Nothwendigkeit und Bedeutung eines pädagogischen Seminars auf Universitäten und Geschichte meines Seminars [Reprint 2021 ed.] 9783112398043, 9783112398036


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Nothwendigkeit und Bedeutung eines pädagogischen Seminars auf Universitäten und Geschichte meines Seminars [Reprint 2021 ed.]
 9783112398043, 9783112398036

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Nothwendigkeit und Bedeutung eines

pädagogischen Seminars auf Universitäten und

Geschichte memes Semmstes»

Zum Behuf seines pädagogischen Seminars. Von

Dr. Gustav Thaulow, Prlvatdocenten an der Universität zu Kiel.

ov yaq l'&u Jttol otov uv avdgiüjtog ßov'khvGuno rj tteqI itaidaag xal uvtov xui Ttov uvtov olxtiojv. Platon.

Berlin»

Verlag von Veit und Comp. 1845.

Sßenn auch die vorliegende Schrift für sich allein verständ­ lich ist, vielleicht selbst,

weil

sie mehr in concreto des Ver­

fassers Auffassung von der Pädagogik enthält und auch schon Resultate aufweist, in mancher Beziehung am geeignetsten seyn

möchte, bei dem größten Theil der Schulmänner sich Eingang zu verschaffen, so kann es doch dem Verfasser nicht erwünscht

seyn, wenn diese Schrift gelesen wird, bevor die mit dieser zu­

gleich erscheinende andere, unter dem Titel „Erhebung der Pä­ dagogik zur philosophischen Wissenschaft", einer aufmerksamen

Durchlesung

gewürdigt worden ist.

Denn

jemehr

es

dem

Verfasser Ernst ist um eine wissenschaftliche Behandlung

der Pädagogik, um so weniger kann es ihm willkommen seyn, wenn Resultate beurtheilt werden, ohne daß man zugleich zusehe, wie diese Resultate entstanden sind.

Das ist aber das Ver-

IV

hältniß

dieser Schrift zu der andern, daß sie aus ihr her­

stammt,

durch

sie begründet wird und ohne sie im höheren

Sinne des Worts nicht verstanden werden kann.

Wenn aber

dagegen das Urtheil über diese Schrift in suspenso gelassen

wird, bis auch die andere studirt worden ist, dann muß der

Verfasser es allerdings

in

wünscht halten,

sie zuerst

wenn

mancher Beziehung für sehr

er­

gelesen wird.

Denn schwierig ist die philosophische Sprache, und um

so schwieriger, je verschiedener und heterogener die Auffassung und Darstellung eines bis dahin ganz bekannten und populären

Gegenstandes wird.

Wenn nemlich sonst Erziehung als solche

in ihrer Nothwendigkeit überhaupt gar keine Schwierigkeit ge­ macht hat und es sich von selbst verstand, daß der Mensch er­

zogen werden müßte, so hat der Verfasser in

dieser allge­

mein zugestandenen Nothwendigkeit gerade den bis jetzt noch nicht gelösten Widerspruch in der Lehre von der Freiheit ge­

funden

und erst durch die Lösung dieses Widerspruchs die

Pädagogik zur philosophischen Wissenschaft

erhoben.

Wäh­

rend sonst in den pädagogischen Werken der Begriff der Er­

ziehung sogleich oben angestellt und

die Definition der

Er­

ziehung und der ErziehungSlehre in den ersten Paragraphen gegeben wurde, so wird man in der Schrift deö Verfassers

„Erhebung der Pädagogik

zur philosophischen

Wissenschaft"

den Begriff erst am Schluß der ganzen Schrift finden und

wohl muß daher in dem Verfasser

die Besorgniß entstehen,

daß dieser ungewohnte schwierige Weg Manche zurückschrecken könnte.

Freilich wollen denn Solche keine Wissenschaft;

denn die ist nur durch solche Methode. —

Nicht aber abschrecken will ich;

soitdern vielmehr Aner­

kennung und Vertrauen ;u gewinnen, wo ich es verdiene und

Tadel zu vernehmen, wo ich ihn verdiene, ist mein Wunsch. Da ist vor Allem zu bedenken, daß die manchen bittern Aeuße­

rungen, welche hier und da von dem Verfasser über die man­ gelhafte pädagogische Bildung unserer Zeit gemacht sind, wohl wahr und richtig seyn können, ohne daß nicht zugleich von der andern Seite zugestanden werden könnte, wie es grade in un­ serer Zeit auch ausgezeichnete und

giebt,

sowohl Gymnasiallehrer,

vorzügliche Schulmänner

wie Lehrer

mi Realschulen,

wie an höher» Bürgerschiulen, wie an VolkSschtilen.

Zu mei­

nen schönsten Erinnerungen gehört die Bekanntschaft solcher Männer, die ich nie vergessen werde rind deren wohlthätiger Einfluß auf mich nur noch mehr dazu beigetragen hat, ent­

schieden und von Grund aus nach meinen Kräften Ernst zu

machen mit einer Begründung der Pädagogik als wahrhafter

Wissenschaft.

Auch hier muß wiederholt werden, was auch in

dem Vorwort zu der andern Schrift gesagt ist, daß die Erfin­ dung eines

neuen Systems in seiner allgemeinen Grundlage

Sache des in seiner Frische stehenden Geistes ist, während die Durch-

VI fühmng eines Systems in seinen einzelnen Theilen immer

von

Neuem der neuen Arbeit bedarf, immer von Neuem der neuen

Beftuchtung durch reifere Studien, reichere Erfahrung,

vollere

Wirksamkeit. Ist dies nun auf die Pädagogik besonders und vor Al­

lem anwendbar, so reichen sich bei dem Verfasser Einsicht und Charakter die Hand, um unbefangen auszusprechen, daß, wenn er auch nach einer Seite hin glaubt, einen neuen Weg einge­

schlagen zu haben, der im Großen und Ganzen der allein rich­ tige ist,

die andere Bedingung noch lange nicht erfüllt ist.

Wie wäre das auch möglich, wie z. B. die Geschichte

gleich

den Theilen

da selbst die einzelnen Theile,

der Erziehung,

anderer Wissenschaften

noch nicht

einmal

behandelt worden

sind! — Die vorliegende Schrift nun zerfällt, wie der Titel auch

ankündigt, in zwei Theile.

Der erste Theil ist bei weitem an

Umfang geringer, als der andere.

Allein auf den ersten Theil

kam eS doch dem Verfasser besonders an.

Eö ist die Begrün­

dung eines pädagogischen Seminars im Sinne des Verfassers eine von der gewöhnlichen Auffassung so verschiedene, daß sel­ biger sehr gespannt seyn muß auf die Beurtheilung Anderer.

Einfacher möchte aber schwerlich

jemals die Anforderung an

ein solches Seminar gestellt worden seyn und doch vielleicht niemals größer.

Denn

wenn

nach

deö

Verfassers

Ansicht

VH auch

die Masse der Forderungen

praktischer Uebungen nicht

Gehör finden darf und dadurch ein solches Seminar außeror­

dentlich einfach wird, so machte er um so größere Anforderun­ gen an wissenschaftliches Studium der Pädagogik von Seiten der Seminaristen. Wissenschaft

auch

Meine Grundanschauung

wahrhaft

praktisch

macht

ist, daß wahre und daß alle

Praris ohne Wissenschaft auf den hohem Gebieten des Lebens, wozu vor Allem das Gebiet des höheren Lehrerstandes gehört,

Daß auf Universitäten nur das

geradezu unpraktisch macht.

Ideale geboten werden darf, ist meine Ansicht; die Universität

Hai mit der Praris direct gar nichts zu thun.

Wohl aber

möchte es wünschenswerth seyn, daß überall, wie es in Preu­

ßen der Fall ist, die Theologen und Philologen ein praktisches Probejahr in einer Volksschule, Realschule oder einem Gym­

nasium durchmachen.

Wie dann aber selbst Wissenschaft und

Praris zusammen nichts verschlagen, wo nicht die specifische Be­

rufung ist, möchte wohl diejenige Lehre seyn, welche der Ver­ fasser in seiner Erhebung

der Pädagogik zur philosophischen

Wissenschaft mit besonderer Vorliebe behandelt hat.

DaS ist

es, worauf eS ankommt, daß in den Lehrerstand nur solche treten, die dazu berufen sind.

Der zweite Theil der vorliegenden Schrift hat vor Allem daS Ungenügende, daß der Entwurf eines pädagogischen Se­

minars, wie der Verfasser ihn für die ersten Theilnehmer sei-

vn! nes

Seminars

niederschrieb,

ohne zu bedenken,

nun abgedruckt,

eben

niedergeschrieben

daß er gedruckt werden solle. wie er damals

wurde,

Er ist aber

abgefaßt wurde, und das

Mangelhafte wird vielleicht mit Nachsicht

übersehen

werden

von denen, welche die Auffassung des ersten Theils

mit in

den

zweiten hinübertragcn. — Das ganz natürliche Gefühl,

daß ein unbekannter Verfasser zum ersten Male nicht zu um­

fangsreiche Schriften in die Welt schicken dürfe, hat mich da­ von abgehalten, die Verhandlungen und Debatten im pädago­ gischen Seminar abdrucken zu lassen.

Einige Vorträge sind

indeß mit abgedruckt. Bei dem Seminar, welches ich begründete, war Anfang und Fortsetzung

einzig und allein Product der ansprechenden

Wahrheit der Sache — eS war durchaus freiwilliges Unter­ nehmen meinerseits und freiwilliges Entgegenkommen von Sei­ ten der Theilnehmer.

einer Sache

Wenn nun allerdings die Entstehung

auf solcher reinen, interesselosen Basis

etwas

Schönes ist und wirklich etwas Erhebendes hat, so fragt sich

doch, wie weit eine wissenschaftliche Ueberzeugung, welche auch

wohl schon in Facultäten der Universität Anklang gefunden hat, cs fragt sich, wie weit eine solche wissenschaftliche Ueber­

zeugung in einem kleinen stillen Kreise sich wirklich befriedigt fühlen wird und der Natur der Sache nach sich wirklich

be­

friedigt fühlen darf, wenn nicht eine sanctionirende Anerken-

IX

nuitß von Seiten des Staates hiirzutritt, wenn nicht vom Staate ausgesprochen wirb, daß auch eine ächte pädago­ gische Bildung Bedingung für den höheren Lehrerstand und den geistlichen Stand fern soll. Hat etwas wirklich blei­ benden Werth, wenn es nicht allgemein anerkannt ist?—oder gar hat etwas wirklichen Werth, wenn es sogar im Gegen­ satze gegen die allgemeine Meinung ist? Da man auf Letzte­ res Nein antworten muß, so läßt sich zum Troste zunächst nur dagegen halten, daß Alles in der Welt einen kleinen An­ fang hat und wenn es Wahrheit in sich trägt, allmählich sich auch Bähn brechen wird. Berlin, auf seiner pädagogischen Reise, im September 1845.

Der Verfasser

Wer die Arzneikunst treibt, ohne fie gelernt zu haben, den nennt

man einen Quacksalber und verbietet ihm das Curiren.

Aber pädagogi­

sche Quacksalber muß man aus Mangel an Bildung-anstalten immer noch in Menge anstellen.

Aus Dinter'S Leben.

Erster Theil. Ueber Nothwendigkeit und Bedeutung eines pä­ dagogischen Seminars auf Universitäten.

Thaulow, Pädagog. Seminar,

1

5Der

gegenwärtige

Zustand

der Universitäten

beweist,

daß

die Stimmen, tvelche aus die Nothwendigkeit eines pädagogischeit

Seminars auf Universitäten aufmerksam machten,

so gut wie

gar nicht vernommen worden sind und, so weit ich nach einer

größeren pädagogischen Reise, welche ich in Frankreich, Belgien und Deiltschland

habe ich,

daß bei

gemacht habe,

schließet:

zu

dürfen

glaube,

selbst was Deutschland betrifft, die Ueberzeugung, dem geringen Ansehn,

welches

die Pädagogik als

Wissenschaft überhaupt hat, an eine Einführung eines pädago­

gischen Seminars auf Universitäten von Seiten der Regierun­

gen noch lange nicht gedacht werden kann.

Dessenungeachtet

ist ein solches Institut doch von solcher Bedeutung, daß ein Lehrer

der Pädagogik,

auf die Nothwendigkeit

ohne eines

in wissenschaftlicher Erörterung

solchen Instituts

Kräften von Neuem aufmerksam zu machen,

nach

besten

sich eine unver­

zeihliche Blöße giebt und sich das beste, vorläufig vielleicht daeinzige Mittel nimmt, um seinen Borlcsungen über die Pä­

dagogik und seinem sonstigen Wirken für sie Eingang und Fort­ gang zu bereitet:.

1“

Um aber diese Bedeutung

als eine an und für sich

seyende aufzuweisen, müssen wir zunächst an den Unterschied

zwischen

innerer

Nur nämlich,

und

äußerer Nothwendigkeit

erinnern-

wenn die Einführung eines pädagogischen , oder Einsicht und Willen, das Sitt­ liche und Sinnliche — muß die Pädagogik wohl versuchen,

mitunter einen Schritt ohne ihr Geleit zu thun und darf eS auch, da sie als wissenschaftliche Pädagogik im wahren Sinne

des Worts der christlichen Philosophie wenigstens ebeit so viel zu danken hat, wie der eigentlichen Theologie, die wenigstens

nach ihrer dogmatischen Seite nicht das Element seyn kann, in

Namentlich die neueste

welchem die Pädagogik groß wird. Philosophie hat in Männern,

wie

Fichte, Herbart und

Hegel, unsere Wissenschaft oder Kunst in einem Maße und in einer Weise weiter gefördert,

daß es zu verwundern

ist,

wie man von Seiten der Theologen wenigstens das nicht be­ reitwillig

anerkennt

und

vielfach

nicht

einmal den Versuch

macht, von hieraus sich einmal wieder mit der Wissenschaft zu befreunden oder auch nur zu versöhnen.

$ßk mm Jemand eine Sache versteht, erkennt man nicht

alle Mal sicher aus der Definition,

die

er

giebt;

indessen

scheint mir doch die Weise, wie Hegel in seiner Rechtsphilo­ sophie die Pädagogik definirt, so großartig und so meisterhaft

zu seyn, daß wer die Begriffe, auf die es hier ankommt, in ihrer Tiefe und Weite

einigermaßen erfaßt hat,

bereit seyn

dürste, diesem Meister in der Wissenschaft auch als christlichem Pädagogen einige Concessionen zu machen.

Solches und Anderes hat mich bewogen, die Hegel'sche Ansicht von der Pädagogik nach ausgesprochen ist,

der Definition, in der sie

zur Besprechung zu bringen und in einer

81 für sie das

dreifachen Weise

Won

ui

Erstens

nehmen.

nämlich möchte ich versuchen, etwas zu ihrem Verständniß bei­ zutragen — zweitens nachweisen, daß eine nach der Hegelscheu Philosophie gestaltete Pädagogik durchaus nichr mit der christlichen Weltanschauung im Widerspruch steht und — drit­

tens daraus einige Conseguenzen beleuchten, deren Anerken­ nung durch die Verwerfung einiger Sätze bedingt ist, die un­

ter Theologen in Theorie und PrariS hie und da noch immer Geltung haben.

Hegel sagt: „Die Pädagogik ist die Kunst, die Men­ schen sittlich zu machen."



ist nur eine Definition,

Das

aber wer sie wirklich versteht, dem darf man zutrauen, daß er auch in den gediegenen Geist der neuesten Philosophie einiger­ maßen eingedrungen ‘fei;

und

sichs

nimmer

werde cinfallen

lassen, den sittlichen Charakter der Hegelschen Philosophie und ihre

positive

Stellung zur christlichen

Weltbetrachtung zu

verkennen.

Die Pädagogik istr eine Kunst,

Künstler seyn;

sie ist

nicht etwa

der Pädagog

bloße Theorie,

muß ein die

keine

PrariS verlangte, um verstanden zu werden; sie ist nicht etwa

bloße Wissenschaft im emgern Sinne, in deren Tiefe man nur hinabzusteigen brauchte, ohne sich zur Höhe des Lebens wieder

hinaufzubemühen und in der Weite und Breite der wirklichen

Welt zu bewegen.

eine solche Kunst,

Aber die Pädagogik ist

allerdings auch

die ihre Wurzel hat nicht weniger in der

Wissenschaft, allS im Leben; sie setzt voraus den bewußten Be­

sitz ewiger Wahrheit, eine wissenschaftliche Einsicht, die nur das Resultat einer ernstem Arbeit und eines gediegenen Strebens

seyn kann. — Die (Ethik, die mit dem Menschen, seinem We­ sen, Leben

und seiner Bestimmung

zu thun hat,

welche die Pädagogik erzeugt und groß zieht und Thaulow, Pädagog. Se'minir.

G

sie

ist

eS

ohne selbst,

82 jchon Pädagogik seyn zu wollen, dieseö Kind mit dem An­

auf wahre Mündigkeit entlaßt.

spruch

Wer den Menschen

nach seinem Wesen und nach seiner Wirklichkeit, nach seiner

Bestimmung im Allgemeinen und im Besondern nicht erkannt hat, dem geht das wesentliche Requisit des Pädagogen ab, da

er nicht weiß, was er auS dem Menschen in seiner Unmün­

digkeit zu machen vermögend und berufen ist.

Die Pädago­

gik ist eine Kunst, weil die Wissenschaft, welche sie verlangt, vollkommeit nur aus dem wirklichett Leben durch ttnmittelbare

Betheiligung mit demselben gewonnen werden kann und dazu bestimmt ist, unmittelbar daS Leben wieder durcb sich zu ge­ stalten.

In der Pädagogik gehen Wissenschaft unb Leben in

einander, in jedem Augenblick bedarf die Theorie der PrariS

und die Praris der Theorie und alle Speculation bleibt, ohne lebcnsftische Erfahrung und lebenskräftige Thätigkeit, hier sicher ohne Frucht.

Wenn die eigentliche Wissenschaft eS nur mit

dem Allgemeinen, mit dem Gedanken als solchem zu thun hat,

ohne

ihre Production anders als in dem Elemente des Be­

griffs durch das Medittm des Worts darzustellen, so erkennt die Kunst der Pädagogik nur eine solche Warheit an, der sie zttgleich Wirklichkeit zu geben vermag und weiß nur von einer

solchen Theorie, die sie ohne weiteres in der Praris darzustel­

len hat.

Sagen wir also: der Pädagog müsse nicht bloß ein

Mann der Wissenschaft,

sondern zugleich ein Künstler seyn,

der dem Demiurgen gleich den Stoff des Lebens nach seinem Gedanken gestaltet,

seyn soll: er muß

so ist es näher dies,

waS damit gesagt

gleich einem wahren Künstler die Einheit

des Allgemeinen und Besondern, die Harmonie in Einsicht und Willen, in Ueberzeugung und Leben, in Gesinnung, Werk und Wort in sich selbst darstellen und durch persönliche Darstellung

in den Zöglingen hervorzubringen bestrebt seyn.

Das, wozu

R.'l er den Unmündigen ergeben will, mufi er .ztendjam selbst für

denselben seyn und

mir in dem Maße kann er Andere erzie

hen, alö er sich selbst erzogen hak und fortwährend sich selbst erzieht.

DaS Geforderte kann insofern noch immer als ein Neues gelten, als damit geltend gemacht worden ist, was noch immer von Manchen übersehen oder doch verkannt und in der Praris

verleugnet wird von denen, welche die Aufgabe des Erziehers

allein oder doch meistens in den Unterricht setzen und vor­ zugsweise durch Belehrung zum Leben und für das Leben

den Zögling erziehen zu können

glauben.

Verleugnet in der

Theorie und Praris wird der behauptete Satz namentlich noch

von vielen Theologen jetziger Zeit, die, in gewissen theologi­ schen

Einseitigkeiten besangen,

in

der

Erziehung

eine Liede

walte» lassen, welche die Gerechtigkeit des Zuckt übenden Ge­

setzes nicht zu» Vorausssetzung hat und das durch Religion im enger» Sinn, durch Giebel mit dem Zögling u. s. w., ersetzen zu können meinen, waS sie in der Zucht versäumt, in der Re­

gierung des ZöglingS übersehen oder nachgeschen haben. Ueberhallpt wird, vvaS wir

für den

Pädagogen in Anspruch ge-

nommen haben», theilweis wenigstens, von allen denjenigen be­

stritten werden müssen,

die nicht anerkennen, daß nicht bloß

Frömmigkeit, nicht Wissenschaft, nicht Theorie, nicht guter Wille,

Güte des Herzens u. s. w. allein

den rechten

Pädagogen

machen, so»»dern eine Vereinigung derjenigen Seiten, die im Menschen wesentlich

zusammengehören.

Der Pädagog

muß

nicht bloß Gott und das Göttliche im Menschen, sondern muß

auch die Natur des menschlichen Lebens

die Welt und

in der Wirklichkeit,

alle ihre Verhältnisse kennen, in welchen das

Göttliche und Gute seine Darstellung finden soll.

Der Pä­

dagog muß selbst das senn, wozu er den Zögling machen will G°

84 und der einzige Weg, auf welchem er ihn erziehen kann, ist, daß er das Ideal, zu dem er erziehen will, in seiner Person,

in Wort und Werk, in Lehre und That für das schauende Auge und den erkennenden Geist deS Zöglings darstelle.

Also

nicht auf Einsicht allein, nicht auf bloßen Willen, sondern auf die darzuftellende Einheit des Einen mit dem Andern kommt

es an. Dies

erste Moment findet aber seine Wahrheit erst in

dem zweiten: das, wozu der Zögling erzogen werden soll, ist

die Sittlichkeit, er soll eine sittliche Persönlichkeit wer­ den. —

Sprechen wir von der Sittlichkeit im Sinne der

neuesten Philosophie, so müssen wir daran erinnern, daß wir es mit dem Gehaltreichsten, Tiefsten und Weitgreifendsten im ganzen System zu thun haben,

um die Zumuthung fern zu

halten, als wären wir hier gesonnen, den Begriff nach.seiner

ganzen Tiefe und Weite in methodischer Weise zu entwickeln. Wir können vielmehr nur diejenigen Momente hervorkehren,

auf deren Würdigung es uns für die Pädagogik vorzugsweise

anzukommen scheint.

