Neue Liebesgeschichten aus Tausendundeine Nacht

Erstmals den persischen Quellen nacherzählt von Rudolf Gelpke Mit Zeichnungen von Otto Bachmann Fünf dieser sechs Er

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German Pages [701] Year 1984

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Table of contents :
Umschlag
Titel
Impressum
Die Abenteuer des Prinzen von China und der Königstochter Nuschafarin in Damaskus
Was erzählt wird vom Prinzen Tadsch ol-Moluk, der Prinzessin Donya und den Schicksalen von Aziz und Azizeh
Die Erzählung vom Helden Babraz und der schönen Golbahar
Die Abenteuer der Dame Tayyebeh und ihrer Tochter Mah-Tal’at
Die Geschichte vom Derwisch und den Feenprinzessinnen Sabz-Pari und Zard-Pari
Die Geschichte von der Wallfahrt zur Schlangengöttin Naga
Nachwort
Inhalt
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Neue Liebesgeschichten aus Tausendundeine Nacht

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Neue Liebesgeschichten aus

TAUSENDUNDEINE NACHT Erstmals den persischen Quellen nacherzählt von Rudolf Gelpke Mit Zeichnungen von Otto Bachmann

Manesse Verlag

Neue Liebesgeschichten aus

TAUSENDUNDEINE NACHT Erstmals den persischen Quellen nacherzähll von Rudolf Gelpke

Mit Zeichnungen von Otto Bachmann

Manesse Verlag

ALLE RECHTE VORBEHALTEN . DRUCK: CONZETT A HUBBR COPYRIGHT © 1969 BY MANESSE VERLAG, CONZETT * HUBER

ZÜRICH • IMPRIMÉ EN SUISSE • PRINTBD IN SWITZERLAND

Herrn Professor Dr. Dr. h. c. G.E. VON GRUNEBAUM

zum 60. Geburtstag in dankbarer Verehrung gewidmet

Die Abenteuer

des Prinzen von China und der Königstochter Nuschdfarin in Damaskus

Einst, vor langer Zeit, herrschte in Damaskus ein Padeschah mit Namen Dschahängir, der war mächtig und gerecht; aber die Jahre vergingen, und noch immer hatte ihm Allah keinen Nach­ kommen geschenkt. Eines Tages nun, als der König im Spiegel die Runzeln in seinem Gesicht und die weißen Haare auf seinem Kopf betrach­ tete, erschrak er, zerbrach voll Zorn den Spiegel und rief aus: «Was helfen mir denn schon alle Macht und alle Herrlichkeit dieser Welt? Was nützte es mir, wenn ich auch die ganze Erde mir untertan machte? Hat mich doch nichts und niemand davor bewahren können, immer älter und schwächer zu werden; und nun werde ich bald einmal sterben; und wem werden dann mein Thron und meine Krone gehören? O hätte ich doch ein Kind, das einst erben könnte, was ich besitze!» So klagte der Padeschah, riß sich die fürst­ lichen Gewänder vom Leib, hüllte sich statt dessen in den Flicken rock eines Derwischs, ver9

gaß Reich und Herrschaft und flehte auf den Knien in einem Winkel zu Gott. Inzwischen warteten die Wazire und Amire umsonst auf ihren Schah; und schließlich wußten sie sich keinen Rat mehr, verließen den Thronsaal, zogen vor des Königs Schlafgemächer und frag­ ten dort die Eunuchen: «Wo ist die Majestät?» «Der Padeschah betet», erwiderten die Wäch­ ter, «und wir wagen es nicht, ihn dabei zu stö­ ren ...» Da traten denn die Großen selbst über die Schwelle, näherten sich dem Herrscher voll Ehrerbietung, erbaten den Segen des Himmels für ihn und sprachen: «O Majestät, wie kommt es, daß wir dich zu dieser Stunde in solchem Gewand im Gebet antreffen? Du bist doch kein Derwisch; du bist doch der Schah!» «Ich bin aber meiner Krone überdrüssig», gab der Monarch ihnen zur Antwort, «denn wer soll sie tragen, wenn ich einst nicht mehr bin? Was soll mir die Herrschaft, da ich doch keinen Erben für sie habe?» Als sie das hörten, senkten die Minister und Fürsten ihre Köpfe; doch einer von ihnen sagte: «Majestät, vor den Toren der Stadt haust in einer verlassenen und zerfallenen Kuppel ein frommer Einsiedler mit Namen Feiyäz. Der weiß vielleicht Rat!» Gesagt, getan. Der Padeschah ritt mit seinem io

Gefolge zur Klause des Eremiten; und nachdem dieser vernommen hatte, was den Herrscher bedrückte, holte er zwei Weizenkömer hervor, übergab sie dem König und sprach: «Das eine dieser Körner sollst du selber essen und das andere die Herrin deines Harems. So werdet ihr mit dem Beistand Allahs des Allmächtigen einem Kind das Leben schenken!»

Da freute sich der Schah; und er konnte es kaum erwarten, bis er in die Stadt zurückgekehrt war, den Haremspalast aufgesucht und den Rat des weisen Feiyäz befolgt hatte. Und siehe da! Das Wort des Eremiten erfüllte sich; denn neun Monate und neun Tage darnach wurde dem Königspaar eine Tochter geboren; und der glückliche Vater brachte das Kind auf seinen eigenen Armen zur Behausung des Einsiedlers und zeigte es diesem. «Gesegnet sei es», sprach da Feiyäz, wiegte und betrachtete das Mädchen, flüsterte ihm den Gebetsruf ins Ohr und verlieh ihm den Namen Nuschäfarin. Dann übergab er es wieder dem Schah mit den Worten: «Nimm es und hüte es gut! Einmal jede Woche soll man seinen Kopf und Leib in der Quelle Nusch waschen. Auch mußt du wissen, daß diese deine Tochter man­ cherlei zu leiden haben wird; und zudem wirst du die Trennung von ihr ertragen müssen...» So warnte der Eremit. Darnach verabschie­ dete sich der Padeschah von ihm und brachte die kleine Nuschäfarin in den Harem zurück, wo er sie den Ammen anvertraute. Behütet und um­ hegt wuchs dort die Prinzessin heran, bis sie zehn Jahre alt geworden war. Dann schenkte ihr der König ein eigenes Schlößchen. Dort lebte sie mit ihren Lehrern und Gespielen in Vergnügen und Fröhlichkeit. 12

Nun muß man aber auch wissen, daß Nuschä­ farin kein Mädchen wie andere war. Sie glich einer wunderbaren Blume, die es nur ein einzi­ ges Mal gibt; und wie eine Blume öffnete sie von Tag zu Tag ein wenig mehr den Kelch ihrer Blüte. Diese Blüte aber war ihre Schönheit; und weit und breit, wohin nur immer Auge und Ohr eines Menschen reichten, gab es keine Frau und kein Mädchen, die so schön gewesen wäre wie die Prinzessin Nuschäfarin. Wen könnte es da verwundern, daß die Kunde von dieser Königs­ tochter gar bald aus der Stadt Damaskus in andere Städte drang und daß vornehme Freier aus allen Ecken und Enden der Welt herbei­ strömten, um ihr Glück zu versuchen? *

Nun aber wollen wir Damaskus und die schöne Nuschäfarin für eine Weile verlassen, um einen Blick ins Reich China zu werfen! Dort herrschte damals ein Sultan mit Namen Ädelschah, und er hatte einen Sohn, der Ebrahim hieß. Als dieser achtzehn Jahre alt geworden war, setzte ihn sein Vater zum Mitregenten ein. Da geschah es eines Tages, als Prinz Ebrahim in seinem Palast saß, daß ein Kaufmann vor ihn geführt wurde, um ihm seine Waren zu zeigen. Von weither war dieser Handelsherr nach China gereist; und wie ihn nun der Prinz nach den seltsamen Erlebnis■3

