationalen) Charts platziert waren.5 Gerade für Fans und DJs, die sich mit gesteigertem Interesse oft langjährig mit Italo Disco 4 5

Das Projekt wurde in den beiden Schreibweisen »Hypnosis« und »Hipnosis« veröffentlicht. Auf den Internetseiten www.scheul.de sowie www.italodisco.ch sind tabellarische Übersichten über die Chart-Platzierungen von Italo Disco-Titeln zusammengestellt (Zugriff: 10.1.2018). Ob die jeweiligen Titel auch in weiteren Quellen als Italo Disco angesehen werden, wurde durch einen Abgleich mit dem entsprechenden Eintrag auf www.discogs.com sowie der Verwendung auf Italo Disco-Samplern abgesichert.

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT beschäftigen, sind jedoch die kommerziell erfolgreichen Titel nicht allein repräsentativ für das Genre (vgl. bspw. Shapiro 2005: 272). Zusätzlich wurden daher für eine zweite »Expert*innen«-Gruppe DJs, die sich auf Italo Disco spezialisiert haben, nach ihren Bestenlisten befragt sowie verschiedene Rankings in (Online-)Zeitschriften miteinander verglichen. Daraus habe ich alle mehrfach genannten Titel in den Korpus aufgenommen (eine Gesamtliste der analysierten Titel findet sich als Teil der Diskographie). Anschließend musste für jeden Titel zwischen verschiedenen Versionen entschieden werden. Prinzipiell wurde die 7"-Single-Version zur Analyse herangezogen. Wenn sich jedoch im Vergleich mit der Maxi-Single-Version die 7"-Single als verkürzter Radio-Edit herausstellte, wurde stattdessen die längere Version gewählt. Die 35 Titel wurden nach Form, Harmonik, Melodik, Rhythmik, Instrumentierung, Sound, Produktion und ihren Texten analysiert.

4.1. Sound Charakteristisch für Italo Disco ist die elektronische, von Synthesizern, Sequencern und Drumcomputern geprägte Klangästhetik. Schon in den späten 1970er Jahren wurden in der Disco-Musik Synthesizer eingesetzt, etwa bei »I Feel Love« von Donna Summer (1977) oder »Automatic Lover« von Dee D. Jackson (1977). Diese Entwicklung wurde in den folgenden Jahren weiter begünstigt, da neu entwickelte Synthesizer-Modelle immer mehr Möglichkeiten und Funktionen boten und erschwinglicher wurden. (Elektro-)akustische Instrumente wurden mit der Tendenz zur vollständig elektronischen Produktion durch Synthesizer ersetzt. Besonders prägend für den Sound der Italo Disco ist die Verwendung von Drumcomputern, wie bspw. dem 1980 erschienenen Modell »Linn LM-1« (Linn Electronics) oder dem deutlich günstigeren »TR-808 Rhythm Composer« von Roland (ebenfalls 1980, s. Vail 2011: 88f.).

4.2. Rhythmik Hinsichtlich der Rhythmik der Drums bzw. der Drumcomputer wurden die wesentlichen Grundzüge des Disco-Beats beibehalten. Die Bassdrum wird dabei meist four-to-the-floor gespielt bzw. programmiert, was Produzent Michelangelo La Bionda als »the basis of disco music« (West/Brewster 2016: 03:03) bezeichnet. Die Snare wurde auf den Backbeats platziert und oftmals mit Claps zusätzlich stark betont. Auch der Bass orientierte sich am für Disco typischen Oktav-Bass (vgl. Abb. 5), wiewohl bei Italo Disco auch viele andere Formen der Bass-Gestaltung zu finden sind. So ist der Bass häufig Riff-artig mit einer prägnanten und eigenständigen Motivik gestaltet (vgl. Abb. 3) oder

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PAUL KASPAR es werden bspw. die Grundtöne in Achteln oder Sechzehnteln repetiert, was der Musik dann einen motorischen Charakter verleiht. Die elektronische Taktgebung der Drumcomputer und Sequencer unterstützt diese Motorik, da bei Programmierung in einem 16tel-Raster mikrorhythmische Belebtheit entfällt.

Abb. 3: Klein & M.B.O. (1982). »Dirty Talk«, Bass-Riff (00:00 passim)

Die Spannweite der Tempi der untersuchten Titel mit einem Bereich von 99 bis 133 bpm relativ groß, wenn auch die Ränder dünn besetzt sind und Peaks in den Bereichen 107-110 bpm (acht Titel) sowie 119-122 bpm (13 Titel) zu erkennen sind. Der am stärksten ausgeprägte Bereich spricht für die hohe Tanzflächen-Kompatibilität, zeichnen sich doch auch »Disco, House und Techno […] durch ein relativ einheitliches Grundtempo (um 120 bpm)« aus (Pfleiderer 2006: 309).

4.3. Form In der Italo Disco ist außerdem eine formale Gestaltung im Baukastenprinzip üblich, wie sie in »Stilen der elektronischen Tanzmusik seit den 1980er Jahren bestimmend geworden ist« (Pfleiderer 2006: 315f.). Diese Gestaltungsweise ist auch als Resultat der Produktionspraxis mit Sequencern aufzufassen, mit denen sich Patterns programmieren und im Loop abspielen lassen. Im Unterschied zur Track-Form in House oder Techno lässt sich in Italo Disco jedoch meist eine Song-Form samt den zentralen Teilen Verse, Bridge, Pre-Chorus und Chorus finden.

4.4. Produktion Die elektronische Produktion brachte außerdem mit sich, dass keine großen Studios mit Aufnahmeräumen, Techniker*innen und Studiomusiker*innen mehr notwendig waren. Die Musik konnte also mit relativ kleinem Budget produziert werden, was die Barriere zur eigenen Musikproduktion reduzierte. Dies ermöglichte auch semi-professionellen Musiker*innen und DJs die Produktion von Musik ohne entsprechende Ausbildung oder finanzielle Ressourcen. Damit ging auch eine tendenzielle Simplizität und ›Roughness‹ einher, die Neil Tennant (Pet Shop Boys) 1985 in einem Interview anschaulich mit »punk records« vergleicht: »they always sound like they're dead cheap […] —

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT they go in and get very excited by the most banal sounds« (Tennant, zit. n. Anonym 2007).6 Der Italo Disco Produzent und Sänger Fred Ventura spricht in diesem Zusammenhang von einer Haltung, die er als wesentlichen Unterschied zwischen Italo Disco und dem zeitgleichen und artverwandten Synth-Pop betrachtet: »What I think is the main difference between what was called synth pop in Europe and what was called disco or italo disco in Italy is that it was made with a rough attitude. The idea was to make a track and release it« (West/Brewster 2016: 04:23). Diese Roughness kann sich zum einen aus der Klangqualität ergeben, aber bspw. auch aus kleinen editorischen Fehlern oder Ungenauigkeiten in der Synchronisation der Sequencer. So erscheinen bspw. an mehreren Stellen im Instrumental-Track »Pulstar« (Hypnosis 1983) Einsätze von neuen Parts sowie einzelne Elemente untereinander halb- oder vierteltaktig verschoben. Auch die Klangqualität ist für den damals immerhin in den deutschen Top 10 platzierten Titel außergewöhnlich niedrig. Oftmals sind auch Schnitte aus dem Editier-Vorgang zu hören, wie etwa in »The Night« (Valerie Dore 1984, 3:07) oder in »Happy Song« (Baby's Gang 1983, 3:14). Die beschriebene Roughness ist insbesondere bei den Titeln der Jahre 1982 bis 1984 markant. Mit der technischen Entwicklung und Durchsetzung von MIDI-Programmierungen und der Zunahme von Sample-basierten Sounds wurden die Produktionen zunehmend sauberer.

4.5. Melodik In Beschreibungen der Italo Disco-Stilistik wird immer wieder hervorgehoben, Italo Disco sei besonders melodienreich und die Melodik sehr eingängig bzw. »catchy« (Martinelli 2014: 211). So schreibt auch Brewster (2008: 64): »Der [Sound] war normalerweise komplett elektronisch, missachtete ordentlich die englische Sprache und hatte so süße Melodien, dass einem die Zähne ausfielen.« Für diese beschriebene Melodieseligkeit lässt sich allerdings kaum ein Vergleichsmaßstab zu anderen Musikstilen festmachen. Nach Philip Tagg liegt darin eine grundsätzliche Problematik: »It is difficult to be precise or consistent about which characteristics constitute melody since its definition […] is contingent on cultural consensus« (Tagg 2014: 177). Die von ihm genannten Anhaltspunkte wie bspw. die Einprägsamkeit und einfache Reproduzierbar6

Neil Tennant spricht im Interview, das ursprünglich im Magazin Record Mirror (Dez. 1985) erschien, von Euro-Disco aus Italien. An den beispielhaft genannten Interpreten Savage, RAF und Baltimora wird jedoch deutlich, dass er sich konkret auf die als Italo Disco bezeichnete Musik bezieht.

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PAUL KASPAR keit helfen zwar, eine Melodie als solche zu identifizieren. Für eine Aussage über ihre Qualität, mit der sich hier gewinnbringend ein Vergleich zu anderen Musikstilen anführen ließe, müsste die Melodik tiefergehender untersucht werden, als es mir in diesem Rahmen möglich war. Exemplarisch lässt sich aber am Beispiel »Boys (Summertime Love)« (Sabrina 1987) aufzeigen, wie mit Wiederholungen, motivischer Variation und Sequenzierungen sowohl im Pre-Chorus als auch im Chorus die Melodik klar strukturiert, charakteristisch, eingängig und reproduzierbar erscheint (vgl. Abb. 4). Sieht man von der funktionalen Bedeutung durch die harmonische Transition mit der äolischen Kadenz zum Chorus (Takte 7 und 8) ab, so hat der Pre-Chorus mit seiner melodischen Charakteristik und wiedererkennbaren Motivik ebenfalls Chorus-Qualitäten. Dass der hier vorkommende und wiederholte Ausdruck »Summertime Love« auch im Titel in Klammern geführt wird, bekräftigt diese Interpretation.

Abb. 4: Sabrina (1987). »Boys (Summertime Love)«, 00:59-01:14

Der Eindruck eines Reichtums an Melodien entsteht auch durch die häufig verwendeten »Hook«-Formteile, die oft Chorus-Charakter haben, diesen jedoch nicht ersetzen. In diesen Parts werden Hooks — nach Covach (2005: 71) »that part of the song meant to catch the ear of the listener« — entweder instrumental mit markanten Synthesizer-Sounds oder als textlos gesungene Vokalise präsentiert. Sie stehen meist vor den Verses bzw. nach den Chorusen, werden also direkt am Anfang vorgestellt und tragen somit zur schnellen Wiedererkennbarkeit des Songs bei. Da in solchen Hook-Formteilen der Text fehlt, liegt im Gegensatz zum Chorus der Fokus ausschließlich auf der melodischen Gestaltung. In »Boys (Summertime Love)« findet sich eine solcher Hook-Part vor dem ersten Verse (0:25, vgl. Abb. 5). Auch hier ist die Melodik mit motivischen Wiederholungen, motivischer Variation und Sequen-

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT zierungen klar strukturiert und eingängig. Besonders markant ist das dreifach repetierte, punktierte und in Staccato-Artikulation ausgeführte Motiv zu Beginn der ersten drei Takte, dem jeweils der gleiche Auftakt vorangestellt ist.

Abb. 5: Sabrina (1987). »Boys (Summertime Love)«, 00:25-00:42

In 24 von 35 Titeln der Korpus-Stichprobe konnte ein solcher Formteil mit exponierten Hook-Melodien identifiziert werden. Der Eindruck eines ausgeprägten Melodienreichtums in Italo Disco-Songs lässt sich somit quantitativ nachvollziehen.

5. Zwischenfazit: Das ›Typische‹ der Italo Disco Die Ergebnisse der Korpusanalyse wurden hier nur sehr komprimiert und mit Blick auf das wirklich ›Typische‹ präsentiert.7 Doch was ist nun als typisch für Italo Disco festzuhalten? Isoliert voneinander betrachtet mögen die oben aufgeführten Ergebnisse nicht als besonders charakteristisch oder stilistisch eigenständig erscheinen, da sie teilweise auch auf andere Musikstile zutreffen; insbesondere die Abgrenzung von Synth-Pop oder der allgemeineren Kategorie Euro-Disco kann schwierig sein. Entsprechend stellen Conti/Kirby (2017) ernüchternd fest: »Italo disco lacked characteristics that would clearly distinguish it from other synth pop or Eurodisco hits of the time […].« Was eine Benennung des ›Typischen‹ weiterhin erschwert, ist die — in der Zusammenstellung der Stichprobe durchaus gewünschte — Bandbreite bzw. Diversität, die sich selbst innerhalb der mit 35 Titeln doch verhältnismäßig kleinen Stichprobe deutlich zeigt. So gibt es darin manche ›Ausreißer‹, die in ihrer Gestaltung deutlich herausstechen (z.B. Helen 1983 oder Peter Richard 1985 sowie die beiden instrumentalen Tracks Koto 1982 und Hypnosis 1983). Auch jenseits der Stichprobe sind es gerade frühe Beispiele mit Einflüssen aus Rap (z.B. Kex 1983), Funk (z.B. Flowchart 1983) und New Wave (z.B. Gaznevada 1983), die die Musik diverser erscheinen lassen. Vor diesem Hintergrund ist zu beobachten, dass das, was sich als ›typisch‹ Italo Disco bezeichnen ließe, sich offenbar erst mit der zunehmenden Popularität und dem Nachahmen

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Auf Ausführungen zur Harmonik wurde gänzlich verzichtet, da die Ergebnisse keine weiteren Anknüpfpunkte zur hier zentralen Thematik bieten.

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PAUL KASPAR eines vermeintlichen Erfolgsrezepts immer weiter selbst verstärkt und stilisiert hat (vgl. Keller 1985: 36). Nach Ekkehard Jost muss für wissenschaftliche Aussagen über das ›Typische‹ ein Alleinstellungsmerkmal vorliegen, das »für andere Gruppen von Menschen, für andere Regionen oder andere Nationen keine oder nur eine sehr geringe Rolle spielt« (Jost 2014: 30). Dessen Bestimmung erfordere außerdem »ein globales Wissen über dieses Phänomen in anderen Gruppen, Nationen, Kulturen usw.« (ebd.). Um demnach das Typische von Italo Disco benennen zu können, müssten für weitere Studien vergleichbare Analysen zu Synth-Pop oder Euro-Disco herangezogen werden, wie sie bspw. von Doehring (2015) zu Modern Talking vorliegen, was aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Im Sinne eines diskursiven Genre-Begriffes kann es aber nicht darum gehen, eine rein musik-bezogene Essenz von Italo Disco herauszudestillieren, sodass zweifelsfreie Grenzen zu anderen Genres gezogen werden könnten. Die geographische und zeitliche Einordnung oder das LabelUmfeld spielen selbstverständlich auch eine Rolle für diskursive GenreZuschreibungen, auch wenn hier Inkonsequenzen zu beobachten sind. Zusammengefasst steht Italo Disco für einen bestimmten Sound, der von Synthesizern, Sequencern und Drumcomputern geprägt ist und, zusammen mit der beschriebenen Haltung in der Produktion, an exponierten sowie wiedererkennbaren Melodien und der motorischen Disco-Rhythmik zu identifizieren ist. Dafür sprechen auch gegenwärtige Retro-Projekte, die die genannten Elemente zusammenbringen und dadurch ihre Absicht, einen originalgetreuen Italo Disco-Sound zu erzeugen, zweifellos durchschauen lassen. Als solche Beispiele sind »Banda Di Baffi« von Carino Cat (2019) oder »Hero« von Romantic Gladiators (2019) zu nennen.

6. »Italo«- und Italien-Bezüge in der Italo Disco Vor dem Hintergrund, dass Italo Disco eine stilistische Kategorie und weniger eine geographische Zuordnung ist, stellt sich die Frage, ob sich überhaupt Verweise auf Italien oder Italianität in der Musik finden lassen. Zunächst wäre es naheliegend, den Italienbezug vor allem über die Textebene herzustellen, etwa über die Sprache und verhandelte Sujets. Italienische Texte stellen — genau wie spanische Texte, die im Korpus sogar häufiger vertreten sind als italienische — eine deutliche Ausnahme dar: in der Regel sind die Lyrics englischsprachig. Häufig entspricht dieses Englisch in Wortschatz, Grammatik oder Aussprache jedoch deutlich erkennbar nicht einem muttersprachlichen Niveau und wird mit wahrnehmbarem Akzent arti-

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT kuliert. Neil Tennant (Pet Shop Boys) hebt dies durchaus positiv hervor, »denn die Gruppen sangen zwar auf englisch, aber es klang immer etwas falsch. Ich stand schon immer auf gebrochenes Englisch, denn manchmal klingt das schon fast poetisch« (Tennant in Schuh 2007).8 Doch obwohl dieses als »ItaloEnglisch« bezeichnete Phänomen für Italo Disco typisch und charakteristisch sein mag, ist es fraglich, diesbezüglich von ›typisch italienisch‹ oder einem Italien-Bezug zu sprechen — lässt sich doch bspw. auch bei Modern Talking analog ein »sehr deutsches bzw. falsches Englisch« finden (Doehring 2015: 134). Ein eher unauffälliger Italien-Bezug auf sprachlicher Ebene lässt sich in manchen humorvoll ausgedachten, englisch klingenden Künstler*innen- oder Projektnamen erkennen, da diese nur über Kenntnisse der italienischen Sprache verständlich sind: »Producer and DJ Alberto Carpani, for instance, had among his many pseudonyms Albert One (which, read in Italian, sounds like Albertone, i.e., Big Albert), and Jock Hattle (which sounds like giocattolo, i.e., toy); singer Stefano Zandri opted for Den Harrow (which sounds like denaro, i.e., money), and so forth« (Martinelli 2014: 212). Auf thematischer Ebene lassen sich in manchen Beispielen durchaus Bezüge zur Italianität finden. Ein Beispiel ist der Titel »Dolce Vita« von Ryan Paris (1983), in dem der Protagonist das gleichnamige Sinnbild eines genussfreundlichen, vermeintlich italienischen Lebensstils in Müßiggang und Leichtigkeit lebt, wie er auch im gleichnamigen Film von Federico Fellini (1960) präsentiert wird. Dieser »in der DNA des ›Italieners‹ vermeintlich fest verankerte sympathische Hedonismus — das dolce far niente« (Sala/Wöhrle 2011: 34) lässt sich auch im »Happy Song« (Baby's Gang 1983) finden, in dem die Schüler*innen lieber Eis essen und Tanzen gehen, statt die Schule zu besuchen. Das Italo Disco-Projekt Fun Fun (z.B. »Happy Station«, 1983) trägt diese unbeschwert hedonistische Grundeinstellung sogar im Namen. Die genannten Beispiele stellen dennoch Ausnahmen dar, denn auf thematischer Ebene werden überwiegend die allgemein für Pop-Musik typischen Sujets wie Liebe, Romantik und Sehnsucht behandelt. Auch sind in Italo Disco die für Disco- und Dance-Music typischen »meta-songs« (Martinelli 2014: 212)9 8

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Über solche Fehler, die sich oft auch schon im Songtitel bemerkbar machen, wird sich auch innerhalb der Fangemeinschaft in Discogs-Foren wie »Humor in Italo disco« oder »italo-english at it's [sic] best« ausgetauscht. Diese »meta-songs« beschreibt Martinelli (2014: 212) näher: »meta-songs, that is, to address the song itself, its characteristics and social function (therefore: invitations to dance, arguments in favor of the song's rhythm, description of the kinetic abilities of a given musical instrument, etc.).« Als Beispiel für einen sol-

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PAUL KASPAR zu finden, in denen es ums Ausgehen, das Tanzen und das Nachtleben geht. Häufig verwendete Sujets sind darüber hinaus Weltraum, Technologie und Kybernetik, die nach Shapiro typisch für Italo Disco sind: »This obsession with space and the prog rock tendencies would come to characterize Italo-disco« (Shapiro 2005: 271). In den Lyrics ist außerdem festzustellen, dass oftmals gerade nicht Italien thematisiert wird. Vielmehr werden bspw. unkonkret das Fremde und die Ferne beschrieben, so wie es etwa in »Hypnotic Tango« von My Mine (1983) heißt: »Give me this night in a foreign land«. Häufig werden auch konkrete Orte wie die »U.S.S.R.« (Eddy Huntington 1986) oder etwa »Shanghai« (Lee Marrow 1985) genannt, an denen man einmal war und an die man sich als positiv konnotierte Sehnsuchtsorte erinnert. Auf musikalischer Ebene könnte ein Italien-Bezug über die Anknüpfung an italienische Traditionen hergestellt werden. Doch hierfür sind keine klaren Anhaltspunkte zu finden, zumal die stilistische Entwicklung von Disco aus den USA und anderen europäischen Ländern ausging und darüber hinaus Elemente aus Rap, Funk und New Wave miteinbezogen wurden. Nach Keller entschied man sich sogar bewusst gegen als italienisch aufgefasste Traditionen: »damit man sich aber eindeutig von Cantautori und Schlagersängern unterscheidet, muß das Image americano sein« (Keller 1985: 35f.). Für ihn liegt nun aber — weiterhin polemisch geschrieben — gerade in dieser Kopie des Amerikanischen ein typisch italienisches Merkmal: »Amerikanisches wird von den Italienern nach eigenem Gutdünken der Realität entrückt, eigenwillig beleuchtet und ästhetisiert, so war der Italo-Western, so sind ein Teil der Italo-Comics […]. Amerikanismus als von Amerika losgelöste Neugeburt in den Köpfen der Italiener, eine willkürlich zusammengesetzte Neu-Kreation der ästhetischen Seite amerikanischer Träume, Bilder, Einrichtungen. Die Resultate bleiben schlußendlich erz-europäisch, italienisch. In diesem Sinne muß man sich auch die Entstehung von Italo-Disco erklären« (ebd.: 34). Das Kopieren (US-)amerikanischer Vorbilder als typisch italienische Praxis zu betrachten, ist allerdings wiederum fragwürdig. Wie zu Beginn dieses Textes bemerkt, zeichnet sich die Entwicklung vieler populärer Musikstile — und PopKultur im Allgemeinen — durch solche Prozesse und durch Internationalität aus. Konkreter benennt Keller auf musikalischer Ebene in der Melodik einen Bezug zu einem vermeintlichen Charakteristikum italienischer Musik:

chen Titel ist »Feel The Drive« (Doctor's Cat 1983) zu nennen, dessen Text sich auf den ›Drive‹ der Musik bezieht.

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT »Im Zentrum stehen immer — völlig italienisch — die Melodien, fallen diese einigermaßen gut und originell aus, ist diese italienische Hauptbedingung an jede Art Musik erfüllt. […] Stilreine Italo-Disco ist meist vollelektronisch inszeniert und unterliegt ganz dem kreativen Willen des Produzenten, dessen Einfallsreichtum es anheimgestellt ist, ob eine gute Melodie zu einem platten oder spritzigen Song gerät« (Keller 1985: 36). Diese Verknüpfung des ›Italienischen‹ mit dem ›Melodischen‹ reicht indes weit zurück. Bernd Sponheuer zeichnet diese Assoziation anhand der musikästhetischen Auseinandersetzung im 19. Jahrhundert nach, in der »die Entgegensetzung des ›Deutschen‹ und des ›Italienischen‹ schon bei Autoren vom Format Hegels, Hanslicks oder Vischers für eine ausgemachte Sache« gilt (Sponheuer 1987: 20). In dieser von Arnold Jacobshagen (2018) als »musikästhetische Phantomdebatte«10 korrigierten Argumentation Sponheuers »interessiert […] nicht ihre dubiose nationalistische Intention […], sondern ihre funktionale Bedeutung als Träger eines ganzen Bündels einander dichotomisch zugeordneter Merkmale« (Sponheuer 1987: 20). Für die ›italienische‹ Seite in diesem Dualismus stehen etwa die »prinzipielle Priorität des Melodischen« (ebd.: 16), »die Genien einer italienisch-südlichen, gleichsam naturwüchsigen Kantabilität« (ebd.: 17), eine »hedonistisch-sensualistische Musikauffassung« (ebd.: 23), »›Schönheit‹ (hesperischer Wohlklang, angenehme Melodie) […] und ›Sinnlichkeit‹« (ebd.: 22). Sponheuer fasst dieses ästhetische Kategoriensystem zusammen: »fast wird es gleichgültig, von welchem Gegensatz im einzelnen ausgegangen wird, denn alle führen in letzter Instanz zu denselben gedanklichen Stereotypen« (ebd.: 20). Wie sehr diese dualistische Anschauung auch die Gedanken von Keller prägt, zeigt seine Attribution der deutschen Synth-Pop-Band Alphaville — in der Gegenüberstellung zu Italo Disco — als »Deutsch und keimfrei steril« (Keller 1985: 36). So ist also auf musikalischer Ebene kein tatsächlicher Bezug zu Italien zu finden, sondern nur die stereotypische Verbindung zu dem, was als ›italienisch‹ gilt. Bezüge zu Italien bleiben also sowohl auf textlich-thematischer als auch auf musikalischer Ebene eher vage und unbefriedigend. Da Italo Disco-Produzenten und -Interpret*innen sich, wie Keller (1985: 36) schreibt, vielmehr um ein amerikanisches Image bemühten, wird nachfolgend die Per-

10 Jacobshagen kritisiert, dass Sponheuer »das vermeintliche Gegensatzpaar Beethoven versus Rossini als den historischen Ausgangspunkt der für den deutschen Musikbetrieb bis in die Gegenwart relevanten Unterscheidung zwischen ›EMusik‹ und ›U-Musik‹« (Jacobshagen 2018: 11) interpretiere und dadurch auch die von Carl Dahlhaus »konstruierte Beethoven-Rossini-Dichotomie« einer »germanozentrischen Musikanschauung« (ebd.) weiter legitimiere.

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PAUL KASPAR spektive gewechselt und nach der internationalen Ausrichtung von Italo Disco gefragt.

7. Internationale Ausrichtung und Bezugnahme 7.1. Sprachliche Ebene: Differenz zum Italo-Pop Ein erstes und wichtiges Indiz für die internationale Ausrichtung von Italo Disco liegt in der bevorzugten Verwendung der englischen Sprache (s.o.). Betrachtet man Beispiele der Euro-Disco ebenfalls nicht-englischsprachiger Herkunft, wie etwa Boney M. und Modern Talking aus Deutschland, ABBA aus Schweden oder Cerrone aus Frankreich, so ist das für die späten 1970er und die 1980er Jahre im Bereich der Disco- und Pop-Musik allerdings nicht ungewöhnlich. Im Gebrauch der englischen Sprache liegt jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen Italo Disco und Italo Pop. Dies veranschaulicht exemplarisch der Sampler Die Hit-Giganten. Italo Hits (Various 2004), dessen erste CD mit »Italo-Pop« und die zweite CD mit »Italo-Disco« überschrieben ist: die Titel der ersten CD sind alle auf Italienisch gesungen. Auf der zweiten CD überwiegen englischsprachige Texte und neben zwei Stücken auf Spanisch ist nur ein Stück mit italienischem Text vertreten. Ähnliches zeigt sich auch bei den Namen der Interpret*innen bzw. Projekte: Auf der ›Italo-Pop‹-CD sind italienische, meist bürgerliche Namen zu lesen; auf der ›Italo-Disco‹-CD überwiegen hingegen englische oder Englisch klingende Künstler*innen- bzw. Projekt-Namen. Neben dem Unterschied, dass im Italo-Pop eher (elektro-) akustische und traditionelle Instrumente verwendet wurden (vgl. Verrina 2015: 21), ist auch auf sprachlicher Ebene Italo Disco deutlich weniger »Italo« als Italo-Pop und gibt sich damit im Vergleich internationaler. Auch wenn ein akzentbehaftetes ›Italo-Englisch‹ als charakteristisch für Italo Disco beschrieben wurde, sind häufig auch gegenteilige Tendenzen im Umgang mit diesen (vermeintlichen) ›Defiziten‹ zu finden: Oft wurden gezielt Sänger*innen akquiriert, deren Muttersprache Englisch ist, damit gerade kein Akzent oder falsche Aussprachen zu hören sind. So arbeitete bspw. die in den USA geborene und aufgewachsene Simona Zanini mit dem Musikproduzenten Aldo Martinello zusammen, der eine englischsprachige Sängerin für sein Projekt Doctor's Cat suchte. Beider Kooperation beschränkte sich jedoch keineswegs auf dieses Projekt und Zaninis Stimme, die Verrina »The Voice of Italo Disco« (2015: 233f) nennt, ist auch bei den gemeinsamen Projekten Martinelli, Moon Ray (Raggio Di Luna), Topo & Roby sowie Radiorama zu hören (vgl. Verrina 2015: 84f. sowie 233-237). Darüber hinaus gab Zanini auch den

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT späteren Produktionen des Projekts Valerie Dore ihre Stimme (ebd.: 191). Weitere Beispiele für englischsprachige Sänger*innen sind die »Italo-Amerikanerin« (Keller 1985: 35) Rossana Casale, die für Projekte wie Klein & M.B.O. (ebd.) oder N.O.I.A. gesungen hat (s. Credits zu N.O.I.A. 1984), der in London aufgewachsene und als Kano bekannt gewordene Glen White (Keller 1985: 34) oder der in den USA geborene Tom Hooker. Letzteren nennt Verrina »The American Voice Of Italo Disco« (2015: 187), da er nicht nur Titel unter eigenem Namen gesungen hat, sondern auch als sogenannter »ghostsinger« bspw. für das von Stefano Zandri verkörperte Projekt Den Harrow (ebd.: 84).

7.2. Vermarktung Ein weiterer Hinweis auf eine deutliche internationale Ausrichtung sind Alternativschreibweisen und Übersetzungen aus dem Italienischen ins Englische auf Schallplattencovern und -etiketten. So trägt der englischsprachige Song »Cenerentola« von Martinelli (1985) in Klammern unter dem Titel geschrieben die englische Übersetzung »Cinderella«. Bei »Comanchero« von Raggio Di Luna (1984) findet sich hingegen in Klammern der Projektname als »Moon Ray« übersetzt. Auch an der besonderen Art und Weise, wie das französische Label Carrere die Single »Self Control« von RAF (1984) in Deutschland vermarktet hat, lässt sich erkennen, wie die Produkte an die Bedürfnisse des internationalen Marktes angepasst wurden. Der Name RAF ist die Abkürzung des bürgerlichen Vornamens des Sängers Raffaele Riefoli, auf dem Cover der deutschen Pressung der Single wurde RAF allerdings in RAFF abgewandelt, vermutlich weil man eine Assoziation mit der Roten Armee Fraktion vermeiden wollte.

7.3. Sujets Neben der verwendeten Sprache lässt sich auch thematisch eine starke Bezugnahme auf internationale Pop-Kultur feststellen. In »Cenerentola (Cinderella)« von Martinelli (1985) oder »Tarzan Boy« von Baltimora (1985) wurden beispielsweise allbekannte Erzählungen aufgegriffen. Das Stück »Aliens« von Radiorama (1986) ist offensichtlich von dem gleichnamigen Film inspiriert, was sich neben der Namensgebung auch in der verwendeten Schriftart auf dem Plattencover widerspiegelt. Im Jahr 1986 erschienen sowohl die Single als auch der Film Aliens von James Cameron, der Ridley Scotts Film Alien (1979) weitererzählt. Auch die Maxi-Single zu »Pulstar« von Hypnosis (1983) verdeutlicht, wie sehr man sich an zeitgenössischen Themen orientierte: Die B-Seite enthält mit »End Title (Blade Runner)« eine Cover-Version aus dem

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PAUL KASPAR von Vangelis produzierten Soundtrack des ein Jahr zuvor erschienenen Films Bladerunner von Ridley Scott.

7.4. Musikalische Ebene: Beobachtung des internationalen Geschehens Ganz ähnlich wurde sich auch auf musikalischer Ebene am internationalen Pop-Geschehen orientiert, was die zahlreichen Coverversionen und Medleys in der Italo Disco verdeutlichen. Diese können sehr nah am Original gehalten sein, wie etwa bei »Blue Monday« von Tommy B. (1983), einer Coverversion der im gleichen Jahr erschienenen Single von New Order. Bei »Let's Dance« von Kex (1983) wird sich hingegen zwar auf instrumentaler Ebene sehr eng an David Bowies Original aus demselben Jahr orientiert, der Gesang wird in der Italo Disco-Version jedoch durch einen Rap ersetzt. Neben solchen unterschiedlich frei interpretierten Coverversionen sind auch viele als Fusionen mehrerer Titel angelegt. Ein Beispiel ist »Star« von Claudio Mingardi (1984), das auf dem Schallplatten-Cover die Beschreibung »Medley Of ›Star‹ (Robyx) with ›Starman‹ (Bowie)« trägt. Viele solcher Medleys wurden von Pink Project produziert, wie etwa »Smoke Like A Man« (1983), das Elemente aus »Smoke on the Water« von Deep Purple und »Love Like A Man« von Ten Years After miteinander kombiniert. Ein weiteres Beispiel ist »Der Kommissar (El Comisario)« (1982), das die beiden NDW-Hits »Der Kommissar« von Falco und »Da Da Da Ich Lieb Dich Nicht Du Liebst Mich Nicht Aha Aha Aha« von Trio interpretiert und verschmilzt. Beide Beispiele zeigen, dass sich nicht nur an Discound Dance-Musik orientiert wurde und die internationale Bezugnahme auch nicht auf das englischsprachige Ausland beschränkt blieb. Jenseits von Coverversionen und Medleys lassen sich Verbindungen zum internationalen Pop-Geschehen vor allem über Ähnlichkeiten feststellen, die insbesondere im Bereich Synth-Pop markant sind. »Feel The Drive« (Doctor's Cat 1983) lässt im Vergleich mit »Everything Counts« von Depeche Mode starke Ähnlichkeiten in der Melodik des Chorus' der jeweils im Jahr 1983 erschienenen Titel erkennen. »Cybernetic Love« (Casco 1983) ist sowohl auf musikalischer als auch auf thematischer Ebene deutlich von dem im Jahr zuvor erschienenen Titel »Computer-Mädchen« von der Schweizer Gruppe El Deux beeinflusst. Dass gerade im britischen Synth-Pop Inspiration gesucht und gefunden wurde, beschreibt DJ und Italo Disco-Experte Flemming Dalum: »It seems like they somehow tweaked the synths a bit more, maybe due to shorter production time and less production experience. But I think they came up with a very unique result: a sound and style never heard before, or even since. […] I think the Italians were outstanding at capturing the vibe of early-

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT '80s music trends. They were clearly inspired by the UK scene and, of course, the musical subcultures surrounding it. But they added a charming Italian twist, which made it so very special« (Dalum in Johannsen 2015). Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass sich auf sprachlicher, thematischer und musikalischer Ebene sehr deutlich an internationaler Popkultur und internationalen Absatzmärkten orientiert wurde. Der Bezug zu Italien, italienischer Tradition und Italianität spielte offenbar eine wesentlich geringere Rolle.

8. Schlussbetrachtung: Das »Italienbild im Kopf« Anfänglich wurde erläutert, wie das deutsche Label ZYX über die Benennung und Vermarktung italienischer Musikimporte ›Italo Disco‹ mit dem ›Italienischen‹ in Verbindung gebracht hat. Die Herkunft war jedoch nur anfänglich relevant, vielmehr verselbstständigte sich der Begriff bei ZYX zum eigenständigen Marktsegment und im allgemeinen Gebrauch als stilistische Kategorie. Die Musik, die unter der Bezeichnung zusammengefasst wird, ist zwar divers, trägt aber stilistische Merkmale, die eine Zuordnung zur Italo Disco erlaubt. Jedoch finden sich in ihr nur wenige Aspekte, die spezifisch auf Italien oder Italianität verweisen. Vielmehr verliehen der bevorzugte Gebrauch der englischen Sprache, die für Disco- und Popmusik typischen Themen sowie der damals moderne, von Synthesizern geprägte Sound Italo Disco einen internationalen Anschein. Die (wenn auch abstrahierende) nationale Komponente ›Italo‹ in der Genrebezeichnung tut der Musik so gesehen unrecht, da sie sich im Unterschied zum Italo Pop und zum italienischen Schlager auf sämtlichen Ebenen gerade nicht als italienisch präsentieren wollte. Benedict Anderson versteht Nation als »an imagined political community« (2006: 6) mit der zentralen Bedingung, dass diese Gemeinschaft begrenzt ist. In der Italo Disco ist jedoch das Verbindende und Gemeinsame im Sinne einer internationalen Popkultur viel deutlicher manifestiert als eine über die Kategorie Nation vorgenommene Abgrenzung oder Betonung einer vermeintlichen kulturellen Eigenständigkeit. Die Begriffsbildung erscheint nicht zuletzt deshalb fragwürdig, da Italo Disco die einzige Form von Disco aus Europa ist, für die sich eine national enger gefasste Bezeichnung durchsetzen konnte. Es mag kein Zufall sein, dass die Vermarktungsstrategie, die den Begriff festigte und überhaupt hervorbrachte, ausgerechnet aus Deutschland kam:

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PAUL KASPAR »Belastet von den Traumata des Krieges und der Nachkriegszeit, entdeckte die westdeutsche Gesellschaft — weit mehr als andere — in einem idealisierten ›Italienbild‹ ein kathartisches Mittel, um sich von der Tristesse des Alltages zu befreien. Durch den deutschen Tourismus in Italien und die expandierende italienische Gastronomie in Deutschland wurde das ›Dolce Vita‹ zu einer für die Massen zugänglichen Erfahrung und zum Symbol des erreichten Wohlstands. Gefördert wurde dieser Prozess vom medialisierten Mythos des italienischen Lebensstils, aber auch vom verbesserten internationalen Ruf Italiens« (Janz/Sala 2011: 8). Vor dem Hintergrund der besonderen Beziehung zu Italien ist es denkbar, dass die bereits im Begriff Italo Pop gebräuchliche Wortneuschöpfung ›Italo‹ als etwas vermeintlich Italienisches auf die aus Italien importierte Disco-Musik angewendet wurde, ohne jedoch den Unterschied der in der Italo Disco fehlenden Italienbezüge und Sujets zu reflektieren. Gerade dieses besondere deutsche Verhältnis zu Italien könnte aber auch die Sinne für die Wahrnehmung von Italianität geschärft bzw. deren Konstruktion angeregt haben. Bezogen auf die deutsche Perspektive auf Italien spricht Christof Dipper daher von einem »Italienbild im Kopf« (Dipper 2011: 39). Die Italianität wäre somit auf einer abstrakteren Ebene in der spezifischen Wahrnehmung Italiens gegeben: als »der Inbegriff von ›Süden‹ […], assoziierbar mit Licht, Kunstschätzen, Wohlleben und anderen Attributen, die das Gegenteil von ›deutsch‹ bezeichnen« (ebd.). Auch Sponheuer beschreibt, dass »das Problem der ästhetischen Dichotomie«, die die beschriebene antithetische Konstellation des ›Deutschen‹ und des ›Italienischen‹ überhaupt erst in dieser Qualität hervorbrachte, »offenbar ein vorwiegend deutsches darstellt« (Sponheuer 1987: 7). Italo Disco wurde demnach möglichweise aus deutscher Perspektive durchaus als ›typisch‹ italienisch rezipiert, auch wenn die oben erörterten Merkmale der Musik dagegen sprechen. Das Italienbild in den Köpfen der deutschen Hörerschaft lenkte somit die Aufmerksamkeit auf die wenigen Anhaltspunkte, die auf Italianität hinweisen könnten: Sie wäre demnach bereits gegeben, sobald die Musik bspw. besonders melodienreich oder hedonistisch-fröhlich ist. Auch die Sommer-Hits der Italo Disco, die wie in »Kalimba de Luna« (Tony Esposito 1983) oder »Vamos A La Playa« (Righeira 1983) Strand und Sonnenschein thematisieren,11 mögen in diesem Sinne positive Erinnerungen an den letzten Italien-Urlaub anregen, auch wenn sie auf sprachlicher Ebene eher auf das ebenfalls südlich-mediterrane Urlaubsland Spanien verweisen.

11 Zu »Vamos A La Playa« ist hinzuzufügen, dass der Text eigentlich von einer radioaktiven Katastrophe erzählt, die ironische Fröhlichkeit und Unbeschwertheit im Chorus jedoch die Rezeption prägte.

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass auch die britische Presse anfangs von »Spaghetti-Dance« (Brewster 2008: 64) sprach und damit offenbar ebenfalls nicht frei von einem stereotypisch geprägten Italienbild ist. Die spezifische Vermarktung von ZYX über die Namensgebung, die Vermittlung des Klanglichen mit dem Symbolischen, hat jedoch dazu geführt, dass auch NichtItalienisches als ›italienisch‹ wahrgenommen werden konnte. Nichtsdestotrotz hat ZYX einen wichtigen Beitrag zur Popularität des Genres geleistet. Das Label war aber nicht der einzige Weg, über den die als Italo Disco bezeichnete Musik auf den internationalen Markt kam. Die Musik wurde auch über direkte Import/Export-Verbindungen in den USA vertrieben, wo sie u.a. in den Zentren New York City, Chicago und Detroit rezipiert wurde und für die sich dort entwickelnde Garage-, House- und Techno-Szene von großem Einfluss war (vgl. Shapiro 2005, Lawrence 2016, West/Brewster 2016).

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PAUL KASPAR

Weitere Titel Carino Cat (2019). »Banda Di Baffi.« Auf: Attraction Of Heat. Disco Modernism DM 023. Claudio Mingardi (1984). »Star.« BEST-12027. Doctor's Cat (1983). »Feel The Drive.« Il Discotto Productions ART 1016. DJ Hell (2007). Hellboys (Italo Megamix). International Deejay Gigolo Records 222. Flowchart (1983). »Ask The Boss.« ZYX 5017. Kex (1983a). »Let's Dance.« RAP Record DM20128. Kex (1983b). »Let's Dance.« ZYX 5033. Moonbase (1983). »Waiting For A Train.« ZYX 5038. N.O.I.A. (1984). »The Sound Of Love.« ZYX 35.002. Pink Project (1982). »Der Kommissar (El Comisario).« Trebol TI 70640. Pink Project (1983). »Smoke Like A Man.« Ultraphone 6.20199 AE. Raff (1984). »Self Control.« Carrere 821 329-1. Romantic Gladiators (2019). »Hero.« Quadrangolo Mirabile QMRGLA. Tommy B. (1983). »Blue Monday.« ZYX 5035. Various (1983a). The Best Of Italo-Disco. ZYX 70.001. Various (1983b). Italo Boot Mix Vol. 1. ZYX 5095. Various (1985). Italo Boot Mix Vol. 3. ZYX 5275. Various (1988). Italo Boot Mix Vol. 10. ZYX 5800. Various (1989). The Italo Disco Collection. ZYX 74001-1. Various (2004). Die Hit-Giganten. Italo Hits. Sony 517394 2. Various (2012). ZYX Italo Disco New Generation Vol. 1. ZYX 82601-2. Various (2013). Italo Disco Classics. ZYX 57094-2. Various (2014). ZYX Italo Disco 12" Hits (Greatest Hits & B-Side Rarities). ZYX 82712-2.

Filme Anton, Pietro (2018). Italo Disco Legacy. Private Records. De Iulis, Pierpaolo (2012). Italo Disco. The Sound of Spaghetti Dance. Rave Up Multimedia. West, Easton / Brewster, Bill (2016). Boiler Room presents Dirty Talk: A Journey into Italo Disco, https://www.youtube.com/watch?v=wS4tNFQNgow& (Version vom 4.7.2016, Zugriff: 1.7.2020).

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ITALO DISCO. ZWISCHEN ITALIANITÄT UND INTERNATIONALITÄT

Abstract First coined in 1983 by the German label ZYX to refer to music imports from Italy, the Italo Disco genre grew in popularity in the 1980s. However, soon thereafter, Italo Disco was uncoupled from its national context and is now used as a stylistic category for music productions from all over the world. This raises the question: Is there anything distinctly Italian about Italo Disco or has it been divorced from its original national context? The article examines a corpus of 35 titles to determine Italo Disco's distinguishing characteristics (e.g. in sound, instrumentation, form, melody) and establishes certain parallels to other genres. In a next step, the article analyzes whether Italo Disco makes references to Italian culture. Finally, the article concludes with a discussion of whether Italo Disco is a genre of its own or merely overlaps with other similar genres and pre-existing stereotypes of Italy.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND DER »LANGEN« 1960 E R J A H R E : Z W I S C H E N Ü B E R W I N D U N G U N D VERSTÄRKUNG DES NATIONALEN Maude Williams Einleitung »C'est ça qu'on chante en France« war der Name einer Radiosendung, die auf der Europawelle des Saarländischen Rundfunks von 1964 bis 1970 gesendet wurde. Sie war die erste Sendung, die sich in der Bundesrepublik ausschließlich französischer Musik widmete. Der Moderator, Pierre Séguy, war außerhalb des Senders auch in Schulen aktiv und hielt an der Universität des Saarlandes Vorträge über das französische Chanson. Die Hörerbriefe, die er bekam, sind Beweis für die starke Verbreitung der französischen Chansons in der Bundesrepublik und über ihre Grenzen hinaus, da einzelne Briefe auch aus der DDR stammten.1 Séguys Sendung war aber nicht die einzige, die französische Lieder in der Bundesrepublik bekannt machte. Auch andere Radiosender füllten ihre Programme mit neuen französischen Songs, Fernsehshows luden französische Sänger*innen ein, Jugendzeitschriften wie BRAVO, Twen oder Musikexpress berichteten über ihr Leben und so platzierten sich französische Lieder auch in den deutschen Charts. Durch ihre Lieder, ihr Auftreten und ihre Erwähnung in den deutschen Medien wurden französische Sänger*innen zu populären Botschafter*innen Frankreichs. Bisher noch kaum erforscht, konnten diese populärkulturellen Vermittler*innen besser als traditionelle kulturelle und politische Akteure die Deutschen, und vor allem die deutsche Jugend, ansprechen.2 Sie brachten 1 2

Dies geht aus dem Nachlass Pierre Séguys an der Universität Innsbruck hervor (Archivalien ohne Nummerierung). Dieser Aufsatz stellt einen Teil der Ergebnisse des Forschungsprojekts »MusikFeld Europa. Deutsch-französische Musikverflechtungen« vor. Er verankert sich in der DFG-FNR Forschungsgruppe »Populärkultur transnational — Europa in den langen 1960er Jahren«, die populärkulturelle Transfers in den europäischen

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MAUDE WILLIAMS französische Musik in die Bundesrepublik, sorgten für kulturelle Annäherung zwischen den beiden Ländern und trugen zur »Europäisierung« (Hüser/Pfeil 2015: 22) der deutschen Musiklandschaft bei. Jedoch stellten sie zugleich ein bestimmtes Frankreichbild dar und verfestigten die Wahrnehmung populärer Musik in nationalen Kategorien. Dies trug zu einer Konstruktionsverstärkung der »Grande Nation« als »imagined political community« (Anderson 1983: 6) sowohl in der Bundesrepublik als auch in Frankreich selbst bei. Um dieses paradoxe Phänomen zu beleuchten, sollen die Rahmenbedingungen untersucht werden, die eine Öffnung der nationalen Rahmen im populärkulturellen Bereich zwischen Frankreich und der Bundesrepublik ermöglichten, sowie das durch die Schlagersänger*innen und Chansonniers vermittelte national stereotypisierte Frankreichbild, das die »Nation« als Konstrukt verfestigte. Neben der bereits existierenden Forschungsliteratur stützt sich diese Analyse auf Quellen unterschiedlicher Art: Akten der deutschen Rundfunkanstalten, Listen der deutschen Charts, Zeitschriften, Lieder der französischen Sänger*innen sowie von ihnen vermittelte Images beim deutschen Publikum durch deutsche Vermittler*innen wie Musikverleger*innen, Discjockeys und Fernseh- oder Radioansager*innen.

