Nymphenburg und seine Bewohner [2. Aufl. Reprint 2019] 9783486776195, 9783486776188


220 11 9MB

German Pages 160 [184] Year 1949

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
INHALTSVERZEICHNIS AND VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Der Borgo delle Ninfe
Max Emanuel
Karl Albrecht und Amalie
Die Zeit des Kurfürsten Max III. Joseph
Karl Theodor
Unter dem bayerischen König Max Joseph
Zu Ludwigs I. und Max' II. Zeiten
Unter Ludwig II.
Unser Nymphenburg
In der Republik
Recommend Papers

Nymphenburg und seine Bewohner [2. Aufl. Reprint 2019]
 9783486776195, 9783486776188

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

11oisL K n s s i i l f t ( l ' . i w ) : l ' i ' i n z L u d w i g l - C i d i i i a n d v o n

ycrn

A D A L B E R T

P R I N Z

VON

B A Y E R N

NYMPHENBURG und seine

Bewohner

V E R L A G V O N R. O L D E N B O U R G MÜNCHEN

1950

Mit 19 Abbildungen auf Tafeln und einer Karte

2. Auflage. Copyright 1949 by R.Oldenbourg, München Druck und Buchbinderarbeiten: R. Oldenbourg, Graphische Betriebe G. m. b. H., München

Meinem Vater Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern zum neunzigsten Geburtstag am 22. Oktober 1949

Weißt Du noch — es war in den friedlichen Jahren vor dem ersten Weltkrieg, bei einer Vorstellung von „Orpheus in der Unterweltinszeniert von Max Reinhard im Künstlertheater des Ausstellungsparkes —, wie der große Komiker Callenberg als Menelaus, von Nymphen umgeben, plötzlich in Deine Loge hineinrief: „Da Und wie sich das ist er ja, der alte Nymphenburger!" Publikum arglos mit Dir über diesen Scherz freute? Alt warst Du damals nicht, aber Nymphenburger warst Du immer bis auf den heutigen Tag. Fast jeder Gegenstand im Schloß, jeder Platz im Park trägt irgend eine Erinnerung aus Deinen fast ununterbrochen hier verbrachten neunzig Jahren, erzählt von Dir selbst erlebte oder vom Vater oder Großvater überkommene Begebenheiten. Uns sind die früheren Generationen vertrauter als den vielen ortsfremden Besuchern. Für uns leben die Geister längst Verstorbener in diesen Räumen. Mögen draußen die Bilder auch noch so oft wechseln, die dicken Mauern scheinen die Vergangenheit für uns lebendig zu erhalten, vielleicht hilft uns dabei das gemeinsame Blut, da unsere Familiengeschichte sich doch zu einem guten Teil in Nymphenburg abgespielt hat. Fast jeder Gegenstand ruft sie uns wach. Das Namenszeichen Adelheids von Savoyen auf den Türen oben im nördlichen Pavillon oder eine Decke in

,Deinen" Zimmern im ersten Stock des Mittelbaues versetzen uns sogleich in die Zeit der Entstehung von Nymphenburg. Die Amalienburg oder ein Porzellanfigürchen von Bustelli und vieles andere spricht die Sprache des Rokoko. Ein Blich aus dem Fenster genügt, und mit etwas Phantasie bevölkern sich die Kanäle mit Canalettos Gondeln und das Parterre wird lebendig mit zierlichen gepuderten Gestalten. In Deinem Zimmer lebt Karl Theodor. Auch Empire und Biedermeier haben, wie jede vergangene Epoche, mehr oder weniger ihre Spuren hinterlassen. Ich will versuchen, zeitlich zu ordnen und festzuhalten, was Du gehört oder selbst erlebt hast und was auf uns, Deine Kinder, gekommen ist. Dazu will ich fügen, was mir in alten Briefen und Aufzeichnungen von der Zeit an, da unsere Zweibrückener Linie nach Bayern übersiedelte, über Nymphenburg unter die Augen gekommen ist. Was vor dieser Zeit geschah, muß ich Gedrucktem entnehmen. Es wird also eine für Dich zusammengestellte, ganz persönliche Familiengeschichte sein, und zum Teil eine Ergänzung der verschiedenen geschichtlichen Arbeiten über Nymphenburg.

INHALTSVERZEICHNIS Der Borgo delle Ninfe

11

Max Emanuel

19

Karl Albrecht und Amalie

46

Die Zeit des Kurfürsten Max III. Joseph . . . .

52

Karl Theodor

61

Unter dem bayerischen König Max Joseph

. . .

64

Zu Ludwigs I. und Max* II. Zeiten

100

Unter Ludwig II

123

Unser Nymphenburg

137

In der Republik

148

VERZEICHNIS

DER

ABBILDUNGEN bei Seite

Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern Canaletto, Gartenansicht Nymphenburg

i . . . .

16

Kurfürst Max Emanuel von Bayern

17

Schloß Nymphenburg von der Parkseite

32

Freitreppe des Schlosses

33

Vorzimmer zum Marmorsaal

48

Wandfresko Kephalus und Prokris

49

Gascar, Kurfürstin Adelheid von Savoyen . . . .

64

Rokokokommode

65

Marmorstatue des Jupiter

80

Die Pagodenburg

81

Die Amalienburg

96

J . B . Zimmermann, Diana-Lunette

97

Amalienburg, der Spiegelsaal

112

Amalienburg, Venezianischer Lüster

113

Deckenstück aus der Amalienburg

128

Wandschnitzerei in der Amalienburg

129

Venusstatue im Park

144

Luftaufnahme von Nymphenburg

145

Karte von Schloß und Park Nymphenburg

.

.

. 160

Der Borgo delle Ninfe Mitten in die Ebene zwischen München und Würm neben eine kleine hölzerne Kirche stellt die savoyisdie Adelheid einen italienischen Bau. Er ist das Kernstück des heutigen Schlosses. Wie es ursprünglich aussah, zeigt der bekannte Stidi von Welling, auf dem wir uns die erst später angefügte steinerne Freitreppe wegdenken müssen. Ein schlichter Würfel mit kleinem Barockgarten davor, das war der Anfang. Von der Inneneinrichtung weiß man nichts mehr. Doch zeigen die meist von Antonio Triva gemalten Decken in den Räumen um den Steinernen Saal, mit Adelheids Namenszug und dem ihres Kurfürsten Ferdinand Maria, als die einzigen Uberreste jener Zeit, daß die Räume reicher ausgestattet waren als das Äußere. Diese Deckengemälde stellen verschiedene Nymphen dar, wie es sich für eine Nymphenburg gebührt. Erst in allerjüngster Zeit ist ein Doppelportrait des Ehepaares, das früher in der Residenz war und wahrscheinlich von dem damaligen Hofmaler Gasear stammt, nach Nymphenburg gekommen. Es vervollständigt die Reihe der Bauherrn. Das Paar sieht uns traurig an: Adelheid hat das Heimweh nach Italien nie überwinden können, und ihr Gatte konnte sie nicht glücklich machen, so sehr er sie liebte. Das Bild zeigt die typisch romanische Frau mit dunklem Haar und schmalem Gesicht, sie war 11

savoyisch vom Vater, französisch von der Mutter. Ihre schlanke Gestalt steckt in der Schneppentaille eines steifen, perlenbestickten rötlichen Atlasgewandes mit bauschigen Ärmeln und Spitzen. Ferdinand Maria steht — offenbar sehr gelangweilt — mit den Zeichen seiner Würde da, im Küraß, Hermelin um die Schultern, Allonge-Perücke, Schnurrbärtdien ä. la Louis treize, riesigen Schleifen auf den Schuhen. Er war nicht so bedeutend wie seine Frau. Als Sohn und Nachfolger des berühmten großen Kurfürsten Maximilian I., des Führers und Feldherrn der Liga im Dreißigjährigen Krieg, hatte er es wohl auch nicht leicht. Beide waren, ohne sich vorher zu kennen, blutjung, nur aus politisdien Erwägungen vereint worden. Deiner engsten Familie steht jene Adelaide di Savoia besonders nahe, nicht nur wegen der Türen hier oben mit ihrem Namenszug. Das sind praditvolle holzgeschnitzte Barocktüren mit alten Sdilössern; in ihren Mittelfüllungen zeigen sie ineinander verschlungen die Buchstaben A.H.M. — Adelheid Henriette Maria —, umrahmt von einem Palm- und einem Olivenzweig, den Symbolen ihrer Heimat und ihres Kunstsinnes. Wenn diese Türen nicht aus Adelheids Borgo stammen, dann hat sie später ihr Sohn zur Erinnerung an die Mutter in seine Privatgemächer einbauen lassen. Wir haben auch direkte Beziehungen zur Gründerin Nymphenburgs. Deine Schwester Isabella ist den umgekehrten Weg gegangen, als sie einen Savoyer, den Herzog Thomas von Genua, heiratete, nämlich von Nymphenburg in das Schloß Aglie bei Turin, das 12

Adelheids Mutter, die „Madame Reale", die Tochter Heinrichs IV., erbaut hat. Die Verbindung zwischen Nymphenburg und Aglie führt uns stets über Adelheid. Sie war erst sechzehn, als sie vier Jahre nadi dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in das noch verwüstete Bayern zog. Der Urheber dieser Ehe, Kurfürst Maximilian, war damals schon tot. Sein Ziel war, Savoyen an das habsburgische Schlepptau gegen Frankreich zu knüpfen. Er hatte aber die künftige Schwiegertochter dabei unterschätzt; denn gerade sie lenkte das bayerische Schiff zielbewußt in das französische Fahrwasser hinüber. Madame Reale hatte ihre Adelaide zu etwas Höherem bestimmt gehabt und hätte den drängenden Bayern gern mit ihrer anderen, weniger schönen Tochter abgefunden: Adelaide sollte den jungen Ludwig X I V . heiraten. Doch machte der französische Kardinal Mazarin einen Strich durch die Rechnung. Sein Schüler Ludwig mußte die Spanierin freien. So kam Adelaide doch im Sommer 1652 über die Alpen, aber ihr Herz ist immer in Piemont geblieben. Zu ihrem Unglück dauerte es Jahre, bis sie ihr erstes Kind bekam. Sie suchte Trost in der Frömmigkeit und in der Kunst. Es kommen italienische Künstler und Handwerker an ihren Hof, ihr wenigstens eine geistige heimatliche Atmosphäre zu schaffen — Baumeister, Maler, Stukkatoren, Musiker, Dichter. Oberitalienische Kultur wird an der Isar heimisch. Der Bologneser Agostino Barelli muß die düsteren Räume in der Residenz ummodeln. Die dort angebrachten durchbohrten Herzen sind Symbol für Adelheids Sehnen. Der große goldene Salon, der 13

im neunzehnten Jahrhundert dem neuen Königsbau zum Opfer fiel, hieß „Turiner Saal". Anderes haben Brände zerstört, das Ganze zuletzt die Bomben. Trotz italienischer Pradit fühlte die Tochter Savoyens sich in der Stadt beengt, und sie sehnte sich nach einem Schloß auf dem Land, wie Aglie, dem Schauplatz ihrer frohen Kindheit. Das alte Renaissance-Schloß Wilhelms des Frommen in Schleißheim war ihr zu ernst und das Leben dort allzu sehr auf das Jenseits eingestellt. Endlich nach acht Jahren erschien das erste Kind, Maria Anna, künftige Dauphine, und im Sommer 1662 der heiß ersehnte Erbe Max Emanuel. Neben dem berühmten bayerischen Namen sollte er den des geliebten Bruders der Mutter führen, auf daß Savoyen nicht vergessen werde. Des Kurfürsten Dank an den Himmel findet in der Theatinerkirche Ausdruck, sein Dankgeschenk für die Frau ist Nymphenburg. Beide Bauten soll Barelli beginnen. Damit Adelheid aber auch über ein fertiges Haus verfüge, schenkt er ihr noch das Schlößchen Menzingen an der Würm, das erst später Blutenburg genannt wird. Glückselig berichtet sie am 5. Juli 1663 ihrer Mutter, daß der Kurfürst ihr „Menzing" geschenkt habe und Kemnaten, um dort ein Schloß zu bauen (Merkel S. 376). Somit hat schon Adelaide Nymphenburg und Blutenburg vereinigt, wie das nach langer Trennung erst im neunzehnten Jahrhundert wieder auf dem Umweg über die Englischen Fräulein geschah. Menzing ist uralter bayerischer Kulturboden, wie auch das ganze Würmtal vom Abfluß des Starnberger Sees an. 14

Wahrscheinlich ist der dortige Bau schon im 12. Jahrhundert entstanden; er ist aber erst am Ende des vierzehnten wittelsbachisch geworden. 1438 hat ihn Herzog Albrecht III. von Bayern, der Mann der unglücklichen Bernauerin, neu errichtet. Es wurde der Lieblingsaufenthalt seines zweiten Sohnes, Sigismund. Dieser muß, in's Mittelalterliche übersetzt, eine ähnliche Natur wie Adelaide gewesen sein, nur ohne politischen Ehrgeiz. Bauen, Künste und Liebe füllten sein Leben. Die Regierung überließ er bald seinem Bruder, um draußen an der Würm einen Musen- und Minnehof zu halten mit Tieren, Blumen und Jagd, ohne aber dabei auf den Himmel zu vergessen. Wir verdanken ihm neben der Frauenkirche in München die außen und innen in unverdorbener Gotik erhaltenen Kirchen von Blutenburg und Pipping. Wer bayerische Gotik studieren will, wird diese beiden nahe beieinander liegenden Kirchen besuchen, und er wird sich ihrem alten Zauber nicht entziehen können. Adelheid aber scheint mit ihrem im Dreißigjährigen Krieg heruntergekommenen Schlößchen Menzing nicht ganz zufrieden gewesen zu sein. Sie wollte ein modernes, italienisches Schloß bei der Schwaige Kemnath bauen, ihren Borgo delle ninfe, als barockes Gegenstück zu dem, was sich Sigismund in Menzingen geschaffen hatte. Immerhin hat sie drei Sommer da draußen in ländlicher Stille verlebt und Nymphenburg auch geographisch mit Blutenburg in Verbindung gebracht, indem sie ihren Borgo auf den didit neben Blutenburg stehenden Kirchturm von Pipping ausrichtete. Sie ließ eine Schneise durch 15

den dichten Wald schlagen, damit sie von der einen ihrer Besitzungen zur anderen schauen konnte. Die im Osten auf den Kirchturm von Schwabing gerichtete Achse kam erst später zur Geltung, als auf ihr die Hauptkanäle gegraben wurden. Die Größe der Anlage ist am besten von der Mitte des Steinernen Saales aus zu ermessen. Die Kirche von Schwabing ist heute nicht mehr, aber der Turm der Pippinger steht nach wie vor wie das Korn eines Gewehres auf der Mittellinie des Kanals. Urkundlich wird Chemenatin mit Kirche erstmals anno 1163 genannt, 1276 hat Kaiser Rudolph zwischen Chemenatin und Pasing mit einem Heer gelagert (Pechmann, a. a. O. S. 274). Zu Adelheids Zeiten war es ein schlichter Schwaighof, dort, wo jetzt das Gasthaus zur Schloßschwaige steht, am Ostrand eines dichten Waldes. Und ungefähr an der Stelle des heutigen Kapellenbaus mit der Schloßkirche war damals das hölzerne, der Hl. Magdalena geweihte Kirchlein. Zwischen Schwaige und Kirche entsteht nun der Borgo. Ferdinand Maria kauft den Vormündern Johann Gaßner um 10 000 Gulden die Schwaigen Ober- und UnterKemnath ab, ein Hoflehen mit einigen Tagwerken Wald, dazu zwei Höfe vom Kloster Dietramszell. Da wo sich heute der Park befindet, war prachtvoller Eichenwald voller Wild — das „Aichgehilz". Barelli baut einen fünfstöckigen, schmucklosen Würfel und setzt ein Pyramidendach darauf. Den Platz des späteren französischen Parterres nahm ein abgerundeter italienischer Ziergarten ein. Irgendwo muß Adelheid auch für die Seidengewinnung Maulbeerbäume gepflanzt haben, 16

wie aus einer Verfügung von 1669 hervorgeht. Vielleicht war es dort, wo am Ende des Parkes gegen Laim zu kurz vor dem letzten Krieg für den Bahnhofsneubau solche Bäume gefällt wurden. Jedenfalls hat man uns als Kindern erzählt, das seien Adelheids Maulbeerbäume; eigentlich müßten sie aber noch älter ausgesehen haben. Bareliis Nachfolger Zuccali stellt den Borgo äußerlich bis 1675 fertig. Die Innenausstattung hat die Bauherrin nidit mehr erlebt, sie stirbt schon im nächsten Jahr, vor Erreichung ihres vierzigsten. Wie oft mag sie mit ihren Kindern auf der eigens von der Stadt hierher angelegten Fürstenstraße oder von Blutenburg aus den Bau besucht haben, um sich von den Fortschritten ihrer Schöpfung zu überzeugen. Hoffentlich waren die Kinder bei solchen Besuchen nicht so feierlich angezogen wie der Knabe Max Emanuel und seine ältere Schwester auf dem bekannten Doppelbildnis von Gascar, das früher auch in der Residenz hing und das nun hier ist. Er hat zwar hochmoderne Knickerbockers an aus weißem Atlas, aber alles übrige dürfte sehr unbequem gewesen sein. Beide sind wie die Mutter in Rotweiß gekleidet und wie Erwachsene frisiert; Kavalier und Dame en miniature. Er führt die Schwester mit der linken Hand, stützt die rechte mit dem Pleureusenhut auf die Hüfte und stellt einen Fuß graziös vor, als ob das Paar zum Tanz anträte — zu einer Pavane oder dergleichen. Diesen beiden ersten Kindern waren eine Tochter und zwei Knaben gefolgt, die aber bei der damaligen „Kunst" der Ärzte bei oder gleich nach der Geburt starben. Das sechste und siebente Kind blieben am 17

Leben: der nachmalige Kurfürst Joseph Clemens von Köln und die spätere Herzogin Violanta Beatrix von Florenz. Sie waren erst fünf und drei Jahre alt, als sie die Mutter verloren. Ferdinand Maria hat den Verlust seiner Adelheid nicht verwunden, er folgte ihr schon nach drei Jahren in die Gruft ihrer Theacinerkirdie. Seine kurze Witwerzeit vertrauerte er in stiller Zurückgezogenheit in Schleißheim, ließ aber aus Pietät den Borgo so fertigstellen, wie seine Frau ihn geplant hatte. Der Bau muß schon damals einen Festsaal von Barelli mit einer Allegorie auf Diana enthalten haben, der aber kleiner war als der spätere. Ferdinand Maria ließ audi noch die steinerne Freitreppe auf der Stadtseite anfügen. Dann wurde es Jahrelang wieder still um Kemnath wie zuvor. Der Borgo schläft, bis ihn der Sohn Adelaides weckt und erweitert. Blutenburg war schon vorher in andere Hände übergegangen, zuerst in die des Freiherrn von Pfetten. 1676 ging es an den kurfürstlichen Geheimrat Anton Freiherr von Berchem, der ihm die heutige Gestalt gab, 1700 starb und dort beigesetzt ist. Nach seinem Tode fällt es an den Landesherrn zurück. Die letzten drei Kurfürsten der bayerischen Linie, Sohn, Enkel und Urenkel Adelheids, haben Nymphenburg ausgestaltet.

18

Max

Emanuel

Max Emanuel wird schon mit siebzehn Jahren Kurfürst und steht bis zur Vollendung des adizehnten unter der Vormundschaft seines Onkels. Der Sohn ist ganz anders geartet als sein Vater Ferdinand Maria, praditliebend und voller Leben. Bei ihm hat das italienisdie Temperament durchgeschlagen und das seines Urgroßvaters Henri IV. Das alte Bayern ist f ü r seinen Ehrgeiz zu klein, er will eine europäische Rolle spielen. Kriegsruhm und Tatendrang locken ihn schon bald fort von der Heimat. N u r die allerersten Jahre seiner Regierung verbringt er hier in tollem Wirbel mit seinen Kavalieren, bayerischen, italienischen, französischen und österrreichischen. Liebe und Jagd spielen dabei keine geringe Rolle. Bei Schleißheim baut er sich zuerst das reizende Lustheim. Er jagt auch in dem „Aidigehilz" bei Nymphenburg. Der Borgo seiner Mutter könnte manches erzählen. Schwester Marianne macht den Chaperon, die Anstandsdame, für seinen Flirt mit der Gräfin Preysing. Die Geschwister halten zusammen wie auf dem Bild in Nymphenburg, aber sie sind keine Kinder mehr. Maria Anna wird Schwiegertochter Ludwigs XIV., was aber den Bruder nicht hindert, zunächst mit dem Kaiser gegen Frankreich zu kämpfen. Im Zeitalter des Absolutismus störten politische Gegensätze die persönlichen Beziehungen in keiner Weise. 19

Nicht nur, daß er in die Koalition gegen Ludwig XIV. eintritt, er nimmt sogar die wenig schöne Tochter des Kaisers Leopold in Kauf, um durch diese Verbindung Statthalter der spanischen Niederlande zu werden. In der Ferne winkt sogar der spanische Thron mit seinen unermeßlichen Ländern in Europa und in der ganzen großen "Welt. Die Rechnung wird nicht aufgehen, aber Max Emanuel zieht mit seinen Plänen gegen die Türken vor "Wien, und der Borgo delle ninfe versinkt in Dornröschenschlaf. Unter Sobieski am Kahlenberg empfängt der Bayer mit seinem Verwandten Eugen von Savoyen die Feuertaufe. Dann reitet er in die ungarischen Ebenen hinein mit dem Cornett Reiner Maria Rilkes von Sieg zu Sieg. Die Türken nennen ihn den blauen König, weil er in seinen weißblauen Farben überall im Getümmel zu sehen ist. Aus dem Knaben in seidenen Pluderhosen ist ein junger Held geworden. Nachher geht es an den Rhein gegen die französischen Marschälle und in das mütterliche Piemont. Höchstens im "Winter zwischen den verschiedenen Campagnen kommt er nach München, wenn ihn nicht der Carneval von Venedig mehr lockt. Trotzdem baut er bis zur Jahrhundertwende zwischen Lustheim und dem alten Schleißheim an einem riesigen neuen Schloß in französischem Stil. Im Februar 1690 erwartet er in Schloß Blutenburg seinen kaiserlichen Schwiegervater zum feierlichen Einzug, als dieser auf der Durchreise von Augsburg nach Wien durch München kommt. Zwei Jahre darauf, bald nach dem Tod seiner ersten Frau, Erzherzogin Maria Antonia, in Wien, siedelt er als Statthalter der spanischen Niederlande nach 20

Brüssel über und kommt in diesem Jahrhundert gar nicht mehr heim. Die große Politik hält ihn in Flandern fest, Campagnen mit dem oranischen König Wilhelm III. von England gegen die Franzosen, Regierungsgeschäfte im Dienste des letzten spanischen Habsburgers. Er heiratet Therese Kunigunde Sobieska, Tochter des Befreiers von Wien und einer Französin. Diese schenkt ihm zuerst Maria Anna Carolina, deren frommes Leben meine Mutter beschrieben hat, dann eine Reihe von Söhnen: Karl Albert, Philipp Moritz, Ferdinand Maria und Clemens August. Da stirbt sein bereits zum Erben von Spanien bestimmter Sohn erster Ehe, und Ludwig X I V . meldet seine Ansprüche für den eigenen Enkel Philipp von Anjou an. Max Emanuel weiß noch nicht, weldie Partei er im spanischen Erbfolgekrieg ergreifen soll, möchte am liebsten neutral bleiben, aber beim Friedensabschluß doch nicht leer ausgehen. Er bricht seine Zelte in Brüssel ab und kehrt zunächst in seine Heimat zurüdc. Man schreibt 1700. Hätte er damals damit gerechnet, daß er schon bald auf lange außer Landes gehen würde, hätte er wohl kaum gleich mit dem Ausbau von Nymphenburg begonnen. Nur drei Jahre noch bleibt er, in welchen ihm seine Polin vier weitere Kinder beschert. Drei von diesen Münchner Kindern sterben, nur Theodor, der künftige „bayerische Kardinal" wächst mit den Brüsseler Kindern heran. Die Eltern dürften damals ungefähr so ausgesehen haben, wie ihre Portraits von oder nach Vivien sie zeigen, obwohl die Belagerung von Namur, bei der Max Ema21

nuel dargestellt ist, schon drei Jahre zurückliegt. Die Polin sieht nidit so sympathisch aus wie Adelaide, hat auch nie Deutsch gesprochen, sondern französisch und mit ihren mitgebrachten Leuten polnisch. In Bayern ist sie nie heimisch geworden, hat aber ihre Aufgaben als Mutter und Hausfrau voll erfüllt. Max Emanuel beginnt mit der Gestaltung einer Sommerresidenz in Nymphenburg. Es ist nicht ganz verständlich, warum er das schon weit gediehene Schleißheim plötzlich vernachlässigt, um aus dem Borgo seiner Mutter ein bayerisches Versailles zu machen. Schleißheim hat er nach seinem Geschmack als ein Ganzes hingestellt, während Nymphenburg Stückwerk werden muß. Vielleicht lockte den passionierten Parforcejäger das Wild in den Wäldern, vielleicht auch Erinnerungen aus der Kinderzeit. Es braucht viel Zeit und großen Aufwand, bis Nymphenburg nach seinen großen Ideen umgestaltet ist. Platz ist reichlich vorhanden und die Möglichkeiten des Kurfürsten waren groß. Das Schloß wächst in die Breite, die Anlagen davor und dahinter dehnen sich in die Tiefe aus. Vor ein „modernes" französisches Schloß gehört eigentlich ein Ehrenhof und dahinter braucht man Parterre und Park, alles architektonisch, symmetrisch, geometrisch gegliedert. Johann Anton Viscardi steht vor der fast unmöglichen Aufgabe, aus dem äußerlich schlichten Borgo ein breites Prunkschloß zu schaffen. Er löst sie, indem er je zwei zusammengebaute Würfel anfügt und diese Zwillinge durch Galerien über Arkaden mit dem Mittelbau verbindet. U m den obligaten Ehrenhof anzudeuten, bilden 22

sie den Ansatz einer Mondsichel. Diese Staffelung wird erst ganz klar, wenn man von einer der Terrassen über den Verbindungsgalerien den Mittelbau betrachtet. Diese Terrassen — K a r l Theodor hat sie später einseitig verbreitert und damit die Ordnung noch mehr gestört — gingen zwar in die Mitte der ersten Seitenpavillons, wachsen aber schon aus dem Borgo seitlich heraus. So bekommt der Mittelbau hier ungleichmäßige Felder, in den drei vertikalen Fenstergruppen über den Galerien. Manches wird später von Effner geändert, aber die grundsätzliche Einteilung dürfte von Viscardi stammen. Der Hauptbau soll nur Prunkräume enthalten, die Wohnräume kommen in die SeitenpaviJlons, und zwar sind die ersten für den Kurfürsten und die Kurfürstin bestimmt, die nächsten für Gefolge und Wirtschaftszwecke. Auf der Nordseite steht das Magdalenenkirdilein im Wege. Es ginge nicht an, wäre auch nicht im Sinne des Kurfürsten, diese Wallfahrtsstätte abzubrechen, ohne Ersatz zu schaffen. Die Angelegenheit wird gelöst, indem der Heiligen im Schloß eine größere neuere Kirche gebaut wird, und zwar fast am alten Platz. Von außen ist der Kapellenbau als Kirche fast nicht erkenntlich. Den Garten muß Baron Neuhaus nach den Plänen des aus der Schule Le Nötre hervorgegangenen französischen Gartenkünstlers Carbonet anlegen. Die West-Ost-Achse zwischen den Kirchtürmen von Pipping und Schwabing wird durch Kanäle stärker betont; denn solche und Wasserspiele sind unerläßliche Bestandteile französischer Schloßparks. Aus dem kleinen Ziergarten wird ein der Breite der Erweiterung entsprechendes rechteckiges, von 23

Kanälen umgrenztes Parterre mit Fontänen,

Bosketts

und Blumenrabatten. Auch der anschließende Park wird mit dem Lineal konstruiert. in zwei Hälften.

Der Mittelkanal teilt ihn

In jeder derselben kreuzen sich an

einem Punkt viele Alleen. Durch die Ausschachtung der Kanäle gewann man Material, um die für solche Gärten charakteristischen Talus-Erdrampen und Böschungen zu bauen, wie auch die erhöhten, mit Linden bepflanzten Alleen zu beiden Seiten des Mittelkanals. Die Natur kommt den neuen Plänen entgegen.

Die

Würm, die aus dem Starnberger See in die Amper und mit dieser in die Isar fließt, hat reichliche Strömung und liegt hoch genug, um auch über Kaskaden hinweg in gerader Linie zwischen Pipping und der Isar in der Schwabinger Gegend ausreichendes Gefälle zu liefern. Es wird immer wieder hervorgehoben, daß im Gegensatz zu anderen Parks mit meist stehendem und übelriechendem Wasser das im Nymphenburger Park rein und klar ist. Allerdings muß sich die Würm, die schon Schleißheim mit Wasser versieht, sehr zum

Kummer

der Fischer und Müller noch einen erheblichen Aderlaß gefallen lassen. angezapft.

