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German Pages 138 Year 2019
Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Band 237
Neue Wege in der Finanzkontrolle Beiträge zur Tagung der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Herausgegeben von
Hermann Hill und Holger Mühlenkamp
Duncker & Humblot · Berlin
HERMANN HILL/HOLGER MÜHLENKAMP (Hrsg.)
Neue Wege in der Finanzkontrolle
Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Band 237
Neue Wege in der Finanzkontrolle Beiträge zur Tagung der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften
Herausgegeben von Hermann Hill und Holger Mühlenkamp
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH Printed in Germany ISSN 2197-2842 ISBN 978-3-428-15622-1 (Print) ISBN 978-3-428-55622-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85622-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Welt hat sich verändert! Im modernen Management hat sich dafür der Begriff VUCA eingebürgert (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (Mehrdeutigkeit)). Vor allem die Digitalisierung bringt mit Big Data, Vernetzung und Echtzeit-Rückkopplungen neue Herausforderungen für das Verwaltungshandeln. Dies hat auch Auswirkungen für die gesetzliche Programmierung und die Kontrolle durch Gerichte und Rechnungshöfe. Zum ersten Thema fand am 18. / 19. Mai 2017 eine Tagung der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Zusammenarbeit mit dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages im Bundestag in Berlin statt. Die Ergebnisse sind in Hermann Hill / Joachim Wieland (Hrsg.), Zukunft der Parlamente – Speyer Konvent in Berlin, Duncker & Humblot, Berlin 2018 dokumentiert. Zum zweiten Thema haben wir am 6. / 7. März 2018 in Speyer eine Tagung „Neue Wege in der Finanzkontrolle“ veranstaltet. Dieser Band enthält überarbeitete Referate aus dieser Tagung. Daran nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus dem Europäischen Rechnungshof, dem österreichischen und dem schweizerischen Rechnungshof, aus dem Bundesrechnungshof und verschiedenen Landesrechnungshöfen sowie von kommunalen Prüfbehörden teil. Der Band enthält aktuelle und zukunftweisende Berichte und Denkanstöße zur Arbeit der Rechnungshöfe. Damit wollen wir über die Tagung hinaus eine breitere Diskussion möglicher Zukunftsperspektiven anregen. Wir danken Herrn Timon Hölle, Master of Public Administration, für die organisatorische Betreuung bei der Tagung und die redaktionelle Bearbeitung des Bandes.
Speyer, im Juli 2018
Hermann Hill Holger Mühlenkamp
Inhaltsverzeichnis Holger Mühlenkamp Einführende Überlegungen zur Finanzkontrolle durch Rechnungsprüfungs behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Jan Fasswald und Frank Scherwa Digitalisierung der Verwaltung – Auswirkungen auf die Prüfung . . . . . . . . . 25 Andreas Utsch Vergleichende Prüfung bei Kommunen in Rheinland-Pfalz „Leichter gesagt als getan“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Ulrich Keilmann und Felix Volk Vergleichende überörtliche Prüfung in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Karl-Heinz Binus Peer Review als Mittel zur Verbesserung von Effektivität und Effizienz der Finanzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Brigitte Mandt Die Finanzkontrolle in den Ländern durch Rechnungshöfe . . . . . . . . . . . . . . . 77 Gunnar Schwarting Risikomanagement und risikoorientierte Prüfung in Kommunen . . . . . . . . . . 95 Hermann Hill Prüfung situativ-experimentellen Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Harald Ebner, Anna Rossoll und Liane Stangl Neue Wege in die Finanzkontrolle: Prüfung wirkungsorientierten Verwal tungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Einführende Überlegungen zur Finanzkontrolle durch Rechnungsprüfungsbehörden Von Holger Mühlenkamp
I. Einführung Ziel dieses Beitrags ist eine Skizze der Funktionsweise, des Gegenstandes und der Notwendigkeit der Finanzkontrolle, wobei der Ausbildung des Verfassers geschuldet die ökonomische Perspektive im Vordergrund steht. „Finanzkontrolle“ meint die Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftsführung administrativer und wirtschaftlicher Einheiten im öffentlichen Sektor durch im Idealfall unabhängige Organe. Organe bzw. Träger der Finanzkon trolle sind die Rechnungsprüfungsbehörden. Dies meint in Deutschland zum einen den Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe, die für die Prüfung von Bund bzw. Ländern zuständig sind. Auf kommunaler Ebene ist zwischen der örtlichen und überörtlichen Prüfung zu unterscheiden. Die örtliche Rechnungsprüfung erfolgt im Regelfall durch die kommunalen Rechnungsprüfungsämter, während die überörtliche Prüfung – je nach Bundesland – entweder von den Landesrechnungshöfen, speziellen überörtlichen Prüfungseinrichtungen oder speziellen Abteilungen in der Landesverwaltung wahrgenommen wird.1 Die Prüfergebnisse der Rechnungshöfe und der überörtlichen Kommunalprüfung werden regelmäßig mittels sog. Bemerkungen und (Kommunal-)Prüfberichten u. ä. publiziert. Darüber hinaus erscheinen zumindest auf Seiten der Rechnungshöfe anlassbezogene Veröffentlichungen wie Sonder- oder Beratungsberichte. Die genannten Publikationen stehen Regierung, Parlament / Gemeinderat und der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Ergebnisse der örtlichen kommunalen Rechnungsprüfung sind dagegen üblicherweise an Bürgermeister / Gemeindevorstand und Gemeinderat adressiert. Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Im Folgenden, zweiten Abschnitt wird der Begriff der „Finanzkontrolle“ den Begriffen „Überwachung“ und „Kon trolle“ gegenübergestellt. Im dritten Abschnitt erfolgt eine Skizze der Rolle der Finanzkontrolle im Rahmen des Haushaltskreislaufs. Abschnitt 4 hat den Gegenstand der Prüfung / Finanzkontrolle zum Gegenstand. Die Notwendig1 Zur
kommunalen Finanzkontrolle vgl. Glöckner / Mühlenkamp (2009).
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keit der Finanzkontrolle und insbesondere auch der Wirtschaftlichkeitskontrolle wird im fünften Abschnitt behandelt. Der sechste und letzte Abschnitt skizziert die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen der Finanzkontrolle 1. Zum Begriff der Finanzkontrolle Der Begriff „Finanzkontrolle“ wurde erstmals 1985 in § 1 Satz 1 des Gesetzes über den Bundesrechnungshof (Bundesrechnungshofgesetz – BRHG) kodifiziert.2 Um eine sprachliche Konfusion, die gerade dann droht, wenn verschiedene Disziplinen – wie hier Recht und Wirtschaftswissenschaften – aufeinandertreffen, zu verhindern, ist dieser Begriff näher zu spezifizieren. In der Betriebswirtschaftslehre wird im vorliegenden Kontext zwischen „Überwachung“, „Prüfung“ und „Kontrolle“ unterschieden (vgl. Abb. 1).3 Überwachung ist der Oberbegriff, unter den Prüfung und Kontrolle subsumiert werden. Überwachung meint in allgemeinster Form, die Beurteilung von Soll-Zuständen im Vergleich zu Ist-Zuständen, mit dem Ziel, Soll- und Ist-Zustände in Übereinstimmung zu bringen. Bei Überwachung handelt sich also um eine Abweichungsanalyse, die in Hinblick auf Zeitpunkt, Häufigkeit, Anlass, Zielsetzung, Durchführende etc. sehr unterschiedlich erfolgen kann und auf die Einhaltung / Erreichung von Soll-Zuständen hinwirken soll. Eine Prüfung kann extern (z. B. durch Wirtschaftsprüfer oder Rechnungsprüfungsbehörden) oder intern (z. B. durch die Innenrevision) erfolgen. Entscheidendes Merkmal der Prüfung ist die Unabhängigkeit der Prüfer, d. h. der oder die Prüfer sind nicht in den zu überprüfenden Prozess involviert und nicht für das Prozessergebnis verantwortlich. Eine Prüfung liegt vor, wenn eine Überwachungsaktivität nicht fest in den Arbeitsablauf integriert ist und der Prüfer nicht für das Ergebnis des überwachten Arbeitsprozesses verantwortlich ist. Für die Überwachungshandlung und das Überwachungsergebnis dagegen trägt der Prüfer Verantwortung. Prüfer werden in diesem Kontext als unabhängige (nicht weisungsgebundene), nicht am Ist-Zustand beteiligte Dritte bezeichnet.4 In den Haushaltsordnungen (z. B. §§ 88 ff. BHO), den Gemeindeordnungen und Kommunalprüfungsgesetzen ist regelmäßig von einer Prüfung (durch die Rechnungsprüfungsbehörden) die Rede. Eine Kontrolle erfolgt intern. Dabei ist die kontrollierende Person in den zu überwachenden Prozess eingebunden bzw. für den Prozess und damit den Ist-Zustand verantwortlich. Die mit der Kontrolle beauftragten Personen sind Reus / Mühlhausen (2010), S. 2. z. B. Eichhorn (1980), Baetge (1993) u. Küting / Busch (2009). 4 Vgl. Eichhorn (1980), S. 23. 2 Vgl. 3 Vgl.
Überlegungen zur Finanzkontrolle durch Rechnungsprüfungsbehörden11
Überwachung
(unabhängige) Prüfung
extern durch • Wirtschaftsprüfer, • Rechnungshöfe, • etc.
intern durch Innenrevision
(abhängige) Kontrolle
intern durch • Controlling, • internes Berichtswesen
innerbetriebliches Überwachungssystem Quelle: In Anlehnung an Eichhorn (1980), S. 25.
Abb. 1: Terminologie – Überwachung, Prüfung und Kontrolle
zudem regelmäßig weisungsgebunden und können anders als Prüfer die Art und Weise sowie den Gegenstand der Kontrolle wenigstens nicht vollständig nicht in eigenem Ermessen bestimmen. Interne Kontrolle und interne Prüfung bilden das interne bzw. innerbetriebliche Überwachungssystem. Wenn nun die Tätigkeit der Rechnungshöfe als „Finanzkontrolle“ bezeichnet wird, steht dies in Widerspruch zum betriebswirtschaftlichen Verständnis der Kontrolle, denn die Rechnungshöfe überwachen extern sowie unabhängig und frei.5 Rechnungshöfe sind also im betriebswirtschaftlichen Sinne keine (abhängigen) Kontrolleure, sondern (unabhängige) Prüfer. Am ehesten könnte man die örtliche Prüfung auf kommunaler Ebene durch die kommunalen Rechnungsprüfungsinstitutionen als „Kontrolle“ bezeichnen, weil die örtliche Rechnungsprüfung regelmäßig zumindest nicht völlig frei in Hinblick auf das Ausmaß der Überwachung (in Hinblick auf Wirtschaftlichkeit) ist. 2. Die Stellung der Finanzkontrolle im sog. Haushaltskreislauf Die Finanzkontrolle übernimmt im Kern die Überwachungsfunktion, die in der Betriebswirtschaftslehre Bestandteil des sog. Managementkreislaufs und 5 Vgl.
Reus / Mühlhausen (2010), S. 2.
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im öffentlichen Sektor Teil des sog. Haushaltskreislaufs ist. Beiden ist die logische Abfolge Zielsetzung, Planung, Realisation und Überwachung immanent: Zunächst müssen die Ziele einer betrieblichen Einheit6 definiert werden, um im nächsten Schritt geeignete Maßnahmen und notwendige Budgets planen und aufstellen zu können. Die verbindlich vorgegebenen Maßnahmen und Budgets liefern die Sollwerte für die nachfolgende Umsetzung im vorgegebenen Zeitrahmen (Realisationsphase). In der abschließenden Überwachungsphase werden abstrakt betrachtet die Soll-Vorgaben mit den tatsäch lichen Ergebnissen in der Realisationsphase (Ist-Werte) abgeglichen (vgl. Abb. 2). Im Falle einer Übereinstimmung oder geringfügigen akzeptablen Abweichung wird die Einhaltung der Soll-Werte bestätigt. Daraus können z. B. Empfehlungen zur Entlastung der für die Realisation Verantwortlichen abgeleitet werden. Liegen dagegen Soll- und Ist-Werte in einem nicht akzeptablen Ausmaß auseinander, kann dies einerseits wiederum Auswirkungen auf die Empfehlungen der (Nicht-)Entlastung haben. Zum anderen bietet sich die Analyse für die Ursachen der Abweichungen an. Diese Analyse kann Empfehlungen für zukünftiges Verhalten (z. B. in Hinblick auf Fehlervermeidung7) liefern. Dies betrifft grundsätzlich alle Phasen des Management- bzw. Haushaltskreislaufs. Soll-Ist-Abweichungen können nicht nur aus der Realisationsphase resultieren, sondern auch durch Fehler oder unrealistische Vorgaben in der Planungsphase oder der Zielsetzung bedingt sein. Daher können sich Empfehlungen nicht nur auf Umsetzung, sondern auch auf Planung und Zielsetzung erstrecken. Sollwerte
Zielvorgabe
Haushalts- und Maßnahmenplanung
Sollwerte
Budget- und Maßnahmenvollzug
Istwerte
Überwachung (Soll-Ist-Vergleich)
Rückkopplung bei nicht akzeptierten Soll-Ist-Abweichungen
Quelle: In Anlehnung an Baetge (1993), S. 177.
Abb. 2: Finanzkontrolle als Regelkreis
6 Betriebe kombinieren Produktionsfaktoren (im einfachsten Fall Arbeit und Kapital) zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen, die nicht für den Eigenbedarf bestimmt sind. Ferner unterliegen sie dem Wirtschaftlichkeitsprinzip und der Notwendigkeit eines finanziellen Gleichgewichts (Liquidität). All dies trifft (auch) für Verwaltungen zu. 7 Dies entspricht der sog. Präventivwirkung der Überwachung. Darüber hinaus soll Überwachung eine Lernwirkung („Lernen aus Fehlern“) und eine Korrekturwirkung („Korrektur von Zielabweichungen, Fehlern“) entfalten.
Überlegungen zur Finanzkontrolle durch Rechnungsprüfungsbehörden13
Die Überwachung durch die Rechnungsprüfungsbehörden ist also Teil eines Regelkreises. Der Soll-Ist-Abgleich dient der Rückkopplung mit vorgelagerten Phasen. Diese Rückkopplung entspricht abstrakt der Beratung durch die Rechnungsprüfungsbehörden. Letztere beraten auf der Basis ihrer Prüf ergebnisse in Hinblick auf zukünftige Verbesserungen.8 Die Rechnungsprüfungsbehörden sind bei einer nachträglichen (ex post) Überwachung insoweit unbefangen, als sie weder an der Zielsetzung, noch an Planung und Realisation beteiligt sind. Anders ist die Situation bei einer vorherigen (ex ante) und einer begleitenden Erfolgskontrolle (Überwachung). Würden die Rechnungsprüfungsbehörden in die Planungs- und Realisationsphase unmittelbar eingebunden, würden sie letztlich ihre eigenen Empfehlungen prüfen.9 Aus gutem Grund gilt in der Jahresabschlussprüfung der Grundsatz der Trennung von Prüfung und Beratung.10. Der grundlegende Vorteil einer Beratung durch die Prüfer besteht in der Nutzung des bei der Beratung gewonnenen Wissens, welches ansonsten droht, ungenutzt zu bleiben. Der grundlegende Nachteil einer Beratung durch die Prüfer ist deren Befangenheit, wenn sie auf irgendeine Weise am Ende die Folgen ihrer eigenen Beratungstätigkeit überwachen. Grundsätzlich ist hier also eine Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen einer Beratung durch die Prüfer erforderlich. Überlegenswert ist eine Beratung durch eine andere Instanz als derjenigen, die mit der ex post-Überwachung beauftragt ist. Beispielsweise könnte eine Rechnungsprüfungsbehörde die ex ante-Beratung übernehmen und eine andere Rechnungsprüfungsbehörde die ex postPrüfung. Dabei würde die beratende Rechnungsprüfungsbehörde auf ihr Wissen aus Prüfungstätigkeiten bei ähnlichen oder gleichgelagerten Fällen zurückgreifen können.
8 Nach § 88 BHO / LHO können die Rechnungshöfe aufgrund von Prüfungserfahrungen den Bundestag, den Bundesrat, die Bundesregierung und einzelne Bundesministerien beraten. Auf kommunaler Ebene ist die Beratung eher ausnahmsweise gesetzlich verankert (so im Rahmen der überörtlichen Prüfung in § 2 des nied. Kommunalprüfungsgesetzes). 9 Genaugenommen tun sie dies sogar, wenn die Empfehlungen der ex post-Überwachung in zukünftige Planungs- und Realisationsprozesse eingehen. Dann überprüft die Rechnungsprüfungsperiode in Periode t+1 ihre Empfehlungen aus Periode t. 10 Ohne auf die Details dieser durchaus kontrovers diskutierten Trennung einzugehen, sei darauf hingewiesen, dass die §§ 319 u. 319a des Handelsgesetzbuches (HGB) de facto Ausschlussgründe für Jahresabschlussprüfer kodifizieren. Auch in den Gemeindeordnungen (z. B. § 103 Abs. 7 GO NRW) finden sich Ausschlussregelungen bei Befangenheit des Prüfers.
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3. Gegenstand / Inhalt der Prüfung Gem. § 90 BHO und den weitgehend gleich oder ähnlich lautenden Bestimmungen in den Landeshaushaltsordnungen sind die Rechtmäßigkeit, die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Auf kommunaler Ebene zählen regelmäßig nur die Prüfung der Recht- und Ordnungsmäßigkeit zum Pflichtkanon der Rechnungsprüfung. Dagegen gehört die Wirtschaftlichkeitsprüfung selbst bei der überörtlichen Prüfung zumeist lediglich fakultativ zum Prüfaufgabenkreis. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit zielt auf die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen (materielle und formelle Vorschriften und Grundsätze). Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit soll die Richtigkeit und Vollständigkeit sowie die Klarheit und Übersichtlichkeit der Aufzeichnungen gewährleisten. Die hier etwas ausführlicher behandelte Wirtschaftlichkeit meint die Einhaltung des ökonomischen Prinzips in seinen beiden Ausformungen des Maximalprinzips (in den Rechtsnormen als „Wirtschaftlichkeit“ bezeichnet) und des Minimalprinzips (in den Rechtsnormen als „Sparsamkeit“ bezeichnet).11 Allgemein ist Wirtschaftlichkeit als Relation zwischen Input und Output zu verstehen:12 (1)
Wirtschaftlichkeit =
Output 13 . Input
„Input“ steht hier als Metapher für die Mengen oder Werte von Ressourcen, die für die Erzeugung eines mengen- oder wertmäßig gemessenen „Outputs“ eingesetzt werden. Im Kontext des sog. Neuen Steuerungsmodells werden Outputs häufig als „Produkte“ aufgefasst. Diese Produkte sind regelmäßig (Dienst-)Leistungen (z. B. in Form von Verwaltungsakten), die nicht als Selbstzweck, sondern wiederum als Input in Wirkungen (Outcomes) verstanden werden können. Beispielsweise dienen Bußgelder für Falschparken der „Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs“. Unterricht und Studium haben – auch wenn dies von Bildungspolitiker(inne)n anders gesehen werden mag – nicht den Zweck der Verleihung von Abschlussurkunden, sondern der Schaffung von Humankapital (Wissen und Fähigkeiten) – etc. Vor diesem Hintergrund lässt sich Wirtschaftlichkeit durch die Relation darstellen. 11 Da für die Gebietskörperschaften wirtschaftliches Handeln haushaltsrechtlich vorgeschrieben ist, ist die Prüfung der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes genaugenommen ein Bestandteil der Rechtmäßigkeitsprüfung. 12 Genauer bei Mühlenkamp (2015), S. 6 ff. und 46 ff. 13 Man kann natürlich auch den Kehrwert Input / Output als Wirtschaftlichkeitsmaß verwenden.
(2)
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Output Outcome Outcome × = Input Output Input
Gleichung zwei verdeutlicht im Übrigen den Zusammenhang zwischen Wirtschaftlichkeit und Erfolgskontrolle.14 Unter „Erfolg“ versteht man häufig den Beitrag einer Maßnahme zur Erreichung eines (politisch vorgegebenen) Ziels. In dieser Interpretation ist Erfolg aber nichts anderes als „Wirksamkeit“. Letztere beschreibt die Relation von Wirkung (Outcome) zu Maßnahme (Output). Verknüpft man die Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme (Output / Input) mit deren Wirksamkeit (Outcome / Output), ergibt sich die Wirtschaftlichkeit der Wirkung (Outcome / Input). Bezogen auf die o. g. Beispiele würde nicht die unmittelbare Wirtschaftlich des Verwaltungsakts (z. B. Kosten pro Verwaltungsakt oder Unterrichtseinheit), sondern die mittelbare Wirtschaftlichkeit des Verwaltungsaktes (Kosten pro Einheit Verkehrssicherheit oder pro Einheit Humankapital) in den Vordergrund gestellt. Ein grundsätzliches Problem dieser an sich angebrachten Vorgehensweise ist leicht erkennbar: Output lässt sich regelmäßig leichter messen als Outcome. Das Verhältnis zwischen Recht- / Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ist nicht unbedingt spannungsfrei, aber auch nicht unbedingt gespannt. Dies hängt letztlich von der Güte der rechtlich-formalen Regeln ab. Wenn nutzlose Formalien durchgesetzt werden, ist dies der Wirtschaftlichkeit abträglich. Wenn aber Regeln beispielsweise Korruption und Nepotismus (dolose Handlungen) verhindern, dienen sie damit gerade auch der Wirt schaftlichkeit, denn Korruption und Nepotismus bewirken regelmäßig Ineffizienz. Folgt man einschlägigen Quellen, stand früher die Prüfung der Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit im Vordergrund, während heute die Bedeutung der Prüfung der Wirtschaftlichkeit ebenbürtig bzw. mindestens gleichrangig anzusehen sei.15 Dies dürfte jedoch eher für die staatliche Ebene gelten. Auf kommunaler Ebene scheint die Wirtschaftlichkeitsprüfung noch keine durchgängig gleichrangige Stellung erreicht zu haben.16 Dies mag auch daran liegen, dass die Prüfung der Wirtschaftlichkeit regelmäßig nur eine fakultative Aufgabe darstellt. Weitere Erklärungskandidaten sind, dass a) Wirtschaftlichkeit häufig schwerer zu fassen ist als Recht- und Ordnungsmä-
14 Reus / Mühlhausen (2010, S. 6) schreiben beispielsweise, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung in die Erfolgskontrolle zu integrieren sei. 15 Vgl. Reus / Mühlhausen (2010), S. 10. 16 Vgl. Binus (2006), S. 944.
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ßigkeit und b) die Feststellung von (Un-)Wirtschaftlichkeit polit-ökonomisch unerwünscht ist – wie im nachfolgenden Abschnitt erläutert.
II. Notwendigkeit der Finanzkontrolle und insbesondere auch der Wirtschaftlichkeitskontrolle Die Notwendigkeit der Finanzkontrolle könnte aus regelmäßig wiederkehrenden (Presse-)Berichten über Verschwendung im öffentlichen Sektor oder aus gängigen Klischees über das Verhalten von Politik und Verwaltung abgeleitet werden. Belastbarer als Einzelbefunde und Klischees ist eine systematische Analyse, die auf breiteren empirischen Erkenntnissen und zum anderen an den Zielen, Anreizen und Fähigkeiten der Akteure anknüpft. Daher greifen wir im Folgenden auf Rechnungshofberichte sowie im vorliegenden Kontext einschlägige wissenschaftliche Überlegungen zurück. 1. Unwirtschaftlichkeit im öffentlichen Sektor als reales Phänomen Wenngleich in öffentlichen Debatten sehr beliebt, sind Einzelbefunde mit eher anekdotischem Charakter – hier zu unwirtschaftlichem Verhalten im öffentlichen Sektor – insofern wertlos als sie ohne weiteres keine Rückschlüsse auf generelles Verhalten („Induktion“) erlauben. Eine systematische Auswertung der Erkenntnisse von Rechnungsprüfungsbehörden – und sofern verfügbar auch anderer Institutionen – wäre sicherlich von deutlich größerer Aussagekraft. Diese kann hier nicht geleistet werden. Immerhin reicht auch die regelmäßige Lektüre von Berichten / Feststellungen von Rechnungs prüfungsbehörden aus, um zu erkennen, dass Unwirtschaftlichkeit im öffent lichen Sektor ein reales Phänomen darstellt, welches nicht auf Einzelfälle beschränkt ist. Da die Rechnungsprüfungsbehörden nicht jede Maßnahme im öffentlichen Sektor prüfen (können), handelt es sich bei den Berichten der Rechnungsprüfungsbehörden um Stichproben (die zumindest in der Summe deutlich größer und aussagekräftiger sind als Anekdoten, die die kleinste Form der Stichprobe darstellen) und nicht um Vollerhebungen. Um von Stichproben zuverlässig auf die Bedeutung der Unwirtschaftlichkeit im öffentlichen Sektor insgesamt schließen zu können, sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, die hier weder diskutiert noch geprüft werden können. Wir helfen uns mit der Annahme, dass die Finanzkontrolle bei der Auswahl der geprüften Einrichtungen und Projekte nicht systematisch verzerrt ist. Dann lassen die Befunde auf ein nicht unerhebliches Problem schließen. Besonders bedenklich sind die regelmäßigen Hinweise darauf, dass offenbar flächendeckend zumindest gegen Teile des Haushaltsrechts verstoßen
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wird. So stellt der Bundesrechnungshof über einen längeren Zeitraum wiederholt die fehlende oder mangelhafte Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei öffentlichen Projekten fest. Der Präsident des Bundesrechnungshofes in seiner Eigenschaft als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung stellt 1990 fest: „Die Ressorts haben somit die Bestimmungen der Vorl. VV zu § 7 BHO über die Erfolgskontrolle … weitgehend nicht beachtet“. … „Nutzen-Kosten-Untersuchungen als Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Sinne des § 7 Abs. 2 BHO oder auch nur finanz- und betriebswirtschaftliche Kosten- und Nutzenvergleiche …, deren Annahmen im Wege der Erfolgskontrolle hätten überprüft werden können, lagen beschlossenen Maßnahmen nur ausnahmsweise zugrunde“.17
In den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2007 heißt es: „Der Bundesrechnungshof … hat festgestellt, dass die geprüften Behörden der Verpflichtung, eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung … durchzuführen, größtenteils nicht oder zumindest nicht vollumfänglich nachgekommen sind. So blieben fast 85 % der von den Bundesministerien und den nachgeordneten Behörden gemeldeten finanzwirksamen Maßnahmen ohne Wirtschaftlichkeitsuntersuchung im Sinne der Bundeshaushaltsordnung. … Ferner hat der Bundesrechnungshof zahlreiche methodische Defizite bei Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen vorgefunden. Schwachstellen wiesen auch die Organisation und die Wahrnehmung von Verantwortlichkeiten sowie die Verwendung der Ergebnisse von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Entscheidungsprozess auf.“18
Einer der Gründe für die praktische Ignoranz formal bindender haushaltsrechtlicher Bestimmungen liegt in der mangelnden de facto-Durchsetzbarkeit des Haushaltsrechts. Weder die Rechnungshöfe noch andere Verwaltungsexterne haben die Möglichkeit, rechtlich gegen derartige Verstöße vorzugehen. So werden sie offenbar im politisch-administrativen Bereich mindestens geduldet. Die Gründe dafür erschließen sich wenigstens zum Teil aus den nachfolgenden Ausführungen. 2. Überlegungen aus dem Bereich der Prinzipal-Agent-Theorie Die Festlegung öffentlicher Aufgaben sowie die damit verbundenen Maßnahmen und Ressourcenverwendungen durch Parlamente / Gemeinderäte und die öffentliche Administration stellen analytisch eine typische „PrinzipalAgent-Situation“ dar: Wähler beauftragen Politiker mit der Wahrnehmung ihrer Interessen und Politiker beauftragen wiederum die öffentliche Verwaltung mit der Durchführung der beschlossenen politischen Maßnahmen. Die17 Zavelberg
(1990), S. 25 f. (2007), S. 123.
18 Bundesrechnungshof
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ses im vorliegenden Zusammenhang zweistufige Prinzipal-Agent-Modell entspricht im Grundsatz der juristisch geforderten Legitimationskette bei der Ausübung staatlicher Gewalt. Das grundsätzliche Problem von Prinzipal-Agent-Relationen (Beauftragungen) liegt in Informationsasymmetrien zwischen Prinzipal (Auftraggeber) und Agent (Beauftragtem) bei gleichzeitig eigennutzorientiertem Verhalten und ungleichen Interessen beider Akteure. Beispielsweise kann der Prinzipal weder die „Anstrengung“ des Agenten (Sorgfalt, Genauigkeit, Arbeitsgeschwindigkeit etc. sind verborgene Handlungen – Hidden action) noch dessen Motive / Ziele (als verborgene Absicht – Hidden intention) nicht oder wenigstens nicht exakt beurteilen. Beides wirkt zusammen. In der einfachsten Variante gehen in die Nutzenfunktion des Agenten lediglich Einkommen nutzensteigernd und Anstrengung nutzenmindernd ein. Mit anderen Worten: Der Agent ist an Einkommen, aber nicht an Anstrengung interessiert. In der Managementliteratur werden häufig Macht, Prestige und Bezahlung (Power, Prestige, Pay) als Handlungsmotive von Agenten genannt. Aber auch andere Zielfunktionen von Agenten sind denkbar und möglich. Beispielsweise ist in der Literatur zum Public Management häufig von einer „Public Service Motivation“ die Rede. Derart motivierte Agenten sind weniger an Einkommen, sondern mehr an einer aus ihrer Sicht gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit interessiert. Grundsätzlich werden Agenten – unabhängig von ihrer konkreten Zielfunktion – geneigt sein, ihren Informationsvorsprung gegenüber dem Prinzipal zur Verfolgung eigener Ziele („Drückebergerei“, „Konsum am Arbeitsplatz“, „persönliche Bereicherung“, „Etwas Gutes tun“ etc.) zu nutzen.19 Um die Handlungen des Agenten in Einklang mit den Interessen des Prinzipals zu bringen, besteht die Grundidee der Prinzipal-Agent-Theorie in der Entwicklung und Einführung ergebnisorientierter Entgeltsysteme: Wenn das Handlungsergebnis des Agenten eindeutig beobachtbar ist, kann das Entgelt des Agenten an Ergebnisse gekoppelt werden. Im vorliegenden Kontext ist diese Idee jedoch großenteils nicht anwendbar. Erstens existieren zum Teil unüberwindliche Hindernisse der Ergebnismessung (man denke u. a. an Schwierigkeiten der Outcome-Messung) und Ergebniszurechnung (welcher Agent hat welches Ergebnis bewirkt?). Zweitens ist ein Teil der im öffent lichen Sektor tätigen Agenten nicht allein und unbedingt durch Einkommen „zu locken“.
19 Auch Prinzipale können Informationsvorsprünge nutzen, z. B. durch Verschweigen der Schwierigkeit eines Auftrags. Dies ist an dieser Stelle jedoch nicht weiter zu behandeln.
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Eine andere Möglichkeit zur Durchsetzung der Ziele / Interessen des Prinzipals ist Überwachung (Monitoring): Die Prinzipale überwachen die Aktivitäten ihrer Agenten, was – wie eben erwähnt – teilweise nur mit hohen, sehr hohen oder prohibitiv hohen Kosten in Form von Geld und Zeit möglich ist. Da effiziente Gebietskörperschaften grundsätzlich im Interesse aller Wähler / Bürger / Bewohner sein müssten, weil ineffiziente Gebietskörperschaften ceteris paribus eine höhere Steuerlast und / oder ein geringeres Leistungsniveau als möglich bedeuten, müssten Wähler wenigstens im Grundsatz bereit sein, Überwachungskosten in Kauf zu nehmen. 3. Überlegungen aus dem Bereich der Neuen Politischen Ökonomie Aber Überwachung weist hier die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes (in Form von Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität) auf. Wenn einzelne Wähler erfolgreiche Aktivitäten unternehmen, um Politik und Verwaltung (besser) zu überwachen, müssen sie den eventuellen Effizienzgewinn mit denjenigen teilen, die nicht in Überwachung investieren. Mit anderen Worten: Wähler können darauf spekulieren, dass andere die Überwachung von Politik und Verwaltung übernehmen und damit die entsprechenden Kosten tragen, während sie selbst in den kostenlosen Genuss des Nutzens durch Überwachung kommen. Dies unterminiert den Anreiz zur (laufenden) Überwachung von Politik und Verwaltung durch Wähler. Schlimmer noch: Wähler sind zugleich Ressourcengeber und Ressourcenempfänger. Sie tragen einerseits die Steuerlast, profitieren aber anderseits von öffentlichen Ausgaben. Deshalb müssen sie ihre Rolle als Steuerzahler gegen ihre Rolle als Leistungs- oder Auftragsempfänger abwägen. Aus individueller Sicht ist ein Gemeinwesen dann effizient, wenn es dem Individuum bei gegebenem (Steuer-)Beitrag möglichst hohe individuell nutzenstiftende Gegenleistungen bzw. ein gegebenes Leistungsniveau mit geringst möglicher individueller Steuerlast bietet. Dieses Ziel wird gefördert, wenn es gelingt, den Nutzen staatlicher Maßnahmen „in die eigene Tasche zu lenken“ und dafür andere zahlen zu lassen. Beispielsweise werden die Kosten des Projektes „Stuttgart 21“ überwiegend vom Bund bzw. der Deutschen Bahn getragen. Der Nutzen entsteht jedoch überwiegend in Stuttgart. Damit dürfte dieses Projekt aus Stuttgarter Sicht effizient sein, während es bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland extrem ineffizient ist. Bei der Frage, wem politische Maßnahmen dienen und welche Maßnahmen beschlossen werden,20 sind die Einflussnahmemöglichkeiten von Inte 20 Zum Zustandekommen von Budgets in repräsentativen Demokratien vgl. z. B. Blankart (2012), S. 113 ff.
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ressengruppen („Macht der Verbände“) von Bedeutung. Diese hängen wiederum von der Organisierbarkeit von Interessen ab, die u. a. von der Homogenität der Interessen der Interessengruppe sowie der Gruppengröße bestimmt wird. Darüber hinaus spielen die Ressourcen (Geld, Informationen) der Interessengruppe eine Rolle. Im Ergebnis lohnt sich Monitoring in Form der Einflussnahme auf Politik und Verwaltung für gut organisierte und über ausreichende Ressourcen verfügende Interessengruppen. Im Kern findet die Überwachung von Politik und Verwaltung also weniger durch Wähler als durch bestimmte Interessengruppen statt. Dies lässt keine gesellschaftlich effiziente Mittelverwendung erwarten. 4. Überlegungen zur Fehleinschätzung der Kosten von Unwirtschaftlichkeit Oft entsteht der Eindruck, Verstöße gegen Recht- und Ordnungsmäßigkeit würden strenger beurteilt und geahndet als unwirtschaftliches Verhalten (s. auch die Ausführungen im ersten Unterabschnitt dieses Kapitels). Verharmlosungen sind weit verbreitet. Beispielsweise findet sich die Aussage, dass nicht nur bei der Hamburger Elbphilharmonie, sondern auch bei der Oper in Sydney die Kosten stark gestiegen seien. Beide Häuser seien aber letztlich Besuchermagnete mit entsprechenden positiven wirtschaftlichen Wirkungen für ihre Städte. Erstens sind Verweise auf Mängel bei anderen nicht als Entschuldigung für eigenes Fehlverhalten zu akzeptieren. Wenn dieses zugelassen wird, wird Fehlverhalten die Regel werden. Zweitens mag der Hinweis auf den touristischen Nutzen beider Bauwerke zutreffen. Sie bleiben dennoch unwirtschaftlich. Hätte man beispielsweise die Elbphilharmonie für 400 Mio. € statt für jetzt nach offiziellen Angaben ca. 800 Mio. € errichtet, hätte man das dort ver(sch)wendete Geld beispielsweise für die Sanierung der Hamburger Schulen einsetzen können. In diesem Fall hätte man eindeutig eine bessere Welt erreicht: Eine touristische Attraktion und eine bessere Substanz der Schulbauten, für deren Sanierung die Steuerzahler jetzt zusätzlich herangezogen werden. Dies illustriert den ökonomischen Schaden unwirtschaftlicher Mittelverwendung. Unwirtschaftlich eingesetzte und damit verschwendete Mittel könnten an anderer Stelle nutzbringend eingesetzt werden. Dies entspricht dem (ökonomischen) Opportunitätskostengedanken: Jede Ressourcenverwendung konkurriert mit alternativen Verwendungen. Werden Ressourcen nicht nutzenmaximal eingesetzt, hätte mit diesen Ressourcen an anderer Stelle ein größerer Nutzen erzeugt werden können. Die Kosten der Verschwendung bestehen also aus entgangenem Nutzen. Entsprechendes gilt natürlich wieder beispielhaft für das Projekt „Stuttgart 21“, welches gesellschaftlich nutzlos Ressourcen verschlingt, mit denen man andere, dringendere (Eisenbahn- oder
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Verkehrs-)Projekte wie den Ausbau der Oberrheinbahn-, der Gäubahn-, der Allgäubahn- oder der Inntalbahnstrecke hätte finanzieren können. Darüber hinaus verursachen verschwenderische Handlungen / Projekte politische Schäden und Imageschäden. Es dürfte durchaus einen Zusammenhang zwischen staatlicher „Performance“ auf der einen Seite und der Akzeptanz staatlicher Institutionen und ihrer Handlungen sowie der Bereitschaft zur Zahlung von Steuern auf der anderen Seite bestehen. Möglicherweise haben die Vorgänge um die Elbphilharmonie („Elphi“) den Hamburger Volksentscheid im Jahr 2015 über die Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2024 beeinflusst. Warum sollte man jemandem die Organisation eines solchen Ereignisses (und das Geld dafür) anvertrauen, wenn er schon mit kleineren Projekten überfordert ist? Projekte wie die Elphi oder auch der Flughafen Berlin Brandenburg beschädigen zudem das Image Deutschlands. Aus „Made in Germany“ wird „Murks in Germany“. Wie kommt es nun aber zu solchen hier nur grob und exemplarisch skizzierten Fehleinschätzungen und Fehldarstellungen? Hier können sicherlich intellektuelle Anleihen aus den Bereichen der (Sozial-)Psychologie aufgenommen werden, die sich mit der menschlichen (Un-)Fähigkeit zu rationalem und konsistentem Handeln beschäftigen. Es lassen sich aber auch rationale Erklärungen finden. Die Profiteure (und die Verantwortlichen) von unwirtschaftlichem Staatshandeln haben den Anreiz, dies zu verschleiern. Es ist davon auszugehen, dass die öffentliche Wahrnehmung von Lobbys ganz gezielt auch in Hinblick auf die Wahrnehmung der Wirtschaftlichkeit öffent licher Maßnahmen beeinflusst wird. Summa summarum lassen sich also diverse Mängel in politisch-adminis trativen Systemen repräsentativer Demokratien finden und vorhersagen, die geradezu zwingend zu unwirtschaftlichem Handeln führen, wenn die Anreize, Interessenlagen und (Un-)Fähigkeiten der in diesen Systemen Handelnden berücksichtigt bzw. antizipiert werden. Auf den ersten Blick scheint diese Analyse recht trostlos. Auf den zweiten Blick finden Gesellschaften erstaunlicherweise trotzdem Lösungen, die diese Mängel zwar nur selten vollständig beseitigen, aber immerhin lindern können. Eine dieser Lösungen findet sich auf verfassungsrechtlich-konstitutiver Ebene in Form der Schaffung eines unabhängigen Organs, welches die Aufgabe hat, der gesellschaftlich-politischen Systemen immanenten Neigung zur Unwirtschaftlichkeit entgegenzuwirken – den Rechnungsprüfungsbehörden. Letztere sind quasi Agenten der Wähler, mit dem Auftrag, deren grundlegendes Interesse an Wirtschaftlichkeit im öffentlichen Sektor durchzusetzen, welches die Wähler aufgrund der beschriebenen Sachverhalte selbst nicht realisieren können. Durch ihre Spezialisierung auf Wirtschaftlichkeit haben die Rechnungsprüfungsbehörden zudem im Ver-
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gleich zu einzelnen Wählern Größen- und Spezialisierungsvorteile. Die Finanzkontrolle durch Rechnungshöfe ist somit effizienter als durch einzelne Wähler. Allerdings bleibt bei dieser Lösung ein Problem bzw. eine Frage: Wie kann sichergestellt werden, dass die Rechnungsprüfungsbehörden ihren Informationsvorsprung gegenüber ihren Quasi-Prinzipalen nicht zum eigenen Vorteil nutzen?21
III. Herausforderungen an die Finanzkontrolle (Sind neue Wege nötig?) Die Finanzkontrolle steht zwei permanenten Herausforderungen gegenüber. Da eine wirksame Finanzkontrolle grundsätzlich „politisch schmerzlich“ ist, wird sie sich niemals allgemeiner Beliebtheit erfreuen und ihren Platz regelmäßig verteidigen müssen. Vor dem Hintergrund des vorangehenden Abschnitts stellt sich sogar die Frage, ob die bestehende Kontrolle durch Rechnungsprüfungsbehörden ausreicht bzw. inwieweit und wie Einfluss und Wirksamkeit der Finanzkontrolle in Zukunft verbessert werden kann und sollte.22 Zum Zweiten stellt sich immer die Frage nach der Verbesserung der Prüfung an sich. Ist die Prüfung technisch und methodisch auf einem angemessenen Stand? Beim ersten Punkt käme zur verbesserten Durchsetzung des Haushaltsrechts eine Verschärfung von § 102 der BHO / LHOen in Betracht. Derzeit können sich die Rechnungshöfe zu bestimmten politischen und administrativen Entscheidungen / Maßnahmen äußern und damit auch Bedenken erheben, ohne allerdings aufschiebende oder verhindernde Wirkung zu erreichen. Dies könnten Veto-Rechte erreichen. Warum sollte ein Rechnungshof beispielsweise öffentliche Projekte bei denen haushaltsrechtswidrig keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchgeführt wurden, nicht so lange aufhalten können, bis eine solche durchgeführt wurde? Umfangreicher sind sicher Fragen nach Verbesserungen der Prüfung (und Beratung) an sich. Unter anderem ist das bereits erwähnte Spannungsfeld 21 Dies entspricht der auch in anderen Kontexten – z. B. im Bereich der Geheimdienste, der Rating-Agenturen, des medizinischen Dienstes der Krankenkassen und der Presse – immer wieder auftretenden Frage „Wer kontrolliert die Kontrolleure“? 22 Es sei darauf hingewiesen, dass natürlich auch außerhalb der Finanzkontrolle durch Rechnungsprüfungsbehörden Möglichkeiten zu Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des öffentlichen Sektors bestehen. Zu nennen sind beispielsweise die effektive Durchsetzung von Nichteinstandsregelungen (No Bail-Out) für insolvente Gebietskörperschaften, um die Kapitalmarktkontrolle wirken zu lassen, die gesetzliche Verankerung von Sorgfaltspflichten von Entscheidungsträgern im öffentlichen Sektor analog zu den Regelungen in § 93 des Aktiengesetzes und die Einführung eines Verbandsklagerechts zur Durchsetzung des Haushaltsrechts.
