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German Pages 378 Year 2008
Volkswirtschaftliche Schriften Heft 554
Normative Grundlagen der Wirtschaftsethik Ein Beitrag zur Bestimmung ihres Ausgangsparadigmas
Von Georg Trautnitz
Duncker & Humblot · Berlin
GEORG TRAUTNITZ
Normative Grundlagen der Wirtschaftsethik
Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann y
Heft 554
Normative Grundlagen der Wirtschaftsethik Ein Beitrag zur Bestimmung ihres Ausgangsparadigmas
Von
Georg Trautnitz
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 978-3-428-12360-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit einer als dringend empfundenen Frage: Darf der Mensch wirtschaftlich denken und handeln? Darf beispielsweise ein Arbeitgeber einem langjährigen Mitarbeiter betriebsbedingt kündigen, ahnend, daß er diesen Menschen damit in eine Lebenskrise stürzt? Dürfen wir ein gesellschaftliches (Wettbewerbs-)System wollen, das einen Arbeitgeber zu einem solchen Verhalten unter entsprechenden Umständen zwingt? Persönliche Fragen und Probleme sollten nicht zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Betrachtungen gemacht werden. Zu groß ist die Gefahr, daß subjektive Bedürfnisse unterschwellig und unreflektiert den Argumentationsgang lenken. Diese Gefahr ist um so größer, je abstrakter der zu verhandelnde Gegenstand, je weiter er von einer vordergründigen empirischen Evidenz entfernt liegt. Wo das unmittelbare Korrektiv einer erfahrbaren Wirklichkeit fehlt, wiegen Gedanken und Ideen um so schwerer. Unter dem unreflektierten Einfluß persönlicher Bedürfnisse wandelt sich in solchen realitätsfernen, abstrakten Auseinandersetzungen jeder Anspruch auf Objektivität nahezu zwangsläufig in Ideologie. Je subtiler sich die Argumentation entwickelt, desto unheilvoller verbirgt sich ihre substanzlose, weil einem persönlichen Vorurteil entspringende Grundlage. Diesem Zirkel entkommt nur, wer die Kraft zu einer Reflexion sine ira et studio aufbringt. Ideen ohne das Korrektiv einer erfahrbaren Wirklichkeit und dennoch ohne Willkür zu lenken, bedeutet, philosophisch zu denken. Als Grundlage einer solchen systematischen „Gedankenführung“ bleibt allein die Tätigkeit des Reflektierens selbst. Diese Tätigkeit muß als Tätigkeit praktischer wie auch methodischer Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit all jenen „Gegenständen“ sein, die das Alltagsbewußtsein gemeinhin als „abstrakt“ bezeichnet, deren Geltung und Beschaffenheit also einerseits nicht an der empirischen Wirklichkeit abgelesen werden kann, deren Bedeutung für unser Leben aber dennoch nicht von der Hand zu weisen ist. Klassisches Beispiel für einen solchen Gegenstand ist die Idee eines Unterschieds zwischen „gut“ und „böse“. Diese Idee klar und distinkt zu machen, ist das erste Anliegen dieser Arbeit. Von dieser auf den Begriff gebrachten, aufgeklärten Idee aus sollen dann die Grundlagen der Wirtschaftsethik bestimmt werden. Es ist die
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Vorwort
Sache des Lesers zu entscheiden, ob diese Bestimmung der Gefahr der Subjektivität entkommen ist. Der Gang dieser begrifflichen Bestimmung und Aufklärung war für den Autor beschwerlich, und er wird es wohl auch für manchen Leser sein. Jedenfalls war es der Anspruch dieser Arbeit, die Untersuchung stets kritisch argumentierend aus sich selbst – systematisch – zu führen und der zeitgemäßen Versuchung einer orientierungsarmen Diskussion bestehender Positionen zu widerstehen. Lebendiges Denken, aktueller geistiger Vollzug, und nicht die sich selbst bestätigende Reproduktion von scheinbar Gewußtem, wäre hier also – falls diese Arbeit ihrem Anspruch ansatzweise gerecht zu werden vermag – auch vom Leser gefordert. Lebendiges Denken kann gelernt werden. Ich mußte es erst lernen. Mein erster Dank gilt daher meinem philosophischen Lehrer Dr. Albert Mues, in dessen Seminaren und in dessen Person lebendiges Philosophieren mir anschaulich und nachvollziehbar wurde. Ohne die geistigen Horizonte, die er mir eröffnete, ohne die im philosophischen Gespräch mit ihm gewonnenen Einsichten wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Über die Jahre ihrer Entstehung hinweg überzeugt von ihrem Abschluß und Gelingen blieb mein Doktorvater Professor Johann Engelhard, der mich nie unter Druck setzte, aber immer motivierte weiterzuarbeiten. Für sein Vertrauen und für sein nie erlahmendes Interesse am Thema bedanke ich mich besonders. Auch mit meinem Zweitkorrektor Professor Helmut Girndt durfte ich viele spannende und erhellende philosophische Diskussionen führen. Daß die Arbeit am Ende ihren Abschluß fand, verdanke ich vor allem ihm. Nicht unerwähnt bleiben dürfen meine Bamberger Freunde. Das Erlebnis des einsichtsdurchblitzten persönlichen Gesprächs, in dem fachliches und persönliches Interesse zusammenfallen, durfte ich teilen mit Holger Harms, mit Christian Rödel und nicht zuletzt mit Dr. Matthias Scherbaum. Die materiellen und geistigen Grundlagen meiner Existenz verdanke ich meinen Eltern, denen diese Arbeit gewidmet sei. Ihnen und Frau Dr. Margarete Adamski danke ich auch für die Korrektur des Manuskriptes sehr herzlich. Frau Anja Schilling bin ich für ihre Hilfe bei der Erstellung des Registers zu großem Dank verpflichtet. Ohne das Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, das es mir ermöglichte, frei meinen wissenschaftlichen Interessen zu folgen, wäre vorliegende Arbeit nicht in dieser Form zustande gekommen. Bamberg, im Januar 2008
Georg Trautnitz
Inhaltsverzeichnis 1 Ethik und Wirtschaft: Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Ausgangspunkt und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Beitrag dieser Arbeit zur aktuellen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die Frage nach dem Ausgangsparadigma von Wirtschaftsethik . . 1.3.2 Die Beseitigung konzeptioneller Unschärfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kritischer Teil 2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einführung: Integrative Wirtschaftsethik als Reflexion des Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Verständnis philosophischer Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Vernunftethische Grundlage: Primat des Willens und rationale Begründung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Kognitive Grundlage: Universeller Rollentausch als regulative Idee? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Diskursethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1 Die Konstitution von moralischen Ansprüchen durch den Austausch von Argumenten . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.2 Die Orientierungskraft des idealen Diskurses: Regulatives Ideal oder materiale Handlungsforderung? . . 2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Programmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Argumentative Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1 Die Bestimmung des Ökonomischen: Trennlinie zwischen allgemeiner Vernunftethik und Vernunftethik des Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2 Interpersonalität und die Omnipräsenz des moralischen Anspruches im wirtschaftlichen Handeln: Aufhebung der Trennlinie zwischen allgemeiner Vernunftethik und Vernunftethik des Wirtschaftens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2.1 Prinzipienebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2.2 Konkrete Forderungen an die Wirtschaftssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
2.3.3 2.4 Kritik 2.4.1 2.4.2 2.4.3
2.3.2.3 Sozialökonomische Rationalität: „Integrative Vermittlung“ von ethischen und ökonomischen Aspekten? . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ............................................................. Leistet die integrative Wirtschaftsethik eine „Integration“ von ethischer und ökonomischer Perspektive? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist die „Transformation“ der ökonomischen Rationalität ein wirtschaftsethisches Desiderat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Verhältnis von moralischer und rechtlicher Normativität . . .
3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann . . . . . . . . . . . . . 3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Der Ausgangspunkt: Das Problem von „moralischem“ Verhalten im ökonomischen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Tiefendimension: Ethik mit ökonomischer Methode . . . . . . . . 3.1.3 Die Unterscheidung von Handlungsebene und Rahmenordnung . . 3.1.4 Die Etablierung der Rahmenordnung: Moral oder Konsens? . . . . . 3.1.5 Konsens und Kooperation: Gemeinsame Interessen oder instrumentelle Präferenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.6 Die Trennung von Motiv und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Diskussion der „Ethik mit ökonomischer Methode“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die Entkopplung von Motiv und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die Genese der Rahmenordnung: Methodischer Individualismus oder Metaphysik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Der Meta-Konsens: Empirische Situation oder theoretisches Postulat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 Die Bedingungen eines empirischen Konsenses . . . . . . . . . 3.2.2.3.1 Rekonstruktion durch Motivationsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3.2 Spieltheoretische Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3.3 Rekonstruktion durch gemeinsame Interessen . . 3.2.2.4 Der Konsens als theoretisches Postulat: Gelingt die gedankliche Rekonstruktion? . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die „Gleichursprünglichkeit“ von Individualität und Kollektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Notwendigkeit einer Grundlegung der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Defizite der Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann . . . . . . . . 4.1.1 Die fehlende Unterscheidung von Ethik und Recht . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Der jeweils vergessene Teil der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Die unvollständige Antwort auf das Problem der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 80 81 81 84 91 97 98 98 102 105 107 112 114 118 118 122 122 126 127 127 128 131 133 138 139 141 141 141 142 143
Inhaltsverzeichnis
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4.2 Primat der Ethik und Eigenständigkeit des Ökonomischen? – Die Frage nach dem Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Systematischer Teil 5 Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Hinführung zur ethischen Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Begründungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Der Kritische Rationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Die Perspektive der Letztbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3.2 Die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit eines X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3.3 Der Wertungsvollzug als der blinde Fleck des Theoretischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3.4 Der unbedingte, praktische Charakter der Wissensfundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Zurückweisung des Begründungsdenkens in der Ethik . . . . . . . . . . 5.2 Sittlichkeit als praktischer Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Implikationen der ethischen Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Material bestimmte Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Der Bestimmungsgrund des Willens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Die normative Orientierung in ihrer Bezogenheit auf den Willen 5.2.5 Die Wertstruktur: Wechselseitige Bezogenheit von Freiheit auf Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Das Problem der Darstellbarkeit von Normativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Negative Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Sittlichkeit als Formalprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Sittlichkeit als positiv-willentlich vollziehbares Prinzip . . . . . . . . . 5.4.3.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3.2 Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146 146 146 157 164 164
6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die Exposition der Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Die Frage nach der Geschichtlichkeit des Ökonomischen . . . . . . . 6.1.2 Das Verhältnis von Ökonomik und Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2.1 Die gegenstandsbezogene Ökonomik: Ökonomie als Marktgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2.2 Die methodenbezogene Ökonomik: Ökonomie als ein Aspekt menschlichen Handelns . . . . . . 6.1.2.3 Methodischer Individualismus und die Bedeutungsvarianten des Bedürfnisbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 6.1.3 Der historische und systematische Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung: Das Ökonomische als apriori mögliche Lebenseinstellung . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Aristotelische Wirtschaftsethik und die ontologische Bestimmung des menschlichen Wesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Das Konzept von Apriorizität als formaler Bestimmungsgrund des Ökonomischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Das Ökonomische als Gegenstand einer überindividuellen Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Zusammenfassung: Die Frage nach der normativen Berechtigung des Ökonomischen als das zentrale Problem der Wirtschaftsethik . . . . . .
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7 Das Recht als die normative Bedingung individueller Handlungsfreiheit 7.1 Das Problem der kollektiven Vereinbarkeit individueller Handlungen . . . 7.2 Mögliche Bewertungen der Unvereinbarkeit individueller Handlungen . . 7.2.1 Vorrechtlicher Egoismus und der Krieg aller gegen alle . . . . . . . . . 7.2.2 Die überindividuelle Perspektive allgemeiner Handlungsfreiheit . . 7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Problemexposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Problemdurchführung: Die Genese individueller Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2.1 Der Gegensatz von Freiheit und Beschränkung . . . . . . . . . 7.3.2.2 Beschränkung als Bestimmung zur Selbstbestimmung . . . 7.3.2.3 Aufforderung und Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2.4 Die Bedingtheit der Aufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2.5 Selbstmitteilung und Aufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2.6 Zusammenfassung der bisherigen Problemlösung: Analytisches oder synthetisches Wechselverhältnis? . . . . . 7.3.2.7 Synthetische Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2.8 Die Wechselbeziehung von Individuen in der Sinnenwelt 7.4 Die Werthaftigkeit individueller Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Die notwendige Positivität des Rechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 Grundlegung der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Zusammenfassung der vorbereitenden Argumentationslinien . . . . . . . . . . . 8.2.1 Moralische Verbindlichkeit und der Vorrang der Ethik . . . . . . . . . . 8.2.2 Das Ökonomische und die Grenze der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . 8.2.3 Das Recht als Bedingung individueller Handlungsfreiheit . . . . . . . 8.3 Das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Das Verhältnis der Moralität zum Ökonomischen . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Das Verhältnis der Rechtlichkeit zum Ökonomischen . . . . . . . . . . . 8.3.2.1 Die Individualität der Zwecksetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2.2 Die faktische Konstituierung von Wirtschaft . . . . . . . . . . .
313 313 314 314 315 316 319 319 324 324 325
293 293 295 297 299 300 302 303 305 308 310
Inhaltsverzeichnis 8.3.2.3 Individuelle Freiheit und ökonomischer Systemzwang . . 8.3.2.4 Das Grundrecht auf Partizipationsverweigerung und die soziale Einbettung des Ökonomischen . . . . . . . . . 8.4 Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Aufgabenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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9 Wirtschaftsethik zwischen Moralismus und Ökonomismus . . . . . . . . . . . . . 340 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Abkürzungsverzeichnis Abb. a. M. Aufl. Bd. bzw. d.h. Diss. ebd. erw. et al. etc. Habil.-Schrift Herv. d. Verf. Hrsg. hrsg. i. Br. insb. Jg. neubearb. Nr. o. S. o. Verl. rev. Sp. u. überarb. verb. vgl. W. L. z. B. z. T. zugl.
Abbildung am Main Auflage Band beziehungsweise das heißt Dissertation ebenda erweitert(e) et alii et cetera Habilitationsschrift Hervorhebung des Verfassers Herausgeber herausgegeben im Breisgau insbesondere Jahrgang neubearbeitet(e) Nummer ohne Seite ohne Verlag revidiert(e) Spalte und überarbeitet(e) verbessert(e) vergleiche Wissenschaftslehre zum Beispiel zum Teil zugleich
1 Ethik und Wirtschaft: Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen 1.1 Problemaufriß Ist Wirtschaftsethik ein hölzernes Eisen? Diese Frage leitet die folgende Untersuchung. Es soll hier also zunächst nicht um die Frage gehen, wie eine Wirtschaftsethik auszusehen hat, sondern vielmehr, ob sie überhaupt möglich ist. „Ist Wirtschaftsethik ein denkbarer Begriff?“, so könnte man die Eingangsfrage dieser Arbeit ebenfalls formulieren. Ein hölzernes Eisen oder einen quadratischen Kreis in der Realität anzutreffen, erwartet niemand von uns, da die jeweiligen Begriffsinhalte einander ausschließen: Weil sie nicht einmal denkbar, verstehbar sind, ist es ist apriori unsinnig, solche Gebilde in der Realität suchen oder für die Realität entwerfen zu wollen. Sie sind unmöglich.1 (Ein Drache z. B. wäre hingegen sehr wohl als raum-zeitlicher Gegenstand denkbar, woraus folgt, daß über seine Existenz allein eine empirische Untersuchung Aufschluß geben kann.) Wer hingegen die Möglichkeit der Existenz eines quadratischen Kreises nicht auszuschließen vermag, wird die Argumentation dieser Arbeit kaum nachvollziehen können. Eine solche kritische Betrachtung der Möglichkeit von Wirtschaftsethik muß den unvoreingenommenen Betrachter befremden. Angesichts der vielfältigen sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme, die mit der globalisierten Marktwirtschaft einhergehen, gehört der Ruf nach Wirtschaftsethik zum Standartrepertoire der öffentlichen Auseinandersetzung. Viele Menschen betrachten die Folgen einer globalisierten Marktwirtschaft mit Unbehagen: die aus Gründen der Profitabilität erfolgende Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen, die Armut der Dritten Welt, die zunehmenden sozialen Ungleichgewichte auch innerhalb der entwickelten Volkswirtschaften, Kinderarbeit und Korruption – die Liste der Themen, die „Wirtschaftsethik“ notwendig zu machen scheinen, läßt sich nahezu beliebig fortsetzen. Ist in all diesen Fällen der Ruf nach „Wirtschaftsethik“ nicht 1 Nach Kant ist ein solches Gebilde als „leerer Gegenstand ohne Begriff“, als „Unding“ zu bezeichnen. Die Definition lautet: „Der Gegenstand eines Begriffs, der sich selbst widerspricht, ist Nichts, weil der Begriff Nichts ist, das Unmögliche, wie etwa die geradlinige Figur von zwei Seiten, (nihil negativum).“ Vgl.: Kant (1781), S. 187 (A 291); Kant (1787), S. 232 (B 348).
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1 Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen
unmittelbar verständlich und einsichtig, weit entfernt davon, denkunmöglich zu sein? Es ist das Spezifikum moralischer Einsichten, daß sie sich nicht zum Schweigen bringen lassen, weder durch autoritären Machtanspruch, noch durch abstrakt-begriffliche Überlegungen. Das, was in einer echten moralischen Einsicht für problematisch befunden wurde, läßt sich nachträglich durch keine Vernünftelei der Welt akzeptabler machen: Es ist und bleibt eben ein moralisches Problem. Auch eine kritische Begriffsreflexion kommt am moralischen Urteil mündiger Subjekte nicht vorbei. Wenn jedoch andererseits marktwirtschaftliche Systeme eigenen Regeln folgen oder gar folgen müssen, und deshalb nicht von vornherein mit ethischen Ansprüchen kompatibel sind, so stellt sich die Frage, welche Konsequenzen aus dem konstatierten moralischen Unbehagen zu ziehen sind. Wenn dieses Unbehagen einerseits tatsächlich eine moralische Qualität besitzt, und die Funktionslogik marktwirtschaftlicher Systeme moralischen Einsichten nicht zugänglich ist, so fällt einer Wirtschaftsethik offenbar die Aufgabe zu, fundamentale Systemkritik zu üben. Das Prinzip „Marktwirtschaft“ wäre unter moralischen Gesichtspunkten abzulehnen. Wenn andererseits einsichtig gemacht werden kann, daß wirtschaftliches Leben berechtigterweise einer Eigenlogik folgt, die andere als moralische Quellen besitzt, wenn Wirtschaft also als a-moralisch zu verstehen ist, dann unterläge eine moralistische Ablehnung offenbar einem Kategorienfehler. Vordringliche Aufgabe einer Untersuchung zur Grundlegung der Wirtschaftsethik wäre es demnach einerseits, die spezifischen normativen Grundlagen einer „wirtschaftsethischen“ Infragestellung der Marktwirtschaft aufzuklären, sowie andererseits, die Frage nach einer normativen Berechtigung der marktwirtschaftlichen Eigenlogik zu beantworten. „Wirtschaftsethik“ muß also mit einer Kritik der für sie grundlegenden Begriffe beginnen. Erst nach der Vermessung der geistigen Inhalte, die durch die Begriffe „Wirtschaft“ und „Ethik“ angezeigt werden,2 läßt sich ihr Verhältnis zuein2 Der Begriff „Wirtschaft“ wird in dieser Einleitung – falls nicht ausdrücklich spezifiziert – bewußt in einer Doppelbedeutung verwendet: Einerseits soll damit die lebensweltliche Sphäre realer Wirtschaft gemeint sein, andererseits die wissenschaftliche Reflexion dieser Sphäre, also die Ökonomik. Wie Hans G. Nutzinger feststellt, ist eine solche Doppelbedeutung im wirtschaftsethischen Kontext „unvermeidlich. Die ethischen Stellungnahmen zum Realsystem Wirtschaft [. . .] sind nämlich nicht unabhängig von der theoretischen Erfassung dieses Realsystems in den Ansätzen ökonomischer Theoriebildung.“ Nutzinger (1996), S. 171 f. Gleiches gilt auch für den Begriff „Ethik“, der einerseits als disziplinäre Bezeichnung für einen Teil der Moralphilosophie, andererseits in der Bedeutung von „Gesamtheit moralischer Ansprüche“ verstanden werden kann. Die Adjektive „ethisch“ und „moralisch“ werden in dieser Einleitung, sofern keine Spezifizierung im Sinne ihrer philosophischen Bedeutung erforderlich ist, dieser Doppeldeutigkeit entsprechend gemeinsam und syno-
1.2 Ausgangspunkt und Methode
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ander sinnvoll thematisieren. Bei einem solchen Vorgehen wird die normative Grundlage, von der aus die wirtschaftliche Logik nach ihrer eventuellen Berechtigung und ihrer normativen Grenze befragt werden kann, erst aus der Untersuchung selbst gewonnen. Das Dilemma zwischen dem normativen Vorrang moralischer Überzeugungen und einer eventuellen Eigenständigkeit der wirtschaftlichen Funktionslogik kann nur dann einsichtig (auf)gelöst werden, wenn diese Eigenständigkeit auf normativer Grundlage thematisiert wird. Diese Grundlage jedoch muß sich ihrerseits erst aus der Beschäftigung mit dem spezifischen Dilemma der „Wirtschaftsethik“ ergeben. Wenn der Wirtschaftsethik statt dessen eine spezifisch moralisch-ethische Grundlage als Ausgangspunkt der normativen Auseinandersetzung vorgegeben wird, ist die Frage nach Berechtigung oder Verurteilung der Eigenständigkeit von Wirtschaft offenbar bereits vorentschieden. Die Aufklärung der positiven Eigenart von Wirtschaft müßte insofern also mit der Untersuchung ihrer normativen Konstituierung systematisch zusammenfallen. Erst in dieser doppelten Aufklärungsleistung kann Wirtschaftsethik ein tragfähiges Fundament finden. Die in dieser Arbeit unternommene kritische Reflexion der Möglichkeit von Wirtschaftsethik stellt sich also keineswegs gegen den Impetus, die Folgen unseres Wirtschaftslebens normativ zu hinterfragen. Diese Arbeit verfolgt vielmehr das Anliegen, diesem Impetus ein belastbares, begrifflichkonzeptionelles Fundament bereitzustellen. Dabei wird jedoch eine vermeintlich „ethische“ Infragestellung von „Wirtschaft“ als Vorurteil entlarvt werden müssen.
1.2 Ausgangspunkt und Methode Im deutschsprachigen Raum liegen mit der „integrativen Wirtschaftsethik“ Peter Ulrichs und der „Ethik mit ökonomischer Methode“ Karl Homanns bereits umfassende und weitverzweigte Gesamtkonzeptionen zum Thema der Wirtschaftsethik vor.3 Insofern ist fraglich, ob die zuvor angesprochene Grundlagenreflexion überhaupt ein Desiderat aktueller Forschung sein kann. Vielmehr muß aufgrund der offensichtlichen konzeptionellen Reife der Disziplin „Wirtschaftsethik“ davon ausgegangen werden, daß die Fragestellung dieser Arbeit schon lange zufriedenstellend beantwortet wurde. Der Gegenbeweis ist nur möglich, indem die bestehenden Konzepnym verwendet, um den unspezifischen Sprachgebrauch der Alltagssprache, aber auch großer Teile der wirtschaftsethischen Literatur abzubilden. In diesem Falle stehen sie, um ihre umgangssprachliche Verwendung deutlich zu machen, in Anführungszeichen. Eine begriffliche Präzisierung sowohl von „Wirtschaft“ als auch von „Ethik“ soll – gemäß der Aufgabenstellung dieser Arbeit – im weiteren Verlauf erst entwickelt werden. 3 Zur Diskussion der aktuellen Literatur vgl. Kapitel 1.3.
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1 Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen
tionen einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Dieser Prüfung ist der erste Teil der Arbeit gewidmet, der sich auf die diametralen Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann konzentriert. Ob angesichts der derzeitigen Forschungslage eine Untersuchung zu den Grundlagen der Wirtschaftsethik notwendig ist, muß an dieser Stelle noch dahingestellt bleiben. Entscheidend ist allein der Hinweis, daß der Versuch einer Bestimmung dieser Grundlagen allenfalls in Auseinandersetzung mit den bestehenden Konzepten gewagt werden darf. Im Vorausgriff auf das Ergebnis des ersten Teiles der Arbeit muß dem Leser jedoch offengelegt werden, von welcher methodischen Grundlage aus die systematische Untersuchung im zweiten Teil der Arbeit ihren Ausgang nimmt. Die Untersuchung des zweiten Teiles greift in ihrer Argumentation auf keine der aktuell prominenten wirtschaftsethischen Positionen oder „Schulen“ zurück, so wie sie im deutschsprachigen Raum insbesondere mit den Namen Peter Ulrich, Horst Steinmann4 und Karl Homann verbunden werden.5 Statt dessen wird ein im Vergleich zur aktuellen Literatur eigenständiger Diskussionsweg eingeschlagen. Dieser Weg orientiert sich in seinen grundlegenden Aussagen an Positionen, die von Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte entwickelt wurden. Deren Gedanken bzw. Texte bilden den gedanklichen Hintergrund, vor dem das Problem einer Wirtschaftsethik für die heutige Zeit neu und in eigenständiger Weise erörtert werden soll. Im einzelnen werden dabei viele Argumente entwickelt, deren geistige Ursprünge bei Kant und Fichte liegen und dahingehend auch belegt werden. Zudem ist der Autor davon überzeugt, daß die hier vorgetragene Argumentation insgesamt auf den transzendentalen Ansatz der Philosophie zurückgeführt werden kann, so wie er in den Texten Kants und Fichtes entwickelt wurde. Aber es muß nachdrücklich betont werden, daß der Nachweis einer solchen Übereinstimmung im Rahmen einer hermeneutischen und interpretatorischen Analyse dieser Texte nicht Ziel und Anspruch dieser Arbeit ist. Das veranschlagte Interesse ist ein rein systematisches, nicht jedoch ein historisches: Es soll untersucht werden, ob – und gegebenenfalls wie – eine Wirtschaftsethik konzipiert werden kann, nicht jedoch, ob die überlieferten Texte von Kant und Fichte als Stütze für die hier vorgetragene Argumentation tatsächlich in Anspruch genommen werden dürfen. Gleichwohl muß sich diese Arbeit in einigen wichtigen Punkten mit etablierten Interpretationen zu diesen Philosophen auseinandersetzen, um verbreitete Mißverständnisse und gedankliche Fehlstellungen korrigieren zu können, deren Spätfolgen auch die aktuelle wirtschaftsethische Debatte belasten. 4
Die wirtschaftsethische Position von Horst Steinmann und Albert Löhr wird in monographischer Form dargestellt in: Steinmann/Löhr (1994). Vgl. auch: Steinmann/ Löhr (Hrsg.) (1989); Steinmann/Scherer (Hrsg.) (1998). 5 Vgl. König (1999), S. 55.
1.3 Der Beitrag dieser Arbeit zur aktuellen Diskussion
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Die in dieser Arbeit verwendete Methode der Reflexion ist transzendental: Durch die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit der verwendeten Begriffe „Ethik“ und „Wirtschaft“ sollen diese auf eine apriorische Struktur und Bedeutung hin befragt werden. Es werden also die Bestimmungen unseres Wissens untersucht, die erfüllt sein müssen, wenn wir den untersuchten Begriffen überhaupt eine verstehbare Bedeutung beimessen wollen. Die oberste philosophische Bedingung dieser Wissensbestimmungen ist dabei dasjenige Wissen, in dem wir uns selbst schlechthin unmittelbar und fraglos präsent sind.6
1.3 Der Beitrag dieser Arbeit zur aktuellen Diskussion Unabhängig von der im ersten Teil der Arbeit unternommenen Überprüfung der Notwendigkeit einer Untersuchung zu den Grundlagen der Wirtschaftsethik soll in diesem einführenden Kapitel der Beitrag verdeutlicht werden, den eine transzendentalphilosophische Begriffsreflexion in Bezug auf die aktuelle wirtschaftsethische Diskussion leisten kann. 1.3.1 Die Frage nach dem Ausgangsparadigma von Wirtschaftsethik Zur Bemessung der Relevanz dieser Arbeit im aktuellen Kontext ist vor allem festzuhalten, daß die vielfältigen Ansätze zur Wirtschaftsethik sich fundamental in der Frage widersprechen, wie das prinzipielle Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie auszusehen habe. Auch in der bislang umfassendsten deutschsprachigen Publikation zur Wirtschaftsethik – dem vierbändigen „Handbuch der Wirtschaftsethik“7 – wird eine prinzipielle Differenz konstatiert zwischen denjenigen aktuellen Ansätzen, deren Ausgangsparadigma in der Ökonomik liegt, und jenen, die sich wesentlich auf ein ethisches Paradigma berufen.8 Als prominentes Beispiel für diesen Gegensatz können die Positionen von Karl Homann und Peter Ulrich angeführt werden, die im Fortgang dieser Arbeit ausführlich diskutiert werden. Während jener die Methodik der Ökonomik sogar in das Fundament der Ethik eingebaut wissen möchte, hält dieser den prinzipiellen Vorrang einer autonomen Ethik vor ökonomischen Überlegungen für unaufgebbar. 6 Dieses Wissen kann – bei Nichtbeachtung der fundamentalen Systemunterschiede – angedeutet werden mit dem „cogito“ im Sinne Descartes, dem „‚Ich denke‘, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“ im Sinne Kants, der „Tathandlung“ bzw. der „Setzung des Ich durch sich selbst“ im Sinne Fichtes. Dieses Wissen ist also als derjenige Vollzug zu verstehen, der selbst nie gegeben, für den aber alles gegeben ist. Eine Hinführung zu dieser obersten philosophischen Bedingung wird in Kapitel 5.1 unternommen. 7 Korff et al. (Hrsg.) (1999). 8 Vgl. Korff et al. (Hrsg.) (1999), Band 1, S. 29. Vgl. auch ebd., S. 27.
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In dieser Situation sich paradigmatisch widersprechender Ansätze zur Wirtschaftsethik, die jeweils für sich beanspruchen, das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik richtig bestimmt zu haben, könnte eine pragmatisch orientierte Wissenschaftsauffassung zu dem Schluß kommen, daß es am besten sei, beide Ansätze für sich getrennt weiterzuverfolgen und ihre wissenschaftliche Dignität anschließend an den in Bezug auf konkrete Probleme jeweils vorgelegten Resultaten zu messen.9 Allein, es läßt sich auf diesem Wege nie die Frage klären, was denn das zu behandelnde Problem eigentlich sei und an welchem Maßstabe sich seine vermeintliche Lösung zu messen habe. Jedenfalls soll hier für diese Arbeit ausgeschlossen werden, daß sich normative Fragen – und solche sind für eine Wirtschaftsethik zumindest als nicht unerheblich zu erwarten – durch den Verweis auf faktische „Resultate“ entscheiden ließen. Was der Ausgangspunkt und die Fragestellung einer sinnvollen Wirtschaftsethik sein soll, läßt sich nicht durch die Untersuchung ausmachen, ob die jeweiligen wirtschaftsethischen Ansätze diejenigen Fragen beantwortet haben, die sie sich selbst zuvor gestellt hatten. Da diese paradigmatische Differenz als solche in der aktuellen Literatur wahrgenommen und angesprochen wird, muß sich die Disziplin der „Wirtschaftsethik“ offenbar eingestehen, daß die Frage, wie Ethik und Wirtschaft überhaupt aufeinander zu beziehen sind, noch nicht eindeutig und für alle einsehbar beantwortet wurde.10 Wenn aber diese Frage noch nicht als geklärt gelten kann, dann bleibt damit im letzten auch die Berechtigung der jeweiligen Ansätze fraglich. Aus diesen Gründen verlangt die in der Literatur bestehende und als solche auch offen zugestandene paradigmatische Differenz nach einer wissenschaftlichen Aufarbeitung.11 9 In solchem Zusammenhang wird oft der Begriff des „heuristischen Potentials“ eines wissenschaftlichen Ansatzes verwendet, worunter die Wahrscheinlichkeit zu erwartender Problemlösungen zu verstehen ist, wenn der jeweilige Ansatz im konkreten Fall eines wissenschaftlichen Problems in Anschlag gebracht wird. 10 Das belegt auch die Einschätzung von Peter Ulrich: „Die paradigmatischen Inkommensurabilitäten zwischen Ethik und Ökonomik bzw. zwischen verschiedenen, jeweils primär von der einen oder der anderen Disziplin her ‚denkenden‘ Ansätzen der Wirtschaftsethik sind so erheblich, dass auch nach mittlerweile bald 15 Jahren wirtschaftsethischer Debatte selbst in grundlegenden Fragen kaum Annäherungen stattgefunden haben.“ Ulrich (2000b), S. 631, Abschnitt (1). 11 Das grundlegende Verhältnis von Wirtschaft und Ethik ist in der Literatur zwar thematisiert worden, jedoch meist unter einer der beiden (stillschweigenden) Voraussetzungen, daß Wirtschaft und Ethik entweder in irgendeiner Weise aufeinander zu beziehen sind, oder aber keinerlei Berührungspunkte besitzen. Eine Verhältnisbestimmung, die auf einer systematisch-philosophischen Begriffsentwicklung aufbaut, ist noch nicht geleistet worden. Eingehend beschäftigt sich Peter Koslowski (vgl. Koslowski (1988)) mit der – seiner Ansicht nach möglichen – „Vereinigung von Ökonomie und Ethik“, die er als „Ethische Ökonomie“ bezeichnet (vgl. ebd., S. 305). Diese Vereinigung besteht allerdings lediglich darin, ethische und wirtschaftliche An-
1.3 Der Beitrag dieser Arbeit zur aktuellen Diskussion
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Eine solche Aufarbeitung läßt sich jedoch vor allem über eine grundlagenkritische Reflexion der verwendeten Begriffe „Ethik“ und „Wirtschaft“ erreichen. Denn über eine Bestimmung der Bedeutungsgehalte, die mit diesen Begriffen notwendig jeweils verbunden sind, ließe sich – falls eine solche Bestimmung möglich ist – zugleich auch die Frage beantworten, ob forderungen an das Handeln zu parallelisieren: „Die Bestheit des Handelns unter der ethischen Bedingung der Geltung der menschlichen Würde UND [Herv. d. Verf.] der ökonomischen Bedingung der Effizienz ist das Ziel der Ethischen Ökonomie.“ Ebd., S. 304. Inwieweit ein solches „und“ zwischen „der ethischen Bedingung“ und „der ökonomischen Bedingung“ prinzipiell denkbar ist, wird nicht dargelegt. So fordert Koslowski z. B. für den Fall einer fortschreitenden Erosion der Moral im Wettbewerbskampf umstandslos, daß die jeweiligen „Branchenführer“ und „marktbeherrschenden Unternehmen“ „als Vorreiter vorangehen und unter Umständen auch Vorleistungen für das halböffentliche Gut Wirtschaftsethik [. . .] erbringen“ (vgl. ebd., S. 222 f.). Daß solche ethischen „Vorleistungen“ für diese Unternehmen erstens ökonomisch sowohl möglich als auch sinnvoll sind, und zweitens von den anderen Unternehmen nachgeahmt und nicht ausgenutzt werden, wird von Koslowski schlicht behauptet. Auf diesem Wege vermag er Ethik und Ökonomie zu „vereinigen“. Hans G. Nutzinger untersucht in seinem Aufsatz „Zum Verhältnis von Ökonomie und Ethik – Versuch einer vorläufigen Klärung“ die drei wirtschaftsethischen Ansätze von Peter Ulrich, Karl Homann und Horst Steinmann/Albert Löhr im Hinblick auf das von Arthur Rich geprägte Kriterienpaar von „Menschengerechtem“ und „Sachgemäßen“. Über die Feststellung, daß sich diese Kriterien „gegenseitig bedingen“ und „daher wechselseitig aneinander zu messen“ sind, kommt Nutzinger – hinsichtlich der Frage nach dem prinzipiellen Verhältnis von Wirtschaft und Ethik – jedoch nicht hinaus. Vgl. Nutzinger (1996), S. 174 f. Zum wirtschaftsethischen Ansatz von Arthur Rich vgl. Rich (1992). Annemarie Pieper geht in ihrer Untersuchung „Ethik und Ökonomie: Historische und systematische Aspekte ihrer Beziehung“ ebenfalls keiner prinzipiellen Klärung dieser Beziehung nach. Statt dessen führt sie zu Beginn – ohne jeden Ausweis der Vollständigkeit – drei „Typen von Antworten“ auf die Frage nach dem Zusammenhang von moralischem und wirtschaftlichem Handeln ein. Vgl. Pieper (1990), S. 86. Zuletzt formuliert sie „programmatisch drei Bausteine zu einer zeitgemäßen Wirtschaftsethik [. . .], DIE DAVON AUSGEHT [Herv. d. Verf.], daß in einer humanen Lebenswelt die Forderung der Ethik nach Moralität und die Forderung der Ökonomie nach Wirtschaftlichkeit in der Praxis miteinander verträglich gemacht werden können und müssen.“ Pieper (1990), S. 97. Damit umgeht auch sie das entscheidende Problem nachzuweisen, daß eine solche Verträglichkeit – begrifflich sowohl als lebensweltlich – überhaupt geleistet werden kann. In diesem Zitat spiegelt sich eine Tendenz zeitgenössischer Wirtschaftsethik, aufgrund eines wohlgesinnthumanen Bedürfnisses nach einer Verträglichkeit von Wirtschaft und Ethik deren prinzipielle Möglichkeit als unproblematisch vorauszusetzen. Wegweisend für die Klassifizierung von im weitesten Sinne „wirtschaftsethischen“ Ansätzen ist nach wie vor die Einleitung zum Band „Wirtschaftswissenschaft und Ethik“ des Vereins für Socialpolitik aus dem Jahr 1988. Vgl. Homann/Hesse/Böckle et al. (1988), S. 9 ff. Die Herausgeber bieten einen differenzierten und problembewußten Überblick über bestehende Ansätze zur Wirtschaftsethik. Allerdings werden auch hier lediglich verschiedene Aspekte der Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Ethik problematisiert. Diese Frage selbst wird jedoch nicht in ihrer prinzipiellen Bedeutung behandelt, aus der unterschiedliche Aspekte erst abgeleitet werden müßten.
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1 Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen
und gegebenenfalls wie diese Begriffe aufeinander zu beziehen sind. Also erscheint es als geboten, die Begriffe „Ethik“ und „Wirtschaft“ zunächst unabhängig von jeder wirtschaftsethischen Problemstellung jeweils für sich in ihrem eigenständigen Gehalt zu untersuchen, und nicht von dem als legitim vorausgesetzten Bedürfnis nach einer „ethischen“ Reflexion, Rechtfertigung oder gar Beeinflussung wirtschaftlicher Vorgänge auszugehen. Ein solches Anliegen zum Ausgangspunkt einer wirtschaftsethischen Grundlagenbestimmung zu wählen, könnte sich insofern als fatal erweisen, als damit bereits vorausgesetzt wird, daß „Ethik“ und „Wirtschaft“ in irgendeiner Weise sinnvoll aufeinander zu beziehen sind. Dabei hat es den Anschein, daß diese Voraussetzung, die identisch ist mit der Annahme, daß Wirtschaftsethik möglich ist, von den profilierten Wirtschaftsethikern geteilt und als selbstverständlich angesehen wird.12 Lediglich in der Frage, wie „Ethik“ und „Wirtschaft“ zusammenhängen, herrscht Uneinigkeit. Es wird sich zeigen, daß die in dieser Arbeit verfolgte transzendentale Untersuchung keine der insbesondere von den beiden exponiertesten Vertretern, Karl Homann und Peter Ulrich, vorgebrachten Überlegungen von vornherein gänzlich ablehnen muß. Statt dessen wird sie es erlauben, das jeweilige – einschränkend muß hinzugefügt werden: wohlverstandene – Anliegen beider Positionen zur Geltung bringen zu können. Das belegt, daß auch abstrakte philosophische Überlegungen, die zudem noch weit abseits des wissenschaftlichen Mainstream zu liegen scheinen, anschlußfähig bleiben können an die konkreten Aussagen der zeitgenössischen Wissenschaft. Ein transzendentaler Ausgangspunkt, der sich unmittelbar an Argumente anschließt, die vor 200 Jahren entwickelt wurden, muß also keineswegs zu Ergebnissen führen, die jenseits der gegenwärtigen Diskussion liegen. Zudem eignet sich der hier eingeschlagene Weg transzendentaler Begriffsreflexion auch deshalb für eine Grundlegung der Wirtschaftsethik, weil er prinzipielle gedankliche Weichenstellungen und Positionen zwanglos einzubeziehen und zu prüfen vermag, die prominente wissenschaftliche Grundauffassungen prägen und damit auch für diejenigen wirtschaftsethischen Positionen unmittelbar relevant werden, die sich auf jene Grundlagen beziehen. So wird in der vorliegenden Arbeit die Position des kritischen Rationalismus kritisch untersucht. Eine Auseinandersetzung mit dieser grundlegenden 12 Unter den prominenten Wissenschaftlern, die sich zum Thema Wirtschaftsethik äußern, hält insbesondere Niklas Luhmann Wirtschaftsethik für ein opakes Unterfangen. Vgl. Luhmann (1993), S. 134: „Die Sache hat einen Namen: Wirtschaftsethik. Und ein Geheimnis, nämlich ihre Regeln. Aber meine Vermutung ist, daß sie zu der Sorte von Erscheinungen gehört wie auch die Staatsräson oder die englische Küche, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheimhalten müssen, daß sie gar nicht existieren.“ Auch Wolfgang Kersting steht der Wirtschaftsethik als eigenständiger, wissenschaftlicher Disziplin kritisch gegenüber. Vgl. Kersting (1996), S. 191.
1.3 Der Beitrag dieser Arbeit zur aktuellen Diskussion
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Wissenschaftsauffassung ist vor allem deshalb indiziert, weil die dort vertretene Ablehnung eines absoluten Wahrheitsanspruches zugunsten des Prinzips fallibler Geltungsansprüche ein transzendentales Vorgehen prinzipiell trifft. Zudem sind im Bereich wirtschaftsethischer Publikationen auch Arbeiten zu verzeichnen, die sich auf den kritischen Rationalismus berufen.13 Weiterhin muß diese Arbeit sich auch mit grundlegenden Positionen der Diskursethik auseinandersetzen. Peter Ulrich konzipiert seine Wirtschaftsethik ausdrücklich auch auf deren Grundlage. Im Hinblick auf die Wirtschaftsethik von Karl Homann hingegen sind insbesondere Argumente zu prüfen, die auf die Moralphilosophie von Adam Smith zurückgehen. Aber auch spieltheoretische Überlegungen spielen bei diesem Autor eine Rolle. Zusammenfassend ergibt sich die Berechtigung eines transzendentalen Beitrages zur Wirtschaftsethik also insbesondere daraus, daß er aus den genannten Gründen geeignet erscheint, die noch unbeantwortete Frage nach dem Ausgangsparadigma von Wirtschaftsethik unter Einbezug der jeweils relevanten wissenschaftlichen Grundpositionen systematisch zu behandeln. 1.3.2 Die Beseitigung konzeptioneller Unschärfen Aus transzendentalphilosophischer Sicht sind in der aktuellen wirtschaftsethischen Debatte konzeptionelle Unschärfen zu bemerken, die das eigentliche Problem der Wirtschaftsethik verstellen. Eine transzendentale Grundlagenreflexion kann dazu beitragen, diese Fehlstellungen zu beheben, indem sie, ohne auf aktuell involvierte Positionen zurückgreifen zu müssen, die gedanklichen Grundlagen aufdeckt, die zu diesen Fehlstellungen führen. Die wesentlichen Unschärfen der aktuellen Debatte sollen im folgenden benannt werden. 1. In vielen Arbeiten zur Wirtschaftsethik, die in einem ökonomischen Kontext beheimatet sind, wird Altruismus als ein wesentliches Moment moralischen Verhaltens angesehen14 bzw. einem vermeintlichen „Feind13
So verwendet z. B. Gerhard Engel den kritischen Rationalismus explizit als Grundlage für die von ihm vertretene „pragmatische Moralskepsis“. Vgl. Engel (1997), insb. S. 76–85. Auch Detlef Aufderheide stützt sich in seiner Argumentation an zentraler Stelle auf den kritischen Rationalismus. Vgl. Aufderheide (1995), insb. S. 82 f. 14 Karl Homann etwa spricht von jenen Theoretikern, „die meinen, eine Theorie der Moral käme ohne eine Prise Altruismus nicht aus [. . .].“ Homann (2001), S. 220. Vgl. auch die dort gegebenen Literaturbelege. Detlef Aufderheide verteidigt das ökonomische Konzept der Nutzenfunktion mit dem Hinweis, dieses sei in der Lage, auch altruistisches Verhalten abzubilden (wenn in der individuellen Nutzenfunktion der Konsum von Gütern durch eine andere Person positiv berücksichtigt wird), wodurch „tatsächlich die unmittelbare Einbeziehung eines im Sinne ethischer Über-
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bild“ von Moral als wesentlich unterstellt.15 Unter Altruismus ist dabei ein Verhalten zu verstehen, das nicht das je eigene Wohl, sondern das der anderen zur Motivationsgrundlage hat und damit im Gegensatz zu einem rein egoistischen oder eigeninteressierten Verhalten steht. Nach dem Verständnis dieser eher ökonomisch orientierten Arbeiten stellt sich damit für die Wirtschaftsethik vor allem das grundlegende Problem, wie die für wirtschaftliche Überlegungen zentrale Annahme der Eigeninteressiertheit ökonomischer Akteure gegenüber dem vermeintlich „ethischen“ Anspruch auf altruistisches Handeln gerechtfertigt werden kann. Diese Rechtfertigung fußt unter anderem auf dem Argument, daß individuelles Vorteilsstreben – verstanden als Gegensatz zu altruistischem Handeln – innerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt steigere.16 Es wird im Verlauf dieser Arbeit nachzuweisen sein, daß sich der ethische Anspruch nicht im geringsten durch Altruismus abbilden läßt, und insofern weite Teile der (ökonomisch orientierten) Wirtschaftsethik gegen einen Phantomgegner fechten, ohne das eigentlich ethische Problem überhaupt nur zu berühren. Aus diesem Nachweis ergibt sich zudem, daß die Annahme quantifizierbarer Zielgrößen im Kontext der Ethik verfehlt ist, und deshalb auch die „gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt“ nicht als eine Zielkategorie für die Steuerung wirtschaftlicher Vorgänge unter ethischem Anspruch in Frage kommt. 2. Eine weitverbreitete Auffassung erwartet von Ethik – hier verstanden als philosophische Disziplin – die Entwicklung normativer Orientierungshilfen für in konkreten moralischen Problemen befangene Akteure.17 Inslegungen vernunftbetonten, moralischen Verhaltens möglich wird.“ Aufderheide (1995), S. 50 f. 15 Vgl. das Zitat in der folgenden Fußnote. 16 Diese verbreitete Argumentationsweise – Zurückweisung der Forderung nach Altruismus mit dem Argument der Wohlfahrtsmehrung – belegt folgende Passage aus dem „Handbuch zur Wirtschaftsethik“: „Insbesondere in wirtschaftlichen Kreisen besteht das berechtigte Misstrauen gegenüber einer Ethik, die glaubt, die Wohlfahrt der Menschheit durch unmittelbare Induktion altruistischer Motive in das ökonomische Handeln sicherstellen zu können. Wirtschaft erscheint unter dieser Voraussetzung einem Anspruch unterworfen, der die ihr eigenen, auf dem Selbstinteresse und dem Wettbewerb der wirtschaftenden Akteure beruhenden Bedingungen ihrer Leistungsfähigkeit zu zerstören droht. Es gibt in der Tat solche Fehlformen ethischen Argumentierens [. . .]. Demgegenüber hat die geschichtliche Erfahrung gezeigt, dass es gerade die Faktoren des Selbstinteresses und des Wettbewerbs sind, die in komplexen, anonymen Gesellschaften zur gesellschaftlichen Wohlfahrt weitaus effizienter beizutragen vermögen als jedes unmittelbar altruistische Handeln.“ Korff et al. (Hrsg.) (1999), Band 1, S. 23. 17 Hans-Balz Peter fordert solche Hilfestellung ein, wenn er gegenüber Jürgen Habermas geltend macht: „Aber sie [die philosophische Ethik] hätte doch wohl die
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besondere an die Adresse der Wirtschafts- und Unternehmensethik wird der Anspruch formuliert, sie müsse in der wirtschaftlichen Praxis unmittelbar relevant werden können und wirtschaftlichen Akteuren mit Handlungsempfehlungen für typische Konfliktfelder an die Hand gehen.18 Diese Erwartungshaltung spiegelt sich auch in der Etablierung eines Marktes für „Ethikseminare“ und verwandte Veranstaltungen für Manager und Wirtschaftsführer. Die wirtschaftsethische Debatte von dem Anspruch auf unmittelbar praxisrelevante Aussagen zu befreien, ist deshalb so wichtig, weil dieses pragmatische Anliegen den praktisch-ethischen Anspruch der Autonomie zu gefährden droht. Eine wissenschaftliche Ethik hat gegenüber allen vermeintlich „ethischen“ Hilfestellungen zu betonen, daß die unmittelbare Verantwortung eines moralischen Subjektes – also einer jeden Person – sich durch keine Instanz abmildern läßt. 3. In einer abstrakteren Sichtweise besteht das Geschäft einer wissenschaftlichen Ethik irrtümlich darin, zwar nicht Handlungsempfehlungen bezogen auf konkrete Situationen zu geben, aber zumindest auf abstrakterem Niveau material bestimmte Normen bereitzustellen.19 Unter einer mateAufgabe, die praktische Wahrnehmung von Verantwortung methodisch und kriterial zu erleichtern.“ Peter (1996), S. 28. Vgl. auch die nachträgliche Beschreibung der Zielsetzung eines „Expertengesprächs“ zur Wirtschaftsethik, die Nutzinger (1991), S. 6 gibt: „Ziel der gemeinsamen Überlegungen sollte es sein, anhand typischer Problemfelder (Entwicklungsländer, soziale Beziehungen in der Produktion, Umwelt) Maßstäbe für verantwortliches Handeln zu entwickeln [. . .].“ 18 Vgl. Meran (1991), S. 21: „Wirtschaftsethik ist angewandte Ethik. Sie macht es sich zur Aufgabe, zunächst zu klären, in welcher Weise sowohl das wirtschaftliche Denken und Handeln als auch die institutionelle Ordnung der Wirtschaft einer moralischen Beurteilung unterliegen, sodann diejenigen Prinzipien und Normen der Moral aufzustellen und zu rechtfertigen, denen das wirtschaftliche Handeln und die Wirtschaftsordnung unterworfen werden sollen, schließlich in MORALRELEVANTEN, UNTERNEHMERISCHEN UND WIRTSCHAFTSPOLITISCHEN ENTSCHEIDUNGSSITUATIONEN KONKRETE HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN AUSZUSPRECHEN [Herv. d. Verf.].“ Vgl. auch Hanekamp (2001), S. 57: „Eine Unternehmensethik sollte zwei Kriterien erfüllen, um in der Praxis relevant werden zu können: Sie muss einfach zu verstehen sein, d.h., sie muss im Alltag der Adressaten fußen, und sie muss einfach umzusetzen sein, d.h. für den Alltag brauchbar sein, ohne diesen zu verunmöglichen. [Fußnote] Eine Unternehmensethik soll z. B. helfen, im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen und Handlungen auftretende inter- und intrapersonale Konflikte zu verarbeiten.“ 19 Ausdrücklich beklagt Hans-Balz Peter den Mangel an materialen Normen in der Wirtschaftsethik: „In der Tat – Fähigkeit oder Mut und Bereitschaft zu ‚materialen‘ Normen scheinen abhanden gekommen zu sein – sie sind einer Hemmung oder Scham vor normativer Festlegung gewichen, [. . .]. Die Zurückhaltung weist sich in der Konsequenz als sittliche Indifferenz aus, die postmoderner Beliebigkeit das Feld räumt. Die Begründungsmöglichkeit und damit die inhaltliche Vertretungsmöglichkeit von Normen scheinen abhanden gekommen.“ Peter (1996), S. 17. Daß die Zu-
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1 Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen
rial bestimmten Norm ist dabei eine allgemeine, nicht unmittelbar auf konkrete Situationen bezogene Handlungs- oder Verhaltensvorschrift zu verstehen, die mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit auftritt. Dieser Hang disziplinärer Ethik zu materialen Normen verdankt sich dabei meist einer Orientierung an der konventionellen Moral als einem historisch, kulturell und sozial vermittelten und damit kontingenten System solcher Normen. Ethik orientiert sich also in diesem Verständnis strukturell an den vorfindbaren Moralsystemen und versucht, diese in einem hier nicht näher zu interessierenden Sinn wissenschaftlich-rational zu bearbeiten.20 Dieser Auffassung von Ethik wird die Unterscheidung von Moral als einem konventionellen Normensystem einerseits und Moralität/Sittlichkeit im Sinne Kants andererseits entgegenzuhalten sein: Philosophische Ethik als Wissenschaft kann sich nur zu dem apriorischen – und insofern universalen – Prinzip der Moralität äußern, während Moral in all ihrer kulturellen und historischen Mannigfaltigkeit allein empirischen Wissenschaften – Kant spricht von „praktischer Anthropologie“21 – vorbehalten bleibt. Die Betonung des Unterschiedes von Moral und Moralität rührt insbesondere daher, daß einer Norm – als kleinstem Element eines konventionellen Moralsystems –, die material bestimmt ist, keine letztgültige Verbindlichkeit zukommt, und zwar ausschließlich deshalb, weil sie material bestimmt ist.22 Hingegen wird ein normatives Prinzip – Stichwort: Moralität –, das für sich prinzipielle Geltung beanspruchen kann, immer formal bleiben müssen. Diese Formalität aber mit Hegel als das leere Produkt einer vollständigen Abstraktion zu verstehen, das anschließend beliebige Inhalte willkürlich in sich aufnehmen könne,23 stellt wiederum ein fundamentales Mißverständnis und eine eklatante Unterbierückweisung materialer Normativität in der Ethik keiner „postmodernen Beliebigkeit“ oder „sittlichen Indifferenz“ das Wort redet, wird in dieser Arbeit nachzuweisen sein. 20 Vgl. Nida-Rümelin (1996), S. 42: „Das Ausgangsmaterial der Ethik sind unsere moralischen Überzeugungssysteme, die sie versucht kohärenter zu machen, oftmals durch Modifikation.“ 21 Vgl. Kant (1785), S. 388. 22 So kennt – um in einem Beispiel eine vorläufige Plausibilisierung zu geben – sogar die Lehrmeinung der katholischen Kirche die moralische Berechtigung des Tyrannenmordes, obwohl sie zugleich an der Gottgegebenheit und damit an der letzten Verbindlichkeit des 5. Gebotes: „Du sollst nicht töten“ festhält. Das 5. Gebot kann hier als Beispiel für eine material bestimmte Norm mit Verbindlichkeitsanspruch angesehen werden, die Berechtigung des Tyrannenmordes als eine Art „Ausnahme“, die die strikte Verbindlichkeit dieser Norm, als einer material bestimmten, aber gerade aufhebt. 23 Vgl. Hegel (1802/03), S. 460 f.
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tung der kantischen Problemstellung dar.24 Vielmehr ist diese Formalität als der apriorische Rahmen zu verstehen, der die notwendige Bedingung der Möglichkeit jeweils konkret zu vertretender moralischer Ansprüche abgibt. Daß diese Formalität nicht leer und bedeutungslos ist, wird sich im hier interessierenden wirtschaftsethischen Zusammenhang unter anderem darin zeigen, daß die kantische Moralität das Eigeninteresse, im Sinne einer Orientierung an Neigungen, kategorisch als obersten subjektiven Motivationsgrund – nicht jedoch als methodisches Prinzip der ökonomischen Wissenschaft – ausschließt. In einem fichteschen Verständnis wird dieser Formalität zudem, ihrer kantischen Negativität entkleidet, eine praktisch-positive Bedeutung beizumessen sein. Die Betonung des kantischen Moralitätsbegriffes gegenüber allen morallastigen Ethikentwürfen wird es einerseits erlauben, den unbedingten ethischen Vorbehalt gegenüber ökonomischen Überlegungen, so wie ihn insbesondere Peter Ulrich einfordert, in einem bestimmten Sinne zu bestätigen, ohne damit andererseits die von Karl Homann hervorgehobene systemisch-funktionale Eigenständigkeit von Wirtschaft relativieren zu müssen. Mit der Klarstellung dieses Ergebnisses könnte die wirtschaftsethische Debatte von einer enormen Hypothek befreit werden. 4. Die Art und Weise der „Bereitstellung“ von Normen durch die Ethik wird heute zumeist als Begründung verstanden.25 Die wissenschaftliche Disziplin der Ethik hat es nach jener Auffassung also vor allem mit der Begründung von Normen zu tun. Unter Begründung im Kontext der Ethik ist dabei ein rationales Verfahren zu verstehen, das die Problematizität des zu begründenden Soll-Satzes überwindet, indem dieser Satz zurückgeführt wird auf einen anderen, dessen Geltung als nicht problematisch ausgewiesen oder zumindest angenommen wird. Die Rationalität des Verfahrens hängt dabei an der verwendeten Art der Zurückführung: Diese muß logisch nachvollziehbar, allein dem „zwanglose[n] Zwang des besseren ARGUMENTES [Herv. d. Verf.]“26 verpflichtet bzw. gegenüber allen mit sogenannten „gute[n] Gründe[n]“27 vertretbar sein. 24
Auch Jürgen Habermas nimmt Kant gegenüber Hegel hinsichtlich des Formalismusvorwurfes zumindest teilweise in Schutz. Vgl. dazu seine Abhandlung: „Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu?“, Habermas (1991), S. 9–30, insb. S. 21 f. 25 Aus den nahezu ubiquitären Belegen sei hier beispielhaft Hans G. Nutzinger angeführt, der „die ursprüngliche Funktion der Ethik als Begründung moralischer Normen“ bestimmt. Nutzinger (1996), S. 174. 26 Habermas/Luhmann (1971), S. 137. 27 Die Bedeutung von guten Gründen und Argumenten in einer dialogisch orientierten Ethik machen z. B. Steinmann/Löhr durch folgende Charakterisierung der Dialogethik deutlich: „Die Dialogethik fordert ein Bemühen um gute Gründe. Man
28
1 Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen
Damit wird das Problem der Geltung von Soll-Sätzen assimiliert an dasjenige der Geltung von Ist-Sätzen: In beiden Fällen ist das Begründungsverfahren logisch-rational, d.h. auf Erkenntnis, ausgerichtet.28 Unabhängig von den Einwendungen des kritischen Rationalismus gegen das Begründungsdenken – diese werden im folgenden als durchaus berechtigt hinsichtlich der ethischen Fragestellung nachgewiesen – ist einem solchen Vorgehen in der Ethik aus Sicht der Transzendentalphilosophie zu widersprechen: Ethik behandelt aus transzendentaler Perspektive das Problem des Praktischen, d.h. dasjenige Problem, das sich uns unmittelbar aufdrängt, sobald wir uns in unserem Willen als frei verstehen.29 Die Geltung von Soll-Sätzen, d.h. ihr Gesolltsein, wird dabei nicht als „erkenntnisanaloger Anspruch“30 aufgefaßt, sondern als ein Selbstverhältnis des freien Willens zu sich. Diesem willentlichen Selbstverhältnis gegenüber bleibt jede Argumentation mit „guten Gründen“, jede rationale Begründung, jedes logische Verfahren vollständig steril.31 Vielmehr geht ein grundsätzliches willentliches Selbstverhältnis – Autonomie im kantischen Sinne – jedem theoretischen, logisch-rationalen, arkann sie deshalb als eine Vernunftethik bezeichnen, die die Menschen dazu auffordert, die Zwecke des eigenen Handelns begründet selbst zu bestimmen. [. . .]. Die Dialogethik fordert eine argumentative Verständigung im Dialog. Die Einlösung des Vernunftanspruches muß über die argumentative Verständigung zwischen Betroffenen gewährleistet werden.“ Steinmann/Löhr (1994), S. 84 ff. 28 Diese Auffassung vertritt in besonderer Klarheit Nida-Rümelin. Vgl. NidaRümelin (1996), S. 38: „Moralische Überzeugungen werden in der gleichen Weise begründet wie außermoralische.“ Vgl. auch ebd., S. 41 f.: „Ethische Theorien sind ganz normale Theorien, sie beruhen nicht auf selbstevidenten Vernunftwahrheiten, sie lassen sich nicht aus kritikresistenten Propositionen als Bedingung der Möglichkeit des normativen Diskurses ableiten, sie stellen aber auch nicht bloße Verallgemeinerungen unserer situationsbezogenen singulären moralischen Intuitionen dar. Es gibt kein besonderes Problem der ethischen oder moralischen Begründung.“ 29 Im Kontext der Wirtschaftsethik weitverbreitet ist hingegen eine Begriffsverwendung, die das Problem des Praktischen in der Bewältigung konkreter alltäglichlebenspraktischer Situationen sieht. Auch für die gegenwärtige philosophische Ethik ist es bezeichnend, daß ein philosophisches Verständnis für das Problem des Willens zunehmend verloren geht. 30 Vgl. die gegenteilige Auffassung von Jürgen Habermas, daß „die Grundsätze einer autonom gewordenen Moral einen erkenntnisanalogen Anspruch stellen, [. . .].“ Habermas (1991), S. 115. 31 Das zeigt sich anschaulich insbesondere daran, daß ein moralisches Ansinnen gegenüber einer moralisch fragwürdigen Person sich nie auf Argumente, auf gute Gründe allein stützen kann, sondern am Ende immer auf einen Appell rekurrieren muß: „Sieh’ von selbst ein, daß Du das nicht hättest tun dürfen!“ Ein Appell ist aber nichts anderes als das Anliegen, die Freiheit eines anderen zu erreichen, im begleitenden Wissen, daß diese unmittelbar nicht erreichbar ist, sondern nur sich selbst bestimmen kann. Ließe sie sich unmittelbar erreichen und damit bestimmen, würde das ihren Freiheitscharakter gerade aufheben.
1.3 Der Beitrag dieser Arbeit zur aktuellen Diskussion
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gumentativen Ansinnen und Bemühen als Bedingung seiner Möglichkeit voraus. Anschaulich und konkret zeigt sich das z. B. daran, daß ein Vernunftsubjekt sich selbst auf Logik, Argumentation, Theorie und „gute Gründe“ verpflichtet haben muß, bevor diese überhaupt relevant werden können.32 Wissenschaftliche Ethik ist zwar selbstredend mit theoretischen Mitteln – mit kritisierbaren Argumenten – vorzutragen, hat aber in ihrem Gegenstand das Problem des freien Willens und nicht argumentativ „gute“ Gründe oder reflexive Erkenntnisse zu behandeln.33 Da die Zurückweisung der theoretisch-reflektierenden, rational schlußfolgernden Vorgehensweise zentrale Bedeutung für ein transzendentales Verständnis von Ethik hat, wird dieser Zurückweisung im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem Problem der „Letztbegründung“ breiter Raum zu widmen sein. 5. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, daß in der aktuellen Literatur zur Wirtschaftsethik die Abgrenzung von Moral/Ethik34 und Recht entweder gar nicht oder nur unzureichend vorgenommen wird.35 Über einen undiffe32
Anders formuliert: Daß Logik gelten soll, ist kein Satz der Logik. Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß betont werden, daß sich das transzendentale Anliegen nicht entlang der Auseinandersetzung „kognitivistische versus nonkognitivistische Ethik“ behandeln läßt. Die Betonung des Primates des Willens vor dem theoretischen Erkennen schließt keineswegs aus, daß der Primat des Praktischen mit theoretischen Mitteln erkannt werden kann. Mit der Ablehnung des Begründungsdenkens in der Ethik soll hier also insbesondere keiner intuitionistischen Ethik das Wort geredet werden, die sich einer rationalen Reflexion von vornherein zu verschließen sucht. Zur Debatte über Kognitivismus und Nonkognitivismus in der Ethik siehe Morscher (2002), S. 36–48. 34 Diese an sich problematische Begriffsverbindung wird hier gewählt, um die Aussagen der aktuellen Debatte wiedergeben zu können. Vgl. Fußnote 2. 35 Bei Karl Homann wird diese Abgrenzung – wie noch ausführlich zu zeigen sein wird – in keiner Weise thematisiert. Recht und Moral werden von vornherein und ohne jede Problematisierung als undifferenzierte Einheit betrachtet. Das zeigt sich bereits in dem vielzitierten Grundsatz: „Der systematische Ort der Moral in der Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung.“ Homann (1998), S. 35. Auch sein Schüler Andreas Suchanek operiert an entscheidender Stelle mit diesem Kurzschluß: „Insofern Institutionen die Voraussetzung für die gesellschaftliche Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil sind, kommt ihnen moralische Qualität zu.“ Suchanek (2001), S. 51 [Passage im Original hervorgehoben]. Peter Ulrich hebt sich von diesem moralökonomischen Kurzschluß zwar dadurch ab, daß er das Verhältnis von Recht und Ethik explizit thematisiert. Allerdings läßt er die Verbindlichkeit des Rechtes unmittelbar aus der Ethik hervorgehen, so daß auch er im Ergebnis keine hinreichende Abgrenzung von Ethik und Recht anzubieten vermag. Vgl. Ulrich (2001a), S. 239 ff. Detlef Aufderheide bestimmt den Unterschied zwischen moralischen und rechtlichen Normen dahingehend, daß letztere sich durch eine formelle Sanktion auszeichneten, während erstere nur informell sanktioniert seien. Vgl. Aufderheide (1995), S. 127 sowie S. 92. Auch wenn diese Abgrenzung hinsichtlich konventioneller Moralen zutreffend sein mag, wird damit das Entscheidende des Moralischen bereits verfehlt. 33
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1 Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen
renzierten Begriff von „Normativität“ bzw. „Ethik“ werden oftmals institutionelle Strukturvorgaben und rechtliche Normen bedenkenlos an Moral und Ethik angeglichen. Rechtliche und „moralische“ Normen werden ein und demselben Normativitätsideal unterstellt. Die klare Trennung zwischen Ethik und Recht wird begrifflich substituiert durch die Unterscheidung von Individualethik einerseits und Sozial- bzw. Institutionenethik andererseits, die allesamt zum Bereich des Ethisch-Moralischen gezählt werden.36 Dem liegt die Auffassung zugrunde, das entscheidende Kriterium zur Differenzierung von Moral/Ethik und Recht (bzw. von Individual- und Sozialethik) sei ihre unterschiedliche soziale Aggregationsebene, aus der sich die Notwendigkeit unterschiedlicher Normsanktionierung ergebe, während das unterstellte Normativitätsideal identisch bleiben könne. Moral und (individual-)ethische Überlegungen beziehen sich nach dieser Auffassung auf das einzelne Individuum oder allenfalls Kleingemeinschaften, in denen eine unmittelbare, gegenseitige Kontrolle der Moralgenossen möglich sei, während rechtliche/institutionelle Normativität für große und anonyme Sozialgebilde zuständig sei, die sich nur mittels abstrakt-formeller Sanktionierung steuern ließen.37 Insbesondere Moralund Institutionenökonomik fußen auf der Vorstellung, daß das grundlegende wirtschaftsethische Problem darin liege, wie „moralische“ Ideale im Bereich anonymer Großgesellschaften durchgesetzt, d.h. anreizkompatibel implementiert werden können. Diese Aufgabenstellung impliziert unter anderem, daß Moral/Ethik und Recht (bzw. Individual- und Institutionenethik) hinsichtlich ihres Normativitätsideals identisch und lediglich in ihrem sozialen Anwendungsbereich sowie der Art ihrer Sanktionierung zu differenzieren sind. Siehe hierzu Kapitel 5. Einem Teilaspekt der Frage nach dem Verhältnis von Moral/Ethik und Recht geht der Aufsatzband „Die moralische Verantwortung kollektiver Akteure“ nach: Wieland (Hrsg.) (2001). Die Beiträge bleiben bezeichnenderweise kontrovers in der Frage, ob kollektiven Akteuren überhaupt eine Verantwortung im moralischen Sinne zuzumessen ist. 36 Eine solche Auffassung scheint auch das „Handbuch der Wirtschaftsethik“ nahezulegen. Dort ist die Rede von einem „Übergreifen der ethischen Frage auf die gesellschaftlichen Strukturen und mit ihnen auf all das, was in der Weise sich sozial vermittelnder Ordnungsvorgaben menschliches Handlen [sic!] verbindlich zu regeln beansprucht. [. . .]. Es ist diese Ausweitung der ethischen Frage auf die sozial-strukturelle Seite menschlichen Handelns und der ihr vorausgehende und zugrunde liegende Rekurs auf die personale Würde des Menschen, der Sozialethik konstituiert, die sich darin ihrer ganzen Aufgabenstellung nach zugleich als Strukturenethik zu erkennen gibt.“ Korff et al. (Hrsg.) (1999), Band 1, S. 213. Allerdings wird in einem späteren Abschnitt des Handbuches auch der grundsätzliche Unterschied zwischen Recht und Sittlichkeit thematisiert. Vgl. ebd., S. 264. 37 Vgl. dazu Homann (2000), S. 24 sowie S. 30.
1.3 Der Beitrag dieser Arbeit zur aktuellen Diskussion
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Die unzureichende Unterscheidung von Recht/Institution und Moral/ Ethik findet ihren Grund vor allem in der schon kritisierten Orientierung der philosophischen Ethik an der Struktur konventioneller Moralen. Diese Struktur legt die Annahme einer sowohl rechtlichen als auch „moralischen“ Normen gleichermaßen zugrundeliegenden Normativität nahe.38 Gleichwohl zeigt die transzendentale Perspektive, daß mit einer solchen Parallelisierung von Moral/Ethik und Recht das Spezifische des Moralischen wie auch des Rechtlichen verfehlt wird. Im Anschluß an Fichte profiliert diese Arbeit die grundlegende Disparatheit von Recht und Ethik: Jenes regelt unmittelbar Handlungen, als phänomenale Vorgänge; diese bezieht sich auf ein intelligibles Selbstverhältnis des Willens, unabhängig von allen phänomenalen Sachverhalten. Jenes konstituiert und begrenzt zugleich personale Willkürfreiheit im Zuge gegenseitiger Anerkennung; diese gebietet schlechthin unbedingt und unabhängig von aller Gegenseitigkeit dem Willen. Jenes fordert als normatives Ideal Gerechtigkeit; diese fordert als unbedingten Anspruch Autonomie. Jenes beinhaltet die zwangsweise Durchsetzung seiner Ansprüche; diese kann allein in der interesselosen Einwilligung ihre Erfüllung finden. Die Klarstellung dieser fundamentalen – in der Arbeit zu entwickelnden – Unterschiede wird es einerseits ermöglichen, den ethischen Anspruch in seiner Absolutheit insbesondere gegenüber einem ökonomistischen Ethikentwurf – wie er von Karl Homann propagiert wird39 – zu behaupten. Andererseits wird das Problem einer normativ gehaltvollen Modellierung des Wirtschaftssystems von diesem ethischen Anspruch 38 Die von Habermas in der Diskursethik angezielte Vermittlung von empirischer und apriorischer Bedeutung des Moralischen, die auf seiner Zurückweisung der kantischen Unterscheidung von intelligibler und empirischer Welt aufbaut, steht bei der Parallelisierung von Moral/Ethik und Recht letztlich im Hintergrund. Eine solche Parallelisierung wird von Habermas auch vollzogen: „Ich gehe davon aus, daß sich auf dem nachmetaphysischen Begründungsniveau rechtliche und moralische Regeln gleichzeitig aus traditionaler Sittlichkeit ausdifferenzieren und als zwei verschiedene, aber einander ergänzende Sorten von Handlungsnormen nebeneinander treten.“ Habermas (1998), S. 135. Vgl. auch: „Allgemeine Handlungsnormen verzweigen sich vielmehr in moralische und juridische Regeln.“ Ebd., S. 138. 39 Aus der Ungeeignetheit traditioneller (Individual-)Ethik für die normative Steuerung von Wirtschaft folgert Homann die Notwendigkeit einer fundamentalen ökonomistischen Neuformulierung der Ethik – ein Projekt, das er mit großem, auch rhetorischem, Aufwand verfolgt: „In der Tat erhebt meine Wirtschaftsethik den Anspruch, konsequent in Kategorien der positiven Ökonomik entwickelt zu sein. [. . .]. Moralische Regeln bis hin zum kategorischen Imperativ lassen sich danach aus ökonomischen Vorteils-/Nachteils-Kalkulationen herleiten.“ Homann (2001), S. 219. Durch eine präzise begriffliche Trennung von Ethik und Recht kann gezeigt werden, inwiefern Homann mit dem Projekt einer ökonomistischen Ethik sozusagen das Kind mit dem Bade ausschüttet.
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1 Die normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen
gerade befreit werden können.40 Auch in diesem Punkt verspricht die transzendentale Begriffsklärung eine wesentliche Entlastung der wirtschaftsethischen Debatte. Nachdem die mögliche Relevanz dieser Arbeit im Bezug zur aktuellen Debatte umrissen wurde, soll abschließend der systematische Charakter der hier verfolgten Untersuchung betont werden: Diese Arbeit setzt sich in ihrem zweiten Teil das Ziel, die nach wie vor ungeklärte Frage nach dem Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik zu beantworten. Damit versucht sie eine Problemstellung zu klären, die einerseits zwar ein Desiderat der aktuellen Literaturlage zum Ausdruck bringt, andererseits aber auch als systematisch eigenständige aufzufassen ist. Denn nur durch den belastbaren Ausweis dieses Paradigmas kann die Frage nach der Möglichkeit von Wirtschaftsethik beantwortet werden – eine Grundsatzfrage, die über den Problemhorizont der aktuellen Debatte hinausreicht. Ausschlaggebend für den Argumentationsgang dieser Arbeit sind im einzelnen also weniger die dargestellten Unschärfen der aktuellen Diskussion als vielmehr das Bemühen, eine grundsätzliche Frage systematisch umfassend zu beantworten: „Ist Wirtschaft nun moralisch bedenklich oder nicht?“ Bei dem Versuch, diese Frage endgültig zu beantworten, erwies sie sich als falsch gestellt. Diese persönliche Erfahrung bestätigt dem Autor „die schon von anderen erkannte und gepriesene Maxime, in jeder wissenschaftlichen Untersuchung mit aller möglichen Genauigkeit und Offenheit seinen Gang ungestört fortzusetzen, ohne sich an das zu kehren, wowider sie außer ihrem Felde etwa verstoßen möchte, sondern sie für sich allein, soviel man kann, wahr und vollständig zu vollführen.“41
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Wie schwer eine solche Befreiung innerhalb der bisherigen wirtschaftsethischen Problemformulierungen sein mag, belegt folgendes Zitat: „Selbstverständlich müssen die Funktionsbedingungen der Wirtschaft, wie sie insbesondere in der ökonomischen Theorie reflektiert werden, in die ethische Reflexion mit aufgenommen werden; werden diese tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen ‚Systemzwänge‘ jedoch nur noch referiert, ohne sie in inhaltlichen Bezug – und damit auch in einem möglichen Konflikt – zu ethischen Ansprüchen zu setzen, so verschwindet die ethische Fragestellung, und es entsteht bestenfalls eine angewandte Wohlfahrtsökonomik.“ Nutzinger (1996), S. 173. 41 Kant (1788), S. 106.
2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich gedanklich zu fassen, fällt insofern leicht, als er eine systematisch in sich geschlossene Konzeption anzubieten vermag, die er auch in entsprechend geschlossener monographischer Form vorgelegt hat.42 Seine Wirtschaftsethik zeichnet sich im Gegensatz zu derjenigen Karl Homanns dadurch aus, als Ganzes in verbindlicher Art und Weise von ihm selbst dargestellt worden zu sein. Sie muß mithin nicht aus thematisch heterogenen, z. T. sich widersprechenden Aufsätzen und Monographien – mit zudem variierender Mitautorenschaft – erst rekonstruiert werden. Zudem hat Ulrich seine Konzeption vor nicht allzu langer Zeit in komprimierter Form dargelegt,43 so daß hier – abgesehen von einer kurzen Einführung – auf eine lediglich wiedergebende Darstellung verzichtet werden kann. Die folgenden Ausführungen verstehen sich daher primär als kritische Diskussion. Auch wenn die Auseinandersetzung mit Ulrichs Wirtschaftsethik keiner interpretierenden Rekonstruktion bedarf, weil sie sowohl in ihrem programmatischen Anliegen als auch in ihrer systematischen Grundstruktur als klar und eindeutig gelten kann, muß ihrer Diskussion hier dennoch breiter Raum gewidmet werden. Denn Ulrich baut seine Konzeption auf weitreichenden und vielverzweigten philosophischen Überlegungen zum Thema der allgemeinen Ethik auf, die er zudem sehr eng mit einer spezifisch wirtschaftsethischen Fragestellung verbindet. Die Analyse dieses systematischen Zusammenhangs von allgemeiner Ethik und integrativer Wirtschaftsethik erscheint dem Autor für deren kritische Würdigung wesentlich zu sein. Den systematischen Kern der integrativen Wirtschaftsethik über eine solche Analyse freizulegen, ist das wesentliche Interesse der hier verfolgten Auseinandersetzung.
42
Ulrich (2001a). Ulrich (2000a). Diese Darstellung kann trotz ihres komprimierten Charakters als systematisch vollständig betrachtet werden. Die Replik, die Ulrich in der gleichen Publikation auf die ebenfalls dort veröffentlichten Kritiken gibt, wird zitiert unter: Ulrich (2000b). 43
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2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
2.1 Einführung: Integrative Wirtschaftsethik als Reflexion des Wirtschaftens Peter Ulrich sieht die Hauptaufgabe der Wirtschaftsethik in einer kritischen Reflexion der Grundlagen des Wirtschaftens: „Die spezifische, im guten Sinne zeitgemäße [. . .] Aufgabe von Wirtschaftsethik ist in der philosophisch-ethischen Kritik der ökonomischen Vernunft oder dessen, was dafür gehalten wird, zu erkennen. Und das meint: Es ist der normative Gehalt der ökonomischen Rationalität selbst, den es ethisch-kritisch zu ergründen und möglicherweise neu zu begründen gilt.“44
Der Ausgangspunkt dieser kritischen Reflexion liegt also nicht innerhalb einer wie auch immer zu bestimmenden wirtschaftlichen Sachlogik. Mithin bezieht sich diese Reflexion ausdrücklich nicht auf eine ökonomische Axiomatik, als ein in sich methodisch geschlossenes System von Aussagen, die auf obersten, das wirtschaftliche Denken konstituierenden Prinzipien beruhen. Vielmehr gilt es nach Ulrich, mit Hilfe einer kritischen Grundlagenreflexion ein solches, disziplinär-axiomatisches Denken und die ihm entsprechende Verselbständigung wirtschaftlicher Vorgänge zu unterlaufen. Wirtschaft soll nach dem wirtschaftsethischen Programm von Ulrich also nicht unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit betrachtet werden, sondern von vornherein unter dem Gesichtspunkt ihrer Vernünftigkeit und Lebensdienlichkeit: Das Wirtschaften gewinnt nach Ulrich seine „ursprüngliche ethisch-qualitative Bedeutung im menschlichen Lebenszusammenhang“45. Es ist „die Frage nach dem ‚Wert‘ des Wirtschaftens im Hinblick auf die Lebensqualität der Menschen“46, die für Ulrich entscheidend ist. Die Eigenwilligkeit der autonom gewordenen Systemrationalität soll überwunden werden, indem diese Systemrationalität von ihrer lebensweltlichen Grundlage her gedacht und entworfen wird. Mit der Besinnung auf den ursprünglichen Ort von Wirtschaft im Gesamtzusammenhang des Lebens versucht Ulrich jener Tendenz Einhalt zu gebieten, die die vermeintliche Eigenlogik des ökonomischen Systems verabsolutiert und die ökonomische Rationalität zum alleinigen Maßstab ökonomischen Denkens und Handelns erklärt. In scharfer Abgrenzung gegen jede Form des „Ökonomismus“47 vertritt Ulrich den programmatischen Anspruch auf eine integrative Wirtschafts44
Ulrich (2000a), S. 555, Abschnitt (1). Ulrich (2001a), S. 203. 46 Ulrich (2001a), S. 203. 47 Ulrich bezeichnet den „Glaube[n] der (nicht ganz) ‚reinen‘ ökonomischen Vernunft an nichts als an sich selbst“ als „Ökonomismus“. Er stellt weiterhin fest, daß dieser Begriff „mehr und mehr international gebräuchlich [. . .] [wird] zur Charakte45
2.1 Einführung
35
ethik: Die Erfolgs- und Effizienzorientierung des wirtschaftlichen Denkens ist nicht erst nachträglich durch eine „korrektive Wirtschaftsethik“ zu zähmen,48 sondern von vornherein aus dem „moral point of view“ heraus zu entwickeln.49 Ulrich geht es dabei um eine „ethisch integrierte Erfolgsorientierung“: Wirtschaftliches Erfolgsstreben und moralische Ansprüche sind nicht erst nachträglich, nachdem das wirtschaftliche System und seine wissenschaftliche Reflexionsform, die Ökonomik, ihre Eigenlogik ungehemmt entfalten konnten, zu vermitteln, sondern von vornherein als eine Einheit zu konzipieren, eine Einheit, die – so Ulrich – freilich unter dem Primat von Ethik und Moral zu stehen hat.50 Auch wenn Ulrich den Primat des „moral point of view“ kompromißlos einfordert, so soll dies keineswegs eine prinzipielle Ablehnung des wirtschaftlichen Erfolgsstrebens im Sinne eigeninteressierten Handelns implizieren: „Moralische Personen zeichnen sich in ihrem Wirtschaftsleben keineswegs durch den pauschalen Verzicht auf privates Vorteilsstreben [. . .] aus, wohl aber dadurch, dass sie dieses vorbehaltlos abhängig machen von seiner Vertretbarkeit gegenüber jedermann.“51
Dieser – laut Ulrich – integrierte Zusammenschluß von ökonomischer Rationalität und lebensweltlicher Vernünftigkeit zu einer Einheit mündet in das Konzept der sogenannten „sozialökonomischen Rationalität“52 – eine Rationalitätsform, die sich nicht nur mit dem Problem der Knappheit und Effizienz auseinandersetzt, sondern unmittelbar zugleich auch alle gesellschaftlichen Wert- und Interessenkonflikte mitberücksichtigen soll. Die sozialökonomische Rationalität stellt den gedanklichen Kern der integrativen Wirtschaftsethik dar. Ulrich bezeichnet das Anliegen seines Ansatzes auch als „kritische Grundlagenreflexion der normativen Voraussetzungen vernünftigen Wirtschaftens“53. Diese Grundlagenreflexion enthält vier grundlegende Bausteine54: risierung einer derzeit in der Tat weit verbreiteten Neigung, die ökonomische Rationalität zur ganzen Vernunft zu verabsolutieren (ökonomischer Rationalismus) und den Markt zum obersten Ordnungsprinzip der Gesellschaft im Ganzen – als totaler Marktgesellschaft – zu überhöhen (marktradikaler ‚Neoliberalismus‘ im heute üblichen Sinn des Begriffs).“ Vgl. Ulrich (2000a), S. 559, Abschnitt (20), dort auch weiterführende Literaturhinweise. 48 Vgl. Ulrich (2001a), S. 102 ff. 49 Vgl. Ulrich (2001a), S. 117. 50 Vgl. Ulrich (2000a), S. 557 f., Abschnitt (12) und (13). 51 Ulrich (2000a), S. 557, Abschnitt (12). 52 Zur Darstellung dieses Konzepts vgl. Ulrich (2001a), S. 120 ff. sowie Kapitel 2.3.2.3 dieser Arbeit. 53 Ulrich (2000a), S. 556, Abschnitt (5).
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2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
Erstens fußt der Ansatz von Ulrich auf durchaus eigenständigen Überlegungen zum Thema der allgemeinen Ethik. Aus dieser allgemeinen Ethik entwickelt Ulrich seine „integrative Vernunftethik des Wirtschaftens“ als Wirtschaftsethik. Der spezifisch wirtschaftsethische Aspekt hängt für Ulrich unmittelbar mit dem allgemein ethischen zusammen. Daher werden beide Aspekte von Ulrich als ein in sich geschlossener Themenkomplex behandelt, worin – wie noch zu zeigen sein wird – ein aufschlußreiches Charakteristikum der integrativen Wirtschaftsethik gesehen werden kann. Im folgenden werden beide Bereiche aus Gründen der Übersichtlichkeit dennoch als eigenständige Gliederungspunkte behandelt. Zweitens setzt sich Ulrich eingehend und kritisch auseinander mit Begrifflichkeit und Methode, mit den konstitutiven Denkstrukturen also, des von ihm diagnostizierten „Ökonomismus“. In diesem Baustein versucht Ulrich sozusagen ex negativo, „erst einmal das ökonomistische Brett vor der Stirn weg[zuziehen]“55, um den „Blick frei für die Grundfragen lebenspraktisch vernünftigen Wirtschaftens“56 zu machen. Im anschließenden dritten Schritt werden positiv die beiden „normative[n] Grundorientierungen lebensdienlichen (sinnvollen und legitimen) Wirtschaftens“57 behandelt, so wie sie sich aus den Anforderungen der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ ergeben: Zum einen ist es die Frage nach dem „guten Leben“, der Ulrich hier nachgeht, zum anderen die Frage nach dem „gerechten Zusammenleben“. Der vierte und letzte Schritt, der eine „Topologie der Orte der Moral des Wirtschaftens“ enthält, versucht, diese zuvor bestimmten normativen Grundorientierungen zu konkretisieren, und zwar in den Zusammenhängen der „Wirtschaftsbürgerethik“, der „Ordnungsethik“ und der „Unternehmensethik“. Die folgende kritische Auseinandersetzung konzentriert sich auf die systematischen Grundlagen der integrativen Wirtschaftsethik, so wie sie im ersten Baustein von Ulrich konzipiert werden. Gleichwohl werden aber auch Äußerungen Ulrichs aus den anderen Teilbereichen berücksichtigt, wenn es darum geht, anhand von Ulrichs wirtschaftsethischen Konkretionen die Implikationen seiner gedanklichen Grundlagen deutlich zu machen.
54 Diese Bausteine werden von Ulrich selbst als jeweils in sich geschlossene Themenkomplexe und in der hier wiedergegebenen Reihenfolge behandelt. Vgl. dazu und im folgenden: Ulrich (2000a), S. 556, Abschnitt (7). Vgl. auch den exakt entsprechenden Gliederungsaufbau in: Ulrich (2001a). 55 Ulrich (2001a), S. 17. 56 Ulrich (2001a), S. 17. 57 Ulrich (2000a), S. 556, Abschnitt (7).
2.2 Verständnis philosophischer Ethik
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2.2 Verständnis philosophischer Ethik 2.2.1 Vernunftethische Grundlage: Primat des Willens und rationale Begründung? Im Gegensatz zu der Position von Karl Homann58 zeichnet sich die integrative Wirtschaftsethik Ulrichs dadurch aus, daß sie eine ausführliche und eigenständige Konzeption von dem entwickelt, was sie unter Moral und Ethik versteht. Damit schafft sie eine klare gedankliche Grundlage für ihre wirtschaftsethische Argumentation. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur Ethik nimmt Ulrich, sich selbst in der kantischen Tradition der Vernunftethik verortend,59 bei dem Konzept der Vernünftigkeit des Menschen: „Der Mensch ist bekanntlich jenes seltsame Tier, dessen Verhalten nicht restlos instinktdeterminiert ist und das zu den verschiedenen Möglichkeiten seines Tuns, zu sich selbst und zu anderen Stellung nehmen kann. Darin wurzelt das Moment der menschlichen Vernunft als das Vermögen, in kritischer Selbstdistanzierung von spontanen Impulsen und Intentionen nach Gründen zu entscheiden und zu handeln.“60
Die Möglichkeit des Menschen, in kritischer Selbstdistanzierung nach Gründen zu entscheiden, wird von Ulrich als menschliche Freiheit verstanden.61 Diese allgemein vernünftige Grundorientierung des Menschen konkretisiert sich hinsichtlich der Moralität durch den Bezug auf spezifisch moralische Gründe: „Um moralische Gründe geht es dabei immer dann, wenn die grundlegenden normativen Leitideen und Bedingungen des Menschseins selbst, nämlich der ‚unantastbare‘ Status jedes Menschen als freies, selbstbestimmtes Subjekt und die wechselseitige Achtung und Anerkennung der Individuen in eben diesem Anspruch der unantastbaren Subjektqualität, der ihre personale Würde ausmacht, auf dem Spiel stehen.“62
Mit den letzten beiden Zitaten wird bereits deutlich, daß Ulrich moralische Grundbegriffe wie Würde, Achtung und freie Anerkennung von Menschen zumindest vage mit einem Begründungskonzept in Zusammenhang bringt: Denn er spricht von allgemeinen und spezifisch moralischen Gründen, nach denen der Mensch sich zu richten vermag. Eine regelrechte Verschränkung von moralischen Ansprüchen und Gründen zeigt sich, wenn Ulrich von Gründen spricht, „aus denen heraus wir bestimmte moralische 58 59 60 61 62
Vgl. die Diskussion der Homannschen Bestimmung von Moral in Kapitel 3.1.6. Vgl. Ulrich (2000b), S. 632, Abschnitt (3). Ulrich (2000a), S. 556, Abschnitt (8). Vgl. Ulrich (2001a), S. 23. Ulrich (2000a), S. 556, Abschnitt (8).
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2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
Geltungsansprüche für gültig und verbindlich erachten sollen“63. „Gültigkeit“ und „Verbindlichkeit“ von moralischen Ansprüchen, und damit ihre praktische Sollgeltung,64 werden hier also an das Vorliegen bestimmter Gründe gekoppelt. Daß Ulrich die Begründungsdimension, von der er die praktische Sollgeltung abhängig macht, im Sinne einer rationalen Argumentation verstanden wissen möchte, wird sich erst aus der Perspektive seiner diskursethischen Überlegungen einsichtig machen lassen. Bevor die Bedeutung näher aufgeklärt werden kann, die dem Begründungsdenken bei Ulrich zukommt, muß erwähnt werden, daß Ulrich – in kantischer Tradition – den Primat des Willens gegenüber allen Begründungen hervorhebt: „Aus der prinzipiellen menschlichen Autonomie folgt letztlich, dass wir [. . .] die Gründe, aus denen heraus wir bestimmte moralische Geltungsansprüche für gültig und verbindlich erachten sollen, in keiner uns äußerlichen Instanz finden können, sondern nur in unserer humanen Moralität selbst, und damit in unserem guten Willen zur autonomen moralischen Selbstverpflichtung [. . .]. Den guten Willen als solchen müssen wir, bevor uns irgendeine Begründung moralischer Ansprüche ‚anspricht‘, schon mitbringen; in diesem Primat des moralischen Wollens vor jedem begründbaren normativen Sollen kommt wiederum unsere Autonomie und Moralität zur Geltung. [Fußnote]“65
Mit diesen, an der kantischen Begrifflichkeit orientierten Ausführungen scheint Ulrich klarzustellen, daß er den „guten Willen“ als Bedingung dafür ansieht, daß wir uns von „moralischen“ Begründungen überhaupt ansprechen lassen. Würde man diesen von Ulrich behaupteten Primat des „guten Willens“ als Ausdruck „unserer Autonomie und Moralität“ systematisch ernst nehmen, dann stellte sich allerdings die Frage, welche Funktion eine Begründung für den Ausweis der praktischen Sollgeltung von moralischen 63
Ulrich (2001a), S. 25. Unter der praktischen Sollgeltung von moralischen Ansprüchen sei hier das unmittelbare, achtunggebietende „Soll“ verstanden, mit dem sie gegenüber dem moralischen Subjekt auftreten. Wenn wir also eine moralische Forderung als gültig und verbindlich betrachten, so bedeutet das nichts anderes, als daß wir uns einem solchen „Soll“ ausgesetzt sehen: Wir finden uns in diesem Falle also unmittelbar als Adressat eines (moralischen) Geltungsanspruches, der uns überhaupt erst in die Lage versetzt, ihm willentlich entsprechen (oder ihn ablehnen) zu können. Daraus folgt, daß eine rein hypothetisch-theoretische Erfassung von moralischen Ansprüchen als solchen nicht möglich ist. Wer (mögliche) moralische Ansprüche rein theoretisch-abstrakt behandelt, ohne ihre (mögliche) praktische Sollgeltung auf sich selbst als moralisches Subjekt zu beziehen, spricht wie der Blinde von der Farbe. Die kantische Philosophie zeigt, inwiefern das Auftreten eines solchen, unmittelbaren „Solls“ philosophisch als Ausdruck unserer moralischen Autonomie zu verstehen ist. Zur Diskussion dieser spezifisch kantischen Position siehe Kapitel 5.4. 65 Ulrich (2001a), S. 25. Ulrich bezieht sich in der Fußnote auf: Tugendhat (1993), S. 96 f. 64
2.2 Verständnis philosophischer Ethik
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Ansprüchen überhaupt noch haben könnte. Denn die zuvor angesprochenen moralischen Grundforderungen der „Würde“, „Achtung“, und „Anerkennung“ erhielten ihre Sollgeltung damit offenbar nicht mehr durch „Begründungen“ sondern durch einen „guten Willen“, der sich erfaßt als sich selbst auf diese Forderungen verpflichtend.66 Dieser gute Wille wäre als Bedingung für alle Begründungen – und darauf käme es an – seinerseits weder begründungsbedürftig noch -fähig! Die Konstitution von moralischen Ansprüchen hinge auf der Prinzipienebene allein an unserem „guten Willen“ – eine Einsicht, die der Ethik die Erhellung von (autonomen) Willensgesetzen zur wissenschaftlichen Aufgabe setzte und sie damit von der Aufstellung rational begründeter, also denkgesetzlicher, Unbestreitbarkeiten befreite.67 Ein solcher Primat des „guten Willens“, wie er von Ulrich behauptet wird, scheint die Bedeutung von „Gründen“ und „Begründungen“ in Fragen der praktischen Sollgeltung von moralischen Ansprüchen also zumindest stark einzuschränken. Im Anschluß an die Behauptung dieses Primates des „guten Willens“ betont Ulrich jedoch, daß „[. . .] der unauflösliche reflexive Zusammenhang von begründetem Sollen und moralischem Wollen zu beachten [ist]: Gute Gründe (dafür, was wir tun sollen) sind nichts anderes als ethisch rationale Motive dafür, was wir als mit uns selbst einverstandene, ‚integre‘ Personen tun wollen.“68
Nach der Feststellung eines Primates des guten Willens gegenüber allen Begründungen ist in diesem Zitat die Betonung des Zusammenhanges „von begründetem Sollen und moralischem Wollen“ bemerkenswert. Wenn Ulrich diesen Zusammenhang als „unauflöslich“ bezeichnet, so wird deutlich, daß er entgegen einer einseitigen Vorordnung des guten Willens beide Aspekte – kantischer guter Wille einerseits und rationale Begründung andererseits – miteinander gleichrangig verschränkt. Diese Verschränkung versucht Ulrich offenbar auch in den Begriffsverbindungen „begründetes Sollen“ sowie „ethisch rationale Motive“ zum Ausdruck zu bringen. Eine Erläuterung, wie diese begrifflichen Verbindungen genau zu denken sind, findet sich jedoch nicht. Ulrich versucht sich mit dieser Verschränkung abzugrenzen gegen eine „‚nonkognitivistische‘ Position, die Moral letztlich auf (als nicht begründbar oder begründungsbedürftig betrachtete) subjektive Präferenzen reduziert und damit einem ethischen Relativismus gleichkommt“69. Ulrich 66 Genau das macht den kantischen Begriff der moralischen Autonomie aus. Der Wille ist autonom, sofern er sich selbst willentlich als allgemeingültig bestimmt. Vgl. Kapitel 5.2 ff. 67 Vgl. die Zurückweisung des Begründungsdenkens in der Ethik, die in Kapitel 5.1 unternommen wird. 68 Ulrich (2001a), S. 25 f. 69 Ulrich (2001a), S. 25.
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geht also davon aus, daß allein der Bezug zu einer – wie auch immer näher zu bestimmenden – rationalen Begründung einen „guten Willen“ ethisch zu qualifizieren und damit von subjektiven Präferenzen abzugrenzen vermag. „Ethisch rationale Motive“ wären demnach solche, die sich auf ein rationales Einsehen von argumentativen Zusammenhängen stützten. Daß Ulrich dem rationalen Einsehen von Begründungszusammenhängen eine entscheidende Bedeutung für die Gültigkeit und Verbindlichkeit von moralischen Ansprüchen zumißt, zeigt sich auch in folgenden Zitaten: „Die Begründung moralischer Forderungen und Normen hat einen ‚irreduzibel praktischen Sinn‘ [Fußnote], den wir uns selbstreflexiv – und nur so – [. . .] klar machen können. Es geht dabei in den Worten Kants um den ‚praktischen Gebrauch der Vernunft, in Absicht auf die Freiheit.“70 „Indem Vernunftethik die grundlegenden Implikationen der Zwischenmenschlichkeit expliziert, begründet sie die rational nicht abweisbaren normativen Verbindlichkeiten einer kulturübergreifenden humanistischen Minimalethik. Das ist – ‚innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft‘ [Fußnote] – die mögliche Ausgangsidee eines für alle Menschen ALS GÜLTIG UND VERBINDLICH EINSEHBAREN, DA VERNÜNFTIG BEGRÜNDBAREN [Herv. d. Verf.] Standpunktes der Moral (moral point of view).“71
Von einem Primat des guten Willens vor allen „moralischen“ Begründungen kann hier nicht mehr die Rede sein. Denn ein solcher müßte sich gerade darin zeigen, daß die „Einsicht“ in die Gültigkeit und Verbindlichkeit von moralischen Ansprüchen, also deren praktische Sollgeltung, vom moralischen Subjekt unmittelbar im Willen erfaßt wird, und gerade nicht an vorgängige rationale Überlegungen und Begründungsoperationen gebunden ist. Der „praktische Gebrauch der Vernunft, in Absicht auf die Freiheit“, auf den sich Ulrich hier beruft, ist bei Kant ein solcher des Willens und nicht der Ratio – auch nicht einer „selbstreflexiven“!72 „Rational nicht abweisbare“, also denkgesetzliche, Zusammenhänge sind bei Kant gerade keine Willensgesetze: Der Wille ist primär nur qua Wille bestimmbar – darin zeigt sich nach Kant unsere Autonomie. Die kantische Philosophie macht deutlich, daß in der Sphäre des Praktischen rationale Begründungen primär bedeutungslos sind. Sie können eine den Willen bestimmende Funktion nur vermittelst einer vorgängigen Willensbildung erhalten, die ihrerseits nicht von rationalen Begründungsoperationen abhängt. Genau darin besteht der 70
Ulrich (2001a), S. 29 f. Ulrich (2001a), S. 49. In diesem Zitat wird von Ulrich zunächst der Zusammenhang zwischen Begründung und Aufgabe der Vernunftethik, als wissenschaftlicher Disziplin, angesprochen. Auf diesen Zusammenhang werde ich weiter unten eingehen. Hier soll vor allem der zweite Satz interessieren, der den Zusammenhang von vernünftiger Begründung und (praktischer) Einsicht in Gültigkeit und Verbindlichkeit des moralischen Standpunktes thematisiert. 72 Vgl. dazu und im folgenden die Ausführungen in Kapitel 5. 71
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„Primat des moralischen Wollens vor jedem begründbaren normativen Sollen.“ Ein solcher Primat schließt keineswegs die nachträgliche rationale Aufklärung und reflexive Erhellung von Willensbestimmungen aus. Allein wäre deren Konstitution nicht an rationale Überlegungen und diskursive Begründungsbemühungen gebunden. Ulrich behauptet gleichermaßen einen „irreduzibel praktischen Sinn“ von Begründungen sowie einen Primat des Willens vor allen Begründungen. Jedoch vermag er philosophisch weder einsichtig zu machen, wie eine rationale Begründung als solche unmittelbar den Willen sollte bestimmen können, noch, welche systematische Bedeutung dem behaupteten Primat des Willens in seiner begründungsorientierten Konzeption überhaupt zukommt. Denn letztlich kann für ihn allein eine rationale Begründung die moralische Qualität von Willensregungen und Motiven gegenüber lediglich „subjektiven Präferenzen“ verbürgen. Die von Ulrich vorgenommene Verquickung des Begründungsdenkens mit dem Primat des Willens im kantischen Sinne kann den Vorwurf des Synkretismus schwerlich vermeiden. Rationale Begründungen werden bei Ulrich nicht nur als entscheidend für die unmittelbare, praktische Sollgeltung von moralischen Ansprüchen angesehen. Darüber hinaus erhalten sie bei ihm zentrale Bedeutung für die wissenschaftliche Aufgabenstellung der Ethik: „Wird nach einer rationalen Begründung moralischer Grundsätze und Verbindlichkeiten gefragt, so ist damit die Kernfrage gestellt, mit der sich die moderne Ethik beschäftigt.“73
In diesem Zusammenhang ist eine oben bereits zitierte Passage zu wiederholen: „[. . .] Vernunftethik [. . .] begründet [. . .] die rational nicht abweisbaren normativen Verbindlichkeiten einer kulturübergreifenden humanistischen Minimalethik. Das ist – ‚innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft‘ [Fußnote] – die mögliche Ausgangsidee eines für alle Menschen als gültig und verbindlich einsehbaren, da vernünftig begründbaren Standpunktes der Moral (moral point of view).“74
Daß der Standpunkt der Moral „als gültig und verbindlich“ vom moralischen Subjekt eingesehen werden kann, hängt für Ulrich also von der Begründung „rational nicht abweisbarer normativer Verbindlichkeiten“ ab. Eine solche „rationale“ Begründung, im Sinne einer methodisch disziplinierten Reflexion, bestimmt er als die Aufgabe der Ethik.75 Damit stellt sich erneut die Frage, was Ulrich unter einer „rationalen Begründung“ genau versteht. Es ist darauf hinzuweisen, daß Ulrich in den obigen Zitaten über den Zusammenhang von Begründung und moralischem Wollen den „reflexiven“ 73 74 75
Ulrich (2001a), S. 37. Ulrich (2001a), S. 49. Vgl. Ulrich (2001a), S. 37.
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bzw. „selbstreflexiven“ Charakter solcher Überlegungen erwähnt. Mit solchen Hinweisen schon zu Beginn seiner Einführung in die Grundlagen der Ethik deutet Ulrich „die strikt reflexive transzendentalpragmatische Begründungsfigur“ an,76 die er später in seinen Ausführungen zur Diskursethik expliziert: Das, was im Akt des Argumentierens an normativem Gehalt immer schon implizit vorausgesetzt wird, kann argumentativ nicht bestritten werden: nämlich die wechselseitige Anerkennung der Argumentationspartner als mündige Subjekte.77 Ulrich bezeichnet die „strikt REFLEXIVE [Herv. d. Verf.] Explikation des (Vernunft-)Standpunkts der Moral“, wie sie die Diskursethik leiste, als eine „hinreichende Begründung“ des Moralprinzips.78 Wenn Ulrich also die Aufgabe der Ethik allgemein als „rationale“ Begründung moralischer Verbindlichkeit bestimmt, so hat er dabei offenbar immer schon den reflexiven Begründungsbegriff der Transzendentalpragmatik im Auge: Die wissenschaftliche Aufgabe der Ethik wäre also nur durch die spezifisch reflexive, transzendentalpragmatische Begründung des Moralprinzips zu lösen. Bemerkenswert ist nun, daß Ulrich zuvor schon die allgemeine Rationalität, die für die unmittelbare praktische Sollgeltung von moralischen Ansprüchen verantwortlich zeichnen soll, ebenfalls als „reflexiv“ bezeichnet. Ulrich spricht ja, wie bereits oben zitiert, von dem „unauflöslich[.] reflexive[n] Zusammenhang von begründetem Sollen und moralischem Wollen“. Damit zeigt sich, daß Ulrich das wissenschaftliche Problem der Ethik dem unmittelbaren Moralproblem der praktischen Sollgeltung von Ansprüchen angleicht: Sowohl die wissenschaftliche Auszeichnung der Verbindlichkeit des abstrakten Moralprinzips als auch die lebenspraktische Auszeichnung der Verbindlichkeit konkreter Moralforderungen findet im Medium reflexiver Begründungen statt. In beiden Fällen beruht die Problemstellung auf der Voraussetzung, daß „normative Verbindlichkeit“ sich durch rationale Einsicht konstituiert – eine Auffassung, die – wie bereits angedeutet – in Widerspruch zur Annahme eines Primates des Willens steht.79 Die mit dem 76
Vgl. Ulrich (2001a), S. 29. Vgl. Ulrich (2001a), S. 80. Dieses Argument, auf dem die Transzendentalpragmatik ihren Anspruch auf „Letztbegründung“ aufbaut (vgl. ebd.), hat seine entscheidende moralphilosophische Schwäche in folgendem Problem: Aus der reflexiven Tatsache, daß ich mich im Akt des Argumentierens vorfinde, als bestimmte (normative) Voraussetzungen immer schon anerkannt habend, folgt in keiner Weise, die Verpflichtung, daß ich diese Voraussetzungen anerkennen soll. Diese Verschärfung des Problems normativer Verbindlichkeit, die mit dem kantischen Autonomiebegriff geleistet wurde, geht durch die transzendentalpragmatische Wende der Philosophie verloren. 78 Vgl. Ulrich (2001a), S. 57. 79 Daß zwischen dem Anspruch auf rationale Begründung, den die „Vernunftethik“ nach Ulrich erhebt (vgl. die obigen Zitate), und dem „Primat des Willens“ eine grundsätzliche Spannung besteht, scheint Ulrich auch selbst anzudeuten, wenn 77
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Begründungsdenken einhergehende Parallelisierung wissenschaftlicher Reflexion und praktisch-willentlicher Konstitution von Moralität bei Ulrich findet ihren Grund in den Voraussetzungen der Diskursethik, die weiter unten behandelt werden. Da die Diskursethik den Zielpunkt von Ulrichs Entwicklung der ethischen Fragestellung bildet, kommt es für ihn wesentlich darauf an, die verwendeten kantischen Grundlagen, insbesondere das Konzept des autonomen Willens, auf das er anscheinend nicht völlig verzichten möchte, von vornherein mit reflexiven Begründungsaspekten zu versetzen: Auf der wechselseitigen Verschränkung von kantischer Willenskonzeption und reflexiver Begründung beruht Ulrichs Hinführung zur transzendentalpragmatischen Diskursethik. Und erst mit diesen diskursethischen Überlegungen gewinnt Ulrich das Fundament für seine integrative Wirtschaftsethik. Die aus der Diskursethik übernommenen rationalen Begründungsansprüche werden in den spezifisch wirtschaftsethischen Überlegungen Ulrichs eine große Rollen spielen. Deshalb mußte ihre grundlegende Bedeutung im Zusammenhang mit dem Ausgangspunkt von Ulrichs Vernunftethik aufgeklärt werden. 2.2.2 Kognitive Grundlage: Universeller Rollentausch als regulative Idee? Ulrich vertritt in der Ethik einen kognitivistischen Standpunkt, den er gegen den – seiner Ansicht nach – unter heutigen Ökonomen vorherrschenden80 Nonkognitivismus und ethischen Skeptizismus dezidiert verteidigt.81 er feststellt: „Am Anspruch einer Vernunftethik kann und sollte m. E. [. . .] AUCH DANN [Herv. d. Verf.] festgehalten werden, wenn man den Primat des Willens zur (praktischen) Vernunft vor jedem begründbaren Sollen eingesehen hat.“ Ulrich (2001a), S. 42. Was dieser Primat aber inhaltlich konkret mit dem Anspruch auf vernünftige Begründung zu tun haben könnte, wird von ihm nirgends einsichtig gemacht. Statt dessen führt er aus: „Der Begriff der Vernunftethik braucht nicht mit Kants transzendentalphilosophischem Anspruch einer absoluten Begründung des Kategorischen Imperativs gleichgesetzt zu werden [. . .]: Kant expliziert zwar [. . .] mit dem Kategorischen Imperativ durchaus das Moralprinzip einer humanistischen Vernunftethik, doch sein Begründungsanspruch wurzelt noch in der Metaphysik der reinen (göttlichen) Vernunft oder ‚eines möglichen reinen Willens‘ [. . .], der uns dann doch wieder als eine Autoritätsinstanz jenseits (‚apriori‘) unserer moralischen Autonomie den Primat eines absoluten moralischen ‚Gesetzes‘ vorgeben soll.“ Ebd. Daß unsere moralische Autonomie nach Kant mit der prinzipiellen Unabhängigkeit des Willens, auch von jeder rationalen, auf denkgesetzliche Notwendigkeit zielenden Begründung einhergeht, scheint Ulrich nicht zu sehen. Somit verfehlt seine Interpretation Kants den kantischen Gedanken. Zur Entfaltung der Ethik in kantischen Bahnen siehe Kapitel 5.2 ff. 80 Vgl. Ulrich (2000a), S. 558, Abschnitt (14).
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Den kognitiven Kern der von ihm vertretenden Vernunftethik sieht er in der Fähigkeit zum gedanklichen Rollentausch: (1) „Das kognitive Moment, das eine so ansetzende Vernunftethik trägt, ja letztlich als die Wurzel aller Moralität überhaupt zu begreifen ist, ist die humane Fähigkeit zum gedanklichen Rollentausch, also unser Vermögen, in Gedanken uns in die Lage eines Alter Ego zu versetzen und uns vorzustellen, ‚was wir selbst wohl in der gleichen Lage fühlen würden‘ [. . .]. Diese konkrete Reziprozität zwischenmenschlicher Verbindlichkeit lässt sich in einem vernunftethischen Abstraktionsschritt zur regulativen Idee des universellen Rollentausches [. . .] in der ideellen Gemeinschaft aller Menschen ausweiten [. . .].“82
Mit diesem kognitiven, rational einsehbaren Abstraktionsschritt, von einer konkreten, unmittelbar erfahrbaren zwischenmenschlichen Gegenseitigkeit, zu einer abstrakten und universalen Reziprozität, die sich prinzipiell auf alle Menschen erstreckt, wird für Ulrich das grundlegende Prinzip der Moralität erreicht: (2) „Mit dem Prinzip der verallgemeinerten moralischen Gegenseitigkeit (Universalisierungsprinzip) ist das gesuchte, grundlegende und universale Moralprinzip gefunden. Wir können dieses daher auch schlicht als den Grundsatz universaler moralischer Achtung und Reziprozität zwischenmenschlicher Ansprüche umschreiben.“83
Dieses abstrakte Moralprinzip stellt die Perspektive bereit, aus der heraus konkrete Ansprüche in ihrer moralischen Berechtigung „begründet“ werden können: (3) „Als vernunftethisch begründbar gelten solche moralischen Ansprüche oder Rechte, die gedanklich in der unbegrenzten moralischen Gemeinschaft aller Menschen verallgemeinerbar und daher in unparteilicher Weise jedermann in gleichem Mass zuzusprechen sind. [Fußnote] Oder anders formuliert: Allgemeingültig sind Ansprüche, die jede Person, die sich als Mitglied der universellen moralischen Gemeinschaft versteht, vernünftigerweise – und das heisst jetzt präzis: geprüft im verallgemeinerten gedanklichen Rollen- oder Perspektiventausch (ideal role-taking) – gegenüber jedermann vertreten kann.“84
In der sich anschließenden Fußnote fährt Ulrich fort: (4) „Wird dieser allgemeine Rollen- oder Perspektiventausch als inneres Gedankenexperiment des Einzelnen vorgestellt, so führt dieses zum Kategorischen Imperativ Kants [. . .]; wird die unbegrenzte moralische Gemeinschaft hingegen als ideale Kommunikationsgemeinschaft expliziert und die Prüfung der intersubjektiven Austauschbarkeit der Perspektiven dementsprechend als Gegenstand einer argumentativen Verständigung konzipiert, so mündet sie in die Diskursethik [. . .].“85 81 82 83 84 85
Vgl. Ulrich (2000b), S. 632, Abschnitte (3) und (5). Ulrich (2000a), S. 557, Abschnitt (10). Ulrich (2001a), S. 48. Ulrich (2001a), S. 48. Ulrich (2001a), S. 48.
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Versuchen wir, diese Äußerungen Ulrichs (1–4) erläuternd zusammenzufassen: Das abstrakte Prinzip der Reziprozität entläßt aus sich die Grundforderung eines „universellen Rollentausches“ (1). Dieser Grundforderung mißt Ulrich den Status einer „regulativen Idee“ (1) zu. Regulative Ideen definiert Ulrich als „[. . .] Orientierungsideen, die den normativen Horizont für pragmatische Schritte in die richtige Richtung weisen, jedoch wegen ihres idealen Charakters unter realen Umständen nie vollständig einholbar oder realisierbar sind.“86
Sofern der „universelle Rollentausch“ den Status einer regulativen Idee besitzt, stellt er demnach keine vom einzelnen Subjekt unmittelbar einzulösende, moralische Forderung dar, sondern formuliert lediglich den „normativen Horizont“ für situationsabhängige, jeweilig-konkrete moralische Forderungen gegenüber den Moralsubjekten. Diese Forderungen bestehen dann darin, „pragmatische Schritte in die richtige Richtung“ zu unternehmen. Die Einschränkung der Funktion des universellen Rollentausches auf eine abstrakte, „regulative“ Orientierung wird jedoch fraglich, wenn Ulrich diesen Rollentausch zugleich auch als eine Art von Verfahren bestimmt, mit Hilfe dessen das einzelne Moralsubjekt die moralische Berechtigung von Ansprüchen prüfen kann (3). Daß Ulrich den „universellen Rollentausch“ als ein tatsächlich anwendbares Prüfungsverfahren bestimmt, wird deutlich, wenn er ihn sowohl als „inneres Gedankenexperiment“ als auch als „argumentative Verständigung“ für interpretierbar hält (4). Insbesondere der Begriff eines gedanklichen Experimentes ist nicht anders zu verstehen als eine innerlich durchzuführende Handlung. Im Falle der argumentativen Verständigung ist die Interpretation insofern uneindeutiger, als der Zusammenhang von idealer und realer Kommunikation zu beachten ist, und die ideale Kommunikation – nach dem Verständnis der Diskursethik – in realen Verständigungsprozessen niemals vollständig aufgehen kann.87 Jedenfalls kann aber auch die Forderung einer idealen argumentativen Verständigung nicht prinzipiell verzichten auf ihre Konkretisierung in Form von kommunikativen Handlungen, als einer Klasse von sowohl innerlich als auch äußerlich durchzuführenden konkreten Handlungsvorgängen. Daß Ulrich sowohl dem inneren Gedankenexperiment als auch der argumentativen Verständigung eine konkrete Bedeutung in der Handlungssphäre zumißt, werden wir weiter unten sehen. Hier soll es uns zunächst lediglich auf den Verfahrensstatus des „Rollentausches“ ankommen, der sich in beiden Interpretationen – Gedankenexperiment und Verständigung – unterschiedlich deutlich zeigt. 86
Ulrich (2001a), S. 47. Auf den Unterschied von idealer und realer Kommunikation geht Ulrich in diesem Zusammenhang nicht ein. Die gegenseitige Bezogenheit von idealer und realer Kommunikation wird bei der Behandlung der diskursethischen Grundlagen Ulrichs in Kapitel 2.3.3 dargestellt. 87
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Wenn die moralische Berechtigung von Ansprüchen sich nur durch ein bestimmtes Prüfungsverfahren ermitteln läßt, tritt das Problem auf, daß die tatsächliche Anwendung dieses Verfahrens selbst zu einer unmittelbaren moralischen Forderung wird: Die Moralsubjekte können ihre Moralität ja nur dadurch einlösen, daß sie ihre Ansprüche aus der Perspektive des ideellen Rollentausches tatsächlich prüfen – sei es nun in Form eines inneren Gedankenexperimentes oder einer diskursiven Verständigung.88 Sie sollen also diese Perspektive einnehmen und sie können sie auch einnehmen, ohne auf vorhergehende „pragmatische“ Annäherungen angewiesen zu sein – zumindest im Falle des inneren Gedankenexperimentes.89 Die Forderung, die Perspektive des ideellen Rollentausches tatsächlich einzunehmen, hat selbst also keinen regulativen Status, sondern den einer vom einzelnen Subjekt unmittelbar einzulösenden moralischen Verpflichtung! Das wird im Zusammenhang der Wirtschaftsethik eine erhebliche Rolle spielen, wenn es um die Frage geht, welche moralischen Forderungen gegenüber den Wirtschaftssubjekten als solchen sinnvoll erhoben werden können. Als Beispiel soll hier vorweggenommen werden, daß Ulrich in diesem Zusammenhang ausdrücklich die prinzipielle moralische Verpflichtung der Wirtschaftssubjekte betont, konkrete Diskurse tatsächlich durchzuführen: „Um klären zu können, welches Mass an Verzicht eines Akteurs auf eigenen Erfolg in einer gegebenen Situation ‚angemessen‘ – und das kann nur heissen: begründbar – ist und welche Folgen des eigenen Erfolgsstrebens gegenüber allen 88 Beide Formen des Rollentauschverfahrens werden von Ulrich an anderer Stelle sogar als gleichwertig parallelisiert: „Zwischen einer dementsprechenden ‚einsamen‘ Reflexion [als „stellvertretender Diskurs mit allen Betroffenen“] in verantwortungsethischer Absicht und dem tatsächlichen Führen eines Legitimationsdiskurses besteht kein prinzipieller Unterschied – beide müssen in der kommunikativ-ethischen Grundhaltung der Argumentationsintegrität geführt werden [. . .].“ Ulrich (2001a), S. 90. Wie weit diese Parallelisierung bei Ulrich geht, zeigt sich darüber hinaus, wenn er behauptet, daß auch „[n]och das einsamste Denken [. . .] nichts anderes als ein verinnerlichtes Argumentieren mit sich selbst als ‚Gesprächspartner‘ in einem imaginären Rollentausch (ideal role-taking) dar[stellt].“ Ulrich (2001a), S. 78. Ulrich ebnet damit genau diejenige prinzipielle Unterscheidung ein, die für eine „sprachpragmatische Transformation der Philosophie“ – auf die er sich ausdrücklich beruft – so wichtig ist. Denn sobald dem einzelnen Moralsubjekt ein rein innerliches, also autonomes, Korrektiv zugestanden wird, das als prinzipiell gleichwertig gegenüber realer, interpersoneller Kommunikation anzusehen ist, geht die Pointe des transzendentalpragmatischen Vorwurfs gegen Kant verloren, dieser habe mit der „metaphysischen Unterstellung eines Bewußtseins überhaupt“ die sprachlich-kommunikative Konstitution von (sowohl praktischen als auch theoretischen) Geltungsansprüchen übergangen. Vgl. zu diesem Vorwurf: Apel (1973), S. 353 ff. 89 Ulrich selbst betont, daß ein „stellvertretender Diskurs mit allen Betroffenen“ in Form eines „gedankliche[n] Selbstverständigungsversuch[es] [. . .] stets ‚möglich‘ [ist]!“ Ulrich (2001a), S. 90.
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Betroffenen verantwortet werden können, ist daher stets, nicht nur ‚gelegentlich‘, ein begründender Legitimations- und Zumutbarkeitsdiskurs erforderlich.“90
Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, daß dem ideellen Rollentausch eine Doppelbedeutung zukommt. Einerseits soll er die abstrakte und insofern „regulative“ Orientierungsidee des „moral point of view“ zum Ausdruck bringen. Andererseits erhält er aufgrund seiner Qualifizierung als moralisches Prüfungsverfahren implizit den Status einer unmittelbar einzufordernden Handlungsorientierung. Aus dieser uneingestandenen Doppelbedeutung ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaftsethik Ulrichs. Wie soeben beispielhaft vorweggenommen, macht Ulrich gegenüber den Wirtschaftssubjekten durchaus konkrete handlungsbezogene Forderungen geltend. Die gedankliche Grundlage dieser Forderungen im Verfahren des ideellen Rollentausches aufzudecken, war der Zweck dieses Kapitels. Damit ist ein für die weitere Diskussion wesentliches Zwischenergebnis erreicht. Die Doppelbedeutung des normativen Ideals zeigt sich bei Ulrich an mehreren entscheidenden Punkten, die im weiteren Verlauf der Untersuchung noch deutlich werden. Daß die doppeldeutige Verwendung des Ideals – regulative Orientierung einerseits, materiale Handlungsforderung andererseits – keine zufällige und vermeidbare Unschärfe Ulrichs ist, wird sich erst aus der kritischen Untersuchung der diskursethischen Grundlagen erschließen lassen. 2.2.3 Diskursethik Ulrich läßt seine Überlegungen zur philosophischen Ethik letztendlich in die Diskursethik münden, in deren Rahmen seiner Ansicht nach „[e]ine wohlverstandene Fassung des Universalisierungsgrundsatzes und damit des Standpunktes der Moral [. . .] sich [. . .] gewinnen [läßt]“91. Die Diskursethik ist der von Ulrich gewählte Endpunkt der allgemeinen Ethik und zugleich der Ausgangspunkt seiner integrativen Wirtschaftsethik. Die von Ulrich verwendeten Aspekte dieser Form der Ethik sollen hier nicht umfassend in ihrer philosophischen Tiefendimension dargestellt werden. Im Rahmen einer Untersuchung über die Grundlagen der Wirtschaftsethik erscheint es angebracht, diese Aspekte allein insofern zu behandeln, als sie für Ulrichs wirtschaftsethische Überlegungen von Bedeutung sind.
90 91
Ulrich (2001a), S. 100. Ulrich (2001a), S. 78.
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2.2.3.1 Die Konstitution von moralischen Ansprüchen durch den Austausch von Argumenten Der volle Sinn der von Ulrich von Beginn an veranschlagten Begründungsaspekte zeigt sich erst aus der Perspektive des diskursethischen Schlußakkordes seiner Überlegungen zur Ethik. Die Diskursethik versucht, das Fundament von Moralität in den normativen Bedingungen der Möglichkeit rationalen Argumentierens aufzudecken.92 Diese normativen Bedingungen erhalten dabei ihre für die Moralität grundlegende Rolle erst durch die Voraussetzung zugewiesen, daß die rationale Argumentation als solche das ideale Modell menschlicher Interaktion darstellt und deshalb der philosophischen Ethik als Ausgangspunkt für die reflexive Bestimmung des Moralprinzips dienen kann. Diese Voraussetzung fußt ihrerseits auf sprachphilosophischen Überlegungen, die Interpersonalität primär in Kommunikationsverhältnissen konstituiert sehen. Entscheidend ist dabei, daß Kommunikation von vornherein wiederum im Ideal der verständigungsorientierten Argumentation verankert wird. Damit zeigt sich, daß die Orientierung an diesem Ideal der verständigungsorientierten, rationalen Argumentation die entscheidende Voraussetzung der Diskursethik darstellt, die sie dadurch (reflexiv) zu rechtfertigen versucht, daß sie das spezifisch wissenschaftliche Ideal des Argumentierens mit dem Ideal menschlicher Interaktion überhaupt verschränkt.93 Ansprüche sind bei Ulrich – wie wir gesehen haben – dann als moralisch berechtigt anzusehen, also mit einer praktischen Sollgeltung ausgestattet, wenn sie als intersubjektiv austauschbar gelten können und sich daher gegenüber jedermann vertreten lassen. Dieses Moralkriterium der intersubjektiven Austauschbarkeit der Perspektiven verknüpft Ulrich mit dem diskursethischen Grundtopos der rationalen Argumentation. Der „verständigungsorientierte Austausch von Argumenten“ ist das „Verfahren“, das die Austauschbarkeit der Perspektiven gewährleistet: „Der Diskurs ist das Verfahren, in dem die intersubjektive Austauschbarkeit der Perspektiven in der Gemeinschaft von Subjekten, die an der rationalen Begründung von Geltungsansprüchen interessiert sind, durch den verständigungsorientierten Austausch von Argumenten (guten Gründen) praktisch geprüft wird.“94 92
Vgl. Ulrich (2001a), S. 78 f. Aus dieser für die Diskursethik konstitutiven Verschränkung erklärt sich auch die schon angesprochene Doppelfunktion von Begründung in Ulrichs Konzeption: Einerseits sieht er in der argumentativen Begründung des Moralitätsprinzips die wesentliche Aufgabe einer wissenschaftlichen Ethik, andererseits sollen sich lebenspraktische Ansprüche und Forderungen auf der Ebene konkreter Interpersonalität nur auf dem Wege eben dieser argumentativen Begründung als moralische konstituieren können. Das Problem der Ethik und das Problem der praktischen Sollgeltung von Ansprüchen werden damit methodisch parallelisiert. 94 Ulrich (2001a), S. 78. 93
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Ein Anspruch wird also erst dadurch zu einem moralischen, daß er im (realen bzw. idealen) Diskurs zwischen allen Betroffenen argumentativ begründet wurde (real) oder zumindest als begründbar erscheint (ideal). Die argumentative Begründung erhält damit eine grundlegende moralische Funktion, die darin liegt, die praktische Sollgeltung von Ansprüchen herzustellen. Im „Verfahren“95 des Austausches von rationalen Argumenten qua Begründung wird die praktische Sollgeltung von Ansprüchen zuallererst konstituiert! Die grundlegende Bedeutung, die Ulrich der rationalen Argumentation im Gebiet des Moralischen insgesamt zumißt, faßt er selbst unzweideutig zusammen: „Die denknotwendige Unterstellung und regulative Idee der idealen Kommunikationsgemeinschaft stellt nichts anderes als die diskursethische Interpretation des Standpunktes der Moral dar. [. . .]. Gegenstand des Universalisierbarkeitstests sind nun moralische Ansprüche im wörtlichen Sinn. Das Universalisierungsprinzip (die regulative Idee des universellen Rollentausches zur Klärung legitimer moralischer ‚Ansprüche‘) kommt in der Diskursethik in der Weise zur Geltung, dass in der vorgestellten unbegrenzten Argumentationsgemeinschaft aller mündigen Personen guten Willens normative Geltungsansprüche gegenüber jedermann ARGUMENTATIV 96 BEGRÜNDBAR [Herv. d. Verf.] und insofern konsensfähig sein sollen.“
Diese grundlegende Bedeutung der rationalen Argumentation wird von Ulrichs Interpretation der Diskursethik in Form eines dreistufigen Handlungskonzeptes konkretisiert: Der ideale Diskurs ist das (regulative) Modell zur Gestaltung konkreter Diskurse.97 Diese Umwandlung des abstrakten Begründungsanspruches in konkrete Handlungsansprüche bildet das gedankliche Scharnier, das schließlich zu Ulrichs wirtschaftsethischen Forderungen überleiten wird. Nur aus dieser diskursethischen Konkretisierung von Begründungsansprüchen in Form verschiedener Diskursverfahren werden sich die handlungsbezogenen Forderungen verstehen lassen, die Ulrich gegenüber den Wirtschaftssubjekten erhebt. 2.2.3.2 Die Orientierungskraft des idealen Diskurses: Regulatives Ideal oder materiale Handlungsforderung? Die entscheidende gedankliche Weichenstellung der diskursethischen Grundlage Ulrichs – und damit seiner gesamte Konzeption – liegt in der Art und Weise, in der das Konzept des idealen Diskurses zur Grundlage 95
Vgl. obiges Zitat, in dem Ulrich den Diskurs als „Verfahren“ definiert. Ulrich (2001a), S. 80 f. 97 Ulrich selbst versteht diese Konkretisierung als „dreistufige[s] Konzept einer diskursethisch transformierten Verantwortungsethik“. Vgl. dazu die Ausführungen im anschließenden Kapitel 2.2.3.2. 96
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moralischer Forderungen gemacht wird. Diese moralischen Forderungen werden von Ulrich sowohl auf das individuelle Handeln des einzelnen Moralsubjektes als auch auf die (kollektive) Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse bezogen. Entscheidend ist nun, inwiefern das Konzept des idealen Diskurses in den beiden von Ulrich beanspruchten Dimensionen moralischer Forderungen zum Tragen kommt. Einerseits ist klar, daß dem idealen Diskurs in der Diskursethik in irgendeiner Form normative Orientierungskraft zukommen muß – darin liegt ja gerade seine Bedeutung für die Diskursethik. Der ideale Diskurs, als die von Ulrich veranschlagte Interpretation des universellen Rollentauschprinzips, soll zunächst vor allem die innere Einstellung der Moralsubjekte prägen. In diesem Punkt folgt Ulrich einer kantisch orientierten „Gesinnungsethik“.98 Aus dieser inneren Einstellung ergeben sich bei Ulrich dann aber konkrete moralische Forderungen sowohl in Hinsicht auf unmittelbar einforderbare Einzelhandlungen als auch hinsichtlich der Formen gesellschaftlicher Handlungskoordination. Andererseits wird von Ulrich der lediglich regulative Status des idealen Diskurses betont. Dieser Status schränkt den normativen Gebrauch des idealen Diskurses auf eine abstrakte Orientierungsidee ein. Ulrich forciert die Abstraktheit des idealen Diskurses qua regulatives Ideal so stark, daß er gegenüber Apel sogar die prinzipielle – also apriori feststehende – NichtRealisierbarkeit des idealen Diskurses geltend macht!99 Konkret zeigt sich diese Auffassung Ulrichs, wenn er es „als konkretistisches Missverständnis“ bezeichnet, daß die Diskursethik „UNMITTELBAR [Herv. d. Verf.] eine VORWIEGEND [Herv. d. Verf.] diskursgestützte Koordination“ als „gesellschaftliches Organisationsprinzip“ postulieren würde.100 Daß es bei diesem angeblichen 98 Ulrich selbst verteidigt die Ethik Kants eingehend gegen den Vorwurf, eine „rigorose Gesinnungsethik“ zu sein. In diesem Zusammenhang wendet sich Ulrich auch gegen die „unglückliche Gegenüberstellung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik“ in der Nachfolge Max Webers. Vgl. Ulrich (2001a), S. 73 f. 99 Vgl. Ulrich (2001a), S. 91: „Gegenüber Apels Standardformulierung, es gehe darum ‚in der realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen‘ [. . .], ist daher Einspruch geboten: Die regulative Idee der idealen Kommunikationsgemeinschaft pragmatisch realisieren zu wollen, kommt einem pragmatistischen Kurzschluß der kategorialen Differenz [. . .] zwischen ethisch-kritischer Orientierungsidee und ‚herstellbarer‘ Praxis gleich [. . .].“ Ulrich wirft Apel deshalb vor, daß „seine [Apels] Rede von den ‚herzustellenden Anwendungsbedingungen‘ [. . .] die (‚ungeheuerlich idealistische‘!) Vorstellung [impliziert], die regulative Idee des Diskurses sei irgendwann unter realen Umständen herstellbar – doch das ist sie prinzipiell nie!“ Ulrich (2001a), S. 372. 100 Vgl. Ulrich (2001a), S. 81: „Das konkretistische Missverständnis der Diskursethik zeigt sich etwa in der Rede von den angeblich ‚rigorosen diskursethischen Forderungen‘ dahingehend, dass als gesellschaftliches Organisationsprinzip unmittelbar ‚eine vorwiegend diskursgestützte Koordination‘ postuliert würde.“
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Mißverständnis aber nur auf das Wort „unmittelbar“ ankommt, zeigt sich in folgender Aussage Ulrichs: „Es geht also praktisch darum, in der je realen Kom[m]unikationsgemeinschaft bestmöglich institutionelle Rahmenbedingungen zu verwirklichen, die an der regulativen Idee der idealen Kommunikationsgemeinschaft orientiert sind. Der ideale Diskurs als solcher entzieht sich einer unmittelbaren Institutionalisierung; er ist vielmehr als jene (prinzipiell nicht herstellbare) gedankliche Meta-Institution [Fußnote] zu begreifen, die als kritisches Regulativ für PRAKTISCHE BEMÜHUNGEN ZUR ARGUMENTATIONSFÖRDERLICHEN GESTALTUNG GESELLSCHAFTLICHER VER101 STÄNDIGUNGSVERHÄLTNISSE [Herv. d. Verf.] dient.“
Auch wenn Ulrich also nicht behauptet, daß der ideale Diskurs sich unmittelbar realisieren ließe, so stellt die „argumentationsförderliche[.] Gestaltung gesellschaftlicher Verständigungsverhältnisse“ dennoch die Forderung dar, die Ulrich mit dem idealen Diskurs qua „kritisches Regulativ“ letztlich verbindet! Daß Ulrich „gesellschaftliche Verständigungsverhältnisse“ nicht nur auf einen spezifischen Teilbereich gesellschaftlicher Koordination – einen solchen, in dem es um Verständigung geht – bezieht, wird deutlich, wenn er die „bestmögliche[.] Verwirklichung ENTSCHRÄNKTER [Herv. d. Verf.] Kommunikationsverhältnisse“ als regulative Idee bezeichnet.102 Eine Entschränkung von Kommunikationsverhältnissen kann nur bedeuten, diese möglichst auf alle gesellschaftlichen Bereiche auszudehnen. Es läßt sich nun nicht einsehen, worin der prinzipielle Unterschied bestehen sollte zwischen dem Bemühen, eine „vorwiegend [d.h.: nicht ausschließlich!] diskursgestützte Koordination“ als „gesellschaftliches Organisationsprinzip“ zu erreichen (vgl. das angeblich „konkretistische Missverständnis“) und dem Bemühen um eine „bestmögliche[.] Verwirklichung entschränkter Kommunikationsverhältnisse“. Lediglich hinsichtlich der Frage, ob der ideale Diskurs unmittelbar, als sozusagen fertiges Rezept, umgesetzt werden kann, vermag sich Ulrich also von dem angeblich „konkretistischen Missverständnis“ zu differenzieren, nicht jedoch in der Frage, welches soziale Organisationsprinzip denn überhaupt angezielt werden soll. Insbesondere, wenn Ulrich in obigem Zitat fordert, „bestmöglich institutionelle Rahmenbedingungen zu VERWIRKLICHEN [Herv. d. Verf.], die an der regulativen Idee der idealen Kommunikationsgemeinschaft orientiert sind“, wird deutlich, daß die „diskursgestützte Koordination“ sehr wohl das Prinzip ist, nach dem sich die faktisch-reale Gestaltung gesellschaftlicher Koordination richten soll.103 Daß der ideale Diskurs sich nach Ulrichs eigener 101
Ulrich (2001a), S. 91. Vgl. Ulrich (2001a), S. 90. 103 Daß Ulrich mit dem diskursethischen Ideal der verständigungsorientierten Einstellung der Moralsubjekte eine bestimmte Form der sozialen Handlungskoordination direkt und unmittelbar verbindet, wird auch deutlich, wenn er den mit die102
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Auffassung prinzipiell einer Realisierung entzieht, hindert Ulrich also nicht daran, dennoch seine bestmögliche Verwirklichung einzufordern. Damit ist für diese konkrete Forderung realer Verständigung die von Ulrich betonte Nicht-Realisierbarkeit des idealen Diskurses qua regulatives Ideal schlechtweg bedeutungslos. Wie konkret und real, sowohl handlungs- als auch institutionenbezogen, Ulrich die Forderung nach diskursiver Verständigung erhebt, geht aus seinem „dreistufige[n] Konzept einer diskursethisch transformierten Verantwortungsethik“ hervor: „(a) Wo die Voraussetzungen der Verständigungsgegenseitigkeit einigermassen erfüllt sind, handelt derjenige verantwortlich, der den Legitimationsdiskurs mit den Betroffenen real zu führen sich bemüht. (b) Wo die Voraussetzungen der Verständigungsgegenseitigkeit aus prinzipiellen Gründen nicht erfüllbar sind, handelt verantwortlich, wer stellvertretend einen fiktiven Diskurs mit den Betroffenen in ‚einsamer‘ Reflexion bestmöglich vollzieht, um deren legitime ‚Ansprüche‘ gegen seine eigenen Interessen abzuwägen. (c) Wo die Voraussetzungen der Verständigungsgegenseitigkeit lediglich aus pragmatischen Gründen vorläufig nicht erfüllt sind, handelt verantwortlich, wer zunächst stellvertretend in Gedanken die einseitige Verantwortung übernimmt, zugleich aber sein Handeln an der regulativen Idee der längerfristig bestmöglichen Verwirklichung entschränkter Kommunikationsverhältnisse orientiert und dementsprechend politische Mitverantwortung übernimmt.“104
Wenn also Ulrich „die praktische Bedeutung der Diskursethik [. . .] in der normativ-kritischen Orientierungskraft ihres prozeduralen Ideals der diskursiven Klärung moralischer Fragen für reale Versuche der Verständigung über konfligierende Geltungsansprüche“105 sieht, so setzt er dabei als selbstverständlich voraus, daß dieses „prozedurale Ideal“ immer schon auf „reale Versuche der Verständigung“ hin ausgerichtet und angewiesen ist. Der ideale Diskurs entfaltet bei Ulrich seine „normativ-kritische Orientierungskraft“ also in zweierlei Form: Erstens fordert er tatsächliche Diskursbemühungen – ob als inneres Gedankenexperiment oder als interpersonelle Verständigung. Diese Forderung setzt Ulrich als selbstverständlich voraus, ohne sie weiter zu problematisieren. Sie bildet – wie wir sehen werden – die wesentliche (und problematische) Grundlage auch seiner Wirtschaftsethik. ser Einstellung einhergehenden „Wechsel vom strategischen zum kommunikativen Rationalitätstyp“ mit einem Wechsel „ZU EINER PRINZIPIELL ANDEREN FORM DER SOZIALEN HANDLUNGSKOORDINATION [Herv. d. Verf.]“ unmittelbar verknüpft. Vgl. Ulrich (2001a), S. 84. Das angeblich rein regulative Ideal wird von Ulrich selbst also doch recht schnell konkretistisch umgewandelt. 104 Ulrich (2001a), S. 90. 105 Ulrich (2001a), S. 84.
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Zweitens entfaltet sich die „Orientierungskraft“ des idealen Diskurses nun darin, daß dieser, zugleich mit der Forderung realer Diskursbemühungen, als das nicht realisierbare Ideal für diese realen Diskursbemühungen fungiert. Es darf hierbei keinesfalls übersehen werden, daß diese zweite, nicht-realisierbare, rein regulative Orientierungsfunktion, auf die Ulrich alle Aufmerksamkeit lenkt, implizit immer schon auf der als unproblematisch unterstellten Forderung realer Diskursbemühungen aufbaut. Eine bestimmte Form des tatsächlichen Handelns wird damit – bevor die Frage der Realisierbarkeit des idealen Diskurses überhaupt relevant wird – als moralisch überlegen unterstellt und dementsprechend auch als Handlungsweise unmittelbar und nicht-regulativ eingefordert!106 Dennoch macht Ulrich in kritischer Auseinandersetzung mit Apel geltend, daß die Diskursethik keine „spezielle ‚Grundnorm der Konsensbildungsethik‘ [Fußnote] bereitstellen“ kann.107 Er stellt gegenüber Apel klar: „Versteht man demgegenüber [. . .] die Diskursethik nur als eine vorzügliche Form der Explikation und Begründung des allgemeinen moral point of view, so kann sie von vornherein über keine spezielle Grundnorm verfügen, die ein ‚Anwendungsproblem‘ aufwirft. Den moral point of view als solchen kann man ja nicht anwenden; es handelt sich um den Standpunkt, von dem aus konkrete moralische Urteile diskursiv zu begründen sind.“108
Ulrich übersieht dabei, daß nach seinem eigenen „dreistufige[n] Konzept einer diskursethisch transformierten Verantwortungsethik“ die Akteure prinzipiell verschiedene Arten von Diskursen durchführen müssen, wenn sie moralisch sein wollen.109 Die tatsächliche Durchführung eines – interpersonellen oder gedanklichen – Diskurses ist aber nichts anderes, als eine durch bestimmte Merkmale spezifizierte – äußere bzw. innere – Handlung: Denn sie läßt sich eindeutig zumindest von allen bewußt gewalttätigen Einwirkungen auf andere Personen abgrenzen. Mit der prinzipiellen Bindung des moralischen Handelns an die Durchführung von „Legitimations- und Zumutbarkeitsdiskursen“ formuliert Ulrich also nichts anderes als eine material gefüllte „Grundnorm“. Insofern verfällt Ulrich selbst dem scharfen Verdikt, das er Apel im Zusammenhang mit dessen Rede von den „Anwendungsbedingungen“ der Diskursethik vorwirft: Er erliegt einem „latenten 106 Dabei ist es letztlich gleichgültig, ob es sich um ein inneres Gedankenexperiment oder eine konkret-interpersonelle Verständigung handelt. Beide von Ulrich eingeführten Möglichkeiten (vgl. Kapitel 2.2.2) sind als je spezifische Form unmittelbar einforderbaren Handelns zu verstehen – allein hierauf kommt es in der vorgetragenen Argumentation an. 107 Vgl. Ulrich (2001a), S. 101. In der angegebenen Fußnote weist Ulrich sein Zitat nach bei: Apel, Karl Otto: Diskurs und Verantwortung – Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral, Frankfurt a. M. (o. Verl.) (1988), S. 101. 108 Ulrich (2001a), S. 101. 109 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen.