1. Überwindung nationaler Grenzen: gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Faktoren Nach den Kriegsjahren erlebte die westdeutsche Gesellschaft das so genannte Wirtschaftswunder mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 6,3 % seines Bruttoinlandsprodukts in den 1950er und 60er Jahren (Grabas 2004: 16). Auch wenn in der Bevölkerung weiterhin soziale Unterschiede bestanden, verbesserte sich die Lebensqualität der Westdeutschen: Sie aßen besser, arbeiteten weniger und ihre Haushaltseinkommen stiegen, was ihnen ermöglichte, für Haushaltgeräte und Freizeitaktivitäten Geld auszugeben (Hüser 2006: 192). Außerdem führte der »Baby-Boom« neben einem starken Bevölkerungswachstum auch zur Verjüngung der westdeutschen Bevölkerung: 1965 brachten 100 Frauen in ihrem Leben noch durchschnittlich 250 Kinder zur Welt (Geissler 2014: 5). Die Jugend der Nachkriegszeit war vom zunehmenden Wohlstand der entstehenden Massenkonsumgesellschaft geprägt (Schildt 2010: 257-262). Wenn sie nicht selbst berufstätig waren, bekamen junge Leute von ihren Eltern Taschengeld, das sie für ihre Freizeit, darunter auch Nachkriegsgesellschaften näher untersucht. Zur Darstellung der jeweiligen Projekte siehe: http://popkult60.eu.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND für Musik (u.a. Schallplatten, Musikzeitschriften, Konzerte, Musikbox) ausgaben (Götze 1959: 12). Die deutsche Jugend wurde zu einer kaufkräftigen gesellschaftlichen Gruppe, um die sich ein eigener Markt entwickelte (Siegfried 2006: 73-132). Diese Entwicklung war nicht nur in der Bundesrepublik zu sehen, sondern auch in anderen europäischen Ländern wie in Frankreich, wo eine neue Generation für den Musikmarkt eine wichtige Zielgruppe darstellte (Sohn 2012: 66). Die ähnliche demographische und gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik und Frankreich machte es möglich, dass Musikprodukte aus Frankreich auch für den deutschen Markt und die jungen deutschen Konsumenten in Frage kamen, was somit zu einer »Europäisierung« der Jugendkultur beitrug (Hüser 2017: 320). Außerdem sollen die Technik und die Musikindustrie als wichtige Bestandteile dieser Entwicklung nicht vergessen werden. Vor allem die günstige und massenhafte Reproduzierbarkeit von Musik durch die Schallplatte sowie die Entstehung einer internationalen Musikindustrie spielte hier eine bedeutende Rolle (Nathaus 2012: 215). Als Beispiel für den zunehmenden Austausch zwischen Frankreich und der Bundesrepublik kann das Verlagshaus Montana (München) genannt werden, das 1963 Montana France gründete (Bücken 2009: 20-26), oder auch Vogue, das 1960 die »Deutsche Vogue GmbH« in Bremen mitgründete (Servin 2010: 45). Des Weiteren wurde die Vernetzung innerhalb dieses internationalen Musikmarkts professionalisiert, etwa durch die Kooperation (u.a. Artikel- und Informationsaustausch) zwischen den Musikzeitschriften Musikmarkt und Discographie française3 oder die Gründung des MIDEM (Marché International du Disque et de l'Édition Musicale), eines seit 1967 jährlich stattfindenden Branchen-Treffens in Cannes.4 Auch die Politik trug zu diesem Internationalisierungsprozess bei, vor allem die Annährungspolitik zwischen Frankreich und der Bundesrepublik in den 1960er Jahren. Der 1963 unterzeichnete Élysée-Vertrag hielt fest, dass die Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Rundfunkanstalten »fortgeführt und ausgebaut« werden müsse (Élysée-Vertrag 1963: Abschnitt II, Abs. 25). Eine deutsch-französische Rundfunkkommission wurde gegründet und der Austausch von Radio- und Fernsehprogrammen sowie die Kooperation zwischen den Rundfunksendern beider Länder gefördert (Burmeister 1997). Im Musikbereich stellten deutsche Sender freie Journalisten aus Frankreich

3 4

5

Siehe »La discographie française« in Musikmarkt 12 (1960), S. 10. Ab 1959 wurden schon internationale Treffen für die Filmindustrie (Marché international du Film, MIF) organisiert. Studien über die Rolle dieser Netzwerke für die Verbreitung des internationalen Musikmarkts fehlen noch. Einzusehen unter: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0016_ely_de.pdf (Zugriff: 30.9.2019).

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MAUDE WILLIAMS wie Elsa Manet oder Jean-Claude Maguet ein, die für mehrere Sender arbeiteten.6 Sie lieferten in Paris aufgenommene Bänder mit neuen Hits aus Frankreich sowie deren Kommentierungen.7 Ebenso entstanden im Fernsehbereich Kooperationen, so etwa die Sendung »Rendez-vous am Rhein«.8 Schließlich sollen die kulturellen und mentalitätsgeschichtlichen Faktoren in Betracht gezogen werden. Das Publikum der französischen Popularmusik in der BRD stammte vor allem aus der Jugend, deren Fremdbilder nicht mehr wie die der älteren Generation vom Krieg geprägt waren, sondern aus der Berichterstattung in den Jugendzeitschriften, in den Radio- und Fernsehsendungen sowie aus neuen friedlichen Erfahrungen und Kontakten entstanden (Sirinelli 2005: 342). Dieser Hintergrund ermöglichte es den Musikproduzenten und -händlern, die französische Nation in der Vermarktung von Künstler*innen und Liedern als etwas Positives, Exotisches und Anziehendes zu etablieren. Nicht nur die Nation, sondern auch das Alter spielte eine Rolle bei der Bildung einer europäischen Jugendkultur. Das deutsche Publikum und die französischen Interpret*innen waren jung (zwischen 16 und 25 Jahre alt), was eine Annäherung erleichterte. Aber im Vergleich zu den britischen oder US-amerikanischen Songs zog die französische populäre Musik auch ein älteres Publikum an. Die Chansonniers der 1930er und 1940er Jahre, vor allem Maurice Chevalier, Édith Piaf, Jaqueline Boyer und Mistinguett, die während des Zweiten Weltkriegs in Paris vor deutschen Soldaten gesungen hatten, waren weiterhin erfolgreich (Wegner 2019: 145). Diese kulturelle Brücke, die schon während der Besatzungszeit gebaut wurde, bestand nach 1945 weiter. 1963 gab z.B. Chevalier Konzerte in der Bundesrepublik und Piaf hatte im selben Jahr eine Tournee in Westdeutschland geplant, ehe sie krank wurde und absagen musste.9 Piaf war allerdings bereits unmittelbar nach dem Krieg in der französischen Besatzungszone vom Staat als Zeichen des französischen kulturellen Prestiges eingesetzt worden (Linsenmann 2014: 78). Diese Annäherung der beiden Länder durch die Musik war jedoch völlig unausgewogen und brachte »asymmetrische Interdependenzen« (Fickers 2016: 16) mit sich. Sänger*innen aus deutschsprachigen Ländern kamen nur selten gut oder überhaupt auf dem französischen Musikmarkt an, was die französischen Musikverlage auch beklagten: »[S]ie selber würden es am lebhaften (sic.) begrüßen, wenn das Deutschland-Frankreich-Geschäft weniger 6

7 8 9

Dies kann aus den Sendungsakten entnommen werden, z.B. für die Sendung »Stars und Hits« (1967-1969), für die beide gearbeitet haben: Archiv des Südwestfunk Baden-Baden (im Folgenden: SWR): P 12 451. Interview der Verfasserin mit Elsa Manet in Paris am 5.3.2019. SWR: P 10 077, P 19 562-P 10564, P 10 072, P 10 120, P 10 122-P 10 124, P 10 126, P 19 555, P 19 561. BRAVO 50 (1963). »Seine letzte Tournee«; BRAVO 19 (1963). »Patient Piaf.«

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND einseitig wäre und wenn sie für die deutschen Musikverleger in Frankreich dasselbe unternehmen könnten, was ihre deutschen Kollegen für sie tun« (Astor/Kuri 1960: 20).10 Erst mit dem sogenannten Krautrock Anfang der 1970er Jahre fingen deutsche Bands an, in Frankreich ein Echo zu finden (Deshayes 2007). Insgesamt war das Interesse der Deutschen an Frankreich größer als das der Franzosen für ihre Nachbarn. Dies beweisen auch die vielen Reportagen über Frankreich in den deutschen Medien und die seltene Berichterstattung über deutsche Musik in Frankreich. In der Bundesrepublik produzierte Georg Stehan Troller von 1962 bis 1971 insgesamt sogar 49 Folgen der Fernsehsendung Pariser Journal, die eine große Bandbreite an Themen zur französischen Gesellschaft abdeckte und ein Millionen-Publikum in der Bundesrepublik erreichte (Lüsebrink 2005: 231-234). Die Diskrepanz zwischen der Anzahl der deutschen und französischen Teilnehmer*innen an den Austauschprogrammen des Deutsch-Französischen Jugendwerks11 sowie die Schwierigkeiten, den Deutschen französische Briefpartner*innen zu vermitteln, untermauern diesen Befund auch für die jungen Generationen.12

2. Zeitschriften, Schallplatten, Fernseh- und Radiosendungen: »französische Invasion«? Die Entwicklung des Erfolgs populärer französischer Musik in der BRD war keineswegs linear, zwischen 1960 und 1971 waren aber Singles französischer Interpreten*innen kontinuierlich in den Verkaufscharts des Musikmarkt präsent; dasselbe gilt für französische LPs in den Jahren 1964-1978 (s. Ehnert 1979 u. 1994).

10 Die Analyse der französischen Medien von Astor/Kuri zeigt, dass nur fünf deutschsprachige Künstler*innen in den französischen Medien Erwähnung fanden: Peter Kraus, Freddy Quinn, Ria Bartok, Frederik/Reinhard Mey und Udo Jürgens. Alle fünf sangen aber nur auf französisch (eine Ausnahme bildet Jürgens' Eurovision Song Contest-Beitrag von 1964, »Warum, nur warum?«). 11 Zum mangelnden Gleichgewicht zwischen Deutschen und Franzosen bei der Teilnahme an DFJW-Projekten s. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin: B 90 838 (Bericht über das Haushaltsjahr 1963/1964, November 1965), S. 16. 12 Die Sendung »Rendez-vous am Rhein« hatte im Jahr 1964 und 1965 die jungen deutschen und französischen Zuschauer aufgefordert, der Sendung Briefe zu schicken, falls sie einen Briefpartner aus dem anderen Land suchten. Der Südwestfunk bekam über 20.000 Briefe, jedoch mussten sie die Aktion »Vermittlung von Brieffreundschaften in Frankreich« 1966 beenden, da nicht genügend interessierte Franzosen gefunden werden konnten. SWR: P 19 562 (31.12.1966).

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MAUDE WILLIAMS 12 10 8 6 4 2

19 56 19 57 19 58 19 59 19 60 19 61 19 62 19 63 19 64 19 65 19 66 19 67 19 68 19 69 19 70 19 71 19 72 19 73 19 74 19 75 19 76 19 77 19 78

0

Franz. LPs in den Verkaufscharts (Musikmarkt) Franz. Singles in den Verkaufscharts (Musikmarkt)

Abb. 1: Anzahl französischer Singles und LPs in den Musikmarkt-Charts13

Im Vergleich mit US-amerikanischen und britischen Liedern scheinen diese Zahlen zwar gering, sie sprechen jedoch gegen eine Hegemonie angelsächsischer Musik und für eine Europäisierung der deutschen Musiklandschaft. Die Erwähnung französischer Künstler*innen in den deutschen Zeitschriften lässt erkennen, dass diese vor allem zwischen 1962 und 1971 in der Bundesrepublik stark rezipiert wurden:

19 56 19 57 19 58 19 59 19 60 19 61 19 62 19 63 19 64 19 65 19 66 19 67 19 68 19 69 19 70 19 71 19 72 19 73 19 74

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

BRAVO

Spiegel

Ok ist okay

Twen

Musikparade

Hit

Abb. 2: Anzahl der Erwähnungen französischer Sänger*innen in den Zeitschriften BRAVO, Der Spiegel, Ok ist okay, Twen, Musikparade und Hit 1956-1974

Insbesondere zwischen 1964 und 1970 wurden französische Künstler*innen sowohl in den Jugendzeitschriften wie BRAVO, Ok ist okay, Musikparade als auch im Spiegel zunehmend erwähnt. Eine tiefergehende Analyse der Zeit-

13 Die Hitparaden wurden wöchentlich von 1962 bis zum 1.4.1964 als Top 25, dann bis zum 15.11.1971 als Top 40, anschließend bis zum 4.9.1978 als Top 50 geführt.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND schriften beweist die Vielfalt der rezipierten Sänger*innen: über 40 fanden in den oben genannten deutschen Zeitschriften Erwähnung. Je nach Zeitschrift wurden verschiedene Sänger*innen besonders in den Vordergrund gestellt. In der Zeitschrift Twen, die sich an junge Leute höheren Bildungsgrades richtete, fand das französische Chanson mit Maurice Chevalier, Charles Aznavour, Georges Brassens oder Juliette Gréco ein besonderes Echo, während in der BRAVO die Yé-yés,14 diese neue junge Generation von französischen Sänger*innen wie France Gall oder die in Bulgarien geborene Sylvie Vartan dominierten. Dies wird ebenfalls bei der Auswertung der verschiedenen deutschen Charts deutlich: Bei der »Musikbox« der BRAVO wird sichtbar, dass noch bis in die 1960er Chansonniers Erfolg hatten, die schon in den 1930er Jahren aktiv gewesen waren; dann aber wurden sie von den Yé-yés Sänger*innen abgelöst.15 Bei den Charts des Musikmarkt ergibt sich ein ähnliches Bild (s. Ehnert 1979 u. 1994). Ihre Auswertung zeigt zudem, dass von 1959 bis 1965 jedes Jahr zumindest ein Nummer-Eins-Hit von französischen Interpret*innen kam. 1965 waren es sogar zwei mit France Gall (»Poupée de cire, poupée de son«, die für Luxemburg angetretene Siegerin des Eurovision Song Contest) und Françoise Hardy (»Frag den Abendwind«) (Schmitz-Gropengeißer 2012: 223). Die französischen Interpret*innen hatten also in der BRD zwischen 1956 und 1974 nicht nur flüchtigen Erfolg, sondern waren fester Bestandteil der deutschen Musiklandschaft und zogen ein breites Publikum an. Nicht zu unterschätzen ist bei diesem Erfolg der Einfluss von Fernsehund Radiosendungen. Das Radio setzte sich in den 1960er Jahren als das Medium durch, das — dank des Transistor-Koffer-Radios — Musik für alle und überall zur Verfügung stellte (Marßolek 2001: 231; Wilke 2004: 17). Anfang der 1960er Jahre entstanden in der Bundesrepublik Radiosendungen für junge Leute, in denen französische Sänger*innen einen nicht unerheblichen Platz fanden. Eine quantitative Analyse der Sendung »Stars und Hits — aus aller Welt«, moderiert von Walter Krause im SWF von 1967 bis 1969, ergibt, dass 24,4 % der gesendeten Lieder von französischen Interpret*innen gesungen wurden.16 Auch im Fernsehen waren französische Sänger*innen häufig zu sehen: Neben eigenen Shows wie der »Gilbert Bécaud Show« im Saarländischen 14 Der Name »Yé-yés« kommt vom englischen Füllwort »Yeah«, das oft in den Liedern vorkam, die die Yé-yés- Sänger*innen coverten, und deckt verschiedene Musikrichtungen ab. 15 Auswertung der wöchentlichen BRAVO-Musikbox von 1956 bis 1974; Addie Constantine, Angèle Durant, Jaqueline Boyer und Édith Piaf wurden durch Sacha Distel und Michel Polnareff ersetzt. 16 SWR: P 12 434 bis P 12 438; P 12 447 bis P 12 452. Die Auswertung beruht auf einer Analyse der Sendungsnachweise aus den drei Monaten März, April und Mai der Jahre 1967, 1968 und 1969.

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MAUDE WILLIAMS Rundfunk mit sechs Folgen zwischen 1966 und 1969 widmeten ihnen deutsche Regisseure Sendungen, wie in der Reihe »Porträt in Musik«, wo 1965 Françoise Hardy und 1967 Jean-Claude Pascal mit ihren Liedern je eine ganze Sendung füllten, woraus später die LPs Françoise Hardy — Portrait in Musik und JeanClaude Pascal — Portrait in Musik entstanden. Daneben hatten sie Kurzauftritte in Fernsehsendungen wie »Meine Melodie«, in der in elf von 20 Sendungen französische Interpret*innen auftraten,17 oder »Lieben Sie Show?«, in der 1962 drei von sechs Künstler*innen und 1963 zwei von sieben Künstler*innen Franzos*innen waren.18 Auch im berühmten "Beat-Club", der vorwiegend angelsächsisch geprägt war, trat der französische Sänger Jacques Dutronc 1966 mit seinem Lied »Et moi, et moi, et moi« auf.19 Die quantitative Analyse französischer populärer Musik in der Bundesrepublik von 1956 bis 1974 zeigt somit, dass sie sich dauerhaft in der westdeutschen Musiklandschaft etablieren konnte.

3. Die Schlager »à la française«: Anpassung und Aneignung französischer Schlager und Jugendtrends in der Bundesrepublik Die erfolgreiche Eingliederung der französischen Interpret*innen in die Musiklandschaft der Bundesrepublik soll nicht die Tatsache verdecken, dass dafür eine kulturelle Anpassung der Songs erfolgte und dass die Lieder selten eins zu eins für den deutschen Markt übernommen wurden; stattdessen entstanden »deutsche Schlager à la française« (Schmitz-Gropengeißer 2012: 237). Die Analyse der in der BRAVO-Musikbox gelisteten Songs, die von französischsprachigen Künstler*innen gesungen wurden, ergibt, dass nur 19,4 % auf Französisch gesungen wurden.20 Ähnlich niedrig ist die Prozentzahl der interpretierten Lieder bei ihren Auftritten in deutschen Fernsehsendungen oder auf die verkauften Platten.21 Die deutschen Texte waren meist sehr freie Übersetzungen der Originale (ebd.: 240), wobei die deutschen Fassungen kaum von originären deutschen Schlagern zu unterscheiden waren. Die Texte 17 Archiv des Saarländischen Rundfunks (im Folgenden: SR): »Meine Melodie«, Nr. 03449, 06336-06338, 06345. 18 Archiv des Süddeutschen Rundfunks (im Folgenden: SDR). »Lieben Sie Show«, Nr. 14341. 19 Radio Bremen: »Beat-Club«, Sendung 14 vom 19.11.1966. 20 Auswertung der BRAVO-Musikbox, 1956-1974. 21 Bei der Fernsehsendung »Meine Melodie« (SR Nr. 06336-06338; 06345) wurden bei den acht Sendungen von 1965 bis 1970 insgesamt nur sieben von 24 französischen Liedern tatsächlich auf Französisch gesungen.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND handelten von erfüllter oder unerfüllter Liebe und waren im jugendlichen Alltag verankert, sodass eine Identifizierung leicht erfolgen konnte (Reginald 1972: 245). Auch musikalisch waren die Lieder kaum von deutschen Schlagern zu unterscheiden: ein grundlegender Harmoniekreis aus Tonika, Dominante und Subdominante zu wiederholten und vertrauten Rhythmen (Mendívil 2016: 102). Semantische und performative Techniken unterstrichen auch das französische Flair der Schlager »à la française«. Erstens pflegten die Interpret*innen ihren französischen Akzent, denn dieser wurde von den deutschen Zuhörer*innen sehr geschätzt und verstärkte den exotischen Charakter der Lieder (Helms 1972: 163). Zweitens wurden die französichen Titel oft beibehalten und die deutschen Texte mit französischen Wörtern geschmückt, die für alle, auch für diejenigen, die der französischen Sprache nicht mächtig waren, verständlich waren, wie zum Beispiel »chéri« wie in »Oh oh chéri« (1963) von Françoise Hardy, »bon« wie in »C'est si bon« (1967), gesungen von JeanClaude Pascal, »amour« wie in »Chanson d'amour« (1958) von Angèle Durant oder französische Anreden wie bspw. beim Titel »Mademoiselle de Paris in Tirol« (1960) von Jacqueline Boyer. Das französische Flair wurde außerdem durch die regelmäßige Erwähnung bestimmter Orte verstärkt. Am häufigsten kam Paris, die »Stadt der Liebe« mit ihrer bekannten Stadtteile in den Liedern vor: 1955 erwähnte Patachou zum Beispiel in ihrem Lied, »La complainte de la butte« (»Die Klage des Hügels«) den Hügel der Pariser Künstler, Montmartre, und den Liebeschmerz eines Poeten. Auch das Seineufer wird häufig thematisiert, wie 1966 in Charles Aznavours, »La Bohème«, das vom Leben der jungen Pariser Künstler handelt. Bei der Herstellung und Vermarktung der Schlager aus Frankreich griffen die deutschen Medien und Produzenten auf zahlreiche Frankreichbilder und Stereotypen zurück. Stärker als bei den Chanson-Sänger*innen spielten bei den Yé-yés generationelle und gendertypische Merkmale eine wichtige Rolle in ihrer Darstellung. In der zweiteiligen Reportage der BRAVO, für die sich Françoise Hardy und Roy Black in Paris trafen, schilderte Hardy die französische Jugend:22 Sie sprach von einer »freien Jugend«, deren Eltern sie verstünden und ihr viel Freiraum ließen. Sie erzählte viel über die Liebe und die Beziehungen zwischen jungen Leuten in Frankreich. Hardy berichtete von den romantischen Orten in Paris, wo »man sich ungestört küssen und aussprechen kann«, von Cafés, wo das »Flirten viel wichtiger ist als der Kaffee«, und von der Art und Weise, wie man in Frankreich flirtet und küsst. Am Ende des zweiteiligen Interviews fragte sich Black: »Küssen die Pariser Mädchen nicht 22 BRAVO 12/13 (1967). »Roy sucht die Liebe.«

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MAUDE WILLIAMS zu viel? Und zu öffentlich? Sollte der Kuss nicht doch ein Geheimnis der Liebenden bleiben?« Durch diesen Satz werden sowohl das Bild Frankreichs als Land der Liebe und der sexuellen Freiheit als auch die Mentalität der westdeutschen Gesellschaft ausgedrückt, da Blacks Aussage verrät, was zu dieser Zeit in der Bundesrepublik für akzeptabel gehalten wurde. Abgesehen davon, dass diese Aussage ausschließlich das Verhalten der Mädchen in Frage stellt, kommt in ihr das Bild einer Französin zum Ausdruck, das in den deutschen Medien weit verbreitet war. Dort wird vor allem »die Pariserin« durch die Beschreibung der französischen Sängerinnen stereotypisiert. So beschrieb BRAVO France Gall als »blond, jung, schön, eine echte Pariserin.«23 Zwei Jahre zuvor hieß es »Ihre Haare sind blond und ihre Augen braun — wie sich das für eine Französin gehört.«24 Die Französin und vor allem die Pariserin wird als eine sehr hübsche, d.h. schlanke und attraktive Frau definiert, die ihre Figur und ihr Aussehen pflege, das Flirten schätze und leicht zu verführen sei.25 Die französische Schauspielerin und (ab 1964) Sängerin Brigitte Bardot, auch die »Bombe« genannt, war die Verkörperung einer freien weiblichen Sexualität (Lowry/Korte 2000: 65) und verursachte immer wieder Empörungen: »›Mir ist sie zu sexy‹ (Frau); ›für unsere Jugend ist sie kein Beispiel‹ (Mann); ›die wechselt mir die Männer zu oft‹ (Frau).«26 Junge französische Sängerinnen wie Françoise Hardy, France Gall, Sylvie Vartan und Mireille Mathieu präsentierten sich weniger provokant, wurden jedoch trotzdem als verführerisch dargestellt, was in den Texten und auf den Bildern durch die Betonung ihrer Silhouette, ihres Kleidungsstils (Minirock) und ihren lässigen Pose zu beobachten ist.27 Alle Maße der französische Sängerinnen (Größe, Gewicht und Brustumfang) waren Teil ausführlicher Beschreibungen.28 Die Mode spielte bei der Konstruktion des französischen Frauenbilds eine zentrale Rolle, denn sie ermöglichte eine Ausdifferenzierung der Stile und

23 BRAVO 46 (1968). »France Gall«. 24 BRAVO 14 (1966). »France Gall«. 25 Diese Beschreibung wird hier anhand von Sängerinnen belegt, könnte aber auch durch die Images bekannter Schauspielerinnen oder Schriftstellerinnen erweitert werden. Siehe z.B. den Artikel über die Schriftstellerin Cécile in: Twen 3 (1964). »Cécile, die Pariserin«, S.77-78. 26 Der Spiegel 40 (1966). »Bardot: Schön gemacht«, S. 164. 27 BRAVO 25 (1965). »Sylvie Vartan«; BRAVO 21 (1968). »Zu Hause bei France Gall«, S. 80; BRAVO 38 (1968). »Mein Glück hat nichts mit Geld zu tun«; Musikexpress 7 (1966). »Françoise hat die Nase voll«; Musikexpress 11 (1965). »Ok ist okay, Sylvie Vartan«; BRAVO 44 (1966). »Zwangspause.« 28 Twen 7 (1964). »Star ohne Busen«, S. 76-82; Twen 8 (1970). »Beat-Muse Sylvie Vartan«, S. 155; Der Spiegel 16 (1967). »Armes Ding«, S. 140.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND eröffnete eine große Vielfalt an »Identifikationsangeboten« (Rauhe 1972: 347) für die deutsche Jugend: »Jetzt sind Schlagerstars das Modell der Mademoiselle. Wer sich kindlichsittsam tragen will, imitiert die bezopfte und naive Sheila. Wer sich geistreichgelangweilt geben möchte, hält sich an die langmähnige und schlacksige [sic] Françoise Hardy. Aber die meisten französischen jungen Mädchen finden ihr Vorbild in Sylvie Vartan! 19 Jahre jung ist die blonde Schöne mit der wohlgeformten zierlichen Figur und den bemerkenswerten Beinen. [...] Ihre abwechselnd aggressive und zärtliche Stimme ist so gefragt, dass die Auflagen ihrer Aufnahmen längst in die Millionen gehen. [...] vielleicht trägt man sich auch bei uns bald à la Sylvie Vartan?«29 Ein Jahr später machte sich France Gall mit Ihrem »France-Gall-Look« beliebt, der »schon von Millionen junger Mädchen in Europa kopiert« wurde.30 Jedes Mädchen konnte sich einen Modestil aussuchen, der eine bestimmte Identität ausdrückte (»jung, romantisch, zärtlich und dennoch sachlich«31 wie Sylvie Vartan, puppenhaft wie France Gall oder mädchenhaft wie Sheila und »sanft und melancholisch«32 wie Françoise Hardy), aber stets das »französische« Flair enthielt. Die Jugendzeitschriften warben nämlich stark damit, dass Sylvie Vartan, Sheila, Françoise Hardy und später auch France Gall ihre eigenen Modeshops und Modelinien entwickelten.33 Dies verstärkte den Identifikationseffekt mit den französischen Stars sowie den Eindruck, den »letzten Schrei aus Paris«34, »der Stadt der Mode«,35 zu besitzen und zu tragen. So, wie die Französinnen auf Pariserinnen reduziert wurden, war die französische Mode auf den Begriff »Pariser Chic«36 reduziert. Diese Verbindung zwischen Mode und Paris war nicht neu, jedoch nahm sie ab Ende der 1950 Jahre einen neuen Schwung. Die Mode wurde »Gegenstand einer französischen Prestigepolitik« (Minier/Tarakcioglu 2015: 357f.), woran die französischen Sängerinnen aktiv beteiligt waren. Trotz der Darstellungen der Französinnen als verführerisch, sexy und modeaffin, entsprachen sie gesellschaftlich akzeptierten Normen und Werten. Sie wurden als sehr brave Mädchen dargestellt, die in der Schule erfolgreich waren, hart arbeiteten und das machten, was ihre Eltern von ihnen erwarte29 30 31 32 33

BRAVO 28 (1964). »Ein Pudel tröstet Sylvie.« BRAVO 28 (1965). »Eine Puppe macht Mode.« Twen 12 (1964). »Das Kaninchen aus Paris«, S. 68. BRAVO 34 (1964). »Vielen Dank Françoise.« BRAVO 22 (1966). »Mode Vorbild«; BRAVO 8 (1966). »Sylvie Vartan trägt Kleider von Sylvie.« 34 BRAVO 22 (1966). »Mode Vorbild.« 35 BRAVO 28 (1965). »Eine Puppe macht Mode.« 36 Twen 1 (1965). »Pariser Chic in deutschen Boutiquen«, S. 34.

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MAUDE WILLIAMS ten.37 Mireille Mathieu wurde als beispielhaftes Mädchen präsentiert, das sich um ihre zwölf Geschwister wie eine Mutter kümmerte.38 Das Familienbild blieb sehr konservativ. Der Platz des Vaters oder des Mannes als Autoritätsund Bezugsperson war zentral in den Entscheidungen und im Leben der jungen französischen Sängerinnen. Der Agent von Mathieu, Johnny Stark, übernahm die Rolle des Vaters, der über alle Aspekte ihres Lebens entscheiden durfte. Bei France Gall hatten die Eltern eine klare Arbeitsaufteilung und sie lernte, diese zu reproduzieren: »Und sie lernt bei der Mutter alles, was zur Hauswirtschaft gehört. Denn France will eines Tages heiraten und eine sehr gute Hausfrau sein. Ihr Mann wird es nicht leicht haben. Er muss in ihrem Herzen die Konkurrenz mit Papa Gall aufnehmen.«39 Sylvie Vartan und Françoise Hardy, die eher unabhängigere Mädchen darstellten,40 passten sich auch diesem vorbildhaften Schema an. Vartan erschien als gute Frau für Johnny Hallyday und später als gute Mutter für ihren Sohn David, während Hardy als sehr »kluger Kopf«41 und fleißiges Mädchen galt.42 Wie in den französischen Medien (Briggs 2012: 547) stellten die Yé-yés in der Bundesrepublik keine rebellische Jugend dar, die das Verhältnis zwischen Mann und Frau oder die Normen der Gesellschaft verändern wollten. Als im Mai 1968 Unruhen in Paris stattfanden, schlossen sich diese nicht an — im Vergleich zu den »chanteurs engagés« —, sondern wünschten sich, dass der normale Zustand schnell zurückkehrte (Alvarado 2018: 47-50). Kritik an jungen Männern äußerte France Gall häufig in ihren Interviews: »Wen ich absolut nicht mag, das sind die ›ständigen Verführer‹, wie sie auf der Leinwand und auf dem Bildschirm manchmal von Alain Delon, Robert Wagner und Jean-Paul Belmondo gespielt werden.«43 In den 1960er Jahren kam eine rebellierende Jugend auf die Leinwände, die den konservativen gesellschaftlichen Rahmen sprengte, wie zum Beispiel im Film À bout de souffle (1960) von Jean-Luc Godard, der viel Empörung bei den älteren Generationen verursachte (Baecque 2009: 179). Die französischen Männer wurden in der Bundesrepublik häufig als Verführer dargestellt. Der Begriff »Charme«, der mit den Franzosen und Paris assoziiert wurde, wurde am häufigsten zur Beschreibung von Sängern verwen37 BRAVO 16 (1965). »Frisch und natürlich«; BRAVO 15 (1965). »Stars von heute, Françoise Hardy, Ein Mädchen macht Mode«, S. 10; Ok ist okay 11 (1965), »Süße Puppe«; Musikparade 8 (1965), »France liebt ihr Leben!« 38 BRAVO 33 (1966). »12 Geschwister und 1 Star.« 39 BRAVO 30 (1965). »France Gall. Puppen-Fee.« 40 BRAVO 38 (1966). »Ich lebe wie's mir paßt!« 41 BRAVO 32 (1965). »Kluger Kopf.« 42 BRAVO 44 (1967). »Johnny ist mein zweites Kind.« 43 BRAVO 29 (1970). »Mädchen, hütet Euch vor den Verführern.«

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND det.44 Bei einer Emnid-Umfrage zum deutsch-französischen Jugendaustausch bezeichneten 1963 32% der deutschen Befragten die Franzosen als »charmant« (Möller/Hildebrand 1999: 174). Die Cover der Schallplatten erweisen sich als interessante Quelle, um das Bild des Franzosen in der Bundesrepublik der 1960er Jahre zu untersuchen. Der Musikverlag des Schauspielers und Interpreten Jean-Claude Pascal stellte ihn auf einer Schallplattenhülle (1967) wie folgt dar: »Er ist ein Kind seiner Metropole Paris und als echter Franzose hat er einfach alles, was einen großen Künstler ausmacht: Charme, Esprit, Ausdauer und Begeisterungsfähigkeit.« Hier werden Franzose als kunstaffin bezeichnet; ein Adjektiv, das bei einer Emnid-Umfrage auch von den Deutschen verwendet wurde, um die Franzosen zu beschreiben (Möller/Hilderbrandt 1999: 174). Auch in den Jugendzeitschriften wurden Pierre Villard, Jean-Claude Pascal, Sacha Distel oder Charles Aznavour als charmant und romantisch charakterisiert. Ihr Erfolg bei den Frauen war Teil ihrer Beschreibung.45 Der Rock-Sänger Johnny Hallyday, der als der »französische Elvis« galt, hatte zwar die Attribute eines rebellischen Rockers: seine Fans verarbeiteten gerne die Stühle zu Kleinholz, fielen in »Hallyday-Hysterie«46 und seine sexuell konnotierten Bewegungen, die gerne in den Jugendzeitschriften auf Bildern festgehalten wurden, empörten die älteren Generationen. Trotz dieser Darstellung war er gleichzeitig ein »Twist-Troubadour«,47 er ging 1964 zum Wehrdienst, wofür er intensiv warb, und heiratete 1965 seine Freundin Sylvie Vartan, mit der er ein Kind bekam.48 Die Normen der Gesellschaft wurden nicht in Frage gestellt und noch weniger erschüttert. Wie alle anderen französischen Sänger erschien er — trotz seines Rock-Stils — als ein echter Romantiker. Die Romanze war nicht nur mit den Französinnen und Franzosen verbunden, sondern vor allem mit Paris, »Stadt der Liebe« oder auch oft »Stadt der Verliebten«49 genannt. »Flirten geht hier leicht«50 stellte der Sänger Roy 44 BRAVO 22 (1962). »Der Angriff von Charles Aznavour brachte die Damen auf die Palme«: »Harte Sachen sagt Charles Aznavour den Damen. In seinem selbstgeschriebenen Chanson ›Du lässt dich gehen‹. Aber er tut es mit dem Charme des Franzosen.«; BRAVO 28 (1962): »Zu einem ausdrucksvollen Gesicht kommt bei Jean-Claude eine ebenso ausdrucksvolle Stimme und natürlich ganz besonders viel Charme!«; BRAVO 46 (1964). »Sacha Distel«: »Ferner könnte man ihn [Sacha Distel] für einen Enkel von Maurice Chevalier halten. Oder für den Erfinder von dem, was wir nur mit einem französischen Wort beschreiben können — Charme!« 45 Siehe u.a. BRAVO 3 (1964). »Die Damen um Charles«; BRAVO 2 (1968). »Die Mädchen der ganzen Welt liegen ihm zu Füßen, Salvadore Adamo sagt…«. 46 BRAVO 42 (1963). »Hallyday-Hysterie.« 47 ebd. 48 BRAVO 13 (1964). »Twist beim Militär«; BRAVO 35 (1966). »Stolzer Vater Johnny.« 49 BRAVO 21 (1968). »Von der Liebe träum ich nur.« 50 BRAVO 12 (1967). »Roy sucht die Liebe.«

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MAUDE WILLIAMS Black fest, als er mit Françoise Hardy in den Cafés am linken Seineufer saß und die Stadt wie folgt beschrieb: »Hier ist die Jugend von Paris. Hier ist die Liebe, hier ist die Romantik.«51 Die ständige Erwähnung der Stadt in den Songtiteln, in den Texten und auf den LP- und EP-Covern, machte aus Paris den französischen Ort populärer Musik par excellence. Schon lange stand Paris als Symbol für Kunst, Kultur, Freiheit und Romanzen (Bernard 2001: 12f.). Die Jugendmedien der 1950er und 60er Jahre knüpften an dieses Bild an und verankerten es in der Mentalität der nächsten Generationen. Auf den Covern, in der Presse und den Fernseh- und Radiosendungen wurde Paris als eine Traumstadt dargestellt; Armut, Leid und Schmutz gab es dort nicht. Fernsehjournalist Georg Stefan Troller beschrieb Paris in den 1960er Jahren als »eine romantische Projektion der eigenen Sehnsucht nach intensiverem Dasein und mehr Lässigkeit« (Lüsebrink 2005: 231).

4. Das Chanson française als Projektionsfläche für eine politisch engagierte Jugend Neben dem Erfolg der Yé-Yés-Sänger*innen und ihrer Schlager »à la française« entwickelte sich im Laufe der 1960er Jahre in der Bundesrepublik ein Publikum für das französische Chanson. Im Jahre 1965 schrieb Der Spiegel in einem vierseitigen Artikel zum französischen Chanson: »Im neuerdings frankophilen Deutschland, das Chansons von Kurst Tucholsky, Kästner und Brecht besitzt (sie aber nicht pflegt), haben die französischen Musik-Balladen einen besonders guten Klang bekommen. Französische Schallplattenfirmen buchen heute die Bundesrepublik als ›besten fremdsprachigen Kunden‹. Wie die Gréco ersangen sich Aznavour und Brassens während der letzten Jahre in Deutschland ein Millionenpublikum von Konzertsaalhörern, Schallplatten-Spielern und Fernsehzuschauern, das allerorten die Musikalienhandlungen bevölkert. Es kaufte: 30 000 Platten mit Gréco-Gesängen (eine deutschsprachige Platte wird jetzt nachgeschoben); 60 000 Platten mit Chansons von Georges Brassens; 100.000 Platten mit dem Aznavour-Lied ›La Mamma‹. Das sind Zahlen, die in diesem Genre bislang als unerreichbar galten.«52 Die Zunahme der Hörerschaft von französischen Chansons in Westdeutschland war auch von einer Welle an Veröffentlichungen über das Chanson begleitet. So erschienen zwischen 1965 und 1974 in der Bundesrepublik zahlreiche Biografien von Chanson-Autoren, Komponisten und Interpret*innen (»auteurs51 ebd. 52 Der Spiegel 14 (1965). »Musik, Chansons, Herz im Hals«, S. 126.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND compositeurs-interprètes«, ACI) wie Édith Piaf (Piaf 1966; Berteaut 1970), Maurice Chevalier (Chevalier 1961; Chevalier 1972) oder Charles Aznavour (Aznavour 1971). Noten und Texte wurden beim Damokles Verlag veröffentlicht (Brel 1966 u. 1970)53 wie die 3500 übersetzten Chanson-Texte von Georges Brassens (1963/1965/1969), die im Herbst 1963 »innerhalb eines halben Jahres losgeschlagen wurden.«54 Felix Schmidt verfasste 1968 das Buch Das Chanson. Herkunft, Entwicklung, Interpretation, in dem er Chanson wie folgt beschrieb: »Das ›Chanson‹, so typisch französisch wie das ›Lied‹ deutsch ist, gehört in Frankreich allen und wird von allen gehört. Es ist ein Stück französischer Wirklichkeit und war zu allen Zeiten ein soziales und politisches Phänomen ersten Ranges, das stets das Wesen des Volkes reflektierte« (Schmidt 1968: 1). Mit dieser Beschreibung verbreitete und verstärkte der Autor in der Bundesrepublik den französischen nationalen Mythos des Chansons (Looseley 2003: 63-86; Cordier 2014: 21). Vor den 1960er Jahren wurde das Chanson in Frankreich nämlich nicht als spezifisches Musikgenre verstanden. Während der 1950er Jahre fusionierten Sänger*innen in den Kellern von Montmartre, wie Juliette Gréco und Boris Vian, die Jazz- und Swing-Töne mit philosophischen Elementen aus dem Existentialismus und politisch links orientierten Ideen. Sie eröffneten den Weg für Brassens, Brel und Ferré, deren »kommerzieller und kritischer Erfolg […] die Musikkritiker [veranlasste], die Definition des chanson française innerhalb der Grenzen ihres Werkes umzuschreiben. Der kommerzielle Aspekt, der zuvor Chanson definiert hatte, wurde in einem künstlerischen Begriff des Genres zusammengefasst« (Briggs 2015: 46). Somit entstand ein Musikgenre, das aus modernen und traditionellen Elementen bestand, das die Idee eines national-typischen französischen Kulturguts verstärkte und sich Amerikanisierungs- und Globalisierungstendenzen entgegensetzen konnte. Den Erfolg französischer Chansons in der Bundesrepublik erklärte der Journalist Joe Shevardo 1965 dadurch, dass »der deutsche SchallplattenFreund […] hellhöriger für Qualität geworden«55 sei. Diese Aussage verankerte sich in einem kritischen deutschen Diskurs gegenüber dem deutschen Schla-

53 Der Damokles-Verleger, Heinz Riedel, der die Lizenz für die Reihe Poètes d'aujourd'hui kaufte, bezeichnete diesen Zuwachs des deutschen Interesses an französischen Chansons als einen »Boom«, zit. in Der Spiegel 14 (1965). »Musik, chansons, Herz im Hals«, S. 126. 54 ebd. 55 Deutsches Kabarett-Archiv, Mainz (im folgenden DKA): LN-B, 2,1 (Joe Shevardo: »Die Platte. Chansons ohne Chancen?«, Ausschnitt aus einer nicht näher benannten Zeitung, datiert auf den 11./12. September 1965).

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MAUDE WILLIAMS ger. Dieser wurde oft als kommerziell und einfallslos bezeichnet, während das Chanson als anspruchsvoll, poetisch und authentisch galt (Nonn 2012: 263). Durch das Chanson wurde ein Frankreichbild in der Bundesrepublik verbreitet, das sich von dem der Yé-yés-Sänger*innen unterschied und auf andere Kategorien zurückgriff. Erstens grenzte sich das Chanson von den Yéyés-Songs und dem deutschen Schlager durch seinen literarischen Anspruch ab. Während Yé-yés-Songs meist französische Übersetzungen von amerikanischen Liedern waren, hatten die Chansons französische Originaltexte. Die literarische Qualität war außerdem dadurch bezeugt, dass berühmte französische Dichter wie Louis Aragon Chansons schrieben, die von französischen Sänger*innen wie Jean Ferrat, Léo Ferré, Georges Brassens und Catherine Sauvage gesungen wurden. Dies trug auch dazu bei, dass Chansons als Gedichte und als hohe literarische Kunst wahrgenommen wurden (Schmidt 1968: 9). In den Medien wurden die ACI als wahre Dichter angesehen. Charles Aznavour wurde in der Bundesrepublik bspw. der »Chanson-Poet Aznavour« genannt.56 Die Werbung verband ihre Kunst mit der Tradition der französischen Literatur und der »Tradition der großen Diseusen Frankreichs um die Jahrhundertwende« (Schallplattentext zu Patachou 1961), was ein Zeichen für Authentizität und damit auch für Qualität war. Neben dem literarischen Aspekt war die politische Dimension des Chan– sons in den deutschen Medien nicht unbemerkt geblieben. Der Spiegel definierte das Chanson als stets »politisch-aggressiv« und Brassens und Brel wurden als Wiederentdecker der gesellschaftskritischen Funktion des Revolutions-Chansons erklärt.57 Brel habe sich in Paris der »musikalischen Aggression« gewidmet und Brassens singe gegen die »Normen der Gesellschaft.«58 Jean Ferrat sei der »politisch links engagierte Chansonnier«,59 der »Anführer der Chanteurs engagés«,60 der das von der ORTF zensierte Lied »Potemkine« singe, Léo Ferré sei der »literarisch bedeutsame Autor-Interpret, der mit aggressiver Stimme eine Langspielplatte mit sozialkritischen Chansons [besinge]«61 und der junge Sänger Antoine »protestiere vor allem gegen das ›Gesetz von 1920‹, das in Frankreich den Verkauf von empfängnisverhütenden Mitteln verbietet.«62 Dieses politische Engagement des Chansons trug dazu bei, dass in den 1960er Jahren die immer mehr politisierte Jugend ein Ohr für das Chanson entwickelte und der Protest sich vom Chanson (und umgekehrt) er56 57 58 59 60 61 62

Der Spiegel 20 (1969). »Diese Woche«, S. 209. Der Spiegel 14 (1965). »Musik, Chansons, Herz im Hals«, S. 125. ebd. Der Spiegel 13 (1966). »Schallplattenspiegel. Neu in Deutschland«, S. 193. Der Spiegel 06 (1966). »Schallplatten. Ferrat. Weihwedel besungen«, S. 98. Der Spiegel 22 (1966). »Schallplattenspiegel. Neu in Deutschland«, S. 193. Der Spiegel 22 (1966). »Unterhaltung. Antoine. Gesang auf die Pille«, S. 121.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND nährte. Es war also kein Zufall, dass die Veröffentlichung von Chanson-Schallplatten wie auch die Berichterstattung über die Chanson-Sänger*innen in den Jahren 1964 bis 1969 einen Höhepunkt fand, als die Jugend zunehmend von politischen Themen bewegt war (Siegfried 2006: 19).63 Nicht nur Männer, sondern auch Frauen gehörten zu den beliebten Chansonsänger*innen. Juliette Gréco war in Westdeutschland in den 1950er und 60er Jahren als die »Muse de Saint-Germain-des-Prés« bekannt.64 Sie war das Vorbild für junge deutsche Student*innen, die sogenannten »Exis«, die sich in der Bundesrepublik um die Philosophie des Existentialismus bildete (Krüger 1985: 129-151; Braese 2015: 199-212). In Zeitungsartikeln wurde Gréco oft mit dem intellektuellen Milieu in Verbindung gebracht, vor allem mit den Schriftstellern Françoise Sagan, Albert Camus, Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir.65 Sie stellte eine unabhängige, intellektuelle und engagierte Frau dar, was sich auch durch die Erwähnung ihrer Vergangenheit als Widerstandskämpferin, ihre politischen Äußerungen und in ihrem Kleidungsstil (Hose, ausschließlich schwarze Kleidung) widerspiegelte.66 Wie Barbara hatte sie aufgrund ihrer persönlichen Geschichte im Zweiten Weltkrieg eine kritische Haltung gegenüber der Bundesrepublik, die sich mit der Zeit zu einer Versöhnung entwickelte (Defrance 2015: 111). Auch kritische Chansons über die deutsche Vergangenheit wurden in den deutschen Medien thematisiert, so etwa »Nuit et brouillard« von Jean Ferrat in einem Artikel in Der Spiegel.67 Nicht zuletzt brachten diese französischen Chansons deutsche Student*innen dazu, über die nationalsozialistische Vergangenheit nachzudenken, und ergänzten die Reflexionen, die von deutschen Liedermacher*innen, die erst Anfang der 1960er Jahre an die Öffentlichkeit traten, angestoßen wurden (Löding 2014: 171-260). In der politisch-bewegten Zeit der 1960er Jahre entdeckten westdeutsche Liedermacher*innen die Lieder von François Villon und der französischen Revolution neu. Inspiriert von den französischen Chanson-Sänger*innen und US-amerikanischen Protestsongs (Bob Dylan, Pete Seeger, Joan Baez) verfassten sie neue deutschsprachige Lieder und belebten zugleich deutsche Volkslieder wieder (Sygalski 2011; Götsch 2007). Dieter Süverkrüp, der übersetzte 63 Die an junge Student*innen gerichtete Zeitschrift Twen ließ bei Philips Platten von Juliette Gréco, Yves Montand, Jacques Brel und Georges Brassens in ihrer Platten-Reihe erscheinen, s. Twen 10 (1964). 1967 erschien dort mit Barbara singt Barbara die einzige Platte Barbaras im Ausland; 1970 folgte in dieser Serie noch eine LP von Michel Polnareff (nun beim Label Metronome). 64 Der Spiegel 06 (1965), »Schwarze Sonne«, S. 87. 65 ebd. 66 ebd.; Der Spiegel 27 (1966). »Julchen lernt Deutsch«, S. 109. 67 Der Spiegel 06 (1966). »Schallplatten, Ferrat, Weihwedel besungen«, S. 98.

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MAUDE WILLIAMS Lieder der Französischen Revolution von Gerd Semmer68 bekam, veröffentlichte bereits 1962 die EP Ça Ira — Lieder der Französischen Revolution 1 beim Plattenverlag Pläne, ein Jahr später erschien Teil 2.69 Dies brachte ihn auf die Idee, eine LP mit Revolutionsliedern von 1848 zu veröffentlichen (Süverkrüp 1973). Andere Liedermacher*innen fanden in französischen Chansons ihre Inspiration, wie Franz Joseph Degenhardt, der sich stark an Georges Brassens orientierte. Das wird zum Beispiel in den Liedern seiner zwei ersten LPs, Spiel nicht mit den Schmuddelkindern (1965) und Rumpelstilzchen (1968) sowohl musikalisch (etwa im Rezitationsstil) als auch in den Texten sehr deutlich. In jedem Lied sang er mit schnarrender Stimme und einer pointierten Aussprache eine gesellschaftskritische Alltagsgeschichte mit einer dezenten Gitarren-Begleitung im Staccato. Wie Brassens trat er auf der Bühne mit einem Fuß auf einem Stuhl, allein mit seiner Gitarre vor dem Publikum auf.70 Neben Degenhardt bekamen auch Walter Mossmann und vor allem ab 1968 Reinhard Mey ein immer größeres Publikum.71 In den deutschen Medien wurde ihre französische Inspirationsquelle immer wieder betont. Mey war laut Der Spiegel von »der vitalen Vulgär-Poesie des französischen Chanson-Autors Georges Brassens zu eigenen Kompositionen inspiriert«72 und Mossmann sang »mit maßvoll angerauter Stimme, […] ohne seine Lehrjahre in Frankreich abzuleugnen.«73 In der Bundesrepublik orientierten sich Student*innen und links engagierte Jugendliche an diesem französischen (Vor-)Bild. Sie trafen sich im Club Voltaires und Club Républicain, wie z.B. Degenhardt in Saarbrücken oder Süverkrüp in Düsseldorf, sowie auf Festivals, wie dem Burg Waldeck-Festival oder den Internationalen Essener Songtagen, auf denen Politik eine zentrale Rolle spielte (Mahnert/Stürmer 2008; Kleff 2008). Frankreich als Inspirationsquelle wurde dort nicht geleugnet. Die Organisatoren des Burg Waldeck-

68 Der deutsche Lyriker, Feuilletonist, Liedermacher und Übersetzter Gerd Semmer (1919-1967) gilt lt. Archiv der Akademie der Künste als »Begründer des deutschen Protestsongs«, https://archiv.adk.de/bigobjekt/24882 (Zugriff am 21.10.2019). 69 1969 kamen die Lieder als LP heraus, die in DDR von Eterna (815 033) veröffentlicht wurde. Die linksorientierte Schallplattenfirma Pläne hatte Gerd Semmer 1961 gemeinsam mit Dieter Süverkrüp, Arno Klönne und Frank Werkmeister gegründet. 70 DKA: LN, D, 5,5 (Franz Joseph Degenhardt). 71 1971 bekam Reinhard Mey seine erste goldene Schallplatte, 1972 und 1973 bekam er die »Goldene Europa«, eine Auszeichnung der Europawelle Saar. Er sang in den 1960er Jahren in Frankreich, veröffentlichte mehrere LPs und erhielt 1968 für seine LP Frederik Mey, Volume 1 den »Prix International« der »Académie de la Chanson Française«. 72 Der Spiegel 43 (1971). »Musik, Schöneres Gestern«, S. 190. 73 Der Spiegel 26 (1967). »Schallplattenspiegel«, S. 129.