sen und wunderbaren Begebnissen befragte, die ihm unterwegs vor Augen oder zu Ohren gekom­ men waren, da erzählte er auch von der jungen Nuschäfarin, dieser Rose von Damaskus und schönsten aller Königstöchter. Als der Kauf­ mann sah, wie seine Worte in das Antlitz des Prinzen ein Leuchten brachten und wie in seinen Blicken die Sterne der Sehnsucht erwachten, holte er ein Bildnis von Nuschäfarin hervor, das ein großer Meister geschaffen hatte, und schenkte es-dem Jüngling. Aber kaum hatte dieser auf das Werk einen Blick geworfen, als ihm auch schon die Sinne schwanden und er ohnmächtig zu Boden fiel. Voll Entsetzen eilten da von allen Seiten die Höflinge und Diener herbei, spreng­ ten Rosenwasser auf das Gesicht ihres Herrn und ließen nicht ab, sich um ihn zu mühen, bis end­ lich sein Geist zurückkehrte und er die Augen aufschlug. Aber sofort füllten sich diese mit Trä­ nen; und so heftig schluchzte der Prinz, daß er kein Wort hervorbringen konnte. Indessen um­ standen ihn seine Amire, redeten auf ihn ein und versuchten, ihn zu trösten; denn sie fürchteten auch für ihr eigenes Leben und sprachen zuein­ ander: «Wehe uns! Wenn Sultan Adelschah von dieser Geschichte etwas erfährt, so wird er uns alle töten lassen...» Nach einer Weile jedoch beruhigte sich der Prinz, und sein Tränenstrom versiegte. Dennoch >4

schwieg er auf alle Fragen, ergriff das Gemälde von Nuschäfarin und ließ dem Kaufmann, der es ihm geschenkt hatte, tausend Goldstücke überreichen. Dann verließ er seine Ratgeber, Gefährten und Sklaven, suchte allein sein Schlaf­ gemach auf und verriegelte hinter sich die Tür. Aber kein Schlummer schloß in dieser Nacht seine Augen! Er zündete eine Kerze an, ent­ rollte das Bildnis der Königstochter von Damas­ kus und versank in den Anblick ihrer Schönheit. So saß er, ohne Bewegung und Regung, Stunde um Stunde, bis endlich der Morgen heraufdäm­ merte. Darnach erhob er sich, trat aus seinem Zimmer und begab sich zur Hofversammlung in den Thronsaal. Dort begegnete er dem Großwazir; und als dieser den Prinzen erblickte, erschrak er in seinem Herzen und sprach zu sich selbst: «Dieser Jüngling sieht aus, als wäre kein Tropfen Blut in seinem Antlitz geblieben! Seit gestern sein Auge auf dieses Bild fiel, ist er krank. Da muß ein Geheimnis dahinterstecken; und wenn davon etwas seinem Vater zu Ohren kommt, so kann das unser aller Verderben bedeuten...» Als nun an diesem Abend Prinz Ebrahim wie­ der sein Gemach aufsuchte, vergaß er, die Tür zu verschließen; und so kam es denn, daß plötz­ lich der Großwazir, der ihm heimlich gefolgt war, vor ihm stand. Wie hätte da der Jüngling 16

sein Geheimnis noch länger verbergen können? Mit einem einzigen Blick erspähte der Wazir die Kerze, dahinter das aufgerollte Gemälde einer feengleichen Schönen und in den Augen des Prinzen die Tränen des Grams und der Sehn­ sucht. Da wußte er, was den Jüngling krank machte: doch zeigte er das nicht, sondern warf sich dem Königssohn zu Füßen und flehte ihn an, ihm den Grund seines Leides zu verraten. «O Wazir», rief da Prinz Ebrahim aus, «sieh, ich bin es doch, der dich anfleht, mir zu helfen! Was soll mir mein Leben und was meine Jugend, wenn ich sie, Prinzessin Nuschäfarin, deren Bild du da vor dir siehst, nicht gewinnen kann? Stehe mir bei und ersinne einen Plan; denn wie weit es auch sein mag von hier nach Damaskus - jene Stadt ist mein einziges Ziel!» Nachdem der Großwazir diese Worte ver­ nommen hatte, erkannte er wohl, daß es kein anderes Heilmittel für diese Krankheit gab als jenes, um das der Jüngling ihn bat. Er versank in Nachsinnen; und nach einer Weile hob er den Kopf und sprach: «Erbitte morgen früh von deinem Vater die Erlaubnis, zur Jagd ausreiten zu dürfen. Dann reiten wir zusammen ans Meer, besteigen im Hafen ein Schiff’, und ich werde Sorge dafür tragen, daß man unsere Flucht nicht zu früh entdeckt!» Als Prinz Ebrahim das hörte, beruhigte sich ■7

der Sturm in seinem Herzen, und er freute sich sehr. Am anderen Morgen, nachdem das Son­ nengestirn die Sterne der Nacht ausgelöscht hatte, eilte er voll Ungeduld zu seinem Vater; und als dieser seinen Wunsch vernahm, in Be­ gleitung des Großwazirs jagen zu dürfen, erwi­ derte er freundlich: «Aber gewiß, mein Sohn, so geh nur!» Inzwischen hatte aber der Wazir schon seine Vorbereitungen getroffen. Er hatte sich beim Hafenmeister erkundigt, ob ein Schiff nach Damaskus fahre; und da kein solches vor Anker lag, bestieg er mit dem Prinzen ein Schiff nach Hindustan. Der Wind war ihnen günstig; und

so fuhren sie denn rasch dahin, viele Tage und Nächte, bis sie einen Hafen in Indien erreichten, wo sie das Schiff wechselten und ihre Reise west­ wärts fortsetzten. Nun aber wollen wir hören, was inzwischen in China geschehen war! Als Prinz Ebrahim und der Großwazir nicht an den Hof zurückkehrten, geriet Sultan Adelschah vor Sorge und Zorn ganz außer sich. Er sandte fünfhundert seiner Krieger nach allen Himmelsrichtungen aus, um nach den Verschwundenen zu suchen. Sollten die beiden entflohen sein und gefaßt werden - so lautete der Befehl des Herrschers -, dann war der Wazir des Todes, während der Prinz in Fes­ seln vor seinen Vater gebracht werden sollte. Sogleich machten sich die Reiter ans Werk; und einige von ihnen ritten zur Küste, suchten dort nach dem Hafenmeister, zeigten ihm den Er­ laß des Sultans und fragten: «Sind dir vielleicht diese beiden vor Augen gekommen? Oder hast du etwas von ihnen gehört?» «Gewiß», gab der Hafenmeister zur Antwort, «vor drei Tagen ist der Prinz in Begleitung des Großwazirs an Bord eines Schiffes gegangen; und das Ziel ihrer Reise ist Damaskus!» Als sie das vernahmen, kehrten die Kund­ schafter zu Ädelschah zurück und meldeten ihm, was sie soeben entdeckt hatten. Da breitete die Traurigkeit ihre schwarzen Flügel über die 9

Seele des alten Herrschers. Tränen strömten ihm aus den Augen, löschten seinen Zorn, und er schickte seine Minister und anderen Ratgeber fort, um in Stille und Einsamkeit zum Allmäch­ tigen zu beten. * Unterdessen segelten Prinz und Großwazir auf ihrem Schiff nach Westen. Zehn Tage lang lachte ihnen der Himmel und wehte der Wind ihTes Glücks; aber am elften Tag zog vor ihnen am Horizont ein Ungewitter auf, und ehe sie sich’s versahen, spalteten Blitze die Luft, Don­ nerschläge rollten und grollten über die aufge­ wühlten Wogen hinweg, und der Sturm warf sich auf das Boot wie ein hungriger Tiger auf seine wehrlose Beute. Was vermochten da Men­ schenhände und Menschenkräfte noch auszu­ richten? Es dauerte nicht lange, so brachen Segelmaste und Schiffswände in diesem Aufruhr der Elemente entzwei, Sturzwellen schossen über das Deck und rissen alle und alles, Menschen wie Dinge, mit sich fort. Das Schiff versank und verschwand. Was aber war mit dem Prinzen von China und seinem Begleiter geschehen? Die beiden hatten sich an den Händen gehalten; und nachdem eine Woge sie über Deck gespült hatte, erblickten sie gerade vor sich eine aus dem Schiffsrumpf geris20

sene Planke, klammerten sich mit allen Fingern fest an dieses Holz - und so geschah es denn, daß sie Sturm und Schiffbruch heil überlebten. Nach einiger Zeit wurden sie von den Wellen an einen Strand gespült; und kaum hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, als auch schon in der Ferne ein Reiter auftauchte, auf sie zu­ sprengte und rief: «Seid gegrüßt, ihr Fremd­ linge! Gestattet ihr, daß ich mich zu euch ge­ selle?» - «Mein Bruder», erwiderte der Wazir, «erst sage uns doch, wie du heißest und was du hier treibst!» «Ach, das ist eine lange Geschichte», rief der Unbekannte aus, «ich will sie euch gerne erzäh­ len ; aber dazu ist es nötig, daß ihr mich als meine Gäste in mein Haus begleitet...» Die zwei Schiffbrüchigen willigten ein, und zu dritt machten sie sich auf den Weg. Bald ge­ langten sie zu einem prächtigen Haus. Ihr Be­ gleiter hieß sie eintreten, bot ihnen Ehrensitze an und rief seine Gefährten und Diener herbei. Dann bat der Prinz von China: «Erzähle uns nun deine Geschichte, o Jüngling!» «Habt noch ein bißchen Geduld», entgegnete der Gastgeber, «denn sobald man die Speisen bringt, werde ich beginnen.» Kurz darnach wurde für Königssohn und Wazir ein köstliches Mahl gebracht; und da sie seit langem nichts mehr gegessen und getrunken 21