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konkretistischen (Selbst-)Missverständnis“110, das im Falle Ulrichs darin liegt, daß er seine handlungsbezogenen Konkretionen des diskursiven Ideals nicht als solche zu erkennen vermag. Damit kommen wir auf die uneingestandene Doppelfunktion des regulativen Ideals in Ulrichs Konzeption zurück. Einerseits versucht Ulrich seine Konzeption von vornherein gegenüber derjenigen Kritik zu immunisieren, die seiner Wirtschaftsethik die Vernachlässigung empirisch-struktureller Zusammenhänge, insbesondere der Wettbewerbswirtschaft, zugunsten idealistischer Überhöhungen vorwirft.111 Gegenüber dieser Kritik macht Ulrich die prinzipielle Nicht-Realisierbarkeit des idealen Diskurses geltend, der als ein bloßes Regulativ sich jeder unmittelbaren Umsetzung und Anwendung ja gerade entziehen soll. Durch die Betonung der regulativen Funktion des diskursiven Ideals versucht Ulrich seine Konzeption für die Berücksichtigung realer Verhältnisse systematisch offenzuhalten: Denn nachdem das veranschlagte Ideal nicht als ein fertiges Rezept aufgefaßt wird, an dem die Welt genesen soll, läßt die Konzeption – nach ihrem Selbstverständnis – Raum für pragmatische Lösungen, die auf konkrete Umstände und Lebenswirklichkeiten eingehen können, ohne jedoch dabei das „regulative“ Ideal aus den Augen zu verlieren. Mit der Berufung auf einen rein regulativen Status des Diskurses würde Ulrich einsichtig machen können, daß sich seine Konzeption keineswegs „idealistisch“ über reale Verhältnisse hinwegsetzt. Andererseits scheint Ulrich selbst dabei zu übersehen, daß er auf der Unvertretbarkeit realer Verständigungsbemühungen, als einer bestimmten Form unmittelbar und nicht lediglich regulativ einforderbaren Handelns, insistiert. Der ideale Diskurs kann seine regulative Orientierungsfunktion nur auf dem Boden realer Verständigungsbemühungen erfüllen. Er ist auf diese als prinzipielle Bedingung seiner – wenn auch nur annähernden – Verwirklichung angewiesen.112 Demgegenüber wäre ein rein regulatives Ideal – zumal ein 110 Vgl. Ulrich (2001a), S. 101. Ulrich verwendet diese Formulierung, um Apels Vorstellung von den „Anwendungsbedingungen“ der Diskursethik zu kritisieren. Nach Ulrich gibt es jenseits des diskursiv zu lösenden Begründungsproblems kein spezielles Anwendungsproblem der Diskursethik, da diese keine anwendbare „Grundnorm“ bereitstellen könne, sondern lediglich den „moral point of view“ expliziere und begründe. Vgl. ebd. In der Leugnung eines Anwendungsproblems zeigt sich, daß Ulrich die von ihm selbst formulierte Funktion diskursiver Tätigkeiten als allein mögliche Art der Prüfung der moralischen Berechtigung von Ansprüchen nicht durchschaut. 111 Vgl. dazu: Apel (1990), S. 143 f.; Osterloh (1996), S. 212 sowie S. 216. 112 Die Doppelbedeutung des regulativen Ideals bei Ulrich – unmittelbare Handlungsforderung einerseits, abstraktes Ideal, das als solches nicht eingefordert werden kann, andererseits – findet ihre philosophische Grundlage in der Verschränkung des „Apriori der idealen Kommunikationsgemeinschaft“ mit dem „Erfahrungsapriori der realen Kommunikationsgemeinschaft“ bei Apel. Ulrich bemerkt dazu: „Der Schnitt-
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solches, das als nicht realisierbar betrachtet wird – nicht von vornherein auf eine bestimmte Handlungsform als die einzig denkbare Möglichkeit konkreter Realisierung festzulegen – ein Gedanke, der in letzter Konsequenz auf die kantische Unterscheidung von intelligibler und empirischer Welt führt.113 Sofern der ideale Diskurs also ausschließlich auf einer regulativen punkt zwischen dem strikt reflexiv aufzudeckenden Apriori der idealen Kommunikationsgemeinschaft und der als anthropologisch-gattungsgeschichtliches Faktum vorgefundenen und rekonstruierbaren, realen Kommunikationsgemeinschaft ist der Punkt, wo das Normative und das Empirische zusammenfallen; und das ist der archimedische Punkt, an dem wir uns als Argumentierende selbst immer befinden.“ Ulrich (1993), S. 286. Sofern normatives Ideal und empirische Handlung zumindest idealiter zusammenfallen, kommt dem angeblich rein regulativen Ideal notwendigerweise auch eine unmittelbar handlungsleitende Bedeutung als konkrete Moralforderung zu. Insofern ist es folgerichtig, wenn Apel das Problem der „Herstellung der Anwendungsbedingungen“ der Diskursethik thematisiert (vgl. Apel (1990), S. 141 f.). Denn konkrete Moralforderungen können aus der Sicht einer formalen Ethik eben nur bei Vorliegen bestimmter Bedingungen legitim sein. Wenn es also legitim sein soll, die tatsächliche Durchführung von Diskursen konkret einzufordern, so müssen zuvor die von der Diskursethik formulierten Bedingungen einer idealen Sprechsituation zumindest annähernd erfüllt sein. Diesen Zusammenhang versucht Ulrich mit der Berufung auf den regulativen Status des idealen Diskurses auszublenden. 113 An dieser Stelle zeigt sich die philosophische Leistungsfähigkeit der von der Diskursethik abgelehnten (vgl. Habermas (1991), S. 20) kantischen Unterscheidung von intelligibler und empirisch-phänomenaler Welt. Wenn das von Ulrich veranschlagte „regulative Ideal“ als eine „prinzipiell nicht herstellbare [. . .] gedankliche Meta-Institution zu begreifen“ ist, so stellt sich die (von Ulrich übergangene) Frage, weshalb die Verwirklichung dieses Ideals denn prinzipiell auszuschließen ist? Ulrich stützt seine Aussage ja nicht auf eine bloße Skepsis gegenüber den empirischen Möglichkeiten dieser Verwirklichung. Er schließt diese Verwirklichung mit Nachdruck prinzipiell und unabhängig von der Erwägung empirischer Möglichkeitsbedingungen aus. Damit nimmt er genau das in Anspruch, was bei Kant ein apriorisches Urteil ausmacht. Wenn wir etwas als in der empirischen Welt prinzipiell nicht realisierbar einsehen, so gestehen wir uns in dieser Einsicht offenbar einen Standpunkt zu, der ebenso prinzipiell nicht auf die empirische Welt bezogen ist, gleichwohl aber als philosophisches Postulat notwendig erscheint, mithin nur in der Vernunft eingenommen werden kann. Einen solchen Standpunkt bezeichnet Kant als intelligibel. Vgl. Kant (1785), S. 451 f. (Daß dieser Standpunkt nicht nur möglich, sondern real in dem Sinne ist, daß er einen fraglosen und unverbrüchlichen Geltungsanspruch erheben kann, zeigt sich nach Kant gerade in der Art und Weise, in der uns das sittengesetzlichen Soll gegenübertritt, nämlich als unbedingtes Faktum der Vernunft. Vgl. Kant (1788), S. 42. Eine Kritik der Kantischen Auffassung vom Faktum der Vernunft wird in Kapitel 5.4.3 unternommen). Die Annahme eines solchen Standpunktes vermag philosophisch verständlich zu machen, weshalb apriori und mit apodiktischer Sicherheit eingesehen werden kann, daß ein im Sinne Ulrichs „regulatives Ideal“ seine Verwirklichung nicht in der empirischen Welt erfahren kann: Denn es wäre zu verwirklichen ausschließlich als Ideal des Willens, der – sofern er als frei verstanden wird – den praktischen Vernunftstandpunkt des Intelligiblen ausmacht. Welche empirischen Handlungen einerseits und Gestaltungsforderungen hinsichtlich der sozialen Ordnung andererseits aus einem Willen entspringen mögen,
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Ebene verbliebe, ließen sich aus ihm – innerhalb einer wissenschaftlichen Reflexion – gerade keine Folgerungen über die Verfahren ableiten, die die Moralsubjekte durchführen müssen, wenn sie moralisch sein wollen. Eine Ethikkonzeption, die sich auf ein rein regulatives Ideal beruft, muß sich jeder weiteren Aussage über die moralisch gebotenen Handlungsweisen der Individuen sowohl, als auch über die anzustrebenden gesellschaftlichen Organisationsformen enthalten. Diese konkrete Fragen zu beantworten, wäre ausschließlich Sache der Adressaten des regulativen Ideals: Und das sind – entgegen aller gegen Kant gerichteten Beteuerungen der kommunikativintersubjektiven Struktur des Ideals114 – auch bei Ulrich die einzelnen Moralsubjekte.115 der in sich das regulative Ideal (im Sinne Kants: eines vollkommen guten Willens) verwirklicht hat, darüber müßte eine wohlverstandene kantische Philosophie mithin ihrer prinzipiellen Unwissenheit sich bescheiden: Die willentliche Autonomie des einzelnen Moralsubjektes in seiner je einmaligen historisch-faktischen Situation läßt sich gerade aus einer transzendentalphilosophischen Perspektive durch keine Instanz – auch keine philosophische Tugendreflexion – vorwegnehmen. (Deshalb läßt sich als Extremfall z. B. auch die moralische Berechtigung eines Tyrannenmordes philosophisch nicht ausschließen). Die Aufstellung von konkreten Handlungszielen als in der empirischen Welt zu verwirklichenden Zwecken wäre also die moralische Aufgabe allein des autonomen Vernunftsubjektes, während das in der philosophischen Ethik aufzustellende „regulative Ideal“ als solches ausschließlich im Bereich des Intelligiblen verbliebe. Und insofern ließe sich Ulrichs Behauptung, das regulative Ideal sei in der empirischen Welt prinzipiell nicht realisierbar, philosophisch rechtfertigen. Ulrich selbst bezeichnet einmal die „ideale Diskurssituation“ als „nicht-empirische (transzendentale) regulative Idee“ (vgl. Ulrich (2001a), S. 100), aber offenbar ohne sich über die Implikationen dieser Formulierung im klaren zu sein. 114 Vgl. Ulrich (2001a), S. 79 ff., insb. S. 82, wo Ulrich seinen „Vorbehalt“ äußert „gegen jeden absoluten, aus der zwischenmenschlichen Struktur der Moral herausgelösten Geltungsanspruch irgendeines moralischen Sollens, wie er Kants ‚Metaphysik (!) der Sitten‘ noch eigentümlich ist“. Zu Ulrichs kritischer (und aus der Sicht dieser Arbeit vollständig fehlgehender) Auseinandersetzung mit Kant vgl. Ulrich (1993), S. 277 ff. 115 Wie wenig sich Ulrich – und letztlich die gesamte Diskursethik – trotz der gegenteiligen Rhetorik systematisch von der kantischen Ethik zu entfernen vermag, zeigt sich, wenn er als eine grundlegende Voraussetzung für jede rationale Argumentation von den einzelnen Gesprächsteilnehmern ein spezifisch „kommunikatives Ethos“ einfordert, das sich unter anderem darin zeigen soll, „nur solche Geltungsansprüche zu erheben, die sie wahrhaftig für richtig halten“. Vgl. Ulrich (2001a), S. 83. Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei Habermas, der auf die „pragmatischen Voraussetzungen kontrafaktischer Art“ hinweist, auf die sich der „kommunikativ Handelnde“ einläßt, z. B. indem er „Autonomie und Wahrhaftigkeit, sich und anderen gegenüber unterstellen“ muß. Habermas (1998), S. 18. Entscheidend ist nun folgender Hinweis Habermas’: „Dabei steht der kommunikativ Handelnde unter dem ‚Muß‘ einer schwachen TRANSZENDENTALEN NÖTIGUNG [Herv. d. Verf.] [. . .].“ Ebd. Allein dieser Anspruch auf Wahrhaftigkeit, den der einzelne Gesprächsteilnehmer sich selbst gegenüber erheben soll, setzt den ganzen Apparat der kantischen Moralphilosophie schon voraus: Was überhaupt eigene Wahrhaftigkeit bedeu-
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An dieser Stelle bietet sich die günstige Gelegenheit, im Vorausgriff auf die weitere Untersuchung die Argumentationsstrategie dieser Arbeit in zumindest einer Hinsicht thesenhaft zu profilieren: Im Gegensatz zur Diskursethik ist die hier verfolgte transzendentale Ethikkonzeption nicht auf bestimmte Handlungsformen als Verwirklichungsbedingung des moralisch geforderten Ideals angewiesen. Aufgrund der Beschränkung auf die Sphäre eines intelligiblen Willens verbleibt das moralische Ideal vollständig auf einer im Sinne Ulrichs regulativen Ebene. Aus dem Ideal des vollkommen guten Willens gehen also keine apriori festzulegenden Handlungsformen hervor. (Gleichwohl bleibt dieses Ideal nicht normativ steril, denn das Moralsubjekt hat viele Mühen auf sich zu nehmen, wenn es sich in seinem Willen, und d.h. als ganze Person, diesem Ideal nachbilden soll). Damit kann sich diese Ethikkonzeption problemlos auf die spezifischen Handlungsformen des wirtschaftlichen Systems einlassen und diese ohne moralische Vorverurteilung aufnehmen. Die Frage der normativ gehaltvollen Modellierung gesellschaftlicher Koordination, die eine solche Ethikkonzeption unbeantwortet lassen muß, wird hingegen durch ein anderes normatives Konzept beantwortet, dessen Entwicklung der weiteren Untersuchung vorbehalten bleibt. Unabhängig von der Frage, ob und wie weit sich die tatsächlichen Verständigungsversuche nun dem regulativen Ideal annähern können, ist im Hinblick auf die beiden angesprochenen Dimensionen des individuellen Handelns einerseits und der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse andererseits folgendes festzuhalten: Erstens sind die beiden distinkten Handlungsformen des inneren Gedankenexperimentes und der interpersonellen Kommunikation die grundlegenden und tatsächlich-konkreten Moralforderungen, die Ulrich gegenüber den einzelnen Subjekten formuliert. Zweitens ist – trotz der Abgrenzung Ulrichs gegen das angeblich konkretistische Mißverständnis – eine „vorwiegend disten soll, kann dem einzelnen Subjekt von niemandem gesagt werden. Im Problem der je eigenen Wahrhaftigkeit geht es ja gerade nicht um Anspruchs- oder Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Personen, sondern um das Problem, welche Ansprüche der einzelne als seine wahrhaft eigenen in der interpersonellen Auseinandersetzung überhaupt vertreten soll. Wahrhaftigkeit stellt deshalb ein reines Selbstverhältnis der einzelnen Person zu sich selbst dar: Wahrhaftigkeit differenziert mich als subjektiv-willkürliches Individuum, das auch nicht wahrhaftig sein könnte, von mir als derjenigen Instanz, der zugemutet wird zu bestimmen, was ich gegenüber mir selbst als wahrhaftig anzusehen habe. Allein die „subjektive“ Wahrhaftigkeit zu einem Problem zu erheben, setzt die Spaltung der einzelnen Person in die Sphäre des Willkürlich-Subjektiven einerseits, und die Sphäre des Nicht-Willkürlichen, und in diesem Sinne Wahrhaftigen, andererseits voraus. Mit dieser Sphäre ist philosophisch bereits der Boden desjenigen betreten, was Kant ansetzt als unabhängig von aller subjektiv-individuellen Willkür: das Sittengesetz als diejenige unverbrüchliche und überindividuelle Instanz, die das einzelne Individuum sich zuschreibt, sobald es allein um das Problem der eigenen Wahrhaftigkeit weiß.
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kursgestützte Koordination“ sehr wohl die Forderung, die Ulrich hinsichtlich der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse erhebt. In beiden Punkten zeigt sich, daß das angeblich rein regulative Ideal des idealen Diskurses von Ulrich selbst konkretistisch auf bestimmte Verwirklichungsformen festgelegt wird. Mit diesen konkreten Verwirklichungsformen des normativen Ideals ist aber auch seine Wirtschaftsethik schon präfiguriert, bevor von Wirtschaft und wirtschaftlichem Handeln überhaupt nur einmal die Rede war.
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens 2.3.1 Programmatik Für die Position der integrativen Wirtschaftsethik entscheidend ist der von ihr hergestellte Zusammenhang von allgemein-ethischer und spezifisch wirtschaftsethischer Reflexion. Dieser Zusammenhang macht in seiner Eigenart das entscheidende Charakteristikum der integrativen Wirtschaftsethik aus. Einerseits lassen sich bei Ulrich Belege dafür finden, daß Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln auch für ihn mit distinkten Merkmalen konstitutiv verbunden sind, die sich aus der allgemein-ethischen Reflexion nicht ableiten lassen. Solche Merkmale liegen für ihn – wie noch auszuführen sein wird – im Begriff der Effizienz, der Wertschöpfung, ja sogar auch in der prinzipiellen Eigeninteressiertheit der Wirtschaftsakteure. Insofern scheinen allgemeine Ethik und Wirtschaftsethik auch bei Ulrich zwei verschiedene Dinge zu sein. Andererseits liegt der Schwerpunkt seiner Argumentation eindeutig in dem Bemühen, die wirtschaftliche Eigenlogik so in die ethische Reflexion zu integrieren, daß beide eine ursprüngliche Einheit bilden. Das, was als konstitutiv für vernünftiges Wirtschaften zu gelten hat, soll sich nach Ulrich also primär aus der allgemein-ethischen Reflexion selbst ergeben und nicht aus den zuvor genannten Merkmalen von Wirtschaft. Ulrich sieht nämlich den „Kern der Sache“ der integrativen Wirtschaftsethik in „eine[m] Begriff von vernünftigem Wirtschaften, für den die ethisch-politische Vernunft nicht mehr die äußere Grenze, sondern vielmehr die INNERE GRUNDLAGE [Herv. d. Verf.] darstellt.“116 „Der vorgeschlagene grundlagenkritische Ansatz moderner Wirtschaftsethik erkennt seine zentrale Aufgabe darin, selbst eine regulative Idee ökonomischer Vernunft zu entfalten, die in sich schon modernen ethischen Ansprüchen genügt und so der moralisch enthemmten und institutionell entfesselten industriegesellschaftlichen Rationalisierungsdynamik von innen her eine lebenspraktisch vernünftige Orientierung weisen könnte.“117 116 117
Ulrich (2000a), S. 566, Abschnitt (48). Ulrich (1994), S. 78.
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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Insoweit die ethische Vernunft die innere Grundlage und nicht das äußere Korrektiv des Wirtschaftens bilden soll, muß auch ein ebensolcher, innerer Zusammenhang bestehen zwischen der allgemein-ethischen und der spezifisch wirtschaftsethischen Reflexion. Dieser inhaltliche Zusammenhang spiegelt sich zunächst in der von Ulrich in den maßgeblichen Publikationen gewählten Abfolge seiner Argumentationsschritte: Seine Überlegungen über die „Vernunftethik des Wirtschaftens“ folgen übergangslos den Ausführungen über die allgemeine philosophische „Vernunftethik“.118 Im Gegensatz zur ausführlichen Behandlung der Ethik findet eine eigenständige, sich auch im Aufbau niederschlagende Reflexion über das, was Ulrich selbst als konstitutiv für Wirtschaft ansehen möchte, nicht statt. Er kritisiert zwar an anderer Stelle eingehend und scharfsichtig die Dogmengeschichte der ökonomischen Wissenschaft,119 aber er setzt dieser Kritik keine eigenständige Bestimmung und Entfaltung derjenigen Elemente entgegen, die innerhalb seiner eigenen Wirtschaftsethik das spezifisch Ökonomische repräsentieren, die also seine Wirtschaftsethik von einer allgemeinen Ethik differenzieren könnten. Eine inhaltlich sowie in der Gliederung deutliche Zäsur zwischen allgemein-ethischer Grundlage und spezifischer „Vernunftethik des Wirtschaftens“ wird von Ulrich also nicht gesetzt. Die Auslassung einer ausführlichen und eigenständigen Reflexion über Merkmale und Funktionsweisen von Wirtschaft korrespondiert mit der Ablehnung jeder Form von Wirtschaftsethik, die als „angewandte Ethik“ auftritt. Ulrich weist jede Konzeption von Wirtschaftsethik als unzureichend 118 Vgl. dazu den Aufbau des ersten Teiles „Grundbegriffe moderner Ethik und der Ansatz integrativer Wirtschaftsethik“ des Grundlagenwerkes: Ulrich (2001a). Dort folgt den Überlegungen zum „Phänomen der humanen Moralität“ in Kapitel 1 und der Darstellung der „[p]hilosophische[n] Entwicklungslinien der Vernunftethik“ in Kapitel 2 unmittelbar die Entfaltung der Grundlinien der integrativen Wirtschaftsethik in Kapitel 3 („Moralität und ökonomische Rationalität: Integrative Wirtschaftsethik als Vernunftethik des Wirtschaftens“). Obwohl in der Überschrift von der „ökonomischen Rationalität“ die Rede ist, wird diese weder zuvor noch in diesem Kapitel selbst zusammenhängend dargestellt. Ulrich gewinnt also in diesem dritten Kapitel die Grundlinien seiner Wirtschaftsethik ohne eine vorausgehende Bestimmung und Entfaltung dessen, was er selbst als konstitutiv für „Wirtschaft“ im allgemeinen und die „ökonomische Rationalität“ im besonderen veranschlagen möchte. Dieses Problem wird uns in den folgenden Ausführungen noch beschäftigen. Vgl. auch den Aufbau des zweiten Kapitels „Der vernunftethische Standpunkt der Moral des Wirtschaftens“ in: Ulrich (2000a). 119 Diese „Ökonomismuskritik“ stellt den zweiten Baustein der integrativen Wirtschaftsethik dar. Vgl. dazu den zweiten Abschnitt „Wirtschaftsethische Grundlagenreflexion I: Ökonomismuskritik“ in: Ulrich (2001a), S. 131 ff. Noch eingehender beschäftigt sich Ulrich mit der Dogmengeschichte der ökonomischen Wissenschaft in seiner Habilitationsschrift. Vgl. Ulrich (1993), insb. S. 173 ff.
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zurück, die sich auf eine vermeintlich objektive Sphäre „Wirtschaft“ bezieht, also auf einen solchen Anwendungsbereich, der als unabhängig von ethisch-moralischen Wertkriterien bestehend unterstellt wird, und zwar entweder im Sinne einer axiomatisch-deduktiven Konstruktion oder als empirisches Datum: „Aus der Perspektive des integrativen Ansatzes besteht der systematische Mangel des Ansatzes von Wirtschaftsethik als ‚angewandter‘ Ethik in einer falschen ‚Zwei-Welten-Konzeption‘: Die Wirtschaft wird als bisher amoralische (nicht: unmoralische) Sphäre der ‚rein‘ ökonomischen Sachlogik betrachtet, der die Ethik als sachfremdes, äußeres Korrektiv entgegenzutreten habe, [. . .]. Verkannt wird dabei stets, dass das systematische Kernproblem der Wirtschaftsethik eben nicht in der bloßen Anwendung von Ethik auf einen zuvor ‚ethikfreien‘ Objektbereich besteht [. . .].“120
Statt dessen ist es „das Aufdecken des normativen Gehalts der ökonomischen Sachlogik“121 selbst, das Ulrich als eine vordringliche Aufgabe von Wirtschaftsethik im Sinne der Grundlagenreflexion vernünftigen Wirtschaftens sieht. Er will das Normative „im ökonomischen Rationalitätsmuster auf[. . .]decken und im Lichte ethischer Vernunft [. . .] reflektieren“, um „die ökonomische Ratio ‚zur (praktischen) Vernunft‘ zu bringen“.122 Aufgrund dieser Aufgabenstellung kann – in seinem Selbstverständnis: will – der integrative Ansatz keine argumentative Lücke zwischen Ethik im allgemeinen und Wirtschaftsethik im besonderen anerkennen: Die allgemeine Ethik ist bereits die angemessene (wirtschaftsethische) Reflexionsform des Wirtschaftens! Der integrative Ansatz kennt also insoweit keinen Unterschied von Ethik und Wirtschaftsethik, als der Bereich der Wirtschaft aus dem übergeordneten Gesichtspunkt der Ethik zuallererst entwickelt werden soll – zumindest ist das der programmatische Anspruch. Wirtschaftliches Handeln soll von vornherein als Ausdruck des ethisch vernünftigen Lebens konzipiert werden, nicht jedoch als eine zunächst eigenständige Kategorie menschlichen Handelns. Dieses sozusagen inwendige Durch- und Überformen der ökonomischen Logik mit Ethik wird von Ulrich als „Transformation der ökonomischen Vernunft“123 bezeichnet: „Die ökonomische Rationalität, wie sie dogmen- und theoriegeschichtlich entstanden und ‚gegeben‘ ist, soll daher weder bloss äußerlich eingegrenzt noch bloss angewandt, sondern selbst philosophisch-ethisch transformiert und so gleichsam selbst zur Vernunft gebracht werden.“124 120 121 122 123
Ulrich (2000a), S. 559, Abschnitt (18). Ulrich (2000b), S. 638, Abschnitt (28). Vgl. Ulrich (2000a), S. 555, Abschnitt (2). Vgl. den gleichlautenden Titel von Ulrichs Habilitationsschrift: Ulrich (1993).
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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Das Projekt einer solchen Transformation wird von Ulrich selbst als Gegenentwurf zu einer Auffassung verstanden, die von einer legitimerweise eigenständigen wirtschaftlichen Logik ausgeht und lediglich den lebenspraktischen Anwendungsbereich dieser Logik normativ eingrenzen möchte. In einer solchen Auffassung wäre also das Verständnis von Wirtschaft und wirtschaftlichem Handeln ausschließlich Sache einer disziplinär-axiomatischen Wissenschaft – der Ökonomik –, nicht jedoch der Ethik. Die ethischpolitische Vernunft wiederum hätte sich ausschließlich mit der Frage zu befassen, welche Lebensbereiche dieser Logik zu unterwerfen sind und welche normativen Vorgaben dabei eine Rolle spielen sollen. Wenn also beispielsweise der Handel mit Menschen, mit menschlichen Organen oder mit seltenen Tier- und Pflanzenarten verboten wird, so tangiert dieses Verbot in keiner Weise die innere Funktionslogik von wirtschaftlichen Vorgängen, sondern schränkt lediglich deren lebensweltliche Anwendung ein. Eine solche Einschränkung reicht nach Ulrich jedoch bei weitem nicht aus, um ökonomische Rationalität und ethisch-praktische Vernunft miteinander integrativ zu „vermitteln“125, also verträglich zu machen. Er weist die soeben 124
Ulrich (2001a), S. 121. Ulrich bezeichnet diese „Vermittlung“ als das grundlegende Ausgangsproblem der integrativen Wirtschaftsethik. Vgl. Ulrich (1994), S. 75 ff. Mit der Verwendung des Vermittlungsbegriffes bedient er sich offenbar einer hegelschen Gedankenfigur. Explizit bezieht er sich auf Hegel, wenn er in anderem Zusammenhang vom „Aufheben“ im dreifachen hegelschen Sinne spricht. Vgl. Ulrich (2002), S. 33. Festzuhalten bleibt, daß die dialektische „Vermittlung“ Hegels immer ein vorgängiges Moment des Gegensatzes impliziert. Ulrich müßte also, wenn er diese Vermittlungsidee ernst nähme, zunächst einen begrifflichen Gegensatz zwischen „ökonomischer Rationalität“ und „ethisch-praktischer Vernunft“ entfalten, was insbesondere eine klare Bestimmung desjenigen voraussetzte, was Ulrich als konstitutive Wesensmerkmale dieser „ökonomischen Rationalität“ ansehen möchte. Ulrich richtet seine Anstrengungen jedoch – wie wir schon gesehen haben – vor allem darauf, einen solchen Gegensatz von vornherein zu unterlaufen, weshalb er ja auch jede Eigenständigkeit des Ökonomischen ablehnt und entsprechend eine eigenständige Entfaltung ökonomischer Merkmale unterläßt. Ulrich spricht zwar von einer normativen Konkurrenz zwischen ökonomischer Rationalität und ethischer Vernunft (vgl. Ulrich (2001a), S. 95), aber er versteht diese Konkurrenz als unmittelbares Argument für die (ethische) Notwendigkeit der Transformation der ökonomischen Rationalität. (Darauf ist später ausführlicher einzugehen). Ulrich setzt den durch eine solche Transformation konzeptionell herzustellenden Primat der ethischen Vernunft also voraus. Damit zeigt sich, daß die Gedankenfigur einer dialektischen Vermittlung von Gegensätzen im hegelschen Sinne bei ihm offenbar überlagert wird von der Gedankenfigur einer Ableitung der „sozial-ökonomischen“ Rationalität aus dem vorausgesetzten Primat der allgemeinen Vernunftethik – eine Ableitung, die vor allem kantischen Bahnen zu folgen scheint. Die Frage, inwieweit Ulrichs Konzeption einer „integrativen Vermittlung“ in ihrem gedanklichen Fundament tatsächlich auf Hegel zurückzuführen ist, verdankt sich einem hermeneutischen und historisch-kritischen Interesse und kann in dieser Arbeit deshalb nicht weiter verfolgt werden. 125
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exemplarisch illustrierte, wirtschaftsethische Position als „Gartenzaunmodell der Wirtschaftsethik“ zurück.126 Der programmatische Anspruch auf die ethische Durchformung der ökonomischen Eigenlogik selbst, der sich mit einer bloßen Begrenzung des Anwendungsbereiches dieser Logik nicht zufriedengibt, weist für Ulrich den einzig möglichen Weg, um Ethik und Wirtschaft miteinander in seinem Sinne zu „vermitteln“. Dieser programmatische Anspruch ist als das wesentliche Charakteristikum der integrativen Wirtschaftsethik zu verstehen, das alle weiteren Argumentationen bestimmt. 2.3.2 Argumentative Ausführung Wie wird nun inhaltlich-konkret die „Vernunftethik des Wirtschaftens“ von ihrem allgemein-ethischen Fundament aus entworfen? Läßt sich der Zusammenhang, der bisher lediglich in seiner programmatischen Dimension dargestellt wurde, auch in den Inhalten der integrativen Wirtschaftsethik nachweisen? An diesem Punkt ist auf die oben schon erwähnte Dualität von wirtschaftlichen und vernunftethischen Elementen im integrativen Ansatz zurückzukommen. Diese Dualität ist in ihrer Eigenart für ein richtiges Verständnis des integrativen Ansatzes insgesamt unerläßlich. Sie zeigt sich grundlegend in der Unterscheidung von sachorientierter Produktion und menschlicher Interaktion. Die sachorientierte Produktion steht bei Ulrich für den Bereich der ökonomisch-technischen Rationalität, während die menschliche Interaktion dem Bereich der ethischen Vernunft zugehört.127 Beide Aspekte sind für Ulrich elementarer Bestandteil menschlicher Vernunft, so daß sie sich nicht aufeinander zurückführen lassen: „Zwischenmenschliche Interaktion und produktive Arbeit bilden zwei gleichermaßen grundlegende Lebenszusammenhänge für die menschheitsgeschichtliche Entwicklung des humanen Vernunftpotenzials. Dieses ist also von Grund auf zweidimensional, und das heißt: Weder lassen sich die Regeln sozialer Interaktion (Verständigung) auf die Regeln rationaler Produktion zurückführen noch umgekehrt [. . .].“128
Diese Einsicht, daß die Regeln „rationaler Produktion“ nicht auf die Regeln „sozialer Interaktion“ zurückgeführt werden können, bildet bei Ulrich offenbar die systematische Basis für die Berücksichtigung spezifisch wirtschaftlicher Überlegungen in der „Vernunftethik des Wirtschaftens“. Diese basalen Wirtschaftselemente, auf welche auch die „Vernunftethik des Wirt126 127 128
Vgl. Ulrich (1994), S. 80. Vgl. Ulrich (2002), S. 21. Ulrich (2002), S. 21 f.
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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schaftens“ nicht verzichten kann, werden von Ulrich jedoch nirgends systematisch zusammenhängend in einem eigenständigen Reflexionsschritt entwickelt, vielmehr ohne Methode nach und nach – als quasi selbstverständlich und keiner weiteren Diskussion bedürfend – in die Argumentation übernommen. Es zeigt sich hier wiederum die inhaltliche Bedeutung des architektonischen Aufbaus der integrativen Wirtschaftsethik: Weil Ulrich seine „Vernunftethik des Wirtschaftens“ im unmittelbaren Anschluß an die Überlegungen zur allgemeinen Ethik entwickelt, kommt die Entfaltung der wirtschaftlichen Basiselemente, die auch in der Vernunftethik des Wirtschaftens unverzichtbar sind, systematisch zu kurz. Im folgenden sollen die verstreuten und unzusammenhängenden Bemerkungen Ulrichs über die von ihm selbst als konstitutiv angesehenen Aspekte des Wirtschaftens zusammenfassend dargestellt werden, bevor die Gründe für das Vorgehen Ulrichs beleuchtet werden. 2.3.2.1 Die Bestimmung des Ökonomischen: Trennlinie zwischen allgemeiner Vernunftethik und Vernunftethik des Wirtschaftens Als eine Art grundlegende Definition von Wirtschaft findet man bei Ulrich lediglich den lapidaren Satz: „Wirtschaften heisst Werte schaffen – ‚Wertschöpfung‘.“129
Dieser in der ökonomischen Theorie geläufige Begriff der Wertschöpfung wird von ihm jedoch im unmittelbaren Anschluß in einer bezeichnenden Weise (um)interpretiert: „Zwar bezieht sich die übliche Bedeutung dieses [. . .] Begriffs wie die aller Termini der heutigen ökonomischen Fachsprache nur noch auf den systemischen Funktionszusammenhang; dementsprechend handelt es sich um eine rein quantitative Größe, nämlich um eine monetär bewertete Nettowirtschaftsleistung [. . .]. Aber der rechnungstechnische Begriff [der Wertschöpfung] verrät die ursprüngliche ethisch-qualitative Bedeutung im menschlichen Lebenszusammenhang: die Frage nach dem ‚Wert‘ des Wirtschaftens im Hinblick auf die Lebensqualität des Menschen.“130
Da der Begriff der Wertschöpfung von Ulrich von vornherein ethisch aufgeladen und in einem qualitativen Sinne verstanden wird, erübrigt sich für ihn in diesem Zusammenhang offenbar jede weitere Auseinandersetzung mit den inneren Gesetzmäßigkeiten der ökonomischen Theorie.131 Statt die 129 Ulrich (2001a), S. 203. Vgl. auch den gleichlautenden Bezug auf den Ausdruck „Werte schaffen“ in: Ulrich (2002), S. 17 sowie S. 30. 130 Ulrich (2001a), S. 203. 131 Diese baut – wie im Kapitel über Wirtschaft darzustellen sein wird – in ihrer heutigen Standardlehrbuchform mit dem Nutzenbegriff zwar ebenfalls auf einem Wertbegriff auf, der als nicht intersubjektiv vergleichbar und insofern als qualitativ
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weitreichenden inner-ökonomischen Implikationen dieses Begriffs, z. B. hinsichtlich der Theorie der Unternehmung, auch nur ansatzweise darzustellen, thematisiert Ulrich unmittelbar im Anschluß an seine sozusagen lebensdienliche Interpretation der „Wertschöpfung“ die Frage nach der „Zuträglichkeit des Wirtschaftens im Hinblick auf das gute Leben“ sowie die Frage nach seiner „Vertretbarkeit [. . .] im Hinblick auf das gerechte Zusammenleben der Menschen“.132 Obwohl der Begriff der Wertschöpfung von Ulrich also nicht in einem ökonomischen Sinne entfaltet wird, kommt ihm in der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ dennoch die Funktion zu, sozusagen den Repräsentant aller spezifisch wirtschaftlichen Aspekte abzugeben: „Als ökonomisch vernünftig im integrativen Sinn [. . .] kann demnach jede Handlung oder Institution gelten, die freie und mündige Personen in der vernunftgeleiteten Verständigung unter allen Betroffenen als legitime Form der Wertschöpfung bestimmt haben könnten [. . .].“133
Fällt der Begriff der Wertschöpfung aus Ulrichs Definition des „ökonomisch Vernünftigen“ heraus, bleibt als gedanklicher Gehalt allein das ethische Prinzip der „vernunftgeleiteten Verständigung“ übrig. Der Begriff der Wertschöpfung ist also in dieser Definition das entscheidende Kriterium, um eine im allgemeinen Sinne ethisch vernünftige Handlung von einer integrativ-ökonomisch-ethisch vernünftigen Handlung im besonderen zu unterscheiden. Eine Handlung wird bei Ulrich dadurch zu einer wirtschaftlichen, daß sie einen Bezug zur „Wertschöpfung“ aufweist – was immer auch darunter zu verstehen sein mag. Nachdem dieser Differenzbegriff „Wertschöpfung“ von Ulrich aber gerade nicht in einem spezifisch ökonomischen Sinne, vielmehr von vornherein ethisch-qualitativ interpretiert wird, stellt sich die Frage, ob nach Ulrichs Konzeption überhaupt eine ethisch-vernünftige Handlung denkbar wäre, die nicht zugleich auch schon das Kriterium der ökonomisch vernünftigen verstanden wird. Entscheidend für die Ökonomik ist jedoch erstens die Annahme der Fähigkeit des einzelnen Subjektes, verschiedene Konsumgüterkombinationen im Hinblick auf das Maß an zu erwartender Bedürfnisbefriedigung zumindest ordinal zu bewerten, also zu quantifizieren. Zweitens ist gerade die Übersetzung dieser ausschließlich subjektiv definierten (Nutzen-)Größe in intersubjektiv definierte, quantitative Größen – nämlich Preise – der für die gesamte ökonomische Theorie entscheidende Zusammenhang. D.h., daß nach der heute üblichen, ökonomischen Standardauffassung, Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln entscheidend auf quantitativen Zusammenhängen beruhen. Wer darin bereits einen grundlegenden (wirtschaftsethischen) Fehler sieht, sollte sich zumindest mit der Frage auseinandersetzen, wie ein wirtschaftliches Geschehen ohne Bezug auf quantitative Größen überhaupt zu denken wäre. 132 Vgl. Ulrich (2001a), S. 204 f. 133 Ulrich (2000a), S. 558, Abschnitt (13). Vgl. auch die nahezu gleichlautende Definition in: Ulrich (2002), S. 43.
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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„Wertschöpfung“ im integrativen Sinne erfüllte. Wenn jede ethisch-vernünftige Handlung per se auch „ökonomisch vernünftig im integrativen Sinne“ wäre, würden Ethik und Wirtschaftsethik in eins zusammenfallen. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Festzuhalten bleibt, daß der Begriff der Wertschöpfung einerseits die spezifisch ökonomischen Inhaltsstoffe der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ repräsentieren soll, andererseits aber von Beginn an von Ulrich in einem ethisch-qualitativen Sinne interpretiert wird. Als weiterer Begriff zur Bestimmung des spezifisch Ökonomischen findet sich in Ulrichs Publikationen der Begriff der „Effizienz“: „Mit knappen Mitteln den größtmöglichen Nutzen zu erzielen oder umgekehrt einen definierten Zweck mit geringstmöglichen Mitteleinsatz zu erreichen, heißt verfügbare Ressourcen effizient einzusetzen. Dies ist der Inbegriff wirtschaftlicher ‚Rationalität‘. Mit knappen Gütern oder Ressourcen ‚rational‘ (also nutzenmaximierend) zu wirtschaften, ist in einer Welt natürlicher und sozialer Knappheit gewiss ein gutes Prinzip – das ökonomische Prinzip.“134
Aufschlußreich für ein Verständnis der integrativen Wirtschaftsethik ist nicht diese konventionelle Begriffsbestimmung selbst, sondern das dezidiert untergeordnete Verhältnis, in das dieser Begriff zu ethischen Kriterien gesetzt wird: „In einem unverkürzten Verständnis vernünftigen Wirtschaftens ist daher die Effizienz ein systematisch nachrangiges Kriterium, das erst im Hinblick auf die vorzugebenden Sinnorientierungen und Legitimitätsbedingungen als lebensdienlich begründet werden kann [. . .].“135
Auch der Effizienzaspekt wird von Ulrich nicht in seiner grundlegenden Bedeutung für das wirtschaftliche Denken entfaltet, sondern unmittelbar dem Primat der Ethik untergeordnet. Dem Aspekt der Verhältnisbestimmung von ökonomischen und ethischen Kriterien in der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ wird in Kapitel 2.3.2.3 ausführlicher nachgegangen. An dieser Stelle sollen lediglich die einschlägigen Begriffe in ihrem jeweiligen Bedeutungsgehalt und Kontext eingeführt werden. Als drittes Kriterium des Ökonomischen bei Ulrich ist noch die Annahme der Eigeninteressiertheit der Wirtschaftssubjekte zu nennen. Ulrich geht davon aus, daß wirtschaftliches Handeln seine Wurzel im privaten Erfolgsoder Vorteilsstreben hat: „Weil wirtschaftliches Handeln SEINER NATUR NACH ERFOLGSMOTIVIERT IST [Herv. d. Verf.], ist die normative Bedingung seiner Legitimität eine grundlegende wirtschaftsethische Anforderung; [. . .].“136 134 135 136
Ulrich (2002), S. 19. Ulrich (2002), S. 30. Ulrich (2001a), S. 236.
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Er führt damit ein traditionelles, der neoklassischen Axiomatik entsprechendes Merkmal des Wirtschaftens in seine Überlegungen ein. Bezeichnenderweise findet sich diese implikationsreiche Formulierung über die „Natur“ wirtschaftlichen Handelns nur ganz beiläufig in einem Kapitel, das sich mit der Frage der Legitimation des Wirtschaftens befaßt. Eine systematische Entwicklung der enormen Tragweite und Implikationen dieser Aussage – hinsichtlich der Frage, was er selbst unter Wirtschaft verstehen möchte137 – sucht man bei Ulrich vergeblich. Eine solche systematische Entwicklung müßte selbstverständlich auf Sachverhalte zu sprechen kommen, die in der disziplinär-axiomatischen Ökonomik behandelt werden, denn diese fußt ja unter anderem auf genau dieser Voraussetzung, daß „wirtschaftliches Handeln seiner Natur nach erfolgsmotiviert ist.“138 Eine explizite Ausfaltung der ökonomischen Eigenlogik würde aber dem programmatischen Anspruch des integrativen Ansatzes widersprechen, diese Logik von vornherein (wirtschafts-)ethisch zu unterlaufen. Aus diesem Grunde darf Ulrich keine eigenständige Reflexion über die spezifisch ökonomischen Elemente in seiner „Vernunftethik des Wirtschaftens“ anbieten. Ulrich wehrt sich ausdrücklich gegen den Vorwurf, die integrative Wirtschaftsethik lehne alles eigeninteressierte Handeln als egoistisch ab.139 Vielmehr soll es den integrativen Ansatz gerade auszeichnen, dieses eigeninteressierte Handeln systematisch berücksichtigen zu können, ohne dabei den von Ulrich strikt eingeforderten Primat der Ethik einschränken zu müssen. Das wird besonders in der eingangs schon zitierten Passage deutlich: „Moralische Personen zeichnen sich in ihrem Wirtschaftsleben keineswegs durch den pauschalen Verzicht auf privates Vorteilsstreben [. . .] aus, wohl aber dadurch, dass sie dieses vorbehaltlos abhängig machen von seiner Vertretbarkeit gegenüber jedermann.“140
Damit zeigt sich wiederum, daß Ulrich zwar einzelne Bausteine aus der etablierten Schulökonomik isoliert aufgreift, diese aber ohne jede weitere ökonomische Reflexion und Entfaltung sofort den von ihm formulierten ethischen Kriterien unterwirft. Eine mögliche Eigenständigkeit der öko137 Auf Ulrichs kenntnisreiche Kritik der dogmengeschichtlichen Zusammenhänge der ökonomischen Wissenschaft wurde schon hingewiesen. Diese Kritik bleibt bei ihm aber vollständig steril hinsichtlich der Frage, wie er selbst das spezifisch Ökonomische in der Vernunftethik des Wirtschaftens zu konzipieren beabsichtigt. Die Kritik dient ihm lediglich dazu, das ethisch-normative Defizit der reinen ökonomischen Theorie aufzuzeigen. 138 Die neoklassische Standardform der Ökonomik baut auf der Annahme der „Nutzenmaximierung“ auf, die unterstellt, Wirtschaftssubjekte würden stets versuchen, ihren persönlichen Vorteil bzw. Erfolg zu erreichen. Zur Entfaltung dieser Annahme siehe Kapitel 6.1.2. 139 Vgl. Ulrich (2000a), S. 557, Abschnitt (12). 140 Ulrich (2000a), S. 557, Abschnitt (12). Vgl. Kapitel 2.1 dieser Arbeit.
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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nomischen Sachlogik wird also im Keim schon dadurch erstickt, daß die weitreichenden Implikationen der von Ulrich verwendeten ökonomischen Bausteine und ihr systematischer Zusammenhang erst gar nicht entfaltet werden. Wie schon oben bemerkt wurde, ist dem Problem der Ulrichschen Verhältnisbestimmung von ethischen und ökonomischen Kriterien ein eigener Abschnitt gewidmet, der jedoch noch weiterer Vorüberlegungen bedarf. Zusammenfassend soll festgehalten werden, daß die „Vernunftethik des Wirtschaftens“ spezifisch ökonomische Bestandteile – zumindest dem Wortlaut nach – enthält, die sich aus der allgemein-ethischen Reflexion nicht ableiten lassen, wie Ulrich ausdrücklich zugesteht141. Diese ökonomischen Bestandteile sind: „Wertschöpfung“, „Effizienz“ und „Eigeninteressiertheit“ bzw. „Erfolgsorientierung“ der Wirtschaftssubjekte. Damit ist klar, daß die „Vernunftethik des Wirtschaftens“ weder mit der allgemeinen Vernunftethik identisch ist, noch aus dieser unmittelbar hervorgehen kann. Insofern sind also die „Vernunftethik des Wirtschaftens“ und die allgemeine Ethik bei Ulrich tatsächlich zwei verschiedene Dinge. 2.3.2.2 Interpersonalität und die Omnipräsenz des moralischen Anspruches im wirtschaftlichen Handeln: Aufhebung der Trennlinie zwischen allgemeiner Vernunftethik und Vernunftethik des Wirtschaftens Die anscheinend klare Trennung von Ethik und Wirtschaftsethik wird brüchig, sobald wir denjenigen Aspekt in die Betrachtung einbeziehen, dem Ulrich weitaus mehr Aufmerksamkeit und Ausführlichkeit widmet als den spezifischen Merkmalen von „Wirtschaft“. Es ist die zwischenmenschliche Interaktion, die Interpersonalität, der Ulrichs wirtschaftsethisches Interesse vornehmlich gilt. In diesem Feld zeigt sich der schon thematisierte direkte Zusammenhang von allgemein-ethischer und spezifisch wirtschaftsethischer Reflexion, der eine klare Trennlinie zwischen beiden fragwürdig erscheinen läßt. In der gedanklichen Modellierung des Zusammenhangs von moralischen und ökonomischen Aspekten liegt die entscheidende Klippe der „integrativen“ Wirtschaftsethik. Nachdem der Anspruch Ulrichs gerade darin besteht, eine neue Art von ethisch integrierter ökonomischer Vernunft aus der Taufe zu heben, muß der Zusammenhang von moralischen und ökonomischen Aspekten offenbar in einer wechselweisen Verschränkung bestehen: Ethische und ökonomische Vernunft sollen „integrativ vermittelt“ und zu einem neuen gedanklichen Konzept verschmolzen werden. Bevor dieser bean141 Vgl. Ulrich (2002), S. 21 f. Vgl. auch die obigen Ausführungen zur Dualität von wirtschaftlichen und vernunftethischen Elementen in Ulrichs Konzeption.
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spruchte Wechselbezug im nächsten Kapitel abschließend behandelt werden kann, wird in den folgenden Überlegungen dieser Zusammenhang lediglich einseitig darzustellen sein, und zwar aus der Perspektive der Interpersonalität. Sofern auch wirtschaftliches Handeln ein Handeln zwischen Personen ist, erhält in Ulrichs Konzeption das mit der Interpersonalitätsstruktur einhergehende Moralprinzip auch in der Wirtschaft unmittelbare Relevanz. Dieser Gedanke bestimmt die Art und Weise, in der Ulrich moralische Ansprüche im Bereich der Wirtschaft geltend macht. Erst nachdem diese Bedeutung der vernunftethischen Interpersonalität auch für die Ebene des wirtschaftlichen Handelns klargestellt ist, kann im nächsten Kapitel der Frage nachgegangen werden, ob Ulrich die beanspruchte wechselweise „Integration“ von (vernunftethischer) Interpersonalität/Moralität und (ökonomischer) Produktion/Wertschöpfung gedanklich einzulösen vermag. 2.3.2.2.1 Prinzipienebene Aufgrund der interpersonellen Dimension auch des wirtschaftlichen Handelns läßt Ulrich die in der allgemein-ethischen Reflexion als „Kern aller Moralität“ qualifizierte „Reziprozität zwischenmenschlicher Verbindlichkeit“ unmittelbar und unverändert als moralischen Anspruch auf das Handeln auch aller Wirtschaftssubjekte durchschlagen. Diese sollen sich genauso verhalten, wie es die „regulative Idee des universellen Rollentausches“ fordert: Sie sollen die Ansprüche aller möglicherweise Betroffenen berücksichtigen und auf ihre Legitimität hin prüfen: „Denn das Prinzip der intersubjektiven Austauschbarkeit der Perspektiven (ideal role-taking) gilt selbstverständlich [!] auch zwischen wirtschaftlichen Akteuren und Betroffenen: Alle beteiligten oder betroffenen Interessen sind zu prüfende ‚Kandidaten‘ [. . .] für möglicherweise legitime Ansprüche.“142
Die Forderung, die eine „Vernunftethik des Wirtschaftens“ gegenüber ihren Adressaten erhebt, entspricht also exakt derjenigen Forderung, die von der allgemeinen Ethik gegenüber allen moralischen Subjekten als solchen erhoben wird. Darin kommt der für Ulrich selbstverständliche „Primat der Ethik“ vor allen anderen Handlungsorientierungen zum Ausdruck.143 Wenn die verschiedenen, von den Wirtschaftssubjekten erhobenen und zu prüfenden Ansprüche sich gegenseitig ausschließen, so ist in einem gegenseitigen Rollentauschverfahren zu prüfen, inwiefern die Ansprüche des jeweiligen Moralkontrahenten möglicherweise verallgemeinerbar und damit legitim sein könnten. In gleicher Weise sind simultan auch die je eigenen Ansprüche auf ihre Legitimität hin zu prüfen. Die von Ulrich betonte „Re142 143
Ulrich (2000a), S. 557, Abschnitt (12). Vgl. die weiteren Ausführungen, insb. Kapitel 2.3.2.3.
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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ziprozität zwischenmenschlicher Verbindlichkeit“ konkretisiert sich also in einer „doppelten Legitimitätsbedingung“: „Die Lösung von Anspruchskonflikten ist daher stets unter eine doppelte Legitimitätsbedingung zu stellen: Zum einen soll das fragliche Wirtschaften gegenüber den Betroffenen verantwortbar sein, zum anderen aber sollen auch deren Ansprüche auf Selbstbegrenzung des Akteurs im Lichte seiner legitimen Ansprüche auf existentielle Selbstbehauptung zumutbar sein [. . .].“144 „Die ‚Klausel der Zumutbarkeit‘ [. . .] steht exakt für die ethische Bedingung der Reversibilität der wechselseitigen Ansprüche zwischen Akteuren und Betroffenen wirtschaftlichen Handelns im idealen gedanklichen Rollentausch [. . .]. Dabei besteht eine Symmetrie zwischen dem Aspekt der Zumutbarkeit moralischer Ansprüche Betroffener oder Dritter an den Akteur einerseits und der Verantwortbarkeit der Auswirkungen des vom Akteur angestrebten Tuns im Lichte der moralischen Rechte aller Betroffenen andererseits.“145
Die „doppelte Legitimitätsbedingung“, die sich aus dem Zugleich der Kriterien „Verantwortbarkeit“ und „Zumutbarkeit“ ergibt, spiegelt also die Reversibilität des zwischen Akteur und möglicherweise Betroffenen bestehenden Fundamentalanspruchs auf gegenseitige Anerkennung. Damit weisen das von Ulrich veranschlagte moralische Grundprinzip des ideellen Rollentausches – als Ausdruck der Reziprozität zwischenmenschlicher Verbindlichkeit – und die doppelte Legitimitätsbedingung vernünftigen Wirtschaftens unmittelbar aufeinander zurück. Moralisches Handeln – welches sich an dem dargestellten Prinzip des ideellen Rollentausches orientiert – und wirtschaftlich vernünftiges Handeln kommen exakt darin überein, daß sie sich an eben diesem Prinzip orientieren – zumindest sofern das wirtschaftliche Handeln interpersonelle Relevanz besitzt. 2.3.2.2.2 Konkrete Forderungen an die Wirtschaftssubjekte Auf Grundlage des Interpersonalprinzips des „ideellen Rollentausches“ bzw. der „doppelten Legitimitätsbedingung“ formuliert Ulrich unmißverständlich konkrete Ansprüche an das Verhalten der Wirtschaftssubjekte. Mit dem Konzept der „wirtschaftsbürgerlichen Selbstbindung“, dem er in der monographischen Darstellung seiner Wirtschaftsethik sogar ein eigenes Kapitel widmet,146 macht Ulrich das „private Wirtschaftshandeln“ expressis verbis zum Gegenstand wirtschaftsethischer Forderungen: „Republikanisch gesinnte Wirtschaftsbürger [. . .] sind von vornherein nur an legitimen und gegenüber jedermann verantwortbaren Formen des privaten Erfolgs 144
Ulrich (2000a), S. 557, Abschnitt (12). Ulrich (2000b), S. 637, Abschnitt (26). 146 Vgl. Ulrich (2001a), S. 320 ff.: „Das Berufs- und Privatleben als Ort wirtschaftsbürgerlicher Selbstbindung“. 145
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‚interessiert‘. Diese prinzipielle Bereitschaft zur wirtschaftsbürgerlichen Selbstbindung kommt einerseits in der verantwortungsbewussten persönlichen Selbstbeschränkung IM PRIVATEN WIRTSCHAFTSHANDELN [Herv. d. Verf.] [. . .] und andererseits [. . .] in der klugen Unterstützung institutioneller Reformen [. . .] zur Geltung.“147
Die „persönliche Selbstbeschränkung im privaten Wirtschaftshandeln“ entfaltet Ulrich in drei Dimensionen: Der Wirtschaftsbürger wird von Ulrich als „Organisationsbürger“, als „reflektierender Konsument“ und als „kritischer Kapitalanleger“ in die Pflicht genommen. Hinsichtlich der letzten Dimension stellt Ulrich fest, daß sich „die Spekulationsmentalität [. . .] nur bedingt mit einer republikanisch-ethischen Gesinnung [verträgt]“.148 Mit dieser Äußerung erhebt Ulrich nicht allein die Frage nach der rechtlichen und/oder ethischen Vertretbarkeit von Spekulationsprojekten zum wirtschaftsethischen Problem, sondern er problematisiert die Spekulationsmentalität selbst. Damit wird ein zentraler Motivationsmechanismus marktwirtschaftlicher Systeme wirtschaftsethisch in Frage gestellt. Die Ablehnung des „Gartenzaunmodells“ der Wirtschaftsethik zeigt hier ihre weitreichenden und praxisrelevanten Konsequenzen. Ulrich kann sich nicht mit einer (rechtlichen) Begrenzung des wirtschaftlichen Vorteilsstrebens auf bestimmte, festzulegende Lebensbereiche begnügen, er muß aufgrund seines systematischen Anspruches sogar die grundlegenden wirtschaftlichen Motivationskräfte selbst ins Visier nehmen: Die Spekulationsmentalität ist allein für sich genommen schon wirtschaftsethisch fragwürdig, weil sie sich nicht uneingeschränkt mit dem Interpersonalprinzip des ideellen Rollentausches verträgt! An diesem Punkt zeigt sich beispielhaft, wie unmittelbar und direkt Ulrich die auf der vernunftethischen Prinzipienebene gewonnenen interpersonellen Ansprüche auf das wirtschaftliche Geschehen überträgt. Daß der ideelle Rollentausch bei Ulrich hinsichtlich der Interpersonalität zum omnipräsenten Verhaltensprinzip der Wirtschaftssubjekte avanciert, belegt auch folgende Passage: „Verantwortungsbewußte Wirtschaftssubjekte werden so weit und nur so weit auf die weitere Verfolgung ihrer privaten Partikularinteressen verzichten, wie diese sich im ideellen Rollentausch als nicht verallgemeinerbar und damit als nicht legitimierbar erweisen. Soweit umgekehrt die Legitimitätsbedingung nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt ist, bleibt die Verfolgung privater Ziele und Interessen den Akteuren in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft freigestellt.“149
Das Kriterium „nach bestem Wissen und Gewissen“ macht deutlich, daß die Wirtschaftssubjekte bei der Legitimitätsprüfung unmittelbar selbst in die Pflicht genommen werden und sich nicht auf eine Befolgung von rechts147 148 149
Ulrich (2000a), S. 565, Abschnitt (46). Vgl. Ulrich (2001a), S. 331. Ulrich (2000a), S. 558, Abschnitt (13).
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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staatlichen Regeln zurückziehen können. Aufgrund der jeweiligen Konkretheit von Interessen und Interessengegensätzen kommt einer abstrakten Sicherstellung der Legitimität individueller Interessenverfolgung in Form von rechtsstaatlichen Regeln bei Ulrich allenfalls eine subsidiäre Funktion zu. Vielmehr gilt als Prinzip, daß jede Handlung von den Handelnden selbst auf ihre konkrete Vertretbarkeit im Hinblick auf die jeweiligen Interessen der jeweils beteiligten Personen zu prüfen ist. Allein durch diese aktiv zu vollziehende gedankliche und/oder diskursive Prüfung, und nicht etwa durch die bloße Einhaltung aller Normen auch eines rechtsstaatlich qualifizierten Rechtssystems, können die Wirtschaftssubjekte dem vorrangigen Anspruch der verständigungsorientierten Einstellung gerecht werden. Aus systematischen Gründen läßt sich der in den jeweiligen, interpersonellen Konfliktlagen durchzuführende ideelle Rollentausch bei Ulrich also nicht durch ein System rechtsstaatlicher Normen substituieren, das die Wirtschaftssubjekte von dem Anspruch auf die Berücksichtigung der jeweils berührten Interessen konkreter Personen befreite und ihnen allein die Einhaltung abstrakter Regelungen zumutete. Ulrich äußert sich auch selbst in diesem Sinne: „Der Verweis auf rechtsstaatlich ‚in Kraft‘ stehende Gesetze reicht [. . .] für die Rechtfertigung wirtschaftlicher Handlungsweisen niemals aus. Wirtschaftssubjekte tragen auch unter den rechtsstaatlichen Verhältnissen einer wohlgeordneten Gesellschaft grundsätzlich die moralische Verantwortung, ihr Handeln stets hinsichtlich seiner Legitimität im Licht der moralischen Rechte aller Betroffenen und damit der (argumentativen) Vertretbarkeit ihnen gegenüber selbstkritisch zu prüfen.“150
Wie Ulrich das Verhältnis von Recht und Ethik genau bestimmt, wird im abschließenden Kapitel 2.4.3 zu behandeln sein. Hier soll es vor allem darauf ankommen, die Konkretheit von Ulrichs Verhaltensforderungen deutlich zu machen: Die Wirtschaftssubjekte haben auch in allen wirtschaftlichen Handlungen das Interpersonalprinzip des ideellen Rollentausches je und je konkret umzusetzen, indem sie fortwährend gedankliche und/oder diskursive Tätigkeiten durchführen.151 150 Ulrich (2001a), S. 237. In dieser Äußerung zeigt sich die fundamentale Konfusion, in der Ulrich ethische und rechtliche Fragen miteinander vermischt. Darin, daß sich die „moralische Verantwortung“ einer Person niemals durch den Verweis auf rechtliche Regelungen umgehen läßt, stimmt diese Arbeit Ulrich nachdrücklich zu. Allerdings tritt diese Arbeit an nachzuweisen, daß „die Rechtfertigung wirtschaftlicher Handlungsweisen“ kein ethisches, sondern ein ausschließlich rechtliches Problem darstellt. Wirtschaftliche Handlungsweisen können prinzipiell kein Gegenstand ethischer Bewertung sein! Um zu einer solchen Aussage kommen zu können, wird auch nachzuweisen sein, daß von einer wissenschaftlichen Ethik prinzipiell kein Weg zu phänomenologisch klassifizierten Handlungsweisen führt. Diese erst noch zu entwickelnden Einsichten stellen die Wirtschaftsethik auf ein neues Fundament. 151 Vgl. dazu auch folgende Passage: „Um klären zu können, welches Maß an Verzicht eines Akteurs auf eigenen Erfolg in einer gegebenen Situation ‚angemessen‘ – und das kann nur heissen: begründbar – ist und welche Folgen des eigenen
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Die Konkretheit und Unmittelbarkeit, mit der Ulrich fernab von jeder regulativen Zurückhaltung wirtschaftsethische Forderungen erhebt, findet ihren Grund letztlich darin, daß die wirtschaftlichen Akteure den „Vorrang [. . .] einer verständigungsorientierten vor einer erfolgsorientierten Einstellung“152 jeweils in jedem Handeln mit Interpersonalbezug selbst einzulösen haben. Die Konkretheit von Ulrichs wirtschaftsethischen Forderungen kondensiert damit in einem einzigen systematischen Punkt, der für die hier verfolgte kritische Auseinandersetzung mit Ulrich entscheidend ist: Ulrich versteht die „[. . .] Klärung und Abwägung ALLER [Herv. d. Verf.] Geltungsansprüche als Gegenstand eines SITUATIV [Herv. d. Verf.] mit guten Gründen zu führenden Verantwortbarkeits- bzw. Zumutbarkeitsdiskurses.“153
Ein solcher situativer Diskurs kann von den Wirtschaftssubjekten nur in der Konkretheit der jeweiligen Interpersonalsituation durchgeführt werden. Diskursive Tätigkeiten sind also nicht prinzipiell substituierbar. Ulrichs wirtschaftsethische Vorstellungen laufen letztlich darauf hinaus, „[. . .] dass der verantwortungsbewußte Wirtschaftsbürger VON VORNHEREIN ALLE SEINE HANDLUNGSABSICHTEN JEWEILS DAHINGEHEND PRÜFT [Herv. d. Verf.], ob die praktischen Folgen allen Betroffenen gegenüber verantwortbar, also mit guten Gründen vor ihnen vertretbar sind, und zwar unabhängig davon, ob diese ihre Ansprüche ‚anmelden‘ oder nicht. Denn auch im Falle fehlenden Widerspruchs oder manifesten Widerstandes möchte er die legitimen Ansprüche Anderer nicht missachten [. . .].“154
Die Wirtschaftssubjekte sehen sich in ihrem wirtschaftlichen Handeln einer konkreten Handlungsforderung ausgesetzt, die mit der ökonomischen Maxime der privaten Interessenverfolgung nichts zu tun hat. Sie werden prinzipiell in allen Handlungsabsichten einer „vorbehaltlosen Begründungspflicht“155 unterstellt, die sie nur dadurch einlösen können, daß sie bestimmte, apriori festgelegte Handlungen durchführen: Sie müssen entweder tatsächliche Verständigungsdiskurse führen oder zumindest diese in einer gedanklichen Prüfung antizipieren. In dieser unmittelbaren Verhaltensforderung zeigt sich die schon nachgewiesene Doppelbedeutung des angeblich rein regulativen diskursiven Ideals in ihrer wirtschaftsethischen Konsequenz. Das Oszillieren zwischen regulativer und konkreter Bedeutung des normativen Ideals auch in der Wirtschaftsethik ist auf Grundlage von Ulrichs Erfolgsstrebens gegenüber allen Betroffenen verantwortet werden können, ist daher stets, nicht nur ‚gelegentlich‘, ein begründender Legitimations- und Zumutbarkeitsdiskurs erforderlich.“ Ulrich (2001a), S. 100. 152 Ulrich (2000a), S. 558, Abschnitt (13). 153 Vgl. Ulrich (2001a), S. 158 f. 154 Ulrich (2001a), S. 321. 155 Vgl. Ulrich (2001a), S. 158.
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
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Ethikkonzeption, die ein bestimmtes (diskursives) Prüfungsverfahren für die Sicherstellung von moralischen Ansprüchen zwingend vorschreibt,156 letztlich unvermeidlich. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß Ulrich die moralischen Ansprüche, die er in der vernunftethischen Reflexion aus der allgemeinen Struktur von Interpersonalität gewinnt, in identischer Weise auch auf die interpersonelle Dimension des wirtschaftlichen Handelns bezieht. Die legitime wirtschaftliche Form der Interpersonalität ist also allein die moralische! Die spezifisch marktmäßige Interpersonalform im Sinne eines reinen Vorteilstausches zwischen eigeninteressierten Wirtschaftssubjekten, die den Tausch ausschließlich deshalb durchführen, weil sie ihren privaten Interessen folgen, kann auf dem Boden der omnipräsenten Forderung nach diskursiver Verständigung systematisch nicht abgebildet werden. Auch aus Ulrichs Äußerung über die Nicht-Vertretbarkeit moralisch-diskursiver Rollentauschverantwortung im Verhältnis zu rechtlichen Regeln ergibt sich zwingend, daß eine rein rechtliche Beziehung zwischen Personen, die jeweils ihren persönlichen Vorteil suchen und aus diesem Grunde eine vertragliche Vereinbarung eingehen, ohne dabei an weitergehende moralische Ansprüche gebunden zu sein, auf der wirtschaftsethischen Grundlage Ulrichs nicht vertretbar ist. Diese systematische Konsequenz wird im Zusammenhang mit den ordnungspolitischen Vorstellungen Ulrichs zu beachten sein, wenn Ulrich dem „natürlichen System des wechselseitigen Vorteilstausches“ doch noch eine legitimes Eigenleben zusprechen möchte.157 Insofern die moralischen Interpersonalforderungen, die Ulrich in der allgemeinen vernunftethischen Reflexion formuliert, in identischer Weise gegenüber den Wirtschaftssubjekten als solchen, d.h. in Bezug auf ihr wirtschaftliches Handeln, erhoben werden, ist eine Trennlinie zwischen allgemein-ethischer und spezifisch wirtschaftsethischer Reflexion nicht mehr zu erkennen. 2.3.2.3 Sozialökonomische Rationalität: „Integrative Vermittlung“ von ethischen und ökonomischen Aspekten? Die Darstellung der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ nahm zu Beginn des Kapitels 2.3.2 ihren Ausgangspunkt bei der Einsicht Ulrichs in die „Zweidimensionalität des humanen Vernunftpotentials“. Die Dualität von „sachorientierter Produktion“ und „menschlicher Interaktion“ bestimmte das Ausgangsmaterial der „Vernunftethik des Wirtschaftens“. Beide Aspekte wurden in den vorhergehenden Abschnitten in ihrer Bedeutung für die Kon156 157
Vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.2.2. Vgl. Kapitel 2.4.2.
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2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
zeption Ulrichs dargestellt. Dabei konnten zum einen Spuren spezifisch ökonomischer Elemente nachgewiesen werden, zum anderen zeigte sich, daß die aus der allgemeinen Vernunftethik gewonnenen moralischen Ansprüche auch die Interaktion wirtschaftlicher Akteure omnipräsent bestimmen. Damit stehen die Bausteine zur Verfügung, um den gedanklichen Kern der Konzeption von Ulrich zusammensetzen zu können. Spezifisch ökonomische Aspekte, die bei Ulrich durch die Begriffe „Wertschöpfung“, „Effizienz“ und „Eigeninteressiertheit“ benannt werden, und der vernunftethische Interpersonalitätsaspekt sollen zu einer genuinen wirtschaftsethischen Vernunft verschmolzen werden. Er selbst bezeichnet die „ideelle Spitze“ seiner Vernunftethik des Wirtschaftens als „sozialökonomische Rationalität“.158 In dieser Begriffsverbindung spiegelt sich der Anspruch auf „integrative Vermittlung“ ökonomischer und vernunftethischer Elemente. Ulrich spricht – in Fortführung des Gedankens von der „Zweidimensionalität des humanen Vernunftpotentials“ – auch von der „Zweidimensionalität“ vernünftigen, nämlich sozial-ökonomischen Wirtschaftens.159 „Es geht nicht einfach darum, dem ökonomischen Rationalitätsanspruch den ethischen gleichsam als dessen „Gegengift“ oder Korrektiv bloß unvermittelt entgegenzusetzen oder gar den Effizienzanspruch zugunsten ethischer Kriterien fallenzulassen. Vielmehr kommt es darauf an, den Effizienzgesichtspunkt in einer umfassenderen Idee ökonomischer Vernunft ‚aufzuheben‘ [Anmerkung]. Diese (diskursethisch fundierte) regulative Idee ökonomischer Vernunft, die ich zur Unterscheidung von der herkömmlichen ökonomischen Rationalität die sozialökonomische Rationalitätsidee nenne, integriert die ethische Legitimitätsbedingung in die Leitidee vernünftigen Wirtschaftens.“160
Nachdem im vorigen Abschnitt lediglich der Interpersonalitätsaspekt thematisiert wurde, sind nunmehr auch die spezifisch ökonomischen Aspekte – Wertschöpfung, Effizienz und Eigennutzorientierung – zu berücksichtigen. Erst aus dem Zusammenspiel beider Dimensionen ergibt sich das von Ulrich formulierte Kernproblem: (1) „Die Problematik vernünftigen Wirtschaftens – die unverkürzt definierte ökonomische Rationalitätsproblematik – umfasst grundsätzlich immer eine ethische und eine technische Rationalitätsdimension: Zum einen geht es um die Bestimmung ethisch vernünftiger (legitimer) Zwecke und Grundsätze des Wirtschaftens angesichts alternativer Nutzungsmöglichkeiten knapper Ressourcen, zum andern um deren zweckrationalen (effizienten) Einsatz im Hinblick auf geklärte Zwecke unter Beachtung der Legitimitätsbedingungen.“161 158
Vgl. Ulrich (2002), S. 43. Vgl. Ulrich (2001a), S. 122. 160 Ulrich (2002), S. 42 f. Den Begriff „aufheben“ bestimmt Ulrich in einer Anmerkung im dreifachen Sinne Hegels. Vgl. dazu die obigen Bemerkungen über die Bedeutung Hegelscher und Kantischer Argumentationsfiguren bei Ulrich. 161 Ulrich (2001a), S. 106. 159
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
75
Die „integrative Vermittlung“ beider Dimensionen soll das Grundprinzip vernünftigen Wirtschaftens konstituieren: die sozialökonomische Rationalitätsidee. Damit stellt sich die entscheidende Frage, wie die „integrative Vermittlung“, die in der sozialökonomischen Rationalität beansprucht wird, genau erreicht werden soll. Insbesondere nachdem im vorigen Abschnitt bereits gezeigt wurde, daß moralische Ansprüche in der Konzeption Ulrichs auch das wirtschaftliche Handeln in seiner interpersonellen Dimension omnipräsent bestimmen, scheint eine integrative Vermittlung von moralischen und ökonomischen Aspekten nicht unproblematisch zu sein. Im letzten Zitat deutete sich bereits an, daß Ulrich die Zweidimensionalität „vernünftigen Wirtschaftens“ als eine Zweistufigkeit im Sinne einer Rangfolge von Kriterien versteht: Zuerst müssen auf dem Wege der dargestellten diskursiven Prüfungsverfahren „ethisch vernünftige“ Zwecke festgelegt werden, anschließend sind diese Zwecke „zweckrational“ und „effizient“ umzusetzen. Die Orientierung der Wirtschaftssubjekte an ihren je eigenen Präferenzordnungen und Zwecksetzungen wird ersetzt durch gemeinschaftlich geprüfte, sozusagen interpersonelle Zwecke. Und erst diese gemeinschaftlichen Zwecke sind „effizient“ umzusetzen: (2) „In der sozialökonomischen Rationalitätskonzeption tritt daher, dem Primat der Ethik entsprechend, das ethische Vernunftinteresse an der diskursiven, verständigungsorientierten Klärung der Legitimitätsbedingung der Wahrung der moralischen Rechte aller Betroffenen vor das je private Interesse der Wirtschaftssubjekte am für sie effizienten Einsatz ihrer Ressourcen [. . .].“162
Der Effizienzgesichtspunkt, der hier als zweite Stufe der Kriterienordnung veranschlagt wird, erhält als Maßstab nicht mehr die jeweilig-individuellen Präferenzen, sondern ebenfalls die gemeinschaftlichen: Der Einsatz der Ressourcen soll „effizient“ erfolgen im Hinblick auf die gemeinschaftlichen Zwecke. Aus dieser zweistufigen Kriterienordnung ergibt sich als grundlegende Definition der sozialökonomischen Rationalität: (3) „Als sozialökonomisch rational kann jede Handlung oder jede Institution gelten, die freie und mündige Bürger in der vernunftgeleiteten Verständigung unter allen Betroffenen als legitime Form der Wertschöpfung bestimmt haben (könnten).“163
Mit diesen Äußerungen läßt sich der gedankliche Kern der integrativen Wirtschaftsethik freilegen. Die integrative Vermittlung von ethischen und ökonomischen Aspekten, die Ulrich mit der sozialökonomischen Rationalitätskonzeption beansprucht geleistet zu haben, ergibt sich aus zwei sich überlagernden Gedankenfiguren, die ihre Grundlage in der schon behan162 163
Ulrich (2001a), S. 122. Ulrich (2001a), S. 123.
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2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
delten „Zweidimensionalität des humanen Vernunftpotentials“ finden (1). Zum einen wird – wie im vorigen Abschnitt dargestellt – das moralische Interpersonalverhältnis direkt und ohne Modifikation auf den Bereich der Wirtschaft übertragen. Aus dieser Übertragung ergibt sich der „Vorrang [. . .] einer verständigungsorientierten vor einer erfolgsorientierten Einstellung“164. Den Wirtschaftssubjekten wird zugemutet, sich primär nicht an ihren eigenen, individuellen Präferenzen zu orientieren, sondern „in einer vernunftgeleiteten Verständigung“ die Interessen aller möglicherweise Betroffenen gegeneinander abzuwägen (2). Diese Berücksichtigung schließt die jeweils eigenen Interessen mit ein, worauf noch eingehend zurückzukommen sein wird. Zum anderen identifiziert Ulrich das spezifisch Ökonomische mit dem „technischen“ Aspekt der „Produktion“ bzw. der „Wertschöpfung“.165 Diesen Aspekt übernimmt er als genuin ökonomisches Element in seine sozialökonomische Rationalitätskonzeption (3), ordnet ihn jedoch dem Interpersonalaspekt unter. Diese Unterordnung wird in der von Ulrich gewählten graphischen Darstellungsweise unzweideutig zum Ausdruck gebracht: Wirtschaftssubjekt 2
(Knappheit)
Legitimationsaspekt (Konflikt)
Effizienzaspekt
Wirtschaftssubjekt 1
Ressourcen & Güter
Abb. 1: Ulrichs graphische Darstellung der Zweidimensionalität sozialökonomischer Rationalität166
Diese Darstellungsweise darf jedoch nicht zu dem Schluß verleiten, daß die nachgeordnete Rationalitätsdimension sich ausschließlich auf den rein „technischen“ Aspekt der effizienten Güterproduktion bezieht. Dem ethischen Anspruch untergeordnet wird vielmehr auch die persönlich-individuelle Erfolgsorientierung, also ein Aspekt, den Ulrich im Zusammenhang der Interpersonalität thematisiert. Die Verständigungsorientierung, als Ausdruck des ethischen Anspruches, dominiert also erstens, auf der Ebene der 164
Ulrich (2000a), S. 558, Abschnitt (13). Vgl. Kapitel 2.3.2.1. 166 Abbildung übernommen aus: Ulrich (2001a), S. 122. Sie ist dort untertitelt mit: „Die Zweidimensionalität sozialökonomischer Rationalität“. 165
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
77
motivationalen Grundlagen, die ökonomische Erfolgsorientierung. Sie dominiert zweitens den technischen Aspekt der Wertschöpfung, deren Effizienz ausschließlich hinsichtlich „legitimer“, also gemeinschaftlicher Zwecke erreicht werden soll. Insgesamt zeigt sich, daß sich der Primat der Verständigungsorientierung auf alle von Ulrich veranschlagten Bestimmungen des Ökonomischen – Wertschöpfung, Effizienz, Erfolgsorientierung – erstreckt. Zusammenfassend kann nun festgehalten werden, wie Ulrich den programmatischen Anspruch auf eine „integrative Vermittlung“ von ethischen und ökonomischen Aspekten gedanklich einlösen möchte. Die grundlegende, vernunftethische „Transformation“ der gesamten ökonomischen Logik soll dadurch erreicht werden, daß die Forderung nach einer verständigungsorientierten Einstellung, die sich in diskursiven Verständigungprozessen zu konkretisieren hat, den ökonomischen Belangen vorgeordnet wird. Die Wirtschaftssubjekte haben in ihrem wirtschaftlichen Handeln eine schlichte Rangfolge von Handlungsforderungen167 zu berücksichtigen: Zuerst sollen sie sich in diskursiven und/oder gedanklichen Verständigungsprozessen über legitime Zwecksetzungen klar werden, anschließend dürfen sie ihre instrumentelle Ratio darauf verwenden, diese Zwecke möglichst effizient – gemessen am Maßstab ebendieser Zwecke – zu verwirklichen. Für den integrativen Anspruch Ulrichs ist es entscheidend, daß diese Rangfolge von den Wirtschaftssubjekten unmittelbar selbst in ihren wirtschaftlichen Handlungen einzuhalten und umzusetzen ist. Sobald die unmittelbare und direkte Rückbindung aller Legitimationsleistungen an den Zusammenhang des persönlichen Handelns aufgegeben wird, konvergiert Ulrichs Konzeption mit dem von ihm abgelehnten „Gartenzaunmodell“ der Wirtschaftsethik. Denn auch in diesem Modell soll ja die individuelle Erfolgsorientierung erst innerhalb einer vorgängigen normativen Eingrenzung sich entfalten. Das, was bei Ulrich „integrativ“ von den Wirtschaftssubjekten in ihrem Handeln unmittelbar selbst zu leisten ist, wird in einem „Gartenzaunmodell“ prinzipiell auf zwei verschiedene Ebenen verlagert, die sich in der Begrifflichkeit von Habermas nach System und Lebenswelt168 differenzieren ließen: Die normative Eingrenzung und Legitimierung des Systems wäre nicht die unmittelbare Aufgabe der Akteure des (ökonomischen) Systems. In einem „Gar167
„[I]n der Klärung des Verhältnisses zwischen zwei konkurrierenden, beidseits normativen Handlungsorientierungen“, nämlich der „normativen Logik der Zwischenmenschlichkeit“ einerseits und der „normativen Logik des wechselseitigen Vorteilstausches unter strikt eigeninteressierten Individuen“ andererseits, sieht Ulrich „das systematische Kernproblem der Wirtschaftsethik“. Vgl. Ulrich (2000a), S. 559, Abschnitt (18). Allein in dieser Problemformulierung deutet sich bereits an, daß der Kern der integrativen Wirtschaftsethik letztlich in der Aufstellung einer Rangfolge von Handlungsforderungen besteht. 168 Zum Konzept der Entgegensetzung von System und Lebenswelt vgl. Habermas (1981), S. 171 ff.
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2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
tenzaunmodell“ würde die – innerhalb bestimmter Grenzen – autonome Eigenlogik des (ökonomischen) Systems also nicht zugunsten eines gleichwohl übergeordneten lebensweltlichen Gesamtzusammenhangs aufgegeben. Bei Ulrich hingegen wird die Spannung zwischen System und Lebenswelt in die Handlungen der Akteure selbst „integriert“ und durch eine Rangfolge von Handlungsorientierungen aufgelöst: Die systemische Eigenständigkeit des Ökonomischen wird durch eine spezifische Handlungsforderung substituiert, die die Wirtschaftsakteure berücksichtigen sollen, nachdem sie als Wirtschaftsakteure auch schon die lebensweltlichen Legitimierungsleistungen in Form von tatsächlichen Verständigungsbemühungen übernommen haben. In diesem Kontext erhält der Vorwurf Apels, Ulrich arbeite mit „ungeheuerlichen Idealisierungen“ unbestreitbar Relevanz, auch wenn sich Ulrich vehement und mit dem Verweis auf die von Apel angeblich übersehene rein regulative Funktion des diskursiven Ideals gegen diesen Vorwurf zu wehren versucht. Wie auch im Hinblick auf das allgemein vernunftethische Ideal des Diskurses betont Ulrich, daß das sozialökonomische Grundprinzip seiner Wirtschaftsethik, lediglich als „regulative Idee“ zu verstehen ist, die „[. . .] kein umstandslos anwendbares Handlungsprinzip darstellt, sondern nur den idealen Horizont weist, auf den hin pragmatische Schritte auf dem Wege des Bemühens, mehr ethische Vernunft in die ökonomische Rationalisierungsdynamik zu bringen, sich orientieren können.“169
Daß der „ideale Horizont“ bei Ulrich immer auf realen Verständigungsbemühungen fußt, wurde schon nachgewiesen. Auch im Hinblick auf das wirtschaftsethische Grundprinzip der sozialökonomischen Rationalität kann Ulrich diese Doppelbedeutung nicht vermeiden. Die Forderung, Legitimität durch diskursive Tätigkeiten herzustellen, bezieht sich bei Ulrich auf das wirtschaftliche Handeln der Akteure. Genau darin liegt ja die Pointe seiner „integrativen Vermittlung“. Daß mit dem „Primat der Ethik“ bei Ulrich letztlich eine tatsächliche Überordnung im Handeln gemeint ist, wird – neben den schon zitierten Belegen170 – insbesondere auch dadurch deutlich, daß Ulrich „praktische Verständigungslösungen“ für die „in letzter Instanz“ allein mögliche Art der Auflösung des wirtschaftsethischen Kernproblems hält: „Der ethisch rationale (legitime) Umgang mit sozialökonomischen Konflikten wird somit zur konstitutiven Bedingung der Möglichkeit rationalen Wirtschaftens. Da es aber keine rein (wirtschafts-)theoretische Lösung dieses Rationalitätsproblems gibt, bleibt in letzter Instanz nur der Weg praktischer Verständigungslösun169
Ulrich (1994), S. 84 f. Vgl. dazu insbesondere Ulrichs „dreistufige[s] Konzept einer diskursethisch transformierten Verantwortungsethik“ (Ulrich (2001a), S. 90) (siehe Kapitel 2.2.3.2) sowie die in Kapitel 2.3.2.2 gegebenen Hinweise. 170
2.3 Vernunftethik des Wirtschaftens
79
gen offen. [. . .] Das ökonomische Kalkül wird systematisch in gesellschaftliche Verständigungsprozesse heimgeholt [. . .].“171
Konkret bedeutet eine solche Überordnung – um ein einfaches Illustrationsbeispiel zu geben –, daß in dem von der „regulativen Idee sozialökonomischer Rationalität“ angezielten Idealzustand der einzelne „Wirtschaftsbürger“ sogar die alltägliche Milch nicht einfach nur nach den Gesichtspunkten kaufen dürfte, die ihm rein individuell wichtig erscheinen – selbst wenn diese Gesichtspunkte auf die klassisch-ökonomischen von Preis und Qualität hinausliefen. Vielmehr sollte er freiwillig in einem verständigungsorientierten Dialog prüfen, ob z. B. dem teureren Anbieter aufgrund persönlicher Lebensumstände nicht doch ein „moralisches Vorrecht“ auf die Abnahme seines Produktes zuzubilligen sei – vielleicht ist just dessen Frau gestorben, die bisher die administrativen Tätigkeiten des Familienunternehmens übernahm, so daß unser Milchproduzent nun unverschuldet sich ökonomischer Existenznot ausgesetzt sieht. Anstatt wirtschaftsethisch frei zu sein, die Milch dort zu kaufen, wo es ihm gerade am vorteilhaftesten dünkt („Eigennutzorientierung“), sollte der potentielle Konsument einen diskursethisch qualifizierten Dialog mit allen Beteiligten führen, um die Lebensumstände beurteilen zu können, die eventuell eine uneigennützige Produktabnahme als moralische Hilfeleistung erforderlich machen könnten („Selbstbeschränkung im privaten Wirtschaftshandeln“). Nachdem alle möglicherweise Betroffenen in diesen Diskurs einzubeziehen sind, wäre das eventuelle Vorrecht des teureren Anbieters auch dem billigeren Anbieter, der auf seinen Produkten sitzen bliebe, diskursethisch verständlich zu machen, so daß auch er das „moralische Recht“ seines Konkurrenten von sich aus einsähe. Erst dann wäre „das ethische Vernunftinteresse an der diskursiven, verständigungsorientierten Klärung der Legitimitätsbedingung der Wahrung der moralischen Rechte aller Betroffenen vor das je private Interesse der Wirtschaftssubjekte am für sie effizienten Einsatz ihrer Ressourcen“172 getreten. Eine prinzipielle Befreiung von moralischen Ansprüchen im Handeln, wie das Recht sie gewährt, ohne doch dabei normativ gehaltlos zu sein, kann in einer solchen Konzeption nicht abgebildet werden. Wohlgemerkt wäre auch für Ulrich das hier dargestellte Verhalten unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen nicht unmittelbar einzufordern. Aber als Beschreibung eines Zustandes, der dem regulativen Ideal zumindest näherkommt als heutige Verhältnisse, trifft dieses Beispiel wohl den Kern der „regulativen Idee sozialökonomischer Rationalität“. Eine solche Interpretation im Hinblick auf alltägliche Wirtschaftshandlungen wird jedenfalls dadurch legitimiert, daß Ulrich – wie schon dargelegt – eine „prin171 172
Ulrich (1994), S. 84. Ulrich (2001a), S. 122.
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2 Die „integrative Wirtschaftsethik“ von Peter Ulrich
zipielle Bereitschaft zur wirtschaftsbürgerlichen Selbstbindung“ fordert, die unter anderem „in der verantwortungsbewußten persönlichen Selbstbeschränkung im privaten Wirtschaftshandeln“ ihren Ausdruck finden soll.173 Die programmatische formulierte „integrative Vermittlung“ von ethischen und ökonomischen Aspekten, ja sogar die „Aufhebung“ der ökonomischen Rationalität „im dreifachen Hegelschen Sinn“174 beansprucht Ulrich mit einer schlichten Rangfolge von Handlungsforderungen gedanklich erreicht zu haben. Mit dieser Feststellung ist der Kern der integrativen Wirtschaftsethik von Ulrich freigelegt. 2.3.3 Zusammenfassung Abschließend sollen die entwickelten, wesentlichen Charakteristika der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ zusammengefaßt werden: Die Vernunftethik des Wirtschaftens ist nach dem programmatischen Anspruch des integrativen Ansatzes aus einer allgemein-ethischen Perspektive zu entwickeln. Die von Ulrich zugestandenen Eigenmerkmale von wirtschaftlichem Handeln – „Wertschöpfung“, „Effizienz“, „Eigeninteressiertheit“ – spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die in diesen Merkmalen enthaltenen weitreichenden Implikationen werden von Ulrich nicht systematisch entwickelt und in ihrer Bedeutung aufgedeckt. Der programmatische Anspruch auf eine integrative Vermittlung von vernunftethischen und wirtschaftlichen Aspekten soll dadurch eingelöst werden, daß die in der allgemeinen Ethik als moralischer Anspruch aufgestellte „Verständigungsorientierung“ auch für die Wirtschaftssubjekte in ihrem wirtschaftlichen Handeln „regulative“ Gültigkeit erhält. Der Primat der Ethik wird als Vorrang der verständigungsorientierten Haltung vor der Erfolgsorientierung interpretiert, und zwar als ein solcher Vorrang, der im wirtschaftlichen Handeln unmittelbar einzulösen ist. Diese im wirtschaftlichen Handeln zu berücksichtigende Rangfolge von moralischen und ökonomischen Ansprüchen soll die ökonomische Rationalität nicht prinzipiell unmöglich machen, vielmehr im hegelschen Sinne „aufheben“. Mit der Aufstellung dieser Rangfolge gelangt die integrative Wirtschaftsethik an ihren gedanklichen Kern. Das Durchschlagen des moralischen Anspruches auf die wirtschaftliche Handlungsebene kann nach der Konzeption des integrativen Ansatzes nicht grundsätzlich aufgefangen werden durch ein System rechtlicher Normen. Die Wirtschaftssubjekte können sich auch bei vollständiger Einhaltung der Normen eines rechtsstaatlich qualifizierten Systems nicht von der (wirtschafts-)ethischen Verantwortung befreien, ihre Wirtschaftshandlungen „nach bestem Wissen und Gewissen“ auf ihre jeweilig-konkrete „Vertretbarkeit gegenüber jedermann“ hin zu überprüfen. 173 174
Vgl. Ulrich (2000a), S. 565, Abschnitt (46). Vgl. Ulrich (2002), S. 33.
2.4 Kritik
81
2.4 Kritik Aufbauend auf der bisher erfolgten Freilegung der gedanklichen Grundlagen von Ulrichs Konzeption sollen im folgenden die zuvor schon angedeuteten Kritikpunkte eingehender entfaltet werden.175 Aus dieser Kritik werden sich abschließend erste Anhaltpunkte dafür gewinnen lassen, wie die wirtschaftsethische Problemstellung aus transzendentaler Perspektive sich darstellt. 2.4.1 Leistet die integrative Wirtschaftsethik eine „Integration“ von ethischer und ökonomischer Perspektive? Ulrich sieht in der Unterordnung des wirtschaftlichen Erfolgsstrebens unter eine diskursive Verständigungsorientierung keine Vernachlässigung der für wirtschaftliches Handeln konstitutiven Aspekte: „Die beschriebene Rangordnung zwischen moralischen Gesichtspunkten und solchen des Eigeninteresses steht für nichts anderes als für den Primat der Ethik; sie hat nichts mit einer Vernachlässigung des ökonomischen Aspektes zu tun, sondern liegt im Wesen der ‚Sache‘ einer ethischen Integration der ökonomischen Rationalität, d.h. der Entwicklung einer unverkürzten, ethisch gehaltvollen Perspektive vernünftigen Wirtschaftens.“176
Die integrative Wirtschaftsethik soll noch Raum für dezidiert eigeninteressiertes Handeln lassen. Denn die Zurückstellung der eigeninteressierten Erfolgsorientierung, die das einzelne Wirtschaftssubjekt in vernunftethischer Selbstbeschränkung auf sich zu nehmen hat, steht ihrerseits unter der schon dargestellten Bedingung der „Zumutbarkeit“.177 Die in Abschnitt 2.3.2.2.1 behandelte „doppelte Legitimitätsbedingung“ gewährt dem wirtschaftlichen Akteur aufgrund seines Anspruches auf „existentielle Selbstbehauptung“ ein Mindestmaß an eigeninteressiertem Handeln. Dieses Mindestmaß ist über die aus dem Rollentauschverfahren sich ergebenden Verständigungsprozesse im einzelnen jeweils konkret zu bestimmen. Entscheidend ist nun, daß die Bedingung der „Zumutbarkeit“, die Ulrich bei seiner Bestimmung der Merkmale vernünftigen Wirtschaftens verwendet, sachlich – allerdings nicht dem Wortlaut nach – bereits in den diskursethischen Grundlagen enthalten ist. Ulrich spricht bei seiner Darstellung der 175 Zu einer eingehenden Kritik der integrativen Wirtschaftsethik vom Standpunkt einer marxistisch inspirierten Gesellschaftskritik vgl. Erlewein (2003). Daß die Voraussetzungen einer derartigen Kritik nicht belastbar sind, wird erst die transzendentale Rekonstruktion des Rechtes zeigen können. Vgl. dazu die entsprechende Anmerkung in Kapitel 8.3.2.2. 176 Ulrich (2000a), S. 558, Abschnitt (13). 177 Vgl. Ulrich (2002), S. 37 f.
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Diskursethik von „legitimer Selbstbehauptung“ moralischer Personen und macht deutlich, daß in diskursethischer Perspektive von moralischen Personen keineswegs eine „kategorische Selbstaufopferung“ oder „Selbstmissachtung“ gefordert wird.178 In diesem ausschließlich den diskursethischen Grundlagen gewidmeten Zusammenhang gesteht Ulrich moralischen Personen die Verfolgung persönlicher Interessen ausdrücklich zu – freilich unter der einschlägigen diskursiven Legitimitätsbedingung. Die „subjektiven Präferenzen und Interessen“ der Beteiligten begreift Ulrich „als hinsichtlich ihrer Legitimierbarkeit gegenüber allen Betroffenen zu prüfende Ansprüche“. Insofern die subjektiven Interessen der Beteiligten als im Rollentauschverfahren zu prüfende Ansprüche aufzufassen sind und niemandem eine „Selbstaufopferung“ zugemutet werden darf, besteht sachlich kein Unterschied zu der „doppelten Legitimitätsbedingung“ vernünftigen Wirtschaftens: Die „Reversibilität der wechselseitigen Ansprüche zwischen Akteur und Betroffenen“179 ist der gedankliche Gehalt, auf den beide Formulierungsweisen hinauslaufen. Sowohl aus der allgemein vernunftethischen Perspektive – also ohne Bezugnahme auf spezifische Merkmale des Wirtschaftens –, als auch aus der Perspektive der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ stellt sich damit die „Zumutbarkeit“ als zentrales Kriterium zur Prüfung der „Legitimität“ von Ansprüchen dar. Damit zeigt sich, daß der Anspruch auf „existentielle Selbstbehauptung“ jedes einzelnen Menschen, der in der „Vernunftethik des Wirtschaftens“ vermittelst der „Zumutbarkeitsbedingung“ die Berücksichtigung des Eigeninteresses, als eines spezifischen Merkmals von Wirtschaft, ermöglichen soll, in die gegenseitige Reziprozität moralischer Ansprüche immer schon eingelassen ist. Der von Ulrich formulierte scheinbar spezifisch wirtschaftsethische Konflikt von Verständigungs- und Eigennutzorientierung fällt mit dem allgemeinen, vernunftethischen Problem der Verständigung über konfligierende Ansprüche zusammen! Nachdem die in der ökonomischen Rationalität veranschlagte Eigennutz- bzw. Erfolgsorientierung immer schon durch die allgemeine vernunftethische Bedingung der „Zumutbarkeit“ vollständig absorbiert wird, stellt sich also die Frage, welches spezifisch wirtschaftsethische Problem Ulrich eigentlich integrativ gelöst zu haben beansprucht? Den normativen Konflikt von ökonomischer Rationalität und ethisch-praktischer Vernunft, den Ulrich als das „Kernproblem“ der Wirtschaftsethik anspricht180, läßt er in einer ethisch-praktischen Vernunft sich auflösen, die diesen Konflikt implizit immer schon neutralisiert hat. Damit gibt es aber gerade keinen „abgrenzbaren ‚Normenbereich‘ als spezifischen Reflexionsinhalt von Wirt178
Vgl. hierzu und für die folgenden zwei Sätze: Ulrich (2001a), S. 85 f. Diese Formulierung verwendet Ulrich, um die „Klausel der Zumutbarkeit“ zu explizieren. Vgl. Ulrich (2000b), S. 637, Abschnitt (26). 180 Vgl.: Ulrich (1994), S. 75; Ulrich (2000a), S. 559, Abschnitt (19). 179
2.4 Kritik
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schaftsethik“, wie ihn Ulrich gegenüber der Kritik von Wolfgang Kersting nachdrücklich in Anspruch nimmt.181 Das von Ulrich definierte Kernproblem der Wirtschaftsethik findet seine Lösung darin, daß es als spezifisch wirtschaftsethisches Problem verschwindet. Neben ethischen Überlegungen sind in Ulrichs Konzeption ökonomische Überlegungen nicht erforderlich, denn die allgemeine Vernunftethik ist implizit immer schon die adäquate Form der Wirtschaftsethik! Insofern kann also auch nicht von einer Integration der ethischen und ökonomischen Perspektive gesprochen werden. Diese Konsequenz wird in der Konzeption der „sozialökonomischen Rationalität“ dadurch auf den ersten Blick verdeckt, daß Ulrich neben der von ihm zum Kernproblem erhobenen (normativen) Eigennutzorientierung auch noch das „technische“ Produktions- bzw. Umsetzungsproblem (Stichwort: Wertschöpfung) mitberücksichtigt. Und in dieser Hinsicht enthält die sozialökonomische Rationalitätsidee tatsächlich eine Komponente, die ihren Ort nicht auch schon in der allgemeinen Vernunftethik hat. Das Zusammenspiel von moralisch-diskursiver Interpersonalität, in der legitime Zwecke zu bestimmen sind, einerseits, und technisch-effizienter Zweckverwirklichung (Wertschöpfung) andererseits, präsentiert Ulrich als die wesentliche Errungenschaft der sozialökonomischen Rationalität (vgl. Abbildung 1). Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß dieses Zusammenspiel mit dem von ihm formulierten Problem des Konfliktes von Verständigungs- und Eigennutzorientierung keine unmittelbaren Berührungspunkte besitzt. Denn dieses Problem spielt sich ausschließlich auf der interpersonellen Ebene ab, auf der technisch-sachorientierte Fragen der effizienten Mittelverwendung nicht relevant sind.182 Der (wirtschaftsethische) Konflikt von Verständigungsund Eigennutzorientierung ist durch die vernunftethische „Zumutbarkeitsbedingung“ bereits vollständig neutralisiert, bevor Ulrich das Zusammenspiel von interpersoneller Zwecksetzung und technisch-effizienter Zweckverwirklichung auf den Plan treten läßt. Ulrich präsentiert mit der sozialökonomischen Rationalität also ein (wirtschafts-)ethisches Grundprinzip, dessen wesentlicher gedanklicher Gehalt in einer Interpersonalitätskonzeption besteht, die unverändert aus der allgemeinen Vernunftethik übernommen wird, während seine spezifisch ökonomischen Bezüge sich in der trivialen Aussage erschöpfen, daß eine ressourceneffiziente Mittelverwendung erst im Hin181
Vgl. Ulrich (2000a), S. 555, Abschnitt (1). Die (wirtschaftsethische) Frage, ob das einzelne Wirtschaftssubjekt seine Wirtschaftspartner als diskursives Gegenüber im Sinne einer „Verständigungsorientierung“ ernst nehmen soll, oder aber strategisch als zu beeinflussendes Mittel der eigenen Interessenwahrnehmung betrachten darf („Eigennutzorientierung“), ist von der Frage, wie gegebene Zwecke zu verwirklichen sind, strikt zu trennen. Kantisch gesprochen spielt sich die zweite Frage ausschließlich auf der Ebene hypothetischer Imperative ab, während die erste kategorischen Charakter besitzt. 182
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blick auf zuvor festgelegte Zwecke erfolgen kann. „Integrativ“ ist dieses Grundprinzip allein dadurch, daß es sowohl die interpersonellen Legitimierungsleistungen als auch die effizienten Zweckumsetzungen den Wirtschaftssubjekten zugleich und situativ-konkret abverlangt. Daß Ulrich mit einer solchen „Lösung“ der Eigenständigkeit des wirtschaftsethischen Problems nicht gerecht wird, wird sich erst in Kapitel 2.4.3 zeigen. Zuvor sind jedoch noch weitere Anmerkungen nötig. 2.4.2 Ist die „Transformation“ der ökonomischen Rationalität ein wirtschaftsethisches Desiderat? Wie bereits ausgeführt wurde, besteht das wesentliche Anliegen Ulrichs darin, die Eigenständigkeit der ökonomischen Rationalität zu unterlaufen. Die ökonomische Rationalität soll aus der allgemein-vernunftethischen Perspektive entwickelt und durch diese konstituiert werden. Ulrich möchte jede wirtschaftsethische Form einer „Zwei-Welten-Konzeption“ vermeiden, in der die ökonomische Rationalität als eine primär eigenständige betrachtet wird, der die ethisch-praktische Vernunft als „äußeres Korrektiv“ entgegenzusetzen ist. Vielmehr soll die ethische Vernunft die „innere Grundlage“ des Wirtschaftens darstellen. Der programmatische Anspruch auf eine solche vernunftethische „Transformation“ der ökonomischen Rationalität ist das entscheidende Charakteristikum der integrativen Wirtschaftsethik. Ulrich formuliert diesen Anspruch in aller Deutlichkeit: „Die ökonomische Rationalität, wie sie dogmen- und theoriegeschichtlich entstanden und ‚gegeben‘ ist, soll daher weder bloss äußerlich eingegrenzt noch bloss angewandt, sondern selbst philosophisch-ethisch transformiert und so gleichsam selbst zur Vernunft gebracht werden.“183
Daß Ulrich diesen formulierten Anspruch durchgehend umzusetzen vermag, wird jedoch fraglich, sobald wir die ordnungspolitischen Konkretionen betrachten, die Ulrich in seiner „Topologie“ der „Orte der Moral des Wirtschaftens“ entwirft. Die Ordnungspolitik konfrontiert Ulrich mit zwei unterschiedlichen, politischen Ansprüchen: „Die Ordnungspolitik steht im Schnittfeld zwischen dem (prinzipiell vorrangigen) Anspruch der lebensweltlichen Einbettung des Marktes in eine wohlgeordnete Gesellschaft einerseits (Vitalpolitik) und dem ANSPRUCH DER ENTFALTUNG DER SYSTEMISCHEN LOGIK DES MARKTES [Herv. d. Verf.] andererseits (Wettbewerbspolitik). Die Rahmenordnung des Marktes hat beide Ansprüche miteinander zu vermitteln.“184 183
Ulrich (2001a), S. 121. Ulrich (2001a), S. 339. Für die ordnungspolitische Problemstellung hält er entsprechend folgende „doppelte Prämisse“ für „konstitutiv“: „Einerseits ist eine 184
2.4 Kritik
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Dem untergeordneten Aspekt der Wettbewerbspolitik mißt er dabei folgende Funktion zu: „Leitender Gesichtspunkt ist hier nicht die Marktbegrenzung unter lebensweltlichen Kriterien, sondern im Gegenteil die Marktdurchsetzung (Marktöffnung und Wettbewerbserhaltung), um nach vitalpolitischer Massgabe die Effizienzfunktion des Wettbewerbs zur Wirkung zu bringen. Diese soll in unpersönlicher Weise die Leistungsbereitschaft aller Marktteilnehmer fördern.“185
Den ordnungspolitischen Zusammenhang von Vital- und Wettbewerbspolitik machen folgende Zitate deutlich: „Die konstitutive Rolle der Ordnungspolitik kann sich natürlich auch nicht auf den Marktmechanismus als solchen beziehen, DENN DIESER BESTEHT JA IN NICHTS ANDEREM ALS DEM ‚NATÜRLICHEN SYSTEM‘ (ADAM SMITH) DES WECHSELSEITIGEN VORTEILSTAUSCHES [Herv. d. Verf.]. Ihr normativ konstituierbarer Gegenstand ist vielmehr das Regelwerk, durch das die Systemdynamik legitimerweise ‚freigesetzt‘, lebensdienlich ausgerichtet und begrenzt wird.“186 „[. . .] [D]ort wo gemäss den vitalpolitischen Grundsatzentscheidungen MARKT HERRSCHEN SOLL [Herv. d. Verf.] – und er soll, da er nie machtfrei sein kann, stets nur in Grenzen herrschen – [. . .] [geht es darum,] die institutionellen Voraussetzungen für einen funktionsfähigen und wirksamen Wettbewerb zu schaffen.“187
Damit kann als zweifelsfrei gelten, daß Ulrich im Zusammenhang mit den ordnungspolitischen Konkretionen seiner Wirtschaftsethik der ökonomischen Logik und dem ihr entsprechenden Marktmechanismus durchaus eine Eigenständigkeit als systemischem Funktionsprinzip zumißt. Diese Eigenständigkeit soll lediglich im Hinblick auf vorgeordnete Gesichtspunkte eingegrenzt werden. Das „natürliche System des wechselseitigen Vorteilstausches“ wird damit nicht grundsätzlich vernunftethisch „transformiert“. Die Logik des „wechselseitigen Vorteilstausches“ bleibt als grundlegendes interpersonelles Koordinationsprinzip innerhalb einer einzugrenzenden Sphäre unverändert erhalten. Obwohl Ulrich in den Grundlagen seiner Konzeption auf dem prinzipiellen und von den Wirtschaftssubjekten in jeder Situation situativ umzusetzenden Primat der Verständigungs- vor der Erfolgsorientierung insistiert, gesteht er im Zusammenhang der Ordnungspolitik dem wechselseitigen Vorteilstausch und der Anreizwirkung des Wettbewerbs dennoch ein legitimes Eigenleben zu. moderne, komplex arbeitsteilig organisierte Wirtschaft aus Gründen ihrer Koordinationskapazität und Effizienz AUF WESENTLICHE ELEMENTE MARKTWIRTSCHAFTLICHER SYSTEMSTEUERUNG ANGEWIESEN [Herv. d. Verf.] [. . .]. Andererseits muss das Wirtschaftssystem aus Gründen seiner Lebensdienlichkeit der ethisch-politischen Sozialintegration einer wohlgeordneten Gesellschaft prinzipiell untergeordnet bleiben [. . .].“ Vgl. Ulrich (2001a), S. 333 f. 185 Ulrich (2001a), S. 338 f. 186 Ulrich (2001a), S. 369. 187 Ulrich (2001a), S. 338.
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An dieser Stelle der Kritik soll weniger das Verhältnis von programmatischem Anspruch und argumentativer Einlösung des integrativen Ansatzes interessieren als vielmehr die Frage, inwiefern Ulrichs programmatischer Anspruch an sich überhaupt sinnvoll ist. Die letzten Zitate belegen, daß auch Ulrich im Hinblick auf seine ordnungspolitischen Vorstellungen nicht auf das traditionelle Konzept des ökonomischen Vorteilstausches verzichten kann. Das marktliche Tauschprinzip wird – im Einklang mit ordoliberalen Grundsatzüberlegungen zur sozialen Marktwirtschaft188 – lediglich durch übergeordnete normative Gesichtspunkte eingegrenzt, nicht aber in seinen inneren Funktionsgesetzen transformiert, oder gar im hegelschen Sinne aufgehoben. Damit bekommt aber auch die traditionelle Schulökonomik, die sich mit diesen inneren Funktionsgesetzen beschäftigt, ohne dabei auf vernunftethische Überlegungen Rücksicht zu nehmen, eine legitime und wirtschaftsethisch nicht substituierbare Aufgabe zugewiesen. Insofern also Ulrich zumindest in ordnungspolitischer Hinsicht auf das ökonomische Marktprinzip als einem in Grenzen legitimen Koordinationsmechanismus zurückgreift, durchbricht seine Konzeption das Programm einer prinzipiellen vernunftethischen Transformation der ökonomischen Rationalität. Unabhängig von diesem Problem ist zudem nicht zu übersehen, daß die von Ulrich reklamierte Eigenständigkeit der Marktlogik in interpersoneller Hinsicht seinen diskursethischen Grundlagen diametral zuwiderläuft: Die integrative Pointe des integrativen Ansatzes besteht ja gerade in der Verpflichtung der Wirtschaftssubjekte, die Verständigungsorientierung in ihren Wirtschaftshandlungen situativ-konkret einzulösen.189 Die grundlegenden diskursiven Prüfungsverpflichtungen, die Ulrich formuliert, haben ihren Zweck gerade darin, ein rein marktliches, vorteilsorientiertes Interpersonalverhältnis normativ zu unterbinden. Anders formuliert: Ein im Sinne Ulrichs 188 Vgl. das Kapitel „Ordoliberalismus und Soziale Marktwirtschaft“ in: Ulrich (2001a), S. 348 ff. Hier macht Ulrich unter Bezug auf Walter Eucken, Franz Böhm, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow die Auffassung der ordoliberalen Schule deutlich, daß die Wirtschaft in eine „höhere Ordnung“ eingebettet werden muß und sich insbesondere in den „Dienst der Menschenwürde“ zu stellen hat. Vgl. Ulrich (2001a), S. 348 f. Trotz dieser grundsätzlichen Übereinstimmung mit seinen ordnungspolitischen Ansichten, wirft Ulrich den Vertretern des Ordoliberalismus gravierende Versäumnisse vor: „Die Crux des Ordoliberalismus besteht [. . .] darin, dass vor allem Eucken, Böhm und die weiteren primär an der Wettbewerbsordnung interessierten Vertreter den Primat der Vitalpolitik vor der Wettbewerbspolitik nicht durchhalten [. . .].“ Ulrich (2001a), S. 352. Insbesondere kritisiert Ulrich die „Doppeldeutigkeit des Kriteriums der Marktkonformität“, die zu „einer fatalen Rückfalltendenz der Ordoliberalen in eine neoklassisch-liberale Marktsicht die Türe“ geöffnet habe. Vgl. Ulrich (2001a), S. 353. 189 Zu den diskursiven Verpflichtungen der Wirtschaftssubjekte in interpersoneller Hinsicht und ihrer nicht nur regulativen Einforderung vgl. Kapitel 2.2.2 sowie 2.3.2.2.
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„idealer“ Wirtschaftsbürger würde sich nie auf einen ausschließlich an den eigenen Interessen orientierten Vorteilstausch einlassen, sondern sich statt dessen an dem dargestellten diskursiven Prüfungsverfahren orientieren. Damit käme es aber nie zu einem „natürlichen System des wechselseitigen Vorteilstausches“, das Ulrich in ordnungspolitischer Eingrenzung, also durch rechtliche Rahmenregelungen, entfalten und sogar „durchsetzen“ möchte (vgl. die obigen Zitate). Es muß jedoch beachtet werden, daß Ulrich die von ihm vorgenommene ordnungspolitische Einbettung der ökonomischen Logik in eine vorgeordnete (politische) Legitimationsinstanz als genuine Leistung dem sozialökonomischen Rationalitätsverständnis des integrativen Ansatzes zuschreibt: „Die konstitutive Bedeutung normativer Gesichtspunkte für eine ‚vitale‘ Marktwirtschaft [. . .] kann nur auf der Grundlage einer sozialökonomischen Sicht des Problems der rationalen institutionellen Ordnung der Wirtschaft verstanden werden. [An dieser Stelle weist Ulrich in einer Fußnote ausdrücklich auf das „sozialökonomische Rationalitätskonzept des integrativen Ansatzes“ hin]. Denn sobald eine ethisch nicht integrierte, autonome ökonomische Rationalitätsperspektive zugestanden wird, beginnt diese unweigerlich erneut ihren Eigensinn zur Geltung zu bringen und sich, unter dem Schein einer ethikfreien ‚Sachlogik‘ des Wirtschaftens, den ethisch-vitalpolitischen Ansprüchen schon im Denken sachzwanghaft zu entziehen. Im integrativen Verständnis vernünftigen Wirtschaftens liegt daher der springende Punkt für den konstitutiven Anspruch der Ordnungsethik im Hinblick auf die tragfähige Gestaltung einer ethisch-ökonomisch vernünftigen Marktwirtschaft: Die Vermittlung zwischen ethisch-politischer Vernunft und ökonomischer Rationalität wird nicht mehr bloss kompromisshaft in einer Zwei-Welten-Konzeption von Ethik und Ökonomik gedacht, sondern die ethischen Gesichtspunkte der Lebensdienlichkeit werden als konstitutive Voraussetzung jeder wohlverstandenen Idee sozialökonomisch ‚effizienter‘ ordnungspolitischer Problemlösungen begriffen.“190
Unabhängig von der Frage, ob die ordnungspolitischen Konkretionen Ulrichs sich wirklich kohärent aus seinem Grundansatz sozialökonomischer Rationalität entwickeln lassen, bleibt hier zu fragen, ob es denn richtig ist, daß die Einbettung einer an sich unveränderten Marktlogik in übergeordnete lebensweltliche Zusammenhänge allein im Konzept der „sozialökonomischen Rationalität“ gedacht werden kann? Ließe sich ein solches wirtschaftsethisches Ergebnis nicht auch problemlos in dem von Ulrich abgelehnten „Gartenzaunmodell“ erreichen, das zwar einerseits auf einer lebensweltlichen Begrenzung des Marktmechanismus auf Grundlage normativer Vorstellungen insistierte, andererseits aber diesen Marktmechanismus selbst in seinen inneren Gesetzmäßigkeiten nicht modifizierte und sich jedem Anspruch auf eine grundlegende „Transformation“ der ökonomischen Logik enthielte? Insbesondere würde ein solches „Gartenzaunmodell“ auch 190
Ulrich (2001a), S. 369.
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auf keinen bloßen „Kompromiß“ zwischen zwei gleichberechtigten „Welten“ hinauslaufen, da die Überordnung lebensweltlicher Legitimierung – qua „Umzäunung“ – von vornherein festgeschrieben ist. Ulrichs Auffassung über die Bedeutung der sozialökonomischen Rationalität ist offenbar nur dann zutreffend, wenn die noch nicht „sozialökonomisch transformierte“ ökonomische Rationalität so verstanden wird, daß sie von sich aus immer schon Ansprüche auf moralische Legitimierungsleistungen erhebt und ihre methodische Kompetenz immer auch auf den Bereich der lebensweltlichen Zwecksetzungen ausdehnt. Erst unter dieser Voraussetzung kann die bloße Einbettung und Eingrenzung der ökonomischen Rationalität in übergeordnete, nicht-ökonomische Gesichtspunkte schon als deren grundlegende Transformation bezeichnet werden. Ulrich weist in seiner „Ökonomismuskritik“ auch nach, daß im Verlauf der Dogmengeschichte der ökonomischen Wissenschaft sich durchgehend Belege für die Tendenz zur Verabsolutierung der ökonomische Rationalität finden lassen.191 Ein eindeutiges Beispiel für diese Tendenz ist die wirtschaftsethische Position von Karl Homann, der sich „das Programm einer Endogenisierung der Moral in positive Ökonomik“ auf die Fahnen schreibt.192 Entscheidend ist nun aber die Frage, ob diese Tendenz auf einem schlichten, wenngleich naheliegenden Selbstmißverständnis mancher Ökonomen beruht, oder aber der ökonomischen Rationalität selbst systematisch innewohnt? Allein die Tatsache, daß Ulrich selbst ordnungspolitisch auf das „natürliche System des wechselseitigen Vorteilstausches“ als legitimes Koordinationsinstrument zurückgreift, legt den Schluß nahe, daß dieses „natürliche System“ nicht systematisch zwingend auch schon moralische bzw. lebensweltliche Legitimierungsansprüche erheben muß. Solche Ansprüche wären vielmehr als eine unstatthafte Ausweitung der ökonomischen Methodenkompetenz zu betrachten.193 Daß ökonomisches Denken nicht zwingend zum Ökonomismus im Sinne Ulrichs194 führen muß, belegt das Beispiel der im wirtschaftsethischen Kontext angesiedelten Dissertation von Detlef Aufderheide.195 Einerseits vertritt Aufderheide ein dezidiert ökonomisches For191 Vgl. dazu das vierte Kapitel „Kritik der utilitaristischen Vernunft“ in: Ulrich (1993), S. 173 ff. 192 Vgl. Homann (2001), S. 220. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser Position wird in Kapitel 3 unternommen. 193 Die Ausweitung des ökonomischen Ansatzes auf andere als wirtschaftliche Lebensbereiche wird als „ökonomischer Imperialismus“ bezeichnet. Vgl. Held (1991), S. 10. 194 Vgl. Kapitel 2.1. 195 Aufderheide beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der Frage, mit Hilfe welcher institutioneller Vorkehrungen Moral und unternehmerischer Gewinn unter den Bedingungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung kompatibel gemacht werden können. Vgl. Aufderheide (1995), S. 25. Entsprechend ordnet er seine Arbeit einer „in-
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schungsprogramm, andererseits erhebt er – im Gegensatz zu Homann – nicht den Anspruch, die letzten Zweck- und Wertorientierungen aus der ökonomischen Rationalität selbst zu gewinnen. Aufderheide unternimmt also nicht den Versuch, Moral in positive Ökonomik aufzulösen, vielmehr baut seine ökonomische Analyse auf vorgängigen ethisch-moralischen Orientierungen auf.196 Wenn es also offenbar möglich ist, ein ökonomisches Forschungsprogramm zu vertreten, das die Notwendigkeit einer vorgängigen ethisch-moralischen Zweckbestimmung anerkennt und sich ausschließlich mit der Frage beschäftigt, wie normative Vorgaben effizient implementiert werden können,197 so scheint die Tendenz zur Verabsolutierung der ökonomischen Rationalität nicht so zwingend zu sein, wie Ulrich es nahelegt. Mithin scheint es auch zweifelhaft zu sein, daß die Transformation der ökonomischen Rationalität tatsächlich ein wirtschaftsethisches Desiderat darstellt. Das entscheidende Argument Ulrichs für die Notwendigkeit seiner Programmatik liegt in dem Verweis auf den normativen Anspruch, den die ökonomische Rationalität immer schon von sich aus erhebe und der diese in einen unvermeidlichen Konflikt zu moralischen Ansprüchen bringe.198 Ulrich versteht es dementsprechend als eine vordringliche Aufgabe von Wirtschaftsethik, die ökonomische Vernunft über ihre eigenen normativen Voraussetzungen aufzuklären.199 Um den schwelenden Konflikt zwischen stitutionenorientierten Moralökonomik“ zu. Er grenzt sich dabei ausdrücklich von weitergehenden, wirtschafts- und unternehmensethischen Ansätzen ab, die sich „mit der Rechtfertigung moralischer Normen aus individuellen Klugheitserwägungen“ beschäftigen. Vgl. Aufderheide (1995), S. 28. 196 Aufderheide weist ausdrücklich darauf hin, daß in seiner Implementationsanalyse moralische Normen und Wertvorstellungen vorausgesetzt werden. Vgl. Aufderheide (1995), S. 28 sowie S. 89. 197 Auch Peter Ulrich konzediert, daß Detlef Aufderheide – in einem Beitrag zur kritischen Diskussion der integrativen Wirtschaftsethik (vgl. Aufderheide (2000)) – „die Notwendigkeit ethischer Kategorien wenigstens punktuell [. . .] eingesteht“. Ulrich hält es für „bemerkens- und anerkennenswert“, daß Aufderheide damit „erstmals vonseiten der moralökonomischen ‚Schule‘ den Reduktionismus einer strikt interessenbasierten Position“ durchbricht. Vgl. Ulrich (2000b), S. 637, Abschnitt (25). 198 So rechtfertigt Ulrich die Notwendigkeit seiner Programmatik gegenüber jeder Form von angewandter Ethik, mit dem Hinweis, „daß die (markt-)wirtschaftliche Sachlogik, die wirkungsmächtige ökonomische Rationalität, implizit oder explizit selbst immer schon einen normativen Geltungsanspruch erhebt, mit dem die ethische Vernunft unweigerlich in Konflikt gerät.“ Ulrich (2001a), S. 95. Vgl. auch die Formulierung des „Kernproblems der Wirtschaftsethik“, das Ulrich in der „Klärung des Verhältnisses zwischen zwei KONKURRIERENDEN [Herv. d. Verf.], beidseits normativen Handlungsorientierungen“ sieht, „die einen JEWEILS UNIVERSALEN [Herv. d. Verf.] Geltungsanspruch als Inbegriff rationalen Handelns erheben“. Vgl. Ulrich (2000a), S. 559, Abschnitt (18). 199 Vgl. Ulrich (2000a), S. 555 f.
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beiden Ansprüchen endgültig zugunsten der moralischen bzw. diskursiven Vernunft entscheiden zu können, glaubt Ulrich aber – über den Anspruch einer reflexiven Aufklärung und kritischen Begrenzung hinausgehend – das wildwuchernde Unkraut der ökonomischen Rationalität sozusagen an seiner Wurzel packen und ins Gewächshaus des diskursiven Verständigungsanbaus verpflanzen zu müssen. Daß die ökonomische Rationalität einen normativen Anspruch erhebt, sobald sie antritt, Aussagen darüber zu machen, wie gegebene Präferenzen und Zwecke effizient zu erreichen sind, ist zweifellos richtig. Allein, es handelt sich bei solchen Aussagen immer nur um hypothetische Imperative!200 Es mag nun richtig sein, daß die ökonomische Wissenschaft, sofern sie sich als axiomatisch-deduktiv versteht, über die Art des Anspruches, den sie erhebt, sowie über Reichweite und Grenzen ihrer Methodenkompetenz nicht ausreichend Rechenschaft zu geben vermag. Dieses Problem drückt jede Disziplin, die als Prinzipienwissenschaft antritt. Insofern mag es im Sinne Ulrichs durchaus ein wirtschaftsethisches Desiderat sein, die ökonomische Wissenschaft über ihre Reichweite und Grenzen aufzuklären. Wie soeben deutlich wurde, geht Ulrich jedoch von einem strikten und philosophisch unvermeidlichen Gegensatz zwischen der dogmengeschichtlich gegebenen ökonomischen Vernunft einerseits und dem Primat der ethischen Vernunft im Sinne der Diskursethik andererseits aus. Ulrich unterstellt also, daß beide Normativitätsansprüche sich auf gleicher – letztlich kategorischer – Augenhöhe gegenüberstehen.201 Er übersieht, daß aus philosophischer Perspektive der von ihm angesprochene Konflikt sich allenfalls als ein Scheinkonflikt darstellt, der sich in seiner Kategorizität auflöst, sobald der normative Anspruch der ökonomischen Rationalität als ein rein hypothetischer durchschaut wird. Um aber einsehen zu können, daß der normative Anspruch ökonomischer Überlegungen immer nur ein hypothetischer sein kann, der sich deshalb nie in strikter Konkurrenz zu moralischen Ansprüchen befindet, bedarf es offenbar einer philosophischen Reflexion über die Konstitutionsprinzipien von praktischer und ökonomischer Vernunft. Eine solche Reflexion wird in dieser Arbeit angestrebt.202 Die philosophische Einsicht in den hypothetischen Charakter des ökonomischen Normativitätsanspruches widerlegt die Annahme Ulrichs, die öko200
Vgl. zu diesem Begriff Kapitel 5.2.2. Im Zusammenhang mit dem von ihm behaupteten „unweigerlichen“ Konflikt zwischen ökonomischer und ethischer Vernunft führt Ulrich aus: „Jedes Konzept von Rationalität hat normative Bedeutung: es besagt ja, wie vernünftigerweise gehandelt werden soll.“ Ulrich (2001a), S. 95. Mit dieser Formulierung ebnet Ulrich den Unterschied zwischen hypothetischen und kategorischen Sollensforderungen ein. 202 Vgl. Kapitel 5 ff. 201
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nomische Rationalität sei mit einem fundamentalen Problem oder Defizit belastet, das darin liege, daß sie sich selbst verabsolutieren müsse und damit unweigerlich in Konkurrenz zur praktischen Vernunft gerate. Wenn die behauptete Selbstüberhöhung der ökonomischen Rationalität, im Sinne der Formulierung eines kategorischen Geltungsanspruches, nicht systematisch zwingend aus ihrem Konstitutionsprinzip folgt, vielmehr auf einem eventuellen gedanklichen Fehler mancher Fachvertreter der ökonomischen Disziplin beruht, dann erweist sich auch die Therapie einer „vernunftethischen Transformation“ der ökonomischen Rationalität als unbegründet. Diese Arbeit teilt also den Anspruch Ulrichs, Möglichkeiten und Grenzen ökonomischer Rationalität philosophisch aufzuklären, verneint aber zugleich die Notwendigkeit einer vernunftethischen Transformation derselben. 2.4.3 Zum Verhältnis von moralischer und rechtlicher Normativität Aus der Sicht dieser Arbeit liegt ein systematisches Kernproblem der integrativen Wirtschaftsethik in der Art und Weise, in der Ulrich das grundsätzliche Verhältnis von moralischer und rechtlicher Sphäre bestimmt. Diese Verhältnisbestimmung hängt unmittelbar mit den diskursethischen Grundsatzüberlegungen Ulrichs zusammen. Insbesondere die schon nachgewiesene zweifache Bedeutung des diskursiven Ideals, das Ulrich zwar ausschließlich als regulative Orientierung verstanden wissen möchte, dennoch aber unter der Hand als unmittelbare Moralforderung auftreten läßt, zeigt hier nochmals ihre weitreichenden Konsequenzen. Ulrich läßt das Recht, im Sinne von positiven Gesetzen, unmittelbar und direkt aus der moralischen Verbindlichkeit hervorgehen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang seine Aussage, „dass die Gültigkeit juristischer Rechte und Gesetze sich letztlich nur von moralischen Rechten her begründen läßt“203. Dementsprechend bleiben für Ulrich „moralische Rechte notwendigerweise der letzte argumentative Grund und der fundamentale normative Massstab für alles positive Recht und seine Weiterentwicklung“204. Den Begriff eines „moralischen Rechtes“ definiert Ulrich dabei als einen „Anspruch“ dessen „Legitimität“ im Hinblick auf die beiden moralischen Grundkategorien der „Verantwortbarkeit“ und „Zumutbarkeit“ geklärt und diskursiv ausgewiesen ist.205 Um den mißverständlichen Begriff des „moralischen Rechtes“ zu umgehen, läßt sich die Kernaussage Ulrichs auch damit zusammenfassen, daß die moralische Verbindlichkeit normativer Gehalte 203
Ulrich (2001a), S. 237. Ulrich (2001a), S. 241. 205 Vgl. dazu: Ulrich (2001a), S. 239 (Begriffserklärung eines „moralischen Rechtes“) sowie S. 235 (Begriffserklärung von „Legitimität“). 204
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ihre Rechtsverbindlichkeit begründet.206 Rechtliche Normen werden also unmittelbar dem normativen Ideal unterstellt, das die diskursethische Interpretation des Moralprinzips formuliert. Mit dieser schlichten Reduktion der Rechtsverbindlichkeit auf moralische Verbindlichkeit ignoriert Ulrich das für die Moralphilosophie drückende und letztlich wohl antinomische Problem des systematischen Verhältnisses zwischen rechtlicher und moralischer Sphäre. Auf dieses Problem kann hier nur andeutungsweise eingegangen werden – eben soweit es für eine kritische Auseinandersetzung mit Ulrich notwendig erscheint.207 Wie schwierig eine philosophisch befriedigende Verhältnisbestimmung sein mag, zeigt sich bereits mit der Frage, wie sich der „gute Wille zur autonomen moralischen Selbstverpflichtung“ als zentraler Bestandteil von Moralität208 mit der zwangsbewehrten Sanktionierung und Durchsetzung verträgt, die auch Ulrich mit dem Begriff des Rechtes verbindet?209 Es liegt wohl auf der 206 Vgl. dazu auch folgende Passage: „In einer wohlgeordneten Gesellschaft gelten Normen der Gerechtigkeit für und gegenüber jedermann, und sie sind sowohl moralisch als auch rechtlich verbindlich. IHRE ALLGEMEINE MORALISCHE VERBINDLICHKEIT BEGRÜNDET DIE RECHTSVERBINDLICHKEIT [Herv. d. Verf.], und diese stützt jene.“ Ulrich (2001a), S. 236. Die zuletzt erwähnte stützende Funktion des Rechtes für die Moral ist im Zusammenhang mit der hier kritisierten systematischen Begründung der Rechtsverbindlichkeit durch moralische Verbindlichkeit nicht relevant. Dennoch muß erwähnt werden, daß Ulrich auf diese Stützungsfunktion nachdrücklich aufmerksam macht. Er sieht in „institutionellen Rückenstützen“ eine institutionenethische Zumutbarkeitsbedingung für individualethische Tugendforderungen. Vgl. ebd., S. 319 f., sowie S. 286. In diesem Zusammenhang äußert Ulrich vage, daß sich „Wirtschaftsethik nicht rein individualethisch konzipieren“ läßt, um gleich darauf zu betonen, daß sich ebensowenig „individualethische Tugendzumutungen an die Wirtschaftssubjekte restlos durch institutionelle Regelungen substituieren“ lassen. Im Ergebnis nimmt Ulrich eine „dialektische Wechselbeziehung“ zwischen Individual- und Institutionenethik an. Vgl. ebd., S. 285 f. Die Behauptung einer solchen „dialektischen Wechselbeziehung“ darf nicht übersehen lassen, daß Ulrich die Rechtsverbindlichkeit einseitig auf moralische Verbindlichkeit zurückführt. Zudem muß bezweifelt werden, daß die von Ulrich formulierten diskursethischen Grundlagen eine wirklich dialektische Wechselbeziehung zwischen Individual- und Institutionenethik systematisch zulassen. Aufgrund der schon dargestellten Omnipräsenz diskursiver Rechtfertigungspflichten der Wirtschaftssubjekte sowie der Reduktion von Rechtverbindlichkeit auf moralische Verbindlichkeit scheint Ulrichs Konzeption vielmehr auf eine systematische Dominanz der Individualethik über die Institutionenethik hinauszulaufen. 207 Diese Arbeit unternimmt in Kapitel 7 den Versuch, das Recht als eigenständige normative Sphäre philosophisch zu begründen. 208 Vgl. Ulrich (2001a), S. 25. 209 „Die so [moralisch] begründeten Rechtsnormen bedürfen wiederum aus Gründen der Gerechtigkeit der allgemeinen Durchsetzung ohne Ansehen der Person [. . .]. Aus diesem Grund werden die grundlegenden moralischen Rechte der Menschen bzw. der Bürger in modernen Staaten und zunehmend auch auf internationaler Ebene rechtsstaatlich bzw. völkerrechtlich kodifiziert und sanktionsbewehrt.“ Ulrich (2001a), S. 236 f. Mit dem Aspekt der Gerechtigkeit vermag Ulrich hier allenfalls
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Hand, daß auf der diskursethischen Grundlage des zwanglosen Zwanges des besseren Argumentes als normativer Orientierungsidee der Übergang zu einer Durchsetzung von normativen Gehalten mittels physischer Zwangsmittel ein erhebliches gedankliches Problem darstellt: Dort, wo das einzelne Subjekt betrachtet wird als durch (rechts-) staatliche Sanktionsmittel zwingbar, da wird ihm seine autonome Selbstverpflichtung gerade nicht zur (moralischen) Aufgabe gemacht. Auf Ulrichs eigenen diskursethischen Grundlagen kann ein moralisches Interpersonalverhältnis nur bestehen, sofern dem jeweils anderen die – durch einen gedanklichen und/oder diskursiven Rollentausch zu erlangende – autonome Einsicht in seine moralischen Verpflichtungen prinzipiell zugemutet wird. Ein rechtliches Interpersonalverhältnis ist demgegenüber dadurch ausgezeichnet, das allein die faktische Einhaltung von Verbindlichkeiten als relevant betrachtet wird, unabhängig von der Frage, ob diese Einhaltung auch von einer selbstverpflichtenden Einsicht getragen wird.210 Das Recht ist blind gegenüber der inneren Gesinnung und muß es aufgrund seiner Orientierung an der Faktizität von Handlungen auch sein.211 Wenn also eine normative Verbindlichkeit unter moralischen Vorzeichen etabliert wird, so scheint ihre Überführung in eine mit Sanktionen bewehrte Rechtsverbindlichkeit alles andere als unproblematisch zu sein. Es ist zu beachten, daß Ulrich den mit den Begriffen „Durchsetzung“ und „Sanktionierung“ implizierten Zwangscharakter des Rechtes nirgends explizit macht und damit den hier angedeuteten Gegensatz zwischen Rechtlichkeit und Moralität nicht einmal ansatzweise thematisiert. Daß Ulrich die für das Recht konstitutiven Elemente der Durchsetzung, Kodifizierung und Sanktionierung zwar beiläufig erwähnt,212 sich aber für ihren systematischen Grund und Zusammenhang nicht zu interessieren scheint, hängt mit seiner Berufung auf den „regulativen“ Charakter des diskursethischen Fundamentes seiner Konzeption zusammen: „Sowohl die inhaltliche Bestimmung als auch die juridische Überlagerung von moralischen Rechten in Form von positivem (Staats- oder Völker-)Recht ist als die Notwendigkeit der allgemeinen Durchsetzung zu begründen. Die Frage aber, wie das Recht – im Gegensatz zur Ethik – überhaupt dazu kommen mag, den unbedingten Anspruch auf seine Durchsetzung zu erheben, wird von Ulrich nicht thematisiert. 210 Entsprechend unterscheidet Kant zwischen einer Handlung aus Pflicht und einer Handlung gemäß der Pflicht. Allein der erste Fall ist moralischer Art, während im zweiten Falle der bloß äußeren Übereinstimmung zwischen Handlung und Pflicht allein die (rechtliche) Legalität erfüllt wird. Vgl. Kant (1788), S. 81 f. 211 Das Recht interessiert sich für die innere Gesinnung nie an sich, sondern allenfalls unter der Bedingung, daß eine faktische Handlung dem Recht tatsächlich zuwiderläuft oder unmittelbar zuwiderlaufen droht. Die faktische Handlungsebene ist der primäre Bezugspunkt des Rechtes. Zur Rechtswidrigkeit von Gesinnungsmerkmalen insbesondere im Strafrecht vgl. Kühl (2001), S. 38 ff. 212 Vgl. Ulrich (2001a), S. 236 f.
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Problem der ethisch-politischen Verständigung unter dem Horizont der regulativen Idee des praktischen Diskurses zu begreifen [. . .].“213
Der Gedanke der regulativen Funktion des idealen Diskurses scheint bei Ulrich derart weitgefaßt zu sein, daß ihm auch noch die für das Recht konstitutiven Zwangsmechanismen und seine prinzipielle Gesinnungsblindheit subsumiert werden, obwohl beide Merkmale der Idee einer autonomen moralischen Selbstverpflichtung diametral widersprechen. Damit geht das Spezifische sowohl der moralischen wie der rechtlichen Verbindlichkeit in einem undifferenzierten Konzept von „regulativer“ Diskursivität verloren.214 Die diskursethische Auflösung des Rechtes zeigt sich bei Ulrich auch in seinem Konzept der „öffentlichen Konstitution des Privaten“: Jeden Anspruch auf eine „rechenschaftsfreie Ausgrenzung bestimmter privater Interessen aus der öffentlichen Deliberation“ geißelt Ulrich als „willkürlichen Privatismus“.215 Damit wird aber fraglich, worin das Private eines „privaten“ individuellen Interesses überhaupt noch liegen soll. Wenn die öffentliche Konstitution des Privaten nicht lediglich abstrakt in Form eines vernunftrechtlichen Gesellschaftsvertrages gedacht wird, sondern derart auf die einzelnen individuellen Interessensregungen bezogen wird, daß diese zumindest idealiter jeweils öffentlich zu rechtfertigen sind, dann werden „Freiräume privater Interessenverfolgung“ konzeptionell verunmöglicht.216 Denn die Bezeichnung „privat“ hat nur dann einen Sinn, wenn sie das Rechtssubjekt von der Zumutung befreit, trotz Beachtung geltenden Rechtes möglicherweise genötigt zu sein, gegenüber der (diskursethisch unbegrenzten) Öffentlichkeit die Frage „Darf ich . . .?“ zu stellen. Wenn „apriorische Beschränkungen des Themenbereichs öffentlicher Debatten“ von Ulrich also ausgeschlossen werden,217 dann steht prinzipiell jeder Freiraum privater Interessenverfolgung unter dem Damoklesschwert einer möglichen legitimatorischen Vergesellschaftung. 213
Ulrich (2001a), S. 242. Die undifferenzierte Betrachtung von Ethik und Recht zeigt sich auch in einer Publikation Ulrichs, in der er die „Marktwirtschaft als Rechtszusammenhang“ bestimmt. Vgl. Ulrich (2001b), S. 23 ff. Dort spricht er von einem „ethisch[!] gehaltvolle[n] Rechtszusammenhang“ (vgl. ebd., S. 24) und von „moralischen Rechten“, welche er unmittelbar im Zusammenhang mit der „ethische[n] Vernunftidee der unbedingten wechselseitigen Anerkennung der Menschen als Personen“ thematisiert (vgl. ebd., S. 28). 215 Vgl. dazu und im folgenden: Ulrich (2001a), S. 315. 216 Dabei muß erwähnt werden, daß Ulrich solche Freiräume explizit gewährleisten möchte. Vgl. Ulrich (2001a), S. 315. Auch wenn Ulrich seiner Intention nach den Begriff des Privaten nicht eliminieren möchte, so dürfen die dieser Intention zuwiderlaufenden systematischen Implikationen seiner Konzeption nicht übersehen werden. 217 Vgl. Ulrich (2001a), S. 315. 214
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Eine solche diskursethische Auflösung des Privaten erscheint unvermeidbar, solange das diskursive Ideal unter dem Schleier des Regulativen doch noch als unmittelbare Moralforderung sich bemerkbar macht: Ulrich mutet, wie in Kapitel 2.3.2.2.2 dargelegt wurde, dem „verantwortungsbewußten Wirtschaftsbürger“ zu, daß er „von vornherein alle seine Handlungsabsichten jeweils dahingehend prüft, ob die praktischen Folgen allen Betroffenen gegenüber verantwortbar, also mit guten Gründen vor ihnen vertretbar sind, und zwar unabhängig davon, ob diese ihre Ansprüche ‚anmelden‘ oder nicht.“218 Wenn die Wirtschaftssubjekte alle privaten Handlungsabsichten in dieser Form prüfen müssen und sich legitimatorisch nicht auf die bloße Befolgung von rechtsstaatlich qualifizierten Gesetzen verlassen können, dann besitzen sie keine Privatsphäre mehr. Weil Ulrich das veranschlagte diskursive Ideal – entgegen seiner Intention – nicht auf einen rein regulativen und insofern intelligiblen Status zu beschränken vermag, vielmehr als moralische Forderung unmittelbar auf Handlungsweisen bezieht, droht die intersubjektive Struktur des diskursiven Ideals jede private Subjektivität zu ersticken. Gegenüber einer solchen Konzeption ist zum einen der auch von Ulrich anerkannte, jedoch systematisch nicht durchschaute Primat des guten Willens als spezifisches Prinzip der Ethik zu entfalten. Dieser Primat beschränkt moralische Ansprüche auf die intelligible Sphäre von Willensbestimmungen und vermag damit philosophisch das zu leisten, was Ulrich mit seiner Betonung der regulativen Funktion des diskursiven Ideals intendiert: Ein Moralprinzip zu formulieren, das einerseits gegenüber der je einmaligen Faktizität geschichtlicher Gegebenheit uneingeschränkt beziehbar ist, andererseits in seiner idealen Orientierungsfunktion prinzipiell unerschöpflich bleibt. Zum anderen ist gegenüber der undifferenzierten Diskursivität, die Ulrich als normativen Bezugspunkt sowohl für moralische als auch rechtliche Verbindlichkeit verwendet, der spezifisch faktische Charakter des Rechtes deutlich zu machen. In diesem faktischen Charakter liegen sowohl der Handlungsbezug, die Gesinnungsblindheit als auch die Zwangsbewährung beschlossen, die das Recht gegenüber der Moralität grundlegend differenzieren. In diesem Zusammenhang muß die prinzipielle Freistellung von Rechtfertigungsansprüchen angeführt werden, die das Recht – im Gegensatz zur Ethik – demjenigen gewährt, der das ausschließlich handlungsbezogene, positive Recht nicht verletzt. Auf dieser Freistellung basiert das Rechtsinstitut des Privateigentums, mit dem eine tatsächliche Sphäre des Privaten überhaupt erst möglich wird.219 Aus der Art, in der das Recht die Privat218
Vgl. Ulrich (2001a), S. 321. Ulrich problematisiert „das Verhältnis von Eigentumsrechten zu ihnen entgegenstehenden Wirtschaftsbürgerrechten“, womit er vor allem „Kommunikationsrech219
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sphäre als Handlungssphäre systematisch konstituiert, werden sich auch die entscheidenden normativen Bezugspunkte für eine Wirtschaftsethik gewinnen lassen. Insbesondere vermag die rechtliche Konstitution des Privaten dem Interpersonalprinzip des ökonomischen Tausches eine legitime Eigenständigkeit zu garantieren, die Ulrich mit der sozialökonomischen Rationalität konzeptionell unterläuft. Die hier vorgetragene Kritik an Ulrichs Konzeption erreicht mit diesem Punkt ihren Kern: Die von Ulrich formulierten diskursethischen Grundlagen erlauben es nicht, das ökonomische Tauschprinzip als legitimes Interpersonalprinzip gedanklich zu erfassen,220 weil sie die systematische Bedeutung des Rechtes als Konstitutionsprinzip des Privaten ausblenden. Die normative Begrenzung der ökonomischen Eigenlogik schießt in der integrativen Wirtschaftsethik über ihr Ziel hinaus, da diese allein dem technischen Aspekt der effizienten Produktion eine wirtschaftsethisch „untransformierte“ Eigenständigkeit zumißt, nicht jedoch dem interpersonellen Aspekt des Tausches zwischen eigeninteressierten Rechtssubjekten.
te“ meint. Daß Eigentum die Notwendigkeit einer Kommunikation mit Dritten unterbindet, insofern exklusive Verfügungsrechte jede diskursive Legitimationspflicht konterkarieren, begreift er vor allem als ordnungspolitisches Problem, dem er mit einer „kommunikativen Rationalisierung der Wirtschaftsordnung“ begegnen möchte. Vgl. Ulrich (2001a), S. 370 ff. Unthematisch bleibt dabei, daß die Befreiung von Rechtfertigungspflichten als grundlegende positive Leistung des Rechtes zu begreifen ist, die die Sphäre des Privaten systematisch überhaupt erst konstituiert. 220 Diese Aussage bezieht sich ausschließlich auf die systematischen Zusammenhänge in Ulrichs Konzeption, nicht auf seine Äußerungen. Wie wir gesehen haben, versucht Ulrich in seinen ordnungspolitischen Überlegungen auf den Boden des wechselseitigen Vorteilstausches zu gelangen, obwohl diese Intention von den systematischen Grundlagen seiner Konzeption nicht gedeckt ist.
