Notwehr gegen Erpressung durch Drohung mit erlaubtem Verhalten [1 ed.] 9783428514830, 9783428114832

Tino Seesko befaßt sich mit der Frage, ob straftatbestandsmäßige Maßnahmen des Erpreßten nach § 32 StGB gerechtfertigt s

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German Pages 126 Year 2004

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Notwehr gegen Erpressung durch Drohung mit erlaubtem Verhalten [1 ed.]
 9783428514830, 9783428114832

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Schriften zum Strafrecht Heft 159

Notwehr gegen Erpressung durch Drohung mit erlaubtem Verhalten Von

Tino Seesko

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TINO SEESKO

Notwehr gegen Erpressung durch Drohung mit erlaubtem Verhalten

Schriften zum Strafrecht Heft 159

Notwehr gegen Erpressung durch Drohung mit erlaubtem Verhalten

Von

Tino Seesko

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-11483-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2003 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung sind bis Mai 2003 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meiner verehrten Lehrerin, Frau Prof. Dr. Ingeborg Puppe. Sie hatte auch in Zeiten größter Arbeitsbelastung stets ein offenes Ohr für die Probleme, die mit der Fertigung einer solchen Arbeit verbunden sind, und stand mir dann mit Rat und Tat zur Seite. Für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens bin ich Herrn Prof. Dr. Rainer Zaczyk zu Dank verpflichtet. Gerne erwähne ich an dieser Stelle auch meine Kollegen am Strafrechtlichen Institut, Frau Dr. Barbara Goy und Herrn Rechtsanwalt Dr. Stephan Osnabrügge. In zahlreichen Diskussionen gaben mir beide wertvolle Denkanstöße und unterstützten damit den Fortgang der Arbeit. Für das Korrekturlesen danke ich meinen Freunden, Frau Rechtsanwältin Kerstin Heidkamp sowie Herrn Notarassessor Markus Bohlscheid. Besonders hervorheben möchte ich die unschätzbare Unterstützung, die mir durch meine Eltern zuteil wurde. Sie ermöglichten diese Arbeit nicht nur durch ihre finanzielle Förderung. Vor allem fanden sie stets die richtigen Worte, um in mir aufkeimende Zweifel an der Vollendung der Arbeit zu beseitigen. Schließlich möchte ich mich auch bei meiner Großmutter, Frau Hildegard Dobers, für das großzügige „Sponsoring“ des Druckes der Arbeit bedanken. Sankt Augustin, im Februar 2004

Tino Seesko

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Erstes Kapitel Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

18

§ 1 Allgemeines zum Begriff des Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

A. Der Kreis der problematischen Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

B. Die rechtliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

C. Das Verhältnis zwischen Willensfreiheit und Vermögen im Erpressungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

I. Zurechnungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

1. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

2. Zurechnung kraft Verantwortlichkeit für eine Notstandssituation . . . . . .

26

3. (Vermeintliche) Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

4. Zurechnungszusammenhang und Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

5. Zurechnungszusammenhang und Unrechtsgehalt der Erpressung . . . . . .

33

6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

II. Drohung, vermögensschädigendes Verhalten und psychische Kausalität . . . 1. Die Geltung von Kausalgesetzen im Bereich der menschlichen Psyche

36 37

2. Verhaltensgründe als Zurechnungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

III. Konsequenzen für den erpresserischen Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

IV. Grenzen der erpresserischen Drohung als Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

1. Die Drohung mit einem erlaubten Verhalten als Angriff . . . . . . . . . . . . . . .

42

a) Die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Positionen . . . . . . . .

43

aa) Die rechtlich garantierte Freiheit als Schutzgut der Nötigung . .

43

bb) Die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit als das Rechtsgut der Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

10

Inhaltsverzeichnis b) Historie der §§ 240, 253 StGB und die Rechtsordnung in ihrer Bedeutung für das Rechtsgut der Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

aa) Die geschichtliche Entwicklung der Nötigung und der Erpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

(1) Die Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

(2) Die Erpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

(3) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

bb) Die Rechtsordnung und ihre Aussagekraft zum Rechtsgut der Nötigung und Erpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

(1) § 154 c StPO und die Vergleichbarkeit von Erpressung und Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

(2) Die Verfahrensordnungen als Ausprägung des Gewaltmonopols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

(3) Willensbildungs- / Willensbetätigungsfreiheit als Normwiderspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

2. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

Zweites Kapitel Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

66

§ 1 Notwehrfähigkeit der Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit . . . . . .

66

§ 2 Strukturelle Unterschiede zwischen einem erpresserischen Angriff und einer „idealtypischen Notwehrlage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

§ 3 Die Gegenwärtigkeit des Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

A. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

B. Der Bezugspunkt der Gegenwärtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

I. Das geschützte Rechtsgut als Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

II. Das Angriffsverhalten als Bezugspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

§ 4 Die Rechtswidrigkeit des Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

§ 5 Die Erforderlichkeit der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

A. Die Erforderlichkeit der Verteidigung überhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

I. Die schlichte Nichtzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

Inhaltsverzeichnis

11

II. Die Duldung des angedrohten Übels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

1. Die Wertung des § 192 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

2. Die Wertung des § 154 c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

3. Der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum prodere“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

4. Zur Legitimität des Interesses an der Verhinderung einer Strafanzeige beziehungsweise der Offenbarung kompromittierender Tatsachen . . . . .

91

5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

B. Die einzelnen Verteidigungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

I. Die Verteidigung vorbereitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

II. Gewaltanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

A. Heimliche Erpressungsabwehr als Fall eingeschränkter Notwehrbefugnisse . . . .

97

B. Zwei Thesen und ihre Überzeugungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

I. Notwehrbefugnis und Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

II. Rechtsbewährungsprinzip als Grundgedanke der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Notwehr und das Prinzip des überwiegenden Interesses . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Rechtsbewährung und Historie der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Rechtsbewährung und der Wortlaut des § 32 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Rechtsbewährung und das Prinzip des überwiegenden Interesses . . . . . . 104 a) Das Recht als überwiegendes Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Rechtsbewährung und Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) § 32 StGB und die Aufgabe der Generalprävention . . . . . . . . . . . . 107 bb) Konsequenzen eines generalpräventiven Notwehrzwecks . . . . . . 109 5. Individualschutz und die besondere Rigidität des Notwehrrechts . . . . . . 110 C. Fazit für eine Einschränkung des Notwehrrechts des Erpreßten . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Einleitung In den Jahren 1964 und 1965 erschienen in kurzer zeitlicher Abfolge in der MDR drei Beiträge, die sich mit der rechtlichen Problematik der Notwehr gegen Erpressung auseinandersetzten. Den Beginn dieser kleinen Reihe machte ein Aufsatz Haugs.1 Anhand einiger Beispiele von in der kriminologischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts zu findenden realen Fällen wies er auf die mißliche Lage des wegen einer von ihm begangenen Straftat Erpreßten hin. Das Mißliche sieht er dabei in zwei Dingen. In tatsächlicher Hinsicht betont er den Umstand, daß die Zahlung des vom Erpresser verlangten Geldbetrages im Regelfall nicht das Ende der Erpressung bedeutet, weil üblicherweise immer neue Forderungen gestellt werden. Krause spricht in diesem Zusammenhang von einer Schraube ohne Ende: Wer einmal gezahlt hat, zahlt weiter, kann sich aus dem Teufelskreis nicht mehr befreien.2 Im Hinblick auf rechtliche Gegebenheiten betont Haug, daß die Rechtsordnung mit § 154 c StPO eine nur unbefriedigende, weil vielfach völlig untaugliche Möglichkeit bereithalte, des Erpressers habhaft zu werden. Denn diese Vorschrift biete dem wegen einer Straftat Erpreßten keinerlei Anreiz, den Erpresser anzuzeigen. Eine Garantie dafür, daß von der Verfolgung des Erpreßten, der seine Straftat den Strafverfolgungsbehörden offenbart habe, nach § 154 c StPO abgesehen werde, gewähre diese Norm nämlich nicht. Bei schwereren Straftaten bestehe noch nicht einmal dem Grunde nach die Hoffnung einer Verfahrenseinstellung, da in diesen Fällen die Vergünstigung des § 154 c StPO völlig ausgeschlossen sei. Die Bedeutung dieser Norm in der Rechtspraxis sei dementsprechend nur sehr gering.3 Vergegenwärtigt man sich diese von Haug beschriebene Situation des wegen einer von ihm begangenen Straftat Erpreßten und berücksichtigt man, daß die Lage desjenigen, der mit der Androhung der Veröffentlichung anderer ehrenrühriger Tatsachen erpreßt wird, weitaus schlimmer ist, weil diesem nicht einmal die Vorschrift des § 154 c StPO als Schutz zur Seite steht, kann man verstehen, wenn Haug feststellt: „Es ist daher bei der Häufigkeit, Gefährlichkeit und Gemeinheit der Erpressung dringend erforderlich, dem Erpreßten auch die letzte Möglichkeit vor Augen Haug, MDR 64, 548 ff. Krause, FS-Spendel, 547, 551. 3 Laut LR-Beulke, § 154 c Rn. 1 werden jährlich kaum mehr als 100 Verfahren aufgrund von § 154 c StPO nicht verfolgt. Nach der von LR-Beulke, § 152 Rn. 43 Fn. 144 zitierten staatsanwaltschaftlichen Verfolgungsstatistik von 1997 erfolgten nur etwa 0,01% aller Verfahrenseinstellungen nach § 154 c StPO. Zu weiteren Gründen für die Bedeutungslosigkeit vgl. etwa Krause, MSchrKrim 69, 214, 215 f.; derselbe, FS-Spendel, 547, 552 ff. 1 2

14

Einleitung

zu führen, die das geltende Recht zur Verbesserung seiner Lage kennt.“4 Und diese letzte Möglichkeit sieht er in der Notwehrvorschrift des damals geltenden § 53 StGB, des heutigen § 32 StGB. Haug zählt daher verschiedene Optionen auf, die seines Erachtens dem Erpreßten zur Verbesserung seiner Situation gegenüber dem Erpresser zur Verfügung stehen, und untersucht sie auf ihre Tauglichkeit als Verteidigung im Sinne des Notwehrrechts.5 Er gelangt zu dem Ergebnis, daß sowohl Gegenerpressung als auch Verletzung der Intimsphäre des Erpressers sowie Wegnahme von Beweisstücken und die Bedrohung des Erpressers nach § 241 StGB geeignete und unter Beachtung des Erforderlichkeitsprinzips zulässige Maßnahmen darstellen. Denn in jeder Erpressungshandlung liege ein rechtswidriger Angriff auf die Willensfreiheit und das Vermögen des Opfers, also auf notwehrfähige Güter. Auch an der Gegenwärtigkeit dieses Angriffs sei nicht zu zweifeln, weil vom Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung an bis zur Zahlung dieser Angriff ständig vom Willen des Täters aufrecht erhalten werde.6 Schließlich hat Haug auch unter dem Gesichtspunkt der Gebotenheit einer Notwehr gegen Erpressungen zumindest im Hinblick auf die genannten Maßnahmen keine Bedenken, da das Interesse des wegen einer von ihm begangenen Straftat Erpreßten, die Aufdeckung der Straftat zu vermeiden, schutzwürdig sei. Denn ebensowenig wie der Dieb, der seinerseits bestohlen werde, verliere auch der Erpreßte nicht den Schutz der Rechtsordnung durch die von ihm begangene Straftat.7 Allein im Hinblick auf die Tötung des Erpressers beurteilt Haug die Rechtslage anders. Zwar könne die Tötung durchaus das erforderliche Verteidigungsmittel sein, wenn nämlich der Täter die Erpressung allein auf die Kundgabe seines Wissens stützen könne. Allerdings müsse die Abwehr im ganzen in einer den Umständen angemessenen Weise erfolgen. Dabei gelte es zu bedenken, daß das Opfer die Wahl habe zwischen der Tötung des Erpressers und der Anzeige, verbunden mit eigener Strafbarkeit und möglicherweise der Aufopferung der eigenen beruflichen und gesellschaftlichen Existenz.8 Unter Berücksichtigung der heutigen Auffassung vom Wert des Lebens müsse man diese Wahl in dem Sinne entscheiden, daß man sich der öffentlichen Hilfe bediene, zumal, und hier bedient sich Haug der Worte Erdsieks9, „der Urtrieb des Menschen, sich aus Feigheit der Verantwortung für sein eigenes Tun zu entziehen, keinen Anspruch auf besondere Förderung durch die Rechtsordnung habe.“10

Haug, MDR 64, 548, 549. Haug, MDR 64, 548, 550 ff. 6 Haug, MDR 64, 548, 551. 7 Haug, MDR 64, 548, 552. 8 Haug, MDR 64, 548, 554. 9 Erdsiek, NJW 63, 632, 634. 10 Haug, MDR 64, 548, 554. 4 5

Einleitung

15

Gegen das Ergebnis Haugs, daß dem wegen einer Straftat Erpreßten ein umfangreiches, nur im Hinblick auf die Tötung des Erpressers begrenztes Notwehrrecht zur Seite stehe, regte sich bereits kurze Zeit später Kritik. Arzt11 und Baumann12 veröffentlichten in derselben Ausgabe der MDR je einen Beitrag, in dem sich beide sehr deutlich gegen ein Notwehrrecht des wegen einer Straftat Erpreßten aussprachen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist eine Aufspaltung der Erpressung nach den von ihr betroffenen Rechtsgütern und ihre getrennte Betrachtung. Danach ergebe sich zunächst, daß sich der Erpreßte gegen den Angriff auf sein Vermögen durch einfaches Nichtbezahlen verteidigen könne und damit jedes andere darüber hinausgreifende Verhalten nicht erforderlich sei. Bediene sich der Täter eines bei isolierter Betrachtung rechtlich neutralen Verhaltens, der Drohung mit einer Strafanzeige, sei er hiergegen schutzlos, da die Drohung in kein rechtlich geschütztes Rechtsgut des Erpreßten eingreife. Was den Angriff auf die Willensfreiheit anbelange, sei dieser mit dem Ausspruch der Drohung abgeschlossen und damit nicht mehr gegenwärtig, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt ein Notwehrrecht ausscheide.13 Im Gegensatz zu Haug, der stets von der Verteidigung gegen die Erpressung als solcher spricht, nehmen Arzt und Baumann also eine Aufspaltung der Erpressungsabwehr vor, differenzieren bewußt nach den einzelnen bedrohten Rechtsgütern und verneinen damit die Möglichkeit, daß das Charakteristische des erpresserischen Angriffs gerade ein einheitliches Vorgehen gegen das Vermögen mit Hilfe einer Beeinträchtigung der Willensfreiheit sein könne.14 Sie erachten diese Vorgehensweise für zwingend, da ein Verständnis der Erpressung als Gesamtvorgang, bei dem gerade die Kombination des Nötigungsmittels mit dem erwarteten Erfolg das Entscheidende wäre, ihrer Ansicht nach zur Folge habe, daß die Abwehr der Erpressung isoliert werde auf die Verhinderung der Strafanzeige, ohne aber mit der Verteidigung der durch § 253 StGB geschützten Rechtsgüter noch etwas zu tun zu haben. Dies zeige sich besonders deutlich bezüglich der Tötung des Erpressers. Denn die Tötung, ob heimlich oder offen, sei zwar ein geeignetes Mittel, um die Erpressung in toto zu beenden. Zum Vermögensschutz sei sie aber nicht erforderlich, weil bloße Nichtzahlung ausreiche, und im Hinblick auf die Willensfreiheit sei sie nicht zulässig, da der Angriff nach dem Ausspruch der Drohung nicht mehr gegenwärtig sei.15 Die Ergebnisse der Untersuchungen Haugs auf der einen und Arzts und Baumanns auf der anderen Seite könnten nach dem bisher Gesagten nicht unterschiedlicher sein. Aus Sicht des Erpreßten ist dabei weniger die Begründung der Auffassungen von Bedeutung als vielmehr deren Konsequenzen. Während Haug dem Er11 12 13 14 15

Arzt, MDR 65, 344; vgl. aus jüngerer Zeit auch Arzt, JZ 01, 1052. Baumann, MDR 65, 346. Arzt, MDR 65, 344; derselbe, JZ 01, 1052 f.; Baumann; MDR 65, 346 f. Sehr deutlich Arzt, MDR 65, 344, 345. Arzt, MDR 65, 344, 345; derselbe, JZ 01, 1052, 1053 Fn. 7; Baumann, MDR 65, 346 f.

16

Einleitung

pressungsopfer den umfassenden Schutz der Rechtsordnung, auch die Notwehrvorschrift ist Teil unserer Rechtsordnung, zubilligt, verweigern ihm Arzt und Baumann ein wesentliches Quantum dieses Schutzes. Wenn sie der Ansicht sind, der Angriff auf das Vermögen könne durch bloßes Nichtzahlen beendet werden, was gleichzeitig zu einem Fehlschlag des Angriffs auf die Willensfreiheit führe, so verlangen sie vom Erpreßten im Ergebnis nichts anderes als ein Standhalten gegenüber dem Erpresser. Überspitzt formuliert, aber diesen Gedanken zu Ende gedacht, bedeutet dies für den Erpreßten, der der Forderung des Erpressers nachgibt, daß er selbst die Schuld an seinem Unglück trägt. Warum hat er auch gezahlt? Man kann sich zwar auf den Standpunkt stellen, daß dem Opfer damit kein Unglück geschehe, weil es letztlich nur die Nachteile seines früheren Verhaltens ernte.16 Ob allerdings jeder, der einen Fehler begangen hat, von jedem anderen wegen dieses Fehlers beliebig ausgebeutet werden darf, kann ernsthaft bezweifelt werden. Reinhold hat dies bereits 1909 mit dem Satz trefflich zum Ausdruck gebracht: “ Die Unwürdigkeit des Opfers schließt die Strafwürdigkeit des Täters nicht aus.“17 Diese Aussage Reinholds aus dem Jahre 1909 hat an ihrer Richtigkeit bis heute nichts eingebüßt. Denn ob strafbares Unrecht begangen wurde, darf in einem Rechtsstaat allein anhand des Verhaltens des Täters unter Berücksichtigung der in Gesetzesform gefaßten Vorgaben des Gesetzgebers beurteilt werden. Die Strafbarkeit von einem zu mißbilligenden Opferverhalten abhängig zu machen, hieße nicht nur, eine Vorschrift gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG auszulegen, sondern vor allem auch den Blick von demjenigen abzuwenden, dessen von ihm begangenes Unrecht gerade untersucht werden soll. Man würde also die Perspektive in unzulässiger Weise verändern und allein aus dem Verschulden einer Gefahr eine uneingeschränkte Verantwortung für ihre Realisierung herleiten. Gesichtspunkte der Schutzwürdigkeit sprechen daher eher für ein Notwehrrecht des Erpreßten. Allerdings wird mit Recht18 darauf hingewiesen, daß dem Gedanken der Schutzwürdigkeit einer Person bei der Beurteilung der Strafbarkeit nur geringe Bedeutung beizumessen ist, weil es sich hierbei um eine Frage handelt, bei der die Empfindungen des Rechtsanwenders eine allzu große Rolle spielen. Es ist daher ein objektiver Maßstab anzulegen und, wie allgemein üblich, die Gefährdung von Rechtsgütern durch ein bestimmtes Verhalten zu untersuchen. Es kann daher allein darauf ankommen, ob dem Erpreßten durch das Verhalten des Erpressers eine Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter droht, und wenn ja, in welcher Weise beziehungsweise mit welcher Intensität sich der Erpreßte wehren darf. Es ist also im folgenden unter Berücksichtigung der Gesetzmäßigkeiten, die im Bereich des Notwehrrechts, aber auch des Erpressungstatbestandes gelten, das herauszuarbeiten, was die Notwehrlage19 und insbesondere den Angriff bei einer Erpressung ausmacht. 16 17 18

So ausdrücklich Baumann, MDR 65, 346, 347; vgl. auch Roxin, AT / I, 15 / 89. Reinhold, Chantage, 98. Baumann, MDR 65, 346, 347.

Einleitung

17

Der genauen Charakterisierung des erpresserischen Angriffs kommt dabei insofern eine besondere Bedeutung zu, weil bereits die kurzen Ausführungen zu den Ansichten Arzts und Baumanns gezeigt haben, daß ihr Verständnis von den Eigenheiten einer Drohung als Angriff im Sinne des § 32 StGB sich nicht nur elementar von dem Haugs unterscheidet, sondern vor allem auch Konsequenzen für jedes andere Notwehrmerkmal mit sich bringt. Dementsprechend können die Ergebnisse, die im Hinblick auf die Bestimmung der Besonderheiten des erpresserischen Angriffs erzielt werden, auch fruchtbar gemacht werden für die Deutung der übrigen Notwehrvoraussetzungen und dienen damit der Feststellung, ob dem Erpreßten im Einzelfall tatsächlich kein Schutz durch § 32 StGB gewährt wird.

19 Nach allgemeiner Meinung werden die Voraussetzungen der Notwehr in zwei Gruppen, die Notwehrlage und die Notwehrhandlung, unterteilt, vgl. Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 3; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 2, 29; Tröndle / Fischer, § 32 Rn. 3, 12; Wessels / Beulke, AT, Rn. 325, 333. Statt Notwehrhandlung ist auch der Begriff der Verteidigungshandlung gebräuchlich, vgl. Kühl, AT, 7 / 78; Jescheck / Weigend, AT, 343. An dieser Unterteilung soll auch hier festgehalten werden.

2 Seesko

Erstes Kapitel

Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung § 1 Allgemeines zum Begriff des Angriffs Wie bei jeder Notwehrprüfung ist auch in Fällen, in denen sich jemand gegen seinen Erpresser verteidigt, zunächst zu untersuchen, ob dessen Verhalten ein Angriff im Sinne des § 32 StGB darstellt. Um dies feststellen zu können, ist es erforderlich zu wissen, was das Gesetz unter dem Begriff „Angriff“ versteht, weil dieses Wissen eine Subsumtion des Verhaltens des Erpressers unter diesen Begriff überhaupt erst ermöglicht. Ein Blick in die Lehrbuch- beziehungsweise Kommentarliteratur führt diesbezüglich zu dem Ergebnis, daß die Notwehrvoraussetzung „Angriff“ beinahe einhellig definiert wird als unmittelbar drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten.1 Nur teilweise wird diese Begriffsbestimmung kritisiert und eine andere, engere Definition vorgeschlagen.2 Danach ist unter einem Angriff jedes gegen ein fremdes rechtlich geschütztes Interesse gerichtete Verhalten zu verstehen. Dieses Verständnis überzeugt, weil es eine deutliche Trennung der Eigenheiten des Angriffs von Gesichtspunkten anderer Notwehrmerkmale vornimmt. Dies zeigt sich an zwei Schwachpunkten der herrschenden Angriffsdefinition. Zum einen ist nicht nur eine unmittelbar drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter ein Angriff, sondern insbesondere auch eine solche, die gerade stattfindet. Insofern greift die übliche Definition zu kurz und schließt Situationen aus, die unstreitig als Angriff zu qualifizieren sind. Zum anderen, und das ist der zweite Kritikpunkt an der überwiegend vorgeschlagenen Definition, vermengt sie das Angriffsmerkmal mit Fragen der Gegenwärtigkeit des Angriffs, wenn sie eine unmittelbar drohende Rechtsgutsverletzung als Angriffsdefiniens ansieht. Hierfür besteht jedoch kein Bedürfnis. Da sich Angriff und Gegenwärtigkeit mit Hilfe der Definition der Mindermeinung sauber voneinander trennen lassen, ist dieser Position beizupflichten und sie im folgenden zugrunde zu legen.

1 Freund, AT, 3 / 95; SK-Günther, § 32 Rn. 21; NK-Herzog, § 32 Rn. 3; Kühl, AT, 7 / 23; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 2; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 3; LK-Spendel, § 32 Rn. 23; Tröndle / Fischer, § 32 Rn. 4. 2 Eggert, NStZ 2001, 225; Köhler, AT, 266 Fn. 88; Schroeder, JuS 1980, 336, 337.

§ 1 Allgemeines zum Begriff des Angriffs

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Der Vollständigkeit halber sei noch auf die Ansicht Hellmuth Mayers hingewiesen, die nur noch von rechtshistorischer Bedeutung ist und nach der sich das Angriffsverhalten als gewaltsames Vorgehen darstellen muß, das sich unmittelbar oder mittelbar gegen eine Person richtet.3 Dieser Standpunkt, der auf den Notwehreinschränkungen des Art. 2 II lit. a der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. 11. 19504 (MRK) sowie der geschichtlichen Entwicklung des Notwehrrechts, insbesondere im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers des § 41 PrStGB, basiert, wird heute jedoch zu Recht nicht mehr vertreten, da er sich nicht stichhaltig begründen läßt. Zweierlei spricht gegen ihn. Zum einen kann das Rekurrieren auf den Willen des historischen Gesetzgebers für sich alleine nicht das ausschlaggebende Argument für diese einschränkende Auslegung des Angriffsmerkmals sein. Diese sogenannte subjektiv-historische Auslegungsmethode wird heute allgemein mit der Begründung abgelehnt, sie würde einer Weiterentwicklung des Gesetzes durch Wissenschaft und Praxis entgegenstehen und die nötige Flexibilität im Hinblick auf neue rechtspolitische Fragen, die im Zeitpunkt der Entstehung des betreffenden Gesetzes noch nicht voraussehbar waren, vermissen lassen.5 Insoweit spricht das historische Verständnis des Angriffsmerkmals nur bedingt für eine restriktive Auslegung. Zum anderen hilft auch der Hinweis auf Art. 2 II lit. a MRK nicht weiter. Mit der insofern herrschenden Meinung6 ist schon die Anwendbarkeit der MRK im Verhältnis der Bürger untereinander abzulehnen. Bereits der Präambel läßt sich entnehmen, daß die MRK der Intention ihrer Verfasser nach einen Katalog von Grundfreiheiten und Menschenrechten festlegen soll, die zu garantieren die Mitgliedstaaten des Europarates entschlossen sind. Bei der MRK geht es also um eine Selbstbindung der Unterzeichnerstaaten. Aber auch der Wortlaut des Art. 2 MRK stützt dieses Ergebnis. Seinem Inhalt nach wird das Recht auf Leben geschützt. H. Mayer, AT, 97 f. Vgl. BGBl. 1952 II, 686. Auf Grund des Gesetzes vom 17. 08. 1952 (BGBl. 1952 II, 686) ist die MRK mit Gesetzeskraft im Geltungsbereich des Grundgesetzes in Kraft getreten. Art. 2 MRK lautet: (1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt: a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen; b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern; c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken. 5 Vgl. Schönke / Schröder-Eser, § 1 Rn. 41. 6 Bockelmann, FS-Engisch, 456, 463; Jescheck / Weigend, AT, 349; Krey, JZ 79, 702, 708; NK-Herzog, § 32 Rn. 94; LK-Spendel, § 32 Rn. 259; alle m. w. N.; zur Gegenansicht s. Frister, GA 85, 553 ff. 3 4

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

Die absichtliche Tötung ist nur zur Vollstreckung eines Todesurteils sowie in den in Abs. 2 lit. a – c genannten Fällen zulässig. Sowohl bei der Todesstrafe als auch der Festnahme beziehungsweise Verhinderung des Entkommens (Art. 2 II lit. b MRK) wie auch der Unterdrückung eines Aufruhrs (Art. 2 II lit. c MRK) handelt es sich jedoch um hoheitliches Handeln. Systemkonform kann es folglich nur sein, auch Art. 2 II lit. a MRK im Sinne hoheitlichen Handelns zu verstehen.7 Dementsprechend ist an der modernen Definition des Angriffs festzuhalten, nach der jedem Verhalten Angriffsqualität zukommt, das sich gegen ein fremdes rechtlich geschütztes Interesse richtet.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff A. Der Kreis der problematischen Konstellationen Legt man diese Angriffsdefinition zu Grunde, so erklärt es sich zunächst nahezu von selbst, warum die Ausführungen Haugs und seiner Gegner8 sich ausschließlich mit Erpressungen befassen, bei denen das Opfer mit der Anzeige von Straftaten bedroht wird. Die rechtlichen Probleme im Bereich einer Notwehr gegen Erpressungen liegen deswegen in erster Linie bei erpresserischen Drohungen, weil bei gewaltsamen Angriffen als rechtlich geschützte Güter typischerweise die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Fortbewegungsfreiheit betroffen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn man mit der Rechtsprechung9 und Teilen der Literatur10 vis absoluta als taugliches Nötigungsmittel im Bereich der Erpressung anerkennt. Bei diesen Rechtsgütern ist ein Angriff im Regelfall einfach festzustellen, weil die Betroffenheit des geschützten Rechtsguts sich nach außen deutlich manifestiert wie zum Beispiel in der Zufügung von Verletzungen. Bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel verhält es sich dagegen anders. Sie erzeugt nicht nur keine nach außen erkennbaren Folgen. Als Tatbestandsmerkmal bietet die Drohung mit einem empfindlichen Übel wegen einer nicht zu leugnenden Unbestimmtheit auch Raum für vielfältige Auslegungsmöglichkeiten, die für sich alleine, aber auch in Verbindung mit den Grundsätzen des Notwehrrechts die Qualifizierung der erpresserischen Drohung als Angriff unter vielen Gesichtspunkten problematisch und umstritten sein lassen. Die Feststellung, daß sich die rechtlichen Probleme einer Notwehr gegen Erpressungen regelmäßig im Zusammenhang mit erpresserischen Drohungen stellen, Krey, JZ 79, 702, 708 f. Vgl. Einleitung. 9 BGHSt 7, 252, 255; 14, 386, 390 f.; 25, 224, 228; JZ 84, 142 f. 10 Geilen, Jura 80, 43, 50 f.; LK-Herdegen, § 249 Rn. 24; Lüderssen, GA 68, 257 ff.; Mitsch, BT II / 1, 6 / 40; NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 62 ff.; Seelmann, JuS 82, 914. 7 8

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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erlaubt es schließlich, den Kreis der einschlägigen Konstellationen weiter zu ziehen als dies von Haug, Arzt und Baumann getan wurde. Ihre Überlegungen erstreckten sich allein auf die Drohung mit einer berechtigten Strafanzeige. Sie sind allerdings zu ergänzen um alle Fälle einer sogenannten Chantage, bei der der Täter damit droht, kompromittierende Tatsachen über das Opfer zu veröffentlichen, wenn sich dieses das Schweigen des Täters nicht durch Zahlung bestimmter Geldbeträge erkauft.11

B. Die rechtliche Problematik Neben der Bestimmung der unter Gesichtspunkten des Angriffs problematischen Fälle einer erpresserischen Drohung läßt sich mit Hilfe der Angriffsdefinition vor allem ein Aspekt aufzeigen, der zwar allgemein anerkannt sein und daher als selbstverständlich gelten dürfte, der aber auch auf das eigentliche Problem hinführt, das mit einer erpresserischen Drohung im Hinblick auf den Angriff notwendig verbunden ist. Da ein Angriff seiner Tendenz nach auf die Verletzung von rechtlich geschützten Gütern oder Interessen gerichtet ist, muß der erpresserische Angriff auf die Beeinträchtigung des Vermögens und der Willensfreiheit12 des Opfers zielen. Beides wird durch § 253 StGB nach allgemeiner Meinung geschützt und folgt aus der Formulierung des Tatbestandes dieser Vorschrift, nach der die Vollendung mit dem Eintritt eines Vermögensschadens gegeben ist, der seinerseits unter anderem auf den Einsatz einer Drohung mit einem empfindlichen Übel zurückzuführen sein muß. Da es nun der Sinn der Drohung mit der Veröffentlichung kompromittierender Tatsachen ist, ein vermögensschädigendes Verhalten des Erpressungsopfers zu erreichen, liegt „unzweifelhaft“13 ein Angriff auf dessen Vermögen vor. Und auch ein Angriff auf die Willensfreiheit des Opfers ist zumindest in dem Augenblick gegeben, in dem der Erpresser seine Drohung mündlich vorträgt oder das Opfer eine schriftliche Drohung zur Kenntnis nimmt.14 Insoweit herrscht allgemeiner Konsens. Unklar ist nun allerdings, ob für den Zeitraum nach Ausspruch beziehungsweise Kenntnisnahme dieser Drohung auch noch von einem Angriff ausgegangen werden kann. Bereits eingangs dieser Untersuchung15 wurde darauf hingewiesen, daß diese Frage unterschiedlich beantwortet wird. Arzt und Baumann begründeten in ihren schon erwähnten Arbeiten die Position, nach der die rechtliche Beurteilung einer 11

Vgl. zur Begriffsbestimmung der Chantage Eggert, NStZ 01, 225; Müller, NStZ 93,

366. Zur Frage nach Inhalt und Grenzen der geschützten Willensfreiheit vgl. unten § 2 C. IV. So ausdrücklich Arzt, Schutz, 92. 14 An dieser Stelle sei erst einmal dahingestellt, ob eine Drohung mit einem erlaubten Verhalten überhaupt ein notwehrrelevanter Angriff sein kann. 15 Vgl. die Einleitung. 12 13

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

erpresserischen Drohung unter Notwehrgesichtspunkten getrennt nach den einzelnen bedrohten Rechtsgütern vorzunehmen sei.16 Danach liege auch nach Ausspruch der Drohung ein Angriff auf das Vermögen vor, gegen den sich der Erpreßte aber durch einfaches Nichtbezahlen wehren könne. Bezüglich der Willensfreiheit sei dagegen kein Angriff mehr gegeben, da er mit dem Ausspruch der Drohung beendet sei. Mit diesem Zeitpunkt habe der Angreifer „seine Munition verschossen.“ Daß das Opfer getroffen sei und damit eine Dauerwirkung vorliege, mache die Erpressung nicht zu einem Dauerangriff.17 Den Grund für diese differenzierende Betrachtung sieht man darin, daß so verhindert werde, daß die Abwehr der Erpressung auf die Verhinderung des angedrohten Verhaltens, also etwa der Strafanzeige isoliert werde, ohne mit der Verteidigung der durch § 253 StGB geschützten Rechtsgüter noch etwas zu tun zu haben.18 Diese Aufspaltung der Betrachtung nach den angegangenen Rechtsgütern wird häufig als „atomisierende Betrachtungsweise“19 und „naturalistischer Standpunkt“20 kritisiert und bezüglich der Aussage, man könne sich gegen den Angriff auf das Vermögen durch schlichtes Nichtzahlen zur Wehr setzen, als „Zynismus ohne Überzeugungskraft“21 bezeichnet. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die Beeinträchtigung der Willensfreiheit das Mittel des Vermögensangriffs und daher eine einheitliche Betrachtung geboten sei, die zur Folge habe, daß auch über den Zeitpunkt der Drohungsäußerung hinaus von einem Angriff gegen die Willensfreiheit ausgegangen werden müsse.22 Diese Kritik an der Auffassung Arzts und Baumanns überzeugt jedenfalls in ihrer Allgemeinheit nicht, da der Erpressungstatbestand zwei unterschiedliche Rechtsgüter schützt und eine differenzierende Betrachtung bezüglich der angegangenen Rechtsgüter daher durchaus berechtigt erscheint. Gleichwohl mutet es merkwürdig an, daß mit dem Ausspruch der Drohung der Angriff auf die Willensfreiheit beendet sein soll, während der Angriff auf das Vermögen noch fortdauert. Wie dieses Ergebnis konstruktiv zu erzielen ist, bleibt bei genauerer Betrachtung offen. Eine durch die Drohung bewirkte und von Arzt eingeräumte „Dauerwirkung“23 kann dies jedenfalls nicht ausreichend erklären, weil nicht nachvollziehbar ist, dieser Wirkung keine Bedeutung im Hinblick auf die Willensfreiheit beizumessen, sie aber für entscheidend im Hinblick auf einen Vermögensangriff zu halten. Wenn in diesem Zusammenhang die Metapher von der 16 KG JR 81, 254; Arzt / Weber, BT, 18 / 20; Arzt, MDR 65, 344; derselbe, JZ 01, 1052 f.; derselbe, Schutz, 92; Baumann, MDR 65, 346; Tenckhoff, JR 81, 255, 256. 17 Arzt, MDR 65, 344, 345. 18 Arzt, MDR 65, 344, 345; derselbe, JZ 01, 1052, 1053 Fn. 7; Baumann, MDR 65, 346 f. 19 Suppert, Studien, 278. 20 Amelung, GA 82, 381, 385. 21 SK-Samson, 19. Lieferung, 5. Auflage (Dez. 92), § 32 Rn. 22. 22 Amelung, GA 82, 381, 384 f.; Suppert, Studien, 280. 23 Arzt, MDR 65, 344, 345.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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verschossenen Munition24 benutzt wird, so kann damit doch nur gemeint sein, daß der Angreifer mit seiner Drohung seinen Angriff geführt hat. Dies muß aber für das Vermögen wie für die Willensfreiheit in gleichem Maße gelten, was sich daran zeigt, daß ein zusätzliches Verhalten des Angreifers nicht mehr erforderlich ist, um seinen Angriff auf das Vermögen zum Erfolg zu führen. Ist die Munition in Form der Drohung also verschossen, muß dies konsequenterweise für beide anvisierten Ziele gelten, weil dem Schützen keine Kugel mehr für einen separaten Schuß auf das Ziel Vermögen zur Verfügung steht. Neben dieser Ungereimtheit bedeutet die strikte Trennung beider Rechtsgüter voneinander, daß trotz desselben Angriffsverhaltens bildlich gesprochen die beiden Angriffsstränge bei diesem Verständnis parallel nebeneinander her verlaufen müßten, ohne sich an irgendeinem Punkt zu schneiden oder sich gar zu überlagern. Dies überrascht, weil diese zusammenhanglose Parallelität von Rechtsgutsangriffen typischerweise auf das Eingreifen zweier selbständiger Tatbestände mit unterschiedlicher Schutzrichtung hindeutet. Da das Vermögen aber in keinem Tatbestand allein, sondern nur in Verbindung mit anderen Rechtsgütern geschützt wird, liegt die Annahme nahe, daß sich auch bei der erpresserischen Drohung eine solche Verbindung zwischen der Willensfreiheit und dem Vermögen findet, zumal eine solche durch die Verwendung des Wortes „durch“ in § 253 StGB zumindest angedeutet wird. Diese Ausführungen zeigen, daß das Hauptproblem bei erpresserischen Drohungen die Frage ist, ob zwischen dem Angriff auf die Willensfreiheit und dem Angriff auf das Vermögen eine Beziehung besteht, die den erpresserischen Angriff zu einem einheitlichen Gesamtvorgang werden läßt oder ob eine solche Beziehung gerade nicht besteht und damit bei der rechtlichen Bewertung einer Drohung unter Notwehraspekten nach den angegangen Rechtsgütern zu differenzieren ist. Die besondere Bedeutung dieses Problems zeigt sich daran, daß das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Beziehung Auswirkungen auf nahezu alle Notwehrmerkmale hat. Insbesondere die Bejahung der Gegenwärtigkeit des erpresserischen Angriffs nach Ausspruch der Drohung hat sich insofern bereits als schwierig erwiesen. Aber auch Fragen der erforderlichen Verteidigung hängen davon ab. Wie dargestellt wurde, soll nach der eine Differenzierung nach den angegangenen Rechtsgütern vornehmenden Ansicht allein die Nichtzahlung die zulässige Verteidigung gegen den Vermögensangriff darstellen, zumal man als Konsequenz einer Deutung des erpresserischen Angriffs als einheitlichen Vorgang fürchtet, daß der Erpreßte andere, nicht schutzwürdige Interessen verteidigen dürfe als die angegriffenen Rechtsgüter Willensfreiheit und Vermögen.

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Arzt, MDR 65, 344, 345.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

C. Das Verhältnis zwischen Willensfreiheit und Vermögen im Erpressungstatbestand Steht nach dem bisher Gesagten fest, daß die Lösung der Problematik um die erpresserische Drohung als Angriff in erster Linie von der Beziehung zwischen den Rechtsgütern Willensfreiheit und Vermögen abhängt, ist es angebracht, sich damit zu beschäftigen, welches Verhältnis der Erpressungstatbestand diesen beiden Rechtsgütern einander im Falle seiner Vollendung zuweist. Der Grund für dieses Vorgehen liegt in der tatbestandlichen Ausgestaltung des § 253 StGB. Sie verleiht der Erpressung nicht nur den Charakter eines sogenannten verhaltensgebundenen Delikts, indem sie eine ganz konkret umschriebene Tathandlung voraussetzt und damit das Angriffsverhalten selbst, nämlich Gewalt und Drohung mit einem empfindlichen Übel, zwingend vorgibt. Vielmehr legt sie nach dem zumindest insoweit eindeutigen Wortlaut auch fest, daß diese Begehungsart in einem bestimmten Zusammenhang zum tatbestandlichen Erfolg, dem vermögensschädigenden Verhalten des Erpressungsopfers stehen muß. Daß es sich bei diesem Zusammenhang um eine Kausalbeziehung zwischen der Gewalt beziehungsweise Drohung und dem vermögensschädigenden Verhalten des Erpreßten handeln muß, deutet der Gesetzeswortlaut zwar an, wenn er davon spricht, daß der Erpreßte „mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt“ werden müsse. Demgemäß wird für die Tatbestandsverwirklichung üblicherweise verlangt, daß der Vermögensnachteil durch die Nötigung verursacht werden müsse.25 Ob diese Interpretation der Beziehung zwischen der Drohung und dem Erfolg allerdings zwingend ist, wird noch zu diskutieren sein.26 Festgehalten werden kann allerdings bereits, daß der Tatbestand des § 253 StGB neben dem Angriffsmittel auch einen konkreten Zusammenhang zwischen diesem Angriffsverhalten und dem Erfolg des Vermögensschadens vorsieht. Hat man nun genaue Kenntnisse über diesen Zusammenhang zwischen der Willensfreiheit und dem Vermögen in § 253 StGB, sind Rückschlüsse auf die Drohung als erpresserischer Angriff möglich. Denn mit ihrer Hilfe lassen sich Aussagen darüber treffen, welche Anforderungen an die Drohung zu stellen sind, damit sie als Angriff die in § 253 StGB vorgesehenen Mechanismen auszulösen vermag. Im folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, die Strukturen des Erpressungstatbestandes im Hinblick auf das Verhältnis von Willensfreiheit und Vermögen herauszuarbeiten, um anschließend die gefundenen Ergebnisse für die Charakterisierung eines Angriffs durch erpresserische Drohung fruchtbar zu machen.