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zwischen Prüfung und Beratung besser auszuleuchten. Darüber hinaus stellen sich Fragen zu Bewertungs- und Prüfungsmethoden und -techniken. Beispielsweise könnte die vergleichende Wirtschaftlichkeitsprüfung durch moderne Verfahren aus den Bereichen der Statistik, Ökonometrie und Operations Research verbessert werden. Für die Aufdeckung von Zahlenfälschungen existieren inzwischen funktionsfähige Computer-Programme. Etc. Insgesamt bieten neue Möglichkeiten zur Erhebung, Übermittlung und Verarbeitung von Daten („Digitalisierung“) ein früher kaum vorstellbares Potential für die Finanzkontrolle. Die damit verbundenen finanziellen, organisatorischen und rechtlichen Herausforderungen sind jedoch erheblich. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und ihre Überprüfung sind sicher methodisch weiter verbesserungsfähig.23 Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung besteht auch darin, die Wirkungen politisch-administrativer Maßnahmen überhaupt bzw. besser zu messen und zu bewerten. Die genannten Herausforderungen sind zum großen Teil mit einer weiteren Herausforderung verbunden – der Gewinnung von Personal in ausreichender Zahl und Güte. Die Rechnungshöfe werden – in einer Zeit, in der die Konkurrenz um qualifizierte Arbeitskräfte ohnehin hoch ist – zusätzlich zur Erneuerung ihres überwiegend juristisch und ökonomisch ausgebildeten Personals auch mathematisch und technisch geschultes Personal benötigen, wenn sie die technischen Möglichkeiten von Gegenwart und Zukunft ausschöpfen wollen. Literatur Baetge, Jörg (1993), Überwachung, in: Bitz, Michael / Dellmann, Klaus / Domsch, Michel / Egner, Henning (Hrsg.), Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 2, 3. Aufl., München, S. 175–218. Beckers, Thorsten / Corneo, Giacomo / Klatt, Jan Peter / Mühlenkamp, Holger (2009), Zeitliche Homogenisierung und Berücksichtigung von Risiko im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, Berlin / Speyer. Binus, Karl-Heinz (2006), Prüfung auf dem Prüfstand, in: Verwaltung und Management, 12. Jg., H. 3, S. 141–148. Blankart, Charles Beat (2012), Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 8. Aufl., München. Bundesrechnungshof (2007), Bemerkungen 2007 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, Bonn, S. 123, http: / / www.bundesrechnungshof.de / veroeffentli chungen / bemerkungen-jahresberichte / bemerkungen-2007.pdf.
23 Vgl.
hierzu Beckers u. a. (2009).
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Holger Mühlenkamp
Eichhorn, Peter (1980), Terminologie und Typologie der Unternehmenskontrolle, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft (Hrsg.): Kontrolle öffentlicher Unternehmen, Bd. I, Baden-Baden, S. 19–31. Glöckner, Andreas / Mühlenkamp, Holger (2009), Die kommunale Finanzkontrolle – Eine Darstellung und Analyse des Systems zur finanziellen Kontrolle von Kommunen, in: Zeitschrift für Planung und Unternehmenssteuerung (ZP), 19. Jg., Nr. 4, S. 397–420. Küting, Karlheinz / Busch, Julia (2009), Zum Wirrwarr der Überwachungsbegriffe, in: Der Betrieb, 62. Jg., H. 29, S. 1361–1367. Mühlenkamp (2015), Wirtschaftlichkeit im öffentlichen Sektor, Berlin / München / Boston. Reus, Andreas / Mühlhausen, Peter (2010), Öffentliche Finanzkontrolle durch unabhängige Rechnungshöfe – Rechtsgrundlagen und Prüfungsmethodik, in: Verwaltungsrundschau, 56. Jg., H. 1, S. 1–11. Zavelberg, Heinz Günter (1990), Erfolgskontrolle finanzwirksamer Maßnahmen in der öffentlichen Verwaltung – Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Bd. 2, Stuttgart u. a.
Digitalisierung der Verwaltung – Auswirkungen auf die Prüfung Von Jan Fasswald und Frank Scherwa
I. Einleitung Die externe Finanzkontrolle hat eine über 300-jährige Geschichte in Deutschland. Von dieser gestaltet der Bundesrechnungshof den jüngsten Zeitabschnitt. Hierbei muss er einen Spagat zwischen Tradition, Gegenwart und Zukunft vollziehen. Dies ist angesichts der grundlegenden Veränderungen, die eine Digitalisierung der Verwaltungen verursacht, eine große Herausforderung. Der Bundesrechnungshof kann derzeit nicht vorhersagen, welche Auswirkungen dieser Wandel genau auf das Prüfgeschäft haben wird. Er benötigt einen Plan, wie er sich angesichts der Digitalisierung der Verwaltung in den nächsten Jahren (neu) positionieren will.
II. Digitalisierung in der Bundesverwaltung / Inflation der E-Projekte Seit etwa dem Jahr 2005 hat die 4. Informationstechnologische Epoche – die digitale Transformation – begonnen. Die Bundesregierung hat darauf mit diversen Programmen und Projekten reagiert. Die Digitalisierung der deutschen Verwaltung ist aufgrund des föderalen Staatsaufbaus nicht zentral gesteuert. Die verschiedenen Verwaltungsebenen (Kommunen, Länder und Bund) richten die Digitalisierung an ihren jeweiligen Anforderungen aus. Gleichwohl arbeiten sie zusammen, wenn ebenenübergreifende Prozesse wie das Asylverfahren dies erfordern. Am 18.08.2017 ist das Onlinezugangsgesetz (OZG) in Kraft getreten. Bund und Länder haben sich verpflichtet, bis zum Jahr 2022 ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsportale zu einem Portalverbund zu verknüpfen. In Zukunft sollen Bürgerinnen und Bürger Verwaltungsdienstleistungen aller Behörden in Bund, Ländern und Kommunen online mit wenigen Mausklicks in Anspruch nehmen können.
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Der Bund hat begonnen, seine IT zu konsolidieren. Bis zum Jahr 2025 sollen zwei bundeseigene Dienstleister die IT für alle Bundesbehörden zen tral bereitstellen. Zudem digitalisiert die Bundesverwaltung in immer stärkerem Maße ihre Arbeitsprozesse. Die Konsolidierung der IT und die Digitalisierung der Prozesse der Bundesverwaltung erfordern erhebliche organisatorische, personelle und finanzielle Anstrengungen. Der Bund wird für die Konsolidierung seiner IT bis zum Jahr 2025 voraussichtlich mehr als 1 Mrd. Euro investieren müssen. Für die Umsetzung des OZG wollen die Regierungsparteien in der 19. Wahlperiode ausweislich des Koalitionsvertrages 500 Mio. Euro bereitstellen.
III. Unmittelbare Folgen der Digitalisierung Die Bundesverwaltung setzt immer mehr elektronische Verfahren ein. Diese führen zu rein digitalen Darstellungen der Verwaltungsarbeit. Die digitalen Prozesse und Produkte sind häufig über mehrere Systeme verteilt. Diese neue digitale Welt berücksichtigt Belange der Prüferinnen und Prüfer nur teilweise. Die digitalen Produkte sind für Prüferinnen und Prüfer meist nicht unmittelbar einsehbar. Häufig fehlen in den Verfahren standardisierte elektronische Schnittstellen für die externe Finanzkontrolle. Es gibt noch keine rechtliche Verpflichtung, dem Bundesrechnungshof eine digitale Schnittstelle zu IT-Verfahren bereitzustellen. Unternehmen müssen für Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer in ihren Systemen solche Schnittstellen bereits vorsehen. Der Bundesrechnungshof dagegen verhandelt mit jeder einzelnen Verwaltung. Er muss selbst darauf hinwirken, dass er geeignete Schnittstelle zu den IT-Verfahren erhält, um Daten auswerten zu können. Hier könnten Konkretisierungen und Nachbesserungen durch den Gesetzgeber helfen.
IV. Herausforderungen der Digitalisierung Der Bundesrechnungshof wird künftig verstärkt digitale Produkte und Prozesse prüfen. Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter sowie papiergebundene Prozesse verlieren zunehmend an Bedeutung. Es besteht durchaus die Gefahr, dass die Prüfungstätigkeit in einer digitalen Welt zunächst behindert anstatt befördert wird. Der Bundesrechnungshof sieht derzeit folgende Herausforderungen einer digitalisierten Verwaltung für die externe Finanzkontrolle:
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V. Neue Erwartungshaltung Unabhängig davon, ob die externe Finanzkontrolle durch die Digitalisierung tatsächlich bereits profitieren kann, könnte sich – nicht zuletzt durch den Hype um Big Data – bei Parlamenten und Öffentlichkeit eine neue Erwartungshaltung herausbilden. 1. Holistische Betrachtung des staatlichen Handelns Im Wesentlichen führt der Bundesrechnungshof bisher Einzelfallanalysen durch. Sind die Darstellungen des Verwaltungshandelns zunehmend digital verfügbar, kann verstärkt der Wunsch aufkommen, nun nicht mehr nur einzelne Maßnahmen, sondern alle Maßnahmen eines Aufgabenbereiches oder sogar aufgabenbereichsübergreifend gleichzeitig zu bewerten. Eine solche gesamtheitliche Betrachtung soll Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Maßnahmen aufdecken und erklären. 2. Instant-Prüfungsergebnisse Liegen Zahlen- und Aktenmaterial elektronisch vor, könnte erwartet werden, dass die externe Finanzkontrolle quasi sofort eine Bewertung abgibt. Im Zeitalter der Handy-Apps schwindet das Verständnis dafür, dass die externe Finanzkontrolle eine angemessene Zeit benötigt, um sich intensiv mit dem Material zu komplexen und schwierigen Themen auseinanderzusetzen. a) Rechtlicher Rahmen Digitalisierung führt nicht automatisch dazu, dass der externen Finanzkontrolle für ihre Revisionsarbeit mehr Rechte eingeräumt werden. Nicht alles, was technisch möglich ist oder gewünscht wird, ist auch rechtlich erlaubt. Mit der Digitalisierung gewinnen der Datenschutz und föderale Zuständigkeiten zunehmend an Bedeutung. b) Spezialfälle vs. Standardfälle Der Hype im Bereich der Datenanalyse wird u. a. von einer Reihe sehr eindrucksvoller Anwendungsfälle von Big Data befeuert. Auch der Bundesrechnungshof nutzt bereits entsprechende Analysemethoden. So konnte er mit Hilfe der Datenanalyse doppelten Kindergeldbezug aufdecken. Auch haben die Analyse hunderttausender Käufe auf der Grundlage tausender Rahmenverträge bei der Bundeswehr Defizite im Beschaffungswesen offenbart.
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Diese eindrucksvollen Showcases verdeutlichen, was mit geeigneten Modellen, Datenquellen und Methoden möglich ist. Leider lassen sie sich häufig nicht verallgemeinern oder es erfordert jedes Mal erheblichen Aufwand, sie individuell auf andere Fälle anzupassen. „So manches paar Schuhe glänzt, eignet sich aber nicht für die Arbeit auf Baustellen.“ Wichtiger als spektakuläre Fallbeispiele wäre für die externe Finanzkontrolle, Standardfälle für ein effizientes, verlässliches Datenanalysevorgehen sowie neue Methoden- und Werkzeugkästen zu entwickeln. Die externe Finanzkontrolle sollte wissen, wo die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes der Datenanalyse liegen und welche Fehlerquellen diese Methoden und Werkzeuge mit sich bringen. c) Verlässlichkeit der Datenanalysen Verlässlichkeit meint, dass die Prozesse reproduzierbar und Ergebnisse, Methoden sowie Vorgehen durch Dritte (z. B. Gerichte) überprüfbar sein müssen. Datenanalysen müssen auf wissenschaftlich fundierten und bewährten Verfahren beruhen. Auch müssen Bewertungen, Vorhersagen und Empfehlungen tragfähig sein, z. B. durch angemessene Qualitätssicherungen. d) Quellenverzeichnis Ohne Kenntnis, welche offenen wie verwaltungsinternen Daten verfügbar sind, helfen die besten Methoden und Werkzeuge nicht. Nötig wäre ein zentraler Katalog mit Metadaten darüber, welche Daten, mit welcher Zielsetzung, mit welcher Qualität und mit welchen Methoden erhoben wurden und wo diese abrufbar sind. Der Bundesrechnungshof strebt an, IT-Verfahrensund Datenlandkarten zu erstellen. Angesichts der großen Zahl der IT-Verfahren und weiterer Datenquellen sowie häufiger Veränderungen ist dies eine gewaltige Aufgabe. Bislang gelingt dies nur in ausgewählten Prüfungsbereichen. e) Datenzugang Die Extraktion, Vorbereitung und Überführung der aus unterschiedlichen Quellen stammenden Daten in ein lesbares und zu verarbeitendes Format ist zurzeit noch extrem aufwändig. Standardisierte Schnittstellen und eine Datenbank (Metadaten-Repository), die Informationen über den Inhalt aller verfügbaren Datenquellen der Bundesverwaltung enthält, fehlen. Daher muss der Bundesrechnungshof für viele Frage- und Aufgabenstellung Daten aufwendig manuell aufbereiten und kann diese Prozesse bisher nicht automatisieren.
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f) Datenmenge Derzeitige Datenhaltungssysteme der externen Finanzkontrolle müssen auf einen exponentiellen Zuwachs der Datenmengen vorbereitet sein. Hierzu muss sie einen Kapazitätsmanagementprozess etablieren. g) Personal Spezialisierte Einheiten für Datenanalysen erfordern hochqualifiziertes und teures Personal. Es genügt aber nicht, eine solche spezialisierte Einheit einzurichten und mit Personal auszustatten. Insbesondere muss eine enge Zusammenarbeit mit Fachprüferinnen und -prüfern erfolgen. Diese sind zwar im Umgang mit den Ergebnissen von Datenanalysen weniger geschult, die Datenanalysten sind aber auf deren spezifisches Wissen angewiesen, um ihre Analyse sinnvoll zu entwickeln. Künftig werden Prüferinnen und Prüfer eine Mischung aus Fach-, IT-Experte und Data Analyst sein müssen. Qualifika tionsprofile, Nachwuchsförderung, Personalakquise und Zertifizierungsprozesse der externen Finanzkontrolle müssen angepasst werden. h) Kosten Um entsprechende Datenanalysefähigkeiten aufbauen zu können, muss die externe Finanzkontrolle erhebliche Investitionen tätigen. Grundlage für die Entscheidung, ob und wie Datenanalysefähigkeiten aufzubauen sind, sollten Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sein.
VI. Chancen der Digitalisierung für die externe Finanzkontrolle Der Bundesrechnungshof sieht nicht nur Herausforderungen für die externe Finanzkontrolle in der Digitalisierung der Verwaltung, sondern auch Chancen. Die externe Finanzkontrolle könnte Methoden und Werkzeuge der Datenanalyse einsetzen, um auf Basis digitaler Verwaltungsdaten seine Prüfungsprozesse zu optimieren. Die Analyseergebnisse könnten dazu beitragen, dass geprüfte Stellen ihre öffentlichen Haushaltsmittel wirtschaftlich einsetzen. 1. Effizienzsteigerung Die externe Finanzkontrolle könnte digitale Verwaltungsdaten nutzen, um a) Prüfungsschwerpunkte verstärkt risiko- und ergebnisorientiert auszuwählen,
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b) Risikoprofile zu Prüfungsgegenständen anzulegen, c) durch automatisierte Prozesse die Prüfungsdichte zu erhöhen und gleichzeitig den Prüfungsaufwand bei den Behörden zu reduzieren oder d) schneller valide Erkenntnisse zu Prüfungsgegenständen mit politischer Relevanz zu erlangen. 2. Instant-Stellungnahmen Digital vorliegende Verwaltungsdaten könnten der externen Finanzkon trolle helfen, a) typische Anfragen und Prüfungsbitten, z. B. des Parlaments automatisiert zu analysieren und anschließend Kritikalitätsprofile zu erstellen oder b) auf Basis automatisierter Analysen früherer Prüfungsergebnisse bei aktuellen Entscheidungen zu unterstützen. 3. Vorhersagen statt Rügen Neue Anforderungen einzelner Fachbereiche wie Verkehrsverwaltung, Gesundheits- und Sozialwesen oder Finanzverwaltung erzwingen eine noch intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Datenanalyse. Die externe Finanzkontrolle könnte retrospektive Prüfungen des Verwaltungshandelns (in die Vergangenheit schauen, um Abweichungen nachträglich festzustellen) stärker durch begleitende und vorausschauende Prüfungen ergänzen. Solche Predictive Analytics (Erkenntnisse vorhersagend nutzen) könnte langfristig eine Perspektive für die externe Finanzkontrolle sein. Basierend auf bisherigen Prüfungserkenntnissen und -erfahrungen wäre die externe Finanzkon trolle mit Hilfe von Predictive Analytics ggf. in der Lage, Prognosen abzugeben, um z. B. Fehlermuster in Annahmen und Vorgehensbeschreibungen der Verwaltung frühzeitig zu erkennen. Dadurch könnte die externe Finanzkon trolle Fehlentwicklungen bereits zum Zeitpunkt der Vorlage der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung oder der Vertragsunterlagen verhindern.
VII. Ziele des Bundesrechnungshofes Der Bundesrechnungshof setzt bereits heute erfolgreich klassische Prüfungswerkzeuge und -methoden ein, z. B. a) Aktenrecherche, Rechnungskontrolle, Interviews, b) Rechnungsprüfung auf Basis repräsentativer Stichproben und c) Datenanalysen mit dem Werkzeug „IDEA“.
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Der Bundesrechnungshof will untersuchen, ob sich datenanalytische Verfahren stärker als bisher, z. B. standardisiert, in Wirtschaftlichkeits-, Ordnungsmäßigkeits- und Rechnungsprüfungen integrieren lassen. VIII. Wissensentdeckung in Datenbanken Hierfür muss der Bundesrechnungshof zuerst festlegen, welche der verfügbaren Datenbestände mit welchen Analysemethoden in welchem Kontext zu belastbaren Ergebnissen führen können. Automatisierte Datenanalysen können Auffälligkeiten zu Tage fördern, die normalerweise von Prüferinnen und Prüfern nicht gefunden worden wären oder die sie aufgrund ihrer Berufs- und Lebenserfahrung als nicht relevant bewertet hätten. Der Bundesrechnungshof muss klären, wie mit derartigen Auffälligkeiten umgegangen werden soll. Er muss zudem untersuchen, welche Auffälligkeiten auch mit Methoden der Datenanalyse nicht gefunden werden können. Der Bundesrechnungshof orientiert sich an dem wissenschaftlichen Vorgehen „Knowledge Discovery in Databases“, um Daten aus verschiedenen Datenquellen zu extrahieren und zu untersuchen. Ziel ist es, neue und noch unbekannte Zusammenhänge in Daten zu erkennen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Dabei sucht er nicht wahllos nach Zusammenhängen, sondern arbeitet klar vorgegebene Prüfungsaufgaben ab. Das Vorgehen ist in der nachfolgenden Abbildung schematisch dargestellt. • • • •
Datenbereinigung Datentransformation Analyse/Mining Visualisierung der Ergebnisse
Ergebnisinterpretation
Auswahl der Analysemodelle
relevante Daten
bereinigte Daten (data warehouse)
Datenquellen
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IX. Acht Schritte zum Ziel Der Bundesrechnungshof will untersuchen, ob es möglich ist, Methoden der Datenanalyse zu entwickeln, die Prüferinnen und Prüfer bei Standardprüfungsaufgaben unterstützen können. Mögliche Szenarien sind z. B. a) die Analyse von Verträgen im Bereich der IT aa) Bewertung der Güte eines Vertragswerkes bb) Bewertung der Vertragsumsetzung b) die Analyse des Ausgabeverhaltens des Bundes im Bereich der IT aa) Abgleich des Haushaltsplans mit den tatsächlich getätigten Ausgaben c) die Analyse der Geschäftsbeziehungen im Bereich der IT aa) Welche Unternehmen unterhalten Geschäftsbeziehungen mit welchen Ressorts? bb) Wie verändern sich die Geschäftsbeziehungen im Zeitverlauf? d) die Analyse von IT-Sicherheitskonzepten e) die Analyse von Beziehungsgeflechten im Bereich der IT-Steuerung des Bundes aa) Wie sind die interministeriellen Geschäftsbeziehungen ausgeprägt? bb) Wie sind die Beziehungen zwischen fachaufsichtführendem Ministerium und Behörden ausgeprägt? cc) Wie sind die Beziehungen zwischen den Behörden ausgeprägt und was ist der Gegenstand der Beziehungen im Verhältnis zum gesetz lichen Auftrag? Die Optimierung der Prüfungstätigkeit erfordert ein langfristiges Programm. Dabei sind mehrere Schritte zu durchlaufen: 1. Analyse typischer Prüfungsszenarien, 2. Klassifikation der Prüfungsszenarien, 3. Showcases der Data Analytics für Prüfungsszenarien, 4. Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, 5. Projektierung weiterer Szenarien, 6. Abschließende Erfolgskontrolle, 7. Übertragung der Ergebnisse auf weitere Fachprüfungsgebiete, 8. Einsatz eines Datenanalyse-Labors für Spezialfälle nach vorheriger Bewertung von Aufwand und Nutzen mittels Wirtschaftlichkeitsuntersuchung.
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Der intensivere Einsatz von Datenanalyse ist dabei einer von vielen Aspekten. Insgesamt hat der Bundesrechnungshof erste Maßnahmen bereits eingeleitet, wie a) die Qualifikation von Prüferinnen und Prüfern, b) die Stärkung der IT-Governance und c) eine übergreifende Zusammenarbeit der Fachprüfungsgebiete. Der Bundesrechnungshof wird iterativ vorgehen und Feedbackschleifen einbauen. Er überprüft dabei fortwährend den Projektfortschritt. Die Wirtschaftlichkeit eines neuen Vorgehens, neuer Methoden und Werkzeuge muss stets gewahrt sein. Im Bereich der IT-Prüfung hat der Bundesrechnungshof das Pilotprojekt DAfIT (Data Analytics für IT-Prüfungen) begonnen.
X. Pilotprojekt Data Analytics für IT-Prüfungen Ziel des Projektes DAfIT ist es, datenanalytische Ansätze zu entwickeln und diese stärker bei Planung, Vorbereitung und Durchführung von IT-Prüfungen einzusetzen. Im Pilotprojekt DAfIT wurden bislang folgende Anwendungsbereiche der Datenanalyse untersucht: 1. Strukturierte Analyse für IT-Prüfungen In diesem Arbeitspaket hat der Bundesrechnungshof strukturierte Daten des Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesens sowie Haushaltsplandaten gesammelt, ausgewertet und dargestellt. Der Mittelabfluss einzelner Kapitel oder Titel des Bundeshaushaltes wurde interaktiv visualisiert und kann im Zeitverlauf graphisch dargestellt werden. Anhand der Graphiken lassen sich schnell Auffälligkeiten oder Muster im Ausgabeverhalten von Behörden oder innerhalb von Projekten erkennen. Die Erkenntnisse können Indizien für Prüfungsansätze liefern und als Grundlage für anschließende Prüfungsaktivitäten herangezogen werden. 2. Textmining für IT-Prüfungen Ein großer Teil der zu prüfenden Informationen liegt in unstrukturierten Textdokumenten vor. Vielfach sind auch Entwurfsfassungen, Duplikate und nicht aktenrelevante Dokumente gespeichert. Der Bundesrechnungshof hat mit diesem Arbeitspaket untersucht, ob es möglich ist, a) Wissen mittels Textmining automatisiert aus Dokumenten zu extrahieren, b) Dokumente nach Relevanz vor- oder auszusortieren,
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c) Dokumente für die manuelle Sichtung zu priorisieren und d) Beziehungen unter Dokumenten oder zwischen den in ihnen behandelten Themen zu erkennen. Textmining ist ein Algorithmen-basiertes Analyseverfahren zur Ermittlung von Bedeutungsstrukturen in vielen Textdateien. Texte können z. B. inhaltlich klassifiziert und segmentiert werden. Texte gelten z. B. als ähnlich, wenn sie viele ähnliche Worte enthalten oder Wörter häufig gemeinsam auftreten. Ergebnisse des Textmining könnten Prüferinnen und Prüfer unterstützen, indem sie beispielsweise automatisiert Hinweise zu Dokumenten liefern, die anschließend vertieft erhoben werden können. Der Bundesrechnungshof konnte mit Methoden des Textmining 28.000 Dokumente einer Prüfung analysieren. Er hat z. B. a) häufigste Worte ermittelt, b) das gemeinsame Auftreten von Worten bestimmt und c) über die Berechnung des mathematischen Abstandes zu einem Referenzdokument automatisiert Dokumente eines bestimmten Themengebietes ermitteln können.
XI. Fazit Die Digitalisierung der Verwaltung schreitet stetig voran. Sie wirkt sich bereits heute auf die Prüfungen des Bundesrechnungshofes aus. Der Bundesrechnungshof will in diesem Veränderungsprozess eine aktive Rolle einnehmen. Er plant, parallel zu den Digitalisierungs- und Konsolidierungsbemühungen der Bundesverwaltung, seine Kompetenzen im Bereich der Datenanalyse weiter auszubauen und sein Vorgehen, seine Prüfungsmethoden und seine -werkzeuge anzupassen. Hierzu verstärkt er u. a. seinen Dialog mit den geprüften Stellen, um standardisierte Zugänge zu den IT-Verfahren zu erhalten. Der Bundesrechnungshof überprüft die Stellenprofile seines Personals mit dem Ziel, Datenanalysefähigkeiten und IT-Kenntnisse stärker auch in der Rolle der Prüferinnen und Prüfer zu verankern. Er hat Pilotprojekte in einzelnen Prüfungsgebieten aufgesetzt und wird diese fortführen, um die Nutzung neuer Auswertemethoden und -technologien zu erproben und hieraus ggf. Standards für den Bundesrechnungshof abzuleiten. Die Modernisierung der Arbeit des Bundesrechnungshofes wird in den nächsten Jahren erhebliche finanzielle und personelle Anstrengungen erfordern. Der Bundesrechnungshof wird hierfür voraussichtlich umfänglich auf externe Expertise aus Wirtschaft und Wissenschaft zurückgreifen müssen. Dabei wird er die Wirtschaftlichkeit einzelner Maßnahmen vorab intensiv prüfen.
Vergleichende Prüfung bei Kommunen in Rheinland-Pfalz „Leichter gesagt als getan“ Von Andreas Utsch
I. Allgemeines Vergleichende Prüfungen sind grundsätzlich im gesamten Aufgabenspek trum des Rechnungshofs möglich. Überall dort, wo das Land über eine Vielzahl gleichartiger Behörden mit gleichartigem Aufgabenspektrum verfügt, etwa Finanzämter oder Amtsgerichte, kann auf die Technik der vergleichenden Prüfung zurückgegriffen werden. Allerdings finden sich im Bereich der Landesprüfung auch nicht selten „Solitäre“1, für deren Organisationsstruktur und Aufgaben es an landesinternen Vergleichsobjekten fehlt. Hier können allenfalls einzelne Aspekte2 einer vergleichenden Prüfung unterzogen werden. Vor diesem Hintergrund dürfte der Vergleich im Bereich der überörtlichen Prüfung von Kommunen immer noch die bedeutendste Rolle spielen. Denn hier finden sich in nahezu jeder Kommunalkategorie ausreichend Vergleichsobjekte mit ähnlicher Organisationsstruktur und weitgehend homogenem Aufgabenspektrum.
II. Rechtlicher Rahmen Anders als in anderen Ländern3 hat der Gesetzgeber in Rheinland-Pfalz keine Regelungen zur vergleichenden Prüfung von Kommunen getroffen. § 111 Abs. 1 Satz 1 LHO und § 110 Abs. 5 Satz 1 GemO wiesen dem Rechnungshof lediglich die Aufgabe der Prüfung der „Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gemeinden“ bzw. der „überörtlichen Prüfung“ zu, ohne deren Wahrnehmung zu konkretisieren. Lediglich § 16 Abs. 3 der vom Rechnungshof mit interner Wirkung erlassenen Prüfungsordnung erwähnt den Vergleich als Methode der Querschnittsprüfung. 1 Z. B.
Landesämter. Gebäudereinigung, Pfortendienste, Personalverwaltung o. ä. 3 Vgl. z. B. § 3 Abs. 1 Satz 2 ÜPKKG HE, § 2 Satz 3 NKPG, § 7 Abs. 4 Satz 2 KPG M-V. 2 Z. B.
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Eine Rechtspflicht des Rechnungshofs, Kommunen vergleichend zu prüfen, gibt es daher nicht.
III. Anwendungsbereich Dennoch kommt die überörtliche Kommunalprüfung naturgemäß nicht ohne Vergleiche aus. Sie haben jedoch je nach Prüfungsbereich unterschiedliche Relevanz: 1. Prüfung der Recht- und Ordnungsmäßigkeit Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit kommunalen Handelns ist allein die rechtliche Subsumtion maßgebend. Eine vergleichende Betrachtung, ob andere rechtmäßig oder rechtswidrig handeln, ist hier ohne Belang4. Auch die Ordnungsmäßigkeit, etwa die rechnerische Richtigkeit von Kassenanweisungen, entzieht sich einer vergleichenden Betrachtung. Allerdings spielen (formelle) Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit in der modernen überörtlichen Prüfung eine eher untergeordnete Rolle. Über die Rechtmäßigkeit wachen vorrangig Kommunalaufsicht, Gerichte und Vergabekammern, über Ordnungsmäßigkeit die Organe der örtlichen Prüfung5. Von Bedeutung ist die (materielle) Rechtmäßigkeitsprüfung für den Rechnungshof vor allem dort, wo Vorschriften zu Lasten der kommunalen Finanzen fehlerhaft angewendet werden6. 2. Wirtschaftlichkeitsprüfung Schwerpunkt der überörtlichen Prüfung ist heutzutage die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Bei dieser sind Vergleiche regelmäßig unverzichtbar. Soll etwa im Rahmen des Minimalprinzips nachgewiesen werden, dass ein definierter Erfolg mit geringerem Aufwand erreichbar ist, gelingt der Nachweis letztlich nur durch Vergleich.
4 Das schließt nicht aus, dass insbesondere bei formell rechtswidrigem Verwaltungshandeln (etwa im Bereich der Stellenpläne oder der Haushaltsplanung) ein Verweis auf die rechtmäßige Praxis anderer Kommunen die Bereitschaft zur Umsetzungen von Feststellungen des Rechnungshofs fördert. 5 Z. B. Visaprüfungen, Kassenprüfungen. 6 Z. B. rechtsgrundlose oder überhöhte Leistungserbringung in den Bereichen Soziales und Jugend.
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Beispiel: Ein Landkreis lässt jährlich 300 Bauanträge durch 1,5 Vollzeitkräfte bearbeiten. Die Wirtschaftlichkeit des Personalaufwands kann nur beanstandet werden, wenn eine vergleichende Betrachtung mit anderen Landkreisen ergibt, dass dort durchschnittlich z. B. 0,8 Vollzeitkräfte die gleiche Zahl von Bauanträgen erledigen. Der Vergleich ist in nahezu allen Verfahrensstadien der Wirtschaftlichkeitsprüfung bedeutsam: a) Konzeptionierung Im Rahmen der Konzeptionierung einer Turnusprüfung können prüfungswürdige Risiken häufig nur mittels Vergleich identifiziert werden: Beispiel: Das Jugendamt eines zur Prüfung anstehenden Landkreises leistet an 2,25 Kinder und Jugendliche pro tausend Einwohner unter 21 Jahren Jugendhilfe in Form der Heimunterbringung. Ob diese Heimunterbringungsquote „auffällig“ und daher eine Aufnahme des Themas in das Prüfungskonzept angezeigt ist, kann letztlich nur durch einen Kennzahlenvergleich mit anderen Landkreisen ermittelt werden. b) Bewertung von Prüfungssachverhalten Auch bei der Prüfung festgestellte Sachverhalte können im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit regelmäßig nur vergleichend bewertet werden. Beispiel: Nach den während der Prüfung getroffenen Feststellungen wendet eine Stadt zur Eigenreinigung ihrer Verwaltungsgebäude jährlich 25 € / m² Reinigungsfläche auf. Von den Reinigungskräften werden Reinigungsleistungen von 75 m² / h verlangt. Die Wirtschaftlichkeit der Reinigung ist nur bewertbar, wenn sie in Relation zu diesbezüglichen Werten anderer Kommunen gesetzt werden kann. c) Empfehlungen Prüfungen erschöpfen sich idealerweise nicht in bewerteten Zustandsbeschreibungen. Sie sollten vielmehr in möglichst exakte Handlungsempfeh-
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lungen für kommunale Verwaltungen und Gremien münden. Diese entfalten insbesondere dann Überzeugungskraft, wenn die mit ihrer Umsetzung verbundenen Wirtschaftlichkeitspotenziale beziffert und daher „greifbar“ werden. Dies erfordert in aller Regel den Rückgriff auf durch Vergleich gewonnene, möglichst valide Benchmark-Werte. Beispiel: Im Personalmanagement einer Verbandsgemeindeverwaltung beträgt die Bearbeitungsquote 90 Personalzahlfälle je Vollzeitkraft. Im Rahmen einer Querschnittsprüfung bei über 30 Verbandsgemeindeverwaltungen7 hat der Rechnungshof einen allgemein anerkannten Referenzwert von 160 bis 180 Zahlfällen je Vollzeitkraft ermittelt. Nur der Vergleich von Ist-Zustand und Referenzwert ermöglicht es, die genaue Zahl mit „kw“-Vermerken zu versehender überzähliger Stellenanteile zu ermitteln und das Aufwandsminderungspotenzial bei deren Vollzug zu berechnen.
IV. Probleme 1. Datenverfügbarkeit Vergleiche sind zwingend auf Daten angewiesen. Soll ein geprüftes Objekt mit anderen verglichen werden, müssen neben dessen Daten auch die Daten geeigneter Vergleichsobjekte vom Rechnungshof erhoben werden oder aus anderen Quellen verfügbar sein. Eines der wesentlichen Probleme bei vergleichenden Kommunalprüfungen ist daher die Verfügbarkeit von geeigneten Daten. a) Eigenerhebung Die Personalausstattung für die Kommunalprüfung ist bei den aus dem andeshaushalt finanzierten Rechnungshöfen – anders als bei den (auch) geL bührenfinanzierten Gemeindeprüfungsanstalten in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sowie dem Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband – regelmäßig überschaubar. 7 Vgl. Gutachten „Organisation und Personalbedarf der Verbandsgemeinden“ 2016, S. 33, im Internet abrufbar unter https: / / rechnungshof.rlp.de / fileadmin / rech nungshof / Weitere_Veroeffentlichungen / Organisation_und_Personalbedarf_der_Ver bandsgemeindeverwaltungen.pdf.
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In Rheinland-Pfalz stehen derzeit beim Rechnungshof rund 22 Vollzeitäquivalente für die Prüfung von 96 Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie 35 Zweckverbänden, 20 Anstalten und mehr als 150 Eigenbetrieben zur Verfügung8. Kaum ein Rechnungshof dürfte daher in der Lage sein, mit eigenem Personal kontinuierlich aktualisierte Vergleichsdatenbanken für alle wesentlichen Themenfelder kommunaler Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzuhalten, bei denen zudem eine ausreichende Qualitätssicherung der Daten gewährleistet ist9. Soweit daher nicht aufgrund selbst durchgeführter, noch hinreichend aktueller Querschnittsprüfungen Vergleichsdaten verfügbar sind, muss insbesondere für die Turnusprüfungen auf Daten Dritter zurückgegriffen werden. b) Fremddaten aa) Amtliche Statistik Die amtliche Statistik ist als Grundlage für vergleichende Prüfungen nur bedingt geeignet. Sie deckt längst nicht alle prüfungsrelevanten Bereiche ab. Zudem leidet sie, zumindest im Bereich der amtlichen Finanzstatistik, an zum Teil gravierenden Validitätsmängeln. Diese sind – wie jüngst eine diesbezügliche Prüfung des Rechnungshofs ergab10 – überwiegend auf fehlerhafte Meldungen der Kommunen zurückzuführen. Schließlich fehlt der Finanzstatistik die für vergleichende Prüfungen erforderliche Gliederungstiefe. Das doppische Haushaltsrecht vereinheitlicht die kommunalen Haushalte und Jahresabschlüsse nur beschränkt. Produktrahmenpläne sind grundsätzlich nur bis zur dritten Ziffer (Produktgruppe) verbindlich11. Unterhalb der vereinheitlichten Ebenen bleibt breiter Raum für kommunalen Individualismus, der statistischer Erfassung nicht zugänglich ist. Beispiel: Verbindlich ist die Produktgruppe 114 (Zentrale Dienste). Die Einrichtung eines Produkts „Bauhof“ (Nr. 1143) sowie diesbezüglicher Leistungen ist 8 Die Prüfung der bundesweit singulären Vielzahl kleinerer verbandsangehöriger und verbandsfreier Gemeinden sowie Verbandsgemeinden ist in Rheinland-Pfalz auf die 24 Gemeindeprüfungsämter bei den Kreisverwaltungen delegiert. 9 Vgl. im Gegensatz dazu etwa die Datenbanken der Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen unter http: / / gpanrw.de / de / prufung-test / kennzahlen-test / kenn zahlen-vergleichen / 6_160.html. 10 Vgl. Kommunalbericht 2017 Nr. 4 (https: / / rechnungshof.rlp.de / de / veroeffentli chungen / kommunalberichte / kommunalbericht-2017 / nr-4-kommunale-finanzstatis tik / ). 11 Vgl. Nr. 3.1 und 3.3 VV-GemHSys.
