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German Pages [227] Year 2019
Biblischer Kommentar ALTES TESTAMENT Band XIV/5,1
Jörg Jeremias
Nahum
Biblischer Kommentar Altes Testament Begründet von Martin Noth † Fortgeführt von Siegfried Herrmann † und Hans Walter Wolff † Unter Mitarbeit von Arndt Meinhold, Werner H. Schmidt und Winfried Thiel herausgegeben von Beate Ego, Friedhelm Hartenstein, Martin Rösel, Udo Rüterswörden und Bernd U. Schipper
Band XIV/5,1 (Neubearbeitung) Jörg Jeremias N ahum
Vandenhoeck & Ruprecht
Jörg Jeremias N ahum
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Daniela Weiland, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7887-3372-8
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Der Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Das Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 III. Die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. Die Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 V. Das Buch als Teil des Zwölfprophetenbuchs . . . . . . . . . . . 35 VI. Der Text und seine Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Kommentierung Die Überschrift (Nah 1,1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Ein programmatischer Hymnus: JHWH als »Rächer« (Nah 1,2–8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Exkurs: Nah 1,2–8: ein Alphabet-Akrostichon? . . . . . . . . . . 54 1,2–3a: ein neues Gottesbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1,2–3a und Mi 7,18–20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1,3b–6: Gottes machtvolle Erscheinung . . . . . . . . . . . . . . . 74 1,7 f: Rettung und Untergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Das Ende Belials (Nah 1,9–2,1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Exkurs: Belial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Der Fall Ninives (Nah 2,2–14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2,2 f: Brückenverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2,4–6: Der Angriff gegen die Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2,7–11: Die eroberte Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Exkurs: Eine Flutung Ninives? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2,12–14: Das Ende der Löwenhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
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Inhalt
Die Hure Ninive (Nah 3,1–7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Der unaufhaltsame Untergang (Nah 3,8–19) . . . . . . . . . 183 3,8–11: Ninive und Theben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3,12–15a: Vergebliche Verteidigungsbemühungen . . . . . . . . . 195 3,15b–17: Die Menge der Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3,18 f: Der »König von Assur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Monographien und Aufsätze zum Buch Nahum . . . . . . . . . . 219 Register der Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Vorwort
Das kleine und meist wenig beachtete Buch Nahum ist in vielfacher Hinsicht ein höchst ungewöhnliches Prophetenbuch, ja es ist ein Unikum unter den biblischen Prophetenbüchern. Man kann es m. E. nicht gröber missverstehen, als wenn man es – wie in den letzten Jahrzehnten häufig geschehen – unbesehen unter die Völkerorakel der Propheten einreiht, weil es Worte gegen ein fremdes Volk enthält. Auffallen muss schon, dass das Buch nicht wie die Mehrzahl der übrigen Prophetenbücher von vorn nach hinten gewachsen ist, sondern von hinten nach vorn, so dass also die jüngsten Texte nicht am Ende stehen, sondern am Anfang. Als einziges setzt es mit einem Hymnus ein – das sog. »Motto« des Amosbuchs (Am 1,2), an das der Hymnus anknüpft, mag als Vorbild gedient haben –, und zwar mit einem Hymnus, der sonst selten genannte Eigenschaften Gottes ins Zentrum rückt. Dieser Hymnus verwendet die poetische Stilform eines Alphabet-Akrostichons, die sonst nie in einem Prophetenbuch belegt ist. Auch benennt das Buch den Widersacher Gottes mit einer Terminologie (»Belial«), die sich ebenfalls in keinem anderen Prophetenbuch wiederfindet. Nach mehrjähriger Beschäftigung mit dem Nahumbuch bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es als ein junges Prophetenbuch verstanden werden muss, so gewiss die Mehrzahl der Texte in Kap. 2–3 aus dem 7. Jh. v. Chr., der Zeit des Propheten Nahum, stammen und vermutlich einmal eine ältere Prophetenschrift gebildet haben wird. Die Not und die harte Unterdrückung, die die Erfahrungsgrundlage des 1. Kapitels bilden, gehören jedoch in die Spätzeit des Alten Testaments, in die (beginnende) hellenistische oder in die (späte) Perserzeit. Am Buch Nahum kann man lernen, wie die späte Prophetie mit älteren (schon erfüllten) Prophetenworten umging. Persönlich habe ich das Schreiben dieses Kommentars als Wagnis empfunden. Vor inzwischen einem halben Jahrhundert hatte ich mich in meiner Habilitationsschrift schon einmal intensiv mit dem Nahumbuch beschäftigt und damals gemeint, dass es neben prophetischen Worten gegen Assyrien auch Worte gegen Israel enthalten habe, die zusammen redaktionell gegen die neue Besatzungsmacht der Babylonier gerichtet worden seien. Solche Worte gegen Israel habe ich nach Ablauf der vielen Jahrzehnte nicht mehr zu finden vermocht. Wohl aber bin ich nach wie vor der Ansicht, dass die Worte Nahums und seiner Interpreten viel stärker in der Tradition israelitischer Propheten, speziell Hoseas und Jesajas, verwurzelt waren als es die Mehrzahl der Ausleger zu sehen vermag. Insbesondere in seinen (wenigen) Gottesworten (1,11.14 und noch deutlicher: 3,1–6*) hat Nahum in der Beurteilung Assyriens die gleichen Maßstäbe angewandt,
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Vorwort
mit denen seine Vorgänger Israel angeklagt hatten. Das letztgenannte Gotteswort steht nicht zufällig im Zentrum der älteren Nahumschrift, die die Kapitel 2–3 umfasste. Eine Schwierigkeit der Auslegung des Buches Nahum besteht darin, dass viele ihrer Texte dem Ideal nach auf vier verschiedenen Ebenen gedeutet werden müssen: am Anfang als ankündigendes mündliches (oder schriftliches) Wort des Propheten, dann im Kontext der älteren Schrift, nachdem das prophetische Wort mit dem Untergang Ninives bestätigt worden war; danach in früh-hellenistischer Zeit als Teil eines selbständigen Nahumbuches, in dem das Ende einer noch viel größeren Bedrängnis von Gott angekündigt und mit dem Verweis auf die bestätigte Botschaft Nahums beglaubigt wurde, und schließlich als Bestandteil des Zwölfprophetenbuches, in dem die Texte der verschiedenen Prophetenschriften sich gegenseitig deuten konnten. Es versteht sich von selbst, dass das genannte Ideal bestenfalls annäherungsweise erreicht werden konnte. Praktisch bin ich so vorgegangen, dass ich die Texte am gründlichsten bedacht habe, bei denen meine Deutung weitesten von der opinio communis der Exegeten abweicht (1,2–8; 1,9–2,1; 3,1–7). Um die Literaturliste überschaubar zu halten, habe ich die Spezialliteratur, die nur für einzelne Texte oder gar Verse einschlägig ist, allein am Kopf des jeweiligen Textes (bzw. des jeweiligen Exkurses) aufgeführt. Die wichtigsten Kommentare werden nur mit der Seitenzahl, die Monographien und Aufsätze mit TitelStichwort und Seitenzahl zitiert. Zu danken habe ich meinem Kollegen und Freund Werner H. Schmidt für seine intensive Lektüre des Manuskripts und hilfreiche sprachliche Verbesserungen sowie dem Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, namentlich Christoph Spill und Renate Rehkopf, für die sorgsame verlegerische Betreuung. München, 3. April 2019
Jörg Jeremias
Einleitung
I.
Der Stand der Forschung
Während das Buch N ahum in frühchristlicher Zeit primär als Trostbuch für verfolgte Christen gelesen wurde, wie die Kommentare des Hieronymus (M. Adriaen, CChr.SL 76A, Turnhout 1970, 525–578)1, des Theodor von Mopsuestia (PG 66), Cyrill von Alexandria (PG 71, 776–844) und Theodoret von Cyros (PG 81, 1787–1808) belegen2, hat das Buch über lange Zeit im 19. und 20. Jh. eine schlechte Presse gehabt. Nahums Denken galt als nationalistisch, teilweise sogar als chauvinistisch, er selbst als Beispiel einer Art von Heilsprophetie, wie sie Propheten wie Jeremia leidenschaftlich bekämpft haben, weil sich im Buch Nahum Gerichtsworte nur gegen Assyrien bzw. Ninive finden, von Israels Schuld aber keine Rede ist.3 Beide Beurteilungen sind seit langem widerlegt. Dass man Nahums Denken nicht sinnvoll »nationalistisch« nennen kann, ist allein schon der Tatsache zu entnehmen, dass er in Passagen, in denen er die Gewalt und Unterdrückung der Assyrer thematisiert, nirgends Israel oder Juda als die Betroffenen benennt, sondern die von den Assyrern unterworfenen Völker im Plural (3,4 f; vgl. 2,12 f; 3,1). Einzig bei der Aufforderung zum Feiern von Festen beim Erscheinen des Siegesboten fällt im Buch Nahum überhaupt der Name »Juda«, und der einzige Vers, der »Jakob« und »Israel« erwähnt und besonders schwer zu deuten ist (2,3), weist wahrscheinlich im Rückblick auf Gottes Gericht an den beiden Staaten des Nord- und Südreichs hin.4 1 Hieronymus liest die Prophetie Nahums auf zwei Ebenen: Sie bedeutet Trost und Ermutigung für die Zeitgenossen, gilt zugleich aber allen Christen als Warnung. Die Einleitung zu seinem Kommentar endet mit dem Hinweis auf die Endlichkeit der Welt, damit alle Menschen die praetereuntia et caduca zu verachten lernen und sich auf das Gericht Gottes vorbereiten (526). 2 Zumeist wurde Ninive mit der Bezeichnung »Belial« (2,1) als Repräsentant des Satans verstanden, während der »Befreier« (2,2 G) auf Christus bezogen wurde. Cyrill deutet die Feinde Gottes dagegen antijüdisch auf Pharisäer und Schriftgelehrte; vgl. M. Harl u. a., La Bible d’Alexandrie 23,4–9, 190–192. 3 Noch K. Elliger formuliert: »In der ungeheuren nationalen Leidenschaft liegt die Größe, aber auch die Grenze der Prophetie des Nahum.« (ATD 25, ³1956, 3). 4 Allerdings gibt es auch heute von einigen Autoren starke theologische Vorbehalte gegenüber den Texten des Buches. Zumeist berühren diese das Thema »Gewalt«, oft auf einem einseitigen Verständnis der Metaphorik von 3,1–6 basierend. Die ex tremste Position nehmen L. Mare und J. Serfontein (The Violent God) ein, für die es nur die Konsequenz gibt, »to reject the ideology« des Nahumbuches, um einem »counterreading« Platz zu machen. Hier werden Texte zum Schweigen gebracht, bevor sie richtig reden konnten.
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Einleitung
Als ebenso überholt hat die These P. Humberts, E. Sellins u. a. in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen zu gelten, das Buch Nahum stelle eine prophetische Liturgie dar, die der Prophet N ahum als Agende für das Neujahrsfest 612 v. Chr. verfasst habe (Humbert) bzw. um derentwillen Nahums Worte, die ursprünglich Zukunftsworte gewesen seien, im Nachhinein von ihm selbst (F. Horst) oder von Späteren (J. Lindblom; ähnlich S. J. de Vries) zusammengestellt worden seien. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs ist diese These intensiv diskutiert worden, anfangs vielfach wohlwollend, bald nur noch kritisch, und die seit den 70er Jahren des vorigen Jh. genannten Gegengründe brauchen hier nicht wiederholt zu werden.5 Letztlich beruhte die These auf einer verfehlten Deutung der Funktion des einleitenden Psalms für das Prophetenbuch. In der gegenwärtigen Forschung6 ist vor allem die Beurteilung des Verhältnisses der drei Teile des Buches zueinander strittig: einleitender Hymnus (1,2–8) – Mittelteil mit Anredeversen, die abrupt die Adressaten wechseln (1,9–2,3) – längere Gedichte und Gerichtsworte gegen Ninive (2,4–3,9); vgl. Genaueres dazu unter II. Die entscheidenden Deutungsdifferenzen laufen interessanterweise entlang der Grenzen kultureller Prägung. Während die (holländisch- und) englischsprachigen Forscher nahezu übereinstimmend die drei Buchteile für literarisch einheitlich halten, das Buch also »synchron« lesen, plädieren so gut wie alle deutschsprachigen Exegeten für eine »diachrone« Auslegung, d. h. sie rechnen mit einem literarischen Wachstum des Buches in ein, zwei oder drei Stufen. Freilich gibt es jeweils prominente Ausnahmen: Der gewichtige Kommentar von W. Rudolph plädiert für die literarische Einheitlichkeit, die nicht weniger gewichtige Monographie des Amerikaners J. Nogalski (»Redactional Processes«) dagegen, wie schon der Titel zeigt, für ein diachrones Verständnis des Buches.7 Bevor die angedeuteten Differenzen näher betrachtet werden, liegt mir daran zu betonen, dass die entscheidenden Unterschiede in der Deutung der literarischen Entstehung des Buches ebenso grundlegende Unterschiede in seiner theologischen Bewertung mit sich führen, ohne dass doch diese beiden Ebenen der Betrachtung vermischt werden dürfen. Wenn das Buch Nahum literarisch einheitlich beurteilt wird, muss es bald nach dem 5 Sie sind teilweise schon im Kommentar von W. A. Maier (42–46) oder in der Monographie von H. Schulz (Buch Nahum, 142–146) genannt. In der »Introduction« von Maier (bes. 27 ff) findet man auch eine ausführliche Besprechung der älteren Literatur. 6 Vgl. bes. M. Weigl, Current Research on the Book of N ahum: Exegetical Metho dologies in Turmoil? Current Research. Biblical Studies 9 (2001) 81–130; zuletzt B. A. Jones, The Seventh Century Prophets in Twenty-first Century Research: CBR 14 (2016) 129–175. 7 Freilich gibt es unter den englischsprachigen Autoren, die keinen Kommentar oder eine Monographie zum Buch N ahum geschrieben haben, weitere Ausnahmen, z. B. B. S. Childs, Introduction to the Old Testament as Scripture, London 1979, 443 f; R. Mason, Micah, Nahum, Obadiah: Old Testament Guides, Sheffield 1991.
Einleitung
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Fall Ninives 612 v. Chr. verfasst worden sein.8 Als solches wird es von den Tradenten wesentlich retrospektiv gelesen worden sein: als Zeugnis der Zuverlässigkeit Gottes, der die Worte seines Propheten gegen Ninive erfüllt und sich als stärker als die scheinbar unbesiegbare Weltmacht der Assyrer erwiesen hat. Allenfalls der dem Buch vorangestellte Hymnus, der Gottes Macht zur Durchführung seines Gerichts preist, könnte diese historische Retrospektive auf die Ebene der Darstellung eines generellen Gotteshandelns transponieren. Wenn dagegen Teile des N ahumbuches jünger als die Prophetenworte in ihrer ersten schriftlichen Gestalt sind, impliziert ein solches Verständnis, dass die älteren, inzwischen bestätigten Worte Nahums zur Begründung neuer prophetischer Erwartung genutzt worden sind, das Buch Nahum also prospektiv gelesen werden soll, anders ausgedrückt: als ein Beispiel echter Prophetie, die Zukunft eröffnet. Auch innerhalb der Gruppe von Forschern, die das Buch synchron lesen, es also für literarisch einheitlich halten, gibt es erhebliche Verständnisdifferenzen. Manche Exegeten wie K. Spronk und D. Christensen halten das Buch für einen Entwurf, der ohne mündliche Vorgeschichte sogleich schriftlich niedergelegt worden sei; beide Autoren begründen diese Annahme mit der künstlerischen Struktur des Buches, der sie intensiv nachgegangen sind, allerdings gestützt auf höchst unterschiedliche Theorien poetischer Analyse. Spronk denkt an eine frühe Abfassung des Buches bald nach dem Fall von Theben 663 v. Chr. durch einen Anonymus (Nahum ist für ihn ein Pseudonym) am Hof Manasses. Christensen hat sein Urteil über das Buch Nahum: »a literary masterpiece« (ZAW 87, 1975, 23) noch mehrfach wiederholt;9 für ihn hat das Buch Nahum seine künstlerische Prägung als integraler Teil des Zwölfprophetenbuchs erhalten, das er schon in die Exilszeit oder kurz danach ansetzt; die separate Existenz eines Buches Nahum lässt sich nach ihm nicht nachweisen (Komm.,56 f). Für andere Autoren hatten die einzelnen Worte Nahums eine Vorgeschichte, sei es eine mündliche (z. B. B. Becking, M. A. Sweeney, J. J. M. Roberts) oder aber eine schriftliche (W. Rudolph), bevor sie von Nahum selbst (so die genannten Autoren) oder aber von einem anderen (M. H. Floyd u. a.) zum Buch zusammengestellt worden seien. Dabei betont Rudolph für seine Sicht schriftlich tradierter Nahumworte, dass es sich aufgrund der assyrischen Besetzung Judas um Untergrundliteratur bzw. zunächst um einzelne Flugblätter gehandelt habe. Für Sweeney bietet
8 Anders nur H. Schulz (Buch Nahum, 1973), für den das Buch Nahum ein pseudepigraphisches Kunstprodukt eines nachexilischen Schriftstellers ist. 9 Zuletzt in seinem Nahum-Kommentar: »In its poetic form the book of N ahum has no superior within the prophetic literature of the Tanakh« (23). Freilich gründet dieses Urteil, das m. E. für Texte wie 2,4–11 berechtigt ist, auf einer seltsamen, an musikalischen Kategorien orientierten, von ihm »logoprosodic« genannten Analyse des Buches, die völlig gleichgebaute sieben »Cantos« mit einer Spiegelachse in der Mitte findet und deren Methode er mit dem Begriff »Archaeomusicology« bezeichnet.
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Einleitung
das Buch dagegen eine prophetische Disputation, bei der Nahum die Zweifel seiner Hörer (1,9) zu widerlegen bemüht sei. Zwei Sonderauffassungen seien nur kurz erwähnt: Für A. Haldar wurde das Buch Nahum in kultprophetischen Kreisen zu propagandistischen Zwecken verfasst; für A. S. van der Woude ist das »Buch« in Wirklichkeit ein Brief, den ein Exulant des Nordreichs an das ferne Juda geschrieben habe. Natürlich haben auch die zuvor genannten Exegeten die Spannungen im Buch wahrgenommen, die die Mehrzahl der deutschsprachigen Ausleger zu redaktionskritischen Lösungen geführt haben, wenn sie die Genese des Buches erklären sollten. Aber sie haben diese Spannungen als nicht so gravierend empfunden, dass sie sie nicht mit der Einheitlichkeit des Buches hätten vereinbaren können. Eine originelle Lösung hat Floyd für die beiden von ihm angenommenen »Sektionen« des Buches vorgeschlagen (merkwürdigerweise unterteilt er das Buch in die »Sektionen« 1,2–2,11 und 2,12–3,19). Er rechnet mit zwei verschiedenen Betrachtungsweisen ein und desselben Verfassers, mit denen er den Untergang Ninives darstelle: die erste, an einen weiten Kreis von Adressaten gerichtet, biete den Fall Ninives retrospektiv dar als ein Ereignis, das auch Relevanz für Gottes zukünftiges Handeln besitze, die zweite betreffe nur das konkrete historische Ereignis in seinen verschiedenen Stadien und konzentriere sich als Adressaten auf die Assyrer. Für die kritische Sicht der gegenwärtigen deutschsprachigen Forschung (unter Einschluss von B. Renaud und J. Nogalski) ist eine solche harmonisierende Betrachtung des N ahumbuches nicht möglich. Übereinstimmung besteht darin, dass – neben dem Hymnus, der das Buch einleitet – mit Texten gerechnet wird, die die ältere Botschaft Nahums für spätere Generationen in analoger Situation der Unterdrückung aktualisieren, wobei diese Texte vor allem in dem schwierigen Mittelteil des Buches Nah 1,9–2,3 gesucht werden. Für alle hier zu nennenden Exegeten ist das Buch N ahum – anders als die meisten anderen Prophetenbücher – von hinten nach vorn gewachsen; ältere Texte des Propheten des 7. Jh. werden vor allem in den hinteren beiden Kapiteln vermutet. Für alle hat die Botschaft des älteren Propheten primär politischen Charakter besessen, während die aktualisierenden späteren Texte primär theologische Intention verfolgen; sie sind deshalb den älteren Texten als hermeneutischer Schlüssel vorangestellt worden. Dissens besteht in der Frage, ob im Buch Nahum zwei, drei oder gar vier verschiedene literarische Schichten zu unterscheiden sind. Sachlich hängen mit dieser unterschiedlichen Einschätzung vor allem zwei Fragen zusammen: 1. Sind im älteren Teil des Buches (2,4–3,19), das nach allgemeiner Ansicht überwiegend Worte bzw. Texte des Propheten aus dem 7. Jh. tradiert, auch die spezifisch theologischen Verse (2,14; 3,4–6) auf den Propheten zurückzuführen? 2. Lassen sich der einleitende Psalm und der komplizierte Mittelteil 1,9–2,3, der aus einer Fülle kleiner Untereinheiten besteht, der gleichen Hand zuschreiben, oder hat man mit verschiedenen Händen zu rechnen?
Einleitung
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Die Basis der kritischen Analyse des Buches N ahum ist in den 70er und 80er Jahren des letzten Jh. gelegt worden. Eine redaktionskritische Deutung habe ich selber in meiner Habilitationsschrift (»Kultprophetie«) 1970 als erster vorgelegt, freilich noch geprägt von der älteren Diskussion um den Charakter des Buches als prophetische Liturgie und um den Propheten als möglichen Kultpropheten, vor allem aber unter der von folgenden Exegeten oft bestrittenen Annahme, dass Nahum nicht nur Worte gegen Assyrien, sondern auch gegen sein eigenes Volk gesprochen habe. Aber der Nachweis, dass nicht nur der einleitende Hymnus, sondern auch die Mehrzahl der Verse im Mittelteil des Buches (1,9–2,3) zur nachexilischen Aktualisierung der Botschaft Nahums gehört habe und insbesondere Nah 2,1 auf Jes 52,7 zurückgreift und nicht umgekehrt, ist von den meisten kritischen Exegeten der folgenden Jahre aufgegriffen worden. Allen voran gilt dies von Renaud, der in einem grundlegenden Aufsatz (»La composition«) und in einem Kommentar (beide 1987) unter Vermeidung meiner allzu kühnen Thesen die Basis für alle folgenden redaktionskritischen Analysen gelegt hat. Für Renaud ist das Buch N ahum das Ergebnis eines doppelten Prozesses: der Sammlung und Strukturierung verstreuter Worte des Propheten N ahum im 7. Jh. und deren Applikation auf Nöte der nachexilischen Zeit mit einer »signification proprement eschatologique« (La composition, 200). Diese relativ einfache Erklärung des Entstehungsprozesses des Buches Nahum findet bis heute mit kleineren Modifikationen Nachfolger, auch mein eigener Vorschlag in diesem Kommentar ist nicht weit von ihm entfernt. Nur zwei Jahre später hat K. Seybold in einer kleinen Monographie (»Profane Prophetie«) ein komplizierteres Modell zur Erklärung der Entstehung des N ahumbuches vorgeschlagen. Da für ihn die alten Worte Nahums gegen Ninive »profan« waren, d. h. ohne Berufung auf göttliche Legitimation auskamen, gehören die »theologischen« Sprüche in 2,14 und 3,5–7 konsequent zur Nachinterpretation10, zusätzlich zur Mehrzahl der Worte im Mittelteil des Buches N ahum 1,9–2,3, die auch ich schon ihr zugerechnet hatte. Von ihr zu unterscheiden sei noch einmal der erheblich später zugefügte Psalm. Zahlreiche Exegeten sind Seybold im Grundsatz mit kleineren Variationen gefolgt, u. a. J. Wehrle (NBL, 1995), M. Köckert (RGG4, 2003), M. Roth (Israel und die Völker, 2005) und vor allem A. C. Hagedorn (Die Anderen, 2011). Die genannten Autoren haben zugleich die offensichtlichen Schwächen des Entwurfs von Seybold umgangen, der im Korpus des Buches mit einer Vertauschung von Kolumnenblättern und in Nah 1,9 ff mit dem Eindringen von vormasoretischen Randnotizen in den überlieferten Text rechnete. Eine Sonderstellung 10 Auch wenn Hagedorn (Die Anderen, 58.81) dieser Analyse folgt, erscheint mir die literarische Trennung der so eng aufeinander bezogenen Verse 3,4 und 3,5 als überaus künstlich, um nicht zu sagen: unmöglich zu sein. Konsequenter erscheint die Lösung der Mehrzahl der folgenden Autoren zu sein, die 3,4–6 oder 3,4–7 literarisch von 3,1–3 abheben.
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nimmt W. Dietrich (TRE 23 und Kommentar von 2014) ein, der zwar auch von einem dreistufigen Wachstum des Buches ausgeht, aber in der auf Nahum zurückgehenden ältesten Schicht nicht nur Worte gegen Assyrien, sondern (in 1,10–12a.14) auch kritische Worte gegen Manasse erkennt; auf Stufe 2 seien sie durch zwei Heilsorakel (1,12b–13 und 2,1) miteinander verbunden worden. Nah 2,2–3,19 werden N ahum selber zugerechnet. Andere Exegeten haben die Komplexität des Seyboldschen Modells noch gesteigert, seine Plausibilität damit aber eher vermindert. So schreibt T. Lescow (Komposition, 1995) den Mittelteil des Buches N ahum 1,9–14 einer noch späteren Redaktionsschicht zu als 1,2–8 und 2,1–3, während H. J. Fabry (Nahum, 2006) die Erkenntnis, dass das Buch von hinten nach vorn gewachsen sei, auf die Spitze treibt: Im Stadium der mündlichen Verkündigung sei 3,8–17* älter als 3,1–7*, dieses Wort älter als 2,2–14*, während er auf der schriftlichen Ebene eine Redaktion »aus der Joschija-Zeit« (bes. 1,9–2,1*) von einer »Nahum-Habakuk-(Micha-)Redaktion« (bes. 1,2–8*) und einer Schlussredaktion aus der späten Exilszeit (Verse in 3,15–19 und 1,14) unterscheidet. Einen ganz eigenen Akzent hat in den 90er Jahren J. Nogalski (Redactional Processes) in die Diskussion um die Entstehung des Buches Nahum eingebracht. Im Anschluss an die zuvor genannten redaktionskritischen Beobachtungen findet er vor allem in den kleineren nachträglichen Bearbeitungen des Hymnus Nah 1,2–8, aber auch im Mittelteil Nah 1,9–2,3, Indizien einer literarischen Verbindung des N ahumbuches in seiner Endgestalt mit dem Michabuch, das ihm im entstehenden Zwölfprophetenbuch voranging. Dazu kommen für Nogalski einige verborgene Hinweise auf Verbindungen von Nah 1 (und 3,15 f) mit dem Buch Joel. Diese Beobachtungen führen ihn zu der Annahme, dass die spätesten literarischen Zuwächse des Nahumbuches bereits voraussetzen, dass es schon Bestandteil des werdenden Zwölfprophetenbuches geworden war. Ein eigenwilliges Modell hat schließlich vor kurzem J. Wöhrle (Abschluss, 2008) entwickelt. In Weiterführung meiner oben genannten Habilitationsschrift von 1970 rechnet er mit einer literarischen Grundschicht in allen drei Kapiteln des Buches N ahum, die im 7. Jh. eine eigene gerichtsprophetische Schrift gegen Juda enthalten habe.11 Sie sei erst durch eine sie überlagernde redaktionelle »Fremdvölkerschicht I«, die zudem das Buch Deuterosacharja, aber auch die Bücher Joel, Micha, Zefanja und Haggai mitgeprägt habe, zu einer gegen Ninive gerichteten Schrift umgearbeitet worden. Ninive spielt nach Wöhrle in diesem neuen Kontext eine prototypische Rolle und dient als Exempel für eine beliebige dem eigenen Volk feindlich gesinnte Stadt. Aus all diesen Versuchen, die Entstehung und den Sinn des Buches Nahum zu verstehen, geht hervor, dass sich jede Deutung des Buches 11 Sie hätte nach Wöhrle 1,1b.2a.3b–9a.11.14; 2,2–3.12–14; 3,1.4–6.8–15aβ umfasst.
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vor allem an der Interpretation des ersten Kapitels entscheidet: am einleitenden Hymnus (1,2–8) und an den schwierigen Übergangsversen 1,9–2,1 bzw. 2,3. Bilden sie eine literarische Schicht oder sind sie dem Buch sukzessiv zugewachsen? Sind die Übergangsverse, die Seybold um ihrer Sprunghaftigkeit willen einen »Geröllhaufen« genannt hat (Profane Prophetie, 34), eine eher missglückte Sammlung verschiedener Einzelworte oder aber eine beabsichtigte Komposition? Bezüglich der Kapitel Nah 2–3, die das leichter zu analysierende Korpus des Buches bilden, haben zwei jüngere Beiträge, die völlig unabhängig voneinander entstanden sind und ein methodisch sehr unterschiedliches Vorgehen wählen (A. Scherer, Lyrik, 2006; R. G. Kratz, Pescher Nahum, 2011), übereinstimmend ein Ergebnis erzielt, das ich selber für förderlich und sehr plausibel erachte: Die beiden Texte Nah 2,4–11 und 3,2 f, deren spezielle literarische Eigenart seit langem aufgefallen war, sind sowohl aus stilistischen als auch aus literarkritischen Erwägungen einer anderen Hand zuzuweisen als die restlichen Verse. Für die genannten Passagen, aber auch nur für sie, trifft Seybolds Bezeichnung »profane Prophetie« voll zu (Scherer, 309); sie schildern in hochpoetischer Weise ein Eroberungs- und Schlachtgeschehen, das von der Prophetie Nahums in Kap. 3, die in der Anrede an Ninive ergeht, charakteristisch unterschieden ist. Mein eigener Entwurf nimmt diese Entdeckung auf, kehrt im Übrigen aber in gewisser Weise zu den Anfängen redaktionskritischer Forschung in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jh. und deren einfachem zweistufigem Modell zurück: Er rechnet mit einer älteren Sammlung prophetischer Texte einschließlich der zuvor genannten »profanen« Texte im 7. Jh. v. Chr. und mit ihrer Aktualisierung in hellenistischer Zeit (1,2–2,1.3 und kleinere Zusätze in Kap. 2–3), bevor das Buch Nahum Bestandteil des Dodekaprophetons wurde und zu einem Buch des Kanons heranwuchs.12 Vier Dissertationen der letzten 1½ Jahrzehnte seien anhangsweise erwähnt, die kaum verschiedener sein könnten und die belegen, mit welch unterschiedlichem Interesse gegenwärtig das Buch Nahum gelesen wird. L. Lanner (»Who Will Lament Her?«, 2006) sucht weibliche Bezüge im Text, genauer: Hinweise auf die Gegenwart einer weiblichen Göttin (Ischtar), die sie hinter der Größe »Ninive« vermutet. Natürlich steht unter solcher Fragestellung Nah 3,4 f im Zentrum des Interesses. Gleichzeitig versucht sie, die Texte des Buches Nahum in Anlehnung an Theorien der »fantastic literature« zu deuten. Eine Stärke der Arbeit ist, dass die Vf.in die zahlreichen Ambiguitäten des Textes deutlicher als die meisten anderen Ausleger wahrnimmt und klar erkennt, dass die Einordnung der Prophetie Nahums unter die Völkerorakel, wie so oft geschehen, ein Missgriff ist. Die große Gefahr der Arbeit besteht darin, dass der Spekulation zu viel Raum gewährt wird.
12 Nachträglich sehe ich, dass der Ungar M. Balabán, Proto-Nahum und die Geschichtsphilosophie, 238–240 schon 1962 eine ähnliche Lösung des Wachstums des Nahumbuches vorgeschlagen hat, wobei er den Autor von Nah 2,2–3,19 »Proto- Nahum«, denjenigen von 1,2–2,1 »Deutero-Nahum« nannte.
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Demgegenüber ist J. P. Bosman (»Social Identity in Nahum«, 2008) von der Frage getrieben, wie soziale Identität von Gruppen im Buch Nahum konstruiert wird und welche gesellschaftliche Funktion ihr zugewiesen wird. Das Buch Nahum wird als »resistance literarature« aufgefasst, die der Vf. ideologiekritisch und mit den Methoden der Sozialwissenschaft interpretieren möchte. Nur Nah 1,2–8 und 2,1 hält er für spätere Zusätze. Noch wieder sehr anders ist das leitende Interesse von R. Mack (»Neo-Assyrian Prophecy«, 2011) am Buch N ahum. Beim Vergleich der neuassyrischen Prophetie mit dem Buch erkennt er klar, wie weit beide verglichenen Größen voneinander unterschieden sind, vor allem weil das Buch N ahum keine typischen prophe tischen Gattungen des 7. Jh. enthält, stattdessen aber zahlreiche Ambiguitäten bietet. So rechnet Mack damit, dass das Buch später entstanden ist und schon den Fall Jerusalems voraussetzt. Leider fehlen ihm die methodischen Mittel, um das Buch Nahum als Schrift zu beschreiben und zu analysieren. Er sucht nach einer buchübergreifenden Theorie, die für die Bücher Nahum, Habakuk und Zephanja gemeinsam gelten soll. Die jüngste mir bekannte Dissertation zum Buch N ahum von N. Grütter (»Das Buch N ahum«, 2016) ist rein textkritisch orientiert und hat sich einen Vergleich des MT mit der Übersetzung der G zum Ziel gesetzt. Sie wird in Kap. VI der Einleitung (»Der Text und seine Zeugen«) näher betrachtet werden.
II. Das Buch Das Buch Nahum besitzt eine doppelte Überschrift. Im ersten Teil werden prophetische Orakel gegen Ninive angekündigt, im zweiten Teil wird die Schrift eines Propheten N ahum vorgestellt. Ein Leser, der von dieser Überschrift herkommt, nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass der Name »Ninive« ein erstes Mal in Nah 2,9 fällt (ein zweites Mal später in 3,7). Dagegen werden in Kap. 1 Namen absichtsvoll vermieden (Ausnahme: die bei JHWHs Eingreifen verwüsteten Gebiete des Baschan, Karmel und Libanon [1,5]), und von einer Stadt ist nirgends explizit die Rede. Vor Nah 2,2 sind für einen unvoreingenommenen Leser, der die Überschrift nicht kennt, weder die Assyrer noch Ninive erkennbar; die Rede ist nur von einer ungenannten gewalttätigen Fremdmacht. Schon aus dieser Beobachtung legt sich die Vermutung nahe, dass die erste Überschrift (»Ausspruch gegen Ninive«) von Haus aus die Kapitel 2–3 einleiten soll, in denen die Stadt eine tragende Rolle spielt (W. Rudolph u. a.). Zugleich ist damit ein erster Hinweis darauf gegeben, dass Nah 1 diesen Kapiteln als jüngere, aktualisierende Deutung vorangestellt worden ist. In der Tat ergibt eine genauere Analyse des kleinen Prophetenbuches, dass Kap. 1 (genauer: Nah 1,2–2,1 bzw. 2,3) um Jahrhunderte später entstanden ist als die Kap. 2–3. Schon bei erster Lektüre lässt sich erspüren, dass Nah 1 eine weit stärker theologisch geprägte Sprache spricht als die stark am Militärischen orientierten Kap. 2–3. Genauer betrachtet lässt sich das Buch Nahum in drei sehr unterschiedliche Teile gliedern:
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a. einen einleitenden Hymnus, der wie in keinem anderen Prophetenbuch Gottes wesensgemäßes Handeln programmatisch einführt (1,2–8); b. einen undurchsichtigen und gedanklich sehr sprunghaften mittleren Abschnitt 1,9–2,3, in dem verschiedene ungenannte kollektive Größen ohne namentliche Nennung (nur in 2,1 fällt der Eigenname »Juda«) angeredet werden, anfangs in der 2. Pers. Pl. mask., dann mehrfach in der 2. Pers. Sg. fem., wobei im Einzelfall nicht deutlich ist, ob Assyrien oder Juda gemeint ist; ein Wort wird auch an eine einzelne männliche Gestalt in der 2. Pers. Sg. mask. gerichtet (1,14); c. einen Hauptteil, der ein längeres Gedicht (2,4–11), eine prophetische Gerichtsrede (3,1–6) und eine Komposition prophetischer Unheilsworte (3,8–17) enthält, die alle vom Untergang Ninives handeln. Diese drei größeren Untereinheiten erweisen sich u. a. darin als literarisch zusammengehörig, dass sie jeweils in einem Spottlied über den Untergang Ninives enden, das rhetorische Fragen als Stilmittel verwendet (2,12 f; 3,7.18 f). Wie schon aus dieser Grobgliederung erkennbar wird, entscheidet sich das Verständnis des Buches wesentlich an dem komplexen mittleren Abschnitt. Aber zunächst zu dem leichter analysierbaren anfänglichen Hymnus, in dem JHWH feierlich als »Rächer« (dreimal in 1,2!) vorgestellt und seine Macht in Gestalt einer Theophanieschilderung dargestellt wird, bevor zuletzt sein Vernichtungshandeln an seinen Feinden angekündigt wird. Die Abgrenzung des Hymnus wird von der überwiegenden Mehrheit der Ausleger identisch vollzogen (1,2–8); sie erhält eine starke Stütze durch die Beobachtung, dass in Nah 1,2–8 ein halbes Alphabet-Akrostichon vorliegt. Als man Ende des 19. Jh. gewahr wurde, dass die poetischen Zeilenanfänge in Nah 1,3b–7a offensichtlich nach der Buchstabenfolge בbis טangeordnet sind, hat man anfangs versucht, ein volles Alphabet-Akrostichon in 1,2 bis 2,3 wiederherzustellen (Bickell, Gunkel). Da eine solche Rekonstruktion aber nur mit gewaltsamen Eingriffen in den Text und nur unter Missachtung formgeschichtlicher Gesichtspunkte möglich ist, sind derartige Versuche im 20. Jh. allmählich immer stärker reduziert oder aber aufgegeben worden (es gab Analysen, die das Akrostichon bis [ מV. 10] oder [ עV. 11] verfolgen wollten). Vor allem unter dem Einfluss Wellhausens breitete sich die Einsicht aus, dass das Akrostichon in Nah 1 nur bis zum Ende des Hymnus, d. h. bis zum Buchstaben כzu erkennen sei, also genau bis zur Hälfte des Alphabets.
Nur von einer Minderheit der Exegeten (Maier, Floyd, Weigl, Baumann) wird die Existenz dieses halben Alphabet-Akrostichons bestritten, vor allem, weil es im Zuge der Überlieferung an wenigen Stellen verletzt worden ist. Jedoch lassen sich diese Veränderungen erklären, und es lassen sich gewichtige Gründe nennen, die für die Existenz des halben Alphabet-Akrostichons sprechen. In den biblischen Prophetenbüchern gibt es
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für diese künstlerische Gestalt eines Textes, die sonst in den Psalmen und in den Threni belegt ist, keinerlei Parallele! Die neuere Forschung zu dieser Kunstform hat erbracht, dass es sich bei ihr keineswegs nur um ästhetische Spielerei handelt oder, wie man früher gern annahm, um ein mnemotechnisches Mittel, sondern um eine vom jeweiligen Dichter sich selbst auferlegte Pflicht, sein wesentliches Anliegen im beschränkten Raum von 22 (bzw. bei einem halben Akrostichon von 11) gleichmäßigen Verszeilen (bzw. Zeilenpaaren oder Dreizeilern etc.) auszudrücken, deren Anfangsbuchstaben dem Alphabet folgen. Es ist eine Kunstform, die nicht nur hohe dichterische Kompetenz des Autors voraussetzt, sondern die auch einen besonderen inhaltlichen Anspruch enthält. Wenn sie wie in Nah 1,2–8 (und in Ps 9 sowie in der ersten Hälfte von Ps 34) nur die erste Hälfte des Alphabets enthält, so ist damit angezeigt, dass die Dichtung auf Fortsetzung hin angelegt ist, ja der Fortsetzung bedarf, wie sie im Fall der Parallelen in Ps 10 bzw. in der zweiten Hälfte von Ps 34 vorliegt. Diese »Fortsetzung« erfolgt im Buch Nahum im Abschnitt 1,9–2,3. Bei 1,9–2,3 handelt es sich allerdings um einen undurchsichtigen und schwer zu analysierenden Mittelteil des Buches. Er besteht aus einer Fülle kleiner Untereinheiten, die darin übereinstimmen, dass sie von der Form der Anrede geprägt sind. Angeredet wird anfangs eine pluralische Größe (1,9 f), dann ein bzw. zwei Kollekiv(e) in Gestalt der 2. Pers. Sg. fem. (1,11.12 f; 2,1.2), unterbrochen von der Anrede an ein einzelnes Individuum in der 2. Pers. Sg. mask. (1,14).13 Häufig hat man an eine Zusammenstellung ursprünglich selbständiger Einheiten gedacht, wobei dann freilich »alles wie Kraut und Rüben durcheinander liegt« (Duhm, Anmerkungen, 62). Jedoch zeigt sich bei näherem Zusehen, dass es sich bei 1,9–2,3 um eine raffiniert angeordnete Komposition handelt. Drei starke Indizien weisen auf einen durchdachten Gestaltungswillen hin: Zum einen sind alle Untereinheiten vom Leitwort »Nie wieder« ( )לא … עודbzw. »Kein zweites Mal« bestimmt (1,9.12.14; 2,1). Zum anderen ist die Kern-Komposition 1,11–2,1 von zwei Untereinheiten (1,9 f; 2,2 f) gerahmt, deren Funktion in der Verbindung der Komposition mit dem Kontext besteht: 1,9 verknüpft Terminologie des Hymnus mit der Begrifflichkeit des Eingangs der Komposition, 2,2 f sind formal exakt 2,1 nachgebildet (Schilderung – Imperative – Begründung), um das erste Ninive-Gedicht (2,4–11) mit der Komposition zu verbinden (s. u.).14 Zum dritten zeigt sich ein inhaltlicher 13 Die Versuche, auch hier die Anrede an ein Kollektiv im Fem. zu finden (Marti, Wöhrle, Kratz), scheitern am Inhalt; mit Nachkommenschaft und Grab werden Themen aufgegriffen, die traditionsgeschichtlich Flüche gegen ein Individuum aufgreifen. 14 Aus der Funktion dieser beiden Verspaare als Brücke zu verschiedenen Einheiten erklärt sich, warum manche Exegeten den Hymnus so abgrenzen, dass 1,9 f. mit zu ihm hinzugezogen werden (z. B. Floyd) und andere 2,1–3 als gesonderte Einheit interpretieren (z. B. Becking, Renaud).
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Gestaltungswille: Die Feinde Gottes, die anfangs (V. 10.12) wie im Hymnus pluralisch dargestellt sind, werden immer stärker auf die Einzelgestalt eines Erzfeindes Gottes hin fokussiert (1,11.13.14; 2,1), wie sogleich näher dargestellt werden soll. Die Kern-Komposition selber (1,11–2,1) beruht auf der Kombination zweier Gottesworte: eines älteren, vorgegebenen mit vorausgehender Begründung, das ursprünglich gegen Ninive und seinen König gerichtet war (1,11.14), und eines jüngeren, das an einen Propheten der Spätzeit ergangen ist und die bedrückende Fremdmacht seiner eigenen Zeit betrifft (1,12 f). Hier stoßen Leser, die wissenschaftlich geschult sind, ein erstes Mal im Buch Nahum auf ein Problem, das nur literarkritisch, nur mit Mitteln der diachronen Exegese zu lösen ist. Während die Stimme des älteren Propheten die Kap. 2–3 beherrscht, ist sie in Kap. 1 nur im zitierten Gotteswort 1,14 zusammen mit seiner Begründung in V. 11 zu vernehmen. Demgegenüber war das jüngere Gotteswort möglicherweise der Grund dafür, dass der Prophet, an den es erging, das Kap. 1 (genauer: 1,2–2,1 oder 1,2–2,3) den überlieferten Nahumtexten als hermeneutischen Schlüssel voranstellte und diese älteren Texte zugleich redigierte, um sie den Verhältnissen der eigenen Zeit anzupassen. Auf diese Weise war der jüngere Prophet – eher Kopf einer prophetischen Gemeinschaft als allein – sowohl Verfasser des Buches N ahum (nämlich von Kap. 1) als auch dessen Redaktor (in den Kapiteln 2–3). Beide Gottesworte, das ältere und das jüngere, in Nah 1,11–14 sind so miteinander verzahnt, dass sie sich ganz von selbst gegenseitig interpretieren. Indem aber zu diesem Zweck alle Eigennamen vermieden werden, gewinnen die Aussagen einen mehrdeutigen Sinn, und es wird dem Gespür der Leser überlassen, dem Inhalt zu entnehmen, wer gemeint sein könnte. Der Autor der Verse nutzt bewusst die Technik der allmählichen Enthüllung vieldeutiger Aussagen. Ja, der Eingangsvers 1,11 ist absichtlich mehrdeutig formuliert und auf diese Weise zu einer Art Rätselspruch geworden, dessen Sinn mit jeder neuen Aussage der folgenden Verse deutlicher wird, bis am Schluss in 2,1 mit »Juda« endlich ein Eigenname fällt. 1,11 kann sowohl übersetzt werden: »Aus dir ging hervor, der …« – dann müsste Ninive angeklagt sein – als auch: »Aus dir wird abziehen, der …« – dann wäre eine Verheißung an Juda im Blick – als auch: »Aus dir ist abgezogen, der …« – dann wäre der Rückblick auf ein nur kurze Zeit zurückliegendes Ereignis gemeint. Die Schwäche vieler älterer Kommentare liegt darin, dass sie diese verschiedenen Verständnismöglichkeiten nicht genügend gegeneinander abwägen und sich viel zu früh in ihrer Deutung festlegen. Wesentlich ist in allen drei Deutungsmöglichkeiten, dass eine ungenannte männliche Einzelgestalt eingeführt wird, die im Lauf der folgenden Verse immer stärker als der entscheidende Gegenspieler Gottes in den Vordergrund tritt. Der übermächtige Feind Judas, unter dessen Bedrückung das Volk seufzt, wird anfangs als riesige Heeresmenge geschildert (1,10.12), bald aber schon in deren Anführer bzw. König personifiziert (1,13.14;
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2,1), der freilich nirgends – genauer: erst in den letzten Versen des Buches, wenn alles Nötige gesagt ist (3,18 f) – als »König« bezeichnet wird. Stattdessen nimmt er in 2,1 mythische Züge an und wird mit der Bezeichnung »Belial« bedacht, d. h. als Erzfeind Gottes und als sein ärgster Widersacher charakterisiert. Erst wenn er von Gott »vernichtet« sein wird, und zwar für alle Zeiten (1,14; 2,1), wird Juda wieder frei atmen und seine Festgottesdienste wie früher feiern können. In dieser Sicht des Feindes treffen wir auf den Hauptunterschied zwischen den älteren Nahumworten in Nah 2,2.4–3,19* (sowie 1,11.14) und der prophetischen Redaktion, die das gegenwärtige Prophetenbuch zusammengestellt und die älteren Prophetenworte neu ausgelegt hat. Während die älteren Worte durchweg die Assyrer als (militärisches) Kollektiv betrachten, das von seiner Hauptstadt Ninive repräsentiert wird und Juda hart bedrückt, sind die Feinde in Nah 1,2–2,1 nicht primär Judas, sondern Gottes Feinde und als solche wesenhaft verkörpert in bzw. repräsentiert von ihrem Anführer, von »Belial«. Mit dieser Akzentverlagerung haben die Späteren die ihnen überkommenen Prophetenworte aus der Zeit der Assyrerherrschaft gelesen. Das wird auch daran deutlich, dass sie sowohl am Ende von Kap. 2 als auch am Ende von Kap. 3 (und damit des gesamten Buches) größere literarische Einheiten, die im 7. Jh. mit kollektiven Vorstellungskategorien gestaltet waren und von Ninives Untergang handelten, am Schluss redaktionell auf ein Individuum fokussiert haben, eben auf den Erzfeind Gottes »Belial«. In Kap. 2 hat die Redaktion aus diesem Grund einen Vers (2,14) hinzugefügt, der formal 3,5 nachgestaltet ist und der das Leitwort »Nie wieder« aus der Komposition 1,9–2,1 aufgreift. Die sachliche Akzentverschiebung auf den König als Einzelgestalt ist hier allerdings nicht sogleich erkennbar, weil die Masoreten die Anrede an den König (Suffixe der 2. Pers. Sg. mask.) als Anrede an Ninive (Suffixe der 2. Pers. Sg. fem.) gedeutet haben. In 3,18 ist ein überliefertes Wort gegen Ninive durch die Zufügung des Vokativs »König von Assur« redaktionell so verändert worden, dass sich der Sinn (der Spottklage) nun gegen die königliche Gestalt als Individuum richtet. Im Übrigen hat die prophetische Redaktion an zwei Stellen (1,14bα und 3,6) Götzenpolemik nachgetragen, ein Thema, das außerhalb des Blickwinkels der älteren N ahumworte mit ihrer vorwiegend militärischen Perspektive lag. In 2,3 hat sie zudem eine theologische Reflexion hinzugefügt, die (wie auch 1,12b) stark vom Denken Jesajas beeinflusst ist. Es bleibt die Frage: Sind Hymnus und Komposition den gleichen Händen zuzuweisen? Mehrere Gründe sprechen dafür. Die Brückenverse 1,9 f, die sprachlich und sachlich das Thema des Hymnus aufgreifen (Zweifel der Hörer am dort angekündigten Handeln Gottes), führen zugleich die Begrifflichkeit von 1,11 (»planen gegen«) ein. Wollte man sie als Werk einer jüngeren Redaktion deuten, die Hymnus und Komposition sekundär miteinander verknüpfen sollte, würden die miteinander verzahnten Gottesworte 1,11–14 völlig in der Luft hängen. Sie taugen nicht als Buch
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anfang. Andererseits verlangt das so stark theozentrisch ausgerichtete Semi-Alphabet-Akrostichon nach einer Fortsetzung, und diese Fortsetzung kann die Schilderung der Belagerung und Einnahme Ninives in Kap. 2 nicht gut gebildet haben, die in ihrer großartigen poetischen Gestalt (s. u.) an militärischen Details der Schlacht und an der geographischen Lage Ninives orientiert ist. Sprachlich weisen sowohl der Hymnus als auch die Komposition in die äußerste Spätzeit des Alten Testaments (s. III. »Zeit«). Zudem kommt der Zielpunkt des Hymnus, die »Vernichtung« der Feinde Gottes (1,8), erst in der »Austilgung« bzw. »Ausrottung« Belials (2,1) zur vollen Entfaltung, zusammen mit dem ständig wiederholten Leitwort »nie wieder« der Verse 1,9–2,1, das das definitive und endgültige Ende der erfahrenen Not ausdrücken möchte. Somit gehen Nah 1,2–2,1 (ohne 1,11.14, aber mit 1,14bα) mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die prophetische Redaktion zurück, die das Nahumbuch zusammenstellte; in den beiden folgenden älteren Kapiteln hat sie die Verse 2,3.14; 3,6 und den Zusatz »König von Assur« in 3,18 verfasst. Raffiniert ist, wie die Redaktion den Übergang von ihrer Botschaft in Kap. 1 zu den älteren Ninive-Worten in Kap. 2–3 gestaltet hat. Sie hat zum einen die Ankündigung eines gegen Ninive anrückenden Feindes in 2,2 in die Form der Anrede umgeformt, um mit dieser Anrede, die eine bevorstehende Katastrophe vor Augen stellt, einen eindrucksvollen Kon trast zur Aufforderung des heraneilenden Siegesboten an Juda zum Feiern seiner Feste im vorangehenden Vers 2,1 zu schaffen. Auf diese Weise ist die grandiose Schilderung der Eroberung Ninives in 2,2.4–11 zur Ankündigung des Siegesboten in 2,1 geworden. Zum anderen hat sie unmittelbar hinter die Anrede an Ninive eine mit » כיdenn« eingeleitete theologische Begründung der kommenden Katastrophe gestellt und auf diese Weise eine formvollendete präzise Parallele zum erwähnten Vorgängervers 2,1 gestaltet. Schließlich hat sie die Bezeichnung des heranrückenden Feindes als machtvoller »Zerschmetterer« ( )מפץgeringfügig verändert, so dass die neue Charakterisierung als »Zerstreuer« ( )מפיץfür israelitische Ohren transparent auf den hinter dem Feind stehenden Gott war, der seinerzeit Israel im Exil »zerstreut« hatte. Auch die älteren Worte des N ahumbuches in Kap. 2–3 aus der Zeit der Weltherrschaft der Assyrer stammen nicht aus einer Hand, so gewiss sie als Einheit gelesen werden wollen, wie ihre Anordnung in drei aufeinander folgende »Strophen« zeigt, die jeweils mit Spottklagen (2,12 f; 3,7.18 f) abgeschlossen werden.15 Wie schon am Ende des vorigen Abschnitts I. erwähnt, ist in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher beobachtet worden, dass der ältere Prophet Nahum mit 2,4–11 und 3,2 f ihm schon vorlie-
15 Vgl. den Nachweis bei Jeremias, Kultprophetie, 12.28 f; Becking, A Judge in History, 113; Dietrich, TRE 23, 737.
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gende hochpoetische Schlachtschilderungen (nach anderen Exegeten: zwei Teile ein und derselben Schlachtschilderung) aufgegriffen hat, die im Blick auf die Vielzahl verwendeter dichterischer Stilmittel im Alten Testament ihresgleichen suchen, die aber eines spezifisch prophetischen Charakters entbehren.16 A. Scherer (Lyrik, 309) hat sie »Balladen« genannt, und wenn mit dieser Gattungsbezeichnung die abrupten Szenenwechsel, das atemberaubende Tempo der Darstellung und die an beide Parteien der Schlacht gerichteten Imperative im Zuge der Eroberung Ninives charakterisiert sind, ist sie wohl angemessen, auch wenn sie für Texte weit späterer Zeit geprägt worden ist. In das Gesamtgefüge des Buches ordnen sich die Texte vorzüglich ein, da in ihnen nur ein einziges Mal der Name »Ninive« (2,9) fällt, im Übrigen aber in geheimnisvollem Ton von einem Heerführer ohne Namen die Rede ist, der einführend, wie schon oben bemerkt, als der »Zerstreuer« (bzw. der »Zerschmetterer«) bezeichnet wird. Auf diese Weise bleibt das Ninive angreifende Heer unbestimmt, und angesichts der schnellen Ereignisfolge können sich die Leser anfangs nicht sicher sein, ob die Angreifer oder Verteidiger Ninives im Blick der Darstellung sind (so besonders in 2,5 f). Von daher ist es denkbar, dass die schnellen Szenenwechsel und die Unbestimmtheit der Handelnden in 2,4–11 zum Vorbild für die Gestaltung der sehr viel jüngeren Komposition in 1,9–2,3 geworden sind, die 2,4–11 nun vorangeht und sie im Voraus deutet. In künstlerischer Hinsicht können die Texte des älteren Propheten den Vergleich mit diesen übernommenen Dichtungen nicht aufnehmen, wohl aber in anderen Belangen. So erweist sich der Prophet in seinem Wehewort gegen Ninive 3,1–7, das schwere Vorwürfe gegen die Stadt enthält (und in das der zweite »Balladen«-Text integriert wurde), als vertraut mit den Themen der großen Gerichtspropheten, speziell Hoseas (»Betrug [an JHWH]«, »Hurerei«, Bestrafung des »Ehebruchs«), die er kühn auf Ninive überträgt, so dass Ninives Untergang im Bild der »Hure« gezeichnet wird, die Gott als ihr rechtmäßiger Ehemann zur Rechenschaft zieht und öffentlich zur Schau stellt. Ebenso vertraut ist er mit altorientalischen Fluchtraditionen (1,14; 3,10.13) und mit der Struktur der assyrischen Verwaltung fremder Länder (3,16 f). Im dritten Ninive-Gedicht (3,8–19) ist er als wacher Beobachter der Zeitgeschichte erkennbar, als der er aus Ereignissen in großer geographischer Ferne (Eroberung Thebens) Folgerungen für die Zukunft des Bedrängers und des eigenen Volkes zieht (3,8–11). In dieser Komposition aus Prophetenworten sind mehrere kleinere rhetorische Einheiten aneinandergefügt, die (wie auch 3,1–7*) möglicherweise auf mündliche Einzelworte zurückgehen.17 Die drei Spottklagen des Propheten, die literarisch die drei Ninive-Gedichte 2,2.4–13; 3,1–7* und 3,8–19* beschließen, 16 Aufschlussreich ist ein Vergleich zwischen Nah 2,2 und 3,14. Beide Verse sprechen von einer Belagerung Ninives und von dessen Festungen ( מצורהbzw. )מצור. Aber wie verschieden sind sie in ihrer Darstellung und in ihrer Intention! 17 Vgl. die Erwägungen im folgenden Kapitel III.
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bezeugen die ungeheure Erleichterung, die er und seine Generation über die (unmittelbar bevorstehende bzw. eher) schon erfolgte Freiheit von der Oberherrschaft der Assyrer empfinden. Literarisch sind die Prophetenworte offensichtlich schon früh mit den »Balladen« vereinigt worden, so dass man mit der Existenz eines älteren Buches Nahum zu rechnen hat. Dafür spricht nicht nur die Einfügung des kürzeren »Balladen«-Textes (3,2 f) in das prophetische Wehewort 3,1 ff, sondern auch schon die erwähnte »strophische« Gestaltung der drei Ninive-Gedichte durch Anfügung der Spottklagen. Hinzu kommen die Verzahnung der ersten Spottklage mit dem folgenden prophetischen Wehewort über das Stichwort des »Raubes« ()טרף, das in 2,12 f als Leitwort dient, und die durchgehende Form der Anrede Ninives in 3,8–19, wodurch diese Verse als Explikation des Gotteswortes 3,5(f) und der Leichenklage über Ninive 3,7 ausgewiesen werden. Aus der Intention der Späteren sind diese literarischen Maßnahmen zur Verknüpfung vorgegebener Einheiten nicht erklärlich. Auf dieses ältere N ahumbuch sind neben 1,1a und 1,11.14 (ohne 14bα) vor allem 2,2.4–13; 3,1–7 (ohne V. 6) und 3,8–19* (V. 18: ohne »König von Assur«) zurückzuführen, anders ausgedrückt: Kap. 2–3 im Ganzen mit Ausnahme von 2,1.3.14 sowie 3,6 und der Notiz »König von Assur« in 3,18, die auf den Autor von Nah 1 zurückgehen werden. Kleinere erklärende bzw. harmonisierende Zusätze bieten 3,13b.15aβ.16b. III. Die Zeit Das Buch Nahum ist ein junges Prophetenbuch. Es will von seinem Eingangskapitel her gelesen werden, das frühestens in spät-persische, eher aber in hellenistische Zeit anzusetzen ist. Dass eine genauere zeitliche Bestimmung nicht möglich ist, hängt daran, dass der prophetische Verfasser (bzw. sein Kreis) mit Absicht in Nah 1 auf alle Eigennamen verzichtet und nur am Ende seines Gedankengangs einmal »Juda« (2,1) nennt (eventuell auch im Rückblick auf die vorexilische Zeit »Jakob« und »Israel«, falls 2,3 auf ihn zurückgehen sollte). Die aufgegriffenen älteren Texte in Nah 2–3 enthalten ebenfalls so gut wie keine bzw. nur die allernötigsten Eigen namen – »Ninive« in 2,9 und 3,7 sowie »No Amon«, d. h. Theben, in 3,8 –, ob von Haus aus oder durch Eingriffe der Redaktion lässt sich nicht mehr ausmachen. Sicher für eine zeitliche Ansetzung von Nah 1 ist nur, dass die Situation einer extrem harten Unterdrückung Judas durch eine weltbeherrschende Fremdmacht vorausgesetzt ist, wie sie in hellenistischer Zeit leichter vorstellbar ist als in spät-persischer Zeit. Um der schweren Leiden der Bevölkerung, von der die Verse 1,9–14 ausgehen, und um der Bezeichnung des Königs als »Belial« willen könnte man sogar eher an die seleukidische als an die ptolemäische Unterdrückung Judas denken. Der Text hat eine grausame königliche Gestalt im Blick, wie sie uns Nachgeborenen besonders in Antiochos IV., mit dem sich das Buch
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Daniel auseinandersetzt, vertraut ist, ohne dass doch dieser König gemeint sein müsste. Immerhin beweist Tob 14,4, dass N ahums Prophetie im 2. Jh. v. Chr. so auf die seleukidischen Machthaber bezogen wurde, als habe Nahum schon im 8. Jh., in das die Ereignisse der Tobiterzählung angesetzt sind, von vornherein sie im Blick gehabt. In jedem Fall aber bezeichnen Tob 14 und 4QpNah, die das Buch Nahum voraussetzen und kommentieren, aber den terminus ad quem für seine Entstehung (Kratz). Aus dieser Perspektive verlieren die viel diskutierten Fragen der Forschung an Bedeutung, ob die Worte des älteren Propheten in Nah 2–3, den wir der Einfachheit halber wie üblich Nahum nennen wollen, längere oder kürzere Zeit vor dem Fall Ninives gesprochen worden sind oder aber (teilweise) erst unmittelbar nach 612 v. Chr. Belanglos sind sie auch von unseren Ergebnissen her nicht; sie sollen am Ende dieses Abschnitts beantwortet werden. Welche Indizien sprechen für eine späte Abfassungszeit von Nah 1? Schon die ersten hymnischen Gottesbezeichnungen, mit denen das Buch einsetzt (1,2), deuten auf die Spätzeit des Alten Testaments. Obwohl zahlreiche Texte sowohl aus früher als auch aus später Zeit von Gottes aktuellem Einsatz seines leidenschaftlichen »Eifers« und seiner »Rache« sprechen, kennt die adjektivische bzw. partizipiale Prädikation Gottes als Eifernder im Sinn von Nah 1,2 keine und die Prädikation Gottes als »Rächer« nur eine einzige Sachparallele, und letztere (Ps 94,1) ist unbestritten sehr jung. Analoges gilt für die Theophanieschilderung, die im Zentrum des Hymnus steht und die die Macht Gottes beschreiben will, seine Pläne durchzuführen (1,3b–6). Sie greift aus dem großen Arsenal an Aussagen, die Texte des Alten Orients wie des Alten Testaments mit dem Eingreifen Gottes in menschliches Geschehen verbinden, keineswegs beliebige Vorstellungen auf, sondern spezifisch solche, die spätprophetischen Texten und vornehmlich dem Traditionskomplex des »Tages JHWHs« entstammen. Noch eindeutiger verweisen die Schlussverse des Hymnus auf die Spätzeit des Alten Testaments, wenn sie in Gottes Gericht an seinen Feinden Rettung Einzelnen anbieten, die »sich bei JHWH bergen« (1,7). Hier werden kollektive Aussagen über eine Rettung Israels bewusst vermieden, weil mit Schuldigen innerhalb des Gottesvolks gerechnet wird wie in anderen späten Texten, etwa Jes 65 f; Sach 9–14; Mal. Worin die Schuld der Glieder des Gottesvolks besteht, die nicht zu den Geretteten gehören, zeigt der auf den einleitenden Hymnus folgende Brückenvers 1,9. Er belegt, dass es zur Zeit des Nahumbuches in Juda mas siven Zweifel an Gottes Willen gab, zugunsten leidender Menschen in das Weltgeschehen einzugreifen, die unterdrückende Weltmacht zu bestrafen (bzw. sogar zu vernichten: 1,8.9) und die von ihm geschaffene Weltordnung wiederherzustellen (vgl. zu einer analogen Bestreitung der heilvollen Absicht Gottes Mal 3,13 ff; Ps 14,1 u. ö.). Schon aus diesem Zweifel, den der Prophet hart verurteilt, geht hervor, dass das Buch Nahum mehr bezweckt, als nur die zurückliegende Befreiung Israels und der Völker von
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der Gewalt der assyrischen Weltmacht durch Gottes Eingreifen im 7. Jh. im Gedächtnis zu bewahren. Das Buch Nahum beabsichtigt aber auch mehr, als für die eigene Zeit eine analoge Befreiung des Gottesvolks von einer militärisch wiederum glänzend gerüsteten Weltmacht zu erwarten. Der Zweifel der Bestreiter der Botschaft des Nahumbuches ist vielmehr darum so stark, weil diese Botschaft eine betont eschatologische ist (s. u. IV. ), d. h. weil sie mitten in die Situation eines unterdrückten Volkes hinein eine heilvolle Zeit ankündigt, die endgültigen Charakter besitzt, so dass eine Wiederholung der (für die Leser) gegenwärtigen Not für alle Zukunft ausgeschlossen wird. Nicht weniger als viermal wird den Lesern in einem kleinen Abschnitt (1,9–2,1) im Leitwort versichert, dass durch Gottes Eingreifen eine Not wie die gegenwärtige »kein zweites Mal«, »nie wieder« bzw. steigernd »nie mehr wieder« eintreten wird. Auch für eine solche Sicht, in der der Zukunft eine prinzipiell andere Qualität als der Gegenwart zugeschrieben wird, gibt es nur späte Parallelen im Alten Testament. In die Spätzeit des Alten Testaments verweist weiterhin die Rätsel sprache im Abschnitt 1,9–2,1. Dieser am schwierigsten zu analysierende und umstrittenste Teil des N ahumbuches, der durchgehend von der Anrede geprägt ist, zeichnet sich dadurch aus, dass er auf jegliche Eigennamen (mit Ausnahme des Namens »Juda« am Ende des Abschnitts) verzichtet. Damit wird dem Leser selbst überlassen herauszufinden, ob ein Vers an das Gottesvolk oder aber an »Ninive« gerichtet ist. Der Eingangsvers des Kern-Abschnitts (nach den Brückenversen 1,9 f) – 1,11 – ist darüber hinaus, wie schon unter II. bemerkt, als Rätselspruch formuliert, der sowohl als Anklage an »Ninive« als auch als Heilsankündigung an Juda verstanden werden kann. Gewiss ist dies noch keine Rätselsprache, wie sie später in der Apokalyptik üblich wird, die eines deutenden Engels bedarf, um ihren Sinn zu erschließen. Aber die Sprache ist auf dem Weg dorthin. Sie ist absichtsvoll verhüllend und erschließt sich einem sorgfältigen Leser erst allmählich im Kontext mit den folgenden Aussagen. Auch die literarischen Bezugstexte des Abschnitts weisen in ihrer Mischung auf die Spätzeit hin, wie K. Marti (S. 314) schon 1904 (!) beobachtet hat: Jes 52,7 wird in 2,1 zitiert; 1,12 f greifen spät-dtr Sprache (zweimal »demütigen« mit Gott als Subjekt) und den jungen Vers Jer 30,8 auf. Bemerkenswert für eine Datierung der Komposition 1,9–2,1 ist vor allem die Bezeichnung des Erzfeindes Gottes, mit der der Abschnitt schließt: »Belial« bzw. »der Widergöttliche«. Weniger fällt ins Gewicht, dass ein Begriff gewählt wird, den man vergeblich im übrigen prophetischen Schrifttum sucht, wohl aber, dass Nah 2,1 ihn in einer für das Alte Testa ment ganz ungewöhnlichen, ja analogielosen Weise verwendet. Wird er üblicherweise eingesetzt, um attributiv den Charakter der Tat eines Menschen zu bezeichnen (oder aber, wie im älteren Vers 1,11, die Eigenart eines menschlichen Plans), so einzig in 2,1 absolut zur Kennzeichnung eines Menschen als Verkörperung dieser Eigenschaft des Widergöttlichen.
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Genau dies aber ist die übliche Weise der Verwendung des Begriffs in nach-alttestamentlicher Zeit, ob nun mit »Belial« der Anführer der eschatologischen Mächte, die gegen die »Söhne des Lichts« kämpfen, benannt ist wie in der Kriegsrolle von Qumran oder aber wie in einigen Pseud epigraphen der Satan, der die Menschen zur Sünde verführen will. Nah 2,1 steht an der Schwelle zu diesem Sprachgebrauch, der seinerseits ohne Nah 2,1 schwer verständlich bliebe. Nah 2,1 wird demnach auch zeitlich nicht allzu weit entfernt von den genannten Texten geschrieben worden sein. Was die zeitliche Ansetzung der Prophetenworte des älteren Nahum buches in Kap. 2–3 betrifft, so liegen sie aus der Perspektive des jüngeren Propheten bzw. Redaktors natürlich unmittelbar beieinander. Sicher erscheint mir, dass die schriftlichen Texte, die dem jüngeren Propheten vorgegeben waren, ausnahmslos den Fall Ninives im Jahr 612 v. Chr. voraussetzen, ja dieser Untergang wird der Anlass dafür gewesen sein, dass die Texte zu einer Schrift zusammengeordnet wurden: als Zeugnis der Macht Gottes und seiner Treue zu seinem Volk. (Allerdings fällt auf, dass Israel als Volk Gottes nirgends explizit zur Sprache kommt und stattdessen in Nah 2,12 f und in Nah 3 von der Brutalität der Assyrer gegenüber den unterworfenen Völkern im Allgemeinen die Rede ist.) Vor allem die Spottklagen, die die drei Ninive-Gedichte beschließen, reagieren mit hoher Wahrscheinlichkeit schon auf den Fall Ninives – allenfalls könnten sie in den Jahren unmittelbar zuvor niedergeschrieben worden sein, als sich der Niedergang schon sicher abzeichnete –, und Analoges gilt für den spöttischen Unterton, mit dem in 3,12–15a die hochgerüsteten assyrischen Heere als »Weiber« und die sprichwörtlichen assyrischen Festungen als Fallobst beschrieben werden. In die Jahre vor 612 gelangt ein Leser nur, wenn er die schriftliche Komposition der Kapitel 2–3 im älteren N ahumbuch durchbricht und nach möglichen mündlichen Einzelworten bzw. schriftlichen Einzeltexten fragt, die ihr zugrunde liegen können. Zur Frage nach mündlicher Verkündigung fordert vor allem die Untereinheit 3,8–11 auf, die Folgerungen aus der assyrischen Eroberung der berühmten Gottesstadt Theben in Oberägypten 663 v. Chr. für Ninive selber zieht, was nach 612 v. Chr. kaum noch sinnvoll gewesen wäre. Diskutieren kann man hier freilich und hat es seit langer Zeit getan, ob das 3,8–11 zugrunde liegende mündliche Prophetenwort näher an 663 und an das Ereignis der Einnahme Thebens (so etwa Seybold, Spronk, Dietrich) oder näher an 612 und an die Eroberung Ninives heranzurücken ist (so etwa Roberts, Nogalski). Hier kann man nur unterschiedliche Argumente gegeneinander abwägen. Einerseits klingt der Text so, als sei bei seiner Entstehung der Eindruck des Geschehens im fernen Südägypten noch relativ frisch gewesen. Andererseits wäre es wohl verfehlt, N ahums Verkündigung nur wegen 3,8–11 in die lange Regierungszeit Manasses zu datieren und mit Rudolph und Dietrich in den oppositionellen Untergrund zu verlegen. Neben 3,8–11 käme nur 3,1.4 f
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mit seinen harten Vorwürfen gegen Ninive, dessen »Rauben« und »Beutemachen« noch ungebrochen erfahren wurden, für eine so frühe Datierung in Frage. Alle anderen Texte in Nah 2–3 setzen schon ein geschwächtes und gefährdetes Assyrien voraus, namentlich die Satiren in 3,12–15a und 3,15b–17, die dem Theben-Wort folgen. Der einzige Text, der explizit auf die ungebrochene Stärke einer Fremdmacht verweist und daher gern für eine Frühdatierung von 3,8–11 in Anspruch genommen wurde, Nah 1,12, betrifft nicht Assyrien, sondern die Fremdmacht der (hellenistischen) Spätzeit, in der das gegenwärtige Buch Nahum entstand. Nimmt man alle genannten Gesichtspunkte zusammen, wird man sich die älteren Worte N ahums, Nah 3,1.4 f und 3,8–11, eher in der Anfangszeit des jungen Josia (ab 639 v. Chr.) vorstellen können als zur Zeit des gegenüber Assur nachgiebigen Manasse. Der allmähliche Niedergang des assyrischen Weltreichs zeichnete sich ja schon lange Jahre vor 612 ab, spätestens mit dem Tod Assurbanipals um 630; er hatte sich aber bereits 652 ein erstes Mal angedeutet, als der Aufstand Šamaš-šum-ukins gegen seinen Bruder Assurbanipal von einer großen Zahl von Nachbarvölkern unterstützt wurde. Der Machtverlust der Assyrer in Ägypten war schon wenige Jahre nach der Eroberung Thebens unübersehbar; ein gutes Jahrzehnt später vermochte es Psammetich I., die Assyrer endgültig vom Nil zu vertreiben, so dass Ägypten wiedervereinigt werden konnte. Auch für die poetisch großartige Darstellung der Einnahme Ninives in 2,4–11 ist eine – um der künstlerischen Gestaltung willen allerdings notwendig schriftliche – Abfassung vor 612 wahrscheinlich und nur dann ausgeschlossen, wenn der Text wirklich, wie von einigen Autoren (namentlich P. Machinist; vgl. u. S. 144 f) angenommen, in 2,7.9 auf eine Flutung Ninives anspielen würde, die die Babylonier im Zuge der Eroberung Ninives vollzogen hätten. IV. Die Botschaft Wer mit der hier vorgelegten Analyse des Buches N ahum der Auffassung ist, dass das Kap. 1 des Buches (genauer: 1,2–2,1 bzw. 2,3) um Jahrhunderte jünger ist als die folgenden Kapitel 2–3, wird die Botschaft des Buches anders lesen als die Ausleger, die es für literarisch einheitlich halten. Letztere deuten das Buch primär retrospektiv als Zeugnis einer von Gott bestätigten Prophetie in einer weltgeschichtlich entscheidenden Stunde. So gewiss Einzelworte bzw. -texte im Buch Nahum den Fall Ninives vorausschauend erwarten, so gewiss setzt doch die geordnete Zusammenstellung der Texte gegen Ninive und allemal deren Überlieferung den Fall der Stadt im Jahr 612 v. Chr. voraus. Die Treue Gottes zu seinem Wort wäre damit das entscheidende Thema des Buches. Ganz anders liest man das Buch unter der Annahme, dass Kap. 1 in (spät-persischer oder eher) hellenistischer Zeit verfasst worden ist. Dann handelt es sich beim Buch Nahum um Prophetie im wahren Sinn des
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Wortes, d. h. um eine zur Zeit der Niederschrift noch unerfüllte Sicht der Zukunft, für die der Fall Ninives als Paradigma des Handelns Gottes steht. Ja mehr noch: Es handelt sich – anders als bei den Einzelworten in Nah 2–3 – um Prophetie mit eschatologischer Perspektive. Allerdings kann man diesen Begriff im Blick auf das Alte Testament nicht verwenden, ohne darzulegen, was mit ihm gemeint ist. In den vergangenen Jahrzehnten hat es intensive Auseinandersetzungen um seinen Sinn gegeben.18 Wenn der Begriff auf ein neues Weltzeitalter wie in der nachalttestamentlichen Apokalyptik oder gar auf ein jenseitiges Heil angewandt wird, ist er für die alttestamentlichen Texte unbrauchbar. Wenn er dagegen für jede Art einer einschneidend veränderten Zukunftsperspektive gebraucht wird, wirkt er inflationär. Im Blick auf das Buch Nahum soll er durch zwei Elemente definiert sein, ein negatives und ein positives. Mit dem Begriff »Eschatologie« sind keine inhaltlich festgelegten Heilsvorstellungen verbunden, wohl aber wird auf eine innergeschichtliche Zukunft geblickt, die radikal von der erfahrenen Gegenwart unterschieden ist und zugleich endgültigen Charakter trägt, also irreversibel ist, so dass eine Wiederkehr des gegenwärtigen Leidens ausgeschlossen ist.
Eschatologische Botschaft in diesem Sinn kann man dem anfänglichen Hymnus, für sich genommen, noch nicht entnehmen, wohl aber, wenn man ihn im Zusammenhang mit der folgenden Komposition 1,9–2,1.3 liest, in der das »Nie wieder« bzw. »Kein zweites Mal« oder steigernd »Nie mehr wieder« zum Leitwort aller ihrer kleinen Untereinheiten geworden ist. Wenn man den Hymnus und die folgenden Gottesworte des Propheten sich gegenseitig interpretieren lässt, wird im vollen Umfang deutlich, warum die Gottesprädikationen des »eifernden« und »rächenden« Gottes so betont und programmatisch den Hymnus und mit ihm das ganze Prophetenbuch einleiten. Vom leidenschaftlichen »Eifer« Gottes – für oder gegen Israel – und von Gottes Sorge für das Recht im Sinn der »Rache« reden zahlreiche Texte im Alten Testament. Das Besondere am Eingang des Nahumbuches ist jedoch, dass diese Aussagen über Gottes leidenschaftlichen Einsatz nicht mehr wie üblich punktuelle Einzelerfahrungen von Menschen im Blick haben, die auf die eine oder andere Weise an Gott schuldig wurden oder unter fremder Schuld litten, sondern dass mit der adjektivischen bzw. partizipialen Bezeichnung Gottes als »eifernd« und »rächend« auf Eigenarten seines Handelns verwiesen wird, die ihn wesensmäßig prägen. Gott handelt dann nicht je und dann als »Rächer« und im Zorn, sondern grundlegend, eben seinem Wesen gemäß. Eine solche Charakterisierung Gottes ist nur möglich, wenn mit »Eifer«, »Rache« und »Zorn« nicht Reaktionen Gottes auf ein hin und wieder sich verfehlendes
18 Vgl. etwa den von H.-D. Preuss herausgegebenen Sammelband »Eschatologie im Alten Testament«: WdF XXX, Darmstadt 1978 oder den Artikel »Eschatologie II. Altes Testament« von R. Smend in TRE 10 (1982) 256–264.
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Handeln von Menschen bezeichnet sind, sondern wenn mit ihnen ein klares Ziel seines Handelns verbunden ist, dem seine Intention in allen Einzeltaten gilt. Das Ziel, auf das die Leidenschaft Gottes ausgerichtet ist, wird im Hymnus mit der »Vernichtung« seiner Feinde angegeben (1,8), ohne dass diese Feinde im Hymnus selbst und in der ihm folgenden Komposition benannt werden. Wenn man dieses Ziel im Kontext des Buches liest, muss man präziser formulieren: die definitive und endgültige Vernichtung der Feinde. Der thematisch leitende Begriff der »Rache« Gottes, in 1,2 dreimal wortgleich wiederholt, ist damit auf die weltweite Durchsetzung des Gottesrechts und auf die Wiederherstellung der schöpfungsgemäßen Ordnung der gesamten Welt ausgerichtet, wo immer diese in Gefahr geraten oder gar schon zerstört ist. Dabei treibt den Propheten, der den Hymnus anstimmt, ein seelsorgerliches Anliegen: Er will Gottes Leidenschaft im Einsatz für alle Gequälten und Unterdrückten Ausdruck verleihen; auf Dauer kann und wird Gott das Leid seiner Menschen, das ihnen von anderen Menschen zugefügt wird, nicht ertragen. Weil dieses Ziel Gott so sehr am Herzen liegt und die Gefährdung seiner Weltordnung ein so bedrohliches Maß angenommen hat, dass er zum Eingreifen gegen seine Feinde mit allem »Eifer« genötigt ist, ist seiner »Rache« sein todbringender »Zorn« zugeordnet, dessen zerstörerische Kraft im Bild des fressenden Feuers ausgemalt wird; nicht einmal Felsen können ihm standhalten. Im Zorn hält Gott das Chaos in Schach und treibt es mit seiner bloßen Stimme zum Rückzug; vor Gottes Zorn verdorren blühende Landschaften und beginnen festgefügte Berge zu zittern. Bei Menschen löst Gottes Zorn die erschrockene Frage aus: »Wer kann vor seinem Groll bestehen?« (1,6). Es ist eine Frage, die andernorts (wie auch zahlreiche andere Züge der Theophanieschilderung 1,3b–6) mit der Tradition des »Tages JHWHs« verbunden ist, der unentrinnbar tödlich ist. Nicht einmal die Unterwelt bietet einen Ort, an dem sich Menschen, die zu Feinden Gottes geworden sind, vor Gottes Zorn verbergen können (1,8b; vgl. Hi 14,13). Das Überraschende am Hymnus, der das Buch Nahum einleitet, ist nun, dass sich für einen kurzen Moment mitten in dieser unter Gottes »Rache« und Zorn vergehenden Welt ein Zufluchtsort auftut, der Rettung gewährt. Kein anderer vermag diese Zuflucht zu gewähren als derselbe Gott, den der Hymnus sowohl davor als auch danach in seinem unwiderstehlichen Vernichtungshandeln zeichnet. Rettung gilt aber nicht Israel als solchem, auch nicht allgemein Menschen, die vor Gott als tadelsfrei erfunden werden, sondern Menschen, die sich in der Not »bei ihm bergen«, d. h. die in aller Erfahrung von Unterdrückung von außen und von Ungerechtigkeit im Innern Hilfe und Rettung allein bei ihm erwarten, wie es analog viele Vertrauenspsalmen des Psalters von vorbildlichen Betern aussagen. Vergleichbar bietet Joel 3,5 am tödlichen »Tag JHWHs« allein denjenigen Rettung an, die auf dem Zion »den Namen JHWHs anrufen«.
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Nur in diesem einen Vers spricht das Buch N ahum von einer Rettung Einzelner. Kollektive Kategorien werden hier offensichtlich bewusst vermieden. Wenn dann am Höhepunkt der folgenden Komposition in 2,1 auf ein feierndes Juda geblickt wird, nachdem Gottes Erzfeind vernichtet sein wird, kann für einen Leser, der die Worte des Hymnus im Ohr hat, mit »Juda« nur die Gemeinde aus den Menschen gemeint sein, die in der Zeit der Not bei Gott Zuflucht gesucht und gefunden haben. Ob einzelne Nicht-Judäer in die Vertrauensaussagen, die dem Psalter entnommen sind, eingeschlossen sind, kann man fragen, aber nicht sicher beantworten; in 1,7b heißt es, dass Gott die Menschen, die sich bei ihm bergen, »kennt«, d. h. mit ihnen in einem engen Vertrauensverhältnis steht. Den Gegensatz zu den Menschen, die sich in der Not bei Gott bergen, bilden in Nah 1 nicht Menschen, die Unrecht tun, sondern die der prophetischen Ankündigung der »Rache« Gottes keinen Glauben schenken. Diesen Zweifel verurteilen die Brückenverse 1,9 f, die den Hymnus mit der folgenden Komposition verbinden, mit erstaunlicher Schärfe, indem sie ihn mit einem Verb benennen (»seine Gedanken gegen Gott richten«), das in V. 11 die Absichten des Erzfeindes Gottes bezeichnet, um dessen bevorstehende Vernichtung es Gott und seinem Propheten zuallererst zu tun ist.19 So wird das fehlende Vertrauen einzelner Glieder der Gemeinde gegenüber der Sorge Gottes um seine Welt auf eine Ebene mit dem Handeln des schlimmsten Feindes Gottes gerückt! Dabei hatte der Hymnus den Zweiflern insofern grundsätzlich Verständnis entgegengebracht, als er im modifizierten Zitat der sog. Gnadenformel von Gottes Geduld (»langsam im Zorn«) auch gegenüber dem Wirken seiner Feinde sprach. Aber der in 1,9 f hart verurteilte Zweifel reicht tiefer; er drückt nicht nur Ungeduld mit Gottes Eingreifen aus, für die der Prophet Verständnis zeigt, sondern bestreitet Gottes Willen, seine Gerechtigkeit in der Welt durchsetzen zu wollen (»Rache«), und er bestreitet zugleich das prophetische Wort, das Gottes Eingreifen für die unmittelbare Zukunft ankündigt. Mit dem Beginn der Komposition 1,9–2,1(.3) ändern sich Eigenart und Tonlage der Texte grundlegend, insofern sie zur Form der Anrede übergehen. Jetzt werden die generellen Gottesprädikationen des Hymnus auf eine aktuelle Notlage der Gegenwart appliziert, ohne dass jedoch Eigennamen genannt werden (Ausnahme: »Juda« in 2,1). Auf diese Weise bleibt der Charakter des Allgemeinen und Grundsätzlichen der Aussagen über Gott und seine Feinde erhalten, und es umgibt sie eine Aura des Geheimnisvollen. Der Text erhält jetzt aber seine unübersehbar »eschatologische« Ausrichtung im eingangs genannten Sinn, indem immer neu das Leitwort »Nie wieder« bzw. »Kein zweites Mal« bzw. »Nie mehr wieder« (1,9.12.14; 2,1) erklingt.