25 Vgl. etwa BGHSt 32, 88, 89; LK-Herdegen, § 253 Rn. 15; Lackner / Kühl, § 253 Rn. 5; Schönke / Schröder-Eser, § 253 Rn. 7. 26 Vgl. dazu sogleich.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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I. Zurechnungszusammenhang 1. Kausalität Wie bereits angedeutet wurde, sollen die Drohung und das vermögensschädigende Ereignis nach herrschender Meinung durch einen Kausalzusammenhang miteinander verbunden sein. Die Drohung soll danach also die Ursache für das Verhalten des Genötigten und letztlich für den Vermögensschaden sein. Dies läßt sich zunächst mit Hilfe des Wortlauts des § 253 StGB erklären, wie dies bereits angesprochen wurde. Das Erfordernis der Kausalität ist aber auch das Resultat eines Nötigungsverständnisses, das den durch die Drohung beim Opfer erzeugten psychischen Zwang im Vordergrund sieht. Geht man mit der herrschenden Meinung davon aus, daß unter einem empfindlichen Übel ein Nachteil zu verstehen ist, der geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen27, es sei denn, daß von diesem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält28, dann impliziert bereits diese Begriffsbestimmung eine Kausalbeziehung zwischen der Drohung und dem Erpressungserfolg. Denn die geforderte generelle Eignung der Drohung zur Beeinflussung sowie die Unzumutbarkeit des Standhaltens des konkret Genötigten zeigen, daß es gerade der durch die Drohung ausgeübte seelische Druck sein muß, der den Entschluß zu einem vermögensschädigenden Verhalten bewirkt haben muß. Daß die angesprochene Auslegung des Merkmals „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ nicht unproblematisch ist, liegt dabei allerdings auf der Hand. Begriffe wie „besonnener Mensch“ und „besonnene Selbstbehauptung“ bestechen geradezu durch ihre Unbestimmtheit und lassen damit im Rahmen der Subsumtion eines Sachverhalts bei entsprechender Argumentation Raum für jedes gewünschte Ergebnis. Dementsprechend sind zum Beispiel als empfindliche Übel anerkannt worden der Abbruch geschäftlicher Beziehungen29, die Weigerung eines Ehegatten gegenüber dem anderen, die Zustimmung zu einer notwendigen Operation des Kindes zu geben30, oder auch die Androhung öffentlicher Bloßstellungen, soweit sie zu einer Rufschädigung führen können.31 Auf der anderen Seite wurde etwa der Abbruch freundschaftlicher Beziehungen nicht für tatbestandsmäßig erachtet32, was aber bei einer „psychologischen“33 Interpretation der Nötigung nicht automa27 Schönke / Schröder-Eser, § 240 Rn. 9; Krey, BT / 1, Rn. 326; Lackner / Kühl, § 240 Rn. 13; Mitsch, BT / 2 – 1, 345; Rengier, BT / II, 23 / 44; Tröndle / Fischer, § 240 Rn. 32; Wessels / Hettinger, BT / 1, Rn. 404. 28 BGHSt 31, 195, 201; 32, 165, 174; NStZ 92, 278; OLG Karlsruhe NStZ-RR 96, 296; Wessels / Hettinger, BT / 1, Rn. 404. 29 RGSt 72, 75, 76. 30 BGH MDR / H 54, 530. 31 BGH NStZ 93, 282. 32 BGH NStZ 82, 287.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

tisch gelten muß, da gerade das Ende einer intensiven Freundschaft einen Menschen hart zu treffen und in Verzweiflung zu stürzen vermag. Gerade das letzte Beispiel führt relativ deutlich vor Augen, welche Unsicherheiten mit der herkömmlichen Nötigungsinterpretation verbunden sind und welche Vorteile eine Konzeption bieten könnte, die in der Lage ist, widerspruchsfrei klare Parameter zur Bestimmung eines empfindlichen Übels zu liefern.

2. Zurechnung kraft Verantwortlichkeit für eine Notstandssituation Eine insbesondere auch für den Zurechnungszusammenhang zwischen Drohung und Erfolg relevante denkbare Möglichkeit, diese Probleme zu lösen, hat neuerdings Kindhäuser aufgezeigt. Sein Lösungsansatz basiert auf der Annahme einer Parallelität zwischen der Situation, in der sich der Erpreßte befindet, und der, die die §§ 34, 35, 157 StGB umschreiben. Er stellt fest, daß die Notstandslagen der genannten Vorschriften dadurch gekennzeichnet seien, daß im Einzelfall der Nachweis psychischen Drucks von bestimmter Intensität gerade nicht verlangt werde, wenngleich auch typischerweise ein solcher gegeben sei, und dennoch die strafrechtliche Verantwortung vom Notstandstäter genommen werde.34 Wenn Kindhäuser in diesem Zusammenhang von vertypten Zwangslagen spricht, so hebt er damit hervor, daß der Gesetzgeber durch diese Vorschriften ein bestimmtes Emotionsniveau vor Augen, in Rechtsform gegossen und damit objektiviert hat und hierdurch für genau beschriebene Situationen gleichsam eine unwiderlegliche Vermutung für eine von Verantwortung entlastende psychische Ausnahmelage aufgestellt hat.35 Um nun auf emotionale Gegebenheiten des Erpreßten verzichten zu können, macht sich Kindhäuser diese „Vermutung“ zunutze und deutet die Nötigung beziehungsweise Erpressung ebenfalls als eine vertypte Zwangslage. Er überträgt die Charakteristika des Notstandes auf die §§ 240, 253 StGB, soweit dies möglich ist, und versteht damit unter einer Drohung mit einem empfindlichen Übel die Ankündigung eines nachteiligen Eingriffs in die notstandsfähigen Güter einer Person.36 Mit dieser Übertragung von Notstandsgesichtspunkten auf den Nötigungs- und Erpressungstatbestand läßt sich eine an rechtlichen Kategorien orientierte Tatbestandsinterpretation vornehmen, die von der Opferpsyche abstrahiert und damit das Problem der Feststellung eines bestimmten Zwangsniveaus umgeht. In der Konsequenz werden die Abwehrmaßnahmen des Erpreßten damit nicht seiner 33 Den Begriff „psychologisch“ benutzt NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 35; § 253 Rn. 10 zur Charakterisierung der herrschenden Meinung. Dieser Begriff paßt, weil hiermit treffend zum Ausdruck gebracht wird, daß es der herrschenden Meinung darum geht, daß der Erpresser auf die Psyche des Opfers einwirkt, um es nach seinem Willen zu lenken. 34 NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 7; derselbe, BT / 2, 12 / 15. 35 Vgl. hierzu auch Herzberg, Täterschaft, 12 ff.; Roxin, Täterschaft, 144 ff. 36 NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 34; § 253 Rn. 9; derselbe, BT / 2, 12 / 32.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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Willkür, sondern der von Verantwortung entlastenden Situation zugeschrieben mit der Folge, daß der die Situation Herbeiführende und nicht der sie Abwendende für die Maßnahmen verantwortlich ist.37 Der Erpresser wird insofern durch den Einsatz des Nötigungsmittels zum „mittelbaren Täter“ des vom Erpreßten als Tatmittler vollzogenen Verhaltens.38

3. (Vermeintliche) Unterschiede Im Hinblick auf den Zurechnungszusammenhang zwischen der Nötigung, dem abgenötigten Verhalten des Opfers und dem Eintritt des Vermögensschadens bedeutet dieses Konzept nach Ansicht Kindhäusers, daß es keiner Kausalität zwischen ihnen bedürfe. Vielmehr komme es allein auf die Verantwortlichkeit des Täters für die Abwendung des Drohungsübels zugunsten des Gefährdeten an.39 Die Unterschiede zu der einen Bedingungszusammenhang verlangenden herrschen Meinung zeigen sich nach Kindhäuser vor allem im Bereich von Mehrpersonenverhältnissen, bei denen eine (vollendete) Erpressung nach herrschender Meinung zu verneinen sei, wenn der Genötigte nicht um der Abwehr der Gefahr willen handele. Dieses Ergebnis ist seiner Konzeption nach nicht haltbar, weil Motive und Absichten wie sonst auch in Notstandslagen keine Rolle spielen. Für ihn ist die Bejahung einer Erpressung daher auch in solchen Konstellationen denkbar, in denen der Erpreßte nicht zur Gefahrenabwehr handelt, solange der Erpresser nur hierfür im dargestellten Sinne verantwortlich ist.40 Bei einem Banküberfall beispielsweise begeht der Täter, der einen Kunden mit seiner Pistole bedroht, nach Kindhäuser also eine vollendete schwere räuberische Erpressung, wenn der Bankangestellte ihm das vorhandene Bargeld übergibt, wobei ihm das Schicksal des Kunden völlig egal ist und es ihm allein darum geht, daß er endlich die Gelegenheit hat, sich bei seinem Arbeitgeber dafür zu rächen, daß ihm die erhoffte Gehaltserhöhung nicht gewährt wurde.41 Da der Angestellte sich im Hinblick auf den bewirkten Vermögensschaden auf seiten der Bank in einem rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB befinde, sei das vermögensschädigende Verhalten allein dem Täter zuzurechnen und damit §§ 253, 255, 250 StGB zu bejahen. Daß der Grund für das Verhalten des Angestellten gar nicht die Drohung, das Opfer zu erschießen, war, sondern die willkommene Gelegenheit zur Schädigung des Arbeitgebers, ist nicht von Belang. Die ausschließliche Ausrichtung der Konzeption Kindhäusers auf rechtliche Kategorien läßt sein Bemühen deutlich werden, die oben angesprochenen Probleme 37 38 39 40 41

NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 7; derselbe, BT / 2, 12 / 15. NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 4; § 253 Rn. 19. NK-Kindhäuser, § 253 Rn. 37; derselbe, BT / 2, 17 / 29. Vgl. NK-Kindhäuser, § 253 Rn. 37; derselbe, BT / 2, 17 / 29. Vgl. NK-Kindhäuser, § 253 Rn. 19.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

der herrschenden Meinung im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit ihrer Ergebnisse im Einzelfall zu lösen. Darüber hinaus soll sie zu einer Eingrenzung der tatbestandsrelevanten Drohungen führen42, die grundsätzlich wegen der daraus resultierenden größeren Klarheit der Tatbestände der §§ 240, 253 StGB zu begrüßen wäre. Allerdings darf berechtigterweise daran gezweifelt werden, daß das dargestellte Konzept diese Eingrenzung wirklich zu leisten vermag. Der Grund für diese Zweifel stellt die Bezugnahme auf die notstandsfähigen Güter dar, die eigentlich die Begrenzung bewirken soll.43 Der Begriff des Rechtsguts ließe sich allerdings allenfalls wegen des Hinweises auf Leben, Leib, Freiheit, Ehre und Eigentum in § 34 S. 1 StGB eng und zwar in dem Sinne deuten, daß das Gesetz hiermit nur (Individual-)Rechtsgüter des Strafrechts meint. Zu Recht wird dies jedoch einhellig mit der Begründung abgelehnt, daß die Aufzählung lediglich der besseren Veranschaulichung diene und daher nur exemplarischen Charakter habe.44 Infolgedessen legt man bei der Auslegung des Begriffs des Rechtsguts ein weites Verständnis zugrunde und verlangt lediglich, daß das Rettungsgut überhaupt unter dem Schutz der Rechtsordnung steht, welches Teilgebiet auch immer den Schutz gewährt.45 So ist etwa das Vermögen als Rechtsgut anerkannt worden46, das durch Art. 6 I EMRK geschützte Recht des Angeklagten auf ein dem Gesetz entsprechendes und faires Verfahren47 sowie mit dem Hinweis auf § 12 SonderurlaubsVO der Wunsch, am Sterbebett der Mutter zu sein.48 Ein letztes und für die Verdeutlichung der Weite des Begriffs des Rechtsguts im Sinne des § 34 StGB sehr So ausdrücklich NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 35; derselbe, BT / 2, 12 / 32. Vgl. die Fn. zuvor. 44 Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 51; Tröndle / Fischer, § 34 Rn. 3; Freund, AT, 9 / 49; Gropp, AT, 6 / 120; Kühl, AT, 8 / 22; LK-Hirsch, § 34 Rn. 22; Lackner / Kühl, § 34 Rn. 4; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 9; NK-Neumann, § 34 Rn. 22; Roxin, AT / I, 16 / 9; Stratenwerth, AT / I, 9 / 97. A.A. hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit von Rechtsgütern der Allgemeinheit SK-Günther, § 34 Rn. 23; zweifelnd wegen des Wortlauts, aber im Ergebnis wie die herrschende Meinung Keller, Grenzen, 279 ff. 45 Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 51; Kühl, AT, 8 / 21; LK-Hirsch, § 34 Rn. 22; Lackner / Kühl, § 34 Rn. 4; NK-Neumann, § 34 Rn. 23; Stratenwerth, AT / I, 9 / 97. 46 BGH NJW 76, 680 f.; Kühl, AT, 8 / 23; differenzierend NK-Neumann, § 34 Rn. 27 f. 47 OLG Frankfurt, NJW 79, 1172. 48 Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 9 wenden sich mit dem Hinweis auf die SonderurlaubsVO gegen einen Beschluß des OLG Köln, VRS 59, 438. Dort wurde in dem Ansinnen des Täters kein notstandsfähiges Rechtsgut gesehen, wobei § 12 II SonderurlaubsVO in der damals geltenden Fassung in den Gründen allerdings keine Erwähnung fand. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß es höchst zweifelhaft ist, ob gerade die Mutter des Täters im Sterben lag. Das Gericht spricht nämlich davon, daß es der Wunsch seiner Tanten gewesen sei, ihre Schwester noch einmal lebend wiederzusehen. Die Sterbende war demnach sehr wahrscheinlich ebenfalls eine Tante des Täters, was vielleicht der Grund für das Gericht war, nicht auf die SonderurlaubsVO einzugehen. Rechtlich wäre dies dennoch erforderlich gewesen, da § 12 II SonderurlaubsVO in der Fassung vom 18. 08. 1965, BGBl. I, 902, den Tod naher Angehöriger grundsätzlich als Grund für die Gewährung von Sonderurlaub anerkennt und somit auch dieses Interesse in der Rechtsordnung Berücksichtigung findet. 42 43

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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aussagekräftiges Beispiel ist die Anerkennung des Interesses an der Erhaltung der Arbeitsplätze in einem Betrieb.49 An diesem Beispiel ist allerdings weniger die Tatsache der Anerkennung des Arbeitsplatzes als notstandsfähiges Gut von Bedeutung, sondern vielmehr ihre Begründung. Der Rechtsgutscharakter des Arbeitsplatzes wird dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes entnommen.50 Dies ist vom Ausgangspunkt der Überlegungen her konsequent, da selbstverständlich auch die Verfassung ein Teil unserer Rechtsordnung ist und den verschiedensten Positionen Schutz gewährt. Die Folge dieser Ausdehnung der Schutz gewährenden Regelungen auf solche des GG ist allerdings, daß damit der Begriff des Rechtsguts im Sinne des § 34 StGB vollends aufgeweicht wird und „es kaum ein legitimes Interesse geben dürfte, das nicht den Status eines notstandsfähigen Rechtsguts beanspruchen könnte.“51 Denn in einem freiheitlichen Rechtsstaat wird es nahezu keine Position geben, die sich nicht in einem der verfassungsrechtlichen Grundprinzipien oder sogar in einem Grundrecht wiederfinden läßt. Aus diesem Grund führt eine Interpretation des Übels unter Bezugnahme auf Parallelen zu den Notstandsvorschriften nicht zu einer restriktiveren Tatbestandsauslegung, sondern dürfte bei konsequenter Anwendung wegen des heutigen Standes der Diskussion um den Begriff des Rechtsguts in § 34 StGB zu letztlich denselben Ergebnissen führen wie die herrschende Meinung. Dies zeigt etwa die Bejahung eines empfindlichen Übels durch Kindhäuser bei Drohung mit einer Strafanzeige oder der Information des betrogenen Ehegatten über einen Ehebruch.52 Im ersten Fall soll das Übel die Durchführung des Strafverfahrens samt Strafvollstrekkung sein.53 Der Täter droht hier also mit einer Beeinträchtigung des Vermögens, geschützt etwa durch § 263 StGB, beziehungsweise der Freiheit, geschützt durch § 239 StGB oder auch Art. 2 II 2 GG. Im zweiten Beispiel kommt als beeinträchtigtes Rechtsgut neben der Ehre auch die durch Art. 6 GG geschützte Ehe in Betracht. Der Vorteil einer Eingrenzung der Tatbestände der §§ 240, 253 StGB ist damit lediglich ein vermeintlicher.

4. Zurechnungszusammenhang und Wortlautauslegung Kindhäusers Konzeption allein deswegen ablehnen zu wollen, würde allerdings zu weit gehen. Denn die aus ihr folgende Konsequenz soll die Entbehrlichkeit ei49 BGH MDR / D 75, 723; OLG Oldenburg NJW 78, 1869; Kühl, AT, 8 / 28; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 9. 50 Kühl, AT, 8 / 28; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 9. 51 NK-Neumann, § 34 Rn. 24, der in der weiten Auslegung eine Umstrukturierung des Instituts des rechtfertigenden Notstandes zu einem allgemeinen Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen sieht. 52 NK-Kindhäuser, § 253 Rn. 71; derselbe, BT / 2, 17 / 53, 62. 53 Kindhäuser, BT / 2, 12 / 11.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

nes Kausalzusammenhangs zwischen der Drohung und dem vermögensschädigenden Verhalten sein; auch hierin ist ein positiver Aspekt zu sehen, sollte sich diese Folge als richtig erweisen und keinen erheblichen Bedenken unterliegen. Der Vorteil der Entbehrlichkeit wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, vor welche Probleme sich die herrschende Meinung gestellt sieht, wenn sie die Kausalität zwischen Drohung und Opferverhalten als notwendige Voraussetzung ansieht. Es ist nämlich im Einzelfall äußerst schwierig, Aussagen darüber zu treffen, wann diese vom Tatbestand verlangte Kausalität zwischen der Drohung und dem Entschluß, der dem vermögensschädigenden Verhalten zugrunde liegt, gegeben ist und wie dies festgestellt werden kann, um mit der erforderlichen Gewißheit sagen zu können, daß eine konkrete Drohung zu einem konkreten Entschluß geführt hat. Man mag sich fragen, wieso das Bestehen der Kausalität zwischen der Drohung und dem Entschluß, ein vermögensschädigendes Verhalten vorzunehmen, und ihre Feststellung problematisch sein soll. Denn aus welchem Grund sollte der Erpreßte dem Willen des Erpressers sonst nachgeben, wenn nicht wegen der vorausgegangenen Drohung? Bereits das oben geschilderte Beispiel des Banküberfalls hat allerdings gezeigt, daß diese Frage nicht immer einfach zu beantworten ist. Denn die herrschende Meinung hat hier zu klären, ob tatsächlich die Drohung der Grund für die Geldzahlung war oder ob es nicht vielmehr andere Gründe wie die Rachegelüste eines enttäuschten Angestellten waren, die zu dem Entschluß, das Geld zu übergeben, führten. Nach Kindhäuser komme es hierauf dagegen nicht an, weil die Zurechnung des vermögensschädigenden Verhaltens schon aus der Schaffung einer Situation der oben beschriebenen Qualität resultiere. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Wortlaut des § 253 StGB das Erfordernis eines Bedingungszusammenhangs zwischen der Drohung und dem abgenötigten Verhalten nahelegt. Wenn der Tatbestand davon spricht, daß das Opfer „durch“ die Drohung zu einem Verhalten genötigt worden sein muß, so liegt es nahe anzunehmen, daß es die Drohung sein muß, die als Grund für das vermögensschädigende Verhalten dasselbe bewirkt hat. Dies bedeutet weiter, daß der Genötigte gerade zum Zwecke der Abwendung des angedrohten Übels gehandelt haben muß. Die Überzeugungskraft dieses Wortlautarguments vermag jedoch vom Standpunkt einer die Parallelität zwischen dem Notstand, wie ihn die §§ 34, 35, 157 StGB umschreiben, und der Situation eines Genötigten beziehungsweise Erpreßten betonenden Ansicht bezweifelt werden. Denn da auch die Opferlage bei der Nötigung und Erpressung als eine Notstandslage angesehen wird, erscheint es denkbar, Erkenntnisse des Notstandsrechts auf die §§ 240, 253 StGB zu übertragen. Insofern könnte es eine wichtige Rolle spielen, daß beispielsweise § 34 StGB eine dem § 253 StGB ähnliche, das Rettungsmotiv hervorhebende Formulierung enthält, wenn es dort heißt, daß nicht rechtswidrig handelt, „wer . . . eine Tat begeht, um die Gefahr . . . abzuwenden.“ Trotz dieser subjektiv klingenden Tatbestandsfassung wird daraus heute in immer stärkerem Maße nicht der Schluß gezogen, der Notstandstäter müsse gerade zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig wer-

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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den. Vielmehr soll die Kenntnis von der Rechtfertigungslage ausreichen.54 Bei der Abwehr einer Notstandslage im Sinne des § 34 StGB wird damit gerade keine Rettungsmotivation verlangt, ein Gedanke, der entsprechend herangezogen werden könnte, wenn man auch die Situation eines Erpressungsopfers als Notstandslage ansieht. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, was letztlich der Grund dafür ist, trotz des scheinbar eindeutigen Wortlautes des § 34 StGB – gleiches findet sich übrigens auch bei anderen Rechtfertigungsgründen – in dem „um-zu-Satz“ nicht die Umschreibung eines Motivs des Handelnden zu sehen, sondern eine Eigenschaft der objektiven Verteidigungshandlung.55 Es geht im Kern darum, daß der Notstandstäter durch seine (vorsätzliche) Tat zunächst das Unrecht eines Tatbestandes verwirklicht, indem sein Verhalten den Erfolgsunwert als die objektive und den Handlungsunwert als die personale Seite des Unrechts ausfüllt. Liegen die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes vor, heben sich nunmehr der Erfolgsunwert und der in der objektiv gegebenen Rechtfertigung zum Ausdruck kommende Erfolgswert gegenseitig auf. In gleicher Weise muß für eine Rechtfertigung auch der Handlungsunwert kompensiert werden.56 Hierfür ist nun aber nicht erforderlich, daß der den Tatbestand mit dolus directus 1. Grades verwirklichende Notstandstäter ebenfalls gerade mit dem Ziel der Gefahrenabwehr handeln muß, selbst wenn das nach dem skizzierten Saldierungsmodell notwendig erscheint. Die Kenntnis von der Rechtfertigungslage muß zur Kompensation des Handlungsunwertes ausreichen, da man anderenfalls die innere Einstellung des Täters zu seinem einen rechtmäßigen Zustand herbeiführenden Verhalten und damit Gesinnung strafrechtlich bewerten und sich damit zu dem verfassungsrechtlich verankerten Tatschulprinzip in Widerspruch setzen würde.57 Der Grund dafür, daß entgegen dem scheinbar klaren Wortlaut bei den Rechtfertigungsgründen nicht verlangt wird, daß die Handlung des Notstandstäters durch den Willen zur Gefahrenabwehr motiviert ist, findet sich demnach in der Unrechtslehre. Es geht vereinfacht gesagt um die Kompensation von Unrecht unter Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Aspekts unzulässigen Gesinnungsstrafrechts. Damit zeigt sich aber ein entscheidender Unterschied zwischen der Abwehrmaßnahme in den Fällen des Notstandes nach den §§ 34, 35 StGB und dem abgenötigten Verhalten nach den §§ 240, 253 StGB. Der Genötigte, der dem Willen des 54 Frisch, FS-Lackner, 113, 136; Gallas, FS-Bockelmann, 176 Fn. 56, 178 Fn. 159; Lackner / Kühl, § 34 Rn. 5; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 48; Loos, FS-Oehler, 227, 235 f.; NK-Neumann, § 34 Rn. 106; Puppe, AT / 1, 26 / 4 f.; Roxin, AT / I, 14 / 97, 16 / 91; Rudolphi, FS-Maurach, 51, 57; Stratenwerth, AT / I, 9 / 143 f.; a.A. Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 84; Tröndle / Fischer, § 34 Rn. 18; Jescheck / Weigend, AT, 328. 55 Vgl. die Formulierung bei Loos, FS-Oehler, 227, 235 f. 56 Vgl. SK-Günther, Vor § 32 Rn. 87; Puppe, AT / 1, 25 / 4 f.; Roxin, AT / I, 14 / 94; Wessels / Beulke, AT, Rn. 277. 57 Jakobs, AT, 11 / 20; NK-Neumann, § 34 Rn. 108; Puppe, AT / 1, 26 / 4 f.; Roxin, AT / I, 14 / 96; Stratenwerth, AT / I, 9 / 143.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

Täters durch Vornahme des begehrten Verhaltens nachgibt, muß durch dieses Verhalten nicht zwangsläufig das Unrecht eines Straftatbestandes verwirklichen. Ebensowenig muß das vermögensschädigende Verhalten des Erpreßten strafbares Unrecht darstellen. Dies ist zwar nicht undenkbar, ist aber jedenfalls kein zwingendes Charakteristikum wie bei einer Rettungshandlung im Sinne des Notstandes. Es läßt sich also sagen, daß die Erwägungen, die bei Notstandstaten im Sinne der §§ 34, 35 StGB dazu führen, daß bloße Kenntnis des Täters von der Notstandslage für ausreichend gehalten wird, auf das Verhalten eines im Sinne der §§ 240, 253 StGB Genötigten nicht übertragen werden können, weil sich bei diesem das Problem einer Saldierung von Erfolgswert und -unwert sowie Handlungswert und -unwert gar nicht stellt. Insofern besteht ein nicht unerheblicher Unterschied zwischen einem Verhalten, das in einer Notstandssituation vorgenommen wird, wie sie die §§ 34, 35 StGB betreffen, und einem Verhalten, das in einer Nötigungs- oder Erpressungslage erfolgt. Obwohl also die §§ 34, 35, 157 StGB und der Nötigungs- beziehungsweise Erpressungstatbestand in ihren Formulierungen die Kausalität der besonderen Situation für ein bestimmtes Verhalten nahe legen, ist eine differenzierte Betrachtung wegen dieses Unterschiedes durchaus angemessen. Damit hat sich aber auch herausgestellt, daß Gesichtspunkte der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen nicht ohne weiteres auf das Verhalten eines Nötigungs- oder Erpressungsopfers übertragen werden können. Trotz ähnlicher Formulierung im Hinblick auf einen Kausalzusammenhang zwischen der besonderen Situation des Notstandstäters beziehungsweise Genötigten für deren Abwehrverhalten ist eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung durchaus angebracht. In der Konsequenz steht damit aber auch fest, daß der Wortlaut der §§ 240, 253 StGB ernst zu nehmen und nicht ausgeschlossen ist, daß er das Erfordernis der Kausalität zwischen der Drohung und dem vermögensschädigenden Verhalten normiert. Betrachtet man den Wortlaut der §§ 34, 35, 157, 240, 253 StGB, läßt sich auch eine andere, grundlegende These der die Parallelität betonenden Konzeption anzweifeln, nämlich die Parallelität der Notstandslagen zu der Situation des Nötigungsopfers selbst. Kindhäuser versteht die Lage, in die der Nötigende sein Opfer durch die Drohung bringt, als vertypte Zwangslage im Sinne der Notstandsregeln und zieht hieraus den Schluß, daß es sich bei dem angedrohten empfindlichen Übel um die Beeinträchtigung von Rechtsgütern des Opfers handeln müsse.58 Während die §§ 34, 35 StGB die Rechtsgüter, deren Bedrohung unter weiteren Voraussetzungen Rechtsfolgen auslösen kann, allerdings abschließend aufzählen und § 34 StGB sogar ausdrücklich von einer Gefahr für ein „Rechtsgut“ spricht, findet sich Vergleichbares in den Formulierungen der §§ 240, 253 StGB dagegen nicht. Vielmehr verwendet der Gesetzgeber hier gänzlich andere Begrifflichkeiten als bei den Notstandsregelungen. Diese Unterschiede in der Formulierung legen Unterschiede im Bedeutungsgehalt nahe. Dies ließe sich allenfalls damit bestreiten, daß man un58

Vgl. oben § 2 C. I. 2.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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ter einer „Drohung mit einem Übel“ die weiteste Fassung innerhalb des StGB versteht, mit der eine Gefährdung von Rechtsgütern umschrieben wird, daß die Fassungen der Notstandsregelungen demnach spezieller sind. Ein Blick auf § 34 StGB zeigt aber, daß eine solche Argumentation nicht überzeugen kann. Dort werden neben Gefahren für Leben, Leib, Freiheit, Ehre und Eigentum auch Gefahren für „andere Rechtsgüter“ erfaßt. Damit aber sind Rechtsgüter aller Art gemeint.59 Die Annahme, im Nötigungs- beziehungsweise Erpressungstatbestand finde sich eine noch weitergehende Formulierung, ist demnach nicht plausibel. Es bleibt damit fraglich, warum der Gesetzgeber unterschiedliche Begrifflichkeiten verwenden, mit ihnen allerdings dasselbe meinen sollte.

5. Zurechnungszusammenhang und Unrechtsgehalt der Erpressung Es hat sich damit gezeigt, daß der Wortlaut der §§ 240, 253 StGB für das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Drohung und dem tatbestandlichen Erfolg spricht. Die These, ein solcher Zusammenhang müsse nicht notwendig gegeben sein, ist damit zweifelhaft. In ihrer Allgemeinheit ist sie selbst unter Berücksichtigung ihrer eigenen Grundlagen auch nicht richtig. Denn in gewissem Umfang setzt die Vollendung der Nötigung und der Erpressung immer eine Kausalbeziehung voraus. Dies folgt aus dem allgemein anerkannten60 Umstand, daß die Drohung von ihrem Adressaten als Übelsankündigung verstanden und ernstgenommen werden muß. Wenn das Opfer die Drohung demnach verstanden haben muß, so ist damit nicht nur das Verständnis des Sinngehalts einer (ausdrücklichen oder konkludenten) Äußerung des Täters gemeint. Vielmehr geht es dabei vor allem auch um das Verständnis im Sinne von Kenntniserlangung. Denn ohne die akustische oder optische Wahrnehmung der Drohung kann das Opfer sie nicht ernstnehmen. Hat das Opfer eine Drohung aber sensuell wahrgenommen, so muß es die Kenntnis von ihr aus irgendeiner Quelle erlangt haben. Und damit ist jeder, der dazu beigetragen hat, daß das Opfer von der Drohung weiß, für dieses Wissen kausal.61 In diesem Umfang der sinnlichen Wahrnehmung der Drohung muß der Täter also kausal geworden sein, um von einer Tatbestandsverwirklichung ausgehen zu können. Offen bleibt damit allein die Frage, ob die Tatbestände der Nötigung und Erpressung verlangen, daß sich das Opfer gerade wegen des ihm in Aussicht gestellten Übels in der vom Täter begehrten Weise verhalten hat oder ob es hierauf tatsächlich nicht ankommen kann. 59 Vgl. Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 51; Tröndle / Fischer, § 34 Rn. 3; LK-Hirsch, § 34 Rn. 22; Lackner / Kühl, § 34 Rn. 4; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 9; Stratenwerth, AT / I, 9 / 97. 60 Schönke / Schröder-Eser, Vorbem §§ 234 ff. Rn. 32 f.; Tröndle / Fischer, § 240 Rn. 31; Kindhäuser, BT / 2, 12 / 30; Lackner / Kühl, § 240 Rn. 12; LK-Träger / Altvater, § 240 Rn. 56. 61 Vgl. NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 113; Schulz, FS-Lackner, 39, 46.

3 Seesko

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

Die Erpressung ist nach heute allgemeiner Meinung ein Delikt gegen das Vermögen des Opfers, aber auch gegen seine Entscheidungsfreiheit.62 Dies folgt aus der Tatbestandsfassung des § 253 StGB, nach der hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß das Opfer mit Hilfe von Gewalt oder einer Drohung zu einem Verhalten veranlaßt werden soll, das es eigentlich nicht vornehmen will.63 Mit diesen Grundlagen muß die Konzeption Kindhäusers, die den gerade gebrauchten Begriff des Veranlassens bereits dann als erfüllt ansieht, wenn der Täter sein Opfer in eine Situation bestimmter Qualität gebracht hat, und damit dieser Situation den Vorrang vor psychischen Befindlichkeiten einräumt, kompatibel sein; dies gilt insbesondere deshalb, weil sie sie selber als Grundlage akzeptiert.64 Ob man allerdings bereits von einer vollendeten Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit sprechen kann, wenn der Genötigte lediglich in Kenntnis und nicht erst aufgrund einer Gefahr für Rechtsgüter diese durch sein Verhalten abwendet, ist zweifelhaft. Dies ließe sich zwar mit dem bereits angesprochenen Argument bejahen, daß der Gesetzgeber mit den Notstandsregelungen ein bestimmtes Niveau psychischen Zwanges in Gesetzesform gegossen habe und sich dies auf die Tatbestände der Nötigung und der Erpressung übertragen lasse. Auf die damit allerdings verbundenen Probleme im Hinblick auf den Wortlaut der §§ 34, 35, 240, 253 StGB wurde bereits hingewiesen. Entscheidend aber dürfte ein Gesichtspunkt sein, der in dem oben bemühten Banküberfallbeispiel deutlich wird. In diesem Fall hatte der Kassierer einer Bank dem Täter das Geld nicht gegeben, um den Kunden vor dem Tod zu retten, sondern um sich an seinem Arbeitgeber zu rächen. Die Drohung, den Kunden zu töten, war ihm demnach völlig gleichgültig. Verzichtet man in diesem Fall auf das Erfordernis der Kausalität zwischen der Drohung und dem vermögensschädigenden Verhalten und bestraft gleichwohl wegen (räuberischer) Erpressung65, setzt man sich über den Charakter der §§ 240, 253 StGB als Delikte gegen die Entscheidungsfreiheit hinweg. Man läßt dann nämlich unberücksichtigt, daß sich der Erpreßte trotz Drohung gar nicht in dem für die Erpressung typischen Entscheidungsnotstand, zwischen der Realisierung des angekündigten Übels und dem vermögensschädigenden Verhalten wählen zu müssen, befindet. Denn bei den Überlegungen im Hinblick auf seine Reaktion bezieht er die mögliche Realisierung des angekündigten Übels durch den Erpresser gar nicht mit ein. Die Bedeutung der Drohung reduziert sich damit für den Genötigten auf eine ihm willkommene Gelegenheit, einen anderen zu schädigen, ohne selbst dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. 62 BGHSt 1, 13, 20; 19, 342, 343; Schönke / Schröder-Eser, § 253 Rn. 1; NK-Kindhäuser, § 253 Rn. 3; Lackner / Kühl, § 253 Rn. 1. 63 Vgl. Schönke / Schröder-Eser, § 253 Rn. 1; NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 4; derselbe, BT / 2, 12 / 6; Lackner / Kühl, § 253 Rn. 1. 64 Vgl. die Fußnote zuvor. 65 So NK-Kindhäuser, § 253 Rn. 19.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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Deutlich wird in diesem Zusammenhang insbesondere, daß die Annahme, die Drohung mit der Beeinträchtigung von Rechtsgütern schaffe eine Situation, die als solche bereits das Verhalten des Erpreßten erklären könne66, im Hinblick auf die Nötigung beziehungsweise Erpressung äußerst problematisch ist. Denn es zeigt sich, daß nicht jede Ankündigung der Beeinträchtigung von Rechtsgütern zwangsläufig eine die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigende psychische Zwangswirkung mit sich bringt. In der Nötigung und Erpressung kann daher entgegen Kindhäuser auch keine vertypte Zwangslage gesehen werden. Denn das Aufstellen von Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die rechtliche Relevanz eines Zwangsniveaus zweifelsfrei bejaht werden können soll, ist überhaupt erst dann möglich, wenn eine Zwangswirkung tatsächlich gegeben ist, was allerdings, wie gesehen, nicht selbstverständlich der Fall sein muß. Wenn man also meint, das Opferverhalten allein auf eine zuvor durch den Erpresser herbeigeführte Situation bestimmter Qualität zurückführen zu können, läuft man Gefahr, das durch die Erpressung sanktionierte Unrecht, die unzulässige Einwirkung auf die personale Selbstbestimmung, aus den Augen zu verlieren und im Hinblick auf die Erpressung irrelevante Gesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen. Diese Überlegungen sind auf Zweipersonenverhältnisse zu übertragen. Dies zeigt ein anderes Beispiel: Die Großmutter eines Drogenkranken wird von diesem mit der Androhung von Gewalt dazu genötigt, ihm aus ihrem versteckten Bargeld 100 Euro für den Erwerb von Drogen zu übergeben, was sie auch tut. Vor Gericht sagt sie wahrheitsgemäß aus, sie hätte ihrem Enkel auch ohne dessen Drohung das Geld aus Mitleid und Zuneigung gegeben. Auch hier bedroht der Enkel seine Großmutter zwar mit der Beeinträchtigung ihrer Rechtsgüter. Seine „Zuständigkeit“ für die Hingabe des Geldes beschränkt sich jedoch auf die Herbeiführung einer Gelegenheit, ihm etwas Gutes tun zu können. Insofern unterscheidet sich dieser Fall zumindest bezüglich des Eingriffs in die Entscheidungsfreiheit objektiv nicht von einem, in dem der Enkel seine Großmutter nett um finanzielle Hilfe gebeten hat. Dem Umstand, daß sich der Enkel der Drohung in der Absicht bedient hat, sie in einen Entscheidungsnotstand zu versetzen, wird durch die Versuchsstrafbarkeit ausreichend Rechnung getragen.

6. Ergebnis Es hat sich damit gezeigt, daß der Zurechnungszusammenhang zwischen der Drohung und dem vermögensschädigenden Verhalten nicht lediglich darin bestehen kann, daß der Täter eine dem Notstand der §§ 34, 35 StGB vergleichbare Situation schafft, auf die dann das Opferverhalten regelmäßig zurückgeführt werden kann. Diese Annahme wird weder vom Wortlaut der §§ 240, 253 StGB gestützt noch dem durch diese Vorschriften sanktionierten Unrecht gerecht. Dementspre66

3*

NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 7.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

chend ist vielmehr zu verlangen, daß zwischen der Drohung und dem Verhalten des Opfers ein Kausalzusammenhang bestehen muß.

II. Drohung, vermögensschädigendes Verhalten und psychische Kausalität Damit steht fest, daß gerade die Drohung und die damit einhergehende Beeinträchtigung der Willensfreiheit die Ursache für das vermögensschädigende Verhalten des Erpreßten sein muß. Doch diese Erkenntnis hilft bei der genauen Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Willensfreiheit und Vermögen nur bedingt weiter. In den beiden oben angesprochenen Beispielsfällen wurde ohne weiteres die Kausalität der Drohung verneint und Rache beziehungsweise verwandtschaftliche emotionale Verbundenheit als Ursache für die Vermögensverschiebung angenommen. Dies anzunehmen war dort möglich, weil es um das grundsätzliche Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Drohung und dem Vermögensschaden ging. Im Normalfall ist aber erst zu klären, ob diese vom Tatbestand verlangte Kausalität zwischen der Drohung und dem Entschluß, der dem vermögensschädigenden Verhalten zugrunde liegt, gegeben ist. Dies wiederum setzt voraus, daß man weiß, wie diese Kausalität festgestellt werden kann. Erst dann kann nämlich mit der erforderlichen Gewißheit gesagt werden, daß eine konkrete Drohung zu einem konkreten Entschluß geführt hat. Bei den angesprochenen Schwierigkeiten der Kausalitätsfeststellung handelt es sich allerdings nicht um erpressungs- beziehungsweise nötigungsspezifische Probleme. Vielmehr tauchen sie stets dann auf, wenn es um die Zurechnung von Erfolgen kraft psychisch vermittelter Beeinflussung anderer Personen geht, wie dies zum Beispiel bei der Anstiftung67 und dem Betrug68 auch der Fall ist. Die Frage, die sich stellt, ist immer, woraus die Erkenntnis eigentlich folgt, daß gerade das Verhalten des Täters den Entschluß des Opfers verursacht hat und nicht ein anderer Umstand. Entgegen einer häufig anzutreffenden Ansicht69 läßt sich dies jedenfalls nicht über die Grundsätze, die zur Feststellung der Kausalität eines Verhaltens für eine Veränderung in der Außenwelt herangezogen werden, erklären.70

Vgl. hierzu Puppe, GA 84, 101, 103 ff. Vgl. etwa BGHSt 13, 13; hierzu Puppe, Jura 97, 408, 411; dieselbe, Erfolgszurechnung, 57 ff.; Roxin, AT / I, 11 / 31. 69 Charalambakis, FS-Roxin, 625, 634; Engisch, Kausalität, 28; Dencker, Kausalität, 31 ff.; Frisch, Verhalten, 521 Fn. 49; Jakobs, AT, 7 / 27 mit Fn. 35a; Roxin, AT / I, 11 / 30 f. 70 BGHSt 13, 13, 15; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 75; Osnabrügge, Beihilfe, 163 ff.; Otto, AT, 6 / 37; NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 111; dieselbe, GA 84, 101, 105. 67 68

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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1. Die Geltung von Kausalgesetzen im Bereich der menschlichen Psyche Ob eine Veränderung in der Außenwelt auf einer ganz bestimmten Ursache beruht oder nicht, wird heute üblicherweise mit Hilfe entweder bekannter oder als gegeben vorausgesetzter Kausalgesetze ermittelt.71 Es handelt sich hierbei um abstrakte Regeln, nach denen bestimmte Arten von Konstellationen hinreichend oder notwendig dafür sind, daß andere Konstellationen eintreten.72 Will man diesen Ansatz zur Feststellung der Kausalität zwischen einem Ereignis und einem Erfolg auf den Bereich der menschlichen Psyche übertragen, so muß man sich folglich darüber Klarheit verschaffen, welche allgemeingültigen strikten Gesetze man für diesen Bereich zur Verfügung hat. Zunächst darf bereits davon ausgegangen werden, daß das menschliche Gehirn, seine Funktionsweise und damit auch die chemischen beziehungsweise elektrischen Abläufe, die zu dem führen, was wir eine Entscheidung nennen, nicht in dem Maße erforscht sind, als daß man hieraus allgemeine Gesetze aufstellen könnte. Ein entscheidendes Argument gegen die Existenz von Kausalgesetzen im psychischen Bereich hat jedoch die moderne Wissenschaft geliefert. Wenn man berücksichtigt, daß sich die Vorgänge der menschlichen Psyche im mikrophysikalischen, also subatomaren Bereich abspielen, kommt man nicht umhin, die experimentellen Ergebnisse der Quantenphysik, also der Wissenschaft, die sich mit der theoretischen und systematischen Erfassung der Wellen- und Teilchenphänomene im atomaren Bereich befaßt, in ihrer Bedeutung für die psychische Kausalität zu würdigen.73 Die Quantenphysik konnte aufzeigen, daß die Vorgänge innerhalb eines Atoms zu der klassischen Mechanik und Elektrodynamik konträre Besonderheiten aufweisen. Es ließ sich nachweisen, daß im mikrophysikalischen Bereich nicht von der Geltung strikter Kausalgesetze ausgegangen werden kann.74 Zu diesem Schluß führten Experimente zur Aufklärung subatomarer Vorgänge. Elektronen verhielten sich bei Energiezufuhr überraschend nicht nach den bisher für relevant gehaltenen sogenannten Nahwirkungsgesetzen, die eine kontinuierliche Ortsveränderung der Teilchen nahegelegt hätten.75 Statt dessen „sprangen“ sie in andere Bahnen um den Atomkern. Man versuchte nun, Ort und Geschwindigkeit der Elektronen zu messen, erkannte aber, daß dies ein unmögliches Unterfangen ist. Es 71 Engisch, Kausalität, 21 f.; NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 85 ff.; dieselbe, ZStW 95, 287, 293; Sofos, Mehrfachkausalität, 31 ff. 72 NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 85; dieselbe, ZStW 95, 287, 293. 73 Vgl. zur Bedeutung der Mikrophysik für die Rechtswissenschaften auch Maiwald, Kausalität, 20 ff.; Osnabrügge, Beihilfe, 166 ff. 74 Vgl. zum folgenden Heisenberg, 50 Jahre Quantenphysik, 354, 358; derselbe, Die Plancksche Entdeckung, 160, 169; derselbe, Atomphysik und Kausalgesetz, 376, 384. 75 Die Nahwirkungsgesetze besagen, daß Veränderungen in der physikalischen Welt sich kontinuierlich fortpflanzen und nicht ein Stück des Raumes überspringen, vgl. Maiwald, Kausalität, 24.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

stellte sich heraus, daß entweder nur der Ort eines Elektron genau zu bestimmen war oder aber nur seine Geschwindigkeit. Da beide Parameter jedoch zur Beschreibung eines Anfangszustandes erforderlich sind, muß ein Determinismus, wie ihn die klassische Mechanik kennt, im mikrophysikalischen Bereich als ausgeschlossen gelten.76 Auch der Inhalt menschlicher Entschlußfassung muß daher als mehr oder weniger zufällig angesehen werden. Nun ließe sich der Versuch unternehmen, die fehlenden Kausalgesetze im psychischen Bereich durch Wahrscheinlichkeitsgesetze zu ersetzen. Man könnte also danach fragen, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person die Wahrscheinlichkeit eines ganz bestimmten Entschlusses einer anderen Person erhöht hat. Diese Vorgehensweise krankt aber an ihrer mangelnden Objektivität. Denn ein Wahrscheinlichkeitsgesetz kann nur dann überhaupt sinnvoll aufgestellt werden, wenn alle hierfür relevanten Parameter einbezogen werden. Nur so kann man überhaupt von einer objektiv gegebenen Wahrscheinlichkeit sprechen.77 Für den Bereich des Einflusses einer Person auf die Entschlußfassung einer anderen Person müßte man also nicht nur alle Faktoren kennen, die für die Entschlußfassung in der zu beurteilenden Situation von Bedeutung sind, wie etwa die psychische Gesamtsituation des sich Entschließenden, seine Eigenschaften oder auch sein Wissen im Zeitpunkt der Beeinflussung. Man müßte diese Umstände vor allem auch möglichst genau reproduzieren können. Gerade dies ist allerdings nicht möglich, da schon die Versuchsanordnung als solche das Ergebnis des Versuchs beeinträchtigen wird.78 Bereits das Wissen um die Wiederholung der Situation zur Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgesetzes würde beispielsweise das Opfer derart in seinen Entschlüssen beeinträchtigen, daß ein brauchbares Ergebnis nicht erwartet werden kann.79 Im Bereich der menschlichen Psyche kann folglich nicht von der Existenz strikter und allgemeiner Gesetze ausgegangen werden. Die These, die Kausalität im psychischen Bereich sei genauso zu verstehen wie die Kausalität im Bereich der Außenwelt, ist daher nicht richtig. Da in diesem Bereich die Aufstellung von Wahrscheinlichkeitsgesetzen ebenfalls nicht weiterhilft, ist es angebracht, für den Bereich der Psyche einen eigenständigen Kausalitätsbegriff zugrunde zu legen, der den Erkenntnissen der modernen Physik Rechnung trägt und gleichwohl zu vertretbaren Ergebnissen führt.