Was von der vielfach verkannten Hegel-

schen Weltanschauung überhaupt gilt und das Eigenthümliche derselben ausmacht, daß sie von dem Bewußtseyn der wesent­

lichen Zusammengehörigkeit derjenigen Momente ausgeht, die auf der Stufe der bisherigen Bildung als ausschließende Ge­ gensätze gedacht und behandelt wurden, und die energische In­

tention hat, diese auf allen Gebieten der Wissenschaft und des

Lebens, in Theorie und Praxis für Wissen und Willen des Subjects in Uebereinstimmung zu bringen: dies

gilt um so

mehr und im Besondem von der Hegelschen Ethik,

da die

Weltansicht Hegel's überhaupt vermöge ihres konsequent durch­

geführten Princips eine sittliche — im tiefer gefaßten Sinne des

Worts, genannt werden muß.

Was Hegel als Mann der

Wissenschaft lehrte, stellte er dar als Mensch, trieb er im Ver­

kehr mit den noch Unmündigen als Pädagog, und als auf etwas

Bedeutsames für die Auffassung und Würdigung seiner Wis­ senschaft mag darauf hingewiesen werden, daß er Pädagog ge­ wesen ist, ehe er als ein Meister sich zeigte in der Wissen­

schaft und selbst die abstrakte Logik, in höherem Maße aber

die Geschichte der Philosophie, die Philosophie der Geschichte

und die sogenannte Rechtsphilosophie sich zu pädagogischer An­

wendbarkeit unter seinen Händen gestalteten.

Wenn wir nun

von der Hegelschen Auffassung der Sittlichkeit etwas ausge­ zeichnet Eigenthümliches prädiciren, so ist dies natürlich nicht

zunächst und ohne Weiteres auf den Inhalt der sittlichen Be­

stimmungen zu beziehen, obgleich auch der ethische Inhalt des

sittlichen Lebens durch die Umgestaltung der Form an Tiefe und Weite durch ihn gewonnen hat.

Den Inhalt der sittli­

chen Formen bilden auch bei Hegel Religion,

Wissenschaft

und Kunst; die allgemeinen Begriffe, mit welchen wir es auch hier zu thun haben, können begreiflicher Weise keine andere seyn, als Gott und das göttliche Reich,

die übersinnliche Welt auf

der einen Seite, das natürliche Leben der Erscheinungswelt aus der andern und in der Mitte der Mensch mit der unend­ lichen Potenz,

beiden anzugehören und der unendlichen Auf­

gabe, die beiden Welten in sich, für sich und durch sich in

Uebereinstimmung zu bringen, also

subjektiv und objectiv, in

Wissenschaft und Leben, für Glauben, Bewußtseyn und Wil­

len zu versöhnen auf dem Wege selbstthätiger Entwickelung. Aber das Ausgezeichnete des Sittlichen bei Hegel ist die

Weise, wie er das Verhältniß der beiden Welten im Men­ schen und der unendlichen

Mächte im endlichen Subject

zu

einander bestimmt, das Licht, in welchem er demgemäß die sitt­ liche Bestimmung des Menschen erscheinen läßt und die gedei-

86 gene Begeisterung,

für welche er das Gemüth feiner Jünger

aufschließt, indem er sie zur wiffenschaftlichen Einsicht in den

Grund und Zweck des menschlichen Lebens führt.

ES ist nicht

zufällig, sondern absichtsvoll und bedeutsam, daß Hegel den

Satz: „Alles was vernünftig ist, das ist wirklich", der für

alle Theile seines Systems als Motto paßt, gerade der soge­

nannten Rechtsphilosophie

vorangestellt hat.

Der Satz ist

mißverstanden worden und verkannt, aber die Anerkennung der

sittlichen Aufgabe des Menschen steht und fällt mit der An­ erkennung dieser Wahrheit in dem Bewußtseyn des Menschen.

Im Abschluß an Hegel's Definition ist im Vorigen ver­ sucht worden, möglichst bestimmt nachzuweisen, warum die Pä­ dagogik alö Kunst

bezeichnet und

ihre Aufgabe in der Er­

ziehung zur Sittlichkeit gefunden werden müsse. kann,

was darin begriffen ist,

ausdrücken;

wenn man

sich

ohne

jedoch

Zweifel auch

recht über

das,

Man

anders was

im Begriff des Sittlichen liegt, verständigt, sich mit der Eigen­ thümlichkeit der Hegelschen Auffassung

vertraut gemacht hat

und nicht unbekannt geblieben ist mit den einseitigen Vorstel­ lungen und schiefen Beziehungen, die bisher auf dem Gebiete der Pädagogik gangbar gewesen sind, so wird man sich schwer­

lich

gegen die Hegelsche Theorie in Sache und Sprache zu

sträuben fortfahren, es sey denn, daß man mit seiner wissen­

schaftlichen

Bildung

noch

der

von mir bezeichneten Stufe

der einseitig subjcctiven Weltansicht anzehöre, oder auch in ge­

wissen dogmatischen Voraussetzungen einer scholastischen Theo­

logie verharrt, zwingen,

die,

konsequent durchgeführt,

allerdings dazu

auch auf dem Gebiet der Ethik und besonders der

Pädagogik gegen die Hegelsche Theorie in Opposition zu tre­ ten und namentlich seine Auffassung der Sittlichkeit, zu wel­

cher der Zögling gebildet

werden soll, mit Protest zurückzu-

87

weisen. Hier gilt es den in der j hm, das Resulrat deS Eiuweder - Oder zu Gunsten des Einen »der Andern alö be­ rechtigt anzuerkennen. Um nun kurz zu sagen, was wir als Resultat in der vorigen Besprechung gewonnen haben, so ist eö dieses: Auf daö Object der Erziehung gesehen, so soll der Zögling sittlich gemacht d. h. dahin geführt werden, daß er vollkommene Har­ monie sey in sich selber, als Eins und einig in der Mannig­ faltigkeit seiner Richtungen, Thätigkeiten und Bestrebungen in seiner ganzen Persönlichkeit sich darstelle, daß er wisse, was er will, und wolle, was er weiß, daß er erkenne, was er glaubt, und glaribe, was er erkannt hat, daß er daö, was er inner­ lich, für sich, sudjectiv ist, auch in den Formen und Kreisen der älrßerlichcn Welt bethätige, Andern darstelle, objectiv mache, also Subjektives rind Objectives durch fortwährende Arbeit in Einklänge mit einander verwirkliche, in Gesinnung und Leben, in Religion und Sitte, im Wort und Werk. So aber ist der Mensch nicht bloße Harmonie in sich selbst, sondern auch im Einklänge mit Goti, «als dem absoluten Grunde und Ziele seines Lebens, wie auch mit der natürlichen und der geistigen Welt. Jit Bezug feriner attf die Berfahrungoweise einer sol­ chen Erziehung ist damit anzuerkennen, daß sie in nichts An­ derem als in der ununterbrochenen Einwirkung der ganzen Persönlichkeit des mündigen Lehrerö auf die ganze Persönlich­ keit deS unmündi gen Zöglings werde bestehen können; woraus folgt, daß Lehre und Zucht in keinem Moment von einander getrennt werden dürfen, daß, was man Liebe nennt in der Erziehung, niemals das Gesetz der eventuell strafenden Ge­ rechtigkeit auSschließen soll und der Zögling immer zugleich für daö innerliche Leben in Gott und für daö offenbare Leben in der sittlichen Welt gebildet werten muß.

So weit nun der Begriff der Erziehung zur Sittlichkeit noch einer weitern Entwickelung bedürfen sollte, werden wir das hoffentlich zu leisten vermögen, wenn wir nun nachzuwei­

die Hegelsche Theorie über die Bildung der

sen versuchen:

Unmündigen zum sittlichen Leben nisse mit der sittlichen

sey im guten Einverständ­

Betrachtungsweise des protestanti­

schen Christenthums. in der Pädagogik mit der Förderung der

es

Da wir

selbstthätigen Entwickelung des Unmündigen zu thun haben, so wird die bezeichnete Parallele zwischen dem Protestantismus

und der neuesten Philosophie gesucht werden müssen in der Antwort, welche sie geben auf folgende drei Fragen: 1) wel­ ches ist die anfängliche Natur des Menschen? 2) welches

ist das eigentliche Wesen oder die Bestimmung desselben?

und 3) auf welchem Wege ist der noch unmündige Mensch von dem Einen zum Andern zu führen? In Bezug

auf die erste Frage

antwortet die neueste

Philosophie: der natürliche Mensch ist potentialiter Alles, realiter Nichts, eben weil er natürlich ist. muß

hier von dem ganzen

Diese Natürlichkeit

Menschen als solchem prädicirt

werden, er erkennt weder die Wahrheit, noch will er daS Gute.

Das Kind ist schlechthin weder in sich, noch in seinem

Verhältniß zu dem Absoluten, noch zu dem Menschen, noch zur

Natur das,

was es seyn soll;

wie

eS intellektuell be­

trachtet nur in Anschauungen', also im Endlichen und Ver­

gänglichen lebt,

so

ist auch sein Wille als Trieb durchaus

an das Ziel sinnlicher Bestrebungen gebunden und die sitt­

liche Freiheit weder formell noch materiell vorhanden.

der Mensch von Natur durchaus bös,

So ist

sagt Hegel, er steht

in schlechtsinnigem Widerspruche mit seinem Wesen,

so lange

noch die anfängliche Natur die Macht seines Lebens und das

Gesetz seines Strebens ist.

Er ist in diesem

ersten Stadium

bloßes Individuum, der Charakter seines Lebens in allen Rich­

tungen Egoismus, sein Wille bloßes Arbitrium, servum gegen

Gott und das Gute, liberum gegen Natur und Sinnlichkeit.

Aber wiederum ist er potentialiter Alles und berufen es wirk­ lich zu werden auf dem Wege

selbstthätiger Entwickelung,

die durch verschiedene Stadien nothwendig dahin fortschreiten muß, daß der Mensch von Neuem geboren werde.

Von hieraus, meine ich, muß durchaus eine Parallele mit der christlichen Lehre von der Erbsünde und der dadurch

begründeten Nothwendigkeit der Wiedergeburt gezogen werden

können.

Auch das Christenthum nimmt den noch nicht Christ

gewordenen Menschen als den natürlichen; sagt von ihm, er

sey totalster böse, wisse nichts vom Geiste Gottes, das Trach­ ten seines Herzens sey eitel; bringt ihn daher unter die Zucht

des Gesetzes, und fordert eine Wiedergeburt in dem Sinne, daß der adamische Mensch ganz und gar ausgezogen werden

muß.

Sogar mit dem, was die kirchliche Lehre will,

wir hier im Einklänge.

sind

Zwar verlegt diese die Wurzel der

Sünde möglichst in die Tiefe

des

menschlichen

Gemüths,

weiß aber die großen Schwierigkeiten in ihrer Theorie der

Erbsünde nur dadurch zu lösen, daß sie den Sünder fast prä-

destinirt, erlöst zu werden zu einem Leben, wo den Einzelnen gesagt werden kann: Alles ist Euer! Betrachten wir 2) die Aussage der Hegelschen Philoso­ phie über das Wesen und die Bestimmung des Menschen,

so bewegen wir uns auch hier in einem Elemente, wo wir christliche Luft athmen und wandeln können im Lichte des

evangelischen Wortes.

Der Mensch, sagt Hegel, soll durch

die Erziehung zum sittlichen Leben geführt werden.

Letzteres

ist aber das Resultat der geistigen Arbeit, durch welche im

90 Saufe der Entwickelung das bloß individuelle und

das bloß

subjektive Leben als die herrschende Macht des Wissens und

Wollens überwunden ist.

Denn sittlich ist der Mensch nur

da, ^wo die Gemeinschaft als die allgemeine Macht in dem Einzelnen und der Einzelne als persönliche Macht in der Ge­ meinschaft lebt und wirkt.

Es ist hier die Frage zu beant­

worten, ob nicht von Hegel das Leben in der Gemeinschaft,

also respektive das rechtliche, gesellige, bürgerliche und politi­ sche Leben, aus Kosten des individuellen, moralischen und re­ ligiösen Lebens betont werde;

allein wir wollen hier daran

erinnern, 1) daß im Reich der objectiven Sittlichkeit die Kreise

des subjektiven Lebens in ihrem sittlichen Charakter anerkannt und gefordert werden, ja selbst dem

einmal überwundenen

natürlichen Leben so wenig die Macht abgesprochen wird, daß Hegel von der Sittlichkeit sagt, sie müsse dem Menschen zur zweiten Natur werden.

2) daß, wenn auch Hegel die Ge­

schichte als die absolute Form des weltlichen Lebens bezeich­ net, damit das göttliche Leben im Reiche einer absoluten Sitt­

lichkeit durchaus nicht geleugnet werden soll, sondern vielmehr und zwar ausdrücklich anerkannt wird, daß Kunst, Religion

und Wissenschaft den absoluten Gehalt des göttlichen Lebens zu bringen haben in die Form des Weltlichen.

Somit wäre als das Eigenthümliche der Hegelschen An­ sicht vom Leben des Menschen

im Elemente der Sittlichkeit

vorzugsweise nur zu betonen, daß der Mensch nicht bloß zur Frömmigkeit, zum moralischen Wandel, zur Tüchtigkeit für daö

gesellige Leben und einem unpraktischen Wissen gebildet wer­

den soll, sondern eben als Persönlichkeit dazu bestimmt ist, ein sittlicher Mikrokosmos zu seyn in jedem Momente des Lebens.

Und so wissen wir denn in der That nicht, was es aus sich

haben könne mit dem allerdings schweren Vorwurf, Hegel'ö

91 Wissenschaft sey nicht christlich, sondern eine allerdings be­

deutende Geburt der natürlichen

Vernunft,

des

bloß

adamitischen Lebens, unchristlich sey sie aber, weil sie des sitt­

lichen Charakters ermangele, und dieser Mangel endlich datire sich her von der Verletzung, welche die christliche Sittlichkeit schon im Princip der neuesten Philosophie erfahren habe: ihr

Reich sey nur von dieser Welt, ihr sittliches Leben entfremde von demjenigen, welches aus Gott geboren.

Dies mag als

Consequenz aus einigen für das System nnwesentlichen Sätzen gefolgert werden tonnen, allgemein aber und über das Prin­

cip

und

ausgesprochen

beruht

es auf großen Mißverständnissen

einer totalen Verkennung des eigentlichen Gehaltes in

der neuesten Wissenschaft, die sich nur erklären lassen aus dem einseitig dogmatischen Charakter unserer noch immer scholastisch

gestalteten Theologie, die es, wie es thatsächlich vorliegt, bis auf die neuesten Zeiten zur rechten Würdigung des sittlichen

Lebens und

zu

einer durchgreifend ethischen Gestaltung der

Wissenschaft nicht hat bringen können.

hier erst angefangen,

Hat man aber auch

das religiöse Leben schon im Princip

als ein zugleich sittliches zu begreifen, und die

desselben nicht mehr

Vollendung

allein in der Erlösung des Einzelnen,

sondern in der Vollendung des werdenden Gottesreichs zu

suchen, so wird man theologischer Seits bereitwillig anerken­ nen, daß die biblischen Begriffe von dem in der Liebe thäti­

gen Glauben, von der Wahrheit, welche frei macht, von der Gemeinschaft als dem Leibe Christi, woran die Christen Glie­

der seyen, durch die Arbeit der Wissenschaft nicht nur ausge­

deutet, sondern in vorläufiger Weise wenigstens, auch ausge­

beutet worden find.

Aber eine

um so größere Divergenz, ja ein eigentlicher

Widerspruch zwischen Christenthum und Philosophie scheint in

92 der Antwort

auf die dritte Frage zum Vorschein zu kom­

Wie

sollen die Unmündigen aus dem Leben in der

men.

Natürlichkeit in das Reich der

Sittlichkeit geführt

werden?

Hegel antwortet: die Mündigen sollen den Unmündigen sitt­ lich machen,

d.

h. das Kind soll mündig gemacht werden

durch die Arbeit der Menschen an ihm, und wer diese Arbeit

zu leiten hat, muß ein Künstler seyn. — Das Christenthum antwortet:

aus

Gnaden

sollt ihr selig werden durch den

Glauben-, und selbst dieö nicht aus euch, sondern Gottes

Gabe ist es. — Wer nun dagegen opponirt, den nennt un­

sere Kirche einen Pelagianer. Indeß Gottesgabe

und Menschenarbeit in ausschließli­

chem Verhältniß zu einander zu denken ist daS Princip der

katholischen Dogmatik, 'und die protestantische Lehre ist nicht

zu verwechseln mit dem Augustinismus.

Wer dies zugiebt,

kann im Frieden mit der Hegelschen Philosophie sich verstän­

digen.

Er behauptet einfach, der noch unmündige Mensch

zur sittlichen Persönlichkeit gebildet werden nur durch

kann

die fortwährende Gemeinschaft mit solchen,

sind;

ver Mensch wird nichts ohne

die



bereits

die Menschen, nicht

aber: er wird Alles allein durch sie, im Gegensatz zur Wirk­ samkeit der nicht durch andere Menschen vermittelten göttli­ chen Gnade.

aber nach Hegel die Erziehung nach einer Seite

Da

hin nur Förderung der sich

selbstständig vollziehenden Ent­

wickelung ist, so ist damit auch das klarste Verständniß aufge­ schlossen über einen, freilich noch wenig aufgeklärten Punkt, der

zweifelhaft

noch

könnte.

bleiben

und

zum

Streit

veranlassen

Zur Vervollständigung des erstem müssen wir näm­

lich sagen,

der Mensch kann nichts bloß durch Andere, seyS

im Verkehr mit Einzelnen, oder in der Betheiligung mit dem

93 Leben in der Gemeinschaft, sondern muß Alles zugleich durch sich selbst werden. Damit ist gegeben, daß die Entwickelung als Entwickelung eines geistigen Wesens zugleich eine rein innerliche Seite hat, und sich in einem Elemente vollzieht, wo der Mensch innerlich mit sich selbst und durch sich selbst mit Gott verkehrt und Gottes Gaben auf sich wirken läßt in der Empfänglichkeit des Glaubens. Aber so sehr dies auch in der Erziehung anerkannt werden muß, so wenig macht doch auch hier die Entwickelung des Kindes in irgend einem Sta­ dium der Unmündigkeit die Erziehung überflüssig, da letztere gerade eine ihrer größten und freilich auch schwierigsten Auf­ gaben darin har, durch die Persönlichkeit des Lehrers und

durch den geistigen Verkehr in den verschiedenen Kreisen christ­ licher Gemeinschaft das Gemüth des Kindes zur lebendigen Empfänglichkeit für die Gaben, die von oben kommen, mehr und mehr aufzuschließcn. Wer aber mit diesem unserm Prin­ cip schon im Allgemeinen nicht einverstanden ist, der verkennt damit nothwendiger Weise das Postulat der Erziehung und leugnet das vernünftige Recht der Pädagogik, die von kei­ nem andern Princip aus ihr System aufzubauen versuchen kann. — Wmn nun aber in Bezug auf das Princip eine wünschenswerihe Uebereinstimmung zwischen Cbristenthum und Pädagogik vorhanden seyn sollte, so müßte sie sich auch nicht bloß in der allgemeinen Verfahrungsweise der Erziehung nachweisen lassen, vielmehr müßte es als eine dankbare und nicht sehr schwieriger Arbeit bezeichnet werden, gerade hier von allen Punkten zwischen der Gotteserziehung in der Ge­ schichte, vorzüglich in den evangelischen, und der Methode, wie sie Hegel verlangt, für die Pädagogik Parallelen auf­ zusuchen. Tenn wie durch die vollkommene Persönlichkeit eines Einzigen die natürlichen Menschen zu mündigen Got-

94 teökindern im Himmelreich gemacht worden sind, so wird tote' verkehrend innerhalb des Christenthums das unmündige Kind

mündig

allein durch Persönlichkeiten,

weitern und engern Sinn, und Meisters wird

durch Pädagogen im

das dreifache Amt unsers

in jedem Augenblick von jedem Pädagogen

übernommen werden müssen,

der nicht aus dem Wege nach

dem Ziele das Ziel selbst aus den Augen verlieren und sete der blind einem Blinden den Weg weisen will.

Kritik des Verfahrens der Lehrer in -er Schule,

in welcher Ottilie erzogen wird. (Goethe's Wahlverwandschaft.)

Vortrag von R.

Der Mensch ist mit unauflöslichen Banden an sein Ge-

schlecht geknüpft; die Menschheit in ihm thut fast auf jedem Punkte ihrer Entwickelung ihren Zusammenhang kund mit der

Menschheit außer ihm.

Darum erscheint die Einwirkung der

Umgebung, in welcher der Mensch aufwächst, als eine für ihn fast unwiderstehliche Macht.

Solche Macht tritt wohl zuwei­

len gegen den Einzelnen als eine seiner Freiheit und seinem

Wesen feindselige auf.

Daher kann recht wohl die Erbärm­

lichkeit eines Menschen zum großen Theil Resultat der Ver­ hältnisse seines Lebens seyn. eine werdende,

Die Freiheit des Menschen ist

und die auf dieselbe begründete Zurechnungs­

fähigkeit hat ihre Bedingungen, so wie die aus ihrem Keime

sich entwickelnde Pflanze abhängig ist von dem Boden, in

welchen jener Keim gelegt ist.

Darum kann denn der Mensch

nicht allein zur Freiheit erzogen,

er kann auch in Unfleiheit

zurückgehalten, seine Entwickelung kann so sehr niedergedrückt werden, daß er sich bisweilen kaum über den Stumpfsinn der

thierischen Natur hinaus zur Stufe der Zurechnungsfähigkeit

96 zu erheben vermag. der Freiheit die

Aber auch dann noch,

Schale

des

Ansichseyns

wenn der Kern

durchbrochen hat,

kann diejenige Sphäre, in welcher der Mensch sich entwickelt,

eine solche seine Entwickelung hemmende Gewalt ausüben, daß später saft nur der Wille des sich klar gewordenen Mannes

die ungerechte Beute, die jene an sich gerissen hat, ihren star­ ken Händen bis auf die theilweis verlorene Zeit der Jugend

entwinden kann. Was wir Erziehung nennen, ist eine bewußte Einwirkung

des Menschen auf den Menschen, und weil eine bewußte, dar­ um eine um so stärkere.

Die Macht solcher Einwirkungen,

mögen sie bewußte,

mögen sie unbewußte seyn, will ich darum so stark betont ha­

ben, um mir, indem ich das Verfahren der Lehrer Ottilie's kritisiren will, daö Recht zu wahren, von ihrem späteren Leben

vorlärifig den Schluß zu machen, daß in ihrer Erziehung manch

arges Versehen muß gemacht worden seyn.