hatten, griffen sie voll Freude zu und ließen es sich schmecken. Währenddessen erzählte ihnen der Herr des Hauses seine Geschichte, und die lautete so: «Wißt, daß man mich den Seemann Hamid nennt und mich jedermann weitherum kennt! Es sind nun drei Jahre her, daß ich mich in den Landen von Schah Eskandar in des Königs Sän­ gerin, die schöne Nähid, verliebt hatte und dabei um ein Haar zu Tode gekommen wäre. Aber könnt ihr euch denken, wie ich im allerletzten Augenblick dem Rachen des schwarzen Ge­ schicks noch entsprungen bin? So hört nur! Eines Nachts, als wir wieder in aller Heimlich­ keit das Lager teilten und jedes sich vom andern verbotene Süßigkeit stahl - gerade da, inmitten unserer Wonnen, haben uns die Häscher des Padeschahs überrascht und in Banden vor den Herrscher geschleppt. Ach, keine Kupfermünze war da mein Leben noch wert! Hätten wir leug­ nen sollen, was doch diese Schurken mit eigenen Augen gesehen hatten? Oder hättet ihr einen Wüterich mit einem Stein statt einem Herzen in der Brust um Gnade angefleht? Genug - dieser Tyrann ließ die Sängerin Nähid in den Kerker werfen; mich selbst aber zerrten seine Wächter hinaus ins Freie und zum Hinrichtungsplatz, wo sie mich an ein Schafott banden, damit ich in der Morgenfrühe mit Pfeilen gespickt werden sollte. 22

Da habe ich nun gestanden und gewartet, und nie, gar nie, bin ich so mutterseelenallein gewe­ sen. Kein Glied habe ich rühren können; und rings um mich sind die Wächter gewesen, und keiner hat sich meiner auch nur ein wenig er­ barmt ... Da habe ich alle Hoffnung aufgegeben; und siehe da! Im gleichen Augenblick, als die Verzweiflung mein Herz so finster werden ließ wie die Nacht über mir das Himmelsgewölbe im gleichen Augenblick, sage ich, ist so plötzlich, als sei sie aus den Sternen gefallen, eine schwarz vermummte und verschleierte Gestalt vor mir aus dem Dunkel getaucht. In der Hand hat der Schwarze ein blankes Schwert geschwungen; und ehe noch die Wächter ihren Augen getraut haben, ist er auch schon mit einem schrecklichen Schrei über sie hergefallen. Im Nu hat er einige von ihnen erschlagen, und daraufsind die andern Hals über Kopf davongerannt. Mit einemmal ist niemand mehr dagewesen, nur noch wir beide, dieser Schwarze und ich! Und ahnt ihr wohl, was dann geschehen ist? Wie der Blitz hät mein Retter meine Fesseln durchschnitten, und dabei ist der Schleier verrutscht, und ich habe sein Antlitz sehen können... Bei Allah, o meine Freunde! Vor Überraschung wäre ich doch bei­ nah in Ohnmacht gefallen; denn der mich aus der Hand meiner Feinde errettet hat, ist kein Mann gewesen, sondern eine Frau, eine Dame, 23

schön wie ein Götterbild! Kaum bin ich frei ge­ wesen, so habe ich mich ihr zu Füßen in den Staub geworfen und ausgerufen: < Du träumst nicht, o Hamid>, hat sie mir dar­ auf erwidert, Was hätte ich darauf nur antworten sollen? Meine Zunge hat mir den Dienst versagt; und nach einer Weile hat Dschahänsuz gesagt: (Du mußt dich jetzt gut verstecken, damit dich die Häscher meines Vaters morgen nicht finden. In der nächsten Nacht will ich dich nochmals sehen; und dann mußt du aus diesem Reich fliehen. Wende dich nach der Stadt Damaskus und harre dort aus, bis ich dir folgen kann! > Das versprach ich ihr; und nachdem wir noch ein Versteck verabredet hatten, wo wir uns in der kommenden Nacht wieder treffen wollten, haben wir uns umarmt, geküßt und voneinander 34

Abschied genommen. Aber ich habe die Prin­ zessin nicht wiedergesehen! Zur verabredeten Stunde ist sie nicht selbst erschienen, sondern eine Vertraute von ihr, eine Sklavin; und die Botschaft, die sie mir hat ausrichten lassen, ist diese gewesen:

Dies sind die Worte der Prinzessin Dschahänsuz gewesen, die mir ihre Botin ausgerichtet hat; und nun sagt selbst,o ihr Freunde: was hätte ich tun sollen? Was hättet ihr an meiner Stelle getan, so allein und gejagt? Kurz und gut - ich bin also geflohen, der Allmächtige hat mich beschützt; und jetzt wißt ihr, was mir zugestoßen ist, und kennt meine ganze Geschichte von Anfang bis Ende.» So erzählte Hamid; und nachdem er geendet hatte, rief der Prinz von China aus: «Wenn ich ans Ziel meiner Wünsche gelange, so verspreche ich dir, daß ich auch dich an das deine gelangen lasse!» «Was ist denn dieses dein Ziel?» fragte darauf Hamid; und nun erzählte ihm Prinz Ebrahim von dem Bildnis der schönen Nuschäfarin, von seiner Liebe zu ihr und von seinem Entschluß, nach Damaskus zu reisen, um dort die Königs26

tochter zu gewinnen oder um ihretwillen sein Leben zu opfern. Als sein Gastgeber das hörte, warf er sich dem Prinzen zu Füßen und rief: « Dich hat wahrhaftig ein gütiges Geschick zu mir gesandt! Wie oft habe ich doch darum gebetet, daß einer wie du meinen Weg kreuzen würde! Die Stadt Damaskus ist auch mein Ziel; und wenn du gestattest, so werde ich von heute an dein getreuer Begleiter und Weggefährte sein...» Da freute sich Prinz Ebrahim, und er fragte: «Aber wie kommen wir denn von hier nach Damaskus?» «Ich habe hier einige gute Pferde», erwiderte Hamid, «heute wollen wir noch ruhen, und mor­ gen früh brechen wir auf!» Gesagt, getan. Als am nächsten Tag die ersten Sonnenspeere über den Horizont des Ostens flo­ gen, bestiegen die drei ihre Pferde und machten sich auf den Weg. Es war eine lange Reise, aber sie achteten ihrer Mühsale nicht. Vierzig Tage ritten sie ohne Ruhe noch Rast dahin, durch­ querten Gebirge und Schluchten, Wüsten und Steppen, Wälder und Städte; und dann endlich, am einundvierzigsten Tage, erblickten sie in der Ferne die Kuppeln, Zinnen und Palmengärten von Damaskus. «Preis dem Allmächtigen», rief Prinz Ebrähim da aus, wandte sich an Hamid und sprach: 27