3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann „Es handelt sich bei meiner Wirtschaftsethik in der Tat um nichts Geringeres als um das Programm einer Endogenisierung der Moral in positive Ökonomik.“ Karl Homann221
Im folgenden Kapitel soll eine gegenwärtig prominente wirtschaftsethische Konzeption im Ganzen kritisch untersucht werden. Dabei tritt das Problem auf, daß wissenschaftlich umfassende Positionen, gerade auch wenn sie zum Programm eines wissenschaftlichen Lebens werden, sich unter Umständen nicht als ein homogener Block darstellen, sondern zeitlich differenziert betrachtet werden müssen. Dieses Problem der Eingrenzung und Verortung eines wissenschaftlichen Standpunktes verschärft sich, wenn dieser von einem lebenden und wissenschaftlich aktiven Zeitgenossen vertreten, weiterentwickelt, modifiziert wird. Die folgende Untersuchung fußt auf der vereinfachenden Voraussetzung, daß alle Publikationen Homanns zum Thema der Wirtschaftsethik auf einem einheitlichen systematischen Kern beruhen. Und dieser Kern soll hier Gegenstand einer kritischen Diskussion sein. Es geht hier also nicht darum, die Entstehung und Entwicklung der wirtschaftsethischen Position von Homann in hermeneutischem Interesse nachzuzeichnen und dann, erst im Anschluß einer solchen historisch rekonstruierenden Genese, auch den systematischen Gehalt der fraglichen Position zu erweisen. Es soll hier vereinfachend nur darum gehen, die Aussagen Homanns als vorausgesetzte, systematische Einheit von ihren tragenden Gedanken her zu verstehen und zu kritisieren. Dieses Vorgehen kann, abgesehen von dem rein systematischen Erkenntnisinteresse dieser Arbeit, damit gerechtfertigt werden, daß Homann in seinen Publikationen nicht zu erkennen gibt, er würde sich von seinen jeweils früheren Ausführungen kritisch distanzieren wollen. Vielmehr finden sich in vielen, auch zeitlich weit voneinander entfernten Publikationen Homanns die gleichen grundlegenden Gedanken in sogar identischen Formulierungen.222 221
Homann (2001), S. 220. In den folgenden Ausführungen werden Beispiele solcher gedanklichen Wiederholungen in Fußnotenverweisen kenntlich gemacht. 222
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3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann
Da Homann seine wirtschaftsethische Position bislang nicht als alleiniger Autor in geschlossener monographischer Form vorgelegt hat, so wie dies Peter Ulrich getan hat, so muß hier dennoch erst das Fundament für eine kritische Diskussion gelegt werden. Im folgenden Kapitel 3.1 sollen also die – nach Auffassung des Autors – grundlegenden Aussagen von Karl Homann zum Bereich der Wirtschaftsethik vor allem dargestellt werden.223 Dieses Kapitel kann zum einen als umfassende Einführung in die Position von Karl Homann gelesen werden, zum anderen soll es der Überprüfbarkeit des vom Verfasser vorausgesetzten Homann-Verständnisses dienen. In Kapitel 3.2 werden, aufbauend auf dieser Darstellung, einzelne, zentrale Aussagen Homanns einer eingehenden Kritik unterzogen.
3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann 3.1.1 Der Ausgangspunkt: Das Problem von „moralischem“ Verhalten im ökonomischen Wettbewerb Das unmittelbare Anliegen der wirtschaftsethischen Position Karl Homanns besteht darin, das Funktionssystem der Wirtschaft vor moralisierenden Appellen in Schutz zu nehmen.224 Dieser Grundimpetus speist sich nicht aus einer prinzipiellen Ablehnung aller Moral und Ethik. Vielmehr sollen das System „Wirtschaft“ und seine Funktionslogik gerade ethisch-moralisch gerechtfertigt werden. Homann möchte Ethik und Ökonomik miteinander verbinden, und zwar so, daß die Funktionslogik der Ökonomie sowohl als auch der normative Anspruch der Ethik prinzipiell erhalten bleiben. Die ökonomische Rationalität soll also gerade nicht „durchbrochen“ oder „ergänzt“ werden. Die Forderung nach einer solchen „Durchbrechung“ fußt nach Homann auf einem dualistischen Verständnis von Ethik und Ökonomik, d.h. auf der Vorstellung, Ethik und Ökonomik würden jeweils eigenständige Forderungen an das menschliche Handeln stellen, die nicht aufeinander zurückführbar wären. Da der Ethik naturgemäß der Vorrang vor anderen Ansprüchen an menschliches Handeln gewährt wird, ist die Folge dieser dualistischen Annahme entweder die ethisch-moralische Diskreditierung wirtschaftlichen Handelns per se, oder aber die methodisch unsaubere, weil inkonsequente Forderung nach einer Durchbrechung der ökonomischen Logik in bestimmten Fällen. Beide Alternativen werden nach Homann den Vorzügen der modernen Gesellschaft nicht gerecht, da diese ihre Erfolge 223
Aus diesem Umstand erklärt sich, daß die kritische Beleuchtung der Wirtschaftsethik von Karl Homann formal nicht nach dem gleichen Gliederungsschema erfolgen kann, das bei der Auseinandersetzung mit Peter Ulrich angebracht war. 224 Vgl. dazu und im folgenden: Homann (1998), S. 17 ff.
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gerade aus der konsequenten Herausbildung von Teilrationalitäten mit partikularem Anspruch – hier: der ökonomischen Logik – bezieht. Homann geht davon aus, daß die gesellschaftlichen, politischen, sozialen und ökologischen Probleme, denen wir uns gegenübersehen, nicht gelöst werden können, wenn wir von vornherein Ethik und Ökonomik auseinanderdividieren. Dieser Dualismus als implizite Voraussetzung der traditionellen Ansätze zur Wirtschaftsethik sei eine Annahme, die unter den „systemische[n] Sozial- und Denkstrukturen“225 der Moderne nicht mehr gerechtfertigt sei, sondern auf gesellschaftlich-politischer Ebene gerade zur Blockierung der Weiterentwicklung dieser Strukturen führe. Homann hält die praktisch-politischen, lebensweltlichen Folgen dieses in der Theorie unterstellten Dualismus’ für gefährlich und möchte diesen bereits im Ansatz vermeiden. Die Grundfrage seines Ansatzes formuliert Homann folgendermaßen: „Wie ist die Theorie, wie sind Erkenntnis, Vernunft zu organisieren, damit die hohe Teilrationalität der gesellschaftlichen Funktionssysteme und der zugehörigen positiven Wissenschaften erhalten bleibt und zugleich die systematische Kritik- und Entwicklungsfähigkeit dieser systemischen Strukturen gewährleistet bleiben?“226
Homann hat also den Anspruch, einen Ansatz zu formulieren, der einerseits die Modernität, d.h. Ausdifferenzierung unserer Gesellschaften ernst nimmt, andererseits aber keiner bloßen Anpassung an Faktisches verfällt. Homann möchte seine wirtschaftsethischen Überlegungen ausdrücklich anschlußfähig gestalten an die in unseren westlich geprägten Gesellschaften heute vorgefundenen Bedingungen menschlichen Handelns. Eine solche Anschlußfähigkeit ist für ihn sozusagen das Qualitätsmerkmal einer Wirtschaftsethik, die den Anspruch erhebt, den heute handelnden Menschen Orientierungshilfe geben zu können. Grundlage einer moralischen Orientierung müsse also eine positive Theorie der modernen Gesellschaft sein. Das wesentliche Merkmal der modernen Gesellschaften ist nach Homann die gezielte Nutzung von Dilemmastrukturen zur Steigerung der gesellschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit der allgemeinen Wohlfahrt. Eine Dilemmastruktur liegt vor, wenn in einer Interaktionssituation ein Akteur durch sein Verhalten allen anderen Akteuren indirekt ein bestimmtes Verhalten aufoktroyieren kann. Der wirtschaftliche Wettbewerb, der alle Anbieter unter Innovationsdruck setzt, ist eine solche Dilemmastruktur. Jeder Anbieter schwebt ständig in der Gefahr, daß einer seiner Konkurrenten ein Produkt auf den Markt bringen könnte, das in den Augen der Kunden besser als sein eigenes ist und deshalb seine eigene wirtschaftliche Existenz 225 226
Homann (1998), S. 17. Homann (1998), S. 19.
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3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann
gefährdet. Folglich muß er, um seine Existenz zu sichern, unablässig sein eigenes Angebot zu verbessern suchen. Die beständig bestehende Drohung einer potentiellen Innovation durch einen beliebigen Konkurrenten veranlaßt alle Anbieter, in ihrem eigenen Interesse nach Innovationen zu suchen. In der Ökonomie kommt dieses Verhalten – allgemeiner formuliert – durch das beständige Gewinnstreben der Akteure zum Ausdruck. Im Ergebnis führt die Dilemmastruktur, obwohl sie für den einzelnen Anbieter unangenehm ist, zu einem für die Allgemeinheit (der Kunden) vorteilhaften, unablässigen Streben nach Verbesserungen. Diese Funktionslogik von Dilemmastrukturen steht und fällt nach Homann mit dem Prinzip der individuellen Vorteilskalkulation bzw. Nutzenmaximierung.227 Die Logik einer solchen Struktur trägt nämlich nur dann, wenn die Akteure zumindest den eigenen, potentiellen wirtschaftlichen Ruin tatsächlich verhindern wollen. Für das Funktionssystem der Wirtschaft heißt das laut Homann: Es kann – und dies ist wohl auch die allgemeine Auffassung der ökonomischen Theorie – seine Aufgabe der effizienten Güterallokation nur dann erfüllen, wenn es als bestimmende Triebfeder der Wirtschaftssubjekte deren Egoismus explizit zuläßt und über den Wettbewerbsmechanismus – allgemeiner: Dilemmastrukturen – systematisch forciert.228 Sobald Wettbewerb faktisch etabliert ist, haben die wirtschaftlichen Akteure gar keine andere Wahl, als sich den ökonomischen Imperativen zu beugen. Sie werden durch die Logik der Dilemmastruktur gezwungen, sich selbst den Strukturimperativen anzupassen, also ihr unmittelbares Eigeninteresse zu verfolgen. Richteten sie sich nicht nach diesen Imperativen, vernichteten sie über kurz oder lang die materielle Grundlage ihrer Existenz. Homann wendet sich entschieden gegen das Argument, die ökonomischen Zwänge seien in der Realität nicht vollständig, umfassend und würden den Akteuren deshalb Spielraum für nicht-ökonomische Handlungen geben.229 Auch Homann gesteht zwar zu, daß diese Hinweise „[. . .] als phänomenologische Beschreibung der ‚Realität‘ eine hohe Plausibilität haben.“230 Aber er fügt unmittelbar hinzu: „Dennoch sind sie theoretisch falsch.“231 In einer dynamischen Betrachtung können die Akteure, gerade weil sie unter Wettbewerbsdruck stehen, sich nicht erlauben, Ressourcen für nicht-ökonomische Handlungen zu vergeuden: „Allein die Möglichkeit, daß moralisch motivierte Vor- und Mehrleistungen von Wettbewerbern ausgebeutet werden könnten, zwingt zu präventiver Unterlassung 227 228 229 230 231
Vgl. Homann (1998), S. 25. Vgl. Homann (1998), S. 25 sowie S. 36. Vgl. Homann (1995), S. 13 ff. Homann (1995), S. 13. Homann (1995), S. 13.
3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann
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solcher Leistungen. Es könnten – wenn nicht heute, dann vielleicht morgen oder übermorgen – genau diese für Moral eingesetzten Ressourcen in einer späteren Krise zur Rettung des Unternehmens fehlen.“232
Mit dieser Analyse schließt Homann keineswegs unternehmerische Handlungen aus, die auf den ersten Blick auch für „moralisch“ gehalten werden könnten, wie Investition in die Mitarbeiterausbildung, in ein gutes Betriebsklima oder in den Umweltschutz. Er macht nur darauf aufmerksam, daß solche Handlungen, wenn sie unter der Bedingung des Wettbewerbs vorkommen, aus einer systematisch-wissenschaftlichen Perspektive heraus nicht so verstanden werden dürfen, als ob ihnen moralische Motive zugrunde lägen, sondern dahingehend zu interpretieren sind, daß sie ausschließlich deshalb durchgeführt werden, weil sich der Akteur durch sie einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verspricht. Auch vordergründig „moralisches“ Verhalten muß also unter der Voraussetzung von Wettbewerb als eigeninteressiert betrachtet werden: „Verhalten, das prima facie als ‚moralisch‘ erscheint, steht weiterhin und unaufhebbar unter Bedingungen des Wettbewerbs und muß als Instrument im Wettbewerb eingestuft werden [unter theoretischen Gesichtspunkten].“233
An dieser Stelle soll vorweggenommen werden, daß die hier vorgebrachte Kritik Homanns nicht an dieser neo-klassischen Argumentation ansetzt. Homann ist in diesem Punkt nach der hier vertretenen Auffassung insofern zuzustimmen, als daß innerhalb der Wirtschaft im weitesten Sinne moralische Motive oder Intentionen prinzipiell denkunmöglich sind, d.h., daß sie unter Voraussetzung einer ökonomischen Perspektive nicht festgestellt werden können. Im Anschluß einer solchen, rein positiven Analyse der bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen, versucht Homann nun, normative Ansprüche in seine Konzeption aufzunehmen. Das Projekt einer solchen Anreicherung mit Normativität muß jedoch, seiner Ansicht nach, so strukturiert sein, daß die zuvor festgestellten Handlungsbedingungen nicht nachträglich normativ zerstört werden. Normativität soll nicht losgelöst von der empirischen Realität bloß gefordert werden, sondern unter Berücksichtigung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in der Realität zur Geltung gebracht werden können.234 In dieser Forderung besteht Homanns ganzes Programm, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen möchte er in pragmatischpraktischer Absicht dazu beitragen, daß moralische Intentionen und Ideale auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen weiter gelebt und vollzogen werden können; zum anderen speist sich aus dieser Primärmotivation für 232 233 234
Homann (1995), S. 14. Homann (1995), S. 17. Homann (1998), S. 19.
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ihn die Verpflichtung, auch auf theoretisch-wissenschaftlicher Ebene eine Konzeption zu erstellen, die unter Voraussetzung bestimmter positiver Handlungsstrukturen normative Elemente in sich aufnehmen kann, ohne die zuvor behaupteten Voraussetzungen zu verletzen: „Damit geht es um die Frage, wie Normativität so ins Spiel kommen kann, daß sie mit den systemischen Sozial- und Denkstrukturen kompatibel bleibt.“235
Konkret zeigt sich diese Einstellung Homanns z. B. in seiner Zurückweisung aller moralisierenden Appelle, die sich unmittelbar an die wirtschaftlichen Akteure richten und von ihnen eine Einschränkung ihres Gewinnstrebens fordern, so wie sie von Zeit zu Zeit von Kirchen, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Institutionen vorgebracht werden. Eine solche Forderung sei vollkommen unangebracht, da sie die innere Logik der Wirtschaft, ihre „systemischen Sozialstrukturen“ nicht beachte, und die Akteure damit vor unlösbare Probleme stelle.236 3.1.2 Die Tiefendimension: Ethik mit ökonomischer Methode Die „systemischen Sozialstrukturen“ der Ökonomie werden nach Homann in der Ökonomik, als der wissenschaftlichen Reflexion der Ökonomie, durch „systemische Denkstrukturen“ abgebildet. Der inneren Logik der Ökonomie entspricht die Annahme des „methodischen Individualismus“ bzw. der „subjektiven Wertlehre“ in der Ökonomik. Diese Begriffe sind für das Verständnis der Homannschen Position von entscheidender Bedeutung. Sie stehen in engem Zusammenhang mit der allgemein geläufigen Annahme der Nutzenmaximierung: Alle phänomenologisch auftretenden Handlungen werden in der theoretischen Perspektive der Ökonomik so rekonstruiert und erklärt, daß die Individuen sie allein deshalb wählen, weil sie in ihren Wahlhandlungen ihren persönlichen Vorteil suchen. Wird diese Aussage ins Normative gewendet, so ergibt sich, daß alle Handlungen allein dadurch normativ legitimiert sind, daß ein Individuum aufgrund seines individuellen Nutzenkalküls diese Handlung gewählt hat. „In der positiven Version des methodologischen Individualismus gilt Handeln erst dann als erklärt, wenn es auf das Handeln von Individuen zurückgeführt ist, und in der normativen Version gilt Handeln erst dann als legitimiert, wenn es auf die Zustimmung der Individuen rechnen kann.“237
Worin die Nutzenkalkulation nun konkret besteht, worin die Motive des Individuums bei seiner Wahl liegen, ist demnach für den theoretischen Aufbau der Konzeption irrelevant: 235 236 237
Homann (1998), S. 35. Vgl. Homann (1998), S. 17 f. sowie S. 23. Homann (1988), S. 62.
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„Ausgangspunkt für die Formulierung und Etablierung normativer Vorstellungen sind die Präferenzen bzw. Interessen der Individuen, wie immer sie auch entstanden oder beeinflußt sein mögen.“238
Das Individuum selbst ist der letzte positive wie normative Bezugspunkt der Ökonomik. Die „subjektive Wertlehre der modernen Ökonomik“ drückt diesen Gedanken nach Homann so aus: „Über Interessen und Nutzen bzw. Bedürfnisse und Knappheiten befindet jeder einzelne selbst, weil diese Begriffe nur in bezug auf den einzelnen sinnvoll sind. [. . .]. Man darf nie vergessen, daß der theoretische Ansatz der modernen Ökonomik auf das einzelne Subjekt zentriert ist und die Welt aus dieser Perspektive der vielen einzelnen sieht [. . .].“239
Nach Homanns Einschätzung ist die moderne philosophische Ethik nur begrenzt in der Lage, die Komplexität der modernen Sozialstrukturen angemessen zu verarbeiten. Sie beschäftige sich vor allem mit Fragen der Vernunftbegründung nicht jedoch der anreizkompatiblen Implementierung von Normen.240 Aus dieser Diagnose zieht er den Schluß, daß die philosophische Disziplin der Ethik prinzipiell und grundlegend umzuformulieren sei. Die Zielrichtung dieser Umformulierung wird dabei von der wissenschaftlichen Disziplin der Ökonomik vorgegeben, die sich darauf spezialisiert habe, die „systemischen Sozialstrukturen“ abzubilden in entsprechenden „systemischen Denkstrukturen“. Damit der Anspruch der Ethik auf Normativität, auf Kritikfähigkeit des faktisch Bestehenden unter den Bedingungen der Moderne erhalten bleibt, muß laut Homann die Ethik in ökonomische Kategorien übersetzt werden. Konkret sollen die traditionellen Inhalte der Ethik in die Kategorie des Eigeninteresses überführt und aus diesem abgeleitet werden. Mit dieser Aussage gelangen wir auf den implikationsreichen theoretischen Ideengrund der Homannschen Konzeption: „In der Tat erhebt meine Wirtschaftsethik den Anspruch, konsequent in Kategorien der positiven Ökonomik entwickelt zu sein. [. . .]. Moralische Regeln bis hin zum kategorischen Imperativ[!] lassen sich danach aus ökonomischen Vorteils-/ Nachteils-Kalkulationen herleiten. Dies gilt für Menschenrechte ebenso wie für Demokratie, ‚soziale Gerechtigkeit‘ und die Integration der Entwicklungsländer in 238
Homann (1995), S. 4. Homann (1988), S. 164. 240 Zu den nach Homann bestehenden Defiziten der modernen philosophischen Ethik sowie der aus dieser folgenden „angewandten Ethik“ vgl. Homann (1996), S. 178 ff. In einem Aufsatz neueren Datums (Homann (2001)) macht er deutlich, daß sich seine Kritik an der Überbetonung der Begründungsfrage bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Implementationsfrage gegen die moderne Vernunftethik, insbesondere von Jürgen Habermas richtet. Hingegen sieht er sein eigenes Anliegen in Einklang mit der „abendländischen Ethik“, die „sich immer zugleich mit der Begründung und mit der Implementierung moralischer Normen und Ideale befaßt“ habe. Vgl. Homann (2001), S. 210 f. 239
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die Weltgesellschaft. [. . .]. Es handelt sich bei meiner Wirtschaftsethik in der Tat um nichts Geringeres als um das Programm einer Endogenisierung der Moral in positive Ökonomik.“241
An dieser Stelle wird der umfassende und grundstürzende Anspruch Homanns deutlich. Mit seinem Projekt einer ökonomischen Neuformulierung der Fundamente der Ethik – er selbst verwendet die Stichworte „kategorischer Imperativ“, „Menschenrechte“, „soziale Gerechtigkeit“ – geht er weit über den Horizont des Problems moralischen Verhaltens unter Wettbewerbsbedingungen hinaus:242 Es ist die ökonomische Überformung der gesamten traditionellen Vernunftethik, die Homann mit seiner „Wirtschaftsethik“ im Visier hat. Dieser weitreichende Anspruch Homanns ist bei einer umfassenden Beurteilung seiner Konzeption auf keinen Fall zu vernachlässigen. Sein sozusagen „harmloses“, für die wirtschaftsethische Diskussion gleichwohl wichtiges Anliegen, das Problem moralischen Verhaltens unter Wettbewerbsbedingungen zu reflektieren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine Problemdiagnose ihn zu einer Therapie führt, die eine ökonomistische Wende in der Geistesgeschichte einzuleiten sich anheischig macht. Im Rahmen der anschließenden Diskussion der Homannschen Konzeption wird die Frage zu beantworten sein, ob dieser grundlegende Anspruch wenigstens ansatzweise von Homann eingelöst werden kann. Dabei wird im erst zu lichtenden Dickicht seiner oft unklaren Argumentationen zweifelsfrei nachgewiesen werden können, daß seine Konzeption in ihrem zentralen Argument auf einer fundamentalen Erschleichung beruht.243 Bereits hier ist zu erwähnen, daß Homann schon im Jahr 1998 eingestehen mußte, daß eine vollständige „Übersetzung“ der Ethik in ökonomische Kategorien nicht möglich ist, vielmehr ein genuin „ethischer“ Rest sich einer Übersetzung ins Ökonomische widersetzt.244 Dieses Eingeständnis hielt ihn gleichwohl nicht davon ab, auch weiterhin ohne Einschränkung das „Programm einer Endogenisierung der Moral in positive Ökonomik“ zu vertreten, wie das obige Zitat aus dem Jahr 2001 belegt (vgl. S. 97). Die volle systematische Bedeutung seines Eingeständnisses wird später deutlich zu machen sein. 241
Homann (2001), S. 219 f. Homann/Suchanek versuchen bereits 1987, „Wirtschaftsethik als Beitrag zur Grundlegung der Ethik“ zu explizieren. Vgl. Homann/Suchanek (1987), S. 112 ff. 243 Siehe dazu Kapitel 3.2.2, das den Nachweis der inneren Unzulänglichkeit der Homannschen Position erbringt, ohne dabei selbst auf externe Bezüge zurückgreifen zu müssen. Die Kritik, die Kapitel 3.2.1 entfaltet, ist im Vergleich dazu voraussetzungsreicher, insofern sie mit Überlegungen kantischen Typs operiert. 244 Vgl. Homann (1998), S. 43. Ein solches Eingeständnis Homanns stellt seine gesamte Konzeption von vornherein in Frage, insofern er damit einen im Kern unüberwindlichen Dualismus von Ethik und Ökonomik behauptet. Siehe dazu Kapitel 3.2.1 sowie Kapitel 3.2.3. 242
3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann
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3.1.3 Die Unterscheidung von Handlungsebene und Rahmenordnung Die von Homann angezielte Übersetzung kommt in verschiedenen Überlegungen zum Ausdruck. Zentrales Element ist die Unterscheidung von Handlungsebene und Regelebene. Auf dieser werden alle relevanten normativen Handlungsbedingungen festgelegt. In modernen Gesellschaften handeln Akteure prinzipiell unter dem Druck von Dilemmastrukturen; ihre Handlungen werden wesentlich von den entsprechenden Zwängen, von den Handlungsbedingungen beeinflußt.245 Eine Ethik, die von den Akteuren ein Verhalten fordert, das diesen Zwängen widerspricht – bezogen auf die Probleme der Wirtschaftsethik heißt das konkret: die trotz der Wettbewerbsbedingungen einen Verzicht auf Gewinn verlangt –, sei unzweckmäßig. Unter der Voraussetzung von Dilemmastrukturen könne sich Ethik eben nicht mehr unmittelbar an den einzelnen wenden, d.h. den Anspruch haben, Handlungen normativ zu steuern. Normative Gehalte könnten dann „systematisch“ nur noch durch eine entsprechende Ausgestaltung der Handlungsbedingungen, d. h. der Rahmenordnung, zur Geltung gebracht werden. Die Ethik steuert in Homanns Konzeption nicht mehr Handlungen, sondern Regeln, Handlungsbedingungen.246 Das ist der Sinn des vielzitierten Satzes: „Der systematische Ort der Moral in einer Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung.“247
Die Formulierung und Gestaltung von Rahmenbedingungen, die für alle Akteure verbindlich gelten und die Menge aller nicht sanktionsbewehrten Handlungen bestimmen, geschieht nach Homann nicht auf der jeweiligen Handlungsebene – diese steht ja unter dem Druck der Dilemmastruktur –, sondern auf einer jeweiligen Meta-Ebene. Diese Meta-Ebene ist dadurch charakterisiert, daß alle Beteiligten einer bestimmten Regel zustimmen. Damit löst sich die Dilemmastruktur auf. Aufgrund eines Konsenses besteht dort keine Gefahr der defektiven Ausbeutung kooperativer Vorleistungen mehr: Die Akteure sind nicht länger dem selbstzerstörerischen Druck des Wettbewerbs ausgesetzt und können in kooperativer Absicht sich über die Handlungsregeln verständigen, denen sie auf der Handlungsebene unerbittlich ausgesetzt sind: 245 Homann bezieht sich in seiner Argumentation zunächst nur auf eine solche theoretische Aussage, die die tatsächlichen Verhältnisse zum Inhalt hat. Homann geht aber aufgrund des Anspruches, eine Wirtschaftsethik zu formulieren, über den rein theoretischen Horizont hinaus und macht aus dieser positiven Aussage eine normative: „Der grundlegende Gedanke der modernen Marktwirtschaft, die wegen ihrer Erfolge eine ethische Rechtfertigung hat, besteht darin, daß jede Handlung von Akteuren unter Wettbewerbsdruck stehen soll.“ Homann (1995), S. 15. 246 Vgl. Homann (1998), S. 35. 247 Homann/Blome-Drees (1992), S. 35; vgl. Homann (1998), S. 35.
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„Die Normen, Regeln werden per Konsens aufgrund individueller ökonomischer Kalkulation etabliert [. . .].“248
Dabei ist die Unterscheidung zwischen Handlungsebene und Meta- bzw. Bedingungsebene nach Homann nur relativ, insofern es vom betrachteten Problem abhängt, welchen phänomenologischen Bereich man als Handlungs- und welchen als Meta-Ebene auffaßt: „[So gehört z. B.] [i]n bezug auf die staatliche Rahmenordnung [. . .] eine Unternehmensverfassung auf die Handlungsebene, in bezug auf das Handeln im Unternehmen aber auf die Bedingungsebene.“249
Für Homann ist die kooperative Einstellung der Akteure auf der MetaEbene, also das Bestehen einer Interaktionssituation, in der Kollektivität entsteht, notwendige Bedingung für die normative Beherrschung des Dilemmazwanges. Sein Konzept einer „normativen Anreicherung“ der bestehenden Funktionszwänge zielt auf eine Interaktionssituation, in der die Beteiligten faktisch ihre konfligierenden Interessen überwinden: In dieser kooperativen Situation, die Homann auch als „kollektive Selbstbindung“250 bezeichnet, liegt ihm zufolge der systematische Anknüpfungspunkt für Normativität. Das Charakteristikum „kollektiven Handelns“ überhaupt besteht nach Homann darin, daß „[. . .] die entsprechende Entscheidung im Namen eines Kollektivs getroffen wird und daher die Kollektivmitglieder zu einem bestimmen Verhalten verpflichtet bzw. das Handeln ihnen zugerechnet wird.“251
Kollektivität besteht also in einem normativen Anspruch, der sich auf eine Gesamtheit von Individuen erstreckt.252 Anders gesagt: „Kollektives Handeln“ produziert und modifiziert alle verbindlichen Handlungsregeln, d.h. „die systemischen Strukturen der Gesellschaft“ oder einfacher: die Rahmenordnung.
248
Homann (1998), S. 27. Homann (1998), S. 35. 250 Vgl. zu diesem Begriff: Homann (1988), S. 281 ff.; Homann/Blome-Drees (1992), S. 44; Homann (1997), S. 16. 251 Homann (1988), S. 11. 252 Das Bestehen einer Verpflichtung für mehr als ein Individuum ist gerade der Kern von Normativität überhaupt: Gäbe es nur isolierte Individuen, d. h. wüßte jeder nur von sich selbst, gäbe es auch keine Normativität, da jedes Individuum sich in seinen individuellen Willensregungen völlig erschöpfen würde, ihnen gegenüber also kein Korrektiv hätte. Es würde dann auch keinen Sinn machen, von „Verpflichtung“ zu sprechen, da alle Willensregungen per se schon legitim wären. Deshalb kann man obige Erklärung auch kürzen zu: Kollektives Handeln bedeutet Normativität. 249
3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann
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3.1.4 Die Etablierung der Rahmenordnung: Moral oder Konsens? Entscheidend ist nun die Frage, wie ein solches „kollektives Handeln“, das konstitutiv für jede Rahmenordnung ist, überhaupt zustande kommt. Für die Intention Homanns, Ethik in ökonomische Kategorien zu übersetzen, um damit – nach seinem Selbstverständnis – die entscheidende theoretische Grundlage für die tatsächliche Entwicklungsfähigkeit der modernen Systemstrukturen bereitzustellen, ist diese Frage der Dreh- und Angelpunkt. Die gesamte Konzeption einer „Ethik mit ökonomischer Methode“ fußt auf der Voraussetzung, daß sich Kollektivität – konkreter: die Rahmenordnung – unter Zugrundelegung des „methodischen Individualismus“ bzw. der „subjektiven Wertlehre“ der Ökonomik rekonstruieren läßt: Nur wenn gezeigt werden kann, daß dieses „kollektive Handeln“ mit dem alleinigen Maßstab der Präferenzen und Nutzenerwägungen der einzelnen Individuen kompatibel ist, hat Homanns Ansatz ein Fundament. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß Homanns Ausführungen zu der Frage, wie die Rahmenordnung zustande kommt, zumindest mißverständlich, wenn nicht widersprüchlich sind. So lassen sich bei ihm viele Äußerungen finden, die darauf hindeuten, daß das Bestehen einer kooperativen Situation, als Bedingung der Rahmenordnung, notwendig auf Moral angewiesen ist. „Wenn die Rahmenordnung – auf den verschiedenen Ebenen von der Unternehmensverfassung über die Gesellschaftsordnung bis zur internationalen Ordnung – von moralischen Intentionen bestimmt sein soll, dann gehen Moral, moralische Prinzipien und regulative moralische Ideen dem Prozeß der Gestaltung bzw. Weiterentwicklung der Rahmenordnung voraus: Sie fungieren als Heuristik des Gestaltungsprozesses. Dies ist die systematisch grundlegende Funktion von Moral.“253
Interpretiert254 man die Begriffe „Moral“, „moralische Prinzipien“, „regulative moralische Ideen“ so, daß sie alle eine willentliche Haltung implizieren oder fordern, die zumindest nicht ausschließlich durch die jeweils indi253 Homann (1995), S. 30. Vgl. auch Homann (1999), S. 58: „Aufgabe der Moral ist es, die gemeinsamen Interessen zum Zuge kommen zu lassen und die konfligierenden Interessen zu neutralisieren – oder sie in den Dienst der gemeinsamen Interessen zu stellen (Wettbewerb unter einer Rahmenordnung).“ Vgl. auch: Homann/ Blome-Drees (1992), S. 40 f.: „Moral und moralische Motivation von einzelnen sind unverzichtbar, sie setzen in unserem Entwurf nur an einer systematisch anderen Stelle an: Nicht bei den unmittelbar wirtschaftlichen Handlungen, die im Prinzip ‚moralfrei‘ erfolgen, sondern bei der Gestaltung, bei der Akzeptierung und bei der Befolgung der Regeln für diese Handlungen. [. . .]. Die Evolution der Gesellschaft ist dabei auf individuelle Moral konstitutiv angewiesen.“ Noch eindeutiger wird die grundlegende Bedeutung von Moral in folgender Passage hervorgehoben: „Bei Defiziten der Rahmenordnung ergeht an die Unternehmen der Auftrag, die im Normalfall an die Ordnungsebene abgegebene moralische Verantwortung wieder auszuüben, um das so entstandene Verantwortungsvakuum zu füllen.“ Ebd., S. 117.
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viduellen, willkürlichen Präferenzen bestimmt ist, würde sich Homann also auf eine nicht-interessegeleitete Leistung berufen, die, als Bedingung einer kooperativen Interaktionssituation, konstitutiv wäre für jede Rahmenordnung. Damit wäre aber das Konzept einer integrativen Vermittlung von Moral und Ökonomik gescheitert, weil Moral – wie in den „traditionellen Ansätzen zur Wirtschaftsethik“ – wiederum einen systematischen Vorrang vor ökonomischen Überlegungen erhielte. Allein aus diesem Grunde muß Homann es ablehnen, den für seine Konzeption notwendigen Meta-Konsens auf moralischen bzw. nicht-interessegeleiteten Vorleistungen der Individuen zu stützen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich auch, daß Homann, entgegen aller Betonung der fundamentalen Bedeutung von Moral, die kooperative Situation durch einen solchen Konsens aller Beteiligten rekonstruieren will, der sich dadurch auszeichnet, daß jeder einzelne seine Zustimmung ausschließlich aufgrund seiner individuellen Vorteils-/Nachteilskalkulation gibt: „Der einzelne muß den Regeln zustimmen, zugestimmt haben, wenn sie für ihn verbindlich sein sollen. Zustimmen tut er allerdings im Blick allein auf seinen individuellen Nutzen [. . .].“255
Damit scheint klar zu sein, daß der Moral keinerlei systematische Bedeutung für die Etablierung der Rahmenordnung von Homann zugemessen wird. Diese Interpretation wird auch durch den Zusammenhang anderer Ausführungen Homanns nahegelegt, der im folgenden entwickelt werden soll. Zunächst ist die Betonung der empirischen Bedingungen einer Einigung über Fragen der Rahmenordnung zu erwähnen. Homann macht deutlich, daß Kooperation und, damit gleichbedeutend, Normativität nur dann möglich sind, wenn auf einer beliebig abstrakten Ebene ein Konsens zwischen den Beteiligten faktisch zustande kommt. Nur unter dieser empirisch-faktischen Bedingung ist es innerhalb seiner Konzeption möglich, Dilemma254 Leider findet sich bei Homann keine nähere Bestimmung der von ihm veranschlagten moralischen Ideale und Prinzipien. Vgl. dazu Kapitel 3.1.6. 255 Homann/Suchanek (2000), S. 188; vgl. auch obiges Zitat: Homann (1998), S. 27. Die hier zitierte Monographie von Homann und Suchanek trägt den Titel „Ökonomik – Eine Einführung“. Insofern könnte es unangebracht erscheinen, aus diesem Werk im hier interessierenden Zusammenhang der Wirtschaftsethik zu zitierten. Es ist jedoch zu beachten, daß alle hier aus diesem Werk verwendeten Zitate aus dem Kapitel „Theorie der Demokratie“ stammen, in dem sich die Autoren „der Legitimation der Spielregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens“ widmen (vgl. ebd., S. 184). Diese Legitimationsfrage ist für die wirtschaftsethische Position von Homann jedoch unmittelbar relevant. Deshalb ist es sachlich angebracht und für ein Verständnis der Homannschen Position hilfreich, das Demokratiekapitel dieses Werkes hier als Textquelle zu verwenden. Dieser Hinweis ist bei allen folgenden Zitationen dieses Werkes zu beachten.
3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann
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strukturen zu beherrschen und ihre zerstörerischen Kräfte zum Wohle aller zu kanalisieren: „Die Gültigkeit von Normen wird in Dilemmastrukturen, die allgegenwärtig sind, von ihrer EMPIRISCHEN [Herv. d. Verf.] Implementation abhängig. [. . .]. Die Gültigkeit von Normen hat so einen prekären Status und beruht auf EMPIRISCHEN [Herv. d. Verf.] Bedingungen.“256
Daß Homann in diesem Zusammenhang den empirisch-faktischen Status des Konsenses betont, bringt ihn – wie im kritischen Teil zu zeigen sein wird – in große konzeptionelle Schwierigkeiten. Neben der Betonung der empirischen Bedingungen enthielt das letzte Zitat darüber hinaus eine der zentralen Aussagen der gesamten Konzeption Homanns: „Die Implementation einer Norm schlägt auf ihre Geltung durch.“257
Für Homann kann eine Regel, eine Norm nur dann für sich normative Geltung beanspruchen, wenn alle Betroffenen dieser Regel zustimmen, sich also an sie binden wollen und sie damit implementieren. Die Entscheidung des einzelnen kann nicht weiter gerechtfertigt werden, allein deshalb, weil die Entscheidung des einzelnen alleiniger Bewertungsmaßstab sein soll: „Faktische Entscheidung und Legitimation erfolgen bei individuellem Handeln uno actu [. . .].“258
Diese Aussage enthält den Kern der subjektiven Wertlehre und des methodologischen Individualismus in der normativen Version. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen: Erstens ist eine Regel, der alle zugestimmt haben, per se legitimiert und zweitens ist die Zustimmung aller Beteiligten auch die einzig legitimierte Legitimation einer Regel! Eine Unterscheidung zwischen faktischer Akzeptanz von Ansprüchen und einer wie auch immer gerechtfertigten Akzeptabilität solcher Ansprüche wird von Homann abgelehnt: Die Rechtfertigung einer Norm besteht gerade ausschließlich in der faktischen, nicht weiter qualifizierten Akzeptanz durch alle Beteiligten.259 256
Homann (1993), S. 37 f. Homann/Blome-Drees (1992), S. 46; vgl.: Homann (1997), S. 16; Homann (1998), S. 26. 258 Homann (1988), S. 11. 259 Auch Jürgen Habermas weist in seiner Rechtsphilosophie den faktischen Konsens der Beteiligten als notwendige Bedingung für die Rechtfertigung einer Rechtsnorm aus. Jedoch ist diese Bedingung für ihn, im Gegensatz zu Homann, nicht hinreichend, da der Konsens selbst bestimmten Bedingungen einer rationalen Akzeptabilität genügen muß. Darüber hinaus ist bei Habermas in diesem Zusammenhang eben nur von Rechtsnormen die Rede, nicht von Normativität überhaupt. Vgl. Habermas (1998), S. 138: „D: Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könn257
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In letzter Konsequenz führt dieser Gedanke dazu, daß die Untersuchung der Möglichkeit einer faktischen Implementierung von Normen die Bedeutung einer ideellen, normativen „Begründung“260, einer moralphilosophischen Rechtfertigung erhält, wie Homann selbst ausdrücklich zugesteht.261 Damit zeigt sich auch in diesem Zusammenhang der fundamentale Anspruch seiner Konzeption. Im Widerspruch zu dieser grundlegenden Tendenz Homanns, die Fragen nach einer normativ gehaltvollen Rahmenordnung von allen moralphilosophisch qualifizierten Kriterien abzukoppeln und eine Lösung rein in der faktischen Akzeptanz der Beteiligten zu suchen, steht seine Betonung der „heuristischen“ Funktion moralischer Ideale, auf die hier nochmals zurückzukommen ist: „Genuine philosophische Ethik fungiert nicht als Handlungssteuerung und auch nicht als unmittelbare Systemsteuerung [. . .], sondern als Heuristik für die Steuerung der systemischen Interaktionen und als Heuristik für die positive Wissenschaft Ökonomik. Moralische Normen und Ideale fungieren als regulative Ideen, als Ideen also, die nicht wirklich sind oder wirklich werden sollen, sondern die – lediglich – unser Nachdenken über die Wirklichkeit, hier über die soziale Ordnung, orientieren sollen.“262
Es ist dem Verfasser dieser Arbeit nicht gelungen nachzuvollziehen, was unter einem „moralischen Ideal“ zu verstehen sein könnte, das „nicht wirklich werden soll“, aber dennoch „unser Nachdenken über [. . .] die soziale Ordnung [.] orientieren“ könnte. Leider finden sich bei Homann keinerlei Ausführungen zu diesen offenbar völlig neuartigen moralphilosophischen Überlegungen. ten.“ Zu einer differenzierten Analyse und Kritik einer Konsenstheorie der Wahrheit und ihrer Implikationen für die Ethik vgl. Hösle (1990), insb. S. 192 ff. 260 Daß diese Arbeit die Vorstellung von „moralischer Begründung“ als an sich prinzipiell verfehlt zurückweist (vgl. Kapitel 5.1.4), hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung. Es geht an dieser Stelle nicht darum, Homann darin zu kritisieren, daß er von moralischer Begründung spricht, sondern darum nachzuweisen, welchen weitreichenden und fundamentalen Anspruch seine Konzeption entwickelt. Um die Verständlichkeit nicht zu erschweren, muß diese Arbeit an Stellen, an denen Homann von „Begründung“ im Zusammenhang mit der ethischen Fragestellung spricht, auf die etablierte Terminologie zurückgreifen. 261 „Die institutionelle Implementierbarkeit schlägt auf die normative Geltung der Regeln durch. Mit diesem Element von enormer Tragweite unterscheidet sich die Wirtschaftsethik grundlegend von allen anderen Bereichsethiken. Sie beteiligt sich damit zentral auch am Begründungsdiskurs moralischer Normen.“ Homann (2001), S. 212. Allerdings ist zu beachten, daß Homann in dieser jüngeren Publikation von der „institutionellen Implementierbarkeit“ spricht, und insofern eventuell zu verstehen gibt, daß er sich von seiner Betonung der empirisch-faktischen Implementation distanziert. Ausdrücklich wird diese Distanzierung jedoch nicht gemacht. 262 Homann (2001), S. 216.
3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann
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Ein moralisches Ideal zeichnet sich nach dem Verständnis des Verfassers gerade dadurch aus, wirklich werden zu sollen. Mit diesem Anspruch auf Verwirklichung kann freilich auch eine lediglich asymptotische Annäherung der Realität an dieses Ideal gemeint sein. Ein vollkommen guter Wille im Sinne Kants wäre ein Beispiel für ein solches Ideal. Nur insofern ein moralisches Ideal zumindest mit dem Anspruch auf asymptotische Verwirklichung verbunden wird, kann es unser Denken und Handeln in einem praktischen Sinne orientieren. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß der kantische „regulative Gebrauch“ der Ideen, auf den sich Homann hier offenbar bezieht, – ihre Orientierungsfunktion im Denken – eine Sache der Erkenntnistheorie, also der theoretischen, nicht jedoch der praktischen Vernunft ist. In deren Aufgabenbereich jedoch fallen traditionell Fragen der sozialen Ordnung. Die Kantischen Ideen der praktischen Vernunft wiederum – Gott, Freiheit, Unsterblichkeit – sind für „unser Nachdenken über die Wirklichkeit“ im Sinne Homanns schlechtweg bedeutungslos. Sie haben prinzipiell auch keinen „regulativen Gebrauch“. Bei Kant haben sie weder eine regulative noch eine konstitutive Funktion für das moralische Gesetz. Vielmehr erhalten sie ihre praktische Legitimierung erst durch dieses Gesetz. Das bedeutet, daß sie eine rein philosophische Reflexionsnotwendigkeit darstellen: Sie sind Postulate der praktischen Vernunft, um den Gegenstand eines moralisch bestimmten Willens als möglich denken zu können. Mit der Gestaltung der sozialen Ordnung hat das alles herzlich wenig zu tun. Offensichtlich unterläuft Homann hier eine krude Konfundierung philosophischer Begriffe. Selbst wenn man Homann eine in seinem Sinne „heuristische“ Funktion „moralischer Ideale“ zugesteht, so bleibt dennoch zu fragen, an welcher systematischen Stelle seiner Konzeption diese heuristische Funktion wirksam werden sollte. Wer sollte sich in seinem Nachdenken über die soziale Ordnung an diesen Idealen orientieren? Die von Homann betrachteten Individuen kommen für ein solches Nachdenken ganz offensichtlich nicht in Frage, da sie in seiner Konzeption prinzipiell und methodisch als lediglich nutzenkalkulierend konstruiert werden. Oder geht Homann in seinem Bemühen, ethische Kategorien in ökonomische zu übersetzen, tatsächlich so weit, zu behaupten, daß „Nutzenkalkulation“ und „Orientierung an moralischen Idealen“ identische Geisteshaltungen darstellen? Eine Antwort auf diese Fragen findet sich bei Homann nicht. Insgesamt scheint sich aus Homanns konzeptionellem Aufbau, trotz entgegenstehender Beteuerungen, zu ergeben, daß moralische Ideale in seiner Konzeption insofern keine systematische Bedeutung haben, als er den Prozeß der Gestaltung und Modifizierung der Rahmenordnung zu rekonstruieren beansprucht, ohne dabei auf vorgeordnete normative Vorstellungen der
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beteiligten Individuen zurückgreifen zu müssen. Auch ein „Volk von Teufeln“ – so die kantische Illustration des Problems – würde also nach Homann eine verbindliche und normativ gehaltvolle Rahmenordnung zustandebringen. 3.1.5 Konsens und Kooperation: Gemeinsame Interessen oder instrumentelle Präferenz? Wie ist es nun nach Homann möglich, daß sich eine faktische Akzeptanz aller Beteiligten hinsichtlich der Rahmenordnung einstellt? Unabdingbar ist sie, denn die Iteration von Handlungs- und Meta-Ebene muß, falls überhaupt Normativität das Damoklesschwert eines zerstörerischen Defektionszwanges auffangen soll, an einer Stelle durch einen unverbrüchlichen Konsens abgebrochen werden. Anders gesagt: Aus einem infiniten Progreß der Dilemmastruktur läßt sich weder die Genese einer schon bestehenden Rahmenordnung rekonstruieren noch die Möglichkeit deren zukunftsoffener Weiterentwicklung. Die theoretischen Möglichkeitsbedingungen einer solchen gesellschaftlich wirkmächtigen Weiterentwicklung bereitzustellen, ist jedoch, wie wir schon gesehen haben, ein zentrales Anliegen Homanns. Wie durch die bisherigen Zitate zu folgern wäre, müßte der Meta-Konsens dadurch zustande kommen, daß gemeinsame Interessen zwischen allen Beteiligten faktisch bestehen: Wenn sich jeder einzelne ausschließlich nach seinen individuellen Präferenzen, d.h. Interessen, richten soll, und dennoch alle gemeinsam auf wenigstens einer Ebene sich einig sind, dann würde das implizieren, daß alle Beteiligten – auf dieser Meta-Ebene – gemeinsame Interessen haben. Normativität beruhte dann auf einem bloß faktischen MetaKonsens, der sich aufgrund von vorausgesetzten identischen Interessen einstellt. Diese sich logisch ergebende Folgerung wird auch dadurch gestützt, daß Homann unter Berufung auf die „moderne Interaktionsökonomik“263 davon ausgeht, daß „[. . .] alle menschlichen Interaktionen zugleich von gemeinsamen und konfligierenden Interessen gekennzeichnet [sind].“264
Dieser Annahme kommt eine grundlegende und zentrale Bedeutung zu für das Homannsche Projekt der ökonomischen Endogenisierung der Moral.265 Sie wird in dem anschließenden kritischen Teil zu analysieren sein. Insgesamt scheinen die bislang zitierten Aussagen Homanns darauf hinauszulaufen, daß der Meta-Konsens auf gemeinsamen Interessen der interagierenden Individuen gründet, also auf einer Art intersubjektiver Interessen263 264 265
Vgl. Homann (1999), S. 58. Homann (1999), S. 58; vgl. auch Homann (1998), S. 24. Zur Betonung der Bedeutung dieser Annahme vgl. Homann (2001), S. 218 ff.
3.1 Grundzüge der Wirtschaftsethik von Karl Homann
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schnittmenge. Damit gründete Homanns Konzeption auf einer sehr starken, empirischen Voraussetzung. Die Notwendigkeit gemeinsamer Interessen, die sich als Schlußfolgerung aus den bisher dargestellten Überlegungen Homanns logisch ergibt, wird vom ihm selbst jedoch eindeutig zurückgewiesen: „Die Ordnung der Gesellschaft beruht grundsätzlich nicht auf ‚gemeinsamen‘ Zwecken, Präferenzen, Interessen oder Werten, von gemeinsamen Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen ganz zu schweigen.“266
Im Anschluß an diese Aussage spricht Homann hinsichtlich „der Koordination der Handlungen vieler/aller nutzenmaximierenden Akteure“, also hinsichtlich der Etablierung der Rahmenordnung auf einer Meta-Ebene, von Regeln, „deren Gültigkeit nicht von bestimmten Interessen der einzelnen, sondern allein von deren Zustimmung abhängt“.267 Diese Zustimmung des einzelnen, soll jedoch, wie oben bereits zitiert, „im Blick allein auf seinen individuellen Nutzen“ erfolgen. Hier stellt sich die Frage, wie diese offensichtlich widersprüchlichen Äußerungen zu verstehen sind. Wie ist ein Konsens zu denken, der einerseits nur durch individuelle Nutzenerwägungen bedingt sein, andererseits aber gerade nicht von „bestimmten Interessen der einzelnen“ abhängen soll? Worin soll der Unterschied liegen zwischen „individuellem Nutzen“ und „bestimmten Interessen der einzelnen“? Um diese Differenzierung zu begründen, unterscheidet Homann zwischen „normalen“ Präferenzen der Individuen, von denen die Ökonomik ausgeht, und „instrumentellen“ Präferenzen, die sich nicht auf konkrete Wünsche der Individuen beziehen, sondern auf Instrumente, die diese wählen, um ihre konkreten Wünsche erfüllen zu können.268 Aufgrund dieser Unterscheidung ergibt sich, daß der Meta-Konsens, der die Rahmenordnung herstellt, nicht aufgrund von „bestimmten Interesse der einzelnen“ zustande kommt, sondern von den Akteuren als ein Instrument gewählt wird, um ihre jeweiligen Interessen zu verwirklichen: „Intersubjektiv gültige Regeln [. . .] sind von keinem einzelnen Akteur genuin ‚gewollt‘; sie sind in der Theorie, die die Sicht des einzelnen modelliert, aufzufassen als Mittel, auf die sich alle Betroffenen zur Realisierung der Kooperationsgewinne einigen konnten.“269
Bereits hier ist für die weitere Untersuchung darauf hinzuweisen, daß die Unterscheidung von „normalen“ und „instrumentellen“ Präferenzen insofern 266 267 268 269
Homann/Suchanek (2000), S. 188. Vgl. Homann/Suchanek (2000), S. 189. Vgl. Homann/Suchanek (2000), S. 189. Homann (1997), S. 24.
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3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann
fragwürdig ist, als Homann in konsequenter Verfolgung des „methodischen Individualismus“ von einem rein formalen Vorteilsbegriff ausgeht. Dieser Vorteilsbegriff umschließt all das, was Individuen jeweils für vorteilhaft halten.270 Wenn Kooperation gegenüber Nicht-Kooperation gewählt wird, dann bedeutet das – unter Zugrundelegung eines rein formalen Vorteilsbegriffes –, daß Individuen Kooperation ceteris paribus für vorteilhafter halten als Nicht-Kooperation, daß sie also eine Präferenz für Kooperation im Vergleich zu Nicht-Kooperation haben, wie sie auch eine Präferenz für Schokoladeneis im Vergleich zu Vanilleeis haben können. Der rein formale Vorteilsbegriff, auf den sich Homann nachdrücklich bezieht, erlaubt prinzipiell keine weitere Qualifizierung dessen, was Individuen jeweils wählen: ob es „normal“ ist oder „instrumentell“. Die einzige Qualifizierung, die er erlaubt, besteht darin, daß die Individuen dieses im Vergleich zu jenem ceteris paribus vorziehen und damit ihre Präferenzen offenbaren. Auch anscheinend „instrumentelle“ Präferenzen müßten also im Homannschen Theorieaufriß methodisch auf einen rein formalen Begriff von Präferenz zurückgeführt werden. Eine prinzipielle Unterscheidung zwischen „normalen“ und „instrumentellen“ Präferenzen widerspricht der Annahme des „methodischen Individualismus“. Daß Homann diese Unterscheidung benötigt, um eine unausgewiesene normative Voraussetzung seiner Konzeption in einen vermeintlich positiven Erklärungszusammenhang aufzulösen, wird später nachzuweisen sein (vgl. Kapitel 3.2.2.4). 3.1.6 Die Trennung von Motiv und Ergebnis Ein weiteres wesentliches Element des Homannschen Versuchs, Normativität in ökonomische Kategorien zu übersetzen, ist die Trennung von Motiv und Ergebnis einer Handlung. Homann hält in der Frage der ethischen Bewertung einer Handlung die Betrachtung der zugrundeliegenden Handlungsmotive für irreführend: „[. . .] [W]er aus der Eigeninteressiertheit der Akteure auf die Unsittlichkeit ihrer Handlungen schließt, begeht einen ‚Fehlschluß aus Interessen‘. Dieser stellt die Kehrseite des – ebenfalls geläufigen – Fehlschlusses von ‚guten Absichten‘ auf moralische Richtigkeit dar. Beides sind ‚Fehlschlüsse aus Motiven‘, die der paradigmatischen Wende der Entkopplung von Motiv und Ergebnis seit Adam Smith nicht Rechnung tragen. Solche Argumentationen sind wirtschaftsethisch nichts 270 Vgl. Homann (1999), S. 58: „Dabei wird der Begriff ‚Vorteil‘ streng formal gefaßt. ‚Vorteil‘ kann alles sein, was die Akteure selbst als ‚Vorteil‘ ansehen, also Einkommen und Vermögen natürlich, aber ebenso Freiheit, Gesundheit, ‚gutes Leben‘, Zeit, Muße und eine personale Identität.“ Vgl. die nahezu gleichlautende Formulierung in: Homann (2001), S. 209.
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wert, die Wirtschaftsethik und vor allem die allgemeine Ethik werden das noch lernen müssen.“271
Allein das Handlungsergebnis, also eine empirisch feststellbare Tatsache, sei ein „ethisch“ relevanter Sachverhalt. Diese Argumentation ist für die Homannsche Position insofern entscheidend, als nur unter dieser Bedingung ökonomische Handlungen, die definitionsgemäß aus dem Motiv des persönlichen Vorteils entspringen, nicht von vornherein einem moralischen Vorwurf ausgesetzt werden müssen: „[. . .] [Es] bleibt festzuhalten, daß die Handlungen der Wirtschaftssubjekte selbst nicht moralisch motiviert sind/sein müssen, sondern eigeninteressiert. – Moderne Wirtschaftsethik nimmt dieses Denken ganz bewußt auf [. . .].“272
Aus der rein positiven Gesellschaftsanalyse gewinnt Homann, wie schon dargestellt, die Erkenntnis, daß prinzipiell alle Handlungen in modernen Gesellschaften unter dem Druck von Dilemmastrukturen stehen. Und dieser Druck zwingt den Handelnden eine bestimmte Motivstruktur auf, nämlich die des Eigeninteresses, d.h. der strategischen Rationalität: „Systembedingt müssen die Akteure der modernen Gesellschaft in immer mehr Bereichen der strategischen Rationalität, d.h. den Anreizen folgen.“273
Hier zeigt sich wieder, daß Homann seine Konzeption auf dem Paradigma der Dilemmastruktur aufbaut. Wenn die faktisch bestehenden Zwänge aber so aussehen, daß die Akteure – unter systematischen Gesichtspunkten – nur innerhalb der aufgenötigten Motivstruktur handeln können, dann dürfen ethische Überlegungen sich eben nicht mehr, diese Zwänge ignorierend, unmittelbar auf den einzelnen und seine Einstellungen beziehen. Ethische Überlegungen müssen also nach Homann von den Motiven der Handelnden absehen. Als Bezugspunkt einer normativen Bewertung von Handlungen bleibt dann nur noch das sich faktisch einstellende Handlungsergebnis. Für das Resultat einer Handlung ist aber, sofern sie in einer Interaktion besteht, nicht der einzelne verantwortlich zu machen, da das Ergebnis eben auch von dem, ihm nicht verfügbaren, Handeln seines Gegenübers abhängt. In einer Perspektive, die der Komplexität der modernen Gesellschaft gerecht wird, d.h. einer solchen, die nicht von bloßen Aktionen, sondern von Interaktionen ausgeht, sind also – so Homann – nicht einzelne Handlungsresultate relevant, sondern gesamtgesellschaftliche Resultate. Auch aus diesem Grunde verbietet sich nach Homann in der Frage ethischer Beurteilung die Betrachtung individueller Motive: 271 272 273
Homann (1999), S. 60; vgl. auch Homann (1995), S. 10. Homann (1996), S. 181. Homann (1995), S. 9.
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„Da die ethisch bedeutsamen Resultate niemals von einem einzelnen Akteur allein herbeigeführt werden können, verfehlen tugendethische Appelle grundsätzlich ihr Ziel.“274
Wenn gesamtgesellschaftliche Handlungsresultate der eigentliche Bezugspunkt ethischer Bewertung sein sollen, dann stellt sich die Frage, wie diese Resultate unter ethischen Ansprüchen gesteuert werden können, oder anders formuliert, wer oder was für diese Resultate verantwortlich zu machen ist. An dieser Stelle kommt bei Homann wieder die Rahmenordnung ins Spiel, die die anonymen Interaktionen in einer bestimmten Weise lenkt, indem sie den „Rahmen“ aller prinzipiell möglichen Handlungen festsetzt und damit das gesamtgesellschaftliche Interaktionsergebnis determiniert: „Die Resultate werden durch die Regeln und die von ihnen ausgehenden Anreize bestimmt. Deshalb ist Wirtschaftsethik paradigmatisch als Bedingungsethik, Ordnungsethik oder Anreizethik zu konzipieren.“275
Gesamtgesellschaftliche Resultate, die sich als das Ergebnis vieler anonymer Interaktionen ergeben, sind daher prinzipiell nicht dem Verhalten einzelner zuzurechen, sondern der jeweiligen Ausgestaltung der Rahmenordnung. Wenn die gesamtgesellschaftlichen Probleme gelöst werden sollen, denen wir uns gegenübersehen, muß Wirtschaftsethik sich mit diesen Rahmenbedingungen auseinandersetzen, unter denen die Akteure handeln, nicht mit ihren Motiven. „Moralische Leitideen setzen sich gesellschaftlich in den Bedingungen des Handelns durch, nicht in den – entsprechend geläuterten – Motiven oder Handlungsorientierungen. Bedingungswandel statt Gesinnungswandel lautet die Devise. Moderne Gesellschaften sind – weit über den Bereich der Wirtschaft hinaus – für ihre Entwicklungsfähigkeit und ihre ‚Moral‘ auf die Entkopplung von Motiv und Ergebnis angewiesen [. . .].“276
Die in der Ethik entscheidende Frage für Homann ist, ob das gesamtgesellschaftliche Resultat anonymer Interaktionen „moralisch wünschenswert ist“, ungeachtet der motivationalen Einstellung der Handelnden: „Das Gesamtergebnis stellt sich ein als nichtintendiertes Resultat intentionaler, d.h. eigeninteressierter, Handlungen [. . .].“277
Hier stellt sich endgültig die Frage, welche Vorstellungen Homann von Moral und Ethik eigentlich hat. Was versteht er genau unter den moralischen Idealen und Prinzipien, auf die er sich immer wieder beruft? Für Homann liegt der unbestreitbare Kern aller Moral im Prinzip „Solidarität aller Menschen“: 274 275 276 277
Homann Homann Homann Homann
(1997), (1997), (1995), (1998),
S. S. S. S.
24. 24. 10. 21.
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„Wenn nichts anderes vermerkt wird, gehen wir daher im allgemeinen vom Grundprinzip aller Moral aus, das man heute als Solidarität aller Menschen formulieren kann. Diese Solidarität läßt sich als moderne Version der Goldenen Regel (Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinen andern zu!) oder des christlichen Gebots der Nächstenliebe verstehen.“278
An anderer Stelle heißt es: „Diese Prinzipien [Menschenwürde und Solidarität] der abendländisch-christlichen Ethik sind unüberbietbar, sie sind innerweltlich niemals einzuholen, und genau daraus beziehen sie ihre ungebrochene Kraft und Tauglichkeit für das nächste Jahrhundert.“279
Weitergehende Ausführungen über die Moralkonzeption, die er seiner Wirtschaftsethik zugrunde legt, sind bei Homann nicht zu finden. Weder eine Explikation von, noch eine Begründung für diese Prinzipien wird von Homann geliefert.280 Unter Zugrundelegung derart unpräziser Bemerkungen über das tragende Moralprinzip versucht Homann, eine Integration von Ethik und Ökonomik zu leisten und damit die Behauptung eines „Dualismus’“ zu widerlegen. Allein aufgrund der Tatsache, daß seine Überlegungen zur Ethik derart unpräzise ausfallen, ist die Behauptung Homanns, Ethik ließe sich in Ökonomik übersetzen und dürfe nicht von vornherein als Gegensatz zur Ökonomik betrachtet werden, kritisch zu überdenken. Wenn die zugrundegelegten Begriffe ausreichend unpräzise sind, läßt sich schlechtweg alles mit allem in Einklang bringen. Nach Homann besteht das gesamtgesellschaftliche Resultat der anonymen Austauschbeziehungen eigeninteressiert Handelnder Akteure im „Wohlstand aller“. Aufgrund durchgängig fehlender Präzisierung dieser Formulierung im Sinne der Verteilungsfrage ist wohl davon auszugehen, daß es Homann zunächst nur um den gesamtgesellschaftlich aggregierten Wohlstand geht. Dieser Wohlstand aller ist für Homann nun kompatibel mit der Forderung nach Solidarität und Menschwürde. Wohlstand ist „moralisch wünschenswert“. Diese materiale Wertung liegt der gesamten Wirtschaftsethik von Homann zugrunde. 278
Homann/Blome-Drees (1992), S. 15. Homann (2000), S. 32. 280 Dieser Kritikpunkt wird Homann schon seit vielen Jahren vorgehalten. Vgl. Rottländer (1996), S. 167, der dort als weitere Kritiker dieser Schwachstelle Friedhelm Hengsbach, Wirtschaftsethik, Freiburg (1991), S. 45–52 sowie Franz Furger, Moral oder Kapital? – Grundlagen der Wirtschaftsethik, Zürich-Mödling (1992), S. 127–133 anführt. Vgl. zudem auch Kettner (1994), S. 263, sowie Ulrich (2001a), S. 112 f. Homann hat seine Position in dieser Richtung dennoch nicht weiter präzisiert. Statt dessen beklagt er sich darüber, daß seine Kritiker sich mit dem eigentlichen Anliegen seines Ansatzes, nämlich der Vermeidung eines „Dualismus“ von Ethik und Ökonomik, nicht „explizit“ auseinandersetzen. Vgl. Homann (1998), S. 18. 279
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Weil dieses moralisch erwünschte, gesamtgesellschaftliche Ergebnis durch die etablierte Dilemmastruktur des Wettbewerbs systematisch gefördert bzw. erst hervorgebracht wird, ist Wettbewerb selbst ethisch legitimiert: „[. . .], Markt und Wettbewerb sind das beste bisher bekannte Mittel zur Verwirklichung der Solidarität aller Menschen und haben daher im Prinzip eine ethische Rechtfertigung.“281
3.2 Diskussion der „Ethik mit ökonomischer Methode“ 3.2.1 Die Entkopplung von Motiv und Ergebnis Homann vertritt einen bestimmten wirtschaftsethischen Standpunkt, der sich von anderen unterscheidet. Dabei trifft er nicht nur theoretisch-explikative Aussagen über die Funktionsweise der Wirtschaft, nicht nur technischhypothetische Aussagen darüber, wie bestimmte, vorausgesetzte gesellschaftspolitische Vorstellungen verwirklicht werden können, sondern er formuliert selbst solche normativen Vorgaben: „Daher gilt modern, unter der Voraussetzung einer geeigneten Rahmenordnung: Wettbewerb ist solidarischer als Teilen. In der modernen Gesellschaft sind der barmherzige Samariter und der Hl. Martin keine Modelle mehr für die Gestaltung der sozialen Ordnung [. . .].“282
Homann müßte sich selbst als Wissenschaftler darüber Rechenschaft geben, von welchem systematischen Standpunkt aus er berechtigt ist, solche Wertungen vorzunehmen. Er müßte auf die Bedingungen einer solchen Wertung reflektieren und sich anschließend fragen, ob diese impliziten Bedingungen, auf die er zurückgreift, mit den von Ihm explizit formulierten Aussagen kompatibel sind. Wer – so wie Homann – in der Nachfolge von Adam Smith in der Frage der ethischen Beurteilung einer Handlung Motiv und Ergebnis entkoppeln möchte, vergißt, darauf zu reflektieren, von welchem motivationalen Standpunkt aus ein Handlungsergebnis überhaupt als „ethisch“283 bewertet werden kann. In der Entkopplung von Motiv und Ergebnis werden intentionaler Akt (Motivseite), der die Handlung initiiert, und Ergebnis der Handlung in verobjektivierter Form der kritischen Beurteilung des Betrachters anheimgegeben. Innerhalb einer systematischen Wissenschaft aber muß der Standpunkt des Betrachters, der Motiv und Ergebnis entkoppelt und nur das 281
Homann (1995), S. 21; vgl. auch Homann/Blome-Drees (1992), S. 49. Homann (2000), S. 28. 283 Wenn im folgenden der Begriff „ethisch“ im Bezug auf die Beurteilung von Handlungsergebnissen verwendet wird, so nur, um die Homannsche Begrifflichkeit beizubehalten. 282
3.2 Diskussion der „Ethik mit ökonomischer Methode“
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Handlungsergebnis „ethisch“ bewerten will, in die wissenschaftliche Betrachtung zurückgeholt, reflektiert werden. Dabei zeigt sich, daß der Wertungsvollzug des Betrachters, also ein intentionaler Akt, Bedingung der Ergebnisbewertung ist. Entscheidend für die Behauptung, ein bestimmtes Handlungsergebnis sei „ethisch“, „wertvoll“, „moralisch wünschenswert“, ist der gute Wille des Betrachters. Dieser muß als moralisches Subjekt den Willen haben, das betreffende Handlungsergebnis unter dem Anspruch der Ethik zu werten: Der ethisch Wertende verbindet mit seiner Behauptung einen Geltungsanspruch, der folgendermaßen formuliert werden könnte: „Meine Wertung entspringt gerade nicht meinen bloß individuellen Vorlieben, Präferenzen oder Neigungen, sondern einem guten Willen. Weil meine Wertung nicht meiner individuellen Subjektivität entstammt, sondern meiner Qualität als autonomes, moralisches Subjekt, erstreckt sich ihr Geltungsanspruch auch auf Euch als moralische Subjekte.“284 Diese Wertung impliziert also, weil sie als ethische auftritt, die Forderung, alle anderen moralischen Subjekte, die sich in ihrem Wollen, Werten und Handeln unter den Anspruch der Ethik stellen, sollen aus Freiheit genauso werten. Wenn wir diesen guten Willen des Wertenden ernst nehmen, kommt in seiner Wertung ein Anspruch auf uns zu, der von uns freie, unter keinem Zwang stehende, also autonome, Zustimmung verlangt. Wären wir, als Beobachter zweiter Ordnung, wiederum mit dem Willen, ethisch zu werten, genötigt, dem Bewertenden erster Ordnung (demjenigen der ein bestimmtes Handlungsergebnis für „ethisch“ hält) den guten Willen ab- und ein eigennutzorientiertes Motiv zuzusprechen, wäre seine Behauptung für uns ethisch gar nicht relevant, wir würden mit ihr gar keinen Anspruch an uns verbinden. Weil seine Wertung aus rein individuellen Gründen erfolgte, nämlich aus Eigeninteresse, könnte sie keinerlei berechtigte Aufforderung an uns enthalten, ebenfalls genau so zu werten, d.h. gerade diesen Inhalt positiv zu bewerten. Seine Wertung hätte einen bloß „subjektiven“, individuellen Status. Die Behauptung des Wertenden, das vorliegende Handlungsergebnis sei „ethisch wünschenswert“, können wir nur dann ernst nehmen, wenn wir ihm einen Willen unterstellen, der ethisch werten will. Erst unter der Voraussetzung seines guten Willens wird für uns aus seiner Behauptung eine ethisch relevante Behauptung. 284 Diese Formulierung gibt, bezogen auf den konkreten Anlaß einer materialen Wertung, den kantischen Gedanken der formalen Allgemeinheit des moralischen Gesetzes wieder: „Dieses Princip der Sittlichkeit nun, eben um der Allgemeinheit der Gesetzgebung willen, die es zum formalen obersten Bestimmungsgrunde des Willens unangesehen aller subjektiven Verschiedenheiten desselben macht, erklärt die Vernunft zugleich zu einem Gesetze für alle vernünftigen Wesen, so fern sie überhaupt einen Willen, d.i. ein Vermögen haben, ihre Causalität durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen, [. . .].“ Kant (1788), S. 32. Zu einer ausführlichen Entwicklung und Diskussion der kantischen Ethik siehe Kapitel 5.2 ff.
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Die Zuschreibung eines eigennutzorientierten Motivs als Grund der Behauptung, ein Handlungsergebnis sei „ethisch“, führt zur ethischen Disqualifizierung dieser Behauptung: Sie verliert ihren ethischen Anspruch. Wer dies bestreitet, unterstellt, daß die Unterscheidung zwischen „gutem Willen“ und „eigennutzorientiertem Willen“ prinzipiell hinfällig ist. Jedes eigennützige Motiv wäre damit per se ethisch: Die fragliche Behauptung besteht ja gerade darin, ein Handlungsergebnis als „ethisches“, als moralisch wünschenswertes auszuzeichnen. Wird diese Behauptung als ethische ernst genommen, und zugleich dem Behauptenden in dieser Behauptung das Motiv des persönlichen Vorteils unterstellt, folgt daraus, daß die Forderung der Ethik gedacht wird als in dem speziellen Fall dieser Behauptung in Einklang stehend mit dem Motiv des Eigennutzes. Da die von uns (als Beobachter zweiter Ordnung) zu bewertende Behauptung aber gerade den Anspruch erhebt, ethisch zu werten, bedeutet die Ablehnung der ethischen Disqualifizierung dieser Behauptung darüber hinaus, daß egoistische Motive mit dem Anspruch der Ethik prinzipiell für vereinbar gehalten werden. Wenn Behauptungen, die mit dem Anspruch ethischer Geltung versehen sind, auch dann von uns als ethische Behauptungen angesehen werden, wenn sie egoistisch motiviert sind, gibt es überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen „gut“ und „böse“, zwischen „ethisch“ und „unethisch“. Denn von welchem motivationalen Standpunkt aus sollte diese Unterscheidung dann noch festgestellt werden können? Jede Handlung wäre „gut“, ethisch legitimiert, allein deshalb, weil sie einem beliebigen, rein willkürlichen Motiv eines Individuums entspringt.285 Wenn ein Mörder vor Gericht bekennt, seine Tat sei „böse“ gewesen, dies aber nur deshalb eingesteht, um – ausschließlich seinen persönlichen Vorteil suchend – seine Haftstrafe zu reduzieren und nicht, weil er seine moralische Schuld in irgendeiner Form innerlich einsieht, was kann er mit „böse“ überhaupt gemeint haben? In diesem – so konstruierten – Falle ausschließlicher Vorteilsorientierung ist das Wort „böse“ auf seinen Lippen ein Wort ohne Bedeutung. Zusammenfassend können wir hier festhalten, daß die Einsicht in die Bedeutung von „gut“ und „böse“ mit einer inneren (praktisch-willentlichen) Einstellung unmittelbar zusammenhängt. Von dieser Einstellung kann also in Fragen der „ethischen Beurteilung“ nicht abstrahiert werden. Die Frage nach dem Unterschied zwischen „gut“ und „böse“ läßt sich mit der ökonomischen Methode der individuellen Nutzenkalkulation prinzi285 Letztlich behauptet Homann einen solchen ethischen Solipsismus. Vgl. die Ausführungen zum „methodischen Individualismus“ und der „subjektiven Wertlehre“ in Kapitel 3.1.2 sowie 3.1.4 dieser Arbeit. Vgl. insbesondere die dort zitierte Aussage: „Faktische Entscheidung und Legitimation erfolgen bei individuellem Handeln unu actu [. . .].“ Homann (1988), S. 11.
3.2 Diskussion der „Ethik mit ökonomischer Methode“
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piell gar nicht beantworten, weil „die ‚Übersetzung‘ der Ethik in Ökonomik niemals ‚ohne Rest‘ aufgehen kann“286. Anders gesagt: Ökonomik kann Ethik in ihrem Kern nicht abbilden. Die schlechthin einzige Legitimationsinstanz, die innerhalb des „methodischen Individualismus in seiner normativen Version“ angegeben werden kann, liegt ausschließlich in den willkürlichen Präferenzen und Neigungen der Individuen. Die obige Argumentation machte jedoch deutlich, daß ein konsequentes Festhalten an dieser methodischen Vorentscheidung zur Aufhebung des Unterschiedes zwischen „gut“ und „böse“, und damit zur Negation der Ethik führt. Homann macht die „paradigmatische Wende der Entkopplung von Motiv und Ergebnis einer Handlung“ zu einer der gedanklichen Grundlagen seiner wirtschaftsethischen Konzeption als „Ethik mit ökonomischer Methode“. Diese Entkopplung ermöglicht es ihm – so scheint es – den Wohlstand, den das marktwirtschaftliche System aufgrund der Eigennutzorientierung seiner Akteure hervorbringt, als einen „ethisch wünschenswerten“ zu beurteilen, obwohl die zugrundeliegenden Motive der Akteure egoistisch sind. An dieser Stelle der Kritik Homanns geht es nicht um die Frage, wie, d.h. durch welche institutionellen Arrangements, sich „Wohlstand für alle“ herstellen läßt. Es ist sicher richtig, daß der Egoismus der Wirtschaftssubjekte notwendige Bedingung ist für den Wohlstand unserer marktwirtschaftlich-kapitalistisch geprägten Gesellschaften. Die Aussage über den Zusammenhang zwischen „Egoismus“ und „Wohlstand für alle“ ist eine positive, nicht eine normative: Wertungen sind damit unmittelbar nicht impliziert. Einen völlig anderen Status hat die Aussage, Wohlstand für alle sei moralisch wünschenswert. Sie enthält eine explizite Wertung. An dieser Stelle der Kritik geht es allein um die Frage, wie diese normative Aussage gerechtfertigt werden kann. Es geht um die Bedingungen der Möglichkeit dieser Aussage, als einer normativen. Der Anspruch der Wissenschaft, wahre Aussagen zu treffen, verlangt notwendig eine solche Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Aussagen. Wenn sich nämlich zeigt, daß die innerhalb eines wissenschaftlichen Standpunktes explizierten Behauptungen den impliziten Voraussetzungen widersprechen, ist dieser wissenschaftliche Standpunkt diskreditiert. Widerspruchsfreiheit ist zumindest eine der Forderungen, die jede wissenschaftliche Behauptung zu erfüllen hat. Die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Aussage ist somit zumindest eine Art Minimaltest für Wissenschaftlichkeit. Aus den obigen Darlegungen folgt, daß der „gute Wille“ im Sinne Kants gerade diese Bedingung der Möglichkeit der Behauptung ist, Wohlstand für alle sei „ethisch wünschenswert“. Die prinzipielle Trennung von Motiv und Ergebnis im Sinne Adam Smiths, also hinsichtlich des Problems der ethischen 286
Homann (1998), S. 43.
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Bewertung von Handlungen, widerspricht sich selbst. Damit ist Homanns Konzeption einer Wirtschaftsethik in einem zentralen Punkt der Boden entzogen.287 Kommen wir nun zum zweiten Diskussionspunkt. 3.2.2 Die Genese der Rahmenordnung: Methodischer Individualismus oder Metaphysik? 3.2.2.1 Problemstellung Die Unterscheidung von Handlungsebene und Rahmenordnung erlaubt es Homann – so scheint es –, die Handlungen der Wirtschaftssubjekte moralfrei ansetzen zu können, ohne „Moral“, „moralische Intentionen“ gänzlich ablehnen zu müssen. Die „Moral“ wird bei ihm – wie wir schon gesehen haben – paradigmatisch in die Spielregeln, die Rahmenordnung verlegt.288 Auf dieser Moralverschiebung basiert die Lösung des von ihm entwickelten Ausgangsproblems von moralischem Verhalten unter Wettbewerbsbedingungen. Wenn auch dieses Problem durch eine Verortung der „Moral“ auf der Ebene der Rahmenordnung zunächst gelöst zu werden scheint, handelt sich Homann mit diesem Lösungsversuch jedoch ein anderes Fundamentalproblem ein: Nachdem die Wirtschaftssubjekte sich in ihren Handlungen an nichts anderem als ihrem jeweiligem Eigeninteresse zu orientieren haben, stellt sich in Homanns Konzeption die grundlegende Frage, wer oder was die von ihm postulierte „Moralität“ der Rahmenordnung herzustellen oder zu garantieren hat.289 Vermag Homann die Genese der Rahmenordnung 287
Zur Bedeutung des kantischen „guten Willens“ für eine Wirtschaftsethik vgl. Kettner (1994), S. 248 f.: „Der gute Wille ist vorausgesetzt, wenn angewandte Ethik (z. B. Unternehmensethik) Empfehlungen macht, denn wen wollte sie denn im Ernst adressieren, wenn nicht Akteure mit ‚gutem Willen‘ (bzw. wie wir heute eher sagen: mit ‚Bewußtsein ihrer moralischen Verantwortung‘). Hier hat Kant einfach recht.“ Kettner fährt allerdings fort: „Eine andere Sache ist, daß angewandte Ethik, wenn sie bloß ‚an das Gewissen‘ appelliert, nicht überzeugt. Hier hat Homann recht.“ Daß sich der normative Gehalt der Ethik allein „an das Gewissen“ des freien Subjektes richten kann, wird in Kapitel 5 zu zeigen sein. 288 Vgl. Homann/Blome-Drees (1992), S. 40 f.: „Moral und moralische Motivation von einzelnen sind unverzichtbar, sie setzen in unserem Entwurf nur an einer systematisch anderen Stelle an: Nicht bei den unmittelbar wirtschaftlichen Handlungen, die im Prinzip ‚moralfrei‘ erfolgen, sondern bei der Gestaltung, bei der Akzeptierung und bei der Befolgung der Regeln für diese Handlungen.“ 289 Das Problem der Etablierung einer „moralischen“ Rahmenordnung bei Homann wird auch von Michael Aßländer kritisiert: „Wenn Homann von einer moralischen Pflicht der Unternehmen zur Implementierung von Moral innerhalb der Rahmenordnung, respektive ihrer Pflicht zur moralischen Verbesserung bestehender Ordnungen spricht, dann übersieht er offensichtlich, daß er damit gerade jene Motivation einfordert, die er auf Ebene der Spielzüge wegdefinieren möchte.“ Aßländer (1999), S. 431.
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nicht streng innerhalb seiner methodischen Grundannahmen zu rekonstruieren, so wird damit auch die Lösung seines wirtschaftsethischen Ausgangsproblems aus systematischer Perspektive fragwürdig. Gemäß dem von Homann gewählten wissenschaftlichen Fundament des „methodischen Individualismus“ muß diese Rahmenordnung sich aus dem jeweiligem Nutzenkalkül der Individuen schlüssig ableiten lassen. Homann gesteht das selbst ausdrücklich zu: „Wenn Ausgang, Legitimation und Ziel der gesellschaftlichen Organisation die Individuen und ihre Interessen sind, müssen sich die konkreten und höchst differenzierten Organisationsformen moderner Gesellschaften aus dem Wollen dieser Individuen herleiten lassen: Die Betroffenen legen selbst und gemeinsam jene Regeln fest, nach denen sie miteinander umgehen wollen.“290
Mit einer solchen Ableitung der Rahmenordnung „aus dem Wollen“ der Individuen steht und fällt nicht nur die Lösung des wirtschaftsethischen Ausgangsproblems, sondern darüber hinaus auch die gesamte Wissenschaftskonzeption von Karl Homann. Der programmatische Anspruch auf eine Ableitung „[m]oralische[r] Regeln bis hin zum kategorischen Imperativ [. . .] aus ökonomischen Vorteils-/Nachteils-Kalkulationen“, der Anspruch also auf eine „Endogenisierung der Moral in positive Ökonomik“,291 wird in dieser zentralen Ableitung der Rahmenordnung seiner entscheidenden Bewährungsprobe unterzogen: Denn die Rahmenordnung wird von Homann ja gerade als der systematische Ort aller Moral, als ihr Kristallisationspunkt angesehen. Schlägt die Ableitung fehl, so darf die systematische Grundlage der Wirtschaftsethik von Karl Homann, das Konzept einer „Ethik mit ökonomischer Methode“, als widerlegt gelten. Entscheidend für eine systematisch befriedigende Rekonstruktion der Genese der Rahmenordnung aus den Voraussetzungen des „methodischen Individualismus“ ist die Modellierung des Zustandes „vor“ dieser Genese.292 In der gedanklichen Konstruktion dieses Zustandes reiner Individualität dürfen keine normativen Elemente versteckt sein, die erst durch die Etablierung einer Rahmenordnung – gedanklich-abstrakt und/oder faktisch – „hergestellt“ werden sollen. Andernfalls machte sich die gedankliche Ableitung einer petitio principii schuldig. Im Extremfall des vollständigen Fehlens einer Rahmenordnung, d.h. von institutionalisierten Regeln des Zusammenlebens, ist der Ausgangszustand, der der Ableitung zugrunde liegt, aufzufassen als das Fehlen jeglichen nor290
Homann (1995), S. 4. Vgl. die Ausführungen in Kapitel 1.2. 292 Dieser Zustand ist entweder rein logisch, d.h. als gedanklich-abstrakter, oder aber raum-zeitlich, empirisch aufzufassen, je nachdem, welchen Anspruch die Konzeption von Homann erhebt. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 291
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mativen und faktischen Schutzes der personalen Integrität. In diesem Fall darf im vor-konsensuellen Ausgangszustand weder ein Schutzmechanismus vorausgesetzt werden, der den einzelnen Individuen die ungehinderte Verfolgung ihrer jeweiligen Interessen garantierte, noch überhaupt die interpersonelle Grundnorm, daß die personale Integrität des jeweils anderen schutzwürdig wäre. Denn, daß die personale Integrität des jeweils anderen prinzipiell geschützt werden soll, nicht vernichtet werden darf, ist vom Standpunkt jedes einzelnen alles andere als selbstverständlich, wenn er sich voraussetzungsgemäß lediglich nach seinen individuellen, und das heißt willkürlichen, Interessen richten soll.293 Solange eine für alle verbindliche Rahmenordnung noch nicht besteht, kann es innerhalb des methodischen Individualismus keinen systematischen Grund dafür geben, Mord und Totschlag als illegitime Form der Interessenverfolgung abzulehnen. Wenn in einer beliebigen Situation die Interessenlage der nutzenkalkulierenden Moralmonaden, die der methodische Individualismus als Erklärungsvoraussetzung allein zuläßt, es erfordert, müssen auch Mord und Totschlag systematisch als legitime Interessenwahrnehmung betrachtet werden. Dieser Extremfall soll im folgenden zur Veranschaulichung der Untersuchung dienen. Auch Homann bezieht seine Überlegungen – unter anderem – auf die „wechselseitige[.] Anerkennung der grundlegenden Verfügungsrechte über Leib und Leben“.294 Anstelle des grundlegenden Rechtes auf personale Integrität lassen sich aber auch beliebig andere normative Regelungsinhalte als Untersuchungsgegenstand verwenden. Entscheidend ist allein, daß im Zustand der fehlenden Rahmenregelung nicht diejenigen normativen Elemente schon impliziert sind, die moralökonomisch abgeleitet werden sollen. Wie bereits ausgeführt, verschiebt Homann die Frage nach der Genese der Rahmenordnung auf eine abstrakte Meta-Ebene, auf der die ansonsten herrschende Dilemmastruktur durch einen Konsens aufgehoben sein soll. Homann verwendet neben dem Begriff „Konsens“ den Begriff „Vertrag“.295 Insbesondere in der für ihn zentralen Frage, wie Normativität – konkreter: die Rahmenordnung – unter der bloßen Voraussetzung von Individualität rekonstruiert werden kann, beruft er sich auf vertragstheoretische Überlegun293 In einer transzendental exakten Betrachtung zeigt sich darüber hinaus, daß das bloße Auftreten eines anderen Individuums bereits einen normativen Gehalt impliziert. Die hier als selbstverständlich vorausgesetzte Ausgangssituation einer Mehrzahl von Individuen, die interagieren und insofern aufeinander bezogen sind, enthält weitreichende normative Voraussetzungen, die in Kapitel 7 entwickelt werden. 294 Vgl. Homann (1998), S. 24. 295 „Die Vertragstheorie denkt alles kollektive Handeln im Paradigma des Vertrages bzw. der freiwilligen Kooperation [. . .]. Legitim ist kollektives Handeln allein unter der Bedingung der Zustimmung aller Betroffenen, also des Konsenses bzw. der Geltung des Vetorechts jedes einzelnen.“ Homann (1990), S. 156 f.
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gen.296 Wenn hier die Aussagen Homanns kritisiert werden, so steht als Bezugspunkt auch diese Vertragstheorie im Hintergrund. Diese wird durch die hier vorgebrachten Argumente unvermeidlich implizit angegriffen. Dieses Kapitel macht es sich jedoch allein zur Aufgabe, die von Homann selbst dargelegten Argumente und ihren jeweiligen Hintergrund, nicht aber die Vertragstheorie im allgemeinen kritisch zu beleuchten. In Bezug auf den Meta-Konsens, der die Grundlage der Genese der Rahmenordnung bildet, muß zunächst eine Differenzierung vorgenommen werden, die bei Homann in dieser Form nicht explizit gemacht wird. Einerseits erhebt seine Konzeption den Anspruch, die Frage nach der prinzipiellen Legitimierung von Rahmenordnungen über ihre gedankliche Ableitung beantworten zu können. In diesem Falle ist eine gedanklich-abstrakte Rahmenordnung Gegenstand der Untersuchung, deren Legitimität über den Nachweis ihrer Vereinbarkeit mit individuellen Interessen in abstracto nachgewiesen werden soll. Andererseits wird aber dasselbe Rekonstruktionsmodell von Homann dazu verwendet, „die KONKRETEN [Herv. d. Verf.] und höchst differenzierten Organisationsformen moderner Gesellschaften [. . .] her[zu]leiten“.297 Zusätzlich zu dieser Unschärfe ist zu beachten, daß Homann insbesondere im zweiten Fall – wie wir sehen werden – neben dem Legitimationsaspekt auch theoretisch-explikative Ziele verfolgt. Aufgrund dieses mehrfachen Erkenntnisinteresses, das bei Homann nicht klar differenziert wird, stellen sich drei Fragen, die im folgenden nacheinander zu bearbeiten sind, bevor eine abschließende Beantwortung der Frage erreicht werden kann, ob Homann die Genese der Rahmenordnung aus seinen methodischen Vorraussetzungen heraus zu rekonstruieren vermag: 1. Wird mit dem Meta-Konsens die Eigenschaft einer realen, empirischen Interaktionssituation bezeichnet, so daß er als das Modell einer tatsächlichen gesellschaftlich-politischen Verständigung über Regelungsprobleme angesehen werden kann? Oder soll unter dem Homannschen Konsens ein bloßes „Gedankending“, also ein abstraktes, theoretisches Postulat verstanden werden? 2. Wenn der Konsens den Status einer empirischen Verständigung haben soll, ist zu fragen, welche empirischen Bedingungen einen solchen empirischen Konsens ermöglichen. 3. Wenn der Konsens hingegen rein als theoretisches Postulat zum Nachweis der abstrakten Legitimität von Rahmenordnungen aufzufassen ist, 296 „Die von mir entwickelte ökonomische Begründung von moralischen Regeln beansprucht, die Regeln der klassischen kantischen Tradition auch aus Vorteils-/ Nachteilskalkulationen der Individuen im Rahmen einer elaborierten modernen Vertragstheorie begründen zu können [. . .].“ Homann (1997), S. 13. 297 Vgl. Homann (1995), S. 4.
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stellt sich die Frage, welche gedanklichen Konstitutionsbedingungen erfüllt sein müssen. 3.2.2.2 Der Meta-Konsens: Empirische Situation oder theoretisches Postulat? Viele Ausführungen Homanns lesen sich so, als ob er davon ausginge, daß dieser Konsens, der die Überwindung der Dilemmastruktur leistet, einen empirischen Status hätte. Er verwendet z. B. seine Konzeption in theoretisch-explikativer Perspektive dazu, Unterschiede in den empirisch bestehenden Normensystemen zu erklären. Die „Kontingenz aller Normensysteme“ erklärt er damit, daß „[h]istorische, kulturelle und andere Unterschiede bei Normensystemen [. . .] sich als Pfadabhängigkeiten unterschiedlicher Formen vorausgegangener Überwindungen von Dilemmastrukturen deuten [lassen].“298
Insbesondere, wenn er davon spricht, daß „Regeln [. . .] für ihre Gültigkeit und für ihre Implementation auf die grundsätzliche Zustimmung aller Betroffenen angewiesen [sind]“299, drängt sich der Eindruck auf, Homann würde von einer realen, tatsächlichen Situation sprechen. Noch deutlicher scheint die Aussage zu sein: „Die Gültigkeit von Normen wird in Dilemmastrukturen, die allgegenwärtig sind, von ihrer EMPIRISCHEN IMPLEMENTATION [Herv. d. Verf.] abhängig [. . .]. Die Gültigkeit von Normen hat so einen prekären Status und beruht auf EMPIRISCHEN BEDIN300 GUNGEN [Herv. d. Verf.].“
Die Interpretation des Meta-Konsenses als empirische Situation drängt sich aber auch aus dem in Kapitel 1.1 dargestellten pragmatischen Anliegen Homanns auf: Homann möchte dezidiert die tatsächliche Entwicklungsfähigkeit der heutigen Gesellschaft unter den derzeit bestehenden, historischfaktischen Bedingungen theoretisch unterstützen. Es ist der Abbau von Handlungsblockaden in der modernen Gesellschaft, dem er sich verpflichtet hat. Durch eine in der Theorie zu vollziehende Auflösung des Dualismus von Ethik und Ökonomie sollen die theoretischen Grundlagen für die Auflösung der von ihm diagnostizierten Selbstblockaden der modernen Gesellschaft bereitgestellt werden. Unter den von Homann diagnostizierten komplexen gesellschaftlichen Bedingungen der Moderne geht es um differenzierte Gestaltungsfragen, die innerhalb schon bestehender Rechtsordnungen zu lösen sind. Diese Gestaltungsfragen finden in einem konkreten histo298 299 300
Homann (1998), S. 28. Homann/Suchanek (2000), S. 190. Homann (1993), S. 37 f. Vgl. auch Kapitel 3.1.4.
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risch-faktischen Umfeld statt und werden von den empirischen Bedingungen geprägt, die Homann entsprechend betont. Für dieses pragmatische Interesse Homann ist es deshalb unabdingbar, den Meta-Konsens als ein Modell für die tatsächliche gesellschaftliche Verständigung über Fragen der sozialen Ordnung zu konzipieren. Nur so könnte die theoretische Auflösung des Dualismus von Ethik und Ökonomie, die Homann mit dem auf individueller Nutzenkalkulation basierenden Meta-Konsens zu leisten beansprucht, auch eine entsprechende praktische Relevanz für sich reklamieren. Die Konzeption von Homann müßte also den Anspruch haben, mit dem Meta-Konsens konkrete, gesellschaftliche Verständigungsprozesse abzubilden. 3.2.2.3 Die Bedingungen eines empirischen Konsenses Wenn wir aufgrund dieser Überlegungen davon ausgehen, daß Homann mit dem Meta-Konsens ein Modell empirischer Situationen bereitstellen will, stellt sich die Frage, welche theoretischen Rekonstruktionsmuster für einen solchen Modell-Konsens mit den methodischen Voraussetzungen Homanns vereinbar sind. Entlang dieser Frage sollen erstens die Annahme einer bestimmten Motivlage der Individuen, zweitens spieltheoretische Überlegungen und drittens die Voraussetzung gemeinsamer Interessen diskutiert werden. Der Durchgang durch alle drei Erklärungsmuster ist notwendig, um die konzeptionellen Schwierigkeiten deutlich zu machen, mit denen die Homannsche Konzeption behaftet ist. Jedoch wird sich erst im anschließenden Kapitel die Frage abschließend beantwortet werden lassen, ob Homanns Konzeption überhaupt tragfähig ist. 3.2.2.3.1 Rekonstruktion durch Motivationsvoraussetzungen Zunächst wäre die mögliche Annahme zu prüfen, daß sich die postulierte Gemeinsamkeit aller Beteiligten in Form eines Modell-Konsenses nicht naturwüchsig, quasi „von selbst“ einstellt, sondern nur unter der Voraussetzung einer bestimmten Motivlage der Individuen. Eine solche bestimmte innere Motivlage – wie sie inhaltlich auch immer gefüllt werden mag – kann jedenfalls nicht mehr im Sinne eines bloß formalen Nutzenbegriffs dadurch charakterisiert werden, daß sie in bloßem Eigeninteresse begründet ist, was immer die Individuen darunter jeweils verstehen mögen. Diese innere Einstellung wäre aufgrund ihrer inhaltlichen Bestimmtheit gegenüber einer bloß formalen Bestimmung im Sinne individueller Willkür spezifischer. Hierbei kann offen bleiben, ob mit dieser Einstellung „Altruismus“ oder ein
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im kantischen Sinne guter Wille gemeint ist. Es ist zwar richtig, daß eine Handlung aus „Altruismus“ auch nur aus Eigeninteresse im formalen Sinne motiviert ist, insofern der Handelnde eine Präferenz für altruistische Handlungen hat und lediglich versucht, gemäß diesen seinen Präferenzen einen möglichst hohen Nutzen zu realisieren. Dennoch wäre die Forderung von Altruismus als konstitutive Bedingung für einen Meta-Konsens spezifischer als es die Berufung auf die „subjektive Wertlehre“ erlauben würde. Die Erklärung des empirischen Konsenses mit Hilfe von Altruismus steht also nicht im direkten Widerspruch zur „subjektiven Wertlehre“. Dennoch ist sie methodisch unbegründet, da sie eine stärkere, d.h. spezifischere, Voraussetzung macht als es die „subjektive Wertlehre“ erlaubt. Methodisch unbegründete Erklärungen scheiden in der Wissenschaft jedoch aus. Ein im kantischen Sinne guter Wille würde die „subjektive Wertlehre“ vollkommen sprengen, da er sich gerade dadurch auszeichnet, von allen subjektiven Bestimmungsgründen der Willkür, d.h. allen Neigungen, abzusehen. Der gute Wille will sich gerade nicht nach „subjektiven Werten“ richten, sondern nach dem, was unabhängig von aller Individualität eine Willenshaltung als allgemein kennzeichnet.301 Wir können hier festhalten, daß die Erklärung eines empirischen Konsenses durch die Annahme einer bestimmten Motivlage der Individuen unerlaubt ist, sofern an den Voraussetzungen der „subjektiven Wertlehre“ bzw. des „methodischen Individualismus“ festgehalten wird. 3.2.2.3.2 Spieltheoretische Rekonstruktion Als weitere mögliche Erklärung eines empirischen Konsenses wäre zu prüfen, ob sich ein Konsens zwischen den Beteiligten zwingend aus ihrem jeweiligen, individuellen Eigeninteresse ergeben könnte, und zwar auch dann, wenn die Interaktionssituation dilemmatischen Zwängen unterliegt. Diese Erklärung bliebe methodisch innerhalb der Grenzen des „methodischen Individualismus“, da lediglich der rein formale Begriff des individuellen Vorteils zur Erklärung benötigt wird. Wird „Konsens“ als eine Form von „Kooperation“, von Gemeinsamkeit verstanden, kann zur Beantwortung dieser Frage das hier als bekannt unterstellte, spieltheoretische Experiment des Gefangenendilemmas302 herangezogen werden: Das Gefangenendilemma zeigt in aller Klarheit, daß in einer Interaktionssituation, in der erstens alle Beteiligten ausschließlich ihre eigenen Interessen verfolgen und die zweitens durch keine bereits etablierten Koopera301 302
Vgl. dazu die Diskussion des „Guten Willens“ in Kapitel 5.4. Zur Darstellung vgl. Homann/Pies (1991), S. 609 f.
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tionsmechanismen vorstrukturiert ist – Absprachen zwischen den Häftlingen sollen voraussetzungsgemäß nicht möglich sein –, eine kooperative Lösung nicht zustande kommen kann. Nur unter den Zusatzbedingungen der Spielwiederholung in einem für die Spieler nicht überschaubaren Zeithorizont könnte sich durch eine Tit-for-Tat Strategie eine tendenziell stabile kooperative Situation ergeben.303 Die Zusatzbedingung der Spielwiederholung ist jedoch problematisch, da damit bereits ein gegenüber der Spielsituation externer Rahmen vorausgesetzt wird, in dem die Spieler nicht der Dilemmastruktur ausgesetzt sind. Denn eine fortwährende Wiederholung des Spieles bedeutet nichts anderes, als daß das Spiel für die Spieler keine existentiellen Folgen hat: Die Spieler können sich prinzipiell gar nicht in ihrer Integrität verletzten, weil sie immer von neuem in die gleiche Ausgangsposition versetzt werden. Eine „echte“ Interaktionssituation, in der jeder versucht, sein Eigeninteresse zu verwirklichen, ohne Rücksicht auf den anderen, ist aber nicht reversibel: Wenn der eine den anderen vernichtet, kann das Spiel nicht wiederholt werden. Die Spielwiederholung in einem nicht überschaubaren Zeithorizont garantiert jedem Spieler das – aus seiner Sicht – ewige Vermögen, seine Interessen verfolgen zu können, unabhängig davon, wie der jeweils andere handelt. Darüber hinaus impliziert eine solche, als fortwährend zu erwartende Spielwiederholung aus der Perspektive des einzelnen Spielers, daß er sich immer mit dem anderen wird auseinandersetzen müssen, ob er will oder nicht: Die Integrität des anderen als Spieler ist seinem Zugriff entzogen, er kann ihn niemals endgültig seinen Interessen opfern. Unter dieser vorausgesetzten Bedingung, daß der andere in seiner Qualität als Spieler – und das soll hier als die vereinfachende spieltheoretische Übersetzung seiner personalen Integrität zu verstehen sein – faktisch nicht angetastet werden kann, d.h. unter Voraussetzung einer bereits institutionalisierten Kooperation, ist es sehr wohl denkbar, daß weitere Kooperation auch in den Spielzügen im Eigeninteresse der Spieler liegt. Mit dem Begriff der Spielwiederholung wird also implizit gerade das vorausgesetzt, was durch die Rekonstruktion erklärt werden sollte: Kooperation in der Form einer Rahmenordnung, d.h. eine Rahmenordnung, die gewährleistet, daß die Spieler bei der Verfolgung ihres jeweiligen Eigeninteresses nicht die Integrität des anderen als gleichberechtigten Spieler verletzen; eine Rahmenordnung also, die der Verfolgung des Eigeninteresses eine Grenze setzt. Diese Grenze besteht darin, „dass keiner für einen größeren Nutzen anderer oder aller ‚geopfert‘ werden darf.“304 Das Recht auf unverletzliche Personalität, das Recht darauf, als Individuum seine je eigenen 303 304
Die Begründung und Ableitung dieser Aussage unternimmt Axelrod (1995). Homann/Suchanek (2000), S. 191.
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Interessen verfolgen zu können, solange die Integrität aller anderen gewahrt bleibt, wird mit dem Begriff der Spielwiederholung durch die Hintertür dem explanans untergeschoben, nämlich als implizite Zusatzrestriktion für die individuelle Nutzenmaximierung.305 Die strenge Form des Gefangenendilemmas, ohne Spielwiederholung, ist daher der geeignete Experimentierrahmen, um zu prüfen, ob aus purem Eigeninteresse die kooperative Lösung hervorgeht. Und das Ergebnis lautet: Sie geht daraus nicht hervor!306 Hier bleibt festzuhalten, daß auch diese zweite mögliche Erklärung eines empirischen Konsenses ausscheidet. Der Versuch, Kooperation durch Eigeninteresse zu erklären, ist zwar innerhalb der subjektiven Wertlehre metho305
Dieses Argument trifft auch den Versuch von Rudolf Schüssler (Schüssler (1991)), durch eine spieltheoretische Simulation nachzuweisen, daß egoistische Kooperation auch in einer moralfreien Situation zumindest prinzipiell möglich ist und sich gegenüber defektierenden Verhaltensweisen durchsetzen kann. Sein Modell geht „[i]m Gegensatz zu den üblichen Superspielmodellierungen“ davon aus, daß „jeder Akteur willentlich und ohne Kosten nach jedem einzelnen Gefangenendilemmaspiel aus einer iterierten Aktion aussteigen [kann].“ Vgl. Schüssler (1991), S. 102. Die Spieler „merken sich, ob sie eine Runde zuvor ausgenutzt wurden, und suchen sich dementsprechend einen neuen Partner, oder nicht.“ Ebd., S. 102. Im Falle des Ausgebeutetwerdens durch einen nicht-kooperativen Spieler kann sich jeder Spieler also in der nächsten Runde einen neuen Partner suchen. Mit dieser Annahme wird jedoch jedem Spieler zugesichert, fortwährend am Spielgeschehen teilnehmen zu können, unabhängig von allen Spielzügen der jeweiligen Interaktionspartner. Auch ohne auf die Vorzüge dieser subtilen Konzeption und ihre spieltheoretischen Spezifikationen näher eingehen zu müssen, bleibt festzuhalten, daß auch Schüssler implizit die Voraussetzung macht, daß die gegenseitige Vernichtung der Spieler ausgeschlossen ist. Damit trifft auch ihn der Vorwurf, eine nicht ausgewiesene normative Grenze in die Spielsituation eingeführt zu haben. Unabhängig von diesem zentralen Einwand wird die Aussagekraft der Analyse Schüsslers für die hier untersuchte Fragestellung auch durch seine Annahme eingeschränkt, daß ein gewisser Teil der Spieler von vornherein die Metastrategie verfolgt, in jedem einzelnen Spiel auf Kooperation zu setzen. Vgl. ebd., S. 105. Diese Annahme ist fragwürdig, wenn es darum geht nachzuweisen, ob unter der Bedingung rein nutzenmaximierender Kalkulation eine kooperative Strategie überhaupt entstehen kann. Mit der Annahme von bestimmten Metastrategien bzw. Verhaltenstypen der Spieler wird letztlich die rein formale Annahme der Nutzenmaximierung durchbrochen. Damit wird aber das hier interessierende Problem – so wie sie im ursprünglichen, einfachen Gefangenendilemma behandelt wird –, nämlich ob Kooperation überhaupt mit der Annahme der Nutzenmaximierung vereinbar ist, schon übergangen. 306 Auch Jürgen Habermas argumentiert, daß eine Kooperationssituation aus dem hobbistischen Naturzustand nur unter (moralischen) Zusatzbedingungen hervorgehen könnte. Vgl. Habermas (1998), S. 120 f. Er resümiert: „Eine solche moralische Imprägnierung des Naturzustandes steht aber im Widerspruch zu den naturalistischen Voraussetzungen des Beweiszieles, das sich Hobbes gesetzt hat, nämlich die Errichtung eines Systems des wohlgeordneten Egoismus allein aus dem aufgeklärten Selbstinteresse aller Einzelnen zu begründen.“ Ebd., S. 121. Diese Aussage läßt sich unmittelbar auf die Homannsche Beweisführung übertragen.
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disch gerechtfertigt, scheitert aber unmittelbar deshalb, weil in einer radikal unstrukturierten Interaktionssituation die Individuen aufgrund ihres vorausgesetzten Eigeninteresses gerade daran gehindert werden, eine kooperative, konsensuelle, auf Gemeinsamkeit beruhende Situation anzustreben. Eine verantwortungsvolle Rahmenordnung, die die Selbstliebe der Wirtschaftssubjekte in Wohlstand für alle transformiert, kommt gerade nicht durch pure Nutzenmaximierung aller Individuen zustande.307 3.2.2.3.3 Rekonstruktion durch gemeinsame Interessen Als dritte Möglichkeit einer Erklärung des Modell-Konsenses bliebe noch der Hinweis auf immer schon faktisch bestehende, gemeinsame Interessen aller Beteiligten. Unter dem Begriff des gemeinsamen Interesses wäre dabei eine Art intersubjektive Schnittmenge zwischen allen bestehenden individuellen Interessenlagen zu verstehen. Wenn – so wie Homann behauptet – als alleiniges normatives Kriterium moderner Wirtschaftsethik die Zustimmung aller Betroffenen angenommen werden darf, und die einzelnen Beteiligten zudem allein im Hinblick auf ihre individuelle Vorteils-/Nachteilskalkulation entscheiden sollen, dann müßte folglich der Konsens, der den Dilemmazwang aufhebt, so konzipiert werden, daß er sich aufgrund einer intersubjektiven Schnittmenge gemeinsamer Interessen aller Beteiligten einstellt. Da alle Beteiligten ausschließlich nach ihren jeweils individuellen Präferenzen handeln und entscheiden sollen, können sie einem Dilemmazwang, dem sie ohne den Schutz institutionalisierter Regeln radikal ausgeliefert sind, nur dann entgehen, wenn sie sich auf einer Meta-Ebene voraussetzungslos einig sind, d.h. wenn sie auf dieser Ebene identische Präferenzen bzw. Interessen haben. Diese Erklärung des Konsenses hätte den Vorzug, daß sie mit der Voraussetzung des „methodischen Individualismus“ und einem rein formalen Vorteilsbegriff kompatibel ist. Sie hat den Nachteil, daß sie eine sehr starke empirische Annahme darstellt, die, betrachten wir die Geschichte, wenig plausibel erscheint. 307 Siehe dazu Ulrich (2001a), S. 366 f.: „Reformen, die das Ziel haben, unparteiliche und insofern ethisch gehaltvolle Rahmenbedingungen des Marktes zu etablieren, sind unter Homines oeconomici, die nur ihren privaten Vorteil maximieren wollen, gerade nicht konsensfähig, eben weil sie nicht wettbewerbsneutral sind. [. . .]. Ethisch gehaltvolle ordnungspolitische Reformen in Richtung grösserer Human-, Sozial- oder Umweltverträglichkeit der Marktanreize [. . .] setzen voraus, dass die betroffenen Wirtschaftssubjekte, insbesondere die mächtigen unter ihnen, nicht strikt ihre Sonderinteressen verteidigen, sondern ordnungspolitische Mitverantwortung für den (angestrebten besseren) Zustand der Rahmenordnung übernehmen, auch wenn sie (in zumutbarem Mass) dabei private Nachteile in Kauf nehmen müssen.“
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Die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen, in denen Interaktionen auf die vollkommene Vernichtung des beteiligten Gegenübers gerichtet waren. Es wäre wohl mehr als zynisch, davon zu sprechen, daß diesen Interaktionen auch – freilich irgendwo verborgene – gemeinsame Interessen von Opfern und Tätern zugrunde lägen. Aber genau davon geht Homann prinzipiell und grundlegend aus, wenn er – wie schon oben erwähnt – behauptet, daß „[. . .] alle menschlichen Interaktionen zugleich von gemeinsamen und konfligierenden Interessen gekennzeichnet [sind]“308,
und weiterhin unterstellt, daß „[. . .] schon bei der wechselseitigen Anerkennung der grundlegenden Verfügungsrechte über Leib und Leben [. . .] diese Struktur vor[liegt].“309
Ein schlechthin böser Wille unserer Mitmenschen ist möglich. Und ein solcher Wille zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er sich als Individualwille, d.h. seine individuellen Interessen, absolut setzt und alle anderen möglichen Interessen von vornherein ablehnt. Der böse Wille will ausschließlich das, was er individuell will, und er will es ausschließlich deshalb, weil er es individuell will. Er ist sich selbst als Individualwille ein absolutes Gesetz. Aus der Perspektive des bösen Willens gibt es keine gemeinsamen Interessen mit anderen, weil er willentlich alle eventuell möglichen gemeinsamen Interessen negiert. Das impliziert dann auch umgekehrt, daß alle anderen, an gemeinsamen Interessen Interessierten, einen solchen bösen Willen, wenn sie ihn erkennen, radikal ablehnen müssen. Falls ein böser Wille auftritt (man denke z. B. an die Diktatoren des 20. Jahrhunderts) gibt es keine schlechthin gemeinsamen Interessen mehr. Damit wird auch ein faktischer Konsens aufgrund gemeinsamer Interessen unmöglich. Wie schon mehrfach betont wurde, ist die Annahme identischer Interessen der einzig methodisch gangbare Weg, um unter Zugrundelegung des „methodischen Individualismus“ bzw. der „subjektiven Wertlehre“ einen Übergang herzustellen, von einer Mehrzahl von Individuen zur überindividuellen Einheit des Kollektivs. Insbesondere gilt das dann, wenn der Anspruch erhoben wird, mit Hilfe dieser methodischen Vorentscheidungen eine Wirtschaftsethik zu entwerfen, die der tatsächlichen Entwicklungsfähigkeit unserer Wirtschaftssysteme dient. Homann hält es sich ja gerade zugute, Fragen der „ethischen“ Weiterentwicklung unserer faktisch bestehenden Rahmenordnung von der dilemmatischen Handlungsebene der Wirtschaftssubjekte auf eine Meta-Ebene zu verschieben und damit zum Abbau moralisierender Handlungsblockaden in unserer Gesellschaft beizutragen. Diese Meta-Ebene, auf der – gemäß seiner theoretischen Konzeption – eine 308 309
Homann (1999), S. 58; vgl. auch Homann (1998), S. 24. Homann (1998), S. 24.
3.2 Diskussion der „Ethik mit ökonomischer Methode“
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faktische Weiterentwicklung tatsächlich geleistet werden müßte, ist – wie schon oben zitiert – dadurch charakterisiert, daß „man zu unproblematischen, allgemein akzeptierten und daher gerechtfertigten normativen Bedingungen gelangt ist.“310 Da es Homann um eine Wirtschaftsethik geht, die ohne „metaphysische Voraussetzungen“ an empirische Verhältnisse anknüpfen kann, machen seine Ausführungen zur Meta-Ebene keinen Sinn, verstünde man diese nicht als empirische Situation! Wenn sie aber empirisch auftreten können soll, muß man – unter Voraussetzung des „methodischen Individualismus“ – zu ihrer Plausibilisierung tatsächlich bestehende, gemeinsame Interessen aller Beteiligten annehmen. Es zeigt sich hier ein direkter Zusammenhang zwischen der Annahme eines empirischen Status‘ des Konsenses und der Annahme gemeinsamer Interessen. Der „methodische Individualismus“ stellt zwingend ein solches Bedingungsgefüge her: Die eine Annahme kann nicht behauptet werden, ohne auch die andere zu behaupten, und keine von beiden kann geleugnet werden, ohne auch die andere abzulehnen. Dieses Kapitel ging von der in 2.2.1 begründeten Annahme aus, daß der Meta-Konsens den Status eines Modells empirischer Verständigung hat. Untersucht wurde die Frage, welche theoretischen Möglichkeiten zur Rekonstruktion eines solchen Meta-Konsenses mit dem methodischen Individualismus vereinbar sind. Als Ergebnis stellte sich heraus, daß allein die Annahme gemeinsamer Interessen eine methodisch unproblematische Rekonstruktion ermöglicht. In der Frage der Bewertung der Homannschen Konzeption bleibt als Ergebnis der Untersuchung festzuhalten, daß sein Ansatz insofern als fragwürdig zu bezeichnen ist, als innerhalb seiner Konzeption von Wirtschaftsethik eine tatsächliche konsensuelle Verständigung über die drängenden gesellschaftlichen Entwicklungsprobleme, um die es Homann ausdrücklich geht, nicht rekonstruiert werden kann, außer unter Heranziehung der sehr starken empirischen Annahme gemeinsamer Interessen zwischen allen Beteiligten. 3.2.2.4 Der Konsens als theoretisches Postulat: Gelingt die gedankliche Rekonstruktion? Nach Aufdeckung der konzeptionellen Probleme der Homannschen Position im Zusammenhang mit dem empirischen Status des Konsenses soll im nächsten Schritt geprüft werden, ob Homann seine Rekonstruktionsansprüche einzulösen vermag, wenn der Meta-Konsens als ein abstrakter Gedanke aufgefaßt wird. In diesem Falle hätte er den Status eines theoretischen 310
Homann (1998), S. 36.
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Postulates zur abstrakten Legitimierung einer Rahmenordnung „an sich“, könnte jedoch nicht mehr als Modell für die Rekonstruktion konkreter empirischer Verständigungsprozesse dienen. Falls die Möglichkeit einer solchen abstrakten Rahmenordnung aus der Voraussetzung des methodischen Individualismus abgeleitet werden kann, hätte diese Ableitung, im Sinne der „subjektiven Wertlehre“, eine Legitimationsfunktion: Die Rahmenordnung wäre legitim, allein deshalb, weil sie gedanklich aus den Interessen der Individuen abgeleitet werden könnte. Wir werden sehen, daß in dieser abstrakten Legitimation das eigentliche Interesse Homanns liegt. Auch wenn Homann – wie belegt – an vielen Stellen den Eindruck nahelegt, empirisch zu argumentieren, und dazu aufgrund seines wirtschaftsethischen Anspruches auch gezwungen ist, weist er an anderen Stellen den empirischen Status des Meta-Konsenses explizit zurück. In seiner Habilitationsschrift von 1988 stellt er klar: „In den klassischen wie in den neueren Vertragstheorien geht es nicht um eine Theorie der historischen Genese [Fußnote] oder der praktischen Organisation kollektiven Handeln [sic!]. Die Vertragstheorie hat allein den Aspekt der Legitimation im Auge [. . .].“311
Auch in einer zwölf Jahre jüngeren Publikation schreibt Homann: „[. . .] [Es] gilt heute als allgemein anerkannt, dass der Gesellschaftsvertrag keine empirische, historische Tatsache ist, wie etwa die BGB-Gesellschaft, die von bestimmten Personen an einem bestimmten Datum gegründet wird, daß der Gesellschaftsvertrag vielmehr eine Konstruktion der Vernunft darstellt, mit dem Ziel, ‚jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes haben entspringen können, [. . .]‘.“312
Wie wir schon gesehen haben, besteht ein zwingender Zusammenhang zwischen dem Ableitungsziel eines empirischen Konsenses und der Annahme gemeinsamer Interessen. In diesem Punkte konsequent, lehnt Homann, zusammen mit dem empirischen Status des Konsenses, auch die Annahme gemeinsamer Interessen zur Rekonstruktion des Überganges von Individualität zur Kollektivität ab. Er beruft sich statt dessen auf einen „sekundären Konsens“: „Der primäre Konsens beruht auf identischen Präferenzen. Der sekundäre Konsens geht von unterschiedlichen, z. T. konfligierenden Interessen aus und rechnet außer den ‚natürlichen‘ Beschränkungen (constraints) auch die – AUS DEM (GLEICHEN) RECHT ALLER ANDEREN AUF BERÜCKSICHTIGUNG IHRER INTERESSEN FOLGENDEN – ‚SOZIALEN‘ BESCHRÄNKUNGEN [Herv. d. Verf.] ein. Sekundärer Konsens meint dann eine Einigung auf kollektives Handeln, auf ein kollektives Handlungspro311
Homann (1988), S. 163; vgl. auch Homann (1990), S. 156. Homann/Suchanek (2000), S. 187. Homann gibt als Quelle seines Zitates an: Kants gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 8, S. 297, Berlin, 1910 ff. 312
3.2 Diskussion der „Ethik mit ökonomischer Methode“
135
gramm, ohne daß die unterschiedlichen und z. T. konfligierenden Interessen beseitigt worden wären bzw. theoretisch als beseitigt angesetzt werden müßten. [. . .]. Es verbietet sich, für die Beurteilung kollektiven Handelns als frei den primären Konsens zur Bedingung zu machen. Zustimmung in Form des sekundären Konsenses muß als die adäquate und als theoretisch leitende Form bei der Frage nach der individuellen Freiheit bei kollektivem Handeln verstanden werden.“313
Die jeweils anderen Subjekte sollen also nicht als Ausdruck innerhalb der jeweiligen individuellen Nutzenfunktion, sondern als gegebene Nebenbedingung, als Restriktion aufgefaßt werden, unter der die individuelle Nutzenfunktion zu maximieren ist. Die anderen Subjekte müssen nach Homann deshalb eine Berücksichtigung als Restriktion in der individuellen Nutzenkalkulation erfahren, „weil nach der Logik der Dilemmastrukturen niemand allein das Resultat seines Handelns kontrolliert.“314 Jeder Akteur muß sich darauf einstellen, daß das Handlungsergebnis nicht von ihm erzwungen werden kann, sondern eben auch von seinem jeweiligen Gegenüber abhängt. Wenn er aber unter der Bedingung von fortwährenden Dilemmastrukturen im Sinne seiner eigenen Interessen erfolgreich handeln will, müssen seine Handlungen so beschaffen sein, daß sie die Interessen der anderen nicht in einem Maße mißachten, das diese dazu veranlaßt, seine eigenen Interessen zu vereiteln. Er muß die Interessen der anderen also als für sich gegebene Restriktion in sein Entscheidungskalkül mit einbeziehen. „Über dieses Konsenserfordernis kommen die Interessen der anderen sehr wohl ins Spiel, aber nur indirekt: nicht als – anderweitig, metaphysisch oder religiös, gerechtfertigte, höherwertige, moralische – Präferenzen, denen sich alle anzuschließen hätten, sondern als Restriktionen, die beachtet werden müssen, wenn eine soziale Ordnung überhaupt zustande kommen soll. Damit sind sie als ‚Instrumente‘ zur Realisierung der eigenen Interessen aufzufassen.“315
Die starke Annahme, daß der Konsens aufgrund gemeinsamer Interessen gefunden wird, kann nach Homann also durch die schwächere Annahme ersetzt werden, daß sich der Konsens deshalb einstellt, weil jeder aufgrund seiner wohlverstandenen Eigenliebe die Interessen der anderen in seinem Entscheidungskalkül zumindest soweit berücksichtigen muß, daß diese ihn nicht an der Verfolgung seiner Interessen hindern. Hier sind wir an dem entscheidenden Argumentationszirkel Homanns angelangt. Homann versucht, „kollektives Handeln“ oder „kollektive Selbstbindung“ als abstrakte Urform von Normativität und Rahmenordnungen zu rekonstruieren.316 Die Möglichkeit kollektiven Handelns soll nun im Ausgang angenommener Individualität rekonstruiert werden, d.h. die Legitima313 314 315 316
Homann (1988), S. 141 f. Homann/Suchanek (2000), S. 188. Homann/Suchanek (2000), S. 188. Vgl. Kapitel 3.1.3 f.
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3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann
tion kollektiven Handelns soll ausschließlich darin gesucht werden, daß es mit dem alleinigen Maßstab ungebundener, uneingeschränkter Freiheit des einzelnen Individuums zusammenstimmt: „Legitim ist kollektives Handeln allein unter der Bedingung der Zustimmung aller Betroffenen, unter der Bedingung des Konsenses also.“317
Das ist die Voraussetzung des „methodischen Individualismus“ bzw. der „subjektiven Wertlehre“. Homann versucht den Beweis, daß Kollektivität mit individuellen Interessen vereinbar ist, durch Annahme des „sekundären Konsenses“ zu leisten. Dieser bezieht in das Nutzenkalkül der Individuen ein, daß diese „[. . .] die – aus dem (gleichen) Recht aller anderen auf Berücksichtigung ihrer Interessen folgenden – ‚sozialen‘ Beschränkungen [. . .]“318 mitberücksichtigen müssen. Sofern die Individuen diese „Beschränkungen“ berücksichtigen, wird sich ein allgemeiner Konsens einstellen, ohne daß alle die gleichen Präferenzen haben müßten. Das ist das zentrale Argument der Habilitationsschrift Homanns aus dem Jahre 1988. Hier stellt sich die Frage, woher das „(gleiche) Recht aller anderen auf Berücksichtigung ihrer Interessen“ kommen soll, das im „sekundären Konsens“ als Beschränkung des individuellen Nutzenkalküls angenommen wird? Das „(gleiche) Recht aller anderen auf Berücksichtigung ihrer Interessen“ sollte ja gerade rekonstruiert werden, unter der Bedingung, daß nur die Interessen, Präferenzen der einzelnen Individuen als Wertmaßstab Gültigkeit besitzen. Das explanandum, nämlich Kollektivität in der Form des Rechtes, d.h. der überindividuellen Verpflichtung, die personale Integrität eines jeden Individuums zu achten, wird hier in das explanans, nämlich die individuellen Nutzenerwägungen, unvermittelt eingeschoben, und zwar in der Form einer Nebenbedingung für die Nutzenmaximierung. Der versuchte Aufweis Homanns, daß Kollektivität mit Individualität für vereinbar gehalten werden kann, ist zirkulär, weil in die Voraussetzung der Individualität Kollektivität schon als Nebenbedingung aufgenommen ist. Homann führt damit lediglich den Beweis, daß es im Interesse der Individuen liegt, das Recht aller anderen zu berücksichtigen, wenn dieses Recht systematisch schon besteht, bevor die Individuen ihr Nutzenkalkül beginnen. Damit wird aber gerade nicht das erreicht, was Homann beansprucht leisten zu können: Eine zwar nicht empirische, aber zumindest gedanklichabstrakte Rekonstruktion der Genese des Rechtes, d.h. der Möglichkeit einer Rahmenordnung. 317
Homann (1988), S. 162. Homann (1988), S. 141 f. Vgl. auch das entsprechende Zitat in den obigen Ausführungen. 318
3.2 Diskussion der „Ethik mit ökonomischer Methode“
137
In diesem Zusammenhang ist in einem Exkurs auf den in Kapitel 3.1.5 bereits dargestellten Begriff der „instrumentellen Präferenz“ zurückzukommen. Diesen Begriff verwendet Homann ausdrücklich für die Rekonstruktion der Zustimmung der Individuen zu allgemeingültigen Regeln, also der Rahmenordnung.319 Mit dem Zusatz „instrumentell“ macht Homann deutlich, daß er diese Zustimmung nicht auf normale Präferenzen der Individuen zurückführt. Vielmehr betrachtet er allgemeingültige Regeln als ein „Instrument“ der Individuen, das diese wählen, um ihre sozusagen eigentlichen Interessen verwirklichen zu können. An diesem Punkt läßt sich nun die Tragweite und eigentliche Funktion dieses Begriffes aufklären: Mit der Behauptung, „intersubjektiv gültige Regeln“ seien „von keinem einzelnen Akteur genuin gewollt“, sie seien vielmehr „aufzufassen als Mittel, auf die sich alle Betroffenen zur Realisierung der Kooperationsgewinne einigen 320 KONNTEN [Herv. d. Verf.]“ umgeht Homann gerade den geforderten Nachweis, daß sich die Individuen auf „intersubjektiv gültige Regeln“ einigen können. Die Rahmenordnung soll angeblich auf „instrumentellen“ Präferenzen beruhen, deren Bestehen Homann – im methodischen Widerspruch zum rein formalen Vorteilsbegriff – schlicht behauptet. Die Behauptung, Individuen hätten eine auf Kooperation bezogene „instrumentelle“ Präferenz, unterstellt also genau das als evident, was Homann erst ausdrücklich nachweisen müßte: daß sich Individuen auf allgemeingültige Regeln einigen können, wenn sie ausschließlich ihren individuellen Vorteil – in einem rein formalen Sinne – suchen. Die auf den ersten Blick so harmlose Unterscheidung zwischen „normalen“ und „instrumentellen“ Präferenzen hat die gleiche Funktion, die auch der Konzeption des „sekundären Konsenses“ zukommt: Sie transformiert den entscheidenden normativen Gehalt – nämlich die Allgemeingültigkeit von Regeln bzw. „Kollektivität“ – in einen scheinbar positiven Zweck-Mittel-Zusammenhang. Auf Grundlage dieses Zweck-Mittel-Zusammenhangs kann Homann argumentieren: Sofern die jeweils anderen Individuen für die eigenen Interessenrealisierung notwendig sind, müssen sie auf dem Wege der Kooperation respektiert werden. Allein, es fehlt bei der Konstruktion dieses Zweck-Mittel-Zusammenhangs gerade der Nachweis, daß die anderen Individuen – als Mittel – für die Wahrnehmung der faktisch bestehenden Interessen – als Zweck – prinzipiell notwendig sind. Im Gegenteil zeigt das Gefangenendilemma in aller gedanklichen Klarheit, daß bei fehlenden normativen Vorgaben das konkrete Interesse der nutzenkalkulierenden Individuen gerade darin besteht, nicht zu kooperieren.321 319 320 321
Vgl. Homann (1997), S. 24 sowie die Ausführungen in Kapitel 3.1.5. Vgl. Homann (1997), S. 24. Vgl. Kapitel 3.2.2.3.2.
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3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann
3.2.3 Die „Gleichursprünglichkeit“ von Individualität und Kollektivität Die Zirkularität und Fehlerhaftigkeit der Homannschen Argumentation zeigt sich eindringlich auch in seiner Habilitationsschrift. Homann spricht davon, daß in seiner Konzeption „die systematische Verflochtenheit des Individuums in die Gesellschaft und die nicht überspringbare Rolle des Individuums zugleich geltend gemacht werden.“322 Ausdrücklich präferiert Homann in seiner Konzeption die „schwachen Voraussetzungen der subjektiven Wertlehre“, behauptet aber andererseits im selben Absatz, daß sich „[. . .] die Definition des individuellen Handelns nicht aus Merkmalen, die diesem Handeln als solchem zukommen, bestimmen [läßt], sondern letztlich allein aus einer kollektiven Entscheidung: [. . .]. Zwischen kollektivem und individuellem Handeln besteht daher ein systematisches Über- bzw. Unterordnungsverhältnis: Die Definition von ‚individuell‘ und ‚Individuum‘ geht, [. . .] auf eine kollektive Festlegung zurück.“323
Hier wird also die Verhältnisbestimmung umgekehrt: Nicht mehr Kollektivität wird rekonstruiert unter der Voraussetzung von Individualität, so wie es unter Voraussetzung der subjektiven Wertlehre methodisch allein gerechtfertigt wäre, sondern Individualität wird systematisch auf Kollektivität zurückgeführt. Damit kehrt Homann sein ganzes Konzept um! Die Vorgabe des „methodischen Individualismus“ bzw. der „subjektiven Wertlehre“ wird nach Homann nun dadurch eingelöst, daß jedes Individuum ein Vetorecht an der kollektiven Entscheidung erhält: „An der kollektiven Entscheidung ist jeder einzelne maßgeblich, paradigmatisch mit einem individuellen Vetorecht nämlich, beteiligt, so daß alle kollektiven Entscheidungen, konzeptionell betrachtet, die Zustimmung derer haben, die ihnen unterworfen sind.“324
Homann führt Individualität zurück auf eine kollektive Entscheidung, die ihrerseits nur durch individuelle Zustimmung legitimiert sein soll. Hier stellt sich die Frage, wie die individuelle Zustimmung zu einer kollektiven Entscheidung zu denken ist, die Individualität erst herstellt. Das Verhältnis 322
Homann (1988), S. 281. Homann (1988), S. 280; vgl. auch Homann (1995), S. 5: „‚Rechte‘ sind kollektiv anerkannte Handlungsbefugnisse einzelner, und sie sind als Resultat – nicht als Voraussetzung – kollektiver Entscheidungen in die Theorie einzuführen. [. . .]. Kollektives Handeln geht systematisch individuellem Handeln voraus.“ Vgl. auch Homann/Suchanek (1987), S. 114: „Die Freiheit des einzelnen, verstanden als Raum von Handlungsmöglichkeiten, ist vielmehr zu begreifen als etwas, das es durch kollektive Selbstbindung in Form von Recht und Moral erst zu produzieren gilt.“ 324 Homann (1988), S. 281. 323
3.3 Abschließende Bewertung
139
von Bedingung und Bedingtem ist hier zirkulär. Damit liegt aber überhaupt kein verständliches Bedingungsgefüge vor. Wenn behauptet wird, daß Individualität logisch von Kollektivität abhängig ist und zugleich Kollektivität von Individualität, dann wird eine Aussage gemacht, die im Hinblick auf die Feststellung einer logischen Abhängigkeit gerade keine Aussage enthält. Die Behauptung einer solchen „systematischen Verflochtenheit von Individuum und Gesellschaft“ ist bezüglich der Frage, wie das Verhältnis von Individuum und Kollektiv zu denken ist, nur dann sinnvoll, wenn diese Verflochtenheit so verstanden wird, daß Individualität und Kollektivität nicht wechselseitig erklärt oder rekonstruiert werden können, weil das eine immer schon das andere voraussetzt. Damit ergibt sich aus Homanns eigenen Überlegungen der Schluß, daß das Konzept des „methodologischen Individualismus in seiner normativen Version“ widerlegt ist, weil die Annahme bloßer Individualität nicht ausreicht, um Kollektivität methodisch rekonstruieren zu können, und weil Individuen damit nicht „die einzige Quelle von Werten“325 sind. Vielmehr wären Individuum und Gesellschaft als „gleichursprünglich“ zu verstehen. Tatsächlich behauptet Homann auch eine solche „Gleichursprünglichkeit“.326 Wie er eine solche legitimerweise behaupten kann bei gleichzeitigem Festhalten an der prinzipiellen Methode des „Individualismus“, der – wie Homann selbst ausdrücklich feststellt – allein Individuen und ihre jeweiligen Interessen als Erklärungsgrund zuläßt, ist ein wissenschaftlich wohl nicht erklärbares Rätsel.
3.3 Abschließende Bewertung Daß der Mensch Würde hat oder als Zweck an sich selbst zu betrachten ist, der keinen individuellen Zwecken, Interessen oder Präferenzen geopfert werden darf, ist eine Wertung, die der Homannschen Konzeption zugrunde liegt.327 In dieser Arbeit wird dieser Wertung selbstverständlich zugestimmt. Es geht nicht darum, diese Wertung als solche zu kritisieren. Der entscheidende Einwand gegen Homanns Position besteht darin, daß innerhalb eines wissenschaftlichen Anspruches eine solche Wertung auf methodischem Wege gerechtfertigt werden muß. Homanns Ansatz zeichnet sich aber dadurch aus, daß aufgrund seiner dezidierten Ablehnung jeder Vernunftbegründung von Ethik und dem prinzipiellen Festhalten am „methodischen Individualismus“ eine solche methodische Rechtfertigung von kollektiver Normativität prinzipiell unmöglich wird. Wohl aus dieser Einsicht heraus spricht Homann von der „Gleichursprünglichkeit“ von Individualität und Kollekti325 326 327
Homann (1995), S. 4; vgl. Homann/Suchanek (2000), S. 186 u. S. 188. Vgl. Homann (1993a), Sp. 193. Vgl.: Homann (1998), S. 43; Homann/Suchanek (2000), S. 187.
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3 Die „Ethik mit ökonomischer Methode“ von Karl Homann
vität. Dennoch behauptet er, ohne auf „Vernunftbegründungen“ angewiesen zu sein, unter alleiniger Zugrundelegung des „methodischen Individualismus“, eine methodisch konsistente Konzeption von Wirtschaftsethik entwikkeln zu können. Er übersieht dabei, daß gerade die methodisch nicht legitimierte Behauptung der Würde des Menschen und die ebenso unlegitimierte Einführung des Rechtes auf personale Integrität – bei gleichzeitiger Ablehnung der Vernunftethik – ein geradezu klassischer Fall von Metaphysik ist: Homann baut seine wissenschaftliche Konzeption auf normativen Voraussetzungen auf, die er innerhalb der ökonomischen Methode zu rekonstruieren beansprucht, ohne diesen Anspruch jedoch einlösen zu können. Die von Homann im vorhinein zugestandene Einschränkung, daß sich Ethik nicht vollständig in Ökonomik übersetzen läßt,328 zeigt hier ihre volle systematische Bedeutung: Der grundlegende Gedanke, der ein Zusammenleben von Menschen, ihre Interagierbarkeit, überhaupt erst ermöglicht, nämlich, daß der Mensch ein Zweck an sich selbst ist, kann nicht rekonstruiert werden unter bloßer Voraussetzung des Methodenapparates der Ökonomik.329 Damit zeigt sich hier, daß Homanns Grundidee einer „Ethik mit ökonomischer Methode“ schon in ihrem Ansatz verfehlt ist.
328
Siehe Kapitel 3.2.1. Auch Wolfgang Kersting schließt seine Kritik an Homann mit dem Hinweis, daß der Versuch (James M. Buchanans und David Gauthiers) „die Sprache der moralischen Verpflichtung und der rechten Verbindlichkeit in eine Sprache des Eigeninteresses und der Vorteilsverteilung auf[zulösen]“ mißlungen sei, „weil eine bedeutungswahrende Rekonstruktion der normativen Grundprädikate unserer Moral- und Rechtssprache mit den Mitteln der Sprache der Vorteilsmaximierung nicht gelingen kann.“ Vgl. Kersting (1996), S. 194. Allerdings bleibt Kersting den Beweis für diese Behauptung in Bezug auf Homann schuldig. 329
4 Die Notwendigkeit einer Grundlegung der Wirtschaftsethik Der bisherige Teil dieser Arbeit hat die Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann jeweils einzeln analysiert und ist dabei zu kritischen Schlußfolgerungen gelangt. Die in den letzten beiden Kapiteln entwickelte Kritik an Ulrich sowie an Homann soll im folgenden zunächst in ihren wesentlichsten Grundzügen zusammenfassend gegenübergestellt werden. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich anschließend das im weiteren Verlauf der Arbeit auszuführende Programm einer Bestimmung der normativen Grundlagen der Wirtschaftsethik.
4.1 Die Defizite der Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann 4.1.1 Die fehlende Unterscheidung von Ethik und Recht Die Orientierung an der Diskursethik führt bei Ulrich zur Vernachlässigung einer systematischen Unterscheidung von Recht und Ethik. Das Recht geht bei Ulrich unmittelbar aus der Diskursethik hervor. Die prinzipielle Unterschiedlichkeit des Anspruches des Rechtes im Vergleich zur Ethik wird von Ulrich ausgeblendet. In eins mit dieser Vernachlässigung der Eigenständigkeit des Rechtes bewirkt die diskursethische Ausrichtung aufgrund ihrer Ablehnung der Konzeption des Intelligiblen, daß Ulrich – trotz gegenteiliger Beteuerungen – das diskursethische Ideal nicht ausschließlich auf einer regulativen Ebene belassen kann, sondern implizit auf Handlungen übertragen muß: Verständigungsprozesse in Form von realen Handlungsvorgängen werden unter der Hand zu einer unmittelbaren, materialen Moralforderung (vgl. Kapitel 2.2.3.2 sowie Kapitel 2.3.2.2). Die spezifisch handlungsbezogene Normativität des Rechtes bleibt bei dieser nicht-regulativen Anwendung des diskursethischen Ideals völlig unbeachtet. Zusammengenommen führen beide Argumentationsmuster zu einer Aushöhlung des Privaten: Die allgegenwärtigen, diskursiv-konkret einzulösenden Rechtfertigungserfordernisse Ulrichscher Prägung machen jede Form interessenbezogener Selbstbestimmung und damit eine Privatsphäre, wie das Recht sie gewährt, konzeptionell unmöglich.
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4 Notwendigkeit einer Grundlegung der Wirtschaftsethik
Bei Homann wird eine Unterscheidung zwischen Recht und Ethik nicht einmal ansatzweise thematisiert. Mit der schlichten Aussage, der systematische Ort der Moral in der Marktwirtschaft sei die Rahmenordnung, ebnet Homann von vornherein jede Differenz zwischen Recht und Moralität ein: Die Befolgung der durch die Rahmenordnung gesetzten Normen soll allein für sich bereits die moralische Integrität der handelnden Akteure verbürgen. Indem Homann den ethischen Anspruch vollständig in Legalität aufgehen läßt, entledigt er sich der Aufgabe, die Interessenbezogenheit der ökonomischen Logik moralphilosophisch überhaupt thematisieren zu müssen. Dieser Aufgabe entzieht sich Homann aber auch durch die Behauptung, die ökonomische Logik selbst sei unter den Bedingungen der Moderne der einzig sinnvolle Ausgangspunkt für die Ethik. 4.1.2 Der jeweils vergessene Teil der Wirtschaftsethik Aufgrund des programmatischen Anspruches, die normative Verselbständigung des Ökonomischen von vornherein unterlaufen zu wollen, versäumt es Ulrichs Wirtschaftsethik, die Eigenart des Ökonomischen systematisch zu reflektieren (vgl. Kapitel 2.3.2.1). In den Überlegungen zur Integration von Ethik und Ökonomik setzt Ulrich das Ökonomische lediglich mit einer technisch effizienten Güterproduktion gleich (vgl. Kapitel 2.3.2.3). Die interpersonelle Dimension des Ökonomischen, nämlich die Tauschlogik, wird in Ulrichs „Integration“ ausgeblendet. Allein im anwendungsorientierten Teil erkennt Ulrich auch diese Dimension des Ökonomischen implizit an, und zwar indem er dem „natürlichen System des gegenseitigen Vorteilstausches“ ein in Grenzen legitimes Eigenleben zuspricht (vgl. Kapitel 2.4.2). Damit kann aus Ulrichs eigenen Überlegungen zur ordnungspolitischen Konkretion der integrativen Wirtschaftsethik der Schluß gezogen werden, daß seine Grundlagen offenbar eine unzulässige Verkürzung des Ökonomischen vornehmen. Während Ulrich das Ökonomische in seiner spezifischen Eigenart unzureichend reflektiert, unterläßt es Homann, sich mit der ethischen Fragestellung auch nur annähernd auseinanderzusetzen. Die Profilierung faktischer Wettbewerbszwänge führt bei Homann zu einer vollständigen Ausblendung der Bedeutung von Sollensansprüchen. Er versucht, eine moralische Entlastung der Wirtschaftssubjekte zu erreichen, indem er der ökonomischen Vorteils/Nachteilslogik fundamentale Bedeutung für die „Ethik“ zuspricht, ohne dabei jedoch die ethische Fragestellung als solche überhaupt thematisiert zu haben. Diesem Versuch korrespondiert die dezidierte Ablehnung jeder Form von Vernunftethik. Die fehlende moralphilosophische Reflexion macht sich durchgängig in allen Argumentationsmustern Homanns bemerkbar. Insbesondere zeigt sie sich in der für Homanns Konzeption charakteri-
4.1 Defizite der Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann
143
stischen Vermengung von positiv-erklärender und normativ-wertender Aussagenebene (vgl. dazu Kapitel 3.2.2, insb. Kapitel 3.2.2.4). So wird aus der Thematisierung des zunächst lediglich empirisch-faktisch eingeführten Wettbewerbszwanges das Programm einer ökonomistischen Wende in der Geistesgeschichte. 4.1.3 Die unvollständige Antwort auf das Problem der Wirtschaftsethik Nachdem Ulrich im grundlegenden Teil seiner Wirtschaftsethik den unbedenklichen Kern des Ökonomischen auf die technisch effiziente Güterproduktion beschränkt, später jedoch auch der marktlichen Tauschlogik ein in Grenzen legitimes Eigenleben zusprechen möchte, bleibt sein Versuch einer „integrativen Vermittlung“ von Wirtschaft und Ethik offenbar unvollständig. Indem Ulrich die Gefahr ökonomistischer Überhöhung und normativer Verselbständigung seitens der Ökonomik zum Konstitutivmoment des Ökonomischen erhebt, verbaut er sich die Möglichkeit, die Eigenart des Ökonomischen grundlegend zu reflektieren. Ein solches Einlassen auf die ökonomische Eigenart wäre in Ulrichs Problemaufriß als unstatthafte Fortführung der ökonomistischen Logik zu betrachten, die er ja gerade „wirtschaftsethisch“ unterlaufen möchte. Diese programmatisch motivierte Problemstellung führt dazu, daß die Wirtschaftsethik bei Ulrich das Ökonomische als solches nicht „integriert“, sondern hinsichtlich seiner interpersonellen Dimension diskursethisch negiert. Damit verdeckt Ulrich aber einen spezifischen Aspekt der normativen Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen. Im Ergebnis fällt die Wirtschaftsethik bei Ulrich mit der Diskursethik systematisch zusammen. Das zentrale, ungelöste Problem der Homannschen Konzeption bleibt die Frage, woher der normative Gehalt einer Rahmenordnung kommt. Homann behauptet zwar, diesen Gehalt aus ökonomischen Vorteils-/Nachteilskalkulationen ableiten zu können, doch diese Behauptung wird nur scheinbar argumentativ eingelöst. Die eklatante Widersprüchlichkeit seiner Argumentation (methodischer Individualismus einerseits, Gleichursprünglichkeit von Individualität und Kollektivität andererseits; vgl. 3.2.3) sowie die Verschleierung normativer Hintergrundannahmen („sekundärer Konsens“, „instrumentelle Präferenzen“; vgl. 3.2.2.4) machen deutlich, daß eine „Ethik mit ökonomischer Methode“ von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil sie aus sich selbst keinen normativen Gehalt gewinnen kann.330 Des330 Vgl. dazu Homanns eigenes, in seiner Bedeutung von ihm selbst jedoch systematisch nicht beachtetes Eingeständnis, daß „die ‚Übersetzung‘ der Ethik in Ökonomik niemals ‚ohne Rest‘ aufgehen kann“. Vgl. Homann (1998), S. 43. Zur Diskussion dieser Aussage vgl. Kapitel 3.1.2 und 3.2.1.