Sie wird schon am Rand von Pasing

Der Kanal führt im Bogen bis zur Kirche

von Pipping und dann gerade vor das Zentrum des Parterres. führt

Dort teilt er sich, umgibt das Schloß und

dann

noch acht Kilometer

über

Schloßmühle,

Georgensdiwaige zum Schwabinger Bach bei Biederstein. In diesem unteren Teil bekommt er holländische Schleusen, um die Heraufschaffung von Baumaterial zu ermöglichen. 24

Wenn man bedenkt, daß damals alles von

Menschenhand geschaufelt werden mußte, ermißt man erst das Ausmaß solcher Planung. Es geht die Sage, daß gefangene Türken aus den ersten Feldzügen Max Emanuels diese ungeheure Leistung vollbracht hätten, wie das tatsächlich bei Schleißheim der Fall war; doch scheint es nicht zu stimmen. Wahrscheinlich haben bayerische Soldaten mitgeholfen. Uns hat man in unserer Kinderzeit oft erzählt, das „Zuchthaus", der fensterlose Bau links von der Kaskade im Gehölz, sei für jene Türken errichtet worden. Jetzt ist er verschwunden. Die Amerikaner haben ihn kurz nach ihrem Einmarsch mitsamt den darin gelagerten Panzerfäusten und anderem gefährlichen Kriegswerkzeug gesprengt. Uns gruselte immer ein wenig, wenn wir als Kinder zu diesem unheimlichen Zuchthaus kamen. Hätte Max Emanuel nicht diesen langen Kanal graben lassen, dann hätte München nicht die vielen günstigen Gegebenheiten für die vielen Badeanstalten zwischen Würm und Isar gehabt, angefangen vom Nymphenbad außerhalb des Parkes bis zum Ungererbad in Schwabing. Als die Grabungen soweit waren, daß das Wasser eingelassen werden konnte, gab es eine große Enttäuschung. Das Wasser versickerte in dem Sandboden, bis sich genügend Schlick angesetzt hatte, der dies dann verhinderte. Witzbolde meinten, die Nymphen sollten halt Abhilfe schaffen. Nach rund zwei Jahren mußten die Arbeiten eingestellt werden. Der spanische Erbfolgekrieg rief zuerst den Kurfürsten ab und zersprengte dann seine Familie. Schwer zu sagen, wie weit damals der erste Anlauf zur Neugestaltung Nymphenburgs gediehen war, 25

jedenfalls kamen die vier Pavillons unter Dach. Dann versinkt der groß angelegte Plan wieder in Schlaf — ganze zehn Jahre lang. Max Emanuel zieht wieder in den Krieg, diesmal aber auf der anderen Seite, mit Ludwig X I V . gegen den Kaiser, Prinz Eugen und Marlborough! Er muß sein Land gegen Österreich verteidigen. Rückschläge öffnen es dem Feind. Kaiser Leopold stirbt und der Sohn, Joseph I., ist dem Bayern weniger gewogen, verhängt über ihn und seinen Bruder, Kurfürst Joseph Clemens von Köln, die Reichsacht. Die Kurfürstin flieht zu ihrer Mutter nach Venedig, die älteren Söhne werden als Geiseln nach Klagenfurt gebracht. Nur die Tochter bleibt in München und sieht ihre jüngsten Geschwister sterben. Die Österreicher kommen. In dem unfertigen Nymphenburg scheinen die Panduren weniger angerichtet zu haben. Mit der Mordweihnacht in Sendling anno 1704 beginnen zehn böse Jahre für Bayern. Max Emanuel zieht sich nach Compiegne zurück und dann nach St. Cloud. In Nymphenburg verwachsen sich die neuen Wege, und Viscardis Bauten bleiben unfertig stehen. Der Ehrgeiz des Kurfürsten auf Zuwachs in Flandern oder Italien ist verrauscht. Er will nur mehr aus der Reichsacht heraus und in seine Heimat zurück. Durch den Tod Joseph I. bessern sich die Aussichten dazu und dadurch, daß Josephs Bruder, Erzherzog Karl, als sechster dieses Namens Kaiser wird und seine Ansprüche auf den spanischen Thron Philipps V. aufgibt, auch die für den allgemeinen Frieden. Die Jahre der Verbannung gehen nicht spurlos an Max Emanuel vorüber. Schon im Mai 26

1711 hat Liselotte an die Raugräfin Luise geschrieben: „ . . . Mein Gott, wie ist der Herr geendert seyder vergangenen Jahr! Sein Kinn ist spitz, seine nass auch; der mundt ist eingefahlen, so dass kinn und nass schir gantz zusammenstossen, undt sieht viel älter aus, alss er in der that ist; er hatt aber gutte minen noch undt eine artige taille . . Die Jagd zerstreut ihn und auch Madame D'Albret. "Wenn diese wirklich Theophile Gauthier zu seiner Mademoiselle Maupin Modell gestanden hat, dürfte Max Emanuel da manches erlebt haben. Am 23. April 1714 schreibt er aus St. Cloud seiner Tochter, daß im Sommer die Arbeiten in Schleißheim und Nymphenburg wieder aufgenommen werden sollen. Sie möge ihm unverzüglich eine Beschreibnug des Zustandes dieser Schlösser schicken und einen Vorschlag für den beabsichtigten Bau einer Kapelle, wofür er ihr die nötigen Gelder zugehen lassen wird. (Prinzessin Ludwig Ferdinand von Bayern: Emanuèle Thérèse de l'ordre de Sainte Claire, Allg. VerlagsGesellschaft München 1902). Es dürfte sich um die Nymphenburger Schloßkirche gehandelt haben, die gewiß der künftigen Nonne Emanuela Therese besonders am Herzen lag. Erst nach dem Frieden von Rastatt 1715 kommt die Familie in Bayern wieder zusammen. Max Emanuel bleibt nun in der Heimat. Die Arbeiten in Nymphenburg werden wieder aufgenommen und zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Nicht nur das — der Kurfürst läßt auch in Dachau bauen. Außerdem kauft er den Boschedsriederhof bei Forstenried und wandelt ihn in 27

Schloß Fürstenried um. Auf diesen Schlössern, in Schleißheim, Berg und Starnberg spielt sich fortan das Landleben der bayerischen Wittelsbacher ab. Dachau und Schleißheim liegen am Moos, aber von Nymphenburg über Fürstenried nach Starnberg und Berg zog sich damals ein ununterbrochener "Wald voll jagdbaren Wildes. Max Emanuel bringt vom französischen Hof gesteigerte Ansprüche mit. Von dort kommt der Gartenkünstler Girard, der auch als Fontainier oder Brunnenmeister Sachverständiger ist. Viscardi ist tot. Aber Joseph Effner setzt sein Werk fort. Er ist der Sohn eines Gärtners in Dadiau und war vom Kurfürsten zur Ausbildung nach Paris gesdiickt worden. Die nördliche Galerie mit ihrem Vorzimmer zeugt noch von seiner Innenarchitektur, anderes von ihm ist leider späteren Veränderungen zum Opfer gefallen. Er ist der feinste Künstler des frühen achtzehnten Jahrhunderts vor Cuvillies. Effner gibt dem Borgo ein reicheres Gewand mit Giebeln und Pilastern, bringt oben an der Stadtseite ein riesiges bayerisches Wappen aus Stein an, das allgemeine Bewunderung erregte, aber im neunzehnten Jahrhundert wieder entfernt worden ist. Heute hat man den Eindruck, daß der Mittelbau mit seiner reicheren Gliederung gegen Viscardis Bögen und Seitenpavillons absticht. Denkt man sich bei letzteren aber die Jalousien weg und alle vorspringenden Teile, so wie auf Canalettos Veduten durch Tönung hervorgehoben, dann wird klar, daß damals der Gesamteindruck viel einheitlicher war, zumal das alte, hohe, nicht vorspringende Dach des Mittelbaues mit den Dächern der 28

Pavillons übereinstimmte. Hier hat Klenze im Biedermeier fast so schwer gesündigt wie an der Fassade von Schleißheim. Die Grundform des großen Saales ist Effners Werk, aber ohne die später eingebaute Musiktribüne. Er nimmt drei Stockwerke in Anspruch. Sein Deckengemälde war Diana und der Jagd gewidmet. E>ie Ausmaße dieses Festsaales ließen für andere Räume wenig Platz; im ersten Stockwerk nur für die zu beiden Seiten anschließenden Appartements und ihren den Übergang zu den Galerien bildenden Vorzimmern. Effners Galerien gewährten auch Ausblick auf das Parterre. Diese Fenster sind erst bei dem Anbau einer Zimmerflucht auf der Westseite in blinde verwandelt worden. Bis zum Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts gab es keine andere Verbindung als durch die Galerien. Von Effners Innenarchitektur in den ersten Pavillons ist fast nichts mehr vorhanden, und auch die Schloßkirche hat Veränderungen erfahren. Sie konnte schon 1715 durch Max Emanuels Bruder Joseph Clemens eingeweiht werden. Ausgeschmückt wird sie erst später. Die Gruppe über dem Altar stammt aus der ersten Zeit: Die Begegnung des auferstandenen Christus als Gärtner mit der Hl. Magdalena. Ganz neu ist aber die Fassung in Farben. Du hast die Figuren noch in Hellgrau gesehen und den auferstandenen Heiland mit breitkrempigem, prachtvollem Barockhut. Das Wappen über dem Altar ist das Allianzwappen von Bayern und Sobieski, wie ein Vergleich auf dem auf der Decke später gemalten bayerischsächsischen zeigt. Die Oratorien waren ausschließlich dem 29

Hof vorbehalten und die Kirche genügte noch lange für die Nymphenburger und Verehrer der Hl. Magdalena. Das Gegenstück zum Kapellenbau ist der Knabenbau, in dem zuerst anscheinend Max Emanuels Söhne unterkamen. Für Pferde und Wagen, Kavaliere und Hofdamen wird südlich, vom Schloß abgesetzt, jenseits des Kanals nadi der Schwaige zu ein geräumiges Rechtedi gebaut — unten Stallungen und Remisen, darüber einfädle Wohnungen — und als Gegenstück auf der Nordseite die obligate Orangerie und das für die Fontänen nötige Brunnenhaus zu ebener Erde. In den ersten Stock kommt der Komödiensaal für besondere Veranstaltungen. Da diese beiden Rechtecke stark nach Osten vorspringen, bekommt der Schloßplatz schon mehr die Form eines Ehrenhofes. Auch der Park wird den Anforderungen an ein französisches Lustschloß angepaßt. Anschließend an das Parterre entstehen zwischen gestutzten Hecken, Rasenböschungen, Brunnen, Figuren allerlei Spielplätze: Naturtheater, Labyrinth, ineinandergeschachtelte Gartenkulissen f ü r die Freuden des Barock. In die Nähe der Kreuzungspunkte der Schneisen und Alleen werden kleine Schlößchen mit allem Zubehör errichtet, zuerst in der Nordhälfte des Parkes die Pagodenburg auf dem Grundriß eines Maltheserkreuzes, wofür Max Emanuel selbst die Angaben gemacht haben soll, und als Gegenstück im Süden die Badenburg mit einem großen Bassin. Am Einlauf des Kanals von Pipping in den Park wird eine große Kaskade in zwei Etagen mit Figuren und Wasserkünsten gebaut. Das 30

Glanzstück solcher Art ist aber die Fontäne inmitten des Parterres, die berühmte vergoldete Floragruppe. Andere Figuren und Vasen aus vergoldetem Blei sind auf das ganze Parterre verteilt. An den Ansichten von Beich in den Galerien kann man die damalige Pracht ermessen, muß aber berüdcsichtgen, daß manches erst später dazugemalt, anderes nur geplant, aber nie ausgeführt worden ist. Das Gleiche gilt von den bekannten Stichen von Diesel. So übertreibt vielleicht audi der Augustinerpater Pierre de Bretagne, Beichtvater von Max Emanuel, in seiner Beschreibung von Nymphenburg anläßlich der Hochzeit des Kurfürsten Karl Albrecht mit der Erzherzogin Amalie anno 1722. Das waren großartige Feste, der Bedeutung dieser erneuten Verbindung WittelsbachHabsburg entsprechend. Man bedenke, daß diese Amalie eine Tochter jenes Kaisers Joseph war, der über Max Emanuel die Reichsacht verhängt hatte! Diese Heirat sollte den Hader zwischen den beiden Familien begraben. Niemand ahnte damals, daß sie Anlaß zu neuem Streit geben und daß Karl Albrecht dereinst dem Gemahl Maria Theresias die Kaiserkrone streitig machen würde. Pierre de Bretagne hat Nymphenburg ungefähr folgendermaßen gesehen: Das Schloß besteht aus fünf Pavillons. Der mittlere überragt, zeigt architektonische Gliederungen in ausgeglichenen Proportionen. Ein Meisterwerk sei oben an der Stadtfront das kurfürstliche Wappen. An den Fenstern steinerne Laubgewinde verschiedener Art, alles vom Pariser Dubert gefertigt. Oben auf dem Gesims Vasen, deren 31

Ausmaße der Höhe entsprechen. Durch ein Gewölbe mit zwei Säulenreihen im Mittelbau gelangt man in das Parterre. Zu beiden Seiten dieses Durchganges ebener Erde sind die Räume für die Offices, Personal, Wache, Keller etc. Auf großen Freitreppen geht man in den großen Saal hinauf. Der Schloßplatz ist dreihundert toises - Klafter lang und mit regelmäßigen Rasenflächen ausgefüllt. Schöne Alleen führen von allen Seiten heran. Ein fünfzig Fuß breiter und zwölf Fuß tiefer Kanal bildet den Abschluß gegen die Stadt. In der Mitte befindet sich eine halbkreisförmige Kaskade, die Tag und Nadit läuft. Sie ergießt sich in einen hundert Klafter langen und zwanzig Klafter breiten Kanal. An seinen Rändern führen Lindenalleen auf den Kirchturm von Schwabing zu. Es muß sich lediglich um einen kurzen Ansatz des viel später von Karl Albrecht in der heutigen Form verlängerten Kanals gehandelt haben. Das stimmt auch mit der Ansicht von Beich überein, auf der im Vordergrund noch gegraben wird. Die später hinzugefügten Erweiterungsbauten am Schloß muß man sich dann allerdings auf dieser Ansicht wegdenken. Eis folgt eine Beschreibung der Parkseite. Das große Parterre enthält Rasen mit Rabatten und Blumenteppichen. Auf Marmorsockeln stehen sechzehn acht Fuß hohe Vasen aus vergoldetem Blei mit verschiedenen auf die Schlachten des Kurfürsten bezüglichen Emblemen. In der Mitte befindet sich der Florabrunnen, um ihn herum und an den Ecken des Parterres Vasen mit Amoretten und Musikinstrumenten. Das Mittelbassin mißt hundert 32

Fuß im Durchmesser. Auf einer runden Terrasse steht ein riesiger Blumenkorb, aus dem ©ine Fontäne fünfzig Fuß hoch emporspringt. Die Figur der Flora ist zwölf Fuß hoch. Wasser fällt in vier Abteilungen in das Bassin. Doppelt lebensgroß ist die sitzende Flora mit Blumenkranz. Sie hat einen bellenden H u n d und einen Affen neben sich. Ein indischer Storch auf einem Felsen verschlingt eine Schlange. Auf den vier Seiten der Terrasse quillt eine Wasserglocke hervor, bei der sich Schwäne und andere Vögel tummeln. Im Bassin sind vier Tritonen, Putten, Wassergeticr. Alle Figuren und Vasen sind von Monsieur de Groß aus Antwerpen modelliert; sie bestehen aus vergoldetem Blei und wurden angeblich in den napoleanischen Kriegen verschossen — zweihundert Zentner Blei für sechzigtausend Gulden. Pierre de Bretagne beschreibt dann die Kaskade am Ende des tausend Klafter langen Kanals am "Westrand des Parkes in ihrem damaligen Aussehen. Eigentlich seien es sechs Kaskaden, weil das Wasser in sechs Abteilungen über verschiedenfarbigen Marmor herabfalle. Darin sind Gruppen, liegende Wassergötter und Amoretten. Delphine speien Wasser. Auch aus den von Göttern gehaltenen Urnen sprudelt Wasser heraus. Um die Fontänen zu betreiben, ist im Gehölz neben der Kaskade ein Pumpwerk verborgen. Drei Doppelwasserfälle ergießen sich zurerst in zwei Zwischenbassins und füllen von dort das große Bassin, aus dem wieder verschiedene Fontänen hervorschiießen. Bretagne bewundert besonders das klare Wasser mit dem starken Gefälle im Kanal, die erhöhten Alleen zu beiden 33

Seiten, aus deren Mitte Queralleen zu den Sternen führen und den Ausblick auf die Burgen mit ihren kunstvollen Anlagen freigeben. Auch am Schloßparterre war vieles anders als heute. Die Bäume an den Rändern sind auf Canalettos Ansicht nodi klein. Die Spielanlagen und Nebenparterres schlössen unmittelbar an. Im nördlichen Teil, wo jetzt die Gewächshäuser stehen, sind noch Spuren davon erkenntlich. Südlich sind sie durch die kleinen Gärtchen des Biedermeier völlig verwischt. D a gab es Anlagen für Passeund Kegelspiele, ein pièce du miroir, ein Labyrinth, ein Naturtheater, eine Menge Figuren, Brunnen, Hecken und was sonst nodi in jener Zeit modern war. Nun die Feste. Als die Hochzeitsgäste gegen Abend des 29. Oktober 1722 in vielen sechsspännigen Karossen von der Stadt heranfuhren, strahlte ganz Nymphenburg in feenhafter Beleuchtung. Auf dem Kurzen Kanal vor dem Schloßplatz schwammen und brannten zu bayerischen Rauten geordnete Holzklötze; an der Kaskade sogar in Form zweier Löwen mit Kurfürstenhut. Zwischen den Linden der Allee vor und hinter dem Schloß hingen unzählige Lampen. Alle Rabatten in den Parterres waren mit Lichtern nachgezeichnet. Schloß und Treppen bildeten ein Liditer-Meer. Die Flora und alle übrigen Figuren sind besonders beleuchtet, und das Wasser spiegelt den Schein wieder. Es sei so hell gewesen, daß man hätte meinen können, es scheine die Sonne. Hinter der großen Kaskade am Ende des Parkes sdiimmert ein dreifacher Triumphbogen. Langsam fahren die Gäste auf beiden ebenfalls beleuchteten Kanalseiten darauf zu, 34

von einem auf dem Wasser schwimmenden und brennenden Mont Parnasse begleitet. Von versteckten Orchestern erklingen Musik und Chöre. Vor der Kaskade kreuzen sich die Wagenreihen, so daß Damen und Herren sich begrüßen und die Wasserkünste betrachten können. Dann fährt man zurück ins Schloß zum Soupe en public mit Musik im großen Saal. Anschließend Ball, unter großem Zulauf aus allen Schichten. Fast ganz München war herbeigeeilt, um in dieser besonders schönen Herbstnadit die Pracht mitzugemeßen. Wichtiger für uns ist die Schilderung der damaligen Innenausstattung von Nymphenburg. Sie beginnt natürlich mit dem Saal in der Ausführung Effners ohne Unterteilung. Auf jeder Seite sechs große Fenster in zwei Reihen übereinander und drei querliegende, ovale zur Erhellung des Deckengemäldes. Achtzehn große PäJaster tragen ein schweres Gesims mit Jagdemblemen und Tierköpfen. Der ganze Saal war auf Max Emanuels Jagdpassion abgestimmt. An der Decke sah man Diana inmitten antiker Götterwelt. Sie bittet Jupiter um Verteilung von Wald und Wild und gibt den Nymphen im Weidwerk Unterricht. Juno opfert einen Hirsch, Jupiter raubt Europa, Apollo im Wagen, Verwandlung Akteons in einen Hirsch, Wildschweinjagd usw. Dann führt uns Pater Bretagne in die nördliche Galerie. Im allgemeinen entspricht das Vorzimmer mit Zanchi's Ceres im Drachenwagen am Plafond dem heutigen Zustand. Auch der Marmorkamin und Amigonis spielende Kinder über den Türen waren schon da. Das Porträt von Therese Kunigunde scheint noch nicht darin gewesen zu 35

sein; von dem Max Emanuels behauptet Bretagne, es stelle ihn in der Schlacht am Berge Harsan dar. Deine anschließenden drei Zimmer und die Möbel waren mit grünem Damast bespannt. In der Galerie waren die Vorhänge aus weißer Seide, alles übrige ist noch heute erhalten, nur daß seitdem manche von Beichs Schloßansichten inzwischen anders auf beide Galerien verteilt und teilweise ergänzt worden sind, und daß man audi auf das Parterre hinaussah. Dagegen war „unser" Pavillon, Max Emanuels eigentliche Wohnung, ganz anders und sehr prächtig. Der erste Raum von der Galerie aus enthielt zwei barocke Spiegelaufsätze. Über den fünf Türen stellten spielende Knaben die fünf Sinne dar. A n den Wänden hingen mythologische Bilder: Adonis, Argus, das Urteil des Paris, ein Satyr. Im anstoßenden großen Zimmer, im Wohnzimmer Deiner und meiner Mutter, befanden sich drei große Trumeaux, vier Surporten von Bertin in weiß-goldener Vertäfelung — wie heute noch. Stühle und Vorhänge aus blauem Damast mit Gold. Euer Schlafzimmer war das Prunkschlafzimmer des Kurfürsten für Levers usw. Das Bett hatte in Gold und Silber auf blauem Grund gestickte Fleurs des Indes. Aus dem gleichen Damast mit Goldborten waren Vorhänge, Portieren, Fauteuils und Stühle. Zwei große Spiegelaufsätze, geschnitzte Panneaux auf Goldgrund, zwei Surportes aus Mosaik. U m das ganze Zimmer lief ein Fries mit Darstellung fürstlicher Tugenden. Chemine aus Marmor. Über dem Bett eine Madonna, angeblich von Paolo Veronese, und der Heilige Joseph mit dem Jesuskind, von Lolot. Das kleine Eckzimmer 36

gegen den Garten war mit Chinoiserien getäfelt — des feuilles vrais Chine. Es enthielt zwei Spiegeltrumeaux und Marmorkamin. Auch das anschließende „Cabinet secret" scheint sehr prächtig gewesen zu sein. An die Decke waren Figuren auf Goldgrund gemalt, die Stühle mit geblümten Samt mit Goldstickereien überzogen. Das Waschservice bestand aus japanischem Porzellan. Von dem alten Glanz im länglichen Vorzimmer zeugt noch der vergoldete Sims. Die Wände dort waren mit rotem Damast bespannt. Hier hingen zwei Gemälde von Jan Fit: Blumen, Früchte und Tiere, und zwei Landschaften von Babtiste mit Ansichten von Saint Cloud. In solcher Aufmachung muß dieses Vorzimmer, wie drüben sein Gegenstück, als Verlängerung der Galerie gewirkt haben. Unser öfters verändertes Eßzimmer war Max Emanuels Cabinet de dépêches, das reichste des ganzen Appartements. Es war auch damals mit rotem Damast über der Vertäfelung bespannt. Der Kamin aus Genueser Marmor ist noch heute da. Er erregt mit seinen in Gold gefaßten Skulpturen und dem bis zur Decke reichenden Spiegel immer wieder die besondere Bewunderung unseres Cicerone. Audi die Marmorkonsolen mit ihren Spiegeln erwähnt er. Besonders prächtig muß der fünf Fuß lange und drei Fuß breite Schreibtisch gewesen sein, mit seinen bronzenen Hirschfüßen, Einfassung und Schubladen aus Ebenholz mit Beschlägen aus Bronze. Die Platte, ein Mosaik aus wertvollen Steinen, stellte Vögel, Früchte, Blätter und Blumen dar, von einer Bronzebordüre umrandet. Von der Decke hing ein zwölfarmiger Lüster aus Berg37

kristall. An den Wänden seien vier Teniers gehangen, die im kleinen die Prager Bildergalerie des Erzherzogs Leopold wiedergeben. Es dürfte sidi dabei um die in die Pinakothek abgewanderte Darstellung der Brüsseler Galerie des Erzherzogs Albrecht handeln. Außerdem erwähnt er zwei Bilder von Saghelebens, eine Verkündigung und Christi Geburt und fünf große Landschaften von Brueghel de velours: Jugend der Diana und Jagden der Diana. Die Figuren in den drei ersten schrieb er Rubens zu, die Tiere Brueghel. Das waren Max Emanuels offizielle Wohnräume, seine privaten hatte er oben im zweiten Stock auf der Parkseite, wo Ludwig I. als Kronprinz wohnte und Du in Deiner Jugend. Hier oben spürt man noch heute das Barock. Im kleinen Cabinet soll Max Emanuel sidi mit kunstgewerblichen Arbeiten in edlem Metall, Perlmutter, Schildpatt und Elfenbein beschäftigt haben. Die Zimmer der Stadt zu waren für seine nächste Umgebung bestimmt. Bretagne erwähnt auch die große Treppe, die vom Erdgeschoß durch die beiden Etagen emporführte. Unten freilich ist heute die alte Herrlichkeit gänzlich verschwunden. Damals war der lange Saal gegen den Park, der später im Sommer als Eßzimmer diente, ganz in Samt mit auf Goldgrund gestickten Blumen ausgeschlagen. Das kleine Eckzimmer mit Türe zum Garten war getäfelt und mit wertvollen Bildern behangen, angeblich solchen von Claude Lorrain und Salvator Rosa darunter. Weitere Bilder befanden sich drüben über dem 38

Gang im Speisesaal der Stadt zu mit seinem schönen Kamin, wo zur Zeit Deine Bibliothek ist. Die Bilder, so berichtet Bretagne, unterstanden Monsieur Nollet, von dessen Hand einige weniger wertvolle vorhanden waren. Der ganze Bestand sei Eigentum des Kurfürsten, und er habe ihn selbst auf Nymphenburg, Schleißheim, Dachau und Fürstenried verteilt. Lauter Originale bester Qualität und so viele, daß man mit ihrer Beschreibung ein eigenes Buch füllen könnte. Diese Gemälde bilden später den bayerischen Grundstock der alten Pinakothek. Es folgt die Beschreibung der Kapelle und des südlichen Schloßteiles. Letzterer scheint damals noch nicht ganz fertig gewesen zu sein. Unser Pater sagt nur, daß die Einteilung von Galerie und Räumen der nördlichen entspräche und daß die beiden Pavillons von den Prinzen bewohnt würden. Dann führt er uns in die kleinen Parterres und zu den verschiedenen Spielplätzen. Von dem Bildercabinet im Erdgeschoß gelangt man — wie jetzt noch — in ein kleines Parterre — „unseren Garten", offiziell Kaiserauch Prinzengarten genannt. Darin waren Blumenteppiche und Rabatten, und aus der Rasenböschung am Ende sprangen Wasserstrahlen in das — damals barocke — Bassin mit Wasserglocke und Springbrunnen. Man kann sich die sorgfältige Beschreibung der verschiedenen Anlagen sparen und Diesels Illustrationen ansehen. Es ist nicht ganz genau festzustellen, wo alle die Spielereien Platz hatten, wahrscheinlich eng gruppiert zu beiden Seiten des großen Parterres bis zu den Kanälen. Die 39

Kulissen scheinen durchwegs aus Hagebuchen und scharf ausgerichteten, kleinen Linden geformt gewesen zu sein, von denen Rasenflächen und Blumenbeete in allerlei Formen eingefaßt waren. Dem Passe-Spiel widmet er besondere Aufmerksamkeit, weil es von Max Emanuel selbst erfunden war. Es ist ein Vorläufer des GolfSpieles. Man schlägt dabei Elfenbeinkugeln in dreizehn Löcher. Auch gab es ein „Cabinet i jour en dorne" mit Bänken im Schatten, Springbrunnen, Kinder- und FroschFiguren, an der Stirnseite des Gartens Apollo auf einem Sockel, alles aus Marmor, auch ein Pan und ein Satyr. Diese verschiedenen Anlagen wurden den Hochzeitsgästen am Tage nach dem Abendfest gezeigt. Anschließend fuhr man in kleinen, mit buntem Samt ausgesdilagenen und mit prächtig geschirrten Pferden bespannten Gartenchaisen zu den Burgen im Park, zuerst auf einer großen Allee zur Pagodenburg. Dieses chinesische Häuschen ist heute noch so, wie es Effner 1716—19 gebaut hat, aber die barocken Anlagen davor und dahinter sind verschwunden, wie auch die Bassins und die große, zweitausend Schritt lange, hufeisenförmige Bahn f ü r das Mail-Spiel. Deren Anfang und Ende lagen dicht bei der Burg, die eigentlich zum Ausruhen der Spieler und zum Aufenthalt für die Zuschauer gedacht war. Eine Küche war hinter Bäumen verborgen; sie war wohl in dem Gebäude, wo jetzt der Aufseher wohnt. Im Saal der Pagodenburg konnten zu ebener Erde bis vierzig Leute placiert werden, die Pagen mußten dann aber die Speisen durch die Fenster hereinreichen. Der jetzige See ist eine romantische Ausweitung des damaligen kunst40

vollen Bassins, das wir uns mit allem Zubehör des ausgehenden Barocks denken müssen. Nicht weniger als sechs Alleen stießen da zusammen, und eine Menge Brunnen und Bouillons gruppierten sich um die Fontäne in der Mitte des Beckens. Auf der anderen Seite des Bassins war das aus Rasen geformte Amphitheater mit den obligaten Statuen, Lauben, Hecken, Lindenbäumchen und Bänken neben dem Wald mit großen Eichen. In der Mitte der Spielbahn befand sich ein zweites Bassin von zwanzig Klaftern Durchmesser, mit einer Wasserglocke. Diese war T a g und Nacht in Gang und trieb gleichzeitig die anderen Wasserkünste. Der Sport wurde damals sehr zahm betrieben; denn immer standen kleine, einspännige Wägelchen bereit, die Spieler zu ihren Kugeln zu fahren. Die Zuschauer saßen auf Bänken mit Ausblick auf die Wasseranlagen und das Amphitheater. Von da konnten sie den Ausgang des Spieles überblicken, der selten ohne Streit blieb. Von der Pagodenburg fuhr man, an der Kaskade vorbei, zu der auch von Effner erst vor kurzem vollendeten Badenburg. Sie hat seitdem manche Veränderung erfahren und entsprach in ihrem Äußeren damals wohl dem Bild, das heute in der nördlichen Galerie hängt. Die Gartenkünste um sie herum müssen denen der Pagodenburg ähnlich gewesen sein, nur mit mehr Wasser. Der im ersten und letzten Teil heute noch vorhandene beim „Regentenbad" vom großen Kanal abzweigende Kanal, der jetzt den großen See speist, führte in gerader Linie zu den Bassins der Badenburg. Er umfloß eine Insel und endete in einem großen Becken, „le port" genannt, mit 41

sechs großen Springbrunnen. Wie bei dem Gegenstück im Norden liefen auch hier mehrere Alleen zusammen und eine Kaskade mit Neptun auf einem Felsen, wasserspeienden Delphinen zu seinen Füßen, Rasenterrassen, Hecken und Alleen vervollständigten die Anlage. Selbst wenn man von der überschwenglichen Bewunderung des Augustinerpaters, der sich in der Aufzählung der Einzelheiten nicht genug tun kann, absieht, bleibt noch eine Fülle prächtiger französischer Gartenkunststücke. Alle diese Anlagen, auch die von Schleißheim und Fürstenried, seien von Girard entworfen, den der Sonnenkönig seinem bayerischen Freunde als besonders tüchtig empfohlen habe. Die Badenburg ist nur in der Dekoration, hauptsächlich innen, verändert worden. Form und Einteilung sind heute noch die von Effner. Alles in ihr war auf die Bestimmung des Baues zugeschnitten, das Deckengemälde mit badenden Göttern, im Eingangssaal beginnend, die Staffage von Indergruppen, Badiantinnen mit Diana. Links vom Eingang war das „Appartement de Prinoe", Vorzimmerdien und Kabinettdien, redits der Baderaum mit „indischen Kacheln", dessen Charakter noch heute mit seinem Oberlicht und der schmalen Galerie erkenntlich ist. Die kleinen Zimmer im Obergeschoß werden in der Beschreibung nicht erwähnt. Dort scheint Max Emanuel seine Schönheitsgalerie — lauter französische Damen — gehabt zu haben. Drei der Bilder sind in das Vorzimmer heruntergewandert, andere später in das große Schloß gebracht worden. Hinter der Badenburg, dem Löwental zu, war ein von 42

Hecken umgebenes besonders schönes Blumenparterre angelegt. Auf dem Rückweg zum Schloß wurden den Gästen noch einige Kabinettstücke der Gartenkunst gezeigt, so das Labyrinth, das ein unerläßlicher Bestandteil barocker Gärten war. Der Künstler hatte sich hier aber Beschränkungen auferlegen müssen, weil besonders schöne Eichen geschont werden sollten. So mußte er sich mit einer einzigen geschlungenen und gewundenen Heckenallee begnügen. Auch diese Anlagen umschloß wieder ein Kegelspiel, ein Jeu de Passe und mehrere Freiluftcabinette mit Rasenterrassen und Bänken unter schattigen Bäumen. Daneben ein Theater mit mehreren Brunnen, wo an heißen Sommerabenden gespielt und Musik gemacht wurde. Zum Abschluß der Besichtigung wurde das Pumpwerk bei der Orangerie besucht. Zwölf Druckpumpen sollen damals das Wasser über achtzig Fuß hoch in ein Reservoir gepreßt haben, von dem alle Wasserspiele im großen Parterre gespeist wurden. Zur Hubertusjagd kam die ganze Gesellschaft nodieinmal nach Nymphenburg, Damen und Herren in der blausilbernen Hirschjagduniform. Zuvor zelebriert ein Prälat eine gesungene Messe in der Schloßkirche. Dem Hl. Hubertus zu Ehren hat der Komponist Torsi Jagdsignale auf Jagdhörnern eingelegt. Nach einem Frühstück fährt man zum Rendez-vous. Dort steigen die Herren zu Pferd. Die Zuschauer, je zwei in einer Chaise folgen, sobald der Hirsch losgelassen ist. Es wurde eine sehr schöne Jagd. Wie um die Kurprinzessin zu ehren, brach der Hirsch gerade in der Nähe ihres Wagens zusammen. 43

Cure mit Fanfaren auf dem Schloßplatz. Soupi im großen Saal. Bei jeder Gesundheit Tusch der Jagdhörner. Nach altem Brauche sammeln die Piköre auf Silbertellern eine stattliche Menge Dukaten. Anschließend großer Ball und Rückfahrt nach München. So war, durdi das Auge des Chronisten gesehen, Nymphenburg anno 1722. Im nächsten Jahr werden nach Sckells Buch über Nymphenburg wieder zwei längliche Gebäude an Kapellen und Kirchenbau angefügt. Das nördliche bekommt unten eine gedeckte Halle für das Passe-Spiel, oben, dem Garten zu, Wohnungen. Das südliche dient der Unterbringung von Küchen und Vorratskammern. Die Rechtecke über den Kanälen drüben bildeten noch abgetrennte Gruppen; der Stalltrakt steht seit 1719, das Brunnenhaus seit 1716. Am äußersten Nordende ist seit 1718 ein Hospiz für Kapuziner eingerichtet. Die Orangerie unter dem Comedie-Saal ist 1723 fertig geworden, sie ist aber nie so reich ausgeführt worden, wie sie, nach Stichen und Bildern zu schließen, geplant war. Max Emanuels letzter Bau ist dem Jenseits und der büßenden Magdalena geweiht, eine Kapelle mit Einsiedelei auf abgeschiedenem Platz unter Bäumen am Nordrand des Parkes, nicht allzuweit vom Schloß. Ahnt er, daß sein Leben schon zu Ende geht? Im Jahre 1725 erhält Effner den Auftrag, die Magdalenenklause zu bauen. Von außen soll sie wie eine Ruine aussehen und damit auf die Vergänglichkeit der Welt hinweisen. Die paar Zimmer neben dem Oratorium sind denkbar einfach gehalten, mit Holzvertäfelungen 44

wie das grand cabinet in Max Emanucls Privatwohnung in Nymphenburg. In den Zimmern sind fromme Bilder, Bücher und ein Kruzifix, das er aus seinen Türkencampagnen mitgebracht haben soll. Max Emanuel erlebt die Fertigstellung nicht mehr. Er stirbt am 26. Februar 1726 in der Residenz im 64. Lebensjahr. Am 4. April 1728 weiht Max Emanuels Sohn Clemens August, Nadifolger von Joseph Clemens im Kurfürstentum Köln, die Magdalenenkapelle ein.