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fakultativ. Aus diesem Grund enthält die Finanzstatistik keine für die vergleichende Prüfung kommunaler Bauhöfe benötigten Daten. Selbst auf vereinheitlichten Ebenen der Haupt-Produktbereiche, Produktbereiche und Produktgruppen wird die Vergleichbarkeit finanzstatistischer Daten durch eine höchst unterschiedliche Praxis der internen Leistungsverrechnung (Verzicht bis vollständig) stark beeinträchtigt. bb) Verbandsstatistiken Als vergleichsgeeignete Datenquellen kommen auch Statistiken von Fachverbänden in Betracht. Für die vergleichende Prüfung kommunaler Musikschulen und Bibliotheken kommen etwa die Verbandsstatistik des Verbands deutscher Musikschulen (VdM)12 sowie die Deutsche Bibliotheksstatistik13 in Betracht. Auch hier gibt es aber Grenzen: So offenbarte eine Kontrolle der kommunalen Berichtsbögen zur Statistik des VdM im Rahmen einer Querschnittsprüfung Validitätsmängel, die die Aussagekraft der Statistik beeinträchtigten. Die örtlichen Erhebungen bei einer kreisfreien Stadt zeigten, dass die zur Bibliotheksstatistik gemeldeten Daten zu Besucher- und Nutzerzahlen der Stadtbücherei unrealistisch waren. cc) Sonstige Als nichtstatistische Datenquelle kommen vor allem Daten der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) in Betracht, zu denen sich Rechnungshöfe über eine Mitgliedschaft bei der KGSt Zugang verschaffen können. Die Ergebnisse der dortigen Vergleichsringarbeit sind in der Regel methodisch sauber erarbeitet und genießen im kommunalen Bereich vergleichsweise hohe Akzeptanz. Sie können deshalb auch zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Handelns von Kommunen herangezogen werden, die nicht selbst Teilnehmer des Vergleichsrings waren. Aber auch hier ist im Einzelfall Vorsicht geboten: Forderungen des Rechnungshofs, im Rahmen der Verwaltungskostenerstattung Zuschläge für Overheadkosten in Höhe von der KGSt empfohlener Pauschalen zu erheben, wurden von einer Verbandsgemeinde mit dem Hinweis auf mangelnde Vergleichbarkeit gekontert. Die KGSt-Empfehlungen seien im Wesentlichen nach Daten der Stadtverwaltung Köln berechnet worden, die mit den Verhältnissen der rheinland-pfälzischen Provinz nicht ver12 https: / / www.musikschulen.de / musikschulen / fakten / . 13 https: / / www.bibliotheksstatistik.de / .
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gleichbar seien. So seien etwa die von der KGSt empfohlenen Mindestzuschläge für Gemeinkosten von 20 % der Bruttopersonalkosten für Verbandsgemeindeverwaltungen nicht sachgerecht, da dort kein der Stadtverwaltung Köln entsprechender Overhead bestehe. Bei Prüfungen im Bereich der Jugendhilfe können landesweite Vergleichsdaten für Rheinland-Pfalz aus den alle drei Jahre erscheinenden Landesberichten über die Hilfen zur Erziehung14 des Instituts für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism) entnommen werden. Deren Validität ist jedoch nach Prüfungsfeststellungen des Rechnungshofs nicht über jeden Zweifel erhaben15. 2. Datenvergleichbarkeit Der beliebteste Einwand gegen unliebsame Ergebnisse vergleichender Prüfungen ist das reflexartig einsetzende „Äpfel-Birnen-Stereotyp“16. Es reicht daher nicht aus, Vergleichsdaten einfach nebeneinander zu stellen. Es bedarf auch hinreichender zusätzlicher Erkenntnisse, um ihre Vergleichbarkeit im Bestreitensfall überzeugend darstellen zu können. Hierbei gilt es insbesondere, mit Entgegnungen hinsichtlich vermeintlicher oder tatsächlicher örtlicher Besonderheiten sowie zu Qualitätsunterschieden in der Sachbearbeitung umzugehen. Beispiel: Die oben genannte Kreisverwaltung mit einer vergleichsweise geringen Quote an Bauanträgen je Kraft führt an, dass bei ihr gegenüber anderen Verwaltungen wesentlich komplexere Vorhaben (etwa Hochbauten, größere gewerbliche Anlagen) zur Genehmigung anstünden und nur ein geringerer Anteil der Vorhaben im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu beurteilen sei. Außerdem habe die Beratung der Bauwilligen einen großen Stellenwert. Um hier dennoch zu überzeugen, muss die Struktur der Bauanträge, die dem Referenzwert zugrunde liegt, ebenso bekannt sein wie der Umfang der andernorts üblicherweise erbrachten Beratungsleistungen.
14 https: / / www.ism-mz.de / home / jugendhilfeberichterstattung / qualitaetsentwick lung-durch-berichtswesen-rlp.html. 15 Vgl. Kommunalbericht 2011, Nr. 3 Tz. 2 (https: / / rechnungshof.rlp.de / filead min / rechnungshof / Kommunalberichte / 2011 / Kommunalbericht_2011_Nr._3_Erzie herische_Hilfen.pdf). 16 So ergab eine Google-Abfrage mit den Suchworten „Äpfel“, „Birnen“ und „Rechnungshof“ Ende März 2018 ungefähr 15.500 Treffer.
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Andreas Utsch
V. Beispiele aus der Prüfungspraxis Abschließend sollen die Chancen und Probleme von vergleichenden Prüfungen anhand von vier Beispielen aus der kommunalen Prüfungspraxis des Rechnungshofs schlaglichtartig beleuchtet werden: 1. Kommunale Bauhöfe Ziel der Querschnittsprüfung „Kommunale Bauhöfe“17 war u. a., die Wirtschaftlichkeit verschiedener Organisationsformen zu vergleichen. Hierzu wurden mangels Verfügbarkeit statistischer Daten zu jeder Organisationsform die Stellenzahl und der Personalaufwand erhoben. Die Kennzahlen „Stellen je 1.000 Einwohner“ sowie „Personalaufwand je Einwohner“ sollten eine Ermittlung der wirtschaftlichsten Organisationsform ermöglichen. Die durchschnittliche Zahl der Stellen je 1.000 Einwohner war bei weitgehend zentralisierter Aufgabenerledigung am geringsten. Beim Personalaufwand je Einwohner schnitten hingegen die Verbandsgemeinden am besten ab, die die Aufgabenerledigung weitestgehend dezentralisiert hatten. Organisationsform
Stellen je 1.000 Ein wohner
Personalaufwand (€ je Einwohner)
Durchschnitt
von
bis
Durchschnitt
von
bis
Zentraler Verbandsgemeindebauhof und „Gemeindearbeiter“
1,10
0,93
1,39
46,64
38,71
59,77
Verbandsgemeindebauhof und Ortsgemeindebauhöfe sowie „Gemeindearbeiter“
1,60
1,19
1,83
65,10
50,08
75,76
Ortsgemeindebauhöfe und „Gemeindearbeiter“
1,38
1,11
1,83
54,84
45,30
76,97
Nur „Gemeindearbeiter“
1,22
0,82
1,50
44,60
30,20
55,12
Insofern musste bei Wertung der Kennzahl „Personalaufwand je Einwohner“ eine Vergleichbarkeitskorrektur erfolgen: Zentralisierte Bauhöfe hatten in hohem Maß Personal, dass überhöht eingruppiert war; umgekehrt wurden in Verbandsgemeinden mit stark dezentralisierter Aufgabenwahrnehmung 17 Vgl. Kommunalbericht 2013 Nr. 4 (https: / / rechnungshof.rlp.de / de / veroeffentli chungen / kommunalberichte / kommunalbericht-2013 / nr-4-kommunale-bauhoefe / ).
Vergleichende Prüfung bei Kommunen in Rheinland-Pfalz43
wesentlich mehr Aufträge an private Dritte erteilt. Vor diesem Hintergrund konnte als Ergebnis der vergleichenden Prüfung gleichwohl festgestellt werden, dass zentralisierte Bauhöfe mit zutreffend eingruppiertem Personal die wirtschaftlichste Organisationsform für die Aufgabenerledigung in Verbandsgemeinden darstellen. 2. IT-Einsatz Eines von mehreren Themen der Querschnittsprüfung IT-Einsatz18 war die Wirtschaftlichkeit der kommunalen Serverlandschaft. Daten aus der Statistik oder aus Erhebungen Dritter zum Virtualisierungsgrad in den einzelnen Kommunen waren nicht verfügbar. Mittels elektronisch auszufüllender Fragebögen wurden entsprechende Daten selbst ermittelt.
18 Vgl. Kommunalbericht 2015 Nr. 4 (https: / / rechnungshof.rlp.de / de / veroeffentli chungen / kommunalberichte / kommunalbericht-2015 / nr-4-einsatz-der-informations technik-bei-landkreisen-kreisfreien-und-grossen-kreisangehoerigen-staedten / ).
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Im Ergebnis konnte den in die Prüfung einbezogenen, aber auch den anderen Kommunen aufgezeigt werden, was im Bereich der Virtualisierung geht und welche mittelfristigen Konsolidierungspotenziale die stärkere Virtualisierung bietet. Ohne diese vergleichende Prüfung wäre es argumentativ erheblich schwerer, gering virtualisierte Kommunen zu einer stärkeren Virtualisierung zu bewegen, zumal dies zunächst Investitionen bedeutet. 3. Musikschulen Das Problem der Vergleichbarkeit von Daten wurde erneut deutlich bei einer jüngst durchgeführten Querschnittsprüfung öffentlicher Musikschulen19. Hierbei konnte der Rechnungshof auf Daten der verbandsintern geführten Statistik des VdM zurückgreifen. Ein Gegenstand der Prüfung war auch hier ein Wirtschaftlichkeitsvergleich verschiedener Organisationsformen. Kostenvergleich 2015
Kommunale Musikschulen
Vereinsmusik schulen
- € Kosten je Jahreswochenstunde
2.051
1.401
Kosten je Schülerbelegung
880
562
Dieser ergab zunächst scheinbar einen klaren Wirtschaftlichkeitsvorteil für öffentliche Musikschulen, die in der Rechtsform eines Vereins mit kommunalen Zuschüssen betrieben wurden. Die Vereinsmusikschulen waren den als Regiebetrieb geführten Musikschulen aber deshalb nicht hinreichend vergleichbar, weil sie ihr Personal ohne Tarifbindung beschäftigten, Verwaltungsaufgaben durch Ehrenamtliche erledigen ließen und sie von ihren Mitgliedskommunen teilweise erheblich durch unentgeltliche Personalgestellung subventioniert wurden. Auf eine Empfehlung, kommunale Musikschulen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit künftig vorrangig als Vereinsmusikschulen zu betreiben, musste daher verzichtet werden.
19 Vgl. Kommunalbericht 2017 Nr. 3 (https: / / rechnungshof.rlp.de / de / veroeffentli chungen / kommunalberichte / kommunalbericht-2017 / nr-3-oeffentliche-musikschu len / ).
Vergleichende Prüfung bei Kommunen in Rheinland-Pfalz
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4. Kommunale Unternehmen Schlussendlich muss sich auch die Prüfung im Bereich kommunaler Unternehmen wesentlich auf Vergleiche stützen, um die Unwirtschaftlichkeit bestimmter Verfahrensweisen in Unternehmen überzeugend aufzeigen zu können: a) Aufsichtsräte Ein Thema ist insoweit die Besetzung der zumeist fakultativen Aufsichtsräte kommunaler GmbHs20. Eine gesetzliche Begrenzung der Mitgliederzahl nach oben gibt es nicht21. Konkrete gesetzliche Regelungen über die Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern gibt es ebenfalls nicht. Daher trifft man bei Prüfungen häufig auf die Trias „Wenige Sitzungen – viele Mitglieder – viel Vergütung“. Sinekuren sind schließlich zeitlos beliebt. Vor diesem Hintergrund hat der Rechnungshof im Rahmen einer Querschnittsprüfung22 u. a. die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder bei allen rheinland-pfälzischen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften erhoben. Die Ergebnisse wurden im Sinne der besseren Vergleichbarkeit größenklassenspezifisch dargestellt.
20 Vgl. z. B. Kommunalbericht 2016 Nr. 6 Tz. 6.1 (https: / / rechnungshof.rlp.de / file admin / rechnungshof / Kommunalberichte / 2016 / Kommunalbericht_2016.pdf). 21 Nach § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 95 Satz 1 AktG besteht der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern, soweit der Gesellschaftsvertrag keine größere oder kleinere Mitgliederzahl festlegt. 22 Vgl. das Gutachten „Querschnittsprüfung Kommunaler Wohnungsbau (2012)“ unter https: / / rechnungshof.rlp.de / de / veroeffentlichungen / gutachten-und-stellungnah men / .
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Die Gesellschaft mit den 16 Aufsichtsratsmitgliedern verfügte über weniger als ein Viertel der Wohneinheiten der größten, im Vergleich berücksichtigten Gesellschaft. Diese hatte indessen nur neun Aufsichtsratsmitglieder. Angesichts dieses Vergleichs blieb der Gesellschaft mit dem überproportionierten Aufsichtsrat nur noch die Zuflucht zu rechtlich nicht haltbaren Proporzargumenten. Nach der nächsten Kommunalwahl wurde ihr Aufsichtsrat aber immerhin um sage und schreibe ein (!) Mitglied reduziert. Man sieht: Auch die vermeintliche Wunderwaffe „vergleichende Prüfung“ stößt an Grenzen. b) Geschäftsführervergütung Zur wirtschaftlichen Unternehmensführung gehört auch die Vereinbarung angemessener Geschäftsführerbezüge. Deren Höhe wird bei kommunalen Unternehmen in Rheinland-Pfalz unter Berufung auf § 286 Abs. 4 HGB regelmäßig weder in den Beteiligungsberichten noch in den Jahresabschlüssen angegeben. Es handelt es sich daher um ein von großer Intransparenz geprägtes Prüfungsfeld. Vergleichsdaten lassen sich regelmäßig nur durch eigene Erhebungen bei Beteiligungsverwaltungen und Unternehmen generieren23. Sie sind aber unabdingbar notwendig, wenn im Rahmen der Prüfung evident unwirtschaftliche Auswüchse bei den Gehaltsvereinbarungen beanstandet werden sollen. Bei der Prüfung von Wohnungsbauunternehmen erschien eine derartige Erhebung von Vergleichsdaten wegen weitgehender Homogenität von Organisation und Aufgaben erfolgversprechend. Überlegungen, ähnliche Daten etwa im Bereich der rheinland-pfälzischen Stadtwerke zu erheben, wurden wieder verworfen. Die dort festzustellende Inhomogenität von Organisation und Zuständigkeiten24 ließ zu gravierende Einwände gegen die Vergleichbarkeit der Daten erwarten. Trotz Problemen bei Datenbeschaffung und Datenvergleich ist und bleibt der vergleichende Ansatz für eine moderne Wirtschaftlichkeitsprüfung unver23 Vergütungsvergleichsstudien, wie etwa die von Kienbaum oder des Vergütungsportals der pcg, sind nur begrenzt brauchbar, wenn die Unternehmen der im Land zu prüfenden Branche bei den Studien nicht oder nur gering vertreten sind. Nach dem Niedersächsischen OVG, Beschluss vom 30. April 2010 – 10 ME 186 / 09; juris Rn. 26, ist die Angemessenheit einer Geschäftsführervergütung vergleichend nicht nur anhand ihrer Größen- und Branchen-, sondern auch nach ihrer Landesüblichkeit zu bestimmen. 24 Nur wenige Stadtwerke haben identische Betriebszweige; zum Teil werden identische Betriebszweige in unterschiedlichen Organisationsformen (etwa Auslagerung auf Tochterunternehmen) geführt.
Vergleichende Prüfung bei Kommunen in Rheinland-Pfalz
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Personalaufwand für Geschäftsführer der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften
zichtbar. Vor allem der überzeugend geführte Nachweis, dass Aufgaben andernorts mit geringerem Aufwand gleich gut oder mit gleichem Aufwand besser erledigt werden, bringt erfahrungsgemäß Verwaltung, Gremien und Kommunalaufsicht zur Reflektion über den status quo. Ohne eine solche Reflexion besteht aber keine Chance auf optimierende Veränderung.
Vergleichende überörtliche Prüfung in Hessen Von Ulrich Keilmann und Felix Volk
I. Die überörtliche Prüfung 1. Aufgaben Die Vergleichenden Prüfungen der überörtlichen Prüfung bauen auf dem Gesetz zur Regelung der überörtlichen Prüfung kommunaler Körperschaften in Hessen (ÜPKKG1) auf. Mit diesem relativ kurzen Gesetz (neun Paragraphen) wurde die Überörtliche Prüfung dem Präsidenten des Hessischen Rechnungshofs übertragen (§ 1 ÜPKKG). Im Jahr 1994 nahm die Überört liche Prüfung die Arbeit auf.2 Die Überörtliche Prüfung hat nach § 3 Abs. 1 ÜPKKG den Auftrag, auf vergleichender Basis festzustellen, ob die Verwaltung rechtmäßig, sachgerecht und wirtschaftlich geführt wird. Sie orientiert sich daher in ihren Prüfungen an den drei Prüfungsmaßstäben Rechtmäßigkeit, Sachgerechtheit und Wirtschaftlichkeit. § 4 Absatz 1 ÜPKKG definiert die überörtlichen Prüfungsgegenstände. Neben allen 444 hessischen Kommunen sind dies auch alle kommunalen Verbände (u. a. Landeswohlfahrtsverband, Regionalverband FrankfurtRheinMain, Zweckverbände etc.), Gebietsrechenzentren, Versorgungskassen und Anstalten des öffentlichen Rechts mit Ausnahme der Sparkassen. § 5 Abs. 1 ÜPKKG regelt insbesondere den Prüfungsturnus. Danach sollen die großen Kommunen und Verbände mindestens einmal in einem Zeitraum von fünf Jahren überörtlich geprüft werden. Selbstverständlich sollen auch die kreisangehörigen Städte und Gemeinden regelmäßig überörtlich geprüft werden. Die Einhaltung des Fünf-Jahres-Rhythmus ist bei diesen nicht unbedingt zwingend. Gleichwohl wird sich hieran orientiert.3 1 Gesetz zur Regelung der überörtlichen Prüfung kommunaler Körperschaften in Hessen (ÜPKKG) vom 22. Dezember 1993, GVBl. I, S. 708, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. März 2011, GVBl. I, S. 153, 159. 2 Vgl. Stöhr, Andreas 2014, S. 276. 3 Zumindest wird vermieden, dass kleinere Kommunen nicht unverhältnismäßig oft überörtlich geprüft werden. Der Überörtlichen Prüfung ist bewusst, dass eine Ver-
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Ulrich Keilmann und Felix Volk
Die möglichen Prüfungsinhalte sind in einem nicht abschließenden Katalog in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–8 ÜPKKG aufgelistet. So ist u. a. zu prüfen, ob: •• die Grundsätze der Einnahmenbeschaffung beachtet werden, •• die personelle Organisation zweckmäßig ist, •• Investitionsvorhaben Wirtschaftlichkeitsanalysen zugrunde liegen, und •• ob der Umfang freiwilliger Leistungen der Leistungsfähigkeit entspricht und nicht zukünftige Handlungsspielräume – auch nachfolgender Generationen – einschränkt.4 In der Praxis werden diese Prüfungsinhalte durch Haushaltsstrukturprüfungen und Fachprüfungen konkretisiert. In den Haushaltsstrukturprüfungen wird die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung der kommunalen Körperschaften beleuchtet.5 Fachprüfungen hingegen beziehen sich auf ausgewählte kommunale Aufgabenbereiche.6 2. Organisation Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs kann die Bediensteten des Rechnungshofes mit der Wahrnehmung der Prüfungen beauftragen (§ 2 ÜPKKG). § 5 Abs. 1 S. 4 ÜPKKG eröffnet ferner die Möglichkeit, auch öffentlich bestellte Wirtschaftsprüfer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder andere geeignete Dritte zu beauftragen. Genau dies ist auch der Regelfall und eine Besonderheit Hessens im Flächenländervergleich der überörtlichen Prüfungseinrichtungen. Durch den Einsatz externer Dritter können erprobte Methoden und Konzepte aus der Privatwirtschaft in die unabhängige öffentliche Finanzkontrolle integriert werden. Gleichzeitig kann der eigene Personalkörper schmal bleiben, weil im Wesentlichen Projektsteuerungsaufgaben wahrgenommen werden müssen. 3. Prüfungsablauf Vor Beginn jeder Prüfung werden die beteiligten kommunalen Körperschaften mit einer Prüfungsanmeldung über die bevorstehende Prüfung, degleichende Prüfung Verwaltungskapazitäten bindet, die größere Städte bzw. Landkreise aufgrund des Personalkörpers leichter zur Verfügung stellen können. 4 Vgl. Stöhr, Andreas 2014, S. 278. 5 Hierfür gibt es das sog. „Prüfungshandbuch“, das ein einheitliches Vorgehen in den Vergleichenden Prüfungen gewährleisten soll. Dieses wird kontinuierlich den aktuellen Entwicklungen (z. B. Gesetzesänderungen) angepasst. 6 Vgl. Stöhr, Andreas 2014, S. 278.
Vergleichende überörtliche Prüfung in Hessen
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ren Inhalt und den zeitlichen Ablauf informiert. Der Prüfung vor Ort (örtliche Erhebung) geht eine Eingangsbesprechung voraus, bei der der Prüfungsbeauftragte vorgestellt wird und die Grundzüge der Prüfung skizziert werden. In einer Erörterungsbesprechung werden die erhobenen Daten und Fakten mit der Körperschaft besprochen. Die Prüfungsergebnisse werden als „Vorläufige Prüfungsfeststellungen“ der geprüften Körperschaft vorgelegt. In einer Interimbesprechung werden diese Ergebnisse auf Arbeitsebene behandelt und ggf. Änderungen in den Bericht eingearbeitet. Im Anschluss daran erhalten die geprüften Körperschaften die „Prüfungsfeststellungen“ als Entwurf des Schlussberichts. Damit beginnt das formelle, kontradiktorische Verfahren. Die geprüften Körperschaften haben das Recht, ihren Standpunkt in Form einer Stellungnahme einzubringen. Diese wird dann in der Schlussbesprechung zwischen der Überörtlichen Prüfung, dem Prüfungsbeauftragten und der Körperschaft erörtert. Auf Grundlage der Stellungnahmen und Schlussbesprechungen entwickelt die Überörtliche Prüfung die Schlussberichte7 und leitet diese wiederum den kommunalen Körperschaften zu. Nach dem ÜPKKG haben die Körperschaften die Schlussberichte dem zuständigen Beschlussorgan (Stadtverordnetenversammlung, Gemeindevertretung, Kreistag, Verbandsversammlung) zur weiteren Beratung bekanntzugeben. Hierdurch fließen die Prüfungsergebnisse in die politischen Entscheidungen ein und es wird gleichzeitig Transparenz hergestellt. Die zentralen Ergebnisse von allgemeiner Bedeutung der Prüfungen fasst die Überörtliche Prüfung einmal jährlich im Kommunalbericht8 zusammen und legt diesen dem Landtag, der Landesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden vor. Hiermit wird dem § 6 Abs. 3 ÜPKKG Rechnung getragen. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs informiert in einer Pressekonferenz Medien und Öffentlichkeit über die gewonnenen Erkenntnisse. Außerdem werden die Kommunalberichte im Unterausschuss für Finanzcontrolling und Verwaltungssteuerung (UFV) des Hessischen Landtags behandelt. Anspruch der Überörtliche Prüfung ist, allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern, ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern, Verwaltungsfachkräften etc. Zugang zu den Kommunalberichten zu gewähren. Aus diesem Grund werden die Kommunalberichte – wie auch die Bemerkungen des Hessischen Rechnungshofs über die Haushalts- und Wirt7 Nach Abschluss des kontradiktorischen Verfahrens erhält jede geprüfte Körperschaft einen auf sie individuell zugeschnittenen Schlussbericht. In diesem werden die erhobenen und geprüften Daten der Körperschaft mit denen der anderen geprüften Kommunen verglichen und konkrete Empfehlungen ausgesprochen. 8 „Zusammenfassender Bericht“ nach § 6 Abs. 3 ÜPKKG.
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Ulrich Keilmann und Felix Volk
schaftsführung des Landes Hessen – auf der Webpräsenz des Hessischen Rechnungshofs9 kostenfrei zum Download zur Verfügung gestellt. 4. Sieben zentrale Vorteile unserer Vergleichenden Prüfungen Grundsätzlich hat die Überörtliche Prüfung nach § 3 Abs. 1 S. 2 ÜPKKG auf vergleichenden Grundlagen zu prüfen. Einzelprüfungen sind durch den Wortlaut des Gesetzes aber nicht ausgeschlossen. Die Vergleichenden Prüfungen zeigen nicht nur das in der kommunalen Praxis tatsächlich vorgefundene Handeln auf. Sie identifizieren unmittelbar auch gelungene Lösungen, sog. „Best-Practice-Beispiele“, die die Verwaltungen sich oft sehr einfallsreich erarbeitet haben. Von diesen Erfahrungen und der Kreativität können nicht nur die Körperschaften, die geprüft wurden, aus den Vergleichenden Prüfungen einen Mehrwert gewinnen. Auch die anderen hessischen Körperschaften können ihr Verwaltungshandeln in den Kontext der jeweiligen Untersuchung stellen und sich selbstkritisch nach Verbesserungspotenzialen hinterfragen.10 Die Vorteile der Vergleichenden Prüfungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Neutrale Information über interne Struktur der Kommune (insb. bei Haushaltsstrukturprüfungen), 2. Neutrale Information über Stand der Kommune mit vergleichbaren Körperschaften (Benchmark), 3. Objektive Hilfestellung und Anregungen zur Ergebnisoptimierung (Hilfe zur Selbsthilfe), 4. Gute Beispiele werden aufgegriffen und beispielgebend dargestellt (BestPractice), 5. Anregungen und Kritik gegenüber Vorgaben (Standards) des Bundes oder des Landes werden aufgegriffen und Änderungen vorgeschlagen, 6. Hinweise auf eine notwendige Unterstützung bei den kommunalen Spitzenverbänden werden aufgegriffen und darüber berichtet, 7. Die Kosten trägt das Land.
9 rechnungshof.hessen.de. 10 Vgl.
Stöhr, Andreas 2014, S. 278.
Vergleichende überörtliche Prüfung in Hessen
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II. Ausgewählte Prüfungserkenntnisse 1. Erfolgsfaktoren Haushaltsausgleich (177. Vergleichende Prüfung) Ziel der 177. Vergleichenden Prüfung war es, grundsätzlich aufzuzeigen, durch welche „Erfolgsfaktoren“ die Haushaltssituation der Gemeinden in der Vergangenheit beeinflusst wurde und zugleich in künftigen Jahren verbessert werden kann. 15 Kommunen wurden geprüft.11 Der Haushaltsausgleich an sich ist nicht nur gesetzlich gefordert, sondern auch unumgänglich für den dauerhaften Erhalt der politischen Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort. Deshalb sollten defizitäre Kommunen konsequent alle Konsolidierungspotentiale identifizieren, priorisieren und zielgerichtet den steten Haushaltsausgleich in einem realistischen Zeitfenster ansteuern. Vor diesem Hintergrund untersucht die Überörtliche Prüfung in ihren Prüfungen vor allem mögliche Konsolidierungspotentiale. Als wesentlich für den Haushaltsausgleich erweisen sich hierbei gerade bei kleineren und mittleren kreisangehörigen Städten und Gemeinden immer wieder die nachstehenden fünf Erfolgsfaktoren: •• Kostendeckende Gebühren in der Ver- und Entsorgung sowie beim Bestattungswesen, •• wirtschaftliche allgemeine Verwaltung nebst Bereitschaft zur interkommunalen Zusammenarbeit, •• vorausschauender und an den unabdingbaren Notwendigkeiten ausgerichteter Personaleinsatz bei der Kindertagesbetreuung in Kombination mit der Bereitschaft zur Erhebung angemessener Gebühren, •• angemessene Aufwendungen für und Investitionen in freiwillige Leistungen sowie •• angemessene Realsteuerhebesätze. Dabei sollte eine Anhebung der Realsteuersätze die Ultima Ratio sein.12 11 Vgl. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs 2015, S. 122 ff. sowie Keilmann, Ulrich 2016a, S. 21. 12 In diesem Zusammenhang wird in den Prüfungen oftmals auf die sog. Nachhaltigkeitssatzungen verwiesen. Mit Nachhaltigkeitssatzungen verpflichten sich kommunale Gebietskörperschaften, eine generationengerechte Haushaltswirtschaft zu betreiben, welche am stetigen Ausgleich des ordentlichen Ergebnisses ausgemacht wird. Schafft die Kommune den Haushaltsausgleich nicht, so wird als „Ultima Ratio“ die Grundsteuer B um die entsprechenden Hebesatzpunkte erhöht, dass der Ausgleich erreicht wird. Als Wirkung wird sich jedoch nicht erhofft, dass der Generationenbeitrag tatsächlich erhoben wird. Vielmehr soll die Drohkulisse der finanziellen Belastung der Bevölkerung und somit die Gefahr der Missgunst der Wähler dazu führen,
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Ulrich Keilmann und Felix Volk Zusammenhang von Verbandsstruktur und Umlage 150 € Abwasserverband A (5 KA, 4.760 Ew. gen.)
120 €
90 € 0,0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
60 €
0,7
0,8
0,9
1,0
Strukturkennzahl
30 € Abwasserverband B
(1 KA, 70.000 Ew. gen.)
0€
kostendeckende Umlagen
KA = Kläranlage Quelle: Eigene Erhebungen und Berechnungen; Stand: Januar 2016
Abbildung 1: Zusammenhang von Verbandsstruktur und Umlage13
Ein Haushaltsausgleich war bei jeder der untersuchten 15 Kommunen möglich und im Sinne der Generationengerechtigkeit zu fordern. Die Prüfung zeigte, dass es keinen einzelnen Erfolgsfaktor gab, der für einen ausgeglichenen Haushalt bestimmend war. Es handelt sich – insbesondere bei besonders konsolidierungsbedürftigen Kommunen – vielmehr um ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. 2. Abwasserverbände (190. Vergleichende Prüfung) Gegenstand der 190. Vergleichenden Prüfung waren 17 Abwasserverbände. In dieser wurden die Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit des jeweiligen Verbandes beurteilt. Für die geprüften Abwasserverbände ergaben sich Ergebnisverbesserungspotenziale von rund 7,4 Mio. Euro je Jahr. Zen tral strukturierte Abwasserverbände erfüllten ihre Aufgaben wirtschaftlicher und ihre Reinigungsleistung war deutlich besser.14
dass anderweitige Konsolidierungsmaßnahmen getroffen werden. Vgl. im Detail Burth, Andreas / Gnädinger, Marc / Keilmann, Ulrich 2015a–d sowie Keilmann, Ulrich 2016b, S. 16. 13 Der Achsenschnittpunkt entspricht den Medianwerten.
Vergleichende überörtliche Prüfung in Hessen
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Der Zusammenhang zwischen Verbandsstruktur15 und Umlage (Wirtschaftlichkeit) konnte deutlich an Hand der nachfolgenden Regression nachgewiesen werden (Abbildung 1). Ein Abwasserverband A (rot) unterhielt zum Prüfungszeitpunkt fünf Kläranlagen mit je einem genehmigten Reinigungsvolumen von knapp über 4.700 Einwohnern. Die durchschnittliche kosten deckende Umlage lag dort bei 146 Euro pro Einwohner und damit weit über dem ermittelten Medianwert. Eine gänzlich andere Struktur wies der Abwasserverband B (grün) auf. Hier gab es nur eine Kläranlage, allerdings mit einer genehmigten Ausbaugröße für 70.000 Einwohner. Mit nur 32 Euro je Einwohner belastete der Verband seine Mitglieder am geringsten und bestätigte die Korrelation zwischen Verbandsstruktur und Höhe der Verbandsumlage. Zusammenhang von Umlage und Reinigungsleistungskennzahl 160 € Abwasserverband A
140 € 120 € 100 €
0
0,2
80 € 0,4 60 €
Reinigungsleistungskennzahl
0,6
0,8
1
40 € 20 € 0€
kostendeckende Umlagen
Abwasserverband B
Quelle: Eigene Erhebungen; Stand: Januar 2016
Abbildung 2: Zusammenhang von Umlage und Reinigungsleistungskennzahl16
14 Vgl. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs 2016, S. 214 ff. sowie Keilmann, Ulrich 2017a, S. 20. 15 Im Rahmen der 190. Vergleichenden Prüfung wurde für jeden Abwasserverband eine sog. Strukturkennzahl entwickelt. In dieser werden die wesentlichen kostenbestimmenden Faktoren der Verbandsstruktur erfasst. 16 Der Achsenschnittpunkt entspricht den Medianwerten.
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Ulrich Keilmann und Felix Volk
Daneben untersuchten wir, ob größere Kläranlagen bessere Reinigungsleistungen erreichten. Auch das weist die nachstehende Regressionsanalyse (Abbildung 2) aus. Der o. a. Abwasserverband A (rot) schöpfte lediglich ein Drittel der Reinigungsleistung aus. Abwasserverband B (grün) zeigte hingegen die höchste Reinigungsleistung im Vergleich von 80 Prozent. Insofernwirkt sich die zentrale Verbandsstruktur auch positiv auf die Reinigungsqualität aus. Soweit sachgerecht und wirtschaftlich möglich, sollten die Abwasserverbände gerade vor anstehenden größeren Investitionen den Anschluss von kleineren an größere Kläranlagen mit freien Kapazitäten erwägen. Verbandszusammenschlüsse oder -erweiterungen sind ebenfalls Möglichkeiten, größere und damit tendenziell effizienter arbeitende Einheiten zu schaffen. 3. Kinderbetreuung (191. Vergleichende Prüfung) In der 191. Vergleichenden Prüfung „Kinderbetreuung“ wurde untersucht, ob die Ausgestaltung des Betreuungsangebots für Kinder bis elf Jahren nach den Maßstäben der Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit vorgenommen wird. Hierbei wurden Auslastung, Betreuungsdauer, Standardsetzung und Steuerung sowie Elternbeiträge in Kindertageseinrichtungen analysiert. Das identifizierte Ergebnisverbesserungspotenzial belief sich insgesamt auf 30,3 Mio. Euro.17 Die Überörtliche Prüfung berechnet mögliche Ergebnisverbesserungspotenziale nach der sog. „Drittelregelung“.18 Städte und Gemeinden sind aber frei, ob und in welcher Höhe sie Gebühren erheben. Unabhängig welcher Steuerzahler letztlich zahlt, lohnt in jedem Fall ein Blick auf nachstehende, in der Prüfung festgestellten Fakten: • Die Betreuung von Kindern unterschiedlichen Alters (Krippe, Kita, Hort) ist unterschiedlich kostenintensiv. Elternbeiträge sollten differenziert nach Betreuungsart in drei Kategorien gestaffelt werden: • die U3-Betreuung, • die Betreuung von Kindern zwischen drei und sechs Jahren, und 17 Vgl. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs 2016, S. 266 ff. sowie Keilmann, Ulrich 2017d, S. 18. 18 § 28 HKJGB gibt einen Hinweis auf die Anwendbarkeit der Drittelregelung. Die Berechnung des Kostenausgleichs zwischen Kommunen wird unter der Annahme vorgenommen, dass ein Drittel der Kosten von den Eltern aufgebracht worden ist. § 28 Absatz 2 HKJGB – Kostenausgleich: Sofern keine abweichende Vereinbarung getroffen wird, bestimmt sich die Höhe des Kostenausgleichs nach dem auf das Kind entfallenden Anteil an den Betriebskosten der Tageseinrichtung, von dem ein Drittel als Elternbeitrag sowie die auf das Kind entfallende Landesförderung in Abzug zu bringen sind. (…).
Vergleichende überörtliche Prüfung in Hessen
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• die Schulkindbetreuung bis elf Jahre (Hort). • Weitere Faktoren für eine Staffelung oder Ermäßigung der Beiträge können auch das Einkommen oder die Zahl der Kinder in Einrichtungen darstellen.19 • Da die U3-Betreuung am kostenintensivsten ist, sollte sie sich signifikant in der Beitragshöhe von der Regelbetreuung unterscheiden. • Insgesamt sollten die Elternbeiträge nach der Dauer der Betreuung gestaffelt werden. Wenn der Beitragsunterschied zwischen der Vormittags- und Ganztagsbetreuung nur unwesentlich ist, kann dies dazu führen, dass Eltern ihre Kinder für eine längere Betreuungszeit anmelden, ohne diese vollumfänglich in Anspruch zu nehmen.20 Die Prüfungsergebnisse zeigen, dass in Städten, die eine Differenzierung der Elternbeiträge vornehmen, die tägliche Betreuungszeit unterdurchschnittlich ist, da sich die Nachfrage an dem tatsächlichen Bedarf orientiert. In Städten ohne Differenzierung ist die Betreuungsdauer tendenziell überdurchschnittlich. Nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund würde jede Abschaffung von Elternbeiträgen dazu führen, dass mittel- und langfristig eine Tendenz zur Vollversorgung besteht – auch wenn sie tatsächlich nicht nachgefragt wird. Der verbleibende Indikator für ein bedarfsgerechtes und -optimiertes Angebot wäre abgeschafft.21 Auch wenn sich viele Eltern wünschen, keine Beiträge für die Betreuung ihrer Kinder zahlen zu müssen, heißt das nicht, dass die Betreuung kostenlos erfolgt. Zahlen müssen dann nur andere: die Steuerzahler insgesamt. 4. Straßenunterhalt (192. Vergleichende Prüfung) Im Rahmen der 192. Vergleichenden Prüfung „Straßenunterhalt II“ wurde die Rechtmäßigkeit, Sachgerechtheit und Wirtschaftlichkeit der Erfüllung der kommunalen Aufgabe Straßenunterhalt analysiert. Im Mittelpunkt der Prüfung standen die Instandsetzung, Erneuerung, betriebliche sowie bauliche Unterhaltung und Wartung der Verkehrsflächen.22 19 Hierbei ist zu berücksichtigten, dass einkommensabhängige Gebühren zu erheblich höherem Verwaltungsaufwand führen. 20 Somit dient die Beitragsdifferenzierung auch als Steuerungsinstrument für die Kommunen, da hierdurch die tatsächliche Nachfrage ermittelt werden kann. 21 Auf die aktuelle Diskussion über die (teilweise) Abschaffung der Kindergartengebühren in Hessen wird nicht eingegangen. Die Überörtliche Prüfung begleitet diese Entwicklung kritisch. 22 Vgl. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs 2016, S. 300 ff. sowie Keilmann, Ulrich 2017c, S. 22.