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FRANZÖSISCHE POPULÄRE MUSIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND Festivals erhoben beim ersten Festival 1964 den Anspruch: »Wir wollen versuchen, auch Deutschland zu einer Chanson-Nation zu machen.«74 1983 fasste der Politikwissenschaftler Claus Leggewie das Frankreichbild, das in den 1960er Jahren durch das Chanson in der Bundesrepublik verbreitet wurde, treffend zusammen: »Das Chanson stand für literarisches Niveau ohne germanistischen Krampf, sozialkritische Aufmüpfigkeit ohne Dogma, eine gewisse halbstarke Frechheit und Nonchalance — Dinge, die die seinerzeit ›skeptisch‹ genannte Nachkriegsgeneration sehr wohl goutierte und die ihr — zumindest tagträumerisch — etwas von den existentialistischen ›Früchten‹ abgab. So kam ein positives Frankreich-Bild ins christdemokratische Deutschland-West und ins bürokratische Deutschland-Ost, mangels eigener Bezugspunkte in Geschichte und Gegenwart: Werte wie Zivilcourage, Nonkonformismus, savoir-vivre, Linkssein, Intellektualität. Das andere Frankreich, das der Kollaboration, des provinziellen Miefs, des schmutzigen Kolonialkriegs in Indochina und Algerien, verblasste dagegen, und von dem damals gegebenen Kredit zehrt der westliche Nachbar noch heute« (Leggewie 1983: III). In den 1960er Jahren entstand in der Bundesrepublik Deutschland das Bild eines politisch subversiven Frankreichs, was jedoch nicht der Realität entsprach. Die Mai-Revolte 1968 endete mit einer Bestätigung der Politik de Gaulles und keine unmittelbaren politischen Veränderungen wurden vorgenommen, auch wenn der Mai 1968 das Land langfristig stark prägte (GilcherHoltey 1995). Frankreich schien in der Bundesrepublik rebellisch, intellektuell und politisch engagiert und bot der deutschen Jugend eine Projektionsfläche für ihr eigenes politisches Engagement. Subversiv erschien Frankreich auch wegen der Chansons mit erotischem Charakter, die in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik von Helen Vita (1963, 1964, 1965, 1966) gesungen wurden. Liebe, Lust und Leid drückte die lasziv-naive deutsche Sängerin in ihren »frechen, frecheren, am frechsten und am allerfrechsten Chansons aus dem alten Paris« (so die Steigerung der vier Schallplatten-Titel) aus. Diese Schallplatten verursachten Empörung in der Bundesrepublik. 1966 wurden ihre Platten in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufgenommen und durften nur mit dem Aufdruck »Für Jugendliche verboten« unter dem Ladentisch verkauft werden (Vita 2001: 23 u. 10). Wie es oft der Fall ist, sorgte diese Eingrenzung des Verkaufs für gute Werbung.75 Von 1964 bis 1969 wurden an mehreren Amtsgerichten Verfahren 74 DKA: LN-H 5, 2 (Artikel »Gesang zwischen den Fronten« von Diethart Krebs, in Chansons, Folklore, International [Broschüre zum Waldeck-Festival], Dorweiler 1964). 75 Der Spiegel 3 (1965). »Schallplatten, Chansons, Muff verboten«, S. 76.

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MAUDE WILLIAMS gegen den Verkauf dieser Schallplatten geführt. In Hamburg fing es mit einer Beschlagnahmung an, da die Platte »überwiegend unzüchtige Darstellungen erh[ie]lt« (ebd.: 21), endete jedoch mit einer Freigabe aufgrund des künstlerischen Aspekts der Lieder. In Köln schloss sich das Schöffengericht dieser Entscheidung nicht an: »Ein unzüchtiger Text bleibt unzüchtig, auch wenn er auf künstlerische Weise vorgetragen wird« (ebd.: 22). Diese Reaktionen auf die Lieder mit erotischem Charakter zeigen sowohl die kollektiven Vorstellungen, die in der Bundesrepublik mit Frankreich verbunden waren, als auch die Grenzen des Sag- und Machbaren in der bundesrepublikanischen Gesellschaft der 1960er Jahre.

Fazit Französische Popularmusik war in den 1960er Jahren sowohl ein Instrument nationaler Grenzüberwindung als auch Mittel nationaler Konstruktionsverstärkung. Durch populäre Musik kamen französische kulturelle Güter in die Bundesrepublik, was durch die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ermöglicht wurde. ›Jungsein« spielte eine extrem wichtige Rolle bei der Aneignung und Identifizierung der deutschen Jugend mit den französischen Künstler*innen und Jugendlichen und somit in der Überwindung von nationalen Denkkategorien. Neben Trends und Mode waren auch Politik und Philosophie Gebiete, auf denen sich die deutsche mit der französischen Jugend identifizieren konnte. Der französische Akzent, die französische Sprache und die Darstellung von typischen französischen Besonderheiten markierten zugleich eine klare nationale Abgrenzung. So trug die französische populäre Musik der 1960er Jahre sowohl zur Distanzierung (durch die Befestigung von Stereotypen) als auch zur Annäherung (durch das positive vermittelte Frankreichbild und die Behandlung gemeinsamer Themen) zwischen deutscher und französischer Jugend bei. Allgemein führte dieses Zusammenspiel gegenseitiger Kräfte jedoch nicht zu einer negativen Wahrnehmung des Nachbarlandes, sondern sicherte einen großen Teil des deutsch-französischen Annäherungserfolgs. Diese Studie zeigt also eine Veränderung des Verständnisses der französischen Nation bei der bundesdeutschen Nachkriegsgeneration, für die diese keinesfalls etwas Negatives war, sondern als kulturell anziehend empfunden wurde, und die für die Musikindustrie eine erfolgreiche und vielversprechende Vermarkungsstrategie darstellte.

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Abstract After American rock'n'roll struck a chord with German youth in the 1950s, new styles of music imported from Great Britain (e.g. Beatlemania) and France in the 1960s competed with the American model in the German Federal Republic. Analyses of German chart-shows, youth magazine articles, and radio and television broadcasts demonstrate that French singers and their songs were well received by West German listeners. Through their songs and their appearance, they became popular ambassadors of France. French singers were more efficient than traditional cultural and political agencies in appealing to German youth and conveyed an image of France that was fused together with existing stereotypes, yet at the same time helped to forge a contemporary image of France among the German public. Not only their songs, but also the image of the singers, formed and distributed by the media (television, radio, and magazines), contributed to the formation of the ›Grande Nation‹ as an ›imagined community‹. Although transnational communication of popular music made it possible to break down national borders, it also reinforced the notion of the ›nation‹ and its imagined representation. The French accent, language, fashion, and the broader image of France in the songs as well as the themes addressed played an extremely important role in the appropriation and identification of the youth, and were among the elements that contributed to both distancing (through distance with reality) and approximation (by conveying a positive image of France).

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»V E R L I E B T

I N E I N E I N S E L .«

D A S I R L A N D -B I L D I N Z E I T G E N Ö S S I S C H E N D E U T S C H E N F O L K -R O C K -S O N G S AM BEISPIEL DER BANDS VERSENGOLD UND GHOSTTOWN COMPANY Maria Behrendt Ein Kinoabend mit Freunden — so begann es: 2011 empfahl eine Freundin dem Trierer Sänger und Gitarristen Christian Fett (alias Chris »Ghosttown«), die Hollywood-Romanze PS. Ich liebe dich zu schauen. Zwar war Fett von dem Film enttäuscht, die Landschaftsaufnahmen von Irland begeisterten ihn jedoch und inspirierten ihn dazu, selbst die ›grüne Insel‹ zu bereisen. Wenig später brach er mit Freunden zu einer Rundreise durch Irland auf, der weitere Besuche folgten. Seine Eindrücke hat Fett in dem Lied »Ode To Ireland (Island Of The Green)« verarbeitet, ein musikalischer »Reisebericht«, wie er selbst sagt (Fett 27.9.19), der zum festen Konzertrepertoire seiner Band Ghosttown Company gehört. Eine Ode an Irland stellt auch der Song »Verliebt in eine Insel« der Band Versengold dar, den die Band jedoch komponiert hat, ohne die Insel je besucht zu haben. Beides ist in der europäischen Musikgeschichte nicht unüblich: Ignaz Moscheles etwa komponierte 1826 nach einem Aufenthalt in Irland seine Erinnerungen an Irland op. 69 für Klavier und Orchester, Niccolò Paganini verarbeitete seinen Irlandbesuch in den St. Patrick's Day Variations von 1831. Carl Czerny hingegen komponierte 1842 seine Reminiscences of Ireland op. 675, ohne je Fuß auf irischen Boden gesetzt zu haben. Spätestens seit dem Erscheinen von Thomas Moores Irish Melodies ab 1808, einer Sammlung der bekanntesten irischen Airs, die Moore mit neuen Texten unterlegt hatte, waren die traditionellen irischen Melodien jedermann auf dem Kontinent zugänglich, und zahlreiche deutsche Komponisten verfassten neue Arrangements dieser Volkslieder, ohne Irland selbst besucht zu haben (Klein 2018: 129f.). Die Fülle an historischen und aktuellen Reiseberichten und die Entwicklung der Tourismusindustrie zeigen, dass Irland bei den Deutschen seit dem 19. Jahrhundert hoch im Kurs steht — ob nun als real erlebtes Reiseziel oder

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MARIA BEHRENDT vager Sehnsuchtsort.1 Aus den Quellen wird zudem deutlich, dass die traditionelle Musik Irlands, die außerhalb Irlands unter dem Namen »Irish Folk Music« berühmt geworden ist, einen wesentlichen Anteil an dieser positiven Rezeption hat.2 So ergab eine 2002 in Doolin durchgeführte Touristenbefragung, dass die Musik den zweitwichtigsten Reisegrund darstellt, nur übertroffen von der irischen Landschaft (Quinn 1996: 386).3 Die Umfrage ergab dabei jedoch auch, dass die befragten Touristen nur in seltenen Fällen eine Vorstellung davon hatten, wie diese Musik tatsächlich klingt. Stattdessen beruhten ihre Klangvorstellungen auf Film-Soundtracks, CD-Kompilationen mit irischen Balladen und irischen Tanzshows wie Riverdance oder Lord of the Dance (Kaul 2009: 74). Ebenso wie das deutsche Publikum des 19. Jahrhunderts irische Musik zumeist durch ihre Verwendung in Werken kontinentaler Komponisten kennenlernte, kommt heute der Großteil der deutschen Rezipienten nicht über die Folk-Szene mit irischer Musik in Berührung, sondern durch ihre Verwendung in Gattungen der populären Kultur — und das obwohl die durch die Riverdance-Spektakel ausgelöste »Neue keltische Welle« seit den 1990er Jahren in fast allen größeren deutschen Städten zu einer blühenden Irish FolkSzene geführt hat (Sweers 2010: 363f.). Britta Sweers sieht den Grund für diese verfremdete Rezeption in der größeren Zugänglichkeit dieser an die musikalische ›lingua franca‹ des Rock und Pop angelehnten Musiksprache: »Apparently, the familiar rock (or pop) side of these fusion styles provides access to the actual folk traditions to outsiders — who otherwise might have rejected the ›exotic‹ (i.e. unfamiliar) original musics« (ebd.). Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist ein Konzert, das die irische Popsängerin Moya Brennan 2005 in Rostock gab: In der ersten Hälfte spielte Brennan ihre aktuellen, von Hall- und Synthesizereffekten geprägten Songs. Im zweiten Teil erklang hingegen traditionelle Musik, die für die meisten Zuhörer völlig neu war. Informelle Interviews mit den Konzertbesuchern ergaben, dass

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Für den irischen Tourismus stellt Deutschland den drittgrößten Markt dar, nach Großbritannien und den USA, und die Besucherzahlen sind zwischen 2012 und 2016 um 62 Prozent angestiegen; vgl. die Sektionen Market Profiles und Market Reviews für den deutschen Markt auf www.tourismireland.com, Zugriff: 18.6.2020. In Irland wird der Begriff »folk music« mit den Gitarren-Balladen-Gruppen der 1960er Jahre in Verbindung gebracht, wie den Clancy Brothers, den Dubliners und Tommy Maken. »Traditional music« bezeichnet hingegen altmodische Country-Dance Stücke sowie unbegleitetes Singen und spielt für die Rezeption in der populären Kultur nur eine geringe Rolle (vgl. Meade 1999: 297). Bereits 1993, so ergänzt Quinn an gleicher Stelle, habe eine Umfrage von Bord Failte ergeben, dass für 69 % der befragten Touristen traditionelle Musik in Gestalt des Irish Folk entweder ein »very important« oder ein »fairly important« Grund für einen Urlaub in Irland sei.

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DAS IRLAND-BILD IN ZEITGENÖSSISCHEN DEUTSCHEN FOLK-ROCK-SONGS viele der Besucher nie ein Programm mit ausschließlich traditionellem Repertoire besucht hatten. Ausschlaggebend für den Konzertbesuch war stattdessen Brennans weltweiter Erfolg mit dem Titelsong »Tell Me Now What You See« (Moya Brennan/Hans Zimmer) zum Blockbuster König Arthur (2004) gewesen, der auch im Zentrum ihrer Marketing-Kampagne gestanden hatte (ebd.). Brennans Erfolg ist symptomatisch für den Einfluss des Irish Folk auf die populäre Kultur in Deutschland seit den 1990er Jahren: Künstler wie Enya (eine Schwester Brennans, die die gemeinsam gegründete Band Clannad Mitte der 1980er Jahren verließ und eine Solokarriere startete), Loreena McKennit (eine Kanadierin, deren Musik sich jedoch maßgeblich auf Stilmittel des Irish Folk stützt) und The Corrs (eine irische Popmusik-Gruppe, die in ihrer Musik Elemente traditioneller irischer Musik aufgreift), nehmen führende Plätze in der populären Kultur Deutschlands ein. Zur Verbreitung irischer Musik trugen auch die Soundtracks von Hollywood-Produktionen wie die Herr der RingeTrilogie (2001-2003) und P.S. Ich liebe Dich (2007) bei, aber auch in Deutschland produzierte TV-Filme, wie die Rosamunde Pilcher-Verfilmung Nebel über Schloss Kilrush (2007) und die Krimi-Serie Der Irland-Krimi mit Désirée Nosbusch (seit 2019). Gleiches gilt für Computerspiele, vor allem im Strategieund Fantasybereich, wie bspw. League of Legends (2009) und Civilization VI (2016) oder, unter den deutschen Produktionen, The Night of the Rabbit (2013). Auch deutsche Rock-, Pop- und Metalbands greifen seit den 1990er Jahren vermehrt auf Stilmittel des Irish Folk zurück, wobei sich sowohl stilistische Anleihen als auch konkrete Zitate und Übernahmen von traditionellen Melodien finden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei jenen Bands zu, die sich dem Folk-Rock (wie z.B. Paddy goes to Holyhead) oder Folk-Metal (wie z.B. Subway to Sally) verschrieben haben, wobei die Genre-Zuordnungen freilich fließend sind. Um die Rezeption Irlands und der irischen Kultur in Deutschland im 21. Jahrhundert zu verstehen, lohnt es sich also, ihre Adaptation innerhalb der populären Kultur zu betrachten, und dies soll im Folgenden anhand von zwei Beispielen geschehen: dem Lied »Ode To Ireland« der Folk-Rock-Band Ghosttown Company sowie dem Lied »Verliebt in eine Insel« der Folk-Rock-Band Versengold, beide aus dem Jahr 2017. Zunächst soll ein übergreifender Blick auf das deutsche Irland-Bild geworfen werden, der den nachfolgenden Analysen als Kontext dienen kann. Eine Umfrage, die die Irish Times 2012 durchführte, ergab, dass die Mehrzahl der befragten Deutschen mit Irland die Vorstellung einer ländlichen Idylle verknüpft: 60 % nannten als Antwort auf die Frage »Was verbinden Sie mit Irland?« schöne Landschaft und Natur, 20 % Pubs und Alkohol, 11 % Landwirtschaft, Tourismus und Kerrygold-Butter, 7 % irische Musik und irischen Tanz

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MARIA BEHRENDT sowie weitere jeweils 7 % freundliche Menschen, schöne alte Burgen und kleine Dörfer. Interessant ist dabei, dass lediglich 9 % der Befragten Irland tatsächlich besucht hatten, sodass die Vorstellungen der Mehrheit von der Unterhaltungs- und Werbeindustrie geprägt sein dürften.4 Das deutsche Irland-Bild des 21. Jahrhunderts ist demnach von starken Projektionen geprägt, deren Ursprünge über 200 Jahre zurück reichen: Bereits im späten 18. Jahrhundert entstand in Deutschland ein romantisiertes Bild der keltischen Kulturen, angetrieben durch James Macphersons OssianDichtung (1765) — einer Sammlung von Helden-Dichtungen, die Macpherson als Übersetzungen aus dem Altgälischen ausgab, obwohl es sich um von ihm selbst verfasste Neudichtungen handelte. Ossian fand vor allem durch die Übersetzungen Goethes weite Verbreitung und führte zu einer Kelten-Begeisterung, die sowohl die Literatur, als auch die Bildende Kunst und die Musik prägte.5 Zwar wurde Ossian als altschottisches Epos vermarktet, es beeinflusste jedoch auch die deutsche Irland-Rezeption: In Irland-Reiseberichten des frühen 19. Jahrhunderts wird bspw. häufig das Adjektiv »ossianisch« zur Beschreibung eindrucksvoller Landschaften erwähnt (Oehlke 1992: 150-152). Dies erstreckte sich auch auf die Musik: Hermann von Pückler-Muskau etwa schreibt in einem Reisebericht von 1830, dass er in jedem musizierenden Iren ein Abbild Ossians erkenne (Pückler-Muskau 1987: 359). Bei den Beschreibungen der Musik wurde stets eine ›ossianische Melancholie‹ als Hauptcharakteristikum betont (z.B. Pückler-Muskau 1979: 238 und Kohl 1843: 215). Die Assoziation irischer Musik mit Lebensfreude, wie sie heute die Pub-Kultur prägt, trat erst im 20. Jahrhundert hinzu (Haefs 1983: 287). Im frühen 19. Jahrhundert verbreitete sich durch die Irish Melodies (Moore 1808-1834), eine Sammlung traditioneller Melodien, zu denen der irische Dichter Thomas Moore neue Texte verfasst hatte, das Bild eines idyllischen, von politischen Konflikten unberührten Irlands — ein Klischee, das Moore in seiner von Krisen gebeutelten Heimat viel Kritik einbrachte. So warfen irische Nationalisten Moore vor, mit seinen beschönigenden Schilderungen in Gedichten wie The Minstrel Boy, Believe Me If All Those Endearing Young Charms und The Last Rose Of Summer Verrat am real erlebten Schicksal seiner Landsleute zu üben (White 2008: 49f.). Prägend für die Irlandbegeisterung des 20. Jahrhunderts waren die 1950er und 60er Jahre mit Heinrich Bölls Irischem Tagebuch (1957) — Eda Sagarra bezeichnet ihn gar als »Vater des deutschen Irland-Tourismus« (Sagarra 2010: 4

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Mehrfachantworten waren möglich, vgl. die Zusammenfassung der Studie auf https://www.irland.com/news/umfrage-deutsche-sehen-irland-vor-allem-alslaendliches-idyll-1709201201/, Zugriff: 18.6.2020. Vgl. zur Ossian-Rezeption grundlegend Schmidt (2003) sowie Gaskill (2004).

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DAS IRLAND-BILD IN ZEITGENÖSSISCHEN DEUTSCHEN FOLK-ROCK-SONGS 13-17) — und dem Folk-Revival (Rath 2017: 242-250), das ab 1976 auch in der DDR eine Wiederannäherung an traditionelle Musik mit sich brachte (Morgenstern 2018: 119). Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Irlandbegeisterung schließlich in den 1990er Jahren mit den Riverdance-Tourneen, die zu der »neuen keltischen Welle« führten und Künstlern der New-Age-Bewegung wie Enya den Weg bereiteten (Shariari 2011: 110). Die deutsche Rezeption des Irish Folk seit Mitte des Jahrhunderts muss vor dem Hintergrund des Traumas der NS-Regimes gelesen werden, die vor allem bei der jungen Generation zu einer massiven Entfremdung von den eigenen nationalen Traditionen geführt hatte — schließlich hatte traditionelle deutsche Musik eine wichtige Rolle in der nationalsozialistischen Kulturpolitik gespielt (Morgenstern 2018: 116). Adam Kaul gibt in seiner Studie Turning the Tune über die Globalisierung des Irish Folk die Beobachtungen eines PubBesitzers aus Lisdoonvarna wieder, der in den 1960er Jahren ein plötzlich aufkommendes Interesse deutscher Agenten an irischer Musik bemerkte. Diese suchten dezidiert nach Musikgruppen, die das Bedürfnis des jungen Publikums nach alternativen nationalen Traditionen erfüllen konnten: »You had agents coming in from Germany to the All-Ireland Fleadh Cheoil in Listowel looking at these groups, […], putting them on the folk-circuit in Germany for example, introducing the European people to Irish traditional music, the younger people in these countries having lost their own ethnic music to a large extent. Looked at the Irish thing. Looked at the mystique of Ireland. Ireland was suddenly made available to European people like that, backpacking. Staying in hostels sprung up. Cheap accommodation. You know?« (Kaul 2009: 46). Ähnliches lässt sich in der DDR beobachten, wo ab 1976 viele Musikgruppen, die sich später mit deutschem Folk einen Namen machen sollten, ihre Karrieren als Irish Folk Bands starteten (Morgenstern 2018: 119). Irische Musik fungierte somit als Brücke zur eigenen, verloren geglaubten Vergangenheit — ein Konzept, das Arjun Appadurai (2010: 82) als »ersatz nostalgia« bezeichnet. So unterschiedlich die Kontexte dieser Stationen sind, so ist ihnen doch sämtlich gemein, dass es sich bei ihrem jeweiligen Irlandbild um eine Projektion, eine »imagined political community« handelt — ein Konzept, das der Politologe und Historiker Benedict Anderson prägte: Es definiert die Nation als eine sozial konstruierte Gemeinschaft, die von den Menschen imaginiert wird, die sich ihr zugehörig fühlen. »Imagined« ist bei Anderson durchaus positiv besetzt: Er versteht es nicht als »Herstellung von Falschem«, sondern assoziiert damit Vorstellungskraft und Kreativität (Anderson 1998: 15). Mit dieser Sichtweise impliziert Anderson eine künstlerische Verwertung dieses Konzepts, ohne in seinen Thesen intensiver auf Werke der Musik, Literatur

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MARIA BEHRENDT oder Bildenden Kunst einzugehen. Bezogen auf die spezifische Imagination Irlands hat Richard Kearney den Begriff »Fifth Province« geprägt, der in der Forschung zumeist im Zusammenhang mit der Rezeption Irlands in der Diaspora, namentlich bezogen auf die Auswandererbewegung benutzt wird: In Irland gibt es vier geographische Provinzen: Ulster, Connacht, Leinster and Munster. Die fünfte Provinz ist mehr als »state of mind« zu verstehen, als »network of relations extending from local communities at home to migrant communities abroad. The fifth province is to be found, if anywhere, at the swinging door which connects the ›parish‹ […] with the ›cosmos‹« (Kearney 1997: 100). Irland fungiert in den Konzepten von Anderson und Kearneys also als imaginierte Gegenwelt — eine Rezeption, die bereits in den Wurzeln der Irland-Romantik im späten 18. Jahrhundert angelegt ist: Mit Erscheinen des Ossian-Epos entstand die Vorstellung einer von ursprünglichen Werten geprägten keltischen Gesellschaft, die im Kontrast zur zivilisierten Welt stand, der diese Werte in ihrer angenommenen Reinheit nicht mehr zugänglich waren. Wesentlich für diese Vorstellung war das von Jean-Jacques Rousseau 1755 im Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes entwickelte Modell des Menschen im Naturzustand, das in die Rezeption verkürzt als Konzept des »Edlen Wilden« einging: Demnach sei der unzivilisierte Mensch von Grund auf gut und wahre Tugend könne daher nur in von der westlichen Kultur unberührten Völkern gefunden werden (Fiske 1983: 39). Eng damit verbunden ist die Vorstellung vermeintlicher Authentizität, die Volksmusik im Allgemeinen seit dem späten 18. Jahrhundert zugeschrieben wurde, als Gegenstück zur gegenwärtigen, als artifiziell empfundenen Kunstmusik. Dieses Ideal einer authentischen, aus dem Volke geborenen Musik, geht auf die Volksliedtheorien Johann Gottfried Herders zurück. In seinem Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker heißt es 1773, Volkslieder und -dichtungen seien die einzige Kunst, in der sich wahre Werte noch unmittelbar erschlössen, anders als die zeitgenössische Dichtung, die diesen Idealen nicht mehr zugänglich sei (Herder 1773: 11f.). Herders Überlegungen gaben den Anstoß zum Sammeln und Übersetzen von Volksliedern aus allen Sprachen, weswegen er auch als »Begründer der Volksliedforschung« (Baumann 1984: 52) bezeichnet wird. Vor dem Hintergrund der durch die von Britta Sweers als »fusion styles« bezeichneten musikalischkompositorischen Rezeption erscheint die andauernde Bedeutung des Authentizitätskonzepts umso bemerkenswerter.

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Ein musikalischer Reisebericht: Ghosttown Companys »Ode To Ireland« Der Song »Ode To Ireland«, oder auch »Island Of The Green«, ist wie eingangs erwähnt von einem Film inspiriert, der prägend für das deutsche Irland-Bild des 21. Jahrhunderts ist, nämlich PS. Ich liebe dich. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans der irischen Schriftstellerin Cecilia Ahern (2004) war 2007 ein Kassenschlager: Die junge Witwe Holly erhält nach dem Tod ihres Mannes Gerry Liebesbriefe von ihm, die er vor seinem Tod vorbereitet hatte und die ihr helfen, neuen Lebensmut zu fassen. Während das Buch aus der Feder einer irischen Autorin stammt, handelt es sich bei dem Film um eine Hollywood-Produktion, was Einfluss auf die Darstellung Irlands hat: Im Buch sind sowohl Holly als auch Gerry Iren, im Film ist Holly Amerikanerin und lernt den Iren Gerry während einer Urlaubsreise nach Irland kennen. Durch diese Veränderung der Perspektive wirkt Irland noch stärker als romantische Gegenwelt. In »Ode To Ireland« schildert der Leadsänger Christian Fett wie er, inspiriert von PS. Ich liebe dich, mit Freunden eine Rundreise durch Irland unternahm. Dabei werden auch konkrete Orte wie Dublin, die Wicklow Mountains und Galway erwähnt. In einem Interview betonte der Sänger, dass sich Ghosttown Company bemühe, Songs »fernab der Klischees« zu schreiben (Fett 30.3.18) und dass es sich bei »Ode To Ireland« daher auch um die Schilderung einer real erlebten Reise — bzw. einen Zusammenschnitt mehrerer Reisen — handle. Mit seiner Reise zu den Schauplätzen fiktiver Geschichten steht Fett in einer touristischen Tradition, die bis in die Kelten-Begeisterung des frühen 19. Jahrhunderts zurückreicht: So wurde der schottische See Loch Katrine nach dem Erfolg von Walter Scotts The Lady of the Lake 1810 rasch zu einem populären Tourismusziel. Felix Mendelssohn besuchte 1829 das Schloss der Maria Stuart bei Edinburgh. Maria Stuart war zwar eine historische Persönlichkeit, jedoch vor allem durch Schillers 1800 uraufgeführtes gleichnamiges Drama ins kollektive Bewusstsein gerückt. Die heutzutage angebotenen Rundreisen auf den Spuren der Drehplätze der TV-Serie Game of Thrones in Schottland und Kroatien, die Touren auf den Spuren Harry Potters in Oxford und London und eben auch die Irland-Reise von Fett sind im Grunde nichts anderes als die konsequente Übertragung frühromantischer Reiseromantik in die Gegenwart. In vielen Fällen waren diese Besuche freilich mit einer Desillusionierung verbunden, da die Wirklichkeit der romantischen Projektion nicht entsprach: Theodor Fontane war bspw. enttäuscht von den Eisenbahnen und

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MARIA BEHRENDT Dampfbooten in Edinburgh, die so gar nicht zu der Vorstellung passen wollten, mit der er nach Schottland gekommen war (Beintmann 1998: 58f.). Bei »Ode To Ireland« findet sich hingegen von Ernüchterung keine Spur, im Gegenteil: Am Ende drückt der Sänger seine Hoffnung aus, dass der Hörer bei einem eventuellen Irlandbesuch die in dem Song geschilderten Eindrücke bestätigt finden möge: »So if you'll ever have the chance to visit our green island / I hope you will remember then this song with a smiling«. Schließlich verbreite Irland, so Fett, »einfach gute Laune« (Fett 27.9.2019). Diese Mischung aus Authentizitätsanspruch (das Schildern einer real erlebten Reise) bei gleichzeitiger Romantisierung (die Projektion bleibt intakt und wird nicht hinterfragt) spiegelt sich auch in der Musik: So ist »Ode To Ireland« eines der wenigen Lieder von Ghosttown Company, das in der StudioVersion exakt so eingespielt wurde wie es auch live gespielt wird. Bei vielen Songs werde im Studio noch durch das Hinzufügen einer zweiten Gitarre oder einer weiteren Melodie »getrickst« (ebd.). Bei »Ode To Ireland« wurde hingegen darauf geachtet, dass das Lied auch live so gespielt werden kann, wie es auf der CD zu hören ist, schließlich ist es fester Bestandteil der Live-Setlist. Dadurch soll die Trennung zwischen der als artifiziell empfundenen Aufnahmesituation und der als authentisch empfundenen Live-Situation aufgehoben werden. Auch die Instrumentierung erhebt mit ihrer Annäherung an typische Instrumente des Irish Folk einen Authentizitätsanspruch: So wurde die in den übrigen Songs prominente E-Gitarre weggelassen und durch eine AkustikGitarre ersetzt, um das Stück nicht zu »rockig« werden zu lassen — »es sollte ein Folk-Song sein« (ebd.). Diesem Anspruch sind auch der Einsatz der Mandoline und des Akkordeons geschuldet. Die Instrumentierung wird mit Bass und Schlagzeug angereichert. Diesen Fusionsprozess bezeichnet Max Peter Baumann als »compartimentalization«. Bei dieser Art der musikalisch-kulturellen Fusion sind die verschiedenen Merkmale noch erkennbar und die Musiker bewegen sich »bi-musical« zwischen den unterschiedlichen Sphären (Baumann 2004: passim; Sweers 2010: 352). Als wichtiges Stilmittel werden zudem Verzierungen eingesetzt, vor allem in der Flöte, die sich an die Improvisationspraxis der traditionellen irischen Musik anlehnen. Interessant ist, dass es sich bei der Flöte nicht um eine Irish Tin Whistle handelt, sondern um eine Piccolo-Flöte. Diese Entscheidung ist als Kompromiss zu verstehen: Üblicherweise greift die Band auf die Querflöte zurück, für »Ode To Ireland« sollte jedoch ein dezidiert anderer Klang gefunden werden. Da der Flötist jedoch ungern Tin Whistle spielt und stattdessen sehr sicher im Spiel der Piccolo-Flöte ist, fiel die Wahl auf dieses Instrument (Fett 30.9.19) — eine Anpassung, vielleicht sogar Glättung, der musikalischen Tradition.

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Tanzende Kobolde und bechernde Kerle: Versengolds »Verliebt in eine Insel« Die Bremer Folk-Rock-Band Versengold ist in erster Linie in der Mittelalterund Rollenspiel-Szene bekannt, war aber auch bereits auf dem Wacken Open Air und im ZDF-Fernsehgarten zu hören. Ihr Song »Verliebt in eine Insel« ist eine Hommage an Irland, ohne dabei jedoch auf einer real erlebten Reise zu fußen, da die Band eigenen Angaben zufolge zum Zeitpunkt der Komposition Irland noch nie bereist hatte. In einem Interview wurde der Lead-Sänger und Flötist Malte Hoyer gefragt: »Du warst noch niemals in Irland, hast mit ›Verliebt in eine Insel‹ aber eine Hommage an und über das Land geschrieben. Wann prüfst du diese auf ihren Wahrheitsgehalt oder bleibst du in dem Fall gern Idealist?« Woraufhin Hoyer antwortete: »Wir haben vor, das nächste Songwriter-Bandcamp von Versengold im schönen Irland abzuhalten. Obgleich ich jetzt schon an unserer Produktivität zweifel — vermutlich hängen wir von morgens bis abends in irgendwelchen Pubs herum« (Hoyer 22.8.2017). Und tatsächlich spielt der Irish Pub als Topos der heutigen Irland-Rezeption eine prominente Rolle in dem Song: So wird bereits in den ersten Sekunden durch eine kurze ›Gröl-Sequenz‹ eine typische Pub-Stimmung evoziert. Den gleichen Effekt hat das im Refrain gesungene »Sláinte« (irisches Äquivalent zum deutschen »Prost«, bedeutet wörtlich »Gesundheit«), das von den übrigen Bandmitgliedern im Chor gerufen wiederholt wird. Vor dem Hintergrund einer romantisierten Irland-Wahrnehmung ist der Pub als Topos von besonderem Interesse, da der typische Irish Pub, wie er heute bekannt ist, eine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist: Das Konzept des Irish Pub ist im Wesentlichen eine großangelegte Marketing-Kampagne von Guinness, was von der Firma auch offen kommuniziert wird. Auf der Seite IrishPubConcept.com gibt Guinness interessierten Gründern detailliert Auskunft, welche Möglichkeiten es gibt, einen Irish Pub zu gestalten, von der Tisch-Dekoration über die Speisekarte bis hin zur Musikauswahl, und welche Kooperationen bezüglich der Getränkebelieferung möglich sind. Auch bestimmte musikalische Praktiken, die im Allgemeinen mit Irish Pubs in Verbindung gebracht werden, sind nicht so alt, wie man meinen könnte: Die beliebten Sessions, also das spontane gemeinsame Musizieren und Improvisieren verschiedener Musiker in einem Pub, das als eine wesentliche Qualität des Irish Folk wahrgenommen wird, entstand bspw. erst im späteren 20. Jahrhundert. Vor den 1970er Jahren wurde traditionelle Musik in Irland im Allgemeinen als Zeichen ländlicher Rückwärtsgewandtheit verstanden und war dementsprechend unattraktiv für Pub-Besitzer. Dies änderte sich erst mit dem »Ballad Boom«, den Bands wie

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MARIA BEHRENDT die Clancy Brothers und Künstler wie Tommy Makem mit ihren Erfolgen in den USA auslösten (Meade 1999: 294). Da Versengold, anders als Ghosttown Company, gar nicht den Anspruch einer realistischen Schilderung haben, können sie sich einen Text erlauben, der in seiner Ansammlung romantischer Topoi — um nicht das Wort Klischees zu verwenden — überladen wirkt und mit voller Absicht jeglichen Bezug zu konkreten Schauplätzen oder Begebenheiten vermeidet. Während die Idealisierung Irlands in »Ode To Ireland« trotz des von der Band stark gemachten Authentizitätsanspruchs präsent bleibt, entziehen sich Versengold somit von Anfang an jeglicher Diskussion bezüglich der Realistik des Bildes. Dies gipfelt im Refrain, wo es sogar heißt: »Ich bin verliebt in eine Insel, akzeptier keine Kritik«. Bei dem im Liedtext gezeichneten Irland-Bild stehen zwei Topoi im Vordergrund, die seit dem 19. Jahrhundert als wesentlich für die deutsche Irland-Rezeption galten: Die romantische Überhöhung der Landschaft, oft gepaart mit der Erwähnung folklore-spezifischer mythologischer Gestalten, sowie die raubeinige, ausgelassene Feierkultur, die bereits in den Reiseberichten des 19. Jahrhunderts Erwähnung findet — allerdings damals auf durchaus negative Weise (Oehlke 1992: 223-226). »Verliebt in eine Insel« hingegen idealisiert auch diese Feierkultur. So heißt es in der ersten Strophe: »Ich habe eine Lieblingsinsel, die das was ich mag vereint Wo die Sonne lieblich auf die immergrünen Wiesen scheint Man kann jederzeit gut feiern und wie jeder von uns weiß Tanzen rotgelockte Mädchen dort mit Kobolden im Kreis Da wächst nur Glücksklee mit vier Blättern, das Bier fließt dort in Bächen Jeder singt dort wie ein Engel und kann eimerweise zechen« (Versengold 2017). Auch die Musik findet Erwähnung, wenn es im Refrain heißt: »Ich bin verliebt in meinen Pitcher Stout und irische Musik.« Welch einen prominenten Platz die Musik in der Vorstellung Irlands einnimmt, zeigt sich denn auch bereits im Intro, das in der Form eines typischen irischen Reels komponiert ist — eine Musikform, die ursprünglich auf schottische Volkstänze zurückgeht, seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch in Irland beliebt wurde und eine wichtige Rolle im Folk-Revival der 1960er Jahre spielte. Reels zeichnen sich durch einen alla breve Takt, ein schnelles Tempo, eine vorwiegend aus Achtelnoten bestehende Melodie, die leicht punktiert gespielt wird, und eine AABB-Form mit je 4 oder 8 Takten aus. Der Reel, der in »Verliebt in eine Insel« als Intro gespielt wird, zieht sich als in modifizierter Form wiederkehrendes Zwischenspiel durch den gesamten Song. Bei den weiteren musikalischen Anspielungen greift »Verliebt in eine Insel« zu ähnlichen Stilmitteln wie »Ode To Ireland«:

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DAS IRLAND-BILD IN ZEITGENÖSSISCHEN DEUTSCHEN FOLK-ROCK-SONGS So gibt es Fiddle- und Flöten-Soli, die sich an der traditionellen Ornamentik orientieren, ohne dabei ein konkretes Musikstück zu zitieren.

Erlebte Gegenwelten und imaginierte Realität Welchen Aufschluss geben »Ode To Ireland« und »Verliebt in eine Insel« also über das Irland-Bild ihrer Schöpfer? Zunächst einmal lassen sich große Gemeinsamkeiten zwischen den Songs feststellen: So kann der musikalische Fusionsprozess in beiden Fällen Baumanns Konzept der »compartimentalization« zugeordnet werden, mit dem Imitieren der traditionellen irischen Musik durch eine daran angelehnte, wenn auch mit durch der Rockmusik zugehörigen Instrumenten angereicherten Instrumentation sowie dem Kopieren von Stilmitteln, das im Fall von »Verliebt in eine Insel« durch den Einsatz eines Reels eine noch konkretere Dimension erreicht als in »Ode To Ireland«. Auffällig ist auch, dass sich die romantischen Topoi — die Überhöhung der Landschaft, die Idealisierung der einfachen Bevölkerung, die Wahrnehmung des Landes als ungebrochene Projektion, der Eindruck vermeintlicher Authentizität — bis in die heutige Zeit gehalten haben: Irland wird in beiden Liedern als Sehnsuchtsziel beschrieben, als Gegenwelt, in der ursprüngliches Erleben noch möglich ist. Allerdings gibt es frappierende Unterschiede bei der genauen Ausgestaltung dieser Gegenwelt, die auch vor dem Hintergrund der jeweiligen Band zu betrachten sind: Als der Mittelalter- und Rollenspiel-Szene zugehörige Band steht Versengold in einer romantischen Tradition, die die Gegenwelt sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Ferne sucht, ohne konkrete Schauplätze (abgesehen von der allgemeinen Erwähnung Irlands) und Zeitpunkte anzugeben. Dies schlägt sich auf textlicher Ebene nieder (dem Schildern übersinnlicher Wesen, einer unberührten, vorindustriellen Natur und einer beinahe bacchantisch anmutenden Trinkkultur) und ist auch auf musikalischer Ebene formbildend: Der Reel, der das Tanzen der Mädchen mit den Kobolden begleitet, fungiert quasi als Einladung an den Hörer, die Gegenwelt zu betreten und im gleichen Takt mitzutanzen. »Ode To Ireland« hingegen versucht, die Gegenwelt mit der Realität des 21. Jahrhunderts in Einklang zu bringen. Auf textlicher Ebene geschieht dies durch das Schildern real erlebter Reisen zu konkreten Orten. Auf musikalischer Ebene wird diese Verbindung durch kompositorische Anpassungen geschaffen, etwa durch das Ersetzen der Tin Whistle durch eine Piccolo-Flöte, die aber dennoch die traditionell geprägte irische Ornamentik aufgreift. Auch wenn die grundlegenden ästhetischen Prämissen durchaus Überschneidungen aufweisen, zeigt sich das Irland-Bild im

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MARIA BEHRENDT deutschen Folk-Rock somit als differenziertes und komplexes Rezeptionsphänomen, bei dem gegenweltliche Projektionen in Gestalt von Kearneys »Fifth Province« ästhetisch ebenso maßgeblich sind, wie politische Motivationen in Gestalt von Appadurais »ersatz nostalgia«. Die beiden Kompositionen machen zudem deutlich, welches Gewicht der Kreativität zukommt, die Anderson mit seiner Verwendung des Wortes »imagined« impliziert, ohne der Frage nach künstlerischer Transformation weiter nachzugehen: So fungieren die kompositorische Auseinandersetzung mit dem Irish Folk und seine Integration in die eigene künstlerische Sprache als Brücke zwischen der eigenen und der fremden Tradition. Dies ermöglicht das Imaginieren einer Gemeinschaft, die zwar als utopischer Gegenpol zur eigenen Realität fungiert, dabei jedoch gleichzeitig an sie anschließt.

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MARIA BEHRENDT

Diskographie Ghosttown Company (2017). »Ode To Ireland.« Auf: FolkRock. Prosodia B071FCWHY8. Versengold (2017). »Verliebt in eine Insel.« Auf: Funkenflug. RCA B073GJBVQK.

Interviews Fett, Christian (30.3.18). Textnachricht an die Verfasserin via Facebook. Fett, Christian (27.9.19). Sprachnachricht an die Verfasserin via Facebook. Fett, Christian (30.9.19). Sprachnachricht an die Verfasserin via Facebook. Hoyer, Malte (22.8.17). Interview vom 22.8.2017 auf www.metal1.info/interviews/ versengold/ (Zugriff: 18.6.2020).

Abstract Irish pubs, Riverdance shows, St. Patrick's Day festivities: Irish culture and music are popular far beyond the Irish borders and are omnipresent throughout Germany. In spite of the buzzing German folk scene, however, most German listeners are introduced to Irish music through popular culture, rather than through authentic performances of Ireland's traditional music. Besides film music, German rock, pop, and metal bands play a vital part in this process, especially those that situate themselves within the folk rock, folk metal, or pagan metal genres. The essay discusses the reception of Irish folk music within the German contemporary folk rock scene and examines the songs »Verliebt in eine Insel« (»In love with an Island«) by Versengold and »Ode to Ireland« by Ghosttown Company. It argues that the contemporary enthusiasm for Irish folk carries on Germany's long-standing fascination with Irish culture: Dating back to the success of James Macpherson's Poems of Ossian in the late 18th century, Germany’s preoccupation with Irish culture only grew during the folk revival and Heinrich Böll's Irish Diary in the first half of the 20th century as well as the Riverdance shows of the late 20th century. A close reading of their lyrics and a musical analysis reveal how and to what extent the clichés of the last 250 years still permeate in the German folk rock music of the 21st century.

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UNSER ÖSTERREICH

ALS

»G R E A T A U S T R I A N

SONGBOOK« — ÜBERLEGUNGEN ZUR GEGENWÄRTIGEN BEDEUTUNG VON AUSTROPOP Magdalena Fürnkranz Mit Schlagzeilen wie »Austropop? Ja, weil es auf die Sprache ankommt« (Kramar 2015), »Die Puff-Mama-Band1 entstaubt den Austropop. Mit dem Erfolg von Wanda und anderen Acts wie Bilderbuch und Der Nino aus Wien erlebt der Austro-Pop einen neuen Höhenflug« (Schokarth 2014) oder »Nino und Ernst pflegen Austropop« (dog 2015) wird der Austropop seit dem Jahr 2014 in Österreich wieder medial zelebriert. Auch das deutsche Feuilleton nimmt sich der Erben des genuinen österreichischen Pops an; so preist die Welt das Album Schick Schock der Band Bilderbuch dafür, dass sie »nebenbei das Wort ›Plafond‹ (für Zimmerdecke) in die deutschsprachige Popmusik einführt« (Waak 2015). Auch die Musikschaffenden selbst stellen den Bezug zu Österreich heraus: Bilderbuchs neueste Veröffentlichung »Kitsch« beginnt mit der Textzeile »Geboren in 0043«, der internationalen Ländervorwahl für Österreich. Die Band Wanda hat bereits im Jahr 2017 einen Song mit dem Titel »0043« veröffentlicht. In der ersten Dekade der 2000er Jahre schien der Austropop bedeutungslos geworden, der Journalist Christian Schachinger spricht polemisch von einer »öffentlichen Ächtung« (Schachinger 2015), aktuell erfährt die Kategorie angesichts des Erfolges von deutschsprachigen Bands wie insbesondere die bereits erwähnten Akteure von Wanda oder Bilderbuch eine Revitalisierung. Die Wiener Liedermacher Ernst Molden & Der Nino aus Wien widmen sich mit dem Album Unser Österreich (2015) vorwiegend der Früh- und Mittelphase des Austropop, die die 1970er Jahre und die frühen 1980er Jahre umspannte. Der Albumtitel deutet eine Verortung an, gleichzeitig symbolisiert das Albumcover eine Abwendung vom nationalpatriotischen Kleingeist. Molden schultert 1

Mit dem Begriff »Puff-Mama-Band« soll auf die Namensgeberin der Band Wanda verwiesen werden, Wiens erste Zuhälterin Wanda Kuchwalek.

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MAGDALENA FÜRNKRANZ eine zerrissene rot-weiß-rote Fahne, eine Geste, die nicht zwingend mit Populismus und Patriotismus assoziiert werden muss. Die zwölf Lieder auf dem Album Unser Österreich sind dem gängigen Repertoire des Austropop entnommen, bewegen sich jedoch abseits der größten Hits wie »Da Hofa«, »Der Kommissar« oder »G'söchta«2, die bereits in ihren Titeln den popmusikalischen Androzentrismus zelebrieren. Der Umgang mit den Songs erinnert an Folklore, die vor dem kollektiven Vergessen bewahrt werden muss; so verweist der Begleittext auf das »Great Austrian Songbook«, was musikalisch vermutlich eine Analogie zu den Field Recordings von Harry Smith oder Alan Lomax darstellen soll, sprachlich allerdings eher an das »Great American Songbook« erinnert. Dieser Beitrag diskutiert die gegenwärtige Renaissance des Austropop, indem er sich auf eine wissenschaftliche Spurensuche begleitet vom Album Unser Österreich (Ernst Molden & Der Nino aus Wien, 2015) begibt. Eine einführende Auseinandersetzung mit der Kategorie Nation im Kontext der österreichischen Geschichte wird einem Einblick in die Entwicklung des Austropop vorangestellt. Im weiteren Verlauf des Textes ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Entstehung des Begriffs und seiner Verwendung unerlässlich. Die Beschäftigung mit dem Album Unser Österreich und seiner Liner-Notes soll mit der Betrachtung des Songs »Tschik« (Georg Danzer, 1972) in der Originalversion und in der Coverversion von Ernst Molden & Der Nino aus Wien ergänzt werden. Abschließend werden die Pionierinnen in der österreichischen Popmusik, deren Absenz auf dem Album Unser Österreich und deren Stellenwert in der Geschichte des Austropop thematisiert.