45

Karl Albrecht und Amalie Ubergang vom Barods ins Rokoko. Der neue Kurfürst sdilägt in vielem dem Vater nach. Beide haben politischen Ehrgeiz, lieben Pracht, schöne Frauen und Nymphenburg. Nur die Reihenfolge ist nicht die gleiche, und Karl Albrecht lebt noch kürzer als sein Vater — keine achtundvierzig Jahre. Max Emanuel war durch den spanischen Erbfolgekrieg aus der Heimat vertrieben worden, Karl Albrecht mußte gegen Ende seines Lebens durch den österreichischen Erbfolgekrieg das Land verlassen. Auch er kämpfte mit Bourbon gegen Habsburg, mit Louis XV. gegen Maria Theresia. Er wird Kaiser, aber dieser Krone nicht froh. Zweimal kommen im Laufe seiner Regierungszeit die Österreicher wieder nach Bayern, aber die ersten vierzehn Jahre seiner Herrschaft sind friedlich. Er benützt sie zur monumentalen Ausweitung des Schloßplatzes und der Anfahrt. Mit dem Schloßrondell schafft er einen riesigen und einzigartigen Ehrenhof; der Kanal wird bis Neuhausen verlängert, als Gegenstück zu dem Kanal der Parkseite. Das Schloß selbst wird nun durch Gänge über die Kanäle hinweg zu dem Stallblock im Süden und dem ComedieSaal im Norden zu einem einzigen Bau verbunden. Karl Albrecht gebührt das Verdienst, das Monumentale der ganzen Anlage geschaffen zu haben. Schaut man von der Mitte des Steinernen Saales nach beiden Seiten, so 46

wird man sich ihrer Tiefe erst recht bewußt, und erst von den Scheiteln des Rondells aus erfaßt man die Breite. Die Pläne Karl Albrechts gingen noch weiter. Er wollte hier eine eigene Stadt, die Karlsstadt, anlegen, gab aber dieses Vorhaben bald wieder auf. In den ersten Jahren seiner Regierung muß er warten, bis die Bauschulden seines Vaters getilgt sind, aber Feste gibt es trotzdem. Als sein Sohn und Erbe Joseph 1727 geboren wurde, veranstaltete er auf einer Wiese zwischen Allach und Nymphenburg eine Art Turnier mit Tieren. Eine Darstellung davon von Horemanns hängt heute in der Amalienburg. Zur Geburt eines zweiten Knaben, zwei Jahre darauf, wurde in Nymphenburg eine Fasanenjagd abgehalten und Gondelfahrt mit Musik auf dem Kanal im Park. Gondeln gab es schon zu Max Emanuels Zeiten in Nymphenburg. Sie standen immer bereit für den Fall, daß jemand Lust hatte, Venedig zu spielen. Die Vorliebe für Venedig geht auf die Großeltern zurück. Max Emanuel hatte in seiner Jugend frohe Wochen in Venedig verbracht, und Therese Kunigunde war fast den ganzen spanischen Erbfolgekrieg dort gewesen. Gondolieri aus Venedig bauten in einer Werft in Starnberg edite Venezianer Gondeln. In Nymphenburg trugen die Venezianer für gewöhnlich weiße Jacken und blaue Pumphosen, in Gala blau-silberne Livreen. Ende der zwanziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts beginnen die Neubauten Karl Albrechts. 1728 wird das Rondell und der neue Kanal von Effner in Angriff genommen. Bei der Aussteckung am 29. Januar ist der Kurfürst anwesend und legt den Grundstein zu den 47

kleinen Häuschen am Rand der Alleen. In meiner Jugendzeit erinnerten noch Namen, wie Guilliminetti, an die Zeiten, da sich italienische Handwerker in diesen Häuschen ansiedelten. Im nächsten Jahr entstehen die dem Schloß zunächst liegenden eckigen Häuser des Rondells, das südliche für den Jagdhundwärter Balistier, das nördliche für die Hatschierwache. Die Eckbauten am Kanal sind schlichter gehalten. Dazwischen kommen die sechs schönen Rokokohäuser — als erstes 1730 das für den Controleur Hieber. Die alten Nymphenburger nennen es heute noch „Controlor". Jetzt ist es Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Diese symmetrisch verteilten Gebäude werden durch eine Mauer zum Schloßrondell zusammengeschlossen. In einem dieser Häuser im nördlichen Bogen wurden fünf Nonnen der luxemburgischen Congregation de Nötre Dame untergebracht, bis die für sie bestimmten Räume am Nordflügel des Schlosses zwischen Brunnenhaus und Kapuzinerhospiz fertig waren. Karl Albrecht hat diese Klosterfrauen im Jahre 1730 berufen, um unbemittelte Mädchen unentgeltlich erziehen zu lassen. Dazu stiftete er zwölftausend Gulden. Im Jahre 1733 wird der ganze Park mit seiner zehn Fuß hohen Mauer umgeben, damit das Wild nicht mehr hinauswechseln kann; denn Karl Albrecht und Amalie sind passionierte Jäger. Dieser Leidenschaft verdanken wir die Amalienburg, ein Geschenk des Kurfürsten an seine Frau, das schönste Schlößchen des frühen bayerischen Rokoko, gebaut in den Jahren 1734—36. Sein Schöpfer ist der ältere 48

Cuvillies, ein Wallone, ursprünglich Hofzwerg Max Emanuels, der ihn später in Frankreich ausbilden ließ. Der von Gestalt so kleine, ist einer der größten Künstler der Zeit. Jetzt wird er Joseph EfFners Nachfolger. In der Amalienburg arbeitet er mit dem Stukkateur Johann Baptist Zimmermann, dem Schnitzer Dietrich, dem Maler Pascalin und anderen in schönster Hannonie. Der ganze Bau ist auf Jagd abgestimmt. Auf dem Schindeldach ist sogar eine Plattform als Hochstand für Amalie in ihrem Fasanengehege. Die Amalienburg hat nur ein Geschoß und wenig Räume. Einzigartig sind die Boiserien an den Wänden und Türen. Über eine Marmorplattform tritt man in den blausilbernen Mittelsaal mit seinen Spiegeln. Links von diesem ist ein Schlafzimmer mit Bildnissen der Besitzerin und ihres Gemahls in Jagduniformen von Demarees, rechts das sogenannte Jagdzammer mit eingelassenen Tierbildern und Jagdszenen. Diese drei Säle enthalten die schönsten Schnitzereien. An das Schlafzimmer grenzen zwei schmale Räume in Blau und Silber, das blaue Kabinett mit Wandbespannung und daneben das Toilettenzimmer mit dem f ü r damalige Begriffe ausreichenden Zubehör. Davor die Gewehrkammer mit Nischen für die Hunde. Auf der anderen Seite gelangt man von dem Jagdzimmer in das sdimale „indianisdie" Kabinett mit bemalten Vertäfelungen über und zwischen Schnitzereien. Dann kommt die einzigartige Küche mit bemalten Kacheln, Herd, Bratspieß, Küchengeschirr und übrigen Kochutensilien. Nicht nur die Aufmadiung, sondern auch die Tatsache, daß die Küche nicht wie bei anderen 49

Burgen im Gehölz versteckt ist, beweist, daß die Kurfürstin mit ihren Damen hier selbst kochte, wie einige zwanzig Jahre später die Mutter Mozart bemerken wird, wenn sie ihren Wunderknaben in Nymphenburg vorführt. Dieses Kunstwerk in Gelb, Blau und Silber steht noch in aller Pracht, im Gegensatz zu der kurz nadi ihm gebauten Klosterkirche. Diese hat im Mai 1739 der Bischof von Freising für die regulierten Chorfrauen von Nötre Dame im Nordflügel des Schlosses eingeweiht. Den Gottesdienst versahen die Kapuziner. Um die Symmetrie der Gesamtanlage nicht zu stören, war sie von außen ebenso wenig erkenntlich wie die eigentliche Schloßkirdie im Kapellenbau. Die Stukkaturen waren von Zimmermann gefertigt. Ein Glanzstück war das Altarbild von Domenico Tiepolo. Es stellt das Martyrium Papst Clemens' I. dar, und war eine Stiftung des Kurfürsten Clemens August von Köln. Mit diesen Erweiterungen und Neuerungen geht auch die beschauliche Zeit im Leben Karl Albrechts zu Ende. Der Bayer erhebt Ansprüche auf das österreichische Erbe und gewinnt auch seine sächsische Schwägerin dazu. Wachtiger ist, daß Spanien und Frankreich mitmachen und auch Friedrich der Große gegen Maria Theresia auftritt. Im Dezember hat dieser bereits Schlesien besetzt. Mit Hilfe seiner mächtigen Bundesgenossen wird der Kurfürst im Februar 1742 in Frankfurt zum Kaiser Karl VII. gekrönt, aber am gleichen Tag rücken die Österreicher in Bayern ein. Im Mai droht der österreichische Kommandeur Bärnklau, daß er die von seinen Husaren besetzten Schlösser 50

Nymphenburg und Schleißhcim niederbrennen ließe, wenn München nicht kapituliere. Es sind die Scharen des ungarischen Reitergenerals Manzel. Fast ein Jahr muß der neue Kaiser in Frankfurt bleiben. Im April 1743 kommt er zurück, muß aber schon im Juni vor einem neuen feindlichen Einmarsch wieder nach Frankfurt flüchten. Die Österreicher bleiben bis zum Oktober 1744. Im November kehrt der Kaiser und Kurfürst endgültig heim. Am 21. Oktober zieht er von seinem geliebten Nymphenburg aus in München ein. Am 20. Januar darauf stirbt er in der Residenz. Der Sohn will Frieden mit der Familie seiner Mutter und verzichtet auf die Ansprüche seines Vaters. Die Herrin der Amalienburg lebt noch zwölf Jahre im Pavillon Max Emanuels in den nach ihr benannten „Kaiserzimmern". Die Portraits aus der Werkstatt Desmaries' im Vorzimmer der südlichen Galerie erinnern an die getrübte Kaiserpracht.

51

Die Zeit des Kurfürsten Max III. Joseph Sie ist der Höhepunkt des Rokoko. Ein Blick auf das Portrait des Kurfürsten von Desmarees in den Königszimmern, das ihn mit dem Theaterintendanten Graf Seeau darstellt, genügt, dies klar zu machen: Kaffeetasse in der Hand, Hündchen auf dem Schoß, Mozartzopf. Max Joseph ist ganz anders als Vater und Großvater. Eroberungen auf dem Schlachtfeld und in den Boudoirs und politischer Ehrgeiz liegen ihm fern. Er liebt Kunst, vor allem im Kleinen, Musik und ruhiges Familienleben, ist sparsam und tugendsam. Nur in der Jagdpassion war er nicht aus der Art geschlagen, zieht aber auch da Sdiießjagden dem wilden Parforcereiten vor. In regelmäßigem Turnus jagt er bei seinen Schlössern, hält sidi jedoch auch am längsten und liebsten in Nymphenburg auf. Äußerlich wird da wenig geändert, nur das Begonnene vollendet. Dagegen läßt er im Inneren und im Park vieles verwandeln, manches Neue anlegen. Cuvillies ist sein Baumeister, Johann Baptist und Franz Zimmermann fertigen die Ausmalung, Desmarees malt Portraits. Als der Kurfürst 1747 die Prinzessin Maria Anna von Sachsen heiratet, die Schwester seines Schwagers, des Kurfürsten Friedrich Christian von Sachsen, gibt es auch in Nymphenburg wieder Feste. Große Beleuchtung im Park und in der Amalienburg, Pantomime auf dem 52

Freilichttheater und zum Abschluß Brillantfeuerwerk. 1750 brennt die alte Schwaige Kemnath ab. Sie wird dann durch die heutige Schloßschwaige ersetzt. Die hauptsächlichsten, großenteils heute noch bestehenden Umgestaltungen in Nymphenburg fallen in die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Als erstes kommt der große Saal an die Reihe (1756/57). Cuvilli£s muß eine Musiktribüne einbauen. Die Zimmermanns — Vater und Sohn — malen ein neues Deckengemälde. Die Embleme an den Wänden weisen hauptsächlich auf Musik hin. Dazu kommen die obligaten Putten und die Attribute von Kunst und Wissenschaft. Auf die Decke der Musiktribüne wird aus Ovids Metamorphosen die Verwandlung der Bauern in Frösche und auf die der darunter entstandenen Sala terrana die Geschichte von Aurora und Zephir gemalt. Gleichzeitig verwandelt sich drüben über der Orangerie der bisherige Comedie-Saal in den Hubertussaal für jagdliche Festveranstaltungen. Er bekommt ein Deckengemälde von Moide und venetianische Ledertapeten. 1750 beginnt die Ausschmückung der Schloßkirche. Max Joseph und Maria Anna sind sehr fromm und wollen die Kirdie nicht zu kurz kommen lassen. Während die nördliche Galerie von Effner unverändert bleibt, erhält 1760 die südliche ihr heutiges Aussehen; Dann kommt das Vorzimmer mit den Bildnissen des Kaiserpaares dran und die „Königszimmer"; das chinesische Cabinet wird erst später vollendet. In dieser Zeit (1760—62) sind die zahlreichen sächsischen Verwandten als Flüditlinge am bayerischen Hof. Sie 53

sind vor Friedrich dem Großen geflohen, um nicht noch einmal in Dresden unter preußische Besetzung zu kommen. Die sächsische Kurfürstin Maria Antonia, eine Schwester des bayerischen Kurfürsten, war geborene Nymphenburgerin. Auf Horemanns' Bild in den Königszimmern sind Sachsen und Bayern zusammen dargestellt. Natürlich kommen die Verwandten oft von der Stadt nach Nymphenburg, eine willkommene Zerstreuung für das in dem großen Schloß etwas vereinsamte Kurfürstenpaar, denn zu seinem größten Kummer bleiben Kinder aus. Je mehr Jahre verstreichen, um so klarer wird es, daß der bayerische Ast von Wittelsbach ausstirbt. Der sächsische Graf von Lynar, der anscheinend wegen seiner Herrschaft im Sommer 1762 durchreist, gibt ein wenig fröhliches Bild von dem damaligen Leben in Nymphenburg (Wolf: Das Kurfürstliche München, S. 22 ff). Er berichtet, daß er am 26. Juli nach der Messe dem Kurfürstenpaar und der Herzogin Josepha, der Schwester Max Josephs und künftigen Gattin Kaiser Josephs II., vorgestellt wurde: „ . . . Der Hof war heute ungemein glänzend und zahlreich; man sah viel schöne, prächtige und geschmackvolle Kleider, auch viele alte Röcke, die man nicht am Hofe gesucht hätte. Es waren auch viele Offiziere da. Allein die Livréen der Bediensteten und Heiducken sahen mitunter schlecht genug aus. Läufer hatte der Kurfürst nur zwei. Pagen sind zwar einige zwanzig, man sieht aber sehr wenige, ihre Livrée ist blauer Samt und rote Westen, alles in Silber. Die vier fürstlichen Personen aßen heute Mittag allein 54

in dem großen Saal, während der Zeit von der Hofkapelle schön musiziert wurde, und wir anderen machten eine Zeitlang die Cour; endlich setzten wir uns unten allerseits an eine Marschalltafel von vierzig Kuverts. Das Essen war sehr mittelmäßig, indessen zum Überfluß und wurden zuletzt viel fremde Weine herumgereicht. Wir saßen nicht lange; nach Tische retirierten sich die fürstlichen Personen. Die Hofdamen machten droben einige Partien Trisett unter sich, ich ging, den Garten zu besehen. Gegen halb sieben Uhr fanden sich fast alle Damen aus der Stadt oben im Vorgemadi ein, ungefähr einige zwanzig; es sollen aber jetzt noch viele auf dem Lande, teils auch in Trauer und in Wochen sich befinden. Sie waren alle ziemlich reich geputzt und mit Juwelen versehen . . . Um sieben ging alles hinunter in die Gartenstuben auf ebenem Boden und weil es so schönes Wetter war, so beliebte der Hof, im Garten unter freiem Himmel zu spielen. Die vier fürstlichen Personen spielten zusammen Trisett, standen aber wechselweise auf und ließen andere das Spiel nehmen. Die Hofdamen und die anderen machten auch ihre Partien; es wird meist Trisett und L'hombre gespielt. Um zehn Uhr ging man zur Tafel, und die sämtlichen fürstlichen Personen speisten an einer Tafel von achtzig Kuverts (also wohl mit den Sachsen). Wie es bei großer Herren Tische zugeht, so ist es auch hier; alles ist kalt und man kriegt von den vielen Gerichten wenig zu essen, sonderlich wenn die Bedienung so schlecht wie hier ist. Abends um halb zwölf war alles aus und ich fuhr nebst den andern wieder nach München." 55

Es steht nicht fest, ob Bernardo Beiotto Canaletto durch die Sachsen veranlaßt nach München gekommen ist. Jedenfalls war er gleichzeitig mit ihnen da und hat Nymphenburg von beiden Seiten gemalt. Das ganze Schloß ist in den Pastelltönen der Zeit gefaßt, blaßrosa der Grund, grünlich die erhabenen Teile. Man sieht das Parterre mit dem Florabrunnen und den anderen vergoldeten Figuren, den geschnittenen Hecken und kunstvollen Rabatten, vielen kleinen Springbrunnen, Gondeln mit blausilbernen Gondolieris, schwere Karossen, leichte Gartenwagen, Damen im Reifrock, Herren mit Dreispitz. Die Ergänzung zu Canalettos Veduten geben Bustellis Figürchen. Mit ihnen beginnt der Ruhm der Nymphenburger Porzellanmanufaktur. Es steht fest, daß Max Joseph schon 1747 in seinem Jagdschloß Neudeck ob der Au bei München eine Porzellanmanufaktur einrichten ließ und diese 1761 in den dem Controllor gegenüberliegenden Bau im Rondell verlegte. Dort steht auf der Steintafel über dem Eingang, daß das Gebäude 1758 ganz umgebaut und damit der Schloßbau vollendet worden ist. Die Leitung der Manufaktur erhält der Graf von Heimhausen, dessen Schloß an der Amper zu den Kunstwerken Cuvillies gehört. Die Porzellanbüste von ihm stammt von Bustelli. Dieser ist seit 1754 in der Manufaktur und stirbt 1763 in Nymphenburg. In den neun Jahren seines Nymphenburger Aufenthaltes hat er das Feinste in seiner Sparte geschaffen, was es überhaupt gibt. Die Manufaktur steht trotz eines Bombenschadens nach wie vor am alten Platz und arbeitet zum Teil heute noch nach Bustellis Modellen. In seinen Darstellungen 56

der Comedia dell'arte und anderen graziösen Kleinplastiken lebt der reizvolle Zauber Nymphenburgs im Rokoko weiter. Nun vom Rondell in den Park. Zwischen Amalien- und Badenburg, hinter dem später veränderten Brunnenhaus für das Parterre, hat Max III. ein Dörfchen für Angestellte geschaffen, das mit zu den reizvollsten Plätzen im Park gehört. Dort hatte er schon Jahre zuvor ein Bibergehege. Damals und noch lange später hausten solche sehr schwer lebend zu bekommende Tiere unter Aufsicht eines eigenen Wärters in kleinen Holzhäuschen und bauten sich darin aus Weidenzweigen ihr Lager. Ein Lieblingsplatz dieses Kurfürsten war der Cabinettsgarten vor dem südlichen Pavillon. Wahrscheinlich hat er in diesem Bau gewohnt, jedenfalls so lange seine Mutter im nördlichen Gegenstück war. Es würde auch mit der Schilderung von Lynar übereinstimmen. Die Marmorkaskade im Cabinettsgarten ist von Cuvillies aus dem Jahr 1764. Die Figuren davor und dahinter kommen erst später in den damals noch streng französischen Garten, aber der hübsche Pavillon für das Vogelhaus mit den schmiedeisernen Gittern stammt noch aus der Zeit dieses Max Joseph. Im Juni 1763 war die Familie Mozart auf der Durchreise von Salzburg nach Paris in München, Leopold Mozart mit seinen Kindern Wolfgang und Marianne. Es ist anzunehmen, daß das damals siebenjährige Wunderkind der so musikalischen Familie in Nymphenburg vorgeführt wurde, als die Eltern am 13. dort waren. Auch der Pfalzgraf Friedrich Michael von Zweibrücken 57

war anwesend. Die Mutter Mozart vermerkt in ihrem Reisetagebuch: „hab ich gesehen das ninfenburg, das sdiloss und den garten und die viert sdilösser, nemlich amalienburg, badenburg, bagotenburg und die eremitage. amalienburg ist das schönste, worin das schöne bett ist und die kuchel, wo die kurfürstin selbst gekocht hat. badenburg ist das größte, wo ein sali ist von lauter spiegeln, das bad von marmor, bagotenburg ist das kleinste, wo die mauern von miolika ist und die eremitage ist das sizamste, wo die kapel von muschel ist . . (Arthur Schurig: Leopold Mozarts Reiseaufzeichnungen 1763—1771, Dresden 1920.) In Nymphenburg wurde ein für die Gesamtfamilie Wittelsbadi sehr wichtiges Abkommen unterzeichnet: der Hausvertrag von 1766. Er legt fest, daß nach Erlöschen der bayerischen Linie die pfälzische nachfolgt, zuerst der pfälzische Kurfürst aus dem Sulzbacher Zweig und dann, falls dieser auch aussterben sollte, unser zweibrükkisch-birkenfeldischer. Karl Theodor kommt öfters auf Besuch von Mannheim und Schwetzingen herüber, seltener der Zweibrücker Herzog Christian IV. Letzterer findet, wie Lynar, das Leben am bayerischen Hof recht einförmig. Es spiele sich in geregeltem Turnus in München, Nymphenburg, Schleißheim und Dachau ab. Anno 1768, nach dem Tode Friedrich Michaels, bringt Christian zum ersten Mal seinen Neffen, den Pfalzgrafen Max Joseph, von Zweibrücken zu seinem Paten nach Nymphenburg. Max war damals ein Knabe von dreizehn Jahren, der nicht ahnte, daß er dereinst Bayern regieren, in Nymphenburg leben und sterben würde. 58

Zwischen 1770 und 78 erhält die große Kaskade am Ende des Parkes ihr neues Gewand, die jetzige Marmorverkleidung. Von den seinerzeit von Pater Bretagne so bewunderten Figuren bleiben von Volpini die liegenden, Donau und Isar, und die stehenden, Minerva und Herkules, und der Neptun von de Groff. Neu sind Mars und Minerva von Günther und Thesis von Boos. Auch für das Parterre gibt der Kurfürst bei Auliczek, Straub, Günher und Melchior als Ersatz für das vergoldete Blei Marmorfiguren in Auftrag, erlebte aber die Fertigstellung der meisten nicht mehr. Im nächsten Jahr kommen die drei reizenden Puttengruppen, von Auliczek, von denen jetzt Nachbildungen auf dem Schloßplatz stehen, vor die Badenburg. Nach den Attributen zu schließen, sollen sie an die drei Kurfürsten erinnern, die Adelheids Borgo zur endgültigen Gestalt erweitert haben. Ein Paar hält einen Schild mit dem Namenszug Max Emanuels, ein anderes spielt mit einem Adler als Hinweis auf die Kaiserwürde Karls VII. und das dritte hebt den Kurhut empor, wohl den des dritten Max. Im Jahr 1775 hat letztere außerhalb der Parkmauer in Höhe der Amalienburg eine Goldfasanerie mit Wärterhaus angelegt, die sein übernächster, ebenso tierliebender Nachfolger gleidien Namens in eine Menagerie verwandeln wird. Es würde zu weit führen, im Einzelnen alle 'innenarchitektonischen Veränderungen, wie die hübschen Papiertapeten in der Badenburg und die Rokokomöbel im Schloß und in den Burgen aufzuzählen, aber eine der 59

letzten Schöpfungen dieses Kurfürsten muß erwähnt werden, der „Grüne Saal" im ersten Stockwerk des Küchenbaues mit seinen schon klassizistischen Stukkaturen und grünen Wandmalereien. Du sagst, Dein Vater habe darin in Liebhaberaufführungen gesungen. Für uns Kinder war es immer ein Ereignis, wenn dort ab und zu im Sommer gegessen wurde. Hier hat das Rokoko seinen Zenit überschritten. Wir stehen auch am Ende der Zeit Max' III. Joseph. Am 30. Dezember 1777 stirbt er in der Residenz an den Blattern als letzter der bayerischen Linie.

60

Karl

Theodor

Er ist in Mannheim und Düsseldorf zu Hause und muß sich in Bayern erst eingewöhnen, als er im Alter von dreiundfünfzig Jahren übersiedelt. Die Kurfürstin Elisabeth wird sich da nie heimisch fühlen und sich bald wieder in ihr Oggersheim zurücksehnen. Am liebsten hätte Karl Theodor Bayern vom Rhein aus regiert, aber laut Erbvertrag muß die Residenz des Kurfürsten von Pfalz-Bayern in München sein. Er wäre audi einem Tausch gegen die österreichischen Niederlande nicht abgeneigt gewesen, wenn seine Schwägerin Maria Anna in der Maxburg ihn nidit davon abgehalten hätte. So kommt er nur schweren Herzens und beginnt seine bayerisdie Regierung mit dem Erbfolgekrieg an der Seite Friedrichs des Großen gegen Österreich. Nymphenburg bietet ihm einigen Ersatz für sein Schwetzingen, das er nach eigenem Geschmadk aufgebaut hat. Stephans Bild von einem Pferderennen am Kessel aus dem Jahr 1799 beweist, daß in Nymphenburg auch Volksbelustigungen stattfanden. Als sehr gebildeter Mann der Aufklärung, Bewunderer von Voltaire und Rousseau lockert er die Etikette des ancien regime und zieht die Natur den Künsteleien vor. Eben kehrt sein Gartenkünstler Friedrich Ludwig Sckell von England und Holland nach Schwetzingen zurück und begeistert ihn für englische Parkanlagen. Trotzdem ändert er im franzö-

61

sisdien Park von Nymphenburg nichts, obwohl er zweiundzwanzig Jahre Zeit gehabt hätte. Das Parterre enthält später die von dem Vorgänger bestellten Figuren und die frühklassizistischen Marmorvasen von Boos, wie sie heute stehen. 1792 waren noch die alten Vasen und Figuren im Parterre. Die Freude Karl Theodors an der Natur kommt zuerst außerhalb des Parkes zum Ausdruck, im Hirsdigarten. In den achtziger Jahren beauftragt er seinen Oberstjägermeister Freiherrn von Waldkirch mit der Anlage. Der Kurfürst selbst reitet und jagt längst nicht mehr, will sich aber am Anblick der Hirsche erfreuen. Audi dem Publikum soll der Hirsdigarten Erholung gewähren. In dem 1790 dort erbauten klassizistischen Jagdschlößdien, dem heutigen Wirtshaus, hat er nur zwei Zimmer dem Hof reserviert, alle anderen stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung. Im großen Saal wurden besonders schöne Geweihe und Abnormitäten aufgehängt, darunter ein vom Kurfürsten Karl Albrecht in der Hirschau geschossener Vierundzwanzigender. Der Park war 131 Tagwerke groß und erstredete sich nach Süden bis zur Landsbergerstraße. Ein Stüde von ihm ist schon der Anlage der Eisenbahn zum Opfer gefallen, und vor dem zweiten Weltkrieg ist er durch die Planung eines neuen Bahnhofs zerstört und für Hirsche unbrauchbar gemadit worden. Nur die Eichen am Haus erinnern noch an den alten Zauber. Die Mündiner kamen in jeder Jahreszeit gern in den Hirschgarten, auch im Winter auf Sdilitten, um der Fütterung zuzusehen. Der vielgesdimähte Karl Theodor 62

hat viel für das Volk getan, hat den Hofgarten in der Stadt und den Park von Nymphenburg frei gegeben. Um jene Zeit läßt er unter Leitung des Amerikaners Thomson Graf Rumford gerade den Englischen Garten in München anlegen. Es gab damals sehr viel Wild rings um die Stadt und auch im Park von Nymphenburg. Ein Bild von Johann Höchle zeigt einen Spaziergang im Parterre i. J. 1792 mit dem eben gekrönten Kaiser Franz und seinem Bruder Erzherzog Joseph. Voraus Karl Theodor mit der Kaiserin, dann der Kaiser mit der Witwe Max Josephs und seinem Bruder. Der Kurfürst und der Posten vor der steinernen Treppe in weißen Uniformen mit dem Kollett aus der Rumford-Zeit, die Damen mit Federnaufbau auf dem gepuderten Haar, ein Bürgermädchen mit Riegelhaube. Das Ganze ist ein Bild des Friedens, während über Ludwig XVI. im Temple der Schatten der Guillotine sich erhebt und Robespierre im Begriff ist, die Schreckensherrschaft an die Stelle des Nationalkonvents zu setzen. Immerhin kam damals in Nymphenburg ein bayerisch-österreichisches Bündnis gegen das revolutionäre Frankreich zustande. Das Bündnis mit Österreich bringt keinen Segen. 1796 muß Karl Theodor vor Moreaus Franzosen nach Sachsen fliehen, während Bonaparte in Italien seinen Aufstieg beginnt. Der Kurfürst erlebt noch den Kongreß von Rastatt, österreichische Truppen lagern in Bayern, als er im Februar 1799 in München kinderlos stirbt. Nachfolger wird sein Zweibrücker Neffe und Dein Urgroßvater Kurfürst Max IV. Joseph I. als König.

63

Unter dem bayerischen König Max Joseph Directoire — Empire — Biedermeier — schnell wechseln die Moden in dieser inhaltsschweren Zeit vom FrühklassiZiismus in die Romantik, und jede hinterläßt auch in Nymphenburg ihre Spuren. Der neue Max Joseph ist mehr fürs Praktische und Bequeme als für höfische Pracht. Er ist fast als Privatmann aufgewachsen ohne Etikette und Zwang, hat als französischer Oberst in Straßburg im Zweibrücker Hof seine schönste Zeit verbracht, aber dem Hofleben in Versailles und Fontainebleau nichts abgewinnen können. Als ihn die Revolution über den Rhein zurückgetrieben hatte, kaufte er sich in Mannheim wieder ein Privathaus. Noch lieber war er auf seinem Landhaus Rohrbach bei Heidelberg. Dort mußte ihm Sckell einen englischen Park anlegen. Max Joseph liebte vor allem die Bewegungsfreiheit, die Natur mit ihren Tieren und Pflanzen. Seine zweite Frau, die badische Caroline, hat ähnlichen Geschmack und ist noch „romantischer" veranlagt. Am 12. März 1799 zieht das Paar mit den Kindern aus Max' erster Ehe traditionsgemäß von Nymphenburg aus feierlich in München ein. Die Residenz bedrückt sie. Wenn auch das Lever und andere Zeremonien abgeschafft sind, so sind doch die düsteren Räume bedrückend. Nicht e i n modernes Möbel gäbe es, klagt Caroline ihrer Mutter, der Markgräfin Amalie 64

von Baden. Die Zeit hat kein Verständnis für ältere Stilformen. „Altfränkisch" nannte man schon das Rokoko. Man war noch zu nahe, um es zu schätzen, und man ging mit der Mode. Kann man sich da wundern, daß Max Joseph für die vergangene Kunst wenig übrig hatte und auch Nymphenburg modernisierte? Man muß froh sein, daß er dabei wenigstens den Mittelbau und die beiden Galerien verschonte. Nymphenburg wird sein Lieblingsaufenthalt. In den ersten Briefen schreibt die Kurfürstin hocherfreut der Mutter, daß sie bald hinausziehen, damit ihr erstes Kind dort in freier Luft und Umgebung zur Welt komme. Man kann annehmen, daß die Kurfürstin gleich den südlichen Pavillon am Cabinettsgarten bezog. Max Joseph dürfte zunächst in den Königszimmern oder im ersten Stock mit seiner Frau zusammen gewohnt haben; in seine Parterrewohnung ist er jedenfalls erst später hinuntergezogen. Die Kinder von der hessischen Mutter, der Kurprinz Ludwig mit den beiden Schwestern Auguste und Charlotte, und Karl werden oben im nördlichen Seitenbau untergebracht, während das Stockwerk darunter für hohe Gäste und Verwandte reserviert wurde. Der französische Park ist gar nicht nach dem Geschmack des Kurfürstenpaares. Sie kommen von Rohrbach und dem dort von Friedrich Ludwig Sckell angelegten englischen Garten. Dieser Künstler hat in Schwetzingen gezeigt, wie man einen französischen Park mit dem neuen Stil vereinigen kann. In einigen Jahren wird er dieses Experiment im Großen in Nymphenburg beginnen, 65

aber vorerst soll sein Bruder Mathias nur das Parterre vereinfachen, die südlidi anschließenden Barockspielereien beseitigen und in kleine Gärtchen für die Kinder verwandeln. Ludwig verzeichnet, daß er schon 1799 seinen eigenen Garten bei der Amalienberg, mit Holzhäuschen und dem ganzen romantischen Zubehör bekam, weil er so Heimweh nach Rohrbach hatte. Dieser Garten heißt heute noch Ludwigsgarten. Auch sein Haus ist noch da. Den Park fand er trostlos mit seinen „Alleen über Alleen" und dem Geplätscher der Springbrunnen als einzigen Laut in der Stille. Ab und zu fahren die Eltern mit dem kleinen, vom Rhein mitgebrachten Hofstaat auf den Kanälen herum, und an Sonntagen darf Ludwig mit. Das ist die ganze vom gestrengen Mentor Kirschbaum gestattete Zerstreuung. Sobald Ludwig sein Gärtchen bekommt, zieht er sich dorthin zurück, um zu träumen und bald auch zu dichten, aber der erste traurige Eindruck bleibt ihm fürs Leben. In Nymphenburg wird er nie froh. Die Veränderung des Parterres wird 1800 in Angriff genommen und wohl in die heute noch bestehende Form mit den schon erwähnten Figuren gebracht. Alles übrige verschwindet, auch der früher so bewunderte Florabrunnen. Gleichzeitig mit der Veränderung des Parkes durch den großen Sckell bekommen Ludwigs Geschwister ihre Gärtchen mit Ställen f ü r Kanindien, Geißen und Schafe. Einer ist uns heute noch als „Schafgarten" bekannt. Vorerst freilich steht noch die hohe Politik im Vordergrund des Interesses. Max Joseph bereitet im Verein mit Montgelas ein Bündnis mit dem eigenartigen 66