144
4 Notwendigkeit einer Grundlegung der Wirtschaftsethik
halb muß die normative Fundierung der Rahmenordnung in Homanns Konzeption obskur bleiben. Abschließend lassen sich die Konzeptionen von Ulrich und Homann überspitzt durch folgende Gegenüberstellung charakterisieren: Während für Ulrich die einzig legitime Form von Ökonomie aus einer diskursorientierten Ethik gewonnen werden kann, betrachtet Homann die Ökonomik als allein mögliche Form von Wirtschaftsethik.331
4.2 Primat der Ethik und Eigenständigkeit des Ökonomischen? – Die Frage nach dem Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik Die wirtschaftsethischen Positionen von Peter Ulrich und Karl Homann stehen sich in ihren grundlegenden Aussagen unvereinbar gegenüber. Während Ulrich den Primat der Ethik gegenüber dem Ökonomischen betont, profiliert Homann die systemische Eigenständigkeit des Ökonomischen. Der Gegensatz zwischen beiden Positionen muß aufgelöst werden, soll die wirtschaftsethische Debatte auf ein argumentativ überzeugendes Fundament gestellt werden. Ein solches Vorhaben erfordert eine Untersuchung, die sich in ihren Grundannahmen nicht auf eine der beiden Positionen festlegt. Im Rahmen einer solchen, dem Anspruch nach, unparteiischen Untersuchung könnte dann entweder gezeigt werden, daß eine der beiden Positionen eine überzeugende Wirtschaftsethik bereitstellt, oder aber, daß keine von beiden Bestand hat. In diesem Falle wäre eine dritte Position zu entwickeln, die einsichtig macht, in welcher Art und Weise der Gegensatz zwischen dem Primat der Ethik und der Eigengesetzlichkeit des Ökonomischen aufzulösen ist. Die in den letzten beiden Kapiteln entwickelte Kritik an den Positionen von Ulrich und Homann betrifft beide Positionen jeweils in programmatischem Anspruch wie auch argumentativer Ausführung. Diese Kritik richtet sich nicht gegen vereinzelte Aussagen, die für den jeweiligen, konzeptionellen Gesamtanspruch nur von untergeordneter Bedeutung sind. Es ist der jeweilige gedankliche Kern, der als solcher kritisiert wird. Daß sich auf Grundlage einer dieser Positionen ein tragfähiges Fundament für die Wirtschaftsethik entwickeln läßt, muß aufgrund der formulierten Kritik ausgeschlossen werden. Damit ergibt sich für die weitere Untersuchung die Aufgabe, das Fundament der Wirtschaftsethik methodisch selbständig zu bestimmen. Wenn das Thema „Wirtschaftsethik“ einen wie auch immer gearteten Zusammenhang zwischen ökonomischen und normativen Überlegungen im331 Der Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik wird in den Kapiteln 6.1.2 sowie 6.1.3 eingehend analysiert.
4.2 Primat der Ethik und Eigenständigkeit des Ökonomischen?
145
pliziert, so stellt sich die Frage, von welchem Standpunkt aus ein solcher Zusammenhang seiner Möglichkeit nach untersucht werden kann. Dieser Standpunkt müßte die ökonomische wie auch die normative Perspektive gedanklich mitbefassen, um eine Einsicht in die Möglichkeit von Wirtschaftsethik gewinnen zu können. In eins mit der Frage nach der Möglichkeit von Wirtschaftsethik stellt sich dabei die Frage, in welcher Weise sich normative Überlegungen auf eine systemische Eigenständigkeit des Ökonomischen beziehen lassen. Läßt sich eine deutliche und klare Einsicht in die Art und Weise des Zusammenhangs zwischen Normativität und dem Ökonomischen nicht herstellen, muß das Projekt einer wissenschaftlichen Wirtschaftsethik als Widerspruch in sich zurückgewiesen werden. Kann ein solcher Zusammenhang hingegen auf systematischem Wege verständlich gemacht werden, hat die Untersuchung dadurch zugleich das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik bestimmt: nämlich dasjenige gedankliche Prinzip, unter dem eine normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen möglich ist. Das Vorhaben einer solchen systematischen Grundlegung der Wirtschaftsethik erfordert eine vollständige Vergewisserung über Anspruch, Bedeutung und Reichweite des Ethisch-Moralischen wie auch des Ökonomischen. Nur wenn diese beiden Bereiche jeweils einzeln in ihren Konstitutivmomenten deutlich und klar vor Augen liegen, kann ihr Verhältnis zueinander thematisiert werden. Die Bestimmung des Ökonomischen muß dabei insbesondere die Frage beantworten, ob es sich auf normativer oder rein empirisch-faktischer Grundlage konstituiert, d.h., ob es eine legitime Eigenständigkeit für sich beanspruchen kann. Diese Frage wird die Untersuchung schließlich zur Behandlung des Rechtes führen. An dieser Stelle jedoch kann die systematische Notwendigkeit einer Thematisierung des Rechtes noch nicht übersehen werden. Sie muß sich aus der weiteren Untersuchung erst ergeben. Das weitere Vorgehen besteht somit zunächst darin, die ethische und die ökonomische Perspektive jeweils einzeln und unabhängig voneinander zu entwikkeln. Diesem Vorhaben sind Kapitel 5 und 6 gewidmet.
5 Ethik Im folgenden Kapitel sollen die Grundlagen einer wissenschaftlichen Ethik vom Standpunkt der Transzendentalphilosophie aus erläutert werden. Es soll hier also nicht darum gehen, Ethik unter einem philosophiehistorischen Blickwinkel zu behandeln oder einzelne, willkürlich ausgewählte Positionen aus der Geschichte der Moralphilosophie darzustellen. Auch werden zunächst keine lehrbuchartigen oder lexikalischen Differenzierungen des Ethikbegriffs angestrebt. Solche Differenzierungen in deskriptive, normative, deontologische, teleologische, Gesinnungs-, Verantwortungsethik etc. sind nach der hier vertretenen Auffassung vollkommen ungeeignet, das Anliegen der ethischen Fragestellung zu beleuchten, solange dieses Anliegen selbst noch nicht behandelt wurde. Begriffsdifferenzierungen sind solange unsinnig, wie der zu differenzierende Grundbegriff – in diesem Falle „Ethik“ – noch nicht klar und distinkt ist. Erst ausgehend von einem solchen, geklärten Grundbegriff können weitergehende Begriffsdifferenzierungen unter Umständen sinnvoll sein. Statt die Untersuchung von vornherein auf philosophiehistorischen Vorgaben aufzubauen, wird in diesem Kapitel eine systematische, ausschließlich problemorientierte Argumentation angezielt. Dabei wird sich zeigen, daß die hier verfolgte systematische Vorgehensweise philosophiehistorisch nicht ohne Bezugspunkt ist. Kant und Fichte stehen als „Garanten“ im Hintergrund der Überlegungen und werden entsprechend zu Wort kommen. Dennoch sollen die Positionen von Kant und Fichte nicht willkürlich als Grundlage gewählt werden, um anschließend, unter Voraussetzung dieser Grundlage, den Argumentationsgang zu beginnen. Vielmehr sollen diese Positionen auf argumentativem Wege erst erreicht werden.
5.1 Hinführung zur ethischen Fragestellung 5.1.1 Begründungsproblematik Alle Menschen vollziehen täglich unzählig viele Wertungen.332 Eine Wertung im hier gebrauchten, weitesten Sinne soll alles umfassen, was mit dem 332 Auch der in diesem Kapitel unternommene Versuch einer systematischen Entfaltung der Ethik muß, um sich überhaupt verständlich machen zu können, mit einer bloßen Voraussetzung beginnen. Diese zunächst ohne jede Rechtfertigung aufge-
5.1 Hinführung zur ethischen Fragestellung
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Vorziehen oder Zurücksetzen von Gegebenheiten, mit Wahl und Entscheidung zu tun hat. Es soll dabei weder eine Rolle spielen, wie abstrakt oder konkret, noch wie „bedeutsam“ oder „unbedeutend“ die Gegebenheiten sind, die zur Disposition stehen. Die morgendliche Wahl der Kleidung, beispielsweise das Auswählen eines bestimmten Pullovers, beinhaltet ebenso eine Wertung im hier gemeinten Sinne wie z. B. die Gewissensentscheidung eines Abgeordneten bei der Abstimmung über ein wichtiges Gesetz. Alle Beispiele dieser Art beziehen sich auf Wertungen für den Einzelfall einer bestimmten Situation. Aber auch abstraktere Regeln oder Normen, die als solche nicht nur den Einzelfall betreffen, beinhalten eine Wertung, insofern sie Befolgung fordern. Die Regel: „Immer, wenn eine rote Ampel auftaucht, ist das Fahrzeug abzubremsen und anzuhalten“ enthält als praktische333 Regel die Aufforderung, bei einer roten Ampel tatsächlich zu bremsen und anzuhalten. Die Aufforderung setzt den Adressaten einem bestimmten „Soll“ aus, dessen spezifischer Inhalt darin besteht, unter der Bedingung einer roten Ampel das Anhalten dem Weiterfahren wertend vorzuziehen. Wer die Aufforderung dieser Regel nicht als Aufforderung versteht, d.h. wer nicht versteht, daß er überhaupt irgend etwas soll, versteht den Sinn dieser Regel als praktischer Regel nicht. Wird der Forderungscharakter nicht verstanden oder geleugnet, könnte allenfalls von einem theoretischen Wenn-dann-Bedingungsverhältnis die Rede sein, das rein als solches keinerlei praktische Implikation hätte, einem Adressaten also, ohne hinzukommende Wertung, keine Hinweise darauf geben könnte, wie er handeln sollte. Die bloß theoretische Gesetzesaussage: „Wenn eine rote Ampel auftaucht, halten alle (oder die meisten) Fahrzeuge an“ gibt keinen Hinweis darauf, wie gehandelt werden sollte. Erst durch die zusätzliche, explizite Wertung: „Es ist gut, vorteilhaft, vernünftig, sich nach den objektiv feststellbaren Gegebenheiten zu richten“ wird aus der bloß theoretischen Aussage eine praktisch relevante Aussage.334 stellte Voraussetzung wird jedoch im weiteren Verlauf der Argumentation in ihrer Berechtigung ausgewiesen. Vgl. dazu Kapitel 5.3. 333 In der Betriebswirtschaftslehre wird unter dem Begriff des „Praktischen“ in der Regel die Frage nach den unmittelbaren Handlungsimplikationen einer konkreten, realen Situation verstanden, im Gegensatz zu einer abstrakten und prinzipiellen Sichtweise, die unter dem Begriff des „Theoretischen“ subsumiert wird. In der Philosophie ist der Begriff des Praktischen als Fachterminus ausschließlich für normative Fragestellungen reserviert. Normativität thematisiert das Problem der Verbindlichkeit. Eine nähere Definition ist hier noch nicht möglich, da dieses Problem erst im Fortgang der Untersuchung sukzessive in seinem Sinngehalt und seiner Bedeutung erschlossen werden soll. 334 Vgl. dazu Albert (1991), S. 79: „Die reine Wissenschaft gibt uns also in Anwendung auf praktische Probleme Mittel an die Hand, praktische Möglichkeiten zu untersuchen und damit herauszubekommen, wie wir die vorliegende Situation be-
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Dieser Gedanke läßt sich auch anders fassen: Eine praktische Regel, die als solche gerade durch ihren Forderungscharakter ausgezeichnet ist, determiniert nicht in der Weise, in der ein Naturgesetz determiniert. Der Adressat einer Regel hat als Adressat immer die Möglichkeit, sich zu dieser Regel zu verhalten, indem er ihrer Aufforderung entsprechen oder diese ablehnen kann. Wäre die in der Regel enthaltene Wenn-dann-Beziehung absolut zwingend, läge wiederum nur ein theoretischer Sachverhalt vor. Die Regel beschriebe dann einen zwingenden Ablauf, ein Naturgeschehen, in dem die Möglichkeit einer wertenden Stellungnahme prinzipiell ausgeschlossen ist. Es ist das Verdienst der Neuzeit, die Natur unter einem strengen Gesetzesbegriff zu betrachten, d.h. die Möglichkeit einer willkürlichen Bestimmung des Naturgeschehens durch Götter oder die animistische Annahme von selbst handelnden Naturheiten auszuschließen. Eine solche strenge Gesetzlichkeit zeichnet sich durch den absolut zwingenden Charakter der Verbindung zwischen dem Eintritt oder dem Bestehen von bestimmten Bedingungen einerseits und ihren Wirkungen andererseits aus.335 Anschaulich formuliert: die als gegeben unterstellten Bedingungen fordern keine Wirkung, in dem Sinne, daß die Wirkung auch unterbleiben könnte, wenn Gott oder die Natur es ausnahmsweise so wollte. Diese Bedingungen „erzwingen“ sozusagen ihre Wirkungen. Wenn die in einer hypothetischen Gesetzesaussage vorausgesagte Wirkung in einem empirischen Experiment unterbleibt, wird in der Naturwissenschaft entweder das tatsächliche Bestehen der unterstellten Bedingungen angezweifelt oder die Gültigkeit der konkreten Gesetzmäßigkeit, aber nur in dem Sinne, daß die bislang unterstellte Gesetzmäßigkeit durch eine andere gegebenenfalls zu ersetzen ist. Die moderne Naturwissenschaft zweifelt nicht an der prinzipiellen Gesetzlichkeit der Natur in dem Sinne, daß sie eine theoretisch nicht vorhergesehene, aber meßbare Wirkung ausnahmsweise auch dem ungesetzlichen, willkürlichen Verhalten einer natur-transzendenten oder -immanenten Wesenheit zuschriebe. wältigen können, aber sie sagt uns nicht, daß wir irgendeine der in Frage kommenden Möglichkeiten realisieren sollen, sie schreibt uns also nicht unsere Entscheidung vor. Daraus geht hervor, daß die Resultate einer wertfreien Wissenschaft niemals ausreichen können, wenn es um die Bewältigung praktischer Situationen geht.“ 335 Insofern unterhöhlt die Heisenbergsche Quantentheorie gerade nicht den Gesetzesbegriff der Naturwissenschaften, da in ihr nicht ein zwingender Zusammenhang zwischen gegebenen Bedingungen als Ursache und ihrer Wirkung geleugnet wird. Geleugnet wird vielmehr die Voraussetzung für die Feststellung einer solchen Beziehung im atomaren Bereich, nämlich die Meßbarkeit, d.h. die empirische Feststellbarkeit von Bedingungen. Daß in Bereichen, in denen Bedingungen meßbar sind, diese notwendige Wirkungen haben, wird von der Quantentheorie in keiner Weise in Frage gestellt. Denn: der Begriff der Meßbarkeit ist bereits der Begriff von einer (gesetzlichen) Kausalität.
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Wird eine Regel also als praktische und nicht als theoretische verstanden, wird die Beziehung zwischen „wenn“ und „dann“ nicht als zwingend aufgefaßt, sondern als Aufforderung, d.h. es wird verstanden, daß die Möglichkeit der Zustimmung oder der Ablehnung explizit gewährt wird. Der fehlende Zwang ist sozusagen kein Mangel einer praktischen Regel, sondern gerade ihr bestimmendes Merkmal: Eine praktische Regel zeichnet sich dadurch aus, daß ihr zuwidergehandelt werden kann. Weil der Adressat nicht durch die Regel determiniert wird, muß er sich aber, sofern er sie als praktische Regel versteht, zu ihr in einer bestimmten Weise verhalten. Er kann sie beachten oder mißachten, muß aber eines von beiden. In diesem für eine praktische Regel konstitutiven Zwang zum Sich-Verhalten des Adressaten kommt das wertende Element zum Vorschein, von dem zu Beginn dieses Kapitels ausgegangen wurde. Es läßt sich hier festhalten, daß jede Regel, sofern sie als praktische verstanden wird, mit einem Wertungsvollzug notwendig verbunden ist. Wenn eine Wertung mit dem Vorziehen oder Nachsetzen von unterscheidbaren Gegebenheiten zu tun hat, impliziert jeder abgeschlossene Wertungsvollzug, daß etwas als Wert oder Unwert betrachtet wird. Jeder Wert erhebt als Wert einen Geltungsanspruch. Das Spezifische des Geltungsanspruches eines Wertes, im Gegensatz zum dem eines Faktums,336 also das Spezifische des Praktischen gegenüber dem 336 Der Geltungsanspruch eines Wertes ist etwas anderes als der Geltungsanspruch eines Faktums. Der Gegenstand einer theoretischen Aussage ist das Faktum. Das Faktum zeichnet sich dadurch aus, daß es ist, was es ist und nichts weiter. Das Faktum wird gedacht als bloße, für sich bestehende Notwendigkeit. Das Faktum erhebt keinen Anspruch auf Geltung, in dem Sinne, daß es Zustimmung oder Ablehnung fordert. Wird ein Faktum postuliert, dann wird ein bloßes für sich Seiendes postuliert. Das Postulat „Faktum“ behauptet, ein X soll sein, als unabhängig von jeder Zustimmung oder Ablehnung. Die konkrete, faktische Welt, der ich mich gegenübersehe, erhält gerade dadurch den Charakter der Wirklichkeit, des Nicht-Fiktiven, daß sie mir gegenübertritt als völlig unabhängig von mir. Dieses „Gegenübertreten“ ist aber wiederum transzendental einzuholen als mein Verhältnis zu ihr: Die faktische Welt hat einen epistemischen Status, denn sie ist mir reale Welt, nur deshalb, weil ich um ihre Faktizität weiß. Zusammenfassend läßt sich das Postulat „Faktum“ verstehen als die Behauptung eines X, das ich, qua Behauptung, zu mir in das Verhältnis setze, unabhängig von mir zu sein. Verstehe ich etwas als Faktum, verstehe ich, daß von mir nichts gefordert wird. Der Geltungsanspruch eines Wertes hingegen fordert Befolgung, d. h. verstehe ich etwas als Wert, verstehe ich, daß von mir etwas gefordert wird. Nur dadurch, daß ich mich einer Forderung gegenübersehe, wird mir ein X zu Wert oder Unwert. Das Postulat „Wert“ bedeutet, daß ich ein X behaupte, als notwendig bezogen auf meine Zustimmung (oder Ablehnung im Falle eines Unwertes). Ich behaupte also ein X, das ich, qua Behauptung, zu mir in das Verhältnis setze, mich zu fordern. Behaupte ich einen Wert, tritt mir die verobjektivierte Form meiner eigenen ursprünglichen Wertung entgegen. Meine Wertung macht erst einen Wert, den ich anschließend, meine Wertung „vergessend“, mir verobjektiviert als
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Theoretischen, soll an dieser Stelle nicht interessieren. Es geht hier zunächst nur um die Frage, wie der bestimmte Inhalt an einem bestimmten Wert, also z. B. das Anziehen eines roten Pullovers, in seinem Geltungsanspruch gerechtfertigt werden kann. Wenn ich den roten anstatt des blauen Pullovers wähle, mache ich das Anziehen des roten für mich zu einem Wert, das Anziehen des blauen zu einem Unwert. Sofern der Wert einen bestimmten Gehalt hat, sich also auf bestimmte, unterscheidbare Gegebenheiten bezieht, z. B. einen roten Pullover, impliziert er notwendig immer auch den Ausschluß des jeweiligen, zur Disposition stehenden Gegenteils. Jeder bestimmte Wert impliziert, allein dadurch daß er bestimmt ist, einen bestimmten Unwert. Damit steht der Wertende – in der hier beanspruchten theoretischen Betrachtung – vor dem Problem, den Ausschluß des einen und die Annahme des anderen „begründen“ zu müssen. Wenn Wertungen mit bestimmtem Inhalt insofern nicht selbstverständlich und selbsterhellend sind, als sie notwendig jeweils etwas ausschließen und verneinen, dann muß – unter dem Anspruch der Rationalität – in irgendeiner Weise eine Rechtfertigung für diesen Ausschluß erfolgen. Andernfalls würde die Wertung schlicht dogmatisch gesetzt und damit der wissenschaftlichen Reflexion entzogen. Jede einzelne Wertung, jede einzelne Regel enthält für sich bereits dieses Problem der Rechtfertigung, wenn sie theoretisch betrachtet wird. Anschaulich wird dieses Problem immer dann, wenn wir in einem expliziten Wertoder Regelkonflikt stehen: Wenn eine Regel, der wir uns gegenübersehen, etwas von uns fordert, was eine andere gerade ausschließt. In einer solchen Situation tritt die Frage auf: „Welche Regel ist nun die richtige? Nach welcher Regel soll ich mich richten?“ Mit diesen Fragen verlangen wir nach einer Begründung oder Rechtfertigung des Geltungsanspruches, den beide Regeln jeweils für sich erheben. Wir hoffen, durch diese Rechtfertigung Aufschluß darüber zu erlangen, welche Regel für uns nun gelten soll. Wir suchen nach einer Affirmation für den Geltungsanspruch der einen oder der anderen Regel. Durch eine solche Fragestellung machen wir aber beide Regeln zu den „Gegebenheiten“ einer neuen, erst zu vollziehenden Wertung, zu den Alternativen einer neuen Entscheidung. Die Veranschaulichung des Rechtfertigungsproblems anhand eines Regelkonfliktes führt also von selbst zur betrachteten Ausgangslage einer Wertung überhaupt zurück: Wenn die eine Regel gilt, sein soll, Wert ist, impliziert diese Wertung notwendig den Unwert der ihr widersprechenden Regel. Damit stellt sich hier die Frage, wie Wertsetzungen gerechtfertigt werden können. Welche Rechtfertigung kann z. B. der Geltungsanspruch der MenWert entgegensetze. Der Wert fordert von mir sekundär nun das, was ich selbst qua Wertung primär gewertet habe.
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schenrechte erfahren? Wie kann die Entscheidung für oder wider die Forschung an embryonalen Stammzellen gerechtfertigt werden? Weshalb ist es in Westeuropa „gut“ oder angemessen, einer Person zur Begrüßung die Hand zu reichen und nicht die Füße zu küssen, wie es in anderen Kulturen vielleicht üblich sein mag? Auch wer die Berechtigung dieser Fragen schon verneint oder diese Fragen als unerheblich qualifiziert, hat es mit der Ablehnung eines normativen Anspruches zu tun: Diese Fragen erheben durch ihren bloßen Status als Fragen den Anspruch auf Beantwortung. Sie fordern, daß eine wahre Aussage gefunden werden soll, die noch nicht „da“ ist. Wer sich einer Frage gegenübersieht, unterliegt einer Aufforderung, nämlich der Aufforderung, die Problematizität einer Aussage zu beseitigen. Wer diese Aufforderung prinzipiell zurückweist, bestreitet die Berechtigung der Frage, und umgekehrt. Die explizite Ablehnung dieser Fragen als unberechtigt weist damit eine konkrete Gegebenheit – in diesem Falle einen normativen Anspruch – zurück, und fällt insofern unter den ansatzweise schon eingeführten Begriff der Wertung. Diese Ablehnung muß, insofern sie selbst Wertung ist, wiederum gerechtfertigt werden, falls überhaupt ein diskursiver Anspruch erhoben wird. Andernfalls könnte jede Wertung, allein weil sie Wertung ist, einen nicht hinterfragbaren, dogmatischen Geltungsanspruch erheben. Wer sich ausdrücklich zu der Möglichkeit dogmatischer Setzungen bekennt, untergräbt das Fundament einer rationalen, diskursiven Auseinandersetzung, nämlich das Rechtfertigungspostulat. Diejenige Position, die sich der Notwendigkeit der Rechtfertigung entziehen will, ist in einer argumentativen Auseinandersetzung aber gerade nicht als zu erwägende Position ernst zunehmen, da sie die Möglichkeit von Argumentation überhaupt, und das heißt von Rechtfertigung, prinzipiell ablehnt. Damit muß diese Position hier nicht weiter argumentativ berücksichtigt werden. Das bloße, starre Behaupten einer fraglichen Wertposition unter Ablehnung jeder Rechtfertigung bedeutet einen dogmatischen Diskussionsabbruch, der als mögliche Antwort auf die Frage nach Rechtfertigung ausscheidet. Dabei ist es völlig unerheblich, welche Aussage dogmatisiert wird. Sofern jedoch die Basis für jede Form von Argumentation, das Rechtfertigungspostulat, anerkannt wird, führt die argumentative Bestreitung der Relevanz des Rechtfertigungsproblems zu dem Problem selbst zurück. Wer sich dem Rechtfertigungspostulat stellt, könnte versuchen, die fragliche Wertung durch eine andere, plausiblere Wertung zu rechtfertigen. Diese Zurückführung einer problematischen Wertung auf eine andere, zunächst unproblematische Wertung bedeutet, die problematische Wertung zu begründen. Der unsichere Geltungsanspruch der problematischen Wertung soll
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durch die Aufzeigung eines Grundes gesichert werden. Der aufgezeigte Grund überträgt dabei durch seine Funktion als Grund seinen, zunächst unangefochtenen, Geltungsanspruch auf die fragliche, zu begründende Wertung. Eine solche Begründung könnte etwa in folgender Form gegeben werden: „Ich halte es für angemessen, meinem Gegenüber zur Begrüßung die Hand zu reichen, weil es hier so üblich ist und ich es für gut halte, mich nach den Üblichkeiten zu richten.“ Durch eine solche Begründung mag ein bestimmtes Verhalten zunächst plausibel werden. Es erscheint im Alltagsleben vollkommen einsichtig, daß sich jemand an die jeweiligen kulturellen Üblichkeiten hält und sein Verhalten durch den Verweis auf diese Üblichkeiten rechtfertigt. Dennoch ist der Verweis auf die kulturellen Üblichkeiten keine letztendliche Beseitigung der Problematizität. Obwohl wir die Berufung auf kulturelle Üblichkeiten in „normalen“ Alltagssituationen wohl für ausreichend plausibel halten, würden wir eine solche Berufung nicht in jedem Falle als ausreichende Begründung akzeptieren. Es erscheint prinzipiell berechtigt auch für den angeführten Grund – „die Befolgung von Üblichkeiten“ – wiederum nach einer Begründung zu verlangen: „Weshalb ist es gut, sich unter bestimmten Umständen nach den Üblichkeiten zu richten?“ Jedenfalls kann einem Kind und einem strengen Philosophen diese Frage nicht verwehrt werden, ohne sich von dem prinzipiellen Anspruch auf Verständigung zu suspendieren. Wenn es gut, wertvoll, „richtig“ ist, sich nach den Üblichkeiten zu richten, stellt der Verstoß gegen sie einen Unwert dar. Der wertmäßige Ausschluß einer Gegebenheit fordert jedoch notwendig eine Rechtfertigung. Weshalb ist es richtig, sich nach den Üblichkeiten zu richten? Auf diese Frage kann wiederum eine Antwort gefunden werden, die die Problematizität vorläufig beseitigt. Aus den bisherigen Überlegungen sollte einsichtig werden, welchen erkenntnistheoretischen Status diese Antwort jedoch prinzipiell nicht haben kann, wenn sie überhaupt als mögliche Antwort in Betracht kommen soll: einen theoretischen. Wenn Wertungsvollzüge z. B. auf die Beschaffenheit unserer Gene zurückgeführt werden, wird das Wertungsproblem nur vordergründig verdeckt, jedoch nicht gelöst. Die Behauptung: „Menschliche Wertungsvollzüge sind letztlich durch genetische Strukturen determiniert“, mag in einem naturwissenschaftlichen Weltbild zunächst durchaus plausibel erscheinen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch ein Problem, das aus der bloßen Form dieser Behauptung als Behauptung erwächst. Denn eine Behauptung impliziert bereits einen zumindest hypothetischen Geltungsanspruch: „könnte wahr sein“. Auch wenn ein Geltungsanspruch lediglich als hypothetischer erhoben wird, transportiert er eine zu-
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mindest implizite Aufforderung an das erkennende Subjekt – näherhin: an die möglichen Rezipienten der ausgesagten Behauptung –, die Behauptung in ihrem spezifischen Gehalt in Hinsicht ihrer möglichen Wahrheit zumindest zu erwägen. Ohne diesen Bezug zumindest zur Möglichkeit der Wahrheit der Behauptung, bleibt die Behauptung in ihrem Status als Behauptung unverständlich. Denn ohne diesen Bezug würde eben nichts behauptet. Die über die Behauptungsform transportierte Aufforderung zum Erwägen der Wahrheit fordert jedoch gerade eine wertende Stellungnahme vom erkennenden Subjekt: nämlich den Geltungsanspruch der Behauptung entweder als wahr/richtig zu affirmieren, ihn als unwahr/falsch abzulehnen, oder aber ihn in seiner hypothetischen Form weiterhin zu erwägen – was selbstverständlich nur im Hinblick auf das letztendliche Ziel geschehen kann, über die mögliche Wahrheit der Behauptung Klarheit zu erlangen, also ihre Hypothetizität zu überwinden. Wird die angeführte Behauptung so radikal verstanden, daß sie sich selbst auf Gene zurückführt, d.h. betrachtet sich die behauptende Person auch in ihrer Tätigkeit des Behauptens als determiniert durch die behaupteten theoretischen Sachverhalte, faßt sie sich selbst als ein mit Notwendigkeit ablaufendes Kausalgeschehen auf, in dem Wertungsvollzüge prinzipiell nicht vorkommen können. Damit wird aber unverständlich, wie es überhaupt zu dem Anspruch auf eine wertende Stellungnahme kommen kann, der mit der Form der Behauptung verknüpft ist. Wer in einer diskursiven Auseinandersetzung die Möglichkeit von Wertungen prinzipiell ablehnt, kann nicht plausibel machen, wieso er einem möglichen Diskussionspartner überhaupt etwas sagt, mit dem Anspruch, dieser möge doch bitte zumindest den hypothetischen Geltungsanspruch der Aussage erwägen und anschließend die Problematizität oder sogar Unrichtigkeit seiner eigenen, gegenteiligen Position zugestehen. Aussagen ohne zumindest hypothetischen Wahrheitsanspruch sind als Aussagen in Richtung auf einen möglichen Rezipienten unverständlich. Denn wird nicht einmal ein hypothetischer Wahrheitsanspruch erhoben, wird auch ein möglicher Rezipient zu nichts aufgefordert. Er könnte demzufolge die Aussage auch gar nicht als Aussage verstehen, mit der er sich auseinandersetzen sollte. In einem anschaulichen Beispiel formuliert: Das Rauschen des Waldes z. B. ist ohne animistische, pantheistische oder schöpfungstheologische Zusatzannahmen für den Hörenden ohne jede Bedeutung, ohne jeden Anspruch, ohne jeden Sinn. Es fordert von ihm nichts, es ist bloßes Faktum. Bedeutung überhaupt, Geltungsanspruch, Sinnhaftigkeit, ist, auch im Modus der Problematizität, unter einer ausschließlich kausal erklärenden Perspektive nicht zugänglich. Erst durch den nicht (natur-)kausal bedingten Wertungsvollzug einer Person kann überhaupt ein, wenn auch nur hypothetischer
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Anspruch auf Bedeutung, Sinn, Geltung entstehen. Würde der Geltungsanspruch der oben formulierten Aussage radikal abgelehnt, löste sich – anschaulich formuliert – die Aussage als Aussage für einen möglichen Rezipienten sozusagen von selbst auf. Als bloßes Faktum, d.h. als bloßes Sinnesdatum, bliebe sie natürlich bestehen, z. B. als Rauschen in meinen Ohren. Wird der Geltungsanspruch zugestanden, dann behauptet die aussagende Person, der Grund ihrer Aussage liege in ihr selbst als Person, sei also Produkt einer wertenden Stellungnahme und nicht eines naturkausalen Zusammenhangs. In diesem Falle bleibt das Problem der Rechtfertigung für diese Einsicht, Überzeugung, oder wie immer man den Grund des Geltungsanspruches formulieren mag, bestehen. Es muß dann gerechtfertigt werden, daß die oder der Behauptende die bestimmte theoretische Aussage – „durch Gene determiniert“ – zumindest als besser, angemessener, richtiger anerkennt als eine andere.337 Damit wird wieder die ursprünglich aufgeworfene Frage nach einer Rechtfertigungsmöglichkeit für Wertungsvollzüge relevant.338 Die „Begründung“ von Wertaussagen durch den Verweis auf theoretische Zusammenhänge ist also entweder selbstwidersprüchlich oder sie führt unmittelbar zum Begründungsproblem zurück. Die Rechtfertigung dafür, daß es unter bestimmten Umständen gut sei, sich an die Üblichkeiten zu halten, erfordert also in jedem Falle einen Wertungsvollzug. Dieser müßte ebenfalls einen bestimmten Inhalt, einen bestimmten materialen Gehalt haben, wenn er als mögliche Begründung für 337 Vgl. dazu eine Argument von Hans Albert gegen die Möglichkeit einer Letztbegründung durch Offenbarung, das sich auch auf die Möglichkeit einer Letztbegründung durch Theorie beziehen läßt: „Der Hinweis auf den Offenbarungscharakter gewisser Einsichten hat in dieser Beziehung [im Hinblick auf das Rechtfertigungspostulat] keinerlei Bedeutung, denn der Erkennende muß letzten Endes doch entscheiden, ob er bereit ist, bestimmte vermeintliche Einsichten als Offenbarungen anzuerkennen. Eine solche Anerkennung ist stets – und zwar gleichgültig, ob es ich um göttliche, übernatürliche Offenbarungen oder um natürliche Offenbarungen durch die Vernunft oder die Sinne handelt – eine Beurteilung, die die betreffenden Einsichten in einen weiteren Kontext einordnet, also ihre Funktion als letzte Voraussetzung aufhebt.“ Albert (1991), S. 36. 338 Wenn wir von der nur der Anschauung halber eingeführte, spezifische Form des Geltungsanspruches, nämlich der Aussagbarkeit, wieder absehen und nur auf die, eventuell lediglich hypothetische, Überzeugung reflektieren, daß wir durch Gene determiniert sind, die auch unabhängig von der spezifischen Form der Aussagbarkeit bestehen kann, so bleibt das Problem in abstrakterer Form bestehen. Denn die diese Überzeugung habende Person sieht, unabhängig von jeder Äußerung, sich selbst durch ihre Überzeugung einem angezielten Wahrheitsanspruch ausgesetzt. Sie kann in sich diese Überzeugung nur dann finden, wenn sie sich einem „inneren“ Wahrheitsanspruch gegenübersieht. Andernfalls wüßte sie gar nicht von ihrer Überzeugung als Überzeugung, hätte also auch keine.
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den Geltungsanspruch der bestimmten Ausgangswertung in Frage kommen soll. Da er aber selbst bestimmt ist, insofern er irgend etwas ausschließt, kann er selbst, aufgrund seiner Bestimmtheit, die bestehende Problematizität nur vorläufig beseitigen. Dieses Argument ist rein formal, nimmt also keine Rücksicht auf den konkreten Inhalt der angeführten Wertungsbegründung. Was immer man als letzte Wertungsevidenz auch anführen mag – Solidarität, Glückseligkeit, Menschenwürde, Gott, göttliche Offenbarung, ideal erweiterte Kommunikationsgemeinschaft etc. – eine solche Rechtfertigung kann in einem rationalen Diskurs niemals endgültig sein, sofern die Wertungsevidenz als inhaltlich bzw. material bestimmte verstanden wird und damit unausweichlich einen ausschließenden Anspruch macht.339 Dieser ausschließende Anspruch kann jedoch gegenüber dem Ausgeschlossenen selbst nicht mehr gerechtfertigt werden. Denn als Bedingung der Möglichkeit für Rechtfertigung überhaupt wird ja voraussetzungsgemäß die jeweilige, bestimmte, also ausschließende Wertungsevidenz angeführt. Eine Rechtfertigung des Geltungsanspruches dieser Wertungsevidenz gegenüber dem von ihr Ausgeschlossenen ginge also selbst von diesem Ausschluß aus, wäre zirkulär und damit unbrauchbar. Eine material bestimmte Wertbehauptung kann sich also zu339 In einer konsequenten Durchführung des Begründungsprogramms müßte als höchste Instanz ein Prinzip behauptet werden, das unmittelbar aus sich alle Phänomene begründete. Ein solches Prinzip müßte also sowohl den materialen Gehalt aller Bestimmungen als auch alle Bestimmungen dieses Gehaltes in sich fassen, womit es mit den Phänomenen identisch würde. Spinoza hat dieses Prinzip philosophisch konsequent aufgestellt und in eine allumfassende göttliche Substanz gesetzt. Diese Substanz enthält bereits alle realen Phänomene als ihre Akzidenzen, die sich notwendig aus den unendlichen Attributen der Substanz ergeben. Da alle Phänomene, sowohl der ausgedehnten Welt, als auch des Denkens, als bloße Akzidenzen bereits in der Substanz enthalten sind, kommt allen diesen weltlichen Bestimmungen absolute Notwendigkeit zu. Das Begründungsdenken führt also in seiner konsequenten Form zu der, von Spinoza auch gezogenen, Konsequenz der Eliminierung aller Freiheit. Freiheit wird zu einer bloßen Illusion. D. h. auch die Aufstellung des Prinzips durch den Philosophen muß, sofern er konsequent innerhalb seines Systems bleibt, von ihm betrachtet werden als notwendiges Akzidens der göttlichen Substanz. Der Dogmatismus kommt hier in seine absolute, in sich konsequente Form. Zur Darstellung der Philosophie Spinozas vgl. Deleuze (1993). Aus den obigen Ausführungen ergibt sich der entscheidende Einwand gegen eine solche Philosophie: Spinoza stellt Gott vor, er behauptet ihn als tragendes Prinzip. Damit macht er ihn aber bereits zum Gegenstand, zum bestimmten Gehalt einer mit Wahrheitsanspruch auftretenden Vorstellung bzw. Behauptung. (Der bestimmte Gehalt besteht hier im Substanzgedanken. Dieser Gedanke „Substanz“ enthält bereits notwendige Bestimmungen, z. B. dadurch, daß „Substanz“ nur gedacht werden kann in Beziehung auf Akzidenzen. Damit schließt er ein bestimmtes Gegenteil aus.) Und wir müssen Spinoza fragen, wie und woher er zu einer solchen bestimmten Behauptung berechtigt ist. Vgl. dazu das oben vorgebrachte Argument gegen die theoretische Erklärung von Wertungen.
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mindest gegenüber dem von ihr Ausgeschlossenen nicht mehr rechtfertigen und ist, sofern sie als letzter Grund behauptet wird, dogmatisch. Die Rechtfertigung gegenüber dem Ausgeschlossenen könnte nur durch eine noch fundamentalere Wertung geleistet werden, für die sich aber wiederum das gleiche Problem ergäbe. Das kategorische Rechtfertigungspostulat, das sich auf jede Wertung mit bestimmtem Inhalt bezieht, führt also zu der prinzipiellen Nichtabschließbarkeit der Rechtfertigung, zu einem infiniten Regreß. Das unendliche Zurückgehen auf jeweils tiefere Begründungsschichten liefert aber aufgrund seiner Unabschließbarkeit gerade keine Rechtfertigung für eine bestimmte, endliche Ausgangswertung. Der unbefriedigenden Alternative des infiniten Regresses ließe sich nur durch eine Wertung entkommen, die selbst als schon begründet zur Verfügung stünde. In einer solchen Argumentationsstruktur würde also an einer Stelle des Begründungsverfahrens eine Wertung als bereits begründet eingeführt, um den infiniten Regreß zum Stehen zu bringen. Da jedoch das Begründungsverfahren selbst Begründung überhaupt erst herstellen sollte, könnte es sich dabei nur um eine Wertung handeln, die in diesem Begründungsverfahren selbst schon vorkam. Damit wäre jedoch die Begründung dieser Wertung durch den weiteren Begründungsgang lediglich angezielt aber noch nicht geleistet worden. Da diese Wertung durch den Begründungsgang erst begründet werden sollte, kann sie selbst nicht das Fundament dieses Begründungsganges abgeben. Eine zirkuläre Argumentationsstruktur leistet keinerlei Begründung oder Rechtfertigung. Weder dogmatische Setzung, noch infiniter Regreß, noch Argumentationszirkel leisten also das, was mit dem Begründungsversuch unserer Ausgangswertung angezielt war, nämlich einen gültigen Ausweis ihrer „Richtigkeit“, ihrer „Begründetheit“. Wertungsvollzüge überhaupt lassen sich also offenbar nicht letztendlich rechtfertigen, sondern immer nur vorläufig und unzureichend. Nachdem diese Vorläufigkeit im vorhinein jedes Rechtfertigungsversuches feststeht, ist aber fraglich, was mit einer „vorläufigen Rechtfertigung“ überhaupt erreicht wäre. Da sich die Rechtfertigung nicht erst nach Abschluß der Rechtfertigung unter bestimmten Umständen als vorläufig erweisen könnte, ihren problematischen Status also nicht nur hypothetisch erhält, sondern da jeder Rechtfertigungsversuch im vorhinein sich notwendig als unabgeschlossen, problematisch erweist, kann nicht einmal von „vorläufiger“ Rechtfertigung gesprochen werden. Diese Redeweise implizierte, daß wir gute Gründe hätten, davon auszugehen, daß die bisher erreichte Rechtfertigung sicher ist, obwohl sie sich dennoch unter Umständen als falsch erweisen könnte. Tatsächlich aber haben wir keine solche Berechtigung, ein beliebiges, bisher erreichtes Rechtfertigungsniveau als in
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irgendeiner Weise plausibel auszuzeichnen. Vielmehr wissen wir, aufgrund obiger Argumentation, daß jedes Rechtfertigungsniveau, sofern es selbst als Rechtfertigung für material bestimmte Ausgangswertungen dienen können soll, notwendig unzureichend, da selbst unbegründet, ist. Es ergäbe sich der Befund einer prinzipiellen Begründungslosigkeit – schärfer formuliert: Unbegründetheit – aller unserer Wertungen und damit die prinzipielle Sinnlosigkeit aller Rechtfertigung. 5.1.2 Der Kritische Rationalismus Hans Albert hat die drei Alternativen des Versuchs einer „Letztbegründung“, nämlich dogmatischen Abbruch, infiniten Regreß und logischen Zirkel, unter dem Begriff „Münchhausen-Trilemma“ in die Diskussion eingeführt.340 Er zieht aus der offensichtlichen Unbrauchbarkeit aller drei Alternativen, die sich aufgrund des Begründungspostulates notwendig ergeben, den Schluß, daß das Begründungspostulat selbst, also die Suche nach einem absoluten Fundament, einem „archimedischen Punkt“, prinzipiell aufgegeben werden sollte. Der Letztbegründungsanspruch sei aufgrund einer falsch formulierten Problemlage verfehlt. Anstelle des Begründungspostulates sollte vielmehr das Prinzip der kritischen Prüfung treten, d.h. die „kritische[.] Diskussion aller in Frage kommenden Aussagen mit Hilfe rationaler Argumente.“341 „Das Prinzip der kritischen Prüfung kann ebenso wie das Prinzip der zureichenden Begründung als ein allgemeines Postulat aufgefaßt werden, das überall in Betracht kommt, wo es um die Lösung von Problemen geht.“342
Dieses Prinzip besagt, daß eine Aussage immer nur im Vergleich zu möglichen, im Hinblick auf den jeweiligen Problemkontext alternativen Hypothesen geprüft werden soll, und zwar hinsichtlich der Bewährung in der Realität: „Geben wir unseren Überzeugungen – und damit auch den theoretischen Konstruktionen, in denen sie sich verkörpern – die Gelegenheit, am Widerstand der realen Welt zu scheitern, dann haben wir gleichzeitig die Möglichkeit, ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und durch Korrektur unserer Irrtümer der Wahrheit näher zu kommen. Um das zu können, müssen wir allerdings das der klassischen Lehre zugrundeliegende Streben nach Gewißheit opfern und die permanente Ungewißheit in Kauf nehmen, ob sich unsere Auffassungen auch in Zukunft weiter bewähren und damit aufrechterhalten lassen.“343
Das Prinzip der kritischen Prüfung führt also notwendig zu einem „Fallibilismus“,344 d.h. zu der Auffassung, daß prinzipiell alle Aussagen falsch 340 341 342 343
Vgl. Albert (1991), S. 13 ff. Albert (1991), S. 42. Albert (1991), S. 44. Albert (1991), S. 40.
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sein könnten. Albert gesteht ausdrücklich zu, daß der Kritizismus auch auf sich selbst anzuwenden ist,345 d.h. daß auch die Aussage, daß alle Aussagen falsch sein könnten, selbst falsch sein könnte. Allerdings bestreitet er vehement die von Vertretern der Transzendentalpragmatik vorgebrachte Kritik, daß diese Selbstanwendung zu einer Paradoxie führe.346 Er besteht darauf, daß die von ihm formulierten Aussagen allesamt nicht als Dogmen, deren Wahrheit unwiderlegbar feststünden, sondern als Hypothesen aufzufassen sind, die sich als solche eben auch als falsch erweisen könnten. Es soll hier auf die Kontroverse zwischen den Vertretern der Transzendentalpragmatik und denen des kritischen Rationalismus nicht im einzelnen eingegangen werden. Dennoch lassen sich aus den von beiden Seiten vorgebrachten Argumenten wichtige Schlüsse ziehen, die zu einer problemadäquaten Behandlung der Ethik beitragen können. Aus der bislang in Kapitel 5 verfolgten Argumentation geht hervor, daß eine material bestimmte Behauptung nicht als letztgültiger Endpunkt einer rationalen Rechtfertigung in Frage kommt. Insofern ist die Kritik Alberts an Apel berechtigt, dieser füge den aus der Philosophiegeschichte bereits bekannten dogmatischen Letztbegründungsinstanzen lediglich eine weitere, material bestimmte hinzu, nämlich die „unbegrenzte Kommunikationsgemeinschaft“.347 Andererseits ist die Position des kritischen Rationalismus selbst in ihrem Kern unhaltbar, was mit transzendentalen Argumenten in der Tat gezeigt werden kann. Denn man müßte Albert seinerseits fragen, woher er denn überhaupt weiß, woran er sich annähern will, wenn er in kritizistischer Absicht „der Wahrheit näher [. . .] kommen“348 möchte, also woher er überhaupt die „Idee der Wahrheit“ hat. In gleicher Weise muß man ihn nach der Herkunft seines Wissens um Gewißheit fragen, deren Erreichbarkeit er prinzipiell bestreitet.349 Auch wenn wir niemals Gewißheit erreichen könnten über ein „Etwas“, das material bestimmt ist, so bleibt dennoch die Frage bestehen, woher wir überhaupt die Idee der Gewißheit haben, auf die wir uns notwendig beziehen müssen, wenn wir ihre Erreichbarkeit in der Sphäre der Erkenntnis bestreiten. 344
Vgl. Albert (1991), S. 44. Vgl.: Albert (1991), S. 224; Albert (1975), S. 122. 346 Vgl.: Albert (1975), S. 122 f.; Albert (1987), S. 421 ff.; Albert (1991), S. 274. 347 Vgl. dazu Albert (1975), S. 149 ff., insb. S. 152, wo Albert Apel vorwirft, dieser setze „sein transzendentales Kollektivsubjekt, die unbegrenzte, ideale Kommunikationsgemeinschaft, an die Stelle des cartesischen Gottes.“ 348 Albert (1991), S. 40 sowie S. 42; vgl. auch S. 52: „wenn man sich der Wahrheit nähern will“, sowie S. 57: „Theorien, von denen wir vermuten dürfen, daß sie der Wahrheit möglichst nahe kommen“. 349 Vgl. Albert (1991), S. 42 sowie S. 57. 345
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In bezug zur Gewißheitsproblematik hatte Fichte festgestellt: „Durch die Demonstration [durch den Beweis] wird nur eine bedingte, mittelbare Gewissheit erzielt; es ist ihr zufolge etwas gewiß, wenn ein anderes gewiß ist. Entsteht Zweifel über die Gewissheit dieses anderen, so muß diese Gewissheit an die Gewissheit eines Dritten angeknüpft werden, und so immer weiter. Wird denn nun dieses ZurückVerweisen ins Unendliche fortgesetzt, oder giebt es irgendwo ein letztes Glied? Ich weiß, daß einige der erstern Meinung zugethan sind; aber diese haben nicht bedacht, daß, wenn sie recht hätten, sie auch nicht einmal der Idee der Gewissheit fähig wären, und nicht nach Gewissheit suchen könnten, denn was das heiße: gewiß seyn, wissen sie nur dadurch, daß sie selbst irgendeines etwas gewiß sind; ist aber alles nur unter Bedingung gewiß, so ist nichts gewiß, und nicht einmal unter Bedingung ist etwas gewiß.“350
Später wird ausführlich darüber zu sprechen sein, wie die Formulierung „irgendeines etwas gewiß“ zu verstehen ist. Im Gegensatz zu der Auffassung, daß – eine wie auch immer geartete – Gewißheit Bedingung der Möglichkeit für Aussagen ist, die mehr oder weniger gewiß sein sollen, stellt Albert fest: „Nun wurde die Tatsache, daß Überzeugungen mehr oder weniger gewiß – anders ausgedrückt: mehr oder weniger plausibel – sein können, von mir nie bestritten. Der wesentliche Punkt ist der, daß auch ein noch so großes Maß an Gewißheit keine Wahrheitsgarantie involviert. Nur das ist für das Problem der Letztbegründung interessant. [. . .]. Alle Äußerungen zum Gewißheitsproblem in meiner Argumentation für den konsequenten Fallibilismus stehen bei mir im Zusammenhang mit der Begründungsproblematik, und in diesem Zusammenhang kommt es auf die Frage der Wahrheitsgarantie an. Aber ganz abgesehen davon, daß alle Thesen über tatsächlich vorliegende Gewißheitsgrade in dieser Hinsicht irrelevant sind, ist die Behauptung Kuhlmanns, wenn es ‚unmöglich‘ sei, ‚letzte Gewißheit zu haben oder zu gewinnen‘, dann mache es ‚auch keinen Sinn, verschiedene Gewißheitsgrade zu unterscheiden‘ [Wolfgang Kuhlmann, Reflexive Letztbegründung. Untersuchungen zur Transzendentalpragmatik, Freiburg/München 1985, S. 60], nicht akzeptabel. Die faktische Unmöglichkeit, einen Extremwert einer bestimmten Skala zu erreichen, ist kein Grund, eine solche Skala überhaupt zu verwerfen. Und die Feststellung bestimmter Werte auf einer solchen Skala – etwa bestimmter Wahrscheinlichkeiten von Hypothesen – muß keineswegs mit absoluter Gewißheit erfolgen, wie Kuhlmann behauptet.“351
Hier mißversteht Albert ganz offenbar das transzendentale Argument. Denn wenn hier von Kuhlmann, wie von Fichte, Gewißheit überhaupt als Bedingung der Möglichkeit für Aussagen gefordert wird, die – mehr oder weniger – gewiß sein sollen, so ist damit kein „Extremwert einer bestimmten Skala“ gemeint, sondern diejenige Qualität, die durch die Skala lediglich quantifiziert wird. Auch ein – möglicher oder unmöglicher – Extrem350 351
Fichte (1797/98), S. 260. Albert (1987), S. 421 f.
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wert auf dieser Skala steht noch unter der Bedingung, daß sich die Skala als Skala auf etwas bezieht, in diesem Falle die Idee der Gewißheit. Erst vor dem Hintergrund einer solchen unquantifizierbaren Idee der Gewißheit könnten – falls sich das überhaupt als möglich denken ließe – verschiedene Gewißheitsgrade unterschieden werden. Und es stellt sich die Frage, wie wir überhaupt zu dieser Idee der Gewißheit kommen – anders formuliert – wie wir die Annahme einer solchen Idee rechtfertigen oder ihre Berechtigung prüfen können. Nehmen wir die Konzeption des kritischen Rationalismus beim Wort, dann müßten wir, um die Idee der Gewißheit zu überprüfen, „nach Alternativen [. . .] suchen“352, um anhand eines Vergleichs der Alternativen im Hinblick auf festzulegende Kriterien festzustellen, welche Alternative „wir für akzeptabel halten“353. Das Problem, daß sich hierbei ergibt, besteht nun aber darin, daß eine solche „kritische“ Überprüfung der Idee der Gewißheit diese selbst bereits voraussetzt. Sowohl die Suche nach Alternativen, als auch die Bestimmung relevanter Kriterien, sowie die Bewertung als „akzeptabel“ stehen bereits unter dem Vorbehalt einer zumindest beanspruchten Gewißheit: Die Alternativen sollen Alternativen sein, die Kriterien sollen Kriterien sein, die „akzeptable“ Alternative soll „akzeptabel“ sein, was doch nur heißen kann, sie soll in Bezug auf die Kriterien plausibel sein. In allen drei Fällen werden Ansprüche erhoben, die – auch als bloß hypothetische – sich auf die Idee der Gewißheit beziehen und darüber hinaus nicht inhaltsleer sind, denn mit „Alternative“, „Kriterien“, sowie „akzeptabel“ soll ja jeweils etwas bestimmtes gemeint sein. Werden diese zumindest hypothetischen Ansprüche nicht erhoben, fällt das Prinzip der „kritischen“ Prüfung in sich zusammen, weil dann die zur Prüfung notwendigen Bestandteile – „Alternativen“, „Kriterien“, Beurteilung als „akzeptabel“ – nicht einmal aufgestellt und verwendet, geschweige denn selbst einer Prüfung unterzogen werden könnten. Daß diese Bestandteile notwendig zu einer Prüfung von Hypothesen gehören, führt darüber hinaus zu dem Nachweis, daß innerhalb des kritischen Rationalismus nicht nur lediglich hypothetische Ansprüche gemacht werden: Soll der hypothetische Status von Aussagen selbst nicht bloß dogmatisch behauptet werden, impliziert er, daß es – neben den Kriterien der Beurteilung und der Beurteilung selbst – immer die Möglichkeit einer Alternative zu den hypothetisch gesetzten Aussagen gibt. Diese Alternative könnte auch bloß darin bestehen, den hypothetischen Modus der Aussage, ohne Modifizierung des Inhaltes, in einen assertorischen oder apodiktischen zu verwandeln. Eine Aussage ohne prinzipiell mögliche Alternative kann 352 353
Albert (1991), S. 58. Albert (1987), S. 422.
5.1 Hinführung zur ethischen Fragestellung
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jedenfalls keine Hypothese sein. Wenn aber die Möglichkeit einer Alternative notwendig gefordert werden muß, um überhaupt den hypothetischen Status von Aussagen aufrechterhalten zu können, ist damit innerhalb des „kritischen Rationalismus“ bereits ein Anspruch auf Gewißheit formuliert, der sich selbst nicht hypothetisch verstehen läßt, ohne dogmatisch zu werden. Denn die Alternative zu dieser – hier als notwendig behaupteten – Aussage wäre: „Es ist möglich, eine Hypothese als Hypothese zu denken und gleichzeitig die Möglichkeit einer Alternative zu dieser Hypothese auszuschließen.“ Wird aber eine solcher Gedanke als möglich behauptet, dann wird die Notwendigkeit der Möglichkeit einer Prüfung für hypothetische Aussagen verneint: Denn anhand von was sollte der hypothetische Status von Aussagen dann noch überprüft werden können? Falls die Notwendigkeit der Möglichkeit einer Alternative zu jeder Aussage verneint wird, hätte der hypothetische Status von Aussagen, auf den Albert ja so ausdrücklich besteht, also selbst einen bloß dogmatischen, weil unüberprüfbaren Status. Wenn also der hypothetische Status von Aussagen nicht bloß dogmatisch behauptet werden soll, muß notwendig, d.h. nicht lediglich hypothetisch, der Anspruch auf eine mögliche Alternative gemacht werden, und damit zugleich auch auf die Möglichkeit einer Beurteilung der Alternativen anhand von möglichen Kriterien. Diese Folgerung ist insofern als rein analytisch zu verstehen, als aus dem Begriff der „Hypothese“ seine notwendigen Bestandteile gewonnen werden, die mittelbar zur Methode der kritischen Prüfung führen. Der analytische Status dieser Folgerung schränkt ihre Funktion in dieser Argumentation gegen den kritischen Rationalismus jedoch nicht ein. Auch wenn Albert offenbar nichts dagegen einzuwenden hat, daß rein analytische Urteile absolut gewiß sind,354 wird durch dieses Zugeständnis noch nicht das Problem gelöst, wie der kritische Rationalismus diese in analytischen Urteilen notwendig enthaltene Idee der (absoluten) Gewißheit innerhalb seiner eigenen Methodologie rechtfertigen – in seiner eigenen Terminologie: überprüfen – kann. Eine „kritische Prüfung“ der Idee der Gewißheit setzt durch das Prüfungsverfahren diese Idee selbst in Form von hypothetischen und apodiktischen Geltungsansprüchen voraus und kann sie folglich auch nicht im Hinblick einer möglichen Alternative prüfen. Das Rechtfertigungsprinzip des „kritischen Rationalismus“, die „kritische Prüfung“ hat keine Möglichkeit die Idee der Gewißheit zu rechtfertigen, bzw. zu prüfen, obwohl sie notwendig auf sie angewiesen ist. Damit sind wir hier an den dogmatischen Grenzen des sich so kritisch gebärdenden „kritischen Rationalismus“ angekommen: Er muß in der Idee der Gewißheit eine Voraussetzung eingehen, die er aus methodischen Gründen nicht überprüfen kann. 354
Vgl. Albert (1991), S. 39.
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5 Ethik
Dieses Argument wird nicht dadurch entkräftet, daß Albert den kritischen Rationalismus selbst bloß als Hypothese betrachtet und die Möglichkeit von Alternativen ausdrücklich zugesteht.355 Denn in dem hier vorgebrachten Argument geht es nicht darum, den kritischen Rationalismus durch Vorlage einer – „letztbegründeten“ oder sonstigen – Alternative anzugreifen, vielmehr sollten hier zunächst nur die Voraussetzungen aufgeklärt werden, die der kritische Rationalismus selbst machen muß, um sich und andere Aussagen überhaupt als hypothetisch verstehen zu können. Bei der Aufklärung dieser Voraussetzungen zeigt sich dann aber, daß innerhalb des kritischen Rationalismus selbst ein Problem auftritt, das dieser aus methodischen Gründen nicht zu lösen vermag: die Überprüfung der Idee der Gewißheit. Der kritische Rationalismus ist damit aber gerade nicht durch eine Alternative herausgefordert oder von einem externen Standpunkt aus kritisiert worden. Es geht ausschließlich um die Aufdeckung eines „internen“ Problemes ohne Rückgriff auf „externe“, erst noch zu entwickelnde Argumente. Als weiterer, entscheidender Problempunkt des kritischen Rationalismus ist sein unklares Verhältnis zum Begriff der Wirklichkeit zu nennen. Einerseits sollen theoretische Konzeptionen prinzipiell betrachtet werden, als an der Realität scheiter- und insofern an ihr überprüfbar,356 andererseits wird diese Realität selbst als durch theoretische Einstellungen wesentlich geprägt betrachtet.357 Daraus ergibt sich die schon oft kritisierte358 Kriterienproble355
Vgl. Albert (1991), S. 266. Vgl. dazu folgende Ausführungen Alberts zu dem von ihm veranschlagten „theoretischen Pluralismus“: „In beiden Fällen [der Konkretisierung der Metaphysik sowie der politischen Utopie] wird man stets darauf gefaßt sein müssen, daß die Erprobung am WIDERSTAND DER REALITÄT [Herv. d. Verf.] zu Revisionen zwingt, die nicht vorherzusehen waren. Der Versuch, sich den kritischen Dialog mit der Wirklichkeit zu ersparen – der Versuch des Sprunges in den vollkommenen Zustand –, führt in beiden Fällen zur Unterdrückung der Kritik und zur Herrschaft eines starren, unkorrigierbaren Systems. Es kommt also nicht nur darauf an, das kritische Potential solcher Konzeptionen auszunutzen, man muß sie auch selbst einer realistischen Kritik auszusetzen suchen, sie also soweit entwickeln, daß sie Gelegenheit bekommen können, AN DER BESCHAFFENHEIT DER REALITÄT ZU SCHEITERN [Herv. d. Verf.] [. . .].“ Albert (1991), S. 61. 357 Albert spricht von einer „Reform des Empirismus [. . .], wie sie sich im Rahmen des Kritizismus als notwendig erweist. Diese Reform beseitigt nicht etwa die Bedeutung der Erfahrungstatsachen für die Theoriebildung, wie sie der Empirismus immer mit einem gewissen Recht betont hat. Aber sie eliminiert die Dogmatisierung der Erfahrung [. . .]. Und zwar erreicht sie das, indem sie die – oft nicht bewußtseinsdominante – theoretische Prägung der sogenannten Erfahrungstatsachen in Rechnung stellt, die gerade, wenn sie vergessen wird, die Versuchung mit sich bringt, die Autonomie der Tatsachenbasis des theoretischen Denkens zu überschätzen und damit zur unkritischen Behandlung und Konservierung derjenigen Theorien beizutragen, deren Begriffsapparat die Artikulation dieser Basis bestimmt hat. Erst wenn auf diese Weise der empiristische Mythos des Gegebenen beseitigt wird, kann 356
5.1 Hinführung zur ethischen Fragestellung
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matik: Woher nimmt der kritische Rationalismus die Kriterien, anhand deren die jeweiligen theoretischen Alternativen überprüft werden sollen? Da Albert auch diese Kriterien selbst als prinzipiell fallibel betrachtet,359 als selbst wiederum anhand von Alternativen zu überprüfend, gerät er in das Problem des infiniten Progresses des Erkenntnisvorganges. Ein solcher Progreß aller theoretischen Aussagen ins Unendliche erlaubte es aber gerade nicht mehr festzustellen, ob wir uns durch die beständigen Revisionen unserer Theorien und Konstrukte nun der Wahrheit nähern oder uns von ihr entfernen. Denn auch wenn durch eine Revision im Hinblick auf die jeweils angelegten Kriterien eine „Weiterentwicklung“ unserer Erkenntnisse bezüglich dieser Kriterien erreicht wird, könnte sich just diese anscheinende „Weiterentwicklung“ gegenüber wiederum neuen Kriterien, nicht nur als wiederum verbesserungswürdig, sondern sogar als „Rückschritt“ erweisen, so daß sich zeigte, daß die ursprünglich abgelehnte theoretische Konzeption hinsichtlich der neuesten Kriterien „besser“ ist als die zunächst für überlegen gehaltene. Durch einen infiniten Kriterienprogreß fiele also die Möglichkeit einer wie auch immer gearteten „Entwicklung“ unserer Erkenntnisse, die Möglichkeit ihrer „Annäherung an die Wahrheit“ schlicht weg. Wir könnten gar nicht nach Wahrheit und/oder Gewißheit suchen, weil wir keinerlei Anhaltspunkte hätten, wonach wir eigentlich suchen. Ein ins Unendliche gehender, unabschließbarer Progreß der Prüfungskriterien implizierte ebenso wie der infinite Regreß des Begründungsdenkens, daß wir in der Erkenntnis überhaupt nicht von der Stelle kämen, also schlicht im Stadium des prinzipiellen Nicht-wissen-Könnens verblieben. Diese Schlußfolgerung führte zu einem konsequenten Skeptizismus, der sich im Gegensatz zum kritischen Rationalismus, nicht mit der Hypothek des hypothetischen Geltungsanspruches belastet, vielmehr Geltung prinzipiell bestreitet.360 Der kritische Rationalismus muß hingegen, wenn er nicht zu einem reinen Skeptizismus werden will, an der Idee der – absoludie kritische Funktion der Tatsachen für die Theoriebildung mobilisiert werden.“ Albert (1991), S. 64. 358 Zu Literaturangaben siehe Albert (1991), S. 237. 359 Vgl. Albert (1991), S. 238: „Unter kritizistischen Voraussetzungen sind aber Kriterien als ebenso hypothetisch aufzufassen wie andere Faktoren, die im Problemlösungsverhalten eine Rolle spielen.“ 360 Diese Bestreitung darf, will der Skeptizismus konsequent bleiben, jedoch nicht in diskursiver Form erfolgen. Die Bestreitung könnte auch radikal vollzogen werden, ohne jeden diskursiven Geltungsanspruch. Gegenüber einer solchen radikalen Form des Skeptizismus, die als solche allerdings nicht diskursiv auftreten könnte, vermögen, wie wir sehen werden, auch transzendentale Argumente nichts. Vielmehr zeigt die Transzendentalphilosophie, daß Argumentation überhaupt unter der Voraussetzung einer praktischen Einstellung steht, die als solche nicht argumentativ erreicht werden kann. Siehe dazu die folgenden Ausführungen.
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ten, nicht quantifizierbaren – Gewißheit festhalten. Denn nur unter Bezug auf eine solche Idee wäre ein wie auch immer gearteter Fortschritt in der Erkenntnis denkbar. Wie wir aber gesehen haben, kann der kritische Rationalismus diese Idee, die ihn von einem konsequenten Skeptizismus unterscheidet, in keiner Weise rechtfertigen. Insofern ist der kritische Rationalismus selbst dogmatisch gegen den konsequenten Skeptizismus. Es stellt sich also die Frage, wie das Münchhausen-Trilemma und mit ihm ein radikaler Skeptizismus überwunden werden kann, ohne dabei in die reflexiven Unzulänglichkeiten des kritischen Rationalismus zu gelangen. 5.1.3 Die Perspektive der Letztbegründung 5.1.3.1 Problemstellung In der bisher unterstellten Begründungsmethode wurde unter Begründung ein Verfahren verstanden, das die vorausgesetzte Geltungsübertragung von einem zu suchenden Grund auf das Begründete nachträglich zurückverfolgen möchte. Dieses Verfahren läßt sich mit Aristoteles als ein Zurückgehen vom „für uns Früheren und Bekannteren zu demjenigen, was für uns später, an sich aber früher ist“ verstehen.361 Wie durch die bisherige Argumentation gezeigt wurde, führt ein solches Verständnis von Begründung in die vom kritischen Rationalismus zu Recht behauptete Ausweglosigkeit des Münchhausen-Trilemmas. Die Überwindung dieser Ausweglosigkeit, die der kritische Rationalismus anbietet, ist jedoch selbst mit erheblichen Unzulänglichkeiten behaftet. Der hypothetische Geltungsanspruch, den der kritische Rationalismus erhebt, kann sich letztlich selbst nicht tragen. Durch diesen Befund wird die Möglichkeit von Geltungsansprüchen überhaupt in Frage gestellt. Wenn es aber verfehlt ist, überhaupt Geltungsansprüche zu erheben, so wird diese Aussage selbst unmittelbar fragwürdig: Denn woher sollte in diesem Falle die Berechtigung kommen, diese Aussage für wahr, richtig, begründet zu halten? Nachdem die Möglichkeit einer Begründungsleistung prinzipiell verneint wurde, kann auch diese Verneinung selbst nicht mehr den Anspruch erheben, in irgendeiner Weise begründet und in diesem Sinne berechtigt zu sein. Die Ablehnung aller Begründung als Ausweis von Geltung führt also in letzter Konsequenz zu ihrer eigenen Selbstaufhebung. Wir stehen damit vor den endgültigen Trümmern unserer geistigen Anstrengungen. Soll die Untersuchung an dieser Stelle weitergeführt werden, muß eine zunächst argumentativ nicht gerechtfertigte Voraussetzung ad hominem er361
Vgl. Aristoteles (1995a), S. 4 (Zweite Analytik, I 2, 71 b 26 ff.).
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folgen: Nur wer sich selbst die Fähigkeit zugesteht, überhaupt „irgendeines etwas gewiß“362 zu sein, z. B. der Tatsache, daß er gerade diesen Text liest, wird die folgenden Schritte in Hinsicht ihrer Geltung erwägen können. Wer sich die Fähigkeit, Wahrheitsansprüche zu bilden, hingegen tatsächlich nicht zugesteht, muß jede argumentative Auseinandersetzung von vornherein für sinnlos halten. Entgegen der zuvor entwickelten Ausweglosigkeit des Begründungsdenkens soll im folgenden der Versuch einer Rechtfertigung für den prinzipiellen Anspruch auf Gewißheit, Wahrheit, Geltung gewagt werden. Die Berechtigung dieses Versuches ist es, die in der obigen Voraussetzung vorausgesetzt werden mußte, um diesen Versuch tatsächlich unternehmen zu können: Wer die Möglichkeit von Wahrheitsansprüchen prinzipiell verneint, kann auch den bloßen Versuch einer Rechtfertigung für Wahrheitsansprüche nicht für einsichtig halten. 5.1.3.2 Die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit eines X In diesem Versuch einer Rechtfertigung ist gegenüber der bisher behandelten Form von Begründung eine entscheidende, gedankliche Wendung zu vollziehen: Anstatt von einer Übertragung von Geltungsansprüchen von einer Position zur anderen auszugehen, könnte der Versuch einer Rechtfertigung darin bestehen, auf die Bedingungen zu achten, die erfüllt sein müssen, wenn die betrachtete Ausgangswertung möglich sein soll. In einer solchen Rechtfertigung wird also nicht beansprucht, die Problematizität der konkreten Ausgangswertung dadurch zu beseitigen, daß diese Problematizität auf eine „begründende“ Wertung übertragen und nach diesem Verfahren von Wertbehauptung zu Wertbehauptung weitergereicht wird. Vielmehr wird nur unter einer von vornherein als problematisch zugestandenen Voraussetzung argumentiert: Soll die konkrete Ausgangswertung möglich sein, so müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Es erfolgt also eine Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit eines X. Das Ziel der Rechtfertigung kann auf diesem Wege jedoch nur hypothetisch erreicht werden. Denn das Verfahren hängt gerade an der Voraussetzung, daß die Ausgangswertung möglich sein soll. Ob sie jedoch wahrhaft möglich ist, darüber kann ein solches Verfahren keine Auskunft geben. Dieser Mangel läßt sich jedoch dadurch beseitigen, daß die als problematisch eingeführte Voraussetzung selbst auf ihre Auftretbarkeit hin befragt wird. Das bedeutet, daß die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit eines X prinzipiell betrieben wird. Eine solche Fundamentalreflexion wäre 362
Vgl. das entsprechende Fichte-Zitat in Kapitel 5.1.2 (Fußnote 350).
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erst dann abgeschlossen, wenn sich eine Bedingung Y finden ließe, die die notwendige Voraussetzung wäre für das Auftreten eines X überhaupt. Es ginge also nicht mehr darum, die konkreten Bedingungen für ein bestimmtes X zu eruieren, sondern darum, die Bedingungen der Möglichkeit für das Auftreten selbst zu erhellen. Allein die Auftretbarkeit wäre Gegenstand der Untersuchung, nicht mehr jedoch der konkrete Inhalt, der auftritt. „Auftretbarkeit“ meint dabei die bloße Form, in der beliebige Inhalte als solche ausgesagt, geistig erfaßt, gewußt werden können. „Auftretbarkeit“ bezeichnet mithin die bloße Form des Wissens.363 In der angezielten Reflexion geht es mithin um den Ausweis der Berechtigung, überhaupt ein Auftreten zu erwarten, völlig ununtersucht, ob tatsächlich ein Etwas auftritt. Die Fragestellung hebt also nicht auf die Bedingungen eines bestimmten Objektes ab, sondern auf die Bedingungen der Möglichkeit eines Objektes und damit der Möglichkeit von Wissen.364 Ließe sich eine Bedingung Y für Auftretbarkeit, d.h. für die Möglichkeit eines Objektes X finden, wäre diese Bedingung Y zugleich auch die Bedingung dafür, daß Y selbst auftreten, d.h. Gegenstand (= X) geistigen Erfassens sein könnte. Damit wäre Y auch die Bedingung dafür, daß Y selbst beurteilt werden könnte. Denn sofern Y beurteilt wird, tritt es selbst in den Modus der Auftretbarkeit, weil sich die Beurteilung (als Form geistigen Erfassens) ja auf Y als ein Gegebenes beziehen müßte. 5.1.3.3 Der Wertungsvollzug als der blinde Fleck des Theoretischen Sofern als Ergebnis einer Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit von Wissen eine solche Bedingung Y gefunden wird, stellt sich die Frage, welche Bedeutung dieser Fundamentalbedingung zukommen kann. Unter der Voraussetzung, daß die theoretische Reflexion wirklich an ihr Ende gekommen ist, wenn sie einsieht, daß sich keine weitere Bedingung für Auftretbarkeit ausfindig machen läßt, bleibt allein die Frage der Bewertung 363 In der Diktion der Wissenschaftslehre von 1805 läßt sich diese Form als „Existenz“ bezeichnen. „Existenz“ ist die Form, in der das „Sein“ (hier: Inhalte) als solches erscheinen kann und damit in den Modus der geistigen Erfaßbarkeit tritt. Vgl. Fichte (1805), insb. 2. Stunde, S. 184 ff. 364 Es ist darauf hinzuweisen, daß jede faktische Argumentation an dieser Stelle vollkommen unzureichend wäre. Wenn hier über die prinzipiellen Bedingungen unseres Wissens reflektiert werden soll, dann ist jeder Verweis auf das Wissen eines bestimmten Etwas, also darauf, daß wir doch immer schon Objekte erfahren, eine lediglich dogmatische Voraussetzung. Ein solcher Verweis besitzt für die hier vorgelegte Frage keinerlei Relevanz. Wie kann es denn begründet, gerechtfertigt werden, daß wir es für wahr, richtig halten, uns Objekten gegenüberzusehen, die wir als von uns und unserem Wissen unabhängig postulieren? Diese Frage kann nicht durch den Verweis auf vorgebliche Objekte beantwortet werden.
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noch offen. Auch wenn Y als oberste Wissensbedingung erfaßt wird, bleibt dem reflektierenden Subjekt noch immer die Fähigkeit, sich zu diesem Y wertend zu verhalten. Im folgenden sollen zunächst die Konsequenzen einer ablehnenden und einer bejahenden Stellungnahme zu Y betrachtet werden. Im Falle der Ablehnung von Y würde die Möglichkeit eines X überhaupt abgelehnt, und damit auch diejenige Bedingung, die für die Möglichkeit einer Bewertung von Y vorausgesetzt werden mußte, nämlich Y selbst. Eine solche radikale Ablehnung vernichtete sich also selbst, weil sie sich selbst die Möglichkeit verweigerte, überhaupt irgend etwas abzulehnen. Der zuvor schon konstatierte Befund der Geltungsunmöglichkeit würde durch eine solche Ablehnung nicht nur lediglich als unausweichlich hingenommen, sondern affirmiert, sekundär nachvollzogen. Damit würden wir stichwortartig von einem konsequenten Skeptizismus zu einem Nihilismus übergehen. Entscheidend ist an dieser Stelle die Einsicht, daß die Ablehnung von Y trotz des in ihr enthaltenen Selbstwiderspruches praktisch möglich bleibt! Denn der Selbstwiderspruch kann nur auf Grundlage von Y geistig erfaßt und nachvollzogen werden, also nur dann, falls die oberste Bedingung für wahr gehalten wird. Auf dem Standpunkt der Ablehnung hingegen verliert jede denkgesetzliche Kategorie ihren Sinn, weil gerade die Bedingung von Wissen überhaupt negiert wurde. Widersprüchlichkeit kann als solche gar nicht mehr gewußt und in ihrer Bedeutung erfaßt werden. Die radikale Verneinung bleibt trotz ihres selbstwidersprüchlichen Charakters eine reale Möglichkeit. Das zeigt sich anschaulich z. B. daran, daß ein „Selbstmord“, als radikale Form eines (praktischen) Selbstwiderspruches, im Rahmen der Möglichkeiten unserer Freiheit liegt. Demgegenüber zeigte sich im Falle des Für-wahr-Haltens von Y, daß die Bedingung, die für dieses Für-wahr-Halten notwendig in Anspruch genommen werden mußte, dieses Y selbst ist. Dieses Für-wahr-Halten von Y wäre also insofern nicht dogmatisch, als es keiner Voraussetzung bedürfte, die nicht selbst wieder durch dieses Für-wahr-Halten von Y bedingt wäre. Denn das Auffinden, Behaupten, Für-wahr-Halten weiterer, von Y zu unterscheidenden, Bedingungen (= X), stünde selbst wieder unter der bereits für wahr gehaltenen Bedingung Y als der Fundamentalbedingung eines X überhaupt. Die Rechtfertigung von Y und damit zugleich die Rechtfertigung des Für-wahr-Haltens von Y bestünde also in dem Aufweis, daß das Für-wahrHalten von Y keiner Voraussetzung bedürfte, die selbst nicht wieder unter der Bedingung dieses Für-wahr-Haltens von Y stünde. Als Resultat der bisherigen Überlegung haben wir zwei denkbare Wahlmöglichkeiten – Ablehnung oder Annahme von Y – gewonnen, die sich von ihrem jeweiligen Standpunkt aus als jeweils absolut erweisen. Ein übergeordneter Standpunkt, von dem aus beide Möglichkeiten zugleich auf ihre
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Berechtigung hin geprüft werden könnten, wurde bislang nicht erreicht. Damit zeigt sich die bisherige Untersuchung unter dem Gesichtspunkt der Wissensfundierung als ungenügend. Soll der Grund für dieses unzureichende Ergebnis gefunden werden, muß in einer übergeordneten Reflexion die Struktur der bisherigen Untersuchung selbst erhellt werden. Die bisherige Untersuchung war ausgerichtet auf die Feststellung reflexiver Notwendigkeiten. Der Aspekt der Wertung wurde zwar als Ausgangspunkt thematisiert, jedoch führte das Problem der Begründung die Untersuchung auf rein theoretischen Boden: Es wurden die denkgesetzlichen Möglichkeitsbedingungen von Begründungsleistungen eruiert. Das Wertungsproblem selbst wurde dabei als Annex des Begründungsproblems betrachtet. Auf dem jetzigen Stand der Untersuchung zeigt sich die Folge dieser theoretisch orientierten Assimilierung des Praktischen: Die Reflexion auf die denknotwendigen Bedingungen von Wissen führte zur Aufstellung von zwei denkbaren Wertungen, deren Berechtigung nicht mehr von einem übergeordneten Standpunkt aus eingeholt werden kann. Dieses unter der Perspektive der Letztbegründung unzureichendes Ergebnis findet seinen Grund in der Struktur von Theorie, wie im folgenden ausgeführt werden soll. Die Sichtweise der Theorie läßt sich charakterisieren als eine Sichtweise, die prinzipiell von Auftretbarkeit, von einem X überhaupt ausgeht. Die Theorie nimmt eine immer schon verobjektivierende Sichtweise ein, in der sie sich auf ein als gegeben Unterstelltes bezieht. Theorie untersucht immer ein Etwas, das sie für sich selbst als gegeben voraussetzen muß. Für eine solche, theoretische Perspektive ist die Aufstellung der zuvor diskutierten Wahlmöglichkeiten – Ablehnung und Annahme von Y – das letzte mögliche Resultat. Die Theorie kann aufgrund der – qua theoretischer Perspektive vorausgesetzten – Disjunktion von Betrachtung und Betrachtetem, von Subjekt und Objekt, von Geltung und Geltendem, von Wertung und Wert, die oberste Bedingung Y niemals rein als solche auffassen, sondern immer nur in einer bereits verobjektivierten Form. Innerhalb ihrer eigenen Möglichkeiten kann die Theorie lediglich zeigen, daß sie sich selbst nur post faktum rechtfertigen kann, indem sie auf den für sie konstitutiven Akt eines prinzipiellen Fürwahr-Haltens hinweist. Diesen Akt kann sie als solchen, als tatsächlichen Vollzug, aber nicht einholen, nicht nachvollziehen, weil sie auf ihn angewiesen ist, um überhaupt eine Perspektive auf sich selbst gewinnen zu können. Sie vermag lediglich einsichtig zu machen, daß dieser Vollzug für sie eine notwendige Voraussetzung darstellt und deshalb für sie immer schon als abgeschlossener erscheint. Die Unmittelbarkeit des aktuellen Vollzuges selbst bleibt ihr aufgrund der verobjektivierenden Perspektive verschlossen. Dieser blinde Fleck der Theorie zeigt sich gerade an ihrem Verhältnis zur nihilistischen Verneinung. Gegenüber einer radikalen Ablehnung von Y, die
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selbst keinen Anspruch auf diskursiv-theoretische Nachvollziehbarkeit erhebt, bleibt jedes theoretische Argument machtlos. Jedes argumentative Ansinnen fußt auf demjenigen Für-wahr-Halten, das die nihilistische Ablehnung gerade zurückweist. Die beiden zur Disposition stehenden Alternativen – Führ-Wahr-Halten oder Ablehnung von Y – können in theoretischer Perspektive in keiner Weise gegeneinander abgewogen werden, da sie keinen in der Theorie darstellbaren Vereinigungspunkt aufweisen. Eine theoretische Rechtfertigung für die Wahl einer der beiden Alternativen läßt sich nicht erbringen. Die Wahl zwischen Ablehnung und Für-wahr-Halten erscheint als irrationaler Entscheidungsakt. Damit führt die theoretische Betrachtungsweise aufgrund der in ihr vorausgesetzten Disjunktion in letzter Konsequenz zu einem bloßen Dezisionismus. 5.1.3.4 Der unbedingte, praktische Charakter der Wissensfundierung Die verobjektivierende Disjunktion der theoretischen Perspektive verstellt die Möglichkeit eines verstehenden Nachvollzuges derjenigen Position, die die Theorie zur Aufklärung ihrer eigenen Möglichkeitsbedingung aufstellen muß. Soll ein unmittelbar verstehender Zugang zu dieser Position gefunden werden, der sie nicht lediglich post faktum analysiert, so muß die verobjektivierende Disjunktion überwunden werden. Diese Überwindung ist nur dadurch möglich, daß vom materialen Inhalt überhaupt, also von einem X, einem „Etwas“ abstrahiert wird.365 Selbst die 365
Diese Abstraktion von einem X erscheint an dieser Stelle zunächst als sekundär gegenüber X: Von einem X kann nur abstrahiert werden, wenn dieses X schon vorausgesetzt wird. Die Untersuchung folgt, sofern sie eine solche Abstraktion fordert, einer reduktiven Methode. Entscheidend ist dabei aber die Fragestellung, die eine solche Abstraktion erforderlich macht: Es wird nach der Bedingung der Möglichkeit von Wissens gefragt! Es wird eine Position gesucht, die uns als Vernunftsubjekte über die Berechtigung derjenigen Wissensansprüche aufklärt, die mit dem Anspruch allein schon einer Suche nach Wahrheit (siehe Kapitel 5.1.2) notwendig verbunden sind. Die ganze bisherige Untersuchung hat die methodischen Gründe dargelegt, aus denen sich die Notwendigkeit einer solchen Aufklärung ergibt. Damit ist klar, daß die hier zu suchende Position nicht Ergebnis einer willkürlichen Abstraktion ist, die unreflektiert immer schon das voraussetzt (Auftretbarkeit von X), was sie zu legitimieren vorgibt. Vielmehr macht der Gang der bisherigen Untersuchung klar, daß die hier über eine Abstraktion angezielte Position notwendigerweise aufgestellt werden muß, wenn wir beanspruchen, berechtigterweise nach Wahrheit zu suchen – und sei es auch nur in der vom kritischen Rationalismus behaupteten hypothetischen Form der Wahrheitssuche. Auch wenn diese Position hier also über den Weg der Abstraktion aufgesucht wird, so ist sie dennoch kein Produkt der Abstraktion! Vielmehr wird sie methodisch aufgestellt als Bedingung des Wissens und damit auch jeder Abstraktionsleistung. Vgl. zu diesem Problem die Auseinandersetzung mit Hegels Formalismus-Vorwurf gegenüber Kant in Kapitel 5.4.2.
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Position des „Für-wahr-Haltens“ darf nicht mehr als Gegenstand (= X) der Betrachtung erscheinen. Die Notwendigkeit dieser Abstraktion folgt daraus, daß jedes „Etwas“ erst dadurch einen vorgeblich „unbedingten“ Status erhalten könnte, daß es als solches für wahr gehalten wird. Es steht in seiner vorgeblichen Unbedingtheit unter der Bedingung des Für-wahr-Haltens selbst. Damit ist es aber gerade nicht mehr unbedingt. Wenn aber materiale Inhalte als unbedingte Bedingung ausscheiden, was bleibt dann noch? Die absolute Unbedingtheit der zu suchenden Position bringt offenbar das Problem mit sich, daß hier etwas besprochen wird, das sich gerade dadurch auszeichnen soll, nicht mehr ein „Etwas“ zu sein. Die hier angezielte Position kann aufgrund ihrer schlechthinnigen Relationslosigkeit selbst nicht mehr in irgendeiner Form auftreten, begriffen, vorgestellt werden. Würde sie in der Vorstellung als Vorgestelltes auftreten, würde dadurch ihre Relationslosigkeit zerstört, ihre Unbedingtheit vernichtet. Hier wird also eine Position verhandelt, die ihrem Charakter nach nicht verhandelt werden kann.366 Die einzige Form der Verhandelbarkeit, die hier noch möglich erscheint, ist die Thematisierung der unmittelbaren Vollzugsleistung, die das Erkenntnissubjekt, das sich über die Möglichkeitsbedingungen von Wissen philosophisch Rechenschaft gibt, aus sich selbst vollbringen muß. Was geschieht nun genau in diesem Vollzug? Im Vollzug eines unbedingten „Für-wahr-Haltens“ spricht sich das Subjekt die Fähigkeit der Gewißheit zu. Diese Zusprechung ist ein normativer Akt: Es sei wahr, es gelte, daß Vernunftwesen gewiß sein können.367 Der als wahr gesetzte Inhalt dupliziert dabei aber lediglich den Akt des als wahr, 366 Daß die unbedingte Bedingung nicht mehr gewußt werden kann, weil ein solches Wissen unmittelbar ihre Unbedingtheit zerstören würde, ist ein Grundmotiv der Fichteschen Transzendentalphilosophie. Vgl. dazu Verweyen (1994), S. XXX f.: „Wer auch immer erkennt, daß die menschliche Vernunft unentrinnbar (auch im skeptischsten aller Urteile und in allen Fragen) ein Absolutes voraussetzt, kommt um das Problem nicht herum, wie das überhaupt geschehen kann, ohne daß im gleichen Atemzug das Absolute zerstört wird. Denn wie kann – gesetzt, das Absolute ist – außerhalb dieses Seins schlechthin überhaupt noch etwas anderes sein, z. B. der Akt, in dem die endliche Vernunft das absolute Sein voraussetzt? [. . .]. Es gibt nur eine Lösung, zu der Fichte nach 1800 aufgrund des konsequenten Weiterdenkens der Kantischen Philosophie durchfand: Nur im Akt einer Freiheit, die sich selbst – und in demselben Akte alles mögliche Dasein – streng und ohne jeden Rest als Bild des Absoluten erfaßt, vermag absolutes Sein außer sich zu treten, eine ‚Relation einzugehen‘, die nicht ‚Absolutes‘ und ‚Endliches‘ verbindet und damit das Absolute selbst verendlicht, sondern alles Ek-sistieren, alles Nach-Außen-Treten, ganz in der absoluten Einheit des Seins beläßt.“ 367 In Bezug auf die unkritische Voraussetzung des kritischen Rationalismus läßt sich diese Zusprechung auch so formulieren: „Es sei wahr, daß wir nach Wahrheit suchen können“, bzw. genauer: „Es sei wahr, daß wir wissen, wonach wir suchen, wenn wir nach Wahrheit suchen.“
5.1 Hinführung zur ethischen Fragestellung
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als geltend Setzens des Inhaltes: Es gebe Wahrheit/Geltung! Wahrheit/Geltung wird als geltend gefordert, wobei der Forderungsanspruch sich gerade auf die Qualität von Wahrheit/Geltung gründet: Ein Anspruch, der formaliter als Anspruch, allein dasjenige beansprucht, was er materialiter setzt: Wahrheit/Geltung. Dieses „Es gelte: Geltung!“ – d.h. derjenige Anspruch auf Geltung, der nicht Etwas als geltend setzt, sondern allein den Anspruch auf Geltung selbst – ist sich selbst unmittelbar einsichtig. Es beansprucht nichts, was von seinem Beanspruchen unterschieden wäre; das Beanspruchte wiederum legitimiert unmittelbar aus sich seine Beanspruchung. Das im Vollzug seiner selbst unmittelbar einsichtige „Für-wahr-Halten“ ist diejenige Leistung, die das erkennende Subjekt bei der bloßen Suche nach Wahrheit voraussetzen muß – will es sich in seiner Wahrheitssuche einsichtig verstehen. Die Geltungssetzung im hier thematisierten Sinne ist dasjenige, dessen wir uns unmittelbar gewiß sind, sofern wir uns überhaupt auf die Suche nach wahren Aussagen begeben.368 Entscheidend für die hier verfolgte Argumentation ist der praktische Charakter des „Für-wahr-Haltens“: Die unmittelbare Selbsteinsichtigkeit der Vollzugsleistung ist nur möglich aufgrund der Wertstruktur, die das „Es gelte: Geltung!“ aufspannt. Der Anspruch auf Geltung (die formale Seite: „Es gelte: . . .“) kann sich unmittelbar als legitim erweisen nur aufgrund des Forderungscharakters der Geltung selbst (materiale Seite: „. . .: Geltung!“). Die formaliter frei zu vollziehende Vollzugsleistung entspricht derjenigen Forderung, die von „Geltung“ ausgeht, die sich jedoch erst im Vollzug von Geltung als Forderung zeigen kann. Mit diesem selbsteinsichtigen Ineinandergreifen von Forderung und Vollzug ist die Grundstruktur autonomer Willensakte angesprochen.369 Eine kritisch-distanzierte Zuschauerposition, die die Berechtigung von Geltung abschätzen möchte, ohne sich selbst unmittelbar unter den Anspruch der Geltung zu stellen, ist hier nicht mehr möglich. Von einer solchen Position aus kann sich die Einsichtigkeit der Geltung nicht zeigen. Das Moment der Selbsteinsichtigkeit, das nur im aktiven Vollzug der Geltungsleistung selbst erreicht werden kann, wird von Reinhard Lauth in der „Theorie des philosophischen Argumentes“ abschließend als Schlußpunkt der philosophischen Selbstaufklärung beschrieben: „Da diese Absolutheit im qualitativen Wesen und Sein der Wahrheit gegeben ist, so kann sie auch nur durch Erfassung des qualitativen Wesens der Wahrheit er368
Vgl. die Thematisierung der Voraussetzungen der Wahrheitssuche in Kapitel 5.1.2. 369 Diese willentliche Grundstruktur wird in Kapitel 5.2 eingeführt und in Kapitel 5.4.3 weiter entfaltet.
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kannt werden. [. . .]. Diese Qualität muß von demjenigen, der zur Einsicht des Wesens der Wahrheit kommen soll, selbst evidiert werden; und diese qualitative Evidenz kann die Philosophie von ihrer nur formalen Seite her nicht geben. [. . .]. Die Wahrheit ist in ihrem Quale in und aus sich selbst wahr – diese Erkenntnis wird mit dem Eintreten der qualitativen Einsicht der Wahrheit energisch vollzogen.“370
Die Selbstaufklärung über die Bedingungen von Aussagen – die als solche immer einen Anspruch auf Geltung erheben – führt zu der Einsicht, daß sich Geltung nicht durch den Verweis auf „gute Gründe“ herstellen läßt. Ein solches Verweisungsverfahren reproduziert die theoretische Relationsstruktur, in der Vollzugsleistungen als immer schon abgeschlossen, als verobjektiviert erscheinen. Geltung kann allein durch das selbsttätige Aufsuchen des Momentes der Selbsteinsichtigkeit im Vollzug erreicht und damit zugleich einsichtig legitimiert werden. Dieses Ergebnis begründet den Primat des Praktischen vor dem Theoretischen, der entscheidende Bedeutung für die Thematisierung der ethischen Fragestellung besitzt.371 5.1.4 Zurückweisung des Begründungsdenkens in der Ethik Die in diesem Kapitel unternommene Hinführung zur ethischen Fragestellung ging von dem Problem aus, wie material bestimmte Wertungen einsichtig begründet und damit in ihrer Geltung legitimiert werden können. Die Untersuchung führte zu dem Ergebnis, daß der Aufweis von Geltung prinzipiell nicht durch den Verweis auf Gründe erreicht werden kann. Mit dieser Untersuchung wurde zwar das Problem der Ethik noch gar nicht thematisiert. Jedoch zeigte der Aufweis der Selbsteinsichtigkeit in der Beanspruchung von Geltung, in welchem Rahmen dieses Problem nur behandelt werden kann. Denn sofern die zuvor thematisierte Vollzugsleistung die Bedingung jedweder (material bestimmten) Wertung ist, findet die Geltungsansprüchlichkeit von Wertungen (vgl. dazu Kapitel 5.1.1) in dieser Vollzugsleistung ihren Ursprung. Der Rahmen für eine Behandlung des Problems der Ethik kann damit nur jenseits theoretischer Begründungsleistungen gefunden werden. Dieser Rahmen wird erst durch die Thematisierung praktischer Vollzugsleistungen aufgespannt. 370
Lauth (1979), S. 157 f. Dieses Verhältnis von theoretischer und praktischer Einstellung hinsichtlich der ethischen Frage macht auch Kant im Kapitel „Von dem Primat der reinen praktischen Vernunft in ihrer Verbindung mit der speculativen“ der Kritik der praktischen Vernunft deutlich. Vgl. Kant (1788), S. 119 ff. Vgl. insbesondere: „Der speculativen Vernunft aber untergeordnet zu sein und also die Ordnung umzukehren, kann man der reinen praktischen gar nicht zumuthen, weil alles Interesse zuletzt praktisch ist, und selbst das der speculativen Vernunft nur bedingt und im praktischen Gebrauche allein vollständig ist.“ Ebd., S. 121. 371
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In Abwandlung eines Gedankens von Ernst Tugendhat372 läßt sich somit formulieren: Es ist ebenso naiv zu glauben, daß ein unser geistiges Leben konstituierendes Prinzip begründet, d.h. durch ein rationales, auf „gute Gründe“ zielendes Verfahren als letztgültig ausgewiesen werden könnte, wie es naiv ist, davon auszugehen, daß ohne eine solche Begründungsmöglichkeit alle Verbindlichkeit dahinfiele. Beide Auffassungen ergeben sich aus ein und derselben Voraussetzung, daß die Geltung eines solchen Prinzips ein durch theoretische Begründung zu lösendes Problem ist. Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit bliebe bei dieser Auffassung in seinen Kinderschuhen stecken, da wir durch eine Fixierung auf argumentativ „gute Gründe“ uns niemals über unsere praktische Konstitution aufzuklären vermögen. Was wir als Vernunftwesen sind, hängt nicht davon ab, als was wir uns erkennen, sondern davon, zu was wir uns vollziehend bilden. Ein aktiv vollziehendes Selbstverhältnis, ein Selbstverhältnis des Willens, konstituiert unsere geistige Existenz. Darin liegt unsere Selbstgesetzlichkeit. In Bezug auf das Problem der Ethik zeigt sich dieser Primat des Praktischen darin, daß ein zu suchendes Moralprinzip seine Geltung nicht durch Argumente erhalten kann. Ein solches Prinzip läßt sich in seiner praktischen Geltung nicht argumentativ begründen, weil es selbst die oberste Willensbedingung formuliert für alle rationalen, auf argumentativ gute Gründe abzielenden Bemühungen. Dem Problem einer Bestimmung des obersten Moralprinzips jenseits des Begründungsdenkens widmet sich das nächste Kapitel.
5.2 Sittlichkeit als praktischer Vollzug Nachdem im ersten Kapitel der Versuch unternommen wurde, über den Umweg des Problems der Begründung von Wertungen zur praktischen Einstellung hinzuführen, soll im folgenden die eigentliche Problemstellung der Ethik behandelt werden. Diese Hinführung über Umwege war nötig, um eine Gefahr auszuschließen oder zumindest zu reduzieren, die sich in der wissenschaftlichen Behandlung der Ethik allzu leicht einstellen mag: die unfreiwillig-unreflektierte Betrachtung der Ethik als eines theoretischen Problems, als eines Problems der Erkenntnis, und zwar der spezifischen Erkenntnis „des Guten“. 372 Dieser lautet: „Es erscheint ebenso naiv zu glauben, daß es im Himmel ein Buch gibt, das die Antworten auf alle moralischen Schwierigkeiten enthält, wie daß, wenn es ein solches nicht gibt, alles willkürlich wird. Beide Auffassungen ergeben sich aus ein und derselben Voraussetzung, der Orientierung an einer autoritären Moral“. Tugendhat (1993), S. 332.
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Eine solche, theoretische Betrachtung der Ethik könnte sich zunächst aus mehreren Gründen nahelegen. Denn wie, so könnte man zunächst durchaus fragen, sollten wir Anhaltspunkte dafür finden können, wie wir zu handeln haben, wenn nicht durch eine wissenschaftlich-theoretische Analyse der von uns historisch vorgefundenen Handlungsbedingungen? Schließlich, so scheint es, wäre es doch ein gefährlicher „idealistischer“ Fehler, sich in seinen Handlungen nicht an dieser Realität zu orientieren, sondern normative Bezugspunkte aus „metaphysischen“ Vernunftableitungen gewinnen zu wollen.373 In einer solchen Perspektive wäre ein vordringliches Problem der Ethik, das Verständnis allgemeiner und auf spezifische Probleme bezogener Handlungsbedingungen zu gewährleisten.374 Ein solches Verständnis läßt sich aber nur in theoretisch-empirischer Einstellung gewinnen. Die theoretische Perspektive erhielte damit eine zentrale Bedeutung für die ethische Fragestellung.375 Über eine solche Untersuchung hinaus stellte sich dann allerdings die Frage, was wir mit unserem Wissen über Handlungsbedingungen nun eigentlich anfangen, in welcher Hinsicht, auf welche Zwecke gerichtet wir es nutzen wollen. Dem eingeschlagenen Wege treu bleibend, könnte man für die Beantwortung dieser Frage grundlegende anthropologische Strukturen heranzuziehen versuchen, also solche allgemeinen Strukturen und Mechanismen, die anscheinend in menschlichen Verhaltensweisen empirisch aufgedeckt werden können. Als Ergebnis einer solchen Untersuchung ließe sich unter Umständen feststellen, daß alle Menschen im Grunde genommen danach trachten, glücklich zu werden. Also müßte eine wissenschaftlich 373 Insbesondere Karl Homann wendet sich in seiner Konzeption von Wirtschaftsethik prinzipiell gegen jede Vernunftbegründung von Ethik. Er versucht statt dessen, eine Ethik zu entwerfen, die sich ausdrücklich auf die gesellschaftlichen Realitäten der heutigen Zeit beziehen möchte. Entsprechend entwirft Homann seine Ethik auf Grundlage einer positiven Theorie der Gesellschaft. Vgl. dazu Kapitel 3.1.1 sowie 3.2.2.2. 374 Eine solche Ansicht findet sich auch beim Homann-Schüler Andreas Suchanek. Dieser weist den „beiden grundlegenden Bedingungen der modernen Gesellschaft, Individualisierung und funktionale Institutionalisierung“ eine zentrale Rolle in der Ethik zu, „denn diese Bedingungen stellen Voraussetzungen ethischer Theoriebildung dar, die diese berücksichtigen muss, wenn sie nicht systematisch zu falschen Urteilen und Empfehlungen gelangen will.“ Vgl. Suchanek (2001), S. 6. 375 Die Grundposition des ethischen Utilitarismus weist der theoretischen Perspektive eine solche zentrale Bedeutung zu. Vgl. dazu Höffe (1975), S. 10: „Nach der utilitaristischen Ethik gewinnt man das, was moralisch verbindlich ist, nicht auf rein rationalem Weg, etwa durch Deduktion aus ersten Prinzipien. Für eine Normenbegründung gemäß dem utilitaristischen Prinzip sind ganz wesentlich empirische Kenntnisse erforderlich: Kenntnisse über die Folgen einer Handlung und deren Bedeutung für das Wohlergehen der Betroffenen. Die entsprechenden Resultate der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung sind in das Verfahren der Normenbegründung zu integrieren.“
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fundierte Ethik sich anscheinend doch vor allem mit der Frage befassen, wie, auf welchem Wege, vermittelst welcher Institutionen das größtmögliche Glück einer größtmöglichen Zahl von Menschen hergestellt werden könnte.376 Einer solchen theoretischen Vorgehensweise bei der Behandlung der Ethik liegt letztlich ein naturalistischer Fehlschluß zugrunde, der darin besteht, aus einer Erkenntnistatsache eine normative Qualität ableiten, oder anders gesagt, „das Gute“ in einem theoretischen Sinne erkennen zu wollen. Um diesem fundamentalen, methodischen Fehler zu entgehen, wurde im letzten Kapitel über die Begründungsproblematik der notwendig vorauszusetzende Gewißheitsanspruch jeder theoretischen Untersuchung, jeder theoretischen Perspektive thematisiert. Durch die konsequente Verfolgung des Begründungsproblems konnte zunächst zumindest im Sinne eines bloß negativen Resultates gezeigt werden, daß sich Theorie, Erkenntnis, Wissen, nicht aus sich selbst legitimieren kann. In einer auf die Bedingungen der Möglichkeit von Theorie abzielenden Reflexion konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, daß Theorie auf eine Vollzugsleistung angewiesen ist, die sich als solche nicht mehr theoretisch einholen läßt. Diese Vollzugsleistung kann verkürzt als eine unableitbare, sich selbst unmittelbar einsichtige Gewißheits- bzw. Wahrheitsannahme umschrieben werden. Als Folgerung aus der Untersuchung des letzten Kapitels ergibt sich der Primat eines unbedingten und unableitbaren Wertungsvollzuges vor jeder theoretischen Einstellung. Dieser Primat in dem hier thematisierten Sinne ist keine irrationale Ablehnung des Theoretischen. Vielmehr ergibt er sich aus der in der theoretischen Reflexion einholbaren Unvollständigkeit ihrer selbst. Der Primat des Praktischen muß insofern in der theoretischen Reflexion selbst dargestellt werden.377 Der Versuch, unser Wissen als Wissen zu legitimieren, führt also zu dem theoretisch legitimierten Hinweis auf einen theoretisch nicht unmittelbar einholbaren Wertungsvollzug. 376 „Das größte Glück der größten Zahl“ ist die Kurzformel für das utilitaristische Grundprinzip, die auf Jeremy Bentham zurückgeht. Vgl. Birnbacher (2002), S. 98. Die exakte Formel lautet: „Diejenige Handlung bzw. Handlungsregel ist moralisch richtig, deren Folgen für das Wohlergehen aller Betroffenen optimal sind; [. . .].“ Vgl. Höffe (1975), S. 10. 377 Diese Feststellung entspricht einem der methodischen Grundpostulate, die Fichte in der „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre“ aufstellt: „Ein solcher Beweiß nun [daß die Vernunft praktisch sei] muß für die theoretische Vernunft selbst befriedigend geführt, und dieselbe darf nicht bloß durch einen Machtspruch abgewiesen werden. Dies ist auf keine andere Art möglich, als so, daß gezeigt werde, die Vernunft könne selbst nicht theoretisch seyn, wenn sie nicht praktisch sey; es sey keine Intelligenz im Menschen möglich, wenn nicht ein praktisches Vermögen in ihm sey; die Möglichkeit aller Vorstellung gründe sich auf die leztere.“ Fichte (1794/95), S. 399.
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Diese Überlegungen erlauben es, die folgende Untersuchung der ethischen Fragestellung von vornherein auf den Bereich praktischer Vollzugsleistungen, d.h. auf den Bereich von Willensbestimmungen zu konzentrieren. Das theoretisch-diskursive Verweisen auf rationale Gründe kommt als Verfahren für eine sinnvolle Auseinandersetzung mit der ethischen Fragestellung nicht in Frage. Nach der begründeten Zurückweisung der theoretischen Perspektive soll die Frage der Ethik in diesem Kapitel unter dem Gesichtspunkt des Praktischen behandelt werden. 5.2.1 Implikationen der ethischen Frage Der zentrale Ausgangspunkt der Ethik kann in der philosophischen Tradition bis heute als unstrittig gelten. Er läßt sich mit einer einfachen Frage angeben: „Die klassische Ethik geht ebenso wie die modernen Theorien von der Frage aus, die sich dem orientierungsbedürftigen Einzelnen aufdrängt, wenn er in einer bestimmten Situation unschlüssig vor einer praktisch zu bewältigenden Aufgabe steht: wie soll ich mich verhalten, was soll ich tun?“378
In der Zuspitzung einer konkreten Situation äußert sich diese Frage wohl auch in der Form: „Darf ich dieses oder jenes tun?“ Diese Formulierungen sind im hier gemeinten Sinne zu verstehen als Ausdruck einer umfassenden und prinzipiellen Frage, die alle Fragen nach jeweiligen, bestimmten Handlungsweisen mit einschließt. Sie ist darüber hinaus zu verstehen als unmittelbare, existentielle Entscheidungssituation. In dieser Frage geht es um die oftmals unangenehme Last der Entscheidung. Der Ernst der Frage in dem hier angezielten Sinne schließt eine bloß unverbindlich-spielerische Antwort aus. Selbst wenn wir, so wie es der kritische Rationalismus annimmt,379 uns niemals letztlich sicher sein könnten, wie wir handeln sollen, so muß die Frage, was wir uns je und je aktuell zu tun vornehmen, dennoch in unverminderter Schärfe und Eindeutigkeit beantwortet werden. Mit dem Eingeständnis, nicht endgültig zu wissen, wie man handeln soll, läßt sich die Not der Entscheidung nicht mildern. Wir müssen je und je handeln, d.h. wir müssen unablässig entweder dieses oder jenes tun oder lassen.380 Weiterhin ist darauf hinzuweisen, daß mit dieser Frage von vornherein ein normativer Standpunkt eingenommen wird. Mit der Frage „was soll ich tun?“ wollen wir uns einer zu suchenden, erst noch festzusetzenden norma378
Habermas (1991), S. 101. Vgl. auch die dort angegebene Literatur. Vgl. die Diskussion des kritischen Rationalismus in Kapitel 5.1.2. 380 Diese Not der Entscheidung ließe sich nur dadurch abstellen, daß Entscheidungen nach Maßgabe eines radikalen Nihilismus von vornherein als unsinnig betrachtet werden. In diesem Falle gälte: „Es ist alles erlaubt.“ Die Frage nach einer ethischen Orientierung könnte mit einer solchen Einstellung nicht einmal gestellt werden. 379
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tiven Orientierung, einem Werthaften aussetzen. Wir stellen uns damit von vornherein unter einen normativen Anspruch, wir setzen uns einem überhaupt Fordernden aus. Normativität wird durch die ethische Frage in ihrem hier gemeinten Sinne gerade nicht in Frage gestellt. Problematisch gesetzt wird lediglich der Inhalt der gesuchten Orientierung. Wir suchen also nach der qualitativen Bestimmtheit der mit der Frage formal bereits vorausgesetzten normativen Orientierung überhaupt. Wir suchen nach einem bestimmten Wert unter der Voraussetzung der Werthaftigkeit, und zwar offenbar nach dem höchsten Wert, von dem aus alle anderen normativen Ansprüche zu legitimieren sind. Dieser höchste Wert, nach dem wir suchen, soll im folgenden als Sittlichkeit 381 bezeichnet werden. Wer sich die Frage, wie er handeln soll, in radikaler Weise stellt, erkennt die Sinnlosigkeit einer Vorgehensweise, die sich dem Problem der Ethik zu nähern versucht, indem sie unterschiedliche Ethikkonzeptionen vorstellt und gegeneinander abgrenzt. Das bloße Aufgreifen, Darstellen und Explizieren verschiedener Ethikkonzeptionen und -begriffe kann insofern nie das eigentliche Anliegen der Ethik behandeln, als die existentiell-unmittelbare Frage „was soll ich tun?“ nicht hypothetisch beantwortet werden kann. Positionen, die – woher auch immer – bloß aufgegriffen werden, können, weil sie bloß aufgegriffen, vorgefunden werden, also einen faktischen Status erhalten, gerade nicht ihre eigene Legitimation ausweisen. Das zeigt sich anschaulich insbesondere in Extremsituationen, die eine unmittelbare Entscheidung verlangen: Darf ich z. B. die von einem totalitären Staatsapparat von mir verlangte unwahrhaftige Verleumdung eines Mitbürgers ausführen, um „meine eigene Haut“ zu retten? Sobald anläßlich einer solchen Entscheidungssituation verschiedene ethische Konzeptionen zur Disposition gestellt werden, tritt die unabweisbare Frage auf: Welche Antwort ist die richtige? Nach welcher Konzeption soll ich mich richten? Und diese Frage kann nicht beantwortet werden durch den willkürlichen Verweis auf eine der bereits vorgestellten Ethikentwürfe. Denn diese Frage zielte ja gerade darauf ab, überhaupt erst zu klären, welcher dieser Entwürfe für mich gelten soll. Spätestens also bei dieser Frage nach der tatsächlichen Geltung der einzelnen, historisch-faktisch aufgegriffenen Konzepte stellt sich die eigentlich ethische 381 Der Begriff der Sittlichkeit wird in dieser Arbeit im kantischen Sinne verwendet. Er fällt also mit dem Begriff der Moralität zusammen. Entsprechend werden in dieser Arbeit die Begriffe „moralisch“ und „sittengesetzlich“ synonym verwendet. Diese Begriffsparallelisierung resultiert aus der Notwendigkeit, in dieser Arbeit einerseits die kantischen Grundlagen der Ethik zu Wort kommen zu lassen – und dort wird das „Sittengesetz“ als der Ursprung der Moralität thematisiert –, sowie andererseits diese Grundlagen auf die heutige Diskussion der Wirtschaftsethik zu übertragen – und dort werden, dem modernen Sprachgebrauch entsprechend, im allgemeinen die Bezeichnungen „moralisch“ bzw. „ethisch“ verwendet, um normative Ansprüche zu kennzeichnen.
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Frage – was soll ich tun? – erneut, und zwar in der Form der Frage, welche ethische Konzeption von mir als gültig akzeptiert werden soll. Dieser Einwand gegen den Versuch, die ethische Frage durch das Aufgreifen prominenter ethischer Positionen behandeln zu wollen, richtet sich darüber hinaus in gleicher Weise auch gegen die Berufung auf erkennbare Wissensinhalte überhaupt, die sich, wie im letzten Kapitel gezeigt, prinzipiell nicht selbst legitimieren können. Die Berufung z. B. auf angeblich vorfindbare anthropologische Grundkonstanten, auf grundlegende Erfahrungen der Menschheit, auf soziokulturelle Verhaltensmuster oder auf „das Gute“382 kann niemals die unmittelbar gestellte Frage beantworten, wie ich als moralische Person entscheiden und handeln soll. Denn ich bleibe immer in dem Dilemma, selbst entscheiden zu müssen, ob ich mich nun nach all diesen erkannten, also vorgefundenen Inhalten, z. B. den von mir immer schon praktizierten Verhaltensweisen, richten soll oder nicht. Prinzipiell alle vorgefundenen Wissensinhalte, alle theoretischen Erkenntnisse, so plausibel sie als theoretische Einsicht auch sein mögen, scheiden als letzte praktische Orientierungspunkte für mein Wollen und Handeln aus, und zwar deshalb, weil sie mir bei der entscheidenden Frage, ob ich sie denn als normative Orientierung akzeptieren soll, aufgrund ihres bloß faktischen Status gerade keine Orientierung bieten können. Die Unbrauchbarkeit solcher Wissensinhalte in praktisch-ethischer Hinsicht impliziert jedoch nicht die Zurückweisung ihres theoretischen Geltungsanspruches. Auch wenn ich beispielsweise als bereits lungenkrebsgeschädigter Raucher den theoretischen Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der Erhöhung der Krebswahrscheinlichkeit für evident halte, impliziert diese von mir anerkannte theoretische Einsicht in keiner Weise auch den Willen, mit dem Rauchen aufzuhören. Zweifelsohne wäre es klüger das Rauchen zu beenden, doch woraus ließe sich ersehen, daß Klugheit der Bestimmungsgrund meines Willens sein soll? 5.2.2 Material bestimmte Zwecke Die zuletzt formulierte theoretische Evidenz besteht in der Einsicht in den empirischen Zusammenhang zwischen dem Phänomen des Rauchens 382 Insbesondere in der aristotelisch-thomistischen Tradition spielt die erkenntnisgeleitete, theoretische Bestimmung „des Guten“ in der Ethik eine zentrale Rolle: „[I]m allgemeinen betrachtet er [Thomas] doch ganz nach antikem Muster den Willen als durch die Erkenntnis des Guten bestimmt. Der Verstand ist es nicht nur, welcher die Idee des Guten überhaupt erfaßt, sondern welcher auch im einzelnen erkennt, was gut ist, und dadurch den Willen bestimmt. Nach dem für gut Erkannten strebt der Wille mit Notwendigkeit [. . .].“ Windelband (1957), S. 282 f. Zu der Überwindung dieser Position durch die Kopernikanische Wende Kants siehe Kapitel 5.2.5.
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und der Eintrittswahrscheinlichkeit des Phänomens einer Krebserkrankung. Soll diese bloß theoretische Einsicht eine (vorläufige) praktische Funktion erhalten, muß sie in die praktischen Kategorien von Zweck und Mittel übersetzt werden. Zweck kann hier verstanden werden, als derjenige projektierte Zustand der Wirklichkeit, den ein Handelnder mit seinen Handlungen als Mittel zu realisieren versucht. Übersetzt in diese Kategorien, lautet obiger, theoretische Zusammenhang: Der Zweck der Reduzierung der Krebswahrscheinlichkeit erfordert als ein notwendiges Mittel den Verzicht auf das Rauchen, oder anders formuliert: Wer seine Krebswahrscheinlichkeit reduzieren will, muß auf das Rauchen verzichten. In dieser Formulierung wird der materiale Gehalt der theoretischen Einsicht – der zwingende Zusammenhang von Krebsrisiko und Rauchen – nicht modifiziert, jedoch tritt die zunächst bloß theoretische Form der Einsicht zurück hinter einen expliziten Bezug zu unserem Entscheidungsvermögen: Denn es ist die Rede von dem, was eine Person sich zum Zweck zumindest machen könnte. Dieser Zweck-Mittel-Zusammenhang steht, nicht sofern er hinsichtlich seines theoretischen Gehaltes, der ja assertorisch behauptet wurde, sondern hinsichtlich seiner praktischen Funktion betrachtet wird, im Modus der Problematizität. Er kann seine praktische, den Willen betreffende Bedeutung nur unter einer Voraussetzung geltend machen, die als lediglich problematisch zu verstehen ist: Nur unter der Bedingung, daß der Zweck gewollt wird, ergeht die normative Aufforderung, auch das dazu nötige Mittel zu ergreifen. Die Frage aber, ob der Zweck selbst gewollt werden soll oder nicht, ist nicht Gegenstand der Aufforderung. Das Wollen des Zweckes bleibt also unentschieden, problematisch. Genau diese Konstellation liegt vor in dem, was Kant als „hypothetischen Imperativ“ bezeichnet.383 Allerdings ist zu beachten, daß nach Kant das Wollen des Zweckes auch assertorisch behauptet werden kann – nämlich im Falle der Glückseligkeit –, ohne daß dadurch der Imperativ seinen „hypothetischen“ Charakter verlöre.384 383 Vgl. Kant (1785), S. 414: „[Hypothetische Imperative] [. . .] stellen die praktische Nothwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen vor.“ Vgl. auch Patzig (1978), S. 232: „Diese [hypothetischen Imperative] erheben eine Forderung nur für den Fall, daß der Adressat dieser Forderung ein Ziel erreichen möchte, das jeweils im Vordersatz des hypothetischen Imperativs erwähnt wird [. . .]. Hypothetische Imperative sind für uns nur insofern und in dem Umfange verbindlich, als wir Zwecke und Absichten verfolgen, auf die sie (ausdrücklich oder unausdrücklich) Bezug nehmen.“ 384 Vgl. Kant (1785), S. 415 f.: „Der hypothetische Imperativ, der die praktische Nothwendigkeit der Handlung als Mittel zur Beförderung der Glückseligkeit vorstellt, ist assertorisch. Man darf ihn nicht bloß als nothwendig zu einer ungewissen, bloß möglichen Absicht vortragen, sondern zu einer Absicht, die man sicher und a priori bei jedem Menschen voraussetzen kann, weil sie zu seinem Wesen gehört.“
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Auch die Einsicht darein, daß ein Zweck tatsächlich und nicht bloß möglicherweise gewollt wird – d.h. die Zwecksetzung erfolgt assertorisch –, hat für die normative Auszeichnung dieses Zweckes keinerlei Bedeutung. In der Frage der Ethik ging es ja gerade darum, einen normativen Anhaltspunkt zu suchen für die Wahl der Zwecke, also einen solchen, der primär nicht das theoretische Erkenntnis- und Einsichtsvermögen adressiert, sondern unmittelbar den Willen betrifft. Unter Wille wird hier dasjenige Vermögen einer Person verstanden, die Zwecke ihres eigenen Handelns prinzipiell selbst zu bestimmen.385 Es kann hier festgehalten werden, daß auch die Transformation einer rein theoretischen Einsicht in eine praktisch relevante Form nicht die Frage beantworten kann, was ich überhaupt tun soll. Der hypothetische Imperativ, als Ergebnis einer solchen Transformation, stellt bestenfalls einen assertorischen Zweck auf, der, insofern er eine durch die moralische Person herzustellende – innere oder äußere – Gegebenheit vorstellt, keinen Grund aus sich entlassen kann, weshalb die moralische Person gerade ihn als Zweck wählen sollte. Denn im Falle eines hypothetischen Imperatives ist der Inhalt des gewählten Zweckes, d.h. die Materie des Willens, etwas prinzipiell anderes als das ihn wählende Vermögen des Willens: die Materie des Willens ist ein Zustand der Wirklichkeit, ein Faktum, der wählende Wille selbst in seinem Vollzugscharakter ist zumindest Nicht-Faktum.386 Es ließe sich also nicht verständlich machen, wie diese Materie des Willens, die bloße Gegebenheit, den Willen überhaupt sollte in irgendeiner Weise beeinflussen können, d.h. wie sie die Funktion einer normativen Orientierung für unsere Wahlentscheidungen erfüllen sollte. Der hypothetische Imperativ beinhaltet eben nur die Forderung, diejenigen Mittel zu ergreifen, die für einen möglichen oder wirklich vorliegenden Zweck notwendig sind. Eine normative Orientierung für die Wahl der Zwecke ist damit aber nicht gegeben!
385 Vgl. Kant (1790), S. 220: „Das Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d. i. der Vorstellung eines Zwecks gemäß zu handeln, bestimmbar ist, würde der Wille sein.“ Vgl. auch Kant (1785), S. 427: „Der Wille wird als ein Vermögen gedacht, d e r Vo r s t e l l u n g g e w i s s e r G e s e t z e g e m ä ß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. [. . .]. Nun ist das, was dem Willen zum objectiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Z w e c k [. . .].“ 386 Natürlich kann auch dieses Vermögen, bewußt Zwecke für seine Handlungen zu wählen, als Faktum behandelt und untersucht werden. Dann erscheint es aber bereits in seiner verobjektivierten Form. Die Wahlhandlung selbst, als solche, zeichnet sich hingegen gerade durch ihren praktischen Aktcharakter aus. Zu dem Problem des Begriffes „praktischer Akt“ siehe weiter unten.
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5.2.3 Der Bestimmungsgrund des Willens In der Ethik suchen wir eine normative Orientierung für unser Wollen und Handeln. Wollen überhaupt, als das Vermögen des Willens „in seiner weitesten Bedeutung genommen, ist Tendenz, Intention, Ausgehen auf etwas: ‚Wille‘ besagt, daß es um etwas geht. [. . .]. Was wir wollen, um das geht es uns, das erstreben wir, auf das gehen wir aus, das intendieren wir, auf das sind wir hingespannt, das soll sein.“387
Dieses „Ausgehen auf etwas“ hat seinem inneren Charakter nach immer die Qualität des Lebendigen, des sich selbst Begründenden,388 das als solches gerade das Gegenteil des „Statischen“ ausmacht, vom Gegebenen, Hemmenden, vom toten Sein sich gerade losreißt. Ein Anstoß, ein Impetus kann nicht herrühren von einer bloß toten, statischen Gegebenheit. Mit der Frage: „was soll ich tun?“ setzt die fragende Person immer schon voraus, daß sie will, daß sie ausgeht auf etwas, daß sie dynamisch, hingespannt ist auf etwas. Anders ließe sich gar nicht verstehen, was mit dieser Frage überhaupt gemeint sein soll. Die in dieser Frage gesuchte, intendierte normative Orientierung unseres Wollens und Handelns, dasjenige, was die normative Richtung dieses Wollens und Handelns bestimmen können soll, müßte offenbar selbst ein Ausgehen, ein Streben, ein praktischer Akt sein. Sofern der Begriff „Wille“, als ein Ausgehen auf etwas, seinem inneren Charakter nach gerade einen Vollzug, ein Lebendiges meint, kann der Wille gar nicht von etwas bestimmt werden, das just in einer solchen toten, vom Willen unabhängigen Gegebenheit bestünde: „[. . .] [E]in Faktum [kann] nicht Bestimmungsgrund des Willens sein [. . .], sondern nur ein Wert [. . .].“389
Wer also nach normativer Orientierung fragt, d.h. nach einem möglichen Bestimmungsgrund des Willens, fragt letztlich offenbar gerade nicht nach einem bestehenden oder zu realisierenden Zustand der Wirklichkeit, einem höchsten Zweck, einem „höchsten Gut“, nach dem er sich richten könnte, sondern nach einem Wert, der als solcher immer nur durch einen ihm im387
Lauth (1969), S. 25. Vgl. Mues (1979), S. 32: „[W]ird also Leben im weitesten Sinne als Sichbegründen akzeptiert, so ist dieser sichbegründende Akt im philosophischen System ein praktischer Akt. Leben muß nicht sein; ist es aber, d.h. erscheint es, so ist diese seine Existenz nur dadurch verständlich, daß es – nach Voraussetzung – sich begründet. Und das eben heißt ‚Wollen‘. Existiert irgendwo Leben, so will es existieren. Und dieser alles Lebendige durchziehende Wille ist konstituierender Natur.“ 389 Lauth (1969), S. 26. Vgl. auch die Bemerkung Kants, daß der Wille „durch das Objekt und dessen Vorstellung niemals unmittelbar bestimmt wird, sondern ein Vermögen ist, sich eine Regel der Vernunft zur Bewegursache einer Handlung (dadurch ein Object wirklich werden kann) zu machen.“ Kant (1788), S. 60. 388
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manenten Willen konstituiert wird.390 Der gesuchte Orientierungspunkt verweist also auf den Charakter eines praktischen Aktes, der auch schon im bloßen Stellen der ethischen Frage enthalten ist. Sofern der gesuchte normative Orientierungspunkt auf einen praktischen Akt verweist, nimmt er also lediglich etwas in Anspruch, das auch schon in der Fragestellung implizit enthalten war. An dieser Stelle kann noch offen bleiben worin die spezifische Qualität dieses, den normativen Orientierungspunkt ausmachenden, Willens besteht: ob er als seinerseits material bestimmter, d.h. als einen bestimmten Zweck setzend, aufgefaßt werden muß, oder ob er als formaler Wille, d.h. als Willensvermögen überhaupt, also abgesehen von jedem materialen Inhalt, zu verstehen ist. Festzuhalten ist lediglich, daß der normative Orientierungspunkt nicht in einem projektierten Zustand der Wirklichkeit liegen kann, insofern dieser, rein für sich genommen, immer wertneutral ist. Im letzten Abschnitt wurde darauf reflektiert, von welcher Art eine Orientierung sein müßte, damit sie zum Bestimmungsgrund eines Willens werden könnte. Diese Reflexion ging also aus vom Willen und folgerte auf die einzig mögliche Art, wie er überhaupt beeinflußt werden könnte, nämlich durch einen (anderen) Willen. Die Reflexion ließe sich aber auch von der anderen Seite beginnen, mit der – schon implizit behandelten – Frage, was einen normativen Orientierungspunkt als solchen auszeichne. Im folgenden wird also die Beschaffenheit einer vorausgesetzten normativen Orientierung selbst untersucht, insbesondere im Hinblick darauf, welche Art von Gegenüber, von Adressat, diese Orientierung voraussetzt oder gar konstituiert. 5.2.4 Die normative Orientierung in ihrer Bezogenheit auf den Willen In Kapitel 5.1.1 wurde bereits erwähnt, daß eine konkrete praktische Regel, eine Norm, sich dem Adressaten notwendig entgegenstellt als eine bloße Forderung, d.h. als ein Anspruch, der Befolgung fordert, diese aber nicht erzwingt. Es zeigte sich, daß der Forderungscharakter der Norm die Notwendigkeit einer freien Stellungnahme seitens des Adressaten aus sich entläßt. Der Inhalt dieser Stellungnahme, also die Bejahung oder Vernei390 Vgl. Lauth (1969), S. 25: „[D]oxische [ethische] Werte sind Willensqualitäten; sie sind das Materiale des Willens selbst.“ Vgl. auch Lauth (1979), S. 156: „Jeder Wert [. . .] ist von einem immanenten Willen [Fußnote: „Anders ausgedrückt: dem Wert ist eine Tendenz immanent, eine Bejahung seiner selbst, ein willentliches Bekunden, daß er gelten und sein soll. Werte sind nur Werte, weil ihnen ein solcher Wille immanent ist. Sie sind keine gleichgültigen bloß faktischen Gebilde.“] konstituiert.“
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nung, wird von Seiten der Forderung aus explizit nicht determiniert. Die Notwendigkeit, die sich aus dem Forderungscharakter einer Norm ergibt, bezieht sich also nur auf das „Daß“ der Stellungnahme, nicht auf das „Wie“. Da die Forderung eine freie, unter keinem Zwang stehende Bejahung, Zustimmung fordert, ist die Notwendigkeit der freien Stellungnahme keine begriffsanalytische Implikation des Begriffes „Forderung“. Diese Implikation hat vielmehr selbst normativen Charakter: Weil die Forderung fordert und nicht zwingt, fordert sie die Stellungnahme als freie Stellungnahme. Sie fordert nicht eine lediglich äußerliche Bestätigung, sondern ihr Anspruch geht aus auf die innerlich vollkommen freie Bejahung. Diese Bejahung kann nur auf dem Boden einer formalen Freiheit tatsächlich vollzogen werden. Diese formale Freiheit ist damit aber selbst unmittelbar Inhalt des Geforderten. Wäre die „normative Kraft“ der Forderung hingegen so durchschlagend, daß sie unmittelbar auch den Inhalt der Stellungnahme vorgäbe, derart, daß sie keine davon abweichende Stellungnahme duldete, so läge letztlich eine Art von „normativem“ Mechanismus vor, der das formale Moment der geforderten Freiheit gerade vernichtete. Eine solchermaßen konzipierte „Forderung“ widerspräche ihrem eigenen, normativen Anspruch. In einem Beispiel lassen sich diese Zusammenhänge folgendermaßen veranschaulichen: Wenn eine Maschine – beispielsweise ein Computer – nicht so sich „verhält“, wie wir es von ihr erwarten, so stellen wir – abgesehen von einem eventuellen Wutausbruch gegenüber dem Rechner, der die Maschine anthropomorphisiert – keinen Forderungsanspruch in Form eines Vorwurfes an diese Maschine. Vielmehr würden wir nach der Ursache des „Fehlverhaltens“ der Maschine suchen und diese ursächlich so steuern, daß sich zwingend das von uns gewünschte Resultat als Wirkung einstellt. Konfrontieren wir hingegen Personen, die sich nicht nach unseren Vorstellungen z. B. eines friedlichen Zusammenlebens richten – beispielsweise einen Mörder –, mit einem Vorwurf, sprechen wir ihnen damit explizit die Fähigkeit zu, sich frei zu ihren Handlungen entscheiden zu können. Wir können ihnen nur dann einen Vorwurf machen, wenn wir davon ausgehen, daß das fragliche Geschehen – die Tötung eines Menschen – kein Vorgang ist, der sich aufgrund zwingender Ursachen einstellt. Vielmehr fassen wir diesen Vorgang als eine Handlung auf, die diese Menschen begangen haben, die sie aber auch hätten unterlassen können, für die sie also verantwortlich sind. Das ist die sozusagen retrospektive Seite eines Vorwurfes. Gleichzeitig ist mit einem Vorwurf aber auch ein Appell für eine vom Beschuldigten noch zu leistende Einsicht verbunden. Ein solcher Appell könnte wohl so formuliert werden: „Sieh’ von selbst ein, daß Du so etwas
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nicht hättest tun dürfen!“ Mit dieser prospektiven Seite eines Vorwurfes, mit dem wir ein Wesen einer Forderung aussetzen, die nicht determiniert, sondern im Gegenteil gerade zu einer freien Einsicht und Entscheidung aufruft, machen wir deutlich, daß wir diesem Wesen explizit das Vermögen der Freiheit zusprechen wollen und seine Einsicht allein in ihrer Freiheit für wertvoll halten. In unserem Beispiel rufen wir den Mörder explizit zu einer freien Einsicht auf, zwingen ihn aber nicht zu einem Lippenbekenntnis. Einem rein äußerlichen Reuebekenntnis, das unter Zwangsandrohung zustande kommt, würden wir keinerlei Bedeutung beimessen, im Vergleich mit einem solchen, das der Delinquent aus freier Einsicht in seine Schuld erbringt. Mit diesem Beispiel kann also erstens anschaulich gemacht werden, daß eine Forderung, die einen normativen Anspruch hat, sich immer nur an einen solchen Adressaten wendet, der zu einer freien Entscheidung für fähig gehalten wird. Zweitens kann dieses Beispiel aber auch die Verpflichtung deutlich machen, die sich Kraft eines solchen normativen Anspruches auch auf die Seite bezieht, die ihn erhebt, also auf uns, die wir einem Mörder einen Vorwurf machen. Behandeln wir diesen Mörder nach dem Schema, nach dem wir einen „widerspenstigen“ Computer behandeln, d.h. fassen wir ihn als kausal zu steuernden Mechanismus auf, so ist zumindest fraglich, ob wir damit nicht gerade denjenigen Wert mißachten, den wir mit unserem Vorwurf gegen eine Verletzung gerade verteidigen wollen: Es ist hier die Rede von der „Menschenwürde“ nicht nur des Opfers, sondern auch des Mörders.391 Nehmen wir den Mörder in seinem Personsein ernst, so sind wir offenbar geradezu verpflichtet, ihm – im Gegensatz zur Maschine – auch einen Vorwurf zu machen. Die Zusprechung der Fähigkeit zu einer freien Stellungnahme gemäß der vorausgesetzten normativen Orientierung „Menschenwürde“ ist somit keine Zusprechung, die allein aufgrund objektivierbarer, theoretischer Kriterien erfolgen kann. Vielmehr unterliegt diese Zusprechung selbst einem normativen Anspruch, d.h. sie kann nur durch einen Freiheitsvollzug, durch eine freie Zustimmung voll realisiert werden. Betrachten wir einen Mörder als eine sozial falsch programmierte Maschine, machen wir daher keinen theoretischen Fehler, keinen Fehler, wie wir ihn machen, wenn wir uns etwa bei der Bestimmung einer Pflanze irren. Vielmehr begehen wir einen praktischen „Fehler“: Wir mißachten eine un391 „Menschenwürde“ ist an dieser Stelle der Arbeit noch ein in keiner Weise legitimierter Begriff. Er wird hier nur als ein mögliches Beispiel für eine normative Orientierung verwendet, um von dort her die mit einem normativen Anspruch überhaupt verbundenen Implikationen zu veranschaulichen. Der spezifische Gehalt des Wertes „Menschenwürde“ ist für die hier vorgebrachte Argumentation jedoch unerheblich.
5.2 Sittlichkeit als praktischer Vollzug
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mittelbar an uns gerichtete normative Verpflichtung. Sofern wir uns unter den hier lediglich hypothetisch eingeführten Anspruch der Menschenwürde stellen, sind wir zu der freien Zubilligung eines freien Willens gegenüber einem möglichen Adressaten unmittelbar aufgefordert. Wir sollen einem Mörder einen Vorwurf machen. Der Mord soll von uns nicht als ein fehlgesteuertes, quasi naturhaftes Geschehen aufgefaßt werden, sondern als Produkt eines zumindest prinzipiell freien Willens. Die Zusprechung der Fähigkeit zu einer freien Willensentscheidung soll also von uns aus freier Zustimmung zu dem vorausgesetzten Wert „Menschenwürde“ erfolgen, nicht lediglich aufgrund von Merkmalen, die theoretisch eindeutig festgelegt werden könnten. Erst dadurch erfolgt die volle Realisierung der „Menschenwürde“ auch des Mörders. Auch daß wir uns unsererseits zu einer solchen fordernden Stellungnahme offenbar aufgefordert sehen, sofern wir uns unter den Anspruch der Menschenwürde stellen, kann als weitere Veranschaulichung der verpflichtenden Implikationen einer vorausgesetzten normativen Orientierung, hier beispielhaft der Menschenwürde, dienen. Sofern wir uns mit Normativität, mit normativer Orientierung, mit Werthaftem auseinandersetzen – beispielsweise in der Form einer universalen Menschenwürde – sehen wir uns also offenbar selbst einem Anspruch ausgesetzt, der uns nicht zwingt, sondern eine freie Stellungnahme zuläßt. Dieses Zulassen impliziert jedoch keine Beliebigkeit, sondern ist gerade Bedingung für die Realisation des Anspruches: Denn dieser fordert, daß der jeweils verhandelte Wert – z. B. „Menschenwürde“ – aus Freiheit angenommen werde. Normative Orientierung fordert, daß wir uns sie angelegen sein lassen. Und wir entsprechen dieser Forderung allein dadurch, daß wir sie aus Freiheit, ohne eines weiteren Grundes zu bedürfen, bejahen und realisieren. Wir sehen uns also von Normativität in einer Weise aufgerufen, die uns ausschließlich als Freiheitsvermögen anspricht. Damit ist das Ergebnis dieses Abschnittes formuliert, der, als gedankliche Gegenbewegung zum vorhergehenden, von einer vorausgesetzten normativen Orientierung ausging und von dort her das Gegenüber dieser Orientierung zu bestimmen suchte. Im folgenden sollen beide Gedanken zusammengeführt werden. 5.2.5 Die Wertstruktur: Wechselseitige Bezogenheit von Freiheit auf Freiheit Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wurde der Frage nachgegangen, wonach wir eigentlich suchen, wenn wir nach normativer Orientierung suchen. In einer vor-aufgeklärten Haltung könnte die Frage „was sollen wir tun?“
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wörtlich aufgefaßt werden als Frage nach einem bestimmten Zweck, den wir mit unserem Handeln verwirklichen sollen. Diesen Zweck gälte es demnach gedanklich-abstrakt im Wissen zu fixieren, um sich anschließend im Denken, Wollen und Handeln an ihm ausrichten zu können. Das Wissen des obersten Zweckes wäre notwendige und hinreichende Bedingung für ein ihm entsprechendes Handeln. Allein dieses Wissen könnte dem handelnden Subjekt gedankliche Klarheit über Sinn und Zweck seines Daseins verschaffen und ihn zu einem entsprechenden Handeln veranlassen. Die theoretischbetrachtende Perspektive erhielte in einer solchen Auffassung den Vorrang vor der Frage, wie der Mensch überhaupt in die Verlegenheit kommt, irgend etwas zu sollen. Die hier verfolgte Argumentation sollte demgegenüber deutlich gemacht haben, daß die Bestimmung des höchsten Zweckes selbst ein unmittelbar normatives Problem darstellt. Damit verschiebt sich die zu Beginn formulierte Fragestellung „was soll ich tun?“ dahingehend, daß nicht die Festsetzung des Inhaltes des zu Tuenden oder zu Wollenden, nicht die materiale Bestimmung „des Guten“ das vordringliche Problem der Ethik wird, sondern das Problem der Maßstäbe und Orientierungspunkte, die dem nach normativer Orientierung suchenden Subjekt für eine solche Bestimmung „des Guten“ zu Verfügung stehen. Nicht aus einem material bestimmten Zweck ergibt sich, was die moralische Person tun und wollen soll, vielmehr müßte sich umgekehrt aus der moralischen Forderung selbst, d.h. aus dem Anspruch auf Normativität überhaupt ergeben, welcher Zweck als „gut“ im moralischen Sinne gelten kann. Diese methodische Umstellung begründet die sogenannte „Kopernikanische Wende“ bzw. die „Revolution der Denkart“ in der praktischen Philosophie.392 Kant nennt sie das „[. . .] Paradoxon der Methode in einer Kritik der praktischen Vernunft [. . .]: d a ß nämlich der Begriff des Guten und Bösen nicht vor dem m o r a l i s c h e n G e s e t z e [dem Anspruch auf Normativität] ( d e m e r d e m Anschein nach sogar zum Grunde gelegt werden müßte), sondern nur [. . .] nach demselben und durch dasselbe bestimmt w e r d e n m ü s s e .“393 392
Vgl. Kaulbach (1988), S. 23: „Kant hat diese Revolution dadurch geleistet, daß er eine Wendung in der Beurteilung der Abhängigkeit zwischen Willen und bezwecktem Inhalt vollzogen hat. Die Rangordnung zwischen Willensgesinnung und Zweckinhalt wird von Kant gegenüber der Tradition umgekehrt. Während in dieser derjenige Wille als gut gegolten hat, der sich für das als gut Erkannte entscheidet, erklärt Kant denjenigen Zweck als gut, der vom guten Willen, dem absolut guten Prinzip, gewählt wurde.“ 393 Kant (1788), S. 62 f.
5.2 Sittlichkeit als praktischer Vollzug
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Durch diese methodische Umstellung wird das Problem der Normativität in die Methode seiner Lösung integriert. Der Weg der Antwortfindung auf die ethische Frage greift hier nicht mehr auf die theoretische Struktur von Erkennen und Erkanntem zurück, der ein Verpflichtungscharakter immer äußerlich bleibt. Die zu suchende normative Orientierung wird vielmehr unmittelbar in ihrer normativen Qualität aufgesucht. Nur durch den unmittelbaren Bezug zum Willen kann „das Gute“ eine verpflichtende Kraft entfalten. Damit aber ist es in der Struktur freier Selbstbestimmung verankert und kann nur innerhalb dieser selbst vollzogen werden. Die wissenschaftliche Reflexion „des Guten“ darf sich deshalb auch nicht anmaßen, dieses gedanklich fixieren zu können. Ihr steht es allein zu, auf den freien Willensvollzug des mündigen Subjektes zu verweisen, in dem sich „das Gute“ allein realisieren kann.394 In der philosophischen Reflexion zeigen sich zusammenfassend folgende Zusammenhänge: Da das moralische Subjekt sich mit der ethischen Fragestellung selbst einem überhaupt Fordernden aussetzt – unabhängig davon, worin dieses Fordernde bestehen, oder was es fordern möge –, erhebt es durch diese Selbstaussetzung sich selbst gegenüber den Anspruch, frei zu sein. Dieser selbstgewirkte Anspruch gegenüber sich selbst stellt eine Willenstruktur dar, in deren Rahmen das Subjekt sich nicht mehr – voraufgeklärt – durch vorgefundene, erkennbare Gegebenheiten bestimmen läßt. Denn diese sind ihm das Gegenteil eines freien Vollzuges, auf den es sich selbst willentlich ausgerichtet hat. Falls Freiheit auftritt – konkreter: falls die ethische Frage gestellt wird –, will Freiheit nur durch Freiheit bestimmt werden! Das grundlegende ethische Prinzip, der oberste normative Orientierungspunkt, nach dem in der ethischen Fragestellung gesucht wird, liegt ausschließlich in demjenigen Freiheitsvollzug, der durch die Frage schon in Anspruch genommen wurde. Der Bestimmungsgrund des Willens kann nur in ihm selbst als Wille liegen. In der Aussage, daß Wille nur durch Wille oder Freiheit nur durch Freiheit bestimmt werden kann, ist zugleich auch schon das zweite Element der bisherigen Untersuchung enthalten: die Einsicht, daß sich ein vorausgesetzter normativer Anspruch qua Normativität immer nur an ein Vermögen der 394 Diese Selbstbescheidung der wissenschaftlichen Ethik kommt auch in einer Bemerkung Kants in der Kritik der praktischen Vernunft deutlich zum Ausdruck: „Ein Recensent, der etwas zum Tadel dieser Schrift [Kant bezieht sich auf die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten] sagen wollte, hat es besser getroffen, als er wohl selbst gemeint haben mag, indem er sagt: daß darin kein neues Princip der Moralität, sondern nur eine n e u e F o r m e l aufgestellt worden. Wer wollte aber auch einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen und diese gleichsam zuerst erfinden? gleich als ob vor ihm die Welt in dem, was Pflicht sei, unwissend oder in durchgängigem Irrthume gewesen wäre.“ Kant (1788), S. 8.