Verbreitet schon

des Menschen einzelne That, als Resultat betrachtet,

wenn

nicht ein klares Licht, so doch immer einen gewissen Dämmer­ schein über sein ganzes vergangenes Leben: so finde ich mich um so mehr veranlaßt, aus dem dauernden Gemüthszustande

eines Menschen auf seine eine Vergangenheit zu schließen.

solche Gegenwart bedingende

Das Verhältniß Ottilie's zu dem

Baron wirft ein Licht zurück auf ihre Jugend, und mit diesem

Lichte zugleich einen dunkeln Schatten. Abrede gestellt werden von vielen,

Ottilie's solche

unwillig

Verirrung

sey

den gleich

Kopf einem

Letzteres wird mir in

welche freilich zur Liebe schütteln,

aber

Sonnenfleck,

Glanze ihrer Weiblichkeit keinen Eintrag thue.

meinen,

der

dem

Aber soll irgend­

wo die Weiblichkeit sich offenbaren, so muß sie es wohl doch in der Liebe.

Was den Mann leiten und bestimmen soll allewege,

97

das ist seine Einsicht; die Vernunft ist der Compaß seine-

Lebens, und nach solchem Compaß unbedingt sich richten ist Männlichkeit.

Das Weib hat aber einen andern Führer;

wird eS von diesem auch nicht so sicher geleitet, daß es nicht

auf Abwege gerathen könnte, so kann ihm nachgewiesen wer­ den, als Weib hat es ein Recht auf diese Nachsicht; aber

nur dann kann es dieses Recht in Anspruch nehmen, wenn es seinem Führer, der Weiblichkeit gefolgt ist, und als Weib sich gezeigt hat auch in seiner Verirrung.

tilie?

Wie war es mit Ot­

Der Gegenstand ihrer Liebe war der Baron, ein

schwacher Mensch, vom Sturm seiner Leidenschaften wie ein Rohr hin- und herbewegt, so daß er bald jubelt, bald winselt,

je nach den Umständen.

Je weiblicher aber ein Weib ist,

desto mehr respectirt es die Männlichkeit, und desto verächtlicher ist ihm am Manne Alles, was weibisch ist.

Wäre Ottilie

wegen dieses Punktes auch zu emschuldigen; was will man

mir auf den Vorwurf erwiedern, daß sie mit frevelnder Hand ein eheliches Band zerrissen, ein Band, das von der Liebe ge­

knüpft war?!

Je reiner die Liebe eines WeibeS ist, desto

heiliger wird sie ihm doch auch wohl seyn.

Daher meine ich,

daß Ottilie durch nichts mehr vor einer solchen Liebe, die sie selbst als eine verbrecherische bezeichnet, wäre gesichert ge­ wesen, als durch ächte Weiblichkeit.

Nachdem ich jetzt durch einen Blick auf das spätere Le­ ben Ottilic'S zu dem Urtheil über ihre Jugendbildung ge­

kommen bin, daß in dieser wohl Manches muß versehen worden

seyn, liegt mir jetzt ob, von ihrer Jugend anfangend den ent­ gegengesetzten Weg zu nehmen und durch Auflösung des ge­

wonnenen Resultats gewissermaßen die Probe zu machen. Wir finden Ottilie in einer Pensionsanstält.

Indem ich

das Verfahren ihrer dasigen Lehrer kritisiren und die FehlerTh aul ow, Pädagog. Seminar.

7

98 Hastigkeit desselben nachweisen will, kann ich nicht umhin über

eine Pensionsanstalt selbst in Folgendem mein Urtheil auSzu-

sprechcn: eine Pensionsan stakt für Mädchen hat ge­ genüber der häuslichen Erziehung als der Erziehung durch die Familie kein Recht ihrer Eristenz.

Ich bin

der Meinung, daß in dem Gedanken einer Pensionsanstalt für

Mädchen etwas durchaus Verkehrtes liegt. Die einzige Anstalt für die Erziehung eines Mädchens ist das Haus oder die Familie. Dies ist natürlich das elterliche HauS.

ES

ist ein Unglück

für ein Mädchen, wenn es seine Eltern, besonders aber, wenn

es seine Mutter verloren hat.

Das elterliche HauS kann nur

einigermaßen durch eine fremde Familie wird durch diese

um so mehr ersetzt,

merkt, daß sie ihm eine fremde ist,

ersetzt werden,

und

je weniger das Kind

und je mehr es diejenige

Liebe findet, die der mütterlichen Liebe am nächsten kommt. Ich betone hier absichtlich die elterliche Liebe; der Grund davon soll sich später zeigen

Charlotte, die Gemahlin des Barons,

liebte ihre Pflegetochter; daher war eö ein arger Mißgriff, daß

diese in eine Pensionsanstalt

sich

stützt

auf die Behauptung,

werden muß in der Familie,

näher

zu

geschickt wurde.

begründen.

Wenn

dieses

daß daS Mädchen erzogen

so steht solche Behauptung - jetzt

Des Mädchens Bestimmung

ist sein

Leben in der und für die Familie, die des Knaben ist darauf

nicht beschränkt; der Mann lebt wohl für die Familie, aber nicht für sie allein, sondern auch für den Staat.

Ist daS

nichts Zufälliges und Willkürliches, sondern ist Vernunft dar­

in,

was ich hier,

wie ich 'weiß,

weitläufiger zu begründen

nicht nöthig habe, daß das Weib für die Familie, der Mann

für die Familie und für den Staat bestimmt ist, so wird diese

Bestimmung auch das seyn, waS die Natur des Mannes wie deS

Weibes ist.

Es soll die Erziehung gegründet seyn auf

99 die Natur und das Wesen des Menschen.

Wenn turnt schon

ein Handwerker für seine ^Bestimmung, die er nach Gutdünken sich gewählt hat, sich bilden kann nur in der Werkstätte der

Handwerker, wie viel mehr muß beim der Mensch für seine

nicht willkürlich gewählte, sondern wesentlich auf seine mensch­ liche Natur gegründete Bestimmung gebildet werden in derje­ nigen Sphäre, für die er bestimmt ist. Daraus ist ein wesent­

licher Unterschied zu begründen zwischen der Erziehung des

Mädchens und deö Knaben.

Während die Erziehung des

Letzteren von der Familie ausgeheit muß, doch in dieser nicht vollendet werdeit kann, darf das Mädchen zum Behuf der

Erziehung in der Regel nicht auS dem Hause entlassen werden. Zch sage „in der Regel", weil eS ausnahmsweise geschehen mag, daß daö Weib sich einen eigenen und eigenthümlichen

Wirkuitgskreis wählt.

Das kann

ganz lobenSwerth

seyn,

aber wir haben es hier mit dem Nothwendigen zu thun, und

nothwendig für das Weib ist jenes nicht, wenigstens nicht in der Weise, wie es b«i dem Manne der Fall ist, welcher seine

allgemeine Besn'mtmung als Mensch oder naher bestimmt:

als Bürger eines SttaateS nicht erreichen kann, wenn er sich

nicht ein« besonder e Bestimmung giebt, damit er in diesem

Besonderen das Allgemeine habe. Wenn ich von der Pensionsanstalt spreche, so meine ich

diejenige, welche in einen solchen Gegensatz gegen das HauS

und die Familie tritt, daß die häusliche Erziehung» ausgeschlos­

sen wird, sey es, daß es beabsichtigt, oder daß es durch die

Vielheit der Zöglinge und die dadurch bedingte Mehrheit der Lehrer unmöglich gemacht wird, indem eine Familie oder ein Hauö in Rücksicht auf die Anzahl der Individuen seine Grenze hat, durch deren Ueberschreitung daS häusliche oder familiäre Zusammenleben aufgehoben und verunmöglicht wird. Als eine

solche Pensionsanstalt, die einen Gegensatz gegen daS Haus

und die Familie bildet, welcher Ottilie

sich

haben wir diejenige zu betrachten, in

befindet.

An

einem

solchen Institute

aber, in welchem ein Mädchen erzogen werden soll mit Ver­ zichtleistung auf den Einfluß oder die Erziehung durch die Fa­

milie als Familie, ist zum Ueberflusse dieses zu tadeln, daß ein Weib an der Spitze steht, daß es eine Vorsteherin, nichteinen Vorsteher hat.

Selbstständig erziehen kann kein Weib,

sondern nur miterziehen.

Plato wollte, daß die Philo­

sophen der Erziehung den Weg weisen sollten. Er wollte es wegen ihrer Menschenkenntniß, durch welche die richtige Erziehung bedingt ist. Zu solcher Menschenkenntniß aber, wie sie fürdieErziehung noth-

wendig ist, kann es das Weib nicht bringen; eS kann es nur bringen zu einem Zusammenschauen der Eigenthümlichkeiten und Besonder­

heiten des Menschen. steherin.

Ein Beleg dafür ist auch unsere Vor­

Daß ihr Gesichtskreis in dieser Hinsicht ein beschränk­

ter ist, offenbart sich darin, daß sie den ganzen geistigen Werth eines Zöglings nicht übersehen kann, indem sie denselben aus

einzelnen Fertigkeiten erschließt, welche sie nicht in ihrer Ge­ sammtheit betrachtet, sondern welchen sie einzeln für sich ihren

selbstständigen Werth giebt.

würdigen dasjenige,

Sie verkennt und weiß nicht zu

waö erst durch das Ganze und im Zu­

sammenhänge mit den übrigen Leistungen und Fähigkeiten sei­

nen Werth hat.

„Unsere Vorsteherin" schreibt der Gehülfe,

„verlangt, nkan solle die Früchte ihrer Sorgfalt äußerlich und deutlich sehen, aber es giebt auch verschlossene Früchte, die

erst die rechten kernhaften sind, und die sich früher oder später

zu einem schönen Leben entwickeln" u. s. w.

Von solchen ver­

schlossenen Früchten also will die Vorsteherin nicht viel wissen; da sie gleichwohl dergleichen, vom Gehülfen gewiß darauf auf­ merksam

gemacht, nicht ganz von der Hand

weisen kann,

101 kommt sie über Ottilie in Verlegenheit, überläßt den Bericht

über dieselbe einem andern, und was sie selbst über sie schreibt, ist der Art, wie: „Ich kann Ottilie nicht schelten, und doch

kann ich nicht zufrieden mit ihr seyn" Vorsteherin,

Worte, in welchen die

ohne über Ottilie zu urtheilen, sich selbst ihr

Wir kennen die Vorsteherin, und können uns

Urtheil spricht.

einen solchen Ausspruch von ihr einigermaßen erklären.

Sie

darf eö nicht wagen, zu schelten, weil sie fürchtet, sie habe

Unrecht, aber ihrer, wenngleich dunkeln Einsicht, die in solcher

Furcht sich zeigt, ihre Launen zu opfern, und von den,

wie

sie selbst fürchtet, unberechtigten Forderungen abzustehen,

fällt

ihr nicht ein.

Daher verfällt sie denn auf allerlei Sophismen

nicht sowohl um Andere,

sondern um sich selbst zu täuschen

darüber, daß sie Unrecht habe. Die gleichgültigsten Dinge sucht

sie auf, um sie so wenden, daß sie sie für sich anwenden kann, und wenn sie mit allen ihren Gründen

zuweilen

widerlegt

wird durch einen einfachen Umstand z. B. durch das Kopfweh der Ottilie, nimmt sie nicht nur keine Rücksicht darauf, son­

dern wird sogar, weil sie selbst Unrecht hat, diejenige, die gegen sie im Rechte ist.

mürrisch gegen

Der Gehülfe mag

Zeugniß ablegen:

„Unsere gute Vorsteherin, die wie ein guter Hirte auch

„nicht eins von ihren Schäfchen verloren,

oder wie es hier

„der Fall war, ungeschmückt sehen möchte, konnte, nachdem die „Herren sich entfernt hatten, ihren Unwillen nicht bergen und

„sagte zu Ottilien, die ganz ruhig, „über ihre Preise stellten,

indem die andern sich

am Fenster stand: aber sagen Sie

„mir, umö Himmelswillen! wie kann man so dumm aussehen,

„wenn man es nicht ist? „verzeihen Sie,

Ottilie versetzte

ganz

gelassen:

liebe Mutter, ich habe gerade heute wieder

,mein Kopfweh rind ziemlich stark.

Das kann Niemand wis-

102 „fett! versetzte die sonst so theilnehmende Frau und kehrte sich

„verdießlich um.

Ein so verkehrtes Benehmen der Vorsteherin konnte kei­ nen guten Einfluß haben auf das Verhältniß Ottilie'S zu

ihren Mitschülerinnen.

Wie diese sichzuweilen zu ihr stellen,

davon ein Beispiel: „Ihre Fräulein Tochter, gnädige Frau, sonst lebhaft und

„freimüthig, war im Gefühl ihres heutigen Triumphs auS-

„ gelassen und übermüthig.

Sie

sprang

mit ihren Preiseit

„und Zeugnissen in den Zimmern herum, und schüttelte sie

„auch Ottilien vor dem Gesicht." „gefahren!" rief sie aus.

„Du bist heute schlecht

Ganz gelassen antwortete Ottilie:

„es ist noch nicht der letzte PrüfungStag.

Und doch wirst

„du immer die letzte bleiben! rief das Fräulein und sprang „hinweg." Wenn der Nebermuth, welchen Ottilie von ihrer Schwe­ ster zu erdulden hatte, auch nicht durch die Vorsteherin ver­ schuldet wäre, so hatte letztere doch wenigsienS die Unfähigkeit

verschuldet, einen solchen Uebermuth, auch wenn sie eS hätte wollen,

auszurotten.

Denn wie hätte sie

an Andern eine

Laune bekämpfen können, deren sie selbst so wenig Herr war!

Solche Stellung namentlich der Vorsteherin zu Ottilie konnte auf diese nicht ohne Einfluß bleiben.

Sie achtete die

Vorsteherin, sie liebte sie auch, aber eS war nicht die Liebe

eines Kindes zu seiner Mutter, nicht diejenige Liebe, welche unbedingtes Hingeben und Verträum verlangt.

So konnte

sie es denn nicht wagen, in jeder Hinsicht offen und ehrlich

zu seyn, so z. B. wenn sie des Mittags keinen Appettt hatte,

durfte sie eö nicht sagen, sondem schützte irgend ein Geschäft vor, um sich vom Tische entfernttt zu dürfen.

So kommt

denn eine gewisse ungehörige Verschlossenheit und Verstellung,

103 von welcher Ottilie nicht ganz frei gesprochen werden kann,

theilweis wenigstens auf Rechnung der Vorsteherin.

Bei

Ottiliens Naturell konnte cS leicht kommen zu einer solchen

Verschlossenheit, welche allemal cinBrütcnnest gefährlicherLeiden-

schäften ist.

vorzubeugen.

Es wäre Pflicht der Erzieherin gewesen, solchem

Wie einfältig und thöricht es ist, der ganzen

Welt sein Inneres zur Schau zu stellen, so verderblich ist der

entgegengesetzte Fehler desjenigen, der etwas für sich seyn und haben will.

An dem für Alles und Jedes unzugängli­

chem Orte im Menschen schwelgt die Phantasie bei giftigem Nahrungskraut: denn nur die Giftpflanze kann im Dunkeln gedeihen.

„Führten sie auf diese Weise gar manchmal die uner„sreulichen Begebenheiten des TagS auf die Betrachtung der „Vergänglichkeit, des Scheidens, des Verlierens; so waren „ihr dagegen wundersame nächtliche Erscheinungen zum Trost

„gegeben, die ihr das Daseyn des Geliebten versicherten und „ihr eigenes befestigten und belebten.

Wenn sie sich Abends

„zur Ruhe gelegt und ins. süßen Gefühl noch zwischen Schlaf

„und Wachen schwebte, schien es ihr, als wenn sie in einen „ganz Hellen doch mild erleuchteten Raum hineinblickte.

In

„diesem sah sie Eduarden ganz deutlich und zwar nicht ge-

„kleidet wie sie ihn sonst gesehen, sondern im kriegerischen „Anzug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber voll-

„kommen natürlich war und nichts Phantastisches an sich

„hatte: stehend, gehend, liegend, reitend.

Die Gestalt bis

„aufs kleinste auögemalt bewegte sich willig vor ihr, ohne „daß sie das Mindeste dazu that, ohne daß sie wollte oder

„die Einbildungskraft anstrengte." Von solcher Phantasie, deren Zügel ihren Händen ent-

104 fallen waren, wurde Ottilie immer weiter in jene verbreche­

rische Liebe hineingeriffen.

Von ähnlicher Beschränkheit, wie sie die Vorsteherin hat, welche die Zöglinge, die sie doch stets vor Augen gehabt,

allein nach

dem

Ausfall

kurzen Eramens

eines

beurtheilt,

sind auch die übrigen Lehrer der Anstalt nicht frei zu spre­ Der Gehülfe charakterisirt sie als treffliche, aber rasche

chen

und ungeduldige Lehrer.

Sie wollen Früchte sehen, und wo

sie sie nicht sehen, schieben sie die Schuld

auf den Boden,

ohne zu bedenken, daß der eine eine ganz andere Bearbeitung

verlangt, als der andere, damit beide gleiche Früchte tragen. Daß Ottile ihre eigenthümliche Bchandlungsweise im Un­ terrichte verlangte, ersehen wir auö dem Schreiben des Ge­ hülfen:

„So lange ich sie unterrichte, sehe ich sie immer gleichen

„Schrittes

gehen, langsam, langsam vorwärts, nie zurück.

„Wenn es bei einem Kinde nöthig ist, vom Anfänge anzu„fangen, so ist es gewiß bei ihr.

Was nicht aus dem Vor-

„hergehenden folgt, begreift sie nicht.

Sie steht unfähig, ja

„stöckifch vor einer leicht faßlichen Sache, die für sie mit nichts

„zusammenhänqt.

Kann man

aber die Mittelglieder finden

„und ihr deutlich machen, so ist ihr das Schwerste begreiflich

„u. s. w."

Die Vielheit der Lernenden läßt freilich die Eigenthüm­ lichkeiten der Einzelnen nicht zu ihrem vollen Rechte kommen,

aber das wenigstens muß doch von den Lehrem verlangt wer­ den, daß sie ein Bewußtseyn über die Sache

haben, damit

doch so viel als möglich die verschiedenen Anlagen und Fähig­

keiten berücksichtigt werden. Daß ich

bei der Beurtheilung eines pädagogischen Ver-

105 fahrens keinen fertigen Maßstab habe, sondern diesen erst durch eigene Arbeit, von keiner Praris unterstützt, mir gewin­ nen muß, mag mich entschuldigen, wenn ich die Ausführung des Angekündigten nur dürftig angefangen, und die Haupt­ person, deren pädagogische Grundsätze am ausführlichsten dar­ gelegt sind, noch ganz bei Seite gelassen habe.

Ueber den praktischen Sprachunterricht in Volksschulen. Vortrag von G.

Wenn ich Ihnen auch, meine Herrn, über den angedeu­

teten Gegenstand vielleicht nichts Interessantes sage, so hoffe ich Ihnen doch etwas Neues zu sagen;

Neues

deswegen,

weil das Elementarschulwesen Ihrem Studienkreise noch ziem­ lich fern liegt,

und das künftige Amt Sie erst nothgezwun­

gen mit demselben in Verbindung

bringen wird.

Dennoch

ist mein Gegenstand von solcher Wichtigkeit, daß ich meine,

er sey die HauptbastS der Volksbildung, wenn ich der Reli­ gion, als dem Fundament der Herzens- und Gemüthsbildung

freilich das Primat zuerkennen muß. allen Pädagogen anerkannt,

Dies wird auch von

aber die Aufgabe praktisch

zu

lösen und unS in Schrift darzustellen, ist, so viel ich weiß, noch Keinem mit allgemeiner Anerkennung gelungen.

ich nun freilich auch nicht stolz genug bin,

Lösung

zu wähnen, in

der vorliegenden Aufgabe das allein Richtige getrof­

fen zu haben,

PrariS,

Wenn

so

berechtigt mich doch eine

zwanzigjährige

in der ich mich gern nach dem Bessern umsah, zu

hoffen, Einiges zur praktischen Lösung unserer Frage beitra-

gen zu können.

107 Mein Sprachbildungsgang beschäftigt sich aber nicht bloß mit Darlegung grammatischer Regeln, sondern er umfaßt das

für die Bildung der Volksschüler,

ganze Sprachgebiet

zwar von den ersten Anfängen bis zur Confirmation.

und

ES ist

natürlich, daß ich hierbei nur andeutend in meiner Darstel­

lung verfahren kann.

Daö erste Geschäft in Bezug auf die Sprache der Schü­ ler ist das, daß ihnen ihr Sprachinstrumeni gestimmt werde.

Von Hause aus geschieht dies selten,

sondern eS ist in der

Das Stimmen fängt damit an, daß sie

Regel verstimmt.

erstlich einzelne, ihnen vor Augen stehende oder genugsam be­

kannte Dinge richtig betont aussprechen müssen.

Anhaltende

Zähigkeit und Beharrlichkeit deS Lehrers kann hier nur etwas ausrichten.

Ein zweites ist: der Lautinhalt der Wörter muß

den Kindern zum Bewußtseyn gebracht werden.

Die Vocale

treten für birst Uekbungen zuerst ein, und zwar in der Ord­ nung,

wie sie

bciild darauf den Kindern für die schriftliche

Darstellung dienen sollen, als in folgender Ordnung: i, u, fi,

e, o, ö, a, st, mi, äu, eu, ei, ai.

Das Verfahren dabei ist

folgendes: nuan spricht die Wörter — Ida, Igel, Insel,c. dem Kinde deutlich vor und läßt den Laut i gedehnt und ge­

schärft festhalten, schreibt dann daö Lautzeichen für diesen Laut

auf die Wandtafel,

indem man die Kinder darauf hinweist,

daß sie daS Besprochene und Gehörte auch künftig durch die Schrift darstellen sollen.

Ganz in ähnlicher Weise läßt man

die übrigen Vocale ablösen, festhalten und stellt sie dar. Nach­ dem dies geschehen ist, werden Gegenstände genannt und die

Kinder müssen aus jeder gesprochenen Sylbe die Vocale an­ geben.