Zaren Paul vor, den Vertrag von Gatschina. Der Kurfürst sagt seinen Beitritt zur Koalition zu, aber gegen die Garantie seines Besitzes. Zur Besiegelung dieses Zusammengehens wird die künftige Heirat des Kurprinzen Ludwig mit der Zarentochter Katharina ausgemacht. Der politische Hintergrund ist eine Rückversicherung Bayerns gegen die bekannten Annexionsgelüste Österreichs. Der junge Ludwig ahnt nicht, was in nächster Nähe für ihn beschlossen wird. Vermittler ist der Schwager des Zaren, Herzog Alexander von Württemberg. Damit das Geheimnis gewahrt bleibe, wird der Württemberger mit einem Leibheiducken in der Badenburg versteckt, zu seinem Glück nur für wenige Tage; denn dieser Hausarrest dürfte mehr prächtig als gemütlich gewesen sein. Unter dem 9. Juni vermerkt der Hoffourier Vorwalter den Besuch des Grafen Thun, Bischofs von Passau. Ancheinend wurde er mit Musik auf den Kanälen spazieren gefahren; denn bei dieser „Kammerfahrt" seien die Chöre der türkischen Musik vom Leibregiment gestellt worden, während dies sonst ein Vorrecht der Hofmusiker und Hoftrompeter war. In diesem Sommer marschieren bereits Korsakows Truppen durch Bayern. Max Joseph fährt mit dem Kurprinzen und den Badenern öfter aus, um die Soldaten zu begrüßen und zu bewundern; doch ehe das Jahr um ist, ruft sie der sprunghafte Zar wieder nach Rußland zurück. Am 5. September bringt Caroline einen toten Knaben zur Welt. Sie wird diese traurige Erinnerung an ihren ersten Aufenthalt in Nymphenburg nie mehr los. Im nächsten Sommer kommt Moreau mit seinem Stab 67

in das Schloß. Die Russen sind weg, und die Österreicher reißen die neue bayerische Armee in ihren Rückzug hinein. Fast ganz Bayern wird von Franzosen besetzt. Im Mai 1800 muß der bayerische Hof von München nach Niederbayern und dann weiter nach Amberg und in das damals noch preußische Bayreuth flüchten. Fast ein Jahr wird es dauern, bis er zurück kann. Die Kurfürstin ist zwar empört, daß Moreau die Zimmer ihres Gatten in Nymphenburg bewohnt, doch muß man ihm zubilligen, daß er sich korrekt und gemäßigt benommen hat. Sein einziges Vergnügen ist die Jagd. Er ist auch viel abwesend und scheint in der kalten Jahreszeit nicht mehr draußen gewesen zu sein. Nach der Kündigung des Waffenstillstandes macht er durch seinen Sieg bei Hohenlinden am 1. Dezember 1800 dem Krieg ein Ende. Es folgt der Friede von Luneville. Im April kehrt der Hof nach München zurück und siedelt Mitte Juni wieder nach Nymphenburg über. Caroline kostet es große Überwindung, in das Zimmer zurückzukehren, in dem ihr erster Sohn tot zur Welt kam. Ein trauriges Ereignis in Nymphenburg ist die Entfernung der Kapuziner. Im Zuge der Säkularisation, der Aufhebung der Abteien, dürfen Kapuziner und Franziskaner keinen Nachwuchs mehr einstellen. Nach Westenrieder wurden im März 1802 die Kapuziner von Nymphenburg zuerst in das Kloster in der Stadt verbracht und dann mit ihren dortigen Brüdern nach Burghausen auf Absterbe-Etat. Das Nymphenburger Hospiz geht ein, nur der Name „Kapuzinerholz" für das Wäldchen zwischen Nymphenburg und Hartmannshofen er68

innert an ihre segensreiche Tätigkeit hier draußen. Die Frauen von Nôtre Dame führen ihr Mädchenerziehungshedm noch viele Jahre weiter; später legen sie die Leitung in weltliche Hände. In das Jahr 1803 dürfte der erste Anstoß zur Umwandlung des Parkes fallen. Jedenfalls läßt Max Joseph den Gartenkünstler Friedrich Ludwig Sckell nach München kommen, um ihn mit der Ausweitung des Englischen Gartens in München nach seinen Plänen und mit der Anlage des Gartens von Biederstein, das er eben seiner Caroline geschenkt hat, zu betrauen. Sckell erklärt sich bereit, in bayerische Dienste einzutreten und von Schwetzingen nach München zu kommen. Im nächsten Jahr beginnt er sein großes Werk in der südlichen Hälfte des Parkes von Nymphenburg, zunächst bei der Badenburg. Es gibt ein Aquarell von der Mannheimerin Franziska Schöpfer am dem Jahr 1803: Max Josephs Tochter Auguste in weißem Empire-Kleid vor der Pagodenburg. Man sieht, daß schon vor Sdcells großer Operation die Anlage „natürlicher" geworden war. Ob die Natur allein die Alleen und Büsdie verwandelt oder ob die Frühromantik künstlerisch eingegriffen hat, ist nicht zu entscheiden, doch stimmt die Umgebung der Pagodenburg auf dem Aquarell nicht mehr mit der Beschreibung Bretagnes aus Max Emanuels Zeiten überein. Außer Programm ist der feierliche Empfang des Königs Gustav IV. von Schweden mit Königin und Gefolge am 1. Dezember. Die Königin ist Schwester der bayerischen Kurfürstin. Nach einem Diner in Nymphenburg zieht 69

man in großer Aufmachung in München ©in. Solche Einzüge erfolgen immer von Nymphenburg aus. Max Joseph verbringt seinen nächsten Geburtstag im Mai hier draußen. Er haßt steife Feiern und will ihn gemütlich im Familienkreis begehen. Man fährt zum Essen in das Jägerhaus im Hischgarten, und anschließend werden Versuche mit den neuen großen Springbrunnen vor und hinter dem Schloß vorgeführt. So berichtete die Kurfürstin am 27. Mai 1804 ihrer Mutter. Es handelt sich um die heute noch funktionierenden Druckpumpen von Joseph v. Baader in dem im Vorjahr im Park beim Bibergehege neu erbauten Brunnenhaus, einem Wunderwerk der Technik jener Zeit. Für den Springbrunnen auf der Stadtseite baut Baader entsprechende Maschinen in das Pumpwerk bei der Orangerie ein. Nach Karl August Sckell waren diese beiden Springbrunnen die höchsten in Europa. Bei dem Brunnenhaus im Park richtet sich Baader ein Laboratorium ein, wo er besonders dem Kurprinzen die neuesten Erfindungen vorführen wird. Für den Geburtstag der Kurfürstin am 13. Juli veranstaltet der Kurfürst ein großes Fest an der Badenburg, obwohl Sckell damals schon an der Arbeit für die Aushebung des großen Sees sein mußte. In diesem Jahr ist viel Betrieb in Nymphenburg. Im Herbst kommt Carolines Mutter wieder und bringt ihre jüngste Tochter mit Mann mit. Auch der König von Schweden erscheint wieder, aber diesmal nur auf kurze Zeit. Im September werden 15 000 Mann der neuformierten bayerischen Armee unter Wrede in einem 70

Lager in der Nähe vereinigt. Abgesehen vom Exerzieren gibt es Paraden und Vorführungen, wozu auch die weiblichen Bewohner von Nymphenburg erscheinen. Wenn es sich zunächst auch nur um eine Art Manöver handelt, so läßt die Politik Napoleons doch sdion ahnen, daß es bald ernst werden könnte. In einem Jahr wird es so weit sein. Inzwisdien wird im Park gerodet und gefällt. Aus der ebenen Regelmäßigkeit entsteht künstlerische Natur. Ein See mit Inseln wird bei der Badenburg gegraben und die gewonnene Erde zu Hügeln aufgeschichtet. Dadurch gibt es kleine Täler. Vom Alten bleibt außer den Burgen nur die Mittelachse zwischen Parterre und Kaskade. Die in Sternen zusammenlaufenden Alleen verwandeln sich in unregelmäßige, langgestreckte Wiesen zwischen Wald, Baumgruppen und Büschen. Um den Eindruck zu erwecken, als befinde man sich nicht in einem umfriedeten Park, sondern in freier Natur, schlägt Sckell am Ende der Wiesentäler Lücken in die Mauer und ersetzt sie durch Gräben, die sogenannten „Ahas", die bezeichnend für englische Anlagen sind. Die Benennung soll angeblich daher kommen, daß ein dieses Tricks unkundiger Wanderer plötzlich vor einem tiefen Graben stand und erstaunt „aha" sagte — so wenigstens wurde es uns als Kinder erzählt. Drei dieser Ahas sind in der südlichen Parkhälfte und einer in der nördlichen. Heute ist auch die Fernsicht über diese Ahas verbaut, aber noch vor einem Menschenalter sah man darüber weit ins Land hinaus nadi Blutenburg, Pipping und auf die Alpen mit der Zugspitze. Jahre vergehen, bis Sckells 71

großer Umbau vollendet ist, aber das Kernstück, der See an der Badenburg mit seiner nächsten Umgebung, wird doch bis zum nächsten Geburtstag der Kurfürstin Caroline fertig. 1805 ist eines der bedeutungsvollsten Jahre in der Regierung Max Josephs. In Nymphenburg muß er sich den Entschluß abringen, ob er mit oder gegen Napoleon Krieg führt. Als man im Juni wieder hinauszieht, weiß man noch nicht, was bevorsteht. Nur der Kurfürst und Montgelas kennen die Bemühungen Frankreichs um Bayern. Noch vor der Übersiedlung zeigt Max Joseph seinem Freund und ehemaligen Religionslehrer, Abbé Salabert, den großen See in Nymphenburg. Dieser ist begeistert über die Verwandlung. Die Künste von Le Nôtre sind ihm ebenso zuwider wie dem schon zitierten Christian Müller, der ein paar Jahre später schreibt: „ . . . Der Garten an der Westseite des Palastes hat nicht mehr seine alte Gestalt. Das Blumenparterre und die sich darin befindlichen Wasserwerke sind vereinfacht, und dafür ist eine sehr hübsche englische Anlage mit einem See und freundliche Partien an der Südseite des Parterres entstanden, die wenigsten angenehmer sind als die widerlichen architektonischen Linien und Formen der französischen Gartenkunst, welche die Natur nur mit dem Lineal, dem Zirkel und dem Richtblei zu behandeln können glaubt, und die da wähnt, eine schnurgerade Perspektive von einigen hundert Sprüngen sei etwas Schöneres, als eine dichte Baumgruppe oder ein beschatteter Wasserspiegel. Dem ungeachtet ist dieses Parterre noch groß genug, und hohe 72

Laubwände wediseln mit marmornen Statuen, Vasen, Kaskaden und Fontainen. In der englischen Gartenanlage ersetzt der See mit seinen Inseln die reizenden "Wasserspiele des Parterres. Skells Talent für schöne, freie Gartenkunst zeigt sich in dieser Anlage, die reich an angenehmen und freundlich überraschenden Partien i s t . . Der neue See wird am Geburtstag der Kurfürstin unter Zulauf des erstaunten Volkes eingeweiht. Die romantische Stimmung und die sentimentale Zeit kommt am besten in einem von C. August Sckell in seinem Budi über Nymphenburg zitierten Artikel der Zeitung Aurora zum Ausdruck: „Die Nacht war dämmernd angebrochen, als das Conzert ein Ende nahm. Schon seit einigen Stunden durchrauschte den nahen Garten die aus der Hauptstadt herbeigeströmte Volksmenge, und dahin begab sich jetzt auch der Hof mit seinem Gefolge. Die "Wege, welche durch die neue englische Anlage führen, waren in kleinen Entfernungen durch sinnreich versteckte Lampen erhellt, die in zwey Schuh tiefen Gräben brannten, so daß man nicht die Flamme, sondern nur die Strahlen derselben erblickte. Die Erscheinung war ebenso neu als gefällig; denn die Gegend wie die Gebüsche waren wie mit goldgrünem Glänze Übergossen. In einer kleinen Viertelstunde kam man zur Badenburg, dem eigentlichen Standpunkte der Beleuchtung an. Auf einem natürlichen Hügel, von ehrwürdigen Baumgruppen umschattet, erhebt sich dieser Garten-Pavillon, und ein ausgedehnter See mit malerisch hinschlängelnden Ufern von pitoreskem Buschwerk, duftenden Linden und 73

Zitterespen bekränzt, breitet sich hier vor dem Auge aus. Aus seinem Schöße erheben sich mehrere Inseln, deren kunstlose Partien den feyerlichen Ernst des großen Wasserspiegels freundlich unterbrechen. Dieses ganze Gestade mit allen seinen Krümmungen war auf die nämliche Art durch eine Menge unsichtbarer Flammen erleuchtet; es schien wie von einem matten goldenen Sdiimmer besäumt, und in zart duftenden Bildern spiegelte sich das grüne Laub in den glänzenden Fluten. Bin süß schauerliches Gefühl sprach aus diesem Wunderlichte und eine mystische Stille herrschte in den Lüften und lag auf dem weiten See, und langam zogen die Wolken am Firmamente hin. Da trat die Gefeyerte in das dunkle Ruderschiff, und vom linken Ufer her erscholl der grüßende Lärm der Janitsdiaren-Musik und begleitete sie weit in den See hinein. Die Musik schwieg und ringsum waltete ein noch tieferes Schweiigen, durch das laute Plätschern der Ruder noch deutlicher bezeichnet. Und als das langsam hingleitende Boot rechts in die hervorragende Landzunge bog, da ertönt ein Orchester von blasenden Instrumenten, die hier im Hinterhalte lagen, und sanfte Hirtentöne, die wehmütig frohen Laute der Alpentäler, klangen vom verklärten Gestade herüber in das warme bewegte Herz. Aber in der Mitte des Sees, dort wo im Hintergrunde sidi der Birkenhügel erhebt, ragten graue Felsenmassen aus dem Schöße einer zweyten Insel hervor, und auf ihnen empor sah man in funkelnder Pracht einen siebzig Fuß hohen Obelisk durch die Lüfte scheinen. Tief in den grünen Wasserspiegel hinein warf die feurige Nadel 74

ihr zitterndes Strahlenhild, und mit ihm den Namen der geliebten Fürstin. Und als das Schiff vorüberzog, begrüßte es ein Chor melodisdier Stimmen, die die Feyer des Tages sangen, und die umliegenden Inseln und Gestade beantworteten die letzten Tacte jeder Strophe mit künstlich dem Echo nachgeahmtem Widerhall. Eine schwimmende Welt von Tönen zog jetzt daher durch den goldenen Duft der Lichtströme, die rings aus dem Dunkel der Nacht emporwallten, und ihre geheimnisvollen Wogen trugen Sinn und Gemüth in das Götterland der Phantasien. Und diesseits am dunklen Gestade wähnte man die Schatten des stygischen Ufers, und drüben über den Fluten die lichten Auen Elysiums zu erblicken und man beneidete die Glücklichen, die der alte Charon im schwarzen Boote hinüberfuhr in Persephones friedliche Hallen. Zu bald verscheuchte die luftigen Traumbilder der laute Jubel, mit dem das wimmelnde Ufer die Landenden begrüßte. Der Hörnerklang, die Trommelschläge und Trompetenstöße erwachten jetzt wieder von neuem, und zwischen den frohlockenden Reihen der Zuschauer trat der glänzende Zug die Stufen des Pavillons hinan, und setzte sich zum festlichen Mahle. Und die bunten Sdiaaren irrten nun fort durch die krummen Wege an der mäditigen Wassersäule vorüber, deren hoher Strahl ein symbolisches Brillantfeuer schwebend in den Lüften trug, und zogen heim auf der freundlich erleuchteten Heerstraße; und im Garten und im Felde war es still und einsam, die Flammen erlosdien und das Schauspiel des heutigen Tages war zu Ende." 75

Doch bald wird Nymphenburg aus seiner Träumerei aufgeschreckt. Napoleon will sein Bündnis mit Bayern unter Dach bringen. Es geht nicht gegen England, sondern durch Bayern gegen Österreich. Es wird erst klar, als im September General Bertrand erscheint und dem Kurfürsten vertraulich mitteilt, daß die Operation schon eingeleitet sei. Österreich setzt Max Joseph zu, mit gegen Frankreich zu ziehen. Es ist eine schwere Entscheidung. Wenn man nicht auf die Karte des künftigen Siegers setzt, wird Bayern büßen. Wahrscheinlich ist, daß Napoleon siegen wird, aber es könnte auch einmal anders gehen, und die Österreicher sind näher als die Franzosen. Montgelas, der krank in seinem Haus in Bogenhausen liegt, rät zur Abfahrt nach Würzburg, um dem Angriff der Österreicher zu entgehen. Ein Besuch der fränkischen Besitzungen ist längst fällig, und man wäre ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Parteien. Aber der Kurfürst zögert und versäumt kostbare Zeit. In der Nacht des 6. September hört Max Joseph aus seinem Bett Pferdegetrappel. Es ist ein Überfall. Hundert österreichische Husaren unter Fürst Schwarzenberg umstellen seinen Pavillon. Im Auftrag seines Kaisers fordert der Fürst Anschluß an Österreich, das durch Bayern gegen Napoleon marschiert. Es ist eingetreten, was Montgelas vorausgesehen hat. Am Morgen spricht München von Gefangennahme des Kurfürsten in Nymphenburg. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, Schwarzenberg hinzuhalten, um dem Zugriff in letzter Minute zu entgehen. Er verweist ihn an Montgelas und tut, als ob er Österreich folgte. Das Bündnis mit Frankreich ist zwar 76

noch nicht unterzeichnet, aber nach Ansicht des französischen Gesandten und Napoleons so gut wie perfekt. Die erhoffte Neutralität ist nicht mehr möglich. Der Franzose droht Montgelas in Bogenhausen mit der Rache des Korsen. Baron Gravenreuth ist dauernd zwischen Nymphenburg und Bogenhausen unterwegs, steift seinem Herrn den Rücken gegen Österreich. Am Abend kommt Montgelas selbst. Inzwischen wird die Flucht in Nymphenburg vorbereitet. Caroline, die Napoleon haßt, ist in Verzweiflung. In der Nacht fährt man heimlich über Neuburg nach "Würzburg Das Nest ist leer, ehe Schwarzenberg merkt, daß er getäuscht worden ist. Nun kommen wieder die Österreicher. Diesmal aber ziehen sie an Nymphenburg vorbei nach Ulm ins Verderben. Der Rest flutet zurück. Die Franzosen drängen nach, aber nicht als Feinde, wie vor fünf Jahren unter Moreau. Die Bayern empfinden sie als Befreier in Erinnerung an die Erfahrungen mit Österreich seit Sendling. Am 26. Oktober jagt Napoleon in Nymphenburg auf Fasanen. Er wohnt in der Residenz seines Verbündeten und sammelt seine Truppen zum Marsch auf Austerlitz. Max Joseph trifft ihn nicht mehr an, eilt ihm nach Linz nach. Der Friede von Preßburg zeigt, daß der Kurfürst auf die richtige Karte gesetzt hat. Bayern wächst an Umfang und Bedeutung. Am letzten Dezember ist Napoleon wieder in München. Bayern wird Königreich. Nach der Hochzeit seines Stiefsohnes Eugen Beauharnais mit der Königstochter Auguste kehrt Napoleon nadi Frankreich zurück. Es steht nicht fest, ob er in diesen Winterwochen wieder in Nymphenburg war. 77

Im Herbst scheinen ihm Baaders Springbrunnen so imponiert zu haben, daß er diesen jetzt nach Paris kommen läßt, um die "Wasserspiele von Marly zu verbessern. Die neue Würde ändert nichts an Max Josephs schlichter Lebensweise. Seinen Geburtstag im Mai hat er in Nymphenburg verbracht. Essen in der Badenburg, Kahnfahrt auf dem See, abends in der Amalienburg. Im Juni zieht man ganz hinaus. Er ist jetzt in die Parterrezimmer am Cabinettsgarten hinuntergezogen. Es gibt Aquarelle von der Einrichtung seiner neuen Wohnung. Der Garten mit Cuvilües Brunnen und dem Vogelhaus ist längst seiner Regelmäßigkeit entkleidet, aber es dauert lange, bis die Bäume und Büsche Schatten spenden und gegen den Park abschließen. „Mon bijou" nannte der König sein Privatissimum mit seinen Lieblingspflanzen. Dort hält er sich, von Hunden, Affen und Vögeln umgeben, am liebsten auf. Es scheint, daß der König die ihm unsympathische Barode- und Rokoko-Kunst in den Galerien und im Steinernen Saal mit Gobelins verdeckt hat, allerdings mit noch älteren, sehr schönen. Dazu soll noch einmal Christian Müller als Gradmesser für den Zeitgeschmack zu Wort kommen, obzwar seine Beschreibung zehn Jahre später verfaßt worden ist: „ . . . Schön und geschmackvoll sind die Zimmer, welche sich die Königin hat neuerdings einrichten lassen. Einfach und glanzlos wie der Bewohner sind die Wohnzimmer des Königs im Parterre des linken Flügels nach dem Garten. In ihnen herrscht kein königlicher Prunk und Luxus, aber der schönste schlichte Bürgersinn, wodurch sich Max Joseph seinen Unterthanen so wert macht. 78

Wie wenig kleine Fürsten Deutschlands würden sich mit dem begnügen, was dem König hier zu seiner Wohnung hinlänglich erscheint, wie wenig würden sidi d a sicher glauben, wo er ruhig schläft, da ihm die Liebe und Treue seiner Bayern die zuverlässigste Leibwache i s t . . Im Konzertsaal und in den anschließenden Galerien seien die erst vor einigen Jahren (auf dem Speicher der Maxburg in München) wieder aufgefundenen Wittelsbacher Gobelins aufgehängt gewesen. „ Die köstlichen Webereien im Konzertsaale stellen die Thaten Ottos von Wittelsbach nach den durch Kupferstiche hinlänglich bekannten Gemälden Candids d a r . . . In der Galerie befinden sich noch Darstellungen der Jahreszeiten, Monate etc., auch Hautelissetapeten, von Niederländern zu München verfertigt, doch nicht mit denen im Konzertsaal zu vergleichen... Beim Eingang hängt ein Zierstück von pariser Gobelins, das durch den lebendigen Farbenreiz und die Wahrheit der Darstellung das Auge fesselt. Es wurde von Napoleon hierher geschenkt.. In Nymphenburg erlebt Max Joseph die Tragödie von 1806. Der dem Königspaar sehr vertraute Berthier, Fürst von Neufchatel, wird oft bei ihm draußen gewesen sein, ehe er sich gegen Ende September verabschiedet, um als Generalstabschef seines kaiserlichen Herrn gegen Preußen ins Feld zu ziehen. Dann kommen Nachrichten, vom Tod des Prinzen Louis Ferdinand, von der Schlacht von Jena, von Siegen der Verbündeten, die auch Trauer erwecken. Der Kronprinz Ludwig muß von seiner Spanienreise zu Napoleon nach Warschau abberufen werden, um mit den Bayern gegen die Russen 79

zu kämpfen. Inzwischen aber setzt Sckell sein Werk im Park fort. Die Familie ist im nächsten Jahr längst wieder in Nymphenburg draußen, als der Kronprinz im Juli 1807 aus Tilsit zurückkehrt. Max Joseph empfängt ihn gerührt vor seiner "Wohnung im Garten und geht dann zu ihm in seine unberührten Kinderzimmer hinauf. Zum ersten Mal fühlt sich der Kronprinz in Nymphenburg froh und eins mit dem Vater. „Sein Herz sprach sich so wahr aus", vermerkt er. „Mein Vater zeigte mir noch diesen Abend den neuen See im Garten". Da der kleine an der Pagodenburg noch lange nicht fertig ist, wird der große an der Badenburg gemeint sein, den Ludwig noch nicht gesehen hat, jedenfalls nicht im Sommer; denn bei der Einweihung war er in Italien und kam erst nach Napoleon nach München, um dem Verhaßten nach Paris zu folgen und dann in den Krieg zu ziehen. „Früher war ich nie so freudig in Nymphenburg, nie so gerne in München." Es ist als ob der verlorene Sohn ins Vaterhaus zurückgekehrt sei. Kein Wunder, daß der so leicht Entflammbare in solcher Stimmung in Liebe entbrennt, als er bald nach seiner Heimkehr bei einem Konzert im Hubertussaal die schöne Sängerin Regine Hitzeiberger aus Würzburg kennen lernt. In der Familie war ihm bisher seine Schwester Auguste am nächsten gestanden, die er vor dem Krieg von Paris aus in Mailand als Vizekönigin von Italien besucht hat. Jetzt tritt die jüngere Charlotte an ihre Stelle. Sie gehen viel zusammen im Park und schließen sich immer enger zusammen. Der Bruder dichtet in seinem Kinderhäuschen im Ludwigs80

Josef K f f n e r 1719: Die P a g o d e n b u r g

garten oder draußen auf einer Bank und liest hauptsächlich Wieland! Seit ihn der Park in seiner neuen Gestalt an Rohrbach erinnert, fühlt er sich wohler in Nymphenburg. Den Sommeraufenthalt im Jahre 1809 stört Napoleons neuer Krieg gegen Österreich. Das Jahr bringt ähnliches Ungemach wie 1805, nur daß man zeitiger den Österreichern das Feld räumt, diesmal nadi Dillingen zu Napoleon und nach Augsburg. Wieder marschierten Österreicher an Nymphenburg vorbei und nach ihren Niederlagen bei Eggmühl und Abensberg von den Franzosen bedrängt wieder zurück. Dann kommt der Rückschlag in Tirol und bringt neue Erregung. Am 11. Juni ist man nach Nymphenburg herausgezogen, kehrt aber sdion nach einigen Stunden in die Residenz zurück, weil man einen Handstreich befürchtet, „vor allem aus einer Gegend, wo man durch Wälder bis Nymphenburg gelangen kann", schreibt die Königin ihrer Mutter. Sie dachte an Starnberg. Dabei sei es schrecklich heiß gewesen. Die Kammerfrauen wären verzweifelt, weil sie eben ausgepackt hatten und nun wieder einpacken mußten; sie selbst weniger, da sie seit dem 7. April aus den Koffern lebe. Jetzt seien aber Truppen an der Grenze und man zöge wieder hinaus. Trotzdem kommt man dieses Jahr nicht mehr zur Ruhe. Der Aufstand in Tirol fordert immer neue Opfer der bayerischen Truppen und geht weiter bis zur Jahreswende. Dazu kommt die Spannung zwischen dem Kronprinzen und seinem französischen Vorgesetzten, dem Herzog von Danzig. Der Friede von Schönbrunn Mitte Oktober 81

bringt Bayern Salzburg und das Innviertel. Dafür verliert es aber Würzburg und muß Tirol erst zurückerobern. Napoleon sagt sich auf der Durchreise von Schönbrunn auf einige Tage in Nymphenburg an, aber man weiß nicht genau, wann er kommt und wartet tage- und nächtelang in Gala. Die Kaiserzimmer im Nordpavillon sind bereit. Nichts haßt Max Joseph mehr, als in Uniform eingezwängt herumzustehen. Endlich am 20. kündigen Salutschüsse den Kaiser an. Acht Schimmel aus dem bayerischen Hofstall bringen ihn zum Schloß, eskortiert von Bürgerreiterei, seinen Chasseurs und Mamelucken. Voraus der Dienst in vierspännigem Wagen. Glocken läuten. Abends für die Fahrt ins Theater ist die Allee hell erleuchtet. Napoleon hält alles in Atem. Der König ist von fünf Uhr früh bis abends um zehn auf den Beinen, so klagt er seinem Sohn in einem Brief nach Tirol am 21. Der Kaiser sei guter Dinge, warte in Nymphenburg den Austausch der Ratifikation ab. Er schreibt an Montgelas, daß dieser am 19. um Mitternacht erfolgt sei und daß er mit Napoleon am Morgen ein interessantes Gespräch gehabt habe. Aber er atmet auf, als der hohe Gast weiterfährt. Laut Bericht der Königin an die Mutter vom 24. Oktober war der Kaiser zwei Tage in Nymphenburg. Der Kronprinz ist von Tirol zurückgekommen, sobald Napoleon abgezogen war. Er hat keine Lust mehr, unter französischem Befehl gegen die eigenen Unteranen zu kämpfen und begleitet auch die Eltern nicht im Winter nach Paris. Im März 1810 reist Caroline Murat, Königin von Neapel, durch München, um ihrem Bruder die neue Kaiserin 82

Maria Luise zu bringen. Max Joseph gibt ihr ein Frühstück im Hirschgarten und zeigt ihr Nymphenburg. Im Juni ist man wieder draußen. Voll Stolz führt der König seinem Sohn die vielen Enten und Hühner, seine Lieblinge vor; Seen und Kanäle sind voll versdiiedenen Wassergetiers; der Park ist im Großen fertig, nur Einzelheiten stehen noch aus. Jetzt wird die ehemalige Goldfasanerie außerhalb der Mauer bei der Amalienburg in eine richtige Menagerie mit allen nötigen Bauten umgewandelt. Nun fährt der König auch im Winter oft heraus, um seine Tiere zu besuchen. Ende des Jahres schreibt Caroline der Mutter, daß sie wieder dort waren, um einen neuen Transport zu besichtigen. Die Tiere kommen meist von einem Tierhändler in Stuttgart, einstweilen sind es hauptsächlich verschiedene Vögel. Später gesellen sich auch harmlose Vierfüßler dazu, aber keine wilden Tiere. Wenn Max Joseph draußen wohnt, verbringt er täglich einige Stunden in seiner Menagerie. Der Wärter hat auch die vielen Enten und Gänse im Park zu füttern und zu pflegen und rund fünfzig Schwäne. Seit dieser Zeit gehören Schwäne zum Bild von Nymphenburg. Es kommt das Jahr 1812 mit seinen Sorgen. Trotz aller Mühe ist es nicht gelungen, die Bayern aus dem Feldzug nach Rußland herauszuhalten. Anfangs scheint es gut zu gehen, aber schon im September beginnen schlimme Nachrichten vom Kriegsschauplatz einzulaufen; Polozk und Borodino bringen den bayerischen Truppen sehr sdiwere Verluste. Als man schon im Mai 1813 wieder von der Residenz nach Nymphenburg übersiedelt, ist 83

von dem bayerischen Kontingent fast nichts mehr übrig und Napoleon steht in Verteidigung an der Elbe. Wieder, wie anno fünf, steht der König in Nymphenburg vor einem schweren Entschluß. Sein Sohn, der längst verheiratet ist und seitdem in Salzburg und Innsbruck residiert, drängt zum Frontwechsel. Der Vater sdieut sidi, seinen französischen Gönner zu verlassen, will aber sein Land nicht aufs Spiel setzen. Es ist klar, daß Bayern die Radie des Siegers auskosten wird, wenn es auf der Seite des Besiegten gekämpft hat. Tage und Nächte ringt der König um den Entschluß. Zum ersten Mal verbietet er seinem Sohn, zu seinem Geburtstag zu erscheinen und schreibt ihm am 25. Mai den schärfsten Brief seines Lebens. In einem Brief an die Mutter vom 26. Mai berichtet die Königin von neuen Veränderungen in den Räumen: „ . . . Wir haben hier im Ecksalon, wo wir soupieren und wo man Kaffee trinkt, ein changement favorable vorgenommen, nämlich sechs große Bilder angebracht, die die Wände fast vollständig bedecken und die verschiedenen Seen und Wasserfälle in Bayern darstellen " Drei davon seien besonders sdiön und von sehr geschickten hiesigen Malern gefertigt. Der König ist sehr mit neuen Truppenaufstellungen als Ersatz für die Verluste in Rußland beschäftigt. Sie werden unter Wrede in einem Lager bei der Georgenschwaige zusammengezogen und gedrillt. Der König will die Truppen keinesfalls aus der Hand geben, ehe er weiß, ob er bei Napoleon bleibt oder auf die Gegenseite überschwenkt. Zum Geburtstag der Königin geben Prinz 84