19 Deutlicher als alle anderen Ausleger hat M. A. Sweeney das Gewicht dieser Verse für das Buch als Ganzes erkannt (Structure, 374 f).
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Zwei Gottesworte stehen im Zentrum des Textes, ein überkommenes älteres (1,14 mit Begründung in 1,11) und ein vom Propheten selbst empfangenes jüngeres (1,12–13). Beide sind aufs engste miteinander verzahnt. Deutlicher könnte nicht angezeigt werden, dass der Prophet der (hellenistischen) Spätzeit das von ihm empfangene Gotteswort, das ihn möglicherweise zur Abfassung des Buches trieb (vgl. o. S. 19), auf einer Linie mit dem alten Gotteswort des 7. Jh. sah, beide einander ergänzend, beide einander interpretierend. Sie stimmen vor allem in einer Hinsicht überein, die sachlich entscheidend ist: In beiden Gottesworten verändert sich das Bild der Feinde Gottes im Vergleich zum Hymnus einschneidend. Werden die Feinde im jüngeren Gotteswort anfangs noch wie im Hymnus pluralisch Gegner Gottes genannt (1,12; vgl. 1,10), so richtet sich mit dem Zitat des älteren Gotteswortes ab 1,11 der Fokus immer stärker auf einen Einzelnen, der das Kollektiv repräsentiert und als Erzfeind Gottes erscheint, ohne dass das Kollektiv oder ein Einzelner doch bei Namen genannt würden. Je mehr der Text voranschreitet, spüren die Leser, dass diese Akzentverschiebung mit der eschatologischen Ausrichtung der Botschaft des Propheten zusammenhängt: Ist der Widersacher und Erzfeind Gottes einmal besiegt, werden auch keine neuen kollektiven Feinde mehr ihr Haupt erheben können. Wer ist dieser Widersacher? Sachlich erfährt der Leser wenig Konkretes. Wesentlich ist, dass ganz andere Aspekte zu Wort kommen, je nachdem, ob von den Menschen, die von der Macht des Feindes betroffen sind, die Rede ist oder aber ob Gott im Blick ist, der gegen ihn eingreift. Wenn auf die Menschen geschaut wird, erscheint der Feind als Anführer eines riesigen Heeres, als der er am Ende des Buches, wenn alles Entscheidende gesagt ist, als »König von Assur« (3,18) benannt wird. Als solcher hat er mit seinen Soldaten Juda »unterjocht« (1,13), hat das Land okkupiert (2,1b) und über es bittere »Not« gebracht (1,9), so dass alle Festgottesdienste unterbleiben mussten (2,1). Wird aber auf Gott geblickt, so herrschen Assoziationen eines Zweikampfes vor.20 Die Formel »Wohlan, ich will an dich«, mit der im älteren Text (3,5) die sehr persönliche Bestrafung der Frau eingeleitet ist, wird in der jüngeren Neudeutung (2,14) zu einer Art Kriegserklärung. Der Erzfeind Gottes hat »Böses« und »Widergött liches« im Sinn gehabt, und zwar »gegen JHWH« (1,11), ohne dass jedoch gesagt wäre, worauf das feindliche »Planen« zielte. Nur so viel wird deutlich: Der im Alten Testament analogielose Vorwurf, »Widergöttliches« ( )בליעלgegen Gott zu planen, wird noch einmal extrem gesteigert, wenn Gottes Erzfeind am Ende der Komposition – ebenso analogielos – selber als Belial, als der personifizierte »Widergöttliche« erscheint und als solcher vernichtet wird. 20 Eine enge Sachparallele liegt in Ex 15 vor, wo die Schilderung des Schilfmeerwunders aus Ex 14 zur Darstellung eines Zweikampfes Gott – Pharao umgestaltet wird.
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Die Assoziationen, die ein mit den Texten des Alten Testaments vertrauter Leser beim Hören des Begriffs Belial bzw. »der Widergöttliche« mitbringt, betreffen primär die Zerstörung der göttlichen Ordnung: Menschen mit Belial-Charakter haben keine Hemmungen, falsches Zeugnis abzulegen, sie beleidigen Gott und den König, missachten kultische Regeln und verleiten zur Anbetung fremder Götter. Zugleich sind sie Vertreter des Chaos bzw. einer Todeswelt, die Verderben über andere Menschen bringt (vgl. den Exkurs u. S. 113 ff). Frühere Aussagen des Hymnus gewinnen mit diesen Assoziationen neues Gewicht, etwa Gottes »Rache«, die auf eine Wieder-Errichtung der zerstörten universalen Ordnung Gottes zielt, oder Gottes Zurückdrängung der chaotischen Wasser, als diese ihre Macht ausüben wollen (1,4). Für das Buch N ahum bedeutet Gottes angekündigter Sieg über Belial ungleich mehr als die Niederlage einer bedrückenden Fremdmacht. Es ist der Sieg Gottes über den Bösen schlechthin, und nur weil die Vernichtung Belials diese mythische Qualität besitzt, kann in Permanenz in 1,9–2,1 wiederholt werden, dass die erlebte Not wie seinerzeit die Sintflut »kein zweites Mal« bzw. »nie mehr wieder« auftreten werde. Belial wird sein Haupt »nie wieder« erheben; mit Belials Vernichtung setzt Gottes Heilszeit ein. In diese Siegeszuversicht hinein klingen verborgen Themen großer Propheten des Alten Testaments. So wird in 1,12b und 2,3 im Anschluss an die Theologie Jesajas der Gedanke geäußert, dass die von Gott besiegte Feindmacht anfangs Gottes Werkzeug zur Demütigung seines schuldigen Volkes war, das in seiner doppelten staatlichen Gestalt im Vertrauen auf die eigene Macht seinen »Hochmut« gegenüber Gott erwiesen hatte. Diese Demütigung wird freilich jetzt ein Ende nehmen, weil der von Gott beauftragte Feind seine Kompetenzen weit überschritten hat und die totale Verwüstung des Landes im Sinn hatte. In Nah 2,1 wird andererseits die Heilsbotschaft Deuterojesajas teilweise wörtlich zitiert, ohne dass ein Leser mit Gewissheit zu sagen vermöchte, ob mit dem Zitat auch der Zielpunkt des zitierten Textes, die neue Evidenz der Königsherrschaft JHWHs, mit im Blick des Autors lag. Eine explizite Sicht des zukünftigen Heils entwirft das Buch Nahum nicht; es ist angesichts des Ausmaßes der Not ganz auf deren Ende ausgerichtet. Sicher ist dagegen, dass der Prophet der Spätzeit der Meinung war, dass in der bevorstehenden Vernichtung Belials die Botschaft des großen Exilspropheten zu ihrer vollen Erfüllung kommen werde. Aus Nah 2,1, dem Dreh- und Angelpunkt des Buches, geht auch hervor, wie die literarisch weit älteren Prophetenworte in Kap. 2–3 im Zusammenhang mit Kap. 1 gelesen werden sollen: nicht als historische Reminiszenz an ein weltgeschichtlich bedeutendes Ereignis, auch nicht als ein Paradigma aus ferner Vergangenheit für ein zukünftiges Gotteshandeln, sondern als Darstellung verschiedener Aspekte der Entscheidungsschlacht, in der Gott Belial und seinem Treiben ein definitives Ende bereiten wird.
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Die Kapitel Nah 2–3 müssen also auf zwei verschiedenen Ebenen gelesen werden: als Worte gegen Ninive und als Worte gegen »Belial«. In beiden Kapiteln wird ein älterer Sinn mit kollektivem Horizont am Ende des Gedankenganges auf eine Einzelgestalt, eben auf Belial hin, konzentriert und umgedeutet, wie es analog in der vorangehenden Komposition 1,9–2,1 auch der Fall war. In Kap. 2 wird die künstlerisch gestaltete grandiose Schilderung der Eroberung Ninives (2,2.4–11) zur Schilderung der Einnahme des Wohnorts des »Widergöttlichen«, nicht ohne dass das sich anschließende Spottlied über das Ende der Raubzüge der Löwen auf Belial selbst als den königlichen Löwen bezogen wird, wie der zugefügte V. 14 am Ende des Kapitels zeigt. Wenn in diesem V. 14 die Ausrottung der Kriegswagen und der zahlreichen Boten Belials hervorgehoben werden, wird (wie in Ps 46,10) auf eine kommende Friedenszeit ohne Waffen geblickt und ohne das gefürchtete Meldesystem der (persischen bzw.) hellenistischen Besatzungsmacht. Entsprechend wird im zweiten Teil von Kap. 3 (3,8 ff) das nutzlose Vertrauen Ninives auf seine geographische Lage, auf seine modernsten Festungen und seine damit verbundene scheinbare Unverwundbarkeit sowie auf seine ausgeklügelte Verwaltung – Grundlage der assyrischen Besetzung fremder Territorien – auf Belial bezogen, den »König von A ssur« (3,18).21 Für Belial gibt es keine »Zufluchtsstätte« ( )מעוזwie für die Menschen, die sich bei JHWH bergen (1,7). Stattdessen erfährt er in seinem Untergang den Trank aus dem Taumelbecher mit Rauschtrank (3,11), wie ihn JHWH allen schuldigen Völkern reicht (Jer 25,15 ff; Ob 16; Hab 2,15 f u. ö.). Wenn seine Heeresmacht über die Berge hin zerstreut sein wird (3,18), wird er zu spät gewahr werden, dass der wahre »Zerstreuer«, der vor seiner Residenz stand (2,2), der Gott war, gegen den er frevelhaft »Böses plante« (1,11). Erstaunlich ist, dass der Prophet der Spätzeit das Thema der Schuld Belials allein mit den Worten der älteren Ninive-Sprüche ausdrückt: ein Indiz dafür, wie sehr sich der jüngere Prophet der Botschaft des älteren verbunden fühlte. Für ihn war mit den überlieferten Worten N ahums alles Wesentliche über die Schuld Belials gesagt, die demnach identisch mit derjenigen »Ninives« ist. Neben dem soeben zitierten Spruch 1,11 ist von ihr (implizit in 2,12–14 und) explizit nur im Weheruf 3,1–7 die Rede, der vermutlich mit Absicht ins Zentrum der drei Ninive-Gedichte gestellt wurde. Danach richten sich die Vergehen »Ninives« und Belials sowohl gegen Gott als auch gegen die Menschen; aber beide Arten von Schuld sind nicht gleichgewichtig. Die Menschen werden brutal unterdrückt und ihres Besitzes beraubt, so dass »Ninive« mit dem Titel »Stadt der Blutschuld« bezeichnet wird, mit dem Ezechiel Jerusalem charakterisiert (Ez 22,2; 21 Die typologische Verwendung der Namen »Assur« und »Ninive« für spätere Gewaltherrschaft ist vielfach belegt; vgl. etwa Num 24,24; Hos 11,11; Jes 10,12.24–27; Mi 5,4 f; Jona 3 f; Ps 83,6 ff; Tob 14,15.
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24,6.9). Aber mit diesem Schuldaufweis ist schon in 3,1 sogleich der Vorwurf des »Betrugs« verbunden, der der Hosea-Überlieferung entnommen ist und bei Hosea stets den »Betrug gegenüber Gott« meint. So zeigt der Text von Anbeginn, dass er nicht bei der sozialen Dimension der Schuld stehenbleiben will, sondern auf das Gottesverhältnis Belials abzielt. In V. 4 wird Ninives bzw. Belials Beziehung zu Gott und zu den Völkern mit den Begriffen »Hurerei« und »Zauberei« bezeichnet. Diese Anklagen sind in der Forschung überwiegend – wie schon im Fall des »Betrugs« – rein politisch gedeutet worden, als »Betrug« an den Völkern und als »Hurerei« mit ihnen. Jedoch fehlen für eine solche Sicht die Parallelbelege. Sie finden sich dagegen in großer Zahl für »Hurerei« als Begriff für Israels verfehltes Gottesverhältnis, vor allem bei Hosea, Jeremia und Ezechiel. Kühner als alle anderen Propheten, die fremde Völker im Namen Gottes angeklagt haben, hat Nahum Maßstäbe, die von Haus aus Israel galten, auf Assur bzw. Ninive angewandt. So wird mit dem vor allem von Hosea geprägten Begriff der »Hurerei« auf die besondere Verantwortung Ninives bzw. Belials angespielt, die sie als Herrscher über die Völkerwelt vor Gott tragen, die sie aber nicht wahrzunehmen gewillt sind, weil sie sich stattdessen lieber an den Völkern bereichern und sie unterdrücken. Der Begriff der »Zauberei« steigert die Selbstbezogenheit des Feindes Gottes noch, indem er auf die allgemein – und nicht nur in Israel – geächteten gottwidrigen Mittel verweist, der sich Belial bediente. Dass mit dem Begriff der »Hurerei« in Nah 3,4 tatsächlich die Assoziation Ehebruch und nicht nur – wie von den meisten Auslegern angenommen – die Vorstellung der Prostitution verbunden ist, zeigt der folgende Vers (3,5), in dem Gott Ninive im Bild der »Hure« als Ehebrecherin zur Rechenschaft zieht und sie öffentlich zur Schau stellt. Bei der Verantwortung vor Gott im kühn übertragen verwendeten Ehebild mag der Autor des Buches an die ursprüngliche Funktion Belials als Werkzeug Gottes zur Bestrafung seines unbotmäßigen Volkes gedacht haben (1,12b), die Belial in schrecklicher Weise missbrauchte, bei der »Zauberei« an die mythologische Dimension des Bösen, die schon im Namen »Belial« zum Ausdruck kommt und im Vorwurf der Verehrung von Götterbildern (1,14) und »Scheusalen« (3,6) weiter ausgeführt wird. Jedenfalls wird in 3,1–7 die Kategorie militärischer Vorstellungen, wie sie in den anderen Ninive-Gedichten (und in 3,2 f) vorherrscht, deutlich verlassen und stattdessen an Schuldkategorien früher Propheten, besonders Hoseas, angeknüpft. Belial erscheint (wie auch Ninive) nicht primär als Israels, sondern als Gottes eigener Feind, ja, wie der Leser aus 1,11 und 2,1 weiß, als Gottes Erzfeind. Als solcher wird er in Nah 3 der endgültigen Schande preisgegeben, und niemand wird um seinen Tod trauern (3,7), weil alle unter seiner Bosheit gelitten haben (3,19). Zusammenfassend kann man die Intention der drei Teile des Buches Nahum, die so ganz anders als in anderen Prophetenbüchern angeordnet sind, so charakterisieren:
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1. Der anfängliche Hymnus (1,2–8) will die systematische Grundlage des Buches legen, indem er Aspekte des Wesens Gottes offenlegt, ohne deren Kenntnis ein Leser des Buches das im Folgenden angekündigte eschatologische Handeln Gottes nicht verstehen könnte. 2. Der literarisch komplexe Mittelteil (1,9–2,1.3) will dem aufbrechenden Zweifel der Leser begegnen, indem er die beiden zentralen Gottesworte des älteren Propheten, Nahum, und des jüngeren Propheten, der das Buch Nahum zusammengestellt hat, zitiert und miteinander verbindet. Sie künden das Ende der göttlichen Demütigung Judas und die Vernichtung des Hauptschuldigen an, der mythologische Züge annimmt, wenn er als Erzfeind Gottes »Belial« genannt wird. 3. Der Hauptteil des Buches (2,2–3,19) expliziert diese Ankündigung, indem er im Anschluss an Worte N ahums die Eroberung und Einnahme »Ninives« schildert (Kap. 2), die Schuld Ninives bzw. Belials zusammenfasst (3,1–7) und die zweifelnden Argumente der Leser widerlegt, dass »Ninive« doch geographisch vorzüglich geschützt und glänzend befestigt sei und außerdem über so zahlreiche Beamte verfüge (3,8–19). Alle diese Vorzüge werden »Ninive« nichts nützen, wenn Gott zu seiner Bestrafung schreitet (3,5), die zu seiner Vernichtung führen wird (1,8.14; 2,1). V. Das Buch als Teil des Zwölfprophetenbuchs Wenn es zutrifft, dass das Buch N ahum ein junges Buch der Spätzeit des Alten Testaments ist, kann es die Entstehungsgeschichte des Zwölfprophe tenbuchs nicht wesentlich mitgeprägt haben. In der Tat gibt es – anders als etwa bei den Büchern Joel oder Amos – nur wenige sprachliche und konzeptionelle Verbindungslinien zu den übrigen Büchern der Kleinen Propheten. Anders ist es nur im Fall der beiden Nachbar-Bücher (im hebräischen Text) Micha und Habakuk, wie G. Baumann (Gottes Gewalt, 186–201) aufgewiesen hat, wobei die Nähe zum folgenden Buch Habakuk vielfältiger ist und Exegeten wie J. Nogalski (Redactional Processes, 181), A. Schart (Entstehung, 234 ff) und R. Kessler (Nahum-Habakuk) zu der gut begründeten Vermutung veranlasst hat, die Bücher Nahum und Habakuk seien gemeinsam Teil des Zwölfprophetenbuchs geworden, so gewiss sie sich diesen Prozess im Einzelnen sehr verschieden vorstellen. Für diese Vermutung spricht schon die Tatsache, dass gemäß dem System der älteren Überschriften der Prophetenbücher das Buch Zephanja einmal dem Buch Micha gefolgt ist. Wie aber ist das Buch Nahum in seinem neuen Kontext gelesen worden? Diese Frage betrifft in erster Linie sein Verhältnis zu den beiden vorausgehenden Büchern Micha und Jona. Denn das im hebräischen Kanon unmittelbar zuvor positionierte Michabuch endet in einer Verwendung der sog. »Gnadenformel« (Ex 34,6 f mit Par.), die von derjenigen des Anfangs des Nahumbuchs denkbar weit entfernt, ja ihr geradezu diametral ent-
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gegengesetzt ist, und das Jonabuch handelt von »Ninive«, der Stadt, die im Zentrum des Nahumbuchs steht, als wolle sie der Botschaft des Buchs Nahum strikt widersprechen. Zunächst zum Buch Micha. Auffällig und im Werden des Zwölfprophetenbuchs kaum zufällig ist, dass Elemente der Gnadenformel nicht nur sowohl im Buch Micha als auch im Buch N ahum eine prägende Rolle spielen – das gilt auch für die Bücher Joel und Jona22 –, sondern dass das Buch Micha mit ihr endet und das Buch Nahum mit ihr einsetzt. Dabei ist die Intention des jeweiligen Gebrauchs des wichtigsten Bekenntnisses Israels hier wie dort denkbar verschieden. Das Buch Micha schließt mit einem Hymnus auf Gottes Vergebungsbereitschaft, von der das schuldige Gottesvolk lebt; die Unvergleichlichkeit JHWHs, früher mit seinen Machttaten begründet, wird in Mi 7,18–20 mit den Erfahrungen seiner Vergebung belegt. Um das Wunder dieser Vergebungsbereitschaft Gottes hervorzuheben, wird Gottes unterschiedliches Verhältnis zu seiner »Güte« ( )חסדund seinem »Zorn«, das das Zentrum der »Gnadenformel« bestimmt, hervorgehoben. Dagegen fehlt jeder Hinweis auf Gottes Strafe, wie sie in Ex 34,7 expliziert wird. In Nah 1,3a ist es genau umgekehrt. Das Thema der Vergebung fehlt, ebenso jeder Hinweis auf Gottes Barmherzigkeit und Gnade, stattdessen wird mit der »Gnadenformel« (die man hier so nicht nennen dürfte) die Gewissheit belegt, dass Gott die Schuld »seiner Feinde« strafen wird. Die Betonung, dass Gott »langsam zum Zorn« ist, dient jetzt dazu, den Lesern des N ahumbuches einzuschärfen, dass Gottes Geduld angesichts der Dimension der Schuld seiner Feinde an ihre Grenze gerät und diese bald die ganze Macht seines Zorns zu spüren bekommen werden. Nach Nah 1,2b dauert Gottes Zorn an, bis er sein Ziel erreicht hat; nach Mi 7,18 gönnt Gott seinem Zorn nur kurze Zeit, um seiner eigentlichen Intention, der Güte, Raum zu gewähren. Wie sind dann im fertigen Zwölfprophetenbuch beide so unterschiedlichen Explikationen der »Gnadenformel«, die unmittelbar aufeinander folgen, zusammenzudenken? Man könnte an eine Art Ausgleich denken, so dass beide Anspielungen auf die »Gnadenformel«, die sie jeweils mit einer absichtsvollen Einseitigkeit in eine Richtung ausdeuten, gegenseitig begrenzen würden. Näher scheint mir eine Intention der Redaktoren zu liegen, die beiden Deutungen der »Gnadenformel« in Mi 7 und Nah 1 als extreme Implikationen des Bekenntnisses zu Gottes Güte und Langmut einander zu konfrontieren, je nachdem, ob ein Israel betroffen ist, das weiß, 22 Die Annahme R. C. van Leeuwens (Scribal Wisdom and Theodicy in the Book of the Twelve: L. G. Perdue u. a. [Hg.], In Search of Wisdom, Louisville 1993, 31–49), die verschiedenen Ausprägungen der »Gnadenformel« im Zwölfprophetenbuch spiegelten die theologische Intention des Redaktors auf der Endtextebene wider, verkennt deren ganz unterschiedliche Funktion im jeweiligen Einzelbuch. Weit differenziertere Überlegungen zur Funktion der »Gnadenformel« im Zwölfprophetenbuch bietet R. Scoralick, Gottes Güte, 212–215.
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dass es von Gottes Vergebung lebt und ganz auf sie angewiesen ist, oder aber ob Gottes »Feinde« im Blick sind, zu denen auch die religiös indifferenten und gleichgültigen Glieder im Gottesvolk gerechnet werden. Das Bekenntnis der »Gnadenformel«, das von Haus aus das Ungleichgewicht von Güte und Zorn in Gottes Handeln beschreiben wollte, wird im Nebeneinander von Mi 7 und Nah 1 dazu verwendet, die grundlegend verschiedenen Geschicke derer dazustellen, die ihr Vertrauen auf Gott legen oder aber zu seinen Widersachern geworden sind. Weit intensiver diskutiert ist die Frage, wie das Buch Nahum nach der Erzählung vom Propheten Jona zu verstehen sei. Bereits die Rabbinen haben diese Frage leidenschaftlich erörtert. Das Verhältnis zwischen beiden Texten ist schon insofern besonders komplex, als eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die schriftliche Gestalt der Erzählung von Jona auf die Prophetie Nahums reagiert hat, bevor im fertigen Zwölfprophetenbuch das Buch Nahum auf die Jona-Erzählung antwortet.23 Der wichtigste Anhalt für eine solche Vermutung besteht (neben generellen Erwägungen) in der Tatsache, dass das (ältere wie das jüngere) Na humbuch mit der rhetorischen Frage schließt, ob jemand denkbar sei, der nicht »ständig« unter der »Bosheit« Ninives gelitten habe, und damit hervorhebt, dass dies faktisch für alle Völker, ja für die gesamte Menschheit gilt, während die Erzählung vom Propheten Jona damit einsetzt, dass Gott Jona nach Ninive senden will, weil Ninives »große Bosheit« (jeweils )רעה vor Gottes Angesicht gekommen sei.24 Sollte die Jona-Erzählung demnach zunächst als Reaktion auf das Nahumbuch zu verstehen sein, käme dafür freilich nur das ältere Nahumbuch der Kap. 2–3 in Frage. Wie aber hat man dann das N ahumbuch, das Gott so hart die Schuld Ninives bestrafen lässt, nach der Erzählung vom Propheten Jona gelesen, die Gottes Fürsorge für Ninive ins Zentrum stellt? Die Rabbinen haben mehrheitlich angenommen, die Buße der Niniviten sei letztlich doch oberflächlich gewesen oder habe nicht allzu lange vorgehalten.25 Für eine solche Vermutung gibt es freilich keinen Anhalt in den Texten. M. E. liegt der Schlüssel zur Beantwortung der Frage im Begriff »Belial« (Nah 2,1). Wenn »Ninive«, von seinem König repräsentiert, zum Erzfeind Gottes und zur Verkörperung des Bösen schlechthin geworden ist, dann ist eine Buße »Ninives«, wie sie nach der Erzählung von Jona von Gott erhofft wird, als Möglichkeit ausgeschlossen und das Heil der Welt nur in seiner Vernichtung zu erwarten. Die Ankündigung der totalen Ausrottung »Belials« ist 23 Im Qumran-Fragment 4QXIIa (um 150 v. Chr.) ist ein Zwölfprophetenbuch bezeugt, in dem Jona in Schlussstellung erscheint; vgl. O. H. Steck, Zur Abfolge Maleachi-Jona in 4Q76 [4QXIIa]: ZAW 108 (1996) 249–253. In einer solchen Buchreihung würde die Jona-Erzählung auf der Endtextebene natürlich auf das Nahumbuch reagieren und nicht umgekehrt. 24 Andere Gründe nennt B. M. Zapff, Die Völkerperspektive, 91. 25 Vgl. die Belege bei B. Ego, The Repentance of Nineveh, 155–164 und A. C. Hagedorn, Die Anderen, 42–44.
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darum auch auf dem Höhepunkt des Nahumbuches Voraussetzung der Festfreude der Gemeinde. In diesem Zusammenhang gilt es zu betonen, dass »Ninive« nie im Zwölfprophetenbuch als Repräsentant der Völkerwelt erscheint, als das es in mehreren neueren Arbeiten zum Dodekapropheton irrtümlich in Anspruch genommen wird.26 Schon die Jona-Erzählung selber unterscheidet absichtlich zwischen einer bunten Völkerwelt in Gestalt der Matrosen, die das Bekenntnis Jonas zum Schöpfer der Welt schnell annimmt und so vor dem Untergang bewahrt bleibt, und einem »bösen« Ninive, das einer extremen Buße bedarf, um nicht vernichtet zu werden.27 Für das »Ninive«, das das Buch N ahum als »Belial« anredet, ist Buße ein prinzipieller Widerspruch. Seine Vernichtung ist die einzige Möglichkeit, damit das volle Heil Gottes zu den Völkern gelangen kann. Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf die Beziehung des Buches Nahum zum folgenden Buch Habakuk in der Leseabfolge des Zwölfprophetenbuches geworfen. Deutlich erkennbar ist, dass der starken Heilsgewissheit des N ahumbuches aufgrund seiner zentralen Gottesworte im Buch Habakuk retardierende Elemente begegnen, insofern sogleich am Anfang (Hab 1,2–4) von schwerer Schuld im Gottesvolk die Rede ist, die dem Heil Gottes entgegensteht, und der Prophet im Folgenden klagen muss, dass das von Gott zugesagte Eingreifen auf sich warten lässt. Aber mit diesen retardierenden Elementen wird die Botschaft des Buches Nahum nicht infrage gestellt (so T. Collins, The Mantle of Elijah, 74), da der abschließende Hymnus des Buches Habakuk zahlreiche Aussagen der Theophanieschilderung Nah 1,3b–6 aufgreift, verbreitert und vertieft. Die sich an die hymnische Theophanieschilderung anschließende Reaktion des Propheten (Hab 3,16) nimmt darüber hinaus betont den Begriff des »Tages der Not« ( )יום צרהaus Nah 1,7 auf. So wird durch das Buch Habakuk letztlich die Heilserwartung des Buches Nahum noch verstärkt, wenn auch die Leser zu großer Geduld aufgefordert werden, weil menschliche Schuld das Anbrechen der Heilszeit Gottes verzögert. VI. Der Text und seine Zeugen Wie sehr der hebräische Text um die Zeitenwende noch im Fluss war und in vielen – zumeist kleineren – Varianten überliefert wurde, haben neben den zahlreichen älteren Textfassungen der G insbesondere die Hand schriften aus Qumran gezeigt. Von Bedeutung ist hier das zwischen 50 26 Explizit von Zapff, Völkerperspektive, 95 (»Ninive = Völkerwelt«), ähnlich aber auch von Roth, Hagedorn und Wöhrle in ihren redaktionsgeschichtlichen Erwägungen. 27 Vgl. J. Jeremias, Die Sicht der Völker im Jonabuch (Jona 1 und Jona 3), in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. FS O. Kaiser: BZAW 345/I (2004) 555–568.
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und 100 n. Chr. geschriebene hebräische Dodekapropheton vom Wadi Murabba’at (Mur 88)28, weil es in seinen Lesarten dem masoretischen Text (MT) durchgängig sehr nahesteht und zumeist nur in graphischen Varianten von ihm abweicht. In Mur 88 findet eine beabsichtigte Text-Festlegung statt; es beginnt eine Standardisierung des Textes, aufgrund deren Mur 88 als »proto-masoretisch« eingestuft wird. Von textkritisch großem Gewicht sind deshalb die älteren unter den Handschriften, die Texte des Zwölfprophetenbuchs bzw. des Buchs N ahum bezeugen und überwiegend aus dem 1. Jh. v. Chr. stammen. Sie weichen stellenweise deutlich vom MT ab und gelten daher als »prä-masoretisch«. 1. Am bedeutendsten ist der Pescher N ahum (4Q169 = 4QpNah)29, ein fortlaufender Kommentar über das gesamte Buch N ahum, der jeweils einen Passus des Buches zitiert, um ihm sodann eine Deutung für die Gegenwart des Verfassers folgen zu lassen. Erhalten sind vom Bibeltext Nah 1,3b–6; 2,12b–14 und 3,1–14. 2. 4Q82 (=4QXIIg)30 ist nur noch sehr fragmentarisch erhalten und bietet Nah 1,7–9; 2,9–11 und 3,1–3.17. 3. In 4Q385a (= 4QJerApocrCa), Fragment 17a-e31 wird Nah 3,8–10 zitiert. Dieses Fragment soll sogleich näher betrachtet werden. 4. Eine eigene griechische Texttradition bezeugt die Zwölfprophetenrolle aus dem Nah.al H. ever (8ḤevXIIgr).32 Erhalten sind in ihr – teilweise fragmentarisch – Nah 1,13 f; 2,5–10.13 f und 3,3.6–17. Hinzu kommen die breitgefächerte griechische Textüberlieferung der G, die in der Göttinger Ausgabe leicht zugänglich ist33, zusammen mit den hexaplarischen Neuentwürfen (’A, Σ und Θ) und den Tochterübersetzungen der G; außerdem S34, V und die aramäischen Targumim.35 Insgesamt zeigt sich für das Buch N ahum, dass auch schon in der Zeit vor Mur 88 die Gestalt des hebräischen Textes bemerkenswert stabil war 28 P. Benoit / J. T. Milik / R. de Vaux, Les grottes de Murabba’at: DJD II, Oxford 1961. 29 J. M. Allegro / A. A. Andersen, 4Q158–4Q186: DJD V, Oxford 1968; neu ediert von G. L. Doudna, 4QPescher Nahum: A Critical Edition: JSP.S 35 / Copenhagen International Series 8, Sheffield 2001; dazu S. L. Berrin, The Pesher Nahum Scroll from Qumran. An Exegetical Study of 4Q169: STDJ 53, Leiden 2004. Vgl. die neuere Literatur zum Text bei R. G. Kratz, Pescher Nahum, 99.109 f. 30 R. E. Fuller, The Twelve (4QXIIa-g), in: E. Ulrich / F. M. Cross u. a. (Hg.), The Prophets (Qumran Cave 4, X): DJD XV, Oxford 1997, 271–318. 31 D. Dimant, Parabiblical Texts, Part 4: Pseudo-Prophetic Texts (Qumran Cave 4, XXI): DJD XXX, Oxford 2001, 155–159. 32 D. Barthélemy, Les devanciers d’Aquila: VT.S 10, Leiden 1963, sowie E. Tov, The Greek Minor Prophets Scroll from Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr): DJD VIII, Oxford 1990. 33 J. Ziegler (Hg.), Duodecim prophetae, Septuaginta 13,2, Göttingen ²1967. 34 A. Gelston, The Old Testament in Syriac, according to the Peshitta Version 3,4: Dodekapropheton, Leiden 1980. 35 K. J. Cathcart / R. P. Gordon (Hg.), The Targum of the Minor Prophets: The Aramaic Bible 14, Edinburgh 1989.
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und die meisten Abweichungen der Textzeugen auf unterschiedlichen Deutungen des Konsonantentextes beruhen oder aber Einzelheiten betreffen, die das Sinngefüge des Textes nur unwesentlich beeinflussen. Für 4QpNah ist dieser Sachverhalt schon längere Zeit bekannt36, für G hat vor kurzer Zeit N. Grütter in ihrer Dissertation (Das Buch Nahum) das Entsprechende nachgewiesen. Der Mut zu freihändigen Konjekturen bei schwierigen Textpassagen, wie er vor der Kenntnis der Qumrantexte weit verbreitet war, hat seit dem Fund dieser Texte merklich abgenommen. Das Hauptverdienst der Arbeit von Frau Grütter liegt in der überzeugenden Rekonstruktion der hebräischen Vorlage von G im Buch Nahum, die weitgehend mit dem Konsonantentext des MT übereinstimmt. Zudem deckt sie kundig die Übersetzungstechniken der G auf, die etwa bei schwierigen Lexemen »Passepartouts« verwendet (69), ein geläufiges ähnliches Wort für ein problematisches einsetzt (63), aramaisierende Wiedergaben bevorzugt (58) und an andere Bibelstellen angleicht (83) etc., sich aber »in Bezug auf textpragmatische, syntaktische und stilistische Aspekte stark am hebräischen Ausgangstext orientiert« (133). Die Grenze der Untersuchung liegt darin, dass die Vf.in sich bedauerlicherweise ganz auf die formal-technischen Merkmale der Übersetzung der G beschränkt und das Inhaltlich-Konzeptionelle ausblendet.37 Nur so kann sie die – m. E. abwegige – These aufstellen, in den drei Versen, in denen die größten Abweichungen der G vom MT vorliegen (Nah 1,12; 3,8.15), biete die Vorlage von G jeweils einen älteren Text als die Vorlage des MT (237 ff). Von 3,8 f wird sogleich noch die Rede sein.
Jedoch gibt es Ausnahmen von der oben genannten Regel. Ein wichtiges ahum in der Beispiel bildet Nah 3,8–10. Während der Text des Pescher N Mehrzahl der vorangehenden Verse 3,1–7 wie üblich nur in Kleinigkeiten vom MT abweicht – Plene-Schreibung, Gebrauch von Homonymen oder aber gebräuchlicheren Begriffen mit ähnlicher Bedeutung etc. –, bezeugt er in mehreren Einzelheiten in 3,8 f einen Text, der der Vorlage von G nahekommt und vom MT abweicht.38 Allerdings handelt es sich auch hier um keine gravierenden Differenzen: ein zusätzliches Suffix ()חילה, das den Sinn des Textes präzisiert, eine zusätzliche Copula ( )ומיםund einen Plural ()חומותיה, wo der MT einen Singular bietet. Dagegen weicht G am Anfang von 3,8 so weit vom MT ab wie sonst im ganzen Buch Nahum allenfalls in 1,12. Der Konsonantenbestand des MT soll aufgrund der Mischvokalisation des Verbes durch die Masoreten mit einem doppelten Sinn gelesen werden: »Bist du [gemeint ist Ninive] besser als No Amon?« bzw. »Bist du besser dran (d. h.: wird es dir besser ergehen) als No Amon?« Er spielt auf die Eroberung des oberägyptischen Theben durch das Heer Assurbanipals an und droht Ninive ein analoges 36 Vgl. etwa den instruktiven Vergleich von MT und 4QpNah zu Nah 3,1–11 durch R. Weiss, RQ 4 (1963/64) 433–439, auf den sogleich noch einmal zurückzukommen ist. 37 Vgl. im Kontrast dazu etwa die interessanten Ausführungen von E. Ball zu Nah 2,2 G (u. S. 121). 38 Vgl. R. Weiss, RQ 4 (1963/64) 438 f.
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Geschick an. Jedoch hat der griechische Übersetzter der G (wie auch alle anderen griechischen Übersetzer) den Ortsnamen »No« nicht verstanden; er übersetzt: ἅρμωσαι χορδήν, ἑτοίμασαι μερίδα, Αμων: »Stimme die Saite, bereite (dir) einen Anteil, Amon!« Gemeinhin hat man die beiden Imperative als Doppelübersetzung der ersten beiden Worte des MT gedeutet, unter der Annahme, dass G das מנאdes hebräischen Textes sowohl von » מןSaite« als auch von » מנהTeil, Anteil« abgeleitet habe. Nun belegt jedoch das schon oben genannte Nahum-Zitat in einer vermutlichen Jeremia-Apokryphe aus Qumran (4Q385a, Fragm.17a-e) einen Text für Nah 3,8a ()היכן חלקך אמון, der dem 2. Imperativ-Satz von G erstaunlich nahekommt, so dass hier eine eigene Texttradtion vorzuliegen scheint. Das einleitende היכןwird von D. Dimant (DJD XXX, 157) – wie oft in Mischna und Talmud belegt (zumeist freilich als )היכא – als Fragewort »Wo?« gedeutet (»Wo ist dein Anteil, Amon?«), während M. Kister (A Common Heritage, 107 f, Anm. 26) mit einem Schreibfehler ( יstatt )וrechnet und הוכןals Inf. abs. hof. interpretiert39, so dass die Lesart des Qumran-Fragments genau dem 2. Imp. von G (»mach dich bereit für deinen Anteil, Amon!«) entsprechen würde. In den folgenden Versen 8 und 9 werden in 4 Q 385a die im MT wechselnden Suffixe durchgehend zu Suffixen der 2. Pers. Sg. mask., die sich auf »Amon« beziehen, und in V. 10 wird die Aussage über Thebens jüngste Vergangenheit im MT (»doch auch es traf Verbannung«) zur Zukunftsansage (»doch auch dich wird Verbannung treffen!«) wie entsprechend auch in G. Wie sind diese gravierenden Differenzen zwischen MT, 4QpNah und Mur 88 einerseits und 4Q385a sowie G andererseits zu verstehen? Der Hauptanlass für die Abweichungen Letzterer liegt offensichtlich darin, dass sie »No« ( )נאnicht als Ortsnamen erkannt haben oder erkennen wollten, die wichtigste sachliche Konsequenz darin, dass sie V. 10 futurisch deuten. Auf diese Weise ist aus einem Geschichtsrückblick, der die Eroberung einer ägyptischen Stadt betraf (MT), ein Unheilsorakel gegen Ägypten geworden, das von seinem Reichsgott Amon vertreten wird (G und 4Q385a). D. Dimant, 158 f vermutet ansprechend, dass in 4Q385a und G eine eschatologische Prophetie gegen das ptolemäische Königtum im Blick sei (möglicherweise durch die Invasion Ägyptens unter Antiochus IV. 170–169 v. Chr. hervorgerufen). Demnach wird dem überlieferten Text des N ahumbuches durch minimale Modifikationen in einer fast wörtlichen Paraphrase ein völlig neuer Sinn abgewonnen. Kister (107–109), der Dimants Einschätzung wie auch Fabry (201 f) im Grundsatz folgt, stellt diese neue Deutung der Sache, nicht der Methode nach den Pescharim von Qumran an die Seite, die keine Exegese des Textes im modernen Sinn liefern, sondern die Geheimnisse der Texte aufdecken wollen, die dem Propheten selber, der den Text schrieb, noch verborgen waren. 39
Kister schreibt irrtümlich: hif.!
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Dagegen vertritt N. Grütter (167 ff; 237 ff) die Priorität der G-Lesart gegenüber dem MT, kann dafür allerdings einzig formale, keinerlei inhaltliche Argumente anführen. Sie weiß den Imperativen der G keinen vernünftigen Sinn im Kontext abzugewinnen (ein »kryptischer Zwischenruf«, 243 f) und erklärt sie damit zur lectio difficilior. Ihre kühne Behauptung, der Name »No Amon« (MT) sei erst in hellenistischer Zeit möglich, steht auf schwachen Füßen. In der Konsequenz ist sie genötigt, die Aussagen über die Stadt in V. 8 nicht auf Theben, sondern auf Ninive zu beziehen (240 ff), so dass dem Tigris vor Ninive nun »Meeres«-Qualität zugebilligt wird! Zum Namen Amon lässt sie sich zu abenteuerlichen Spekulationen (Amon = der kurzlebige Sohn Manasses, 242 f) hinreißen. Auf diesen Amon (oder aber auf den ägyptischen Gott gleichen Namens) soll sich der Imp. Sg. fem. (!) hitp. des ersten Wortes in der vermuteten Vorlage von G ( )התיטביbeziehen!40
40 Vgl. die kritische Rezension des Buches durch W. Dietrich, ThLZ 142 (2017) 1177–1180.
Die Überschrift (Nah 1,1)
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Ausspruch gegen Ninive. Die Niederschrift der Vision N ahums, des Elkoschiters. 1
Überschriften von Prophetenbüchern sind Bestandteil des Endtextes. Sie Form setzen in ihrer Endform das fertige Prophetenbuch voraus und wollen dessen Lesern wesentliche Information zu seinem Inhalt und zu seinem Verfasser mitteilen. Jedoch enthält Nah 1,1 mehrere ungewöhnliche Eigenarten, verglichen mit anderen Prophetenbüchern. Zuvorderst gilt das für die Tatsache, dass in Nah 1,1 zwei Überschriften verschiedenen Typs unverbunden nebeneinanderstehen. »Die Überschrift scheint von zwei verschiedenen Händen herzurühren«, urteilt B. Duhm (Anmerkungen, 100), und so gut wie alle kritischen Exegeten des Buches sind ihm in dieser Einschätzung gefolgt.1 1 Gegen diese Einschätzung verweist Spronk (30) als Parallele auf die Überschrift der Bileam-Inschrift, aber zu Unrecht. Die dortige Nebeneinanderstellung von
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Nah 1,1
Die überwiegende Mehrzahl älterer Autoren (z. B. Ewald, Arnold, Sellin, Horst, Elliger; in neuerer Zeit Wöhrle, Scherer, Dietrich) hat die hintere Überschrift mit dem Namen des Propheten und seinem Herkunftsort für älter eingeschätzt, weil derartige biographische Nachrichten, wenn sie sich nicht aus den überlieferten Texten ergeben, auf alte und verlässliche Tradition zurückzugehen pflegen. Demgegenüber halte ich selber wie schon 1970 (Kultprophetie, 50) mit einer Minderheit an Exegeten (Schulz, Buch Nahum, 108; Seybold, Profane Prophetie, 19.30; ZBK, 17; Nogalski, Redactional Processes, 100; Köckert, RGG4 VI, 30; Hagedorn, Die Anderen, 46.68; Kessler, Nahum-Habakuk) Nah 1,1a für die ältere Überschrift. Sehr wahrscheinlich ist Nah 1,1a von Haus aus nur für die Kapitel 2–3 gedacht gewesen, in denen Ninive eine zentrale Rolle spielt, während das jüngere erste Kapitel des Buches nirgends eine Stadt und schon gar nicht Ninive mit Namen erwähnt.2 Rudolph (165) und Seybold (Profane Prophetie, 19; ZBK, 17) vermuten ansprechend, dass V.1a ursprünglich vor Nah 2,2 gestanden hätte, was guten Sinn ergibt. Dagegen hat die zweite Überschrift Nah 1,1b offensichtlich von Anbeginn als Einleitung für das gesamte Buch N ahum dienen sollen, einschließlich des hinzugewachsenen Kapitels Nah 1 (genauer: Nah 1,2–2,1). So bezeugt vermutlich schon die doppelte Überschrift des Buches Nahum dessen zweistufige Entstehungsgeschichte. Sowohl 1,1a als auch 1,1b unterscheiden sich deutlich von den Überschriften der älteren Prophetenbücher im Buch der zwölf Propheten, die durch den Verweis auf das »Wort JHWHs« (Am 1,1: »Worte des Amos«) und die Angabe der regierenden Könige zur Zeit des Auftretens der Propheten gekennzeichnet sind. Demgegenüber ist Nah 1,1a über den Begriff משׂאmit den Büchern Habakuk sowie Deutero- und Tritosacharja (Sach 9,1; 12,1) und Maleachi verbunden, wobei die letztgenannten drei Überschriften, vermutlich die jüngsten (Koch, 170), dem Terminus משׂא unmittelbar die Legitimation »Wort JHWHs« folgen lassen. Am nächsten steht Nah 1,1 die Überschrift Hab 1,1, die als einzige wie Nah 1,1 das Substantiv משׂאmit dem Verb » חזהschauen« (Nah 1,1: » חזוןSchauung, Vision«) verbindet. Diese Nähe ist einer der Gründe, aus denen einige Autoren der Meinung sind, die Bücher Nahum und Habakuk seien gemeinsam Teil des Zwölfprophetenbuches geworden (Nogalski, Redactional Processes, 181; Schart, 47.247 f; Kessler, Nahum-Habakuk). Nah 1,1b ist zudem von allen anderen Überschriften von Prophetenbüchern durch die Verwendung des Begriffs »( ספרNiederschrift, Schriftrolle, Dokument«) unterschieden. Es ist vornehmlich diese Besonderheit »Lehre« und »Schrift« ()ספר: »Die Lehren der Schrift von Bileam …« ist mit der doppelten Gattungsbestimmung von Nah 1,1 nicht vergleichbar. 2 Die Masoreten haben diese Schwierigkeit zu mindern versucht, indem sie das 3. Wort in 1,8 als »ihr Ort« deuteten, wobei das Suffix der 3. Pers. Sg. fem. (»ihr«) ohne Bezugswort steht und sich auf den Namen Ninive in der Überschrift zurückbeziehen soll.
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gewesen, die A. S. van der Woude zu seiner These veranlasst hat, mit dem Begriff sei ein Brief gemeint (vgl. o. S. 12). In jedem Fall aber will der in Überschriften von Prophetenbüchern ungewöhnliche Terminus hervorheben, dass mit der Schriftlichkeit ein Abschluss erreicht ist, am ehesten der Abschluss einer Sammlung oder doch zumindest verschiedener Einzelteile eines Buches. Wenden wir uns zunächst der ersten Überschrift in Nah 1,1a zu. Der oben Wort mit »Ausspruch« übersetzte hebräische Begriff משׂאwird in der neueren Forschung unterschiedlich gedeutet, wenn er als Überschrift fungiert, sei es über prophetische Bücher als ganze, sei es über begrenzte Texteinheiten in ihnen. Abgeleitet von der Wurzel » נשׂאerheben«, hat man mehrheitlich dem Substantiv zwei grundlegend voneinander unterschiedene Bedeutungen zugewiesen: zum einen »Last, Bürde«, zum anderen »(prophetischer) Ausspruch«, wobei letztere Bedeutung als Ellipse eines » משׂא קולErhebung der Stimme« interpretiert wird.3 Demgegenüber folgt eine Minderheit der von de Boer begründeten Ansicht, dass sich eine spezielle Bedeutung »Unheilsbotschaft« aus der allgemeineren »Last« gebildet habe, insofern das von Gott aufgetragene Unheilswort dem Propheten eine schwere Last sei.4 Nur in späten Belegen wie Sach 12,1 sei משׂאals Überschrift nicht nur für Unheilsworte verwendet worden. Eine originelle, rein formgeschichtlich und ohne Betrachtung der Etymologie gewonnene Deutung hat M. H. Floyd vorgelegt. Gestützt auf die Dissertation von R. Weis ist er der Auffassung, dass prophetische Bücher oder Buchabschnitte mit der Überschrift » משׂאare concerned with reinterpretating prophecies that have over time become problematic in some way«. Demnach würde משׂאschriftlich überlieferte ältere Prophetenworte bezeichnen, die als »a basis for making prophetic claims about Yahweh’s present involvement in human affairs« für spätere Zeiten dienten (422). Wenig später hat I. Willi-Plein – offensichtlich ohne Kenntnis des Aufsatzes von Floyd – nachzuweisen versucht, dass משׂאspeziell die indirekte Übermittlung einer Prophetenbotschaft an den Adressaten ohne dessen Anwesenheit meine, zumeist in schriftlicher Gestalt.
Wie immer es sich damit verhält, משׂאfungiert häufig in Überschriften von Prophetenbüchern bzw. von Teilen von ihnen im Sinn des »Terminus eines Prophetenwortes drohenden Inhalts« (Sæbø), allein zehnmal in Jes 13–23, sonst neben Nah 1,1 in Hab 1,1; Sach 9,1; 12,1; Mal 1,1. Diese Überschriften leiten teilweise ganze Prophetenbücher ein, häufiger aber begrenzte Abschnitte, die mehrheitlich gegen fremde Völker gerichtet sind. משׂאist weithin geradezu zu einem term. techn. für prophetische Gerichtsworte gegen Fremdvölker geworden. 3 So etwa die neuesten Wörterbücher HAL und Ges18 sowie H. P. Müller, ThWAT V, 20–25. Zumeist wird die Zweiteilung mit dem Namen K. H. Graf (Der Prophet Jeremia erklärt, 1862, 315 f) verbunden. Vorläufer nennt de Boer, Inquiry, 209 f. 4 Ihm folgen u. a. Stolz, THAT II, 116 und Sæbø, 137–140.
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Im Buch Nahum ist dieses prophetische Wort gegen Ninive gerichtet. Ihren weltweiten Ruhm verdankt die Stadt am Tigris in der Nähe von Mossul dem Assyrerkönig Sanherib (704–681), der sie in den Jahren um 700 v. Chr. zur Hauptstadt des Weltreichs der Assyrer erhob und sie in ihrer Ausdehnung und in ihrer Bevölkerungszahl mehr als verdoppelte – die berühmte Angabe in Jona 3,3, dass Ninive »eine (selbst) für Gott große Stadt« gewesen sei, zu deren Durchquerung man drei Tagesreisen benötige, ist erst seit dieser Zeit sinnvoll. Neben seinem mit großer Pracht ausgestatteten Palast, den er selbst einen »Palast ohne Analogie«5 nennt, war Ninive vor allem für Sanheribs ausgeklügeltes Wassersystem mit Kanälen und Schleusen berühmt, das er nicht nur für die Versorgung der wachsenden Bevölkerung, sondern auch für die Anlage von Obstgärten und Plantagen mit seltenen einheimischen und exotischen Pflanzen und Bäumen nutzte. Dazu zapfte Sanherib dem Nebenfluss des Tigris, Gomel, Wasser ab, das er mit kleineren Aquädukten in die Stadt leitete, vor allem aber bediente er sich mit dem aufwändigen Bau von Kanälen des reineren Wassers der entfernt liegenden Gebirgsquellen. Ninives Lage am Wasser und Sanheribs komplexes künstliches Wassersystem spielen in Nah 2,7.9 eine wichtige Rolle, ebenso indirekt beim Vergleich mit dem ägyptischen Theben in 3,8–11. Mit dem Begriff » חזוןGesicht, Schau, Vision« wird im zweiten Teil der Überschrift die Art des Offenbarungsempfangs beschrieben. Er ist in seiner Legitimationsfunktion, die eines Verweises auf Gott als Urheber nicht bedarf, auch in den Überschriften anderer Prophetenbücher geläufig, ob wie hier als Substantiv – so in der Überschrift des kurzen Buches Obadja und in Jes 1,1 – oder als Verb – wie in Jes 2,1; Am 1,1 und Hab 1,1. Dabei zeigen die letztgenannten Parallelen, dass חזהnicht auf die pure Schau oder Vision begrenzt ist, sondern den Wortempfang des jeweiligen Propheten mitumfasst; Koch (168) schlägt als Übersetzung »mantisches, intuitives Wahrnehmen« vor. ahum, kann auf zweierlei Weise abgeleitet Der Name des Propheten, N werden: Entweder ist er eine Kurzform für Nh. m-YH bzw. -El: »Er (d. h. JHWH bzw. Gott) hat getröstet« (M. Noth, Die israelitischen Personennamen, 1928, 38.175), oder er ist ein selbständiger, nach dem Typ qattūl gebildeter Name »Tröster«, wie er im Phönizischen (Nh. m und Nh. mj) belegt ist (J. J. Stamm, Beiträge zur hebräischen und altorientalischen Namenkunde: OBO 30, 1980, 75).6 In beiden Fällen ist ein schweres Leid der Eltern vorausgesetzt, bevor das Kind geboren wurde. Dass der Name nur hier im Alten Testament vorkommt (vgl. im Neuen Testament: Luk 3,25 und den Namen des Orts Kapernaum: »Dorf N ahums«), wird auf Zufall 5 Ekallu ša šānina lā īšû; vgl. J. M. Russell, Sennacherib’s Palace without Rival, Chicago 1991. 6 Luther beginnt seine Vorlesung zu N ahum mit dem Satz: »Prophetiam suam cum nomine suo coniugit: Nahum enim consolatorem vel consolationem significat« (WA 13,345).
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beruhen, denn er war gerade im 7./6. Jh. geläufig, wie zahlreiche Inschriften aus Jerusalem, Lachisch, Arad etc. bezeugen (Seybold, Profane Prophetie, 54, Anm. 4; G. I. Davies, Ancient Hebrew Inscriptions, Cambridge 1991, 439 f). Dass in Nah 3,7 auf den Namen des Propheten angespielt wird, wenn vergeblich ein Tröster für das zerstörte Ninive gesucht wird, ist möglich, aber nicht sicher erweisbar. Auffällig ist, dass der Name des Vaters fehlt, zumal der Vatername in Überschriften von Prophetenbüchern »the most common note concerning the prophet« ist (Tucker, 61). Möglicherweise ist dieses Fehlen dem zeitlichen Abstand des Verfassers der Überschrift zum Auftreten des Propheten geschuldet. Am schwersten ist die letzte Angabe in Nah 1,1 zu deuten. N ahum war »Elkoschit«: das kann ein gentilicium oder aber eine Ortsangabe sein. Nahum stammte entweder aus der Sippe der Elkoschiter (wie Gideon ein Abiësriter war, Ri 6,11 f) oder aus einem Ort Elkosch (wie der Prophet Micha ein Moraschtiter war, weil er aus Moreschet Gat stammte, Mi 1,1). Merkwürdigerweise wird die erstgenannte Möglichkeit von zahlreichen Autoren nicht einmal erwogen, obwohl N ahums Vatername fehlt, ein Ort Elkosch nicht belegt ist, das Targum »aus dem Hause Qoši« deutet7 und auch G (τοῦ Ἐλκεσαίου) eher an ein gentilicium denken lässt. Die von Tischendorf entdeckte recensio altera der Vitae prophetarum des Epiphanius aus dem 10. Jh. (57,11) lässt Nahum »den Sohn des Elkesaios« sein.8 Die Vitae prophetarum selber denken an einen Ort, den sie »jenseits von Ἰσβηγαβαρίν im Stamme Simeon« lokalisieren, und damit ist, wie Bischof Paul von Tella im 7. Jh. bezeugt, »beth gabre«, d. h. Bet Dschibrin, das alte Eleutheropolis im Zentrum der Schephela, gemeint.9 Aber auch wenn in dieser Notiz der Vitae alte Tradition vorliegt10, bleibt die Schwierigkeit, dass ein Ort namens Elkosch in der genannten Gegend unbekannt ist.
7 Möglich ist freilich auch eine Ortsangabe »Bet Qoši«; vgl. Cathcart – Gordon, Targum, 131 mit Anm. 5. 8 Vgl. Nestle, Geburtsort, 223; Joach. Jeremias, Heiligengräber, 101, Anm. 1; Schwemer, Vitae Prophetarum, 85, Anm. 4. 9 Nestle, ebd. 224; Jeremias, ebd. 100. 10 Das gilt schwerlich von der Ortschaft in Galiläa, die Hieronymus von seinem Führer gezeigt wurde, und noch viel weniger von den mittelalterlichen jüdischen Itinerarien, die ein Grab Nahums (wie auch Jonas) in Babylonien suchen; vgl. Rudolph, 148 f.
Ein programmatischer Hymnus: JHWH als »Rächer« (Nah 1,2–8)
Literatur G. Baumann, Gottes Gewalt im Wandel. Traditionsgeschichtliche und intertextuelle Studien zu Nahum 1,2–8: WMANT 108 (2005). – B. Becking, De Hymne van N ahum en de literaire Eenheid van het Boek: Diss. Utrecht (1977). – Ders., Is God Good for his People? Critical Remarks on a Recently Proposed Emendation of N ahum 1,7: ZAW 117 (2005) 621–623. – A. C. Hagedorn, Die Anderen, 72–80. – P. Humbert, Essai d’analyse de Nahoum 1,2–2,3: ZAW 44 (1926) 266– 280. – J. Jeremias, Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung: WMANT 10 (²1977) 31–33. 169 f. 177. – Ders., Ein neues Gottesbild. Die programmatische Eröffnung des Buches Nahum: ZAW 130 (2018) 217–234. – K. Koenen, Heil den Gerechten – Unheil den Sündern! Ein Beitrag zur Theologie der Prophetenbücher: BZAW 229 (1994) 165–169. – J. D. Levenson, Textual and Semantic Notes on N ahum I,7–8: VT 25 (1975) 792–795. – J. Nogalski, The Redactional Shaping of N ahum 1 for the Book of the Twelve: P. R. Davies – D. J. A. Clines (Hg.), Among the Prophets: JSOT.S 144 (1993) 193–202. – Ders., Redactional Processes, 101–111. – H. G. L. Peels, The Vengeance of God. The Meaning of the Root NQM and the Function of the NQM-Texts in the Context of Divine Revelation in the Old Testament: OTS 31 (1995) 199–207. – A. Pinker, Shelter or Strength in N ahum 1,7? ZAW 116 (2004) 610–613. – M. Roth, Israel und die Völker, 228–257. – A. Scriba, Die Geschichte des Motivkomplexes Theophanie: FRLANT 167 (1995). – A. Scherer, Lyrik im Dienst der Prophetie, 304– 308. – R. Tournay, Recherches sur la chronologie des Psaumes: RB 65 (1958) (321–357) 328–335. – D. T. Tsumura, Janus Parallelism in Nahum 1:8: JBL 102 (1983) 109–111. – W. J. Wessels, Yahweh, the Awesome God. Perspectives from Nahum 1: Journal for Semitics 14 (2005) 55–73. – J. P. van der Westhuisen, A Proposed New Rendering of N ahum 1:5b: A. H. van Zyl (Hg.), Biblical Essays: POTWSA 12 (1969) 27–32. – M. Wolff, N ahum 1,5b: BZ 16 (1924) 92. – L. Zalcman, Intertextuality at Nahum 1,7: ZAW 116 (2004) 614 f. – B. Zapff, Redaktionsgeschichtliche Studien zum Michabuch, 251–271. Weitere Literatur im Exkurs zum Alphabet-Akrostichon. Text 2 Ein eiferndera und rächender Gottb ist JHWH,
ein Rächer ist JHWHc und vollerd Grimm; ein Rächer ist JHWH seinen Widersachern und ausdauernd im Zorne gegen seine Feinde. 3 JHWH – langsam zum Zorna, aber von großer Kraftb, und ungestraft lässt JHWHc wahrlich nichtd. Im Sturme und Wetter ist sein Weg, und Gewölk ist der Staub seiner Füße. 4 Herrscht er das Meer ana, so trocknet er es ausb, und alle Flüsse lässt er versiegen;
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es ›verschmachten‹c Baschan und Karmel, und die Blüte des Libanon verwelkt. 5 Die Bergea erbeben durch ihn, und die Hügel vergehen; es erhebt sichb die Erde vor seinem Angesicht und das Festlandc mit all seinen Bewohnern. 6 Sein Grolla – wer kann vor ihm bestehen und wer standhalten vor seiner Zornesglut? Ergießt sich doch sein Grimm wie Feuerb, selbst die Felsen zerberstenc durch ihn. 7 Gut ist JHWH, eine Zufluchta am Tage der Not; er kenntb, die sich bei ihm bergen – 8 aber mit überschwemmender Fluta wird er Vernichtung ›seinen Gegnern‹b bringen und seine Feinde (bis) in die Finsternisc verfolgend. 2a Zur ungewöhnlichen Schreibweise des Adjektivs ( קנואstatt üblich ;קנאsonst 2 nur noch Jos 24,19) vgl. Haldar, Studies, 15 f. – b Möglich ist auch ein substan tivisches Verständnis des Partizips (»ein eifernder Gott und ein Rächer ist JHWH«) wie in den folgenden Verszeilen. Aber die attributive Deutung liegt wegen der Anspielung an die sog. »Gnadenformel« näher; vgl. u. S. 62 f. – c In mehreren G-MSS fehlt der Nominalsatz, in GQ stattdessen der wortgleiche Satzteil in V. 2b, beide Male offensichtlich aus Haplographie. Poetisch sind sie erforderlich. – d Zur syntaktischen Funktion von בעל, um Eigenschaften zu umschreiben, vgl. Ges-K § 128s.u; BrSynt § 74b. – e G übersetzt נטרnur hier mit ἐξαιρεῖν (Verwechslung mit )?נטל. Die unterschiedlichen Bedeutungsfelder von »( נטרbewachen« und »zürnen«) sind trotz KBL und Ges18 kaum von zwei verschiedenen Wurzeln herzuleiten, sondern die zweite Bedeutung ist eher (mit Ges17 und HAL) im Sinne einer Kurzform »(den Zorn) bewahren« zu deuten. G. R. Driver, JThSt 32 (1931) 361–366 möchte נטרvon akkadischem nadāru »to be angry, furious« ableiten. Den präzisen Sinn des Verbs erhellen die Parallelen Jer 3,5.12; Ps 103,9. – 3a Eigentlich »lang in Bezug auf den Atem« (Haldar, Studies, 17 im Gefolge von 3 H. S. Nyberg). – b G und S deuten: »groß an seiner Kraft«. – c Der Gottesname gehört mit G und S noch zu V. 3a und rahmt mit dem V. 3a beginnenden Gottesnamen den Satz kunstvoll. Zöge man ihn mit MT zu V. 3b, erhielte man hier ein überfülltes Bikolon (4+3). – d Anders als in Ex 34,7 und in Num 14,18 übersetzt V überraschend: et mundans non faciet innocentem. – e Wie in Am 1,14 liest G (συντέλεια) irrtümlich סוףstatt סופה. Wie Fabry (The Lord, 159 f) gezeigt hat, ist mit dieser Lesung eine eschatologische Deutung der Verse verbunden; vgl. Textanm. 6b. – 4a Übersetzung nach M. A. Klopfenstein, ThZ 53 (1977) 33–43, dem 4 Perlitt folgt. – b MT scheint an ein durch Kontraktion aus וייבשהוentstandenes Pi. zu denken; vgl. Ges-K § 69u. Wahrscheinlicher ist das von 4QpNah bezeugte Hif.; vgl. E. Jenni, Das hebräische Piʻel (1968), 104. – c Statt der irrtümlichen Doppelschreibung des Verbs in MT (von G, S, V und T, die jeweils zwei verschiedene Verben bieten, schon korrigiert; vgl. Rudolph z.St.) lässt das Alphabet-Akrostichon (s. u.) ein Verb mit beginnendem דerwarten: am ehesten das graphisch ähnliche
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( דללso Duhm im Gefolge von Gray), das in Jes 19,6 neben ( חרבNah 1,4a) steht, 5 oder aber das von Gunkel vorgeschlagene ;דאבvgl. Spronk, 40 f. – 5a Im par. membr. gilt der Artikel (den G, T und Mur 88 bieten) des Parallelglieds implizit für beide Objekte; vgl. Ges-K § 126k und ausführlich Haldar, Studies, 23 f. – b Da נשׂאq. nur selten intransitiv (»sich erheben«) bezeugt ist (Belege bei D. Barthélemy, Critique textuelle III, 1992, 785 f.), ist das Verb in Nah 1,5b von mehreren Autoren im Gefolge von T und H. Gunkel von שׁאהNif. (»verwüstet werden«) abgeleitet worden. Jedoch begegnet ( שׁאהwenn es nicht wie in Jes 17,12 f »tosen, rauschen« bedeutet) nur in kriegerischem Kontext und betrifft üblicherweise Städte (2Kön 19,25; Jes 6,11; 37,26), einmal auch das »Land« ( ;אדמהJes 6,11), nie aber die gesamte Erde wie in Nah 1,5. Auch G (ἀνεστάλη »wurde zurückgetrieben«), Ἀ (ἔφριξεν »erschauderte«), Σ (ἐκινήθη »wurde in Bewegung gesetzt«) und V (contremuit »erzitterte«) lassen, so unterschiedlich sie auch übersetzen, weit eher an ein Erdbeben als an eine Verwüstung denken (vgl. HAL, 1273 f). Fernliegend erscheint mir der Vorschlag von Rudolph (150 f im Gefolge von G. R. Driver, JThS 34, 1933, 384), die Verwendung elliptisch für נשׂא קולzu deuten und an einen – nie belegten – »Aufschrei« der Erde zu denken. Analog hatte van der Westhuizen 1969 die elliptische Lesung » נשׂא רגליוsich bewegen« vorgeschlagen. (Andere Vorschläge einer elliptischen Deutung gehen bis auf Raschi und David Qimchi zurück; vgl. Spronk, 42 f.). Hilfreich erscheint mir demgegenüber der Hinweis von L. Kopf, Arabische Etymologien und Parallelen zum biblischen Wörterbuch, VT 8 (1958) 161–215; 186 f, dass das נשׂאentsprechende arabische Verb nš’ häufig intransitiv verwendet wird. Das akkadische Verb nâšu(m) bezeichnet oft das Beben der Erde (W. von Soden, AHw II, 761). Auf jeden Fall muss das am Anfang des Verses stehende und gemeinhin auf die Erde bezogene Verb » רעשbeben« als themabildend gewertet werden. – c Horst, 156 und ihm folgend Elliger, 4 lesen in V. 5b im Anschluss an Am 8,8 und 9,5 » אבלוsie trauern« statt » תבלFestland«, weil sie ein Verb für die Menschen vermissen, verkennen mit ihrem Vorschlag aber die Formelhaftigkeit der Wendung »Festland mit all seinen 6 Bewohnern«. – 6a Das Alphabet-Akrostichon erfordert die Umstellung von לפני an das Ende des ersten Kolons (als ;לפניוvgl. den folgenden Exkurs, u. S. 56). Damit wird gegenüber der prosaischen Wortstellung des MT (vgl. etwa Ps 102,11; Prv 27,4) eine poetische Diktion rekonstruiert, die mit ihrer Voranstellung des Subjekts der parallelen Periode in V. 6b entspricht. – b G (τήκει ἀρχάς , »lässt Mächte schmelzen«) hat כאשin ראשverlesen; vgl. Haldar, Studies, 23 f und Rudolph z.St. Fabry (s. Textanm. 3a) vermutet hier die Vorstellung von einem Weltbrand. – c Gunkel u. a. (z. B. BHS, HAL, Ges18) rechnen beim Verb mit Konsonantenvertauschung und lesen ( נצתוNif. von » יתץverbrannt werden«) statt נתצו. 7 Aber keine der Vrs. stützt diese Vermutung. – 7a G (τοῖς ὑπομένουσιν ἀυτόν) und L (illis qui eum sustinent), denen viele Exegeten folgen (etwa Wellhausen, Smith, Horst, Elliger, Rudolph, Levenson), haben den Text wie Thr 3,25 (»gut ist JHWH denen, die auf ihn harren«) interpretiert und möglicherweise למקויוgelesen. Mehrere moderne Autoren (zuletzt etwa Pinker und Zalcman) haben das erste Kolon im MT für zu kurz gehalten und Emendationen vorgeschlagen, die Becking mit guten Gründen zurückweist. MT bedeutet wörtlich: »(Er wird) zur Zuflucht…«; zur syntaktischen Funktion des לvgl. EJenni, Die hebräischen Präpositionen, Bd. 3: Die Präposition Lamed (2000) 27 f: »In den meisten Fällen wird so durch ל+ Prädikativ eine Rollenänderung, eine Reklassifikation angezeigt … mit dem Nebenton des vom Betrachter … eingenommenen subjektiven Standpunktes«. Das häufig
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herangezogene sog. »emphatische« »( לja, eine Zuflucht …«: HAL 485 f, Becking, Spronk u. a.) ist nicht sicher nachzuweisen. – b Das ältere Alphabet-Akrostichon kannte noch keine Kopula; vgl. den Exkurs S. 56. – 8a Zur grammatisch mög 8 lichen Beziehung des Partizips auf JHWH vgl. die Auslegung. – b MT (»ihr [fem. sg.] Ort«) ist ohne Bezugswort und sucht eine frühzeitige indirekte Erwähnung Ninives (vgl. V. 1 und V. 11), die aber in dem generell gehaltenen Hymnus fehl am Platze ist. G bietet τοὺς ἐπεγειρομένους; Ἀ liest ἀπὸ ἀνισταμένων; beides führt zu einem Partizip der Wurzel קום, vermutlich mit der Präposition מן, also zu (» מקמיוseine) Gegner« (so auch Θ und E’). Oder war ursprünglich eine verkürzte Form des Ptz. Hitp. (Ps 59,2) gemeint? Der Vorschlag Haldars, Tsumuras u. a. (im Gefolge Drivers), den Konsonantentext des MT beizubehalten und als (nie belegtes) Abstraktum »Widerstand« zu deuten, erscheint künstlich und zerstört den chiastisch gestalteten par. membr., der einen Parallelbegriff zu איביוerwarten lässt. Cathcart, Nahum 57 f, möchte den Konsonantentext ּקֹומ ֻה ֵ » ִמhis assailants« lesen, das er als eine phöniz. Form des Ptz. Pl. q. mit Suff. der 3. Pers. Sg. mask. versteht. – c Mehrere Vrs. (G, S, V) haben die Finsternis als handelndes Subjekt gedeutet, schwerlich zu Recht. Die Verbindung des Verbs רדףmit dem Zielort der Verfolgung als direktem Objekt ist zwar parallellos, aber kaum fehlerhaft, sondern Zeichen dichterischer Freiheit. – d Ein resultatives Pi.; vgl. E. Jenni, Das hebrä ische Piʻel (1968) 215.
Das Buch N ahum setzt höchst ungewöhnlich ein. Es ist das einzige pro- Form phetische Buch, das mit einem längeren Hymnus beginnt; die kurze hymnische Theophanieschilderung in Am 1,2 – an die der Hymnus in V. 5 explizit anknüpft (s. u. Wort) – ist nur entfernt vergleichbar. Es ist zugleich das einzige prophetische Buch, in dem Gott in der Einleitung in wesenhaften Eigenschaften vorgestellt wird, die sein Handeln bestimmen. Offensichtlich ist der (bzw. sind die) Verfasser des Büchleins der Überzeugung, dass der Leser zuallererst gewisse Charakteristika Gottes und Eigenarten seines Handelns zur Kenntnis genommen haben muss, bevor er verstehen kann, was das Prophetenbuch ihm sagen möchte. Der Hymnus Nah 1,2–8 setzt die (schon lange Zeit zurückliegende und relativ bald erfolgte) Erfüllung der Prophetie gegen Ninive voraus (s. u. Ort) und möchte jedem Leser deren wesentlichen Verständnishorizont vermitteln, indem er den Hauptakteur vorstellt, dessen Eingreifen die Erfüllung der älteren Prophetie allein zu danken ist und dem daher auch allein die Wende der Not zuzutrauen ist, unter der die gegenwärtige Generation leidet. In einer grundsätzlichen und generellen Weise stellt der Hymnus dasjenige Handeln JHWHs vor, dessen exemplarische Erfahrungsbasis die Prophetie Nahums bietet. Anders ausgedrückt: Der Hymnus übersetzt die längst bestätigte Prophetie gegen Ninive ins Allgemeine, soweit der Hauptakteur und »seine Feinde« (V. 2.8) betroffen sind. Aber er folgert diese Ausweitung nicht aus genereller Reflexion heraus, sondern im Blick auf das Leid der Menschen in der eigenen Zeit. Im letzten Vers (V. 8) geht er zur Schau in die Zukunft über, wie sie sich aus den generellen Gottesaussagen logisch ergibt.
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Die Programmatik des Hymnus, die im Abschnitt »Wort« näher erläutert wird, lässt sich schon daran erkennen, dass in den ersten drei Verszeilen bzw. Stichen, die den handelnden Gott charakterisieren (V. 2–3a), nicht weniger als fünfmal der Gottesname JHWH verwendet wird. Sie zeigt sich weiterhin daran, dass das Leitwort dieser Charakterisierung – JHWH ist ein »Rächer« – geradezu penetrant in V. 2 dreimal hintereinander in genau gleicher Formulierung den Lesern eingehämmert wird. Im vollen Licht wird sie aber erst sichtbar, wenn die einleitende Wesensbestimmung »ein eifernder Gott und ein Rächer ist JHWH« als Abwandlung des berühmten und am häufigsten zitierten Bekenntnisses im Alten Testament (»ein barmherziger und gnädiger Gott ist JHWH«) begriffen wird, das gegenwärtig gemeinhin im Anschluss an H. Spieckermann (ZAW 102, 1990, 2 f = ders., Gottes Liebe zu Israel: FAT 33, 2001, 4) nicht eben schön, aber einprägsam »die Gnadenformel« genannt wird. Mit der genannten doppelten Absicht – Programmatik und Aktua lität – des Hymnus hängt zusammen, dass er auf jegliche Einleitungs sätze üblicher Hymnen, seien es etwa imperativische Aufrufe zum Lob oder Anreden an JHWH, verzichtet und ohne jeden Auftakt sogleich mit Gottesprädikationen adjektivischer und partizipialer Art einsetzt. Derartige Gottesprädikationen werden in V. 7 wieder aufgenommen, und zwar auffällig parallel zu V. 2: beginnend mit einem Adjektiv ( קנואV. 2, טובV. 7), weitergeführt von einem Partizip ( נקםV. 2, יודעV. 7). Das Ende des Hymnus ist klar markiert: Die dem Hymnus folgenden Verse 9 ff werden mit einer Frage eingeleitet; sie sind darin grundsätzlich von V. 2–8 unterschieden, dass sie durchgehend Anredeformen verwenden, ob die angesprochenen Größen nun pluralisch als »Ihr« (V. 9) oder singularisch als »Du« fem. (V. 11–13; 2,1 f) oder aber als »Du« mask. (V. 14) aufgefasst werden. (Keine Anrede enthält einzig der eng auf V. 9 bezogene V. 10). In sich ist der Hymnus in drei Teile gegliedert. Die im Zentrum stehende Theophanieschilderung (V. 3b–6) ist gerahmt von den genannten beiden Reihen mit Gottesprädikationen in Form von Nominalsätzen (V. 2–3a und V. 7).11 Der gewichtigste Unterschied zwischen beiden Rahmengliedern besteht darin, dass das zweite, V. 7, wie schon erwähnt, durch einen imperfektischen Verbalsatz mit Zukunftsaspekt fortgeführt und abgeschlossen wird. Der Hymnus endet also in Prophetie im eigentlichen Sinn. Dagegen ist der Mittelteil des Hymnus von Verbalsätzen bestimmt, in denen Perfecta vorherrschen, die gelegentlich von Imperfecta consecutiva fortgeführt werden (V. 4–6).12 In ihnen wird das jeweils zweite Kolon an das erste (wie schon in V. 2b–3a) mit Kopula angeschlossen. Jedoch wird dieser prägende Verbalstil der Theophanieschilderung behutsam ein11 Die Nominalsätze werden in V. 3a von einem Verbalsatz mit iterativem Sinn abgerundet, der eine geprägte Bekenntnisformulierung aufgreift (»und ungestraft lässt JHWH wahrlich nicht«). 12 Separat zu sehen sind die modalen Imperfecta der Frage: »Wer kann beste hen …?« in V. 6.
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geführt, indem zwei verblose Nominalsätze (V. 3b) am Anfang stehen, die von einer Partizipialkonstruktion (V. 4aα) fortgeführt werden, wie dies auch in den Charakterisierungen Gottes von V. 2 und V. 7 der Fall ist. V. 3b–6 werden auf diese Weise als Explikation der einleitenden Gottesprädikationen gekennzeichnet. Sie wollen mit ihrem Verbalstil nicht Vergangenes berichten, wie der abschließende V. 8 mit seinem Zukunftsaspekt verdeutlicht. Traditionsgeschichtlich sind die Verse 3b–5 von geläufigen Theophanieschilderungen des Alten Testaments – genauer: solchen in prophetischen Texten – geprägt, während V. 6 mit seinen Ausführungen über den göttlichen Zorn zu den grundlegenden Darlegungen über die Motive des göttlichen Handelns aus V. 2–3a zurückkehrt und mit diesen Versen einen inneren Rahmen um die Verse 3b–5 mit ihrer Theophanietradition legt. Einen äußeren Rahmen für den gesamten hymnischen Teil bilden die Aussagen über JHWHs Handeln an »seinen Feinden« (V. 2.8). Formal wiegt der Einschnitt zwischen Mittelteil und Schlussabschnitt schwerer, denn er wird nicht nur durch die veränderten Tempora (Perfecta in V. 3b–6, Imperfecta in V. 8), sondern auch rhythmisch unterstrichen, insofern die geläufigen Doppeldreier des Eingangs- und Mittelteils (V. 2–6) in V. 7–8 von kürzeren Zweierrhythmen abgelöst werden. Diese sind dreigliedrig gestaltet, poetisch aber so angeordnet, dass die Rahmenglieder (V. 7a; 8aβb) jeweils einen par. membr. bilden, während die Innenglieder (V. 7b; 8aα) einen starken Kontrast zum Ausdruck bringen.13 Somit ist der einleitende Hymnus des N ahumbuches dreigliedrig zu deuten, wobei die drei Teile vielfältig durch Inklusionen miteinander verbunden sind (s. Ort): Während der Anfangsteil (V. 2–3a; vgl. V. 6) den Leser generell über die Motive und Emotionen Gottes informiert, die ihn zum Handeln treiben und seine Aktionen bestimmen, preist der Mittelteil (V. 3b–6) mit Theophaniemotiven die grenzenlose Macht Gottes, die ihm zur Durchführung seiner Ziele zur Verfügung steht. Der Abschlussteil V. 7 f dagegen teilt die betroffenen Menschen in zwei Gruppen ein: In Nominalsätzen bietet er den auf Gott Vertrauenden Rettung an, in imperfektischen Verbalsätzen mit Zukunftsaspekt kündigt er prophetisch Gottes Feinden Vernichtung an. Das große Gewicht, das dem Hymnus für die Botschaft des Buches zugemessen ist, kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass er in der künstlerischen Gestalt eines (halben) Alphabet-Akrostichons gestaltet ist.
13 Dieser intendierte Effekt geht verloren, wenn man mit Lescow, BN 77, 67 f, und Spronk, 46 f, die Verse 7 und 8 als Tricola auffasst. Verloren geht dann auch die kunstvolle Fassung des Alphabet-Akrostichons (s. u.) und mit ihr die Hervorhebung der betonten Abschlusszeile כdieser Kunstdichtung (» כלהVernichtung« bringt er …).
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überwiegend mit deutlich erkennbarer weisheitlicher Prägung (Ps 9–10. 25.34.3 7.111.112.119.145; vgl. Prv 31,10–31; Sir 51,13–30). Seit F. Delitzsch in der 2. Auflage seines Psalmenkommentars 1867 zu Ps 9 die Beobachtung des württembergischen Pfarrers G. Frohnmeyer mitgeteilt hat, dass die Verse Nah 1,3b–7a in ihren Anfangsbuchstaben nach der Abfolge von בbis ט im hebräischen Alphabet angeordnet seien, ist die Diskussion bis heute nicht verstummt, ob es sich auch in Nah 1 um ein Alphabet-Akrostichon handeln könne. Es wäre das einzige Beispiel im Bereich der Schriftprophetie. Insofern ist die Entscheidung von nicht geringem Gewicht. Die Notiz Delitzschs wäre vermutlich vergessen worden, hätten nicht mit Bickell (1886) und Gunkel (1893) zwei renommierte Wissenschaftler die Beobachtung Frohnmeyers aufgegriffen und je auf ihre Weise versucht, ein volles Alphabet-Akrostichon zu rekonstruieren: Bickell zunächst so, dass er die Anfangsbuchstaben der Verszeilen bis zum Buchstaben מverfolgte, um sodann zu vermuten, dass die übrigen Buchstaben des Alphabets den jeweiligen Anfangsbuchstaben einzeln oder in Paaren folgen würden; Gunkel so, dass er unter Vernachlässigung formgeschichtlicher Gesichtspunkte, die ihm sonst so wichtig waren, mit kühnen Eingriffen in den Text und Umstellungen von Verszeilen ein Alphabet-Akrostichon herstellte, das bis Nah 2,3 gereicht hätte. Dieser Lösung hat sich grundsätzlich Bickell ein Jahr später angeschlossen. Zu Beginn des 20. Jh. spannen anfangs viele Exegeten diesen Faden weiter und versuchten sich an der Rekonstruktion eines vollen Alphabet-Akrostichons (etwa Happel, 1900; Arnold, 1901; van Hoonacker, 1908), wobei die gröbsten Unwahrscheinlichkeiten der Textüberlieferung vermieden wurden (so erkannte Arnold klar, dass die Prophetenworte Nah 1,11.14 nicht zum Akrostichon gehört haben konnten). Bald aber übte das kurze Diktum J. Wellhausens (Kleine Propheten, ³1998, 159) starke Wirkung aus, dass alle Rekonstruktionsversuche ab V. 9 – d. h. ab dem Buchstaben ל – vergeblich seien. Immer deutlicher setzte sich die Erkenntnis durch, dass mit den Versen 9 ff, die Anreden an verschiedene Kollektive (und an einen Einzelnen, V. 14) enthalten, ein deutlicher Einschnitt gegenüber dem Hymnus V. 2–8 gesetzt ist (vgl. besonders Humbert, 1926, 267) und daher nicht zufällig ab V. 9 weit stärkere Eingriffe in den Text erforderlich sind als zuvor, will man ein volles Alphabet-Akrostichon rekonstruieren. De Vries fasste die Diskussion 1966 so zusammen: »Two things ought no longer be disputed: (1) Nahum 1 does indeed begin with an acrostic hymn …; (2) the hymn reproduces only half the alphabet, ending with the letter kaph« (477 f). In der Tat war dies im 20. Jh. die Mehrheitsmeinung und ist es bis heute geblieben, obwohl es immer wieder Versuche gegeben hat, die Rekonstruktion über den Buchstaben ( כV. 8) hinauszuführen (vgl. die Auflistung von Autoren bei Spronk, 23 f). Auch sachlich lässt sich verdeutlichen, dass Nah 1,2–8 keineswegs ein »Psalmtorso« (Seybold, Profane Prophetie, 81) darstellt, sondern einen wohl abgerundeten, in sich abgeschlossenen Psalm (vgl. schon Humbert, 267–269). Allerdings hat es, besonders in jüngerer Zeit, auch nicht an Skeptikern gegenüber der Annahme gefehlt, dass in Nah 1,2–8 ein Teil-Akrostichon vorliege, obwohl sie nur eine Minderheit bilden. Unter ihnen finden sich vor allem konservative Exegeten der USA, die das Buch N ahum für literarisch einheitlich halten und denen die relativ geringen Eingriffe in den Text, die zur Rekonstruktion des Akrostichons nötig sind (s. u.), schon zu weit gehen.14 Eine grundsätzliche Bestreitung der Existenz eines Alphabet-Akrostichons hat M. H. Floyd geboten, der die alphabetische Reihenfolge der Buchstaben am Beginn der Verszeilen für reinen Zufall hält. (Ihm folgen G. Baumann, 14 Etwa G. A. Smith, W. A. Maier, A. B. Davidson, R. L. Smith, R. B. Chisholm, O. P. Robertson, aber auch B. Becking.