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Ulrich Keilmann und Felix Volk
Den kommunalen Straßen kommt eine wesentliche volkswirtschaftliche Bedeutung zu. Die Kommunen sind angehalten, das Straßennetz entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit und den Verkehrsbedürfnissen zu bauen, auszubauen und zu unterhalten. Rechtliche Anforderungen für ein systematisches Erhaltungsmanagement existieren nicht. Bei keiner der 19 geprüften Kommunen lag eine eigene Planung zur regelmäßigen Kontrolle der Straßen vor. Bei zehn von 19 geprüften Kommunen gab es zumindest eine technische Zustandserfassung und -bewertung des gesamten Straßennetzes als notwendige Grundlage für ein Erhaltungsmanagement. Insgesamt war in den 19 untersuchten hessischen Kommunen der Zustand des kommunalen Straßennetzes zu •• 36 Prozent in einem sehr guten bis guten (Zustandsklasse 1 und 2), •• 38 Prozent in einem mittelmäßigen (Zustandsklasse 3), •• 20 Prozent in einem schlechten (Zustandsklasse 4) und •• 6 Prozent in einem sehr schlechten Zustand (Zustandsklasse 5). Neben dem Wissen um den Straßenzustand bedarf es noch zusätzlich einer systematischen Erhaltungsstrategie. Um den Kommunen insofern eine Hilfestellung zu geben, untersuchte die Überörtliche Prüfung modellhaft die Wirkung von verschiedenen Erhaltungsstrategien. Die ÜPKK hat hierbei festgestellt, dass die regelmäßige Instandsetzung in der Regel die kostengünstigste Maßnahme ist. Nur in spezifischen Fällen kann eine grundhafte Erneuerung oder eine Sanierung kostengünstiger für die Kommune sein.23 5. Kurorte (198. Vergleichende Prüfung) Im Rahmen der 198. Vergleichenden Prüfung wurde der Kurbetrieb von 15 Kurorten im Prüfungszeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2015 beleuchtet. Im Fokus standen Ausgestaltung und Umfang der Kurleistungen sowie die hierdurch verursachten Aufwendungen und Erträge. Das ermittelte jährliche Ergebnisverbesserungspotential der 15 geprüften Kurund Heilbäder lag bei 8,8 Mio. Euro.24 23 Vgl. auch Keilmann, Ulrich 2017b, S. 18 über das „Für und Wider der wiederkehrenden Straßenbeiträge“. Auf die aktuelle politische Diskussion der Abschaffung der Erhebung(-spflicht) von Straßenbeiträgen wird nicht eingegangen. Nach derzeitiger Gesetzes- und Erlasslage (Stand April 2018) ist die Erhebung von Straßenbeiträgen gerade bei Kommunen mit defizitären Haushalten unerlässlich und aufsichtsbehördlich gefordert. 24 Vgl. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs 2017, S. 200 ff. sowie Keilmann, Ulrich 2018, S. 20.
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Die Erkenntnis, dass nicht allerorts der Kurbetrieb25 einen positiven Deckungsbeitrag leistet, war nicht schwer vorherzusehen. Zahlreiche Kurorte haben mit größeren finanziellen Problemen zu kämpfen als vergleichbare Städte und Gemeinden ohne einen solchen Status. Das liegt maßgeblich am sehr heterogenen Leistungsportfolio. So sind z. B. die in Kurorten weit verbreiteten Kurparks sehr pflegeintensiv. Eine Steuerung des Kurbetriebs sollte aber nicht nur alleine auf das Defizit der Kurleistungen ausgerichtet sein. Auch eine Betrachtung der Kennzahl Ergebnisbeitrag je kurtaxpflichtiger Übernachtung ist zweckdienlich. Denn selbst vergleichsweise hohe Aufwendungen können angemessen sein, wenn die Kurleistungen im entsprechenden Umfang genutzt werden. Beispielsweise hatte Bad Wildungen mit 7 Mio. Euro den mit Abstand höchsten absoluten negativen Ergebnisbeitrag im Vergleichsring. Dieser auf den ersten Blick sehr hohe Wert relativiert sich jedoch deutlich durch die Fallzahl der Kurgäste. 2015 hatte Bad Wildungen knapp 1,3 Mio. kurtaxpflichtige Übernachtungen. Das Defizit pro Kurgast lag damit unter 6 Euro und war damit sogar unterdurchschnittlich. Genau umgekehrt verhielt es sich in Bad Endbach. Absolut gesehen lag der negative Ergebnisbeitrag dort mit fast 1,5 Mio. Euro zwar nur leicht über dem ermittelten Median-Wert. In Bezug auf die Kurgäste hatte Bad Endbach jedoch das mit Abstand höchste Defizit der Kurleistungen. Es betrug über 95 Euro je kurtaxpflichtiger Übernachtung und war damit fast 16-mal höher als in Bad Wildungen. Ursächlich dafür waren die mit 15.475 vergleichsweise sehr niedrigen kurtaxpflichtigen Übernachtungen.26 Gefährdet der Kurbetrieb insgesamt die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommune, müssen unbedingt Maßnahmen ergriffen werden. Sonst ist nicht nur der Kurbetrieb, sondern letztlich die gesamte kommunale Selbstverwaltung vor Ort gefährdet. Einzelne Leistungen sind auf Einsparpotenziale zu überprüfen. Als letztes Mittel ist in Betracht zu ziehen, den Kurortstatus mit den hiermit verbundenen Aufgaben und Aufwendungen aufzugeben. Werden alternativ Defizite beispielsweise durch die Anhebung des Grundsteuer BHebesatzes ausgeglichen, bezahlt der Bürger vor Ort den Preis der Genesung des Kurgastes. 25 Nicht alle Kommunen folgen der Empfehlung nach Anlage 12 GemHVO, nach der Kur- und Badeeinrichtungen als Produktgruppe des Produktbereichs 7 (Gesundheitsdienste) angenommen werden. Die dezentrale Darstellung der Kurleistungen im Haushalt erschwert die Steuerung der daraus resultierenden Haushaltsbelastungen sowie den interkommunalen Vergleich. Die Überörtliche Prüfung empfiehlt dem Landesgesetzgeber daher, die Vorgaben hinsichtlich Inhalt und damit der Zusammensetzung der Produktbereiche zu konkretisieren und als verbindlich zu erklären. 26 Die Einbeziehung / Darstellung anderer Effekte des Kurbetriebes, wie z. B. auf Arbeitsplätze und Einkommen, war nicht möglich.
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Ulrich Keilmann und Felix Volk
-30 €
-2,0 Mio €
-20 €
-1,0 Mio €
-10 €
0,0 Mio €
* Für Bad Soden am Taunus lagen keine Daten zu Kurgästen und kurtaxpflichtigen Übernachtungen vor.
Ergebnisbeitrag (absolut)
Ergebnisbeitrag je Übernachtung
Quelle: Eigene Erhebungen; Stand September 2016
Abbildung 3: Ergebnisbeiträge der Kurleistungen in 2015
0€
Ergebnisbeitrag je Übernachtung
-3,0 Mio €
Schlangenbad
-40 €
Willingen (Upland)
-4,0 Mio €
Neukirchen
-50 €
Lindenfels
-5,0 Mio €
Grasellenbach
-60 €
Bad Wildungen
-6,0 Mio €
Gersfeld (Rhön)
-70 €
Bad Soden-Salmünster
-7,0 Mio €
Bad Orb
-80 €
Bad Soden am Taunus
-8,0 Mio €
Bad König
-90 €
Bad Hersfeld
-9,0 Mio €
Bad Endbach
-100 €
Bad Emstal
-10,0 Mio €
Bad Camberg
absoluter Ergebnisbeitrag
Ergebnisbeiträge der Kurleistungen in 2015
Vergleichende überörtliche Prüfung in Hessen61
Gefragt ist in dieser Situation nach Auffassung der Überörtlichen Prüfung aber ebenso das Land, das die Kurort-Landschaft insgesamt gerade dann überdenken sollte, wenn es wie in Hessen mehr Kurorte als Landkreise gibt. Tendenziell ist es sicherlich sinnvoll, quantitativ weniger Kurorte mit dafür qualitativ besseren Kurleistungen zu haben. Ein landeseigener Kurort-Bedarfsplan sowie die Konzentration der Landesförderung auf weniger Kommunen könnte dazu einen Beitrag leisten.27
III. Fazit Die Vergleichenden Prüfungen der Überörtliche Prüfung geben Informa tionen über Erfolgsfaktoren kommunalen Handelns. Sie decken aber auch Schwachstellen auf. Zudem weisen sie Verbesserungsmöglichkeiten und Einsparpotenziale aus. Mit ihren Empfehlungen und Beratungsansätzen unterstützt die Überörtliche Prüfung die kommunalen Entscheidungsträger, ohne dabei Rechts- oder Fachaufsicht zu sein. Die Überörtliche Prüfung sieht sich als Prüfer, Berater und Partner der kommunalen Familie. Literatur Burth, Andreas / Gnädinger, Marc / Keilmann, Ulrich: Ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit, Kommunale Nachhaltigkeitssatzungen als politische Selbstverpflichtung, in: Publicus, Nr. 1 / 2015, 2015a, S. 14–15. – Generationengerechtigkeit dank Schuldenbremse, Neuer Trend in Kommunen: doppische Schuldenbremse per Satzung, in: Der Neue Kämmerer, Ausgabe 3 / 2015, 2015b, S. 4. – Selbst ist die Kommune, Schuldenbremsen aus kommunalen Eigenantrieb, in: Behörden Spiegel, Ausgabe Oktober 2015, 2015c, S. 25. – Steter Ausgleich, in: Kommune21, Ausgabe 7 / 2015, 2015d, S. 16–17. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofs: Kommunalbericht 2015, LandtagsDrucksache 19 / 2404, Darmstadt 2015. – Kommunalbericht 2016, Landtags-Drucksache 19 / 3908, Darmstadt 2016. – Kommunalbericht 2017, Landtags-Drucksache 19 / 5336, Darmstadt 2017. 27 Faktisch entscheidet derzeit ein privater Verein (der Heilbäder- oder Tourismusverband) über die Prädikatisierung als Kur- oder Heilbad. Dies führt automatisch zu einer Förderung durch das Land (und damit nach dem „Gießkannenprinzip“). Die Überörtliche Prüfung hat an das Land appelliert, dieses Förderverfahren zu überdenken, eher bedarfs- und projektorientiert zu fördern und damit falsche Anreize (einen ggf. finanziell nicht tragbaren Kurbetrieb) für seine Kommunen zu verhindern.
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Ulrich Keilmann und Felix Volk
Keilmann, Ulrich: Erfolgsfaktoren Haushaltsausgleich, in: Behörden Spiegel März 2016, 2016a, S. 21. – Kommunen entdecken die Nachhaltigkeitssatzung, in: Behörden Spiegel Juli 2016, 2016b, S. 16. – Abwasserverbände, in: Behörden Spiegel Oktober 2017, 2017a, S. 20. – Das Für und Wider der wiederkehrenden Straßenbeiträge, in: Behörden Spiegel April 2017, 2017b, S. 28. – Das Geld liegt nicht auf der Straße – was ist die richtige Erhaltungsstrategie?, in: Behörden Spiegel März 2017, 2017c, S. 22. – Kind ist nicht gleich Kind, in: Behörden Spiegel Januar 2017, 2017d, S. 18. – Erst die Pflicht, dann die Kur?, in: Behörden Spiegel März 2018, 2018, S. 20. Stöhr, Andreas: Seit 20 Jahren kurz und gut: das ÜPKKG, in: Hessische Städte- und Gemeinde-Zeitung, Oktober 2014, S. 274–282.
Peer Review als Mittel zur Verbesserung von Effektivität und Effizienz der Finanzkontrolle Von Karl-Heinz Binus
I. Einführende Anmerkungen Die Qualitätsbewertung und -sicherung der eigenen Arbeit durch ein Peer Review-Verfahren hat insbesondere im Wissenschaftsbetrieb eine mehrhundertjährige Tradition. So verweist beispielsweise Sievers darauf, dass der Herausgeber der seit 1655 in London erscheinenden „Philosophical Transactions of the Royal Society“ die Qualität der eingereichten Aufsätze nicht verlässlich beurteilen konnte und deshalb Wissenschaftler aus dem gleichen Fachbereich um eine fachliche Expertise bat.1 Die Anwendung der Peer Review-Methode stellt für die Beurteilung der Effektivität und der Effizienz von Landesrechnungshöfen bislang aber noch eine Ausnahme dar. Dies ist umso verwunderlicher, da Rechnungshöfe auf eine Geschichte von mehr als 300 Jahren zurückblicken können.2 Im nachfolgenden Aufsatz sollen einige Erfahrungen und Erkenntnisse zur Anwendung des Peer Reviews beim Sächsischen Rechnungshof vorgestellt werden. Knapp 300 Jahre nach seiner Gründung wurde nach der politischen Wende in Deutschland der Sächsische Rechnungshof im Jahre 1991 wieder als unabhängige Finanzkontrollbehörde etabliert. Der Wiederaufbau erfolgte weitestgehend nach den Verwaltungs- und Organisationserfahrungen des Rechnungshofs von Baden-Württemberg. Sowohl der Präsident, als auch die Mehrzahl der Prüfungsabteilungsleiter, nahezu alle mittleren Führungskräfte und die maßgeblichen Beamten der Präsidialverwaltung hatten ihre persön lichen und ihre beruflichen Wurzeln in Baden-Württemberg. 1 Oliver Sievers in der Festschrift zur 300. Wiederkehr der Errichtung der Preußischen General-Rechenkammer, vgl. Sievers, O. (2014): Peer Reviews. Ein neues In strument zur Qualitätssicherung für die externe Finanzkontrolle? In: Dieter Engels (Hrsg.): 300 Jahre externe Finanzkontrolle in Deutschland – gestern, heute und morgen, Berlin 2014, S. 597 f. 2 Der Sächsische Rechnungshof wurde am 24.05.1707 gegründet, vgl. Wienrich, A. (1995): Die Geschichte der Finanzkontrolle in Sachsen. In: Der Präsident des Sächsischen Rechnungshofs (Hrsg.): Finanzkontrolle in Sachsen, Leipzig 1995, S. 30.
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Karl-Heinz Binus
Der Sächsische Rechnungshof hat derzeit seinen Hauptsitz in Leipzig. In Außenstellen in Chemnitz und in Dresden sowie in drei nachgeordneten Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern in Löbau, Wurzen und Zwickau, die die turnusmäßige überörtliche Kommunalprüfung durchführen, sind insgesamt rd. 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Die Prüfung der staatlichen Haushalts- und Wirtschaftsführung umfasst entsprechend dem Staatshaushaltsplan rd. 18 Mrd. € / a, einschließlich der staatlichen Sondervermögen und der Staatsbetriebe. Die überörtliche Prüfung umfasst alle Gemeinden unabhängig ihrer Größenklasse, die Landkreise, die kommunalen Verbände sowie die Betätigung der Kommunen bei ihren Gesellschaften. Für kommunale Unternehmen in Privatrechtsform, bei denen die Kommune über eine satzungsändernde Mehrheit der Gesellschafteranteile verfügt, muss als rechtsaufsichtliche Genehmigungsvoraussetzung der örtlichen Prüfungseinrichtung und der überörtlichen Prüfungsbehörde die Befugnis zur Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Unternehmens eingeräumt werden.3 Die überörtliche Prüfung ist für rd. 1.500 zu Prüfende zuständig. Damit bewegt sich der finanzielle Prüfungsumfang bei den Kommunen bei rd. 1,6 Mrd. € / a. Gesetzlich ist ein 5-jähriger überörtlicher Prüfungsturnus bestimmt.
II. Problemstellungen im Jahr 2009 20 Jahre nach einer insgesamt sehr erfolgreichen Aufbauphase waren jedoch Defizite in der Aufbau- und Ablauforganisation des Rechnungshofs evident. Wichtige Probleme waren nicht abschließend geklärt, beispielsweise die Fragen worin das relevante Leitbild des Rechnungshofs besteht, wie sich der Rechnungshof im staatlichen Gefüge definiert, welche strategische Entwicklung umgesetzt werden soll, was die interne Kultur des Rechnungshofs auszeichnet usw. In Bezug auf die Vorbereitung und Durchführung von Prüfungen war grundsätzlich keine einheitliche Vorgehensweise bei der Auswahl von Prüfungsfeldern festgelegt. Eine systematische Nachverfolgung der Prüfungsbeanstandungen mittels eines internen Kontrollsystems fand praktisch nicht statt. Zwischen den Prüfungsabteilungen existierten Überschneidungen der Zuständigkeiten. Die Zuordnung von Prüfungsfeldern und die notwendige
3 § 96a
Abs. 1 Ziff. 11 SächsGemO.
Peer Review als Mittel zur Verbesserung von Effektivität und Effizienz
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ederführung waren nicht immer eindeutig. Aus zahlreichen vorhandenen F Schnittstellen resultierten Reibungsverluste. Eine systematische Dokumentation der Prüfungsaufgaben war nicht vorhanden. Gelegentlich wurden vorgefundene Sachverhalte durch die Prüfungsabteilungen rechtlich unterschiedlich bewertet. Die interne Personalentwicklung war konzeptionell nicht ausreichend vorhanden. Insoweit waren auch Dienstposten-, Arbeitsplatz- und Stellenbeschreibungen nur unzureichend belegt. Seit mehreren Jahren arbeitete der Rechnungshof am Aufbau einer adäquaten Plattform für ein IT-gestütztes Prüfungs- und Wissensmanagement. Die Entwicklung und Implementation erfolgte mit eigenen Mitteln.
III. Lösungsvarianten Mit der Identifizierung der akuten Probleme wurde der Druck auf eine vertiefte Analyse und die systematische Umsetzung der erforderlichen Schritte immer größer. Grundsätzlich waren mehrere Lösungsvarianten denkbar: Es wäre zum ersten möglich, durch eine vertiefte externe Untersuchung eine umfassende Betrachtung des Sachstandes vornehmen zu lassen und Schritte der Umsetzung zu diskutieren und einzuleiten. Als problematisch wurden zum einen der erhebliche finanzielle Aufwand und zum anderen die Spezifik „Finanzkontrolle“ gesehen, so dass diese Variante nicht weiterverfolgt wurde. Als zweite Alternative wurde die Durchführung einer internen Untersuchung erwogen. Hierbei stellten sich die Fragen des verfügbaren Know Hows, der Unabhängigkeit der Untersuchung, der neutralen Bewertung der relevanten Einflussfaktoren und naturgemäß die Verfügbarkeit der benötigten Ressourcen. Eine dritte Alternative bestand darin, den Bundesrechnungshof wegen der Durchführung eines Peer Reviews anzufragen, da der Bundesrechnungshof einschlägige Erfahrungen in den zurückliegenden Jahren hinsichtlich der Durchführung von Peer Reviews auch im internationalen Maßstab gesammelt hatte. Aus Sicht des Sächsischen Rechnungshofs sollten bestimmte Voraussetzungen unbedingt erfüllt sein. Das Peer Review sollte mit den aktuellsten internationalen Standards in Übereinstimmung stehen. Das Peer Review sollte nicht nur den Verwaltungsbereich, sondern desgleichen alle Prüfungs-
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abteilungen umfassen. Deshalb mussten die in richterlicher Unabhängigkeit agierenden Mitglieder des Rechnungshofs im Vorfeld ihre vollständige Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit erklären und den Umsetzungswillen der erforderlichen Schritte, die sich aus dem Peer Review ergeben würden, deutlich machen. Bereits im Vorfeld war offenkundig, dass die geplante Untersuchung auch eine externe Dimension zu den Adressaten des Rechnungshofs haben würde. Seitens des Großen Kollegiums wurde insoweit entschieden, dass mit Offenheit zum Ob und Wie des Peer Reviews vorbereitende und erläuternde Gespräche mit dem Präsidenten des Sächsischen Landtages, mit dem Finanzminister und mit den Mitgliedern des Haushalts- und Finanzausschusses des Sächsischen Landtages geführt werden sollten. Beim Peer Review würde es zu einem großen Teil um interne Fragen, Strukturen, Abläufe usw. gehen, deshalb erfolgten frühzeitig Informationen an den Personalrat. Im Rahmen einer Personalversammlung wurde das geplante Peer Review-Vorhaben der Belegschaft erläutert und zur Diskussion gestellt. Bereits in diesem Stadium wurde signalisiert, dass die Ergebnisse des Peer Reviews allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden würden. Mit dem Bundesrechnungshof wurde vereinbart, dass die Prüfung im Rahmen des Peer Reviews dem allgemein üblichen kontradiktorischen Verfahren folgen sollte, wonach die ersten Prüfungsergebnisse dem Sächsischen Rechnungshof im Entwurfsstadium vorgelegt werden sollten und der Schlussbericht die Stellungnahme des Sächsischen Rechnungshof dazu wiedergibt.
IV. Memorandum of Understanding Die wesentlichste Basis der Peer Review-Durchführung war die Vereinbarung eines so genannten Memorandums of Understanding. Das Memorandum of Understanding fixierte die grundlegende Aufgabenstellung und die in etwa zu erreichenden Ziele. Es beschrieb des Weiteren den Personaleinsatz im Rahmen des Peer Reviews und traf Vereinbarungen zur Vermittlung der vom Prüfungsteam gewünschten Gesprächskontakte sowie zur Bereitstellung erforderlicher Unterlagen. Zu den vorläufigen Ergebnissen des Peer Reviews wurde vor Veröffent lichung des Abschlussberichts Vertraulichkeit verabredet. Das Memorandum of Understanding enthielt naturgemäß Regelungen zu relevanten Kostenfragen, zu Ansprechpartnern, zur Bereitstellung der erforderlichen Infrastruktur sowie zu einem anzustrebendem Zeitplan.
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Schließlich wurde in der abschließenden Vereinbarung über weitere Verwertungsrechte der Ergebnisse, insbesondere über die Nutzung durch den Bundesrechnungshof im Rahmen des einschlägigen INTOSAI-Unterkomitees, befunden.
V. Wesentliche Zielstellungen des Peer Reviews Die wichtigsten Zielstellungen des Peer Reviews ergaben sich notwendigerweise aus der Ausgangsanalyse. Das Peer Review sollte zunächst eine Bewertung der tatsächlichen Unabhängigkeit des Sächsischen Rechnungshofs nach Verfassung und Gesetz vornehmen, um auf dieser Grundlage die tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben kritisch zu hinterfragen. Diese Beurteilung beinhaltete die aktuell im Rechnungshof eingesetzten Prüfungsverfahren und -methoden, woraus ableitend eine erste Bewertung zur Effektivität und nach Möglichkeit zur Effizienz der Aufgabenerfüllung getroffen werden sollte. Die Untersuchungsziele betrafen die Aufgaben- und Kompetenzverteilung und die interne Kommunikation. Auf dieser Basis sollten Hinweise für ein adäquates Internes Kontrollsystem erfolgen. Im Rahmen des Peer Reviews sollten aber auch ggf. Vorschläge zu Organisationsveränderungen und -optimierung unterbreitet werden, das betraf im Besonderen auch den Fortbestand von Außenstellen des Sächsischen Rechnungshofs in Dresden und in Chemnitz. Weiterführend ging es inhaltlich um die Bewertung der strategischen Arbeit des Rechnungshofs und ihre operative Umsetzung in den Prüfungsabteilungen. Mit der Beurteilung des Standes der elektronischen Informationsbereitstellung, -verarbeitung und -verfügbarkeit sollten Aussagen zu dem im Aufbau befindlichen datenbankbasierten Wissens- und Informationssystem getroffen werden. Ein weiterer wesentlicher Punkt des Peer Reviews war die Betrachtung, inwieweit der Sächsische Rechnungshof internationale Standards im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit bereits erfüllt oder an welcher Stelle Veränderungsbedarf besteht.
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Karl-Heinz Binus
VI. Prüfungsdurchführung Das Peer Review wurde durch den Bundesrechnungshof in enger Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Rechnungshof außerordentlich zügig vorbereitet und durchgeführt. Das Prüfungsteam des Bundesrechnungshofs bestand aus einem Prüfungsleiter und 5 PrüfungsmitarbeiterInnen. Die Prüfung erfolgte von November 2009 bis Februar 2010, bereits im März 2010 wurde der Entwurf des Prüfungsberichts zum Peer Review dem Präsidenten des Sächsischen Rechnungshofs vorgelegt. Alle Prüfungsabteilungen, der Präsidialbereich und die Verwaltungsabteilung waren in das Peer Review einbezogen worden. Zur vollständigen Widerspiegelung der internen und der externen Dimension des Agierens des Sächsischen Rechnungshofs hatte das Prüfungsteam Interviews mit dem Präsidenten des Sächsischen Landtags, im Finanzministerium und mit den Mitgliedern des Haushalts- und Finanzausschusses des Landtags durchgeführt. Dem Sächsischen Rechnungshof stand ausreichend Zeit zur Verfügung, sich mit dem Entwurf des Peer Review-Berichts in allen Einzelheiten zu befassen und in seiner Stellungnahme auf aus seiner Sicht relevante Argumente einzugehen. Im Mai 2010 fand das Abschlussgespräch beim Bundesrechnungshof statt, auf dessen Grundlage der endgültige Bericht zeitnah übergeben wurde. Der Abschlussbericht zum Peer Review wurde durch den Präsidenten des Sächsischen Rechnungshofs zunächst mit dem Präsidenten des Sächsischen Landtags und sodann mit den Obleuten der jeweiligen Fraktionen im Haushalts- und Finanzausschuss ausführlich erörtert. Unmittelbar nach Erhalt des Berichts wurde die Personalvertretung des Rechnungshofs vorab umfassend informiert. Im Anschluss wurde der Prüfungsbericht in das Intranet des Sächsischen Rechnungshofs, allerdings nur mit der Lese-Möglichkeit, eingestellt. Der Bericht war im Anschluss Anlass für zahlreiche Beratungen im Haus auf Abteilungsebene. Im Rahmen der Führungskräftekonferenz, bestehend aus Abteilungs- und Referatsleitern, erfolgte eine sehr intensive Befassung.
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VII. Peer Review-Bericht: 6 wesentliche Problembereiche zur Entwicklung der Finanzkontrolle Inhaltlich gliedert sich der Bericht in 6 wesentliche Bereiche. Ausgangspunkt der Betrachtung ist zunächst die Notwendigkeit eines Leitbildes des Rechnungshofs. Der zweite Schwerpunkt des Berichts stellte die Erforderlichkeit einer Aufgabenanalyse und die Abgrenzung des Kernprozesses Prüfung dar. Im Weiteren erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Fragen der Organisation und Steuerung, zur Informationstechnik, zur internen und externen Kommunikation sowie zur Notwendigkeit eines modernen Wissensmanagements. Ein nächster Schwerpunkt des Berichts stellt die Dringlichkeit einer strategischen Prüfungsplanung dar. Abschließend setzt sich der Bericht mit dem Erfordernis der Implementierung eines internen Kontrollsystems der Prüfung und den damit zusammenhängenden Fragen der Verwertung und Nachverfolgung der Prüfungsergebnisse auseinander.
VIII. Peer Review-Bericht: Wesentliche Feststellungen Die wesentlichsten Erkenntnisse des Peer Reviews lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Sächsische Rechnungshof ist eine unabhängige Staatsbehörde, er verfügt auch im internationalen Vergleich über eine weitreichende rechtliche und faktische Unabhängigkeit. Die gesetzlichen Regelungen in Haushaltsordnung, wonach der Rechnungshof auf Ersuchen des Landtags, seines Haushalts- und Finanzausschusses oder der Staatsregierung Gutachten über Fragen, die für die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Staates von Bedeutung sind, erstellt, tangieren in erheblichem Maße die Unabhängigkeit des Rechnungshofs.4 Der Präsident des Rechnungshofs hat nach außen eine starke, von der Verfassung garantierte Stellung. Hinsichtlich der internen Kompetenzverteilung ist der Präsident aber in wesentlichen Entscheidungen vom Großen Kollegium abhängig. Dies erschwert insbesondere bei kontroversen Themen die 4 § 88 Abs. 3 Sächsische Haushaltsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 2001 (SächsGVBl. S. 153), die zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 15. Dezember 2016 (SächsGVBl. S. 630) geändert worden ist.
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Findung kurzfristiger Lösungen. Kompetenzverteilung und ihre Konsequenzen sollten nach Auffassung der Peers analysiert werden. Der Sächsische Rechnungshof ist zugleich Prüfungsbehörde für die überörtliche Kommunalprüfung. Dabei vermittelt der Sächsische Rechnungshof durchweg ein positives Bild. Die gegenwärtige Schwerpunktsetzung führt allerdings dazu, dass der erhebliche Ausgabenanteil bei den kommunalen Unternehmen in Privatrechtsform nur unzureichend geprüft werden kann. Die Peers empfehlen, die Verteilung der Prüferkapazitäten kritisch zu überprüfen. Der Sächsische Rechnungshof hat noch keine dokumentierten Aussagen zur strategischen Ausrichtung der externen Finanzkontrolle und den damit einhergehenden operativen Zielen getroffen. Die Prüfungsaufgaben wurden nicht im Einzelnen analysiert. Auf der Basis der zu formulierenden strategischen Aufgaben sollte der Rechnungshof ein adäquates eigenes Modell entwickeln. In der internen Struktur des Rechnungshofs fehlt bislang ein eigenes Organisationsreferat. Die im Zuge des Aufbaus des Rechnungshofs angestoßenen Organisationsänderungen wurden nicht oder nur unzureichend dokumentiert. Die interne Kommunikation ist durch zahlreiche Schnittstellen gehemmt. Abteilungsgrenzen wirken oftmals als Barrieren. Vorhandenes Fachwissen wird somit nicht optimal genutzt. Über erkannte und bereits angestoßene Maßnahmen hinaus empfehlen die Peers weitere Schritte zur Verbesserung der internen Kommunikation. Ein angemessenes Internes Kontrollsystem ist nach den einschlägigen internationalen Normen auch für oberste Rechnungskontrollbehörden angezeigt. Der Sächsische Rechnungshof sollte eine eigene Interne Revision einführen. Die Organisation des Sächsischen Rechnungshofs kann nach den Untersuchungen der Peers verbessert werden. Insbesondere die Funktionen „Referats leiter“, „Referent“ und „Grundsatzreferent“ lassen praktisch keine ausreichende Differenzierung erkennen. Es wird empfohlen, die Beibehaltung der Funktion „Grundsatzreferent“ zu überprüfen. Damit könnten Redundanzen und Hierarchien abgebaut werden. Das Präsidialbüro ist in seiner gegenwärtigen Struktur durch vielfältige Stabs-, Linien- und Projektaufgaben überfrachtet. Der Aufgabenkatalog des Präsidialbüros sollte nach Meinung der Peers analysiert und verschlankt werden. Für Hoch- und Tiefbaumaßnahmen sind im Sächsischen Rechnungshof verschiedene Organisationseinheiten zuständig. Nachvollziehbare Kriterien der Zuordnung sind nicht eindeutig erkennbar. Dem Sächsischen Rechnungs-
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hof wird durch die Peers empfohlen, diesbezüglich Analysen vorzunehmen und die Zuordnung ggf. neu zu justieren. Der Sächsische Rechnungshof verfügt noch über zwei Außenstellen. Damit erhöht sich die Gefahr von Fehlsteuerungen. Für die Leitungs- und Führungsebene geht mit der Betreuung der Außenstellen Mehraufwand einher. Vorteile der Beibehaltung der Außenstellen werden seitens der Peers nicht gesehen. Dementsprechend sollten die Außenstellen aufgelöst werden. Zur Prüfungsauswahl wurden im Gesamtmaßstab des Rechnungshofs noch keine einheitlichen Prozesse und Kriterien definiert. Aus der gebotenen Analyse der Aufgaben und der Risiken fehlerhafter Aufgabenerledigung sollten die in Frage kommenden Themen nach definierten Kriterien kategorisiert werden. Seit langer Zeit arbeitet der Sächsische Rechnungshof an einem neuen datenbankbasierten Informationssystem. Die Durchführung einer Nutzwertanalyse unterblieb jedoch. Die Peers fordern den Rechnungshof auf, eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung anzustellen. Im Übrigen sollte das Projekt zügig abgeschlossen und eingeführt werden. Nach der Beurteilung der Peers genießt die Berichterstattung des Sächsischen Rechnungshofs beim Parlament und bei der Staatsregierung eine hohe Wertschätzung. Das zeigen nach Einschätzung der Peers beispielsweise die zahlreichen Beitritte des Haushalts- und Finanzausschusses zu den Empfehlungen des Rechnungshofs in seiner Jahresberichtserstattung. Die Peers empfehlen jedoch, die Berichte stärker als bisher einheitlich aufzubauen und ggf. zu verschlanken. Insgesamt sollte nach Überzeugung der Peers der Sächsische Rechnungshof verstärkt, systematisch und Kriterien geleitet das Instrument der Erfolgskontrolle entwickeln und einsetzen.
IX. Wie setzten wir Ergebnisse um? Als allgemeines Fazit kann heute konstatiert werden, dass die systematische Untersuchung und der darauf aufbauende Peer Review-Bericht eine sehr tragfähige Grundlage zur inhaltlichen und strukturellen Neuorientierung der Finanzkontrolle im Freistaat Sachsen darstellten. Um die Umsetzung so breit wie möglich in der Belegschaft reflektieren zu können, wurden deshalb zeitnah temporäre Arbeitsgruppen mit unterschied lichen Arbeitsaufträgen etabliert. Die wesentlichsten Arbeitsgruppen waren „Kernprozess Prüfung“, „Leitbild“ und „Gesundheitsmanagement“.
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In allen Abteilungen wurden die Ergebnisse des Peer Reviews in mehreren Arbeitsberatungen ausführlich diskutiert. Schlüsse für den jeweils eigenen Bereich wurden abgeleitet und umgesetzt. Für den gesamten Geschäftsbereich des Sächsischen Rechnungshofs wurden die Prüfungszuständigkeiten neu geordnet. Im Einzelnen erfolgte in der Prüfungsabteilung 1 die Bündelung der Bereiche Personal / Organisation / Informationstechnik sowie die Prüfung der Ressorts mit den großen Personalkörpern Kultus und Wissenschaft. Die Prüfungsabteilung 2 ist zuständig für die überörtliche Kommunalprüfung einschließlich kommunaler Hoch- und Tiefbau, kommunale Unternehmensprüfung und Prüfung nach SGB im kommunalen Bereich. Der Prüfungsabteilung 3 obliegt die Prüfung des staat lichen Hoch- und Tiefbaus, der staatlichen Infrastruktur, der staatlichen Liegenschaften, des Städtebaus sowie als Annex die Rundfunkprüfung. Durch die Prüfungsabteilung 4 werden die Bereiche Arbeit, staatliche Beteiligungen, Wirtschaft, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Steuern und Soziales geprüft. Der Prüfungsbereich des Präsidenten ist zuständig für die Prüfung des Staatshaushaltes, des Landtages und der Landtagsfraktionen. Zur Entwicklung gemeinsamer strategischer Sichtweisen der Prüfung und zur interdisziplinären Diskussion von Fach- und Führungsfragen wurden Führungskräfte-Konferenzen eingeführt, die zweimal im Jahr mit allen Referats- und Abteilungsleitern stattfinden. Externe Impulse vermitteln einmal jährlich Fachminister, Staatssekretäre oder Leiter oberer Staatsbehörden. In jährlichen Finanzkontrolltagungen mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des gesamten Geschäftsbereichs des Rechnungshofs einschließlich der Staatlichen Rechnungsprüfungsämter werden aktuelle Fragen der Prüfung, der internen und externen Kommunikation, der Leitbildentwicklung usw. gemeinsam diskutiert. Wesentliche Impulse erwachsen aus den wieder neu belebten inhaltlichen Fachforen, beispielsweise zu Bau, Soziales, Haushaltsprüfung, Kommunalprüfung usw. Alle internen Grundlagen-Dokumente wurden analysiert und systematisch aktualisiert und soweit möglich verschlankt. Der durch das Peer Review in Gang gesetzte Prozess konnte gut implementiert werden. Weitere Anpassungen der Geschäftsprozesse erfolgten entsprechend den Notwendigkeiten. So arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit dem 01.01.2018 auf der Basis einer neuen Dienstvereinbarung „Heimarbeit“, die für 100 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die grundsätzliche Inanspruchnahme von Telearbeit an 15 Tagen pro Quartal ermöglicht. Damit einher ging die Einführung eines neuen Prüfungsprojektmanagements in allen Prüfungsabteilungen.
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Zum 01.09.2017 erfolgte eine systematische Rotation von Referatsleitern in allen Prüfungsabteilungen und der drei Staatlichen Rechnungsprüfungsämter. Im Rahmen ihrer internen Prüfung führt die Interne Revision im Jahr 2018 eine Evaluierung der Umsetzung der Peer Review-Erkenntnisse von 2010 bis heute durch.
X. Was haben wir erreicht? Grundsätzlich kann eingeschätzt werden, dass die im Peer Review-Bericht empfohlenen Sachverhalte überwiegend aufgegriffen und weitestgehend umgesetzt wurden. Inhaltlich begann der Einstieg in den Change-Prozess mit der Erarbeitung eines Leitbilds mit der Definition unseres Auftrags, unserer strategischen Ziele und unserer eigenen Werteorientierung. Aus allen Prüfungsbereichen wirkten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit, die Koordinierung oblag dem Präsidialbüro. Die Debatte um das Leitbild stellte sich als ein sehr interessanter aber auch spannungsgeladener Prozess dar. Bereits in den Jahren 2015 und 2017 fand eine kritische Reflexion zum Leitbild in den Finanzkontrolltagungen statt. Als Ergebnis konnte im Rahmen einer anonymen Befragung ermittelt werden, dass nach wie vor eine sehr hohe Zustimmung zum Leitbild als unsere interne Verfassung vorliegt. Mit temporärem und zusätzlichem Personaleinsatz wurde in den Jahren 2011 und 2012 eine Aufgabenanalyse für die Prüfungsabteilungen und die Verwaltung durchgeführt. Damit wurde die Basis für die Schaffung konsistenter Dienstposten-, Arbeitsplatz- und Stellenbeschreibungen gelegt. Diese waren wiederum eine ausschlaggebende Basis für die Diskussion und die Dokumentation zur Personalentwicklung des gesamten Geschäftsbereichs. Resümierend kann festgestellt werden, dass es damit sehr gut gelungen ist, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung in Übereinstimmung zu bringen und alle Aufgaben systematisch zu dokumentieren. Ein Paradigmenwechsel konnte durch die Ergebnisse in Bezug auf die Definition und die Umsetzung strategischer Prüfungsfelder unter Beachtung relevanter spezifischer Risikofaktoren erreicht werden. Damit konnte im Bereich des Kernprozesses „Prüfung“ die Prüfungsplanung auf ein qualitativ neues Niveau gehoben werden. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Implementierung eines systematisches follow up der Prüfungen. Dazu wurden Auswahlkriterien für neu durchzuführende Prüfungen definiert. Es erfolgt ein gewichtetes Ranking nach den Kriterien erwartete Auswirkungen, zeitlicher Abstand zur letzten
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Karl-Heinz Binus
Prüfung, Finanz- und Stellenvolumen und Öffentlichkeitswirkung. Jeder Faktor wird durch das Prüfungsteam operational beurteilt und durch das Präsi dialbüro systematisch erfasst und dokumentiert. Nach einer straffen Bündelung der verfügbaren Kräfte hat die IT-Basis mit der Einführung eines Systems „PrüfDok“ einen qualitativ neuen Stand erreicht. Die IT-Systeme arbeiten weitgehend fehlerfrei. Damit wurden die Grundlagen für die Einführung der elektronischen Akte geschaffen. Ab September 2018 soll der diesbezügliche Umstellungsprozess abgeschlossen sein. Strukturell werden die vorhandenen Außenstellen im Jahr 2020 aufgelöst werden. Zur eigenen Kontrolle wurde im Jahr 2011 eine interne Revision etabliert.
XI. Schwerpunkte der strategischen Prüfungsplanung Die strategische Prüfungsplanung des Sächsischen Rechnungshofs wird aus den grundlegenden Risikofaktoren der staatlichen Haushaltswirtschaft abgeleitet und konkret für die Prüfungsabteilungen definiert. Als wesentliche Risikofaktoren wurden identifiziert: – Sicherung der Haushaltstransparenz – Nachhaltigkeit der infrastrukturellen Entwicklung durch Balance zwischen Neuinvestitionen, Erhaltung und Modernisierung – Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, insbesondere Stellenentwicklung Dazu erfolgen erforderlichenfalls systematisch begleitende Prüfungen in kritischen Bereichen. Erkenntnisse aus Einzelprüfungen werden in Form von Gutachten oder Sonderberichten dem Parlament und der Staatsregierung vorgelegt. Wesentliche Kernbereiche der Prüfung betreffen die Einnahmen- und Ausgabenentwicklung, die Umsetzung effizienter Verwaltungsstrukturen, die Effektivität und die Effizienz staatlicher Förderung sowie die Herausarbeitung tragfähiger personalwirtschaftlicher Konzepte. Nach Auffassung des Sächsischen Rechnungshofs kann mit einem neuen adäquaten Prüfungsverständnis ein wichtiger Beitrag zur öffentlichen Finanzdisziplin und damit zur Erhaltung strategischer Ressourcenverfügbarkeit erzielt werden. Dazu müssen jeweils die wichtigsten strategischen Prüfungsfelder herausgearbeitet und die relevanten Risikofaktoren für Haushaltswirtschaft in der Rangfolge von Prüfungsfeldern identifiziert werden. Hinweise der Finanz-
Peer Review als Mittel zur Verbesserung von Effektivität und Effizienz
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kontrolle umfassen somit sowohl operative als auch strategische Konsolidierungsmaßnahmen. Entsprechend dem Leitbild des Sächsischen Rechnungshofs setzt dies den intensiven Dialog mit den geprüften Stellen voraus. Dies ist die grundlegende Vorbedingung für eine hohe Akzeptanz der Prüfungsergebnisse und dem gemeinsamen Suchen nach innovativen Lösungen.