76 Dies hat zur Folge, daß auch im makrophysikalischen Bereich nicht von einer Geltung strikter Gesetzmäßigkeiten ausgegangen werden darf. Die Gesetze der klassischen Physik werden hier jedoch wegen der „im irdischen Bereich nicht wahrnehmbaren Fehlerquote“ hingenommen, Maiwald, Kausalität, 42. 77 Puppe, ZStW 95, 287, 293 ff.; dieselbe, GA 84, 101, 106. 78 Maiwald, Kausalität, 26; Puppe, GA, 84, 101, 106; Stratenwerth, FS-Gallas, 227, 233. 79 Puppe, Erfolgszurechnung, 58; Stratenwerth, FS-Gallas, 227, 233.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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2. Verhaltensgründe als Zurechnungskriterium Eine solche Konzeption ist bereits für den Betrug und die Anstiftung entwickelt worden, wo das Gesetz auch einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Betrügers beziehungsweise des Anstifters und dem Entschluß des Betrogenen zur Vermögensverfügung beziehungsweise des Angestifteten zur Tatbegehung verlangt. Wie bei der Nötigung spielen sich die entscheidenden Vorgänge ebenfalls im Bereich der Psyche ab, also in einem Bereich, in dem die Geltung von Naturgesetzen nicht erkennbar ist.80 Dementsprechend wird bei der Zurechnung von Erfolgen kraft psychisch vermittelter Beeinflussung vielfach gerade nicht auf das übliche Modell der Kausalitätsfeststellung zurückgegriffen, sondern ein auf die aufgezeigten Probleme zugeschnittenes spezifisches Konzept angewendet.81 Danach wird davon ausgegangen, daß ein menschliches Verhalten stets auf Gründen beruht, die im Moment des Verhaltens hierzu motiviert haben. Dies entspricht einer Erfahrung, die jeder bereits unendlich oft gemacht hat und täglich macht. Man handelt in ganz bestimmter Weise, weil man dies in genau diesem Moment als zweckmäßig oder vernünftig ansieht.82 Man unterschreibt einen Arbeitsvertrag, weil man die darin getroffenen Vereinbarungen für günstig hält. Man erwirbt ein Auto, weil man sich hiervon ein hohes Maß an Mobilität verspricht. Es sind also die Gründe, die unser Verhalten steuern. Dementsprechend ist nach dem Grund zu fragen, den der Betrogene seiner Vermögensverfügung zugrundegelegt hat oder den der Täter hatte, die Haupttat zu begehen.83 War es das Verhalten des Beeinflussenden, das dem Beeinflußten den Grund zu seinem Verhalten gegeben hat, so ist jener für den entsprechenden Verhaltensentschluß kausal geworden. Dieses Kausalitätsmodell läßt sich auf die Nötigung beziehungsweise Erpressung übertragen, da es auch hier um eine Beeinflussung der Entschlußfassung einer Person geht. Will man also feststellen, ob die Drohung des Nötigers kausal war für den Entschluß des Opfers, sich in der vom Nötiger begehrten Weise zu verhalten, muß man danach fragen, ob sich das Opfer die Drohung zum Grunde seines Entschlusses genommen hat. Wenn dies zu bejahen ist, war die Drohung kausal für das Verhalten des Genötigten. Neben der Erklärung des Kausalverhältnisses zwischen Drohung und abgenötigtem Verhalten hat dieses Konzept auch Auswirkungen auf die Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „Übel“. Da nur auf die Gründe des Opfers für sein Verhalten abzustellen ist, kann auch nur ein solcher Nachteil ein Übel im Sinne der §§ 240, 253 StGB sein, den das Drohungsopfer für sich als solchen ansieht. Eine Drohung mit einem Übel liegt also immer dann vor, wenn das Opfer sie als Grund für sein vom Täter gewolltes Verhalten betrachtet. Vgl. oben § 2 C. II. 1. Vgl. BGHSt 13, 13, 14; SK-Hoyer, § 26 Rn. 9; Otto, AT, 6 / 38; NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 116; dieselbe, GA 84, 108 f.; dieselbe, Jura, 97, 408, 411 f. 82 NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 116; dieselbe, Jura 97, 408, 411. 83 SK-Hoyer, § 26 Rn. 9; NK-Puppe, Vor § 13 Rn. 116. 80 81

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

3. Ergebnis Zur Feststellung von Kausalbeziehungen im Bereich der menschlichen Psyche ist folglich auf eine Konzeption zurückzugreifen, die dem Umstand Rechnung trägt, daß es dort keine allgemeinen Gesetze gibt, nach denen sich beurteilen ließe, an welche Voraussetzungen ein ganz bestimmter menschlicher Entschluß geknüpft ist. Nach dieser Konzeption ist eine erpresserische Drohung dann kausal für das vermögensschädigende Verhalten, wenn der Erpreßte sich gerade durch die Ankündigung eines bestimmten Verhaltens des Erpressers zu ihm motiviert sah. Im Hinblick auf die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis zwischen den Rechtsgütern Willensfreiheit und Vermögen läßt diese Erkenntnis den Schluß zu, daß die Vermögensbeeinträchtigung einer Verletzung der Willensfreiheit nachzufolgen hat, weil letztere das im Rahmen der Erpressung notwendige Mittel zur Erreichung der ersteren darstellt.

III. Konsequenzen für den erpresserischen Angriff Dieses Bedingungsverhältnis zwischen der Beeinträchtigung der Willensfreiheit und des Vermögens bei der vollendeten Erpressung bedeutet für den erpresserischen Angriff, daß dieser als einheitlicher Vorgang zu begreifen ist. Der Erpresser bedient sich der Einflußnahme auf den Willen des Opfers, um gerade dadurch das Vermögen zu attackieren. Wie dies im einzelnen geschieht, läßt sich aus dem der Erpressung zugrundeliegenden Kausalitätsbegriff ableiten. Da die vollendete Erpressung voraussetzt, daß sich der Erpreßte gerade die Ankündigung eines Übels in Form der Drohung zum Grunde seines Entschlusses macht, dem Willen des Erpressers zu entsprechen, muß der erpresserische Angriff einen solchen Grund enthalten. Der Angreifer muß sich demnach einer Drohung bedienen, von der er annimmt, daß sie das Opfer im Rahmen der Entschlußfassung über die Vornahme des verlangten Verhaltens bei seiner Abwägung als einen Grund berücksichtigt. Dabei verbindet er die Ankündigung des Übels mit der Benennung der Möglichkeit, seine Realisierung zu verhindern, nämlich die Vornahme eines vermögensschädigenden Verhaltens. Hierdurch versetzt er sein Opfer in eine Situation, die ohne weiteres allein aufgrund alltäglicher Erfahrung mit dem Abwägen von Gründen im Rahmen einer Entschlußfassung nachvollziehbar ist. Das Drohungsopfer wird die Drohung mit ihrer Kenntnisnahme nicht als erledigt ansehen, sondern vielmehr unter ihrem Einfluß das Für und Wider seiner Verhaltensmöglichkeiten abwägen.84 Dafür ist allerdings erforderlich, daß der Erpresser seine Drohung nach ihrem Ausspruch aufrechterhält, damit der Erpreßte sie weiterhin als Grund für die Vornahme des vermögensschädigenden Verhaltens bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt. 84

Vgl. Roxin / Schünemann / Haffke, Klausurenlehre, 72 f.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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Dieses Abwägen von Gründen ist es, was der Erpresser durch seine Drohung bewirken will. Denn indem er mit seiner Drohung diesen Prozeß erst in Gang setzt oder durch sie zumindest Einfluß auf eine bereits stattfindende Entscheidungsfindung nimmt, will er das Opfer entsprechend seinem Willen lenken. Aus diesem Grund ist Arzt beizupflichten, wenn er nach dem Ausspruch einer Drohung den Angriff auf das Vermögen als „unzweifelhaft“ vorliegend bezeichnet.85 Denn es ist die Einflußnahme auf die Willensbildung, derer sich der Erpresser bedient, um Zugriff auf den von ihm eigentlich anvisierten Gegenstand zu erhalten, nämlich das Vermögen. Insofern ist eine Aufspaltung des erpresserischen Angriffs nach den angegangenen Rechtsgütern nicht überzeugend, weil sie den durch den bei § 253 StGB geltenden Kausalitätsbegriff begründeten Strukturen des Angriffs nicht gerecht wird. Ohne bereits an dieser Stelle rechtliche Aspekte der Gegenwärtigkeit des Angriffs beziehungsweise der Gebotenheit der Verteidigung ausführlich diskutieren zu wollen, kann dennoch bereits an dieser Stelle festgehalten werden, daß aus dem genannten Grund auch die These nicht richtig ist, mit dem Ausspruch der Drohung sei der Angriff auf die Willensfreiheit beendet. Betrachtet man die der Notwehr zugrunde liegende Konfliktlage genauer, so stellt man fest, daß sie wesentlich durch die Verantwortlichkeit des Angreifers für die Gefahrenlage geprägt ist. Dabei ist weniger die Verantwortlichkeit für ihre Herbeiführung entscheidend, als vielmehr der Umstand, daß der Angreifer jederzeit selbst entscheiden kann, die von ihm verursachte Gefährdung zu beenden. Wie noch zu zeigen sein wird, wird hierin richtigerweise der Grund für die besondere Rigidität der Notwehr gesehen.86 Der erpresserische Angriff bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Die einfache Rücknahme der Drohung, die dem Erpresser bis zum Zeitpunkt des vermögensschädigenden Verhaltens ohne weiteres möglich und zu der er verpflichtet ist, und der sich darin manifestierende Verzicht auf die Vornahme des ursprünglich begehrten Verhaltens beendet den Entscheidungsnotstand des Erpreßten, weil dem Opfer von diesem Zeitpunkt an die Berücksichtigung eines ihm aufgezwungenen Grundes bei seinen Überlegungen erspart bleibt. Gerade diese dem Erpresser bis zu dem angesprochenen Moment gegebene Möglichkeit, das Opfer jederzeit von der Last, zwischen zwei Übeln entscheiden zu müssen, befreien zu können, zeigt auch deutlich, daß der Vergleich zwischen einer erfolgten Drohung und der verschossenen Munition zwar sehr plastisch ist, allerdings nicht gezogen werden darf. Denn während der Schütze nach der Schußabgabe keinen Einfluß mehr auf den nunmehr folgenden Schadensverlauf hat und diesen nicht mehr rückgängig machen kann, gilt dies für den Erpresser gerade nicht. Er kann jederzeit seine Drohung zurücknehmen und das Opfer in den Zustand der unbeeinflußten Willensbildung, wie er vor der Drohung bestand, zurückversetzen und ist dazu sogar verpflichtet. 85 86

Arzt, Schutz, 92. Vgl. dazu ausführlich unten 2. Kapitel § 6 B. II. 5.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

Es ist damit festzustellen, daß der Angriff auf das Vermögen bei der Erpressung untrennbar mit dem Angriff auf die Willensfreiheit verknüpft ist, weil letzterer notwendig ist, um das Hauptziel in Form der Verletzung des Vermögens zu erreichen. Dies folgt aus den tatbestandlichen Zusammenhängen der Erpressung, namentlich aus dem zu fordernden Kausalitätsverhältnis zwischen der Drohung und dem vermögensschädigenden Verhalten. Der Angriff selbst erfolgt dadurch, daß der Erpresser in Form der Drohung einen Grund schafft, der bewirken soll, daß sich der Drohungsadressat nach einer entsprechenden Entscheidungsfindung dem Erpresserwillen gemäß verhält.

IV. Grenzen der erpresserischen Drohung als Angriff 1. Die Drohung mit einem erlaubten Verhalten als Angriff Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, daß es gerade die bewußte Verknüpfung zweier Übel seitens des Erpressers ist, die den erpresserischen Angriff ausmacht. Es wurde auch gezeigt, daß es der Prozeß der Entscheidungsfindung ist, dessen sich der Erpresser bedient, um sein eigentliches Ziel, den Zugriff auf fremdes Vermögen, zu erreichen. Zweck und Wirkung der Drohung sowie ihr Zusammenhang sind damit grundsätzlich geklärt. Nicht geklärt ist allerdings, ob diese Feststellungen für alle erpresserischen Drohungen gelten. Zur Verdeutlichung des sich nunmehr stellenden Problems sei darauf hingewiesen, daß sich die Ausführungen Arzts und Baumanns in ihrem Schwerpunkt mit dem Einsatz eines „bei isolierter Betrachtung rechtlich neutralen Mittels (Anzeigedrohung)“87 beschäftigen. Sie behandeln folglich in erster Linie Drohungen, die die Ankündigung eines Verhaltens beinhalten, dessen Durchführung dem Erpresser prinzipiell erlaubt ist, wie beispielsweise die Ankündigung der Anzeige einer durch den Erpreßten begangenen Straftat bei den Strafverfolgungsbehörden. Ob hierin eine angriffstaugliche Drohung gesehen werden kann, darf berechtigterweise in Zweifel gezogen werden, weil es merkwürdig anmutet, daß die Ankündigung eines bestimmten Verhaltens strafbar sein soll, während seine Durchführung erlaubt, unter Umständen – wie etwa bei der Strafanzeige – sogar erwünscht sein kann. Im Hinblick auf die oben festgestellten Charakteristika des erpresserischen Angriffs lautet die sich jetzt stellende Frage damit, ob es Gründe gibt, die dem Erpreßten zur Abnötigung eines Verhaltens aufgezwungen werden dürfen, weil von ihm verlangt wird, daß er ihnen „in besonnener Selbstbehauptung widersteht“. Nach den bisher gefundenen Ergebnissen scheint diese Frage zu verneinen zu sein, weil das Entscheidende der erpresserischen Drohung in der Verknüpfung zweier Übel gesehen wurde, durch die die Willensfreiheit des Opfers manipuliert wird. Stellt man dagegen die These auf, mit einem Verhalten, dessen Ausführung 87

Arzt, MDR 65, 344.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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erlaubt sei, müsse man auch drohen dürfen, löst man diese Verbindung von angedrohtem Übel und abgenötigtem Verhalten auf und reduziert die rechtliche Beurteilung der nötigenden Drohung auf die rechtliche Beurteilung der bloßen Drohung.88 Man kehrt mit diesem Ansatz zurück zu der „atomisierenden Betrachtungsweise“, wie sie von Arzt und Baumann vertreten wird. Gleichwohl ist diese These mit dem Hinweis auf die zuvor gefundenen Erkenntnisse noch nicht widerlegt. Es gilt nämlich zu berücksichtigen, daß ein Angriff per definitionem ein Verhalten ist, das auf Beeinträchtigung von Rechtsgütern zielt.89 Bei der Erpressung ist dieses Rechtsgut neben dem Vermögen die Willensfreiheit. Es ist demnach entscheidend, ob die Willensfreiheit in einem rechtlich relevanten Umfang durch eine Drohung tangiert wird, mit der ein an sich erlaubtes Verhalten angekündigt wird. Sollte sich herausstellen, daß eine solche Drohung keinen Angriff darstellen kann, weil sie die Willensfreiheit nicht berührt, ist in der Konsequenz auch kein Angriff auf das Vermögen gegeben, weil letzterer gerade durch die Einflußnahme auf den Entscheidungsfindungsprozeß erfolgt. Im folgenden sind daher Erwägungen darüber anzustellen, was die Willensfreiheit als Rechtsgut ausmacht und ob sie gewissen Grenzen unterliegt oder ob das Oktroyieren von Gründen stets eine Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit bedeutet.

a) Die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Positionen aa) Die rechtlich garantierte Freiheit als Schutzgut der Nötigung Der angesprochene Gedanke, die Drohung mit einem erlaubten Verhalten könne kein rechtlich relevanter Angriff sein, resultiert aus einer in der Literatur vertretenen Nötigungskonzeption, die als Rechtsgut der Nötigung90 lediglich die rechtlich garantierte Freiheit versteht.91 Ihren Ausgangspunkt findet diese Auffassung in der „simplen Erkenntnis“92, daß sich das Recht in einen Selbstwiderspruch verstricke, schütze § 240 StGB Freiheit in einem rein tatsächlichen Sinne, also die Freiheit zur Betätigung jedes beliebigen Willens. Eine solche Sichtweise habe nämlich zur Folge, daß nicht nur die Freiheit des Nötigungsopfers, nicht genötigt zu werden, sondern konsequenterweise auch die Freiheit des Täters zu nötigen geschützt sein NK-Kindhäuser, § 253 Rn. 54; derselbe, BT / 2, 17 / 42. Vgl. oben § 1. 90 Wenn die folgenden Ausführungen sich im wesentlichen mit der Nötigung beschäftigen, so liegt dies daran, daß die darzustellende Ansicht speziell zur Notwehr entwickelt wurde. Da die Erpressung aber eine qualifizierte Nötigung ist und als solche ebenfalls die Willensfreiheit schützt, sind die für die Nötigung entwickelten Gedanken auf die Erpressung übertragbar. 91 Amelung, GA 99, 182, 192; SK-Horn, § 240 Rn. 5; derselbe, NStZ 83, 497, 499; Jakobs, FS-Peters, 69, 75 ff.; derselbe, GS-H. Kaufmann, 791, 797; Lesch, StV 93, 578, 579; derselbe, JA 95, 889, 896; Timpe, Nötigung, 27; nur im Ansatz auch Ostendorf, NJW 80, 2592. 92 So ausdrücklich Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 797. 88 89

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

müsse.93 Die Freiheit des Nötigers zur Nötigung stelle sich bei diesem Verständnis von geschützter Freiheit aber als prinzipiell rechtswidriges Rechtsgut dar, woraus sich der Normwiderspruch ergebe. Die in § 240 StGB geschützte Freiheit könne daher nur diejenige sein, die dem Opfer auch rechtlich zustehe, „die also nicht vom Recht an anderer Stelle dem Opfer genommen wurde.“94 Das Täterverhalten sei dementsprechend nur dann im Hinblick auf den Nötigungstatbestand von Bedeutung, wenn es den Verlust rechtlich anerkannter Freiheit mit sich bringe.95 Die Bedeutung dieses Ansatzes für die nötigende Drohung muß nun im Zusammenhang mit dem aus ihm folgenden Gewaltbegriff gesehen werden. Gewalt sei danach nicht schon regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Täter eine rechtliche Pflicht verletze, da ein solches Verständnis zur Vermeidung einer „Strafbarkeitshypertrophie“ nicht geeignet sei96. Davon ausgehend, daß Gewalt dadurch charakterisiert sei, daß ihr Opfer seine Angelegenheiten entweder gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt organisieren könne, solle nur die Verletzung solcher Rechte Gewalt darstellen, die für die Organisation des Opfers konstituierend seien.97 Dies präzisierend werden hierunter sogenannte garantierte Rechte verstanden98, die sich dadurch auszeichneten, daß ihre Beachtung von seiten Dritter durch die Rechtsordnung garantiert sei.99 Somit seien insbesondere die absoluten Rechte wie Leib, Leben, (Fortbewegungs-)Freiheit und Eigentum sowie die sonstigen von § 823 Abs. 1 BGB erfaßten Rechte100 garantierte Rechte, da „jeder dafür zu sorgen habe, daß er durch sein Verhalten diese Güter nicht beeinträchtige“. 101 Daneben gebe es zu den absoluten Rechten funktionale Äquivalente, die ebenfalls zu einer garantierten Position beim Rechtsinhaber führten.102 Als Beispiele seien hier nur begünstigende Garantenpflichten sowie die in Rechtfertigungssituationen entstehenden Eingriffsrechte genannt.103 Die Auswirkungen des Verständnisses von Gewalt als Verletzung garantierter Rechte auf die nötigende Drohung basieren darauf, daß dieser Ansicht zufolge auch eine Drohung nur dann ein Delikt gegen die Verhaltensfreiheit verwirklichen könne, wenn sie sich als Schmälerung einer garantierten Rechtsposition darstelle.104 Der Begriff der Drohung wird nunmehr vom Gewaltbegriff her definiert. Jakobs, FS-Peters, 69, 70; Timpe, Nötigung, 20. Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 797. 95 Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 797. 96 Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 799; Timpe, Nötigung, 72. 97 Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 801 ff.; Timpe, Nötigung, 72 ff. 98 Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 804; Lesch, StV 93, 578, 579; Timpe, Nötigung, 73. 99 Timpe, Nötigung, 73. 100 Vgl. hierzu Palandt-Thomas § 823 Rn. 11. 101 Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 804; Timpe, Nötigung, 89. 102 Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 805; Timpe, Nötigung, 89 ff. 103 Siehe dazu im einzelnen Timpe, Nötigung, 89 ff. 104 Timpe, Nötigung, 149. 93 94

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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„Wenn Gewalt nur die Beeinträchtigung der garantierten Organisationsmittel einer Person ist, . . . , fehlt jeder Grund, die Ankündigung des Bruchs nicht-garantierter Rechte (oder gar die Ankündigung rechtmäßigen Verhaltens) als Nötigungsmittel zu behandeln.“105 Anders ausgedrückt: „Was ich dem anderen zufügen darf, muß ich ihm auch vorher sagen dürfen.“106 Anhand eines Beispielfalles sei diese Ansicht in ihrer Bedeutung für die erpresserische Drohung als Angriffsverhalten verdeutlicht. O hatte vor einigen Jahren seine Mutter getötet, um mit Hilfe der Erbschaft sein in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliches Unternehmen zu sanieren. Sein Freund N hatte später von dem Mord erfahren. Einige Zeit darauf bekam N ebenfalls finanzielle Probleme und beschloß, diese mit Hilfe seines Wissens um die Tat des O aus der Welt zu schaffen. Dazu verlangte er von O eine einmalige Zahlung von 100.000 EUR und kündigte die Anzeige des O bei den Strafverfolgungsbehörden an, sollte dieser der Zahlungsaufforderung nicht nachkommen. Ausgangspunkt der Beurteilung dieses Falles nach dem geschilderten Ansatz ist die Tatsache, daß das von N angedrohte Verhalten, die Anzeige des O, von der Rechtsordnung nicht nur gestattet, sondern in gewissem Sinne sogar erwünscht ist.107 Die Durchführung des angedrohten Verhaltens würde somit keine dem Opfer zustehende rechtlich garantierte Freiheit nehmen; im Gegenteil, mit der Drohung würde der Täter die Freiheit des Opfers erweitern, da diesem nunmehr neben der Hinnahme des Übels eine weitere Alternative eröffnet sei, nämlich dem Täterverlangen nachzukommen, um auf diese Weise die drohende Belastung abzuwenden.108 Mangels Drohung mit einem empfindlichen Übel hätte sich N folglich nicht wegen (versuchter) Erpressung strafbar gemacht. Nach der oben genannten Definition des Angriffs läge zudem ein solcher nicht vor, da sich das Täterverhalten gerade nicht gegen rechtlich geschützte Güter des O gerichtet hätte, weil die Durchführung des angekündigten Verhaltens wegen ihres Erlaubtseins keine garantierten Rechtspositionen des O berührt hätte. Weil es an einem tangierten Rechtsgut fehlt, spielt es für diese Ansicht keine Rolle, daß N die Ausführung seiner Drohung mit der Zahlung der 100.000 EUR verknüpft hat. Denn es handelt sich bei der Ankündigung der Strafanzeige nicht um ein Übel und damit nicht um einen Grund, der nach rechtlichen Maßstäben dazu geeignet ist, die Entschließungsfreiheit des Opfers zu beeinträchtigen. Eine Notwehr des O gegen das Verhalten des N wäre nicht möglich. Entsprechendes gilt dieser Ansicht nach vor allem auch für zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle der einfachen Nötigung nach § 240 StGB109, insbesondere aber auch für alle anderen Fälle der sogenannten Chantage.110 105 106 107 108 109

Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 809 f.; vgl. auch Timpe, Nötigung, 148. Horn, NStZ 83, 497, 498. Jakobs, FS-Peters, 69, 81 ff. Jakobs, FS-Peters, 69, 82. Jakobs, FS-Peters, 69, 81.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

bb) Die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit als das Rechtsgut der Nötigung Die Auffassung, die Nötigung schütze die rechtlich garantierte Freiheit, stellt die Ausnahme innerhalb der Meinungsäußerungen dar, die sich mit dem Schutzgut des § 240 StGB auseinandersetzen. Üblicherweise findet man Formulierungen, die als geschütztes Rechtsgut die Willensbildungs- und / oder Willensbetätigungsfreiheit nennen.111 Begründen läßt sich dies damit, daß in der Tatbestandsfassung von einem Nötigen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gesprochen und damit eine erschöpfende Umschreibung willensgetragenen Verhaltens gegeben wird. Dem Gesetzeswortlaut nach soll also der Wille des Opfers erst gebeugt und gerade hierdurch eine nicht frei gewollte Willensbetätigung erreicht werden.112 Legt man dies zugrunde, steht Zwang im Sinne eines auf das Opfer ausgeübten psychischen Drucks im Vordergrund. Für die Auslegung der Tatbestände der §§ 240, 253 StGB bedeutet dies, daß der Rechtsanwender im Rahmen einer Wertung der Umstände des Einzelfalles entscheiden muß, ob ein empfindliches Übel angedroht wurde oder ob dem Opfer ein Standhalten gegenüber dem in Aussicht gestellten Übel zugemutet werden konnte. Während der enge rechtliche Aspekte betonende Ansatz durch die Berücksichtigung bestehender Rechte und Verpflichtungen auf der Tatbestandsebene bereits die Frage der Strafbarkeit des Täters entscheidet, zwingt die Deutung der herrschenden Meinung dazu, als Korrektiv ihrer wertenden Betrachtung die Beziehung von Mittel und Zweck zueinander durch Anwendung der Verwerflichkeitsklausel des Absatzes 2 der §§ 240, 253 StGB zu berücksichtigen. Die praktische Relevanz dieses Unterschieds läßt sich schnell anhand der Chantage, also der Schweigegelderpressung durch Drohung mit Bloßstellung, verdeutlichen. Droht der Täter beispielsweise mit berechtigter Strafanzeige, wäre nach der Ansicht, die nur die rechtlich garantierte Freiheit als durch § 240 StGB geschützt ansieht, bereits der Tatbestand des § 253 StGB nicht erfüllt, da das vom Täter angedrohte Verhalten kein nachteiliger Eingriff in den dem Opfer durch das Recht garantierten Güterbestand darstellt, es folglich an einem Übel mangelt. Denn der Drohende darf in diesem Fall das, was er androht, unter dem Schutz der Rechtsordnung ausführen.113 Eine Erpressungsstrafbarkeit kommt jedoch sehr wohl in Be110 Gemeint sind damit Fallkonstellationen, in denen der Täter damit droht, kompromittierende Tatsachen über das Opfer zu veröffentlichen, wenn sich dieses das Schweigen des Täters nicht durch Zahlung bestimmter Geldbeträge erkauft; vgl. Eggert, NStZ 2001, 225; Müller, NStZ 93, 366. 111 BVerfGE 73, 206, 237; RGSt 48, 346, 347; Arzt / Weber, BT, 9 / 45; Schönke / SchröderEser, § 240 Rn. 1; Tröndle / Fischer, § 240 Rn. 2; Lackner / Kühl, § 240 Rn. 1; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, 13 / 6; LK-Schäfer, § 240 Rn. 2; Schaffstein, FS-Dreher, 147, 160; Wessels / Hettinger, BT / 1, Rn. 380. 112 Vgl. Arzt / Weber, BT, 9 / 45. 113 Jakobs, FS-Peters, 69, 82.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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tracht, stellt man auf eine grundsätzlich unbeschränkt gewährleistete Willensfreiheit ab. Die Drohung mit einem empfindlichen Übel wäre zu bejahen, weil man davon ausgeht, daß ein Strafverfahren finanzielle und immaterielle Nachteile mit sich bringt und daher dazu geeignet ist, einen besonnenen Menschen im Sinne des vom Täter begehrten Verhaltens zu motivieren.114 Es wäre dann zu fragen, ob der Sachverhalt, aus dem das Recht zur Strafanzeige hergeleitet wird, mit dem durch die Drohung verfolgten Zweck in einer inneren Beziehung steht, also beispielsweise die Drohung zur Durchsetzung eines mit der Straftat zusammenhängenden Ersatzanspruchs ausgesprochen wurde. Ist dies zu verneinen, ist eine Konnexität zwischen Nötigungsmittel und Nötigungszweck nicht gegeben und eine Erpressungsstrafbarkeit anzunehmen. Die Ergebnisse, die man nach dem rechtliche Kategorien betonenden Verständnis erlangt, werden häufig – überraschenderweise auch von Vertretern des normativen Ansatzes115 – als unbillig empfunden.116 Die Praxis zeige, daß das Druckmittel auch nach Erfüllung der zunächst erhobenen Forderung erneut angewendet werde, die Annahme mithin irreal sei, bei Drohung mit einem erlaubten Verhalten werde die Freiheit des Opfers wegen einer nunmehr gegebenen weiteren Handlungsalternative erweitert.117 Auf diesen Aspekt wurde bereits eingangs der Untersuchung hingewiesen118 und die Solidarisierung mit dieser Kritik fällt leicht, wenn man sich etwa den Fall des BGH vor Augen führt, in dem ein Kaufhausdetektiv nur gegen Geschlechtsverkehr mit der Ladendiebin von der Weiterleitung der Strafanzeige absehen will.119 Es dürfte dem natürlichen Rechtsempfinden entsprechen, wenn man hier eine Strafbarkeit des Detektivs für angemessen hält, was aber nach einem engen Nötigungsverständnis gerade nicht der Fall ist, weil der Täter ein ihm erlaubtes Verhalten ankündigt. b) Historie der §§ 240, 253 StGB und die Rechtsordnung in ihrer Bedeutung für das Rechtsgut der Willensfreiheit Der Überblick über die Ansichten zum Charakter des Rechtsguts der Willensfreiheit und ihre Konsequenzen hat gezeigt, daß sie von erheblichen Unterschieden geprägt sind und daher auch zu gänzlich von einander abweichenden Ergebnissen führen. Dies gilt insbesondere für die Fälle der sogenannten Chantage, die sich durch Drohungen mit der Kundgabe von kompromittierenden Tatsachen auszeichnen, das heißt durch Drohungen mit einem erlaubten Verhalten. Diese Unterschiede in der rechtlichen Beurteilung vollendeter Erpressungen wirken sich natür114 115 116 117 118 119

Vgl. etwa Mitsch, BT II / 1, 6 / 25. Vgl. etwa Ostendorf NJW 80, 2592. Pelke, Bedeutung, 38 f. Haug, MDR 64, 548, 550; Ostendorf, NJW 80, 2592; Pelke, Bedeutung, 39. Vgl. oben Einleitung. BGHSt 31, 195.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

lich auch im vorgelagerten Stadium der Bewertung einer Drohung als erpresserischer Angriff aus. Wie bereits gesagt wurde, wird der Kreis angriffstauglicher Drohungen nicht unerheblich eingeschränkt, wenn man rechtliche Maßstäbe im Bereich der Willensfreiheit betont, weil die Ankündigung eines erlaubten Verhaltens letztere nicht zu tangieren vermag. Dies gilt unabhängig davon, daß die Ankündigung des Verhaltens als Mittel zur Erreichung eines weitergehenden Ziels eingesetzt wird. Beginnend mit einem Blick in die Geschichte der Tatbestände der Nötigung und der Erpressung soll daher versucht werden, den Umfang der Willensfreiheit zu erforschen. Vor allem aber ist auch unsere Rechtsordnung zu Rate zu ziehen, da sich eine Position, die die Freiheit des einzelnen über die ihm zustehenden Rechte und ihn treffenden Pflichten definiert, an ihr messen lassen und mit ihr in Einklang zu bringen sein muß. aa) Die geschichtliche Entwicklung der Nötigung und der Erpressung (1) Die Nötigung Die Nötigung in ihrer heutigen Form geht zurück auf das crimen vis des römischen Rechts, das als kasuistische Regelung Teil der von Cäsar oder Augustus erlassenen lex Julia de vi war.120 Nach der Entwicklung eines Tatbestandes der vis durch die Jurisprudenz der Kaiserzeit fand dieser Eingang in die Kodifikation Justinians und wurde auf diese Weise in das gemeine Recht rezipiert.121 In dieser Zeit wurde das crimen vis als Delikt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstanden und erfaßte Fälle wie etwa das Tragen von Waffen oder das Bewirken eines Aufruhrs.122 Die Drohung als Nötigungsmittel wurde seinerzeit noch nicht vom crimen vis erfaßt, sondern erstmals in § 7 Kreittmayrs Codex iuris Bavarici criminalis aus dem Jahre 1751 als Fall der vis privata aufgeführt. Um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert erfolgte schließlich beeinflußt durch die neuen Gedanken der Aufklärung123 der Wandel vom crimen vis als Delikt zum Schutz der öffentlichen Sicherheit hin zu einem Delikt zum Schutz der persönlichen Verhaltensfreiheit. Dieser Übergang zeichnete sich bereits ab in § 1077 ALR von 1794, wenn es im 13. Abschnitt des 20. Titels unter der Überschrift „Von Beleidigungen der Freiheit“ heißt, daß Gefängnisstrafe verwirke, „wer einen Menschen . . . mit Gewalt . . . wider seinen Willen zu etwas nöthiget.“ v. Liszt / Schmidt bezeichneten diese Vorschrift als „bahnbrechend“, da nunmehr der Angriff auf die persönliche Freiheit des einzelnen124 erfaßt und gleichzeitig die Anregung gegeben 120 Schaffstein, FS-Lange, 983, 985; Timpe, Nötigung, 39; vgl. zur Entwicklung speziell des Gewaltbegriffs aus dem crimen vis auch Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791 ff. 121 Schaffstein, FS-Lange, 983, 985. 122 Jakobs, GS-H. Kaufmann, 791, 792 ff.; Schaffstein, FS-Lange, 983, 987; Timpe, Nötigung, 39. 123 Schaffstein, FS-Lange, 983, 996. 124 Hervorhebung im Original.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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war, die Abtrennung des Rechtsguts der „persönlichen Freiheit“ von dem des „öffentlichen Friedens“ zu vollziehen.125 In der weiteren Entwicklung wird Karl Grolmann eine besondere Rolle zuerkannt, da er in der zweiten Auflage seines Werkes „Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft“ aus dem Jahre 1805 eine abstrakte Bestimmung dessen traf126, was auch heute noch, ungeachtet einiger Abweichungen, als Nötigung verstanden wird. In der Entwicklung des Nötigungstatbestands von Bedeutung war ferner die Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts, in deren Rahmen auch das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten entstand.127 Bei den entsprechenden Verhandlungen diskutierte man im Hinblick auf die Nötigung neben anderen Problemen auch die Frage, ob die Ankündigung eines an sich straflosen Verhaltens allein auf Grund des Drohungscharakters strafbar sein könne.128 Dies wurde durch die „vorberathende Abteilung“ des Vereinigten ständischen Ausschusses bejaht, weil man bereits damals die Ausnutzung der Schwäche eines anderen vor Augen hatte. Der Vereinigte Ständische Ausschuß selbst sprach sich jedoch gegen diese Möglichkeit aus. § 138 des Entwurfs 1848 setzte schließlich voraus, daß das angedrohte Verhalten entweder ein Vergehen oder ein Verbrechen sein müsse.129 In diesem Sinne entschied man sich auch im Jahre 1851 für das Preußische StGB, weil gerügt wurde, daß anderenfalls „auch die Strafe eintrete, wenn die angedrohte Handlung für eine strafbare nicht zu achten wäre.“ „Die Drohung mit der Ausübung des Rechts könne nie strafbar sein.“130 § 212 PrStGB lautete damit: „Wer einen Anderen zu einer Handlung oder Unterlassung dadurch zwingt, oder zu zwingen versucht, daß er denselben schriftlich oder mündlich mit der Verübung eines Verbrechens oder Vergehens bedroht, hat Gefängniß bis zu Einem Jahre verwirkt.“ Die Entscheidung für die Drohung mit einem Verbrechen oder Vergehen als Nötigungsmittel, wie sie das Preußische StGB getroffen hatte, wurde jedoch nicht von allen deutschen Partikularstrafgesetzbüchern geteilt. Zwar war allen die Drohung als Nötigungsmittel gemein. Im einzelnen wurden jedoch verschiedene Anforderungen an sie gestellt. Zum Teil wurde jede Drohung für ausreichend gehalten, zum Teil verlangte man Einschränkungen, die 125

v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch, 524; vgl. hierzu auch Fabricius, Formulierungsgeschichte,

13 ff. 126 § 230 lautet: „Unter Gewalthätigkeiten und Erpressungen versteht man jede widerrechtliche wirkliche Anwendung körperlicher Kräfte oder Androhung einer solchen, um dadurch die den Zwecken des Handelnden, sey es in den körperlichen Kräften des Anderen oder in sonstigen Schutzmitteln der Rechte desselben entgegenstehende Hindernisse zu überwinden und denselben zum Leiden oder zu Entschlüssen und Handlungen zu bestimmen.“ Ansatzweise findet sich diese Definition bereits in § 366 der ersten Auflage aus dem Jahre 1798. 127 Vgl. die detaillierte Analyse der Gesetzgebungsgeschichte der Nötigungsnorm zu dieser Zeit bei Fabricius, Formulierungsgeschichte, 105 ff. 128 Vgl. Fabricius, Formulierungsgeschichte, 114. 129 Vgl. Fabricius, Formulierungsgeschichte, 115 f. 130 Goltdammer, Materialien zum PrStGB, II, 453.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

von gefährlichen Drohungen bis hin zu Drohungen mit tätlicher Gewalt reichten. Ein weiterer Unterschied zum Preußischen StGB lag darin, daß alle neben der Drohung auch die Gewalt als Nötigungsmittel kannten.131 Gegen die Regelungen des § 212 PrStGB regte sich jedoch schon bald Kritik. Hälschner beklagte 1868, daß übersehen sei, „daß das Unrecht der Bedrohung nicht in der Handlung gesucht werden darf, welche angedroht wird, sondern in dem Zwange, welcher mittelst der Drohung der Willensfreiheit zugefügt wird. Nur darauf kann es also ankommen, ob die angedrohte Handlung im gegebenen Falle geeignet war einen Zwang gegen den Willen zu üben, der in allen Fällen widerrechtlich bleibt, gleichviel ob die Handlung eine erlaubte oder widerrechtliche ist.“132 Ähnlich argumentierte Dalcke: „. . . wenn aber der § 212 einmal die Freiheit des Willens als geeignetes Objekt einer Rechtsverletzung anerkennt und demgemäß der durch Drohung verübte Zwang unter Strafe gestellt wird, dann ist in der That nicht im Entferntesten abzusehen, aus welchem Grunde nur die Bedrohung mit der Verübung eines Verbrechens oder Vergehens strafbar sein soll.“ Weiter heißt es, „daß die Rechtswidrigkeit und resp. Strafbarkeit der Drohung ja eben nicht in der Handlung liegt, welche angedroht wird, sondern vielmehr in dem Zwange, welcher durch die Drohung auf die Willensfreiheit ausgeübt wird. In der That ist doch auch außer Zweifel, daß es eine Reihe von Drohungen gibt, welche auf den Willen einer anderen Person rechtswidrig einzuwirken und denselben zu durchbrechen geeignet sind, ohne daß die angedrohten Uebel gerade Verbrechen oder Vergehen zu sein brauchen.“133 Trotz der Beanstandungen gab es in diesem Punkt keine Änderungen im Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Dessen § 240 rief folglich neue Kritiker auf den Plan, die sich der Argumentation Hälschners und Dalckes anschlossen und diese weiter präzisierten.134 Erst 1943 wurden die vorgebrachten Bedenken durch die Verordnung zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue (StrafRAnglVO)135 berücksichtigt, indem die Drohung „mit einem empfindlichen Übel“ in § 240 RStGB Aufnahme fand. Ferner erhielt die Nötigung durch diese Verordnung im wesentlichen ihre heutige Gestalt.136