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Gottes Gewalt, 59 und Fabry, 132.15) Guillaume (Nahum1, 130) hält dieser Ansicht mit Recht entgegen: »Nahum 1 has too many letters in the right order to dismiss its alphabetic character altogether«. Eine sorgfältige Widerlegung der Argumente Floyds bietet T. Renz, 10–15.
Von den Kritikern wird die Annahme eines Alphabet-Akrostichons aus wesentlich drei Gründen abgelehnt: 1. Seine Rekonstruktion erfordere zu viele Eingriffe in den Text; 2. die Existenz eines Teil-Akrostichons sei grundsätzlich problematisch, da ein Alphabet-Akrostichon gerade eine Ganzheit darstellen wolle; 3. V. 2b–3a, die außerhalb der alphabetischen Anordnung stehen, würden von den Vertretern eines Akrostichons literarkritisch ausgesondert, obwohl es für diesen Eingriff keine zwingenden sonstigen Gründe gebe. Alle drei Argumente lassen sich m. E. entkräften. Ad 1: Die Rekonstruktion des Alphabet-Akrostichons bedarf an zwei Stellen eines textkritischen Eingriffs, am Beginn von V. 6 und in V. 7b. Freilich wird von vielen Auslegern auch V. 4 als ein dritter Fall genannt. Jedoch ist hier mit der (versehentlichen) Wiederholung des gleichen Verbs in der genau gleichen Verbform am Anfang und am Ende der chiastischen Konstruktion ein alter Textfehler gegeben, dessen Korrektur auch unabhängig von der Frage eines Alphabet-Akro stichons vonnöten ist. Schon G, S, V und T setzen ihn voraus und haben ihn korrigiert (vgl. Textanm. 4c). Dagegen ist sowohl in V. 6 als auch in V. 7b der jeweilige kleine Textfehler am ehesten so entstanden, dass eine in der Prosa unübliche poetische Diktion im Prozess des Abschreibens durch die geläufigere prosaische ersetzt wurde. Als Analogie sei auf Mur 88 verwiesen, wo das auffällige artikellose הריםvom Anfang von V. 5a mit Artikel (wie in G und T) geschrieben wird. Man bedenke, dass Nah 1 das einzige Alphabet-Akrostichon im Bereich der prophetischen Literatur ist und den prophetischen Tradenten diese Form der Poesie nicht allzu vertraut gewesen sein mag. In V. 6 wurde die ungewöhnliche Wortreihenfolge des Dichters ( )זעמו מי יעמוד לפניוdurch die gewohnte ersetzt (so dass das Suffix in לפניוüberflüssig wurde), eine Änderung, die in den alten Übersetzungen keine Spuren hinterlassen konnte. In V. 7b wurde die asyndetische Satzreihung durch ein zugefügtes וin die im Kontext geläufigere syndetische transformiert, wie sie auch für das jeweils zweite Glied der Verszeilen in V. 2b–6 charakteristisch ist. Durch diese Eingriffe wird V. 7 im MT – anders als in den Druckanordnungen von BHK und BHS, aber wie in der BHQ – mit der spätmittelalterlichen Verseinteilung als Trikolon verstanden: V. 7aα bietet eine Art Überschrift, V. 7aβ.b fügen den explizierenden Parallelismus membrorum hinzu (s. dazu o. S. 53). Eine höchst originelle, im Ergebnis aber nicht wirklich überzeugende Erklärung der genannten Textfehler bzw. Textänderungen hat Nogalski gegeben, dem Zapff im Grundsatz folgt. Für beide Autoren handelt es sich bei den Textänderungen um bewusste Maßnahmen von Redaktoren, die im Zuge der Entstehung eines Mehrprophetenbuches vorgenommen wurden, und zwar mit dem Ziel, durch Textbezüge den Anfang des Nahumbuches enger mit dem Ende des Michabuches zu verzahnen. Beide Autoren unterscheiden sich nur darin, dass Nogalski annimmt, dass Nah 1 an Mi 7 angeglichen werden sollte, während Zapff Nah 1 Priorität zuweist. Vgl. dazu den kurzen Exkurs u. S. 74. 15 Weitere Autoren, die sich Floyd angeschlossen haben, nennt W. A. Ross, 460 f, Anm. 7.
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Ad 2: Nah 1,2–8 stellt kein beliebiges Teil-Akrostichon dar, sondern ein Semioder Halb-Alphabet-Akrostichon, dessen Geschlossenheit und sachliche Abrundung besonders die letzte Verszeile V. 8aβ.b zeigt, die mit ihrer in Prosa ungewöhnlichen Wortstellung allen Ton auf » כלהVernichtung« als Ergebnis des göttlichen »Eifers« legt, mit dem der Hymnus eingesetzt hatte. Wie schon Humbert (1926, 274; nach ihm besonders D. Christensen, 1975, 24) beobachtet hat, liegt ein analoges Semi-Alphabet-Akrostichon auch in Ps 9 vor, wobei hier jeder zweite Stichos mit einem neuen Buchstaben des Alphabets beginnt. Gegen diese Analogie hat Floyd eingewandt, dass Ps 9 mit Ps 10 zusammengehört. In der Tat bilden Ps 9–10 einen gemeinsamen Psalm, wie ihn G bezeugt und die gemeinsame Sprache beider Psalmen sowie vor allem das in Ps 10 mit der zweiten Hälfte des Alphabets fortgesetzte (freilich am Anfang von Ps 10 gestörte) Akrostichon nahelegen. Jedoch gilt unabhängig von diesem Sachverhalt, dass es keineswegs auf Zufall beruht, dass Ps 9, der als ein eigenständiges Danklied ohne die Klagen von Ps 10 lesbar ist, das Akrostichon gerade genau bis zur Hälfte des Alphabets durchführt. Nur unter dieser Bedingung konnte Ps 9–10 in der hebräischen Überlieferung geteilt werden. Einen weiteren, wenngleich nicht ganz so offensichtlichen Beleg für die Funktion eines Semi-Alphabet-Akrostichons findet man in Ps 34, dessen erste Hälfte ein weisheitlich geprägtes Danklied bildet, dessen zweite ein weisheitliches Lehrgedicht, das mit seiner Aufforderung an die »Söhne« zum sorgfältigen Hören auch gut für sich gelesen werden kann. Wiederum ist es keineswegs zufällig, dass das Alphabet-Akrostichon den Einschnitt zwischen beiden deutlich voneinander unterschiedenen, aber doch miteinander verbundenen Teilen des Psalms genau bei der Hälfte des Alphabets, zwischen den Buchstaben כund ( לV. 11/12), setzt.16 Somit bieten Ps 9 und Ps 34A also in der Tat weitere Belege für die Existenz von Semi-Alphabet-Akrosticha, und man kann aus der Gemeinsamkeit der beiden Psalmen mit Nah 1 schließen, dass ein Semi-Alphabet-Akrostichon im (späten) Alten Testament durch zwei Eigenschaften ausgezeichnet ist: Zum einen bildet es eine formal abgerundete und in sich selbständige Einheit, die zum anderen dennoch nicht isoliert gelesen und gedeutet werden soll, sondern auf eine sachlich notwendige Fortsetzung abzielt. Ad 3: Die außerhalb der alphabetischen Anordnung stehenden Verse 2b–3a stellen ein Sonderproblem dar, denen sich der Abschnitt »Ort« zuwenden wird.
Sinn und Bedeutung eines Alphabet-Akrostichons Lit.: U. Berges, Klagelieder: HThK.AT (2002) 75 ff. – J. F. Brug, Biblical Acrostics and their Relationship to Other Ancient Near Eastern Acrostics: W. W. Hallo u. a. (Hg.), The Bible in the Light of Cuneiform Literature. Scripture in Context III: ANETS 8 (1990) 283–304. – H. Eshel-J. Strugnell, Alphabetical Acrostics in Pre-Tannaitic Hebrew: CBQ 62 (2000) 109–115. – D. N. Freedman, Acrostics and Metrics in Hebrew Poetry: HThR 65 (1972) 367–392. – Ders., Acrostic Poems in the Hebrew Bible: CBQ 48 (1986) 408–431. – B. D. Giffone, A »Perfect« 16 Wie M. D. Coogan, Alphabets and Elements: BASOR 216 (1974) 61–63 gezeigt hat, hat man wahrscheinlich in Qumran, bei den Griechen und den Etruskern das Alphabet in zwei Etappen gelehrt: von A bis K und ab L-M-N.
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hingewiesen, dass manche Akrosticha offensichtlich bewusst gewählte Unregelmäßigkeiten enthalten.18 Die plausibelste Interpretation hat erstmals N. Gottwald breiter ausgeführt, in Aufnahme früher Deutungen de Wettes und Keils. Für ihn ist Vollständigkeit (»completeness«) das Ziel eines Alphabet-Akrostichons, unabhängig davon, ob es sich um Klagen, Schuldbekenntnisse, Hymnen oder Hoffnungsaussagen handelt. In der Tat soll bei einem Alphabet-Akrostichon in dem beschränkten Raum der 22 Buchstaben ein Thema sowohl umfassend als auch abschließend – sozusagen von A bis Z – behandelt werden, begrenzt auf die wesentlichen Aspekte des Anliegens seines Autors. Ein Dichter, der diese Form nutzt, zwingt sich selbst zur Beschränkung seiner Gedanken bei gleichzeitigem Anspruch, sein Anliegen in dessen ganzer Fülle darzulegen, unter Berücksichtigung aller entscheidenden Gesichtspunkte. Berges spricht zu Recht von einer Begrenzung des »eigentlich Grenzenlosen« (76), während van Selms die »universalistic tendency«, d. h. den universalistischen Anspruch auf Wahrheit des Geschriebenen hervorhebt (35). Seybold sieht das Ziel einer solchen Dichtung darin, »Sachverhalte umfassend im Sinn eines Kompendiums oder einer Summa literarisch darzustellen« (172 f). Dass die Form damit »conceptual and not sensual« (Gottwald, 29), nicht Ausdruck spontaner Gefühle, sondern Ergebnis intensiver Reflexion ist, versteht sich ebenso von selbst wie die Tatsache, dass nur äußerst geübte Dichter zum Gebrauch einer derart anspruchsvollen Form mit selbst auferlegten Zwängen in der Lage waren. Die genannten Sinnmerkmale gelten natürlich auch für Semi-Alphabet-Akrosticha, mit dem einen gewichtigen Unterschied, dass sie insofern nur die »halbe« Wahrheit enthalten, als sie per definitionem und wesensmäßig auf Fortsetzung angelegt sind (s. u.).
Ist der Hymnus am Beginn des Nahumbuches aus einer fremden Quelle Ort übernommen worden? Das haben vor allem diejenigen Ausleger vermutet, die hinter Nah 1 ein volles Alphabet-Akrostichon erwarteten, aber auch die, die das gesamte Buch Nahum für eine einheitliche Komposition aus dem 7. Jh. v. Chr. hielten. Im letzteren Fall hat man zumeist mit einer teilweisen Übernahme eines vorgegebenen Psalms gerechnet. Jedoch ist Nah 1,2–8 keineswegs ein »Psalmtorso« oder gar ein »Fragment« (Seybold, Profane Prophetie, 80 f), sondern eine formal geschlossene und inhaltlich durchdachte Einheit, wie schon Humbert (ZAW 1926, 267 f) in aller Klarheit erkannt hat, die mit einer Steigerung endet (betont vorangestelltes Objekt » כלהVernichtung« in der abschließenden כ-Zeile), die als Abschluss und Höhepunkt gedacht ist. Vor allem dieses Ende des Hymnus, in dem Imperfecta verwendet werden und prophetische Zukunftsschau vorliegt, spricht eher dafür, dass der Hymnus von Anbeginn als Einleitung des Buches Nahum komponiert wurde (so schon M. Roth, Israel und die Völker, 244). Dieser Hymnus stammt unter keinen Umständen aus vorexilischer Zeit, wie in neuerer Zeit noch diejenigen Autoren – etwa 18 Z. B. fehlt sowohl in Ps 25 als auch in Ps 34 eine ו-Zeile, und beide Psalmen schließen mit einer überschüssigen פ-Zeile. Die Buchstaben עund פstehen in Thr 2–4 in umgekehrter Reihenfolge.
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B. Becking und K. Spronk – annehmen, die von der literarischen Einheitlichkeit des Nahumbuches ausgehen. Auch wenn Hymnen generell schwer zu datieren sind, ist doch die Kunstform des Alphabet-Akrostichons nie in vorexilischer Zeit belegt. Wahrscheinlich ist sie in Israel erst entstanden, als man vergleichbare Kunstformen, die allerdings auf einer Silbenschrift fußten, in Mesopotamien kennengelernt hatte. Stärker ins Gewicht fällt, dass die wesentlichen sprachlichen und traditionsgeschichtlichen Parallelen zum Hymnus in die späte nachexilische Zeit weisen, wie insbesondere die Habilitationsschrift von G. Baumann gezeigt hat, die in ihren intertextuellen Studien nicht nur Wortstatistiken anführt, sondern Wortfelder und deren Konzeptionen untersucht hat. Sie hat die späte Herkunft der Formulierungen in Nah 1,2–8 besonders für den Mittelteil des Hymnus nachgewiesen. Die Verse 3b–6 greifen nämlich keineswegs beliebige Theophaniemotive auf, wie die Mehrheit der Ausleger annimmt, sondern spezifisch spätprophetische Theophanietraditionen, worauf ich selber schon 1977 aufmerksam gemacht hatte (Theophanie², 169 f). Für eine späte Abfassung spricht weiter der freie Umgang mit geprägter Tradition, wie er sich besonders in der kühnen Umdeutung der sog. Gnadenformel (Ex 34,6 f par.) in V. 3a zeigt, gleichfalls aber auch in der neuen Deutung des göttlichen »Eifers« und der göttlichen »Rache« (V. 2a; vgl. Jeremias, Gottesbild und unten zu »Wort«). Ein wichtiges Argument für eine Spätdatierung verbirgt sich schließlich hinter V. 7. Dieser Vers, der als einziger eine Möglichkeit nennt, der Strafe bzw. dem Zorn JHWHs zu entrinnen, denen alle Feinde Gottes zum Opfer fallen, vermeidet die Nennung Israels als Kollektiv und verweist stattdessen die einzelnen Menschen auf die Möglichkeit, bei JHWH Zuflucht zu suchen. Wenn so betont das Bekenntnis des Einzelnen hervorgehoben wird, dann impliziert eine solche Aussage, dass die nicht näher charakterisierten »Feinde Gottes« nicht nur in Gestalt mächtiger Fremdvölker existieren, sondern auch innerhalb Israels vorauszusetzen sind (so auch etwa Roth, Israel und die Völker, 245; Hagedorn, Die Anderen, 72 ff; Wöhrle, Abschluss, 59; Kratz, Pescher Nahum, 139). Wieder finden sich Parallelen hierzu vor allem in spätprophetischen Texten (Joel 3,5; Sach 9–14; Mal; Jes 65 f etc.; vgl. Ps 97). Theologisch heißt diese Einordnung, dass der Hymnus Nah 1,2–8 dem Nahumbuch bewusst vorangestellt wurde, um die vorgegebenen älteren Texte, die den bevorstehenden Fall Ninives ankündigen und sich zur Zeit des Hymnus längst bewahrheitet haben, neu zu deuten, und zwar von einem Gottesbild her, das in den Nominalsätzen der Anfangsverse 2–3a mit ihrer fünffachen Nennung des JHWH-Namens betont mit den Begriffen »Eifer«, »Rache« und »Zorn« eingeführt wird. Dem Hymnus geht es darum, die punktuellen, in erkennbarer historischer Situation verankerten prophetischen Ankündigungen im Korpus des N ahumbuches (Kap. 2–3) auf eine generelle Ebene zu heben und ihnen grundsätzliche Erkenntnisse über Gott zu entnehmen; ja mehr noch: sie als Anlass zur Hoffnung auf
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noch weit größere Erfahrungen der Hilfe Gottes in der eigenen Gegenwart zu begreifen, die von Not und Unterdrückung bestimmt ist. Gottes Gerechtigkeit und Hilfe für sein Volk sind für den bzw. die Verfasser des Hymnus nicht an die Sondersituation des Untergangs Ninives gebunden, sondern sie sind ein Faktum der Existenz des Gottesvolks, mit dem auch in der Gegenwart der Leser zu rechnen ist, ja in noch gesteigertem Maße, so dass die erfahrene Not, die im Hymnus absichtsvoll nicht näher umschrieben wird, definitiv und für alle Zeiten beendet sein wird (»Vernichtung«, V. 8; vgl. V. 9 f). Die Einheitlichkeit der hymnischen Eingangsverse ist wegen V. 2b–3a von einer großen Zahl und wegen V. 7 f von einer Minderheit neuerer Exegeten in Frage gestellt worden. Jedoch geschah dies im Blick auf V. 2b–3a allein deshalb, weil diese beiden Verszeilen bzw. Stichoi außerhalb der alphabetischen Anordnung der übrigen Verszeilen stehen; weder klassisch literarkritische noch auch tendenzkritische Argumente sprechen für eine Absonderung der Verse. Vielmehr bilden V. 2b–3a eine Art präzisierender Parenthese, ohne die die ungewöhnliche Neuakzentuierung des wesenhaften Handelns Gottes in V. 2a schwer verständlich bliebe, die aber ganz im Geiste der programmatischen Gottesprädikationen von V. 2a gestaltet sind (Scherer, Lyrik, 306; Jeremias, Gottesbild, 227 f.). Vermutlich stehen V. 2b–3a absichtsvoll außerhalb der alphabetischen Anordnung der Stichoi, um den provokanten Aussagen über Gott in V. 2a noch mehr Gewicht zu verleihen. Auch wenn es für eine solche explikative Parenthese keine unmittelbare Parallele in einem anderen Alphabet-Akrostichon gibt, so hatten die Dichter, die diese Kunstform verwendeten, doch offensichtlich beim einleitenden und themagebenden א-Stichos besondere Freiheiten, wie Ps 9 zeigt, der einzig in den beiden א-Stichoi jedes einzelne Kolon mit אbeginnen lässt. F. Horst vermutet, dass auch Nah 1,2–3a ursprünglich einmal durchgehend mit אbeginnende Stichoi enthalten habe; ähnlich Humbert, Christensen (The Acrostic of Nahum Once Again, 412 f) sowie Rudolph, 154. K. C. Hanson rechnet in seiner Dissertation (Alphabet Acrostics, 298) mit einer »hyper-extension of the ›aleph« und bezieht sich dafür neben Ps 9 zusätzlich auf Belege aus Qumran: Ps 155,1 f und die »Apostrophe of Zion« (vgl. dazu den obigen Exkurs). Für Ps 155 hatte P. W. Skehan (A Broken Acrostic, 1 f) mit gewichtigen Gründen vermutet, dass der in Höhle 11 von Qumran entdeckte fragmentarische Psalm ein Akrostichon mit zwei א-Zeilen enthalten habe. Auch das Wortspiel zwischen dem dreimal genannten נקםJHWHs in V. 2 und seinem doppelt aufgeführten Pendant נקהin V. 3a spricht für einen einheitlichen Text. Aber selbst für den Fall, dass die Verse 2b–3a wirklich literarisch nachgetragen sein sollten, müsste ein Ausleger konzedieren, dass sie sachlich mit V. 2a auf einer Ebene liegen. Daneben hat H. Schulz (Buch N ahum, 9 f) V. 7 f zum Nachtrag erklärt, weil V. 6 zum Gedanken von V. 2a zurückkehre und mit V. 2a einen Rahmen um V. 3b–5 bilde, und T. Lescow (BN 77 [1995] 69) sowie A. C. Ha-
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gedorn (Die Anderen, 72) sind ihm gefolgt. Jedoch haben die genannten Exegeten übersehen, dass es auch Inklusionen zwischen V. 2 und V. 7 f gibt: Die Not ( )צרהin V. 7 spielt auf die »Widersacher« Gottes ( )צריםin V. 2 an, die »Feinde« Gottes sind in V. 8 mit dem gleichen Begriff ()אויב wie in V. 2 benannt. Sachlich wird mit der Elimination von V. 7 f dem Hymnus das Rückgrat gebrochen, weil nun der Zorn Gottes (V. 2.6) ohne seinen Kontrast (Gottes Schutz, V. 7) und ohne seine extreme Wirkung (»Vernichtung«, V. 8) auf allgemeine Aussagen beschränkt und damit ohne explizit genannte Folgen bliebe. Zugleich würde das Semi-AlphabetAkrostichon (s. o.) ohne zwingende Gründe zerstört. 1,2–3a: ein neues Gottesbild Wort 2–3a In seiner überlieferten Gestalt muss das Buch N ahum von seinem unge-
wöhnlichen Anfang her verstanden und gedeutet werden, der ihn von allen anderen Prophetenbüchern unterscheidet. Freilich kontrastiert die hohe Erwartung, mit der ein moderner Ausleger einer künstlerischen Dichtung in Gestalt eines Alphabet-Akrostichons entgegentritt, auffällig den abwertenden Äußerungen von Exegeten der klassischen historisch-kritischen Forschung. Gunkel bezeichnete 1893 den »nachprophetischen Psalm« als »Epigonenprophetie«: Was der Dichter schildere, sei »nichts anderes, als was die Tradition schon seit lange (sic!) von dem Feinde der Endzeit sagte« (242); Bickell fand 1894 in dem Psalm »eine farblose allgemein gehaltene Zusammenstellung eschatologischer Leitgedanken« (11), und Arnold nannte den Dichter 1901 »a late redactor, of little intelligence, resourcefulness, and taste« (256). Jedoch haben die erwähnten Autoren die innovative Kraft der Dichtung völlig verkannt, die Christensen 1975 zu der Bezeichnung eines »literary masterpiece« führte (23). Der Verfasser der Dichtung geht in ihr so weit, seinen Lesern ein neues Gottesbild zuzumuten. Zu diesem Zweck beginnt das Buch N ahum wie kein anderes Prophetenbuch des Alten Testaments mit einer hymnischen Vorstellung Gottes, und zwar mit betont programmatischem Anspruch. Den Lesern der Dichtung sollen neue Dimensionen Gottes enthüllt werden oder ihnen sollen doch zumindest Aussagen über Gott in Erinnerung gerufen werden, die sie zwischenzeitlich vergessen haben. Aus diesem Grund ist einleitend in zeitlosen Nominalsätzen adjektivisch bzw. in Partizipien von Gott die Rede. Ein Leser des Buches erfährt so als erstes, wie Gott ist, bevor ihm berichtet wird, wie Gott gehandelt hat und handeln wird. Die Programmatik erweist sich – wie schon erwähnt – daran, dass in V. 2–3a, also in nur drei poetischen Stichoi oder Bikola, nicht weniger als fünfmal feierlich der Gottesname JHWH verwendet wird. In den folgenden Versen 3b–8 begegnet er nur noch ein einziges Mal, nicht zufällig in der Einleitung zur zweiten Charakterisierung Gottes in V. 7. Die Programmatik wird ferner daran erkennbar, dass V. 2 dreimal genau gleichlautend die zentrale leitwortartige
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Prädikation Gottes als »Rächer« ( )נקםeinführt und sie an allen drei Stellen unmittelbar folgend mit dem Gottesnamen JHWH verbindet. Jedem Leser wird auf diese Weise geradezu eingehämmert, welches Gewicht diese ungewöhnliche Prädikation für das Verständnis Gottes generell und für die Botschaft des Buches N ahum im Besonderen besitzt. Einzig in Ps 94,1 tritt sie sonst im Alten Testament in einer vergleichbaren Häufung auf. Die mehrfach geäußerte Vermutung, die dreifache Wiederholung in Nah 1,2 orientiere sich am Trishagion von Jes 6 und Ps 99 (etwa Humbert; Peels, Vengeance, 23), legt sich nahe. Wie sehr der einleitende Hymnus bemüht ist, neuartige oder doch zumindest ungewohnte Aussagen über Gott zu vermitteln, wird vollends daran deutlich, dass er das am häufigsten belegte und gewichtige Bekenntnis zu Gottes Barmherzigkeit im Alten Testament, die sog. Gnadenformel (Ex 34,6 f par.), aufgreift und in V. 3a neu deutet. Allein schon rhythmisch ist die anfängliche Prädikation Gottes aus Nah 1,2: אל קנוא ונקם יהוהdem 19 ( אל רחום וחנון יהוהEx 34,6 und Parr.) l
überaus ähnlich. Wenn in Ex 34,6 f und Parallelen zwei Adjektive am Anfang stehen, in Nah 1,2 dagegen ein Adjektiv und ein Partizip, so liegt das daran, dass das Hebräische aus gutem Grund (s. u.) kein Adjektiv zu dem Substantiv »Rache« (und keines zum Substantiv »Zorn«) gebildet hat. Gott kann – und wird in Situationen wie der in Nah 1 – »Rache« üben und »im Zorn« handeln, aber er ist nicht wesenhaft »rachsüchtig« oder gar »zornig«. Die Beziehung zwischen Nah 1,2–3a und Ex 34,6 f mit Parallelen wird aber erst dadurch unübersehbar, dass Nah 1,3a das vorgegebene Bekenntnis zu Gottes Gnade und Barmherzigkeit zitiert, um es gleichzeitig so einschneidend abzuwandeln, wie es kein anderer Beleg im Alten Testament zu tun wagt. Aus dieser Beobachtung geht deutlich hervor, dass der Verfasser des Hymnus das überlieferte Bekenntnis keineswegs ersetzen, sondern es vor allzu einseitiger Deutung schützen möchte. Dass der Hymnus zugleich ein dringliches Anliegen verfolgt, zeigt der Kontext. Unmittelbar anschließend an den Psalm kommen zweifelnde Stimmen zu Wort, die den Zielpunkt und die Pointe des Psalms – Gottes vernichtendes Eingreifen gegen seine Feinde – in Frage stellen und bestreiten (V. 9 f). Umso mehr ist dem Psalm daran gelegen, die Gewissheit dieser bevorstehenden Aktion Gottes mit seiner Eigenschaft als »Rächer« zu begründen. Der erfahrene Untergang Ninives soll die Realität der »Rache« Gottes für die Leser des Buches bezeugen. Ungewöhnlich am Einsatz des Buches Nahum ist außerdem, dass die an den Anfang gestellten Adjektive und Partizipien Leidenschaften Got19 In Ex 34,6 steht freilich der Gottesname am Anfang, aber in anderen Belegen (Ps 103,8; 145,8; ähnlich Dtn 4,31; Joel 2,13; Neh 9,31) folgt er den Adjektiven wie in Nah 1,2.
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tes ausdrücken, die sich in seinem Handeln äußern. Das Alte Testament wagt hier wie auch andernorts, von starken Emotionen Gottes zu reden.20 Indem es Gefühlsäußerungen, die aus zwischenmenschlichem Verhalten bekannt sind, auf Gott überträgt, wandeln sich die Inhalte, die mit den Begriffen bezeichnet werden, jedoch stark, wie im Folgenden näher zu zeigen sein wird. Innerhalb von V. 2–3a ragt V. 2a schon rein äußerlich aus dem Folgenden heraus. Während die Verse 2b–3a wie die zentrale Theophanieschilderung V. 3b–6 als Doppeldreier gestaltet sind mit Kopula zur Verbindung der Versglieder bzw. Kola, bedient sich V. 2 einer kunstvoll chiastischen Form: Der im Zentrum stehende, bewusst wiederholte Nominalsatz »ein Rächer ist JHWH« wird an seinen Rändern gerahmt durch zwei andersartige Prädikationen Gottes. Zudem prägt Alliteration die poetischen Glieder: Kaum zufällig klingt die erste ( )קנואlautlich an das dreifach eingeschärfte נקםan, und dieser Anklang wird in V. 3a im zitierten Bekenntnis der sog. »Gnadenformel« durch die wiederholte Wurzel נקהweitergeführt (vgl. Baumann, 61 f). Sachlich liefert die am Anfang stehende Prädikation »eifernder Gott« die Voraussetzung zum Verständnis dessen, was mit Gottes »Rache« gemeint ist, während die Charakterisierung »voller Grimm« am Ende von V. 2a eine erste Explikation der »Rache« bietet. Für das Verständnis des Nahumbuches hängt Entscheidendes an der Auslegung dieser drei Begriffe. Daher soll ihr Sinn hier breiter als bei den folgenden Begriffsanalysen erläutert werden. 2a Wie sehr das Buch N ahum gewillt ist, Neues über Gott zu sagen, kommt bereits in seiner ersten Gottesaussage zum Ausdruck. Kein Autor im Alten Testament hat Gott je zuvor »eifernd« im Sinne von Nah 1,2 genannt und auch nach dem Buch Nahum keiner mehr. Um die kühne neue Sprachschöpfung in der Rede von einem »eifernden Gott« zu erkennen, ist die Beobachtung wesentlich, dass die alttestamentlichen Texte beim Gebrauch der Wurzel קנאmit Gott als Subjekt streng unterscheiden zwischen dem Verb »eifern« sowie dem Substantiv »Eifer« einerseits und dem Verbaladjektiv »eifernd, eifersüchtig« andererseits. Substantiv und Verb begegnen zum Ausdruck einer starken Gemütsbewegung sowohl im profanen Sprachgebrauch als auch in ihrer Verwendung für Gottes Handeln in höchst unterschiedlichen Kontexten. So können Substantiv und Verb etwa für den intensiven Eifer eines Menschen für einen anderen (Num 11,29), für leidenschaftliche Liebe (Cant 8,6) stehen, aber auch für das »Sich Ereifern« über Missetäter (Ps 37,1), für den Neid auf einen Begüterten (Gen 26,14) und – häufig – für Eifersucht unter Eheleuten.
20 Vgl. zur Unterscheidung von nach innen gerichteten Gefühlen und nach außen gerichteten Emotionen im Hebräischen A. Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im AT: KUSATU 7 (2006) 16; ders. (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle: OBO 270 (2014).
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Für Gottes Eifer ist charakteristisch, dass er so gut wie ausschließlich auf Israel bezogen ist und in den restlichen Belegen (z. B. Ez 35,11; 36,5; 38,9) um Israels willen Gottes Handeln bestimmt. Jedoch kann sich Gottes Eifer sowohl zugunsten Israels als auch – häufiger – gegen es auswirken. Gemeinsam ist diesen extrem unterschiedlichen Handlungsweisen, dass sie von Gott mit hoher Intensität und Emotionalität ausgeführt werden. Vgl. Näheres bei G. Sauer, THAT II (1976) 647–650 und E. Reuter, ThWAT VII (1993) 51–62, je mit Lit.
Dagegen zielt das Adjektiv »eifernd«, das nie auf Menschen, sondern stets auf Gott bezogen verwendet wird, auf eine durchgehend negativ konnotierte Reaktion Gottes in einer ganz bestimmten, immer gleichbleibenden Situation – mit der einzigen Ausnahme von Nah 1,2. Es handelt sich stets um Gottes strafendes bzw. vernichtendes Handeln gegen Israel, wenn dieses Israel im Begriff ist, sich von anderen attraktiven Mächten anziehen zu lassen und auf diese Weise die ausschließliche Verehrung seines Gottes aufzugeben. Wo immer außerhalb von Nah 1,2 vom »Eifer« Gottes adjektivisch gesprochen und Gott als »eifernd« (plene קנואoder defektiv )קנאbezeichnet wird, bezieht sich dieser Eifer Gottes auf den schon erfolgten oder auch nur für möglich gehaltenen Bruch des 1. Gebots durch Israel. Gottes Eifer bezeichnet »die Leidenschaft eines Liebenden« (von Rad), der nicht erträgt, dass sein geliebtes Volk fremden Göttern oder Mächten wie Ägypten (Jes 31,1–3) ein Vertrauen entgegenbringt, wie es nur ihm zukommt. Wenn Israel dennoch sein Heil bei anderen Mächten als bei seinem Gott sucht, erlebt es ihn als hart Strafenden (Ex 20,5 f; Dtn 5,9 f) oder gar als verzehrendes Feuer (Dtn 4,24), das seinen aufflammenden Zorn versinnbildlicht (Dtn 6,15), der sein Volk zu vernichten droht. Das bekannteste Beispiel bietet der Dekalog. In ihm ist das 1. Gebot in der anfänglichen Gottesrede gerahmt von zwei konträren Selbstprädikationen Gottes: anfangs verbal vom Hinweis auf die grundlegende Heilstat Gottes, die Befreiung Israels aus der Knechtschaft in Ägypten, ohne die es ein Israel im biblischen Sinn nicht gäbe, am Ende adjektivisch von der Betonung seines »Eifers«, der durch die folgende Erläuterung drohenden Charakter erhält (Ex 20,5; Dtn 5,9). Israel steht in der ständigen Gefahr, sein Gottesverhältnis und damit seine Existenz einzubüßen. Gottes Eifer besagt in diesem Kontext einerseits, dass Gott ein »Eigentumsrecht« auf sein Volk hat und dieses einfordert, und andererseits, dass er nicht mehr ohne sein Volk sein will und mit letztem Einsatz um es kämpft.
Strenggenommen bezeichnet also das Adjektiv קנוא/ קנאkeine Eigenschaft Gottes, sondern es ist ein Beziehungsbegriff, der auf ein Handeln Gottes verweist, das in einer bestimmten Situation erwartbar regelmäßig auf ein vorgängiges Handeln Israels reagiert. Mit Recht sagt W. H. Schmidt im Blick auf dieses Handeln Gottes: »Allerdings meint ›Eifer‹ eigentlich kein Attribut, sondern eine Reaktion.« (Das erste Gebot, ThEx 165, 1969, 18). Die enge Begrenzung des adjektivisch formulierten »Eifers« Gottes auf den Bruch des 1. Gebots bedeutet, dass es sich hier um eine Reaktion Gottes auf Israels potentiellen Vertrauensverlust handelt, die gewiss eintritt, geradezu gesetzmäßig und auf die sich Israel deshalb fest einzustellen hat.
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Nah 1,2 ist die einzige Ausnahme dieser Beschränkung des Eifers Gottes auf den Bruch des 1. Gebots beim adjektivischen Gebrauch der Wurzel קנא. Sachlich heißt das, dass einzig im Buch N ahum, hier aber sogleich ganz am Anfang, der leidenschaftliche Einsatz Gottes für oder gegen Israel in einer anderen Situation als der zuvor beschriebenen als regelmäßig und Gottes Wesen entsprechend behauptet wird. Worauf bzw. gegen wen sich dieser göttliche Eifer richtet, wird erst im Folgenden expliziert, aber der Kontext zeigt bald, dass der Einsatz Gottes Israel zugutekommt. Da Nah 1,2 terminologisch Neuland betritt, indem es Gottes Eifer, wie er ihn wesensmäßig charakterisiert, neu deutet, wird der zentrale Begriff, der diesen Eifer inhaltlich präzisiert, geradezu penetrant dreifach eingeschärft: »ein Rächer ist JHWH«. Diese Festlegung Gottes verwundert auf den ersten Blick aus doppeltem Grund. Zum einen wird in den übrigen – vorwiegend prophetischen – Texten des Alten Testaments von Gottes Rache üblicherweise nur als einem punktuellen, außergewöhnlichen Ereignis gesprochen, das sich ebenso gegen ein schuldiges Israel (z. B. Lev 26,25; Jes 1,24) wie gegen Israels Feinde richten kann (z. B. Num 31,3; Jes 34,8). Für Nah 1,2 ist demgegenüber wie zuvor für Gottes Eifer entscheidend, dass ein Wesensmerkmal Gottes ausgedrückt werden soll. Zwar bildet das Hebräische bei der Wurzel נקםkein Verbaladjektiv wie beim »Eifer« Gottes, aber die syntaktische Funktion des Partizips »rächend/ein Rächer ist JHWH«, das an allen drei Belegen in V. 2 verwendet wird, richtet sich (wie immer: Ges-K § 116) nach dem vorangehenden Bezugswort, hier also nach dem Adjektiv קנוא. Sachlich soll also wie im Fall des göttlichen Eifers eine festliegende und – in bestimmten Situationen bzw. unter gewissen Voraussetzungen – stets und gewiss zu erwartende Handlungsweise Gottes ausgedrückt werden. Zum anderen ist der Begriff »Rache« im Deutschen – anders als im Hebräischen – so gut wie ausschließlich negativ konnotiert, insofern er gemeinhin für die willkürliche Selbstjustiz eines wie auch immer Verletzten steht und oft von Maßlosigkeit (»Rachgier«) begleitet ist. Die Übersetzung »Rächer« für das Partizip von נקםist daher nur ein Notbehelf. Beide Irritationen hängen ursächlich miteinander zusammen. W. Dietrich, Rache: EvTh 36 (1976) 450–472 = ders., Theopolitik. Studien zur Theologie und Ethik des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 2002, 117–136. – Ders. – C. Link, Die dunklen Seiten Gottes. Willkür und Gewalt, NeukirchenVluyn 1995, 128–148. – J. Ebach, Der Gott des Alten Testaments – ein Gott der Rache? in: Ders., Biblische Erinnerungen (1993) 81–93. – J. Jeremias, JHWH – ein Gott der »Rache«: C. Karrer-Grube u. a. (Hg.), Sprachen – Bilder – Klänge. FS R. Bartelmus: AOAT 359 (2009) 89–104 = Ders., Studien zur Theologie des Alten Testaments, hg. von F. Hartenstein – J. Krispenz: FAT 99 (2015) 172–187. – S. F. Kato, Rache als glühende Gerechtigkeit: BN 167 (2015) 113–129. – J. E. Lindsey, Jr., Vengeance: IDB.S (1976) 932 f. – E. Lipiński, נקם, nāqam: ThWAT V (1986) 602–612. – G. E. Mendenhall, The Tenth Generation. The Origins of the Biblical Tradition, Baltimore/London 1973, 69–104. – H. G. L. Peels, Vengeance
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(s. o. S. 48). – G. Sauer, נקם, nqm, rächen: THAT II (1976) 106–109. – F. Stolz, Rache: TRE 28 (1997) 82–88 (Lit.!). – E. Zenger, Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg 1994. – Ders., Rache. Biblisch: RGG4 Bd. 7 (2004) 11 f.
Die große Breite an Bedeutungen, die die Wurzel נקםim Hebräischen umfasst, kann im Deutschen mit keinem einzelnen Begriff wiedergegeben werden. Daher empfiehlt es sich, bei der eingebürgerten Übersetzung »Rache« zu bleiben, obwohl die hebräische Wurzel nur äußerst selten im gleichen Sinne wie der deutsche Begriff eine Selbstjustiz aufgrund einer Verletzung zu eigener Genugtuung bezeichnet (z. B. Gen 4,23 f; Jer 20,10).21 Weit häufiger ist נקםim Hebräischen ein Akt der göttlichen Rechtsdurchsetzung. Schon rein äußerlich fällt auf, dass das Verb נקםin der Mehrzahl der Belege mit Gott als Subjekt verwendet wird und sich in Texten, die von innermenschlichen Konflikten reden, viele finden, in denen Menschen auf ihre Rache verzichten und Gott die Rache anheimstellen (Dtn 32,35; 1Sam 24,13; Jer 11,20; 20,12 u. ö.). Sie tun das in der Überzeugung, dass Gott das Unrecht nicht dulden, den Täter bestrafen und dem Opfer zu seinem Recht verhelfen wird. Hinzu kommt, dass Gottes Rache in einer Fülle von Belegen mit Termini der Rechtsprechung näher charakterisiert wird. Derartige Akte göttlicher Rechtsdurchsetzung werden vornehmlich in prophetischen Texten angekündigt; sie wenden sich zumeist gegen Israel bzw. gegen dessen Verantwortungsträger (z. B. Jes 1,24; Lev 26,25). In solchen Texten nähert sich die Wurzel נקםdem an, was im Deutschen mit dem Wort Strafe gemeint ist. (M. Buber übersetzt mit gutem Gespür: »Ein eifernder ahnender Gott ist ER«). Texte im Jeremiabuch betonen Gottes Verzweiflung, dass er Israel »rächen«, d. h. strafen muss, obwohl er es nicht will (Jer 5,9.29; 9,8). Insofern kann man sagen, dass Rache im biblischen Sprachgebrauch »meist ein rechtlich konnotierter Begriff« ist (Zenger im Gefolge von Horst und Westermann) und vielleicht sogar »die ur sprüngliche Bedeutung des Stammes nqm … der Rechtssprache zugehören« mag (Sauer). Aber נקםhat noch ganz andere, für unseren Text wesentlichere Sinn dimensionen. Die ältesten Belege bieten vor- und außerbiblische Wunschnamen, mit denen ein neugeborenes Kind dem Schutz der Gottheit anbefohlen wird, etwa Jaqqim-El, »El (bzw. Gott) möge beschützen« (E. Lipiński, 610 f; Peels, 29 ff). Gemeint ist ein Schutz der Gottheit sowohl durch Verhinderung von Unrecht von Menschen als auch durch Hilfe in Not und Bestrafung eines potentiellen Unrechttäters. In den Amarnabriefen bitten Vasallen ihren ägyptischen Oberherrn mit dem Verb nqm um dessen Hilfe und Unterstützung angesichts von Rebellen, die die staatliche Ordnung bedrohen (Mendenhall; Lindsey). Im Alten Testament richtet 21 Die alte Institution der Blutrache wird selten mit נקם, üblicherweise mit der Wurzel גאלumschrieben. Sie schwingt noch in Texten nach, in denen erhofft und erbeten wird, dass JHWH »das Blut seiner Knechte rächen möge« (Dtn 32,43; 2Kön 9,7; Ps 79,10).
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sich ab der Exilszeit Gottes »Rache« mehrheitlich gegen die Israel bedrückenden Mächte. Jetzt steht die Assoziation der Befreiung im Zentrum der Aussagen; Gottes Rache betrifft zunächst primär Babylon, und zwar sowohl das historische als auch das typologische (Jes 47,3; Jer 50 f), danach vornehmlich die verhassten Edomiter (Jes 34,8; 63,4). »Der Tag der Rache Gottes« führt für die Elenden »ein Jahr des göttlichen Wohlwollens« herauf (Jes 61,2). Wenn Gott »Rache« übt und mit ihr der Befreiung Gefangener den Weg ebnet, beginnen Wüste und Steppe als Zeichen des Jubels zu blühen; denn der Gott, der »Rache« übt, »kommt, um euch zu helfen« (Jes 35,1.4). Von den Assoziationen des deutschen Wortes »Rache« ist man hier weit entfernt. Das Unrecht, das Gott straft, ist die Gewalt, die seinem Volk angetan wurde; das wiederhergestellte Recht der vom Unrecht Betroffenen ist die Möglichkeit, wieder im eigenen Land ihrem Gott frei zu dienen. Gottes Rechtsfürsorge gilt hier der Aufrechterhaltung der Weltordnung, die er selber geschaffen hat. Von hier aus ist es kein weiter Weg mehr zur jüngsten Verwendung der »Rache« Gottes als Theologumenon, als grundsätzliche Aussage über die Art seines Handelns. Allerdings ist bemerkenswert, dass sie nur höchst selten belegt ist. Das Partizip des Verbs נקםmit Gott als Subjekt begegnet nur noch ein einziges Mal (Ps 99,8), und auch hier nur, weil es im Kontext eigentlich um Gottes Vergebung geht, die durch sein »Rächen« begrenzt und eingeschränkt wird. Sachlich vergleichbar mit Nah 1,2 ist letztlich einzig Ps 94,1, wo die substantivisch verwendete »Rache« als Titulatur JHWHs verwendet wird, und zwar wie in Nah 1,2 auffällig wiederholt: »Gott der Rache, JHWH, Gott der Rache, JHWH, erscheine!« Hier wird Gottes »Rache« von der Gemeinde sehnlichst erwartet. Wenn Gott im Hymnus als Rächer gepriesen wird wie in Nah 1,2, wenn seine Rache im Gebet erfleht wird wie in Ps 94,1, ist deutlich, dass die Ambivalenz der älteren Texte beseitigt ist, nach denen sich die Rache Gottes sowohl zugunsten Israels auswirken als auch gegen es richten kann. Gottes Rache ist zu einem eindeutig heilvollen Handeln Gottes geworden. »Rache« meint jetzt die Durchsetzung der göttlichen Gerechtigkeit auf der ganzen Erde. Der Begriff nimmt »eschatologische« Nuancierung an, d. h. er hat ein Handeln Gottes im Blick, das zu endgültigen, nicht mehr veränderbaren Zuständen führt (vgl. o. S. 28). Die mehrfach in V. 9 ff wiederholte Wendung »nie mehr« drückt diesen Aspekt unüberhörbar direkt aus. Die Prädikation Gottes als »Rächer« hat in diesen späten Belegen Gottes weltweiten Einsatz für Gerechtigkeit im Blick. Sie will verdeutlichen, dass Gottes Sorge um sie nicht nur je und dann von Israel erhofft werden darf, sondern sein Handeln wesenhaft charakterisiert, insofern Gott als Schöpfer und Herr der Welt sich die Weltordnung, die er selber geschaffen hat, nicht von Menschen, wie mächtig sie auch zu sein scheinen, stören oder gar zerstören lassen will. Wann immer die Welt aus den Fugen gerät, tritt Gott als »Rächer« auf den Plan, um die Schuldigen zu strafen und die
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Welt wieder in ihre Ordnung zurückzuführen. In Situationen schwerer Bedrängnis seines Volkes (V. 12) stellt sein hilfreiches Eingreifen ein sicher zu erhoffendes Geschehen dar. Dafür steht sein »Eifer«, seine Leidenschaft zugunsten seines Volkes. Neben seine Rache tritt in V. 2a Gottes Zorn: ähnlich gewichtig, aber nicht gleichwertig, wie sich daran zeigt, dass statt eines Partizips wie bei der Rache nun eine st.-cstr.-Verbindung verwendet wird: Gott ist בעל חמה, d. h. »Herr / Besitzer des Zornes / Grimmes« bzw. – wie oben übersetzt – »voller Grimm« (vgl. Prv 29,22 und dazu Ges-K § 128u). Der Zorn expliziert die Weise, auf die Gott seine Rache durchführt. Wurde sie bei ihrer Einführung durch dreifache Wiederholung betont, so wird Gottes Zorn in V. 2 und V. 6 durch nicht weniger als vier unterschiedliche Begriffe in seiner Bedeutung hervorgehoben. Allerdings findet sich diese Begriffsanhäufung erst in V. 6. Deutlich ist, dass der Zorn Gottes seine Rache intensiviert und noch steigert. Ist für sie charakteristisch, dass zwischen Schuld und Strafe ein adäquates Verhältnis besteht, so dass mit der Beseitigung der Störung die vorherige Ordnung wiederhergestellt werden kann, so für Gottes Zorn, dass er unbegrenzt und maßlos ist. Die Maßlosigkeit des Zorns bedeutet freilich nicht, dass er für die biblischen Texte – wie häufig menschlicher Zorn – willkürlich ist; vielmehr ist er stets wohl begründet, und zwar mit einer Schuld der Betroffenen, die ebenso grenzenlos ist wie der Zorn Gottes. Für die betroffenen Menschen heißt das, dass dieser Zorn prinzipiell tödlich ist. Er bezeichnet ein äußerstes Handeln Gottes als Reaktion auf äußerste Schuld von Menschen (J. Jeremias, Der Zorn Gottes im AT: BThSt 104 [²2011] mit Lit.). Israel hat Gottes Zorn in seiner ganzen Härte im Untergang des Staates, in der Zerstörung des Tempels und in der Exilierung zahlreicher Bewohner in ein fremdes Land zu spüren bekommen, wie exilische Worte der Bücher Jeremia und Ezechiel immer neu beklagen. Der Hymnus des N ahumbuches endet mit dem Blick auf die Vernichtung der Feinde Gottes (V. 8): So sieht die Wirkung des göttlichen Zornes aus. Weil Gottes Zorn auf maßlose Schuld reagiert, äußert er sich in hoher Emotionalität. Drei Termini verdeutlichen die Leidenschaftlichkeit Gottes. Zunächst gilt das für den gewählten Begriff für den Zorn – es gibt fast ein Dutzend Begriffe für Gottes Zorn im Alten Testament. חמהbezeichnet beim Menschen die in ihm aufsteigende »Hitze«, die sich in Erregung, Wut und zuletzt in Zornesglut äußert (G. Sauer, THAT I, 581– 583). Zum anderen wird Gott, wie schon erwähnt, » בעל חמהBesitzer / Herr des Zorns« genannt, eine schillernde Charakterisierung. »Herr (seines) Zorns« ist Gott sowohl deshalb, weil er ihn unter seiner Kontrolle hat – er kann ihn auch zurückhalten (V. 3a) –, als auch und im Kontext näherliegend, weil er über ihn in grenzenloser Fülle verfügt.22 Ähnliches drückt 22 Im Gefolge Haldars haben manche Exegeten (Christensen, Becking, Spronk) mythologischen Tiefsinn hinter der Bezeichnung בעלvermutet, schwerlich (für die Zeit des Textes) zu Recht.
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auch die dritte Qualifikation des Zornes in V. 2b aus. Wenn Gott seinen Zorn »bewahrt« ( ;נטרvgl. Textanm. 2e), lässt er ihn so lange sein Handeln bestimmen, bis sein Ziel erreicht und die Vernichtung der Feinde vollendet ist (V. 8). Nur im Fall dieser »Bewahrung« des göttlichen Zorns bis zur Erreichung seines Ziels verwendet der Text wie zuvor bei der Rache ein Partizip. Es ist dagegen keineswegs zufällig, dass bei der Einführung des Zornes Gottes selber eine solche Konstruktion vermieden und stattdessen ein st. cstr. (»Herr des Zorns«) gewählt wird. Im Unterschied zum »Eifer« und zur »Rache« im zuvor beschriebenen Sinn wird Gottes Handeln im Zorn weder hier noch andernorts im Alten Testament als ihn wesensmäßig charakterisierend verstanden. Vielmehr ist Gottes Zorn stets eine extreme Reaktion auf extreme Schuld von Menschen. Gott ist im Alten Testament ein Gott der (recht verstandenen) »Rache«, aber nicht ein Gott des Zorns! 2b Rache und Zorn Gottes gelten »seinen Feinden«, die V. 2b mit umfassen-
der Begrifflichkeit umschreibt, und damit sind im Kontext primär Israels Feinde, vor allem aber die Israel bedrängende Weltmacht gemeint, ohne dass doch der Hymnus selber Gottes Feinde näher zu charakterisieren gewillt ist, weil es ihm um grundsätzliche und universal gültige Aussagen über JHWH zu tun ist. Auf Israels Feinde weisen aber indirekt sowohl die angekündigte Vernichtung der Widersacher Gottes am Ende des Hymnus (V. 8) als auch die Art der »Not« ( )צרהin V. 7, die Gottes »Feinde« (צרים, V. 2) heraufführen.
Der Begriff der »Rache« Gottes verliert jedoch in seiner späten grundsätzlichen Bedeutung als Theologumenon auch ein Stück seiner Eindeutigkeit, die er in den älteren Texten besaß, die mit dem Begriff der göttlichen »Rache« eine punktuelle Durchsetzung göttlichen Rechts ausdrücken wollten (Jeremias, Gott der »Rache«, 97–101 bzw. 182–186). Wenn »Rache« wie in Nah 1,2 und Ps 94,1 ein Handeln Gottes bezeichnet, in dem sich Gottes Wesen ausdrückt, wenn ihr Ziel die Durchsetzung der göttlichen Weltordnung ist, dann ist die Ungerechtigkeit, die sie beseitigen will, notwendig umfassend und mehrdimensional verstanden; sie ist nicht ausschließlich (wie in den älteren Texten des Buches N ahum) auf die bedrückende Weltmacht bezogen, sondern auch auf Schuld innerhalb des Gottesvolkes. Möglicherweise kennt der Autor von Nah 1,2 schon Jes 59,15b–20, wo in einer Terminologie, die Nah 1,2 erstaunlich ähnelt, JHWH als Krieger beschrieben wird, der mit einer Rüstung gegen seine Feinde innerhalb Israels zu Felde zieht; diese Rüstung ist durch vier abstrakte Begriffe gekennzeichnet: Gerechtigkeit ( )צדקהund Rettung ( )ישועהsowie Rache ( )נקםund Eifer ()קנאה. Hier führt JHWHs Rache- und Eifer-Feldzug zu einem Läuterungsgericht an Israel, das seiner »Erlösung« dient (V. 20). Im Übrigen sind es insbesondere Belege im Ezechielbuch, die Gottes Eifer und seinen Zorn miteinander verbinden (Ez 16,42; 35,11; 36,5 f; 38,18 f; vgl. 23,25) bzw. seinen Eifer, seinen Zorn und seine Rache (5,13; 25,14), und dies überwiegend in Worten gegen Israel. Dass der Hymnus Gottes Rache implizit auch auf Schuldige innerhalb Israels bezieht (wie in Ps 94 auf die »Dummen im Volk«, V. 8), deutet der Hymnus dadurch an, dass in V. 2 und V. 8 nur allgemein von Gottes Feinden die Rede ist.
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Zudem muss ein unbefangener Leser die Anspielung auf das vertraute Bekenntnis aus Ex 34,6 f in V. 3a auch auf Israel beziehen. Vor allem aber zeigt V. 7, der als einziger im Hymnus von Gottes Wohlwollen und Güte handelt, dass diese Güte nicht dem Gottesvolk pauschal gilt, sondern den jeweils Einzelnen, die in der Not bei Gott Bergung suchen (s. u.). Die Formulierung impliziert, dass es auch in Israel Menschen geben kann, für die diese Voraussetzung nicht gilt. Auch wenn im Buch Nahum Frevler innerhalb des Gottesvolks nirgends explizit erwähnt werden, ist ein Leser des einleitenden Hymnus (und der ihm folgenden Brückenverse) doch auf die Erwartung einer Durchsetzung der göttlichen Gerechtigkeit auf allen Ebenen menschlichen Miteinanders eingestimmt, nur dass der Fokus der Gedanken ganz auf die Gewalt der bedrängenden Weltmacht gerichtet ist.
Wie sehr das Buch N ahum mit seiner Eröffnung in 1,2–3a Neues über 3a Gott sagen will, zeigt sich vor allem daran, wie V. 3a das bedeutendste und am häufigsten – besonders in den Psalmen und in der Prophetie – belegte Bekenntnis zu Gottes Gnade und Barmherzigkeit aus der Spätzeit des Alten Testaments (Ex 34,6 f par.) aufgreift und abwandelt, das H. Spieckermann einprägsam die »Gnadenformel« genannt hat (s. o. Form). Es gibt zwei Belege für die Langform (Ex 34,6 f; Num 14,18), sechs Belege für die Normalform mit kleineren Variationen (Joel 2,13; Jona 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Neh 9,17) und doppelt so viele Anspielungen auf sie (Belege bei J. Scharbert, Bib 38, 1957, 133 f und bes. M. Franz, Der barmherzige und gnädige Gott, BWANT 160, 2003, 222 ff). Zwar drückt sich in dieser Aufnahme auch das Bedürfnis des Autors von Nah 1 aus, an die ihm vorgegebenen Aussagen über Gott anzuknüpfen, aber unter den mehr als 20 Belegen für die Gnadenformel findet sich kein anderer, der von der üblichen und am häufigsten belegten Gestalt so weit inhaltlich abweicht wie Nah 1,3. Vermutlich will die Rahmung des Verses mit der feierlichen Nennung des Gottesnamens am Anfang und am Ende (s. Textanm. 3c) diese veränderten Akzente zusätzlich hervorheben. Den ältesten Beleg für die Normalform suchen die beiden neuesten Monographien zum Thema (R. Scoralick, Gottes Güte und Gottes Zorn, HBS 33, 2002 und Franz, a. a. O.; ähnlich zuvor L. Schmidt, De Deo, BZAW 143, 1976, 89 ff) übereinstimmend in Ex 34,6 f.23 Wenngleich man diese Klassifikation durchaus hinterfragen kann (kritisch etwa Spieckermann, ZAW 102, 2 f = Gottes Liebe, 4 f; Jeremias, Die Reue Gottes, BThSt 31, ³2002, 94–96), so ist doch unstrittig, dass Ex 34,6 f der sachlich gewichtigste Zeuge des so bedeutenden Bekenntnisses Israels ist. Zudem reagiert Nah 1,3a erkennbar speziell auf Ex 34,6 f; das letzte Glied in V. 3a (»und ungestraft lässt JHWH wahrlich nicht!«) ist Zitat aus der Langform der
23 Einzelglieder der Form werden freilich deutlich älter sein; teilweise sind sie prophetischen Ursprungs. Insbesondere die Einflüsse Hoseas (Franz, 140–143) und Jeremias (W. H. Schmidt, Das Buch Jeremia, Kap. 1–20: ATD 20, 2008, 110.279 f) sind hier zu veranschlagen.
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Gnadenformel, wie sie nur in Ex 34,6 f und abhängig davon in Num 14,18 belegt ist. Ex 34,6 f lautet: JHWH, JHWH – ein barmherziger und gnädiger Gott, langsam zum Zorn, aber reich an zuverlässiger Güte24, der Tausenden Güte bewahrt, indem er Schuld, Verbrechen und Verfehlung v ergibt, aber ganz ungestraft lässt er nicht …
Die Prädikation Gottes in Ex 34,6 f setzt sich aus drei sachlich zu trennenden Aussagen zusammen: 1. Am Anfang stehen zwei Adjektive (»barmherzig und gnädig«), die Überschriftcharakter besitzen und – im Unterschied zu den folgenden Gliedern – uneingeschränkte Geltung beanspruchen. 2. Sie werden expliziert durch zwei substantivisch dargestellte Handlungsweisen Gottes (»Zorn« und »zuverlässige Güte«), die durch die vorangestellten qualifizierenden Adjektive (»langsam« bzw. »reich«) einander in scharfem Kontrast gegenüberstehen. Auf diese Weise kann selbst Gottes Zorn letztlich zum Zeugen von Gottes Barmherzigkeit und Güte werden. 3. Die beiden kontrastierenden Qualifikationen Gottes werden zuletzt näher ausgelegt: anfangs durch Partizipien, abschließend durch ein finites Verb im Imperfekt, und zwar chiastisch: Voran stehen die Belege für Gottes überreiche »zuverlässige Güte«, die in Gestalt von Vergebung aller Arten von Schuld unzählbaren Mengen gilt, erst zuletzt wird diese Güte eingeschränkt: Auch für Gottes Vergebungsbereitschaft gibt es eine Grenze; dann muss er strafen. In Ex 34 will diese Wesensaussage über Gott darlegen, unter welcher Voraussetzung eine Fortsetzung der Gottesgemeinschaft Israels nach der Verwerfung Gottes schon in den Tagen der grundlegenden Offenbarung noch möglich sein kann, eine Voraussetzung, die einzig und allein in Gott selber begründet liegt. Nah 1,3a bezieht sich in allen seinen Aussagen auf Ex 34,6 f. Die beiden Randglieder (»langsam zum Zorn«: eine Gottesprädikation, die auf die Belege der Gnadenformel beschränkt ist, und »aber ganz ungestraft lässt er nicht«) bieten direkte Zitate, das Mittelglied »groß an Kraft« wandelt die Prädikation »reich an Güte« aus Ex 34,6 ab. Und doch preist Nah 1,3a ein grundlegend andersartiges Gotteshandeln als Ex 34,6 f. Genannt seien die drei wichtigsten Veränderungen: 1. Die anfängliche, überschriftartige Prädikation Gottes als »barmherzig und gnädig« in Ex 34,6 ist ersatzlos getilgt. 2. Die Langsamkeit Gottes zum Zorn wird nicht wie in Ex 34,6 von einem Kontrastbegriff – dem Reichtum an Güte – begleitet, sondern an dessen 24
חסד ואמתbilden ein Hendiadyoin.
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Stelle ist Gottes »große Kraft« getreten, d. h. im Kontext: die Macht, mit der er seinem Zorn zum Durchbruch verhilft. Von der Größe der Kraft JHWHs hat Israel am häufigsten im Blick auf das Wunder des Exodus gesprochen, besonders in der dtr Formel »mit großer Kraft und aus gerecktem Arm« (Ex 32,11; Dtn 4,37; 9,29; 2Kön 17,36), allerdings stets mit Voranstellung des Substantivs כח. Wenn Nah 1,3a die ungewöhnliche constructus-Verbindung גדל כחwählt (vergleichbar sonst nur mit Ps 147,5: )רב כח, so wirkt vermutlich die Gnadenformel ( )רב חסדbis in die Syntax hinein nach. 3. Von einer Vergebungsbereitschaft Gottes ist ebenso wie von seiner Güte keine Rede mehr, vielmehr liegt jetzt aller Ton auf der Durchsetzung jener Strafe, die in Ex 34,7 als Ausnahme von der Regel – der Erfahrung göttlicher Güte – gedacht war. Im Deutschen muss die hebräische figura etymologica ונקה לא ינקהdaher anders als in Ex 34,7 übersetzt werden: »… und ungestraft lässt JHWH wahrlich nicht!«25 Dabei ist der Anklang der wiederholten Wurzel נקהan das dreifach wiederholte Leitwort נקםvon V. 2 unüberhörbar. 4. Der Kontrast zu Ex 34,6 f wäre in Nah 1,2–3a weiter verstärkt, wenn diejenigen Exegeten (M. Fishbane, Biblical Interpretation in Ancient Israel, New York 1985, 347; Spronk, 35 f; Baumann, Gottes Gewalt, 87 f) Recht hätten, die auch Nah 1,2b (»und ausdauernd im Zorn []ונטר gegen seine Feinde«) für eine bewusste Abwandlung von Ex 34,7 (»der Tausenden Güte bewahrt [ )«]נצרhalten, weil beide Verben graphisch ähnlich und beide mit der Präposition לverbunden sind. Aus dem Bekenntnis in Ex 34,6 f ist also trotz bewusster sprachlicher Übereinstimmungen in Nah 1,3a eine nahezu konträre Aussage über Gott geworden. Alle positiv konnotierten Handlungen Gottes – seine Barmherzigkeit und Gnade, seine Güte und Vergebung von Schuld –, auf die sich biblische Theologen immer wieder bezogen hatten, um Israels Weiterbestand als Volk Gottes (Ps 103,8 f) oder seine Rettung am furchtbaren »Tag JHWHs« (Joel 2,13 f) hoffnungsvoll darzulegen, sind getilgt. In Nah 1,3a ist Gottes »Langsamkeit zum Zorn«, mit dem das Zitat aus Ex 34,6 f eingeleitet wird, für den Autor des Hymnus vielmehr zum Problem geworden, weil sich Gottes Zorn nicht wie in Ex 34,6 f par. gegen Israel, sondern gegen Gottes Feinde richtet. Wäre Gott nicht »langsam zum Zorn«, wären Gottes Feinde, die »Assyrer« bzw. die Israel zur Zeit des Textes bedrängenden Mächte, für die Ninive als Typos steht, längst vernichtet. Aber Gottes »große Kraft«, die an die Seite seines Zornes tritt, sichert das machtvolle Ausbrechen seines Zorns in naher Zukunft (V. 6.8). Das abschließende Zitat (»aber ganz ungestraft lässt er nicht«) markiert nicht mehr die Grenze der Güte Gottes, sondern begründet die Notwen25 Möglicherweise spielt der jüngste Vers des Joelbuches, Joel 4,21a, schon vorausblickend auf diese Aussage in Nah 1,3a an; vgl. J. Jeremias, ATD 24/3 (2007) 55.
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digkeit des Aufloderns des göttlichen Zorns. Aus einem Bekenntnis, das letztlich der Dankbarkeit Ausdruck verleihen will, dass Gott sein Volk immer wieder vor seinem Zorn bewahrt und stattdessen seiner Güte Raum verschafft hat, ist der Ausdruck der Gewissheit geworden, dass Gott die Ungerechtigkeit in der Welt beenden wird, indem er alle Schuldigen und widergöttlichen Mächte seinem vernichtenden Zorngericht übereignet. Gottes »Eifer« für sein Volk bietet die Gewissheit, dass dieses Ereignis unmittelbar bevorsteht. 1,2–3a und Mi 7,18–20 In der Anordnung der Kleinen Propheten im MT (anders G!) gehen Nah 1,1–3a unmittelbar die letzten Verse des Michabuches (Mi 7,18–20) voran. Erstaunlicherweise bieten sie wie Nah 1,3a ebenfalls eine Neudeutung der sog. Gnadenformel aus Ex 34,6 f par., auch vergleichbar kühn und einseitig, aber in einem Nah 1,3a genau entgegengesetzten Sinn (vgl. die Einleitung, o. S. 36 f). Die Anspielungen an Ex 34,6 f par., die die Verse Mi 7,18–20 durchziehen (Fishbane, Biblical Interpretation, 349 f; Scoralick, Gottes Güte, 190; Baumann, Gottes Gewalt, 95–97), bilden in der Sache den denkbar stärksten Kontrast zu Nah 1,2–3a. Im Gegensatz zu Ex 34,6 f ist in ihnen von göttlicher Strafe, auf der in Nah 1,3a der Hauptton liegt, überhaupt nicht mehr die Rede, stattdessen aber volltönend von Gottes Vergebungsbereitschaft, ohne die die Gemeinde längst an ihrer Schuld zugrunde gegangen wäre. Gottes Güte bestimmt hier alle seine Handlungen; sie wird als Inhalt des Schwures an die Erzväter und damit als das Allergewisseste im Leben verstanden, und mit ihr gilt Gottes (im Exil erfahrener) Zorn als definitiv beendet. Von mehreren Autoren ist in jüngerer Zeit vermutet worden, dass die beiden so unterschiedlichen Deutungen des Bekenntnisses aus Ex 34,6 f, deren eine das Michabuch abschließt, deren andere das Nahumbuch eröffnet, bewusst nebeneinandergestellt worden seien, um sich gegenseitig zu ergänzen. Wenn damit die endredaktionelle Ebene gemeint ist, zu deren Verständnis vor allem Scoralick (Gottes Güte, 194–196; 212) beachtenswerte Erwägungen bereitgestellt hat (vgl. auch B. Zapff, Redaktionsgeschichtliche Studien, 268–273 und G. Baumann, Gottes Gewalt, 96–100), oder auch der redaktionelle Vorgang der Vereinigung vormals selbständiger Schriften, so ist die genannte Vermutung plausibel. Dagegen erscheint mir die weitergehende Annahme, Nah 1,2b–3a sei von vornherein dazu geschaffen worden, um ein Gegengewicht zu Mi 7,18–20 zu bilden (J. Nogalski, Redactional Shaping; ders., Redactional Processes, 104–117) oder aber Mi 7,18– 20 sei umgekehrt als Gegensatz zu Nah 1,3a formuliert worden (Zapff, a. a. O.) bzw. Nah 1,2b–3a sei auf eine Redaktion zurückzuführen, die Mi 7,18–20 und Nah 1,2b–3a gemeinsam geschaffen habe (Zapff, Völkerperspektive, 94 f), als unwahrscheinlich. Beide Texte bilden integrale Bestandteile ihrer jeweiligen Bücher.
1,3b–6: Gottes machtvolle Erscheinung 3b–6 Mit dem Mittelteil des alphabetischen Hymnus ändern sich die Aussagen
sowohl formal als auch inhaltlich. Jetzt beginnt jede neue poetische Verszeile bzw. jeder neue Stichos mit einem neuen Buchstaben des Alphabets.
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Im Gegensatz zu V. 2–3a herrschen Verbalsätze vor; nur der Brückenvers 3b bietet noch zwei verblose Nominalsätze, die überschriftartig die Verbalsätze einleiten. Sieht man von den modalen Fragen in V. 6 (»Wer kann bestehen?«) ab, sind die Aussagen im Perf. und Imperf. consec. gehalten; es geht ihnen um die Faktizität des Geschehens, nicht um deren Wiederholung oder Regelhaftigkeit.26 Zugleich beweisen die Nominalsätze in V. 3b, dass nicht spezielle Ereignisse der Vergangenheit im Blick sind, sondern Kennzeichen der je und dann aktiven Zornesmacht Gottes. Der Abschluss des Hymnus in V. 8 mit seinen Imperfecta sowie die sich anschließende Zweifelsfrage in V. 9 verdeutlichen, dass der Verfasser des Hymnus den Einsatz dieser Zornesmacht als unmittelbar bevorstehend erwartet. Inhaltlich unterbrechen die Verse 3b–6 die Präsentation der wesens mäßigen Eigenarten des göttlichen Handelns und beschreiben stattdessen die Macht, mit der er es durchführt. Die Einheit ist dreiteilig. V. 3b–4a sprechen von JHWHs Eingreifen, V. 4b–5 von den Folgen, die es in Natur und Kosmos hervorruft, V. 6 schließlich führt das Thema des göttlichen Zornes aus V. 2 mit rhetorischen Fragen zum Höhepunkt: Vor diesem Gott kann niemand bestehen. Dabei greifen die Verse 3b–5 Aussagen traditioneller Theophanieschilderungen auf und mischen sie mit Anspielungen auf den sog. Chaoskampf Gottes (V. 4), wie es auch andere, vorwiegend jüngere und sehr junge Theophanietexte tun (Jeremias, Theophanie, 90–97). Die Mehrzahl dieser Theophanieschilderungen ist poetisch gestaltet und zweigliedrig angeordnet. Sie beschreiben in einem ersten Teil ein Kommen JHWHs von seinem Wohnort, um in ein Geschehen einzugreifen und es zu entscheiden, wobei auch JHWHs Donnerstimme sein Erscheinen vertreten kann, und in einem zweiten Teil den dabei entstehenden Aufruhr der Natur, der sich am häufigsten wie in Nah 1,5 im Beben der Erde ausdrückt. Seit langem ist beobachtet worden, dass diese biblischen Theophanieschilderungen tief in altorientalischem Denken verwurzelt sind (vgl. etwa Haldar); ich selbst habe 1965 die wichtigsten mir damals bekannten Parallelbelege aus Mesopotamien und Ugarit gesammelt (Theophanie1, 73–97), und diese Paralleltexte sind in den folgenden Jahren vielfach vermehrt worden (u. a. von B. Becking, De Hymne, 33–44; vgl. Theophanie², 174 f).27
Jedoch ist von so gut wie allen Auslegern des Nahumbuches übersehen worden28, dass Nah 1,3b–5 keineswegs beliebige Motive solcher Theo26 Giffone (A »Perfect« Poem) hat beobachtet, dass in Gedichten, die die Form des Alphabet-Akrostichons verwenden, das Perfekt erheblich häufiger verwendet wird als das Imperfekt. 27 Weitere Texte bietet S. E. Loewenstamm, The Trembling of Nature during the Theophany: Ders., Comparative Studies in Biblical and Ancient Oriental Liter atures (AOAT 204), 1980, 173–189. Inzwischen ist eine Theophanieschilderung auch außerbiblisch in Palästina belegt, im südlichen Kuntillet ῾Aǧrud (KAgr [9]:7); vgl. J. Renz-W. Röllig, Handbuch der althebräischen Epigraphik I, Darmstadt 1995, 59. 28 Eine erfreuliche Ausnahme bildet neben G. Baumann, Gottes Gewalt, J. Nogalski, Redactional Processes, 105 f.
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phanietexte aufgreift, sondern spezifisch solche aus prophetischen Theophanietexten (Jeremias, Theophanie², 169 f; vgl. die Paralleltexte bei G. Baumann, Gottes Gewalt, 103–153). Unter ihnen findet sich kein einziger vorexilischer Beleg. Häufig führt die Konkordanz zu Paralleltexten, die vom »Tag JHWHs« handeln. Die prophetischen Theophanietexte setzen ausnahmslos die Zerstörung Jerusalems schon voraus und lassen diese prägende Erfahrung ihre Aussage bestimmen. Sehr wahrscheinlich haben insbesondere die Theophanieschilderungen in Am 1,2 und Mi 1,3 f, die die Prophetenbücher Amos und Micha in ihrer Endgestalt einleiten, als Vorbild gedient (vgl. die Beobachtungen zu den Wirkungen der Erscheinung Gottes in V. 4 und V. 5), mit dem gewichtigen Unterschied, dass Am 1,2 und Mi 1,3 f Gottes Eingreifen gegen sein eigenes Volk beschreiben, Nah 1,3b–5 dagegen Gottes Eingreifen gegen seine Feinde und speziell gegen die Weltmacht, die die Völker unterdrückt. Das implizite Gespräch der älteren Theophanieschilderungen des Alten Testaments mit altorientalischen Theophanietexten, bei dem spezifisch biblische Akzente nur ansatzweise zu erkennen waren, liegt für Nah 1 schon lange Zeit zurück. In den prophetischen Theophanietexten ist es stets der richtende und strafende Gott, der unter dem Aufruhr der Natur in das irdische Geschehen eingreift, wobei sich dieses Gericht teilweise gegen Frevler in Israel richtet (Jes 59,19; Mal 3,1 f), mehrheitlich aber gegen fremde Völker (Jes 30, 27–33; 63,19; Hab 3), teilweise auch gegen fremde Völker und gegen Frevler im Gottesvolk (Jes 66,15 f; Sach 14,3 f). Da der Hymnus in Nah 1 ein Prophetenbuch einleitet, das von Gottes »Eifer« für sein Volk, von seiner Rechtsdurchsetzung (»Rache«) und seinem strengen Gericht (»Zorn«) handelt (V. 2), ist es nicht verwunderlich, dass aus der breiten Tradition der Theophanieschilderungen gerade diejenigen prophetischen Motive aufgegriffen werden, die JHWHs Macht zur Durchführung von Gericht und Strafe beschreiben. Mit ihnen wird der Abschlussvers des Mittelteils, V. 6, vorbereitet, der wieder zur Zornesthematik von V. 2–3a zurückkehrt und die Anspielungen an Gericht und Strafe zur Ansage der Vernichtung steigert. So zuletzt auch V. 8, der ein zukünftiges Handeln Gottes ankündigt. 3b Mit den verblosen Nominalsätzen in V. 3b wird die Tendenz des Ver fassers fortgeführt, traditionelle Aussagen über Gottes Handeln zu typischen Charakteristiken, ja zu Wesensaussagen umzuprägen, wie sie in V. 2 besonders bei Gottes »Eifer« und bei seiner »Rache« beobachtbar war. Kein einmaliges Kommen JHWHs wie in üblichen Theophanieschilderungen wird beschrieben, sondern die Art, in der er einzugreifen pflegt. Gottes »Weg« bezeichnet gelegentlich auch in anderen Theophanie-Kontexten (Ps 77,20; Hi 26,14) die generelle Weise seines Handelns. Wenn dieses Handeln inhaltlich mit »Sturm und Wetter« gekennzeichnet wird, so sind weder Qualitäten eines Wettergottes noch neutral Aspekte göttlicher Macht oder beliebige Theophaniephänomene im Blick. Vielmehr handelt es sich bei beiden Begriffen um zerstörerische Wetterphänomene, mit denen JHWH zur Abwehr von Feinden von außen und zur Bestrafung
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von Frevlern im Innern vorgeht. Sowohl סופהals auch der (meist als סערה bezeugte, hier שׂערהgeschriebene) Parallelbegriff finden sich ganz überwiegend in Kontexten, die JHWHs Kommen zum Gericht beschreiben, gemeinsam in Jes 29,6 bei der göttlichen Heimsuchung des feiernden Jerusalem (ähnlich in Am 1,14), separat in verschiedenen Zusammenhängen einer plötzlichen Bestrafung feindlicher Völker oder Frevler in Israel bis hin zur Vernichtung (Jer 23,19 f; 30,23 f; Jes 66,15; Sach 9,14 u. ö.; vgl. K.-M. Beyse, ThWAT V, 800–803; H.-J. Fabry, ebd. 893–898). Auch die Wolken, die JHWHs »Füße« als Spuren auf seinem »Weg« in die irdischen Gefilde hinterlassen, sind nicht als neutrale Wetterphänomene zu verstehen, über die eine als Wettergott verstandene Gottheit souverän verfügt. Insofern trägt im Sachzusammenhang von Nah 1 das Wissen wenig zum Verständnis bei, dass Baal in den ugaritischen Epen überaus häufig (sechzehn Mal) mit dem Epitheton »Wolkenfahrer« (vgl. Ps 68,5.34) belegt ist, das er mit hoher Wahrscheinlichkeit vom akkadischen Wettergott Adad übernommen hat (Haldar, Studies, 90; Becking, De Hymne, 34–36), obwohl solche älteren Gottesprädikationen im Hintergrund von Nah 1,3b stehen, allerdings im fernen Hintergrund. Noch weniger fördern freilich Pentateuchtraditionen das Verständnis, etwa die priesterschriftliche, der gemäß die Wolke zur Verhüllung der Herrlichkeit Gottes dient, zugleich aber seine Anwesenheit am Heiligtum anzeigt (Ex 40,34 f u. ö.). Einschlägig für Nah 1,3b sind vielmehr erneut prophetische Traditionen. In ihnen repräsentieren die Wolken lebensfeindliches Dunkel, insbesondere am endzeitlichen schrecklichen und unentrinnbaren »Tag JHWHs«, an dem JHWH zum Gericht erscheint und der in gleicher Weise ein »Tag der Finsternis und des Dunkels« ist wie ein »Tag der Wolken und des Gewölks« (Zef 1,15; Joel 2,2). Sturm und Wolken (»unter seinen Füßen« wie in Nah 1,3) bilden zusammen auch in der Theophanieschilderung Ps 18,10 f JHWHs Gericht an seinen Feinden ab; vgl. zusätzlich Ps 97,2. In V. 4a verdeutlicht das Partizip, dass weiterhin kein einmalig punktu- 4a elles Handeln JHWHs im Blick ist, sondern ein Vorgehen, das ihn wesensmäßig charakterisiert. Semantisch ist nun akuter von Gottes machtvollem und herrischem »Anschreien« ( )גערdie Rede. גערmeint von Haus aus die laute, aggressive und tadelnde Ansprache eines Anderen, die im menschlichen Bereich oft auf die Rüge für begangene oder bevorstehende Fehler hinausläuft, so dass das Verb gern mit »schelten« übersetzt wird. Mit Gott als Subjekt tritt גערdagegen primär in zwei verschiedenen Sachzusammenhängen auf. Wenn es sich gegen Israel richtet, ist es Ausdruck des heftigen und leidenschaftlichen göttlichen Zorns (Jes 51,20; 54,9; 66,15), wie insbesondere M. A. Klopfenstein29 aufgewiesen hat, und da der göttliche Zorn in Nah 1,2.6 wie 29 M. A. Klopfenstein, Wenn der Schöpfer die Chaosmächte »anherrscht« ( )גערund so das Leben schützt. Zu einem wenig beachteten Aspekt des Zornes Gottes im Alten Testament: ThZ 53 (1997) 33–43.
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eine Klammer die Theophanieschilderung in V. 3b–5 umschließt, ist die Wahl des Verbes גערnatürlich nicht zufällig. Weit häufiger aber begegnet Gottes גער wie in Nah 1,4 im Kontext des mythischen Chaoskampfes und bezeichnet das »Anschreien« bzw. »Anbrüllen« des Gegners als Ausdruck der hinter der Stimme stehenden Macht (Joüon, Seely, Jeremias; ähnlich Macintosh; vgl. G. Liedke, THAT I, 430; A. Caquot, ThWAT II, 51–56; später besonders J. M. Kennedy, JBL 106 [1987] 47–64 und Klopfenstein). JHWHs »Kampf« ist auch in vergleichbaren Texten wie in Nah 1,4 schon mit dem Erheben der göttlichen Stimme beendet und entschieden, obwohl der Gegner Gottes im Mythos der denkbar mächtigste, »das Meer«, ist (Ps 18,16 par. 2Sam 22,16; Ps 104,7; 106,9; Hi 26,11 f; Jes 50,2). Im Hintergrund der Terminologie von Nah 1,4 steht der uns am besten aus Ugarit bekannte Mythos vom sog. Chaoskampf. Die Nähe speziell zu den ugaritischen Texten zeigt die Tatsache, dass neben dem »Meer« die »Ströme« erwähnt werden, die als Urfluten bzw. Urmeer-»Ströme«30 in unlöslicher Verbindung zum Meer stehen (vgl. den Doppelnamen zbl.jm.ṯ pṭ.nhr »Fürst Meer, Herrscher Strom«: KTU 1.2 passim) und zusammen mit dem Meer einen ebenbürtigen Gegner Baals bilden, mit dem dieser um die Weltherrschaft kämpfen muss. Erst aufgrund seines Sieges über den Meeresgott Jammu erhält Baal seinen himmlischen Palast, der unabdingbare Voraussetzung für seine künftige Weltherrschaft ist.
Der Mythos steht aber nur noch im fernen Hintergrund des Textes. Nah 1,4 geht es darum, dass es, wenn JHWH das Subjekt ist, nur seiner lauten Stimme bedarf, damit das Meer als Verkörperung des Chaos alle potentielle Macht verliert. Keine akute Auseinandersetzung JHWHs mit dem Meer ist im Blick, sondern eine permanente Kontrolle aller chaotischen Mächte, die die Welt bedrohen können. Gottes übermächtige Stimme hat die Wirksamkeit dieser chaotischen Mächte ständig im Blick und kann sie jederzeit in die Schranken weisen. Im Unterschied zu Ps 104,9 und Hi 38,10 f, die JHWHs Macht über das Chaos dadurch aufweisen, dass er dem Meer eine feste, unüberschreitbare Grenze gesetzt hat, will die Rede von JHWHs aggressiver Stimme ( )גערzum Ausdruck bringen, dass JHWH ausnahmslos immer in der Lage ist, das Treiben jeder chaotischen Macht zu beenden. Die Erinnerung an den Mythos dient dazu, alles geschichtliche Wissen über Gottes Hilfe ins Universale zu überhöhen und allen aufkommenden Zweifel an der göttlichen Gerechtigkeit (V. 9 f) schon im Keim zu ersticken. Wie frei der Verfasser des Hymnus mit seiner mythischen Tradition umgeht, wird vor allem daran deutlich, dass die Wirkung des göttlichen Anbrüllens nicht wie andernorts ist, dass das Meer »flieht« (Ps 104,7), so dass seine verborgenen »Tiefen« aufgedeckt werden (Ps 18,16 par. 2Sam 22,16), sondern so, dass es zusammen mit seinen Strömen »ausgetrocknet« wird. Seit dem Talmud (Chagiga 12a) ist häufig vermutet worden, dass mit der Wahl dieses Verbs auf die Tradition des Durchzugs 30 Die »Ströme« begegnen in thematisch ähnlichen Texten häufig wie in Nah 1,4 neben dem »Meer« (Ps 24,2; 74,13–15; 89,26; vgl. Jona 2,4) bzw. neben der »Tiefe« (Jes 44,27), in Ps 93,3 f und Hab 3,8 sogar in Erststellung noch vor dem »Meer«.