«Reite du voraus und finde uns in der Stadt eine Unterkunft!» Hamid gehorchte; und als Prinz und Wazir das Stadttor erreichten, hatte er bereits ein Haus für sie gemietet. Sie aßen und tranken. Hernach legten sie sich zur Ruhe nieder; und da sie ihr Ziel ja erreicht hatten, schliefen sie in dieser Nacht so gut und tief wie schon lange nicht mehr. Am anderen Morgen, nachdem die Sonne sie geweckt hatte, suchten sie alle drei zuerst ein Badehaus auf, wuschen sich den Schmutz und Schweiß der Reise von Antlitz und Gliedern, zogen frische Gewänder an und machten sich dann auf zu einem Rundgang durch die Stadt. Während aber die Jünglinge noch geschlum­ mert hatten, war der Wazir bereits wach und munter gewesen; und in diesem kurzen Stünd­ chen hatte der weltkluge Alte mehr erfahren als 28

gewöhnliche Fremde in vielen Tagen. Als jetzt die drei zu einem Tor mit einem Garten dahinter und einem prächtigen Lustschlößchen darin ge­ langten, blieb der Prinz von China voll Über­ raschung stehen und fragte: «Wer ist wohl so glücklich, in dem kleinen Paradies da zu woh­ nen?» «Wer wohl», lächelte der Wazir, «wenn nicht die Prinzessin Nuschäfarin!» Als aber Ebrähim diesen Namen hörte und mit einemmal die Geliebte so nahe wußte, tat sein Herz einen Sprung, und sein Fuß strauchelte. Er setzte sich neben das Tor, und Tränen strömten aus seinen Augen. Während der Wazir ihn zu trösten ver­ suchte, ertönte plötzlich Hufgeklapper und laute Rufe erschollen: «Weg da! Platz ge­ macht !...» Schwarzhäutige Wächter rannten vorbei und trieben die Leute von der Straße; und dann er­ schienen wohl an die tausend in Goldbrokat gekleidete Reiter, und an ihrer Spitze ritt ein stolzer Jüngling mit einer von Juwelen funkeln­ den Krone auf dem Haupt. «Wer ist denn das?» fragten unsere drei; und die Leute erwiderten: «Das ist Prinz Tufan, der Sohn des Sultans von Ägypten, und er wirbt hier um die Hand von Nuschäfarin!» Diese Worte waren noch kaum gesprochen, als auch schon ein zweiter, nicht minder glän29

zender Zug herannahte; und diesmal hieß es: «Hier kommt Bahman, der Sohn des Padeschahs von Aleppo!» Diesem zweiten Freier auf den Fersen folgte mit seinem Gefolge ein dritter, und dieser dritte war Mohammad, der Sohn des Königs vom Maghreb. War das ein Prunk, ein Tumult und ein Lärm! Aller Augen starrten wie gebannt auf dieses Schauspiel; und auch die Wächter und Diener des Palastes von Nuschäfarin drängten durch das offene Tor in die Menge der Schaulustigen. Als nun Ebrähim das sah, sandte er ein rasches Gebet aus seinem Herzen zum Himmel, eilte dann schnell wie der Wind und mit gesenktem Kopf, als sei er einer der Sklaven, an den Neu­ gierigen vorbei auf das Schlößchen zu, huschte über eine Treppe zur Veranda hinauf, und - im nächsten Augenblick hatte er auch schon das Gemach dahinter betreten. Was aber sah er da? Ausgestreckt auf einem Ruhebett, zwischen seidenen Polstern, lag sie, deren gemaltes Ebenbild den Jüngling über so viele Meere, Gebirge und Wüsten bis hierher gelockt hatte: die Prinzessin Nuschäfarin. Sie war allein, und sie schlummerte. Ihr zu Häupten flackerte eine Kerze, und ihr Schein liebkoste das Feengesicht, während Ebrähim, wie gebannt von einem Zauber, kein Auge von der Schönen 3°

wenden und keinen Fuß vor den anderen setzen konnte. «Was soll ich nur tun?» so sprach er in seinem Herzen zu sich selbst, «soll ich sie wecken? Aber nein, nie und nimmer darf ich das wagen! Und doch: wie könnte ich sie so mir nichts, dir nichts wieder verlassen, ohne ihr ein Zeichen von mir zu geben ? Sie soll, wenn sie erwacht, wissen, daß ich hier gewesen bin...» So zog er sich denn seinen Siegelring vom Finger, vertauschte ihn ganz sachte und behut­ sam mit dem Ring der Schlafenden, fiel vor dem Lager auf die Knie, hauchte einen Kuß, der wie 3‘

das Streifen von Schmetterlingsflügeln war, auf die Granatapfellippen, nahm, schon im Hinaus­ gehen, noch eine Handvoll Süßigkeiten von einem Silbertablett - und dann verschwand er auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, und ebenso leise und rasch. Abermals wachte über ihn sein Glücksstern. Niemand bemerkte ihn; und als er wieder durch das Tor auf die Straße schlüpfte, war dort das Gewühl und Gewoge der Neugierigen noch dichter als zuvor geworden; denn inzwischen waren mit ihren Begleitern und Dienern zwei weitere fürstliche Freier erschienen. Der Jüngling gesellte sich wieder zu seinen beiden Gefährten; und nachdem er ihnen sein Erlebnis erzählt hatte, traten sie fröhlichen Sin­ nes den Heimweg an. Unterdessen war aber die Prinzessin Nuschäfarin aus ihrem Schlummer erwacht, und als nun ihr Blick auf ihre Hand fiel, gewahrte sie dort den fremden Ring. Was war das? Träumte sie denn? Schlief sie noch immer? Sie rieb sich die Augen, hob dann ganz nah vor ihr Gesicht die Hand mit dem Ring; aber, siehe da! Ihre Augen waren wach und klar; und dennoch blieb dieser Ring an ihrem Finger ein Rätsel, das sie nicht zu lösen vermochte. Sie besah sich den Stein, entdeckte darin die feine Gravur von spinnennetzartigen Schriftzügen und las diese Verse: 32

Es dreht sich das Sternenrad Ebrahim zum Segen: sein sei das Sonnenglück auf allen Wegen.

Erst erschrak Nuschäfarin, als sie diese Worte entziffert hatte, und dann verjagte ihre Neugier den Schrecken. Wer war denn das, dieser Ebra­ him? Wie kam sein Ring an ihre Hand? Wo war ihr eigener Ring? Wie hatte es diesem Fremden gelingen können, ihren Palast und ihr Gemach zu betreten? So wirbelten Fragen über Fragen durch den Kopf der Prinzessin, als plötzlich ihre Amme im Zimmer erschien. Wie nun diese Alte bemerkte, daß die Königstochter erregt und aufgewühlt war, fragte sie: «Was ist dir nur widerfahren, o meine Gebieterin? Quält dich etwas, so sage es mir!» «Wie soll ich dir sagen, was ich selber nicht weiß?» erwiderte Nuschäfarin, und dann er­ zählte sie, was sie nach dem Erwachen entdeckt hatte, und zeigte der Vertrauten den fremden Ring. «Sei nicht traurig», lachte da die Amme, «wer immer das auch gewesen sein mag, der wird wieder kommen; denn es heißt ja auch nicht umsonst:

2 1001 Nacht

33

Es bleibt nicht bei dem einen Mal; mehr Küsse stiehlt, wer einen stahl!»

«Wenn das so ist», rief die Prinzessin, «so mußt du diese Nacht bei mir wachen und mich wecken, wenn er kommt!» «Sei unbesorgt», versprach ihr die Alte, «er wird kommen, und ich werde wach sein...» ..Als nun aber die Nacht ihren Schleier aus schwarzer Seide über die Erde breitete, wurde das Bild der Geliebten im Herzensspiegel des Prinzen Ebrahim nur um so heller. In ihm brannte die Sehnsucht, und der Schlaf mied seine Lider. Da erhob er sich, suchte seine Feder und schrieb der Angebeteten den folgenden Brief: Lass’ ich deinen Namen von meiner Zunge fliegen, will mir vor lauter Glück der Atemstrom versiegen... So wisse denn, daß ich es gewesen bin, der dich be­ sucht hat, als du geschlummert hast. Ja, mein Ring ist es, den du an deinem Finger entdeckt hast, meine Lip­ pen haben die deinen berührt; und dennoch bist du nicht erwacht, und ich habe dich unerkannt wieder verlassen müssen. Sieh, ich bin im fernen Reich China auf dem Thron meiner Herrschaft gesessen, als mein Auge auf dein herzbetörendes Bildnis gefallen ist; und

34

da habe ich mich von allem, was mir einst lieb und teuer gewesen ist, getrennt, um nur dich dafür zu ge­ winnen. Höre und glaube mir, daß ich, solange nur ein Funken von Leben und ein Hauch von Atem in mir ist, niemals aufhören werde, in der Liebe zu dir zu brennen. Auf diesem Weg fürchte ich nichts und nie­ manden, weder Feind noch Freund, sondern einzig und allein die Trennung von dir, meine teure Geliebte, die du die immergrüne Zypresse meiner Seele bist. Der Friede sei über dir, Saläm!