Die Schreibübungen treten mit diesen Sprechübungen

in Verbindung auf, aber nicht gleichzeitig, sondern nachzeitig. Nachdem die Vocale

durchaus rein ausgesprochen und

in

108 groben Grundumrissen auf der Schiefertafel von den Kindern kenntlich und mit einiger Sicherheit können nachgebildet wer­

zu den Consonanten.

den, geht der Unterricht über diese müssen

die Kinder

Auch

vorgesprochenen Wörtern ab­

aus

lösen, darstellen und in vorgelegten Wörtern aufsuchen, aber

so, daß sie die abgelösten Consonanten gleich mit den Voca­ len in Verbindung bringen, und so beginnt denn das erste

Mit diesem tritt also nicht in Verbindung das Buch­

Lesen.

stabiren, noch das Lautiren, noch daö Syllabiren, sondern es ist sogleich ein wirkliches Lesen.

Die Consonanten treten bald

als Vorlaut, bald als Nachlaut auf, und je nachdem mehrere

Consonanten hinzukommen, und die Schüler für die schrift­

liche Darstellung an Stärke gewinnen, als Vorlaut und Nach­ laut in einer Sylbe, und in späteren Uebungen als mehrere Vorlaute oder Nachlaute in einem Wort oder einer Sylbe.

Sind auf diese Weise alle Laute unserer Sprache dem Schü­

ler zum Bewußtseyn gebracht

Lautzeichen

chende der

Unterricht

richtigen

Laute

bei

und hat er sie durch entspre­

(Buchstaben)

diesen

Aussprechen

der

dargestellt,

Uebungen Wörter,

so

im

so

lange,

verweile bis

Aufsuchen

im

der

aus den vorgelegten Wörtern und in der schriftlichen

Darstellung langt hat.

derselben der Schüler

die nöthige Fertigkeit er­

Hierauf treten die sogenannten großen Buchstaben

in den Unterricht.

Bei dieser Uebung

können

schon darauf aufmerksam gemacht werden,

daß

die Kinder

die Namen

von den Dingen immer mit einem solchen Anfangsbuchstaben

geschrieben werden.

Ob der Lehrer nun diese

Namen Na­

menwörter, Hauptwörter, Dingwörter it. benennen will, hängt

von ihm ab.

Daß nun während dieser Uebung mancherlei

Dinge benannt, nachgesprochen, die Wörter aufgelöst in ihre

Sylben und Laute, und nachgeschrieben sind, ist leicht erficht-

109 lich; allein es können auch mancherlei anderweitige Sprech­ übungen vorgenommen werben,

die

sowohl gymnastisch auf

die Sprache, alö den Körper einwirken. mögen dies deutlich machen.

Ein paar Beispiele

Der Lehrer befiehlt: steht auf!

setzt euch! seht rechts! links! zeigt nach Osten! Westen! Nor­

den! Süden! 20.

— Wenn

er diese Commandowörter

an

passende Zeichen knüpft, als durch Aufschlagen mit der Hand, Niederschlagen, seitwärts, rechts, links, durch Rundschlagen u. bergt, unb er die Schüler baran gewöhnt, jedesmal mit der geforderteir Thätigkeit auch die Bedeutung dieser Zeichen aus­

zusprechen : so

schärft dies

nicht nur die Aufmerksamkeit der

Kinder in einem besondern Grade, bringt Leben und Bewe­ gung in den Unterricht, sondern bildet auch die Sprache. Den

bis jetzt verfolgten Gang können Schüler bei täg­

lichem anderthalbstündigem

Unterricht in einem halben Jahr

durchmachen; das Lesen der Druckschrift tritt hinzu und wird,

nachdem das Lesen in Schreibschrift vorhergegangen ist, wenig Schwierigkeit machen. Von jetzt an nimmt die Sprache eine bestimmtere Rich­ tung; denn Denken, Sprechen und Darstellen sollen von jetzt

an mit einander Hand in Hand fortgehen.

aber

aus

dem

Anschauungskreise

der

Alles dieses wird

Schüler

genommen

und soll wiederum die Grundbasis für den immer im Steigen

begriffenen hohem Unterricht seyn. daß

der Schüler riicht

Er soll möglichst verhüten,

maincherlei Begriffswörter aufnimmt,

mit deneir er noch gar keinen Inhalt bekommt.

Das HauS,

die Abtheilungen des Hanfies, die Gegenstände in den verschiedenm Räumen muß der Schüler benennen und nach der

Uebung wieder aufschreiben.

Ein paar praktische Fingerzeigen

mögen genügen dies deutlicher zu machen:

110 Lehrer.

Welche Dinge siehst du in deiner Wohnstube

Anton? Anton.

In der Wohnstube sehe ich:

Stühle, Tische,

Spiegel, Uhren rc.

L.

Anton hat immer mehrere Dinge derselben Art ge­

nannt, nenne du nur jedesmal eins dieser Dinge Georg! — In solcher Weise werden die Dinge in der Stube, der

Küche,

der Kammer, im Keller ic. von den Kindern in der

Ein- und Mehrzahl benannt und nach der

Uebung werden

die Namen der Gegenstände auf die Schiefertafel geschrieben, wobei der Lehrer von der Wandtafel aus vorläufig noch im­

mer Hülfe leisten muß.

Vom Hause aus verbreitet sich dann

der UnterrichtSgegenstaud über die übrigen Gebäude und das, was sie enthalten, und geht dann in fröhlicher Weise durch Garten, Feld, Wiese, Wald, Berg, Thal u. s. w. weiter vor­

wärts.

ES ist leicht ersichtlich, daß die Schüler durch didsen

Unterricht hundert, ja tausend Gegenstände benennen und auf­

schreiben werden, und da eS Gegenstände ihrer eigenen An­ schauung sind, so haben die Namen der Dinge für sie einen Inhalt und die Begriffsbildung, wenn auch noch in ihrer nie­

drigsten Potenz, nimmt damit schon ih:en Anfang.

Zugleich

wird sich bei diesem Unterricht vielfach die Gelegenheit finden,

auf Gattungen und Arten der Gegenstände hinzuweisen, z. B. L. Du hast gesagt K.,

daß Bäume tt deinem Garten sind,

waS für Bäume sind denn das?

Du L. nanntest Sträucher

aus dem Garten, was für Sträucher kennst denn du?

Du

A. nanntest Kräuter, so nenne mir den» d>ie besondern Kräu­

ter in dem Garten deines Vaters, rc.

Sehr gut wäre es,

wenn auch zuweilen

der

Lehrer

Schule hielte unter freiem Himmel, ich meine so, daß er mit

einigen Schülern spazieren ginge, und sie so auf mancherlei

111 Gegenstände aufmerksam machte, die sie früher noch nicht ge­ nugsam betrachtet hätten.

An einem Teiche oder See könnten

so die Anschauungen und Benennungen für Ausbiegung, Ein­

biegung, Ufer, Strand, Wellen, Halbinsel, Insel, Busen, Erd­ zunge ic. angeschaut und aufgefaßt werden. Natürlich will ich

durch dies eine Beispiel auf viele ähnliche Hinweisen. — Wenn so die äußere Umgebung ausgenommen ist, so wendet sich der

den

Unterricht

Thätigkeiten

menschlichen Thätigkeiten

selbst noch nicht in

zu,

obgleich

diese

Betracht kommen, sondem

nur die Gegenstände, auf welche sich die Thätigkeiten hinrich­ ten und welche Personen besonders dabei thätig sind, z. B. Welche Dinge werden

gemacht aus Leder, Holz, Knochen,

Horn, Gold, Silber, Eisen, Kupfer re., Leinewand, Hanf,

Wolle ic.? — Schneider,

Welche Gegenstände verfertigt der Schuster,

Tischler,

Drechsler,

Zimmermann,

Stellmacher,

Seiler, Weber, Strumpfwirker, Handschuhmacher ic.? Das Feld der Industrie ist groß.

Die Schüler haben

aus demselben sehr viele Gegenstände angeschaut und fast muß

sich der Lehrer hüten, auf diesem Felde seine Schüler nicht z« weit herum zu führen.

Ob die Schüler der Stadt oder dem

Lande angehören, steht hier bei dem Mehr oder Weniger sehr in Frage.

Daß endlich auch der menschliche Körper, in soweit

er der Anschauung vopliegt, für unsere Sprachbildung reichli­ chen Stoff liefert, kann» man am besten auS: „Pestalozzi'S Buch der Mütter" kemnen lernen.

Doch muß man sich hüten,

dem verdienten Schweizer in der Ausführlichkeit nachzuahmen. Es leuchtet von seelbst ein, daß durch die Benennung so vieler Dinge, welche dsie Kinder angeschaut haben und durch daS Aufschreiben aller dieser Namen die Vorstellungskraft, die

Erinnerungskraft, daS Gedächtniß und durch die Unter- und Ueberordnung der Dinge und der höhern oder niedem Be-

112 griffe auch der Verstand an Bildung muß zugenommen ha­

ben.

In gleichem Grade hat sich die Sprache gebildet, so­

wohl waö die Tonseite derselben betrifft, als die logische Seite.

Für die Grammatik haben die Kinder nicht allein das Sub­

stantiv in seiner wahren eigenthümlichen Bedeutung und dessen

Schreibart aufgefaßt, sondern auch den bestimmten und un­ bestimmten Artikel, sowohl im Singular als Plural. Den angedeuteten Sprachkreis werden die Kinder etwa

in einem Jahr zurück legen und der Unterricht kann eine hö­

here Stufe betreten.

Der prädikative Satz in seiner einfach­

sten Gestaltung tritt auf die Frage: a) waö für ein Ding

ist der Gegenstand?

und

c) was

b) wie ist der Gegenstand

thut der Gegenstand? — in

beschaffen?

den Unterricht.

Das Vorhandene ist die Grundlage des Folgenden; ein Bei­

spiel mag dies erläutern.

L. Wie nennt ihr mit einem ge­

meinschaftlichen Namen die Dinge, welche in der Schule ge­

braucht werden? L. Nenne ein Ding, waö

ein Schulgeräth

ist? L. Du sagst der Tisch ist ein Schulgeräth; kannst du das

auch von mehreren

Tischen sagen?

L. Wie nennst du die

Feder, welche zum Schreiben dient? L. Wie nennst du aber Feder und Bleistifte, die zum Schreiben dienen? Nachdem diese Sprachübung an dem schon im Unterricht

Vorgekommenen

eine Zeitlang

geübt worden ist,

wird

der

Schüler darauf hingeführt, daß er sich in jedem Satze zwei

Gegenstände vorstellen muß, daß er von dem einen Gegen­

stände die Unterordnung

unter

einen

zweiten aussagt

und

daß man den ersten Gegenstand das Subject, den allgemeinen

das Prädicat, und ihre Beziehung auf einander die Copula nennt.

Es ist natürlich, daß der Lehrer diese Satztheile mit

deutschen Namen nenne.

Ob er sie aber Grundwort, Band­

wort und Ausgesagtes nennen wolle, das kommt auf ihn an.

113 Nöthig ist es aber, daß die bezeichnete Uebung sich über die meisten früher vergekommenen Lectionen wieder verbreite. Fol­

gende Sätze, die der Schuler unter Leitung des Lehrers bil­

den muß,

mögen hier als Beispiel dienen: der Dreiling ist

eine Kupfermünze, der Sechöling ist eine Kupfermünze. Drei­

ling und Sechsling sind Kupfermünzen. eine Silbcrmünzc.

Der Schilling ist

TaS Zweidrittelstuck ist eine Silbermünze.

Der Species ist eine Silbcrmünzc.

Schillinge, Zweidrittel­

stücke und SpecieS sind Silbermünzen. Schillinge sind Münzen. —

Dreilinge, Sechslinge,

Sie werden ohne mein Erin­

nern einsehen, m. H., welch' ein weites Feld von Uebungen

sich in dieser Weise dem Unterricht öffnet, und daß leicht ein paar Monate, wenn die Schüler etwa zwei Stunden täglich

in dieser Sprachbildung geübt werden, mit dieser Satzbildung hingehen.

Werden aber diese Sätze immer in gleicher Form ge-

bilvet, so kommt ter Schüler leicht zu der Meinung, als ob das

Subject immer '.mit stehen müsse. Man lasse ihn daher bald

mit der Copula, bald mit dem Prädicat den Anfang macken. In Bezug auf die schriftliche Darstellung dieser Uebun­

gen tritt der Sa; i»n einer vierfachen Form auf, als Erzähl­ satz, Fragesatz, Wuinschsatz und Bcfehlsatz, nach welchen vier Satzarten die ihnen entsprechende Jnterpunction dem Schüler

bekannt gemacht wird. Nach diesen Uebungen kommt das Eigenschaftswort als Prädicat im Satze an die Ordnung.

Schüler die Erkenntniß gewinnen,

Auch hier muß

daß das

Prädicat

allgemeinere Vorstellung bezeichnet, als das Subject.

der

eine

Es ist

dies auch nicht so schwer; denn der Schüler ist durch den vor-

herigen

Unterricht ans

Denken gewöhnt.

Allerdings treten

auch bei diesen Uebungen die

früher gebrauchten Substan­

tiv« wieder in den Unterricht.

Da jedoch der Gesichtskreis

Thaulow,

Seminar.

8

114 I

der Schüler sich erweitert, so werden auch andere Gegenstände

mit hineingezogen. nen,

Es möchte Ihnen etwa schwierig schei­

dem Kinde schon in der zweiten Hälfte des Schuljahrs

das Prädicat in seiner größer» Allgemeinheit als das Sub­

ject

klar zu

Allein das ist nur

machen.

scheinbar.

Der

dem Urtheil zu bringen seyn, daß

Schüler wird immer zu

das Prädicat auf mehrere Dinge paßt, als auf das benannte Subject.

Z. B. du sagst i die Blätter sind grün; paßt das

Prädicat grün nicht

auch auf mehrere Dinge?

Du sagst:

die Rosen sind roth; auf welche andere Dinge kannst du das Prädicat roth anwenden? :c.

Für die Schreibübungen,

die jetzt auch schon für die

häusliche Beschäftigung aufgegeben werden können, sind die

Aufgaben leicht zu stellen;

das Trinkwasser?

Welche

z. B.

welche Eigenschaften hat

Eigenschaften

hat der Schwefel?

die Steinkohlen? Welche Eigenschaften kannst du etwa dem Weg im Sommer — im Winter beilegen? rc. Welche Eigen­ schaften hat ein guter Knecht? Welche Eigenschaften wünschest

du beim Kaufmann zu finden? Auf dieser Stufe der Sprach­ bildung wird das Eigenschaftswort denn auch, nachdem die

prädicative Satzbildung lange genug geübt ist, als Bestimmer des Substantivs (Attribut) geübt, und in Beziehung auf die

Wortbildung lernt der Schüler die bedeutsamsten Endungen der Adjectiva kennen und aus diesm Adjectiven Substantive bilden.

Auf die Frage: was thun die Dinge? tritt das Verbum in den

Unterricht.

Thätigkeitsbegriff auf.

Der Schüler faßt

dieö

durchweg

als

Mit diesem Wort erweitert sich die

SpMchbildung bedeutend.

Auch hier treten dieselbm Gegen­

stände, welche früher der Sprachunterricht behandelte, wieder in ihren besondern Thätigkeiten

hervor.

Den ersten Platz

nehmen die unbezüglichen Thätigkeiten (die Subjectiven) ein.

115 Auch hier komme der Schüler zur Einsicht, daß das Prädi­ cat einen allgemeineren Begriff ausdrückt, als das Subject.

Bei Anführung der Personcnthätigkeiten treten die persönlichen

Fürwörter im Singular und Plural mit in den Unterricht. Auch das Zeitverhältniß im Sahe lernt der Schüler kennen,

aber nur in den einfachen Beziehungen, als Gegenwart, Ver­ gangenheit und Zukunft.

Für

Stufe reichen Stoff durch

die Wortbildung giebt diese

die Participia und Substantiv«,

die am besten gleich als Attribute in der Sahbildung mit her­

vortreten, und den Sätzen eine concretere Bedeutung geben; z. B. die Sonne scheint.

Die

scheinende Sonne erwärmt.

Das Scheinen der Sonne erwärmt.

Das Kind schläft.

Der

Schlaf des Kindes ist ruhig rc. — Den attributivischen Ge­

nitiv faßt der Schüler auf die Frage: „wessen?" auf.

Na­

türlich darf der Lehrer bei diesen Uebungen nicht so ängstlich

darnach fragen, ob auch Wortarten und Satztheile im Satze

vom Schüler gebraucht werden, die bisher im Unterricht noch nicht vorgekommen sind.

Vielmehr fordert der bildende Sprach­

unterricht, daß die Sprache erst ein Können wird, bevor sie sich zum Wissen erhebt.

Die bezüglichen (objectiven) Verben

werden in der Satzbildung zuerst durch den Accusativ ergänzt.

Hier heißt eö besonders: „Eile mit Weile."

Der Schüler

lernt diesen Ergänzungsfall kennen auf die Frage:

„wohin

wirkt daö Subjekt mit seiner Thätigkeit?" Zur Einsicht in dieses Satzverhältniß kommt er am besten dadurch, daß man

ihm das Subject in seiner Thätigkeit vorführt und der Schü­ ler die Ergänzung der Thätigkeit selbst suchen muß;

z. B.

wenn ich dir sage, der Tischler macht, was wünschst du denn noch wohl zu wissen? Oder wenn ich dir sage, der Zimmer­

mann behaut, wonach wirst du denn wohl fragen?

Steh',

macht — behaut — sind zwei Thätigkeiten, die noch den

8*

Satz unvollständig

lassen,

die also noch

einen Gegenstand

fordern, wodurch der Gedanke voller, ganzer wird, und diesen Gegenstand im Satze nennen wir die Ergänzung.

Allerdings müssen diese Auseinandersetzungen so fortgesetzt werden, bis die Sache dem Schüler klar ist.

lange

Er

faßt diesen Verhältnißfall auf unter den Fragen: „auf wen,

oder auf was wird die Thätigkeit hingehen?" wo der Lehrer denn diesem Vcrhältnißfall einen festen Namen giebt. genügsamer Einübung

nachher

bei

den

dieses Falles

Nach

wird sowohl hier, als

der Artikel in seiner

andern Fallübungen

Eigenthümlichkeit vorgeführt. Den Dativ lernt der Schüler als denjenigen Verhältniß­ fall kennen, in dem das Subject für einen Gegenstand, zum

Vortheil oder zum Schaden desselben wirkt. sten mit dem Accusativ

in

Verbindung.

Er tritt am be­

Am schwersten ist

die Fassung des Genitivs, und schwerlich wird der Schüler,

den ich mir jetzt in der ersten Hälfte des dritten Schuljahrs

denke, den Genitivsgegenstand als Ursache zur Hervorrufung

der Thätigkeit im Subject

auffassen

können.

Doch einige

Verba liegen nahe und diese müssen besonders benutzt werden,

z. B. Karl schämt sich seines Kleides.

Woher kommt die

Scham? Was ist also Ursache der Scham? Und wenn daS Kleid die Ursache der Scham ist, was mußt du denn als

Wirkung ansehen? Nun sieh', diesen Ergänzungsfall, in dem ein Gegenstand das Subject veranlaßt etwas zu thun, nennen wir den Wessenfall (Genitiv).

Nachdem nun alle Verhältnißfälle

durchgegangen

sind,

wird ein DeclinationS-Schema des bestimmten und unbestimm­ ten Artikels für die drei Sprachgeschlechter in der Ein- und

Mehrzahl an der Wandtafel aufgestellt und in Verbindung mit Substantiven

eingeübt.

Eben so

wird das

persönliche

117

Fürwort in allen Leihältnißfällen erst prakliseb eingeübt, dann von demselben ein Deelinations-Schema aufgestellt, damit man in den künftigen Zergliederungen der Latztheile auf diese Schemata wieder zuiückwcisen kann. Da die Schüler jetzt auch ;u einer ziemlichen Lesefertig­ keit gekommen seyn werden, so knüpft sich auch die Sprach­ bildung em die Leseübuug an. Dies übt den Schüler ganz

außerordentlich; denn indem in ven Sätzen der Lesestücke eine

Mannigfaltigkeit vorkommt und der Schüler aufgefordert wird, bestimmte einzelne Satztheilc aus dem Mannigfaltigen abzu­ sondern, so wird seine Aufmerksamkeit erhöht, sein Nachdenken gesteigert und seine Kenntniß von der Sprache erhöht. Der Lehrer darf dabei scheinbar nur wenig thätig seyn. Nachdem das Lesestück gelesen und nach seinem logischen Inhalt gefaßt ist, der Lehrer also die Sinneserklärung jedesmal hat voraus­ gehen lassen, so folgt die grammatische Uebung, die theils auf die grammatische Wortbedeutung, theils auf die Satzanalyse sich erstreckt. So kann dasselbe Lesestück von den Schülern

vielleicht sechs bis ackht Mal gelesen werden und beim jedes­ maligen Lesen tritt «eine veränderte Uebung heraus; z. B. folgende und ähnliche Aufgaben können gestellt werden: 1) Jeder Schüler, der zum Lesen aufgcrufen wird, soll aus je­ dem Satze die Haupt- und Fürwörter angeben. 2) Jeder lesende Schüler soll aus jedem Satze die Eigenschaftswörter und Mittelwörter angeben. 3) Aus jedem gelesenen Satze soll der lesemde Schüler die Ergänzung durch den Dativ und Accusativ aufsuchen, und die Gründe angcben, warum diese

Verhältnißfälle gesetzt sind. In den Schreibübungen, die sich nun nach und nach zu wirklichen Stylübungcn hcranbildcn, benutze man immer

die vorgekommenc im mündlichen Unterricht behandelte Mate-

118 rie. In den sittlichen Thätigkeitsverhältnissen werden besonders die Modusverba: können, mögen, dürfen, müssen, sollen, wol­

len, lassen, —

angewendet.

Einen neuen Zuwachs "erhält

die Sprachbildung durch die adverbialen Bestimmungen ver­ mittelst der Adverbien und Präpositionen. Diese Bestimmungen

werden aufgefaßt auf die Fragen nach Ort, Zeit, Weise und Grund.

Bei den Ortsbestimmungen bestimmen die Schüler

die Thätigkei't auf die Fragen wo? woher? und wohin? Bei

den Zeitbestimmungen auf die Fragen: wann? und wie lange? Bei der Weisebestimmung auf die Fragen: wie? wie oft? mit

welcher Kraft? ic.

Bei der Grundbestimmung auf die Fra­

gen: warum, weshalb? weswegen? aus welcher Ursache? zu

welchem Zweck?

Die Präpositionen werden auswendig ge­

lernt und theils an der schon früher vorgekommenen Materie,

theils an der hinzugekommenen neuen, theils auch in den Le­

sestunden bis zur möglichsten Fertigkeit eingeübt.