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der Israeliten durch das Schilfmeer angespielt werde, zumal die Traditionen von Chaoskampf und Schilfmeerwunder sich auch andernorts durchdrungen haben (Ps 77,17–20; 114,3–5; Jes 51,9 f) und die Schilfmeertradition in Ps 106,9 durch Verwendung des Verbs גערmythisiert wird (vgl. in neuerer Zeit etwa Spronk, 39 f; Baumann, Gottes Gewalt, 117–122). M. E. ist diese Vermutung dennoch nicht naheliegend, da geschichtliche Anspielungen im Hymnus sonst fehlen und die positiven Konnotationen, die mit ihnen gegeben wären, schlecht in einen Kontext passen würden, der im Übrigen nur von JHWHs Gericht an seinen Feinden handelt, zu denen auch Glieder des Gottesvolkes gehören (V. 7). Eher wird man sagen können, dass das Austrocknen des Meeres das Veröden des fruchtbaren Landes (V. 4b) antizipiert. Zudem zeigt die engste sprachliche Parallele in Jes 50,2, an die Nah 1,4 anknüpfen wird, dass man in der Prophetie sogar in einem Heilswort von JHWHs Anschreien des Meeres und der Ströme und deren Austrocknen durch JHWHs Stimme reden konnte, ohne das Schilfmeerwunder bei den Lesern (zumindest explizit) in Erinnerung zu rufen. Die primäre Assoziation bei der Rede vom Austrocknen des Meeres ist in Jes 50,2 das Sterben der Fische aus Mangel an Wasser (vgl. Jes 19,5 ff). Auch ist die Übertragung des Anbrüllens JHWHs gegen die chaotischen Wasser auf aggressive Völker, die im N ahum-Hymnus sachlich vorausgesetzt ist, in der Spätzeit des AT mehrfach belegt, ohne dass an das Schilfmeerwunder angespielt würde, am häufigsten in den Psalmen und am deutlichsten in Jes 17,13; vgl. Ps 9,6; 68,31; 76,7; Jes 66,15. Mit V. 4b beginnt die Darstellung der Wirkungen der Theophanie bzw. 4b des Eingreifens Gottes, die durch die Vorstellung des Austrocknens von Meer und Urmeerströmen schon vorbereitet war. Wenn in V. 4b in kunstvoller chiastischer Gestaltung das Verdorren von Baschan, Karmel und Libanon als Konsequenz des Gerichtshandelns JHWHs folgt, so zeigt diese Fortsetzung, wie untrennbar für israelitische Ohren mythologische und naturhafte Assoziationen ineinander lagen, wenn vom Vertrocknen von Meer und Strömen die Rede war. Dabei bezeichnet אמלpulʽal häufig in der Prophetie die Verödung eines Landes durch das Zugrundegehen der Vegetation, wie sie Lebensgrundlage aller Menschen ist (vgl. nur die Klagen in Joel 1,10.12) und wie sie im Klima Palästinas durch den Wüstenwind, den Schirokko, saisonal und partiell oft erlebt wurde. Wenn primär die fruchtbarsten Landschaften aus dem Blickfeld Israels betroffen sind (und nicht wie etwa in Jes 16,8 Landschaften fremder Länder), so dient diese Schwerpunktlegung primär dazu, den Lesern den Vorgang der Verödung möglichst anschaulich vor Augen malen zu können. Der Baschan, das Hochland nordöstlich des Sees Genezareth, war vor allem aufgrund seines herrlichen Weidelands (Am 4,1; Ez 39,18; Ps 22,13) und wegen seiner mächtigen Eichen (Jes 2,13; Ez 27,6; Sach 11,2) berühmt, der Karmel mit seiner schon im Namen (»Baumgarten«) ausgedrückten Nutzbarkeit vor allem wegen seines Baumbestands. Welche Assoziationen der nicht nur wegen seiner herrlichen Zedern gerühmte Libanon – dem Ideal
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nach teilweise oder ganz zu Israel gehörig – aus sich entließ, lässt sich mühelos dem Schluss des Hoseabuches (Hos 14,6–8) entnehmen. Zur Zeit des Nahum-Psalms hatten zudem alle drei geographischen Namen längst typologische Bedeutung angenommen und standen paradigmatisch für fruchtbare und baumreiche Landschaften generell. Baschan und Libanon begegnen in vergleichbarer Typologie wie in Nah 1,4 in Jes 2,13 (vgl. Jer 22,20; Sach 11,2) nebeneinander, Karmel und Baschan in Mi 7,14 (zusammen mit Gilead) und in Jer 50,19 (zusammen mit Efraim und G ilead), Baschan, Karmel und Libanon (zusammen mit Scharon) in der engsten Parallele Jes 33,931 (vgl. Libanon – Karmel – Scharon im Heilswort Jes 35,2). Wenn alle diese sprichwörtlich fruchtbaren Gebiete bei JHWHs Eingreifen zur Ödnis verwandelt werden, dann steht ein extrem verheerendes Handeln JHWHs bevor, wie es nach Zef 1,15 den schrecklichen »Tag JHWHs« kennzeichnet (»ein Tag der Öde und Verödung«). Das Ungewöhnliche der Aussage wird erkennbar, wenn Nah 1 mit analogen Theophanieschilderungen verglichen wird: Die Wirkung des Vergehens und der Verödung der Natur bei JHWHs Eingreifen ist sonst einzig im »Motto« des Amosbuches, Am 1,2, belegt (hier allerdings als Wirkung seines שאג, seines löwengleichen Brüllens), an das Nah 1,4 sehr wahrscheinlich anknüpft. Sowohl in Am 1,2 als auch in Nah 1,4 werden traditionelle Theophanietraditionen durch spezifisch prophetische Gerichtsvorstellungen ersetzt (Jeremias, Theophanie², 170). Es geht in Nah 1,4 also nicht nur allgemein um einen Machtbeweis Gottes, auf den etwa das traditionelle Beben von Erde und Bergen in V. 5, isoliert gelesen, hinweisen könnte, auch nicht nur um Bilder für ein partielles, Leben einschränkendes Unheil, sondern um Bilder für ein umfassendes und radikales Gericht (vgl. den Begriff »Vernichtung« in V. 8 f). Wie wichtig die Aussage dem Verfasser des Textes war, kommt darin zum Ausdruck, dass er sie noch vor der Erwähnung des traditionellen Bebens der Erde bei JHWHs Erscheinen nennt, das so gut wie alle Theophanieschilderungen sowohl in Mesopotamien als auch im Alten Testament prägt. 5 Auch dieses traditionelle Element ist gesteigert, da nicht nur wie üblich die Erde bebt, sondern zuvor speziell die sie stützenden und stabilisierenden Berge (wie auch die Hügel; vgl. Jer 4,24) als Symbol des schlechthin Unerschütterlichen bei JHWHs Eingreifen ins Wanken geraten. Zwar ist dieses Motiv in Theophanieschilderungen keineswegs unbekannt (Ri 5,5; Jes 63,19; 64,2 u. ö.), aber es wird schwerlich Zufall sein, dass das Verb רעש, das üblicherweise für das Beben der Erde gebraucht wird, andernorts nur in Extremsituationen für das Beben der Berge Verwendung findet: in 31 Einen Versuch, die unterschiedlichen Texte, die vom künftigen Austrocknen, Verdorren, Verschmachten und Verwüstet-Werden des Landes bzw. der Erde reden, theologiegeschichtlich einzuordnen, bietet R. Stahl, in: J. Hausmann / H.-J. Zobel (Hg.), Alttestamentlicher Glaube und Biblische Theologie. FS H.-D. Preuß, Stuttgart u. a. 1992, 166–173.
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zwei Texten, die von der Auflösung der Schöpfungsordnung reden, sei es als theoretische Gefährdung der Erde (Ps 46,4), sei es als äußerste Strafe JHWHs (Jer 4,24). Dabei ist Nah 1,5 f mit Jer 4,23–28 noch durch weitere Eigenarten verbunden (vgl. Baumann, Gottes Gewalt, 127): durch das Beben bzw. Schwanken von sowohl Bergen als auch Hügeln (das sich nur an diesen beiden Stellen findet), das Veröden des Karmels und das Verb נתץnif. mit der Präposition מן, wobei das »Einreißen« jeweils auf den brennenden Zorn Gottes zurückgeführt wird. Möglicherweise greift Nah 1,5 f schon auf Jer 4,23–28 zurück und will bei kundigen Lesern die extreme Perspektive von Jer 4 (die Rückführung des Landes Israels in seinen vorgeschöpflichen Zustand) wachrufen.
Die Berge bilden eben das Festeste und Zuverlässigste in menschlicher Erfahrung (Ps 36,7; 46,3 f; 65,7; Jes 54,10 u. ö.). Wenn sie zu schwanken beginnen, hat nichts Bestand. Die beiden Präpositionen » ממנוvor ihm« und » מפניוvor seinem Angesicht« verdeutlichen, dass die Stabilität der Berge auch für Nah 1 grundsätzlich besteht, nur eben nicht vor Gott und schon gar nicht, wenn er zum Handeln im Zorn erscheint. Wie sehr der Autor des Hymnus das Ungewöhnliche und Unerwartete dieses Vorgangs ausdrücken möchte, zeigt das Parallelverb in V. 5a מוג hitpal., das in Ps 107,26 Menschen charakterisiert, die vor Angst »vergehen«; es ist mit Hügeln als Subjekt nur noch in Am 9,13 belegt. Hier bezeichnet es im positiven Sinn das »Sich Auflösen« der Hügel, um überquellender Fruchtbarkeit Platz zu machen. In Nah 1,5 dagegen »vergehen« die Hügel als Zeichen ihres Erschauderns vor dem Erscheinen des richtenden Gottes (vgl. das Zerschmelzen der Berge in Mi 1,4).32 Wenn demgegenüber das Beben der Erde als Zeichen ihres Erschreckens in V. 5b in ebenfalls ungewöhnlicher Weise mit dem Verb »sich erheben« (vgl. Textanm. 5b) beschrieben wird, so stehen möglicherweise Am 8,8; 9,5 im Hintergrund, die das Beben der Erde mit dem Sich-Heben und Sich-Senken des Nils vergleichen. Wesentlicher als die Deutung dieser Bilder im Einzelnen ist aber die Erkenntnis, dass Nah 1,5b den schon in V. 4 und V. 5a angedeuteten universalen und kosmischen Horizont des Handelns Gottes explizit herausstellt, ohne dass man deswegen in Nah 1 schon von einem Weltgericht zu reden hätte (so H. Schulz). Wohl aber wird vom Text betont, dass die gesamte Menschheit die Konsequenzen des Eingreifens Gottes gegen seine Feinde zu spüren bekommen wird. Dabei ist » ארץErde« der umfassendere Begriff; der oft in Parallele zu ihm stehende Terminus תבלbezeichnet das trockene, bewohnbare Festland. Mit ihm wird in der geprägten und besonders in den Psalmen geläufigen Wen32 Smith, 288, und Cathcart, N ahum, 29.52, übersetzen auch מוגhitpal. in Nah 1,5 mit »schmelzen« und denken dabei an die Assoziation eines Vulkanausbruchs. Andere Autoren (etwa Becking, De Hymne, 43) deuten das hitpal. wie das geläufige qal (»wanken«), kaum zu Recht.
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dung »das Festland und alle seine Bewohner«33 der Blick erneut zurück auf die Menschen gerichtet, die im folgenden Vers als die primär Betroffenen des Zornes Gottes im Zentrum stehen. 6 In V. 6 finden die vorangehenden Theophanie- und Chaoskampfmotive ihre abschließende Deutung, die zur Vorstellung Gottes in V. 2–3a zurückkehrt und auf diese Weise einen Rahmen um V. 3b–5 legt. Aber V. 6 ist auch eng mit V. 5 verbunden. Dieser Bezug erhellt besonders daraus, dass V. 6 eine ähnliche Präposition verwendet wie V. 5: hier מפני, in V. 6 לפני. Auch wird die Präposition ממנוaus V. 5a am Ende von V. 6 wiederholt. Vor allem aber führt V. 6b mit dem verzehrenden Feuer ein weiteres, abschließendes Theophaniemotiv ein. Sturm und Wetter, Anschreien des Meeres und Verdorren des Landes, Beben von Bergen und Erde: alles waren und sind nach V. 6 Indizien des Zornes Gottes. Die Doppelfrage, wie man vor diesem Gott bestehen können soll, wenn selbst die Berge als das am festesten Gefügte in menschlicher Erfahrung schwanken und keinen Halt finden, hat eine lange Geschichte im Alten Testament. Sie setzt mit der Ladeerzählung (1Sam 6,20) und den Visionen des Amos (Am 7,2.5) ein und führt über Ps 76,8 und Jer 49,19 zu den späten Texten Jer 50,44; Mal 3,2 und Ps 130,3. In der Mehrzahl der Belege ist wie in Nah 1,6 eine Gerichtssituation voraus gesetzt. Erneut wird der Unterschied zwischen Zorn und »Rache« Gottes erkennbar: Ist letztere auf Kompensation und adäquate Strafe aus, so ersterer auf Zerstörung und Vernichtung. V. 6 verwendet nicht weniger als vier Begriffe für Gottes unwiderstehlichen Zorn. Nicht nur für nachgeborene Exegeten sind sie nicht immer präzise voneinander zu differenzieren; sie wurden schon zur Abfassungszeit des Hymnus kaum noch voneinander unterschieden. Das Verb זעם lässt noch stellenweise die Bedeutung »verwünschen, verfluchen« (Num 23,7 f; Prv 24,24; Mi 6,10) als vermutliche Basis des Begriffs erkennen, die beim Substantiv noch in Hos 7,16 und Jes 30,27 durchschimmert. Wie B. Wiklander (ThWAT II, 621–626; vgl. HAL 265) leitet die Mehrheit der Exegeten die übliche Bedeutung »Zorn« von der Verfluchung bzw. Verwünschung ab. Demgegenüber ist das weit häufigere Substantiv אף primär Bezeichnung des Körperteils Nase und bringt von Haus aus deren wütendes Schnauben zum Ausdruck. Oft ist davon die Rede, dass diese Wut bzw. dieser wütende Zorn »entbrennt« ()חרה. Das zugehörige Sub stantiv חרוןmeint daher die Glut des Zornes. Es wird im Unterschied zu den zuvor genannten Begriffen ausschließlich von Gott verwendet, und für die Constructus-Verbindung »( חרון אףZornesglut«) gilt das Entsprechende. חמהschließlich, das an den entsprechenden Begriff in V. 2 anknüpft, meint 33 Wenn man die inhaltlichen Konnotationen der Belege für die Wendung betrachtet, lässt sich sagen, »dass תבלnicht nur ein wichtiger Terminus von JHWHs Schöpferhandeln, sondern auch von (Welt-)Gericht und Theophanie ist« (Baumann, Gottes Gewalt, 135).
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von Haus aus die »Hitze« der körperlichen Erregung, die Gemütslage des Heißblütigen, die kochende Wut, aus der heraus ein Mensch handelt (G. Sauer, THAT I, 581–583; K.-D. Schunck, ThWAT II, 1032–1036), auf Gott gewandt, seinen »entbrennenden« Zorn. Jedoch will die ungewöhnliche Anhäufung von Termini für den göttlichen Zorn weniger die Nuancen der jeweiligen Eigenbegrifflichkeit zur Sprache bringen als vielmehr die unvergleichliche zerstörerische Macht dieses mit nichts vergleichbaren Zorns umschreiben. Das Bild des Feuers, das V. 6b bestimmt, schillert, insofern es einerseits von der Zornesmetaphorik (»Zornesglut«, »brennender Grimm«) hervorgerufen ist, andererseits das Feuer ein geläufiges Motiv der Theophanieschilderungen ist. Dass Gottes Grimm »sich (wie Wasser) ergießt« (נתך nif.), ist auch in Jer 7,20; 42,18; 2Chr 34,21 (vgl. im q. Jer 44,6) belegt, dass er »wie Feuer« wirkt, auch in Jer 4,4; 21,12; Ps 89,47; Thr 2,4 u. ö. Auffallen muss angesichts dieser Belege, dass nie davon die Rede ist, dass Gott seinen Zorn ausgießt ( נתךhif.):34 Der Zorn scheint wie eine eigene Wesenheit zu handeln, die ohne Anteilhabe an Gottes Güte, Geduld etc. selbständig und unerbittlich zerstört. Nicht weniger bemerkenswert ist allerdings, dass dieser sich ergießende Zorn andernorts stets Israel trifft. Sollte A. Stiglmair Recht haben mit seiner Vermutung, dass hier formelhafter (dtr) Sprachgebrauch vorliegt (ThWAT V, 691 f), dann würde der Verfasser des Nahum-Hymnus in Nah 1,6 bewusst – wie schon im Fall des »Eifers« (V. 2) – geprägte Formulierungen neu deuten, hier: JHWHs Zorn gegen Israel auf seine Feinde in der Völkerwelt richten. Das göttliche Zornesfeuer lässt nichts unzerstört. Wie in Dtn 32,22 selbst die festgewachsenen Fundamente der Berge von ihm verbrannt werden, so stehen in Nah 1,6 die einstürzenden Felsen (wie die Berge in V. 5) für das in menschlicher Erfahrung Festeste und Beständigste, weshalb JHWH oft – besonders in den Psalmen – als »Fels« der auf ihn Vertrauenden gepriesen wird und Menschen in Felsen Zuflucht suchen (Jes 2,10.19.21; Jer 21,13; Ps 27,5; 61,3). Wenn man gelegentlich am Verb נתץAnstoß genommen hat (Textanm. 6c), weil es üblicherweise vom Einreißen von Gebäuden gebraucht wird, nicht aber die Wirkung des Feuers bezeichnet, so hat G. Baumann, 147–149, mit Recht auf Jer 4,26 als Parallele verwiesen, wo das Verb ebenfalls die Wirkung des göttlichen Zorns beschreibt, auch wenn dort Städte das Objekt des Einreißens sind. 1,7 f: Rettung und Untergang Der formale wie sachliche Einschnitt zwischen V. 6 und V. 7 ist mit Hän- 7 f den zu greifen. Es ändern sich Metrum und Syntax (vgl. oben »Form«). In V. 7 herrschen wieder wie im Anfangsteil Nominalsätze vor, die auch darin V. 2–3a vergleichbar sind, dass sie JHWH zunächst adjektivisch und dann 34
Anders ist das bei dem geläufigeren Verb » שפךausschütten«.
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mit Partizipien in einem Handeln preisen, das ihn wesensmäßig kennzeichnet. Dagegen verwendet V. 8 Verbalsätze, die aber im Unterschied zu V. 3–6 im Imperfekt gehalten sind und Zukunftsaspekt erhalten, wie die zweifelnde Frage in V. 9 zeigt. Wenn man sie wie die meisten Exegeten präsentisch übersetzt, lässt sich im Deutschen der Unterschied zu den Verben in V. 3b–6 nicht zum Ausdruck bringen. Sachlich werden den »Feinden« JHWHs, denen sein Zorn gilt (V. 2) und die nach V. 8 sein Vernichtungsgericht erfahren, in V. 7 Menschen gegenübergestellt, denen JHWHs Güte und Freundlichkeit gilt. Die bisher vorherrschende generelle Gerichtsperspektive weitet sich damit unerwartet zur Eröffnung einer Alternative. Schroff stehen sich JHWHs »Feinde« und die »Sich-bei-ihm-Bergenden« gegenüber, und die Sprache ändert sich zwischen beiden Versen entscheidend: V. 7 ist von Psalmen-Assoziationen und besonders von Vertrauensäußerungen der Psalmen durchzogen, V. 8 von prophetischen Vorstellungen bestimmt. Mit dem Abschluss dieser Alternative verdeutlicht der Hymnus Nah 1,2–8, dass er auf einen weiter reichenden grundsätzlichen Gegensatz abzielt als auf den zwischen Assyrien und Israel bzw. zwischen Unterdrücker und Unterdrückten wie in den folgenden prophetischen Texten.35 Offensichtlich wird in V. 7 die Nennung des Gottesvolks als Kollektiv bewusst vermieden, wenn die generellen Kategorien »Feinde« JHWHs und die »Sich-bei-ihm-Bergenden« gewählt werden. Dieser Sprachgebrauch ist kaum anders zu deuten, als dass sich für den Verfasser des Hymnus »Feinde« JHWHs auch innerhalb Israels finden und damit im Gottesvolk zwischen Gerechten und Frevlern differenziert wird (vgl. Jeremias, Kultprophetie, 16; Hagedorn, Die Anderen, 74 ff sowie die o. S. 60 genannten Autoren) – wie in späten prophetischen Texten, z. B. Mal oder Jes 65 f. Man vergleiche als Kontrast nur etwa Joel 4,16, wo Theophaniemotive wie in Nah 1 das göttliche Gericht an den Völkern zum Ausdruck bringen, JHWH aber »für sein Volk« zur Burg und Zufluchtsstätte ( מעוזwie in Nah 1,7) auf dem Zion wird.36 7 Nach seiner programmatischen fünffachen Einführung in V. 2–3a war der JHWH-Name im Nahum-Hymnus zwischenzeitlich nicht mehr eigens erwähnt worden. Jetzt in V. 7 wird er wieder genannt, weil ein total andersartiger Aspekt des göttlichen Handelns eingeführt wird. Wenn JHWH in V. 7 mit dem Adjektiv »gut« ( )טובgepriesen wird, so wird ein möglichst allgemeiner Begriff gewählt, um einen denkbar scharfen Gegensatz zu Gottes Zorn (V. 6) zu bilden. Die Leser des N ahumbuches kannten ihn vor allem aus der häufig belegten liturgischen Formel: »Preist JHWH! Ja, er ist 35 Einzig der sich unmittelbar an V. 7 f anschließende V. 9 zeigt mit seiner Frage, die an zweifelnde Leser gerichtet ist und ihren Zweifel widerlegen möchte, dass auch er das Gottesvolk nicht als undifferenziert einheitliches Kollektiv betrachtet. 36 Dabei ist im Blick auf Texte wie Joel 3,5bβ nicht auszuschließen, dass für Nah 1,7 auch einzelne Glieder aus den Völkern zu den Geretteten zählen sollen (so Zapff, Studien zum Michabuch, 270). Nur liegt im Kontext auf dieser Möglichkeit kein Ton.
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gut; ja, für immer währt seine Huld/Güte («)חסד, deren gottesdienstliche Funktion K. Koch (EvTh 21, 1961, 531–544; vgl. F. Crüsemann, Studien zur Formgeschichte von Hymnus und Danklied in Israel, WMANT 32, 1969, 44 f) untersucht hat. Das Adjektiv begegnet auf Gott bezogen auch außerhalb der liturgischen Formel, vor allem in den Psalmen, steht hier aber so gut wie nie für sich, sondern bedarf der Explikation. Sie ist in den Vertrauenspsalmen auf vielfache Weise mit dem Wortfeld von Nah 1,7 verbunden: mit dem Verb » חסהsich bergen« in Ps 34,9 (vgl. V. 23), mit der Rettung aus »Not« ( )צרהbzw. »am Tag meiner Not« in Ps 54,8 f bzw. 86,5.7; vgl. die Befreiung aus »Bedrängnis« ( )מצרin Ps 118,1.5 bzw. aus der Hand des »Widersachers« ( )צרPs 107,1 f. JHWHs »Gut-Sein« besteht in all diesen Texten in seiner Macht, Menschen aus Not und Bedrängnis zu retten; diese Macht erfahren Menschen, die »auf ihn hoffen« (Thr 3,25 f) bzw. »sich in ihm bergen« (Ps 34,9). Ihnen wird er zum מעוז, zur uneinnehmbaren »Festung« bzw. »Zuflucht«, wie ihn zahlreiche Beter im Psalter in ihren Vertrauensaussagen bekennen (2Sam 22,33; Ps 27,1; 28,8; 31,5 u. ö.).37 Dabei bezeichnet der Begriff der »Not« die gegenwärtigen Leiden der Unterdrückten, um derentwillen der »rächende« Gott eingreift, und nicht die Nöte, die Gott in seinem Zorn seinen Feinden in naher Zukunft heraufführen wird, wie die Aufnahme des Begriffs in V. 9 (»kein zweites Mal wird sich die Not erheben«) zeigt. Wenn es in V. 7b heißt, dass JHWH die Menschen, die ihr Vertrauen auf ihn setzen, »kennt«, ist mehr als nur das kognitive Wissen gemeint, dass er von ihrer Existenz weiß. Im zwischenmenschlichen Bereich kann das »Erkennen« bzw. »Kennen« eines bzw. einer Anderen intime Sexualität mitumfassen (Gen 4,1 u. ö.). Mit Gott als Subjekt schließt ידעZuwendung und Fürsorge mit ein, wie insbesondere Am 3,2 und Dtn 9,24 zeigen, wo das Verb für den Akt der Erwählung Israels steht. Auf den einzelnen Menschen bezogen kommt diese personale Nähe und Fürsorge besonders in Psalmen zum Ausdruck, die darüber staunen, dass der große Gott den winzigen Menschen »kennt« (Ps 144,3), dass er sein Elend sieht und seine Nöte »kennt« (Ps 31,8) bzw. dass er die Tage (Ps 37,18) und die Wege seiner Getreuen »kennt« (Ps 1,6).38 So malt V. 7 in einem Kontext, der eine durch Gottes Zorneshandeln vergehende Welt vor Augen stellt, das Bild einer rettenden Zufluchtsstätte, die in abgründiger Weise ebendieser gleiche Gott selber darstellt und in der sein rettendes und fürsorgliches »Gut-Sein« erfahrbar ist. 37 Die Terminologie könnte auf 3,11 Bezug nehmen, wo Ninive vergeblich »Zuflucht« sucht. Jedenfalls gehört מעוזzu den wenigen nicht-alltäglichen Begriffen, die der einleitende Hymnus und das folgende Textkorpus gemeinsam haben. Vgl. zu den übrigen sprachlichen Bezügen A. Hagedorn, Die Anderen, 72; J. Wöhrle, Abschluss, 58, Anm. 123. 38 W. Schottroff, THAT I, 682–701; 691 ff verweist für diesen fürsorglichen Aspekt des göttlichen »Kennens« mit Recht auf schon vorbiblisch belegte theophore Satz namen, die das Verb ידעverwenden.
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Umso schärfer wirkt im Kontrast dazu V. 8. Er steigert die generellen Charakterisierungen Gottes in V. 3b–6, indem er statt der dortigen Verben im Perf. nun zu Verben im Imperf. übergeht und so unmittelbare Zukunftserwartungen eröffnet. Allerdings schillert die Aussage am Anfang. Die bedrohlich auf die Menschen zukommende »überschwemmende Flut« kann und soll sowohl rückwärts bezogen als auch (mit MT) auf das Folgende ausgerichtet verstanden werden, und hier liegt der Hauptakzent der Aussage. Rückwärts bezogen besagt V. 8a, dass JHWH auch angesichts der Flut für die sich bei ihm Bergenden »Zuflucht« ist (vgl. Ps 32,6, der die Frommen zum Beten auffordert, weil die »Flut mächtiger Wasser« einen Beter nicht erreichen wird), auf das Folgende ausgerichtet, dass die Flut JHWHs Mittel der Vernichtung seiner Feinde ist. Mit der Rede von der »überschwemmenden Flut« verwendet der Hymnus erstmals Metaphern mit militärischen Konnotationen; die in V. 8 gewählten finden sich insbesondere bei Jesaja, der seinerseits Sprache staatlicher Kriegspropaganda aus den assyrischen Königsannalen aufgreift, um JHWHs zerstörerisches Handeln zu beschreiben. Die assyrischen Könige haben sich in ihren Annalen oft damit gebrüstet, dass sie feindliche Städte »wie eine Flut« (abūbāniš) zerstört hätten. Für einen anderen Bereich assyrischer Literatur, die königlichen Vasallenverträge, typisch ist der Fluch Asarhaddons: »Möge eine Flut, eine unwiderstehliche Sintflut, über die Erde kommen und dein Land zerstören!«39
Allerdings verwendet Jesaja die Begriffe שטףund עברjeweils als zwei Verben, die er entweder gleichordnet (»überfluten und überschwemmen«, Jes 8,8; vgl. Ps 124,5; Dan 11,10.40) oder deren eines er als Partizip gestaltet (»die überflutende Geißel, die überschwemmt«, Jes 28,15.18: gemeint ist das assyrische Heer als Werkzeug JHWHs), während Nah 1,8 שטףals Substantiv gebraucht, dem עברals Partizip zugeordnet ist. Dennoch ist die Wendung zu geläufig, als dass man das Partizip auf den handelnden JHWH beziehen sollte (so G. Baumann, Gottes Gewalt, 154: »Der ›Durchschreiter‹ ist er der reißenden Flut«; vgl. K. Seybold, Profane Prophetie, 76: »In der Regenflut zieht er vorüber«), was syntaktisch möglich, aber im Kontext eher verwunderlich wirken würde und von keiner antiken Übersetzung gestützt wird.40 Das Bild der alles Land überflutenden Wassermassen, das im Blick auf jesajanische Texte Assoziationen an eine riesige, unüberschaubare 39 Vgl. TUAT I/2, 172; ANET³, 539; auch TUAT I/4, 385. Weitere Belege bei P. Machinist, Assyria and its Image in the First Isaiah: JAOS 103 (1983) 726 f.735; Spronk, 49 und besonders F. Hartenstein, JHWH und der »Schreckensglanz« Assurs (Jesaja 8,6–8): Ders./J. Krispenz / A. Schart (Hg.), Schriftprophetie. FS J. Jeremias, Neukirchen-Vluyn 2004, 83–102; 93–97 = Ders., Das Archiv des verborgenen Gottes: BThSt 74 (2011) 1–30; 16–23. 40 Christensen, ZAW 87, 22, möchte sogar das singularische Partizip auf Menschen gruppen beziehen: »Those who pass through the flood« (anders im Komm. S.166).
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Heeresmacht weckt, bereitet den Gedanken der Vernichtung der »Feinde« Gottes ( איביםwie in V. 2b) vor, den V. 8bβ ausführt. Das syntaktisch betont vorangestellte » כלהVernichtung« besitzt darin seine Besonderheit, dass der Begriff nichts über die Art und Weise des Untergangs der Feinde sagt, sondern allen Ton auf das Ergebnis legt: ihr definitives Ende; das zugehörige Verb bezeichnet »eine Handlung, die etwas zu Ende bringt, oder einen Vorgang, in dem etwas zu Ende geht« (F. J. Helfmeyer, ThWAT IV, 167). Ein solches Ende hätte nach Meinung jüngerer deutender Prophetenworte auch Israel verdient. Wenn JHWH es davor verschont (Jer 5,18; 30,11; 46,28; Ez 20,17 u. ö.), dann einerseits, um es in die Einsicht in seine Schuld zu führen, andererseits um seines Erbarmens mit seinem Volk willen.
V. 8b beschreibt den qualitativen Aspekt des Endes der Feinde JHWHs mit der Terminologie der Psalmen. Zwar begegnet das Verb » רדףverfolgen« am häufigsten in kriegerischen Kontexten, in denen es oft die endgültige Niederlage bzw. Vernichtung des Gegners zur Folge hat (C. Frevel, ThWAT VI, 366; E. Jenni, Das hebräische Piʿel, Zürich 1968, 215 deutet das pi. des Verbs in V. 8 entsprechend resultativ), aber ähnlich häufig (20 mal) steht es auch in übertragener Bedeutung in den Psalmen. Wenn die »Finsternis« als Zielort der Verfolgung der Feinde durch JHWH genannt wird, so sind Konnotationen des Begriffs im Blick, die andernorts den unausweichlich tödlichen »Tag JHWHs« charakterisieren (Am 5,18.20; Zef 1,15; Joel 2,1 f), oder aber die Rückführung der Welt auf einen Zustand vor der Schöpfung, in der lebensfeindliche Finsternis herrschte (Jes 13,10; Jer 4,23 ff). Vor allem aber ist die Finsternis eine wesentliche Qualität der Scheol, des Totenreichs, das schon im Akkadischen »Haus der Dunkelheit« heißt und Wohnort von Dämonen ist (H. Lutzmann, ThWAT III, 264), wobei die Finsternis oft in der Poesie das Totenreich auch vertreten kann (H. Ringgren, ebd. 273 f). Der Hymnus, der das Nahumbuch einleitet, ist dessen hermeneutischer Ziel Schlüssel: Er enthält die zentrale Botschaft des Buches. Den (antizipierten) Jubel der Unterdrückten über den Untergang ihres Peinigers, der das ältere Korpus des Buches beherrscht, hebt er auf eine neue theologische Ebene, indem er das umfassende Thema der Gerechtigkeit Gottes im Weltgeschehen den Gedankengang bestimmen lässt. So sehr er aber Gottes Macht zur Durchsetzung seiner Gerechtigkeit besingt, geht es dem Hymnus im Kern nicht um theologische Grundsätze. Vielmehr will er seine Leser vergewissern, dass Gottes Sorge für die Seinen, die im Untergang Ninives erfahren wurde, auch die Gegenwart bestimmt und Gott sich auch die neuen Praktiken von Ungerechtigkeit und Unterdrückung nicht gefallen lassen wird. Er ist vom Unrecht selbst betroffen, die Täter sind »seine Feinde«. Auf diese Weise wird durch den Hymnus aus alter, schon erfüllter Prophetie neue prophetische Ankündigung.
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Offensichtlich hat diese neue Prophetie mit Widerständen zu kämpfen (V. 9 f.). Darum stellt der Hymnus seinen Lesern zunächst vergewissernd ein Gottesbild vor Augen, das eine Fülle ungewöhnlicher Elemente enthält, die die ältere Tradition in dieser Akzentuierung noch nicht kannte. Am Anfang dieses Bildes steht Gottes »Eifer«, der ihn wesensmäßig prägt. Er wird grundlegend neu definiert. Richtete sich Gottes Leidenschaft in der Tradition primär gegen Israel, wenn es trotz aller Erweise göttlicher Güte sein Heil bei anderen Mächten als bei seinem Gott sucht, so lehrt der Hymnus des Nahumbuches einen Gott kennen, der seine Leidenschaft für sein Volk einsetzt, wann immer es unter der Herrschaft fremder Völker Unterdrückung leidet. Nicht die Verführbarkeit Israels ist hier die Hauptsorge Gottes, sondern dessen Leiden unter aufgezwungener Ungerechtigkeit. Diesem Impetus folgt auch Gottes »Rache«, die das dreifach wiederholte Leitwort des neuen Gottesbildes bildet. Die »Rache« Gottes zielt auf die Kompensation geschehenen Unrechts zugunsten der Leidenden, wobei entscheidend ist, dass sie mit aller Konsequenz und Härte ausgeführt wird. Dafür steht die Prädikation des »Zornes Gottes«, die in V. 2 und V. 6 in immer neuer Begrifflichkeit den Lesern eingeprägt wird. Es ist erkennbar ein seelsorgerliches Anliegen, das die programmatisch einleitende Umschreibung des wesensmäßigen Handelns Gottes leitet. Wie sehr sich der Verfasser des Hymnus bewusst war, dass er ein neues Gottesbild zeichnete, zeigt vor allem seine kühne Abwandlung der Beschreibung des Wesens Gottes im berühmten Bekenntnis aus Ex 34,6 f. par., der sog. »Gnadenformel«. Für ihn ist sie keine Gnadenaussage, denn von Gottes »Gnade« ist bei ihm keine Rede mehr, da Gottes Handeln seinen »Feinden« gilt; wohl aber ist die Rede von der Gewissheit, dass Gott trotz aller ihm eigenen Geduld und Langmut die Täter von Gewalt und Unrecht zur Rechenschaft ziehen wird. Demgegenüber dient der längere Mittelteil des Hymnus – unter Aufnahme weithin geprägter Sprache prophetischer Theophanieschilderungen – der Darstellung der vernichtenden Zornesmacht Gottes. Wieder werden traditionelle Prädikationen Gottes modifiziert, wenn an die Stelle des Aufruhrs der Natur bei Gottes Erscheinen in frühen Theophanietexten nun das Vergehen der Natur tritt als Symbol der Vernichtung, die Gott seinen Feinden bereitet. Gegenüber dem Gott, der den mythischen Chaoskampfgegner jederzeit unter seiner Kontrolle behält, der die fruchtbarsten Gebiete der Erde verdorren lässt und der das Festeste in menschlicher Erfahrung, Berge und Felsen, zusammenstürzen lässt, ist jeglicher Widerstand ausgeschlossen. Eine kosmisch-universale Perspektive bestimmt alle Aussagen über Gottes Handeln und ersetzt die militärische Begrifflichkeit der älteren Nahum-Überlieferung. Erst im Schlussteil des Hymnus (V. 7 f.) wird eine ganz andere, den Lesern weit geläufigere Seite des Wesens Gottes genannt, die sie aus den Psalmen kannten: Gottes Güte gegenüber denen, die sich in Zeiten der Not bei ihm bergen. Diese Zeiten der Not sind, wie der folgende Kontext zeigt,
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Zeiten der Bedrängnis durch die unterdrückenden Unrechttäter, die als »Feinde Gottes« (V. 2.8) vom nahe bevorstehenden tödlichen Gotteszorn getroffen werden. Der Hymnus zeichnet ein abgründiges Gottesbild: Der Gott, der um des Leidens in der Welt willen mit aller Härte in die Geschichte eingreift, ist der gleiche Gott, der sich mitten im Gericht als bergende Zufluchtstätte zum Überleben anbietet. Charakteristisch ist dabei die Offenheit der Aussagen: Gottes »Feinde«, die von seinem Gericht getroffen werden, sind nicht näher eingegrenzt und ihre Schuld wird nicht benannt; auch Glieder des Gottesvolks können zu ihnen gehören. Die Einladung, »sich bei Gott in der Not zu bergen«, ergeht umgekehrt an alle Leidenden, unter welchem Unrecht auch immer ihre Not erwuchs; sie macht keinen Halt an den Grenzen der Zugehörigkeit zum Gottesvolk. So ist für den einleitenden Hymnus im Nahumbuch ein Doppeltes charakteristisch: zum einen die Absicht, die zurückliegende konkrete Erfahrung des Untergangs der Weltstadt Ninive (Nah 2–3) zu nutzen, um grundsätzlich über Gott zu reden und ein neues seelsorgerliches Gottesbild zu entwerfen, das für alle Not- und Leidenssituationen Gültigkeit beanspruchen möchte; zum anderen die Intention, die Gewissheit einzuschärfen, dass Gott sich seine Weltherrschaft nicht von menschlichen Mächten streitig machen lassen will, er vielmehr machtvoll in das Weltgeschehen eingreifen wird, wo immer Menschen und besonders Glieder des Gottesvolks unter Gewalt und Unrecht leiden. Allerdings setzt an dieser Stelle sogleich der menschliche Zweifel ein, ob Gott nicht doch dem Lauf der Welt untätig zuschaut (V. 9). Der Prophet begegnet ihm mit einer Zuspitzung der Aussagen des Hymnus (1,9–2,1).
Das Ende Belials (Nah 1,9–2,1)
K. J. Cathcart, Treaty-Curses and the Book of Nahum: CBQ 34 (1973) 179–187. – Literatur W. C. Graham, The Interpretation of N ahum 1:9–2:3: AJSL 44 (1927/28) 37–48. – A. C. Hagedorn, Die Anderen, 31–33. 64–71. – H.-J. Hermisson, Deuterojesaja: BK XI/3 (2017) 245–296. – T. Hieke, Der Anfang des Buches Nahum I: Die Frage des Textverlaufs in der jetzigen Gestalt. Ein antithetisches Prinzip: BN 68 (1993) 13–17. – Ders., Der Anfang des Buches N ahum II: Wie begann die Prophetie Nahums ursprünglich? Ein Rekonstruktionsversuch: BN 69 (1993) 15–20. – K. Jeppesen, The Verb yāʽad in Nahum 1,10 and Micah 6,9? Bib. 65 (1984) 571–574. – J. Jeremias, Kultprophetie, 12–28. – Ders., Das Ende Belials: FS C. Levin (2020). – C. A. Keller, Die theologische Bewältigung der geschichtlichen Wirklichkeit in der Prophetie Nahums: VT 22 (1972) 399–419. – E. Kutsch, »( ענוהDemut«). Ein Beitrag zum Thema »Gott und Mensch im Alten Testament«: Habil.schr. Mainz (masch.) 1960, 31–36. – J. Nogalski, Redactional Processes, 111–115. – A. Pinker, A Tragic Bacchanalia in Nahum 1,10: RB 113 (2006) 366–371. – B. Renaud, La composition du livre de Nahoum: ZAW 99 (1987) 203–205. – K. Seybold, Vormasoretische Randnotizen in N ahum 1: ZAW 101 (1989) 71–85. – A. Spreafico, Nahum I 10 and Isaiah I 12–13: Double-Duty Modifier: VT 48 (1998) 104–110. – M. A. Sweeney, Concerning the Structure and Generic Character of the Book of N ahum: ZAW 104 (1992) 364–377. – E. Wendland, What’s the ›Good News‹ – Check out ›the feet‹! Prophetic Rhetoric and the Salvific Centre of Nahum’s Vision: OTE N. S. 11 (1998) 154–181. – J. Wöhrle, Der Abschluss, 24–39. Vgl. auch die Literatur zu 1,2–8 und zur Frage des Alphabet-Akrostichons und hier besonders die Arbeiten von Gunkel, Arnold, Humbert, de Vries und Becking. 9 Was für Gedanken richtet ihr gegen JHWHa?
Vernichtung ist es, die er bringt: Kein zweites Malb wird sich die Not erhebenc! 10 Denn einem Dickicht von Dornena vergleichbarb oder wie Trunkene bei ihrem Gelagec werden sie verzehrt wie völligd dürres Stroh. 11 Aus dir ging hervor / wird abziehena
der Böses gegen JHWH plante, der Widergöttliches im Sinn hatteb. 12 So hat JHWH gesprochen:
Wenn sie auch unversehrt und noch so zahlreich sinda, so sollen sie dochb geschoren werdenc und müssen verschwindend.
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Nah 1,9–2,1
Habe ich dich gedemütigte, so will ich es nie wieder tun. 13 So werde ich jetzt sein Jocha auf dir zerbrechen und deine Fesseln zerreißen. 14 Aber über dich (mask.)a hat JHWH verfügt:
Nie wieder soll Nachkommenschaft von deinem Namen ausgehenb! [Aus deinem Gotteshaus tilge ich Schnitzbild und Gussbild!] Ich ›verheere‹c dein Grab, denn du bist ehrlos geworden! 2,1 Da! Auf den Bergen die Füße des Freudenboten,
der Heil verkündet! Feiere, Juda, deine Feste, erfülle deine Gelübde! Denn nie mehr wieder wird der Widergöttlichea durch dich hindurchziehen; er ist ganz und garb ausgetilgt. 9 9a Zur Übersetzung des sehr unterschiedlich gedeuteten Verbs vgl. die Auslegung. – b G scheint פעמיםdoppelt übersetzt zu haben (δὶς ἐπὶ τὸ αὐτό); anders Grütter, Buch Nahum, 46 f. – c Die Not wird hier wie eine Person behandelt. Cathcart, Nahum, 31 übersetzt unter Berufung auf ugaritisches ṣrt: »His adversaries will not rise twice«. G hat das Verb irrtümlich von der Wurzel נקםstatt von 10 קוםabgeleitet. – 10a Wörtlich: »verflochtene Dornen«. – b Der extrem schwierige Text ist möglicherweise fehlerhaft überliefert worden. Seybold, 79–81, rechnet mit Randglossen von Abschreibern des Textes. Eine große Zahl an Emendationen ist vorgeschlagen worden, keine m. E. überzeugend. Einen bunten Strauß solcher Emendationen notieren H. Schulz, Buch Nahum, 12 f, Anm. 34 und D. Barthélemy, Critique textuelle III, 793. Die Vrs. setzen weithin schon den MT voraus (vgl. Barthélemy, ebd.) und sind kaum hilfreich beim Versuch, einen älteren Text zu rekonstruieren. So bleibt nur der Versuch, dem überlieferten Text einen plausiblen Sinn abzugewinnen. – Die im Kontext schwierige Partikel עדist dabei am ehesten mit Σ, Θ und V als Einleitung eines Vergleichs zu deuten; vgl. Ges18 922; HAL 743 und Rudolph, 152. Barthélemy, 794 umschreibt diese Nuance so: »Enchevêtrés au point d’atteindre le degré d’enchevêtrement des épines«. – c So MT (im Anschluss an Hos 4,18?), dem die Mehrzahl der Vrs. folgt. Nur G weicht ab und liest ὡς σ μῖλαξ περιπλεκομένη: »wie eine umschlungene Ranke (bzw. schotenartige Pflanze)«; sie scheint das Verb von der Wurzel סבבabzuleiten. Rudolph, HAL und Fabry gründen ihr Verständnis auf diese Lesart, schwerlich zu Recht. Da G den ersten Vergleich deutlich missverstand (sie setzt die Wurzel יסדvoraus und las [» יסודםbis zu] ihrem Fundament« statt » סיריםDornen«), rechnet Haldar, Studies, 31 f, ansprechend damit, dass die oben genannte Lesart eine zweite, verbesserte Übersetzung des ersten Vergleichs im MT sei. So auch Roberts, 46. – d מלאist hier adverbial verwendet; vgl. König, Syntax, § 332 f; 11 Ges17 425 und Barthélemy, Critique textuelle III, 794. – 11a Zur Mehrdeutigkeit des Verbs vgl. die Auslegung. – b Einige Autoren übersetzen das Partizip
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substantivisch »der Ratgeber Belials« (Cathcart, Seybold, Christensen, Dietrich); sie zerstören aber damit den Parallelismus membrorum. – 12a G und L (ähnlich S) haben den ihnen vorliegenden Text als » משל מים רביםHerrscher über gewaltige Wasser« missverstanden. Fabry (The Lord, 152–156) vermutet, dass das mythische Chaoskampf-Motiv für G mit der zeitgenössischen Monotheismus-Debatte zusammenhängt. Dagegen hält Grütter, Buch N ahum, 218–256 (wie vor ihr schon Sellin, Schulz und Cathcart) die G-Lesart für die ältere, allerdings aus rein formalen Gründen, unter Umgehung inhaltlicher Argumente. Mehrere Exegeten vor ihr haben vorgeschlagen, bei der Rekonstruktion des mutmaßlich ältesten Textes die Lesarten von G und MT miteinander zu kombinieren, aber ohne überzeugende Ergebnisse. Die wichtigsten dieser Vorschläge nennt Spronk, 69 f. – b Bei der singulären Abfolge אם – וכן – וכןist mit T das erste וכןals Entsprechung, das zweite dagegen als Folge und Gegensatz zu verstehen; vgl. Barthélemy, Critique textuelle III, 796 und Grütter, Buch N ahum, 231–233. – c Nif. von » גזזscheren«; vgl. Ges-K § 67t. T liest eine Form des Verbes » גוזvorübergehen, verschwinden« und gleicht den Sinn an das folgende Verb עברan. – d Das für den Plural des Subjekts nötige וist bei der Worttrennung fälschlich zum folgenden Wort gezogen worden; so im Gefolge von Wellhausen und Marti die meisten Ausleger. – e Konditionalsatz ohne Konjunktion; vgl. Haldar, Studies 36 und Joüon, Gr § 167b. G hat das Verb irrtümlich von der Wurzel ענהI »antworten« abgeleitet. – 13a Je nach Vokalisation kann der Konsonantentext von » מוטJoch« oder » מטהStab«, »Szepter« (so G, V) abgeleitet werden. Die Mischvokalisation des MT will beide Möglichkeiten der Deutung anbieten, wie schon Wellhausen erkannt hat. – 14a S gleicht das Suffix der 2. Pers. Sg. mask. an den Kontext an und liest das Suffix der 2. Pers. Sg. fem.; Marti, J. M. P. Smith, Wöhrle, Kratz u. a. bieten dieselbe Erleichterung (s. u. »Form«). Im Gefolge von Sellin und Nowack schlägt Rudolph vor, statt der Anrede » עליךüber dich« » עליוüber ihn« zu lesen, um eine bessere Verbindung zwischen V. 11 und V. 14 herzustellen. Aber zu einer derartigen Konjektur, die von keinem Textzeugen gestützt wird, besteht keine Nötigung. Allenfalls wäre sie denkbar für eine Rekonstruktion einer Vorstufe des Textes, in der V. 14 unmittelbar auf V. 11 gefolgt wäre; s. die Erwägungen unter »Ort«. – b T deutet: »Es soll keine Erinnerung ( )דכרוןmehr von deinem Namen ausgehen«. – c Der Konsonantenbestand des Verbs kann auch אַשּׁים ִ vokalisiert und von שׁמםhif. »verwüsten, verheeren« abgeleitet werden (Duhm, Sellin, Horst, Gaster, Cathcart, N ahum, 67 u. a.); vgl. die Auslegung. – 2,1a G bietet εἰς παλαίωσιν (»bis zum Verfall«). Sie hat den Begriff »Belial«, den sie in V. 11 mit dem Adverb ἐναντία »entgegengesetzt« übersetzt, hier von der Wurzel » בלהverbraucht sein, vergehen« abgeleitet. – b G hat כלה verbal interpretiert (συντετέλεσται »er ist beendet«), vermutlich im Anschluss an das Substantiv כלהin 1,8 und 1,9; vgl. die Auslegung.
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Auf die klar gegliederte hymnische Einheit 1,2–8 folgen Verse in geho- Form bener Prosa (mit gelegentlichen Andeutungen eines par. membr.), die auf den ersten Blick einen verwirrenden und sprunghaften Eindruck machen. Erst mit 2,4–11 und der Beschreibung eines unwiderstehlichen Heeres vor den Toren Ninives folgt wiederum eine deutlich zusammengehörige und leichter verständliche größere literarische Einheit. Die Verse 1,9–2,1 bzw. 1,9–2,3 bilden eine Fülle kleiner Untereinheiten, die formal nur darin miteinander verbunden sind, dass sie durchgängig die Form der Anrede
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benutzen. Jedoch ist keineswegs immer die gleiche Größe im Blick. In 1,9 f sind die Adressaten pluralisch benannt, in den folgenden Versen singularisch, überwiegend im Sg. fem., wobei aber (im Blick auf 2,2) ausgeschlossen werden kann, dass stets die gleiche Größe gemeint ist. Einzig in 2,1 ist das Kollektiv mit »Juda« explizit benannt. Zudem werden die Verse mit Anrede an ein weibliches Kollektiv in 1,14 unterbrochen durch die Anrede an eine männliche Gestalt. So nimmt es nicht wunder, dass B. Duhm die genannten Verse »wie Kraut und Rüben durcheinander« liegen sah (62), L. Perlitt unseren Abschnitt »ein schwer entwirrbares Gemisch an Fragmenten« genannt hat (12) und K. Seybold in ihm sogar »einen textlichen Trümmerhaufen« sah, in dem nur »noch einzelne Textteile identifizierbar« seien (Randnotizen, 76). Es handelt sich bei der zusammengesetzten Einheit mit Anrede 1,9–2,3 näherhin um 6 formal zu unterscheidende Untereinheiten, deren logische Abfolge und Entstehung sich erst bei mehrfacher Lektüre zu erkennen gibt. Den ersten Abschnitt bilden die Verse 1,9 f mit zwei Trikola. Sie gestalten den Übergang vom Hymnus zum Anrede-Teil, indem sie betont Terminologie vom Ende des Hymnus aufgreifen und mit Begrifflichkeit aus V. 11 verbinden. Durch ihre pluralischen Adressaten sind sie deutlich von den folgenden Untereinheiten unterschieden. Zudem ist einzig V. 9 als eine (rhetorische) Frage gestaltet; sie erhält noch im gleichen Vers eine Antwort, die im folgenden V. 10 begründet wird. Auffällig abrupt schließt sich V. 11 an mit einer Anrede an eine 2. Pers. Sg. fem., die ungenannt bleibt und keinen Bezug zu Früherem besitzt, sieht man von der sekundären Lesart des MT in V. 8 (»ihr Ort«) und dem möglichen Rückbezug auf die entfernt stehende Überschrift in 1,1 (»Ninive«) ab. Erschwert wird das Verständnis des Verses zudem dadurch, dass sein Anfang in sich mehrdeutig ist (s. u.); so hat insbesondere dieser Vers nicht zufällig höchst unterschiedliche Interpretationen erhalten. Dagegen enthalten die Verse 12 f eine weit klarere Aussage. Eingeleitet durch die nur hier im Buch Nahum begegnende Botenspruchformel »So hat JHWH gesprochen« bieten sie ein Heilswort in der Gottesrede, das an eine ungenannte weibliche Größe gerichtet ist, die nur Juda sein kann. V. 12 blickt zurück auf eine definitiv beendete Demütigung der Adressatin, d. h. Judas, durch JHWH selber, während V. 13 die »jetzt« erfolgende Wende der Unterdrückung Judas ankündigt. Diese Unterdrückung geht nach V. 13 aber nicht wie in V. 10 und V. 12 von einer kollektiven Macht aus, sondern von einem ungenannten männlichen Individuum, das offensichtlich mit dem in V. 11 genannten Einzelnen identisch ist. Im folgenden V. 14 ergeht – unter Berufung auf eine Verfügung JHWHs – eine harte Gerichtsankündigung an diese ungenannte männliche Größe, die deutlich königliche Züge annimmt, wie sie schon in V. 13 angedeutet waren. Mit 2,1 erfolgt die einzige von vornherein evidente Aussage: Juda, hier explizit mit Namen genannt, wird von einem Siegesboten zum Feiern
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seiner Feste aufgefordert, und zwar angesichts des definitiven Endes des feindlichen Königs. Nahtlos und wiederum sehr hart schließen sich die folgenden Verse 2,2 f an mit der Beschreibung eines Belagerers, der gegen eine ungenannte weibliche Größe, die angeredet wird (»gegen dich«), offensichtlich Ninive (2,9), heranzieht. 2,3 – in sich mehrdeutig – dient als Begründung der Ankündigung von 2,2. Wie ist diese scheinbar wahllose Nebeneinanderstellung kleiner Untereinheiten, die es alle in der einen oder anderen Weise mit der Befreiung Judas vom Joch ungenannter, übermächtiger Feinde zu tun haben, deren Vernichtung erwartet wird, genauer zu verstehen? Frühere Autoren dachten gern entweder an mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Fragmente (besonders Elliger; zuletzt Perlitt) oder aber an ein Unglück bei der Überlieferung, durch das Zeilen irrtümlich vertauscht worden wären (Duhm, Sellin). Seit Wellhausen hat man häufig die Heilsworte an Juda als literarische Nachträge verstanden, ohne doch mit dieser Annahme schon die Reihenfolge der Einheiten sinnvoll erklärt zu haben. Jedoch gilt, dass die formal so locker zusammengefügten Untereinheiten sachlich eng zusammengehören, wie neben der ihnen gemeinsamen Form der Anrede ihre inhaltliche Ausrichtung zeigt: In allen Untereinheiten geht es darum, dass die überwundene Not »kein zweites Mal« (1,9) bzw. »nie wieder« auftritt. Dieses »Nie wieder« wird den Lesern geradezu penetrant mit doppelter Wiederholung eingeschärft: in 1,12.14 und in 2,1. Sachlich wird damit expliziert, was der Hymnus an seinem End- und Höhepunkt mit »Vernichtung« der Feinde JHWHs bezeichnet hatte (1,8; vgl. V. 9). Außerdem werden 1,9–2,1 auch dadurch zusammengehalten, dass in ihnen die feindliche Macht, die anfangs wie im Hymnus als ein Kollektiv erscheint (V. 9 f.12), immer stärker individuelle Züge annimmt (1,11.13.14; 2,1b). In der neueren Exegese werden vor allem zwei Lösungsmöglichkeiten für den Zusammenhang der zahlreichen Anreden an eine Größe der 2. Pers. Sg. fem. oder mask. diskutiert. Nach Meinung der Mehrheit, die letztlich Wellhausen initiiert und die W. Dietrich (TRE 23,738) ein »Reißverschluß-Verfahren« genannt hat, ergehen die Anreden bewusst abwechselnd an Assur (1,11.14; 2,2) und Juda (1,12 f; 2,1). T. Hieke hat sie am sorgfältigsten begründet, nachdem H. Schulz (Buch N ahum, 15–21) zuvor aufgewiesen hatte, dass die alternierende Reihenfolge der Anreden nicht dem Irrtum eines Schreibers, sondern absichtsvoller Redaktion zu verdanken sei, um »die Befreiung Judas und die Vernichtung des Widersachers Jahwes als einen einzigen Akt« darzustellen (19). (Allerdings hatte Schulz völlig willkürlich Nah 3,1 als Einleitung vor 1,11 gerückt.) Nach Meinung der Minderheit, die als erster W. Rudolph propagiert hat41, richten sich sämtliche Anreden in 2. Pers. Sg. fem. an Juda, unterbrochen nur von der einzigen Anrede an eine 2. Pers. Sg. mask. in 1,14, die dem assyrischen 41
Ihm folgen z. B. Becking, Renaud, Floyd und Fabry.
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König gilt. Dann bildet freilich 2,2 einen Stolperstein, weil mit der Anrede in 2,2 (2. Pers. Sg. fem.) deutlich Ninive (vgl. 2,9) gemeint ist. Rudolph versteht diesen Vers dann auch konsequent als redaktionell gestaltet. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, hängen diese unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten primär an der Mehrdeutigkeit von V. 11. Beide Auffassungen enthalten zutreffende Beobachtungen. Jedoch sind beide je für sich allzu einseitig und können nicht voll überzeugen. Wenn die Mehrzahl der Exegeten im Prinzip Wellhausen folgt, tut sie dies freilich mit einer kleinen Korrektur. Wellhausen hatte vermutet, dass in 1,12–2,3 ein alternierendes System vorliege, bei dem in den Versen mit geraden Ziffern (1,12.14; 2,2) Assur angeredet sei, in den Versen mit ungeraden Ziffern (1,13; 2,1.3) dagegen Juda, und er hatte darüber hinaus angenommen, dass die Heilsworte an Juda sekundär in die Gerichtsworte gegen Assur eingefügt worden seien. Die erwähnte Korrektur besteht darin, dass das Gotteswort in V. 12–13 nach üblicher Ansicht nicht geteilt werden kann und insgesamt an Juda gerichtet ist, so dass sich an dem konsequent alternierenden System Wellhausens Abstriche ergeben. Zugleich versteht sich von selbst, dass eher konservativ eingestellte Exegeten Wellhausens redaktionsgeschichtlicher Lösung des Ineinanders der Anreden nicht gefolgt sind. Unter den mancherlei Sonderauffassungen verdient diejenige Wöhrles (Abschluss, 24–39), dem Kratz (Pescher Nahum, 139) folgt, besondere Erwähnung. Für Wöhrle und Kratz (vgl. zuvor Marti und J. M. P. Smith) wird in 1,9–2,3 durchgehend Juda angeredet, freilich für Wöhrle so, dass die Gerichtsansagen auf ein schon vergangenes und für den Text abgeschlossenes Unheil verwiesen, die Heilsansagen auf das bevorstehende Glück Judas, das aber für den Propheten nur durch das Gericht hindurch vorstellbar sei. Diese Sicht scheitert vor allem an V. 14, einem Vers, der sich aufgrund seiner Traditionsgeschichte nicht kollektiv deuten lässt, so dass man die Anrede hier nicht mit Wöhrle und Kratz an die Anreden der vorangehenden Verse angleichen kann.
In einer Situation mit verschiedenen Deutungsmöglichkeiten empfiehlt es sich, mit dem relativ Gesicherten einzusetzen. Deutlich erscheint zunächst die Abgrenzung der Anrede-Einheit. An ihren beiden Rändern finden sich nämlich jeweils Brückenverse, die die Anrede-Einheit mit dem voran gehenden hymnischen Abschnitt 1,2–8 bzw. mit der folgenden Groß-Einheit 2,4–14 verbinden. 1. Eine solche Brückenfunktion nehmen eingangs die Verse 1,9 f wahr, die einzigen Verse, die sich an pluralische Adressaten richten. In ihnen wird der vorangehende hymnische Abschnitt zweimal wörtlich aufgegriffen: mit der Wendung »Vernichtung bringt er« und mit dem Begriff der »Not« ( ;)צרהzugleich wird mit der Frage: »Was für Gedanken richtet ihr gegen JHWH?« fast wörtlich an die folgende Untereinheit V. 11 (»… der Böses gegen JHWH plante«, jeweils Wurzel )חשבangespielt. 2. Eine entsprechende Brückenfunktion nimmt am Ende der AnredeEinheit 2,2 ein. Einerseits ist er der letzte Vers, der eine Anrede bietet (wie die meisten Verse zuvor: 2. Pers. Sg. fem.), andererseits ist er als Einleitung
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von 2,4 ff unentbehrlich. 2,4 stellt deutlich keinen Anfang einer neuen Einheit dar; das Suffix »seine Helden« bezieht sich auf Vorangehendes zurück. Der Beginn der neuen Einheit liegt vielmehr in 2,2, wo ein »Zerschmetterer« bzw. »Zerstreuer« eingeführt wird, der mit Belagerungsmaschinen gegen eine Stadt loszieht, die im Kontext deutlich als Ninive (2,9) erkennbar wird. Die kurze Anrede in 2,2a, die im Folgenden keinerlei Fortsetzung findet – genauer: erst wieder im abschließenden Vers 2,14 – dient offensichtlich dazu, einen scharfen Kontrast zu 2,1 (»Feiere, Juda, deine Feste!«) zu formulieren. Dem feiernden Juda wird in 2,2 ff das belagerte Ninive entgegengestellt, von dem so viel Unheil für Juda ausgegangen war. Dieser Kontrast ist dem Text so wichtig, dass V. 3, der sachlich auf 1,9–2,1 – und nicht auf 2,2.4–14 – bezogen ist, als Begründung an V. 2 angefügt wird. Die Anrede-Einheit im engeren Sinn umfasst also die Kern-Verse 1 ,11–2,1. Die Verse 1,9 f bieten deren Einleitung, indem sie sie mit den hymnischen Versen 1,2–8 verbinden, 2,2 f leiten 2,4 ff ein und verknüpfen diese mit 1,9–2,1. In der Verszählung von G und V wird 2,1 MT daher aus gutem Grund als 1,15 geführt.42 Die Kern-Verse der Einheit, 1,11–2,1 sind mehrheitlich an eine kollek tive Größe in der 2. Pers. Sg. fem. gerichtet (Ausnahme 1,14). Wer ist gemeint? 1. Eindeutig auf Juda zielen im Zentrum der Einheit das göttliche Heilswort 1,12 f und die Aufforderung zum Feiern der Feste; allerdings wird Juda nur abschließend in 2,1 namentlich genannt. 2. Diese sachlich zusammengehörigen Verse werden aber in 1,14 getrennt durch den Vers mit der Anrede an eine 2. Pers. Sg. mask., deren Adressat wiederum ungenannt bleibt. Im Kontext bezieht sich die Anrede zurück auf das Suffix in V. 13 (»sein Joch«) und auf V. 11 mit seiner Bezeichnung eines Mannes, »der Böses gegen JHWH plante«. V. 14 verweist also über das Heilswort V. 12 f hinweg auf V. 11. Sachlich hat die göttliche Gerichtsankündigung V. 14 offensichtlich einen Einzelnen im Blick (vgl. »Name« bzw. »Grab«), aufgrund der erwähnten Bezüge am ehesten den König der Juda unterdrückenden Macht. 3. Als Kern aller unterschiedlichen Deutungen und Dissense bleibt die Frage, wer in V. 11 mit der 2. Pers. Sg. fem. angeredet ist. Die Unklarheit der Adressatin hängt damit zusammen, dass der Beginn des Verses mehrdeutig ist, und zwar möglicherweise bewusst. Das Verb » יצאheraus gehen« umfasst ein breites Spektrum an Bedeutungen und kann daher sehr unterschiedlich übersetzt werden. Es kann zudem je nach Vokalisation der Konsonanten mit MT vergangenheitlich oder mit G futurisch aufgefasst werden. In der Vergangenheit kann es bedeuten: »Aus dir ging hervor (der Böses gegen JHWH plante)«; dann wäre Ninive gemeint und ein guter Bezug zu V. 14 gegeben. Es kann aber auch besagen: »Aus dir ist ausgezogen …«; dann wäre Juda bzw. Jerusalem im Blick und ein enger 42
Vgl. Genaueres dazu bei Barthélemy, Critique textuelle III, 797 f.
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Bezug zu 1,12 f und 2,1 geschaffen.43 Versteht man das Verb mit G futurisch, käme nur letztgenannte Bedeutung in Frage. Es scheint mir eine Schwäche zahlreicher Auslegungen bis in die Gegenwart hinein zu sein, dass sie sich zu früh auf einen Sinn von V. 11 festlegen, ohne die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten genügend gegeneinander abgewogen zu haben. Wie immer man aber den mehrdeutigen Vers interpretiert, sicher ist, dass er die männliche Gestalt einführt, die im Zentrum der Verse 13 und 14 steht und deren beseitigte Macht in 2,1 f gefeiert wird. 4. Die Mehrdeutigkeit von V. 11, mit dem die Kern-Einheit 1,11–2,1 einsetzt, wird vermutlich vom Verfasser des Textes beabsichtigt sein. Jedenfalls wird das Rätsel der ständig angeredeten, aber zunächst nicht benannten Größe der 2. Pers. Sg. fem. (Ausnahme 1,14) bewusst erst am Ende in 2,1 gelüftet, wo nun »Juda« feierlich explizit namentlich angesprochen wird. Folgt man dem Gedanken einer absichtsvoll anfangs verhüllenden und allmählich evidenter werdenden Darlegung des Heils, müsste Juda auch in 1,11 gemeint sein (»Aus dir ist ausgezogen / abgezogen …« bzw. eher: »Aus dir wird ausziehen / abziehen der Böses gegen JHWH plante«). Jedoch ist das göttliche Gerichtswort 1,14, das mit seiner Anrede der 2. Pers. Sg. mask. aus dem Rahmen fällt, eng auf die Anklage in 1,11 bezogen und ohne 1,11 kaum verständlich. Rückwärts von 1,14 her gelesen, liegt eine Deutung der in 1,11 angeredeten Größe auf Ninive (»aus dir ging hervor / entstammt, der Böses gegen JHWH plante«) weit näher als ein Heilswort an Juda. Beide Deutungen ergeben somit einen guten Sinn, schließen sich gegenseitig aber aus. Dieser Sachverhalt legt ein Verständnis des Verses nahe, demgemäß ein älterer Sinn (Bezug der angeredeten Größe auf Ninive und enger Anschluss an V. 14) von einer jüngeren Aussage (Bezug der angeredeten Größe auf Juda und Zusammenhang mit dem Heilswort V. 12 f) überlagert wurde. Ort Der Ertrag dieser Überlegungen besteht in einer fünffachen Erkenntnis: 1. Es handelt sich bei den Versen 1,9–2,1 zwar um eine Zusammenstellung mehrerer formal zu unterscheidender Untereinheiten, aber keineswegs um eine beliebige Sammlung, sondern um eine absichtsvoll gestaltete Komposition. 2. Der Abschnitt 1,11–2,1 scheint sich einer schrittweise enthüllenden Sprache zu bedienen: von einem mehrdeutigen Text in 1,11 zu klareren Anreden in 1,12–14 hin zur evidenten Aufforderung an das nun explizit genannte Juda zum Feiern seiner Feste, Ziel- und Höhepunkt der Einheit. Hand in Hand mit der immer deutlicher werdenden Identität der Angeredeten geht die immer stärkere Akzentverlagerung der Feinde von kollektiven Vorstellungen (V. 10.12) hin zur Fokussierung auf einen Einzelnen (V. 11.13.14; 2,1). 43 Eine noch einmal andere, m. E. abwegige Deutung hat T. Longman vorgeschlagen, nach dem V. 11 besagen würde, dass Gott aus Ninive ausgezogen sei!
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3. Hinter den Versen 1,11.14 verbirgt sich ein älterer Text, der, offensichtlich schriftlich überliefert, mit veränderten Akzenten in einen neuen Kontext integriert wurde. Damit wird seine ungewöhnliche Einleitung – Legimitation durch eine früher erfolgte »Verfügung« JHWHs – zusammenhängen. Der Vers wird sich ursprünglich gegen den assyrischen König gerichtet haben, wobei V. 11 die Anklage zu der göttlichen Gerichtsankündigung in V. 14 bot.44 4. In der gegenwärtigen Komposition ist dieser ältere Text durch die Verse 12 f und um ihretwillen aufgesprengt worden, und erst dadurch wurde V. 11 für ein neues Verständnis frei. Die Verse 12 f werden auf diese Weise besonders hervorgehoben; sie dienen im Kontext zur Begründung und Explikation von V. 11, der nun durch V. 12 f – anders als in seinem älteren Sinn – als Verheißung für Juda verstanden wurde. Sachlich wollen die Verse 12 f in ihrer Stellung vor V. 14 betonen, dass die Botschaft von der Befreiung vor diejenige von der Bestrafung des Schuldigen gehört. 5. Diese kühne Neudeutung des (den Lesern möglicherweise vertrauten) V. 11 kommt den Versen 12 f nur zu, weil sie – wie sonst (neben V. 14) nur ganz wenige Worte des N ahumbuches – ein Gotteswort enthalten. Ja, es ist das einzige Gotteswort im Buch, das feierlich mit der Botenspruchformel »So hat JHWH gesprochen« eingeführt wird. Im Unterschied zu den anderen Gottesworten 1,14 und 3,5 f (vgl. 2,14 als dessen Nachbildung) kann 1,12 f aber nie ein Einzelspruch gewesen sein, denn das Suffix in V. 13 »sein Joch« bezieht sich auf V. 11 zurück. Vielmehr bildet 1,12 f die Legitimation der gesamten Einheit und muss daher als Zentrum der Komposition 1,9–2,1 interpretiert werden. So geht das Gotteswort von V. 12 f, das Juda eine so tröstliche Botschaft bringt, literarisch offensichtlich auf den prophetischen Verfasser der Komposition zurück, ja es mag für ihn der Auslöser seiner Schreibtätigkeit geworden sein. Dafür könnte sprechen, dass dieser Prophet sein Leitwort »Nie wieder« sowohl in diesem von ihm empfangenen Gotteswort als auch in dem ihm vorgegebenen göttlichen Gerichtswort gegen den assyrischen König in 1,14 schon vorgefunden hatte, so dass er es auf dem Höhe- und Zielpunkt seines Textes in 2,1, der in zahlreichen Wendungen auf Jes 52 anspielt, noch einmal kräftig hervorheben konnte (vgl. später 2,14). Am Beginn der Komposition hatte er schon mit den Brückenversen 1,9 f, die den Hymnus und V. 11 verbinden, versucht, den Zweifel der Leser an dem definitiven Ende der Feinde JHWHs, das der Hymnus ankündigte, mit der Versicherung zu zerstreuen, dass Judas Not »kein zweites Mal« eintreten werde, weil der Feind »vollständig« ( )מלאvon Gott vernichtet werde. Auf 44 Eine Anrede an den assyrischen König bieten auch das letzte Wort des Nahumbuches, Nah 3,18 f, und ebenso 2,14; beide Texte gehören aber schon der redaktionellen Bearbeitung zu und verwenden den Namen »Assur« (nur 3,18) typologisch.
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diese Weise spiegeln das dreifach hervorgehobene Leitwort »nie wieder« und seine vorangestellte Deutung »kein zweites Mal« sowohl die Hoffnung des prophetischen Autors des Textes auf eine Zeitenwende wider als auch die Hartnäckigkeit des Zweifels der ersten Leser, für die das Nahumbuch zunächst niedergeschrieben wurde. Möglich erscheint mir, dass die Sprunghaftigkeit der Komposition durch den ständigen Wechsel der Perspektive in 2,2–11 angeregt wurde, wo in V. 2 Ninive, in V. 4–6 die Angreifer, in V. 7–9 wieder Ninive, in V. 10 wieder die Angreifer und zuletzt in V. 11 wieder Ninive im Blick der Leser sind. Zeitlich ist die Komposition in die gleiche Epoche wie der vorangehende Psalm anzusetzen und am ehesten auch dem gleichen prophetischen Verfasser zuzuschreiben (vgl. die Erwägungen o. S. 25 f). Wie vor mehr als einem Jahrhundert schon K. Marti, 314, im Kern erkannt hat, greift dieser Verfasser auf ganz verschiedene Texte zurück, deren quasi-kanonische Geltung vorausgesetzt wird: auf früh- (Hos 7,15) und spätprophetische Texte (Jes 52,1.7; Jer 30,8) in V. 9.13 und 2,1, aber auch auf charakteristisch spät-dtr Theologie in V. 12b. Auf den wichtigsten Unterschied zwischen dem alten N ahumwort 1,11.14 und der prophetischen Komposition, die es überliefert und neu deutet, sei abschließend im Vorgriff auf die Einzelexegese verwiesen: Für V. 11 ist der assyrische König »einer, der Böses gegen JHWH plante« und »Widergöttliches im Sinn hatte«; für 2,1 ist der Gegner JHWHs und Judas »der Widergöttliche« selber. Wort 9 Für das Verständnis des Nahumbuches als Ganzem kommt dem Vers 1,9
erhebliche Bedeutung zu. In den ersten drei Worten des Verses wird blitzartig auf die Leser geblickt, für die das Buch geschrieben wurde, und zwar mit einer kurzen rhetorischen Frage, die offensichtlich einen Vorwurf ausdrückt. Spronk hat mit Recht beobachtet, dass eine analoge Frage Ps 52 einleitet. Wie dort der gesamte Psalm zur Widerlegung der Frage dient, so in Nah 1 der gesamte Abschnitt 1,9–2,1. Deutlicher als die anderen Ausleger hat Sweeney das Gewicht der Zweifelsfrage hervorgehoben; für ihn steht nicht nur V. 9 ff, sondern das gesamte Buch Nahum in Auseinandersetzung mit ihr. Jedenfalls erhält 1,9–2,1 durch die Frage auf diese Weise eine geradezu seelsorgerliche Intention, indem die Komposition durch Aufnahme und Verschärfung der Gottesaussagen des Hymnus (V. 9 f) und durch zwei explizite Gottesworte (1,11–14) bemüht ist, die Einstellung der Leser zu verändern und vergewissernd ihre Hoffnung auf Gottes Eingreifen, das die bestehende Not beenden wird, zu wecken und zu verstärken. Allerdings ist die präzise Bedeutung des Vorwurfs des Propheten gegen seine Zeitgenossen umstritten, weil das Verb חשבpi. sehr verschieden wiedergegeben wird. Zahlreiche Ausleger folgen G, S und V und übersetzen »planen gegen«: »Was plant ihr gegen JHWH?« (z. B. Elliger, Keller, Sweeney, Nogalski oder Roberts), was im Kontext aber keinen befriedigend
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klaren Sinn ergibt und manche Exegeten dazu verführt hat, die Frage an die Feinde JHWHs gerichtet zu sehen (Elliger, Cathcart, Becking). Andere übersetzen dem Kontext gemäß: »Was zweifelt ihr an JHWH?« (Rudolph, Wöhrle) bzw. »Was habt ihr für Bedenken gegen JHWH?« (Perlitt), bieten damit aber keine philologisch gestützte Wiedergabe, sondern eine freie Interpretation. Entscheidend für eine präzise Bedeutung des Verbs ist die Beobachtung, dass V. 9 das Verb חשבmit V. 11 gemein hat, die dort vorgegebene Wurzel aber doppelt abwandelt: 1. Wie E. Jenni, Das hebräische Piʽel (1968) 227 plausibel aufgewiesen hat, bedeutet חשבq. (V. 11) allgemein »Pläne schmieden«, während es sich beim pi. um gezielte Haltungen zu bestimmten personalen Objekten handelt. Wesentlich ist dabei, dass diese konkreten Einstellungen nur sehr selten neutral, fast immer dagegen negativ konnotiert sind (vgl. W. Schott roff, THAT I, 644; K. Seybold, ThWAT II, 248 f). Das führt im Kontext zu der Übersetzung: »Welche (negativen) Gedanken« bzw. »welche Vorwürfe richtet ihr gegen JHWH?« 2. Dagegen ist der Wechsel der Präposition von עלzu אלnicht als Milderung der Anklage zu verstehen (Fabry, 144) – אלdient in den Parallelbelegen der gleichen aggressiven Ausrichtung der Pläne wie ( עלHos 7,15; Jer 49,20; 50,45). Dieser Wechsel ist weit eher Indiz für eine literarische Anspielung. Während üblicherweise Menschen gegen Menschen, Völker gegen Völker, auch JHWH gegen Israel »Böses ersinnen« (so V. 11; vgl. Gen 50,20; Ps 41,8; Mi 2,3 u. ö.), ist die ganz ungewöhnliche Anklage, dass Menschen gegen JHWH »(Böses) ersinnen«, nur noch in Hos 7,15 belegt und hier genau wie in Nah 1,9 mit Hilfe des pi. von חשבund der Präposition אלausgedrückt.45 In Hos 7,15 aber steht das Verb in einem Kontext, in dem vorausgehende prophetische Anklagen zusammengefasst und als Vorwürfe formuliert werden, die unmittelbar JHWH selber betreffen: Von »Flucht« vor JHWH und »Rebellion« ( )פשעgegen ihn ist die Rede (V. 13), von »Entfernung« von ihm (סור, V. 14) und von Hinwendung zu anderen Mächten (V. 16). Das »Planen gegen JHWH« ist in diesem Kontext eine Form der Abtrünnigkeit von JHWH, der Verwechslung JHWHs mit Baal und damit der Verleugnung JHWHs. Die Problematik einer Verwechslung JHWHs mit Baal war allerdings zur Zeit der Abfassung des Nahumbuches schon lange nicht mehr akut. Aber der Prophet bzw. der prophetische Kreis, der es niedergeschrieben hat, ist der Auffassung, dass der Zweifel, der der prophetischen Botschaft von Gottes baldigem Eingreifen entgegenschlägt, in gleicher Weise eine Verleugnung des lebendigen Gottes darstellt wie die Verwechslung JHWHs mit Baal zu Hoseas Zeiten und wie das Planen des Feindes gegen JHWH in V. 11 (vgl. Renaud, 203 f). Dieser Zweifel verweigert einerseits dem prophetischen Wort das Vertrauen und degradiert Gott zu einer 45 Entfernt vergleichbar ist Ps 21,12, wo Feinde JHWHs und des Königs gegen sie »Tückisches planen« ( חשבq.); vgl. inhaltlich Ps 2,2b (mit verwandter Terminologie).
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schweigenden Schicksalsmacht, und er bestreitet andererseits das Wesen Gottes als eines (für sein Volk) »eifernden« und zornigen »Rächers«, mit dem der Hymnus einsetzte (V. 2) und aus dem er das bevorstehende Eingreifen Gottes gegen seine Feinde folgerte. Darum schärft nun der Prophet als Entgegnung noch einmal ein, dass Gott die gegenwärtige Not definitiv beenden wird, und er greift betont die Sprache der letzten Zeile des Hymnus wieder auf. Der Begriff der »Vernichtung« ( )כלהwird wie im Hymnus syntaktisch betont vorangestellt, ja der Hymnus wird im Hebräischen insofern noch gesteigert, als das Verb, mit dem die Vernichtung angesagt wurde, ins Partizip transponiert wird: Gott ist schon im Begriff, seine Ankündigung wahrzumachen. Und um die Gewissheit seines Eingreifens noch weiter zu verstärken, wird in V. 9b der Leitbegriff des ganzen Abschnitts (»nie wieder«: 1,12.14; 2,1) steigernd eingeführt: »Kein zweites Mal« wird eine »Not« wie die gegenwärtige (vgl. 1,7) entstehen. Gedanklich wird damit an den Bericht von der Sintflut angespielt (Fabry), von der im Alten Testament nur dazu die Rede ist, um ihr Eintreffen durch Gottes Selbstbindung für alle Zukunft auszuschließen, und – sachlich noch wichtiger – an die Steigerung des Sintflutberichtes in Jes 54,9 f: Gott schränkt hier nicht nur seine Allmacht ein, indem er den Bestand der Welt trotz schwerster menschlicher Schuld garantiert, sondern er schränkt auch eine künftige Bestrafung seines schuldigen Volkes ein: Eine Gottesferne wie im Exil wird nie wieder eintreten. 10 V. 10 begründet V. 9 und verstärkt die Gewissheit, die V. 9 den Lesern vermitteln will, durch anschauliche Vergleiche für den Untergang der Feinde. Näherhin sind es drei Bilder, die das Vertrauen in die Botschaft des Propheten stützen wollen. Da die Vergleiche des Propheten jedoch Wortspiele verwenden, die sich der Stilform der Alliteration bedienen und dazu noch seltene Begriffe benutzen, die offensichtlich schon frühen Tradenten nicht mehr voll verständlich waren, lässt sich nur das letzte der drei Bilder sicher auslegen. Es will die Aussage des Hymnus von V. 6 verdeutlichen, indem es die leichte Entflammbarkeit dürren Strohs als Vergleich heranzieht, die auch andernorts häufig dazu dient, das schnelle und restlose Ende von Feinden auszumalen (Ex 15,7; Jes 5,24; 47,14; Joel 2,5 u. ö.), wobei das Perf. wie auch in V. 12a und in 2,1bβ die Faktizität des Angekündigten hervorheben soll (vgl. Ges-K § 106n.o). Demgegenüber wollen die beiden vorangehenden Vergleiche, so verschieden sie sind, eher die Unvermeidbarkeit des Endes der Feinde ausdrücken: Ein Dornengestrüpp lässt sich nicht entwirren, um einzelne Zweige der Vernichtung zu entreißen; Trunkene sind ihrer Taten nicht mächtig und dem Verderben ausgeliefert. Wie auch immer die Vergleiche präzise zu verstehen sind, den Hauptton trägt das letzte Wort des Verses: Die Vernichtung der Feinde wird vollständig sein. Eine Wiederkehr der gegenwärtigen Not (V. 9) ist definitiv ausgeschlossen. 11 Extrem hart schließt sich V. 11 an V. 9 f an, ohne jeden Übergang. Von seiner wohl beabsichtigten Mehrdeutigkeit war schon die Rede. Er muss
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auf zwei verschiedenen Ebenen ausgelegt werden. Die generelle Funktion des Verses in seinem gegenwärtigen Kontext ist allerdings klar: Nachdem der Hymnus pluralisch von »Feinden Gottes« gesprochen hatte (V. 2.8), wird in V. 11 im Singular nun der Erzfeind Gottes eingeführt. Ganz ent sprechend ist im folgenden Gotteswort zunächst (V. 12) wieder im Plural von den Feinden die Rede, bevor in V. 13 auf den Erzfeind im Singular geblickt wird, der im Folgenden (V. 14 und 2,1) allein in den Vordergrund tritt. Das Gerichtswort gegen ihn in 1,14 legt nahe, dass ein König im Blick ist, anfangs wahrscheinlich der assyrische König, im gegenwärtigen Kontext der König der bedrückenden Weltmacht. Die Härte des Übergangs ergibt sich vor allem dadurch, dass als erstes Wort (»aus dir«) eine weibliche kollektive Größe – eine Stadt oder ein Land – ohne Namen erwähnt wird, die kein Bezugswort besitzt, wenn man von der weit entfernt stehenden Überschrift (»Ninive«, V. 1) absieht. Im folgenden Kontext wird einzig »Juda« (2,1) genannt, aber auch dieser Name steht in einer gehörigen Entfernung zu 1,11. Das Geheimnisvolle und Rätselhafte der Bezeichnung »aus dir …« ist offensichtlich gewollt. Es wird noch dadurch verstärkt, dass das folgende Verb יצאin sich mehrdeutig ist und dazu noch von seinem Konsonantenbestand her sowohl präterital (MT) als auch zukünftig (G) übersetzt werden kann. Allerdings kann auch MT im Sinne eines sog. perfectum propheticum, mit dem in prophetischen Ankündigungen bei Gott schon festliegende Fakten der Zukunft ausgedrückt werden, futurisch übersetzt werden, wie die Verben in V. 10b.12a und 2,1b zeigen. Grundsätzlich hat das Verb יצא, besonders in Verbindung mit der Präposition מן, den »Ausgangspunkt oder Beginn der Bewegung im Blick« (Preuß, ThWAT III, 798). Wenn es mit der Mehrheit der Ausleger »aus dir ging (der Erzfeind) hervor« wiedergegeben wird, ist Ninive gemeint, wenn aber »aus dir ist (er) abgezogen« bzw. »aus dir wird (er) abziehen«, ist Juda angeredet. (Rudolph nennt als Stütze Gen 4,16; 44,28; Ex 8,26; die Belege sind noch zahlreicher.) Die intendierte Mehrdeutigkeit hängt am ehesten, wie oben gezeigt, damit zusammen, dass ein älteres Nahumwort (das möglicherweise den ins Auge gefassten Lesern bekannt war) für einen jüngeren Kontext aufgegriffen und neu gedeutet wurde.46 Das ältere N ahumwort (»aus dir [Ninive] ging hervor …«) hätte dann als Einleitung für das göttliche Gerichtswort gegen den assyrischen König in V. 14 gedient. Gegen diese Annahme ist eingewendet worden, dass V. 11 Ninive anredet, V. 14 aber den assyrischen König, beide Verse also nicht nahtlos aneinander anschließen. Man müsste bei der Rekonstruktion einer Abfolge der Verse 11 und 14, die sehr wahrscheinlich ist und von zahlreichen Autoren vertreten wird (z. B. von J. M. P. Smith, Deden, de Vries, Seybold, Perlitt, Wöhrle, Dietrich), dem Vorschlag 46 Ganz fernliegend erscheint mir in einem Kontext, in dem alle Eigennamen peinlich vermieden werden, die historisierende Deutung Rudolphs, Renauds und Fabrys (im Gefolge einiger älterer Ausleger), V. 11 auf den Abzug Sanheribs von der Belagerung Jerusalems 701 v. Chr. zu beziehen.