XII. Neue Herausforderung: Peer Review beim Stadtrechnungshof Wien Aus der Diskussion der Methodik und der Ergebnisse im Rahmen einer EURORAI-Konferenz in St. Pölten resultierte die Anfrage an den Sächsischen Rechnungshof durch den Stadtrechnungshof Wien, inwieweit ein unabhängiges Peer Review des Stadtrechnungshofs durch den Sächsischen Rechnungshof erfolgen könne. Mit einem gemeinsamen Peer Review-Projekt des Sächsischen Rechnungshofs und des Landesrechnungshofs von Oberösterreich wurde diesem Ansinnen entsprochen. Die Grundlage des Peer Reviews stellte der interna tionale Standard ISSAI 5600 dar. Auf der Basis eines Memorandum of Understanding erfolgte die Arbeitsaufnahme am 01.07.2017. Die örtlichen Erhebungen fanden im September 2017 und im Januar 2018 statt. Der Peer Review-Bericht wurde als Entwurf im März 2018 dem geprüften Stadtrechnungshof Wien übergeben. Inhaltlich befasst sich das Peer Review mit der rechtlichen und der finanziellen Unabhängigkeit des Stadtrechnungshofs, seiner Personalwirtschaft, der Aufbau-, Ablauforganisation, den Fragen der Prüfungsplanung, den Methoden der Berichterstattung, der internen Qualitätskontrolle, der Öffentlichkeitsarbeit, der Prüfungswirksamkeit, der Einhaltung fachlicher und berufsethischer Normen sowie mit der Angemessenheit der IT-Landschaft.
Die Finanzkontrolle in den Ländern durch Rechnungshöfe1 Von Brigitte Mandt „Der verfassungsmäßige Zweck des Haushalts ist es, die Regierung empfänglich gegenüber der öffentlichen Meinung und verantwortlich für ihr Handeln zu machen.“2 Dieser grundsätzlichen Erkenntnis folgend gilt im parlamentarisch-demokratischen Staat für das Parlament (Legislative) das Recht, der staatlichen Verwaltung (Exekutive) die von ihr zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten Mittel zu bewilligen, verbunden mit der Pflicht, die Bewirtschaftung dieser Mittel zu kontrollieren.3 Nicht zuletzt durch die Fülle des Stoffes, der mit dem Volumen der öffentlichen Haushalte einhergeht und den Umstand, dass die Parlamente in der Hauptsache mit Aufgaben gesetzgeberischer und allgemeinpolitischer Art befasst sind, obliegt den Rechnungshöfen die Prüfung der Rechnung und der Haushalts- und Wirtschaftsführung der jeweiligen Regierungen.4 Die damit einhergehende Berichterstattungspflicht gewährleistet, dass die Parlamente über die erforder lichen Informationen verfügen, um die Aufgabe der Finanzkontrolle effektiv ausüben zu können.5 Dabei ist die externe Finanzkontrolle6 in Bund und Ländern im Grundsatz vergleichbar ausgestaltet, aber entsprechend der föderalen Staatsstruktur unterschiedlichen Akteuren überantwortet: Auf der Ebene des Bundes wird die 1 Der bei der Fachtagung „Neue Wege in der Finanzkontrolle“ am 06.03.2018 gehaltene Vortrag „Beratung und Prozessbegleitung neben Prüfung?“ basiert zu großen Teilen auf dem vorliegenden Beitrag. Dieser wurde zuerst veröffentlicht im Sammelband „Haushalts- und Finanzwirtschaft der Länder der Bundesrepublik Deutschland“ (Schriften zur öffentlichen Verwaltung und öffentlichen Wirtschaft 236, S. 969– 987), erschienen im BWV – Berliner Wissenschafts-Verlag, 2017. Zugunsten der Darstellung von übergreifenden Merkmalen, die für die Finanzkontrolle durch Rechnungshöfe in den Ländern charakteristisch sind, wird weitgehend auf die Herausarbeitung der Besonderheiten in den einzelnen Rechnungshofgesetzen verzichtet. 2 Zitat von William Howard Taft, US-amerikanischer Jurist und Politiker. 3 Vgl. Reger (1975a), S. 195 f. 4 Vgl. Reger (1975a), S. 196. 5 Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.02.2011 – 8 C 53 / 09 –, juris, Rn. 48. 6 Zu diesem Begriff Nebel (2015a), Rn. 20 a. E.
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Kontrolle durch den Bundesrechnungshof ausgeübt, auf der Ebene der Länder ist dies die Aufgabe der Landesrechnungshöfe.7
I. Verfassungsrechtliche Stellung der Landesrechnungshöfe Ursprünglich als Instrument der dynastischen Gewalt und der Exekutive (im weiteren Sinn) eingerichtet, sind die Rechnungshöfe – auch internationalen Anforderungen entsprechend8 – im heutigen Verfassungsleben ein von staatlicher Verwaltung und Parlament unabhängiges Organ.9 Unter dem Blickwinkel der Gewaltenteilung lassen sie sich nicht in das traditionell dreigliedrige Gewaltenteilungsschema – Legislative, Exekutive und Judikative – einordnen.10 Rechnungshöfe stellen allerdings auch keine „vierte Gewalt“ dar, sondern nehmen als neutrales Gegengewicht zum parlamentarischen Regierungssystem eine Sonderstellung im Dienste der Gewaltentrennung und -kontrolle ein.11 Alle Landesverfassungen enthalten im Wesentlichen vergleichbare Regelungen über Aufgaben und verfassungsrechtliche Stellung der Rechnungshöfe, wobei die Unabhängigkeit das entscheidende Wesensmerkmal einer 7 Die externe Finanzkontrolle der kommunalen Gebietskörperschaften soll im Folgenden nicht näher betrachtet werden. Sie ist in den Ländern unterschiedlich geregelt: In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg erstreckt sich die Zuständigkeit der Rechnungshöfe naturgemäß auch auf die kommunalen Angelegenheiten. In Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, SchleswigHolstein und Thüringen ist die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Kommunen ebenfalls grundsätzlich den Rechnungshöfen überantwortet. In Hessen und Niedersachsen ist diese Aufgabe jeweils der Präsidentin / dem Präsidenten des Rechnungshofs übertragen, während in Bayern, Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen selbstständige Rechtsträger für die externe Finanzkontrolle der kommunalen Gebietskörperschaften bestehen. In den übrigen Ländern wird diese Prüfungstätigkeit von Landesbehörden wahrgenommen. Vgl. hierzu Engels / Eibelshäuser (2012), S. 144 ff. 8 Vgl. insoweit die Standards der Internationalen Organisation der Obersten Rechnungskontrollbehörden INTOSAI. 9 Vgl. Reger (1975a), S. 196. 10 So auch Fischer-Heidlberger (2013), S. 8; Schneider (1998), S. 3. Soweit in der Rechtsprechung die Rechnungshöfe z. T. als Behörden angesehen werden – vgl. etwa Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 27.12.2012 – 1 L 2483 / 12 –, juris, Rn. 29 ff., zu einem presserechtlichen Auskunftsanspruch, und nachfolgend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2013 – 5 B 1493 / 12 –, juris, Rn. 6 ff. – muss diese Zuordnung vor dem Hintergrund der jeweils einschlägigen einfachgesetzlichen Regelungen gesehen werden; eine verfassungsrechtliche Aussage ist damit nicht verbunden. 11 Vgl. Schneider (1998), S. 3 „Einrichtungen eigener Art“; ähnlich für den Bundesrechnungshof Nebel (2015a), Rn. 29.
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wirksamen Finanzkontrolle bildet.12 Zu unterscheiden sind dabei vornehmlich drei Aspekte der Unabhängigkeit, die sich gegenseitig bedingen und ergänzen.13 Als selbstständige oberste Landesbehörden sind die Rechnungshöfe zunächst mit einer von der Exekutive unabhängigen Handlungsfähigkeit ausgestattet, die ihnen Unvoreingenommenheit und Neutralität gewährleistet.14 Gleiches gilt im Verhältnis zu den Landesparlamenten. Die Landesrechnungshöfe arbeiten diesen zwar zu, sind jedoch keine weisungsabhängigen Hilfsorgane.15 Vervollständigt wird diese institutionelle Garantie durch die ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleistete sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Landesrechnungshöfe.16 Diese äußert sich nicht nur darin, dass sie ausdrücklich nur dem Gesetz unterworfen sind, sondern vor allem darin, dass ihre Mitglieder mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattet sind.17 Dies bedeutet zunächst, dass die Mitglieder in ihrer Person beamten- und besoldungsrechtlich wie Richter behandelt werden müssen, insbesondere nicht gegen ihren Willen versetzt werden dürfen und auch hinsichtlich der Dienstaufsicht und der Disziplinarmaßnahmen den Richtern gleichgestellt sind.18 Zentrale Ausprägung dieser Unabhängigkeit ist aber vor allem die daraus erwachsende Freiheit der Mitglieder, selbst darüber zu entscheiden, ob, was, wann und wie zu prüfen ist. Ausgeschlossen sind damit nicht nur Weisungen zur Sachbehandlung in Bezug auf die Kontrollfunktion. Mit der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar sind auch unmittelbar oder mittelbar sachbezogene Einflüsse, sodass etwa verbindliche Prüfungsaufträge – sei es innerbe12 Vgl. Art. 86 Abs. 2 Satz 1 und 87 Abs. 1 LVerf NRW, Art. 83 Abs. 2 Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Art. 80 Bayerische Verfassung, Art. 95 Verfassung von Berlin, Art. 106 Abs. 2 und Art. 107 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg, Art. 133 a Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, Art. 71 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Art. 144 Verfassung des Landes Hessen, Art. 67 Abs. 2 und Art. 68 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Art. 70 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung, Art. 120 Abs. 2 Verfassung für Rheinland-Pfalz, Art. 106 Verfassung des Saarlandes, Art. 100 Verfassung des Freistaates Sachsen, Art. 97 f. Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Art. 64 f. Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Art. 102 f. Verfassung des Freistaats Thüringen. 13 Vgl. Reger (1975a), S. 226. 14 So auch Fischer-Heidlberger (2013), S. 8 f., Schneider (1998), S. 3. 15 Vgl. Schneider (1998), S. 3; in der Sache ebenso für den Bundesrechnungshof Nebel (2015a), Rn. 27, 29. 16 Vgl. Fischer-Heidlberger (2013), S. 8; Fischer-Heidlberger / Zeller (2013), S. 161 f. 17 Vgl. für Nordrhein-Westfalen Art. 87 Abs. 1 Satz 2 LVerf NRW. 18 Vgl. Reger (1975a), S. 227.
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hördlich oder seitens der staatlichen Verwaltung oder des Parlaments – daher als problematisch anzusehen sind.19
II. Organisation der Landesrechnungshöfe Die Einzelheiten zur Binnenstruktur der Landesrechnungshöfe sind überwiegend nicht verfassungsrechtlich vorgegeben, sondern werden in den verschiedenen Landesrechnungshofgesetzen geregelt. Ungeachtet mancher Unterschiede im Detail findet sich aber eine Reihe von identischen Strukturmerkmalen: In personeller Hinsicht bestehen die Landesrechnungshöfe aus der Präsidentin oder dem Präsidenten, der Vizepräsidentin oder dem Vizepräsidenten und den anderen zu Mitgliedern ernannten Beamtinnen und Beamten.20 Zur Unterstützung des Prüfgeschäfts und des Verwaltungsbereichs sind daneben weitere Bedienstete und Beschäftigte in den Landesrechnungshöfen tätig.21 Soweit es um Aufgaben der Rechnungsprüfung geht, sind die Landesrechnungshöfe in Prüfungsabteilungen und dort wiederum in Prüfungsgebiete oder Referate gegliedert. Die Prüfungsabteilungen – in einigen Ländern auch die Prüfungsgebiete – werden von den Mitgliedern geleitet. Entscheidungen in Angelegenheiten der Kontrollfunktion werden regelmäßig nicht durch die einzelnen Mitglieder, sondern – in Anlehnung an gerichtliche Strukturen – durch kollegial strukturierte Entscheidungsorgane getroffen, die überwiegend als Kollegien22 oder Senate23 bezeichnet werden. In zahlreichen Ländern werden Entscheidungen nach den landesgesetzlichen Vorgaben von der Gesamtheit der Mitglieder getroffen oder jedenfalls in einem Kollegialorgan, in dem auch die Präsidentin oder der Präsident mitwirkt.24 Um eine rechnungshofübergreifende Beständigkeit und Einheitlich19 Vgl.
hierzu im Einzelnen unter III. 2. b). z. B. Art. 87 Abs. 2 LVerf NRW, § 2 Abs. 1 LRHG NRW. 21 Vgl. § 2 Abs. 4 LRHG NRW. 22 So in Bayern, Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. In Hessen, im Saarland und in Thüringen werden beide Begriffe verwandt, vgl. § 8 Gesetz über den Hessischen Rechnungshof, § 11 Gesetz über den Rechnungshof des Saarlandes und §§ 10, 11 Gesetz über den Thüringer Rechnungshof. 23 So in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, SachsenAnhalt und Schleswig-Holstein. 24 So in Brandenburg, vgl. § 7 Abs. 4 Gesetz über den Landesrechnungshof Brandenburg, in Bremen, vgl. § 8 Abs. 1 Gesetz über die Rechnungsprüfung in der Freien Hansestadt Bremen; in Hamburg, vgl. § 12 Gesetz über den Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg; in Mecklenburg-Vorpommern, vgl. § 10 Landesrechnungshofgesetz, in Niedersachsen, vgl. § 12 Gesetz über den Niedersächsischen Landesrechnungshof, im Saarland, vgl. § 11 Gesetz über den Rechnungshof des Saarlandes, 20 Vgl.
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keit der Entscheidungen sicherzustellen, bestehen daneben in einigen Ländern Regelungen, wonach die Präsidentin oder der Präsident die Möglichkeit hat, dem entscheidenden Kollegialorgan hinzuzutreten25 oder eine Entscheidung des Gesamtkollegialorgans herbeizuführen.26 Und obwohl die Rechnungshöfe aus den oben genannten Gründen nicht hierarchisch-weisungsabhängig strukturiert sein dürfen, findet sich darüber hinaus in allen Ländern die Regelung, wonach die Funktion des Präsidentenamtes27 oder der mit der Funktion des Präsidentenamtes einhergehende Vorsitz in Kollegialorganen28 das Recht der Entscheidungsstimme bei Stimmengleichheit mit sich bringt. Insgesamt bildet diese interne Kompetenzzuweisung ein sinnvolles – wenn nicht sogar notwendiges – Spiegelbild zur hervorgehobenen Stellung der Präsidentin oder des Präsidenten gegenüber Parlament und staatlicher Verwaltung, die durch die Außenvertretung des Rechnungshofes und der Leitung der Verwaltung – einschließlich der Funktion als Dienstvorgesetzte / r aller Beschäftigten – geprägt ist und damit „im wesentlichen der eines Behördenleiters“ entspricht.29 in Sachsen-Anhalt, vgl. § 6 Gesetz über den Landesrechnungshof für das Land Sachsen-Anhalt, und in Schleswig-Holstein, vgl. § 11 Gesetz über den Landesrechnungshof Schleswig-Holstein, sowie grundsätzlich auch in Rheinland-Pfalz, vgl. § 10 Landesgesetz über den Rechnungshof Rheinland-Pfalz. 25 Z. B. in Bayern nach Art. 8 Abs. 3 Gesetz über den Bayerischen Obersten Rechnungshof, in Berlin nach § 5 Abs. 4 Rechnungshofgesetz, in Hessen nach § 10 Abs. 3 Gesetz über den Hessischen Rechnungshof und in Thüringen nach § 11 Abs. 3 Gesetz über den Thüringer Rechnungshof. 26 So in Baden-Württemberg nach § 3 Abs. 2 Gesetz über den Rechnungshof Baden-Württemberg und in Sachsen gemäß § 10 Nr. 2 Gesetz über den Rechnungshof des Freistaates Sachsen. 27 So in Bremen, vgl. § 8 Abs. 2 Gesetz über die Rechnungsprüfung in der Freien Hansestadt Bremen, in Hamburg, vgl. § 12 Abs. 1 Gesetz über den Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, in Sachsen-Anhalt, vgl. § 6 Abs. 1 Gesetz über den Landesrechnungshof für das Land Sachsen-Anhalt, sowie in Niedersachsen, vgl. § 12 Abs. 2 Gesetz über den Niedersächsischen Landesrechnungshof. 28 So in Nordrhein-Westfalen, vgl. § 7 Abs. 2 LRHG NRW, in Bayern, vgl. Art. 8 Abs. 4 Gesetz über den Bayerischen Obersten Rechnungshof, in Rheinland-Pfalz, vgl. § 10 Abs. 3 Landesgesetz über den Rechnungshof Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg, vgl. § 3 Abs. 4 Gesetz über den Rechnungshof Baden-Württemberg, in Berlin, vgl. § 4 Abs. 3 Rechnungshofgesetz Berlin, in Brandenburg, vgl. § 7 Abs. 2 Gesetz über den Landesrechnungshof Brandenburg, in Hessen, vgl. § 9 Abs. 2 Gesetz über den Hessischen Rechnungshof, in Mecklenburg-Vorpommern, vgl. § 10 Abs. 3 Landesrechnungshofgesetz, im Saarland, vgl. § 11 Abs. 1 Gesetz über den Rechnungshof des Saarlandes, in Sachsen, vgl. § 10 Nr. 4 Gesetz über den Rechnungshof des Freistaates Sachsen, in Schleswig-Holstein, vgl. § 11 Abs. 1 Gesetz über den Landesrechnungshof Schleswig-Holstein, sowie in Thüringen, vgl. § 10 Abs. 2 Gesetz über den Thüringer Rechnungshof. 29 Blasius (1990), S. 126.
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Unterstützt werden die Landesrechnungshöfe in einigen Ländern durch nachgeordnete Behörden (Staatliche Rechnungsprüfungsämter).30 Diese nehmen nach Weisung und unter der Aufsicht des jeweiligen Rechnungshofs Aufgaben der Finanzkontrolle wahr.
III. Die Aufgaben der Landesrechnungshöfe Die Aufgaben der Landesrechnungshöfe werden durch die Landesverfassungen und das Haushaltsrecht vorgegeben, das auf der Grundlage des bundesrechtlichen Haushaltsgrundsätzegesetzes in Bund und Ländern weitgehend homogen ist. Hinzu treten verschiedene spezialgesetzliche Bestimmungen,31 die im Detail zu unterschiedlichen Prüfungskompetenzen führen können.32 Bei den Aufgaben der Rechnungshöfe werden herkömmlicherweise ihre Prüfungsfunktion sowie ihre Beratungsfunktion unterschieden. Hinzu tritt als unselbstständige Ergänzung die Berichtsfunktion. 1. Prüfungsfunktion Prüfen als Vorgang bedeutet, einen gegebenen Sachverhalt festzustellen, seine finanzielle Dimension nachzuvollziehen und anhand von Soll-Vorgaben (Prüfungsmaßstäben) zu beurteilen und daran anknüpfend Empfehlungen auszusprechen.33 Prüfen findet begrifflich – was die Sachverhaltsseite anbetrifft – immer nachträglich, nämlich nach einer Verwaltungsentscheidung der geprüften Stelle statt und kann sich immer nur auf konkrete Vorgänge beziehen.34 Begründet wird dies damit, dass die Exekutive im Stadium ihrer Willensbildung und Entscheidungsfindung nicht von Ergebnissen einer parallelen Prüfung des Rechnungshofes beeinflusst werden darf, sondern ihr ein – prüfungsfreier – Kernbereich eigener Verantwortung vorbehalten bleiben muss.35
30 Baden-Württemberg,
Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. z. B. in Nordrhein-Westfalen § 42 WDR-Gesetz und § 9 Fraktionsgesetz NRW; s. auch Schneider (1998), S. 4. 32 So besteht beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ein Prüfrecht bei den Indus trie- und Handelskammern, wohingegen aktuell ein solches Recht von den Rechnungshöfen der ostdeutschen Länder eingefordert wird. Vgl. o. V. (2016). 33 So auch Mähring (2008), Anm. 8; ähnlich Nebel (2015a), Rn. 20; von Mutius / Nawrath (1999), Anm. 21. 34 So auch Mähring (2008), Anm. 9; Nebel (2015a), Rn. 20. 35 Vgl. Mähring (2008), Anm. 12. 31 Vgl.
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a) Prüfungsgegenstand Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben sind die Landesrechnungshöfe zur Prüfung der für jedes abgelaufene Haushaltsjahr aufgestellten Haushaltsrechnung sowie der Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes aufgerufen.36 Ihre Prüfungskompetenz erstreckt sich auch auf Sondervermögen und Betriebe des Landes37 sowie auf die Betätigung des Landes bei Unternehmen in einer Rechtsform des privaten Rechts, an denen das Land unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist.38 Die Landesrechnungshöfe prüfen ferner grundsätzlich auch die Haushaltsund Wirtschaftsführung landesunmittelbarer juristischer Personen des öffentlichen Rechts.39 Insoweit bestehen aber diverse Sonderregelungen in den Ländern.40 Die Haushalts- und Wirtschaftsführung von juristischen Personen des privaten Rechts prüfen die Landesrechnungshöfe, wenn diese auf Grund eines Gesetzes vom Land Zuschüsse erhalten oder eine Garantieverpflichtung des Landes gesetzlich begründet ist, sie vom Land oder einer vom Land bestellten Person allein oder überwiegend verwaltet werden, mit dem Landesrechnungshof eine Prüfung durch ihn vereinbart ist oder sie nicht Unternehmen sind und in ihrer Satzung mit Zustimmung des Landesrechnungshofs eine Prüfung durch ihn vorgesehen ist.41 Entsprechendes gilt für Treuhandvermögen, das vom Land verwaltet wird.42 Darüber hinaus ist den Landesrechnungshöfen ein Prüfungsrecht bei Stellen außerhalb der Landesverwaltung eingeräumt, wenn diese Teile des Landeshaushaltsplans ausführen oder vom Land Ersatz von Aufwendungen erhalten, Landesmittel oder Vermögensgegenstände des Landes verwalten, vom Land Zuwendungen erhalten oder aufgrund eines Finanzausgleichsgesetzes Umlagen oder ähnliche Geldleistungen an das Land abzuführen haben.43 In diesen Fällen erstreckt sich die Prüfung auf die bestimmungsmäßige und wirtschaftliche Verwaltung und Verwendung oder auf die vorschriftsmäßige
36 Vgl. 37 Vgl. 38 Vgl. 39 Vgl. 40 Vgl. 41 Vgl. 42 Vgl. 43 Vgl.
für für für für für für für für
Nordrhein-Westfalen Art. 86 Abs. 2 Satz 1 LVerf NRW. Nordrhein-Westfalen § 88 Abs. 1 Satz 1 LHO. Nordrhein-Westfalen § 92 LHO. Nordrhein-Westfalen § 111 Abs. 1 Satz 1 LHO. Nordrhein-Westfalen z. B. §§ 111 Abs. 3, 112 LHO, § 42 WDR-Gesetz. Nordrhein-Westfalen § 104 Abs. 1 LHO. Nordrhein-Westfalen § 104 Abs. 2 LHO. Nordrhein-Westfalen § 91 Abs. 1 LHO.
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Abführung, ggf. aber auch auf die sonstige Haushalts- und Wirtschaftsführung der Empfängerin oder des Empfängers.44 Insgesamt gesehen gewährleisten die Landesverfassungen den Landesrechnungshöfen eine lückenlose Prüfungsbefugnis, die dem Anliegen einer umfassenden, lückenlosen parlamentarischen Finanzkontrolle entspricht.45 Sie steht damit nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers,46 mit der Folge, dass sich die staatliche Verwaltung grundsätzlich nicht ihrer haushaltsrechtlichen Verantwortlichkeit dadurch entledigen kann, dass Stellen außerhalb der unmittelbaren Landesverwaltung Finanzverantwortung für den Staat wahrnehmen („Flucht aus dem Budget“).47 Indem die Landesrechnungshöfe auch überprüfen, „ob die Übertragung von Finanzmitteln außerhalb der jeweiligen Verwaltung rechtlich zulässig und sachlich gerechtfertigt und ob ihre Bewirtschaftung von der Verwaltung ausreichend und fortdauernd kontrolliert worden ist“, können sie zum „Garanten eines staatlichen Organisationsrechts und einer verfassungsmäßigen Wirtschaftsordnung“ werden.48 b) Prüfungsmaßstäbe Die Prüfungsmaßstäbe für die Landesrechnungshöfe sind im Grundsatz gesetzlich vorgegeben. Seit der Haushaltsrechtsreform von 1969 sind die Länder verpflichtet, nicht nur bei der Aufstellung, sondern auch bei „Ausführung des Haushaltsplans […] die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten“ (§ 6 Abs. 1 HGrG und für Nordrhein-Westfalen § 7 Abs. 1 LHO),49 woraus für die Landesrechnungshöfe die Prüfung der „Einhaltung der für die Haushalts- und Wirtschaftsführung geltenden Vor44 Vgl. 45 Vgl.
für Nordrhein-Westfalen § 91 Abs. 2 und 3 LHO. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.02.2011 – 8 C 53 / 09 –, juris,
Rn. 48. 46 So auch Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.12.2011 – 11 / 10 –, juris, Rn. 132. Ähnlich zur Reichweite von Art. 100 Verfassung des Freistaats Sachsen Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 25.08.2015 – 4 A 46 / 14 –, juris, Rn. 40 ff. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 15.01.2016 – 10 B 35 / 15 –, juris, die Beschwerde gegen diese Entscheidung verworfen. 47 So auch Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.12.2011 – 11 / 10 –, juris, Rn. 139. In dem dort entschiedenen Fall hatte der Verfassungsgerichtshof hieraus abgeleitet, dass dem Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen ein Prüfungsrecht auch bei der NRW.BANK zustehe, unabhängig von den Bestimmungen der Landeshaushaltsordnung und / oder den Regelungen des NRW. BANK-Gesetzes. 48 Kirchhof (1983), S. 514. 49 von Arnim (1989), S. 259.
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schriften und Grundsätze“ folgt.50 Insbesondere ist Gegenstand der Prüfung, ob das Haushaltsgesetz und der Haushaltsplan eingehalten worden sind, die Einnahmen und Ausgaben begründet und belegt sind und die Haushaltsrechnung sowie die Nachweisungen über das Vermögen und die Schulden ordnungsgemäß aufgestellt sind (Recht- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung). Da rüber hinaus haben die Rechnungshöfe zu prüfen, ob wirtschaftlich und sparsam verfahren wird (Wirtschaftlichkeitsprüfung), namentlich, ob eine Aufgabe mit geringerem Personal- oder Sachaufwand oder auf andere Weise wirksamer erfüllt werden kann.51 Im Hinblick auf die Recht- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung ist zu beobachten, dass die traditionelle Aufgabe der Prüfung der Haushaltsrechnung in der Prüfungspraxis an Gewicht verloren hat und seit einigen Jahren eine deutliche Verschiebung hin zu Wirtschaftlichkeitsprüfungen festzustellen ist.52 Diese Entwicklung ist vornehmlich dadurch bedingt, dass sich die Forderung nach der strikten Beachtung der Recht- und Ordnungsmäßigkeit dem Vorwurf ausgesetzt sieht, sie fördere nur die weitere Reglementierung des Verwaltungshandelns und sei daher mitursächlich für die Veränderungsresistenz der staatlichen Verwaltungen. Der notwendige Wandel der Verwaltungsstrategien, -aufgaben, -prozesse, -strukturen und -kulturen zur Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen würde allenfalls geringfügig gefördert, wenn nicht sogar behindert.53 Hinzu kommt, dass sich gerade im Bereich der Recht- und Ordnungsmäßigkeitsprüfungen die Prüffelder und die Prüftechnik der Landesrechnungshöfe verändert haben. Durch die Automatisierung des Haushalts- und Kassenwesens fließen die Ergebnisse der Buchführung vermehrt ohne weitere manuelle Einflussnahme programmgesteuert in die Haushaltsrechnung ein.54 Auch eine Prüfung der Belege findet heute üblicherweise nicht mehr in großem Umfang statt. Insoweit liegt der Schwerpunkt auf der Erhebung von Stichproben, um Fehlerquoten und ggf. deren Entwicklung beurteilen zu können. Verzichtbar ist die Recht- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung allerdings – nicht zuletzt wegen der eindeutigen verfassungsrechtlichen Vorgabe und der Bedeutung der Prüfung für die Entlastung der Landesregierung – für die Landesrechnungshöfe auch heutzutage nicht. Praktische Relevanz bekommt sie insbesondere dadurch, dass von ihr ausgehend die Landesrechnungshöfe 50 Vgl.
für Nordrhein-Westfalen § 90 LHO. für Nordrhein-Westfalen § 90 LHO. 52 So auch Benner (2014), S. 24. 53 So auch Benner (2014), S. 23. 54 Vgl. Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen (2002), S. 3. 51 Vgl.
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die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns insgesamt in den Blick nehmen können.55 Dennoch gibt es insgesamt eine stärkere Tendenz zu einer gegenwartsnahen, von der Rechnungslegung losgelösten Finanzkontrolle, die sich mit der Prüfung der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung der eingesetzten öffentlichen Mittel befasst. Neben der haushaltsrechtlichen Vorgabe, dass eine wirksamere oder weniger kostenaufwändige Aufgabenwahrnehmung zu prüfen ist, zielt dieser Maßstab generell auf die Frage des (günstigsten) Verhältnisses zwischen dem verfolgten Zweck und den eingesetzten Mitteln sowie auf die Beschränkung der eingesetzten Mittel auf den zur Erfüllung der Aufgabe notwendigen Umfang.56 Insoweit gibt dieser – gesetzlich nicht abschließend definierte – Prüfungsmaßstab den Landesrechnungshöfen einen weiten Beurteilungsspielraum57 und ist eher als ein Prüfungsauftrag und eine Kompetenzzuweisung zu verstehen, als die bloße Bindung an einen vollzugsfähig konkretisierten Handlungsmaßstab.58 Verstärkt wird diese Wahrnehmung durch die zunehmende Steuerung von Verwaltungshandeln unter dem Blickwinkel der Wirkungsorientierung.59 Ausgehend von der Kameralistik, wo vor allem Einnahmen und Ausgaben betrachtet wurden (Inputorientierung), steht hier das Ergebnis von Maßnahmen im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Wirkungsorientierung verknüpft den Ressourceneinsatz mit dem Erreichen bestimmter Wirkungsziele. Hierbei werden kaufmännische Steuerungsinstrumente wie doppelte Buchführung oder Kosten- und Leistungsrechnung einschließlich Controlling bedeutsam. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Sinne einer „Wirkungsprüfung“ sind daher Themen wie die Definition eindeutiger Verantwortlichkeiten für die Zielerreichung, die Festlegung relevanter und aussagekräftiger Indikatoren und deren Eignung für die Messung der Zielerreichung, die Einführung verbindlicher Ressourcen-, Ziel- und Leistungspläne, die Validität der Datengrundlagen für die Indikatoren, der Grad der Zielerreichung und die Ursachen für Zielabweichungen zu untersuchen.60 55 So auch von Mutius / Nawrath (1999), Anm. 26; Fischer-Heidlberger / Zeller (2013), S. 167; Engels (2013), S. 147 f.; ähnlich Reus / Mühlhausen (2011), S. 9. 56 So auch von Mutius / Nawrath (1999), Anm. 27; Fischer-Heidlberger / Zeller (2013), S. 168 f. m. w. N.; Rix (2015), S. 691; Schneider (1998), S. 9. 57 So auch von Mutius / Nawrath (1999), Anm. 27. 58 Vgl. Kirchhof (1983), S. 515. 59 So z. B. das Projekt der Neuen Verwaltungssteuerung in Hessen, das Projekt der strategischen Neuausrichtung des Haushaltswesens in Hamburg oder das Projekt EPOS.NRW (Einführung von Produkthaushalten zur outputorientierten Steuerung – Neues Rechnungswesen) in Nordrhein-Westfalen. 60 Vgl. Rechnungshof Oberösterreich (2014),S. 25 ff. Von derartigen Wirkungsprüfungen zu unterscheiden ist die in Hessen dem Rechnungshof übertragene Auf-
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Die größere Bedeutung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen (auch im erweiterten Sinn der Wirkungsprüfung) in der aktuellen Prüfpraxis darf aber den Blick auf deren Rahmenbedingungen und Grenzen nicht verstellen. Wirtschaftlichkeitsprüfungen führen die Rechnungshöfe nicht selten direkt in das Feld der Politik.61 Wie ausgeführt ist das Kriterium der Wirtschaftlichkeit als Relation zwischen Aufwand und Ertrag abstrakt betrachtet ohne inhaltliche Substanz. Diese gewinnt sie erst, wenn sie zu einem Zweck in Beziehung gesetzt wird.62 Damit rückt auch der Zweck in den Blickpunkt der Prüfung, also die Verwirklichung eines zuvor in der Regel von den zuständigen politischen Gremien festgelegten Ziels. Offenkundig ist dies bei der Prüfung von wirkungsorientierten Steuerungsmaßnahmen. Selbst wenn die Zielsetzung nicht per se einer Beurteilung durch die Rechnungshöfe entzogen ist, sollten diese doch stets die wechselseitigen Verantwortungssphären in den Blick nehmen.63 Rechnungsprüfung kann und muss Politik kritisch begleiten,64 sie kann aber nicht an deren Stelle treten, weil sonst „Kontrollierter und Kontrolleur personenidentisch“ werden.65 Kein eigenständiger Prüfungsmaßstab, aber ein in diesem Zusammenhang wesentlicher Grundsatz der Rechnungsprüfung ist der Grundsatz der Lückenlosigkeit der Finanzkontrolle.66 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung einer lückenlosen Prüfungsbefugnis der Landesrechnungshöfe verlangt von diesen – ähnlich wie bei der „Justizgewährungspflicht“ für den Bereich der Rechtspflege – ihre Prüfungsmöglichkeiten effektiv wahrzunehmen und damit ihrer „Kontrollsicherungspflicht“ zu dienen.67 Unter anderem setzt dies voraus, dass die Landesrechnungshöfe einen Überblick darüber haben, welche Bereiche zuletzt mit welchem Ergebnis geprüft worden sind und welche gabe, die Eröffnungs- und Schlussbilanz der obersten Landesbehörden festzustellen, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 3 Rechnungshofgesetz Hessen, oder die Prüfung des Jahresabschlusses selbst, wie sie etwa der Rechnungshof Hamburg bereits mehrfach durchgeführt hat, vgl. zuletzt die Prüfung des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses der Freien und Hansestadt Hamburg zum 31. Dezember 2014, http: / / www.hamburg. de / contentblob / 5787106 / ac73ddf166efa710adace3082c998a92 / data / jahresbericht2016-ergaenzung.pdf (05.10.2016). 61 So auch Fischer-Heidlberger (2013), S. 13; ähnlich Fischer-Heidlberger / Zeller (2013), S. 157. 62 So auch Fischer-Heidlberger / Zeller (2013), S. 169 m. w. N. 63 Ähnlich von Mutius / Nawrath (1999), Anm. 33. 64 Vgl. hierzu eingehender Fischer-Heidlberger / Zeller (2013), S. 170 ff. 65 Kirchhof (1983), S. 515; s. auch Reger (1975a), S. 236. 66 Zu diesem Begriff von Mutius / Nawrath (1999), Anm. 10; in der Sache ebenso Fischer-Heidlberger / Zeller (2013), S. 163, mit dem Verweis darauf, dass der Rechnungshof prüfungsfreie Räume vermeiden müsse. 67 Vgl. Reger (1975a), S. 229, der diesen Vergleich jedoch in einem anderen Zusammenhang zieht.