Ist diese Stufe zurückgelegt, so ist für die Sprachbildung

dermaßen ein weiteres Feld gewonnen, daß sowohl die münd-lichen, als schriftlichen Uebungen sich der Darstellung im Auf­ satz nähern und an den realen Dingen sich als Beschreibung

und in den Thätigkeiten der Menschen sich alö Geschichtchen darstellen

ler

Zur Verdeutlichung des Gesagten wird der Schü­

bei einiger Leitung des Lehrers, etwa vom „Krug" leicht

folgende Beschreibung beibringen Gefäß.

Er hat einen

Der Krug ist ein irdenes

weiten Bauch und gewöhnlich einen

engen Hals.

Er kann verstöpselt werden, damit man sowohl

den Zugang

der Luft, alö Unreinigkeiten von

entfernt hält.

dem Inhalt

Zum Anfassen hat er einen Henkel und zum

Stehen einen platten Boden.

Er ist vom Töpfer aus Lehm

oder Thon gemacht und von Innen und zuweilen auch vdn

Außen glasurt,

damit die Feuchtigkeit nicht hindurch fliessd.

119 Der Krug ist im Feuer hart gebrannt.

Er kann durch Ste­

hen oder Werken leicht zerstört werden re. Sie werden mir zugestehen,

daß der Schüler,

der den

biö jept angedeuteten Gang mit Sorgfall durebgemacht hat, im dritten Schuljahr diese und ähnliche Beschreibungen wird an-

fertigen können.

Ich muß befürchten, Ihre Geduld zu ermüden,

wenn ich auch nach Geschiehtchen aus

berühren.

srcicn Thätigkeit

der

Allein Eins muß ich noch

Vun Personen auftischen wollte.

Es ist nämlich sehr sprachbildend, wenn der Schü­

ler in dem einfachen Satze narb und nach mehrere Satztheile

atlfnehmen

und

diese

auf verschiedene Weise

muß.

versetzen

Hiervon muß ich noch ein Beispiel geben: L. Ergänze folgen­

den Satz:

Der Kaufmann

verkauft die Waare.

die Waare.

L.

L.

Sch.

den Dativ hinzu.

verkauft.

Du A

Der Kaufmann

setze die Ergänzung

durch

Der Kaufmann verkauft der Dame

Setze du B. eine Bestimmung deS Subjects

durch den Geiritiv hinzu.

Sch.

verfällst der Dame die Waare.

Der Kaufmann der

L.

dachten Satz das Prädikat voran.

mann

Sch.

D.

Stadt

Stelle dll im vorge­

Verfällst der Kauf-

Sch.

der Stadt der Dame die Waare?

V.

Füge du E.

eine Orts- und Zeitbestimmung hinzu und setze die Ergänzung

im Accusativ voran.

Sch.

Die Waare verkauft der Kauf-

manu der Stadt in seinem Laden der Dame am späten Abend L.

F. Füge du

noch

eine Bestimmung der Weise und

des

Grruldes hinzu, nnb stelle die Bestimmung des GrruldeS vor­ an.

Sch.

Alls

Gewinnsucht

verkauft

der

Kaufmann

der

Stadt der Dame mit Freundlichkeit in seinem Laden die Waare*w.

Wenn der

zurückgelegt hat,

Sprachuntelricht

diesen

angedeuteten

welches etwa ilach Zurücklcgung des dritten

Jahres geschehen seyn kann,

so ist eS rathsam,

das

eine

Gebiet

Weg

seiner

Sprache

lieb er sicht

daß er über

gewinne.

Der

120

i

Lehrer fängt also an, nach und nach eine systematische Ueber­ sicht dem Schüler zu ertheilen. so,

Dies geschieht auch am besten

daß sich diese bei den praktischen Uebungen Herausstellen.

Der Schüler lernt also einsehen, daß z. B. das Subject nur durch Substantiv« und deren Stellvertreter,

oder doch durch

Wortarten, die deren Bedeutung angenommen haben,

ausge­

drückt werden, daß das Prädikat nur seyn kann ein Substan­ tiv, Adjectiv oder Verbum; daß der Numerus ausgedrückt wird,

theils durch den Artikel, theils durch die Endung, theils durch

die Numeralia u. s. f. Sprachbildung Rücksicht

Von jetzt an nimmt denn die

auf den zusammengesetzten Satz und zwar 1) auf die coordi-

nirten, und 2) auf die subordinirten.

Da aber dem Schüler

überall nicht gedient ist mit einer bloß formellen Sprachbildung, sondern diese durch dm jedesmal passendsten Stoff gehaltvoll und lebendig gemacht werden soll,

passendste Materie gewählt werden.

so muß auch hierfür die

DaS grammatische Ele­

ment muß daher in den Uebungen nicht vorherrschen, und der

Lehrer darf den Sprachftoff nicht bald hierher, bald daher ho­ len,

sondern die successiv erstiegene Bildungsstufe

denselben an die Hand.

giebt ihm

Da der Schüler von der einfachen

Anschauung der Naturgegenstände bis zur Auffassung von de­

ren Merkmalen, Thätigkeiten, Verhältnissen ic. hingeführt worden

ist, so wird in der weiteren Ausführung dieses Grundes und in dem weitern Ausbau dieser ersten Denkelemente die Natur­

geschichte, Naturlehre, Geographie, biblische Geschichte, für die wettere Sprachbildung das Material hergeben, können.

Dies

muß denn der Lehrer auch sorgfältig benutzen und ja beden­

ken,

daß

die grammatische Seite in der Sprachbildung eine

untergeordnete sey.

Auch

auf dieser

Stufe

muß das Können dem Ken-

121

nen vorangehen. Bei der Satzverbindung werden die Schüler besonders aufmerksam gemacht auf die Bindewörter, die nach und nach gesammelt, ausgeschrieben und später geordnet werden. Sie werden dann sämmtlich eingetheilt werden können in zu­ sammenstellende, begründende, aufhebende und beschränkende Bindewörter. Ich erlaube mir noch einmal zn erinnern, daß besonders die Lesestunde auch hier das Ihrige thun müsse. Daß dieselben Bindewörter auch bei den zusammengezogenen Sätzen angewendet werden, wird der Schüler bald einsehen. Sie^sönnten vielleicht der Meinung seyn, daß der Stoff sich nicht immer, sowohl der logischen, als grammatischen Forde­ rung fügen werde. Dies hinge aber doch wohl nur von der Unfähigkeil des Lehrers ab. Folgendes Beispiel, in dem ich nur zusammenstellende und begründende Bindewörter ge­ brauchen werde, möge als Beweis dienen. Das Salz. Das Salz wird theils aus dem Meere, theils durch die Salzquellen, theils durch die Salzsteinbrüche gewonnen. Es ist ein unentbehrliches Gewürz und dient sowohl zum Salzen der Speisen, zum Einpöckeln des Fleisches, als auch zur Auf­ bewahrung mancherlei Gartengewächse. Es giebt sowohl feines als grobes Salz. Bei Gewinnung des Seesalzes leitet man erstlich das Seewasser in flache Behälter, läßt es dann durch die Sonne verdunsten und verdampft endlich die letzte Feuch­ tigkeit in großen Kesseln, in denen dann das Salz sich krystallisirt ansetzt. Das salze Wasser aus den Salzquellen pflegt man über einen Haufen gedörrten, harten Busch zu sprengen. Daselbst setzen sich die Tropfen an und verdunsten von der Lust. Daher hat man bei den Salzquellen (Salinen) vielen Busch nöthig. Salzquellen sind ein Segen fürs Land, folglich

sehr

wünschenswcrtb.

alten

Die

Deutschen

führten

daher

über beit Besitz von Salzquellen oft Krieg ic. In dieser Weise werben die Bindewörter sämmlich

be­

handelt und dem Schüler in Sätzen zum Bewußtseyn gebracht.

Es ist nicht gesagt, daß der Lehrer in seinem Unterricht und der Schüler in seinen Ausarbeitungen sich auf dieser Bildungs­

stufe

keiner

subordinirten

Sätze

bedienen

solle;

geht auch hier das Können dem Kennen voran.

vielmehr

Nur davon

ist die Rede, daß jederzeit Eins fest ins Auge gefaßt und bis

zur Fertigkeit eingeübt werde. der

vorhergehenden

Jede folgende Stufe muß aus

ihre Begründung

Zur

finden.

deutli­

chen Einsicht und zur praktischen Fertigkeit werden die Schüler

daö in Rede Stehende im vierten Schuljahr bringen können. Allerdings wird es nöthig seyn, daß das früher im Unterricht Borgekommene

werde.

fleißig

wiederholt

und

unvergeßlich

gemacht

Ohne mein Erinnern wird es Ihnen schon eingefallen

seyn, daß der ganze Realunterricht auf dieser Stufe den Stoff

für die Aufsätze hergeben könne, und daß die Pcrsonenverhältniffe zu Briefen und sonstigen kleinen Aufsätzen Materie in

Menge darbieten.

Die subordinirten Sätze ergeben sich aus den Satztheilen der Hauptsätze.

Der Schüler gelangt daher

auch am besten

zur Einsicht derselben, wenn ihm erst die Hauptsätze vorgesührt werden unb man dann die Nebensätze durch die

aus

Hauptsatze weggenommenen Satztheile Sätze bilden läßt.

dem Wir

theilen die Nebensätze ein in Substantivsätze, (Subjektiv- und

Objectivsätze); in Attributivsähe und Adverbialsätze. geht wieder das Können dem Kennen voran.

muß daher erst eine Menge Sätze bilden der Ausdrucksform gelangt seyn,

Auch hier

Der Schüler

und zur Fertigkeit

bevor er daö grammatische

Sprachgesetz auöspricht: z.B. daö freundliche Grüßen ist unter uns

123 Sitte — daß man sich freundlich grüße (Subjectivsatz) ist un­ ter uns Sittte.

Ich bemerkte deinen freundlichen Gruß — ich

bemerkte, daß du freundlich grüßtest (Objectivsatz).

Der blut­

dürstige Tiger zerreißt Menschen und Thiere — der Tiger,

welcher blutdürstig ist (Attributivsatz), zerreißt Menschen und Thiere.

Der

Tiger zerreißt

aus

Blutdurst Menschen

Thiere. — der Tiger zerreißt Menschen und Thiere, weil

und er

blutdürstig ist (Adverbialsatz).

Wenn der Schüler die Einsicht erlangt hat, daß die Ne­ bensätze aus den Satztheilen der Hauptsätze hervorgehen, und

er jedesmal angeben kann, aus welchen Theilen, und was es

demnach für Nebensätze

sind;

so wendet

sich

der Unterricht

wieder dem Besondern zu nnd der Schüler muß das Eigen­

thümliche einer jeden Satzart der Nebensätze bestimmt angeben können

und

die besonderen

Sätze sammeln und ordnen.

Bindewörter

der

subordinirten

Bei den Attributivsätzen treten

die Pronomina demonstrativ« und relativ« als besondere her­ vor; der Schüler lernt die Fallendung derselben kennen,

und

das Relativpronom als vorzüglichstes Bindewort zu den Attri­

butivsätzen bemerken.

Eine besonders sorgfältige Behandlung

verdienen diejenigen Adverbialsätze, welche grundangebend sind,

indem sie in einem besonderen Grade die Denkkraft der Schü­ ler in Anspruch nehmen.

Der Schüler lernt diese grundange-

benden Adverbialsätze als solche kennen, die theils den realen, theils den logischen, theils den moralischen Grund enthalten

können.

Der Lehrer kann

sich für die Darstellung

allerlei

Kunstgriffe bedienen, und wer von den gegenwärtigen Herren diese zu kennen Lust hat, den verweise ich auf meine „Elemen­ tarische Sprachschule für Kinder der oberen Classen der Volks­

schulen in Städten und auf dem Lande."

3te Stufe: „Satz­

lehre." Auf dieser Stufe wird denn auch eine vollständige Eon-

124

jugationsform aufgestellt und eingeübt; viel Zeit darf indeß hierauf nicht verwendet werden. Daö Conjugiren gehört für den deutsch Geborenen und deutsch Sprechenden zur Ne­ bensache. Das Wichtigste dabei ist, daß die Schüler in denjenigen Objectivsatzen, die im Hauptsatz sich auf ein Meinen, Glauben, für Wahrhalten beziehen ic., oder die den Ausdruck Anderer anführen, den Conjunctiv setzen und daß sie die beziehlichen Zeiten richtig verbinden. Uebung und Einsicht verhilft hier allein zum Richtigen, und nicht die Con­ jugationsformen, auf welche nur höchstens zurückgewiesen wer­ den kann. Die Verkürzung-^ der Nebensätze wird an Beispielen gezeigt und nachgeahmt. Der Schüler muß angeben, was aus den Nebensätzen wegbleiben kann und was nicht. Er wird bald auf Nebensätze stoßen, die sich nicht verkürzen lassen. Hier ist es wichtig den Grund anzugeben, warum solche nicht verkürzt werden können. Mit diesen Uebungen, die immer das Vorhergehende mit einschließen, so weit es nöthig ist, um das Nachfolgende im­ mer auf dem vorher deutlich Erkannten und zum Eigenthum Gewordenen aufzubauen, geht ein bedeutender Theil der letzten Schuljahre hin, besonders wenn Sie erwägen wollen, daß diese grammatischen Uebungen mit der logischen Sprachbildung in Verbindung treten und eine nachfolgende seyn soll, daß beide aus dem jedesmal vorhandenen Unterrichtsstoff, möge dieser ein realer, ethischer oder religiöser seyn, hervorgehen solleir. Keine dieser Uebungen soll sich isolirt vom vorhergehenden Unterricht herausstellen, sondern vielmehr soll der Schulunter­ richt einem organischen Körper gleichen, in dem immer ein Or­ gan für das andere da ist. Jeder höhere Unterricht soll aus einem vorhergehenden, der begrifflich niedriger steht, als natür­ liche Folge eines erhöhten Denkprocesses, aber natürlich gehalt-

125 voll durch die zu Grunde liegende Materie, hervorgehen.

Die

Materie ist also bei einer solchen Sprachbildung nicht gleich­

gültig, als ob man eben so gut erst sprechen könnte vom Theestrauch

als vom Wachholderstrauch unserer Gegend; viel­

in China,

mehr heißt hier die strenge Unterrichtsregel: „Nimm zuerst das das Nahe, Bekannte, Angeschaute und spater wird das Unbekannte an

das Bekannte angeknüpft und mit demselben verglichen." Das

Unterrichtsmaterial ist auf dieser Stufe groß und der Lehrer

muß sich zusammennehmen, daß er hier lieber von wenigen Sa­ chen Viel, als von vielen Weniges behandle.

Immer aber

führe er seinen Unterricht möglichst wieder auf Grundanschauun-

Hat er z. B. Pflanzenkunde, so nehme er entwe­

gen zurück.

der diese Pflanzen selbst mit in die Schule, oder auch, was noch

besser ist — er zeige solche Pflanzen, wenn sie nur in der Umge­

gend in hinreichender Menge wachsen, den Schülern vorher vor,

und lasse sie Eremplare davon mit in die Unterrichtsstunde brin­ gen.

Die Pflanze werde dann von der Wurzel bis zur Blumen­

krone betrachtet und

besprochen.

Die

technischen Ausdrücke:

Haarwurzel, Seitenwurzel, Pfahlwurzel, Hauptwurzel, Neben­ wurzel, Wurzelfasern; — röhrenförmig, cvlinderförmig, walzenför­ mig, prismatisch, viereckig, scharfkantig rc., herzförmig, schwert­

förmig, lanzetförmig rc. — werden an den Pflanzen bespro­ chen und bei den technischen Ausdrücken wird auf die verglichne

Sache mit der

vorliegenden

hingcwiesen.

Nachdem

so

die

ganze Pflanze vom Lehrer mündlich behandelt ist, fasse er das

Gespräch

in

einen

zusammenhängendeil

Vortrag

zusammen

und lasse es dann auch von einem Schüler vortragen.

Auch

kann dann und wann der Vortrag dein Schüler zugemuthet

werden, und der Lehrer ist dann nach dem Vortrage nur der

Corrector.

Hieralls ist mm der Stoff zu nehmen, sowohl für

die grammatische, als für die ftylistische Uebung.

126 Das Letzte wäre nun noch die Belehrung über den Pe­ riodenbau.

Allein ich habe gefunden, daß künstlich verschlun­

gene, etwa fünf- und sechsgliedrige Perioden, namentlich wenn

die Vordersätze der Periode mit den Nachsätzen in einer Art

von Proportion stehen, oder in einer Art Quertheilung, die Schü­ ler solche

künstlich verschlungene Denk-

und

Sprachproducte

nicht fassen können, und daß jede Nachbildung derselben ge­

wöhnlich etwas Unnatürliches ist.

Man begnüge sich daher

damit, solche Perioden zu zerlegen, die Vorder- und Nachsätze nach ihrem logischen und grammatischen Gehalt anzugeben und

den etwanigen Sinn solcher Perioden in mehreren Sätzen aus­

sprechen zu lassen. Dass die Lehre von der Jnterpunction erst vollständig beim

zusammengesetzten Satz abgehandelt werden kann, ist eine Be­ merkung, die ich hier zuletzt wohl kaum mehr hätte hinzufügcn

Es ist wohl möglich, daß ich im Verhältniß zur er­

dürfen.

sten Hälfte die letzte Hälfte meines Vortrags zu kurz abgeser-

tigt habe.

Aber eineStheilS wird Ihnen die letztere Hälfte schon

bekanntere

Gegenstände vorgcführt

haben,

fürchtete ich auch langweilig zu werden.

inniger Wunsch,

daß

ich

in

und anderntheils

Nur das war mein

diesem Vortrage Ihnen zeigen

wollte: „eö müsse der ganze Unterricht eine Einheit haben."

Der formelle Zweck der Bildung kann nicht ohne den mate­ riellen erreicht werden, noch soll dieser es auf Kosten von je­

nem

Theile

Als ein gegliederter, wohlgebauter Körper, in dem alle

organisch

verbunden sind, wo Ein Glied immer für-

alle, rmd alle Glieder für das Eine wirken, soll sich das Unterrichts­

material darstellen,

und die Unterrichtsidee, die diesen Körper

durchdringt und belebt, soll ihn für die formelle Bildung des

Menschen dienstbar machen.

Das Hin- und Hertappen im

Unterrichtsmaterial ist ein Beweis,

daß die Einheit verloren

127 ist, und Zerrissenheit und Verwirrung ist die Felge,

lind hat

aller Unterricht die Aufgabe, den Menschen ui versittlichen, so kann diese Versitllichung nur dlirch die richtige Zusammenfas-

sung deS Mannigfaltigen in

eine Einheit nach

den Gesehen

des sich bildenden McnschengeisteS realisirt werden.

Schule also,

In einer

wo der Lehrer nicht weiß, woher er den Stoff

für die Sprachbildung und für die schriftlichen Uebungen neh­

men solle, ist schon die Einheit des Unterrichts verloren, ist man schon allf dem Wege der Verwirrung und Zerstückelung.

Diese

Verwirrung muß aber aufhören, und eS ist die erste Aufgabe der Schule, nach der Forderung der Erziehungsidee, Einheit in

den Unterricht 511 bringen. Gerne möchte ich Ihnen nun noch nachweisen, daß eine solche

Unterrichtsidee schon praktisch bearbeitet in irgend einer Schrift uns gegeben wäre.

wünschen.

Allein hier bleibt immer noch Manches zu

Am nächsten sind der Idee gekommen: 1) Graser in

seiner Elementarschule

fürs Leben.

neunzehnten Jahrhunderts. sten Schuljahren,

2) Der Schullehrer des

3) Wurst, in seinen beiden er­

der uns aber noch nicht das Material für

die letzten Schuljahre geliefert hat.

Fast alle übrigen Schrift­

steller auf diesem Felde, die ich kenne, sind mehr oder minder

glückliche Nachahmer.

tvas ist die Aufgabe des Hauslehrers und wie hat er diese ;u realisiren? Vortrag von B.

Fragt es sich um die Aufgabe des Hauslehrers, so ist

es ein Doppeltes, was uns zuvörderst vor Augen tritt und

in dem Worte Hauslehrer beschlossen

liegt.

Trennen wir

dieses Wort ganz äußerlich, so haben wir die beiden Begriffe „HauS" und „Lehrer"; durch ihre Verbindung aber zu einem Worte ist gegeben, daß wir das erste nur in seiner Be­ ziehung auf das zweite, wie das zweite in seiner nähern Be­

stimmtheit durch das erste zu betrachten haben.

Ist aber daS

Einende dieser Zweiheit der Begriff der Erziehung, indem ja

daS Haus nicht in dieser oder jener Beziehung, sondern grade

in Hinsicht auf die

Erziehung und ebenso die Erziehung

grade als häusliche sich unS darstellt, so kommt doch, je nachdem das erste oder das zweite betont wird, ein Doppeltes

zum Vorschein:

die Erziehung, sofern sie eine häusliche ist,

und sich dadurch von jeder anderen Erziehung unterscheidet; rind das HauS, sofern es ein erziehendes ist und dadurch von

jeder anderen Aufgabe, die das Haus ebenfalls hat, verschie­ den ist.