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Rudolphs folgen und in V. 14 statt »( עליךüber dich«) »( עליוüber ihn«) lesen – im Gegensatz zu Rudolph als Lesart der Rekonstruktion des vermuteten älteren, nicht des überlieferten Textes (s. Textanm. 14a) – oder aber mit Renaud (La composition, 204) die Anrede an den assyrischen König für eine »formulation rhétorique« in einem an Ninive gerichteten Orakel halten.
Wie immer es sich damit verhält, dem überlieferten Text geht es vor allem um eine Charakterisierung des Erzfeindes JHWHs (und Israels). Während ihm die erste Wendung »der Böses gegen JHWH plante« nur allgemein üble Absichten unterstellt (vgl. die Ausführungen zu V. 9 für das Verb חשבq.), führt der zweite mit der Wendung » בליעלim Sinn haben« einen Begriff ein, der die Anklage erheblich steigert und den Handelnden als unmittelbaren Widersacher Gottes charakterisiert. Da der Begriff בליעלdas Ende der Einheit in 2,1b zentral bestimmt und dort in einem Exkurs näher erläutert werden wird, sei hier nur darauf verwiesen, dass er in der übrigen Prophetie des Alten Testaments nie begegnet, also eine Eigenart der Botschaft des N ahumbuches bildet. 12 f Die Verse 12 f enthalten das zentrale Gotteswort, auf das sich die Gewissheit des Propheten stützt, die in allen Versen des 1. Kapitels zum Ausdruck kommt: dass Gott in Kürze sein Volk von seinem Leid befreien werde. Die Masoreten haben es besonders hervorgehoben, indem sie hinter V. 11 eine Setūmāh gesetzt haben, um dem Leser bzw. Vorleser eine Pause zu gewähren, und Seybold sowie Spronk sind ihnen in ihrer Einteilung der Texte des N ahumbuches gefolgt, haben damit freilich V. 11 seines notwendigen Kontextes beraubt. Durch die Verwendung der Botenspruchformel »So hat JHWH gesprochen« unterscheiden sich V. 12 f markant von den Gottesworten der älteren Nahumtexte, die durch die nachgestellte Gottesspruchformel »Spruch JHWHs« angezeigt werden (3,5; vgl. 2,14) bzw. durch die Befehlsformel »JHWH hat befohlen / verfügt« (1,14). Das Gotteswort 1,12 f ist sprachlich ganz auf seinen Kontext hin gestaltet. In V. 12 redet es pluralisch von den Feinden und schließt sich damit an V. 10 (und V. 2.8) an, in V. 13 dagegen spricht es singularisch von dem Erzfeind, wodurch an V. 11 angeknüpft wird. V. 12 f ist offensichtlich hinter V. 11 und vor V. 14 gestellt worden, um V. 9 f (und über diese Verse den einleitenden Hymnus) mit V. 11.14 zu verbinden. Mit dieser Intention unterbricht das Gotteswort die Sinneinheit V. 11.14 des älteren Nahumwortes. 12a Aus V. 12 geht deutlich hervor, dass die Feinde, deren Vernichtung in V. 8 und V. 9 f angekündigt wird, zur Zeit der Prophetie des N ahumbuches noch in voller Stärke ihr Unwesen treiben, noch in uneingeschränkter militärischer Macht (»unversehrt«) und noch in Angst einflößender zahlenmäßiger Ausdehnung. Dieser Zustand wird aber bald beendet sein. Wenn die Feinde wie Schafe »geschoren« werden sollen, so soll mit diesem Bild eine entscheidende Schwächung ausgedrückt werden, die zu völligem Machtverlust führen wird. Möglicherweise wird mit dem Bild aber auch auf den berühmten kühnen Vergleich angespielt, mit dem Jesaja
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Gott als Barbier beschrieben hatte, der sich der Assyrer als Schermesser bedient, um dem schuldigen Israel Kopf- und Barthaare abzurasieren (Jes 7,20, allerdings unter Verwendung eines anderen Verbs). In jedem Fall will das Perfekt wie in V. 10b die Faktizität des bevorstehenden Geschehens hervorheben. Für die Feinde Gottes bedeutet das Scheren den Beginn ihres Endes. Es wird mit einem Verb ( )עברausgedrückt, mit dem der Prophet vielfach spielerisch umgeht: In V. 8 bezeichnet es die »überschwemmenden« tödlichen Wasser, in 2,1 das von Gott definitiv beendete »Hindurchziehen« des Erzfeindes durch das besetzte Juda, hier das »Verschwinden« des Feindes und mit ihm des Leids (vgl. etwa Jes 29,5; Jer 13,24; Ps 144,4).47 V. 12b widmet sich dem Hauptthema der Komposition, dem »Nie wie- 12b der«. Zwar leidet Juda gegenwärtig bittere Not, aber Gott wird sie ein für alle Mal beenden. Neu und überraschend ist dabei, dass ein erstes Mal im Kontext die Vorstellung zum Ausdruck kommt, dass nicht die Feinde Verursacher der Not waren, sondern letztendlich Gott selber und die Feinde nur als seine Werkzeuge agierten. Impliziert ist der Gedanke, dass die von Gott auferlegte Not von Israel verschuldet war. Das Verb ענהII pi. oder hif. »bedrücken, erniedrigen, demütigen« mit Gott als Subjekt, das die genannte Konzeption beinhaltet (vgl. Näheres bei Kutsch), ist nicht zufällig schwerpunktmäßig spät-dtr und im Umfeld der dtr Theologie belegt (1 Kön 8,35; 11,39; 2 Kön 17,20; vgl. Thr 3,31–33; Jes 64,11; Ps 119,75). Vorausgesetzt, aber nicht expliziert ist die Vorstellung Jesajas in Jes 10, dass die Feinde als Werkzeug des Strafgerichts JHWHs den göttlichen Auftrag weit überschritten und in der Folge widergöttliche Politik betrieben haben. Das Ende des göttlichen Strafgerichts an seinem Volk ist daher iden- 13 tisch mit dem Ende der Unterdrückung Judas durch die Weltmacht, deren »Stab« bzw. »Zepter« als Symbol ihrer Herrschaft (S, T) oder aber deren »Joch« als Symbol ihrer politischen Unterdrückung (G, V; vgl. Textanm. 13a) in allernächster Zukunft (»jetzt«) von Gott selber zerstört werden wird. Wäre der Stab im Blick, würde vermutlich auf Jes 10,5 angespielt, wo Assyrien als Strafwerkzeug in JHWHs Hand »mein Zornesstab« genannt wird (so Spronk). Weit eher aber ist im Text das lastende Joch gemeint, das zerbrochen werden wird. Zwar wird das Verb שברauch mit dem Stab als Objekt verwendet (Jes 14,5; Jer 48,17), aber ungleich häufiger, ja geradezu formelhaft (Jeremias, Kultprophetie, 15 f) mit dem Objekt des Joches; hinzu tritt die Beobachtung, dass nur dieses geläufige Bild andernorts zusammen mit dem parallelen Bild des Zerreißens von Stricken belegt ist, und zwar speziell im Buch Jeremia (jeweils wie in Nah 1,13 נתק מוסרות
47 Ein ähnlich spielerischer Umgang gilt der Wurzel שלם: Sie bezeichnet in V. 12a die ungeminderte Vollständigkeit der Heeresmacht der Feinde, in 2,1a das kommende Heil Judas und in 2,1aβ (im pi.) die Erfüllung von Gelübden; vgl. Spronk, 68.
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pi.: Jer 2,20; 5,5; 30,8), wobei Nah 1,12 weitaus am dichtesten an den späten Vers Jer 30,8 anklingt. 14 Die Ankündigung der Befreiung vom Unterdrücker drängt zum Bild des Festes (2,1). Zuvor aber wird das alte, vorgegebene Gerichtswort Gottes gegen den assyrischen König zitiert, das nun auf den hellenistischen Weltherrscher bezogen wird. Es wird mit einem waw-coniunctivum und mit dem Verb צוהpi. »befehlen, verfügen« feierlich eingeleitet und so mit Gottes eigener Autorität versehen, wie sie sonst besonders im Buch Jeremia belegt ist (vgl. Am 6,11; 9,9). Der Herrscher trifft in JHWH auf einen Befehlshaber, der über andersartige Macht verfügt als er selber. Um dieses Gerichtsworts willen war schon in V. 13 nicht mehr von den Feinden generell als Unterdrückern die Rede wie in V. 10 und V. 12a im Gefolge des Hymnus, sondern spezieller von Gottes Erzfeind, dem König, und auch 2,1 konzentriert sich in seinem Bild vom befreiten Juda ganz auf ihn. Diesem Erzfeind werden in V. 14 drei göttliche Strafankündigungen entgegengeschleudert, die, obwohl sie sachlich judäische Leser informieren sollen, um der intendierten Unmittelbarkeit willen in direkter Anrede an den fernen Schuldigen formuliert sind. Die beiden Rahmensätze treffen den Schuldigen persönlich und gehen thematisch weitgehend auf altorientalische Fluchtraditionen zurück. Sie umklammern die mittlere Strafansage, die vornehmlich das Geschick seines Reiches betrifft. Die erste göttliche Strafankündigung sagt dem König das definitive Ende seiner Dynastie an. Sie setzt programmatisch mit dem Leitwort der Komposition »Nie wieder« (1,12; 2,1; vgl. 1,9) ein. Wenn es »nie wieder« Nachkommenschaft geben soll, die den Namen des Königs tragen wird, dann wird dessen Tod nicht nur das Ende seiner Herrschaft bedeuten, sondern auch das Ende seiner Familie und damit seiner Dynastie. Ohne Nachkommen aber werden seine Person und seine Taten bald dem Vergessen preisgegeben sein. So ungewöhnlich diese Ankündigung formuliert ist, so geläufig ist ihr Inhalt in altorientalischen Fluchtraditionen. In ihnen gehören Nachkommenschaft, »Name« und »Gedächtnis« für die Zukunft eines Königs unlöslich zusammen und bilden eine sachliche Einheit – wie auch analog in der Spätzeit beim Segen für Israel (Jes 66,22). Die wichtigsten Parallelen hat Cathcart, Treaty-Curses, 180–182 (vgl. Spronk, 74 f), zusammengetragen. Es handelt sich um geläufige Flüche auf aramäischen und phönizischen Grabinschriften oder am Ende von aramäischen wie akkadischen Verträgen als Sanktionen gegen Eid- bzw. Vertragsbruch oder am Ende von Rechtssammlungen als Sanktionen gegen Ungehorsam. Der häufige Fluch, dass der Schuldige keine Nachkommenschaft haben möge (KAI 13,7 f), kann sehr verschiedenartig formuliert werden, etwa so, dass seine Nachkommenschaft »keinen Namen erben« möge (Sfire I = KAI 222, C 24 f), sein »Name vergessen« (Sfire II = KAI 223, A 4 f) oder »ausgerottet werden« solle (KAI 225,9–11) oder Nachkommenschaft und Name »ausgerottet werden« sollen (KAI 228,13 f), aber auch bildhaft so, dass der Schuldige »weder eine Wurzel nach unten noch Frucht nach oben besitzen« möge (KAI 14,11 f). Im Nachfolgeeid Asarhaddons heißt es: »Möge
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Zarpanitu, die Namen und Nachkommenschaft schenkt, deinen Namen und deine Nachkommenschaft im Land zerstören« (VTE 435 f; vgl. TUAT I/2, 170), und am Ende des Codex Hammurabi im Blick auf einen möglichen ungerechten König der Zukunft: »Enlil, der Herr, der die Geschicke bestimmt, … den Untergang seiner Stadt … Thronwechsel, Tilgung seines Namens und seines Gedenkens (šumšu u zikiršu) aus dem Lande möge er mit seinem gewichtigen Ausspruch befehlen!« (CH rev. XXVI, 53–80; Übersetzung nach R. Borger, TUAT I/1, 78). »Name« und »Gedächtnis« – wir würden heute sagen: Nachruhm – bildeten die Hoffnung eines jeden Königs.
Sehr häufig verbindet sich mit Flüchen dieser Art der Wunsch, dass der Schuldige einen möglichst schändlichen Tod oder ein schmachvolles Begräbnis finden möge. Das ist auch am Ende von Nah 1,14 der Fall, freilich in einer ungewöhnlichen Formulierung, die ohne jede Parallele und vermutlich fehlerhaft überliefert ist. Folgt man MT (und den Vrs.): »Ich setze / bestimme dein Grab«, so würde Gott dem König nur seinen unmittelbar bevorstehenden Tod ansagen und ihm einen speziellen Begräbnisort zuweisen, was wohl implizieren würde, dass er kein Staatsbegräbnis erhalten wird. Von der Lektüre der altorientalischen Flüche herkommend, würde man eher eine härtere Strafe erwarten. Dafür spricht nicht zuletzt, dass die abschließende Begründung der Strafe das Verb קללverwendet, das zwar im q. »unwürdig, verachtenswert, entehrt sein« bedeutet, im pi. aber »verfluchen« und im pu. »verflucht sein«. Der schuldige König ist in Gottes Augen ehrlos, aber unterschwellig klingt auch die Bedeutung mit, dass er »verflucht« ist. Deshalb liegt es nahe, den überlieferten Konsonanten bestand des Verbes, das die göttliche Strafe nennt, nicht mit MT von der Wurzel » שׂיםsetzen, bestimmen« abzuleiten, sondern mit Duhm u. a. von שׁמםhif. »verheeren, zerstören« (s. Textanm. 14b). Eine solche Erklärung würde keineswegs voraussetzen müssen, dass der König schon tot und ehrenvoll begraben sein müsste, wie man dieser Deutung entgegengehalten hat, sondern würde vielmehr besagen, dass es keine Stätte geben werde, an der ihm ein ehrendes Erinnern (mit Errichtung einer Totenstele) zuteilwürde. Es gibt altorientalische Flüche, die das nicht vorhandene bzw. entehrte Grab mit der fehlenden Ruhe der Betroffenen in der Unterwelt in Zusammenhang bringen. Ein verwandter, noch verbreiteterer Fluch besagt, dass der Leichnam des Verfluchten den Raubvögeln zum Fraß dienen soll (Dtn 28,26; Jer 34,20; vgl. D. R. Hillers, Treaty-Curses and Old Testament Prophets: BibOr 64, 1964, 68 f). Welche Schrecken derartige Vorstellungen ewiger Schmach zur Zeit des Alten Testaments mit sich brachten, denen die Ehre eines Menschen – und allemal eines Königs – höchstes Gut war, lässt sich für Menschen nach dem Zeitalter der Aufklärung nur schwer nachempfinden. In Nah 1,14 trifft die fluchartige Strafe allerdings einen Herrscher, der seine Pläne gegen den Herrn der Welt gerichtet hat (V. 11). Andere Interpreten (zuletzt Dietrich, 42) haben den überlieferten Text dadurch verschärfen wollen, dass sie im Gefolge Wellhausens den kurzen Begründungssatz » כי קלותdenn du bist entehrt« als Verschreibung eines
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Begriffs für Schande ( קלוןoder )קיקלוןverstanden: »Ich mache dein Grab zur Schande«, der die Qualität des Grabes deutlicher als ehrlos charakterisieren würde. Sie müssen aber mit diesem Vorschlag weit stärker in den überlieferten Text eingreifen als die zuvor vorgeschlagene Deutung und müssen zusätzlich die Konjunktion כיtilgen. Umklammert von den beiden Strafankündigungen, die dem fremden Herrscher eine ehrlose Zukunft ansagen, steht in der Mitte eine Strafe, die nicht sein persönliches Geschick betrifft und schwerer präzise zu deuten ist. Sie besagt die Tilgung der Götterbilder aus dem Tempel des Herrschers und verwendet im Unterschied zu den Rahmensätzen Sprache und Vorstellungen, die nicht Gemeingut altorientalischen Denkens, sondern spezifisch für das Alte Testament sind. Da im Hebräischen bei einer st.-cstr.-Verbindung ein Pronominalsuffix nicht beim nomen regens, sondern beim nomen rectum zu stehen pflegt, bezieht es sich gemeinhin auf den Gesamtbegriff. Deshalb bedeutet בית אלהיךkaum, wie von zahlreichen Exegeten übersetzt, »Haus deiner Götter«, sondern »dein Gotteshaus«, »dein Tempel«. Dem Begriff ist also nicht zu entnehmen, dass er einen heidnischen Tempel kennzeichnen soll. Zudem drückt das Verb כרתhif. »austilgen« mit Gott als Subjekt, insbesondere wenn es wie hier mit der Präposition מןverknüpft ist, nicht nur den Vorgang der Vernichtung aus, sondern auch den Zustand, der durch sie entsteht – von Haus aus zielt es auf die Reinheit der Gemeinde in Israel –, und die ausgetilgten Objekte פסלund מסכהbezeichnen üblicherweise Götterbilder jedweden Materials, die Israels Beziehung zu seinem Gott erschweren bzw. unmöglich machen (vgl. Dtn 27,15; Ri 17,3 f; Jes 42,17; Hab 2,18). Die »Austilgung« von Götterbildern ist sonst nur in Mi 5,12 und Sach 13,2 belegt (vgl. Lev 26,30 und Sach 9,10, wo ebenfalls Gegenstände und nicht wie üblich Menschen von Gott »ausgetilgt« werden); sie betrifft ausnahmslos Israel. Aus all diesen Gründen scheint die Strafankündigung in V. 14bα am ehesten gegen einen israelitischen König gerichtet zu sein. Dementsprechend habe ich vor nahezu fünf Jahrzehnten vorgeschlagen, dass sich V. 11 und V. 14 von Haus aus gegen Manasse gerichtet hätten (Jeremias, Kultprophetie, 20–25), und einige Exegeten (W. Dietrich in: Ders.u. a. [Hg.], Ein Gott allein? OBO 139 [1994] 470 f; TRE 23, 738; J. Wöhrle, Abschluss, 28 f) sind mir darin gefolgt. Eine Variante dieses Verständnisses bieten diejenigen Ausleger, die in 1,14 die Anspielung auf einen – wie auch immer gearteten – Religionsfrevel erkennen (Seybold, Roth, Floyd). Heute halte ich diese Deutung im Blick auf den Kontext für wenig wahrscheinlich und würde בית אלהיךeher als eine Bezeichnung des assyrischen Staatstempels auffassen. Denkbar wäre auch eine pluralische Deutung wie in בית אבותoder in ( בית במות2 Kön 17,29), wie von Rudolph und Spronk vorgeschlagen. Die Wortwahl des Verbes ( כרתhif. mit der Präposition )מןmüsste dann als Indiz dafür verstanden werden, wie ein Prophet, der in einer Tradition steht, die Menschen in Israel anzureden pflegt, diese Sprache weniger spezifisch in einen neuen, fremden Kontext überträgt (vgl. כרתmit מןin 2,14 und ohne מןin 2,1 und 3,15). l
Fragen muss man angesichts der genannten Parallelen aber, ob die mittlere Strafankündigung in V. 14 dem älteren Nahum-Wort oder nicht eher der Redaktion zuzurechnen ist, der wir die Komposition 1,9–2,1 verdanken.
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Für die letztgenannte Möglichkeit spricht, dass die Redaktion auch in Gestalt von Nah 3,6 ein älteres Nahumwort (3,5) mit kultischer Thematik erweitert hat. Hätte man es mit einem Nahumwort aus dem 7. Jh. zu tun, müsste sachlich an eine Deportation der Statuen der assyrischen Staatsgötter und anderer Götterbilder oder -symbole aus dem Tempel in Ninive als Zeichen eines triumphalen Sieges der Feinde gedacht sein. Die assyrische Praxis derartigen Raubes von Götterstatuen (H. Spieckermann, Juda unter Assur in der Sargonidenzeit, FRLANT 129, 1982, 347 ff) war allgemein bekannt, besonders die als frevelhaft empfundene Deportation der Marduk-Statue aus Babylon. Aber könnte man eine solche Deportation wirklich mit dem Verb כרתhif. »ausrotten«, »austilgen« bezeichnen? Und sollte Nah 1,14 wirklich den einzigen vorexilischen Beleg für die Zusammenstellung der Begriffe »Schnitzbild« und »Gussbild« bieten, die gemeinhin erst in späten Texten (s. o.) erfolgt? Beide Fragen sind doch wohl zu verneinen. Weit eher wird die Erwartung, dass JHWH die Statuen der »assyrischen« (d. h. hellenistischen) Staatsgötter nicht nur deportieren, sondern zerstören werde, um vor den Augen aller Welt zu demonstrieren, wer der Herr der Welt ist, Ergänzung des Propheten der Spätzeit zu dem alten Gerichtswort gegen den assyrischen König sein. War 1,11 rätselhaft und mehrdeutig, musste man bei 1,12 f und 1,14 2,1 fragen, wem denn das jeweilige Gotteswort gelte, weil keine Namen genannt wurden, so ist am Ziel- und Höhepunkt der Komposition in 2,1 nichts mehr unklar; alles liegt in hellstem Licht vor den Lesern. Mit Juda wird – erstmalig – der Adressat des Prophetenwortes namentlich genannt, und auch der Erzfeind Gottes erhält einen Namen – freilich keinen Eigennamen –, nachdem er in 1,11 nur allgemein charakterisiert worden war. Der Aufbau des Verses ist einfach und durchsichtig: Anfangs werden die Augen der Leser auf die Vision eines über die Berge heraneilenden Siegesboten gelenkt, als Folge seiner Heilsbotschaft ergeht im Zentrum des Verses die prophetische Aufforderung an Juda zum Feiern von Festen, die am Schluss mit der Ankündigung des definitiven Endes der Notzeit begründet wird. Die Komposition 1,9–2,1 schließt mit einem letzten, betonten Zitat des Leitworts »Nie wieder«, das schon die Gottesworte 1,12 und 1,14 sowie zuvor in variierter Gestalt den Anfang in 1,9 bestimmt hatte, und dieses Leitwort wird am Ende noch einmal sprachlich gesteigert, indem das Verb יסףhif. »hinzufügen« hinzutritt: »Nie wieder wird er hinzufügen …«, eine Steigerung, die die deutsche Übersetzung nur mit Mühe nachvollziehen kann: »Nie mehr wieder …«. Auch durch weitere Aufnahmen zuvor verwendeter Begriffe erweist 2,1 seinen Charakter als Abschluss der Einheit: Der Name des Erzfeindes greift auf 1,11 zurück, die Ankündigung seiner endgültigen »Austilgung« (Wurzel )כרתweist auf V. 14 hin. Beiden Begriffen wird freilich eine neue Bedeutung zuteil, wie noch zu zeigen ist. Mit der Deixis » הנהschau!« bzw. »da!«, sozusagen einem sprachlich ausgestreckten Zeigefinger, deutet der Prophet in seiner Vision auf einen
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Siegesboten hin, der urplötzlich auf dem Gipfel eines der Berge erscheint, die Jerusalem auf allen seinen Seiten umgeben. Seine Füße stehen für die Schnelligkeit, mit der er heraneilt. Was er zu melden hat, ist mehr als Sieg: Es ist die Botschaft von einem Frieden, der anderes bedeutet als nur das Ende des Krieges; sie kündet von einem beginnenden umfassenden Heil (vgl. zu שלוםG. Gerleman, THAT II, 919–935; H. H. Schmid, TRE 11, 605–610; und besonders F. J. Stendebach, ThWAT VIII, 12–46), das wie in Ps 85 Gerechtigkeit sowie Güte und Zuverlässigkeit aller Bewohner mitumfasst und künftig ungefährdet sein wird (V. 1b). Mit der Wurzel שלם spielt der Prophet: Bedeutet sie im folgenden Satz als Verb die »Erfüllung« der Gelübde und zuvor in V. 12 als Adjektiv die scheinbar noch vorhandene Ganzheit und »Unversehrtheit« der Macht der Feinde, so in 2,1a als Substantiv das uneingeschränkte, alle Bereiche des Lebens betreffende »Heil« Judas. Vom einleitenden Hymnus und insbesondere von 1,7 herkommend, muss freilich jedem Leser bewusst sein, dass ein Juda im Blick ist, dessen Glieder in der Not bei JHWH Bergung gesucht und gefunden haben. Dieses umfassende Heil ist Anlass zum Feiern. Gefeiert werden soll nicht nur ein einmaliges Sieges- und Freudenfest. Vielmehr deuten der Begriff חג, der üblicherweise die dreimal im Jahr stattfindenden Wallfahrtsfeste bezeichnet, das von ihm abgeleitete Verb חגגsowie vor allem der Plural »Feste« darauf hin, dass mit der Ankunft des Siegesboten das Ende der Notzeit markiert werden soll, in der keinerlei Feiern möglich waren.. Was mit einer solchen Zeit des erzwungenen Verzichts auf Festgottesdienste impliziert war, kann man in Joel 1 nachlesen, wo die Gemeinde bitter darüber klagt, in der wirtschaftlichen Not des Heuschreckeneinfalls und der Dürre nicht mehr ihre üblichen Gottesdienste begehen zu können. Wenn im Aufruf des Propheten neben das Feiern die »Erfüllung« der Gelübde ( שלםpi., eigentlich »vervollständigen«, »vollenden«) tritt, so sind Gelübde gemeint, die in äußerster Bedrängnis für den Fall der Wende der Not abgelegt worden sind und deren Einlösung damit ein Merkmal des einsetzenden Heils ist. Das so charakterisierte Heil wird nach V. 1b nicht nur für eine begrenzte Zeit gelten, sondern dauerhaft und endgültig sein. Diese Zielaussage der Einheit wird zuerst mit einem negativen, zuletzt mit einem positiven Satz erläutert, wobei die negative Aussage am Anfang in die Zukunft blickt, während die zweite, positive im Perfekt ein Faktum nennt, das für den visionären Propheten schon Realität ist (vgl. das Perfekt in 1,10b und 1,12a, sozusagen ein Futur II). Beide Aussagen greifen jeweils auf schon zuvor verwendete Begriffe zurück, füllen sie aber mit neuem Inhalt. Der negative Satz, der das Leitwort »Nie wieder« steigert, gebraucht das Verb עבר, das in 1,8 die über die Ufer tretenden, »überschwemmenden« Wasser als Gerichtswerkzeug JHWHs bezeichnet hatte und in 1,12 das Wegtreten, d. h. »Verschwinden« der Feinde. In 2,1b steht es für ein »Durchziehen« des Landes, wie es schon Abraham in Gen 12,6 vollzog (vgl. Jes 8,21; Jer 2,6 u. ö.), aber im Unterschied zu Abraham drückt das Verb in 2,1 einen Akt
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der Herrschaftsausübung und Knechtung der Bewohner aus. Dies wird der Erzfeind »nie mehr wieder« tun können, weil er »ganz und gar ausgetilgt« sein wird. In dieser abschließenden positiven Begründung werden beide Begriffe aus dem Kontext aufgegriffen. » כלהganz und gar« (MT) wird von G als Verb (»er ist vernichtet«) gedeutet. G zeigt mit dieser Interpretation, dass für einen Leser der Ursprache eine Anspielung an die zentrale Ankündigung der »Vernichtung« ( )כלהder Feinde am Ende des Hymnus (1,8) und am Beginn unserer Einheit (1,9) nahelag und zumindest mitgehört wurde. Vielleicht war mit dem Konsonantenbestand von vornherein ein doppeltes Verständnis beabsichtigt. Demgegenüber steigert das abschließende Verb » כרתausrotten, austilgen« die Aussage der vorangehenden Strafankündigung: Wurden in 1,14 (für den Propheten) leblose Götterstatuen »ausgetilgt«, so jetzt ein Mensch, der Erzfeind Gottes, und mit ihm seine ganze Macht. Allerdings sind wir mit der bisherigen Exegese noch an der Oberfläche des Textes geblieben. Zum tieferen Eindringen nötigen vor allem zwei Beobachtungen: 1. Die Formulierung des Textes lehnt sich eng an Jes 52 an. 2. Die Bezeichnung des Erzfeindes mit » בליעלder Widergöttliche« ist im Alten Testament nicht nur ungewöhnlich, sondern singulär. 1. Die enge Verwandtschaft zwischen Nah 2,1 und Jes 52,7a ist immer gesehen worden. Sie betrifft nicht nur einzelne Wortfügungen, sondern den gesamten Satzbau (mit Ausnahme des einleitenden Wortes), so dass eine zufällige Ähnlichkeit ausgeschlossen erscheint und ebenso die gern gegebene Verlegenheitsauskunft, beide Texte griffen eine in der Situation naheliegende Sprache auf oder wiesen auf einen dritten, uns nicht erhaltenen Text zurück.48 So legt sich die Annahme zwingend nahe, dass ein Verfasser der beiden Texte auf den anderen, ihm schon vorliegenden älteren Text Bezug genommen hat. Nah 2,1
Jes 52,7
הנה
מה נאוו
על ההרים רגלי מבשר משמיע שלום
על ההרים רגלי מבשר משמיע שלום
Konservative Forscher, die das Buch N ahum als literarische Einheit betrachten, sehen natürlich Nah 2,1 als den älteren Text an, an den Jes 52 angeknüpft habe. Demgegenüber habe ich schon vor fast einem halben Jahrhundert nachzuweisen versucht, dass Nah 2,1 der nehmende Text ist, 48 So etwa Sellin, Rudolph, Deissler. Unerklärlich bleibt mir, dass sich zahlreiche bedeutende Exegeten, z. B. Wellhausen, Marti, J. M. P. Smith, Horst, mit einem »vgl. Jes 52,7« bei ihrer Auslegung von Nah 2,1 zufrieden geben oder Jes 52,7 gar nicht erwähnen (Elliger, Hieke, R. L. Smith u. a.).
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da Jes 52,7 spezifische Spracheigentümlichkeiten Deuterojesajas zeigt (Kultprophetie, 13–15), und die überwiegende Mehrzahl kritischer Forscher ist mir gefolgt (z. B. Renaud, Lescow, Seybold, Dietrich, Nogalski, Hermisson, Wöhrle, Hagedorn). Wenn Rudolph, 163, Keller, 405 f und Fabry, 151 in ihrer Ablehnung meiner Folgerungen auf den begrenzten Wert von »Sprachstatistiken« verweisen, so haben sie die entscheidende Beobachtung verkannt: Es handelt sich um stilistische und semantische Spracheigentümlichkeiten Deuterojesajas, die bis in die syntaktische Gliederung der Sätze reicht. Die Vermutung, dass Nah 2,1 auf Jes 52,7 zurückgreift, wird zur Gewissheit durch die Beobachtung, dass auch Nah 1,2b und Jes 52,1b weithin sprachlich miteinander übereinstimmen: Nah 2,1b
Jes 52,1b
כי לא יוסיף עוד לעבור בך
כי לא יוסיף יבא בך עוד
Hier ist nur das Allerweltswort בואin Jes 52,1b durch das in Nah 1 geläufige Verb עברersetzt.49 »Dass wiederum N ahum traditionsgeschichtlich von Deuterojesaja abhängig ist und nicht dieser von jenem, erhellt daraus, dass a) Nah 2,1b die ungewöhnliche syntaktische Stellung des עודvon Jes 52,1b in die übliche umsetzt, wodurch aus dem synthetischen par. membr. in Jes 52,1bβ in Nah 2,1bα ein prosaartiger Satz wird, [und] dass b) Nah 2,1b die für Deuterojesaja typische Asyndese יוסיף יבאdurch eine viel geläufigere Infinitivkonstruktion ersetzt …« (Jeremias, Kultprophetie, 14).
Zum Wesen der Übernahme gehört, dass das Subjekt des Satzes neu bestimmt wird (»der Widergöttliche«) und das ihm zugeschriebene Geschick (ein Satzglied, das in Jes 52,1 fehlt) mit Begriffen beschrieben wird, die fest im Nahumbuch verankert sind. Sind aber Anfang und Ende in Nah 2,1 aktualisierend aus Jes 52 entnommen, so wird man auch den Aufruf zum Feiern der Feste als Abwandlung von Jes 52,1bα zu betrachten haben, wo Zion aufgefordert wird, die Festkleider anzulegen, nachdem es die »Fesseln« von seinem Hals abgeschüttelt hat (Jes 52,2; vgl. Nah 1,13!).50 Was besagt dann eine solche übernommene und aktualisierte Ankündigung? Sehr wahrscheinlich setzt sie die Kenntnis von Jes 52 bei den Lesern voraus, wofür insbesondere das plastische Bild der eilenden Füße des Freudenboten spricht. Dann aber muss der Anspruch des Textes sein, 49 Denkbar ist auch, dass bei der Wahl des Verbs עברzusätzlicher Einfluss von Joel 4,17 vorliegt, wo ebenfalls Jes 52,1b abgewandelt und das Verb עברverwendet wird (»Jeru salem wird heilig sein, so dass nie mehr wieder Fremde durch es hindurchziehen werden«). 50 Im Blick auf Jes 52 ist zu berücksichtigen, dass die Prosaverse Jes 52,3–6 ein später Zusatz zu 52,1 f.7–10 sind. Wie eng Jes 52,1 f.7–10 zusammengehören, hat Hermisson, 293 f gezeigt.
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dass sich zur Zeit der Abfassung des Nahumbuches die Vision des großen Freudenboten unter den Exilspropheten zu erfüllen beginnt. Die Befreiung von den Babyloniern und der Beginn der persischen Friedenszeit waren im Licht des Nahumbuches Angeld des Heils, aber noch nicht das Heil selber, das erst jetzt – mit der Befreiung vom hellenistischen Unterdrücker – einsetzen wird. Nach Jes 52,7–10 wird es in der Sichtbarkeit des universalen Königtums JHWHs gipfeln. Dem Nahumbuch ist die Vision des Exilspropheten zur Verheißung für die eigene Zeit geworden, deren Erfüllung unmittelbar bevorsteht, wie es analog auch für die Erwartungen des älteren Propheten Nahum gilt, mit denen das Buch in Nah 2,2 ff fortfährt. 2. Am Ende der Einheit wird der Erzfeind Gottes und Judas überrasch end erstmalig benannt, und zwar mit einem Begriff – בליעל, »der Wider göttliche« (im Folgenden: Belial) –, der zuvor in 1,11 die negativen Intentionen des Feindes und seiner Taten charakterisiert hatte. Das ist insofern überaus bemerkenswert, als Belial im gesamten übrigen Alten Testament nie einen Menschen selbst, sondern gemeinhin seine Eigenschaften bezeichnet. Üblicherweise werden Menschen syntaktisch in einer statusconstructus-Verbindung attributiv als »Belial-Menschen«, »Belial-Söhne« bzw. »Belial-Töchter« charakterisiert. In Nah 2,1 aber wird dieser Begriff absolut verwendet, d. h. er dient als Bezeichnung einer Person, ja er wird geradezu zum Eigennamen.51 Dagegen ist die Personifikation von Belial in den nach-alttestamentlichen Schriften die übliche, besonders in den Qumranschriften und in den Pseudepigraphen (hier meist Beliar wie in 2 Kor 6,15). Die Differenz zwischen Nah 2,1 und den anderen Belegen des Alten Testaments, obwohl von der Mehrzahl der Exegeten übergangen oder gering eingeschätzt, ist für das Verständnis von Nah 1,9–2,1 und für das Nahumbuch im Ganzen von höchstem Gewicht. Nah 2,1 bildet für das gesamte Alte Testament den Höhe- und Zielpunkt aller Charakterisierungen von Einzelnen oder Gruppen als »Belial-Menschen«. Exkurs: Belial J. A. Emerton, Sheol and the Sons of Belial: VT 37 (1987) 214–217. – K. Galling, Belial: RGG3 I (1957) 1025 f. – T. H. Gaster, Belial: IDB 1 (1962) 377. – J. E. Hogg, »Belial« in the Old Testament: AJSL 44 (1927/28) 56–58. – H. W. Huppenbauer, Belial in den Qumrantexten: ThZ 15 (1959) 81–89. – C. R. Koester, Belial: NIB 1 (2006) 421. – T. J. Lewis, Belial: ABD I (1992) 654–656. – M. Limbeck, Belial: NBL 1 (1991) 267. – V. Maag, Belija῾al im Alten Testament: ThZ 21 (1965) 287– 299 = Ders., Kultur, Kulturkontakt und Religion, Ges. St., Göttingen 1980, 221– 51 Auch in 2 Sam 23,6 und in Hi 34,18 steht der Begriff für sich, ohne dass es sich um einen vergleichbaren Gebrauch des Begriffs handelt, da in beiden Fällen keine Einzelperson, sondern der Typos eines ungerechten Königs qualifiziert wird und die Bezugsworte משלbzw. מלךaus dem Kontext vom Leser mitgehört werden. 2 Sam 23,6, möglicherweise auch Hi 34,18, war dem Verfasser von Nah 1,2–2,1 schon vorgegeben, so dass ihm die königlichen Assoziationen des Begriffs vertraut waren.
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233. – P. von der Osten-Sacken, Gott und Belial: SUNT 6 (1969) 73–78. – B. Otzen, בליעל: ThWAT I (1973) 654–658. – S. D. Sperling, Belial. » בליעלwickedness«: K. van der Toorn u. a. (Hg.), Dictionary of Deities and Demons in the Bible (1995) 322–327. – D. W. Thomas, בליעלin the Old Testament: Biblical and Patristical Studies in Memory of R. P. Casey (1963) 11–19. – N. J. Tromp, Primitive Conceptions of Death and Netherworld in the Old Testament: BibOr 21 (1969) 125–128. Nachdem Belial in Nah 2,1 einmal personifiziert worden war, lässt sich die Entwicklung des Begriffs besonders in den Qumranschriften gut verfolgen (Huppenbauer). Während er in den Hodayot noch wie im Alten Testament – abgesehen von Nah 2,1 – die Qualität eines Menschen beschreibt, bezeichnet er in der Kriegsrolle »den eschatologischen Anführer all jener Mächte, die sich die endgültige Vernichtung des auserwählten Volkes zum Ziel gesetzt hatten« (Limbeck), wobei stellenweise ein irdischer Herrscher als endzeitlicher Feind Gottes gemeint sein kann, zumeist aber in einem dualistischen Szenarium der Anführer der »Söhne der Finsternis«, die gegen die »Söhne des Lichts« Krieg führen, im Blick ist (Huppenbauer, 86 f. 89; von der Osten-Sacken, 73–78). Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt, bis Belial in den Pseudepigraphen – vornehmlich in TestXII, Jub, MartJes und in den VitProph – zur Bezeichnung des Gegenspielers Gottes wurde, zum Satan, der die Menschen zur Sünde verleiten will. V übersetzt daher den hebräischen Begriff in 1 Kön 21,13 mit diabolus, während sie üblicherweise Belial transskribiert. Nah 2,1 steht an der Schwelle zu dieser Bedeutungsentwicklung. An allen übrigen 26 Belegen im Alten Testament ist Belial der Begriff für ein Abstraktum (Emerton), das, gemeinhin in cstr.-Verbindungen und gelegentlich auch mit Artikel verwendet, die negative Qualität von Menschen und seltener (wie in Nah 1,11) ihrer Gedanken und Pläne charakterisiert; nur in den Psalmen steht er für Erfahrungen im Todesbereich. Belial-Menschen zeichnet eine »grundtiefe sittliche Verdorbenheit« aus (F. Delitzsch zu Ps 18,5); sie sind Menschen »who commit the most heinous crimes against the Israelite religion or social order« (Sperling, 322); B elial ist etwas, »was die Schutzdämme gedeihlichen Daseins negiert, was grundsätzlich auflösend, destruktiv, chaotisch wirkt«, kurz: »was urböse ist« (Maag, 229). Wie die chaotischen Wasser Belial-Qualitäten besitzen (Ps 18,5 par. 2 Sam 22,5), so zerstören Belial-Menschen Gottes gute Ordnung, sowohl das Miteinander unter Menschen als auch die Beziehung der Menschen zu Gott. Dabei birgt der Begriff Belial bis heute noch manche ungelöste Rätsel in sich. Schon seine Etymologie ist umstritten. Die beiden wahrscheinlichsten Möglichkeiten – unter mehreren anderen (vgl. Tromp, 125 f; Otzen, 654 f; HAL, 128) – sind, dass er entweder aus der Verneinung בליund einem Substantiv der Wurzel » יעלGedeihen, Nutzen«, zusammengesetzt ist, also »Nichtsnutzigkeit« signalisiert (so z. B. J. Pedersen, Israel I–II, 1926, 431 f; Galling), oder aber von der Wurzel » בלעverschlingen« abgeleitet ist (D. W. Thomas u. a.). Die eine Lösung führt zu einem eher »profanen«, die andere zu einem eher »mythologischen« Ursprung des Begriffs. Entsprechend divergent sind auch die Belege. Die weitaus meisten entstammen den Geschichtsbüchern. Die Texte bezeichnen hier mit Belial eine Form der Schlechtigkeit und Bosheit, die von Alltagsvergehen bis zu widerlichen Gräueltaten reichen und auch Taten einschließen, die sich unmittelbar gegen Gott richten. Manche Handlungen von Menschen, denen Belial-Qualität zugeschrieben wird, sind nur »unwürdig«, andere dagegen zumindest »verwerflich«, wieder andere, die Gott direkt betref-
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fen, »ruchlos« und »widergöttlich«. In jedem dieser Fälle aber werden Grundlagen der Gesellschaftsordnung verletzt. In die erste Kategorie fallen Disqualifizierungen eines Toren wie Nabal, der sich in seinem Starrsinn weigert, Davids Bitte zu erfüllen und sich damit in äußerste Gefahr bringt (1 Sam 15,17.25), in die zweite Taten wie Schebas Aufstand gegen David (2 Sam 20,1) oder die sexuelle Schandtat der Einwohner von Gibea (Ri 19,22; 20,13); vor allem aber gilt sie für falsche Zeugen, die »das Recht verspotten« (Prv 19,28; 1 Kön 21,10.13). Gott selbst beleidigen Belial-Menschen, die den von ihm erwählten König verachten (1 Sam 10,27), betrunken das Gotteshaus betreten (1 Sam 1,16), die kultischen Regeln sträflich missachten wie die Söhne Elis (1 Sam 2,12) oder gar zum Bruch des 1. Gebotes und zur Anbetung fremder Götter verführen wollen (Dtn 13,14). Andererseits gibt es in den Psalmen Belege, die eine mythologische Komponente des Begriffs Belial offenlegen; von ihnen her lässt sich leichter erklären, wie Belial in nach-alttestamentlicher Zeit personifiziert werden konnte. Viele Exegeten suchen den Ursprung des Begriffs daher im Mythologischen (Galling, Maag, Sperling, Tromp). Am deutlichsten gilt das Gesagte für Ps 18,5 f par. 2 Sam 22,5 f: Mich umfingen Stricke (bzw. Brecher: 2 Sam 22) des Todes, Belial-Ströme erschreckten mich; Bande der Unterwelt schnürten mich ein, es überfielen mich Schlingen des Todes. Die Belial-Qualifikation steht parallel zu Tod und Unterwelt; Belial ist hier ein Merkmal der Todeswelt. Die Belial-Ströme sind Wasser der Chaos-Mächte, sie sind Ströme des Verderbens, die den Beter mit Gewalt in den Bereich des Todes hinabziehen, wo die Mächte der Unterwelt ihre Fesseln um ihn legen, um sein Leben zu ersticken. Entsprechend wünschen Feinde in Ps 41,9, dass »tödliches Verderben« ( )לעילב רבדüber einen Menschen ausgegossen wird; dann ist dem Fallenden ein Aufstehen nicht mehr möglich.
Die genannten Belege aus den Psalmen zeigen einerseits, dass beim Begriff Belial mythologische Untertöne zumindest mitklingen, andererseits, dass Belial nicht nur eine Gemeinschaft zerstörende Qualität des Handelns von Menschen bezeichnet, sondern auch eine Verderben bringende und tödliche. Der Belial von Nah 2,1 ist eine Verkörperung beider Aspekte des Begriffs.
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, dass der Sieg, von dem Nah 2,1 kündet, mehr ist als ein Triumph auf politischer Ebene: Es ist der Sieg Gottes über den Bösen schlechthin, der sich »nie mehr wieder« erheben wird.52 Mit dem Ende Belials bricht die Heilszeit Gottes an. Nah 2,1 ist auf diese Weise zum Sprungbrett für die Bedeutungsentwicklung des Begriffs Belial in nach-alttestamentlicher Zeit geworden, die bis zum Namen für den Satan führt. Ohne Nah 2,1 wäre diese Entwicklung kaum verständlich. Gewiss denkt Nah 2,1 im Unterschied zu den nach-alttestamentlichen Texten an einen rein innerweltlichen Gegner Gottes; aber dieser Gegner nimmt schon Züge eines »letzten Feindes« an. 52 Entfernt vergleichbar ist das Moselied Ex 15, in dem aus der gelungenen Flucht der Israeliten vor der militärischen Übermacht der Ägypter ein Kampf JHWHs gegen den Pharao geworden ist.
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Bedauerlich ist, dass zahlreiche Autoren die Differenz zwischen Nah 1,11 und Nah 2,1 in der Verwendung des Begriffs Belial durch Harmonisierung zu überspielen versuchen. Entweder wird 1,11 von 2,1 her gedeutet und in 1,11 von einem »Ratgeber Belials« gesprochen (so etwa Cathcart, N ahum, 62; Seybold, 23; Christensen, 242; Dietrich, 39.48), wodurch der evidente Parallelismus membrorum in 1,11a.b zerstört wird, oder man deutet 2,1 von 1,11 her. Das aber ist nur möglich, wenn man mit Sweeney בליעלauch in 2,1 als Begriff für ein Abstraktum versteht, so dass dann »worthlessness« nie mehr wieder durch Juda hindurchziehen wird – angesichts des absolut stehenden Abstraktums als Subjekt des Satzes eine höchst fragwürdige Interpretation –, und Sweeney selbst ist es unwohl bei seiner Auslegung, zu der er nur greift, weil ihm eine Spätdatierung von Nah 2,1 unmöglich erscheint. Deutlich tritt ein Vorverständnis, das keine Differenzierung zulässt, bei Rudolph zutage: Zu 1,11 erklärt er, dass Belial »im ganzen Alten Testament Appellativum« sei (159), um zu 2,1 den Text in seinem Sinne durch Zufügung eines ( בןim Anschluss an Graham und Horst) so zu »verbessern« (160), dass der Vers mit seiner Theorie übereinstimmt. Ein bedachter und sorgfältiger Exeget wie Spronk, der die Differenz zwischen 1,11 und 2,1 deutlich wahrnimmt, greift zur literarkritischen Schere und erklärt 2,1bα ohne Not (mit Seybold) als Zusatz. Ziel Der Abschnitt Nah 1,9–2,1 lässt einen Leser bei erster, flüchtiger Betrach-
tung verwirrt zurück. Bei näherem Zusehen erweist sich jedoch die scheinbar beliebige Zusammenstellung von Einzelworten als eine ausgeklügelte Komposition, an deren Anfang der Zweifel der ersten Leser steht, deren Zentrum zwei ineinander verwobene Gottesworte bilden und die mit dem Jubel über die Nachricht eines Freudenboten abgeschlossen wird. Eine geheimnisvolle, anfangs (V. 11) absichtlich verhüllende Diktion beherrscht den Gedankengang: Erst im Abschlussvers wird Juda als Empfänger des göttlichen Sieges mit Namen genannt, und der Feind Gottes wird mit einem Begriff bezeichnet, der ihn in seinem Wesen charakterisiert. Den Anfang bildet der Zweifel der ersten Leser, die in 1,9 – und nur hier im N ahumbuch – direkt angeredet werden. Er wird vom Propheten ungewöhnlich hart verurteilt, indem er auf eine Stufe mit dem aggressiven Planen der Feinde Gottes und ihres Repräsentanten gegen Gott und sein Volk gestellt wird. Der Prophet denkt ganz und gar theozentrisch, er argumentiert vom erwarteten Handeln Gottes her, das er bisher (V. 2–8) in den Farben der Tradition, freilich mit deutlich hervorstechenden eigenen Akzenten, ausgemalt hat. Jedoch will er seine Zeitgenossen, die ihm in seinen Hoffnungen nicht zu folgen vermögen, nicht verurteilen, sondern sie für seine festen Überzeugungen gewinnen. Zu diesem Zweck verkündet er das Gotteswort, auf das er seine Hoffnung stützt (V. 12 f), und stellt es neben – genauer: in – ein schon bekanntes Gotteswort (V. 11.14). Das ältere Wort bleibt in diesem Kontext zunächst mehrdeutig (V. 11); es kann die feindliche Hauptstadt anklagen, es kann aber auch ein Heilswort für Juda sein. Wie sich am Folgenden zeigt, sind beide Verständnisse gemeint und sollen miteinander verbunden werden. Mit diesem Kunstgriff sichert sich der Prophet die Aufmerksamkeit
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seiner Leser, denen sich das Verständnis für die doppelte Gottesbotschaft Schritt für Schritt öffnet: Gott richtet die gewalttätige und ungerechte fremde Macht und führt die Seinen ins Heil. Neu gegenüber dem einleitenden Hymnus ist, dass die Feinde nicht mehr (genauer: nur noch anfangs in V. 10 und V. 12a) als kollektive Macht erscheinen, sondern von ihrem Anführer repräsentiert werden, der ins Zentrum des Gedankengangs tritt. In V. 14 wird er von einem harten, vernichtenden und entehrenden Gerichtswort Gottes getroffen, weil er sich Gottes Plänen in den Weg gestellt und seinerseits Pläne gegen Gott geschmiedet hat. Mitten in dieses überlieferte alte Gotteswort, das noch seiner Erfüllung harrt, ist das aktuelle gestellt, das der Prophet selbst empfangen hat, von dem aus er denkt und um dessentwillen er sein Buch schreibt (V. 12 f). Dieses Gotteswort geht zunächst auf die Zweifler zu und bestätigt ihnen, dass die vorfindliche Welt sich noch nicht verändert hat; sie ist noch ganz von der Macht der Feinde bestimmt. Aber im Licht Gottes sind diese Feinde keine Macht; sie können nur wirken, solange Gott sie wirken lässt. Nun aber ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Gott sein Straf- und Demütigungshandeln an seinem Volk abbricht und es in eine neue Freiheit entlässt. Die Evidenz des soeben nachgezeichneten Gedankengangs eröffnet sich erst voll im Rückblick, d. h. von seinem wichtigen Schlussvers (2,1) aus. Er beschreibt die Konsequenzen der beiden Gottesworte und nennt mit Juda ihren Empfänger unverschlüsselt bei Namen; den Juda bedrängenden Feind entlarvt er als den Widersacher Gottes. Der Prophet nötigt seine Leser auf diese Weise, den Text (mindestens) zweimal zu lesen. Der Schlussvers gibt dem Gesamtgeschehen des Sieges Gottes über seine Feinde, wie ihn schon die hymnischen Verse 1,2–8 angekündigt hatten, in doppelter Weise eine neue Sinndimension. Zum einen wird Gottes Sieg als Erfüllung der Botschaft des großen Exilspropheten Deuterojesaja gedeutet, dessen Vision von der bevorstehenden Sichtbarkeit der Königsherrschaft Gottes vor den Augen aller Völker in den Tagen des N ahumbuches volle Realität gewinnen soll. Zum anderen wird der Gegner Gottes mit der Bezeichnung »Belial« bzw. »der Widergöttliche« in eine neue Vorstellungskategorie gerückt. Gottes Sieg über ihn wird nicht nur ein unterdrücktes, unter»jochtes« (V. 13) Juda in die Freiheit führen, sondern zugleich der Bosheit ein Ende bereiten, die das Gottesverhältnis und die zwischenmenschliche Gemeinschaft Judas beschädigt und beeinträchtigt hatte und die der Besiegte verkörpert hatte. Im Rückblick auf 1,9–2,1 wird deutlich, warum der Unterdrücker nirgends in Kap. 1 (im Unterschied zur Überschrift des Buches und zu Kap. 2–3) einen historischen Namen trägt; er hätte die Dimension des Bösen, die der Text meint, nur eingeschränkt. Erst von diesem neuen Horizont des Heils aus wird verständlich, warum der Prophet so penetrant betont, dass die bald beendete Not »kein zweites Mal« (V. 9), »nie wieder« (V. 12.14) bzw. noch gesteigert »nie mehr wieder« (2,1) auftreten wird. Es geht ihm gemäß dem von ihm empfangenen Gotteswort nicht um einen beliebigen Einschnitt in der Geschichte des
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Gottesvolkes – und sei er historisch noch so gewichtig –, sondern um das endgültige Heil, bei dem Gott dafür sorgen wird, dass es bleibt und nie wieder zuschanden wird. Insofern ist 1,9–2,1 ein »eschatologischer« Text (vgl. die Einleitung). Wie die Sintflut zur Selbsteinschränkung Gottes führte, indem Gott sich verpflichtete, dass er »nie wieder« eine Sintflut zulassen werde, so hat auch die übermäßige Not der (damaligen wie heutigen) Gegenwart Gott zu der Versicherung durch den Propheten veranlasst, dass eine analoge Not »nie wieder« eintreten werde, weil sie seinen Heilswillen gegenüber seinem Volk verstellt. Dieser Heilswille zielt auf ein Reich Gottes, »in dem Gerechtigkeit wohnt«.
Der Fall Ninives (Nah 2,2–14)
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2 Ein Zerstreuera ist gegen dichb heraufgezogen:
Die Festungc bewachen! Die Straße beobachtend! Die Hüften gürtene! Alle Kraft zusammennehmen! 3 [Denn JHWH hat den Hochmut Jakobs zunichte gemachta, wie (er) den Hochmut Israels (zunichte gemacht hatte)b; jedoch haben Verwüster siec verwüstet und ihre Rankend vernichtet.] 4 Der Schild seinera Helden ist rot gefärbtb,
seine Krieger sind in Karmesin gehülltc. Im Feuerd der Eisenbeschlägee (glänzen) die Wagen - wann immer er sie aufbietet –, und die Lanzenf werden geschwungeng. 5 Durch die Gassen rasen die Wagena, überrennen sichb auf den Plätzen. Sie sehen ausc wie Fackeln, wie Blitze, die hin und her zucken. 6 Er gibt Befehla seinen Gewaltigenb: Sie stolpern vorwärts auf ihren Wegenc, sie eilen zur Mauerd, (schon) ist das Sturmdach aufgerichtete. 7 (Nun) sind die Flusstore geöffnet, und der Palasta zittert. 8 Sie ›wird herausgebracht‹[?]a, wird deportiertb und weggeführt. Ihre Mägde schluchzenc wie die Tauben; sie schlagen sich an ihre Brustd. 9 Ninive aber gleichta einem Wasserteich, dessen Wasserb – ja sie fliehen! »Halt! Bleibt stehenc!« Doch keiner wendet sich um. 10 »Plünderta Silber! Plündert Gold!« Kostbarkeiten ohne Ende! Überflussb an Begehrenswertem aller Art! 11 Wüste, Verwüstung, Verheerunga – verzagende Herzen und wankende Knie! Ein Zittern in allen Hüften; aller Gesichter glühen rotb. 12 Wo ist nun die Behausung der Löwen,
der Fressplatz für die Junglöwena, wo sich der Löwe gern versteckteb, das Löwenjunge – von keinem aufgeschreckt? 13 Der Löwe raubte zugunsten seiner Jungena
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und würgte für seine Löwinnen; er füllte seine Höhlenb mit Raub und seine Behausungenb mit Geraubtem. 14 [Wohlan, ich will an dicha – Spruch JHWHs der Heerscharen –:
Ich verbrenne deine Wagenb im Rauch, und deine Junglöwen wird das Schwert verzehren. Ich rotte deinen Raub aus dem Lande aus, dass die Stimme deiner Botenc nicht mehr zu hören sein wird.] 2a Zahlreiche Exegeten folgen Wellhausen, der hier » ַמ ֵּפץein Zerschmetterer« 2 (vgl. Jer 51,20) lesen möchte. Aber die Korrektur ist textkritisch unwahrscheinlich, weil fast alle Vrs. dem MT folgen. Vgl. aber die Auslegung. G liest auffallend ἐμφυσῶν; vielleicht war ihre Vorlage מפיחstatt מפיץ. Ball (Interpreting the Septuagint) zeigt mit gewichtigen Argumenten, dass dieses »Anblasen« wie in Gen 2,7 bzw. 3 Kön 17,21 positiv, d. h. Leben schaffend, gemeint ist, so dass G Nah 2,2 offensichtlich als an Juda gerichtetes Heilswort verstanden hat; vgl. Textanm. c. – b Der Konsonantenbestand lässt auch die Deutung »gegen deine Zinnen« (עַ ל )ּפנַ יִ ְך ִ zu (Humbert, Le problème, 275; Sellin), die allerdings einen mask. Plural von ( פנהwie in Sach 14,10) voraussetzt und von keiner der Vrs. aufgegriffen wird. – c G hat מצרהals zusammengesetzt aus der Präpos. מןund (» צרהeiner, der) aus Not (befreit)« gedeutet. Wellhausen u. a. möchten » מצרהWache« (Wurzel )נצרdeuten, aber dieses Substantiv ist nicht belegt, und mehrere MSS lesen מצורה. – d Der Inf. abs. in V. 2a zeigt, dass auch die Verbformen in V. 2b als Inf. abs. und nicht als Imp. zu verstehen sind (gegen Hagedorn, Die Anderen, 47). Sie sollen knappe militärische Befehle sprachlich abbilden. – e Vgl. zur Begründung der Übersetzung G. R. Driver, JThSt 41 (1940) 172 und ihm folgend Cathcart, Nahum, 82. Freilich erscheint es mir nicht nötig, mit Driver an eine gesonderte Wurzel zu denken, von der das Verb abzuleiten sei. – 3a Zu vokalisieren ist wahrscheinlich ( ַשבvon ;)שבב3 vgl. die Auslegung. – b Ellipse, bei der Subjekt und Prädikat aus V. 3a logisch mitzudenken sind; vgl. BrSynt § 137. – c Constructio ad sensum; vgl. BrSynt § 50e; Ges-K § 145b-g. Gemeint ist das jeweilige Land. – d Cathcart, Nahum, 85 f, möchte זמרvon ugar. ḏmr her deuten und übersetzt: »and their soldiers they slaughtered«. – 4a G, S, T Sah und Boh lesen ein Plural-Suffix, weil sie den Rück- 4 bezug des Suffixes auf V. 2 nicht erkennen. Außer S bieten sie analog auch in V. 6a eine pluralische Form des Verbs; vgl. Textanm. 6a. – b G hat die Konsonanten missverstanden und deutet ἐξ ἀνθρώπων. Zur Vokalisation des MT vgl. Ges-K § 52q. – c Das Verb, ein hap. leg., ist von תלעdenominiert, das akkad. tultu »Scharlach, Karmesin« entspricht; vgl. R. Gradwohl, Die Farben im Alten Testament: BZAW 83 (1936) 73–76. – d Einige MSS und Σ lesen statt בdie Präpos. » כwie Feuer«. – e Die Mehrzahl der Exegeten leitet das hap. leg. vom syr. פלדאund dem arab. fūlâd ab, zwei Lehnwörter aus dem Persischen mit der Bedeutung »Stahl«. Dagegen möchte Cathcart, Nahum, 87 f, im Anschluss an M. Dahood, M. Dietrich und O. Loretz das Wort lieber vom ugar. pld »Decke, Überwurf« (für Pferde) her deuten; vgl. die Auslegung. – f ברוש, gemeinhin »Wacholder« bzw. »Zypresse«, steht hier – wie im Ugaritischen mehrfach arz »Zeder« – für den Schaft der Lanze, der aus seinem Holz hergestellt wurde; vgl. ausführlich dazu Cathcart, N ahum, 89, im Anschluss an Driver. Cathcart und Driver schließen sich damit an eine Jahr-
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hunderte ältere Deutung Abarbanels an (Pinker, 417). – g Auch dieses Verb (im pu.) ist ein hap. leg. und Denominativum (vgl. c) von רעלbzw. תרעלהmit der Grundidee »taumeln, beben«. – 5a רכבist mit Ausnahme von Hld 1,9 sing. tantum mit zumeist kollektiver Bedeutung. – b Hitpalp. von » שקקsich gegenseitig überrennen, überstürzen«. – c Zum Suffix der 3. Pers. fem pl. als Rückbeziehung auf mehrere vorausgehende Aussagen (Rudolph: »neutrischer Sinn«) vgl. Ges-K § 122q. – 6a G und die meisten Vrs. (bemerkenswerte Ausnahme: 8ḤevXIIgr) fassen »die Gewaltigen« als Subjekt auf und lesen das Verb im Plural und im Passiv; dem folgen Sellin, Horst und Elliger: »Es werden aufgerufen …« Eher ist MT als hif. zu vokalisieren, das ähnlich wie das akkad. zakȃru »nennen, aufrufen, Befehl geben« bedeutet (vgl. schon T. H. Gaster, JBL 63, 1944, 52: »He musters«); vgl. W. Schottroff, »Gedenken« im Alten Orient und im Alten Testament: WMANT 15 (²1967) 166 und die Auslegung. – b G bietet als deutenden Zusatz: »Und sie werden fliehen an den Tagen«. – c So das Ketib (und 8ḤevXIIgr); das Qere vokalisiert (wie G) den Sing.: »auf ihrem Weg«. – d Eher ה-locale als Fem.-Suffix (so MT mit Mappiq und V); vgl. G und S. – e Die meisten Vrs. lesen das Verb erleichternd als aktives hif., sei es mit plural. (G,S,T), sei es mit sing. Subjekt (8ḤevXIIgr). – 7a 8ḤevXIIgr und V denken an den Tempel. – 8a MT (»er wurde hingestellt«) ist ganz offensichtlich fehlerhaft überliefert. Eine Fülle von Verbesserungen sind vorgeschlagen worden (einen bunten Blumenstrauß bieten etwa Spronk, 96 f und Pinker, VT 55, 90–93), von denen sich keine durchgesetzt hat, zumal auch die Vrs. nicht wirklich weiterhelfen (am ehesten noch 8ḤevXIIgr, wo » צבbedeckter Wagen« mit Artikel vorausgesetzt ist; so liest – schon vor der Entdeckung von 8ḤevXIIgr – Ehrlich, Randglossen V, 295). Sicher ist nur, dass in den folgenden Worten von einer Frau die Rede ist und von »ihren Mägden«, am ehesten also nach der vorausgehenden Nennung des Palastes von der Königin. Ganz besonders kühne Interpreten haben im ersten Verb das Geschick des Königs beschrieben gefunden (Hagedorn, Die Anderen, 51; Fabry erwägt es als Möglichkeit). Dass auch nicht der Name der Königin gemeint sein kann (Ibn Esra, Ewald u. a.), hat G. R. Driver, A Farewell to Queen Huzzab: JThSt N. S. 15 (1964) 296–298 nachgewiesen, dessen eigene komplizierte Rekonstruktion mit Recht auch keine Nachfolge gefunden hat. Unter den zahlreichen Vorschlägen, die hinter dem 1. Wort in V. 8 eine Qualifikation der Königin suchen, erscheint noch » הצביdie Schönheit« (G. A. Smith, Cathcart u. a.) am ehesten vertretbar, die Delcor, Nahum, 77 und Cathcart allerdings auf die Göttin Ischtar beziehen wollen. Andere Ausleger (van der Woude, Becking, Rudolph, Roberts u. a.) haben durch Buchstabenumstellung im 3. Verb ( עתלהmit Artikel als Entsprechung zu akkad. etelletu »Königin«) die Nennung der Königin finden wollen, ohne damit das Problem des ersten Verbs zu lösen. M. E. ist es nach wie vor noch am relativ wahrscheinlichsten, dieses erste Verb mit Duhm, Horst, Elliger und BHS als Verschreibung eines hof. von יצאin der 3. Pers. fem. sg. zu deuten ()וְ ֻהצְ ָאה. – b Im Gefolge von T und V, Raschi und Ibn Esra wird spätestens seit Drivers Aufsatz allgemein statt des pu. »sie wird entblößt« das q. des Verbes גלהvokalisiert. – c Das pi. des Verbes נהג, das gemeinhin »(das Vieh) treiben« meint (und so von den meisten Vrs. gedeutet wird), hat hier eine ähnliche Bedeutung wie » נהקschreien« (vgl. E. Jenni, Das hebr. Piʽel, 247) bzw. wie » הגהseufzen« (von Menschen) oder »gurren« (von Tauben; vgl. Jes 38,14; 59,11). Wer mit G, V, T das pu. des Verbes vokalisieren wollte (»sie werden vertrieben«), müsste entweder mit Fabry den Vergleich mit den Tauben gegen alle Parallelen auf das Schlagen der Brust bezie-
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hen oder aber mit Rudolph, Roberts und Perlitt ein graphisch ähnliches Verb (etwa )הגהeinfügen und annehmen, dass es versehentlich ausgefallen sei. – d Wörtlich: »an ihre Herzen«. Zum ungewöhnlichen mask. Plural von לבבvgl. HAL 1637 und zum fehlenden יvor dem Suffix Ges-K § 91k. – 9a In 8HevXII gr fehlt die Präposition כund damit der Vergleich. – b MT (מימי היא: »Seit den Tagen von ihr«?) ist offensichtlich fehlerhaft überliefert. Ist gemeint: Seit sie existiert? Aber warum sollte das übliche Pronominalsuffix durch ein eigenständiges Pronomen ersetzt sein (das Cathcart aus dem Ugaritischen herleiten möchte)? T deutet: »Seit den Tagen der Vorzeit«. Eher aber liegt eine der üblichen Verwechslungen von ימים »Tage« mit » מיםWasser« vor, und es ist mit G, V, MSS (die Gese, ZAW 69, 1957, 61 aufführt) und vielleicht auch den nur bruchstückhaft überlieferten Buchstaben von 4Q82 = 4QXIIg » מימיהihre Wasser« zu lesen und die Kopula des folgenden Wortes zu tilgen. (Andersartige Rekonstruktionsversuche nennt Pinker, ZAW 116, 403 f). – c G bietet statt der Imperative das Ergebnis: »Sie blieben nicht stehen.« – 10a G, S und 8ḤevXIIgr vokalisieren auch diese Imperative als verba finita (»sie plünderten«). – b G (βεβάρυνται) vokalisiert wohl כבדals Adjektiv. Ihr folgt Elliger und übersetzt: »Zu schwer ist allen das kostbare Gut«. – 11a G imitiert die Alliteration des hebr. Textes, in dem die ersten beiden Wörter hap. leg. sind, mit drei extrem seltenen Begriffen; vgl. Grütter, Buch N ahum, 53.55 f. – b G und die meisten anderen Vrs. identifizieren hier wie in Joel 2,6 פארורmit פרור »Topf«. Die Etymologie des Begriffs ist stark umstritten (Görg, Metapher, 12; Spronk, 103 f), und die Wendung »Röte (ein)sammeln« ist zudem sachlich mehrdeutig; vgl. die Auslegung. – 12a Wörtlich ein Relativsatz: »die auch der Fressplatz für die Löwen war«. – b Statt » לביאLöwe« bzw. meist »Löwin« (MT) setzen G, S, V » לבואhineingehen« voraus. 4QpNah schreibt den Text zwar wie MT, interpretiert ihn aber wie G, S, V. Da im MT »Löwe« und »Löwin« ohne Kopula nebeneinanderstehen und V. 13 die Löwin mit einem anderen Begriff bezeichnet, sind die Vrs. offensichtlich Zeugen eines älteren Textes. – 13a 4QpNah bietet den mask. Pl. גוריוstatt des fem. Pl. im MT. – b-b G übersetzt beide Ortsangaben im Sg., S und V die erste im Pl., die zweite im Sg. Der Plural soll wohl die Menge des Geraubten zum Ausdruck bringen (Haldar, Studies, 62). – 14a MT bezieht die Suffixe der 2. Pers. sg. in V. 14 durchgehend auf Ninive und vokalisiert sie fem. Die überwiegende Mehrzahl der Ausleger ist dem gefolgt. Textkritisch wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Suffixe mask. zu deuten sind und der Löwe von V. 12 f als Bild für den assyrischen König im Blick ist, wie schon Wellhausen und nach ihm besonders Roberts und Hartog erkannt haben. Vgl. die folgenden Anmerkungen. – b Statt des syntaktisch und sachlich schwierigen Suffixes der 3. Pers. sg. fem. (»ihre«, d. h. Ninives, »Streitwagen«) im MT bieten so gut wie alle Vrs. die im Kontext erwartete Anrede der 2. Pers., mehrheitlich verbunden mit dem kürzeren Substantiv רובbzw. » רבMenge« (G, S; 4QpNah liest: רובכהstatt רכבה im MT und Mur 88). Zahlreiche neuere Ausleger korrigieren den MT entsprechend, wobei sie freilich im Gegensatz zu 4QpNah (und T) ein fem. Suffix voraussetzen (Ausnahmen: Wellhausen und Roberts). Da aber einerseits das besser bezeugte Suffix der 2. Pers. sg. mask. die lectio difficilior darstellt, die zudem entsprechend auch in V. 14bβ bezeugt ist (vgl. Barthélemy, Critique textuelle III, 813–815 und die folgende Textanm.), andererseits das Substantiv »Wagen« des MT im Kontext weit passender ist als das Substantiv »Menge« (vgl. die Auslegung), werden beide genannte Lesarten auf ein » רכבכהdeine (mask.) Wagen« zurückgehen, das V und T voraussetzen. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Hartog in
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seiner sorgfältigen Analyse des Verses (Nahum 2:14, 550). – c G (τὰ ἔργα σου) und S leiten die Konsonanten des Textes irrtümlich von » מלאכהArbeit« ab. MT bietet den Plural »Boten« mit einem abnormen Suffix, das am ehesten als eine Mischung aus einer 2. Pers. sg. mask. (plene) und einer 2. Pers. sg. fem. gelesen werden soll (BHQ), wobei die Masoreten im Kontext zwar das auf Ninive zielende fem. Verständnis bevorzugen, der Konsonantentext aber eher wie in Textanm. 14b ein mask. Verständnis des Suffixes an einem defektiven mask. Plural nahelegt (;מלְ ָאכֵ כֵ ה ַ so neben Wellhausen: Haldar [Studies, 63 f, obwohl er im Übrigen MT mit seinen fem. Suffixen folgt!], van der Woude [Nahum, 110], Hartog [a. a. O. 552, Anm. 27] und BHQ , letztere im Gefolge von Barthélemy, Critique textuelle III, 815). Die Mehrzahl der Ausleger schließt sich den Masoreten an und deutet das Schluss- הdes MT im Gefolge von Raschi als Dittographie zum Anfangs- הin 3,1; vgl. Ges-K § 91 l. Nach Keil, 395 stünde es als verlängerte Form, um das Ende eines Abschnitts zu markieren. Die Auslegung wird jedoch dem Minderheitenvotum von Wellhausen, Haldar, van der Woude, Roberts, Barthélemy, Hartog und BHQ folgen, das textkritisch besser begründet ist.
Mit Nah 2,2 wird ein historisch-kritischer Leser urplötzlich und ohne jede Vorwarnung in ein militärisches Geschehen hineinversetzt, das um Jahrhunderte zurückliegt: in die Situation der beginnenden Belagerung und baldigen Einnahme der Weltstadt Ninive im ausgehenden 7. Jh. v. Chr. Aber eine solche historische Lektüre ist vom Text nicht intendiert. Vielmehr geht der Text von der Voraussetzung aus, dass die alte Prophetie des 7. Jh. v. Chr. in der Zeit des Nahumbuches, also in der Zeit der Diadochen, voll zur Erfüllung kommen wird. Die alte Prophetie bezeugt im Voraus die Wahrheit des Gotteswortes, das der späte Prophet nach 1,12 f empfangen hat, und ist auf sie hin geschrieben. Form In Nah 2,2 beginnt literarisch ein neuer Abschnitt; vgl. Nah 1,9–2,1
»Form« (o. S. 96 f). In ihm bilden die Verse 2,2–14 eine formale und sachliche Einheit, während das Wehewort 3,1 mit seinen Anklagen deutlich einen Neueinsatz markiert. Jedoch handelt es sich um eine zusammengesetzte, kompositionelle Einheit. Das geht schon aus der Beobachtung hervor, dass Anfangs- und Schlussvers die angegriffene Stadt bzw. deren König in der 2. Pers. anreden, während im Hauptteil der Einheit eine solche Anrede fehlt; weiter daraus, dass unmittelbar anschließend an die anredende Ankündigung des ersten Verses mit V. 3 eine Reflexion erfolgt, die das Geschehen von V. 2–14 theologisch aus der Perspektive Judas deutet, im Kontext aber isoliert erscheint. Demgegenüber bilden die Verse 4–11 mit ihrer Darstellung der Eroberung Ninives in kurzen, schnell wechselnden Einzelszenen unstrittig den Kern der Komposition und in sich eine literarische Einheit. Ihre hohe künstlerische Qualität sucht im Alten Testament ihresgleichen. Sie kommt formal in der Vorliebe für kurze Sätze zum Ausdruck, unter denen sich mehrfach verblose Nominalsätze finden, vor allem aber in der Wahl einer Fülle hochpoetischer Stilmittel (Alliteration, Paronomasie, Chiasmus, Wortspiele, Gleichnisse etc.);
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inhaltlich darin, dass in V. 2.4–11 den Lesern mosaiksteinartig ständig neue, dramatische Einzelszenen vor Augen gestellt werden – die Hektik in Ninive (V. 2), die glänzende Ausrüstung der Angreifer und ihre Attacke gegen die Stadt (V. 4–6), die Leiden der eroberten Weltstadt (V. 7–9), die plündernden Angreifer (V. 10) –, die die Leser selbst zu einem stimmigen Ereignis zusammensetzen müssen53, dessen Ergebnis ihnen der Dichter in einem deprimierenden Resümee (V. 11) vorgibt. Am Anfang in V. 2–6 können sie sich beim ersten Lesen im Ungewissen fühlen, ob die angegriffenen Assyrer oder die angreifenden Feinde geschildert werden. Diese poetische Qualität unterscheidet sich merklich von den ironisch-spöttischen Fragen, die sich in V. 12 f anschließen. Sie zeichnen Ninive im Bild einer Löwenfamilie und entsprechen in Stil und Diktion Nah 3,7.8–19. Für sich zu sehen ist schließlich der Abschlussvers 14, der mit seiner Gottesrede und seiner Anrede an den »assyrischen König« die voranstehenden Verse nachträglich in einen theologischen Horizont versetzt. So bilden die Brückenverse 2 f und die Abschlussverse 12 f und 14 einen Rahmen um eine großartige Dichtung (V. 4–11), die immer neue Aspekte des Falls der Weltstadt Ninive schildert und deren Beginn – aber nur er! – in den Feindschilderungen Jes 5,26–29; Jer 4,6 f; 5,15–17 etc. entfernte Parallelen findet. Sie stellt ihre kurzen Einzelszenen in großer Nüchternheit dar, ohne alle anklagenden und deutenden Nebentöne, wie sie sich in den Rahmenversen finden. Gefühlsäußerungen werden nur den klagenden Mägden gestattet (V. 8b) – und den Lesern, wenn die dramatischen Ereignisse vorüber sind (V. 11). Auf eine Schlachtschilderung oder eine Darstellung der Eroberung Ninives selber wird bewusst verzichtet; die Vorstellung des geordneten Heeres der Sieger und ihrer schnellen Wagen bzw. der eingenommenen Stadt und der vergeblichen Fluchtversuche ihrer Einwohner prägen sich den Lesern dadurch nur umso stärker ein. Zur Verlebendigung dienen urplötzlich eingestreute Imperative (bzw. in V. 2 an ihrer Stelle Infinitivi absoluti), die die belagerte Stadt zu verstärkten Verteidigungsmaßnahmen, die Flüchtenden zum Bleiben und die Sieger zum Ergreifen der Beute aufrufen (V. 2.9 f), »wodurch der Eindruck hervorgerufen wird, unmittelbar am geschilderten Geschehen teilzuhaben« (P. Weimar, Jona, 86). Dabei deuten die Verse 4–11 selber nirgends an, dass sie das dramatische Geschehen als ein direktes Handeln Gottes verstehen. Diese Funktion übernehmen die interpretierenden Rahmenverse, insbesondere V. 3 und V. 14. Aufgrund des soeben dargestellten Textgefüges hat A. Scherer vor kurzem Ort die These aufgestellt, dass es sich bei V. 4–11 um eine schon vom Propheten vorgefundene Dichtung handele, zu der auch 3,2 f gehört habe. Er hat 53 Assoziationen an schnelle Szenenwechsel in einem Film (Premstaller: 6 Szenen mit ständig wechselnden Einstellungen) legen sich nahe.
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sie kühn eine »Ballade« genannt. Wenn eine Ballade »ein ungewöhnliches, oft handlungsreiches und meist tragisches Geschehen« zum Thema hat, das »durch Rede und Gegenrede« bzw. durch »Ausrufe« – man denke an V. 2b und V. 9 f – »vorangetrieben« wird und »eine lyrische Gestimmtheit hervorruft« (so die Definition von Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 4Stuttgart 1964, 51), ist diese Gattungsbestimmung keineswegs abwegig, so gewiss sie für Dichtungen einer weit späteren Zeit entworfen worden ist. Wie immer man zur Gattung »Ballade«54 steht: Ich halte die These Scherers für durchaus plausibel, weil sie dreierlei zu erklären vermag: 1. die ungewöhnliche literarische Qualität der Dichtung, die deutlich aus ihrem Kontext heraussticht; 2. den Verzicht der Dichtung auf jegliche religiöse Deutekategorien; 3. die Nähe der Verse mit ironischem Grundton (V. 12 f) zum Schlussteil des Buches (Nah 3,7 und 3,8 ff), der mit Recht allgemein dem Propheten des 7. Jh. zugeschrieben wird. Die Verse 12 f aber setzen die Dichtung offensichtlich schon als vorgegeben voraus und reagieren auf sie. Schwieriger sind die theologischen Rahmenverse in V. 2–14 einzuordnen. Während V. 2aß.b ein unlöslicher Bestandteil der Dichtung V. 4–11 ist, der nur um des Kontextes willen in V. 2aα in die Form der Anrede umgestaltet wurde, stammt V. 3 mit seiner theologischen Reflexion aus der Hand der prophetischen Redaktion, oder er ist noch jünger, da er einerseits den Gedanken von 1,12b näher ausführt, andererseits mit »Jakob« und »Israel« Namen verwendet, die im übrigen Prophetenbuch nicht vorkommen. Auf sichererem Boden steht man bei V. 14, einem deutenden Schlussvers, der mit seiner Gestalt als Gotteswort und seiner Anrede (nicht Ninives, sondern) des »assyrischen« Königs deutlich die Verse 12 f voraussetzt. Er ist dem Vorbild Nah 3,5 nachgestaltet, greift mit »nie wieder« das Leitwort aus 1,9–2,1 auf und fokussiert den Blick auf die einzelne Gestalt, die 2,1 »Belial« genannt hatte. V. 14 zeigt somit zusammen mit V. 3, wie die Redaktion die Verse 2.4–13 verstand. 2,2 f: Brückenverse Form In 2,2 ff wird (das typologisch verstandene) Ninive anfangs angeredet, 2,2 f aber die Anrede wird sogleich wieder verlassen und im Folgenden nicht
wieder aufgegriffen (genauer: erst wieder im Abschlussvers 14 [Anrede an den König], mit dem V. 2 f eine Klammer um das Kriegsgeschehen in V. 4–11.12 f bilden). Die kurze Anrede ist als Kontrast zur Anrede Judas in V. 1 gestaltet und dadurch im Sinne des Endtextes als Fortsetzung der Rede des Siegesboten kenntlich gemacht. Sie möchte die unerwartete plötzliche Feindgefahr, der Ninive ausgesetzt ist, als Gegensatz zur Festfreude Judas hervorheben. Demgegenüber wird im zweiten Teil von V. 2 54 Weit fernliegender ist die Vermutung Seybolds (Profane Prophetie, 41.51 f) im Anschluss an Keller, in 2,4–11 würden »Soldatenlieder« imitiert.