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Bereiche seit Längerem keiner Prüfung unterzogen worden sind. Einen solchen systematischen Überblick über Prüfungsdichte und Prüfungspräsenz in den verschiedenen Bereichen der Landesverwaltung kann etwa ein Prüfungskataster sicherstellen. c) Behandlung der Prüfungsergebnisse Das Ergebnis der Prüfung teilen die Landesrechnungshöfe unverzüglich den zuständigen Stellen zur Äußerung innerhalb einer von ihnen zu bestimmenden Frist mit.68 In der Regel verbinden die Rechnungshöfe die Mitteilung des festgestellten Sachverhalts und seiner Bewertung mit Empfehlungen an die zuständigen Stellen. Anordnungen zur Umsetzung ihrer Vorschläge können sie jedoch nicht erlassen; eine Vollzugskompetenz steht ihnen nicht zu („Ritter ohne Schwert“69). Aus den Prüfungsmitteilungen die notwendigen Folgerungen zu ziehen, obliegt den hierfür Verantwortlichen, vornehmlich den geprüften Verwaltungsstellen, ggf. auch der Landesregierung und / oder dem Parlament. 2. Beratungsfunktion Zu den Aufgaben der Rechnungshöfe gehört weiter die Beratung. Dabei ist insbesondere zwischen der unselbstständigen und der selbstständigen Beratung zu unterscheiden. a) Die unselbstständige Beratung Wie ausgeführt, bedeutet Prüfen neben der Feststellung eines Sachverhalts und seiner Bewertung auch das Abgeben von Empfehlungen. Diese Form der prüfungsimmanenten Beratung wird herkömmlicherweise als „unselbstständige Beratung“ bezeichnet.70 Daneben gibt es in der Prüfpraxis die „informelle Beratung“. Darunter wird die Situation verstanden, dass die Prüferinnen und Prüfer während einer Prüfung ihr Fachwissen als sachverständige Partner in den Gedankenaustausch mit den geprüften Stellen einbringen.71 Diese Form der „Beratung“ 68 Vgl.
für Nordrhein-Westfalen § 96 Abs. 1 Satz 1 LHO. (1999), S. 5 m. w. N. 70 So auch Mähring (2008), Anm. 16; Rix (2015), S. 682; Reus / Mühlhausen (2011), S. 10; Blasius (1997), S. 371; ähnlich Engels (2013), S. 152: akzessorische Beratung. 71 So etwa Rechnungshof Rheinland-Pfalz, http: / / www.rechnungshof-rlp.de / Wirueber-uns / Aufgaben / (23.03.16). 69 Bertrams
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ist Ausdruck des Bemühens der Rechnungshöfe, zeitnah Prüfungserkenntnisse in das aktuelle Verwaltungshandeln einfließen zu lassen, um künftigen Fehlentwicklungen rechtzeitig vorbeugen zu können. Entsprechende informelle Äußerungen einzelner Prüferinnen und Prüfer geben jedoch lediglich persönliche Eindrücke und Einschätzungen wieder. b) Die selbstständige Beratung Nach den Landeshaushaltsordnungen72, die insoweit über die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinausgehen, können die Landesrechnungshöfe aufgrund von Prüfungserfahrungen den Landtag, die Landesregierung und einzelne Ministerien ihres Landes beraten. Diese Form der Beratung knüpft zwar auch an Prüfungserfahrungen an. Ausreichend ist aber insoweit, dass verschiedene Prüfungserfahrungen zusammengefasst, ergänzt und durch das in Ausbildung und Prüfungspraxis erworbene Wissen und Können der Handelnden angereichert und zu einer Beratungsgrundlage zusammengeführt werden.73 In Abgrenzung zu der prüfungsimmanenten, unselbstständigen Beratung wird sie daher herkömmlicherweise als „selbstständige Beratung“ bezeichnet.74 In einigen Ländern wird die Möglichkeit der Beratungstätigkeit durch das Recht des Parlaments – zum Teil auch der staatlichen Verwaltungen – ergänzt, die Landesrechnungshöfe um Begutachtung75 oder Prüfung76 zu ersuchen. Selbst wenn diese Aufträge unter den Vorbehalt gestellt sind, dass hierdurch nicht die Funktionsfähigkeit und sachliche Unabhängigkeit des Rechnungshofs mit der Folge einer Beeinträchtigung des in der Landesverfassung festgelegten Kontrollauftrages berührt werden darf, erscheint eine solche Regelung bedenklich, wenn nicht sogar mit den verfassungsrecht lichen Vorgaben unvereinbar.77
72 Vgl.
für Nordrhein-Westfalen § 88 Abs. 2 Satz 1 LHO. für den Bundesrechnungshof Mähring (2008), Anm. 20; ähnlich Nebel (2015b), Rn. 5. 74 So auch Mähring (2008), Anm. 16, 20; Engels (2013), S. 150; Rix (2015), S. 683; Reus / Mühlhausen (2011), S. 11. 75 Z. B. Art. 88 Abs. 3 Bayerische Haushaltsordnung; § 88 Abs. 3 Sächsische Haushaltsordnung; § 88 Abs. 4 LHO Schleswig-Holstein. § 81 Abs. 3 Haushaltsordnung Hamburg sieht ein solches Ersuchen ebenfalls vor, überlässt aber dem Rechnungshof die Entscheidung, ob er dem Ersuchen entspricht. 76 § 88 Abs. 5 LHO Schleswig-Holstein; § 81 Abs. 3 Haushaltsordnung Hamburg sieht wiederum ein solches Ersuchen vor, überlässt aber dem Rechnungshof die Entscheidung, ob er dem Ersuchen entspricht. 77 Vgl. Reger (1975a), S. 225 f. m. w. N. 73 So
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Noch stärker akzentuiert wird der Gedanke einer von Exekutive oder Legislative formulierten „bedarfsgerechten“ Beratungstätigkeit durch die Landesrechnungshöfe, wenn ihnen die Rolle von „change agents“ zugewiesen wird, also treibender Kräfte in geplanten Veränderungsprozessen.78 Dem liegt die Forderung zugrunde, dass Rechnungshöfe vorrangig zukunftsorientiert beraten – und dem vorausgehend prüfen – sollten, weil derartige Kontrollansätze über einen deutlich höheren Veränderungsbezug verfügten.79 Allerdings begegnet dieser Ansatz grundsätzlichen Bedenken, etwa im Hinblick auf die verschiedenen Verantwortungssphären80 und das Kollegialitätsprinzip, aber auch mit Blick auf die Ressourcen der Rechnungshöfe und deren klar vorgegebenen Handlungskompetenzen.81 Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, die Grundproblematik nicht durch die Einführung neuer Rollen der Rechnungshöfe aufzulösen, sondern durch deren verstärktes Bemühen, im Rahmen der ihnen verfassungsrechtlich übertragenen Aufgaben dem Erfordernis veränderungsrelevanter Prüfungs- und Beratungsthemen Rechnung zu tragen und dem Parlament und der Exekutive diese Informa tionen zeitnah zu vermitteln.82 c) Weitere Verfahren der Beratung Neben der allgemeinen Aufgabe der Beratung aus konkreten Prüfungen oder allgemeinen Prüfungserfahrungen heraus sind den Landesrechnungshöfen weitere Aufgaben übertragen, denen gleichfalls Beratungselemente immanent sind. Dies sind namentlich solche, in denen bestimmte Maßnahmen nur im Einvernehmen mit den Landesrechnungshöfen durchgeführt werden können. Beispielsweise gehören hierzu der Erlass von Verwaltungsvorschriften, welche die Regelung des Verwendungsnachweises und die Prüfung durch die Landesrechnungshöfe betreffen83 oder die Einrichtung der Bücher und Belege oder Vereinfachungen für die Buchführung und die Belegung der Buchungen.84 Schließlich bedarf es des Einvernehmens der Landesrechnungshöfe auch bei Beteiligungen des Landes, wenn es um die Wahl oder Bestellung der Prüferinnen und der Prüfer nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 HGrG geht oder um einen Verzicht auf die Ausübung der Rechte des § 53 Abs. 1 78 So auch Benner (2014), S. 22 ff. und zur Begriffsbestimmung S. 14; ähnlich Richter (1999), S. 356 ff., der diese Rolle den „öffentlichen Prüfern“ zuschreibt und ihnen die „Steuerung von Veränderungsprozessen“ überantworten will. 79 So auch Benner (2014), S. 25 f. 80 Vgl. hierzu Kirchhof (1983), S. 515; Reger (1975a), S. 236. 81 Vgl. hier Benner (2014), S. 54 ff. m. w. N.; Richter (1999), S. 358 f. 82 Vgl. Engels (2013), S. 146 f.; ähnlich schon Schulze-Fielitz (1996), S. 274. 83 Vgl. für Nordrhein-Westfalen § 44 Abs. 1 Satz 4 LHO. 84 Vgl. für Nordrhein-Westfalen § 79 LHO.
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HGrG.85 In verschiedenen anderen Fällen sind die Landesrechnungshöfe zu unterrichten oder anzuhören, sodass ihnen die Gelegenheit für eine Äußerung eröffnet wird.86 3. Berichtsfunktion Dass die Landesrechnungshöfe die Ergebnisse ihrer Prüfungen den geprüften Stellen mitteilen, ist Teil der Prüfungsfunktion.87 Daneben tritt die Berichtsfunktion, die zwar einerseits eine unselbstständige, weil an die Prüfung anknüpfende Funktion darstellt, im Hinblick auf die Unterrichtung des Parlaments jedoch von grundsätzlicher Bedeutung und entsprechend verfassungsrechtlich abgesichert ist. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise bestimmt Art. 86 Abs. 2 Satz 2 LVerf NRW hierzu, dass der Landesrechnungshof das Ergebnis seiner Prüfung (der Rechnung sowie der Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung) jährlich in einem Bericht für den Landtag zusammenfasst, den er auch der Landesregierung zuleitet. § 97 Abs. 1 LHO präzisiert dies dahingehend, dass in diesem Jahresbericht88 das Ergebnis der Prüfung mitzuteilen ist, soweit es für die Entlastung der Landesregierung wegen der Haushaltsrechnung von Bedeutung sein kann. Ergänzt wird der Jahresbericht in Nordrhein-Westfalen und in anderen Ländern durch einen ebenfalls jährlich erscheinenden Ergebnisbericht. Dieser enthält einen zusammenfassenden Überblick über die Folgerungen aus den im jeweils zwei Jahre zurückliegenden Jahresbericht enthaltenen Prüfungsergebnissen und Beratungsbeiträgen. Er stellt die jeweilige parlamentarische Behandlung des Jahresberichtsbeitrags durch den Landtag dar und dokumentiert gegebenenfalls die von der Verwaltung ergriffenen Maßnahmen. Der Ergebnisbericht soll dem Landtag und der Landesregierung aufzeigen, welche Vorschläge von der Landesverwaltung bereits umgesetzt wurden, beziehungsweise wo noch Handlungsbedarf besteht.89
85 Vgl.
für Nordrhein-Westfalen § 68 LHO. für Nordrhein-Westfalen z. B. §§ 30, 66, 102, 103 LHO. 87 Vgl. hierzu unter III. 1. c). 88 In Baden-Württemberg wird dieser Bericht als Denkschrift bezeichnet, vgl. Rechnungshof Baden-Württemberg, http: / / www.rechnungshof.baden-wuerttemberg. de / de / veroeffentlichungen / denkschriften / (05.10.2016), in anderen Ländern z. T. als Bemerkungen, vgl. Hessischer Rechnungshof http: / / www.rechnungshof-hessen.de / index.php?id=4 (05.10.2016), Landesrechnungshof Schleswig-Holstein, http: / / www. landesrechnungshof-sh.de / de / 6 / aufgaben.html (05.10.2016). 89 Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen, http: / / www.lrh.nrw.de / index.php / veroeffentlichungen / ergebnisberichte (05.10.2016); ähnlich etwa Rechnungshof Ba86 Vgl.
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Die Landesrechnungshöfe sind jedoch nicht an diesen jährlichen Berichtsturnus gebunden. Über Prüfungsergebnisse, denen sie eine besondere Bedeutung beimessen, können sie den Landtag und die Landesregierung jederzeit in einem Sonderbericht in Kenntnis setzen.90 Ergänzt wird die Berichtsfunktion der Landesrechnungshöfe dadurch, dass diese ihre Jahresberichte, Ergebnisberichte und Sonderberichte veröffent lichen. Hierzu sind sie auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zumindest berechtigt.91 Prüfungsmitteilungen werden dagegen von den Landesrechnungshöfen nicht veröffentlicht.92
IV. Schlussbetrachtung Obwohl sich die heutige Finanzkontrolle durch die Landesrechnungshöfe dem Verwaltungsgeschehen nach Zeit und Inhalt deutlich angenähert hat, weniger einzelfallorientiert, sondern eher querschnittsorientiert und (Fehler-) Strukturen aufdeckend ausgerichtet ist,93 ist in ihrer institutionellen, funktionellen und methodischen Gestaltung ein nicht unerhebliches statisches Moment erkennbar.94 Das ist aber hinnehmbar, weil schon die hier aufgezeigte Entwicklung der Prüfungs- und Beratungsphilosophien der Landesrechnungshöfe nach der grundlegenden Haushaltsrechtsreform von 1969 Beleg genug dafür ist, dass sie nicht ein „hermetisch abgeschirmtes Eigendasein“ führen, sie […] vielmehr dem Schicksal und dem dynamischen Wandel aller staatlichen Betätigung aufs engste verbunden“ sind.95 Diese „mitschreitende Finanzkontrolle“ entwickelt sich daher immer mehr zu einem unverzichtbaren Instrument einer „unabhängigen Verwaltungskontrolle und vorbereitender Selbstdisziplinierung der staatlichen Verwaltung“.96
den-Württemberg, http: / / www.rechnungshof.baden-wuerttemberg.de / de / veroeffentli chungen / ergebnisberichte / (05.10.2016). 90 Vgl. für Nordrhein-Westfalen § 99 LHO. 91 Eine gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung im Internet enthalten §§ 97 Abs. 5, 99 Satz 3 Bundeshaushaltsordnung. 92 Insofern bestehen aber ggf. presserechtliche Auskunftsansprüche; vgl. zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen etwa Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 27.12.2012 – 1 L 2483 / 12 –, juris, und nachfolgend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.01.2013 – 5 B 1493 / 12 –, juris. 93 Vgl. hierzu Nebel (2015b), Rn. 20. 94 Vgl. Reger (1975b), S. 364. 95 Reger (1975a), S. 196 m. w. N. 96 So schon Kirchhof (1983), S. 515.
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Risikomanagement und risikoorientierte Prüfung in Kommunen* Von Gunnar Schwarting Der risikoorientierte Prüfungsansatz wird im kommunalen Bereich seit etwa einem Jahrzehnt diskutiert. Wichtige Meilensteine waren Berichte der KGSt zur Rechnungsprüfung im neuen doppischen Haushalts- und Rechnungswesen.1 Es wäre vermessen zu behaupten, der risikoorientierte Ansatz sei bereits genereller Standard in den Kommunen. Dazu ist die kommunale Prüfungslandschaft zu vielfältig. Im Folgenden wird der risikoorientierte Ansatz in zweifacher Hinsicht verstanden. Zum einen geht es um die Prüfung des – soweit vorhanden – Risikomanagements in der Verwaltung. Zum anderen wird die Ausgestaltung des Prüfprozesses betrachtet, die sich an Risikofaktoren ausrichtet, in den Blick genommen.
I. Das Risikomanagement als Prüfungsobjekt 1. Risikomanagement im kommunalen Bereich „Inzwischen ist weitgehend akzeptiert, dass ein unternehmensweites Risikomanagement weit mehr ist als das (selbstverständliche) Einhalten gesetz licher Vorschriften …, das Abschließen von Versicherungen und das Erstellen von Notfallplänen. Risikomanagement ist ein alle Funktionsbereiche umfassender und integrierter Prozess der Identifikation, Bewertung, Aggregation, Steuerung und Überwachung aller Risiken, die Abweichungen von den gesetzten Zielen auslösen können. Vor allem gehört es zum Risikomanagement, Entscheidungen auch unter Berücksichtigung von Ergebnissen einer Risikoanalyse zu treffen.“2
Der Beitrag erschien in leicht abgewandelter Form bereits in Der Gemeindehaus* halt 6 / 2018, S. 128–131. 1 Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt), Rechnungsprüfung im neuen Haushalts- und Rechnungswesen Teil 1 und 2, Berichte 7 / 2007 und 8 / 2007. 2 Werner Gleißner, Grundlagen des Risikomanagements, 3. Aufl. München 2017, S. 523.
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Von dieser Sichtweise sind viele Kommunen noch entfernt, wenngleich sie zumindest in Bayern gehalten sind bei der Führung ihrer Haushaltswirtschaft Risiken zu minimieren (Art. 61 Abs. 3 GO BY). Denn anders als Unternehmen sind sie nicht verpflichtet, ein Risikomanagementsystem einzurichten. Sie haben nach den haushaltsrechtlichen Bestimmungen der Länder lediglich in ihrem Lagebericht auch auf Chancen und Risiken für die künftige Entwicklung der Gemeinde3 einzugehen (§ 48 GemHVO NRW). Nur die dieser Darstellung zugrundeliegenden Annahmen sind dabei anzugeben. Dementsprechend sind gerade die Risiken in den meisten Lageberichten eher nur sehr allgemein beschrieben, wobei vor allem externe Entwicklungen wie die Gesetzgebung, die Zinspolitik oder die allgemeine konjunkturelle Lage benannt werden. Solange kein eigenes Risikomanagement besteht, ist es deshalb auch für den Prüfer schwer zu beurteilen, ob die Darstellung von Risiken im Lagebericht „zutreffend“ ist (§ 101 Abs. 6 GO NRW).4 Dies verhält sich anders bei kommunalen Eigenbetrieben. Sie unterliegen den Regelungen des Handelsrechts und müssen dementsprechend auch über ein Risikomanagement verfügen (§ 289 HGB). Dies wird in der Eigenbetriebsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen im Einzelnen präzisiert, indem die Elemente des Risikomanagements von der Risikoidentifikation bis zur Dokumentation ausdrücklich benannt werden (§ 10 Abs. 1 EigVO NRW). Das Risikomanagement des Betriebes ist dementsprechend auch Gegenstand der Abschlussprüfung durch die Gemeindeprüfungsanstalt oder einen von ihr bestellten Wirtschaftsprüfer (§ 2 Abs. 1 und 5 GPAG NRW).5 2. Prüfung des Risikomanagements Für die Prüfung von Risikomanagementsystemen in Unternehmen gibt es seit 2017 einen eigenen Prüfstandard (IDW PS 981). „Mit dem EPS 981wird für Vorstand, Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss, die eine Wirksamkeit der Corporate-Governance-Elemente sicherstellen müssen, eine weitere Grundlage geschaffen, die Systematik von Risikomanagementsystemen, in Anlehnung an das COSO-Rahmenwerk, zu gestalten, zu überwachen und ggf. auch extern prüfen und bestätigen zu lassen.“6 3 Die haushaltsrechtlichen Bestimmungen verwenden stets den Begriff „Gemeinde“, sind aber gleichermaßen verbindlich für G)emeindeverbände wie die Landkreise. 4 Diese Bestimmung gibt es nur in Nordrhein-Westfalen. 5 In anderen Ländern erfolgt die Prüfung unmittelbar durch einen Wirtschaftsprüfer. 6 Markus Link / Antonia Steßl, IDW EPS 981 – Erste Überlegungen zur Prüfung von Managementsystemen und seiner Bedeutung im Kontext effektiver Corporate Governance, Compliance Berater 7 / 2016, S. 241.
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Allerdings setzt sich allmählich die Auffassung durch, dass auch in der Kernverwaltung einer Kommune ein umfassendes Risikomanagementsystem erforderlich ist. Denn das Verwaltungshandeln ist keineswegs frei von inhärenten Risiken, die •• finanziell negative Auswirkungen haben können, •• strategisch bedeutsam sein können, wenn wichtige Sachziele verfehlt werden, •• die sich auf die Reputation der Verwaltung, ggf. auch der Kommunalpolitik auswirken können. In den Veröffentlichungen der KGSt7 gibt es einen „Dreiklang“ des kommunalen Risikomanagements aus Früherkennung – Internem Kontrollsystem – Controlling. Daraus ergeben sich für die Prüfung einige wichtige Fragestellungen:8 •• Sind die Methoden der Früherkennung angemessen? Reduzieren sie „kognitive Verzerrungen, die zu typischen Entscheidungsfehlern führen können“?9 •• Nimmt das Interne Kontrollsystem seine Funktion im Hinblick auf Geschäftsprozesse und Compliance hinreichend wahr? •• Gibt die Risikoberichterstattung die Ergebnisse der vorgelagerten Stufen ungeschmälert weiter? Werden Risikoberichte zur Kenntnis genommen und führen sie zu Korrekturen im Verwaltungshandeln? •• Lassen sich Planabweichungen auf Risiken zurückführen, die in der Risikoanalyse benannt worden waren oder hat das Risikomanagement bestimmte Risiken nicht erkannt? •• Ist die Einstufung des Risikomanagements nach dem Reifegrad durch die Verwaltung plausibel?10
7 Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, Kommunales Risikomanagement Teil 1: Das kommunale Risikofrühwarnsystem, Bericht B 5 / 2011 sowie, Kommunales Risikomanagement Teil 2: Das Interne Kontrollsystem, Bericht B 8 / 2014. Teil 3, der sich mit dem Risikocontrolling befasst, ist in Vorbereitung. 8 s. hierzu wesentlich ausführlicher Werner Gleißner, Grundlagen des Risikomanagements, S. 481 ff. 9 s. hierzu ausführlicher Gunnar Schwarting, Risikomanagement in Kommunen, Berlin 2015, S. 53 ff. sowie die sehr prägnante Übersicht bei Alfred Biel, Entscheidungen und Entscheidungsverhalten – Interview mit Markus Kottbauer, ControllerMagazin 1 / 2018, S. 30. 10 Zum Reifegrad s. knapp Gunnar Schwarting, Kommunales Risikomanagement, Beriln 2015, S. 85 ff. und Werner Gleißner, Grundlagen des Risikomanagements, 3. Aufl. München 2017, S. 7.
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Schließlich kann auch geprüft werden, ob und inwieweit Vorsorge getroffen ist, für den Fall, dass einzelne Risiken eintreten.11 Mit diesen Fragestellungen wird das Risikomanagement als Geschäftsprozess verstanden und geprüft. Das bedeutet: „Im Ergebnis beschäftigt sich die kommunale Jahresabschlussprüfung mit den Risikomanagement-, Kontroll-, Führungs- und Überwachungsprozessen.“12
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Risikobewertungen findet hingegen nicht statt. Die Risikobeurteilung durch Prüfer nimmt die Risikobeurteilung der Verwaltung zum Ausgangspunkt.13 Dies mag insofern angemessen sein, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Rechnungsprüfung selbst wieder eine subjektive Einstellung zu Risiken haben dürften. Gleichwohl erscheint es vertretbar, wenn die Rechnungsprüfung die der Bewertung einzelner Risiken zugrundeliegenden Annahmen zumindest hinterfragt. Das ist in anderem Zusammenhang keineswegs ungewöhnlichSo haben die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder typische Mängel beim Wirtschaftlichkeitsvergleich von ÖPP-Projekten herausgearbeitet: „Die Erfahrungen der Rechnungshöfe zeigen, dass beim Wirtschaftlichkeitsvergleich vorrangig die Eigenbauvariante mit hohen Risikokosten belegt wird. Die monetäre Bewertung der Risiken wird somit zur Stellschraube im Wirtschaftlichkeitsvergleich von konventioneller Beschaffungs- und ÖPPVariante.“14
II. Risikoorientierte Prüfung als Geschäftsprozess 1. Zur Ausgestaltung einer risikoorientierten Prüfung Bislang bezog sich der Begriff der Risikoorientierung auf ein Prüffeld, das Risikomanagement. Unter risikoorientierter Prüfung wird jedoch in erster Linie die Gestaltung des Prüfprozesses selbst verstanden. Die Leitlinien des Instituts der Rechnungsprüfer beschreiben dies wie folgt: 11 Ein Beispiel dafür sind die sog. „rainy-day-funds“ der amerikanischen Staaten. Vgl. hierzu die Kurzdarstellung von Corina Eckl / Jed Kee, Rainy-Day-Funds, in: Joseph J. Cordes / Robert D. Ebel / Jane G. Gravelle (eds.), Encyclopedia of Taxation and Tax Policy, 2nd ed. Washington 2005, p. 327 f. 12 Institut der Rechnungsprüfer, IDR-Prüfungsleitlinie 200 „Leitlinien zur Durchführung von kommunalen Jahresabschlussprüfungen, Ziff. 56 mit weitergehenden Ausführungen insb. zum internen Kontrollsystem, Ziff. 57 ff. 13 Institut der Rechnungsprüfer, IDR-Prüfungsleitlinie 200 „Leitlinien zur Durchführung von kommunalen Jahresabschlussprüfungen, Ziff. 67. 14 Gemeinsamer Erfahrungsbericht der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder zur Wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten, Wiesbaden 2011, S. 40.
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„Die kommunale Rechnungsprüfung muss Aussagen über das Prüfergebnis unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit mit hinreichender, aber nicht mit absoluter Sicherheit treffen können. Dazu ist es erforderlich, sich im Rahmen der Prüfung von kommunalen Gebietskörperschaften auf wesentliche Vorgänge – im Hinblick auf die Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage – zu beschränken. Der kommunale Prüfer trifft somit eigenverantwortlich eine Auswahl der Bereiche, die er prüfen wird und welche er unbeachtet lässt, immer mit dem Risiko, dass er dabei Fehler nicht entdeckt.“15 Das ist insoweit eine Einschränkung als die die Prüfung wird auf finanzrelevante Vorgänge beschränkt wird. Strategische oder Reputationsrisiken bleiben unberücksichtigt. Unter dieser Prämisse hat jeder Prüfer zu entscheiden, bei welchen Prüffeldern16 • eine Anfälligkeit für das Auftreten von Fehlern zu erwarten ist, • die internen Kontrollen nicht ausreichend erscheinen, um Fehler im Verwaltungsablauf zu erkennen, • welche Höhe des Entdeckungsrisikos zweckmäßig und tolerabel sein dürfte.17 Dabei verlagert sich der Schwerpunkt der Prüftätigkeit von der Einzelfallauf die Geschäftsprozessprüfung. Denn die – immer noch notwendige – Prüfung von Einzelfällen verstellt möglicherweise den Blick auf systematische Fehler im Verwaltungsablauf. Sie ist zudem aus Sicht der geprüften Verwaltungseinheiten mit dem Odium der „Suche nach Schuldigen“ verbunden. Das mindert die Bereitschaft der Beschäftigten mit der Rechnungsprüfung kon struktiv an einer Verbesserung der Geschäftsprozesse in der Verwaltung zu arbeiten. In einer groben Einteilung des Instituts der Rechnungsprüfer entfallen auf die Einzelfallprüfung lediglich 5 %, auf die Prüfung der Geschäftsprozesse hingegen 30 % der Prüfgenauigkeit (Schaubild): „Zur Reduzierung des Prüfungsumfanges ist eine intensive Prüfung der Verwaltungsorganisation und der Verwaltungsprozesse bzw. der dort eingesetzten Instrument, soweit diese Einfluss auf den kommunalen Jahresab15 Institut der Rechnungsprüfer, IDR Prüfungsleitlinie 200 „Leitlinien zur Durchführung von kommunalen Jahresabschlussprüfungen, Ziff. 31. Auch die Handreichung zum Neuen Kommunalen Finanzmanagement des Landes Nordrhein-Westfalen spricht von einer risikoorientierten Prüfung. Vgl. Neues Kommunales Finanzmanagement in Nordrhein-Westfalen, Handreichung für Kommunen, 7. Auflage 2016, http: / / www.mik.nrw.de / fileadmin / user_upload / Redakteure / Dokumente / Themen_und_Auf gaben / Kommunales / kommunale_finanzen / nkf_handreichung7.pdf S. 1466. 16 In Anlehnung an Institut der Rechnungsprüfer, IDR Prüfungsleitlinie 200 „Leitlinien zur Durchführung von kommunalen Jahresabschlussprüfungen, Ziff. 41 ff. 17 s. Institut der Rechnungsprüfer, IDR-Prüfungsleitlinie 200 „Leitlinien zur Durchführung von kommunalen Jahresabschlussprüfungen“, Ziff. 41 ff.
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Eigene Darstellung in Anlehnung an Institut der Rechnungsprüfer
schluss haben, vorzunehmen. Dies basiert auf der Überlegung, dass der Umfang von Einzelfallprüfungen ganz erheblich reduziert werden kann, sofern die Verwaltungsprozesse den gesetzlichen Anforderungen, wie Ordnungsmäßigkeit, Angemessenheit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit, entsprechen und die Wirksamkeit dieser Prozesse vom kommunalen Rechnungsprüfer überprüft wurde … Daher ist die Prüfung der Verwaltungsorganisation und -prozesse ein wichtiger Bestandteil des risikoorientierten Prüfungsan satzes.“18 2. Beratende Prüfung angesichts der Neuausrichtung der Rechnungsprüfung? Die Prüfung der Geschäftsprozesse findet im Risikomanagement der Verwaltung ihr Gegenstück im Internen Kontrollsystem. Dies führt zu der Frage, ob die Prüfung nicht erst ex-post eingesetzt, sondern bereits bei der Gestaltung von Geschäftsprozessen eingebunden sein sollte. Das widerspricht zwar dem tradierten Selbstverständnis der Prüfungsinstanzen, die nicht für Verwaltungshandeln verantwortlich sein wollen; es könnte aber dazu beitragen die Leistungsfähigkeit des Systems Kommune insgesamt zu verbessern. „Die begleitende Prüfung hat das Ziel, Fehler rechtzeitig zu erkennen und den 18 Institut der Rechnungsprüfer, IDR-Prüfungsleitlinie 200 „Leitlinien zur Durchführung von kommunalen Jahresabschlussprüfungen“, Ziff. 33.
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laufenden Verwaltungsvorgang noch zu beeinflussen, also z. B. unzureichende Zielerreichungsgrade und damit bestehende Handlungsbedarfe aufdecken. Dadurch können die Rechnungshöfe … ihre Wirkung als Change Agents erhöhen.“19 Beispiele für eine solche begleitende Mitwirkung einer Prüfungsinstanz waren oder könnten sein: •• die begleitenden Prüfungen in Sachsen und Rheinland-Pfalz zur Einführung der kommunalen Doppik,20 •• die Einführung von e-Rechnung und e-Zahlung in der Kommunalverwaltung, •• die Implementation neuer IT-Verfahren21 oder •• die Durchführung von investiven Großvorhaben der Kommune. •• Eine beratende Tätigkeit der örtlichen Rechnungsprüfung sieht das kommunale Haushaltsrecht nicht vor; sie ist im Pflichtprüfungsbereich nicht enthalten und wird auch im fakultativen Bereich nicht ausdrücklich erwähnt. Sie ist aber auch nicht untersagt und könnte aus dem Recht des Rates, einen Auftrag zur Prüfung der Verwaltung auf Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 103 Abs. 2. Nr.1) zu erteilen, abgeleitet werden. Anders verhält es sich mit einer Beratungsfunktion der überörtlichen Prüfung für die Kommunen. Abgesehen von der eher indirekten Wirkung vergleichender Prüfungen wird in einigen Ländern, so z. B. Nordrhein-Westfalen, ein Beratungsangebot ausdrücklich im Gesetz genannt (§ 2 Abs. 4 GPAG NRW). Auf dieser Grundlage bietet die Gemeindeprüfungsanstalt NordrheinWestfalen Beratungsleistungen zu vielfältigen Themen an, so zu22 •• Organisations- und Prozessoptimierungen •• Stellenbemessung und -bewertung / Eingruppierung •• Haushaltskonsolidierung •• Neues Kommunales Finanzmanagement 19 Martin Benner, Die Rechnungshöfe als Change Agents, Hamburg 2014, S. 28 f. Von dieser Möglichkeit wird aber offenbar nur selten Gebrauch gemacht. So gab es zwischen 2000 und 2011 nur 26 Hinweise auf begleitende Prüfungen durch Rechnungshöfe (ebd. S. 29). 20 Vgl. Karl-Heinz Binus, Begleitende Prüfung zur Einführung der Doppik, Sachsenlandkurier 2007, S. 201 ff.; Kommunalbericht 2011 des Rechnungshofes Rheinland-Pfalz, S. 46. 21 Vgl. dazu die instruktive Darstellung zur mühsamen Implementation der Online-Zulassung für Kfz. Andreas Kirstein, Innovationsmanagement im E-Government, Verwalzung und Management 6 / 2017. 22 www.gpanrw.de / de / beratung / unser-beratunsangebot / unser-beratungsangebot / 6.45.html (Abruf 14.3.2018).
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•• örtliche Prüfung von Jahresabschlüssen und Gesamtabschlüssen •• Risikomanagement für Eigenbetriebe •• Informationstechnik •• Bauhof •• Gebäudewirtschaft Nicht zuletzt deswegen stellt sich auch die Frage, ob die Rechnungsprüfung nicht selbst als Geschäftsprozess zu verstehen ist. Dann wäre auch für sie eine regelmäßige Überprüfung auf ihre Funktions- und Leistungsfähigkeit geboten. Die Rechnungsprüfung sollte daher ihre Tätigkeit von Zeit zu Zeit evaluieren. Ob eine Selbstevaluation ausreicht oder Externe (z. B. im Rahmen einer Peer Review23) herangezogen werden, sei an dieser Stelle nicht weiter vertieft.
III. Die Zukunft der Rechnungsprüfung Der Paradigmenwechsel in der Rechnungsprüfung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Verwaltungshandeln. Indem nach Risikokategorien geprüft wird, wächst auch der Druck ein leistungsfähiges Risikomanagement in der Verwaltung aufzubauen. Dazu bedarf es einer Änderung der Risikokultur; Abweichungen vom Planergebnis sind keine Fehler, sondern liegen im normalen Bereich des Handelns unter Unsicherheit. Die Rechnungsprüfung kann mit der Darstellung ihrer Prüfergebnisse dazu beitragen, dass ein „blame and shame“ vermieden wird. Mit dem Übergang zu einer vor allem auf Geschäftsprozesse gerichteten Prüfung stellt sich die Frage mehr als je zuvor, ob die heutigen Prüfungsstrukturen noch zeitgemäß sind. In vielen Kommunen erfolgt die Rechnungsprüfung durch einen Ausschuss des Gemeinderats; professionelle Prüfungsinstitutionen finden sich lediglich in größeren Kommunen. Daher muss kritisch bewertet werden, ob die Prüfung allein im Ehrenamt noch ausreicht. Denn auch in kleineren Kommunen können erhebliche Risikopotentiale schlummern. „Das Leitbild (einer modernen Rechnungsprüfung, d. Verf.) stellt außerordentlich hohe Anforderungen an die Fach- und Sozialkompetenz sowohl des Leiters als auch der Prüfer der kommunalen Rechnungsprüfung.“24 Sie geht 23 So Martin Richter, Rechnungsprüfung in Kommunen: Ein modernes Leitbild, in: Roland Böhmer / Jürgen Kegelmann / Jürgen Kientz (Hrsg.), Rechnungswesen und Controlling, Loseblatt Freiburg, Gruppe 4, S. 1086. 24 Martin Richter, Rechnungsprüfung in Kommunen: Ein modernes Leitbild, in: Roland Böhmer / Jürgen Kegelmann / Jürgen Kientz (Hrsg.), Rechnungswesen und Controlling, Loseblatt Freiburg, Gruppe 4, S. 1076.
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deutlich über das Qualifikationsniveau hinaus, das für die Einzelfallprüfung benötigt wurde. Der Prüfer muss nicht nur auf „Augenhöhe“ mit der Zentralen Steuerung sowie der Internen Kontrolle für die Geschäftsprozesse, sondern auch im Hinblick auf den Konzernabschluss mit Wirtschaftsprüfern agieren. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zur traditionellen Sichtweise die risikoorientierte Prüfung ein wichtiger Partner für die Führungsunterstützung ist.25 Das bleibt verständlicherweise nicht ohne Auswirkungen auf die Besoldungsstruktur. Das sollte es den Kommunen dennoch wert sein. Denn gute Prüfung zahlt sich im Ergebnis aus.
25 So Martin Richter, Rechnungsprüfung in Kommunen: Ein modernes Leitbild, in: Roland Böhmer / Jürgen Kegelmann / Jürgen Kientz (Hrsg.), Rechnungswesen und Controlling, Loseblatt Freiburg, Gruppe 4, S. 1076.
Prüfung situativ-experimentellen Verwaltungshandelns* Von Hermann Hill In einer komplexen und volatilen Welt müssen auch Verwaltungen immer häufiger situative Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Mit neuen Entscheidungs- und Organisationsformen versuchen sie zudem, Innovationen zu ermöglichen. Diese häufig experimentellen Verfahren sind weder vom Gesetzgeber im Einzelnen vorhersehbar und programmierbar noch durch Gerichte und Rechnungshöfe nach klassischen Maßstäben kontrollierbar. Der Beitrag wendet sich vor allem an Rechnungshöfe und entwickelt Kriterien zur Prüfung situativ-experimentellen Verwaltungshandelns im Hinblick auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit.
I. Einführung Gemäß Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG prüft der Bundesrechnungshof die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsgemäßheit der Haushaltsund Wirtschaftsführung des Bundes. Zum Inhalt der Prüfung gehört nach § 90 Nr. 3 BHO, ob wirtschaftlich und sparsam verfahren wird sowie gemäß § 90 Nr. 4 BHO, ob die Aufgabe mit geringerem Personal- oder Sachaufwand oder auf andere Weise wirksamer erfüllt werden kann. Diese Vorschriften werden in der Prüfungsordnung des Bundesrechnungshofs (PO-BRH) noch weiter konkretisiert1. Gemäß § 4 Abs. 4 S. 2 dieser Prüfungsordnung umfasst die Prüfung der Wirtschaftlichkeit die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns einschließlich der Zielerreichung (Erfolgskontrolle). Seiner Arbeitsplanung legt der Bundesrechnungshof gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 der Prüfungsordnung eine Aufgaben- und eine Risikoanalyse zugrunde. Er führt gemäß § 18 Abs. 1 Prüfungen als Schwerpunktprüfung, Querschnittsprüfung, Orientierungsprüfung, Kontrollprüfung oder Geschäftsprüfung durch. Zur Vorbereitung der Prüfung erstellen die Prüferinnen und Prüfer im engen Zusammenwirken mit der Leiterin oder dem Leiter der Prüfung gemäß § 23 Abs. 1 das Prüfungskonzept. Darin legen *
Der Beitrag erschien bereits in DVBl. 18 / 2018, S. 1185–1190. https: / / www.bundesrechnungshof.de / de / bundesrechnungshof / rechtsgrundla gen / pruefungsordnung-brh / view. 1
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sie dar, welche Erkenntnisse erlangt und gegebenenfalls welche Wirkungen erzielt werden sollen (Prüfungsziele). Dies fördert die Rationalität und Transparenz des Prüfungsverfahrens2. Insbesondere Begriff und Reichweite der Wirtschaftlichkeit3 sowie die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen4 sind Gegenstand vielfältiger Erörterungen, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können. Von Interesse in diesem Zusammenhang ist etwa die Feststellung, nur wenn ein Entscheidungsspielraum bestehe, könne wirtschaftlich verfahren werden5. Anders als die eigentliche Rechnungsprüfung lasse die Wirtschaftlichkeitsprüfung weite Spielräume für Bewertungen6. Da die Ziele der Verwaltung häufig nicht eindeutig vorgegeben sind oder miteinander in Konflikt stehen, seien Rechnungshöfe insofern freier als die meist detaillierter gesetzesgebundenen Gerichte7. Diese Grundsätze, die maßgeblich schon im letzten Jahrhundert entwickelt worden sind, bilden die Basis für die Finanzkontrolle durch Rechnungshöfe. So wurde schon vor über 20 Jahren in der Wissenschaft ein Wandel der methodischen Prüfungsschwerpunkte von der Prüfung der Belege hin zur Prüfung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder von der nachträglichen zur zukunftsorientiert begleitenden Kontrolle festgestellt8. Aktualität, Zeitnähe und praktische Verwertbarkeit der Finanzkontrolle spiegelten die gewachsene 2 Ulrich Hufeld, Der Bundesrechnungshof und andere Hilfsorgane des Bundes, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, § 56 Rn. 34; Dieter Engels, in: ders. / Manfred Eibelshäuser (Hrsg.), Kommentar zum Haushaltsrecht des Bundes und der Länder sowie der Vorschriften zur Finanzkontrolle, Loseblatt, Loseblatt, VI / 3, PO-BRH, Einführung (Stand: Oktober 2014), Rn. 11. 3 Vgl. § 7 Abs. 1 BHO sowie die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung (BHO), Abschnitt 3, zu § 7, http: / / www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de / bsvwvbund_02102017_DokNr20110981762.htm sowie noch Edzard Schmidt-Jortzig, Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit – Verfassungsrechtliche Determinanten, in: Hermann Butzer (Hrsg.), Wirtschaftlichkeit durch Organisationsund Verfahrensrecht, 2004, S. 17 ff.; Utz Schliesky, Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit – Vom Organisations- zum Verfahrensmaßstab, DVBl 2007, 1453; Butzer, Wirtschaftlichkeit im Verwaltungsrecht, in: Bernhard Blanke, u. a. (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Aufl. 2011, S. 445 ff. 4 Christina Schaefer / Frank Witte, Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen in Kommunen, 2014; Holger Mühlenkamp, Wirtschaftlichkeit im öffentlichen Sektor, 2015. 5 Axel Nawrath, in: Engels / Eibelshäuser (Fn. 2), II, Bundeshaushaltsordnung, § 90 BHO Rn. 10 (Stand: Juni 1999). 6 Joachim Wieland, Rechnungshofkontrolle im demokratischen Rechtsstaat, DVBl 1995, 894 (897, 899). 7 Helmuth Schulze-Fielitz, Kontrolle der Verwaltung durch Rechnungshöfe, VVDStRL 55 (1996), S. 231 (261). 8 Schulze-Fielitz (Fn. 7), S. 245, 248); vgl. noch Gunther Engelhardt, u. a. (Hrsg.), Stellung und Funktion der Rechnungshöfe im Wandel?, 1993; Schulze-Fielitz
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Rolle des Zeitfaktors für das staatliche Handeln. Es müsse auf die sich wandelnden Herausforderungen des gesellschaftlichen Umfeldes, letztendlich die Dynamik des Weltmarktes, immer flexibler reagieren9. Einzelne Beiträge aus der Praxis, etwa zu Querschnittsprüfungen10, Organisationsprüfungen11 sowie Handreichungen der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder dazu, was die Rechnungshöfe von einer wirtschaftlichen Verwaltungsorganisation erwarten12 und Untersuchungen zu den Folgen neuerer Entwicklungen in der öffentlichen Rechnungslegung für die Prüfung13 ergänzen das Bild.