Könnte es hiernach zwar scheinen, als hätten wir

12 f)

die Grenzen unserer Aufgabe zu weil gesteckt, indem ja die häusliche Erziehung im Allgemeinen an gedeutet sey, nicht aber die specielle Thätigkeit bcS Hauslehrers, so muß dagegen vor­ läufig bemerkt werden, das, dies eineötheils allerdings richtig ist, anderntheils aber doch nur scheinbar so ist, indem ja doch die erziehende Thätigkeit deS Hauslehrers mit der erziehenden Thätigkeit des Hauseö zusammenfallen muß und eine Thätig­ keit deS Hauslehrers, die nebelt jener herginge, oder etwas außerhalb des Gebietes der häuslichen Erziehung über­ haupt Fallendes bezwecken sollte, allerdings nicht zu statuiren ist. Wir werden daher berechtigt seyn, nach jenem eben aus­ gestellten Kanon zll verfahren bei der Behandlung unserer Aufgabe. Den nächsten Beruf und die natürlichste Verpflichtung zur Erziehung des Kindes haben ohne Zweifel die Eltern. Muß schon daö Reis, soll anders ein edler Baum aus ihm werden von gradem Stamm ruid schön sich wölbender Krone, früh des kunstgerechten Gärtners Hand anvertraut werden, damit er jede Krümmung zurechtbiege, jeden entstellenden Aus­ wuchs wegschneide, so muß auch das Kind von Anfang seines Lebens an unter der mit Liebe ziehenden, mit Liebe strafenden Hand der Eltern heranwachsen. Steht doch das Kind noch in so unmittelbarer Einheit mit den Eltern, lebt es doch so ganz in der Substanz des elterlichen Hauses, daß es, ehe es aus der dunklen Verworrenheit der Kindheit zum klareren Selbstbewußtseyn erwacht ist, gleichsam nur nach ahmt, was es von den Eltern sieht, und daß die Eindrücke, die aus der geistigen Atmosphäre, in der es lebt, ihm zugehen, sich un­ bewußt in dem Kinde festsetzen und so die Basis bilden, auf der eine weitere Erziehung fortbauen muß. „Besteht daS Menschenleben überhaupt auS einem ursprünglich bestimmten Thaulcw, Pädagog. Seminar. 9

130

Seyn, einem frei Gewollten und einem durch die Umstände Gewordenen", so muß für das letztere, welches alle Verhält­ nisse und Lagen des Lebens und der Umgebung in sich schließt, diejenige Periode des Menschenlebens von desto größerer Bedeutung seyn, in welcher das Kind noch in der Substanz der Familie lebt, jemehr in derselben noch jeder Ein­ druck, weil nicht mit Freiheit ausgenommen, gewissermaßen mit Naturnothwendigkeit wirkt. Von dieser Periode hängt der Charakter des Menschen ab und was er später durch eigene freie That des Geistes erringen wird, ist bedingt und modifieirt durch die unmittelbare Bestimmtheit aus dieser Pe­ riode. Das Haus, die Familie ist der eigentliche Boden, aus beut das Kind auswachsen muß; denn aus diesem und nur aus diesem können die Gefühle, die schönsten für den Men­ schen, weil die menschlichsten, Elternliebe, Geschwisterliebe, Sinn für Häuslichkeit, in dem Herzen des Kindes feste Wur­ zeln schlagen. Reißt das Kind von dem Herzen der Mutter, von der Hand des Vaters weg und versetzt es in die dumpfe Stickluft der Pensionen, Institute und sonstigen AbrichtungsAnstalten; ihr thut dasselbe als wenn ihr ein Tropengewächs aus seinem heimischen Boden in den kalten Norden verpflanzt. Könnt ihr auch durch Treibhäuser u. d. g. eine kümmerliche Blüthe, eine verkrüppelte Frucht erkünsteln, ihr könnt nicht ein fröhliches und heiteres Gedeihen erzwingen. — Ist nun diese unmittelbare Einheit, dieses gänzliche Ausgehn in die Familie das Naturgemäße für die erste Periode der Kindheit, so soll es doch nicht dabei bleiben; zu dieser indireeten Erziehung durch das Beispiel der Umgebung des elterlichen Hauses und durch das unmittelbare Sichhineinleben in die Anschauung und Gewohnheit des Hauses von Seiten des Kindes, soll die directe Erziehung als Unterricht hinzukommen. Es fragt

131

sich hier: soll auch tiefer veil teil Giieni übernommen wer­ ten? Soll überhaupt das elterliche Hauo die Erziehung vollenden? Tie allerälteste Geschichte kennt, wie es in ter Natur der Sache liegt, nur diese Erziehung; und noch im jütischen Volk, taö doch schon burcb ein gemein «am es Gesetz mit ein gemeinsames Heiligchum zu einem Staate geeint ist, ist doch die Privaterziebung (Spr. 1,S. 4,1 (>. 20. 22,0. 31,1) von Seiten der (Sltern die auosiliesiliche mit erst das spä­ tere Iudenthum hat Ansänge einer gemeinsamen Erziehung auszuweisen; Schulen, die jetoeh nicht tie allgemeine Bildung, sondern nur die Bildung besonderer Stände zu einem be­ stimmten Lebensberus bezweckten (Prophetenschulen und Rabbinenschulen). Erst in Griechenland ist die Idee ter öffentli­ chen Erziehung ausgegangen. Hier und namentlich in Sparta, wo ter (Einzelne sieb nur weiß als Glied des Staats, bildet die öffentliche Erziehung die Basics des Staats und ist in einer solchen Allgemeinheit durchgesührt, wie sie nie wieder in der Gesebiehte vorgekommen ist. Das Kind ist hier ganz dem Einfluß der Familie entzogen und eonsequent von diesem Standtpunkte aus. Tenn wo die Ehe nur angesehen wird als das Institut, wodurch der Staat mit tüchtigen Bürgern versehen wird, wo in dem Knaben nur der künftige Krieger, in dem Mädchen nur die künftige Mutter angesehen wird, da dürfen die zarten innigen Bande, welche den Menschen an Haus und Familie binden, nicht geachtet werden. Aber weil hier das Recht der Subjeetivität nicht geachtet wird, trägt auch dieses Werk den Keim des Todes in sich selber. Erst in der christianisirten Menschheit, worin ebensosehr das Recht der Subjeetivität geachtet, als die Hingabe an das Allge­ meine gefordert ist, konnte die Erziehung eine wahre ih­ rem Begriff entsprechende Gestalt annehmen, und was wir ‘j*

132

vorher von Erziehung finden, kann nur als eine Weissagung auf die vollendete Gestalt, welche das Ehristenthum der Er­ ziehung gab, angesehen werden. Hier aber ist die öffentliche Erziehung unbedingte Forderung und somit tritt die christliche öffentliche Erziehung der jüdischen häuslichen Erziehung ent­ gegen, doch nicht so, daß sie die häusliche ausschließt. Ebenso tritt sie der heidnisch-hellenischen entgegen, indem sie daS Kind nicht der unmittelbaren Einwirkung des elterlichen HauseS entzieht, sondern hierin der Familie ihr Recht angedeihen läßt. Wir müssen also hiernach die oben gestellte Frage: Soll das elterliche Haus die Erziehung allein übernehmen? mit Nein beantworten. Tenn so gewiß an der staatlich und kirchlich organisirten Volksgemeinschaft Jeder alö ein intcgrircnder Theil derselben participirt, so gewiß ist auch dasjenige Institut, wel­ ches diese Volksgemeinschaft zur Bildung ihres unmündigen Theils zur Mündigkeit aus sich herausgesetzt hat, für Alle; und hiermit wollen wir der allgemeinen öffentlichen Volks­ schule als der Anstalt zur Bildung nicht der niedrigsten Classe des Volks oder irgend eines Standes, sondern alö der An­ stalt zur Bildung für die Jugend aller Stände ihr Recht vindicirt und Obiges als allgemeine Regel hingcstcllt haben. Doch leidet jede Regel ihre Ausirahmen und als Alisnahme von jener allgemeinen Regel muß es angesehen werden, wenn der Einzelne sjcy cö aus was für Gründen immer) seine Kinder entweder allein erzieht und unterrichtet oder sie einer für bestimmte Stände organisirten Bildungsanstalt übergiebt oder aber zur Erziehung seiner Kinder einen eigenen Lehrer, den Hauslehrer, annimmt. Vorausgesetzt daß im ersten Fall der Vater nicht selbst Pädagog ist, wird die zuletzt genannte Ausnahme am ehesten zu statuiren seyn, indem durch dieses Verhältniß die unmittelbare Einheit der Kinder mit der Fa-

133 miste nicht aufgehoben,

auch die Thätigkeit des öffentlichen

Lehrers durch den Hauslehrer erseht wird.

Betrachten wir

zuvörderst das zuerst Genannte, so liegt schon darin ausge­

daß, nachdem

sprochen,

nun der Hauslehrer in die Familie

eingezogen ist und sein Werk an den Kindern begonnen hat,

der Einfluß der Eltern auf dieselben nicht aufhören oder auch nur zurückgedrängt werden

soll.

Wäre das die Meinung,

daß jetzt der Hauslehrer an die Stelle der Eltern treten sollte,

diese also mit ihrem ganzen Einfluß zurücktreten und ihn jetzt sein Wesen mit den Kindern allein treiben lassen sollten, so

wäre denselben freilich müßten

gegen

eine

ein

schlechter Ersatz geboten und wir

solche Meinung

protestiren.

Aber von

einer solchen Meinung finden wir heutigen Tages eher zu wenig als zu viel und häufig ist man nur zu geneigt, den Lehrer von aller Einwirkung auf die Erziehung auszuschließen,

ihn bloß anzusehen als den, der gedungen sey, den Kindern einige nützliche Kenntnisse beizubringen. seinem Principal sagen:

Ein Freund mußte

„die Zeit habe aufgehört,

wo der

Hauslehrer sich als ersten Domestiken ansehen lasse."

Und

wahrlich die Zeit sollte aufgehört haben und die Eltern soll­ ten doch aus Interesse für ihre eigenen Kinder einsehen ler­

nen, welche unverantwortliche Schuld sie durch eine bornirte

Zurücksetzung des Lehrers auf sich laden. — Soll nun also zwischen diesen beiden bezeichneten großen pädagogischen Hä­ resien die Mitte gehalten werden, so können wir hieraus eine

nähere Bestimmung für die Aufgabe des Hauslehrers ablei­

ten;

diese,

daß er stets in wesentlicher Einheit mit

den Eltern handeln muß.

Denn soll weder der Einfluß

der Eltern aushören noch der deö Lehrers,

daß ich so sage,

contractgemäß auf ein Minimum reducirt werden, doch faktisch dasselbe der Fall seyn,

so

wird

wenn nicht diese Ueber-

134

einstimmung im Handeln ftattfinbct. Merkt das Kind einen Widerspruch in dem Verfahren des Lehrers mit dem dir El­ tern, so wird es, gesetzt auch der Lehrer handle im veilen Rechte, sein natürliches Gefühl auf die Seite der Eltern tre­ ten lassen und cs ist um dc-s Lehrers Auctorität geschehen, woraus denn nothwendig ein Zustand entweder störrischer Widersetzlichkeit oder einer bloßen Legalität hcrvorgebcn wird. In beiden Fällen wird aber nicht nur uiehtö gefördert, son­ dern vielmehr unendlich geschadet, indem daS Wachst» an Kenntnissen als ein Geringes nur anzuschlagen ist und leicht durch die schwer in die Wagscbale fallende Verhärtung deS Gemüthes ausgewogen wird. Ein solcher Widerspruch wird aber, mag mans wollen oder nicht, unfehlbar immer eintre­ ten, wo nicht die lebendigste Beziehung deS Lehrers mit der Familie stattfindet; ja schon der Mangel einer solchen le­ bendigen Beziehung ist ein Widerspruch. Tenn unmöglich kann dem Kinde dieser verborgen bleiben. Wenn aber nicht, so wird cs sich diesen Zustand aus irgend eine Weise erklä­ ren, höchst wahrscheinlich stets zum Nachtheil deS LchrcrS, in­ dem es den nicht besonders respcctiren zu müssen glauben wird, der von den Eltern auch nicht eben sehr respeetirt zu werden scheint. So wird das Kind argumcntiren, mag eö auch in vielen Fällen niesn das Rechte treffen und der Grund in etwas Anderem zu suchen seyn. Aber wird man denn, auch diese Beziehung des LehrerS zur Familie vorausgesetzt, auch stets in voller Harmonie handeln können, sollte nicht auch dann eine Verschiedenheit der Ansichten eintreten können *. Wohl möglich; aber in solchen Fälle» hat man sich zu ver­ ständigen; der Lehrer überzeuge die Eltern von der Verkehrt­ heit, oder lasse sich überzeugen, nur merke das Kind nicht,

daß eine Divergenz der Meinungen stattfinde, dem Kinde muß

135

des Lehrerö Wille wie der Eltern Wille steiS als unbeding­ tes Gesetz erscheinen und dies knnn nur geschehen, wenn beide in gänzlicher Einheit mit einander stehen, so daß cö in Beiden nur ein und dasselbe Gesetz erkennt unk ehrt. Wie also nach dem Obigen diese Einheit nicht dadurch zu gewin­

nen ist, daß das eine Glied des Verhältnisses ganz gestrichen werde, auch nicht so, daß der Etnsluß der einen Leite auf ein Minimum reducirt werke, so bleibt nur übrig, daß beide Seiten in ihrer vollkommenen Geltung anerkannt und dem Kinde zur Anerkennung gebracht werden. Und wie hieraus als nothwendige Folge die Uebereinstimmung beider Theile sich ergab, so entspringt daraus die Forderung an die Eltern, die durch diese Uebereinstimmung bedingte Auctorität des Leh­ rers in den Augen der Kinder durch hohe Achtung vor seinem Werk und durch unbedingtes Vertrauen zu seiner Person auf alle Weise zu erhalten und zu fordern, wie für den Lehrer, dieser Achtung durch unermüdeten Eifer für die gute Sache, und dieses Vertrauens durch of­ fenes Entgegenkommen sich würdig zu machen. Eö giebt keinen unverzeihlicheren und, leider, wohl keinen gewöhnliche­ ren Erziehungsfehler als diesen, daß Eltern im Bciseyn der Kinder über das Werk, den Charakter, den Willen des Leh­ rers zweifelhafte oder gar mißbilligende Aeußerungen sich er­ lauben. Giebt eS aber einen sicherern Weg, das Ausehn des Lehrerö in den Augen der Kinder zu untergraben, als wenn die Achtung, auf der die Auctorität deö Lehrers ruht, durch herabsetzende und wegwerfende Urtheile der Eltern untergra­

ben wird? Und wenn doch die Auctorität dcS Lehrerö als eine fundamentale Bedingung einer jeden wahren Erziehung anerkannt ist, kann denn noch von einer Erziehung überhaupt da die Rede sevn, wo die Eltern selbst das Ausehn deö Leh-

13G rers vernichtet haben?

Und wahrlich, das Kind Hai in die­

ser Beziehung ein so feines Ohr, daß es in jeder auch nur

leichthin gesprochenen Rede über den Lehrer den Tadel hcrauShören wird.

Dazu bedarfs also gar keines wirklichen Tadels,

gar keines herabsetzenden Urtheils,

sondern,

wenn nur über

das Werk des Erziehers gesprochen wird, in Ausdrücken ge­ sprochen wird,

mit welchen

man auch über die Leistungen

von Domestiken seine Zufriedenheit äußert;

das

Kind

wird

doch das Wahre schon durchklingen hören und während sein

natürliches Gefühl sich erhaben weiß über das, was der Ob­

hut und

Sorge des Gesindes anvertraut ist, so wird seine

Eitelkeit sich bald erhaben dünken auch über den, der von den Eltern mit den Domestiken auf gleiche Stufe Ist da

nicht durch

gestellt wird.

der Kinder Einfalt der Eltern Weisheit

zu Schanden gemacht,

und,

wennö

denn

ein Irrthum ist,

kann es wohl einen unverständigeren Irrthum geben als den,

nicht zu sehen, wie wenig Achtung vor den eigenen Kindern man durch solche Stellung des Lehrers an den Tag legt und

wie geringen Werth man auf dessen Erziehung setzt? lich wo

Vernunft ist

und Einsicht

Wahr­

in das Wesen der Er­

ziehung, wo Liebe zu den Kindern, da dürfte dieser Grund­

irrthum aller Pädagogik doch hoffentlich bald zu den verschol­ lenen Dingen gehören und die, wenn auch gut gemeinte, doch grundfalsche Frage: „Mein Sohn, wie gefällt Dir dein Leh­

rer?" mit der besser gemeinten, weil allein wahren: „Herr Lehrer,

wie gefällt Ihnen mein Sohn?" vertauscht werden.

Weiß sich der Lehrer diese Stellung nicht zu erringen, weiß

er diesen auf beschränkten Ansichten ruhenden Irrthum nicht zu unterdrücken (denn als einen Irrthum

dürfen

wir doch

diese falsche Stellung nur ansehen), so wird die anfängliche

Auctorität, die er vielleicht genoß, bald damit enden, ihn als

137 einen Menschen, mit dem man doch weiter eigentlich nichts

gemein habe, zu ignoriren.

Doch diese Forderungen sind frei­

lich leicht gestellt: eS fragt sich doch noch, verdient denn der

Lehrer die Anerkennung,

der

das Vertrauen

Eltern?

giebts nur ein Entweder-Oder, ein Ja oder Nein,

Hier

Mus; die

Frage verneint werden, so können freilich nicht jene Forde­ rungen gestellt werden, rann aber kann das Verhältniß nicht

bleiben, wie es ist und

es ist unverantwortlich von beiden

Seiten, ein Verhältniß

bestehen zu lassen, das zum Segen

nimmer gereichen kann.

Ties dürfen ivir also füglich über­

gehen und um das Andere allein handelt cs sich.

Da aber

stellen wir die unbedingte Forderung an den Lehrer: Erwerbe, ja erzwinge Dir Anerkennung

unermüdeten Eifer

durch

in

Deinem Werk, erzwinge Dir Vertrauen durch offenes vertrau­ ensvolles Entgegenkommen, und vermeide Alles, woraus ein

Grund gegen Tein Wollen wie gegen Dein Können herge­ nommen werden kann! Hier ist auch das Kleinste von Be­ deutung und

vielleicht nur aus

jeder

Nachlässigkeit hervorgcgangcne Verstoß

Gewicht fallen.

Man sagt,

dermanns Ding.

von

einem

seyn?

wird

oft

oder

schwer ins

dies zu erfüllen fei' nicht Je­

Aber warum soll denn auch Alles, waS

Hauslehrer

Schlimm

Gleichgültigkeit

gefordert

genug,

wird,

Jedermanns Ding

daß Jedermann

sich

im Stande

hält, ohne Weiteres den Erzieher machen zu können, mag

er

selbst

erzogen

seyn

oder

nicht.

Schlimm

genug,

daß

Manche, bei denen nicht bloß der Mangel äußerer Tournurc, sondern selbst Fehler deS Kopfes und des Herzens, Mangel

an Wollen wie an Können genügenden Grllnd zur Unzufrie­ denheit geben

müssen,

einer Leichtfertigkeit,

nicht bei

ihnen

eine

welche

Hauslehrerstelle

die Wichtigkeit

aufkommen läßt.

Und

annehmen

mit

der Sache

gar

doch, wie oft hat

138 falsche Nachsicht

mit einem

gen Lehrer sicher schon Denn weiß das Kind lichen Lehrer

kommener

Kopf und

manches Kind zu

aufzufinden,

Herz unfähi­

Grunde gerichtet.

stehenden öffent­

an dem fern

schon

oft Mängel

Gegenstand

an

die

ihm

ein will­

deS Gespöttes sind, wofern der Leh­

rer nicht durch ernste Strenge die Lust dazu unterdrückt und

Liebe

durch

eine Gegenliebe

hervorruft,

läßt, wie viel weniger

kommen

wird

die es nicht dazu

dem Kinde an dem

Hauslehrer, der ihm innerhalb des engen Kreises

mile

täglich

und stündlich vor Augen

ist,

der Fa-

auch der kleinste

Fehler entgehen! Und ist eS erst einem auf der Spur, schwer­

lich

wird

eö ruhen,

bis

es

mehr

entdeckt

hat,

und

bis

es zuletzt in dem eigenen Lehrer einen Menschen voll Mängel und

Fehler vor Augen zu haben meint.

Darum hat der

Hauslehrer die größte Aufmerksamkeit auf sich selbst zu rich­

ten, daß er Alles, was an eine Schwäche erinnert und eine Unart deS Kindes begünstigen kann, mag cs auch durch eine lange Gewohnheit ihm zur Natur geworden seyn, unbarm­

herzig ausrotte, damit nicht das Kind seine

eigenen Fehler

durch das Beispiel deS Lehrers entschuldige itnb der Lehrer jede auftauchende Unart in dem Kinde

ohne

Selbstanklage

unterdrücken kann. Wer nicht eine, sey eö auch unschuldige, Lieblingsneigung, an der daS Kind Anstoß nimmt, oder von

der cs einen Grund zur Beschönigung einer eigenen Neigung

hernimmt, aufgeben kann, ist zum Pädagogen nicht geschickt.