Vgl. Hansen, Erfassung, 31; Köstlin, Abhandlungen, 428. Hälschner, System II, 179 Fn. 3. 133 Dalcke, GA Bd. 17, 1869, 3, 6. 134 Vgl. v. Buri, Der Gerichtssaal Bd. 27, 1875, 517, 530 und insbesondere Goldschmidt, Strafbarkeit. 135 RGBl. I, 339 ff. 136 Einzelne Änderungen traf das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 04. 08. 1953, BGBl. I, 1083 ff., zur Beseitigung nationalsozialistischer Begrifflichkeiten. Durch das Erste Strafrechtsreformgesetz, BGBl. I, 645 ff., wurde das Strafmaß, nicht jedoch der Tatbestand des Abs. 1 und Abs. 2 geändert. 131 132

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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(2) Die Erpressung Wie die Nötigung hat auch die Erpressung ihre Wurzeln im römischen Recht. Sie läßt sich zurückführen auf die concussio des römischen Kaiserrechts, die vorlag bei Erzwingung eines Vermögensvorteils unter Berufung auf einen tatsächlich nicht erteilten Befehl des praeses provinciae oder mittels Androhung einer Kriminalklage.137 Das gemeine Recht schloß hieraus, daß die Einschüchterung des Opfers für die Erpressung charakteristisch sei, mithin Zwang beziehungsweise Furcht138 im Vordergrund stehe, wobei man sich jedoch darüber stritt, welcher Art der Zwang und wie vor allem die Drohung beschaffen sein müsse.139 Insofern war unklar, ob man sich bei der Bestimmung des Zwangsmittels Drohung streng an die römischrechtlichen Vorgaben halten müsse, also Drohung mit Anwendung öffentlicher Machtbefugnisse oder mit Herbeiführung einer gerichtlichen Kriminalverfolgung zu fordern sei, oder ob man freiere Positionen vertreten könne.140 Eine Bedrohung mit einem an sich rechtswidrigen Verhalten wurde jedoch nur selten gefordert.141 Erst § 234 des Preußischen StGB verlangte eine Drohung mit der Verübung eines Verbrechens oder Vergehens als Nötigungsmittel und war insofern identisch mit dem Tatbestand der Nötigung. Auch findet sich bei der Erpressung eine Parallele zur Nötigung insoweit, als die Entscheidung für die genannte Einschränkung der Drohung erst durch den Vereinigten Ständischen Ausschuß getroffen wurde, während in den vorbereitenden Beratungen und Entwürfen der „Strafgrund vorzugsweise in dem Suchen eines rechtswidrigen Vortheils durch Beängstigung“ gesehen und folgerichtig auch die Bedrohung mit erlaubten Mitteln als Erpressung behandelt wurde.142 Es setzte sich also auch bei der Erpressung zunächst der Gedanke durch, daß die Androhung eines Verhaltens nicht zur Strafbarkeit führen könne, wenn schon seine Vornahme nicht strafbar sei. Diese Auffassung wurde bis zum Entwurf von 1869 für das später zum RStGB gewordene143 Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund beibehalten. Ein Jahr später reichte jedoch nach § 248 des Entwurfes 1870 jede Drohung als Nötigungsmittel aus, eine Änderung, die in § 253 RStGB Aufnahme fand. Warum es innerhalb eines Jahres zu einer solch radikalen Änderung der Ansichten kam, begründet Frank mit der Unzufriedenheit der preußischen Praktiker mit dem Recht jener Zeit.144 Den Motiven zu § 248 des erwähnten Entwurfs ist dies freilich nicht zu entnehmen. Sie wiederholen lediglich einen bereits genannten Gedanken, wenn es 137 Blei, BT, 249 f.; Frank, VDB VI, 1, 6; Köstlin, Abhandlungen, 408; Maurach / Schroeder Maiwald, BT / 1, 42 / 2. 138 Vgl. Heffter, Strafrecht, § 365. 139 Frank, VDB VI, 1, 7 f. 140 Vgl. die einzelnen Auffassungen bei Köstlin, Abhandlungen, 410. 141 Frank, VDB VI, 1, 9. 142 Goltdammer, Materialien II, 524. 143 Vgl. § 2 des Gesetzes betreffend die deutsche Reichsverfassung vom 16. 04. 1871. 144 Frank, VDB VI, 1, 18.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

heißt, daß „jeder Zwang hinreicht, sei er durch Gewalt, sei er durch Drohungen verübt, sofern durch ihn der Andere wirklich zu einer Handlung bestimmt worden ist, und es kann selbst die an sich berechtigte Gewalt nach dem § 248 beurtheilt werden, nur der Vermögensvortheil, zu dessen Erreichung die Gewalt angewendet wurde, als ein rechtswidriger sich darstellt. Denn mit diesem Moment wird die an sich berechtigte Gewalt, da sie zu einem unerlaubten Zwecke angewendet wird, selbst eine widerrechtliche. Insbesondere gilt dies von Drohungen mit Denunziationen wegen wirklich begangener strafbarer Handlungen.“145 Eine Einschränkung des Nötigungsmittels der Drohung durch das Erfordernis der Drohung mit einem „empfindlichen Übel“ und die Harmonisierung des Tatbestandes mit der Nötigung erfolgte erst 1943 durch die bereits erwähnte StrafRAnglVO. Durch sie erhielt auch der Tatbestand der Erpressung seine bis heute nahezu gleiche Gestalt.146 (3) Schlußfolgerungen Der Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Tatbestände der Nötigung und der Erpressung verdeutlicht, daß die Kernaussage des engen Verständnisses vom Schutzgut der Nötigung, die Ankündigung eines erlaubten Verhaltens könne nicht zu einer Strafbarkeit führen, bereits vor 150 Jahren bekannt war und auch schon seinerzeit diskutiert wurde. Welche Bedeutung dieser Gedanke zur damaligen Zeit hatte, zeigt der Umstand, daß sich das Preußische StGB sowie das RStGB ganz bewußt vor dem Hintergrund dieser Auffassung für die Drohung mit einer strafbaren Handlung im Nötigungstatbestand als Nötigungsmittel entschieden, ein Entschluß, den das Preußische StGB auch hinsichtlich der Erpressung traf. Obwohl dieser Ansatz also das Preußische StGB wesentlich und das RStGB bezüglich der Nötigung, nicht allerdings bezüglich der Erpressung prägte, handelte es sich doch niemals um eine unumstrittene Auffassung. Denn aus den Beratungen zu den Entwürfen für ein Preußisches StGB sowie der dargestellten Kritik an der dann beschlossenen Fassung des § 212 PrStGB geht eindeutig hervor, daß sie schon immer auf Ablehnung stieß. So verwundert es auch nicht, daß keines der übrigen Partikulargesetzbücher dem Preußischen StGB folgte und die Drohung mit einer strafbaren Handlung verlangte.147 Es wurde demnach vielfach der Gedanke des Zwanges als so entscheidend angesehen, daß er den (vermeintlichen) Widerspruch zwischen strafloser Durchführung eines Verhaltens und gegebenenfalls strafbarer Ankündigung desselben überwog. Zwang sollte also durch wesentlich mehr ausgeübt werden können, als „lediglich“ durch Drohung mit strafbaren Handlungen. Im Rahmen der historischen Darstellung der Erpressung fiel bereits der Ausdruck „Furcht“, der treffend das wiedergibt, was eine starke Meinungsgruppe seinerzeit als das entscheidende Charakteristikum des Nötigungsunrechts ansah. Wie § 240 StGB zeigt, konnte sich diese Ansicht schließlich auch in der Gesetzgebung durchsetzen. 145 146 147

Vgl. Rubo, StGB, § 253, 858. Vgl. zu den Änderungen nach 1943 Hagel, Raub, 580 ff. Vgl. Hansen, Nötigungsunrecht, 31; Köstlin, Abhandlungen, 428.

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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Unter historischen Gesichtspunkten läßt sich damit feststellen, daß das Verständnis des Schutzgutes des § 240 StGB, nach dem der Umfang der Freiheit des einzelnen durch seine Rechte und Pflichten konstituiert wird, in der Gesetzesentwicklung durchaus in seiner Kernaussage Berücksichtigung gefunden hat, vor allem auch in einem so bedeutenden Gesetzeswerk wie dem Preußischen StGB, das als Vorläufer des RStGB zu gelten hat, da es Grundlage hierfür war, wenn auch unter Vermittlung des StGB für den Norddeutschen Bund.148 Gleichwohl konnte sich dieses Nötigungsverständnis nicht behaupten. Vielmehr wurde es vor dem Hintergrund der dargestellten Kritik aufgegeben und durch eine im Hinblick auf die Drohungsalternative weiter gefaßte Tatbestandsformulierung ersetzt. Der historische Gesetzgeber hat sich demnach bewußt von einem an Grundsätzen der (Straf-) Rechtsordnung orientierten Drohungsbegriff verabschiedet und einem Verständnis den Vorzug eingeräumt, das die Wirkung einer Drohung auf das Opfer im Vordergrund sieht. Auch bei der Erpressung spielte die Auffassung, strafbar könne nur die Drohung mit der Begehung von Straftaten sein, eine große Rolle. Denn ebenso wie § 212 PrStGB enthielt auch § 234 PrStGB diese qualifizierte Drohung als Nötigungsmittel. Der Unterschied zur Nötigung besteht jedoch darin, daß schon die Wurzeln der Erpressung eindeutig die Einschüchterung im Vordergrund sahen. Zwar erforderte die concussio nicht lediglich eine irgendwie geartete Drohung, sondern die Vorspiegelung eines Rechts beziehungsweise die Androhung einer Kriminalklage. Aber es ging niemals um Bedrohung mit einer Straftat. Auf Grund dessen wurde eine solche Einschränkung auch nicht in der gemeinrechtlichen Literatur diskutiert. Wie bereits erwähnt stritt man vielmehr um die Bestimmung des Zwangsmittels Drohung. Unabhängig davon, daß sich diesbezüglich die Ansicht durchsetzte, daß man nicht an die römischrechtlichen Vorgaben gebunden, also Drohung mit Anwendung öffentlicher Machtbefugnisse oder mit Herbeiführung einer gerichtlichen Kriminalverfolgung zu fordern sei, ist festzustellen, daß gerade der von einem rechtliche Aspekte betonenden Verständnis des Nötigungsschutzguts für straflos gehaltene Fall der Androhung der Strafverfolgung die geradezu als klassisch zu bezeichnende Konstellation einer strafbaren Erpressung darstellte. Unter diesem geschichtlichen Aspekt ist damit die enge Auffassung, nach der die Willensfreiheit durch Rechte und Pflichten geprägt wird, nur schwerlich mit dem Erpressungstatbestand in Einklang zu bringen. Zeigt sich damit, daß das entscheidende Moment der Erpressung seit ihrer Entstehung der Gedanke der Einschüchterung beziehungsweise Furcht war, verwundert es nicht, daß die Beschränkung der Drohung auf die Ankündigung strafbarer Handlungen, wie sie das Preußische StGB vorsah, im § 253 RStGB nicht übernommen wurde. Das RStGB rückte lediglich wieder die Grundgedanken der Erpressung in den Vordergrund, die Beeinträchtigung der Willensfreiheit. Daß dies nicht rein zufällig, sondern durchaus bewußt geschah, zeigt sich an den bereits zitierten Motiven zu § 248 des Entwurfs von 1870, wonach jeder Zwang eine Strafbarkeit 148

Vgl. Fabricius, Formulierungsgeschichte, 117, 119.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

begründet, sofern hierdurch ein anderer zu einer Handlung bestimmt wird. Vor allem aber wird der Bezug zur concussio darin deutlich, daß auch die Drohung mit Denunziationen wegen wirklich begangener Straftaten taugliches Tatmittel sein sollte.149 Auch die Einführung des „empfindlichen Übels“ zur Spezialisierung der Drohung durch die StrafRAnglVO von 1943 steht dem nicht entgegen und kann folglich nicht als Schritt zurück hin zum Erpressungstatbestand des Preußischen StGB mit seinen engen, der rechtliche Maßstäbe hervorhebenden Ansicht nahestehenden Voraussetzungen angesehen werden. Denn das Merkmal des „empfindlichen Übels“ sollte nicht das Prinzip erneuern, sondern lediglich die Weite des bisherigen Erpressungstatbestandes korrigieren.150 Der Blick in die Geschichte der Tatbestände der §§ 240, 253 StGB hat gezeigt, daß bei der Nötigung die Kernthese einer engen und rechtliche Kategorien betonenden Nötigungskonzeption lange Zeit die Gesetzgebung nicht nur unmaßgeblich beeinflußt hat. Es hat sich aber auch gezeigt, daß sich der Gedanke, ein strafloses Verhalten müsse auch angedroht werden dürfen, zu keiner Zeit als allgemeine Ansicht durchsetzen konnte, weder im Hinblick auf die damaligen Gesetzeswerke noch innerhalb der strafrechtlichen Literatur. Vielmehr läßt sich ein Prozeß ausmachen, in dessen Verlauf das Unrecht der Nötigung immer stärker in der vom Opfer empfundenen Zwangswirkung gesehen wurde. Die Geschichte der Erpressung ist dagegen eindeutiger. Da hier bereits seit ihrem historischen Ursprung die beim Opfer erzeugte Furcht prägend für das Delikt war, konnte sich eine Einschränkung des Nötigungsmittels der Drohung auf die Ankündigung strafbarer Handlungen nur relativ kurz durchsetzen und sich die Willensfreiheit als Schutzgut etablieren. Damit läßt sich sagen, daß das Verständnis der Nötigung trotz gänzlich unterschiedlicher Herkunft im Laufe der Zeit dem der Erpressung angeglichen wurde. Die Rechtshistorie spricht damit nicht für eine Auffassung vom Nötigungsunrecht, nach der dasselbe durch eine nach Rechten und Pflichten bestimmte Willensfreiheit konstituiert wird. Vielmehr bestätigt sie eher die Gegenposition, die eine umfassende Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit als von § 240 StGB geschützt ansieht. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß die geschichtliche Entwicklung der §§ 240, 253 StGB nur ein Kriterium bei der Auslegung dieser Vorschriften darstellt. Aus der Historie einen eindeutigen Schluß für oder gegen eine Nötigungskonzeption ziehen zu wollen, wäre daher verfehlt.151

Vgl. Rubo, StGB, § 253, 858. Vgl. Kohlrausch, Strafrecht, 493 ff. 151 Vgl. zu den Auslegungskriterien, ihrem Nutzen und ihrer Gewichtung untereinander Larenz, Methodenlehre, 312, 343. 149 150

§ 2 Das Problem der erpresserischen Drohung als Angriff

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bb) Die Rechtsordnung und ihre Aussagekraft zum Rechtsgut der Nötigung und Erpressung Es sind daher andere Gesichtspunkte zu suchen, denen sich eine Aussage zur Frage nach dem durch die §§ 240, 253 StGB geschützten Rechtsgut entnehmen läßt. Hier kommen insbesondere konkrete Vorschriften und Rechtsgedanken unserer Rechtsordnung in Betracht. Soll nämlich die durch § 240 StGB geschützte Freiheit durch das Recht selbst konstituiert werden, liegt es nahe zu prüfen, ob das Recht tatsächlich eine Wertung in diese Richtung trifft oder nicht das Gegenteil der Fall ist und das Recht vor Zwangswirkungen im Sinne psychischen Drucks schützen will. (1) § 154 c StPO und die Vergleichbarkeit von Erpressung und Wucher Ein rein normatives Verständnis der durch die Nötigung beziehungsweise die Erpressung geschützten Freiheit bestimmt deren Reichweite nach den dargelegten Grundsätzen ausschließlich mit Hilfe der Rechtsordnung und der durch sie festgelegten Zuweisungen von Rechten an den einzelnen. Wie bereits ausgeführt wurde, erweist sich eine solche Auffassung dann als problematisch, wenn die Rechtsordnung selbst zum Ausdruck bringt, daß allein das Erlaubtsein eines Verhaltens die Annahme einer Freiheitsbeschränkung bei seiner Vornahme nicht hindert. Eine solche Aussage findet sich nun in § 154 c StPO. Diese Vorschrift räumt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit des Absehens von der Verfolgung einer Tat ein, wenn eine Nötigung oder Erpressung durch die Drohung begangen worden ist, diese Straftat zu offenbaren. Die Anwendbarkeit des § 154 c StPO setzt damit die Nötigungs- oder Erpressungsstrafbarkeit von Konstellationen notwendig voraus, in denen mit berechtigter Strafanzeige gedroht wird. In eine streng normative Konzeption der §§ 240, 253 StGB paßt die in § 154 c StPO zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers also nicht. Diesem Dilemma versucht man dadurch zu entkommen, daß man die Frage nach dem Unrecht des in § 154 c StPO geregelten Falles einer Nötigung beziehungsweise Erpressung stellt. Die Existenz des § 154 c StPO entspreche zwar der derzeit üblichen Interpretation einer Nötigung durch Drohung, damit sei allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob das Unrecht einer Nötigung durch Drohung mit berechtigter Strafanzeige das Unrecht eines Freiheitsdelikts sei.152 Man meint bei diesen Fällen vielmehr eine Parallele zum Wucher erkennen zu können.153 Denn der Täter schlage hier wie dort aus einer ihm bekannten Blöße des Opfers Kapital Jakobs, FS-Peters, 69, 83 Fn. 42; Timpe, Nötigung, 153 Fn. 15. SK-Horn, § 240 Rn. 43; Jakobs, FS-Peters, 69, 85; Timpe, Nötigung, 157 ff.. Nach Jakobs, FS-Peters, 69, 86, müsse der Schwerpunkt des Unrechts allerdings nicht immer im Bereich des Wuchers liegen. Diese Aussage zeigt bereits, daß es den Vertretern des streng normativen Nötigungsverständnisses noch nicht gelungen ist, § 154 c StPO in ihre Nötigungskonzeption widerspruchsfrei einzubinden. 152 153

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

beziehungsweise nutze die Kenntnis zur Erweiterung seiner Freiheit durch ein bestimmtes Opferverhalten. Gegen diese Argumentation mit einer formalen Gleichheit von Nötigung beziehungsweise Erpressung bei nicht rechtsverletzenden Tatmitteln und Wucher liegt zunächst ein die Tatbestandsstrukturen des Wuchers und der Nötigung beziehungsweise Erpressung hervorhebender Einwand nahe. Wie er auch von zahlreichen Stimmen in der Literatur154 vertreten wird, ist der Standpunkt denkbar, daß sich beide Delikte eindeutig voneinander trennen lassen, da der Wucherer eine bereits vorhandene Zwangslage ausnutzt, während der Erpresser durch die Drohung die Zwangslage für das Opfer erst herbeiführt. Nicht ganz unberechtigt läßt sich gegen diese Unterscheidung allerdings sagen, daß auch der Wucherer Zwangslagen schaffen kann, die er später ausnutzt.155 Beispielhaft wird der Kreditgeber genannt, der durch die Kündigung von Krediten den Kreditnehmer zunächst in eine Zwangslage versetze, um ihm dann Hilfe zu wucherischen Bedingungen zu gewähren.156 Entscheidend allerdings dürfte der eindeutige Wortlaut des § 154 c StPO sein, der eine Nötigung und Erpressung mittels Drohung mit berechtigter Strafanzeige voraussetzt und damit zum Ausdruck bringt, daß auch die Ankündigung eines an sich erlaubten Verhaltens das Unrecht einer Nötigung beziehungsweise Erpressung erfüllen könne. Dies ließe sich allenfalls mit der Lehre von der Relativität der Rechtsbegriffe157 anzweifeln. Danach kann ein Rechtsbegriff unabhängig davon, an welcher Stelle des Gesetzes er verwendet wird, unterschiedliche Bedeutungen haben und muß nicht um der Einheit und Widerspruchslosigkeit des Rechts willen stets ein und denselben Inhalt in sich tragen.158 Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die verschiedenen Ziel- und Zweckvorstellungen der diversen Rechtsgebiete eine Anpassung ein und desselben Rechtswortes an diese speziellen Zwecke notwendig machen und daher derselbe Begriff nicht nur eine unterschiedliche Bedeutung haben kann, sondern unter Umständen sogar haben muß.159 Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ließe sich nun sagen, daß die Begriffe der Nötigung und Erpressung in § 154 c StPO zulässigerweise anders gedeutet werden dürfen als in den §§ 240, 253 StGB, weil sie in unterschiedlichen (Teil-) Rechtsgebieten verwendet werden. Man würde damit allerdings unberücksichtigt lassen, daß § 154 c StPO nicht nur die Begriffe Nötigung und Erpressung verwen154 Arzt / Weber, BT, 24 / 3; Hohendorf, Individualwucherstrafrecht, 172 f.; Isopescul-Grecul, Wucherstrafrecht, 326; Kollmann, Lehre, 133; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, Rn. 7; Samson, JA 78, 469, 470. 155 Bernsmann, GA 81, 141, 166; Jakobs, FS-Peters, 69, 86; Timpe, Nötigung, 158. 156 Vgl. Timpe, Nötigung, 158. 157 Vgl. zur Lehre von der Relativität der Rechtsbegriffe und seiner Entwicklung ausführlich Demko, Relativität, 1 ff. 158 Demko, Relativität, 153 ff. 159 Demko, Relativität, 153 f.; Engisch, Einführung, 157 f.

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det, sondern insbesondere durch einen in Klammer gefaßten Zusatz auf die §§ 240, 253 StGB Bezug nimmt. Der Gesetzgeber hat sich damit selbst in eindeutiger Weise gegen eine denkbare Begriffsrelativität und für eine Einheitlichkeit des Sinngehaltes in diesem Bereich ausgesprochen. Der Grund hierfür dürfte denn auch aus dem Sinn des § 154 c StPO folgen. Durch die Inaussichtstellung von Straffreiheit für den Erpreßten soll seine Anzeige- und Aufklärungsbereitschaft gesteigert und dadurch bestimmte Formen der Erpressung, nämlich die Chantage, besser bekämpft werden können.160 Eine Argumentation über die Lehre von der Begriffsrelativität ist daher zwar denkbar, greift aber nicht durch, weil sie nach ihren eigenen Thesen im Hinblick auf die Beachtung von Sinn und Zweck der unterschiedlichen Rechtsgebiete keine unterschiedliche Deutung im Unrechtsgehalt zwischen einer Drohung mit einer erlaubten Strafanzeige und einer Erpressung beziehungsweise Nötigung zuläßt. (2) Die Verfahrensordnungen als Ausprägung des Gewaltmonopols Ein Nötigungsverständnis, daß die geschützte Freiheit über die bestehenden Rechte und Pflichten des einzelnen definiert, muß sich nicht nur im Hinblick auf seine Grundlagen mit der bestehenden Rechtsordnung vereinbaren lassen, sondern auch bezüglich seiner Konsequenzen. Ein oft zu findender Kritikpunkt an einer solchen Nötigungskonzeption richtet sich daher gegen das Ergebnis, das im Verhältnis des Gläubigers zum Schuldner erzielt wird. Dieses Verständnis von Nötigung und Erpressung hat nach Ansicht ihrer Vertreter zur Folge, daß eine Nötigungs- beziehungsweise Erpressungsstrafbarkeit nicht in Betracht kommt, wenn der Gläubiger die Erfüllung eines Leistungsversprechens des Schuldners unter Außerachtlassung staatlicher Verfahrensordnungen und außerhalb der Grenzen der erlaubten Selbsthilfe (§ 229 BGB) mit Gewalt oder durch Drohung in Eigenregie erzwingt. Die Freiheit des Schuldners, die Schuld nicht zu erfüllen, sei rechtlich nicht geschützt, der Gläubiger könne dem Schuldner folglich auch keine rechtlich anerkannte Freiheit nehmen.161 Der angesprochene hiergegen erhobene Einwand geht dahin, daß die Beachtung staatlicher Verfahrensordnungen durch den Gläubiger bei der Durchsetzung von Ansprüchen zur Freiheit des Schuldners gehöre. Das staatliche Zwangsmonopol wird also als Begrenzung der erlaubten Druckmittel des Anspruchsberechtigten und damit gleichzeitig als garantierter Schutz vor Fremdbestimmung angesehen.162 Vgl. LR-Beulke, § 154 c StPO Rn. 1. Jakobs, FS-Peters, 69, 79 ff.; Timpe, Nötigung, 29. 162 Arzt, FS-Welzel, 823, 834 ff.; derselbe, FS-Lackner, 641, 645 f.; Fezer, GA 75, 352, 359; derselbe, JR 76, 95, 97; NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 12; derselbe, BT / 2, 12 / 10; Paeffgen, FS-Grünwald, 433, 437 Fn. 18; Roxin, JuS 64, 373, 378; Schünemann, MschrKrim 70, 250, 261. Dieser Gedanke ist nicht neu, sondern wurde schon frühzeitig geäußert, vgl. etwa die Denkschrift zu dem Entwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1919, 258, aus dem Jahre 1920. 160 161

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

Veranlaßt demnach ein Gläubiger seinen Schuldner mit vorgehaltener Schußwaffe zur Zahlung einer geschuldeten Geldsumme163, ist von dieser Position ausgehend mangels Schaden zwar kein Erpressungsunrecht gegeben, gleichwohl aber Nötigungsunrecht. Wegen der Umgehung staatlicher Vollstreckungsverfahren handele es sich nämlich um einen widerrechtlichen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Schuldners, dessen der Leistung entgegenstehender Wille nur bei ordnungsgemäßer Durchführung der staatlichen Verfahren unbeachtlich sei. Das staatliche Gewaltmonopol wird demnach als entscheidend für die Beachtlichkeit der Verfahrensordnungen bei der Durchsetzung bestehender Ansprüche angesehen. Dies scheint in einem modernen Rechtsstaat selbstverständlich zu sein, was wohl auch der Grund dafür sein dürfte, daß diese Position als These ohne eigentliche Begründung vertreten wird. Dieser Umstand macht die These von freiheitsbegründenden verfahrensrechtlichen Elementen trotz ihrer Plausibilität aber naturgemäß auch leicht angreifbar. Dieser Angriff erfolgt in der Weise, daß nach der Wirkungsrichtung des Gewaltmonopols gefragt wird. Als Ergebnis wird festgestellt, daß eine außerhalb des Selbsthilfeverbotes (§ 229 BGB) liegende Vorgehensweise des Gläubigers zur Durchsetzung seiner Ansprüche zwar die Verwirklichung des Unrechts der Umgehung der für die Rechtsdurchsetzung eröffneten Verfahren darstelle, aber nicht die Verwirklichung des Unrechts der Verletzung der Verhaltensfreiheit des Opfers.164 Das Selbsthilfeverbot habe für den Gläubiger nicht den Sinn, dem Schuldner die Erfüllung der Leistungspflicht zu ersparen. Bezweckt sei vielmehr der Schutz des staatlichen Monopols der Durchsetzung zivilrechtlicher Leistungsansprüche in staatlich garantierten Verfahren. Das Gewaltmonopol des Staates begründet bei dieser Sicht der Dinge Verpflichtungen nur vertikal zwischen Bürger und Staat, seine Verletzung hat jedoch horizontal, also zwischen den Bürgern keine unmittelbaren Rechtswirkungen. Wenn die Gewaltanwendung des Gläubigers zur Durchsetzung seiner Rechte keine schutzwürdigen Interessen des Schuldners verletzen soll, sondern den alleinigen Anspruch des Staates auf Rechtsdurchsetzung in garantierten Verfahren, wirft dies die Frage nach dem Sinn des Gewaltmonopols in einem modernen Rechtsstaat auf. Wenn es keine Wirkungen zwischen den Bürgern entfaltet, muß die dann ausschließlich bestehende Beziehung zwischen dem Staat und seinen Bürgern sinnvoll erklärt werden können. Die Annahme beispielsweise, das Gewaltmonopol sei ein Privileg des Souveräns, erscheint nicht sonderlich überzeugend, weil ihr ein absolutistisches und damit heute überholtes Staatsverständnis zugrunde liegen würde. Auch den Sinn darin sehen zu wollen, daß mit Hilfe des Gewaltmonopols dem Bürger das Risiko abgenommen werden soll, bei der Beurteilung des Bestehens von Rechten Rechtsirrtümern zu unterliegen, erscheint weit hergeholt. Es gilt also zu klären, ob die Annahme, das Gewaltmonopol wirke nicht zwischen den 163 Vgl. zu diesem Beispiel NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 12; derselbe, BT / 2, 12 / 10; siehe auch den „Moos-raus-Fall“, BGHSt 17, 87. 164 Timpe, Nötigung, 30.

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Bürgern und gewähre ihnen keine Rechte untereinander, nicht als verfehlt anzusehen ist. Um hierüber nähere Aussagen treffen zu können, ist es angebracht, sich mit den staatstheoretischen Hintergründen des Gewaltmonopols etwas näher zu beschäftigen. Der gewaltmonopolistische Staat findet seinen Ursprung im Ende der konfessionellen und politischen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts und ist gekennzeichnet durch das Prinzip der absoluten, nur in einigen wenigen Ausnahmefällen durchbrochenen Verstaatlichung jeglicher Gewalt.165. Dabei meint der Begriff der Gewalt die physische Zwangsgewalt in Form staatlicher Zwangsvollstreckung, wie sie etwa durch Polizei, Strafgerichtsbarkeit oder die in der ZPO zur Zwangsvollstreckung entsprechender Titel berufenen Vollstreckungsorgane ausgeübt wird.166 Grundlage und Voraussetzung des Gewaltmonopols ist zunächst die Friedenspflicht der Bürger. Sie setzt voraus, daß der alleinige Anspruch des Staates auf Gewaltausübung von den Staatsbürgern akzeptiert wird, was sich im Verzicht auf jegliche Anwendung und Androhung von Gewalt zu äußern hat.167 Für den Staat und das in ihm geltende Recht bedeutet der Konsens unter den Bürgern, Konflikte nur in den Bahnen des geltenden Rechts auszutragen, die notwendige Bedingung seiner Staatlichkeit schlechthin. Denn die Friedenspflicht kann gesetzlich nicht, auch nicht auf der höchsten Stufe der Normenhierarchie, dem Verfassungsgesetz, geregelt werden, da solche Regelungen überhaupt erst dann regelnd wirken können, wenn ihre Adressaten sich grundsätzlich bereit erklärt haben, ihnen Folge zu leisten (Rechtsgehorsamspflicht).168 Es zeigt sich also, daß die Friedenspflicht, die Rechtsgehorsamspflicht und das Gewaltmonopol dem Staat und seiner Rechtsordnung voraus liegen.169 Da die mit dem alleinigen Recht zur Gewaltanwendung verbundene Macht in einem freiheitlichen Rechtsstaat als Instrument im Dienste des Gemeinwohls einzusetzen ist170, wird es nunmehr Aufgabe des Staats, das Gewaltmonopol zu konkretisieren, nicht zu konstituieren, da dies wegen seines apriorischen Charakters nicht denkbar ist. Der Staat hat also das Gewaltverbot in Form von Gesetzen, die für alle Lebensbereiche gelten171, also nicht nur die vertikale Beziehung Bürger – Staat betreffen, sondern auch die horizontale Beziehung der Bürger untereinander, um- und durchzusetzen. Im Verhältnis des Bürgers zum Staat geschieht dies etwa durch die Verwaltungsvollstreckungsgesetze des Bundes und der Länder, im Ver165 Vgl. zur Historie Isensee, FS-Eichenberger, 23, 26 m.w.N sowie Schmitt Glaeser, Private Gewalt, 184 ff. 166 Vgl. zum Begriff der Zwangsgewalt und seiner Abgrenzung zum Begriff der Staatsgewalt Isensee, FS-Sendler, 39, 47; derselbe, HbStR, Band I, 13 / 75. 167 Isensee, HbStR, Bd. I, 13 / 82. 168 Isensee, FS-Sendler, 39, 48; Kröger, JuS 84, 172, 173. 169 Isensee, FS-Sendler, 39, 50. 170 Isensee, FS-Sendler, 39, 47. 171 Isensee, FS-Sendler, 39, 49.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

hältnis der Bürger untereinander vor allem durch das Strafrecht.172 Das Erfordernis der Konkretisierung beinhaltet aber nicht nur die Ausgestaltung des Gewaltverbots durch Verbotsnormen, die Sanktion und Prävention bewirken.173 Als Ausgleich für den Entzug jeglicher Selbsthilferechte ist der Staat verpflichtet, geeignete Rechtsschutzverfahren zur Verfügung zu stellen, wie dies beispielsweise für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche in Form der ZPO geschehen ist. Das Gewaltmonopol basiert demnach auf einer Übereinkunft der Bürger untereinander, sich jeglicher Gewaltanwendung zu enthalten und das alleinige Recht hierzu dem Staat zu übertragen. Dieses Recht des Staates begründet gleichzeitig Pflichten, nämlich den Zustand des Gewaltverzichts unter den Bürgern zu sichern. Hierin liegt der eigentliche Zweck des Staates, im Schutz der Bürger vor privater Gewalt, in der Schaffung und Aufrechterhaltung eines Gesamtzustandes der Sicherheit oder, um es mit den Worten Thomas Hobbes’ zu sagen, „daß jeder gegen die Gewalttätigkeit der übrigen so weit geschützt werde, daß er sicher leben könne . . .“174 Mit dieser Erkenntnis steht fest, daß das Gewaltmonopol des Staates und die es konkretisierenden Vorschriften nicht um des Staates willen bestehen, sondern um seiner Bürger willen. Daß das Gewaltmonopol auch die unverzichtbare Bedingung dafür ist, daß der Staat die von ihm getroffenen Entscheidungen durch Schaffung und Vollzug des Rechts unabhängig von jedweder Gegnerschaft verbindlich umsetzen kann, steht dem nicht entgegen. Das Gegenteil ist der Fall. Dieses Recht stellt keine Privilegierung dar, sondern ist das Mittel des Staates, seiner Verpflichtung gegenüber den Bürgern zur Erhaltung eines Zustandes der Sicherheit vor privaten gewaltsamen Übergriffen nachzukommen. Für die eingangs gestellte Frage, ob der Gläubiger, der seinen Schuldner mit Gewalt zur Erfüllung seiner Schuld zwingt, Nötigungsunrecht verwirklicht, bedeutet dies folgendes: Die These, die Freiheit des Schuldners, die Schuld nicht zu erfüllen, sei rechtlich nicht geschützt, ist richtig, weil der Schuldner seiner Verpflichtung unbedingt nachkommen muß. Als Konkretisierungen des zum Wohle der Bürger geltenden Gewaltmonopols bilden die Verfahrensordnungen der ZPO, StPO etc. allerdings formale Grenzen der Rechte, die zwischen den Bürgern bestehen.175 Ihre Mißachtung bedeutet in der Tat die Verwirklichung des Unrechts der Umgehung der für die Rechtsdurchsetzung eröffneten Verfahren. Allerdings ist dieses Unrecht mit der Verwirklichung des Unrechts der Verletzung der Verhaltensfreiheit identisch, weil die Verfahrensordnungen auf Grund ihrer staatstheoretischen Herkunft und damit auch ihrem Zweck nach gerade auf Vermeidung gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Gläubiger und Schuldner ausgerichtet sind und daher die Freiheit gewähren, nicht mit jedem Mittel zur Erfüllung einer Schuld gezwunVgl. Schulte, DVBl. 95, 130, 132. Hierzu Isensee, FS-Sendler, 39, 49. 174 Hobbes, De cive, caput VI, 3. Zu den Grundlagen des Sicherheitszwecks vgl. ausführlich Isensee, Grundrecht, 3 ff. 175 NK-Kindhäuser, Vor § 249 Rn. 12. 172 173

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gen werden zu dürfen. Wollte man dies anders sehen, würde man das Gewaltmonopol und die aus ihm resultierenden Vorschriften in ihrem Sinn verkennen und es damit seiner Bestimmung entheben. Die Inanspruchnahme des Schuldners durch den Gläubiger außerhalb der erlaubten Selbsthilfe bedeutet folglich eine Beeinträchtigung seiner Freiheit. Auch insofern ist eine Konzeption, nach der sich die Freiheit des einzelnen allein nach den ihm zustehenden Rechten richtet, nicht unproblematisch. (3) Willensbildungs- / Willensbetätigungsfreiheit als Normwiderspruch? Zu fragen bleibt, wie sich die Annahme einer umfassenden Verhaltensfreiheit als Schutzgut des § 240 StGB mit dem Einwand vereinbaren läßt, daß das Recht, ohne sich selbst zu widersprechen, nicht zugleich die Freiheit zu einem bestimmten Verhalten anerkennen und eine Pflicht zu einem gegenteiligen Verhalten aufstellen könne.176 Diese sehr plausibel erscheinenden Bedenken lassen sich dadurch ausräumen, daß man sich zunächst die Bedeutung des Nötigungs- und Erpressungstatbestandes vor dem Hintergrund des Grundgesetzes vergegenwärtigt. Wie jede Norm des Besonderen Teils des StGB und viele andere Vorschriften in den anderen Rechtsgebieten auch dienen die §§ 240, 253 StGB dazu, einen Ausgleich zwischen zwei Grundrechtspositionen zu schaffen. Auf der einen Seite steht derjenige, der einen anderen zu einem bestimmten Verhalten veranlassen möchte. Ihm wird durch Art. 2 I GG gewährleistet, daß der Staat ihm diese Freiheit nur soweit wie unbedingt nötig nimmt. Ihm dient Art. 2 I GG als Abwehrrecht, er befindet sich im sogenannten status negativus.177 Auf der anderen Seite steht derjenige, der sich in bestimmter Weise verhalten soll. Ihm gewährleistet Art. 2 I GG im Sinne des status positivus, daß der Staat Vorkehrungen zur Erhaltung der Voraussetzungen einer freien Existenz und damit zur Entfaltung der Persönlichkeit trifft. Gemeint sind damit im Hinblick auf die Nötigung Regelungen, die verhindern, daß der Schwächere durch den Stärkeren zu Verhaltensweisen gezwungen wird, die er unter normalen Umständen nicht zeigen würde. Beiden Interessen wird der Staat durch eine Konkretisierung der sogenannten Schrankentrias in Art. 2 I GG gerecht, indem er in Form der §§ 240, 253 StGB jenem die Anwendung von Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herbeiführung eines Verhaltens verbietet, um diesen zwar nicht vor jedem, aber doch vor für besonders aggressiv gehaltenen „Überzeugungsversuchen“ zu schützen. Nötigungs- und Erpressungstatbestand verstanden als Normen zum Schutz einer möglichst umfassenden Handlungsfreiheit widersprechen damit nicht der Aussage, die Freiheit des Nötigers zur Nötigung könne nicht geschützt sein. Vielmehr bestätigen sie diese Aussage, indem sie sie erst ermöglichen. Der Nötiger ist nicht in einer Freiheit geschützt zu nötigen, was aus dem Umstand folgt, daß er als Nötiger 176 177

Jakobs, FS-Peters, 69, 70; derselbe, GS-H. Kaufmann, 791, 797; Timpe, Nötigung, 20. Vgl. die Einteilung der Grundrechtsfunktionen bei Jellinek, System, 87, 94 ff.

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

strafbar ist. Seine Freiheit, zu tun und zu lassen, was er will, wird begrenzt durch § 240 StGB. Diese Vorschrift ist die Norm, die dem Opfer ein bestimmtes Maß an Freiheit rechtlich gewährt und dem Täter dieses Maß an Freiheit rechtlich abschneidet. Der Nötigungstatbestand selbst ist damit die Vorschrift, die im Sinne eines normativen Verständnisses Freiheiten garantiert beziehungsweise beschneidet. Eines weiteren Korrektivs wie etwa anderen Rechtspositionen mag man sich zur Konturierung des Tatbestandes bedienen178, unbedingt erforderlich in dem Sinne, daß nur hierdurch normlogische Widersprüche zu vermeiden sind, ist dies allerdings nicht. Nun ließe sich sagen, daß diese Darlegungen auf den Schutzbereich der Nötigungsnorm zutreffen. Das hinter dieser Norm stehende Rechtsgut geht jedoch weiter und eben hieraus könnte sich ein normlogischer Widerspruch ergeben, da das Rechtsgut einer allgemeinen Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit die Freiheit erfassen muß zu nötigen und gleichzeitig die Freiheit, nicht genötigt zu werden. Nachdem aber bereits festgestellt wurde, daß der Nötigungstatbestand die gesetzgeberische Auffassung eines angemessenen Ausgleichs zweier Interessenkreise im Hinblick auf eine umfassende Freiheit wiedergibt, ist nicht ersichtlich, warum der vermeintliche Normwiderspruch nur in der Weise vermieden werden können soll, daß das geschützte Rechtsgut der Nötigung eine Freiheit im Sinne rechtlich garantierter Positionen sein muß. Wenn man eine allgemeine Handlungsfreiheit als Schutzgut der Nötigung als zu weitgehend ansieht, besteht genauso die Möglichkeit, die Einschränkung mit Blick auf die Tatbestandsformulierung vorzunehmen. Geschützt wäre dann die Freiheit, seinen Willen frei von jeglicher Beeinflussung durch Gewalt oder empfindlichen Drohungen zu betätigen. Auch auf diese Weise wird eine Trennung von Freiheitssphären erreicht und ein Normwiderspruch vermieden. Darüber hinaus verliert die Verwerflichkeitsklausel des Abs. 2 der §§ 240, 253 StGB nicht ihre Bedeutung, während sie bei normativem Ansatz als systemfremd überflüssig wird. Mit Gründen der Bestimmtheit des Tatbestandes läßt sich diese Vorgehensweise jedenfalls nicht ablehnen.179 Denn die Frage, ob Gewalt oder eine Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliegt, dürfte im Einzelfall ebenso schwierig zu beantworten sein wie die Frage nach den Eigentumsverhältnissen an einer Sache oder der Berechtigung einer angedrohten Kündigung.180 Entscheidend dürfte aber sein, daß der Normwiderspruch, der an einem weiten Verständnis vom Rechtsgut der Nötigung kritisiert wird, nichts Ungewöhnliches ist, 178 Es ist fraglich, ob eine Auslegung des Nötigungstatbestandes anhand bestehender garantierter Rechte und der damit zusammenhängenden Berechtigung zu einem Verhalten die damit erstrebte Klarheit im Bereich dieses Tatbestandes tatsächlich mit sich bringen kann. Vgl. dazu sogleich. 179 Jakobs, FS-Peters, 69, 70, sieht in der Konturierung der Nötigung ein besonders vordringliches Problem. 180 Mit den bereits gefundenen Ergebnissen läßt sich im übrigen das Vorliegen einer Drohung mit einem empfindlichen Übel leicht bejahen, weil allein darauf abzustellen ist, ob sich das Opfer die Drohung als Grund für sein Handeln genommen hat oder nicht.