Nachdem er das geschrieben hatte, verließ Ebrahim das Haus, wanderte zum Palast der Prinzessin, band dort den zusammengefalteten Brief an einen seiner Pfeile und schoß diesen mit dem Bogen durch das Fenster, hinter dem er das Gemach der Geliebten wußte. Dann trat er zu­ frieden den Heimweg an. Wie aber erging es Nuschäfarin? Sie hatte am nächsten Morgen noch kaum die Augen geöff­ net, als sie auch schon die Amme anschrie: «Ei, du Schlampe! Warum hast du mich nicht ge­ weckt, wie du es doch versprochen hattest?» «Bei Allah, meine Liebliche, ich bin ja wach gewesen», verteidigte sich die Alte, «aber nie­ mand ist gekommen, glaube mir das!» Wütend richtete die Prinzessin sich auf, und in diesem Augenblick bemerkte sie auf ihrer Bettdecke den Pfeil mit dem Brief. Schnell griff sie darnach. Ihr Herz jubelte; doch sie verstellte sich und rief mit zorniger Stimme: «Was sagst 35

du da, du Lügenmaul?Wärest du wach gewesen, so hättest du von dem Brief da gewußt!» Da schämte sich die Amme, senkte den Kopf und murmelte: «Beruhige dich, o Liebliche! In der nächsten Nacht wird er wiederkommen; denn man sagt ja: Nicht genug sind eins und zwei, zu einem Spiel gehören drei...»

Aber Nuschäfarin hörte nicht mehr auf sie. Bereits hatten ihre Finger den Brief geöffnet; und als sie jetzt las, was Ebrahim geschrieben hatte, flogen die Worte durch die Augenfenster gera­ denwegs zu ihrem Herzen, und jedes einzelne war wie ein Feuerpfeil, das den Brand der Liebe immer höher und höher entfachte. Nein, sie brauchte die Amme nun nicht mehr! Mit ge­ spieltem Ärger wandte sie sich der Alten zu und herrschte sie an: «Mach, daß du fortkommst, und laß dich auch heute nacht nicht hier blicken! Wer immer dieser Ruhestörer sein mag - ich werde ihm selbst eine Falle stellen!» Nachdem die Amme sie verlassen hatte, küßte die Prinzessin den Brief, und Tränen der Sehn­ sucht strömten ihr über die Wangen wie Früh­ lingsregen. Als es Abend wurde, schickte sie die Bedienten und Wächter, einen nach dem andern, 36

unter verschiedenen Vorwänden fort, streckte sich dann auf ihrem Lager aus und wartete auf den Bogenschützen, der ihr Fenster und ihr Herz so gut getroffen hatte. Wie aber stand es in dieser Nacht um Ebra­ him? Nun, ihm erging es nicht anders als seiner Geliebten! Er fieberte im Verlangen nach ihrem Anblick; und zur Stunde der ersten Nachtwache hielt er es nicht mehr länger aus, wandte sich an den Wazir und Hamid und sprach:«Ihr Freundc, ich bitte euch, begleitet mich; denn wenn ich Nuschäfarin nicht sehen kann, so muß ich ster­ ben !» So machten sich die drei denn auf den Weg; und nachdem sie zum Palast der Prinzessin ge­ langt waren, warfen sie ein Lasso über eine Zinne der Gartenmauer, kletterten auf die Brüstung, zogen das Seil nach und ließen sich auf der Innenseite zur Erde gleiten. Während der Wazir und Hamid dort im Dunkeln Wache standen, schlich Prinz Ebrahim auf dem Weg, den er ja schon kannte, zum Gemach der Geliebten. Wie­ der brannte dort eine Kerze, und wieder war die Prinzessin allein und schien zu schlummern; aber - und wie hätte das der Eindringling ahnen können? - diesmal waren im Versteck ihrer lan­ gen Seidenwimpern die Augen der Schönen hellwach, und während er wie ein Schatten über die Schwelle glitt, lag Nuschäfarin auf der 37

Lauer, beobachtete alles und prüfte ihren Ver­ ehrer von Kopf bis Fuß. Gefiel ihr, was sie da sah? O gewiß, und sie konnte davon nicht satt werden! Nie, so dachte sie verwirrt, habe ich einen so schönen Jüngling gesehen, und ich kann nicht glauben, daß es je­ mals einen schöneren gegeben hat... Er sieht so aus, als habe ihn das Schicksal selbst - und eigens für mich! - geboren und ausgewählt; und wenn auch der große Maler Mäni aus dem Grab auf­ erstünde, so könnte er doch das Feuer und den Schwung dieses Augenpaares, das da auf mich herabblickt, nie und nimmer so malen! 38

Dies war es, was Nuschäfarin durch den Kopf ging. Unter dem Blick des Geliebten schwand ihre Kraft, sich zu verstellen, dahin. Mit einem­ mal öffneten sich ihre Wimpernvorhänge; und wie Sterne, vor denen das Gewölk entschwindet, sahen ihre Augen Ebrahim entgegen. Zugleich teilten sich ihre Lippen, und sie brach in die Verse aus: «O du Sonne der Guten, sei mir willkommen! Du, Kerze des Festes, bist zu mir gekommen. Ich habe vor Sehnsucht nach dir viel geweint nun weint meine Freude: nun sind wir vereint...»

So rief die Prinzessin, richtete sich auf und brei­ tete ihre Arme aus. Das aber war mehr, als der überraschte Jüngling an Glück zu ertragen ver­ mochte. Wie? Sie, die so geliebte, liebte auch ihn? Er konnte nicht glauben, was seine Augen da sahen und seine Ohren hörten! Sein Herz floß über davon; und nun war er es, der zu schlafen und zu träumen glaubte. Er stieß einen Schrei aus, und dann fiel er ohnmächtig auf das Lager, der Prinzessin vor die Füße. Als er nach einer Weile wieder zu sich kam, sah er über sich gebeugt das Antlitz von Nuschäfarin, und das Siegel ihres Kusses verschloß ihm den 39

Mund. Da legte er seine Arme um den Nacken der Geliebten, zog sie so fest und so nahe an sich, wie er nur konnte; und beide versanken und er­ tranken sie ineinander, so, als hätten sie alles ver­ gessen, was nicht sie selbst und ihre Liebe war. So ruhten sie Lippe an Lippe, Herz an Herz - sie wußten nicht wie lange; denn wann hätten schon Liebende die Stunden gezählt? -, bis endlich die Prinzessin fragte: «O du mein See­ lenfriede, sag mir, wer bist du denn eigentlich?» Darauf erzählte ihr Ebrähim seine ganze Geschichte von Anfang bis Ende; und nachdem sie alles vernommen hatte, rief Nuschäfarin: «Wisse, o mein Prinz, daß ich vor Allah dem All­ mächtigen in meinem Inneren gelobt habe, immer nur dir allein zu gehören; und wenn man mir auch die ganze Welt dafür schenkte - nie und nimmer werde ich ablassen von dir!» So sprachen und kosten sie noch eine Weile; und als das Silber der Dämmerung den Ost­ himmel färbte, nahmen sie Abschied voneinan­ der mit tausend Ach und Weh. Prinz Ebrähim traf im Garten seine Gefährten, und gemeinsam kehrten sie nach Hause zurück und legten sich dort zur Ruhe, noch ehe die Sonne aufgegangen war. In der nächsten Nacht trafen sich die Lieber ■ den von neuem, in der dritten Nacht wiederum, und so dauerte das vierzig Nächte, ohne daß 40

auch nur ein Schatten das Gestirn ihres Glückes verdunkelt hätte. Längst wußten zwar die Amme, die Sklavinnen und schwarzen Eunu­ chen der Königstochter von diesen Besuchen des Prinzen aus China; aber da sie ihre Herrin lieb­ 4'

ten, reiche Geschenke erhielten und überdies den Zorn des Sultans fürchteten, hüteten sie ihre Zungen und bewahrten das Geheimnis.

* Was aber geschah inzwischen mit den anderen Freiern? Sie alle waren schon viel länger in Damaskus als Ebrahim, und wenn sie auch von diesem nichts wußten, so kannten sich doch die fünf anderen Prinzen; und jeder von ihnen tat alles, was nur irgendwie in seiner Macht stand, um durch Pracht und Prunk, durch Kühnheit und Beredsamkeit seine Rivalen zu übertreffen. Doch was half ihnen das? Was immer sie auch unternahmen - die schöne Nuschäfarin gönnte keinem von ihnen auch nur einen Blick; und auch ihr Vater, der alte Padeschah, hatte es gar nicht eilig, sich von seinem einzigen Kinde zu trennen, das ihm teurer war als sein Augapfel und dem er jeden Wunsch zu erfüllen trachtete, noch ehe er ausgesprochen war. Nun ereignete cs sich, daß an einem dieser Tage Malek Mohammad, der Prinz aus dem Maghreb, mit seinem Wazir zusammensaß; und natürlich - wie hätte es auch anders sein kön­ nen? - sprachen die beiden über Nuschäfarin. «O Wazir», klagte Malek Mohammad, «sieh, jetzt sind es schon zwei Jahre her, daß ich in diese Stadt gekommen bin, und was habe ich denn 42