II. Neue Herausforderungen Inzwischen bringen jedoch vor allem die Digitalisierung14 sowie neue Handlungs- und Entscheidungsformen als Reaktion auf die sog. „VUCAWorld“ (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity)15 neue Herausforderungen auch für die Finanzkontrolle. Ebenso wie etwa auch das Controlling16 (Hrsg.), Fortschritte der Finanzkontrolle in Theorie und Praxis. Zum Gedenken an Ernst Heuer, Die Verwaltung, Beiheft 3, 2000. 9 Schulze-Fielitz (Fn. 7), S. 249. 10 Axel Mennicken / Heinz Günter Zavelberg, Querschnittsprüfungen des Bundesrechnungshofs, DÖV 1999, 986. 11 Andreas Freiherr von Gall / Horst-Raimund Wulle, Organisationsprüfungen durch den Bundesrechnungshof, DÖV 2000, 845. 12 Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, Grundsätze für die Verwaltungsorganisation, https: / / www.bundesrechnungshof.de / de / veroeffentlichungen / weitere / da teien / organisationsgrundsaetze-der-rechnungshoefe-des-bundes-und-der-laender, sowie weitere Leitsätze, etwa zur Analyse und Optimierung von Geschäftsprozessen, zur Aufgabenkritik, zur Organisationsarbeit oder zu Organisationsuntersuchungen unter https: / / www.bundesrechnungshof.de / de / veroeffentlichungen / leitsaetze-der-ex ternen-finanzkontrolle / leitsaetze-alphabetische-auflistung. 13 Walter Wallmann, u. a. (Hrsg.), Moderne Finanzkontrolle und öffentliche Rechnungslegung, 2013; Johanna Gärtner, Mehr Wirtschaftlichkeit durch Systemwechsel? Empirische Befunde zum neuen kommunalen Haushalts- und Rechnungswesen, 2014; Manfred Pook / Beatrice Dott, Wirtschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im doppischen Kontext, Der Landkreis 2011, 347. 14 Hermann Hill, Wandel von Verwaltungskultur und Kompetenzen im digitalen Zeitalter, DVBl 2014, 85; ders., Digitalisierung – Veränderungen und Herausforderungen, in: Jörn von Lucke / Klaus Lenk (Hrsg.), Verwaltung, Informationstechnik & Management 2017, S. 101 ff. 15 Hill, Die Zukunft erproben – Vom pragmatischen Umgang mit Unsicherheit und Komplexität, in: ders. / Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheit und Nichtwissen, 2016, S. 327 (330); ders., Empfehlungen für die Verwaltungspraxis in Zeiten von Unsicherheit und Nichtwissen, Verwaltung & Management 2018,115. 16 Utz Schäffer / Jürgen Weber, Der Computer prognostiziert sehr gut, FAZ vom 24. Oktober 2016, S. 16; dies., Der Controller verliert die Kontrolle, FAZ vom
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und die Wirtschaftsprüfung17 sich neuen Fragen stellen, muss auch die öffentliche Finanzkontrolle überlegen, inwieweit sie ihr Instrumentarium anpassen oder erweitern muss, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Auch aus dem internationalen Bereich kommen dazu wichtige Impulse18. Die Digitalisierung bringt eine Zunahme von Daten mit sich, die das Verwaltungshandeln nicht immer erleichtern, sondern Informationslagen und Entscheidungsgrundlagen teilweise auch „verunklaren“19. Neue Geschäftsmodelle verändern die Aussagekraft traditioneller Kennzahlen im Hinblick auf Fragen der Produktivität20. Vernetzung und Echtzeitrückkopplungen21 dynamisieren das Geschehen und erfordern ganzheitlichere und zukunftsorientierte Ansätze. Der Einsatz künstlicher Intelligenz22 bei einzelnen Tätig26. März 2018, S. 16; vgl. auch die Beiträge in: Die Zukunft des Controllers, Sonderausgabe der Zeitschrift Controlling, September 2017; sowie Anne Müller-Osten / Christina Schaefer / Robert Winter, Beratungsorientiertes Controlling – eine Weiterentwicklung der rationalitätsorientierten Controllingkonzeption am Beispiel der Bundesagentur für Arbeit, In: ZögU 2018, S. 3. 17 Johannes Langhein, u. a., Digitale Wirtschaftsprüfung – Make or buy, in: Stefan Meinhardt / Karl-Michael Popp (Hrsg.), Digitale Geschäftsmodelle, HMD Band 55, Heft 2, 2018, S. 412 ff.; Marcel Krumm, Rechtsfragen der digitalen Betriebsprüfung (Summarische Risikoprüfung), Der Betrieb 2017, 1105; Michael Grömling, Die Vermessung der digitalen Welt. Unsere internetbasierte Wirtschaft ist für Statistiker und Ökonomen eine Herausforderung, FAZ vom 3. April 2017, S. 16. 18 Vgl. etwa die Beiträge bei der Internal Audit Service Conference 2017: Innovation and creativity in internal audit: myth or reality?, https: / / ec.europa. eu / info / events / internal-audit-service-conference-2017-2017-oct-05_en, insbesondere die Beiträge von Benoit Harel, Ways of working towards innovation in auditing, sowie von Inge van der Meulen / Jan Otten zu Behavioural Auditing, dazu noch www. behaviouralauditing.nl. 19 Hill, Die Kunst des Entscheidens, DÖV 2017, 433 (435 f.); Tobias Jetzke, u. a., Social Bots in den sozialen Medien, in: Volker Wittpahl (Hrsg.), Digitale Souveränität, 2017, S. 15 (18); Kevin Dankert, Verfälschung von Datenbeständen durch Social Bots, in: Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Big Data – Regulative Herausforderungen, 2018, S. 157 ff. 20 Georg Giersberg, Taugt das BIP noch etwas?, http: / / www.faz.net / aktuell / wirtschaft / kennzahlen-immer-unbrauchbarer-fuer-oekonomen-14154077.html; ders., Die BWL hat die falschen Kennzahlen, FAZ vom 27. Februar 2017, S. 16; vgl. noch Das Produktivitäts-Rätsel, FAZ vom 8. September 2016, S. 15. 21 Arno Rolf, Die BWL läuft der Vernetzung hinterher, FAZ vom 7. Juli 2914, S. 16; Thomas Hutzschenreuther, u. a., Echtzeit-Management statt Wöhe-BWL, FAZ vom 6. Juni 2017, S. 18. 22 Bitkom e. V. (Hrsg.), Künstliche Intelligenz verstehen als Automation des Entscheidens, Leitfaden, 2017, https: / / www.bitkom.org / noindex / Publikationen / 2017 / Leitfaden / Bitkom-Leitfaden-KI-verstehen-als-Automation-des-Entscheidens-2Mai-2017.pdf; Manuela Lenzen, Künstliche Intelligenz. Was sie kann & was uns erwartet, 2018.
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keiten bis hin zu automatischen Entscheidungen lässt Fragen der Wirtschaftlichkeit, insbesondere im Hinblick auf Organisationsentscheidungen23 und Personalausstattung, in neuem Licht erscheinen. Neue Technologien, wie etwa Blockchain24, stellen sogar ganze Verwaltungszweige, wie etwa Register oder sonstige Intermediäre, in Frage und werden auch Einfluss auf die Tätigkeit der Rechnungshöfe nehmen25. In dieser Welt erlangt das Management von Unsicherheit und Nichtwissen immer größere Bedeutung. So hat etwa die große Zahl der Flüchtlinge im Herbst 2015 die Verwaltung veranlasst, spontan und flexibel Organisationen anzupassen und Entscheidungsmaßstäbe weiter zu entwickeln26. Noch nicht absehbar ist, welche Folgen andere internationale Entwicklungen, etwa auf den Weltmärkten sowie im transatlantischen Verhältnis oder die Lage in Nahost für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland haben werden. Nicht nur im Hinblick auf die Sicherung kritischer Infrastrukturen, sondern auch in Bezug auf Organisationsaufstellungen und Personalkapazitäten in der Verwaltung allgemein wird dabei diskutiert, ob unter dem Leitbild der Resilienz27 der Maßstab der Effizienz des Verwaltungshandelns28 im Hinblick auf notwendige Redundanzen angepasst werden muss29. 23 Florian Möslein / Arne Lordt, Rechtsfragen des Robo-Advice, ZIP 2017, 793 (802) sowie Möslein, Digitalisierung im Gesellschaftsrecht: Unternehmensleitung durch Algorithmen und künstliche Intelligenz, ZIP 2018, 204 (211) zu sog. „algorithmischen Organisationspflichten“. 24 Hill (Fn. 14), 2017, S. 107 f.; vgl. noch das Speyerer Innovation Lab zur Blockchain-Technologie im Rahmen des Digitalgipfels 2017, http: / / www.uni-speyer.de / de / lehrstuehle / hill / innovationlab.php. 25 Mirko Jaconisi, Focus on blockchain: how the technology underpinning bitcoin could change the audit profession, European Court of Auditors (ECA) Journal, April 2018, S. 78 ff., https: / / www.eca.europa.eu / Lists / ECADocuments / JOURNAL18_04 / JOURNAL18_04.pdf. 26 Vgl. etwa Jörg Bogumil, u. a., Verwaltungshandeln in der Flüchtlingskrise, Verwaltung & Management 2016, 126; Johann Hahlen / Hannes Kühn, Die Flüchtlingskrise als Verwaltungskrise – Beobachtungen zur Agilität des deutschen Verwaltungssystems, Verwaltung & Management 2016, 157; Gerhard Hammerschmid, u. a., Defizite in der Flüchtlingsarbeit als Katalysator für Reformen, innovative verwaltung 9 / 2016, 32; Jens Kersten, u. a., Bürokratie für die Demokratie? Die Max-Weber-Welt in der Flüchtlings- und Migrationskrise, VerwArch 107 (2016), 418. 27 Kai von Lewinski, Resilienz der Verwaltung in Unsicherheits- und Risikosituationen, in: Hill / Schliesky, 2016 (Fn. 15 ), S. 239 ff.; Jutta Heller, Was steckt hinter der Resilienz-ISO 22316?, Wirtschaft + Weiterbildung 11 / 12, 2017, 44. 28 Vgl. Mühlenkamp, Effizienzmessung und quantitative Instrumente zur Effizienzsteigerung im öffentlichen Sektor, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2016, 17(2), S. 106 ff. 29 Hill, Zukunftsfähige Verwaltungsentwicklung. Ein Aufruf zur Gestaltung, in: Jahrbuch der Schweizerischen Verwaltungswissenschaften 2014, 2015, S. 11 (13); ders., Verwaltung & Management 2018, 115 (118).
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Veränderliche und unvorhersehbare Entwicklungen erfordern herantastende, dynamische und adaptive Verwaltungsverfahren30, quasi ein „auf Sicht Fahren“ der Verwaltung im Rahmen allgemeiner gesetzlicher Leitlinien. Gesetzliche Spielräume und Ermächtigungen sollen dabei in agiler Weise genutzt werden31. Experimentelle Verfahren dienen der Erprobung neuer Ansätze und Methoden. All dies soll nicht nur helfen, Unsicherheit zu bewältigen, sondern auch „in diesen bewegten Zeiten“ Innovationen zu ermöglichen. Dazu werden neben neuen Entscheidungsformen, wie etwa Design Think ing32, auch neue organisatorische Settings, wie etwa Innovation Labs33, Reallabore34 oder Experimentierräume35 geschaffen. Vieles davon ist für Verwaltungen ungewohnt. Es ist eben nicht so einfach, Start-up-Denken in eine klassische Verwaltung zu übertragen36, Fehlerfreundlichkeit und Lernorientierung zu praktizieren37 oder für eine Zukunft aufgestellt zu sein, die man noch gar nicht kennt, gerade wenn sich viele Dinge immer schneller verändern. Alle genannten Maßnahmen haben indessen zur Folge, dass das situative Element im Handeln der Verwaltung zunimmt38, aber häufig Entscheidungsregeln und -anleitungen fehlen. Die Situation ähnelt der klassischen Gefahr im Polizeirecht, bei der gehandelt werden muss, auch wenn nicht alle Informationen vollständig oder gesichert vorliegen und die Situation später so nicht mehr hergestellt werden, sodass eine Bewertung aus der ex-post-Per spektive nur bedingt helfen kann. 30 Hill, Verwaltungsverfahren bei unerwarteten Ereignissen und Entwicklungen, in: ders., u. a. (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – Bilanz und Perspektiven, 2011, S. 333 (347). 31 Hill, Wirksam verwalten – Agilität als Paradigma der Veränderung, VerwArch 2015, 397; ders., Agiles Verwaltungshandeln im Rechtsstaat, DÖV 2018, 497. 32 Hasso Plattner, u. a., Design Thinking, 2009; Tim Brown / Barry Katz, Change by Design. Wie Design Thinking Organisationen verändert und zu mehr Innovationen führt, 2016; Ingrid Gerstbach, Design Thinking – Weil Innovation kein Zufall ist, in: Sven Grote / Rüdiger Goyk (Hrsg.), Führungsinstrumente aus dem Silicon Valley, 2018, S. 63 ff. 33 Hill, Innovation Labs – Neue Wege zu Innovation im öffentlichen Sektor, DÖV 2016, 493. 34 Zur Forschungsagenda „Handbuch Reallabore“ des BMWi vgl. https: / / www. bmwi.de / Redaktion / DE / Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik / 2018 / 03 / onlinemaga zin-schlaglichter-03-18.html?cms_textId=682810. 35 www.experimentierraeume.de. 36 Hill, Start-Ups als Innovationspartner für den öffentlichen Sektor, innovative verwaltung 12 / 2016, 8. 37 Hill, DÖV 2018, 497 (500) mit Überlegungen zu einer möglichen Fehlerkultur im öffentlichen Sektor. 38 Hill, Neue Wege in der Steuerung, Verwaltung & Management 2014, 283 (287).
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Dies hat zur Folge, dass auch die Dichotomie von Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit überdacht werden muss39. Handeln, das unter „normalen“ Umständen rechtswidrig wäre, muss in Krisen- oder Notfällen anders beurteilt werden. So stellte sich etwa auf dem Höhepunkt der Flüchtlingszahlen die Frage, wie pragmatisches und sog. „unbürokratisches“ Handeln, das zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge notwendig war, unter den Aspekten von Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit gerechtfertigt werden kann40. Schon früher wurde diskutiert, wie mit unausgeglichenen und deshalb rechtswidrigen Haushalten umgegangen werden soll41. Dabei war der Verstoß gegen das Haushaltsrecht teilweise deshalb erfolgt, weil materielle gesetzliche Vorgaben, etwa Ansprüche auf Leistungen, eingehalten wurden. Wir können solche gesetzlichen Spannungsverhältnisse gelöst werden? Kann eine Rechtsverletzung durch übergesetzlichen Notstand gerechtfertigt werden? Kommt es auf die Intensität der Rechtsverletzung an? Kann eine Duldung erfolgen, wenn eine schrittweise oder stufenweise Annäherung oder Hinführung an den rechtmäßigen Zustand eingeleitet worden ist? Diese Fragen stellen sich erneut, wenn es um das Management von Unsicherheit und experimentelles Handeln42 geht. Nicht immer werden sich dabei normative Vorgaben in der Praxis vollständig einhalten lassen. Manchmal ist auch eine „brauchbare Illegalität“43 erforderlich, um handlungsfähig zu bleiben bzw. ein begrenzter und kontrollierter Regelbruch44, um Innovationen, Lernen und Weiterentwicklung, auch des Rechts, zu ermöglichen.
auch Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004. auch Arno Wieckhorst, Rechts- und verfassungswidriges Regierungshandeln in der sogenannten Flüchtlingskrise?, ThüVBl 2016, 181. 41 Janbernd Oebbecke, Die unterfinanzierte Kommunalverwaltung, Die Verwaltung 1996, S. 323; ders., Rechtliche Vorgaben für den Haushaltsausgleich und ihre Durchsetzung, der gemeindehaushalt 2009, 241, Horst Engel / Tobias Brocke, Strategien zum Wiederaufbau der Kommunalfinanzen, das rathaus 3 / 2010, 87. 42 Robin Bouwman / Stephan Grimmelikhuijsen, Experimental public administration from 1992 to 2014, International Journal of Public Sector Management 2016, 110; Oliver James et al. (eds.), Experiments in Public Management Research, 2017; Konstantin Chatziathanasiou / Monika Leszcynska, Experimentelle Ökonomik im Recht, Rechtswissenschaft 2017, 314; Philipp D. Schaller / Hans A. Wüthrich, Experimente. Eine Methodik intelligenter Unternehmensentwicklung und Zukunftsgarant, ZfO 2016, 308. 43 Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 4. Aufl. 1995, S. 304 ff. 44 Sven Gabor Jánszky, Rulebreaking 2020, in: 2020. So leben wir in der Zukunft, 2009, S. 121 ff.; Wüthrich, u. a., Musterbrecher, 2. Aufl. 2006; Stefan Kaduk, u. a., Musterbrecher. Die Kunst das Spiel zu drehen, 2013. 39 Vgl. 40 Vgl.
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In Zeiten des Wandels sind dabei Stabilität und Sicherung des aus den Gesetzen der Vergangenheit abgeleiteten rechtmäßigen Zustands sowie Innovation und Herantasten an neue Lösungen durch Versuch und Irrtum Bestandteile einer ganzheitlichen Entscheidung. Die Kunst der guten Verwaltungsführung liegt darin, abzuwägen, inwieweit die besondere Situation neue Wege erfordert bzw. rechtfertigt und sich dabei von den übergreifenden Zielen des Gemeinwohls, insbesondere im Hinblick auf eine verhältnismäßige und wirksame Problemlösung, leiten zu lassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass, wie in der Literatur zu Recht festgestellt wird, wirklich innovative Ideen in der Regel sowohl der Erfahrung der Manager als auch der gängigen Meinung zuwiderlaufen45. Sie sind nach klassischen Maßstäben weder voraussehbar noch kontrollierbar. Das gilt für die gesetzliche Programmierung ebenso wie für die Kontrolle durch Gerichte und Rechnungshöfe. Die parlamentarische Steuerung des Verwaltungshandelns in der VUCAWorld wurde bereits an anderen Stellen untersucht46. Denkbar wäre, ein Verwaltungsgrundsätzegesetz47 zu erlassen, das als Rahmen und normative Ermächtigung für Verwaltungshandeln unter Unsicherheit und zur Förderung von Innovationen herangezogen werden kann. Darüber hinaus sollten einzelne Gesetze ggf. bereichsspezifisch differenzierende Elemente sowie Abwägungsregeln, etwa in der Form sog. beweglicher Systeme48, enthalten. Für die Rechnungshöfe ist anzuregen, dass allgemeine Handreichungen, die aus der Vergangenheit gewonnenes Prüfungswissen und Best-PracticeBeispiele enthalten49, nicht allzu stringent durchgesetzt werden, sondern eher als Leitlinie für Regelfälle dienen, von denen in Ausnahme- oder Sonderfällen oder zur Durchführung von Experimenten abgewichen werden kann, da ansonsten Innovationen kaum möglich sind50.
45 Stefan Thomke / Jim Manzi, Versuch macht klug, Harvard Business Manager, März 2015, 37 (38). 46 Hill, Kommunikation und Entscheidung in der „VUCA- World“, in: ders. / Joachim Wieland (Hrsg.), Zukunft der Parlamente – Speyer Konvent in Berlin, 2018, S. 121 ff. 47 Schliesky, Die Zukunft der öffentlichen Verwaltung – Zwischen Tradition und digitaler Zukunft, DVP 3 / 2017, 91 (98); Hill, Verwaltung & Management 2018, 115 (117). 48 Hill (Fn. 46), S. 132; ders. DÖV 2018, 497 (502). 49 Vgl. oben Fn. 12. 50 Vgl. auch Schliesky, DVBl 2007, 1453 (1456).
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III. Neue Ansätze für die Prüfung der Rechnungshöfe Im Hinblick auf die Prüfung wäre eine Unterscheidung in drei Stufen denkbar: Auf der ersten Stufe wäre bei „Systemprüfungen“ zu untersuchen, ob eine Verwaltung insgesamt zukunftsfähig aufgestellt ist, etwa indem sie Frühwarnsysteme zur Risiko- und Chancenerkennung eingerichtet, eine elastische Anpassungsfähigkeit auch für unvorhersehbare Ereignisse und neue Herausforderungen geschaffen und neue Wege zur Erprobung der Zukunft und zur Möglichkeit des Lernens und der Weiterentwicklung etabliert hat. Für die allgemeine Tätigkeit von Innovation Labs auf der zweiten Stufe, insbesondere die Bewertung ihrer Qualität und Effektivität, gibt es bisher noch kaum anerkannte Kriterien. Im privaten Bereich wurden dazu in einer Studie folgende sechs Faktoren ermittelt51: – Steuerung (Welche Vorgabe bekommt das Lab vom Top-Management? Wie gut ist die Balance zwischen Freiheit und klaren Zielen?) – Themen (Wie fokussiert arbeitet das Lab? Gibt es klar definierte Schwerpunkte und neue Geschäftsideen?) – Einbindung (Wie gut ist das Lab mit den anderen Geschäftseinheiten verzahnt, um die Umsetzbarkeit der entwickelten Ideen zu fördern?) – Methoden (Werden „agile“ Methoden, wie rascher, simpler Test von Produktideen, schlanke Prozesse, interdisziplinäres Arbeiten angewandt?) – Skalierung (Sind Lab und Konzern bereit und in der Lage, eine gute Idee wirklich groß zu machen?) – Netzwerk (Werden externe Partner und Kunden bei der Suche nach Ideen eingebunden?) Von besonderem Interesse ist die konkrete Prüfung situativ-experimentellen Verwaltungshandelns auf der dritten Stufe. Im Schrifttum werden dazu zwei Arten von Experimenten unterschieden52. Das klassische, wissenschaftliche Experiment hat ein formelles, weitgehend ausgereiftes, geschlossenes Design. Es dient in der Regel dazu, etwas Bekanntes zu verbessern und sucht eine konkrete Antwort auf eine klar definierte Frage. Diese „konvergenten“ Experimente53 gehen von definierten Variablen und einer Kausalhypothese aus. Bekannte Annahmen werden vermuteten Ursachen und Wirkungen ge51 Nils Kreimeier, Macht was!, Studie von Infront Consulting, Hamburg unter wissenschaftlicher Begleitung von Julian Kawohl, Capital 7 / 2017, S. 26 ff., Kriterien S. 31; vgl. jetzt auch zur Anschlussstudie Kreimeier, Die netten Jahre sind vorbei, Capital 7 / 2018, S. 26 ff. mit 8 Kriterien S. 29. 52 David L. Rogers, Digitale Transformation. Das Playbook, 2016, S. 149 f. 53 Rogers (Fn. 52), S. 150 ff.; Thomke / Manzi (Fn. 45).
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genübergestellt, die vom Ergebnis des Experiments bestätigt oder verneint werden sollen. Solche Experimente sind daher weitgehend durchgeplant und dienen der Optimierung. Sie erfolgen zumeist in späten Stadien eines Innovations- oder Entwicklungsprozesses. Eine andere Sachlage liegt bei den sog. „divergenten“ Experimenten54 vor: Sie dienen in der Regel dazu, etwas völlig Neues zu entwickeln und sind daher eher informell gestaltet. Das Problem oder der Nutzen ist eher allgemein bzw. offen definiert. Sie sollen verschiedene Optionen erst erkunden, sind daher auch für Überraschungen und neue Erkenntnisse offen. Sie weisen eine unbekannte Menge an Fragen auf, sollen viele Antworten oder Ideen liefern und werfen häufig weitere Fragen auf. Innovation Labs oder Experimentierräume ähneln eher dieser Art des Lernens. Für die konvergente Experimentiermethode werden folgende Schritte genannt55: Definieren der Frage und ihrer Variablen, Auswahl der Tester, zufälliges Anordnen der Tests und Kontrollen, validieren der Stichprobe, testen und analysieren, entscheiden und das Wissen teilen. Die divergente Experimentiermethode soll danach in folgende Schritte unterfallen56: Das Problem definieren, Grenzen setzen, die Leute auswählen (Vorbereitungsphase), beobachten, mehr als eine Lösung generieren57, ein „Minimum viable product“58 herstellen, Feldtests durchführen und entscheiden (Iterationsphase) sowie skalieren und das Wissen teilen (Aktionsphase). Bei den klassischen Experimenten wird auch die Frage gestellt: Liegt dem Experiment eine überprüfbare Prognose zugrunde?59 Insofern könnten ggf. die Grundsätze herangezogen werden, die für die Prognose von Entscheidungen entwickelt worden sind. Die gerichtliche Überprüfung komplexer Pro gnoseentscheidungen des Gesetzgebers oder der Exekutive ist bereits seit einiger Zeit Gegenstand verschiedener Erörterungen60. Soweit Unsicherheiten der Prognose durch gesicherte empirische Daten und verlässliche Erfahrungssätze ausgeräumt werden könnten, scheide ein Prognosespielraum des Gesetzgebers aus61. Prognosen dürften nicht „ins Blaue hinein“ erfolgen. Die 54 Rogers
(Fn. 52), S. 150, 152 f. (Fn. 52), S. 163 ff.; Thomke / Manzi (Fn. 45), S. 40. 56 Rogers (Fn. 52), S. 167 ff. 57 Vgl. noch Ron Kohavi / Stefan Thomke, Experimentieren, Harvard Business Manager, Dezember 2017, 29 (33): „Unternehmen müssen viele Frösche küssen (das heißt enorm viele Experimente durchführen), um einen Prinzen zu finden“. 58 Hill, DÖV 2017, 433 (441). 59 Thomke / Manzi (Fn. 45), S. 40. 60 Vgl. etwa Rüdiger Breuer, Legislative und administrative Prognoseentscheidungen, Der Staat 1977, 21; Michael Nierhaus, Zur gerichtlichen Kontrolle von Prognoseentscheidungen der Verwaltung, DVBl 1977, 19. 55 Rogers
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empirischen und theoretischen Grundlagen der Prognosen müssten erkennbar sein62, das heißt offengelegt und begründet werden63. Bei exekutiven Entscheidungen wurde etwa unterschieden zwischen Pro gnoseverfahren (Prognosebasis, Prognoseschluss) und Prognoseergebnis. Der Prognoseschluss wurde anhand von Schlüssigkeitskriterien, wie Vertretbarkeit, Plausibilität, Rationalität, überprüft64. Insgesamt bemisst sich der Prognosespielraum nach der Stellung und dem Funktionsauftrag des entscheidenden Organs und der konkreten Aufgabe bzw. Ermächtigung65 sowie dem Charakter der Entscheidung und ihrem Eingriffs-, Beeinflussungs- und Gestaltungspotential66. Danach könnte man etwa folgende Ansatzpunkte für die Prüfung von Prognosen bei konvergenten Experimenten erstellen: Ist der Sachverhalt sorgfältig und ausreichend erhoben worden? Wurden die Besonderheiten des Sachzusammenhangs gewürdigt? Sind auch vorausgesetzte oder unausgesprochene Annahmen überprüft worden? Wurden verschiedene mögliche Verläufe oder Szenarien gegenübergestellt? Sind auch ähnliche frühere Sachlagen und Verläufe untersucht worden? Wurden mögliche störende oder überraschende Einflüsse von außen bedacht? Entspricht die Anlage und Durchführung des Experiments anerkannten Methoden? Sind mögliche Folgen bedacht worden? Sind diese Ausgangspunkte erkennbar und nachvollziehbar? Während für die Prüfung konvergenter Experimente daher auf der Basis ähnlicher Ansätze plausible Kriterien entwickelt werden können, gestaltet sich die Prüfung divergenter Experimente schwieriger, vor allem, wenn man die Offenheit des Experiments ernst nimmt, echte Innovationen bzw. etwas völlig Neues entwickeln will und Fehlerfreundlichkeit als Element des Lernens betrachtet67. 61 Andreas Heusch, Verfassungsgerichtliche Gesetzeskontrolle, in: Winfried Kluth / Günter Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 36 Rn. 89. 62 Kluth, Die Begründung von Gesetzen, in: Kluth / Krings (Fn. 61), § 14 Rn. 48. 63 Vgl. noch Wolfram Höfling / Andreas Engels, Parlamentarische Eigenkontrolle als Ausdruck von Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten, in: Kluth / Krings (Fn. 61), § 34 Rn. 43, 45 zu Experimentiergesetzen und entsprechenden Evaluationen, die dem Gesetzgeber helfen sollen, diagnostischen und prognostischen Unsicherheiten angemessen zu begegnen. 64 Werner Hoppe, Gerichtliche Kontrolldichte bei komplexen Verwaltungsentscheidungen, in: Otto Bachof, u. a. (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S. 295 (308 ff.). 65 Hoppe (Fn. 64), S. 310. 66 Hoppe (Fn. 64), S. 312. 67 Hill, DÖV 2018, 495 (500).
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So lautet die Maxime der Start-ups: „Fail often, fail early“. Passt das auch für den öffentlichen Sektor? Wenn bei den Experimenten eine neue, nütz liche Lösung herauskommt, hat sich „der Prozess gelohnt“. Wenn er aber in einer Sackgasse endet, wird dann Steuergeld „verbraten“? Wann ist also experimentelles, innovationsorientiertes Verwaltungshandeln „wirtschaftlich“? In der Literatur zur digitalen Transformation von Unternehmen wird dazu das Konzept des „Klugen Scheiterns“ herangezogen. Folgende Fragen sollen diese Herangehensweise kennzeichnen68: Wurde aus dem fehlgeschlagenen Test etwas gelernt? Hat das erlernte Wissen zu einer Änderung der Strategie geführt? Ist man so frühzeitig und kostengünstig wie möglich gescheitert? Wurden die Erkenntnisse mit anderen geteilt, damit diese nicht denselben Fehler machen? Es ist nicht einfach, diese Gedanken auf den öffentlichen Sektor zu übertragen, insbesondere wenn zur gleichen Zeit an anderer Stelle unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit die Gründe für (folgenschweres) Verwaltungsversagen untersucht werden69. Natürlich kann vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln nicht hingenommen, sondern muss aufgeklärt werden, um es zu sanktionieren, aber auch, um daraus zu lernen. Auch Nachlässigkeiten und unsorgfältiges Handeln können nicht toleriert werden. Eine gewissenhafte Prüfung und Entscheidung ist daher in jedem Fall erforderlich. Oft werden Fehler allerdings erst dann gesucht, wenn „das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Insbesondere werden dann häufig Vorschriften und Kontrollen verschärft. Wir brauchen stattdessen eine offene und aktive Fehlerkultur, die Fehler nicht verschweigt oder zudeckt, sondern frühzeitig auf Versäumnisse (und mögliche Schwachstellen) hinweist, damit sie rechtzeitig behoben werden können. Durch eine gute Ausbildung und Qualitätsmaßnahmen können Fehler bis zu einem gewissen Grad vermieden, aber nicht völlig ausgeschlossen werden. Auch Verwaltungsmitarbeiter machen, wie alle Menschen, Fehler. Leider wird häufig in der öffentlichen Meinung allein dies in den Vordergrund gestellt und werden die vielen guten Leistungen im Alltag zu wenig gewürdigt. Wird aber der Blick vor allem auf Versagen gerichtet, kann dies dazu führen, dass die „Risikofreude“ und der Unternehmergeist, die ohnehin Verwaltungen häufig nicht unterstellt werden, noch mehr zurückgehen und eine akribische Einhaltung sämtlicher Vorschriften die Folge ist. Dabei kann die sture 68 Rogers
(Fn. 52), S. 163. Seibel, u. a., Verwaltungsdesaster. Von der Loveparade bis zu den NSU-Ermittlungen, 2017; ders., Wenn Verwalter Fehler machen, DUZ 4 / 2018, 12, Fatale Fehler, Peter Laudenbach im Interview mit Wolfgang Seibel, brand eins 7 / 2018, S. 86 ff.; vgl. noch https: / / www.polver.uni-konstanz.de / seibel / personen / sei bel / medienberichte / . 69 Wolfgang
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Einhaltung von Vorschriften, die im Einzelfall nicht passen, ebenso zu Fehlern führen. Deshalb ist zu differenzieren: In sicherheitsrelevanten Bereichen sind Experimente und Fehlerfreundlichkeit nur äußerst begrenzt und unter sorgfältiger Abwägung der Besonderheit der Situation und möglicher Folgen möglich. Andererseits kann gerade in besonderen, neuen oder ausweglosen Situationen unter Umständen nur von der Regel abweichendes Verhalten „die Situation retten“. Im Übrigen räumen gerade viele Gesetze der Verwaltung Handlungsspielräume ein, um der Besonderheit der Situation gerecht zu werden70. Ein „Ermessensnichtgebrauch“ wäre insofern rechtswidrig. Darüber hinaus lässt sich, worauf zu Recht hingewiesen wird71, ein Fehler begrifflich nur feststellen, wenn eine Abweichung von festen Vorgaben vorliegt. Bei offenen Sachverhalten oder neuen Fragen, wie sie gerade durch die Digitalisierung vielfach entstehen, geht es eher um Versuche und Gestaltung von „Neuland“. „Fehlschläge“72 sind daher notwendig und unvermeidlich. Sie stellen Lernschritte dar und schaffen Erfahrung. Daneben liefert eine Rückbesinnung auf Grundkonzepte von Legitimation und Verantwortung weitere Anhaltspunkte für die Beurteilung offener, divergenter Experimente. Dabei geht es um die Frage, ob insgesamt ein ausreichendes Legitimationsniveau für das Experiment festgestellt werden kann73. Inputorientiert stellt sich die Frage nach der Herausforderung bzw. dem Auftrag für das Experiment sowie nach der Zusammensetzung des Teams. Im Hinblick auf den sog. Throughput (Verfahren) sind die Vorgehensweisen und benutzten Methoden von Interesse. Beim Output könnte danach gefragt werden, ob ein funktionsfähiger Prototyp gefunden wurde, der die Bedürfnisse der Nutzer befriedigt. Im Rahmen einer Gesamtabwägung in Richtung Outcome sind schließlich der Nutzen des Experiments und seiner Ergebnisse bzw. Lernerfolge für das Gemeinwohl von Relevanz. Dabei kann sich zeigen, dass zwar unter dem Gesichtspunkt der Effizienz möglicherweise Defizite vorliegen, aber die Effektivität unter ganzheitlichen oder langfristigen Aspekten durchaus positiv zu beurteilen ist. Vor diesem Hintergrund könnten für die Prüfung divergenter Experimente durch die Rechnungshöfe folgende Fragen gestellt werden: Ist die Fragestellung (sog. „Challenge“) notwendig, plausibel und nachvollziehbar? Gibt es keinen klassischen, erfolgversprechenden Weg der Entscheidungsfindung? Hill, DÖV 2018, 497 (501 ff.). K. Sprenger, Radikal digital, 2018, S. 247 f. 72 Rogers (Fn. 52), S. 163 unter Bezugnahme auf Stefan Thomke. 73 Vgl. Hill, DÖV 2018, 497 (503 f.). 70 Ausführlich 71 Reinhard
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Wurden alle Stakeholder einbezogen? Sind die benutzten Methoden anerkannt bzw. vertretbar? Wurde aus Fehlern gelernt? Ist die (Zwischen-)Lösung funktionsfähig bzw. nutzerorientiert? Ist ein Nutzen im weiteren Sinne vorhanden? Etwas genereller könnte der Nutzen des Experimentierens im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit wie folgt geprüft werden: Wurde eine bekannte Problemlösung verbessert? Entstand ein neuer Gebrauchswert? (evtl. auch für einen neuen Bedarf?) Entstand ein („Kollateral“)-Nutzen, ein glücklicher Zufall („serendipity“)? Wurde der Lösungsraum durch Optionenvielfalt erweitert? Wurde Anschlussfähigkeit für weitere Lösungen geschaffen? Wurde aus Fehlern gelernt (Kluges Scheitern)? Weiterhin wäre zu prüfen: Könnte man darüber hinaus der handelnden Verwaltung wegen des Experimentalcharakters einen Toleranz- bzw. Beurteilungsspielraum einräumen? Besteht evtl. wegen der Handlungspflicht der Verwaltung sogar ein Funktionsvorbehalt (Verwaltungsvorbehalt) bei neuen Lagen? Diese Überlegungen sind sicherlich noch nicht abgeschlossen und bedürfen weiterer Diskussion und Ergänzung. Eines scheint jedoch deutlich: Wenn sich die Methoden des Verwaltungshandelns erweitern (müssen), um auf „VUCA-World“ und Digitalisierung angemessen reagieren zu können, müssen sich auch die Formen der Steuerung sowie der Prüfung und Kontrolle erweitern! Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten!
Neue Wege in die Finanzkontrolle: Prüfung wirkungsorientierten Verwaltungshandelns Von H. Ebner, A. Rossoll und L. Stangl
I. Wirkungsorientierung in Österreich 1. Ausgangssituation Eine hohe Gesamtverschuldung Österreichs, eine Schuldenquote von rd. 80 % und höher veranschlagte Auszahlungen als Einzahlungen im Bundesbereich erforderten ein Umdenken der politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Defizite mussten abgebaut und Schulden zurückgeführt werden. Zudem war Österreich konfrontiert mit steigenden Auszahlungen in kostenintensiven Bereichen, wie z. B. der Gesundheit und der Pflege durch eine Überalterung der Gesellschaft, steigenden Pensionsauszahlungen sowie einem Anstieg an Arbeitslosen bei zeitgleichem Rückgang an Geburten. Knappere Budgetmittel und das Erfordernis von Konsolidierungsmaßnahmen führten zu geringeren finanziellen Ressourcen und Personaleinsparungen im Bundesbereich. Dies stellte und stellt die Verwaltung vor große Herausforderungen. Um die Finanzierung notwendiger öffentlicher Leistungen nachhaltig sicherzustellen, musste die Wirksamkeit des öffentlichen Mitteleinsatzes mehr denn je in den Vordergrund gestellt werden. Bis Ende 2012 war die Mittelzuteilung im Bundesbereich einjährig und rein inputorientiert ausgestaltet. Die Bundesministerien erhielten für ihren Aufgabenbereich die personellen und finanziellen Mittel auf Basis des jeweiligen Bundesfinanzgesetzes für das nächste Haushaltsjahr zugeteilt. Eine flächendeckende und systematisierte ex-ante Planung und ex-post Betrachtung der mit dem Mitteleinsatz erzielten Ergebnisse und Wirkungen fand nicht statt. 2. Haushaltsrechtsreform des Bundes Die Haushaltsrechtsreform des Bundes, deren Umsetzung in zwei Etappen (2009 und 2013) erfolgte, brachte für die Bundesministerinnen und Bundesminister sowie für über 130.000 Bundesbedienstete wesentliche Veränderungen mit sich. Ein Abgehen von der Einjahresbetrachtung zu einer mittelfris-
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tigen Perspektive führte zu mehrjährigen Budgetplanungen und Wirkungsmessungen von erbrachten Leistungen und des Mitteleinsatzes. Die erste Etappe der Haushaltsrechtsreform umfasste im Wesentlichen eine neue Budgetgliederung, die die Aufteilung des Bundesbudgets auf eine höhere Aggregationsebene brachte. Mit fünf Rubriken (verwandte Politik bereiche), 33 Untergliederungen (sachlich zusammengehörende Budgetbereiche) und 66 Globalbudgets (sachlich zusammengehörende Verwaltungsbereiche) anstatt der vormals mehr als 1.000 Ansätze schuf man eine übersicht lichere Gliederung. Zeitgleich erfolgte die Umstellung auf eine mittelfristige Betrachtungsweise mit einer auf vier Jahre rollierenden Budgetplanung. Mit der zweiten Etappe wurde die wirkungsorientierte Haushaltsführung eingeführt. Mit Gültigkeit ab 1. Jänner 2013 normiert Art. 51 Abs. 8 BundesVerfassungsgesetz (B-VG), dass bei der Haushaltsführung des Bundes die Grundsätze der Wirkungsorientierung insbesondere auch unter Berücksichtigung des Ziels der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, der Transparenz, der Effizienz und der möglichst getreuen Darstellung der finanziellen Lage des Bundes zu beachten sind. Die Erläuterungen dazu stellten die Frage, welche Ziele sich die Politik setzt und inwieweit diese tatsächlich umgesetzt werden, in den Vordergrund.1 Konkretere Informationen zur Umsetzung des Grundsatzes der Wirkungsorientierung finden sich im Bundeshaushaltsgesetz 2013 (BGBl. I, Nr. 139 / 2009 i. d. g. F.). 3. Zweck der Wirkungsorientierung Mit der Einführung der wirkungsorientierten Haushaltsführung im Bund sollte die Steuerung des Mitteleinsatzes nach den erwünschten Ergebnissen und Wirkungen erfolgen. Dies bedeutet das Abgehen von der reinen Inputbetrachtung hin zur Einbeziehung der Wirkungsebene. Die Wirkung stellt nunmehr einen integralen Bestandteil im gesamten Haushaltskreislauf dar und ist sowohl bei der Planung als auch beim Vollzug zu beachten. Dieser flächendeckende Wirkungsansatz umfasst insbesondere – eine mittelfristige und einjährige Budgetplanung, – einen unterjährigen Vollzug und Steuerung auf Basis von definierten Wirkungszielen, Maßnahmen und Wirkungsindikatoren (Wirkungsangaben), – ein Wirkungscontrolling, – eine Selbstevaluierung der Bundesministerien und Obersten Organe hinsichtlich ihrer Ziele und Indikatoren mit anschließender Berichtslegung an den Nationalrat und 1 Erläuterungen zur Regierungsvorlage 203, Beilage(n) zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates der 23. Gesetzgebungsperiode.