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sondern der Regelfall. Die den Ver- und Gebotsnormen zugrundeliegenden Rechtsgüter sind stets Teil von Interessenskollisionsproblemen. Freund formuliert in diesem Zusammenhang treffend, daß insoweit die Handlungsfreiheit des einen Bürgers mit dem Schutz der Güter des anderen Bürgers konkurriere.181 Dies wird besonders deutlich, wenn man sich klar macht, daß die strafrechtlichen Rechtsgüter heute vielfach182 im Zusammenhang mit dem Grundgesetz, seinen Wertungen und seinen Aufgabenzuweisungen an den Staat gesehen werden, weil die Verfassung nicht zuletzt als Normierung einer Werteordnung die Vorgaben für staatliches Handeln trifft, indem sie Verpflichtungen, aber auch Grenzen staatlichen Handelns aufzeigt. Die durch Strafvorschriften geschützten Rechtsgüter sind danach Verfassungswerte, die in das Strafrecht transponiert werden. Dementsprechend unterliegen sie der Begrenzung durch andere Wertungen beziehungsweise Prinzipien, die sich ebenfalls aus der Verfassung ableiten lassen. Insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beschränkt den strafrechtlichen Rechtsgüterschutz wegen seines Charakters als ultima ratio auf einige wenige Angriffsweisen gegen die Rechtsgüter.183 Bei der Ausgestaltung des Rechtsgüterschutzes durch einen konkreten Straftatbestand hat der Gesetzgeber daher einen Ausgleich zwischen Prinzipien mit Verfassungsrang und den (Grundrechts-)Positionen von Täter und Opfer zu schaffen. Das Vermögen etwa kann nicht um jeden Preis geschützt werden, da dadurch die grundrechtlich gewährte Privatautonomie184 aus Art. 2 I GG beeinträchtigt werden würde. Das öffentliche Interesse an einer wahrheitsgemäßen Tatsachenfeststellung in gerichtlichen und gewissen sonstigen Verfahren kann nicht um jeden Preis geschützt werden, da dies einen Verstoß gegen den Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ bedeuten würde, weil der Beschuldigte sich bei seiner Einlassung selbst belasten müßte. Das Rechtsgut der Ehre kann nicht um jeden Preis geschützt werden, sondern aus Gründen der Meinungsfreiheit nur gegen Angriffe besonderer Qualität. Diese problemlos zu ergänzenden Beispiele zeigen, daß Strafrechtsgüter häufig in Widerspruch zu anderen Prinzipien mit Verfassungsrang stehen und damit als rechtswidrige Rechtsgüter zu bezeichnen wären. Dieser Ausgleich zwischen den einzelnen (zum Rechtsgut erstarkten) Gütern mit Verfassungsrang ist der Grund, warum die Rechtsgüter nicht in umfassender Form geschützt werden.185 So werden nicht einmal die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit, die wegen ihFreund, AT, 1 / 13. Vgl. etwa Baumann / Weber / Mitsch, AT, 3 / 12; Roxin, AT / I, 2 / 9 ff.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 6. 183 Gropp, AT, 2 / 29; Otto, AT, 1 / 48; Roxin, AT / I, 2 / 28; Stratenwerth, AT I, 2 / 19; Wessels / Beulke, AT, Rn. 9. 184 Vgl. hierzu etwa BVerfGE 89, 214, 230 ff.; HbStR-Erichsen, Band VI, 152 / 56 ff.; J / P-Jarass, Art. 2 Rn. 16. 185 Bergmann, Unrecht, 35 f.; Gropp, AT, 3 / 28; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 13 ff. Rn 9; Maurach / Zipf, AT / 1, 19 / 7; Otto, GS-Schröder, 53, 56; Zipf, Kriminalpolitik, 114. 181 182

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1. Kapitel: Über den Angriffscharakter der erpresserischen Drohung

rer herausragenden Bedeutung das Paradebeispiel für umfassenden Rechtsgüterschutz darstellen könnten, absolut geschützt.186 Auch erfolgt strafrechtlicher Schutz des Vermögens beispielsweise nur bei Vorliegen einer ganz bestimmten Angriffsart wie etwa einer Täuschung. Ferner gibt es Tatbestände, die eine Beeinträchtigung des ihnen zugrundeliegenden Rechtsgutes nur dann sanktionieren, wenn sie von einigem Gewicht ist, etwa bei § 324 a I StGB. Bei der Nötigung verhält es sich genauso. Hier kollidieren zwei grundrechtliche Positionen aus Art. 2 I GG in der bereits oben dargestellten Weise. Den erforderlichen Ausgleich dieser Kollision hat der Staat durch die Vorschrift des § 240 StGB vorgenommen. Es zeigt sich somit, daß der kritisierte Normwiderspruch keine außergewöhnliche und ausschließlich durch ein weites Nötigungsverständnis hervorgerufene Erscheinung ist. Vielmehr stellt diese Kollision nur insoweit einen besonderen Fall dar, als die sie begründenden Positionen aus demselben Recht resultieren, nämlich der allgemeinen Handlungsfreiheit. Das durch die Nötigung geschützte Rechtsgut bedarf daher keiner einschränkenden Interpretation in dem Sinne, daß Freiheit und damit durch den Nötigungstatbestand geschützt nur das sei, was dem einzelnen kraft garantierter Rechte zustehe.

2. Ergebnis Der Blick auf die Historie der Tatbestände der Nötigung und der Erpressung sowie auf die geltende Rechtsordnung hat mehrere Anhaltspunkte dafür ergeben, daß das in den genannten Vorschriften geschützte Rechtsgut der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit umfassend geschützt wird und keiner Einschränkung durch bestehende Rechte und Pflichten der Beteiligten zugänglich ist. Das Erlaubtsein seiner Ausführung macht die Ankündigung eines Verhaltens damit nicht per se zu einer angriffsuntauglichen Drohung, weil auch hierdurch die Willensfreiheit in unzulässiger Weise beeinträchtigt werden kann. Dementsprechend stellt auch die Drohung mit einem erlaubten Verhalten zur Erlangung eines Vermögensvorteils einen erpresserischen Angriff dar, wenn dem Opfer dadurch ein Grund aufgedrängt werden soll, sich im Sinne des Drohenden zu verhalten und ein vermögensschädigendes Verhalten vorzunehmen.

D. Zusammenfassung Als vordringliches Rechtsproblem der Notwehr gegen Erpressung hatte sich zu Beginn der Untersuchung zunächst die Frage herauskristallisiert, in welchem Verhältnis der Angriff auf die Willensfreiheit zum Angriff auf das Vermögen steht. Die besondere Bedeutung dieses Verhältnisses wurde darin gesehen, daß von ihm 186

Vgl. Freund, AT, 1 / 13.

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zunächst abhängt, ob auch nach dem Ausspruch der Drohung noch von einem Angriff auf die Willensfreiheit ausgegangen werden kann oder ob nach diesem Zeitpunkt allein ein Angriff auf das Vermögen gegeben ist. Es zeigte sich ferner, daß die Beziehung zwischen dem Angriff auf die Willensfreiheit und auf das Vermögen Auswirkungen auch auf andere Notwehrvoraussetzungen, insbesondere die erforderliche Verteidigung hat. Zur näheren Bestimmung des Verhältnisses wurde daher der Zusammenhang zwischen der Willensfreiheit und dem Vermögen im Tatbestand des § 253 StGB analysiert. Es wurde festgestellt, daß beide Rechtsgüter in dem Sinne aufeinander bezogen sind, daß die Verletzung des Vermögens kausal durch die Verletzung der Willensfreiheit bewirkt sein muß, um eine vollendete Erpressung bejahen zu können. Die Frage nach der Bestimmbarkeit dieser Kausalität wurde dahingehend beantwortet, daß dies nicht mit Hilfe strikter und allgemeiner Gesetze möglich ist, weil es solche im Bereich der menschlichen Psyche nicht gibt. Vielmehr wurde zur Bestimmung der Kausalität zwischen der Drohung und dem Vermögensschaden ein eigenständiger Kausalitätsbegriff herangezogen, nach dem die Drohung dann kausal für das vermögensschädigende Verhalten ist, wenn sich das Opfer gerade sie zum Grund seines Entschlusses genommen hat. Diese dem Erpressungstatbestand immanenten Strukturen konnten nun für die genaue Bestimmung des Charakters einer erpresserischen Drohung als Angriff fruchtbar gemacht werden, weil nunmehr feststand, wie ein Angriff beschaffen sein muß, um die tatbestandlichen Mechanismen des § 253 StGB auslösen zu können. Der erpresserische Angriff durch Drohung erfolgt damit in der Weise, daß der Erpresser von seinem Opfer eine vermögenswerte Leistung verlangt und in Form der Drohung den Grund für das Opfer schafft, diesem Leistungsbegehren nachzukommen. Der Angriff auf das Vermögen des Opfers erfolgt somit gerade durch den Angriff auf seine Willensfreiheit und kann nicht von diesem getrennt werden. Dabei muß der Erpresser seine Drohung aufrechterhalten, damit der Erpreßte sie weiterhin als Grund für die Vornahme des vermögensschädigenden Verhaltens bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt. Es hat sich schließlich gezeigt, daß es keine Rolle spielt, ob die Ausführung der Drohung durch den Erpresser erlaubt ist oder nicht. Solche Drohungen aus dem Kreis der angriffstauglichen ausscheiden zu wollen mit der Begründung, hierdurch werde das Rechtsgut der Willensfreiheit nicht berührt, konnte nicht überzeugen. Denn eine solche Begrenzung des Rechtsguts Willensfreiheit widerspricht der historischen Entwicklung der Freiheitsdelikte der Nötigung und Erpressung und ist zudem mit der Rechtsordnung und ihren staatstheoretischen Grundlagen nicht in Einklang zu bringen.

5 Seesko

Zweites Kapitel

Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen Die bisherigen Erörterungen haben gezeigt, daß der Erpresser mit seiner Ankündigung, ein bestimmtes Verhalten vorzunehmen, wenn nicht der Erpreßte in seinem Sinne handelt, dessen Freiheit, einen bestimmten Entschluß frei von deliktischem Zwang fassen zu können, beeinträchtigt. Diese Einflußnahme auf die Entscheidungsfindung des Opfers als Mittel, das weitergehende Ziel der Erlangung eines Vermögensvorteils zu erreichen, wurde als das Typische eines erpresserischen Angriffs ausgemacht. Insbesondere diese Erkenntnis kann nunmehr zur Lösung der Probleme, die bei allen Notwehrvoraussetzungen im Hinblick auf eine erpresserische Drohung auftreten, herangezogen werden. Dabei stehen naturgemäß vor allem die Schwierigkeiten um die Merkmale des Angriffs und der Gegenwärtigkeit des Angriffs im Vordergrund. Aber auch bezüglich der Erforderlichkeit der Verteidigung wird auf das Typische des erpresserischen Angriffs zurückzukommen sein.

§ 1 Notwehrfähigkeit der Willensentschließungsund Willensbetätigungsfreiheit Wie zu Beginn der Untersuchung festgestellt wurde, ist ein Angriff ein Verhalten, das auf die Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen gerichtet ist.1 Bei der erpresserischen Drohung als Angriff geht es folglich um die (drohende) Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit und des Vermögens. Obwohl auch Neuheuser mit dieser Aussage übereinstimmt und eine Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit für solange gegeben hält, bis das abverlangte Verhalten erfüllt oder unmöglich geworden sei, will er hieraus gleichwohl nicht auf das Vorliegen eines Angriffs schließen.2 Vielmehr solle ein notwehrfähiger Angriff bei tatbestandsmäßigen Erpressungshandlungen erst dann gegeben sein, wenn auch eine unmittelbare Gefährdung der Willensbetätigungsfreiheit, also der Freiheit, einen gefaßten Entschluß ausführen zu können, gegeben sei.3

1 2 3

Vgl. oben 1. Kapitel § 1. Neuheuser, Duldungspflicht, 47 ff., 52. Neuheuser, Duldungspflicht, 50.

§ 1 Notwehrfähigkeit der Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit

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Der Grund hierfür soll darin liegen, daß die Willensentschließungsfreiheit als solche kein notwehrfähiges Rechtsgut darstelle, weil sie in unserer Rechtsordnung allein nicht als schutzwürdiges Individualinteresse anerkannt sei. Vielmehr sei sie nur im Zusammenhang mit der Willensbetätigungsfreiheit, insbesondere mit der Freiheit, vermögensrelevante Entschlüsse zu tätigen, geschützt, wie gerade im Strafrecht an den §§ 240, 253, 263 StGB deutlich werde.4 Erst wenn die Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit das Mittel zur Beeinträchtigung eines anderen Rechtsguts sei, werde es also von der Rechtsordnung geschützt. Gerade der Kombination zweier Rechtsgüter komme konstitutive Bedeutung für die Notwehrfähigkeit zu. Mit der Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit als vorgelagertes Partialrechtsgut sei ein Angriff allerdings noch nicht gegeben, denn: „Das Einwirken auf die Willensentschließungsfreiheit stellt kein Erfolgsunrecht für das jeweilige zusammengesetzte Gesamtrechtsgut dar, was aber notwendige Voraussetzung eines Angriffs ist. . . . Dieses kann erst mit der Beeinträchtigung des zweiten Elements des Gesamtrechtsguts eintreten.“5 Zur Verdeutlichung seiner Position bedient sich Neuheuser zweier berühmter Beispiele. Im ersten Beispiel hört der Inhaber einer abgelegenen Gaststätte, wie seine Gäste verabreden, ihn nach Eintritt der Polizeistunde auszurauben. Weil er ihrem späteren Angriff nicht gewachsen wäre, schüttet er seinen Gästen ein betäubendes Mittel in das Bier.6 Das zweite Beispiel ist der sogenannte „SpannerFall“7, in dem der Ehemann eines Arztehepaares einen Voyeur, der zum wiederholten Male nachts in die Wohnung und in das Schlafzimmer eingedrungen war, auf der Flucht anschoß, um ihn von künftigen nächtlichen Besuchen ein für allemal abzuhalten. Durch das wiederholte Erscheinen des Voyeurs traute sich das Ehepaar nicht mehr, Abendveranstaltungen aufzusuchen oder nächtliche ärztliche Hausbesuche zu machen, plante also seinen Tagesablauf unter dem Einfluß der möglichen Besuche. In beiden Fällen sieht Neuheuser die Willensentschließungsfreiheit der dort betroffenen Personen verletzt, weil sie in Kenntnis und unter dem Einfluß eines ihnen drohenden Übels ihren Tagesablauf ändern. Er stellt aber auch fest, daß gleichwohl nach allgemeiner Meinung ein Angriff in beiden Beispielen nicht angenommen werde, weil eine über die Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit hinausgehende Rechtsgutsverletzung nicht bevorstehe.8 Durch die Bezugnahme auf die beiden Beispiele wird zunächst die Verwirrung gelöst, die dadurch entsteht, daß Neuheuser die Notwehrfähigkeit zusammengesetzter Gesamtrechtsgüter wegen eines fehlenden „Erfolgsunrechts“ verneint. Das Erfolgsunrecht bildet neben dem Handlungsunrecht den Unrechtsgehalt eines voll4 5 6 7 8

5*

Neuheuser, Duldungspflicht, 49. Neuheuser, Duldungspflicht, 50. Vgl. zu diesem Fall auch Schönke / Schröder-Leckner / Perron, § 32 Rn. 16 f. BGH NJW 1979, 2053. Neuheuser, Duldungspflicht, 50 f.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

endetes Delikts9, ist aber für einen Angriff nicht kennzeichnend, weil dieser bereits bei einem Verhalten gegeben ist, das nur auf Verletzung eines Rechtsgutes gerichtet ist. Neuheuser meint folglich wohl ein drohendes Erfolgsunrecht im Sinne eines auf Rechtsgutsverletzung zielenden Verhaltens. Was nun die rechtliche Würdigung dieser Fälle durch Neuhäuser anbelangt, ist ihm zuzustimmen. Zu Recht wird in den Beispielsfällen ein Angriff verneint. Denn das, was zuvor als das Charakteristische eines nötigenden beziehungsweise erpresserischen Angriffs herausgearbeitet wurde, ist dort nicht zu erkennen. Es mangelt daran, daß der Täter seinem Opfer einen Grund für ein von ihm begehrtes Verhalten gibt, um ihn gerade hierdurch zur Vornahme desselben zu motivieren. Weder die „Räuber“ noch der Voyeur wollen ihre Opfer zu einem ganz bestimmten Verhalten bewegen und setzen hierzu eine Einwirkung auf den Willensbildungsprozeß bezogen auf genau dieses Verhalten ein. Es fehlt an der Kombination aus Motivation durch Schaffung eines Grundes als Mittel zum Zwecke der Erreichung eines begehrten Verhaltens und damit insbesondere auch an einem gegenwärtigen Angriff auf das Eigentum beziehungsweise das Hausrecht der betroffenen Personen. Daß die vorherigen Äußerungen der Gäste und das wiederholte Erscheinen des Voyeurs der Grund für die Änderungen des normalen Verhaltens der Betroffenen war, ist sicherlich richtig. Allerdings wurden weder die Äußerung noch das nächtliche Erscheinen dazu eingesetzt, genau diese Reaktion hervorzurufen.10 Wenn Neuheuser also von einer mangelnden Beeinträchtigung des zweiten Elements des Gesamtrechtsgutes spricht, meint er damit nichts weiter, als das Fehlen der gezielten Einwirkung auf einen Willensbildungsprozeß zur Erreichung eines weitergehenden Ziels, nämlich der Verletzung der Willensbetätigungsfreiheit. Insofern ist seine Position mit der hier vertretenen durchaus vereinbar. Daß er einen Angriff in den Fällen tatbestandlicher Erpressungshandlungen ebenfalls verneint, verwundert dementsprechend. Denn hier ist die gezielte Einwirkung auf den Willensbildungsprozeß durch Schaffung eines Grundes für das vom Opfer begehrte vermögensschädigende Verhalten gerade gegeben. Um es mit den Begrifflichkeiten Neuheusers zu sagen: Die zweite Komponente des Gesamtrechtsguts, das Vermögen, wird durch die Ankündigung des Erpressers, etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen, ebenfalls angegriffen, weil sie gerade dadurch bewirkt werden soll. Die verlangte „unmittelbare Gefährdung“11 ist somit gegeben. Anderenfalls müßte man sich die Frage stellen, wann denn sonst von einer unmittelbaren Gefährdung des Vermögens ausgegangen werden kann. Denkbar wäre allenfalls, dies in dem Zeitpunkt für gegeben zu erachten, in dem sich das Opfer wegen der Drohung zu einem vermögensschädigenden Verhalten entschließt. Dies würde aber bedeuten, daß nicht mehr allein das Verhalten des Angreifers die BeurVgl. etwa Roxin, AT / I, 10 / 88; Wessels / Beulke, AT, Rn. 15. Das zeigt der erste Fall besonders deutlich. Die Gäste werden wohl kaum diese Reaktion des Gastwirtes erwünscht haben. 11 Neuheuser, Duldungspflicht, 50. 9

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§ 1 Notwehrfähigkeit der Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit

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teilungsgrundlage für die Bejahung oder Verneinung eines Angriffs darstellt. Vielmehr käme es jetzt entscheidend auf die Entschlußfassung des Angriffsopfers an. Abgesehen davon, daß der genaue Zeitpunkt des Vorliegens eines Angriffs damit praktisch nie eindeutig zu bestimmen wäre, würde man einen Teil der Verantwortlichkeit für das Vorliegen eines Angriffs auf das Angriffsopfer verlagern. Die Vorstellung aber, erst dann und überhaupt von einem „Angriff“ sprechen zu können, wenn das Opfer selbst den entscheidenden Schritt zur Verletzung seiner eigenen Rechtssphäre tut, fällt schwer und kann wohl mit dem natürlichen Sinn des Wortes kaum vereinbart werden. Schließlich würde die Bejahung eines Angriffs erst im Zeitpunkt der Entschlußfassung des Opfers zu einer Vermögensverschiebung dazu führen, daß die These, die Willensentschließungsfreiheit sei rechtlich für sich allein betrachtet nicht geschützt, nicht mehr haltbar wäre. Wenn nach einhelliger Ansicht12 der strafbare Versuch bei der Nötigung und der Erpressung und auch die Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit beginnen soll, wenn der Täter zur Nötigungshandlung ansetzt, kann die kriminalpolitische Entscheidung des Gesetzgebers für die Strafbarkeit des Versuchs dann doch nur damit erklärt werden, daß dem Opfer bereits im Vorfeld der Betätigung eines bestimmten Entschlusses garantiert werden soll, daß es diesen Entschluß frei von jeglichem Einfluß fassen kann. Strafgrund des Versuchs bei den genannten Delikten wäre damit die Verhinderung solcher Situationen, in denen sich eine Person zum Herrscher über eine andere aufschwingt, und zwar nicht erst im Hinblick auf ein sich in der Außenwelt auswirkendes Verhalten, sondern bereits auf den davor liegenden psychischen Vorgang des Abwägens und Sichentschließens.13 Strafgrund wäre also der Schutz der Willensentschließungsfreiheit. Die Strafbarkeit des Versuchs der Nötigung und der Erpressung würde damit deutlich machen, daß die Willensentschließungsfreiheit unabhängig von einer Beziehung zu einem anderen Rechtsgut als schutzwürdiges und geschütztes Individualinteresse anerkannt und damit auch unabhängig von der Willensbetätigungsfreiheit notwehrfähig ist. Als Ergebnis kann damit festgehalten werden, daß die Position Neuheusers, die Willensentschließungsfreiheit sei nur in Verbindung mit einem weiteren Rechtsgut, namentlich dem Vermögen, rechtlich geschützt und damit notwehrfähig, zu der hier vertretenen Ansicht grundsätzlich nicht im Gegensatz steht. Allerdings verkennt er, daß im Falle der Erpressung durch die Drohung bereits die Willensentschließungsfreiheit und das Vermögen angegriffen werden, weil dies den erpresserischen Angriff nach den schon gefundenen Ergebnissen kennzeichnet. Die von ihm verlangte unmittelbare Gefährdung der Willensbetätigungsfreiheit ist damit regelmäßig mit dem Ausspruch der Drohung und ihrer Aufrechterhaltung gegeben. 12 Schönke / Schröder-Eser, § 240 Rn. 37; Tröndle / Fischer, § 240 Rn. 56; § 253 Rn. 15; ; LK- Herdegen, § 253 Rn. 30; Lackner / Kühl, § 253 Rn. 11. 13 Vgl. auch RGSt 48, 346, 349: „Denn die ganze Reihe seelischen und körperlichen Tätigwerdens muß ungestört verlaufen können, soll in Wahrheit eine eigene Herrschaft und Bestimmung des Menschen über sich und sein Tun stattfinden.“

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

§ 2 Strukturelle Unterschiede zwischen einem erpresserischen Angriff und einer „idealtypischen Notwehrlage“ Ob der Einsatz einer Drohung zur Erreichung eines bestimmten Verhaltens des Drohungsopfers ein Angriff im Sinne des § 32 StGB darstellen kann, wird teilweise unter dem Gesichtspunkt eines strukturellen Unterschieds zwischen einer idealtypischen Notwehrlage und dem, was den Vorgang des Drohens mit einem empfindlichen Übel ausmacht, in Frage gestellt.14 Dieser Unterschied wird darin gesehen, daß der Angreifer in der als Normalfall angesehenen Notwehrlage das betroffene Rechtsgut selbst bedroht, während die Verletzung des Rechtsguts der Willensentschließungsfreiheit als vom Opfer abhängig angesehen wird, weil ausschließlich das Opfer entscheide, ob es der Drohung nachgebe oder nicht. Dabei geht man davon aus, daß eine Verletzung der Willensentschließungsfreiheit nicht bereits dann gegeben sei, wenn zu den Motiven, die eine Handlungsweise des Opfers steuern, das durch die Drohung gesetzte hinzutrete, sondern erst dann, wenn – insofern zeigen sich Parallelen zu der zuvor behandelten Ansicht Neuheusers – der vom Täter beabsichtigte Entschluß gefaßt werde.15 In bezug auf die Willensentschließungsfreiheit liege damit ein Fall einer nur mittelbaren Rechtsgutsverletzung vor, weil diese erst mit der Entschlußfassung als solcher anzunehmen sei. Die Verneinung der Angriffsqualität einer Drohung mit der Begründung, der Täter sei nicht für die Verletzung des Rechtsguts der Willensentschließungsfreiheit verantwortlich, vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist zuzugeben, daß es das Opfer ist, das die Entscheidung darüber trifft, ob es dem Begehren des Täters nachgibt oder nicht. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß der dem Entschluß vorgelagerte Entscheidungsprozeß in der Regel erst durch die Drohung des Täters ausgelöst wird und daher der Täter das Geschehen typischerweise überhaupt erst in Gang setzt. Durch das Schaffen eines Grundes zur Vornahme des von ihm begehrten Verhaltens beginnt er folglich, das Drohungsopfer in seinem Sinne zu instrumentalisieren und es einem mittelbaren Täter vergleichbar gegen sich selbst einzusetzen.16 Schon für den Abwägungsprozeß, den das Opfer nunmehr vornimmt, kann seine Verantwortung also nicht geleugnet werden. Dies entspricht vor allem auch dem, was als das entscheidende Charakteristikum des erpresserischen Angriffs festgestellt wurde, nämlich, daß das Opfer in einen Entscheidungsnotstand versetzt wird, um gerade hierdurch ein bestimmtes Opferverhalten hervorzurufen. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die Verletzung der Willensentschließungsfreiheit erst mit der Entschlußfassung des Opfers als gegeben ansieht und nicht bereits durch den aufgedrängten Abwägungsprozeß zwischen zwei Übeln.

14 15 16

Müller, NStZ 93, 366, 367 f. Müller, NStZ 93, 366, 368. Novoselec, NStZ 97, 218, 219.

§ 2 Erpresserischer Angriff und „idealtypische Notwehrlage“

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Denn die Verletzung eines Rechtsgutes ist für den Angriff auf dasselbe nicht von Bedeutung, da ein hierauf gerichtetes Verhalten ausreicht. Schließlich wäre es inkonsequent, den Angriff durch den Drohenden mit der Begründung abzulehnen, die Verwirklichung der Rechtsgutsverletzung liege in den Händen des Opfers, der Drohende sei also nicht dafür verantwortlich. Dies folgt aus der Überlegung, daß der Drohende im Falle der Vollendung der Nötigung beziehungsweise Erpressung hierfür verantwortlich und unbestreitbar als Urheber der Rechtsgutsverletzung anzusehen ist, wie seine Strafbarkeit nach den §§ 240, 253 StGB gerade zeigt. Ein Verhalten, das im Hinblick auf die Vollendung eines Straftatbestandes relevant ist, muß davor aber zwangsläufig auf die Verletzung des durch den Straftatbestand geschützten Rechtsguts gezielt haben und damit als Angriff im Sinne des § 32 StGB durch den Vollendungstäter zu werten sein.17 Die erpresserische Drohung unterscheidet sich daher nicht dadurch von anderen Angriffen, daß der Angreifer die Rechtsgutsverletzung als solche nicht in den Händen hält. Wenn man dennoch intuitiv einen Unterschied zwischen einer (Schweigegeld-) Erpressung und beispielsweise einer Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls bezüglich ihrer Angriffsqualität feststellen zu können glaubt, so liegt das daran, daß die Erpressung ein aus zwei Teilakten zusammengesetztes Delikt ist, bei dem zwischen der Verwirklichung beider Akte durchaus Tage und Wochen vergehen können. Die Situation des Opfers einer Schweigegelderpressung scheint daher eher einem rechtfertigenden Notstand zu gleichen denn einem Angriff. Dogmatisch läßt sich dies mit Kratzsch in der Weise begründen, daß man den entscheidenden Unterschied zwischen den §§ 32 und 34 StGB darin sieht, daß die dort erfaßten Rechtsgutsgefährdungen und die ihnen korrespondierenden Bedrängnissituationen des Gefährdeten ein Prozeßgeschehen verkörpern, das – als Gesamtheit betrachtet – an Intensität zunehme.18 Im Gegensatz zur Gefahrensituation, wie sie § 34 StGB voraussetzt und in der dem Bedrohten genügend Zeit bleibe, seine Abwehr so vorzubereiten, daß er dem dort normierten Interessenabwägungsprinzip Rechnung tragen könne, sei der Angriff als eine durch eine extreme Bedrängnis des Angriffsopfers geprägte Ausnahmesituation zu verstehen.19 Sei das Angriffsstadium erreicht, sei es daher im System der Notrechte Aufgabe des § 32 StGB, das bis dahin durch § 34 StGB geregelte Abwehrrecht des Angriffsopfers den qualitativen Veränderungen anzupassen, indem ihm das „schneidige“ Notwehrrecht zuerkannt werde. Übertragen auf die Erpressung bedeute dies, daß von der charakteristischen angriffskonstituierenden Intensität der Zwangswirkung noch nicht ausgegangen werden könne, da bei einer Erpressung die Verletzung der Rechtsgüter Willensfreiheit und Vermögen erst einige Zeit nach der Drohung eintrete. Dem Op17 18 19

Eggert, NStZ 01, 225, 226. Kratzsch, StV 87, 224, 228. Jakobs, AT, 12 / 22, spricht von der „Drastik des aktuellen Angriffs“.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

fer bleibe also hinreichend Zeit und Regelungskapazität, das Ob und Wie der Abwehr nach den Maßstäben des § 34 StGB abzuwägen.20 Das Kriterium einer gesteigerten Bedrängnis auf seiten des Angegriffenen im Vergleich zu einem nur Bedrohten erscheint auf den ersten Blick zur Differenzierung von Notstand und Notwehr nachvollziehbar. Dem Angegriffenen stehen in der Tat häufig nur Bruchteile von Sekunden für die geforderte Entscheidung und Handlung zur Verfügung, seine Abwehrmittel beschränken sich oft auf die an Ort und Stelle befindlichen Ressourcen und zudem wirken dann auch noch eine Reihe von subjektiven Entscheidungserschwernissen wie etwa Überraschung abwehrhemmend. Allerdings ist die von Kratzsch aus dieser Umschreibung eines nach seiner Ansicht typischen Angriffs gezogene Konsequenz, nach der es in gewisser Weise einer Selbstaufopferung gleichkäme, in dieser extremen Bedrängnis vom Verteidiger eine Interessenabwägung gemäß § 34 StGB zu verlangen21, sehr fraglich. Denn er läßt dabei außer Betracht, daß sich dasselbe Szenario auch in Fällen zeigen kann, in denen ein rechtfertigender Notstand anzunehmen ist. Man denke etwa an den Fall des sich losreißenden und einen Passanten attackierenden Hundes, der nur durch einen tödlichen Stockhieb oder einen gezielten Schuß abgewehrt werden kann. Auch auf diesen Fall paßt ein Satz Kratzschs, der sich eigentlich im Zusammenhang seiner Erläuterungen zu § 32 StGB findet: „Der Angegriffene wird hierdurch in eine Lage ,gedrängt’, in der er nur mit sofortiger Verteidigung das bedrohte Rechtsgut retten kann.“22 Obwohl hier also eine für einen Angriff typische Bedrängnissituation gegeben ist, greift § 32 StGB gleichwohl nicht, sondern mit § 228 BGB eine den Notstand regelnde Vorschrift. Ähnliche Fälle lassen sich viele konstruieren, weil immer dort, wo die Gefahr nicht von einem Menschen ausgeht, nur ein rechtfertigender Notstand zugunsten der die Gefahr beseitigenden Person eingreifen kann. Dies zeigt sehr deutlich, daß eine unterschiedliche Drastik der Rechtsgutgefährdungen nicht zur Charakterisierung von Notstand und Notwehr geeignet ist, weil sie hier wie dort gegeben sein kann. Bereits aus diesen grundlegenden Bedenken ist es daher auch nicht überzeugend, der Drohung des Erpressers die Angriffsqualität mit dem Argument abzusprechen, zwischen ihr und dem Zeitpunkt, in dem sich das Opfer zum Handeln gezwungen sehe, liege meist ein Zeitraum von mehreren Tagen und Wochen, so daß dem Bedrohten hinreichend Zeit und Regelungskapazität bleibe, um ohne unzumutbare Opfer das „Ob“ und „Wie“ der Abwehr nach den Maßstäben des § 34 StGB abzuwägen.23 Dies mag die Regel sein, zwingend ist es jedoch nicht. Man denke nur daran, daß der Erpresser mit seiner Drohung ein unmittelbar daran anschließendes Verhalten des Erpreßten erreichen will. Daß sich auch in diesem Fall das Opfer in einer extremen Bedrängnissituation befindet, dürfte naheliegen. 20 21 22 23

Kratzsch, StV 87, 224, 229. Kratzsch, StV 87, 224, 228. Kratzsch, StV 87, 224, 228. Kratzsch, StV 87, 224, 228.

§ 2 Erpresserischer Angriff und „idealtypische Notwehrlage“

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Was diese Situation allerdings als Bedrängnis ausmacht, wurde bereits festgestellt. Es ist der Entscheidungsnotstand, den der Erpresser durch die Drohung herbeiführt, indem er sein Opfer vor die Wahl zwischen zwei Übel stellt und ihm hierdurch einen Grund für die Vornahme des von ihm begehrten Verhaltens aufdrängt. Diese Situation unterscheidet sich aber nicht in ihren entscheidenden Charakteristika von der, in der dem Erpreßten zur Vornahme des begehrten Verhaltens ein Aufschub von ein paar Tagen oder Wochen gegeben wird. Denn allein der aufgedrängte Grund hat verhaltensmotivierende Wirkung von rechtlicher Relevanz, wie der Blick auf den Tatbestand des § 253 StGB zeigt, der neben der Gewalt den Drohungseinsatz als Mittel zum Zweck unter Strafe stellt und damit allein ihm und seiner Wirkung die entscheidende Rolle zuspricht. Ob dem Opfer für die Entscheidungsfindung mehr Zeit zur Verfügung steht, spielt demnach keine Rolle. Wollte man demgegenüber dem naherückenden Zeitpunkt der Realisierung der Drohung weitere Bedeutung zumessen, wie Kratzsch dies tut24, verkennt man, daß der Gesetzgeber allein die bereits oft benannten Mechanismen, die durch die Drohung ausgelöst und bewußt zur Erreichung des vermögensschädigenden Verhaltens eingesetzt werden, für beachtlich hält, ein Gesichtspunkt, der im Hinblick auf das Vorliegen eines Angriffs nicht um eine temporale Komponente ausgeweitet werden darf. Ansonsten wäre nämlich eine vollendete Erpressung denkbar, ohne daß die Tat das Stadium des Angriffs durchlaufen hätte. Droht der Täter seinem Opfer beispielsweise mit Körperverletzungen, sollte es nicht binnen einer Woche eine bestimmte Geldsumme an ihn zahlen, zahlt das Opfer aber bereits nach zwei Tagen, weil es sich zu Tode fürchtet, wäre die (räuberische) Erpressung vollendet. Da die Ausführung des Angedrohten aber erst fünf Tage später erwartet werden konnte, wäre ein Angriff zu verneinen gewesen. Daß dies möglich sein soll, erscheint zumindest für die vorsätzlichen Erfolgsdelikte äußerst zweifelhaft, sind sie doch gerade dadurch gekennzeichnet, daß der Täter den Eintritt eines bestimmten Erfolges mehr oder weniger stark will und sich dementsprechend verhält, indem er mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung beginnt. Damit steht fest, daß der erpresserischen Drohung nicht ihre Angriffsqualität wegen der vermeintlichen Besonderheit abgesprochen werden kann, daß zwischen der Drohung und dem den Vermögensschaden bewirkenden Entschluß unter Umständen mehrere Tage oder Wochen vergehen können. Denn indem der Täter für sein Opfer den entscheidenden Grund schafft, der für die Vornahme des begehrten Verhaltens spricht, beeinträchtigt er den Prozeß einer freien Willensbildung und wirkt damit auf die Willensfreiheit ein.

24 Kratzsch, StV 87, 224, 228; die Hervorhebung des Begriffs „Zeitpunkt“ erfolgt auch im Original und wurde deswegen auch zur Verdeutlichung des Stellenwertes dieses Momentes für die Bejahung der angriffsbegründenden Zwangswirkung übernommen.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

§ 3 Die Gegenwärtigkeit des Angriffs Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder andauert.25 So oder so ähnlich lautet die Definition der Gegenwärtigkeit, die man üblicherweise in der Rechtsprechung, der Kommentar- und Lehrbuchliteratur findet. Obwohl damit über die Bestimmung des Zeitraums des Vorliegens eines Angriffs zumindest im wesentlichen Klarheit herrscht26, stellen sich doch einige Probleme bei der Subsumtion von Sachverhalten mit erpresserischen Drohungen unter diese Formel. Diese Probleme wurden bereits eingangs27 angesprochen und gaben Veranlassung, das Charakteristische des Angriffs durch erpresserische Drohungen festzustellen. Es geht dabei um die Frage, ob auch nach dem Ausspruch einer Drohung noch von einem gegenwärtigen Angriff auf die Willensfreiheit ausgegangen werden kann. Dabei erschöpft sich die Bedeutung der Antwort auf diese Frage nicht in dem Wissen um die Gegenwärtigkeit eines Angriffs durch Drohung auf die Willensfreiheit. Nach den bereits im Hinblick auf die Charakteristika des Angriffs durch Drohung erzielten Ergebnissen spielt diese Antwort auch für die Frage nach der Gegenwärtigkeit eines Angriffs auf das Vermögen eine entscheidende Rolle. Denn da der Angriff auf die Willensfreiheit das Mittel zur Verletzung des Vermögens darstellt, Willensfreiheit und Vermögen also nicht voneinander getrennt betrachtet werden können, steht fest, daß mit dem Ende des Angriffs auf die Willensfreiheit auch der Angriff auf das Vermögen beendet ist. Die These Arzts, nach dem Ausspruch der Drohung sei zwar der Angriff auf die Willensfreiheit beendet, ein Angriff auf das Vermögen liege aber „unzweifelhaft“28 vor, erweist sich damit bereits jetzt als nicht haltbar.29

A. Meinungsstand Bevor nun die bereits im Ersten Kapitel gefundenen Ergebnisse zur Lösung des Streits um die Gegenwärtigkeit des erpresserischen Angriffs nach Ausspruch der Drohung herangezogen werden, sollen aus Gründen der Verständlichkeit der Meinungsstand und die verschiedenen Argumentationsstränge noch einmal dargestellt werden. Vor allem von den Vertretern der bereits im Ergebnis abgelehnten Ansicht, der erpresserische Angriff müsse in einer nach den attackierten Rechtsgütern differenzierenden Weise beurteilt werden, wird die Gegenwärtigkeit des Angriffs auf 25 BGH NJW 73, 255; BayObLG JR 86, 291; SK-Günther, § 32 Rn. 65; NK-Herzog, § 32 Rn. 25; Kühl, AT, 7 / 39; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 13; Roxin, AT / I, 15 / 21; Wessels / Beulke, AT, Rn. 328. 26 Vor allem der genaue Beginn eines Angriffs ist umstritten, siehe dazu SK-Günther, § 32 Rn. 67 ff. 27 Vgl. oben Einleitung. 28 So ausdrücklich Arzt, Schutz, 92. 29 So auch Amelung, GA 82, 381, 385.

§ 3 Die Gegenwärtigkeit des Angriffs

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die Willensbildungsfreiheit mit dem Ende des Drohungsausspruchs verneint, während man die Gegenwärtigkeit des Angriffs auf das Vermögen bejaht.30 Dafür werden zwei Gründe angeführt. Zum einen meint man, daß mit dem Ausspruch der Drohung nicht mehr ein Angriff als unmittelbare Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten gegenwärtig sei, sondern die aus diesem Verhalten resultierende Gefahr einer zukünftigen Schädigung.31 Zum anderen will man aus dem Deliktscharakter der Erpressung Schlüsse bezüglich der Gegenwärtigkeit eines Drohungsangriffs ziehen. Dieser Ansatz geht davon aus, daß die Erpressung zu den Zustandsdelikten gehört, die mit der Herbeiführung eines bestimmten Zustandes abgeschlossen sind. Im Gegensatz zu den Dauerdelikten, bei denen das Delikt mit der Verwirklichung des Tatbestandes nicht abgeschlossen ist, sondern durch den fortdauernden Willen des Täters so lange aufrechterhalten wird, wie der von ihm geschaffene Zustand bestehen bleibt32, sei gegen Zustandsdelikte nicht während der gesamten Dauer der rechtswidrigen Lage Notwehr zulässig, da anderenfalls die Notwehr zu einer Selbstjustiz im Sinne der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes verfälscht würde.33 Die die Gegenwärtigkeit des Angriffs auf die Willensbildungsfreiheit auch nach Ausspruch der Drohung bejahende Gegenmeinung34 beruft sich bei ihrer Argumentation darauf, daß die Drohung gerade nicht als ein rein physikalischer Vorgang aufgefaßt werden dürfe, „der mit der sprachlich erzeugten Wellenbewegung oder der Übertragung sprachlicher oder visueller Informationen endet.“35 Man betont vielmehr die psychologischen Folgen einer Drohung, die mit ihrem Ausspruch nicht endeten, sondern vielmehr erst begännen. Sehr plastisch bringt Roxin diesen Standpunkt zum Ausdruck, wenn er davon spricht, daß die Drohung die Willensbetätigungsfreiheit beeinträchtige, „solange sie wie ein Damoklesschwert über dem Haupt des Erpressungsopfers hängt.“36

30 KG JR 81, 254; Arzt / Weber, BT, 18 / 20; Arzt, MDR 65, 344; derselbe, JZ 01, 1052 f.; derselbe, Schutz, 92; Baumann, MDR 65, 346; Tenckhoff, JR 81, 255, 256. 31 Tenckhoff, JR 81, 255, 256. 32 Zur Unterscheidung von Zustands- und Dauerdelikten vgl. Jescheck / Weigend, AT, 263; Roxin, AT / I, 10 / 105 f.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 31 ff. 33 Baumann, MDR 65, 346, 347. In diesem Sinne auch Arzt JZ 01, 1052, 1053 Fn. 7. 34 Amelung, GA 82, 381, 384 f.; Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 11; SK-Günther, § 32 Rn. 76; NK-Herzog, § 32 Rn. 32; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 4; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 18; LK-Spendel, § 32 Rn. 133; Roxin, AT / I, 15, 29; Suppert, Studien, 278 ff.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 328. 35 Amelung, GA 82, 381, 385. 36 Roxin, AT / I, 15 / 29.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

B. Der Bezugspunkt der Gegenwärtigkeit Betrachtet man die dargestellte Kontroverse, so läßt sich feststellen, daß ihr Grund im besonderen Deliktsverlaufs der Erpressung zu sehen ist. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, daß der Täter in Form der Drohung zunächst aktiv tätig wird, während er in der sich daran anschließende Phase der Entschlußfassung des Bedrohten bis zur Umsetzung des gefaßten Entschlusses untätig bleibt und die Drohung wirken läßt. Je nachdem, ob man die Gegenwärtigkeit eines Angriffs eher vom Standpunkt des Angegriffenen beziehungsweise seiner Rechtsgüter aus beurteilt oder aber sich am Verhalten des Angreifers orientiert, sind die unterschiedlichen Ergebnisse im Hinblick auf das Angegriffensein in der angesprochenen zweiten Phase zumindest auf den ersten Blick nachvollziehbar. Ob sie allerdings auch einer genaueren Untersuchung standhalten, soll im folgenden geklärt werden.