Die österreichische Auseinandersetzung mit der Kategorie ›Nation‹ In gegenwärtigen Debatten über den Begriff Nation finden sich vermehrt Rückbezüge darauf, eine Nation als Konstruktion zu betrachten, als »imagined community«. Das Spektrum der damit verbundenen Bedeutungen umfasst einerseits den Begriff Staatsnation, der sich aus Definitionen der Staatsbürger*innenschaft und anderen rechtlichen und demokratischen Institutionen ableitet, und andererseits ein traditionelles, kulturell und ethnisch konnotiertes Verständnis von Nation respektive den Begriff Kulturnation (De Cillia

2

Wiewohl der Begriff vorwiegend einen Dummkopf bezeichnet mit der subtilen Implikation, dass dieser von dürrer Statur ist, meinen die Autoren des Songs »G'söchta«, Wolfgang Ambros und Josie Prokopetz, am ehesten einen Aufschneider oder Angeber.

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« et al 1999: 169). Benedict Anderson beschreibt eine Nation als »eine vorgestellte politische Gemeinschaft — vorgestellt als begrenzt und souverän« (Anderson 2005: 15). Als ›Gemeinschaft‹ versteht Anderson einen Verbund von Gleichen unter Gleichen. Der Begriff ›vorgestellt‹ verweist darauf, dass ein Mitglied einer Nation nicht alle anderen Mitglieder kennen kann oder ihnen begegnen wird, aber dennoch die Vorstellung einer Gemeinschaft existieren kann. Gleichzeitig ist die Auffassung einer Nation begrenzt, denn keine Nation setzt sich mit der gesamten Menschheit gleich. Anderson definiert die Nation als ›souverän‹, »weil ihr Begriff in einer Zeit geboren wurde, als Aufklärung und Revolution die Legitimität der als von Gottes Gnaden gedachten hierarchischdynastischen Reiche zerstörten« (Anderson 2005: 16). Der historisch emanzipatorische Anspruch der Nation ermöglichte es dem Volk sich während der Französischen Revolution des absolutistischen Herrschers zu entledigen und sich selbst zum Souverän zu erklären. Bardo Fassbender verweist darauf, dass die Souveränität des Staates zu den ältesten Ideen und Begriffen des neuzeitlichen Völkerrechts zählt und der souveräne Staat auch gegenwärtig als Vorzeigemodell gelesen wird (Fassbender 2004: 1089-1101). In der Auseinandersetzung mit dem Begriff Nation im österreichischen Kontext beschreibt Ernst Bruckmüller die Nation als »in bestimmten, nachvollziehbaren und analysierbaren historischen Prozessen entstanden. In diesen Prozessen muss […] ein Bewusstsein von Einheit entstanden sein, abgesichert vielleicht durch Einheitlichkeit des Staates, vielleicht der Sprache, der Tradition, der gemeinsamen Vorstellungen von der Vergangenheit« (Bruckmüller 1996b: 31). Diese Einheit signalisiert eine gleichzeitige Abgrenzung auf verschiedenen Ebenen. »Der rasche Nationsbildungsprozeß« nach dem Zweiten Weltkriegt gehört nach Oliver Rathkolb »sicherlich zu den Rätseln der Zweiten Republik« (2005: 28). Österreich inszenierte sich in der Ideologie der Nachkriegszeit als Kulturnation, die sich in Korrelation mit der für die Zweite Republik identitätstragenden ›Opferthese‹ etabliert hatte. Der Historiker Siegfried Mattl spricht von einer Effeminierung Österreichs, einer männlich codierten Kulturnation stünde ein als weiblich konnotiertes politisches Opfer gegenüber. »In Österreich entwickelt sich nach 1945 ein Selbstverständnis der gesellschaftlichen Ordnung, das mit Bildern ident ist, die der Frau als Geschlecht, im Wortsinn des englischen gender, zugeschrieben werden« (Mattl 1996: 500, Herv. i. O.). Einen alternativen Zugang zur Bildung der Nation eröffnet die Kultursoziologie, die Österreich unter anderem als Sportnation betrachtet. Roman Horak und Georg Spitaler beschreiben den österreichischen Sportraum nach

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MAGDALENA FÜRNKRANZ 1955 als charakterisiert durch die Dominanz der Sportarten Fußball und Skifahren. Skifahren trug in Österreich zur Schaffung und Pflege von »imagined communities« bei und erschuf durch medial vermittelte, gemeinsame erlebte Erfahrung von Sieg und Niederlage ein gewisses Gruppenbewusstsein, das die Entwicklung nationaler, regionaler und vielfacher Identitäten mittrug (Horak/ Spitaler 2003: 1515). In einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard bezeichnet Horak die Niederlage der deutschen Nationalmannschaft als amtierender Weltmeister gegen die österreichische Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Córdoba, Argentinien, als signifikant für die innere Staatenbildung Österreichs: »Cordoba war ein ganz wichtiges Nachkriegsdatum im Hinblick auf eine innere Staatenbildung Österreichs. Die Zustimmung zur österreichischen Nation war bis in die 60er-Jahre relativ gering. Vereinfacht und etwas polemisch gesagt, war das Land ins ›rote Wien‹ und die ›schwarze Provinz‹ geteilt. Es gibt dann einige Faktoren, die das verschmelzen lassen. Die sportlichen Geschichten waren dabei ganz wichtig. Wie etwa das ›Wunder von Bern‹ 1954 für die Deutschen« (Horak in o.A. 2008). Im Kontext der Erforschung der österreichischen Nation wird die Abgrenzung von der deutschen Nation, mit der eine sprachliche Verwandtschaft besteht, als signifikant beschrieben. In Hinblick auf die Geschichte der österreichischen Nation sind schulische Maßnahmen zur Befestigung eines österreichischen Bewusstseins erwähnenswert. Hierbei sticht vor allem die Bezeichnung »Hurdestanisch« — in Anlehnung an den von 1945 bis 1952 tätigen Bundesminister für Unterricht, Felix Hurdes, — für das Fach »Unterrichtssprache« anstelle des Faches »Deutsch« heraus. Die Bezeichnung »Unterrichtssprache« ist als Rückgriff auf die Praxis der vielsprachigen Monarchie zu sehen, die 1949 bis 1955 an die Stelle der Fachbezeichnung »Deutsch« getreten war (Knight 1996: 159-163). Hurdes lehnte vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen im Nationalsozialismus jeglichen Bezug zu Deutschland ab, gleichzeitig strebte er die Förderung der eigenständigen kulturellen und sprachlichen Identität Österreichs an. Mit dem Erscheinen des »Österreichischen Wörterbuchs« im Jahr 1951 wurde im offiziellen Sprachgebrauch die österreichische Standardvarietät der deutschen Sprache definiert. Der Umgang mit Sprache galt als zentrales Element der Wiener Gruppe, einer losen Vereinigung österreichischer Schriftsteller*innen, die sich etwa 1954 in Wien formierte. Impulsgebend waren neben Vertreter*innen der Sprachskepsis, Sprachkritik und Sprachphilosophie, literarische Einflüsse aus Barockdichtung, Expressionismus, Dadaismus oder auch Surrealismus. Sprache wurde als optisches und akustisches Material wahrgenommen und in Formen von Lautpoesie und visueller Lyrik verarbeitet. Sprache galt nicht mehr

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« als unreflektiert vorausgesetzt, die Akteur*innen nahmen eine Distanz zu ihr ein und erhoben sie zum Gegenstand des Experiments. Dieser Akt ermöglichte die Reflexion des eigenen Sprachgebrauchs, der Text wurde auf Grundvokale reduziert und allgemein klein geschrieben. Die Abwendung von einer Normierung der Wirklichkeit respektive einer Konstruktion der Wirklichkeit durch die Sprache, die der österreichischen Auffassung von Kulturpolitik in den 1950er Jahren entsprach, als deren Ziele Restauration und Mystifizierung galten (Portenkirchner 1996: 236), sollte vermitteln, dass durch veränderte Sprache auch eine veränderte Wirklichkeit eintreten müsse. Ein weiteres Identifikationsmittel für die Nation Österreich bildet die Landschaft, die eine traditionelle Symbolwelt für ein nationales Bewusstsein bietet. In Bildbänden mit Titeln wie Schatzkammer Österreich wurde die Landschaft als Natur-, aber auch Kulturlandschaft, also von Menschen gestalteter Raum, zum Gegenstand der Identifikation (Bruckmüller 1996a: 140). Bruckmüller verortet ein Nationalbewusstsein in Österreich ab den 1960er Jahren. Nach anfänglichen Schwankungen stabilisierte sich in den fünf Jahrzehnten der Zweiten Republik bis in die 1990er Jahre ein kollektives kulturelles Bewusstsein der Österreicher*innen. Gleichzeitig kritisiert Bruckmüller das Fehlen von emphatischen Vorstellungen von Freiheitskämpfen oder Revolutionen. Das kulturelle Gedächtnis der Nation scheint über keinen verbindlichen kulturellen Kanon zu verfügen, der über Natur, Sozialpartnerschaft und politische Neutralität hinausgeht. Trotz Skandalen und Hinweisen auf die nicht-lineare Geschichte Österreichs basiert das Österreichbewusstsein auf einer Erfolgsgeschichte, die kaum kritisiert wird (Bruckmüller 1998: 21). Dennoch ist ergänzend auf regionale Identitäten hinzuweisen, die das kulturelle Bewusstsein der Nation stützen. Musikalische Spezifika der einzelnen Regionen tragen wiederum zur Gesamtheit der kulturellen Identität bei. Dies kennzeichnet vor allem in Hinblick auf die Begriffsdefinition Austropop wiederkehrende Unstimmigkeiten betreffend Ein- und Ausschließungsmechanismen. Seit den 1990er Jahren sind in der Popularmusikforschung zwei Trends zu beobachten: Die Dokumentation von lokalen Musikszenen steht Berichten über Prozesse der Globalisierung gegenüber. Obwohl nicht dezidiert thematisiert, haben beide Trends die Bedeutung des Nationalstaates unterstrichen (Cloonan 1999: 193). Cloonan verweist auf die Rolle des Nationalstaats als Beschützer von Kultur, der die Macht besäße, in den Weltmarkt einzugreifen. Darüber hinaus unterstreicht der Autor die Funktion des Nationalstaats als Instrument zur Förderung heimischer Talente (ebd.: 204). Populärkulturelle und popmusikalische Diskurse wurden in Hinblick auf die (Re-)Konstruktion

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MAGDALENA FÜRNKRANZ und (Re-)Produktion von nationalen Identitäten in der Erforschung von populärer Musik bisher nicht ausreichend thematisiert (Kruse 2013: 17), ein Umstand, der sich mit der Etablierung von populistischen und rechtsextremen Positionen in Politik und Gesellschaft zu wandeln scheint. In der Diskussion um die Begriffe Nation und Identität im Kontext österreichischer Popularmusik erscheint es als folgerichtiger Schritt, frühere Auseinandersetzungen mit der Bedeutung von Austropop für die Entwicklung der Nation Österreich gegenwärtig kritisch zu hinterfragen.

Austropop — Ein kurzer historischer Abriss Der erfolgreiche Durchbruch angloamerikanischer Rock- und Popmusik ab den 1950er Jahren hatte weltweit Einfluss auf nationale und lokale Musikszenen. Die junge Generation war offen für neue musikalische Richtungen wie etwa die Beat Music der 1960er Jahre (Larkey 1992: 151), gepaart mit einer Abwendung von musikalischen Traditionen der Elterngeneration in der Nachkriegszeit. Genres wie Volkmusik, volkstümliche Musik und Schlager wurden aufgrund gesellschaftspolitischer Kontextualisierung abgelehnt. Zumal auch angloamerikanische Rock- und Popmusik in Österreich nach Legitimierung verlangte, brauchte es neue kulturelle Ausdrucksformen, welche sowohl den Bedürfnissen der jungen Generation entsprachen als auch mit der nationalen, kulturellen Hegemonie zu vereinbaren waren. »Die wichtigsten Subkulturen, aus denen heraus sich der Austropop entwickelte, waren zweifellos die Liedermacher und die ersten Pop- und Rockbands der späten 1960er Jahre. Daneben muss aber noch eine Reihe weiterer musikalischer und kultureller Traditionen berücksichtigt werden, deren Einfluss auf den Austropop nicht unbeträchtlich war: von der Kabaretttradition über die Volksmusik und das Wienerlied bis hin zum Schlager und Wiener Aktionismus« (Smudits 1995: 384). Der Wiener Rock-Subkultur zugeordnete Bands wie Worried Men Skiffle Group, Malformation und Madcaps setzten Dialekt als Liedtextsprache ein, der Begriff Dialektwelle kam auf (Pfeiler 1995: 25), wie man der Ausgabe der Arbeiter-Zeitung vom 1. September 1970 entnehmen kann: »Immer mehr Dialektsongs in unsere (sic!) Hitparaden. Sing ma wieda Weanerisch«. Die Tatsache, dass Dialektsongs in den österreichischen Hitparaden vertreten waren, ging mit der Rundfunkreform im Jahr 1966 einher. Diese wurde durch das von unabhängigen Zeitungen initiierte Rundfunkvolksbegehren im Jahr 1964 eingefordert. Das durch das neue Rundfunkgesetz entstandene dritte Hörfunkprogramm des österreichischen Rundfunks Ö3 begann am 1. Oktober 1967 zu

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« senden. Der jugendorientierte Radiosender sollte jene Hörer*innen wieder binden, die sich ausländischen Sendern zugewandt hatten (Jauk 1995: 314). Jugendliche, die populäre Musik wie Rock, Pop oder Jazz hörten, galten als Zielgruppe für Ö3. Im Juli 1968 führte der damalige Generalintendant Gerd Bacher den sogenannten »Schnulzenerlass« ein. Dieser sollte als Mittel gegen die — zu diesem Zeitpunkt bereits rückläufige — Dominanz des deutschen Schlagers in den Charts für Ö3 eingesetzt werden und schränkte die Sendeauswahl auf internationale Pop- und Unterhaltungsmusik ein (Ottawa 2000: 11). Als bedeutende Akteurin in Bezug auf die Relevanz der österreichischen Unterhaltungsmusik und die Prägung des Begriffs Austropop gilt die Moderatorin Evamaria Kaiser. Kaiser bezeichnete sich als Urheberin des Ausdrucks Austropop, den sie angeblich im Rahmen eines Konzerts in Graz im Jahr 1972 das erste Mal öffentlich erwähnt hatte (Larkey 1992: 162); in weiterer Folge inszenierte sich Kaiser als »Mutter des Austropop«. Bereits in den frühen 1960er Jahren schuf Kaiser ein österreichisches Nationalbewusstsein in den musikalischen Kontexten, in denen sie tätig war. Sie moderierte ab 1963 die ORF Hitparade Gut aufgelegt und initiierte die Talentwettbewerbe Showchance und Talente 70. Als Bedingung für die Teilnahme an diesen Wettbewerben galt, dass die Liedtexte in deutscher Sprache bzw. österreichischer Dialektsprache verfasst waren (Jauk 2001). Die Nation als »imagined community« kann durch die Vorgabe der Sprache des Liedtextes im Sinne von Anderson als »begrenzt« (2005: 15) beschrieben werden. Der Anreiz, die Talentwettbewerbe zu gewinnen, war das beständige Airplay der Songs der Gewinner*innen in Sendungen des Rundfunksenders Ö3. Musikschaffende konnten die Talentwettbewerbe als Promotionplattform nutzen und von den Produktionsmöglichkeiten des Österreichischen Rundfunks profitieren. Zu diesem Zeitpunkt galt die Sparte Dialektmusik als wenig attraktiv für die Musikindustrie (Gebesmair 2001: 36). Instrumental wurden die eingespielten Songs von der ORF Bigband begleitet, was eine Eliminierung der rockigen Elemente bedeutete (Pfeiler 1995: 87). Die Chronologie der Wiener Pop und Rockgeschichte Wienpop. Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten (sic!) widmet Evamaria Kaiser ein eigenes Unterkapitel, das den geläufigen Vorwurf, sie sei progressiven Musikstilen gegenüber generell wenig aufgeschlossen gewesen, bekräftigt. »Sie hat die ›gepflegten‹ Austropopper, die eher schon ins Schlagermäßige gedriftet sind, gefördert« (Peter Schleicher in Gröbchen et al. 2013: 94). Progressive populäre Musik wurde vom Rundfunksender Ö3 vorwiegend in der Sendung Musicbox thematisiert. Edward Larkey beschreibt in einer der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Begriff

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MAGDALENA FÜRNKRANZ Austropop Kaisers Arbeitsweise in Bezug auf die Auswahl aus den von der Musikindustrie wöchentlich zugesendeten Platten für ihre Show Gut Aufgelegt folgendermaßen: »Pushing a record to success, or letting those ›die‹ which she did not like, was accomplished by increasing or decreasing the frequency of the music played, and by providing her own interjections and comments. Although she was open to new ideas, her aesthetic views conflicted with the more innovative styles of rock music« (Larkey 1993: 63). In den frühen 1970er Jahren etablierten sich die ersten Musikerinnen und Musiker, die in einer Art Wiener Idiom sangen, und mit ihnen verfestigte sich der Begriff Austropop. Der von Marianne Mendt interpretierte Song »Wie a Glock'n« gilt als erstes Dialektlied, das sich großer Beliebtheit erfreute, allerdings erreichte es nicht den ersten Platz der österreichischen Hitparade. Der Text stammte von Gerhard Bronner, komponierte wurde »Wie a Glock'n« von Hans Salomon. Die Musik kann als eine Mischung von Sixties-Beat mit niederschwelligen Jazz-Charakteristika beschrieben werden. Ab dem Jahr 1971 kann von der öffentlichen Akzeptanz der Dialektmusik gesprochen werden: Der von Wolfgang Ambros komponierte und interpretierte Song »Da Hofa« stand für acht Wochen auf dem ersten Platz der österreichischen Hitparade. »Da Hofa« thematisiert den Zustand des kleinbürgerlichen Österreichs und bezieht sich auf die Morbidität, die dem Land kulturgeschichtlich zugeschrieben wird. Ein Toter wird auf der Straße entdeckt, der Mörder wird von der zusammengelaufenen Nachbarschaft rasch ausgemacht. Es soll sich um den »Hofa vom 20er-Haus« handeln. Die Zeile »Da Hofa woa's vom 20er-Haus, der schaut ma so verdächtig aus«, leitet den Refrain des Songs ein. Die wütende Meute steht bereits vor Hofers Wohnungstür und scheint zu allem bereit, doch die Hausmeisterin läutet die Katharsis ein, »eines weiß ich ganz gewiss, dass die Leich da Hofa is«. Ambros nimmt in dem Song verschiedene personae ein, die die Tat, den vermeintlichen Täter und das Opfer kommentieren. »Da Hofa« beschreibt jene Opfer-Täter-Umkehr, die dem kollektiven Gedächtnis Österreichs3 eingeschrieben war. Eine Vielzahl jener Musiker*innen, die der Frühphase des Austropop zugeschrieben werden, stammen unmittelbar aus Wien, darüber hinaus hat sich die Stadt zum Sammelbecken für Musikschaffende aus anderen Regionen 3

Die konsequente Beibehaltung der Opferthese nach dem Nationalsozialismus in Österreich hatte zur Folge, dass die Täterrolle Österreichs in der NS-Zeit bis in die frühen 1990er Jahre kaum aufgearbeitet wurde. Im Zuge der WaldheimAffäre im Jahr 1986 und des Gedenkjahres 1988 begann die erste differenzierte Auseinandersetzung mit der österreichischen Vergangenheit während des Nationalsozialismus.

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« Österreichs etabliert. In Wien waren jene Clubs, Tonstudios und Labels beheimatet, die mit den Ursprüngen des Austropop assoziiert werden. So verwundert es nicht, dass österreichische Popmusik, deren Stellenwert sich im kulturellen Gedächtnis jener, die über Pop schreiben oder sprechen, wiederfindet, vorwiegend dem ostösterreichischen Sprachidiom entsprechende Texte etablierte. In der Hochzeit des Austropop respektive in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, genauso wie seiner zweiten Blütezeit, in der Neuen Welle, trugen Bands wie Blümchen Blau, Chuzpe oder Minisex mit ihren deutschsprachigen Texten zur besseren Verträglichkeit, oder zumindest zur textlichen Verständlichkeit, der österreichischen Musikszene bei. Der im Jahr 1987 in der Zeitschrift Profil veröffentlichte Artikel »Schickt Ambros in Pension! Der Austropop ist in die Jahre gekommen« von Michael Hopp (1995), eine polemische Abrechnung mit den alteingesessenen Vertreter*innen des Austropop aus der Sicht eines jungen Journalisten, stieß einen kritischen Reflexionsprozess über das Potential dieser musikalischen Strömung an. Der Autor kritisiert den nicht vorhandenen Fortschritt am Beispiel des Songs »Gummizwerg« von Heinrich Walcher aus dem Jahre 1969, der genauso klänge wie »der heutige Austropop«. Songs von Musiker*innen wie Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich, Stefanie Werger, Ludwig Hirsch und Christian Kolonovits wurden außerdem als »Spießermusik« bezeichnet (Hopp 1995: 82). In den späten 1980er Jahren entstand mit dem Alpenrock ein neues Subgenre, das sich vom Austropop entfernte und an musikalische Strömungen wie traditionelle Volks- und volkstümliche Musik in Kombination mit Rockmusik annäherte, exemplarisch hierfür ist Hubert von Goiserns grenzübergreifend alpenländisches »Koa Hiatamadl« anzuführen. Attwengers experimentelle Ansätze der Adaption von Rap und Drum'n'Bass, vorgetragen in Mundart, werden ebenfalls nicht dem Austropop zugeschrieben. Attwenger zählen neben Broadlahn, Aniada A Noar oder den Ausseer Hardbradler zu den Vertreter*innen der sogenannten Neuen Volksmusik, die die alpenländische Volksmusik mit internationalen Strömungen wie Jazz, Punk, HipHop, Disco oder Dancefloor vermischt. Ende der 1990er Jahre rückte der Austropop mit dem von Georg Danzer, Rainhard Fendrich und Wolfgang Ambros gegründeten Projekt Austria 3, kurz A3, wieder in das öffentliche Interesse. Die drei Musiker tourten mit einer Zusammenstellung ihrer beliebtesten Songs durch Österreich und das deutschsprachige Ausland. Der Bandname war eine Anspielung auf eine der ersten, billigsten und geradezu ›gefürchteten‹ filterlosen Zigarettensorten, die von den Austria Tabakwerken bis etwa Ende der 1970er Jahre produziert worden war. A3 veröffentlichte einige (Live-)Compilations und war bis zu Danzers Tod im Jahr 2007 äußerst erfolgreich am österreichischen

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MAGDALENA FÜRNKRANZ Musikmarkt; dennoch galt die Band als Ausnahmeerscheinung in einem Genre, das um die Jahrtausendwende medial bedeutungslos geworden schien. Ab Mitte der 2000er Jahre etablierten sich Künstler*innen und Bands wie Kreisky, benannt nach dem ehemaligen Bundeskanzler der Republik Österreich, das Musikprojekt Gustav (Eva Jantschitsch) oder die Künstlerin Soap & Skin (Anja Franziska Plaschg), deren Hauptwerke in deutscher Sprache oder sogar im österreichischen Sprachidiom verfasst sind. Stilistisch entsprechen sie weder jenen Erwartungen, die an den Austropop in seiner Hochzeit gestellt wurden, denn sie verorten sich in experimentellen Genres oder verweigern die Kooperation mit Major-Labels, noch werden sie mit dem Begriff medial assoziiert. Dennoch schufen die Genannten den Nährboden für ein seit Mitte der 2010er Jahre stattfindendes Revival des Austropop, das Fragen zu seiner gegenwärtigen Bedeutung in der Kulturgeschichte Österreichs aufwirft.

Kritische Auseinandersetzung mit der Entstehung des Begriffs und seiner Verwendung Wolfgang Ambros und Marianne Mendt zählen zu den ersten Interpret*innen der Dialektwelle, die bereits in den Jahren 1970/71 Charterfolge erzielen konnten. Die erste schriftliche Dokumentation des Terminus Austropop, mit dem die beiden Musiker*innen in weiterer Folge beschrieben wurden, erfolgte in der Popzeitschrift Hit Nr. 9 aus dem Jahr 1973. In der Mitte des Heftes kündigte eine ganzseitige Werbung die »Hit Riesentournee« mit dem Untertitel »Wir präsentieren die großen Austro-Pop Stars« an. In der Ausgabe befindet sich außerdem eine Doppelseite mit großen »austro pop«-Wasserzeichen, die über Kurzmeldungen zur österreichischen Popularmusikszene berichtet. Hit-Chefredakteur Peter Kupfer schrieb in seiner Kolumne »Kupfer auf Draht« im Jahr 1977 seiner Zeitschrift die Kreation des Begriffs zu: »Von Anbeginn haben wir versucht, dem Austro Pop-Geschehen breiten Raum zu geben. Und das bereits zu einer Zeit, in der in Österreich vom Begriff Austro Pop noch kaum die Rede war. Wir haben, auf dieses Eigenlob können wir stolz sein, den Begriff ›Austro Pop‹ kreiert« (Hit Nr. 10/1977). Ferner schreibt sich der Radiosender Ö3 in Hinblick auf die Entstehung und Verbreitung des Terminus Austropop besondere Relevanz zu. Als eine der prägenden Figuren des ersten Jahrzehnts des Rundfunksenders und unmittelbar an seiner Gründung beteiligt, bezeichnet Ernst Grissemann den Sender als Geburtsstätte des Begriffs. »Man kann rückblickend behaupten, dass der Austropop bei Beginn von Ö3

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« geboren wurde« (zit. n. Frey 1988: 8). In ihren Selbstzuschreibungen definieren sich bestimmte mediale Protagonist*innen als Begründer*innen respektive Wegbereiter*innen dieser musikalischen Strömung. Hierzu resümiert Harry Fuchs: »Jede Musik hat ihren Taufpaten. Oder besser gesagt: fast jede. Denn während die Literatur dem amerikanischen Discjockey Alan Freed die sich selbst erklärende Wortschöpfung ›Rock'n'Roll‹ zugesteht, der ›Beat‹ verbrieft dem Schriftsteller Jack Kerouac zuzuschreiben ist, ›Pop‹ im Sinne der Pop-Art auf den englischen Kunstkritiker Lawrence Alloway zurückgeht, Wolf Biermann in Anlehnung an Bertolt Brecht's (sic!) Wort ›Stückeschreiber‹ den ›Liedermacher‹ erfand und sogar die ›Schnulze‹ mit dem ehemaligen Hauptabteilungsleiter des Nordwestdeutschen Rundfunks, Harry Hermann Spitz, ihren Urheber kennt, scheint der uns allen so geläufige und wie selbstverständlich gebrauchte Begriff ›Austropop‹ dereinst dem linguistischen Nichts entstiegen zu sein« (Fuchs 1995: 73). Das von Fuchs polemisch beschriebene ›linguistische Nichts‹ dürfte zwischen dem von Evamaria Kaiser erwähnten Zeitpunkt im Jahr 1972 und der ersten Erwähnung in der Zeitschrift Hit 1973 liegen. Dennoch werden der von Mendt interpretierte Song »Wie a Glock'n« und Ambros' Song »Da Hofa« in der Forschung beständig als »Geburtsstunde« und deren Interpret*innen dementsprechend als »Vater« oder »Mutter» des Austropop dokumentiert. Bei Betrachtung der ersten Erwähnung des Ausdrucks in der Zeitschrift Hit im Herbst 1973 und seiner zeitnahen Verbreitung durch Ö3, wurde der Begriff Austropop den beiden Songs mit zeitlicher Verzögerung nachträglich zugeschrieben. Ambros und »Da Hofa« wurden bspw. schon in früheren Ausgaben der Hit behandelt, anstelle des Begriffs Austropop wurde der Song der sogenannten Dialektwelle zugeschrieben (Dolezal 2009: 32). Die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Austropop, die ersten Versuche dem Terminus eine Definition zu geben und dem Austropop zugeschriebene Interpret*innen und Songs zu erfassen, erfolgte in den 1990er Jahren. Ausschlaggebend war der Forschungsbericht des US-amerikanischen Germanisten Edward Larkey, der bereits 1986 an der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin seine Dissertation zum Thema »Zur kulturpolitischen Rezeption der Rockmusik der USA in der DDR« vorlegte, zu einem Zeitpunkt als Popkultur noch kein relevantes Forschungsthema im deutschsprachigen Raum war. Larkey definiert in seinem Forschungsbericht »Austropop: Popular Music and National Identity« (1992) den Begriff Austropop als »a hegemonically-determined symbol and boundary-setting mechanism for selecting which types of popular music traditions will be channeled into legitimate culture and thus help constitute

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MAGDALENA FÜRNKRANZ Austrian national identity« (Larkey 1992: 183). Der Autor betont den identitätsstiftenden Aspekt des Austropop für die österreichische Nation. Auf diesen Rückbezug verweist auch Martin Cloonan, »In Austria Larkey (1992: 187) has argued that support for Austropop is part of a struggle over what parts of the international market will be used to delineate cultural and national identity« (Cloonan 1999: 202f.). Die von Cloonan bezeichnete Abgrenzung der kulturellen und nationalen Identität kann als bezeichnend für die Abbildung von Austropop am (inter)nationalen Musikmarkt gelesen werden. Dennoch stellt sich die Frage, welche Charakteristika dieses identitäts- und nationsstiftende Genre auszeichnet. Larkey schreibt in der auf seinen Forschungsbericht aufbauenden Publikation Pungent Sounds (1993) von der Unklarheit darüber, was Austropop textlich und musikalisch auszeichnet: »The term Austropop, coined in the early 1970s and applied ever since to a wide variety of musical phenomena, delineates sharp boundaries among potential audiences up to the present. Although the term is used as a general genre label, it is rejected by those seen as its primary representatives. In addition, there is no clear agreement on its primary characteristics, be they purely musical, associated with the lyric theme and content, the sound structure, or geographical location of the singers/songwriters. Clarity prevails among proponents as well as opponents on its origins, its ›golden age‹, its legendary figures and its representative songs« (Larkey 1993: 150). Larkeys Ausführungen legten in den 1990er Jahren den Grundstein für eine brisante Debatte über die Entstehung, Verbreitung und Bedeutung von Austropop, trotz verschiedener Definitionsansätze beziehen sich die Autor*innen wiederkehrend auf Larkeys Überlegungen. Werner Jauk definiert den Terminus Austropop, den er »mehr in der Nähe des Schlagers und der volkstümlichen Musik« (Jauk 1995: 314) einordnet, als Resultat einer Forderung, die Medienmacher*innen in den späten 1960er Jahren an Amateurmusiker*innen stellten, um die mediale Promotion zu gewährleisten: »zumindest deutsche — besser umgangssprachliche — Texte zu schreiben und vielleicht sogar musikalisch eigenständige österreichische Formen (das italienische und französische Unterhaltungslied mit den jeweils typischen, zumindest klanglichen Eigenheiten dürfte dabei das Vorbild gewesen sein) zu kreieren« (ebd.). Jauk legt hierin Kriterien fest, die die musikalische Form, die Sprache und den Inhalt der Songtexte eingrenzen. Kritisch setzt sich Alfred Smudits mit der Geschichte des Austropop auseinander, die er »als die erfolgreiche Durchsetzung einer spezifisch österreichischen kulturellen und musikalischen

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« Ausdrucksform« sieht (Smudits 1995: 382). Er verweist auch darauf, dass rückblickend eine Definition des Austropop »kaum jemand mehr befriedigend zu bestimmen« vermag (ebd.). Smudits bezieht sich in seinen Ausführungen vorwiegend auf Larkey, spricht ergänzend davon, wie neue musikalische Strömungen im Mainstream, bedenke man bspw. elektronische Musik, den Terminus Austropop mittragen können (ebd.: 392). Diese Definitionslücke nimmt Walter Gröbchen auf, kritisiert die universelle Nutzung des Begriffs als Definition für jegliche österreichische Popularmusik und stellt sich die Frage, »wie man diese Trademark Austropop gegen Ende dieses Jahrtausends endgültig loswerden könnte« (Gröbchen 1995: 7). Rainer Prokop und Rosa Reitsamer betrachten die Entstehung des musikalischen Phänomens differenzierter und knüpfen mit ihrer Publikation im Jahr 2012 an eine bereits etablierte österreichische Forschungstradition an: »Der Einfluss angloamerikanischer Popkultur und der ›Beatlemania‹ trafen in Wien auf die LiedermacherInnen-Bewegung, die Kabarett-Tradition und den ›Wiener Aktionismus‹ und inspirierten eine damals junge Generation von MusikerInnen, sozialkritische Texte im Wiener Dialekt mit Rock'n'Roll, Blues und Folk-Rock zu kombinieren. Die eigenständige nationale popkulturelle Identität der heranwachsenden Nachkriegsgeneration, die sich mit Austropop in den 1970ern identifizieren konnte und wollte, war demnach stark an den Wiener Dialekt geknüpft, ergänzt um die Referenz auf Österreich im Namen Austropop. Diese beiden Elemente, der Verweis auf Nation und Sprache, fügen sich in das historisch etablierte Repertoire an nationalen Bildern, Symbolen, Bedeutungen und Werten, die für die nationale Identitätsbildung von zentraler Bedeutung sind« (Prokop/Reitsamer 2012: 8). Reitsamer und Prokop verweisen auf die Funktion von Nation und Sprache, die sie an ein historisch etabliertes und symbolisch besetztes Repertoire knüpfen. Die nationale Identitätsbildung steht in einer der aktuellsten Auseinandersetzungen stark im Vordergrund. Das Album Unser Österreich (2015) von Ernst Molden & Der Nino aus Wien spielt bereits in seinem Titel mit den genannten Komponenten und soll in weiterer Folge kritisch betrachtet werden.

Das Album Unser Österreich als »Great Austrian Songbook« Die zwölf Songs des Albums Unser Österreich stammen allesamt aus dem Kanon des klassischen Austropop. Arrangiert und interpretiert von Ernst Molden & Der Nino aus Wien demonstrieren sie, dass abseits der populären dem

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MAGDALENA FÜRNKRANZ Austropop zugeschriebenen Singalongs wie »Da Hofa«, »Der Kommissar«, »Da Hausmasta« oder »G'söchta« ein Fundament gelegt wurde, das vorwiegend Männer als Songwriter, Perfomer und Performance Persona zugelassen hatte. Die Liner Notes des Albums, die als »Eine Gebrauchsanweisung« bezeichnet werden, enthalten den Verweis auf die identitätsstiftende Komponente, die dem Austropop zugeschrieben wird: »Wir werden, pardon!, ohne das schlimme Wort nicht auskommen hierorts. Das Unsägliche. Das A-Wort. Also erledigen wir die Sache gleich und stellen es ungeniert mitten in den Raum: Austropop. Noch vor nicht allzulanger (sic!) Zeit war allein die Erwähnung ein Unding. [...] Marianne Mendt, mit der ›Glock'n, die 24 Stund'n läut'‹ eine der Ahnfrauen des Genres, stellte ultimativ klar: ›Die Zeit des Austropop ist vorbei‹. Quasi das Totenglöckerl. Und nun soll wieder alles anders sein? Eine Wunderheilung ebenso lästiger wie uralter Kultur-Hämorrhoiden? [...] The Return of Austropop? Die Wahrheit, meine Damen und Herren, ist eine viel einfachere, banalere, selbstverständlichere: das Pendel musste wieder einmal zum Ausgangspunkt zurückkehren. Der Ausgangspunkt war, wenn wir uns recht erinnern, Lust an der deutschen Sprache, am Dialekt, an lokalen und regionalen Beobachtungen, Sprachbildern, Gefühlen und Gegebenheiten. Unser Österreich: eine Verortung« (Gröbchen 2015). Walter Gröbchen umschreibt den Austropop mit Metaphern wie »uralte Kultur-Hämorrhoiden« oder »Totenglöckerl«. Er konstatiert, dass es sich um ein nicht mehr zeitgemäßes Phänomen handelt, wagt es das Wort nicht auszusprechen. Das Unsägliche wird verknappt als »A-Wort« bezeichnet, als würde es einem Affront gleichen, mit dem Begriff zu operieren. Gleichzeitig fasst er jene Aspekte zusammen, die den Austropop charakterisieren und gleichsam dem Inhalt des Albums entsprechen. Die deutsche Sprache, eigentlich der österreichische Dialekt, lokale Beobachtungen, Sprachbilder. Er spricht von einer Verortung. Der Promotiontext auf der Website des Labels und Verlags monkey beschreibt das Album Unser Österreich gar als eine »Aufarbeitung des Great Austrian Songbooks, also des populärmusikalischen Vermächtnisses der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts« (Promotiontext Unser Österreich 2015). Der Text nimmt ferner Bezug auf die beiden Interpreten, die Stücke des Austropop-Kanons, die für das Album ausgewählt wurden und auf den erhofften Mehrwert dieser Aufnahmen. »Wer wäre dafür geeigneter als Ernst Molden, der beste Singer/Songwriter des Landes, in erstund einmaliger Kombination mit dem notorisch produktiven Nino aus Wien? Dieses Album, das ungeniert zwölf Klassiker von Ambros, Danzer, Heller, Falco & Co. in die Mangel nimmt, dürfte selbst raschest (sic!) zum Klassiker werden« (ebd.). Die Erwartungen des Labels wurden dahingehend erfüllt,

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« dass das Album für neun Wochen in den österreichischen Charts vertreten war und in der ersten Woche mit Platz 3 seine Höchstposition erreichte.4 Molden, der »Leonard Cohen Wiens« (Kralicek 2005: 46), und der ›notorisch produktive‹ Nino aus Wien performten das Programm Unser Österreich zwischen 2013 und 2019. Das vom Label bezeichnete »Great Austrian Songbook« wurde bei Performances des Duos durch das eigene Repertoire erweitert. Als exemplarisch möchte ich nun den Song »Tschik« in der Version des Songwriters und Interpreten Georg Danzer und in der Inszenierung als Teil des »Great Austrian Songbook« betrachten.

Der Song »Tschik« als Bestandteil des »Great Austrian Songbooks« Die Single »Tschik« erschien im Jahr 1972, als Interpret wurde der in der österreichischen Musikszene unbekannte Poidl ›Tschik‹ Jappl angegeben. Der Begriff Tschik bedeutet in der österreichischen Umgangssprache Zigarette bzw. Zigarettenstummel. In der Nachkriegszeit war es eine gängige Praxis von bedürftigen Menschen, die als »Tschikarretierer« bezeichnet wurden, die sich in nicht ganz zu Ende gerauchten Zigarettenkippen befindlichen Tabakreste mit Hilfe eines zugespitzten Stocks zu sammeln und sich aus mehreren Zigarettenresten eine neue Zigarette zu drehen. Der Song »Tschik« wurde ohne konkrete Nennung von Autor und Sänger veröffentlicht, die Erstauflage der Single war zusätzlich in einer Papiertüte verpackt, auf der das Bild eines Obdachlosen aufgedruckt war (Blacky Schwarz in Gröbchen 2013: 104). In gebrochenem Sprechgesang erzählt ein Obdachloser aus seinem tristen Leben. Das Lied ist durchgehend dialektal. Die Absenz von hochsprachlichen Passagen in dem Text lässt dessen sozialkritische Intention, die der song character (Auslander 2009: 305) personifizieren soll, herausstechen. »Tschik« thematisiert die alltäglichen Themen und Probleme einer Person, die auf der Straße lebt. Die Zigarette der Marke »Austria 3«, die im Song umgangssprachlich als »Die Dreia« bezeichnet wird, scheint der wichtigste Wegbegleiter des obdachlosen Menschen zu sein. Die Identität des Interpreten wurde weitgehend verheimlicht. In der in den 1970er Jahren populären österreichisch-deutsch-schweizerischen TVSpielshow »Wünsch dir was« mit Vivi Bach und Dietmar Schönherr trat für

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Siehe Austrian Charts, https://austriancharts.at/showitem.asp?interpret=Ernst+ Molden+%26+Der+Nino+aus+Wien&titel=Unser+%D6sterreich&cat=a (Zugriff: 29. 1.2020).

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MAGDALENA FÜRNKRANZ eine Performance von »Tschik« jener Herr Jappl auf, der auf dem Cover des Albums abgebildet ist. Der Obdachlose wurde durch Zufall am Wiener Naschmarkt entdeckt, als Promotion-Fotos für die Veröffentlichung des Albums benötigt wurden (Blacky Schwarz in Gröbchen 2013: 104). Gerald König spricht davon, dass man den Obdachlosen »vor Danzer postierte und der nur den Mund zu bewegen hatte« (König 2016). Danzers Manager Blacky Schwarz wiederum verweist darauf, dass sich der vermeintlich obdachlose Interpret den Text nicht merken konnte, was Schwarz auf den Grad des Rausches zurückführt. Dies dürfte einen kleinen Skandal ausgelöst haben, da die an der Sendung beteiligten Personen rasch bemerkten, dass es sich nicht um den Interpreten handelte, der auf der Plattenaufnahme zu hören war (Blacky Schwarz in Gröbchen 2013: 104). Danzers angebliche Präsenz bei der TVSpielshow wurde nicht erwähnt. Um den Interpreten zu identifizieren wurden seitens des Österreichischen Rundfunks die Stimmfrequenzen analysiert: »Den ›Tschik‹, eine Sandlerhymne, habe ich mit verstellter Stimme gesungen, damit es so klingt, als ob ein authentischer Sandler das Lied singt. [...] Mit dem ›Tschik‹ habe ich eine gewisse Aufmerksamkeit erregt. [...] der Peter Barwitz von Ö3 fand nämlich mit einem Stimmbandtest heraus, dass der ›Tschik‹ in Wahrheit ich war. Bei Ö3 haben sich alle wahnsinnig geärgert, als das aufflog« (Danzer in Seiler 2006: 63). Der song character beschreibt das Gefühl, keinen gesellschaftlichen Wert zu haben, »uns braucht kana«, den Wunsch nach Alkohol, »a Glasl Rum«, oder auch das wohnungslose Leben: »in der Matrotzn do worn scho die Rotzn« / »schlofst auf da Baustö«. Der song character reflektiert das eigene Leben gepaart mit gesellschaftlichen Stereotypen und denunzierenden Ansichten über das Leben von wohnungslosen Menschen. Wiederkehrend wird eine fiktive Person angesprochen, die in »Tschik« allerdings nicht zu Wort kommt, der Song bleibt monologisch. Der song character erteilt Befehle wie, »Zah ausse die Dreia und gib ma a Feia«5, beschreibt aber auch Zustände des Lebens von Obdachlosen, »Brauchst goa nix austöhn, host an Köch mit da Heh«6. Dies lässt den Rückschluss zu, dass der song character keine*n tatsächliche*n Gesprächspartner*in hat und die Befehle und Kommentare an sich selbst adressiert. Die Form des imaginären Dialogs, der die Einsamkeit eines Obdachlosen verhandelt, wurde unter anderem vom Texter Joesi Prokopetz für den Wolfgang Ambros Song »De Kinettn wo I Schlof« (1975) aufgegriffen. Die Instrumentierung von »Tschik« besteht aus Gitarre, Bass, Schlagzeug, Keyboard und Ziehharmonika. Der ungewöhnliche Einsatz der Ziehharmonika, 5 6

»Hol die Zigaretten heraus und gib mir Feuer«. »Auch wenn du keine Straftat begehst, bekommst du Probleme mit der Polizei.«

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« die tendenziell in der Volksmusik verortet ist, kann als Verweis auf Heurigenmusik7 gelesen werden, die ab der Zwischenkriegszeit vorwiegend im Duo bestehend aus Harmonika und Kontragitarre, im Volksmund »Packl« genannt, dargeboten wurde. Durch den Einsatz eines Instruments, das Assoziationen mit dem Raum Wien hervorruft, wird die gesellschaftskritische Komponente regional verortet. Ernst Molden & Der Nino aus Wien reduzieren die Besetzung auf zwei Gitarren, nähern sich allerdings in Dialogform an Danzers Vorlage an. Die Intonation ähnelt der Version von Georg Danzer, die vorgegebene tiefe, vom Leben gezeichnete Stimmlage wird nicht beibehalten. Ernst Molden & Der Nino aus Wien führen einen Dialog, brechen die von Danzer vorgegebene performance persona auf und teilen im Zuge dessen auch den song character. Der Monolog des Obdachlosen wird zu einem Zwiegespräch, die abschließenden Textzeilen, »Und des hob i dem Tschik hoit voraus, is mei Leben nur mehr Tschik dämpf i mi söba aus«8, werden gemeinsam gesungen. Der Akt des Ausdämpfens der Zigarette wird in Bezug auf das Beenden des eigenen Lebens als Akt der Selbstermächtigung gesehen. Das Duo habe die Songs des Albums Unser Österreich wie alte amerikanische Folk-Lieder behandelt, erläutert Molden (in Hadler 2015). Ernst Molden & Der Nino aus Wien erklären die Lieder des Albums zu Folklore, die man dem Vergessen entreißen müsse und deren Interpretation minimal und rau instrumentiert an das Ethos des »First Take« gebunden ist. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Album ordnet dessen Inszenierung als Analogie zu den Field Recordings von Harry Smith oder Alan Lomax ein. Die Liner Notes sprechen jedoch von einem »Great Austrian Songbook«, das als Anlehnung an das »Great American Songbook« zu lesen ist, das allerdings eine Art Rock'n'Roll-verneinenden Kanon aus der Tin-Pan-Alley-Zeit darstellt. Die kommerziell ausgerichteten Produktionen der Tin-Pan-Alley-Songwriter*innen waren die Feindbilder der Sammler und Archivare von Folk Music wie Smith und Lomax. Die zerrissene rot-weiß-rote Fahne, die Molden auf dem Albumcover schultert, kann als Hommage auf die Einflüsse des Austropop auf das musikalische Schaffen des Duos gelesen werden, das aber eher mit der gemeinsamen Sprache (Bruckmüller 1996b: 31) respektive der Dialektsprache als mit einem genuinen musikalischen Stil in Verbindung gebracht werden kann. Der Nino aus Wien schlägt vor, von einer »Österreichischen Welle« zu 7

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Heurigenmusik wird häufig als Synonym für den gesamten Komplex der traditionellen Wienermusik verwendet, meint im engeren Sinn die Musik der Heurigenlokale und Buschenschänke besonders im Raum Wien. »Und das habe ich der Zigarette voraus, wenn ich nur noch für die Zigarette lebe, dämpfe ich mich selbst aus«.

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MAGDALENA FÜRNKRANZ sprechen (Der Nino aus Wien in Hadler 2015), dieser Begriff stößt jedoch auf eine Gegenreaktion von Molden, der fälschlicherweise behauptet, dass die »Neue Deutsche Welle« einen klar erkennbaren Sound gehabt habe, in der momentanen Szene in Österreich allerdings das Gegenteil ein Markenzeichen sei (Molden in ebd.). Gegenwärtig werden verschiedene Musikströmungen und Crossover wie Indie-Rock, Artpop, Wienerlied und elektronische Musik medial mit dem Austropop assoziiert, sofern sie das Kriterium der gemeinsamen Sprache erfüllen.

Ein Blick auf die Pionierinnen in der österreichischen Popmusik und deren Stellenwert in der Geschichte des Austropop In seiner Rezension des Albums Unser Österreich schreibt FM4-Redakteur Boris Jordan: »Die Tatsache, dass die ›Bubenclique‹ keine selbstbewussten weiblichen Songwriterinnen zugelassen hatte, nur Interpretinnen von Jazz oder Chanson (Mendt, Neundlinger, Bill, Pluhar), wird hier von einer neuen Bubenclique wiederholt« (Jordan 2015). Tatsächlich befindet sich auf dem Album kein von einer Frau komponierter, getexteter oder interpretierter Song. Die Auseinandersetzung mit der Historiographie der österreichischen Popularmusik bestätigt jene Tradition, die sich in Geschichtsschreibungen anderer länderspezifischer populärer und klassischer Musiken wiederfindet: zu den signifikantesten Forschenden zählen Männer. Abseits der männlichen Dominanz in der Autor*innenschaft, scheint die Perspektive auf die Entwicklung von populären Musikströmungen von patriarchalen und androzentrischen Zügen geprägt zu sein, weibliches Musikschaffen wird als Randerscheinung betrachtet (Davies 2001: 3, O'Brien 2002: 5). Neben wissenschaftlichen Texten werden auch musikjournalistische Beiträge vorwiegend von männlichen Autoren verfasst. Folglich kann die Perspektive auf die Geschichte selbst als vom Androzentrismus geprägt beschrieben werden, so konservieren Kompilationen und Dokumentationen vorwiegend männliches Musikschaffen. Kompositionen und Interpretation von Musikerinnen werden hingegen, wenn überhaupt, nur marginal behandelt (Reddington 2007: 10). Musikerinnen und Komponistinnen fanden keinen Eingang in den Kanon des Austropop, dessen Ein- und Ausschreibmechanismen weibliches Musikschaffen nicht zugelassen hat.