Karl und Wrede mit anderen Offizieren im Lager ein Fest mit Ball und großem Feuerwerk. Seit einem Monat ist Waffenstillstand, und man wiegt sich in falschen Friedenshoffungen. Max Joseph begibt sich nach BadenBaden, ist aber zu Anfang August wieder in Nymphenburg. Zwei Wochen darauf marschiert Wrede mit seinen Männern an den Inn ab. Dann erscheint das Kronprinzenpaar auf kurzen Besudi. Die Kronprinzessin soll in Augsburg ihr zweites Kind bekommen, weil Salzburg zu nahe am Feind ist. Es ist schon klar, daß Österreich gegen Frankreich marschiert, wenn der Krieg wieder angeht. Bayern tut so, als ob es französisch bliebe, wenn auch manches dagegen spricht. Der König will nicht untreu werden. Der Kronprinz ist verzweifelt. Max Joseph bereitet nach seinen Erfahrungen vor acht Jahren ein Ausweichen vor den Österreichern vor und sichert sich ein Asyl in Baden. Er muß aber diesmal nicht fliehen, denn die Österreicher mit Wrede kommen vom Inn her als Freunde. Der Entschluß fällt ihm ebenso schwer wie damals. Mit umgekehrten Vorzeichen wiederholt sich das Gleiche. Montgelas überläßt ihm wiederum die schwere Verantwortung. Wrede treibt den König zum Frontwechsel. Am 8. Oktober wird der Vertrag von Ried unterzeichnet. Jetzt kann der König nicht mehr zurück. Bleibt diie Sorge, wie der Krieg ausgeht; denn davon hängt Wohl und Wehe von Bayern ab. Der Kronprinz jubelt, kommt am 11. von Augsburg herüber und bestürmt den Vater, ihn gegen Napoleon ziehen zu lassen. Er bekommt aber eine Absage und fährt niedergeschlagen wieder ab. Max Joseph will ver85

meiden, daß sein Erbe gegen den Allgewaltigen gekämpft hat, falls sich das Kriegsglück doch noch einmal wenden sollte. Er hat aber wieder auf die richtige Karte gesetzt. Beim nächsten Aufenthalt in Nymphenburg ist das politische Bild gänzlich verändert. Napoleon ist in Elba, die siegreichen Monarchen sind in Paris, audi der Kronprinz. Eugen Beauharnais hat sidi von Italien nadi München flüchten müssen, und seine Mutter, die ehemalige Kaiserin Josephine, ist tot. Die durchreisenden Gäste gehören jetzt zu den Alliierten. Sie kommen von Paris zurück und madien in Nymphenburg Station. Kaiser Franz erscheint in der ersten Junihälfte und bleibt zwei T a g e mit seinem Bruder Ferdinand, der nadi den Episoden von Salzburg und Würzburg wieder Toscana übernimmt. Kurz vor ihnen kam Wrede als Fürst. Im Juli trifft Metternich ein. A m meisten freut sich Caroline darüber, daß ihre Schwester, die Zarin, im September die Zeit bis zum Wiener Kongreß bei ihr verbringt. Seit ihrer Abreise nadi Rußland hat sie sie nidit mehr gesehen. Auch das Königspaar madit mit den beiden Söhnen den denkwürdigen Kongreß mit, bis dieser auffliegt und N a poleons „hundert T a g e " beginnen. Als der Kronprinz am 19. Mai in München eintrifft, um sich zum zweiten Mal ins Hauptquartier der Alliierten zu begeben, gerät er gerade in den Umzug der Familie nadi Nymphenburg. Der König führt ihn gleich zum See an der Pagodenburg. „ . . . Mit meinem Vater beging ich die neue, einen Teich enthaltende Anlage zu Nymphenburg . . . Die Verschönerung machte mich nicht froh in dieser Natur . . . " 86

Die alte Melancholie in Erinnerung an seine Knabenzeit erfaßt ihn wieder. Dabei hat Sckell auch auf der nördlichen Parkseite alles aufgeboten, was die Romantik ersinnen kann. Den Kronprinz Ludwig interessieren mehr Baaders technische Versuche. Zur Zeit arbeitet dieser auf seine Weise an der künftigen Eisenbahn. Von Lokomotiven ist noch nicht die Rede, aber von der leichten Fortbewegung von Lasten auf Eisen. Er macht seine Versuche im Laboratorium am Brunnenhaus oder draußen im Park bei der Menagerie. „ . . . Bei Joseph von Baader sah ich dessen nun im Modell ausgeführte Erfindung, wie er eiserne Straßen zum Fuhrwerk wünschet. Es sind keine eisernen Geleise, sondern der Wagenkasten selber liegt auf dem Eisen. Ich sah ein kleines Möpschen leicht dreihundert Pfund ziehen . . . Mit einem, das Geld vorschießenden Briten verbunden, begibt sich Baader bald nach England, den Versuch im Großen zu unternehmen. . . . " Die Zarin Elisabeth wartet in Nymphenburg die Entwicklung des neuen Feldzuges ab. Diesmal erscheinen außer dem Kaiser Franz auch der Zar Alexander und die Kaiserin von Österreich. Dazu kommen noch sächsische Prinzen auf Brautschau, Johann mit seinem Bruder Clemens. Das große Nymphenburg reicht kaum aus für so hohe Gäste, die natürlich standesgemäß untergebracht werden müssen. Zwei Kaiser können nicht gleichzeitig in dem dafür geeigneten nördlichen Pavillon hausen. Beide kamen unter Geläute der Glocken an, wie noch vor kurzem Napoleon. Leider überläßt Caroline die Schilderung dieser hohen Besuchc in Nymphenburg ihrer 87

Zwillingsschwester Amalie, deren Korrespondenz bisher noch nicht aufgefunden wurde. Sie bemerkt lediglich am 4. Juni, daß beide Kaiser ausnehmend freundlich und bester Laune gewesen seien. Das gute Wetter habe die verschiedenen Ausflüge begünstigt. Es dürfte die Folge dieses Besuches des Kaisers Franz gewesen sein, daß M a x Joseph in diesem J a h r aus Wien für seine Gewächshäuser seltene, auf Befehl des Kaisers Joseph I I . in fremden Ländern gesammelte Pflanzen erhält. Näheres darüber ist in dem Buch von Sdtell über Nymphenburg zu lesen. Die Zarin bleibt bis Mitte Juni in Nymphenburg. Dann kommt die Kunde von Waterloo. Diesmal begibt sich M a x Joseph allein nach Baden-Baden. Als er zurückkehrt, sind die Verbündeten zum zweiten Mal in Paris, Napoleon auf dem Weg nach St. Helena. Am 12. September schreibt die Königin von ihren täglichen Spaziergängen im Park: „ . . . Wir gehen den Kanal entlang bis zur Badenburg, um Enten, Gänse und Schwäne zu füttem. Dann verweilen wir bei einer neuen sehr schönen Statue, die der König auf einer Felsengruppe hat aufstellen lassen, woraus Wasser hervorsprudelt. Es ist der Gott Pan, Flöte spielend, mit einer Ziege zu seiinen Füßen. Das Ganze ist aus blendend weißem Marmor.

Gegenüber steht eine

Bank, worauf ich midi gewöhnlich setze. Dann kehren wir auf einem kleinen Weg zurück, fast den einzigen schattigen zu dieser Jahreszeit . . Wie die Tageseinteilung, so rollt auch die des Jahres gleichförmig ab, der Winter in München, Frühjahr, Som88

mer und Herbst verteilt auf Nymphenburg, Tegernsee und Baden-Baden. Im Januar 1817 wird auch das Mädcheninstitut in Nymphenburg verweltlicht. Die letzten sieben Nonnen und sechs Laienschwestern von Nötre Dame siedeln zu den Servittinnen ins Herzogspital über, und es werden Jahre vergehen, bis ein anderer Orden wieder ihr Werk aufnimmt. Die Hälfte der Zöglinge in dem „königlichen Mädcheninstitut" werden von den Majestäten unterhalten. Caroline nimmt sich sehr darum an. Max Joseph widmet sich in Nymphenburg immer mehr den Pflanzen und Tieren, baut sein kleines Cabinettgärtdien aus und die Menagerie und läßt von Sckell nördlich des großen Parterres, wo Max Emanuel seine Barockspielereien hatte, drei Gewächshäuser in einer Linie mit kleinen Zwischenräumen parallel zum nördlichen Kanal an der Gärtnerei errichten. An die alte Pracht erinnern nur mehr die steinernen Köpfe im Kaiser- oder Prinzengärtchen bei uns, das seine alte Form mit Rasenund Laubenflächen am reinsten erhalten hat. Das uns zunächst gelegene Gewächshaus steht schon seit 1807. Der westliche Pavillon desselben enthielt eine Gärtnerwohnung, während der andere f ü r die Familie zur Erholung gedacht war. 1816 kommt in das da vorliegende kleine Parterre der kopfstehende Putto auf dem Delphin von Lamine, dem Schöpfer des Pans. Gleichzeitig wird ein neues Gewächshaus für Blumenzucht angelegt und davor eine Anlage, im Halbkreis von Tuyenhedsen begrenzt. Auf einen langen Marmorsockel in die Mitte dieses Halbkreises werden die von dem Straßburger 89

Bildhauer Ohnmacht aus Sandstein gefertigten Statuen Paris, Venus, Juno und Minerva gestellt und dazwischen große Vasen mit Aloe. All das ist heute noch wie damals. Der zweite Putto mit Delphin im Brunnen ist von J . N. Haller ebenfalls nach einem Modell von Lamine, kommt aber erst zwei Jahre später an seinen Platz. Das dritte, kleinste, von Kastanienbäumen umgebene Parterre — wo jetzt das Milchhäusel steht — bekommt sein Palmenhaus erst 1820. Caroline berichtet ihrer Mutter immer wieder von neuen Tiertransporten für die Menagerie ihres Mannes. Audi das Gärtchen „Mon bijou" ist voll von Papageien und Sittichen. Sie sitzen untertags auf den Bäumen im Garten und fliegen nicht weg. Ein besonderer Liebling des Königspaares ist der Affe Coco. Am 17. Dezember 1816 schreibt die Königin, daß sie in Nymphenburg waren, um Neuankömmlinge, von einem Tierhändler aus Stuttgart geliefert, zu besichtigen: ein Lama, Schafe, eine indische Kuh, Kälber, indische Ziegen, einen prachtvollen Casuar, Schildkröten und einen Siebenschläfer. Eine Sendung Vögel sei angekommen, Gänse und Enten, von Wildkatzen ist die Rede. Im nächsten Jahr kommen Känguruhs dazu. Auch die primitiven Tierschauen bei der alljährlichen Magdalenendult im Sommer vor dem Südflügel des Schlosses machen der Familie Spaß, besonders die dressierten Affen Ravel's. Diese Dult mit ihren verschiedenen Kinder- und Volksbelustigungen gehörte ja bis vor kurzem zum Leben der Nymphenburger, war aber in alten Zeiten viel netter als später mit ihren technischen Vervollkommnungen.

90

Max Joseph hatte sehr viele Hunde unter Aufsicht des Jägermeisters von Neuhausen in dem alten Jagdschlößchen am Rotkreuzplatz, das jetzt ebenfalls den Bomben zum Opfer gefallen ist. Nun hat auch das Cabinettsgärtchen „Mon bijou" seinen klassizistischen Abschluß erhalten, wie das mittlere der kleinen Parterres bei den Gewächshäusern: Hinter Cuvilli^s Brunnen bekommen auf einem länglichen Sockel drei Figuren ihren Platz: die Venus italica von Canova in der Mitte in einer Nische, eingerahmt von Leda mit dem Schwan und einem Satyr mit dem Knaben Bacchus, von Konrad Eberle in Rom 1810 und 1812 gemeißelt. Zur Vervollständigung werden in zwei Jahren vor den Brunnen rechts und links noch Diana und Endymion vom gleichen Künstler aufgestellt. Sicherlich hat Caroline Anteil an dieser klassizistischen Ausschmückung; denn Canova ist für sie der Inbegriff des Schönen, besonders seit ihr Napoleon dessen Psyche in Venedig geschenkt hat. Mon bijou ist heute noch ungefähr so wie damals und wie es Carl August Sckell romantisch beschrieben hat: „ . . . Ein kleines unmittelbar an die Zimmer, welche König Max bey seinem Aufenthalt in Nymphenburg zu bewohnen pflegte, stoßendes, in dem natürlichen Gartenstyle gehaltenes und mit allem Reichtum der exotischen Pflanzenwelt geschmücktes Gärtchen, welches durch ein leichtes eisernes Gitterchen von dem großen Hofgarten getrennt ist, und nur zur ungestörten Erholung des Königs und seiner erhabenen Familie bestimmt war, von ihm auch besonders geliebt wurde, so daß er es nur seinen bijou zu nennen pflegte. 91

In der Mitte dehnt sich ein Thälchen von kurz geschorenen Rasen bis zu einer künstlichen aus rothem Marmor gearbeiteten Cascade aus. Rechts und links bilden didite Pflanzungen von chinesischem und persischem Flieder, Schneeballen, Gewürzsträuchern, roth blühenden Weißdornen, Trompeten- und Tulpenbäumen, von der Blutbudie, der Hängeesche und anderen schönen zum Teil nodi seltenen Bäumen und Sträuchern den Rahmen zu diesem Gemälde, und beschatten den unter ihnen hinlaufenden, mit Immergrün begränzten F u ß p f a d ; während sich zunächst an den königlichen Zimmern schöne Massen wohlriechender Blumen sich entfalten, weldie Auge und Geruch gleich sehr ergötzen. In der schattigen Tiefe des kleinen Thalgrundes vor der Cascade erblickt man links im Gebüsche, das seinen Schatten darüber wirft, die Statue des schlafenden Endymions, rechts aber tritt Diana, die jungfräulidie Göttin, von der Liebe geführt, mit abgespanntem Bogen und leisem Schritte aus dem dunklen Haine hervor, um sich dem schönen Schläfer zu nahen. Schüchtern schreitet die Göttin, der Athem scheint ihr zu Stödten, leise berührt ihr Fuß den Boden, auf daß er nidit erwache, der Gegenstand ihrer ersten und einzigen Liebe, und nicht Zeuge sey ihrer weiblichen Schwäche. Die Cascade von rothem Marmor bildet zwey Becken. Im ersten steht ein sogenannter N a p e d'cau von schirmartiger Form, über den sich das Wasser nach allen Seiten gleich verteilt, in's Bedien ergießt, und einen Wasserspiegel in der Form von einer Glasglocke bildet. Aus diesem Becken fällt das Wasser sodann über glatten 92

Marmorrand hinab in das untere Bassin, und bildet die Cascade. Das Ganze ist sowohl an sich als durdi die Umgebung eine der lieblichsten Scenen im Nymphenburger Garten. König Max hielt in diesem Bassin zwey sdiwarze Schwanen, seltene Vögel aus Neuholland. Ober der Cascade steht ein 31 Schuh langer, länglicher Würfel von Marmor, in dessen Mitte sich eine steinerne Nische in griechischem Stile befindet." In diese Nische kam die Venus von Canova, rechts stand Sylen, links Leda. So war es, von den beiden Figuren im Vordergrund abgesehen, als man schon anfangs Mai 1818 wieder hinauszog. In diesem Jahr entsteht am Badenburger See ein hölzerner Apollotempel an der Stelle des späteren steinernen Monopteros. Der für die feierliche Einsetzung der Verfassung aus Italien zurückgerufene Kronprinz bleibt einige Tage länger als beabsichtigt, um das Konzert von Signora Catalani zu hören. Der Zeremonienmeister zerbricht sidi den Kopf, wie man die Sängerin bei dem feierlichen Konzert setzen soll. „Auf eine Querbank, wie auf dem Reichstag von Regensburg", schlägt Ludwig als Sdierz vor, und so geschah es. Der Kronprinz liest in den Nächten in seinen Zimmern oben den Verfassungsentwurf durdi und stellt befriedigt fest, daß seine Vorarbeiten aus der Zeit des Wiener Kongresses berücksichtigt sind. Er verzeichnet ferner, daß sein Vater das Kapuzinerholz erworben hat, wo man am 19. Mai auf Rehe jagt. Dann kommen 93

Freier für das heranwachsende ältere Zwillingspaar und ziehen wieder ab, wie der Prinz von Carrignan und Erzherzog Reiner. Elise soll den preußischen Kronprinzen heiraten. Die Konzerte in Nymphenburg werden für Ludwig gefährlich: Als er im Herbst zum Namenstag des Vaters wiederkommt, lernt er hier Adelaide Schiasetti kennen und lieben — zwar blieb das Verhältnis platonisch, aber es dauerte lange Zeit. Im November veranstaltet Max Joseph seinem nunmehrigen Schwiegersohn Kaiser Franz eine Treibjagd in Nymphenburg. Dann ist Familienessen im Schloß und anschließend Besichtigung der Menagerie. Diese wird immer größer und kostspieliger. Sechzig bis siebzig Louis d'or mußte Max für zwei „Kängarrus" und eine Gazelle bieten, berichtet die Königin ihrer Mutter. Am 11. Mai 1819 Umzug nach Nymphenburg. Diesmal fühlt sich der Kronprinz, der wegen des ersten Landtages gekommen ist, hier wohler als sonst, weil ihm seine Stiefmutter verkündet, daß Adelaide auf seine Fürsprache an der italienischen Oper bleiben darf. „Ein froher Eindruck zu Beginn des Nymphenburger Aufenthaltes." Lange hält diese Stimmung allerdings nicht an; „ . . . sah hinaus auf den Rasen, in dessen Mitte der Springbrunnen hodi seinen Wasserstrahl hebet, auf den Kanal mit den ihn umgebenden Alleen. Es herrscht noch Traurigkeit in Nymphenburgs Anlagen, dachte ich . . . a Max Joseph hegt seine Vögel. Wenn die Sonne scheint, bringt er die zahmeren aus den Zimmern in den Garten hinaus und setzt sie auf Stangen. Einen schwarzen Papagei, seinen besonderen Liebling, trägt er in seiner Weste 94

mit sich herum, legt ihn in die Sonne, damit er sich von ihr, mit ausgebreiteten Flügeln, bescheinen lassen kann. Im August erscheint der künftige König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit dem Prinzen von Oranien, um Elise kennen zu lernen. Die Gäste sind sehr freundlich und aufmerksam, der Kronprinz aber reserviert, um sich ja nicht zu kompromittieren. Als der bayerische Kronprinz im Mai 1821 auf der Durchreise von Rom nach Würzburg, wo während seiner Abwesenheit sein Sohn Luitpold geboren ist, den Vater in Nymphenburg aufsucht, stellt er am 14. fest, daß dieser an dem Mittel-Kanal unmittelbar Gesträuchpflanzungen anlegen läßt — „sein Gedanke, hörte ich vom Könige". Unter dem 12. Oktober 1821 vermerkt Ludwig, daß er in der Menagerie den von Spix und Martius aus Brasilien mitgebrachten Ibis gesehen und seine Farbenpracht bewundert habe. Im nädisten April beauftragt er Sckell, nach Vollendung des Parkes einen Vorschlag für die Vereinigung des Nymphenburger Kanals mit dem im Englischen Garten auszuarbeiten. Kanäle gehörten schon damals zu seinen Zukunftsplänen. Sein Vater will jedodi von diesem Projekt nichts wissen, ehe der Park ganz umgewandelt ist, was noch immer nicht der Fall ist. — Die folgenden Jahre verstrichen im gewohnten Gleichklang der Aufenthaltswedisel. Caroline findet es in Nymphenburg angenehmer als in Tegernsee. Hier sei es ruhig und kühl in den hohen Zimmern und im großen Speisesaal, schattig im Park mit dem vielen Wasser, berichtet sie am 26. Juni 1827. Gestern 95

hätten sie am See bei der Badenburg die Jause eingenommen, umgeben von einer Menge Enten, Schwäne und Gänse. Dann sei der Großherzog von Weimar auf dem Wasserstuhl herumgefahren. Man bewege ihn selbst durch treten. Audi die Großherzogin Luise habe ihn ausprobiert, wobei die bayerischen Mädchen für alle Fälle nebenherruderten. Laut Sckell hat Baader diesen Stuhl sdion 1810 herstellen lassen. Man setzte ihn wie ein Fahrrad in Bewegung, und zwar von einem Sitz über zwei verlöteten, miteinander verbundenen kupfernen Schiffchen. Die Pedale brachten zwei kleine Ruder in Gang. Steuerung erfolgte mit der Hand mittels einer Stange. Goethes Gönner Carl August von Weimar soll sich darauf sehr gravitätisch ausgenommen haben. Zwei Jahre darauf stirbt Max Joseph in seinem geliebten Nymphenburg. Man begibt sich schon Mitte Mai heraus, zieht aber bereits nach einigen Tagen nach Tegernsee weiter, sehr zum Kummer der Königin. Es sei ihr sehr schwer gefallen wegzugehen, berichtet sie von dort der Mutter, denn gerade in dieser Jahreszeit sei der Garten besonders schön, Leben und Unterbringung viel bequemer als in Tegernsee. Der Hof kommt auch im Juni vor der Abreise des Königs zu seiner letzten Kur nach BadenBaden wieder. Max Joseph kehrt vor Caroline nach Nymphenburg zurück und wartet eine Woche allein auf Frau und Kinder, schreibt die Königin am 6. August. Er habe jetzt neue schwarze Schwäne. Um diese von dem schon vorhandenen bösen Männdien im Bassin von Mon bijou zu trennen, seien sie in dem dahinter befindlichen 96

S l u k k a l u r v o n J . I>. Z i m m e r m a n n : I » i a n a - I m n r l I r i i b c r d r r Kin^an^-sl ¡ire

Kanal untergebracht. Anfang Oktober, nach einem zweiten Aufenthalt in Tegernsee, kehrt der König zu seinen Schwänen zurück. Es hätte ein besonders abwechslungsreicher Herbstaufenthalt werden sollen, weil Carolinens Schwester, die schwedische Königin Friederike, mit ihren Töchtern auf Besuch kommt. Es gibt ihr zu Ehren Konzerte und andere Unterhaltungen, während Max Joseph wie immer in der Umgebung von Nymphenburg jagt. Fräulein von Scharnhorst, Hofdame der Königin von Schweden, schreibt in ihren Erinnerungen ganz begeistert von diesen Wochcn in Nymphenburg. Fast alle Tage fährt man in diie Stadt, um die Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, zu Diners, Theater und Bällen. Die Straße ist mit Pechkränzen erleuchtet. Des Königs Namenstag am 12. Oktober wird festlich begangen. Er beginnt mit Gottesdienst und Te Deum. Dann kommen die Gäste angefahren. Der Gefeierte klagt etwas über Müdigkeit, läßt sich aber trotzdem von seinen Waisenkindern von Dachau lange vorsingen. Abends ist großer Ball im neu hergerichteten Hause des russischen Gesandten Woronzow in der Herzogspitalgasse. Dort spielt der König bis elf 1' Hombre und fährt dann voraus nach Nymphenburg. Die Damen sollen bleiben, damit die Jugend im Tanz nicht gestört wird. Er geht früher schlafen. Als ihn sein Kammerdiener am nächsten Morgen wie gewöhnlich wecken will, findet er ihn tot im Bett, ruhig und friedlich, als ob er schliefe. Am 14. Oktober ist die Überführung in die Residenz zur 97

Aufbahrung in der reichen Kapelle vor der Beisetzung in der Theatinergruft. „ . . . Ich lebe, aber seelisch sterbe ich täglich tausendmal", schreibt Caroline am Freitag, den 21. Oktober, ihrer Mutter aus Nymphenburg. Die Anwesenheit ihrer Schwester sei ihr einziger Trost in diesem „Heu de desolation". „Wenn ich die so ähnliche Zeichnung meines so angebeteten Mannes auf dem Totenbett von Stieler neben mir betrachte, frage ich mich, ob er wissen konnte, welchen Abgrund von Verzweiflung diese zwei geschlossenen Augen in einem unbeschreiblichen Ausmaß für tausend Seelen und für mich auftun. Sein gutes H e r z wäre gebrochen." Am Sonntag darauf erscheint Ludwig I., von Brückenau kommend, bei ihr in Nymphenburg. Er bemüht sich, seine Stiefmutter zu schonen, ist aber mit seinen schon längst beschlossenen Sparmaßnahmen etwas zu eilig. Es tut ihr weh, daß er die geliebten Tiere seines Vaters gleich verkaufen will. Er vermerkt unter dem 27. Okt.: „ . . . Nach Nymphenburg. Meines Vaters Vögel gesehen, die bei seinem Leben in seinem Gemach, dann die Menagerie. "Was die Menge Karolinenenten oder Trompetengänse betrifft, die werden verkauft, das Hausgeflügel auch, oder vom Hof verbraucht. Die Schwanen bleiben auf Rechnung des J a g d amtes, die schwarzen ebenfalls. Obige Vögel aber und die Menagerie mit Ausnahme derer, welche die verwittwete Königin wählt, des Papagei für Schlüsseldame Gräfin Lodron, der drei, von denen ich zwei meiner bestimme und einen Marianina ( F l o r e n z i ) . . . werden der Akademie 9S

der Wissenschaften übergeben . . . die Menagerie und Menzing (Blutenburg), die die Kosten deckt, wenn an dem, was für Spix und Martius gegeben wird, in Abzug kommt . . . Gleichfalls zu den Hunden in Nymphenburg und Neuhaus." Audi die Gewächshäuser werden zum Teil ausgeräumt und die Pflanzen dem botanischen Garten überlassen. Dieser Inventarausverkauf der teuersten Erinnerungen an ihren Mann, kränken die unglückliche Witwe. Für sie ist da keines Bleibens mehr. Sie wolle zu ihrer Tochter Sophie, der späteren Mutter des Kaisers Franz Joseph, nach Wien, schreibt sie der Mutter noch aus Nymphenburg am 5. November. Sie wünsche sich von diesem Ort weg, habe aber gleichzeitig vor dem Abschied Angst. Es sei sdiwer, sich von einem Platz loszureißen, wo man 26 Jahre gewohnt habe. Jetzt habe sie kein Zuhause mehr, weil sie sich für diesen Fall nicht vorgesehen habe, da ihr der König gesund und kräftig erschienen sei. Besonders in seinen letzten Tagen sei kein Grund für Besorgnis gewesen. Vor der Abreise nach Wien darf sie noch kurz in ihre bisherige Wohnung in der Residenz; ihr Witwensitz ist aber nunmehr Würzburg, und wenn sie auf Besuch nach München kommt, wird sie in der Maxburg untergebracht, bis sie sich in ihrem Biederstein nach den Plänen des Hauses in Rohrbadi bei Heidelberg, wo sie dereinst ihre Flitterwochen verbracht hat, ein eigenes Palais baut, das kurz vor dem zweiten Weltkrieg abgerissene Schloß Biederstein. Das Biedermeieridyll in Nymphenburg ist zu Ende. 99

Zu Ludwigs I. und Max' II.

Zeiten

Wüßte man nicht schon aus den Jugenderinnerungen Ludwigs I., daß er für Nymphenburg wenig übrig hatte, so bewiese es sein Verhalten gleich nach dem Tode des Vaters. Er war als Kur- und Kronprinz nie lange hier und hat als König ein paar Mal da geschlafen, aber untertags kommt er oft zu Fuß, zu Pferd oder zu Wagen in den Park, besonders, wenn er Sorgen hat, nachdenken oder diditen wollte, oder er kommt auf Besuch zu Therese und den Kindern, die gerne da waren, wenn der König auf Reisen war. Therese wohnte dann im ersten Stock des nördlichen Pavillons, der sich im allgemeinen seitdem wenig verändert hat. Im Grunde fühlt sich Ludwig I. auch in München nicht so wohl wie in Aschaffenburg, Brückenau, Ludwigshöhe, Berchtesgaden und Leopoldskron bei Salzburg. Sein Mirabel und Innsbruck konnte er nie verschmerzen, gar nicht zu reden von der rechtsrheinischen Pfalz. Kurz vor Übernahme der Regierung hat er sich ernstlich überlegt, ob er den Vorschlag Klenzes nicht annehmen solle, Bamberg als Residenz auszubauen, hat aber erkannt, daß München Bayerns Hauptstadt bleiben müsse. Leider hat Klenze am Mittelbau von Nymphenburg Änderungen vorgenommen. Schon 1826 wurde laut amtlichem Führer der Giebel über den Mittelrisaliten entfernt mitsamt dem großen so oft bewunderten kurfürstlichen 100

Wappen, das steile Dach gesenkt und über dem obersten Geschoß eine Attika mit vorspringendem Sims angebracht. Ein absonderliches Schicksal hatte die Venus italica von Canova im Cabinettsgarten. Ludwig ließ sie bald nach dem Tod seines Vaters in die Glyptothek verbringen. Als er sie aber frei stehen sieht, bekommt der allzuleicht für weibliche Reize Empfängliche Bedenken, ihre im Gegensatz zur Vorderansicht unverhüllte Rückseite könnte die Beschauer auf sinnliche Gedanken bringen. So wandert sie nach einiger Zeit zurück in den Cabinettsgarten. Nach dem Umsturz von 1918 wurde sie in der Residenz an der Treppe zu den Königszimmern aufgestellt, und seit kurzer Zeit steht sie wieder keusch in ihrer Nische wie zu Max Josephs Zeiten. Ludwig I. kümmert sich nicht nur um Belange der Kunst, er nimmt sich vieler Einzelheiten auf allen Gebieten an. Am 9. November 1825 besucht er das damals noch weltliche „weibliche Erziehungsinstitut" im Nordflügel des Schlosses, wo zwei Drittel der Mädchen auf seine Kosten erzogen werden. Im äußersten Südflügel — nach dem Plan im Buch von Sckell zwischen Schwaige und Zuccalistraße — ist eine Schwadron der Prinz-Karl-Kürassiere untergebracht, um die Stallungen und andere unbewohnte Räume auszunutzen. Am 21. Dezember reitet Ludwig I. zur Besichtigung ihrer Unterkünfte nach Nymphenburg. Der Inhaber der Truppe, Prinz Karl, hatte seine "Wohnung im ersten Stock neben dem Kapellengang, dem Prinzengarten zu. 101

Viel mehr aber interessieren den König die Versuche Baaders innerhalb der Parkmauer bei der ehemaligen Menagerie, wo Du selbst noch Überreste von Schienenanlagen gesehen hast. Es handelte sich um Vorläufer der Eisenbahn, jedenfalls bei dem englischen Modell. Das Baader'sdie bestand in einer Erfindung, wonach mit Hilfe einer Kompensationsmaschine von einem Pferd sehr große Lasten auf jedem Boden leicht fortbewegt werden konnten. So schreibt Karl Theodor von Heigel in seiner Arbeit über Nymphenburg und ferner, daß der König das Modell dazu in halber Größe auf eigene Kosten habe anfertigen lassen, nachdem der Landtag jeden Zuschuß für derartige Neuerungen verweigert hatte. Am 18. April 1826 war Ludwig bei einem Versuch mit beiden Erfindungen mit seinen älteren Kindern anwesend. „ . . . Im Nymphenburger Garten, unweit der Menagerie Versuche wirklicher Ausführung nur von kleiner Strecke jedoch, eben, hinauf und hinab, geradeaus und Wendungen der englischen Eisenbahn und der Joseph Baaders, welcher draußen war, auch Graf Armannsperg (Minister) und Klenze . . . andere standen gleichfalls dabei. Frauen mangelten nicht, als Zuschauerinnen dabei zu sein. In der Ebene geht das Baadersdie Fuhrwerk ganz trefflich, anders mit dem herunter; die Reibung ist stark d a b e i . . . " Dann sieht er sich die Bäume an, die der botanische Garten haben will, und bezeichnete Palmen und Pflanzen, die er sich für den Wintergarten in seinem im Werden begriffenen Königsbau in der Residenz reserviert. Der Garteninspektor Sckell ist mit der Umwandlung des großen Parkes immer noch nicht ganz fertig. Am 28. Ok102

tober 1826 bestellt ihn der König an den künstlichen Hügel am Löwental hinter der Badenburg. Dieser soll natürlicher gestaltet werden, ähnlich den Erhöhungen in Schönbusch bei Aschaffenburg oder denen im Englischen Garten in München. Zur Abwechslung führt Ludwig im Münchner Fasching alljährlich Schlittenfahrten von der Stadt durch den Hirschganen zur Amalienburg ein. Ein Schlittenmarschall führt eine Kolonne von zwanzig bis dreißig Schlitten hinter einem mit der Musik an. Der Hauptreiz lag darin, daß in diesen Fahrzeugen nur ein Paar Platz hatte, die Herren sich die Schlittendame aussuchen und das „Schlittenrecht" ausüben durften, nämlich ihre Dame zu küssen. In der Amalienburg wurde gegessen und getanzt und dann ging es mit Fackelbeleuchtung auf Umwegen wieder nach München zurück. Die Bevölkerung freute sich am Anblick der prächtigen Gefährte und dem Schellengeläute der Pferde. Auch die Bürger und Bürgerinnen fuhren gerne auf Schlitten in den Hirschgarten und wohnten dort vom Jägerhaus aus der Wildfütterung bei. Bei so einer „Schiittage" am 16. Februar 1828 war es, daß der König auf den Gedanken kam, seinen Sohn Otto König des vor kurzem befreiten Griechenland werden zu lassen. Damals fuhren neunundzwanzig Schlitten unter dem Schlittenmarschall Baron Freyberg heraus. Ludwig hatte sich die Gattin des Herzogs Emmerich Joseph von Dalberg gewählt, eine Italienerin, welche wegen ihres Eifers für Hellas „l'amie des Grecs" genannt wurde. „ . . . Munter gings nach Tafel (iin der Amalienburg) zu, obwohl wir nicht alle, bloß gegen die selbst gefahrenen 103