Grade weil

für die Erziehung und namentlich für die des

Hauslehrers das eigene Beispiel

ist, so

von so

großer Bedeutung

hat der Lehrer auf die Ausbildung seines

eigenen

Charakters vor allem zu sehen, daß er dem Kinde gegenüber

den festen und ernsten Willen

einer

sittlichen Persönlichkeit

darstelle, einen Willen, der sich auöspricht in Strenge,

Ent-

139 schlosscnheit, Ordnung und Pünktlichkeit, wie andererseits

in

Milde, Freundlichkeit und Gerechtigkeit, damit auch diese bei dem täglichen Umgang durch Gewöhnung in den Zögling

übergehen und je nach dem Maaße seiner Individualität ihm

zur Gcwohnbeit, zur andern Natur werden. Gehen wir nun hiermit von der Erziehung auf den ei­ gentlichen Unterricht über, so ist zuvörderst zu bemerken, daß dieö nicht so zu versiehe» sey, als zerfalle die Thätigkeit des Hauslehrers in diese zwei Theile, und als sey das Eine nicht, wo daö Andere ; sondern so gewiß überhaupt, wie auch beson­ ders in der Thätigkeit des Hauslehrers, Unterricht und Er­ ziehung zusammen fallen, so ist auch doch andererseits beides im Gedanken auseinander zu halten, und in dieser Weise, abstrahirend von dem erziehenden Moment im Unterricht, haben wir über diesen zu sprechen. Sehen wir zuerst darauf, welche Kinder eö nieistcntheilS seyn werden, die den Unterricht eines Hauslehrers genießen, so lehrt die Erfahrung, daß sie durch­ gängig den höheren Ständen angehören, denen also eine hö­ here, das Maaß der gewöhnlichen Volksbildung übersteigende Bilvung gegeben werden soll; und nehmen wir dazu, daß meistens die Knaben später dem Gelehrten-Stande anzugehörcn bestimmt sind, so folgt schon daraus, daß der Lehrer, weil der Unterrichi als ein für das Gymnasium vorbereitender an­ zusehen ist, diesen Unterricht zu ertheilen fähig seyn muß d. h. selbst eine gelehrte Bildung empfangen haben muß. Es hat sich so gemacht, und eö liegt auch wohl in der Natur der Sache, daß Candidaten der Theologie (auch Philologen) die­ ses Amt übernehmen. Wir begegnen hier zuerst wieder der gewöhnlichen irrthümlichen Meinung, als könne derjenige, der leine Schule durchgemacht rind über den Befund seiner Kennt­ nisse ein Testat aufzuwcisen hat, auch ohne Weiteres unter-

140 richten, als könne jeder wenigstens das Maaß von Kennt­ nissen, dessen er sich erfreut, dem Zögling mitthcilcn. 25entf ich von Kiel nach München reise, so weiß ich, daß ich von

Norden nach Süden gereist bin. Damit weiß ich aber roch sehr wenig und soll ich einem Andern den Weg zeigen und würde ihm sagen: reise nur von Norden nach Süden; schwerlich wird der jemals München finden. Um ein tüchtiger Weg­ weiser zu seyn, muß ich alle Stationen kennen, die dazwischen liegen, die Wege, welche von der rechten Straße abbiegen, muß auf öde Strecken aufmerksam machen und die Mittel angeben, diese schnell zurückzulegen, wie auf schöne Punkte aufmerksam machen und ein längeres Verweilen auf denselben anrathen. Das Bild ist nicht in jedem Zuge treffend, aber es zeigt doch, was wir meinen. Wer ein Ziel erreicht, aber nicht oder nur ungefähr weiß, wie er zu diesem Ziele gelangt, kann nicht mit fester, sicherer Hand einen Andern diesem Ziele zuführen. Und wer, der seine Schul- und Studentenjahre zu­ rückgelegt hat, kann denn mit Sichcrheil angeben, wie er da­

hin gekommen und von jedem Schritte Rechenschaft geben? Aber wir haben hier nur einen möglichen Fall angenommen, die Sache steht noch schlimmer. Woher weiß er, daß der Zögling gerade denselben Weg machen muß, den er gemacht hat? Vielleicht verlangt der eine ganz andere Behandlung, legt vielleicht Manches, zu dessen Bewältigung der Lehrer längere Zeit gebraucht hat, in kurzer Zeit zurück und verlangt für Anderes, das der Lehrer rasch übersprungen hat, eine län­ gere Zeit oder vielleicht einen Umweg. Der Lehrer ist hier rathloS, wenn er nur sich selbst, seinen eigenen Bildungsgang zum Maaßstab hat. Aus dieser Rathlosigkcit hilft ihm die

Pädagogik oder vielmehr sie läßt ihn nicht in dieselbe hinein­ gerathen. Soll das Hineinpfuschen in diese heilige Sache

141

aufhören, so muß gegen diese gäng unk gäbe gewordene Meinung alleö Ernstes prolestin werten iino wir müssen hier die Forderung ausstcllen: der Hauslehrer heißt Lehrer; so sey er denn auch ein Lehrer selbst zum Lehrer aelehret, er sey Pädagog. Liegt die gute alte Zeit doch, (Gottlob! hinter UNS, wo man den Kuhhirten oder einen invaliden Vaterlands­ vertheidiger für befähigt hielt, die Heranwachsende Dorfjugend für Staat und Kirche hcranzubilden, ist es doch jetzt zur all­ gemeinen Anerkennung gebracht, mir ein tüchtig in Semina­ rien gebildeter Lehrer könne wahrhaft Volksschullchrer seyn; wie kann man denn noch gegen den Hauslehrer so nachsich­ tig seyn oder wie voraussetzen, daß Alles, was von ihm ge­ fordert werde und was ihm obliege, sich wie von selbst er­ gebe' Wir müssen dagegen, waS wir in dieser Hinsicht von dem Volksschullchrer fordern, auch von dem Hauslehrer for­ dern, ja wir müssen mehr verlangen. Denn bildet, erzieht dort die ganze Schule, die ganze innere Organisation, so daß der Lehrer gar nicht einmal durch falsche Wege und verfehlte Mittel Alles zu verderben im Stande ist, indem er nicht im­ mer direct auf den Einzelnen, sondern mehr indirect durch das Ganze auf den Einzelnen cinwirkt, so ist bei der Privat­ erziehung grade der Einzelne unmittelbar .tu die Hand des Lehrers gegeben, die unmittelbare Einwirkung ist die Haupt­ sache und nur der mittelbare Einfluß tritt insofern ein, als er durch die ganze Weise seines Auftretens und Benehmens und den Geist, der dadurch im Ganzen sich bildet, bedingt ist und vermittelt wird. — Gerade aber, weil der Einfluß ein so ganz unmittelbarer ist, kann der rechte Hauslehrer, der seine Sache versteht, auch unendlich viel wirken. Keine llmutfmerf» samkeit kann ihm verborgen bleiben, weil er den Kreis der Schüler leicht übersehen kann; jede Unordnung und Unregel-

142

Mäßigkeit kann er gleich an der Wurzel angrcifen, weil der Schüler stets unter seinen Augen ist, jedenfalls stets in seiner Gewalt; während der öffentliche Lehrer es nicht ver­ hindern kann, daß er, durch eine erlogene Entschuldigung getäuscht, einen Fehler unbestraft lasse, der, einmal aufgekeimt, schwer zu unterdrücken ist. Auch wo der öffentliche Schulleh­ rer, weil die ganze Organisation der Schule eS fordert und er um Einiger willen die Andern nicht vernachlässigen kann, Manches bisweilen liegen lassen muß, kann der Hauslehrer dadurch, daß er der Selbstthätigkcit, wo die eigene Kraft des Kindes nicht ausreicht, unmittelbar und glücklich zu Hülfe kommt, nicht gerade, um es dem Schüler leicht zu machen, sondern um unnütze Anstrengung zu ersparen, viel gewinnen, und Vieles, was in der Schule gelehrt werden muß, der ei­ genen Thätigkeit der Kinder überlassen. — Doch brechen wir hier ab. Das Gebiet ist ja so groß, daß eine erschöpfende Beschreibung des Hauslehrers und sei­ ner Wirksamkeit zu geben mir nicht einfallen konnte und ich mich daher theilweise auf allgemeine Umrisse beschränken, oft nur in der Kategorie „der Andeutungen und Winke" mich bewegen mußte. Worin ich geirrt, wird die nachfolgende Disputation Herausstellen und wie ich Belehrung jeder Zeit dankbar entgegen nehme, werde ich jede nicht haltbare Ansicht willig streichen.

Der Einfluss des konfessionellen Eegensasses zwischen der katholischen und protestantischen Kirche auf die

Erziehung.

Vortrag von K.

Ehe ich zur eigentlichen Darstellung dieses Einflusses übergehe, habe ich es für nöthig erachtet, zuvor einleitungs­ weise j) das allgemeine Verhältniß zwischen Religion, näher der christlichen Religion und der Sittlichkeit zu besprechen, und 2) den konfessionellen Gegensatz im Princip aufzustellen und kurz zu begründen. Es konnte scheinen, als genügte es, zur Einleitung bloß den zweiten Punkt zu verhandeln: die Aufstellung und Be­ gründung des confessionellen Gegensatzes im Princip, und dann dies auf beiden Seiten gefundene Princip in seinen Consequenzen zu verfolgen, um zu sehen, wie dies auf die Erziehung influiren müsse. Allein, wie mir scheint, muß noch ein Schritt weiter zurückgcgangen werden. — Die bei­ den in obiger Proposition sich entgegenstehcnden Größen sind die katholische und die protestantische Kirche, also beide sind Kirchen, d. h. christlich-religiöse Gemeinschaften. Von ihnen als solchen wird nun irgend welcher Einfluß auf die Erzie­ hung provocirt. Das Ziel und die Aufgabe der letztem aber ist, den Menschen zur freien sittlichen Persönlichkeit heranzubilden.

144

Also liegt in Obigem ein Verhältniß, Einfluß der Rcigion, näher der christlichen Religion aus die Sittlichkeit ausgesprochen; woher ich cs für nöthig hielt, mich zuvörderst, so kurz als möglich, auf den ersten Punkt einzillassen. — Also 1) über daö Verhältniß der Religion, der christlichen Religion zur Sittlichkeit. Der Begriff der Sittlichkeit, der sittlichen Persönlichkeit, zu dem der Zögling in und durch die Erziehung herangebil­ det werden soll, ist — wie von E. uns neulich vorgeführt ist — die vollkommene Harmonie des Menschen in sich sel­ ber, daß er als Eins und einig in der Mannichfaltigkeit sei­ ner Richtungen, Thätigkeiten und Bestrebungen sich darstclle. Hiervon ausgehend behaupte ich a) daß diese Sittlichkeit nicht ohne Religion seyn kann, denn — wie wir die Religion materiell oder formell auch immer bestimmen mögen — so viel wird Jeder gleich zuge­ ben, daß die Religion ein wesentlich dem Menschcngeiste intcgrirendcs, kein zufälliges Moment ist. Als solches aber muß die Religion in der Sittlichkeit, welche die vollkommen harmonische Objectivirung des subjectiven Geisteslebens seyn soll, ihre Entfaltung, Darstellung gefunden haben. Anders wäre die Sittlichkeit nicht, waö sie seyn soll. — Aber b) auch die Religion ist nicht ohne Sittlichkeit und kann es ihrem innersten Wesen nach nicht seyn. — Zuvörderst ist die Religion ein rein Innerliches, eine von Gott selbst dem Menschengeiste angcschaffene und eingeborne Beziehung des endlich-unendlichen Geistes zum unendlichen, absoluten. Nur durch Gott wissen wir von Gott. Mögen wir nun die Religion in dieser ihrer Ursprünglichkeit setzen ins Gemüth ober „sie nennen ein Gefühl, ein unmittelbares Bewußtseyn — um den Namen wollen wir uns nicht streiten —, halten

145 wir nur fest, was damit gesagt seyn soll: die Religion ist ih­

rem innersten Wesen nach nicht eine einzelne Seite des Menschengeistes, weder ein Fühlen, noch ein Wissen, noch ein Wollen für sich, — sondern Etwas, was alles dies in sich faßt, ein Leben, lebensvolle Beziehung Gottes auf den Menschen und des Menschen auf Gott. Als solches aber kann sie nicht in starrer Ruhe in der Tiefe deö Gemüths, auf dem innersten Grunde des Herzens verharren. Sie nimmt die Totalität des Menschengeistes in Anspruch, fordert vom Menschen eine unmittelbare Betheiligung seines innersten Le­ bens im Gefühl, will, daß sie erfaßt und ergriffen werde vom bewußten Geiste, daß der Mensch sich im Willen hingebe an das Göttliche. Als wahrhaftes Leben hat die Religion aber in sich den Drang und die Energie, den ganzen Menschen­ geist zu drirchdringen, das Gefühl zu erheben und zu be­ geistern, die Erkenntniß zu erleuchten, den Willen zu heiligen, — und hat sie so im Innern des Menschen ihre ethische, bildende Kraft bewährt, so drängt die so geweckte Gesinnung auch nothwendig dazu, sich in Wort und That zu objectiviren, das ihr subjektiv Innewohnende objectiv, äußerlich für Andere darzustellen im Leben. — So ist die Religion ihrem innersten Wesen nach sittlich und das die wahre Sittlichkeit Bedingende; so ist in höchster Weise c) die christliche Religion, die absolute, die Religion des Geistes. — Nicht das war die eigenthümliche Bestim­ mung Christi und des Christenthums, der Menschheit erst ihre sittliche Aufgabe zu stellen und bekannt zu machen. Das Gesetz ist durch Mosen gegeben (Joh. 1, 17.) und den Hei­ den ins Herz geschrieben (Paulus im Römerbrief), auch der Inhalt des sittlichen Lebens als bekannt und gegeben voraus­ gesetzt (Luc. 10, 27): Liebe zu Gott und den Brüdern; — Thaulow, Pädagog. Seminar. 10

146 sondern das Eigenthümliche besteht darin, wie die so vorausge­ setzte sittliche Aufgabe,

die Idee des Guten unter dem Ein­

flüsse Christi in den Einzelnen durch Buße und Glauben,

Bekehrung, Wiedergeburt und Heiligung, in dem Gesammt­ leben durch Stiftung des Reiches Gottes aus den Wiedergeverwirklicht werde. — Die Realisirung der sittlichen

bornen

Aufgabe durch

ist

seine

ohne

Christum

dem

Menschengeschlechte

eigene Kraft unmöglich!

Dies

die

allein

allgemeine

Voraussetzung des ChristenthnmS. — Allein durch die objective

über­

Erlösung

und Versöhnungsthat Christi ist die Sünde

wunden,

in Christo absolut, — in der mit ihm in innigster

Lebensgemeinschaft stehenden Menschheit.

DaS Ineinander deS

Göttlichen und Menschlichen, des Objectiven und Subjektiven,

die in Christo absolut und objectiv gesetzte Gottmenschheit kann

und will sich aber nicht damit begnügen,

objectiv dem Men­

schen gegenüber stehen zu bleiben, sie will wahrhaft subjektiv d. h. in dem innersten Lebenögrunde des Menschen erfahren

und ergriffen

seyn,

Christus

selbst

im Gläubigen lebendig

werden („Nicht ich lebe, sondern Christus in mir. Gal. 2, 20). Ist dies aber in der gläubigen Hingabe und Aufopferung de-

selbstischen Ich geschehen, so durchdringt der Herr in und mit seinem Geiste die Totalität des mmschlichen Geistes, erhebend,

erleuchtend, heiligend, weckt so die zur Realisirung der sittlichen Aufgabe,

der Sittlichkeit erforderliche Gesinnung und Kraft,

welche dann sich nothwendig objectivirt und darstellt. — Wei­ ter: das Christenthum — weil Religion — ist wesentliches

Leben, göttlich geoffenbartes Leben.

Der Begriff des Lebens

aber ist es, seine Idee aus sich herauSzusetzen in die Erschei­ nung.

So

auch das Christenthum.

Einmal in die Welt

hineingetreten, mußte eS die weltlichen Formen und Gestaltungen,

die es vorfand, immermehr mit seinem Principe durchdringen,

147

mußte sich selbst seine eigene objective Gestalt und Form be­ reiten, sich die Kirche schaffen.

Diese ruht in ihrem letzten

Grunde allein auf dem Geiste Gottes in Christo ; — sein Werk

an der Menschheit seht sich in ihr fort.

Aber diese Gnade,

Gabe GotteS wird für die Kirche zur Aufgabe, die noch nicht

vom Geiste Christi erfaßte und durchdrtmgene Menschheit zum

Christenthum ititb damit zur Möglichkeit der Realisirung der sittlichen Aufgabe zu

führen. — So wird

im

Allgemeinen

klar seyn, wie Religion — näher die Religion in ihrer objec­ tiven Gestaltung — die Kirche einen Einfluß auf die Sittlich­

keit



speciell für unsere Betrachtung



auf die Erzie­

hung ausüben muß.

Treten wir nun unserer Aufgabe näher, der

so

gewonnenen

Einsicht

die

beiden

indem wir mit

großen

Gestal-

tuilgen der Einen christlichen Kirche, die katholische und prote­ stantische, in denen die Eine christliche Religion nach einander

zur Erscheinung gekommen ist und neben einander erscheint,

der Betrachtung unterwerfen.

Beide sind und bleiben Religion,

müssen so auf das Sittliche, auf die Erziehung influiren. Um aber das Wie erkennen zu können, müssen wir zuvor noch 2) den confessionellen Gegensatz beider im Princip auf­

stellen. Diesen aber finden wir darin, a) daß der Katholicismus

die religiös-sittliche Vollendung des Menschen in ein gewisses Thun, das im einzelnen Acte zur Erscheinung kommt,

seht;

b) der Protestantismus aber in ein Bestimmtseyn deö geistigen

Seyns und Lebens. — Des ausführlichen Nachweises, wie auö diesem Principe

auf beiden Seiten das kirchliche System in seinen einzeliten Bestimmungen sich herleitet,

halber

enthalten.

muß ich mich hier deö Raumes

Hier nur so viel:



Bei dieser Ansicht

von der religiös-sittlichen Vollendung deö Menschen ist es für

10’

148 den KatholicismuS mir möglich: einerseits das Göttliche als stets dem Menschlichen objectiv gegenüberstehend zu denken, und andrerseits aus der anthropologischen Seite stehen zu blei­

ben bei dem Begriff einer rein formellen Freiheit, die ohne al­

len Inhalt ist und bleibt — das reine, willkürliche aequili-

brium.

Indem

auf keiner Stufe

religiös-sittlichen Le­

des

bens der Katholicismus es zu einer immanenten Einigung deS

Göttlichen und Menschlichen bringt,

bleibt ersteres ihm stets

als ein Gesetz, ein Sollen gegenüber stehen.

Da dieses sich

ihm aber zuletzt in der Kirche objectivirt, so ist für das Sub­ ject, das den göttlichen Inhalt wieder aus sich herausgesetzt hat, hiermit die Unterwerfung unter die Auctoritat der Kirche gegeben.

Die hierarchische Tendenz der katholischen Kirche ist

in diesem Princip begründet.

Für den Protestantismus dahingegen ist es int Princip gegeben,

daß er sich nicht beruhigen kann bei einem solchen

Alles

Dualismus zwischen dem Göttlichen und Menschlichen.

Aeußere hat für ihn mir Werth und Bedeutung als Darstel­

lung des geistigens Seyns

und Lebens.

So mußte er

in

der Lehre von der Sünde dem katholischen liberum arbilrium

ein

sünde

entgegensetzen;

servum

mußte

er

seinem

denn

Princip

gemäß

die

That­

einzelne

auffassen

als

her-

vvrgehend aus dem vom absoluten Guten abgewandten und

dem Bösen zugekehrten geistigen Seyn des Menschen.

Allein

der Sünder, ergriffen von der Gnade Gottes in Christo,

er-

giebt sich und sein ganzes selbstisches, empirisches Ich im Glau­

ben an den Herrn;

der Geist Gottes giebt Zeugniß seinem

Geiste, daß er um Christi willen vom Vater zum Kinde an­

genommen ist.

In und

mit

dieser Hingabe an

den Herrn

giebt der Herr sich in seinem Geiste wieder an den Gläubigen

hin.

So ist im Glauben für den Protestanten der Coinci-

149

denzpunkt des Göttlichen und Menschlichen, das gottmensch liche Leben potentiell im Menschen gesetzt, er jeijt frei von aller äußeren Auctorität; denn das Göttliche, das zuvor ihm ob> jectiv als ein Sollen gegenüberstand, ist ihm jetzt immanent geworden; er vollbringt das Gute jetzt, nicht weil er soll, son­ dern weil er es will. So int Geiste wiedergeboren ist für das protestantische Ich die Möglichkeit, und bei einer norma­ len Entwickelung seines geistig-religiösen Lebens die Nothwen­ digkeit gesetzt, sich svrtzuentwickeln zur wahren geistig-sittlichen Persönlichkeit. Ziehen wir nun aus diesen verschiedenen Grundsätzen der beiden Kirchen die Consequenzen für die Erziehung, und hal­ ten wir fest, daß letztere die Sittlichmachung des Menschen ist, diese aber erst erreicht ist, wenn der Mensch in vollkommen harmonischer Entwickelung seines Selbst sich frei weiß in all seinem Denken, Wollen und Thun von all und jeder äußeren Autorität, kurz wenn er eine wahrhaft freie sittliche Persönlich­ keit darftellt, so ist ersichtlich aus dem Obigen: 1) daß dem Katholicismus principiell die Möglichkeit abzusprechen ist, die Erziehung in dieser ihrer ideellen Vollen­ dung zu realisiren; dahingegen 2) dem Protestantismus principiell zuzufchreiben ist nicht bloß die Möglichkeit, sondern bei einer normalen Entwicke­ lung feines Princips im Gläubigen die Nothwendigkeit, dazu zu gelangen. Die katholische Kirche mit ihrer hierarchischen Tendenz und ihrem Prrincip der Auctorität, aus der sie feind ihrer Glieder und nie entläßt, kann es ihrem Princip gemäß nie dulden, daß der Ein­ zelne im eigenen Herzen sich seines Heiles sicher und gewiß bewußt ist. Jeder Einzelne, wenn er den Buß- und Heilsproceß, welchen

die Kirche ihm vorschreibt, durchwandelt, kann diese Gewißheit

150 nur

haben,

wenn die Kirche

Mund ihrer Priester.

So

sie

ihm verkündet durch den

bleibt der Katholik in religiöser

Beziehung stets unselbstständig, hängend an dem Munde des Die pelagianische Willkür,

Priesters.

zu Gott,

Freiheit in Beziehung

ist so am Ende zur schmählichen Knechtschaft unter

Menschen-Auctorität

geworden.



Der katholische Erzieher

darf daher niemals, will er dem Princip seiner Kirche treu

bleiben, seinen Zögling zur

freien Persönlichkeit in religiöser

Beziehung heranziehen. — Ganz anders

2) im Protestantismus! — Eben seinem Princip gemäß,

darnach er die religiös-sittliche Vollendung setzt, muß er darauf dringen,

daß der Einzelne in seinem innersten Lebenögrunde

sich des Heils in Christo versichert hält.

Dies aber kann er

nur, wenn er selbst und an sich selbst im Glauben die Gnade

Gottes in Christo erfahren hat.

Hat sich aber so im Glau­

ben das Göttliche mit dem Menschlichen immanent geeint,

ist er frei von aller und jeder äußern Auctorität.

so

Das Gött­

liche, das früher ihm objectiv gegenüberstand als Gesetz, trägt

er jetzt in sich; sein innerstes Ich setzt es jetzt selbst.

ist

es

für

ihn

jetzt nicht mehr ein äußeres,

Somit

sondern in der

Liebe Gottes, die jetzt das Seyn und Wesen seines geistigen Lebens ausmacht, ist er jetzt zur wahrhaft freien sittlichen Per­

sönlichkeit geworden.

Ist somit das, was die protestantische Kirche ihren Glie­ dern als das höchste Ziel steckt, dasjenige was die Erziehung ih­ rer Idee nach zu erreichen strebt, so ist ersichtlich, daß wir prin­ cipiell derselben nicht bloß die Möglichkeit, sondern bei einer

normalen Entfaltung ihres Princips die Nothwendigkeit der Vollendung zusprechen können, denn a) kann der Erzieher sich in der protestantischen Kirche — wie nicht in der katholischen

— selbst darstellen als eine selbstständige, religiös »sittlich-freie

151 Persönlichkeit; und b) kann

sondern muß er

er nicht bloß,

den Anforderungen seiner Kirche gemäß darnach streben, seinen Zögling zu derselben freien Persönlichkeit in religiös-sittlicher Beziehung heranzubilden. Allein müssen wir auch so dem Katholicismus principiell

die Vollendung der Erziehung ab- und dem Protestantismus zusprechen; hat denn

das katholische Princip für die Erziehung keine Bedeutung? Es scheint ja doch,

a) als könnten wir das katholische Princip, nämlich das der

in der Erziehung gar

Auctorität

Für die Stufe des Zöglings nämlich,

nicht

entbehren. —

da er noch ganz auf

dem Standpunkte der Unmündigkeit steht, müsseir wir das ka­

tholische Princip, d. h. das der Auctorität und Zucht anwen­ den.

muß ihm erst

Objectiv

der

göttliche Inhalt gegeben

werben, den er zuvörderst auf Treu und Glauben anzunehmen hat, und auf die Willensthätigkeit bezogen, muß es ihm als Gesetz für sein Handeln vorgehalten werden, und der Erzieher

hat in gewissenhafter Zucht auf die Befolgung dieses Gesetzes

zu wachen.