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(in V. 2aß.b) die Aufregung und Angst in der Stadt dadurch angedeutet, dass kurze militärische Befehle in hämmernden Zweierrhythmen laut werden. Aus der Tatsache, dass ab V. 4 ff die Feinde in drastischen Farben beschrieben werden, geht deutlich hervor, dass die Anrede ein Formelement darstellt, das V. 2 ff mit den Anreden der Verse 1.9–2,1 kompositionell verbinden soll (vgl. 1,9–2,1 Form, o. S. 96 f). Auch die Einleitung des Geschehens mit einem perf. Verbalsatz in V. 2aα, der die plötzliche Nähe des Feindes ankündigt, kontrastiert den beschreibenden Sätzen in V. 4 ff so stark, dass sie auf die Seite der Redaktion gehören kann. Von hier aus erklärt sich auch die Stellung von V. 3, der das militärische Geschehen unterbricht, um eine theologische Deutung der Ereignisse einzuführen. Wie schon Humbert (Le problème, 175 f) und nach ihm besonders van der Woude (A Letter, 116), Becking (De Hymne, 65 f; vgl. ders., Passion, 11 f) sowie Spronk herausgestellt haben, sind die Verse 2,2 f bewusst parallel zu 2,1 gestaltet worden: Auf ein visionär geschautes Geschehen (die Ankunft des über die Berge eilenden Freudenboten bzw. das Heranrücken eines mächtigen Feindheeres) folgen Imperative (zum Feiern der Feste bzw. zu äußerster militärischer Wachsamkeit), die zuletzt begründet werden: in 2,1b mit dem definitiven Ende Belials, in 2,3 mit der Vollendung der göttlichen Absicht gegenüber Juda, die die Assyrer oder besser generell die Feinde durchkreuzt hatten. Alle Elemente dieser Parallele sind konträr gestaltet: Dem feiernden Juda wird ein Ninive gegenübergestellt, das seinem Untergang entgegensieht. Und wie in 1,9–2,1 erst allmählich das Geheimnis der angeredeten kollektiven Größe gelüftet wurde, so wird auch in 2,2 ff erst in V. 9 mit Ninive der Adressat des vernichtenden militärischen Geschehens benannt, während der erobernde Feind bis zuletzt ungenannt bleibt. Aus den genannten Beobachtungen geht hervor, dass in Nah 2,2 f ein äl- Ort 2,2 f terer Text vorliegt, der am Anfang mit der Form der Anrede (V. 2a) sowie mit dem Zusatz von V. 3 redaktionell bearbeitet worden ist, um an den vorangehenden Text 1,9–2,1 angepasst und mit ihm verbunden zu werden. Der alte Text enthielt aller Wahrscheinlichkeit nach den Namen Ninive ursprünglich schon am Anfang; die Vermutung Rudolphs, 165 und Seybolds (Profane Prophetie, 19; ZBK, 17) hat viel für sich, dass die vermutlich ältere Überschrift des Buches משׂא נינוהeinmal die Verse 2,2 ff eingeleitet hat. V. 3 dagegen ist Jahrhunderte später entstanden und möchte das Geschehen von 2,2 ff im Rückblick theologisch deuten. Der zeitliche Abstand zu 2,2.4 ff ergibt sich allein schon aus der Beobachtung, dass die Assyrer dem Nordreich Israel das Ende bereiteten, V. 3 dagegen vornehmlich wie V. 1 Juda im Blick hat und dadurch klar erkennen lässt, dass für den Autor dieses Verses die Assyrer typologisch zu verstehen sind. Es wird auch kaum auf Zufall beruhen, dass V. 3 die einzige Nota accusativi אתim ganzen Buch enthält, wie Haldar (Studies, 77) beobachtet hat. Ob V. 3 dem gleichen Propheten zuzuschreiben ist, dem wir Nah 1 verdanken, ist
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nicht sicher auszumachen. Einerseits war in Nah 1,2–2,1 mit V. 11.14 ein älteres Wort gegen die Assyrer in den jüngeren Kontext integriert und neu gedeutet worden, Nah 2,3 dagegen unterbricht einen älteren militärischen Kontext mit einer theologischen Deutung. Auch werden die Namen »Jakob« und »Israel« sonst nicht im Buch Nahum verwendet, allerdings auch »Juda« nur einmal in Nah 2,1. Andererseits greift 2,3 den Gedanken aus 1,12b auf und erläutert ihn näher, wobei sowohl 1,12b als auch 2,3 an Ausführungen Jesajas anknüpfen, und die soeben genannte formale Parallele zwischen 2,1 und 2,2 f spricht eher dafür, dass man 2,3 nicht isoliert betrachten sollte. Jedenfalls ist die redaktionelle Veränderung von V. 2 zur Anrede (wie auch die Zufügung von 2,14) deutlich dem prophetischen Autor von 1,2–2,1 zuzuweisen. Wort 2,2 Ohne jede Vorbereitung werden die Leser des Nahumbuches aus ihrem
Nachsinnen über die Freude Judas angesichts der neuen Freiheit herausgerissen und mit einem bevorstehenden militärischen Geschehen konfrontiert, das nun freilich nicht Juda, sondern die Stadt betrifft, aus der Belial (V. 1b) stammt. Die Stadt, die angeredet wird, aber ungenannt bleibt und sich im Kontext als Ninive zu erkennen gibt (vgl. V. 9), sieht sich mit dem heranrückenden Heer eines übermächtigen Feindes konfrontiert, der seinerseits namenlos bleibt und mehr verhüllend als klärend als »der Zerstreuer« eingeführt wird. Die Bezeichnung wirkt im Kontext merkwürdig; vielen Exegeten ist aufgefallen, dass sie sich schlecht mit dem folgenden Eroberungsgeschehen verträgt, bei dem ein Zerstreuen der Bewohner – zumindest in Kap. 2 – allenfalls in V. 8 f mit der Verbannung der Königin und mit der kopflosen Flucht zahlreicher Menschen angedeutet sein könnte, während im Übrigen die Einnahme der Stadt und ihre Plünderung im Vordergrund stehen. Hinzu kommt, dass ein »Zerstreuen« ( פוץhif.) im Alten Testament am häufigsten von Gott selber mit der Assoziation der Exilierung Israels angekündigt wird (vgl. Dtn 4,27; 28,64; 30,3 und zahlreiche Belege bei Jeremia und Ezechiel). Daher haben Ausleger wie etwa Maier, Book of N ahum, 222; Keller, 120; Roberts, 56 und Christensen, 307 auch in Nah 2,2 JHWH selbst als den »Zerstreuer« sehen wollen, und Spronk, 89 hat in der Bezeichnung des Feindes als »Zerstreuer« die Versicherung angedeutet gefunden »that he acts on behalf of YHWH«. Zwar scheitert die Vermutung, dass JHWH selbst gemeint sei, an V. 4, wo »seine Helden« genannt werden, und an V. 6, wo dieser »Er« Befehle an seine Untergebenen erteilt, aber aufgrund der genannten Assoziationen ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Bezeichnung »der Zerstreuer« schon zum alten Gedicht Nah 2,2*.4–11 gehört haben sollte, und es ist gut verständlich, dass viele Exegeten Wellhausen gefolgt sind, der statt מפיץlieber » מפץder Zerschmetterer« lesen möchte. Jedoch handelt es sich hier, falls Wellhausen Recht haben sollte, um kein textkritisches, sondern um ein redaktionskritisches Problem (s. o. Textanm. 2a): Ein Begriff des älteren Gedichts, möglicherweise »der Zerschmetterer«, wurde vom Ver-
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fasser des Nahumbuches verändert, um das ältere Gedicht in den Kontext des Buches einzupassen. Am Schluss des Buches (3,18) findet 2,2a in der Beschreibung der über die Berge hin zerstreuten Krieger und Menschen die vom Leser erwartete Aufnahme. Indem der »Zerstreuer« der Stadt wörtlich »ins Angesicht« entgegenrückt (vielleicht ist auch »gegen deine Zinnen« gemeint; vgl. Textanm. b), wird seine bedrohliche Nähe hervorgehoben. Das Anrücken des Feindes führt in der Stadt zu aufgeregten, durcheinander gerufenen militärischen Befehlen, die im Text vom Speziellen zum Allgemeinen voranschreiten. Besondere Sorgfalt kommt der Bewachung der Befestigungsanlagen zu, also der Stadtmauer und insbesondere der Akropolis mit Königspalast (V. 7) und Tempel, die zugleich als letzte Zufluchtstätte diente, wenn die restliche Stadt schon dem Feind in die Hände gefallen war. Weiter muss der Anmarschweg des Feindes genau beobachtet werden, um geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen. Für alle Soldaten, aber auch alle Einwohner gilt jedoch: höchste Konzentration. Das »Gürten der Hüften«, d. h. das Schürzen des Gewandes (Luther: »Rüste dich aufs Beste!«), symbolisiert die volle Kampfbereitschaft; die Hüften gelten als Sitz der Kampfeskraft (vgl. ausführlich M. Pope, Job: AB 15, 1965, 271). Wenn Zittern die Hüften ergreift (V. 11), ist der Kampf entschieden. חזקund אמץ stehen auch in Dtn 31,6 f.23; Jos 1,6 f.9 und in Jes 35,4 nebeneinander, um Israel und speziell Josua angesichts großer Gefahren Mut zuzusprechen. Die so lebendig geschilderte Vorbereitung auf das Kampfesgeschehen 3 wird jäh unterbrochen durch eine theologische Reflexion, die den Leser in völlig andersartige gedankliche Bereiche führt. Ihr Verständnis ist allerdings dadurch erschwert, dass 2,3 als Heils- oder Gerichtswort verstanden werden kann55, was primär damit zusammenhängt, dass sowohl das Verb » שובumkehren« als auch das ihm folgende Substantiv גאוןkonträre Bedeutungen annehmen können. Das Verb שובkann im q. sowohl »sich abwenden« als auch »sich hinwenden« bedeuten, das Substantiv גאוןsowohl positiv die von Gott verliehene »Hoheit« bzw. »Pracht« des Gottesvolks bezeichnen als auch negativ dessen angemaßten »Hochmut« bzw. »Stolz«.56 Von der überwiegenden Mehrheit der Exegeten und von allen mir bekannten Bibelausgaben wird V. 3a als Heilswort verstanden und dann übersetzt: Denn JHWH stellt die Hoheit Jakobs wieder her wie die Hoheit Israels.
Dabei wird die »Hoheit« ( )גאוןJakobs bzw. Israels üblicherweise als Begriff für das Land interpretiert. Diese gängige Auffassung scheitert aber an zwei 55 Rudolph, 160.164 f, hält daher V. 3 für doppeldeutig, wie ich selbst es zuvor (Kultprophetie, 25–27) auch getan hatte. 56 Vgl. zum Schillern des Begriffs das Kap. »Die Hoheit und der Hochmut Jakobs« in J. Jeremias, Jakob im Amosbuch: Ders., Hosea und Amos (FAT 13), 260–265.
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Schwierigkeiten, die mir – zusammengenommen – als unüberwindbar erscheinen: 1. Wie man seit langem weiß, wird das Verb שובq. nicht transitiv verwendet, mit Ausnahme der bis heute nicht sicher gedeuteten Wendung שוב שבות. Die gern zusätzlich angeführten Belege Ps 85,5 und Hi 39,12 sind keine Ausnahmen: Ps 85,5 ist nur eine verkürzte Wiederaufnahme der zuvor in V. 2 genannten Wendung שוב שבות, und in Hi 39,12 liegt im überlieferten Ketib ein intransitiver Gebrauch des Verbs vor, während das Qere der Masoreten ein hif. vorschlägt. Wer wie z. B. Cathcart (Nahum, 83) behauptet, שובstehe in Nah 2,3 als Abkürzung für שוב שבות, muss mit einem Sprachgebrauch rechnen, für den es keine Belege gibt. 2. Der Vergleich »wie die Hoheit Israels« gibt in einem Heilswort keinen Sinn. »Jakob« und »Israel« müssen in einem Vergleich Bezeichnungen zweier verschiedener Größen sein, am ehesten Jakob wie so oft (Mi 2,7; 3,1.9; Jer 2,4; 5,20; Ob 18; Jes 43,1 etc.) Bezeichnung für Juda, Israel Bezeichnung für das Nordreich. Ist aber der גאוןdes Nordreichs die bekannte Größe des Vergleichs, so kann es sich nicht um dessen prachtvolle Wiederherstellung handeln, die derjenigen Judas hätte vorausgehen müssen, sondern nur um dessen »Hochmut«, der im Fall der Hauptstadt Samaria sein Ende fand und für Nah 2,3 das analoge Geschick Judas im Voraus abbildete. Im Kontext des N ahumbuches ist der Verweis auf den Untergang des Nordreichs umso notwendiger, als die Assyrer, deren Bestrafung der ältere Text in Nah 2–3 ankündigt, nur dem Nordreich, nicht aber Juda den staatlichen Untergang brachten. Wie sind die Autoren, die 2,3 als Heilswort für Juda deuten, diesen evidenten Schwierigkeiten begegnet? Eine große Zahl von ihnen (aus neuerer Zeit etwa Rudolph [»eine Randglosse«, 160], van der Woude, Perlitt, Hieke, Hagedorn) haben kurzerhand zur Schere gegriffen und den Vergleich »wie Israel« getilgt, obwohl sich keinerlei plausible Gründe für dessen spätere Einfügung benennen lassen: ein Verfahren, das nicht gebilligt werden kann. Andere Autoren dagegen (z. B. Becking; Renaud; Seybold, Profane Prophetie, 71 [anders allerdings im Komm.]; Barthélemy, Critique textuelle III, 800; Spronk und auch hier wieder van der Woude) haben zumindest das zuerst genannte Problem ernst genommen und שובq. intransitiv übersetzt: Denn JHWH kehrt zurück mit der Hoheit Jakobs … Diese Lösung erscheint auf den ersten Blick attraktiv, weil mit ihr wiederum wie in Nah 2,1a ein Gedanke Deuterojesajas aufgegriffen würde (Jes 40,9 f; 52,8 f). Aber lässt sich die spezifisch deuterojesajanische Vorstellung einer Rückkehr JHWHs sprachlich wirklich so realisieren, dass JHWH »mit der Hoheit Jakobs« nach Jerusalem zurückkehrt, also ein Abstraktum die Gott begleitenden Menschen vertritt? Darüber hinaus stehen die Vertreter dieser Auffassung ebenso wie die anderen Exegeten vor der zweiten Schwierigkeit, den Vergleich sachgemäß zu deuten. Freilich mogeln sich die weitaus meisten Ausleger am Problem des Vergleichs vorbei, indem sie כzwar korrekt mit »wie« übersetzen, aber ein deutsches »sowie«
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= »und« im Sinn haben. Prototypisch für sie kann Arnold stehen, der behauptet, כ sei hier »a slovenly substitute for ›and‹ …« (ZAW 21, 1901, 253, also: »ein liederlicher Ersatz für ›und‹«).57 Jedoch ist כim Alten Testament nie zur Kopula »und« abgeschwächt, wie der beste Kenner der Materie, E. Jenni, nachgewiesen hat, der der Präposition eine eigene Monographie gewidmet hat (Die hebr. Präpositionen, Bd. 2. Die Präposition Kaph, Stuttgart-Berlin-Köln 1994). Jenni reiht Nah 2,3 unter die Kategorie der »Handlungswiederholung mit einem anderen Objekt« ein, was für Nah 2,3 nur bei einem Gerichtswort möglich ist, und übersetzt (111): Denn der Herr wird den Hochmut Jakobs zunichte machen (?) (שוב, corr. )שבב, wie (er) den Hochmut Israels (zunichte gemacht hat).
Wenn aber Nah 2,3 als Gerichtswort gedeutet werden muss – fraglich erscheint nur Jennis Übersetzung des Tempus als Futur in V. 3aα –, liegt es nahe, die Verbform שבwie Jenni als 3. Pers. mask. Perf. q. von der Wurzel » שבבabhauen« herzuleiten, die im Alten Testament als Substantiv in Hos 8,6 und spät-hebr. im pi. belegt ist; vgl. arab. sabba und sachlich Sach 9,6. Diese Möglichkeit wurde zuerst von W. A. Maier (Book of Nahum, 233) erwogen und von mir 1970 (Kultprophetie, 27) sowie danach von HAL, 1286 und Rudolph, 160 aufgegriffen. Aber selbst wer diese Ableitung für zu unsicher erachten würde und eher eine sonst unübliche transitive Bedeutung von שובq. für möglich halten wollte, müsste das Verb, wie zumindest Sweeney, Twelve, 438; Wöhrle, Abschluss, 29.38 und Fabry, 168 f erkannt haben, mit negativem Sinn (»abwenden« o. ä.) füllen. Eine enge sprachliche Parallele bietet Jer 13,9: »Ich werde den Hochmut ( )גאוןJudas vernichten.«58 Genau diesen Weg geht G (ἀπέστρεψε κύριος τὴν ὕβριν: »denn der Herr hat den Hochmut Jakobs abgewandt«), deren Deutung in der Diskussion um das Verständnis von 2,3 sträflich vernachlässigt worden ist, obwohl ihr auch S und V folgen. G, S und V werden in der neuen BHQ nicht einmal aufgeführt! Sachlich geht es in V. 3a, wie schon Rudolph gesehen hat, um eine Explikation dessen, was 1,12b mit der »Demütigung« Judas durch JHWH meinte, deren Ende das Buch N ahum verkündet. Mit dem »Hochmut« Judas und Israels wird die entscheidende Schuld des zweigeteilten Gottesvolkes benannt. In scharfem Kontrast zu Gottes Gerichtshandeln steht das schuldhafte Handeln der Assyrer in V. 3b. Daher kann das כיam Anfang von V. 3b nicht wie das כיam Anfang von V. 3a begründende, sondern es muss vielmehr adversative Funktion besitzen. Theologisch, nicht sprachlich von 57 Ähnlich viele andere, namentlich J. M. P. Smith und W. Dietrich. – Phantasievolle Auswege aus dem Dilemma finden Spronk, 86, der die Existenz eines emphatischen »( כyeah«), ohne Belege anzuführen, behauptet, und Becking, De Hymne, 66, der ein explikatives כerfindet (»dat is«). 58 Auch die sonstigen prophetischen Belege verstehen den גאוןdes Gottesvolks kritisch als »Hochmut«; dem steht nur Ps 47,5 mit der positiven Konnotation »Hoheit« gegenüber; vgl. Kratz, Pescher Nahum, 141, Anm. 154.
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Jes 10 beeinflusst, legt V. 3b dar, wie Assyrien seinen göttlichen Auftrag zur Züchtigung des Gottesvolks sträflich überschritten hat. Lautmalerisch wird im Hebräischen mit vierfacher Wiederholung des harten Konsonanten קdas wilde Treiben der Verwüster nachgezeichnet, wahrscheinlich von dem Sprachspiel in 2,11 beeinflusst, das auf der Wurzel בוקberuht, die als Nebenform von ( בקקV. 3b) nur in 2,11 begegnet. Wenn am Schluss des Verses das Bild vom Weinstock Juda anklingt, werden Assoziationen an Ps 80,9 (»Weinstock, aus Ägypten ausgehoben«) und an Jes 5,7 (»JHWHs Lieblingspflanzung«) wach. Der Weinstock ist kein nüchtern beschreibendes, sondern ein emotional aufgeladenes Symbol, wenn es auf das Gottesvolk angewandt wird;59 das zerstörerische Vorgehen der Assyrer erscheint mit ihm nur umso brutaler. Den Lesern werden mit einem solchen Rückblick abrupte Wechsel des gedanklichen Mitgehens zugemutet. Der Kontext in V. 2 und V. 4 ff führt in den Endkampf Ninives im 7. Jh. v. Chr., V. 3 dagegen zieht die weit zurückliegende gewaltsame Zerstörung des Landes des Nordreichs Israel durch die Assyrer nur als Analogie heran, ist selber aber am Geschick Judas interessiert und versteht wie das ganze Buch N ahum die »Assyrer« typologisch. Sie stehen in 2,3 ebenso für die Härte und für die Gewalt der Babylonier wie in Kap. 1 für die rücksichtslose Herrschaft der Diadochen. 2,4–6: Der Angriff gegen die Stadt Form Hatte der einleitende V. 2 den anrückenden »Zerstreuer« angekündigt 4–6 und danach den Blick auf die hektischen Verteidigungsmaßnahmen in der
bedrohten Stadt gerichtet, so schildern nun die Verse 4 f sein Heer – das Suffix »seine Helden« bezieht sich auf ihn zurück – und V. 6 dessen Angriff auf die Stadt. Dabei ist die Sprache bemüht, das Ungewöhnliche und Unwiderstehliche des Feindheeres herauszustellen. Allein in V. 4 werden nicht weniger als drei hap. leg. verwendet und zusätzlich ein weiteres Substantiv mit einer singulären Bedeutung (» ברושLanze«). Die Schilderung steigert sich von Aussage zu Aussage, die Rhythmen beschleunigen sich von anfänglichen ruhigeren Fünfern (3+2 bzw. 3+2+2 im 2. Teil von V. 4) zu eiligeren Doppelzweiern ab V. 5b. Syntaktisch herrschen in V. 4 Nominalsätze vor (Ausnahme: das letzte Kolon), in V. 5–6 aber Verbalsätze im Imperfekt. Das sich steigernde Tempo der Dichtung ahmt die sich überschlagenden Ereignisse nach. Sachlich beschreiben die Nominalsätze in V. 4 die Kämpfer und Kriegswagen in ihrer Aufstellung, wie sie der ungenannte Befehlshaber aufgeboten hat, während V. 5a die Wagen in ihrer unglaublich schnellen Bewegung schildert und V. 5b in Nominalsätzen die atemberaubende Wirkung dieser Geschwindigkeit auf die Betrachter 59 Es wird nie für ein Fremdvolk verwendet. Daran scheitert der Vorschlag Spronks, 87 f, die Perfecta von V. 3b zukünftig zu übersetzen und als Gerichtansage gegen Assyrien zu deuten, wie L. Lanner, »Who will lament her?«, 125 f erkannt hat.
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darstellt. V. 6 schließlich lässt die Leser den Befehl des »Zerstreuers« zum Angriff hören und die sogleich erfolgende Attacke des Heeres gegen die Mauern der Stadt miterleben. Vor der Einzelexegese bedarf es einer Vorbemerkung. Der ungenannte Feind wird aus der Perspektive des judäischen Propheten bzw. Dichters in den Farben des assyrischen Heeres ausgemalt. Vor allem die schnellen Kriegswagen (V. 4 f) spielten in keiner der vorausgehenden oder folgenden Epochen eine so kriegsentscheidende Rolle wie während des neuassyrischen Reiches und wurden von keinem Heer so meisterhaft eingesetzt wie von den Assyrern, sowohl als Vorkampftruppe als auch bei Belagerungen als Plattform für die Bogenschützen (vgl. etwa Berlejung, 329); Ähnliches gilt für das »Sturmdach«, das zum Schutz der Angreifer diente (V. 6). Aus dieser Beobachtung hat man häufig den irrtümlichen Schluss gezogen, die genannten Verse 5 f würden ganz oder teilweise die belagerten Assyrer beschreiben (Fabry, 169 f bezieht sogar V. 4 und damit V. 4–6 insgesamt auf das Heer der Assyrer). Dass diese Logik nicht zutrifft, zeigt am deutlichsten 3,8. Die Darstellung der Eroberung des großen und berühmten Theben dient hier dazu, die erwartete Eroberung der bedeutendsten Stadt der Assyrer selber abzubilden. Wie hätte man im 7. Jh. v. Chr. auch ein feindliches Heer oder die Eroberung einer bedeutenden Stadt anders darstellen wollen, als dass man sich des Modells der modernsten Heeresführung bedienen würde, über die eben die Assyrer verfügten? Militärisch waren damals die Assyrer das Maß aller Völker; sie konnten von Feinden nur mit Hilfe der eigenen Errungenschaften besiegt werden.
V. 4 beschreibt das feindliche Heer in seiner kampfbereiten Aufstellung: Wort 4 zuerst die Soldaten, dann die Kriegswagen; nur am Ende des Verses kommt mit den geschwungenen Lanzen eine erste Bewegung in den Blick. Angesichts dreier hapax legomena und des Begriffs ברושmit der Sonderbedeutung »Lanze« ist es nicht verwunderlich, dass die antiken Übersetzer große Schwierigkeiten hatten, den Sinn des Verses präzise zu erfassen. Noch heute sind zahlreiche Einzelheiten des Verses strittig (vgl. die Auflistung fehlgeleiteter Deutungen bei Barthélemy, Critique textuelle III, 800 ff und bei Pinker, ZAW 117, 411 ff; letzterer nennt zusätzlich die wichtigsten modernen Interpretationen und Konjekturen). Die Bedeutung der ersten Verszeile bzw. des ersten Stichos kann freilich als gesichert gelten. Die Begriffe »( גבורHeld«) und ( איש חילeigentlich: »kräftiger Mann«; vgl. im militärischen Kontext Ri 3,29; 2 Sam 24,9 u. ö.) bezeichnen hier bewährte Berufssoldaten. Die leuchtend rote Farbe der ledernen Schilde und der Rüstung der Krieger mag dabei, wie gelegentlich vermutet (Pinker, 412 unter Bezug auf Ez 23,6.12), auch praktische Bedeutung gehabt haben – die gute Sichtbarkeit der Offiziere, deren Ehre im vornehmen Karmesin zum Ausdruck kommt –, primär aber ist ihre psychologische Wirkung im Blick, wie R. Gradwohl, Die Farben im AT: BZAW 83 (1963) 76 mit Recht annimmt: »Wegen ihres grellen, auffallenden, die Sinne aufreizenden Farbtons« habe man Rot in Kriegen bevorzugt, um den Gegner einzuschüchtern oder auch dämonische Mächte zu bannen. Auch Anspielungen
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Abb. 1: Kriegswagen der Assyrer. Aus Y. Yadin, The Art of Warfare in Biblical Lands. New York 1963, 299.
auf Blut und Feuer legen sich nahe; vgl. A. Brenner, Colour Terms in the OT: JSOT.S 21 (1982) 110 f. Weit unsicherer ist, was an den Wagen »im Feuer (glänzt)« – die oft vorgeschlagene Korrektur »wie Feuer« im Anschluss an einige MSS und an Σ ist unnötig. Vor allem zwei Ableitungen des hap. leg. פלדהwerden diskutiert (vgl. Textanm. e), die erste sachlich, die zweite philologisch wahrscheinlicher. Traditionell denkt man mit Blick auf das syr. פלדאund das arab. fūlâd »Stahl«, beides pers. Lehnwörter, an die Eisenbeschläge (»die Stahlpanzerung«: Seybold, 30) der Wagen, die in der Sonne glänzen.60 Philologisch näherliegend ist die gelegentlich im Anschluss an das ugarit. pld vorgeschlagene Deutung »Umhang, Decke (für Pferde)«. Jedoch müssen die Vertreter dieser Interpretation in V. 4b mit G und S » פרשיםPferde« statt » ברושיםLanzen« voraussetzen, und das ist eindeutig eine lectio facilior. Wie das in diesem Kontext ungewöhnliche ( ברושeig. »Wacholder«) zu פרשverlesen werden konnte, ist leicht vorstellbar, der umgekehrte Vorgang kaum. (Noch eindeutiger gilt Entsprechendes für die Korrektur לפידות »Fackeln« im Gefolge von S, die V. 5 vorgreift und zudem das Wortspiel
60 Diskutiert wird, ob pers. Lehnwörter um die Zeit der Abfassung von Nah 2 schon denkbar sind. Allerdings wird man bei Produkten des Handels und der Kultur andere Maßstäbe anlegen müssen als bei der Literatur (Rudolph, Roberts).
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zwischen V. 4 und V. 5 zerstört.) So wird man bei der traditionellen Deutung bleiben müssen, ohne doch sicheren Boden zu erreichen. Die folgende Zeitangabe (wörtlich: »am Tag, an dem er [sie] bereitstellt«) nutzt mit כוןhif. ein geläufiges Verb, das nur selten militärisch verwendet wird, weist aber sprachlich schon auf den Angriff in V. 6 voraus, bei dem das Verb im hof. wieder aufgegriffen wird (dort wird »das Sturmdach aufgerichtet«). Die Zeitangabe ist häufig (zuletzt von Perlitt) als Zusatz erklärt worden, weil sie sich schwer in das poetische Gefüge des Verses einfügt. Jedoch ist sie eher als Parenthese zu verstehen, die die von einem einheitlichen Befehl bestimmte, geordnete Heeresformation zum Ausdruck bringen will, bevor in V. 5 die scheinbar chaotische Wirkung der rasenden Wagen geschildert wird. Zum Abschluss von V. 4 kommt ein erstes Mal behutsam Handlung in den Blick. Zwar steht das Heer noch, aber die gefährlichen Lanzen werden schon spielerisch in Bewegung gesetzt. Roberts spricht von einem »wogenden Meer aus Lanzen« (»a rippling sea of spears«, 65). Verwendet wird dafür ein Verb ( רעלpu.), das erneut ein hap. leg. ist; jedoch sind die ihm zugeordneten Substantive רעלund besonders תרעלהhäufiger belegt, mit dem Grundgedanken des Taumelns bzw. Schwankens (von Trunkenen). Auf die Lanzen angewendet, muss das Verb die Bedeutung »hin und her schwingen« annehmen. Die Lanzen selber werden nach dem Holz benannt, aus dem ihre Schäfte hergestellt werden (vgl. Textanm. f). Die Autoren, die statt der Lanzen mit G an Pferde denken, müssen natürlich das Verb anders auffassen; die von ihnen erwogenen Möglichkeiten, die ausnahmslos etwas gezwungen wirken, nennt Ges18 s. v. רעל. V. 5 löst die statischen Nominalsätze von V. 4 ab und führt mit seinen 5 imperf. Verbalsätzen, die sowohl in V. 5a als auch in V. 5b künstlerisch chiastisch gestaltet sind, sich wiederholende Handlungen ein. Für das Verständnis des Verses ist wesentlich, dass in ihm noch nicht, wie von mehreren Auslegern (etwa Spronk und Scherer) angenommen, schon der Angriff auf Ninive erfolgt, der erst in V. 6 mit dem Befehl des »Zerstreuers« eingeleitet wird. Vielmehr wird mit der rasenden Geschwindigkeit der wendigen Streitwagen, deren Ausstattung V. 4 beschrieben hatte, ihre Fähigkeit dargestellt, eine Schlacht schnell zu entscheiden – die Straßen und Plätze Ninives sind hier noch gar nicht erreicht.61 V. 5b zielt mit seinen Nominalsätzen dagegen auf die Wirkung der rasenden Wagen ab, wie sie von den Belagerten wahrgenommen wird und von den Lesern nachempfunden werden soll. In V. 5a dienen die Stammformen des hitp. bzw. hitpalp. bei den Verben dazu, das wilde Rennen der Wagen sprachlich so weit wie möglich zu 61 Wegen der Erwähnung der Straßen und Plätze haben ältere Ausleger wie Ewald und Happel, aber zuletzt auch etwa Fabry – im Gefolge von G –, irrtümlich an die Schilderung der Wagen der Verteidiger gedacht oder aber an die Wagen des Feindes auf den Zufahrtsstraßen, die nach Ninive führen (so z. B. Billerbeck-Jeremias, 100).
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Abb. 2: Assyrischer Sturmbock (»fahrbarer Mauerbrecher«) und zwei Schutzdächer. Aus: W. Orthmann, Der Alte Orient, Berlin 1985, Abb. 214.
imitieren. Sie »rasen wie verrückt« – הללhitp. bezeichnet bei Menschen ein Benehmen außerhalb des Normalen, ob verwirrt, töricht oder toll –, und sie scheinen in ihrer Geschwindigkeit sich zu überstürzen, unkontrollierbar hin und her zu rennen bzw. »sich gegenseitig zu überrennen«. Die gewählten Verben ahmen zugleich lautmalerisch die Bewegung der Wagen nach, wie auch in V. 5b die Konsonanten רוץ) רצץpol.) das Zucken von Blitzen imitieren. »Straßen« und »Plätze« bezeichnen oft wie hier die Bewegungsräume in einer Stadt (Am 5,16; Jes 15,3; Jer 5,1 u. ö.). Die Wirkung der Wagen auf die Betrachter ist verwirrend: Waren schon die noch ruhenden Wagen »feurig«, so sind die rasenden wie leuchtende Fackeln (wobei לפידותim Wortspiel פלדותaus V. 4 aufnimmt) und wie zuckende Blitze (wie G mit partizipialer Übersetzung zu Recht erkennt, bezieht sich das Verb auf die Blitze; vgl. Rudolph u. a.). Eine vergleichbare Beschreibung der Wirkung nutzen Ez 1,13 und Dan 10,6 in ihren Visionsberichten zur Darstellung des von ihnen geschauten himmlischen Geschehens. Wie V. 5a schildert V. 6 sich wiederholende Ereignisse in imperf. Ver6 balsätzen, die nur am Ende von der Bekanntgabe einer schon vollendeten Handlung im Perf. (der Errichtung des Sturmdaches) abgelöst werden. Jedoch wechselt bei den imperf. Verbalsätzen anfangs das Subjekt. Ein Individuum tritt für kurze Zeit in den Vordergrund, das so wenig wie in
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V. 2 mit Namen genannt wird und am ehesten der »Zerstreuer« von V. 2 ist. Mit dem Befehl, den er »seinen Gewaltigen«, d. h. seinen Offizieren gibt, beginnt die Attacke gegen die belagerte Stadt. Das würde auch gelten, wenn man bei der im Kontext weniger passenden Vokalisation der Masoreten bliebe (»er gedenkt seiner Gewaltigen«). Zweifel an dieser Interpretation sind nur dadurch aufgekommen, dass der folgende Satz, der die Wirkung des Befehls beschreibt, ein Verb verwendet ( כשלnif.), das üblicherweise negativen Sinn besitzt (»straucheln«, »stolpern«). Dieser Sachverhalt hat zahlreiche Kommentatoren (z. B. Marti, Rudolph, Seybold, Spronk, Hagedorn [Die Anderen, 49] und Dietrich) dazu geführt, G zu folgen und in V. 6a die vergeblichen Bemühungen der Verteidiger beschrieben zu sehen. Da aber das parallele Verb »sie eilen zur Mauer« keinerlei negative Nuancen in sich trägt und zudem sachlich weit besser zu Angreifern passt, ist כשלnif. in V. 6 offensichtlich positiv gebraucht (etwa: »Sie stolpern vorwärts« im Sinn von: Sie stürzen voran), um – analog zum »Sich Überrennen« der Wagen in V. 5 – eine Schnelligkeit zu beschreiben, die keine Rücksicht auf Nebenleute nimmt. Sicher aber sind mit dem Schlusssatz von V. 6b die Angreifer bezeichnet. Während frühere Ausleger wie A. Billerbeck und A. Jeremias noch erwogen, ob das hap. leg. ( סכךvon der mehrfach belegten Wurzel » סכךschirmend bedecken« abgeleitet) eher hölzerne Verteidigungsbauten auf den Wällen oder aber die Sturmböcke, d. h. die »fahrbaren Mauerbrecher« der Angreifer, bezeichnen würde (101), hat sich inzwischen – gestützt durch assyrische Darstellungen von Belagerungen (vgl. etwa ANEP, Abb. 368–373) – die Überzeugung durchgesetzt, dass es sich um ein »Schutzdach für die Belagerer« (Ges18, 886) handelt, »eine Dachvorrichtung, unter der die Belagerungsmaschinen (Rammböcke etc.) unbehelligt von Geschossen von oben zum Einsatz gebracht werden können« (Seybold, 31).62 Das bei der Errichtung des Schutzdaches verwendete Verb ( כוןhof.; vgl. Jes 16,5; Sach 5,11) nimmt das analoge Verb aus V. 4 auf, wo es die »Aufbietung« der Kriegswagen durch den »Zerstreuer« bezeichnet. Mit dieser Maßnahme ist die Stadt für den Dichter unrettbar verloren. Erstaunlich ist, dass er auf die Darstellung der Eroberung selber verzichtet. Der folgende Vers setzt sie schon voraus. 2,7–11: Die eroberte Stadt Mit V. 7 ändert sich die Perspektive des Betrachters grundsätzlich. Jetzt Form blickt er in eine eroberte Stadt hinein. Hier herrschen wieder dreihebige 7–11 Rhythmen vor (3+2 bzw. 3+3), mit Ausnahme der eingestreuten Imperative in V. 9 f. Entsprechend ändern sich die Satztypen. Dramatische 62 Über Schutzmaßnahmen gegen feindliche Waffen sowohl der Belagerer als auch der Verteidiger einer Festung unterrichtet kundig und noch immer lesenswert A. Billerbeck, Der Festungsbau im alten Orient: AO I/4, ²Leipzig 1903, 8–11.
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Handlungen im Imperf. wie in V. 5a und V. 6 sucht man vergebens; eine Handlung wird nur noch an einer einzigen Stelle geschildert (V. 8a: die Gefangennahme der Königin), aber nun als punktuelles Geschehen im Perf. Sonst werden Ergebnisse beschrieben, die aus Handlungen entstanden sind (V. 7), vor allem aber dauerhafte Zustände in Nominalsätzen und mit Hilfe von Partizipien (V. 8b–9a.10b–11). Zweimal werden diese Beschreibungen allerdings plötzlich von kurzen Imperativen unterbrochen, die zuerst an die fliehende Bevölkerung (V. 9b), unmittelbar danach an die raubsüchtigen Soldaten des Feindes (V. 10a) gerichtet sind, und sogleich werden die vorherrschenden Dreierrhythmen (genauer: 3+2 in V. 7; 3+3+2 in V. 8; 3+3 in V. 9a) zu Zweierrhythmen beschleunigt, um zum Schluss in V. 10b und V. 11 wieder in ruhigeren Dreierrhythmen zu enden. Der die Untereinheit abschließende V. 11 zieht mit seinen einprägsamen Alliterationen ein Resümee: Hatten die vorherigen Verse in mosaiksteinartigen Einzelszenen die Stimmung bestimmter Gruppen poetisch ausgemalt – die klagenden Mägde, die panisch Fliehenden, die lüsternen Plünderer –, so zeichnet V. 11 das Bild einer völlig zerstörten Stadt mit einer hoffnungslos und voller Angst und Schrecken in die Zukunft blickenden Bevölkerung. 7 Wenn am Beginn der Darstellung die geöffneten Flusstore genannt werden und sie allein als pars pro toto die Eroberung der Stadt repräsentieren, dann muss auf der Wahl gerade dieser Tore ein besonderes Gewicht liegen. Ninive besaß aufgrund seiner Erweiterung durch Sanherib in seiner 12 km langen doppelten Stadtmauer nicht weniger als 15, zuletzt sogar 18 Tore (E. Frahm, Einleitung, 95.273–275; J. E. Reade, Ninive [Nineveh]: RLA 9 [1998–2001] 401–403), von denen mindestens fünf in der westlichen Stadtmauer zum Tigris führten, der nah an Ninive vorbeifloss und dessen Nebenarme an der NW- sowie der SW-Ecke unmittelbar an die Stadtmauer herantraten. Zumeist nimmt man an, dass diese Tore in V. 7 im Blick seien.63 Denkbar wäre auch, dass speziell die beiden Tore gemeint wären, durch die der Chosr, der Ninive durchfloss, im Osten der Stadt einfloss – das Mulissu-Tor – und im Westen aus ihr zum Tigris hin ausfloss – das Kai-Tor.64 Andere Autoren (z. B. Billerbeck-Jeremias; Cathcart; Roberts) denken an Schleusentore des von Sanherib erweiterten Kanalsystems. Die New English Bible übersetzt sogar: »The sluices of the river are opened«. Aber könnten sie wirklich in der Wortwahl eines biblischen Autors שערי הנהרותgenannt werden, selbst wenn die Archäologie an einem Aquädukt in Ninive eine Inschrift zutage gefördert hat, die ein bab nāri nennt (Cathcart, Nahum, 96)? Und sollte der Poet oder Prophet, dem wir 63 Nach der babylonischen Chronik zog die babylonische Armee bei ihrer Eroberung Ninives den Tigris entlang, worauf Hagedorn (Die Anderen, 50) aufmerksam macht. 64 D. Stronach / S. Lumsden, UC Berkeley’s Excavations at Nineveh: BA 55 (1992) 227–233; 232 halten das Mulissu-Tor für den verwundbarsten Punkt der östlichen Verteidigung Ninives.
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Abb. 3: Stadtplan von Ninive. Aus: W. Dietrich, Nahum, Habakuk, Zefanja (IEKAT), Stuttgart 2014, 38.
Nah 2,2.4–11 verdanken, eine so genaue Kenntnis der Stadt besessen haben, die er erst in V. 9 mit Namen nennt, oder sie gar mit eigenen Augen gesehen haben? Im Kontext spricht nichts für eine solche Annahme, und sie ließe sich wohl nur erwägen, wenn Ninive wirklich durch Überflutung eingenommen worden wäre und schon V. 7 auf dieses Ereignis anspielen würde. Nur dann wäre es auch sinnvoll, mit einigen neueren Auslegern die babylonischen Berichte von der Einnahme Ninives und die Ergebnisse der Ausgrabungen in Ninive zu Rate zu ziehen (vgl. den Exkurs zu V. 9). Eher werden die Flusstore eine generelle Bedeutung besitzen. Man hat gelegentlich angenommen, dass sie als besonders heikle, weil schwer zu sichernde Orte der Verteidigung genannt wären (etwa Seybold, 31;
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Abb. 4: SW-Ecke Ninives: Doppelmauer mit 2 Stadttoren, Tigris (bzw. Kanal) und Wassergraben mit Pflanzen. Aus: J. E. Reade, RLA 9, 400.
Fabry, 166), aber in der Logik des Gedankengangs des Gedichts liegt es näher, dass mit den Flusstoren gerade besonders leicht zu verteidigende Orte gemeint waren. Selbst die Tore, die von außen schwer einzunehmen waren, sind offen dem Feind preisgegeben. Für diese Deutung spricht insbesondere die Analogie von Theben, das nach Nah 3,8 deshalb so schwer für die Assyrer zu bezwingen war, weil es »an den Strömen des Nils« lag und »sein Vorwerk das Meer, seine Mauer Wasser« waren. Beide Städte galten als extrem gut gesichert, weil sie vom Wasser eines mächtigen Flusses geschützt waren. Was auch immer mit den Flusstoren gemeint ist, wenn sie offenstehen, ist der Feind in der Stadt. Die erste Reaktion wird vom »Palast« gemeldet. היכל, ein Lehnwort aus dem Akkadischen (ēkallu), das seinerseits aus dem sumerischen e-gal »großes Haus« abgeleitet ist, bezeichnet zwar auch den Tempel (so V und 8ḤevXIIgr), meint aber hier unstrittig den Palast, dessen Bewohner auch als erste deportiert werden (V. 8). Wie sehr der auf der höchsten Erhebung Ninives, dem Kuyunjik, 25–30 m über der Wohnstadt gelegene und eigens gesicherte Palast gegenüber der Unterstadt eine
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eigene Welt bildete, hat M. Novák, Die altorientalische Residenzstadt, in: W. Gernot (Hg.), Die orientalische Stadt. Kontinuität – Wandel – Bruch, Saarbrücken 1987 (169–197) 180.186–188 eindrucksvoll beschrieben. Wenn selbst der Palast »zittert« (מוג, eigentlich »bebt«), den Sanherib einen »Palast ohnegleichen« genannt hatte (vgl. J. M. Russel, Sennacherib’s Palace without Rival at Nineveh, Chicago 1991), so ist mit dem Verb für die Leser des Buches nicht nur auf der unmittelbaren Erzählebene die panische Angst seiner Bewohner angedeutet, die V. 11b näher ausmalen wird, sondern auch ein Rückbezug auf 1,5 gegeben, wo mit dem Hitp. des gleichen Verbs das Vergehen selbst der stabilen Berge vor dem Eingreifen des Herrn der ganzen Welt beschrieben wird. In den folgenden Versen wird V. 7 chiastisch präzisiert: V. 8 nennt die Konsequenzen der Eroberung für den Palast am Beispiel des Geschickes der Königin, V. 9 diejenigen für die Stadtbevölkerung insgesamt. Einzig in V. 8a findet innerhalb von V. 7–11 Handlung statt: Drei mit- 8 einander unverbundene Verben schildern im Stakkato das Leiden der Königin, deren Geschick repräsentativ für die anderen Palastbewohner steht, aber die Leser am stärksten bewegt, weil die Schönheit und der Prunk der Herrscherin des Weltreichs sprichwörtlich waren. Ihre Zur-SchauStellung und Deportation bedeuten höchste Schmach und Schande für den König und die Bevölkerung. Leider steht der Exeget in V. 8 freilich auf keinem festen Grund: Da das erste Verb fehlerhaft überliefert ist und man aus ihm oder aber aus dem dritten Verb gern eine Bezeichnung oder aber Qualifikation der Königin meinte herauslesen zu können (vgl. Textanm. a), kann nur das zweite Verb ( )גלתהals gesichert gelten. Freilich wird auch bei ihm die Vokalisation diskutiert. Während das pu. des MT eine »Entblößung« der Frau, vermutlich unter dem Einfluss von 3,5 bezeichnet, ist im Kontext das q. »in die Verbannung gehen müssen« die weit wahrscheinlichere Bedeutung. Wenn die von Duhm u. a. vorgeschlagene Rekonstruktion des ersten Verbes, der wir gefolgt sind, im Recht ist, wäre dieses mittlere Verb gerahmt von zwei Verben der Bewegung im Passiv, deren erstes ( יצאhof.) ein »Herausführen« aus dem Palast, deren zweites ( עלהhof.) ein »Heraufführen« im Sinne von »Fortführen« in ein fremdes Land (vgl. etwa Num 22,41; Jos 7,24) bezeichnet. Wenig hilfreich ist es, wenn Pinker (VT 55) im Gefolge von Cathcart und Delcor zu den genannten textlichen Unsicherheiten auch noch mythischen Tiefsinn hinzufügt (Anspielung an den Mythos von Ischtars Gang in die Unterwelt). Dass die Königin nicht mit Namen oder Titel genannt wird, ist im Kontext dieses Buches, das Städte und Länder anredet, ohne ihren Namen preiszugeben (1,11–14), und das selbst den Ninive belagernden Feind im Ungewissen belässt und die belagerte Stadt ein erstes Mal in V. 9 benennt, nicht wirklich überraschend. Von der Königin wird keine Reaktion mitgeteilt, wohl aber von ihren Mägden, und zwar im Partizip als andauernde Handlung. Dabei ist völlig unnötig, dass Rudolph und Perlitt das Verb נהגstatt als pi. (MT: »stöhnen«)
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als pu. vokalisieren und mit G, V, T als »fortgeführt werden« deuten, um sicherzustellen, dass auch die Mägde deportiert werden, was sich für den Dichter von selbst versteht; die genannten Autoren müssen als Folge ihres Eingriffs in den Text ein eigenes Verb ( )הגהfür die Klage der Mägde einführen, das angeblich ausgefallen sei. נהגkann sehr wohl »stöhnen« bedeuten, wie auch Rudolph eingesteht. Wenn die Mägde »schluchzen« bzw. »gurren wie die Tauben« (wörtlich: »wie der Laut der Tauben«), so wird ein Vergleich verwendet, der andernorts Klagen in äußerstem Leid (Jes 38,14), in extremer Not (Ez 7,16 txt. em.) und in völliger Orientierungslosigkeit (Jes 59,11) bezeichnet und schon in mesopotamischen Klagegebeten (etwa an die Göttin Ischtar: ANET 384, Z.65; TUAT N. F. 7, 89, Z.64; vgl. Ludlul bēl nēmeqi I, Z.107 [Lambert, Babylonian Wisdom Literature, Oxford 1960, 36]) und im Mythos von Nergal und Ereschkigal für die Klage der Toten (TUAT III/4, 773) belegt ist. Das Schlagen auf die Brust soll zum Ausdruck bringen, dass die Klage der Frauen in hoffnungsloser Lage erfolgt. Der Ritus an sich ist geläufig, aber er ist in Nah 2,8 sprachlich doppelt gesteigert: Die Frauen »trommeln«, und zwar »auf ihre Herzen«. Stärker könnte man die Verzweiflung von Menschen kaum zur Sprache bringen. 9 Jetzt erst, da die Stadt erobert ist und eine panische Flucht einsetzt, wird sie mit dem Namen genannt, den ein Leser des Buches schon seit der Überschrift im Gedächtnis hatte. Das ist gewiss kein Zufall: Die Bezeichnung Ninive steht im Buch Nahum nicht für das prachtvolle Zentrum einer Weltmacht, auch nicht wie in Jona 3,3 für eine Stadt, die »selbst für Gott eine große Stadt« war, sondern für eine Stadt, von der früher einmal die Herrschaft über die Welt und schwere Unterdrückung ausgegangen war, die aber nun trotz aller Stärke auf Gottes Geheiß verwüstet daliegt, zugleich freilich in neuer Gestalt (Alexandria bzw. Antiochia) ihre Gewalttaten erneuert. Schwierig zu deuten ist der Vergleich der Stadt mit einem Wasserteich. Die zahlreichen möglichen Assoziationen spiegeln die Übersetzungen der Vrs. und die Auslegungen älterer Exegeten wider (Pinker, ZAW 116, 402 f). Ein »Teich« ( )ברכהist ein stehendes Gewässer, zumeist künstlich angelegt, dessen Wasser durch Quell- und Regenwasser aufgefüllt, aber auch wieder abgelassen werden kann. Leser des Alten Testaments kannten derartige Teiche aus Gibeon (2 Sam 2,13) oder Hebron (2 Sam 4,12), vor allem aber die Hiskia-, Königs- und Siloahteiche aus Jerusalem (A. Schwarzenbach, BHHW 1939). Berühmt war in der gesamten damals bekannten Welt das aufwändige und komplexe System an Kanälen, Wasserspeichern und Stauseen, das Sanherib in Ninive hatte errichten lassen (vgl. E. Frahm, Einleitung, 13.275 f; J. E. Reade, Ninive [Nineveh]: RLA 9 [1998–2001] 404–407). Es ist durch Satellitenbilder und Luftaufnahmen für uns Nachgeborene in seiner großen Dichte an Wasserläufen sichtbar gemacht worden (J. Ur). Schon das ältere Wassersystem Ninives hatte das Wasser aus den Ausläufern des Zagros-Gebirges, dem Quellgebiet
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Abb. 5: Flüsse und Kanäle in Sanheribs Wasser-System. Aus: J. E. Reade, RLA 9, 406.
des durch Ninive fließenden Chosr, nord-nordöstlich der Stadt zur Sicherung der Wasserversorgung der Stadt genutzt, unter Einbeziehung anderer Bäche, die in den Chosr geleitet wurden. Sanherib hatte dieses System in mehr als einem Jahrzehnt (703–688) nicht nur erneuert, sondern auch durch Kanäle und Aquädukte bedeutend erweitert, unter anderem um großartige Gärten anzulegen und die Erträge der Landwirtschaft zu vergrößern (Frahm, Einleitung, 95). Vor allem aber war Ninive unter Sanherib auf mehr als das Doppelte seiner früheren Ausdehnung gewachsen und war erst durch diese ungeheure Vergrößerung (Jona 3,3: »Man benötigte eine Wegstrecke von drei Tagesreisen«) zum Zentrum des assyrischen Weltreichs geworden. Die Annahme liegt nun nahe, dass der Vergleich Ninives mit einem Teich in Nah 2,9 durch dieses komplexe Bewässerungssystem Sanheribs angeregt worden ist. In diesem Fall würde mit dem Bild der aus dem Teich »fliehenden« Wasser das aus allen Stauseen und Auffangbecken strömende Wasser bezeichnet sein, das gleichnishaft für die panische Flucht
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der Bevölkerung steht, die sich in ihrem kopflosen Davonstürzen – wohin sollte sie auch fliehen können? – von rationalen Argumenten nicht aufhalten lässt. (Der durch Inf. abs. verstärkte Imp. drückt höchste Dringlichkeit aus; die Wirkungslosigkeit des Aufrufs an die Fliehenden anzuhalten wird wie in Jer 46,5 mit verneintem פנהhif. ausgedrückt, zu dem sachlich ערף »den Rücken kehren« zu ergänzen ist.) Zahlreiche Exegeten sind freilich über diese Aussage hinausgegangen und haben gefragt, ob der ungewöhnliche Vergleich von Flüchtenden mit ausströmendem Wasser zusammen mit der Nennung der Flusstore in V. 7 nicht darauf hinweise, dass Ninive in der Erwartung des Propheten mittels Überflutung eingenommen werde, sei es infolge einer Naturkatastrophe, sei es durch absichtliche Flutung der Wasseranlagen durch die Feinde. Andere Exegeten haben die Aussagen von V. 7 und V. 9 sogar für so spezifisch angesehen, dass sie der Ansicht sind, mit ihnen werde auf die schon erfolgte Eroberung Ninives mittels Flutung zurückgeblickt. In diesem Fall würde Nah 2 Kenntnis von der speziellen Weise der Einnahme Ninives voraussetzen. Exkurs: Eine Flutung Ninives? Die These, dass Ninive durch eine natürliche Überschwemmung oder durch eine bewusste Flutung eingenommen worden sei und Nah 2,7.9 darauf anspiele, ist seit langer Zeit (z. B. P. Haupt, A. Billerbeck-A. Jeremias, J. Döller, P. Humbert) bis in die Gegenwart nicht nur von Exegeten (etwa W. A. Maier, K. J. Cathcart, J. J. M. Roberts, K. Seybold), sondern auch von Altorientalisten (etwa C. J. Gadd, I. M. Diakonoff, H. W. F. Saggs, G. W. Ahlström, J. A. Scurlock; vgl. J. R. Huddlestun, JNES 62 [2003] 105, Anm. 38) immer wieder vorgebracht worden. In neuerer Zeit wurde sie am sorgfältigsten von P. Machinist begründet. Träfe sie zu, hätte sie für das Verständnis von Nah 2 insofern gravierende Auswirkungen, als mit der Kenntnis des Autors von den näheren Umständen des Falles Ninives erwiesen wäre, dass Nah 2 (und 3) keine prospektive Prophetie enthielten, sondern vielmehr retrospektive Dichtungen über Ereignisse, die sich in den Jahren um und nach 612 v. Chr. zugetragen hätten. Freilich haben sich die Vertreter der These nie nur auf Nah 2 gestützt, sondern immer auch auf die Erzählung des griechischen Geschichtsschreibers Ktesias von Knidos verwiesen, die Diodor von Sizilien Jahrhunderte später (im 1. Jh. v. Chr.) in seiner Universalgeschichte überliefert hat.65 Nach dieser Erzählung hat es ein altes Orakel gegeben, demgemäß Ninive nicht erobert werden würde, »bevor nicht der Fluss feindlich (πολέμιος) zur Stadt werden würde« (Diodor I 438 f). Dieses 65 Gern haben diese Autoren – auch Machinist – daneben Xenophons Anabasis (III,4,10–12) herangezogen, in der eine Ruine in der Nähe der Stadt Mespila beschrieben wird, die einmal von den Medern erobert worden sei, aber nicht aus eigener Kraft, sondern dadurch, dass Zeus »die Einwohner mit Donner erschreckt« habe (βρόντῃ κατέπλεξε) habe. Selbst wenn hier Ninive gemeint sein sollte, was wahrscheinlich ist, ist eine Deutung der Angabe auf starken Regen oder gar auf Flutung alles andere als naheliegend oder gar sicher.
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Orakel habe sich am letzten assyrischen König Sardanapallos erfüllt, als »der Euphrat (sic!) so voll geworden sei, dass er einen Teil der Stadt überflutet habe (καταλύσαι τε μέρος τῆς πόλεως) und die Mauern 20 Stadien lang niedergerissen habe« (II 27).66 Darf man aufgrund dieser Darstellung vermuten »that it was this flooding that was the decisive step in the city’s destruction« (so Machinist, Fall of Assyria, 190; behutsamer 193 f)? Der zeitliche Abstand des Diodor zu den Ereignissen um 612 v. Chr. (immerhin ein ½ Jahrtausend!) ist freilich schon daran erkennbar, dass er Euphrat und Tigris verwechselt (mögliche Gründe für die Verwechslung nennt Machinist, 190, Anm. 45). Stärker ins Gewicht fällt, dass die babylonische Chronik nichts von einer Überflutung weiß und auch keinerlei archäologische Hinweise auf sie gefunden wurden. Der Archäologe Stronach beurteilt die Darstellung des Ktesias bzw. Diodor deshalb höchst skeptisch: »In reality, however, neither the Tigris nor the Euphrates (invoked in obvious error) would ever have been in flood at the height of the summer« – in dem gemäß der babylonischen Chronik (A. K. Grayson, Assyrian and Babylonian Chronicles, 1975, 94) Ninive nach nur dreimonatlicher Belagerung fiel (319; ähnlich 321). Er begründet die relativ kurze Belagerung mit der endlosen Länge der Mauern der Stadt und mit der archäologischen Erkenntnis, dass die zahlreichen Tore teilweise nicht in bester Kondition waren. Machinist selber, der diese Gegengründe natürlich kennt, hat am Schluss seines Aufsatzes einen Kompromiss vorgeschlagen: Vielleicht sei Ninive nach seiner Eroberung rituell geflutet worden als Vergeltung für die Überschwemmung Babylons durch Sanherib sieben Jahrzehnte zuvor, die die damalige Welt ähnlich erregt hat wie der Raub der Marduk-Statue aus ihrem Heiligtum Esagila in Babylon. Freilich wird durch eine solche Annahme die Wahrscheinlichkeit, dass Nahum bzw. der Dichter von Nah 2 von diesem Ereignis Kenntnis besessen habe, nicht eben wahrscheinlicher, zumal sonst schlechterdings nichts in Nah 2 dafür spricht, dass das Kapitel unter spezieller Kenntnis geographischer Besonderheiten Ninives oder der Ereignisse von 612 abgefasst worden sei. Im Gegenteil: Die Geschwindigkeit der Kriegswagen (V. 5; vgl. Jes 5,26 ff), die panische Flucht der Bevölkerung (V. 9), die riesige Beute (V. 10) und das Absinken der Stadt zum Ruinenhügel (V. 11) etc. sind literarische Stereotype, deren letztere auch in der babylonischen Chronik (»Sie trugen die schwere Beute der Stadt und des Tempels davon und verwandelten die Stadt in einen Ruinenhaufen«, Z.45) bezeugt ist und die in nahezu allen Feldzugsberichten der Assyrer (sowie ihrer Vorgänger und Nachfolger) wiederkehren. Vor allem aber ist zu bedenken, dass der Vorgang der Eroberung der Stadt den Dichter von Nah 2 gerade nicht interessiert; vielmehr beschreibt er in V. 4–6 das erobernde Heer und in V. 7–11 die eroberte Stadt. So wird man nach Abwägung aller Gesichtspunkte der Tatsache, dass V. 9a einen Vergleich Ninives mit einem Teich bietet (» כwie« wird von allen Textzeugen außer 8ḤevXIIgr geboten), größeres Gewicht zumessen als die anfangs genannten Exegeten es taten, zumal in diesem Vergleich das Wasser nicht in die Stadt fließt, sondern aus ihr heraus (Berlejung, Erinnerungen, 330). Zu bedenken ist weiter, dass das »Fliehen« der Wasser sowohl in Ps 104,7 (vor Gott als Schöpfer) als auch 66 Laut Fabry, 173, hätte Diodor gar berichtet, »dass die Angreifer den Nebenfluss Khosar mit einem Damm stauten, den Damm dann einrissen und dadurch eine Flutwelle erzeugten, welche die Stadtmauern unterspülte«. Hier kann man Traditionsbildung in actu beobachten!
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in Ps 114,3.5 (beim Exodus) belegt und als Motiv dem Dichter von Nah 2 möglichweise vorgegeben war. Eine zerstörerische Macht ist das Wasser nach dem Text selber offensichtlich nicht.67 10 Unmittelbar neben die eindringlichen Imperative, die sinnlose Flucht zu
beenden – genauer: nur getrennt durch die Feststellung des Dichters, dass die Imperative ohne jede Wirkung geblieben sind –, treten zwei neue, ebenso kurze Aufforderungen, die nun aber an die Eroberer gerichtet sind. Den Lesern wird erneut ein schneller Wechsel der Perspektive zugemutet. Sie sollen die Flucht der einen und die Plünderung der anderen zusammenschauen, die als extrem gegensätzliche Handlungen die sich überschlagenden Ereignisse in Ninive bestimmen. Die Eroberer müssen freilich zum Plündern kaum erst aufgefordert werden. Ihnen bietet sich eine unvergleichlich reiche Stadt, deren Güter ihre Hände nur zu greifen brauchen.68 Das Thema des grenzenlosen Raubs der Assyrer, das die folgenden Einheiten 2,12 f und 3,1 ff beherrscht, wird hier schon indirekt angestimmt. Zur kontextgemäßen Interpretation des seltenen Wortes » תכונהVermögen«, das J. C. Greenfield aufgrund von zwei Heiratsverträgen in den Elephantini-Papyri lieber von der Wurzel » תכןbemessen« als mit der Mehrheit von » כוןfeststellen« herleiten möchte, hat HAL, 1594 die Wiedergabe der wichtigsten Vrs. zusammengestellt (»Schmuck« [G], »Schätze« [T] etc.). Gemeint sind das flüssige Geld und die bewegliche Habe aus Kupfer, Silber oder gar Gold. Letztere ist auch im abschließenden Kolon mit den »Gerätschaften« ( )כליim Blick, die das Auge »begehrt«. Es gibt deren so viele, dass das Auge von ihrem »Glanz« geblendet ist, ihr Gewicht aber eine nicht zu bewältigende »Last« wäre, wollte man alles mitnehmen. Beide Nuancen deckt der im Zentrum des Satzes stehende Begriff כבוד, der in theologischen Kontexten Gottes »Herrlichkeit« bezeichnet. 11 Überaus kontrastreich schließt sich der letzte Vers der Einheit an die Beschreibung der lüsternen Augen der Eroberer in V. 10 an. Während die Verse 7–10 Einzelszenen aus der eroberten Weltstadt beleuchten, die den Lesern ein umfassendes Stimmungsbild vermitteln sollen, bietet V. 11 ein abschließendes Resümee. Es betrifft zuerst die zerstörte Stadt (V. 11a), danach die verzweifelten Menschen in ihr (V. 11b). In V. 11a vertraut der Dichter auf die Kraft der Alliteration: Die lautmalerischen u-a-Vokale der drei Anfangsworte, die durch Wiederholung der immer gleichen Konso67 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch A. Pinker in seiner ausführlichen Überprüfung der These von der Flutung Ninives (Nahum and the Greek Tradition). – Weit fernliegender sind allerdings die mythologischen und kosmologischen Konnotationen des Wassers, die A. Haldar, C. A. Keller und zuletzt C. L. Crouch (War and Ethics, 165) mit 2,9 verbinden, weil sie 2,4–11 nicht von 1,2–8 zu differenzieren vermögen. 68 Erinnert sei nur an die zahlreichen Abbildungen der Beute, die die Assyrer den Völkern und Städten raubten, die sie erobert oder sich unterworfen hatten, in Sanheribs Palast in Ninive; vgl. J. M. Russel, Sennacherib’s Palace without Rival at Nineveh, Chicago und London 1991.
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nanten und den Zuwachs von je einem neuen betont gesteigert werden, zeichnen sprachlich ein denkbar düsteres, hoffnungsloses Bild einer unbewohnbar gewordenen Stätte. Die ersten beiden Begriffe sind hapax legomena, von der Wurzel בוקabgeleitet, einer Nebenform der Wurzel בקק »verwüsten«, die in V. 3 gebraucht ist; der 3. Begriff ist aus dem pu. einer Wurzel בלקgebildet, die ebenfalls höchst selten verwendet wird (sie ist nur noch einmal im q. in Jes 24,1 belegt). Die Nebeneinanderstellung der gleichlautenden Nomina (ähnlich später in 3,2 f) umschreibt die Kata strophe besser als lange Beschreibungen es vermöchten. Im Folgenden wird der Blick von der verheerten Stadt auf die Menschen gelenkt, deren Hoffnungslosigkeit und Angst ausgemalt werden. Alle Glieder des Körpers werden von der Angst erfasst: Die Herzen als Ort der Entscheidung »zerfließen«, wie andernorts die Berge bei Gottes Erscheinen »zerfließen« (Mi 1,3; Ps 97,5), so dass die Menschen unfähig zu jeder Art von Planung sind: Ausdruck völliger Mutlosigkeit (Dtn 20,8; Jos 2,11; 5,1; Jes 13,7 u. ö.). Die Knie, die sonst das Gewicht des Körpers tragen und nur vor Gott gebeugt werden (1 Kön 8,54; Jes 45,23), beginnen zu »taumeln« ( פקist hap. leg. der Wurzel )פוק. Die Hüften, die in V. 2 noch zum Zeichen der Kampfesbereitschaft gegürtet werden sollten, geraten wie bei einer Gebärenden ins Zittern ( חלחלהist abgeleitet von » חילsich unter Geburtsschmerzen winden« und wird in Jes 21,3 für die Wehen der Gebärenden verwendet; die Übersetzung »Krampf« folgt Buber). Die Gesichter aller Bewohner »sammeln Röte«: eine Wendung, die nur noch in Joel 2,6 begegnet und die entweder »rot glühen« heißen kann oder aber umgekehrt »Röte einsammeln«, d. h. »erbleichen« (vgl. HAL 859 f und Rudolph zu Joel 2,6). Die engste Sachparallele Jes 13,8, die mehrere Glieder der Angstbeschreibung mit Nah 2,11 gemeinsam hat, spricht für die erstgenannte Interpretation (Görg, 14 denkt an die Schamröte der Besiegten; Seybold, Profane Prophetie, 49 erwägt »Fieberglut«). In jedem Fall aber dient auch diese Wendung wie alle anderen zuvor dazu, die völlige Verzweiflung und Haltlosigkeit der Menschen auszudrücken. Kein noch so schwacher Hoffnungsschimmer erhellt das Grauen dieser Darstellung. 2,12–14: Das Ende der Löwenhöhle Mit V. 12 f erlahmt die dichterische Kraft des Textes. Die dramatische Form Schilderung von Einzelszenen (Infanterie, Kriegswagen und Attacke der 12 f Angreifer; Angst, Gefangennahme, Flucht und Verzweiflung der Eroberten), mit einer Fülle poetischer Mittel zur Sprache gebracht (Alliteration, Paronomasie, Chiasmus, Wortspiele, Gleichnisse etc.), macht ironischen Fragen Platz, in denen sich im Ton scheinbarer Klage die Erleichterung und verhaltene Schadenfreude derer ausdrückt, die jahrzehntelang unter der Gewalt der nun Besiegten gelitten haben. Jetzt wird im Unterschied zur schnellen Szenenfolge in V. 2.4–11 ein einzelnes Bild – das der Löwenhöhle – in großer Breite ausgemalt, zunächst in ruhigen Doppeldreiern
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(V. 12), danach in kürzer werdenden Rhythmen (V. 13). Dabei nähert sich die Poesie der Prosa an, indem in V. 12 zweierlei Arten von Relativsätzen verwendet werden – in V. 12aβ mit rückbezüglichem Personalpronomen הואausgedrückt, in V. 12bα mit dem Relativpronomen אשר – und in V. 13 das Leitwort »Raub« geradezu penetrant wiederholend den Lesern dreimal eingehämmert wird. Es wird wesentlich Zuständliches beschrieben, wobei V. 12 die – nun nicht mehr vorhandene – Höhle als Sinnbild des uneingeschränkten Wohlbefindens des Löwen nennt, während V. 13 das Wesen des Löwen als Raubtier ausmalt. Zugleich werden mit V. 13 ein erstes Mal in Kap. 2 – sieht man vom späten V. 3 ab – Anklagen gegen Ninive laut. Ort 12 f Nah 2,12 f bietet die erste von drei Spottklagen, die das ältere Nahumbuch
der Kap. 2–3 in drei Teile teilen (2,12 f; 3,7.18 f). Diese Klagen gehören auf die Seite der Komposition, die den Fall Ninives im Jahr 612 v. Chr. schon voraussetzt; vgl. die Einleitung S. 26 und Köckert, RGG4 VI, 30; Hagedorn, Die Anderen, 53. Zwar zeigt eine sprachliche Parallele wie Jes 19,12 (»Wo sind denn deine [Ägyptens] Weisen? Sie sollen dir doch kundtun und dich wissen lassen, was JHWH Zebaoth über Ägypten beschlossen hat!«), dass mit der Art der Frage als solcher noch kein Rückblick vorausgesetzt sein muss, aber die Verse 2,12 f sind auf V. 4–11 bezogen, so dass es sich hier ohne Zweifel um einen Rückblick auf ein schon vollendetes Ereignis handelt, so gewiss dieser grundsätzlich auch in der Zukunft liegen kann. Jedoch zeigt der Stimmungswechsel den zeitlichen Abstand an: Enden V. 4–11 in der Beschreibung des Grauens, den die Zerstörung und Plünderung Ninives heraufführen wird, so hebt sich die implizite Schadenfreude in V. 12 f von diesem Mitgefühl deutlich ab.
Wort 12 Das Bild des Löwen, das V. 12 und V. 13 bestimmt, ist im Alten Orient
seit vorbiblischer Zeit weit verbreitet und kann grundsätzlich sehr unterschiedliche Assoziationen aus sich entlassen:69 Löwen werden vom assyrischen König auf Abbildungen, die seine Macht legitimieren sollen, und in Ritualhandlungen gejagt und verkörpern dabei das die Ordnung gefährdende Chaos; ihr Brüllen bedeutet äußerste Lebensgefahr (Am 3,8); steinerne Löwen stehen am Eingang der Stadt- und Tempeltore als Schutz vor eindringenden Feinden etc. (Berlejung, 333–335 mit Lit.). Wenn aber der Löwe die Macht eines Menschen versinnbildlichen soll, ist dieses Symbol seit jeher dem König vorbehalten. Besonders in der neuassyrischen und neubabylonischen Ikonographie verkörpert der Löwe die Macht und die Herrschaft des Königs, ja er ist ein »Kernelement der Herrschaftsikonographie«, welches »sowohl die durch das Königtum ge69 Vgl. die eindrucksvolle Fülle der Belege bei Strawn. Die Annahme Johnstons, Nahum habe genaue Kenntnis assyrischer Texte und Inschriften besessen, wenn er die Metapher der Löwenhöhle verwendet, hat schon Cogan mit guten Gründen zurückgewiesen. Berlejung rechnet weit angemessener mit einem kollektiven kulturellen Gedächtnis statt mit der Kenntnis spezieller Texte.
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währleistete Ordnung und Fülle als auch dessen Mächtigkeit« darstellt (F. Hartenstein in: J. Jeremias-F. Hartenstein, »JHWH und seine Aschera«: B. Janowski-M. Köckert [Hg.], Religionsgeschichte Israels [VWGTh 15], 1999, 110). In V. 12 wird die Löwen-Symbolik ganz unter dem Gesichtspunkt der Höhle betrachtet. Wenn die Höhle des Löwen, die für die Hauptstadt des Weltreichs steht, zerstört ist, ist damit auch dessen Herrschaft beendet, die der Löwe bzw. die Löwen verkörpern. Seltsamerweise fällt allerdings der Begriff der Höhle nicht; der Text redet stattdessen in V. 12 und V. 13 allgemeiner von der »Wohnung« bzw. »Behausung« der Löwen mit einem sehr generellen Begriff ()מעון, der keineswegs auf Tiere beschränkt ist. Da der Autor auch etwas ungenau von der »Weide« ( )מרעהder Löwen spricht, um den Fressplatz der Jungtiere zu bezeichnen, ist es nicht verwunderlich, dass Wellhausen und zahlreiche Exegeten in seinem Gefolge hier einen Schreibfehler für » מערהHöhle« vermuteten. Allerdings ist diese Annahme sehr unwahrscheinlich, nicht nur, weil sie von keiner der Vrs. gestützt wird, sondern vor allem, weil sie den Rückbezug des Personalpronomens הואauf die anfangs genannte »Wohnung« nicht berücksichtigt. V. 12 geht es wesentlich um zweierlei: Zum einen möchte er die idyllische Ruhe ausmalen, in der die Löwenfamilie vor der Katastrophe ihr Leben verbrachte, wie sie vor allem die geläufige Wendung am Ende des Verses (wörtlich: »wobei es niemand gab, der [sie] aufschreckte«) zum Ausdruck bringt (vgl. Lev 26,6; Dtn 28,26; Jes 17,2; Jer 7,33; Ez 34,28; Zeph 3,13). Zum anderen gebraucht er bewusst fünf verschiedene Begriffe für den Löwen, die Löwin und die Löwenjungen, um zum Ausdruck zu bringen, dass ihrer aller Existenz mit der Zerstörung ihrer Höhle beendet ist. Dietrich, 69 spricht von einer »ätzenden Replik auf assyrisches Selbstverständnis«. Eine Parallele zu dieser sprachlichen Variationsbreite bietet Ez 19,2–6. Demgegenüber verwendet V. 13 das Löwensymbol einzig dazu, die 13 ständige Sucht der Assyrer nach Beute abzubilden.70 Insofern ist V. 13 sowohl eine Weiterführung von V. 10 als auch eine vorgreifende Anspielung auf 3,1. Aufgrund der thematischen Verlagerung des Löwenbildes hat H. Schulz (Buch N ahum, 32) V. 13 als Nachtrag verstehen wollen; für eine solche Annahme bedürfte es aber zusätzlicher Indizien. Sprachlich knüpft V. 13 deutlich an V. 12 an. Nicht weniger als dreimal wird die Wurzel » טרףrauben« in V. 13 gebraucht, zunächst als Verb, dann als maskulines und schließlich als feminines Substantiv.71 Die deutsche Übersetzung versucht, dies zu imitieren. Das Verb טרףwird im Partizip eingeführt, um eine ununterbrochene Tätigkeit zu bezeichnen; das seltene parallele Verb חנק 70 Eindrucksvoll wirken die Belege der auf Kriegszügen eroberten Beutegegenstände in der Zusammenstellung assyrischer Inschriften bei W. A. Maier, 267 ff und 282 ff. 71 Der Autor scheint solche Variationen zu schätzen: Auch für die Behausung des Löwen steht in V. 12 das mask. מעון, in V. 13 das fem. מעונה.
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begegnet im pi. nur hier. Die Vrs. zeigen in ihren Wiedergaben, dass die Präposition » בדיzugunsten« ihre Grundbedeutung »für den Bedarf« noch nicht eingebüßt hat. Form Nah 2,14 enthält drei Perioden in gleichmäßigen Doppeldreiern mit einer 14 Einleitungsformel und ist als Fortsetzung von V. 12 f konzipiert, wie das
Löwenbild in V. 14aγ und die Aufnahme des Leitworts » טרףRaub« von V. 13 in V. 14bα deutlich zeigen.72 Jedoch geht V. 14 überraschend zur Gottesrede über, die im älteren Nahumbuch höchst sparsam verwendet wird, genauer: auf 1,14 und 3,5 beschränkt bleibt.73 Auffallen muss, dass 2,14 auch die ungewöhnliche Einleitung mit 3,5 gemein hat. Diese formelhafte Wendung, die P. Humbert als »Herausforderungsformel« bestimmt hat, mit der ein Kämpfer in einem Zweikampf seinen Gegner einschüchtert (ZAW 51 [1933] 101–108), folgt üblicherweise auf eine vorausgehende strenge Anklage und leitet das zugehörige harte Gerichtswort Gottes ein. Das ist auch in Nah 3,5 der Fall. In 2,14 fehlt dagegen eine vorausgehende Anklage; allenfalls im Stichwort »Raub« könnte man sie angedeutet finden. Vor allem aber leitet 2,14 nicht wie 3,5 und die übrigen Belege eine sachlich neue Untereinheit ein, sondern der Vers beschließt stattdessen eine vorausgehende literarische Großeinheit mit der Funktion, rückblickend ein zuvor ausführlich geschildertes Geschehen von einem Wort Gottes her zu deuten. Durch 2,14 wird dieses Geschehen als Erfüllung eines göttlichen Gerichtswortes interpretiert.
Ort 14 Offensichtlich liegt V. 14 nicht auf einer literarischen Ebene mit V. 12 f,
sondern bietet eine nachträgliche theologische Deutung der Verse 12 f, aber auch des ganzen Kap. 2. Darauf deutet schon die nach dem Löwengleichnis überraschende Form der Anrede an ein ungenanntes Individuum, die die Masoreten mit ihrer Vokalisation in Analogie zu 3,5 auf Ninive beziehen. Ein deutlicheres Indiz ist die Behandlung des Löwenbildes. Zwar werden die Stichworte »Junglöwen« und »Raub« aus V. 12 f aufgegriffen, aber sie werden mit Aussagen verbunden, die das Löwensymbol verlassen zugunsten der von ihm abgebildeten Realität: Die Junglöwen »werden mit dem Schwert getötet«, der Raub der Löwen wird von Gott »ausgerottet«. Zudem wird mit dem Stichwort »Streitwagen« weit über V. 12 f hinaus an V. 4–5 angeknüpft – ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass hier nicht von den Wagen der Assyrer, sondern der sie besiegenden Feinde die Rede ist –, und mit der Erwähnung von »Boten«, die nicht mehr gesandt werden sollen, wird möglicherweise indirekt an V. 1 angespielt (wo allerdings ein »Freudenbote« auftritt). Beim Thema Raub / Beute zeigt sich der zeit72 Der Umgang mit im Kontext vorgegebenen Begriffen schließt ein Verständnis von V. 14 als Einzelwort (Wöhrle, Abschluss 41 f) aus. 73 3,6 ist ein Nachtrag. Allenfalls könnte man das »Ich« aus 3,7bβ auf Gott beziehen. Wahrscheinlich ist das nicht (s. u.).
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liche Abstand zu V. 4–11: Werden in V. 10 Ninives Feinde aufgefordert, reiche Beute zu machen, so kündigt Gott in V. 14 die »Ausrottung« aller Beute der Assyrer durch ihn selber an (Wöhrle, Abschluss, 42). V. 14 führt also nicht nur V. 12 f weiter, sondern möchte mit seinem Gotteswort die Summe des Kapitels Nah 2 insgesamt benennen. Dabei spielt V. 14 mit den Stichworten »Schwert« und »Streitwagen« auch vorgreifend auf 3,2 f an und erweist sich so als bewusst eingesetzter literarischer Brückenvers (Nogalski, Redactional Processes, 117). Fragt man nach dem Autor des Verses und nach der Zeit dieser theologischen Deutung, so kann m. E. die Antwort nicht zweifelhaft sein: Es ist der jüngere Prophet, auf den Kap. 1 und das Buch als Ganzes zurückgehen. Deutliches Indiz für diese Zuweisung sind die Verwendung des Leitworts aus Nah 1,9–2,1: עוד … » לאnie wieder« und die Konzentration auf den Erzfeind Gottes (im Sing.) wie in 1,11–2,1. Für diesen Propheten sind die Ereignisse von Kap. 2 keine beliebigen kontingenten Geschichtserfahrungen, und seien sie noch so heilvoll und Glück bringend für die Menschen in Juda, sondern Taten Gottes, die die Endzeit einleiten und die Not der Unterdrückten ein für alle Mal beenden, die in Nah 2 vorausgesetzt, aber nicht beschrieben wird. Dem Leitwort »nie wieder« entspricht in 2,14 wie auch in 1,14 und 2,1 die Verbwurzel כרתhif. bzw. nif. »ausrotten«, die nicht nur ein punktuelles Strafhandeln Gottes bezeichnet, sondern ein Gotteshandeln mit endgültiger Folge. Mit dem Ziel, das Ende einer nie wiederkehrenden Not zu beschreiben, wird vermutlich auch die Erweiterung des Eigennamens Gottes hier und in 3,5 zu »JHWH Zebaoth« zusammenhängen (s. u.). Schließlich ist das Thema der »Boten«, die in V. 14 als Symbol einer Herrschaft der Gewalt fungieren, im riesigen Reich, das Alexander d. Gr. bei seinem Tod hinterließ, weit besser verständlich als im 7. Jh. Offensichtlich haben die Masoreten (und mit ihnen die meisten neueren Ausleger) den Vers missverstanden, indem sie sämtliche Suffixe des Konsonantentextes feminin vokalisiert und damit auf Ninive bezogen haben. Dieses Verständnis bot sich den Masoreten aus zwei Gründen an: Zum einen ist der ältere Text in 3,5, an den sich die Einleitungsformel in 2,14 anlehnt, eindeutig auf Ninive bezogen; zum anderen haben die Masoreten in V. 14aβ das abschließende הbei רכבהirrtümlich als ein Suffix der 3. Pers. sg. fem. verstanden, obwohl alle anderen Satzglieder in Form der Anrede gestaltet sind. Jedoch zeigen die Verse, dass MT auf einem Schreibfehler basiert (Textanm. 14b); der ältere Text bot eine Anrede an ein maskulines Individuum. Ein solches Verständnis legt sich sowohl aus formalen als auch aus inhaltlichen Erwägungen nahe. Zum einen haben die textkritischen Abwägungen ergeben, dass das erste und das letzte Glied der vier Ankündigungen Gottes im ältesten für uns erreichbaren Text einem maskulinen Adressaten gegolten haben; zum anderen ist die prophetische Botschaft von 1,11–2,1 gegen ein ungenanntes männliches Individuum gerichtet, das in 2,1 zunächst als »Belial« (vgl. 1,11.14) bezeichnet und dessen Geheimnis für kundige Leser am Schluss des Buches
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mit der immer noch mehrdeutigen Benennung »König von Assur« gelüftet wird (3,18). Die maskuline Interpretation der Suffixe in den Anredesätzen ist für den jüngeren Propheten nicht zuletzt darum geboten, weil im vorausgehenden Kontext mit dem Bild des Löwen (Sing. in V. 12b und 13) eine Fülle von königlichen Assoziationen vermittelt wurde, die er auf »Belial« bzw. den »König von Assur« beziehen musste. Wort 14 V. 14 ist – abgesehen von V. 3 – der jüngste Teil der Einheit V. 2–14.
Er verleiht den visionären Versen 2.4–13 nachträglich die Würde eines Gotteswortes, während V. 3 schon zuvor das gesamte Geschehen in ein umfassendes Geschichtshandeln JHWHs eingezeichnet hatte. Eingeleitet wird V. 14 durch die schon erwähnte geprägte Wendung der sog. »Herausforderungsformel«. Ihre Übernahme aus 3,5 zeigt an, dass 2,14 als vorwegnehmende Interpretation des mehrdeutigen Bildwortes in 3,5 verstanden werden soll. Die Wendung besteht aus drei Teilen: Auf die Einleitung » הנני אליךSiehe, ich (will) an dich«, mehrfach auch mit der Präposition עלverwendet (»Siehe, ich [stehe] gegen dich«), folgt 2. eine als Parenthese eingeführte Gottesspruchformel (»Spruch JHWHs«), die hier die feierliche Gottesbezeichnung »JHWH Zebaoth« erhält, bevor 3. mit »Ich werde …« im Perf. consec. die spezielle Ankündigung der göttlichen Tat erfolgt. Auch wenn die Ableitung der Formel aus dem Zweikampf mit Recht mehrfach in Frage gezogen wurde (H. M. Lutz, Jahwe, Jerusalem und die Völker: WMANT 27 [1968] 67, Anm. 2; 179 f; H. Simian, Die theologische Nachgeschichte der Prophetie Ezechiels: fzb 14 [1974] 178–180; vgl. die Auslegung zu 3,5), kann kein Zweifel daran bestehen, dass sie einen extrem drohenden Grundton im Kontext einer unmittel baren Konfrontation zweier Gegner zum Ausdruck bringen will. Der König der »Assyrer« – vom jüngeren Propheten hier wie stets typologisch verstanden (vgl. zu 3,18) – erscheint in ihr als direkter Feind: nicht Israels, sondern Gottes!74 Die Formel ist sehr ungleichmäßig belegt: Sie begegnet 14mal im Buch Ezechiel, dreimal im Buch Jeremia (21,13; 50,31; 51,25) und sonst nur noch in Nah 2,14 und 3,5. Dabei ist der Vers 3,5, an den sich unsere Stelle anlehnt, ungleich fester in seinem Kontext verankert als 2,14. In 3,5 folgt die Formel wie in den meisten anderen Belegen auf eine vorausgehende harte Anklage, die in 2,14 auffällig fehlt. Allerdings bietet 3,5 ebenso wie 2,14 nicht nur wie sonst die Gottesspruchformel als Legitimation, sondern darüber hinaus den feierlichen Gottesnamen »JHWH der (himmlischen und irdischen) Heerscharen«, der im Kontext verdeutlichen will, mit welchem Gegner die »Assyrer« es zu tun bekommen. Am ehesten ist צבאות aus 2,14 in 3,5 übernommen worden, oder der Begriff ist an beiden Stellen 74 Mit feinem Gespür hat A. Haldar (Studies, 62) schon 1947 formuliert, hier liege kein wirkliches Orakel vor, sondern die »Herausforderungsformel« sei nur ein »stylistic phenomenon«.