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Freiheit als Adressat richten kann. Normativität ist nur verstehbar als gerichtet auf ein Freiheitsvermögen, wie umgekehrt ein Freiheitsvermögen nur durch einen Freiheitsvollzug als solches normativ bestimmt werden kann. Die in der ethischen Frage gesuchte normative Orientierung für unser Denken, Wollen und Handeln ist keine unabhängig von uns bestehende Gegebenheit, auf die wir uns erkennend beziehen könnten. Es ist auch kein jenseits unserer selbst liegendes Sein, das sich uns, sich selbst offenbarend, zu erkennen gibt. Normative Orientierung ist nur denkbar als eine durch uns selbst vollzogene Willensstruktur. Mit der Aufklärung dieser Struktur gegenseitiger Bezogenheit von Freiheit auf Freiheit ist der Ausgangspunkt der praktischen Philosophie von Immanuel Kant erreicht, den er im ersten Satz der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ formuliert: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben, zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“395
An dieser Stelle kann noch offenbleiben, worin die spezifische Qualität des „guten“ Willens liegt. Entscheidend ist hier zunächst lediglich die Rückbindung der normativen Forderung an den Willen, an ein Freiheitsvermögen. Mit diesen Aussagen ist keine phänomenale Beschreibung gemeint. Sicherlich betrachten viele Menschen, die für sich beanspruchen, sich wahrhaft unter den Anspruch der Sittlichkeit zu stellen, diesen Anspruch als von einer Instanz ausgehend, die sie sich letztlich verobjektiviert als bloße Gegebenheit gegenüberstellen – z. B. innerhalb einer bestimmten Gottesvorstellung. Mit den hier vorgebrachten systematischen Ausführungen soll in keiner Weise die wahrhaft moralische Einstellung dieser Menschen in Frage gestellt werden. Vielmehr ist eine systematische Ethik nichts anderes als der Versuch der Aufklärung, der vernünftigen Durchdringung dessen, was wir tun, wenn wir uns unter den Anspruch der Sittlichkeit stellen. Für diese Aufklärung ist das unmittelbar psychologische Erleben, das noch nicht durch den Filter der Reflexion gegangen ist, kein adäquater Anhaltspunkt. Die rein phänomenale Betrachtung bleibt letztlich auf der Ebene der Erkenntnis eines bloß faktisch Vorfindbaren – eben der psychologischen Erlebnisse – und scheidet damit als Anhaltspunkt in einer normativen Fragestellung aus. Die systematische Argumentation innerhalb einer wissenschaftlichen Ethik darf jedoch ihrerseits ebensowenig den Anspruch erheben, Aussagen über das unmittelbare, psychologische Erleben machen zu können. Dieses Erleben könnte als bloß faktisch vorfindbares nur innerhalb einer wissen395
Kant (1785), S. 393.
5.3 Das Problem der Darstellbarkeit von Normativität
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schaftlichen Anthropologie untersucht werden. Die philosophische Reflexion der Ethik untersucht hingegen die Frage, ob und wie wir uns unser Erleben von Normativität, in welcher Form es unmittelbar auch immer auftreten mag, verständlich machen können. Diese Reflexion hat es also zunächst mit der Aufklärung der Vernunftbedingungen und -implikationen von abstrakter Normativität zu tun, nicht mit den phänomenal unterschiedlichen Formen von Normativitätsvorstellungen. Anders formuliert: Es geht hier um wissenschaftliche Aufklärung von Normativität, nicht um eine technischpraktische Anleitung zur deren Konstituierung im Bewußtsein! Ob sich ein Mensch das ethische Prinzip verobjektiviert gegenüberstellt, z. B. in Form einer bestimmten Gottesvorstellung, ist für seine Sittlichkeit zunächst belanglos. Ob eine mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit auftretende philosophische Position das ethische Prinzip als verobjektivierbare Gegebenheit betrachtet, aus einer solchen abzuleiten versucht oder nicht, ist für ihre Wahrheit und Richtigkeit hingegen entscheidend. Bevor der Inhalt der ethischen Forderung weiter untersucht wird, muß noch eine Reflexion erfolgen auf die in diesem Kapitel verfolgte Argumentationsweise insgesamt und deren Zusammenhang zu dem Ergebnis des ersten Kapitels.
5.3 Das Problem der Darstellbarkeit von Normativität Die Behauptung oder gar Konstituierung eines Vermögens der freien willentlichen Stellungnahme, oder kürzer: eines freien Willens396, ist – das muß nachdrücklich betont werden – nicht eine theoretisch sich ergebende Konsequenz von Normativität. Der Nachweis eines solchen Vermögens als Bedingung und Ausgangspunkt von Normativität kann nicht in Form einer theoretisch schließenden Argumentation geführt werden, weil dieses Vermögen außerhalb des Bereiches der theoretischen Vernunft liegt. Das Vermögen der freien willentlichen Stellungnahme ist vielmehr integraler Bestandteil von Normativität, von Werthaftigkeit. Deshalb kann dieses Vermögen letztlich auch nur in einem normativen Kontext angesprochen und eingesehen werden. Zu diesem Zweck wurde oben eine konkrete normative Orientierung – „die Menschenwürde“ – als Beispiel für Normativität überhaupt eingeführt. Nur wer selbst weiß, was ein normativer Anspruch ist – z. B. derjenige der Menschenwürde –, wird überhaupt in der Lage sein, zu ver396 Zu dem konstitutiven Zusammenhang zwischen Wille und Freiheit vgl. Fichte (1798), S. 148: „Der Wille ist frei in materialer Bedeutung des Worts. Das Ich in wiefern es will, giebt als Intelligenz sich selbst das Object seines Wollens, indem es aus den mehrern möglichen eins wählt; [. . .]. Kurz, der Wille ist schlechthin frei, und ein unfreier Wille ist ein Unding. Wenn nur der Mensch will, so ist er frei; und wenn er nicht frei ist, so will er nicht, sondern wird getrieben.“
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stehen, was hier sowohl mit Normativität als auch mit einem freien Willen gemeint ist. Das Fehlen einer theoretisch beweisenden Argumentation dafür, daß Normativität gerade in den hier angesprochenen Zusammenhängen besteht, ist kein Mangel dieser Darstellung, sondern durch die Sache selbst bedingt. Normativität erscheint aus einer rein theoretischen Perspektive unverständlich. Sie kann nur als willentlicher Vollzug auftreten. Ein solcher Vollzug läßt sich durch eine theoretisch schließende Argumentation jedoch nicht induzieren. Das zeigt sich anschaulich gerade auch darin, daß die Sittlichkeit eines Menschen sich nicht mit theoretischen Argumenten herbeizwingen läßt, sondern auf einem vollkommen freien Akt der/des Betreffenden gründet: Jeder kann sich auch gegen die Sittlichkeit entscheiden. Diese Entscheidung ist als solche nicht mehr argumentativ erreichbar. Wenn allerdings jemand die Frage stellt, was denn das schlechthin Gute eigentlich sei, und diese Frage ernst meint, kann ihm argumentativ sehr wohl gezeigt werden, wonach er fragt. Nur fußt diese Argumentation, diese Antwort, auf der Voraussetzung, daß der/die Betreffende etwas mit der Frage tatsächlich anfangen kann. Es wäre auch jemand denkbar, der eine solche Frage nie stellen würde. Dieser Person gegenüber läßt sich nicht mehr argumentativ verdeutlichen, weshalb sie sich die Frage stellen sollte. Es läßt sich niemandem theoretisch-argumentativ verständlich machen, weshalb es denn gut sein soll zu versuchen, gut zu sein, es sei denn er versucht es schon, und sei es auch nur verworren und unbewußt. Die Unmöglichkeit einer rein theoretisch beweisenden Argumentation im Bereich der praktischen Philosophie findet ihren Grund darin, daß die Theorie innerhalb ihrer eigenen Grenzen keine Letztbegründung zu leisten vermag. Sofern, wie in Kapitel 5.1 entwickelt wurde, die Theorie selbst auf einem praktischen Vollzug fußt, den sie als solchen, also abgesehen von seiner theoretischen Funktion, nicht einsehen und verstehen kann, wird verständlich, d.h. innerhalb einer Argumentation einsehbar, weshalb die Theorie auf dem Gebiet der praktischen Philosophie selbst keine Geltung beanspruchen kann. Erst wenn die Theorie selbst über die Letztbegründungsproblematik in ihre Schranken gewiesen ist, läßt sich eine Behandlung der ethischen Fragestellung durchführen, die sich nicht beständig dem Vorwurf theoretischer Unschärfe und argumentativer Schwäche ausgeliefert sieht. Normativität hat in ihrem Kern notwendig eine ausschließlich appellative Struktur, die sich auch in ihrer wissenschaftlichen Darstellung wiederfinden muß. Es gilt deshalb von Normativität insgesamt, was Fichte vom „Wollen“ sagt: „Was wollen heiße, wird als bekannt vorausgesetzt. Dieser Begriff ist keiner Realerklärung fähig, und er bedarf keiner. Jeder muß in sich selbst, durch intel-
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
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lectuelle Anschauung, inne werden, was er bedeute, und er wird es ohne alle Schwierigkeit vermögen.“397
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung In einem nächsten Schritt muß untersucht werden, ob und gegebenenfalls wie diese bisher gewonnene, rein formale Bestimmung von Normativität – Wille gerichtet an Wille – selbst näher bestimmt werden kann: „Was“ fordert denn nun die ethische Forderung? Worin liegt das Spezifische des „guten“ Willens? 5.4.1 Negative Eingrenzung Aus den bisherigen Ergebnissen läßt sich unmittelbar entwickeln, wie der Inhalt der ethischen Forderung in einer wissenschaftlichen Ethik auf keinen Fall bestimmt werden darf. Auch wenn es vielleicht so scheinen mag, daß nach all der abstrakt-formalen Behandlung der Ethik doch endlich konkret gesagt werden müsse, welche Handlungs- und Verhaltensweisen denn nun eigentlich „ethisch“ sind, so zeigt sich aufgrund der bisherigen Ergebnisse, daß Handlungszwecke oder -weisen, die als in der objektiv erfahrbaren Welt zu erreichende oder zu befolgende aufgestellt werden, wie z. B. „gesamtgesellschaftlicher Wohlstand“, „Frieden“, „Glück einer möglichst großen Zahl von Menschen“, „Was Du nicht willst, daß man es Dir tu, das füg auch keinem andern zu!“, auf keinen Fall den Inhalt der ethischen Forderung abbilden können. Würde der in der ethischen Fragestellung bereits vorausgesetzte normative Anspruch, also dasjenige, wonach in der ethischen Frage gesucht wird, so aufgefaßt, daß er einen konkreten Handlungszweck oder eine Handlungsweise vorschriebe, also einen materialen Inhalt hätte, würde die zuvor bereits erarbeitete notwendige formale Struktur von Normativität wieder unterlaufen werden. Denn auch ein explizit als zu wollend, d.h. als gesollt, aufgestellter materialer Inhalt, besteht er nun in einem Zustand oder einer Handlungsweise in Raum und Zeit, kann aus sich keinen Grund für seine normative, d.h. den Willen betreffende, Qualität entlassen. Diese Qualität könnte er nur vermittelst des ihn als gesollt aufstellenden Willens erhalten. Wenn die ethische Frage überhaupt als sinnvoll erachtet wird, kann dieser Wille, von dem der auf den spezifischen Inhalt bezogene Sollensanspruch ausgeht, aber nur als ein seinerseits nicht durch die inhaltliche Füllung bestimmter Wille aufgefaßt werden. Andernfalls gründete die normative Qualität in einem durch eine empirische, raum-zeitliche Gegebenheit bestimmten Willen, der als solcher bereits die Legitimation für seinen bestimmten Gehalt mitbringen müßte. Die Legitimation 397
Fichte (1798), S. 38.
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5 Ethik
für das Sollen des Inhaltes läge also im bloßen Wollen des Inhaltes. Normativität wäre damit an einen rein willkürlichen Willen rückgebunden, der beliebige Inhalte als moralisch indiziert aufstellen könnte. Ein solches Verständnis von Normativität würde diese gerade vernichten: Jeder beliebige Wille trüge in sich die vollständige moralische Legitimation, allein dadurch, daß er material bestimmt wäre.398 Es gälte: Es ist alles erlaubt. Damit würde aber die in der ethischen Frage schon vorausgesetzte Orientierung auf ein überhaupt Forderndes hin prinzipiell abgewiesen und der Boden der Ethik verlassen. Wenn der Ausgangspunkt der normativen Forderung nicht in einem material bestimmten Willen liegen kann, dennoch aber laut der aufgestellten formalen Struktur in einem Willen liegen muß, so bleibt nur, den gesuchten Grund aller Normativität als ein bloßes Vermögen des Willens aufzufassen. Dieses Vermögen läßt sich bestimmen als ein Vermögen zu wollen, ohne etwas zu wollen. Dieses Vermögen ist somit raum-zeitlich nicht zu fassen, vielmehr eine apriorische Idee. „Ein Wollen ist ein absolut freies Übergehen von Unbestimmtheit zur Bestimmtheit, mit dem Bewußtseyn desselben. [. . .]. Sieht man auf das Vermögen jenes Übergehens mit Bewußtseyn überhaupt, – und ein solches Vermögen zur Äußerung hinzu zu denken, ist man durch die Gesetze der theoretischen Vernunft genöthigt, – so erhält man den Begriff des Willens überhaupt, als eines Vermögens zu wollen. Es ist dies ein abstrakter Begriff, nichts wahrzunehmendes wirkliches, nicht etwa eine Thatsache, wie einige sich ausdrücken. Nimmt man ein wirkliches bemerkbares Übergehen, so hat man ein Wollen. Nun aber ist das Wollen nicht vollendet, und es ist überhaupt kein Wollen, wenn nicht Bestimmtheit da ist. Dann heißt es ein Wille; wie in der Redensart: das ist mein Wille; oder eine Wollung. Im gemeinen Leben macht man diesen Unterschied zwischen dem Willen überhaupt, als einem Vermögen und zwischen einem Willen, einem bestimmten Willen, als bestimmter Äußerung jenes Vermögens nicht, weil er da nicht nöthig 398
Auf eine solchermaßen konzipierte Sittlichkeit träfe der von Hegel fälschlicherweise gegen Kant im Naturrechtsaufsatz erhobene Vorwurf tatsächlich zu, beliebigen materialen Bestimmtheiten zur absoluten moralischen Geltung zu verhelfen: „Durch die bloße Aufnahme einer Bestimmtheit in die Form der Einheit soll sich die Natur des Sein derselben verändern; und die Bestimmtheit, welche ihrer Natur nach eine andre Bestimmtheit gegen sich hat, deren eine die Negation der anderen, und eben darum keine etwas absolutes ist,[. . .], soll durch diese Verbindung mit der Form der reinen Einheit, selbst zur absoluten, zum Gesetz und Pflicht gemacht sein. [. . .]; durch Vermischung der absoluten Form aber mit der bedingten Materie wird unversehens dem unreellen, bedingten des Inhalts die Absolutheit der Form untergeschoben, und in dieser Verkehrung und Taschenspielerei liegt der Nerv dieser praktischen Gesetzgebung der reinen Vernunft; [. . .] und sofort kann jede Bestimmtheit zur Pflicht gemacht werden.“ Hegel (1802/03), S. 463 f. Zu diesem Mißverständnis Hegels der „Form der reinen Einheit“, in die die Bestimmtheit aufzunehmen sei, siehe weiter unten.
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
193
ist; und in der Philosophie, wo er höchst nöthig wäre, hat man ihn auch nicht gemacht.“399
Wenn der normative Orientierungspunkt, nach dem in der ethischen Frage gesucht wird, dadurch ausgezeichnet ist, daß er in dem Vermögen des Willens als solchem liegt, so kann dasjenige, was der Orientierungspunkt als zu befolgend aufstellt, also sein Inhalt, auf keinen Fall unmittelbar Bezug nehmen zu den Begebenheiten und Zuständen der Wirklichkeit. Er kann es nicht, weil er überhaupt frei von materialer Füllung ist. Nach der hier vorgelegten Konzeption einer transzendentalen Ethik kann eine materiale Bestimmtheit also in keinem Falle Gegenstand einer absoluten moralischen Forderung sein! D.h. insbesondere auch, daß es in der Ethik nicht darum gehen kann, Handlungsnormen aufzustellen, die als solche immer Bezug nehmen müssen, auf das, woran oder woraufhin gehandelt werden soll. Denn dieser Bezug auf ein woran oder woraufhin ist qua Handlungsorientierung notwendig gerichtet auf die in Raum und Zeit erfahrbare Wirklichkeit, d.h. auf einen materialen Inhalt. Vielmehr geht es in der Ethik ausschließlich darum aufzuklären, aus welcher inneren Intention, aus welcher inneren Haltung heraus denn gehandelt werden soll, wenn wir uns in unserem Handeln unter den Anspruch der Sittlichkeit stellen.400 Erst aus dieser Haltung heraus ließe sich dann in der je einmaligen historischen Situation bestimmen, welche konkrete Handlung moralisch indiziert ist. Da es in der Wissenschaft um Prinzipienwissen geht, nicht um das Wissen des Besonderen, konkret Einmaligen, deutet sich jedoch an, daß diese Umsetzung von abstrakter Haltung in die konkrete Tat nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Ethik sein kann.401 Vielmehr zeigt sich näherhin, daß aufgrund des schon aufgestellten formalen Prinzips der Ethik diese Umsetzung nur qua Freiheit, aus einer moralischen Haltung heraus, geleistet werden kann. Ein Freiheitsvollzug ist jedoch nicht, wie schon mehrfach betont wurde, präskriptiv oder auch nur heuristisch vorwegzunehmen. Durch eine solche Vorwegnahme, wäre sie denn denkbar, würde er ja gerade seinen Charakter als Freiheitsvollzug verlieren. Es ist also prinzipiell unmöglich, eine Ethik aufzustellen, die den Individuen durch präskriptive Vorwegnahme ihrer Freiheitsentscheidungen „Orientierungshilfe“ zu geben vermöchte in der Frage, was sie denn nun in dieser oder jener Situation zu 399
Fichte (1798), S. 147 f. „[. . .] Es kommt bei der Ethik nicht auf die Handlungen, die ich tun soll, sondern das principium an, woraus ich sie tun soll. Maxime.“ Texte zur Moralphilosophie aus Kants handschriftlichem Nachlaß, in: Bittner/Cramer (Hrsg.) (1975), S. 119. 401 Vgl. Lauth (1969), S. 16 f. 400
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5 Ethik
tun, oder welches Moralkriterium sie anzuwenden hätten.402 Denn die sich notwendig anschließende Frage der nach Orientierung suchenden Person, ob sie denn die vorgebliche „Orientierungshilfe“ selbst als handlungsleitend akzeptieren soll, kann nicht wieder durch eine wiederum die Freiheitsentscheidung heuristisch oder präskriptiv vorwegnehmende materiale Orientierungshilfe beantwortet werden, ohne in eine dem infiniten Regreß analoge Struktur zu geraten. Eine solche, Orientierungshilfen anbietende Ethik versteht ihr eigenes Geschäft nicht. Vielmehr hat eine wissenschaftliche Ethik gerade die prinzipiell unhintergehbare und unübertragbare moralische Verantwortung des Handlungssubjektes für alle seine Handlungen zu betonen. Welche konkrete Handlung das konkrete, einmalige Individuum in einer konkreten, historischen Situation unter dem Anspruch der Sittlichkeit zu tun oder zu unterlassen hat, kann nur dieses Individuum in genau dieser Situation im willentlichen Vollzug praktisch „wissen“403, d.h. in einer moralischen Einsicht erfassen, sofern es sich eben diesem Anspruch verpflichtet! Unterstellten wir an dieser Stelle die normative Auffassung von dem absoluten Wert jedes einzelnen Individuums404, so könnten wir mit der hier entwickelten Argumentation diese Auffassung stützen mit dem Hinweis auf die absolute Verantwortung des einzelnen Individuums. Wert und Verantwortung des einzelnen würden also wechselweise aufeinander zurückweisen. Diese Verantwortungsbetonung folgt unmittelbar aus dem bereits aufgestellten formalen Freiheitsprinzip, nämlich dem Vermögen des Willens. Dieses Prinzip verbietet prinzipiell jede Aufstellung präskriptiver Handlungsorientierungen oder Moralkriterien, die ja lediglich die Funktion hätten, das Individuum aus seiner unmittelbaren Verantwortung zumindest teilweise zu suspendieren. Derjenige präskriptive Bereich, der sich seinem Gegenstande nach unmittelbar auf die Handlungssphäre als solche bezieht, also auf die Äußerungen des Willens in Raum und Zeit, und insofern tatsächlich die Verantwortung des Individuums teilweise suspendiert, ist hingegen das Recht – soviel soll als vorläufige, vorausgreifende Abgrenzung schon hier vorweggenommen werden. 402 Als Beispiel für eine solche Auffassung sei hier Nida-Rümelin (1996), S. 3 angeführt: „Die ethische Theorie versucht, allgemeine Kriterien für gut, richtig, gerecht etc. zu entwickeln, die im Einklang sind mit einzelnen unaufgebbar erscheinenden moralischen Überzeugungen und andererseits Orientierung in den Fällen bieten können, in denen unsere moralischen Auffassungen unsicher oder sogar widersprüchlich sind.“ 403 Mit dem Terminus „wissen“ darf an dieser Stelle kein theoretisches Wissen gemeint sein. 404 Diese Auffassung ist, so wie sie hier formuliert wurde insofern problematisch, als sie in dieser Formulierung unterbestimmt ist. Nicht das Individuum in seinen individuellen Präferenzen ist Träger des absoluten Werts, sondern das Individuum insofern es jenseits seiner Individualität mit dem Vermögen des freien Willens begabt ist. Zur Behauptung des absoluten Wertes individueller Präferenzen vgl. die Diskussion der Position von Karl Homann in Kapitel 3.
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
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In der Ethik geht es nicht um das „was“ des Handelns, es geht um das „woraus“ des Handelns, um den „guten Willen“ als Grund des Handelns, um unsere prinzipielle Haltung gegenüber der Welt, eine Haltung, aus der heraus allein vom konkreten Individuum ausgemacht werden kann, was unter dem Anspruch der Sittlichkeit jeweils zu tun oder zu unterlassen von ihm gefordert ist. Eine „Übersetzung“ dieser prinzipiellen Haltung, des guten Willens, in konkrete Handlungen kann – falls diese Fragestellung überhaupt berechtigt wäre – jedoch nicht in abstracto vorweggenommen werden, ohne die in dieser Haltung implizierte unbedingte Verantwortungsübernahme des Individuums zu untergraben. Abgesehen von diesem hypothetischen Einwand ist jedoch schon diese Auffassung vom „guten Willen“ als eines abstrakten Prinzips, das in die empirische Konkretheit hinein anzuwenden oder zu übersetzen wäre, unzutreffend. Damit erübrigt sich vom Standpunkt einer wissenschaftlichen Ethik aus jede weitere Frage sowohl nach konkreten Handlungsregeln oder -anweisungen als auch nach abstrakten Moralkriterien, deren rational geleitete Anwendung den Handelnden zu einem moralisch vertretbaren Ergebnis führen soll. Wenn wir mit Hegel gegen dieses Auffassung insistierten, daß „es aber gerade das Interesse [ist] zu wissen, was denn Recht und Pflicht sei“, daß „nach dem Inhalt des Sittengesetzes gefragt [wird], und es [. . .] allein um diesen Inhalt zu tun [ist]“,405 so umgingen wir mit dieser Frage das Problem, wie überhaupt ein Anspruch auf normative Orientierung möglich ist. Bevor nach den konkreten Inhalten gefragt werden kann, müßte erst geklärt werden, woher denn überhaupt die Vorstellung kommt, daß es „Recht und Pflicht“ bzw. ein „Sittengesetz“ gebe? Wie kann es uns als vernünftigen Wesen verständlich sein, überhaupt ein „Sittengesetz“ zu erwarten? Diese Fragen führen zu der behandelten formalen Struktur von Normativität: Wir können uns den vorausgesetzten Anspruch auf Normativität nur als möglich denken, wenn wir ihn als eine selbstgewirkte Struktur unseres Willens begreifen und vollziehen. Sobald jedoch diese reflexive Erkenntnis erreicht wurde, fällt jede Frage nach einem materialen Inhalt des Sittengesetzes in sich zusammen: Die im Vermögen des Willens liegende Selbstgesetzgebung bedarf keiner weiteren „Inhaltsbestimmungen“, weil sie sich im konkreten Vollzug unmittelbar selbst vollzieht. Es muß nachdrücklich betont werden, daß in der hier vorgestellten Ethikkonzeption ein sogenanntes „Anwendungsproblem“ nicht auftritt.406 Unter 405
Hegel (1802/03), S. 461. Auch Peter Ulrich kommt in der von ihm entwickelten diskursethischen Perspektive zu einer Ablehnung der Unterscheidung von Anwendungs- und Begründungsdiskursen. Er grenzt sich in diesem Punkt dezidiert von Karl-Otto Apel sowie von Jürgen Habermas ab. Vgl. Ulrich (2001a), S. 98–101 mit den dort gegebenen Literaturhinweisen. 406
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diesem Begriff werden in der Literatur vielfach diejenigen Probleme behandelt, die sich ergeben, wenn eine abstrakte moralische Orientierung auf den konkreten Fall der geschichtlich einmaligen Situation „angewendet“ werden soll,407 wenn es also darum geht, „wie moralische Einsichten in die Praxis umgesetzt werden können.“408 Hinter dieser Problemformulierung steht die Auffassung, das abstrakte Prinzip der Sittlichkeit müsse mit dem konkreten Fall in irgendeiner Weise vermittelt werden können, wenn dieses Prinzip in der Realität nicht vollkommen folgenlos bleiben soll. Mit einer solchen Problemstellung wird dieses Prinzip aber schon in verobjektivierter, theoretischer Form betrachtet: Es wird aufgefaßt als ein Prinzip, das Gegenstand einer wie auch immer gearteten Anwendungsleistung sein können muß. Damit werden Anwendung des Prinzips und das Prinzip selbst analytisch getrennt. In der transzendentalphilosophischen Problemstellung ist jedoch diese Anwendungs- oder Umsetzungsleistung selbst immer schon hinsichtlich ihres moralischen Charakters mitthematisiert: Wie kann denn überhaupt der Anspruch bestehen, ein Prinzip anwenden zu sollen? Diese Frage führt zu den schon entwickelten Bestimmungen des gesuchten normativen Bezugspunktes. Wenn normative Ansprüche nur qua formalen Vermögens des Willens möglich sind, dann kann sich gar kein Anwendungsproblem jenseits der bloßen Aufstellung und Festsetzung des Prinzips ergeben. Das hier formulierte Prinzip umfaßt bereits jedes vermeintliche Anwendungsproblem von vornherein mit. Das formale Vermögen des Willens fordert nichts Abstraktes, das mit den Bestimmtheiten der realen Welt in Einklang gebracht werden müßte. Vielmehr ist mit diesem Vermögen derjenige Vollzugscharakter thematisiert, der in allen konkreten willentlichen Bestimmungen mit dem Anspruch der Sittlichkeit, also auch allen moralischen Anwendungs- und Umsetzungsleistungen, als Bedingung ihrer Möglichkeit immer schon unterstellt ist. Jedes Hinblicken auf die Realität, mit dem Vorsatz, die Realität abzutasten in Hinsicht auf die Möglichkeiten der Realisierung sogenannter „moralischer Einsichten“, steht bereits unter dem Anspruch des guten Willens! Es gibt also neben dem guten Willen keine „moralischen Einsichten“ oder „Verhaltensnormen“ im Plural, wenn mit „moralischer Einsicht“ eine absolute, unbedingte moralische Qualität verbunden sein soll. Diese pluralische Formulierung entlarvt letztlich den Fundamentalfehler, Kants Moralprinzip doch noch material füllen zu wollen.409 Und nur insofern es als material 407 Bei folgenden Autoren wird das Anwendungsproblem im Zusammenhang mit der Ethik thematisiert: Habermas (1991), S. 24; Apel (1990), S. 141 f.; Beiner (1998); Hanekamp (2001), S. 54 f. 408 Habermas (1991), S. 10. 409 Günther Patzig verfällt in seiner durchaus wohlmeinenden Kantinterpretation einem solchen, Kant sogar im Wortlaut mißachtenden, Fundamentalfehler: „Das Prin-
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gefüllt verstanden wird, kann sich ein Anwendungsproblem ergeben. Denn nur einem material gefüllten Moralprinzip bleibt die Forderung nach seiner Anwendung auf die Realität äußerlich. Es gibt nur eine einzige moralische Einsicht: die des guten Willens. Diese prinzipielle Einsicht kann und braucht nicht mit der Realität vermittelt zu werden, da sie die Bedingung der Möglichkeit einer Einstellung darstellt, die die Realität für praktisch relevant hält. Sie ist damit jedem Ansinnen, die Realität unter moralischem Anspruch handelnd zu gestalten, immer schon eingeschrieben: Nur auf dem Boden einer moralischer Haltung kann dem Handlungssubjekt die Realität überhaupt zum moralisch zu bewältigenden Problem werden. Aus diesem Grunde ist es auch falsch, den Ausgangspunkt des moralischen Problems in konkrete Handlungskonflikte zu verlegen und dabei zu unterstellen, diese würden von den Handlungssubjekten rein faktisch, vormoralisch vorgefunden.410 Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß die moralisch relevante Beurteilung von Handlungskonflikten bereits darin liegt, diese in ihrer Qualität als Handlungskonflikte aufzufassen. Diese Qualität verdankt sich nicht einem bloß faktischen Hemmnis, das sich dem jeweils Handelnden entgegenstellt. Vielmehr ist allein die interpersonelle Dimension der Begegnung ausschlaggebend. Die moralische Problemstellung ergibt sich nicht erst aus einem konkreten Interessengegensatz und eventuellen Handlungsblockaden. Auch wenn die sich Begegnenden noch gar nicht wissen, welche konkreten Ansprüche ihr jeweiliges Gegenüber stellen wird, befinden sie sich bereits in der Form der Ansprüchlichkeit, nämlich als Gegenüber eines Freiheitsvollzuges. Die in der Begegnung vollzogene Freiheitsaktualisierung generiert zwei jeweils über sich personal verfügende Freiheitsvermögen, die damit unmittelbar in die Not der Orientierungssuche entlassen werden. Allein dadurch, daß beide Seiten die interpersonelle Dizip aller kategorischen Imperative wie ‚Halte deine Versprechen!‘, Hilf deinen in Not geratenen Mitmenschen!‘ oder ‚Sag die Wahrheit!‘, jenes Prinzip, das Kant, mit leichter terminologischer Inkonsequenz [!], ‚den‘ kategorischen Imperativ nennt, wird in der bekannten Formel ausgedrückt: ‚Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Patzig (1978), S. 233. Vgl. zu diesem Vorwurf der „terminologischen Inkonsequenz“ Kants ausdrückliche Versicherung, der Kategorische Imperativ sei nur ein einziger. „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: h a n d l e n u r nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, d a ß s i e e i n a l l g e m e i n e s G e s e t z w e r d e . “ Kant (1785), S. 421. 410 Jürgen Habermas scheint einer solchen Auffassung zu sein, wenn er behauptet: „Die Handlungskonflikte, die moralisch beurteilt und konsensuell gelöst werden sollen, entstehen aus der kommunikativen Alltagspraxis, sie werden von der maximenprüfenden Vernunft oder den Argumentationsteilnehmern vorgefunden – nicht hervorgebracht.“ Habermas (1991), S. 21.
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mension der Begegnung erfassen, stehen sie also bereits mitten im moralischen Problem. Denn beide haben nun unmittelbar die praktische „Frage“ zu beantworten, wie sie als freie Person mit dieser Ansprüchlichkeit umgehen wollen. Allein in der Form eines Anspruches kann sich das Vermögen der Freiheit als solches vollziehen. Eine von den involvierten Personen als solche konstatierte Interpersonalsituation ist die raumzeitliche Konkretion von Ansprüchlichkeit, als die Form, in der sich Freiheitsvermögen überhaupt als solche vollziehen können. Erst im Medium der Ansprüchlichkeit können Personen als Personen aufeinandertreffen. Ihre Begegnung ist Ausdruck wie auch Bedingung ihrer Freiheit. Das moralische Problem stellt sich also nicht erst bei dem Versuch, einen konkreten Handlungs- oder Interessenkonflikt zu lösen, sondern bereits mit der praktischen „Wahrnehmung“ einer Person als einer solchen.411 Nach diesen vorläufigen, nur negativen Abgrenzungen des Inhaltes der ethischen Forderung bleibt weiterhin zu prüfen, was genau das Spezifische dieser inneren Haltung oder des „guten Willens“ ausmacht. Was fordert denn das Vermögen des Willens oder die Form der Ansprüchlichkeit, d.h. der Ausgangspunkt von Normativität? Nach der begründeten Zurückweisung jedes materialen Inhaltes bleibt für die philosophische Reflexion allein die schon aufgestellte formale Bestimmung als Inhalt der ethischen Forderung anzusetzen: Normativität besteht also nicht nur formal in der Struktur: Freiheitsvollzug, der sich an Freiheitsvollzug richtet, sondern die Forderung, die sich sozusagen „material“ innerhalb dieser formalen Struktur überträgt, enthält überdies selbst ausschließlich die Bestimmung, nichts anderes zu fordern, als: Freiheitsvollzug! D.h. ein „guter Wille“ ist dadurch charakterisiert, daß er lediglich das Prinzip des Wollens selbst und nicht eine erst zu erreichende Wirklichkeit zu seinem Bestimmungsgrund macht. „Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich gut [. . .].“412
Wäre er nur durch seine Tauglichkeit, ein bestimmtes Ergebnis hervorzubringen, als gut, als moralisch einzustufen, wäre er bedingt, abhängig von 411 Die kantische Position kann insofern auch nicht durch den Vorwurf einer „methodisch-solipsistische[n] Verkürzung“ getroffen werden, wie er von Apel (Apel (1989), S. 19), aber auch Ulrich (Ulrich (1993), S. 278 ff.) erhoben wird. Dieser Vorwurf geht von der falschen Prämisse aus, die kantische Position formuliere ein rationales Prüfungsverfahren, mit dessen Hilfe die in der jeweiligen konkreten Situation moralisch indizierte Handlung eruiert werden könnte. 412 Kant (1785), S. 394.
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etwas, das er selbst nicht ist, nämlich dem faktischen Handlungsergebnis.413 Damit könnte er nicht diejenige Position markieren, die es erlaubt, überhaupt einen normativen Anspruch zu formulieren. „Worin kann [. . .] dieser [unbedingte und moralische] Werth [unserer Handlungen] liegen, wenn er nicht im Willen in Beziehung auf deren [der Handlungen] verhoffte Wirkung bestehen soll? Er kann nirgend anders liegen, a l s i m P r i n c i p d e s W i l l e n s unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können; [. . .].“414
An dieser Stelle bleibt also zur näheren Bestimmung des Inhaltes der ethischen Forderung lediglich und ausschließlich der Verweis auf das prinzipielle Vermögen des Willens. Damit stellt sich die Frage, ob in der philosophischen Reflexion angenommen werden darf, daß wir einen unmittelbar praktischen Zugang zu diesem Prinzip haben, daß wir also mit diesem Prinzip jenseits seiner formalen Bestimmung eine praktisch-positive Wertvorstellung verbinden können. 5.4.2 Sittlichkeit als Formalprinzip Eine willentliche Haltung, die das Prinzip des freien, also ungebundenen Willensvollzuges durchgängig praktisch positiv vollzieht, müßte so charakterisiert werden, daß sie sogar die jeweiligen, ursprünglichen Willenstendenzen sich zuschriebe als aus Freiheit generierte. Eine solche vollkommen das Freiheitsprinzip realisierende Haltung wäre also frei von psychologisch rein vorgefundenen, d.h. nicht bewußt generierten Wünschen materialen Inhaltes. Unter diesen Begriff eines vorgefundenen Wunsches oder einer vorgefundenen Willenstendenz ließen sich unter anderem alle auf physiologische Bedürfnisse bezogene Tendenzen subsumieren, wie z. B. Hunger und Durst. Darüber hinaus soll er hier auch alle anderen, insbesondere aus individuellen Einstellungen resultierende, Prädispositionen umfassen. In der Kantischen Philosophie firmiert dieser Sachverhalt unter dem Begriff der „sinnlichen Affektion des Begehrungsvermögens“ oder der „Neigung“.415 Unter der Voraussetzung, daß der menschliche Wille sich prinzipiell in 413 Vgl. Höffe (1977), S. 358 f.: „Unser Handeln spielt sich in einem natural und intersubjektiv bestimmten Kräftefeld ab, das nicht durch den Willen des handelnden Subjektes konstituiert wird, von ihm als empirischem Subjekt nicht einmal voll überschaut wird. Weil sich die Sittlichkeit nur auf den Verantwortungsraum des Handelnden, auf das ihm Mögliche bezieht, kann das nackte Resultat des Handelns, der objektive Erfolg selbst kein Gradmesser der Sittlichkeit sein. Deshalb behauptet Kant zu Recht, daß die Sittlichkeit nicht an der Handlung als solcher, sondern nur an der Qualität des zugrundeliegenden Willens auszumachen sei.“ 414 Kant (1785), S. 400. 415 Vgl. Kant (1785), S. 413: „Die Abhängigkeit des Begehrungsvermögens von Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein B e d ü r f n i ß .“
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einem Zustand befindet, in dem ihm material gefüllte Willenstendenzen vorgegeben sind, d.h. unter der Voraussetzung, das der menschliche Wille „sinnlich affizierbar“ ist, wäre eine solche Haltung unmöglich. In diesem Falle bliebe als ethische Forderung dennoch bestehen, daß wir uns zumindest in unserer sekundären, mit Bewußtsein vollzogenen Bewertung und Aktualisierung dieser primär vorgefundenen Wünsche nach dem zuvor aufgestellten Prinzip des „guten Willens“ richten sollen. Wenn dem Menschen voraussetzungsgemäß das Prinzip des guten Willens nicht unmittelbar praktisch verfügbar ist, insofern er immer schon in sich Tendenzen vorfindet, die er aufgrund ihrer Vorfindbarkeit nicht diesem Prinzip zuschreiben kann, stellt sich jedoch die Frage, welchen praktischen Zugang wir überhaupt zu diesem Prinzip des Willens haben können. Wenn wir beständig von vorgegebenen Tendenzen unmittelbar bestimmt würden, wie könnten wir dann überhaupt auf die Idee kommen, unabhängig von diesen Tendenzen uns zum Handeln zu bestimmen? Unter der Voraussetzung der prinzipiellen sinnlichen Affizierung des menschlichen Willkürvermögens ließe sich Sittlichkeit nur dann realisieren, wenn wir in diesen Neigungen willensmäßig nicht vollständig aufgingen. Dieses Nicht-Aufgehen, diese Differenz zu unseren Neigungen wäre die Bedingung einer willentlich-bewußten Reflexion und Entscheidung bezüglich dieser Neigungen. Das reflexiv-bewußte Willkürvermögen selbst wird unter der Voraussetzung der Getriebenheit durch Neigungen unmöglich. Wir könnten uns gerade nicht durch Reflexion aus dem unablässigen Strom unserer Neigungen befreien, weil unsere Neigungen uns unmittelbar zu ihnen entsprechenden Handlungen veranlassen würden. Es gäbe also keinen Spielraum für eine nicht durch Neigungen bestimmte Reflexion. Vielmehr müßte dieses Reflexionsvermögen selbst erst ermöglicht werden aufgrund eines Vorganges der nicht reflexiv-bewußt eintritt. Es müßte sich also eine ebenso unwillkürliche Tendenz in uns finden lassen, die sich den unwillkürlich einstellenden Neigungen entgegenstellt und damit erst jenen Abstand zu ihnen schafft, der uns eine bewußte Reflexion und Entscheidung erlaubte. Diese Tendenz muß als ebenso unmittelbar vorfindbar postuliert werden, wie zuvor die Willenstendenzen postuliert wurden, weil unter Voraussetzung der durchgängigen sinnlichen Affizierung nur eine in dieser sinnlichen Affizierung zugleich unmittelbar mitauftretende Gegentendenz überhaupt die Möglichkeit eines Freiheitsraumes schaffen könnte. Die hier lediglich als Faktum behauptete sinnliche Affizierung muß also, falls Sittlichkeit möglich sein soll, eine reziproke Entsprechung finden in einer unmittelbar mit der Affizierung und in ihr ebenso faktisch auftretenden Gegentendenz zu ihr. Erst in dem Widerstreit zwischen beiden Richtungen unseres Willens könnte eine bewußte Entscheidung entstehen.
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Die sich den Neigungen entgegenstellende Willenstendenz unterscheidet sich von diesen also nicht hinsichtlich ihres faktischen Auftretens, sondern nur hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bestimmtheit: Während die Neigungen immer schon als material gefüllte, als bestimmte Willenstendenzen auftreten – z. B. Durst, Hunger, Müdigkeit – bezieht sich jene lediglich negativ auf diese Tendenzen. Sie gebietet jenen Tendenzen Einhalt, ohne andere, ebenfalls bestimmte Tendenzen positiv zu enthalten. Falls die sinnliche Affizierung als ein Faktum unseres Bewußtseins behauptet wird,416 muß eine in sich konsequente moralphilosophische Position auch zu der Aussage einer ausschließlich faktisch vorfindbaren Gegentendenz kommen. Diese Gegentendenz könnte als unmittelbar auftretende „Stimme des Gewissens“ veranschaulicht werden. Kant spricht in diesem Zusammenhange vom dem einzigen „Faktum der Vernunft“. Dem kantischen Begriff des sittengesetzlichen Soll kommt der hier beschriebene Charakter zu, eine rein faktisch, ohne unser Zutun sich uns aufdrängende Gegentendenz zu unseren Neigungen zu sein. Nach Kant haben wir einen unmittelbar positiven, praktischen Zugang weder zu unserer Freiheit noch zu dem sich bloß faktisch äußernden Soll. Vielmehr ist Kant der Auffassung, daß „Sittlichkeit uns zuerst den Begriff der Freiheit entdecke“.417 Das Soll ist in der kantischen Moralphilosophie die quasi hinter unserem Rücken sich vernehmlich machende Stimme der Vernunft, die uns erst in den Zwiespalt einer bewußt-reflexiv zu bewältigenden Entscheidungsnot entläßt. Erst aufgrund des sittengesetzlichen Solls kann der Mensch bei vorausgesetzter sinnlicher Affizierung seiner Willkür zu dem Bewußtsein seiner Freiheit kommen. Diese Freiheit kann aufgrund der unterstellten Ausgangsbedingung der Affizierung jedoch nur als eine negative uns bewußt werden: Wir sind frei nur dadurch, daß, und nur insofern, als wir uns auch gegen unsere Neigungen entscheiden können. Abgesehen von dieser Befreiung von etwas, haben wir – nach Kant – keinen positiven Zugang zu unserer Freiheit. In der kantischen Moralphilosophie herrscht ein in sich konsequenter, für diese Philosophie konstitutiver Zusammenhang zwischen der sinnlichen Af416
In der Kritik der praktischen Vernunft geht Kant davon aus, daß die Affizierbarkeit des menschlichen Willens, d.h. seine Bestimmbarkeit durch Neigung, aufgrund der menschlichen Natur schlicht gegeben sei: „Nun finden wir aber unsere Natur als sinnlicher Wesen so beschaffen, daß die Materie des Begehrungsvermögens (Gegenstände der Neigung, es sei der Hoffnung oder Furcht) sich zuerst aufdringt, und unser pathologisch bestimmbares Selbst, ob es gleich durch seine Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung ganz untauglich ist, dennoch, gleich als ob es unser ganzes Selbst ausmachte, seine Ansprüche vorher und als die ersten und ursprünglichen geltend zu machen bestrebt sei.“ Kant (1788), S. 74. Vgl. auch Kants Versicherung, daß ein Geschöpf „niemals von Begierden und Neigungen ganz frei sein“ könne, und daß diese „auf physischen Ursachen beruhen“. Ebd., S. 84. 417 Vgl. Kant (1788), S. 30.
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fizierung des menschlichen Willkürvermögens einerseits und dem lediglich als Faktum der Vernunft auftretenden Soll sowie dem daraus folgenden negativen Freiheitsbegriff andererseits. Nach der kantischen Auffassung reduziert sich der Begriff der Freiheit ausschließlich auf das Vermögen, den Neigungen nicht folgen zu müssen. Wir handeln also genau dann sittengesetzlich, wenn wir es zum subjektiven Grundsatz für unser Wollen machen, die Neigungen nicht als unmittelbaren Bestimmungsgrund unserer Handlungen zuzulassen. Damit wird aber nicht behauptet – das ist ein schwerwiegendes Mißverständnis – daß unsere Sittlichkeit darin läge, prinzipiell das den Neigungen entgegengesetzte Handlungsziel zu ergreifen. Also etwa nach dem Motto: „Wenn ich eigentlich am liebsten Vanilleeis mag, dann handle ich just dann moralisch, wenn ich mir das Schokoladeneis kaufe.“ Hingegen können wir nach Kant nur denjenigen Handlungen einen moralischen Wert zusprechen, die wir nicht aufgrund von vorgefundenen Willenstendenzen ausführen, sondern unabhängig von allen Neigungen initiieren. Der bekannte Einwand von Friedrich Schiller, nach der kantischen Position wäre die Zuneigung zu einem guten Freund und eine aus dieser Haltung resultierende Handlung unmoralisch, deshalb, weil ja offensichtlich eine Neigung, ein Gefühl der Zuneigung zu diesem Freund empfunden wird,418 ist unzutreffend. Im folgenden soll an diesem Einwand die Kantische Position weiter profiliert werden. Erstens sind nach Kant Handlungen, auch wenn sie unmittelbar aus Zuneigung erfolgen, nicht per se deshalb unmoralisch, weil sie auf Neigung beruhen. Nur können sie – nach Kant – in diesem Fall niemals einen Anspruch auf moralische Dignität erheben. Sie sind also in jedem Falle als a-moralisch, nicht jedoch von vornherein als unmoralisch einzustufen. Wer also nach Herzenslust ein Eis ißt, braucht nach Kant in keiner Weise allein deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben, weil er sich seinen Neigungen hingibt.419 Zweitens könnte die Hilfe gegenüber einem in Not befindlichen Freund, trotz prinzipieller Zuneigung, gleichwohl moralisch sein. Nämlich dann, 418
Vgl. Schiller (1797), S. 357: „Gewissensscrupel: Gerne dien ich den Freunden, doch thu ich es leider mit Neigung, Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. Decisum: Da ist kein anderer Rath, du mußt suchen, sie zu verachten, und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut.“ 419 Vgl. Kant (1788), S. 93: „Aber diese U n t e r s c h e i d u n g des Glückseligkeitsprincips von dem der Sittlichkeit ist darum nicht sofort E n t g e g e n s e t z u n g beider, und die reine praktische Vernunft will nicht, man solle die Ansprüche auf Glückseligkeit a u f g e b e n , sondern nur, so bald von Pflicht die Rede ist, darauf gar n i c h t R ü c k s i c h t nehmen. Es kann sogar in gewissem Betracht Pflicht sein, für seine Glückseligkeit zu sorgen; [. . .].“
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wenn der helfende Freund die konkrete, helfende Handlung ausführt und dabei aber gerade von seiner Zuneigung absieht.420 Er dürfte die Hilfe also nur deshalb leisten, weil allein die sich aus der Notlage des anderen hier unterstelltermaßen421 ergebende moralische Forderung allen anderen in dieser Situation sonst noch vorhandenen Willenstendenzen Einhalt gebietet. Die Ausführung aller anderen, der Hilfeleistung entgegenstehenden, Willenstendenzen – „laß mich in Ruhe, ich bin auf dem Weg ins Kino“, „mein Essen wird kalt“, „ich bin zu müde“ – würde in diesem Falle also ausschließlich durch ein mit und in diesen Tendenzen auftretendes „So nicht!“ unmittelbar nicht zur Ausführung gelangen, so daß als moralisch gebotene Handlung die aufgrund der Notlage voraussetzungsgemäß geforderte Hilfeleistung allein übrig bliebe. Diese Konstellation wäre jedoch – wie gesagt – nur denkbar, wenn es in dieser Situation dem Helfer tatsächlich gelingt, alle Zuneigung als Bestimmungsgrund der Handlung auszuschalten. Es bleibt also festzuhalten, daß auch eine Handlung, zu der eine Neigung hintreibt, innerhalb der hier vertretenen Ethik für moralisch gehalten werden kann, unter der Vorausset420
Dieser Kantinterpretation folgt im wesentlichen auch Günter Patzig: „Worauf es nach Kant allein ankommen kann, ist die Frage, ob die Hilfeleistung im ersten Fall [gegenüber einem Freund] auch erfolgt wäre, wenn die Neigung nicht bestanden hätte. [. . .]. Moralischen Wert haben [. . .] auch Handlungen, die aus Neigung, Sympathie oder Menschenliebe erfolgen, wenn sie gesetzmäßig sind und außerdem angenommen werden kann, Pflichtbewußtsein allein wäre ausreichend gewesen, sie auszulösen, wenn die Neigung nicht vorhanden oder geringer gewesen wäre. Schiller hatte also gegen Kant Unrecht, als er ihm unterstellte, nach Kants Meinung wäre der moralische Wert von Handlungen, die durch menschenfreundliche Neigung motiviert sind, dadurch beeinträchtigt.“ Patzig (1978), S. 240. Auch wenn Patzig Kant in der Sache zu Recht gegenüber Schiller in Schutz nimmt, ist diese Äußerung Patzigs hinsichtlich des kantischen Gedankens unterbestimmt, denn „Handlungen, die DURCH [Herv. d. Verf.] menschenfreundliche NEIGUNG MOTIVIERT [Herv. d. Verf.] sind“, können nach Kant eben gerade keinen Anspruch auf moralische Dignität erheben. Zur einer präziseren Widerlegung des schillerschen Vorwurfes siehe die folgenden Ausführungen. 421 Dieses Beispiel ist auf keinen Fall dahingehend mißzuverstehen, daß hier eine materiale moralische Norm abgeleitet oder als legitim vorausgesetzt wird, in diesem Fall mit dem Inhalt, einem in Not befindlichen Freund zu helfen. Die Argumentation setzt vielmehr – wie in aller philosophischen Ethik – folgendermaßen an: Falls jemand in einer konkreten Situation, zu der Überzeugung gelangt, eine bestimmte Handlung sei moralisch geboten, z. B. einem bestimmten Freund in genau dieser, gerade vorfindlichen Situation zu helfen, so muß philosophisch verständlich gemacht werden können, worin die Sittlichkeit dieser Handlung liegt. In der Ethik kann die philosophische Reflexion immer nur ausgehen von einer schon vollzogenen Sittlichkeit, um sich im Anschluß an diese Voraussetzung zu fragen, wie diese Sittlichkeit denn prinzipiell nur möglich sein kann. Die philosophische Reflexion selbst kann hingegen – aus schon mehrfach benannten Gründen – keine materialen normativen Vorgaben machen.
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zung, daß die tatsächliche Initiierung der Handlung von der Neigung absieht. Soll die Hilfeleistung unseres Freundes aus obigem Beispiel moralischen Wert haben können, müßte er ausschließlich deshalb Hilfe leisten, weil sich ihm die Überzeugung aufdrängt, diese Hilfeleistung sei von einem mit dem Vermögen des Willens begabten Wesen in genau dieser historisch vorgefundenen, d.h. einmaligen, Situation schlechthin gefordert, also auch dann, wenn keine individuellen Zuneigungen bestehen. Der Grund der Forderung müßte also von diesem Freund aufgefaßt werden, als jenseits aller Individualität rein in der Qualität des Willens als eines Freiheitsvermögens liegend. Eine solche, von aller Individualität absehende, Überzeugung könnte aber in einer konkreten, und damit auch individuell vermittelten, Situation nur dann aktuell eintreten, wenn der Betreffende sich prinzipiell bereits unter den Anspruch der Sittlichkeit gestellt hat. Er müßte die Haltung des „Guten Willens“ in der konkreten Situation bereits mitbringen. Das heißt aber nach den bisherigen Bestimmungen, er müßte sich die Form willentlicher Selbstbestimmung zum subjektiven Grundsatz seines Willens, d.h. zur Maxime, gemacht haben. Nur aufgrund eines solchen Grundsatzes ließe sich verstehen, wie er als Individuum in der konkreten Situation sich unter ein Prinzip stellen könnte, das von aller Individualität absieht. Dieses Prinzip realisiert sich in der konkreten Situation – nach Kant – allerdings nur negativ, nämlich darin, nicht aufgrund von Neigungen zu handeln. Zusammenfassend läßt sich folgendes festhalten: Der Freund aus den Schillerschen Xenien müßte – soll seine Handlung nach Kant moralischen Wert haben können – sich unter eine solche Maxime stellen, durch die422 er allein wollen könnte, sein konkreter Wille in einer bestimmten Situation solle allgemein sein.423 „Allgemein“ ist ein Wille in dem hier gemeinten Sinne dann, wenn er allen mit dem Vermögen des Willens begabten Wesen allein insofern entspricht, als sie mit diesem Vermögen begabt sind. Die Allgemeinheit des Willens ist hier also weder zu verstehen als der kleinste gemeinsame Nenner der individuellen Interessenlagen aller Menschen noch als die Schnittmenge der von möglicherweise Betroffenen aufgrund individueller Neigungen erhobenen Ansprüche.424 Ein solcher Nenner ließe sich denn 422 Die fundamentale Bedeutung dieser Formulierung wird im folgenden noch zu entwickeln sein. 423 Damit ist die Grundformel des Kategorischen Imperativs angesprochen. Vgl. Kant (1785), S. 421: „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: h a n d l e n u r n a c h d e r j e n i g e n M a x i m e , d u r c h d i e d u z u g l e i c h wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ 424 Einem solchen Mißverständnis scheint auch ein so wohlwollender Kantinterpret wie Günther Patzig recht nahe zu sein, wenn er behauptet, der „tragende Gedanke des Lehrstücks vom kategorischen Imperativ“ liege darin, die gegenläufigen
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auch nur empirisch ermitteln, indem man alle möglicherweise Betroffenen nach ihren jeweiligen individuellen Bedürfnissen befragte. Allgemein ist ein Wille im hier gemeinten Sinne also nur dann, wenn er diejenige Beschaffenheit auch material zum Inhalt hat, die ihm formal schon dadurch zukommt, Wille zu sein. Die Allgemeinheit des Willens ist seine reine Formalität. Nur insofern der Freund will, daß sein Wille in der konkreten Situation in diesem Sinne allgemein sein soll, kann er zu der oben genannten Überzeugung kommen, die Hilfeleistung müßte in dieser Situation von jedem mit dem Vermögen des Willens ausgestatteten Wesen geleistet werden. Nur aufgrund eines solchen Willens könnte er sich selbst gegenüber also einen überindividuellen, nicht willkürlichen, d.h. moralischen Anspruch erheben. In diesem Zusammenhang muß das schwerwiegende Mißverständnis Hegels angesprochen werden, die Allgemeinheit oder Formalität der kantischen Moralphilosophie sei eine leere, allen Inhalt und Bestimmung ausschließende.425 Diese Behauptung führt auf die Frage der Methode der Aufdeckung und Bestimmung der Allgemeinheit im kantischen Sinne. Die transzendentale Formalität Kants darf nicht gedacht werden als eine begriffliche Abstraktion von vorausgesetzten materialen Bestimmungen. Ein solches Verfahren bliebe ausschließlich im Bereich einer rein logischen Dialektik. Dieses Verfahren bestünde also darin, ausgehend von materialen Bestimmungen, die bereits als Bestimmungen verstanden wären, auf das begriffliche Gegenteil zu diesen Bestimmungen, die Bestimmungslosigkeit oder Unbestimmtheit, rein logisch zu schließen. Die Formalität würde also durch die gedankliche Operation des Ausschließens von Bestimmungen gewonnen. In diesem Falle wäre die kantische Moralphilosophie tatsächlich zirkulär und tautologisch, würde nur das explizit machen, was sie zuvor implizite mit der Annahme materialer Bestimmungen schon investiert hätte. Vielmehr ist die transzendentale Formalität dasjenige Moment jenseits aller begrifflich-logischen Dialektik, welches es überhaupt erst erlaubt, den logisch-begrifflichen Gegensatz von materialer Bestimmung einerseits und Interessen und Absichten einer Vielzahl von Individuen miteinander verträglich zu machen. Vgl. Patzig (1978), S. 236. 425 Vgl. Hegel (1821), S. 253. Welche Folgen das Hegelsche Mißverständnis in der Geistesgeschichte hatte, läßt sich an der völlig haltlosen, jede interpretatorische Redlichkeit vermissenden Verdrehung des Kantischen Gedankens ablesen, die in der „Dialektik der Aufklärung“ gepflegt wird: „Solange man davon absieht, wer Vernunft anwendet, hat sie nicht mehr Affinität zur Gewalt als zur Vermittlung, je nach Lage von Individuen und Gruppen läßt sie Frieden oder Krieg, Toleranz oder Repression als das Gegebene erscheinen. Da sie inhaltliche Ziele als Macht der Natur über den Geist, als Beeinträchtigung ihrer Selbstgesetzgebung entlarvt, steht sie, formal wie sie ist, jedem natürlichen Interesse zur Verfügung.“ Horkheimer/Adorno (2002), S. 94. Der kantische Gedanke profiliert vielmehr die kritische Grundlage, von der aus „jedes natürliche Interesse“ in seine normativen Schranken gewiesen werden kann.
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„formaler“ Unbestimmtheit andererseits zu verstehen, plausibel zu finden. Bestimmtheit als Bestimmtheit, d.h. als das Gegenteil von Unbestimmtheit zu verstehen, setzt das Verstehen, die Plausibilität des logisch-begrifflichen Apparates schon voraus. Und diese Plausibilität ist logisch-begrifflich „nicht“426 mehr verständlich zu machen, weil sie gerade die Voraussetzung jeder konkreten Verständlichkeit darstellt.427 Im besonderen ist auch die Formalität des Willens, um die es hier zu tun ist, nicht zu gewinnen über eine Art Subtraktion, in der von vorausgesetzten bestimmten Willensinhalten deren Bestimmtheit abgezogen würde, so daß am Ende eine leere Willenshülle übrigbliebe, die den kleinsten gemeinsamen Nenner aller bestimmten Willenstendenzen ausmachte. Die Formalität des Willens im kantischen Sinne meint vielmehr diejenige Einsichts-, Verstehensqualität, die den Willen, unabhängig davon, ob er nun als bestimmter oder unbestimmter betrachtet wird, als Willen transparent macht. Die Formalität des Willens bezeichnet also denjenigen Rahmen, der als Bedingung der Möglichkeit von bestimmten Willenstendenzen diesen immer schon voraus liegt. Dieser Vorrang der prinzipiellen, formalen Seite (Wille als Wille) vor der konkret-materialen Seite (ein bestimmter Wille) zeigt sich unmittelbar in der zuvor schon angesprochenen Formel des kategorischen Imperativs: „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: h a n d l e n u r n a c h d e r j e n i g e n M a x i m e , D U R C H D I E [Herv. d. Verf.] d u z u g l e i c h w o l l e n k a n n s t , d a ß s i e e i n a l l g e m e i n e s G e s e t z w e r d e . “428 426 Diese Negation, die als solche immer nur im Sinne der logischen Kontradiktion verstanden werden kann, resultiert hier lediglich aus dem Versuch, denjenigen Gedanken mitzuteilen, verständlich zu machen, der sich logisch nicht mehr verständlich machen läßt. Die Formulierung „nicht mehr verständlich“, die eine logische Kontradiktion nahelegt, soll also ausdrücklich nicht der behandelten Sache entsprechen. Vielmehr ist sie aufzufassen, als durch einen Mangel der Sprache bedingt. 427 Vollständig reflektiert wird diese transzendentale Formalität in der Wissenschaftslehre Fichtes. Lauth bestimmt das Verfahren der Wissenschaftslehre entsprechend als „ein[. . .] jenseits der Prinzipien der formalen Logik liegende[s] geistige[s] Verfahren.“ Vgl. Lauth (1981), S. 21. Vgl. auch folgende Erläuterungen: „Das absolute Wissen ist Leben, das die Wissenschaftslehre erhellend durchdringt. Aber eben deshalb kann die Wissenschaftslehre nur vollzogen werden, wenn das Leben in seiner Lebendigkeit erfaßt wird. ‚Die Wissenschaftslehre ist Mathesis des Geistes‘, schreibt Fichte in der Ausarbeitung vom Oktober 1800. ‚In der eigent[lichen] Mathematik sieht man nur auf die Produkte der Konstruktion; hier auf das Konstruieren selber.‘ Der Transzendentalphilosoph muß das Leben im Werden erfassen, in seiner höchsten Spitze als überzeitlichen Akt: schaut er sein Objekt nicht so an, so hat er kein Objekt. Darum reichen die Erkenntnismittel der formalen Logik hier nicht aus.“ Lauth (1981), S. 21 f. (Lauth zitiert aus: Neue Bearbeitung der W. L. vom Okt. 1800, J. G. Fichte-Gesamtausgabe, II, 5, S. 338). 428 Kant (1785), S. 421.
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Mit dieser Formulierung wird vollkommen klar, daß die moralische Maxime Ausgangspunkt der moralischen Bewertung ist, nicht ihr Gegenstand! Nur durch eine entsprechende Maxime kann ich wollen, diese meine Maxime solle allgemein sein. Die Bewertung eines konkreten Willens (materiale Seite) im Hinblick auf seine Sittlichkeit setzt die Sittlichkeit (formale Seite) bereits voraus! Das Subjekt kann nur dann konkret moralisch sein, wenn es prinzipiell moralisch sein will: Nur durch den prinzipiellen Grundsatz, moralisch zu wollen (formale Seite) werde ich in die Lage versetzt, in einer konkreten, geschichtlich einmaligen Situation zu der Überzeugung gelangen zu können, eine bestimmte Handlung (materiale Seite) genüge dem Anspruch auf Allgemeinheit. Das prinzipielle Annehmen, Vollziehen der moralischen Grundmaxime ist Bedingung der Möglichkeit für eine konkrete moralische Handlung.429 Damit zeigt sich hier erstens wiederum der auf andere Weise schon mehrfach behandelte Sachverhalt, daß über konkrete Normen sowie über Normativität überhaupt nur sinnvoll gesprochen werden kann, wenn diese Normativität, reflektiert oder unreflektiert, schon vollzogen ist. Eine wissenschaftliche Ethik kann im Gegensatz zu sogenannten positiven Wissenschaften insofern also nur unter explizit normativem Vorzeichen stattfinden. Zweitens knüpfen obige Ausführungen über die Notwendigkeit einer prinzipiellen Maximenwahl als Bedingung der Möglichkeit für konkrete Sittlichkeit an einen ebenfalls schon mehrfach genannten Aspekt an: Die Erzeugung einer moralischen Überzeugung in einem konkreten Fall kann ihrerseits nicht durch ein theoretisches Kriterium geleitet werden, etwa durch ein gedankliches Experiment, einen „Verallgemeinerungs-“ oder „Universalisierbarkeitstest“ – wie das kantische Sittlichkeitsprinzip immer wieder mißverstanden wird.430 Das Bewußtsein darüber, daß hic et nunc 429 Daß die Wahl der sittlichen Grundmaxime ein absoluter, spontaner Akt der Freiheit ist, der selbst nicht wieder durch eine andere Maxime geleitet werden kann, macht Fichte in Auseinandersetzung mit dem Kantischen Begriff der „Maxime“ deutlich. Vgl. Fichte (1798), S. 166 ff. Vgl. insbesondere folgende Passage: „Es ist sonach ganz richtig, wenn man urtheilt: in dieser Lage, d. h. bei dieser Denkart und Charakter konnte der Mensch schlechthin nicht anders handeln, als er gehandelt hat. Es würde aber unrichtig seyn, wenn man hiebei mit seinem Urtheile stehen bleiben, und behaupten wollte, er könne auch keinen andern Charakter haben, als er habe. Er soll schlechthin sich einen andern bilden, wenn sein gegenwärtiger nichts taugt, und er kann es; denn dies hängt schlechthin ab von seiner Freiheit. Hier ist etwas unbegreifliches; und es kann nicht anders seyn, weil wir an der Gränze aller Begreiflichkeit, bei der Lehre von der Freiheit in Anwendung auf das empirische Subject, stehen. [. . .]. Denn ein Akt der Freiheit ist schlechthin, weil er ist, und ist ein absolut erstes, das sich an nichts anderes anknüpfen und daraus erklären läßt.“ Ebd., S. 168. 430 Diese Auffassung findet sich in sehr vielen Kantinterpretationen. Hier seien nur einige prominente Beispiele erwähnt: Nida-Rümelin (1996), S. 22: „Der katego-
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ein moralischer Anspruch an mich ergeht, der von mir eine bestimmte Handlung fordert, kann auf keine Weise auf theoretischem Wege durch Anwendung einer bestimmten gedanklichen Operation hervorgebracht werden. Dieses Bewußtsein ist vielmehr das Ergebnis eines praktischen Aktes, nämlich der Maximenwahl! Wenn ein Subjekt in einer konkreten Situation also einen „Universalisierbarkeitstest“ durchführt, mit dem Ziel herauszufinden, welche Handlung in der vorliegenden Situation moralisch gefordert ist, so wäre diese Operation selbst nur als Produkt der moralischen Maxime denkbar. Damit hat diese Operation aber schon nichts mehr mit dem Prinzip der Sittlichkeit zu tun. 5.4.3 Sittlichkeit als positiv-willentlich vollziehbares Prinzip Nach der Verteidigung der kantischen Position gegen Mißverständnisse und vermeintliche Einwendungen soll im folgenden Abschnitt derjenige Aspekt der kantischen Moralphilosophie einer Kritik unterzogen werden, der den kategorischen Forderungscharakter des Solls herausstellt als konstitutiv für Normativität überhaupt. Diese Kritik will eine ausschließlich systematische Kritik an einem Element der kantischen Philosophie, jedoch in keiner Weise eine Kritik an der kantischen Moralphilosophie in ihrer historische Imperativ [. . .] charakterisiert eine Form des Universalisierbarkeitstests.“ Kaulbach (1970), S. 74 (Diskussionsbeitrag): „Er [der kategorische Imperativ] ist ein individuell-allgemeines Gedankenexperiment. Das moralische Subjekt wird aufgefordert, zur Auffindung seines richtigen, individuellen Weges ein Gedankenexperiment zu machen, [. . .].“ Auch Günther Patzig versteht den kategorischen Imperativ als ein „Kriterium“ anhand dessen die Verallgemeinerungsfähigkeit von Maximen geprüft werden und damit moralisch begründet werden könnte: „[. . .] Kants Ansatz [ist] durchaus geeignet, sowohl Handlungen wie Unterlassungen als moralisch richtig oder falsch zu charakterisieren: Eine Handlung, deren Unterlassung den Verallgemeinerungstest ihrer Maxime nicht übersteht, ist moralisch geboten; verboten ist sie, wenn ihre Maxime selbst nicht verallgemeinert werden kann.“ Patzig (1978), S. 238 f. Dieses Verständnis findet sich entsprechend auch in wirtschaftsethischen Schriften. So bei Ulrich (1993), S. 278. Andreas Suchanek spricht im Zusammenhang mit dem kategorischen Imperativ von einem „Prüfverfahren“, das die „Vernünftigkeit – und damit Moralität – gewährleistet.“ Suchanek (2001), S. 9 f. Bei Homann wird der kategorische Imperativ sogar zur Simulation eines Konsenses unter Knappheitsbedingungen: „Der Test von Handlungsweisen bzw. Maximen auf ihre Universalisierbarkeit ist als Versuch zu interpretieren, unter den Bedingungen der Knappheit theoretisch, philosophisch, das zu simulieren, was vertragstheoretisch der Konsens ist.“ Homann (1988), S. 283. Vgl. auch: „[U]nd wenn man durch die vermögenspsychologischen und transzendentalphilosophischen Auslegungen der „Vernunft“ hindurch auf ihren Kern durchstößt, kommt man auch bei Kant auf die Konsensfähigkeit der ‚Maximen‘, Regeln als letzten Grund der normativen Verbindlichkeit aller Moral.“ Homann (1999), S. 66. Im Hinblick auf den kategorischen Imperativ spricht auch Suchanek von einem „Prüfverfahren“, das Moralität „gewährleistet“. Vgl. Suchanek (2001), S. 9 f.
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rischen Gestalt leisten. Es wird im folgenden also ein zentraler Gedanke Kants isoliert aufgegriffen und anschließend für sich alleine in seinen Implikationen und Folgen behandelt werden, ohne dabei auf den Kontext dieses Gedankens innerhalb der historisch überlieferten Philosophie Kants in allen seinen Bezügen auch nur annähernd einzugehen. Die Zielsetzung ist also eine explizit ahistorische. Ob und inwiefern diese Kritik die Moralphilosophie Kants im Ganzen zu treffen vermag, kann dahingestellt bleiben. Es soll näherhin um die Frage gehen, woher wir positiv darum wissen können, daß das im Soll sich zeigende moralische Gesetz ein Gesetz der Autonomie ist, also der Ursprung dieses Gesetzes in uns als vernünftigen Wesen liegt, wenn andererseits dieses Gesetz uns praktisch, d.h. willensmäßig, ausschließlich dadurch offenbar wird, daß wir uns ihm unterworfen erkennen. Wie können wir also um das Prinzip der Autonomie als Ursprung unserer Moralität positiv wissen, wenn wir immer erst durch das Soll genötigt werden müssen, um moralisch zu sein? Es ist also zu fragen, inwiefern die Annahme einer für uns ausschließlich negativ zugänglichen Freiheit in Widerspruch steht zu der positiven Annahme der Selbstgesetzgebung der Vernunft als Prinzip der Sittlichkeit. Diese Kritik geht aus von der im Kapitel über die Kopernikanische Wende entwickelten formalen Struktur von Normativität. Im Anschluß an diese Kritik soll dann eine transzendentale Weiterentwicklung angedeutet werden, die die formale Struktur von Normativität in Form einer Selbstgesetzgebung positiv verständlich machen soll. Diese Weiterentwicklung führt zu Positionen, die von Fichte entwickelt wurden431 und die das transzendentale Anliegen der kantischen Position bestätigen können, ohne jedoch die im engeren Sinne kantische Position eines kategorischen Solls als des einzig möglichen normativen Bezugspunktes übernehmen zu müssen. 5.4.3.1 Problemstellung Wenn uns das kantische Soll in praktischer Hinsicht ausschließlich als eine faktisch auftretende Gemütsbewegung bekannt sein soll, stellt sich die Frage, inwiefern wir dann noch davon ausgehen können, daß dieses Soll Repräsentant einer Welt der Freiheit ist? In der zuvor entwickelten Formulierung des Kategorischen Imperatives432 zeigte sich, daß konkrete Sittlichkeit nur möglich ist unter Voraussetzung prinzipieller Sittlichkeit. Nur vermittelst einer Maxime kann ich wollen, daß meine Maxime allgemein sein 431 Diese Positionen finden sich bei Fichte unter den Stichworten „höhere Moralität“ und „Religiosität“. Zu einer populären Darstellung dieser Positionen sei hier auf die „Anweisung zum seligen Leben“ verwiesen: Fichte (1806a). Siehe insb., Vorlesungen 5 bis 9 (ebd., S. 103–164). 432 Vgl. Kapitel 5.4.2.
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soll. Wenn ich aber andererseits aufgrund der sinnlichen Affektion nur einen negativen Zugang zu meiner Freiheit hätte, wie könnte ich dann noch davon ausgehen, daß die Wahl dieser moralischen Grundmaxime, die als subjektiver Grundsatz meine konkreten Einzelwollungen umfaßt und leitet, auf mich als ein vernünftiges Wesen zurückzuführen ist und damit meiner unmittelbaren Verantwortung unterliegt? Einer ausschließlich negativen Freiheit, die sich nur über die Möglichkeit konstituiert, unmittelbar auftretende Neigungen als handlungsleitend zurückweisen oder bewußt annehmen zu können, muß es verwehrt bleiben, positiv einsichtig über sich zu verfügen in einer Weise, die über das jeweilig Konkret-Unmittelbare hinausgeht. Die kantische Position zeigt, daß ein prinzipiell guter Wille Bedingung der Möglichkeit für einen konkret moralischen Willen ist. Gleichzeitig aber schneidet sie sich durch die Annahme eines bloß formalen Freiheitsbegriffes die Untersuchung darüber ab, wie ein solch prinzipiell guter Wille als Wille eines konkreten Individuums möglich sein oder anders formuliert, wie das Sittengesetz eine Triebfeder für den Willen abgeben kann.433 Die offen bleibende Frage lautet also: Wie kann philosophisch die für die Bedingung der Möglichkeit von Normativität notwendige Annahme gerechtfertigt werden, daß das Vernunftwesen den prinzipiell guten Willen sich zuschreiben darf als aus Freiheit vollzogen? Wie können wir es philosophisch legitimieren, daß wir uns als Urheber des moralischen Gesetzes betrachten dürfen, wenn wir praktisch-willentlich uns ausschließlich ihm unterworfen erkennen? Nochmals anders gefragt: Woher kommt die systematische Berechtigung anzunehmen, „daß die Freiheit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes [. . .] [sei]“, wenn andererseits als ausgemacht gilt, daß „das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit sei“.434 Solange diese Fragen unbeantwortet bleiben, muß eine strenge Pflichtethik unbefriedigend erscheinen.435 Wenn das Soll philosophisch ausschließlich als faktisch auftretende Gemütsbewegung behandelt wird, kann in der philosophischen Reflexion nicht ausgeschlossen werden, daß die wahre 433 Kant (1788), S. 72: „Denn wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne (welches doch das Wesentliche aller Moralität ist), das ist ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mit dem einerlei: wie ein freier Wille möglich sei. Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüthe wirkt (besser zu sagen, wirken muß), a priori anzuzeigen haben.“ 434 Vgl. Kant (1788), S. 4. 435 Es ergibt sich in der praktischen Philosophie Kants also ein der Ding-an-sichProblematik analoges Problem. Der prinzipiell gute Wille wäre das Ding-an-sich in praktischer Hinsicht: Einerseits muß er notwendig unterstellt, andererseits aber als dem menschlichen Willen aufgrund seiner bloß negativen Freiheit nicht verfügbar betrachtet werden.
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
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Willenshaltung des handelnden Subjektes diesem selbst prinzipiell unerreichbar bleibt.436 Damit wäre aber die Möglichkeit von realer Sittlichkeit überhaupt fragwürdig. Wir könnten prinzipiell lediglich hoffen, daß wir moralisch sind, uns selbst aber nie letztgültig in dieser Frage Sicherheit verschaffen. Wir müßten uns also – anders formuliert – in der zentralen Frage der Sittlichkeit als praktisch-willentlich von etwas abhängig auffassen, das uns prinzipiell nicht zugänglich ist. Aus dieser Problemlage ergibt sich ein intelligibler Skeptizismus. Der Ausgang des Menschen aus einer zumindest philosophisch selbst verschuldeten Unmündigkeit bliebe auf halbem Wege stecken. Das Soll wird in der kantischen Position entwickelt als ein absolut kategorisches Soll. Versuchen wir den Gedanken der Kategorizität scharf zu fassen, so ergibt sich, daß das Soll seine Forderung gegenüber dem menschlichen Willen, „der seiner subjektiven Beschaffenheit nach dadurch nicht nothwendig bestimmt wird“437, absolut unbedingt erhebt als eine absolut unbedingte. Nicht nur das was gefordert wird, wird demnach absolut gefordert, sondern die spezifische Form der Sollensforderung, das „Soll“ selbst, tritt in Bezug auf den menschlichen Willen notwendig auf. Im folgenden wird das Soll auch hinsichtlich seiner Form als kategorisch unterstellt.438 Diese Notwendigkeit der Sollensform ist zunächst eine bloß faktische, nämlich insofern, als sich der Inhalt der Forderung gegen „etwas“ richtet, das dem Menschen seiner Natur nach notwendig zukommt. Die Forderung 436
Kant war tatsächlich der Auffassung, daß die letzten Willensgrundsätze dem Menschen unerreichbar sind, bzw., daß „die Tiefe des Herzens (der subjective erste Grund seiner Maximen) ihm selbst unerforschlich ist; [. . .].“ Vgl. Kant (1793), S. 51. Die Ansicht, daß wir „aber selbst durch die angestrengteste Prüfung hinter die geheimen Triebfedern niemals völlig kommen können“, vertritt Kant auch in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: Vgl. Kant (1785), S. 407. Diese Auffassung ist die notwendige Folge der philosophischen Reflexion auf eine nur negativ vollziehbare Sittlichkeit, deren positiver Gehalt für uns auf ewig unzugänglich bleibt. 437 Kant (1785), S. 413. 438 Diese Auffassung wird durch folgende Bemerkungen Kants gestützt: „Pflicht und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen. [. . .] [U]nd die Verkennung unserer niederen Stufe als Geschöpfe und Weigerung des Eigendünkels gegen das Ansehen des heiligen Gesetzes ist schon eine Abtrünnigkeit von demselben dem Geiste nach, wenn gleich der Buchstabe desselben erfüllt würde.“ Kant (1788), S. 82 f. Vgl. auch: „Die sittliche Stufe, worauf der Mensch (aller unserer Einsicht nach auch jedes vernünftige Geschöpf) steht, ist Achtung fürs moralische Gesetz. Die Gesinnung, die ihm, dieses zu befolgen, obliegt, ist, es aus Pflicht, nicht aus freiwilliger Zuneigung und auch allenfalls unbefohlener, von selbst gern unternommener Bestrebung zu befolgen, und sein moralischer Zustand, darin er jedesmal sein kann, ist T u g e n d , d.i. moralische Gesinnung im K a m p f e , und nicht H e i l i g k e i t im vermeinten Besitze einer völligen R e i n i g k e i t der Gesinnungen des Willens.“ Ebd., S. 84.
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hat, wenn sie in einer konkreten Situation auftritt, gegenüber dem menschlichen Willen einen ausschließlich negativen Inhalt: In dieser spezifischen Situation die Neigungen nicht als Bestimmungsgrund des Willens zulassen! Da der in dieser Forderung enthaltene negative Bezugspunkt, die sinnliche Affizierung des Willkürvermögens, bei Kant als faktisch zum Wesen des Menschen gehörig behauptet wird, kann der Mensch folglich faktisch sich niemals der Nötigung durch ein Soll entziehen, d.h. einen vollkommen guten Willen in sich realisieren.439 Insofern also ist die Notwendigkeit des beständigen Solls eine faktische. Diese faktische Notwendigkeit könnte – wenn wir uns auf diesen in der kantischen Sicht irrealen Gedanken einlassen wollen – nur durch einen vollkommen guten Willen überwunden werden. Ein solcher Wille müßte nicht mehr zum Guten durch das Soll genötigt werden, da er in sich keine dem Soll entgegenstehenden Willenstendenzen mehr vorfindet. Ein solcher „[. . .] vollkommen guter Wille würde also eben sowohl unter objectiven Gesetzen (des Guten) stehen, aber nicht dadurch als zu gesetzmäßigen Handlungen g e n ö t h i g t vorgestellt werden können, weil er von selbst nach seiner subjektiven Beschaffenheit nur durch die Vorstellung des Guten bestimmt werden kann. Daher gelten für den g ö t t l i c h e n und überhaupt für einen h e i l i g e n Willen keine Imperativen; das S o l l e n ist hier am unrechten Orte, weil das Wo l l e n schon von selbst mit dem Gesetz nothwendig einstimmig ist.“440
Der Mensch hingegen kann moralisch sich verhalten lediglich durch die Maxime, den unablässig neu in sich vorgefundenen bestimmten Willenstendenzen, den Neigungen, dann nicht zu entsprechen, wenn eine – als Faktum der Vernunft auftretende – Sollensforderung an ihn herantritt. Höbe der Mensch die sinnliche Affizierbarkeit seines Willkürvermögens jedoch prinzipiell auf, d.h. realisierte er in sich einen „heiligen Willen“, hörte er auf, Mensch zu sein. Die faktische Unmöglichkeit, den heiligen Willen zu erreichen, findet ihre normative Entsprechung in der absoluten Kategorizität der Sollensforderung: Das Soll kann aufgrund seines absolut gebietenden Charakters niemals verzichten auf seine gebietende Form. Insofern würde gerade ein rea439
„Könnte nämlich ein vernünftig Geschöpf jemals dahin kommen, alle moralischen Gesetze völlig g e r n e zu thun, so würde das so viel bedeuten als: es fände sich in ihm auch nicht einmal die Möglichkeit einer Begierde, die ihn zur Abweichung von ihnen reizte; [. . .]. Zu dieser Stufe der moralischen Gesinnung aber kann es ein Geschöpf niemals bringen. Denn da es ein Geschöpf, mithin in Ansehung dessen, was es zur gänzlichen Zufriedenheit mit seinem Zustande fordert, immer abhängig ist, so kann es niemals von Begierden und Neigungen ganz frei sein, die, weil sie auf physischen Ursachen beruhen, mit dem moralischen Gesetze, das ganz andere Quellen hat, nicht von selbst stimmen, [. . .].“ Kant (1788), S. 83 f. 440 Kant (1785), S. 414.
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
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lisierter heiliger Wille der Kategorizität des Solls, in seiner Form als Soll, widersprechen. Das Soll stellt uns gegenüber lediglich eine negative Forderung auf, die ihre Realisierung entsprechend auch nur in einer Negation, einer willentlichen Abwehr von etwas finden kann. Wenn die Sollensforderung der uns einzig zugängliche normative Orientierungspunkt ist, dieser Orientierungspunkt aber nur rein formal bleibt, insofern er sich lediglich abwehrend den Neigungen gegenüberstellt, kann die geforderte Seite sozusagen nur „normativ blind“ der Forderung entsprechen, ohne damit einen positiven Wert zu verbinden.441 Indem die geforderte Seite der Forderung entspricht, realisiert sie nichts Positives, keinen Wert, weil die Forderung für ihr menschliches Gegenüber gar keinen positiven Wert aufstellt. Für uns Menschen gibt es – nach Kant – keinen normativen Standpunkt oberhalb der Sollensforderung, von dem aus diese ihrem Inhalt nach nur negative Forderung selbst als positiv, als wertvoll beurteilt werden könnte. Alle Normativität konstituiert sich ausschließlich im und durch das rein formale, keinen Wert implizierende oder aus sich entlassende kategorische Soll. Zudem scheint die Sollensforderung, sofern sie nicht nur ihrem Inhalt, sondern auch ihrer Form nach uns gegenüber kategorisch auftritt, durch ihr Gebot dasjenige als prinzipiell zu verfestigen, das sie konkret als abzuhaltend, als abzuwehrend aufstellt: die sinnliche Affizierung. Indem sie die konkrete Affizierung zurückweist, sich aber nur durch diese Zurückweisung konstituieren kann und in dieser Zurückweisung zugleich kategorisch auftritt, steigt die sinnliche Affizierbarkeit des menschlichen Willkürvermögens sogar zu einer zumindest nicht mehr bloß faktischen Angelegenheit auf. Indem sie zu einem Grund der Möglichkeit für Normativität in Form eines kategorischen Solls wird, scheint sie – rein analytisch betrachtet, d.h. unter expliziter Vernachlässigung des von Kant betonten synthetischen Charakters des kategorischen Imperativs – einen dem Soll entsprechenden Status zu erhalten: also zwar nicht den eines positiven Wertes, aber zumindest den der kategorischen Notwendigkeit. Normativität überhaupt liegt gemäß einer strengen Pflichtethik ausschließlich in dem als Faktum der Vernunft auftretenden Soll. Darüber hinaus ist kein positiver normativer Gehalt praktisch vollziehbar. Da aber Normativität unbedingt sein soll – das ist das Kategorische am Soll – so muß auch dasjenige zumindest vorhanden sein, woran Normativität nur vollziehbar ist: Neigung. Wenn aber Neigungen bestehen, läßt sich ein Soll, das sich lediglich in der Abwehr der Neigungen konstituiert, immer nur „vorläufig“ realisieren. 441 Vgl. hierzu Fichte (1806), S. 380: „[. . .]; aber dieser Begriff [das Pflichtgebot] selber ist ihm [dem rein dem Pflichtgebote als solchem Folgenden] nicht klar, sondern er für denselben blind; sein Gehorsam daher bleibt ein blinder Gehorsam; [. . .].“
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5 Ethik
Das Soll stellt also keine Forderung auf, die endgültig positiv zu erreichen wäre in einer Weise, die das Soll überflüssig machte. Die moralische Erfüllung bleibt in dieser Hinsicht immer nur „relativ“: Das Soll ist perennierend, es tritt unablässig neu und unverbraucht auf, als sei es noch nie beachtet worden. Innerhalb der kantischen Konzeption ist diese nur relative Erfüllung aber andererseits zugleich die höchste normativ mögliche, insofern also nicht relativ. Da sich Normativität für uns als unvollkommene Wesen in der Sollensforderung absolut erschöpft – das ist die Kategorizität der Sollensforderung –, können wir auch gar nicht mehr leisten, als beständig unsere Pflicht442 als eine Pflicht zu tun. Damit bestätigt sich die obige Behauptung, nach der in kantischer Konzeption Normativität überhaupt für uns lediglich möglich ist durch die willentliche Entsprechung gegenüber einer kategorischen Sollensforderung. D.h. wir könnten innerhalb dieser Konzeption niemals auf den praktischen „Gedanken“ kommen, daß wir das, was wir sollen, auch schon von selbst wollen könnten. Weil von uns nicht mehr gefordert wird, als unsere Pflicht zu tun, d.h. uns von der Nötigung des Solls bestimmen zu lassen, können wir normativ auch nicht mehr leisten. Es könnte uns also nie zum unmittelbaren normativen Problem werden, daß wir vom Soll offenbar immer erst genötigt werden müssen, um moralisch zu sein. Bei Betonung der Sollensform wird in der kantischen Konzeption Normativität überhaupt für uns praktisch ausschließlich insofern möglich, als wir uns einer kategorischen, d.h. für uns willentlich nicht positiv nachvollziehbaren Sollensforderung gegenüber sehen. Wenn das aber so ist, wird fraglich, wie wir zumindest in der philosophischen Reflexion dazu berechtigt sein können, diese uns praktisch ihrem positiven Gehalt nach nicht zugängliche Sollensforderung als andererseits durch uns, sofern wir uns als vernünftige Wesen verstehen, hervorgebracht zu denken. Wenn wir also den kantischen Gedanken betonen, daß wir uns ausschließlich in unserer Freiheit dadurch konstituieren, daß wir uns als dem Sittengesetz unterworfen erkennen, wird fraglich, wie wir uns andererseits zugleich im Gedanken der Autonomie als Urheber dieses Gesetzes verstehen können sollen. Würden wir uns andererseits wirklich positiv, d.h. im willentlichen Nachvollzug, versichern können, daß diese uns gegenüberstehende kategorische Forderung Ausdruck unserer eigenen Selbstgesetzgebung ist, würde diese praktisch-willentliche Einsicht das Soll in seiner reinen Sollensform jedoch aufheben. 442 Kant gibt folgende Begriffserklärung: „Die Abhängigkeit eines nicht schlechterdings guten Willens vom Princip der Autonomie (die moralische Nöthigung) ist Ve r b i n d l i c h k e i t . [. . .]. Die objective Nothwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit heißt P f l i c h t .“ Kant (1785), S. 439.
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
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Zugespitzt formuliert: Der heilige Wille muß uns offenbar doch willentlich möglich sein, sonst könnten wir nicht einmal den praktisch-willentlichen „Gedanken“ der Selbstgesetzgebung der Vernunft fassen. Ist er uns jedoch möglich, wird die Form des Solls überwunden. Sind wir andererseits auf das Soll kategorisch angewiesen, insofern uns ein heiliger Wille prinzipiell unmöglich ist, bleibt die Behauptung der Selbstgesetzgebung der Vernunft praktisch uneinsichtig. Kant selbst jedoch ist in der Betonung der strengen Sollensform nicht eindeutig. Weist er doch über diese reine Sollenskonzeption hinaus, wenn er dem Sittengesetz auch die Zumutung unterstellt, der Mensch möge sich dem heiligen Willen annähern.443 In dieser von Kant wohl mehr als Appell denn als unbedingte, moralische Sollensforderung formulierten Zumutung ist mehr enthalten, als die bisher entwickelte bloß formale Sittlichkeit jemals normativ aus sich entlassen könnte. Die Forderung des Solls, als eines sich unwillkürlich einstellenden Faktums der Vernunft, fordert kategorisch eben nur das, was durch die rein formale Sittlichkeit gefordert ist, nämlich bei Auftreten des Solls, d.h. in einer moralisch relevanten Situation, die Neigungen nicht als Bestimmungsgrund des Willens zuzulassen. Dieser Forderung kann vollkommen entsprochen werden, ohne sich jemals auf einen Weg begeben zu müssen, der es zum – wenn auch nur idealen – Ziel hätte, die sinnliche Affizierbarkeit prinzipiell zu überwinden. Denn nur durch eine solche Überwindung ließe sich ein heiliger Wille realisieren. Das formale Soll fordert – anders gesagt – nicht, die Neigungen zu bekämpfen in ihrem Auftreten als Neigungen, als sinnliche Affizierungen des Willkürvermögens, sondern lediglich, diese bei Auftreten des Solls abzuwehren als Bestimmungsgründe des in der konkreten Situation real zu aktualisierenden Willens.444 Die der Sollensforderung entgegenstehenden inneren Widerstände mindern, wenn sie bei Auftreten des Solls überwunden werden, die Sittlichkeit des Geforderten in keiner Weise. Sie können in einer formal konzipierten Sittlichkeit – wie schon ausgeführt wurde – nicht einmal als ein normatives Problem erscheinen, weil sich diese Sittlichkeit ja gerade durch die Überwindung dieser inneren Widerstände konstituiert. Innerhalb einer methodisch konsistenten Pflichtethik läge die Würde der Sittlichkeit vielmehr gerade in 443 „Diese Heiligkeit des Willens ist gleichwohl eine praktische Idee, welche nothwendig zum U r b i l d e dienen muß, welchem ins Unendliche zu nähern das einzige ist, was allen endlichen vernünftigen Wesen zusteht, und welche das reine Sittengesetz, das darum selbst heilig heißt, ihnen beständig und richtig vor Augen hält [. . .].“ Kant (1788), S. 32. 444 Vgl. Kant (1788), S. 117: „Freiheit und das Bewußtsein derselben als eines Vermögens, mit überwiegender Gesinnung das moralische Gesetz zu befolgen, ist U n a b h ä n g i g k e i t v o n N e i g u n g e n , wenigstens als bestimmenden (wenn gleich nicht als a f f i z i e r e n d e n ) Bewegursachen unseres Begehrens [. . .].“
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der immer aufs neue zu vollziehenden, tätigen Überwindung dieser inneren Widerstände.445 Damit bleibt Kants Auffassung von der uns aufgegebenen Annäherung an einen heiligen Willen systematisch unbegründet. In einer reinen Pflichtethik zeigt sich somit eine systematische Unschärfe, die zusammenfassend verdeutlicht werden soll. Diese Unschärfe zeigt sich in dem Mißverhältnis zwischen dem lediglich negativen Inhalt von Werthaftigkeit und der in der Kategorizität des Solls enthaltenen Betonung der spezifischen Sollensform als für uns einzig möglichen Form von Werthaftigkeit. Der Inhalt von Normativität – Nicht die Neigungen als Bestimmungsgrund des Willens! – entspricht zwar ihrer Form – absolutes, perennierendes Soll –, aber nicht der implizierten Kategorizität der Form. Die Kategorizität der Sollensform bleibt philosophisch uneinsehbar. Denn wie könnte eine bloß in Negation zu den Neigungen sich konstituierende Werthaftigkeit zugleich den Standpunkt umfassen, von dem aus die Kategorizität der Formalität dieser Werthaftigkeit selbst positiv einsehbar wäre? Wäre diese aber praktisch positiv nachvollziehbar, so würde das gerade die Kategorizität der Form aufheben, denn mit dem willentlichen Nachvollzug wäre das Soll gerade kein Faktum der Vernunft mehr, vielmehr würden wir dann mit der Sollensforderung jenseits ihrer formalen Bestimmung eine positive Einsicht verbinden können. Mit der zumindest impliziten Behauptung eines für uns auch in seiner Form kategorischen Solls enthält die kantische Moralphilosophie also ein Moment, das einerseits für sie eine conditio sine qua non ist, andererseits aber entweder über die strenge Sollensethik selbst hinausweist, insofern die philosophische Berechtigung dieser Behauptung ein Standpunkt jenseits der formalen Sittlichkeit impliziert, oder aber philosophisch unbefriedigend nur als ein Faktum der Vernunft behauptet werden kann. In diesem zweiten Fall bleibt die Position zwar in sich selbst methodisch konsistent, aber insofern philosophisch fragwürdig, als sie dann nicht mehr verständlich machen kann, worin denn nun die Positivität der Form des Solls selbst liegt: Weshalb müssen wir denn ausgerechnet sollen, genötigt werden, wenn wir moralisch wollen? Weshalb ist die Form des Solls absolut notwendig, so daß sich das Soll nie positiv realisieren, vollenden darf? Realisierte es sich positiv, so fiele der Grund der Möglichkeit für die Form des Solls weg, da es keine Differenz mehr gäbe, zwischen Forderung und Gefordertem. Mit der Form des Solls verfiele aber bei – einem solchermaßen interpretierten – Kant zugleich auch alle Werthaftigkeit überhaupt, ohne daß der normative Zusammenhang zwischen Werthaftigkeit und Sollensform verständlich würde. Hier 445 Kant weist selbst darauf hin, „daß es um desto mehr die Erhabenheit und innere Würde des Gebots in einer Pflicht beweiset, je weniger die subjectiven Ursachen dafür, je mehr sie dagegen sind, ohne doch deswegen die Nöthigung durchs Gesetz nur im mindesten zu schwächen und seiner Gültigkeit etwas zu benehmen.“ Kant (1785), S. 425.
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
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bleibt der kantischen Position also, will sie methodisch in sich geschlossen auftreten, allein der Verweis auf ein Faktum der Vernunft: Das Soll ist kategorisch, lediglich deshalb, weil, und nur insofern, als es faktisch als solches im Bewußtsein auftritt! 5.4.3.2 Lösungsansatz Im folgenden soll die hier umrissene, strenge Pflichtethik im Hinblick auf ein philosophisches Verständnis des höchsten normativen Bezugspunktes systematisch weiterentwickelt werden. Im folgenden werden Gedanken aufgegriffen, die in Kapitel 5.2.5 unabhängig von der spezifisch kantischen Position des formalen Solls entwickelt wurden. Es wird sich zeigen, daß auf der Grundlage der bereits ausgeführten transzendentalphilosophischen Überlegungen zur Ethik die kantische Position des rein formalen Solls überwunden werden kann. Die behandelten Grundlagen sind systematisch nicht auf ein kategorisch-formales Soll angewiesen. Vielmehr weisen diese über das bloße Soll schon hinaus. In den Ausführungen zur Kopernikanischen Wende (vgl. Kapitel 5.2.5) wurde schon darauf hingewiesen, daß Normativität nur vollzogen werden kann in einer wechselseitigen Bezugnahme von Freiheitsvermögen auf Freiheitsvermögen. Ein freies Willensvermögen kann demnach erstens nur bestimmt werden durch ein anderes freies Willensvermögen, und zweitens kann ein solches Vermögen sich fordernd auch nur richten an ein ebensolches. In diesen zwei Momenten kommt die für Normativität konstitutive gegenseitige Verschränkung von Freiheit zum Ausdruck. In der reinen Pflichtethik ist diese Beziehung jedoch nicht symmetrisch, und zwar notwendig in reziproker Weise. Einerseits bleibt das Soll von sich aus der geforderten Seite gegenüber undurchsichtig hinsichtlich seines Freiheitscharakters. Es gibt sich nicht explizit als ein Freiheitsvollzug zu erkennen, es verbirgt sich hinter der kategorischen Forderung, die aufgrund ebendieser Kategorizität für ihr Gegenüber praktisch-willentlich nicht transparent ist. Was dieses in meinem Bewußtsein vorfindbare Soll mit mir zu tun hat, ergibt sich lediglich dadurch, daß es faktisch in meinem Bewußtsein als eine absolute, unhintergehbare Forderung an mich auftritt. Mit diesem lediglich faktischen Befund endet alle mögliche praktische Einsicht. Das Soll verwehrt dadurch, daß es ein reines, strenges Soll ist, seinem Adressaten also eine praktisch-positive Einsicht darein, daß es selbst dem Vermögen der Freiheit entspringt. Andererseits muß – aufgrund der reziproken Verschränkung von Freiheit – die Kategorizität des Solls einem bestimmten Selbstverständnis des Adressaten entsprechen. Wenn ein moralisches Subjekt sich als Adressat des kan-
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tischen Solls begreift, konstituiert sich seine Freiheit allein dadurch, Empfänger einer ihm nicht von sich aus einsichtigen Forderung zu sein. Indem das kategorische Soll seinem kantischen Empfänger eine Freiheit entdeckt, die ausschließlich darin besteht, dem Soll sich auch verweigern zu können – und damit den Neigungen bewußt willentlich zu folgen (bzw. umgekehrt sich den Neigungen bewußt willentlich zu verweigern und damit dem Soll zu folgen) –, stellt sich die Frage, ob dieser Empfänger sich selbst letztgültig als frei begreifen kann. Die ihm zukommende Freiheit ist keine selbständige, autonome Freiheit, die sich selbst positiv zu fassen vermöchte, sondern sie bleibt angewiesen auf das sich im Bewußtsein als Faktum einstellende Soll. Die Tatsache dieses Bewußtseins, also das Auftreten des Solls als eines Solls, muß dem Empfänger – gemäß seinem eigenen Selbstverständnis – vollkommen unverständlich bleiben. Das Charakteristische dieses Selbstverständnisses liegt also erstens darin, daß die geforderte Seite sich selbst auffaßt als ein nicht sich selbst tragendes Freiheitsvermögen. Erst eine ihr nicht transparente Forderung eröffnet ihr praktische Freiheit. Zum zweiten erweist sich diese Freiheit, aufgrund ihrer Ermöglichung erst durch das Soll, als eingeschränkt, nämlich als eine lediglich negative: Sie besteht ausschließlich darin, dem Soll bzw. den Neigungen jeweils folgen oder nicht folgen zu können. Die zwischen Sender und Empfänger reziproke Asymmetrie des kategorischen Solls zeigt sich also einerseits darin, daß das Soll sich an sein Gegenüber wendet in einer Weise, die es diesem unmöglich macht, das Geforderte auch schon von selbst wollen zu können. Diesem Hoheitsanspruch des Solls entspricht reziprok das Selbstverständnis der geforderten Seite, lediglich als Adressat einer solchen Sollensforderung frei zu sein, ohne Vermögen, Normativität willentlich positiv von sich aus einzusehen.446 446
Auf diese Konstellation in einer bloßen Sollens- oder Pflichtmoralität weist Fichte mehrfach hin: „Er [der rein Sittliche] gehorcht dem Pflichtgebote in seiner Brust, schlechthin, weil es gebietet, und thut, was sich als seine Pflicht offenbart, schlechthin darum, weil es Pflicht ist. Versteht er sich denn nun aber dabei? Weiß er, was diese Pflicht, der er alle Augenblicke sein ganzes Seyn aufopfert, a n s i c h s e l b e r sey, und was sie eigentlich w o l l e ? Er weiß dieses so wenig, daß er laut erklärt, es s o l l e seyn, schlechthin w e i l es seyn solle; und daß er gerade diese Unwissenheit und Unverständlichkeit selber, diese absolute Abstraction von der Bedeutung des Gesetzes, und den Folgen der That, zu einem Hauptkennzeichen des ächten Gehorsams machen muß. [. . .]. Sodann – der, rein dem Pflichtgebote als solchem Folgende, versteht nicht, was die Pflicht überhaupt wolle. Es ist klar, daß, da er, ohngeachtet diese Nichtverstehens, doch allemal unbedingt gehorcht; da ferner auch das Pflichtgebot, selbst unverstanden, immerfort und ohne Fehl in ihm redet, in desselben Handeln durch dieses Nichtverstehen kein Unterschied gemacht werde; – aber eine andere Frage ist die: ob dieses Nichtverstehen, seiner Würde, als vernünftigen Wesens, angemessen sey? [. . .]. So vollkommen auch alles sein Thun, d. i. seine äußere Erscheinung, ist, so ist doch innerlich, in der Wurzel seines Wesens, noch
5.4 Der Inhalt der ethischen Forderung
219
Sollen die bisher entwickelten Probleme einer bloß negativen Normativität innerhalb der erarbeiteten Grundlagen behoben werden, so muß eine mögliche Lösung offenbar ein anderes Verständnis sowohl von Empfangsals auch Senderseite zu leisten imstande sein. Erst durch ein wiederum reziprokes aber gleichrangig-symmetrisches Verhältnis zwischen Sender und Empfänger scheint der letzte philosophisch-methodische Zweifel an einer für uns tatsächlich möglichen normativen Orientierung behoben werden zu können. Die Möglichkeit einer philosophisch gerechtfertigten Behauptung der Selbstgesetzgebung der Vernunft ist offenbar bedingt durch die Möglichkeit einer vernunftvollziehenden, unmittelbar praktisch-willentlichen Einsicht in diese Selbstgesetzgebung. Ein theoretischer Schluß von der kategorischen Form des Solls auf die Realität der Selbstgesetzgebung der Vernunft kann unser Selbstverständnis als Vernunftwesen letztlich nicht tragen. Der oberste normative Bezugspunkt darf also, soll er letztgültigen Aufschluß über die Realität der Selbstgesetzgebung der Vernunft geben können, uns nicht gegenübertreten als ein für uns unverständliches Faktum unseres Bewußtseins. Soll Moralität im vollen Sinne praktisch für uns möglich sein, d.h. sollen wir eine Antwort auf die Frage der Ethik finden können, die für uns wirklich eine Antwort ist, in der wir also praktisch-willentlich aufgehen können, so müssen wir über die Einsicht in die bloße Form von Ansprüchlichkeit hinausgelangen. Jenseits der theoretisch-analytischen Ableitung dieser Form aus einem vorausgesetzten Bewußtsein der Möglichkeit normativer Orientierung, müssen wir uns auch das praktisch-willentliche Vermögen zusprechen, diese Form in ihrer Werthaftigkeit positiv einsehen, intuieren, zu können. Wir müssen demnach einsehen können, daß diese Form der gegenseitigen Verschränkung von Freiheitsvermögen mit Freiheitsvermögen primär keine unserem Bewußtsein vorgegebene Struktur ist. Und diese Einsicht kann uns nur zukommen, indem wir selbst willentlich, in Freiheit uns in dieser Struktur vollziehen. Mit einer solchen Einsicht gewönnen wir einen Standpunkt oberhalb der kategorischen Sollensform. Die gegenseitige, symmetrisch-gleichrangige Verschränkung von Freiheit auf Freiheit wäre uns nicht nur als philosophisches Postulat plausibel, sondern wir würden selbst diese Verschränkung unmittelbar vollziehen. Die philosophisch geforderte Einsicht in die Realität der Selbstgesetzgebung der Vernunft ist insofern nur möglich als das Resultat einer spezifischen, im tatsächlichen Lebensvollzug praktizierten Einstellung zu unseren Mitmenschen. Zwiespalt, Unklarheit, Unfreiheit, und darum Mangel an absoluter Würde.“ Fichte (1806), S. 379 f.
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5 Ethik
Das Spezifische dieser Einstellung liegt in der stets und unerschütterlich vertrauenden Aufforderung (A) an den Mitmenschen (B), darauf zu vertrauen, daß der Auffordernde (A) nichts anderes will, als daß die geforderte Seite (B) sich selbst in diesem, ihrem Vertrauen frei vollziehe. Die geforderte Seite (B) entspricht der Aufforderung also gerade dadurch, daß sie schlechtweg vertraut und damit selbst eine Aufforderung zum entsprechenden Vollzug ihres Gegenübers (A) bildet. Diese Art von reziprok-symmetrischer Verschränkung von Freiheit mit Freiheit kann nur dadurch zustande kommen, daß die Aufforderung sich dabei stets allein als bloßes Angebot verstanden wissen will, nicht als Sollensforderung. Der Aufforderung muß die Verschränkung von Freiheit als Bedingung ihrer selbst willentlich präsent sein. Sie kann dieses Angebot allein unterbreiten, insofern sie sich selbst getragen weiß von einem ebensolchen Angebot. Im Gegensatz zum Standpunkt der Sollensformulierung bekräftigt sie ihre Abhängigkeit vom Freiheitsvollzug des anderen. Ob der andere das Angebot annimmt, ist ihr nicht gleichgültig. Am Versagen des anderen leidet sie – ohne jedoch die vertrauende Aufforderung zurückzuziehen. Der Standpunkt einer gebietenden Sollensforderung hingegen glaubt sich selbst als schlechtweg unabhängig von der Befolgung durch den anderen. Ein Leiden am Versagen des Gegenübers würde die Hoheit des kategorischen Solls gerade aufheben. In einer solchen gegenseitigen Bezugnahme von Freiheit allein auf Freiheit weiß sich das Vernunftsubjekt aus Freiheit willentlich gebunden. Diese Bindung ist ihm sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrem Inhalt restlos transparent, weil es sich als konstitutiver Part dieser Bindung entwirft. Im Angebot an den anderen generiert das Vernunftsubjekt frei diejenige Leistung, als deren Produkt es sich zugleich dadurch versteht, daß es auf die Annahme dieses Angebotes vertraut. Das Vernunftsubjekt weiß sich damit zwar in seinem Willen gebunden an eine Freiheitsstruktur, aber diese Bindung entsteht ihm einsichtig allein dadurch, daß es sich als konstitutiver Teil dieser Freiheitsstruktur vollzieht. Die Bindung zeigt sich nicht erst in einem kategorischen Faktum des Bewußtseins. Vielmehr konstituiert das Vernunftsubjekt in seiner Freiheitsleistung diese Bindung. Es will und vollzieht sich selbst als ein solches Subjekt, daß immer schon von sich aus dasjenige will, was ihm zuvor erst durch ein unableitbares Soll gegeben werden mußte. Denn es hat die Verschränkung von Freiheit mit Freiheit schlechthin als Maxime seines Wollens gesetzt. Es kann im Rahmen dieser Arbeit lediglich angedeutet werden, daß mit einer derartigen Konzeption normativer Orientierung der Boden der Moralität bereits verlassen und der Bereich der Religiosität in einem spezifisch christlichen Sinne betreten wurde. Die hier als Postulat aufgestellte, sym-
5.5 Zusammenfassung
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metrisch-reziproke Verschränkung von Freiheit mit Freiheit verweist auf ein Lebensideal, dem der absolute Bezugspunkt geistiger Orientierung nicht mehr ein in seiner Absolutheit unnahbarer, fraglose Unterwerfung unter sein Gesetz gebietender Gott ist, sondern ein Gott, als dessen Abbild der Mensch sich begreifen darf. Sofern dieser Gott dem Menschen als Mensch entgegentritt, gibt er sich als menschliche Möglichkeit zu erkennen. Die zuvor thematisierte symmetrisch-reziproke Verschränkung von Freiheit mit Freiheit verweist insofern auf den christlichen Liebesbegriff. Die einsichtige Bewährung der Selbstauffassung des Menschen als freies Vernunftsubjekt kann allein im Vollzug eines konkreten Interpersonalbezuges gelingen. Die gegenseitige Bezogenheit von Freiheit auf Freiheit darf nicht lediglich als theoretisches Postulat für einsichtig gehalten werden, sondern sie muß im konkreten Lebensvollzug als Ideal menschlichen Lebens gewagt werden: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst, nämlich als Bedingung wie auch Zielpunkt vernünftiger Freiheit.
5.5 Zusammenfassung Entscheidend für die in dieser Arbeit untersuchte Frage nach der Möglichkeit von Wirtschaftsethik ist die Einsicht, daß sich die in der Ethik gesuchte normative Orientierung allein in einem Freiheitsvollzug mündiger Subjekte realisieren kann. Normative Orientierung im moralischen Sinne ist weder durch ein argumentierendes Verfahren im Sinne eines Aufweises rational einsichtiger Gründe herstellbar, noch autoritär vorgegeben. Die Quelle normativer Orientierung wie auch ihr Inhalt liegt in dem unmittelbaren Vollzug wechselseitiger Bezogenheit von Freiheit auf Freiheit. Dieser Vollzug generiert selbsteinsichtig Autonomie im Sinne einer im konkreten Vollzug sich selbst transparenten Selbstgesetzgebung der Vernunft. Diese Selbstgesetzgebung findet als freier Entwurf einer obersten Willensmaxime statt, die alle konkreten Vollzüge menschlichen Lebens durchformt. Die unvertretbare Autonomie und Würde jedes einzelnen Subjektes zeigt sich gerade in diesem Vorrang der Willensbestimmung vor dem theoretischen Erkennen. Denn der Entwurf der obersten Willensmaxime ist nicht an vorhergehende gedankliche Operationen oder diskursiv-argumentierende Erörterungen gebunden. Eine wissenschaftliche Ethik darf auch deshalb nicht in die Versuchung geraten, vom Standpunkt abstrakter Reflexion aus dem handelnden Subjekt eine präskriptive „Orientierungshilfe“ für sein konkretes Handeln geben zu wollen. Schlechthin jeder Mensch ist berufen und fähig, das Ideal menschlichen Lebens in jeder Situation unmittelbar aus sich zu vollziehen.
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5 Ethik
Die praktisch-willentliche Konstituierung der Sollgeltung normativer Orientierung schließt den reflexiven Nachweis ihrer rationalen Einsichtigkeit keineswegs aus. Dieser Nachweis ist jedoch allein dadurch von Interesse, daß das Ideal der Autonomie eine rationale, diskursiv-begriffliche Selbsteinsichtigkeit impliziert – in der der Primat des Praktischen nicht allein vollzogen, sondern eben auch eingesehen werden soll: Diese reflexive Thematisierung des Praktischen, wie sie in der philosophischen Ethik geleistet wird, zeigt, daß sie sich selbst immer nur als Resultat einer vorgängigen Willensbestimmung verstehen kann. Allein ein sich in seiner reziproken Interpersonalstruktur selbsteinsichtiger Freiheitsvollzug realisiert dasjenige, wonach mit der Frage nach normativer Orientierung für unser Wollen und Handeln gesucht wird.
6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“ „Was die Ökonomik braucht und nicht hat, ist eine Theorie des Ökonomischen.“447
Eine sinnvolle Auseinandersetzung mit der Frage, ob und gegebenenfalls wie Wirtschaftsethik möglich ist, darf eine Bestimmung des „Ökonomischen“ nicht auslassen. Andernfalls bliebe fraglich, worin der spezifische Gegenstand von Wirtschaftsethik liegen soll, bzw. inwiefern allgemeine Ethik und Wirtschaftsethik zu differenzieren sind. Insbesondere kann die Frage nach dem Ausgangsparadigma von Wirtschaftsethik nur beantwortet werden, wenn die Eigenart des Ökonomischen hinreichend bestimmt ist. Ein solches Vorhaben, deutlich und klar anzugeben, was unter dem „Ökonomischen“ zu verstehen ist, sieht sich jedoch von vornherein spezifischen Schwierigkeiten ausgesetzt. Diese Schwierigkeiten sollen in einer Exposition der Fragestellung aufgeklärt werden, bevor die Frage, was das Ökonomische inhaltlich sei, erneut aufgegriffen wird. Dabei wird sich zeigen, daß die Reflexion der Fragestellung bereits die Spur legt, wo das Spezifische des Ökonomischen zu suchen ist. Die Frage nach dem Ökonomischen wird im folgenden also nicht direkt durch den Versuch einer Begriffsbestimmung in Angriff genommen, vielmehr indirekt und auf dem Umweg einer Reflexion der Schwierigkeiten dieses Vorhabens. Die Berechtigung dieses Vorgehens wird sich erst im Verlauf der Untersuchung zeigen können.
6.1 Die Exposition der Fragestellung Um der hier verhandelten Frage die Möglichkeit eines verstehbaren Sinnes zu geben, muß zunächst entgegen aller Reflexionsabsicht eine schlichte, definitorische Festsetzung erfolgen: Die Frage nach dem Ökonomischen soll verstanden werden, als Frage nach einem bestimmten Zusammenhang menschlichen Wollens und Handelns. Der Bezug zu diesem menschlichen Wollen und Handeln ist die Voraussetzung, der sich diese Exposition bedient, um überhaupt gedanklichen Gehalt gewinnen zu können. Diese Voraussetzung darf jedoch zumindest insofern als unproblematisch gelten, als der Bezug des Ökonomischen zum menschlichen Handeln in der einschlägigen Literatur nirgends bestritten wird. Ob diese Voraussetzung als 447
Biervert/Wieland (1990), S. 27.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
plausibel gerechtfertigt werden kann, müssen wir der weiteren Untersuchung anheimstellen. 6.1.1 Die Frage nach der Geschichtlichkeit des Ökonomischen Wie der gewählte Begriff „das Ökonomische“ deutlich macht, bezieht sich die Frage nach diesem menschlichen Wollen und Handeln nicht von vornherein auf eine seiner konkreten, historisch nachweisbaren Formen. Es wird nicht nach einer bestimmte Form von Ökonomie gefragt, etwa nach den Bestimmungsmerkmalen der antiken (Haus-)Wirtschaft (und ihrer philosophischen Reflexion bei Aristoteles)448 im Verhältnis zur „modernen“ Marktwirtschaft oder nach dem Unterschied von Markt- und zentraler Planwirtschaft. Auch wenn in diesem Kapitel der historische Bezug nicht unmittelbar gesucht werden soll, kann jedoch ebensowenig von vornherein ausgeschlossen werden, daß sich die Frage nach dem Ökonomischen nur in einem bestimmten historischen Kontext beantworten läßt. Vielmehr ist mit der Frage nach der Historizität des Ökonomischen bereits eine der wesentlichen Schwierigkeiten dieser Untersuchung benannt. Günter Bien formuliert dieses Problem folgendermaßen: „Was ist ‚das Ökonomische‘? Ist es ein anthropologisch-sozialer, in freilich jeweils mehr oder weniger entwickeltem Zustand realisierbarer, aber prinzipiell immer gegebener Sachverhalt, gewissermaßen eine ‚Naturtatsache‘, oder aber ein Phänomen, das geschichtlich erst in einer bestimmten Epoche Realität geworden ist und daher erst von da ab – also etwa seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – Gegenstand einer neuen Disziplin werden konnte [. . .]?“449
Diese Frage ist von zentraler Bedeutung für das Selbstverständnis einer auf das Ökonomische bezogenen Wissenschaft. Wenn das Ökonomische in seinem Kern als eine anthropologische Grundtatsache zu verstehen ist, die in allen Gesellschaften zu allen Zeiten in mehr oder weniger entwickelter Form vorliegt oder zumindest unterstellt werden darf, dann wäre es legitim, diesen ökonomischen Kern rein gedanklich-abstrakt, ohne Berücksichtigung historischer Besonderheiten zu untersuchen. Es wäre möglich, eine Wissenschaft zu betreiben, die als abstrakte Prinzipienwissenschaft diese unwandelbare anthropologische Grundtatsache nach den ihr eventuell innewohnenden funktionalen Gesetzen befragte. Sofern solche Gesetze in „der Natur des Menschen“ begründet wären, könnten diese unabhängig von historischen, vor allem aber auch normativen Überlegungen untersucht werden. Denn es stellte sich aus diesem Blickwinkel nicht die Frage, was der Mensch sein oder tun sollte, sondern allein, welche Merkmale ihm Kraft 448 449
Vgl. Aristoteles (1995c), S. 6–30 (Politik, I 3–13). Bien (1990), S. 58.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
225
seiner „Natur“ tatsächlich zukommen und welche Implikationen sich aus diesen Merkmalen entwickeln ließen. Der heute etablierten, „modernen“ Schulökonomik liegt – bei allen internen Differenzierungen – im Kern ein solches ahistorisches und insofern universelles Verständnis des Ökonomischen zugrunde. Die moderne Wirtschaftswissenschaft „versteht ihren Gegenstand nicht als historisch gewordene und wandelbare Ökonomie. Sie sieht ihre Aufgabe vielmehr in der theoretischen Ausarbeitung der als zeitlos erachteten ökonomischen Logik“.450 Pointiert läßt sich das Selbstverständnis der modernen Schulökonomik als ahistorische und universelle Wissenschaft folgendermaßen zusammenfassen: „Die herrschende Wirtschaftslehre [. . .] geht davon aus, die Wirtschaft als zu untersuchenden Gegenstand gefunden zu haben.“451
Dieses herrschende wissenschaftliche Verständnis des Ökonomischen wird in der Literatur einhellig als „neoklassisch“ bezeichnet bzw. mit der „Neoklassik“ identifiziert.452 Im Gegensatz zu einer explizit ahistorischen Auffassung könnte „das Ökonomische“ jedoch auch als ein insofern historisches Phänomen zu betrachten sein, als es sich zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen, mit jeweils anderen Vorstellungen vom menschlichen Leben, unterschiedlich darstellte. Die Auffassungen vom Ökonomischen und auch das ökonomische Leben selbst wären also als zeitlich und kulturell variant zu betrachten.453 In dieser Formulierung zeigt sich jedoch unmittelbar auch schon das Problem, das sich ergibt, wenn das Ökonomische in dieser Weise als ein historisches Phänomen begriffen wird: Denn es stellt sich unmittelbar die Frage, was unter demjenigen Aspekt zu verstehen sein soll, der zeitlich und kulturell variiert. Allein die Feststellung, daß die Auffassungen vom Ökonomischen historisch differenziert zu betrachten seien, setzt ja offensichtlich eine Vorstellung von ihm als demjenigen leitenden Gesichtspunkt voraus, unter dem verschiedene Zeiten und Kulturen einheitlich zu betrachten wären. Dieser leitende Gesichtspunkt könnte dann aber nicht in derselben Weise als historisch verstanden werden, in der eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung ihr Quellenmaterial als historisch versteht. Denn dieses muß sie primär als gegeben betrachten. Das Ökono450
Vgl. Jäger (1999), S. 34. Jäger (1999), S. 9. 452 Als Beispiele für eine solche Identifizierung seien hier angeführt: Ulrich (1993), S. 177; Jäger (1999), S. 9; Diefenbacher (2001), S. 312 ff. 453 Jäger betont gegenüber der ahistorischen Problemstellung der modernen Wirtschaftswissenschaft die Geschichtlichkeit des Denkens über die Ökonomie. Vgl. Jäger (1999), S. 18 ff. 451
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
mische hingegen müßte als die – aufgrund eines spezifischen Forschungsinteresses – bewußt gewählte Orientierungsidee einer entsprechenden historischen Untersuchung betrachtet werden. Allenfalls ex post könnte sich das Ökonomische dann als – unter dieser Idee induktiv gewonnener – invarianter Kern historisch variierender „ökonomischer“ Erscheinungsformen erweisen. Die zuvor gewählte Orientierungsidee würde damit nachträglich als Ausgangspunkt legitimiert. Sowohl in einer solchen, induktiv verbürgten überhistorischen Form als auch in der Form einer bloßen Orientierungsidee erhielte das Ökonomische jedoch eine gedankliche Gestalt, die eine ahistorische und abstrakt-prinzipielle Betrachtungsweise ermöglichte. Der Ansatz der etablierten, neoklassischen Wirtschaftswissenschaft wäre sachlich nicht unangemessen. Als Ergebnis einer Untersuchung der historischen Erscheinungsformen „des Ökonomischen“ könnte sich jedoch auch herausstellen, daß unser heutiges Verständnis vom Ökonomischen singulär ist, bzw. daß in „dem Ökonomischen“ eine spezifisch neuzeitliche Vorstellung gesehen werden muß. Diejenigen Autoren, die gegenüber einer ahistorischen und abstrakt-prinzipiellen Betrachtungsweise das historisch Besondere der heute vorherrschenden Auffassung von dem Ökonomischen betonen, sehen diese Besonderheit in der Eigenständigkeit begründet, die das Ökonomische in der Neuzeit gegenüber anderen Zusammenhängen und Orientierungen des menschlichen Lebens für sich in Anspruch nimmt. Beispielhaft sei hier Jäger zitiert: „Erst modernes Denken über das Wirtschaftliche unterschiedet sich in formaler Hinsicht von den Wirtschaftslehren der Antike und des Mittelalters in seiner angestrebten Autonomie gegenüber dem Politischen, Ethischen und Religiösen. Als solches stellt es eine neue Form des Denkens über die Ökonomie dar.“454
Diese (moderne) Eigenständigkeit des Ökonomischen wird vielfach auch entlang der begrifflichen Unterscheidung von „Lebenswelt“ und „System“ diskutiert. In dieser Diktion stellt sich das Spezifische der neuzeitlichen Konzeption vom Ökonomischen als Entkopplung der autonom gewordenen ökonomischen Logik und des mit ihr einhergehenden ökonomischen Systems von lebensweltlichen Bezügen dar.455 Der zeitliche Beginn dieser fundamentalen gedanklichen sowohl als realgeschichtlichen Umwälzung, mit der das geschichtlich Singuläre des heutigen Verständnisses vom Ökonomischen verbunden wird, liegt in Westeuropa etwa zwischen 1750 und 1850: „Der Begriff des Ökonomischen, wie er für die Nationalökonomie oder die Volkswirtschaftslehre konstitutiv wurde, bezieht sich auf ein Phänomen, das selbst erst 454
Jäger (1999), S. 20. Diese Auffassung findet sich z. B. bei Ulrich (1993), S. 11. Von einer „Externalisierung lebensweltlicher Bezüge“ sprechen Biervert/Wieland (1987), S. 47. 455
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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in einer ganz bestimmten Zeit in Erscheinung zu treten begann, nämlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zuerst in England, zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Frankreich und erst um die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts in Deutschland.“456
Wenn die Auffassung von dem Ökonomischen, d.h. als einem in sich geschlossenen, eigenständigen gedanklichen sowohl als realen Zusammenhang, als eine spezifisch neuzeitliche Auffassung zu begreifen ist, dann unterlägen wir einem hermeneutischen Fehler, wenn wir diese Auffassung unmittelbar zur Grundlage einer historischen Untersuchung machen wollten. Wir würden andere (vormoderne) Zeiten unter einer Idee (vom Ökonomischen) betrachten, die ihnen selbst vollkommen fremd wäre. Umgekehrt dürften wir die Überlegungen, die in anderen Zeiten unter dem Namen des Ökonomischen angestellt wurden nicht als Referenzpunkt für eine aktuelle Diskussion des Ökonomischen verwenden. Aus diesem Grunde muß gerade die Betonung der historischen Sonderstellung der modernen Autonomisierung ökonomischen Denkens in letzter Konsequenz zu einer Art Immunisierung dieses Denkens gegenüber der historisch informierten Kritik führen: Dasjenige, dem ein gemeinsamer Bezugspunkt mit der Gedankenwelt vergangener Zeiten abgesprochen wird, läßt sich nicht zugleich vom Standpunkt eben dieser Gedankenwelt aus kritisieren, ohne einem anachronistischen Vorurteil zu verfallen. Ein solches liegt vor, wenn innerhalb einer historischen Betrachtung die geschichtliche Gegebenheit und das damit einhergehende Eigenrecht des modernen Denkens zugunsten von Vorstellungen vergangener Zeiten schlicht übergangen wird. Sobald vormoderne Betrachtungen über die „Ökonomie“ jedoch als möglicher Referenzpunkt für eine Kritik der moralphilosophischen „Entleerung“457 und Verselbständigung des Ökonomischen in der Moderne herangezogen werden, stellt sich das Problem, daß ein solches gedankliches In-Beziehung-Setzen neuzeitlichen und vormodernen Denkens die implizite Voraussetzung eingehen muß, daß beide Denkformen einen gemeinsamen Kern aufweisen, der das, was historisch disparat erscheint, dennoch beziehbar macht. Die Frage, was diesen – zuvor induktiv zu gewinnenden – gemeinsamen Kern inhaltlich konstituiert, welche gedanklichen Strukturen also in ihm beschlossen liegen, führt dann aber just zu einer abstrakt-prinzipiellen Fragestellung, in deren Fahrwasser die ahistorische Denkform der herrschenden Wirtschaftslehre eine sachliche Berechtigung erhält. 456
Landshut (1969), S. 142. Biervert/Wieland weisen in ihrem Aufsatz Der ethische Gehalt ökonomischer Kategorien – Beispiel: Der Nutzen „die systematische Arbeit der [neuzeitlichen] Ökonomen an der Entleerung des Nutzenbegriffs“ nach, und zwar im Vergleich zur aristotelischen Nutzenkonzeption, die das Nützliche in Bezug zu einem übergeordneten Guten setzt. Vgl. Biervert/Wieland (1987), S. 47 sowie S. 30. 457
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
Konkret zeigt sich dieses Problem z. B. in der Frage, ob die Reflexion des Aristoteles über die „oikonomia“458 für die heutige Reflexion des Ökonomischen in irgendeiner Weise Relevanz beanspruchen kann oder vielmehr einen Sachverhalt meint, der mit unserer heutigen Zeit keinerlei Berührungspunkte besitzt.459 Als bisheriges Ergebnis der Problematisierung der historischen Dimension des Ökonomischen läßt sich festhalten, daß auch eine historisch aufgeklärte Entfaltung des Ökonomischen auf dessen abstrakt-prinzipielle Bestimmung nicht vollständig verzichten kann. Der Nachweis einer historischen Variabilität der Auffassungen über das Ökonomische setzt dieses als überhistorische Orientierungsidee immer schon voraus. Zudem leistet ein solcher Nachweis für sich genommen noch keine inhaltliche Infragestellung oder gar argumentative Kritik der modernen Auffassung von einer eigenständigen und aus normativen Zusammenhängen herausgelösten Sphäre des Ökonomischen. Ob und inwiefern allein das Problem der Geschichtlichkeit ökonomischen Denkens dennoch auf ein spezifisches Merkmal des Ökonomischen zu weisen vermag, werden wir später sehen. Zuvor ist jedoch noch zu reflektieren, daß in den bisherigen Ausführungen die Geschichtlichkeit des Ökonomischen implizit auf zwei zu differenzierende Dimensionen bezogen wurde: auf eine realgeschichtliche und eine wissenschaftlich-theoretische. 6.1.2 Das Verhältnis von Ökonomik und Ökonomie „Im 17. Jahrhundert kreiste das ökonomische Denken um neue Fragestellungen, die nur auf dem Boden veränderter gesellschaftlicher Situationen auftauchen konnten.“460
Parallel zum Problem der Historizität ergibt sich bei der Bestimmung des Ökonomischen das Problem, daß ein offenbar enger Zusammenhang besteht zwischen der gesellschaftlichen Praxis, verstanden als phänomenaler Sachverhalt, und der wissenschaftlich-theoretischen Reflexion, die sich auf ihn als ihren Gegenstand bezieht.461 Die zu hinterfragende geschichtliche Bedingtheit bezieht sich insofern auf beide Dimensionen. Das Verhältnis von Wirtschaft, verstanden als gesellschaftliches Phänomen, und Ökonomik als 458 Das griechische Wort oikonomia bedeutet „Haushaltsführung, Verwaltung“. Die Wirtschaftslehre des Aristoteles versteht sich als Lehre von der rechten Führung des Hauses. Zur Darstellung der aristotelischen Wirtschaftslehre vgl. Bürgin (1993), S. 104 ff. 459 Diese Frage thematisiert Günther Bien in seinem Aufsatz „Die aktuelle Bedeutung der ökonomischen Theorie des Aristoteles“. Vgl. Bien (1990), insb. S. 36. 460 Jäger (1999), S. 20 f. 461 Vgl. Biervert/Wieland (1987), S. 26 ff.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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diejenige Wissenschaft, die dieses Phänomen zu reflektieren beansprucht, scheint für die Bestimmung des Ökonomischen entscheidende Bedeutung zu haben. Der Zusammenhang von Wirtschaft und Ökonomik besitzt verschiedene Facetten, die im folgenden zu diskutieren sind. Zunächst ergibt sich dieser Zusammenhang daraus, daß eine Bestimmung des realen Phänomens „Wirtschaft“ nicht möglich ist, ohne dabei gedankliche Konzepte zu verwenden, die in der Ökonomik entwickelt werden. Das, was als ökonomisch relevanter gesellschaftlicher Zusammenhang gelten mag, d.h. das Verständnis von „Wirtschaft“, hängt also ab von dem, was die entsprechende Wissenschaft – scheinbar willkürlich – als ihren Gegenstand definiert bzw. als ihrem Gegenstand zugehörig betrachtet. Andererseits stellt sich aus einer historisch orientierten Perspektive diese theoretische Vorstrukturierung, die die heutige Ökonomik autonom zu entwickeln beansprucht, ihrerseits dar als abhängig oder zumindest beeinflußt von gesellschaftlichen Entwicklungen.462 Erst diese scheinen das wissenschaftliche Bewußtsein auf die Wahrnehmung neuer Probleme zu lenken und dadurch neue Fragestellungen und Methoden zu induzieren. Das berührt die prinzipielle Frage nach Abhängigkeit oder Unabhängigkeit wissenschaftlichen Denkens vom historischen Kontext, in dem es stattfindet. Ist die wissenschaftliche Entwicklung – überspitzt formuliert – das Produkt genialer Geistesheroen, die – losgelöst von aller Tradition – das Denken ihrer Zeit revolutionieren, indem sie es übersteigen? Oder vollzieht sich Wissenschaft immer nur in Wechselwirkung mit den jeweils umgebenden historischen Faktoren? Hier soll keine Beantwortung dieser Frage angestrebt werden. Allerdings bleibt zu erwähnen, daß dem historischen Denken von vornherein das Interesse zugrunde liegt, auch die Geistesgeschichte aus ihrem jeweiligen Kontext heraus zu verstehen und zu rekonstruieren. Insofern darf die oben zitierte Auffassung, daß die neuen ökonomischen Fragestellungen des 17. Jahrhunderts „nur auf dem Boden veränderter gesellschaftlicher Situationen auftauchen KONNTEN [Herv. d. Verf.]“463 lediglich als Voraussetzung einer historischen Untersuchung verstanden werden, nicht jedoch als ihr Ergebnis. Wir werden später einen möglichen Grund für die scheinbare Unentscheidbarkeit der Frage nach der historischen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit wissenschaftlicher Ökonomik ausfindig zu machen suchen. Der Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik besitzt eine weitere Dimension, der in der ökonomischen Literatur weitaus größere Aufmerksamkeit gewidmet wird als der soeben angedeuteten. Es ist die Frage, ob 462 463
Vgl. das obige Zitat: Jäger (1999), S. 20 f. Jäger (1999), S. 20 f.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
die Ökonomik sich als Wissenschaft überhaupt auf einen spezifischen, phänomenal abgrenzbaren Bereich der sozialen Praxis bezieht oder vielmehr sich allein über eine bestimmte Methode konstituiert, die auf alle Formen menschlichen Handelns angewendet werden kann. Die folgende Einschätzung von Biervert/Wieland belegt die Relevanz dieser Frage: „Seit ihrer Konstituierung haftet der modernen Ökonomik als ungelöstes Problem die Bestimmung ihres Gegenstandsbereiches und der dort herrschenden Rationalitätsform(en) an. Damit unlösbar verbunden ist die Frage, welchen Forschungsansatz die Wissenschaft von der Ökonomie verfolgen soll.“464
6.1.2.1 Die gegenstandsbezogene Ökonomik: Ökonomie als Marktgeschehen Sofern sich die Ökonomik auf einen phänomenalen Gegenstand („Wirtschaft“) bezieht, erhält die scheinbare Willkürlichkeit in der Definition des Reflexionsinhaltes von Ökonomik ein Korrektiv in eben diesem Gegenstand. Ein bestimmter Bereich der sozialen Welt, in der wir leben, gibt der Ökonomik dann den wissenschaftlich zu erklärenden Inhalt vor. Dieser soziale Gegenstand unterliegt – als Ausdruck und Produkt menschlichen Handelns – selbstverständlich auch historischen Veränderungen, die die Ökonomik als jeweils gegebene gedanklich zu verarbeiten hätte. Im Falle einer gegenstandsbezogenen Wirtschaftswissenschaft besteht also offenbar eine Art Wechselverhältnis zwischen einem unterstellten, vorwissenschaftlich bestehenden, empirischen Gehalt („Wirtschaft“) als Anknüpfungspunkt für eine wissenschaftliche Reflexion einerseits und der eigenständigen Definitionsmacht der wissenschaftlichen Reflexion, die sich ihren Gegenstand zuallererst selbst bestimmt, andererseits: „Damit eine formale Definition der Ökonomik überhaupt etwas spezifisch Ökonomisches erklären kann, setzt sie immer schon eine inhaltliche Definition der Ökonomie voraus [. . .].“465
Worin könnte diese inhaltliche Definition bestehen? Die Ökonomik als gegenstandsbezogen zu verstehen, heißt „einen spezifischen Handlungsraum und ein Feld gesellschaftlicher Beziehungen aus dem Gesamt einer gegebenen menschlichen Gemeinschaft herauszupräparieren“466. Dieser Handlungsraum soll hier als Marktgeschehen aufgefaßt werden.467 Der Markt 464
Biervert/Wieland (1990), S. 10. Biervert/Wieland (1990), S. 25. Die Autoren beziehen diese Aussage als sinngemäßes Zitat auf: Godelier, M.: Rationalität und Irrationalität in der Ökonomie, Frankfurt a. M., (1966), S. 24 f., sowie S. 288 ff. 466 Biervert/Wieland (1990), S. 11. 467 Mit diesem Begriff greift diese Untersuchung erstmals eine zentrale, inhaltliche Bestimmung des Ökonomischen auf – ohne diesen Inhalt hier freilich näher 465
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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stellt demnach eine bestimmte Form gesellschaftlicher Beziehungen dar. Der ökonomische Gehalt dieser Beziehungsform läge dann im Tausch, also darin, daß die einzelnen Individuen ihre jeweiligen, und zunächst völlig unkoordinierten Kaufs- und Verkaufspläne ohne zentrale Koordinationsinstanz miteinander abgleichen können. Das, worauf sich die Kaufs- oder Verkaufspläne beziehen, wird dabei dem Begriff des Gutes subsumiert. Der Mechanismus zur Abgleichung von Angebot und Nachfrage ist der Preis. Der ökonomische Gehalt von „Ökonomie“ läge also offenbar darin, daß soziale Interaktion im Medium der Quantifizierung stattfindet.468 Damit könnte bereits das entscheidende Merkmal von Ökonomie genannt sein. Die Frage der Berechtigung einer solchen Bestimmung von „Ökonomie“ muß jedoch vorerst ausgeklammert bleiben. Es ist nicht zu übersehen, daß bei dem gerade unternommenen Versuch einer Definition von „Ökonomie“ auf gedankliche Konzepte der Ökonomik zurückgegriffen wurde. Die Begriffe „Markt“, „Tausch“, „Preis“, „Angebot und Nachfrage“ sowie „Gut“ werden explizit in der ökonomischen Theorie thematisiert und in ihren gegenseitigen Bezügen untersucht. In diesen Begriffen, die für eine wenigstens annähernde Definition von „Wirtschaft“ notwendig erscheinen, liegt ein großer Teil der (modernen) ökonomischen Theorie schon beschlossen. Bei dem hier vorgenommenen Versuch einer annähernden Definition von „Ökonomie“ zeigt sich beispielhaft, daß dieser phänomenale Gegenstand nicht unabhängig von theoretischen Konzepten erfaßt werden kann. Eine gegenstandsbezogene Ökonomik erhält jedoch die scheinbare Möglichkeit, sich zur Rechtfertigung ihres Forschungsansatzes schlicht auf die phänomenale Gegebenheit dieses Gegenstandes zu berufen. Eine Betonung des vermeintlich rein empirischen Anspruches einer gegenstandsbezogenen Ökonomik befreite diese von der weiteren Rechtfertigung ihres Forschungsanliegens. „Wirtschaft“ wäre ein quasi naturhafter Sachverhalt, dem sich begründen zu können. Die Gründe, die hier zu einem schlichten Aufgreifen dieses Inhaltes zwingen, werden später zu beleuchten sein. Der Begriff „Markt“ ist nahezu in allen Äußerungen über Ökonomie/Ökonomik/das Ökonomische zu finden, so daß auf die Angabe von Belegstellen hier verzichtet werden kann. 468 Insofern in der Ökonomie soziale Interaktion allein in der Form der Quantifizierung auftritt, muß sie selbst notwendigerweise für ihre normativen Voraussetzungen blind bleiben. Denn daß die Tauschsubjekte, als die Träger sozialer Interaktion, selbst nicht zum Gegenstand marktlicher Tauschakte werden dürfen, läßt sich aus einer Perspektive, die Erscheinungen auf Tauschwerte (Preise) reduziert, nicht erschließen. Zum Gegensatz von „Preis“ und „Würde“ vgl. Kant (1785), S. 434: „Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen P r e i s , oder eine W ü r d e . Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Ä q u i v a l e n t gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
die Ökonomik gegenüber so verhalten könnte, wie die (klassische) Physik gegenüber der physikalischen Natur: Das Suchen nach streng nomologischen Zusammenhängen, die unabhängig von allen Wertgesichtspunkten die empirischen Erscheinungen erklärten, so wie sie als vorgefunden unterstellt werden, wäre das zentrale Anliegen der Ökonomik.469 Die Ökonomik verstünde sich insofern als empirische Wissenschaft. Daß sich „Wirtschaft“ als sozialer Zusammenhang durch menschliches Wollen und Handeln konstituiert und insofern immer auch durch im weitesten Sinne gedankliche Konzepte geprägt wird, die die Menschen in ihrem Handeln verwenden,470 erscheint aus Sicht einer sich in diesem Sinne empirisch verstehenden, gegenstandsbezogenen Ökonomik als zweitrangig. Eine solche Ökonomik verlöre jede Perspektive auf den sich wechselweise bedingenden Zusammenhang von phänomenaler „Wirtschaft“ und dem, was hier zunächst als gedankliches Konzept bezeichnet wurde. Wenden wir uns nun der Frage zu, was eine theoretische Reflexion des phänomenal verstandenen Gegenstandes „Wirtschaft“ über dessen funktionale Gesetze zutage fördern könnte. Was wäre also eine plausible Erklärung für die anscheinend rein empirische Tatsache, daß Menschen unterschiedliche Güter gegeneinander tauschen? Wiederum anders gefragt: Wie läßt sich die Annahme begründen, daß „Wirtschaft“ ein spezifischer „Handlungsraum“ ist? Ein möglicher Erklärungsgrund für das Markgeschehen könnte im Begriff der Knappheit von Gütern gesehen werden: Menschen bieten demnach Güter an und fragen Güter nach, weil die ihnen persönlich jeweils zur Verfügung stehenden Güter insgesamt nicht ausreichen, um ihren jeweils empfundenen Bedarf an Gütern zu decken. Anders gesagt: Würde niemand einen Mangel an bestimmten Gütern empfinden, gäbe es keinen Markt. Diese Erklärung stellt mit dem Begriff der Knappheit auf ein im weitesten Sinne psychologisches Moment ab. Der Begriff der Knappheit stellt eine Beziehung her zwischen der verfügbaren Quantität von Gütern und der von 469
So sieht beispielsweise Recktenwald „das Haupt- und unveränderliche Anliegen der ökonomischen Wissenschaft [darin], die Wechsel- oder Regelbezüge zwischen Mensch und materieller Umwelt und das Verhalten der Menschen untereinander zu erklären [. . .].“ Vgl. Recktenwald (1986), S. 9. Entsprechend betrachtet er auch das Selbstinteresse des Menschen als „eine unveränderliche Tatsache der Natur, gleichsam eine biologische Erscheinung [Fußnote], die man durch innere und äußere Beobachtung erkennt.“ Vgl. ebd., S. 13 f. 470 Max Weber verwendet in diesem Zusammenhang den Sinnbegriff: „Die Definition des Wirtschaftens hat möglichst allgemein zu sein und hat zum Ausdruck zu bringen, daß alle ‚wirtschaftlichen‘ Vorgänge und Objekte ihr Gepräge als solche gänzlich durch den S i n n erhalten, welchen menschliches Handeln ihnen – als Zweck, Mittel, Hemmung, Nebenerfolg – gibt.“ Weber (1980), S. 31.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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einem Individuum gewünschten Quantität. Knapp ist ein Gut also dann, wenn die gewünschte Quantität die verfügbare übersteigt. Durch den Bezug auf das, was ein Individuum wünscht bzw. auf das, was ihm als Wunsch unterstellt wird, geht die Erklärung des Marktgeschehens über auf einen Bereich, der nicht mehr in der Weise als phänomenaler, raum-zeitlicher Vorgang unterstellt werden kann, wie dieses Marktgeschehen selbst. Der Erklärungszusammenhang betritt den Bereich des menschlichen Wollens, also einen Bereich, der, sofern wir uns als frei verstehen, jeder theoretischen Erklärbarkeit sich gerade entzieht.471 Soll die Erklärung des Marktzusammenhanges durch den Rückgriff auf menschliches Wollen dennoch allgemeingültig sein, also den Status eines funktionalen Gesetzes erhalten, so muß dieses menschliche Wollen offenbar so konzipiert werden, als unterläge es selbst funktionalen Gesetzen. Das menschliche Wollen selbst müßte in bestimmter Hinsicht durch ein allgemeines Funktionsgesetz immer schon strukturiert werden, um als allgemeiner Erklärungsgrund dienen zu können. Es müßte inhaltlich in irgendeiner Form bestimmt sein. Nachdem der für die Erklärung zentrale Begriff der Knappheit ein quantitatives Verhältnis ausdrückt, müßte die gesetzliche Strukturierung des menschlichen Wollens also quantitativer Art sein. Wenn die gesuchte Erklärung von marktlichem Geschehen in dem Sinne allgemeingültig sein soll, daß sie sich auf prinzipiell alle denkbaren Güter und alle denkbaren Quantitäten erstreckt, so muß das zur Erklärung herangezogene menschliche Empfinden von Knappheit hinsichtlich beliebiger Güter mengenunabhängig sein: Der menschliche Wunsch nach Gütern muß also als quantitativ unbegrenzt unterstellt werden. Das entsprechende Funktionsgesetz besagt dann: Der Mensch besitzt ein quantitativ unbegrenztes Bedürfnis472 nach Gütern. Unabhängig davon, über welche Menge eines beliebigen Gutes ein Mensch verfügen kann, wird mit diesem Funktionsgesetz also unterstellt, daß dieser Mensch dennoch einen Mangel an diesem Gut verspürt, daß also der Wunsch nach einer stets höheren Menge vorhanden ist.473 Neben diesem hier exemplarisch dargestellten Zusammenhang muß eine vollständige theoretische Erklärung des Marktgeschehens, die mit dem Begriff der Knappheit verbunden ist, noch weitere notwendige Annahmen über 471
Vgl. hierzu Kapitel 5. Der Begriff „Bedürfnis“ ist der Begriff von einem menschlichen Wollen, das durch funktionale Gesetze bestimmt wird. Insofern ist er mit dem kantischen Begriff „Neigung“ inhaltsgleich. Zum Begriff der Neigung vgl. Kapitel 5.4.2. 473 Diese „Unersättlichkeit“ des menschlichen Willens ist eine schulmäßige Standardannahme der mikroökonomischen Analyse. Sie wird als Annahme der Nichtsättigung bezeichnet. Analytisch kommt sie darin zum Ausdruck, daß der Grenznutzen eines Gutes als stets positiv unterstellt wird. Als Beispiel für eine Lehrbuchdarstellung dieser Annahme siehe: Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 45 f. 472
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
die gesetzmäßige Strukturierung des menschlichen Wollens treffen, die hier jedoch nicht näher interessieren.474 Die Plausibilität einer solchen Erklärung läßt sich letztlich wohl nur auf dem Wege der Introspektion beurteilen. Entscheidend für den hier interessierenden Zusammenhang ist allein, daß der Versuch einer theoretischen Erklärung von marktlichem Geschehen über den Begriff der Knappheit offensichtlich eine gesetzmäßige Strukturierung des menschlichen Willens impliziert. Damit trifft dieser Erklärungsweg Annahmen, die weit über den phänomenalen Bereich des Marktgeschehens hinausreichen. Es erscheint möglich, von der anfänglichen Problemstellung des Marktes zu abstrahieren und die getroffenen Annahmen zu einer Theorie des menschlichen Verhaltens zu verallgemeinern. 6.1.2.2 Die methodenbezogene Ökonomik: Ökonomie als ein Aspekt menschlichen Handelns Wenn die Strukturierung des menschlichen Willens qua Bedürfnis den strengen Charakter eines Naturgesetzes besitzt, so bedeutet dies, daß sämtliche menschlichen Willensäußerungen und Handlungen bedürfnisbezogen wären. Läßt man den gesetzlichen Charakter dieser Strukturierung offen, so wäre es noch immer möglich, alle menschlichen Willensäußerungen und Handlungen so zu betrachten, als wären sie bedürfnisbezogen. Eine solche Betrachtung will keine allgemeingültige Erklärung der realen Welt mehr sein. Sie begnügt sich statt dessen damit, eine Perspektive einzunehmen und zu profilieren, unter der die Menschen die Welt zumindest betrachten könnten. Sie besitzt also rein heuristischen Charakter und läßt sich in diesem Sinne mit dem englischen Begriff „approach“ kennzeichnen.475 474 Neben der Annahme der Nichtsättigung sind hier die Annahmen der Vollständigkeit, der Transitivität (oder Konsistenz), der Konvexität sowie der Stetigkeit zu nennen. Alle fünf Annahmen sind zu einer axiomatischen Charakterisierung von ordinalen Nutzenfunktionen notwendig. Vgl. Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 73 f. Für eine empirisch gehaltvolle Theorie impliziert die Annahme der Konsistenz unter anderem, daß sich die handlungsrelevante Bedürfnisstruktur des Menschen im betrachteten Erklärungszeitraum nicht ändert. Anschaulich gesagt unterstellt diese Annahme, daß sich der Mensch in äußerlich identischen Situationen stets gleich verhält, weil sich seine willentliche Strukturierung nicht ändert. 475 Biervert/Wieland greifen den Begriff „approach“ zur Charakterisierung des Rational-Choice-Ansatzes auf. Sie belegen ihn bei G. S. Becker, R. B. Mckenzie und G. Tullock in der Verwendung als Definitionsmerkmal von Ökonomik. Anschließend erläutern sie den Begriff „approach“ folgendermaßen: „Der Erklärungsanspruch eines approach bezieht sich also nicht direkt auf menschliches Handeln und Verhalten, sondern ist eher eine analytische Perspektive, ein Forschungsansatz professioneller Ökonomen. Der approach behauptet zunächst also nicht, daß Menschen real so handelten oder so handeln sollten, sondern mit ihm wird die Erforschung menschlichen Handelns organisiert.“ Biervert/Wieland (1990), S. 20.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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Unabhängig von der Frage, ob ein universaltheoretischer oder ein heuristischer Anspruch angebracht erscheinen mag, soll hier lediglich konstatiert werden, daß sich die menschliche Bedürfnisstruktur476 zum Ausgangspunkt einer prinzipiellen Betrachtung der Welt machen läßt. Eine Wissenschaft, die sich diesen Ausgangspunkt zu eigen macht, geht nicht mehr aus von einem empirischen Gegenstand (Ökonomie bzw. Markt), den es zu erklären gilt. Statt dessen nimmt sie die Perspektive eines unterstellten, idealtypischen Subjektes ein, das sich – aufgrund von Bedürfnissen – permanent mit dem Problem der Knappheit konfrontiert sieht. Dieses idealtypische Subjekt, das der Formulierung und Analyse des Knappheitsproblems zugrunde liegt, wird in der Ökonomik als „homo oeconomicus“ bezeichnet. Es kann als anthropologisch repräsentativ (im Sinne einer Universaltheorie) oder lediglich als hypothetisches Konstrukt (im heuristischen Sinne) interpretiert werden.477 Das, was in der Marktökonomik erst als Erklärungsgrund in Erscheinung trat, wird damit selbst zum Ausgangspunkt einer Weltbetrachtung: nämlich das Problem der Knappheit.478 „Paradigmatischer Ausgangspunkt dieses Verständnisses von Wirtschaftswissenschaft ist, daß Menschen grundsätzlich immer angesichts vorgegebener Knappheiten Wahlentscheidungen treffen müssen: Die ökonomische Dimension ist in dieser Sicht ein durchgängiger Aspekt allen menschlichen Handelns, so daß es einen ‚ökonomiefreien‘ Raum nicht geben kann.“479 476 Die Modifizierung des Bedürfnisbegriffes, die mit dem Übergang von einer nomologischen zu einer heuristischen Perspektive verbunden ist, wird in Kapitel 6.1.2.3 diskutiert. 477 Der „homo oeconomicus“ kann einerseits als anthropologisch repräsentativ interpretiert werden. In diesem Falle würde die Ökonomik ein entsprechendes „Menschenbild“ unterstellen und hätte einen universaltheoretischen Anspruch. Andererseits kann der „homo oeconomicus“ als ein bloßes Gedankenkonstrukt verstanden werden, das explizit nicht auf ein vermeintlich anthropologisch verbürgtes Menschenbild zurückgreift. In diesem Falle ist der „homo oeconomicus“ lediglich Ausdruck des Forschungsanliegens, die Welt so zu betrachten, als sei sie von permanenten Knappheiten durchzogen. Das unterstellte Bedürfnissubjekt qua „homo oeconomicus“ steht also lediglich für die vom Wissenschaftler konstruierte Perspektive. Wenn sich dieser Forschungsansatz jedoch nicht als bloßes Gedankenspiel verstehen will, so muß er dieser Perspektive dennoch in irgendeiner Form Relevanz für die tatsächliche Welt zusprechen. Und ein Ausweis dieser Relevanz muß letztlich doch wieder auf entweder empirische oder aber normative Aussagen zurückgreifen. 478 Den Begriff der Knappheit verwendet auch schon Max Weber in seiner Definition von Wirtschaft, und zwar ohne auf marktliches Geschehen Bezug zu nehmen: „Von Wirtschaft wollen wenigstens wir hier vielmehr nur reden, wo einem Bedürfnis oder einem Komplex solcher, ein, im Vergleich dazu, nach der Schätzung des Handelnden, k n a p p e r Vorrat von Mitteln und möglichen Handlungen zu seiner Deckung gegenübersteht und dieser Sachverhalt Ursache eines spezifisch mit ihm rechnenden Verhaltens wird. Entscheidend ist dabei für zweckrationales Handeln selbstverständlich: daß diese Knappheit s u b j e k t i v vorausgesetzt und das Handeln daran orientiert ist.“ Weber (1980), S. 199.