So könnte eö scheinen,

als könnten wir des ka­

tholischen Principes in der Erziehung nicht entbehren.

Allein

dennoch möchte ich b) Bedenken tragen, dieses einzuräumen. Gegentheil:

«)

wir

können

deö

katholischen

müssen es entbehren;

des

Princips

der

Auctorität

und

der

Wir

können

eS:

denn

dies

Princip

giös - sittliche

Erziehung zu gewinnen,

Zucht für

brauchen

nicht erst an die katholische Kirche zu wenden: auch im Protestantismus.

Princips

wenn auch nicht

der Auctorität und

um

Ich sage im

überhaupt.

die

reli­

wir

uns

wir haben es

Wie Christus nicht kam, das Ge­

setz aufzulösen, so ist eS auch im Protestantismus nicht aufge-

152 hoben.

Das Gesetz aber — das moralische wie das geoffen­

barte — ist der Pädagogus zu Christo, und zwar durch Auctorität und Zucht,

ß) Wir müssen das katholische Princip

entbehren: denn nur, wenn wir auch bei unserer Kirche blei­

ben, können wir sicher seyn, daß wir dies Princip der Auctorität und Zucht auch im Sinne unserer Kirche und im Inter­ esse der Idee der Erziehung recht anwenden; denn c) wir können und dürfen dies Princip der äußeren Au-

ctorität und Zucht in der Erziehung nur so lange,

als der

Standpunkt des Zöglinges es erfordert, anwenden und nur mit der Absicht, es selbst durch unsere Arbeit an dem Zöglinge zur

Aufhebung zu bringen.

Mit andern Worten: wir müssen er­

ziehen mit der Absicht, uns selbst für den Zögling am Ende entbehrlich zu machen, kurz ihn (protestantisch) zur freien Per­

sönlichkeitheranzubilden. — So lange und mitderAbsichtdas.Printip der Auctorität und Zucht angewendet, ist es ächt protestan­ tisch.

Allein die katholische Kirche will nie ihre Glieder, und

darf auch der Erzieher nie seinen Zögling in religiöser Bezie­

hung von diesem Stehen unter der äußeren

Auctorität und

Zucht befreien. — Kurze Schlußbemerkung: Wie daraus, daß aus dem Katholicismus doch der Protestantismus hervorge­ gangen sey, jener also die Völker zu diesem erzogen habe —

wie daraus keine Instanz gegen unsere obige Behauptung her­

genommen werden könne.

Die Notwendigkeit einer allgemeinen Militärpflicht

vom pädagogischen Standpunkte. Vortrag von T.

Die antiken Staaten haben die allgemeine Militärpflicht auf eine unbefangene Weise erercirt, man vergegenwärtige sich

nur die persische Erziehung nach Lenophon'ö Cyropädie, die

griechischen Staaten,

den römischen Staat.

Der Staat war

den Alten das höchste Gut und es konnte dem Einzelnen keine Frage seyn, ob er sein höchstes Gut jeden Augenblick zu ver­

theidigen im Stande

seyn solle oder nicht.

Es wurde

der

Einzelne von Jugend auf in diesem Bewußtseyn erzogen und

praktisch dazu gebildet.

Zunächst

nun dürfen wir uns nicht

wundern, wenn in den modernen Staaten dieses Bewußtseyn zurücktrat, wenn wir nur dies Eine bedenken, daß durch das

Christenthum der Staat nothwendiger Weise zuerst

herabge­

setzt werden mußte und die Kirche dafür zum höchsten erhoben wurde.

Gut

Die nähere Geschichte des Mittelalters läßt

daher Staat und Kirche in die Ertreme auseinander treten und

die Einheit des Bewußtseyns, daß Alle Glieder eines Staates seyen, nußte daher eine Erschütterung erleiden,

so sehr,

die Kirche selbst negativ gegen den Staat auftrat.

daß

154 Die ganze Geschichte seit der Reformation hat nun aber

den Zweck gehabt, allmählich die Trennung der Kirche und des

Staats, wie sie im Mittelalter war, aufzuheben und die Ein­ heit

für

ein wahrhaft

christliches Leben

zu erzielen.

Beide

hängen an der Einen Wurzel der Religion und die Kirche soll nicht seyn ohne

den

Staat ohne die Kirche.

Staat, noch

weniger

freilich der

So mußte allmählich wieder der Ein­

zelne zu seinem Staate in ein zutrauliches Verhältniß treten

und das Wort „Vaterland" hat seit der Reformation den tie­

feren Sinn erhalten „Land, zu dessen Verhältnissen als in sei­ ner Totalität der Einzelne in kindlicher Beziehung steht." Aber, wie es sich so oft in so vielen Fällen gezeigt hat, daß etwas ist, ohne daß eö zugleich im allgemeinen Bewußt­

seyn wäre, so hat die Geschichte noch nicht das erreicht, das,

was sie gegeben, substantiell gegeben hat, ebenso sehr auch zum allgemeinen Eigenthum des chen.

subjectiven Bewußtseyns

zu ma­

Dies zeigt sich eben auch nv't diesem Begriffe des Va­

terlandes darin,

daß in den meisten Staaten eine allgemeine

Militärpflicht nur bei sehr Wenigen ein bewußtes Erforderniß ist, die Meisten sogar bei dem bloßen Anhören dieses Namens,

aber auch eben nur deshalb, theilnahmlos oder sogar abstoßend sich zu dieser Anforderung verhalten.

Ich will nun kurz zuerst angeben, wodurch die bestehende Einrichtung der Militärpflicht als bloß auf dem Bauernstand

lastend entstanden ist und sich bis seht behauptet hat, sodann

nachweisen, warum eö den Staaten nicht hat gelingen können, eine allgemeine Militärpflicht

als

selbstgefordertes Bedürfniß

der Unterthanen zu erwecken, ferner drittens darthun, durch welches Mittel allein dieses einem Staate gelingen kann und wie dieses Mittel eben in dem höhern Zwecke der Staaten selbst begründet ist, sobald nur der Staat sich in seiner höhern

155 Bedeutung erkennt.

Methode

der

Viertens will ich dann noch kurz die

Einrichtung

einer

allgemeinen

Militärpflicht

berühren. 1) Mit der Entstehung der modernen Staaten ist der Staat

auch wesentlich in seinem

inneren Organismus erkannt

und

damit eben der Unterschied der Stände entschieden hervorgetre­

ten, als Bauern-, Bürger- und allgemeiner Stand.

Es ist

nichts begreiflicher, als daß die Staaten eines stehenden Hee­

res bedurften.

Gan; von selbst ergab es sich hier, daß der

Bauernstand dazu der geeignetste sey, da der Bürger- und der

allgemeine Stand für das Bestehen des Ganzen weniger eine Störung verträgt.

Vielleicht mag auch die Reflexion vorhan­

den gewesen feint, daß der Bauernstand sich diese Last am er­ sten würde gefallen lassen, und man hat sich nicht darin geirrt. Wir dürfen nur 50 Jahre zurückgehen und vielleicht nicht ein­

mal so weit und wir erfahren, daß der Bauernstand noch in einer gewissen Leibeigenschaft sich befand, (cf. Arndt'S Leben.)

Man hat verstanden, den Bauern in dieser Unschuld zu erhalten und damit ihm die Militärpflicht mit Leichtigkeit aufgebürdet. —

Natürlich wurden nnn durch diese Einseitigkeit der Militärpflicht die aitdern beiden Stände durch die Gewohnheit von Jugend auf traditionell an die Ueberzeugung gewöhnt, daß ihnen die Last der Militärpflicht nicht zukomme.

Auch kann man das diesen

Ständen nicht gar übel nehmen — auf eine beispiellose Weise

sind aber dadurch die Stände in Gegensatz gegen einander ge­ treten.

zu

Der Staat selbst ist Schuld daran, daß der Adel sich

einer Idiosynkrasie als Verachtung

der übrigen

Stände

heranbildete. 2) Dadurch eben mußte der Staat,

wenn er dies Alles

iit alter Gewohnheit zu belassen sich Mühe gab (der Thron faßte sich isolirt für sich und sand daher gewaltige Stütze an

156 dem Adel), es denn auch ertragen, wenn der Gedanke einer allge­ meinen Militärpflicht keine allgemeine Anerkennung zu finden im

Stande war. Nur die Noth konnte helfen und Preußen giebt

uns ein Beispiel, welche Allmacht in der Noth liegt. horst's Verdienst ist es freilich,

Scharn­

die allgemeine Militärpflicht

in diesem Lande praktisch durchgeführt zu haben — aber die Empfänglichkeit für sie gebührt nicht ihm,

Menschen, sondern der Gewalt der Noth. lich darniederlag,

überhaupt keinem

Als Preußen gänz­

das stolze Preußen lange von Napoleon

sich hatte mit Füßen treten lassen,

da wurde man durch die

Noth gedrungen und die allgemeine Militärpflicht entstand hier durch Noth, sagen wir auch, durch Nothwendigkeit,

insofern

es die Noth so gewendet hatte.

3. Gewähr

In solcher Nothwendigkeit aber liegt keine allgemeine für die innere Nothwendigkeit einer Sache.

Und

so lange nicht die allgemeine Militärpflicht durch innere Noth­ wendigkeit begründet wird, ist sie nur zufällig und hat keine

weitere allgemeine und ewige Bedeutung.

Dazu kommt, daß

seit der Stiftung des deutschen Bundes und des europäischen Gleichgewichts, soweit menschliche Berechnung reicht, schwerlich

je wieder das meinen

Bedürfniß

einer solchen

momentanen

allge­

Militärpflicht eintreten wird, mithin also auch die äu­

ßern Gründe beseitigt sind, durch die eine allgemeine Militär­ pflicht eingeführt werden könnte. — Wird also die allgemeine

Militärpflicht bloß deshalb eingeführt, um den

Staat nach

außen zu vertheidigen, so ist sie freilich jetzt überflüssig und

ihre Einführung kaum deö Lachens

wäre

lächerlich.

Erwehrt

man

sich doch

bei dem Anblick unseres jetzt bestehenden

großen stehenden Heeres, da man den Nutzen nicht einsieht — nicht selten erheben sich Stimmen, eö sey ein solches Heer

in jetzigen Zeiten nur ein Spielball der Könige.

457 Dessenungeachtet, so wenig auch die Erfahrung die Hand

bietet, fordert der Begriff eine allgemeine Militärpflicht und was der fordert, hat innere Nothwendigkeit und

Wahrheit.

Der Staat ist nämlich seinem Begriffe nach nicht ein ato-

mistisch zufälliges

Sichzusammenfinden

mehrerer

Individuen

zu einem Ganzen, sondern der lebendige erplicirte Begriff des Wie Aristoteles in seiner Politik 1, C. 1.

Einzelnen selber.

sagt, er

sey das

«porepov deö Einzelnen und der Mensch

sey seinem Wesen nach ein politisches Thier.

strafen sich halten.

Unsere Staaten

selber Lügen, wenn sie sich für etwas Anderes

Denn

wie kommt sonst der Staat dazu,

für

daö

Wohl des Einzelnen zu sorgen durch Schulen, Cultus, Po­

lizei u. s. w. ? Daß der Staat auch ein moralisches Institut

sey, wird durch die Erfahrung täglich bestätigt.

Der Staat

ist die große Erziehungsanstalt des Einzelnen; wie der Staat ist, so ist der Einzelne und nie ist er anders gewesen und

wird es nie anders seyn, weil der Begriff der Substanz ein

ewiger ist,

unumstößlich durch den Willen Einzelner.

Der

Staat hat daher dieses Bewußtseyn in dem Einzelnen hervor­ zurufen und ist dies seine hohe Pflicht.

Aus reinem Egoismus

müßte daher schon der Staat zu dem Mittel greifen, wodurch er

dieses Bewußtseyn traditionell und zur Sitte machen kann.

Daß

dies aber allein von dem

pädagogischen Stand­

punkte auö bewiesen werden kann, daS ist es, worüber man

sich

wundern möchte.

gesagt, daß von

Hat

aber

doch

schon Aristoteles

der Verwunderung immer die Philosophie

ihren Anfang genommen. Der ganze Mensch ist Sohn des Staates und der Staat

hat daher mit dem ganzen Menschen zu thun.

Dieser ganze

Mensch ist aber eben potentiä nicht ganz, sondern durch Er­ ziehung zu gewinnen.

Die Familien

haben allerdings zu-

158 nächst den hohem Beruf erhalten,

das Individuum zu er-

ziehn, aber die Familie steht selbst wieder in der Totalität

des Staates als Moment da, sie ist daher, so gut wie sie etwas Fürsichseyendes ist, für Anderes, für

den Staat da.

ES greift daher der Staat so wenig in das Recht der Fa­ milie ein, wenn auch er sich der Erziehung annimmt, daß er

vielmehr dadurch eben einer Familie zu ihrem Rechte verhilft. DaS Haus kann für sich sorgen, aber nicht für den Staat; da muß umgekehrt der Staat als daö Höhere, wenn er für

sich sorgt, auch für die Familie sorgen und thut er dies auch durch Einrichtung der Schulen, des Cultus u. s w.

Dies

reicht aber nicht aus, da bei aller unserer Schuleinrichtung doch nicht erreicht wird die Einweihung in die Nationali­

tät und das höhere Bewußtseyn

thums.

des Staatsbürger-

Dies kann der Staat nur erreichen durch eine all­

gemeine Militärpflicht.

Dadurch wird jede Familie vom An­

fang ihrer Begründung an in das Bewußtseyn des Staats

erhoben, wie durch die Taufe in die Kirche, um so mehr, je weniger ein äußerer Nutzen darin liegt.

Die allgemeine Mi­

litärpflicht ist ein rein pädagogisches Institut, und das Andere

was darin liegt, den Staat vertheidigen zu können im Fall

der Noth, ein ConsequenS, momentaner Natur, während daS Bewußtseyn einer allgemeinen Militärpflicht und die Ausbil­

dung in ihr etwas Bleibendes, Perennes ist, allgemeines Recht

des Einzelnen und von hier aus ergiebt sich nun die ganze Reihe der wichtigen Momente, die eine allgemeine Militär­

pflicht als pädagogisches Staatsinstitut hat.

«.

Wir haben schon gesagt, daß der Einzelne dadurch

zum Bewußtseyn seiner Nationalität gebracht wird — daraus

entsteht die Macht der Vaterlandsliebe, der Genuß der Natio­ nalität, der Elasticität und Produktivität dieser Gesinnung.

459 Es ist Rückkehr zur antiken Anschauung mit dem großen Zu­ wachs der vollkommen frei gewordenen Subjectivität.

Zweitens aber, indem der Mensch nur in seiner To­

ß.

talität zu denken ist, so ist er in der Einheit von Leib und

Seele zu denken und die Alten haben mit Recht die Gymna­ stik als das eine Moment der Erziehung angesehn, wozu die

Musik die andere Ergänzung gab.

So sagt auch Dahlmann

in seiner Politik „die Erziehung umfaßt den ganzen, auch den

körperlichen Menschen.

Cs ist gefährlich, die Seele zu üben

und nicht zugleich den Leib."

weise die

Von dieser Seite ist vorzugs­

allgemeine Militärpflicht

pädagogisch

nothwendig.

Denn es versteht sich von selbst, wenn sie auch praktisch zwi­ schen die Jahre von 18—24 fällt, so wird sie doch den Unterricht

in der Gymnastik von Jugend auf nach

sich ziehen und eö

wird atich dazu der Staat specielle Einrichtung an den Schulen treffen.

Ich müßte hier die ganze Bedeutung der anthropolo-

gisch-psychologischeir Natur des Menschen und die ethische Be­ deutung des Körpers abhandeln, um die Nothwendigkeit der

Gymnastik für die Erziehung zu beweisen.

Ist eS aber wahr,

daß die Gymnastik für die Erziehung von Jugend auf noth­

wendig ist für das wahrhaftige Gedeihen des Menschen, wie

das tägliche Brod, so wird die allgemeine Militärpflicht in ihrer absoluten Bedeutung von Staatswegen verordnet werden müssen. — ES muß das Fremdartige durch Zwang gebrochen

werden — denn noch immer sehen die Meisten die Gymnastik als etwas Fremdartiges an.

Daß die Kinder in die Schule

gehen müssen, um zu lernen, hat der Staat nach Gerade in einigen Ländern erzwungen.

Ist denn die Gymnastik von dem

Lernen verschieden, oder weniger wichtig? Man meint es.

y.

Der Staat ist drittens die objective Gerechtigkeit sel­

ber, nur dies ist sein Seyn, seine Sittlichkeit.

Es muß die

160 Ungerechtigkeit ein leuchten,

die darin liegt, daß der Bauern­

stand allein die „Last" der Militärpflicht trägt.

Der Staat

muß diesen Widerspruch ausheben und kann er dies nur durch eine allgemeine Militärpflicht. —

Aber auch dies ist pädago­

gischer Natur; denn der Unterschied der Stände, so wichtig, so nothwendig er ist, so ist dieser Unterschied doch auch nicht

d. h. der Eine ist nicht durch die Geburt besser als der An­ dere.

Diese Nivellirung zur allgemeinen sittlichen Gleichheit

der Menschen als solcher kann nur durch die allgemeine Mi­

litärpflicht erreicht werden.

Da steht der Adlige neben dem

Bauern und Bürger in Reihe und Glied. 4. Was die Methode betrifft, so muß sie «. so seyn, wie jetzt das Militär ist d. h. durchaus mi­

litärisch.

Die Präcision ist etwas unendlich Sittliches, körper­

liche Präcision reflectirt

auf den Geist und

die militärische

Ausdauer als körperliche setzt eben so sehr eine geistige vor­

aus.

Forchhammer hat dies in seiner letzten Rede schön

hervorgehoben, am erfreulichsten in seiner Cyropädie.

spricht

darüber Lenophon

Auch Hegel hat dieses hervorgehoben

in einer seiner Gymnasialreden, man kann diese Stelle nicht

oft genug lesen.

Ich meine auch, daß Präcision in unserer

Erziehung noth thut und nichts kann das besser bezwecken, als die militärische Zucht, wo ohne Weiteres

das Wort That wird.

mit Blitzesschnelle

Was die militärische Zucht vermag,

das muß man bewundern, wenn man unsere Soldaten sieht. Steif, kaum wissend den rechten Fuß vorzusetzen und dröhnend und schleppend sich dahin ziehend, werden sie nach sechsmonat­

licher Uebung die flinksten und adrettesten Leute. Ich habe das

einmal bei einer Prüfung in Gegenwart der Generalinspection mit angesehn und

habe meinen eignen Augen nicht getraut.

Außerdem wird aber durch das Untermischen der Gebildeten

Isil unter die Ungebildeten die Bildung dieser eben am schnellsten befördert.

Unsere Offiziere und Unteroffiziere werden,

wenn

sie Söhne gebildeter Eltern vor sich haben, sich bemühen müs­

sen auch sonst diesen gewachsen zu seyn und cs ist dieser Ein­ fluß gar nicht zu berechnen.

ß.

Was aber zweitens die Zeit der Militärpflicht be­

trifft, so kann und darf dafür für die Söhne des allgemeinen und des Bürgerstandes kein bestimmtes Jahr festgesetzt werden,

nur muß es fallen innerhalb des achtzehnten und vier und

zwanzigsten Lebensjahres. y.

Für die studirende Jugend muß aus der Landesuni­

versität die Gelegenheit vorhanden seyn. Disciplin treten hier nur

beide als erziehende,

geeint auf,

jener als Zucht des Gedankens,

als Zucht des Willens durch

diese

den erzogenen Gedanken; der

ganze Hergang ist hier also ein initerlicher und es kann daher

hier nicht mehr von äußern Mitteln der Zucht die Rede seyn.

Die Beziehung der Schule aber auf die sittliche Bildung des

Menscheir, ihr Verhältniß ztl derselben ist bald mehr em direc-

176 teS, bald ein indirektes, doch schwer wird eS dies in der Be­ trachtung auseinander zu halten; das Verhältniß selber aber kommt durch zwei Medien zur Erscheinung, durch den Unter­

richtsgegenstand selber und durch die Persönlichkeit deS

Lehrers.

Nachdem ich dies im Allgemeinen über den sittli­

chen Charakter des Gymnasiums vorausgeschickt habe, will ich

nun die Bedeutung desselben für die Zucht deS Schülers nach jenen beiden Seiten des Verhältnisses nachzuweisen suchen, in­ dem ich

1) von der unmittelbaren Beziehung zum sittli­

chen Charakter spreche. Sieht man sich nun in der Schule um, und frägt, was ist es hier, das auf unmittelbare Weise mit der größten Macht in den jungen Geist des Schülers den Grund und Wachs­

thum der Sittlichkeit legt,

so wird nichts Höheres zu finden

seyn, als eben die sittliche Persönlichkeit des Lehrers selbst.

Ein Lehrer, vor dessen wissenschaftlicher Tüchtigkeit die

Schüler Achtung haben, an dessen sittliche Erscheinung sie sich mit Liebe und Begeisterung anschließen,

hat unmittelbar auf

die unmündigen, empfänglichen Gemüther eine ungeheure Macht;

diese Macht über den jungen Geist ist eine wahrhaft großar­ tige, sie wirkt schöpferisch, zunächst zwar innerlich, aber immer doch sich manifestirend, zauberisch und doch natürlich,

räthsel-

haft und doch wieder begreiflich; aber der Begriff reicht kaum hinan, sie zu erfassen und darzulegen.

Die

stille, würdige,

ernste, schöne, sittliche Erscheinung des Lehrers im Kreise der

Schüler gleicht dem Tageslicht, das durch die Schöpfung leuch­ tet; wie dieses durch die Lebenskraft ausströmt und neues Le­

ben und Gedeihen giebt Allem was lebt, so befruchtet auch der sittliche Lehrer die edlen Kerne in der Seele des Schülers,

zieht sie, pflegt sie und läßt sie wunderbar gedeihen. Diese Le-

177 benskrmft kann durch

nichts ersetzt werden; wäre der Unter

richtsgiegmstand seiner Natur nach auch noch so fördernd für

die sittuliche Bildung des Schülers, er wird doch kein sittliches L!eb