seither erreicht? Auch nicht den kleinsten Schritt bin ich meinem Ziel näher gerückt; und ist es vielleicht ein Trost, daß es den anderen vier Prinzen nicht besser ergeht? Ich schwöre dir, meine Geduld ist zu Ende! Sage du mir, was ich tun soll, damit dieses Mädchen die Meine wird!» «Einen Plan hätte ich schon», erwiderte sein Ratgeber, «aber ob er zum Ziel führt - wer kann das denn wissen?» «Was ist es? Sage es mir!» drängte der Prinz; und darauf riet ihm der Wazir folgendes: «Ver­ kleide dich in einen der Negersklaven, die den Palast der Prinzessin bewachen, übersteige so, wenn es dunkel geworden ist, die Mauer, und dann sorge dafür, daß du Nuschäfarin sehen und mit ihr sprechen kannst! Wenn sie das Schicksal dir bestimmt hat, wird sie sich in dich verlieben, und deine Rivalen haben das Nachsehen...» Über diesen Vorschlag freute sich Malek Mo­ hammad. Er sah sich bereits am Ziel; und in seinem Herzen ergrimmte er wider die anderen Freier, die ihn, wie er glaubte, so lange davon abgehalten hatten. Darum sagte er jetzt: «Zuerst werde ich den anderen Prinzen die Köpfe ab­ schlagen, und darnach will ich tun, wozu du mir rätst.» «Nein», widersprach der Wazir, «zuerst mußt du die Prinzessin gewinnen; um die Rivalen kannst du dich später kümmern!» 43

«Gut denn», stimmte Malek Mohammad zu und machte sich sogleich ansWerk. Er schwärzte Gesicht und Hände, vertauschte sein Gewand mit dem eines Nachtwächters, hängte sein Schwert an den Gurt; und nachdem die Sonne hinter den Horizont des Westens versunken war und das Heer der Schatten die Straßen und Gassen von Damaskus erobert hatte, machte er sich auf den Weg zum Schloß der Prinzessin. Doch hören wir nun, wie es in dieser Stunde unseren beiden Liebenden erging! Soeben war Ebrahim, wie in all den Nächten zuvor, im Gemach der Prinzessin erschienen; aber diese hatte heute ein Festmahl rüsten lassen, ihre Mäd­ chen saßen, als Schenkinnen oder Musikantin­ nen, im Kreise um sie herum, und sie selbst glich in einem von Juwelen funkelnden Kleid aus Goldbrokat mehr einer Feenkönigin als einer Sterblichen. Auch für den Geliebten hatte Nuschäfarin ein ebenso kostbares Gewand brin­ gen lassen; und nun ruhten die beiden eng um­ schlungen auf seidenen Polstern, tranken aus einem Kristallpokal abwechselnd Wein, küßten und liebkosten einander und lauschten Liedern und Lautenspiel. Licht und leicht waren ihre Herzen; denn besaßen sie nicht alles, wonach ein Menschenkind sich sehnen mag? Sie ahnten ja nicht, daß in eben diesem Augen­ blick der verkleidete Malek Mohammad Stufe 44

um Stufe die Treppe zur Veranda erklomm. Von weitem schon hatte er Gesang und Musik ver­ nommen ; und als er nun oben auf der Empore angelangt war, spähte er vorsichtig aus dem Dunkeln in das von vielen Kerzen erleuchtete Gemach. Da sah er denn, was wir bereits wissen, und im gleichen Augenblick zog die Prinzessin den Kopf des Geliebten an ihre Brust, küßte ihn voll Leidenschaft und rief aus: «Ach, du einziger Sehah meiner Seele! Nein, nie will ich einem anderen Mann als dir angehören, und wäre er auch der Sultan aller sieben Weltgegenden, und würde mich auch mein Vater noch so sehr darum bitten oder gar mich dazu zwingen wollen!» Über das, was er da sehen und hören mußte, geriet Malek Mohammad vor Wut außer sich. Fast wäre er ohnmächtig geworden. In der Rase­ rei seiner Eifersucht zerbiß er sich die Lippen, so daß ihm das Blut von beiden Mundwinkeln tropfte; und er dachte: Ich muß hineingehen, jetzt gleich, und diesen Sohn eines Hundes und einer Hure erschlagen... Damit griff er nach seinem Schwert, doch gleichzeitig lähmte ihn die Angst, und er zauderte. Da, plötzlich, trat die alte Amme aus einem anderen Raum auf die Veranda hinaus; und als sie dort im Schatten den maghrebinischen Prin­ zen in seiner Verkleidung und mit dem ge­ schwärzten Gesicht stehen sah, hielt sie ihn für 46

einen der schwarzen Eunuchen und fuhr ihn an: •Was treibst du denn hier? Bewache du lieber das Tor, du Mondfinsternis!» «O Chätun, hohe Herrin», schmeichelte Ma­ lek Mohammad, «wer ist denn dieser Jüngling da drinnen?» «Was sind das für Scherze», schimpfte die Alte, «Ebrahim ist es natürlich, der Prinz von China; oder wer sonst, glaubst du, dürfte unsere Herrin besuchen?!» Damit hatte aber Malek Mohammad erfah­ ren, was er zu wissen begehrte. Ohne noch ein Wort zu sagen, drehte er sich um und eilte davon, so rasch ihn seine Füße trugen. Als er wieder bei seinem Wazir anlangte, fragte ihn dieser: «Nun, wie ist es dir ergangen? Hast du die Prinzessin gesehen? Hast du mit ihr gesprochen?» «Ach, Wazir, gesehen habe ich sie wohl», erwi­ derte Malek Mohammad; dann weinte er Trä­ nen der Scham und des Schmerzes und sprach diese Verse: « Mein Weh, wenn ich’s sage, verbrennt mir die Zunge; verschweige ich’s aber, sprengt es meine Lunge...»

«Wenn ich dir helfen soll», drängte ihn der Mini­ ster, «so mußt du mir verraten, was geschehen ist!» 47

Darauf berichtete ihm Malek Mohammad, was er im Palast von Nuschäfarin erlebt und erfahren hatte, und er endete mit den Worten: «Ersinne du einen Ausweg, Wazir! Denn, siehe, solange der Prinz von China am Leben ist, bleibt der Weg zu Nuschäfarin für mich und für jeden anderen, und wäre er auch der mächtigste Sultan dieser Welt, versperrt und verschlossen. Was also läßt sich da tun?» Nachdem der Wazir das alles vernommen hatte, dachte er lange Zeit nach, und dann erst antwortete er: «Wenn wir diese Geschichte dem Vater von Nuschäfarin hinterbringen, so wird er sie uns nicht glauben. Er wird uns für Lügner und Verleumder halten; und wer weiß, ob er uns in seinem Zorn nicht gar nach dem Leben trachtete! Darum mußt du versuchen, diesen Ebrähim auf frischer Tat zu ertappen und ihn gefesselt vor Schah Dschahängir zu schleppen! Der König wird so wütend sein, daß er ihn tötet, dir aber wird er seine Tochter geben...» Damit war Malek Mohammad einverstanden, und er beschloß, in der nächsten Nacht seinem Rivalen aufzulauern. Nun wollte es aber das Schicksal, daß Elyäs, der älteste der Prinzen, anderntags die übrigen Königssöhne zu einem Gastmahl in sein Haus einlud. Das wurde ein gar fröhliches Fest! Der Wein löste die Zungen, die Musikanten die Herzen; und ehe es sich die 48