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Es ist stets zu beachten, daß Knappheit und menschliches Bedürfnis sich reziprok entsprechen. Knappheit ist lediglich der verobjektivierte Ausdruck eines subjektiven Empfindens von Mangel. Wenn also universelle Knappheit als objektives Problem allen menschlichen Handelns betrachtet wird, so muß diesem objektiven Problem die schon dargestellte subjektive „Unersättlichkeit“ entsprechen. Die Universalität von Knappheit als Problem „allen menschlichen Handelns“ impliziert jedoch über die quantitative Unbegrenztheit jedes einzelnen Bedürfnisses hinaus noch eine weitere Annahme über die gesetzliche Struktur menschlichen Wollens. Diese zusätzliche Annahme bezieht sich auf die Quantität der unterschiedlichen Bedürfnisarten. Auch diese werden als infinit unterstellt. Selbst wenn es also möglich wäre, ein einzelnes Bedürfnis zu befriedigen, so würde diese Befriedigung das Problem der Knappheit um nichts reduzieren, weil unendlich viele andere Bedürfnisse sofort die Stelle des gesättigten einnähmen. Dieser Wechsel von einem Bedürfnis zum anderen, wird in der Ökonomik unter dem Begriff der relativen Knappheit behandelt: „Knappheit im ökonomischen Sinne ist immer relativ, nie absolut gemeint, und es ist die relative Knappheit, die den Betrachtungen der ökonomischen Handlungstheorie zugrunde liegt in Form der Annahme, dass alle Akteure permanent danach trachten, sich besserzustellen, in einem ‚beständigen Fortgang von einem Wunsch zum anderen, wobei die Erreichung des ersteren immer dem folgenden den Weg bahnen muss‘ [. . .].“480
Eine prinzipielle Lösung des universellen Knappheitsproblems ließe sich nur durch Überwindung der unterstellen Bedürfnisstruktur erreichen. Diese Lösung führte auf den insbesondere in der Stoa formulierten Weg der Selbstbeschränkung.481 Es darf bei einer Auseinandersetzung mit „dem Ökonomischen“ nicht übersehen werden, daß das moralische Ideal der Bedürfnislosigkeit als mögliche Antwort auf das Problem der Knappheit zunächst durchaus in Frage kommt. Wenn jedoch die unterstellte menschliche Bedürfnisstruktur nicht kritisch hinterfragt werden soll, vielmehr als unhintergehbarer Ausgangspunkt der Analyse des Knappheitsproblems behauptet wird, so dürfen die Gründe für diese Auffassung nicht als selbstevident unterschlagen werden. Denn entweder kommt in dieser Auffassung eine explizit normative Orientierung zum Ausdruck oder eine anthropologische Annahme über die „menschliche Natur“. Im ersten Fall soll der Weg der 479
Homann/Hesse/Böckle et al. (1988), S. 16. Homann/Suchanek (2000), S. 59. 481 Dieser Weg der stoischen Selbstbeschränkung wird beispielhaft in den Schriften Senecas beschrieben. Als Antwort auf das hier verhandelte Knappheitsproblem findet sich dort etwa die Sentenz: „Arm ist nicht, wer nur wenig hat, sondern wer immer noch mehr begehrt.“ Seneca (1993), S. 134. 480
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Selbstbeschränkung keine Lösung des Knappheitsproblems sein. Im zweiten Falle ist er keine mögliche Lösung.482 Wenn Knappheit und die ihr entsprechende Bedürfnisstruktur als universell, unbegrenzt und unhintergehbar angenommen werden, so folgt aus dieser Problemstellung für die Perspektive des unterstellten idealtypischen Bedürfnissubjektes ein unendliches Mangelempfinden. Das Empfinden von „Mangel“ zeichnet sich unmittelbar dadurch aus, daß es als negativ bewertet wird: Mangel soll nicht sein, soll überwunden werden. Ein anderes Empfinden von „Mangel“ ist nicht denkbar. Ein prinzipielles, immer schon als unendlich unterstelltes Empfinden von Mangel ist also eine unendliche Negativgröße. Eine solche läßt sich jedoch nicht quantitativ verändern.483 Das Problem der Knappheit verliert damit jede faktische Relevanz für das menschliche Handeln. Denn auch jedes beliebig erfolgreiche Handeln in dem Bemühen, den Mangel zu reduzieren, hinterließe ein nach wie vor unendliches Mangelempfinden. An diesem subjektiv empfundenen Mangel würde also prinzipiell nichts geändert werden können – es sei denn, man betrachtete ihn nicht als quantitatives, sondern als qualitatives Problem, als Problem der menschlichen Bedürftigkeit überhaupt. Genau diese Sicht liegt dem (z. B. stoischen) Ideal der Bedürfnislosigkeit zugrunde. Will man diese Konsequenz umgehen, muß eine Uminterpretation des Mangelempfindens erfolgen. Soll die Weltbetrachtung aus der Perspektive eines universellen Knappheitsproblems nicht in einer prinzipiellen Ausweglosigkeit enden, die diesem Problem jede faktische Relevanz nähme, so darf der (unendliche) Mangel nicht als unmittelbar empfundener angesetzt werden. Vielmehr wäre nur die jeweils faktisch erreichte Mangelbeseitigung als empfindbar zu unterstellen. Diese würde damit also nicht als Verminderung einer (unendlichen) Negativempfindung interpretiert, sondern als positive „Bedürfnisbefriedigung“. Das Potential für eine solche Bedürfnisbefriedigung wäre also nach wie vor unendlich, faktisch empfunden würde aber nur die jeweils positiv erreichte Bedürfnisbefriedigung. Es ginge also nicht mehr darum, einen sozusagen tantalischen Schmerz abzutragen, sondern es wäre möglich, dem subjektiven Empfinden eine positive Qualität in potentiell unendlicher Quantität zu unterstellen. Diese positive Empfindungsqualität, die auf den Begriff der Knappheit bzw. des Bedürfnisses bezogen ist, bezeichnet die heutige Standardökonomik als „Nutzen“: 482 Daß der Zusammenhang beider Perspektiven ein Konstitutivmoment des Ökonomischen ausmacht, wird sich erst im weiteren Verlauf der Untersuchung zeigen können. Vgl. dazu Kapitel 6.2. 483 Die (quantitative) Unendlichkeit des Mangels kann durch keine endliche Quantität von Mangelbeseitigung reduziert werden. Anders formuliert: Gegenüber jeder beliebig großen endlichen Zahl bleibt die Vorstellung der Unendlichkeit immer unendlich groß.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
„Der Nutzen aus dem Güterverbrauch ist als ein Maß individueller, subjektiv empfundener Bedürfnisbefriedigung zu verstehen [. . .].“484
Die mit dem Knappheitsproblem implizit immer schon mitunterstellte menschliche Unersättlichkeit zeigte sich nun in dem niemals endenden Bemühen, den jeweiligen Nutzen zu vergrößern. Innerhalb des Knappheitsparadigmas entspricht also das Bemühen um fortwährende Nutzenmehrung reziprok dem Bemühen um Mangelbeseitigung. Die heutige Ökonomik spricht von der Annahme der „Nutzenmaximierung“. Der idealtypische homo oeconomicus ist also zunächst allein dadurch charakterisiert, daß er seinen Nutzen, im Sinne der Bedürfnisbefriedigung, unablässig zu vermehren sucht. Mit dem Konzept des Nutzens ist eine Annahme ausschließlich über die willentliche Struktur des homo oeconomicus getroffen. Es ist jedoch klar, daß dieses Nutzenkonzept seine eigentliche Relevanz erst dadurch gewinnt, daß es als handlungsleitend betrachtet wird. Mit dem Handlungsbezug verläßt das Nutzenkonzept die rein subjektiv-innerliche Empfindungswelt und tritt sozusagen in Kontakt mit der Welt der tatsächlichen Gegebenheiten.485 Die unterstellte Nutzenmaximierung findet statt im Hinblick auf die Gegebenheiten der realen Welt, die den Raum möglicher Handlungen begrenzen. Damit können wir die Charakterisierung des homo oeconomicus dahingehend präzisieren, daß er seinen Nutzen zu maximieren versucht unter den jeweils gegebenen Restriktionen.486 Aus dieser Präzisierung sind im folgenden weitreichende Implikationen zu entwickeln. 484
Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 4. Der Handlungsbezug ist im Konzept der Knappheit implizit immer schon enthalten. Denn das Konzept der Knappheit stellt eine Beziehung her zwischen den tatsächlichen Gegebenheiten der objektiven Welt – genauer: der tatsächlich verfügbaren Quantität von Gütern – und der Dimension des menschlichen Willens – genauer: dem als universell unterstellten Bedürfnis nach „noch mehr“. Sofern die zugrundeliegende Bedürfnisstruktur nicht modifiziert werden soll, muß das Bedürfnissubjekt handelnd tätig werden, um Knappheit zu reduzieren. Denn nur durch Handlungen lassen sich die Gegebenheiten der realen Welt den Bedürfnissen anpassen. 486 Diese Restriktionen umfassen auch den Aufwand zur Beschaffung der Informationen, die zur Festlegung und Bewertung der Handlungsalternativen im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen nötig sind. Deshalb stellt der Begriff der „Satisfizierung“ keine gedankliche Alternative zur Annahme der Maximierung dar. (Zum Begriff der „Satisfizierung“ und seinem Ursprung bei Herbert Simon vgl. Schumann/ Meyer/Ströbele (1999), S. 99 sowie S. 468 ff.). Denn auch ein Abbruch der Suchund Informationstätigkeiten, der erfolgt, weil ein befriedigendes Nutzenniveau bereits bei bestehenden Handlungsalternativen erreicht werden kann, läßt sich rekonstruieren als Ergebnis einer streng nutzenmaximierenden Betrachtung: Die Einstellung der Such- und Informationstätigkeit stellt, unter den zu diesem Zeitpunkt dem Handlungssubjekt bekannten Situationsparametern, eben die bestmögliche, d.h. nutzenmaximierende, Handlungsalternative dar. Zudem geht auch das Konzept der „Satisfizierung“ davon aus, daß bei andauernder Realisierung eines zunächst vom Sub485
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Das abstrakte und rein formale Ziel der Nutzenmaximierung konkretisiert sich in der jeweiligen Handlungssituation, die durch die gegebenen Restriktionen definiert wird, darin, daß die möglichen Handlungsalternativen danach betrachtet werden, welche den jeweils intendierten materialen Zweck relativ am besten zu realisieren verspricht. Die Formulierung „relativ am besten“ macht deutlich, daß es hier um eine ausschließlich relative Bewertung zwischen den einzelnen Handlungsalternativen geht, und zwar im Hinblick auf den formalen Zweck der Nutzenmaximierung. Der materiale Zweck, der durch eine Handlung erreicht werden soll, ist für die hier entwickelte Betrachtung nicht von Interesse. Die unter den gegebenen Bedingungen jeweils möglichen Handlungen werden als alternative Mittel betrachtet für das abstrakte und formale Ziel der Nutzenmaximierung. Der jeweils materiale Handlungszweck wird dabei aus der Betrachtung prinzipiell ausgeklammert.487 Die Annahme der Maximierung des Nutzens und das Problem universaler Knappheit sind dabei über den Bedürfnis- sowie den Handlungsbegriff in spezifischer Weise aufeinander bezogen. Dem Knappheitsproblem kann nur dann eine universale Bedeutung zugesprochen werden, wenn das Bedürfnissubjekt keine Möglichkeit ausläßt, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Präziser gesagt: Wenn Knappheit universal gedacht wird, so ist sie auf die Totajekt als ausreichend bewerteten Nutzenniveaus das vom Subjekt angestrebte Nutzenniveau sukzessive angehoben wird. Damit trifft auch das „Satisfizierungskonzept“ letztlich die Annahme der Unersättlichkeit, wie sie im Begriff der Nutzenmaximierung zum Ausdruck gebracht wird. Dieses Beispiel zeigt zudem auch, daß das formale Nutzenkonzept nicht empirisch falsifiziert werden kann, weil es erlaubt, jede tatsächlich durchgeführte Handlung ex post als die nutzenmaximierende zu rekonstruieren. Damit deutet sich an, daß der wissenschaftliche Anspruch der Ökonomik als Handlungswissenschaft sich nicht allein an den nomologischen-erklärenden Naturwissenschaften orientieren kann, sondern eher den verstehenden Geisteswissenschaften zuzurechnen sein könnte. Handlungswissenschaften sind einerseits Geisteswissenschaften, insofern als der Handlungssinn leitend ist. Andererseits sind sie Realwissenschaften, insofern als der das Handeln leitende Sinn kausaler Faktor des Handelns wird. Vgl. dazu Girndt (1967). 487 Diese nicht mehr auf den (empirischen) Gegenstand des Marktgeschehens beschränkte Betrachtungsweise führt auch dazu, daß Wertunterschiede zwischen verschiedenen Gesinnungs- und Handlungsorientierungen nicht mehr abgebildet werden können. Der aufopfernden Nächstenliebe einer Mutter Theresa ist aus dieser Perspektive die gleiche formale Motivstruktur zu unterstellen wie einem räuberischen Mord: Die jeweils Handelnden führen ihre Handlungen aus, weil sie ihren Nutzen maximieren wollen. Im ersten Fall muß offenbar ein entsprechendes Bedürfnis nach „Altruismus“ unterstellt werden, im zweiten Fall jedoch nach eigenem Konsum des geraubten Gutes. Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 13 sprechen explizit von der „Möglichkeit der Einbeziehung altruistischen Handelns in den Begriff des Eigeninteresses.“ Vgl. dazu auch folgende Aussage: „Ein Haushalt, der einen anderem hilft, muß durch den Verzicht auf eigenen Konsum nicht notwendigerweise eine Nutzeneinbuße erleiden; die Hilfe könnte für ihn sogar größeren Nutzen aus dem Konsum der ihm verbliebenen Güter bedeuten.“ Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 13.
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lität von Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten zu beziehen. Universalität von Knappheit impliziert also gerade nicht, daß das Handlungssubjekt unmittelbar bedürfnisgesteuert wäre, in dem Sinne, daß in ihm ein tierischer Instinkt waltete, der, ohne der Reflexion zu bedürfen, sich strikt nach dem jeweils (biologisch vorgegebenen) dominanten Bedürfnis richtet. (Anders gesagt: Ein Tier kennt kein Knappheitsproblem im ökonomischen Sinne.) Vielmehr impliziert die Universalität von Knappheit den gedanklichen Überblick über alle Bedürfnisse, d.h. auch über die jeweils nicht als dominant empfundenen. Sofern das Handlungssubjekt die Totalität seiner Bedürfnisse übersieht, suspendiert es eine unmittelbare Bedürfnissteuerung, die das jeweils dominante Bedürfnis unmittelbar auch als handlungsleitend aktualisiert. Das Handlungssubjekt kommt also sozusagen in die Verlegenheit – instinkt- und damit orientierungslos –, seine Bedürfnisse selbst vorausschauend nach ihrer Wertigkeit ordnen und insgesamt mit den Handlungsalternativen abgleichen zu müssen. Die resultierende Handlungsentscheidung dient also nicht notwendig nur dazu, ein jeweils empfundenes, konkretes Bedürfnis zu befriedigen. Handlungsziel ist vielmehr die Befriedigung einer abstrakten Bedürfnistotalität, die auch erwartete, zukünftige Bedürfnisse umfassen kann. Diese Vorausschau, die sowohl die Totalität bekannter und erwarteter Bedürfnisse als auch die Totalität gegebener Handlungsmöglichkeiten berücksichtigt, ist nichts anderes, als die bewußte Kalkulation der Bedürfnisbefriedigung, d.h. die Bestimmung der nutzenmaximierenden Handlungsweise. Der Abgleich von Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten macht den eigentlichen Kern der ökonomischen Theorie aus. Er soll deshalb näher analysiert werden. Die Wertigkeit der Bedürfnisse untereinander wird durch die Berücksichtigung von konkreten Handlungsmöglichkeiten verändert. So haben beispielsweise Bedürfnisse, die zwar an sich ein hohes Nutzenpotential besitzen, aber aufgrund der gegebenen Umstände faktisch nicht befriedigt werden können, für die Bestimmung der nutzenmaximierenden Handlungsweise eine geringere Bedeutung als an sich weniger dringliche Bedürfnisse, deren Befriedigung aber realistischer erscheint. Das gedankliche Verfahren zur Ordnung der Bedürfnisse nach ihrer Wertigkeit relativ zu den bestehenden Handlungsmöglichkeiten ist eine gegenseitige Quantifizierung von Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten durch eine Kosten-/Nutzenaufrechnung. Die Kalkulation der Bedürfnisbefriedigung richtet sich eben nicht nur nach einem Vergleich des Nutzenpotentials jedes einzelnen Bedürfnisses, seiner sozusagen inneren Wertigkeit. Vielmehr sind auch die Kosten zu berücksichtigen, die unter den gegebenen Umständen eine Handlung verursacht, mit der ein Bedürfnis befriedigt werden soll. Der Kostenbegriff entsteht genau dann, wenn Bedürfnisse mit realen Handlungsbedingungen in Beziehung gesetzt werden. Die Kosten einer Handlung geben den Nutzen
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an, der aufgrund der Festlegung der Handlungsressourcen auf diese Handlung nicht mehr realisiert werden kann, der bei alternativem Ressourceneinsatz aber tatsächlich hätte realisiert werden können. Durch einen konkreten Handlungsvollzug wird also potentieller Nutzen sowohl aktualisiert als auch vernichtet. Zu beachten ist dabei, daß die Höhe des „entgangenen“ und des „realisierten“ Nutzens sich eben nicht nur nach dem Nutzenpotential der betrachteten Bedürfnisse richtet, sondern auch von den faktischen Möglichkeiten abhängt, diese Bedürfnisse tatsächlich zu befriedigen. Der aufgrund bestehender Handlungsbedingungen voraussichtlich durch eine bestimmte Handlung „realisierte“ Nutzen entspricht nicht notwendig dem Nutzenpotential der Bedürfnisse, die durch diese Handlung befriedigt werden sollen. Durch die Verrechnung von voraussichtlich realisiertem und vernichtetem Nutzen über alle betrachteten Bedürfnisse und Handlungsmöglichkeiten hinweg entsteht eine Präferenzordnung, die angibt, welche Bedeutung den einzelnen Bedürfnissen unter den gegebenen Umständen für den konkreten Handlungsvollzug zukommt. Die Bestimmung der nutzenmaximierenden Handlungsalternative ergibt sich also erst aus dieser, Kosten und Nutzen verrechnenden Betrachtung der Totalität von Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten.488 Die angenommene Universalität von Knappheit impliziert also, daß das Bedürfnissubjekt in allen Situationen über alle jeweils bekannten Handlungsalternativen hinweg seine Bedürfnisbefriedigung kalkuliert. Genau das heißt: den Nutzen unter gegebenen Restriktionen maximieren.489 Die Maximierung des Nutzens ist also der präzise Ausdruck für eine umfassende Zweckrationalität. Zusammenfassend ergibt sich daraus, daß aus dem Kon488 Just diese Totalitätsbetrachtung macht auch den ökonomischen Begriff der Effizienz im Gegensatz zur Effektivität aus. Unter dem Gesichtspunkt der Effektivität wird eine Handlung allein danach betrachtet, ob durch sie ein konkreter, materialer Zweck überhaupt erreicht werden kann. Der Gesichtspunkt der Effizienz hingegen betrachtet jede Handlung von vornherein als Mittel im Hinblick auf die abstrakte Bedürfnistotalität: Alle Zwecke sollen erreicht werden können, daher dürfen die vorhandenen Mittel nicht für einen einzelnen Zweck verschwendet werden. 489 Die zentrale Bedeutung von Knappheit sowie ihr Zusammenhang zur Nutzenmaximierung macht auch folgende Ausführung von Homann/Suchanek deutlich: „Bei der relativen Knappheit geht es darum, wie Akteure verfügbare Mittel in bezug auf verschiedene Ziele so einsetzen, dass sie ihren Nutzen maximieren. Die Knappheit wird dabei nicht überwunden, das Problem besteht einzig in der Wahl des bestmöglichen Einsatzes der Mittel. Der Tatbestand der Knappheit wird hierbei gar nicht verändert, er ist vielmehr Voraussetzung dafür, überhaupt eine ökonomische Entscheidung treffen zu müssen bzw. zu können.“ Homann/Suchanek (2000), S. 60. Die Worte „relative Knappheit“ zu Beginn des Zitates sind im Original fett gesetzt. Auf den Versuch beider Autoren, die ökonomische Fragestellung nicht aus dem Problem der Knappheit, sondern aus dilemmatischen Interaktionen zu entwickeln, wird weiter unten einzugehen sein.
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zept der Knappheit das methodische Gerüst einer Ökonomik entwickelt werden kann, die sich nicht mehr über den Markt als ihren Gegenstand definiert: „Alle ökonomischen Probleme entstehen letztlich aus der Tatsache, daß im Vergleich zu den Bedürfnissen der Menschen die Ressourcen knapp sind.“490
Zur Charakterisierung dieses (modernen) Standardverständnisses von Ökonomik wird in der Literatur immer wieder die Definition von Robbins aus dem Jahr 1932 herangezogen: „Economics is the science which studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses.“491
Zusammenfassend soll festgehalten werden, daß das Konzept universaler Knappheit einen unmittelbaren Zusammenhang herstellt zwischen dem „subjektiven“ Motiv der Nutzenmaximierung (alias Bedürfnisbefriedigung) als formalem Handlungsgrund und „objektiven“ Handlungsmöglichkeiten, die im Hinblick auf das formale Ziel der Nutzenmaximierung bewertet werden. Das Nutzenkonzept kann dabei sowohl kausal als auch final interpretiert werden. Dieser hier aus dem Konzept universaler Knappheit entwikkelte Zusammenhang wird mit unterschiedlichen Begriffen wiedergegeben bzw. umschrieben, die sich in der Sache jedoch nicht unterscheiden. Zum einen ist hier die Bezeichnung „ökonomisches Prinzip“ oder auch „Minimax-Prinzip“ zu nennen. Es besagt, daß ein gegebener Erfolg mit den geringstmöglichen Mittel bzw. mit gegebenen Mitteln ein größtmöglicher Erfolg erzielt werden soll.492 Zum anderen wird dieser Zusammenhang auch mit dem Begriff der (ökonomischen) „Rationalität“ belegt.493 Abschließend soll das Programm einer Ökonomik formuliert werden, die das Problem der Knappheit zu ihrem methodischen Ausgangspunkt macht: Betrachte die Welt aus der Perspektive eines Subjektes494, das unablässig versucht, seinen Nutzen unter den jeweils gegebenen Beschränkungen zu maximieren.495 490
Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 6. Robbins (1932), S. 16. 492 Zum ökonomischen Prinzip vgl. Schumann/Meyer/Ströbele (1999), S. 41. 493 „Die Maximierungsannahme – natürlich unter den gegebenen Bedingungen [. . .] – wird auch als Annahme der Rationalität des Verhaltens bezeichnet [. . .].“ Homann/Suchanek (2000), S. 31. „Der ökonomische Terminus der Rationalität bezeichnet also zweckrationales Handeln im Hinblick auf knappe Mittel.“ Biervert/ Wieland (1990), S. 18. 494 Diese unterstellte Perspektive ist die Perspektive des idealtypischen homo oeconomicus, der im Hinblick auf ein entweder universaltheoretisches oder heuristisches Forschungsinteresse zu interpretieren ist. 495 Dieses Programm wird auch als „methodischer Individualismus“ bezeichnet. Vgl. dazu Kapitel 3.1.2. Die in der ökonomischen Theoriebildung erstmalige For491
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6.1.2.3 Methodischer Individualismus und die Bedeutungsvarianten des Bedürfnisbegriffs Die letzten beiden Kapitel entwickelten das methodische Gerüst heutiger Ökonomik aus dem Knappheitsbegriff. Das Problem universaler Knappheit findet seine Grundlage in einem (unterstellten) subjektiven Mangelempfinden. Kann ein Subjekt einen Willensinhalt im Rahmen der gegebenen Handlungsmöglichkeiten nicht realisieren, empfindet es Mangel. Aus diesem Zusammenhang wurden in den letzten Kapiteln die ökonomischen Konzeptionen von „Kosten“ und „Nutzenmaximierung“ abgeleitet. Sofern die Ökonomik den Anspruch erhebt, über den Knappheitsbegriff eine nomologische Erklärung für Tauschvorgänge oder – darüberhinausgehend – für menschliches Handeln insgesamt zu liefern, muß der unterstellte Maßstab subjektiven Begehrens gesetzmäßigen Charakter haben. In diesem Sinne der gesetzlichen Strukturierung menschlichen Begehrens wurde zuvor der Begriff „Bedürfnis“ eingeführt. „Bedürfnis“ meint also in diesem ursprünglichen Sinne eine materiale Bestimmung des Willens, die dem einzelnen Subjekt innerlich vorgegeben ist. Gesetzmäßigen Charakter erhält diese Bestimmung gerade dadurch, daß sie dem einzelnen Subjekt nicht zur Disposition steht. Das Subjekt kann sich zwar gegenüber dieser Willensbestimmung – sekundär – verhalten, sie aber nicht an sich modifizieren. Dieses Begriffsverständnis deckt sich mit dem kantischen Begriff der Neigung. Konkret ist hier insbesondere auch an physiologisch vorgegebene Bedürfnisse (wie z. B. Hunger, Durst, Müdigkeit) zu denken, deren Minimalbefriedigung unmittelbar lebensnotwendig ist.496 mulierung des Gedanken, „daß die politische Ökonomie sich nur von ihrer Methode her bestimme lasse“ schreiben Biervert/Wieland John Stuart Mill zu. Vgl. Biervert/ Wieland (1990), S. 15. 496 Die bloße Sicherstellung lebensnotwendiger Grundbedürfnisse, bei der die Bedürfnisbefriedigung keinen Selbstzweckcharakter besitzt und in keiner Weise ein Maximierungsstreben zum Tragen kommt, soll im folgenden definitorisch nicht zum im engeren Sinne ökonomischen Problem gezählt werden. Auch stellen diese Grundbedürfnisse kein spezifisches Problem der Wirtschaftsethik dar. Daß reale Vernunftwesen immer auch physiologisch vorgegebene Notwendigkeiten berücksichtigen müssen, wenn sie überleben wollen, wird bereits in der kantischen Ethik als moralphilosophisches Problem erkannt. Dort zeigt sich aber zugleich, daß diese Grundbedürfnisse letztlich – trotz ihrer physiologischen Notwendigkeit – keine moralische Bedeutung haben. Für den persönlichen Lebensvollzug des einzelnen Subjektes gibt es innerhalb einer kantischen Ethik keine absolute Notwendigkeit des Überlebens. Im Gegenteil kann es dem moralischen Subjekt im Extremfall gerade geboten sein, das persönliche Leben zu opfern! Vgl. dazu Kant (1788), S. 30. Damit ist das moralische Subjekt im Vollzug von Sittlichkeit aufgrund seiner Freiheit letztlich auch nicht an die Berücksichtigung physiologischer Notwendigkeiten gebunden. Das bedeutet aber selbstverständlich nicht, daß solche Notwendigkeiten und Bedürf-
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
Sobald die Ökonomik sich von dem Anspruch nomologischer Erklärung empirischer Tatbestände löst und statt dessen lediglich in heuristischer Absicht eine Perspektive formuliert, unter der ein idealtypisches Subjekt die Welt betrachten könnte, so hat dies auch Auswirkungen auf das Verständnis der unterstellten Motivationskräfte. Die Aufgabe des strengen Anspruches nomologischer Erklärung verändert notwendig auch das Bedürfniskonzept. Sobald die Nutzenmaximierung betrachtet wird als das lediglich methodische Postulat, die Welt aus einer Perspektive zu betrachten, die ein idealtypisches Subjekt sich zu eigen machen könnte, bleibt der gesetzesartige Charakter des zugrundeliegenden Begehrens offen. „Bedürfnis“ meint dann nicht mehr notwendig eine dem Subjekt primär unzugängliche materiale Willensbestimmung, sondern kann ebenso auch einen frei entworfenen Willensinhalt umfassen. Beide Möglichkeiten werden vom Bedürfnisbegriff der methodenbezogenen Ökonomik abgedeckt. Bedürfnis ist nach diesem Verständnis also jedwede Willensbestimmung eines Subjektes, völlig ununtersucht, ob ihr eine Kausalität aus Freiheit oder aus Naturgesetzlichkeit zugrunde liegt. Der ausschließliche Bezugspunkt dieser offenen Konzeption von Bedürfnis ist die individuelle Subjektivität des Wollens. Alles, was von einem Subjekt gewollt wird, d.h. die Gesamtheit seiner Willensinhalte, fällt demnach unter den Begriff des Bedürfnisses. Diese offene Bedürfniskonzeption liegt dem „methodischen Individualismus“497 zugrunde. Dieser hält es sich zugute, die ökonomische Perspektive von ihrer landläufigen Fixierung auf „Geld“ bzw. materielle Güter gelöst zu haben und statt dessen einen „rein formalen Vorteilsbegriff“ zu verwenden: „Dabei wird der Begriff ‚Vorteil‘ streng formal gefaßt. ‚Vorteil‘ kann alles sein, was die Akteure selbst als ‚Vorteil‘ ansehen, also Einkommen und Vermögen natürlich, aber ebenso Freiheit, Gesundheit, ‚gutes Leben‘, Zeit, Muße und eine personale Identität.“498
Wenn in dieser Art alles, was ein Individuum individuell jeweils will, so aufgefaßt wird, als wäre es allein deshalb gewollt worden, weil das Individuum es für sich persönlich als vorteilhaft erachtet, bedarf es keiner weiteren Optimierungs- bzw. Maximierungsannahme. Diese ist im formalen Vorteilsbegriff implizit schon enthalten. Denn es ist unmittelbar evident, daß ein „größerer“ Vorteil einen Vorteil gegenüber einem „kleineren“ Vorteil darstellt und deshalb vom Individuum – annahmegemäß – angestrebt wird. „Vorteil“ ist – im Gegensatz zu „Nutzen“ – ein quantitativer Relationsbegriff: Eine Vorteilsbetrachtung ergibt sich allein dadurch, daß die zur Disnisse in asketischer Selbstüberwindung prinzipiell unberücksichtigt bleiben sollen. Vgl. zu diesem Mißverständnis die Ausführungen in Kapitel 5.4.2 sowie die noch folgenden Ausführungen in Kapitel 6.2.1. 497 Vgl. Kapitel 3.1.2. 498 Homann (1999), S. 58.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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position stehenden Handlungsalternativen untereinander im Hinblick auf einen subjektiven Bewertungsmaßstab – den Nutzen – verglichen werden. Es wird diejenige Handlungsalternative gewählt, die gegenüber allen anderen einen Vorteil bietet, die also den Nutzen maximiert. Insofern ist die auf den Nutzen abstellende Formulierung die präzisere. Damit stellt sich die Frage, welchen theoretischen Status die Maximierungsannahme im methodischen Individualismus erhält. Mit dem Verzicht auf einen nomologischen Erklärungsanspruch ist die Nutzenmaximierung nicht mehr notwendig als das Resultat einer anthropologisch vorgegebenen Unersättlichkeit anzusehen. Vielmehr ergibt sie sich aus der gewählten methodischen Perspektive. „Nutzenmaximierung“ heißt also lediglich, daß das unterstellte idealtypische Subjekt versucht, die Gesamtheit seiner Zwecksetzungen zu realisieren. Dieses Subjekt will also unterstelltermaßen, daß es alles, was es jetzt und in Zukunft jeweils konkret will bzw. wollen wird, auch tatsächlich wird realisieren können.499 Die Betrachtung der Totalität möglicher (auch zukünftiger) Zwecke liegt – wie schon erwähnt – dem Effizienzbegriff zugrunde. Die Maximierungsannahme stellt insofern eine abstrakte Affirmation des Willens zur Realisierung gesetzter Zwecke dar. Diese Affirmation ist abstrakt, insofern sie sich ex ante auch auf alle zukünftigen (und aktuell noch unbekannten) konkreten Willensinhalte bezieht. Zusammenfassend ergibt sich also: „Nutzenmaximierung“ im Sinne des methodischen Individualismus meint den Willen, alles individuell Gewollte – wobei die Quellen dieses Wollens (etwa physiologische Notwendigkeit oder soziale Konstruktion oder subjektive Willkür) völlig unbeachtet bleiben – in der Realität möglichst umsetzen zu können. Wenn das idealtypisch unterstellte Subjekt derart konzipiert wird, dann heißt das nichts anderes, als daß dieses Subjekt versucht, durch eine Totalitätsbetrachtung aller vorstellbaren Lebenssituationen und aller vorstellbaren Willensinhalte, die Chancen zu maximieren, in der jeweiligen, konkreten Situationen das jeweils Gewollte erreichen zu können. Mit anderen Worten: Die subjektive Zweckrationalität wird als umfassend unterstellt, wobei die Quellen der jeweilig-konkreten Zwecksetzung unspezifiziert bleiben. Soweit im folgenden nicht ausdrücklich auf den ursprünglichen Bedürfnisbegriff Bezug genommen wird, liegt der weiteren Untersuchung ausschließlich der formale Bedürfnisbegriff zugrunde, der allein auf die Individualität der Zwecksetzung im Sinne des methodischen Individualismus abstellt.500 499 Daß ein Zweck überhaupt realisiert werden soll, liegt dabei schon im Begriff des Wollens: Etwas zu wollen heißt, dieses Etwas als zu schaffende Realität anzustreben. Fehlt diese unmittelbare Tendenz zur Realisierung, so ist lediglich von einem Wunsch die Rede.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
6.1.3 Der historische und systematische Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik Wenn wir eine extrem positivistische Position unberücksichtigt lassen, so stellt sich in allen Wissenschaften das Problem, daß ihr Gegenstand immer auch durch bestimmte kategoriale Erkenntnisleistungen vorstrukturiert wird. Insofern kann sich keine Wissenschaft auf ihren Gegenstand als auf ein rein gegebenes Objekt beziehen, ohne sich zuvor über die erkenntnisleitenden, -strukturierenden und eventuell sogar -konstituierenden kategorialen Eigenleistungen aufgeklärt zu haben. Exemplarisch wurde oben bereits ausgeführt, daß eine auch nur annähernde Erfassung von Wirtschaft bzw. wirtschaftlichem Handeln als bloßes Phänomen immer schon auf Begriffe und theoretische Konzepte zurückgreifen muß, die in der Ökonomik formuliert und entfaltet werden. Wie stellt sich das Verhältnis von Gegenstand und wissenschaftlicher Reflexion nun hinsichtlich des „Ökonomischen“ genauer dar? Sowohl die gegenstandbezogene als auch die methodenbezogene Ökonomik beziehen sich – in unterschiedlicher Weise – auf eine bestimmte Form menschlichen Wollens und Handelns. Die gegenstandsbezogene Ökonomik (a) betrachtet die spezifische Form marktlichen Handelns als empirische Tatbestände. Sie erklärt diese Tatbestände durch das theoretische Konzept der Knappheit, mit dem die oben dargestellten Annahmen über die Struktur des menschlichen Wollens und Handelns zwingend verbunden sind. Die methodenbezogene Ökonomik bezieht sich ebenfalls auf menschliches Handeln, jedoch nicht in der Weise, daß sie eine bestimmte, empirisch gegebene und phänomenal abgrenzbare Form dieses Handelns unterstellt. Statt dessen betrachtet sie einen Aspekt menschlichen Handelns, den sie entweder als durchweg faktisch handlungsbestimmend (b) oder als bloß möglich (c) versteht. Im zweiten Fall (c) beansprucht sie lediglich, eine Perspektive zu profilieren, die sich die Handlungssubjekte zu eigen machen könnten. Im ersten Falle (b) macht sie eine anthropologische All-Aussage über „die Natur“ menschlichen Wollens und Handelns. Sie trifft sich in diesem Falle also mit der gegenstandsbezogenen (Markt-)Ökonomik (a) in der Annahme der Gegebenheit ihres Ausgangsproblems. Während sich die anthropologisch argumentierende Methodenökonomik (b) von vornherein auf die überzeitliche und universelle Gültigkeit ihres Ausgangsproblems festlegt, kann die auf den Markt fokussierte Ökonomik (a) jedoch die Gegebenheit des Marktes auch als ein lediglich historisches Phänomen verstehen, das zu einer be500 Um die Varianten des Bedürfnisbegriffes zu unterscheiden, müßte im Rahmen einer methodenbezogenen, perspektivischen Ökonomik von „Interessenbefriedigung“ gesprochen werden, im Rahmen einer Ökonomik mit nomologischem Erklärungsanspruch von „Bedürfnisbefriedigung“.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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stimmten Zeit entstanden ist und ebenso irgendwann wieder verschwinden könnte. Sie kann in diesem Punkt unbestimmt bleiben, ohne ihr eigentliches Forschungsanliegen zu gefährden. Die methodenbezogene Ökonomik ohne anthropologischen Anspruch (c), die sich als „approach“ bezeichnet, versteht das Ökonomische als ein implizites Problem menschlichen Handelns. Implizit ist dieses Problem (der Knappheit) insofern, als diese Art Ökonomik nicht behauptet, daß es in allem menschlichen Handeln tatsächlich eine Rolle spielt. Die Entwicklung und Formulierung des Knappheitsproblems führt vielmehr auf eine mögliche, und das heißt: vom einzelnen Subjekt wählbare und von dieser Ökonomik programmatisch gewählte Einstellung zur Welt: der konsequenten Betrachtung aller Handlungsalternativen im Hinblick auf den unter den jeweiligen Beschränkungen maximal erreichbaren subjektiven Nutzen. Alle drei genannten Spielarten der Ökonomik – die gegenstandsorientierte Marktökonomik, die anthropologisch argumentierende Methodenökonomik sowie die perspektivische Methodenökonomik – kommen letztlich darin überein, daß sie auf diese eben charakterisierte Einstellung als eine spezifische Form menschlichen Wollens und Handelns rekurrieren – im ersten Falle als Erklärungsgrund für ein empirisches Phänomen, im zweiten Falle als anthropologisch vorgegebene Struktur allen Handelns, im letzten Falle als wählbare Perspektive auf die Welt. Abgesehen von diesen Unterschieden in Funktion und methodologischem Status wird diese idealtypische Einstellung in dieser Arbeit als der axiomatische Kern aller unter dem Namen „Ökonomik“ betriebenen wissenschaftlichen Theorien der Gegenwart aufgefaßt. Versuchen wir, diesen Befund ausschließlich über die heutige Ökonomik nun mit Überlegungen zu der realgeschichtlichen, gesellschaftlichen Dimension des Ökonomischen in Beziehung zu setzen. Läßt sich die Einstellung, die bislang allein als das theoretische Konstrukt der heute etablierten Wissenschaft nachgewiesen wurde, auch als ein gesellschaftliches Phänomen der Moderne nachweisen? Ein solcher Nachweis würde der etablierten Ökonomik bescheinigen können, daß sie mit der besagten idealtypischen Einstellung eine Form menschlichen Wollens und Handelns thematisiert, die das gesellschaftliche Gefüge zumindest der heutigen Welt tatsächlich prägt. Dieser Einstellung müßten wir dann unmittelbare geschichtliche Wirklichkeit zusprechen und könnten sie nicht allein als ein mehr oder weniger plausibles wissenschaftliches Axiom behandeln. Sie wäre nicht nur den gegenstandsstrukturierenden, kategorialen Eigenleistungen der Ökonomik bzw. der wissenschaftlichen Definitionsmacht über das Untersuchungsobjekt entsprungen, sondern dürfte darüber hinaus als historisch tatsächlich vorhandene Kraft gelten. Über die normative Berechtigung oder Vorzugswürdigkeit dieser Einstellung wäre damit selbstredend jedoch noch nichts gesagt.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
Ein solcher Nachweis im Rahmen einer eigenständigen historischen und soziologischen Untersuchung kann in dieser Arbeit aus Gründen der Beschränkung nicht einmal ansatzweise erbracht werden. Die Annahme, daß die besagte Einstellung ein tatsächliches, historisches Phänomen benennt, in dem Sinne, daß sie als willentlich-praktische Einstellung, als Geisteshaltung realer Menschen tatsächlich gesellschaftlich wirksam wurde oder wird, diese Annahme könnte jedoch eine Bestätigung erfahren durch die epochemachende Untersuchung Max Webers „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“. Weber versucht in dieser Untersuchung „die Zusammenhänge der religiösen Grundvorstellungen des asketischen Protestantismus mit den Maximen des ökonomischen Alltagslebens“ zu erhellen.501 Sein Interesse gilt also nicht eigentlich der inhaltlichen Qualifizierung dieser Maximen als „Maximen des ökonomischen Alltagslebens“, sondern vielmehr ihrer sozusagen praktisch-psychologischen Genese aus religiösen Vorstellungen. Er weist dabei nach, wie diese „religiösen Bewußtseinsinhalte“ bestimmte Verhaltensweise und Lebenseinstellungen prägten, und wie sich diese Lebenseinstellungen wiederum, nach dem „Absterben“ ihrer religiösen Wurzeln, als rein säkulare Maximen verselbständigten. Für den hier interessierenden Zusammenhang ist der spezifisch religionssoziologische Aspekt der Untersuchung Webers nicht relevant. Relevant ist hier allein, daß Weber die historische Wirkmächtigkeit einer ganz spezifischen Lebenseinstellung im Sinne der verstehenden Soziologie nachweist oder zumindest einsichtig macht. Ohne auf die spezifischen Methoden dieser Untersuchung und die vielfältigen Einschränkungen, unter denen Max Weber seine Ergebnisse präsentiert, näher einzugehen, sollen hier lediglich die zentralsten Aussagen genannt werden. Deren Relevanz für die hier angezielte Bestimmung des Ökonomischen wird dabei von selbst klar werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Max Weber mit dem Ausdruck „‚Geist‘ des Kapitalismus“ einen Begriff verwendet, der mit dem hier verwendeten Begriff der „Einstellung“ nahe verwandt ist. Weber gibt die Bedeutung dieses Ausdruckes zunächst folgendermaßen an: „Wenn überhaupt ein Objekt auffindbar ist, für welches der Verwendung jener Bezeichnung irgendein Sinn zukommen kann, so kann es nur ein ‚historisches Individuum‘ sein, d.h. ein Komplex von Zusammenhängen in der geschichtlichen Wirklichkeit, die wir unter dem Gesichtspunkte ihrer Kulturbedeutung begrifflich zu einem Ganzen zusammenschließen.“502
Der „Geist des Kapitalismus“ bezieht sich also zunächst auf eine heterogene Vielfalt von Gegebenheiten der geschichtlichen Wirklichkeit, die erst 501 502
Weber (2000), S. 122. Weber (2000), S. 11.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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durch eine Interpretation zu einem gedanklichen Ganzen, zu einem einheitlichen Phänomen synthetisiert – Weber spricht von „komponiert“ – werden. Diese aus dem historischen Material herzustellende gedankliche Einheit ist nach Weber die inhaltliche Füllung desjenigen, was er formal als „Geist des Kapitalismus“ bezeichnet. Entscheidend ist für den hier interessierenden Zusammenhang nun, daß Weber diese gedankliche Einheit in einer spezifischen, „ethisch gefärbten MAXIME DER LEBENSFÜHRUNG [Herv. d. Verf.]“503, einer „Gesinnung“504 sieht. Unabhängig von der Bestimmung des Inhaltes dieser Maxime ist damit bereits ein Gesichtspunkt genannt, auf den die hier unternommene Untersuchung großes Gewicht legt: Wenn Weber den modernen Kapitalismus in seiner eigentümlichen Charakteristik bestimmt sieht durch eine Maxime der Lebensführung, dann spricht er damit zumindest in formaler Hinsicht den gleichen Gedanken aus, der hier als „willentliche Einstellung zur Welt“ bezeichnet wurde.505 Die Eigenart des Ökonomischen wird offenbar nicht nur von der modernen Ökonomik durch die Konstruktion einer bestimmten Perspektive erfaßt. Vielmehr erfährt diese Auffassung des Ökonomischen offenbar eine Stütze darin, daß Weber unabhängig von einer vorausgesetzten ökonomischen Axiomatik, auf dem Wege einer historischen und religionssoziologischen Untersuchung, den modernen Kapitalismus wesentlich durch eine innere, geistige Einstellung, durch eine Gesinnung, charakterisiert sieht.506 Trotz der Betonung der gesinnungsmäßigen Einstellung bestreitet Weber ausdrücklich nicht, daß die „kapitalistische Wirtschaftsordnung“ von selbst 503
Weber (2000), S. 13 f. Weber (2000), S. 24. 505 Weber verknüpft die Struktur moderner Wirtschaft mit der von ihm dargestellten Maxime der Lebensführung, „welche jener Struktur so sehr adäquat, so sehr mit den Bedingungen des Sieges im ökonomischen Daseinskampfe verknüpft ist, daß von einem notwendigen Zusammenhang jener ‚chrematistischen‘ Lebensführung mit irgend einer einheitlichen Weltanschauung heute keine Rede mehr sein kann.“ Vgl. Weber (2000), S. 29. Die moderne Wirtschaftsstruktur „erzwingt“ sozusagen jene Gesinnung und Lebensführung, völlig unabhängig von allgemein geteilten religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. In diesem Gedanken kommt zum Ausdruck, wie sehr Weber in der heutigen Form von Wirtschaft ideelle Gesinnung und systemische Struktur miteinander verschränkt sieht – ohne allerdings eine einseitige kausale Abhängigkeit dieser Struktur von ideellen Faktoren zu behaupten. Vgl. dazu auch die folgende Fußnote. 506 Weber behauptet gleichwohl nicht, daß das Faktum kapitalistischer Lebensformen und Institutionen – wir können auch sagen: das ökonomische System – ausschließlich durch geistig-ideelle Faktoren bestimmt wird. Er verfolgt ausdrücklich nicht die Absicht, „an Stelle einer einseitig ‚materialistischen‘ eine ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsbedeutung zu setzen.“ Vgl. Weber (2000), S. 155. 504
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
dem einzelnen Individuum ein bestimmtes Verhalten „aufzwingt“. Modern gesprochen: Die kapitalistische Wirtschaftsordnung hat auch für Weber systemischen Charakter, der sich in spezifischen Funktionsgesetzen, nämlich denen des Wettbewerbs, zeigt.507 Die eigentlich interessante Frage ist jedoch für Weber, wie dieser sozusagen systemische Zwangsmechanismus entstehen konnte.508 Und in diesem Zusammenhang führt er bestimmte religiöse Vorstellungen an, die eine der kapitalistischen Wirtschaftsordnung entsprechende Lebenseinstellung hervorbrachten und allgemein akzeptabel machten. Wir können also Weber dahingehend interpretieren, daß er im Falle des Kapitalismus die systemischen Strukturen des sozialen Zusammenlebens, seine Institutionen unter anderem geprägt sieht durch vorgängige geistige Einstellungen, durch Gesinnungen. Aus diesem Merkmal werden weitreichende Konsequenzen für die hier angezielte Bestimmung des Ökonomischen zu ziehen sein.509 507 „Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er zwingt dem einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des ‚Marktes‘ verflochten ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher diesen Normen dauernd entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert, wie der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als Arbeitsloser auf die Straße gesetzt wird.“ Weber (2000), S. 16. 508 „Der heutige, zur Herrschaft im Wirtschaftsleben gelangte Kapitalismus also erzieht und schafft sich im Wege der ‚ökonomischen Auslese‘ die Wirtschaftssubjekte – Unternehmer und Arbeiter – deren er bedarf. Allein gerade hier kann man die Schranken des ‚Auslese‘-Begriffes als Mittel der Erklärung historischer Erscheinungen mit Händen greifen. Damit jene der Eigenart des Kapitalismus ‚angepaßte‘ Art der Lebensführung und ‚Berufs‘-Auffassung ‚ausgelesen‘ werden, über andere den Sieg davontragen konnte, mußte sie offenbar zunächst entstanden sein, und zwar nicht in einzelnen isolierten Individuen, sondern als eine Anschauungsweise, die von Menschgruppen getragen wurde. Diese Entstehung ist also das eigentlich zu Erklärende.“ Weber (2000), S. 16 f. 509 Die Betonung der Gesinnungsmerkmale des Ökonomischen erhält seine Bedeutung insbesondere auch im Hinblick auf den Vorschlag Karl Homanns, Ökonomik primär als „Interaktionsökonomik“ zu betreiben. Vgl. dazu Homann/Suchanek (2000). Hinter diesem Begriff steht der Versuch Homanns, die für wirtschaftliches Handeln konstitutiven Zusammenhänge allein aus der als omnipräsent unterstellten systemischen Struktur von Dilemmasituationen abzuleiten. Mit dieser Ableitung verfolgt er das Ziel, alle im ökonomischen Handeln enthaltenen normativen Elemente auf scheinbar rein faktische Gegebenheiten zu reduzieren. Wie problematisch dieses Unterfangen ist, zeigt sich auch schon an den Widersprüchen innerhalb der von Homann/Suchanek vorgelegten Konzeption von Ökonomik: Zunächst machen die Autoren deutlich, daß auch in ihrem Ansatz das individuelle Vorteilsstreben der Wirtschaftsakteure, ihre „individuelle Vorteils-/Nachteils-Kalkulationen“ die „handlungstheoretische Grundlage der Ökonomik“ darstelle, von der ausgehend Interaktionsprobleme zu analysieren seien. Vgl. ebd., S. 5. Sie gestehen ausdrücklich zu, daß die „Handlungstheorie [. . .] auf jene Kräfte fokussiert, die die Interaktionen
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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Lassen sich über diese rein formale Übereinstimmung hinaus aber auch inhaltliche Gemeinsamkeiten finden zwischen dem, was Weber als „Maxime der Lebensführung“ bezeichnet und der oben thematisierten „Einstellung“? Weber sieht das Eigentümliche dieser Maxime im Gedanken „der Verpflichtung des einzelnen gegenüber dem als Selbstzweck vorausgesetzten Interesse an der Vergrößerung seines Vermögens“.510 Er führt aus: „[. . .] [V]or allem ist das ‚summum bonum‘ dieser ‚Ethik‘, der Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, daß es als etwas gegenüber dem ‚Glück‘ oder dem ‚Nutzen‘ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales [. . .] erscheint. Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen. Diese für das unbefangene Empfinden schlechthin sinnlose Umkehrung des, wie wir sagen würden, ‚natürlichen‘ Sachverhalts ist nun ganz offenbar ebenso unbedingt ein Leitmotiv des Kapitalismus, wie sie dem von seinem Hauche nicht berührten Menschen fremd ist.“511
Auf den ersten Blick scheinen sich diese Ausführungen nicht mit der oben entwickelten „Einstellung“ zu decken. Denn der formale Nutzenbegriff der modernen Ökonomik schließt keineswegs das „unbefangene Genießen“ materieller (und immaterieller) Werte aus. Vielmehr bezieht er sich genau auf das, was das einzelne Individuum für seine subjektiv-individuelle Interessenwelt jeweils für vorteilhaft hält. Dieser Nutzenbegriff stellt ausschließlich ab auf das subjektiv-individuelle Empfinden. Die von Weber beINITIIEREN UND PERMANENT IN GANG HALTEN [Herv. d. Verf.], auf das Streben aller natürlichen Personen [. . .] nach individueller Besserstellung unter den gegebenen Bedingungen [. . .].“ Ebd., S. 25. Damit scheint klar zu sein, daß Dilemmastrukturen nur dann für die einzelnen Akteure Dilemmata darstellen, wenn diese versuchen, ihren Nutzen zu maximieren. Die handlungstheoretische Annahme der individuellen Nutzenmaximierung ist die Voraussetzung für der Analyse dilemmatischer Interaktionen. Diese Sichtweise ist in der Tat die logisch allein zulässige! Denn wie die spieltheoretische Analyse des Gefangenendilemmas (vgl. dazu Kapitel 3.2.2.3.2) deutlich macht, kommt die paretoinferiore Lösung als Ergebnis der Interaktion gerade dadurch zustande, daß die einzelnen Akteure strikt auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Die individuelle Einstellung der Akteure, die natürlich auch einer normativen Bewertung zugänglich wäre, ist also die logische Voraussetzung des Vorliegens einer Dilemmastruktur! Homann/Suchanek drehen jedoch am Ende ihres Buches – im Widerspruch zu den vorgenannten Ausführungen – die Argumentation einfach um: „Die Annahme der Rationalität und das Konstrukt des homo oeconomicus sind aus diesem Schema ‚Dilemmastrukturen‘ abgeleitet, sie finden darin ihre zureichende Begründung.“ Ebd., S. 430. Diese logisch unhaltbare Behauptung folgt dem in dieser Arbeit bereits nachgewiesenen Ansinnen Homanns (vgl. Kapitel 3.2), normative Zusammenhänge durch die Berufung auf scheinbare Gegebenheiten zu verschleiern. 510 Vgl. Weber (2000), S. 13. 511 Weber (2000), S. 15.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
schriebene Maxime steht jedoch nicht in unmittelbarem Gegensatz zu diesem Nutzenbegriff. Weber formuliert lediglich eine Einstellung, die spezifischer ist, als die moderne Nutzenkonzeption. Das bedeutet, daß die moderne Ökonomik aufgrund der Formalität ihres Nutzenbegriffes auch das Verhalten des von Weber idealtypisch beschriebenen puritanischen Kapitalisten problemlos abbilden kann. Aber der Zusammenhang ist noch enger. Weber stellt am Ende seiner Untersuchung als historisches „Entwicklungsschema, welches wir immer wieder beobachtet haben“ fest, daß „sich die utilitaristische Wendung dem Gedanken unvermerkt mit dem Absterben seiner religiösen Wurzeln unter[schiebt]“.512 Ein Beispiel für diese „utilitaristische Wendung“ zeigt sich darin, daß nach dem Verschwinden des religiösen Bewußtseins von diesem vor allem „ein ungeheuer gutes Gewissen beim Gelderwerb“ übrigblieb.513 „Eine spezifisch bürgerliche Berufsethik ist entstanden“,514 die sich von ihrer religiösen Vorgängerin nur durch den Verlust der religiösen Funktion des Gelderwerbs als Zeichen göttlicher Ausgewähltheit unterscheidet. Das psychologisch-lebenspraktische Scharnier, das zwischen der ursprünglich religiös verankerten Ethik einerseits und der „spezifisch bürgerlichen Berufsethik“ andererseits steht, ist die „systematisch durchgebildete Methode rationaler Lebensführung“. Weber hebt sie immer wieder hervor als das zentrale Element des puritanischen Lebensideals,515 das sie gleichwohl „mit den rationalen Formen des katholischen Ordenslebens gemeinsam hat“.516 Diese Methode rationaler Lebensführung verfolgt das Ziel, „den Menschen der Macht der irrationalen Triebe und der Abhängigkeit von Welt und Natur zu entziehen, der Suprematie des planvollen Wollens zu unterwerfen [. . .], seine Handlungen beständiger Selbstkontrolle und der Erwägung ihrer ethischen Tragweite zu unterstellen“.517 Denn nur durch einen solchen permanent asketischen Lebenswandel, der nur durch ebendiese vollständige und methodisch-rationale Selbstkontrolle zu erreichen ist, vermag sich insbesondere ein idealtypischer Puritaner der göttlichen Gnadenwahl zu versichern. 512
Vgl. Weber (2000), S. 151. Vgl. Weber (2000), S. 150. 514 Vgl. Weber (2000), S. 150 [zitiert nach der 1. Aufl.; in der 2. Aufl. steht statt dessen: „Ein spezifisch bürgerliches Berufsethos ist entstanden.“ Vgl. ebd., Endnote 429]. 515 Vgl. Weber (2000), S. 78. Vgl. auch ebd., S. 187, Endnote 276 (im Primärtext S. 85) [Zusatz der 2. Aufl.]: „Daß diese Methodik für die Beeinflussung des Lebens das Entscheidende war, hat man sich zum richtigen Verständnis der Art der Wirkung des Calvinismus stets vor Augen zu halten.“ 516 Vgl. Weber (2000), S. 83 f. 517 Vgl. Weber (2000), S. 78. 513
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Die vollständige Konzentration des einzelnen Individuums auf beruflichen Erfolg und Gelderwerb, als Konsequenz dieser systematisch durchgebildeten Methode der Lebensführung, stand also im Puritanismus ursprünglich im Dienst des religiösen Bedürfnisses nach der Versicherung des persönlichen Gnadenstandes. Sobald jedoch diese ursprüngliche, religiöse Funktion entfiel, blieb als säkulares Rudiment lediglich die utilitaristische Rationalität des „streng rechnerischen Kalküls“, das Weber als Charakteristikum des modernen Kapitalismus hervorhebt: „Und ebenso ist es natürlich eine der fundamentalen Eigenschaften der kapitalistischen Privatwirtschaft, daß sie auf der Basis streng rechnerischen Kalküls rationalisiert, [. . .] planvoll und nüchtern auf den erstrebten wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet ist, im Gegensatz zu dem von der Hand in den Mund leben des Bauern und dem privilegierten Schlendrian des Zunfthandwerkers (und dem ‚Abenteuerkapitalismus‘, der an politischer Chance und irrationaler Spekulation orientiert war [Zusatz der 2. Aufl.]).“518
Daß dieses rechnerische Kalkül ausschließlich im Dienst der Berufsarbeit und des Gelderwerbs steht und nicht im Dienst des individuellen Nutzens überhaupt, das ist der Endpunkt der Untersuchung Webers. Unter gedanklich-systematischem Blickwinkel jedoch liegt der Schritt von einer auf Beruf und materiellen Wohlstand eingeschränkten Zweckrationalität einerseits zur formalen Nutzenkonzeption des methodischen Individualismus andererseits im Begriff der utilitaristischen Rationalität selbst schon beschlossen. Wenn die rationale Methodik der Lebensführung, von der Weber als historisch wirkmächtig spricht, auch noch die letzten Reste ihrer religiösen Bindung an Beruf und Gelderwerb abstreifte, dann gewänne sie ihre logisch sozusagen reine Form als umfassende Methodik des persönlichen Vorteils. Diesem gedanklichen Zusammenhang entspricht die reale Bedeutung, die das nutzenkalkulierende Denken in der modernen Wirtschaftspraxis erhält.519 Auch wenn Webers Untersuchung nicht als unmittelbarer Beleg für die historische Wirkmächtigkeit dieser rein nutzenorientierten Einstellung, in dem Sinne der oben behandelten ökonomischen Axiomatik, in Anspruch genommen werden kann, so liegt diese Einstellung dennoch – zumindest gedanklich – innerhalb des „Entwicklungsschema, welches wir immer wieder beobachtet haben“, nämlich, daß „sich die utilitaristische Wendung dem Gedanken unvermerkt mit dem Absterben seiner religiösen Wurzeln unter[schiebt]“.520 Für die hier verfolgten Zwecke ist es ausreichend, daß die ökonomische Perspektive, die die moderne Ökonomik formuliert, als historisch wirk518
Weber (2000), S. 32. Der unmittelbare Zusammenhang von utilitaristischer Rationalität und ökonomischer Alltagspraxis der Marktwirtschaft wird auch von Ulrich hervorgehoben. Vgl. Ulrich (1993), S. 182 f. 520 Vgl. Weber (2000), S. 151. 519
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
mächtige Geisteshaltung und Maxime der Lebensführung plausibel erscheint. Sie soll hier interpretiert werden, als die vollständig säkulare und utilitaristische Fortführung des von Weber beschriebenen Entwicklungspfades von calvinistischer Frömmigkeit zu „kapitalistischer“ Berufs- und Erwerbsorientierung, eine Fortführung, die sich aus der Logik jener „utilitaristischen Wendung“ ergibt, die Weber anführt: Die planvolle und nüchternkalkulierende Methodik der asketisch-religiösen Lebensführung transformiert sich – bei Wegfall aller religiösen Bindungen – zu der umfassenden Methodik des persönlichen Vorteils, die die moderne Ökonomik entfaltet. Der historische und systematische Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik, der hier zu thematisieren ist, zeigt sich also offenbar in einer spezifischen Lebenseinstellung. Diese Einstellung ist es, die – wie Weber betont hat – die „kapitalistische Wirtschaftsordnung“, die Strukturen und Funktionsgesetze des heute dominierenden wirtschaftlichen Systems also, wesentlich geprägt hat. „Wirtschaft“ als systemischer Zusammenhang ist insofern als verobjektivierter Ausdruck dieser Lebenseinstellung zu verstehen. Diejenigen Sinn- und Zweckorientierungen, die einen gewissen Grad allgemeiner Akzeptanz erlangen und als historisch wirkmächtig erscheinen, schaffen sozusagen jenen spezifischen „Kosmos“ sozialer Beziehungen, von dem Weber spricht, und den die gegenstandsbezogene Ökonomik als empirisch gegebenes „Marktgeschehen“ voraussetzt. Gerade die moderne Ökonomik in ihrer (neoklassischen) Standardlehrbuchform, die von diesen historischen Kräften völlig abstrahiert, stützt sich in ihrer Axiomatik auf Begriffe – Stichworte: „ökonomische Perspektive“, „approach“ –, die nichts anderes als eine bestimmte Einstellung ausdrücken. Die moderne Ökonomik thematisiert also in ihrem ahistorischen und rein axiomatisch-deduktiven Anliegen einen Sachverhalt, der sich aus der Perspektive der verstehenden Soziologie Max Webers im Effekt als nahezu identisch darstellt. Der Zusammenhang von kategorialen Denkleistungen, handlungsleitenden Orientierungen und gesellschaftlicher Realität wird hinsichtlich des Ökonomischen auch von Biervert/Wieland hervorgehoben. Die Autoren machen bei ihrer Diskussion des Kategorienbegriffs deutlich, daß (insbesondere ökonomische) Kategorien die für menschliche Handlungen relevante Wirklichkeit erst konstituieren.521 Den für die hier verfolgte Argumentation entscheidenden Zusammenhang formulieren sie folgendermaßen: „Den Kategorien als Denkformen entsprechen daher gesellschaftliche Institutionalisierungsprozesse, die konstante und habitualisierte handlungsleitende Orientierungen für Gesellschaften zur Verfügung stellen bzw. verbindlich machen.“522 521 522
Vgl. Biervert/Wieland (1987), S. 26 f. Biervert/Wieland (1987), S. 27.
6.1 Die Exposition der Fragestellung
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Der formale Begriff „Einstellung“, mit dem in dieser Arbeit eine spezifische Geistes-, bzw. genauer: Willenshaltung zur Welt gemeint sein soll, ermöglicht offenbar eine Zusammenführung der bisher genannten Aspekte des Ökonomischen. Er tritt in drei verschiedenen Dimensionen auf: Zunächst in dem unmittelbaren Sinne, in dem Max Weber von einer „Maxime der Lebensführung“ spricht. In diesem Sinne ist diese „Maxime“ kein rein theoretisches Konstrukt, kein bloßes Axiom, kein Gedankending, sondern eine tatsächlich auftretende, lebensgestaltende Kraft, die freilich allein auf dem Wege einer sinninterpretativen Methodik aufgedeckt werden kann. (Auch wenn hier mit Max Weber ihre historische Wirklichkeit behauptet wird, ist also gleichwohl nicht die Rede von einer unabhängig von aller Interpretation bestehenden Tatsache im positivistischen Sinne, da soziale Tatsachen immer nur aufgrund von Interpretationen der beteiligten Subjekte, d.h. hier der ökonomisch Handelnden zu Tatsachen werden). Wenn mit dieser von Weber als „historisches Individuum“ bezeichneten Einstellung die historische Wirklichkeit zutreffend interpretiert wird, so müssen dieser Einstellung auch historische Wirkungen zugesprochen werden: Wenn Individuen sich dauerhaft in einer bestimmten Weise verhalten, ihr eigenes Leben in einer bestimmten Weise gestalten und in einer bestimmten Weise mit anderen Individuen interagieren, so werden daraus mehr oder weniger gefestigte Formen des gesellschaftlichen Lebens entstehen. Sofern der hier thematisierten Einstellung also historische Wirkungen zu unterstellen sind, so liegen diese offenbar in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in den unpersönlichen Strukturen und Institutionen, die von sozialen Interaktionen einerseits gestaltet werden, andererseits diese jedoch immer schon präfigurieren. Die besagte Einstellung verstetigt sich letztlich in einem unpersönlichen, vom unmittelbaren Wollen der Individuen losgelösten, und insofern eigenständigen, institutionellen System funktionaler Beziehungen: Das ökonomische Wettbewerbssystem zwingt dem einzelnen die Normen des Handelns auf, sofern er an diesem System teilnimmt. Weber beschreibt diesen Zusammenhang eindringlich: „Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Berufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mitdaran jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist.“523
Im systemischen Charakter der heutigen Marktwirtschaft, die das einzelne Wirtschaftssubjekt durch den wettbewerblichen Konkurrenzkampf sozusa523
Weber (2000), S. 153.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
gen „zwingt“, den persönlichen Vorteil zu wahren und wahrzunehmen, spiegelt sich also nichts anderes als die allein auf den persönlichen Erfolg abstellende „Maxime der Lebensführung“, die Max Webers Untersuchung nachweist.524 In diesem systemischen Zwang liegt die zweite anzusprechende Dimension der hier thematisierten Einstellung. Die dritte Dimension nun ist in der gedanklich-abstrakten Axiomatik der modernen Ökonomik zu sehen. Ohne auf historische Kräfte und Entwicklungen einzugehen, entwickelt diese ihren Methodenapparat deduktiv aus dem Axiom der Nutzenmaximierung. Sie formuliert eine umfassende Methodik des persönlichen Vorteils. Die gegenstandbezogene (Markt-)Ökonomik will nicht verstehen, indem sie interpretierend die jeweilig-konkreten Zweck- und Sinnorientierungen der handelnden Menschen erschließt. Sie will das Marktgeschehen erklären und setzt es dabei als empirisch gegebene Tatsache voraus. Bei ihrem Erklärungsversuch gerät aber auch sie – über den Begriff der Knappheit – auf das Gebiet des menschlichen Wollens. In der konsequenten Fortführung dieses Erklärungsprogramms kann die rein methodenbezogene Ökonomik schließlich eine Perspektive, ein gedankliches Konzept, entwickeln, in dem nichts anderes als die (hypothetische) Einstellung eines idealtypischen Subjektes zum Ausdruck kommt, die gegebene Welt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Vorteils bzw. Nutzens zu betrachten. In den genannten drei Dimensionen zeigt sich der historische sowohl als systematische Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik, von dem diese Arbeit im folgenden ausgeht: Die historisch wirkmächtige Lebenseinstellung der Erwerbs- und Berufsorientierung verstetigt sich zu einem tatsächlichen, eigengesetzlichen System sozialer Beziehungen. Dieses als „Ökonomie“ bezeichnete System gibt der Ökonomik den scheinbar als empirisches Faktum bestehenden Untersuchungsgegenstand vor. Bei der nomologischen Erklärung dieses Gegenstandes, entfaltet diese eine abstrakte Konzeption, die axiomatisch auf der Annahme der Nutzenmaximierung fußt. Diese axiomatische Annahme deckt sich jedoch in ihrem Kern weitgehend mit den Ergebnissen, die die religionssoziologische Untersuchung Max Webers zutage förderte. Dem historischen Zusammenhang von (ökonomischer) Lebenseinstellung und (ökonomischem) System entspricht spiegelbildlich der theoretische Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik, den diese über das Grundaxiom der Nutzenmaximierung deduktiv entwikkelt. Damit kann abschließend festgestellt werden, daß ein sowohl historischer als auch systematischer Konnex von Ökonomie und Ökonomik über eine am persönlichen Nutzen orientierte, menschliche Lebenseinstellung ge524 Weber verdichtet diesen Gedanken zu der Aussage: „Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, – wir müssen es sein.“ Weber (2000), S. 153.
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
257
geben ist. Aus diesem Zwischenergebnis sollen im folgenden die spezifischen Schwierigkeiten einer Bestimmung des Ökonomischen begründet werden. Diese Schwierigkeiten betreffen zugleich auch die Frage nach der Möglichkeit von Wirtschaftsethik.
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung: Das Ökonomische als apriori mögliche Lebenseinstellung Sofern wir uns als frei annehmen, gestehen wir uns insbesondere zu, selbstbestimmt handeln zu können. Selbstbestimmt heißt in diesem Zusammenhang: Wir können die Zwecke unseres Handelns selbst festlegen. Das gilt nicht nur für die unmittelbaren Zwecke, die wir mit unseren jeweiligen Einzelhandlungen zu erreichen suchen, sondern auch für die übergeordneten Zwecke, die wir mit unserem Leben als Ganzes verbinden. Auch die grundlegenden Lebenseinstellungen, unsere Maximen, die unsere alltäglichen Einzelhandlungen – ob bewußt oder unbewußt – prägen und mitbestimmen, unterliegen demnach grundsätzlich unserem freien Willen.525 Unter dieser Voraussetzung, deren Entfaltung Aufgabe der Ethik ist, stellt sich die Frage, welche Bedeutung die zuvor entwickelte Nutzenorientierung für eine inhaltliche Bestimmung des Ökonomischen noch haben kann. Denn wenn das Ökonomische in formaler Hinsicht zu bestimmen ist als eine Lebenseinstellung, dann folgt aus besagter Voraussetzung, daß wir zumindest im Prinzip frei über diese Einstellung verfügen können. Wird diese „Freiheit“ so verstanden, daß wir das Ökonomische inhaltlich beliebig ausfüllen können, dann stellte das Ökonomische nur noch ein bloßes Wort dar, dem wir völlig heterogene Bedeutungen unterlegen können. Eine solche Beliebigkeit in der inhaltlichen Festlegung des Ökonomischen hätte entscheidende Relevanz für die Wirtschaftsethik. Das Ökonomische dürfte dann nicht mehr aufgefaßt werden als ein – zumindest in seinem strukturellen Kern – eigenständiger Sachverhalt, der überhaupt erst das Ausgangsproblem der Wirtschaftsethik entstehen ließe. Vielmehr müßte es durch die Wirtschaftsethik zuallererst selbst bestimmt werden. Wir müßten anscheinend eine wirtschaftsethische „creatio ex nihilo“ betreiben und uns auf eine gemeinsame Lebenshaltung einigen, der wir vermittelst dieser kollektiven 525 Mit der Behauptung einer solchen grundsätzlichen Freiheit wird nicht unterstellt, daß wir alle Werthaltungen, die unser Leben tatsächlich mitbestimmen, im einzelnen bewußt gewählt hätten. Es wird lediglich behauptet, daß wir erstens in der Lage sind, unsere – zunächst oft unbewußten – Einstellungen und Werthaltungen uns selbst reflexiv bewußt zu machen, und daß wir zweitens das Vermögen besitzen, über diese unsere Einstellungen und Werthaltungen bewußt zu befinden. Ob wir von diesem Vermögen jedoch tatsächlich Gebrauch machen, liegt in unserer Freiheit, so daß die philosophische Ethik dazu keine Aussage machen kann.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
Einigung normative Verbindlichkeit zusprechen könnten und die in der Folge auch den gesellschaftlichen Strukturen ein entsprechendes Gepräge verliehe. So könnten wir beispielsweise festlegen wollen, daß zwischenmenschliche Interaktion im Medium diskursiver Verständigung, nicht jedoch des eigeninteressierten Tausches, stattfinden sollte und jede „private“ Interessenverfolgung in den legitimatorischen Horizont des idealen Diskurses zu stellen sei.526 Eine Wirtschaftsethik, die ihre Aufgabe in einer solchen Aufstellung und Definition einer Lebenshaltung „ex nihilo“ sieht, gerät zwangsläufig in das Fahrwasser der allgemeinen Ethik. Jenseits des ethischen Problems von Normativität überhaupt – das in der Aufstellung einer gemeinsamen Lebenshaltung beschlossen liegt – stehen einer solchen Wirtschaftsethik keine Bezugspunkte zur Verfügung, die ihre Fragestellung einzugrenzen erlaubten. Der „ökonomische“ Gehalt einer solchen Fragestellung bliebe völlig im Dunkeln. Wenn jedoch inhaltliche Bestimmungen angenommen werden, die eine Differenzierung von allgemeiner Ethik und Wirtschaftsethik ermöglichen, dann können diese offensichtlich nur in der Eigenart des Ökonomischen liegen. Die Annahme einer solchen, jeder wirtschaftsethischen Fragestellung vorgängigen Eigenart des Ökonomischen scheint jedoch mit der Annahme menschlicher Selbstbestimmung zu kollidieren. Diese (scheinbare) Kollision ergibt sich aus folgender Überlegung: Entweder wir besitzen als selbstbestimmte Subjekte die Fähigkeit, unsere Lebenseinstellung frei zu entwerfen – dann scheint das Ökonomische keine dieser Selbstbestimmung vorgängige Qualität besitzen zu können. Oder das Ökonomische gibt in seiner Eigenart inhaltliche Bestimmungen vor, die jeder, auch wirtschaftsethischen, Selbstbestimmung voraus liegen – dann müssen wir uns scheinbar eine von uns selbst nicht beeinflußbare menschliche Natur zuschreiben und entsprechend anthropologische Grundkonstanten annehmen, die das menschliche Wollen und Handeln immer schon vorstrukturieren. Das Ökonomische erhielte eine ontologische Qualität.527 526 Eine solche Festlegung entspräche der Ulrichschen Konzeption der Wirtschaftsethik. Zur diskursethischen Aushöhlung des Privaten bei Ulrich vgl. insb. Kapitel 2.4.3. 527 Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß betont werden, daß die anthropologischen Grundkonstanten, von denen hier die Rede ist, sich auf das Spezifische des Ökonomischen beziehen, so wie es bisher entwickelt wurde. Es ist hier nicht mehr die Rede allein von bestimmten physiologischen Grundbedürfnissen (wie z. B. Hunger, Durst, Schlaf, Atmung). Hier wird vielmehr die Möglichkeit einer prinzipiellen Orientierung an der Totalität individueller Zwecksetzungen im Sinne des methodischen Individualismus thematisiert. Diese spezifische Orientierung unterscheidet sich von physiologischen Grundbedürfnissen gerade dadurch, daß sie auf einer potentiell unbegrenzten Anzahl von Bedürfnis-/Interessenarten aufruht, die jeweils für sich als quantitativ unbegrenzte in Erscheinung treten. Und die Frage ist, ob
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
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6.2.1 Aristotelische Wirtschaftsethik und die ontologische Bestimmung des menschlichen Wesens Diese – auf den ersten Blick zwingende – Alternativenstellung wird insbesondere von Autoren formuliert, die die Wirtschaftsethik im Anschluß an aristotelische Vorstellungen zu konzipieren versuchen. Hier sei beispielhaft Günter Bien zitiert, der die „Frage bezüglich des ontologischen Status des ‚Ökonomischen‘ und der ‚Wirtschaft‘“ aufwirft: „Handelt es sich dabei um invariante ‚Naturtatsachen‘ oder um eine Ordnung und Gegebenheit der Welt der menschlichen Angelegenheiten, die von uns in freier Entscheidung unter dem Aspekt, was gut, richtig und sinnvoll ist, geändert und gestaltet werden können?“528
Diese Alternativenstellung führt Bien auf „die grundsätzliche Aristotelische Theorie der menschlichen Praxis und Daseinsorientierung“ und damit auf „[d]as Glück der Menschen als de[n] letzte[n] Zweck aller privaten und gesellschaftlichen Praxis“.529 Die formulierte Alternative „Naturtatsache“ versus „freie Entscheidung“ wird hier also zugunsten einer freien Entscheidung aufgelöst, die ihrerseits von vornherein unter spezifisch aristotelischen Vorzeichen interpretiert wird: Eine freie Entscheidung ist eine solche, die das dem menschliche Leben innewohnende „telos“ verwirklicht und damit zum wahrhaften Glück, der „eudaimonia“ führt.530 Die Frage nach dem Ökonomischen wird von Bien also letztlich substituiert durch die aristotelische Frage nach dem gelingenden Leben: „Die von Aristoteles her gesehen entscheidende Diskussion ist eine Lebensformdiskussion: Welche Art von Leben und Lebensform sollen wir wollen – einen bios politikos oder einen bios chrematistikos, ein Leben in freier Selbstbestimmung mit dem Zweck einer Realisierung humaner Glücksbedingungen oder eine auf die Produktion und Vermehrung von Gütern allein um ihrer selbst willen abzielende Arbeitsexistenz?“531 diese spezifische Orientierung als anthropologische Gegebenheit zu begreifen ist. Zur Differenzierung des Bedürfnisbegriffes vgl. Kapitel 6.1.2.3. 528 Bien (1990), S. 58. 529 Vgl. Bien (1990), S. 60 f. 530 In der Nikomachischen Ethik werden die Begriffe „telos“ und „eudaimonia“ eng miteinander verknüpft. „telos“ bezeichnet in diesem Zusammenhang sowohl ein Strebensziel als auch den wesensbedingten Vollendungszustand des Menschen. Dasjenige Strebensziel, das nur um seinetwillen, nicht um eines anderen Zieles willen gewählt wird, ist die „eudaimonia“. Vgl. Aristoteles (1995b), S. 10 f. (Nikomachische Ethik, I 5, 1097 a25–b22). Die „eudaimonia“ erlangt der Mensch, wenn er die seinem Wesen entsprechende Vollendung erreicht, die insbesondere im „bios theôrêtikos“ liegt, also einem Leben, das der betrachtenden Tätigkeit des Geistes gewidmet ist. Vgl. ebd., S. 246–255 (X 6–9), insb. S. 251 (X 7, 1178 a5 ff.). Siehe auch die weiteren Ausführungen. 531 Bien (1990), S. 61.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
Eine solche Substitution hat zur Folge, daß die Wirtschaftsethik vollständig in der aristotelischen Ethik aufgeht. Die Frage nach der Möglichkeit von Wirtschaftsethik wird mit der Frage nach der Möglichkeit eines gelingenden Lebens – im aristotelischen Sinne – gleichgesetzt. Unter Berufung auf die antike Vorstellung des „gelungenen Lebens“ tragen auch Biervert/Wieland ihre kritischen Überlegungen zur Einseitigkeit der modernen „ökonomischen Vernunft“ vor. Die Autoren definieren vier verschiedene „Rationalitätstypen“ und „Handlungsnexus“ („Mensch-Kosmos“ als Typ A; „Mensch-Mensch“ als Typ B; „Mensch-Ding“ als Typ C; „Ding-Ding“ als Typ D), die ihrer Ansicht nach „den Gegenstandsbereich Ökonomie konstituieren“,532 und denen sie überdies einen „universal-konstitutiven Charakter“ zusprechen.533 Mit der letztgenannten Begriffsverbindung, die nicht näher ausgeführt wird, folgen die Autoren offenbar der Vorstellung, daß dem menschlichen Leben ontologische – und insofern universale – Strukturen innewohnen, die problemlos angegeben werden können. Die vier von ihnen schlichtweg behaupteten „Rationalitätstypen“ und „Handlungsnexus“ sollen also offenbar eine solche ontologische Qualität besitzen. In unmittelbarem Wiederaufgreifen antiker Metaphysik werden diese Aspekte (A–D) von den Autoren in eine Rangfolge gesetzt, der eine ontologisch-normative Doppelbedeutung zukommt. Diese Rangordnung sehen sie im aristotelischen Konzept des gelungenen Lebens begründet: „Insofern aber alle diese Aspekte letztlich auf ein insgesamt gelungenes Leben zielen, das seinen Telos verwirklicht, ist der Handlungsnexus A [Mensch-Kosmos] dem Nexus B, C, D vorgängig, und diese sind auf ihn bezogen.“534
Gerade in der Vorordnung der Beziehung „Mensch-Kosmos“ vor die Beziehung „Mensch-Mensch“ zeigt sich der metaphysische Charakter dieser Argumentation. Daß im Verhältnis „Mensch-Kosmos“ Strukturen zu finden seien, aus denen verbindliche Vorgaben für die Gestaltung der sozialen Ordnung gewonnen werden könnten, läßt sich mit der Vorstellung der Autonomie des Menschen, wie sie insbesondere in der kantischen Philosophie entwickelt wird, nicht in Einklang bringen. Insbesondere die Annahme eines dem menschlichen Leben innewohnenden „telos“, das dessen Vollendung angibt, läßt sich nur auf Grundlage einer Ontologie vom Wesen des Menschen behaupten.535 532
Vgl. Biervert/Wieland (1990), S. 11 f. Vgl. Biervert/Wieland (1990), S. 16. 534 Biervert/Wieland (1990), S. 12. 535 Aristoteles baut seine Überlegungen zur höchsten Bestimmung des Menschen, dem „bios theôrêtikos“, dessen Realisierung zugleich das höchste Glück gewährt, auf der Vorstellung einer „der menschlichen Seele eigentümlichen Tüchtigkeit“ auf. Vgl. Aristoteles (1995b), S. 11 f. (Nikomachische Ethik, I 6, 1097 b20 ff.). Den direkten Zusammenhang von ontologischer Eigentümlichkeit des Menschen und seiner 533
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
261
Auf Grundlage dieser Annahmen werfen Biervert/Wieland der am neoklassischen Paradigma orientierten ökonomischen Theorie vor, daß sie „die bis zum Beginn der Neuzeit noch integrativ wirkenden Rationalitätstypen auf einfache, instrumentell-strategische Rationalität zu reduzieren sucht“.536 Der Vorwurf, daß die moderne ökonomische Theorie sich aus der aristotelischen Trias von Ethik, Politik und Ökonomik herausgelöst habe, deshalb grundlegende Zusammenhänge des guten Lebens vernachlässige und ihren Blick auf eine instrumentell-strategische Rationalität verenge, ist ein weitverbreiteter Topos der zeitgenössischen Wirtschaftsethik.537 wahren Bestimmung macht folgende Stelle deutlich: „Was einem Wesen [gemeint ist in diesem Kontext insbesondere Lebewesen; im griechischen Original wird der Begriff „hekaston“ verwendet, der bei Aristoteles vor allem den jeweils untersuchten Gegenstand bezeichnet, zugleich aber auch „das Einzelne“ bedeuten kann; jedenfalls ist völlig klar, daß es sich nicht um „Wesen“ im Sinne von „ousia“ handelt] von Natur eigentümlich ist im Unterschied von anderen, ist auch für dasselbe das Beste und Genußreichste. Also ist dies für den Menschen das Leben nach der Vernunft, wenn anders die Vernunft am meisten der Mensch ist. Mithin ist dieses Leben auch das glückseligste.“ Ebd., S. 251 (X 8, insb. 1178 a5 ff.). Diese Argumentation, die methodisch auf der bloßen Behauptung einer „Eigentümlichkeit“ der Seele des Menschen aufruht, ist das klassische Beispiel für eine metaphysische Wesensontologie. Auch wenn deren Zurückweisung nicht Aufgabe dieser Untersuchung ist, so muß hier dennoch betont werden, daß eine solche in Opposition zum Anspruch der Autonomie steht: Wir haben keine uns eigentümliche und unseren moralischen Bemühungen vorgängige „Natur“, in der wir, wenn wir sie als unser wahres Selbst erkennen, den Zielpunkt für unsere moralischer Bemühungen finden könnten. In moralischer Perspektive sind wir vielmehr nur das, was wir uns selbst qua Autonomie zugestehen zu sein. Unter dem Anspruch der Autonomie vollziehen wir eine Struktur von Freiheit, die sich in diesem Vollzug gerade als selbstgewirkte praktisch-willentlich einsehen läßt. (Damit wird auch die Kantische Position des rein formalen Solls überwunden. Vgl. dazu Kapitel 5.4.3). Vor dieser positiv-praktischen Freiheitsstruktur verliert eine auf ontologischer Basis gewonnene Teleologie jede Bedeutung. Unser Leben an einer ontologisch vorgegebenen Zweckbestimmung auszurichten, die zu realisieren wir für unsere moralische Aufgabe hielten, hieße, uns weiterhin in unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit einzurichten. 536 Biervert/Wieland (1990), S. 16. 537 Ulrich hält die aristotelische Einordnung der „Ökonomie zusammen mit Ethik und Politik als Disziplin der praktischen Philosophie“ für „dem Gegenstand durchaus angemessen“. Vgl. Ulrich (1993), S. 173. Von dieser Aussage ausgehend, entwickelt er seine „Kritik der utilitaristischen Vernunft“ – freilich ohne die metaphysischen Hintergrundannahmen der aristotelischen Konzeption auch nur ansatzweise zu teilen. Priddat/Seifert erheben den Vorwurf, daß die moderne Ökonomik die aristotelischen Tugenden „halbiert“ habe (vgl. Priddat/Seifert (1987), S. 63 f. sowie S. 72 f.) und beklagen „die endgültige Auflösung des Nexusder praktischen Philosophie aristotelischer Tradition“ (ebd., S. 65) sowie „die Vernachlässigung der individualethischen Tugendproblematik in der Ökonomie“ (ebd., S. 73). Daß diese Entwicklungen letztlich negativ zu bewerten sind, wird von den Autoren zwar nirgends explizit formuliert, jedoch läßt ihre Betonung der aristotelischen Leistung keinen anderen Schluß zu. Biervert/Wieland weisen in einer Untersuchung zum ethischen Ge-
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
Der Kern einer aristotelisch argumentierenden Wirtschaftsethik besteht darin, ethische Ansprüche einerseits und naturhafte Bedürfnisorientierung andererseits durch das Konzept des gelingenden Lebens zum Ausgleich bringen zu wollen.538 Dieses Konzept bietet die scheinbare Möglichkeit, die Bedürfnisorientierung mit vorgeordneten Wertgesichtspunkten zu verbinden. Allein der aristotelische Begriff des „natürlichen Selbstgenügens“539 impliziert, daß die Bedürfnisorientierung eine „natürliche Grenze“ habe, wie Aristoteles ausdrücklich feststellt.540 Der menschlichen Bedürfnisorientierung wird auf diese Weise eine quantitative Grenze unterstellt, die aufgrund ihrer Natürlichkeit für verbindlich gehalten wird! Die Annahme einer „natürlichen“ und damit verbindlichen Begrenzung der Bedürfnisorientierung im Gegensatz zum „widernatürlichen“ und deshalb verwerflichen Streben nach Reichtum,541 stellt eine bequeme Grundlage für eine Tendenz auch der zeitgenössischen Wirtschaftsethik dar: Die umfassende Zweckrationalität der zuvor beschriebenen ökonomischen Einstellung, die mit dem Begriff der „Nutzenmaximierung“ theoretisch präzise abgebildet wird, läßt sich unter Berufung auf aristotelische Vorstellungen als einseitig und moralisch zweifelhaft darstellen, ohne die Orientierung an Bedürfnissen als solche moralphilosophisch problematisieren zu müssen. Eine solche Problematisierung kann im Rahmen einer aristotelischen Ethik deshalb niemals in den Blick kommen, weil diese den „letzte[n] Zweck aller privaten und gesellschafthalt des Nutzenbegriffes „die systematische Arbeit der [neuzeitlichen] Ökonomen an der Entleerung des Nutzenbegriffs“ im Vergleich zur aristotelischen Nutzenkonzeption nach, die das Nützliche in Bezug zu einem übergeordneten Guten setzt. Vgl. Biervert/Wieland (1987), S. 47 sowie S. 30. 538 Ein jüngeres Beispiel für das Aufgreifen des aristotelischen Konzeptes des gelingenden Lebens im wirtschaftsethischen Kontext liefert der Aufsatz „Effizienz, Gerechtigkeit und die Theorie des guten Lebens“ von Gisela Kubon-Gilke. Vgl. Kubon-Gilke (2002), insb.: S. 334 f., S. 338 sowie S. 353. 539 Vgl. Aristoteles (1995c), S. 18 f. (Politik, I 9, 1257 a25 ff.). 540 Vgl. Aristoteles (1995c), S. 17 (Politik, I 8, 1256 b30 ff.), sowie S. 20 f. (I 9, 1257 b30–1258 a15 ff.). 541 Aristoteles schließt seine Überlegungen über die (widernatürliche) Kunst des Gelderwerbs folgendermaßen: „Da es aber, wie gesagt, eine doppelte Erwerbskunst gibt, die des Händlers und die des Hausvorstandes, und diese letztere notwendig und löblich ist, jene erstere, auf dem Umsatz beruhende, dagegen gerechten Tadel erfährt, weil sie nicht bei der Natur bleibt, sondern den einen Menschen vom anderen bereichern läßt, so ist ein drittes Gewerbe, das des Wucherers, mit vollstem Rechte eigentlich verhaßt, weil es aus dem Gelde selbst Gewinn zieht und nicht aus dem, wofür das Geld doch allein erfunden ist. [. . .]. Daher widerstreitet auch diese Erwerbsweise unter allen am meisten dem Naturrecht [dem, was natürlich und richtig ist].“ Aristoteles (1995c), S. 22 f. (Politik, I 10, 1258 a35 ff.). Inwiefern die Entgegensetzung von „natürlicher“ und „nicht-natürlicher“ Erwerbskunst bei Aristoteles in einem normativen Sinne zu verstehen ist, analysiert Günther Bien. Vgl. Bien (1990), S. 51 ff.
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
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lichen Praxis“ in das „Glück der Menschen“ setzt,542 und dieses „Glück“ zugleich als nicht unabhängig von der Befriedigung „natürlicher“ Bedürfnisse angenommen wird.543 Das Verhältnis von Bedürfnisorientierung und autonomer Selbstbestimmung wird dabei von vornherein als gleichrangiges Sowohl-als-auch vorausgesetzt, ohne die Möglichkeit einer strikten Vorordnung der letzteren in 542 Vgl. die eingangs zitierte Auffassung von: Bien (1990), S. 60 f. Bezeichnenderweise verwendet Bien die Formulierung „Glück DER Menschen“ [Herv. d. Verf.] anstatt „des Menschen“. Auf diese Weise suggeriert er, die aristotelische Ethik biete die Möglichkeit, sich menschenfreundlich auf die ganz unterschiedlichen, individuellen Glücksvorstellungen der Menschen einlassen zu können. Tatsächlich jedoch basiert die aristotelische Ethik – wie zuvor schon dargestellt – auf einem ontologischen Begriff vom Wesen des Menschen (bzw. von einer seiner Seele eigentümlichen Tüchtigkeit), der eine präskriptive Vorstellung vom „wahren Glück“ impliziert. Dieses fixiert Aristoteles inhaltlich, und zwar in der betrachtenden Tätigkeit des Geistes. Von der Möglichkeit einer pluralen Glücksvorstellung kann innerhalb einer aristotelischen Konzeption also keine Rede sein! 543 Ein Beispiel für diese (aristotelische) Auffassung, daß die zentrale Grundlage der Ethik in „der menschlichen Natur“ und damit insbesondere in menschlichen Bedürfnisse zu finden sei, bietet Nussbaums „starke vage Konzeption des Guten“. Vgl. dazu und im folgenden Nussbaum (1999), S. 45 ff. „Die Grundidee der starken vagen Theorie ist, daß wir uns Geschichten von der ALLGEMEINEN FORM oder STRUKTUR des menschlichen Lebens erzählen.“ Ebd., S. 47 [Herv. d. Verf.]. Diese „allgemeine Form oder Struktur des menschlichen Lebens“ sieht Nussbaum insbesondere auch in der „artgemäßen [!] Identität“ menschlicher Lebewesen. In der Folge entwickelt sie eine „Liste“ von „Faktoren“, die „[d]ie konstitutiven Bedingungen des Menschen (oder: [d]ie Grundstruktur der menschlichen Lebensform)“ umreißen sollen. Zu diesen Faktoren zählt sie unter anderem: „Sterblichkeit“, „Hunger und Durst“, „sexuelles Verlangen“, „Verbundenheit mit anderen“, „Humor und Spiel“ aber auch spezifische „Grundfähigkeiten des Menschen“. Aus diesen lediglich empirisch aufgegriffenen „konstitutiven Bedingungen des Menschen“ macht sie anschließend ohne jede Begründung Bedingungen eines „guten“ menschlichen Lebens. So stellt sie abschließend mit Blick auf die „Grundfähigkeiten“ – zu denen sie z. B. auch „Möglichkeiten zu sexueller Befriedigung“ zählt (vgl. ebd., S. 57) – fest: „Dies ist eine Liste von Fähigkeiten, die für ein menschliches Leben von grundlegender Bedeutung sind. Wir behaupten, daß bei einem Leben, dem eine dieser Fähigkeiten fehlt, ernsthaft bezweifelt werden kann, ob es wirklich ein menschliches ist. [. . .]. Die Liste bietet eine Minimaltheorie des Guten.“ Ebd., S. 58. Die „allgemeine Form oder Struktur des menschlichen Lebens“ wird damit – ohne jeden systematischen Ausweis der Berechtigung – normativ aufgeladen. Die Folge dieser normativen Aufladung ist, daß sich – entgegen der eigentlichen Absicht Nussbaums – präskriptive, letztlich totalitäre Ausgrenzungen von moralisch unbedenklichen Lebensformen nicht vermeiden lassen. Nussbaum legt z. B. fest: „Es ist charakteristisch für das menschliche Leben, [. . .] dem sexuellen Verlangen und seiner Befriedigung einem Leben ohne Verlangen und Befriedigung den Vorrang zu geben.“ Ebd., S. 57. Daß sie mit einer solchen Festlegung, der innerhalb ihrer Konzeption unmittelbar normative Bedeutung zukommt, eine auf Keuschheit gegründete religiöse Lebensform, wie sie im christlichen und buddhistischen Mönchtum kultiviert wird, als unmenschlich und zweifelhaft diskreditiert, läßt sich kaum bestreiten.
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Erwägung zu ziehen. Die Behauptung eines „natürlichen“ und – gemäß den Maßstäben antiker Metaphysik – damit zugleich verbindlichen „Selbstgenügens“ innerhalb der Bedürfnisorientierung läßt sich nur rechtfertigen, wenn Tragweite und Bedeutung von Autonomie, so wie sie insbesondere die fichtesche Philosophie reflektiert, ausgeblendet werden. Denn sobald wir uns unter den Anspruch der Autonomie stellen, akzeptieren wir eine Grenze unseres Begehrens als eine verbindliche nur insofern, als wir uns willentlich erfassen, als uns selbst auf diese verpflichtend. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Grenze keine Festlegung quantitativer Art enthält. Unter dem Anspruch der Autonomie ist „wenig“ zu begehren weder besser und noch schlechter als „viel“ zu begehren! Vielmehr wird die Bedürfnisorientierung selbst, also in qualitativer Hinsicht eingeschränkt: Durch eine autonome Selbstverpflichtung setzen wir uns in ein willentliches Verhältnis zu unseren Bedürfnissen, so daß diese keine unmittelbare Handlungsrelevanz mehr beanspruchen können – völlig unabhängig davon, ob wir ursprünglich nun „viel“ begehren, also nach Reichtum streben, oder uns selbstgenügsam mit „wenig“ bescheiden. In einem autonomen Verhältnis zu den eigenen Bedürfnissen stehen wir, wenn wir ihnen nachkommen, nur sofern wir willentlich erfassen, daß der Bedürfnisbefriedigung in der jeweiligen, konkreten Situation keine moralischen Verpflichtungen entgegenstehen. Wenn wir in concreto uns einem Sollensanspruch nicht gegenübersehen, dann haben wir aber auch keine quantitativen Einschränkungen als moralisch verbindlich zu berücksichtigen.544 Eine synkretistische Zusammenschau von „natürlich“ begrenzter Bedürfnisorientierung und moralischem Verbindlichkeitsanspruch kann allein schon aus diesem Grunde keine Grundlage für eine neuzeitliche Wirtschaftsethik darstellen. Damit kommen wir auf die zuvor exponierte Alternativenstellung hinsichtlich des Status des Ökonomischen zurück. Ist das Ökonomische eine in seiner Eigenart vorgegebene Naturtatsache oder ein Produkt menschlicher Selbstbestimmung? – so lautete die Frage. Wie wir gesehen haben, wird unter aristotelischen Vorzeichen diese Alternativenstellung zunächst zugunsten einer Lebensformdiskussion aufgelöst.545 Die aristotelische „Selbstbestim544 Ein solch autonomes Verhältnis zu den eigenen Bedürfnissen befreit von vornherein von jeder Selbstkasteiung und Sinnenfeindlichkeit. Wir dürfen uns das unbefangene Genießen in conreto durchaus gestatten – sofern dem keine konkreten moralischen Verpflichtungen entgegenstehen! 545 Vgl. die zu Beginn des Kapitel 6.2.1 schon zitierte Frage von Bien: „Welche Art von Leben und Lebensform sollen wir wollen – einen bios politikos oder einen bios chrematistikos, ein Leben in freier Selbstbestimmung mit dem Zweck einer Realisierung humaner Glücksbedingungen oder eine auf die Produktion und Vermehrung von Gütern allein um ihrer selbst willen abzielende Arbeitsexistenz?“ Bien (1990), S. 61. Bien verschweigt dabei freilich, daß die nach Aristoteles höchste Bestimmung des Menschen im „bios theôrêtikos“ liegt, also einer Lebensführung, die
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
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mung mit dem Zweck einer Realisierung humaner Glücksbedingungen“546 ist jedoch von vornherein ontologisch-normativen Strukturen eingegliedert, die nur im Rahmen einer metaphysischen Spekulation formuliert werden können. Denn die für die aristotelische Argumentation zentrale Vorstellung eines „gelingenden Lebens“, aber auch die Vorstellung eines „natürlichen Selbstgenügens“, ruht auf dem ontologischen Konzept vom Wesen des Menschen (bzw. seiner „Seele“). Dieses Konzept ist mit dem Anspruch auf Autonomie nicht vereinbar. Zudem ist eine allgemeingültige Bestimmung menschlicher „Glücksbedingungen“ nur möglich, wenn Menschen nicht als unvertretbare Individuen betrachtet werden, denen unterschiedliche Auffassungen von „ihrem“ Glück eigen sein können, sondern unter dem Allgemeinbegriff des Wesens des Menschen (bzw. seiner Seele) zusammengefaßt werden. Wenn die Problemstellung, die eine aristotelisch argumentierende Wirtschaftsethik formuliert, also bereits von ihren Grundlagen her verfehlt ist, so bleibt weiterhin die Frage zu beantworten, ob und wie das Ökonomische im Spannungsfeld von natürlicher Gegebenheit und freier Selbstbestimmung zu verorten ist. 6.2.2 Das Konzept von Apriorizität als formaler Bestimmungsgrund des Ökonomischen Vermag die Auffassung von freier Selbstbestimmung im Sinne von Autonomie einen Weg zur Bestimmung des Ökonomischen zu weisen? Das erscheint auf den ersten Blick eher unplausibel. Denn die bisher vorgenommene inhaltliche Bestimmung des Ökonomischen als eine Einstellung, die in dem Bemühen besteht, individuelle Zwecke optimal zu befriedigen, steht zumindest dann zum Anspruch auf Autonomie in direktem Gegensatz, wenn sie einseitig am engen Bedürfnisbegriff festgemacht wird: Autonom handeln wir zumindest dann nicht, wenn wir Bedürfnisse – im Sinne von Neigungen – zum Prinzip unseres Handelns machen. Dieser Gegensatz von Autonomie und Bedürfnisorientierung mildert sich jedoch im Falle des weiten Bedürfnisbegriffes – im Sinne von Interessen – zu einer Beziehungslosigkeit ab: Die Interessenorientierung im Sinne des formalen Vorteilsbegriffes der Methodenökonomik ist definitionsgemäß so weit gefaßt, daß jede moralische und unmoralische Orientierung unter ihr subsumiert werden kann. Denn das selbstlose Handeln einer Mutter Theresa erscheint aus dem Blickwinkel der Methodenökonomik ebenso interessengeleitet, wie jedes beliebige Verbrechen. Deshalb steht dieser Interessenbegriff nicht in inhaltlichem Gegensatz zur Autonomie, vielmehr besitzt er keinerlei Inhalt, der sich der Kontemplation und dem (wissenschaftlichen) Denken widmet. Vgl. Aristoteles (1995b), S. 251 ff. (Nikomachische Ethik, X 8, insb. 1178 b5 ff.). 546 Vgl. das vorgenannte Zitat aus Bien (1990), S. 61.
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es erlaubte, ihn mit moralischen Kategorien zu fassen. Interesse ist insofern eine amoralische, keine unmoralische Kategorie.547 Jedenfalls scheint die Autonomie weder im Falle des Bedürfnis- noch im Falle des Interessenbezuges inhaltlich ein geeignetes Modell für eine philosophische Aufklärung des Ökonomischen bereitstellen zu können. Anstatt auf diesen inhaltlichen Gegensatz bzw. die Beziehungslosigkeit zwischen Autonomie und „ökonomischer“ Einstellung zu reflektieren, soll uns im folgenden jedoch allein deren formale Bestimmung als willentliche Einstellung interessieren. Der philosophische Begriff der Autonomie kann einen Hinweis darüber geben, mit welchem gedanklichen Konzept sich das Verhältnis von frei gewählter Einstellung und inhaltlicher Bestimmtheit denken läßt. Dieser Hinweis liegt in der gesetzlichen Struktur von Autonomie.548 Autonomie ist nicht gleichbedeutend mit Willkürlichkeit! Vielmehr besteht Autonomie in einem gesetzlichen Selbstbezug von Freiheit auf Freiheit.549 Wann immer wir etwas wollen, bewegen wir uns bereits innerhalb dieses Selbstbezuges. Das gilt auch dann, wenn wir dem Prinzip der Autonomie zuwiderwollen und -handeln. Daß dieser Selbstbezug jedes konkrete Wollen gesetzlich begleitet, zeigt sich anschaulich ja gerade darin, daß wir ein sogenanntes „schlechtes Gewissen“ nicht willentlich abschütteln können: Die Verletzung des Prinzips der Autonomie macht uns willentlich einiges „zu schaffen“, ob wir das individuell nun „wollen“ oder nicht. Der nicht-willkürliche Selbstbezug des Willens, der sich unwillkürlich als „Soll“ – bzw. bei Mißachtung als „schlechtes Gewissen“ – äußert, bildet damit die praktische Grundlage für jeden konkreten Fall moralischer Verbindlichkeit: Allein deshalb, weil (nicht-individuelle) Freiheit sich selbst ein Gesetz ist, können wir über die je nur individuell und kulturell gültigen Vorlieben und Wertpräferenzen hinaus Forderungen uns selbst wie anderen gegenüber erheben, die verpflichtenden Charakter haben.550 Die in Kapitel 5 entwickelte Bedeutung von 547 Damit zeigt sich, daß auf Grundlage der Ethik eine „Wirtschaftsethik“ nicht zu entwerfen ist. 548 Es kann dabei offen bleiben, ob Autonomie hier im strikten Sinne des kantischen Sittengesetzes oder im Sinne einer höheren Moralität nach Fichte zu verstehen ist. In beiden Fällen liegt das moralische Prinzip in einer wechselseitigen Bezogenheit von Freiheit auf Freiheit. Vgl. Kapitel 5.4. 549 Vgl. Kapitel 5.2.5 sowie Kapitel 5.4.3. 550 Um ein krasses Beispiel zu geben: Wir alle halten wohl eine Position für schlechtweg unmoralisch, die die Ermordung der Juden in Europa unter der nationalsozialistischen Herrschaft als eine kulturell bedingte, moralische Sonderform verstehen will, über die wir – aufgrund unserer kulturellen und historischen Andersartigkeit – moralisch nicht zu befinden haben. Mit der moralischen Diskreditierung dieser Position gestehen wir uns aber offenbar zweierlei zu: Erstens halten wir menschliche Angelegenheiten prinzipiell für unserer moralischen Urteilskompetenz zugänglich – also auch dann, wenn sie sich in struktureller, kultureller und historischer Hinsicht stark von unserer eigenen sozialen Welt unterscheiden mögen. Zwei-
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
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Autonomie soll uns hier jedoch im einzelnen nicht weiter beschäftigen. Allein der Aspekt der Nicht-Willkürlichkeit ist hier von Interesse: Autonomie zeichnet sich durch einen Selbstbezug von Freiheit aus, der dem individuellen Wollen nicht zur Disposition steht. Wenn wir also in jedem Einzelwollen einer willentlichen Struktur unterliegen, die wir zwar einerseits als eine Struktur der Freiheit ansehen – die wir also in ihrem Ursprung auf uns selbst beziehen –, die andererseits jedoch unserem individuellem Einzelwollen nicht zur Disposition steht, so müssen wir dieser Struktur offenbar eine apriorische Bedeutung zubilligen. Der Begriff des Apriorischen ist hier der theoretische Reflexionsausdruck für die praktische Unmittelbarkeit unserer moralischen Verpflichtetheit gegenüber dem Prinzip Freiheit: Wir unterliegen einer willentlichen Struktur, die sich in jedem konkreten Einzelwollen als von diesem Einzelwollen unabhängig bemerkbar macht – nämlich als unwillkürlich gefühlte Hemmung des Willens, d.h. als „Soll“ (bzw. bei dessen Mißachtung als „schlechtes Gewissen“). Die Apriorizität des Moralischen kann damit auch eine Art gedankliches Modell für eine Bestimmung des Ökonomischen bereitstellen. Dafür lassen sich zwei entscheidende Gründe anführen, die in der Aufklärung der zuvor exponierten Schwierigkeiten liegen. Zunächst läßt sich mit Hilfe des Konzeptes der Apriorizität die vermeintliche Alternative zwischen „natürlicher“ Gegebenheit des Ökonomischen – im Sinne seiner Konstitution durch anthropologische Grundtatsachen – einerseits und seinem „freien“ Selbstentwurf ohne Bezug auf vorgängige Inhalte – im Sinne einer wirtschaftsethischen „creatio ex nihilo“ – andererseits umgehen. Die Annahme einer Apriorizität des Ökonomischen kann für die theoretische Reflexion einsichtig machen, daß dieses – formal – als Ausdruck einer willentlichen Selbstbestimmung zu verstehen ist, die jedoch – material – einer bestimmten Struktur unterliegt, die mit dem Vollzug von Freiheit überhaupt notwendig verbunden ist. Diese Struktur müßte ausschließlich darin begründet liegen, daß sich Freiheit, wenn sie sich überhaupt als solche vollzieht, aufgrund ihres Freiheitscharakters nur in einer bestimmten Weise vollziehen kann. Diese Aussage enthält weitreichende Implikationen: Das Ökonomische – im Sinne der ausschließlichen Orientierung an individuellen Zwecksetzungen – stellte keine unausweichliche Notwendigkeit unserer Existenz dar. Vielmehr würde das Konzept der Apriorizität die zumindest abstrakte Mögtens halten wir eine moralische Verurteilung, hinter der wir mit voller Überzeugung stehen, für derart verbindlich und verpflichtend, daß uns selbst eine Urteilsenthaltung als moralisch verwerflich erscheint. – Wie im Ethik-Kapitel mehrfach betont wurde, können die hier behaupteten Zusammenhänge freilich keinen theoretisch-beweisenden, sondern allein einen appellativen Charakter haben: Der gute Wille als Grundlage moralischer Urteile läßt sich niemandem andemonstrieren.
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lichkeit verbürgen, daß auch andere Formen willentlicher Horizonte und – damit einhergehend – andere Formen menschlichen Zusammenlebens für uns möglich sind, selbst wenn solche Alternativen konkret nicht vorstellbar erscheinen. Anders gesagt: Ob wir die fragliche Einstellung vollziehen, realisieren, unterläge prinzipiell unserer freien Selbstbestimmung! Andererseits wäre aber die qualitative Bestimmtheit dieser Einstellung, im Sinne ihrer Bezogenheit auf die Individualität der Zwecksetzung, einer Struktur unserer Freiheit zuzurechnen, die uns individuell-willkürlich nicht zugänglich ist. Das apriorische Element am Ökonomischen zeigte sich also darin, daß es notwendig auf die Individualität der Zwecksetzung, auf den formalen Interessenbegriff bezogen ist. Dieser Bezug ließe sich in der philosophischen Reflexion als notwendige Struktur von Freiheit einsehen. Daß diese Individualität der Zwecksetzung dann aber zum ausschließlichen Bezugspunkt des Denkens, Wollens und Handelns gemacht wird, wäre ausschließlich Produkt konkreter menschlicher Freiheit und damit nicht ableitbar. Das Konzept der Apriorizität vermag insofern also die Verortung des Ökonomischen im Spannungsfeld zwischen unabänderlicher Gegebenheit und freiem Selbstentwurf verständlich zu machen.551 Ob sich jedoch die Individualität der Zwecksetzung tatsächlich als notwendige Struktur von Freiheit nachweisen läßt, muß an dieser Stelle völlig offen bleiben. Zum zweiten läßt sich diese apriorische (Re-)Konstruktion des Ökonomischen dadurch plausibilisieren, daß diese auch den neuralgischen Streit über die historische Bedingtheit des Ökonomischen verständlich machen kann: Das Ökonomische ließe sich in seiner apriori notwendigen Seite als zeitund kulturunabhängig verstehen, nämlich insofern es der Vollzugsform menschlicher Freiheit immer schon eingeschrieben ist. Die apriori notwendige Seite definierte lediglich den Individualitätsbezug als solchen. Durch diese Definition würde aber zugleich die Möglichkeit einer Lebensform geschaffen, die sich ausschließlich an diesem Individualitätsbezug orientierte. Realität würde das Ökonomische deshalb nur als konkrete, historische Realisierung dieser apriori notwendigen Möglichkeit. Die Erscheinungsweisen des Ökonomischen wären aufgrund ihrer Abhängigkeit von tatsächlichen, menschlichen Freiheitsvollzügen philosophisch prinzipiell unableitbar und 551 Es soll hier nochmals betont werden, daß mit dem Aspekt der „natürlichen Gegebenheit“ hier nicht mehr spezifisch physiologische Bedürfnisse gemeint sind, sondern die prinzipielle Vorgegebenheit des Individualitätsbezuges der exponierten Willens- und Geisteshaltung. Dieser Individualitätsbezug ist rein formal und stellt lediglich auf den Ursprung der Zwecksetzung im konkreten Subjekt ab. Er läßt damit – wie auch der methodische Individualismus der modernen Ökonomik – völlig offen, ob dieser subjektive Ursprung nun seinerseits auf physiologische Ursachen zurückzuführen ist, sozial konstruiert wird oder tatsächlich der individuellen Willkür entspringt.
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
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deshalb nur empirisch aufzudecken. Diese zunächst lediglich vorgefundenen Phänomene könnten jedoch in ihrem ökonomischen Gehalt verstanden werden allein durch den Bezug zu der überzeitlichen „Idee“, zu dem gedanklichen Abstraktum des Ökonomischen.552 Daß die Idee von „dem Ökonomischen“ erst in der Neuzeit tatsächlich formuliert wurde, widerspricht der hier formulierten (Re-)Konstruktion nicht. Das bloße historische Faktum der Formulierung, theoretischen Ausfaltung und gesellschaftlichen Realisierung kann für eine theoretische Reflexion über den gedanklichen Ursprung des Ökonomischen keine Anhaltspunkte liefern. Es verhält sich vielmehr umgekehrt: Erst die theoretische (Re-)Konstruktion macht verständlich, weshalb wir systematisch dazu berechtigt sind, historisch und kulturell disparate Zusammenhänge des sozialen Lebens unter einem Begriff zusammenzufassen. Das tun wir genau dann, wenn wir diese Erscheinungen – trotz aller Unterschiede – als „ökonomisch“ bezeichnen. Falls das apriorische Konzept vom Ökonomischen 552 Diese apriorische (Re-)Konstruktion des Ökonomischen steht mit der Auffassung Schumpeters im Einklang, daß das Ökonomische eine allgemeine Form besitze, die aus dem historischen Material konkret auftretender Phänomene „herauszumeißeln“ sei. (Zu der Darstellung der Auffassung Schumpeters siehe Jäger (1999), S. 32 ff.). Der Prozeß dieser wissenschaftlichen Abstraktion war für Schumpeter angewiesen auf eine vorgängige „Vision“, aufgrund der man die Dinge in einem Licht sehe, „das seine Quelle weder in den Fakten noch den Methoden und Ergebnissen des voraufgegangenen Standes der Wissenschaft hat.“ Vgl. ebd., S. 35. Damit formuliert Schumpeter im Kern den gleichen Gedanken, der hier unter dem Stichwort „Apriorizität des Ökonomischen“ verhandelt wird. Allerdings muß betont werden, daß diese Auffassung nach der hier verfolgten Argumentation legitim ist allein innerhalb einer Untersuchung, die sich jedes Anspruches auf die Analyse und Erklärung historischer Faktoren enthält. Insbesondere der hermeneutischen Methode widerspricht es, an das historische Ausgangsmaterial eine feststehende Idee heranzutragen, um unter ihrer Leitung einen abstrakten gedanklichen Gehalt aus dem Material „herauszumeißeln“. Innerhalb einer historischen Untersuchung muß die leitende Idee des Verstehens zuallererst aus dem historischen Material gewonnen werden. Schumpeter formuliert seine Ansicht jedoch gerade im Rahmen einer „Geschichte der ökonomischen Analyse“. Aus Sicht einer hermeneutisch argumentierenden Wissenschaft ist deshalb die Kritik von Jäger an dieser „Geschichte der ökonomischen Analyse“ berechtigt: „Wissenschaftsgeschichtsschreibung in der Art von Schumpeter [. . .] birgt die Gefahr jener ‚teleologischen Fehldeutung‘ der Geschichte einer wissenschaftlichen Disziplin in sich, die [. . .] darin besteht, dass der durch rational denkende Menschen angestrebte Zweck des Erkenntnisfortschritts selbst zur wirkenden Ursache erklärt wird.“ Ebd., S. 36. Jedoch ist es wiederum verfehlt, die „Enthistorisierung [. . .] der Wirtschaftswissenschaft“ (ebd., S. 61) als solcher zu beklagen. Ein solcher Vorwurf kommt einer sozusagen „historistischen“ Fehldeutung der Ökonomik gleich. Denn die apriorische (Re-)Konstruktion des Ökonomischen zeigt, sowohl daß – offenbar entgegen der Ansicht Jägers – als auch in welchen Grenzen es in der Ökonomik legitim ist, „keine historische Frage zu stellen und konsequenterweise auch keine historische Antwort zu geben.“ Ebd., S. 35.
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als begründet ausgewiesen werden kann, falls wir also die zuvor beschriebene Art von Selbstbestimmung ausfindig machen können, dann würden die vielfältigen historischen Erscheinungen nicht unter eine selbst kontingenten Idee vom Ökonomischen subsumiert, die lediglich neuzeitliche Vorstellungen spiegelte. Vielmehr erlaubte die apriorische (Re-)Konstruktion des Ökonomischen, diese Idee, unter der wir historische Fälle subsumieren, als überzeitlichen Maßstab auszuweisen. Auch die spezifisch neuzeitliche Idee vom Ökonomischen – und mit ihr die Axiomatik der herrschenden Ökonomik – würde erst über diese theoretische (Re-)Konstruktion ihre systematische Berechtigung erhalten. Das Konzept der Apriorizität des Ökonomischen vermag also die in der Exposition der Fragestellung genannten Schwierigkeiten verständlich zu machen: Insofern das Ökonomische eine apriorische Dimension besitzt, ist es einerseits legitim, einen überzeitlichen Maßstab für die Klassifizierung historischer Erscheinungen als „ökonomisch“ zu verwenden. Insofern das Ökonomische andererseits erst durch eine freie Selbstbestimmung generiert wird, die philosophisch nicht zu deduzieren ist, kann es nur in den kontingenten Erscheinungen der Geschichte überhaupt auftreten. Das Ökonomische ist kein reines Gedankending. Vielmehr weist die philosophische Reflexion das Ökonomische als Bestandteil der realen Welt aus, die nur als vorfindliche, d.h. als unableitbare, wirklich ist. 6.2.3 Das Ökonomische als Gegenstand einer überindividuellen Selbstbestimmung In der bisher verfolgten Eingrenzung des Ökonomischen wurde ein Aspekt nur implizit angesprochen, der im folgenden genauer zu analysieren ist. Dieser Aspekt liegt in der zwischenmenschlichen Dimension des Ökonomischen. Sobald wir mit dem Ökonomischen Tauschvorgänge verbinden, ist eine interpersonelle Dimension bereits impliziert.553 So setzt jeder Tauschvorgang mindestens zwei Akteure voraus, die sich an die Logik des gegenseitigen Einverständnisses halten. Wird diese Logik über einen Markt institutionalisiert, muß sie allgemeine Verbreitung unter den Akteuren finden. Über eine unmittelbar interpersonelle Dimension zwischen jeweiligen Tauschpartnern hinaus erhält das Ökonomische also eine gesellschaftliche Bedeutung, sobald wir mit ihm ein abstraktes, marktliches Geschehen verbinden. Die Ökonomie ist insofern die gesellschaftliche Dimension des Ökonomischen. 553 Der Bezug des Ökonomischen zum Tausch soll hier – wie alle bisher genannten Bestimmungen des Ökonomischen – lediglich hypothetisch behauptet werden. Ein Ausweis der Berechtigung dieser Bestimmungen, der ihren hypothetischen Charakter beseitigt, wird später zu erbringen sein.
6.2 Grund und Lösung der exponierten Fragestellung
271
Der historische und systematische Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik zeigte sich am Ende der Exposition als spezifische Lebenseinstellung. Diese wurde im vorigen Abschnitt als Produkt einer apriori möglichen Selbstbestimmung betrachtet. Unbeachtet blieb jedoch die Frage, wer das Subjekt dieser Selbstbestimmung sein soll. Sobald die soziale Dimension des Ökonomischen in die Betrachtung einbezogen wird, rückt diese Frage in den Vordergrund. Sofern das Ökonomische eine interpersonelle Dimension besitzt, kann seine „Definition“ nicht aus der Perspektive der individuellen Persönlichkeit des einzelnen Individuums erfolgen. Denn die persönliche Freiheit, die jeder einzelne bei der inhaltlichen Festlegung seiner Lebenseinstellung besitzt, erhält hier die einschränkende Bedingung, daß sie mit der Lebenseinstellung der jeweils anderen in irgendeiner Hinsicht kompatibel sein muß. Wenn Lebenseinstellungen vollständig disparate, sich widersprechende Wert- und Interessenvorstellungen beinhalten, kann keine Interaktion zwischen den Individuen entstehen, die – wie im Falle des Tausches – auf einem gegenseitigen freien Einverständnis fußt. Wenn ein solches freies Einverständnis – oder zumindest die prinzipielle Möglichkeit dazu – Voraussetzung der sozialen Dimension des Ökonomischen ist, so müssen die individuellen Lebenseinstellungen in bestimmter Hinsicht vereinbar sein. Diese Vereinbarkeit impliziert keine inhaltliche Identität von Wert- und Interessenvorstellungen, keine sozusagen kleinste gemeinsame Schnittmenge individueller Präferenzen. Es geht allein um die Vereinbarkeit in formaler Hinsicht. Mit formaler Vereinbarkeit soll gemeint sein, daß die Individuen mit ihrem Handeln jeweils völlig unterschiedliche Vorstellungen und Zwecke verbinden und dennoch im Rahmen eines (möglichen) gegenseitigen freien Einverständnisses handeln können. Individualität der Perspektive bedeutet, einen ausschließlich partikularen Standpunkt einzunehmen, der die Welt nur aus dem Blickwinkel der persönlichen Wert- und Interessenvorstellungen betrachtet. Individuen unterscheiden sich durch die Unterschiedlichkeit ihrer Persönlichkeit. Deshalb kann die Frage der Vereinbarkeit der Wert- und Interessenvorstellungen mehrerer Individuen nicht vom Standpunkt des einzelnen Individuums aus entschieden werden. Die formale Vereinbarkeit setzt eine Perspektive voraus, die die Gesamtheit der betrachteten Individuen umschließt und als unpersönlich bzw. überindividuell zu bezeichnen ist. Der im letzten Abschnitt behandelte apriorische Vollzug von Freiheit muß, wenn er für die Bestimmung des Ökonomischen relevant sein soll, eine Einstellung ermöglichen, die sich ausschließlich an der Individualität der Zwecksetzung orientiert. Diese Individualität der Zwecksetzung, von der im Verlauf dieses Kapitels die Rede war, wurde bisher immer nur als
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
ein Abstraktum thematisiert. Der Begriff „Individualität“ bezog sich nicht auf die konkreten, inhaltlich schon bestimmten und angebbaren Bedürfnisse/Interessen eines beliebigen Individuums. Als Allgemeinbegriff meinte er die abstrakte willentliche Struktur des Typus „Individuum“. An dieser Stelle der Untersuchung zeigt sich nun, daß dieser abstrakten Redeweise eine ganz spezifische Funktion zukommt, die bisher noch nicht deutlich gemacht wurde. Der gesuchte apriorische Vollzug von Freiheit soll die Bedürfnis-/Interessenorientierung hervorbringen als prinzipielle Einstellung einer abstrakten Gesamtheit von Individuen. Die einzelnen Elemente dieser Gesamtheit werden durch den Begriff des Bedürfnisses/Interesses einerseits charakterisiert als Wesen, die ihren jeweils eigenen, persönlichen Vorlieben und Willensinhalten nachgehen. Werden die Individuen dieser Gesamtheit als konkrete Individuen betrachtet, also aus einem Blickwinkel, der auf ihre konkrete Unterschiedlichkeit abstellt, ergibt sich das eben behandelte Problem der interpersonellen Vereinbarkeit: Die Unterschiedlichkeit persönlicher Einstellungen kann deren interpersonelle Unvereinbarkeit mit sich bringen und in der Folge jede Form gegenseitigen Einverständnisses destruieren. Andererseits jedoch soll der gesuchte Freiheitsvollzug allein den abstrakten Rahmen individueller Unterschiede bereitstellen, nämlich die Bedürfnis-/Interessenorientierung überhaupt. Mit diesem abstrakten Rahmen ist bereits die unpersönliche, überindividuelle, gewissermaßen „unparteiliche“ Perspektive eingenommen, aus der sich die formale Vereinbarkeit unterschiedlicher Wertund Interessenvorstellungen allein beurteilen – und wie wir noch sehen werden: gedanklich herstellen – läßt. Zugleich mit der Genese individueller Bedürfnis-/Interessenorientierung müßte der gesuchte apriorische Vollzug also auch deren Vereinbarkeit im Kollektiv gewährleisten.554 Damit können wir die vorläufige, hypothetische Eingrenzung des Ökonomischen abschließen. Diejenige Einstellung, die sich ausschließlich an der Individualität der Zwecksetzung orientiert, soll das Resultat einer freien Selbstbestimmung sein. Diese Selbstbestimmung wird durch zwei Momente einer willkürlichen Beliebigkeit entzogen. Zum ersten durch den – noch ausstehenden – Nachweis einer apriori notwendigen Genese der Individualität der Zwecksetzung überhaupt (unabhängig von der Ausschließlichkeit dieser Orientierung). Zum zweiten durch das Erfordernis einer formalen, interpersonellen Vereinbarkeit individueller Bedürfnis-/Interessenbefriedigung. Diese formale Vereinbarkeit impliziert eine überindividuelle Perspektive. 554 Die „Gleichursprünglichkeit“ von Kollektivität und Individualität, die bei Homann methodisch unbegründet und im Widerspruch zum gesamten Programm des „methodischen Individualismus“ einfachhin behauptet wird (vgl. Kapitel 3.2.3), bekommt durch diesen Gedanken ein systematisches Fundament.
6.3 Zusammenfassung
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Die genannten Momente formulieren Merkmale, an denen sich die weitere Bestimmung des Ökonomischen zu orientieren hat.
6.3 Zusammenfassung: Die Frage nach der normativen Berechtigung des Ökonomischen als das zentrale Problem der Wirtschaftsethik Als bisheriges Ergebnis der Untersuchung haben wir die Hypothese gewonnen, daß das Ökonomische eine apriori mögliche Einstellung (Willenshaltung) darstellt, die sich an der Totalität individueller Zwecksetzungen orientiert. Sowohl der Begriff der Einstellung als auch ihre inhaltliche Bestimmtheit wurden zunächst gewonnen über eine Analyse des gedanklichen Kerns heutiger Ökonomik. Im Anschluß an Max Weber konnte weiterhin die historische Realität und Wirkmächtigkeit dieser Einstellung untermauert werden. Erst ihre historische Wirkmächtigkeit machte diese Einstellung zur Grundlage desjenigen, was uns heute als scheinbar gegebenes, marktwirtschaftliches System gegenübertritt. Diesem historischen Zusammenhang von Willenshaltung und ihrer institutionellen Sedimentierung in Form des modernen Marktsystems entspricht in ihren wesentlichen Grundzügen die axiomatisch-deduktive Erklärung, die die heutige Ökonomik für das Marktgeschehen anbietet. Mit diesem Ergebnis wurde der zu Beginn lediglich exponierte Zusammenhang von Ökonomie und Ökonomik konkretisiert und einsichtig gemacht. Daß die fragliche Einstellung, die der hier verfolgten (Re-)Konstruktion des Ökonomischen zugrunde liegt, einerseits in ihrer Inhaltlichkeit (Individualität der Zwecksetzung) apriori notwendig sein könnte, andererseits in der Ausschließlichkeit der Willensfixierung auf diesen Inhalt (Totalität der individuellen Zwecksetzung) Produkt einer unableitbaren Selbstbestimmung sein könnte, wurde schließlich durch die Leistungsfähigkeit des apriorischen Konzeptes im Hinblick auf die in Kapitel 6.1 exponierten Schwierigkeiten einer Bestimmung des Ökonomischen plausibilisiert: Das Konzept der Apriorizität vermag sowohl die Verortung des Ökonomischen zwischen unabänderlicher Gegebenheit und freiem Selbstentwurf als auch die exponierte Frage nach der historischen Bedingtheit des Ökonomischen aufzuklären. Zuletzt zeigte sich, daß das Konzept von Apriorizität eine abstrakte Betrachtung des Typus „Individuum“ mit sich bringt. Diese überindividuelle Betrachtung ist eine methodische Voraussetzung, um die interpersonelle Vereinbarkeit individueller Bedürfnis-/Interessenbefriedigung als möglich denken zu können.
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Dabei bleibt weiterhin völlig offen, ob eine Form von Selbstbestimmung tatsächlich nachgewiesen werden kann, die die geforderte interaktionstaugliche Bedürfnis-/Interessenorientierung mit sich bringt. Die bisherigen Ausführungen dienten also lediglich der Gewinnung und hinreichenden Präzisierung der These von der apriorischen Dimension des Ökonomischen. Den Rahmen für die in diesem Kapitel angezielte Bestimmung des Ökonomischen bildet die Frage nach den Grundlagen der Wirtschaftsethik. Nur wenn die Eigenart des Ökonomischen hinreichend bestimmt werden kann, ist es legitim, der Wirtschaftsethik einen gegenüber der allgemeinen Ethik eigenständigen Problemkreis zuzuordnen. Die inhaltliche Festlegung des Ökonomischen kann prinzipiell nicht Aufgabe der Wirtschaftsethik sein, da diese ohne Orientierung am spezifischen Gehalt des Ökonomischen nicht wissen kann, wonach sie – im Gegensatz zur allgemeinen Ethik – suchen soll. Die Eigenart des Ökonomischen steht der Wirtschaftsethik nicht zur Disposition. Es ist der Wirtschaftsethik auch nicht möglich, die ökonomische Logik zu „transformieren“,555 ohne gerade das Spezifische dieser Logik zu zerstören. Über die Möglichkeit, dieser Logik (wirtschaftethische) Grenzen zu setzen, ist damit freilich noch nichts gesagt! Durch die Untersuchung dieses Kapitels zeigte sich, daß das Ökonomische offenbar als spezifische Lebenseinstellung zu bestimmen ist. Eine solche unterliegt prinzipiell der Möglichkeit freier Selbstbestimmung. Mit diesem Aspekt gerät die Frage nach dem Ökonomischen fraglos in die Sphäre des im weitesten Sinne Normativen, in die Sphäre der praktischen Philosophie also. Sofern das Ökonomische Inhalt einer Lebenseinstellung ist, geht es uns und unser Selbstverständnis unmittelbar an; wir können ihm nicht so unbeteiligt gegenüberstehen, wie wir einer bloßen Naturtatsache gegenüberstehen – mehr soll mit „Normativität“ hier nicht gemeint sein. Daß die Freiheit der Selbstbestimmung im Falle des Ökonomischen gleichwohl nicht den Charakter einer beliebigen Festlegung hat, kann mit Hilfe des Konzeptes der Apriorizität verständlich gemacht werden. Als Ergebnis dieser Überlegungen soll festgehalten werden, daß die Frage nach dem Ökonomischen weder Gegenstand einer allgemeinen ethischen Reflexion, noch einer beliebigen Selbstbestimmung sein kann, gleichwohl aber unmittelbar normativ relevant ist. Da unser Selbstverständnis unmittelbar vom Ökonomischen betroffen ist – es soll ja eine willentliche Haltung gegenüber der Welt, eine Lebenseinstellung damit gemeint sein –, wir ihm gegenüber aber keine willkürliche Definitionsmacht besitzen, so bleibt nur, uns über die normative Berechtigung (oder Verwerflichkeit) des Ökonomischen aufzuklären. 555
Vgl. zu diesem Anspruch die Konzeption von Peter Ulrich (Kapitel 2).
6.3 Zusammenfassung
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Mit dieser Schlußfolgerung erhält die Frage nach dem Ökonomischen ihre eigentliche Bedeutung, die zugleich auch die Aufgabenstellung der Wirtschaftsethik festlegt: Wir müssen das Ökonomische zunächst als vorgegebenen Sachverhalt behandeln und als solchen inhaltlich fixieren. Diese rein „positive“ Bestimmung zeigt uns von sich aus aber, daß wir diesen Sachverhalt gar nicht als bloß vorgegebene, für uns lediglich hinzunehmende Tatsache auffassen können – sofern wir uns als freie Wesen verstehen wollen. Die normative Berechtigung des – inhaltlich zuvor fixierten – Ökonomischen aufzuklären, ist also eine unmittelbare Forderung unserer Selbstachtung, die sich gerade aus der Eigenart des Ökonomischen selbst ergibt. Wirtschaftsethik kann sich demnach allein durch die Aufgabe definieren, die ihr vorgegebenen, inhaltlichen Bestimmungen des Ökonomischen auf ihre normative Berechtigung hin zu hinterfragen. Das Ergebnis dieser Aufklärung besteht dann entweder in der Einsicht, daß und inwiefern das Ökonomische an sich (moralisch) verwerflich ist, oder in der Einsicht, daß und inwiefern das Ökonomische an sich (moralisch) zulässig ist. Im zweiten Falle stellte sich dann weiterhin die Frage, ob sich ein normatives Prinzip finden ließe, daß die Eigenart des Ökonomischen legitimierte und zugleich dessen normative Grenzen aufzeigte. Wie hängt nun die wirtschaftsethische Aufgabe, die normative Berechtigung des Ökonomischen aufzuklären, mit der Aufgabe zusammen, die zuvor entwickelte Hypothese über die inhaltliche Eigenart des Ökonomischen als begründet auszuweisen? Ein Zusammenhang zwischen beiden Fragen ergibt sich durch das Konzept des Apriorischen. Dieses Konzept besagt – im hier verhandelten Problemzusammenhang –, daß die willentliche Einstellung, die laut der bisherigen Analyse den Kern des Ökonomischen ausmacht, gedanklich als das Produkt einer freien Selbstbestimmung aufzufassen ist, deren Möglichkeit – im Sinne der Individualität der Zwecksetzung – als apriori notwendige Bedingung von Freiheit ausgewiesen werden kann. Bislang wurde dieser Nachweis lediglich hypothetisch postuliert aber noch nicht erbracht. Wenn sich eine solche Struktur von Freiheit nachweisen läßt, könnte die Hypothese über die inhaltliche Eigenart des Ökonomischen als begründet gelten. Denn wir hätten damit das Ökonomische einerseits bis zu einem Punkt zurückverfolgt, der die absolute Grenze jeder gedanklichen Reflexionsleistung markiert, nämlich die Freiheit konkreter Selbstbestimmung. Andererseits hätten wir einsichtig gemacht, wie durch eine apriorisch strukturierte Freiheitsleistung das Ökonomische gedanklich ermöglicht wird. Die normative Berechtigung des Ökonomischen wiederum würde aber just durch den Nachweis sichergestellt, daß es durch eine apriorische Struktur von Freiheit ermöglicht wird. Denn Freiheit, die sich gesetzlich auf sich selbst bezieht, ist der letzte Grund aller Normativität.
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6 Die Bestimmung des „Ökonomischen“
Abschließend ergibt sich aus dieser Überlegung die weitere Aufgabe der Untersuchung. Sowohl die Begründung der bisher entwickelten Bestimmungen des Ökonomischen als auch die Aufklärung seiner normativen Berechtigung hängen an dem Nachweis, daß ein apriorischer Freiheitsvollzug gefunden werden kann, der die Individualität der Zwecksetzung generiert und zugleich die Interaktion konkreter Individuen zumindest ermöglicht. Das nächste Kapitel ist diesem Nachweis gewidmet.