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« »Negativ behaftet ist und bleibt ein Kanon aufgrund der starken Einengung und Standardisierung des musikalisch Möglichen und der Durchsetzung der Maßstäbe einer zwar kleinen, aber kulturell mächtigen Gruppe für viele — zumal die auf diese Weise durchgesetzten Werte viel mehr betreffen als nur die Musik, darunter Geschlechterrollen und ganze Weltsichten« (Appen et al. 2010: 46). In Bezug auf den Austropop bildet das Resultat die Ausschreibung von weiblichem Musikschaffen aus dem kulturellen Gedächtnis Österreichs als sogenannte Musiknation ab. Diese Annahme kann unterstützt werden mit dem Blick auf Hannes Rossachers und Rudi Dolezals Dokumentationsreihe Weltberühmt in Österreich, einer umfassenden, allerdings selektiven und unreflektierten Geschichtsschreibung österreichischer Popmusik. Mit dem Titel »Gibt es weibliche Popmusik? — Die Frauen des Austropop« stellt der dritte Teil der Reihe österreichische Musikerinnen in Porträts und Interviews vor. Hierbei ist die Begriffsdefinition sehr weit gefasst, denn Musikerinnen verschiedener Genres aus verschiedenen Dekaden werden unter dem Deckmantel Austropop zusammenfasst. Unter den ausgewählten Personen befinden sich vorwiegend Sängerinnen wie Marianne Mendt, Erika Pluhar, Maria Bill, Jazz Gitti, Stefanie Werger und Christina Stürmer, die nicht primär als Texterinnen, Songwriterinnen oder Komponistinnen tätig sind. »This marginalisation as ›women in rock‹ is a way of keeping women as outsiders and of implying there are many artists belonging to this genre« (Davies 2001: 303). Die für die Dokumentationsreihe interviewten Musikerinnen zeigen ihre eigene Strategie, mit der Zuschreibung »Die Frauen des Austropop« umzugehen. In ihren Eigenzuschreibungen ist eine häufige Distanzierung vom Austropop zu erkennen, mehrfach geben die Musikerinnen an, im Austropop keine relevante Position eingenommen zu haben. Als Gründe werden u.a. das Schaffen in der Kunstmusik oder im Theaterbereich angegeben, die in der Wahrnehmung der Interviewten mit Popmusik kaum Berührungspunkte finden. Prominente weibliche Musikschaffende, die in den 1970er Jahren in Jugend- und Popzeitschriften erwähnt wurden, wie Marianne Mendt oder auch Beatrix Neundlinger, die Sängerin der Band Die Schmetterlinge, verorten sich in verschiedenen musikalischen Kontexten. Während Beatrix Neundlinger sich in politisch-aktivistischen Kreisen bewegte und in der Entstehung des politischen Oratoriums »Proletenpassion« eine signifikante Rolle spielte, war Marianne Mendt hauptsächlich als Interpretin in kommerziell ausgerichteten Formationen aktiv. Der Song, der Mendt in den Austropop einschreibt, wurde von Hans Salomon komponiert, der Text stammte von Gerhard Bronner.

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MAGDALENA FÜRNKRANZ Die Sängerin und Songwriterin Stefanie Werger etablierte sich in den 1980er Jahren als eine Musikerin, die sich der Zuschreibung zum Austropop nicht widersetze, im Sinne der androzentrischen Darstellung des Austropop medial als »der weibliche Ambros« rezipiert wurde (Dolezal/Prokopetz 2009: 164). Diese Fremdzuschreibung in der Frühphase ihrer Karriere missfiel Werger: »Ich war damals noch nicht die Werger, aber ich wollte die sein, wie ich mir vorkomm, also nicht ›der weibliche Ambros‹. Man wird ja immer in eine Schublade gesteckt [...], aber mich konnte man nicht zuordnen« (Stefanie Werger zit. n. Dolezal/Prokopetz 2009: 165). In der Dokumentation Wiener Nächte — Musik und Melancholie (Petschl/Steinlechner 2018) spricht die Musikerin Birgit Denk das ambivalente Verhältnis zwischen weiblichem Musikschaffen und der Verwendung von ostösterreichischer Dialektsprache an. Sie vermutet nicht näher definierte »dümmlich, derbe Vulgärbilder«, die im Kopf der Rezipient*innen entstehen, und verweist auf einen »Nachholbedarf«, der noch zwei Generationen überdauern könnte, damit ihre Texte sprachlich jenem intellektuellen Rang entsprächen, der primär ihren männlichen Kollegen zugeschrieben wird (Petschl/Steinlechner 2018: 16:45-17:15). Fremd- und Selbstzuschreibungen beeinflussten die Funktion und den Stellwert von Protagonistinnen im Austropop. Diesen Zuschreibungen versuchen sich Musikerinnen zu entziehen, in dem sie auf ihr nicht-kommerzielles Schaffen in vielfältigen künstlerischen Bereichen verweisen oder sich in anderen Kunstformen wie dem Theater verorten. Die Akzentuierung des musikalischen Werkes in Dialektsprache verweist auf die von Bruckmüller hervorgehobene Einheitlichkeit von Sprache (Bruckmüller 1996b: 31), die eine Nation zwar konstituiert, aber in der Rezeption von weiblichem Musikschaffen stark an männliche Kollegen, die fälschlicherweise als Vorbilder wahrgenommen werden, geknüpft ist.

Fazit Die Konstruktion des Begriffs Austropop und seiner Geschichte ausgehend von populärwissenschaftlichen Medien regt zur Reflexion der Vorgehensweisen einer wissenschaftlichen Musikgeschichtsschreibung an, gleichzeitig ermöglicht seine Revitalisierung einen kritischen Umgang mit Sichtweisen und Positionen aus Vergangenheit und Gegenwart. Die Geschichtsschreibung des Austropop kann als Nationalgeschichte gelesen werden, betrachtet man eine Nation als »abgesichert vielleicht durch Einheitlichkeit des Staates, vielleicht der Sprache, der Tradition, der gemeinsamen Vorstellungen von der Vergangenheit« (Bruckmüller 1996b: 31). Die österreichische Dialektsprache trug zur

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UNSER ÖSTERREICH ALS »GREAT AUSTRIAN SONGBOOK« Konstitution des Austropop bei, dessen vorwiegend männliche Vertreter sich stilistisch in verschiedenen Kontexten bewegen. Wiederkehrend wird die Einheitlichkeit der Sprache als den Austropop prägende Definition erwähnt, ebenso die Tatsache, dass es keine definitiven musikalischen Charakteristika gäbe, jedoch einen Pool von Songs, die als spezifisch österreichische musikalische Ausdrucksformen gelten und den Kanon des Austropop bilden. Bereits in seiner Frühphase war der Austropop von Ein- und Ausschließungsmechanismen geprägt, vorwiegend initiiert von Evamaria Kaiser, der selbsternannten »Mutter des Austropop«. Die Förderung der österreichischen Dialektsprache im Musikschaffen einer Nation kann durchaus als Form des nation building gelesen werden, jedoch bezog sich die von Kaiser ausgehende Unterstützung hauptsächlich auf konservative Songs, »die eher schon ins Schlagermäßige gedriftet sind« (Peter Schleicher in Gröbchen et al. 2013: 94). Die Etablierung des Radiosenders Ö3 und die steigende Popularität der Wiener Dialektwelle trugen dazu bei, dass die österreichische Landeshauptstadt zum Zentrum des Austropop wurde. Songwriting und Interpretation in einer Art Wiener Idiom konstituierten eine Musiknation, die bis in die Mitte der 1980er Jahre in Ostösterreich vorherrschend kaum Akteur*innen aus anderen Regionen zuließ. Bereits 1987 schlug der Journalist Michael Hopp vor, Wolfgang Ambros stellvertretend für den Austropop in Rente zu schicken; ein Zeitpunkt, zu dem diese Musikströmung als Sammelsurium von Themen und Genres galt, in der mit einigen englischen Titeln kurzzeitig sogar sprachliche Diversität vorhanden war. Der Austropop schien zu diesem Zeitpunkt als konstituierendes Element der österreichischen Kulturnation ausgedient zu haben. Der durch Larkey in den 1990er Jahren angestoßene Versuch, den Terminus Austropop einer linearen Definition zu unterwerfen, scheiterte. Verschiedene Definitionsansätze verweisen dennoch auf die signifikante Funktion von Sprache als kulturelle Ausdrucksform einer Nation. Eine der Grundlagen für die nationale Identitätsbildung, dass nämlich diese gemeinsame Sprache vorwiegend den ostösterreichischen Dialekt meint, wird von den meisten Forscher*innen nicht kritisch thematisiert. Eine vorwiegend androzentrisch gelenkte Geschichtsschreibung bietet weiblichen Akteur*innen kaum Handlungsspielraum. Jene Musikerinnen, die dem Austropop nachträglich zugeschrieben werden könnten, entziehen sich jedoch größtenteils dieser Einschreibungsversuche, indem sie sich in anderen Genres oder Kunstsparten verorten. Eine heranwachsende Generation, die sich an vorwiegend männlichen, popkulturellen Vorbildern orientierte, konstituierte eine nationale Identität, die »demnach stark an den Wiener Dialekt geknüpft war« (Prokop/Reitsamer

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MAGDALENA FÜRNKRANZ 2012: 8). Insofern verwundert es nicht, dass das Aufgreifen eines medial totgesagten Genres einhergeht mit der Inszenierung als »Great Austrian Songbook«. Die im Kanon des Austropop vertretenen Songs bewegen sich von reiner Gitarrenbesetzung über Bigband-Arrangements bis hin zu Synthesizerklängen. Ernst Molden & Der Nino aus Wien haben sich dieser Songs angenommen und sie als Folklore, die vor dem kollektiven Vergessen bewahrt werden müsse, in ihr eigenes Schaffen eingeschrieben. Reduziert auf zwei Gitarren und teilweise brachialen Gesang entsprechen die beiden Musiker dem Trend, in Dialektsprache zu singen, der Bands wie Wanda, Granada oder Voodoo Jürgens & Die Ansa Panier zugeschrieben wird. Das österreichische Sprachidiom darf in Musik und Medien wieder als Austropop bezeichnet werden und ist nicht mehr »das Unsägliche« (Gröbchen 2015). Dennoch gehen Ernst Molden & Der Nino aus Wien einen Schritt weiter: Sie covern Lieder, die ihr musikalisches Schaffen beeinflusst haben, und setzen nicht nur diese, sondern auch sich selbst im doppelten Sinne in einen Folk-Kontext: in die Tradition des Austropop und in die Tradition von Harry Smith und Alan Lomax. Der Monolog eines Obdachlosen, »Tschik«, wird zu einem Zwiegespräch zwischen den beiden Musikern, dessen gesellschaftskritische Botschaft hingegen rückt angesichts einer Huldigung des Songwriters und Interpreten Georg Danzer in den Hintergrund. Die Revitalisierung des Austropop mit dem Album Unser Österreich durch eine »Bubenclique«, die in Anlehnung an die »Bubenclique« der 1970er und 1980er Jahren keine selbstbewussten weiblichen Songwriterinnen zugelassen hat und nun auch keine Songwriterinnen, Musikerinnen oder Interpretinnen zulässt, birgt keine kritische Reflexion von Positionen aus der Vergangenheit, sondern reproduziert hegemoniale Sichtweisen und Traditionen verkleidet im Mantel eines »Great Austrian Songbook«.

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MAGDALENA FÜRNKRANZ

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Abstract The Viennese songwriters Ernst Molden & Der Nino aus Wien have devoted themselves to the early and middle phase of Austropop with the album Unser Österreich (2015). On the album cover Molden shoulders a torn Austrian flag. Unser Österreich's twelve songs are part of the canon of Austropop, but are regarded as its »greatest hits«. The handling and subsequent treatment of the music is reminiscent of folk songs that must be saved from collective oblivion. The album's liner notes refer to the Great Austrian Songbook, which is intended to be an analogy to the field recordings by Harry Smith or Alan Lomax, but instead recalls the Great American Songbook. This article discusses the current renaissance of Austropop by examining the album Unser Österreich. The analysis begins with a brief survey of the category nation in the context of Austrian history, which is followed by an insight into the development of Austropop and a reflection on the absence of female musicians. By drawing on analyses of the song »Tschik« (Georg Danzer, 1972) and the cover version by Ernst Molden & Der Nino aus Wien, the article goes on to discuss the album and its liner notes regarding its significance as the Great Austrian Songbook.

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HYBRIDITÄT IM ÖSTERREICHISCHEN HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« Frederik Dörfler »Overthere über dem Teich, da liegen die Wurzeln, overhere hinter den Bergen beginnen die ersten Pflänzlein auszutreiben … klein aber funky. […] Nicht ohne Stolz: Hier ist die ganze Bande. Das Weltzusammenführungsprogramm — the Vibe is in effect« (Werner Geier in Braula 2010: 11). Mit diesen Worten kommentierte Werner Geier, Moderator der ersten österreichischen HipHop-Radiosendung Tribe Vibes & Dope Beats, die Veröffentlichung des ersten österreichischen HipHop-Samplers Austrian Flavors Volume 1 (Various 1992), für dessen Produktion er hauptverantwortlich war. Die Bezeichnung »Weltzusammenführungsprogramm« für diese überregionale Werkschau der damals gerade im Entstehen befindlichen österreichischen HipHopSzene weist darauf hin, dass mit diesem Sampler nicht nur HipHop in Österreich etabliert, sondern zugleich HipHop aus Österreich in die globale HipHop-Gemeinschaft eingegliedert werden sollte. Spätestens in den 1990er Jahren entwickelte sich HipHop zu einem weltumspannenden Phänomen und im Zuge dessen bildete die Kultur eine »grenzüberschreitende[n] globale[n] imaginäre[n] Gemeinschaft« heraus (Kimminich 2012: 228f., s. auch Klein/Friedrich 2003: 129f.), deren Mitglieder die internationale HipHop-Nation konstituieren. Tony Mitchell (2001: 32f.) ist der Meinung, dass das um 1990 vorgestellte Konzept der HipHopNation zur weltweiten Verbreitung von HipHop beitrug, da es Hip-Hopper*innen auch in abgelegenen Teilen der Erde ermöglichte, »a sense of belonging to a global subculture of breakdancing, graffiti writing, MCing, and DJing« zu entwickeln. Auf Basis der kreativen Ausdrucksmöglichkeiten der HipHop-Kultur stehen die Mitglieder dieser Nation weltweit in Verbindung miteinander, tauschen sich aus und beeinflussen einander. Die globale HipHop-Community setzt sich aus einer Vielzahl lokaler Szenen zusammen, die international verbunden, aber zugleich lokal verankert sind. George Lipsitz (1997: 33) machte bereits 1997 auf diese Fähigkeit von HipHop aufmerksam, »local identities« mit »global consciousness« zu verbinden. Ähnlich sehen Klein und Friedrich

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FREDERIK DÖRFLER (2003) HipHop als eine »glokale« Kultur an, d.h. dass lokale und globale Prozesse in einer Wechselbeziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. HipHop kann darüber hinaus als »hybride« Kultur nach dem von Homi K. Bhabha (2004 [1994]) geprägten Begriff der »Hybridität« betrachtet werden. Hybridität wird bei Bhabha »nicht als harmonische und ästhetische Form kultureller Vermischung« gesehen, »sondern bezeichnet eine Möglichkeit, das kulturelle Feld gegen hegemoniale Kräfte für Marginalisierte zu instrumentalisieren« (Ha 2010: 68f.). Bhabhas Hybriditäts-Konzept beschreibt also ebenfalls die Vermischung unterschiedlicher Kulturen, jedoch geschieht dies immer in Hinblick auf die Auseinandersetzung einer marginalisierten Gruppe mit einer Hegemonialmacht. Die marginalisierte Gruppe schafft dabei über kulturelle Ausdrucksmöglichkeiten einen »dritten Raum«. Dies ist ein Grenzbereich, der es der marginalisierten Gruppe erlaubt, kulturelle Symbole neu auszuhandeln und sie mit neuen Bedeutungen anzureichern: »It is that Third Space, though unrepresentable in itself, which constitutes the discursive conditions of enunciation that ensure that the meaning and symbols of culture have no primordial unity or fixity; that even the same signs can be appropriated, translated, rehistoricized and read anew« (Bhabha 2004: 55). Kulturelle Symbole besitzen demzufolge keine fixe, unumstößliche Definition, sondern können immer neu gedeutet und mit neuem Sinn angereichert werden. Schon die reine Übersetzung eines Symbols wie etwa das des Ghettos aus dem US-amerikanischen HipHop bekommt im österreichischen HipHop eine andere Bedeutung. Zudem können im dritten Raum »Positionen der Autorität gewechselt werden« und es werden »Verhandlungen geführt, in all seinen Ungleichheiten und Asymmetrien, um ein gerechteres Szenario zu konstruieren« (Bhabha in Wieselberg 2007). Mit Blick auf die österreichische HipHop-Szene1 wäre also zu fragen, gegen welche Hegemonialmächte sie ihr hybrides Feld der HipHop-Musik instrumentalisiert und mit welchen Methoden sie sich einen »dritten Raum« schafft. Um diese näher zu beleuchten, möchte ich auf den anfangs erwähnten Begriff der HipHop-Nation zurückgreifen. Österreichische HipHop-Schaffende können demnach sowohl als Teil der österreichischen Nation als auch als Teil der internationalen HipHop-Nation gesehen werden. Der Begriff der Nation ist dabei nicht einfach zu bestimmen und schon für diese beiden Nationen werden etwas unterschiedliche Begriffsdefinitionen benötigt. Für die HipHop-Nation scheint bereits Eric Hobsbawms (2005: 19) »Arbeitshypothese« 1

Da dieser Beitrag aus einem musikwissenschaftlichen Blickwinkel verfasst wird, sind mit der »österreichischen HipHop-Szene« stets die HipHop-Musik-Szene und deren Protagonist*innen gemeint.

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« passend, nach der Nation als »jede ausreichend große Gemeinschaft von Menschen verstanden [wird], deren Mitglieder sich als Angehörige einer ›Nation‹ betrachten«. Eine weitere verbreitete Definition stammt von Benedict Anderson (2005: 15), nach der Nation eine »vorgestellte politische Gemeinschaft — vorgestellt als begrenzt und souverän« ist. Auch hier ist der Wille bzw. die »Vorstellung« der Mitglieder einer Gemeinschaft, sich als Nation zu verstehen, ein zentraler Punkt. Zugleich bekommt Nation eine politische Komponente und eine, häufig über territoriale Staatsgrenzen verwirklichte, »Begrenzung«. Es kann natürlich darüber diskutiert werden, inwiefern politische Aspekte auch für die HipHop-Nation von Bedeutung sind, aber meines Erachtens eignet sich Andersons Definition weniger für die HipHop-Nation, ist jedoch adäquater hinsichtlich der österreichischen Nation, die ein sehr junges Phänomen ist. Kurz nach der Etablierung der zweiten Republik 1956 stellten noch 46 % der Österreicher*innen die österreichische Nation in Frage, 2007 taten dies nur mehr 7 % (o.A. 2008). Auch Anhänger des traditionell »deutschnationalen dritten Lagers (FPÖ und BZÖ)«, in dem lange Zeit die Meinung verbreitet war, dass Österreicher zur deutschen Nation zu zählen sind, stellen kaum mehr die österreichische Nation in Frage (ebd.). Die Befürworter einer österreichischen Nation sehen zwar teilweise eine Verwandtschaft zur deutschen Nation, verstehen das »Österreichische« aber als etwas Eigenständiges, das sich durch die geschichtlich gewachsene »ethnisch-kulturelle Pluralität« kennzeichnet (Wiesinger 2000: 550f.). Es zeigt sich dabei zudem, wie wichtig für Befürworter einer österreichischen Nation schon in Texten der 1940er und 1950er Jahre die Abgrenzung der österreichischen zur deutschen Sprache war (ebd.: 547f.). Wie ich in diesem Beitrag noch zeigen möchte, ist dies ebenfalls ein wichtiger Punkt für die Mitglieder der österreichischen HipHop-Szene, die ihre Sprache u. a. auch verwenden, um sich von der deutschen HipHop-Szene abzugrenzen. Diese ist innerhalb der HipHop-Nation (neben der US-amerikanischen Szene) die am stärksten auf die österreichische Szene wirkende Hegemonialmacht, gegen die es für große Teile der österreichischen HipHopSzene einen eigenen Raum zu schaffen gilt. Der Frage nach dem Verhältnis zu Hegemonialmächten und den Methoden, mit denen die österreichische HipHop-Szene sich einen dritten Raum schafft, werde ich im Folgenden anhand der Aspekte Politik, Kultur und Sprache nachgehen, die sowohl hinsichtlich der HipHop-Kultur als auch mit Blick auf den Nationenbegriff eine wichtige Rolle spielen. In einem ersten Schritt wird mit Hilfe ausgewählter Beispiele veranschaulicht, wie österreichische HipHop-Schaffende ihr hybrides Feld der HipHop-Musik instrumentalisieren, um sich kritisch mit der Politik bzw. den politischen Vertretern Österreichs auseinanderzusetzen. Nachfolgend wird demonstriert, wie österreichische

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FREDERIK DÖRFLER HipHop-Künstler*innen durch Auseinandersetzung mit kulturellen Symbolen, Klischees sowie Sprache ihren eigenen dritten Raum sowohl innerhalb der österreichischen Nation als auch innerhalb der HipHop-Nation schaffen. Die Auswahl der Beispiele basiert auf Erkenntnissen meiner Dissertation HipHop-Musik aus Österreich. Lokale Aspekte einer globalen kulturellen Ausdrucksform (2019). Grundsätzlich wurde darauf geachtet, Künstler*innen und Tracks auszuwählen, die zu einem gewissen Grad repräsentativ für die Szene sein können und (innerhalb der Szene) bekannt sind.

1. Politik und HipHop Die folgend angeführten Beispiele fallen alle in die Kategorie »genuin politischer Musik« nach Helmut Rösings (2004) Modellentwurf zu politischer Musik. In seinem Modell identifiziert er verschiedene Stationen, die Lieder von der Komposition über die Rezeption bis zur Weiterverarbeitung durchlaufen, und er zeigt, wie diese zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit »politischem Gehalt« angereichert werden können (ebd.: 163). Die folgenden Beispiele sind als genuin politische Musik schon im Schaffensprozess als politische Botschaften intendiert bzw. reagieren auf sozialpolitische Realitäten (ebd.: 162).

1.1. Der Mann mit dem blauen Schal Bereits auf der ersten deutschsprachigen HipHop-Platte aus Österreich2, Broj Jedan (Serbokroatisch für »Nummer Eins«) der Gruppe Schönheitsfehler, findet sich mit »Ich dran« (1993) ein klar politischer Song, der Alltagsrassismus in Österreich ins Zentrum rückt. Im Song wird nicht nur die Lage von Menschen mit Migrationshintergrund geschildert, sondern in der dritten Strophe auch direkt Bezug auf die politische Landschaft in Österreich genommen. [Milo] Wer ist das? [CM Flex] Ratet mal! [Milo] Ich sag' nur: blauer Schal Vielleicht ist er kein Nazi, Faschist allemal 2

Es gab zwar bereits vor Erscheinen dieser Platte österreichische Musiker, die von HipHop beeinflusste Musik machten — allen voran Falco, der häufig als erster deutschsprachiger Rapper bezeichnet wird. Wenngleich sein Rap-Stil klar von USamerikanischen HipHop-Veröffentlichungen beeinflusst war, sah er sich selbst nicht als Teil der HipHop-Kultur (vgl. Dörfler 2019: 129). Auch innerhalb der österreichischen HipHop-Szene sind die Meinungen dazu gespalten. Von vielen Mitgliedern wird Falco eher als Pop- und Funk-Musiker angesehen, weshalb auch ich seine Alben nicht als die ersten HipHop-Platten Österreichs kategorisiere (ebd.: 128-131).

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« Ordnung muss sein! [CM Flex] Das war ja schon mal da Habt ihrʼs schon vergessen? Na, na, na wunderbar! [Milo] Blau, blau, blau besorgt die Ausländerhetze3 Rot-Schwarz sorgt für die entsprechenden Gesetze (Schönheitsfehler 1993). Im Zentrum der politischen Kritik durch österreichische HipHop-Künstler*innen steht seit jeher die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und meist speziell deren Vorsitzende — dieser war in den 1990er Jahren Jörg Haider —, im Songtext symbolisiert durch den Mann mit dem »blauen Schal«. Auch der erste von Schönheitsfehler über ihr Label Duck Squad Platten herausgebrachte HipHop-Sampler Das Gelbe vom Ei (1995) enthielt mehrere politische Stücke, in denen einmal mehr vom »blauen Mann« und der von ihm betriebenen »Hetze gegen Ausländer« die Rede war (Total Chaos: »Traurig, aber wahr«, Die Anderen: »Einfach«). Einen weiteren Beitrag zum Sampler leistete die Gruppe Texta aus Linz, die neben Schönheitsfehler und Total Chaos in den 1990er Jahren zu den wichtigsten und bekanntesten HipHop-Formationen Österreichs zählte (vgl. Reitsamer 2018). Wie der Bandname vermuten lässt, waren den Mitgliedern aussagekräftige Texte mit häufig sozialkritischen Inhalten von Beginn an wichtig. Songs, die sich konkret mit österreichischer Politik auseinandersetzen, veröffentlichten sie aber erst ab 2000. Anlass dafür war die erste Regierungsbeteiligung der FPÖ, die 2000 gemeinsam mit der ÖVP die erste Schwarz-blaue Koalition bildete. Olle, de wos a Hirn ham, gehen auf die Stråß Damit ihr Andern jetzt endlich aufwochts I hob nix zu tuan mit eiam Hoss auf de Leit I loss mi ned vertreiben, nur weil ihr frustiert seid Hey Mr. Haider, wos mochst so an Wirbel? Und wenn's um wos geht, dann schleichst di durch die Hintertüre (Texta 2000, »Widerstand«). Nicht nur Texta wandten sich mit Hilfe von HipHop gegen diese Regierung. Der wohl wichtigste musikalische Kommentar aus der HipHop-Szene hieß »Brief an den Bundeskanzler« (2000) — zu dieser Zeit Wolfgang Schüssel von der ÖVP — der Gruppe Kaputtnicks, der im Zuge der Veranstaltung »HipHop gegen Schwarz-Blau«, die erstmals am 11. Februar 2000 stattfand, verfasst und dann auch auf anderen Demonstrationen und Veranstaltungen gegen die Schwarz-blaue Regierung aufgeführt wurde (Anwander/Braula 2015).

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Die Farben stehen für die österreichischen Parteien FPÖ (blau), SPÖ (rot) und ÖVP (schwarz).

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FREDERIK DÖRFLER Hallo Bundeskanzler, schön dass ich Ihnen mal schreiben kann Denn wenn Sie vor mir stünden, finge ich bestimmt zu schreien an Weil ich's nicht leiden kann, wenn Menschen ohne Rückgrat agieren und es noch viel schlimmer finde, wenn Betrüger regieren (Kaputtnicks 2000). Dieser Track stellt eines der seltenen Beispiele dar, in denen nicht Haider oder ein anderer FPÖ-Politiker im Zentrum steht, sondern der Bundeskanzler. Nachdem sich Haider 2005 mit dem BZÖ von der FPÖ abspaltete, wurde HeinzChristian Strache Bundesparteiobmann der Freiheitlichen in Österreich. Bereits im darauffolgenden Jahr brachte Strache die österreichische HipHopSzene gegen sich auf, indem er für die Nationalratswahl 2006 als HC Strache mit dem »HC-Rap« (2006) seinen ersten eigenen Rap-Song veröffentlichte.

1.2. Die »HC-Raps« Ich bin HC, ein Volksvertreter Vielleicht sogar Überzeugungstäter Hier traut sich keiner, die Wahrheit zu sagen Darum tu's ich, bitte darf ich's wagen? (HC Strache 2006). »HC Strache« veröffentlichte zwischen 2006-2015 insgesamt sechs Rap-Lieder für unterschiedliche Wahlkämpfe, obwohl bereits der erste »HC Rap« von der österreichischen HipHop-Szene sehr negativ aufgenommen wurde. Die versuchte Vereinnahmung ihrer Kultur durch Strache löste eine Welle der Empörung nicht nur innerhalb der HipHop-Szene aus: die Online-Ausgabe der Tageszeitung Der Standard sowie das HipHop-Forum hiphop.at riefen einen »Diss-Contest« gegen Strache aus, woraufhin fünfzig sogenannter »DissTracks« gegen Strache und dessen Politik eingesandt wurden. Aus den eingereichten Tracks wurden zwölf Finalisten gewählt, die beim Contest auftraten (o.A. 2006). Der Sieger des Contests, der Rapper Koryphaios, brachte die Stimmung der heimischen HipHop-Szene in seinem Track »Ich muss gestehen« mit folgenden Zeilen auf den Punkt: Ernst beiseite, ich wunder mich nur Missbrauchst das Sprachrohr von einer gesamten Jugendkultur Falsch gedacht, wenn du glaubst, dass wir das auf uns sitzen lassen […] Du hast von allen Musikarten die falsche gewählt Willkommen! Du hast dich nun auf unser Schlachtfeld bewegt (Koryphaios 2006). Durch die Verwendung von Rap zur Vermittlung seiner politischen Botschaften weckte Strache offenbar unter vielen Rapper*innen das Bedürfnis, ihre Kultur

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« gegen die versuchte Vereinnahmung durch einen rechtspopulistischen Politiker zu verteidigen. Trotz der negativen Resonanz veröffentlichte Strache in den folgenden Jahren fünf weitere Raps (»Viva HC« 2008, »Österreich zuerst« 2009, »Wiener Blut« 2010, »Patrioten zur Wahl feat. Leopold Figl« 2014 und »Good Men[sch] Rap feat. MC Blue« 2015). Es ist anzunehmen, dass Strache HipHop bzw. Rap vorwiegend benutzte, um junge Wähler*innen anzusprechen. Dass aber gerade die FPÖ HipHop als Ausdrucksform für ihre (rechtspopulistischen) Botschaften verwendete, ist in Hinblick auf die Geschichte der HipHop-Kultur und speziell die Beziehung der Partei zur heimischen HipHop-Szene verwunderlich. Nicht nur, dass die Protagonist*innen der österreichischen HipHop-Szene seit ihren Anfängen ihre Ablehnung gegenüber der Partei und ihren Mitgliedern kundtat, auch die FPÖ äußerte sich — wenn überhaupt — stets negativ gegenüber HipHop. So sah der damalige Jugendsprecher der FPÖ, Christian Höbart, eine »ungeheure Gefahr für unsere Jugend«, als die Rapper Mevlut Kahn und Platinum Tongue (»sogenannte ›Gangsta Rapper‹ aus dem Ausländermilieu«) 2007 ein Video zu ihrem Lied »Balkanaken« auf der damals noch jungen Plattform YouTube veröffentlichten (Höbart zit. n. APA OTS-Presseaussendung 2008). Auch der in Straches bislang letztem Rap, dem »Good Men[sch] Rap«, verbal attackierte Wiener Rapper Nazar lieferte sich bereits vor dessen Beschimpfung in Straches Song einen jahrelangen Schlagabtausch mit der FPÖ und speziell mit Strache. Den Anfang machte das Lied »HC« von Nazars 2009 erschienenem Album Paradox. In diesem thematisiert Nazar seine iranische Herkunft und Vorurteile gegenüber Ausländern. Wie im Refrain spricht der Rapper Strache immer wieder direkt und meist in typischer Gangsta-Rap-Manier provokativ an: HC! Heinz kuck uns an HC! Wir bereichern dein Land HC! Guck ich spuck auf deinen Verein Und fick ich deine Mutter, ist dein Blut auch wieder rein (Nazar 2009). In den Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen 2010 machte Nazar Werbung für die SPÖ und veröffentlichte gemeinsam mit den Rappern Raf Camora, Chakuza und Kamp ein von der SPÖ finanziertes Video zum Song »Meine Stadt« (Felbermayer 2010). Dort rappt Nazar hauptsächlich über »seine« Stadt Wien, hält aber auch eine Botschaft für Strache parat: »Wir wählen niemals Heinz, denn seine Fehler zu verzeihen wär, wie Vergangenes zu leugnen« (Nazar 2010). Harald Vilimsky von der FPÖ bezeichnete Nazar folgend als »SPÖ-Terror-Rapper« (APA OTS-Presseaussendung 2010). Den Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung 2015, als der Rapper den Politiker während eines Konzertes als »Hurensohn« bezeichnete, woraufhin ihn Strache

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FREDERIK DÖRFLER verklagte und der damalige Generalsekretär der FPÖ, Herbert Kickl, den Rapper als »Schrumpf-Bushido« bezeichnete (o.A. 2015).

1.3. HipHop im Wahlkampf Neben Nazars Video zu »Meine Stadt« wurden von der Wiener SPÖ 2009 und 2010 zwei HipHop-Sampler unter dem Titel Ich bin Wien produziert. Deren Aushängeschild war ein gleichnamiger Song samt Video4, auf dem neun bekannte österreichische Rapper*innen vertreten waren. Der Song ist wie »Meine Stadt« eine Liebeserklärung an die Stadt Wien und kommt beinahe ohne direkte politische Aussagen aus. Die SPÖ machte sich dabei zunutze, dass das Rappen über das eigene Viertel / den Bezirk / die Stadt / die Region (und seltener) den eigenen Staat spätestens seit dem Hit »Straight Outta Compton« von N.W.A (Niggaz With Attitude, 1988) zum Standardrepertoire des HipHop gehört (Verlan/Loh 2015: 28f.). In den folgenden Jahren nahmen Rapper*innen auch ohne Partei im Rücken Stellung zu anstehenden Wahlen. So mischten sich einige Rapper in den Wahlkampf zu den Präsidentschaftswahlen 2016 ein, in dem sich Norbert Hofer von der FPÖ und der von den Grünen unterstützte Alexander Van der Bellen in einer Stichwahl gegenüberstanden. Die Rapper Kid Pex und Topoke lieferten mit ihrem Track »Norbert Hofer« eine bissige Satire, in der sie Hofer unter anderem als »Putin der Alpen« bezeichneten (Kid Pex feat. Topoke 2016). Die Rapper Mirac, DemoLux, P.tah & Der-Con brachten ihre Unterstützung für den Gegenkandidaten hingegen im Track »Alexander Van der Bellen« (2016) deutlich zum Ausdruck.5 Def Ill, der zu den politischsten Rappern in Österreich zählt6, war offenbar mit keinem der Kandidaten einverstanden und brachte — neben viel Kritik an Hofer und seinen Wähler*innen — in seinem Track »Was 4 1 Bundespresidentn feat. Highznberg« (2016) sich selbst als Kandidaten ins Spiel. Im Zuge der Nationalratswahl 2017 formierte sich ein großer Teil der österreichischen HipHop-Szene unter dem Banner O5, ein Kürzel, das für die

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Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=-bCFiT0TghI. Im dazugehörigen Video sind zudem einige Vertreter*innen der österreichischen HipHop-Szene (u.a. Yasmo, Skero, Nora Mazu, Kayo, Kamp oder auch Kid Pex) mit Unterstützungserklärungen für Van der Bellen zu sehen: https://www. youtube.com/watch?v=11D0VnlyJV8. Def III veröffentlicht sehr häufig politische Songs und ist auch außerhalb seines musikalischen Schaffens politisch aktiv. Als Beispiel sei hier etwa das 2017 veröffentlichte Album R.A.F. (Refugees Ain't Fugitive) genannt, auf dem er sich ausschließlich dem Thema Asyl widmet und dessen Erlöse er dem Verein »Flucht nach Vorn« spendete (Def Ill 2017).

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« bekannteste Widerstandgruppe gegen den Nationalsozialismus in Österreich stand (Weiss 2017). Die Initiative »O5 — Represent yourself« wurde vom britischen Fotografen Josh Cole ins Leben gerufen, der Ähnliches bereits in Großbritannien mit »Rize up and represent« organisiert hatte. Vornehmlich hatte diese Initiative zum Ziel, die Wahlbeteiligung vor allem bei jungen Wähler*innen zu erhöhen. Obwohl keine Partei direkten Einfluss hatte, wurde die Initiative u.a. von SPÖ-Jugendorganisationen finanziell unterstützt (ebd.). Offiziell richtete sich der Widerstand nicht gegen eine bestimmte Partei, sondern gegen »Hass und Diskriminierung in der Politik« (ebd.). Das sichtbarste Produkt dieser Bewegung war das Video »Wer schweigt stimmt zu«, an dem die Rapper DemoLux, Kreiml, Ali Capone, Appletree, Syc Tyson, Svaba Ortak, Def Ill, Jamin und der Produzent Brenk Sinatra mitwirkten. Diese riefen in ihren jeweiligen Strophen zum Wählen auf, verbanden diesen Aufruf aber meist mit deutlichen Botschaften, die Stimme keiner rechten bzw. rechtspopulistischen Partei zu geben: »Erledigt das Thema, dreh den Spliff später. Täter nicht Kläger, rede nicht, wähl Mann! Hey denk mal nach, lassen wir uns so vom Gold verändern, bezieht man Hetze statt aus dem Netz bald aus 'nem Volksempfänger« (O5 2017). Mit »Right to Vote« von Skero, Kinetical, P.tah, Foz und DJ Chrisfader wurde zudem ein zweiter Song samt Video unter dem O5-Banner veröffentlicht, wie auch Def Ill auf seinem YouTube-Kanal den Song »KURZparkzone« (2017) mit dem Zusatz »O5 Bars« versah (Bars steht hierbei für Rap-Zeilen). Die Salzburger Nasihat und Son Griot brachten 2017 mit Aufstond ein politisches Konzept-Album heraus und platzierten am Anfang des Videos zu ihrer Single »Dagegn feat. Esref, Demolux« ebenfalls das O5-Logo.7 In einem Interview gab Bhabha (in Wieselberg 2007) an, dass Hybridisierung für ihn u.a. heißt, »Raum [zu] schaffen für Handelnde, deren Freiheit und Gleichheit gefährdet sind«. Die in diesem Kapitel vorgestellte Auswahl an österreichischen HipHop-Songs demonstriert, wie österreichische Künstler*innen die Hybridität der HipHop-Kultur nutzen, um aus ihrem damit geschaffenen dritten Raum Kritik an politischen Machthabern zu üben, insbesondere an der FPÖ, in deren Politik sie eine Gefahr für ihre »Freiheit und Gleichheit« sehen. Umso interessanter ist es, dass gerade die FPÖ unter Strache am stärksten versuchte, HipHop-Musik für ihre politischen Zwecke zu nutzen.

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Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=Nl1vuslg8ss.

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2. Kultur und HipHop Wenngleich nach Andersons Definition der Nation eine »politische Gemeinschaft« zugrunde liegt, sind Kultur und kulturelle Praxen ebenso wichtige Kriterien für die Bildung sowie die Identifikation mit einer Nation (Wiesinger 2000: 526f.). Friedrich Meinecke (1962) prägte darüber hinaus den Begriff der »Kulturnation«, der wegen seines wertenden Charakters mitunter in der Kritik steht (s. bspw. Jansen/Borggräfe 2007). Dennoch bezeichnete etwa die Türkis-blaue Regierung in ihrem Regierungsprogramm von 2017 Österreich als Kulturnation.8 Ohne hier eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieses Begriffs führen zu wollen, möchte ich in diesem Kapitel der Frage nachgehen, wie die österreichische HipHop-Szene durch die Auseinandersetzung sowie die Verbindung der HipHop-Kultur mit der eigenen kulturellen Herkunft sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene einen dritten Raum innerhalb der österreichischen Nation sowie der HipHop-Nation schafft. Dies geschieht einerseits auf textlicher und visueller Ebene sowie andererseits über die Musik selbst. Es wird folgend anhand ausgewählter Beispiele bekannter österreichischer HipHop-Gruppen und -Künstler*innen veranschaulicht, wie diese etwa mittels der aus der afroamerikanischen Community stammenden »Signifying«-Technik negative Klischees positiv umdeuten oder durch das Verwenden von typischen Instrumenten der österreichischen Volksmusik ihre lokale Herkunft mit der globalen HipHop-Kultur verbinden.

2.1. Textliche Referenzen Das Hinweisen auf bzw. die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft, dem Lebensumfeld, in dem man lebt oder geboren wurde, geschieht in RapTexten häufig über das Einflechten von als typisch geltenden Kulturgütern und Klischees. Dies kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. So verarbeitet der Rapper Phil Fin, der gemeinsam mit DJ King das Duo Penetrante Sorte bildet, seine Vorarlberger Herkunft, indem er in dem Song »I suf (Mohrenbräu)« (2013) über seine aus Vorarlberg stammende Lieblingsbiermarke rappt. Die Gruppe Hinterland aus dem Mühlviertel, einer ländlichen Gegend im Norden Österreichs, spielt mit dem ihnen entgegengebrachten »Bauernimage«, das dem Klischee Österreichs als ländlich geprägter Nation entspricht: 8

Dieses kann hier eingesehen werden: https://www.fpoe.at/fileadmin/user_ upload/www.fpoe.at/dokumente/2017/Zusammen_Fuer_Oesterreich_Regierun gsprogramm.pdf.

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« »Zunächst haben wir diese Rolle nie bewusst eingenommen und gesagt, wir sind ›die Bauern‹, sondern wir waren einfach immer ›die Bauern‹. Das war also der Schmäh, mit dem wir konfrontiert waren. Das ist nicht von uns ausgegangen, sondern ist uns zugetragen worden, weil wir eben aus dem Mühlviertel kommen. Erst später haben wir uns dann dafür entschieden, damit zu arbeiten. Aber da war auch keine große Strategie dahinter. Wir haben es aber dankend angenommen und durchgezogen« (Sam zitiert in Anwander/Kiebl 2015). Da HipHop aus seiner Ursprungserzählung heraus oftmals als ein »genuin großstädtisches Produkt« (Klein/Friedrich 2003: 99) gesehen wird, gilt die Bezeichnung »Bauer« gerade in diesem Kontext als etwas Negatives. »Wir wean als Bauern beschimpft, wei ma ned noch da Schrift redn«, rappte etwa auch der Salzburger Rapper MOZ in seinem Song »Slangsta-Musik« (2011). Hinterland begegneten dieser vermeintlichen Beleidigung, indem sie sich diese als Image aneigneten: Hillbilly Raps, von fruah bis spät Naturbelebt von Bauernbuam werst z'legt Hillbilly Raps, weil verlass di am Dokta Du bist ihm net gwochsn, also moch di vom Åcka (Hinterland 2011, »Bauernregeln feat. Dokta GC«). Auch das Wiener Duo Kreiml & Samurai baut sein Image auf negative Österreich- (und im Speziellen Wiener-)Klischees auf. Ihr Logo ist der »Schweinehund«, den sie als »inoffizielle[s] Wappentier Österreichs« bezeichnen (Kreiml & Samurai in Diewald 2019), und sie nannten ihre Alben ihrem Image entsprechend Schweinehund (2013), Die Rückkehr des Untiers (2016) und Wuff Oink (2018). In ihrem bislang erfolgreichsten Song »Wiener feat. Monobrother« (2017) zollen sie ihrer Herkunft Tribut. Sie tun dies aber nicht, indem sie direkt die Stadt besingen, sondern sich an negativen Klischees ihrer Bewohner*innen humorvoll bis politisch abarbeiten. Dabei verweisen sie nicht nur textlich (und im Video) auf ihre Herkunft, sondern auch über die Musik. Das dem Song zugrundeliegende Sample entstammt dem Stück »Mondsüchtig« (1958) des österreichischen Duos Pirron und Knapp und gibt mit dem ebenfalls gesampelten Satz »Des is a Wiener […] Wos? Sie glauben gor, des is a Schmäh?« die inhaltliche Richtung von Kreiml & Samurais Version vor (Nowak 2018). Die Gruppe Texta widmet der Auseinandersetzung mit der »Befindlichkeit und Beschaffenheit der österreichischen Seele« (Huckey in TEXTA LINZ 2016: 02:26) nicht nur ein einzelnes Lied, sondern einen ganzen Tonträger. Auf ihrem Album Nichts dagegen, aber (2016) bildet Heimat nicht nur in den Texten den roten Faden, sondern auch in der Musik. Die Besonderheit der Veröffentlichung ist, dass als Grundlage für die einzelnen Songs nur Samples von

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FREDERIK DÖRFLER Liedern österreichischer Künstler*innen verwendet wurden. Es gäbe noch eine Vielzahl weiterer Beispiele der textlichen Abarbeitung an österreichischer Kultur und den damit in Verbindung stehenden Symbolen und Klischees (bspw. Crack Ignaz — »König der Alpen«, 2015; Kroko Jack — »Vadient feat. Skero«, 2017, oder Vearz — »Im Garten feat. A. Geh Wirklich?, Kreiml & Samurai«, 2013); die genannten Beispiele geben aber bereits einen Einblick, wie die Etablierung eines dritten Raumes durch die Vermischung und der kritischen bis humorvollen Auseinandersetzung mit österreichischer Kultur und der HipHop-Kultur in Rap-Texten vonstattengehen kann.

2.2. Musikalische Referenzen Vor allem seit den 2010er Jahren finden sich vermehrt Tracks, die sowohl im Text als auch in der Musik auf Österreich und seine Kultur bzw. auf die entsprechenden Klischees verweisen. Am häufigsten geschieht diese »musikalische Lokalisierung«, indem Songs österreichischer Musiker*innen gesampelt werden. Oftmals werden dabei nicht nur Teile der Musik, sondern auch des Gesangs als Grundlage für das eigene Stück verwendet (bspw. MTS — »Zum Glück ned i« 2013; Esref & PMC Eastblok — »Glasscherb'n Tanz«, 20139). Häufig spiegelt sich die Herkunft der Samples im Text jedoch nicht wider und es ist nicht erkenntlich, woher das Sample stammt. Ich möchte mich deshalb folgend auf Beispiele beschränken, bei denen der österreichische Ursprung der Samples entweder auf Albumlänge ins Zentrum gestellt wird oder Teil des Images der HipHop-Schaffenden ist. Neben Texta setzen auch zwei der bekanntesten HipHop-Produzenten Österreichs, Brenk Sinatra und Fid Mella, bei ihrem reinen InstrumentalAlbum Singende Klingende Unterwelt — Chop Shop 2 von 2013 ausschließlich auf Samples österreichischer Künstler*innen. Bei dieser Kollaboration liegt der Fokus auf Stücken von Wiener Musikschaffenden. Ähnlich wie bei Kreiml & Samurais Stück »Wiener« sollen dabei weniger die schönen Seiten Wiens präsentiert, sondern eher die dunklen, schmutzigen Ecken beleuchtet werden. Wie die beiden Produzenten in einem Interview ausführten, ist das Album wie ein musikalischer Film durch ein nicht mehr existierendes Wien angelegt (The Message Magazine 2014: 00:49). Ein Sonderfall hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft mittels Sampling stellt die Gruppe Von Seiten der Gemeinde dar. Das aus den zwei DJs/Produzenten Testa & Chrisfader und dem Rapper Yo!Zepp 9

Diese beiden Stücke entstanden beim Contest Weana Rapz im Rahmen des Wienerlied-Festivals Wean Hean. Dementsprechend wurden als Sample-Grundlage Wiener Lieder verwendet (Wiener Volksliedwerk 2013).

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« bestehende Trio mit Tiroler Wurzeln baut sein musikalisches Konzept nicht darauf auf, heimische Musik zu sampeln, sondern Ausschnitte aus Berichterstattungen von Tiroler Regionalsendern zu verwenden. So werden alltägliche Aussagen (im starken Tiroler Dialekt) mit Hilfe von Sampling- und speziell Turntablism-Techniken zum Teil der Musik und der Texte gemacht und durch die Übersetzung in die HipHop-Kultur neu kontextualisiert. In manchen Tracks wechseln sich die gesampelten »Wordcuts« mit dem Rap ab oder sie stehen alleine im Zentrum. Bei Tracks wie »Schnåps« (2017) werden die gesampelten Aussagen außerdem zu Melodien verfremdet und so zum Teil der Musik gemacht. Aufgrund des Ausgangsmaterials setzt sich das Trio inhaltlich häufig mit Themen aus dem Tiroler »Oberland«, also einer zutiefst ländlichen und durch Berge geprägten Region, auseinander. Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass HipHop schon lange kein rein urbanes Phänomen mehr ist und Authentizität nicht mehr nur über urbane Bilder hergestellt werden kann. Die beiden DJs/Produzenten der Gruppe Testa & Chrisfader betreiben darüber hinaus mit einem dritten Tiroler, DJ DBH (ehemals DJ/Produzent der Gruppe Total Chaos), ein reines Turntablism-Projekt namens Restless Leg Syndrome. Bei diesem wird für jede Veröffentlichung ein anderes Musikgenre als Sample-Grundlage ausgewählt, um daraus HipHop-Tracks zu machen, die ganz ohne Raps (nur mit den typischen, kurzen »Wordcuts«) auskommen. Für ihre dritte Platte mit dem passenden Namen Rooted (2017) dienten die volksmusikalischen Traditionen ihrer Tiroler Heimat als Basis. Das Trio griff dafür aber nicht auf bereits vorhandene Stücke zurück, sondern lud Musiker*innen ins Studio ein, um musikalische Phrasen auf ihren traditionellen Instrumenten wie Teufelsgeige, Maultrommel, Tuba oder Zither einzuspielen. Diese Aufnahmen wurden in einem weiteren Schritt als Sampling-Material verwendet und mit typischen HipHop- und Turntablism-Techniken zu instrumentalen HipHop-Stücken verarbeitet (Resch 2017). Dabei wurden die Aufnahmen so verwendet und verfremdet, dass den fertigen Tracks ihre alpenländische Herkunft kaum mehr anzumerken ist. Nur an einigen Stellen (am stärksten im Opener »Ålta«) wird die musikalische Herkunft deutlich gemacht. Wie dieses Beispiel zeigt, kann auch über die Verwendung von als typisch für die Musik eines Landes geltenden Instrumente Bezug zu diesem hergestellt werden. Eine der erfolgreichsten (und umstrittensten) HipHop-Gruppen Österreichs machte sich genau dies zunutze: die Trackshittaz, die erste Gruppe aus Österreich, die mit HipHop-Musik den ersten Platz der österreichischen Single-Charts erreichte.10 Auch die Trackshittaz spielten vor allem mit ländlichen Klischees und nannten ihre Stilrichtung »Traktor-Gängsta-Party-Rap« 10 Chartplatzierungen: http://austriancharts.at/showinterpret.asp?interpret= Trackshittaz (Zugriff: 30.1.2020).