Jünglinge versahen, ließ die Morgenröte Sterne und Kerzen erblassen. Da, endlich, fiel Malek Mohammad sein Plan wieder ein. War es nicht schon zu spät? Aber nein, das durfte nicht sein! Er sprang auf, trat vor seinen Gastgeber und erklärte: «Ich habe nur rasch ein Geschäft zu erledigen, das keinen Aufschub duldet. Inschallah werde ich in einer Stunde wieder hier sein!» Mit diesen Worten eilte er in den Hof hinaus, wo ihn drei seiner Knappen erwarteten, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Palast der Prinzessin. Sie waren aber noch nicht weit gekommen, als plötzlich aus der Dämme­ rung vor ihnen drei Gestalten auftauchten; und das waren - wer hätte es nicht schon erraten? Prinz Ebrahim mit seinen Gefährten, dem Wazir und Hamid, die sich auf dem Heimweg be­ fanden. Als nun Malek Mohammad den ver­ haßten Rivalen erkannte, stiegen ihm das Blut und der viele Wein, den er getrunken hatte, zu Kopf, und die Zügel der Vernunft entglitten ihm. Er verstellte dem Gegner den Durchgang in der engen Gasse, riß sein Schwert aus der Scheide und brüllte: «Ei, du schurkischer Nacht­ dieb und Dunkelmann, steh still! Meinst du vielleicht, ich wisse nicht, wohin du wieder ge­ krochen bist und woher du jetzt geschlichen kommst? Aber diesmal soll dich dein Raubzug 49

in den Harem des Padeschahs teuer zu stehen kommen; heute bleibst du nicht ungeschoren...» Als Ebrahim das hörte, ergrimmte auch er, wandte sich an seine Freunde und rief: «Deckt mir den Rücken und haltet mir seine Gesellen vom Hals!» Dann drang er mit gezücktem Schwert auf Malek Mohammad ein. Die beiden fochten nur kurz; denn schon nach wenigen Schlägen hatte Ebrahim die Deckung des Gegners durchstoßen. Er hätte ihn töten können; doch er begnügte sich damit, den Arm seines Feindes zu treffen, so daß dieser die Waffe fallen ließ und mit einem Aufschrei zu Boden stürzte. Als seine drei Skla­ ven das sahen, hielten sie ihren Herrn für tot, warfen ihre Schwerter fort und wandten sich Hals über Kopf zur Flucht. Der Wazir und Hamid wollten sie verfolgen, aber Ebrahim hin­ derte sie daran und rief: «Rasch, laßt uns nach Hause eilen, ehe man uns erkennt!» So verschwanden sie denn, und dies wahr­ haftig keinen Augenblick zu früh! Denn kaum waren sie in eine Seitengasse eingebogen, als auf dem Schauplatz des Kampfes auch schon Elyäs und die anderen Prinzen erschienen, die sich aufgemacht hatten, um Malek Mohammad zu suchen. Gemeinsam trugen sie den Verwunde­ ten in das Haus von Elyäs, umringten mit ihren Waziren sein Lager, und unversehens war das 5°

Freudenfest zur Trauerversammlung geworden. Sie verbanden die Wunde, und wie sie noch so standen und ratschlagten, schlug plötzlich Malek Mohammad die Augen auf. Da beugte sich Prinz Elyäs über ihn und fragte: «Wie ist denn das geschehen? Wo bist du gewesen, und wer hat dich überfallen?» Aber vor Scham und Verlegenheit brachte der Königssohn aus dem Maghreb keinen Laut her­ vor. Sollte er nun die Wahrheit sagen? Sie ver­ schweigen? Eine Lüge erfinden? Hilfesuchend blickte er auf seinen Wazir; und dieser, den man den schlauen Dänäy hieß, wußte nun, daß sein Plan gescheitert war, und dachte bei sich: Kein Zweifel, dieser Fremde aus dem Reich China ist so stark und listig wie ein alter Wolf. Er ist von allen diesen Prinzen der gefährlichste, und wir müssen ihn mit vereinten Kräften zu Fall brin­ gen... Darum hob er vom Geheimnis das Siegel und erzählte, was Malek Mohammad in jener Nacht im Schloß der Prinzessin beobachtet hatte. Als sie das hörten, kannte die Wut der Freier keine Grenzen; und der gemeinsame Neid gegenüber dem einen, der glücklicher gewesen war als sie, machte im Nu aus lauter Rivalen ebenso viele Bundesgenossen. Aber schließlich unterbrach der besonnene Elyäs die Schmähreden der an­ dern und sagte: «O ihr Brüder, laßt uns diese 5'

ganze Geschichte vor Schah Dschahängir ge­ heimhalten ; denn so er, was Allah verhüte, die Wahrheit erfährt, wird er uns alle samt und son­ ders davonjagen! Und wer von uns wird dann, außer in seinen Träumen, die schöne Nuschäfarin noch einmal zu Gesicht bekommen? Was aber nützt es uns schon, an diesem Schurken Rache zu nehmen, wenn wir damit auch uns selber bestrafen ? » Diesen Worten stimmten die Prinzen zu; aber Tufan, der Sohn des Sultans von Ägypten, fragte: «Wenn nun der Padeschah Kunde erhält von diesem nächtlichen Zweikampf? Und wenn er hört und sieht, daß Malek Mohammad ver­ wundet worden ist, was sagen wir dann?» Aber Elyäs hatte auch das schon bedacht und erwiderte: «Wir sagen, daß wir zuviel Wein ge­ trunken haben und in Streit geraten sind...» Und so geschah es denn auch. Als nun aber Nuschäfarin hörte, daß es noch vor Sonnen­ aufgang zwischen den fremden Prinzen zu einem Kampf gekommen und der maghrebinische Königssohn verletzt worden sei, war sie vor Angst um ihren Geliebten ganz außer sich. Sie war so aufgeregt, daß sie keinen Augenblick ruhig bleiben konnte und ständig ans Fenster eilte, um nach der Sonne Ausschau zu halten. Wie langsam sie doch ihre Bahn über den Him­ mel zog! Als sei sie dort festgeklebt! Wäre es in 52

der Macht der Prinzessin gelegen, so hätte sie an diesem Tag das Sonnengestirn mit eigener Hand hinter die Berge im Westen gezerrt. Aber schließlich ging auch dieser Tag wie alle früheren und späteren, gute wie böse, zu Ende. Nachdem die Nacht ihren Samt über die Erde gebreitet hatte, erschien wie immer Prinz Ebra­ him, und Nuschäfarin warf sich vor Freude schluchzend in seine Arme. «Was hast du denn», fragte der Jüngling über­ rascht, «was ist dir geschehen?» «Ach du, der du mir teurer bist als meine Seele», gab die Prinzessin zur Antwort, «nicht mir ist etwas geschehen, wohl aber dir, so habe ich gefürchtet! Denn, sieh, in der Morgenfrühe, zu eben der Stunde, als du mich verlassen hat­ test, sind die Prinzen in der Trunkenheit über einander hergefallen; und einer von ihnen, Malek Mohammad, ist von einem Schwert am Arm getroffen und verwundet worden.» Als Ebrahim das hörte, mußte er so lachen, daß er fast auf den Rücken gefallen wäre; und dann rief er aus: «Das also hat man dir gesagt, o Herrin meines Herzens? So ist denn dieser Hundesohn Malek Mohammad gewesen? Ich wünschte, ich hätte ihn getötet!» «Du», staunte die Schöne, «ja, bist das denn du gewesen, der mit ihm gekämpft hat?» «Er hat mich überfallen», gestand ihr der 53

Prinz, «und ich hätte ihn erschlagen sollen; denn er kennt unser Geheimnis und weiß, daß ich dich nachts besuche...» «Gewiß, es wäre besser gewesen, ihn zu töten», sagte auch Nuschäfarin, und einen Augenblick spürten die zwei Königskinder die schwarzen Flügel der Gefahr, und beide erschauerten. Aber waren sie nicht jung und verliebt? Und hatte ihnen nicht bisher der Glücksstern aus einem wolkenlosen Himmel gestrahlt? So ver­ gaßen sie denn rasch diesen Schatten, der da vor ihnen aufgetaucht war; oder mit den Worten eines Dichters: Sie gaben sich der Liebe hin, die jedesmal noch süßer schien. Der Tag war Traum, doch kam die Nacht, sind sie zusammen aufgewacht.

Kurz - bis zum Morgengrauen wanderten Ebra­ him und Nuschafarin Hand in Hand durch den Basar der Zärtlichkeiten; und als dann der neue Tag sie trennte, waren sie davon so trunken ge­ worden, daß kein Gedanke an die übrige Welt in ihren Herzen mehr Raum hatte. Während aber die Liebe Ebrahim sorglos machte, spornte der Haß den Scharfsinn seiner 54