I. Das geschützte Rechtsgut als Bezugspunkt Vielfach finden sich zur Bestimmung des Endes eines Angriffs Äußerungen, die als Kriterium die endgültige Aufgabe und den Fehlschlag des Angriffs sowie eine endgültige Verletzung des Rechtsguts heranziehen, wobei letztere dann gegeben sei, wenn ein weiterer Schaden nicht mehr abgewendet werden könne.37 Die Bezugnahme auf den Rechtsgüterschutz führt dazu, daß selbst eine bereits gegebene Rechtsgutsverletzung nicht zwangsläufig gegen die Gegenwärtigkeit des Angriffs spricht, solange sie sich nicht als endgültig darstellt. Aus diesem Grund wird beispielsweise noch ein Angriff des Diebes angenommen, der die fremde Sache zwar schon weggenommen, aber noch keinen gesicherten Gewahrsam an ihr erlangt hat.38 Bevor man diese kurz skizzierten Thesen auf die erpresserische Drohung anwendet, ist zunächst noch einmal in Erinnerung zu rufen, daß es als entscheidend für die Angriffsqualität angesehen wurde, daß der Erpresser von seinem Opfer ein Verhalten verlangt, das es nicht vornehmen will, daß er ihm aber auch in Form der Drohung einen Grund gibt, der ihn zur Vornahme des begehrten Verhaltens motivieren soll. Gerade durch die Kombination von Ankündigung eines Übels und Angabe einer Möglichkeit, sich davon freizukaufen, wirkt der Erpresser auf die Freiheit des Opfers ein, seine Entschlüsse frei von Zwang zu fassen. Das Opfer befindet sich in einem Entscheidungsnotstand. 37 Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 13; SK-Günther, § 32 Rn. 80; Jakobs, AT, 12 / 23; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 15; Otto, AT, 8 / 31; LK-Spendel, § 32 Rn. 122; Stratenwerth, AT7I, 9 / 66 f.; Wessels / Beulke, AT, 328. Sehr deutlich in diesem Sinne bereits Honig, JW 21, 34, 35 und A. Köhler, Strafrecht, 350: „Denn das Angegriffensein bemißt sich nach dem Standpunkte des Betroffenen, dessen Güter geschützt werden sollen, nicht nach dem Standpunkte des Angreifers.“ 38 Vgl. etwa Jakobs, AT, 12 / 23; Stratenwerth, AT / I, 9 / 67.

§ 3 Die Gegenwärtigkeit des Angriffs

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Argumentiert man nun im Hinblick auf die Frage der Gegenwärtigkeit des Angriffs vom betroffenen Rechtsgut aus, so kann diese Frage nur bejaht werden. Das Opfer der Erpressung wägt den ihm durch den Täter aufgedrängten Grund mit anderen ab und ist damit in seiner Willensbildungsfreiheit beeinträchtigt. Insofern ist bereits von der Verletzung eines Rechtsgutes auszugehen.39 Allerdings ist diese Verletzung noch nicht endgültig. Vielmehr ist der Angriff reversibel. Mehrere Maßnahmen sind denkbar, um die Beeinträchtigung der Willensfreiheit zu beenden, wobei hier deren Vereinbarkeit mit den Notwehrmerkmalen der Erforderlichkeit und der Gebotenheit unberücksichtigt bleiben kann. Denkbar ist beispielsweise das Einschalten der Strafverfolgungsbehörden oder auch eine Gegennötigung. Durch beides kann der Erpresser daran gehindert werden, das angedrohte Übel zu realisieren. Der aufgedrängte Grund für die Vornahme des vermögensschädigenden Verhaltens entfiele und damit wäre der Angriff beendet.

II. Das Angriffsverhalten als Bezugspunkt Wie bereits gesagt wird teilweise das Angriffsende über das Ende des Angriffsverhaltens definiert.40 „Hierfür ist auf die konkrete Handlung des Angreifers abzustellen, die im Regreß einer Ursachenkette als letzte Ursache vor dem Erfolgseintritt steht.“41 Vertritt man die Ansicht, mit dem Ausspruch der Drohung sei der Angriff auf die Willensfreiheit beendet, so liegt es nahe, sich zur Begründung hierfür auf diese Position der Beurteilung des Endes eines Angriffs zurückzuziehen. Allerdings wird dann übersehen, daß auch nach dieser Art der Bestimmung des Angriffsendes mit dem Anschluß der Angriffshandlung die Gegenwärtigkeit eines Angriffs nicht generell zu verneinen ist. Denn nach dieser Position bedeutet die Beendigung der Angriffshandlung nicht zwangsläufig auch die Beendigung des Angriffsverhaltens. Vielmehr komme mit dem Ende der Angriffshandlung nunmehr ein Angriff durch Unterlassen in Betracht.42 Ein solcher Angriff durch Unterlassen sei dann gegeben, wenn den Angreifer eine Garantenpflicht treffe, die aber als Garantenstellung aus Ingerenz stets bestehe, wenn der Angreifer nach seinem positiven Tun die dadurch geschaffene Gefahr noch abwenden könne und wenn schließlich die Gefahr für das Rechtsgut durch das Untätigbleiben intensiviert werde.43 Bevor diese Grundsätze auf die erpresserische Drohung angewendet werden, ist zunächst kurz festzustellen, daß gegen die Zulässigkeit der Annahme, ein Angriff durch positives Tun könne in einen Angriff durch Unterlassen übergehen, nicht be39 40 41 42 43

Amelung, GA 82, 381, 385. Frister, GA 88, 291, 306; Kühl, Beendigung, 154 ff.; Renzikowski, Notstand, 288. Renzikowski, Notstand, 288. Frister, GA 88, 291, 307 Fn. 63; Renzikowski, Notstand, 288. Frister, GA 88, 291, 307 Fn. 63; Kühl, Beendigung, 156 f.; Renzikowski, Notstand, 294.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

reits geltend gemacht werden kann, ein Angriff durch bloße Untätigkeit sei schon begrifflich undenkbar.44 Denn die These, der Wortlaut des § 32 StGB spreche dafür, daß ein Angriff nicht durch Unterlassen erfolgen könne, vermag nicht zu überzeugen. Die Grenze der Auslegung einer Norm ist stets der mögliche Wortsinn.45 Berücksichtigt man nun, daß Straftaten auch durch Unterlassen begangen werden können, wie § 13 StGB zeigt, so kann das entsprechende tatbestandsmäßige Verhalten auch als ein gegen ein Rechtsgut zielendes Verhalten verstanden werden.46 Ferner unterscheiden sich Tun und Unterlassen in objektiver Hinsicht im Hinblick auf ihre Konsequenzen für das Rechtsgut nicht. Und auch subjektiv ist ein Unterschied nicht auszumachen, da sowohl der Handelnde als auch der Unterlassende zumindest mit der Rechtsgutsverletzung rechnen. Insofern kann davon ausgegangen werden, daß ein Angriff durch Unterlassen möglich und zulässig ist. Wendet man nun die dargestellten Grundsätze auf die erpresserische Drohung an, so ist am Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs dieser Position zur Bestimmung des Angriffsendes nach nicht zu zweifeln.47 Da durch den Ausspruch der Drohung die Gefahr des Erfolgseintritts begründet wurde, ist von einer Garantenstellung kraft Ingerenz auszugehen, zumal mit dem Ausspruch der Drohung ein beendeter Versuch gegeben ist. Die Gefahr für das Vermögen und insbesondere auch die bereits festgestellte Beeinträchtigung der Willensbildungsfreiheit können durch den Drohenden auch unproblematisch abgewendet beziehungsweise rückgängig gemacht werden. Denn durch die schlichte Rücknahme der Drohung durch die Erklärung des Verzichts auf das begehrte Verhalten kann der Erpresser den Entscheidungsnotstand des Opfers beseitigen. Sein Ende ist daher allein vom Willen des Erpressers abhängig. Zu Recht wird daher darauf hingewiesen, daß das Untätigbleiben des Erpressers die Aufrechterhaltung der Drohung darstelle.48 Schließlich bedeutet das Untätigbleiben des Erpressers auch eine Intensivierung der Gefahr oder genauer des Schadens für die Willensbildungsfreiheit. Denn ebenso wie der Eingesperrte sich jederzeit gegen den Einsperrenden zur Erlangung seiner Freiheit wehren darf, weil jede weitere Verzögerung seiner Freilassung eine Verschärfung seiner Situation bedeutet, ist auch die Aufrechterhaltung der Beeinträchtigung der Willensfreiheit eine Intensivierung der Situation. Der Grund hierfür ist, um es mit den Worten Jakobs’ zu sagen, darin zu sehen, daß das beeinträchtigte Rechtsgut nicht lediglich eine Entfaltungschance bietet wie das Eigentum oder das Vermö44 Bockelmann / Volk, AT, 98; Joerden, JuS 92, 23, 26; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 10. 45 Vgl. BVerfGE 73, 206, 235. 46 Kritisch zum Wortlautargument auch Lagodny, GA 91, 300, 302; Renzikowski, Notstand, 294; für die Möglichkeit eines Unterlassungsangriffs auch BayObLG NJW 63, 824, 825; Tröndle / Fischer, § 32 Rn. 4; SK-Günther, § 32 Rn. 30; NK-Herzog, § 32 Rn. 11; Lackner / Kühl, § 32 Rn 2; Roxin, AT / I, 15 / 11. 47 Anders allerdings unter Betonung der Selbstschädigung durch das Opfer Kühl, Beendigung, 158 f. 48 Amelung, GA 82, 381, 385.

§ 3 Die Gegenwärtigkeit des Angriffs

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gen. Es besteht selbst in der Entfaltung und ist damit gegenwärtig angegriffen.49 Die Kriterien, nach denen ein Angriff durch positives Tun beendet, aber in einen Angriff durch Unterlassen übergeht, liegen daher vor mit der Folge, daß auch nach dieser Ansicht über das Ende eines Angriffs nach dem Ausspruch der Drohung weiter von einem gegenwärtigen Angriff ausgegangen werden muß. An dieser Stelle zeigt sich übrigens auch, daß der oben erwähnte Hinweis auf den Charakter der Erpressung als Zustandsdelikt nicht überzeugend ist, um gegen die Gegenwärtigkeit des Angriffs nach dem Ausspruch der Drohung fruchtbar gemacht werden zu können.50 Denn wenn ein Dauerdelikt im Gegensatz zu einem Zustandsdelikt dadurch geprägt ist, daß es mit der Verwirklichung seines Tatbestandes nicht abgeschlossen ist, sondern durch den fortdauernden Willen des Täters so lange aufrechterhalten wird, wie der von ihm geschaffene rechtswidrige Zustand bestehen bleibt51, ist die Erpressung, insofern sie ein Angriff auf die Willensbildungsfreiheit ist, auch eine Art Dauerdelikt. Dies folgt aus der Beeinträchtigung der Willensbildungsfreiheit durch das Aufrechterhalten der Drohung durch den Erpresser.52 Darüber hinaus wurde in der Literatur bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, daß die Begriffe Zustands- und Dauerdelikt nur solche Delikte charakterisieren, die bereits vollendet sind.53 In den hier problematischen Fallkonstellationen der erpresserischen Drohung ist der tatbestandliche Erfolg, der Eintritt des Vermögensschadens, aber noch gar nicht gegeben. Vielmehr geht es hier um die Abwehr eines (beendeten) Versuchs. Wenn demnach die Gegenwärtigkeit des Angriffs aus Angst vor Selbstjustiz im Sinne der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes verneint wird, so kann dies nicht überzeugen. Denn es geht dem Verteidiger nicht um die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes, sondern darum, einen rechtswidrigen Zustand erst gar nicht eintreten zu lassen. Dementsprechend ist das Rekurrieren auf den Charakter der Erpressung als Zustandsdelikt kein Argument gegen die Annahme, ein erpresserischer Angriff könne auch nach dem Ausspruch der Drohung gegenwärtig sein.

C. Zusammenfassung Es kann daher festgehalten werden, daß eine überzeugende Begründung dafür, daß der erpresserische Angriff mit dem Zugang einer mündlichen oder auch schriftlichen Drohung nicht mehr andauert, nicht gegeben werden kann. Dabei geVgl. Jakobs, AT, 12 / 25. Anders allerdings Arzt, JZ 01, 1052, 1053 Fn. 7; Baumann, MDR 65, 346, 347. 51 Vgl. Jescheck / Weigend, AT, 263; Roxin, AT / I, 10 / 105 f.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 31 ff. 52 So SK-Günther, § 32 Rn. 66; Haug, MDR 64, 548, 551. 53 Vgl. Amelung, GA 82, 381, 385 f.; Suppert, Studien, 277. 49 50

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

langt man zu diesem Ergebnis nicht nur durch erpressungsspezifische Erwägungen, sondern auch durch die Anwendung allgemeiner Grundsätze zur Bestimmung des Zeitpunktes, an dem ein Angriff beendet ist. Dementsprechend haben sich die Einwände, nach dem Ausspruch der Drohung sei nicht mehr der Angriff, sondern die dadurch hervorgerufene Gefahr gegenwärtig, sowie der Verweis auf den Deliktstypus der Erpressung, als nicht stichhaltig erwiesen. Droht der Erpresser seinem Opfer, um es hierdurch zu einem vermögensschädigenden Verhalten zu bewegen, ist solange ein gegenwärtiger Angriff gegeben, bis das Opfer dem Willen des Erpressers nachgibt oder aber die Drohung aus welchen Gründen auch immer nicht mehr aufrechterhalten wird. Dabei gelten diese Grundsätze nicht nur für die Willensbildungsfreiheit, sondern wegen des Bedingungsverhältnisses zwischen ihr und dem Vermögen auch für letzteres.

§ 4 Die Rechtswidrigkeit des Angriffs Eine Notwehrlage setzt gemäß § 32 II StGB die Rechtswidrigkeit des Angriffs voraus. Hierunter ist ein Angriff zu verstehen, der im Widerspruch zur Rechtsordnung steht.54 Wann dies der Fall ist, ist zwar umstritten. Für die hier diskutierten Konstellationen der Erpressung ist dieser Streit allerdings irrelevant. Denn unabhängig davon, ob man ein auf Herbeiführung eines Erfolgsunwertes zielendes und einen Handlungsunwert aufweisendes Verhalten fordert55 oder danach fragt, ob die drohende Rechtsgutsverletzung durch ein Eingriffsrecht gedeckt ist56, sind diese Voraussetzungen stets erfüllt. Dies gilt auch für solche Drohungen, die ein für sich betrachtet rechtlich zulässiges Verhalten ankündigen. Insofern kann auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden.57 Die erpresserische Drohung ist damit im Regelfall ein rechtswidriger Angriff. Anderes gilt allerdings dann, wenn sie etwa im Rahmen einer Gegenerpressung ihrerseits durch einen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt ist, wenn die Verteidigungshandlung also gerade darin besteht, den Erpresser selbst zu nötigen. In dieser Konstellation steht die Drohung nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung und stellt damit auch keinen rechtswidrigen Angriff dar.

54 Tröndle / Fischer, § 32 Rn. 11; SK-Günther, § 32 Rn. 58; NK-Herzog, § 32 Rn. 33; Jescheck / Weigend, AT, 341; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 19 / 20. 55 So etwa Bitzilekis, Tendenz, 108 ff., 113, 115; SK-Günther, § 32 Rn. 61; NK-Herzog, § 32 Rn. 34; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 5; Kühl, AT, 7 / 55; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 19 / 20 f.; Roxin, AT / I, 15 / 14; Schumann, JuS 79, 559, 560; Stratenwerth, AT / I, 9 / 69. 56 Geilen, Jura 81, 256; Jescheck / Weigend, AT, 341. 57 Vgl. oben 1. Kapitel § 2 IV.

§ 5 Die Erforderlichkeit der Verteidigung

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§ 5 Die Erforderlichkeit der Verteidigung Nach § 32 Abs. 2 StGB ist Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abzuwehren. Dem Merkmal der Erforderlichkeit der Verteidigung kommt damit unstreitig die Aufgabe zu, die tatsächliche Grenze zu ziehen zwischen dem Recht des Angegriffenen zur Verteidigung und der Verhinderung solcher Belastungen des Angreifers, die dem Zweck des Notwehrrechtes, der Angriffsabwehr, nicht mehr entsprechen und damit als Notwehrexzeß nicht mehr von § 32 StGB erfaßt werden. Von der Erforderlichkeit der Verteidigung ist ihre Gebotenheit zu unterscheiden. Dies ist zwar nicht unumstritten, folgt aber daraus, daß der Gesetzgeber dieses Merkmal ganz bewußt in den § 32 StGB eingeführt hat, um trotz einer erforderlichen Verteidigungshandlung solche Fälle aus der Notwehr ausscheiden zu können, die aus sozialethischen Gründen deren Schutz nicht verdienen.58 Dementsprechend sind Probleme im Zusammenhang mit der Gebotenheit einer Verteidigung später zu diskutieren.59 Als erforderlich wird nahezu einhellig dasjenige Verteidigungsverhalten angesehen, das nach einer objektiven Prognose in der konkreten Verteidigungslage zur sicheren und sofortigen Abwehr des Angriffs geeignet und bei mehreren gleich wirksamen Verteidigungsmaßnahmen das mildeste ist.60 Dieser Definition ist zu entnehmen, daß dem Erforderlichkeitsmerkmal nach herrschender Meinung61 zwei Komponenten zugrundeliegen, die Eignung der Verteidigungshandlung zur Angriffsabwehr und deren Beschränkung auf das mildeste Mittel. Beide Gesichtspunkte beziehen sich allerdings auf ein Verteidigungsverhalten und knüpfen damit an ein Verhalten bestimmter Qualität an. An diesen nur kurz skizzierten Grundsätzen haben sich die in der Rechtsprechung und Literatur diskutierten Maßnahmen zur Verteidigung gegen eine Erpressung zu messen. Schon jetzt kann allerdings festgestellt werden, daß auch nicht 58 Vgl. BT-Drs. V / 4095 S. 14. Der Streit um die Eigenständigkeit des Merkmals der Gebotenheit beziehungsweise sein Verhältnis zur Erforderlichkeit ist allerdings grundsätzlich nur theoretischer Natur, da die heute absolut herrschende Meinung eine Einschränkung der Notwehr aus sozialethischen Gesichtspunkten an der einen oder anderen Stelle des § 32 StGB vornimmt, vgl. BGHSt 24, 356; NK-Herzog, § 32 Rn. 86 ff.; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 16; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 43; Roxin, AT / I, 15 / 54; Wessels / Beulke, AT, Rn. 342. A.A. Engels, GA 82, 109, 114 ff.; Kratzsch, GA 71, 65, 68 ff., die die angesprochenen Einschränkungen als Verstoß gegen Art. 103 II GG ansehen. 59 Vgl. dazu unten § 6. 60 BGHSt 3, 218; BGH NJW 91, 504; Tröndle / Fischer, § 32 Rn. 16 ff.; SK-Günther, § 32 Rn. 88; Jescheck / Weigend, AT, 343; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 9; Kühl, AT, 7 / 88 ff.; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 34; Otto, AT, 8 / 43 ff.; Roxin, AT / 1, 15 / 42; Wessels / Beulke, AT, Rn. 335. 61 Teilweise wird die Eignung der Verteidigungsmaßnahme zur Angriffsabwehr nicht als Voraussetzung der Erforderlichkeit angesehen. Siehe dazu Alwart, JuS 96, 953, 954 ff.; NKHerzog, § 32 Rn. 63; Köhler, AT, 269 Fn. 100; SK-Samson, 19. Lieferung, 5. Auflage (Dez. 92), § 32 Rn. 42 f.; LK-Spendel, § 32 Rn. 237.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

eine von ihnen als unproblematisch im Hinblick auf die Erforderlichkeit angesehen wird. Ob Herbeirufung obrigkeitlicher Hilfe, der Diebstahl von Beweismaterial oder Gewaltanwendung gegen den Erpresser bis hin zu seiner Tötung, alle Maßnahmen sind als erforderliche Verteidigungsmaßnahmen problematisch und werden im folgenden genauer zu untersuchen sein. Bevor dies jedoch geschehen kann, ist zunächst zu klären, ob überhaupt eine Verteidigung gegen die erpresserische Drohung dem Erforderlichkeitskriterium genügen kann.

A. Die Erforderlichkeit der Verteidigung überhaupt I. Die schlichte Nichtzahlung Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, daß die Vertreter der Ansicht, die durch die Drohung angegriffenen Rechtsgüter Willensfreiheit und Vermögen seien bei der rechtlichen Würdigung unter Notwehrgesichtspunkten getrennt voneinander zu beurteilen, im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Verteidigung zu dem Ergebnis kommen, daß der ihrer Meinung nach allein gegenwärtige Angriff auf das Vermögen bereits durch einfache Nichtleistung des vom Erpresser begehrten Vermögensgegenstandes abgewehrt werden könne.62 Diese Ansicht läuft im Ergebnis darauf hinaus, die Verteidigung gegen erpresserische Angriffe überhaupt für nicht erforderlich zu halten. In der Literatur wird dem entgegengehalten, daß man damit den Erpreßten zur Hinnahme des erpresserischen Angriffs verpflichte.63 Dieser Kritik ist schon deshalb zuzustimmen, weil der mit Drohung Genötigte stets die Möglichkeit hat, das abgenötigte Verhalten zu verweigern.64 Wenn aber ein Eingriff in die Rechtsgüter des Drohenden zur Abwehr der Drohung niemals erforderlich und damit zulässig wäre, bedeutet das nichts anderes, als daß man dem Genötigten die Pflicht auferlegt, dem Willen des Erpressers immer zu widerstehen. Dann stellt sich allerdings die Frage nach dem Sinn der §§ 240, 253 StGB, soweit sie Drohungen sanktionieren. Denn es muß als widersprüchlich bezeichnet werden, auf der einen Seite von dem Bedrohten zu verlangen, der Drohung standzuhalten, auf der anderen Seite aber den Drohenden zu bestrafen, wenn seine Drohung gleichwohl erfolgreich ist. Man würde damit den Drohenden für die Verletzung einer Obliegenheit haftbar machen, die nicht ihn, sondern den Bedrohten trifft. Entscheidend gegen die Annahme, der Erpreßte sei in seinen Verhaltensmöglichkeiten darauf beschränkt, sich dem Willen des Erpressers durch schlichte Arzt, MDR 65, 344; derselbe, JZ 01, 1052, 1053. Amelung, GA 82, 381, 387; Roxin / Schünemann / Haffke, Klausurenlehre, 73; Roxin, AT / I, 15 / 52. 64 Unter diesem Aspekt verneint Jakobs, AT, 12 / 27 Fn. 49 in der Tat die Erforderlichkeit jeglicher Abwehr zur Vermeidung des abgenötigten Verhaltens. 62 63

§ 5 Die Erforderlichkeit der Verteidigung

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Nichtleistung zu widersetzen, sprechen aber erneut die Charakteristika der erpresserischen Drohung als Angriff. Indem der Erpresser dem Opfer seine Forderung nennt und ihm gleichzeitig in Form der Drohung einen Grund gibt, von dem er annimmt, daß er das Opfer zu dem begehrten vermögensschädigenden Entschluß bewegen wird, verletzt der Erpresser nicht nur die Willensbildungsfreiheit des Opfers, sondern greift mit diesem Verhalten auch dessen Vermögen an.65 Neben einem gegenwärtigen Angriff auf das Vermögen liegt damit vor allem eine durch den Erpresser geschaffene und von ihm aufrechterhaltene akute Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit und damit ein rechtswidriger Dauerzustand vor. Mit der bloßen Hinnahme der Drohung in Form der Nichtleistung ist dieser Zustand allerdings nicht zu beenden. Denn auch der Nichtzahlung liegt ein Willensbildungsprozeß zugrunde, an dessen Ende ein entsprechender Entschluß steht. Ein Entschluß kann aber auch revidiert und neu gefaßt werden. Solange der Erpresser seine Drohung also aufrechterhält und solange der Erpreßte Zeit hat, das angekündigte Verhalten des Erpressers durch finanzielle Gefügigkeit abzuwenden, liegt gerade die Beeinträchtigung der Willensbildungsfreiheit vor und damit auch der Angriff gegen das Vermögen. Der Entschluß zur Nichtzahlung kann damit auch jederzeit gerade wegen der fortwirkenden Drohung in einen Entschluß zur Zahlung umgewandelt werden. Insofern handelt es sich hier um eine Problematik, deren Struktur aus dem Bereich der Vorsatzlehre bekannt ist. Auch dort wird zu Recht darauf hingewiesen, daß der Wille sich erst in der Tat und mit der Tat konstituiere, weil sich der Täter noch so fest entschlossen fühlen könne, ob er wirklich handeln werde, entscheide sich erst in der kritischen Situation.66 Ob der Erpreßte tatsächlich nicht zahlt und damit an seinem „Entschluß“ wirklich festhält, entscheidet sich daher erst dann, wenn der Erpresser seine Ankündigung in die Tat umsetzt. Dann aber ist die (versuchte) Erpressung beendet und eine Verteidigung unmöglich. Die erfolgreiche Verteidigung gegen den erpresserischen Angriff kann folglich nur durch die Abwehr des Angriffs auf die Willensbildungsfreiheit erreicht werden. Erst mit ihr ist nämlich auch der Angriff auf das Vermögen abgewehrt. Denn wenn die Entschlußfassung des Erpressers bezüglich des vom Täter begehrten Verhaltens nicht mehr durch die Drohung als Grund für dessen Vornahme beeinflußt ist, besteht im wahrsten Sinne des Wortes kein Grund mehr, dem Willen des Erpressers im Hinblick auf das Vermögen nachzukommen. Zur Abwehr des Angriffs auf die Willensbildungsfreiheit ist daher jedes Mittel tauglich, das die Drohung des Erpressers beseitigt. Insofern liegt es auf der Hand, daß es sich hierbei in erster Linie um Maßnahmen handelt, die die Realisierung des angedrohten Verhaltens verhindern.

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Vgl. oben 1. Kapitel § 2 III. Vgl. dazu etwa Bockelmann, Untersuchungen, 135, 146; NK-Puppe, § 15 Rn. 139 ff.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

II. Die Duldung des angedrohten Übels Dieses Ergebnis, daß eine geeignete Verteidigung gegen erpresserische Drohungen auf die Verhinderung des angedrohten Verhaltens gerichtet sein muß, birgt allerdings ein neues Problem in sich. Bezogen auf den wegen einer Straftat Erpreßten wurde schon früh von Arzt moniert, daß die Notwehr gegen Erpressung, wenn man sie als Gesamtvorgang verstehe, auf die Gleichsetzung der Erpressungsabwehr mit der Abwehr der Strafanzeige hinauslaufe. Es gehe damit letztlich nicht mehr um die Abwehr von Angriffen auf die durch § 253 StGB geschützten Rechtsgüter, sondern um erpressungsfremde Interessen nämlich um das Interesse an der Vermeidung der Einleitung eines Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahrens und den damit zusammenhängenden Nachteilen beziehungsweise bei der Erpressung mit der Veröffentlichung kompromittierender Tatsachen um das Interesse an der Verhinderung eines Ansehensverlusts.67 Mit dieser Argumentation deutet Arzt ein Problem in Konstellationen erpresserischer Drohungen an, das darin besteht, daß das Interesse an der Verhinderung der Strafanzeige oder der Bekanntgabe anderer kompromittierender Tatsachen durch den Erpresser grundsätzlich nicht legitim ist, weil der Erpreßte (rechtlich) dazu verpflichtet ist, diese Übel zu dulden. Damit ist zugleich grundsätzlich auch das Eingreifen des notwehrspezifischen Grundsatzes ausgeschlossen, nach dem der Angegriffene bei der Wahl seiner Abwehrmittel nicht das Risiko einer Gefährdung seiner Rechtsgüter oder anderer Interessen einzugehen braucht, sondern das den Angriff mit Sicherheit beendende Mittel wählen darf.68 Denn das Recht, andere Interessen bei der Notwehr nicht aufopfern zu müssen, kann nur solche betreffen, die rechtlich zulässig sind. Der Erpreßte kann seine Verteidigung in Form der Verhinderung der Offenbarung des Geheimnisses durch den Erpresser folglich nicht einfach damit begründen, daß er anderenfalls, insbesondere bei der Einschaltung staatlicher Hilfe, genau dieses Interesse an der Geheimhaltung seiner Verfehlung aufopfern müßte. Daß der Erpreßte aber tatsächlich dazu gezwungen sein soll, das Übel der Strafanzeige durch den Erpresser als Folge der Nichtleistung hinzunehmen beziehungsweise sich in Form einer Selbstanzeige als nach dem bisher gesagten einzig zulässigen Mittel zur Abwehr des Angriffs selbst „ans Messer zu liefern“, erscheint gleichwohl zweifelhaft. Denn es darf nicht übersehen werden, daß sich der Erpresser seinerseits eben dieses Interesse des Erpreßten bewußt zunutze macht, um daraus für sich selbst in illegitimer Weise Kapital zu schlagen. Im folgenden ist daher zu untersuchen, ob sich dieser Gesichtspunkt zugunsten eines Verteidigungsrechts des Erpreßten auswirkt und nicht doch das Interesse des Erpreßten an der VermeiVgl. Arzt, MDR 65, 344, 345; derselbe, JZ 01, 1052, 1053. BGH NStZ 96, 29; 98, 508; 00, 365; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 9; Kühl, AT, Rn. 103; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 36; Otto, AT, 8 / 44; Wessels / Beulke, AT, Rn. 335. 67 68

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dung der Offenbarung der ihn kompromittierenden Tatsachen wegen dieser besonderen Situation schutzwürdig ist. 1. Die Wertung des § 192 StGB Ein Hinweis darauf, daß die Rechtsordnung das Interesse an der Verhinderung eines Ansehensverlusts nicht gänzlich schutzlos stellt, selbst wenn die Ehrminderung durch die Kundgabe wahrer Tatsachen erfolgt, findet sich in § 192 StGB.69 Nach dieser Vorschrift ist auch derjenige nach § 185 StGB strafbar, der erwiesen wahre Tatsachen in beleidigender Form oder unter beleidigenden Umständen behauptet. Für die Fälle der erpresserischen Drohung ist damit insbesondere die Formalbeleidigung in der Variante des sogenannten Publikationsexzesses von Bedeutung. Nach allgemeiner Meinung kommt eine Strafbarkeit desjenigen nach §§ 192, 185 StGB in Betracht, der eine wahre ehrmindernde Tatsache in der Zeitung, durch öffentlichen Aushang in einem Schaukasten oder durch eine andere Art öffentlicher Verbreitung publiziert.70 Droht demnach der Erpresser damit, eine Verfehlung seines Opfers mit Hilfe der Presse oder auf vergleichbare Weise zu veröffentlichen, so zeigt sich, daß das Interesse des Erpreßten an der Verhinderung des Bekanntwerdens dieser Tatsache zumindest in gewissem Umfang rechtlichen Schutz genießt. Allerdings ist evident, daß dieser Schutz in seiner Reichweite sehr beschränkt ist. Inhaltlich erfaßt er von vornherein nur die Offenbarung ehrmindernder Tatsachen, so daß insbesondere eine Drohung mit der Anzeige einer Straftat, soweit die damit verbundenen Belastungen über den Ansehensverlust des Erpreßten hinausgehen, gar nicht vom Schutzbereich erfaßt wird, und formell läßt sich eine Beschränkung auf bestimmte Arten der Behauptung oder Verbreitung dieser Tatsachen feststellen. § 192 StGB hat daher allenfalls indizielle Bedeutung für die eingangs gestellte Frage nach der Legitimität des Interesses an der Vermeidung eines Ehrverlustes beziehungsweise eines Strafverfahrens.71 2. Die Wertung des § 154 c StPO Einen Hinweis auf die Frage nach der Legitimität des Interesses an der Verhinderung der Bekanntgabe kompromittierender Tatsachen findet man in § 154 c StPO, nach dem die Staatsanwaltschaft die Verfolgung einer Straftat einstellen kann, wenn ihr Täter mit der Offenbarung dieser Tat genötigt oder erpreßt wurde. Hierin ließe sich ein Beleg dafür sehen, daß dem wegen einer von ihm begangenen Straftat Erpreßten nach dem Willen des Gesetzgebers kein Notwehrrecht zur Seite steht, er vielmehr nur innerhalb der Grenzen des § 154 c StPO Schutz beanspruchen kann Vgl. auch § 68 a StPO. BayObLGSt 12 (1913), 265, 270; OLG Frankfurt NJW 48, 226; Tröndle / Fischer, § 192 Rn. 2; SK-Rudolphi, § 192 Rn. 6; NK-Zaczyk, § 192 Rn. 4. 71 Vgl. Amelung, GA 82, 381, 388. 69 70

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

und damit den Angriff nur durch Duldung des Übels in Form der Selbstanzeige beenden kann.72 Fragwürdig ist dabei allerdings bereits, ob der Erpreßte überhaupt durch § 154 c StPO geschützt wird, da diese Vorschrift keine zwingenden Rechtsfolgen anordnet, sondern der Staatsanwaltschaft lediglich ein auf weniger schwere Taten begrenztes Ermessen einräumt, von der Verfolgung der Tat abzusehen.73 Sofern diesbezüglich darauf aufmerksam gemacht wird, die mit einer Ermessensentscheidung stets verbundenen Unsicherheiten ließen sich durch die Möglichkeit zu Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft mildern74, wird übersehen, daß hierdurch die Staatsanwaltschaft nicht daran gehindert wird, anders als ursprünglich angekündigt zu entscheiden.75 Ein weiteres Manko der Argumentation mit Hilfe des § 154 c StPO liegt auf der Hand. Während § 192 StGB nur die Offenbarung ehrmindernder Tatsachen betrifft, erfaßt § 154 c StPO nur den Fall einer Drohung mit der Offenbarung einer Straftat. Wegen ihres beschränkten Anwendungsbereichs, der andere gleichgelagerte Fälle wie die Drohung mit der Bekanntgabe kompromittierender Umstände nicht erfaßt, kann auch ihr eine allgemeingültige Aussage im Hinblick auf den Ausschluß des Notwehrrechts bei möglicher Inanspruchnahme staatlicher Hilfe nur schwer entnommen werden.76 Dies ergibt sich auch aus dem Regelungsgehalt des § 154 c StPO, der seinem Charakter nach Ermächtigungsgrundlage für verfahrensbeendende Maßnahmen der Staatsanwaltschaft ist. Nach Intention und Wortlaut sind seine Wirkungen daher allein verfahrenstechnischer Art und insofern nicht dazu geeignet, die materielle Rechtslage in Fällen einer Erpressung wegen einer Straftat durch Beschneidung des Notwehrrechts zu beeinflussen.

3. Der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum prodere“ Vergegenwärtigt man sich, daß Arzt für seine Ansicht, nach der im Rahmen einer Notwehrprüfung zwischen den durch eine Drohung angegriffenen Rechtsgütern Willensfreiheit und Vermögen zu differenzieren sei, ins Feld führt, daß die Abwehr der Erpressung nicht auf die Abwehr der Strafanzeige hinauslaufen dürfe, so liegt dem der Gedanke zugrunde, daß ein Straftäter sich nicht auf Kosten anderer der Strafverfolgung entziehen darf. Damit bezieht Arzt Aspekte des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum prodere / accusare“77 in die Diskussion um die Erforder72 In diesem Sinne Arzt, MDR 65, 344, 345; derselbe, JZ 01, 1052, 1053; Baumann, MDR 65, 346, 347; a.A. Haug, MDR 64, 548, 552. 73 Amelung, GA 82, 381, 387; Eggert, NStZ 01, 225, 227. 74 Vgl. Arzt, JZ 01, 1052, 1053 Fn. 8. 75 Vgl. BVerfG NStZ 87, 419; BGH NJW 94, 1293. 76 Keinen allzu hohen Argumentationswert mißt § 154 c StPO Amelung bei, GA 82, 381, 389; derselbe, NStZ 98, 70. 77 Der Gebrauch beider Verben ist üblich. Während das Verb „prodere“ (verraten) allerdings den Zeitraum umfaßt, in dem eine Straftat zwar begangen, aber niemandem außer dem Täter bekannt ist, erfaßt der Begriff „accusare“ (anklagen) eine entdeckte und bereits verfolgte Straftat. Vgl. dazu Torka, Nachtatverhalten, 22 Fn. 7.

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lichkeit der Verteidigung gegen erpresserische Angriffe durch Drohung ein, so daß es sich lohnt, auf diesen Grundsatz einen genaueren Blick zu werfen. Nach dem verfassungsrechtlich verankerten Nemo-tenetur-Prinzip ist niemand verpflichtet, sich selbst einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner Überführung beizutragen.78 Wie weit dieses Recht eines Straftäters zur Selbstbegünstigung reicht, ist im einzelnen aber umstritten. Teilweise leitet man aus dem Nemo-tenetur-Grundsatz lediglich ein Recht zur Passivität ab, aufgrund dessen „der Betroffene alle jene Handlungen unterlassen darf, die im Ergebnis auf eine Eigen-Überführung hinauslaufen.“79, 80 Teilweise sollen auch selbstbegünstigende Aktivitäten, namentlich die Lüge gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, vom Schutz des Nemo-tenetur-Grundsatzes erfaßt werden.81 Allgemeiner Konsens herrscht jedoch darüber, daß der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum prodere“ dort seine absolute Grenze findet, wo durch neues Unrecht in die strafrechtlich geschützte Rechtsordnung eingegriffen wird, vor allem also dort, wo die Rechte Dritter verletzt werden.82 Schneider formuliert dies äußerst aussagekräftig so: „Es ist schlichtweg nicht einsehbar, weshalb die Verfolgung illegitimer Interessen den legitimen Strafrechtsschutz einzelner Bürger verkürzen soll.“83 Für diese Grenze des Selbstbegünstigungsgrundsatzes werden zwei Gründe angeführt.84 Eine wichtige Rolle spielt zunächst die Überlegung, daß die Strafverfolgung eine Konfliktlage darstellt, „die ausschließlich im Verhältnis Straftäter – Staat wurzelt und demgemäß auch in dieser Beziehung ausgetragen gehört.“85 Dies ist allgemein anerkannt und folgt daraus, daß der Nemo-tenetur-Grundsatz aus der Verfassung abgeleitet und als ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat interpretiert wird.86 Innerhalb dieser „Gegenspielerkonstellation“87 kommt dem Staat 78 Vgl. BVerfGE 56, 37, 49; BGHSt 36, 328, 332; 42, 139, 151 f.; Beulke, Strafprozeßrecht, Rn. 125; Deutscher, Grundfragen, 159; Torka, Nachtatverhalten, 22. 79 Rogall, Beschuldigte, 155. 80 Ebenso etwa Deutscher, Grundfragen, 162; Schneider, Grund, 360; Wolff, Selbstbelastung, 45. 81 BGH StV 90, 16, 17; 259, 260; 96, 88, 89; Hartman-Hilter, Unfallort, 17; Hoffman, Selbstbegünstigung, 55 ff.; Kühne, Beweisverbote, 54 f. Dabei geht Torka für einige wenige Fallkonstellationen sogar soweit, auch selbstbegünstigende Handlungen, die etwa die Straftatbestände der §§ 145 d, 164 oder 303 StGB erfüllen, für gedeckt zu erachten, weil hier der „spezielle Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zur Sicherung der verfassungsmäßig garantierten Lügefreiheit“ eingreife (Hervorhebung im Original); vgl. Torka, Nachtatverhalten, 171 ff.; 191 ff. 82 BVerfG NJW 63, 1195; BGHSt 3, 18, 19; Bosch, Aspekte, 192; Deutscher, Grundfragen, 162; Fezer, FS-Stree / Wessels, 663, 674; LR-Hanack, § 136 Rn. 41; Rogall, Beschuldigte, 158; Rieß, JA 80, 293, 297; Schneider, Grund, 374 ff. 83 Schneider, Grund, 377. 84 Vgl. zum folgenden Schneider, Grund, 374 ff. 85 Schneider, Grund, 374. 86 Vgl. etwa BVerfGE 56, 37, 49; Deutscher, Grundfragen, 161 f.; Rogall, Beschuldigte, 149, 153; Reiß, Besteuerungsverfahren, 197.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

mit seinem gerade dafür vorgesehenen Strafverfolgungsapparat die Aufgabe zu, den Konflikt zu lösen. Würde man nun eine Konfliktverlagerung dergestalt zulassen, daß der strafrechtliche Schutz von an dem Konflikt völlig unbeteiligten Bürgern zugunsten von Selbstbegünstigungsprivilegien eines Straftäters eingeschränkt wird, liefe dies auf eine Gleichstellung unbeteiligter Dritter mit dem strafverfolgenden Staat hinaus. Während der Staat aber zur Strafverfolgung berufen ist und ihm die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, gilt dies für den Bürger gerade nicht. Er wäre dem sich selbst begünstigenden Straftäter weitestgehend schutzlos ausgeliefert. Die Gefahr einer im Vergleich zum Staat und seinen Möglichkeiten gegebenen strukturellen Unterlegenheit im Hinblick auf unerwartete strafvereitelungsmotivierte Rechtsgutsangriffe muß daher durch umfassenden Strafrechtsschutz vermieden werden. Insoweit wird die Befürchtung deutlich, daß eine Ausweitung des Rechts zur Selbstbegünstigung durch die Öffnung der Rechtssphäre Dritter für entsprechende Verhaltensweisen zu einem Zustand des Vertrauensverlustes in die grundsätzlich gegebene Unantastbarkeit der Rechtsgüter jedes einzelnen führt. Die Konsequenz dieses Zustandes ist das Entstehen von Mißtrauen eines jeden gegenüber seinen Mitmenschen, da stets und von allen Seiten mit einem selbstbegünstigungsmotivierten Übergriff auf eigene Rechtspositionen zu rechnen wäre.88 Der zweite Grund für das Verbot der Selbstbegünstigung auf Kosten Dritter wird aus dem ein allgemeines Rechtsprinzip formulierenden Veranlassungsgedanken abgeleitet. Danach hat derjenige, der durch sein Verhalten Gefahren für Rechtsgüter oder sogar deren Verletzung verursacht, alle Anstrengungen zu unternehmen oder jedenfalls die Lasten und Kosten zu tragen, die zur Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts in den Beziehungen der Bürger untereinander erforderlich sind.89 Die Bedeutung dieses Prinzips für das Verbot fremdschädigender Selbstbegünstigungsmaßnahmen bringt erneut Schneider sehr treffend zum Ausdruck, wenn er feststellt, daß vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Maxime kaum plausibel gemacht werden könne, weshalb ein „unbescholtener“ Bürger die Rücknahme des Strafrechtsschutzes gegenüber strafverfolgten Straftätern hinnehmen soll, ohne zum Eingriff in seine Rechtssphäre Anlaß gegeben zu haben.90 Ebenso prägnant stellt Wolff fest, daß der Nemo-tenetur-Grundsatz dem Beschuldigten nicht die Folgen seiner Tat abnehmen will.91 Betrachtet man beide Argumentationsstränge, so stimmen sie darin überein, daß der Grund für die Unzulässigkeit selbstbegünstigenden, aber zugleich fremdbelastenden Verhaltens der Umstand ist, daß der davon betroffene Dritte an dem Konflikt, der zwischen dem Straftäter und dem Staat ausgetragen wird, gänzlich unbe87 88 89 90 91

Schneider, Grund, 374. Vgl. Schneider, Grund, 375 f. Vgl. Kratzsch, Verhaltenssteuerung, 360; Lenckner, FS-Lackner, 95, 107. Schneider, Grund, 376. Wolff, Selbstbelastung, 45.