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FREDERIK DÖRFLER (so der Titel des 2011 erschienenen Best Of-Albums). Aber nicht nur textlich verwiesen sie auf ihre rurale Herkunft; ein weiteres Mittel war die immer wieder auftretende Verwendung der Ziehharmonika, ein zentrales Instrument der österreichischen Volksmusik. Die umgangssprachlich auch »Quetschn« genannte Ziehharmonika stand etwa im Zentrum ihres ersten Hits: Donn kummt a Quetschn-Sound Olle schaun sich deppat aun Weil der fetzt unta d'Haut Olle her'n zum Meckern auf (Trackshittaz 2010, »Oida Taunz!«). Wie der Songausschnitt verdeutlicht, werden nicht nur die Textinhalte und die Musik genutzt, um eine Verbindung zwischen HipHop-Kultur und österreichischer Kultur herzustellen, sondern auch die verwendete Sprache, die in keinem anderen Popularmusikstil eine so zentrale Rolle spielt wie im HipHop (Klein/Friedrich 2003: 37f.). Wenngleich die Mitglieder der HipHop-Nation unterschiedliche Sprachen sprechen (und nur durch einige global verbreitete — hauptsächlich aus der US-amerikanischen HipHop-Szene stammende — Begriffe sprachlich verbunden sind), eint sie der Fokus auf lokale Dialekte und Begriffe bzw. deren häufige Verwendung in ihren Songs. Gerade für die österreichische HipHop-Szene war der Wechsel vom Rappen in Schriftdeutsch zum Rappen im je eigenen Dialekt ein identitätsstiftendes Moment, das nicht nur zu einer Stärkung des Nationalbewusstseins beitrug, sondern zugleich eine bewusste Abgrenzung zur deutschen HipHop-Szene darstellte.

3. Sprache und HipHop »Du tust auf Patriot sagst Lauch und Lappen, in meiner Stadt gibt's für sowas eins auf die Pappn, Oida« (Manijak 2017, »Wien feat. Esref und Sheyla J.«). Auf den ersten österreichischen HipHop-Alben (The Moreaus — Swound Vibes, 1990, und Various — Austrian Flavors Volume 1, 1992) wurde noch rein auf Englisch gerappt. Ab Schönheitsfehlers erster Platte Broj Jedan (1993) setzte sich dann Deutsch als Standardsprache durch. Jedoch war es vor allem der in der Mitte der 2000er Jahre vollzogene Schritt zum Rappen in den unterschiedlichen österreichischen Dialekten, der der Szene endgültig zu einer eigenen Identität verhalf: »Viele sind wirklich besser geworden durch das Mundart-Rappen. Die haben vorher wie eine schlechte Kopie aus Hamburg, Berlin oder sonst wo geklungen und dann auf einmal haben sie eine eigene Identität gehabt. Es hat einen eigenen Witz bekommen und einen eigenen Sprachschatz. Es war nicht mehr nur

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« dieses abkupfern. Und das war für viele Rapper eine extreme Verbesserung zu davor. Wo sie davor völlig unauthentisch und schlecht mit aufgesetztem, deutschen Akzent von Atzen und ähnlichem geredet haben, waren es dann auf einmal die ›Hawara‹. Sie haben sich viel leichter getan coole Flows zu entwickeln und eine Eigenständigkeit zu erzielen. Dadurch wurde österreichischer Rap insgesamt schon besser« (Kroll 2013: 57:00). Wie Philipp Kroll alias Flip (Rapper und Produzent der Gruppe Texta) deutlich macht, ging mit dem Umstieg auf den sogenannten »Mundart-Rap« auch eine Abgrenzung zur viel größeren deutschen HipHop-Szene einher. Diese hatte sowohl durch ihre Größe sowie den damit zusammenhängenden besseren kommerziellen Möglichkeiten als auch wegen des gleichen Sprachstamms stets einen großen Einfluss auf die österreichische Szene. Der Wechsel zum Rappen im eigenen Dialekt führte zu einem verstärkten Selbstbewusstsein sowie einem erhöhten musikalischen Output (Dörfler 2018: 175-178): Ich hör HipHop aus Österreich, bin ja auch aus Österreich Das meiste von wo anders klingt oft Scheiße und ist alles gleich Ich konzentrier mich, darauf wo ich her komm Die Heads auf den Konzerten, Oida, geben uns Verstärkung Es explodiert jetzt, überall Releases (PerVers 2007, »Hh aus Ö feat. Bonz, Fuchs MC«). Nach vereinzelten Versuchen während der 1990er Jahre, Raps im eigenen Dialekt zu verfassen (bspw. Schönheitsfehler — »A Guata Tag (In Da Betonwüste)«, 1996; Fünfhaus Posse — Aufpudeln, 1997; Texta — »Sprachbarrieren«, 1999), begann sich Mundart-Rap in den ersten Jahren des neuen Millenniums langsam, aber sicher zu etablieren und wurde ab ca. Mitte der 2000er Jahre zum Standard in der österreichischen HipHop-Szene (Kroll 2013: 56:02). Vor allem Rapper und Gruppen aus dem Umfeld von Textas Label, Tonträger Records, wie Kroko Jack (ehemals Markee, Jack Untawega, Tibor Foco), Kayo & Phekt, Die Antwort11 oder Texta selbst sowie in Wien die Rapper rund um das Kollektiv Rooftop Clique (u.a. A.Geh Wirklich?, PerVers, Fuchs MC) leiteten den heute noch immer vorherrschenden Fokus auf Mundart-Rap ein (Dörfler 2018: 175-178). Um die Jahre 2007-2009 formierte sich zudem ein großer Teil (unter Führung der Rapper/Produzenten BumBum Kunst, MOZ, Estie und Die Vamummtn — und zu Beginn auch noch Kroko Jack) der österreichischen Szene hinter der »Slangsta-Rap«-Bewegung12 (ebd.: 340-344). Auf mehreren

11 Die genannten Künstler vereinten sich unter dem Pseudonym Markante Handlungen für das Album Vollendete Tatsachen (2005), das als ein Meilenstein für die Entwicklung in Richtung Mundart-Rap gesehen wird (Leopoldseder 2011). 12 »Slangsta« ist ein Kofferwort aus den Wörtern »Slang« und »Gangsta«.

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FREDERIK DÖRFLER Compilation-Alben sowie den Mixtapes von Die Vamummtn wurde mit Beteiligung unterschiedlicher HipHop-Schaffender versucht, ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine eigene Identität rund um die Verwendung des eigenen Dialekts zu schaffen: Ka Wunder, dass in dem Land nix weitergeht Wir schaun, dass wos Neichs entsteht Wos Eigenes, ned von den Deitschen gebitetes13 (Die Vamummtn 2009, »Dama sie zom feat. Kayo«). Wenngleich die Slangsta-Rap-Bewegung nach einigen Jahren wieder zerfiel, blieb Mundart-Rap als eigenständiges und dominantes HipHop-Subgenre in Österreich bestehen. Er war ein essentieller Motor, um eine eigene Identität zu finden und einen dritten Raum innerhalb der HipHop-Nation zu schaffen. Seit den 2010er Jahren zeigten Rapper*innen wie Kamp, Crack Ignaz, Yung Hurn oder Hunney Pimp, dass es nun auch möglich ist, mit Dialekt-Rap Erfolge über die Grenzen Österreichs hinaus zu feiern und von deutschen Medien und Szene-Mitgliedern positiv wahrgenommen zu werden. Wenngleich andere aktuelle Beispiele erfolgreicher Rapper*innen aus Österreich wie Left Boy (mittlerweile Ferdinand), Mavi Phoenix, KeKe oder Dame entweder auf Englisch oder Schriftdeutsch setzen, bleibt das Einbeziehen von österreichischen Dialekten in die HipHop-Musik ein wichtiges Merkmal der Szene.

4. Fazit Gerade mit Beginn der 2010er Jahre verwischten die nationalen Grenzen zunehmend. Der Wiener Rapper Money Boy gründete mit der Glo Up Dinero Gang ein Kollektiv, dem zu einem großen Teil deutsche Rapper (Hustensaft Jüngling, Medikamenten Manfred oder Spinning 9) angehören. Der in der Schweiz geborene, in Wien aufgewachsene und seit Ende der 2000er Jahre in Berlin lebende Raf Camora verweist regelmäßig in seinen Songs auf seine Wiener Heimat: Hab's getan, geh und sag es ganz Wien, Wien, Wien Sag ihn'n, ich hab's geschafft, alles, was ich plante Kam aus Wien ohne nix, ja, wie ein Brigante (Raf Camora 2019, »Sag Ihnen 2«). Umgekehrt lebt die aus München stammende Rapperin Ebow derzeit in Wien und veröffentlichte ihre beiden letzten Alben (Komplexität, 2017, und K4L, 2019) bei dem Wiener Label Problembär Records. Dies ist nur eine Handvoll 13 »Biten« steht im HipHop-Jargon für abkupfern oder nachmachen.

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM« an Beispielen für die internationale Arbeitsweise der österreichischen sowie der globalen HipHop-Community. Zugleich sind das Verweisen auf die eigene nationale Herkunft und die Bereitschaft, Teil einer lokal verankerten (nationalen) Szene zu sein, auch heute noch äußerst ausgeprägt. Natürlich ist die österreichische Szene keine einheitliche, sie besteht aus diversen Gruppierungen und »Lagern«. Aber überregionale und über Genre-Grenzen verbindende Beispiele wie der Song »Wer schweigt stimmt zu« (2017) unter dem Pseudonym O5 zeigen, dass die unterschiedlichen HipHop-Künstler*innen lokal begrenzter Szenen sich oftmals auch als Teil der gesamtösterreichischen HipHop-Szene verstehen. Auch die zwei wichtigsten Medien, die sich explizit mit der österreichischen HipHop-Szene auseinandersetzen (die Radiosendung »Tribe Vibes & Dope Beats« auf dem Sender FM4 sowie das einzige österreichische HipHop-Magazin The Message Magazine), tragen hierzu bei. Zu guter Letzt sind dafür auch (Indie-)Labels wie Tonträger Records, Duzz Down San oder Eastblok Family bzw. deren zentralen Personen wie Flip, Testa oder PMC Eastblok von Bedeutung. Diese organisieren häufig wichtige Veranstaltungen, bei denen sich Mitglieder der HipHop-Szene treffen und austauschen. »HipHop-Kultur ist eine glokale Kultur. Sie ist global verbreitet und besteht aus einer Vielzahl differenter lokaler Kulturen. Die HipHop-Kultur konstituiert sich über einen wechselseitigen Prozeß von global zirkulierenden sowie medial vermittelten Stilen und Images einerseits und deren lokaler Neukontextualisierung andererseits. Lokale HipHop-Kulturen entstehen in und über global zirkulierende Bilderwelten und nicht, wie im Jugend- und Popdiskurs oft unterstellt, in Opposition zur globalen Kulturindustrie. Die HipHop-Kultur ist ein Beleg dafür, daß kulturelle Globalisierung nicht, wie in der Globalisierungsdebatte oft angenommen, automatisch zu kultureller Vereinheitlichung führt« (Klein/Friedrich 2003: 10; Herv. i. O.). Die österreichischen HipHop-Künstler*innen zeigen, dass die gleichzeitige Verwurzelung in einer lokalen sowie in der globalen HipHop-Szene keine Unvereinbarkeit darstellt. Vielmehr ist der glokale Charakter der HipHop-Kultur ein wichtiger Motor, der Neues hervorzubringen vermag und auch dazu beiträgt, dass sich Mitglieder lokaler Szenen einen dritten Raum schaffen können. Speziell in Bezug auf die Aushandlung der Position der österreichischen HipHop-Künstler*innen sowohl innerhalb der österreichischen Nation als auch der HipHop-Nation ermöglichen Bhabhas Theorien der Hybridität und des dritten Raumes neue Perspektiven auf das Schaffen der Mitglieder der österreichischen HipHop-Szene. Dabei wird einmal mehr deutlich, welch bedeutende Rolle der verwendeten Sprache zukommt, die identitätsstiftend sowohl hinsichtlich der Zugehörigkeit zur österreichischen Nation sowie zur österreichischen HipHop-Szene

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FREDERIK DÖRFLER wirkt. Der Fokus der österreichischen HipHop-Szene auf die eigenen Dialekte schließt diese allerdings nicht davon aus, Teil der globalen HipHop-Gemeinschaft zu sein. In der multilingualen HipHop-Nation ist eher das Gegenteil der Fall, hier ist gerade das Bezugnehmen auf die eigene Herkunft etwas Wichtiges, das Authentizität und eine eigenständige Identität erzeugt. Für die Mitglieder der österreichischen HipHop-Szene war die Besinnung auf die österreichische Sprache mit ihren vielen regionalen Dialekten gerade deshalb von zentraler Bedeutung und verhalf ihr dazu, einen eigenen Platz innerhalb der HipHop-Nation einnehmen zu können. Im sogenannten Mundart-Rap spiegelt sich sowohl die Anbindung zur österreichischen Nation als auch zur HipHopNation wider und zeigt, dass dieser Umstand kein Widerspruch, sondern der glokalen HipHop-Kultur immanent ist.

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HYBRIDITÄT IM HIPHOP: EINE SZENE, ZWEI NATIONEN UND EIN »DRITTER RAUM«

Diskographie Def Ill (2017). »R.A.F. (Refugees ain't Fugitive).« Online verfügbar unter: https:// defill.bandcamp.com/album/r-a-f-refugees-ain-t-fugitive (Version vom 13.4.2017, Zugriff: 30.1.2020). Die Anderen (1995). »Einfach.« Auf: Das Gelbe vom Ei. GIG 660 212. Die Vamummtn (2009). »Dama sie zom feat. Kayo.« Auf: Runde 3. Supercity VO3. Fünfhaus Posse (1997). Aufpudeln. Sungun Records & Spray Records. HC Strache (2006). »HC Rap.« Auf: HC Rap. Self-released. Hinterland (2011). »Bauernregeln feat. Dokta GC.« Auf: Voixmusik. TTR 033 511. Kaputtnicks (2000). »Brief an den Bundeskanzler.« Auf: Brief an den Bundeskanzler. Geco Tonwaren H 090. Koryphaios (2006). »Ich muss gestehen.« Online verfügbar unter: https://www. derstandard.at/story/2590740/and-the-nominees-were (Zugriff: 30.1.2020). Kroko Jack (2017). »Vadient feat. Skero.« Auf: Extra Ordinär. Irievibrations Studio IRIE105. MOZ (2011). »Slangsta Musik.« Auf: Moztradamoz. Twomorrow Media 9008798068 128. Nazar (2009). »HC.« Auf: Paradox. Assphalt Muzik MVR209.05.03. PerVers (2007). »Hh aus Ö feat. Bonz, Fuchs MC.« Auf: D.A.W.W.F. Coolesterin Records. Schönheitsfehler (1993). »Ich dran.« Auf: Broj Jedan. Duck Squad Platten DS 002. Schönheitsfehler (1996). »A guata Tag (In da Betonwüste).« Auf: Schönheitsfehler kommt! GiG 74321 3628325. Texta (1999). »Sprachbarrieren.« Auf: Gegenüber. Geco Tonwaren H072. Total Chaos (1995). »Traurig, aber wahr.« Auf: Das Gelbe vom Ei. GIG 660 212. Trackshittaz (2010). »Oida Taunz!« Auf: Oidaah Pumpn Muas's. Sony Music Austria 88697848782. Various (1992). Austrian Flavors Volume 1. ORF 150 306-1. Vearz (2013). »Im Garten feat. A. Geh Wirklich?, Kreiml & Samurai« Auf: Multivearzum. Gfrasta Entertainment.

Interview Kroll, Philipp (2013). Interview mit dem Autor, 10.6.2013 in Linz.

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FREDERIK DÖRFLER

Abstract In the early 1990s, a local hip-hop scene emerged in Austria. What began as an imitation of US culture transformed into a local adaptation with its own identity. Focusing on Homi K. Bhabha's concepts of »hybridity« and the »third space«, the article explores which hegemonic powers affected the Austrian hip-hop scene and the methods used by members of this scene to create a third space within the Austrian nation as well as the hip-hop nation. These questions are examined from political, cultural, and linguistic perspectives. The first chapter analyzes how members of the Austrian hip-hop scene employ their music to deal with Austrian politics. The second chapter explores how Austrian culture is addressed in Austrian rap lyrics and how hip-hop artists incorporate Austrian music culture into their songs. The last chapter covers the central role of language in the Austrian hip-hop scene and how its members use local dialects to distinguish themselves from the German hip-hop scene and to find their own identity.

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»M E I S T E R W E R K E S C H W A R Z W Ä L D E R P R Ä Z I S I O N .« M U S I K A B S P I E L G E R Ä T E U N D D I E ›V E R K Ö R P E R U N G D E R N A T I O N ‹ I N D E N 1950 E R J A H R E N Benjamin Burkhart Grundig, Telefunken, Blaupunkt oder SABA — in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelten sich mehrere westdeutsche Konzerne zu international erfolgreichen Herstellern im Bereich der Unterhaltungselektronik. Musikabspielgeräte wie Musiktruhen, Schallplattenspieler und Tonbandgeräte wurden dabei zu Symbolen ›deutscher Wertarbeit‹ und zu zentralen Umsatzgeneratoren für die Produzierenden (vgl. Steffens 1992: 47). Die Historie dieser Betriebe reicht mitunter bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück, doch erst die rasant steigende Nachfrage nach elektronischen Konsumgütern in den 1950er Jahren sorgte für ihre anhaltenden, bisweilen globalen Erfolge. So konnte sich das Fürther Unternehmen Grundig noch in den späten 1980er Jahren als Marktführer im Unterhaltungselektronik-Segment behaupten, gefolgt vom Berliner Konzern Telefunken. Erst Anfang der 1990er Jahre übernahm der japanische Hersteller Sony die Spitze und die westdeutschen Betriebe hatten fortan mit existenzbedrohenden Umsatzeinbußen zu kämpfen, die schließlich zu mehreren Insolvenzverfahren führten (vgl. Anonym 1991). Die genannten Konzerne, vor allem Grundig, gelten als Stützpfeiler des sogenannten Wirtschaftswunders (vgl. Mayer 2008: 43-70), das die Phase des ökonomischen Aufschwungs in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Insbesondere Hersteller aus dem süddeutschen Raum griffen in jenen Jahren auch auf national bzw. regional konnotierte Produktinszenierungen zurück. Neue Geräteserien wurden unter Labels wie »Bergserie« (Lorenz; Abb. 1), »Heimatserie« (SABA; Abb. 2) sowie »Alte Heimatklänge« (Kaiser; Abb. 3) auf den Markt gebracht, unter Verweis auf regionale Traditionen beworben und in Verbindung mit Bildern pittoresker, alpiner Landschaften inszeniert (vgl. Steffens 1992: 49). Die Phonobranche reagierte hierbei auf zeitgenössische Trends rund um das mediale Phänomen der Heimat. Dieses fand in den 1950er Jahren vor allem in Heimatfilmen seinen Ausdruck und

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BENJAMIN BURKHART trug im ersten Nachkriegsjahrzehnt zur Neuverhandlung eines deutschen Nationalbewusstseins bei (vgl. bspw. Kaschuba 1989; Ludewig 2014; Wulff 2011).

Abb. 1: »Lorenz Bergserie 1951/52.« Werbeanzeige in der Zeitschrift Funkschau 19/1951, S. 378f.

Abb. 2: »SABA Heimatserie 1953/54.« Cover der Zeitschrift SABA-Reporter 6/1953. SAVS Best. 5.22 VS 7535.

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»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION«

Abb. 3: »Alte Heimatklänge im neuen Kaiser Programm.« Werbeanzeige in der Zeitschrift Funkschau 15/1953, S. 283.

Nachfolgend wird skizziert, wie Musikabspielgeräte nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe einschlägiger Produktinszenierungen zu Symbolen des Nationalen stilisiert wurden. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem süddeutschen Konzern SABA (Schwarzwälder Apparate Bau Anstalt), dessen Werbemaßnahmen im Besonderen darauf abzielten, Phonogeräte mit be-

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BENJAMIN BURKHART stimmten Konzepten von Heimat und Nation zu verknüpfen. Die Quellengrundlage ergibt sich aus Unterlagen aus dem Firmennachlass, der im Archiv der Stadt Villingen-Schwenningen einsehbar ist und der zahlreiche Werbematerialien, Schriftwechsel und Fotografien beinhaltet. Es wird dargestellt, wie die Inszenierung technischer Geräte auf zeitgenössische gesellschaftliche Trends der 1950er Jahre reagierte und an der Neujustierung eines deutschen Nationalverständnisses partizipierte.

Heimat und Nation in den 1950er Jahren Es ist unstrittig, dass Nationen als soziale Konstrukte erst dort entstehen können, wo machtvolle Institutionen die Formierung einer symbolischen Einheit intendieren (vgl. Sarasin 2014: 151; s. auch Anderson 1983). Das abstrakte Konzept einer Nation bedarf dabei kultureller Vehikel, die der Bevölkerung die Zugehörigkeit zu einer solchen Gemeinschaft signalisieren — bspw. Symbole wie Flaggen, aber auch regional/national konnotierte Produkte und mediale Inszenierungen vermeintlicher Traditionen. Stuart Hall hat pointiert auf die Konstruiertheit des Konzepts der Nation verwiesen: »National cultures are composed not only of cultural institutions, but of symbols and representations. A national culture is a discourse — a way of constructing meanings which influences and organizes both our actions and our conceptions of ourselves […]. National cultures construct identities by producing meanings about ›the nation‹ with which we can identify; these are contained in the stories which are told about it, memories which connect its present with its past, and images which are constructed of it« (Hall 1992: 292f.; Herv. i. O.). Nicht zuletzt können auch technische Objekte wie Musikabspielgeräte mit solchen Bedeutungen verknüpft werden, galten sie doch gerade in den 1950er Jahren als Musterbeispiele für hiesige Wertarbeit, Handwerk und Ingenieurswesen (vgl. Steffens 1992: 47). In der Folge des Zweiten Weltkriegs kam es im geteilten Deutschland zu Neuverhandlungen eines Nationalbewusstseins und das massenmedial vermittelte Konzept der Heimat schuf Identifikationsangebote. Die Idealvorstellung der Heimat oszillierte zwischen dem Regionalen und dem Nationalen und verknüpfte das Lokale mit einer breiteren, Regionen übergreifenden Sphäre (vgl. Moltke 2005: 9). Die Vorstellung einer idyllischen, auf traditionsstarker Historie fußenden Heimat schien dabei zu helfen, ein neues Nationalbewusstsein zu entwickeln, das nicht an die in der NS-Zeit propagierten rassischen Vorstellungen des Nationalen gekoppelt war (vgl. Schrödl 2004: 33). In diesem Zusammenhang wurde in öffentlichen Diskursen vermehrt auf vermeintlich

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»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION« traditionelle Errungenschaften der Deutschen verwiesen (vgl. Confino 2006: 68f.). Dabei fungierte die Vorstellung der Heimat als ›lokale Metapher‹ (vgl. Moltke 2005: 9) für die neue Nation. Das Nationale musste sich indes stets aus mehreren Heimaten speisen, die durchaus regionale Unterschiede aufweisen konnten (vgl. Confino 2006: 63). Hier wird deutlich, dass es offenbar gezielter Komplexitätsreduktionen bedurfte, um das Konzept der Nation greifbar zu machen, wie Johannes von Moltke (2005: 10) anmerkt: »[T]he idea of Heimat emerges as an effort to negotiate the abstract concept of the nation in terms of spatial presence«. Hiernach war die Vorstellung einer Nation hochgradig abstrakt, weswegen die Fokussierung auf regionale Inszenierungen die notwendigen Konkretisierungen lieferte, wie Irene Nierhaus (1999: 60) feststellt: »Heimat ist die figurativ faßbare Form von Nation, die Vergesellschaftungsformen des modernen Staates mit Metaphern der vorindustriellen Gesellschaft ins Populäre übersetzt«.

Nation und populäre Kultur — Heimatfilme in den 1950er Jahren Dieses figurativ Fassbare des Nationalen materialisierte sich in den 1950er Jahren insbesondere im Heimatfilm. Die Heimatfilmwelle der Nachkriegszeit überdauerte die kompletten 1950er Jahre, als Hochphase gilt der Zeitraum von 1952 bis 1956 (vgl. Schrödl 2018: 252). Im Speziellen lag der Fokus in diesen Filmen auf Darstellungen ländlicher Idylle und alpiner Landschaften, Schauplätze boten bspw. der Schwarzwald und die Alpen (vgl. ebd.). Kennzeichnend für das Filmgenre ist eine zentrale Ambivalenz: das inszenatorische Spannungsverhältnis von traditionsverbundenem, idyllischem Landleben und urbaner, technologisch aufgeschlossener Modernität der Wirtschaftswunderjahre (vgl. ebd.: 253). Insofern changierten die Inszenierungen häufig zwischen regional konnotierten Traditionen und ökonomischem Fortschritt, sodass moderne technische Geräte, wenn auch eingebettet in ländliches Ambiente, ihren festen Platz in Heimatfilmen hatten (vgl. Boa/Palfreyman 2000: 93; Schrödl 2004: 32). Der Erfolg der Heimatfilme resultierte aus dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Eskapismus und Nostalgie, das sich im Gemenge von Schuldfragen und Aufbruchsstimmung in der Nachkriegszeit entwickelte. Die Filme boten idyllische Bilder, der Stolz auf die Heimat und die umgebende Natur wurde betont und nicht zuletzt galt es, den zahlreichen Kriegsgeflüchteten eine nationale Identifikationsfläche zu bieten (vgl. Boa/Palfreyman 2000: 10). Mit dem Ziel, eine deutsche Identität (wieder)herzustellen, hoben Heimatfilme

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BENJAMIN BURKHART Regionalität und lokale Traditionen hervor, glorifizierten die Vergangenheit und zelebrierten zugleich die Modernität. Die Konstruktion dieser Bildwelten bot die Möglichkeit, Geborgenheit und lokale Verwurzelung in einer Phase des Wiederaufbaus, der Modernisierung und der Globalisierung zu demonstrieren (vgl. Moltke 2005: 17). Dies alles partizipierte an der Neuverhandlung des Nationalen im geteilten Nachkriegsdeutschland: »In Heimatfilmen können Bilder konkreter Landschaften als Bilder der Nation fungieren. Der Blick auf die ›Heimat‹ kann Nationales ins Spiel bringen, ohne offen mit dem in der Nachkriegszeit problematischen Begriff der Nation operieren zu müssen. Somit bot sich der Heimatfilm in besonderer Weise an, um in einer Zeit, in der Politik nur wenigen Menschen attraktiv erschien, über die Neukonstitution der nationalen Gemeinschaft zu kommunizieren.« (Schrödl 2004: 33)

Musikabspielgeräte und die ›Verkörperung der Nation‹ Die Kontextualisierung des Heimatfilm-Genres verdeutlicht, dass das Konzept der Nation anfangs bedeutungsleer ist, somit vermittels spezifischer Inszenierungen mit Inhalten gefüllt werden und eine Materialisierung erfahren muss (vgl. Sarasin 2014: 157f.). Die Imagination des Nationalen ist auf kleinere Ausschnitte des Alltags zu projizieren, um wirkmächtig werden zu können. Somit bedarf es kultureller Vehikel, um das Nationale in die Sphäre des Alltäglichen zu übersetzen. Wolfgang Kaschuba (1995: 293) spricht in diesem Zusammenhang von der »›Verkörperung der Nation‹«, die sich auf Basis von national inszenierten Objekten und Ritualen vollziehen kann. Diese, so Kaschuba weiter, »liefern das nationale Imago, das ›lebende Bild‹ zum nationalen Gedanken, verleihen dem Nationalen seine Physis, sie ›verkörpern‹ die Nation im buchstäblichen Sinne« (ebd.). Konsumgüter spielen im Rahmen solcher Verkörperungsprozesse seit Langem eine tragende Rolle. Sie können mit nationalen oder regionalen Konnotationen versehen werden und im Laufe der Zeit sogar als Symbole für Regionen und Nationen fungieren, denen sie (vermeintlich) entstammen. Dass es sich hierbei um »diskursive Nationalisierung[en] von Objekten« (Kühschelm/ Eder/Siegrist 2012: 10) handelt und nicht etwa um Eigenschaften, die den Dingen inhärent sind, machen Produkte deutlich, deren Ursprung gar nicht in den mit ihnen assoziierten geographischen Gebieten liegen kann. Ein prominentes Beispiel ist die ›Schweizer Schokolade‹, die mittlerweile symbolisch für den mitteleuropäischen Staat steht, in den die zur Herstellung des Pro-

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»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION« dukts notwendigen Rohstoffe erst eingeführt werden müssen (vgl. Rossfeld 2012). Ungeachtet solcher Widersprüche lassen sich mithilfe nationaler oder regionaler Konnotationen von Konsumgütern Identifikationsangebote konstruieren. Spezifische Ideale, bspw. die Wertschätzung handwerklicher Traditionen, die mit bestimmten Regionen assoziiert werden, können auf diesem Wege auch an industriell gefertigte Objekte gekoppelt werden. Insofern werden sie mit geographischen Räumen und den mit diesen verbundenen Idealen, Traditionen oder Ritualen verknüpft (vgl. Gries 2003: 55f.; Siegrist 2001: 12). Konsumgüter können also als Medien fungieren, durch die das abstrakte Konzept der Nation erst seine Wirkmacht erhält und für die Nutzenden bedeutungsvoll wird. Im Phonogeräte-Segment der 1950er Jahre stach in diesem Zusammenhang insbesondere die Produktkommunikation des Konzerns SABA hervor, im Rahmen derer nicht nur die regionale Verankerung des Unternehmens im Schwarzwald, sondern auch dessen Wurzeln im traditionellen Uhrmacherhandwerk betont wurden.

SABA — Unterhaltungselektronik aus dem Schwarzwald SABA zählte in den 1950er Jahren zu den erfolgreichsten westdeutschen Herstellern von Unterhaltungselektronik und spezialisierte sich u. a. auf die Produktion von Radiogeräten und Musikschränken bzw. -truhen. Diese Geräte kombinierten für gewöhnlich ein Radio und einen Plattenspieler, bisweilen auch ein Tonbandgerät im selben Gehäuse. Bereits in den 1920er Jahren hatte sich im Deutschen Reich eine vitale Industrie für Radioapparate und Schallplattenspieler etabliert. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Phonobranche zu einem Zugpferd des wirtschaftlichen Aufschwungs und insbesondere der Musikschrank avancierte zum populären Prestigeprodukt, das seinen festen Platz in den Wohnstuben der Bevölkerung einnahm (vgl. Röther 2012: 102). Zugleich Musikabspielgerät und repräsentatives Möbelstück, entwickelte sich diese Objektgattung, so Hans-Ulrich Wehler (2008: 395), sogar »zu einem klassenübergreifenden Symbol der ›Wir haben es geschafft‹-Mentalität des Wirtschaftswunders«. Das Design der Geräte orientierte sich damals am sogenannten ›Gelsenkirchener Barock‹ — eine ironische bis pejorativ konnotierte Bezeichnung für wuchtig-ornamentale Holzmöbel (vgl. Apfeld 1992; Zimmermann 1991). Materialien wie poliertes Nussbaumholz und Messing, hölzerne Verzierungen und Glastüren schufen Bezüge zum altbekannten Design von Wohnküchenschränken der 1930er Jahre und verwiesen auf den

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BENJAMIN BURKHART vermeintlichen Wohlstand dieses Jahrzehnts (vgl. Röther 2012: 115). Insbesondere infolge der Designimpulse des Herstellers Braun, der ab Mitte der 1950er Jahre hellere Farben und schlichtere Formen präferierte, verlor der Gelsenkirchener Barock sodann allmählich an Bedeutung (vgl. Selle 2007: 138150). Auch die SABA-Geräte jener Zeit entsprachen diesen Designrichtlinien und das Unternehmen setzte sich dahingehend nicht nennenswert von der Konkurrenz ab. Als auffällig erwies sich jedoch der fortlaufend herausgestellte Traditionsbezug, der in ähnlicher Weise auch von den Herstellern Lorenz und Kaiser, aber nicht von allen konkurrierenden Unternehmen (Braun, Grundig, Telefunken etc.) forciert wurde (vgl. Steffens 1992: 49). Im Falle SABAs waren Verweise auf regionale Traditionen schon vor den 1950er Jahren essenzieller Teil der Marketingstrategien gewesen. Der Konzern wurde 1835 von Joseph Benedikt Schwer in der Schwarzwaldstadt Triberg als Uhrenfabrik gegründet. Der Handel mit Schwarzwälder Uhren florierte zu dieser Zeit, im Laufe der Jahrzehnte wurde das Angebot um verschiedene Uhrentypen sowie um weitere Artikel wie Fahrradglocken, Türglocken und Briefwaagen erweitert (vgl. Brunner-Schwer/Zudeick 1990: 24f.). Inzwischen in Villingen ansässig, begann SABA in den 1920er Jahren mit der Produktion von Radiogeräten, die zu dieser Zeit noch als Luxusartikel galten (vgl. ebd.: 30f.). In den 1930er Jahren hatte sich der Schwarzwälder Konzern fest auf dem Markt etabliert (vgl. ebd.: 49). In der Nachkriegszeit wurde der Betrieb in den Villinger Produktionswerken rasch wiederaufgenommen, woraufhin SABA bis in die 1980er Jahre zu den erfolgreichsten westdeutschen Produzenten von Unterhaltungsund Konsumelektronik zählte. Den Bezug zu Schwarzwälder Traditionen, allen voran zum Uhrmacherhandwerk, betonte SABA bereits in den 1930er Jahren, was auch in der Lokalund Fachpresse entsprechend rezipiert wurde. So titelte die Zeitung »Der Schwarzwälder« — Villinger Tagblatt anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums im Jahr 1935: »Von der Schwarzwälder ›Jockelesuhr‹ zum Hochleistungsgerät« (SAVS Best. 1.16 Nr. 3496). Im weiteren Verlauf des Artikels ist die Rede von »Schwarzwälder Arbeitstreue« sowie von »Schwarzwälder Präzisionsarbeit« (ebd.). Bereits zwei Jahre zuvor urteilte das Magazin »Helios«, Fach- und Exportzeitschrift für Elektrotechnik, SABA sei es nur durch »die strikte Befolgung des Grundsatzes, Radiogeräte nach den in der Uhrenindustrie üblichen Präzisions-Massenfabrikations-Methoden« (SAVS Best. 1.42.19 Nr. 35) möglich, eine derart hohe Produktqualität zu gewährleisten. Im Laufe der 1950er Jahre kam die Presse zu vergleichbaren Urteilen, so bezeichnete die Badische Zeitung den Betrieb als »[e]ine Quelle Schwarzwälder Präzisionsarbeit« (SAVS Best. 1.16 Nr. 3496). Zur Symbolfigur der zugleich traditionel-

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»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION« len und zukunftsgewandten Wertarbeit avancierte Hermann Schwer, Enkel des SABA-Gründers Joseph Benedikt Schwer, der in den 1920er Jahren den Einstieg in die Radiogeräteproduktion initiierte und post mortem als »Pionier der deutschen Rundfunkindustrie« (SAVS Best. 1.16 Nr. 3496) sowie als »Heimatfreund von Gottes Gnaden« (ebd.) bezeichnet wurde. Der Lokalpresse war also noch in den 1950er Jahren an der Würdigung »des hochgemuten Förderers alemannischen Gedankenguts« (ebd.) gelegen, immerhin entstamme er »einem jener Geschlechter von Uhrentüftlern […], auf die der Aufstieg der Schwarzwälder Feinwerktechnik zurückgeh[e]« (ebd.).

»Schwarzwälder Präzisionsarbeit« — Die SABA-Produktkommunikation Der Konzern SABA betonte den Heimat- und Traditionsbezug indes vor allem selbst, insbesondere im Rahmen der Produktkommunikation mit Prospekten und Werbeblättern. In der Werbegeschichte wurden häufig Produkte, deren Herstellung eine hohe handwerkliche Expertise erfordert, zu Symbolen des Regionalen oder Nationalen erhoben (vgl. Kühschelm/Eder/Siegrist 2012: 29). Die Werbematerialien der SABA fügten sich durch den Bezug auf das Uhrmacherhandwerk und die dafür notwendigen feinmechanischen Kompetenzen nahtlos in diese Traditionslinie ein. Dabei bemühte sich das Schwarzwälder Unternehmen schon in den 1930er Jahren um entsprechende multimediale Produktinszenierungen. Eindrücklich zeigt sich dies im Trickfilm Der Schwarzwald (1934), der unter der Ägide des Regisseurs Wolfgang Kaskeline entstand und für SABA-Radios warb (vgl. Giesen/Storm 2012: 202). Der Film gilt mittlerweile als verschollen, im Nachlass des Villinger Konzerns finden sich aber zumindest einschlägige Werbeplakate. Abb. 4 zeigt ein Plakat, auf dem einige Ausschnitte des Trickfilms zu sehen sind und das insofern erahnen lässt, wie Kaskeline die von SABA betonten Schwarzwälder Traditionen und Verweise auf das Uhrmacherhandwerk filmisch inszenierte. Die Bilder stellen Trachten und wilde Waldtiere ebenso dar wie eine alte Uhrmacherwerkstätte. Abb. 5 illustriert ein zweites Plakat, auf dem weitere Ausschnitte des Films abgebildet und die Radiogeräte selbst prominenter platziert sind. Am unteren rechten Rand findet sich eine prägnante Zusammenfassung der Botschaft, die SABA offenbar zu vermitteln versuchte: »In den Tälern des Schwarzwaldes, wo hundertjährige feinmechanische Erfahrung zu Hause ist, wurde das Saba-Gerät geschaffen«.

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Abb. 4: »Dies ist der Saba-Film der Umsatz schafft!« Filmplakat. SAVS Best. 1.42.19 Akte 84.

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Abb. 5: »Saba zeigt Ihnen: Der Schlüssel zur Freude!« Filmplakat. SAVS Best. 1.42.19 Akte 84.

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BENJAMIN BURKHART Überdies war SABA bereits in den frühen 1930er Jahren auf großen nationalen Funkausstellungen und Messen vertreten und präsentierte die neuesten Geräte mithilfe von Ausstellungskonzepten, die die regionalen Inszenierungsstrategien deutlich aufgriffen. Beispielhaft sei hier auf eine Fotografie verwiesen, die im Firmennachlass zu finden ist und einen Teil eines SABA-Stands auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin im Jahr 1933 zeigt (Abb. 6). Der Stand ist einer Schwarzwaldstube nachempfunden, inklusive Uhren und Trachten. Die neuesten Radiomodelle sind in dieses Setting integriert, begleitet von einer Schrifttafel, auf der der Schwarzwald als »Heimat der Präzisionsarbeit« angepriesen wird.

Abb. 6: Fotografie von der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin, 1933. SAVS Best. 1.42.19 Foto 135.

In den 1950er Jahren knüpfte der Konzern nahtlos an diese Inszenierungsstrategien an. Ein besonderes Medienecho erregte ein Werbefilm, der 1956 erstmals ausgestrahlt wurde (SAVS Best. 1.42.19 Filme). In diesem Film werden zunächst die Tradition des Uhrmacherhandwerks sowie das idyllische Landleben im Schwarzwald glorifiziert und von Aufnahmen pittoresker Landschaftsbilder konturiert. Die feinmechanische Arbeit, so die Botschaft des Films, liege »dem Schwarzwälder von alters her im Blut« (ebd.: 00:04:33). Im weiteren Verlauf werden Aufnahmen aus den Fertigungshallen sowie von den betrieblichen Freizeitangeboten und der Verkaufspraxis hochrangiger Angestellter präsentiert. Das Narrativ des traditionsreichen Handwerksbetriebs, der sich dank der ›dem Schwarzwälder‹ vermeintlich im Blut liegenden Bega-

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»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION« bung zum innovativen und nach neuesten technologischen Prinzipien produzierenden Wirtschaftsunternehmen wandelte, wird hier besonders deutlich konstruiert. Seitens der Lokalpresse attestierte man dem Film »einen ausgesprochenen Kulturfilmcharakter« (SAVS Best. 1.16 Nr. 3496) und die »Werbung betreib[e] er völlig unaufdringlich« (ebd.). Andernorts war zu lesen, die »Schwarzwälder Präzisionsarbeit« (SAVS Best. 1.16 Nr. 3496) sei bereits »in der ganzen Welt bekannt und geschätzt« (ebd.), was durch einen solchen »dokumentarischen Kulturfilm« (ebd.) in angemessenem Maße gewürdigt werde — »Schwarzwälder Wertarbeit« (SAVS Best. 1.16 Nr. 3496) lasse sich auf diesem Wege weiter in die Welt tragen. Überdies publizierte SABA im Laufe der 1950er Jahre etliche Prospekte, um die neuesten Geräte zu bewerben. Der Themenkomplex Heimat wurde dabei umfassend aufgegriffen, einige Geräteserien vertrieb der Konzern unter der Bezeichnung »Heimatserie«. Bilder idyllischer Landschaften und Schwarzwälder Trachten zierten die Werbeschriften, ferner zeichneten sich die neuen Radio- und Fernsehgeräte durch lokal konnotierte Produktnamen aus. So erhielten zahlreiche Modelle Städtenamen wie »Villingen«, »Triberg« oder »Freiburg«, üblich waren auch Namen verschiedener Schwarzwälder Berge, bspw. »Schauinsland«. SABA produzierte zusätzlich zu diesen Prospekten auch verschiedene Magazine, u. a. eine sogenannte Hauszeitschrift, den SABA-Reporter. Diese Zeitschrift griff die typischen Inszenierungsweisen des Konzerns ebenso auf, was sich bspw. auf dem Cover der Juli-Ausgabe aus dem Jahr 1953 niederschlägt (Abb. 2). In diesem Heft werden zahlreiche neue Radio- und Musikschrankmodelle vorgestellt. Auf dem Cover ist zunächst ein für diese Zeit typisch gestaltetes Radiogerät zu sehen. Elemente wie dunkles Holz, Messingleisten, große, geriffelte Drehknöpfe und helle Drucktasten, ein großflächiges, mittig platziertes Lautsprechernetz sowie eine breite Senderskala sind typisch für die Gestaltung von Phonoobjekten der 1950er Jahre. Die im oberen Bereich der Abbildung platzierten Bilder eines idyllisch gelegenen Schwarzwaldhofs und eines Sees stellen sodann den Bezug zur süddeutschen Heimat, zur Naturverbundenheit und zum zu kommunizierenden Traditionsbewusstsein des Konzerns her, was durch den Schriftteil im unteren Abschnitt konterkariert wird. Hier liegt der Fokus auf der modernen Technik, durch die sich die vielfältigen SABA-Geräte auszeichneten. Es zeigt sich, dass die Synthese lokaler Traditionen und moderner Technik, die schon für Heimatfilme kennzeichnend war, in der Produktkommunikation der Phonobranche in ähnlicher Weise anvisiert wurde. Im Rahmen der Werbetexte, die in den SABA-Prospekten abgedruckt wurden, thematisierten die Produktverantwortlichen des Konzerns ausführlich

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BENJAMIN BURKHART die vermeintlich auf Schwarzwälder Traditionen basierende technische Qualität. So ist in einem 1949 veröffentlichten Prospekt zu lesen, die in der Uhrenindustrie fußende Handwerkskunst habe in den modernen SABA-Geräten »eine ihrer krönenden schöpferischen Ausdrucksformen gefunden« (SAVS Best. 1.42.19 Kat. 44). Wie schon im Rahmen des SABA-Films, wurde auch in den Werbetexten mitunter behauptet, die handwerkliche Begabung liege ›dem Schwarzwälder‹ seit jeher im Blut, woraus sich der Erfolg der modernen Geräte aus Villinger Produktion erkläre: »Die angestammte Begabung des Schwarzwälders für technische Präzision — seine Freude an kunstvoller Feinarbeit — seine in einer jahrhundertealten Tradition geschulte Geschicklichkeit auf diesem Gebiet — das sind die Faktoren, die dem SABA-Superhet [= Überlagerungsempfänger] Weltruf eingetragen haben« (SAVS Best. 1.42.19 Kat. 44).

Abb. 7: »Tradition und Fortschritt.« Werbeprospekt für das SABA-Programm 1950/51. SAVS Best. 1.42.19 Kat. 44.

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»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION« Abb. 7 zeigt ein Prospekt zum SABA-Programm 1950/51, das diesen Themenkomplex zusammenfasst. Links oben findet sich eine Darstellung einer alten »Schwarzwälder Uhren-Werkstätte«, darunter eine Fotografie aus der zeitgenössischen Radioapparateproduktion. Unter der Überschrift »Tradition und Fortschritt« wird wiederum »die angestammte Begabung des Schwarzwälders für feinste Präzisionsarbeit« betont, die sich jedoch zugleich »mit den bahnbrechenden Neuerungen in der Rundfunktechnik« verbinde. In den SABAGeräten verbinde sich das Beste aus beiden Sphären, woraus die erstklassige Produktqualität resultiere. Auf der rechten Seite werden die Radiomodelle Triberg W 51 und GW 51 beworben, benannt nach der Schwarzwaldstadt, in der der Konzern im 19. Jahrhundert gegründet wurde.

Abb. 8: Fotografie von der Frankfurter Funkausstellung, 1957. SAVS Best. 5.22 V 7535.

Auch in den 1950er Jahren präsentierte sich SABA auf Verkaufs- und Ausstellungsmessen und machte dort den Bezug zur Schwarzwälder Tradition deutlich. 1957 titelte die Badische Zeitung anlässlich der Industriemesse in Hannover: »Mit Trachtenmaidli und Rundfunkgeräten in Hannover« (SAVS Best. 1.16 Nr. 3496). Dort habe der Villinger Konzern nicht nur sein neuestes Sortiment präsentiert, sondern dank mehrerer mitgereister Frauen in Schwarzwälder Tracht vor allem das Interesse der internationalen Kundschaft geweckt. Diese Tracht, die sich vor allem durch den sogenannten Bollenhut auszeichnet, wird traditionell in den Dörfern Gutach, Kirnbach und Reichenbach getragen, fungiert aber seit Langem als Symbol für den Schwarzwald im Gesamten. Auf einer Fotografie aus dem Firmennachlass sind drei junge Frauen in dieser Tracht und mit einem SABA-Radiogerät auf der Frankfurter Funkausstellung zu sehen (Abb. 8; SAVS Best. 7532-759; vgl. zudem Anonym

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BENJAMIN BURKHART 1957: 5). Hier zeigt sich eine weitere Facette der inszenierten Synthese von Schwarzwälder Tradition und moderner Technik.