Neue Wege in die Finanzkontrolle
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– eine Abschätzung von mittelfristigen Auswirkungen in festgelegten Wirkungsdimensionen2 vor der Beschlussfassung von Rechtsvorschriften (Wir kungsorientierte Folgenabschätzungen). Die wirkungsorientierte Haushaltsführung sieht keine unmittelbare Verbindung von Budget und Wirkungszielen vor. Durch die Darstellung der Wirkungsangaben im Budget werden jedoch seit dem Jahr 2013 die finanziellen Mittel mit den angestrebten Wirkungen für die Gesellschaft in Bezug gesetzt und dadurch eine Basis für eine integrierte Planung und Steuerung geschaffen.
II. Wirkungsangaben im Budget und deren Evaluierung 1. Angaben zur Wirkungsorientierung a) Allgemeines Die Angaben zur Wirkungsorientierung sind Teil des Bundesvoranschlags, der idealerweise jährlich im Herbst für das nächste Finanzjahr erstellt wird. Gemäß § 23 Abs. 2 Bundeshaushaltsgesetz 2013 sind im Bundesvoranschlag – Wirkungsziele und – für deren Erreichen vorgesehene Maßnahmen mit Indikatoren anzuführen, die mit den veranschlagten Mittelverwendungen umzusetzen sind. D. h., die finanzielle Bedeckung muss gewährleistet sein. Diese Angaben sind kein normativer Bestandteil des Bundesfinanzgesetzes, sondern haben lediglich indikativen Charakter. Die Grundlagen für diese Angaben bilden das Regierungsprogramm und -beschlüsse sowie Ressortprojekte und -vorhaben. Daneben bildet die Rechtmäßigkeit weiterhin eine essentielle Rahmenbedingung des Verwaltungshandelns. b) Wirkungsziele, Maßnahmen und Indikatoren Wirkungsziele auf Untergliederungsebene3 sind strategische Zielvorgaben über Wirkungen, die mit den eingesetzten Ressourcen für die Bürgerinnen 2 Dabei handelt es sich um finanzielle, wirtschafts-, umwelt- und konsumentenpolitische Auswirkungen sowie Auswirkungen auf Kinder und Jugend, Verwaltungskosten für Bürgerinnen und Bürger und für Unternehmen, Auswirkungen in sozialer Hinsicht und auf die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern. 3 Jedes Oberste Organ und Bundesministerium ist für mindestens eine Untergliederung zuständig. Sie können jedoch auch für mehrere Untergliederungen zuständig sein.
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und Bürger durch die Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen erreicht werden sollen. Sie beschreiben auf einer hohen Abstraktionsebene das Ergebnis, das die Untergliederung kurz- bis mittelfristig erzielen soll. Die Summe der Wirkungsziele stellt den Schwerpunkt des Ressorts dar. Pro Untergliederung sind ein Leitbild und maximal fünf Wirkungsziele anzugeben, wobei zumindest ein Wirkungsziel der Untergliederung aus dem Ziel der tatsäch lichen Gleichstellung von Frauen und Männern abzuleiten ist. Maßnahmen auf Globalbudgetebene konkretisieren die Wirkungsziele auf Untergliederungsebene und dienen der Zielerreichung. Auf Globalbudgetebene sind maximal fünf Maßnahmen festzulegen. Unter einer Maßnahme werden konkrete Tätigkeiten subsumiert, welche die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ressorts bzw. durch das Ressort beauftragte Unternehmen bzw. Institutionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums erbringen. Dabei kann es sich um Vorhaben, Aktivitäten und Projekte handeln, ebenso können aber auch Kernleistungen des Ressorts dargestellt werden. Indikatoren werden für den Zweck der Planung, Umsetzung und Beurteilung der Ziele und Maßnahmen eingesetzt. Während die Wirkungsziele der Untergliederung anhand von Kennzahlen beurteilt werden, sind bei den Maßnahmen auch Meilensteine zulässig. Kennzahlen sind quantitative Messgrößen, die Aufschluss über die erreichte Maßnahme oder deren Wirkung geben. Meilensteine beschreiben abgrenzbare (Zwischen-)Ergebnisse eines zeitlich beschränkten Vorhabens oder Projekts. Die Zielerreichung wird mit maximal fünf Wirkungsindikatoren je Wirkungsziel gemessen, deren Zielwerte für die nächsten Jahre den Istwerten der vorhergehenden Jahre im Budget transparent gegenübergestellt werden.4 c) Beispiel aus dem Bereich der inneren Sicherheit Die Angaben zur Wirkungsorientierung auf den unterschiedlichen Ebenen der Budgetstruktur sind inhaltlich aufeinander abzustimmen; sie besitzen einen unterschiedlichen Zeithorizont. Tabelle 1 gibt einen Überblick darüber, auf welcher Ebene der Budgetstruktur welche Angaben mit welchem Zeithorizont erforderlich sind. Die einzelnen Angaben werden durch Beispiele aus dem Bereich der inneren Sicherheit verdeutlicht.5
4 Zu den Wirkungszielen, Maßnahmen und Indikatoren vgl. Seiwald, J., Geppl, M., Thaller, A.: Handbuch Wirkungsorientierte Steuerung, Wien 2011; Seiwald, J., Geppl, M., Thaller, A.: Handbuch Ziele und Indikatoren auf Untergliederungs-, Globalbudget- und Detailbudgetebene, Wien 2011. 5 Entnommen aus Bundesfinanzgesetz 2018 (Regierungsvorlage), S. 91 ff., Teilheft Bundesvoranschlag 2018, Untergliederung 11, Inneres (Regierungsvorlage), S. 28 ff.
Neue Wege in die Finanzkontrolle
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Tabelle 1 Ziele und Indikatoren Budget struktur
Zielstruktur
Indikatoren
Zeithorizont
Untergliederung
Wirkungsziele
Wirkungsindikatoren
kurz- bis mittelfristig
11
subjektives Sicherheitsgefühl Ausbau des hohen Niveaus der öffentlichen Ruhe, Better-Life-Index Kategorie Ordnung und Sicherheit in Sicherheit Österreich, insbesondere durch bedarfsorientierte polizeiliche Präsenz, ….
Globalbudget
Maßnahmen
Kennzahlen oder Meilen steine
11.02
bedarfsorientierte polizei liche Präsenz
Anzahl der verkehrspolizei lichen Kontrollstunden (in Mio. Stunden)
kurz- bis mittel fristig
Anzahl der vom Ministerium angeordneten und vor Ort beauftragten Fußstreifenstunden (in Mio. Stunden) Umsetzungserfolg Fußstreifen Detail budget
Ziele Maßnahmen
11.02.01
Landespolizeidirektionen Ziel: Optimierung der öffentlichen Sicherheit und Verkehrs sicherheit Maßnahmen: Gewährleistung eines hohen Ausmaßes polizeilicher Präsenz in der Öffentlichkeit Führen von Sicherheitsdialogen
Die Beurteilung der Zielerreichung erfolgt über die Maßnahmen. Kennzahlen oder Meilen steine die Anzahl der vom Ministerium angeordneten und vor Ort beauftragten Fußstreifenstunden Umsetzungserfolg Fußstreifen die Anzahl der für verkehrspolizeiliche Kontrollen verwendeten Arbeitsstunden die Anzahl der geführten Sicherheitsdialoge zur Extremismusbekämpfung
kurz- bis mittelfristig
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2. Qualitätskriterien laut Bundeshaushaltsgesetz 2013 Gemäß § 41 Abs. 1 Bundeshaushaltsgesetz 2013 hat das haushaltsleitende Organ bestimmte qualitative Anforderungen der Angaben für alle Gliederungsebenen des Bundesvoranschlags innerhalb der zu seinem Wirkungsbereich gehörenden Untergliederungen zu gewährleisten. Nachfolgende Tabelle 2 stellt die im Bundeshaushaltsgesetz 2013 normierten Qualitätskriterien dar:6 Tabelle 2 Qualitätskriterien für die Angaben zur Wirkungsorientierung Kriterium
Beschreibung
Relevanz
wesentliche und bedeutsame Inhalte, Setzen von Prioritäten
inhaltliche Konsistenz
Abstimmung und Zusammenhang zwischen den Angaben für die Untergliederung, die Global- und Detailbudgets
Verständlichkeit
für Nationalrat sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger
Nachvollziehbarkeit
klarer Zusammenhang mit Ressortkompetenz und Regierungsauftrag bzw. -programm, Zusammenhang zwischen Wirkungsziel und Maßnahme muss für Außenstehende nachvollziehbar sein
Vergleichbarkeit
v. a. zeitliche Vergleichbarkeit, Angaben sind über mehrere Jahre zu gewährleisten, um Entwicklungen analysieren zu können
Überprüfbarkeit
Auswahl der Kennzahlen und Meilensteine soll eindeutige Feststellbarkeit der Zielerreichung bzw. des Erfolgs ermöglichen
Diese Qualitätskriterien sind als Prüfmaßstäbe heranzuziehen. 3. Evaluierung Die Erläuterungen zum Art 51 Abs. 8 B-VG stellen klar, dass im Zusammenhang mit der Wirkungsorientierung auch eine angemessene Evaluierung 6 Vgl. Berger, H.: Diskussion der Wirkungsorientierung im Nationalrat, Vortrag Budgetdienst im Rechnungshof Österreich, 25. Jänner 2017.
Neue Wege in die Finanzkontrolle
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der Ziele vorzunehmen ist, wobei die mit der Evaluierung entstehenden Kosten in einem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen der Evaluierung stehen sollen.7 In der österreichischen Praxis basiert die Evaluierung der Wirkungen auf einer Selbstevaluierung der Bundesministerien. Durch diese Selbst evaluierung wird der Kostenaspekt berücksichtigt. Das gesetzlich einzurichtende interne Wirkungscontrolling ergänzt das Budgetcontrolling und soll auch im Vollzug die finanziellen Ressourcen enger mit den Wirkungen des Mitteleinsatzes verknüpfen. Auf der Basis ihrer Controllingergebnisse evaluieren die Obersten Organe und Bundesministerien die Erreichung ihrer Wirkungsziele und der Zielwerte der festgelegten Indikatoren sowie die Umsetzungserfolge auf Maßnahmenebene. Die Ergebnisse der Evaluierungen werden durch das Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport im Rahmen seiner Koordinationsfunktion für das ressortübergreifende Wirkungscontrolling nach einer methodisch prozesshaften Qualitätssicherung in einem Bericht zusammengefasst und dem Nationalrat vorgelegt.
III. Prüfen der Wirkungsorientierung und Gleichstellung 1. Prüfansätze a) Methodische Ansätze Gemäß § 41 Abs. 3 Bundeshaushaltsgesetz 2013 kann der Rechnungshof Österreich zu den im Bundesvoranschlagsentwurf enthaltenen Angaben zur Wirkungsorientierung dem mit der Vorberatung von Bundesfinanzgesetzen betrauten Ausschuss des Nationalrats eine Stellungnahme vorlegen. Bisher machte der Rechnungshof Österreich von dieser Möglichkeit (noch) nicht Gebrauch, sondern beschränkte sich bei seinen Prüfungen auf Teilaspekte des wirkungsorientierten Verwaltungshandelns. Bisherige Prüfungen des Rechnungshofes Österreich behandelten somit einzelne Wirkungsziele und damit zusammenhängende Maßnahmen und Indikatoren. Grundsätzlich sind dafür folgende Ansätze möglich: – Formaler Ansatz: Die Prüfung fokussiert auf die Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben nach dem Haushaltsrecht (§ 41 Abs. 1 Bundeshaushaltsgesetz 2013), und zwar Relevanz, inhaltliche Konsistenz, Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit, Vergleichbarkeit und Überprüfbarkeit. – Materieller Ansatz: Im Mittelpunkt der Prüfung steht die qualitative Umsetzung der Maßnahmen oder die budgetäre Einschätzung von Maßnah7 Erläuterungen zur Regierungsvorlage 203, Beilage(n) zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates der 23. Gesetzgebungsperiode.
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men. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Aussagekraft und Validität der Indikatoren. – Querschnittsprüfung: Das Prüfthema, bspw. die Gleichstellung, wird im Rahmen der Prüfung für verschiedene Ressorts bzw. Untergliederungen im Querschnitt behandelt. b) Praktizierte Ansätze im Rechnungshof Nach der vollständigen Einführung der Wirkungsorientierung im österreichischen Bundeshaushaltsrecht verfolgte der Rechnungshof Österreich ab dem Jahr 2014 zunächst den Ansatz, dass bei jeder Prüfung im Bereich der Bundesverwaltung die Themen Wirkungsorientierung und Gleichstellung als Themen „verpflichtend“ zu behandeln waren. D. h., jedes Prüfungskonzept hatte diese beiden Themen zu enthalten. Auf diesem Weg hatten sich die Prüferinnen und Prüfer bei jeder Prüfung im Bereich der Bundesverwaltung mit der Thematik der Wirkungsorientierung zu befassen. Mit der zunehmenden Etablierung der Wirkungsorientierung und der zwischenzeitlich gesammelten Prüfungserfahrungen in diesem Bereich änderte der Rechnungshof Österreich seinen Ansatz. Seit dem Jahr 2016 sind die Aspekte der Wirkungsorientierung und Gleichstellung nicht mehr als eigene Prüfthemen, sondern integral im gesamten Prüfungskonzept zu berücksichtigen. 2. Prüffelder im Rahmen der Wirkungsorientierung a) Leitfaden „Mögliche Fragestellungen beim Prüfen der Wirkungsorientierung und Gleichstellung (BHG 2013)“ Im Jahr 2014 entwickelte der Rechnungshof Österreich den Leitfaden „Mögliche Fragestellungen beim Prüfen der Wirkungsorientierung und Gleichstellung (BHG 2013)“ zur Unterstützung der Prüferinnen und Prüfer. Der Leitfaden enthält Fragestellungen zu folgenden Themenbereichen: – Strategie, – Wirkungsziele, – geplante Maßnahmen, – Indikatoren, – Change Prozess / Erarbeitung der Ziele, Maßnahmen und Indikatoren, – aufgabenkritische Ansätze bei der Erarbeitung der Wirkungsziele, – Umsetzung,
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– Steuerung und Controlling, – Evaluierung und – ergänzende Fragestellungen zu Gleichstellung und Gender Budgeting. b) Prüffragen zu den Wirkungszielen Exemplarisch werden hier auszugsweise mögliche Fragestellungen zum Thema Wirkungsziele aus dem Leitfaden des Rechnungshofes Österreich dargestellt. Allen voran ist allerdings zu beachten, dass Wirkungsziele politische Schwerpunkte darstellen. Die öffentliche Finanzkontrolle kann folglich keine inhaltliche Kritik aussprechen und auch keine Empfehlungen abgeben, dass bestimmte Wirkungsziele von den überprüften Stellen zu definieren wären oder gestrichen werden sollten. Konsistenz der Zielsetzungen – Gibt es Zielkonflikte? Sind die Wirkungsinformationen schlüssig? – Können allfällige weitere Ziele (Global- und Detailbudgets) und die geplanten Maßnahmen von den Wirkungszielen abgeleitet werden? – Wurden internationale / europäische Vorgaben, Ziele etc. berücksichtigt (z. B. Nachhaltige Entwicklung – Agenda 2030 / SDGs, EU 2020-Ziele, Nationales Reformprogramm, Länderspezifische Empfehlungen der Europäischen Kommission, Nationale Aktionspläne)? – Erfolgte eine Abstimmung mit den Inhalten des Regierungsprogramms und von Regierungsbeschlüssen? – Erfolgte bei ressortübergreifenden Themen eine Abstimmung mit den Wirkungsinformationen anderer Bundesministerien? Beeinflussbarkeit der Zielerreichung durch die überprüfte Stelle – Liegt die Zielerreichung im Einflussbereich der überprüften Stelle? – Welche anderen Faktoren haben zur Zielerreichung beigetragen bzw. diese verhindert? Konkretheit und Verständlichkeit – Sind die Ziele konkret und verständlich oder sehr allgemein gehalten bzw. offen formuliert?
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IV. Beispiele aus der Prüfungspraxis 1. Allgemeines Der Rechnungshof Österreich hatte bereits vor der Einführung der wirkungsorientierten Haushaltsführung im Rahmen des Prüfungsmaßstabs der Zweckmäßigkeit die Wirksamkeit bei seinen Wirtschaftlichkeitsprüfungen als einen wesentlichen Aspekt immer mitberücksichtigt. Mit den Wirkungsangaben im Budget und den Informationen für die wirkungsorientierte Steuerung stehen dem Rechnungshof Österreich aber nunmehr weitere wichtige Grundlagen für seine Tätigkeit im Rahmen der Wirksamkeitsüberprüfung zur Verfügung. Seit Beginn der wirkungsorientierten Haushaltführung führte der Rechnungshof Österreich neben Gebarungsüberprüfungen, die die Wirkungsorientierung mitberücksichtigten, auch solche durch, die den Schwerpunkt auf die Wirkungsorientierung selbst legten. 2. Einführung der Wirkungsorientierung in ausgewählten Bundesministerien, Reihe Bund 2016 / 5 Bereits nach der Einführung der wirkungsorientierten Haushaltsführung beurteilte der Rechnungshof Österreich im Rahmen einer Querschnittsprüfung den Einführungsprozess in mehreren Bundesministerien mittels der Prüfung „Einführung der Wirkungsorientierung in ausgewählten Bundesministerien“. Dabei stellte der Rechnungshof Österreich fest, dass die Transparenz über den zur Einführung der Wirkungsorientierung erforderlichen Ressourcenaufwand fehlte. Die finanziellen Erläuterungen zum zugrundeliegenden Gesetz enthielten weder Angaben zu den erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen sowie zu den Gesamtkosten, noch verfügten die überprüften Bundesministerien über einen Gesamtüberblick über die von ihnen tatsächlich eingesetzten Ressourcen. Da die dafür zuständigen Bundesministerien kein bundeseinheitliches ITTool zur wirkungsorientierten Haushaltsführung bereitstellten, fanden sich in jedem überprüften Ressort individuelle IT-Lösungen, deren Vergaben Mängel aufwiesen. Während das Bundesministerium für Inneres auf Basis seines ressortinternen unterjährigen Wirkungscontrollings zeitnahe und umfassende Berichte für die Bundesministerin bereitstellte, gab es diese Berichte in den anderen beiden überprüften Bundesministerien nicht. Bei der Evaluierung der Angaben zur Wirkungsorientierung stellte das damals dafür zuständige Bundes-
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kanzleramt (BKA) nicht sicher, dass die Bundesministerien für ihre Beurteilung einheitliche Kriterien heranzogen. Alle überprüften Bundesministerien hatten die Verankerung der Wirkungsorientierung in ihren Organisations- und Managementinstrumenten großteils abgeschlossen. 3. Umsetzung der Gleichstellung im Rahmen der Wirkungsorientierung im BKA, BMLFUW und BMVIT, Reihe Bund 2017 / 51 Ein weiteres Beispiel, bei welchem der Rechnungshof Österreich die Überprüfung der Wirkungsorientierung in den Mittelpunkt seiner Prüftätigkeit stellte, war die „Umsetzung der Gleichstellung im Rahmen der Wirkungsorientierung im BKA, BMLFUW und BMVIT“. Ziel dieser Querschnittsprüfung zwischen drei Bundesministerien war etwa die Beurteilung der Qualität der Wirkungsangaben zur Gleichstellung und der Wirksamkeit des internen Wirkungscontrollings sowie der innerorganisatorischen Steuerung. Die Gleichstellung von Frauen und Männern war das einzige Ziel, das alle Bundesministerien verpflichtend aktiv zu verfolgen hatten. Es stellte zudem eine typische Querschnittsmaterie dar. Dennoch unterließen die überprüften Bundesministerien eine ressortübergreifende Abstimmung, die zu einer verstärkten Wirkung und Unterstützung der Zielerreichung hätte beitragen können. Das BKA wies innerhalb des überprüften Zeitraums von vier Jahren drei verschiedene Gleichstellungsziele aus, deren Zielgruppe sich stets verkleinerte: Während das BKA mit seinem Ziel 2013 zunächst noch eine externe Wirkung für Bürgerinnen und Bürger anstrebte, formulierte es in den Jahren 2014 / 2015 ein bundesinternes und im Jahr 2016 schlussendlich ein BKA-internes Ziel. Der dreimalige Wechsel des Ziels innerhalb von vier Jahren ließ keine kontinuierliche Zielverfolgung zu. Das 2016 ausgewiesene Gleichstellungsziel (Chancengleichheit für Frauen und Männer im BKA) betraf gemäß der einzigen Gleichstellungskennzahl eine Zielgruppe von lediglich rd. 14 % der weiblichen Beschäftigten in den höchsten besoldungsrechtlichen Einstufungen (48 Frauen). Der geringe Adressatenkreis der Kennzahl erlaubte keinen Rückschluss auf die Zielerreichung.
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Die Darstellung der Frauenquote war grundsätzlich ein aussagekräftiger Indikator für den Nachweis der Chancengleichheit im BKA. Die Istwerte der Gleichstellungskennzahl („Erhöhung der Frauenquote …“) zeigten auf, dass Frauen in drei der vier ausgewiesenen besoldungsrechtlichen Einstufungen 2014 ohnehin bereits überrepräsentiert waren. Nur in einer Einstufungsgruppe war eine Erhöhung im Sinne der Gleichstellung gerechtfertigt; für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis wäre jedoch nur eine Verschiebung von drei Personen nötig gewesen, was dem Rechnungshof Österreich als nicht ambitioniert genug erschien. Außerdem intendierten die angestrebten Zielwerte teilweise eine Senkung des Frauenanteils bzw. sollte in einer Besoldungsgruppe der bestehende Gender Gap (beobachtbarer Unterschied zwischen den Geschlechtern) zu Lasten der Männer noch verstärkt werden. Das damalige Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) definierte ein extern wirkendes Gleichstellungsziel, das mit der Sicherstellung der Gendergerechtigkeit in der Mobilität einen wesentlichen und budgetär relevanten Aufgabenbereich umfasste. Da dieses Ziel seit 2013 unverändert blieb, war die Nachvollziehbarkeit der Entwicklung und des Fortschritts möglich. Das BMVIT maß seinen Erfolg mit der in der nachfolgenden Tabelle 4 dargestellten Kennzahl: Tabelle 4 Kennzahl zur Messung der Zielerreichung des BMVIT 20169
8 Entnommen aus Bundesfinanzgesetz 2016, Anlage I Bundesvoranschlag 2016, Untergliederung 10, Bundeskanzleramt, S. 70. 9 Entnommen aus Bundesfinanzgesetz 2016, Anlage I Bundesvoranschlag 2016, Untergliederung 41, Verkehr, Innovation und Technologie, S. 425.
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Da das BMVIT zur Ermittlung des Istwerts als maßgeblichen Zeitpunkt bereits jenen der Beauftragung einer Studie heranzog und nicht jenen der Veröffentlichung der Studie, war die Kennzahl als Inputindikator weder zur Ergebnis- noch zur Wirkungsmessung geeignet. Bei der jährlichen Darstellung wies das BMVIT statt der pro Jahr beauftragten Studien missverständlich die kumulierte Anzahl der seit 1999 in Auftrag gegebenen Studien aus. Es plante seit 2013 als einzige Maßnahme die Durchführung einer Gen deranalyse pro Jahr nur durch Externe; dies sollte gemäß Bundesvoranschlag 2016 auch bis zum Jahr 2020 auf allen Budgetebenen unverändert bleiben. Nicht dargestellt war, mit welcher Eigenleistung das BMVIT sein Gleichstellungsziel zu erreichen plante. Bedarfserhebungen für die Notwendigkeit der Genderanalysen in den künftigen Jahren lagen zudem nicht vor. Auch waren jene Bereiche nicht identifiziert, in denen überhaupt noch relevante Gleichstellungsdaten fehlten. Trotzdem gab das BMVIT selbst, auf Basis der Evaluierung seiner Gleichstellungsangaben in mehreren Jahren, an, sein Gleichstellungsziel zur Gänze erreicht zu haben. Das damalige Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) definierte mit „Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität für Frauen und Männer …“ ein extern wirkendes Gleichstellungsziel für Bürgerinnen und Bürger. Das Ziel war jedoch so allgemein gehalten, dass nicht erkennbar war, welche Bereiche der Lebensqualität im Sinne der Gleichstellung betroffen waren und worin konkret das Ziel bestand. Die Nachvollziehbarkeit der Entwicklung und Fortschritte war durch das unveränderte Fortschreiben des Ziels möglich. Die einzige zum Nachweis der Zielerreichung herangezogene Gleichstellungskennzahl basierte auf einer Befragung von Frauen und Männern dahingehend, wie stark ihre wahrgenommene Lebensqualität vom Zustand der natürlichen Umwelt abhing. Tabelle 5 Kennzahl zur Messung der Zielerreichung des BMVIT 201610
10 Entnommen aus Bundesfinanzgesetz 2016, Anlage I Bundesvoranschlag 2016, Untergliederung 43, Umwelt, S. 461.
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Die Werte des Istzustands 2011 basierten auf einer Befragung aus 2007. Die Lebensqualität hing bei 62 % der Frauen und 59 % der Männer stark von der natürlichen Umwelt ab. Im Mai 2013 veröffentlichte die Statistik Austria den Mikrozensus 2011 mit Werten von 57,3 % bei den Frauen und 54,5 % bei den Männern. Die aktuelleren Werte aus 2011 lagen somit unter den in den Bundesvoranschlägen 2014 bis 2016 ausgewiesenen Istwerten und zeigten – statt einer Annäherung an die definierten Zielwerte von jeweils 65 % – eine gegenteilige Entwicklung. Das BMLFUW passte seine Maßnahmen zur Zielerreichung nicht an die gesunkenen Istwerte an. Da die Kennzahl nicht den Aspekt der Lebensqualität selbst beleuchtete, sondern ausschließlich die Wahrnehmung der Abhängigkeit der Lebensqualität von der natürlichen Umwelt, war sie alleine zur objektiven Messung des jährlichen Zielerreichungsgrads nicht geeignet. Es war nicht ersichtlich, inwiefern die vom BMLFUW beabsichtigte steigende subjektive Abhängigkeit der Lebensqualität von der natürlichen Umwelt bereits zu einer tatsächlich verbesserten Lebensqualität beitragen sollte. Erschwerend kam hinzu, dass die Statistik Austria diese Kennzahl nur alle vier Jahre erhob. Zudem war nicht nachvollziehbar, worauf sich der Gleichstellungsaspekt bezog und worin genau der Gender Gap bestand. Als Maßnahmen zum Gleichstellungsziel definierte das BMLFUW z. B. die Durchführung der Wachstum-im-WandelKonferenz oder eine möglichst ausgeglichene Beteiligung von Frauen und Männern an der Konferenz. Ein Bezug dieser Maßnahmen zum Gleichstellungsziel war nicht erkennbar. Die vom Rechnungshof Österreich im Zuge der Prüfung festgestellten Mängel (z. B. eingeschränkte Relevanz und Aussagekraft von Zielen und Indikatoren, mangelnde Überprüfbarkeit von Zielen auf Basis der herangezogenen Indikatoren und Maßnahmen, teilweise fehlende Controllingergebnisse) zeigten auf, dass die überprüften Bundesministerien die Umstellung von der rein inputorientierten Steuerung in Richtung ergebnis- und wirkungsorientierte Steuerung noch nicht zur Gänze vollzogen hatten. 4. Gewährung von Ausgleichszulagen in der Pensionsversicherung, Reihe Bund 2015 / 9 Im Zuge einer weiteren Gebarungsüberprüfung, der „Gewährung von Ausgleichszulagen in der Pensionsversicherung“ beurteilte der Rechnungshof Österreich unter anderem ebenfalls die Berücksichtigung der Wirkungsorientierung. Das damalige Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz setzte sich als Wirkungsziel zur Gleichstellung, den Frauenanteil an den Ausgleichszulagenbezieherinnen und -beziehern zu reduzieren.
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Warum nur jene Pensionistinnen und Pensionisten, die Ausgleichszulage bezogen (nur rd. 10 % aller Pensionistinnen und Pensionisten), hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen und Männern für das Wirkungsziel herangezogen wurden, war in den Unterlagen zur Wirkungsorientierung nicht begründet. Die Formulierung des Wirkungsziels war nicht ausreichend präzise: Das Wirkungsziel beabsichtigte, dass Frauen aufgrund einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage keine Ausgleichszulage mehr benötigten und daher auch keine in Anspruch nahmen. Die Formulierung des Ziels bezog sich jedoch nur auf den Bezug (Output) und nicht auf den Bedarf (Wirkung). Als Maßnahmen zur Zielerreichung waren einerseits die verstärkte Rehabilitation von Frauen vorgesehen, was den Pensionsantrittszeitpunkt hinausschieben und dadurch die Pensionshöhe steigern sollte, andererseits die Durchführung vertiefter Analysen zur Ableitung gezielter Maßnahmen. Die Ursachen für die erhöhte Inanspruchnahme der Ausgleichszulage waren jedoch vielfältig und überwiegend nur langfristig zu beeinflussen. Eine Darlegung bzw. Analyse des Wirkungsgefüges der einzelnen Faktoren, die zur Erreichung des Wirkungsziels beitragen würden, fehlte jedoch. Ohne eine solche Analyse war die Kohärenz zwischen den geplanten Maßnahmen und dem Wirkungsziel problematisch. Der Indikator zur Erfolgsmessung war die absolute Anzahl der Frauen, die Ausgleichszulage bezogen, sowie deren Anteil. Der ausgewählte Indikator wies jedoch wesentliche Schwächen auf. Der Anteil der wirtschaftlich auf Ausgleichszulage angewiesenen Frauen war nämlich wesentlich höher als der, der vom Indikator umfasst wurde. 5. Unterhaltsvorschüsse, Reihe Bund 2016 / 7 Bei der Prüfung der „Unterhaltsvorschüsse“ stellte der Rechnungshof Österreich fest, dass zwar das damalige Bundesministerium für Familie und Jugend die Hereinbringung von Unterhaltsvorschüssen in der wirkungsorientierten Haushaltsführung berücksichtigte, aber keine rechtlichen Steuerungsmöglichkeiten hatte, weil die Materienkompetenz beim damaligen Bundesministerium für Justiz lag. Eine Koordination mit dem Bundesministerium für Justiz fand jedoch nicht statt. Generell erachtet der Rechnungshof Österreich insbesondere bei inhalt lichen Überschneidungen bzw. Anknüpfungspunkten in Querschnittsthematiken ressortübergreifende Wirkungsziele bzw. Maßnahmen sowie deren Koordination als zweckmäßig, um damit die Wirksamkeit für die Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen.
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V. Wirkungsorientierte Steuerung Die Steuerung einer Organisation ausschließlich auf Basis der im Budget verankerten Wirkungsangaben wäre natürlich zu eng gegriffen. Die wirkungsorientierte Steuerung ersetzt weder die Ergebnis- noch die Inputsteuerung. Während die Erreichung der definierten Wirkungen in der Gesellschaft grundsätzlich im Fokus des Interesses des Managements liegt, kann von den hoch aggregierten Wirkungszielen nur die generelle Ausrichtung des Verwaltungshandelns abgeleitet werden. Wie dieses konkret zu gestalten ist und welche Leistungen wie zu erbringen sind, lässt sich daraus für die Bediensteten nicht umfassend ableiten. Deshalb basiert die mit der wirkungsorientierten Haushaltsführung verbundene Steuerung eines Bundesministeriums im Wesentlichen auf den Wirkungsangaben im Budget, einem so genannten Ressourcen-, Ziel- und Leistungsplan, der die Wirkungsziele für die Verwaltung auf eine operative Ebene herunterbricht und mit Leistungs- und / oder Qualitätszielen sowie operativen Leistungen konkretisiert sowie auf einem internen Wirkungscontrolling, das verpflichtend durchzuführen ist. Somit ist gesetzlich vorgesorgt, dass die wirkungsorientierte Steuerung nicht nur auf Wirkungszielen basiert, sondern auch mit Leistungen konkretisiert wird und mit dem Ressourcen-, Ziel- und Leistungsplan auch auf der Verwaltungsebene ein geeignetes Steuerungsinstrument vorhanden ist. Mit definierten Zielen, messbaren Indikatoren und Maßnahmen, deren Erreichung bzw. Umsetzung im Rahmen eines Controllings überwacht wird, würden die Bundesministerien grundsätzlich über wesentliche Voraussetzungen und Instrumente für eine geeignete Steuerung verfügen. Die Umstellung auf das wirkungsorientierte Steuerungssystem bedeutet einen systemischen und kulturellen Change Prozess im Bundesbereich, der mehrere Jahre in Anspruch nimmt und die Umsetzungsverantwortlichen vor neue Herausforderungen stellt. Wie die oben angeführten beispielhaften Berichte des Rechnungshofes Österreich zur wirkungsorientierten Haushaltsführung zeigen, bestehen noch zahlreiche Mängel bei der Umsetzung. Zudem stellt sich die Frage, ob die im Budget 2017 auf der Untergliederungsebene insgesamt ausgewiesenen 124 Wirkungsziele, 389 geplante Vorhaben und 358 Kennzahlen erforderlich sind, um ein aussagekräftiges Budget zu erhalten. Für eine effektive Steuerung auf der Wirkungsebene könnte die hohe Anzahl an Wirkungsangaben auch hinderlich sein.
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VI. Fünf Jahre wirkungsorientierte Haushaltsführung – ein Resümee Durch die Einführung der wirkungsorientierten Haushaltsführung im Bund liegen dem Nationalrat und der interessierten Öffentlichkeit seit über fünf Jahren zusätzliche Informationen zu politischen Zielsetzungen und erreichten Wirkungen in den einzelnen Politikfeldern vor. In kürzester Zeit kann sich die Leserin bzw. der Leser einen ersten Überblick verschaffen über die Vorhaben und Schwerpunktsetzungen der Bundesregierung, der – ergänzend zu den Informationen aus dem jeweiligen Regierungsprogramm – die eingesetzten finanziellen Mittel zu den Leistungen und deren angestrebten Wirkungen für die Bürgerinnen und Bürger in Bezug setzt. Dieser erhöhte Informationsgehalt im Budget und die Berichtslegung zu den Evaluierungsergebnissen der erzielten Erfolge tragen zeitgleich zu einer höheren Verantwortlichkeit der Bundesministerinnen und Bundesminister bzw. der Präsidentinnen und Präsidenten in der parlamentarischen Diskussion und in der Öffentlichkeit bei. In den parlamentarischen Diskussionen zum Budgetbeschluss griffen die Abgeordneten seit dem Jahr 2013 immer wieder einzelne Wirkungsziele, Maßnahmen und Indikatoren auf. Die jeweiligen Bundesministerinnen und Bundesminister wurden mit Fragen und Kritiken zur allgemeinen Formulierung ihrer Wirkungsziele, zu wenig ambitionierten Zielwertsetzungen von Indikatoren und zur Budgetierung von Maßnahmen konfrontiert. Die bis zur Haushaltsrechtsreform auf einzelnen Budgetansätzen erfolgten Diskussionen im Nationalrat wurden durch Fragestellungen zu den mit dem Mitteleinsatz erwünschten Wirkungen und geplanten Maßnahmen erweitert. Die Verwaltung hatte sich erstmalig systematisiert damit auseinanderzusetzen, welche Wirkungen ihre Leistungen bei den Bürgerinnen und Bürgern erzielten, womit die strategischen Überlegungen und die operativen Tätigkeiten um das Spektrum der Wirkung ergänzt wurden. Das Potenzial, mit der Wirkungsorientierung auch eine Aufgaben- und Leistungskritik durchzuführen und die öffentlichen Leistungen ausschließlich nach den erwünschten Wirkungen und dem Bedarf der Bürgerinnen und Bürger auszurichten, wurde jedoch (noch) nicht gehoben. Dies verstärkt den Eindruck, dass ein durchgängiges Bewusstsein für die Notwendigkeit, bei einem Mitteleinsatz nicht nur auf die Sparsamkeit und Ordnungsmäßigkeit, sondern auch auf die damit erzielte Wirkung zu achten, fehlt. Eine Abschlankung von nicht wirksamen Verwaltungsleistungen bei gleichzeitiger Hebung der Leistungsqualität wirksamer Leistungen wäre im Sinne der Modernisierung der österreichischen Verwaltung wünschenswert.
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Eine im Jahr 2014 durchgeführte Fokusstudie untersuchte u. a. die Wirkungsorientierung insbesondere unter den Gesichtspunkten der Steuerungskompetenz und Qualitätssicherung. Die Ergebnisse hoben das hohe Potential und den möglichen Mehrwert der Wirkungsorientierung hervor, zeigten jedoch auch ein deutliches Defizit in Hinblick auf die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Realisierung des Mehrwerts. So war eine klare Mehrheit der Befragten der Meinung, dass die Ziele und Potentiale erst ansatzweise erkennbar und weitgehend noch nicht realisiert wurden, was zum Teil auch auf den frühen Zeitpunkt der Studie zurückzuführen war.11 Aktuell läuft eine weitere Evaluation zur Wirkungsorientierung, Ergebnisse liegen noch nicht vor. Ein hohes Risiko besteht darin, dass das Interesse des Nationalrats geringer wird, der Druck zur Festlegung von qualitätsvollen, aussagekräftigen und ambitionierten Wirkungsangaben abnimmt und die wirkungsorientierte Haushaltsführung dadurch zu einer bloßen Pflichterfüllung wird. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, ist weiterhin eine Bewusstseinsschaffung für die Notwendigkeit eines wirksamen und damit bedarfsorientierten Mitteleinsatzes in Zeiten knapper Budgetmittel erforderlich. Der erforderliche Verwaltungsaufwand zur Umsetzung der wirkungsorientierten Haushaltsführung ist auf ein angemessenes Ausmaß zu beschränken und der Qualität der Wirkungsangaben ist Vorrang gegenüber der Quantität zu geben. Weniger, aber dafür gemeinsame relevante Zielsetzungen von Bundesministerien, insbesondere bei klassischen Querschnittsmaterien (z. B. Gleichstellung von Frauen und Männern, Forschung, Umwelt und Nachhaltigkeit) würden zudem zu einer effektiveren Zielerreichung beitragen. Die Erfordernisse der Konsolidierung des Staatshaushalts und der Sicherstellung der nachhaltigen Finanzierbarkeit öffentlicher Leistungen auch für künftige Generationen schließen eine Rückkehr zur reinen Inputsteuerung ohne Berücksichtigung des Wirkungsaspekts aus. Die eigentliche Aufgabe wird es jedoch sein, eine moderne Verwaltung zu schaffen, die die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger effizient, qualitativ hochwertig und wirksam erbringt.
11 Vgl. Hammerschmid, G., Grünwald, A.: Einführung der wirkungsorientierten Verwaltungssteuerung Erfolge – Potentiale – Perspektiven, Wien 2015, S. 8 ff.
Verzeichnis der Autoren Karl-Heinz Binus, Dr., Prof., Präsident des Sächsischen Rechnungshofs Harald Ebner, Mitarbeiter der Abteilung Budget, RH-Wirkung beim Rechnungshof Österreich Jan Fasswald, Ministerialrat als Mitglied des Bundesrechnungshofes, Leiter des Prüfungsgebietes VII 3 Hermann Hill, Dr., Univ. Prof., Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Ulrich Keilmann, Dr., Leiter der Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Präsidenten des Hessischen Rechnungshofs Brigitte Mandt, Dr., Prof., Präsidentin des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen, Honorarprofessorin an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Holger Mühlenkamp, Dr., Univ. Prof., Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliche Betriebswirtschaftslehre, (Rektor seit 1.10.2017), Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Anna Rossoll, Dr., Leiterin der Abteilung 4A1 – Bildung, stellvertretende Leiterin der Sektion 4 beim Rechnungshof Österreich Frank Scherwa, Ministerialrat, herausgehobener Prüfer im Prüfungsgebiet VII 3 „ITKonsolidierung, Netzpolitik und Digitalfunk“ Gunnar Schwarting, Dr., Prof., Honorarprofessor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer Liane Stangl, Leiterin der Abteilung Budget, RH-Wirkung beim Rechnungshof Österreich Andreas Utsch, Direktor beim Rechnungshof Rheinland-Pfalz, Leiter des Prüfungsgebiets 6 Felix Volk, Mitarbeiter beim Landesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung des Hessischen Rechnungshofs