7 Das Recht als die normative Bedingung individueller Handlungsfreiheit Das Ökonomische zeigte sich im letzten Kapitel als eine Lebenshaltung, deren spezifisches Merkmal darin liegt, alle Gegebenheiten der Welt unter dem Gesichtspunkt der Individualität der Zwecksetzung zu betrachten. Zudem erwies sich das Ökonomische als Gegenstand einer kollektiven Selbstbestimmung, deren Niederschlag in der Interpersonalform der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, näherhin des Tausches, zu sehen ist. Die willentliche Einstellung der ausschließlichen Orientierung an individuellen Zwecken konnte einerseits als theoretisch-axiomatische, andererseits als historische Wurzel von Ökonomie einsichtig gemacht werden. Die materialen Bestimmungen des Ökonomischen wurden im letzten Kapitel unabhängig von normativen, wertbezogenen Überlegungen gewonnen. Die formale Bestimmung des Ökonomischen, Lebenseinstellung zu sein, weist es jedoch gerade als Gegenstand solcher Überlegungen aus. Denn eine Lebenseinstellung und -haltung ist nur als Ausdruck willentlicher Selbstbestimmung möglich, und mit dieser Freiheit der Selbstbestimmung geht das Problem normativer Orientierung unmittelbar einher.556 Das Paradoxon des Ökonomischen zwischen formaler Freiheit und inhaltlicher Bestimmtheit wurde im letzten Kapitel durch das Konzept der Apriorizität zumindest thesenhaft aufgelöst. Die methodische Bewährung dieser Hypothese steht jedoch noch aus. Gemäß der bisher gewonnenen Problemstellung kann die fragliche normative Berechtigung des Ökonomischen allein durch den Nachweis einer apriori notwendigen Freiheitsleistung aufgeklärt werden, die die Individualität der Zwecksetzung als ein Produkt gesetzmäßiger Freiheit philosophisch einsichtig macht. Dabei erbringt gerade der Nachweis der apriorischen Notwendigkeit einer solchen bedürfnis-/interessengenerierenden Freiheitsleistung die gesuchte normative Aufklärung. Denn normative Berechtigung kann immer nur einem Gesetz der Freiheit entspringen, und ein solches erweist sich in philosophisch-reflexiver Einstellung allein an der Form seiner apriorischen Notwendigkeit. Eine Sicherstellung der normativen Berechtigung des Ökonomischen auf dem Wege dieses Nachweises verbürgte zugleich auch die positive Richtig556
Dieses Problem wurde in Kapitel 5 entwickelt.
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7 Das Recht als die normative Bedingung
keit seiner bislang nur hypothetisch gewonnenen materialen Bestimmtheit. Das bedeutet, daß die in dieser Arbeit angezielte Grundlegung der Wirtschaftsethik methodisch mit einer transzendentalen Deduktion der Möglichkeit von Wirtschaft zusammenfällt. Um zu einer solchen Grundlegung zu gelangen, muß jedoch nach der bislang verfolgten Behandlung der ethischen und der ökonomischen Fragestellung noch ein dritter Argumentationsstrang entwickelt werden, der zunächst nicht auf diesen vorhergehenden Überlegungen aufbaut. Eine Zusammenführung aller drei Argumentationsstränge erfolgt erst in Kapitel 8.
7.1 Das Problem der kollektiven Vereinbarkeit individueller Handlungen Wir leben mit unseren Mitmenschen in einer gemeinsamen Außenwelt, in der unsere Handlungen aufeinandertreffen. Unter dem Begriff „Handlung“ soll hier ein realer, raumzeitlicher Vorgang verstanden werden, der seinem Ursprung nach nicht in dieser raumzeitlichen Welt, sondern in uns als intelligiblen557 und freien Wesen liegt.558 Würde auch der Ursprung die557 Der in dieser Arbeit verwendete Begriff des Intelligiblen geht auf Kant zurück. Im Felde der theoretischen Philosophie gibt Kant folgende Definition: „Ich nenne dasjenige an einem Gegenstande der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist, i n t e l l i g i b e l .“ Kant (1787), S. 366 (B 566). Entscheidende Bedeutung erhält der Begriff des Intelligiblen in der praktischen Philosophie Kants, und zwar insbesondere in der Begriffsverbindung „intelligible Welt“ (synonym dazu auch: „intellektuelle Welt“). Damit ist derjenige Standpunkt gemeint, den wir uns zuschreiben, sofern wir uns nicht als Teil der Sinnenwelt, sondern unter der Idee der Freiheit denken. Daß wir uns unter dieser Idee zu denken genötigt sind, folgt aus der kategorischen Unmittelbarkeit, mit der uns das sittengesetzliche Soll entgegentritt. Vgl. Kant (1785), S. 457 ff. 558 Eine Diskussion des Handlungsbegriffes in Anlehnung an Max Weber findet sich bei Girndt (1967), in der Schrift „Das soziale Handeln als Grundkategorie erfahrungswissenschaftlicher Soziologie.“ Auch in dieser soziologisch orientierten Untersuchung wird auf das Konstitutivmoment der Spontaneität für den Begriff der Handlung als menschliches Verhalten hingewiesen: „Menschliches Verhalten erfaßt sich selbst [. . .] als ziel- und zweckgerichtete spontane Aktualität. Wesentlich für diese Aktualität ist ihre reflexive Bewußtheit [. . .]. Wesentlich ist weiterhin, daß diese ziel- und zweckgerichtete Aktualität spontan, d.h. negativ: nicht restlos determiniert, ist.“ Ebd., S. 29. Allerdings fährt Girndt fort: „Mit dieser Behauptung ist ausdrücklich keine metaphysische Aussage über die Existenz oder Nicht-Existenz der Freiheit menschlichen Verhaltens verbunden: Kriterium der Menschlichkeit, d. h. hier der selbstbewußten Spontaneität eines Verhaltens ist prinzipiell, ob der Handelnde sein Verhalten subjektiv als (in Grenzen) frei oder als total determiniert erfaßt.“ Ebd., S. 29. Diese Apostrophierung der (soziologischen) Spontaneitäts- bzw. Freiheitsannahme als „nicht metaphysisch“ impliziert keine Ablehnung der hier vertretenen These. Vielmehr ergibt sich diese Apostrophierung aus der weberschen Be-
7.1 Das Problem der kollektiven Vereinbarkeit
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ses (Handlungs-)Vorganges, beispielsweise des Fällens eines Baumes, in die Sphäre der Raumzeitlichkeit gesetzt, könnte mit Handlung keine eigenständige Kategorie mehr gemeint sein, die sich von bloßen Naturvorgängen – beispielsweise dem Umknicken desselben Baumes bei starkem Sturm – unterscheiden ließe. Das vorsätzliche und bewußte, mit technischem Wissen vollzogene Fällen eines Baumes durch einen Waldarbeiter wäre in diesem Falle ein ebenso vollständig naturkausal determinierter Vorgang wie das sturmbedingte Umstürzen, und zwar insoweit, als der ursächliche Waldarbeiter ebenso wie der ursächliche Sturm als rein raumzeitliches Phänomen verstanden würde, das als solches ausschließlich den Gesetzen der Natur unterläge. Soll der Handlungsbegriff mit einer eigenständigen Bedeutung sinnvoll verwendet werden können, so muß er auf einen nicht-phänomenalen Ursprung von raumzeitlichen Vorgängen in uns als freien und intelligiblen Wesen verweisen. Insofern die reale, raumzeitliche Außenwelt für alle freien Wesen notwendig die gleiche ist – darin zeigt sich gerade ihre Realität – müssen die in ihr vollzogenen Handlungen ebenso notwendig direkt oder indirekt aufeinander zurückwirken. Sie schränken sich entweder gegenseitig ein, oder befördern sich: Den Baum, den ich gefällt habe, kann kein anderer mehr fällen. Die Rohstoffe, die ich verbrauche, kann kein anderer mehr verbrauchen. Aber ich kann nur dann in einem Orchester spielen, wenn andere das gleiche wollen, wenn wieder andere die Instrumente bauen und wieder andere die Noten liefern. Ich kann nur dann meiner Beschäftigung nachgehen und meine Aufgaben erfüllen, wenn andere ihre Aufgaben erfüllen, z. B. die schränkung auf die Perspektive einer Soziologie als empirischer Sozialwissenschaft. Auf diesen Perspektivenunterschied zwischen Philosophie einerseits und Soziologie im weberschen Sinne andererseits weist auch Johannes Winckelmann im Einleitungskapitel zu obiger Schrift explizit hin. Siehe ebd., S. 15. Vgl. zudem ebd., S. 19. Aus einer sich als empirische Wissenschaft verstehenden Soziologie heraus kann per definitionem der philosophischen Behauptung der menschliche Freiheit nicht widersprochen werden, da sich diese Behauptung ausdrücklich nur auf den Bereich des Intelligiblen bezieht. Vgl. dazu Kant (1797), S. 221: „Der Begriff der F r e i h e i t ist ein reiner Vernunftbegriff, der eben darum für die theoretische Philosophie transscendent, d.i. ein solcher ist, dem kein angemessenes Beispiel in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann, welcher also keinen Gegenstand einer uns möglichen theoretischen Erkenntniß ausmacht [. . .].“ Das philosophische Postulat menschlicher Freiheit als intelligibel ermöglicht es vielmehr, denjenigen nicht-metaphysischen, subjektiven Begriff von Freiheit zu fundieren, den auch die Soziologie im Hinblick auf menschliches Verhalten anzuwenden sich genötigt sieht. Kapitel 5.4.2 zeigte, wie in der Argumentation Kants das im Soll sich offenbarende Sittengesetz, über eine lediglich „subjektiv“ verstandene Freiheitsannahme hinausgehend, die postulative Notwendigkeit dieser Annahme sichert. Kapitel 5.4.3 zeigte, daß eine positive Einsicht in diese Freiheit letztlich nur jenseits des spezifisch Kantischen Sittengesetzes erreicht werden kann.
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7 Das Recht als die normative Bedingung
Nahrung herstellen, die ich verzehre. Insoweit dasjenige, was als Wirkung einer Handlung in der realen Außenwelt eintritt, diese Außenwelt in irgendeiner Weise modifiziert, verändert diese Handlung zugleich auch die Ausgangsbedingungen aller zeitlich folgenden Handlungen. Die reale Außenwelt verknüpft unsere Handlungen also – ob wir wollen oder nicht – notwendig mit den Handlungen unserer Mitmenschen. Insofern wir aufgrund unseres Körpers selbst auch ein Teil dieser realen Außenwelt sind, hängen wir sogar nicht nur in unseren Handlungsmöglichkeiten ab von den Handlungen unserer Mitmenschen, sondern darüber hinaus auch in unserer empirischen Existenz. Unser Leben ist prinzipiell bedroht durch bestimmte Handlungsweisen, deren Ausführung unseren Mitmenschen jederzeit möglich ist. Kein Mensch kann z. B. ausschließen, Opfer eines Gewaltaktes zu werden. Unsere Abhängigkeit von den Handlungen anderer ist also nicht nur prinzipiell in dem quantitativen Sinne, daß jede Handlung auf alle anderen Handlungen in ihren Bedingungen und Möglichkeiten zurückwirkt, sondern auch in dem qualitativen, daß wir mit Haut und Haaren, mit unserer ganzen raumzeitlichen Existenz unter dem Damoklesschwert einer möglichen willkürlichen Schädigung oder gar Vernichtung durch unsere Mitmenschen stehen. Wenn wir einmal hypothetisch annehmen, daß wir und unsere Mitmenschen in unseren raumzeitlichen Willensäußerungen, unseren Handlungen, von jeder normativen Einschränkung entbunden sind, so ergibt sich aufgrund des Rahmens einer einheitlichen, allen gemeinsamen Außenwelt, daß unsere Verwundbarkeit durch andere absolut wird. Sofern wir alle hinsichtlich unserer Handlungen vollständig frei von normativen Einschränkungen sind, und wir uns folglich auch jederzeit zum Ursprung einer willkürlichen Vernichtungstat machen können, gibt es keine Möglichkeit, eine solche Vernichtung durch den jeweils anderen auszuschließen. Aber auch abgesehen von diesem mörderischen Extremfall bleiben alle unsere Handlungen in ihren tatsächlichen Auswirkungen auf uns und andere solange unberechenbar, wie sie sich mit den nicht zu antizipierenden Freiheitshandlungen der anderen in einer allen vollständig und gleichermaßen zugänglichen Außenwelt in unvorhersehbarer Weise überkreuzen. Unter der Voraussetzung einer uneingeschränkten äußeren Freiheit könnte niemand von uns auch nur einen Schritt tun, ohne sich der realen Gefahr auszusetzen, entweder andere zu schädigen oder durch die Handlung eines seiner Mitmenschen geschädigt zu werden – unabhängig davon, ob diese Folge intendiert ist oder nicht. Wenn z. B. die Frage der beim Autofahren einzuhaltenden Straßenseite nicht der freien Willkür jedes einzelnen entzogen wäre, könnte jede uneinsichtige Kurve zu einem unkalkulierbaren Risiko werden. Damit würde das Autofahren in der tatsächlichen Alltagspraxis unmöglich.
7.1 Das Problem der kollektiven Vereinbarkeit
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Es kommt in diesem Gedankenexperiment also zu der paradoxen Situation, daß eine apriori uneingeschränkte äußere Freiheit eines jeden freien Wesens gerade zu ihrer aposteriorischen Aufhebung führen würde.559 Und zwar deshalb, weil das Risiko sowohl ungewollter Zwischenfälle als auch bewußter Schädigungen bis hin zur Vernichtung unkalkulierbar wäre. Kein Mensch wäre vor dem anderen sicher. Kein Mensch könnte überhaupt eine Handlung ausführen mit der Aussicht, den damit intendierten Zweck zu erreichen, wenn wir alle in unseren Handlungsmöglichkeiten vollkommen unbeschränkt wären. Eine hypothetisch unterstellte Unbeschränktheit der individuellen äußeren Freiheit führte also im alltäglichen Leben aufgrund einer unkalkulierbaren Unsicherheit gerade zu ihre Verunmöglichung. Dabei darf nicht übersehen werden, daß diese Konsequenz sich zunächst unabhängig von den Intentionen der einzelnen einstellt. Die faktische Aufhebung unserer äußeren Freiheit als Folge ihrer Unbeschränktheit ist nicht gebunden an die Annahme böswilliger Absichten. Auch bei bestem Wissen und Gewissen scheinen allein die Unkoordiniertheit und Zufälligkeit unserer individuellen Handlungen, sofern diese in einer einheitlichen Außenwelt stattfinden, zu einer Einschränkung, ja sogar zu einer Aufhebung der Möglichkeiten zu führen, unsere selbstgewählten Zwecke in der Außenwelt auch realisieren zu können. Bei einer nicht durch das Ideal der Sittlichkeit geleiteten Willenskonstitution, d.h. bei möglichen unmoralischen Zwecksetzungen, verschärft sich dieses Problem noch einmal in radikaler Weise. Es wird jedoch nicht erst durch diese mögliche Unsittlichkeit generiert. Bis zu diesem Punkt haben wir unter hypothetischen Annahmen einen lediglich positiven, nicht-normativen Gedankengang entwickelt. Von einer Wertung war bisher nicht die Rede. Die Einheitlichkeit und Gemeinsamkeit der realen Außenwelt führt unter der hypothetischen Voraussetzung einer unbeschränkten äußeren Handlungsfreiheit aller Individuen dazu, daß erstens die Handlungen dieser Individuen sich in nicht vorhersehbarer Weise überlagern und daß zweitens jeder Einzelne unter dem Damoklesschwert einer jederzeit möglichen bewußten Schädigung durch einen anderen steht. Die erste Konsequenz führt mittel-, die zweite unmittelbar zu einer zu erwartenden Aufhebung dieser äußeren Freiheit. Aus diesem Befund ging aber noch in keiner Weise hervor, daß diese sich als Folge in der Alltagspraxis ergebende Aufhebung individueller Freiheit auch ein Problem darstellen könnte. 559 Dieser für die Entwicklung des Rechtsbegriffs wichtige Zusammenhang wird auch von Janke (1990), S. 100, hervorgehoben: „Damit eine rechtliche Welt entsteht, muß die Enthemmung, durch welche die totale Freiheit der verschiedenen Willen einander stört, aufgehoben werden. Wollen nämlich alle unbedingt frei sein, dann entsteht Unfreiheit des einzelnen.“
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7 Das Recht als die normative Bedingung
Das Bewußtsein davon, daß ein faktischer Zustand in irgendeiner Form problematisch sei, kann sich systematisch nur aus einem vorgängigen Wertbewußtsein ergeben. Nur die Bestimmung des Willens, eine kontrafaktisch entworfene Realität positiv zu werten, ermöglicht eine Problematisierung der Faktizität. Jedes Problembewußtsein gründet auf der Differenz von Sein und Soll, eine Differenz die insofern der Sphäre der Idealität zugehört, als ein kontrafaktisch entworfener Zustand immer nur aufgrund des ihn intendierenden Freiheitsvermögens seine ideale Qualität erhalten kann. Wenn wir die Untersuchung aus einer rein faktischen Betrachtung herausführen wollen, so müssen wir uns also die Frage stellen, wie wir die bisher qua Gedankenexperiment als faktisches Resultat behandelte Aufhebung äußerer Freiheit bewerten. Es soll im folgenden also um die Frage gehen, wie wir uns zu dem bislang erreichten Befund wertend verhalten.
7.2 Mögliche Bewertungen der Unvereinbarkeit individueller Handlungen 7.2.1 Vorrechtlicher Egoismus und der Krieg aller gegen alle Eine mögliche – und zunächst wohl sehr plausible – Wertung läge darin, diese Einschränkung vor allem als ein persönlich-individuelles Übel zu empfinden, dergestalt, daß wir es als für uns persönlich unzumutbar halten, an der Realisierung unserer jeweiligen individuellen Zwecksetzungen prinzipiell gehindert zu werden. Bei einer solchen Auffassung interessierte uns das Problem der Freiheitsbeschränkung nicht in seiner Allgemeinheit, bezogen auf alle freien Wesen als solche, sondern allein in seinen konkreten Konsequenzen für uns persönlich. Was wäre die Folge einer solchen Bewertung? Wollte jeder einzelne die in Hinsicht seiner Person negativ bewertete Konstellation jeweils für sich verbessern, so müßte er versuchen, seine eigene Handlungsfreiheit auszudehnen. Da er voraussetzungsgemäß nur an seiner eigenen Handlungsfreiheit interessiert sein soll, unterläge er bei dem Versuch dieser Ausdehnung weder in der Wahl der Mittel noch im Ausmaß seiner Machtvergrößerung einer vorgängigen Einschränkung. Die einzige Einschränkung wäre faktischer Natur. Sie läge in der zu erwartenden Gegenwehr aller anderen, die ihrerseits wiederum das gleiche Ziel verfolgten, ihre jeweilige äußere Handlungsfreiheit auszudehnen. Als Folge der hier unterstellten Bewertung ergäbe sich also – in Anlehnung an die Argumentation von Hobbes –, „daß die Menschen [. . .] sich in einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird, und zwar in einem Krieg eines jeden gegen jeden.“560
7.2 Mögliche Bewertungen der Unvereinbarkeit
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Bei der hier unterstellten Motivstruktur – jeder soll ausschließlich nur an seiner eigenen Handlungsfreiheit interessiert sein – ist fraglich, wie ein solcher Teufelskreis der Gewalt jemals unterbrochen werden könnte. Jede zum Zwecke einer kooperativen Verständigung niedergelegte „Keule“ böte – wenn kein vorgängiges normatives Ideal veranschlagt werden soll – die Gelegenheit, gefahrlos auf Kosten der kooperationswilligen Widersacher die eigene Machtsphäre auszudehnen.561 Bei einer Motivstruktur, die ausschließlich darauf abzielt, die eigenen Möglichkeiten zu erweitern, wäre jede aufrichtige Kooperationswilligkeit motivational unmöglich – sofern unter Kooperationswilligkeit das freiwillige Zugeständnis zu verstehen ist, daß die Ansprüche des jeweils anderen prinzipiell zu berücksichtigen sind und nicht nur dann, wenn von diesem eine konkrete Abhängigkeit besteht. Falls eine solche Kooperationswilligkeit dennoch auf einer Seite aufträte, müßte sie dem nur in der Kategorie der Machterweiterung denkenden Gegenüber vollkommen unverständlich erscheinen. Sie könnte aus der Perspektive dieses Gegenübers allenfalls als ein subtiles Täuschungsmanöver aufgefaßt werden, dessen Umschlagen in offene Feindseligkeit bei veränderten Machtverhältnissen jederzeit zu erwarten wäre. Damit scheint die hier unterstellte motivationale Einstellung eine dauerhafte Beendigung des „Krieges aller gegen alle“ unmöglich zu machen. Diese Beendigung ließe sich nur durch den Übertritt in einen Zustand erreichen, in dem sich alle gegenseitig, im Wege einer fortwährenden Kooperation, individuelle Handlungssphären in einer Weise prinzipiell garantierten, die diese von der Einwirkung der jeweils anderen faktisch schützte. Und nur durch eine solche allgemeine Zusicherung ließe sich das Problem der faktischen Aufhebung der jeweiligen individuellen Handlungsfreiheit beseitigen, so wie es durch die eingeführte Wertung gefordert wird. Auf die Aporien einer Kooperations- oder Vertragstheorie des Rechtes kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.562 Im Verlauf der weiteren Untersuchung wird sich die reflexive Unzulänglichkeit dieses Theorieansatzes von selbst zeigen. Es ist die Voraussetzung einer Mehrzahl von Individuen, die diesen Theorieansatz – wie auch die hier bislang ent560 Hobbes (1984), S. 96. Im Gegensatz zu Hobbes wird dieser „Kriegszustand“ hier nicht als ein historisch-faktischer aufgefaßt. Die Argumentation dieses Kapitels zeigt lediglich die Konsequenzen einer hypothetisch eingeführten Werteinstellung auf. Ein Anspruch auf die Feststellung einer „Natur“ des Menschen oder bestimmter anthropologischer Grundkonstanten wird hier nicht erhoben. 561 Dieses Ergebnis wird spieltheoretisch im sogenannten Gefangenendilemma nachgewiesen. Zur genaueren Diskussion des Gefangenendilemmas, insbesondere der Zusatzbedingung der Spielwiederholung, siehe Kapitel 3.2.2.3.2. 562 Vgl. hierzu die Auseinandersetzung mit der Position von Karl Homann insbesondere in Kapitel 3.2.2.
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7 Das Recht als die normative Bedingung
wickelte Problemstellung – trägt, ohne daß er die methodischen Möglichkeiten besäße, diese Voraussetzung in ihrer normativen Bedeutung aufzuklären. 7.2.2 Die überindividuelle Perspektive allgemeiner Handlungsfreiheit Eine andere wertende Stellungnahme zu der faktischen Einschränkung unserer Handlungsfreiheit könnte darin liegen, daß wir diese Einschränkung nicht nur individuell als nachteilig, sondern in ihrer prinzipiellen Allgemeinheit als unerträglich empfinden. Einer solchen Stellungnahme liegt also die Auffassung zugrunde, daß die individuelle Handlungsfreiheit in ihrer Allgemeinheit als Prinzip einen Wert darstellt, der einer bloß individuell-subjektiven Bewertung nicht zur Disposition steht. Die faktische Einschränkung der je eigenen Handlungsfreiheit in dem oben entwickelten Sinne wäre unter diesem Wertgesichtspunkt also nicht deshalb abzulehnen, weil sie von den jeweils Betroffenen persönlich als nachteilig empfunden wird, sondern deshalb, weil sie dem Wert der Handlungsfreiheit als Prinzip widerspricht. Sobald individuelle Handlungsfreiheit allen Individuen als solchen zukommen soll, läßt sich auch von einem überindividuellen Wert, oder einem Wert der Gemeinschaft sprechen. „Gemeinschaft“ meint dabei selbstverständlich keine über bestimmte Merkmale definierte Gruppe von Individuen, auch keine inhaltliche Übereinstimmung ihrer Willenstendenzen, sondern allein die formale Vereinbarkeit ihrer Handlungen im Sinne eines dauerhaften, gleichzeitigen Nebeneinanders.563 Unter dem Wert der Gemeinschaft ist also der normative Anspruch zu verstehen, daß die Vielzahl individueller Willensäußerungen in der Sinnwelt nebeneinander bestehen können soll. Dieser formalen, kollektiven Vereinbarkeit individueller Handlungen entspricht der Kantische Rechtsbegriff: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“564
Die Realisierung dieses Rechtsbegriffes wäre also ein solcher dauerhafter Zustand, in dem eine schon vorausgesetzte Mehrzahl von handlungsfreien Individuen als solche nebeneinander lebte. Es muß betont werden, daß der hier rein hypothetisch eingeführte Wert sich per definitionem nicht auf die intelligible Willensfreiheit als solche bezieht, sondern ausschließlich auf das individuelle Vermögen zu handeln, 563 564
Vgl. hierzu Kapitel 6.2.3. Kant (1797), S. 230.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
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d.h. nach beliebigen Zwecken raumzeitliche Vorgänge bewirken zu können. Der ganze Komplex der Willensbestimmung soll in seiner Werthaftigkeit ausdrücklich nicht in Erscheinung treten. Der hier veranschlagte Wert bezieht sich nicht auf das Vermögen der autonomen Zwecksetzung, sondern ausschließlich auf das Vermögen, beliebige Zwecke – ob sie nun intelligiblen oder sinnlichen Ursprungs sind – in der Außenwelt umsetzen zu können. Es ist also allein die äußere Handlungsfreiheit, die hier – ununtersucht, woher die Berechtigung dazu kommen mag – zu einem prinzipiellen Wert erklärt wird.565 Die folgenden Ausführungen werden die Bedeutung dieser zunächst rein hypothetisch und willkürlich eingeführten Stellungnahme schrittweise erhellen und eine dieser Stellungnahme korrespondierende apriorische und intelligible Annerkennungsleistung aufzeigen. Zu diesem Zwecke müssen die zunächst unbeachtet gebliebenen Voraussetzungen der bisherigen Problemstellung aufgeklärt werden.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität 7.3.1 Problemexposition Um das Fundament des systematisch noch nicht legitimierten und folglich willkürlich erscheinenden Wertes der Gemeinschaft erhellen zu können, muß auf eine bisher nur stillschweigend eingeführte Voraussetzung hingewiesen werden: Die bisherige Untersuchung fußte auf der Voraussetzung der Individualität. Die Überlegung ging aus von der Existenz einer Mehrzahl von Individuen, die über die Außenwelt in ihren Handlungen aufeinander bezogen sind, und die um diese gegenseitige Bezogenheit wissen. Mit dem Begriff der Individualität wurde also zugleich auch die individuelle, willkürliche Handlungsfähigkeit vorausgesetzt – in der sich Individualität ja allein äußern kann. Die Problementwicklung war ausschließlich auf die faktische gegenseitige Bezogenheit einer Mehrzahl von Individuen zugeschnitten. Die philosophisch-systematische Frage, wie es zu einer solchen Individualität – als Voraussetzung für das Problem des faktischen Aufeinandertreffens individueller Handlungen in der Außenwelt – überhaupt kommen mag, wurde damit ausgespart. Unsere Individualität hinsichtlich der Fähigkeit, nach willkürlichen Zwecken zu handeln, scheint aus der Perspektive einer unreflektierten und philosophisch uninteressierten Lebenspraxis jedoch 565 Vgl. dazu Kant (1797), S. 230: „Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine ihm correspondirende Verbindlichkeit bezieht, (d.i. der moralische Begriff desselben) betrifft [. . .] nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können.“
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7 Das Recht als die normative Bedingung
als selbstverständlich. Wir alle finden uns, wenn wir uns mit Bewußtsein finden, immer schon in einer unserem individuellen Willen als Material zur Verfügung stehenden Außenwelt wieder, in der wir auch das Auftreten eines ebenso auf die Außenwelt bezogenen individuellen Gegenübers erwarten können. Mit diesem Verweis auf die faktische Verfaßtheit unserer Existenz soll das Problem der systematisch-philosophischen Berechtigung dieser Individualitätsannahme zunächst auch weiterhin ausgeklammert werden. Vorläufig sollen uns ausschließlich unter analytischen Gesichtspunkten die Konsequenzen und Implikationen interessieren, die sich ergeben, wenn Individualität als gegeben vorausgesetzt wird. Wenn wir hier von einer „Mehrzahl von Individuen“ sprechen, so stellt sich also die Frage, welcher systematische Standpunkt oder welche geistige Perspektive damit bereits impliziert ist. Anders gefragt: Von welchem systematischen Standpunkt aus ist die Behauptung einer „Mehrzahl von Individuen“ allein möglich? In allgemeiner und abstrakter Form lautet die Frage, die hier behandelt werden soll also: Wie, auf welche Weise, lassen sich Individuen als solche voneinander unterscheiden? Wenn wir eine sinnlich wahrnehmbare Gegebenheit als ein anderes Individuum auffassen, verstehen wir offenbar, daß uns eine Erscheinung gegenübertritt, die nicht unserem eigenen Willen folgt, sondern die einen eigenständigen Willen besitzt. Das zeichnet unser Gegenüber ja gerade als Individuum aus: daß es individuell, nach seinen eigenen willkürlichen Zwecken handeln und entscheiden kann. Und genau diese Einsicht müssen wir uns auch unmittelbar zuschreiben, wenn wir ein Individuum als solches zu erkennen glauben. Was aber genau unterstellen wir, wenn wir eine Erscheinung als Individuum vorzufinden meinen? Dieses Vorfinden impliziert zunächst das Bewußtsein der willensmäßigen Unverfügbarkeit dieses anderen Handlungsvermögens. Entscheidend ist dabei, daß die Unverfügbarkeit des anderen unmittelbar als schlechtweg notwendig und nicht als kontingent erscheint. D.h. die Wahrnehmung dieses anderen geht unmittelbar und unwillkürlich einher mit dem Bewußtsein der absolut unüberschreitbaren Grenze der eigenen Willens- und Handlungsmacht. Die Handlungsfreiheit desjenigen, der ein anderes Individuum als solches anerkennend wahrnimmt566, endet nicht nur zufällig und faktisch an diesem anderen, so wie sie z. B. einem Erdbe566 Hier wird der Begriff „wahrnehmen“ in einem alltagssprachlichen Sinne verwendet, um die Untersuchung an dieser Stelle nicht unnötig zu erschweren. Daß ein anderes Individuum als solches nicht in einem erkenntnistheoretischen Sinne „wahrgenommen“ werden kann, so wie beliebige Gegenstände wahrgenommen werden, muß erst noch durch den weiteren Gang der Untersuchung erwiesen werden. Dabei wird sich zeigen, daß jeder Begegnung von Individuen eine gegenseitige Anerkennungsleistung, also ein praktisches Moment, zugrunde liegt.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
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ben machtlos gegenübersteht. Daß wir ein Erdbeben nicht beeinflussen können, gilt lediglich unter den derzeitigen, historisch-kontingenten technischen Bedingungen. Jedenfalls können wir es nicht letztgültig ausschließen, daß sich unsere Möglichkeiten der kausalen Steuerung irgendwann einmal auch auf Erdbeben erstrecken. Die Zusprechung der Kategorie „Individuum“ gegenüber einer empirischen Gegebenheit ist im Gegensatz dazu aber an das gleichzeitige Bewußtsein gebunden, daß eine schlechthin nicht zu überwindende Handlungsschranke auftritt, die gerade in der Freiheit des anderen gründet.567 Das Bewußtsein, das eine andere Handlungskausalität als eine solche weiß, weiß unmittelbar zugleich von der prinzipiellen Begrenztheit der „eigenen“ Handlungskausalität. Wer also wenigstens um die Möglichkeit eines anderen weiß, nimmt einen Standpunkt ein, der im Wissen um die Unverfügbarkeit dieses anderen auch schon die absolute Grenze der eigenen Handlungsfreiheit als Bewußtseinsinhalt mitumfaßt. Die Grenze, die in Gestalt eines anderen jedem Individuum entgegentritt, ist also eine als Grenze unmittelbar gewußte. Sie bildet keine sozusagen unerkennbare, verborgene „Wand“, gegen die wir unwissentlich anrennen, um uns jedes Mal aufs neue darüber zu wundern, daß wir nicht weiterkommen. Ein anderes Individuum ist, wenn es als solches (an)erkannt wird, in seiner Funktion als Grenze der je eigenen Handlungsmacht schlechtweg unbezweifelbar, weil dieses (An)Erkennen das Bewußtsein der eigenen Begrenztheit notwendig mitimpliziert. (An)erkennendes Wahrnehmen des anderen und unmittelbares Bewußtsein der eigenen Begrenztheit sind zwei Momente ein und derselben Bewußtseinsleistung. Das Wissen um eine solche Bewußtseinsgrenze, impliziert jedoch eine Anschauung von der Möglichkeit eines „Jenseits dieser Grenze“. Andernfalls wird die Grenze nicht als Grenze gewußt. Anschaulich gesagt: Ein Bewußtsein, das als abgeschlossener Raum ohne Fenster konzipiert wird, könnte nicht davon wissen, daß es begrenzt ist. Die Undurchdringlichkeit der begrenzenden Wand wird nur dadurch in ihrer Undurchdringlichkeit vom eingeschlossenen Subjekt „durchschaut“, daß dieses zumindest eine 567 Diese prinzipielle Unverfügbarkeit wird durch eine eventuell mögliche technische Steuerung von z. B. Hirnströmen, über die bestimmte „Handlungen“ von außen induziert werden, insofern nicht tangiert, als diese technische Steuerung immer schon an einem „Etwas“ vorgenommen wird, das vorgängig als Individuum erscheint. Es werden die Hirnströme eines Individuums gesteuert! Andernfalls wird das Problem der Unverfügbarkeit ja gar nicht tangiert. Eine solche technische Steuerung ist also – systematisch betrachtet – immer nur ein sekundärer Eingriff in die primär schon als unverfügbar verstandene Handlungskausalität des anderen. Ein solcher sekundärer Eingriff stellt entweder eine – im Vorgriff auf die weiteren Ausführungen – als widerrechtlich zu bewertende Handlung dar, oder sie erfolgt mit dem expliziten oder – z. B. im medizinischen Notfall – vorauszusetzenden Einverständnis des oder der Betroffenen.
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7 Das Recht als die normative Bedingung
Tendenz zur Unendlichkeit und damit die Möglichkeit einer reinen Negation der Begrenztheit sich zuschreibt.568 Der Standpunkt, von dem aus Individuen, voneinander wissend, sich als solche unterscheiden können, ist also nicht ein solcher, der in der jeweiligen Individualität aufgeht und sich darin erschöpft. Das jede interpersonale Begegnung unmittelbar begleitende Bewußtsein von der Unverfügbarkeit dieser Grenze ist ein Moment, das über diese Begrenztheit schon hinausweist. Dieses Hinausweisen muß jedoch noch genauer bestimmt werden. Der Standpunkt, von dem aus Individuen, voneinander wissend, sich unterscheiden können, ist notwendig ein überindividueller oder intersubjektiver, in dem Sinne, daß die Zusprechung der Kategorie „Individuum“ gegenüber einer empirisch wahrnehmbaren Gegebenheit keiner rein individuellen und insofern willkürlichen Leistung entspringen kann. Sie kann keiner innerhalb eines individuellen Bewußtseins vollzogenen, willkürlichen Zusprechung (bzw. Anerkennung) entspringen, weil die prinzipielle gegenseitige Begrenztheit der Handlungssphären jeder individuellen Bewußtseinsleistung als Bedingung ihrer Möglichkeit voraus liegt. Anschaulich gesagt: Es ist kein „fertiges“ solitäres Individuum denkbar. Individualität setzt gegenseitige Bezogenheit voraus: „Der Begriff der Individualität ist aufgezeigter Maßen ein Wechselbegriff, d.i. ein solcher, der nur in Beziehung auf ein anderes Denken gedacht werden kann, und durch dasselbe, und zwar durch das gleiche Denken, der Form nach, bedingt ist. Er ist in jedem Vernunftwesen nur insofern möglich, inwiefern er als durch ein anderes vollendet, gesezt wird. Er ist demnach nie mein; sondern meinem eignen Geständniß, und dem Geständniß des andern nach, mein und sein; sein und mein; ein gemeinschaftlicher Begriff, in welchem zwei Bewußtseyn vereinigt werden in Eins.“569
Das bedeutet aber auch, daß niemand andere Individuen durch eine in seiner individuellen Freiheit stehende Bewußtseinsleistung als solche zum Leben „erwecken“ bzw. in den Status der Individualität „erheben“ kann. Vielmehr kann eine mit individuellem Bewußtsein vollzogene tatsächliche Anerkennung eines anderen erst innerhalb einer apriorisch konstituierten Individualität stattfinden. Nur innerhalb einer vor-individuell bereits aufgespannten Sphäre von Individualität können Individuen als Individuen realiter aufeinandertreffen. Nur aufgrund einer vor-individuell, apriorisch geleisteten Grenzziehung können Individuen sich in ihren Handlungen auch tatsächlich als Individuen respektieren (oder mißachten). Den apriorischen Charakter dieser individualitätsbedingenden (An)Erkennung betont auch 568
Diese Tendenz des Bewußtseins zur Unendlichkeit und Unbegrenztheit ist der theoretische Reflexionsausdruck für die Implikationen von Freiheit. Freiheit bildet insofern die notwendige Negativfolie für alle Bestimmungen des Bewußtseins. 569 Fichte (1796), S. 354.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
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Janke im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Fichtes Grundlegung des Rechtsgrundes: „Also gilt: Kein Ich ohne wechselseitige Anerkennung oder ohne das Verhältnis des Rechts. [. . .] Recht ist ein erfahrungsunabhängiger, rein apriorischer Begriff. Er stammt nicht aus der Erfahrung tatsächlichen Zusammenlebens von Menschen unter Menschen, er geht untrennbar mit der Vernunftnatur des Menschen mit.“570
Als Ergebnis können wir hier festhalten, daß die mit jeder interpersonellen Begegnung unmittelbar einhergehende Einsicht in die prinzipielle Unverfügbarkeit der Grenze der je eigenen Handlungskausalität bereits einen Standpunkt impliziert, der über die je eigene Individualität hinausweist und der apriorischen Charakter besitzt. Dieser Standpunkt ist die Bedingung der Möglichkeit konkreter interpersonaler Begegnung und damit auch des abstrakten Wissens von einer Mehrzahl von Individuen.571 570 Janke (1990), S. 102. Fichte hat den Gedanken der apriorischen, vor-individuellen Konstituierung von Individualität ausführlich im Ersten Hauptstück „Deduktion des Begriffs vom Rechte“ der „Grundlage des Naturrechts“ behandelt. Vgl. Fichte (1796), S. 329–360. Der grundlegende Unterschied von apriorisch-notwendiger und empirisch-wirklicher Anerkennung von Individuen kommt auch in der von Fichte gewählten Einteilung der „Hauptstücke“ der „Grundlage des Naturrechtes“ zum Ausdruck: Die „Deduktion des Begriffes vom Rechte“ im ersten Hauptstück bildet die Grundlage der „Deduktion der Anwendbarkeit des Rechtsbegriff“ im zweiten, in der erstmals die Möglichkeit wirklichen Aufeinandertreffens von Vernunftwesen in der Sinnenwelt thematisiert wird. Allein mit dieser Einteilung stellt Fichte klar, daß seine Konzeption der Individualität nicht auf notwendigen „Erfahrungen des Bewußtseins“ gründen kann, in dem Sinne, „[daß] bestimmte Reflexionen des Bewußtseins durch raum-zeitliche Ereignisse, nämlich Interaktionen von Individuen in der Sinnenwelt, ausgelöst werden müssen“, wie Ludwig Siep der Fichteschen Konzeption unterstellt. Siep (1981), S. 302. Damit dem Bewußtsein Erfahrungen in der Sinnenwelt legitimerweise philosophisch unterstellt werden dürfen, insbesondere solche interpersonaler Art, müssen erst die Bedingungen der Möglichkeit dieser Erfahrungen abgeleitet werden. Diese sind damit jedoch gerade nicht in der Sphäre raum-zeitlicher Erfahrung zu verorten. Eine wechselseitige Einwirkung zwischen realen Individuen in der Sinnenwelt darf philosophisch erst angenommen werden, wenn das Bewußtsein der Interpersonalität als solches abgeleitet worden ist aus den apriori notwendigen Akten der Vernunft überhaupt bzw. der Ichheit. Diese ursprüngliche Ichheit darf auf keinen Fall als in der Sinnenwelt handelndes personales Ich angesetzt werden. (Vgl. Fichte (1796), S. 313 f.). Andernfalls verfällt die ganze Argumentation einem Zirkel. Die apriori notwendigen Vernunftoperationen bilden den intelligiblen Ursprung für alle Handlungen, Reflexionen oder sonstigen Verfahrensweisen, die das Bewußtsein sich zuschreibt! Der grundlegende Unterschied von apriorisch-notwendiger, intelligibler Wechselwirkung und empirisch-wirklicher, den die Fichtesche Konzeption profiliert und den Siep übersieht, wird erst durch die Hegelsche Identitätsphrase eingeebnet. Der Preis dieser Einebnung wäre, daß wir das jeweilig Wirkliche für den letzten Maßstab der Vernunft halten müßten. 571 Um die Bedeutung dieser Argumentation zu unterstreichen, soll in einem kurzen Exkurs und in einem ausdrücklichen Vorgriff auf die weiteren Ausführungen
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7 Das Recht als die normative Bedingung
Bevor die Bedingungen der Individualität weiter aufgeklärt werden können, ist dieses Ergebnis hinsichtlich seines methodischen Zustandekommens zu hinterfragen. Die Problemexposition fußte auf der Voraussetzung einer Mehrzahl von Individuen. Diese Voraussetzung wurde, ohne sie als solche zu problematisieren, anschließend auf ihre philosophischen Bedingungen noch auf ihre normativen Implikationen hingewiesen werden. Die Zusprechung des Individualitätsstatus kann – wie eben dargestellt – aus systematischen Erwägungen an keine mit Bewußtsein vollzogene, individuelle Anerkennung gebunden sein. Auch wenn, wie es im Dritten Reich geschehen ist, bestimmten Menschen, nämlich den Juden, dieser Status im Sinne einer fundamentalen rechtlichen Kategorie von anderen Menschen abgesprochen wird, so kann eine solche Absprechung nie den Individualitätsstatus als solchen vernichten. Eine solche Absprechung kann den Wert von Individuen als Individuen, den sie qua apriorischer Anerkennung besitzen, in keiner Weise aufheben, weil er sich nicht über individuelle Anerkennungsprozesse konstituiert, sondern diesen immer schon voraus liegt. Die verbrecherische Bedeutung der nationalsozialistischen Ideologie liegt gerade darin, daß durch sie eine Anerkennung, die individuell-willkürlichen Bewertungen nicht zur Disposition steht, geleugnet wird mit der Intention, diese prinzipiell rückgängig, ungeschehen zu machen. Aus der Perspektive der nationalsozialistischen Überzeugungstäter wurde diese Anerkennung eben nicht mißachtet! Die Menschenwürde der Juden sollte nicht mißachtet werden als eine solche, die zwar besteht, aber für nicht relevant betrachtet wird – so wie etwa eine Verbrecherbande die Rechte ihrer Opfer mißachtet, indem sie diese mißhandelt im begleitenden Wissen darum, daß sie die Rechte ihrer Opfer mißachtet. Vielmehr sollte im Nationalsozialismus diese fundamentale menschliche Anerkennungsleistung gegenüber den Juden prinzipiell zurückgenommen, für nichtig erklärt werden, mit dem Ziel, die Juden nicht einmal mehr als Opfer erscheinen zu lassen. Nur aufgrund der prinzipiellen Unantastbarkeit der fundamentalen rechtlichen Kategorien – der Menschenrechte –, nur aufgrund ihrer Apriorizität, ihrer Entzogenheit gegenüber jedem individuell-willkürlichen Akt, können wir ihre Ableugnung – ganz abgesehen von der moralischen Dimension! – berechtigterweise als ein schlechthinniges (rechtliches) Verbrechen bewerten. Die Apriorizität der rechtlichen Kategorien enthebt sowohl unsere – in dem hier vorgetragenen Zusammenhang lediglich rechtliche – Bewertung der NS-Verbrechen als auch diese Verbrechen selbst jeder relativierenden historischen Kontingenz. Die NS-Schergen haben also keinen mit einer „falschen“ Sozialisation entschuldbaren Fehler begangen, wenn sie Juden behandelten, als seien sie keine Menschen. Ihnen ist auch kein Fehler im Raster ihrer Wahrnehmung unterlaufen, für den wir sie vielleicht so tadeln würden, wie wir jemanden tadeln, der aus Unachtsamkeit eine bestimmte Pflanzenart falsch bestimmt. Die zum Programm erhobene Einstufung von Menschen als Unwert und ihre dementsprechende Behandlung ist – einschließlich aller überhaupt nur möglichen Unwissenheit, Naivität und kulturell bedingten Prägung auf Seiten der Täter – als mit individuellem Bewußtsein vollzogene Leugnung einer prinzipiellen (rechtlichen) Anerkennungsleistung, d. h. als Verbrechen einzustufen. Die hier lediglich in Bezug auf Individualität als ein Moment fundamentaler Menschenrechte vorgelegte Argumentation liefert für diese Aussage den systematischphilosophischen Unterbau, indem sie die Apriorizität der Individualitätsanerkennung aufdeckt. Daß mit dieser Anerkennung bereits ein wesentliches Element der Rechtsidee aufgedeckt ist, kann an dieser Stelle jedoch nur im Vorgriff auf die weitere Argumentation behauptet werden.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
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hin untersucht. Das bisher gewonnene Ergebnis kann also nicht für sich beanspruchen, Individualität vor unserem geistigen Auge aktiv rekonstruiert und damit philosophisch vollständig aufgeklärt zu haben. Unsere Untersuchung folgte, insofern sie, Individualität schon voraussetzend, nach deren Möglichkeitsbedingung fragte, einer analytischen Methode: Wir analysierten einen vorgegebenen Bewußtseinsinhalt – Wissen um eine Mehrzahl von Individuen – hinsichtlich seiner gedanklichen Elemente und Implikate. Eine solche Analyse setzt immer schon ihren Gegenstand als eine bestehende Einheit von Elementen voraus.572 Wenn wir diesen Bewußtseinsinhalt weiter aufklären möchten, ist die Art und Weise, in der seine konstitutiven Bedingungen in einer gedanklichen Einheit verbunden sind, zu erhellen. Die Art und Weise, in der diese Bedingungen, ineinandergreifend, das Ganze eines Bewußtseinsinhaltes ausmachen, bedingt dabei zugleich diese Bedingungen selbst. Denn erst die Einheit des Bewußtseins, in dem der fragliche Inhalt auftritt, realisiert diese Bedingungen. Diese sind nur als Bedingungen der realen Einheit möglich. Einheit und Bedingungen sind also in einer vollständigen philosophischen Reflexion nicht als zwei für sich bestehende Pole eines vorauszusetzenden Bedingungsverhältnisses zu denken, sondern mit und in ihrem gegenseitigen Konstitutionsverhältnis zugleich, gedanklich selbsttätig, hervorzubringen, d.h. zu genetisieren. Soll diese Genese philosophisch vollständig geleistet werden, darf die fragliche Einheit innerhalb dieser Genese nicht vorausgesetzt werden. Wir nähern uns also dem aufzuklärenden Bewußtseinsinhalt so, als ob wir ihn geistig neu schaffen würden. Der im vorhinein bekannte, jeder philosophischen Reflexion vorausliegende Bewußtseinsinhalt darf dabei nicht als vorausgesetzter Zielpunkt dienen. Erst nach geleisteter Genese, also nachdem die Art und Weise der Verbindung – und damit zugleich der gedanklichen Entstehung – aller Elemente vollständig durchleuchtet und verstanden wurde, ist dieses Produkt der philosophischen Konstruktion mit dem unmittelbar gegebenen Bewußtseinsinhalt – hier: Wissen um eine Mehrzahl von Individuen – zu vergleichen. Im Falle der Deckungsgleichheit erweist sich die philosophische Konstruktion nachträglich als Rekonstruktion eines vorgängigen Bewußtseins, so wie dieses erst vermittelst der Konstruktion sich als verstandenes Wissen weiß. Nur auf Grundlage des empirischen Bewußtseins und seiner Inhalte, die wir analytisch-reduktiv zergliedern, haben wir einen tatsächlichen, realen, gedanklichen Gehalt vor uns. Dieser Gehalt kann durch keine philosophische Spekulation vorweggenommen werden. Er wird aber wiederum erst durch seine genetisch-deduktive Konstruktion zu einem verstandenen, 572
Zu dieser Voraussetzung jeder Analyse vgl. Kant (1787), S. 107 f. (B 129 ff.).
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in seiner Bedeutung und in seinen Grenzen genau bestimmten Gehalt unseres Wissens. In der Verschränkung dieser beiden Momente zeigt sich also einerseits die philosophische Konstruktionsleistung nachträglich als Rekonstruktion eines vorgängigen empirisch-faktischen Gehaltes, so wie sich andererseits dieser empirisch-faktische Gehalt nachträglich als ideal, als durch unser Wissen bedingt, erweist. Reduktive Analyse (der empirischen Einheit des Bewußtseinsinhaltes in seine Bedingungen) sowie synthetische Genese (der apriorischen Bedingungen in die [re]konstruierte Einheit des Bewußtseinsinhaltes) klären als zwei Seiten derselben Methode unser faktisches Wissen über uns selbst philosophisch auf. Der Sachverhalt dieser methodischen Verschränkung soll hier als das wesentliche Merkmal der Fichteschen Transzendentalphilosophie bezeichnet werden.573 Dieses Merkmal läßt sich verkürzt und anschaulich auch so formulieren: Der Anspruch der Transzendentalphilosophie besteht darin, methodisch aus dem Leben zu kommen und wieder in dieses Leben methodisch zurückzuführen.574 Im folgenden sollen uns also die inneren Konstitutionsverhältnisse des zuvor analysierten Bewußtseinsinhaltes interessieren. Der primäre Gegenstand der folgenden Untersuchung ist nicht mehr auf der Ebene tatsächlicher Bewußtseinsinhalte zu finden, sondern auf der Ebene deren Möglichkeitsbedingungen: Es interessieren diejenigen vor-empirischen Bestimmungen unseres Wissens, die erst ein tatsächliches Wissen von Individualität ermöglichen. Es interessiert derjenige Bereich des Wissens, in dem Indivi573 „Ausser dem Setzen des Ich durch sich selbst soll es noch ein Setzen geben. Dies ist a priori eine bloße Hypothese; daß es ein solches Setzen gebe, läßt sich durch nichts darthun, als durch ein Faktum des Bewußtseyns, und jeder muß es sich selbst durch dieses Faktum darthun; keiner kann es dem andern durch Vernunftgründe beweisen. [. . .]. Daß jedes Setzen, welches nicht ein Setzen des Ich ist, ein Gegensetzen seyn müsse, ist schlechthin gewiß: daß es ein solches Setzen gebe, kann jeder nur durch seine eigene Erfahrung sich darthun. Daher gilt die Argumentation der Wissenschaftslehre schlechthin a priori, sie stellt lediglich solche Sätze auf, die a priori gewiß sind: Realität aber erhält sie erst in der Erfahrung.“ Fichte (1794/95), S. 390. 574 Vgl. hierzu die Charakterisierung der Transzendentalphilosophie durch Reinhard Lauth in seinem Aufsatz „Die grundlegende transzendentale Position Fichtes“ von 1981. Insbesondere sei auf folgende Passage verwiesen: „Daß das absolute Wissen lebendiges Sichbilden ist, besagt aber auch, daß es nicht in abgelöster Theorie, sondern immer nur in Akten des Lebens vollzogen wird. Fichtes Theorie steht nicht dem Leben abgetrennt gegenüber, sondern sie ist stets Lebensvollzug, von dem Punkte an, wo sich das Leben auf den Weg, der zum Wissenswissen führt, begibt, bis zu jenem anderen Punkte, wo die vollendete Vernunftwissenschaft als Vernunftkunst das Leben verwandelt. Die Vermittlung von Wissen und Leben [. . .] erscheint in der Wissenschaftslehre nicht nur als akzessorisches Desiderat, sondern ist ihr Sein selbst.“ Lauth (1981), S. 22.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
293
dualität sich erst konstituieren kann, nicht mehr jedoch diese Individualität selbst als empirische Bestimmung unseres Bewußtseins und unserer Existenz. Wir betreten damit einen rein apriorischen Bereich, der ausschließlich im Sinne einer – für ein Verständnis unserer Selbst – notwendigen philosophischen Konstruktion und nicht als unmittelbarer Inhalt unseres Bewußtseins zu verstehen ist. Diesen Bereich hat Kant als intelligibel, d.h. als nur durch Vernunft erkennbar, gekennzeichnet.575 Die Apriorizität individueller Abgrenzung bzw. (An)Erkennung wurde zuvor an ihrer praktisch-normativen Bedeutung legitimiert. Um ein adäquates Verständnis von Tragweite und Bedeutung der Voraussetzung einer Mehrzahl von Individuen erreichen zu können, erscheint es geboten, die Untersuchung in diesem apriorischen Bereich weiterzuführen. 7.3.2 Problemdurchführung: Die Genese individueller Handlungsfreiheit 7.3.2.1 Der Gegensatz von Freiheit und Beschränkung Die bisherige Untersuchung zeigte, daß ein Individuum, sofern es sich von einem anderen zu unterscheiden vermag, seine Handlungsfreiheit unmittelbar als eine beschränkte Freiheit weiß. Mit dem Moment von Wissen überhaupt ist immer auch ein Wahrheitsanspruch verknüpft. Dieser Wahrheitsanspruch ist als ein praktischer Vollzug zu verstehen, als ein Vollzug, der unmittelbar die letzte philosophische Bedeutung von Freiheit anspricht in der Selbstsetzung des ICH576 durch sich selbst. Diese Selbstsetzung wird in der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ aus den Jahren 1794/95 von Fichte als „Tathandlung“ bezeichnet.577 575
Vgl. dazu die zu Beginn des Kapitels 7.1 gegebene Begriffserklärung. Es braucht nach den bisherigen Ausführungen nicht mehr betont zu werden, daß mit diesem „ICH“ der Wissenschaftslehre Fichtes kein empirisches, individuelles, mit Bewußtsein ausgestattetes Subjekt gemeint ist, sondern dasjenige philosophische Postulat, das es jedem von uns ermöglicht, sich als empirisches, individuelles, mit Bewußtsein ausgestattetes Ich zu verstehen. Vgl. dazu folgende Klarstellung Fichtes über den Satz „Das Ich setzt sich selbst schlechthin“: „Es ist in demselben [Satz] gar nicht die Rede von dem im wirklichen Bewußtseyn gegebnen Ich; denn dieses ist nie schlechthin, sondern sein Zustand ist immer entweder unmittelbar, oder mittelbar durch etwas ausser dem Ich begründet; sondern von einer Idee des Ich, die seiner praktischen unendlichen Forderung nothwendig zu Grunde gelegt werden muß, die aber für unser Bewußtseyn unerreichbar ist, und daher in demselben nie unmittelbar, (wohl aber mittelbar in der philosophischen Reflexion) vorkommen kann.“ Fichte (1794/95), S. 409. 577 Vgl. Fichte (1794/95), S. 255 ff. 576
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7 Das Recht als die normative Bedingung
Sollte der transzendentale Ansatz ein philosophisches System liefern können, in dem das Selbstbewußtsein über sich selbst als Wissen in seinen Konstitutionsbedingungen vollständig Rechenschaft zu geben vermag, so müssen wir jede Untersuchung über diese Konstitutionsbedingungen im Medium der absoluten Selbstsetzung des ICH durch sich selbst, im Medium der Tathandlung durchführen. Der Charakter der Absolutheit der Tathandlung bildet dabei den Hintergrund, auf dem sich alle Bestimmungen des empirischen Subjekts, dessen Individualität hier verhandelt werden soll, nur verstehen lassen.578 Aus diesem Grunde müssen wir den Gesichtspunkt der Unbeschränktheit des ursprünglichen Selbstvollzuges, d.h. der Tathandlung, auch auf die hier verhandelte Problemlage übertragen. Die Einsicht in die prinzipielle Unverfügbarkeit der Grenze individueller Handlungsmacht führte die Untersuchung zur Annahme eines vor-individuellen, apriorischen Vernunftstandpunktes, von dem aus individuelle Freiheitsvermögen allein zu unterscheiden sind. Dieser Vernunftstandpunkt gehört damit zu den Konstitutionsbedingungen individuellen Bewußtseins und damit in die Reihe der Bestimmungen innerhalb der absoluten Selbstsetzung des ICH durch sich selbst. Somit kommt ihm als ursprüngliches Merkmal der Charakter unbeschränkter Freiheit zu.579 Neben diesem Element der unbeschränkten Freiheit wurde im tatsächlichen Wissen von Individualität zuvor aber auch das Element einer unverfügbaren Grenze aufgedeckt: Das Individuum weiß, sofern es sich von anderen unterscheiden kann, daß ihm in der Freiheit eines anderen eine abso578 Auch Edith Düsing weist in ihrer Behandlung der Fichteschen Interpersonalitätslehre auf dieses Verfahren hin: „Der Weg der Wissenschaftslehre muß sonach [. . .] von der allgemeinen Form der Ichheit zum besonderen einzelnen Ich, vom Begriff der reinen Tathandlung des absolut sich selbst setzenden Ich, deren nur der Philosoph als höchsten Grundes alles Wissens inne wird, zu dem Begriff eines wirklichen und damit zuletzt eines individuell-persönlichen Selbstbewußtseins führen.“ Düsing (1986), S. 241. Wir schließen uns hier dieser Interpretation Düsings an, mit der Einschränkung, daß „Tathandlung“ nach der hier vertretenen Konzeption von Transzendentalphilosophie nicht als Begriff zu verstehen ist. Zum Problem der Relationslosigkeit der obersten Wissensbedingung vgl. Kapitel 5.1.3. 579 Auf den Zusammenhang zwischen Tathandlung und Ableitung des Rechtes im Ausgang der „freien Selbstbestimmung“ bei Fichte macht Janke (1990), S. 103 aufmerksam: „Am Anfang war das Wort Fichtes, die innigste Wurzel des Ich sei der Wille oder das Streben der praktischen Vernunft; [. . .]. Die ‚Grundlage‘ [der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95] [. . .] hatte die Hauptantithesis herausgestellt: Das unbegrenzte (absolute) Ich der Tathandlung widerspricht in seiner schlechthin unbedingten Tätigkeit dem (theoretischen) Ich als objektbestimmter, begrenzter Reflexion; und sie hat die Hauptantithesis im Streben eines Willens aufgelöst, der Grenzen und Gegenständlichkeit setzt, um sie fortschreitend ins Unendliche zu entgrenzen. Daher tritt die Vernunft im Anfang des ‚Naturrechts‘ als freie Selbstbestimmung zur Wirksamkeit auf.“
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
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lute Grenze seiner eigenen Freiheit entgegentritt. Aufgrund dieser Grenze wird die Freiheit des Individuums also quantifiziert: Es wird ihr ein Bereich uneingeschränkter Freiheit zugemessen – der Bereich der je eigenen Handlungsmacht – der von einem anderen Bereich getrennt ist, in dem die Freiheit dieses Individuums vollständig aufgehoben ist – der Bereich der Freiheit eines anderen. Diese Begrenzung und Quantifizierung widerspricht dem Merkmal der Unbeschränktheit aller Freiheit. Es stellt sich die Frage, wie beide Elemente, die sich gegenseitig ausschließen, aber dennoch im Wissen um die je eigene Individualität enthalten sind, zusammen bestehen können? Im folgenden soll der Widerspruch zwischen der Unbegrenztheit und der Begrenztheit des postulierten Freiheitsvermögens aufgelöst werden. Die Forderung, daß sie zusammengedacht werden müssen, verdankt sich ausschließlich der Erfahrung ihrer realen Einheit: Unbeschränktheit und Beschränktheit müssen als gedankliche Einheit verstanden werden können, weil sie im tatsächlichen, der philosophischen Reflexion vorhergehenden Alltagswissen immer schon als Einheit erscheinen und dort gar nicht mehr als Widerspruch empfunden werden. Die Frage, wie dieser Widerspruch aufzulösen ist, bleibt hingegen genuine philosophisch-gedankliche Leistung, die aus dem Alltagswissen nicht gewonnen werden kann. Mit dieser gedanklichen Leistung wird also das, was sich begrifflich als Widerspruch darstellt, vor unserem inneren geistigen Auge in einem aktiven Verstehen verbunden und aufgelöst, so daß wir nicht mehr in dem unaufgeklärten Zustand verharren müssen, diesen Widerspruch als faktisch immer schon gelöst zu erfahren. Vielmehr vollziehen wir nun selbst die Weise dieser Auflösung und klären uns damit selbst auf über die Bedeutung und den Geltungsbereich der von uns immer schon als selbstverständlich vorausgesetzten Wissensinhalte. 7.3.2.2 Beschränkung als Bestimmung zur Selbstbestimmung Die Aufklärung der Bedeutung individueller Handlungsfähigkeit im Hinblick auf die normative Grundlage des Ökonomischen ist das Ziel des 7. Kapitels. Aus dieser Aufgabenstellung ergibt sich hier also die Frage: In welcher gedanklichen Leistung, die einem realen Moment unseres Lebens korrespondiert, können sowohl Unbeschränktheit als auch Beschränktheit eines vor-individuellen freien Handlungsvermögens in eins zusammengedacht werden? Mit dieser Frage wird eine synthetische Verbindung zwischen Unbeschränktheit und Beschränktheit des vor-individuellen, freien Handlungsvermögens gesucht. Eine solche synthetische Verbindung ist erst dann erreicht,
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7 Das Recht als die normative Bedingung
wenn einsichtig wird, daß sich beide Elemente erst als solche in dieser Verbindung konstituieren können. Eine Synthese im hier gemeinten Sinne ist keine nachträgliche Verschmelzung von als selbstständig schon vorausgesetzten Elementen. Vielmehr ist sie eine gedankliche Einheit, die die in ihr analytisch enthaltenen Elemente allererst als solche verstehbar macht, also gewissermaßen gedanklich „herstellt“. Weder Unbeschränktheit noch Beschränktheit dürfen in der gesuchten Synthese jeweils für sich allein mit ihrem spezifischen Bedeutungsgehalt schon vorausgesetzt werden. Denn diesen Gehalt erhalten sie erst zusammen mit ihrer logisch-begrifflichen, negativen Bezogenheit. Der logisch-begriffliche Gegensatz von Unbeschränktheit und Beschränktheit ist es, der beide in ihrer jeweiligen Bedeutung verstehbar macht. Wenn wir Unbeschränktheit verstehen als „Un-Beschränktheit“, müssen wir den logischen Gegensatz zur Beschränktheit immer schon mitgedacht haben. Dieser Gegensatz stellt aber – sofern er als Gegensatz verstanden ist – bereits eine gegenseitige Bezogenheit dar, fußt also auf einer vorgängigen gedanklichen Leistung, die beide Elemente erst aufeinander beziehbar und damit als Gegensatzpaar verständlich macht. Wenn wir unseren logisch-begrifflichen Denkapparat sozusagen „anknipsen“, wenn wir anfangen, logisch-begrifflich zu argumentieren, finden wir diese Beziehbarkeit immer schon als selbstverständlich vor. Hier soll es aber gerade darum gehen, auf die Bedingungen der Möglichkeit einer solchen Beziehbarkeit zu reflektieren. Damit befinden wir uns auf einer Ebene, die überhaupt erst das Medium herstellt für alle logisch-begrifflichen Operationen. Wir suchen diejenige vorgängige, synthetische, d.h. nicht-logisch-begriffliche580 Leistung, die beide Elemente aufeinander beziehbar macht, dadurch, daß sie beide in ihrem spezifischen, logisch-begrifflichen Gehalt herstellt. Aus dieser Funktion einer Synthese folgt für den hier verhandelten Fall, daß die Grenze, die jedem Individuum in Gestalt eines anderen gegenübertritt, nicht gedacht werden darf als eine zwangsartig zu erleidende Einschränkung einer für sich schon bestehenden, unbeschränkten Freiheit. Denn dann würde dieses Element als dieses, spezifische Element schon vorausgesetzt. Anschaulich gesagt: Es kann kein fertiges Individuum geben, dem dann nachträglich noch ein anderes Individuum gegenübertritt. Vielmehr muß die Beschränkung so gedacht werden, daß sich erst durch sie die Freiheit als eine unbeschränkte zeigt. Die Freiheit muß ihres Freiheitscharakters allererst habhaft werden. 580 Es gilt hier wiederum zu beachten, daß die Formulierung „nicht-logisch-begrifflich“ nicht im Sinne einer logischen Antithetik zu verstehen ist. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 5.4.2 zum Hegelschen Mißverständnis der Kantischen Formalität.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
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Die Beschränkung muß also derart gedacht werden, daß sie die vorauszusetzende absolute Freiheit erst zu einer Freiheit macht, die als Freiheit verstehbar ist, die als Freiheit über sich verfügen kann, die also ein Moment der Rückbezüglichkeit enthält. Dieses Moment der Rückbezüglichkeit ist in einer absoluten Freiheit nicht enthalten, weil in dieser keinerlei Momente oder Bestimmungen unterschieden werden können.581 Die Beschränkung und Bestimmung, von der hier die Rede ist, bestimmt und beschränkt die vorauszusetzende absolute Freiheit der Tathandlung, indem sie diese Freiheit zu sich selbst ins Verhältnis setzt. Sie fügt ihr die Bestimmung hinzu, auf sich selbst bezogen zu sein, d.h. ein „sich“ zu haben.582 Die absolute Freiheit wird dadurch nicht ihres Freiheitscharakters beraubt, sondern lediglich in die Sphäre des „als“ überführt, in der die Freiheit sich bestimmt als Freiheit. Allein durch dieses rein formale Element der Selbstbestimmung gewinnt sie ihre eigene Bezüglichkeit und kann im Ergebnis als Freiheit auftreten. Erst durch diese Beschränkung würde also aus einer absoluten Freiheit, die für sich aber nicht ist, eine Freiheit, die dadurch bestimmt und beschränkt ist, daß sie von ihrer Freiheit positiv weiß. Erst mit diesem Schritt also könnte diese Freiheit positiv über sich verfügen als frei und würde dadurch auch erst als für sich frei und unbeschränkt, d.h. als autonom, gesetzt. 7.3.2.3 Aufforderung und Verstehen Wenn wir die Bestimmung der Freiheit zur Freiheit, zu ihrem freien Selbstvollzug denken, so denken wir keine materiale Determination dieser Freiheit, sondern eine lediglich formale: Über die Art und Weise, wie sich die Freiheit vollzieht, ist in dieser Bestimmung nichts festgelegt. Die Frei581 Vgl. dazu die vorhergehenden Ausführungen zur „Tathandlung“ in Fichtes „Grundlage“: Fichte (1794/95), S. 255 ff. 582 Im Gegensatz zu Hegel wird hier diese Rückbezüglichkeit als Bestimmung, Einschränkung, Vernichtung des Absolutheitscharakters der Freiheit aufgefaßt und nicht als deren selbstinduzierte Entfaltung. Auch Girndt grenzt die fichtesche Transzendentalphilosophie deutlich gegenüber einem „emanatistischen Idealismus“ ab, „nach dem Gegenstandsbewußtsein oder gar die Gegenstände selbst aus einem ‚absoluten Selbstbewußtsein‘ hervorgehen“. Vgl. Girndt (1981), S. 383. In der Hegelschen Philosophie wird hingegen der Schritt vom „An-sich“ über das „Für-sich“ zum „An-und-für-sich“ als eine „Entwicklung“ des Absoluten verstanden, die dieses aus sich selbst vollführt. Auf die weitreichenden systematischen Konsequenzen dieses Unterschiedes zwischen Fichte und Hegel kann hier nicht näher eingegangen werden. Für eine eingehende Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels vom Standpunkt der Wissenschaftslehre aus sei hier auf Lauth (1987) verwiesen. Ebenso ist in diesem Zusammenhang auf Girndt (1965) hinzuweisen, der eine kritische Prüfung der von Hegel in der „Differenzschrift“ erhobenen Kritik an der Transzendentalphilosophie Fichtes unternimmt.
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heit wird lediglich dahingehend bestimmt, daß sie sich vollzieht. Dieser Gedanke einer bloß formalen Determination ist nichts anderes als der einer Aufforderung (a).583 Der Begriff der Aufforderung macht deutlich, daß hier kein kausaler Automatismus zu veranschlagen ist. Es erfolgt keine Determination, der gegenüber der Freiheitsvollzug vollständig reaktiv bliebe. Vielmehr muß auch die zur Freiheit aufgeforderte Freiheit selbst als Freiheit in Erscheinung treten. Sie darf nicht lediglich passiv bestimmt werden. Soll sie der Aufforderung entsprechen, muß sie die Aufforderung selbständig nachvollziehen. Dieser Vollzug kann allein darin liegen, die geforderte Selbstbestimmung zur Freiheit als solche zu verstehen. Insofern die Aufforderung zum Selbstvollzug von der aufgeforderten Seite584 als Aufforderung verstanden wird, sieht diese ein, daß sie selbst zu einem freien Selbstvollzug aufgerufen ist. Sofern überhaupt nur verstanden wird, was mit „freie Stellungnahme“ gemeint ist, muß die verstehende Seite diese Möglichkeit zur freien Stellungnahme in sich selbst durchschauen, für transparent, für einsichtig halten. Damit aber vollzieht, aktualisiert sie bereits diese Stellungnahme. Nur aufgrund eines freien Selbstvollzuges kann innerlich nachgebildet werden, was es heißt, aufgefordert worden zu sein. Und nur durch eine innere Nachbildung, ein Verstehen des Freiheitscharakters kann sich Freiheit selbst zur Freiheit bestimmen. Jede Reaktion auf eine als solche verstandene Aufforderung – auch eine ablehnende – ist also immer schon eine freie Stellungnahme zu dieser Aufforderung: Sie findet bereits in der Sphäre der Selbstvollzüglichkeit, der Selbstbestimmung statt. Darin zeigt sich der schon angesprochene formale Charakter der hier verhandelten Bestimmung. Die 583 Den prinzipiellen Zusammenhang zwischen Aufforderung und Bestimmung zur Selbstbestimmung in Fichtes Interpersonalitätslehre erläutert Girndt (1981), S. 375. Girndt stellt dabei auf die für den Aufforderungscharakter konstitutive Doppeltheit von Bestimmung/Determination und Freiheitsvollzug ab: „Dieses Prinzip [der Aufforderung als Bestimmung zur Selbstbestimmung] enthält als Bestimmung zur Selbstbestimmung [. . .] den determinativen Aspekt des Gegenstandsbewußtseins und als Bestimmung zur Selbstbestimmung das Moment der Freiheitseröffnung praktischer Tätigkeit.“ Vgl. auch die einführenden Überlegungen zum praktischen Charakter von Aufforderungen in Kapitel 5.1.1. 584 Der Ausdruck „aufgeforderte Seite“ stellt eine an dieser Stelle sachlich unzulässige Substantialisierung dar. Er suggeriert, daß ein für sich bestehender Fixpunkt zu veranschlagen ist, auf den sich die Reflexion beständig beziehen kann. Demgegenüber muß der aktive, dynamische, nicht-substantielle Vollzugscharakter aller hier thematisierten Vernunftleistungen betont werden. Erst das Ergebnis der geleisteten Synthese vermag für sich bestehende, ruhende Pole zu generieren. In Ermangelung einer verständlichen Ausdrucksweise, die diesen Sachverhalt auszudrücken vermag, muß hier wie im folgenden dennoch zu einer „substantiellen“ Redeweise Zuflucht genommen werden. Diese Redeweise soll aber ausdrücklich nicht den verhandelten Gedanken widerspiegeln.
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
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Aufforderung ist der von außen gegebene Anlaß dafür, daß sich die aufgeforderte Seite zu einem Selbstvollzug bestimmt, der gerade darin liegt, die Aufforderung als Aufforderung zu verstehen (b). 7.3.2.4 Die Bedingtheit der Aufforderung Sofern die Aufforderung (a) als von außen gegeben erscheint, entspricht sie dem Charakter der Beschränkung: Das vor-individuelle Handlungsvermögen kann sich nicht aus sich heraus, autonom, zu einem Selbstvollzug bestimmen, vielmehr muß es den Anlaß zu dieser Selbstbestimmung erst vorfinden, also beschränkt werden. Es stellt sich die Frage, woher eine solche Aufforderung kommen kann. Da sich die hier verhandelte Problemstellung auf Ebene eines apriorischen, vor-individuellen Handlungsvermögens abspielt, ist klar, daß mit der eben eingeführten Aufforderung kein empirischer Appell eines fertigen Individuums gemeint sein kann, so wie wir ihn aus unserem unmittelbaren Alltagswissen kennen. Mit einem solchen Verständnis der Aufforderung würde ja Individualität als schon geleistet und unproblematisch vorausgesetzt, obwohl diese hier ja gerade erst gedanklich hergestellt werden sollte.585 Wie ist aber eine Aufforderung zu denken, die nicht die eines Individuums sein soll? Die gesuchte Einschränkung gegenüber einem freien und vor-individuellen Handlungsvermögen, die eine von außen gegebene Aufforderung darstellen soll, darf offenbar nicht autark für sich schon vorausgesetzt werden, sondern muß dergestalt konzipiert werden, daß sie sich erst in ihrer Bezogenheit auf die ihr gegenüberstehende Unbeschränktheit als Einschränkung erweisen kann. Es kommt hier also wiederum die Forderung nach einer sol585 Würde die Genese des individuellen Bewußtseins als abhängig betrachtet von einem anderen, „fertigen“ Selbstbewußtsein, bliebe der ganze Argumentationsgang zirkulär, weil er sich damit auf das prinzipielle Vorhandensein derjenigen Vernunftleistung beriefe, die ja überhaupt erst aufgeklärt werden sollte. Mit einem solchen Verständnis der Aufforderung würde der genetische Charakter der Fichteschen Philosophie vollständig verfehlt. Dieser Vorwurf eines fehlerhaften (und letztlich am Hegelschen Entwicklungsbegriff orientierten) Verständnisses der Fichteschen Genese des Selbstbewußtseins trifft Edith Düsing. Sie schreibt im Hinblick auf „Fichtes Gesamtkonzeption“ in der „Grundlage des Naturrechtes“: „Während das reine Ich als unbedingter spontaner Anfang seiner selbst gilt, ist das wirkliche Selbstbewußtsein der menschlichen Person nur ein relativer Selbstanfang; notwendig hinzutreten muß hier die Aufforderung DURCH EIN SCHON FERTIG AUSGEBILDETES ANDERES SELBSTBEWUSSTSEIN [Herv. d. Verf.]. Obwohl der Begriff freier Selbstbestimmung jedem vernunftbegabten Individuum zukommt, muß dieses durch die Begegnung mit mindestens einem personalen Gegenüber erst zum Bewußtsein seiner eigenen Freiheit erhoben werden.“ Düsing (1986), S. 243.
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chen (synthetischen) Vereinigung beider Elemente zum Tragen, die beide Elemente erst mit ihrem spezifischen Gehalt herstellt. Die Aufforderung (a) muß selbst ein Konstitutionsmerkmal in sich enthalten, das es unmöglich macht, sie zu verstehen als eine solche, die durch ein individuelles Vermögen willkürlich und beliebig aufgestellt, produziert werden könnte. Vielmehr ist sie so zu verstehen, daß das Auffordern selbst als Handlungsvollzug einer solchen Bedingung unterliegen muß, die einem individuellen Vermögen prinzipiell nicht zur Disposition steht. Die Aufforderung (a) muß offenbar nicht nur von der aufgeforderten Seite als Aufforderung verstanden, sondern auch von der auffordernden Seite als solche intendiert werden können. Der Zweck der Aufforderung, einen freien Selbstvollzug zu initiieren, muß von der auffordernden Seite also ausdrücklich als möglich gesetzt worden sein. Eine solche Möglichkeit läßt sich aber nicht beliebig setzen. Gegenüber einer bloß naturhaften, vernunftlosen Gegebenheit kann der Zweck eines freien Selbstvollzuges erfolgreich nicht verfolgt werden. Dieses vordergründige Argument der Erfolglosigkeit muß jedoch in einer philosophischen Perspektive noch dahingehend präzisiert werden, daß bereits die bloße Idee vom Zweck einer Aufforderung bedingt ist durch die gleichzeitige Einsicht, daß in der Außenwelt ein „Etwas“ findbar zumindest sein könnte, das aufgefordert werden kann. Anschaulich formuliert: Gegenüber einer Welt, die nur aus Natur besteht, könnte diejenige postulierte Instanz, die in der jetzigen Untersuchung die Aufforderung leisten soll, niemals den Zweck eines freien Selbstvollzuges setzen, weil sie nicht einmal die Idee davon haben könnte. Andernfalls würden wiederum genau diejenigen Vernunftleistungen schon vorausgesetzt, die hier in ihrer Genese untersucht werden sollen. Die Möglichkeit einer solchen Zwecksetzung hängt somit von der Bedingung ab, daß die auffordernde Seite von der prinzipiellen Möglichkeit eines solchen Gegenübers weiß, das eines freien Selbstvollzuges fähig ist. Es stellt sich die Frage, wie die auffordernde Seite (a) davon wissen kann.
7.3.2.5 Selbstmitteilung und Aufforderung Die auffordernde Seite (a) kann aus den eben schon genannten Gründen die Einsicht darin, daß die Möglichkeit eines freien Selbstvollzuges außerhalb ihrer selbst besteht, nicht aus sich allein, autark hervorbringen. Andernfalls würden wir in der hier zu vollziehenden Reflexion die prinzipielle Begrenztheit qua Individualitätsschranke aus unbedingter Freiheit hervorgehen lassen. Wir würden also behaupten, daß sich eine unbegrenzte Freiheit von sich aus begrenzen könnte, eine Aussage, die im Widerspruch zur Problemexposition steht. Die auffordernde Seite kann die postulierte Einsicht
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nicht aus sich selbst hervorbringen. Sie kann diese allein vollziehen anläßlich eines gefundenen Unverfügbaren. Die Aufforderungsleistung (a) selbst, die als Moment der Begrenzung in die Argumentation eingeführt wurde (vgl. 7.3.2.2), erweist sich an dieser Stelle also ihrerseits abhängig von einem solchen Moment der Begrenzung. Die zunächst schlicht als auffordernd postulierte Seite kann mithin gar nicht als lediglich auffordernd verstanden werden! Vielmehr ist sie in ihrem Auffordern abhängig davon, daß sie ihr Gegenüber als aufforderbar findet. Wie kann ein solches Merkmal der Aufforderbarkeit, d.h. ein Vermögen des freien Selbstvollzuges, gefunden werden? Es kann kein Kriterium für die Feststellung der Möglichkeit eines freien Selbstvollzuges geben, es sei denn, einen solchen Selbstvollzug selbst. Freiheit, Vernünftigkeit, ICHlichkeit lassen sich auf kein Bestimmungsmerkmal reduzieren, da jede Bestimmung nur innerhalb der prinzipiellen Selbstsetzung des ICH durch sich selbst als möglich postuliert werden kann. Das bedeutet hier, daß ein aufforderbares Gegenüber nur gefunden werden kann, sofern es sich selbst qua Selbstvollzug als ein solches mitteilt. Wie ist eine solche Selbstmitteilung (c) möglich? Da wir hier die Konstitutionsbedingungen von Individualität untersuchen, darf die Selbstmitteilung wiederum auf keinen Fall darin gesehen werden, daß eine freie Selbstvollzüglichkeit sich selbst als solche positiv aussagt. Für eine solche positive Selbstmitteilung müßte die sich selbst offenbarende Seite (c) über ihren eigenen Selbstvollzug deliberativ verfügen können und darüber hinaus diesen Selbstvollzug auch noch einem Gegenüber von sich aus mitteilen. Damit wäre sie jedoch schon Individuum, im Sinne eines für sich bestehenden und über sich verfügenden Freiheitsvermögens. Wir hätten damit das gesuchte Ergebnis abermals vorausgesetzt, anstatt es durch eine Synthese gedanklich herzustellen. Die Mitteilung einer Selbstvollzüglichkeit (c) muß also ihrerseits wiederum auf ein ihr unverfügbares Element angewiesen sein, das sie zu ihrem offenbarenden Selbstvollzug erst freisetzt. Eine solche Freisetzung zum Selbstvollzug entspricht exakt der schon untersuchten Aufforderung zum Selbstvollzug. Damit zeigt sich hier, daß die Selbstmitteilung (c), die als Bedingung für die Aufforderung (a) eingeführt wurde, selbst wiederum abhängig ist von einer zweiten Aufforderung (d). Weitergehend gilt es zu reflektieren, worin das Spezifische des offenbarenden Selbstvollzuges (c) liegt. Sofern die sich mitteilende Seite – wie eben ausgeführt – nur durch einen Aufruf dazu freigesetzt werden kann, sich selbst als frei zu vollziehen (und damit mitzuteilen), handelt es sich bei der Selbstmitteilung um die systematische Form von Selbst-Vollzug. Es handelt sich um einen Vollzug, der erst dadurch seine Rückbezüglichkeit erhält, daß er qua Aufforderung dazu bestimmt wird, seine Freiheit zu voll-
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ziehen. Ohne eine an sie gerichtete Aufforderung bleibt Freiheit unbeschränkt und damit ohne Rückbezug zu sich. Genau diese Konstellation eines Selbst-Vollzuges wurde oben als Verstehen (b) eines Aufrufes zum freien Selbstvollzug bezeichnet. Es zeigt sich hier also, daß die Selbstoffenbarung (c) systematisch zusammenfällt mit der zuvor thematisierten Verstehensleistung (b). 7.3.2.6 Zusammenfassung der bisherigen Problemlösung: Analytisches oder synthetisches Wechselverhältnis? Versuchen wir nun, die bisherigen Punkte zusammenzuführen. Als erstes, vorläufiges Ergebnis ließe sich formulieren, daß sowohl Aufforderung (a) als auch Selbstmitteilung (c) sich gegenseitig bedingen. Damit ist aber noch keine synthetische Vereinigung von Unbeschränktheit und Beschränktheit erreicht, da wir immer noch von zwei unterscheidbaren Polen ausgehen, denen wir dann die zusätzliche Bestimmung beilegen, Pole eines gegenseitigen Bedingungsverhältnisses zu sein. Unterscheidbar sind diese Pole, weil sie jeweils für sich distinkte Merkmale aufweisen: Die eine Seite ist dadurch definiert, auffordernd zu sein, die andere Seite dadurch, daß sie als selbstmitteilend gedacht wird. Keine Seite kann zwar in der bislang entwickelten Problemlösung ohne die andere als ihre Bedingung gedacht werden, aber das Verhältnis bleibt insofern noch analytisch, als beide Seiten als Pole eines Bedingungsverhältnisses schlicht vorausgesetzt wurden. Die Pole wurden damit unter der Hand als für sich bestehende Substanzen konzipiert, denen jeweils bestimmte Attribute zugeordnet werden können. Der eine Pol erhält das Attribut „auffordernd“, der andere das Attribut „offenbarend“. Beide Pole werden dadurch jeweils für sich fixiert, anstatt sie in ihrem Bedingungsverhältnis vollständig aufgehen zu lassen. Für eine vollständige synthetische Vereinigung von Beschränktheit und Unbeschränktheit jedoch ist aufzuweisen, daß sich jeder Pol zugleich sowohl als Aufforderung wie auch als Selbstmitteilung verstehen lassen muß. Beide Pole müßten sich jeweils gegenseitig verwechseln lassen. Erst dadurch würde aus einem analytischen Verhältnis, das von an sich gegebenen (substantiellen) Polen ausgeht und anschließend nach ihren jeweiligen Attributen und ihrer Beziehung fragt, ein synthetisches Verhältnis, in dem die Pole sich erst zusammen mit ihrer Beziehung konstituieren. Solange die Pole unabhängig von ihrer gegenseitigen Bezogenheit gedacht werden können, haben wir die Konstituierung abgrenzbarer Freiheitsvermögen wiederum vorausgesetzt, ohne sie philosophisch aufzuklären. Das gegenseitige Bedingungsverhältnis von Aufforderung (a) und Selbstmitteilung (c) darf sich sozusagen nicht nur „zwischen“ feststehenden Polen abspielen, sondern
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muß sich auch an jedem Pol jeweils für sich nachweisen lassen. Jeder Pol dürfte allein dadurch als auffordernd gedacht werden können, daß er zugleich auch als selbstmitteilend zu verstehen wäre, wie umgekehrt die jeweils sich offenbarende Seite nur dadurch als mitteilend zu verstehen sein dürfte, daß sie zugleich auch als Aufforderung zu denken wäre. 7.3.2.7 Synthetische Vereinigung Die Schritte, die für eine solche synthetische Konstituierung sich voneinander abgrenzender Freiheitsvermögen nötig sind, wurden in der obigen Entwicklung des Gedankens implizit schon durchgeführt. Die unterschiedlichen Fäden müssen lediglich ihre systematische Stelle erhalten, um sich zu einem einzigen zu vereinigen. Zu Beginn dieser Untersuchung wurde das Element der Begrenzung eines vor-individuellen Handlungsvermögens diskutiert im Sinne einer Bestimmung zur Selbstbestimmung. Diese Diskussion führte auf den Begriff der Aufforderung (a), und zwar einer solchen, die ihren Zweck darin findet, daß sie als Aufforderung verstanden wird. Aus Anlaß der Aufforderung bestimmt sich die aufgeforderte Seite zu einem freien Selbstvollzug, der darin liegt, die Aufforderung als Aufruf zur Freiheit zu verstehen (b). Gerade eben zeigte sich, daß die Aufforderung (a) aber selbst zu ihrem Selbstvollzug auf eine Selbstmitteilung (c) ihres Gegenübers angewiesen ist, sowie daß die Selbstmitteilung ihrerseits wiederum durch eine Aufforderung (d) aufgerufen werden muß. Würden wir diese vermeintlich „zweite“ Aufforderung (d), die die Selbstmitteilung initiiert, als ein zusätzliches Element verstehen, das zur ersten Aufforderung (a) auf der einen und dem Verstehen (b) auf der anderen Seite als Drittes hinzukäme, so hätten wir den Anfangspunkt eines infiniten Regresses erreicht. Die Selbstmitteilung (c) kann sich ebensowenig wie die Aufforderung (a) deliberativ zu ihrer spezifischen Leistung bestimmen. Sie hängt selbst wiederum von einer Aufforderung ab, die in dieser Interpretation als eine neue, eine „zweite“ Aufforderung (d) von der ursprünglichen (a) zu unterscheiden wäre. Der Wechsel von gegenseitiger Aufforderung und Selbstmitteilung ginge ins unendliche fort, und wir könnten nie eine systematische Einheit des Gedankens von Beschränktheit und Unbeschränktheit im Hinblick auf das vor-individuelle Handlungsvermögen erreichen. Wir müssen also, soll diese gedankliche Einheit erreicht werden, die vermeintlich zweite Aufforderung (d), die Bedingung für die Selbstmitteilung ist, zurückbeziehen auf die erste Aufforderung (a): Beide Aufforderungen sind systematisch identisch.586 586 Es darf nicht übersehen werden, daß in einer systematischen Rekonstruktion der Bedingungen unseres Bewußtseins – hier: der Bedingung der Individualität – zu-
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Außerdem zeigte sich in der obigen Argumentation, daß Verstehensleistung (b) und Selbstmitteilung (c) aufeinander zu beziehen sind. Das Verstehen darf nicht als eine lediglich passive Reaktion auf die Aufforderung verstanden werden, sondern dieses Verstehen muß sich selbst äußern. Sofern es sich äußert, übernimmt es selbst unmittelbar die Funktion einer Selbstmitteilung. Dieses Ergebnis wurde oben bereits formuliert. Wenn wir aber weiterhin bedenken, daß die Selbstmitteilung (c) ihrerseits gewonnen wurde als Bedingung der Möglichkeit einer Aufforderung (a), zeigt sich ein weiterer Zusammenhang: Der Aufforderung (a) mußte erst durch die aktive Mitteilung (c) eines Selbstvollzuges ein mögliches Objekt gegeben werden. Die Aufforderung konnte sich gar nicht als Aufforderung vollziehen, wenn nicht durch das Element der Selbstmitteilung dieser Vollzug (a) erst ermöglicht wurde. Da nun aber systematisch hier noch gar keine Selbstvollzüge außerhalb des Wechselspiels von Aufforderung und Verstehen/Selbstmitteilung unterschieden werden können, so bedeutet hier die Ermöglichung zu einem Aufruf nichts anderes als die Ermöglichung zu einem Selbstvollzug überhaupt. Diese eine Seite (a) kann sich nur in ihrem und durch ihren Aufruf frei vollziehen. Vollzieht sie keinen Aufruf, vollzieht sie sich überhaupt nicht. Damit gäbe es aber auch keinen Pol mehr, den wir als bestehenden gedanklich voraussetzen könnten. Da nun die Selbstmitteilung (c) prinzipielle Bedingung dafür ist, daß sich die auffordernde Seite (a) überhaupt als frei vollziehen kann, so kommt dieser Selbstmitteilung diejenige systematische Leistung zu, die zu Beginn als eine Freisetzung zur Freiheit, als eine Bestimmung zum freien Selbstvollzug behandelt wurde. Diese systematische Leistung stellt nichts anderes dar, als eine Aufforderung. Das Ergebnis dieser Überlegung lautet damit: Eine Aufforderung „gibt“ es nicht, es sei denn, sie wird aufgefordert. Damit „gibt“ es aber überhaupt keinen gedanklichen Fixpunkt mehr. Als gedanklicher Gehalt bleibt allein eine dynamische Wechselwirkung. Eine solche spielt sich nicht „zwischen“ Polen ab, sondern ermöglicht diese erst.587 nächst von allen Zeitbedingungen zu abstrahieren ist. Die Zeit wäre selbst erst als notwendige Bedingung abzuleiten. Die Wechselbeziehung von Aufforderung und Selbstoffenbarung darf also nicht als eine Abfolge von Handlungen gedacht werden, sondern als ein Vorgang, der sich unmittelbar – anschaulich formuliert: in einem Zeitpunkt – abspielt. Sofern diese Wechselbeziehung systematisch als ein ungeteilter Akt zu verstehen ist, sind auch „erste“ und „zweite“ Aufforderung identisch, da bei Wegfall der Zeit die Möglichkeit eines Unterscheidungsgrundes nicht gegeben ist. Auch in diesem Punkte zeigt sich die Mangelhaftigkeit einer Auffassung, die die ursprüngliche synthetische Wechselwirkung von Aufforderung und ihrer Entsprechung als eine Handlungsabfolge in der Zeit verstehen möchte. 587 Die Problemdurchführung in Kapitel 7.3.2 ist insgesamt der Versuch, einen einzigen Gedanken schrittweise zu rekonstruieren. Zu diesem Zweck wurden insge-
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
305
Damit erhalten wir eine synthetische Vereinigung aller eingeführten Elemente. Die Vereinigung von Unbeschränktheit und Beschränktheit auf Ebene des vor-individuellen Handlungsvermögens ist nur möglich durch ein gegenseitiges freies Auffordern zum freien Auffordern; durch ein gegenseitiges freies Verstehen als frei; durch eine gegenseitige, freie Selbstmitteilung als frei; durch eine gegenseitige Bestimmung zur Selbstbestimmung als frei. Jeder Pol dieses Verhältnisses konstituiert sich ausschließlich dadurch, mit einem freien Selbstvollzug die systematische Bedingung zu leisten für den freien Selbstvollzug des anderen Pols. Allein als Bedingung für ein Gegenüber ist jeder Pol als solcher möglich. Die gedankliche Gefahr einer unreflektierten Substantialisierung der Pole unabhängig von ihrem Wechselverhältnis ist damit abgewendet. Ausschließlich in, mit und durch die gegenseitige Bedingungsleistung können sich beide Pole als freie voneinander unterscheiden. Mit einer Formulierung von Fichte läßt sich hier sagen: „Der aufgestellte Begriff ist der einer freien Wechselwirksamkeit, in der höchsten Schärfe [. . .]. Ich kann zu irgend einer freien Wirkung eine freie Gegenwirkung als zufällig hinzu denken; aber das ist nicht der geforderte Begriff in seiner Schärfe. Soll er scharf bestimmt seyn; so muß Wirkung von Gegenwirkung sich gar nicht abgesondert denken lassen. Es muß so seyn, daß beide die partes integrantes einer ganzen Begebenheit ausmachen.“588
7.3.2.8 Die Wechselbeziehung von Individuen in der Sinnenwelt Die in der Problemexposition geforderte synthetische Leistung ist zwar schon erreicht, allerdings ist noch eine in der Problemdurchführung nur beiläufig erwähnte Zusatzbedingung zu reflektieren. Das Ausgangsproblem dieses Kapitels ergab sich durch das faktische Aufeinandertreffen unterscheidbarer Handlungsvermögen. Insofern die Problemexposition auf dem Handlungsbegriff aufbaute, wurde auch die Sinnenwelt als das notwendige Medium von Handlungsvollzügen implizit bereits vorausgesetzt. Diese Sinnlichkeit von Handlungsvollzügen bleibt in der bisherigen Problemlösung jedoch unthematisch. Die Genese der Notwendigkeit der Sinnenwelt als Bedingung der Möglichkeit von Bewußtsein überhaupt übersteigt zwar samt 4 (a–d) gedankliche Elemente eingeführt und in ihrem jeweiligen Verhältnis zueinander thematisiert. Die entscheidende gedankliche Leistung, nämlich die sukzessiv dargestellten Bedingungsverhältnisse auf einen einzigen Gedanken – die dynamische Wechselwirkung – hin zu verdichten, kann dem Leser nicht andemonstriert werden. Er muß diese gedankliche Leistung letztlich selbst vollbringen. Der Grund für diese Schwierigkeit liegt darin, daß hier keine bloß logischen Zusammenhänge zu thematisieren waren. Vielmehr geht es in einer transzendentalen Untersuchung darum, die Verstehbarkeit logischer Verhältnisse verständlich zu machen. 588 Fichte (1796), S. 344.
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7 Das Recht als die normative Bedingung
den thematischen Rahmen dieser Arbeit.589 Dennoch muß die Bedeutung dieser Sinnlichkeit für die hergestellte Synthese noch beleuchtet werden. Die hergestellte Synthese abstrahierte vollständig von allen sinnlichen Bedingungen. Sie ergab sich allein als die apriori notwendige Bedingung der Möglichkeit individueller, d.h. unterscheidbarer, Freiheit. Die Abstraktion von sinnlichen Bedingungen war im Rahmen dieser Untersuchung notwendig, weil eine philosophische Aufklärung individueller Handlungsfreiheit Individuen als konkrete, leibliche Personen nicht voraussetzen darf, ohne einem gedanklichen Zirkel zu verfallen.590 Die als Ergebnis der bisherigen Untersuchung gewonnene Wechselwirksamkeit ist eine notwendige philosophische Konstruktion, die verständlich macht, wie es möglich ist, daß sich Individuen als freie voneinander unterscheiden können. Gemäß dem Anspruch der Transzendentalphilosophie soll diese Konstruktion die Realität verständlich machen. Das bedeutet, daß sie sich auf diese Realität beziehen lassen muß. Die zuvor gewonnene, apriori notwendige Wechselwirksamkeit muß sich also als tatsächliches Moment der Realität wiederfinden lassen. Damit stellt sich die Frage, durch welche Strukturen der empirischen Realität die aufgestellte Wechselwirksamkeit auch als tatsächliche möglich wird. Die wechselseitige Freisetzung zur Freiheit bezeichnet ein apriorisches Moment der tatsächlichen gegenseitigen Einwirkung konkreter Individuen im Medium der Sinnlichkeit. Eine solche Einwirkung ist also einerseits sinnlich vermittelt und findet in der Sphäre der Raum-Zeitlichkeit statt. Sie darf aber andererseits – gemäß der aufgestellten Wechselwirksamkeit – dennoch nicht als eine vollständige Determination des Gegenübers verstanden 589 Fichte legt in seiner „Grundlage des Naturrechtes“ das Rechtsproblem insofern noch eine Stufe tiefer, als er auch die Genese der Sinnenwelt in die Ableitung des Rechtsbegriffs mit einschließt. Dort ergibt sich aus dem Postulat der freien Wirksamkeit eines Vernunftwesens – das, was hier als das freie, vor-individuelle Handlungsvermögen bezeichnet wurde – erst die Notwendigkeit einer gegenseitigen Konstituierung von Vernunftwesen. Dies macht § 3 der „Grundlage des Naturrechtes“ deutlich: „Das endliche Vernunftwesen kann eine freie Wirksamkeit in der Sinnenwelt sich selbst nicht zuschreiben, ohne sie auch andern zuzuschreiben, mithin, auch andere endliche Vernunftwesen ausser sich anzunehmen.“ Fichte (1796), S. 340. In der hier unternommenen Untersuchung hingegen bildete das Postulat der freien Wirksamkeit (in der Sinnenwelt) lediglich den vorausgesetzten Hintergrund für die Problematisierung der Abgrenzung individueller Freiheitssphären. Diese Vorgehensweise wurde gewählt, um die Untersuchung auf das wesentliche Charakteristikum des Rechtes zu beschränken. Denn die Genese der Möglichkeit der freien Wirksamkeit in der Sinnenwelt läßt sich auch unabhängig von der Rechtsidee in anderen philosophischen Zusammenhängen behandeln. Fichte führt diese Ableitung insbesondere in seinen Wissenschaftslehren, aber auch in seiner Sittenlehre durch. 590 Vgl. dazu die Diskussion der fehlerhaften Fichte-Interpretationen von Siep (siehe 7.3.1) und Düsing (siehe 7.3.2.4).
7.3 Die Bedingung der Möglichkeit von Individualität
307
werden. Fichte leitet aus diesem Problem die Notwendigkeit einer Dualität von „höherem“ und „niederem“ Sinnenvermögen ab.591 Das höhere Vermögen zeichnet sich nach ihm dadurch aus, daß es der aufnehmenden Seite die Möglichkeit der Nachbildung explizit gewährt und daß erst durch diese Nachbildung der Zweck der Einwirkung – nämlich die freie Tätigkeit des Rezipierenden – erreicht wird. Anläßlich einer sinnlichen Einwirkung kann das rezipierende Vernunftvermögen also innerlich die Einwirkung aktiv nachbilden und sich dadurch geistig aneignen. Zu denken ist hier beispielsweise an die akustische Sphäre mit der Doppeltheit von Hör- und Sprechvermögen. Erst durch die bewußte „innere“ Nachbildung eines an unser Ohr dringenden Geräusches wird dieses Geräusch beispielsweise zu einem bewußt gehörten Ton. Im Gegensatz dazu wäre etwa als niederes Sinnenvermögen der haptische Sinn zu nennen. In dieser Sphäre ist jede Berührung bereits eine vollständige sinnliche Determination, die keinerlei Freiraum mehr für eine in der gleichen Sphäre befindliche innere Nachbildung zuläßt. Aus diesem Grunde kann das bloße Anreden einer Person als solches, also abstrahiert vom semantischen Gehalt der Anrede, keine rechtswidrige Handlung darstellen. Hingegen ist das ungefragte Anfassen anderer Personen als rechtlich wesentlich problematischer zu bewerten. Mit der Anrede erfolgt zwar in gewisser Weise eine sinnliche Einschränkung der Freiheit des Angeredeten, aber keine Einschränkung, die auf ihr Gegenüber als ein bloßes Objekt sinnlicher Determination einwirkt. Das haptische Vermögen hingegen ist das einzige Vermögen, das wir bei der Modifikation von Naturgegenständen unmittelbar anwenden können: Ein Stein läßt sich eben nicht durch seine Anrede behauen. Sofern wir auf eine Person auf Ebene des Haptischen einwirken, degradieren wir sie also – sofern das freie Einverständnis nicht vorauszusetzen ist – prima facie zu einem reinen Sinnenwesen, mißachten also ihre Freiheit. Die zur Erklärung der Möglichkeit von Individualität geforderte gegenseitige Freisetzung darf, obwohl sie im Medium der Sinnlichkeit stattfinden muß, keine vollständige Determination beinhalten, die eine freie Stellungnahme nicht mehr zuläßt. Offensichtlich finden wir in unseren Sinnenvermögen, z. B. dem Gehör, auch tatsächlich die zuvor postulierte Möglichkeit einer Einwirkung, die ihren Zweck nur durch den freien (Nach-)Vollzug im Gegenüber erreichen kann. Diese Möglichkeit bildet die Grundlage jeder Interaktion zwischen Wesen, die sich als freie Individuen gegenüberstehen. Damit soll dieser Teil der Untersuchung abgeschlossen werden. Die philosophische Genese der Bedingungen unseres Bewußtseins führt aus sich 591
Vgl. dazu und im folgenden: Fichte (1796), S. 365 ff. (§ 6).
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7 Das Recht als die normative Bedingung
heraus, innerhalb der Methode der synthetischen Vereinigung von Gegensätzen, zu abstrakten gedanklichen Konstruktionen, denen wir aufgrund unmittelbarer Anschauung eine tatsächliche Entsprechung in der realen Welt beilegen können. Zugleich klären diese Konstruktionen den Gehalt dieser Anschauung auf und machen sie damit zu einer verstandenen. Philosophische Spekulation und reales Leben weisen dabei wechselseitig aufeinander zurück, indem sich beide als Bestimmungen des Wissens gegenseitig durcheinander konstituieren. In Bezug auf die hier verhandelte Problemstellung, wie es möglich ist, daß sich freie Vernunftwesen als solche voneinander unterscheiden können, läßt sich das zusammenfassende Resümee dieses Kapitels mit folgender Passage aus der „Grundlage des Naturrechtes“ ziehen: „Das Verhältniß freier Wesen zu einander ist demnach nothwendig auf folgende Weise bestimmt, und wird gesezt, als so bestimmt: Die Erkenntniß des Einen Individuums vom anderen, ist bedingt dadurch, daß das andere es als ein freies behandle, (d.i. seine Freiheit beschränke durch den Begriff der Freiheit des ersten.) Diese Weise der Behandlung aber ist bedingt, durch die Handelsweise des ersten gegen das andere; diese durch die Handelsweise, und durch die Erkenntniß des anderen, und so ins unendliche fort. Das Verhältniß freier Wesen zu einander ist daher das Verhältniß einer Wechselwirkung durch Intelligenz und Freiheit. Keines kann das andere anerkennen, wenn nicht beide sich gegenseitig anerkennen: und keines kann das andere behandeln als ein freies Wesen, wenn nicht beide sich gegenseitig so behandeln.“592
7.4 Die Werthaftigkeit individueller Handlungsfreiheit Kapitel 7.2 thematisierte die faktische Aufhebung äußerer Handlungsfreiheit unter Wertgesichtspunkten. Als eine mögliche wertende Stellungnahme wurde dort der Wert der Allgemeinheit individueller Handlungsfreiheit eingeführt. Durch die mittlerweile durchgeführte Reflexion läßt sich die Werthaftigkeit dieser allgemeinen Handlungsfreiheit rechtfertigen. Damit zugleich kann auch die Bedeutung des Merkmals der Allgemeinheit aufgeklärt werden. Die philosophische Reflexion der Möglichkeitsbedingungen individueller Handlungsfreiheit hat gezeigt, daß sich diese nur in, mit und durch ein dynamisches Wechselverhältnis konstituieren kann. Dieses Wechselverhältnis setzt individuelle Freiheit als solche frei, indem es unterscheidbare Freiheitssphären schafft. Als Bedingung der Möglichkeit von Individualität markiert dieses Wechselverhältnis eine notwendige, apriorische Struktur von Freiheit. Diese Struktur ist nicht Produkt willkürlicher Spekulation, auch keine kontingente Erscheinung abendländischer Kultur, sondern apriorisches Konstitutiv592
Fichte (1796), S. 351.
7.4 Die Werthaftigkeit individueller Handlungsfreiheit
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moment individueller Personalität. Die philosophische Reflexion dieser Struktur klärt ein Grundmoment menschlichen Lebens auf: Die Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.593 Das abgeleitete Wechselverhältnis ist apriori notwendig. Es ist ein Gesetz der Freiheit und zwar in spezifisch praktischer Hinsicht: Die apriorische Wechselkonstitution hat als Strukturmoment menschlichen Lebens unmittelbare Bedeutung für den Vollzug dieses Lebens. Sie verweist auf die Notwendigkeit tatsächlicher gegenseitiger Anerkennung zwischen wirklichen Personen. Insofern sie auf die Notwendigkeit eines solchen Vollzuges verweist, kommt ihr Wertcharakter zu. Dieser Wertcharakter ist jedoch nur in einem spezifischen Sinne zu verstehen, der im folgenden zu entwickeln ist. Entscheidend für den Vollzug der Anerkennung ist ihre Gegenseitigkeit. Das aufgestellte Wechselverhältnis entläßt keine einseitig geltende Verpflichtung des einzelnen Individuums, ein jeweiliges Gegenüber schlechthin anzuerkennen. Aufgrund seiner spezifisch wechselwirkenden Struktur kann es nicht den Ursprung für einen kategorischen Imperativ bilden. Ein solcher verpflichtet das einzelne Individuum schlechthin, also unabhängig von jeder Gegenseitigkeit. Vielmehr findet die apriorische Wechselwirksamkeit ihre normative Entsprechung in einer nur bedingten Verpflichtetheit des einzelnen Individuums: Es ist zur Anerkennung verpflichtet allein unter der Bedingung, daß sein Gegenüber eine reziproke Anerkennung vollzieht. Der nicht-substantielle sondern dynamische Charakter der verhandelten Synthese, auf den in Kapitel 7.3.2 mit Nachdruck hingewiesen wurde, zeigt hier eine unmittelbar praktische Folge: Weil die Synthese in einem Wechselverhältnis besteht, das sich nicht zwischen vorausgesetzten Polen abspielt, sondern diese allererst generiert, kann die praktische Anwendung dieses Wechselverhältnisses sich auch nur in der abstrakten Gegenseitigkeit der Verpflichtungsstruktur zeigen, nicht jedoch in einer unmittelbaren Verpflichtung des einzelnen Individuums.594 593
Vgl. die kantische Definition des Rechtes in Kapitel 7.2.2. Die hier thematisierte Gegenseitigkeit korrigiert und differenziert gewissermaßen die in Ulrichs Konzeption betonte „Reversibilität“ bzw. „Reziprozität“. Erstens vermag der Ausgangspunkt der strikten Gegenseitigkeit gedanklich keine einseitig bestehende, moralisch-unbedingte Verpflichtung zu begründen. Und zweitens ist das Ergebnis der hier verhandelten gegenseitigen Anerkennung die Legitimität individueller Freiheit. Diese unterliegt als individuelle gerade keiner weiteren (diskursiven) Rechtfertigungsbedingung. Vielmehr bezeichnet sie, will man sie auf Ulrichs Konzeption anwenden, die apriorische Bedingung und Grenze für diskursive Rechtfertigungsprozesse. Wie im nächsten Kapitel 7.5 gezeigt wird, führt die abstrakte Gegenseitigkeit der hier verhandelten Anerkennung zudem zur notwendigen Positivität des Rechtes. Damit wird der Anwendungsbereich diskursiver Rechtfertigungsprozesse nochmals eingeschränkt. 594
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7 Das Recht als die normative Bedingung
Diese Verpflichtungsstruktur erhellt die spezifische Form der zuvor behaupteten Werthaftigkeit allgemeiner Handlungsfreiheit. Obwohl sich dieser Wert auf die individuelle Handlungsfreiheit beziehen soll, ist damit stets nur die Gesamtheit individuell-einzelner Handlungsvermögen gemeint. Es geht im Gegensatz zur moralischen Sphäre nicht um die Perspektive des einzelnen Vernunftsubjektes, das für sich allein eine bestimmte Willenshaltung gegenüber seinen Mitmenschen einnehmen soll. Es geht im Gegensatz zur Ökonomik auch nicht um die Perspektive des einzelnen Individuums, das seinen eigenen, willkürlichen Zwecken folgt. Es geht um diejenige überindividuelle Perspektive, in der sich Individualität als solche erst zeigen kann. Wenn also vom Wert individueller Handlungsfreiheit die Rede ist, wird damit zwar eine bestimmte Form von Normativität, von Nicht-Willkürlichkeit bezeichnet, aber nicht eine solche Form, die sich als konkrete Verpflichtung des einzelnen Individuums äußert. Der thematisierte Wertcharakter bezeichnet allein die einsichtige Vernünftigkeit solcher interpersoneller Begegnungen, in denen sich die beteiligten Individuen darin respektieren, jeweils eigene Zwecke zu verfolgen. Wertvoll ist in dieser Perspektive also nicht die moralische Selbstzurücknahme des Einzelnen, sondern ein unpersönliches Strukturmoment von Interpersonalität: nämlich die Bedingungen, unter denen die individuelle Freiheit aller Personen zugleich nebeneinander möglich ist.
7.5 Die notwendige Positivität des Rechtes Das Merkmal der Gegenseitigkeit, das sich auch auf die empirische Respektierung konkreter Individuen bezieht, birgt ein systematisches Umsetzungsproblem. Kein Individuum kann allein für sich eine gegenseitige Respektierung bewirken. Kein Individuum kann allein für sich den geforderten Wert realisieren. Darüber hinaus ist die je auf das einzelne Individuum bezogene Verpflichtetheit, den anderen zu respektieren, bedingt durch die Gegenseitigkeit dieser Respektierung. Mißachtet also ein Individuum die Freiheit des anderen, wird nicht nur die geforderte Gegenseitigkeit nicht realisiert. Vielmehr fällt damit überhaupt jede Anerkennungsverpflichtung in sich zusammen. Das Realisierungsproblem ist mit diesen Hinweisen jedoch noch nicht vollständig beschrieben. Nachdem das Ergebnis der apriorischen Anerkennung die Verselbständigung individueller Freiheitssphären ist, fällt die empirische Umsetzung dieser Anerkennung der individuellen Freiheit konkreter Individuen anheim. Aus der Perspektive des einzelnen Individuums gibt es also gerade keine Garantie für die Vernunftgemäßheit seines Gegenübers. Auch dann, wenn es selbst die empirische Umsetzung der apriorischen Struktur für vernünftig
7.5 Die notwendige Positivität des Rechtes
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hält, besteht der Inhalt der apriorischen Anerkennung dennoch darin, ein Gegenüber als Individuum zu respektieren. Dieser Respekt impliziert auch, einen Maßstab überpersönlicher Vernunft nicht einzufordern. Der Bereich der Gesinnung, der Geistes- und Willenshaltung soll demnach ausschließlich individueller Freiheit unterliegen und nicht zum Gegenstand interpersoneller Beurteilung werden. Sofern jedes Individuum sich nach seinen je persönlichen Zwecksetzungen richten können soll, ist die Vernunftgemäßheit individueller Handlungen an keinem anderen Maßstab zu messen als an der Respektierung der individuellen Freiheit anderer. Das bedeutet für die Frage der Realisierung der Gegenseitigkeit, daß sich allein an der faktischen Mißachtung individueller Freiheit ablesen läßt, ob eine Mißachtung zu erwarten ist. Da die Gesinnungsfrage gemäß der Abgrenzung individueller Freiheit jenseits einer legitimen Beurteilung liegt, kann aus der Perspektive des einzelnen Individuums ex ante nicht abgeschätzt werden, ob es mit der Respektierung seiner eigenen Freiheit rechnen kann. Durch diese prinzipielle Unsicherheit in Bezug auf andere verfällt aber auch die je eigene Verpflichtung einer praktischen Bedeutungslosigkeit. Die Legitimität individueller Freiheit begründet also in der Konkretheit der Begegnungssituation eine prinzipielle Unsicherheit hinsichtlich der gegenseitigen Respektierung. Damit zeigt sich, daß die geforderte Gegenseitigkeit auf empirischer Ebene durch individuelle Leistungen nicht herstellbar ist. Die abstrakte Gegenseitigkeit der Verpflichtungsstruktur scheitert an der Konkretheit interpersoneller Begegnung. Aus diesem Problem ergibt sich negativ der Schluß, daß die geforderte Gegenseitigkeit auf einem Wege zu realisieren ist, der keine individuellen Leistungen veranschlagt. Die faktische Respektierung individueller Freiheit darf also nicht durch eine jeweils individuelle Respektierung bedingt sein. Sie muß sich als eine überindividuelle Notwendigkeit ergeben, die das Problem der Unsicherheit auf individueller Ebene beseitigt. An dieser Stelle nun zeigt sich die entscheidende Implikation des dynamischen Charakters der zuvor aufgestellten Wechselwirkung. Diese Synthese der Wechselwirkung, die unterscheidbare Freiheitssphären erst herstellt, verweist hier auf die Notwendigkeit einer realen Instanz, die die tatsächliche Respektierung individueller Freiheit herstellt. Diese Herstellung muß unmittelbar faktischer Natur sein, da sie nicht über die individuelle Handlungsfreiheit vermittelt sein kann. Eine solche faktische Herstellung gegenseitigen Respekts ist der Begriff rechtlichen Zwanges. Dieser impliziert den Staat als Instanz der Sicherstellung individueller Freiheit. Die faktische Sicherstellung individueller Freiheit durch Zwang entlastet die Individuen von der Notwendigkeit, die Chancen der Respektierung ihrer Freiheit durch andere beurteilen zu müssen. Denn die Beurteilung obliegt
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7 Das Recht als die normative Bedingung
nunmehr einer Instanz, deren Überpersönlichkeit sich darin äußert, daß sie ihre Beurteilung an einem allgemeingültigen Maßstab orientiert. Gegenstand der Beurteilung können dabei allein die Handlungen der Individuen sein, nicht jedoch ihre Gesinnungen, denn nur durch jene kann individuelle Freiheit durch Individuen gefährdet werden. Insgesamt lassen sich aus dem Charakter der abstrakten Wechselwirkung also die Merkmale positiven Rechtes entwickeln. Diese Entwicklung konnte hier allenfalls angedeutet werden, weil sie für die Aufklärung der Grundlagen des Ökonomischen nicht mehr relevant ist. Wichtig ist allein die Einsicht, daß die systematische Reflexion der Bedingungen individueller Handlungsfreiheit einerseits ihren spezifischen Wertcharakter zu erhellen vermag, sowie andererseits auf die Notwendigkeit der Positivität des Rechtes führt. Damit sind die entscheidenden Einsichten gewonnen, um eine Grundlegung der Wirtschaftsethik leisten zu können.
8 Grundlegung der Wirtschaftsethik 8.1 Methodische Vorbemerkungen Die Untersuchung im zweiten Teil der Arbeit war angetreten, eine systematische Fundierung der Wirtschaftsethik zu leisten. Die wissenschaftliche Notwendigkeit eines solchen Vorhabens zeigte der im ersten Teil entwikkelte Gegensatz zwischen der diskursethisch orientierten Konzeption Peter Ulrichs und der Moralökonomik Karl Homanns mit ihrem weitreichenden moralphilosophischen Begründungsanspruch. Die gegenwärtige wirtschaftsethische Diskussion wird nach wie vor von diesem Gegensatz dominiert, so daß die systematische Bestimmung des Ausgangsparadigmas der Wirtschaftsethik das entscheidende Desiderat wirtschaftsethischer Forschung darstellt. Das Problem dieser Bestimmung konkretisiert sich in der Frage, wie der grundsätzliche Primat der Ethik und eine mit ihm einhergehende unmittelbare moralische Verpflichtetheit jedes Menschen – wie sie insbesondere von Peter Ulrich betont werden – mit der systemischen Eigengesetzlichkeit der Ökonomie – wie sie von Karl Homann profiliert wird – zusammengedacht werden kann. Die Überlegungen in Kapitel 5 und 6 deckten die Bestimmungen unseres Wissens auf, die wir uns zuschreiben müssen, sobald wir die Begriffe Ethik und Wirtschaft in einer für uns selbst verstehbaren Bedeutung verwenden wollen. Die transzendentale Thematisierung von Wirtschaft führte die Untersuchung zuletzt zur Behandlung des Rechtes als eigenständiger normativer Kategorie. Damit sind die Grundlagen gewonnen, um die Frage nach der Möglichkeit von Wirtschaftsethik beantworten zu können. Wenn zwischen den zuvor aufgedeckten Bestimmungen unseres Wissens ein notwendiger Zusammenhang einsichtig gemacht werden kann, dann ist ein belastbares Fundament für eine normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen gewonnen. Sofern die normativen Perspektiven von Ethik und/oder Recht verstehbar in einer bestimmten Weise auf das Ökonomische bezogen werden können bzw. es zuallererst konstituieren, ist mit der Aufstellung dieser Beziehung(en) zugleich auch die Frage nach dem Ausgangsparadigma von Wirtschaftsethik beantwortet: Der auf Prinzipienebene gebildete Zusammenhang zwischen den thematisierten Wissensbestimmungen gibt nicht nur Auskunft über die Frage der bloßen Möglichkeit von Wirtschaftsethik, sondern bestimmt zugleich die spezifische Art und Weise, in
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8 Grundlegung der Wirtschaftsethik
der eine normative Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen allein möglich ist. Die im systematischen Teil der Arbeit entwickelten Grundlagen sollen im folgenden zunächst zusammengefaßt werden. Die Abschnitte 8.2.1, 8.2.2 und 8.2.3 beziehen sich jeweils einzeln auf die Kapitel 5, 6 und 7 dieser Arbeit. Nachdem die Grundlagen auf diese Weise verdichtet sind, werden in Kapitel 8.3 die systematischen Folgerungen im Hinblick auf eine Bestimmung des Ausgangsparadigmas der Wirtschaftsethik gezogen. Auf Grundlage dieses Paradigmas werden sich abschließend in Kapitel 8.4 Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik bestimmen lassen.
8.2 Zusammenfassung der vorbereitenden Argumentationslinien 8.2.1 Moralische Verbindlichkeit und der Vorrang der Ethik Um die Frage nach dem Ausgangsparadigma beantworten zu können, war zunächst eine Reflexion der systematischen Grundlage jeder Frage nach Ethik und normativer Orientierung nötig. Diese Reflexion bestätigte den universalen Anspruch moralischer Verpflichtetheit vernünftiger Wesen. Diese Verpflichtetheit wurde auf ein apriorisches Selbstverhältnis des freien Willens zu sich selbst zurückgeführt, ein Selbstverhältnis, das jeder reflexiven gedanklichen Operation voraus liegt. Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht, die den Anspruch moralischer Verpflichtetheit mit einer bestimmten gedanklichen Operation – einem sogenannten „Universalisierbarkeitstest“ – assoziiert, wurde in dieser Arbeit die unmittelbar willensbezogene Konstitution der Selbstgesetzgebung der Vernunft hervorgehoben. Dieser Primat des Praktischen zeigt sich in einer kantischen Konzeption gerade in der Unmittelbarkeit, in der uns das Soll als gefühlte Einschränkung materialer Willensbestimmungen entgegentritt. Sowohl die Willensbezogenheit als auch die Formalität des kantischen Sittengesetzes bergen weitreichende Konsequenzen für die Frage nach dem Ausgangsparadigma von Wirtschaftsethik. In bezug auf die Konzeption von Peter Ulrich ist festzustellen, daß sich der moralische Anspruch nicht apriori durch bestimmte Klassen von Handlungen – bei Ulrich: verschiedene Arten von Verständigungshandlungen – konkretisieren läßt. Da sich die moralische Verpflichtung unmittelbar ausschließlich auf eine bestimmte Willenshaltung bezieht, diese aber gerade darin besteht, dem Prinzip der Autonomie zu folgen, so läßt sich durch keine philosophische Reflexion vorwegnehmen, welche Art von Handlung dem moralischen Subjekt in der Konkretheit der je einmaligen historischen Situation zu tun obliegt. Die mo-
8.2 Zusammenfassung der vorbereitenden Argumentationslinien
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ralisch indizierte Handlung fließt allein aus dem autonomen Willen des moralischen Subjektes. In diesem Gedanken liegen die unvertretbare Verantwortung und Würde jedes vernünftigen Wesens beschlossen. Bezogen auf die Wirtschaftsethik bedeutet dies, daß erstens wirtschaftliche Tauschhandlungen sich nicht apriori moralisch disqualifizieren lassen, und daß sich zweitens diskursive Verständigungshandlungen nicht apriori als moralisch überlegene qualifizieren lassen. Abgesehen von dieser Differenz zu Ulrich bestätigt diese Arbeit jedoch den von Ulrich postulierten Primat des moralischen Anspruches gegenüber allen anderen Handlungsanforderungen. (Dabei ist freilich zu beachten, daß der moralische Anspruch, den diese Arbeit im Anschluß an kantische Überlegungen expliziert, im Gegensatz zu Ulrich sich ausschließlich auf der Ebene des Willens äußert und lediglich vermittelst des Willens sich auch auf Handlungen beziehen läßt.) Die Konsequenzen dieser Ergebnisse in bezug auf die Konzeption von Karl Homann sind im wesentlichen spiegelbildlich zu sehen. Einerseits bestätigt diese Arbeit eine Grundtendenz der Konzeption von Karl Homann, indem sie begründet, weshalb sich moralische Ansprüche nicht auf Handlungen als solche beziehen lassen und deshalb auch nicht die Phänomenologie des wirtschaftlichen Systems betreffen können. Andererseits weist sie die moralphilosophischen Begründungsansprüche der Homannschen Moralökonomik vollständig zurück, indem sie nachweist, daß sich normative Verbindlichkeit weder aus ökonomischen Überlegungen „ableiten“ läßt, noch überhaupt im Rahmen ökonomischer Überlegungen methodisch in den Blick kommen kann. Der Versuch Homanns, eine moralische Entlastung der Akteure des ökonomischen Systems dadurch zu erreichen, daß er der ökonomischen Logik selbst fundamentale Bedeutung für den moralphilosophischen Ausweis normativer Verbindlichkeit zuspricht, schlägt vollständig fehl. 8.2.2 Das Ökonomische und die Grenze der Wirtschaftsethik Um das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik bestimmen zu können, mußte zweitens das Spezifische des Ökonomischen fixiert werden. Dieses zeigte sich als die Willenshaltung, die Welt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Vorteils595 zu betrachten. Diese Willenshaltung versteht die Ökonomik als Axiom der Nutzenmaximierung, aus dem sie das marktwirtschaftliche System eigeninteressierter Tauschbeziehungen rekonstruiert. Im Anschluß an Max Weber konnte diese Willenshaltung zusätzlich 595 Der Gesichtspunkt des „persönlichen Vorteils“ meint die Individualität der Interessenorientierung. Dieser Begriff umfaßt damit sowohl – insbesondere physiologisch – vorgegebene „Bedürfnisse“ als auch willkürlich entworfene Willenstendenzen. Vgl. dazu Kapitel 6.1.2.3.
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8 Grundlegung der Wirtschaftsethik
jedoch auch als historisch wirkliche und wirkmächtige zumindest plausibilisiert werden. Aus dieser weberschen Perspektive erscheint die historische Genese des modernen marktwirtschaftlichen Systems insbesondere durch die besagte Willenshaltung geprägt zu sein. Der formale Aspekt des Ökonomischen, Willenshaltung zu sein, führte auf das Problem seiner grundsätzlichen normativen Vertretbarkeit. Denn sofern wir uns Verantwortung für unsere Willenshaltungen zuschreiben, erhält die Bestimmung des Ökonomischen unmittelbar normative Bedeutung. Diese normative Bedeutung findet ihre Grenze jedoch darin, daß wir mit dem Begriff des Ökonomischen einen in irgendeiner Weise bestimmten Sachverhalt meinen, der nicht mit dem Problem normativer Orientierung überhaupt zusammenfällt. Sofern wir mit dem Ökonomischen überhaupt etwas Spezifisches verbinden, markiert dieses Spezifische auch die Grenze zwischen allgemeiner Ethik und Wirtschaftsethik. Insofern kann das Ökonomische in seiner inhaltlichen Bestimmtheit der Wirtschaftsethik nicht zur Disposition stehen. Das Projekt einer wirtschaftsethischen „Transformation“ des Ökonomischen, wie es Peter Ulrich anstrebt, weist diese Arbeit als verfehlt zurück. Gleichwohl verbleibt als wesentliche Aufgabe der Wirtschaftsethik, das normative Fundament des Ökonomischen aufzuklären und damit möglicherweise sowohl seine normative Vertretbarkeit als auch seine normativen Grenzen sicherzustellen. Daß das Fundament des Ökonomischen in die Sphäre des Normativen fällt und sich nicht aus scheinbar gegebenen „Dilemmastrukturen“ ableiten läßt, wie es Homann programmatisch zu tun unternimmt, darin stimmt diese Arbeit mit Ulrich begründetermaßen überein. Ob mit dieser Aufklärung des Fundamentes zugleich auch normative Grenzen des Ökonomischen sich würden bestimmen lassen, mußte im 5. Kapitel noch der weiteren Untersuchung anheimgestellt werden. Der Gegensatz von inhaltlicher Eigenständigkeit und formaler Abhängigkeit des Ökonomischen gegenüber normativen Zusammenhängen wurde – zunächst lediglich thesenhaft – durch das Konzept der Apriorizität aufgelöst. Demnach mußte das gesuchte normative Fundament des Ökonomischen apriorischer Art sein. Damit stellte sich die Frage, ob durch die philosophische Reflexion tatsächlich eine apriori notwendige Selbstbestimmung der Vernunft gefunden werden kann, die die materiale Bestimmtheit des Ökonomischen normativ ermöglicht. 8.2.3 Das Recht als Bedingung individueller Handlungsfreiheit Das Problem der Koordination von Handlungen in der Sinnenwelt führte die Untersuchung zur Frage nach den Bedingungen individueller Hand-
8.2 Zusammenfassung der vorbereitenden Argumentationslinien
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lungsfreiheit. Mit dieser Frage schränkte die Untersuchung das Problem der Individualität von vornherein ein auf die Bedingungen der Interagierbarkeit freier Wesen. Eine weitergehende Aufklärung der Individualität, etwa hinsichtlich der konkreten Einmaligkeit jedes einzelnen Individuums, wurde ausgespart. Die Untersuchung orientierte sich allein an der Frage, wie freie Subjekte sich in der Sinnenwelt als solche überhaupt begegnen können. Die Minimalbedingung individueller Handlungsfreiheit liegt zum einen darin, daß jedes Individuum seine Zwecke unabhängig von anderen, allein gemäß einer individuellen Freiheit setzen darf. Diese Minimalbedingung korrespondiert dem von der Ökonomik verwendeten Begriff des formalen Vorteils, insofern mit diesem ausschließlich auf die individuelle Subjektivität des Wollens abgestellt wird. Um über die bloße Zwecksetzung hinaus auch als Individuum handeln zu können, muß darüber hinaus sichergestellt sein, daß jedes Individuum seine individuellen Zwecksetzungen in der Sinnenwelt verfolgen kann, ohne dabei durch die Handlungen eines anderen prinzipiell gehindert zu werden. Durch die Sicherstellung beider Bedingungen wird die Sphäre der Privatheit konstituiert. Die Aufklärung dieser Minimalbedingung von Individualität erhält ihre wirtschaftsethische Bedeutung unmittelbar dadurch, daß die ökonomischen Interaktionsformen der „Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“596, insbesondere des Tausches, auf der Voraussetzung beruhen, daß sich die Interaktionspartner als individuell freie begegnen, also als solche Wesen, die sich gegenseitig darin respektieren, den jeweils individuellen Vorteil zu verfolgen. Von einer Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil kann nur dann die Rede sein, wenn die konkrete Interaktion von beiden Seiten freiwillig gewählt wird. Mißachtet hingegen eine Seite den individuellen Willen ihres Gegenübers, begegnen sich die Individuen im Medium gewaltsamer Auseinandersetzung. Diese Arbeit konnte – innerhalb einer transzendentalphilosophischen Reflexion auf die Bedingungen individueller Handlungsfreiheit – eine apriorische Selbstbestimmung der Vernunft einsichtig machen, die jedem individuellen Freiheitsvollzug vorgängig ist. Diese Selbstbestimmung der Vernunft liegt in einer wechselwirkenden Anerkennung, durch die die Sphäre individueller Subjektivität überhaupt erst als Vorstellungsform generiert wird. Wechselwirkend ist diese Anerkennung, insofern sie sich auf sich selbst bezieht und dadurch erst die Pole gedanklich hervorgehen läßt, zwischen denen ein stehendes Verhältnis gegenseitiger Anerkennung gedacht werden kann. Daß die Pole dieses Anerkennungsverhältnisses schließlich als voneinander unabhängige Vernunftwesen sich begegnen können, ist die 596
Homann (2001), S. 221.
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spezifische Leistung dieser apriorischen Anerkennung. Sie stellt die Bedingung der Möglichkeit interpersoneller Begegnung dar. Anschaulich zeigte sich die Apriorizität dieser Anerkennungsleistung darin, daß uns – als realen Vernunftwesen – die individuelle Handlungsfreiheit als Wert erscheint, der in seiner Werthaftigkeit unserem individuellen Wollen nicht zur Disposition steht. Reale Vernunftwesen können innerhalb ihrer faktischen Freiheitsvollzüge diese apriorische Anerkennung also lediglich willentlich nachvollziehen oder mißachten – in allen Formen des Verbrechens –, sie aber weder ursprünglich hervorbringen noch zerstören. Die Apriorizität dieser Anerkennung begründet damit die universale Unveräußerlichkeit fundamentaler Menschenrechte. Indem dieser apriorische Wert sich auf die individuelle Freiheit der Handlung bezieht, fordert er – im Gegensatz zum moralischen Anspruch – unmittelbar, d.h. ohne durch das moralische Wollen des einzelnen Vernunftwesens vermittelt zu sein, daß die Sinnenwelt, in der sich Handlungen allein abspielen, in einer bestimmten Hinsicht geordnet sei. Er fordert die faktische Sicherstellung dieser Handlungsfreiheit. Eine solche läßt sich nur durch ein positives Rechtssystem erreichen, das die Handlungsfreiheit jedes Individuums gegenüber der Handlungsfreiheit aller anderen durch Zwang garantiert; denn erst der Zwang gewährleistet, daß diese Sicherstellung nicht vom moralischen Wollen der einzelnen Vernunftwesen abhängt.597 Das Zusammenspiel von apriorischer Auszeichnung individueller Handlungsfreiheit als Wert und ihrer faktischen Sicherstellung in der Sinnenwelt durch ein mit staatlicher Sanktionsmacht bewehrtes System positiver Gesetze wurde in dieser Arbeit als das Spezifische des Rechtes ausgewiesen. 597
In diesem Zusammenhang ist es interessant zu erwähnen, daß nach Fichte sich dieser Zwang gegenüber freien Wesen nur dadurch installieren läßt, daß deren individuelles Eigenwollen in einer bestimmten Weise gelenkt werde. Das Recht muß sich nach Fichte gerade diejenigen Motivationskräfte und Antriebe zunutze machen, die ein Individuum dazu verführen können, das Recht zu brechen. Es muß seinen Zwang auf die Eigenliebe des Individuums gründen, indem es die widerrechtliche Handlung ausnahmslos mit solchen Konsequenzen verbindet, die das Individuum wegen seiner Eigenliebe nicht wollen kann. (Vgl. dazu und im folgenden: Fichte (1796), S. 425 ff. [„§. 14. Das Princip aller Zwangsgesetze“]). Diese Konsequenzen müssen dem einzelnen Rechtssubjekt im vorhinein bekannt sein. Es soll sie in seine Pläne einbeziehen können. (Dementsprechend findet Strafe ihre systematische Berechtigung allein in der Strafandrohung. Sie hat präventiven Charakter.) Die Fichtesche Rechtskonzeption rechnet explizit damit, daß die Individuen ihre Eigenliebe – modern gesprochen: ihren Eigennutz – kalkulierend verfolgen, indem sie ihre Handlungspläne mit den für sie gegebenen Handlungsbedingungen abgleichen. Damit formuliert Fichte in seiner Rechtsphilosophie lange vor Homann das Prinzip, das dieser als „Anreizsteuerung“ (Homann (1995), S. 25) bezeichnet. Allerdings ist zu beachten, daß „Anreize“ auch zur Förderung erwünschter Handlungsweisen dienen und nicht – wie die Strafe – allein zur Verhinderung rechtswidriger.
8.3 Das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik
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Der Nachweis einer apriorischen, die Sphäre des Rechtes konstituierenden Selbstbestimmung der Vernunft als Bedingung der Möglichkeit interpersoneller Begegnung bildet die Grundlage, von der aus diese Arbeit sowohl die normative Berechtigung des Ökonomischen aufklären als auch – damit zugleich – dessen normative Begrenzung bestimmen kann. Der Zusammenhang von Berechtigung und Begrenzung des Ökonomischen soll in einem letzten Schritt entfaltet werden. Dieser Zusammenhang wird die Frage nach dem Ausgangsparadigma von Wirtschaftsethik beantworten.
8.3 Das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik Abschließend stellt sich die Frage, welche Folgerungen aus der bisherigen Argumentation für die Bestimmung des Ausgangsparadigmas von Wirtschaftsethik gezogen werden können. Wie ist die normative Grundlage beschaffen, die Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik festlegt? Die entscheidenden Differenzierungen, mit denen diese Arbeit den Gegensatz zwischen der integrativen Wirtschaftsethik von Peter Ulrich und der Ethik mit ökonomischer Methode von Karl Homann aufzulösen beansprucht, liegen erstens in der Unterscheidung von intelligibler Willensebene und phänomenologischer Handlungsebene, sowie zweitens in der Unterscheidung von ethischer und rechtlicher Normativität. Diese Unterscheidungen ermöglichen es, die Beziehungen von Ethik, Wirtschaft und Recht in einer Weise systematisch zu bestimmen, die die jeweiligen Schwächen der beiden vorgenannten Positionen vermeidet. 8.3.1 Das Verhältnis der Moralität zum Ökonomischen Der moralische Anspruch fordert absolut. Der gute Wille will alles, was er materialiter will, allein innerhalb der Form der Autonomie, d.h. einer selbstgesetzlichen Freiheit. Der gute Wille kennt keine Ausnahme von seinem Prinzip. Das Ökonomische kann aus diesem Grunde, der in der Moralität selbst liegt, keinerlei Einschränkung der Moralität oder auch nur eine Gleichstellung neben ihr beanspruchen. Insofern besitzt die Moralität schlechthin den Vorrang vor dem Ökonomischen. Dieser Vorrang impliziert jedoch keine Einmischung in die Sphäre der Wirtschaft, als der phänomenologischen Seite des Ökonomischen. Diese Sphäre der Wirtschaft wurde in Kapitel 5 als das systemische Resultat einer bestimmten, historisch nachweisbaren Lebenseinstellung rekonstruiert. Diese liegt als historisch wirksame Kraft dem institutionellen Rahmen zugrunde, in dem sich die heutige Wirtschaft als System von Marktbeziehungen zwi-
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schen ökonomischen Akteuren abspielt. Dabei gilt es zu beachten, daß die Begriffe „Marktbeziehung“ sowie „ökonomischer Akteur“ Produkte der theoretischen Einstellung der Ökonomik sind, die darin besteht, alle Handlungen so zu betrachten, als wären sie eigennutzorientiert. Erst vermittelst der theoretischen Konstrukte „Marktbeziehung“ und „ökonomischer Akteur“ ist die phänomenologische Beschreibung des ökonomischen Systems als eines solchen möglich. Erst vermittelst dieser Konstrukte lassen sich Handlungen von Menschen einer bestimmten Klasse von Handlungsweisen zuordnen, nämlich der „ökonomischen“. Diese ist zunächst durch das Merkmal der – unter dem Gesichtspunkt des Nutzens kalkulierten – Reziprozität von Leistung und Gegenleistung definiert.598 Das fundierende Merkmal der Klasse ökonomischer Handlungen liegt somit darin, daß sie als Ausdruck einer nutzenmaximierenden Einstellung betrachtet werden (können). Insofern werden Marktbeziehungen als solche erst durch den theoretischen Blickwinkel der Ökonomik geschaffen. Das Merkmal der Nutzenmaximierung koinzidiert mit der – im Sinne der weberschen Soziologie – als historisch wirklich nachweisbaren Lebenseinstellung konkreter Personen, die Welt aus der Perspektive ihres persönlichen Vorteils zu betrachten.599 Wirtschaft läßt sich in diesem Sinne also nur verstehen als Beziehungssystem einer (in theoretischer Einstellung konstruierten) Klasse von Handlungen, die von (ebenso konstruierten) Akteuren, den homines oeconomici, ausgeführt werden. Wenn wir unsere eigenen Alltagshandlungen, z. B. den Kauf von Brötchen beim Bäcker, verstehend interpretieren wollen, können wir die Anwendung dieser (konstruierten) Kategorien – „Kauf“ eines „Gutes“ gegen „Geld“ – nicht vermeiden. Sobald wir auf die Bedeutung einer Aussage wie: „Ich kaufe Brötchen beim Bäcker“ reflektieren, können wir uns als brötchenkaufend nur verstehen, wenn wir die ökonomischen Kategorien applizieren. So unangenehm es auch erscheinen mag: Wir verstehen uns dann – einseitig, aber dafür ein präzises Verständnis im Sinne von Erkenntnis produzierend – als homines oeconomici! 598 Erst durch die gedankliche Anwendung dieses Merkmals wird das Ergreifen und An-sich-Nehmen von Gegenständen zum Bestandteil eines (verstehbaren) marktlichen Tauschvorganges. Der morgendliche Kauf von Brötchen beim Bäcker ist bereits ein ökonomisch interpretierter Vorgang, der sich unabhängig von ökonomischen/rechtlichen Kategorien nicht beschreiben läßt, ohne genau diese Bedeutung: „Kauf von Brötchen gegen Geld“ zu verlieren. Der Kauf von Brötchen beim Bäcker läßt sich als solcher eben nicht anders verstehen als: „Kauf von Brötchen beim Bäcker“. 599 Das zweite Merkmal der Eigennutzorientierung leistet die theoretische Fundierung des ersten, tauschbezogenen. „Tausch“ erscheint aus dieser zweiten Sicht als ein Fall von „Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil“. Diese interaktionsökonomische Betrachtung setzt dabei die individuelle Nutzenmaximierung schon voraus. Zur Begründung dieser Aussage vgl. Kapitel 6.1.3.
8.3 Das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik
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Moralität kann in dieser Sphäre des wirtschaftlichen Systems keinerlei Resonanzboden finden, weil sie sich keiner Klasse von Handlungen zuordnen läßt. Moralität bezieht sich unmittelbar allein auf Gesinnungen/Willenshaltungen und erst durch diese hindurch auch auf die Handlungen, die aus ihnen hervorgehen. Moralität ist für phänomenologische Vorgänge als solche blind.600 Wenn mit „Kauf eines Gutes gegen Geld“ das Verständnis eines phänomenalen Vorganges gemeint ist, der sich nur auf Grundlage dieses Verständnisses als dieser Vorgang gedanklich fixieren läßt, so kann der moralische Anspruch nicht unmittelbar auf diesen Vorgang bezogen werden. Der „Kauf eines Gutes gegen Geld“ ist als phänomenaler Vorgang weder moralisch noch unmoralisch, sondern amoralisch, also der moralischen Bewertung prinzipiell unzugänglich. Die innerhalb der gedanklichen Konstruktion „(Markt-)Beziehungen zwischen nutzenmaximierenden Akteuren“ möglichen/vorkommenden Handlungsweisen können, wenn mit ihnen nichts anderes gemeint sein soll, als das, was die ökonomischen Kategorien bezeichnen, nicht Gegenstand einer moralischen Bewertung sein. Anders verhält es sich hingegen, sobald wir nach der Willenseinstellung fragen, die hinter einem Tauschvorgang stehen mag und die von der Ökonomik als hypothetische Perspektive der Weltbetrachtung gewählt wird. Mit dieser Frage gehen wir über eine phänomenologische Betrachtung von Wirtschaft als Beziehungsgeflecht von bestimmten Handlungsweisen hinaus. Aus der bisherigen Argumentation ist ersichtlich, daß die von der Ökonomik profilierte Willenshaltung der moralischen Bewertung prinzipiell zugänglich ist. Wenn sich eine konkrete Person tatsächlich die Geisteshaltung und Willenseinstellung zu eigen macht, die die Ökonomik aus theoretischem Interesse hypothetisch unterstellt, nämlich prinzipiell nicht anders zu wollen und zu handeln als so, daß der persönliche Nutzen maximiert werde, so läuft das aller Moralität zuwider. Wenn sich reale Menschen die Maximierung ihres persönlichen Vorteils zur obersten Maxime machen, so wollen und handeln sie unmoralisch! An dieser Einsicht kommt keine Wirtschaftsethik vorbei.601 600
Wenn Vorgänge/phänomenale Ereignisse/Handlungsfolgen moralisch beurteilt werden sollen, so setzt diese Beurteilung die moralische Einstellung des Beurteilenden schon voraus. Erst aus deren Perspektive kann ein Vorgang moralisch qualifiziert werden. Diese Qualifizierung bezieht sich dabei nur mittelbar auf den zu beurteilenden Vorgang selbst. Primär setzt sich der moralisch Urteilende in ein Verhältnis zu sich selbst, so als ob er sich fragte: Kann ich unter dem moralischen Anspruch wollen, daß ein solcher Vorgang (unter den gegebenen Umständen) geschieht? Vorgänge/phänomenale Ereignisse/Handlungsfolgen selbst besitzen keine „gute“ oder „böse“ Wesensqualität. Diese Einsicht illustriert die durch Kant geleistete Kopernikanische Wende in der Moralphilosophie. Vgl. dazu Kapitel 5.2.5. 601 Aus der Perspektive der kantischen Ethik können wir unseren Bedürfnissen kein prinzipielles Eigenrecht, sondern allein eine fallweise Berücksichtigung auf-
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Welcher Maxime Menschen in ihrem Wollen und Handeln folgen, läßt sich aus einer phänomenologischen Betrachtung jeweils einzelner Handlungsvorgänge nicht ablesen. Phänomenologisch sich als identisch darstellende Handlungsvorgänge können in unterschiedlicher Weise intendiert worden sein, unter verschiedenen Maximen stehen, und deshalb unterschiedliche Bedeutungen haben. Der Kauf von Brötchen beim Bäcker kann z. B. als Mittel zur Erhaltung der physischen Existenz, derer wir bedürfen, um überhaupt (moralisch) wollen und handeln zu können, intendiert worden sein, ebenso wie als direkt gewollter Zweck einer konkreten Bedürfnisbefriedigung selbst – die freilich wiederum unter höheren Zwecksetzungen stehen mag –, oder auch als oberster Zweck der individuellen Bedürfnisbefriedigung überhaupt. Diese intendierten Bedeutungen zu eruieren, ist nicht möglich bei Betrachtung nur des einzelnen Handlungsvorganges selbst. Vielmehr kann erst der Blick auf die gesamte Persönlichkeit des Handelnden einen annähernden Aufschluß über den Intentionszusammenhang geben, in dem die einzelne Handlung stehen mag.602 Damit kann das vorläufige Resümee dieses Kapitels gezogen werden: Die Teilnahme am marktlichen Beziehungsgefüge und die Aktualisierung der dabei einschlägigen Handlungsformen lassen sich keinesfalls von vornherein unter moralischen Gesichtspunkten kritisieren. Eine moralische Bedeutung erhält eine solche Teilnahme erst im Hinblick auf die obersten Willensgrundsätze, unter denen diese Teilnahme steht, bzw. aus denen sie als bewußte Handlung eines Subjektes erwächst. Aufgrund der methodischen Fixierung auf einen rein formalen Vorteilsbegriff, der per definitionem auch das selbstlose Handeln z. B. einer Mutter Theresa einschließt, kann die Ökonomik diese Maximenunterscheidung prinzipiell nicht erfassen. Von der Phänomenologie derjenigen Handlungsweisen, die die Ökonomik als ökonomische interpretiert, lassen sich keine Rückschlüsse auf die obersten Maximen der Handelnden ziehen. Solange also die Befriedigung der Totalität individueller Zwecksetzungen selbst nicht zum Selbstzweck erhoben wird – ein Selbstzweck, den die Ökonomik den homines oeconomici aus theoretischem Interesse hypothetisch unterstellen muß –, solange die Nutzenmaximierung nicht tatsächliche Maxime des Handelns ist, bleiben ökonomische Handlungsformen als solche moralisch unbedenklich. grund autonomer Selbstbestimmung zusprechen. Unsere Bedürftigkeit können wir als Sinnenwesen nicht abschütteln. Aber wir können uns zu unseren Bedürfnissen unter dem Anspruch der Autonomie in ein Verhältnis setzen. Nicht mehr aber auch nicht weniger fordert die Moralität – auch in der Wirtschaft. Vgl. dazu Kapitel 6.2.1. 602 Diese Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit ist natürlich wiederum vermittelt allein über ihre Äußerungen in der Sinnenwelt, also ihre Handlungen. Ein Zugang zur faktischen Willenswirklichkeit unserer Mitmenschen kann allein über die zu interpretierenden Sinnesdaten erreicht werden.