Schluss Die Produktinszenierungen des Unternehmens SABA machen deutlich, dass die Phonoindustrie in den 1950er Jahren umfassend auf gesellschaftliche Stimmungen reagierte. Der Villinger Konzern kreierte ein Vermarktungskonzept, das die technischen Geräte an öffentliche Diskurse rund um ein neu verhandeltes deutsches Nationalbewusstsein koppelte. Die SABA-Geräte wurden gezielt als Erzeugnisse Schwarzwälder Wertarbeit stilisiert und waren damit potenziell geeignet, als industriell gefertigte Konsumgüter zur »Verkörperung der Nation« (Kaschuba 1995: 293) beizutragen. Da die Phono- und Fernsehindustrie lange Zeit als »Musterbeispiel des Wirtschaftswachstums und technologischen Trendsettings« (Steffens 1992: 47) galt und von einer enormen Reichweite ihrer Produkte ausgegangen werden konnte, nimmt es nicht wunder, dass gerade in diesem Marktsegment national bzw. regional konnotierte Inszenierungen üblich waren. Der hiesige Phonogerätemarkt wurde bis in die späten 1980er Jahre hinein von westdeutschen Herstellern dominiert, sodass Musikabspielgeräten noch lange nach den SABA-Heimatserien nationale Konnotationen anhaften bzw. die Geräte mit ›deutscher Wertarbeit‹ verknüpft werden konnten SABA rückte in den frühen 1960er Jahren allmählich von diesem Vermarktungskonzept ab, wenngleich noch in den 1970er Jahren bisweilen lokal konnotierte Produktnamen gewählt wurden. Verzichtet wurde dabei allerdings auf begleitende Bilder alpiner Landschaften und auf die Verknüpfung der technischen Qualität mit der Herkunft der Herstellenden (vgl. SAVS Best. 1.42.19 Kat. 45). Die hier behandelten Produktinszenierungen spiegeln Intentionen der Produzierenden wider, während sie keine genauen Aussagen über die konkrete Aneignung der Rezipierenden ermöglichen. Das Quellenmaterial informiert indes über öffentlich zirkulierende Bedeutungspotenziale, die von den Herstellenden ausgehen, öffentlich vermittelt werden und somit auf die Konsumierenden wirken können. Grundsätzlich ist von einem zirkulären Abhängigkeitsverhältnis zwischen Produzierenden und Rezipierenden auszugehen, insofern Reaktionen der Käuferschaft von den Herstellenden einerseits vorab antizipiert werden. Andererseits fließen Kenntnisse über die konkreten Nutzungsweisen, die von den ursprünglichen Intentionen der Herstellenden abweichen können, wiederum in neue Herstellungs- und Werbestrategien ein (vgl. Weber 2008: 43-68). Insofern sind die von den Produzierenden antizi-

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»MEISTERWERKE SCHWARZWÄLDER PRÄZISION« pierten Wirkungen der Geräte immer auch von den Reaktionen der Konsumierenden abhängig. Daher ist durchaus davon auszugehen, dass die auf dem fortlaufend betonten Traditionsbewusstsein fußenden Produktinszenierungen des Konzerns SABA auf positive Resonanz stießen und dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach vermeintlich unproblematischen Zugängen zu den Konzepten Heimat und Nation entsprachen. Indes sind nationalisierende Produktinszenierungen bis heute gang und gäbe (vgl. Gimeno-Martínez 2016) und auch die Phonobranche bemüht nach wie vor entsprechende Werbemaßnahmen. So bewarb der dänische Konzern Dynaudio seine Lautsprecherserie »Emit« in der Zeitschrift stereoplay im Jahr 2015 mit dem Slogan »Konsequent dänisch, klanglich unglaublich« (Anonym 2015: 166). Der süddeutsche Hersteller Perpetuum Ebner, wie einst SABA im Schwarzwald ansässig, präsentierte seine neuesten Schallplattenspielermodelle ein Jahr später in der Zeitschrift MINT vor der Kulisse eines von dichten Nebelschwaden durchzogenen Waldstücks. Am unteren Rand der Annonce ist zu lesen: »HiFi Equipment — Made in Black Forest« (Anonym 2016: 55). Auf der Firmenwebsite inszeniert Perpetuum Ebner das Modell PE 2525 MK II in Kombination mit einem Bollenhut (vgl. Perpetuum Ebner 2020). Der Hersteller Alfred Fehrenbacher, der seinen Firmensitz wie Perpetuum Ebner in St. Georgen im Schwarzwald hat, bewirbt seine Plattenspieler auf der eigenen Website mit dem Slogan »Meisterklang aus dem Schwarzwald« und dem Versprechen »100 % Schwarzwald. Bei der Auswahl unserer Zulieferer legen wir großen Wert auf Regionalität und den Bezug zu unserer Heimat« (Fehrenbacher 2020). Das Unternehmen Studer Revox hingegen bediente sich in den 1980er Jahren, die gemeinhin als Phase einer erneuten Heimatwelle gelten (vgl. Schramm/Liebers 2019: 261), alpiner Panoramabilder, um seine neuesten Geräte in Szene zu setzen (Anonym 1987: 181) — die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Wenngleich die SABA-Produktkommunikation der 1950er Jahre zweifelsohne einen Sonderfall darstellte, so ist angesichts dieser neueren Beispiele doch unstrittig, dass Imaginationen des Nationalen und Regionalen nach wie vor nicht nur an die Musik, sondern auch an Musikgeräte gekoppelt werden können.

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BENJAMIN BURKHART SAVS Best. 1.42.19 Akte 84. Plakat zum Film Der Schwarzwald. 1934 (2). SAVS Best. 1.42.19 Foto 135. Fotografie von der Internationalen Rundfunkausstellung (IFA) in Berlin 1933. SAVS Best. 1.42.19 Filme. SABA-Werbefilm 1956. SAVS Best. 1.16 Nr. 3496. »Film ›Schwarzwälder Wertarbeit‹ auf der Fernsehschau.« Ausschnitt aus dem Schwarzwälder Boten Nr. 205, 4.9.1956. SAVS Best. 1.16 Nr. 3496. »Schwarzwälder Industriearbeiter vor der Filmkamera. Ein Farbfilm wirbt für Schwarzwälder Präzisionsarbeit.« Ausschnitt aus dem Südkurier Nr. 150, 2.7.1956. SAVS Best. 1.16 Nr. 3496. »Ein Film kündet von Schwarzwälder Wertarbeit. Erstaufführung des Saba-Kulturfilms im Theater am Ring.« Ausschnitt aus der Badischen Zeitung Nr. 229, 2.10.1956. SAVS Best. 7535 VS. SABA-Reporter Nr. 6. Sonderausgabe zum Neuheitentermin 1953/54. Cover. SAVS Best. 1.42.19 Kat. 44. SABA-Werbeprospekt, September 1949. SAVS Best. 1.42.19 Kat. 44. SABA-Werbeprospekt, April 1950. SAVS Best. 1.42.19 Kat. 44. SABA-Werbeprospekt, August 1950. SAVS Best. 1.16 Nr. 3496. »Mit Trachtenmaidli und Rundfunkgeräten in Hannover.« Ausschnitt aus der Badischen Zeitung, 14.5.1957. SAVS Best. 7532-759. Fotografie von der Messe Hannover 1957. SAVS Best. 1.42.19 Kat. 45. SABA-Geräteprogramm 1970.

Abstract After World War II, the formerly racist understanding of the nation had to be renegotiated in Germany. Within this context, the concept of »Heimat« served as a metaphor for the abstract idea of the nation, especially in »Heimat films«. In doing so, the focus tended to be on representations of local traditions, while simultaneously highlighting technological modernity. Furthermore, several West-German manufacturers of music devices used the concept of »Heimat« to promote their products, and new devices were connected to pictures of rural landscapes and local traditions. Using the Southern German SABA electronics manufacturer as an example, this article aims at describing the practices of promoting music devices as regional/ national symbols. The primary goal is to demonstrate that imaginations of the nation cannot only be analyzed when focusing on music performances or lyrics, but also when investigating the history of music-related objects.

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V I E W S O F G E R M A N P R O D U C E R S O N ›T E U T O N I C ‹ METAL: PRODUCTION APPROACHES AND GENERATIONAL EFFECTS Jan-Peter Herbst Introduction Labels associated with a cultural or geographical origin are nothing new in rock music. When British rock bands such as The Beatles, The Rolling Stones, The Animals and The Kinks stormed the US charts in the mid-1960s, this phenomenon became known as the »British Invasion«. The late 1960s to early '70s gave rise to »krautrock«, an experimental form of German rock music, whose name was coined by the English radio DJ John Peel, who used it interchangeably with ›Teutonic‹ rock (Herbst 2019b). In 1979, the British journalist Geoff Barton introduced the term ›New Wave of British Heavy Metal‹ (NWOBHM) to describe the considerable number of British metal bands with a relatively coherent sound that differed from US metal. In the 1980s, metal spread from Britain and the USA to Central Europe and Japan. Over time, geographically associated labels emerged around the globe, such as ›Viking metal‹ for Scandinavian bands (Heesch 2010) or ›Mesopotamian metal‹ for artists from the Middle East (Pichler 2017). German bands introduced a different take on the genre, which became known as ›Teutonic‹ metal (Elflein 2017; Herbst 2019b, 2020a). The relatively young discipline of metal music studies had a strong interest in metal from various parts of the world from the very beginning. Most of the research followed a socio-cultural or ethnomusicological tradition (Brown et al. 2016; Wallach/Greene 211). Even if titles such as Sounds and Origin in Heavy Metal Music (Karjalainen 2018) suggest that they deal with the sonic domain of the genre, this is rarely the case. Most research on geographically labelled metal genres tends to focus on stage presentation, music videos, artwork (Heesch 2010; von Helden 2015), historical storytelling (Pichler 2017) or lyrics (La Roca 2017).

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JAN-PETER HERBST This chapter is part of a larger research project dedicated to ›Teutonic‹ metal, a style of music that has received relatively little academic attention so far. Elflein (2017) tracked the emergence of early German metal bands per city and region, while Herbst (2019b) examined stylistic features of German power metal, analysed ›Teutonic‹ stereotypes in 400 years of popular music history (Herbst 2020a), compared the production aesthetics of metal from Germany, Great Britain and the USA (Herbst 2020b), and studied strategies of early German metal bands to become internationally successful (Herbst 2020c). Other research on ›Teutonic‹ rock includes national signification in the imagery and songs of Rammstein (Burns 2008) and Rammstein's representation of the Berlin Republic (Kahnke 2013). Based on extensive interview material from five internationally renowned German metal producers, this chapter explores the views of these professionals on the ›Teutonic‹ metal label. More specifically, it examines what the label means to them and how it may influence their production practices, focusing on selected areas of production such as systematic recording approaches, choice of equipment, guitar and drum recordings and studio acoustics. In contrast to previous research by the author, this current investigation places more emphasis on generational effects by comparing three important producers from the early years of German metal with two younger producers of international standing. The focus is on production as well as on the producers' work experiences and attitudes. Musical characteristics of ›Teutonic‹ metal are only of secondary interest.1 Harris Johns (*1950) was the main producer of Noise Records, which made him known as the producer of ›Teutonic‹ thrash (Kreator, Sodom, Tankard, Assassin). He also produced renowned heavy metal bands such as Helloween and Grave Digger. His portfolio of productions with foreign bands includes Sepultura (BRA), Krisiun (BRA), Immolation (USA) and Enthroned (BEL). Siegfried ›Siggi‹ Bemm (*1956) was the main producer of the early Century Media label. He produced major thrash and death metal bands from Germany (Angel Dust, Kreator, Morgoth) as well as international acts like Tiamat (SWE), Moonspell (PRT), Rotting Christ (GRC), Theatre of Tragedy (NOR), Therion (SWE) and Samael (CH). Karl ›Charlie‹ Bauerfeind (*1963) worked closely with the record label Steamhammer, for which he produced many of the internationally recognised German melodic speed metal bands (Helloween, Gamma Ray, Running Wild, Blind Guardian, Rage) and foreign bands such as Motörhead 1

For example, for Anglo-American audiences, the German vocal accent was an obstacle for many early German metal bands (Herbst 2019b, 2020c), as were performances that were often perceived as stiff in line with common stereotypes (Herbst 2019b; Herbst/Bauerfeind 2020).

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL (UK), Saxon (UK), Venom (UK), Rob Halford (UK) and HammerFall (SWE). The younger generation of metal producers was covered by two professionals. Lasse Lammert (*1980) has an international portfolio that includes Gloryhammer (UK), Alestorm (UK), MessengeR (GER), Svartsot (DEN), Inner Sanctum (IND), Rumahoy (UK) and The Atlas Moth (USA). Sebastian ›Seeb‹ Levermann (*1981) became known as founder, lead singer, guitarist and producer of the thriving metal band Orden Ogan. In recent years he has produced several high-profile German bands (Brainstorm, Almanac, Grave Digger, Heaven Shall Burn) as well as international acts like Rhapsody of Fire (ITA), Pectora (DEN), Cremisi (ITA), Riot V (USA), Armored Dawn (BRA) and Vanishing Point (AUS). Methodologically, the study follows a qualitative design in the young tradition of Interpretative Phenomenological Analysis (IPA) in research on recording professionals (Martin 2014; Thomas 2015). In contrast to qualitative content analysis or grounded theory, IPA rather intends to »explore the participant's view of the world and to adopt, as far as possible, an ›insider's perspective‹ of the phenomenon under study« (Smith 1996: 263f.). This method mitigates subjective (mis-)interpretation, as respondents describe their experiences in their own words, so that the study remains closely linked to its primary source. Therefore, a larger number of translated producer quotes from a pool of over fifteen hours of interview material is used for analysis.

The ›Teutonic‹ label and music The term ›Teutons‹ has been applied to different groups and phenomena for almost two millennia, which is why its use and meaning vary in different contexts. It first appeared in the late second century BC. The Teutons were a tribe from Jutland, today's Southern Denmark and Northern Germany. Attacks on the Roman Republic gave them the name Furor Teutonicus (›Teutonic Fury‹). Even though the tribe has long disappeared and no direct line of descent between Teutons and Germans can be drawn, the name has remained as a synonym for Germans (Kerr/Wright 2015: 655). The area that is now Germany was governed by various authorities between 800 and 1866: the Carolingian Empire, East Francia, the Kingdom of Germany (Latin: Regnum Teutonicorum), the Holy Roman Empire and the German Confederation. In 1871, the German Empire (1871-1918) was founded, which included most of the German states as well as several duchies that today belong to Germany and France. The two German-speaking countries Switzerland and Austria did not belong to the German Empire, yet they are sometimes listed under the ›Teutonic‹ label. For example, an article in Metal Hammer magazine entitled

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JAN-PETER HERBST ›Teutonischer Tod‹ [Teutonic death] defines the ›Teutonic‹ area in modern metal as Germany, Austria and Switzerland (Schürer 2009). In music history, there are frequent references to ›Teutonic‹ music and its peculiarities in the perception of a foreign audience (see Herbst 2020a). With respect to performance idioms, instrumentation and sound ideals, ›Teutonic‹ music already differed from Italian and French styles in the 17th and 18th century through its mixture of French ›delicacy‹ and Italian ›vitality‹ (Lawson/Stowell 1999: 42-44). In the early 19th century, few people portrayed the Austro-German style as stereotypically as the composer Felix Mendelssohn. His rigidity in tempo and ensemble synchronisation earned him a reputation in the English-speaking world as the successor to ›Teutonic‹ composers like Haydn, Mozart and Beethoven (Brown 2003: 388). Richard Wagner is attributed an even greater influence on ›Teutonic‹ bands from Germany and abroad (Herbst 2020a). With the Neue Sachlichkeit (new objectivity) movement after the First World War, the international image of ›Teutonic‹ music lasted on. Rigidity and rationality through the deliberate renunciation of lush idioms of Romantic music were emphasised even more strongly (Hill 1994: 39). This aesthetic was taken up by the German avantgarde group Kraftwerk, which portrayed itself as »man-machines« (Adelt 2016: 23; Nye 2013), characterised by, in the words of band member Ralf Hütter, a »Teutonic rhythm, really Germanic« (Barr 1998: 142). Several years later, rock bands were labelled ›Teutonic‹ by the foreign press because of their precise and rigid performance (Herbst 2020a). A frequent use of the ›Teutonic‹ label can be found in one of the earliest and most influential rock and metal magazines, the British Kerrang! (since 1981). For example, in 1986 Accept were labelled »Teutonic titans« (Kerrang! 1986: 6), and their music was described as »very Germanik — by that I mean marching riffs played intensely!« (Russell 1991: 54). In Germany the term ›Teutonic‹ was not very common in the 1980s and ‘90s, although the Rock Hard magazine released the samplers Teutonic Invasion part I (1987) and part II (1988) in cooperation with the Dutch label Roadrunner in the late 1980s. Since the 2000s, the term ›Teutonic‹ has been used more frequently in German metal magazines, mostly to denote a style of heavy metal in the tradition of Accept (Stappert 2004: 92). As an interview study (Herbst 2019b) with German metal producers, musicians and journalists suggests, the German scene usually differentiates between the terms ›German‹ and ›Teutonic‹ metal. Whilst ›German‹ metal refers to progressive metal bands such as Helloween and Blind Guardian, ›Teutonic‹ denotes backward, simple, unrefined and rhythm-focused metal in the style of Accept, Running Wild and Grave Digger.

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL Sean Nye (2012) argues in his essay »What is Teutonic?« that the label is not referring to an artistic style, but rather to a complex aesthetic that encompasses a variety of ideologies. It was commonly used as a synonym for everything Germanic in nineteenth century England and caused anxiety about the rise of Wilhelminian Germany and the associated fear of a strengthened united Germany, which became a dangerous rival of the British Empire (Nye 2012: 116). This threat was not only of a purely militaristic and industrial nature (Nye 2013: 20ff.), but also cultural due to the international popularity and influence of Austro-German classical music (Nye 2012: 119). The Prussian military power and finally the Second World War increased the level of threat, and so the British and Americans used the term ›Teutonic‹ in their war propaganda to designate all evil in Germany (ibid.: 120). Nye argues that although these events took place several decades and centuries ago, the term ›Teutonic‹ is still used in the Anglo-American world; no longer in the form of a demonization of Germany, but as a trope that »articulates a range of fears and anxieties about its own political and cultural position in the world since 1945« (ibid.). Such uneasiness with German culture and music has been well documented in recent centuries. Carl Maria von Weber's Freischütz (1821) was perceived as »a typical product of the Teutonic romantic movement … [which] leaves a modern Anglo-Saxon audience, alas! Cold« (Williams 2008 [1932]: 415) and Richard Strauss's Feuersnot (1901) was »too Teutonic« (A.K. 1902: 808) for a British audience. In the early days of German rock and metal, the vocal sound of the Scorpions was described as »clipped Teutonic tones« (Johnson 1986: 28), Grave Digger were ridiculed as »toxic Teutons« (Barton 1986: 8) and Destruction as a »titanic, Teutonic monster« (Johnson 1987: 15). These selected examples show the frequent use of the adjective ›Teutonic‹, which suggests the continued unease with Germany's militaristic and imperialistic past. This is consistent with the widespread use of the WWII term »kraut« in metal reviews (e.g. Russell 1986: 22). The unease with Germany is further illustrated by common expressions such as »Don't mention the war. Don't mention the war …« in interviews with German metal bands in the 1980s, which continued into the late 1990s, for example in connection with Rammstein, exacerbated by their lack of command of the English language and their awkward relationship with the media in their early years (Fortnam 1998: 40).2 The language barrier has often contributed to the awkwardness 2

Rammstein were perceived as militaristic by both British and US-American audiences. The Washington Post wrote, »With jackboot rhythms and plenty of Teutonic rage, the sextet … marched out of Germany in 1993 and has been blitzkrieging charts around the globe« (Segal 2001), and Kerrang! described their

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JAN-PETER HERBST of the British audience and journalists towards German metal bands, not only in interviews and communication with live audiences, but also in the lyrics and vocal accents that often put off Anglo-American audiences (see Herbst 2020c). Given these negative connotations, it is hardly surprising that the German media did not use the label ›Teutonic‹ until the 2000s, when it became less common in foreign media or at least lost its sometimes harsh and disparaging undertones (e.g. Dome 1986; Van der Kirkhoff 1993). Similarly, many German bands rejected the ›Teutonic‹ label in the 1980s and ‘90s because of its stereotypical and condescending associations, but later some adopted it as a trademark for style and heritage. For example, in 2010 Accept released the song »Teutonic Terror« and produced a music video for it. Curiously enough, some bands that deliberately played with German stereotypes like Accept and Rammstein became internationally successful, while those that unintentionally came across as ›Teutonic‹ such as Running Wild and Rage were mocked for this aesthetic (Herbst 2020a, 2020c). In summary, Nye (2012) sees the ›Teutonic‹ less as a distinct musical or aesthetic style than as a self-reflection of Anglo-Americans through their rival Germany, which »articulates a range of fears and anxieties about [the Anglo-American's] own political and cultural position in the world since 1945« (Nye 2012: 120). This concern about industrial and militaristic strength is reflected in the foreign metal media that portray German bands as effective, industrial, dangerous, and a potential threat. In the German metal scene, however, ›Teutonic‹ generally refers to a specific style of traditional heavy metal that is characterised by conservatism and simplicity (Herbst 2019b). Yet for some metal musicians like Blind Guardian, ›Teutonic‹ metal is a »way of life«, as their producer Charlie Bauerfeind revealed. Because of this flexible understanding of the term, it was not defined in the interviews with the producers. The aim was rather to determine the personal understanding and relevance of the term for each producer. In accordance with the variety of understandings and associations with the ›Teutonic‹ metal label, the views differed, though less in terms of age. Only Bauerfeind defined himself as a ›Teutonic‹ producer. He has a clear idea of how ›Teutonic‹ metal should sound like, a concept he began to develop while studying music production in the USA in the mid-1980s. It was there that he became aware of cultural differences between the USA and Europe and the impact these differences have on musical practices (see Herbst/ Bauerfeind 2020). Nevertheless, Bauerfeind adds a ›Teutonic‹ signature to each of his productions, regardless of the artists' origins. This signature would sound as »of a thousand marching footsteps. Predictable, certainly, but as devastatingly effective as a Volkswagen up the arsch« (Everley 2001: 44).

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL make the outcome predictable and meet the expectations of the target audience for ›Teutonic‹ metal, which is after all one of the main reasons why bands and record labels hire him. But this somewhat inflexible sonic signature has also caused problems in his work history. In the music business, bands sometimes collaborate with a producer chosen by their label, which can lead to conflicts due to deviating sound aesthetics. This happened when Bauerfeind produced the British proto black metal band Venom for the German label Steamhammer. By improving ensemble synchronisation and overall playing precision through audio editing, he removed the sloppy raucousness characteristic of the band, and this did not please the artists. They demanded Bauerfeind to undo the editing to keep the performances raw. In another case, after four albums produced with Bauerfeind, the NWOBHM veterans Saxon hired British producer Andy Sneap to return to their looser rock'n'roll sound. However, there were others, the Swedish HammerFall and Brazilian Angra, who decided to work with Bauerfeind because they associated his ›Teutonic‹ signature with popular German bands like Gamma Ray (Herbst/ Bauerfeind 2020). Johns was well aware of the journalistic label ›Teutonic‹ thrash, and being considered its most renowned producer makes him proud. But when asked what he thought about the label, he replied: »It means little to me. … Labels always came last with me, I only learned about them afterwards. It didn't interest me at all. For me it was always individual bands. That they were eventually summarised to a term, well, sure, it makes it easier to classify them, if you must classify them, but for me there was no reason to classify them« (Interview Johns 2018). Despite personally rejecting the label, Johns has capitalised on his reputation as a ›Teutonic‹ thrash metal producer and continues to do so to this day. Bemm, the third veteran producer, questioned the usefulness of the term even more than Johns: »I don't understand ›Teutonic‹ metal, just as I don't understand the various subgenres of metal … The term ›Teutonic‹ metal, okay, we are ›Teutons‹ and we make loud noise. The Americans have done it and the British too; the Finish in any case. Therefore, ›Teutonic‹ metal puzzles me, and when I listen to Helloween, I wouldn't know they are a German true metal band. They could be an English or American band just as well. … What is ›Teutonic‹ metal, I don't know?! ›Teutonic‹ metal is metal« (Interview Bemm 2017). He rejects the journalistic practice of classifying metal primarily because conforming to certain expectations restricts artistic freedom.

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JAN-PETER HERBST Having graduated from a music production course in the USA, Lammert does not advertise a ›Teutonic‹ style to his clients. Sometimes his origin is advantageous for him, for example when he works with foreign bands that are inspired by ›Teutonic‹ metal. He recalled a production with the Scottish Gloryhammer, who deliberately sang wrong English with a fake German accent to pay tribute to their idols (Herbst 2019b). In most cases, however, Lammert is hired for his professional service and production quality, which is based on international standards. He dislikes restrictions such as national genre labels like Johns and Bemm, as they all value the traditional role of the producer as a creative director trying to find the best sound for each band. For Levermann, labels like ›Teutonic‹ are merely a journalistic necessity. He refuses to classify his band Orden Ogan as ›Teutonic‹ metal, partly because he sees little use in labels in general, and partly because his band's inspirations and style are not limited to German music. As a producer he does not believe that he has a particularly ›Teutonic‹ style. He started in 2013 and immediately worked digitally ›in the box‹, as opposed to a traditional analogue console and outboard equipment. As an autodidact, he has been inspired internationally by reading production resources on the Internet and listening to a variety of music. In addition to international competitiveness in terms of sound quality, the producer's personal style is most important to him. German and international bands would hire him for these attributes. Furthermore, he believes that it is important to trust one's own ears and gut feeling and not to worry about rules. In his experience, mythology and idealised production approaches are widespread in the recording business, although the perceptions often diverge strongly from reality. He believes that what producers, bands and audiences might perceive as ›Teutonic‹ does not necessarily correlate with what was done during the recording and production of an album. Most importantly, Levermann does not want to impose his style on the sound of the band. He gives professional recommendations but is also willing to learn from bands. After all, every band and production is different, so there cannot be the one and only approach that always works. Despite the different views on the label, most of the producers shared some common understanding of the bands they consider ›Teutonic‹. The origin of these associations goes back to the 1980s and early ‘90s, when there was only heavy and speed metal. Speed metal eventually split into thrash metal and power metal. The German thrash bands Kreator, Sodom, Destruction and Tankard eventually became known as the ›Big Teutonic Four‹, the German equivalent of the four big American thrash bands Metallica, Slayer,

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL Megadeth and Anthrax (Lusty 2020: 168).3 For German heavy and power metal the associations are more complicated. While the success of bands such as Helloween, Gamma Ray and Blind Guardian has given audiences abroad a sense of German metal, most German metal fans as well as Bauerfeind, Lammert and Levermann consider bands in the tradition of the German pioneers Accept to be stereotypically ›Teutonic‹, Running Wild and Grave Digger above all. These bands are at the traditional end of the scale; more innovative bands like Helloween are less considered ›Teutonic‹ by fans and the producers interviewed. The foreign perception, as seen in metal journalism (Herbst 2020a, 2020c), has rarely differentiated between innovative and traditionconscious German bands. Cohen (1985), Anderson (1983) and Hobsbawm/ Ranger (1983) have argued that societies are constructed symbolically through myths and invented traditions as an »imaginary community« to define values and cultural practices. It seems that foreign audiences find it difficult to distinguish between different kinds of German bands, so that they have often uncritically classified most of them as ›Teutonic‹. For the German audience and music professionals, there are different scenes within German metal with diverging symbolic boundaries and values; scenes based on more traditional bands are rather considered ›Teutonic‹. Bauerfeind confirmed that German record labels and bands are aware of these markets and target them specifically. He encountered several productions where labels approached him to produce a band because their previous album did not meet the expectation of the scene and had failed commercially because it was selfproduced or done with a foreign producer (see Herbst/Bauerfeind 2020). Foreign media have often perceived metal from Germany as stale and antiquated (Herbst 2020a, 2020c), as a Kerrang! review of Running Wild's Death or Glory (1989) illustrates: »Well produced and featuring some classy musicianship, ›Death Or Glory‹ is nevertheless nothing new nor above average. Sub-Iron Maiden Metal, every3

Compared to more traditional German heavy metal bands, German thrash metal bands were generally perceived more positively in the UK and the US. As a result, they were far less likely to be labelled ›Teutonic‹, suggesting that the label was most often used in a derogatory manner (Herbst 2020a). The term ›Big Teutonic Four‹ seems to be relatively new. It was used on a four-track CD, enclosed with the January issue of the German Legacy magazine (01/2013), that was entitled ›Big Teutonic Four‹. One month later, Nuclear Blast released a sampler with almost the same track list and with the same title (Otto 2013). Thereafter, the term was taken up in other German metal media (e.g. Anonymous 2013) but used far less in foreign media. This indicates that although the global reputation of German thrash metal from the 1980s and ‘90s is undisputed, the term ›Big Teutonic Four‹ is mainly used in the German discourse, possibly for marketing purposes or to express pride in the international success of German thrash metal.

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JAN-PETER HERBST thing at the gallop, an occasional nod in the Thrash direction, dusty old chord sequences with their origins in the mists of time, an overdose of ›stirring‹ raised-clenched-fist melodies that regularly throw up strangely folksy, Gary Moore-like Celtic overtones as well as the typically well dodgy Germanic strains …« (Henderson 1990: 26). Other examples include a review of Victory's Temples of Gold (1990), »mediocre. At best the band achieve something spirited and competent. At worst it is simply laboured« (Watts 1990: 26), or of Sargant Fury's Still Want More (1991), »Germany appreciates precision. German hard rock is regimented, clinical and exact. As a result of that, it isn't usually very good« (Watts 1992: 21). Most German metal bands were perceived either as imitators of British and US-American bands or as followers of established styles and not as innovators (Herbst 2020c). Therefore, the use of the ›Teutonic‹ label in foreign media can be distinguished in three ways: Firstly, as a general, tongue-incheek description for all German metal bands; secondly, to describe those German bands that are perceived as conservative and boring; thirdly, and often in connection with the second point, to designate bands that appear particularly German because of their vocal accent, their idiosyncratic lyrics and their performance and show characteristics, as they correspond to foreign stereotypes. This is reflected in a Kerrang! review of Thunderhead's Behind the Eight-Ball (1989) album, which benefitted from the fact that an USAmerican singer was featured on it: »impressive for a first effort, with a number of cracking songs and a distinct lack of that peculiarly Germanic feel that has been the stumbling block for many German bands« (Henderson 1989: 48). The extent to which the foreign media have deliberately chosen one of these three meanings is unclear and requires further investigation. Recently the Rock Hard magazine published a special on German metal. Considering the defining criteria for metal from Germany, Heaven Shall Burn guitarist Maik Weichert in his article reflected: »Is German metal a style? In some cases, not really, is it? But it can't be just the origin either, after all you recognise immediately when for example Hammerfall pay homage to the holy Accept. Is there such a thing as a self-image, a sense of tradition? The eternal luck that Gamma Ray will always sound like Gamma Ray and Running Wild will always sound like Running Wild? Reaction instead of innovation? Many people see this as the great strength of German metal. Who wants an experimental Grave Digger record or vocal innovations by Udo Dirkschneider [of Accept]? Exactly. And this is exactly where we are exploring a very important aspect. The common German metalhead is strictly conservative, almost reactionary. That's not meant to be negative at all. The German metal fan represents the shepherd dog of the metal world. Loyal, if everything

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL is as usual, and hellishly aggressive if something is too unusual or if you want to conceal a lack of quality with cheap tricks. But this is exactly what creates an environment that promotes perfection rather than innovation« (Weichert 2015: 14; my translation). The view expressed by Weichert is in line with the producers' statements. All producers except Bauerfeind do not like to be classified as just a ›Teutonic‹ producer because they neither want to be conservative nor accept a restriction of their creative freedom. Even Bauerfeind admitted to feeling increasingly restricted by the label. For this reason, he explored the implementation of foreign cultural elements in a ›Teutonic‹ production aesthetic with Helloween. One experiment involved recording drums without a click track whilst keeping drum and ensemble performances highly synchronised, as required for a ›Teutonic‹ aesthetic (see Herbst/Bauerfeind 2020). To add a ›South American‹ feeling, he layered in percussion loops from Heavyocity Media (2019), especially the orchestral »Damage« pack. Such packs are often used in action scenes in movies and TV series to add suspension. By adding these loops, complementary rhythms to the strict ›Teutonic‹ rhythms (ibid.) were created by syncopation. For other, less progressive bands, however, Bauerfeind's productions tend to be more conservative and follow proven ›Teutonic‹ recording and production practices (Herbst 2019b; Herbst/Bauerfeind 2020).

Approaches to music production Relatively little research has focused on recording, mixing and mastering practices and their impact on the sound of particular regions and cultures. Meintjes' (2003) ethnomusicological investigation sheds light on the ›Zulu‹ sound of South Africa, whilst Zagorski-Thomas (2012) and Massey (2015: 1-14) examine British and US recording practices of 1960s and ‘70s soul music. In his handbooks, Owsinski deals with the mixing styles of major music cities such as Los Angeles, New York and London (2006) as well as various mastering practices on the east and west coasts of the USA (2008). The three veteran producers belong to the small group of recording professionals with whom the main German metal labels worked together in the 1980s and ‘90s. With their rock background, none of them were familiar with the foreign metal bands their clients listened to, most notably Metallica, Slayer, Iron Maiden and Judas Priest (Herbst 2019b). They studied the production work of their international colleagues to learn more about their practices, but they were keen to develop their own styles (see Herbst 2019b).

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JAN-PETER HERBST A distinction between German and foreign productions concerns the use of equipment. In line with Zagorski-Thomas's (2012) finding that production resources began to standardise in the 1970s, German producers had access to similar technologies used by the British and Americans. Yet, certain conditions contributed to an original sound. According to Bauerfeind, Johns and Lammert, one of the main differences was the guitar sound, a fundamental and defining quality of metal and its subgenres (Herbst 2017). Guitar players agree that there are British and American guitar sounds (Stent 2019). Some of the associations are historical, as bands in the early years of rock music tended to play amplifiers from their own countries. To this day, there are sonic differences between British and American amplifiers, which result from the deviating circuit designs, types of valves, speakers and cabinets (Brosnac 2004; Herbst 2020b). In Germany, many early metal bands played amplifiers from the German manufacturer Engl (founded in 1983), a practice that, according to Bauerfeind, gave the bands a unique sound: »The basic character [of the guitar sound] is determined by the amp, they all have different characters, Marshall, Engl, [Mesa] Boogie and so on … And this is what shapes styles within metal, for example in melodic metal you have the even distortion of Engl amps. In more rock-based metal, you have Marshall sounds, which by far don't distort so evenly. … British and American players liked the [Peavey] 5150, and Americans [Mesa] Boogie, of course. The [Mesa Boogie] Rectifier is the typical sound of America. And Germany is Engl for sure, it is Engl country, that's a trademark! Everybody in Germany was interested in sounding original, not sounding like everybody else internationally. This was easy to achieve because everybody who played Engl had a sound of their own, this was the ›Teutonic‹ metal sound. Engl amplifiers were also extremely distorted. One of the most characteristic sounds was that of the Engl Straight model, every ›Teutonic‹ metal band played it. I know of Victory, Gamma Ray, Helloween, Kreator, everybody played it, they still do in the studio. Engl supported many bands, endorsed them all! But it's worth noting that when Engl changed management in the late ‘90s and replaced the Straight by the Savage model, the sound changed too. The classic ›Teutonic‹ sound is that of the old Straights!« (Interview Bauerfeind 2017). Since production of the characteristic Straight model had been discontinued, Bauerfeind began using a ›profiling‹ amplifier to maintain his recording style. The German Christoph Kemper invented the profiling technology that makes it possible to capture the sonic fingerprint of any guitar amplification chain and authentically reproduce it (Herbst 2019a). It enables recording the original amplifier in a specific studio room thus capturing its acoustic environment without risking to wear out the precious old device.

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL Thrash producer Johns confirmed the influence that Engl had on his productions. Before Engl became available, he used British Marshalls; later American Mesa Boogie Rectifiers and Peavey models become more common on the German market. With Engl's generous endorsement practice, their amplifiers quickly became standard in the studios and gave German productions an original sound: clean, defined, but more distorted than their American and especially British counterparts. Johns explained, however, that his main consideration was the required level of heavy distortion in the guitar sounds. This could be achieved with many devices when using boosting pedals. He fondly remembers experiments where, for example, a signal was routed through an Ibanez Tubescreamer overdrive pedal into a Vox AC30 amplifier, which then was connected to another Marshall amplifier. The production of unconventional signal chains was a practice that suited the more aggressive aesthetic of ›Teutonic‹ thrash metal bands, as it created a more extreme guitar sound than that heard on American releases by the likes of Metallica and Slayer. Bemm has no particular preference for specific guitar amplifiers or brands. He has a large collection of different devices and a professional network with a large number of models from which he chooses for each production, taking into account technical requirements and aesthetics, rather than cultural associations. Lammert is internationally recognised as a guitar expert, selling his own signature sounds as packs for Kemper Profiling and Fractal Audio System Axe FX amplifiers (STL Tones 2019). Before the mid-2000s he had not worked professionally, but as a fan of early metal and with an interest in guitar sounds, his perception bears parallels to the experiences of Johns and Bauerfeind: »Back then, there was the Engl Straight … It was relatively cheap, and Mesa [Boogie] was hard to get. Kai Hansen, for example, had this Straight. And Kai Hansen played guitar in half of all German bands. He always played this amp and that's why he had a lot of influence. … It's a classic German amp, until the mid to late ‘90s. It was used to record all that power metal and ›Teutonic‹ stuff. … The new Engl amps sound different, but they are still considered ›Teutonic‹. This has less to do with the sound, but I think it's more about German quality, where it comes from. The new Engl amps are very precise, sound very clean, and therefore have this German sound. But I think when you say, or what it says in the forums, German sound, there is nothing or no connection to the German metal sound, which was influenced by the old Engl Straight. So, when you read in the forums, Engl = German sound, I don't think they mean the ›Teutonic‹ metal sound, but the sound of modern German amps. You must look at them separately, I think, because the Engl that shaped the ›Teutonic‹ metal sound actually sounds completely different from the new Engl. … Most

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JAN-PETER HERBST of the new Engls have 6L6 valves and sound more American, I would almost say cleaner, more sterile. The Straight model used British EL34 valves and was more granular, slightly ›Marshall‹ in design. If you ask the forum user, German sound = Engl, he surely doesn't mean the German metal bands but just the modern Engl sound, which is very sterile and clinical« (Interview Lammert 2018). This development of stereotypical associations is unusual because it contradicts the general development of production practice in metal music. As is argued elsewhere (Herbst 2019b, 2020a, 2020b), cultural and nation-specific musical features, which are reflected in recording practices and performance characteristics, have become less distinct since the turn of the millennium due to the establishment of digital music production and other effects of globalisation like access to the Internet and musical inspiration from around the world. In view of this development, the influential early metal bands from Germany should be perceived as more stereotypically ›Teutonic‹ sounding than newer productions in general and in terms of their guitar sound. It can only be speculated whether Engl's decision to replace the Straight model with newer devices that have more typically German qualities like clinical control was a deliberate marketing decision or not. The sterile sound, as Lammert describes it, corresponds to the centuries-old common foreign perception that German popular music is rigid and restrained (Herbst 2019b, 2020a, 2020c). It also accords with Weichert's (2015: 14) reflection of German metal sounding proudly German, which he regards as a quality seal, similar to German engineering. Another stereotypically German approach to recording and production is apparent in Bauerfeind's systematic organisation: »I have documented my work for decades … At some point I started filming and photographing everything to have a repeatability in my work that my clients demanded of me. I had people who said two years later ›I want exactly that, but with this and that deviation‹. And as long as I can't return to the point of ›but that‹, the deviation is irrelevant. This documentation went so far that I was recording things in good faith that it was exactly as it was shown in the photos, only to find that out it wasn't because another cabinet was connected. So, I had the wrong mic, the wrong setup, the wrong amp, and then I corrected that because the customer wanted to go back to exactly where he was two years ago« (Interview Bauerfeind 2019). Even though Bauerfeind shows in his reflection that documenting recording setups is not entirely possible, he meticulously keeps records of his productions, a practice that matches the German stereotype of exactness and thorough organisation. His German clients in particular expect this documenta-

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL tion, as they want to be able to recreate sounds used on earlier records. This once again coincides with Weichert's (2015: 14) characterisation of German metal as »strictly conservative, almost reactionary«. While »staying true to your sound« is surely not unique to German metal, this seems very important for many German bands, and Bauerfeind is making considerable efforts to accommodate this request. The effort behind such productions becomes even clearer when considering that bands and their producers, according to Bauerfeind, used to record and mix in various studios to meticulously create their desired aesthetics: »You used to go to certain studios, partly because of the acoustics of the room, but also because of the technology of the mixing console. You wanted to have a uniform sound. Today, someone opens his computer and then plugins are inserted. You can do that, no question, but these characteristics people have created have been lost. I can only speak about rock, but most people have recorded drums on transparent, glassy sounding consoles. They mostly used [British] Solid State Logic [SSL], they had an E Series. The SSL E series had specific filters. Over the years, they started changing the filters on the advice of their customers. There was an Orange EQ, a Black EQ, a Brown EQ, those were the colours of the knobs that were on those channel strips. And that's how preferences developed over the years, someone only wanted to do his bass drum with an Orange EQ etc. We used to record drums on an E Series because it sounds very fast, transparent and close, while we recorded guitars on a [SSL] G Series, whose filters had a smoky, rough sound. People deliberately went to certain studios because they knew which desk was standing around, because specific characteristics were desired. … A lot of people eventually went to the Neve [a British console] room to mix, because that had all the colourings and sound characters you wanted. The colouration got completely lost by all this plugin junk. Nowadays, there are thousands of plugins, and unfortunately, the characters are lost. It all sounds the same« (Interview Bauerfeind 2019). This quote indicates why culture- or nation-specific sounds decreased over time and became less distinct. Bands had less budget to afford renting highly specialised studios and equipment. Instead, digital technologies standardised production approaches and made various tools available regardless of the original context to which they were linked, leading to a loss of their regional character (Herbst 2019b, 2020a). When confronted with Bauerfeind's experience, Levermann was divided on the usefulness of such practices in modern business. Although he recognised the significance of Bauerfeind's work for early German metal music, he rejected such an inflexible production approach as mythologically motivated. Younger producers of the »generation mouse«, who did not experience the

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JAN-PETER HERBST analogue days and the prosperous music industry of the past, had to work under completely different conditions and did not have the luxury of spending time and money on subtle sonic details. Moreover, Levermann felt that there are such a multitude of variables that influence the final sound that it makes little sense to him to recreate the recording conditions of past decades. Using the guitar as an example, Levermann explained: »On guitar sounds there are so many different elements that shape the sound, the smallest of it is actually the amplifier head. … There are so many factors, every millimetre you move the microphone will change the sound of the amp. The position of the cabinet in the room, the speaker in the cabinet, the cabinet itself, humidity. I'm always the guy who tries getting the best out of what is there. … Well, in the end, everybody plays the same amps, and they all sound very similar anyway. Okay, [Mesa Boogie] Rectifiers sound a bit denser than a [Peavey] 5150, but all the modern metal amps sound so similar. … Except for an old ‘70s Marshall which you recognise easily, but with all more modern sounds, especially if you have 7- or 8-string guitars, you really don't hear differences anymore. … So, I just check if the amp fits to the music, it takes a lot of gut feeling. The direct signal must be clean« (Interview Levermann 2019). Modern metal productions, even in more traditional subgenres like heavy metal, use such heavily distorted guitar sounds that are drastically processed later in the mixing phase. Therefore, subtle tonal variations between amplifiers are hardly of interest to Levermann, unlike Lammert, who displays a large collection of guitar amplification technology on his studio website (LSDStudio 2020). Apart from their different views on guitar recordings, the two younger producers, Levermann and Lammert, often work with bands remotely to save costs. The bands record their guitars and basses themselves and send the recorded direct injection (DI) tracks to the producer for re-amping to capture the final guitar sound. Since modern producers usually work in their own studio premises with their own equipment, the resulting sound matches the personal style of the producer. This means, however, that he/she has fewer options to adapt the sound to a certain cultural aesthetic than Bauerfeind. Access to studios is probably one of the key elements in this respect. Having a studio was important to all producers for their sound, except Bauerfeind. He relied on rented studios throughout his career because this gave him and his clients flexibility in combining certain sounds. Moreover, working with high-profile clients has ensured the budget to pay for the luxury of sonic details or a nostalgic feel. For example, Bauerfeind is recording Helloween's current album with a completely analogue chain of tape machines, 24 API equaliser units taken from an old mixing desk owned by Fleetwood Mac, and the recovered drum set of the late Helloween drummer Ingo Schwichtenberg

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VIEWS OF GERMAN PRODUCERS ON ›TEUTONIC‹ METAL (†1995). The band made these decisions against Bauerfeind's will, who would have preferred a more pragmatic system that allowed creative freedom in the mixing phase. This conflict once again shows the tension between the producers' desire to be free of restrictions and the common desire of German metal artists to pursue a more conservative production concept, even in the case of the formerly progressive Helloween. An area with a clear generational difference is the role of studio acoustics, both in terms of importance and desired characteristics. In contrast to the younger ones, the veteran producers put a high value on acoustics. Bemm and Johns both had three versions of their own studios, and each was deliberately designed with a specific acoustics in mind. Bemm still fondly remembers the drum recordings in his second studio, a 700 square meter room in a former gym with 90 cm thick, tiled walls that created a hard and bright drum sound. Johns's two main versions of his studio also had tiled walls covered with a curtain to control reflections to create the explosive drum sound that thrash bands liked in the 1980s and ‘90s. The similarities between the spatial qualities in the two important studios for early German metal may well be coincidental. Yet when Dennis Ward, founder of early German band Pink Cream 69 and high-profile metal music producer, was asked by Rock Hard whether there was a German metal sound, he emphasised the room acoustics as the only feature: »Oh, indeed, there definitely is one [a German metal sound]. Just a few days ago, I got a request, one of the kind I often receive. The band was from Italy and they wanted me to make them sound like ›all the great German metal bands‹. This probably is the best evidence. But I cannot explain what exactly makes up this sound given that Accept sound totally different from Helloween. There must be some common element. Maybe this kind of music from Germany is produced with more reverb, roomier and not so dry and ›in your face‹ as much of the music coming from the US« (Schiffmann 2018: 75; my translation). For Bauerfeind, reverberated live rooms are highly important, which accords with the statements of Johns, Bemm and Ward. This preference is based on a larger production concept. Bauerfeind attempts to capture the »war-like« qualities of ›Teutonic‹ metal that he sees in direct connection with Prussian marching music, which emphasises the drums as opposed to Scottish bagpipes or Scandinavian horns (see Herbst/Bauerfeind 2020).4 To support the drums

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This view coincides with Wilhelm Reich's (1970: 350) claim that Prussian militarism contributed significantly to creating foreign images of Germans as »rigid, robotlike, war-machine automatons« (see also Nye 2012).

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JAN-PETER HERBST and increase their perceived size, Bauerfeind would choose live rooms with hard reflections similar to those in Bemm's and Johns's studios. »Rock'n‘roll is not made in a nice country studio. … There were plenty of metal studios in the ‘90s, whether it was Hansen or RA.SH Studio, all of which were in WWII bunkers. … Especially in metal, these studios were so popular since you had a very special sound because, of course, a 6-meter reinforced concrete wall sounds different from any plasterboard wall. … When I record in a shoebox [tiny recording room], it sounds like shoebox. When I record in a bunker with 6-meter thick walls, it sounds different. No chance of doing that anywhere else. I don't know how many records I recorded at Kai [Hansen]'s studio back then, or in RA.SH Studio« (Interview Bauerfeind 2019). Creating this »war-like« drum sound also required certain drum tunings: extremely low in general and with a pronounced wire rattle on the snare (Herbst 2019b, 2020b). Younger producers take very different approaches to drum production. Levermann, for instance, is keen to improve the drummer's playing feel to capture the best performance, and he avoids tuning the drums too low, as his experience shows that this takes away the rebound required for fast drumming. Still, he has worked with drummers of the first wave of German metal who had recording experience with Bauerfeind and accepted playing with less playable tunings in favour of Bauerfeind's vision of a ›Teutonic‹ sound. Younger generations of drummers, however, would feel restricted by such tunings, so Levermann tunes the drums to support the player and moves the creation of the drum sound to the mixing phase. The drum sound is captured less in the recording alone, which modern producers generally accept, since samples are needed to reinforce or even replace the drums anyway, an approach to production that veteran producers do not like. The acoustics of the drum room, crucially important for the recording practices of the veteran producers, have become less important for many of the younger producers. Modern drum sounds tend to have quiet cymbals and loud shells, and so younger producers like Levermann and Lammert add samples with room characteristics to create depth and artificially increase size. Since these sounds may well come from sample libraries, there is little reference to physical acoustic spaces and their cultural associations, as it was and still is the case in Bauerfeind's productions.

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Conclusion Labels in rock music that refer to geographical, cultural and historical associations of the music's origin have rarely been analysed from a production perspective. This chapter explored ›Teutonic‹ metal, focusing on the generational effects of those producing the music. The findings reported in this chapter and in other outputs of the wider research project on ›Teutonic‹ metal (Herbst 2019b, 2020a, 2020b, 2020c) suggest that the early years of German metal were marked by experimentation, adopting stylistic and productional elements from the Anglo-American world, but with a German twist. Much metal from Germany sounded different than their international counterparts, either because it was progressive and was perceived as highly innovative, or extremely conservative through the use of simplistic riffs and stiff rhythms — a feature that is often mentioned in foreign media and by all producers (see Herbst 2019b, 2020c). Today several generational differences are evident. Older bands like Helloween and Blind Guardian, who used to be original, innovative and progressive, have become nostalgic and proudly accept their image as ›Teutonic‹ metal bands. For some musicians it is even a way of life to be ›Teutonic‹. Helloween have reunited and announced their upcoming world tour under the motto »United Alive World Tour Part II«. It seems that the label ›Teutonic‹, which a few decades ago had a musical meaning with a specific production aesthetic, has become a form of nostalgia for bands and their older audience, but also for younger fans who celebrate key bands of German metal. Nowadays ›Teutonic‹ metal is mainly a business concept for record labels and production professionals who cater to the nostalgic desires of their clients and audience. Bauerfeind has created a sonic signature that he classifies as ›Teutonic‹ and for which he is repeatedly engaged by established German bands and newer artists who want to sound that way. Working according to his convictions has allowed him to make a living as a metal producer for over thirty years now. He has even deleted his professional website because he no longer needs to advertise his services. From the other two of the older generation, Johns has retired and produces only occasionally, whilst Bemm continues to produce mainly out of love for music. The newer generations of producers who have or are starting a business in the digital age, in which cultural associations have already largely disappeared in music production, face a different market situation. Their priority is to offer to their clients an impeccable service with the best possible flexibility while keeping costs under control. They do not claim that there is no ›Teutonic‹ sound but mainly consider it a

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JAN-PETER HERBST mythology that is outdated and unimportant for today's business. For them, the producer's heritage has no effect on the final product. Just as seminal ›Teutonic‹ bands such as Accept and Kreator nowadays have foreign producers like the British Andy Sneap and the Swedish Jens Bogren, they themselves enjoy an international clientele. In the globalised world, culture-specific production practices seem to have lost their purpose.