Damen das Schlittenrecht ausübten. Es wurde getanzt, dann fand das polnische Spiel statt". Während des Tanzes im blauen Saal sitzt der König mit Dalberg im gelben Zimmer. Sie sprechen über eines seiner damaligen Lieblingsthemen: Griechenland. Dalberg meint, Hellas müsse einen König bekommen. Er habe an Ludwigs Bruder Karl gedacht, hielte ihn aber dafür nicht geeignet. Der König meint, Griechenland könne doch Freistaat sein wie die Schweiz. Die Griechen wollten aber einen König, erwidert Dalberg, Polen sei zu Grunde gegangen, weil es keine erbliche Monarchie war. Darauf Ludwig: Ja, wenn er nicht König von Bayern wäre, übernähme er gerne Hellas, aber seine Sympathien für dieses Volk wären rein, nicht selbstsüchtig. „ . . . Viel zu jung, sagte ich, wäre mein Sohn Otto — daran hatte ich nie gedacht; der Gedanke entstand gerade in mir . . . " Dalberg erwidert, wenn er auch jetzt zu jung sei, so doch nicht in zehn Jahren, und so lange würde Kapodistrias Präsident sein. „ . . . Es ist immer gut zu wissen von Otto", sprach Dalberg. Im April nach dieser folgenschweren Unterredung in der Amalienburg ist Hundertjahrfeier der Magdalenenklause mit gesungener Messe. Natürlich wohnt ihr der König bei und fährt nachmittags noch einmal heraus, das zweite Mal weniger wegen der Heiligen Magdalena als der Schauspielerin Kathinka Sigl-Vespermann zuliebe, für die er schwärmt. Viele Menschen kommen von allen Seiten zu dem Fest herbei, „zu Wagen, zu Fuß auf dem Fahrweg und dem Gehweg über die Felder . . . auch einige zu Pferd . . T a u s e n d e seien es gewesen. In weiser Vor104

aussieht dieses Andranges hatte man Buden zum Essen und Trinken aufgeschlagen. Im Mai betritt der König zum ersten Mal seit dem Tode seines Vaters mit wehmütigem Gefühl dessen Zimmer und Gärtchen. Wegen des tagenden Landtages bleibt er diesmal den Sommer in München. Therese erwartet ihr letztes Kind und quartiert die älteren in Nymphenburg ein. So kommt es, daß die Eltern sehr oft hinausfahren. Am 19. Juni 1828 vermerkt der König: „Auf einem blumengezierten Schiff zu Wasser, auf dem anderen Fahrzeuge . . . Therese zum erstenmal in ihrem Leben, ich vielleicht seit dem letzten Jahrhundert nicht mehr, die Schleuse hinauf und herab aus dem Badenburger See zurückkommend . . Gemeint ist die von uns „Kluse" genannte Schleuse am Wasserfall hinter der Amalienburg. An Thereses Geburtstag wird der Spaß wiederholt. Somit hatte der alte Schloßverwalter recht, als er Dir in Deiner Jugend erzählte, daß die Königin Therese kurz vor der Geburt Deines Vaters durch die Kluse gefahren sei. Es war am 8. Juli 1828. Am 19. Juli kam in der Residenz Dein Vater Adalbert zur Welt. Am Magdalenentag wohnt der König in Nymphenburg dem Hochamt bei. Am 24. Juli 1828 war er nach seinem Eintrag bei den Englischen Fräulein in Nymphenburg und zum ersten Mal in ihrer Kirche mit dem Tiepolo, die jetzt verbombt ist. Somit waren die Englischen Fräulein schon sieben Jahre als Lehrerinnen unter weltlicher Leitung hier tätig, ehe sie 1835 die Leitung des Mädcheninstitutes übernommen haben. Man muß also ihre Tätigkeit in Nymphenburg um einige Jahre zurück 105

datieren. Ihre Beziehungen zur Familie Wittelsbach reichen zwei Jahrhunderte weit zurück, fast bis in die Zeit der Entstehung ihrer Congregation. Diese hat Mary Ward (1585—1645), aus vornehmer englischer Familie, in der Zeit der Katholikenverfolgungen unter Elisabeth und Jakob I. von England in Flandern gegründet. Schon als junges Mädchen fühlte sie sich berufen, ihren Glaubensgenossinnen im Ausland ein Tätigkeitsfeld zu schaffen. Im Herbst 1609 entfloh sie mit einigen Gleichgesinnten in die damals spanischen Niederlande und trat zunächst als Laienschwester bei den Clarissinnen in St. Omer ein. Dort wurde ihr klar, daß sie in einer Congregation ohne Klausur, ähnlich der der Jesuiten, durch Erziehung junger Mädchen mehr für die Menschheit leisten könne als in einem meditativen Orden. Für Frauen gab es so etwas noch nicht. Der Klerus machte ihr große Schwierigkeiten, und der Papst versagte die Anerkennung ihrer Gründung in Flandern und anderen Ländern. Sie brauchte einen mächtigen Gönner. Ihr Weg führte sie im Dreißigjährigen Krieg von Rom nach München, zum Führer der katholischen Liga, dem Kurfürsten Maximilian I. von Bayern, dem Schwiegervater Adelheids von Savoyen. Dessen Bruder, Kurfürst Ferdinand von Köln, hatte ihm Mary Ward und die kleine tapfere Schar empfohlen. So wurden sie am bayerischen Hof, besonders von der frommen Kurfürstin Elisabeth Renata aus Lothringen, der ersten Frau Maximilians, liebevoll aufgenommen. Seitdem stehen die Englischen Fräulein unter besonderem Schutz des Hauses Wittelsbach. Den Namen gaben ihnen die Münchner, weil sie Engländer106

innen waren. Im April 1627 erhielten sie das Paradeiserhaus in der Weinstraße vom Kurfürsten zugewiesen. Die bayerischen Kurfürsten halfen ihren Schützlingen so gut sie konnten. Adelaides Gemahl schenkte ihnen einen Garten vor dem Isartor. Ihr Sohn Max Emanuel gab ihnen das Paradeiserhaus zu Eigen im Jahre 1691 und ließ es von seinem, aus Nymphenburg wohlbekannten Baumeister Enrico Zuccali prächtig umbauen. Erst in den letzten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts wurde es fertig. Wichtiger ist, daß Max Emanuel sich anno 1703, während er mit der Erweiterung des Borgos seiner Mutter begann, beim Papst Clemens XI. für die Bestätigung der Ordensregeln einsetzte, ebenso seine Frau Therese Kunigunde durch ihre in Rom lebende Mutter. In dem einschlägigen Breve zur päpstlichen Bulle ist Max Emanuel als „fürstlicher Protektor" bezeichnet. Von da an konnten die Englischen Fräulein ihre Lehrtätigkeit wieder offiziell aufnehmen. Ihre Tradit blieb die alte, nämlich die der englischen Witwen in jener Zeit. München ist fortan Sitz der obersten Vorsteherin dieses Ordens. Max Emanuels einzige Toditer, die als Sor Emanuela Theresa im Angerkloster gelebt hat und dort gestorben ist, hatte besondere Beziehungen zu den Englischen Fräulein im Paradeiserhaus. Sie versammelte dort, ehe sie Nonne wurde, regelmäßig Mädchen zu frommen Betrachtungen. Ihr Bruder, der Kurfürst Karl Albrecht, unterstützte ihre Lieblinge wie alle Bauherrn von Nymphenburg — bis zur Säkularisation. Da wurde ihnen verboten, Novizinnen aufzunehmen und 1809 wurde die Congregation aufgehoben. Die Schulen gingen in weltliche 107

Hände über. Wie damals während des Dreißigjährigen Krieges mußten sich die Jüngerinnen Mary Wards ins Privatleben zurückziehen, weltliche Kleider anlegen und warten, bis die Zeiten für sie wieder besser wurden. Audi sie erhielten, wie alle aufgehobenen Orden, eine kleine Pension. Im Paradeiserhaus sollte das weltliche MaxJosephstift eingerichtet werden, kam aber schließlich in das ehemalige Kloster am Anger. Das Paradeiserhaus wurde Innenministerium und später Polizeidirektion. 1948 sind die von den Bomben übriggelassenen Reste abgetragen worden. Ludwig I., der die Härten der Säkularisation wieder gut machen will, setzt sich auch für die „Jesuitinnen" ein, während er ihrem männlichen Vorbild wenig gewogen ist und die Benediktiner an ihre Stelle setzt. Aber die Englischen Fräulein sollen das weibliche Erziehungsinstitut in Nymphenburg leiten. Er holt sie 1835 aus ihrem Haus in Augsburg. Sie bekommen zu den Räumen der Nonnen von Nötre Dame auch das ehemalige Kapuzinerhospiz dazu. 1840 setzt der König bei Gregor XVI. durch, daß Nymphenburg der Sitz der Generaloberin des ganzen Ordens in Bayern wird; 1859 erwirbt das Institut das erste Haus im nördlichen Sdiloßrondell Karl Albrechts, und 1877 bestätigt Pius IX. die Congregation. Wir sind vorausgeeilt. Es ist erst Sommer 1828, und Ludwig I. hat erstaunlicherweise zum ersten Mal die schöne Barockkirche der Englischen Fräulein gesehen. Im Herbst besiditigt er mit Frau und Kindern in den Gewächshäusern seines Vaters die aus Amsterdam eingetroffenen Palmen. Ein andermal wird auf der Baader108

sdien Dräsine auf dem großen See gefahren und im Winter mit Stachelschlitten auf dem Eis. Am 6. Januar 1829 gleiten wieder siebenundzwanzig Schlitten durch den Hirschgarten zur Amalienburg hinaus; der König fährt mit der Gräfin Seidewitz, die Königin mit dem Oberstallmeister Baron Kesling. Ludwig verzeichnet gewissenhaft alle Fahrten und Spaziergänge. Die Kinder lernen in Nymphenburg schwimmen, wobei sich der kleine Luitpold besonders hervortut. Therese verbringt da manche Wochen mit ihren Kindern, während ihr Mann auf Reisen ist, manchmal auch, wenn er in München bleibt oder in Berg Erholung sucht. Immer wenn er die Lieblingsorte des Vaters betritt, wird er wehmütig gestimmt. Am 1. Juni, Ottos zwanzigstem Geburtstag, dem Tag, an dem er an Stelle der Regentschaft die Regierung in Griechenland selbst übernimmt, läßt der Vater in Nymphenburg ein Hochamt halten. Die Eltern und fünf Kinder nehmen teil. Vier Tage später ist wieder Familienfrühstück draußen, diesmal in der Pagodenburg. Als König sei er nicht mehr dort gewesen und auch nicht viele Jahre zuvor. Am nächsten Tag liest er auf einer Bank am Badenburger See Berichte aus Athen. Er ist bekümmert, daß Otto sich nicht durchsetzt und sich ganz von seiner Umgebung leiten läßt. Im Oktober, vor seiner eigenen Abreise nach Griechenland, vermerkt er „ • •. Englische Fräulein des (diesem Orden übertragenen) Nymphenburger Erziehungsinstitutes bei mir. Im November beginnt ihre Erziehungseinführung dort selbst... Auf zehn Jahre meiner Herrschaft 109

sehe ich mit Freudigkeit zurück . . (16. 10. 1835). Endlich ist es so weit. Lange genug hat er darauf gewartet, das Institut ganz in die Hand der Englischen Fräulein zu legen. Das Dekret ist vom 6. Oktober 1835 datiert. Erste Oberin wird Maria Katharina di Graccho. Als sie am 11. mit sechs Fräulein aus Augsburg in Nymphenburg ankommt, findet sie alle Türen verschlossen, niemand weiß noch von ihrer Berufung. Sie warten in ihrer künftigen Kirche auf Einlaß. Im nächsten Sommer erscheint Otto von Griechenland auf Brautsdiau in seiner Heimat. Sein Geburtstag am 1. Juni beginnt mit einem Familienfrühstück in der Pagodenburg. Die jüngeren Geschwister wohnen im Schloß. Adalbert, der Kleinste, ist der Liebling des Vaters; „ . . . der einzige meiner Söhne," vermerkt der König am 18. August 1836, „der meine Lebendigkeit (hat) — in ihm . . . Pfalzgrafenblut, meine Haltung, wenn er geht.. Im Juli 1837 trifft Ludwig in Nymphenburg mit Metternich zusammen. Vor dem Essen erzählt ihm der Kanzler von den beginnenden Streitigkeiten der Karlisten in Spanien und sagt, daß Ferdinand V I I . sein Testament zu Gunsten Deiner Schwiegermutter Isabel II. tatsächlich unterschrieben hätte und daß Don Carlos seine Schwägerin Königin Christine habe wissen lassen, er stünde ihr freundschaftlich gegenüber. Metternich hat in Salzburg lange mit dem ältesten Sohn von Don Carlos darüber gesprochen. Trotzdem scheine dessen Vater seiner Sache sicher zu sein. „ . . . Mir sagte Fürst Metternich, schönen Frauen wohl, aber keiner Königin hätte er je geschmeichelt. . 110

Es sdieint, daß der König in diesen Tagen — vielleicht das einzige Mal — in seinen Zimmern in Nymphenburg kurz gewohnt hat. Frau und Kinder bleiben länger da. Beim Essen in Nymphenburg am 3. August erfährt Herzog Max in Bayern den Tod seines Vaters Pius. Audi den nächsten Geburtstag beginnt Ludwig wieder mit Frühstück in der Badenburg mit der kaiserlichen Schwester vor einem Ausflug nach Seefeld. Diesmal ist er wegen des Besuches des Zaren Nikolaus und der Zarin Alexandra von Brückenau hergekommen. Ihnen zu Ehren ist am 28. August 1838 große Tafel im Steinernen Saal mit sechsunddreißig Gedecken. Eigentlich hätte der Kronprinz Max die Zarentochter Maria heiraten sollen, die aber die Frau des Herzog Max von Leuchtenberg wird. Der bayerische Max heiratet eine andere Maria, Tochter des Prinzen Wilhelm von Preußen, aber erst im Oktober 1842. Im Gegensatz zu seinem Vater verbringt dieser Max nach seiner Hochzeit einen großen Teil seines Lebens als Kronprinz und als König in Nymphenburg. Er bewohnt die Südzimmer im Mittelbau neben dem Saal mit dem chinesischen Cabinett, die nach ihm noch heute Königszimmer heißen. Später läßt er zu den Räumen darüber eine Wendeltreppe bauen und die Zimmer so erhöhen, daß die im nächsten Stock unbrauchbar werden. Er litt viel an Kopfweh und erhoffte sich von hohen Zimmern Erleichterung. Seine Frau bezog den ersten Stock im südlichen Pavillon, die Wohnung der Königin Caroline. Dort bringt sie am 25. August 1845 ihren ersten Sohn 111

Ludwig (II.) zur Welt. Der Zufall will es, daß Friedlich Wilhelm IV. von Preußen, einer der Paten, mit der Königin Elise gerade in München ist. Sie sind vor vier Tagen mit der neuen Eisenbahn von Augsburg angekommen und fahren gleich nach Nymphenburg zur Kronprinzessin Marie heraus zum Diner mit der ganzen Verwandtschaft, während das Gefolge an einer Marschalltafel speist. Am 24. läßt Max seinem Vater melden, daß das Kind zwischen drei und sechs Uhr zu erwarten sei. Ludwig I. hofft im Stillen, daß sich die Entbindung bis zum Anbruch seines Geburtstages hinziehen möchte, zudem schon feststeht, daß, wenn es ein Knabe wäre, dieser den Namen Ludwig erhalten würde, obwohl Luitpold bereits einen Ludwig (III.) hat, den Vater und Großvater schon als Erbprinzen betrachten. Der König und Luitpold rechnen mit einem Mädchen. Auf die Mitteilung des Kronprinzen begeben sich Ludwig I. und Prinz Luitpold sofort an das Bett von Marie. Es geht aber nicht so rasch, und der König geht zweimal vom Schloß zur Kaskade, während die Königin Therese bei der Kronprinzessin bleibt. „ . . . So geschah es. Nach zwanzig Minuten gemäß der Nymphenburger, dreißig gemäß meiner Uhr (Also in derselben Stunde, in welcher vor neunundfünfzig Jahren ich geboren wurde) wurde Marie entbunden mit einem Sohn... Bei Mondschein und Sternenhimmel nach München zurück.. Am 26. August ist feierlich Taufe des kleinen Ludwig. Sie findet im Steinernen Saal statt. Kurz vor zwei Uhr versammelt sidi die Familie in der Wohnung der Kron112

Prinzessin, der Dienst im Vorzimmer, wo gewöhnlich gegessen wird. Außer den bayerischen Hofleuten ist audi das preußische Gefolge dabei, Kammerherren, Kammerjunker, Obersthofmeisterin, Schlüssel- und Palastdamen, der preußische Oberzeremonienmeister, der preußische Geschäftsträger, der preußische Kronoberpostmeister und die Minister. Die Obersthofmeisterin trägt den Neugeborenen, vier Kämmerer halten die Enden des Tauftuches. Die Familie geht im Zug durch die Galerie in den Saal. Auf Treppen und Gängen tragen Pagen die Schleppen der königlichen Damen, in den Zimmern aber die Obersthofmeisterin und die Hofdamen die der Königinnen. Gegenüber dem Tauftisch im Saal stehen Kniebänke f ü r die Familie, während sich das Gefolge zu beiden Seiten dahinter aufstellt. Die Obersthofmeisterin legt das Kind auf den Tisch. Dein damals siebzehnjähriger Vater Adalbert hält die Kerze. Auf ein Zeichen des Königs wird der Erzbischof Freiherr von Gebsattel hereingeleitet. Nach dessen Ansprache geleitet der Oberkämmerer die Paten zum Täufling, Ludwig I. und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen — der dritte Pate, Otto, ist in Griechenland. Nach diesen drei Königen erhält der Kleine die Namen Ludwig O t t o Friedrich Wilhelm. Ein T e Deum f ü r den künftigen König beschließt die Taufe. Vokalmusik der Hofkapelle auf der Tribüne. Das preußische Königspaar fährt noch vor der Tafel ab nach Traunstein. Das Festessen zu über sechzig Gedecken findet im „langen Saal" statt — wohl im Gartensaal des nördlichen Pavillons, Max Emanuels ehemaligem Spiegelsaal. 113

Von nun an kommt Ludwig öfter heraus, um seinen Lieblingsenkel und die glückliche Mutter zu besuchen — vbn 1848 an auch den kleinen Otto. Der Kronprinz Max übt weniger Anziehungskraft auf ihn aus; sie beide halben nicht viel Vertrauen zueinander. Luitpold kommt mit seinen Söhnen, dem ein halbes J a h r älteren Ludwig (III.) und dem ein Jahr später geborenen Leopold, selten nach Nymphenburg. Er verbringt die Sommer meist in seiner Villa am See in Lindau, die "Winter im ehemaligen Palais Leuditenberg. Der König versteht sidi besser mit Marie als mit der toscanisehen Schwiegertoditer Auguste. Die Regiefilngszeit des ersten Ludwig nähert sich ihrem Ende, nicht wegen Lola Montez, sondern weil sidi die Minister seiner Ansidit hadi Eigenmächtigkeiten herausnehmen; Lola steigert seine Empfindlichkeit und hetzt ihn auf. Sie ist im Oktober 1846 in sein Leben getreten und gewinnt immer mehr und mehr Einfluß auf den alternden Herrscher. Die schöne Lolita liebt auch Nymphenburg. Am 23. April 1847 kommt sie, begeistert besonders von der Amalienburg, in die Stadt zurück. So etwas gäbe es nicht einmal in" Versailles, sagt sie. Im Gegensatz zu Ludwig schwärmt sie für Rokoko. Ihr Haus in der Barerstraße muß in diesem Stil eingerichtet werden. A m 26. Mai bestellen sie sidi im Park zusammen. Der König führt sie am Arm um den Badenburger See. Lolita pflückt Blumen und reißt Blüten von den Zweigen. Niemand anderem hätte er das gestattet, aber sie tut was sie will — bis es zum öffentlichen Skandal kommt und sie mit knapper N o t der Wut der Mündiner nach Großhesselohe entkommt. Von dort wird sie in 114

einem Fiaker nach Blutenburg verbracht und verstcckt. Am 1. Februar 1848 nachts halb zwölf kommt sie dort an. Sie will unter allen Umständen zum König zurück, um den Ausweisungsbefehl rückgängig zu machen, aber der Pächter Schäfer hält sie mit vorgehaltener Pistole zurück. Es kommt zu heftigen Szenen. Am nächsten Morgen eskortieren sie Kürassiere zur Bahn nach Pasing. Von dort wird sie über Lindau in die Schweiz abgeschoben. Fast immer, wenn er bekümmert ist, sucht Ludwig I. im Park von Nymphenburg sich zu sammeln. Am 1. April 1848, ehe er sich zurückzieht, wandelt er eiiisam, Verse skandierend, zur Kaskade. Max II. ist jetzt Hausherr. Ludwig, empfindet es hier weniger als in der Stadt, daß er nichts mehr zu sagenihat, Unter Max II. wird Nymphenburg zum erstenmal auch im Spätherbst und Winter bewohnt, nicht nur, weil dieser König neben Hohenschwangau am liebsten hier ist, sondern auch, weil man außerhalb-der Stadt nicht so im Mittelpunkt-der Unruhen ist. Therese überredet ihren Mann, seinen ersten Sylvesterabend als abgedankter König bei Max in Nymphenburg still zu verbringen. Sie weiß, daß er an diesem Tag besonders traurig gestimmt ist. Marie ist gut zu ihm und überbrückt die Kluft zwischen den beiden Königen. Sie weiß auch, daß er ihre Kinder sehr gern hat. Am 6. Januar ist er wieder bei Max. Sie sprechen über den Streit im Bundestag in Frankfurt zwischen Großdeutschen und Kleindeutschen und über die deutsche Verfassung. Max 115

sagt, es seien beruhigende Nachrichten aus Olmütz da. Österreich wolle einen Staatenbund mit wechselndem Direktorium. Der Vater hat nichts mehr zu sagen. Wehmütig schaut er „aus der Kinderstube in den G a r t e n . . . (auf den) Widerschein der untergehenden Sonne. Ich dachte daran, als ich mit Lolita in ihm spazieren ging; als ich mit ihr in der Pagodenburg, fühlte ich mich glücklich (vergangene Zeiten! aber gut, daß sie es sind, froh jetzt, daß Lolita fort ist. . . Der midi herabsetzende Einfluß, den sie auf mich ausübte, hat ein Ende).. Auch die häufige Anwesenheit Deines Vaters Adalbert ist ein Grund, daß Ludwig I. oft von München herauskommt. Der nun einundzwanzigjährige Sohn hatte schon von klein auf eine besondere Vorliebe für Nymphenburg. Er bewohnt Deine Zimmer im Mittelbau, das Gegenstück zu den Königszimmern; nur im Winter lebt er in der Residenz. J e älter er wird, desto enger schließt er sich mit dem Vater zusammen und desto größer wird die Eifersucht der Brüder auf ihn. Max läßt ihn fühlen, daß er in Nymphenburg nur geduldet ist. D a f ü r lieben ihn die beiden Königskinder. Als der alte Ludwig im Herbst 1849 nach der Rückkehr aus Berchtesgaden nach dem Willen seines ältesten Sohnes in das Wittelsbacher Palais übersiedelt und darüber sehr bedrückt ist, geht er gleich zu Adalbert heraus, um sich mit ihm auszusprechen. Ab und zu sind auch Luitpolds Kinder in Nymphenburg. Dann kann der Großvater die Knaben kaum bändigen. So vermerkt er z . B . am 29. Juni 1852, daß er bei den vier Enkeln im Kindergarten war und dann mit ihnen in der Menagerie Adalbert aufsuchte. 116

Im Oktober erklärt Adalbert dem Vater, daß er entschlossen sei, Deine Mutter zu heiraten. Es war davon schon länger die Rede gewesen. Dein Vater war auch in Madrid als Gast der Königin Isabella — Deiner künftigen Schwiegermutter —, um sich deren Cousine anzusehen. Äußerlich passen beide schlecht zusammen; denn Adalbert ist sehr groß und stark, Amalie sehr klein. Vater und Sohn besprechen in Nymphenburg auch die Thronfolge in Griechenland, da es nicht danach aussieht, als ob König Otto von seiner Oldenburgerin Kinder bekommen werde. Der Vater möchte seinen Lieblingssohn im Land behalten, aber König Max sähe es gem, wenn er nach Griechenland käme. Luitpold hat abgelehnt, weil die Griechen orthodoxe Nachfolger wünschen. Aus dem gleichen Grund zieht auch Adalbert nicht, aber Max läßt ihm keine Ruhe. Der Vater bestärkt ihn in seinem Widerstreben, seine Kinder orthodox erziehen zu lassen. Man soll einer Krone wegen sein Gewissen nicht belasten, sagt er ihm Ende Oktober 1852 in Nymphenburg. Es wird kaum ein Zufall gewesen sein, daß Deine Eltern am Ludwigstag 1856 in Madrid geheiratet haben. In der Residenz werden ihnen die Kurfürstenzimmer, die Ludwig als Kronprinz bewohnt hat, hergerichtet, in Nymphenburg als gemeinsame Wohnung der erste Stock im Mittelbau. Adalbert gedenkt nur die kältesten Monate in der Stadt zu verbringen, den Hauptteil des Jahres in dem von ihm so geliebten Nymphenburg. Deine Mutter braucht auch Zeit, sich in der neuen Umgebung einzugewöhnen. Einstweilen fühlt sie sich fremd und hat Heimweh, besonders, wenn die Herbststürme an den 117

großen Fenstern rütteln und der „Vent de Pipping" sie aijs dem Schlafzimmer in das Eßzimmer auf der Ostseite vertreibt. Ihr Schwiegervater leistet ihr oft Gesellschaft und spricht spanisch mit ihr. Erst nach drei Jahren erscheinst Du als ihr erstes Kind. Im Frühjahr 1859 bringt Adalbert seine Frau zu ihrem Bruder, König Franz, und dessen Frau Isabella nach Madrid und läßt sie dort, kommt aber im Herbst vor der Geburt wieder. Der alte König ist sehr erfreut, als ihm ein Telegramm aus Madrid verkündet, daß am 22. Oktober 1859 ein neuer Enkel geboren worden ist. Auch von Dir ist er Pate, aber zur Unterscheidung von den anderen Ludwigen bekommst Du dazu den Namen des spanischen Königs Fernando. Den Winter über bleibst Du in Madrid und wirst im April gleich nach Nymphenburg gebracht, und zwar in die Zimmer Deines Großvaters, die bisher nur für ihn reserviert waren. Beim ersten Besuch Deiner Eltern im Wittelsbacher Palais am 21. April 1860 bist Du nicht dabei, weil es schneit, aber zwei Tage darauf wirst Du Ludwig I. vorgeführt, und zwar mit dem Goldenen Vließ en miniature um den Hals, das Dir die Königin Isabella von Spanien in die Wiege gelegt hat. Der alte König vermerkt es; auch habe ihm „Luisito" sehr gut gefallen. Er hält sich nur mehr kurz in München auf, aber wenn er da ist, besucht er in Nymphenburg regelmäßig die Familie Adalbert. Die des regierenden Königs ist meistens in Hohenschwangau. Am 9. September, nach seiner Rückkehr von Wien und Ludwigshöhe und vor seiner Abreise nach Berchtesgaden und Leopoldskron fährt Ludwig an den im 118

Bay begriffenen Propyläep vorbei gleich hinaus. „Groß fand ich Ludwig Ferdinand für sein Alter". Gewissenhaft vermerkt er jeden Besuch und seine Eindrücke, z. B. im nächsten Mai, daß er Luisito zum ersten Mal gehen sieht und seinem Essen anwohnt und daß seine Mutter jetzt reite. Sie muß aber das Reiten bald wieder aufgeben, weil sie wieder in anderen Umständen ist. Am 24. Januar 1862 wird in der Residenz Dein Bruder Alfons geboren. Am 29. Juni bringt in Madrid die Königin Isabella eine Tochter zur Welt, der Deine Eltern Pate stehen: Maria de la Paz, Deine spätere Frau. König Max hat in Nymphenburg zwischen dem großen Weg um den Park und der Mauer neue Fußwege anlegen lassen. Manche sind wieder eingegangen, aber einige bestehen noch als „Königswege". Der alte König war damit einverstanden, weniger mit der Erneuerung der Freitreppe auf der Parkseite. „ . . . Sie sticht häßlich ab", schreibt er am 24. November 1861, und am 1. Dezember, daß er nun den längst geplanten steinernen Monopteros an Stelle des hölzernen errichten will, „in dessen Mitte auf Marmor eingegraben (werden soll), daß im letzten Viertel des XVII. Jahrhunderts Churfürst Max Emanuel den Garten in französischer Art hat anlegen, mein Vater im ersten Viertel des X I X . in englischer Art hat ändern lassen . . . " Jetzt, da er seine großen Bauten fast zu Ende geführt hat, soll der Monopteros entstehen. Am 23. Februar 1862 legt Klenze einen Entwurf dazu vor. Die Ausführung läßt aber immer nodi auf sich warten; denn erst am 17. Juni des folgenden Jahres geht er in Begleitung von 119

Klenze zum Badenburger See, um an Ort und Stelle darüber zu sprechen — es ist der letzte Auftrag an Klenze. Ludwig hat festgestellt, daß Luisito auf sein Brüderchen eifersüchtig sei, daß er seiner Mutter immer ähnlicher würde. Am letzten August schenkt Amalie in Nymphenburg ihrer ersten Tochter das Leben, Deiner Schwester Isabella, der späteren Herzogin von Genua. Kurz zuvor, am 16. August, hat hier die einzige Begegnung Bismarcks mit dem künftigen König Ludwig II. stattgefunden. Es war während des denkwürdigen Fürstentages in Frankfurt, wo Preußen den ersten Schritt zu seiner folgenschweren Vorherrschaft in Deutschland getan hat. Bekanntlich hat Kaiser Franz Joseph den König Wilhelm in Gastein aufgefordert, beim Fürstentag, wo die Bundesverfassung geändert werden sollte, zu erscheinen. Bismarck überredete den König, nicht hinzugehen, damit Preußen nicht unter die Mittelstaaten eingereiht würde und sich unter Österreich beuge. Prin7, Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, damals preußischer Flügeladjutant, behauptet in seinen Memoiren, daß M a x II. durch die Königin Marie in Nymphenburg einen Versuch machen wollte, um ihn umzustimmen. Hohenlohe vermerkt, die Königin Marie habe von ihrem Mann aus Frankfurt telegraphisch den Auftrag erhalten, den preußischen König einen T a g länger festzuhalten. Dann käme er mit einigen anderen Fürsten nach München, um ihn zur Teilnahme am Fürstentag zu überreden. Wenn das nicht gelänge, wolle er ihn bei der Durchreise in Pforzheim abpassen. Wilhelm sei vorher von diesem Plan verständigt worden. Als Marie am letzten Abend 120

in Nymphenburg — die preußischen Herrschaften waren in der Stadt abgestiegen — nochmals ihr Glück versucht, habe sie vom König Wilhelm eine freundliche Absage bekommen; er müsse zu seiner Sdiwägerin Elise nach Wildbad abreisen. Dann kommt ein so heftiges Gewitter, daß die telegraphische Verbindung abgebrochen ist und die Königin ihren Mann nicht verständigen kann, nach Pforzheim zu fahren. Der bayerische Kronprinz macht auf den allen Bayern gegenüber sehr kritischen Hohenlohe im Gegensatz zu seinen Großvater in Salzburg einen guten Eindruck. Man setzte große Hoffnungen auf ihn. Der damals sechzehnjährige Ludwig sei auch körperlich sehr gewandt, besonders als Reiter. Er führe seine Mutter vom Sattel aus in einem Ponywagen im Park spazieren. Dabei seien ihm einmal die Zügel gerissen und die Ponies durchgegangen. Er tat so, als führe er absichtlich so schnell, beugte sich vor, packte die Tiere bei den Nasen und bradite sie noch vor dem Schloß zum Stehen. Sein Bruder Otto sei ein Lexikon von auswendig Gelerntem, aber oft unlogisch. Interessant ist, was Bismarck in seinen Gedanken und Erinnerungen über den jungen Kronprinzen schreibt. Dieser saß bei den Mahlzeiten in Nymphenburg seiner Mutter gegenüber und Bismarck neben ihm. Lebhaft und sympathisch erschien er ihm, aber oft in Gedanken abwesend. Ab und zu habe er sein Champagnerglas den Dienern zum Nachfüllen gereicht, die damit auf Geheiß der Königin etwas zögerten. Bismarck bemerkt noch, es sei ihm nicht leicht gefallen, seinen Tischnadibarn zu unterhalten. Sie haben sich nicht wiedergesehen. Bismarcks Weg über 121

Königgrätz und .Versailles zum Deutschen Reich wird Ludwig nodi bittere Stunden bereiten,, aber in, seinen schwersten, am Ende seiner Regierung, wendet er sich doch um R a t an ihn. Ludwig I. ist entzückt, als er von der Geburt der kleinen Isabella Nachricht bekommt. Er hatte ein Mädchen gewünscht, weil es „dermalen" nur zwei weibliche Wittelsbadier zum Verheiraten gäbe, aber sieben männliche. Gleich nach der Rückkehr von Leopoldskron am 11. September fährt er zu Amalie nach Nymphenburg, „wo mein Sohn Adalbert und deren K i n d e r . . . Isabella gebracht. . . Luisito lebhaft, lieb, erzählte mir, ein Storch habe sein Schwesterchen gebracht, zeigte mir das Fenster durch das er kam, worüber seine Mutter erschrocken, daß sie sich ins Bett hat legen müssen... Diese f a n d ich eines schönen Aussehens. Alfonsito ist sehr kräftig; ob Spaß oder Ernst weiß man nicht, wenn er einem ins Gesidit fährt.. Winter und Frühjahr verbringt Ludwig I. diesmal in Algier, doch wird ihm dieser Aufenthalt durch Todesnachrichten vergällt. Klenze stirbt vor Vollendung des Monopteros am 27. Januar 1864. Dann greift der T o d grausam dreimal in die eigene Familie ein: zuerst stirbt der Sohn, König Max II., am 10. März; dann am 2. April die mit dem Erzherzog Albrecht vermählte Tochter Hildegard und am 24. die Schwiegertochter Auguste. Es war Dir unheimlich, als man Dich in der Residenz zu dem toten König Max II. mit seinem gelben Gesicht und schwarzen Bart führte — eine Deiner ersten Erinnerungen im Alter von noch nicht fünf Jahren. 122

Unter Ludwig

II.