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redaktionell nachgetragen. Eine bekannte Analogie bietet das Amosbuch; vgl. Am 3,13; 4,13; 5,14; 6,14 und dazu H. W. Wolff, BK XIV/2 z. St. Die Ankündigung des Angriffs Gottes gegen den König der »Assyrer« wird im Folgenden durch drei Handlungen Gottes und eine aus ihnen folgende Konsequenz präzisiert. Dabei greifen die beiden mittleren Handlungen Gottes – deren erste an das Schwert als Strafwerkzeug delegiert wird – das Löwenbild von V. 12 f auf, während die beiden Rahmensätze ohne Bildbegriffe Realität beschreiben: die Vernichtung der Wagen der »Assyrer« und das Ende ihrer Boten. Allerdings ist die Erwähnung der assyrischen Wagen textkritisch unsicher, weil der Begriff רכב, der auf V. 4 f anspielt, von G, S und 4QpNah nicht geboten wird, die vielmehr stattdessen רבbzw. » רבבGröße, Menge« voraussetzen. Jedoch wird diese Lesart, obwohl von zahlreichen Exegeten (unter ihnen Wellhausen, Renaud und Barthélemy, Critique textuelle III, 812 ff) bevorzugt, kaum die ältere sein. Das Verb »verbrennen« hat üblicherweise nicht abstrakte Begriffe, sondern konkrete Gegenstände als Objekt; vgl. zum Verbrennen von Wagen Jos 11,6.9; Ps 46,10. Hinzu kommt, dass die Wurzel בער, die hier im hif. verwendet wird, im pi. den Sinn »ausmerzen, ausrotten« besitzt – im Hintergrund des Gebrauchs dieses Verbs steht das Ideal der reinen Gemeinde –, und dass diese Nuance für V. 14 in der Tat eine Bedeutung besitzt, zeigt das sachlich ähnliche Verb כרתhif., das uns schon in 1,14 und 2,1 begegnet war und das in 2,14b das Gericht Gottes als ein Handeln mit endgültiger, unumkehrbarer Wirkung kennzeichnet. Auch dieser Sinn passt ungleich besser zu einem konkreten Objekt »Wagen« (vgl. Mi 5,9; Sach 9,10) als zu dem abstrakten Begriff »Größe« bzw. »Menge«. Die Endgültigkeit der Wirkung des göttlichen Handelns, die für den jüngeren Propheten im Zentrum seiner Verkündigung steht, wird in V. 14aβ noch auf andere Weise zum Ausdruck gebracht: Die Wagen der »Assyrer« werden nicht nur im Feuer vernichtet, sondern »im Rauch verbrannt«. Der analogielose Sprachgebrauch hat Autoren wie A. Pinker dazu verführt, mit einem Textfehler zu rechnen und den Text zu ändern. Jedoch werden in der genannten Formulierung bewusst zwei Wendungen miteinander kombiniert, wobei »wie (oder: im) Rauch aufgehen« (Hos 13,3; Jes 51,6; Ps 68,3; 102,4) als »Symbol der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit« des im Feuer Vernichteten fungiert (R. North, ThWAT VI, 440). Die schnellen Streitwagen der »Assyrer« stehen für den Verfasser von V. 14 nicht zufällig am Anfang mehrerer von Gott angekündigter Taten, die eine Vernichtung mit definitivem und unwiderruflichem Ergebnis beinhalten. Vielmehr gelten die Wagen in V. 14 als Repräsentanten für die Fähigkeit der Assyrer und aller folgenden Weltmächte, widergöttliche Kriege gegen schwächere Völker zu führen. Das Verbrennen der Wagen erfolgt im gleichen Geist wie in Ps 46,10 oder in Sach 9,10 und führt zum Ende derartiger Kriege. Im Hintergrund dieser Ankündigung stehen die zahlreichen und zumeist späten Texte des Alten Testaments, die das Vertrauen
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auf Rosse sowie Wagen und das Vertrauen auf JHWH als denkbar scharfen Gegensatz formulieren (Hos 14,4; Jes 2,6–8; Mi 5,9–13; Ps 33,16–18 etc.). Mit den Wagen wird den Assyrern künftig alle Macht entzogen sein, Pläne gegen Gott zu schmieden. Die beiden folgenden Handlungen JHWHs werden in betontem Anschluss an das Löwenbild aus V. 12 f dargestellt, wobei das Bild aber mit Verben der kriegerischen Realität verbunden und – kaum zitiert – sogleich wieder verlassen wird. Zuerst wird die Tötung der »Junglöwen« erfolgen, die JHWH an das Schwert als Strafinstrument delegiert, und damit sind in V. 14 am ehesten alle Verantwortungsträger im Staat des Unterdrückers einschließlich der Soldaten gemeint, die nach V. 12 vom König als Oberlöwen protegiert werden. Mit den »Junglöwen« wird alles Gefahrenpotential beseitigt sein, das bisher den Völkern aus »Assyrien« drohte. Zugleich wird Gott selber den unendlichen Reichtum der »Assyrer« vernichten, der in zahllosen Schlachten und durch hohe Tribute den eroberten Völkern geraubt worden war. Dabei meint das Verb כרתhif. wie schon in 1,14 mehr als nur die Beseitigung von Materialien: Es blickt voraus auf einen Zustand der Normalität gleichmäßiger Besitzverteilung, der durch den »Raub« des Löwen »Assyrien« in Unordnung gebracht worden war. Diesen Aspekt verfehlt der von keiner der Vrs. unterstützte Vorschlag Spronks (109), statt des Substantivs »Raub« eher den Inf. des Verbes »Rauben« zu vokalisieren, dem man daher nicht folgen sollte. Er nimmt dem Text seine Tiefenschärfe: Nicht nur das Rauben der »Assyrer« wird Gott beenden, sondern auch das Ungleichgewicht im Besitz der Völker. Zum Abschluss von V. 14 wird auf die Folge all dieser göttlichen Maßnahmen geblickt. Wenn hier das Ende des Systems permanenter Botensendungen hervorgehoben wird, so entspricht dieser Gedanke im kollektiven Horizont der Ankündigung von 1,14 im individuellen Horizont, dass der König keine Nachkommen haben wird. Wie es ohne neuen König keine Fortsetzung der Gewaltherrschaft der »Assyrer« geben wird, so ohne Boten kein »assyrisches« Weltreich. »Es waren die Boten, die als Diplomaten zwischen Staaten fungierten, Verträge aushandelten, Kapitulationsurkunden überreichten und einem Vasallenkönig die Anordnungen seines Oberherrn … überbrachten« (Berlejung, 335). Ohne Boten wird das »assyrische« Volk wie alle anderen Staaten in der Eigenexistenz sein Genüge finden. Mit seiner Betonung, dass man die Stimme der Boten Assyriens »nie wieder« hören werde, knüpft 2,14 an das Leitwort der Einheit 1,9–2,1 an. Dass Assyriens Herrschaft definitiv und für alle Zeiten vorbei sei, hatten ja zuvor schon die Verben בערund כרת, beide im hif., je für sich betont. Aber das »Nie wieder« des letzten Satzgliedes aus Kap. 2 hebt es noch einmal unüberhörbar den Lesern ins Bewusstsein. Die erfahrene Zerstörung des historischen Ninive und die erhoffte Zerstörung des gegenwärtigen »Ninive«, also der Hauptstadt der die Völker bedrückenden Weltmacht in hellenistischer Zeit, sind für das Buch Nahum mehr als nur gewichtige Einschnitte in der Geschichte und auch mehr als das Ende einer jeweili-
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gen Epoche. Sie sind der Beginn einer neuen Erfahrung der Menschheit, der Erfahrung einer bleibenden Friedenszeit. Das Verbrennen der Wagen meint wie in Ps 46,10 und in Sach 9,10 das Ende der Kriege, und das Verstummen der Stimme der Boten »Assyriens« meint das Ende der Herrschaft von Völkern über Völker. In diesem Sinn ist das in seinem Ansatz weit ältere Kapitel Nah 2 vom jüngeren Propheten, dem wir Nah 1 verdanken, aufgegriffen und neu gedeutet worden. Nah 2,2–14 kann von einem historisch-kritisch geschulten Ausleger auf Ziel zwei verschiedenen Ebenen gelesen werden. Es ist zum einen ein gewachsener Text, und ein Exeget, der ihn als solchen liest, muss die zunehmende Bedeutung des Textes auf seinen Wachstumsstufen wahrnehmen. Am Anfang steht ein poetisch ungewöhnlich künstlerisches Gedicht (2,2.4–11), das den visionär geschauten Fall Ninives besingt, ohne ihn zu bewerten und ohne Ninive anzuklagen. Es schildert einen Feind, der die Assyrer durch sein vorbildlich geordnetes Heer mit ihren eigenen Waffen schlägt, und ein Ninive, das ausgeplündert wird und dessen Bewohner in Angst und Verzweiflung auf die Ruinen ihrer Häuser schauen. Dieses Gedicht wird in V. 12 f mit einer ironischen Frage fortgeführt, in der Ninive mit einer Löwenfamilie verglichen wird und die Ausdruck einer großen Erleichterung ist: Ohne ihre Höhle sind die Löwen nicht lebensfähig; ihre permanente Intention, Beute zu machen, hat ein Ende gefunden. Auf einer letzten Wachstumsstufe ist diese visionär geschaute Erleichterung auf doppelte Weise theologisch gedeutet worden: zunächst als Teil eines umfassenden Geschichtsplans Gottes (V. 3), zuletzt als Verheißung des endzeitlichen Heiles Gottes (V. 14). Man kann diesen Text aber auch – bei Kenntnis seiner Wachstumsstufen – synchron im Ablauf seiner Verse lesen. Dann ist er in einen aufregenden erzählerischen Spannungsbogen hineingestellt. An seinem Anfang wird eröffnet, dass im Folgenden ein Strafhandeln geschildert wird, das der gleiche Gott durchführen wird, der auch beide schuldige Bruderreiche Israel und Juda mit dem Verlust ihres Staates gestraft hatte. Damals war Assyrien sein Strafwerkzeug gewesen, weil dieses Strafwerkzeug aber eine widergöttliche, auf Weltmacht zielende Politik der Unterdrückung der Völker praktiziert hatte, wird es nun selber zur Rechenschaft gezogen. Auf diese Weise wird das visionäre Geschehen der Einnahme Ninives von Anbeginn an in den Horizont der Theologie des großen Jesaja und seiner Tradenten (Jes 10,5 ff) gestellt. Jedoch bleibt es nicht dabei. Während der ältere Hauptteil des Textes die kopflose Flucht der Bewohner der Weltstadt und ihre Angst sowie die Erleichterung der von ihr Unterdrückten darstellt, steigert der Schlussvers 14 den göttlichen Strafvollzug im deutenden Gotteswort zu einem endgültigen Ereignis; »nie wieder« wird eine Wiederholung einer ähnlichen Unterdrückung der Völker stattfinden. Auf diese Weise ist Nah 2 mit V. 14 zu einem »eschatologischen« Text geworden, und als solcher ist er in das Buch N ahum übernommen wor-
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den. Ninive war 612 eingenommen und zerstört worden; insofern war die anfängliche prophetische Vision des Propheten Nahum bald in Erfüllung gegangen. Aber die Hoffnung von V. 14 reicht wie diejenige von Nah 1 ungleich weiter. Sie richtet sich auf eine Welt des friedlichen Miteinanders der Menschen, ohne alle Erfahrung von Gewalt und Unterdrückung. Dieser Horizont der Verheißung Gottes war zur Zeit der Diadochen noch genauso unerfüllt wie zur Zeit des Textes in all seinen vorausgehenden Wachstumsstufen. Immer neue »Ninives« waren entstanden und hatten die Praxis der Assyrer auf ihre Weise fortgesetzt. So bleibt Nah 2 ebenso wie Nah 1 ein Text, der die Erfüllung des Gotteswortes noch erwartet; und wenn Paulus betont, dass Gottes Zusage in der Gemeinde der Glaubenden als »Leib Christi« schon ansatzweise Realität geworden ist, bleibt auch sie beim Hören von Nah 2 eine Gemeinde im Warten auf Gottes volle Erfüllung seiner Verheißung, der die Bitte: »Dein Reich komme!« anvertraut ist.
Die Hure Ninive (Nah 3,1–7)
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so ganz und gar betrügerisch, vollgefüllt mit Beuteb, nie mangeltc Raub! 2 Peitschenknall und Räderrasseln,
jagendea Pferde und hüpfende Wagen! 3 Anspornende Reitera … Schwerterleuchten und Speeresblitzen – Durchbohrte in Massen und Haufen von Leichen! Kein Ende der Totenb, man stolpertc über ihred Körper! 4 Wegen der vielen Hurereia der Hure,
der anmutigen, in Zauberei versierten, die Völker mit ihrer Hurerei preisgab (?)b und Sippen mit ihrer Zauberei. 5 Wohlan, ich will an dich – Spruch JHWHs der Heerscharen –,
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Nah 3,1–7
ich decke deine Rocksäumea über dein Gesicht auf und lasse Völker deine Blöße sehen und Königreiche deine Schande. [6 Ich werfe Scheusalea auf dich, entehre dichb und mache dich zum Schaustückc.] 7 Dann wird jeder, der dich sieht, vor dir fortlaufena und sagen:
Verheertb ist Ninive – wer wird ihr Mitleid bekunden? Wo kann ich Trösterc für dichd finden?
1 1a 4QpNah bietet דמיםmit Artikel, vermutlich im Anschluss an Ez 22,2; 24,6.9 (Weiss). – b Das nur noch Ob 14 belegte Substantiv פרק, nach Ges17 662 und HAL 916 »die in Sicherheit gebrachte Beute«, legt – dem Sinn des Verbs entsprechend – weit eher die Assoziation »die in Stücke gerissene Beute« nahe (A. B. Ehrlich, Randglossen V, 297); vgl. Ἀ, Σ und V sowie die Auslegung. G und S scheinen das Substantiv nicht zu kennen und raten »Ungerechtigkeit«. – c Die Wurzeln ( מוש4QpNah) und ( מישMT) sind bedeutungsgleich (»weichen«), aber Formen von II מושdecken sich auch mit der Wurzel » מששbetasten«, die 2 G und S vor Augen haben. – 2a Das Verb דהרbegegnet nur hier; seine Bedeutung erschließt sich aus dem Pl. des abgeleiteten Substantivs דהרותin Ri 5,22. – 3 3a Wörtlich: »(die Pferde) steigen lassende«, »vorwärtstreibende« Reiter, d. h. Reiter, die ihren Pferden die Sporen geben. Die Übersetzung schließt sich Horst an, dem auch HAL 919 und die meisten neueren Ausleger folgen. – b G leitet das Substantiv von גויab und übersetzt »ihre Völker«. – c Das Qere וכשלוbetont gegenüber dem Ketib יכשלוdie Folge: »so dass man …«. Logisches Subjekt sind die Sieger. – d Constructio ad sensum: Das Suffix der 3. P. mask. pl. steht ohne direktes Bezugswort für die Einwohner Ninives. Allenfalls wären die kollektiven Singulare 4 »Durchbohrte« und »Leichen« zu nennen. – 4a G bezieht die Begründung noch auf V. 3 und fasst das folgende Substantiv »Hure« als Vokativ auf. – b MT und so gut wie alle Vrs. leiten das Verb von der Wurzel » מכרverkaufen« ab, das im Kontext keinen Sinn ergibt, weil keine Partei vorstellbar ist, die als »Käufer« in Frage kommt. Entweder liegt ein übertragener Sinn des Verbes vor, oder es ist mit einem Textfehler zu rechnen; vgl. die Auslegung. Das הממכרתvon 4QpNah ist noch un5 erklärt und vermutlich ein Schreibfehler. – 5a G übersetzt euphemistisch »deine 6 Rückseite« (V: pudenda tua); Ἀ und Σ verbessern τὰ πρὸς ποδῶν. – 6a Die weithin übliche Übersetzung »Unrat«, »Schmutz« ist philologisch nicht haltbar; vgl. die Auslegung. – b Wörtlich: »Ich behandle dich verächtlich« (E. Jenni, Das hebr. Piʻel, 41). G deutet das Verb als Substantiv (»deine Unreinheiten«) und bezieht es noch auf das vorangehende Verb »werfen«. – c Die Lesart כאורהin 4QpNah statt כראיim MT ist entweder ein Schreibfehler aufgrund von Metathesis, oder sie bietet 7 eine Nebenform zur Wurzel » כערSchmutz, Kot« (Weiss). – 7a G hat das Verb als » ירדherabsteigen« verlesen. – b Zur Form vgl. Ges-K § 52q. – c G übersetzt mit dem Abstraktum »Trost«. – d G und Σ lesen erleichternd wie im Parallelglied »für sie«; V, S, T und 4QpNah stützen den MT. l
Form Das mittlere Ninive-Gedicht Nah 3,1–7 ist das bei weitem eigentüm-
lichste. Zwar gibt es Gemeinsamkeiten mit den beiden anderen, die es
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rahmen: So endet auch 3,1–7 in einer Klage mit spöttischem Unterton, die Ausdruck der Erleichterung der Unterdrückten über den Untergang der Weltstadt ist (V. 7), und in V. 2 f ist in kurzen Nominalfügungen von einem Schlachtgeschehen die Rede, dessen poetische Darstellung eng an 2,4–11 anklingt. Aber in den restlichen Versen 1.4–6 ist alles anders. Hier werden harte Anklagen gegen die Weltstadt laut, die in den anderen Einheiten fehlen. Mit dieser Akzentverlagerung sind zwei andere Besonderheiten verbunden: Zum einen erscheint in 3,5 ein explizites Gotteswort, wie es sonst im älteren N ahumbuch nur in 1,14 zu finden ist (2,14 geht auf die Redaktion zurück) – die Sparsamkeit in der Verwendung von Gottesworten gehört zu den Eigenarten des Buches Nahum –; zum anderen stehen die Verse in einer großen Nähe zu zentralen Formen und Themen der klassischen Propheten Israels, einer Nähe, die mich vor einem halben Jahrhundert in meiner Habilitationsschrift dazu verleitet hat, in Nah 3,1–6 ein ursprünglich gegen Jerusalem gerichtetes prophetisches Gerichtswort zu sehen (Kultprophetie, 28 ff; so auch zuletzt J. Wöhrle, Abschluss, 44 ff). Offensichtlich ist der Prophet Nahum der Überzeugung gewesen, dass Ninive von Gott mit den gleichen Maßstäben gemessen und nach den gleichen Rechtsvorstellungen verurteilt wird wie 722 v. Chr. das Nordreich Israel. Daran wird deutlich, wie weit das Denken N ahums von der Argumentation geläufiger Völkerorakel anderer Propheten unterschieden ist. Augenfällig wird diese Differenz vor allem daran, dass nirgends Ninives Schuld gegenüber Juda angeklagt wird, sondern nur seine Vergehen gegenüber den unterjochten Völkern insgesamt (V. 4). Jedoch sind die meisten Ausleger über diese Nähe eines Wortes gegen Assyrien zu Hauptthemen der klassischen Prophetie viel zu leichtfertig hinweggegangen, als stelle sie etwas Übliches, oft Anzutreffendes in der Verkündigung eines israelitischen Propheten gegen ein Fremdvolk dar.75 Sie haben zumeist die religiöse Dimension der Anklagen gegen Ninive ausgeklammert und sie rein politisch interpretiert, haben sie damit aber ihrer Tiefenschärfe beraubt und ein flaches, konturloses Bild entstehen lassen. Die Anknüpfung an die klassische Prophetie gilt ansatzweise schon von der Übertragung der Leichenklage »Wehe!« auf ein noch lebendes Kollektiv (V. 1), die möglicherweise auf den ältesten unter den Schriftpropheten, Amos, zurückgeht, vor allem aber von den Konnotationen der Vorstellungskomplexe des »Betrugs« (V. 1) und noch mehr der »Hurerei« (V. 4), die als erster Hosea für das Verhältnis JHWH-Israel verwendet hat, um ein Gegenbild zur von Gott gestifteten »Ehe« zu beschreiben. Mit Recht formuliert R. G. Kratz (Pescher Nahum, 132): »Ninive [wird] an Maßstäben gemessen, die in der biblischen Überlieferung üblicherweise 75 Indirekt anerkannt wird die Besonderheit von den Autoren (M. Köckert, RGG4 VI, 29 f; A. C. Hagedorn, Die Anderen, 57–59), die aufgrund der prophetischen Parallelen Nah 3,4–6 als sekundäre Interpretation von 3,1–3 deuten. Jedoch fehlt dieser literarkritischen Maßnahme eine ausreichende Begründung.
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an Israel und Juda angelegt werden«. Ohne die damit angesprochene theologische Dimension der Anklagen hätte der spätere Prophet, dem wir Nah 1 verdanken, kaum so unmittelbar an Nah 2–3 anknüpfen können, wie er es getan hat. Formal bieten die Verse 3,1–6 eine zusammengesetzte Einheit mit einer doppelten Abfolge von Anklage (V. 1.4) und Gerichtsankündigung (V. 2 f.5 f) und einer abschließenden Spottklage in V. 7, die durch eine Prosa-Einleitung deutlich vom Vorangehenden abgesetzt ist. Innerhalb von V. 1–6 liegt der wichtigste Einschnitt nach V. 3, wie schon die poetische Gestaltung anzeigt: V. 1–3 sind im kurzen Rhythmus der Doppelzweier gestaltet, V. 4–6 im ruhigeren Rhythmus der Doppeldreier. Zugleich ist Nah 3,1–7 fest in seinen Kontext eingebunden: Das Unterthema »Raub« und das implizite Bild der reißenden Löwen in V. 1b bleiben ohne vorausgehende Lektüre von 2,12 f (bzw. 2,12–14) unverständlich. Wohl aber besteht die Möglichkeit, dass dem Abschnitt ein älterer Text oder ein mündliches Wort in einer einfacheren Form zugrunde liegt (s. u. »Ort«). Bei näherem Zusehen erweisen sich die Verse 1–6 als höchst komplex. Auf das einleitende prophetische Wehewort V. 1 folgt mit V. 2 f eine kurze Schlachtschilderung, die abrupt einsetzt und ebenso abrupt endet; sie besteht überwiegend aus Sinneseindrücken in aneinander gereihten Nominalfügungen, die keine fertigen Sätze bilden. Demgegenüber knüpft die erneute Anklage in V. 4, eingeleitet von einem kausalen מן, syntaktisch an V. 1 an, bildet also keine selbständige Untereinheit. Vielmehr zeigt sich, dass das Wehewort in V. 1 die Funktion einer Überschrift über V. 1–6 als Ganzheit ausübt. Wenn die Masoreten in V. 1 den entscheidenden Einschnitt mit dem trennenden Akzent des Atnach sogleich hinter der ersten Anklage »Stadt der Blutschuld« setzen, so folgen sie dem sachlichen, nicht dem poetischen Gefälle des Verses. In der Tat will die folgende Schilderung des Schlachtgeschehens, das in der Beschreibung einer Fülle an Toten gipfelt (V. 2 f), primär als göttliche Reaktion auf die Schuld des Blutvergießens der Assyrer (V. 1a) verstanden sein. Demgegenüber wird in der zweiten Hälfte von V. 1 der »Betrug« Ninives, der zu der Masse an »Geraubtem« führt, im Vorwurf der »Hurerei« von V. 4 näher dargelegt, und eng auf ihn bezogen erfolgt die göttliche Strafe in V. 5 f. Sie wird als ganz persönliche Maßnahme Gottes eingeführt: in einer der seltenen Gottesreden im Buch N ahum, die (anders als in 1,14) in direkter Anrede an die ehebrecherische Frau ergeht und einen bemerkenswerten Kontrast zur distanzierten Form der Leichenklage »Wehe!« bildet. So bilden auf der inhaltlichen Ebene V. 1a.2 f und V. 1b.4–6 zwei miteinander verzahnte Untereinheiten. Sie unterscheiden sich vor allem darin voneinander, dass das Schlachtgeschehen von V. 2 f ohne jede Einführung als selbstverständliche logische Folge der Blutschuld Ninives erscheint, während die göttliche Strafe in V. 5 f als persönliche Handlung Gottes im Bild des von der Frau betrogenen Ehemannes (V. 4) erfolgt. Auf diese Weise wird die vielschichtige Schuld Ninives in V. 2 f und V. 5 f doppelt
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gesühnt: in V. 2 f durch eine Feldschlacht, die nicht explizit als von Gott ausgelöstes Geschehen dargestellt ist, mit Massen an Toten, in V. 5 f durch ein hoch-emotionales Handeln Gottes selber, das Ninive im Bild der Frau der äußersten Schande der Ehebrecherin preisgibt. Seit jeher ist aufgefallen, dass im komplexen Gedankengang von Ort Nah 3,1–6 die Schlachtschilderung von V. 2 f wie eine Größe sui generis wirkt. Die zweite Anklage in V. 4, die nie für sich bestanden hat, ist als Fortsetzung von V. 1 formuliert. Umgekehrt ist der Vorwurf des »Betrugs« in V. 1 ohne seine nähere Explikation in V. 4 nicht recht verständlich. V. 1b und V. 4 sind sachlich eng zusammengehörig. Demgegenüber sind V. 1 und V. 2 f im Hebräischen stilistisch deutlich voneinander unterschieden: V. 1 bietet kurze, stakkatoartig unverbundene Sätze ohne Kopula, in V. 2 f sind (mit Ausnahme des ersten Kolon in V. 3; s. u.) sämtliche Nominal fügungen durch Kopula miteinander verknüpft. Ohne V. 2 f gelesen ergäbe sich für Nah 3,1 ff eine vielfach belegte Abfolge: Auf eine prophetische Anklage (V. 1.4) folgt ein auf sie bezogenes Gerichtswort im Namen Gottes (V. 5 f). Mit V. 2 f ruft die prophetische Anklage zunächst eine prophetische Vision hervor, so dass die Gerichtsankündigung Gottes erst auf die zweite Anklage hin ausgesprochen wird. Hinzu kommt, dass V. 2 f in seiner ungewöhnlichen poetischen Diktion und Qualität unmittelbar an 2,2*.4–11 erinnert.76 So verwundert es nicht, dass einige Exegeten durch Umstellung 3,2 f unmittelbar mit 2,2*.4–11 verbunden haben (Schulz, Buch Nahum, 23 ff; Renaud, Composition, 205 f; Seybold, Profane Prophetie, 25 f.47 ff; ZBK, 26–29; Dietrich; Scherer, Lyrik, 314 f u. a.). Jedoch ist diese Umstellung unwahrscheinlich, da es sich in 2,2*.4–11 um die Schilderung der Eroberung Ninives handelt, in 3,2 f aber eher um die einer offenen Feldschlacht.77 Dennoch haben die genannten Autoren die gemeinsame Handschrift beider poetischen Stücke mit Recht beobachtet. Nur wird sich das Gefüge in 3,1–6 besser mit der Annahme erklären lassen, dass der Kreis der Tradenten N ahums mit 3,2 f ein anderes Gedicht oder eine andere Strophe des Kriegsgedichts des gleichen Lyrikers zitiert als in Kap. 2, wo mit 2,2*.4–11 wahrscheinlich ebenfalls auf ein schon vorgegebenes Gedicht zurückgegriffen wird (vgl. 2,2–14 Ort). Für die Annahme eines Zitats spricht zusätzlich, dass V. 3 mit einem einzelnen Kolon einsetzt, dem kein Parallelglied folgt und das als einziges Glied in V. 2 f ohne Copula eingeführt wird, wobei die inhaltliche Abfolge der Aussagen mit V. 3aα abrupt abbricht. Dieser Sachverhalt wird darauf hinweisen, dass nicht der gesamte Text des Gedichts, sondern nur ein Teil von ihm ins Buch Nahum aufgenommen worden ist. 76 Zahlreiche Stichwortverbindungen zwischen beiden Versgruppen hat Wöhrle (Abschluss 46, Anm. 73) aufgedeckt. 77 Die Eigenständigkeit von 3,2 f gegenüber 2,2*.4–11 betont mit Recht auch Kratz, Pescher Nahum, 131 f.
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Wie dem auch sei, jedenfalls ist Nah 3,1–7 literarisch gut ohne V. 2 f vorstellbar. Ja, die Verse 2 f verstellen gewissermaßen mit ihrer ganz andersartigen Thematik die ungewöhnlichen Aussagen von V. 4 f. Nah 3,1–6 könnte durchaus literarisch – oder etwa in einem mündlichen Vorstadium – ohne V. 2 f bestanden haben, wobei in diesem Stadium auch V. 1bß gefehlt haben müsste, der V. 1 mit dem vorangehenden Kontext verbindet. Schwerer vorstellbar erscheint die Annahme, dass die beschriebene Komplexität von vornherein Absicht des Autors des gegenwärtigen Textes gewesen sei. In jedem Fall verbinden die Verse 2 f das Kap. 3 noch stärker mit Kap. 2 als es schon die Begriffe »Raub« und »Beute« am Ende von V. 1 getan haben. Im Kontext haben die Verse 2 f primär die Funktion, den Lesern zu verdeutlichen, dass das Wehewort in V. 1 zwei Anklagen unterschiedlicher Art enthält, denen mit V. 2 f und V. 5 f auch zwei unterschiedliche Strafen zugeordnet werden. Von geringerer Bedeutung für das Verständnis der Einheit ist die Be obachtung, dass V. 6 sehr wahrscheinlich ein Nachtrag ist, der Gottes Strafankündigung in V. 5 noch steigern möchte. Der Verfasser des Verses hat in den Anklagen gegen Ninive den Vorwurf der Abgötterei vermisst und holt ihn in Gestalt einer drastischen Strafhandlung Gottes nach. Wort 1a Wie keine andere Einheit des N ahumbuches beginnt 3,1–7 mit einem
הוי. Das deutsche Wort »Wehe!« kann die Konnotationen dieses Anfangs allenfalls ansatzweise andeuten. Von Haus aus ist הויterm. techn. der Leichenklage (vgl. 1Kön 13,30; Jer 22,18; 34,5), wie er sich über Jahrhunderte in Palästina gehalten hat. Noch zur Zeit der beiden Weltkriege konnte man in Jerusalem Leichenzüge antreffen, bei denen die Klage weiber ihr ständig wiederholtes »Abbā’ hālak: hōj, hōj!« (»Der Vater ist gegangen: wehe, wehe!«) laut durch die Straßen schrien. Die Propheten Israels – und vermutlich Amos als erster78 – haben dieses »Wehe!« kühn auf noch Lebende übertragen und diese damit aus der Sicht Gottes als schon Tote bezeichnet bzw. sie mit einem impliziten Todesurteil bedacht. Weil die prophetischen Weheworte aus der Leichenklage stammen und sich aus ihr weiterentwickelt haben, können sie grundsätzlich ohne folgende göttliche Gerichtsankündigung stehen, wie etliche kürzere Wehesprüche in Jes 5 zeigen; sie dienen als Todesankündigungen. Jedoch sind sie überwiegend mit einer speziellen Zukunftsansage Gottes verbunden, die die Art des bevorstehenden Todes beschreibt, wie es auch in Nah 3,5 f der Fall ist. 78 Die These E. Gerstenbergers, JBL 81 (1962) 249–263 und H. W. Wolffs, BK XIV/2 (1969; ³1985) 284–287, schon die Sippenweisheit habe Weheworte mit Partizipien gebildet, ist mehrfach mit gewichtigen Gründen bestritten worden, bes. von H.-J. Hermisson, Studien zur israelitischen Spruchweisheit: WMANT 28 (1968) 88– 91 und von C. Hardmeier, Texttheorie und biblische Exegese. Zur rhetorischen Funktion der Trauermetaphorik in der Prophetie: BEvTh 79 (1987) 256 ff. Vgl. auch E. Jenni, THAT I, 474–477 und H. J. Zobel, ThWAT II, 382–388 (mit Lit.).
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Zumeist haben die Propheten ihr »Wehe!« mit einem pluralischen Partizip verbunden, um Gruppen von Menschen, die von den Propheten verurteilte Handlungen vollführten, als dem Tod geweiht zu bezeichnen (Am 5,18; 6,1; Mi 2,1 u.o.). Ein »Wehe« mit einem Substantiv wie in Nah 3,1 (vgl. Jes 1,4: »Wehe, schuldiges Volk!« oder Jes 30,1: »Wehe, störrische Söhne!«) wirkt distanzierter. Jesaja war Nahum schon darin voraus gegangen, dass er diesen zunächst innerisraelitischen Sprachgebrauch der Propheten auf Assyrien übertrug. Jesajas theologische Begründung seines »Wehes« gegen ein Assyrien, das von JHWH als Strafwerkzeug gegen sein eigenes Volk aufgeboten wurde, jedoch, statt sich mit dieser Funktion zu begnügen, eigene unterdrückerische Pläne verfolgte (Jes 10,5 ff), haben erst viel spätere Stimmen im Buch Nahum aufgegriffen (vgl. oben zu 1,12 und 2,3). Nah 3,1 setzt Jes 10,5 nicht voraus; der Text hat andersartige Gestalten von Schuld im Blick, wie allein schon seine Konzentration auf die Hauptstadt Ninive und deren bildhafte Charakterisierung als »Hure« in V. 4 f zeigen. Es sind vor allem zwei Anklagen in Nah 3,1, die den Propheten veranlassen, ein Leichenlied über Ninive anzustimmen: »Blutschuld« und »Betrug«. Demgegenüber bilden »Raub« und »Beute« in V. 1b Zweck und Ziel von beidem. Mit der »Blutschuld« ( )דמיםder Hauptstadt wird die grenzenlose Grausamkeit thematisiert, mit der Assyrien in Kriegen operierte, um Nachbarvölker zu unterwerfen oder sie bei geringster Unbotmäßigkeit zu maßregeln. Was genau mit dem Begriff gemeint ist, ist dennoch nicht ganz klar. Einerseits haben die biblischen Propheten den gleichen Begriff mehrfach auch gegen Israel gewandt, und dann kann er wie in Ez 22 (»Stadt der Blutschuld« neben Ez 22,2 auch Ez 24,6.9) umfassend im Sinne von Kapitalverbrechen aller Art, die das Todesurteil verdienen, verwendet werden, auch für solche, bei denen kein Blut fließt (vgl. etwa Hos 4,2, wo die Summe aufgezählter Vergehen lautet: »So reiht sich Blutschuld an Blutschuld«, oder Hab 2,12: »Wehe dem, der die Stadt mit Blutschuld baut!« im Anschluss an Mi 3,10). Andererseits ist umstritten, ob es einen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Plural דמים und dem Singular » דםBlut« gibt, wie insbesondere K. Koch, VT 12 (1962) 396–416 und mit ihm viele andere vertreten haben; J. Bergman und B. Keder-Kopfstein, ThWAT II (1977) 248–266, hier 250, haben diese These bestritten. Zwar ist Bergman und Keder-Kopfstein insofern Recht zu geben, als der Sing. דם an vielen Stellen bedeutungsgleich mit dem Pl. דמיםverwendet wird. Wie dieser ist auch der Sing. an zahlreichen Stellen »in erster Linie Bezeichnung für einen gewaltsamen Tod« (Keder-Kopfstein, 256). Jedoch bezeichnet der Plural bevorzugt nicht nur die Bluttat als solche, sondern die von ihr ausgehende Blutschuld (A. R. Johnson, The Vitality of the Individual in the Thought of Ancient Israel, ²Cardiff 1964, 70–72), »das gewaltsam vergossene fremde Blut …, das auf dem Mörder lastet« (Koch, 406) und nach Vergeltung verlangt. Ein charakteristisches Beispiel bietet Ex 22,1 f. Zwei Möglichkeiten werden hier in einem Rechtsfall
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unterschieden, bei dem ein Dieb beim Einbruch erschlagen wurde. Ist die Bluttat bei Tageslicht geschehen, gilt sie als »Blutschuld« ()דמים, nicht dagegen, wenn sie sich nachts ereignet hat, obwohl das gleiche Blut geflossen ist.
In Nah 3,1 meint דמיםdeutlich mehr als äußerste Grausamkeit in Gestalt der Tötung von Feinden im Krieg, wie die vorweggenommene Leichenklage zeigt. »Blutschuld« verlangt nach der Todesstrafe (G. Gerleman, THAT I, 449 f; Keder-Kopfstein, 259 f). Das Blut der vielen im Krieg Erschlagenen sowie der im Alltag Getöteten und das geraubte Leben der zahlreichen Gedemütigten sowie in ihrer Existenz Ruinierten, die Opfer des Machtstrebens der Assyrer geworden sind, schreit zu Gott, der als Geber des Lebens diesen Schrei nicht überhören kann und nicht überhören will (Gen 4,10 u. ö.). Schon aufgrund ihrer Blutschuld hat die Weltstadt Ninive ihr Leben verwirkt. 1b Das Gleiche gilt aber auch wegen Ninives »Betrug«, wenngleich die Härte dieses Urteils erst durch dessen Explikation in V. 4 voll erkennbar wird. Das Nomen כחשbesitzt eine Fülle an Konnotationen; die deutsche Übersetzung »Betrug« ist nicht mehr als ein Notbehelf. Am intensivsten ist M. Klopfenstein in seiner Diss. (Die Lüge, 254–309; vgl. THAT I, 825–828) dem Begriff nachgegangen und hat die Weite seines Bedeutungsspektrums herausgestellt; leider hat er nur den Sinn von Nah 3,1 nicht voll getroffen (vgl. Jeremias, Kultprophetie, 31 f). Das Verb כחשmeint im pi., wo es bei weitem am häufigsten begegnet (19 mal), nach ihm »das Entstellen oder Verstellen, Bestreiten oder Verhüllen eines gegebenen Tatbestands wider besseres Wissen« (THAT I, 826; ähnlich K. D. Schunck, ThWAT IV, 142). Näherhin sind vor allem drei Bedeutungen zu unterscheiden, je nachdem, welcher Art der bestrittene oder verhüllte »Tatbestand« ist: Handelt es sich um einen gegebenen Sachverhalt, so bedeutet das Verb »leugnen« (Gen 18,15) oder aber »vortäuschen« (1Kön 13,18; Sach 13,4);79 handelt es sich um Menschen (Hos 9,2) oder aber wie in besonders zahlreichen Belegen um Gott (Jos 24,27; Jes 30,9; 59,13; Jer 5,12; Prv 30,9; Hi 31,28), so meint es »im Stich lassen« bzw. »verleugnen«; handelt es sich dagegen um fremdes Eigentum, so ist ein (wissentliches) »Unterschlagen« im Blick (Lev 5,21 f; 19,11; Jos 7,11; Hos 4,2).
Beim Nomen כחש, das neben Nah 3,1 nur viermal belegt ist80, begegnen die wesentlichen Nuancen des Verbs wieder, nur dass der betroffene »Tatbestand« durch das fehlende Objekt schwerer zu bestimmen ist. In Ps 59,13 handelt es sich um ein »Erzählen« von כחש, also um Lüge bzw. Leugnung der Wahrheit; für Nah 3,1 trägt diese Parallele nichts aus (gegen Spronk, 118). Entscheidend für die restlichen drei Belege ist, dass sie ausnahmslos dem Hoseabuch entstammen und hier jeweils Israels Gottesverhältnis 79 Aus dieser Bedeutung hat sich der spezielle Sinn »Ergebung heucheln, schmeicheln« (Dtn 33,29; Ps 18,45; 66,3; 81,16) entwickelt, der für Nah 3,1 nichts austrägt. 80 Ein weiteres Mal in Hi 16,8, wo das Substantiv die Bedeutung des Verbes im qal (»abmagern«, »ausbleiben«) annimmt.
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betreffen. Das ist keineswegs zufällig, da auch die Explikation des Vorwurfs in V. 4 und die Formulierung der göttlichen Strafe in V. 5 in engem Anschluss an Gedanken Hoseas formuliert sind. Hosea aber bezieht den Begriff כחשan allen drei Stellen unmittelbar auf JHWH, meint also ein Verleugnen Gottes, so gewiss dieses Verleugnen unterschiedliche Gestalt annehmen kann. In Hos 7,3 f wird JHWH durch die Teilnahme weiter Kreise an einem der revolutionären Königsmorde jener Tage verleugnet, weil derartige Gewalttaten ohne Fragen nach Gottes Willen und Zustimmung (V. 7) »Ehebruch« bedeutet (V. 4).81 Nach Hos 10,12 f geschieht die Verleugnung JHWHs dort, wo Israel ihn nicht »sucht«, d. h. nicht auf das Wort seiner Propheten hört. In Hos 12,1 schließlich werden überschrift artig außenpolitische Bündnispolitik (V. 2), Unterdrückung von Menschen im Handel (V. 8 f) und trügerischer Baalskult (V. 12) als Verrat an JHWH bezeichnet. Wenn man für Nah 3,1 nicht eine unbezeugte Sonderbedeutung an nehmen will, muss man den Vers von den Belegen im Hoseabuch her verstehen. Dann aber genügt es nicht, mit Klopfenstein (Lüge, 298) »Verschlagenheit« als Übersetzung vorzuschlagen und an betrügerischen Handel Ninives zu denken, oder mit Elliger, dem die Mehrheit der Exegeten folgt, anzunehmen, dass »politische Verstellung« (Schunck, ThWAT IV, 144) der Assyrer im Umgang mit unterworfenen Kleinstaaten gemeint sei. Elliger dachte näherhin an »List und schlaues Verhandeln«, an »diplomatische Künste« und »allerlei Lockungen«, mit denen die Assyrer die Staaten ihrer Umwelt betrügerisch an sich gebunden hätten, um ihnen letztlich ihren Besitz zu nehmen (18). Wer die Belege im Hoseabuch im Blick hat, die N ahum vorgegeben waren, wird sich mit dieser Erklärung, so gewiss sie kontextgemäß ist, nicht zufriedengeben, weil V. 4 und 5 in Nah 3 wiederum unbestreitbar spezifische Begrifflichkeit Hoseas auf greifen. Sachlich heißt das, dass mit der hinterhältigen Politik, mit der sich die Assyrer und ihre Hauptstadt Völker gefügig gemacht haben, für Nah 3,1 ein »Betrug« an JHWH gegeben war, der Prophet also Ninive nicht nur mit politischen, sondern auch mit religiösen Kategorien anklagt. Was damit konkret gemeint ist, lässt sich freilich noch nicht V. 1, sondern erst V. 4 entnehmen. »Blutschuld« und »Betrug« dienten Ninive nach V. 1 primär dem Zweck, »Raub« und »Beute« zu vermehren. Mit dieser Angabe wird unübersehbar an 2,12–14 angeknüpft, wo das Stichwort »Raub« nicht weniger als viermal in zwei Versen (V. 13 f) begegnet. Hinzu kommt, dass sich hinter dem Begriff »Beute« das Löwenbild von 2,12 f verbirgt. Das nur noch in Ob 14 belegte Nomen פרקist für Nah 3,1 am ehesten von Ps 7,3 her zu 81 Rudolph, dem diese Aussage zu komplex ist, »verbessert« freilich den Text mit der schlichten Begründung, dass sich der »Ehebruch« im übertragenen Sinn angeblich »nicht in den Zusammenhang fügt« (Rudolph, Hosea: KAT XIII/1, 1966, 147), obwohl sich eine übertragene Verwendung des »Ehebruchs« für das Gottesverhältnis Israels in analogem Kontext auch mehrfach bei Jeremia findet (Jer 5,7; 9,1; 13,27; 23,10.14).
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erklären, wo das zugehörige Verb, das in seiner Grundbedeutung »abtrennen« (vgl. akkad. parāqu) und »abreißen« bedeutet (F. Reiterer, ThWAT VI, 770–773 und HAL 916), das Reißen des Löwen bezeichnet. Die Wahl des Nomen פרקzielt also wie Ninives »Blutschuld« auf die Grausamkeit und das Gewinnstreben, mit denen die Assyrer die unterworfenen Völker behandelten (vgl. Textanm. 1a). Gedacht ist an Kriegsbeute und besonders an den hohen Tribut, den Assyrien den abhängigen Völkern auferlegte. Der Rückbezug von V. 1b auf 2,12 f verdeutlicht, dass Nah 3,1–7 nicht als Einzeltext, sondern als Fortsetzung von Nah 2 gelesen werden soll. Dies gilt umso mehr, als das Thema Raub und Beute im Folgenden nicht mehr aufgegriffen wird. 2 f Mitten in die Idylle des durch Betrug reich gewordenen und scheinbar sorglos lebenden Ninive hinein erklingt Kriegslärm. Meisterhaft wird in einer Fülle aneinander gereihter Nominalfügungen im kollektiven Singular, die nur zuletzt in V. 3bß einem üblichen Satz Platz machen, ein gespenstisch schneller Vorgang beschrieben, bei dem anfangs ein herannahendes Heer aus der Ferne hörbar wird und am Ende ein Feld voller Leichen zurückbleibt.82 Wie in 2,2*.4–11 bleibt das Feindheer ohne Namen. Das anfängliche akustische Phänomen eines heranstürmenden Heeres wird im Hebräischen durch das wiederholte ( קולwörtlich: »das Geräusch / der Lärm der Peitsche« und »das Geräusch vom Beben der Wagenräder«) zum Ausdruck gebracht. Mit V. 2b ist dagegen nicht mehr das Ohr, sondern schon das innere Auge der Leser beteiligt, wenn die galoppierenden Pferde und die über alle Hindernisse »hinweg-hüpfenden« Kriegswagen an ihm vorüberrasen.83 Alles geschieht in äußerster Eile. Das gilt auch von der zuletzt beschriebenen Kavallerie am Anfang von V. 3, die bei der Schilderung der Belagerung Ninives in Kap. 2 fehlte. Reiter, die ihre Pferde »steigen« oder »bäumen« lassen, treiben sie zum Galopp an, geben ihnen die Sporen. Grundsätzlich können mit פרשfreilich auch Wagenpferde gemeint sein (so zuletzt Dietrich). Jedoch werden sie so gut wie immer im Plural erwähnt, und das verwendete Verb »(auf)steigen lassen« passt ungleich besser zu Reitern, wie sie im neuassyrischen Heer seit Tikulti-Ninurta II. (888–884) belegt sind. Hinzu kommt, dass V. 3a, der den Begriff פרשenthält, ein neues Thema einführen will, wie die einzig hier fehlende Kopula »und« zeigt, die alle übrigen nominalen Glieder miteinander verbindet. Allerdings steht dieses Kolon auffällig isoliert; möglicherweise ist hier ein Zitat des schon vorliegenden Gedichts vorzeitig abgebrochen worden. Jedenfalls nähern sich die folgenden Nominalwendungen in V. 3 schon dem eigentlichen Schlachtgeschehen, das freilich ebenso wenig selber dar82 B. Becking, De Hymne, 72 möchte freilich im Gefolge Van der Woudes und Eatons diese Vorgänge als militärische Aktionen der Assyrer deuten! 83 Joel 2,4 f knüpft bei der Darstellung des »Tages JHWHs« an diese Heeresschilderung an und steigert sie noch durch die Verquickung von Pferden und Heuschrecken.
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gestellt ist wie im vergleichbaren Gedicht in Kap. 2. Vielmehr führt die Beschreibung der in der Sonne leuchtenden und blitzenden Waffen der Fußsoldaten und des Nahkampfs (vgl. das Blitzen der rasenden Wagen in 2,5 sowie analoge Vergleiche in 1 Sam 17,7; Hab 3,11) unmittelbar zur Nennung der im Kampf Getroffenen. Während G, Σ und Θ die vom Speer oder Schwert »Durchbohrten« als schwer Verwundete deuten, bezieht sich im Hebräischen der Parallelbegriff » פגרimmer nur auf den Leichnam eines Menschen«, und zwar durchgehend auf gewaltsam zum Tod gebrachte Menschen, deren Leichnam noch nicht begraben worden ist (P. Maiberger, ThWAT VI, 510). Beide Begriffe stehen auch in Jes 34,3 in Parallele zueinander; vgl. Jer 41,9. Dem Urtext geht es hier wie auch im folgenden V. 3b nicht um Differenzierung von Einzelschicksalen, sondern um die Entsprechung der unzählbaren Menge an Menschen, die durch Ninives »Blutschuld« ihr Leben oder ihre Existenzgrundlage verloren haben, zur grenzenlosen Zahl an Leichen (die Wendungen »Haufen« an Leichen und »kein Ende« der Toten nehmen Begrifflichkeit aus 2,10 auf), wenn das Heer des anonymen Feindes Ninive angreifen wird. Im Unterschied zu Kap. 2 ist von Ninives Mauern und seinen Verteidigungsbemühungen keine Rede mehr: Gegen dieses geradezu überirdische Feindheer ist Gegenwehr völlig sinnlos. Mit V. 4 wird die Schilderung einer künftigen Schlacht ebenso plötz- 4 lich wieder verlassen, wie sie begonnen hatte. Nur das Stichwort רבbietet eine schmale Brücke, die G verstärkt (s. Textanm. 4a): Die Menge der Durchbohrten entspricht der Menge an »Hurerei« Ninives. V. 4 führt vielmehr die Anklage aus V. 1 fort und knüpft insbesondere an den dortigen Vorwurf des »Betrugs« an. Mit der Präposition »wegen« (kausales )מן beginnt keine Einheit. Die überraschend eingeführte Metapher der »Hurerei«, die in V. 5 zur Bestrafung der Ehebrecherin durch Gottes eigene Hand führt, lässt nachträglich erkennen, warum in V. 1 die Stadt Ninive als pars pro toto für Assyrien steht: Städte waren im Alten Orient wie im Alten Testament weiblich vorgestellt; man denke nur an die »Frau« Zion bei Deuterojesaja. Zugleich wird mit der Metapher verdeutlicht: Wer den »Betrug« in V. 1 mit der Mehrzahl der Ausleger rein politisch, ohne unterschwellige religiöse Konnotationen gedeutet hat, muss in V. 4 überrascht eine Sprache zur Kenntnis nehmen, die unübersehbar stark religiös geprägt ist. Über das Verb » זנהhuren« haben verständlicherweise vor allem feministische Theologinnen gearbeitet; die wichtigsten nennen G. Baumann, Liebe 52–56 und J. M. O’Brien, 80–99. Es bezeichnet profan jegliche außereheliche sexuelle Aktivität von Frauen, anders ausgedrückt: deren sexuelle Beziehungen zu Männern, mit denen sie weder verlobt noch verheiratet sind. Hilfreich erscheint die von P. Bird, »To Play the Harlot«, 76 und unabhängig von ihr von C. Stark, Kultprostitution im AT: OBO 221 (2006) 53 ff vorgeschlagene Unterscheidung zwischen Unzucht einerseits und Prostitution andererseits in den Texten des Alten Testaments, wenngleich Bird selbst zugeben muss, dass sich die Grenzen zwischen beiden
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Gestalten des »Hurens« im Buch Hosea, auf das sie sich in ihrer Untersuchung beschränkt, nicht immer klar ziehen lassen. Während das Substantiv » זונהHure« bzw. »Prostituierte« auch neutral und ohne ersichtliche gesellschaftliche Ächtung verwendet werden kann (vgl. Jos 2,1; 6,17 ff; Ri 11,1; 1 Kön 3,16), gilt das für das Verb nicht, schon gar nicht in seinem metaphorischen Sinn, in dem es von den Propheten auf Kollektive angewendet wird.
Von »Hurerei« im übertragenen Sinn hat zuerst Hosea gesprochen und dabei diesen Begriff auf das Gottesverhältnis Israels bezogen, das er – wiederum als erster – im Bild der Ehe zeichnete, und zwar lange Zeit, bevor man das Gottesverhältnis in Israel mit dem rechtlichen und politischen Stichwort »Bund« zu umschreiben pflegte (vgl. dazu L. Perlitt, Bundestheologie im AT: WMANT 36, 1969). Allein darum hat Hosea mit seinen Vorstellungen die Propheten Jeremia (Jer 2–3; 13) und Ezechiel (Ez 16;23) so stark zu beeinflussen vermocht. Israels »Hurerei« war für Hosea mehr als einfaches »Huren«, d. h. mehr als eine gelegentliche oder wiederholte punktuelle außereheliche Liebesbeziehung zu anderen Gottheiten; der Abstraktplural »Hurerei« (Hos 1,2; 2,4.6; 4,12; 5,4) betont vielmehr »den habituellen Aspekt des Hurens« (Baumann, Liebe, 219). Der Plural steht für einen definitiven Bruch der Ehe. Trotz des Gespürs der Frau Israel, dass es ihr in der »Ehe« mit Gott besser ging (Hos 2,9), ist sie unfähig, sich von ihrem hurerischen Wesen zu lösen, weil sie von einem »Geist der Hurerei« ergriffen ist, der ihr keine freie Entscheidung mehr ermöglicht (Hos 4,12; 5,4). Hat dieser Sprachgebrauch für Nah 3 und die Anklage gegen Ninive noch irgendeine Bedeutung? Autoren wie Rudolph haben dies rundweg bestritten: »Davon kann hier keine Rede sein …« (177), aber zu Unrecht, wie insbesondere der folgende V. 5 zeigt, der in der persönlichen Straf verfügung Gottes exakt der Logik von Hos 2,12 folgt.84 Welchen Sinn kann dann aber die Übertragung des Ehebildes auf Gottes Verhältnis zu Assyrien besitzen? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt in der Erkenntnis, dass schon Hosea selber, aber auch Jeremia und Ezechiel die Metapher der Hurerei bzw. des Ehebruchs für das Gottesverhältnis Israels in einem doppelten Sinn verwendet haben. In der überwiegenden Mehrzahl der Belege hat Hosea den Gottesdienst Israels als Hurerei bezeichnet, insofern dieser dank der immer zahlreicheren Kultstätten und Priester zur Wohlstandsfeier, die gleichzeitig das Wohlergehen des Volks sichern sollte, verkommen war, in Hoseas Augen: zur Baal-Feier, die keinerlei »Erkenntnis Gottes« vermitteln konnte, d. h. weder ein Bewusstsein der Heilstaten Gottes in der Geschichte noch ein Wissen vom Willen Gottes, für Hosea das zentrale Anliegen des Gottesdienstes. Israel glaubte nach dieser prophetischen Sicht, es verdanke seinen Wohlstand seinen zahlreichen »Liebhabern«; es ver84 Den unlöslichen Zusammenhang zwischen V. 4 und V. 5 haben so gut wie alle Ausleger erkannt. Nur Seybold (Profane Prophetie, 21) und Hagedorn (Die Anderen, 56) möchten die Verse literarkritisch trennen. Seybold muss dazu aber V. 4 willkürlich mit einem eigenen »Wehe!« versehen! (Hagedorn bleibt in seiner Sicht undeutlich.)
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stand die Gaben seines Landes als Lohn für seine »Liebesdienste« in Gestalt immer üppigerer Gottesdienstfeiern (Hos 2). Diese Verwendung der Huren-Metapher für den Baal-Dienst war in den folgenden Jahrhunderten, besonders im DtrG, so geläufig geworden, dass »huren« zum stehenden Begriff für die Ver ehrung fremder Götter wurde, ob mit oder ohne die Präzisierung »hinter anderen Göttern her«. Jedoch hat Hosea die Hurenmetapher auch auf Israels Außenpolitik übertragen, speziell auf die Bündnisse Israels mit Ägypten und mit Assyrien;85 er hat sie aus Gründen der Provokation dabei grotesk übersteigert: In ihrer Sehnsucht nach Liebhabern geht die Hure Israel so weit, Liebesgaben nicht empfangen zu wollen, sondern sie – in Gestalt von Geschenken an Ägypten und Tribut an Assyrien – sogar zu spenden (Hos 8,9 f; vgl. Ez 16,30 ff)! Andere Propheten sind Hosea gefolgt: Der Prophet Micha hat Hoseas politische Metapher für seine Deutung des Untergangs Samarias genutzt (»denn was es [Samaria] aus Hurenlohn zusammengebracht hat, das muss auch wieder zu Hurenlohn werden«, Mi 1,7b)86 und damit den profitreichen Handel Samarias mit den Großmächten als »Ehebruch« bezeichnet. Bei Jeremia (Jer 2,18 ff.23 ff; 3,1 ff u. ö.) und bei Ezechiel (Ez 23; vgl. 16) ist dann schon ein neues Reflexionsstadium erreicht: Beide Propheten vermischen unter dem Stichwort »Hurerei« kultische Vorwürfe und Anklagen gegen die Bündnispolitik mit Ägypten und Assyrien bzw. mit Ägypten und Babylonien, weil Israel jeweils sein Vertrauen statt auf Gott auf fremde »Liebhaber« setzt. In allen diesen Fällen ist die Bündnis- und Handelspolitik Israels bzw. Judas als Bruch der Ehe JHWHs mit seinem Volk und als Bruch seines Alleinverehrungs anspruchs gekennzeichnet. Es gibt nur einen einzigen jungen Text, der die Metapher der »Hure« für ein Volk ohne die Assoziation des Ehebruchs mit der Gottheit und damit wertneutral verwendet: Jes 23,7 f, der nach Ansicht der Mehrheit der Ausleger schon in die hellenistische Zeit gehört. In ihm wird das Bild der Hure für den weltweiten tyrischen Handel gebraucht, ohne den geringsten Vorwurf: JHWH selbst wird Tyros »Hurenlohn« verschaffen, und dieser wird ihm geweiht werden (V. 18)! Für das Verständnis von Nah 3,4 f trägt dieser Text nichts aus.
Was aber kann die Huren-Metapher Hoseas, die in der alttestamentlichen Prophetie so hartnäckig mit der Assoziation des Ehebruchs verbunden geblieben ist, in ihrer politischen Dimension besagen, wenn sie auf Ninive übertragen wird? Dass Assyrien von Nahum in keiner »Ehe« mit JHWH betrachtet wird, d. h. nicht als auserwähltes Volk, bedarf keiner Begründung. Wohl aber muss bei der Übertragung vorausgesetzt sein, dass es zwischen JHWH und Ninive ein Verhältnis gegenseitiger Verantwortung gibt, 85 Dieser Aspekt kommt sowohl bei J. Kühlewein (THAT I, 518–520) als auch bei S. Erlandsson (ThWAT II, 612–619) zu kurz. Er fehlt ganz in einer höchst merkwür digen Diss. von I. E. Riegener, The Vanishing Hebrew Harlot: Studies in Biblical Liter ature 73 (2009), die sich um den Nachweis bemüht, dass זנהbei den Propheten stets »to participate in non-Yahwistic praxis« bedeute (203). Die im Folgenden zu nennenden politischen Texte werden total ausgeblendet und nicht einmal erwähnt. 86 Die weit jüngere erste Hälfte des Verses deutet den Hurenlohn traditionell kultisch; vgl. J. Jeremias, ZAW 83 (1971) 336 sowie H. W. Wolff, BK XIV/4 (1982) und Jeremias, ATD 24,3 (2007) z.St.
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wie es seit Amos generelles Verständnis der sog. klassischen Propheten für JHWHs Beziehung zu den Völkern ist. Nach Am 1 werden die Nachbarvölker der Aramäer, Philister etc. mit ihren widerlichen militärischen Grausamkeiten nicht nur gegenüber Israel und anderen Völkern schuldig, sondern auch gegenüber JHWH, und sie werden grundsätzlich von JHWH genauso bestraft wie Israel, nur dass Israel aufgrund seiner Erkenntnis Gottes ein höheres Maß an Schuld auf sich geladen hat und daher härtere Strafe empfängt. Gut möglich, wenn auch nicht strikt nachweisbar, dass Nahum die Beziehung JHWHs zu den Assyrern als ein Vasallitätsverhältnis angesehen hat. »The relation between YHWH and his people as well as the relation of YHWH with the Assyrians is interpreted as a vassal relationship«, formuliert B. Becking, A Judge in History, 115. Näher liegt noch der Hinweis auf die Selbstverständlichkeit, mit der die Assyrer in 2 Kön 18–20 bzw. Jes 36–39 ihre besondere Beziehung zu JHWH darstellen. Jedenfalls wird das Verhältnis gegenseitiger Verantwortung zwischen JHWH und den Fremdvölkern im Falle Ninives von N ahum noch gesteigert, weil Ninive die Hauptstadt des Volkes ist, das die Herrschaft der damals bekannten Welt übernommen hat. Mit diesem Schritt ist für den Propheten die Verantwortung Ninives noch erheblich gewachsen und sein Verhältnis zu JHWH als dem Kontrolleur des Weltgeschehens notwendig enger geworden. Jedoch ist mit Ninives Verantwortung vor Gott nur ein Aspekt der Metapher der »Hure Ninive« berührt. Daneben setzt Ninive alle seine »Anmut« und seinen »Liebreiz« ein, um die Völker zu umschmeicheln und sie zu »betrügen« (V. 1), um sie letztlich ihrer Identität zu berauben und auf diese Weise die eigene Weltherrschaft zu festigen und auszubauen. Israels zahlreichen »Liebhabern« bei Hosea entsprechen bei Nahum die zahlreichen Völker. Was Ninive tut, geschieht jedoch vor den Augen JHWHs. Ninives »Betrug« an den Völkern ist auch »Betrug« an JHWH (s. o. zu V. 1), weil die gesamte Völkerwelt von Assyriens Handeln betroffen ist (V. 4b). Auf JHWH gewendet heißt dies, dass er von Assyriens Schuld als Herr der Welt unmittelbar betroffen ist (V. 5). Kein anderer Prophet – nicht einmal Jesaja in Jes 10 – hat die Beziehung zwischen Gott und Fremdvolk aufgrund der Verantwortung Gottes für die Welt als ganze enger gesehen als Nahum in Nah 3! In einem anregenden Aufsatz (Broken Cisterns) hat S. Van den Eynde drei Aspekte der Metapher der »Hure« als wesentlich für ihr Verständnis in Jer 2–3 herausgestellt: 1. Die »Hure« ist nicht in Treue an eine einzelne Person gebunden bzw. verweigert eine solche Bindung. 2. Sie durchbricht in ihrem Sexualverhalten die geltenden gesellschaftlichen Normen. 3. Sie sehnt sich nach einer möglichst großen Zahl an Liebhabern. Alle drei genannten Charakteristiken der Metapher sind auch für Nah 3,4 einschlägig.87 87 Demgegnüber möchte L. Popko, Marriage Metaphor and Feminine Imagery in Jer 2:1–4:2, Pendé 2015, 474 das Hurenbild nur auf »unjustly gained income« be ziehen. Ähnlich Dietrich, 80: Ninive ist nach ihm »eine Hure, die einzig auf ihren Verdienst, nur aufs Geschäft aus ist«.
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Wie sehr religiöse Kategorien die Anklage N ahums bestimmen, zeigt auch der Parallelbegriff: »Zauberei«, nur dass Ninives »Hurerei« es mit Israels Schuld vor Gott verbindet, während seine »Zauberei« es betont von Israels Schuld trennt. Von keinem Propheten ist das Gottesvolk je kollektiv der »Zauberei« beschuldigt worden, wohl aber im Gefolge N ahums Babylon in Jes 47,9–15.88 Was ist gemeint? Leider kann der deutsche Begriff die Implikationen des hebräischen Worts כשפים, der vor allem mit Prognostik zu tun hat, nur ansatzweise wiedergeben. Das hebräische Verb כשףist ein Lehnwort des akkad. kašāpu »verzaubern, ver hexen« bzw. des Nomens kišpu »Zauber, Hexerei« (W. von Soden, AHw 461. 491; vgl. ugaritisch kṯ pm [KTU 1.107,23]). Schon im Zweistromland war Zauberei verboten; Zauberer wurden mit dem Tode bestraft.89 Sie konnten Menschen bis hin zum Lebensverlust schädigen; die Wirkung gefährlichen Schadenzaubers wurde im Zweistromland durch Beschwörungspriester bekämpft und zu verhindern versucht (G. André, ThWAT IV, 375–381). Die Zauberer Ägyptens vermögen nach Ex 7 mit ihren Mitteln sogar die Naturgesetze zu durchbrechen, um ihre Ziele zu erreichen. Im Alten Testament erscheinen Zauberer wiederholt in Aufzählungen von Zukunftsspezialisten (Dtn 18,9 ff; Jer 27,9). Während technische Mittel der Prognostik wie etwa קסםin manchen Texten (Mi 3,6 f.11; Jer 14,14 u. ö.) neutral, in anderen als illegitim betrachtet werden (Num 23,23; Dtn 18,10.14 u. ö.), gelten »Zauberer« und »Beschwörer« ( )עונניםimmer als illegitim. Sie stehen nach Dtn 18 in schärfster Opposition zum Propheten, der als legitimer Sprecher Gottes schlechthin, als »Prophet wie Mose« (Dtn 18,15.18) gilt. Welche okkulte magische Praktiken die Zauberer auch immer ausgeübt haben – wir wissen es nicht im Einzelnen (verschiedene magische Zauberriten nennen André, a. a. O. 377 f; R. Albertz, Magie II. Altes Testament: TRE 21 [1991] 691–695 und R. Schmitt, Magie, 209 ff) –, für die biblischen Autoren zählte Zauberei zu den rücksichtslosen Praktiken der Selbst- und Zukunftssicherung ohne Gott, die Schädigung anderer in Kauf nahmen und der Preisgabe des göttlichen Willens durch Propheten strikt widersprachen. Zauberei galt ihnen als schlechthin widergöttlich. Wie sehr die Verehrung des wahren Gottes und Zauberei für einen (späten) Propheten unvereinbar waren, zeigt Mi 5,9–13: Nur wenn Gott selbst alle Zauberei – ebenso wie alle Abgötterei und alles Vertrauen auf eigene Macht – aus seinem Volk ausgerottet haben wird, kann er ihm wieder Heil zuteil werden lassen.
Wie hat man dann aber den Vorwurf der Zauberei in der Übertragung auf das Handeln der Weltmacht Assyrien zu deuten, wenn Ninive eine »Spezialistin« (בעלה, wörtlich: »Besitzerin« bzw. »Herrin«) von Zauberei genannt wird wie JHWH in 1,2 ein בעלdes Zorns? Der einzige andere Beleg im Alten Testament, in dem »Hurerei« und »Zauberei« in Verbindung miteinander stehen und den der Verfasser von Nah 3,4 schon gekannt ha88 Berlejung, 337 f, beurteilt die Abhängigkeit umgekehrt, ohne aber die über zeugenden Argumente H.-J. Hermissons, Deuterojesaja: BK XI/2 (2003) 164 ff, zur Jugend der Verse 9b.10a und V. 12–15 in Jes 47 zur Kenntnis zu nehmen. 89 Vgl. CH § 2 (TUAT I, 44 f) und das mittelassyrische Gesetz § 47 (TUAT I, 90).
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ben mag, 2 Kön 9,22, will eine todeswürdige Schuld der Königin Isebel im religiösen Bereich beschreiben, ob nun, wie zumeist angenommen, Isebels »Beziehung zum kanaanäischen Fruchtbarkeitskult mit seinen sexuellen und mantischen Erscheinungen« (O. H. Steck, Überlieferung und Zeitgeschichte in den Elia-Erzählungen: WMANT 26 [1968] 35, Anm. 1) im Blick ist oder generell Isebels widergöttliche Praktiken, wie sie später vom Chronisten bei Manasse »Zauberei« genannt werden (so Schmitt, Magie, 375 ff). In Nah 3,5 sind entsprechend todeswürdige Vergehen gegenüber Gott und den Völkern gemeint. Mit ihren okkulten Praktiken bedienen sich Zauberer widergöttlicher Mittel, die Menschen oder gar ganze Völker schädigen, um ihre Ziele zu erreichen, und überschreiten dabei natürliche, vom Schöpfer gesetzte Grenzen. Damit ist in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht: Assyriens Weltherrschaft ist nicht von Gott gewollt. Im Gegenteil: Ninive hat sie nur gegen Gottes Willen erlangt, durch Bündnispolitik zu Lasten der Völker (»Hurerei«) und unter Inanspruchnahme dunkler Kräfte (»Zauberei«). Gott hatte Ninive – wie allen anderen Völkern – eine begrenzte Autorität über die eigene Bevölkerung zugedacht. Ninives gegenwärtige Macht, gegen ihn selber gerichtet, kann und wird sich Gott nicht auf Dauer gefallen lassen. An der Begründung des Propheten muss auffallen, dass er weder hier noch andernorts Assyrien wegen spezifischer Schuld gegenüber Juda anklagt. Er hat die unterdrückten Völker insgesamt im Blick, wenn er Ninive »Hurerei« und »Zauberei« vorwirft. Diese Intention ist letztlich schon in der Übertragung des Begriffs der »Hurerei« auf Ninive angelegt, denn für Hoseas Wahl des Bildes ist die Vielzahl der »Liebhaber« der Frau Israel grundlegend, mit denen sie die Ehe mit JHWH bricht. Richtet man den Blick auf das Buch Nahum als Ganzes, so war es gerade der Blick des älteren Propheten auf die Menge der Völker, der es dem Verfasser des jüngeren Kap. 1 leicht machte, mit seiner universalen Perspektive an Nah 2–3 anzuknüpfen. Die Parallele »Völker« / »Sippen« zur Bezeichnung der Völkerwelt ist auch andernorts belegt (Ps 22,28; 96,7); mit den »Sippen« sind Untergliederungen der Völker gemeint. Bedauerlicherweise ist das Verb, das Assyriens Einfluss auf die Völker ausdrückt, unsicher überliefert. Das hebräische Verb מכר, das auch die Vrs. voraussetzen, bedeutet »verkaufen« oder »übergeben« und setzt eine 3. Partei neben Verkäufer und Verkauften voraus, was im Kontext keinen Sinn ergibt. Wenn Spronk, 122 auf Joel 4,3 als Sachparallele verweist, so bietet dieser Vers nur eine scheinbare Verständnisstütze, da er vom »Verkauf« einzelner Menschen, nicht ganzer Völker spricht. An wen sollten die Völker von Assyrien »verkauft« werden?90 Versuche, andere semitische Wurzeln zur Erklärung heranzuziehen (z. B. arab. makara »täuschen«: Hit90 Sweeney, 443, dem Dietrich folgt, möchte das Verb auf die assyrischen Deportationen beziehen. Dazu passen freilich die Mittel »Hurerei« und »Zauberei« nur sehr bedingt.
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zig u. a., besonders D. W. Thomas, JThS 37 [1936] 388 f), sind mit Recht zumeist zurückgewiesen worden. Auch die großen jüdischen Gelehrten des Mittelalters standen ratlos vor dem überlieferten Text (A. Pinker).91 Am ehesten akzeptabel ist noch der Vorschlag von M. Dahood, die Konsonanten des MT als Ptz. hof. von der Wurzel נכרzu erklären, die häufig im hif. in der Bedeutung »erkennen« belegt ist; K. J. Cathcart (Nahum, 129 f) ist ihm gefolgt. Aber der vermutete Sinn »bekannt unter den Völkern« würde normalerweise eine Präposition voraussetzen, die der Text nicht bietet; der von Dahood als Stütze angeführte Text Jes 53,4 (»von Gott geschlagen«) bietet keine echte Parallele. So bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder rechnet man – wie oben versuchsweise vorgeschlagen – mit einer sonst nicht belegten übertragenen Bedeutung des Verbs »( מכרpreisgeben«), oder es liegt ein früher Textfehler vor. Im letzteren Fall legt sich weniger die Konjektur Buddes und Martis nahe, die » המשכרתdie trunken macht« bzw. »betört« lesen (so auch J. J. M. Roberts, 70, der freilich seine Vorgänger nicht nennt), sondern eher die Vermutung einer Vielzahl neuerer Exegeten im Gefolge von F. Hitzig und E. Sellin, es handle sich um Buchstabentausch und das zugrunde liegende Verb sei כמר, das freilich erst nachbiblisch belegt ist, und zwar in der Bedeutung »heiß sein«, »erhitzt werden«. Die erwähnten Exegeten vermuten dagegen einen von den Substantiven מכמרund » מכמרתNetz« abgeleiteten Sinn »umgarnen«, der gut in den Kontext passen würde, philologisch aber eher fragwürdig bleibt. Wie immer man sich entscheidet, auf sicherem Boden steht ein Exeget bei der Auslegung dieses Verbes nicht. In V. 5 erfolgt als Höhe- und Kulminationspunkt der Einheit die An- 5 kündigung der Strafe Ninives durch Gott selber, aber in einer höchst ungewöhnlichen Weise. Zweierlei überrascht einen Leser: 1. Der Prophet nutzt nicht nur die Gottesrede, um seine Ankündigung zu legitimieren, sondern er wählt die direkte Anrede an die »Frau« Ninive und zugleich eine Sprachform, die hervorhebt, wie sehr Gott persönlich von ihrem schlimmen Treiben betroffen ist. 2. Die Gestalt der Strafe setzt die Beschreibung der Schuld Ninives als »Hurerei« voraus und damit das Bild der Ehe für Gottes Verhältnis zu Israel, wie es Hosea geprägt und N ahum auf Ninive übertragen hatte; die Aussage orientiert sich insbesondere an Hos 2,(5.)12. Auch die Bestrafung Ninives geht also von einer unmittelbaren Verantwortung der Stadt für die Völker vor Gott aus. Ad 1: Die sog. »Herausforderungsformel« (Humbert), die wir schon oben zu 2,14 näher betrachtet haben, ist nur bei N ahum, Jeremia und am häufigsten bei Ezechiel belegt. Angesichts dieser Verteilung spricht viel dafür, dass sie in ihrem religiösen Sinn zuerst von Nahum verwendet wurde. Wenn das zutrifft, kann sie keine charakteristische Sprachform
91 Pinker selbst möchte mit einem Schreibfehler rechnen und konjiziert ein Verb נכר, das wie (nur) in Hos 3,2 »kaufen« heißen soll.
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des Zweikampfes sein, wie Humbert vermutet hatte. Vielmehr drückt sie in Nah 3,5 die Eröffnung einer sehr persönlichen Strafaktion des entehrten Ehemannes an seiner untreuen Ehefrau aus, wobei die Metapher durch den (aus 2,14 übernommenen; vgl. die Auslegung zu 2,14) Begriff יהוה צבאותstark konterkariert wird: Der Strafende ist der Herr der Welt und der Weltgeschichte (G: ὁ παντοκράτωρ). Ad 2: Gott verfügt über Ninive die Strafe der Ehebrecherin. Auch wenn sich diese Aussage an den altorientalischen Rechtstexten nicht strikt nachweisen lässt (s. u.), ergibt sie sich aus Nahums Anlehnung an Hos 2,12, der später auch Jer 13,26 f und Ez 16,37 f gefolgt sind. Zwar sind analoge Bilder der Entblößung einer Frau auch in kriegerischem Kontext dazu genutzt worden, das Triumphgefühl von Siegern über besiegte Völker auszudrücken (Jer 13,22; Ez 23,10; Jes 47,3), aber in Nah 3,5 steht diese Assoziation allenfalls im Hintergrund des Bildes. Gar nichts tragen dagegen für Nah 3,5 die häufigen Bilder entehrter und vergewaltigter Frauen in altorientalischen Vertragsflüchen aus, wie schon Berlejung, Erinnerungen, 335 f, gesehen hat, obwohl eine große Zahl neuerer Exegeten hier den Schlüssel zur Deutung von Nah 3,5 meinte gefunden zu haben (z. B. D. R. Hillers, Treaty Curses and Old Testament Prophets: BiOr 16 [1964] 58 f; K. J. Cathcart, Treaty-Curses, 179–187; 183 f; B. Becking, Divine Wrath, 291; ders., Judge, 112; G. H. Johnston, N ahum’s Rhetorical Allusions to New-Assyrian Treaty Curses: BSTR 158 [2001] 415–436). In den Vertragsflüchen wird für den Fall des Vertragsbruchs die Entehrung realer Frauen, besonders des Königshauses, angedroht, in Nah 3,5 dagegen handelt es sich um metaphorische Übertragung dieser Strafe auf ein Kollektiv, dem »Hurerei« vorgeworfen wird. Hier steht die Strafe in unübersehbarem Bezug zu der spezifischen Anklage.
In Nah 3,5 zeigen die Herausforderungsformel und das geradezu penetrant wiederholte Ich des handelnden JHWH deutlich, dass ein persönliches Geschehen zwischen Ninive und JHWH dargestellt werden soll. In Ez 16,38 und 23,45 ist zudem ausdrücklich von einem »Recht der Ehebrecherinnen« im Zusammenhang mit der Entblößung der Frau Jerusalem die Rede, wenngleich dieses Recht im Folgenden jeweils zur Steinigung als eigentlichem Strafvollzug führt. In den altorientalischen Rechtstexten ist eine Entblößung der Frau im Zusammenhang mit Ehebruch und Scheidung zwar mehrfach belegt, freilich nicht in einer Häufung, die die Vermutung nahelegen würde, es handle sich um einen überall und stets geübten Brauch. Das drastischste Beispiel bietet ein altbabylonischer Text aus Nippur, der das Gericht über eine Ehebrecherin beschreibt, die von ihrem Gatten in flagranti ertappt wurde (TUAT I, 198). Beide Schuldige wurden vor die Rechtsversammlung der Stadt geführt, deren Urteil über die Frau lautete: »Ihre Scham ließen sie sehen, ihre Nase mit einem Stift durchbohren: So wurde sie durch die Stadt herumgeführt.« Der Text betont, dass der König den Beschluss der Ratsversammlung der Stadt bestätigt habe. Allerdings gibt es keine direkten Parallelen zu diesem Text. Weit geläufiger und breit belegt sind dagegen Regelungen in Eheverträgen (C. Kuhl, ZAW 52 [1934] 102–109; 105: Ehevertag aus Ḫana)
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und besonders häufig in testamentarischen Bestimmungen für den Fall, dass sich eine Frau scheiden lässt bzw. eine Witwe wieder verheiratet (mehrere Texte aus Nuzi: Kuhl, ebd. 106; C. H. Gordon, ZAW 54 [1936] 277–280; E. Cassin, RA 63 [1969] 136; mehrere Texte aus Emar: J. Huehnergard, CBQ 47 [1985] 428–434; auch ein akkad. Text aus Ugarit: RS 17.159). In ihnen wird übereinstimmend verfügt, dass eine Frau, die sich scheiden lässt bzw. die sich wiederverheiraten will, »nackt« aus dem Haus herausgehen muss, nachdem ihr entweder die Kleider gewaltsam entrissen wurden oder nachdem sie doch zumindest selber ihre Kleider im Haus niedergelegt hat. Allerdings macht M. Malul, Studies in Mesopotamian Legal Symbolism: AOAT 221 (1988) 130–133, der zugleich eine Geschichte der Deutung der genannten Texte bietet (126–129), mit Recht darauf aufmerksam, dass nur im Fall der von der Frau ausgehenden Ehescheidung, nicht aber in den testamentarischen Bestimmungen, im Zusammenhang mit der Entblößung auch eine öffentliche Zurschaustellung der Frau erfolgen konnte. Zu diesen Texten, die ausnahmslos in die 2. Hälfte des 2. Jtsd. gehören, bemerkt Huehnergard zu Recht: »While there is in all of these texts undoubtedly an element of humiliation intended in forcing an individual to leave the paternal estate naked, there is clearly also an economic motive: the individual, prohibited from taking even a stitch of clothing, is made to renounce, symbolically, any claim to the estate in question …« (432). Da im Ehebild von Hos 2, das Nah 3 als Vorbild gedient hat, die Versorgung der Frau mit Nahrung und Kleidung eine zentrale Rolle spielt (V. 7.10 f), ist es sehr wahrscheinlich, dass die Androhung der Entkleidung der ehebrüchigen Frau (V. 5) und ihrer Entblößung vor ihren »Liebhabern« (V. 12) ebenjenes Nebeneinander von Entehrung einerseits und wirtschaftlichem Ruin andererseits im Auge hat, das in den akkad. Eheverträgen und den testamentarischen Bestimmungen für Witwen zum Ausdruck kommt.92 Im Übrigen aber gilt, dass die Gesetze in Mesopotamien genau wie im Alten Testament (vgl. nur Lev 20,10; Dtn 22,22) zumeist die Todesstrafe für Ehe brecherinnen vorsahen. Freilich ist umstritten, ob diese harten Rechtsbestimmungen der Gesetze regelhaft durchgeführt worden sind – die Hinrichtung einer Ehebrecherin ist im Alten Testament nie belegt –, oder ob sie nicht vielmehr primär zur Abschreckung dienen sollten. Zwei Autoren, die sich intensiv mit den Rechtsfolgen des Ehebruchs im Alten Testament und im Alten Orient beschäftigt haben (H. McKeating, Sanctions against Adultery in Ancient Israelite Society: JSOT 11 [1979] 57–72; R. Westbrook, Adultery in Ancient Near Eastern Law: RB 97 [1990] 542–580), vermuten übereinstimmend, dass Scheidung und Entehrung in der Praxis Mesopotamiens und Israels geläufigere Reaktionen auf Ehebruch waren als der Vollzug der Todesstrafe (McKeating, 61–65; Westbrook, 562). Andere Autoren sind dieser Einschätzung gefolgt, namentlich E. Otto (Gottes Recht als Menschenrecht: BZABR 2 [2002] 258 f), der zugleich die neuere Diskussion über diese Vermutung darstellt.
92 Baumann, Liebe, 79 weist zusätzlich darauf hin, dass das akkad. erišši zugleich »nackt« und »mittellos« bedeutet; vgl. W. von Soden, AHw I, 241.
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Erst auf dem Hintergrund der mesopotamischen Rechtstexte wird erkennbar, wo die Steigerung der prophetischen Ankündigungen der göttlichen Strafe für die »Frau« Israel (Hos 2,12) und die »Frau« Ninive (Nah 3,5) gegenüber der üblichen Strafe einer Ehebrecherin liegt: Die Frau Israel wird »vor den Augen ihrer Liebhaber« entblößt, die Frau Ninive vor den Völkern der Welt, beide also in aller Öffentlichkeit. Allerdings ist diese Öffentlichkeit sehr unterschiedlich vorgestellt: In Hos 2,12 soll sie im Zuge der Strafe Gottes die Unfähigkeit und Hilflosigkeit der »Liebhaber« offenlegen (»und niemand kann sie meiner Hand entreißen«); in Nah 3,5 dagegen wird die gesamte Völkerwelt, die sich von den Verlockungen Assyriens einfangen und »betrügen« ließ, der Gerechtigkeit Gottes gewahr werden. Wenn sie das zerstörte Ninive erblicken, werden die Völker der Erde vor Augen geführt bekommen, dass Gott sich seine Herrschaft über die Welt von keiner angemaßten Macht aus dieser Welt nehmen lässt. Dabei mischen sich in V. 5b Bild und Deutung: Die entblößte Frau symbolisiert Ninives »Schande«, seine tiefste Demütigung und Schmach (Klopfenstein, Schande, 192 f). Umstritten ist, wie der Vorgang der Entblößung der Frau vorgestellt ist. שול, zumeist wie in Nah 3,5 im Pl. verwendet, bezeichnet üblicherweise den Saum eines Mantels oder Gewandes, etwa des Hohenpriesters (Ex 28,33 f; 29,24–26) oder auch JHWHs (Jes 6,1). Wenn die שוליםin Nah 3,5 (wie in Jer 13,26) »über dein Gesicht hinweg aufgedeckt« werden, steht die Frau völlig unbekleidet da. Andere Exegeten meinen freilich im Gefolge G. R. Drivers (in: H. Goedecke [Hg.], Near Eastern Studies in Honor of W. F. Albright, Baltimore/London 1971, 87–96), dass שוליםin Nah 3,5 nicht die Kleidung bezeichne, sondern das von ihr Bedeckte und nun Aufgedeckte, die Schamgegend der Frau; vgl. die ausführliche Diskussion der These Drivers bei G. Baumann, Liebe, 57–65. Für Jer 13,22 ist diese Deutung sehr wahrscheinlich, kaum dagegen für Nah 3,5 (und Jer 13,26) wegen der Wendung »über dein Gesicht hinweg«.93 Die griechischen Übersetzer kennen beide Auffassungen (s. Textanm. 5a). Wenn aber feministische Exegetinnen wie G. Baumann (Soldat, 59) und J. M. O’Brien (80–85; vgl. dies., Problem, 112–115) die Wendung im Sinne einer Vergewaltigung der »Frau« Ninive deuten, treiben sie Eisegese und verkennen den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Aussage. 6 Der sehr viel jüngere V. 6 ist bemüht, die göttliche Strafankündigung noch
zu steigern. Sein Verfasser hat in der vorausgegangenen Anklage gegen Ninive das Thema der Abgötterei vermisst. Er trägt es hier in einem drastischen, wenngleich wenig anschaulichen Bild nach: JHWH bewirft die Weltstadt der Assyrer mit ihren »Scheusalen«, so dass die Trümmer der Stadt von Scherben der Götterstatuen bedeckt sind und die Stadt auf diese Weise aller Ehre beraubt (vgl. zu נבלpi. J. Marböck, ThWAT V, 175) zum warnenden Beispiel (G: παράδειγμα; V: exemplum) für zukünftige Städte
93 Driver deutet die Wendung sehr frei (in Anlehnung an Ex 20,3?): »›in thy des pite‹, i. e. ›to thy shame‹« (89).
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wird. Das hebräische Substantiv »( ראיSchaustück«) knüpft betont an die Verbformen der Wurzel ראהin den beiden rahmenden Versen 5 und 7 an. Ninives Schmach wir für jedermann sichtbar offen daliegen. Vor dieser Deutung des Verses ist die Mehrzahl neuerer Ausleger (einschließlich Ges18, 1407; HAL, 1514 und D. N. Freedman, ThWAT VII, 463) zurückgeschreckt94 und hat lieber für Nah 3,6 eine Sonderbedeutung des Wortes » שקוץSchmutz« bzw. »Unrat« angenommen, die sonst nirgends belegt ist. Diese Ausflucht ist aber philologisch nicht haltbar. שקוץ, meistens wie in Nah 3,6 im Pl. verwendet, bezeichnet einen Gegenstand der Abscheu, ein »Gräuel« bzw. ein »Scheusal«, und zwar ausnahmslos in kultischem Kontext. Es handelt sich um ein seit Hosea (Hos 9,10) geläufiges prophetisches Schimpfwort für gegenständliche Darstellungen einer Gottheit oder eines Gottessymbols (später auch für kultische Praktiken der Heiden), deren »Wesenszug der Unreinheit« (W. Zimmerli, Ezechiel: BK XIII/1[1969] 150) mit dieser Bezeichnung zum Ausdruck gebracht werden soll. Gottes Wille für Israel lautet nach Ez 20,7 daher ständig, freilich vergeblich: »Werft die Scheusale weg!« Zur Stütze des angeblichen Sinnes »Schmutz« in Nah 3,6, der völlig aus dem Rahmen der üblichen prophetischen Belege fallen würde, bemüht HAL, 1514 zwei Texte, die Brückenfunktion ausüben sollen: Hos 9,10 und Sach 9,7. Jedoch taugen beide Belege nicht für diese Funktion, weil sie שקוציםgenau wie die anderen (prophetischen) Texte in einem kultischen Kontext verwenden. Nach Hos 9,10 werden die »Liebhaber« Israels, also die vielfältigen Gestalten Baals bzw. der baalisierten Höhengottesdienste, die Israel beim Schandgott Baal-Peor kennenlernte, als ekelerregende »Scheusale« beschimpft, und in Sach 9,7, wo JHWH die blutigen Mahlzeiten und den »Gräuel zwischen den Zähnen« beseitigen muss, um mit den Philistern in Beziehung zu treten, sind »heidnisch-kultische Praktiken« gemeint, »die um der kultischen Reinheit willen weggeschafft werden müssen« (M. Sæbø, Sacharja 9–14: WMANT 34 [1969] 156). Die für Nah 3,6 vorgeschlagene profane Bedeutung »Schmutz« oder »Unrat« lässt sich aus diesen Belegen, die durchweg aus kultischem Kontext stammen, nicht ableiten.