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teiligt ist. Die Beteiligung beziehungsweise Nichtbeteiligung Dritter an diesem Konflikt kann daher als entscheidend für eine aus dem Nemo-tenetur-Prinzip folgende Eingriffsbefugnis des Straftäters in deren Rechte angesehen werden. Im Hinblick auf die Frage, ob der wegen einer Straftat Erpreßte selbstbegünstigungsmotiviert in die Rechtssphäre des Erpressers eingreifen darf, ist folglich dessen Beziehung zum Staat und dem Straftäter zu untersuchen. Wirft man zunächst einen Blick auf die Position des Erpressers im Hinblick auf den Konflikt zwischen dem Staat und dem Straftäter, so ist diese grundsätzlich als neutral zu bezeichnen, da sie sich nicht von anderen Konstellationen unterscheidet, in denen ein Bürger Kenntnis von begangenen Straftaten hat. Diese Neutralität zeigt sich daran, daß es seine freie Entscheidung ist, ob er seine Kenntnis in Form einer Strafanzeige an die Strafverfolgungsbehörden weitergibt oder dies gerade unterläßt. Eine rechtliche Verpflichtung zu dem einen oder anderen Verhalten besteht nicht. An dieser Neutralität im Hinblick auf den Konflikt Staat – Straftäter ändert auch die Drohung nichts, da sie keine Auswirkungen auf die somit weiterhin bestehende Freiheit hat, die Tat des Straftäters anzuzeigen oder dies zu unterlassen. Von Bedeutung ist die Drohung allerdings insoweit, als der Erpresser nunmehr gerade keine der beiden rechtlich zulässigen Möglichkeiten des Umgangs mit seiner Kenntnis wählt, sondern einen dritten Weg beschreitet. Er wendet sich an den Straftäter und kündigt die Strafanzeige an, sofern nicht eine vermögenswerte Leistung von diesem erbracht wird. Der Straftäter und nunmehr Erpreßte sieht sich damit nicht mehr nur dem berechtigten Interesse des Staates an der Verfolgung und Aufklärung seiner Tat gegenüber. Vielmehr ist er jetzt zusätzlich dem unberechtigten Interesse des Erpressers ausgesetzt, aus dieser Situation Kapital zu schlagen. Die erpresserische Drohung bewirkt folglich einen neuen Konflikt, der sich allerdings von der Beziehung Staat – Straftäter dadurch unterscheidet, daß sich bei letzterem zwei grundsätzlich berechtigte Interessen gegenüberstehen, nämlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der Selbstbegünstigung gegenüber dem Staat, soweit es durch den Nemo-tenetur-Grundsatz gewährt wird. Für den Konflikt zwischen dem Erpresser und dem Erpreßten gilt dies gerade nicht. Denn die Drohung hat sich als gegenwärtiger rechtswidriger Angriff erwiesen mit der Folge, daß der Erpreßte einem Unrecht ausgesetzt ist, das der Erpresser durch sein Verhalten verursacht hat und das er jederzeit durch die Rücknahme der Drohung beseitigen kann. Die Rechtsordnung gewährt nun grundsätzlich demjenigen, der von solchem Unrecht in Form eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs betroffen ist, im Rahmen der Notwehr ein Abwehrrecht. Im Hinblick auf dieses Recht befindet sich der erpreßte Straftäter allerdings in einem Dilemma, das aus der dargestellten Konfliktsituation herrührt. Das vom Erpresser ausgehende Unrecht kann der Erpreßte, wie bereits oben festgestellt wurde92, zunächst durch einen die Strafanzeige verhindernden Eingriff in dessen Rechte beseitigen. Damit würde er aber die Neutrali92

Vgl. oben § 5 A.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

tät des Erpressers im Hinblick auf das Verhältnis, das zwischen ihm (dem Erpreßten) und dem Staat besteht, verletzen und sich damit in einer nicht mehr durch den Nemo-tenetur-Grundsatz gedeckten Weise selbst begünstigen. Die Alternative wäre die Anzeige des Erpressers bei den Strafverfolgungsbehörden mit der Folge der nunmehr unumgänglichen Offenbarung der von ihm begangenen Straftat. Dies liefe allerdings auf die Preisgabe seines Rechts hinaus, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen und damit zu der eigenen Überführung beitragen zu müssen. Dieses Dilemma kann nur im Sinne des Rechts und damit zugunsten des Erpreßten gelöst werden. Denn der Eingriff in die Rechte des Erpressers beseitigt das von ihm geschaffene Unrecht und stellt damit den Zustand des Rechts wieder her. Daß darin zugleich eine unter normalen Umständen unzulässige Selbstbegünstigung liegt, ist zuzugeben. Dabei handelt es sich aber um eine Nebenfolge, die mit der Erpressungsabwehr und Unrechtsbeseitigung notwendig verknüpft ist.93 Denn das durch den Eingriff in die Rechtssphäre des Erpressers beseitigte Unrecht bestand gerade darin, daß der Erpresser den Konflikt des Erpreßten mit dem Staat zu seinen Gunsten ausnutzen wollte. Deswegen ist die Maßnahme des Erpreßten auch nicht als die Schaffung neuen Unrechts zu werten, weil der Erpresser durch die Drohung mit der Strafanzeige und dem damit verbundenen Wechsel von der Seite des Rechts auf die Seite des Unrechts auf den strafrechtlichen Schutz, der ihm aufgrund seiner neutralen Position gegenüber der Kontroverse zwischen dem Staat und dem Straftäter zustand, verzichtet hat. Da aus diesem Grund der Normalfall einer drittbelastenden Selbstbegünstigung auch gar nicht vorliegt, ist das gefundene Ergebnis auch mit den Grundlagen des Verbots einer fremdbelastenden Selbstbegünstigung ohne weiteres zu vereinbaren, wie eine Überprüfung der gefundenen Ergebnisse anhand dieser Grundlagen zeigt. Durch das Verbot soll verhindert werden, daß die Bürger das Vertrauen in die Unantastbarkeit ihrer Rechtsgüter verlieren und ein Zustand des Mißtrauens eines jeden gegenüber seinen Mitmenschen entsteht. Dieses Ziel wird durch das hier gefundene Ergebnis nicht in Frage gestellt. Denn auch weiterhin ist eine fremdbelastende Selbstbegünstigung unzulässig. Wenn allerdings der belastete Bürger durch eigenes unrechtmäßiges Handeln seine Neutralität gegenüber dem Straftäter aufgegeben hat, kann er auf den Schutz seiner Rechtsgüter gegen Übergriffe nicht mehr vertrauen. Seine Situation unterscheidet sich dann nämlich nicht mehr von derjenigen, in der andere Angreifer sich durch ihren gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff befinden. Wie jeder Angreifer, der Unrecht schafft, muß auch er damit rechnen, daß dieses Unrecht auf seine Kosten beseitigt wird. Wollte man dies anders sehen, würde man das Unrecht gegenüber dem Recht privilegieren und den Mißbrauch der Freiheit zur Strafanzeige für zulässig erklären. Damit ist auch der zweite für das Verbot der drittbelastenden Selbstbegünstigung bedeutsame Gesichtspunkt bereits angesprochen worden, nämlich der Veranlassungsgedanke. Selbstverständlich muß der Erpreßte für seine strafbare Verfehlung 93

Vgl. Haug, MDR 64, 548, 550.

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einstehen und die Konsequenzen tragen. Dies gilt allerdings nur im Verhältnis zum Staat, da allein er wegen der Geltung des Gewaltmonopols dazu berufen ist, den erpreßten Straftäter zur Rechenschaft zu ziehen. Insoweit erwachsen Rechtsfolgen aus der Tat nur im Verhältnis zum Staat und dem geschädigten Opfer. Andere Personen sind nicht berechtigt, aus der Situation des Straftäters Vorteile wirtschaftlicher Art zu ziehen. Der Versuch, den Straftäter wegen der von ihm begangenen Straftat zu erpressen, kann damit keine Folge sein, die sich dieser noch im Sinne des Veranlassungsgedankens zurechnen lassen müßte. Vielmehr hat hierfür der Erpresser seinerseits einzustehen, weil dieses neue Unrecht von ihm verursacht wurde und das Veranlassungsprinzip selbstverständlich auch für ihn zu gelten hat.

4. Zur Legitimität des Interesses an der Verhinderung einer Strafanzeige beziehungsweise der Offenbarung kompromittierender Tatsachen Nach den bisherigen Ausführungen kann festgehalten werden, daß weder den Regelungen der §§ 192 StGB, 154 c StPO noch dem Nemo-tenetur-Grundsatz eindeutige Hinweise im Hinblick auf die Legitimität des Interesses des Erpreßten an der Verhinderung der Strafanzeige beziehungsweise der Offenbarung anderer kompromittierender Umstände entnommen werden können. Zu dieser Frage äußert sich die Rechtsordnung also nicht explizit. Und dennoch kann eine Antwort gefunden werden, wenn man sich die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung vor Augen führt. Wie sich gezeigt hat, besteht das Unrecht der erpresserischen Drohung darin, daß der Erpresser in Form seiner Drohung einen Grund schafft, der den Erpreßten zu dem begehrten vermögensschädigenden Verhalten motivieren soll. Es ist also gerade der Einsatz einer Willensbeeinträchtigung zum Zwecke der Schädigung des Vermögens und damit der Zusammenhang zwischen Willensfreiheit und Vermögen, der die erpresserische Drohung charakterisiert. Bei der Drohung mit einem erlaubten Verhalten ist dies nicht anders, wie bereits an anderer Stelle dargestellt wurde.94 Wenn man sich dies erneut vergegenwärtigt, wird deutlich, daß die Verneinung der Erforderlichkeit einer Verteidigung gegen erpresserische Drohungen mit der Begründung, der Erpreßte habe doch die Strafanzeige und das daraufhin erfolgende Strafverfahren zu dulden, nicht überzeugt. Richtig ist zwar, daß der wegen einer Straftat Erpreßte die Strafanzeige und das Strafverfahren hinnehmen muß und daß deren Verhinderung damit prinzipiell unzulässig ist. Was er allerdings nicht hinzunehmen verpflichtet ist, ist die Usurpation dieser Verpflichtung durch den Erpresser zum Zwecke der Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils. Denn gerade darin liegt nach dem bereits mehrfach Gesagten das Unrecht der Erpressung. Und um dieses Unrecht abzuwehren, muß es dem Erpreßten gestattet 94

Vgl. dazu oben 1. Kapitel § 2 C. IV.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

sein, in die Rechte des Erpressers einzugreifen, da sich gezeigt hat, daß die schlichte Nichtzahlung das Unrecht nicht beendet und die Selbstbezichtigung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden wegen des Nemo-tenetur-Grundsatzes nicht vom Erpreßten verlangt werden kann. Stellt man dagegen allein auf das generelle Erlaubtsein des angedrohten Verhaltens ab, bedient man sich im Ergebnis wieder einer nach den einzelnen durch die Erpressung betroffenen Rechtsgütern differenzierenden Betrachtungsweise, die aber den Strukturen der Erpressung gerade nicht gerecht zu werden vermag.95 Daß ein Eingriff in die Rechtssphäre des Erpressers regelmäßig auch bedeutet, daß der Erpresser faktisch daran gehindert wird, die Straftat des Erpreßten anzuzeigen, ist zuzugeben, allerdings auch zu akzeptieren, da es sich, wie schon Haug festgestellt hat96, dabei um eine Nebenfolge handelt, die mit der reinen Erpressungsabwehr notwendig verknüpft ist. Der Grund hierfür liegt wiederum in der Struktur des Erpressungsunrechts. Wenn das Erpressungsunrecht dadurch begründet wird, daß der Erpresser durch seine Drohung einen Grund schafft, der das Opfer zu einem bestimmten Verhalten motivieren soll, dann kann dieses Unrecht zwangsläufig nur dadurch beendet werden, daß der Grund beseitigt wird, weil dadurch die Beeinträchtigung der Willensfreiheit endet und damit gleichzeitig der Angriff auf das Vermögen. Besteht der vom Erpresser geschaffene Grund nun in der Ankündigung, Strafanzeige zu erstatten, wenn nicht eine entsprechende vermögenswerte Leistung durch den Erpreßten erbracht wird, so wird dieses Unrecht dementsprechend dadurch aus der Welt geschafft, daß der Erpreßte die Strafanzeige verhindert, weil er dann im wahrsten Sinne des Wortes keinen Grund mehr hat, dem Willen des Erpressers zu entsprechen. Wenn der Erpreßte also die Strafanzeige verhindert, dann ist dies unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, weil es die einzige Möglichkeit ist, sich dem vom Erpresser geschaffenen und aufrechterhaltenen Unrecht zu entziehen, ohne eine weitere Beeinträchtigung seiner Willensfreiheit hinnehmen oder sein Recht, nicht zur Selbstbezichtigung gezwungen werden zu können, aufopfern zu müssen. Gerade durch die Kombination des Übels der Strafanzeige mit dem Übel des vermögensschädigenden Verhaltens wird folglich das grundsätzlich illegitime Interesse an der Verhinderung der Strafanzeige in den Konstellationen der erpresserischen Drohung zu einem rechtlich zulässigen.

5. Ergebnis Als Ergebnis kann damit festgehalten werden, daß die Erpressungsabwehr durch einen Eingriff in die Rechtsgüter des Erpressers, insbesondere durch die Verhinderung der Strafanzeige, erfolgen darf. Die Verhinderung der Strafanzeige stellt sich nämlich als eine Nebenfolge der Abwehr des Erpressungsunrechts dar. Der Erpres95 96

Vgl. oben 1. Kapitel § 2 C., 1. Kapitel § 2 C. III. Haug, MDR 64, 548, 550.

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ser entzieht sich dem Schutz der Rechtsordnung folglich selbst, indem er vom Erpreßten für die Nichtanzeige einen Vermögensvorteil verlangt und dadurch selbst Unrecht schafft. Wollte man den Eingriff in seine Rechte durch den Erpreßten für unzulässig erklären, würde man das Unrecht dem Recht gegenüber stets privilegieren, indem man den Erpresser mit seinem unrechtmäßigen Verhalten gewähren lassen würde oder aber in Kauf nähme, daß der Erpreßte zur Abwehr dieses Unrechts sein Recht opfern müßte, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen. Dies läßt sich allerdings rechtlich nicht begründen, vor allem nicht mit dem Nemotenetur-Grundsatz, soweit er die Beeinträchtigung von Drittrechten zur Selbstbegünstigung betrifft, da seine Grundlagen auf die Konstellation einer erpresserischen Drohung nicht anwendbar sind. Die getroffenen Erwägungen zu einer Erpressung mit Strafanzeige lassen sich ohne weiteres auf Erpressungen mit der Bekanntgabe kompromittierender Tatsachen übertragen, da auch hier der Erpresser dem Verhältnis zwischen demjenigen, der eine Verfehlung begangen hat, und demjenigen, den diese Verfehlung betrifft, neutral gegenübersteht und diese Neutralität im Verhältnis zu dem Erpreßten durch den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff aufgibt.

B. Die einzelnen Verteidigungsmaßnahmen I. Die Verteidigung vorbereitende Maßnahmen Da nunmehr feststeht, daß der Erpreßte sich auch durch Eingriffe in die Rechte des Erpressers verteidigen darf, ist im folgenden auf diese Maßnahmen einzugehen. In der Literatur werden diesbezüglich weitergehend solche Maßnahmen des Erpreßten benannt, die ihn in die Lage versetzen, nunmehr selbst die Initiative zu ergreifen und aktiv gegen seinen Erpresser vorzugehen. Namentlich handelt es sich dabei um heimliche und daher nach § 201 I Nr. 1 StGB strafbare Tonbandaufnahmen von Gesprächen mit dem Erpresser, der Diebstahl kompromittierenden Materials sowie die damit verbundenen Delikte wie etwa Hausfriedensbruch nach § 123 StGB und Sachbeschädigung nach § 303 StGB.97 Nach einem erfolgreichen Vorgehen ist es dem Erpreßten nämlich möglich, mit dem beispielsweise erlangten Beweismaterial die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten oder im Rahmen einer sogenannten Gegenerpressung98 selbst gegen den Erpresser tätig zu werden. Aus den gegen die Herbeirufung obrigkeitlicher Hilfe sprechenden Gründen99 dürfte vor allem die Gegenerpressung in diesem Zusammenhang von Bedeutung und eine für den Erpreßten taugliche Verteidigung darstellen. Die angesprochenen Maßnahmen haben allerdings die Gemeinsamkeit, daß sie selbst noch nicht unmittelbar zur 97 Vgl. Eggert, NStZ 00, 225, 227; SK-Günther, § 32 Rn. 77; Roxin, AT / I, 15 / 90; NKHerzog, § 32 Rn. 32. 98 Vgl. dazu Haug, MDR 64, 548, 550. 99 Vgl. oben § 5 A. II. 3. und 4.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

Beendigung des Angriffs führen, sondern die eigentliche Abwehr erst vorbereiten. Eine Entscheidung des Reichsgerichts100 gibt Anlaß, danach zu fragen, ob solche die Verteidigung erst vorbereitende Maßnahmen überhaupt gerechtfertigt sein können, weil es am Verteidigungscharakter fehlen könnte. Das Reichsgericht hatte – allerdings in einem obiter dictum – ausgeführt, daß einer Tat die Rechtfertigung zu versagen sei, wenn „sie sich nur als eine Tätigkeit darstellt, die die künftige Notwehrhandlung erst ermöglichen sollte, nicht selbst schon Notwehrhandlung war.“101 Zur Widerlegung der These des Reichsgerichts ist zunächst festzuhalten, daß die Verteidigung nach § 32 StGB als das Gegenstück zum Angriff anzusehen ist.102 Diese Deutung des Verteidigungsbegriffs ist einleuchtend und liegt auf der Hand, weil aus dem Gesetzeswortlaut folgt, daß es sich bei der Verteidigung um ein Verhalten handeln muß, das dem Angriff entgegenwirkt. Verteidigung ist demnach ein menschliches Verhalten, das auf den Erhalt eigener, bei Nothilfe auch fremder Rechtsgüter gerichtet ist.103 Zu solchen auf Abwehr des Angriffs gerichteten Verhaltensweisen gehören allerdings auch die die Verteidigung vorbereitenden Maßnahmen, so daß bereits insofern deren Verteidigungscharakter bejaht werden kann. Dies wird um so deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Vorbereitung der Verteidigung ein notwendiges Durchgangsstadium hin zum eigentlichen Abwehrakt ist. Insofern kann ein untrennbarer Zusammenhang zwischen beiden nicht geleugnet werden. Zudem wird dieser faktische Zusammenhang durch den gegenwärtigen Angriff und die Motivation des Verteidigers, gerade diesen Angriff abzuwehren, verstärkt und damit zu einem einheitlichen Vorgang verbunden. Vorbereitung und eigentliche Abwehr bilden daher einen einheitlichen Verteidigungskomplex. Als Ergebnis kann damit festgehalten werden, daß auch die Vorbereitung der eigentlichen Abwehrmaßnahme als Verteidigung im Sinne des § 32 II StGB anzusehen ist, sofern sie gerade diesem Zweck zu dienen bestimmt ist. In Verbindung mit dem verfolgten Zweck sind straftatbestandsverwirklichende Vorbereitungsmaßnahmen im Hinblick auf ihre Rechtswidrigkeit an § 32 StGB zu messen. Für die hier problematischen Fälle, in denen der Verteidiger etwa Tonbandaufnahmen der erpresserischen Drohungen herstellt und damit den Tatbestand des § 201 StGB erfüllt oder aber kompromittierendes Material entwendet und die §§ 242, 243, 123 StGB tatbestandlich verwirklicht, kommt damit grundsätzlich eine Rechtfertigung dieser Handlungen in Betracht.104

RGSt 48, 215. RGSt 48, 215, 217. 102 Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 18; NK-Herzog, § 32 Rn. 53; LK-Spendel, § 32 Rn. 137. 103 Vgl. Suppert, Studien, 252. 104 Ebenso Suppert, Studien, 254. 100 101

§ 5 Die Erforderlichkeit der Verteidigung

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II. Gewaltanwendung Neben dem bisher erörterten Verteidigungsverhalten finden in der Literatur auch andere, in ihren Auswirkungen für den Erpresser wesentlich intensivere Abwehrmaßnahmen Erwähnung, nämlich die körperliche Gewaltanwendung, die bis zur Tötung des Erpressers reichen kann.105 Im Hinblick auf die Erforderlichkeit ergeben sich bei diesen Maßnahmen allerdings keine Besonderheiten. Sie sind erst zulässig, wenn zur Abwehr des erpresserischen Angriffs andere, den Angreifer und seine Güter voraussichtlich weniger beeinträchtigende Mittel nicht in Betracht kommen106, weil mildere Mittel etwa eine Gefährdung beziehungsweise Aufopferung von Gütern des Verteidigers oder aber einen ungewissen Verteidigungserfolg bedeuten würden.107 Insofern folgt die Anwendung physischer Gewalt den allgemeinen Regeln der Erforderlichkeit. Tatbestandliche Körperverletzungen dürften nach diesen Grundsätzen bereits als taugliches Verteidigungsmittel ausscheiden, weil sie von vornherein nicht dazu geeignet sind, die Drohung als dem Erpreßten aufgedrängten Grund für die Vornahme des vermögensschädigenden Verhaltens zu beseitigen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein, weil die nicht unbegründete Gefahr besteht, daß der durch die körperliche Auseinandersetzung gereizte Erpresser seine Drohung realisiert. Tauglich ist aber jedenfalls die Tötung des Erpressers. Im Einzelfall ist es auch denkbar, daß sie die mildeste, weil einzige taugliche Verteidigung darstellt. Dies ist etwa möglich, wenn der Angreifer seine Drohung nicht auf sachliche Beweismittel stützen kann, sondern allein auf sein Wissen. Im ersten Fall wäre an die bereits besprochenen Maßnahmen wie beispielsweise der Diebstahl des belastenden Materials zu denken. Dies scheidet für den zweiten Fall aus, so daß „die minimale Notwehrhandlung . . . mit der endgültigen Unschädlichmachung zusammenfallen würde.“108 Dementsprechend wird die grundsätzliche Vereinbarkeit der Tötung des Erpressers zur Abwehr seines Angriffs mit den Grundsätzen der Erforderlichkeit in der Literatur mit Recht bejaht.109 Sofern man die Tötung des Erpressers gleichwohl nicht nach § 32 StGB rechtfertigen will, ist dies ein Problem der Gebotenheit der Verteidigung und wird im Anschluß behandelt.

Vgl. Eggert, NStZ 00, 225, 227; Haug, MDR 64, 548, 553; Roxin, AT / I, 15 / 52. Vgl. NK-Herzog, § 32 Rn. 64; Kühl, AT, 7 / 100; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 36a; Maurach / Zipf, AT / 1, 26 / 32; Otto, AT, 8 / 43. 107 BGH NStZ 91, 33; 96, 29; NK-Herzog, § 32 Rn. 64; Jakobs, AT, 12 / 31; Kühl, AT,7 / 103; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 36c; Maurach / Zipf, AT / 1, 26 / 32; Roxin, AT / 1, 15 / 43. 108 Haug, MDR 64, 548, 553. 109 Eggert, NStZ 00, 225, 227; Roxin, AT / I, 15 / 52. Dies liegt nach der Ansicht Arzts, JZ 01, 1052, 1053 „nicht mehr im Rahmen einer vertretbaren Rechtsauffassung, sondern ist glatt falsch.“ Allerdings beruht diese Auffassung auf seiner These, bereits das Nichtzahlen sei eine taugliche Verteidigungsmaßnahme gegen den erpresserischen Angriff. Die Fehler dieser Position wurden bereits dargestellt, vgl. oben unter II. 105 106

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

C. Ergebnis Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß eine Verteidigung gegen den Erpresser grundsätzlich erforderlich und damit zulässig ist. Soweit dies bestritten wird und dem Erpreßten allein die Möglichkeit gewährt wird, sich durch schlichtes Nichtzahlen zu wehren oder sich obrigkeitlicher Hilfe zu bedienen, vermag dies nicht zu überzeugen. Das einfache Nichtbezahlen ist nämlich nicht dazu geeignet, den gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff des Erpressers zu beenden, sondern bedeutet lediglich eine Hinnahme dieses Angriffs. Denn solange die Drohung aufrechterhalten wird, ist die Willensfreiheit des Erpreßten beeinträchtigt und damit auch der Angriff auf das Vermögen noch gegenwärtig. Diesen Zustand darf der Erpreßte beenden. Die Beendigung des Angriffs durch die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden ist dem Erpreßten allerdings nicht zuzumuten. Denn er darf ausnahmsweise sein Interesse an der Verhinderung der Strafanzeige durch einen Eingriff in die Rechte des Erpressers durchsetzen und kann nicht darauf verwiesen werden, das Übel des Strafverfahrens zu dulden. Dies ist die Konsequenz daraus, daß der Erpresser sich genau dieses Übels bedient, um für sich vermögenswerte Vorteile zu erzielen, und dadurch auf die Seite des Unrechts wechselt. Dem Erpresser steht es daher im Einzelfall zumindest unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten frei, sich mit Mitteln zu verteidigen, die die Rechtssphäre des Erpressers berühren oder in sie eingreifen. Im Einzelfall kommt damit auch die Tötung des Erpressers als erforderliches Verteidigungsmittel in Betracht.

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung Gemäß § 32 I StGB setzt die Rechtfertigung einer Tat voraus, daß sie durch Notwehr geboten ist. Mit dieser Gesetzesformulierung wollte der Gesetzgeber eine Begrenzung des Notwehrrechts aus sozial-ethischen Gründen für solche Fälle erreichen, die seiner Ansicht nach eine Rechtfertigung nicht verdienen. Den Materialien zum StGB läßt sich entnehmen, daß dies etwa bei einer Verteidigung gegenüber Angriffen von Kindern und Geisteskranken gelten soll, ferner bei Angriffen, die so geringfügig sind, daß ihre Hinnahme zugemutet werden kann, und schließlich bei solchen Fällen, in denen der Verteidiger den Angriff selbst provoziert hat.110 In Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen Intention deutet die heute herrschende Meinung111 in Rechtsprechung und Literatur das Merkmal der Gebotenheit als Ansatzpunkt für eine Reduktion des Notwehrrechts und bedient sich damit dieses Merkmals, um in bestimmten, im einzelnen aber umstrittenen FallgrupVgl. BT-Drucks. V / 4095, 14. Vgl. etwa BGHSt 24, 356; Tröndle / Fischer, § 32 Rn. 18; Freund, AT, 3 / 110 ff.; NKHerzog, § 32 Rn. 86 ff.; Jescheck / Weigend, AT, 344; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 16; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 43; Roxin, AT / I, 15 / 54; Wessels / Beulke, AT, Rn. 342. 110 111

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung

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pen die „Schneidigkeit“ der Notwehr zu korrigieren. Dem gelegentlichen Einwand des Verstoßes gegen Art. 103 II GG112 sieht man sich dabei nicht ausgesetzt, da sich die Fallgruppen einer Beschränkung des Notwehrrechts aus der ratio legis113 der Notwehrvorschrift ableiten lassen sollen und die Limitierung der Verteidigungsbefugnis daher nicht von außen an die Notwehr herangetragen, sondern dieser immanent sein soll.114

A. Heimliche Erpressungsabwehr als Fall eingeschränkter Notwehrbefugnisse Dem Charakter eines Einfallstors für Beschränkungen des Notwehrrechts entsprechend wird in der Literatur vorgeschlagen, den oben erwähnten Katalog von Notwehrbeschränkungen um eine weitere Kategorie zu ergänzen. Diese neue Kategorie soll die Fälle erfassen, in denen sich ein Erpressungsopfer gegen die Erpressung in einer Weise verteidigt, die geeignet ist, über das Verhältnis zwischen ihm und seinem Erpresser hinauszudringen.115 Wie die übrigen Notwehreinschränkungen auch basiert diese Ansicht auf der Annahme, daß ein unbeschränktes Recht des Erpreßten zur Selbstverteidigung nicht mit den Grundgedanken der Notwehr in Einklang zu bringen sei. Man geht dabei mit der insoweit wohl als herrschend zu bezeichnenden Meinung116 von der sogenannten dualistischen Notwehrlehre aus, nach der die Notwehr auf zwei Prinzipien beruht, dem Schutz- und dem Rechtsbewährungsprinzip. Bei ersterem geht es um das Recht des einzelnen, sich und seine Individual-Rechtsgüter gegen rechtswidrige Angriffe zu verteidigen, während das Rechtsbewährungsprinzip besagt, daß der Verteidiger neben seinen eigenen Rechten auch die Rechtsordnung verteidigt.117 Die Befürworter einer Einschränkung des Notwehrrechts gegen Erpressungen leiten dies zunächst aus einer Diskrepanz eines unbeschränkten Verteidigungsrechts zum Rechtsbewährungsprinzip ab. Dabei deutet man das Rechtsbewährungsprinzip dahingehend, daß es der Generalprävention diene, indem durch die Abwehr des Angriffs zum einen künftigen Angreifern vor Augen geführt werde, daß ein Angriff stets mit einem nicht unerheblichen Risiko der Verletzung eigeKratzsch, GA 71, 65, 68 ff.; Engels, GA 82, 109, 114 ff. Vgl. dazu unten § 6 B. II. 114 Jescheck / Weigend, AT, 344; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 16; Kühl, AT, 7 / 164; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 43; Roxin, AT / I, 15 / 54 f.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 343. 115 Amelung, GA 82, 381, 392 ff. Ähnlich, aber nicht so weitgehend Roxin, AT / I, 15 / 89. 116 BGHSt 24, 356, 359; Tröndle / Fischer, § 32 Rn. 2; Jescheck / Weigend, AT, 337; Lackner / Kühl, § 32 Rn. 1; Krey, JZ 79, 702, 714; Lenckner, GA 68, 1, 3; Schönke / SchröderLenckner / Perron, § 32 Rn. 1 f.; LK-Spendel, § 32 Rn. 11 ff.; Otto, AT, 8 / 17; Roxin, AT / I, 15 / 1 ff.; derselbe, ZStW 93, 68, 70 ff.; Wessels / Beulke, AT, Rn. 342. 117 Vgl. Kühl, JuS 93, 177, 178 ff. m. w. N. 112 113

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ner Güter verbunden sei, und zum anderen das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung des Rechts gestärkt werde.118 Eine Verteidigungsmaßnahme, die dieses Vertrauen erschüttere und Zweifel an der Wirksamkeit der Geltung des Rechts hervorrufe, könne folglich nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt sein.119 Für den Erpreßten bedeute dies, daß ihm die Berufung auf § 32 StGB versagt sei, wenn seine Verteidigung derart angelegt sei, daß ihre Auswirkungen von der Allgemeinheit zwar wahrgenommen werden könnten, ihr Grund aber nicht zu erkennen sei. Töte beispielsweise der Erpreßte seinen Erpresser, ohne daß die Tat später durch die Strafverfolgungsbehörden aufgeklärt werden könne, so erfahre die Gesellschaft diese Tötung nicht als Bestätigung des Rechts, sondern nur als „feigen Mord“, zumal der Erpresser nichts zu einer Aufklärung des Falles beitragen könne, weil er sonst die Gründe seiner Erpreßbarkeit darlegen müsse, was es für ihn ja gerade zu vermeiden gelte.120 Die heimliche Verteidigung des Erpreßten stärke daher nicht das Vertrauen in die Geltung des Rechts, sondern greife dieses geradezu an.121 Auch die unzweifelhaft bedrohten Interessen des Erpreßten rechtfertigen es dieser Ansicht zufolge nicht, ihm ein umfassendes Notwehrrecht zu gewähren. Für den Erpreßten stehe allein sein Ansehen auf dem Spiel, da allein dies der Grund dafür sei, warum er sich zur Abwehr des Angriffs auf das Vermögen und die Willensfreiheit nicht staatlicher Hilfe bediene. Gerade dieses Interesse könne aber nicht ausreichen, um eine Beeinträchtigung der faktischen Geltung des Rechts durch eine heimliche Verteidigung auszugleichen. Dies zeigten Vorschriften wie § 157 StGB und §§ 68 a, 112 I, II Nr. 3 StPO, nach denen eine aktive Selbstbegünstigung hinter dem Interesse der Allgemeinheit an der faktischen Geltung des Rechts zurücktrete.122 Eine Rechtfertigung des Erpreßten komme danach nur dann in Betracht, wenn sein Interesse an der Wahrung des Ansehens nicht mit dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des Vertrauens in die Rechtsordnung kollidiere oder die Beeinträchtigung des Rechtsbewährungsprinzips so gering sei, daß sie hingenommen werde könne.123 Dies sei zunächst in Fällen sogenannter „kommunikativer Gegenwehr“ der Fall, in denen sich der Erpreßte des Gesprächs mit dem Erpresser bediene und sich dabei mit sonst verbotenen Täuschungen und Drohungen verteidige. Solchen Maßnahmen fehle die Breitenwirkung gewaltsamer Vorgehensweisen, da sie lediglich im Verhältnis Erpresser-Erpreßter erfolgten. Gleiches gelte für die Fixierung des Erpresserverhaltens durch heimliche Tonbandaufnahmen, mit deren 118 Amelung, GA 82, 381, 392; derselbe, NStZ 98, 70, 71; Roxin, AT / I, 15 / 89; derselbe, ZStW 93, 68, 73 f. 119 Amelung, GA 82, 381, 392; derselbe, NStZ 98, 70, 71; Roxin, AT / I, 15 / 89. 120 Amelung, GA 82, 381, 392; derselbe, NStZ 98, 70, 71. 121 Amelung, GA 82, 381, 393; derselbe, NStZ 98, 70, 71. 122 Amelung, GA 82, 381, 396 f.; derselbe, NStZ 98, 70, 71; Roxin, AT / I, 15 / 89. 123 Amelung, GA 82, 381, 398; derselbe, NStZ 98, 70, 71.

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Hilfe eine Identifizierung des Erpressers möglich werde oder Beweise gesichert werden könnten.124

B. Zwei Thesen und ihre Überzeugungskraft Befürwortet man mit der dargestellten Ansicht eine Einschränkung des Notwehrrechts des Erpreßten im Rahmen der Gebotenheit auf die genannten Maßnahmen, so ist dies dogmatisch nur dann haltbar, wenn sich zwei Kernaussagen dieser Position als richtig erweisen. Zum einen muß die Limitierung des Notwehrrechts des Erpreßten tatsächlich Folge einer Unvereinbarkeit der unbeschränkten Notwehrbefugnis mit einem generalpräventiven Verständnis der Notwehr sein. Zum anderen muß der Notwehr neben dem Individualschutzgedanken überhaupt ein Rechtsbewährungsprinzip als Idee zugrunde liegen, da hierin der Ausgangspunkt der Argumentation der Befürworter einer Einschränkung der Notwehrbefugnis zu sehen ist. Beide Aussagen sind daher im folgenden auf ihre Überzeugungskraft zu untersuchen.

I. Notwehrbefugnis und Generalprävention Im Hinblick auf die erste These sei zunächst unterstellt, daß ein Rechtsbewährungsprinzip tatsächlich einer von zwei Pfeilern des Notwehrrechts darstellt und damit die sogenannten dualistischen Notwehrlehren, die nachweislich auch die Befürworter einer Einschränkung des Notwehrrechts des Erpreßten ihrer Ansicht zugrunde legen, mit ihrer Auffassung von den Grundlagen der Notwehr richtig liegen.125 Mit den Vertretern einer Notwehrrechtsbeschränkung bei Erpressungen sei auch davon ausgegangen, daß der Rechtsbewährungsgedanke identisch ist mit dem, was in der Lehre von den Strafzwecken als Generalprävention bezeichnet wird. Legt man also dieselben Voraussetzungen zugrunde wie die Vertreter einer nur begrenzten Verteidigungsbefugnis, so erscheint das von ihnen erzielte Ergebnis dennoch sehr zweifelhaft. Denn man hat bei der Argumentation allein die (vermeintlich) positiv-generalpräventive Wirkung im Blick, wie sie durch die Bestätigung eines Täterverhaltens als Notwehr durch ein staatliches Ermittlungsverfahren mit anschließender gerichtlicher Hauptverhandlung erfolgen soll. Es wird also ausschließlich das generalpräventive Ziel beziehungsweise die generalpräventive Wirkung des Urteilstenors be124 Amelung, GA 82, 381, 398 ff.; derselbe, NStZ 98, 70, 71. Obwohl er die Argumentation Amelungs teilt, will Roxin im Ergebnis weitergehend als jener auch Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Diebstahl, Urkundenunterdrückung und ähnliche Vergehen rechtfertigen, ohne aber eine Begründung hierfür zu geben. 125 Zur Richtigkeit dieser Aussage vgl. unten § 6 B. II.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

tont, in der Bevölkerung Rechtstreue einzuüben und das Vertrauen in die faktische Wirksamkeit des Rechts zu stärken. Dabei übersieht man allerdings, daß Generalprävention nach der Lehre von den Strafzwecken nicht nur durch den Strafausspruch durch Urteil, sondern bereits durch die Aufstellung einer Sanktionsdrohung in Form der einzelnen Straftatbestände erfolgt.126 Konsequenterweise müßte demnach neben der erfolgreichen Abwehrmaßnahme auch der Existenz der Notwehrvorschrift des § 32 StGB selbst ein motivierender und vertrauensfördernder Effekt zukommen. Auf diesen Aspekt gehen die Vertreter eines limitierten Notwehrrechts des Erpreßten nicht ein und erkennen folglich nicht, daß schon die Normierung des Notwehrrechts als solche in der Gesellschaft ein gewisses Maß an Rechtstreue bewirken müßte, da jedem potentiellen Angreifer die Gefahr von Einbußen eigener Rechtsgüter durch die zulässige Gegenwehr des Angegriffenen vor Augen geführt würde. Diese Einsicht hat zwei wichtige Auswirkungen auf die These von einem nur begrenzten Notwehrrecht eines Erpreßten. Zunächst ist bei genauer Betrachtung einer für die Rechtsgemeinschaft nicht unmittelbar erklärbaren Tat im Regelfall auch immer die Möglichkeit immanent, daß es sich hierbei um eine Notwehrtat handeln könnte. Das Vertrauen der Gesellschaft in die Geltung des Rechts wird folglich durch eine in ihren Wirkungen nach außen als solche nicht erkennbare Notwehrtat gar nicht oder zumindest nicht in einem inakzeptablen Maße erschüttert. Die zweite Konsequenz der genannten Erkenntnis besteht darin, daß mit ihrer Hilfe vermieden werden kann, daß durch die Versagung der Rechtfertigung heimlicher Abwehrmaßnahmen mit für die Allgemeinheit nicht erklärbaren Folgen die Wirkung der Notwehrvorschrift in Frage gestellt wird. Denn anderenfalls könnte ein Angreifer sich relativ sicher sein, kein größeres Risiko für seine Rechtsgüter einzugehen, wenn er den Angriff nur geschickt im Hinblick auf seine Nichtöffentlichkeit ausführt, da der Angegriffene sich dann nicht zur Wehr setzen dürfte.127 Es zeigt sich also, daß ein unbeschränktes Notwehrrecht des Erpreßten nicht zwangsläufig einem generalpräventiven Charakter der Notwehr widersprechen muß, sondern durchaus mit diesem in Einklang zu bringen ist. Wenn dieser Gedanke, wie wir gesehen haben, von den Vertretern einer Begrenzung des Notwehrrechts gleichwohl nicht aufgegriffen wird, so mag dies daran liegen, daß einer Norm erst dann eine Bedeutung in der Rechtsordnung zukommt, wenn sie durch ihre regelmäßige Anwendung auch bestätigt wird. Im Zusammenspiel von Strafandrohung und Strafverhängung und Strafvollzug kann man also in letzteren den bedeutsameren Aspekt sehen und dies entsprechend auf die Notwehr übertragen. Bei dieser Sicht der Dinge ist dann allerdings die grundlegende und hier als zweites zu behandelnde Frage aufzuwerfen, ob die Notwehr tatsächlich einer als Rechtsbewährungsprinzip bezeichneten Idee folgt, aus der sich Schlüsse auf eine Einschränkung des Notwehrrechts eines Erpreßten ziehen lassen. 126 127

Eisenberg, Kriminologie, 41 / 2; Renzikowski, Notstand, 89, 115; Roxin, AT / I, 3 / 23. Renzikowski, Notstand, 115.