Die letzten vier Lebensjahre Deines Großvaters sind Dir natürlidi deutlich in Erinnerung. Er kam meistens in einem rot ausgeschlagenen Kutschierwagen angefahren. Wenn er angesagt war, empfing ihn Dein Vater mit Eudi unten an der steinernen Treppe, meist im farbigen Frack, mit heller Hose. Seit der junge König Ludwig regierte, war es auch in Nymphenburg gemütlicher; denn er stand nidit nur mit seinem Großvater auf gutem Fuß, sondern auch mit feinem jüngsten Onkel Adalbert, den er gerade von Nymphenburg von frühester Kindheit her kannte. Sahen sie sich schon äußerlich, zwar nicht von Gesicht, aber an Gestalt etwas ähnlich — denn auch Ludwig II. wurde in späteren Jahren schwer — so hatten sie auch manche gemeinsame Neigungen. Beide liebten das Theater. Dein Vater war wiederholt in Liebhaberaufführungen mit seinem Gesangslehrer Pelegrini als Bassist aufgetreten. Er schwärmte für die französischen Ludwige, kannte den ganzen Saint Simon beinahe auswendig. Vergoldetes Barode gefiel beiden sehr; ihre Galawagen und Prunkschlitten waren ähnlich, allerdings bevorzugte der König Schimmel und Adalbert Rappen. Neffe und Onkel galten in der übrigen Familie als prunkliebend, aber das Volk jubelte ihren Auffahrten zu. Auch in ihrem Interesse für Spanien stimmten sie überein. Man denke an die 123

maurischen Bauten in Linderhof und am Schachen, an die Unterschrift „yo el Rey" (ich der König) und an Ludwigs Plan, mit Kainz nach Spanien zu reisen. In vielem aber waren sie ganz verschieden. Menschenscheu und Hang zur Einsamkeit lag Deinem Vater fern. Ludwig baute sich nach den ersten Jahren seiner Regierung seine private Traumwelt; sonst hätte er sich mit Nymphenburg und Sdileißheim zufrieden geben können, statt in Linderhof und Chiemsee minderwertigen Ersatz zu suchen. Die Schwärmerei für Romantik, Ritterburgen und Berge hat Ludwig von klein auf in Hohenschwangau eingesogen. Dein Vater beschäftigte sich audi mit der Geisterwelt, wozu seine große Freundschaft mit Justinus Kerner beigetragen haben mag. Max II. war der letzte, der als König in Nymphenburg gewohnt hat. Nun stand es Euch uneingeschränkt zur Verfügung, und Ihr konntet bleiben, so lange Ihr wolltet. Ludwig II. kam Deinem Vater in jeder Beziehung entgegen. Dieses Einvernehmen blieb auch, als alle anderen Verbindungen zu dem Einsamen längst aufgehört hatten. Ludwig I. kommt regelmäßig angefahren. Luisito sehe aus wie aus einem Bilde von Murillo, notiert er nach seinem Besuch am 19. Mai 1865. „Auch Alfonsito ist artig geworden. Der Isabella bin ich noch f r e m d . . " Im Mai, kurz vor Ausbruch des unseligen preußischösterreichischen Krieges, kommt der alte König wieder nach Nymphenburg. Den Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland hat Bismarck gegen Österreich und Bayern gewonnen. Ludwig I. ist empört, als er am letzten September dieses Jahres bei einem einsamen Spaziergang um 124

den Badenburgcr See im „Punsch" heftige Ausfälle gegen Ludwig II. liest. „ . . . Mit unserer Presse ist es weit gediehen. Es ist zu arg! vermerkt er. Einer Einladung der Königin Isabella von Spanien, mit Adalbert nach Madrid zu kommen, leistet er nicht Folge und versäumte so die Gelegenheit, seinen seit der Kronprinzenzeit gehegten Wunsch, Spanien zu sehen, zu erfüllen; er läßt Sohn und Schwiegertochter allein reisen. Ich glaube, es dürfte ihre letzte Reise nach Madrid gewesen sein. Audi Ihr drei Kinder seid daheim geblieben. An Deinem siebten Geburtstag in diesem Oktober kommt der Großvater als Gratulant nach Nymphenburg, „wo Luisito, die Eltern und die Kinder in der Kinderstube versammelt" waren. Im Jahr 1866 war es auch, daß die Englischen Fräulein Blutenburg als Ökonomie und Erholungsheim für sich von der Krone gepachtet haben. Sie haben die Verbindung wie zu Zeiten Adelheids von Savoyen wieder hergestellt und seitdem aufrecht erhalten. Für Ludwig I. wird dieses Idyll wegen der Erinnerung an Lola wenig verlockend gewesen sein, um so mehr aber für Euch und für uns, nicht zuletzt wegen der Johannis- und Stachelbeeren und vielen anderen süßen Sachen, welche die guten Englischen Fräulein immer den Kindern bescherten. Sidierlidi war es eine Aufmerksamkeit des Königs seinem Lieblingsonkel gegenüber, daß im Jahre 1867 eine Eskadron seiner Landshuter Kürassiere nadi Nymphenburg verlegt wurde. Von dieser Zeit her datieren auch Deine so engen Beziehungen zu diesem Regiment. Du sahst sie in ihren weißen 125

Mänteln, mit Küraß und Raupcnhelm vor dem Vater paradieren, drüben im Stallhof exerzieren und ihre Pferde dort im Kan'äl schwemmen. Der alte König kehrt Von seinem Winterauf enthält' in N i z z a nicht wieder, er stirbt dort am 29. Februar 1868, einem Schaltjahr. Dein Vater ist mit seinem Bruder Luitpold an das Sterbebett gereist. Du hast damals die Ludwigshöhe bei Edenkoben in der Pfalz geerbt. Wie oft hast D u bedauert, daß sie von Deinem Vater an die Zivilliste verkauft wurde? In» November wird Deine zweite Schwester Elvira, die spätere Gräfin Wrbna, in der Residenz geboren. Spanien ist seit September Republik, Isabella in der Verbannung in Paris. Wegen der Kandidatur des Fürsten Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen für den spanischen Thron beginnt anno siebzig der deutsch-französische Krieg; jedenfalls bietet sie Napoleon den gewünschten Anläß dazu. Du standest mit Deinem Vater auf der steinernen Treppe in Nymphenburg, als Mitte Juli seine Kürassiere auf dem Marsch zu den anderen Eskadrons in Landshut vor dem Abtransport an die Front an ihm vorbeidefilierten. Dann laufen die Siegesnadirichteri in Nymphenburg ein. Das politische Ergebnis löst wenig Freude aus. N u r ungern gibt Bayern seine Selbständigkeit auf, um sich unter den preußischen König zu beugen. König und Familie sind über das Vorgehen Bismarcks empört. D a z u geht den Adalberts nahe, daß in Spanien der Prinz Amadeus von Savoyen auf den Thron berufen wird. Die Königin Isa126

bella erfährt das in Genf, wohin sie sich beim Einmarsch der Deutschen in Frankreich geflüchtet hat. Dort hat sie Dein Vater aufgesucht. Als er die kleine Infanta Paz sah, konnte er nicht ahnen, daß sie einst Deirie Frau würde. Wahrscheinlich ist damals im Hotel de la Paix in Genf ausgemacht worden, daß der künftige Alfons X I I . von Spanien vor seinem Eintritt in das Theresianum in Wien einige Zeit bei Euch in Nymphenburg verbringen sollte. Am 15. Juli 1871 kommt, fröhlich begrüßt, die für Nymphenburg bestimmte Kürassiereskadron am Bahnhof Laim an und nimmt am Truppeneinzug in München teil. Die Anwesenheit des deutschen Kronprinzen erweckt in den Bayernherzen gemischte Gefühle. Dein Vater war besonders erbost, als die Reichsmark an die Stelle des bayerischen Gulden trat. Mittlerweile wuchst Ihr heran und fühltet Eudi heimisch in Nymphenburg. In dem Turm in der Parkmauer, der Laim am nächsten liegt, habt Ihr eine kleine Wohnung zum Spielen bekommen, zu der eine kleine Treppe hinaufführt. In das runde Zimmer kamen kleine Möbel. Aus den Luken konnte man auf die Felder hinaussehen. Das Zimmer war auch zu unserer Kinderzeit nodi vorhanden, bis nach der Revolution von 1918. An die Wände hatte der Sohn des bekannten Landschaftsmalers Anton Zwengauer — selbst Maler in Nymphenburg und Euer Freund — Landschaften gemalt, darunter Neapel mit dem feuerspeienden Vesuv. Ab und zu habt Ihr dort gefrühstückt, wozu das Essen vom Schloß hingefahren wurde. Es war eine ideale Ecke zum Spielen, mit verwildertem Gestrüpp und Himbeeren in der sogenannten Seufzerallee. All das 127

ist verschwunden. Der Turm ist wieder hohl wie die anderen, die Bäume wurden gefällt wegen des im „Dritten Reich" projektierten neuen Bahnhofs bei Laim, auch die Maulbeerbäume. Die Eltern machten mit Euch oft Ausflüge in die Umgebung, besonders nach Dachau, Schleißheim und Fürstenried. Letzteres war damals, abgesehen von einigen späteren Zutaten, z. B. Tapeten aus Karl Theodors Zeiten, noch so, wie es Max Emanuel eingerichtet hatte. Ein Mittelsaal erinnerte Dich an den großen steinernen in Nymphenburg. Dort waren auch die hübschen Amorettenbilder, die dann in das Vorzimmer des Südpavillons in Nymphenburg kamen und erst jetzt der Schönheitengalerie Platz machen mußten. Der Garten war noch Barock. Bei Euren Besuchen wurde das Abendessen beim Gärtner gekocht. Noch im Herbst 1871 kam Isabellas Sohn, der künftige König Alfons X I I . von Spanien, mit seinem Erzieher Loza nach Nymphenburg. Er blieb den Winter über da und wohnte über den Zimmern Deines Vaters im Mittelbau, nur durch die Terrasse von Euch getrennt. Er sollte etwas Deutsch als Vorbereitung für Wien lernen. Dieser Vetter war zwei Jahre älter als Du. Zu seinem Geburtstag am 28. November erschien seine Mutter. Es war der erste Besuch der Königin Isabella in München. Damals schlössest Du Freundschaft mit Deinem künftigen Schwager. Es muß bald nach seiner Übersiedlung nach Wien gewesen sein, als Prinz Otto, der Bruder Ludwigs II., in die Zimmer im ersten Stock des südlichen Pavillons, 128

Ceres, D e c k e n s t ü c k a u s d e r A i n a l i e n h u r g

die seine Mutter als regierende Königin bewohnt hatte, eingezogen ist. Damals brach seine Geisteskrankheit aus. In die Türen wurden Gucklöcher eingeschnitten, die Fenster verschraubt, damit er sie nicht öffnen, und mit so dickem Glas versehen, daß er sie nicht einschlagen konnte. Dieser ungefähr zweijährige Aufenthalt Ottos, bevor er für den langen Rest seines Lebens nach Fürstenried kam, gehört zu Deinen traurigen Erinnerungen. Du hast diesen freundlichen hübschen Vetter immer besonders gern gehabt. Im siebziger Krieg sdiien er noch ziemlidi normal. Er beschwor seinen Bruder aus dem Hauptquartier, Bayerns Selbständigkeit ja nicht preiszugeben. Bald nachher zeigten sich bedenkliche Anzeichen: Er zitterte plötzlich, wie von kalten Schauern gesdiüttelt. Du und Dein Bruder wart oft bei ihm drüben zur Jause eingeladen. Er interessierte sidi für alles, insbesondere für Heraldik. Wenn er eine seiner Nervenkrisen kommen fühlte, schickte er Euch freundlich weg und sagte: „Es ist besser, Ihr geht jetzt." Um jene Zeit ließ Dein Vater im ersten Stock die alten Vergoldungen mit Blattgold um teures Geld erneuern, vor allem die Galerien und das Eßzimmer. Ein gewisser Scheidsach hat diese Aktion geleitet, und Du und Dein Bruder, Ihr durftet mitpolieren. Schade um die ehrwürdige Patina auf Effners schönen Ornamenten. Gleichzeitig wurde das Empire aus den Eßzimmern entfernt. An Stelle der grünen Tapeten kamen die eigens in Lyon angefertigten, heute noch vorhandenen weißroten hinein, audi die dazu passenden Stühle, mit dem besonders stabilen für Deinen Vater. Der Altar mit dem Wappen in 129

der Kirchc wird auch frisch vergoldet, die ganze Gruppe darüber bunt gefaßt und der Hut des Christus durch einen Heiligenschein ersetzt. Diese bedauerliche Veränderung muß im Sinne des Königs gewesen sein, der zur gleichen Zeit in seinem Linderhof noch mehr Gold anbringen ließ. Ludwig II. kam fast nie mehr nach Nymphenburg. Bei der Grundsteinlegung des Krankenhauses des Georgordens im Mai 1872 an der Straße von Nymphenburg nach Menzing ließ er sidi durch Deinen Vater vertreten. Am 11. Oktober 1874 kam im Schloß Deine jüngste Schwester Clara zur Welt. Sie war noch kein Jahr alt, als das Idyll von Nymphenburg jäh unterbrochen wurde: Im Alter von erst siebenundvierzig Jahren starb Dein Vater am 21. September 1875 rasch und unerwartet in Deinem Salon im Mittelbau in seinem gelben Bett mit Baldachin. Anscheinend hat ihn eine Bauchfellentzündung dahingerafft. Es war ein furchtbarer Schlag für Euch und Eure Mutter. Von Euren Fenstern saht Ihr in des Vaters Wohnung die Aufbahrung, ehe der Leichnam, von einer Eskadron seiner Kürassiere eskortiert, in die reiche Kapelle in der Residenz gebracht wurde. Bei der Überführung in die Gruft von St. Michael gingst Du mit Deinem Bruder mit, während Männer der Laderinnung nach ihrem alten Vorrecht, mit der „Guggel" vermummt, den Sarg trugen. Sie sahen aus wie Gestalten aus dem Femegeridit. Ludwig II. bietet Deiner Mutter Nymphenburg als Witwensitz an, sie will aber nicht bleiben, wo ihr Mann gestorben ist. 130

So zieht Ihr zunächst in die Residenz, bis Dein aus dem Erlös der Ludwigshöhe erworbenes, dem Odeon und Leuchtenberg-Palais gegenüberliegendes Haus — ehemals Klenzes Privathaus — hergerichtet ist. Die nächsten Sommer mietet Ihr Euch in Tutzing ein. Aber Dich läßt Nymphenburg nicht los. Sobald Du großjährig bist, bittest Du den König, die Sommermonate wieder dort verbringen zu dürfen. Ludwig II. überträgt seine Sympathien für Deinen Vater auf Euch. Du bekommst die Zimmer Deines Vaters im Mittelbau und Dein Bruder die drüberliegenden, wo seinerzeit der spanische Vetter gewohnt hat, der im Dezember 1874 nach Spanien zurückgekehrt ist. Kurz vor Deinem 18. Geburtstag, am 19. Oktober 1877, ernennt Dich der König zum Seconde-Leutnant k la suite der Landshuter Kürassiere, die zwei Jahre später in das 2. Schwere Reiterregiment umgewandelt werden. Eine Eskadron bleibt weiterhin in Nymphenburg, und auch die traditionellen Beziehungen dieses Regiments zu Deiner Familie bleiben bestehen. Dir liegt die Wissenschaft mehr als das Militär, besonders die Medizin hat es Dir angetan. Du beginnst bald mit dem Studium der Anatomie, während Dein Bruder Alfons sich der Soldatenlaufbahn und seiner Passion für Pferde widmet. Die sechs Sommer vor Deiner Heirat verbringt Ihr mit Euerem ehemaligen Erzieher, dem Monsignore Heinrich Ruez aus Lindau, in Nymphenburg. Dein Bruder baut auf dem Gelände der ehemaligen Menagerie neben dem Gehege des Hirschen Hansl eine offene und eine gedeckte Reitbahn. 131

Dann heiratest Du am 2. April 1883 in Madrid die spanische Infantin Marie de la Paz und ziehst mit ihr nun wieder für das ganze Jahr hinaus. Die Zimmereinteilung bleibt so, wie sie Deine Eltern getroffen hatten. Deine Mutter bewohnt im Sommer die Räume der Königin Marie, im Winter die Kurfürstenzimmer in der Residenz, Dein Bruder seine alten in Nymphenburg und im Winter Dein Stadthaus. Euer Schlafzimmer bekommt blauseidene Tapeten mit bourbonischen Lilien und, dem Gesdimack der Zeit entsprechend, Möbel mit dem gleichen Bezug. Das entspricht auch der Phantasie Ludwigs II. und seiner Vorliebe für die Familie Bourbon. Manches in Deinem Leben wird eine Wiederholung des Lebens Deiner Eltern in Nymphenburg. Zu dieser Zeit wird wieder Hochzeit in Nymphenburg vorbereitet, die Deiner Schwester Isabella mit dem Herzog Thomas von Genua-Savoyen, dem Bruder der Königin Margarethe von Italien. Er lebte in dem Schloß von Aglie bei Turin, das die Mutter der Adelheid von Savoyen erbaut hat. So geht Deine in Nymphenburg geborene Schwester den umgekehrten Weg wie die Erbauerin des Borgo delle ninfe. Am 12. April 1883 zieht Ihr, von der Nymphenburger Schwadron der zweiten Kürassiere eskortiert, ein. Das Dorf — Nymphenburg wird erst 1899 in die Stadt München eingemeindet — hat beflaggt. Abends ist Festbeleuchtung und Fackelzug. Zwei Tage darauf ist in der Schloßkirche die bayerischitalienische Hochzeit. Als Vertreter des Königs Humbert 132

von Italien ist jener Herzog Amadeo von Aosta erschienen, der kurze Zeit König von Spanien war, ehe Dein Sdiwager den Thron bestieg. In der Chronik der Englischen Fräulein steht, daß die ganze Hochzeitsgesellschaft am 17. April im Institut erschienen ist, und daß die Zöglinge in Gruppen mit bayerischen, spanischen und italienischen Farben Gedichte in den entsprechenden Sprachen vortrugen. Tags darauf brechen die Italiener von Nymphenburg nach Aglie auf. Meine Mutter möchte gerne Erinnerungen an ihre Heimat um sich haben, aber die Überreste aus Effners Zeiten mit Spiegeltrumeaux und den vielen Türen lassen wenig Raum dafür. N u r in ihrem kleinen Ecksalon läßt sie die Empiretapeten mit gemalten spanischen Szenen überspannen. Ihr Bruder hat ihr schon kleine Ponies mitgegeben mit Wagen und spanischem Geschirr. Damit fährt sie nun auf Sckells Wegen durch den Park. So kommt noch mehr Spanisches nach Nymphenburg als in der vergangenen Generation. König Ludwig II. überträgt die Zuneigung zu Deinen Eltern auf Euch und geht aus seiner Reserve heraus. Er unterhält sich gern mit der Schwester des spanischen Königs über ihr Leben und ihr Land. Dich ernennt er zum Oberstinhaber des 18. Infanterie-Regiments in Landau. In der Nacht vom 11. auf 12. Mai lädt er Euch in seinen Wintergarten neben seinen Zimmern oben in der Residenz zum Soupe ohne andere Gäste. Dann fährt er Euch bei Morgengrauen in seinem Wagen nach Nymphenburg zurück. Fortan gehört Ihr zu seinen wenigen Vertrauten. 133

Du, als Sohn und Gemahl einer Bourbonin, mußt ihn bei der Beisetzung des letzten französischen Bourbons, des Grafen von Chambord, in Görz vertreten. Während Du weg bist, kündigt sich Alfons XII. in Nymphenburg an. Er kommt von Wien und ist auf dem Weg zu den Manövern bei Homburg als Gast Kaiser Wilhelms I. Zwei Tage ist er wieder in Nymphenburg, diesmal in den Königszimmern. Meine Mutter war selig, ihren Bruder bei sich zu haben. Sie mußte ihm versprechen, ihr im Frühling zu erwartendes Kind bei ihm in Madrid auf die Welt zu bringen. Am 10. Mai 1884 wurde dann mein Bruder geboren — im Schloß von Madrid wie Du. Ferdinand Maria wird er nach dem Stifter des Borgo delle Ninfe genannt. Vor Deiner Abreise, nämlich am 2. Januar 1885, ist in Nymphenburg eine Abordnung der medizinischen Fakultät in Amtstracht erschienen, an der Spitze der berühmte Professor Pettenkofer, um Dir auf Grund Deiner anatomischen Arbeit über die Zunge die Ernennung zum Dr. med. h. c. zu überbringen. Du willst aber richtiger Arzt werden wie der Herzog Karl Theodor und holst alle vorgeschriebenen Prüfungen und Studien nach. Es wird Juli, bis Ihr von Spanien zurückkommt. Die Zimmer im zweiten Stock werden wieder Kinderzimmer. An einem Winterabend, als es sdion dunkel ist und Ihr nicht zu Hause seid, erscheint der König unangesagt, um den kleinen Ferdinand anzusehen. Er meidet Menschen und Tageslicht und läßt sich kaum mehr sehen. Er nimmt aber Anteil an Eurem Ergehen und schreibt sehr herzliche Briefe aus seinen Berghütten und Schlössern. Da ich 134

die meisten in die Lebenserinnerungen meiner Mutter eingefügt habe, soll hier nicht mehr darauf eingegangen werden. Euere spanischen Verwandten kommen und gehen. In diesem Sommer 1885 besucht Euch zuerst Deine älteste Schwägerin Isabella, verwitwete Gräfin Girgenti, und dann Deine Schwiegermutter selbst. Sie wohnt auch bei den künftigen Aufenthalten in Nymphenburg immer in den Königszimmern. Als sie diesmal nadi Paris zurückreist, verspricht sie ihre Rückkehr für die nächste Entbindung im Sommer. Ehe es so weit ist und. ehe das Jahr um ist, stirbt Alfons XII. am 25. November an der Schwindsucht. So rasch geht es mit ihm zu Ende, daß Ihr ihn nicht mehr lebend antrefft. Dann kommt Ihr jahrelang nicht mehr aus Nymphenburg heraus, während in Bayern und in Spanien Veränderungen vor sich gehen. Der nächste schwere Schlag ist der tragische Tod Ludwigs II. im Starnberger See kurz nach meiner Geburt. Seine Briefe in den letzten Monaten zeigten seine wachsenden Sorgen um die Finanzierung seiner Schloßbauten. Du tust, was Du kannst, ihm durch Deine Verbindungen zu helfen, aber Du ahnst nidit, daß eine Katastrophe bevorsteht. Als die Kunde von den Ereignissen in Neusdiwanstein nach Nymphenburg kam, war alles schon vorüber. Es waren bange Stunden am Tag meiner Taufe. Meine Mutter lag im Wochenbett. Ein Glück für sie, daß ihre Mutter ihr beistand. An diesem 13. Juni 1886 bringt der seinem König treu gebliebene Reitknecht Weber Dir den letzten Brief Ludwigs II. vom 10. Juni, aus Neusdiwanstein datiert. Weber setzt 135

mündlich dazu, daß der König inzwischen nadi Berg verbracht worden ist. Du willst sofort hinfahren, aber Weber erklärt, daß der König unter strengster Aufsicht gehalten sei und Du nicht vorgelassen würdest. Dann kommt die Todesnachricht.

136

Unser

Nymphenburg

Der Prinzregent Luitpold ließ Eudi in Nymphenburg in der gleichen Weise wohnen, wie es sein Vorgänger bestimmt hatte. Im Herbst 1887 rückt die Eskadron der 2. Schweren Reiter, die in Nymphenburg stationiert war, nach Landshut ab. Dafür kommt auf kurze Zeit eine der 3. Chevaulegers von Freising. Die engen Beziehungen zum Regiment Deines Vaters bleiben die alten. Alljährlich kommen die Offiziere, wenn sie zum Brigadeexerzieren bei Schleißheim einquartiert sind, geschlossen zum Essen. Meine eigenen Erinnerungen reichen in die Zeit zurück, als meine Schwester Pilar am 31. März 1891 auf die Welt kam. Mein Bruder und idi wurden an das Bett von Mama geführt, um das Baby zu betrachten. Jetzt waren wir zu dritt oben im zweiten Stock. Nymphenburg war unsere Kinderwelt und der Inbegriff unseres Lebens. Unsere Geburtstage waren sogar in der Kirche in den Fenstern gegenüber dem Oratorium zu sehen — bis der Luftdruck der Bomben die Fenster zersplitterte. Jedem von uns dreien hattet Ihr sein eigenes Fenster gestiftet. Die Glasmalereien jener Zeit paßten schlecht in die Kirche Max Emanuels, aber sie gaben uns das Gefühl, daß wir irgendwie dazu gehörten. Das Fenster meines Bruders stellte die Heilige Familie dar, meines eine Verkündigung und das von Pilar die bekannte Madonna von Murillo. 137

Das vierte hatte unsere spanische Tante Isabella mit ihrem Wappen und dem ihres neapolitanisdien Mannes gestiftet. Die Schloßkirche und die Magdalenenkapelle spielten nicht nur in unserer religiösen Erziehung eine große Rolle; alle irgend wichtigen Ereignisse in unserem Leben wurden da begangen, freudige und traurige. Daran nahm in jener Zeit auch das ganze Dorf Anteil. Dorf und Gemeinde waren klein. Die Bewohner kannten sich, nahmen gegenseitig Anteil an den Freuden und Leiden des Einzelnen. Bürgermeister, Lehrer, Hofkurat und die Englischen Fräulein gehörten mit zur Familie. Nymphenburg war Hofkuratie, und der Hofkurat wohnte im Sdiloß über der Orangerie neben dem alten Herkulessaal. An Weihnachten kamen die Kinder der Armen zur Bescherung. Es war eine natürliche Verbundenheit, keine kommandierte wie im „Dritten Reich." Uns ist erst später klar geworden, wie schön wir es gehabt haben. Damals schien uns all das selbstverständlich. Wir hatten das Gefühl, daß Schloß, Burgen, Park und was dazu gehört, für uns da war. Damals war nichts abgesperrt und wir waren unter uns. Man konnte im ersten Stock von einem Ende des Schlosses zum anderen laufen, fast siebenhundert Meter durch Säle und Gänge über zwei Kanäle, und in den verschiedenen Pavillons auf engen Wendeltreppen hinauf und hinunter. Oben bei uns hatten wir vor den Zimmern die Terrassen und konnten durch die Musiktribüne im Steinernen Saal auf die andere hinüber. Es fehlte auch nicht an unheimlichem Gruseln, wenn es dunkel wurde und unsere Schritte in den langen Gängen hallten, der Schneesturm an den Fenstern rüttelte 138

und der Wind durch die Kamine pfiff. Zur Beleuchtung gab es nur Kerzen und Petroleumlampen. Dafür waren gerade die Winterabende mit Euch bei den Kachelöfen mit Budienscheiten besonders gemütlich. Im Freien hatten wir in „unserem" Garten alles, was ein Kinderherz zum Spielen begehrt: Badebassin, Taubenhaus, Schaukeln, Turnwiese, Blumenbeete, Stachel- und Johannisbeeren. Auch die anderen Gärten mit den Hüttchen und Stallchen aus vergangenen Zeiten standen uns offen, der Park und die ehemalige Menagerie mit dem alten Hirsch Hansl und Kaninchen, Reit- und Tennisplatz und Euer Turm an der Parkmauer bei Laim. Wir fuhren mit Ziegen und Eseln herum oder im Ponnywagen unserer Mutter, ritten, radelten, schwammen, fischten und ruderten in den Kanälen. Wir kannten jeden Winkel und jeden Baum, wußten genau, wann und wo im Wechsel der Jahreszeiten die verschiedenen Blumen kamen und die besten Beeren. Rings um den Park war offenes Land, Wiesen und Felder gegen Moosach, Menzing, Pasing, Fürstenried, Neuhausen und Oberwiesenfeld. Überall da, wo heute Siedlungen und Villen, gepflasterte Straßen und Zäune sind, konnte man im Herbst unbeschränkt galoppieren. Dort haben wir Hühner, Fasanen und Hasen geschossen und unsere ersten Rehböcke im Kapuzinerholz oder bei Allach. Wir waren wie auf einer Insel, und die Stadt schien uns weit. Es war ein großes Ereignis, als eine Dampftrambahn eingerichtet wurde, ein rauchendes Ungetüm, vor dem die Pferde scheuten. Telephon kam erst später. Eilige Nachrichten wurden damals noch mit reitenden Boten besorgt. Aufregende, immer wiederkehrende Ereignisse waren für 139

uns Kinder das Aufblühen der „Königin der Nadit" in den Gewächshäusern und die Magdalenendult. Noch in die Republik hinein wurden die Buden der Dult zu Ehren der Patronin von Nymphenburg im Juli auf der Stadtseite vor dem südlichen Teil des Schlosses aufgebaut. Da gab es Karussell, Kasperltheater, Schaukeln, Schießbuden, Tiere, Bonbons und Kokosnüsse, Guckkästen, Drehorgeln. Bei der Königin der Nacht war das Aufregende, daß wir uns erwachsen vorkamen, wenn wir dazu geweckt wurden. Alles ging seinen geregelten Gang. Wenn die Statuen ihrer Holzumhüllungen entkleidet wurden und die Ochsen, „Maxin" genannt, auf besonderen Wägelchen mit ganz kleinen Rädern Pomeranzen- und Lorbeerbäume aus der Orangerie ins Parterre brachten, dann wurde es bald Sommer. Springbrunnen und Kaskade begannen ihre Tätigkeit am 1. Mai und stellten sie im Spätherbst ein; darauf folgte die „Bachauskehr". Das "Wasser wurde abgelassen, Seen und Kanäle wurden ausgefischt. Es roch schlecht, auch wir, weil wir mit Begeisterung im Schlamm herumwateten. Dann kam der Winter mit Schlittenfahrten, Rodeln und Eislaufen auf dem Pagodenburger See. Männer vom Eiswerk am Kessel schnitten das Eis in Flöße und stakten es in besondere Gebäude, wo es, zu Blöcken gefroren, für Brauereien, Küche und Keller, den Sommer über halten mußte. Vor Weihnachten holten wir uns aus dem Park Material für unsere Krippen. Jeder hatte seinen eigenen Christbaum im Zimmer, unten bei den Eltern gab es einen großen und den allergrößten für arme Kinder im Erdgeschoß, dazu Lebkuchen, warme Kleidung und andere nützliche Dinge. 140

Im Jahr 1891 gab es in der Schloßkirche zwei Hochzeiten mit vielen Gästen. Am 15. April heiratete Dein Bruder Alfons die Prinzessin Luise von Orleans, Tochter des Herzogs von Alencon und jener Herzogin Sophie von Bayern, die einst dem Infanten Enrique einen Korb gegeben hatte und dann mit dem König Ludwig II. verlobt war. Meine Mutter kannte die Braut gut aus dem Sacré Coeur aus Paris, wo sie zusammen erzogen worden waren. Die nächste Hochzeit war die Deiner Sdiwester Elvira mit dem Reichsgrafen Rudolf von Wrbna am 28. Dezember. Im Winter lebten sie in Wien und im Sommer auf ihren Schlössern in Mähren. Nun waren bis auf die Tante Clara alle Deine Geschwister verheiratet. Deine Mutter und Onkel Alfons verbrachten die Sommer regelmäßig in Nymphenburg, „Alfonsos" nun oben in den Max II.-Zimmern, Tante Clara über ihrer Mutter im Südpavillon. Im Herbst war regelmäßig große Familienversammlung und das Schloß voll besetzt. Dazu erschien Deine Schwester Isabella mit Familie aus Aglie, kamen die Wrbnas aus Mähren und meistens auch gleichzeitig Mamas Schwester Eulalia. Fast alle brachten Damen und Herren mit und immer mehr Kinder. Tante Elviras Tochter Bella wurde in Nymphenburg geboren. Da gab es Ausflüge, gemeinsame Fahrten und Ritte und versdiiedene Unterhaltungen. Musik spielte eine große Rolle, besonders bei Dir und Onkel Rudi, der sehr gut geigte. Mandimal wurde mit Freunden ein ganzes Ordiester zusammen141

gestellt, von uns „Schrumm" genannt, weil wir nur Bruchstücke heraufhörten, wenn wir schlafen sollten. Es war ein Glück, daß die Bauherren früherer Zeiten so viel Platz und Räume geschaffen hatten. Der Prinzregent hat seit seiner Verheiratung wenig mehr in Nymphenburg gewohnt. Er verbrachte die Sommer meistens in seiner Villa Amsee in Lindau und die Winter in seinem Palais Leuchtenberg am Odeonsplatz. Erst als Regent siedelte er in die Residenz über, wo auch seine Schwester Adelgunde, verwitwete Herzogin von Modena, wohnte. Diese letzten überlebenden Geschwister der Generation Deines Vaters hingen sehr aneinander und gingen oft in Nymphenburg spazieren, wenn sie in München waren. Der Regent kam auch bei schleditem Wetter alle Nachmittage angefahren, seinen Schnauzel neben sich, Leibjäger auf dem Bock. Vom Fenster aus sahen wir ihn am Eingang zu den Gewächshäusern halten. Zuerst besichtigte er die Blumen, dann fütterte er die Sdiwäne und Enten wie sein Großvater Max Joseph. Oft lud der Regent sidi Künstler zum Abendessen in oder vor der Badenburg. Solange es irgend ging, wurde vorher geschwommen. Dazu war am Einfluß des Kanals in den Park das sogenannte „Regentenbad" mit Badehütten und Sprungbrettern eingerichtet worden. Seit er da als Knabe schwimmen gelernt hatte, blieb er diesem Sport treu. Nicht alle Gäste waren so abgehärtet wie er. Der ehrliche Maler Lenbach klagte mitunter meiner Mutter, daß er schon oft in eiskaltem Wasser geschlottert habe, aber von einem Portraitauftrag sei noch keine Rede. Auch unsere Tage verliefen gleichförmig. Solange wir 142

klein waren, lernten wir das Pensum der Volksschule in Nymphenburg, aber dann fuhren mein Bruder und ich mit unserem — Deinem früheren — Erzieher Ruez jeden Vormittag zu den Gymnasialprofessoren in Dein Haus in der Stadt. Pilar wurde in die Hände der Englischen Fräulein gegeben und war sehr stolz auf ihre grüne „Uniform" mit rotem Shawl. Mit unseren Vettern und Cousinen in der Stadt hatten wir wenig Kontakt. Ab und zu wurden wir zum Spielen eingeladen, und auch später kamen wir nur bei festlichen Veranstaltungen oder Familiendiners beim Regenten mit ihnen zusammen. Wir waren für sie die „Nymphenb u r g e r e i n e getrennte Gruppe. Das änderte sich erst nach der Jahrhundertwende. Im Jahre 1902 zog der Herzog von Calabrien, von Rechtswegen Kronprinz des Königreichs Beider Sizilien, mit Familie in den südlichen Trakt über den Stallungen ein. Seine Frau ist eine Tochter des späteren Königs Ludwig I I I . von Bayern. Auch er war uns kein Fremder. Wir kannten ihn von Madrid her. Er hatte, wie alle seine Brüder, als Offizier in der spanischen Armee gedient, da ihnen mit der Annexion ihres Landes durch das Haus Savoyen die italienische verwehrt war und die neapolitanischen und spanischen Bourbons eines Stammes sind. Herzog Ferdinand verbrachte die ersten Jahre seiner Ehe in Madrid und kam dann in die Heimat seiner Frau. Sein jüngerer Bruder war damals mit einer Tochter Alfons' X I I . von Spanien verheiratet. Somit bestanden doppelte Familienbeziehungen. Meine Mutter freute sich besonders über diese neue Verdichtung der Beziehungen zu Spanien. Für uns war es eine nette 143