Rivalen! Sie hatten sich, zusammen mit ihren Waziren, versammelt und beratschlagten hin und her, wie sie ihren glücklichen Nebenbuhler aus dem Weg räumen könnten. «Prinz Elyäs soll entscheiden!» riefen einige; und dieser erklärte: «Der einzige von uns allen, der diesen Nachtdieb gesehen hat und erkennen kann, ist Malek Mohammad. Auch ist er ver­ wundet worden; und darum ist er zuerst an der Reihe und soll versuchen, sich zu rächen!» Als Malek Mohammad das hörte, begann er vor Angst zu zittern, und das Blut wich aus sei­ nem Gesicht. Aber sein Wazir, der schlaue Dänäy, kam ihm zu Hilfe und sprach: «So wißt denn, ihr Fürstensöhne, daß ich durch meine Kundschafter erfahren habe, wo dieser Ebrahim abgestiegen ist! Wenn ihr alle damit einverstan­ den seid, so werde ich mich selbst in jenes Haus einschleichen, ihn entführen und lebendig vor euch bringen. Was ihr dann mit ihm tun wollt, ist eure Sache!» Da freuten sich die Prinzen, priesen die Weis­ heit des Wazirs und wünschten ihm für sein Unternehmen alles Gute. Der schlaue Dänäy aber machte sich sogleich ans Werk. Er zog das Gewand eines Kaufmanns an, lud sich einen Teppich auf die Schultern, und so wanderte er dahin, bis er zu dem Haus gelangte, das der Prinz von China mit seinen Gefährten gemietet 56

hatte. Nachdem Dänäy über die Gartenmauer geklettert war, schlich er vorsichtig von Baum zu Baum bis zur überdachten Terrasse, wo Ebrahim und seine Freunde, die ja die ganze Nacht wach gewesen waren, in tiefem Schlum­ mer ausgestreckt lagen - genau, wie der schlaue Wazir es gehofft und erwartet hatte! Als er sich umsah, gewahrte er in einer Nische einen Krug mit Scherbett. Rasch griff er in seinen Turban, holte ein Stück Bang, eine Hanfdroge, hervor groß genug, um damit zehn starke Männer zu betäuben - und löste es in der Flüssigkeit auf. Dann legte er sich wie eine Spinne, die ihr Netz gewoben hat, hinter einen Busch auf die Lauer und wartete. Als nun die Sonne müde gegen Westen sank und die Abendschatten wie Schlangen aus ihren Schlupflöchern krochen, da erwachten der Prinz und seine beiden Helfer, gähnten, reckten ihre Glieder und erhoben sich. Nichtsahnend griff einer von ihnen nach dem Krug mit Scherbett, und alle drei tranken daraus der Reihe nach'ein paar kräftige Schlucke. Was aber war das nur? Statt sie wie sonst frisch und ganz wach zu machen, lähmte dieser Trank wie mit schweren Gewichten ihre Arme und Beine. Die Köpfe begannen ihnen zu schwindeln, die Schleier vor ihren Augen wurden immer dichter und dunk­ ler; ihre Gedanken verwirrten sich, und ihre 57

Zungen versagten den Dienst. Es dauerte nicht lange, so lagen die drei wieder am Boden und wußten nichts mehr von sich und der Welt. Darauf aber hatte der schlaue Dänäy in sei­ nem Versteck nur gewartet! Jetzt kam er hinter dem Gebüsch hervor, rollte den Körper von Prinz Ebrahim in den mitgebrachten Teppich, lud sich diesen sorgsam wieder auf die Schultern, öffnete von innen das Tor und trat auf die Straße. Inzwischen war es aber dunkel gewor­ den, und Dänäy konnte, tief gebückt unter seiner schweren Bürde, nur ganz langsam, Schritt um Schritt, den Rückweg antreten. *

Was aber hatte unterdessen die Prinzessin ge­ tan? Als an diesem Abend die Sonne versank, und dennoch das Mondgesicht des Geliebten nicht aufgehen wollte, überzog schwarzes Ge­ wölk den Herzenshimmel von Nuschäfarin. Sie dachte an den Zweikampf ihres Freundes mit Malek Mohammad; und so stark war ihre Angst um Ebrähim, daß sie darüber die Furcht um ihr eigenes Leben völlig vergaß. «Rasch», befahl sie ihrer Vertrauten, der Amme, «bringe mir Männerkleidung, einen Turban und ein Schwert; denn ich werde mich selbst aufmachen, um Ebrähim zu suchen!» Die Alte gehorchte; aber während sie Nu58

schäfarin half, sich zu verkleiden, mahnte und jammerte sie ohne Unterlaß: «Tu das nicht, o Herrin, ich flehe dich an! Du stürzest uns beide ins Unheil, glaube es mir...» «Schweig», herrschte die Prinzessin sie an, «was liegt mir am Glück oder Unglück, wenn ich von meinem Geliebten getrennt bin? Was soll ich mir dann noch wünschen, wenn nicht den Tod?» Da verstummte die Amme; und weil sie Nuschäfarin nicht allein lassen wollte, zog sie ihren Schleier fest um den Kopf und folgte ihrer Herrin in die Dunkelheit hinaus, in der Hand einWindlicht. So schritten die beiden eine Weile durch das Gewirr der Gassen; aber plötzlich tauchte vor ihnen eine vornübergeneigte Ge­ stalt auf, die etwas auf dem Rücken trug, und bei ihrem Anblick in einen Seitenweg einbog. «Wer ist dieser Mann wohl? Und was schleppt er auf seinem Nacken?» fragte die verkleidete Prinzessin; und die Amme erwiderte: «Er sieht aus wie ein Händler aus dem Basar, der eitlen Teppich trägt!» «Das scheint mir aber ein seltsam schwerer Teppich zu sein», zweifelte Nuschäfarin, «wir wollen ihm folgen und ihn uns von nahem be­ trachten!» Gesagt, getan. Mit leisen, schnellen Schritten holten die zwei Frauen den Träger ein, und ohne 59

daß dieser es bemerkte, hob Nuschäfarin eine Hand und griff damit in eine der Öffnungen der Teppichrolle. Da aber stießen ihre Finger an den Fuß eines Menschen; ihr Herz tat einen Sprung, und sie rief aus: «Ei, Alter, wohin des Weges? Wo hast du denn diesen Jüngling in deinem Teppich gestohlen? Gehört der nicht vielleicht uns?» Der schlaue Dänäy - denn er war es natürlich wandte sich beim Klang dieser Stimme um; und als er den schönen jungen Mann in Begleitung der Alten erblickte, dachte er, Prinz Elyäs habe die beiden ihm zu Hilfe ausgesandt, und gab zur Antwort: «Ja, es ist der Prinz von China, den ich euch bringe; und seid ganz unbesorgt, denn ich habe ihn mit Bang betäubt. Seht nur, was der Wazir von Malek Mohammad verspricht, das hält er auch!» In ihrem Innern jubelte Nuschäfarin bei die­ sen Worten ; aber sie bezwang ihr Herz, verstellte sich und erwiderte: «Preis sei dir, o Wazir, daß dir dieser Hurensohn in die Falle gegangen ist! Wisse, daß inzwischen die Prinzen ein sicheres Verlies für ihn ausßndig gemacht haben; und sie haben uns ausgeschickt, um dich dorthin zu geleiten!» Da freute sich der Wazir. Die beiden Frauen nahmen ihn in die Mitte; und während die Amme mit ihrem Windlicht voranging, folgte 60

Nuschäfarin dem schlauen Dänäy auf dem Fuß. So gelangten sie schließlich zu einem kleinen Hain, ganz nahe beim Palast der Prinzessin; und plötzlich rief diese der Alten zu: «Eile, so rasch du nur kannst, und hole einen unserer Wächter!» Die Amme gehorchte. Der Wazir aber war stehengeblieben. Überrascht wollte er sich um­ drehen; aber in diesem Augenblick versetzte ihm Nuschäfarin von hinten einen so heftigen Stoß, daß er das Gleichgewicht verlor und der Länge nach auf den Bauch fiel, während der Teppich mit Ebrahim darin seinen Händen ent­ glitt und ein Stück weit auf dem Boden davon­ rollte. Ehe der Wazir noch recht wußte, wie ihm geschehen war, kniete die Prinzessin auch schon auf seinem Rücken, preßte mit der einen Hand seinen Kopf gegen die Erde, zog mit der andern ihr Schwert und höhnte: «Du also willst Prinz Ebrahim rauben? Sieh doch, du bist nur ein Esel und mußt dich von einem Mädchen reiten lassen!» Wie sehr auch der Wazir bat und bettelte" Nuschäfarin hörte nicht auf ihn und schnitt ihm lachend den Kopf ab. Kaum war das geschehen, als auch schon die Amme mit einem der getreuen Sklaven der Prinzessin erschien; und gemeinsam hoben sie den Teppich mit dem darin eingeroll­ ten Ebrahim vom Boden auf, trugen ihn zum Palast und ins Gemach von Nuschäfarin. 61

Als nach einer Weile die Fessel der Betäu­ bung von seinem Geist und Körper wieder ab­ fiel, schlug der Prinz von China die Augen auf - und da sah er, daß es Nacht war, er auf dem Lager seiner Geliebten ruhte und diese selbst neben ihm saß und ihn küßte und liebkoste. Sein Kopf war noch schwer wie ein Stein, er glaubte zu träumen, und nur mit Mühe bewegte er die Lippen und fragte: «Wie bin ich d