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung

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II. Rechtsbewährungsprinzip als Grundgedanke der Notwehr 1. Notwehr und das Prinzip des überwiegenden Interesses Wie bereits erwähnt wurde, geht man bei der Begründung einer Einschränkung des Notwehrrechts des Erpreßten von einer dualistischen Notwehrlehre aus, nach der der Verteidiger nicht nur seine Individualinteressen schütze, sondern auch das Interesse der Allgemeinheit an der Geltung der Rechtsordnung.128 Daß neben der individualistischen Komponente des Selbstschutzes der überindividualistische Aspekt der Geltung der Rechtsordnung als Grundgedanke der Notwehr angesehen wird, verwundert zunächst, denn dem Wortlaut des § 32 StGB läßt sich dies jedenfalls nicht entnehmen.129 Wenn die herrschende Meinung diesen Gedanken gleichwohl zur Begründung der Notwehr heranzieht, so liegt dies daran, daß man glaubt, nur auf diese Weise die „Schneidigkeit“ der Notwehr, wie sie aus dem Verzicht einer Güter- und Schadensabwägung folgt, erklären zu können.130 Die überindividualistische Komponente wird damit neben dem Schutzprinzip zu einem Summanden in einer Rechnung, deren Endergebnis es rechtfertigen solle, daß der Angegriffene sich ohne Rücksicht auf Güterproportionalität verteidigen dürfe, selbst wenn er dem Angriff ausweichen könnte und damit auf seiten des Angreifers weniger Schaden anrichten würde. Die dualistische Auffassung beruht damit auf dem alle Rechtfertigungsgründe nach nahezu allgemeiner Meinung131 prägenden Prinzip des überwiegenden Interesses. Danach ist eine tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung dann gerechtfertigt, wenn im konkreten Fall das Interesse an der Erhaltung des Rechtsgutes schwächer ist als das Interesse, das sich nur durch die tatbestandsmäßige Rechtsgutsbeeinträchtigung befriedigen läßt.132 Welche Interessen bei der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Dementsprechend werden eine Vielzahl von Prinzipien diskutiert, deren Rolle überdies abhängig von dem jeweiligen Rechtfertigungsgrund unterschiedlich gewichtet wird. Beispielhaft seien an dieser Stelle nur das Autonomieprinzip, das Solidaritätsprinzip und das Verantwortungsprinzip genannt.133 Die Rolle des Rechtsbewährungsgedankens innerhalb der dualistischen Notwehrlehre wird nach diesen Ausführungen deutlich. Unabhängig von der geVgl. oben Fn. 116. Zur Bedeutung des Wortlautes des § 32 StGB in der Diskussion um die Grundprinzipien der Notwehr siehe unten § 6 B. II. 3. 130 Vgl. Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 1a; Lenckner, Notstand, 24; Kühl, AT, 7 / 13; derselbe, JuS 93, 177, 181; Roxin, ZStW 93, 68, 70 ff. 131 Baumann / Weber / Mitsch, AT, 16 / 51 ff.; SK-Günther, § 32 Rn. 106; Schönke / Schröder-Lenckner, Vor § 32 Rn. 7; Lenckner, GA 68, 1, 2; Otto, AT, 8 / 5; Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, 371, 392; LK-Spendel, § 32 Rn. 6. 132 Baumann / Weber / Mitsch, AT, 16 / 52; SK-Günther, Vor § 32 Rn. 73; Lenckner, Notstand, 150 f.; Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, 371, 393. 133 Einen Überblick über die diskutierten Grundsätze bietet SK-Günther, Vor § 32 Rn. 75. 128 129

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nauen Bedeutung des Begriffs der Rechtsbewährung stellt er einen Aspekt der auch der Notwehr zugrunde liegenden Abwägung von Interessen dar, dem eine besondere Bedeutung deswegen zukommt, weil die Berücksichtigung des Wertverhältnisses zwischen Eingriffsgut und Erhaltungsgut anders als bei anderen Rechtfertigungsgründen dem Wortlaut nach keine Rolle spielt.134 Die Überzeugungskraft der These von der Geltung der Rechtsordnung als die Notwehr tragendes Prinzip ist allerdings fragwürdig, weil sie zwar auf einige Fragen Antworten zu geben scheint, dafür aber an anderer Stelle neue Unsicherheiten mit sich bringt. So fällt die Ambivalenz des Rechtsbewährungsprinzips auf, die fragen läßt, wie ein Prinzip, das die besondere Rigidität der Notwehr erst erklärt und ihre Grundlage bilden soll, gleichzeitig der Ausgangspunkt für zum Teil sehr weitgehende Notwehrbeschränkungen sein kann, wie sie etwa bei einem krassen Mißverhältnis zwischen dem durch den Angriff beeinträchtigten Rechtsgut des Verteidigers und einer möglichen oder tatsächlichen Verletzung des Angreifers angenommen wird.135 Auch läßt sich nur schwer begründen, warum es bei der Notwehr auf eine Güterproportionalität nicht ankommt, bei einer Festnahme nach § 127 I 1 StPO der Festnehmende aber nur bei Einhaltung sehr enger Grenzen gerechtfertigt ist.136 Immerhin dient § 127 I 1 StPO der Sicherung des Strafverfahrens137, dessen Zweck, verstanden als Wiederherstellung des durch den Verdacht einer Straftat gestörten Gemeinschaftsfriedens138, mit der generalpräventiven Deutung des Rechtsbewährungsprinzips nahezu identisch ist.139 Die genannten Fragen rechtfertigen es, das Rechtsbewährungsprinzip als Grundlage der Notwehr in dem an dieser Stelle gebotenen Rahmen ein wenig genauer zu untersuchen, zumal es, wie bereits gesagt wurde, für die hier diskutierte Frage einer Einschränkung des Notwehrrechts des Erpreßten von entscheidender Bedeutung ist.

2. Rechtsbewährung und Historie der Notwehr In der Literatur wird die Annahme der Bewährung der Rechtsordnung als ein die Notwehr tragendes Prinzip bereits aus historischen Gründen angezweifelt. Man beruft sich dabei darauf, daß die geltende Fassung des § 32 StGB in der Tradition der §§ 41 PrSTGB und 53 RStGB stehe, die ihrerseits Ausdruck eines liberalen, 134 Zum Verhältnis der Rechtsbewährung zum Prinzip des überwiegenden Interesses sehr deutlich Lenckner, GA 68, 1, 3. 135 Vgl. etwa Jescheck / Weigend, AT, 348; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 50; Roxin, AT / I, 15 / 73; derselbe, ZStW 93, 68, 94 ff. 136 Auf diesen Widerspruch weist zu Recht hin SK-Günther, § 32 Rn. 13. 137 LR-Hilger, § 127 Rn. 1; SK-StPO-Paeffgen, § 127 Rn. 2. 138 Vgl. hierzu Limbach, Strafverfahrenshindernis, 53 ff., 68; Schmidhäuser, FS-Eb. Schmidt, 511, 522. 139 Daß die Sicherung des Rechts gegen den Verlust an faktischem Vertrauen Zweck des Strafprozesses wie auch der Notwehr sei, betont auch Amelung, GA 82, 381, 396.

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die Freiheitsrechte des einzelnen betonenden Staatsdenkens seien.140 In der Tat fällt auf, daß die genannten Vorschriften ganz bewußt auf ein Erfordernis der Proportionalität zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und dem durch die Notwehr verletzten beziehungsweise gefährdeten Rechtsgut des Angreifers verzichten, während dies noch in den §§ 517 ff. des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 ausdrücklich vorgesehen war. Der Grund für den Wechsel von einer engen zu einer weiten Notwehrkonzeption liegt im Wandel von einem mit einem „eifersüchtig auf das staatliche Gewaltmonopol pochenden und mißtrauisch auf alle private Selbsthilfe blickenden“141 absolutistischen zu einem die Freiheitsrechte des einzelnen betonenden Staatsdenken.142 Deutlich wird dies in den Materialien zum Preußischen StGB zum Ausdruck gebracht, wenn es dort heißt, „daß die ganze Lehre von der Notwehr von einem, . . . , liberaleren Standpunkte aus aufgefaßt werden müsse, als dies im A.L.R. geschehen sei.“143 Für das RStGB macht Frank den Stellenwert des individualrechtlichen Aspekts der Notwehr im Verhältnis zum Rechtsbewährungsgedanken deutlich, wenn er in seiner Notwehrkommentierung zum Merkmal der Rechtswidrigkeit des Angriffs die Ansicht ablehnt, rechtswidrig sei ein verbotener Angriff, und den Vertretern dieser Position vorwirft, sie „stehen . . . unter dem Einfluß der weltfremde Auffassung, daß bei der Notwehr der Angegriffene den Kampf des Rechts gegen das Unrecht führe, während er tatsächlich doch weiter nichts will, als sich oder andere schützen, . . .“144 Da die geltende Fassung des § 32 StGB im Vergleich zu der des § 41 PrStGB und der des § 53 RStGB keine wesentlichen Änderungen mit sich gebracht hat, ist die Kritik am Rechtsbewährungsprinzip unter geschichtlichen Aspekten nicht unberechtigt. Der Gesetzgeber hat sich im Laufe der Zeit bewußt dem freiheitlichen Zeitgeist angepaßt und dem Recht des einzelnen den Vorrang vor dem Recht als solchem eingeräumt. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß die beherrschende Bedeutung des Individualschutzes ein gewisses Maß an Aufweichung dadurch erfahren hat, daß der Gesetzgeber des § 32 StGB dem Merkmal der Gebotenheit eine besondere Rolle zuerkannt hat, wie bereits erwähnt wurde. Ihm ging es darum, Limitierungen des Notwehrrechts zu ermöglichen in Fällen, die keine Rechtfertigung verdienen.145 Keine Aussage wird in den Materialien allerdings darüber getroffen, nach welchen Kriterien diese Limitierung erfolgen und welchen Umfang sie letztlich haben soll. Auch die Aufzählung möglicher Konstellationen, die oben wiedergegeben wurde, hilft diesbezüglich gerade wegen ihres nur beispielhaften Charakters nicht weiter, zumal auch unter alleiniger Berücksichtigung des Schutzprinzips in gewissen Konstellationen das Notwehrrecht eingeschränkt werden kann.146 140 141 142 143 144 145

SK-Günther, § 32 Rn. 12. Krey, JZ 79, 702, 706. SK-Günther, § 32 Rn. 5; Krey, JZ 79, 702, 707; Frister, GA 88, 291, 296. Goltdammer, Materialien I, 420. Frank, StGB, § 53 Anm. I 2. BT-Drucks. V / 4095, 14.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

3. Rechtsbewährung und der Wortlaut des § 32 StGB Diese historisch begründeten Zweifel an einem Prinzip der Rechtsbewährung werden dadurch verstärkt, daß auch der Wortlaut des § 32 StGB keinerlei Anhaltspunkte für seine Geltung bietet. Wenn § 32 StGB nur die Abwehr von Angriffen auf „sich oder einen anderen“ erlaubt, so spricht diese Formulierung vielmehr für ein rein individualistisches Notwehrverständnis, da allein auf die angegriffene Person und ihre Rechte Bezug genommen wird, nicht aber auf ein allgemeines Recht zur Unrechtsabwehr.147 Dies erkennen auch die Befürworter einer dualistischen Notwehrlehre und sehen sich gerade hierdurch veranlaßt, das Verhältnis des Individualschutzes zur Rechtsbewährung zu klären. Danach sei der Selbstschutzgedanke die Grundlage der Notwehr, während dem Allgemeininteresse an der Wahrung der Rechtsordnung zwar eigenständige Bedeutung zukomme, dieses Interesse aber erst durch das Schutzprinzip in Erscheinung trete.148 Hierdurch meint man, vermeiden zu können, daß der Notwehrübende als privater Hüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auftritt und in dieser Rolle mehr Schaden als Nutzen bewirkt.149 Dieser Rettungsversuch überzeugt jedoch nicht. Denn es stellt allenfalls einen sprachlichen Unterschied dar, ob der Angreifer seine eigenen Rechte und die Rechtsordnung verteidigt oder ob er die Rechtsordnung nur vermittelt durch den Selbstschutz bewährt. Legt man der Notwehr den überindividuellen Gedanken zugrunde, nimmt der Verteidiger stets Aufgaben des Staates wahr mit der Folge, daß es immer zu dem „heillosen Widerspruch zwischen den Befugnissen des einzelnen und den sorgfältig differenzierten behördlichen Rechten“150 kommt, den die Annahme eines gestuften Verhältnisses zwischen Selbstschutz und Rechtsbewährung gerade vermeiden soll.

4. Rechtsbewährung und das Prinzip des überwiegenden Interesses Insbesondere die sich aus dem Wortlaut des § 32 StGB ergebenden Bedenken an der Geltung des Rechtsbewährungsprinzips und vor allem die Konstruktion des Versuchs der Ausräumung dieser Bedenken mit Hilfe des dargelegten gestuften Verständnisses von Schutz- und Rechtsbewährungsprinzip zeigen sehr deutlich den Stellenwert, den die dualistische Notwehrlehre dem überindividualistischen Gedanken einräumt. Grund hierfür ist die bereits anfangs dargelegte Überzeugung, die besondere „Schneidigkeit“ des Notwehrrechts nicht anders erklären zu können als durch die Berücksichtigung des Rechtsbewährungsgedankens. Entscheidende Vgl. Frister, GA 88, 291, 307 ff. Ebenso Kioupis, 48. 148 Vgl. Jescheck / Weigend, AT, 337; Kühl, AT, 7 / 11; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 1a; Roxin, ZStW 93, 68, 75 f. 149 Vgl. Kühl, AT, 7 / 11; Roxin, ZStW 93, 68, 76. 150 Roxin, ZStW 93, 68, 76. 146 147

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung

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Bedeutung gewinnt demnach die Antwort auf die Frage, ob die Geltung der Rechtsordnung tatsächlich ein Summand in der Abwägung aller in der Notwehrsituation betroffenen Interessen sein kann oder nicht.

a) Das Recht als überwiegendes Interesse Vielfach wird dies angezweifelt151, wobei die Kritik im Regelfall ihren Ausgangspunkt in einem Verständnis des Schlagwortes von der Verteidigung der Rechtsordnung findet, nach dem es um den Kampf des objektiven Rechts gegen das Unrecht des normwidrigen Angriffs geht. Man sieht damit in der Geltung der Rechtsordnung als solcher, in der Abstraktheit des Rechts und seiner Gültigkeit das rechtliche Interesse, das mit anderen Interessen, wie zum Beispiel denen des Angreifers, abgewogen werden müsse. Diese Interpretation des Topos der Rechtsbewährung liegt nahe und rechtfertigt sich aus dem Umstand, daß nahezu in jeder Erläuterung dieses Begriffs die Formulierung zu finden ist, daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.152 Geht man von der Rechtsordnung als Summe aller rechtlich relevanten Interessen sowie ihrer Gewichtung und Abwägung untereinander153 aus, so läßt sich feststellen, daß die angesprochene Kritik berechtigt ist. Denn der Angegriffene verteidigt durch seine Abwehrmaßnahme nicht nur seine Rechte und nach dualistischem Ansatz dadurch vermittelt die Rechtsordnung. Vielmehr beeinträchtigt er die Rechtsordnung durch dasselbe Abwehrverhalten in gleicher Weise wie er sie schützt. Denn es darf nicht übersehen werden, daß die Rechtsgüter des Angreifers ebenso Teil der Rechtsordnung sind wie die des Angegriffenen.154 Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn man von einem dreistufigen Verbrechensaufbau ausgeht, da hier der Verteidiger das tatbestandlich vertypte Unrecht durch seine Abwehrmaßnahme verwirklicht und sein Verhalten erst auf der zweiten Stufe der Rechtswidrigkeit anhand der Wertungen der Gesamtrechtsordnung als ausnahmsweise zulässig erachtet wird. Der Angriff bewirkt also gerade nicht die Friedlosigkeit des Angreifers, wie dies der Gedanke der Rechtsbewährung nahelegt. Die Verteidigung der Geltung der Rechtsordnung als den entscheidenden Summanden anzusehen, der das schneidige Notwehrrecht ohne Berücksichtigung eines Güterproporzes rechtfertigt, überzeugt daher nicht, weil er auf der anderen Seite der Gleichung durch die Verletzung der Rechtsordnung egalisiert wird.

151 Vgl. Born, Rechtfertigung, 30; Fechner, Grenzen, 162; Kioupis, Notwehr, 35; Renzikowski, Notstand, 81 f.; Hoyer, JuS 88, 89, 91; Neumann, Modernes Strafrecht, 215, 222 f.; Seelmann, ZStW 89, 36, 45. 152 Vgl. etwa Jescheck / Weigend, AT, 336; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 32 Rn. 1; Otto, AT, 8 / 94; LK-Spendel, § 32 Rn. 13; Wessels / Beulke, AT, Rn. 340. 153 Vgl. SK-Günther, § 32 Rn. 13; Renzikowski, Notstand, 81. 154 Hoyer, JuS 88, 89, 91; Neumann, Modernes Strafrecht, 215, 223.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

Nun könnte man hiergegen den Einwand erheben, daß die Rechtsordnung durch die Verteidigung des Notwehrtäters im Ergebnis gar nicht in Frage gestellt werde, da die Tat ja wegen des Eingreifens des § 32 StGB gerechtfertigt sei. Dieser Gedanke läßt aber außer Betracht, daß die Notwehrvorschrift ihrerseits eine Abwägung zwischen Interessen trifft, indem sie ein grundsätzlich mißbilligtes Verhalten als unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig erklärt. § 32 StGB ist damit selbst Teil der Rechtsordnung, deren Verteidigung er zu dienen bestimmt sein soll. Bei Geltung des Rechtsbewährungsprinzips liegt eine Insichbezogenheit155 damit auf der Hand, „wenn man einerseits die Ausgestaltung des Notwehrrechts (Verzicht auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall) damit begründet, daß der Verteidiger sich der Rechtsordnung gegenüber nur als Bewahrer, nicht als Verletzer betätige, andererseits aber dieses Ergebnis sich gerade erst aus der Ausgestaltung des Notwehrrechts selbst herleitet.“156 Die Rechtsbewährung verstanden als Verteidigung des Rechts als solchem durch den Notwehrtäter stellt folglich keinen tauglichen Summanden bei der Feststellung eines überwiegenden Interesses dar. Diese Erkenntnis gilt auch dann, wenn man den Gedanken der Rechtsbewährung in einem engeren Sinne auffaßt: als Wahrung des Rechts in der Person des Angegriffenen, als Verteidigung des elementaren Prinzips der Respektierung fremder Selbstbestimmung.157 Bei dieser Deutung des Rechtsbewährungsprinzips wird zutreffenderweise erkannt, daß der Angegriffene die Geltung der Rechtsordnung insoweit verteidigt, als sie ihn betrifft. Das damit vorhandene personale Moment bringt im Vergleich zu der bisher diskutierten weiten Auffassung von der Rechtsbewährung mit sich, daß nicht der Eindruck entsteht, das Recht habe einen von der Gesellschaft und vor allem den einzelnen Individuen dieser Gesellschaft losgelösten eigenständigen Wert. Ein solcher das Recht zum Selbstzweck überhöhender und ein absolutistisches Staatsdenken voraussetzender Ansatz kann in einem modernen Rechtsstaat keine Grundlage haben.158 Allerdings wirft das angesprochene personale Moment einer engeren Interpretation des Rechtsbewährungsgedankens auch die Frage nach der Berechtigung dieses Prinzips auf. Denn wenn der Angegriffene das Recht in seiner Person verteidigt, so kann damit doch nichts anderes gemeint sein als die Verteidigung seiner eigenen Rechte. Damit stellt sich dann allerdings der überindividuelle Gesichtspunkt als mit dem individualistischen identisch heraus. Dies deutete sich bereits an, als zuvor die Rede davon war, daß der Angegriffene die Rechtsordnung genau so weit verteidigt, wie sie ihn betrifft. Daß dieses Stück verteidigter Rechtsordnung allerdings genausowenig zu einem eigenständigen Wert überhöht werden darf wie die Rechtsordnung als Ganzes, liegt nach dem bereits Gesagten auf der Hand. Die 155 Einen Zirkelschluß nennt dies Hoyer, JuS 88, 89, 91; Kioupis, Notwehr, 35; Renzikowski, Notstand, 81, spricht in diesem Zusammenhang von einem infiniten Regreß; Neumann, Modernes Strafrecht, 215, 222 bezeichnet die Situation als Implikation eines Kategorienfehlers. 156 Hoyer, JuS 88, 89, 91. 157 In diesem Sinne Stratenwerth, AT, 9 / 56; derselbe, ZStW 68, 41, 64. 158 Vgl. Frister, GA 88, 291, 295 f.; Neumann, Modernes Strafrecht, 215, 222.

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung

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Rechtsordnung, auch nicht ein Teil von ihr, darf nicht zu einem Selbstzweck verkommen, vielmehr muß der Begriff Rechtsordnung immer in bezug auf das Interesse des einzelnen gesehen werden. In der Konsequenz ist damit auch ein eingeschränktes und von einem personalen Gedanken geprägtes Rechtsbewährungsprinzip kein tauglicher Rechnungsposten in einer Gesamtkalkulation der bei einer Notwehrtat tangierten Interessen, weil dieses bereits in Form des Selbstschutzgedankens berücksichtigt wurde.

b) Rechtsbewährung und Generalprävention aa) § 32 StGB und die Aufgabe der Generalprävention Sehr häufig findet sich ein anderes Verständnis des Rechtsbewährungsgedankens, das an anderer Stelle bereits erwähnt wurde159 und mit dem identisch ist, was in der Lehre von den Strafzwecken als Generalprävention bezeichnet wird. Der Verteidiger stabilisiere die Rechtsordnung, indem er durch seine Verteidigung potentiellen anderen Angreifern das Risiko eines rechtswidrigen Angriffs vor Augen führe und gleichzeitig die Rechtstreue der Allgemeinheit stärke.160 Die Vertreter dieser Deutung des Rechtsbewährungsgedankens übertragen damit die der Strafe zugrundeliegenden Zwecke auf das Verteidigungsverhalten des Angegriffenen und sehen damit in der Notwehr ein kriminalpolitisches Instrument. Ob allerdings die Abwehrmaßnahme des Angegriffenen diese Aufgabe tatsächlich erfüllen kann, ist zweifelhaft. Die Zweifel an einer Analogiefähigkeit ergeben sich bereits aus strukturellen Unterschieden zwischen der Strafe und einer Verteidigungsmaßnahme nach dem Notwehrrecht.161 Denn Strafe als repressive Sanktion folgt zeitlich einer Rechtsgutsverletzung beziehungsweise ihrem Versuch nach und ist damit staatliche Reaktion auf ein strafbares Täterverhalten. Im Gegensatz dazu ist es Ziel einer Verteidigung, die Verletzung eines konkreten Rechtsgutes zu verhindern oder eine bereits gegebene Beeinträchtigung durch Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes zu beseitigen. Ihrer primären Intention nach bedeutet Verteidigung daher Aktion, nicht Reaktion, wie dies für die Strafe charakteristisch ist. Weitere Bedenken an einer generalpräventiven Wirkung von Notwehrmaßnahmen ergeben sich aus den Grundlagen der (positiven) Generalprävention selbst. Wenn es die Ziele des durch die Strafjustiz erfolgenden Strafausspruchs sein sollen, in der Bevölkerung Rechtstreue einzuüben und das Vertrauen der Bevölkerung in die faktische Wirksamkeit des Rechts zu stärken162, so setzt dies zwangsSiehe oben § 6 B. II. Amelung, GA 82, 381, 392; Bertel, ZStW 84, 1, 8; Kühl, Jura 90, 244, 247; Roxin, ZStW 93, 68, 73 f.; derselbe, AT / I, 15 / 2. 161 Vgl. Kioupis, Notwehr, 40; Renzikowski, Notstand, 92. 162 Jakobs, Schuld, 31 f.; Jescheck / Weigend, AT, 68 f.; Roxin, AT / I, 3 / 27. 159 160

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

läufig eine möglichst genaue Umschreibung des mißbilligten und damit zu bestrafenden Verhaltens voraus, da nur auf diese Weise die angestrebte Motivationsund Vertrauenswirkung in der Bevölkerung erzielt werden kann. Dieser als „wesentlicher Vorteil“163 der positiven Generalprävention bezeichnete Aspekt, läßt sich bei der Notwehr gerade nicht erkennen.164 Da die Notwehr, wie gerade dargelegt wurde, dem Erhalt der Rechtsgüter des einzelnen zu dienen bestimmt ist, sind ihre Voraussetzungen im Vergleich zu denen eines Straftatbestandes sehr weit gehalten. Sie verlangt gerade kein exakt bestimmtes Angriffsverhalten, weil ihr auch nicht die Bedeutung der Strafe als ultima ratio zukommt. Will man gleichwohl einer Verteidigungsmaßnahme eine generalpräventive Wirkung beimessen, so kann diese aus dem genannten Grund allenfalls sehr schwach sein. Der primäre Zweck der Notwehrvorschrift kann in dieser Wirkung jedenfalls nicht gesehen werden, da sie wegen der angesprochenen unpräzisen Fassung hierzu nicht in der Lage ist.165 Gegen eine generalpräventive Wirkung der Notwehr spricht aber nicht nur die für eine solche Aufgabe untaugliche Fassung des § 32 StGB. Daß es sich bei der Generalprävention nicht um den vorrangigen Zweck der Notwehr handeln kann, zeigt sich, wenn man sich vor Augen führt, wie Generalprävention durch Strafe funktioniert. Der motivierende und vertrauensbildende Effekt entsteht erst dadurch, daß eine Norm in einer der Bevölkerung ersichtlichen Art und Weise durch regelmäßige Anwendung bestätigt wird. Neben der Strafvorschrift als solcher ist also auch und gerade die Verhängung und der Vollzug der Strafe von erheblicher Bedeutung, da hierdurch die Geltung der Norm nach außen demonstriert wird.166 Diese Demonstration erfolgt ihrerseits durch die richterliche Verkündung des Strafausspruchs durch Urteil als Abschluß des grundsätzlich öffentlichen Hauptverfahrens. Im Unterschied hierzu verlangt die Notwehr gerade keine Öffentlichkeit und kein besonderes Verfahren. Ihre Wirkungen sind hiervon gänzlich unabhängig. Dies bestätigen die Vorschriften der §§ 169 ff. GVG über die Öffentlichkeit der Verhandlung und hier insbesondere § 173 I GVG, nach dem die Verkündung eines Urteils in jedem Falle öffentlich zu erfolgen hat. Ihre Mißachtung stellt gemäß § 338 Nr. 6 StPO einen absoluten Revisionsgrund dar, der gemäß § 353 StPO zur Aufhebung des Urteils führt. Da es Vergleichbares für die Notwehr nicht gibt, wird deutlich, daß der Gesetzgeber zwar der Urteilsformel und ihren Wirkungen in der Rechtsgemeinschaft erhebliche Bedeutung beimißt, daß dies aber für das Notwehrrecht gerade nicht gilt.

Roxin, AT / I, 3 / 29. Kioupis, Notwehr, 40; Renzikowski, Notstand, 92. 165 Zu Bedenken an einer generalpräventiven Funktion des Notwehrrechts aus kriminologischer Sicht vgl. Renzikowski, Notstand, 90 ff. 166 Eisenberg, Kriminologie, 41 / 2; Renzikowski, Notstand, 92; Roxin, AT / I, 3 / 23. 163 164

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung

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bb) Konsequenzen eines generalpräventiven Notwehrzwecks Neben diesen grundlegenden Gesichtspunkten sind auch die Konsequenzen eines generalpräventiven Verständnisses anzusprechen. Diese sind insbesondere in einer erheblichen Einschränkung des Notwehrrechts zu sehen. Zur Verdeutlichung kann die hier diskutierte Konstellation der Notwehr gegen Erpressungen und der dazu eingangs geschilderte Standpunkt Amelungs und Roxins herangezogen werden. Danach können Verteidigungsmaßnahmen des Erpreßten, die sich für die Gesellschaft als nicht erklärliche Straftaten darstellen, weil sie über das Verhältnis zwischen dem Erpreßten und dem Erpresser hinaus in Erscheinung treten, nicht gerechtfertigt sein, es sei denn, der Erpreßte offenbart die Gründe seiner Tat in einem späteren Bekenntnis bei den Strafverfolgungsbehörden. Dieses Ergebnis läßt sich auf jede beliebige Verteidigung mit Außenwirkung übertragen. Für eine Rechtfertigung nach Notwehrgrundsätzen käme es folglich im wesentlichen darauf an, daß der Charakter der Tat als Notwehrverteidigung erkennbar für die Rechtsgemeinschaft nach außen deutlich wird. Notwehr würde demnach voraussetzen, daß sie vor Zeugen erfolgt oder aber nach einer Selbstanzeige im Rahmen eines staatlichen Ermittlungsverfahrens mit anschließender gerichtlicher Hauptverhandlung als solche bestätigt wird. Dem rein formellen Akt des Freispruchs durch Urteil käme also in bestimmten Fällen die Eigenschaft einer Notwehrvoraussetzung zu, was verwundert. Ist es doch die Aufgabe des Urteils, eine materielle Rechtslage verbindlich festzustellen und nicht, sie zu begründen. Darüber hinaus wird in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, daß in den genannten Konstellationen mit Außenwirkung eine generelle Selbstanzeigepflicht des Notwehrübenden begründet würde, um eine Rechtfertigung des Notwehrtäters zu gewährleisten.167 Dieses merkwürdig anmutende Ergebnis erkennt auch Amelung. Er versucht, es auf die Fälle der Notwehr gegen Erpressungen zu beschränken, indem er darauf hinweist, daß der Erpreßte zum Schutz seines Geheimnisses seine Verteidigung bereits so anlegen müsse, daß sie als solche nicht erkannt werde, während jeder andere Verteidiger eine spätere Offenbarung seiner Tat nicht zu fürchten brauche, selbst wenn er sich nach der Tat nicht stelle.168 Er hält also die aus Sicht des Erpreßten unbedingte Notwendigkeit der Geheimhaltung des Selbsthilfegrundes für den entscheidenden Faktor, der ihm das Notwehrrecht nehmen soll und damit den Unterschied zu anderen als solche nicht erkennbaren Notwehrtaten ausmacht. Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht, da sie im Widerspruch zu ihren eigenen Grundlagen steht. Denn Ausgangspunkt der Überlegungen Amelungs war die vermeintlich generalpräventive Wirkung der Notwehr, mithin der Effekt, den eine Verteidigung in Notwehr in der Gesellschaft erzielt. Als einer von zwei Gesichtspunkten zur Erklärung des Notwehrrechts muß also die Generalprävention 167 168

Eggert, NStZ 01, 225, 229; Novoselec, NStZ 97, 218, 220. Amelung, NStZ 98, 70, 71.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

der Maßstab sein, an dem sich eine Verteidigung messen lassen muß, will man feststellen, ob sie mit den Grundlagen des Notwehrrechts zu vereinbaren ist. Legt man dies zugrunde, macht es keinen Unterschied, ob der Täter seine Tat nicht erklärt, weil dies die Aufdeckung seines Geheimnisses befürchten ließe oder weil er nicht über hinreichende Rechtskenntnisse oder Verantwortungsbereitschaft verfügt. In beiden Fällen weckt die Tat in der Gesellschaft Zweifel an der Wirksamkeit des Rechts und kann die Aufgabe der Generalprävention nicht erfüllen. Eine generalpräventive Deutung der Notwehr führt demnach generell und nicht auf die Fälle der Notwehr gegen Erpressungen beschränkt zu einer Einschränkung des Rechts zur Selbstverteidigung auf solche Maßnahmen, die als Notwehr nach außen deutlich in Erscheinung treten und begründet für die übrigen Konstellationen eine Selbstanzeigepflicht des Notwehrtäters, will er Straffreiheit erlangen.

5. Individualschutz und die besondere Rigidität des Notwehrrechts Es zeigt sich damit, daß zum Teil sehr erhebliche Gründe gegen das Rechtsbewährungsprinzip als Grundgedanke des Notwehrrechts sprechen. Offen bleibt allerdings, wie die besondere Schärfe des Notwehrrechts zu erklären ist. Geht man vom Prinzip der überwiegenden Interessen als tragendem Grundsatz der Rechtfertigungsgründe aus, so gilt es, einen Gesichtspunkt von solcher Bedeutung zu finden, daß die Interessen des Angreifers berechtigterweise keine Rolle mehr spielen. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zu Recht die Maxime der Verantwortlichkeit betont.169 Denn es ist allein der Angreifer, der durch sein Verhalten die Konfliktlage erst auslöst und damit für sie verantwortlich ist. Allerdings darf die Verantwortlichkeit des Angreifers für die Gefahrenlage nicht lediglich in dem Sinne verstanden werden, daß der entscheidende Punkt allein ihre Herbeiführung in vorwerfbarer Weise wäre.170 Diese Interpretation von Verantwortlichkeit könnte den Unterschied in der tatbestandlichen Ausformung zwischen dem Defensivnotstandsrecht des § 228 BGB und der Notwehr nicht erklären, da bei ersterem die Gefahr durchaus auch aus einem vorwerfbaren Verhalten des Eingriffsopfers herrühren kann. Als Beispiel hierfür dient der in der Lehrbuchliteratur oft zu findende Fall des nur mangelhaft beaufsichtigten Hundes, der den Notstandstäter angreift.171 Die Besonderheit der Gefahrenlage bei der Notwehr liegt vielmehr darin, daß die Gefährdung des Angegriffenen nicht lediglich grundsätzlich aus dem Verant169 Freund, AT, 3 / 92; SK-Günther, § 32 Rn. 106; interessanterweise betonen auch Vertreter einer dualistischen Notwehrkonzeption die Bedeutung dieses Gesichtspunktes für die Notwehr, vgl. Kühl, AT, 7 / 19; Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, 371, 395 f. 170 In diesem Sinne aber Freund, AT, 3 / 92; Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, 371, 395. 171 Vgl. etwa Baumann / Weber / Mitsch, AT, 17 / 77; Jescheck / Weigend, AT, 356; Wessels / Beulke, AT, Rn. 268, 294.

§ 6 Die Gebotenheit der Verteidigung

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wortungsbereich des Angreifers zu resultieren braucht, wie dies beim Defensivnotstand der Fall ist. Sie ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, daß der Angreifer bis zur Vornahme der Verteidigung jederzeit selbst entscheiden kann, ob er die von ihm verursachte Gefährdung beenden will oder nicht, und daß er auch in der Lage ist, diesen Entschluß auszuführen.172 Wenn das Gesetz den Interessenkonflikt in der Notwehrlage nahezu einseitig zu Lasten des Angreifers regelt, so liegt dies folglich an seiner dominierenden Rolle in diesem Konflikt. Die Möglichkeit, die für den Angegriffenen gefährliche Situation jederzeit beenden zu können, rechtfertigt die Schutzlosigkeit des Angreifers. Seine Schutzlosigkeit folgt aus seiner mangelnden Schutzbedürftigkeit.

C. Fazit für eine Einschränkung des Notwehrrechts des Erpreßten Die angestellten Überlegungen haben ergeben, daß der von der herrschenden Meinung propagierte Rechtsbewährungsgedanke, unabhängig von seiner genauen Bedeutung, der Notwehr nicht zugrunde liegen kann. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut des § 32 StGB und dessen Geschichte, sondern auch aus dogmatischen Erwägungen. Auch bedarf es des überindividualistischen Gesichtspunktes nicht, um die im Vergleich zu anderen Rechtfertigungsgründen starke Rigidität des Notwehrrechts zu begründen, da dies allein über das Selbstschutzprinzip erreicht werden kann. Der von Amelung und Roxin befürworteten Einschränkung des Notwehrrechts des Erpreßten im Hinblick auf einen Widerspruch zum Rechtsbewährungsgedanken kann daher nicht zugestimmt werden, weil sie auf nicht zutreffenden Grundlagen beruht. Notwehr basiert nicht auf einem überindividualistischen Prinzip, das als Generalprävention zu deuten ist. Insofern widerspricht die Verteidigung des Erpreßten auch nicht den Grundlagen des Notwehrrechts. Denn er handelt in völliger Übereinstimmung mit dem alleinigen Grundprinzip des Selbstschutzes, wenn er sich gegen einen Angriff auf seine Willensfreiheit und dadurch vermittelt auf sein Vermögen und sein Ansehen zur Wehr setzt, solange es dem Angreifer jederzeit möglich ist, durch die Rücknahme der Drohung diesen Angriff zu beenden. Geht man also richtigerweise von einer monistischen Notwehrlehre aus, nach der der Individualschutz der prägende Gedanke der Notwehr ist, kann auch dahinstehen, ob aus Vorschriften wie § 157 StGB oder den §§ 68 a, 112 I, II Nr. 3 StPO tatsächlich ein nur eingeschränkter Schutz des Ansehens des Erpreßten folgt.173 Denn da eine Abwägung mit einem Rechtsbewährungsprinzip wegen dessen Nichtgeltung nicht erfolgen kann, bleibt das unzweifelhaft schutzwürdige Interesse 172 173

Frister, GA 88, 291, 302; Mitsch, GA 86, 533, 545; derselbe, JA 89, 79, 84. Vgl. oben § 6 A.

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2. Kapitel: Die erpresserische Drohung und die Notwehrvoraussetzungen

des Erpreßten an seinem Ansehen als alleiniger Gesichtspunkt übrig. Anderenfalls würde man auch dem Gedanken des Individualschutzes im Bereich der Erpressung jegliche Bedeutung absprechen, obwohl nach dualistischer Notwehrkonzeption diesem Aspekt ebenfalls die entscheidende Rolle zukommt. Man würde also das Entscheidende zugunsten des sich erst hieraus Ergebenden vernachlässigen und damit seinen eigenen Grundlagen untreu werden. Abschließend ist damit festzustellen, daß sich im Hinblick auf die Gebotenheit einer Verteidigung gegen Erpressungen keine Besonderheiten ergeben. Das Erpressungsopfer hat im Rahmen des Erforderlichen das Recht, seine Rechtsgüter gegenüber dem Erpresser notfalls auch mit Gewalt und bis hin zur Tötung zu verteidigen. Einschränkungen auf solche Maßnahmen, die sich nur im Verhältnis zwischen dem Täter und seinem Opfer abspielen und damit keine Außenwirkung entfalten, sind nicht zu machen. Insoweit unterscheidet sich eine Erpressung nicht von anderen Straftatbeständen.

Zusammenfassung 1. Der erpresserische Angriff durch Drohung erfolgt in der Weise, daß der Erpresser seinem Opfer seine Forderung benennt und ihm gleichzeitig in Form der Drohung einen Grund dafür gibt, dieser Forderung nachzukommen. Durch die Kombination von beidem beeinträchtigt er die Willensbildungsfreiheit seines Opfers und greift gerade durch diese Beeinträchtigung dessen Vermögen an. Dies ist die Konsequenz der bei der vollendeten Erpressung durch den Gesetzgeber vorgegebenen Kausalzusammenhänge zwischen der Drohung und dem tatbestandlichen Erfolg. Der erpresserische Angriff stellt daher einen einheitlichen Vorgang dar und kann nicht in einen Angriff auf die Willensbildungsfreiheit und einen Angriff auf das Vermögen zerlegt werden. Dies gilt auch für Drohungen, deren Verwirklichung dem Erpresser an sich erlaubt ist. Denn den Charakter eines erpresserischen Angriffs erhält die Drohung durch die Verknüpfung mit dem Angebot, sich freikaufen zu können. Das Erlaubtsein der Ausführung ändert daran nichts, weil das Rechtsgut der Willensfreiheit umfassend geschützt wird und nicht durch bestehende Rechte und Pflichten des einzelnen begrenzt ist. 2. Der erpresserische Angriff durch Drohung endet nicht mit dem Ausspruch der Drohung, sondern ist auch nach deren Kenntnisnahme gegenwärtig. Dies folgt aus der Struktur des erpresserischen Angriffs. Da es dem Erpresser unbenommen ist, seine Drohung jederzeit zurückzunehmen und damit sein Opfer von dem ihm aufgedrängten Grund für die Vornahme der Vermögensschädigung zu entlasten, ist sein Verhalten als Aufrechterhaltung der Drohung zu werten. Der erpresserische Angriff endet daher erst mit der Rücknahme der Drohung oder im Zeitpunkt der Zahlung. 3. Bei konsequenter Anwendung der Grundsätze der Erforderlichkeit der Verteidigung zeigt sich, daß eine generelle Begrenzung des Notwehrrechts gegen den erpresserischen Angriff auf die schlichte Nichtzahlung oder die Herbeirufung obrigkeitlicher Hilfe nicht vorgenommen werden kann. Denn durch die Nichtzahlung wird das durch die erpresserische Drohung geschaffene Unrecht nicht beseitigt, sondern dauert vielmehr an. Dies hinzunehmen ist der Erpreßte nicht verpflichtet. Die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden bedeutet für den Erpreßten die Pflicht zur Offenbarung seiner Straftat und damit einen Verzicht auf das verfassungsrechtlich verankerte Recht, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen und damit an der eigenen Überführung mitwirken zu müssen. Damit ist der Eingriff in die Rechte des Erpressers erforderlich, um den Angriff abzuwehren. Soweit dies auch die Verhinderung der Strafanzeige bedeutet, die der Erpreßte grundsätzlich hinzunehmen hat, so bestehen hiergegen keine rechtlichen Bedenken, da dies aus der 8 Seesko

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Zusammenfassung

Struktur der Erpressung folgt und sich damit als Nebenfolge der Erpressungsabwehr darstellt. Dementsprechend kann im Einzelfall auch die Tötung des Erpressers erforderlich sein, um den Angriff zu beenden. 4. An der Gebotenheit einer erforderlichen Verteidigung kann nicht gezweifelt werden. Eine Erweiterung der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen sogenannten sozial-ethischen Einschränkungen auf erpresserische Drohungen kommt nicht in Betracht. Hierfür fehlt es an der dogmatischen Grundlage. Denn dem Notwehrrecht liegt ein sogenanntes Rechtsbewährungsprinzip nicht zugrunde. Die heimliche Verteidigung gegen eine Erpressung kann damit auch nicht gegen die aus diesem Prinzip resultierenden generalpräventiven Wirkungen der Notwehr verstoßen. Da es bei der Notwehr daher allein um den Schutz der Rechtsgüter des Angegriffenen geht, ist unter Umständen auch die Tötung des Erpressers geboten. Die besondere Rigidität auch dieser Verteidigung ist gerechtfertigt, weil der Erpresser selbst die Verantwortung für das Geschehen trägt, indem er durch die Möglichkeit zur Rücknahme seiner Drohung jederzeit die Situation zu bereinigen imstande ist.

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Sachverzeichnis Angriff 18 ff. – auf Vermögen und Willensfreiheit 42 – durch Unterlassen 77 – erpresserischer 40, 41 – Fehlschlag des 76 Beeinflussung, psychisch vermittelte 36, 39 Chantage 21, 45 f. concussio 51 ff. crimen vis 48 ff. Dauerdelikt 75, 79 Diebstahl 93 Drohung – als Angriff 48, 70, 72 – Aufrechterhalten der 40 – mit einem empfindlichen Übel 25 ff. – mit einem erlaubten Verhalten 20, 42 ff. – Rücknahme der 41 Duldung des Übels 84 Entscheidungsfreiheit 34 Entscheidungsnotstand 34, 41, 70, 73 Erforderlichkeit 81 ff. Formalbeleidigung 85 Gebotenheit 81, 96 Gefahr 75 Gegenerpressung 93 Gegenwärtigkeit des Angriffs 41, 74 ff. Generalprävention 99 f., 107 Gewalt 44 Gewaltanwendung 60, 95 Gewaltmonopol 58, 59 ff. Kausalgesetz 37 Kausalität 25

– Feststellung der 36 ff. 39 ff. – psychische 37 ff. Kausalzusammenhang 25, 36 Nahwirkungsgesetz 37 Nemo tenetur 86 Nichtzahlung 82 ff. Notstand 26, 27, 71 Notwehrlage, „idealtypische“ 70 Notwehrlehre – dualistische 97 – monistische 97 Opferpsyche 26, 46 Prinzip des überwiegenden Interesses 101, 104 Rechte, garantierte 44 Rechtsbewährungsprinzip 97 ff., 101 ff. Rechtsgut 28 Rechtsgutsverletzung 76, 79 Rechtswidrigkeit 80 Relativität der Rechtsbegriffe 56 Schutzprinzip 97 Selbstbegünstigung 87, 98 Selbstbehauptung, besonnene 25, 42 Selbsthilfe 57 Strafanzeige 84 Tonbandaufnahme 93 f. Übel, empfindliches 25 Unrecht 31 Unrechtsgehalt der Erpressung 33 ff. Veranlassungsgedanke 16, 88, 91 Verfahrensordnung 57

Sachverzeichnis Verhaltensgründe 39 ff. Vermögen 21, 24 Vorbereitungsmaßnahmen Wahrscheinlichkeitsgesetze 38 Willensbetätigungsfreiheit 66 – als Partialrechtsgut 66

Willensentschließungsfreiheit 46, 61, 60 Willensfreiheit 21, 24, 43, 46 ff. Zurechnung von Erfolgen 36, 39 ff. Zurechnungszusammenhang 25 ff. Zustandsdelikt 75 Zwang, psychischer 25, 34, 52

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