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Interviews Bauerfeind, Karl (2017). Gefrath, 25 July. Bauerfeind, Karl (2019). Hamburg, 20 November. Bemm, Siegfried (2017). Hagen, 27 July. Johns, Harris (2018). Berlin, 15 August. Lammert, Lasse (2018). Lübeck, 5 February. Levermann, Sebastian (2019). Arnsberg, 18 November.

Abstract Labels that denote a cultural or regional characteristic are common in the metal music discourse. Based on interviews with five internationally renowned German metal producers, this chapter explores the views of these professionals on the ›Teutonic‹ metal label, examining what it means to them and how it may influence their practices. The study concentrates on selected areas of production such as systematic recording approaches, choice of equipment and studio acoustics with a focus on generational effects, comparing three important producers from the early years of German metal with two younger producers of international standing. The findings suggest an incoherent use and multiple connotations of the ›Teutonic‹ metal label. While in the early years it was disparagingly used by foreign media and thus avoided by the German press and German artists, over time it has become a marker for a style of traditional heavy and thrash metal and a marketing term with which record labels and bands serve their own nostalgic longings and those of their fans. One of the veteran producers proudly describes himself as a ›Teutonic‹ metal producer, an image upon which his career is built, and another seasoned producer, although not

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JAN-PETER HERBST convinced by stylistic labels, has benefitted from them throughout his career. Even though the younger producers acknowledge the achievements of the producers of the first wave of German metal, they believe that national and cultural characteristics are outdated in today's global metal music industry. For them regionally or culturally associated sonic signatures are relics of the past, since international, remote collaboration is the norm today and music is produced with a standard set of (often digital) tools.

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC Keith Kahn-Harris The development of musical taste is a journey from ignorance to knowledge. We are not born with an inbuilt understanding of musical genres or artists, nor are our preferences for one or another of them hardwired. There is always a time when we become exposed to musical novelty; to sounds that we have not heard before. Of course, the circumstances under which this exposure happens will vary enormously. Sometimes it is gradual, sometimes sudden. Sometimes it is embedded in cultural contexts that make musical difference disconcerting or thrilling, sometimes it is an incremental, natural-seeming development Some of the most wonderful moments in my own musical biography have occurred when I have been suddenly and thrillingly exposed to sounds that I knew nothing of; when my ignorance was dramatically interrupted. Most important, for me, was listening to BBC Radio One's late night weekday shows by the DJ John Peel in the 1980s. It was Peel who caused my personal soundscape to shift dramatically as a result of hearing grindcore bands like Napalm Death or African bands such as the Bhundu Boys. Musically, I was never the same again. Ignorance and knowledge are not absolutes; there can be no absolute and immediate shift from one state to another. Nor is there a simple ›continuum‹ between one and the other. In fact, as I shall argue, forms of ignorance may be essential and even necessary to the process of musical consumption and taste-construction. These are what I will call ›strategic‹ forms of ignorance: quasi-artful practices that limit knowledge and ›protect‹ the possibilities of musical pleasure from unwelcome revelations. We can observe how central these strategic forms of ignorance are at times when they are under stress. This is, I suggest, an increasingly common occurrence. We are living in a world in which knowledge has become ubiqui-

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KEITH KAHN-HARRIS tous and abundant, fuelled by online culture. How we cope with this abundance and its consequences for musical pleasure is, I think, an increasingly important question for us to consider. One of the areas in which abundant knowledge is having particularly complex consequences for music is in knowledge of ›the national‹. What we know and do not know about the countries in which artists live and genres reproduced, cannot be separated from how we consume music. Globalised musical circulation, while it may provoke cliched responses about music having no borders, can also draw attention in welcome and unwelcome ways to the persistent existence of national borders. In this article I will examine a number of cases of globalised music in which the tension between ignorance and knowledge has been played out: The work of the label Sublime Frequencies, Israel's hosting of the Eurovision Song Contest in 2019, and the place of Israeli metal bands in the global metal scene. In all these cases, the influence of the national on music explicitly or implicitly becomes a ›problem‹ to be solved, sometimes by denying that the national impinges on music at all and sometimes by treating the national as overdetermining the meaning of music. I go on to suggest how metal scenes may provide a more productive relationship to the national.

Inconvenient knowledge and the work of Sublime Frequencies I first became aware of the Syrian singer Omar Souleyman through stumbling upon the youtube video of his song »Leh Jani« (2007). It made an immediate impression on me: the relentless drive, the minimalism, the virtuoso ways in which guitar and keyboard lines drop into the insistent beat. Part of the pleasure of being exposed to Souleyman's music was the sense of being surprised by the knowledge of how ignorant I was. While, I confess, this pleasure did not spur me to make other ›discoveries‹ it at least led me to add to my record collection by buying, and enjoying, a couple of Souleyman's albums. The reason I could add to my knowledge was because it was easy to do so. Although Souleyman has made hundreds of recordings that were released in Syria alone, he came to worldwide attention when the Seattle-based record company Sublime Frequencies began releasing his work from 2006 onwards. He has subsequently performed across the world, and his appearances on stages in ›the west‹ were treated as notable and extraordinary enough for Sublime Frequencies to release in 2011 a live compilation album of his first shows outside Syria, Haflat Gharbia (The Western Concerts).

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC Sublime Frequencies has attracted considerable attention and acclaim since it began releasing recordings in 2003. In their introduction to their book on the label, editors Michael Veal and Tammy Kim suggests that Sublime Frequencies »…represents an indie turn in global pop; a rebellious, at times neo-colonial streak in ethnography; and an occasion to talk about globalized cultural consumption« (Veal/Kim 2016: 5). On its website (Sublime Frequencies 2020a), the label describes itself as follows: »SUBLIME FREQUENCIES is a collective of explorers dedicated to acquiring and exposing obscure sights and sounds from modern and traditional urban and rural frontiers via film and video, field recordings, radio and short wave transmissions, international folk and pop music, sound anomalies, and other forms of human and natural expression not documented sufficiently through all channels of academic research, the modern recording industry, media, or corporate foundations. SUBLIME FREQUENCIES is focused on an aesthetic of extra-geography and soulful experience inspired by music and culture, world travel, research, and the pioneering recording labels of the past.« As Veal and Kim point out, even though the people behind the label are often sceptical of the ethnomethodological tradition, not least because of its implication in imperialism, they can still be described as »sound ethnographers.« However, this is not the ethnography that would produce pristinely curated versions of static »traditions«. Sublime Frequencies challenges common notions of authenticity in world music that are resistant to hearing and understanding hybridity in particular musical traditions (Weiss 2014). Instead, one of the defining features of many Sublime Frequencies releases is their presentation as audio collages, in which field recordings and studio recordings collide to create a sonic bricolage that foregrounds the messiness of global musical flows. Yet this ethnographic approach, however post-colonial it may seek to be, is far from unproblematic. One of the consistent features of Sublime Frequencies is decontextualization, placing music outside its original context and providing minimal or no background information to listeners on the artists featured. While Omar Souleyman was, of course, credited and rewarded for his recordings on the label, the information printed on the releases provide little sense of who he is, what he sings about and where he comes from. This approach can destabilise fixed western perceptions of what, in this case ›Syrian music‹ is. It can, as I can personally attest to, create shock, surprise, delight and mystery. At the same time, the persistent dangers of exoticism, of seeing non-western artists as temporary ways of reviving jaded western musical pallets, should be obvious.

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KEITH KAHN-HARRIS Sublime Frequencies highlight the problematics of knowledge in musical consumption. How far do we need to know much about an artist or genre? For western companies circulating non-western musics, there is no way of escaping the problem entirely. Providing ›too much‹ information — aside from the question of who authors it — can risk treating non-western artists as simply the sum of the context in which they operate, rather than artists with agency. Too little information and the artist can similarly be erased and dissolve back into exotic mystery. Sublime Frequencies work in bringing Omar Souleyman on tours to the west has helped to provide some kind of balance between knowledge and ignorance. He can be witnessed as a flesh and blood artist, even sometimes as an equal participant in diverse musical events. Yet neither Souleyman nor Sublime Frequencies can control the Syrian context out of which he emerged. His initial rise to popularity occurred during the last years of political stability in the country, but the rest of his career has been within the context of the brutal civil war that, since 2011, has torn the country apart and produced millions of refugees. This process has changed the meaning of ›Syria‹ in the west. I am not just referring to the association of the country with violence and war. This is, after all, far from unique and similar associations can be found with countries as diverse as Bosnia, Lebanon and Congo (although they can fade post-war). What has happened in Syria is, I think, much more than that. The Syrian civil war has, from its inception, been an international conflict with multiple parties intervening to pursue various interests (Phillips 2018). Syria has been debated and argued about across the world, with supporters variously of US intervention, Russian intervention, Sunni, Shia, Kurdish, Islamist, secular and, of course Assad himself, contesting online, in parliaments, and on the streets in western capitals. Although Syria is not quite the world's conflict in the way that Israel-Palestine has become (Schalit 2009), it is one in which non-Syrian actors from many different parts of the world have become heavily invested. What this internationalisation does to the meaning of Syria as a nation is confused and contested. But we can at least say that Syria is now not obscure, unknown, unknowable. It is a place about which there is an abundance of knowledge. That this knowledge may be partial or even entirely fake and that it may reflect all kinds of political fantasies is true but not relevant for the argument I am making. Omar Souleyman cannot be any longer what I, and probably many others, originally heard him as: a startling voice coming out of place that I knew little of.

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC The Souleyman that emerged from a place of ignorance in the late 2000s is the Souleyman that is currently under threat. He threatens to become politically identifiable and aligned, to be reduced to a cypher of the many competing Syrian interests that are supported by or opposed by western political forces. That is not to say that the ›old‹ Souleyman was absent from the political because, after all, nothing can be. I do not think anyone from Sublime Frequencies would be so naïve to proclaim that music is apolitical and simply a way to bring people together. But I do think that an awareness of the political character of music can coincide with a different kind of naivety, regarding the ways in which music can be used by competing political actors within non-western states. Sometimes a critique of western power can be accompanied by a blindness to the ways in which non-western political actors exert agency in ways that cannot be reduced to anti-imperialism. This blindness can sometimes result in an ironically imperialistic move in which oppressive non-western regimes are lauded for their supposed anti-imperialism (Hensman 2018). There is some evidence of, at best, political complacency, in the Sublime Frequencies approach to Syria. In an interview conducted in 2013, Mark Gergis, who was responsible for ›discovering‹ Omar Souleyman for Sublime Frequencies and who also compiled the I Remember Syria collage recording, expressed a kind of benign indulgence of the Assad dictatorship in the 1990s (Doran 2013): »[Q:] What were the most surprising and moving and scary experiences you had recording the material for I Remember Syria? [MG:] Actually, there weren't many scary experiences, as Syria wasn't really a scary place. A lot of the album captures my own real-time discoveries in the country, as I spoke with people and interviewed them. During the period the album was recorded, there wasn't much tourism in Syria — particularly not American tourists. There was a greater level of paranoia there during the late1990s, and understandably so, as there were serious threats and coup attempts abounding. The secret police apparatus was firmly intact, and I was approached a number of times over the years, mostly through obvious means involving friendly but persistent questioning. Obviously, I had only nice things to say, and didn't flaunt my microphone when having talks with these folks. Once while in the eastern city of Deir Uz Zur (very sadly, now a city lying in ruins), I had a wiring problem with my binaural mics (the type meant to look like headphones, and go in your ears). After searching town for a repair shop, I found one, run by a friendly, bearded man. I explained to him that these weren't headphones, but actually microphones. He seemed quite surprised as he looked them over, but said he could fix them. I picked them up a few hours later, and as the man handed them to me, I saw a pistol hanging out of his belt.

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KEITH KAHN-HARRIS He saw that I saw. I asked him if he was secret police, and he affirmed with a smile. No problem. ›Welcome to Syria‹, he said.« This anecdote appears to frame the secret police as a kind of amusing form of local colour. Further, the following passage from an article based on an interview conducted with Gergis before the Syrian civil war has not aged well (Morgan 2010): »Gergis goes on to elaborate a theory that Syria, post the death of old man Hafez Al Assad and through the current reign of his son Bashir is going through a kind of perestroika period, an opening up both internally and externally and that consequently the intelligentsia of the country are particularly touchy about Syria's image abroad and concerned that the right music should be allowed to represent the country on the international stage. Omar is obviously far from being the cultural ambassador they had in mind.« Gergis should not necessarily be seen as a supporter of the Assad regime. Rather, in both interviews he appears to be attempting to clear a space between the state and Souleyman by insisting on the non-determinative quality of the regime. Assad's Syria only has to be constructed as just liberal enough in order to construct Souleyman as an artist with agency. This space-clearing work effectively implies that there is only one form of power and politics that has to be negotiated in order to make the circulation of Omar's work ethically and politically viable — and that is the western power and politics that a western label has some degree of agency over. The problem is that the space that Gergis seeks to clear is — even if it exists at all — constantly under threat from inconvenient knowledge that the situation might be otherwise. This inconvenient knowledge is abundant online. In 2019 I stumbled upon an Omar Suleiyman video on YouTube called »Bashar ya habibi Shaab« (2011) that was illustrated with a picture of Assad in military uniform. It appeared to my non-expert eyes and ears to be a song of praise for Bashir Assad. As someone who is revolted by Assad — a dictator who has used torture, mass killing, chemical warfare and mass expulsion in the civil war — this song disturbed me. But it also confused me and highlighted my ignorance rather than assuaged it: When was it produced? In what circumstances? What do the lyrics mean? Is this a routine kind of propaganda tune that all or most Syrian musicians need to produce in order to safely perform? Did Souleyman perform it willingly or grudgingly? And, if it was produced before the civil war, does he still stand by it?

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC With the help of Mohammed Magout, an academic from Syria now at University of Leipzig, I did find some tentative answers to some of these questions (Personal communication, July 2019). He told me that the song is typical of those praising Assad: »It plays with his family name (which means ›Lion‹) and the fact that he is the son of Hafiz al-Assad: so he calls him ›the son of the lion‹ or ›the one raised by the lion‹, etc. He also describes him as a leader and a hero of all Arabs and as someone who is respected by all countries ›from Egypt to Iran‹.« The video was posted in September 2011, so it is possible that the song was produced before the conflict in Syria started in March of that year. As Lisa Weeden (2015) has argued, the Syrian regime has constantly pushed the image of Assad and mandated praise for him in cultural spectacles. One cannot therefore assume that Souleyman was entirely sincere in his praise of Assad or that, even if he was, that his support has survived the events of the civil war. Indeed, he appears to have tried to avoid being positioned since 2011, while at the same time attempting to retain his viability in Assad-run Syria. In a YouTube video statement, Souleyman (2016) denied that he had ever sung »political songs« or »insulted anyone in his songs«.1 However in one concert in Istanbul in 2017, he appeared to endorse Assad's call to return to the country, which went down extremely badly with the Syrian refugees at the concert (Anonymous 2017). Souleyman has, despite everything, remained viable as an artist with multiple audiences. He appears to have exerted his agency to remain in a determinedly depoliticised space as far and as long as he is able. While easily available on YouTube, his song for Assad does not seem to have attracted significant attention — critical or supportive — nor has it diminished his reputation in the west. In the case of Syria, there is at least the possibility of political ambiguity for a musician, even when singing in praise of the regime. While Sublime Frequencies may sometimes underplay the ways in which their artists might be enmeshed in national politics, they do at least encourage a kind of hermeneutic complexity, in which western listeners are invited to challenge themselves in how they respond to previously unknown musics and, concomitantly, how they understand non-western places. Yet this raises further questions over how ethically and politically appropriate such hermeneutic ruminations might be in certain contexts where ambiguous readings are impossible. 1

Videos and articles cited in this paragraph were translated and explained to me by Mohammed Magout. I would like to express my gratitude for his help.

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KEITH KAHN-HARRIS In 2005 Sublime Frequencies released an audio collage of music from North Korea, entitled Radio Pyongyang: Commie Funk and Agit Pop from the Hermit Kingdom. In her essay on the album, E. Tammy Kim emphasises the hermeneutic uncertainty of the compilation: »For all its relentless emphasis, Radio Pyongyang is paradoxically underdetermined in its fragmentary, collagist treatment of language and music… we cannot easily deduce what, if anything, it is trying to ›say.‹ How should we feel about radio propaganda? Is the music being critiqued or savored or both? The radio-collage format produces a reticence born of chaos. Its failure to speak directly, to articulate a message, forces the listener to dig beyond the music's shimmering surface. Radio Pyongyang thereby offers a unique and comparatively unmediated encounter with North Korean cultural products« (Kim 2016: 352). Sublime Frequencies own description of the album (2020b), seems to emphasise an almost exoticist reading of that uncertainty that seems to treat it as a kind of bizarre, and sometimes kitsch, novelty: »Schmaltzy synthpop, Revolutionary rock, Cheeky child rap, and a healthy dose of hagiography for Dear Leader Kim Jong-il, this is the now NOW sound of North Korea! A hermit kingdom with a rich folk history and an even richer tradition in over-the-top praise for the ruling House of Kim, the Democratic People's Republic of Korea remains a diplomatic thorn and a culture never Neverland. Boasting a heady mix of Stalin opera, Tokyo karaoke and brooding impressionism, the sound of present-day Pyongyang distills into warped agitpop and lost-in-time commie funk. If you've ever wondered what goes on in North Korean music, this is your vehicle for exploration. Christiaan Virant has visited this mysterious land and has assembled this amazing audio collage. Captured within are rare live recordings from various performances and mass games demonstrations, sounds lifted from People's Army television dramas, samples from hard-to-find CD releases obtained in the capital, and of course, news reports from the »real« Radio Pyongyang, which continues to broadcast to this day, albeit under the new, strikingly anodyne moniker ›Voice of Korea‹«. It may well be that this album can push at least some listeners towards a more complex response to North Korea. But there are also questions about the ethical appropriateness of this kind of listening. After all, every audio sample on the album is an officially-approved product of a centrallycontrolled despotic state; one that tortures, kills and enslaves for the glory of the Kim dynasty. E. Tammy Kim notes of her Korean-American parents:

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC »When I played Radio Pyongyang for them, they grumbled about my taste in music and inexplicable interest in the DPRK. They found the album jarring and repulsive, mirroring their general reaction to things North Korean. Like most Koreans their age, having lived through the bloody civil war, my parents are fervently anti-Communist, even as they continue to hope for Korean reunification« (ibid.: 353). While it is true that Korean anti-communism was often, until the 1980s, placed in the service of an oppressive regime in the South, horror and revulsion at the North Korean regime should not simply be dismissed as imperialist ideological opposition. Real people have suffered and continued to suffer at the regime's hand. Kim's approach to the album resists any empathy with such victims, instead welcoming the opportunity for an unmediated response to North Korea in which music might provide an aesthetic escape from political constraint: »Life in the DPRK surely has little in common with melismatic falsetto or sequined hanbok (한복) dresses, but I want to judge for myself what North Koreans see and hear. Despite the state's best attempt to control radio and sound culture, its music veers toward and finally achieves abstraction in this radio collage, which in turn provides a hermeneutic opportunity: For perhaps the first time, no one is telling us how to interpret Kim Jong-un, Kim Jong-il, Kim Il-sung, Pyongyang, or juche. The musical fragments speak for themselves« (ibid.: 355). Kim seems to suggest a radical individualism that refuses to engage in the ways that music may represent the sound of oppression for those who have suffered. This approach avoids difficult questions of how and whether music may be so completely encoded as an outgrowth of oppression that it can never be hermeneutically or aesthetically »recovered«. Certainly, I doubt Sublime Frequencies would release an audio collage of music produced by the Nazis. Of course, the Nazis emerged out of the same western context in which Sublime Frequencies works. That the music of non-western autocracies is treated as recoverable, while that of western equivalents is unlikely to be, suggests that non-western victims of non-western regimes are ultimately treated as unworthy of setting any kind of aesthetic veto. While it is certainly hermeneutically reasonable to treat North Korean state music as open to alternate readings and playful recontextualization, it may not be politically or ethically appropriate to treat it that way. Running through the work of Sublime Frequencies work is an optimism about the possibilities of hermeneutics and an indulgence about politics/ethics. In my next example I want to look at an opposite case where both hermeneutics and politics/ethics are treated as definitively closed, as a space of impossibility.

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KEITH KAHN-HARRIS

The 2019 Eurovision Song Contest in Tel Aviv The movement for Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) against Israel contains multiple strands, including cultural boycotts. The basis of BDS is a declaration, made by a coalition of Palestinian groups, self-described as »Palestinian Civil Society« (2005): »We, representatives of Palestinian civil society, call upon international civil society organizations and people of conscience all over the world to impose broad boycotts and implement divestment initiatives against Israel similar to those applied to South Africa in the apartheid era. We appeal to you to pressure your respective states to impose embargoes and sanctions against Israel. We also invite conscientious Israelis to support this Call, for the sake of justice and genuine peace. These non-violent punitive measures should be maintained until Israel meets its obligation to recognize the Palestinian people's inalienable right to selfdetermination and fully complies with the precepts of international law by: 1. Ending its occupation and colonization of all Arab lands and dismantling the Wall 2. Recognizing the fundamental rights of the Arab-Palestinian citizens of Israel to full equality; and 3. Respecting, protecting and promoting the rights of Palestinian refugees to return to their homes and properties as stipulated in UN resolution 194.« How this call is enacted and how individual BDS campaigns are targeted, varies considerably. In the case of cultural boycotts, one influential formulation, originally made by the Palestinian Campaign for Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI), calls for cultural boycotts on the following grounds: »Israel overtly uses culture as a form of propaganda to whitewash or justify its regime of occupation, settler-colonialism and apartheid over the Palestinian people. Just as South African anti-apartheid activists had called on international artists, writers and cultural institutions to culturally boycott South Africa, PACBI urges international cultural workers and cultural organizations, including unions and associations, to boycott and/or work towards the cancellation of events, activities, agreements, or projects involving Israel, its lobby groups or its cultural institutions. International venues and festivals are asked to reject funding and any form of sponsorship from the Israeli government. Thousands of artists across the world now refuse to perform in Israel, including a host of global superstars such as Roger Waters from Pink Floyd, Lauryn Hill and Chuck D.« (Palestinian Campaign for Academic and Cultural Boycott of Israel n. d.).

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC The argument here is that Israel uses culture as propaganda to whitewash oppression of the Palestinians. This seems to be, in the terms I laid out earlier, both a politico-ethical argument and also a hermeneutic one. To engage with Israeli cultural production is politically and ethically untenable on the grounds that, hermeneutically, such production can only be reduced to the state of Israel and its actions. While the call implies that it might be possible to engage with Israeli cultural production that is carried out without any assistance or support from the Israeli state, it certainly suggests that any Israeli cultural production that interacts with the state in any way can only be understood as reducible to the state itself. One of the most well-publicised BDS campaigns was against the 2019 Eurovision song contest, held in Tel Aviv. BDS advocates argued that the contest was, in its entire essence, a branding exercise designed to give an erroneous picture of Israel as a gay-friendly and free place — what is known as ›artwashing‹ and ›pink-washing‹: »Israel's regime of military occupation, settler-colonialism and apartheid is shamelessly using Eurovision as part of its official Brand Israel strategy. Holding the 2019 Eurovision Song Contest in Israel whitewashes apartheid. Shortly after her win at the 2018 Eurovision finale, Israeli contestant Netta Barzilai said she looked forward to the world seeing »the Israeli carnival« when Jerusalem hosts the contest next year. People will see ›how wonderful we are, what a vibe we have. Best people… the best place in the world.‹ Exploiting Eurovision's popularity among LGBTQ fans, Israel quickly enlisted Barzilai in its pinkwashing efforts. Barzilai has performed at Pride events around the world with the backing of Israel's embassies. Straight out of apartheid South Africa's propaganda playbook, Israel uses the arts to explicitly deflect growing condemnations of its violations of Palestinian human rights. Israel is using Eurovision to artwash its egregious crimes against the Palestinian people« (Boycott Eurovision 2019; emphasis in original quote). The implication is that the entirety of Eurovision will be completely tainted, its meaning entirely determined, if it is held in Israel. Yet Eurovision is a contest entered by multiple countries, run by diverse regimes. The winner who hosts the following year's contest has some scope to adapt and customise the format (particularly in the interval show and introductory videos to individual entries), but the ability to brand a particular Eurovision song contest is also constrained by the European Broadcast Union, which runs the contest (Vuletic 2018). For those who advocated a boycott of Eurovision in 2019, polysemy can only be enabled when Eurovision is located outside of one particular state.

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KEITH KAHN-HARRIS This heremeutic reductiveness was both affirmed and challenged at the 2019 contest by the Icelandic entry Hatari. An industrial act with a BDSM aesthetic, their entry »Hate will Prevail« seemed to challenge what was seen to be Eurovision's emphasis on love and peace. They pushed back forcefully at the construction of the contest as a neutral, apolitical space. As one of their members, Tryggvi Haraldsson argued: »Letting the narrative of the fluffy, peace-loving pop contest go on unchallenged in this context in our view is extremely political. Everyone who takes part in this is taking part in a political statement whether they are aware of it or not« (Holmes 2019). The band made a point of visiting occupied Hebron before the contest as well as recording a video with a Palestinian musician Bashar Murad, in Jericho (Hatari featuring Bashar Murad 2019). Hatari were keen to highlight the incongruities of the contest taking place in such a divided space: »›It's so absurd to be in this contest … and everyone is super polite; it's all about the music and everybody loves each other,‹ says Tryggvi Haraldsson at his hotel in Tel Aviv. And to be in that bubble a day after witnessing apartheid in action just an hour's drive away is the contradiction that we want to be aware of« (ibid.). On the other hand, despite appearing to affirm the hermeutic reductiveness of the BDS movement to some degree, Hatari did participate in the contest, apparently intending participation to be a platform for critique: »Tryggvi Haraldsson says he supports any non-violent movement that campaigns for Palestinian rights, including BDS, ›even though, obviously and paradoxically, our approach is very different‹. Otherwise, he says, ›an opportunity for a critical discussion is wasted‹, as Iceland was always going to send a group« (ibid.). Certainly, Hatari's performance jarred with the dominant aesthetics of Eurovision, although it is hard to see how this constituted an act of subversion of the occupation. However, they did display Palestinian flags in a cutaway shot during the final voting. This action caused outrage from the host country but also from the Eurovision organisers, who fined the Icelandic national broadcaster for breaching the rule against ›politicising‹ the contest (Rasmus 2019). Hatari's gesture was not appreciated by some BDS supporters. The Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI) tweeted following the performance: »Palestinian civil society overwhelmingly rejects fig-leaf gestures of solidarity from international artists crossing our peaceful picket line« (2019).

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC Hatari therefore ended up being positioned uncomfortably within a dichotomous relationship between assertions of the non-political and assertions of the only political. Both the strategies of pro-Palestinian activists and pro-Israeli activists are coherent from the point of view of political action. The problem is that they make no sense from the point of view of hermeneutics. Perhaps, for supporters of the Palestinians, to acknowledge that Israeli cultural production cannot, in its entirety, be reduced to the oppressiveness of the Israeli nation state, would be to inject a level of nuance in the political response to Israel that is assumed to undermine the task of opposition and protest. Similarly, for the Israeli state to acknowledge that there can be no entirely »apolitical« culture would be to raise uncomfortable questions that are assumed to undermine the wholehearted defence of Israel against the BDS movement. Above all, working with such a simplistic view of hermeneutics is incredibly convenient. By convenient, I mean a practice that does not require an extensive process of engagement with ambiguity and contradiction. The desire for convenience may be particularly intense when it comes to the search for aesthetic pleasure. Of course, art is not simply a source of convenient distraction, but it may well be necessary to bracket difficulty within wellguarded boundaries of convenience. This is one way of understanding the limitations of the work of Sublime Frequencies — their work is challenging in many respects, but the challenge tends to stop at certain points where questions that are too inconvenient are raised.

Metal, Israel and the nation The intricate relationship between difficulty and inconvenience is constantly displayed in metal culture. As my previous work on the subject has argued (2007), for all the transgressive and even radical aesthetic explorations within metal scenes, there is a strong counter-tendency towards reproducing metal as a mundane and convenient space. The relationship between the logics of the transgressive and the mundane are mediated via sophisticated processes of »reflexive anti-reflexivity« that draw on the reflexivity of the scene in order to limit the reflexive engagement with inconvenient questions. »Politics« is reflexively resisted as an inconvenient intrusion into the autonomy of the scene. In the last few years, reflexively anti-reflexive resistance to politics has begun to be challenged in metal. Uncomfortable political questions are starting to be asked. Yet interestingly, the ways in which this is being done often

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KEITH KAHN-HARRIS circumvent the issue of the nation state and its relationship to cultural production. One can see this most clearly by returning to Israel. While Israeli members have participated in the global metal underground since the 1980s and foreign bands have played in Israel since the early 1990s, in the last twenty years, the scene has begun to insert itself more securely into the global touring circuit. In this process, the BDS movement has paid the scene and its artists very little attention, in stark contrast to the difficulties that other sections of the Israeli music industry have faced. In 2019, metal bands including Epica, Amorphis and Septic Flesh played in Tel Aviv with no apparent attention from BDS activists. On the rare occasions when metal has been on the BDS radar it is when major international metal bands such as Metallica have played in Israel (Boycott! 2017). The only major exception to this is Napalm Death, who played in Israel in 2011 and faced pressure not to do so (Palestinian Students' Campaign for the Academic Boycott of Israel and Palestinian Youth Against Israeli Apartheid 2011). It is possible that metal is largely »written off« as politically inherently reactionary and therefore pointless to target for BDS campaigns. That Napalm Death were targeted may have been because they are associated with a more radical political stance. It is also possible that most metal acts that play in Israel are not known to many BDS activists. There may also be a calculated prioritisation at work here too: It is politically more productive to target acts that are either hugely popular or that have significant cultural capital. Israeli metal bands playing outside of the country also do not seem to have encountered significant problems, at least in touring in western countries. Although few Israeli acts have toured extensively, the band Orphaned Land have a substantial global following and have toured multiple times in Europe, North and South America and beyond. They cannot play in any Middle Eastern country other than Turkey (where they have performed multiple times). This is due to a blanket prohibition on cultural contacts with Israel in almost all Muslim countries, together with bans on Israeli citizens entering the country in some, and these prohibitions long preceded the BDS movement. That Orphaned Land claim to have fans in countries such as Iran and Saudi Arabia, and even once applied for Turkish citizenship speaks of both the porousness of cultural boundaries in the online age and, perhaps, the ability of some metal acts to speak across dividing lines (O'Conner 2019). In western countries I am not aware of pickets or protests outside Orphaned Land shows. However, this may have something to do with the prioritisation by the BDS movement of artists who, unlike Orphaned Land, are directly or indirectly subsidised by the Israeli state, although boycotts that go beyond this are by no means uncommon. Nonetheless, the BDS movement

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC does perhaps impact on Orphaned Land more subtly, at least in their heightened sensitivity to even minor acts of opposition. When I interviewed Orphaned Land's singer Kobi Farhi in the backstage of the Underworld club in London, he pointed to a sticker they had placed on the refrigerator the last time they had played the venue. It was half scratched out. In contrast, stickers from other bands dating back years were plastered over the backstage area and seem to have been untouched (Kahn-Harris 2018). Nonetheless, it is fair to say that BDS has only had a very modest impact on Israeli metal and that even when it has, it is rarely because of the actions of global metal scene members. In many respects this is not unexpected. Hermeneutically and politically, metal culture strongly resists the reduction of artists to the political character of the nation that hosts them and some scholars of metal have also positioned themselves against political reductiveness (Philipov 2012). Further, there may also be an element of sympathy or attraction to Israel in some quarters of the metal scene, although this is hard to verify. Certainly, metal scenes are probably not immune to the shifts within some cultures of racism towards an Islamophobia legitimated by a kind of philosemitism (Wertheim 2017). Still, even within the emergent antifascist currents in metal (discussed below), BDS does not seem to be a priority. Rather, racism within metal scenes themselves — and black metal scenes in particular — are the main target, rather than the nation states beyond them. While direct interventions in the politics of particular states — one's own or others — are rare in metal, it is not that the nation state has no relevance in metal discourse; indeed, the situation is quite the reverse. However, the significance of the nation in metal's scenic discourses is as a generic category as much as a political category. Practices of organising and curating metal frequently draw on the country of the band as a significant form of classification. For example, metal-archives.com organises itself by country as well as alphabetically and by genre.2 Metal discourse is shaped by and contributes to the »banal nationalism« that reproduces the state as a natural and selfevident socio-political category (Billig 1995). At the same time, metal's discursive construction of the nation state goes way beyond the everyday, reaching towards some kind of merger with the concept of genre. Metal discourse speaks of »Norwegian black metal«, »Finnish folk metal« and »Canadian thrash metal«, for example. It is also true that sub-national categories are also used, such as »Tampa death metal«, »Gothenburg death metal« and so

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For a detailed discussion of Metal Archives, see Berkers and Schaap (2018).

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KEITH KAHN-HARRIS on. In both cases though, political boundaries — whether national or subnational — are of vital importance in organising the generic map of metal. This generic association at once affirms the political character of the nation state and erases it. The state sets metal's sonic boundaries and it does not set them. It makes sounds hearable and identifiable, but the political entity that is responsible for this boundary-setting is treated as of no importance. Instead, the conceptual space of »the nation« is filled with sonic characteristics and bricolages of national myths and legends that long precede the nation state. Norwegian black metal, for example, is not defined by the social democratic welfare state that emerged from 1945, it is defined by sounds that invoke imagined pre-Christian peoples that precede the Norwegian nation state itself (Søderlind/Dyrendal 2009). At the same time, there is a frequent slippage between this mythic idea of nationhood and more contemporary forms of nationalism, some of which can be exclusionary and racist (Spracklen 2013; Spracklen et al. 2014). In metal discourse, the nation state oscillates between erasure and affirmation. That metal is also a ›global‹ scene with multiple interconnections between the global and the national (Wallach et al. 2011), can magnify this oscillation: the proliferation of metal across the world sometimes accentuates metal's apparent ›transcendence‹ of the national and sometimes accentuates the reverse, the embeddedness of metal scenes within incommensurate national contexts. The latter tends to become more evident when the state acts against metal in certain parts of the world. Metal scene members have, on occasions, mobilised collectively or individually in support of metal scene members who are being oppressed by state authorities or adversely affected by state or sub-state violence. This mobilisation usually takes the form of publicity of particular cases, through metal and related media, rather than more political mobilisations or supply of resources. One example of this can be seen in documentaries on metal in Syria, Iraq, Mozambique, Angola and South America that have drawn attention both to the resilience of metal in conflict zones and the global south, and to the threats against metal (Alvia/Moretti 2007, Bornstein n.d., Darwish 2017, Varas-Diaz 2019, Xido 2012). The 2019 »World Metal Congress« brought together activists, musicians and academics in part to highlight and support such metal scenes (Retallick et al. 2019). Metalheads themselves often value metal as a means of survival amidst violent conflicts such as the Syrian civil war (Grant 2017). The actions of the state against metal may result in a bifurcation between the imagined nation of mythological nationhood and the actually existing nation state. Middle Eastern bands may invoke symbols and legends drawn from this mythic nation, even as the ›real‹ nation is oppressing them (Crowcraft

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC 2017, LeVine 2008). The consequences of this bifurcation can be to efface the possibility that metal can be in some way hermeneutically marked by the state itself, rather than hermeneutically marked by its attempts to transcend it. As with Sublime Frequencies, there is a deeply engrained reluctance in metal to think of metal bands as potentially aligned with and an expression of the politics of the nation state. Certainly, there was little resistance when the Finnish foreign ministry, in collaboration with record companies, tourism authorities and mass media, branded Finland as the »Capital of Metal« (n. d.) as a way of publicising a particular vision of their country for tourism and public diplomacy purposes. When in 2017 the Danish prime minister presented the metalhead Indonesian prime minister Joko Widodo with a Metallica boxset, there was no outcry at this diplomatic instrumentalising of metal (Blabbermouth.net 2017). Empirically, effacing the impact the nation state has on music scenes is not sustainable. The nation state impacts in subtle and not-so-subtle ways on the national metal scenes within them (Cloonan 1999). But the construction of nationhood in metal as a kind of quasi-genre also contains political possibilities that should not be dismissed. Constructing nationhood as distinct from the modern nation state, may enable a global politics that can act within a multiplicity of political environments simultaneously. To refuse the nation state as the primary site of political engagement and, concomitantly, to prioritise the global metal scene itself, may also potentially enable innovative forms of activism. In the last few years, an explicitly political anti-fascist current has emerged in metal scene has begun to emerge. A key moment in this development was the »Black Flags Over Brooklyn« festival, held in New York January 2019 and organised by the writer and activist Kim Kelly (Shteamer 2019). Artists playing included often marginalised groups within metal scenes, including people of colour, women, trans and non-binary people. Metal has now spawned acts that deliberately provoke and transgress long-engrained power relations in metal. For example, the female death metal band Castrator sing about the mutilation of rapists, inverting the common use of sexually violent lyrics in the genre; an act of what Joan Jocson-Singh (2019) has called »vigilante feminism«. Black metal bands have also turned their ire onto the fascistic tendencies sometimes present in black metal (Kelly 2018). The band Gaylord's debut release was entitled and The Black Metal Scene Needs to Be Destroyed, and included song titles like »Odin Doesn't Listen to NSBM You Inbred Alt-right Shitheels« and »Neo-nazi Metalheads Will Be Hanged and Their Broken Corpses Openly Mocked.« Another anti-fascist black metal band,

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KEITH KAHN-HARRIS Neckbeard Deathcamp, released an album called White Nationalism is for Basement Dwelling Losers. Such aggressively anti-fascist scenic interventions may enable a global politics. When an anti-fascist metal festival is organised in New York, it can make interventions against racism within multiple countries. The emerging project of transforming metal into a space that refuses racism, misogyny and homophobia may be stronger in some countries than others (the US in particular) but its potential is far-reaching. At the same time, a politics that avoids engaging with the complexities of the hermeneutic marking of the nation state will always be threatened by the possibility that attention will be drawn to this absence of engagement. This is why metal provides such a useful case study in the study of strategic ignorance. As I argued at the beginning of my paper, this ignorance is increasingly difficult to maintain against the onslaught of inconvenient, ubiquitous, online knowledge. But if metal does sustain the centrality of strategic ignorance as a foundational metal practice, it does not have to be in the service of an effort to ›depoliticise‹ metal. On the contrary, the recent development of anti-fascist metal suggests that it may be possible to develop a form of metal that is at once deeply committed to political activism whilst refusing to see metal as reducible to the nation state. This is a productive kind of strategic ignorance, a reflexive anti-reflexivity that bends back on itself to become a different kind of reflexivity.

Conclusion The unbounded, unruly explosion of knowledge threatens any attempt to sustain a strategic ignorance that makes our aesthetic choices conveniently pleasurable. The consequences of this are easy to understand when it comes to Eurovision, which priorities ›easy‹ sounds in a conveniently packaged environment. But it is striking how far the search for convenience may also coexist with an embrace of aesthetic difficulty. Extreme forms of metal and the sonic explorations of Sublime Frequencies are not convenient in the sense of being sonically easy to listen to. So why might a capacity for explorations in sonic difficulty coexist, or even be dependent on, a retreat from political difficulty? Why might engagement with the complex ways in which the nation state exerts a structuring force on music be so inconvenient while difficult sounds can be conveniently incorporated into one's life? The answers to these questions might lie in the character of the nation state itself as a political entity. While nation states may attract patriotism or

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STRATEGIC IGNORANCE AND THE THREAT OF KNOWLEDGE IN THE GLOBALISATION OF MUSIC pride — as well as the reverse — the far-reaching influence they exert do not seem to be easy to apprehend. The nation state is a kind of threatening Leviathan against which popular music often appears to struggle to maintain a distance from. So the question for scholars who examine this relationship is: how might we engender a reckoning with the nation state that does not imperil the joys and pleasures of music? In this regard, metal might be one space where this reckoning might take place.

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KEITH KAHN-HARRIS

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Abstract This article argues that ignorance and knowledge are key variables for consideration in understanding how ›the national‹ is engaged with in the globalisation of music. In particular, practices of ›strategic‹ ignorance, in which quasi-artful techniques prevent inconvenient knowledge from intruding on musical pleasures, play an important role. The reverse is also true in that, in some cases where the national is seen to determine the music produced in a certain location, discursive practices construct it as reducible to its national context. This article examines three cases where this relationship between ignorance and knowledge has been played out: the work of the label Sublime Frequencies, Israel's hosting of the Eurovision Song Contest in 2019, and the place of Israeli metal bands in the global metal scene. In all these cases, the national has becomes a ›problem‹ to be solved, either through strategically ignoring it or through treating it as determinative. The article goes on to suggest that metal scenes may provide a more productive relationship to the national.

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ZU

DEN

AUTOR*INNEN

Maria Alexopoulou ist promovierte Historikerin und arbeitet am Historischen Institut der Universität Mannheim als Stipendiatin der Fritz-Thyssen-Stiftung an ihrer Habilitationsschrift. Sie erforscht mit einem rassismuskritischen Ansatz die Transformation Deutschlands in eine Einwanderungsgesellschaft. • [email protected] Maria Behrendt studierte Musikwissenschaft, Medienwissenschaft und Französisch an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster und der University of Wales, Bangor. Von 2014 bis 2018 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena. Ihre Promotion über »Romantische Aspekte im deutschen Kunstlied der 1830er Jahre« schloss sie 2018 ab. Ihr Postdoc-Projekt beschäftigt sich mit der Rezeption der Irish Folk Music in der Filmmusik im 21. Jahrhundert und deren Einfluss auf die deutsche Wahrnehmung irischer Volksmusik. Sie ist Co-Sprecherin der Fachgruppe »Nachwuchsperspektiven« der Gesellschaft für Musikforschung. • [email protected] Gideon Botsch ist außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsselle Antisemitismus und Rechtsextremismus des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien Potsdam. • [email protected] Benjamin Burkhart studierte Musikwissenschaft an der Universität Würzburg und an der HfM Weimar, wo er 2019 promoviert wurde. Seit 2018 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg im BMBF-Verbundprojekt »Musikobjekte der populären Kultur«. Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre: Analyse und Ästhetik populärer Musik und Jazz, qualitativ empirische Methoden in der Musikforschung sowie auditive Medienkulturen in Geschichte und Gegenwart. • [email protected] Frederik Dörfler studierte am Institut für Musikwissenschaft an der Universität Wien bevor er an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW) 2019 sein Doktorat mit der Dissertation HipHop-Musik aus Österreich. Lokale Aspekte einer globalen kulturellen Ausdrucksform abschloss. Diese wird mit der Unterstützung des FWF (Österreichischen Wissenschaftsfonds) 2020 bei transcript publiziert. Ebenfalls 2020 war er Teil des Post Doc-Track-Programms der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), um an seinem Forschungsprojekt »Dope Beats« zu arbeiten und lehre als Gastdozent

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ZU DEN AUTOR*INNEN an der MDW. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit gibt er HipHop-Workshops an Schulen und ist als DJ und Musiker tätig. • [email protected] Magdalena Fürnkranz ist Senior Scientist am Institut für Popularmusik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Ihre Forschung konzentriert sich vorwiegend auf Performativität und Inszenierung in der Popularmusik, intersektionale, queere und postkoloniale Perspektiven auf musikkulturelle Felder, Musikszenen in Österreich und New Jazz Studies. Sie ist Mitherausgeberin von Performing Sexual Identities. Nationalities on the Eurovision Stage (2017) und Autorin von Elizabeth I in Film und Fernsehen. De-/Konstruktion von weiblicher Herrschaft (2019). • www.ipop.at/magdalena-fuernkranz Jan Herbst is Senior Lecturer in Music Production at the School of Music, Humanities and Media, University of Huddersfield, UK. He is director of the research centre for Music, Culture and Identity (CMCI) and the Popular Music Studies Research Group (PMSRG). His current research projects focus on the electric guitar and the special role of distortion, metal music in and from Germany (›Teutonic‹ metal) and the so-called ›Gear Acquisition Syndrome‹ (GAS), a common phenomenon amongst musicians who spend more time fiddling with equipment than actually playing it. • [email protected], www.janherbst.net Keith Kahn-Harris is a senior lecturer at Leo Baeck College, an associate lecturer at Birkbeck College and a Fellow of the Institute for Jewish Policy Research. The author of six books, he has published widely on multiple topics, including on metal music scenes and on the sociology of Jewish communities and cultures. He is the co-editor of the book series »Emerald Studies in Metal Music and Culture«. • [email protected] Paul Kaspar studierte Musikwissenschaft und Soziologie in Mainz und in Gießen. In seiner Bachelor-Arbeit untersuchte er das Genre Post-Rock. Für seine Masterarbeit erarbeitete er ein auf einer Korpusanalyse basierendes Stilportrait zur Italo Disco. Seit 2018 arbeitet er als Booker in einem Live-Club. Er ist außerdem als DJ tätig und spielt in verschiedenen Bands. • [email protected] Maude Williams hat Geschichte und interkulturelle Studien an deutschen und französischen Universitäten studiert. 2016 schloss sie ihre Dissertation Kommunikation in Kriegsgesellschaften am Beispiel der Evakuierungen in der deutsch-französischen Grenzregion 1939/40 (Sorbonne Université/Universität Tübingen) ab. 2016-2018 war sie als LfbA an der Ruhr-Universität Bochum tätig sowie im Wintersemester 2017/18 Koordinatorin des Frankreich-Schwerpunkts der Universität Stuttgart. Seit Mai 2018 ist sie Post-Doktorandin und Koordinatorin im DFG/FNR-Projekt »Populärkultur transnational — Europa in den langen 1960er Jahren« (Universität des Saarlandes/Université du Luxembourg). • https://www.uni-saarland.de/lehrstuhl/hueser/mitarbeiter/m-williams.html

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Popularmusikforschung ist das Miteinander der Disziplinen im offenen Blick auf die gesamte Breite populärer Musik und Kultur. Seit 1984 bietet die unabhängige Gesellschaft für Popularmusikforschung (GfPM, bis 2014: ASPM) hierfür das mitgliederstärkste Netzwerk im deutschsprachigen Raum. SELBSTVERSTÄNDNIS Unabhängigkeit | Als gemeinnütziger Verein sind wir finanziell, inhaltlich und politisch unabhängig. Aus dieser Position heraus ist es uns möglich, als unabhängige Expert*innen für Popularmusikforschung zu agieren. Vielfalt | Popularmusikforschung widmet sich einem reichen Feld kultureller Texte, Kontexte und Praxen. Wir versammeln in unserem Verein die unterschiedlichsten disziplinären, methodischen, praktischen und theoretischen Zugriffe, um diese zu analysieren, zu diskutieren und zu vermitteln. Internationale Ausrichtung | Popmusikforschung ist für uns selbstverständlich das internationale Miteinander der Disziplinen. Deutsch und Englisch sind unsere Publikations- und Tagungssprachen. AUFGABEN Förderung und Unterstützung | Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist uns wichtig: Wir bieten finanzielle Unterstützung für Reisen und Publikationen aus einem Nachwuchsfond, vergeben jährlich den ersten Förderpreis auf dem Gebiet der Popularmusikforschung und veranstalten für junge Wissenschaftler*innen Workshops und internationale Postgraduate Summer Schools. Outputs | Seit 1984 führen wir jährliche Tagungen durch, deren Ergebnisse in mittlerweile 44 Bänden der Beiträge zur Popularmusikforschung veröffentlicht und online als Volltext-Archiv verfügbar sind. Außerdem publizieren wir das Open Access-Journal SAMPLES (18 Jg.) und die Schriftenreihe texte zur populären musik (Bde. 1-10). Mehr Informationen unter www.popularmusikforschung.de

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Rap – Text – Analyse Deutschsprachiger Rap seit 2000. 20 Einzeltextanalysen Februar 2020, 282 S., kart., 24 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4628-3 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4628-7

Helen Geyer, Kiril Georgiev, Stefan Alschner (Hg.)

Wagner – Weimar – Eisenach Richard Wagner im Spannungsfeld von Kultur und Politik Januar 2020, 220 S., kart., 6 SW-Abbildungen, 5 Farbabbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4865-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation, ISBN 978-3-8394-4865-6

Rainer Bayreuther

Was sind Sounds? Eine Ontologie des Klangs 2019, 250 S., kart., 5 SW-Abbildungen 27,99 € (DE), 978-3-8376-4707-5 E-Book: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4707-9

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Musikwissenschaft Eva-Maria Houben

Musical Practice as a Form of Life How Making Music Can be Meaningful and Real 2019, 240 p., pb., ill. 44,99 € (DE), 978-3-8376-4573-6 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4573-0

Marianne Steffen-Wittek, Dorothea Weise, Dierk Zaiser (Hg.)

Rhythmik – Musik und Bewegung Transdisziplinäre Perspektiven 2019, 446 S., kart., 13 Farbabbildungen, 37 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4371-8 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4371-2

Johannes Müske, Golo Föllmer, Thomas Hengartner (verst.), Walter Leimgruber (Hg.)

Radio und Identitätspolitiken Kulturwissenschaftliche Perspektiven 2019, 290 S., kart., 22 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4057-1 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4057-5

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