Nachbarschaft. Sie blieben im Schloß bis zur Revolution von 1918. Alle ihre Kinder, mit Ausnahme der früher geborenen, kamen in Nymphenburg zur Welt. Es würde zu weit führen, alle Besuche und kleinen Ereignisse in der Familie aufzuzählen. Außerdem habe ich die meisten in den Lebenserinnerungen meiner Mutter erwähnt. N u r die wichtigsten seien gestreift. Zu den traurigen gehört der Tod Deiner Mutter am 27. August 1905. Sie starb rasch und unvermutet in dem Zimmer, worin Ludwig II. geboren war, wie Dein Vater an einer Blinddarmentzündung. Ihr Kondukt ging auch den gleichen Weg, von Nymphenburg über die Residenz nach St. Michael. Zwei Jahre darauf siedelte mein Bruder Ferdinand Maria nach Spanien über. Er heiratete eine Schwester des Königs Alfons X I I I . von Spanien und knüpfte damit zum drittenmal in unserer Familie ein Band zwischen Nymphenburg und Madrid, nur mit dem Unterschied, daß die Infantin Maria Teresa nicht zu uns zog, sondern er zu ihr. Seitdem er Offizier war und Dienst machte, hatte er über der Terrasse drüben in den Zimmern gewohnt, die zuletzt Onkel Alfons als Junggeselle bewohnte und vor ihm Alfons X I I . von Spanien. Von da an waren Pilar und ich in Euren ehemaligen Kinderzimmern allein. Mein Bruder kam nun fast alle Sommer mit seiner Frau und immer mehr Kindern auf längeren Besuch nach Nymphenburg. Alfons X I I I . erschien zum erstenmal 1908 bei seinem offiziellen Besuch mit seiner englischen Frau am bayerischen Hof; zu uns kamen sie als Verwandte zum Essen in die Amalienburg. 144

Marmors! a l m* (Irr W i m s mil Cupuiu

In den Jahren 1909/12 bewohnte Kronprinz Ruppredit mit seiner ersten Frau, Prinzessin Marie Gabriele, den südlichen Pavillon. Das Cabinettsgärtchen mit seinen Fliederbüschen kam wieder zu Ehren; denn die Prinzessin liebte es ebenso wie ein Jahrhundert zuvor der ihr und ihrem Gatten gemeinsame Ahne Max Joseph. Leider wurde die schöne Prinzessin allzufrüh jäh dahingerafft. Im gleichen Jahr 1912 starb auch meine Schwägerin Maria Teresa und am 12.12.12 der Prinzregent Luitpold. Im Sommer dieses tragischen Jahres zog ein anderer Sohn Ludwig III. mit seiner Frau in Nymphenburg ein, Prinz Franz mit der Prinzessin Croy. Sie bewohnten bis zum Ende der bayerischen Monarchie die Appartements neben denen des Herzogs von Calabrien, Front nach Osten, am südlidisten Ende des Schlosses gegen die Schwaige hin. Dort wurden ihre vier ersten Kinder geboren. Der neue König, Ludwig III., kam selten nach Nymphenburg heraus, außer wenn er Söhne und Töchter besuchte. Offiziell ersdiien er meines Wissens nur zur Hundertjahrfeier des Infantrie-Leibregiments, wenige Tage vor Ausbruch des ersten Weltkrieges. Vor der Freitreppe auf der Stadtseite stand eine Ehrenkompagnie in den Uniformen der Gründungszeit in blauroten Fräcken, weißen Hosen, schwarzen Gamaschen und hohen Bärenmützen, genau wie in den hundert Tagen Napoleons. Im Parterre unter den Kastanien war das Regiment in Parade aufgebaut. Als der König vierspännig angefahren kommt, ertönen Fanfaren vom Dach des Mittelbaues. Die Prinzessinen sind im Steinernen Saal versammelt und sehen von der Treppe auf der Parkseite dem Abschreiten der 145

Front und dem komplizierten Exerzieren der historischen Kompagnie nach dem alten Reglement zu und dem Vorbeimarsch des Regiments vor dem König. Zwei Monate darauf sind viele dieser Offiziere und Soldaten bereits in Lothringen gefallen. Der Krieg hat begonnen. Die wehrfähigen Bewohner Nymphenburgs sind ins Feld gezogen. Du hast zwei Lazarette übernommen, betreust Verwundete wie bisher Kranke. Meine Sdiwester und die beiden ältesten Calabrien-Töchter sind Schwestern im Roten Kreuz. Franz und ich kommen selten auf kurzen Urlaub. So geht es vier immer schwerer werdende Jahre lang bis zur Revolution. Das Ende der Monarchie bedeutet auch das Ende der Tradition in Nymphenburg seit Adelheid von Savoyen. In der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 wird in München die Republik ausgerufen, Wittelsbach abgesetzt. Trotzdem fährst Du am Morgen noch einmal in Deine Lazarette, um Dich zu verabschieden. Der Zufall will, daß Franz und ich gerade in Nymphenburg sind. Man rechnet mit Tumulten, aber nichts dergleichen geschieht. Die Nymphenburger denken nicht daran, und die Radaumacher aus der Stadt sind anderweitig beschäftigt. Zur Bewachung des Schlosses wird eine sogenannte republikanische Schutzwehr unten in den Mittelbau gelegt, halbe Kinder mit roten Armbinden, die mehr von Angst als von Kampfgeist erfüllt sind. In Nymphenburg ereignet sich nichts, aber das Schloß ist Staatseigentum geworden, und wir beschließen, es zu verlassen. Die Calabrien begeben sich nach Lindau, Familie 146

Franz nach Leutstetten und wir siedeln allmählich in Dein Stadthaus am Wittelsbacherplatz über. Es wird Januar 1919, bis dies möglidi ist. Der Entschluß, Nymphenburg zu verlassen, das mit Deinem und unserem Leben so eng verbunden ist, fiel Dir sehr schwer. Du wußtest damals nicht, daß Du wiederkehren würdest. Nymphenburg kommt unter die Krongutsverwaltung, später die Bayerische Verwaltung der staatl. Schlösser, Gärten und Seen genannt. Die Wittelsbacher Zeit von Nymphenburg ist zu Ende, aber die Bindung bleibt, solange das Schloß steht, welche Fahne auch auf dem geduldigen Dach des Borgo delle ninfe weht.

147

In der Republik Von außen hat sich nichts verändert, wir wohnen längst wieder im Schloß, sogar in den gewohnten Zimmern; aber für uns ist es nicht mehr wie früher. Die Familie der Erbauer hat laut Abkommen mit der Regierung ein Wohnrecht in den drei mittleren Gebäuden. Alles andere ist vermietet. Die neuen Bewohner mußten enttäuscht feststellen, daß die großen Räume schwer zu heizen sind, daß der größte Teil der Gebäude aus Gängen und Korridoren besteht, Küchen und Nebenräume fehlen. Nur die früher für das Gefolge bestimmten kleineren Zimmer konnten auf einzelne Haushalte und Büros umgestellt werden. Das Schloß wurde sozusagen parzelliert und entpersönlicht, während das Zentrum und die Burgen nur mehr Museum sind und Szenerie für künstlerische Veranstaltungen, und zwar eine sehr hübsche, um neue Menschen in vergangene Zeiten zurückzuversetzen, so wie es mit den meisten Königsschlössern in Republiken der Fall ist, in Versailles, Schönbrunn, Sanssouci, Escorial. Wir mußten uns, wie an manches andere, erst an diese Metamorphose gewöhnen. Besonders für Dich war die Umstellung nidit leicht. Die Bindung ist aber so stark, daß Du froh warst, als wir nach vier Jahren zum erstenmal für den Sommer wieder herauszogen, zuerst in den südlichen Pavillon, weil sich damals im oberen Stock des nördlichen 148

noch das Afrikainstitut von Leo Frobenius befand und im Erdgeschoß die Büros einer Firma eingebaut waren. Als „unser" Pavillon frei wurde, wohnten wir wieder wie ehedem, mit dem einzigen Unterschied, daß Pilar in das Parterre zog, weil ich Frau und Kinder mitgebracht hatte und den ganzen zweiten Stock brauchte. D a meine Frau eine Enkelin des Prinzen Leopold ist, war sie Euch keine Fremde. Unsere zwei Buben brachten neues Leben ins alte Schloß. Bei den Verhandlungen mit dem Staat lag Dir ein Wohnrecht in Nymphenburg besonders am Herzen. Wie oft bist Du herausgefahren in den Park und mit stets verstärkter Sehnsucht zurückgekommen. Zunächst verbringen wir nur die wärmeren Monate in Nymphenburg, aber die Aufenthalte werden immer länger, und seit 1937 sind wir wieder ganz da. Jetzt war auch Deine Schwester Clara bei uns. Zuerst bewohnte sie die Parterrezimmer Max Josephs am Cabinettsgarten und dann die von Max II. oben im Mittelbau. Deine ältere Schwester Isabella ist 1924 in Italien gestorben, aber die inzwischen verwitwete Tante Elvira kommt mit ihrem Sohn Alfons regelmäßig zu Dir. Auch Onkel Alfons erschien bis zu seinem plötzlichen T o d anfangs 1933 mit seiner Familie oft in Nymphenburg, wohnte aber nicht mehr hier. Zu den ständigen Sommergästen gehörte in erster Linie mein Bruder Ferdinand Maria mit seiner Familie, Kindern und Enkeln. Mamas Schwester Eulalia besucht sie hier alljährlich, hat sich sogar in der Barellistraße ein eigenes Haus gekauft, König Alfons von Spanien kam alle Jahre aus seinem Exil in Rom. Audi 149

König Ferdinand von Bulgarien erschien immer in Nymphenburg, wenn ihn sein Weg durch München führte, aus Zuneigung zu Euch und aus Freude an historischen Stätten. Die neuen Bewohner im Schloß gewöhnen sich ebenso rasch an uns wie wir an sie. Den alten Nymphenburgern sind wir keine Fremden. Wir kamen mit ihnen und dem Nachwuchs oft bei den Veteranen und anderen Vereinen zusammen, gingen wie in alter Zeit bei der Fronleichnamsprozession mit. Nymphenburg ist größer geworden, aber trotzdem kennt man sich gegenseitig, begegnet sich im Park und im Ort. Kranke und Arme kommen in Deine Sprechstunden mehr noch als früher. Ab und zu gibt es künstlerische Darbietungen im Steinernen Saal und Freilichtaufführungen vor den Burgen. Den rauschenden „Nächten der Amazonen" im „Dritten Reich" kann man solche Qualität nicht zusprechen. Sonst merkten wir hier wenig von Hitler und seinen Leuten. In dieser unseligen Zeit bekundete der Stadtrat Christian Weber besondere Vorliebe für Nymphenburg. Er war der Erfinder der alljährlichen Amazonennächte und des Jagdmuseums, das die Englischen Fräulein nach einem Jahrhundert Tradition jäh aus ihrem Schloßflügel verjagte. Die erste Amazonenrevue mit Pferden und tanzenden Mädchen fand im Sommer 1936 in Verbindung mit dem Rennen um das braune Band in Riem statt. Unangehm war der Wochen zuvor herrschende Lärm, die Proben für die Quadrillen und das Hämmern an den Tribünen. Die Veranstaltung konnten wir sehr bequem aus unseren Fenstern sehen. Sie paßte nicht in den Rahmen 150

und wirkte unecht. Das große Publikum war begeistert und wir gönnten ihm sein Vergnügen. Am traurigsten waren die Gärtner über die zerwühlten Rasenflächen und zertrampelten Blumenrabatten im Parterre. Als im Juli 1937 in der Stadt das Haus der Deutschen Kunst eröffnet wurde, brannten in Nymphenburg Hunderte von Kerzen bei offenen Läden und spiegelten sich in den Wasserflächen wider. Dann wurde im Parterre der Don Giovanni aufgeführt und dann tobten wieder die Amazonen. Während draußen die neue Zeit lärmte, lebten wir drinnen still in der alten weiter. In den folgenden Jahren wurden in der Schloßkirche durch Kardinal Faulhaber einige Familienmitglieder getraut, die alle mit Nymphenburg irgendwie verbunden sind. Im August des Jahres 1937 heiratete die im Schloß geborene älteste Toditer des Prinzen Franz den Prinzen Peter Heinrich von Orleans-Branganza. Seine Mutter ist eine Schwester des Herzogs von Calabrien, der so lange in Nymphenburg gewohnt hat. Außer den bayerischen Verwandten und denen des Bräutigams erschienen auch die spanischen Bourbons, an ihrer Spitze König Alfons mit seinem Sohn Juan mit Frau — auch sie eine Bourbon-Sizilien. Mein Bruder war mit seiner Familie schon vorher bei uns. Über 80 Personen waren beim Essen im Steinernen Saal. Viel Aufregung brachte einige Monate darauf die gewaltsame Räumung der Klosterkirche wegen der Errichtung des Jagdmuseums. Umsonst hatte das Ordinariat gegen diese Entweihung, hatten weltliche Stellen 151

gegen die Zerstörung dieses spätbarocken Kunstwerkes protestiert. Ursprünglich sollte hier der Eingang in das Museum hinkommen. Als dieser Plan wieder aufgegeben war, machte man eine Bibliothek aus der Kirche. Ausgerechnet an dem als Feiertag abgeschafften Allerheiligenfest am 1. November 1937 mußte sie geräumt sein, und zwar zu der herkömmlichen Stunde des Hauptgottesdienstes. Um neun, hieß es, würden 120 Arbeiter erscheinen, Feuerwehrleute, und die Kirche mit Gewalt räumen. Zur befohlenen Stunde war alles fertig, aber die Arbeiter erschienen nicht, und auch die Baufirma weigerte sich, den Gottesfrieden zu stören. Am Nachmittag mußten sie im Ghor der Klosterfrauen ihr grausames Werk beginnen. Nicht einmal die Toten ließ man in Ruhe. Im Februar kam die Gruft an die Reihe, Gebeine der Kapuziner, der Nonnen von Nötre Dame und der Englischen Fräulein wurden bei Nadit in Kisten auf den Westfriedhof gefahren. Nicht alle waren so lange tot, sonst hätten die Arbeiter nicht mit Gasmasken gearbeitet. Das war schlimmer als der Abtransport der Kapuziner damals bei der Säkularisation! Die Englischen Fräulein siedelten in ihre eigenen Gebäude dicht nördlich davon über, um dort ohne Klage ihre segensreiche Tätigkeit und Uberlieferung fortzusetzen. Das für den Frieden so bedrohliche Jahr 1938 hielt uns in Atem. Der Einmarsch in Österreich ließ über die gefährlichen Absichten Hitlers keinen Zweifel mehr, aber die Feste gingen weiter mit Kerzenbeleuchtung und Klimbim. Diesmal tanzte vor der Amalienburg neben dem Berliner Ballett auch das von Wien. 152

Vor der Nacht der Amazonen herrschte besondere Erregung; denn diesmal soll der „Führer" erscheinen. Tags zuvor kriechen Gestapisten in allen Winkeln herum. Fast drohend erklärt man uns, wir dürften weder Fenster öffnen noch jemand einladen. In Deinen Zimmern werden unten an den Türen Schienen angebracht, damit man keine explosive Flüssigkeit durdischütten könne. Wir lassen sie machen, lehnen jede Verantwortung ab und denken uns, daß die vielen Monarchen, die im Laufe der Jahrhunderte in Nymphenburg waren, sich offensichtlich sicherer gefühlt haben. Hitler kommt nicht, aber wir erleben eine kleine Genugtuung. Kurz vor Beginn des Festes erscheint der Betreuer des diplomatischen Korps bei Dir und erklärt etwas verlegen, daß sämtliche für diese Gäste bestimmten Sitze belegt und nicht mehr frei zu kriegen seien, Du möchtest die Herrschaften doch aus unseren Fenstern zusehen lassen. Es war um so netter, als wir fast alle diese Damen und Herren gut kannten. Als Diplomaten sagten sie nichts, aber wir verstanden ihr leises Lächeln und unterhielten uns ausgezeichnet mit ihnen. Nachdem uns irrtümlicherweise die Zusammenkunft Chamberlains und Daladiers mit Hitler und Mussolini Mitte September auf eine ruhigere Zukunft hoffen ließ, wurde im Oktober das Jagdmuseum in großer Aufmachung eröffnet. Der Aufmarsch einer fingierten Jagdgesellschaft zu Pferd und die Ansprachen im ehemaligen Komödienoder Hubertussaal forderten zu Vergleichen mit der echten, angeblich überholten Zeit heraus. Am 29. Oktober ist wieder Hochzeit in der Schloßkirche. 153

Prinz Eugen von Savoyen, ein Sohn Deiner in Nymphenburg geborenen und getrauten Schwester Isabella, heiratete die ebenfalls hier geborene Tochter Lucia des Herzogs von Calabrien. Es war auch ein historisch interessantes Ereignis, die erste Verbindung zwischen Savoyen und dem von ihm aus Italien verdrängten Hause Beider Sizilien. Kronprinz Humbert vertrat seinen königlichen Vater. Viele Verwandte beider Teile, die schon oft in Nymphenburg waren, kamen mit der bayerischen Familie zusammen. Die nächste Heirat war die Deiner Nichte Elisabeth, der Tochter von Onkel Alfons, mit dem Grafen Franz von Kageneck am 6. Mai 1939. Wir ahnten nicht, daß dieser junge Offizier einige Monate darauf in den Krieg müsse und in Rußland fallen würde. Freilidi ließ die Aktion gegen die Tschechoslowakei in diesem Sommer Schlimmes befürchten. Einige Tage nach dem letzten Amazonenrummel kam König Alfons von Spanien auf der Rückreise von England zu uns. Falls Hitler Absichten auf Polen habe, sagte er mir, gäbe es unweigerlich Krieg; denn England sei fest entschlossen, seinem Treiben Einhalt zu gebieten. Als er Ende August wiederkam, war ich schon eingezogen und die Mobilmachung beendet. Am 24. August steht der Schloßplatz voller zur Musterung befohlener Autos. Während des Essens am nächsten Tag, Deinem Namenstag, mit dem spanischen Kronprinzen Juan wird der servierende Diener in die Kaserne geholt. Ich werde mit meiner Einberufung geweckt, Pilar beginnt wieder ihren Dienst als Rotekreuzschwester. Äußerlich war es ähnlich wie anno 14, nur fehlte jede Begeisterung. 154

Gedrückt geht ein Nymphenburger nach dem anderen in den Krieg, viele kommen nicht wieder. An Deinem 80. Geburtstag, am 22. Oktober 1939, war der Feldzug gegen Polen eben vorbei. Bei dem Feldzug gegen Frankreich im folgenden Jahre aber kam zur allgemeinen Sorge noch Eure Angst um meinen Sohn Konstantin, der als Soldat dabei war. Ihr wart froh, als er und ich im Frühjahr 41 aus der Wehrmacht entlassen wurden und daß man Alexander nicht einzog. Doch traf Dich bald darauf ein umso schwererer Schlag, der Tod Deiner Sdiwester Clara. Die letzten Wochen war sie in ihrem Max Ii-Zimmer mit Gelbsucht gelegen. Es war ein schweres Leberleiden, von dem sie nicht mehr zu retten war. Sie starb am 29. Mai im Krankenhaus des Dritten Ordens. Seit dem Einmarsch in Rußland war es uns klar, daß der Krieg nur ein schlimmes Ende nehmen konnte und die Wendung eintreten mußte, falls dem unseligen Morden im nahen und fernen Osten und in Afrika nicht Einhalt geboten wurde. Übers Jahr bekam Mündien den Krieg zu spüren. Der erste Luftangriff war zahm. Wir sahen von der Wohnung meiner Sdiwester aus dem neuen Schauspiel zu. Mein Bruder war mit seiner Frau da, nachdem er unter großen Schwierigkeiten von Spanien über die Schweiz gekommen war, um Euch zu sehen, so lange es noch möglidi war. Auch Konstantin mit seiner jungen Frau kam; er hatte im Sommer eine Prinzessin von Hohenzollern-Sigmaringen geheiratet und studierte in Freiburg. Das Schloß bekam nichts ab, aber in der Hirsdigartenallee brannte es. Man hörte Abwehr und Einschläge. 155

Die Scheinwerfer spielten von allen Seiten. Der Himmel war hell wie am Tage — ein grandioses Feuerwerk. Als meine Schwester am nächsten Morgen in ihre Poliklinik kam, fand sie Trümmer vor. Von diesem Tage an war es mit dem Frieden in Nymphenburg vorbei. Die Angriffe wurden immer heftiger und die Zwischenpausen immer kürzer. Trotzdem kostete es jedesmal große Mühe, Euch in den Keller unter unserem Pavillon zu bringen. Er ist klein, aber mit seinen alten Mauern so fest, daß sie auch bei nahen Einschlägen nur wenig bebten. Dies war der Grund, daß auch Bewohner der anderen Pavillons hier Schutz suchten. Da saß und stand man dann dicht aneinander gedrängt und wartete. Ab und zu ging einer hinaus, um zu sehen und zu berichten, was draußen vorging. Du hattest Deine Pfeife im Mund, meine Mutter betete, meine von der Krankenpflege erschöpfte Schwester schlief irgendwo in einer Ecke. Später wollte ich Euch überreden, nach Hohenschwangau zu übersiedeln, damit Ihr wenigstens ruhigere Nächte hättet. Da kam ich aber schön an. Auf keinen Fall wolltet Ihr Nymphenburg verlassen, solange es stünde. Die Bindung war zu stark, ein Weggehen wäre Euch wie Fahnenflucht vorgekommen. Du wolltest auch Deine Kranken nicht im Stich lassen. Übrigens wart Ihr überzeugt, daß es standhalten würde, und Ihr solltet recht bekommen; ich war weniger sicher und um so besorgter, je mehr die Wucht der Angriffe zunahm. Schon der vom 21. Okt. 42 kam recht nahe. Beim alten Controllor im Rondell, jetzt Lazarett der Barmherzigen Brüder, gab es Tote durch einen Volltreffer. Unser Keller zitterte und Fenster auf der Stadtseite 156

gingen in Scherben. Bei dem Angriff in der Nacht des 10. März 1943 zersprangen auch unsere gemalten Glasfenster in der Schloßkirche durch den Luftdruck einer Bombe, die in der Nähe einschlug. Andere gingen in das Rondell, auf die Porzellanfabrik und die anschließenden Häuser, zersplitterten Bäume im Park, beschädigten Pan und Badenburg. Am schwersten war es bei der Hirschgartenallee. Der Himmel war rot von den Bränden. Als ich am Morgen den Boden vor der Kirche mit farbigen Glasstüdken bedeckt sah und oben leere Fensteröffnungen, hatte ich das Gefühl, daß „unser" Nymphenburg nun endgültig getilgt war. Am 2. April dieses bedrückenden Jahres begeht Ihr die diamantene Hochzeit — sechzig Jahre verheiratet, von denen Ihr sechsundfünfzig in Nymphenburg verbracht habt. Abgesehen vom Kriege wolltet Ihr diesen denkwürdigen Tag nicht gefeiert wissen, weil Tags zuvor in Wien als letzte Deiner Geschwister Elvira gestorben war. Auch das Schloß legt um diese Zeit Trauerkleidung an zur Tarnung gegen die feindlichen Flieger. Es wird grüngrau gespritzt, der Kies davor und dahinter mit schwarzem Lösch bestreut. Über den Mittelkanal werden Matten gebreitet und nur ein unregelmäßiges Rinnsal offen gelassen, als ob f ü r die Orientierung die Wege und Alleen nidit genügen würden! Die Statuen behalten auch im Sommer ihr Wintergehäuse, das aber mit Sand ausgefüllt ist. Springbrunnen und Kaskade sind längst abgestellt. Letztere bekommt einen Bombenschaden. In ihrem oberen Becken sind Erlen angeflogen, es entsteht dichtes Gehölz. Schmutzig und traurig sieht es jetzt in Nymphenburg aus. 157

In das Schloß selbst geht nur eine einzige Bombe, und diese bricht am 4. Oktober 1944, wie aus nachträglichem Protest gegen die Entweihung, die ehemalige Klosterkirche wie einen Zahn aus dem Jagdmuseum. Je mehr es dem Ende zugeht, umso heftiger und häufiger werden die Angriffe. Oft müßt Ihr zwei-, dreimal in der Nacht aus den Betten. Meine Mutter sdiläft überhaupt nur mehr halb angezogen. Im Ort Nymphenburg zerfallen immer mehr Häuser, aber das Schloß steht und Ihr bleibt. Die Pfarrei hält wieder in der Schloßkirche Gottesdienst, seitdem die Christkönigskirdie zerstört ist. Jetzt habt Ihr, wie in der alten Zeit, nahe zur Kirche, aber Effners Bau ist für die angewachsene Gemeinde zu klein geworden. Beinahe wäre das Schloß noch im letzten Moment geopfert worden, aber der Befehl, es bis zum äußersten zu verteidigen, wird nicht ausgeführt. Das erste Zusammentreffen mit den Amerikanern am 5. Mai ist etwas peinlich, aber bald kommen sie vertrauensvoll zu Euch, wenn sie das Schloß besichtigen. Ein Feldlazarett schlägt seine Zelte davor und dahinter und bei den Gewächshäusern auf und ein katholischer Feldgeistlicher zelebriert vor dem Altar der Heiligen Magdalena. Der gräßliche Spuk ist vorbei. Seine Spuren werden noch lange bleiben, aber das Leben im Sdiloß verlangt seine Rechte. Was sind zwölf noch so schwere Jahre in einer Geschichte von fast dreihundert? Da in der Stadt soviel zerstört ist, finden in Nymphenburg noch mehr Veranstaltungen statt als zuvor. Es gibt wieder Konzerte im Steinernen Saal und Aufführungen 158

im Park. Wären Enten und Schwäne nidit dem Hunger zum Opfer gefallen, merkte man wenig Unterschied. Dir und uns stand aber der schwerste Schlag noch bevor, der Abschied von unserer Mutter. Diese Lücke wird sich nie wieder schließen, jener Abend des 2. Dezember 1946 immer in traurigster Erinnerung bleiben. Sie war in der Dunkelheit die kleine "Wendeltreppe neben Euerem Schlafzimmer hinuntergestürzt und hatte sich dabei so schwer verletzt, daß sie am nächsten Tag von uns ging — genau so friedlich, wie sie gelebt hatte. Sie wurde im Oratorium Max Emanuels aufgebahrt, wo sie über ein halbes Jahrhundert lang immer gebetet hat. Unter den Trümmern von St. Michael ist sie bei den Vorangegangenen beigesetzt. Seitdem ist es für Dich und für uns in dem großen Schloß einsam geworden. Jetzt gehört sie zu den besten Geistern Nymphenburgs, und es ist, als wäre sie ständig um uns. Die Lücken im Park wären längst schon verwachsen, wenn nidit Windbrüche, Dürre und Borkenkäfer noch ärger gehaust hätten als der Krieg. Es haben sich wieder Enten eingefunden und auch Schwäne. Der Pan sitzt noch ohne Kopf und Schalmei da, aber die Springbrunnen und die Kaskade sind wieder in Gang und die Rabatten voller Blumen. Die Mauern sind noch nicht so weiß wie vordem, doch hat sie der Regen schon heller gewaschen und der Wind den schwarzen Staub vom Boden verweht. So verheilen allmählich die Wunden der Kriegszeit. Sie bildet nur einen kurzen Abschnitt in der Chronik. Vor mir steht nach wie vor die Chiffre von Adelheid von 159

Savoyen unter den Surporten ihres Sohnes Max Emanuel. Die Amalienburg ist intakt und das Rondell Karl Albrechts zum Teil ausgebessert. Die Manufaktur arbeitet wieder nadi Bustellis Modellen. Karl Theodors Hirsdigarten ist kleiner und ohne Hirsdie, aber sein Jagdhaus ist erhalten. Max Josephs Monbijou blüht wie damals, der Monopteros erinnert an Ludwig I. Die letzten beinahe neunzig Jahre leben Gott sei Dank in Dir fort. Du bist hier verwurzelt wie die Bäume im Park und hast auch Stürmen getrotzt — Du bist der treueste Nymphenburger.

160

HE NUTZTE

LITERATUR

P i e r r e d e Ii r e t a g n e , R e j o u s s a n c e s c l f ê t e s m a g n i f i q u e s . . . M u n i c h 1723 F . v. F r a u e n h o l z , d a s K . B. 2. K ü r a s s i e r - u . S c h w e r e R e i t e r R e g i m e n t . M ü n c h e n 1921 L u i s e H a m e r n . II. K r e i s e l . N y m p h e n b u r g S c h l o ß , Bark u n d K u r s e n . A in l l i e b e r F ü h r e r . M ü n c h e n 1939. K a r l T l i . v. H e i t e l , N y m p h e n b u r g ( B a y e r . B i b l i o t h e k , B d . •.';>, B a m b e r g 1891). P r i n z e s s i n I . u d w i x F e r d i n a n d von B a y e r n . Knianuèie Therese de l ' o r d r e de s a i n t e C l a i r e , fille d e l ' E l e c t e u r M a x K m a n u e l de Bavière, München 1902. C a r l o M e r k e l , A d e l a i d e di S a v o i a , T o r i n o 1802. C h r i s t i a n M ü l l e r , M ü n c h e n u n t e r K ö n i g M a x i m i l i a n J o s e f 1. M a i n z 1 8 I ß u. 17. M. G o n z a g a K r e i i n v. P e c h m a n n , G e s c h i c h t e d e s e n g l i s r h e n I n s t i t u t s B e a l a M a r i a c Y i r g i n i s in B a y e r n . M ü n c h e n 1907. C a r l A u g . S c k e l l . das Lustschloß N y m p h e n b u r g und seine Gart e n a n l a g e n . M ü n c h e n 1837. F r a n z S c h a e h l e . die G e s c h i c h t e d e r G e m e i n d e O b e r m e n z i n g . O b e r m e n z i n g 1927. T l i e o d o Ii n d e W i n k l e r , M. W a r d u n d d a s I n s t i t u t d e r e n g l i s c h e n F r ä u l e i n {in F e s t s c h r i f t z u m G e d a c h t n i s 3 0 0 j ä h r i g e n B e s t e h e n s d e s I n s t i t u t e s B . M . Y , d e r e n g l i s c h e n F r a u l e i n in B a y e r n 16261926) M ü n c h e n 1926. ü c o r « J a c . W o l f , d a s k u r f ü r s t l i c h e M ü n c h e n , 1620-1800, M ü n c h e n 19.30.

Mit G e n e h m i g u n g der Bayer. V e r w a l t u n g der S t a a t l . Schlösser. Seen u n d G ä r t e n N r . 1. 2, 7. 8, 9. 13, 14, 15. 17. 19. F o l o L a l a A u f s b e r g , S o n t h o f e n Nr. 5. 6. 10. 11, 18. F o t o H e l g a G l a u n e r , B e r l i n N r . 12. F o t o W . H e g e , F r a n k f u r t N r . 16. Die K a r t e a m S c h l u ß d e s B a n d e s z e i c h n e t e K a r l T h e o d o r H o r n .

%d Park înburg

ddui'ilenstock Iinpa.villuns

I lili I70-'

cuban Inni I - 1 4 / 1 6 ijiiiiclr liau

1 72:i If.

llluilfiicn

173^/48

Himdlell

17Í8/5.Í

ktur sc

1 70S

i7v»;>/js

i ti. I 'J