8.3 Das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik
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Diese Aussage bezieht sich allein auf die Frage, ob der Vollzug ökonomischer Handlungsformen bereits für sich genommen ein moralisches Problem darstellt. Und die Antwort lautet: Nein. Diese Antwort schließt jedoch keinesfalls aus, daß es dem einzelnen Subjekt in einer konkreten Situation moralisch geboten sein kann, sich über alle wirtschaftlich indizierten Handlungsformen hinwegzusetzen und dabei sein Eigeninteresse zu verleugnen. Die hier vertretene Auffassung von Ethik mißt allein dem Subjekt in der konkreten Einmaligkeit der jeweiligen Situation die moralische Fähigkeit zu, unmittelbar und letztgültig zu erfassen, ob eine solche moralische Pflicht besteht.603 Mit diesem Resümee ist das Verhältnis von Moralität und Wirtschaft jedoch noch nicht abschließend geklärt. Es bleibt eine Frage offen, die zwar moralisch relevant ist, zugleich jedoch über die Moralität hinausweist: Können wir wollen, daß alle Bereiche menschlichen Lebens dem Muster wirtschaftlicher Handlungen folgen? Können wir wollen, daß jede Handlung den Funktionsgesetzen des wirtschaftlichen Systems unterliegt? Wie in Kapitel 5 entwickelt wurde, fordert der Anspruch der Autonomie eine autonome Selbstbestimmung zur Freiheit und damit die gegenseitige Bezogenheit von Freiheit auf Freiheit. Diese gegenseitige Bezogenheit konkretisiert sich im Verhältnis autonomer Vernunftwesen zueinander. Das bedeutet, daß der Anspruch der Autonomie auch die Interaktion zwischen freien Wesen betrifft. Interaktion gelingt in moralischer Hinsicht demnach nur dann, wenn alle Beteiligte sie unter dem Anspruch der Autonomie wagen. Zumindest mittelbar betrifft die Unmoralität eines Interaktionspartners aus diesem Grunde auch das moralische Subjekt; sie darf ihm nicht gleichgültig bleiben. Wir können die Moralität eines anderen zwar nicht herstellen, bewirken, erzwingen wollen – das liefe dem Anspruch der Moralität gerade zuwider –, dennoch geht uns die Moralität unserer Mitmenschen moralisch an. Als freie Wesen sind wir dazu aufgerufen, das Ideal der Autonomie zu verwirklichen – nicht nur in uns selbst. Aus diesem Grunde eröffnet auch die Moralität eine Perspektive auf das Problem der Art und Weise des Zusammenlebens von Menschen. Diese Perspektive kann jedoch unter moralischen Vorzeichen immer nur die konkrete des einzelnen moralischen Subjektes sein, das allein für sich selbst eine bestimmte Haltung gegenüber seinen Mitmenschen einnimmt. Der abstrakte Blick auf die allgemeine Gestaltung der Interaktionsformen einer Gesamtheit von Individuen bleibt der Moralität jedoch verwehrt. Denn „Gestaltung“ kann in moralischer Hinsicht immer nur heißen: vertrauende Auffor603 Nach den bisherigen Ausführungen ist klar, daß mit dieser Aussage keine subjektive Willkürlichkeit gemeint ist. Diese wäre nicht einmal in der Lage, die Frage nach der moralischen Pflicht überhaupt nur zu stellen.
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derung an und Freistellung für den anderen, dem Anspruch der Autonomie zu genügen. Sobald die Frage der Gestaltung des Zusammenlebens im Sinne der Festlegung von Handlungsregeln und Verhaltensnormen, und damit die Frage nach der Fixierung einer allgemeinen, für alle verbindlichen Ordnung erhoben wird, bleibt der Moralität allein der mahnende Hinweis darauf, daß sich Autonomie nicht verordnen läßt. Die Moralität eröffnet zwar den Horizont, in dem sich die Frage nach unserer Einstellung gegenüber dem Gesamt menschlichen Zusammenlebens erhebt. Da sie die Erfüllung ihres Anspruches allein in der Unmittelbarkeit der handlungsbestimmenden Geistes- und Willenshaltung des einzelnen Subjektes erreichen kann, erscheint der Moralität jedoch jede Frage nach der Gestaltung einer äußeren, ausschließlich handlungsbezogenen Ordnung überhaupt fragwürdig, so wie sie auch für die Lösung dieser Art von Problemen vollständig steril bleibt. Damit erhebt sich die Frage, auf welchen normativen Anspruch jenseits der Moralität wir uns berufen können, wenn es gilt, das wirtschaftliche Handlungsmuster in ein Gesamtkonzept menschlichen Zusammenlebens zu integrieren? 8.3.2 Das Verhältnis der Rechtlichkeit zum Ökonomischen Das Recht ist doppelgestaltig. Die intelligible Seite des Rechtes leistet die apriori notwendige Ermöglichungsbedingung individueller Handlungsfreiheit; die empirische Seite ermöglicht die faktische Handlungsfreiheit von Individuen, indem sie Handlungssphären schafft, die voneinander geschieden sind. Beide Seiten des Rechtes sind ineinander verwoben: Die intelligible Seite fundiert als vorpositive Rechtsidee die normative Substanz des positiven Rechtes, während allein dieses den normativen Anspruch jener zu realisieren imstande ist. (Ein historischer Zustand ohne positives Recht widerspricht der Idee des Rechtes.) Aus dieser doppelten Gestalt ergeben sich vielfältige Beziehungen zum Ökonomischen. 8.3.2.1 Die Individualität der Zwecksetzung Der apriorische Zusammenhang zwischen Recht und ökonomischer Einstellung klärt die bislang fragliche normative Berechtigung des Ökonomischen auf. Sofern das Recht vermittelst einer wechselwirkenden Anerkennung Sphären individueller Freiheit generiert, leistet es die apriorische Ermöglichung individueller Zwecksetzung. Diese Individualität der Zwecksetzung ist der Inhalt des formalen Vorteilsbegriffes der Ökonomik. Deshalb gestattet – im doppelten Sinne von: ermöglicht und erlaubt – uns das Recht, so zu handeln, wie es die Ökonomik hypothetisch unterstellt: Wir dürfen
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als Individuen handeln, d.h. uns in unserem Handeln allein nach unseren je verschiedenen, uns als Individuen auszeichnenden Vorstellungen, Präferenzen, Maßstäben richten – solange wir dabei die Handlungsfähigkeit von anderen nicht prinzipiell mißachten. Das Recht generiert in normativer Hinsicht denjenigen Gehalt – Individualität der Zwecksetzung –, den die Ökonomik weder normativ legitimieren noch positiv begründen kann, sondern aufgrund ihres theoretischen Interesses als Axiom voraussetzen muß. Allerdings gilt es einschränkend zu beachten, daß das Recht nicht die ausschließliche Orientierung an individuellen Zwecken im Sinne der Maximierung des Nutzens positiv aus sich entläßt. Die apriorisch notwendige Selbstbestimmung der Vernunft reicht allein bis zur normativen Bedingung der Möglichkeit individueller Zwecksetzung. Nur die Möglichkeit individueller Interessen ist apriori. Die tatsächliche Willenshaltung einer realen Person, sich ausschließlich nach diesen Interessen zu richten und konsequent ihren Nutzen zu maximieren, ist ein Produkt individueller Freiheit, das als solches gerade nicht apriori abgeleitet werden kann. Insofern kann nicht behauptet werden, daß das Recht das Ökonomische positiv generiert; es enthält allein die normativen Bedingungen seiner Möglichkeit. Ebenso wie unter dem Blickwinkel des formalen Vorteilsbegriffes der Ökonomik keine Unterscheidung von Maximen nach ihrem moralischen Gehalt möglich ist, und deshalb auch jedes Handeln aus moralischer Einstellung als individuell nutzenmaximierend erscheinen muß, so kennt auch das Recht keine weitere normative Orientierung als die der individuellen Handlungsfreiheit. Jede Handlung einer Person erscheint ihm als Ausfluß individueller Zwecksetzung, mag sie auch einer moralischen Maxime entsprungen sein. Das Recht ist in moralischer Hinsicht blind. Aus diesem Grunde erscheint ihm auch die ausschließliche Orientierung an individuellen Interessen normativ unproblematisch – solange der Wert allgemeiner Handlungsfreiheit gewahrt bleibt. 8.3.2.2 Die faktische Konstituierung von Wirtschaft Der Konnex von Rechtlichkeit und ökonomischer Einstellung auf der intelligiblen Ebene von Willens- und Geisteshaltung reproduziert sich auf phänomenologischer Handlungs- und Systemebene. Die faktische Sicherstellung individueller Handlungsfreiheit durch ein System positiver Rechte bereitet den Boden, auf dem die Individuen diese Handlungsfreiheit mit ihren privaten Zwecksetzungen ausfüllen können. Privateigentum und Vertragsfreiheit sind zwei der durch den Zwang des positiven Rechtes geschützten Rechtsgrundsätze, die auf den intelligiblen Wert individueller Handlungsfreiheit gegründet sind: Reale Handlungsfreiheit impliziert zu-
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mindest sinnliches Material, das dem Willen des Individuums als Rechtssubjekt unumschränkt zugänglich ist – die Leiblichkeit ist daher die ursprünglichste Form des Eigentums –, sowie rechtlich definierte – und dadurch beschränkte – Möglichkeiten der Interaktion mit anderen Subjekten. Die vertragliche Vereinbarung ist der durch die apriorische Anerkennungsleistung überhaupt erst ermöglichte aposteriorische Schnittpunkt, in dem die unterschiedlichen Willens- und Handlungsorientierungen konkreter Individuen sich auch ohne vorherige Harmonisierung treffen können, ohne sich gegenseitig aufzuheben. Privateigentum und Vertragsfreiheit sind deshalb die unmittelbaren Ermöglichungsbedingungen marktlicher Tauschbeziehungen zwischen individuell freien Akteuren.604 Das Recht ermöglicht und legitimiert die Individualität der Zwecksetzung, nimmt aber selbst einen überindividuellen Standpunkt ein, der immer nur die Allgemeinheit individueller Handlungsfreiheit im Blick hat. Nicht jede Handlung, die einem einzelnen Individuum als nutzenmaximierend erscheint, ist rechtlich erlaubt. Eine aus der Rechtsidee sich ergebende Aufgabe des positiven Rechtes ist es, alle Handlungen von Individuen, durch die der Wert allgemeiner Handlungsfreiheit in der konkreten Form einer anderen Person mißachtet wird, zu unterbinden. Das Recht erweist sich somit 604 Indem diese Arbeit das Recht in seiner intelligiblen/faktischen Doppelgestalt als die transzendentale Möglichkeitsbedingung individueller Personalität nachweist, unterläuft sie alle marxistisch inspirierten Versuche, die Rechtsform als Produkt des Tauschaktes und damit einer spezifisch-bürgerlichen Vergesellschaftung zu enttarnen. Wenn beispielsweise Christian Erlewein unter Bezug auf Karl Marx behauptet, „[d]aß die Subjekte die Rechtsform als nicht-identische Einheit von Besonderem und Allgemeinem im einfachen Tauschakt selbst hervorbringen“ (Erlewein (2003), S. 219), bzw., „daß die Genesis der Rechtsform in den Austauschverhältnissen zu suchen ist“ (ebd., S. 200), und von diesem Standpunkt aus die gesamte Debatte über die integrative Wirtschaftsethik als unzureichend kritisiert (vgl. ebd., S. 216), so versäumt er zu reflektieren, wie es denn überhaupt sein kann, daß sich Subjekte als solche voneinander unterscheiden können. Diese Unterscheidbarkeit im Sinne ideell-apriorischer wie auch faktisch-aposteriorischer Abgrenzung ist die Voraussetzung eines Tauschaktes, in dem Subjekte sich als nach individuellen Zwecken Handelnde begegnen. Durch die transzendentale Reflexion der Möglichkeitsbedingung individueller Zwecksetzungen in der Sinnenwelt wird die Rechtsform nicht mehr realistisch als Produkt bestimmter Handlungsweisen – der Tauschakte – aufgefaßt, die, aus einer marxistischen Perspektive betrachtet, ihrerseits immer schon Produkt der jeweils herrschenden Interessen bzw. Gesellschaftsformen sind und diese fortwährend reproduzieren. Die transzendentale Reflexion zeigt, daß jede menschliche Interaktion, allein dadurch, daß sie Interaktion ist, die Idee des Rechtes als apriorische Bedingung ihrer Möglichkeit voraussetzt. Wer diese transzendentale Reflexion ihrerseits als Produkt herrschender gesellschaftlicher Verhältnisse begreifen will, müßte sich fragen lassen, wie er überhaupt zu einem Begriff von Gesellschaft – als dem Medium menschlicher Interaktion – gelangen kann. Und diese Frage führte von selbst zur transzendentalen Reflexion zurück.
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als ein normatives Prinzip, welches wirtschaftliche Handlungen normativ wie faktisch sowohl ermöglicht als auch zugleich beschränkt. Erst durch diese beschränkende Funktion des Rechtes kann ein funktionsfähiges System ineinandergreifender wirtschaftlicher Handlungen entstehen. Dieses System besteht aus einem marktlich koordinierten Interaktionsgefüge zwischen einer Vielzahl von Akteuren, die sich nach ihren individuellen Vorstellungen richten. Erst das Recht stellt dabei sicher, daß diese Handlungen im Rahmen der Handlungsfreiheit aller Individuen bleiben. Erst das Recht ermöglicht ein systemisches Funktionieren von Wirtschaft, indem es den verbindlichen Rahmen individueller Handlungsvollzüge normativ definiert und faktisch sicherstellt, also von den jeweiligen Intentionen der Akteure abkoppelt. Die systemische Koordination eigeninteressierter Handlungen über den Markt ist allein auf dem Boden rechtlich garantierter Handlungsfreiheit möglich. Für die Frage nach der Integration dieses Systems in das Gesamt menschlichen Lebens ist jedoch die Frage entscheidend, wie die Teilnahme der Individuen an diesem Interaktionsgefüge verfaßt ist. 8.3.2.3 Individuelle Freiheit und ökonomischer Systemzwang Gedanklich lassen sich zwei Arten der Teilnahme von Individuen am wirtschaftlichen System unterscheiden: die individuell freiwillig gewählte sowie die systemische Zwangsintegration. Im ersten Falle nehmen am marktlichen Tauschsystem – und dem begleitenden Wettbewerb – nur diejenigen Subjekte teil, die positiv teilnehmen wollen. Im zweiten Falle sind die Formen des sozialen Zusammenlebens derart weitgehend der Wettbewerbslogik ausgesetzt, daß sich das ökonomische System in ihnen fortwährend reproduziert. Ein soziales Jenseits der ökonomischen Logik gäbe es in diesem Falle nicht mehr. Die Methode der Ökonomik, alle Handlungen hypothetisch so zu betrachten als wären sie nutzenorientiert, hätte sich in einer totalen Systemwelt materialisiert.605 Die Möglichkeit des einzelnen Individuums, frei über die Teilnahme am Marktsystem entscheiden zu können, setzt eine Alternative zu dieser Teilnahme voraus. Eine solche Alternative ist gegeben, wenn die Lebensfüh605 Zur Illustration sei hier nochmals an die zuvor schon angeführte Webersche Beschreibung des modernen Wirtschaftssystems erinnert. Weber spricht von „jene[m] mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung [. . .], der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist.“ Weber (2000), S. 153. Vgl. auch Kapitel 6.1.3.
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rung des Einzelnen ein materielles Fundament auch jenseits der Marktteilnahme findet, wenn also das einzelne Individuum einen individuellen, von Einwirkungen anderer nicht tangierten Handlungsraum besitzt, der die Grundlagen einer menschenwürdigen Existenz bereitstellt. Es muß dabei jedoch unterschieden werden, ob dieser Handlungsraum lediglich faktisch besteht oder darüber hinaus auch durch das positive Recht garantiert wird. Ein lediglich faktisches Fundament der Lebensführung liegt beispielsweise dann vor, wenn ein konsequenter „Aussteiger“ und Eremit von wild wachsenden Naturprodukten lebt, die rechtlich niemandem zugeordnet sind, so daß ihm ihre Nutzung nicht positiv garantiert werden kann. Die „Wildnis“, als der Inbegriff rechtlicher und sozialer Beziehungslosigkeit, stellt eine rein faktisch, nicht jedoch rechtlich konstituierte Lebensgrundlage dar. Eine klösterliche Gemeinschaft hingegen, die sich dem „weltlichen“ Treiben versagt, muß in irgendeiner Form rechtlich garantiertes Eigentum besitzen, wenn sie sich dauerhaft selbst versorgen und gleichzeitig in z. B. karitativem und seelsorgerlichem Kontakt zur Außenwelt stehen will. Oder aber sie ist – wie im Falle der Bettelorden – auf die „milden Gaben“ ihrer Mitmenschen angewiesen. Nur sofern diese Gaben dem Ideal der Mitmenschlichkeit entsprechen und nicht der Tauschlogik zweckrationalen Kalküls folgen, stellen sie im eigentlichen Sinne ein „Geschenk“ dar. Ein solches kann als Geschenk – d.h. wenn es keinen sublimierten Tauschvorgang in der Hoffnung auf diesseitige oder jenseitige Belohnung bezeichnet – nur zweckfrei intendiert worden sein. Im Fall der Bettelorden hängt die Existenz der religiösen „Aussteiger“ deshalb aber gerade am guten Willen ihrer Mitmenschen. Rechtlich garantieren läßt sich diese Lebensform ebensowenig wie die eines vollständig außerhalb rechtlicher und sozialer Bezüge lebenden Eremiten. Je höher der Anteil der aus individuellen (Nutzen-)Erwägungen am Wirtschaftssystem teilnehmenden Individuen ist, je höher deren Leistungsbereitschaft und je stärker das menschliche Leben wirtschaftlich durchformt ist, desto größer wird der Existenzdruck für diejenigen, die sich dem Tauschsystem zumindest partiell zu verweigern suchen. Wenn z. B. Jürgen Kluge, der Deutschland-Chef der Unternehmensberatung McKinsey, in einem Interview feststellt, er arbeite wöchentlich zwischen 70 und 80 Stunden,606 so mag dieses Arbeitspensum Ausfluß einer persönlich bewußt gewählten Lebensführung sein. Es muß betont werden, daß nach der hier vertretenen Konzeption von Wirtschaftsethik eine solche, individuell gewählte Leistungsbereitschaft vollständig legitim ist. Wenn wir jedoch hypothetisch davon ausgingen, daß immer mehr Menschen sich für eine solche leistungsbereite Lebensführung freiwillig, also ohne den Hintergrund einer wirtschaft606
Kluge (2004), o. S.
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lichen Zwangslage, entscheiden, so induzierte die Summe dieser zunächst freiwilligen Entscheidungen über die Logik des Wettbewerbs einen zunehmenden Druck auf alle anderen, ebensoviel zu arbeiten. Wenn 70 bis 80 Stunden Wochenarbeitszeit eine auf dem Arbeitsmarkt zu erwartende Norm darstellen, so gerät eine Lebensführung, die der Pflege persönlicher Anliegen und Beziehungen – z. B. innerhalb der Familie – ein größeres Gewicht beimißt, unmittelbar unter Anpassungsdruck. In diesem Falle führte die systemische Integration legitimer individueller Einzelentscheidungen dazu, daß diejenigen, die die allgemeine Vorstellung angemessener Arbeitszeiten nicht teilen, zunächst keine Möglichkeit besitzen, ihre Lebensvorstellungen umzusetzen. Erst die oben beschriebene Alternative gewährte ihnen die Möglichkeit, auch jenseits eines derart verfaßten Marktsystems ein Leben zu führen, daß den jedem Individuum rechtlich verbürgten Handlungsraum tatsächlich auszufüllen vermag. Die systemische Wirkung der Zwangsintegration zeigt sich nicht nur im Hinblick auf die Möglichkeiten einer freiwillig gewählten oder verweigerten Teilnahme am Marktsystem überhaupt, sondern auch in der Dynamik innerhalb dieses Systems. In diesem Zusammenhang ist auf die von Homann profilierte Wirkung des Wettbewerbs am Beispiel der Güterproduktion zurückzukommen:607 Allein die potentielle Gefahr, die von einer möglicherweise bevorstehenden Innovation eines Anbieters von marktfähigen Gütern ausgeht, zwingt die konkurrierenden Anbieter, die ihre wirtschaftliche Existenz nicht gefährden möchten, permanent nach effizienzsteigernden Innovationen zu suchen. Diese permanente Suche nach neuen Effizienz- und damit Gewinnmöglichkeiten ist innerhalb des wirtschaftlichen Systems also keine Frage der persönlichen Einstellung der handelnden Akteure – die sich „wirtschaftsethisch“ als „Gier“ und „Gewinnsucht“ kritisieren ließe –, sondern Resultat eines systemischen Zwanges.608 Eine Folge dieser permanenten Suche ist jedoch, daß fortwährend neue Bereiche des Lebens dem wirtschaftlichen System erschlossen werden. Dort, wo zuvor ohne durchkalkuliertes Wirtschaften ein Auskommen zu finden war, das den Beteiligten persönlichen Freiraum gewährte, hält im Zuge 607
Vgl. dazu Kapitel 3.1.1. Der wirtschaftliche Wettbewerb institutionalisiert einen Systemzwang, der in seiner Wirkungsweise derjenigen des „Naturzustandes“ gleicht. Vgl. dazu die Wiedergabe der kantischen Position durch Wolfgang Kersting: „Im Naturzustand avanciert der Verdacht zum Rechtsgrund, jeder muß daher ‚jederzeit in der Kriegsrüstung sein‘, bereit, jedem Angriff zuvorzukommen [. . .]. Kant folgt hier weitgehend dem hobbesianischen Naturzustandsverständnis, das den vorstaatlichen Zustand durch ein latentes bellum uniuscuiusque contra unumquemque geprägt sieht, das auch dem Sanftesten das ebenso überlebensnotwendige wie höchst riskante Gesetz der Machtakkumulation aufzwingt und ihn dadurch nötigt, andere seiner Herrschaft zu unterwerfen.“ Kersting (1984), S. 201. 608
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der Ökonomisierung ein kommerzialisiertes Denken und Handeln Einzug, das die Beteiligten unter permanenten Erfolgsdruck setzt.609 Die systeminduzierte Wettbewerbsdynamik führt zu einer fortwährenden Ausdehnung des Anwendungsbereiches der ökonomischen Logik. In diesem Kontext ist das von Habermas geprägte Bild einer „Kolonialisierung der Lebenswelt“610 zu nennen. Das auf Eigentum und Vertragsfreiheit basierende Wirtschaftssystem entwickelt also eine mit der Motivationskraft individueller Interessen ausgestattete Eigendynamik, die vor keinem Bereich des sozialen Lebens halt macht. Eine freie Entscheidungsmöglichkeit der Individuen hinsichtlich der Frage, inwieweit sie an diesem System teilnehmen wollen, wird durch diese Dynamik nach und nach untergraben. Darin zeigt sich ja gerade der systemische Charakter: daß ein wirtschaftliches Interaktionsgefüge unabhängig von individuellen Werthaltungen funktioniert. Insofern ist die Existenz dieses systemischen Gefüges, hat es eine kritische Größe und Dichte erreicht, nicht mehr an die positive Zustimmung der darin integrierten Individuen gebunden. Dieser Befund legt eine Antinomie offen. Sie ergibt sich durch den prinzipiellen Gegensatz zwischen der das Wirtschaftssystem fundierenden, rechtlich konstituierten Freiheit jedes Individuums einerseits und der aushöhlenden Wirkung, die dieses System auf den Bestand individueller Freiheit ausübt, andererseits. Diese Antinomie läßt sich im Rahmen der in dieser Arbeit entwickelten Grundlagen jedoch auflösen. 8.3.2.4 Das Grundrecht auf Partizipationsverweigerung und die soziale Einbettung des Ökonomischen Die Bedingung der Möglichkeit individueller Zwecksetzung wurde in dieser Arbeit in einer apriori notwendigen Selbstbestimmung der Vernunft nachgewiesen. Diese begründet zugleich den unveräußerlichen Wert fundamentaler Menschenrechte. Aus diesem Wert als Rechtsidee ergeben sich die durch das positive Recht zu garantierenden Rechtsgüter des Eigentums und der Vertragsfreiheit, die ihrerseits die Voraussetzung für das faktische Bestehen eines marktlichen Interaktionsgefüges zwischen individuell freien 609
Ein anschauliches Beispiel für diesen Vorgang bietet die Entwicklung des Tourismus. Wo früher z. B. in den Alpen ein Bergdorf eine Lebensform führte, die allein durch den Zwang bestimmt war, der Natur das Lebensnotwendige abzuringen, herrscht nunmehr ein Zwang zum Wettbewerb um die beste Kundenstrategie. Unmittelbar greifbar wird diese Entwicklung am Gegensatz der beiden Dörfer Ischgl und Galtür im Paznauntal. Vgl.: Waldhecker (2004), o. S.; Bayerischer Rundfunk (2004), o. S. 610 Habermas (1981), S. 277 ff., insb. S. 293.
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Subjekten bilden. Wirtschaft als systemisches Geschehen wird durch diesen Gedankengang systematisch auf sein bedingendes normatives Fundament zurückgeführt und damit zugleich von diesem Fundament aus legitimiert. Die Eigendynamik des wirtschaftlichen Systems wendet sich aber – wie zuvor dargestellt – gegen den bedingenden Grundwert individueller Freiheit, und zwar insofern, als sie eine fortwährende Ausweitung des Anwendungsbereiches ökonomischer Logik mit sich bringt, die eine individuelle Wahlmöglichkeit zwischen Teilnahme und Nicht-Teilnahme faktisch beschränkt. Der Wert allgemeiner individueller Handlungsfreiheit führt in seiner systemischen Konsequenz letztlich zu seiner Aufhebung. Wenn also einerseits die rechtlich garantierte Freiheit des einzelnen Subjektes, sich nach individuellen Wertorientierungen und Interessen richten zu dürfen, die Grundlage des wirtschaftlichen Systems liefert, so darf andererseits dieses System selbst nicht zur Aufhebung eben dieser individuellen Freiheit führen! Das Recht muß also dem einzelnen Individuum ebenso wie Eigentum und Vertragsfreiheit auch die faktische Möglichkeit garantieren, den Funktionszwängen des wirtschaftlichen Systems nicht unterworfen zu werden. Diese Einsicht liefert die Grundlage für die simultane Legitimation wie auch Beschränkung des Wirtschaftens. Aus dem in der Rechtsidee wurzelnden Anspruch des einzelnen Individuums auf eine im positiven Recht verbürgte Garantie der Möglichkeit, sich dem Wirtschaftssystem realiter verweigern zu können, lassen sich weitreichende Implikationen für die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens und damit für die Begrenzung des Wirtschaftens gewinnen. Dieser Anspruch verhindert, daß alle Bereiche menschlichen Lebens der wirtschaftlichen Funktions- und Wettbewerbslogik unterworfen werden. Er schafft die Freiräume, in denen sich menschliches Leben ohne einen systemischen Zwang zu Effizienz und Nutzenkalkül entfalten kann. Das rechtliche Grundprinzip der individuellen Freiheit einzelner Subjekte impliziert gerade auch eine solche Unabhängigkeit von ökonomischen Funktionszwängen und damit die tatsächliche Möglichkeit einer freien Selbstentfaltung. Nur dort, wo Handlungen nicht ökonomisch bedingt sind und nicht unter Wettbewerbsdruck stehen, nur dort, wo Handlungsräume für eine spontane, zweckfreie Selbstentfaltung geöffnet und geschützt werden, können Individuen ihre Freiheit auch tatsächlich selbst entwerfen und inhaltlich bestimmen. Dieser Selbstentwurf beschränkt sich dabei nicht nur auf die jeweils individuelle Gestaltung des persönlichen Lebens, sondern umfaßt auch alle Formen der sozialen Interaktion. Durch ein Grundrecht auf Partizipationsverweigerung wird diese Möglichkeit des freien Selbstentwurfes von Individuen und zwischen Individuen geschützt gegen die unvermeidliche Ausdehnungstendenz des wirtschaftlichen Systems. Damit wird dieses System
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8 Grundlegung der Wirtschaftsethik
in einen ökonomiefreien Rahmen von Handlungsmöglichkeiten eingebettet. Die legitime Freiheit jedes Individuums, am wirtschaftlichen System zu partizipieren und sich dabei nach Gesichtspunkten des persönlichen Nutzens zu richten, bleibt von diesem Grundrecht unberührt. Die Möglichkeit, nicht am wirtschaftlichen System zu partizipieren, konkretisiert sich in allen Formen „sozialer“ Rechte. Der Anspruch auf Partizipationsverweigerung impliziert z. B. ein Recht auf eine „Freizeit“, die nicht zweckrational als bloße Ruhe- und Regenerationszeit im Dienste der Arbeitsleistung steht. Eine solche zweckfreie Zeit umfaßt die Möglichkeit kultureller, sozialer, religiöser und wissenschaftlicher Aktivitäten, die explizit nicht den Gesetzen von Angebot und Nachfrage zu unterwerfen sind. So ist z. B. das Prinzip der Freiheit von Forschung und Lehre nach dem hier vertretenen Ansatz nicht nur als Schutz vor staatlicher Bevormundung zu verstehen, sondern ebenso auch als Gewährleistung wissenschaftlicher Unabhängigkeit gegenüber marktlichen Wettbewerbszwängen. Die Qualität wissenschaftlicher Erkenntnis ist kein marktfähiges Gut, weil sie nicht auf der Grundlage persönlicher Präferenzen beurteilt werden kann. Wissenschaftliche Qualität hängt an spezifischen Wertmaßstäben, die mit dem formalen Maßstab individueller Präferenzen sowie der allgemeinen Freiheit der Marktteilnahme unvereinbar sind. Sie schränken den zur Beurteilung wissenschaftlicher Qualität befähigten Personenkreis von vornherein ein. Damit ergibt sich das Problem der Gewährleistung von Wettbewerb durch Marktzutrittsmöglichkeiten. Wer entscheidet, nach welchen Kriterien Wissenschaft zu beurteilen ist und welche Personen für diese Beurteilung in Frage kommen, legt zugleich die Marktzutrittsmöglichkeiten und damit die potentielle Konkurrenz fest.611 Die Kriterien für diese Entscheidung wiederum können jedoch gerade keinem marktlichen Wettbewerb unterliegen, wenn Wissenschaft an inhaltliche Kriterien und Wertmaßstäbe gebunden sein soll und nicht lediglich an den formalen Maßstab individueller Präferenzen. Aus diesem Grunde ist es unmöglich, wissenschaftliche Qualität auf einem wettbewerblich organisierten Markt zu handeln. Die Nicht-Marktfähigkeit der Qualität von Wissenschaft wurzelt letztlich in dem grundlegenden Gegensatz zwischen der Selbstzwecklichkeit der Erkenntnisgewinnung 611 Die Wissenschaftsgeschichte gibt manche Beispiele, in denen etablierte Wissenschaftler sich als unfähig erwiesen, die Qualität grundlegender Neuerungen zu erkennen. (So wurde die Habilitationsschrift Joseph Ratzingers zunächst nicht angenommen, weil sie wissenschaftliche Neuerungen enthielt, die Ratzingers Korreferent, Professor Schmaus, nicht nachvollziehen konnte. Vgl. dazu Benedikt XVI (1998), S. 82 ff. Ähnlich erging es Karl Rahner, dessen erster Promotionsversuch abgelehnt wurde. Vgl. Schulz (1999), S. 23 ff.). Wissenschaftliche Qualität, im Sinne von gedanklicher Innovation, entzieht sich unvermeidbar den jeweils herrschenden Beurteilungskriterien.
8.3 Das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik
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als Form vernünftiger Selbstentfaltung und der präferenzbezogenen Zweckrationalität ökonomischen Kalküls. Dieser systematisch-abstrakte Gegensatz wird anschaulich dargestellt in der von Friedrich Schiller geprägten Typologie von „Brotgelehrtem“ und „philosophischem Kopf“.612 Ein weiterer Bereich des menschlichen Lebens, der aufgrund seiner internen Konstitutionsmerkmale Schutz vor ökonomischer Überformung benötigt, ist Kunst. Künstlerische Produktion und ihre Rezeption unterliegen jeweils ihren eigenen Gesetzen, die mit der ökonomischen Logik nicht zu fassen sind.613 Ökonomischer Erfolg verbürgt keine künstlerische Qualität. Alleiniges Kriterium der Kunst ist ihre innere Qualität, die sich aus der sinnlich zu erfahrenden Folgerichtigkeit der künstlerischen Gestaltung ergibt. Diese Folgerichtigkeit bezieht sich ihrerseits auf die jeweilige (stilbildende) Grundhaltung des Welt- und Selbstentwurfes. Die unmittelbar als evident zu erlebende Einheit zwischen sinnlich wahrnehmbarem Ausdruck, dem spezifischen Bedeutungsgehalt, der über genau diesen Ausdruck als intendierter erfahren werden soll, sowie der den künstlerischen Ausdruck zeugenden Grundhaltung ist ein entscheidendes Merkmal von Kunst. Ein Werk, das nicht aus einer zwingenden Logik der ästhetischen Intention erwächst, sondern sich am externen, und insofern beliebigen, Maßstab der Präferenzen potentieller Rezipienten orientiert, kann eine solche innere Einheit nicht erreichen. Das schließt nicht aus, daß ästhetisch wertvolle Gestaltungen auch ökonomisch erfolgreich vermarktet werden können. Aber diese Vermarktung ist dann ein sekundärer Prozeß, auf den die Entstehung des Werkes nicht ausgerichtet war. Auch hier gilt: Zweckrationalität und Zweckfreiheit als Grundmaximen des Wollens, Denkens und Handelns schließen sich gegenseitig aus. Die Freiheit der Kunst gegenüber ökonomischen Erwägungen läßt sich als ein Anwendungsfall des Grundrechtes auf Partizipationsverweigerung verstehen. Als konkrete Folgerung aus der hier vertretenen Argumentation läßt sich z. B. die Notwendigkeit staatlicher Förderung von bestimmten kulturellen Einrichtungen begründen, die sich selbst nicht über Einnahmen finanzieren können (wie z. B. alle großen Orchester und Opernbühnen). Ein letztes Beispiel: Ein Arbeitnehmer, der seinen sportlichen Interessen viel Zeit widmet, beispielsweise durch täglich mehrmaliges Training, gerät im Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze notwendigerweise ins Hintertreffen gegenüber einem Arbeitssuchenden, der bereit ist, seine ganze Zeit und Energie ausschließlich auf seine Arbeit zu verwenden. Diese leistungsorientierte Einstellung ist auf Grundlage der hier entwickelten Konzeption von 612
Vgl. Schiller (1789), S. 360 ff. Zu einer einführenden Entfaltung der Zweckfreiheit von Kunst vgl. Löw (1994), insb. S. 12–30. 613
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8 Grundlegung der Wirtschaftsethik
Wirtschaftsethik uneingeschränkt legitim, ebenso wie die Bevorzugung, die ein unter Konkurrenzdruck stehender Arbeitgeber dieser Einstellung tendenziell entgegenbringen wird. Jedoch stellt ein rechtlicher Anspruch auf Partizipationsverweigerung sicher, daß auch ein sozial, religiös oder sportlich engagierter Arbeitnehmer seine persönlichen Interessen nicht vollständig opfern muß, um sich im ökonomischen Konkurrenz- und Existenzkampf behaupten zu können. Er darf sich der ökonomischen Logik verweigern, ohne um seine Existenz fürchten zu müssen: Entweder er erhält die Möglichkeit – innerhalb bestimmter Einschränkungen z. B. hinsichtlich der Entlohnung – im Arbeitsprozeß zu verbleiben, oder aber ihm wird eine arbeitsplatzunabhängige Existenzsicherung gewährt. In diesem Zusammenhang ist auf die Bedeutung von Arbeitsplätzen im öffentlich-rechtlichen Sektor hinzuweisen: Für viele (Spitzen-)Sportler bietet allein das Beamtenverhältnis oder zumindest die Beschäftigung als Angestellter des öffentlichen Dienstes die Möglichkeit, ein intensives Training mit einer gesicherten materiellen Basis zu verbinden. Eine vollständige Durchökonomisierung auch der öffentlich-rechtlichen Personalführung würde diesem risikoreichen sportlichen Engagement in vielen Fällen ein Ende bereiten. Auch dieser Zusammenhang zeigt exemplarisch, welche Verarmung des gesellschaftlichen Lebens eine unbeschränkte Ausweitung des ökonomischen Marktsystems mit sich bringen würde. Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, die konkreten rechtlichen Auswirkungen eines Grundrechtes auf Partizipationsverweigerung – z. B. im Hinblick auf eine Sozialpolitik – zu deklinieren. Auch kann nicht behauptet werden, daß z. B. das sozialstaatliche System der Bundesrepublik grundlegend zu verändern ist. Eventuell notwendige Erweiterungen sozialer Rechte können letztlich nur im Zusammenhang einer fortwährenden Rechtsentwicklung durch Politik und Rechtsprechung ausgelotet werden (vgl. dazu Kapitel 8.4.3). Als ein wesentliches Ergebnis dieser Arbeit ist lediglich festzuhalten, daß die das positive Recht fundierende Idee individueller Freiheit die systematische Grundlage für die notwendige normative Begrenzung des Wirtschaftssystems bereitstellt. Diese Begrenzung konkretisiert sich in einem Grundrecht auf Partizipationsverweigerung.
8.4 Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik Auf Grundlage dieses Ergebnisses lassen sich nunmehr Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik bestimmen. Diese Bestimmung wird nochmals deutlich machen, in welcher Weise sich die in dieser Arbeit vertretene Konzeption sowohl von der Ulrichs als auch von der Homanns grundlegend unterscheidet und dabei zugleich beide Konzeptionen in wichtigen Aussagen bestätigt.
8.4 Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik
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8.4.1 Inhalt Der wissenschaftliche Inhalt der Wirtschaftsethik besteht nach der hier entwickelten Grundlegung darin, das normative Fundament des Ökonomischen reflexiv aufzuklären. Diese Aufklärung zeigt, daß die Voraussetzung des Ökonomischen, nämlich die Allgemeinheit individueller Handlungsfreiheit, einen normativen Grund besitzt: Individuelle Freiheit kann sich allein durch eine apriori notwendige Anerkennungsleistung konstituieren. Diese apriorische Anerkennung zeigt sich anschaulich als Wert der Handlungsfreiheit. Die Aufklärung dieser apriori notwendigen Anerkennungsleistung als Bedingung der Möglichkeit individueller Handlungsfähigkeit zeigt den blinden Fleck der ökonomischen Methode. Die ökonomische Methode setzt die Individualität der Zwecksetzung immer schon voraus, allein dadurch, daß sie sich als ökonomische Methode begreift. Sie selbst kann als Methode diese Voraussetzung nicht reflektieren und auch keine Einsicht in ihren apriorischen Wertcharakter gewinnen. Deshalb muß die Position von Karl Homann – und mit ihr jede Form von „Moralökonomik“, die moralphilosophische Begründungsansprüche erhebt – als unhaltbar zurückgewiesen werden. Gleichzeitig jedoch stellt diese Aufklärung den Gehalt des ökonomischen Systems normativ sicher: Wirtschaft zeigt sich als legitime Form menschlichen Lebens. Damit kann diese Arbeit auch das Programm der integrativen Wirtschaftsethik von Peter Ulrich als verfehlt zurückweisen, das darauf abzielt, das Ökonomische wirtschaftsethisch zu „transformieren“ und mit diskursethischen Elementen anzureichern. Das Ökonomische bedarf keiner normativen Modifikation seiner Konstitutionsprinzipien, weil diese Prinzipien ihrer Möglichkeit nach normativ legitimiert sind. Gleichwohl zeigt die Aufklärung des normativen Fundamentes von Wirtschaft, daß Wirtschaft als systemisches Geschehen nicht der eigenen Dynamik überlassen werden darf, sondern normativ begrenzt werden muß. Die Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Begrenzung ergibt sich im Rahmen dieser Arbeit nicht aus dem Primat der Ethik – wie er von Ulrich profiliert wird –, sondern aus der nachgewiesenen Bedeutung des Wertes individueller Handlungsfreiheit. Der unbestreitbare Primat der Ethik entfaltet nach der hier vertretenen Auffassung seine Relevanz allein auf der Ebene der Willens- und Geisteshaltung. Darin, daß Ethik nicht unmittelbar auf Wirtschaft als systemisches Geschehen zu beziehen ist, stimmt diese Arbeit mit Karl Homann überein. Die systematische Grundlage für diese Einsicht ist jedoch eine fundamental andere als bei Homann: Nicht die faktischen Wettbewerbszwänge verhindern eine Anwendung der Ethik auf das wirtschaftliche System, sondern der Anspruch der Ethik bezieht sich unmittel-
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bar allein auf den freien Willen des moralischen Subjektes und nicht auf die faktischen Funktionszusammenhänge eines systemischen Handlungsgeschehens. Zuletzt zeigt die Aufklärung des normativen Fundamentes von Wirtschaft nicht allein die bloße Notwendigkeit der Begrenzung des Ökonomischen, sondern sie stellt zugleich auch die methodische Grundlage für die Art und Weise dieser Begrenzung bereit. Die Idee individueller Handlungsfreiheit gibt vor, inwieweit und in welcher Hinsicht das Wirtschaftssystem zu begrenzen ist, ohne daß dabei seine legitime Eigengesetzlichkeit zerstört wird. Das zuvor formulierte Grundrecht auf Partizipationsverweigerung konkretisiert diese Art der Begrenzung. Als Ergebnis der in dieser Arbeit unternommenen Aufklärung des normativen Fundamentes von Wirtschaft kann insgesamt festgehalten werden, daß die Idee vom unveräußerlichen Wert der Handlungsfreiheit jedes einzelnen Individuums das Ausgangsparadigma der Wirtschaftsethik ist.
8.4.2 Grenze Die Grenze der Wirtschaftsethik ergibt sich unmittelbar aus der Bestimmung ihres Inhaltes: Das Ökonomische selbst kann nicht Gegenstand „wirtschaftsethischer“ Neuschöpfungen sein. Vielmehr gibt es der Wirtschaftsethik den durch sie zu reflektierenden Inhalt vor. Das Ökonomische bildet somit die Grenze der Wirtschaftsethik. Erst das Ergebnis der zuvor beschriebenen Aufklärung zeigt, daß der zunächst schlicht vorausgesetzte Gegenstand der Reflexion sich nur als ebendieser Gegenstand konstituieren kann. Denn das Ökonomische wurde seiner Möglichkeit nach auf eine apriori notwendige, vorindividuelle Anerkennungsleistung zurückgeführt. Von diesem apriorischen Fundament aus läßt es sich als ein Moment vernünftigen Lebens verstehen und damit in der Positivität seiner Inhaltlichkeit rechtfertigen. Die Aufklärung des normativen Fundamentes des Ökonomischen bestätigt also zugleich die Voraussetzung, daß es sich durch einen spezifischen Inhalt auszeichnet. Nur insofern die Wirtschaftsethik in dem bezeichneten Sinne einer inhaltlichen Grenze unterliegt, vermag sie sich selbst als eigenständiges wissenschaftliches Problem zu rechtfertigen. Wäre der spezifische Inhalt des Ökonomischen der Wirtschaftsethik nicht vorgegeben, müßte sie ihn – und damit sich selbst – normativ entwerfen. Die Maßstäbe für eine solche normative Selbstkonstruktion müßten wiederum in einer Grundreflexion erst aufgeklärt werden. Damit aber ginge die Wirtschaftsethik vollständig im Problem der Ethik auf. Sie hätte keinerlei Anhaltspunkte, die eine Spe-
8.4 Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik
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zifizierung des ethischen Grundproblems von Normativität rechtfertigen könnten. Die genannte Grenze der Wirtschaftsethik ist also für sie selbst konstitutiv. 8.4.3 Aufgabenbereich Der Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik fällt mit der Aufklärung des normativen Fundamentes von Wirtschaft zusammen: Wirtschaftsethik als wissenschaftliche Aufgabe endet mit dem Nachweis ihres Ausgangsparadigmas: der Idee vom unveräußerlichen Wert der Handlungsfreiheit jedes einzelnen Individuums. Dieses Paradigma markiert den systematischen Einheitspunkt von Wirtschaft und dem Gesamt interpersonaler Handlungsvollzüge und stellt somit die leitende Grundidee für den Ausgleich zwischen wirtschaftlichen und sozialen Forderungen in der gesellschaftlichen Praxis bereit. Dieses Paradigma auf die konkreten Verhältnisse wirklichen gesellschaftlichen Lebens anzuwenden, d.h. die positiv-rechtlichen Auswirkungen des Grundrechtes auf Partizipationsverweigerung zu bestimmen, kann nicht mehr Aufgabe der Wirtschaftsethik sein. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse ergeben sich aus dem Zusammenspiel der konkreten Handlungsvollzüge von wirklichen Personen. Sie sind damit das Produkt individueller Freiheit. Die transzendentalphilosophische Ethik begründet die Unvertretbarkeit und Unhintergehbarkeit dieser Freiheit und zeigt damit, daß diese sich der moralphilosophischen Präskription wie auch der positiven Erklärbarkeit entzieht. Die Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse wirklichen gesellschaftlichen Lebens kann deshalb keine Aufgabe einer prinzipienorientierten Reflexion sein. Vielmehr erfordert diese Feststellung eine empirische Methode. Die Aufgabe, die positiv-rechtlichen Auswirkungen des Grundrechtes auf Partizipationsverweigerung zu bestimmen, kann nur auf dem Boden einer angewandten Rechtslehre gelöst werden. Diese untersucht die tatsächlichen Verhältnisse zunächst als empirische Phänomene und versucht anschließend, unter der leitenden Idee des Rechtes auf diese einzuwirken. Es ist unmittelbar klar, daß die beiden Elemente der passiven Aufnahme und der aktiven Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens nur in einem zirkulären Prozeß zur Anwendung kommen können: Eine jeweils neue Rechtslage generiert neue Handlungsbedingungen, auf die Individuen aufgrund ihrer Freiheit in unterschiedlicher Weise reagieren. Insgesamt wird auf diese Weise langfristig wiederum eine neue gesellschaftliche Situation generiert, die – bei Orientierung an der Rechtsidee – eine neue gestaltende Intervention erforderlich machen kann. Durch diesen zirkulären Prozeß ist das Problem der Umsetzung des aufgestellten wirtschaftsethischen Grundprinzips jedoch noch nicht vollständig umrissen.
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Nachdem der Grundwert eines rechtsstaatlichen Systems in der allgemeinen Handlungsfreiheit von Individuen liegt, muß es als legitim angesehen werden, wenn Individuen innerhalb eines rechtsstaatlich konstituierten Interaktionsgefüges versuchen, ihre Interessen zu verwirklichen. Auch für den Prozeß der Rechtsentwicklung selbst, sofern er als Teil des gesellschaftlichen Lebens betrachtet wird, sind individuelle Interessen also nicht nur lediglich faktisch, sondern legitimerweise relevant. Gerade ein rechtsstaatliches Rechtssystem, das der Gewährleistung individueller Handlungsfreiheit dient, darf sich in der Frage der Rechtsentwicklung nicht über die konkreten Interessen der Individuen hinwegsetzen. Auch aus diesem Grunde kann die Konkretisierung des Grundrechtes auf Partizipationsverweigerung nicht Aufgabe wissenschaftlicher Reflexion sein. Individuelle Interessen müssen artikuliert und durch partielle Konsensfindung zu homogenen Gruppen gebündelt werden, um für die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens wirksam werden zu können. Die Aufgabe, das wirtschaftsethische Grundprinzip auf konkrete Verhältnisse anzuwenden, setzt sich damit mindestens aus drei Teilaufgaben zusammen: Erstens müssen bestehende gesellschaftliche Verhältnisse als empirische Fakten beobachtet und analysiert werden, zweitens müssen individuelle Interessen im Hinblick auf die Rechtsentwicklung artikuliert und gebündelt werden, und drittens muß die Idee des Rechtes nicht nur dem rechtsstaatlichen System als Richtschnur für die Rechtsentwicklung abstrakt eingeschrieben sein, sondern darüber hinaus immer wieder von verantwortlichen Personen614 konkret eingefordert, angemahnt und in Entscheidungen umgesetzt werden. Diese Aufgabentrias kann als erste Umschreibung von Politik dienen. Auch ohne eine systematische Ableitung der notwendigen begrifflichen Bestandteile von Politik verdeutlichen die zuvor genannten Überlegungen, daß Umsetzung und Anwendung des aufgestellten wirtschaftsethischen Paradigmas weit über die Reflexionskompetenz von Wissenschaft hinausreichen. Wirtschaftsethik als Wissenschaft muß sich nach der hier entwickelten Ar614 Die persönliche Verpflichtung handelnder Subjekte, das Recht selbst zu wollen, läßt sich nur auf dem Boden der Moralität formulieren. Für die Konstitution der Rechtsidee ist diese Verpflichtung jedoch nicht relevant. Die transzendentale Ableitung der Rechtsidee, die in Kapitel 7 unternommen wurde, zeigt, daß sich das Recht allein als Bedingung individueller Handlungsfreiheit begreifen läßt. Dabei wird die moralische Qualität des Willens nicht thematisch. Die intelligible Seite des Rechtes hat also ihre eigenen, bewußtseinskonstitutiven Quellen, die mit denen der Moralität nicht zusammenfallen. Dennoch ist eine Fortbildung des positiven Rechtes auf eine lebendige Rechtsidee angewiesen, die sich nur in der Geistes- und Willenshaltung konkreter Personen zeigen kann. Zum Verhältnis von Moralität und Rechtlichkeit vgl.: Fichte (1796), S. 320 ff., sowie S. 432; Fichte (1812), S. 199, sowie S. 213 f.
8.4 Inhalt, Grenze und Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik
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gumentation auf einen engen Aufgabenbereich, die Prinzipienreflexion, beschränken, dabei aber zugleich einsichtig machen, durch welche Instanzen die Umsetzungs- und Anwendungsleistungen allein erbracht werden können. Der Aufgabenbereich der Wirtschaftsethik endet dort, wo die Fortbildung positiven Rechtes in Politik und Rechtsprechung beginnt. Verantwortungsvolles Handeln läßt sich durch wissenschaftliche Reflexion nicht substituieren.
9 Wirtschaftsethik zwischen Moralismus und Ökonomismus Die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nebenwirkungen eines „ungebremsten“ Kapitalismus haben in den letzten Jahrzehnten den Ruf nach „Wirtschaftsethik“ laut werden lassen. Dieser Ruf verdankt sich der zunächst vagen Intuition, daß mit diesen Nebenwirkungen nicht alles in Ordnung ist: Die ungleichgewichtige Verteilung von Reichtum und Armut im globalen aber auch nationalen Maßstab, der Verbrauch natürlicher Lebensgrundlagen, die zunehmende Unberechenbarkeit sozialen Auf- oder Abstiegs, der auf alle Lebensbereiche ausstrahlende wettbewerbsinduzierte Leistungsdruck, die Korruptions- und Betrugsskandale, all das führte und führt zu einem mehr oder weniger diffusen Unbehagen am kapitalistischen Wirtschaftssystem. Als Reaktion auf dieses Unbehagen wurden unterschiedlichste „wirtschaftsethische“ Antworten formuliert. Im deutschsprachigen Raum lassen sich zwei Positionen idealtypisch gegenüberstellen: Die eine hält das zuvor geschilderte intuitive Unbehagen für berechtigt und versucht es mit Hilfe ethischer Überlegungen argumentativ zu untermauern. Im Falle Peter Ulrichs geht dieser Versuch so weit, daß nicht nur die phänomenale Seite des Wirtschaftssystems, sondern die ökonomische Logik selbst einer grundlegenden Kritik mit anschließender „Transformation“ unterzogen wird. Die gegenüberliegende Position versucht statt dessen, das kapitalistische System in seinen grundlegenden Funktionsprinzipien gegenüber einem „unaufgeklärten“ Moralismus in Schutz zu nehmen. Karl Homann geht dabei so weit, die ökonomische Methode zum Fundament sogar der „modernen“ Ethik machen zu wollen. Diese Arbeit entwickelt auf systematischer Grundlage eine Position, die sich gewissermaßen zwischen den beiden zuvor genannten befindet. Sie vermag einerseits die zuvor angesprochene Intuition dahingehend zu bestätigen, daß die unbegrenzte Dynamik des kapitalistischen Systems Ergebnisse produziert, die dem Anspruch einer vernünftigen Gestaltung der Welt zuwiderlaufen. Diese Aussage führt im Rahmen der hier entwickelten Argumentation jedoch andererseits nicht zu einer Diskreditierung der wirtschaftlichen Funktionslogik. Die zentrale Aussage dieser Arbeit lautet, daß wirtschaftliches Handeln allein durch das Recht – in seiner notwendigen Doppelgestalt als apriori-
9 Wirtschaftsethik zwischen Moralismus und Ökonomismus
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sche Rechtsidee und als positives Recht – normativ ermöglicht wird. Damit ist zweierlei gesagt: Erstens gestattet das Recht dem individuellen Subjekt, sich in seinem Handeln an persönlichen Interessen zu orientieren. Insofern ist wirtschaftliches Handeln legitim. Zweitens ist das Wirtschaftssystem auf die normativen Vorgaben des Rechtes angewiesen. Diese Vorgaben kann die wirtschaftliche Logik aus sich selbst nicht entwickeln. Eine „Ethik mit ökonomischer Methode“ stellt eine unhaltbare Verkehrung der Zusammenhänge dar. Die Sphäre der Ethik hingegen bleibt gegenüber dem „wirtschaftsethischen“ Anliegen, das Wirtschaftssystem normativ zu beeinflussen, vollständig steril, weil sich die Normativität der Ethik nie unmittelbar auf phänomenale Vorgänge als solche beziehen kann, sondern allein auf die Willenshaltung zielt, aus der heraus das handelnde Subjekt seine jeweiligen Handlungszwecke entwirft. Weder der Versuch einer moralistischen Modifizierung noch der einer ökonomistischen Überhöhung der Funktionsprinzipien der Marktwirtschaft stellt eine systematisch zu rechtfertigende Grundlage für die Wirtschaftsethik bereit. Das leitende Prinzip jeder normativen Auseinandersetzung mit den Problemen marktwirtschaftlicher Systeme muß darin bestehen, diese unter dem Anspruch der apriorischen Rechtsidee positiv-rechtlich zu begrenzen. Insofern stellt die Bezeichnung „Wirtschaftsethik“ eine mißverständliche Begriffsverbindung dar.
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Namensregister Textstellen in Fußnoten wurden mit einem hochgestellten F („F“) gekennzeichnet. Adorno, Theodor W. 205F Albert, Hans 158F, 159ff., 162F, 163F Apel, Karl-Otto 46F, 50, 50F, 53, 54F, 55F, 78, 158, 158F, 195F, 196F, 198F Aristoteles 164, 224, 228, 228F, 259, 259F, 260F, 261F, 262, 262F, 263F, 264F, 265F Aßländer, Michael S. 122F Aufderheide, Detlef 23F, 29F, 88f., 88F, 89F Axelrod, Robert 129F
Fichte, Johann G. 18, 19F, 31, 146, 159, 166F, 170F, 175F, 189F, 190, 206F, 207F, 209, 209F, 213F, 218F, 219F, 266F, 289, 289F, 292f., 292F, 294F, 297F, 298F, 299F, 305 ff., 318F, 338F
Beiner, Marcus 196F Benedikt XVI. 332F Bien, Günther 224, 228F, 259, 262F, 263F, 264F Biervert, Bernd 226F, 227F, 230, 230F, 234F, 242F, 243F, 254, 260, 261, 261F, 262F Birnbacher, Dieter 175F Bittner, Rüdiger 193F Blome-Drees, Franz 107F, 122F Böckle, Franz 21F Bürgin, Alfred 228F
Hanekamp, Gerd 25F, 196F
Cramer, Konrad 193F Deleuze, Gilles 155F Descartes, René 19F Diefenbacher, Hans 225F Düsing, Edith 294F, 299F, 306F Engel, Gerhard 23F Erlewein, Christian 81F, 326F
Girndt, Helmut 239F, 278F, 297F, 298F Habermas, Jürgen 27F, 28F, 31F, 55F, 56F, 77, 77F, 103F, 109F, 130F, 195F, 196F, 197F, 330 Hegel, Georg W. F. 26, 27F, 61F, 74F, 80, 169F, 192F, 195, 205, 205F, 289F, 296F, 297F, 299F Held, Martin 88F Hesse, Helmut 21F Hobbes, Thomas 130F, 282 f. Höffe, Ottfried 174F, 175F, 199F Homann, Karl 17ff., 21F, 22 f., 23F, 27, 29F, 31, 31F, 33, 37, 37F, 88f., 97ff., 98F, 103F, 106ff., 106F, 107F, 108F, 109F, 110F, 114F, 117F, 118F, 120F, 121ff., 122F, 123F, 124F, 125F, 130F, 131ff., 134F, 140F, 143F, 174F, 194F, 208F, 241F, 242F, 250F, 251F, 272F, 283F, 313, 315f. 318F, 319, 329, 334f., 340 Horkheimer, Max 205F Hösle, Vittorio 110F Jäger, Andreas 225F, 226, 269F Janke, Wolfgang 281F, 289, 294F
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Namensregister
Kant, Immanuel 15F, 18, 19F, 26, 27F, 40, 43F, 44, 46F, 50F, 55F, 56, 56F, 57F, 74F, 83F, 93F, 111, 119F, 121, 122F, 134F, 146, 169F, 170F, 172F, 178F, 179, 179F, 180F, 181F, 186, 186F, 187F, 188, 192F, 193F, 196, 196F, 197F, 199, 199F, 201f., 201F, 203F, 204f., 204F, 205F, 207F, 208F, 209, 210F, 211ff., 211F, 212F, 214F, 215f., 215F, 216F, 231F, 243F, 261F, 278F, 279F, 284, 285F, 291F, 293, 296F, 321F, 329F Kaulbach, Friedrich 186F, 208F Kersting, Wolfgang 22F, 83, 140F, 329F Kettner, Matthias 117F, 122F Kluge, Jürgen 328 Korff, Wilhelm 24F, 29F Koslowski, Peter 20F, 21F Kubon-Gilke, Gisela 262F Lauth, Reinhard 171, 182F, 206F, 292F, 297F Löhr, Albert 18F, 21F, 27F, 28F Löw, Reinhard 333F Luhmann, Niklas 22F Meran, Josef 25F Meyer, Ulrich 233F, 234F, 238F, 239F, 242F Morscher, Edgar 29F Mues, Albert 181F Nida-Rümelin, Julian 26F, 28F, 194F, 207F Nussbaum, Martha C. 263F Nutzinger, Hans G. 16F, 21F, 25F, 27F, 32F Patzig, Günther 179F, 196F, 197F, 203F, 204F, 205F, 208F Peter, Hans-Balz 24F, 25F Pieper, Annemarie 21F Pies, Ingo 128F Priddat, Birger P. 261F Recktenwald, Horst C. 232F
Rich, Arthur 21F Robbins, Lionel 242 Rottländer, Peter 117F Scherer, Andreas 18F Schiller, Friedrich 202, 202F, 203F, 204, 333 Schulz, Michael 332F Schumann, Jochen 233F, 234F, 238F, 239F, 242F Schumpeter, Joseph A. 269F Schüssler, Rudolf 130F Seifert, Eberhard K. 261F Seneca, Lucius A. (der Jüngere) 236F Siep, Ludwig 289F, 306F Spinoza 155F Steinmann, Horst 18, 18F, 21F, 27F, 28F Ströbele, Wolfgang 233F, 234F, 238F, 239F, 242F Suchanek, Andreas 29F, 104F, 108F, 134F, 138F, 174F, 208F, 241F, 242F, 250F, 251F Tugendhat, Ernst 173, 173F Ulrich, Peter 17ff., 20F, 21F, 22f., 27, 29F, 33ff., 33F, 34F, 35F, 36F, 40F, 42F, 43F, 45F, 46F, 48F, 49F, 50F, 51F, 52F, 53F, 54F, 55F, 56ff., 56F, 59F, 61F, 64F,66F, 67F, 69F, 71F, 72F, 74F, 76F, 77F, 78F, 82F, 84F, 85F, 86F, 88F, 89F, 90F, 91F, 92F, 93F, 94F, 95F, 96F, 98, 98F, 117F, 131F, 141F, 142ff., 195F, 198F, 208F, 225F, 226F, 253F, 258F, 261F, 274F, 309F, 313ff., 319, 334f., 340 Verweyen, Hansjürgen 170F Waldhecker, Karl 330F Weber, Max 232F, 235F, 248ff., 249F, 250F, 252F, 256F, 273, 278F, 279F, 315f., 320, 327F Wieland, Josef 30F, 226F, 227F, 230, 230F, 234F, 242F, 243F, 254F, 260f., 261F, 262F Windelband, Wilhelm 178F
Sachregister Textstellen in Fußnoten wurden mit einem hochgestellten F („F“), Textstellen aus dem Literaturverzeichnis mit einem hochgestellten L („L“) gekennzeichnet. Textstellen, die aus Sicht des Autors für den jeweiligen Begriff besonders aussagekräftig sind, wurden kursiv gesetzt. Absolute, das 170F, 297F Absolutheit 31, 171, 192F, 221, 294 Absolutheitscharakter 297F Achtung 39, 44, 211F – wechselseitige 37 Affektion/Affizierung siehe Sinnlichkeit Akzidenzen 155F Altruismus 23 f., 23F, 24F, 127 f., 239F Anerkennung 37, 39, 288 ff., 310 f., 324, 335 f., 347L – apriorische 289F f., 310 f., 318, 326, 335 – gegenseitige/wechselseitige 29, 31, 42, 69, 94F, 124, 132, 289, 309, 309F, 317 f., 324 – tatsächliche 288, 289F f., 309 Anreiz(e) 115 f., 318F Anreizethik (siehe auch Ethik) 116 Anreizsteuerung 318F Anreizwirkung des Wettbewerbs 85 Anschauung 154F, 287, 308 – intellectuelle 191 Anspruch/Ansprüche – auf Normativität 186, 195 – auf Wahrheit/Richtigkeit/Geltung 153 f., 161, 164 f., 169, 171 f. – der Autonomie 261, 264 ff., 322 ff. – der Ethik 98, 103, 119 f., 142, 145, 335 – der Menschenwürde 185
– der Ökonomik/der ökonomischen Rationalität 88 ff., 99, 145, 231, 235, 239, 243 f., 247 – der Sittlichkeit 188, 193 ff., 204 – der Transzendentalphilosophie 292, 306 – des Rechts 141, 331, 334, 341 – erkenntnisanaloger 28, 28F – ethischer 24 f., 31, 116, 119 f., 262 – hypothetischer 160 – moralischer/der Moralität 16F, 27, 35, 37 ff., 38F, 44 ff., 48 f., 48F, 54F, 67 ff., 73 ff., 79 f., 82, 89 ff., 95, 197, 202, 203F, 205, 208, 314 f., 318 f., 321, 324 – normativer 101, 106, 151, 177, 183 f., 187, 189, 191, 195 f., 199, 284, 324 – programmatischer 34, 60, 62, 66, 70, 74, 77, 80, 84, 86, 99, 103 f., 110, 123, 125, 127, 132, 134, 140, 142, 144 Ansprüchlichkeit 197 f., 219 Anspruchskonflikte 69 Anthropologie 26, 189 – anthropologische Annahmen/Bedingungen/Strukturen 55F, 174, 178, 224, 235 f., 235F, 245 ff., 258, 258F f., 267, 284 Anthropomorphisierung 183 Antinomie/antinomisch 92, 330 Antithetik, logische 296F
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Sachregister
Anwendung – der Ethik 56, 335 – der wirtschaftlichen Funktionslogik 61 f., 330 f. – des idealen Diskurses 54, 141 – des wirtschaftsethischen Paradigmas 337 f. Anwendungsbedingungen des Diskurses 50, 53 ff. Anwendungsdiskurs (und Begründungsdiskurs) 195 Anwendungsproblem der Ethik 195 ff. Appell 28F, 122F, 183, 190, 267F, 299 – moralisierender 98, 102, 116 Approach 234, 234F, 247, 254 Apriori der idealen Kommunikationsgemeinschaft 54F f. Apriorische, das/Apriorizität/apriori 15, 19, 26 f., 31F, 50, 55F, 57, 72, 94, 192, 257, 265, 267 ff., 277, 281, 285, 288 ff., 299, 306, 308 ff., 314 ff., 324 ff., 330, 335 f., 340 f. Arbeit 62, 253, 259, 328 f., 332 f. Arbeiter/Arbeitnehmer 250 f., 329, 333 f. Arbeitsmarkt 329 Argument – philosophisches 171, 349L – theoretisches (siehe auch Theorie/ theoretische Vernunft) 169, 190 – zwangloser Zwang des besseren Arguments 27, 93 Argumentation/Argumentieren (siehe auch Verständigung, argumentative) 27 ff., 27F f., 45, 46F, 48, 151 – Bedingung der Möglichkeit von ~ 28 f., 163F – theoretische/rationale (siehe auch Theorie) 29, 38, 40, 42, 48 ff., 56, 151, 157, 165, 169, 173, 189 f., 221 – transzendentale 158 f., 163 Argumentationsgemeinschaft, unbegrenzte 49
Argumentationszirkel 135, 138, 156, 289, 299 argumentieren 134, 137, 296 Armut 15, 340 Askese 255 asketisch 244F, 248, 252 asketisch-religiös 254 Aufklärung 17, 41, 90, 162, 169, 169F, 188, 189, 267, 275, 276, 277, 295, 306, 312, 316, 317, 335, 336, 337, 347L – des Ökonomischen 266 – Dialektik der ~ 205F, 347L Ausgangssituation 124F Autonomie 25, 28, 31, 38 f., 40, 42 f., 56, 162, 209, 214, 221 f., 226, 260 f., 264 ff., 314, 319, 322, 323 f. Axiom/Axiomatik/axiomatisch 34, 60 f., 66, 90, 234F, 247, 249, 253 ff., 270, 273, 277, 315, 325, 350L Bedeutung 19, 21, 153 f. Bedingung der Möglichkeit 27 f., 78, 121, 155, 159, 169, 197, 206, 207, 210, 285, 289, 304 ff., 308, 318 f., 325, 330, 335 Bedürfnis 21F, 103, 199, 233 ff., 233F, 251, 253, 258 f., 262 ff., 263F, 264F, 268F, 272 f., 277, 315F, 321F f. Bedürfnisbefriedigung 64F, 237 f., 240 ff. , 243F, 246F, 264, 322 Bedürfnisbegriff 235F, 243 ff., 246F, 259F, 265 Begrenzung (siehe auch Grenze) 62, 96, 262, 295, 301, 303, 319, 331, 334 ff. – der Bedürfnisorientierung 262 ff. – des Marktes/des Ökonomischen 62, 70, 85, 87, 90, 96, 319, 331, 334 ff., 341 – des Willens 31 – individueller Freiheit 287 f., 295, 300 ff. Begründung (siehe auch Letztbegründung)
Sachregister – moralphilosophische (von Werten)/ im Praktischen 110, 110F, 146 ff., 150 ff., 163 ff., 168, 172 ff., 313, 315, 335 – rationale (von moralischen Ansprüchen) 37 ff., 44, 48 f., 53, 71, 110, 110F, 125 – reflexive 42 – Sich-Begründung (des Lebens) 181F – transzendentalpragmatische (Begründungsfigur) 42 – Vernunftbegründung (in der Ethik) (siehe auch Ethik) 139 f., 174 – von (juristischen) Rechten 91 ff. – von Normen 25, 27 ff., 110, 174 Begründung (versus Implementation) 103, 110 Begründungsdenken 28, 29F, 38 f., 39F, 41, 43, 155F, 163, 165, 172 f. Begründungslosigkeit 157 Begründungspflicht 72 Begründungsproblem (versus Anwendungsproblem) 54F, 195 Berechtigung 151, 156, 160, 164 ff., 168, 168F, 171, 210, 216, 223, 227, 231, 263F, 270, 270F, 285 f., 318 – moralische 26F, 44 ff., 54F, 56F, 247 – normative (des Ökonomischen) 16 f., 66, 273 ff., 277, 319, 324 Beruf 69F, 253 ff. Berufsauffassung 250F Berufsethik (siehe auch Ethik) 252 Berufsethos (siehe auch Ethos) 252F Berufsmensch 256F Betriebswirtschaftslehre 147F Bewußtsein 46F, 122F, 189, 200 f., 217 ff., 286 ff., 288F, 289F, 290F, 293, 293F, 303F, 305 – der Freiheit 192, 201, 215F, 219, 299 – der Verpflichtetheit 207 f., 217 f., 219 – Erfahrungen des ~ 289F
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– Genese des (individuellen) ~ 299F, 307 – individuelles 288, 290F, 294, 299F – religiöses 248, 252 Bewußtseinsgrenze/Bewußtsein der Grenze 286 ff. Bewußtseinsinhalt 287, 291, 292 Bewußtseyn 192, 288, 292F, 293F Bildung – des Willens 40 – Nachbildung 298, 307 Bürger 75, 92F – Mitbürger 177 – Organisationsbürger 70 – Wirtschaftsbürger 69 f., 72, 79 f., 87, 95 bürgerlich 69, 80 – wirtschaftsbürgerlich 69, 80 bürgerliche Berufsethik (siehe auch Ethik) 252 bürgerliche Selbstbindung 69F, 70 bürgerliche Vergesellschaftung 326F bürgerlicher Staat 346L bürgerliches Berufsethos 252 Calvinismus 252F Chance 245 – politische 253 Deduktion 174F, 289F – transzendentale 278 deduktiv 56, 90, 254, 256, 273, 291 Defektion 112 Demokratie 103, 108F, 346L Denken 46, 64, 87, 111, 115, 155, 192, 195, 225 ff., 229, 278, 288, 297, 299, 303, 305 – theoretisches 162F – wirtschaftliches/ökonomisches 25, 34 f., 65, 88, 225 ff., 253, 330 – wissenschaftliches 229, 265F Denken und Handeln 25F, 111, 333 Denken, Wollen und Handeln 186, 188, 268, 333
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Sachregister
Determination/Determiniertheit 116, 148 f., 152 ff., 183 f., 278 f. Dialektik – der Aufklärung 205F, 337L – logische 205 Dialog 27 f., 79, 162F Ding-an-sich 210F Diskurs 28, 46, 48 f., 52 f., 72, 78 f., 94, 155, 258 – fiktiver 52 – idealer 49 ff., 58, 94, 258 – Legitimationsdiskurs 46 – realer 49, 72 Diskursethik 23, 27F, 31F, 38, 42 ff., 47 ff., 48F, 50F, 54F ff., 57, 78 f., 81 f., 86, 90 ff., 141 ff., 195, 314, 335, 342L, 345L – Anwendungsbedingungen der ~ 50, 53 ff. – diskursethische Auflösung des Privaten 95 f., 258 – diskursethische Auflösung des Rechts 91 ff. – konkretistisches Mißverständnis der ~ 50 ff. (inkl.F), 57 f. Dogmatismus/dogmatisch 150 f., 155 ff., 155F, 160 ff., 164, 166 f., 166F Doppelbedeutung – des normativen/regulativen Ideals (bei Ulrich) 47, 54F, 72, 78 – ontologisch-normative 260 – von „Wirtschaft“ 16F Effizienz 21F, 35, 58, 65, 67, 74, 77, 80, 85F, 241F, 262F, 329, 331, 348L Eigendynamik (des wirtschaftlichen Systems) 330 f. Eigengesetzlichkeit (des Marktes/des Ökonomischen/der Ökonomie) 144, 313, 336 Eigeninteresse 27, 100, 119, 122, 127 ff., 140F, 239F, 323
Eigeninteressiertheit 24, 35, 58, 65 ff., 73 f., 77F, 80 f., 96, 101, 114F, 115 ff., 258, 315, 327 Eigennutz 120, 318F Eigennutzorientierung 74, 79, 82 f., 83F, 119 ff., 320, 320F Eigentum 95 f.F, 325 f., 328, 330 f. Einheit 249, 291 f., 295 f., 303, 333, 337, 349L – absolute Einheit des Seins 170F – Form der reinen ~ 192F – kollektive/des Kollektivs 132 – nicht-identische 326F – von ökonomischer Rationalität und lebensweltlicher Vernünftigkeit 35, 58 Einheitlichkeit der Außenwelt/ der Sinnenwelt 280 f., 349 Empirie/empirisch 15, 26, 31, 54 f., 55F f., 60, 101, 108 ff., 113, 115, 123F, 125 ff., 133 ff., 143, 145, 148, 148F, 174, 174F, 191, 195, 205, 230, 232, 234 f., 234F f., 239F, 244, 246 f., 254, 256, 263F, 269, 279 f., 287 ff., 293, 293F, 299, 306, 310 f., 324, 337 f., 344L Erfahrung 162F, 178, 279F, 289, 292F, 295 Erfahrungsapriori 54F Erfahrungstatsachen 162F erfahrungswissenschaftlich 278F, 345L Erkenntnis 28 f., 99, 158, 163 f., 173, 175, 178, 188, 195, 320, 332 erkenntnisanaloger Anspruch 28, 28F Erkenntnisfortschritt 163 f., 269F Erkenntnisleistungen, kategoriale 246 Erkenntnissubjekt 170 Erkenntnistheorie/erkenntnistheoretisch 111, 152, 286F, 349L Erkenntnisvorgang 163 f. Erklärbarkeit 233, 337 Erklärung 128, 130 f., 155F, 232 ff., 234F, 243 f., 246F, 247, 250F, 256, 269, 273, 307
Sachregister Erscheinung 22F, 218F, 270, 278F, 286, 308 Erscheinungsweisen des Ökonomischen 226 f., 231F, 232, 250F, 268 ff. Erwerbskunst 258F Ethik – als praktisches Problem (siehe auch „Praktische, das“ sowie „Sollgeltung“) 172 ff. – angewandte 25F, 59 f., 89F, 103F, 122F, 348 L, 349 L – Anreizethik 116 – Anwendungsproblem der ~ siehe Anwendung – Berufsethik 252 – Diskursethik 23, 27F, 31F, 42 ff., 47 ff., 48F, 50F, 52 ff., 54F, 55F f., 57, 82, 90, 141, 143, 342L, 345L – formale 55F, 191 ff. – Gesinnungsethik 50, 50F – Individualethik 30, 92F – Konsensbildungsethik 53 – korrektive (siehe auch Wirtschaftsethik, korrektive) 35, 59 f., 74, 84 – Minimalethik 40, 41 – Ordnungsethik 36, 87, 116, 346L, 350L – Pflichtethik 210, 213, 215 ff. – philosophische 24, 24F, 28F, 31, 33, 37 ff., 47 f., 56F, 59, 90, 103, 103F, 110, 176 f., 187, 189, 203F, 210, 217, 222, 243F, 257F, 337 – protestantische 248, 352L – Strukturenethik 30F – und (rationale) Begründung (siehe auch Begründung) 27 ff., 28F, 29F, 37 ff., 42F, 43F, 48 ff., 48F, 103F, 110, 110F, 172 ff. – Unternehmensethik siehe Unternehmensethik – Verantwortungsethik 49F, 50F, 52 f., 78F, 146, 342L
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– Vernunftethik 28F, 37, 40 ff., 40F, 42F, 43F, 59, 59F, 61F, 63, 67, 74, 83, 103F, 104, 140, 142 – Vernunftethik des Wirtschaftens 36, 58 f., 59F, 62 ff., 66F, 67 f., 73, 74, 80, 82 ff. – Wirtschaftsethik siehe Wirtschaftsethik Ethos 56F, 343 L – Berufsethos 252F Existenzsicherung 334 Fähigkeiten 263F Faktizität 93, 95, 149F, 282, 345L Faktum 55F, 149, 154, 180 f., 200, 249F, 256, 269, 292F – der Vernunft 55F, 201 f., 212 f., 215 ff. – des Bewußtseins 201, 218 ff., 292F Forderung(en) 51 ff., 58, 68, 73, 77 f., 98, 101 f., 117 f., 121, 171, 179F, 180, 182 ff., 197, 204, 211 ff., 266, 275, 293F, 295, 299, 337 – der Ethik (siehe auch Ethik) 21F, 20 – der Ökonomie 21F – diskursethische 50F, 52, 73 – ethische 189, 191, 198 ff. – handlungsbezogene/konkrete 47, 49, 52 f., 68 f. – kategorische 214, 217 – moralische 38F, 40, 45 f., 50, 95, 186, 193, 203 – nach Altruismus 24F, 128 – normative 188, 192 – wirtschaftsethische 49, 69, 72 Forderungscharakter 147 f., 171, 182 f., 208 Form 50 f., 152 f., 160, 166, 166F, 179 f., 192F, 198, 216, 219, 263, 277, 294F, 301, 310, 319, 346L Formalismusvorwurf (gegenüber Kant) 27F, 169F Formalität 26 f., 205 ff., 206F, 216, 252, 296F, 315 – des Willens 206
360
Sachregister
formaliter 171 Freiheit 28F, 40, 111, 114F, 119, 136, 138F, 155F, 167, 170F, 183 ff., 187 ff., 193, 198 ff., 207F, 209 f., 214 ff., 215F, 243F, 244, 257, 261F, 266 ff., 274 f., 277, 278F, 279F, 281F, 284, 287, 288F, 293, 295 ff., 299F, 319, 323, 331 ff., 337, 348L – absolute 297 – äußere 280 ff. – formale/formales Freiheitsprinzip 183, 194, 199, 210, 277 – individuelle/des Individuums 135, 277, 281, 288, 295, 308, 309F, 310 ff., 317 f., 324 f., 327, 330 f., 334 f., 337 – menschliche 37, 268, 279F – negative 210 Freiheitsbeschränkung 282, 307 Freiheitscharakter 28F, 217, 267, 296 ff. Freiheitseröffnung 298F Freiheitsstruktur 220 Freiheitsvermögen 185, 188, 197 f., 204, 217 ff., 282, 294 f., 301 ff. Freiheitsvollzug/Vollzug von Freiheit 184, 188, 193, 197 f., 217, 220 ff., 267 f., 271 f., 276, 298, 317 f. Freiräume privater Interessenverfolgung 94 Funktion – heuristische (der Moral) 110 f. – moralische/der Moral 49, 107, 346L – regulative 54, 78, 94, 95 – religiöse (des Gelderwerbs) 252 f. Funktionslogik/Funktionsgesetze/Funktionsprinzipien der Wirtschaft 16 f., 59, 61, 63, 86, 98, 100, 118, 250, 254, 323, 327, 331, 340 Gebot 22F, 26F, 117, 213, 216F Gegenseitigkeit 31, 309 ff., 309F „Geist“ des Kapitalismus 248 f., 352L
Geisteshaltung (siehe auch Haltung, Willenshaltung) 111, 248, 254, 268F, 321, 326, 335 – moralische 44 Geld 244, 251, 262F, 320 f. Gelderwerb 252 f., 262F Geltung 21F, 22 f., 26 ff., 38, 49, 70, 87, 101, 105, 109, 110F, 120, 124F, 154, 163 ff., 168, 171 ff., 177, 190, 345L Geltungsanspruch 48, 52, 55F, 56F, 72, 89F, 91, 119, 149, 150 ff., 161, 165, 168 – diskursiver 163F – dogmatischer 151 f. – hypothetischer 152 f., 163 f. – moralischer 37 f., 192F – normativer 49, 89F – praktischer 46F, 173 – theoretischer 46F, 178 Gemeinschaft 44, 49, 230, 284 f., 328 – moralische 44 Genese 112, 123, 248, 272, 291 ff., 299F, 300, 305, 306F, 307 – der Individualität/individueller Handlungsfreiheit 272, 291 ff., 299F, 300 – der Rahmenordnung 112, 122 ff., 136 – des Rechts 136, 326F – historische 134, 316 genetisch 291, 299F Gerechtigkeit 31, 92F, 103 f., 262F, 343L Gerechtigkeitstheorie 346L, 348L, 349L, 350L Gesellschaft(en) 24F, 35F, 99, 109, 121, 126, 224, 254, 326F, 342L, 352L – freiheitliche 70 – moderne 98 f., 105 f., 115 f., 118, 123, 125 f., 132, 138 f., 174F – wohlgeordnete 71, 84, 85F, 92F Gesellschaftsordnung 107, 107F
Sachregister Gesellschaftstheorie/Theorie der Gesellschaft 174F, 249F, 345L, 346L, 349L Gesellschaftsvertrag 134 – vernunftrechtlicher 94 Gesetz(e) – absolutes 132 – allgemeines 197 – der Autonomie 209 – der Freiheit 266, 277, 284, 309 – der Machtakkumulation 329F – der Vernunft 119, 192, 192F – funktionale (der Ökonomie) 63, 87, 224, 232 f., 233F, 332 – heiliges 211F – (im positiv-rechtlichen Sinne) 71, 91, 95, 134, 147, 318 – moralisches/moralische Gesetzgebung 43F, 111, 119F, 192F, 197F, 209 ff., 210F, 211F, 212, 212F, 214, 215F, 216F, 218F, 221, 266 – theoretische/Naturgesetze 147 f., 148F, 279 Gesetzgebung (allgemeine) 119F, 192F, 197F, 201F Gesetzmäßigkeit 63, 87, 148, 243 Gesinnung 70, 93, 93F, 211F, 212F, 215F, 249, 249F, 311 Gesinnungsethik (siehe auch Ethik) 50, 50F Gewalt 205F, 280, 283, 346L Gewinn 88F, 262F – unternehmerischer 88F, 343L Gewinnmaximierung 346L Gewinnstreben 100, 102, 105 Gewinnsucht 329 Gewissen 70, 79, 122F, 201 f., 252, 266 f., 281 Gewissensentscheidung 147 Gewissensscrupel 202F Gewißheit 157 ff., 170, 175 Globalisierung 346 L Glück 175, 175F, 191, 251, 259, 260F, 263, 263F, 265
361
– größtes Glück der größtmöglichen Zahl 175, 175F, 191 Glücksbedingungen 259, 264F, 265 Glückseligkeit 155, 179, 179F, 202F Glückseligkeitsprincip (nach Kant) 202F Glücksvorstellung(en) 263F Goldene Regel 117 Gott 111, 148, 155, 155F, 158F, 221, 342L Gottesvorstellung 188, 189 Gottgegebenheit 26F Grenze(n) (siehe auch Begrenzung) 40 f., 58, 78, 85 f., 90 f., 128 f., 142 f., 190, 264, 269F, 274 f., 278F, 286 ff., 292, 294, 295 f., 309F, 314 ff., 319, 334, 336, 337, 339, 346L, 348L – dogmatische 161 – natürliche 262 – normative 17, 130F, 275, 316 – quantitative 262 Grund 92 f., 124, 152, 154, 156, 159, 164, 168, 180, 190 ff., 195, 204, 208F, 210F, 211F, 213, 216, 257, 275, 335 Grundbedürfnisse 243F, 258F Grundlagenreflexion 17, 23, 34, 35, 59F, 60, 351L Grundrecht 332 Grundrecht auf Partizipationsverweigerung 330 ff. Gut, das höchste 181 Gut, ein (im ökonomischen Sinne) 21F, 231, 233, 233F, 239F, 320 f., 332 Gute, das 173, 175, 178, 178F, 186 f., 190, 204, 212, 227F, 231, 233, 262F, 263F Haltung (siehe auch Geisteshaltung, Willenshaltung) 80, 107, 185, 193, 195, 197, 198, 199, 200, 202, 204, 274, 323 Handlung 26, 31, 45 ff., 53, 55 f., 55F, 56F, 64 f., 68, 71 f., 77 f., 93, 93F,
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Sachregister
95 f., 100 ff., 105 ff., 114 ff., 120 ff., 128, 135, 141, 174, 174F, 175F, 179 ff., 191, 193 ff., 198F, 199 ff., 203F, 212, 214F, 234 ff., 240 ff., 252, 260, 278 ff., 278F, 304F, 314 ff. Handlungs(an)forderung(en) 25, 47, 49, 54F, 72, 77 f., 77F, 80, 89 Handlungsbedingungen 101, 105, 174, 240, 241, 318F, 337 Handlungsfähigkeit 285, 295, 325, 335 Handlungsfolgen 321F Handlungsform(en) 55, 57, 322, 323 Handlungsfreiheit 277, 281 ff., 293, 306, 308, 310 ff., 316 ff., 324 ff., 331, 335 ff., 338F Handlungskoordination 50, 51F, 52F Handlungsmacht 286 f., 294 f. Handlungsregel(n) 105 f., 175F, 195, 324 handlungstheoretisch 250F f. Heuristik 107, 110 Homo oeconomicus 235, 235F, 238, 242F, 251F Hypothese 157 ff., 273, 275, 277, 292F hypothetisch 83F, 90, 90F, 148, 152, 153, 154F, 156, 160 ff., 163F, 169F, 177, 179, 179F, 180, 185, 195, 235, 256, 270F, 272F, 275, 278, 280 f., 283F, 284 f., 321 f., 324, 327 f. Ich, das 19F, 189F, 289, 289F, 292F, 293 f., 293F, 294F, 299F, 301 Ichheit 289F, 294F Ideal 48, 54, 55F, 57, 111, 221 f., 281, 323, 328 – abstraktes 54F – diskursethisches 51F, 141 – diskursives 95 – moralisches 57, 110 f., 236 f. – normatives 31, 55, 92, 283 – prozedurales 52 – realisierbares 53 – regulatives 49 f., 52, 52F, 54, 55F, 56 ff., 56F, 79 – vernunftethisches 78
Idealität 282 idealiter 55F, 94 Idee 74, 87, 156, 161, 163 f., 200, 226 f., 269F, 270, 278F, 300, 336 f. – apriorische 192 – der Freiheit 278F – der Gewißheit 158 ff. – der Wahrheit 158 – des Guten 178F – des Ich 293F – des Rechtes 324, 326F, 337 f. – individueller (Handlungs-)Freiheit 334, 336 – praktische 215F – regulative 43 ff., 49, 50F, 51 f., 56F, 60, 68, 78 f., 94 – überzeitliche 269 – vom Ökonomischen 269 f. Identität 114F, 244, 263F, 271, 289F Ideologie 290F Imperativ(e) 100, 179, 212 – hypothetischer 83F, 90, 179 f., 179F – kategorischer 31F, 43F, 44, 103 f., 123, 197F, 204F, 206, 207F, 208F, 209, 213, 309, 346L, 350L – ökonomischer 100 Individualethik (siehe auch Ethik) 30, 92F Individualismus – methodischer 102, 107, 109, 114, 120F, 121 ff., 128, 131 ff., 136, 138 ff., 143, 242F, 243 ff., 253, 258F, 268F, 272F Individualität 123 f., 128, 134 ff., 138 f., 143, 194F, 204, 245, 268, 268F, 271 ff., 272F, 275 ff., 285 f., 288 ff., 289F, 290F, 299, 301, 303F, 307 f., 310, 315F, 317, 324 ff., 335 – Überindividualität/überindividuell 57F, 123, 136, 205, 270 ff., 284 f., 288, 310 f., 326 Individuum 30, 58F, 102 f., 106F, 129, 138 f., 194, 194F, 204, 233, 244, 248, 250 f., 255, 272 f., 286 ff., 286F, 287F,
Sachregister 293 f., 296, 299F, 300 f., 309 ff., 317, 318F, 326, 328 f., 331 Institutionenökonomik siehe Ökonomik Intelligible, das/intelligibel 31, 31F, 55, 55F f., 57, 95, 211, 278 f., 278F f., 284 f., 289F, 293, 319, 324 f., 326F, 328F Interaktion 48, 62, 67, 73 f., 99, 106, 108, 110, 112, 115 f., 125, 128 f., 130F, 131 f., 231, 231F, 241F, 250F f., 255, 258, 271, 276, 289F, 307, 317, 323, 326 f., 326F, 330 f., 338 Interesse 35, 52, 57, 68, 70 ff., 75 f., 79, 82, 83F, 87, 94, 100, 103, 106, 107F, 112 ff., 123 ff., 127 ff., 139, 142, 197 f., 204, 205F, 246F, 251, 258F, 265 f., 268, 271 ff., 315F, 325, 330 f., 333 f., 338, 341 Intersubjektivität 288, 344L – intersubjektiv gültige Regeln 113, 137 – intersubjektive Austauschbarkeit 44, 48, 68 – intersubjektive Schnittmenge 112, 131 – intersubjektive Struktur 56, 95 – intersubjektive Vergleichbarkeit (des Nutzens) 63F f. Irrationalität/irrational 169, 175, 230F, 251 ff. Kapitalismus 248 ff., 250F, 340, 352 Kategorie(n) 31F, 60, 91, 167, 179, 254, 278F, 279, 320, 345F – ethische 89F, 111 – normative 313 – ökonomische 103 f., 107, 114, 227F, 254, 320 f., 343L – praktische 179 – rechtliche 290F, 320F Kategorienbegriff 254 Kategorienfehler 16 Kausalität 148F, 244 – Handlungskausalität 287, 287F, 289 Kinderarbeit 15
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Knappheit(en) 35, 65, 76, 103, 208F, 232 ff., 235F, 238F, 241F, 246, 247 Knappheitsbegriff/Begriff der Knappheit 243, 256 Knappheitsparadigma 238 Kognitivismus 29F, 349L – Non-Kognitivismus 29F, 43, 349L Kommunikation 45, 45F, 46F, 48, 51 f., 57, 95F, 96F Kommunikationsgemeinschaft – ideale 44, 49, 50F, 51, 54F, 55F, 155, 158, 158F, 342L – reale 155 Konflikt(e) 25F, 32F, 35, 57F, 69, 71, 76, 78, 82 f., 89 f., 89F, 90F, 197 f., 197F – Regelkonflikte 150 Konsens 105 ff., 109F, 110F, 112 f., 124 ff., 124F, 131, 133 ff., 143, 338, 350L – empirischer/faktischer 109, 127 f., 130, 132, 134 – Meta-Konsens 108, 112 f., 125 f., 128, 133 f. Konsensbildungsethik (siehe auch Ethik) 53 Konsensfähigkeit/konsensfähig 49, 131F, 208F konsensuell 131, 133, 197F, 208F – vor-konsensuell 124 Konstituierung/Konstitution – der Rechtsidee 338F – des Meta-Konsenses 126 – des Privaten 94, 96 – des Selbstbewußtseins 294 – praktische/praktisch-willentliche 41, 43, 90 f., 173, 189, 222, 281, 314 – von Individualität/von Individuen 289F, 291 f., 301 ff., 306F – von moralischen Ansprüchen/von praktischen Geltungsansprüchen 39, 46F, 48 – von Normativität 189
364
Sachregister
– von Wirtschaft/des Ökonomischen 17, 90 f., 230, 267, 325, 335 Konsum 23F, 239F Konsumgüterkombinationen 64F Kooperation 108, 112 ff., 124, 128 ff., 130F, 137, 283, 343L, 346L Kopernikanische Wende (in der Moralphilosophie) 178F, 186, 209, 321F Kosten 130F, 240 f., 243, 283 Kostenbegriff 240 Kritik(en) 16, 33F, 54, 55F, 59, 66F, 81, 81F, 83, 86, 88F, 96, 98, 101, 103F, 104F, 110F, 117, 121, 140F, 141, 144, 158, 162F, 208 f., 227 f., 261F, 269F, 297F, 340, 344L, 345L, 346L, 347L, 348L, 349L – der ökonomischen Vernunft 34 – der praktischen Vernunft 172F, 186, 187, 201F, 343L, 347L – Gesellschaftskritik 81F – Ökonomismuskritik 59F, 88 – Systemkritik 16 Kritikfähigkeit 99, 103 kritikresistent 28F Kultur(en) 151, 225, 308 – Erwägungskultur 343L, 351L kulturalistisch 345L Kulturbedeutung 248, 249F kulturell 26, 126, 152, 225, 266, 266F, 269, 290F, 332 f. – interkulturell 351L – soziokulturell 178 kulturübergreifend 40, 41 kulturunabhängig 268 Kunst 333, 333F – Erwerbskunst/des Gelderwerbs 262, 262F – Vernunftkunst 292F Leben 16, 34, 36, 60, 63 f., 97, 114F, 124, 132, 173, 181F, 192, 206F, 209F, 221, 225 f., 243F, 244, 251, 252F, 255, 257, 257F, 259, 259F, 260 ff., 261F, 262F, 263F, 264F, 265,
269, 280 f., 288, 292, 292F, 294, 308 f., 323, 327 ff., 331, 333 ff., 343L, 345L, 348L, 349L, 351L, 352L Lebensdienlichkeit 34, 85F, 87 Lebensform(en) 249F, 259, 263F, 264F, 268, 328, 330F Lebensformdiskussion 259, 264 Lebensführung 249, 249F, 250F, 251 ff., 255 f., 264F, 327, 328 f. – asketisch-religiöse 254 Lebensqualität 34, 63 Lebensvollzug (siehe auch Vollzug) 219, 221, 243F, 292 Lebenswelt/lebensweltlich 16F, 21F, 34 f., 61, 77 f., 77F, 84 f., 87 f., 99, 226, 226F, 330, 342L Legalität 93F, 142 Legitimation/Legitimierung 76 ff., 84, 87 f., 108F, 109, 111, 120F, 121, 123, 125, 134, 177, 191, 331 – des Wirtschaftens (siehe auch Berechtigung, normative) 66 – moralische 88, 192 Legitimationsdiskurs 46 f., 52 f., 72F Legitimationspflicht 96F Legitimität 65, 68, 71, 79, 82, 91, 91F, 125, 309F, 311 Legitimitätsbedingung(en) (bei Peter Ulrich) 65, 69 f., 74 f., 79, 81 f. Leib 124, 132 Leiblichkeit 236 Letztbegründung/letztbegründet 29, 42F, 154F, 157 ff., 162, 164 ff., 168, 190, 347L Liberalismus – Neo-Liberalismus 35F – Ordo-Liberalismus 86F Liebe – Eigenliebe/Selbstliebe 131, 135, 318F – Menschenliebe 203F – Nächstenliebe 117, 239F Liebesbegriff 221
Sachregister Logik 29, 29F, 60 ff., 66, 77F, 85, 87, 98, 100, 102, 135, 142 f., 206F, 225 f., 254, 270, 274, 315, 327, 329, 330 f., 333 f., 340 f. – des Marktes/Marktlogik 84, 86 f. – Eigenlogik (der wirtschaftlichen Rationalität/von Wirtschaft) 16, 34, 35, 58, 62, 66, 78, 96 – Funktionslogik 16 f., 61, 77, 98, 100, 340 – Sachlogik 34, 60, 67, 87, 89F – Tauschlogik 142, 328 – Vorteils-/Nachteilslogik 142 f. – Wettbewerbslogik 327, 331 Macht 283 – Definitionsmacht 230, 247 – Handlungsmacht 286 f., 294 f. – Sanktionsmacht 318 Machtakkumulation/Machterweiterung 329F, 282 f. Machtspruch 175F Management 351L Mangel 232 f., 236 f., 237F, 243 Mangelbeseitigung 237, 237F Mangelempfinden 237, 243 Markt 25, 31F, 84, 99, 118, 131F, 143, 230 ff., 235F, 239F, 242, 246 f., 250F, 254, 256, 270, 273, 319 ff., 320F, 326 ff., 341, 348L, 351L, 352L Marktöffnung 85 Marktökonomik 235, 246 f., 256 Marktwirtschaft/marktwirtschaftlich 15 f., 24, 29F, 70, 85F, 86 ff., 86F, 88F, 94, 101, 105, 105F, 121, 142, 224, 253F, 255, 273, 315 f., 341, 350L, 351L – soziale 86, 86F materialiter 171, 319 Maxime(n) 32, 72, 193F, 197F, 201F, 204, 206 ff., 207F, 208F, 209, 211 f., 211F, 220, 248 f., 249F, 251 f., 254 ff., 321 f., 325 – moralische Grundmaxime 207 f., 207F, 210, 325, 333
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Maximenunterscheidung 322 Maximenwahl 207 f. Maximierung 238F, 242F, 243 f., 321 – des Nutzens 239, 241, 325 Meinung 159, 203F – Lehrmeinung 26F Mensch(en) 15, 30F, 32F, 34, 37, 40 f., 44, 61, 63 f., 82, 92F, 94F, 99, 116, 117, 139 f., 146, 174 f., 175F, 179F, 183, 186, 188 ff., 189F, 200 f., 204, 207F, 211F, 211 ff., 215, 221, 224, 231 f., 232F, 234 f., 234F, 242, 248, 251 f., 256, 259 f., 259F, 260F, 261F, 262F, 263, 263F, 264F, 265, 269F, 280 ff., 283F, 289, 290F, 313, 320, 321 ff., 328, 345L, 351L – Mitmenschen 132, 197F, 219, 220, 278, 280, 210, 322F, 323, 328 Menschenbild 235F, 345L, 351L Menschengerechte, das 25F Menschengruppe(n) 250F Menschenliebe 203F Menschenrecht 103 f., 290F, 318, 330 Menschenwürde/Würde des Menschen 21F, 30F, 86, 117, 140, 155, 184 f., 184F, 189, 290F Menschheit 24F, 132, 178 Menschlichkeit 278F Meta-Konsens siehe Konsens Metaphysik 43F, 56F, 122, 140, 162F, 187F, 188, 211F, 260, 264, 343L, 348L Methode 17, 19, 36, 63, 139, 161, 169F, 186 f., 205, 229 f., 243F, 248, 252 f., 269F, 291 f., 308, 319, 327, 335, 337, 341 – Begründungsmethode 164 – ökonomische 17, 97, 102, 107, 118, 120 f., 123, 140, 143, 256, 335, 340, 346L methodenbezogene Ökonomik 234, 244, 246 f., 246F, 256, 265 Methodenkompetenz der Ökonomik 88, 90
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Sachregister
Minimalethik (siehe auch Ethik) 40 f., 263F Mittel 29, 29F, 65, 83, 83F, 109, 118, 137, 140F, 147F, 179, 179F, 180, 235F, 239, 241F, 242, 242F, 250F, 282, 322 – Zweck-Mittel-Zusammenhang 137, 179, 251 Mittelalter 226 Mitverantwortung 52, 131F Moral (siehe auch Moralität) 21F, 23F, 24, 25F, 26, 30F, 29 ff., 29F, 30F, 31F, 35 ff., 37F, 39 ff., 47, 49, 53F, 56F, 59F, 84, 88 f., 88F, 92F, 97 f., 101, 104 f., 107 f., 107F, 112, 116 f., 117F, 122 f., 122F, 138F, 140F, 142, 173F, 208F, 343L, 346L, 348L, 351L Moral point of view/Standpunkt der Moral 35, 40 f., 47, 53, 54F, 59F Moralität 21F, 26 f., 37 f., 43 f., 46, 48, 48F, 59F, 68, 92 ff., 101, 122, 142, 177F, 187F, 208F, 209, 209F, 210F, 218F, 219 f., 266F, 319, 321, 322F, 323 f., 338F, 348F – Unmoralität 323 Moralökonomik 89F, 313, 315, 335, 344L, 346L Moralphilosophie/moralphilosophisch 16F, 23, 42F, 92, 110, 142, 146, 193F, 201, 227, 262, 313, 315, 335, 337, 348L – Kants/kantische ~ 56, 201 f., 205 f., 208 f., 216, 243F, 321 Moralprinzip 42, 43F, 44, 48, 48F, 68, 92, 95, 117, 173, 196 f. Motiv 114, 115, 116, 118, 119, 120, 121, 242 Motivation 24, 27, 70, 122F – moralische 107F, 122F motivational 77, 116, 118, 120, 283 Motivationskräfte 70, 244, 318F, 330 Motivationsvoraussetzungen 127 Nachbildung (siehe auch Bildung) 298, 307
Nachhaltigkeit 343L Nächstenliebe 117, 239F Nationalsozialismus 290F Natur 65 f., 148, 181F, 192F, 201F, 205F, 211, 224 f., 232, 232F, 236, 246, 252, 258, 261F, 262F, 263F, 279, 282, 283F, 300, 307, 330F, 345L, 351L natural 199F naturalistisch 130F, 175 naturgemäß 98 Naturgesetz/Naturgesetzlichkeit 148, 234, 244 naturhaft 185, 231, 262, 300 Naturheiten 148 naturkausal 153 f., 279 Naturrecht 192F, 262F, 289F, 294F, 299F, 306F, 308, 344L, 345L, 351L Naturschutz 349L Naturtatsache 224, 259, 264, 274 Naturwissenschaft(en)/naturwissenschaftlich 148, 148F, 152, 239F naturwüchsig 127 Naturzustand 130F, 329F Negation 121, 192F, 206F, 213, 216, 288 Neigung(en) 27, 35F, 119, 121, 128, 199, 199F, 200 ff., 201F, 202F, 203F, 210, 212 f., 212F, 215 f., 218, 233F, 243, 265 Neoklassik/neoklassisch 66, 66F, 86F, 225, 254, 261 neutral – neutralisieren/neutralisiert 82, 83, 107F – wertneutral 182 – wettbewerbsneutral (siehe auch Wettbewerb) 131F Nichts 15F Nichtsättigung 233F, 234F Nihilismus 167, 176F Nonkognitivismus 29F, 43, 349L Normativität 30 f., 90, 91 ff., 101 ff., 106, 106F, 108, 112, 114, 124, 135,
Sachregister 139, 141, 145, 147F, 177, 185 ff., 195, 198, 207 ff., 213 f., 216 ff., 258, 274 f., 310, 319, 341, 346L Normen 25, 25F, 26 f., 27F, 29F, 30 f., 40, 71, 80, 82, 89F, 92, 92F, 103, 103F, 106, 109, 110, 110F, 126, 142, 147, 207, 250F, 251, 344L, 345L, 346L Normenbegründung 174F Normensystem 26, 126 Nötigung 56F, 212, 214 Notwendigkeit 19, 30, 31F, 43F, 61F, 89, 89F, 91, 93F, 96F, 113, 141, 145, 149F, 151, 153, 154F, 161, 168, 169F, 170, 177F, 178F, 182 f., 207, 211 ff., 243F, 245, 267, 277, 279F, 306F, 307, 309, 311 ff., 333, 335 f. Nutzen 64F, 65, 103, 113, 135, 127 f., 227F, 237 f., 238F, 239F, 240 ff., 241F, 244 f., 247, 251, 251F, 256, 321, 325, 328, 343L – individuelle Nutzenfunktion 135 Nutzenmaximierung 66F, 100, 102, 113, 127, 130 f., 130F, 136, 238 f., 239F, 241F, 242 ff., 251F, 256, 262, 315, 320, 320F, 322 Objekt 166, 166F, 168, 181F, 206F, 232F, 246, 248, 304, 307 – Untersuchungsobjekt 247 Objektbereich 60 Öffentlichkeit 94 Ökonomie (siehe auch Ökonomische, das; Wirtschaft; Rationalität, ökonomische) 19, 20F, 21F, 98, 100, 102, 126 f., 144, 144F, 224 ff., 225F, 230F, 231F, 234 f., 243F, 246, 254, 256, 260, 261F, 270 f., 273, 277, 313, 342L, 343L, 344L, 347L, 349L, 350L, 351L ökonomiefrei 235, 332 Ökonomik 16F, 19, 20F, 31F, 35, 61, 64F, 66, 66F, 87 ff., 97 ff., 102 ff., 104F, 107 f., 108F, 110, 113, 117, 117F, 121, 123, 140, 142 ff., 143F, 144F, 223, 228, 229 ff., 231F, 234 ff.,
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234F, 235F, 238, 239F, 242 ff., 246F, 247F, 249, 250F, 251 ff., 256, 261, 261F, 268F, 269F, 270 f., 310, 315, 317, 320 ff., 324 f., 327, 343L, 345L, 346L, 347L, 348L – Institutionenökonomik 30, 343L, 350L – Interaktionsökonomik 112, 250F f., 320F – Marktökonomik 235, 246 f., 256, 346L – Methodenökonomik 246 f., 265 – Moralökonomik 89F, 313, 315, 335, 343L, 344L – Schulökonomik/Standardökonomik 66, 86, 225, 237 – Wohlfahrtsökonomik 34F Ökonomische, das 59, 66F, 76, 104, 142 f., 223 ff., 228, 231, 232F, 235, 247, 257 f., 264 f., 267 ff., 269F, 273 ff., 278, 313, 315 f., 319, 325, 335 f. – das ökonomische Prinzip 242 – die ökonomische Perspektive 83, 101, 145, 244, 253 f. Ökonomismus 34, 34F, 36, 88, 340, 343L, 348L Ökonomismuskritik 59F, 88 Ontologie 260 – Wesensontologie 261F ontologisch 259 f., 260F, 261F, 263F, 265 Ordnung 172F, 240, 259 f., 324, 340, 344L, 346L – Präferenzordnung 241 – Rahmenordnung siehe Rahmenordnung – Rangordnung 81, 186F, 260 – soziale 135 – Vorordnung 260, 263 – Wirtschaftsordnung 249 f., 250F, 254 f., 327F Ordnungsethik/ordnungsethisch (siehe auch Ethik) 36, 87, 116, 346L, 350L
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Sachregister
Ordnungspolitik 84 f., 142 Ordoliberalismus 86F Organisation 123, 134 Organisationsbürger 70 Organisationsform(en) 56, 123, 125 Organisationsprinzip 50, 50F, 51 Ort der Moral 29F, 105, 142 Paradigma 32, 115, 124F, 261, 314, 337 – Ausgangsparadigma 19, 23, 32, 144 f., 223, 313 f., 319, 336 f. – ethisches 19 – paradigmatisch 20, 20F, 114, 116, 121 f., 138, 235 Paradoxon 186, 277 paretoinferior 251 Partikularinteressen (siehe auch Interessen) 70 Partizipationsverweigerung 330 ff., 336 ff. Person 23F, 25, 29F, 39, 44, 49, 53, 57, 57F, 64, 68, 71, 71F, 73, 92F, 94F, 134, 151, 153 f., 154F, 179 ff., 183, 190, 194, 198, 251F, 282, 285F, 299F, 306 f., 309 f., 320 f., 325 f., 332, 337 f., 338F – moralische 35, 66, 82, 178, 180, 186 – Person-Sein 184 Personalführung 334 Personalität 129, 326F – Interpersonalität 9I, 48, 48F, 67 f., 70, 73 f., 76, 83, 289F, 309 f., 345L Personalitätskonzeption 83 Personalitätslehre 294, 298F Pflicht 70, 93F, 122F, 187F, 192F, 195, 202F, 211, 214, 216F, 218F, 323, 323F – aus Pflicht 93F, 211F – gemäß der Pflicht 93F Pflichtbewußtsein 203F Pflichtethik (siehe auch Ethik) 210, 213, 215 ff.
Pflichtgebot(e) 213F, 218F Philosophie 42F, 46F, 147F, 155F, 172, 193, 264, 279F, 297F, 342L ff., 351L f. – Fichtesche ~/~ Fichtes 264, 299F, 345L, 349L, 351L – Hegelsche ~/~ Hegels 297F – Kantische ~/~ Kants 38F, 40, 56F, 170F, 199, 201, 208 f., 210F, 260, 348L – Moralphilosophie siehe Moralphilosophie – praktische 186, 188, 190, 210F, 261, 261F, 274, 278F, 345L – sprachpragmatische Transformation der ~ 46F – theoretische 278F, 279F – Transzendentalphilosophie siehe Transzentalphilosophie – transzendentalpragmatische Wende der ~ 42F Philosophiegeschichte 158 Pluralismus 162F Politik 224F, 261, 261F, 262F, 334, 339, 342L, 346L, 348L, 349L – Ordnungspolitik/ordnungspolitisch 73, 84 ff., 84F, 86F, 96F, 131F, 142 – Socialpolitik 21F – Sozialpolitik 334 – Vitalpolitik 86F – Wettbewerbspolitik 84 f., 86F Postulat 55F, 111, 125 f., 133 f., 149F, 157, 219 ff., 224, 279F, 293F, 306F – Rechtfertigungspostulat 151, 154F, 156 Präferenz(en) 39 ff., 75 f., 82, 90, 103, 107 f., 112 ff., 119, 121, 128, 131, 134 ff., 139, 143, 194F, 271, 325, 332 f. – präferenzbezogen 333 – Wertpräferenzen 262 Präferenzordnung(en) 75, 241 Praktische, das 28, 28F, 29F, 40, 147F, 149, 168, 172 ff., 176, 222, 314
Sachregister – praktische Sollgeltung 38 ff., 38F, 48 ff., 48F, 222 – Primat des Praktischen 29F, 172 f., 175, 222, 314 Preis(e) 64F, 79, 231, 231F, 289F Primat des Praktischen 29F, 172 f., 175, 222, 314 Primat des Willens 37, 38, 41, 42F, 43F Prinzip 16, 26 f., 44 f., 51, 64 f., 68 f., 71, 95, 100, 107F, 116, 118, 122F, 145, 155F, 157, 160, 173, 174F, 194, 196, 197F, 198 ff., 204, 208, 257, 264 f., 267, 275, 284, 298F, 318F, 319, 327, 332, 341 – der Autonomie 209, 266, 314 – der Freiheit 332 – der kritischen Prüfung 157 – der Moralität 26, 44 – der Sittlichkeit 196, 208 f. – Diskursprinzip 343L – ethisches (siehe auch Ethik) 187F, 189 – Formalprinzip 199 – Funktionsprinzip 85, 340, 341 – Min-Max-Prinzip 242 – ökonomisches 242, 242F Private, das 94 ff., 94F, 96F, 141, 258F Privateigentum 95, 325 f. Privatismus 94 Privatsphäre 95, 141 Protestantismus 248 Qualität 41, 79, 99, 119, 129, 159, 171 f., 181 f., 188, 191, 197, 199F, 237, 258, 282, 332 f., 332F – des Willens 204 – moralische 16, 29F, 196, 337F – normative 175, 187, 191 – ontologische 259 f. Quantifizierung 231, 231F, 240, 295 Quantität 232 f., 236 f., 237F, 238F quantitativ 63, 64F, 233, 236 f., 237F, 244, 258F, 262, 264, 280
369
Rahmenbedingungen 51, 105, 116, 131F Rahmenordnung 29F, 84, 105 ff., 110 ff., 116, 118, 122 ff., 129, 131 f., 131F, 134, 136 f., 142 ff. Rationalisierung 96F Rationalisierungsdynamik 58, 78 Rationalismus – kritischer 22 f., 23F, 28, 157 ff., 169F, 170F, 176, 176F Rationalität 27, 42, 74, 76, 90F, 115, 230F, 242, 242F, 251, 253, 346L – instrumentell-strategische 261 – ökonomische 34, 35F, 59F, 60 ff., 61F, 74, 80 ff., 84, 86 ff., 89F, 98, 342L – sozialökonomische 35, 61F, 73, 74 ff., 76F, 78 f., 83, 87 f., 96 – strategische 115 – Systemrationalität 34 – Teilrationalität 99 – wirtschaftliche 65 – Zweckrationalität/zweckrational 74 f., 241, 242F, 235F, 245, 253, 262, 328, 332 f. Rationalitätenkonflikt 351L Rationalitätsform 35, 230, 343L Rationalitätsmuster 60 Rationalitätsproblematik/Rationalitätsproblem 74, 78 Rationalitätstypen 260 f. Rationalitätsverständnis 87 Realität 15, 100 f., 111, 157, 162, 162F, 172, 174, 196 f., 219, 244 f., 245F, 254, 268, 273, 279, 282, 292, 306 realiter 288, 331 Recht 79, 81F, 92, 92F, 93, 93F, 94 ff., 96F, 124, 129, 136, 138F, 140, 140F, 145, 194 f., 277 ff., 284, 285F, 289, 294F, 306F, 309F, 313, 316, 318 f., 318F, 324 ff., 326F, 330 ff., 338F, 340 f., 344L, 345L, 347L, 348L, 351L – Ableitung des Rechtes 294F
370
Sachregister
– Begriff des Rechtes/Rechtsbegriff 92, 281F, 284, 289F, 306F – im Gegensatz zu Ethik/Moral 29 ff., 29F, 30F, 31F, 71, 93, 93F, 94F, 95, 141 f., 195, 313, 338F – Naturrecht siehe Natur – positives 71, 91, 94 f., 109F, 126, 309F, 310 ff., 318, 324 ff., 328, 330 f., 334, 338 f., 341 – vorpositives 324, 329F Rechte 138F, 290F, 332, 334 – moralische 44, 69, 71, 75, 79, 91, 92F, 93, 94F Rechtfertigung 22, 24, 71, 71F, 89F, 94, 95F, 98, 105F, 109 f., 118, 121, 131, 135, 138 f., 141, 146F, 150 ff., 154 ff., 154F, 160 f., 164 f., 167 ff., 210, 231, 264, 308, 309F, 336 f. Rechtfertigungspflichten 92F, 96F Rechtlichkeit 93, 324 f., 338F Rechtsentwicklung 334, 337 ff. Rechtsform 326F Rechtsidee 290F, 306F, 324, 326, 330 f., 337 f., 338F, 341 Rechtsphilosophie 109F, 318F, 348L Rechtsstaat 345L rechtsstaatlich 71, 80, 92F, 95, 338 Rechtsverbindlichkeit 92 f., 92F Reduktion 92, 92F Reduktionismus 89F reduktiv/reduktive Methode 169F, 291 Reflexion 17, 19, 21, 34, 41, 46, 52, 58 f., 63, 66, 68, 73, 90, 121, 142, 165 f., 168, 175, 182, 187 ff., 199 f., 221, 223 f., 228, 232, 240, 267, 269, 289F, 294F, 300, 308, 312, 314, 317, 326F, 336 f., 346L – Begriffsreflexion 16, 19, 22 – ethische 22, 32, 58, 67, 274 – Fundamentalreflexion/Grundreflexion 165, 336 – Grundlagenreflexion 17, 23, 34 f., 59F, 60, 351L – ökonomische 66
– philosophische (siehe auch transzendentale; Philosophie) 90, 187, 189, 198 f., 203F, 210, 211F, 214, 224, 268, 270, 291, 293F, 295, 299, 308, 309, 314, 316 f. – Prinzipienreflexion 339 – rationale 29F – transzendentale/transzendentalphilosophische (siehe auch Transzendentalphilosophie) 19, 22 ff., 28 f., 29F, 31 f., 56F, 57, 81, 124F, 149F, 158 f., 163F, 193, 196, 208F, 209, 217, 292F, 294, 305F, 317, 326F – Tugendreflexion 56F – wirtschaftsethische 59, 67, 73 – wissenschaftliche 16F, 43, 56, 102, 150, 230, 246, 338 f. Reflexionsabsicht 223 Reflexionsausdruck 267, 288F Reflexionsform 35, 60 Reflexionsinhalt 82, 230 Reflexionskompetenz 338 Reflexionsleistung 275 Reflexionsnotwendigkeit 111 Reflexionsvermögen 200 Regel(n) 16, 22F, 62, 71, 105 f., 107F, 108 f., 110F, 113, 116 f., 119F, 122F, 123, 125F, 126, 131, 137, 147, 147F, 148 ff., 182, 208F – der Vernunft 181F – Handlungsregeln 105 f., 175F, 195, 324 – juridische 31F – moralische 31F, 103, 123, 125F – rechtliche 31F, 73 – rechtsstaatliche 71 – Spielregeln 108F, 122 Regelbezüge 232F Regelung(en) 71, 71F, 92F – Rahmenregelungen 87, 124 Regelungsebene 105 Regelungsinhalte 124 Regelungskonflikt 150 Regelungsprobleme 125
Sachregister Regelwerk 85 Regulativ, das/regulativ 46, 49 ff., 54 f., 57, 72, 78, 80, 86F, 93 ff., 141 – regulative Idee 43 ff., 47, 49, 50F, 51 f., 55, 58, 68, 74, 78 f., 94, 107, 110 f. – regulative Orientierung 47, 53, 91 – regulatives Ideal 49 f., 52, 52F, 54 ff., 54F f., 55F, 56F, 72, 78 f. Relation 170F Relationsbegriff 244 Relationslosigkeit 170, 294F Relationsstruktur 172 Relativismus 39, 351L Religion 348L – religionssoziologisch 248 f., 256 Religionslehre 345L, 352L Religiosität/religiös 209F, 220, 226, 248, 249F, 250, 252 ff., 263F, 328, 332, 334 Rentabilität 348L Restriktion(en) 135, 238 f., 238F, 241 – Zusatzrestriktionen 130 Rollentausch 44 ff., 46F, 69 – ideeller 46 f., 69 ff. – universeller 43 ff., 49, 68, 93 Rollentauschprinzip 50 Rollentauschverantwortung 73 Rollentauschverfahren 46F, 68, 81, 82 Sachlogik – ethikfreie 68 – wirtschaftliche/ökonomische 34, 60, 67, 89F Sachzwang 87 Sanktion(en) 93 – formelle/Sanktionierung 29F, 30 – informelle 29F – sanktionsbewehrt 92F, 105 Sanktionierung 30, 92 f. Sanktionsmacht 318 Sanktionsmittel 93 Schutz – durch institutionalisierte Regeln 131
371
– Naturschutz/Umweltschutz 15, 101, 349L – persönlicher Freiheit/Integrität 124 – vor ökonomischer Überformung 333 – vor staatlicher Bevormundung 332 Selbstbehauptung 69, 81 f., 347L Selbstbeschränkung/Selbstbegrenzung 69, 236 f., 236F – im privaten Wirtschaftshandeln 70, 79 f. – persönliche 70 – vernunftethische 81 Selbstbestimmung 141, 180F, 187, 204, 258 f., 263 ff., 264F, 267 f., 270 ff., 277, 294F, 295, 297 f., 298F, 299, 299F, 303, 305, 316 f., 319, 322F, 323, 325, 330 – kollektive 277 – menschliche 258, 264 selbstbewußt 278F Selbstbewußtsein 294, 294F, 297F, 299F, 344L Selbstbindung – kollektive 106, 135, 138F – wirtschaftsbürgerliche 69, 69F, 70, 80 Selbstgesetzgebung 195, 205F, 206, 209, 214 f., 219, 221, 314 Setzen – des ICH durch sich selbst 19F, 292F, 293 f., 301 – In-Beziehung-Setzen 227 Sinn 49, 64, 80, 147, 153, 167, 186, 239F, 254, 346L – haptischer 307 – praktischer 40 f. Sinnenwelt 278F, 289F, 305, 306F, 316 ff., 322F, 326F, 349L Sinnlichkeit/sinnlich 201F, 285 f., 305 ff., 326, 333 – sinnliche Affektion/Affizierung 199 ff., 210, 212 f., 215
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Sachregister
Sitte(n) 56F, 57F, 187F, 188, 211F, 347L, 348L Sittengesetz/sittengesetzlich 55F, 177F, 195, 201 f., 210, 214 ff., 215F, 266F, 278F, 279F, 314 Sittenlehre 306F, 344L Sittlichkeit 26, 30F, 31F, 119F, 177, 177F, 187F, 188 ff., 192F, 193 ff., 199F, 200 ff., 202F, 203F, 204, 207 ff., 211, 211F, 215, 243F, 255, 281 – als Formalprinzip 199 – als positiv-willentlich vollziehbares Prinzip 208 ff. – als praktischer Vollzug 173 ff. – formale 215 f. skeptisch 170 Skeptizismus 163 f., 163F, 167, 211 – ethischer Skeptizismus 43 Solidarität 116 ff., 155 Solipsismus/solipsistisch 120F, 198F Sollen, das 38 f., 41 f., 43F, 56F, 192, 219 Sollensforderung 90F, 211 ff., 218, 220 Sollensmoralität 218F Sozialphilosophie 351L Sozialpolitik 334 Sozialstaat 334 Spekulation – metaphysische 265 – philosophische 291, 308 – willkürliche/irrationale 253, 308 Spekulationsmentalität (im ökonomischen Sinne) 70 Spielregeln 122 – des gesellschaftlichen Zusammenlebens 108F Spieltheorie/spieltheoretisch 23, 127 f., 130F, 251F, 283F Sprachpragmatische Wende der Philosophie 46 Sprechsituation, ideale 55F Staat(en) 22F, 311, 346L
Staatsapparat 177 Staatsphilosophie 348L Staatsräson 22F Staatsrecht 93 Staatswissenschaft 345L Standpunkt 40, 43, 53, 55F, 81, 97, 118, 120 f., 124, 145 f., 162, 167 f., 176, 195, 213, 216, 219, 220 f., 227, 271, 278F, 286 ff., 297F, 326, 326F – der Moral/moralischer 40F, 41 f., 47, 49, 59F – wirtschaftsethischer 118 Strafe 318F – Haftstrafe 120 Strafrecht 93, 348F Subjekt(e) – Bedürfnissubjekt 235F, 237, 238F, 239, 241 – Handlungssubjekt 194, 197, 238F, 240, 246 – Moralsubjekt/moralisches 25, 38F, 40 f., 45 f., 46F, 50, 51F, 56 f., 56F, 68, 119, 217, 243F, 314 f., 323, 336 – Rechtssubjekt 94, 96, 318F, 326 – Vernunftsubjekt 29, 56F, 169F, 220 f., 310 – Wirtschaftssubjekt 46 f., 49, 65, 66F, 67 ff., 75 ff., 79 ff., 83F, 84 ff., 86F, 92F, 95, 100, 115, 121 f., 131 f., 131F, 142, 250F, 255 Subjektivität – individuelle 119, 244, 317 – private 95 Substanz(en) 155F, 302, 324 Substanzgedanke 155F Synthese 296, 298F, 301, 306, 309 – synthetisch 213, 292, 295 f., 300, 302 f., 304F, 305, 308 System 24, 26, 34 f., 57, 71, 73, 77 f., 80, 85, 87 f., 98, 121, 130F, 142, 155F, 162F, 226, 249, 254, 256, 273, 315 f., 318 ff., 323, 325, 327, 329 ff., 334 f., 338, 340, 344L, 349L – philosophisches 181F, 294 System und Lebenswelt 77 f., 77F, 226
Sachregister Tathandlung 19F, 293 f., 294F, 297, 297F Tätigkeit(en) 54F, 71 f., 78, 153, 238F, 259F, 263F, 294F, 298F, 307 Tausch (siehe auch Vorteilstausch) 73, 96, 231, 258, 270 f., 270F, 277, 315, 317, 320F Tauschakt 231F, 326F Tauschbeziehung 315, 326 Tauschlogik 142, 143, 328 Tauschpartner 270 Tauschprinzip 86, 96 Tauschsubjekt 231F Tauschsystem 327 f. Tauschvorgang 243, 270, 320F, 321, 328 Tauschwerte 231F Teleologie/teleologisch 146, 261F, 269F theoretisch 16F, 28 f., 29F, 38F, 46F, 78F, 100 ff., 105F, 107, 112, 118, 125 ff., 132 f., 135, 147 ff., 149F, 150, 152 ff., 157, 162 f., 162F, 166, 168 f., 172 ff., 172F, 174F, 175F, 178 ff., 178F, 184F, 185 ff., 189 f., 194F, 196, 207 f., 208F, 219, 221, 225, 228 f., 231 ff., 235F, 242, 245 ff., 255 f., 262, 267, 267F, 269 f., 277, 278F f., 288F, 294, 320 ff., 325, 349L Theoretische, das 147, 150, 152 ff., 166, 172, 175, 349L Theorie (siehe auch theoretisch; Theoretische, das) 28F, 29, 111, 126 f., 147 ff., 154F, 158F, 162F, 163, 168, 169, 174F, 175, 176, 190, 231, 234, 234F, 247, 259, 263F, 292F, 345L, 346L, 348L, 349L – der Demokratie 108 – der Gesellschaft siehe Gesellschaftstheorie – der historischen Genese 134 – der Moral 23F – der Unternehmung 64, 100 – des guten Lebens 262F – des Ökonomischen 223
373
– des philosophischen Arguments 171 – Erkenntnistheorie siehe Erkenntnistheorie – ethische 28F, 194F – Homannscher Theorieaufriß 114 – ökonomische 32F, 63, 64F, 66F, 228F, 231, 240, 261, 343L, 345L, 347L, 350L, 351L – Struktur von ~ 168 – und Ethik (siehe auch Ethik) 343L, 347L, 350L Theorieansatz 283F Theoriebildung 16F, 162F, 163F, 174F, 242F Topologie 36, 84, 348L Totalität 240 f., 245, 258F, 273, 322 Totalitätsbetrachtung 241F, 245 Tradition 186F, 229 – aristotelische 261F – aristotelisch-thomistische 178F – kantische 37 f., 125F – philosophische 176 Transformation 180, 346L – der ökonomischen Logik/Rationalität/Vernunft 60 f., 61F, 77, 84 ff., 91, 316, 340, 351L – der Philosophie 46F, 342L Transzendentalphilosophie/transzendentalphilosophisch 19, 23, 28, 47F, 56F, 146, 163F, 170F, 196, 206F, 208F, 217, 292, 292F, 294F, 297F, 317, 306, 337 Transzendentalpragmatik/transzendentalpragmatisch 42 f., 42F, 46F, 158 f., 342L, 347L Triebfeder 100, 210, 210F, 211F Tugend 261F – tugendethisch 116 – tugendhaft 202F Tugendforderungen 92F Tugendproblematik 261F Tugendreflexion 56F Tugendzumutungen 92F
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Sachregister
Überindividualität/überindividuell siehe Individualität unendlich 155F, 156, 236 f., 237F, 293F, 303F, 308 Unendlichkeit 237F, 288, 288F Ungleichgewicht 15 – ungleichgewichtige Verteilung 340 Universalisierungsgrundsatz 47 Universalisierungsprinzip 44, 49 Unmoralität siehe Moralität Unternehmen (siehe auch Unternehmung) 21F, 101, 106, 107F, 122F Unternehmensberatung 328, 348L Unternehmensethik (siehe auch Ethik) 25, 25F, 36, 122F, 345L, 346L, 347L, 348L, 350L, 351L – kulturalistische 345L Unternehmensverfassung 106, 107 Unternehmer 250F, 343L – unternehmerische Entscheidung 25F – unternehmerische Handlungen 101 – unternehmerischer Gewinn 88F, 343L Unternehmung 64 Urteil 161, 170F, 174F – apriorisches 55F – moralische Urteilskompetenz 266F – moralisches 16, 53, 267F, 321F Urteilsenthaltung 267F Utilitarismus/utilitaristisch 88F, 174F, 175F, 252 ff., 253F, 261, 344L, 346L Verantwortbarkeit 69, 91 Verantwortbarkeitsdiskurs 72 Verantwortung 25, 25F, 52, 53F, 194, 210, 315 f., 347L – moralische 30F, 71, 71F, 107, 122, 194, 352L – wirtschaftsethische 80 Verantwortungsethik (siehe auch Ethik) 49F, 40F, 52 f., 78F, 146, 342L
Verbindlichkeit 26, 26F, 30F, 38, 40 ff., 40F, 44, 105, 108, 140F, 147F, 173, 179F, 214F, 254, 262, 285F – moralische 38F, 41 f., 91 f., 92F, 174F, 264, 266, 267F, 314 – normative 42, 42F, 93, 208F, 258, 315 – rechtliche/Rechtsverbindlichkeit 29F, 92 f., 92F, 94 f. – zwischenmenschliche 68 f. Verbrechen 265, 290F, 318 Verfahren 27, 45 ff., 49F, 56, 164 f., 173, 174F, 176, 205, 206F, 221, 240, 294F – logisches 28 – rationales 27 Verfügungsrechte 96F, 124, 132 Verhalten 23 f., 37, 69 f., 100 f., 105 f., 116, 148, 152, 232F, 234, 235F, 250, 252, 278F – altruistisches 23F – menschliches 234, 278F, 279F – moralisches 23, 24F, 98 f., 101, 104, 122 – Rationalität des Verhaltens 242F Vernunft 35F, 40 ff., 43F, 55F, 59 ff., 74, 82, 84, 87, 88F, 99, 111, 119F, 134, 154F, 170F, 172F, 175F, 181F, 197F, 201, 205F, 208F, 209, 215, 219, 221, 261F, 289F, 293, 294F, 311, 314, 316 f., 319, 325, 330, 342L, 343L, 345L, 348L, 351L – Faktum der ~ 201 f., 212 f., 215 ff. – menschliche 37, 62, 170F, 210F – moralische 90 – ökonomische (siehe auch Rationalität, ökonomische) 34, 34F, 59 f., 67, 74, 89 f., 90F, 260, 351L – praktische 43F, 60, 90 f., 90F, 172F, 186, 187F, 201F, 202F, 294F, 347L – reine 192F, 347L – theoretische 111, 175F, 189, 192 Vernunftethik/vernunftethisch/ethische (siehe auch Ethik) 28F, 37, 40 f., 40F, 42F, 43 f., 43F, 59 f., 59F, 61F,
Sachregister 62 f., 67, 67F, 68, 70, 73 f., 77 f., 80 ff., 89F, 90 f., 103F, 104, 140, 142 Vernunftethik des Wirtschaftens (siehe auch Ethik) 36, 58 f., 59F, 62 ff., 66F, 67 f., 73 f., 80, 82 Vernunftstandpunkt 55F, 294 Verpflichtetheit 267, 309 f., 313 f. Verpflichtung 42F, 86, 86F, 102, 106F, 136, 184, 251, 309 ff., 338, 338F – autonome Selbstverpflichtung 93, 264 – moralische 38, 46, 92 ff., 140F, 264, 264F, 309F, 314 – normative 185 Verständigung 52, 53F, 54, 57, 62, 64, 73, 75, 78 f., 82 f., 90, 94, 125, 127, 133 f., 141 f., 258, 283, 314 f. – argumentative 28F, 44F, 45 f., 48 – diskursive 46, 72 Verständigungsorientierung/verständigungsorientierte Einstellung 51F, 71 f., 76 f., 80F, 81 f., 83F, 85 f. Verteilung 340 – Vorteilsverteilung 140F Verteilungsfrage 117 Verteilungsproblem 346L, 350L Vertragstheorie(n)/vertragstheoretisch 124 f., 124F, 125F, 134, 208F, 283 Vertrauen 220 Verurteilung 17, 267F – Vorverurteilung 57 Verwechseln 302 Vetorecht 124F, 138 Vollzug/Vollzugsleistung 11I, 19F, 168, 170 ff., 175 f., 180 f., 187, 190, 194 ff., 220 f., 243F, 261F, 267 f., 271 f., 293, 298, 298F, 307, 309, 323 – Freiheitsvollzug 184, 187 f., 193, 197 f., 217, 220 ff., 272, 276, 298, 298F, 317 – Handlungsvollzug 241, 300 – Lebensvollzug 219, 221, 243F, 292F – Nachvollzug 169 – Selbstvollzug 294, 297 ff.
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– Wertungsvollzug 119, 149, 153 f., 166 ff., 175 – Willensvollzug 187, 199, 214, 216 Vorteilstausch (siehe auch Tausch) 73, 77F, 85 ff., 96F, 142 Wahrhaftigkeit 56F, 57F Wahrheit 153, 157 f., 158F, 163, 165, 169F, 170F, 171 f., 189, 197F – Idee der ~ 158 – Konsenstheorie der ~ 110F Wechsel 52F, 236, 303 Wechselwirkung/wechselwirkend 229, 289F, 304, 305F, 308 f., 311 f., 317, 324 – synthetische 304F Welt 15 f., 54, 55F, 65, 88, 103, 149F, 155F, 187F, 188, 191, 195, 209, 230, 234 f., 235F, 238, 242, 244, 247, 249, 252, 255 f., 259, 266F, 278F, 281F, 300, 315, 320, 333, 340 – empirische 31F, 55, 55F, 56F – objektive 238F – reale 149F, 157, 196, 234, 238, 238F, 270 f., 274, 277 f., 308 Weltanschauung(en) 113, 249F Wert(e) 34, 63, 63F, 149 f., 149F, 150F, 159, 168, 177, 181, 182F, 184 f., 184F, 194, 194F, 202, 203F, 204, 213, 251, 284 f., 290F, 308, 310, 318, 325 f., 330 f., 335 ff. Wertschöpfung 58, 63 ff., 67 f., 74 ff., 80, 83 Wesen 179, 184, 204 f., 212, 214, 218F, 259, 307, 317 – freies 275, 278 f., 281 f., 308, 317, 318F, 323 – qualitatives 171 – sinnliches 291 – vernünftiges 172, 191F, 195, 209 f., 214, 215F, 218F, 259F, 260, 261F, 263F, 265, 272, 314 f. Wettbewerb 24F, 85, 99 ff., 107F, 118, 250, 327, 329F, 332, 346L – Dilemmastruktur des ~s 118
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Sachregister
– Effizienzfunktion des ~s 85 – Hyperwettbewerb 346L – ökonomischer 98 – Voraussetzung von ~ 101 – Wirkung des ~s 329 – Zwang zum ~ 330F Wettbewerber 100 Wettbewerbsbedingungen 101, 104 f., 122 Wettbewerbsdruck/Druck des ~s 100, 105, 105F, 331 Wettbewerbsdynamik 330 Wettbewerbserhaltung 85 Wettbewerbskampf 21F Wettbewerbslogik/Logik des ~s 327, 329, 331 Wettbewerbsordnung 86F Wettbewerbspolitik 84 f., 86F Wettbewerbssystem 255 Wettbewerbswirtschaft 54 Wettbewerbszwang 142 f., 332, 335 widerrechtlich 93F Wille (siehe auch Wollen) 39F, 40, 132, 178F, 180F, 180 f., 182F, 186F, 187, 189F, 191 f., 199 f., 204 ff., 210, 210F, 294F – böser 132 – formaler 182 – guter 39, 92, 111, 119, 121, 122F, 128, 188, 198, 210, 210F, 212, 267F, 319 – heiliger 212 f., 215 f. – Prinzip des ~ns 200 Willensfreiheit 284 Willenshaltung (siehe auch Haltung; Geisteshaltung) 128, 211, 255, 273, 310 f., 314 ff., 321, 324 f., 338F, 341 Willkür 57F, 127 f., 201, 245, 266, 268F, 280, 284, 309 Willkürfreiheit 31 Willkürlichkeit 230, 323F – Nicht-Willkürlichkeit 57F, 267, 310 Willkürlich-Subjektive, das 57F
Willkürvermögen 200, 202, 212 f., 215 Wirtschaft (siehe auch Ökonomik) 20, 63, 63F, 64F, 66 ff., 76, 82, 85F, 86 f., 98, 100 ff., 116, 118, 143, 224 f., 228 ff., 235F, 246, 249, 254, 259, 278, 313, 319 ff., 322F, 323 f., 327, 331, 335 ff., 346L, 349L, 352L – als System 98, 254, 319, 331, 335 Wirtschaften, das 34, 63, 69 – durchkalkuliertes 329 – effizientes 348L – vernünftiges 58 Wirtschaftsakteure 58, 78, 250F Wirtschaftsbürger 69 f., 72, 79, 87, 95 – wirtschaftsbürgerlich 69 f., 69F, 80 Wirtschaftsbürgerethik (siehe auch Ethik) 36 Wirtschaftsbürgerrechte 95F Wirtschaftsethik (siehe auch Ethik) 15 ff., 20F, 21F, 22F, 22 f., 24F, 25F, 28F, 29, 30F, 31F, 32 ff., 36, 46 f., 52, 54, 58 ff., 59F, 65 ff., 71F, 72, 77F, 78, 82 f., 85, 89, 89F, 92F, 96 ff., 98F, 103 ff., 104F, 105F, 108, 108F, 110F, 115 ff., 117F, 122 f., 122F, 131 ff., 140 ff., 144 f., 174F, 177F, 221, 223, 243F, 257 f., 258F, 260 ff., 264 f., 266F, 274 ff., 278, 312 ff., 319, 321, 328, 334 ff., 344L, 346L, 347L, 348L, 349L, 350L, 351L – aristotelische 259 – Gartenzaunmodell der ~ 62, 70, 77 – integrative 17, 33 ff., 43, 47, 58, 59F, 61F, 62 f., 65, 67, 69, 75, 77F, 80 f., 81F, 84, 91, 96, 142 ff., 319, 326F – korrektive 35, 59 f., 74, 84 – Möglichkeit von ~ 15, 17, 32, 145, 221, 257, 260, 313 – wissenschaftliche 145 Wirtschaftsethiker 22 Wissenschaft(en) 22, 26, 61, 99, 110, 118, 121, 128, 134F, 147F, 148F, 193, 207, 224 f., 229 f., 232, 235,
Sachregister 246 f., 269F, 279F, 332, 338, 344L, 345L, 346L, 347L, 348L, 349L, 350L – ökonomische (siehe auch Ökonomik) 27, 59, 59F, 66F, 88, 90, 232F Wissenschaftsgeschichte 332F Wissenschaftslehre 166F, 175F, 206F, 292F, 293, 293F, 294F, 297F, 306F, 344L, 349L Wohlfahrt 24, 24F, 32F, 99 – allgemeine 99 – (gesamt)gesellschaftliche 24, 24F Wohlfahrtsökonomik 32F Wollen (siehe auch Wille) 119, 123, 178 f., 181, 181F, 186, 188, 189F, 192, 198, 202, 220, 222, 244 f., 245F, 252, 255, 266 ff., 281F, 317 f., 322, 333 – menschliches 223 f., 232 ff., 233F, 236, 246 f., 256, 258 – moralisches 38 f., 41 f., 318 Würde 37, 39, 139, 215, 216F, 218F, 219F, 221, 231F, 315 Zwang 27, 93, 119, 149, 183, 255 f., 311, 318, 318F, 325, 327F, 329, 330F, 331 – Wettbewerbszwang 142 f., 332, 335 Zwangsandrohung 184
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Zwangsbewährung 95 Zwangscharakter (des Rechtes) 93 Zwangsgesetze 318F Zwangsintegration 327, 329 Zwangslage 329 Zwangsmechanismus 94, 250 Zwangsmittel 93 Zweck 47, 65, 86, 137, 139 f., 179 ff., 186, 186F, 189, 232F, 245F, 251, 259, 262, 264F, 265, 269F, 281, 300, 303, 304F, 307, 322 – formaler 239 – materialer 239, 241F – zweckfrei/Zweckfreiheit 328, 331 ff., 333F Zweck-Mittel-Zusammenhang 137, 179, 251 Zweckorientierung 89, 256 Zwei-Welten-Konzeption 60, 84, 87 Zwischenmenschlichkeit 40, 77F Zumutbarkeit 69, 81 f., 82F, 91 Zumutbarkeitsbedingung(en) 82 f., 92F Zumutbarkeitsdiskurs 47, 53, 72, 72F Zusammenleben 36, 64, 108F, 123, 140, 183, 250, 268, 289, 323 f., 327