Durch eine Prosa-Einleitung vom Vorhergehenden deutlich abgesetzt, be- 7 schließt eine kurze Spottklage in zwei Doppelzweiern (V. 7) die literarische Einheit 3,1–7. Jedoch darf man das Trennende der Prosa-Überleitung, die vom Bild der bestraften Frau zur Sache des zerstörten Ninive übergeht, nicht zu stark betonen: Sie gebraucht einerseits wie V. 5 (und V. 6) das Verb » ראהsehen« und behält die Form der Anrede an Ninive bei; durch beides ist sie auf V. 5 f rückbezogen. Andererseits ist sie durch ein Wortspiel (s. u.) mit der folgenden Spottklage verbunden (zusätzlich durch die Anrede an Ninive in V. 7b). Die Prosa-Einleitung bezieht Außenstehende mit deren Urteil in das göttliche Gerichtsgeschehen mit ein und knüpft dabei möglicherweise an den sehr ähnlichen Prosa-Übergang in Mi 2,4
94 Eine Ausnahme bildet Fabry, 196: »Ninive wird mit seinen eigenen Götzenbildern beworfen werden.« Er verweist zur Stütze dieser Interpretation auf 4QpNah 3,1, wo die singuläre Wendung » שקוצי תועבותScheusale, die Abscheu hervorrufen« begegnet.
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an, mit dem sie nicht nur die gleiche Funktion teilt, ein vorausgehendes Wehewort gedanklich fortzuführen, sondern auch die Verwendung des identischen Verbes » שדדverheeren« in der folgenden Klage. Einleitung und poetische Spottklage werfen beide einen Blick in die Zukunft, in der Gottes Strafankündigung schon Wirklichkeit geworden sein wird. Das Verb ראהzeigt in Anknüpfung an V. 5 (und V. 6) an, dass Ninives Bestrafung durch Gott ein öffentlicher Akt ist, den jedes menschliche Auge bezeugen kann. Die Reaktion der Menschen auf ihr »Sehen« ist jedoch höchst ungewöhnlich. Sie wird mit einem Wortspiel zum Ausdruck gebracht, das die Prosa-Einleitung eng auf die poetische Spottklage bezogen sein lässt: Wenn Ninive gänzlich verwüstet und verheert sein wird ( שדדpu.), werden die Menschen nicht, wie bei einem Trauerfall oder einem schweren Schicksalsschlag (Hi 2,11 ff) zu erwarten, zum Kondolieren ( )נודherbeieilen, sondern sie werden nur noch vor Entsetzen über das Geschaute Hals über Kopf das Weite suchen ()נדד.95 Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Weisen, die Zerstörung Ninives auf sich wirken zu lassen, wird durch V. 7b noch gesteigert. Meint נודvon Haus aus eine Weise, sein Beileid durch Schütteln des Kopfes zu bezeugen, das alles Unheil von dem Leidenden fernhalten soll, zielt also auf intensive Anteilnahme, so schließt »Trösten« ( נחםpi., auch in Ps 69,21 und Hi 2,11; 42,11 parallel zu )נודeine »Einflussnahme auf eine Situation …, indem man den Verlauf der Dinge ändert«, ein (H. Simion-Yofre, ThWAT V, 368). Wenn Hiobs Verwandte den Leidenden »trösten«, unterstützen sie ihn mit Geld (Hi 42,11); wenn Gott »Zions Trümmer tröstet« (Jes 51,3), sorgt er für ihren Wiederaufbau; wenn er »sein Volk tröstet«, gestaltet er die Welt um (Jes 40,1).96 Für Ninive aber gibt es niemand, der ihm Beileid bezeugen würde (zur Form der Frage in diesem Kontext vgl. Jer 15,5 und Jes 51,19 und H.-J. Hermisson, BK XI/3, 2016, 235)97, und einen »Tröster« kann der Prophet (bzw. selbst Gott) nicht finden.98 So wird die ehemalige Weltstadt eine Ruine bleiben. Die andringende Anrede zum Schluss des Textes, die an die Anrede in V. 7a anknüpft, soll die totale Vergeblichkeit der Suche 95 Das Sprachspiel wird zerstört, wenn Kratz (Pescher Nahum, 131) V. 7aβ literarisch von V. 7aα trennen möchte. 96 Diesen Aspekt verkennen diejenigen Autoren (Wildeboer; Marti), die in ihrer Interpretation davon ausgehen, eine »Leiche« wie Ninive könne man nicht »trösten«. – Im Stichwort »trösten« finden zahlreiche Ausleger ein Wortspiel mit dem Namen des Propheten (s. zu 1,1); das ist möglich, aber nicht sicher erweisbar. 97 Becking (A Judge in History) verweist als Parallele auf einen Fluch in den Nachfolgeeiden Asarhaddons, der sich allerdings auf die Existenz des vom Fluch getroffenen Vertragsbrechers in der Unterwelt bezieht: »May your ghost (eṭemmu) have nobody to take care of the pouring of libations to him«. 98 Wöhrle (Abschluss, 49) verweist mit Recht als Parallele auf die ständig wiederholte Klage in Thr 1, dass es für das zerstörte Jerusalem »keinen Tröster gibt« (V. 2.9.16.17.21). – Bei der Frage: »Wo kann ich finden …?« kann man streiten, ob die Gottesrede von V. 5 f fortgeführt wird oder – m. E. eher – ob sich der Prophet als Vertreter eines kollektiven »Ich« zu Wort meldet.
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nach Helfern für die zerstörte Stadt zum Ausdruck bringen. Damit wird die anfängliche Leichenklage (3,1) am Ende der Einheit noch verschärft: Um diese »Leiche« wird niemand trauern. Indem die Form der Anrede alle folgenden Texte bestimmt, werden sie als Explikation der Leichenklage 3,1–7 kenntlich gemacht. Nah 3,1–7 bietet den Schlüssel zur theologischen Deutung der älteren Ziel Nahumschrift. Einzig in diesem Text wird innerhalb von Nah 2–3 begründet, warum Ninive untergehen muss, genauer: durch Gottes eigene Hand zerstört werden wird. Noch während Ninive lebt und seinen durch Raub gesteigerten Wohlstand feiert, stimmt der Prophet die Leichenklage (»Wehe!«) über die Stadt an. Umso bedauerlicher ist es, dass die Vorwürfe des Propheten gegen die Weltstadt in den üblichen Auslegungen zu Unrecht rein politisch und nicht theologisch gedeutet werden. Zwei Vorwürfe werden Ninive vom Propheten vorgehalten, die je mit einer eigenen Unheilsansage bedacht werden: der eine kurz und leicht verständlich, der andere komplex und umstritten. Der erste, »Stadt der Blutschuld«, ist auf V. 1a beschränkt, der zweite, »so ganz und gar betrügerisch«, wird in V. 4 noch einmal breit entfaltet. Wie man bei den Propheten von Hosea (4,2) bis Ezechiel (Kap. 22) lernen kann, ist »Blutschuld« etwas anderes als Blutvergießen. »Blutschuld« bezeichnet als juristischer Begriff Kapitalverbrechen, die die Todesstrafe verdienen, als theologische Kategorie Eingriffe in das Leben anderer, die dieses Leben zerstören oder gravierend einschränken, auch wo kein Blut fließt. Leben aber ist Gottes größte Gabe an den Menschen; darum lässt er sich als Geber des Lebens solche Eingriffe auf Dauer nicht gefallen. Der »Betrug« Ninives betrifft dagegen sowohl die Völkerwelt als auch Gott, wie V. 4 im Bild Ninives als anmutige Hure darlegt. Mit ihrem Liebreiz hat die Hure die Völker zu Verträgen mit höchst ungleichen Bedingungen für beide Partner verführt, deren Bestimmungen sie in gnadenloser Härte exekutiert hat, so dass die Existenz vieler Völker von Grund auf ruiniert worden ist. Weit gewichtiger aber war ihr Betrug gegenüber Gott. In kühner Übertragung des Bildes der Ehe, wie es Hosea für Israels Gottesverhältnis verwendet hatte, auf Ninives Gottesbeziehung deckt der Prophet auf, wie Ninive mit seinen zahlreichen Unterwerfungen von Völkern alle Maßstäbe der Verantwortung vor Gott überschritten (»Hurerei«) und sich dabei widergöttlicher Mittel (»Zauberei«) bedient hat. Dem doppelten Vorwurf entsprechend wird die von Ninive repräsentierte Weltmacht doppelt bestraft. Wie sie mit »Blutschuld« Massen an Menschen das Leben einschränkte oder gar zerstörte, so werden nun Massen an eigenen toten Soldaten in einem brutalen Krieg das Schlachtfeld füllen (V. 1–3): Der Geber des Lebens schützt seine größte Gabe an den Menschen; er hört das Schreien vergossenen Blutes. Dagegen ruft der zweite Vorwurf eine überraschend persönliche und emotionale Reaktion Gottes hervor: Ninive wird wie eine untreue Ehefrau die Strafe der Ehe-
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brecherinnen erfahren und nackt, mittel- und ehrlos ihr Haus verlassen müssen, um der Schmach und Schande übereignet zu werden, Symbol für eine erbarmungslos zerstörte Stadt. Der Herr der Welt – im Hebräischen: JHWH Zebaoth, im Griechischen: der Pantokrator – lässt sich die Herrschaft über seine Menschen, d. h. über die gesamte Völkerwelt, nicht durch das rücksichtslose Machtstreben eines einzelnen Volkes aus der Hand reißen (V. 5). Wenn er die von ihm beschlossene Zerstörung Ninives in die Tat umsetzen wird, werden Ninive auch ihre dunklen dämonischen Kräfte nichts mehr nutzen, mit denen sie ihre Vormachtstellung unter den Völkern vorangetrieben hat. Die Völkerwelt aber wird statt Trauer und Bestürzung nur Erleichterung empfinden. In dem allen zeigt sich, dass der Prophet Nahum eine bemerkenswert andersartige Vorstellung als Jesaja vom Verhältnis der Weltmacht Assyrien zu Gott hat. Jesaja sah in Assyrien zunächst ein Werkzeug JHWHs, mit dem er sein schuldiges Volk strafen wollte, und warf ihm erst danach vor, eigene, widergöttliche Pläne zu verfolgen, mit dem Ziel, sich die Völker dauerhaft zu unterwerfen. Für N ahum dagegen ist Assyriens Weltmachtpolitik von allem Anfang an gegen Gott gerichtet und »Betrug« an Gott. Assyriens Macht stammt nicht von Gott, sondern es hat sich diese Macht zu Unrecht angemaßt mit unlauteren, ja gegen Gott gerichteten Mitteln (»Zauberei«). Mit jeder Stufe seines Machtgewinns hat es eine größere Verantwortung vor Gott übernommen (vgl. das Ehebild) und höhere Schuld auf sich geladen. Jetzt haben Assyriens Verantwortungslosigkeit und Schuld ein Maß erreicht, dass der Herr der Welt richtend eingreifen muss, um seine Welt nicht der Selbstzerstörung zu überlassen. Eine partielle Bestrafung ist nicht mehr möglich; Ninive muss untergehen. Es versteht sich von selbst, dass diese Einschätzung Assyriens und seiner Hauptstadt Ninive dem um Jahrhunderte jüngeren Interpreten des Nahumbuches in Nah 1 sehr entgegenkommen musste. Er sah die Weltmacht seiner Tage, das wiedererstandene und neue »Assyrien«, mit ganz ähnlichen Augen, und die so bald bestätigte Prophetie des älteren N ahum wurde ihm und den Adressaten, für die er schrieb, zur Vergewisserung, dass das von ihm empfangene Gotteswort (1,12 f) wahr war und Gott dem neuen »Assyrien« ein analoges Geschick bereiten würde wie dem historischen Ninive im 7. Jh, nur dass dieses Ende ein definitives sein würde, weil die Bosheit des neuen »Assyrien« sich auf die gesamte bewohnte Erde ausgedehnt hatte und Gott am Verwirklichen seines Heils hinderte. Diese universale Perspektive wird noch weit intensiver als in Nah 1 in Apk 17–18 entfaltet, wo im Gefolge von Nah 3 das Ende der »Hure Babylon« vom Seher Johannes geschaut wird. Hier ist das römische Reich als die »Hure Babylon« zum Widersacher Gottes geworden; seine Beseitigung ist die Voraussetzung des Anbruchs der eschatologischen Heilszeit. Der endzeitliche Horizont beherrscht diese Vision von Anfang bis Ende. Die »Hurerei« Roms, mit der es Völker betört, ist jetzt der Götzendienst
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des Kaiserkults, also die Verwechslung von Gott und Mensch, wobei der Kaiser in seiner Selbstherrlichkeit als Anti-Christ gezeichnet wird. Aber er wird vom Lamm als dem »Herrn der Herren und König der Könige« (17,14; 19,16) für immer besiegt werden. Hier ist der Begriff der »Hure« zur Bezeichnung der widergöttlichen Macht schlechthin geworden.
Der unaufhaltsame Untergang (Nah 3,8–19)
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das an den Strömen (des Nils) thronte, [ringsum von Wasser umgeben,] dessen Vorwerkc das Meer, dessen Mauerd Wassere waren? 9 Äthiopien war seinea Stärke und Ägypten – unermesslich, Putb und die Lubyer waren seinec Hilfsmacht. 10 Doch auch es traf Verbannunga, musste fort in die Gefangenschaft; auch seine Kinder wurdenb zerschmettert an jeder Straßenecke. Über seine Edlenc warf mand das Los,
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und all seine Mächtigen wurden in Ketten gefesselt. 11 So musst auch du berauscht, mussta umnachtetb werden; auch du musst auf der Suche sein nach Zuflucht vor dem Feindc. 8 8a MT bietet mit der Mischvokalisation des Verbes יטבim q. (»gut sein«) und im hif. (»etwas gut machen« bzw. »ausführen«) zwei Lesarten als gleichwertig an. (Die deutsche Übersetzung versucht, beiden Möglichkeiten gerecht zu werden.) Die Vrs. entscheiden sich unterschiedlich. 4QpNah ( )התיטיביbietet ein hif., das auch in 8ḤevXIIgr vorausgesetzt ist: ΜΗ ΑΓΑΘΥΝΕΙΣ ΥΠ[ερ]: »Tu nichts Gutes an …!«; ähnlich Ἀ. Dagegen verstehen Σ und Θ das Verb im q., jedoch mit unterschiedlichem Sinn (Σ: »Bist du besser [d. h. hervorragender] als Amon [fem. Sg.]?«; Θ: »Übertriffst du Amon an Schönheit?«). – b Unklar ist, was die Übersetzer sich bei dem Namen Amon (bzw. Ammon) genau dachten. Sämtliche griechischen Übersetzter verkennen nämlich den Ortsnamen No Amon und haben deshalb Schwierigkeiten mit der Wiedergabe des Satzes. V (»Alexandria populorum«) und T (»das große Alexandria«) denken wegen der Erwähnung des »Meeres« in V. 8b an Alexandria (s. u. Wort), S (»Jawan«) hat vermutlich die Seleukiden im Blick. 4QpNah ( )מניbietet wohl einen Schreibfehler für מנו. G gibt den Satz stark abweichend wieder: ἅρμωσαι χορδήν, ἑτοίμασαι μερίδα, Αμων: »Stimme die Saite, bereite (dir) einen Anteil, Amon!« Vgl. dazu die ausführliche Diskussion in der Einführung des Kommentars, o. S. 40–42. – c Mit G, V, S und vor allem 4QpNah lesen die meisten Exegeten חילmit Suffix ()חילה. MT scheint dem Suffix im letzten Kolon (»ihre Mauer«) eine »double duty«-Funktion zuzuweisen. G übersetzt חילmit ἀρχή im Sinn von »Herrschaft« (Fabry, 202; Grütter, Buch Nahum, 115), vermutlich im Blick auf die Wurzel ( חללhif.). – d 4QpNah, G und V lesen den Pl. »Mauern«. – e So G, S, V, 8ḤevXIIgr und 4QpNah ()ומים. MT vokalisiert irrtümlich »( ִמּיָ םvom Meer her«). T ( )מי ימאbietet 9 einen Kompromiss. – 9a So vokalisieren alle Vrs. den überlieferten Konsonantentext, auch 4QpNah ()עוצמה. Zum fehlenden Mappiq im MT vgl. Fabry, 202. – b G hat das Wort mit φυγή übersetzt und auf das Vorhergehende bezogen: »Es gibt kein Ende der Flucht.« Sie greift damit dem Thema von V. 11 vor. – c So G und S. MT, Mur 88, V und T (»deine Helfer«) gehen verfrüht zur Anrede von V. 11 10 über. Zum sog. ב- essentiae vgl. G-K § 119i. – 10a 4QpNah und 4Q385 bieten mit בגלהdie geläufige Formulierung für »in die Verbannung (gehen müssen)« (Ehrlich, Randglossen V, 298). Die ungewöhnlichere Fassung des MT ( )לגלהist um der poetischen Variation willen gewählt und drückt stärker den Zwang aus (»für die Verbannung bestimmt«). G (und auch wohl 8ḤevXIIgr) übersetzen die Sätze futurisch. – b Der Wechsel vom Perf. zum Imperf. bringt – wie oft in poetischen Texten des Alten Testaments und Ugarits – keine sachliche Verschiebung der Aussage. – c G fügt »alle« hinzu und übersetzt neutrisch: πάντα τὰ ἔνδοξα αὐτῆς (»alle seine prachtvollen Objekte«). – d 4QpNah liest statt ( ידדMT) das den Le11 sern vertrautere Verb ירהin gleicher Bedeutung (M. Weiss). – 11a תהיist eher ein »short yiqtol in future time« (Gibson, Syntax, 73) als ein Jussiv (so Rudolph, 182 und Roberts, 71). – b Der Parallelismus membrorum legt eher eine Ableitung von עלםII »dunkel sein« als von עלםI »verborgen sein« nahe; vgl. die Auslegung.
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G übersetzt: »Du wirst eine Verachtete sein.« – c G bietet den Pl. »vor den Feinden«; zahlreiche G-Zeugen und Θ präzisieren: »vor deinen Feinden«.
Der Schlussteil des N ahumbuches (Nah 3,8–19) ist darin mit seinen Vor- Form gängern Nah 2,2–14 und 3,1–7 vergleichbar, dass er mit einer Spottklage endet. Sie enthält wie 3,7 Elemente eines Leichenliedes und verwendet wie 2,12 f und 3,7 rhetorische Fragen als Stilmittel, um mit ihnen den Untergang der Weltmacht Assyrien scheinbar zu bedauern, in Wirklichkeit aber zu bejubeln (3,18 f). Durch diese Anordnung sollen 2,2–14; 3,1–7 und 3,8–19 wie drei Strophen eines großen Gedichts auf die Leser wirken. Anders als den genannten Vorgängern liegt 3,8–17 aber keine einzelne literarische Einheit zugrunde, sondern die Verse bilden eine Kom position aus drei formal und thematisch eigenständigen Unterabschnitten, die möglicherweise einmal separate mündliche Worte gebildet haben (vgl. die Einleitung). Zusammengehalten werden sie untereinander und mit der abschließenden Spottklage durch Stichwortanschlüsse (V. 11/12), künstliche Übergänge (V. 15a/15b), vor allem aber durch die permanente Anrede an die Weltstadt Ninive in Fortsetzung von 3,5–7. Der Abschnitt 3,8–19 soll damit als Explikation des göttlichen Gerichtsworts 3,5(f) und der Spottklage 3,7 gelesen werden; er benötigt deswegen keine eigene Einleitung. Auch der intendierte Sprecher des Textes ist durchgehend der gleiche. Da die Gottesrede in 3,1–7 auf V. 5(f) beschränkt blieb (allenfalls könnte das »Ich« in V. 7b Gott im Blick haben), ist offensichtlich der Prophet gemeint. Insgesamt kann man 3,8–17 mit Nogalski, Redactional Processes, 118 als einen »taunt song to Nineveh… composed of several independent elements« bezeichnen. Evident und von den meisten neueren Exegeten anerkannt ist zunächst der Einschnitt zwischen V. 11 und V. 12. Der anfängliche Vergleich zwischen Ninive und Theben, das trotz seiner besonderen geographischen Lage und der Größe seines Heeres von den Assyrern eingenommen und dessen Bewohnerschaft nach Nah 3,10 grausam behandelt und teilweise in die Verbannung geführt wurde, gipfelt in der Gegenüberstellung des Geschicks Thebens (»auch es musste …«) und dem erwarteten Geschick Ninives (»auch du wirst …«). Nicht weniger als viermal wird in V. 10 f »( גםauch«) am Anfang eines Satzes eingesetzt, um die Entsprechung zu markieren, mit der der Gedankengang seinen Höhepunkt erreicht und zugleich abgeschlossen wird. Als Letztes wird in V. 11 die Flucht eines Heeres angedeutet. Demgegenüber bieten die beiden Satiren V. 12–15a und 15b–17 einen deutlichen Einschnitt. Zwar sind auch in ihnen die Doppelzweier, die die poetische Diktion in V. 8–11 bestimmen, noch weithin deutlich erkennbar, aber daneben treten wechselnde Rhythmen (V. 13aβb.15a.16b.17b), bevor in der abschließenden Klage V. 18 f das Qina-Metrum der Totenklage genutzt wird. Inhaltlich sprechen die Verse 12–15a mit ihrer Ankündigung vom Feind eroberter Festungen sowie offener Stadttore sehr andersartige Themen an als die Verse 8–11 mit ihrer abschließenden Fluchtszenerie.
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Das Gleiche gilt für die Verse 15b–17 mit ihrer Schilderung des riesigen Händler- und Beamtenapparats der Assyrer und seines plötzlichen Verschwindens. Wenn im Folgenden die jeweiligen Untereinheiten Nah 3,8–11; 1 2–15a; 15b–17 und 18 f je gesondert ausgelegt werden, so geschieht das nur um der besseren Übersichtlichkeit willen. Literarisch gehören sie zusammen, wie immer ihre für uns nicht mehr sicher auszumachende Vorgeschichte abgelaufen ist; vgl. dazu die Einleitung. Ort Nah 3,8–11 ist der einzige Text im Buch, der auf ein datierbares histori-
sches Ereignis Bezug nimmt, die Eroberung des ägyptischen Theben durch die Assyrer im Jahr 664/663 v. Chr. Deshalb ist er genauer zu datieren als andere Texte. Jedoch ergibt sich für ihn mit dem Jahr 663 als term. a quo und dem Fall Ninives im Jahr 612 als term. ad quem immer noch eine lange Zeitspanne möglicher Einordnung. Die Versuche der Exegeten, diese Zeitspanne zu verkürzen, laufen auf eine Alternative hinaus. Entweder man argumentiert, dass in den Jahren unmittelbar nach der Eroberung Thebens von einer Schwäche Assyriens noch nichts zu spüren gewesen sei, und rechnet in Israel mit einer langjährigen Erinnerung an dieses Ereignis (so etwa Horst; Elliger), oder man betont die im Text spürbare Erregung über die Eroberung und Plünderung der heiligen Stadt und rechnet mit einer zeitlichen Nähe von Nah 3,8–11 zu 663 (etwa Schneider; Seybold; Perlitt). Wahrscheinlicher erscheint mir die letztgenannte Möglichkeit. Fragt man, woher man in Israel Kenntnis von der Einnahme des fernen Theben besaß, so ist nicht nur generell auf assyrische Heere zu verweisen, die auf ihrem Rückmarsch durch Palästina-Syrien von diesen Ereignissen berichteten, sondern darüber hinaus darauf, dass Juda unter Manasse – belegt für Assurbanipals ersten Ägyptenfeldzug 669/668 – selber Kontingente für dieses assyrische Heer hatte stellen müssen (Onasch, Eroberungen, 149). Eine gewisse Nähe von Nah 3,8–11 zu 663 ist damit wahrscheinlich. Allerdings ist zu bedenken, dass die Assyrer schon weniger als ein Jahrzehnt später wieder aus Ägypten vertrieben waren und in diesen Jahren die Grenzen ihrer Macht ein erstes Mal sichtbar wurden. So ist Nah 3,8–11 in seiner Erstgestalt vermutlich in der Nähe des Jahres 655 anzusetzen, in dem Psammetich I. Ägypten wiedervereinigen konnte, nachdem er zuvor die assyrische Besatzung vertrieben hatte, möglicherweise aber auch (mindestens ein Jahrzehnt) später; vgl. die Erwägungen o. S. 26 f. Jedenfalls sind die folgenden Untereinheiten V. 12–17 mit ihrem weit spöttischeren Unterton mit hoher Wahrscheinlichkeit erheblich später entstanden als V. 8–11. Sie müssen zu einer Zeit niedergeschrieben worden sein, in der der Untergang Ninives absehbar war. Während die Verse 8–11 Ninive im Vergleich mit der Einnahme einer bedeutenden Weltstadt ansagen wollen, dass auch seine ungewöhnlich günstige geographische Lage und die Größe seines Heeres es nicht vor dem Untergang schützen werden, können die Verse 12 ff Ninives Verteidigungsmaßnahmen und die Größe
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seines Beamtenstabes nur noch lächerlich finden. Vermutlich noch später anzusetzen ist die abschließende Spottklage V. 18 f, auch in ihrer älteren Gestalt. (Sie muss auf zwei verschiedenen Ebenen gelesen werden: Von Haus aus ist ihre Anrede an Ninive gerichtet, mit dem Zusatz »König von Assur« thematisiert sie für spätere Leser den Untergang Belials [2,1]). In ihr ist vermutlich der – vor Kurzem erfolgte – Fall Ninives schon vorausgesetzt. Jedenfalls fällt auf, dass in V. 18 f nicht wie in V. 12–15a die leichte Einnahme der Stadt beschrieben wird, sondern eine totale Auflösung des Heeres. Der Blick wird konzentriert auf die Menschen gerichtet, die Verantwortlichen und die von ihnen Abhängigen, während das Geschick der Stadt nur im Begriff des »Zusammenbruchs« Erwähnung findet. Zudem wird in V. 19a typische Sprache des Buches Jeremia aufgegriffen. Der Zusatz »König von Assur« zeigt, wie die Redaktion V. 18 f und damit 3,8–19 im Ganzen verstand: als Gericht an dem Widersacher Gottes, den 2,1 »Belial« genannt hatte. 3,8–11: Ninive und Theben Nah 3,8–11 beginnt mit einer rhetorischen Frage, die als Antwort ein Wort 8 deutliches »Nein!« erwartet. Verglichen werden in ihr zwei Städte mit Weltrang, das noch in Blüte stehende Ninive und die von den Assyrern jüngst eroberte berühmte Gottesstadt Oberägyptens, Theben. Was genau verglichen werden soll, geht aus dem Text allerdings nicht klar hervor; schon die Massoreten haben das Verb יטבmit einer Mischvokalisation versehen und damit zwei Auffassungen zur Wahl gestellt: eine Deutung im q. (»gut sein«) und eine im hif. (»etwas gut machen« bzw. »ausführen«). Man vergleiche die obige deutsche Übersetzung oder HAL, 390: »Er ist oder fährt besser«. Die Vrs. haben sich angesichts der Alternative unterschiedlich entschieden (s. Textanm. 8a). Eine Deutung im ersten Sinn (»Bist du besser als …?«) würde im Kontext nur Sinn machen, wenn der Komparativ »besser« die Bedeutung von »stärker« tragen würde. Jedoch gibt es mit Am 6,2 nur eine einzige Parallele für die Bedeutung »besser« = »stärker«, und analoge Vergleiche (»Bist du besser …?«) werden im Alten Testament sonst nie wie in Nah 3,8 mit dem Verb יטב, sondern mit dem Adjektiv טוב gebildet (Ri 11,25; Am 6,2), während das Verb יטבq. gemeinhin unpersönlich verwendet wird (»es geht mir/ihm gut«). Deshalb haben sich so gut wie alle neueren Ausleger mit Recht im Gefolge von 4QpNah für ein Verständnis der Frage von Nah 3,8 im Sinne des hebr. Hif. entschieden, so dass nicht die Qualität der beiden Städte einander gegenübergestellt wird, sondern ihr jeweiliges Geschick, frei übersetzt: »Wird es dir besser ergehen als …?«99 Für diese Interpretation spricht nicht zuletzt, dass zwar in V. 9 99 Sachlich vergleichbar ist etwa die Aussage » טוב אל דודEs steht gut um David« (1 Sam 20,12) oder יטבhif. mit Gott als Subjekt: »Jmd. Gutes tun« = »es jmd. gut ergehen lassen« (Gen 32,10.13 u. ö.).
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die Menge der Verbündeten und die Menge der Söldnertruppen als Zeichen der Stärke Thebens aufgeführt werden, dass aber der Höhepunkt der Argumentation des Textes, der mit dem vierfachen »auch es« bzw. »auch du« unübersehbar in V. 10 f liegt, das jeweilige Geschick der beiden Städte hervorhebt, genauer: den schon erfolgten Untergang Thebens und den in naher Zukunft erwarteten Untergang Ninives. Nur bei der weniger wahrscheinlichen ersten Deutung ist das Missverständnis möglich, das sich bei der berühmten Deutung Wellhausens findet und diesen verleitet hat, mit einer anderen, nirgends belegten Eroberung Thebens als derjenigen im Jahr 663 zu rechnen. Wellhausen argumentiert (Die kleinen Propheten, 163 f): »Wenn der Prophet hier an eine Zerstörung Thebens durch die Assyrer selber denkt, wie kann er denn an Nineve die Frage richten: bist du besser als No-Amon? Darauf würde Nineve mit Fug und Recht antworten: natürlich, denn mir ist ja eben No-Amon erlegen.« Jedoch ist die Logik des Propheten eine andere, theo logischere: Nicht die Macht des Eroberers Thebens steht im Mittelpunkt seines Gedankens, sondern die begrenzten Möglichkeiten selbst einer ideal gelegenen und glänzend befestigten Stadt wie Theben bzw. Ninive, sich vor stärkeren Mächten zu schützen, wenn ihre Einnahme Gottes Wille ist.
Die biblischen Propheten haben auch andernorts gewichtige Ereignisse bei anderen Nationen zum Vergleich herangezogen, um ihren Ankündigungen Plastizität zu verleihen, und auf diese Weise gezeigt, wie wenig provinziell ihr Denken war, wie sehr sie vielmehr die große Weltpolitik verfolgten. Für Nah 3,8 können Am 6,2; Jes 10,9 und besonders Hos 10,14 (vgl. u. zu V. 10) prägende Vorbilder gewesen sein; im Übrigen ist etwa an 2 Kön 19,10–13 (= Jes 37,10–13), aber auch an Jer 3,6–11 sowie an Ez 16 und 23 zu erinnern. Der Vergleich in V. 8 und mit ihm die ganze Untereinheit V. 8–11 sind von der Forschung freilich erst voll verstanden worden, als klar war, welche Stadt mit No Amon gemeint war. Die großen jüdischen und christlichen Gelehrten des Mittelalters (Raschi, Kimchi, Nikolaus von Lyra, Reuchlin) waren wie das Targum und Hieronymus der Meinung gewesen, dass die hellenistische Metropole Alexandria im Blick des Textes sei. Schon Martin Luther aber hatte mit bewundernswertem exegetischem Gespür den Anachronismus erkannt (WA 13,365 und 13,390); er schlug stattdessen »eine alte, herausragende, sehr edle und sehr mächtige Stadt« vor, und zwar »en regno Aethiopiae«: entweder das von Josephus (Antiqu. II, 10,2) als nahezu uneinnehmbar beschriebene Saba oder aber das nach homerischer Tradition (Ilias IX, 381 ff) hunderttorige Theben. Mit seinem zweiten Vorschlag sollte er Recht behalten, auch wenn die Kontroverse über die Identität der Stadt bis zur Mitte des 20. Jh. bestehen blieb (Spronk, 127; vgl. die Argumente van Doerslaers). No ( ;נאakkad. Ni’) ist die hebr. Wiedergabe des ägypt. nw.t bzw. n.t »Stadt«; No-Amon bezeichnet die »Stadt des Amon«; vgl. »No« in Ez 30,14–16 und den »Amon von No« in Jer 46,25. Die aufgrund ihrer mächtigen Tempel berühmte Gottesstadt wurde im Mittleren (MR) und vor allem im Neuen Reich (NR) Ägyp-
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tens zur bedeutendsten Stadt Oberägyptens und Ägyptens generell. Sie umfasste etwa das Quadrat Karnak – Deir el-Bahari im Norden und Luxor – Medinet Habu im Süden und wird mehrfach einfach »die Stadt« genannt, weil sie zur Zeit des MR die einzige bedeutende Stadt Ägyptens war (Stadelmann, 467). Schon während der 11. Dynastie unter Mentuhotep II. war Theben für kürzere Zeit Reichshauptstadt geworden und wurde es erneut in der 17. Dynastie, bevor die Hyksos die Herrschaft übernahmen. Seine eigentliche kulturelle und politische Blüte erfolgte aber erst mit Beginn des NR, als Theben während der mächtigen 18. Dynastie zur monumentalen Weltstadt und Hauptstadt Ägyptens heranwuchs. Sein Gott Amon hatte sich zuvor mit dem Sonnengott Re verbunden und war als Amon-Re zum Reichsgott und Götterkönig Ägyptens aufgestiegen. Freilich verlor Theben an politischer Bedeutung, als zunächst Pharao Amenophis IV. Echnaton Amarna als Residenz wählte und diese schon bald danach – wie schon zur Zeit der Hyksos – ans Delta verlegt wurde. Die Gottesstadt Theben blieb aber auch jetzt Begräbnisort der Pharaonen und als Stadt des Amon heilige Stadt, in der der Hohepriester die Macht in Händen hielt. Erst als Jahrhunderte später, gegen Ende des 8. Jh., eine Herrscherfamilie aus Nubien, dem heutigen Sudan, von ihrer tief im Süden gelegenen Hauptstadt Napata aus die erste in der Antike sog. »äthiopische Dynastie« Ägyptens bildete, konnte Theben nochmals ansatzweise für wenige Jahrzehnte an seinen früheren Glanz anknüpfen. Zu dieser Zeit, in der sowohl Mittelägypten als auch das Deltagebiet in eine Fülle von kleinen Fürstentümern gespalten waren, lag es nahe, dass die nubischen Pharaonen Theben zu ihrer ägyptischen Residenz wählten: nicht nur wegen seiner südlichen Lage, die ihnen entgegen kam, sondern vor allem wegen ihrer traditionell engen Verbundenheit mit Theben aufgrund der gemeinsamen Amon-Verehrung. Der neue nubische Staat sollte »ein Abbild der Amonherrschaft von Theben« mit Amon als Staatsgott sein (J. H. Breasted, Geschichte Ägyptens, ²Berlin 1911, 398). Offiziell wurde die »Fiktion des [thebanischen] Gottesstaates« (Stadelmann) gewahrt, indem eine nubische Prinzessin in Theben als »Gottesgemahlin« des Amon adoptiert wurde und auf diese Weise formal die Herrschaft über die Stadt ausübte. Zu etwa gleicher Zeit entstand jedoch das assyrische Weltreich, das auf Dauer sich die Oberhoheit über die Levante nicht mit Ägypten teilen wollte. Seine Intention war weder unter Asarhaddon noch unter Assurbanipal, die zusammen insgesamt 5 Feldzüge gegen Ägypten führten, eine Besetzung des Landes. Vielmehr wollten sie die Entstehung eines unter den Nubiern geeinigten Ägypten verhindern (Spalinger, Esarhaddon, 324–326). So förderten sie lokale Herrscher im Delta, solange diese den jährlichen Tribut ablieferten, und manche dieser lokalen Herrscher weigerten sich, die nubischen Pharaonen bei ihren Schlachten gegen die Assyrer zu unterstützen. Die bedeutendste Schlacht Asarhaddons endete 671 mit der Belagerung und Plünderung von Memphis. Jedoch konnte Pharao Taharqa bald darauf Memphis zurückgewinnen. So musste Asarhaddon 669 wieder gegen Ägypten ziehen; er starb aber während dieses Feldzugs. Sein Sohn und Nachfolger Assurbanipal konnte 667 durch seinen Feldherrn zwar Taharqa wieder aus Memphis vertreiben, aber Taharqas Neffe und Nachfolger Tanwetamani gelang es 664 erneut, Memphis zurückzuerobern. Jetzt begnügte sich Assurbanipal nicht mit dessen Vertreibung aus Memphis, sondern verfolgte ihn bis zu seiner Residenz Theben, ein Vorhaben, das schon 667 geplant und begonnen worden, aber aus nicht ganz durchsichtigen Gründen gescheitert war (Spalinger, Assur-
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banipal, 321). Während Tanwetamani in seine nubische Hauptstadt Napata floh, eroberte Assurbanipal Theben und erreichte damit den Höhepunkt assyrischer Herrschaft über Ägypten, die freilich wenige Jahre danach endgültig endete. Schon 655 konnte Psammetich I., der Begründer der 26. Dynastie, formal zunächst ein assyrischer Vasall, die Assyrer aus Ägypten vertreiben und die Unabhängigkeit für ein wieder geeintes Ägypten zurückgewinnen. Theben aber sollte sich von dem erfahrenen Schlag nicht mehr erholen; seine Macht war für alle Zeit beendet. Die ägyptischen Quellen schweigen über die assyrischen Eroberungen Ägyptens. Die Annalen der assyrischen Könige aber, die diese Eroberungen bezeugen (Onasch, 61 ff), erwähnen in ihren unterschiedlichen Fassungen in auffälliger Weise zwar ausführlich mit variierenden Einzelheiten die gründliche Plünderung Thebens durch das assyrische Heer und die nach Ninive transportierte riesige Beute (Spalinger, Assurbanipal, 324 f; Schneider, Nahum und Theben, 69), mit keinem Wort aber eine Zerstörung der Stadt, für die es auch archäologisch keine evidenten Indizien gibt. Möglicherweise war Theben-West von der Eroberung gar nicht betroffen (Schneider, 69 f). Für die Logik von Nah 3,8–11 besitzt dieser historische Sachverhalt freilich keine große Bedeutung.
Nach Nah 3,8 f war die Eroberung Thebens für die Zeitgenossen N ahums vor allem aus zwei Gründen unerwartet und sehr erstaunlich: Theben besaß eine außergewöhnliche geographische Lage (V. 8), durch die es leicht zu verteidigen war, und verfügte über riesige Heere, die durch Verbündete und Söldner noch verstärkt wurden (V. 9). Beides trifft auch für Ninive zu. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Lage wird Theben als eine Königin betrachtet; ישבbedeutet, bezogen auf eine Stadt, eher »thronen« als »wohnen« (Perlitt). Durch den Bau des modernen Assuan-Dammes lässt sich die antike Lage Thebens für einen gegenwärtigen Besucher kaum noch nachempfinden. Wenn der Text von »Strömen« spricht, so meint er die verschiedenen Nil-Arme ( יארim Sg. ist die übliche Bezeichnung für den Nil). Es ist kein Wunder, dass die biblischen Texte aus der Sicht Palästinas diese Begrifflichkeit primär auf das Nil-Delta bezogen haben (Jes 7,18; 19,6 f; Ez 29,3–5; Ps 78,44 u. ö.), was wiederum die irrtümliche Identifikation von No Amon mit Alexandrien durch T und V und die mittelalterlichen Exegeten begünstigt hat, von der oben die Rede war. T. Schneider (64 f) hat an Hand griechischer und demotischer Texte nachgewiesen, dass in ptolemäischer Zeit mindestens vier Nilinseln vor Theben belegt sind, und diese Angaben stimmen mit Reiseberichten des 19. Jh. überein, die von fünf Nilinseln sprechen, so dass man mit mehreren Nil-Armen in der Nähe Thebens rechnen muss. Auch der Begriff »Meer« in V. 8b ist vermutlich keine sinnlose Übertreibung, die die Entfernung zwischen Theben und dem Delta von nahezu 1000 km leichtfertig überspringen oder aber Theben zum Symbol für ganz Ägypten machen würde (Nogalski, Redactional Processes, 119; Keller, 130, möchte der Darstellung N ahums sogar keinerlei geographische Realität zuschreiben), sondern weit eher eine Bezeichnung für die
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Nil-Überschwemmungen, wie im Gefolge mancher älterer Exegeten (etwa C. F. Keil und J. P. M. Smith) vor allem Schneider (66) unter Verweis auf Jes 19,5–10 und auf Beschreibungen Senecas und Homers wahrscheinlich gemacht hat. Während Jes 19 das Ausbleiben der Nilüberschwemmung ankündigt und für das Versiegen der Wasser die Begriffe »Meer« und »Strom« parallel verwendet (ähnlich Jes 18,1 f und Ez 32,2), vergleichen Seneca und Herodot die Situation des über die Ufer getretenen Nils mit dem Meer.100 Wenn der Nil eine Breite von bis zu zehn km gewonnen hat, legt sich diese Bezeichnung für die Überschwemmungen in der Tat nahe. Zugleich verdeutlicht sie, warum das Meer für Nah 3,8 sowohl als »Vorwerk« bzw. »Außenmauer« ( )חילals auch als Hauptmauer ()חומה101 gilt: Bevor der heranrückende Feind an die steinerne Befestigungsmauer der Stadt heranrücken kann, wird er schon vom Wasser an dieser Annäherung gehindert. Möglicherweise ist der Prophet bzw. sein Tradent in seiner Formulierung durch assyrische Beschreibungen inspiriert worden. P. R. Berger, UF 2 (1970) 346 zitiert eine Inschrift Asarhaddons, mit der er phönizische Städte charakterisiert und die erstaunlich ähnlich wie Nah 3,8 klingt. In ihr geht es um »Könige, die im Meer wohnen«: Ša dūrānūšum tâmtumma edū šalḫūšum: »deren Mauer das Meer und deren Vormauer die Wasserflut ist«. Man vergleiche, wie Assurbanipal in LET Rs 33–35 (Onasch, 111) die Lage Arwads beschreibt: »Ikkilu, der König von Arwad, der weit im Meer wohnt, der wie ein Fisch in den unbegrenzten Gewässern der großen Wasserflut seinen Wohnsitz hat, der auf das wogende Meer vertraute …«. Weniger sicher erscheint mir, ob Assoziationen an das Schilfmeerwunder und das dortige Wasser als eine Mauer (Ex 14,22.29) im Blick des Textes sind, wie manche Exegeten vermuten.
Das Kolon »ringsum von Wasser umgeben« zwischen V. 8a und V. 8b ist wahrscheinlich ein jüngerer Zusatz, den allerdings die Vrs. schon voraussetzen. Er durchbricht die älteren Parallelismen und möchte die Darstellung der geographischen Lage Thebens, die V. 8a und V. 8b schon exzessiv ausgemalt hatten, noch einmal steigern. Die Texte, die Spronk (128) als angebliche Parallelen anführt, um dieses Urteil zu bestreiten, sind nicht wirklich vergleichbar. Eher mag die Vermutung J. Wöhrles (Abschluss, 49 f) zutreffen, dass der Zusatz als Verweis auf Nah 2,7.9 zu verstehen sei und eine noch stärkere Beziehung zwischen Nah 3,8 und Ninive herstellen wolle: Wie der Wasserschutz Theben in der Not nicht geholfen hat, so werde er auch Ninive nicht helfen. 100 Herodot schreibt (Hist. II, 97): »Wenn der Nil das Land überschwemmt, ragen nur die Städte über das Wasser hinaus, am meisten ähnlich den Inseln im ägäischen Meer. Denn aus dem übrigen Gebiet Ägyptens wird Meer.« 101 Vgl. das Nebeneinander beider Begriffe in Thr 2,8 und Jes 26,1.
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Ins Extrem gesteigert findet sich eine ähnliche Annahme bei Huddlestun. Er bezieht nicht nur den vermutlichen Zusatz V. 8aγ, sondern V. 8 als ganzen auf Ninive, dessen Qualitäten die Darstellung Thebens bestimmt hätten, mit dem Argument, dass die Wasser der Nilüberschwemmung für Theben keine wirksamen Verteidigungsmittel gebildet hätten, während man in Ninive die Fluten des Tigris und des Chosr sehr wohl zur Verteidigung der Stadt genutzt habe. Mit derartigen militärischen Differenzierungen dürfte der Autor aber den Propheten und seine Tradenten überfordern. Vor allem müsste er, wie schon Dietrich (83) gesehen hat, die absurde Konsequenz in Kauf nehmen, dass Nahum dem Tigris vor Ninive die Qualität eines »Meeres« zubilligen würde! 9 V. 9 beschreibt das riesige Heer, das sich zur Verteidigung Thebens zur
Verfügung gestellt hat. Dabei ist der Parallelismus der beiden Halbverse bemerkenswert poetisch gestaltet, indem bei der Aufzählung der Völker jeweils ein einsilbiger Name am Anfang von einem mehrsilbigen, pluralisch formulierten Namen an zweiter Stelle gefolgt wird. Mit »Kusch« steht der Name der regierenden nubischen Dynastie, die die klassischen antiken Schriftsteller seit Homer als »Äthiopier« zu bezeichnen pflegten, mit Recht voran, auch wenn die Nubier bis 850 unter ägyptischer Herrschaft gestanden hatten. Ihre Hauptstadt Napata lag unmittelbar unterhalb des 4. Nilkatarakts, und auf der Stele, die Asarhaddon in Sendschirli, dem antiken Samʻal, errichten ließ, heißt Pharao Taharqa der »König von Kusch und Ägypten«. Für die Ägypter selber war K’š Bezeichnung aller Bewohner am Nil südlich der ägyptischen Landesgrenze. Im Alten Testament heißt Pharao Taharqa dagegen »König von Kusch« (2 Kön 19,9), und Kusch wird zusammen mit Ägypten wie in Nah 3,9 auch in Jes 20,4 f (als Macht, auf die Juda seine Hoffnung setzt) und in Ez 30,4 f (als Macht, die Nebukadnezar beenden wird) in einem Atemzug genannt. »Ägypten« ist dann Sammelbezeichnung für alle Bewohner Ober- und Unterägyptens, und es ist kein Zufall, dass V. 9 gerade an dieser Stelle auf die unzählbare Menge der Soldaten verweist (» ואין קץund kein Ende« verwendet der Prophet auch in 2,10; 3,3; vgl. Jes 2,7). Gesondert genannt werden aus dem Vielvölkerstaat und aus der Menge fremdländischer Söldner nur noch »Put und die Lubier«, wobei beide Namen wahrscheinlich das gleiche Territorium bezeichnen (HAL, 867; S. Herrmann, BHH, 1533; M. Görg, NBL II, 220 f); möglicherweise war Put ursprünglich ein separates Gebiet Libyens.102 Kusch und Put begegnen auch in Jer 46,9 und Ez 30,5 nebeneinander (vgl. Ez 38,5). Die Libyer waren im 10. Jh. von den Ramessiden ins Land gerufen und angesiedelt worden. In Nah 3,9 sind sie vermutlich genannt, weil eines ihrer Geschlechter die 22.–24. Dynastie Ägyptens (ca. 950–720) gebildet hatte und sie auch 102 Zur genaueren Lokalisierung der Libyer vgl. J. Osing, Libyen, Libyer: LÄ 3 (1980) 1015–1033. – Die in der älteren Literatur und noch von Rudolph befürwortete Identifikation von Put mit Punt = Ofir kann nach den Untersuchungen Poseners »wohl endgültig aufgegeben werden« (Görg).
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während der 25. Nubischen Dynastie eine der wichtigsten Mächte im Gebiet des Deltas darstellten, aus der Sicht Palästinas wohl die wichtigste. Aber weder seine ideale geographische Lage noch die riesigen Mengen 10 seiner Truppen hatten Theben 663 zu retten vermocht. Das wiederholte גם (»auch es« bzw. »auch seine Kinder« im Sinne von »sogar es« bzw. »sogar seine Kinder«) muss auch bei den folgenden Aussagen von V. 10 mitgehört werden. Dabei verraten diese Aussagen, die das schwere Geschick der Stadt beschreiben wollen, keine speziellen Kenntnisse der Eroberung Thebens, sondern sie bedienen sich generellen Wissens von assyrischer Kriegsführung und Deportationspraxis, das sie stellenweise (V. 10aβ) noch zu steigern bemüht sind. Das überschriftartige Thema der Verbannung ist vorangestellt, um mit dem Begriff גלהan das (künftige) Leiden Ninives (2,8) anzuspielen. Während jedoch im – dem Propheten vermutlich schon vorgegebenen – Gedicht 2,2.4–11 speziell das Geschick der Königin beklagt wird, ist in 3,10 von der Gefangenschaft der Bewohner Thebens generell die Rede. Demgegenüber heben die assyrischen Annalen, die von den Feldzügen der Assyrer in Ägypten berichten, besonders die Deportation wichtiger Handwerker und Künstler Ägyptens hervor (Spalinger, Esarhaddon, 305 f. 325) bzw. im Fall Thebens den Abtransport erbeuteter Obelisken (Schneider, 69; Onasch, 157). Mit der brutalen Ermordung selbst kleiner Kinder in V. 10aβ sollen die rücksichtslose Grausamkeit der Eroberer und das grenzenlose Leid der Besiegten ausgemalt werden. Während assyrische Annalen und Siegesstelen gern pauschal behaupten, dass auf Seiten der Feinde »Klein und Groß« getötet worden seien, findet sich die Steigerung, dass selbst kleine Kinder (V: parvuli) nicht verschont wurden, um künftige Feinde schon früh zu beseitigen, in mehreren, teilweise frühen alttestamentlichen Texten (2 Kön 8,12; Hos 10,14; 14,1; Jes 13,16; Ps 137,9), wobei in auffälliger Weise stets das seltene, sonst im Alten Testament nur noch ein einziges Mal belegte Verb » רטשzerschmettern« verwendet wird. Die Formulierung »an jeder Straßenecke« (Jes 51,20; Thr 2,19; 4,1) besagt so viel wie: überall in der Stadt. Erstaunen muss erneut, wie stark N ahum auf Sprache und Vorstellungen Hoseas zurückgreift. War sein Denken in 3,1–7 entscheidend von Hosea geprägt (V. 1.4 f), so gilt Entsprechendes auch in 3,10aβ. Nicht nur sprachlich wird mit dem Begriff des »Zerschmetterns« kleiner Kinder an Hos 10,14 und 14,1 angeknüpft, sondern auch die gedankliche Logik der Argumentation läuft Hos 10,14 merklich parallel: Angespielt wird auch hier auf die Zerstörung einer den Lesern gut bekannten Stadt durch die Assyrer (Bet-Arbel, Hos 10,14); mit Nachdruck betont wird, dass Efraim bzw. Samaria das gleiche Geschick treffen wird wie diese vor kurzem vernichtete Stadt. Hinzu kommt, dass in beiden Texten der Vorwurf im Zentrum steht, dass Samaria bzw. Ninive aufgrund der scheinbaren Macht (Streitwagen und Menge der Krieger: Hos 10,13b) sich einem fatalen Sicherheitsgefühl hingeben. Schließlich ist auch der Nah 3,12 einleitende Begriff » מבצרFestung« in Hos 10,14 schon vorgegeben.
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Hatte V. 10a das Leid der allgemeinen Bevölkerung Thebens beschrieben, so wendet sich V. 10b dem Geschick der führenden Kreise der Stadt zu. Wenn über die mächtigen und über die besonders angesehenen und verdienstvollen Menschen in ihr wie in Joel 4,3 und Ob 11 »das Los geworfen wird«, so soll damit einerseits die Beliebigkeit im Umgang mit den Kriegsgefangenen, andererseits die Herabstufung der Menschen zur Ware ausgedrückt werden: Vermutlich ist wie an den Parallelstellen an den Verkauf in die Sklaverei gedacht, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Die oft in assyrischen Texten belegte Fesselung der Gefangenen in Ketten bzw. Fußeisen (vgl. Jes 45,14; Ps 149,8; Hi 36,8) ist dabei ein Akt ihrer Demütigung. 11 Wenn am Höhepunkt der Argumentation mit einem erneuten doppelten »( גםauch du« V. 11a und b) auf Ninive geblickt wird, um der ähnlich von Wassern und großen Heeresverbänden geschützten Weltstadt ein analoges Geschick wie Theben anzukündigen, würde ein normaler Leser erwarten, dass die in V. 10 beschriebenen Leiden der Bewohner Thebens in der Darstellung noch einmal gesteigert werden. Stattdessen wechselt der Text die Vorstellungskategorien. Wenn Ninive nach V. 11a »berauscht« bzw. »trunken« sein wird, dann wird auf keine Alkoholexzesse angespielt, sondern auf einen psychischen Status der Menschen, in dem sie, einem Vollrausch vergleichbar, ihrer Sinne nicht mehr mächtig sind. Hervorgerufen wird ein solcher Zustand in parallelen Texten entweder durch das Entsetzen über eine schreckliche prophetische Ankündigung (Jes 29,9) oder über eine unmittelbar bevorstehende Katastrophe, die Gott herbeiführt (Jer 25,27; Thr 4,21). Wichtig ist die Beobachtung, dass die zuletzt genannten Parallelen die »Trunkenheit« der betroffenen Menschen als Wirkung eines von JHWH gereichten »Becher des Zorns« beschreiben: ein besonders in der nachexilischen Prophetie überaus geläufiges Thema, vornehmlich, aber nicht ausschließlich, in der prophetischen Verkündigung gegen fremde Völker (Jer 25,15 ff; 49,12; 51,7.39; Hab 2,15 f; Ob 16 u. ö.).103 Nah 3,11 gehört wahrscheinlich zur Vorgeschichte dieses bedeutenden Themas der späten Prophetie. Offensichtlich ist auch in Nah 3,11 die »Trunkenheit« Ninives als Wirkung eines den Menschen unerklär lichen Handelns Gottes im Blick, ohne dass dieses explizit genannt würde, vergleichbar dem »Geist der Verwirrung«, den Gott nach Jes 19,14 über Ägypten sendet und der die Ägypter wie Trunkene »taumeln« bzw. »umherirren« lässt. Der Parallelbegriff zur Trunkenheit ist entweder als nif. von עלםI »verborgen sein« (Rudolph: reflexive Bedeutung: »sich selbst verborgen«, d. h. bewusstlos sein) oder – sachlich passender – von עלםII »verdunkelt« im Sinne von »umnachtet sein« (vgl. ugar. ġlm »dunkel sein« sowie arab. Parallelen bei A. B. Ehrlich, Randglossen V, 298 und HAL, 790) zu deuten. 103 Die wichtigste neuere Lit. nennt W. H. Schmidt, Das Buch Jeremia, Kapitel 21–52: ATD 21 (2013) 68, Anm. 34.
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Auch mit diesem Begriff wird angezeigt, dass die betroffenen Menschen nicht mehr Herr ihrer Sinne sind.104 Dabei würden sie diese Sinne so dringend benötigen, da sie eines מעוז, einer sichernden Bergfeste (Jes 23,11.14) oder eines schützenden Felsens (Jes 17,10; Ps 31,3), angesichts eines übermächtigen Feindes bedürfen, mit dem sie sich plötzlich konfrontiert sehen. Wenn ein solches Bild für eine Weltstadt verwendet wird, ist am ehesten eine hoffnungslose Fluchtsituation ihrer Menschen vorausgesetzt. Den Lesern des N ahumbuches ist freilich die religiöse Komponente des Begriffs ( מעוזPs 27,1; 31,3; 2 Sam 22,33 u. ö.) wohl bewusst, denn er erinnert sie an Nah 1,7, wo Gott als » מעוזam Tag der Not« und angesichts von »Feinden« gepriesen wird. Freilich ist in Nah 3,11 – im Kontext des älteren Nahumbuches gelesen – im Unterschied zu der generellen Aussage von 1,7 f eine konkrete militärische Bedrohung im Blick, angesichts derer Ninives Suche nach einer Zuflucht vergeblich sein wird. Ein Leser des gegenwärtigen Prophetenbuches kommt dagegen von Nah 1 her und muss die Aussage von 3,11 notwendig auf die wahre »Zuflucht« von 1,7 f beziehen. 3,12–15a: Vergebliche Verteidigungsbemühungen 12 Alle deine Festungena
sind Feigenbäume mitb Frühfeigen: Wenn man sie schüttelt, fallen sie ins Maul dessen, der (sie) essen will. 13 Sieh doch, deine Krieger sind Weiber in deiner Mitte. Weit offena stehen deinen Feinden die Tore deines Landes. [Feuer hat deine Riegel verzehrt.] 14 Wasser für die Belagerunga schöpfe dir! Verstärke deine Befestigungen! Trittb in den Lehm und stampfe den Tonc, greif zur Ziegelform! 15a Dort wird dich Feuer verzehren, das Schwert dich vertilgen. [Es wird dich verzehren wie die Heuschrecken.]
104 Statt עלםII haben ältere Ausleger gern an die Wurzel עלףgedacht, die im pu. bzw. hitp. »ohnmächtig hinsinken« bedeutet und in Jes 51,20 ebenfalls als Wirkung des »Zornesbechers JHWHs« beschrieben wird (Marti u. a.; zuletzt Ges18). Demgegenüber kann man die – philologisch mögliche – Ableitung des nif. (!) נעלמהvon עלםIII »you will become young again« von M. Dahood (CBQ 17, 1955, 104) und K. J. Cathcart (Nahum, 137 f) nur als abwegig bezeichnen.
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12 12a BHS sowie Horst, Rudolph u. a. verschieben die masoretische Verseinteilung als Folge der Änderung des Textes in V. 12aβ; vgl. Textanm. b. – b Die Verwendung der Präposition עםin diesem Kontext im MT ist ungewöhnlich (vgl. immerhin Am 4,10; Ps 89,14; Cant 4,13), wird aber von G (σκοποὺς ἔχουσα; zu σκοπός vgl. Hos 9,10) und V gestützt. Zahlreiche ältere (Nowack, Marti, Smith u. a.) und neuere Exegeten (Cathcart, Rudolph u. a.) wollen stattdessen Formen des Sub stantivs » עםVolk, Krieger« lesen, zumeist »deine«, gelegentlich »ihre Krieger«. Da dieser Begriff aber V. 13 prägt, ist die von keiner der Vrs. gestützte Änderung 13 wenig wahrscheinlich. – 13a Zur Konstruktion des Nif. mit dem Inf. abs. q. vgl. 14 G-K § 113w. – 14a G (»Wasser für die Befestigung«) hat wohl מצורII vor Augen (Grütter, Buch N ahum, 117). Ἀ verbessert im Sinn des MT. – b Die häufig (auch von BHS) unter Verweis auf Sach 10,5 vorgeschlagene Konjektur des Imp. fem. sg. vom Verb » בוסtreten, stampfen« erübrigt sich, da auch Jes 41,25, die engste Parallele zu Nah 3,14, die dieselben Verben und die gleichen Objekte »Lehm« und »Ton« bietet, das Verb בואverwendet. Freilich ist zumeist auch Jes 41,25 von den Kommentatoren »verbessert« worden. 4QpNah und G stützen den MT. – c G übersetzt ἄχυρον (im Pl.) »Häcksel, Stroh«, das üblicherweise für תבןsteht. Θ korrigiert im Sinn des MT.
Den Kern der zweiten Untereinheit 3,12–15a bildet eine Schmähung Ninives, wie sie in Fluchformulierungen altorientalischer Verträge geläufig ist: »Deine Krieger in deiner Mitte sind Weiber!« Aus ihr werden in V. 12 f verheerende Folgen abgeleitet: Die Festungen fallen den Feinden geradezu kampflos in den Schoß, die Tore der Städte im Land stehen den Feinden weit offen. Angesichts dieser bevorstehenden Lage ergehen in V. 14 ironische Aufforderungen des Propheten zu verstärkten Verteidigungsbemühungen in der Situation einer Belagerung – die jedoch sogleich in V. 15a durch die Ansage konterkariert werden, dass angesichts des fressenden Feuers, das die Stadt trifft, und der Schärfe des Schwertes der Feinde derartige Maßnahmen ganz und gar umsonst vorgenommen werden. (Das letzte Kolon in V. 15a dient der Verknüpfung mit der folgenden Untereinheit.) Grundsätzlich ist die Belagerungsszene mit 2,2.4–11 vergleichbar. Jedoch springen die Differenzen sogleich ins Auge. Im Unterschied zu 2,4 ff wird nicht die Perspektive der Angreifer gewählt, sondern diejenige der Verteidiger, und im Unterschied zu 2,4 ff wird keine Eroberung der Stadt geschildert, sondern es werden nur deren vergebliche Verteidigungsbemühungen verspottet. Im Kontext der Komposition 3,8–19 bildet V. 12 einen scharfen Kon 12 trast zu V. 11. Wenn hier Ninive angesichts eines übermächtigen Feindes auf der Suche nach verlässlichem Schutz ( )מעוזist, so verdeutlicht V. 12, dass die assyrischen Festungen diesen Schutz ganz und gar nicht zu bieten vermögen. Allerdings ist nicht ganz klar, was genau mit dem Begriff »Festung« ( ;מבצרauch in V. 14) gemeint ist. Sind es die Grenzfestungen (Rudolph), deren Fall den Feinden das Eindringen ins Land ermöglicht, oder eher die Befestigungsanlagen des angeredeten Ninive (Marti, Perlitt u. a.)? Vermutlich ist beides im Blick, nicht nur wegen der pauscha-
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len Wendung »alle deine Festungen«. Die Deutung Rudolphs wird durch den Begriff der offen stehenden »Tore deines Landes« (V. 13) gestützt, die Deutung Perlitts durch die Wiederaufnahme des Plurals »Festungen« in V. 14a, wo es um Maßnahmen zur Vorbereitung für eine Belagerung Ninives geht. Der Terminus מבצרselber bezeichnet zumeist generell befestigte Städte (mit עירals nomen regens, aber auch ohne es: Jes 17,3; Am 5,9; Hab 1,10 u. ö.). Wie dem auch sei, die Festungen, deren Errichtung zum Schutz der Hauptstadt Ninive dienen sollten, werden von den Feinden mit der gleichen Begierde und Leichtigkeit genommen werden, mit der Menschen Frühfeigen vom Feigenbaum pflücken. Frühfeigen, die noch am Trieb des vergangenen Jahres und daher ca. 2 Monate vorzeitig (d. h. ab Ende Mai) reifen, gelten wegen ihrer saftigen Süße als besonderer Leckerbissen (Hos 9,10; vgl. G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina I,2 [1928] 379). »Wer immer sie sieht, verschlingt sie, sobald sie in seiner Hand ist«, heißt es von der Frühfeige in Jes 28,4, auch hier in einem Vergleich, der zum Ausdruck bringen will, wie schnell Samaria seinen Feinden, den Assyrern, zufallen wird. V. 13 nennt die Begründung für die Schwäche der Festungen, und er tut 13 dies in Gestalt einer schmachvollen Beschimpfung. Welche Verachtung in der Bezeichnung der kriegsfähigen Männer ( )עםals »Weiber« zum Ausdruck kommt, verdeutlichen die Fluchformeln altorientalischer Vertragstexte, in denen sie am häufigsten belegt ist und an deren Sprache sich die Beschimpfung anschließt. Während die assyrischen Könige sich in ihren Annalen gern als furchtlose, siegreiche Helden zu beschreiben pflegten (Berlejung, Erinnerungen, 338), drohten sie vertragsbrüchigen Vasallen in Fluchformeln weibliche Schwäche als Strafe der Götter an. Ein Fluch des Vertrags Assurniraris mit Mati’ ilu von Arpad wünscht Letzterem im Fall eines Vertragsbruchs: »Mögen seine Krieger zu Weibern werden!« (Rs., Z.9; vgl. Hillers, Treaty-Curses, 66; Cathcart, Treaty-Curses, 185). In einem Fluch einer Inschrift Asarhaddons heißt es: »Möge Ischtar, die Herrin über Krieg und Streit, seine Männlichkeit in Weiblichkeit verwandeln und ihn gebunden zu Füßen seines Feindes legen!« (Hillers, Treaty-Curses, 66 f). Ein entsprechendes Geschick wird auch im späteren Alten Testament den Ägyptern (Jes 19,16: »An jenem Tag werden die Ägypter wie Weiber sein …«) und den Babyloniern (Jer 50,37: »Das Schwert über seine Rosse und Wagen …, dann werden sie wie Weiber sein«) angekündigt und im letzteren Fall schon visionär als künftige Rea lität geschaut: »Aufgehört zu kämpfen haben Babels Helden …; versiegt ist ihre Kraft, sie sind zu Weibern geworden« (Jer 51,30). Demgegenüber setzt die zweite Hälfte von V. 13 (V. 13aβ) den Gedanken von V. 12 fort. Waren dort die assyrischen Festungen den Feinden mühelos zugefallen, so sind es jetzt die »Tore deines Landes«, eine Wendung, die nur noch in Jer 15,7 belegt ist und hier die befestigten Städte rings um Jerusalem bezeichnet. In Nah 3,13 ist die Formulierung gebraucht, um die
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Leichtigkeit auszumalen, mit der die Städte rings um Ninive105 von den Feinden, die im Hebräischen betont voranstehen, eingenommen werden. Diese »Tore« stehen den Feinden zum Einmarsch »offen«106, ohne dass die Feinde kämpferische Mühe gegen die verteidigenden »Weiber« anwenden müssten. Der abschließende V. 13b deutet die Offenheit der Tore freilich geringfügig anders: Das feindliche Feuer hat die Riegel der Stadttore, d. h. »die hölzernen Querbalken an den Toren« (Perlitt), verbrannt.107 Vermutlich wird damit die hyperbolische Vorstellung von den »Weibern«, die die Stadttore nicht geschlossen halten können, rational erläutert. Auffällig ist jedenfalls, dass die Sprache von V. 15a im Vorgriff aufgenommen wird. Nogalski, Redactional Processes, 120, vermutet, dass eine Anspielung auf Am 1,3–5 intendiert sei. 14 Angesichts des desolaten Zustands aller befestigten Städte und ihrer Krieger, die Ninive im Vorfeld vor feindlichen Attacken bewahren sollten, bedarf es in der Hauptstadt neuer Verteidigungsmaßnahmen. Zu ihnen fordern ironische Imperative Ninive in V. 14 auf. Sie sind grundsätzlich den Imperativen in 2,2 vergleichbar, denn in beiden Kontexten handelt es sich um die Situation einer Belagerung Ninives. Es fällt jeweils das Stichwort מצורbzw. » מצורהFestung, Wall«; aber im Ton sind beide Texte denkbar unterschiedlich. Während es sich in 2,2 um Befehle im Inf. abs. handelt, die dem militärischen Sprachraum unmittelbar nachempfunden sind, ist der spöttische Unterton der Aufrufe im Imp. fem. sg. in 3,14 unüberhörbar, der sich den Schmähungen in V. 12 f anschließt. Wer sich erst während der Belagerung einer Stadt um die nötigen Wasservorräte kümmert und die Ausbesserungs- sowie Verstärkungsmaßnahmen an den Mauern erst dann vornimmt, handelt fahrlässig.108 Mit der Aufforderung, für »Wasser während der Belagerung« zu sorgen, wird möglicherweise ironisch auf die aufwendigen Maßnahmen Sanheribs angespielt, durch künstliche Kanäle, Teiche und Wasserleitungen für ausreichend Wasser in der Stadt zu sorgen, die weltweite Berühmtheit erlangten und von 105 Anders Cathcart, Nahum, 140 f, für den ארץhier die Metropole bezeichnet (»the gates of your city«). Aber für diese Ansicht gibt es keine Stütze. Plausibler, aber allzu präzise ist die Deutung Horsts, der an »die Sperrforts an den Bergpässen und Flussübergängen« denkt. 106 Das Perf. der Aussage steht syntaktisch auf einer Ebene mit den Nominalsätzen der Verse 12a und 13aα und bildet – als abgeschlossenes Ereignis in der Zukunft – wie diese die Voraussetzung für die Imperative in V. 14 (Rudolph). 107 Anders Marti u. a.: Der Begriff »Riegel« soll nach ihnen die Grenzfestungen bezeichnen. 108 Die modernen Ausgrabungen in Ninive haben Anschauungsmaterial für die implizite Warnung in V. 14 gegeben. In der unmittelbaren Nachbarschaft des Halzi-Tores in der langen Stadtmauer Ninives (vgl. die Abb. o. S. 139) wurde – vermutlich nach der ersten Attacke gegen die Stadt 614 v. Chr. – eine eilige Reparatur der Mauer vorgenommen: Wenig sorgfältig behauene Steine liegen auf künstlerisch bearbeiteten, und der Tor-Durchgang wurde von 7 m Durchgangsbreite auf nur noch 2 m verkürzt; vgl. D. Stronach, Notes on the Fall of Nineveh (vgl. die Lit. zu 2,2–14), 316 f.
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denen oben zu 2,9 die Rede war. Sie werden nach V. 14 ebenso wenig ausreichen wie der vorfindliche Zustand der Festungen, deren unzureichende Schutzfunktion schon V. 12 verspottet hatte; sie bedürfen dringend der Ausbesserung und Verstärkung. In entsprechendem Sinn wird das Verb חזקpi. andernorts für Ausbesserungsmaßnahmen am Jerusalemer Tempel verwendet (2 Kön 12,15; 22,5 f; 2 Chr 24,5.12 u. ö.). Dabei sind die beiden Aufforderungen in V. 14a formal künstlerisch chiastisch angeordnet. Die Explikation dieser Verstärkungs- und Ausbesserungsarbeiten in V. 14b – formal ein poetisch eindrückliches Trikolon – ist erkennbar für judäische Leser geschrieben, denen aufgrund des reichen Steinvorkommens im eigenen Land die Herstellung von Lehmziegeln nur für den Oberbau einfacher Häuser (über einem Steinsockel), nicht aber für Stadtmauern geläufig war (vgl. Gen 11,3). »Dazu wurde der Lehm mit Wasser und Häcksel (zur Stabilisierung der Ziegel) kräftig vermischt und anschließend in rechteckige Holzformen gepreßt« (W. Zwickel, Die Welt des Alten und Neuen Testaments, Stuttgart 1997, 65) und an der Sonne getrocknet. Das Wasserschöpfen, das Treten des Lehms und das Pressen des gemischten Lehms in Ziegelformen aus Holz ist sorgfältig in einer Wandmalerei aus dem Grab des Rachmire (15. Jh. v. Chr.) dargestellt, die Abb. 6 wiedergibt. » טיטfeuchte Lehmerde, Schlamm« und » חמרLehm, Ton« werden in Nah 3,14 promiscue gebraucht, unter Verwendung der gleichen Verben wie in Jes 41,25, wo diese Verben auf das jeweils andere Objekt als in Nah 3,14 bezogen werden. Deutlicher könnte die Austauschbarkeit der Begriffe nicht angezeigt werden. Dagegen ist der Terminus מלבן »Ziegelform« ein Lehnwort aus dem Akkadischen (vgl. AHw 724b). Mitten in diese Verteidigungsbemühungen Ninives bricht der unge- 15a nannte Feind ein. » שםdort« will die Identität des Ortes der eiligen Ziegelherstellung und des aufflammenden feindlichen Feuers zum Ausdruck bringen. Die Plötzlichkeit des Geschehens ist bei dieser Ortsangabe impliziert. Die Vergeblichkeit aller verspäteten Mühen und Arbeiten zum Schutz Ninives wird den Lesern deutlich vor Augen gestellt, wenn Feuer und Schwert des Feindes das Handeln übernehmen. In ihrer »Fress«-Gier sind »Feuer« und »Schwert« (vgl. zum »fressenden« Schwert schon 2,14) unübertroffen; sie begegnen mit dem gleichen Attribut schon in Ugarit (KTU 1.6: II: 30–33; weitere Belege nennt Cathcart, N ahum, 144 und Treaty-Curses, 185) und mehrfach andernorts im Alten Testament (z. B. Ri 1,8; 20,48) als ein Paar. Das letzte Kolon in V. 15a (V. 15aβ) führt einen überraschenden Vergleich des feindlichen Schwertes mit gefräßigen Heuschrecken ein. Sein Sinn ist allein die Überleitung zu dem neuen Thema, das die Verse 15b–17 bestimmt und bei dem der Vergleich mit Heuschrecken eine zentrale Rolle spielt. Die Künstlichkeit dieser Überleitung wird deutlich, wenn beachtet wird, dass es in V. 15b–17 die vom Feind bedrohten Assyrer sind, die in ihrer Menge mit Heuschrecken verglichen werden, während der Ver-
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Abb. 6: Ziegelstreichen und Ziegelbau durch Sklaven. Aus: W. Zwickel, Die Welt des Alten und Neuen Testaments, Stuttgart 1997, Abb. 107 (© Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart).
gleich in V. 15aβ den siegreichen Feinden gilt bzw. ihrem »fressenden« Feuer und »vertilgenden« Schwert; vgl. ausführlich Nogalski, Redactional Processes, 120. 3,15b–17: Die Menge der Beamten 15b Vermehre dicha (nur) wie die Heuschreckenbrut!
Vermehre dich (nur) wie der Heuschreckenschwarm! 16 [Du hast deine Händlera zahlreicher gemachtb alsc die Sterne am Himmel.] Die Heuschreckenbrut häutet sich und fliegt davon. 17 Deine Hofbeamtena sind wie die Heuschreckenbrut und deine Amtsschreiber wie ein Schwarm von Wanderheuschreckenb, die am kalten Tag auf den Mauern lagern, wenn aber die Sonne aufstrahlt, ist er verschwundenc, und niemand kennt seinen Ort. [Wo sind sie (hin)?d] 15 15a Wenn die erste Aufforderung im MT ( )התכבדrichtig überliefert ist, liegt am ehesten ein Inf. abs. mit der Bedeutung eines Imp. vor (G-K § 113 bb). Weniger wahrscheinlich ist, dass ein mask. Imp. neben einen fem. Imp. im 2. Kolon gestellt sein sollte, um die Totalität der Aufforderung auszudrücken (erwogen von
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Haldar und Rudolph). Wahrscheinlicher wird aber ein Schreibfehler vorliegen und (wie in 9 Mss der Sammlung Kennicott) beide Male der gleiche Imp. fem. sg. intendiert sein. G bietet nur ein Glied und übersetzt futurisch (»du wirst bedrückt werden wie der Heuschreckenschwarm«), aber 8ḤevXIIgr stützt den MT (unter Verwendung des gleichen Verbs wie G). Grütter (Buch Nahum, 250–253) hält G für den älteren Text und rechnet für MT mit der Konflation zweier Lesarten. Aber eine derart komplizierte Lösung aufgrund eines einzigen fehlenden Buchstabens (!) ist überaus unwahrscheinlich, und Grütter kann der angeblich älteren Lesart in V. 15bα, die sich nach ihr nicht auf Ninive beziehen soll, keinen plausiblen Sinn abgewinnen. Die obige Übersetzung der Objekte folgt Perlitt, 37. – 16a G deutet τὰς ἐμπορίας, »deine Handelsgeschäfte«. – b Die Mehrzahl der Ex- 16 egeten, besonders der älteren, erwartet eine Fortsetzung des Imp. von V. 15b und konjiziert הרבי. Cathcart, N ahum, 145 f erfindet in der gleichen Erwartung im Gefolge Dahoods ein Perf., dessen Bedeutung »precative« bzw. »optative« sein soll. Jedoch ergibt der von allen Vrs. gestützte MT in der Funktion der Überleitung zu V. 17 guten Sinn. Originell ist der Vorschlag A. B. Ehrlichs (Randglossen V, 298), mit geringfügiger Änderung des MT הרבותzu lesen und den Inf. als Einleitung eines Umstandssatzes zu verstehen. – c 8ḤevXIIgr liest » כwie«, offensichtlich unter dem Einfluss von Gen 22,17; 26,4 (und 15,5). – 17a Ein hap. leg., das im 17 Gefolge von A. Jeremias (Billerbeck-Jeremias, Untergang Ninives, 105) üblicherweise von akkad. maṣṣāru »Wächter« (AHw 621) abgeleitet wird (HAL, Ges17, Ges18); vgl. zu Dissimilation und folgender Assimilation in der Sprachentwicklung Ges18, 697. Alternative Deutungsversuche nennt Cathcart, Nahum, 146. Die Vrs. (außer V: custodes) mussten raten (vgl. im Einzelnen Haldar, Studies, 74; Spronk, 140 und bes. Grütter, Buch Nahum, 70 f). – b Schon der Begriff גביist nur noch in Am 7,1 belegt und lässt hier erkennen, dass ein gefräßiger Heuschreckenschwarm im Blick des Propheten ist. Wenn in Nah 3,17 mit גובein nahezu gleich klingendes, sonst nie belegtes und vielleicht ad hoc geschaffenes Wort vorangestellt wird (vgl. גבin Jes 33,4 und הגבהauf dem von N. Avigad in IEJ 16 [1966] 50–53 publizierten Siegel mit der Abbildung einer Heuschrecke) ist am ehesten eine äußerste Steigerung der Masse gemeint (G-K § 133 l; Haldar, Studies, 75; Spronk, 140; vgl. V: locustae locustarum). Der häufige Vorschlag, einen der beiden Begriffe als Dittographie zu streichen (BHS; Rudolph; HAL; Ges18), erscheint – auch mit Blick auf den Rhythmus des Textes – als ein unnötig gewaltsamer Akt. – c MT bietet einen auffälligen Wechsel von Verben mit plur. Subjekt (»die … auf den Mauern lagern«) und solchen mit sing. Subjekt (»er ist verschwunden«) bzw. sing. Suffixen (»sein Ort«). Die Mehrzahl der Vrs. und der Ausleger harmonisieren die Verbformen, aber zu Unrecht; vgl. die Auslegung. – d Die Frage, die sich mit ihrem plur. Suffix auf die Beamten, nicht auf die Heuschrecken bezieht, steht außerhalb des Metrums für sich. Ursprünglich gehörte das Wort als Ausruf zu V. 18 (vgl. Textanm. 18a). Vermutlich ist es bald nach 612 v. Chr. zur Frage umformuliert worden.
V. 15 wird durch einen starken Riss in zwei Hälften geteilt. Der Beginn von V. 15 bietet den Höhe- und Kulminationspunkt der mittleren Untereinheit V. 12–15a, sein Ende mit den dringlichen Imperativen den Anfang der letzten Untereinheit V. 15b–17, wie schon Wellhausen gesehen hat. Dieser Einschnitt ist gelegentlich deshalb verkannt worden, weil das poetisch überschüssige Kolon V. 15aβ bemüht ist, im Nachhinein beide
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Einheiten enger miteinander zu verknüpfen, und dabei nicht davor zurückschreckt, den Vergleich mit den Heuschrecken nicht nur für die angegriffenen Assyrer (V. 15b–17), sondern auch für den angreifenden Feind zu nutzen. Mit V. 15b begegnet dem Leser ein ganz neues Thema. Nicht mehr die Belagerung und Einnahme Ninives stehen zur Debatte wie in V. 8–11 und V. 12–15a, überhaupt spielen militärische Aspekte keinerlei Rolle mehr, sondern die riesige Anzahl assyrischer (Händler und) Verwaltungsbeamter tritt in den Mittelpunkt des Interesses. Der wiederholt auftretende Vergleich mit den Heuschrecken hat eine doppelte Funktion: Er soll zum einen die unüberschaubare Menge der Tiere bzw. Menschen zum Ausdruck bringen, zum anderen aber das urplötzliche Verschwinden der riesigen Schwärme als Symbol für die rasche Niederlage der Assyrer vor Augen führen. Wenn am Schluss dieser dritten Untereinheit das pluralische Subjekt der assyrischen Beamten und der massenhaften Heuschrecken unmerklich in den Singular wechselt, wird literarisch schon die abschließende Spottklage in V. 18 f vorbereitet, die überraschend eine Einzelgestalt betrifft, den »König von Assur«. 16a.17a V. 16a und V. 17a vermitteln uns Nachgeborenen einen kurzen Einblick in den judäischen Alltag zur Zeit der neuassyrischen Oberherrschaft.109 Das riesige Reich der Assyrer musste mit all den Waren versorgt werden, die im Kernland Assyrien nicht vorhanden waren, so dass assyrische Händler das Bild der Straßen Jerusalems und anderer Hauptstädte unterworfener Kleinstaaten gefüllt haben müssen. Um die Menge dieser Händler anzudeuten, nutzt der prophetische Text den formelhaften Vergleich mit den Sternen am Himmel, wie er insbesondere die göttlichen Verheißungen an die Erzväter (Gen 15,5; 22,17; 26,4; Dtn 10,22) prägt, steigert ihn aber durch die Verwendung des Komparativs. Allerdings zeigen sich in V. 16 Wachstumsspuren. Ausgerechnet in dem einzigen Vers, der das Bild der Heuschrecken kurzzeitig verlässt, um die fremden Händler in ihrer Menge mit den Sternen am Himmel in Beziehung zu setzen, folgt auf diesen Vergleich ganz und gar unmotiviert ein Spruch, der das schnelle Verschwinden von Heuschrecken thematisiert. Üblicherweise wird diese Spannung von kritischen Exegeten so gelöst, dass damit gerechnet wird, dass der Spruch über die Heuschrecken dem Text als Nachinterpretation zugewachsen sei, um die zentrale Aussage von V. 17, die dem plötzlichen Verschwinden der Heuschrecken gilt, im Voraus einzuprägen. Wahrscheinlicher ist m. E. das umgekehrte Wachstum des Verses. Der Spruch über die davonfliegenden Heuschrecken in V. 16b würde danach ursprünglich unmittelbar an die Aufforderung von V. 15b an die Assyrer zur Vermehrung ihres Beamtenstabes angeschlossen haben und mit ihnen ein Trikolon bilden, um die Ironie dieser Aufforderung zu verdeutlichen. V. 16a wäre ein Zusatz aus einer Zeit, in der nicht so sehr fremde Verwaltungsbeamte wie in V. 17, sondern fremde Händler in Juda als Last empfunden worden wären. Dafür könnte 109 Das beschreibende Perfekt ist dabei keineswegs als Hinweis auf den schon erfolgten Fall Ninives zu verstehen (so Hagedorn, Die Anderen, 62).
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sprechen, dass von »Händlern« besonders in den Büchern Ezechiel und Nehemia die Rede ist, wie schon Fabry (207 f) beobachtet hat, und der Vergleich mit den Sternen sich nur in nachexilischen Texten der Genesis findet. Allerdings ist er vereinzelt auch in einem altbabylonischen Text belegt (Cathcart, Nahum, 146).
Wie wenig die fremden Assyrer in Jerusalem und in den anderen Hauptstädten der unterworfenen Kleinstaaten willkommen waren, weil sie Repräsentanten der Besatzungsmacht waren, zeigt sich besonders an den assyrischen Verwaltungsbeamten. Leider ist deren genaue Funktion für uns nicht mehr auszumachen. Zum ersten term. techn. מנזר, der im AT nur hier begegnet und vermutlich von assyrischem maṣṣāru »Wächter« abzuleiten ist (vgl. Textanm. 17a), lässt sich kaum mehr sagen, als dass »Angehörige einer ass.-babyl. Beamtenklasse« (Ges18 697) gemeint sind. Etwas genauer lassen sich die im Folgenden genannten טפסריםbestimmen, die auch in Jer 51,27 (mit anderer Vokalisation) belegt sind. Es handelt sich um ein Lehnwort aus dem Akkadischen (ṭ upšarru; vgl. AHw 1395 f), das seinerseits auf das sumerische DUP.SAR zurückgeht, dessen beiden Elemente »Tontafel« und »Schreiber« (Landersdorfer, Sumerisches Sprachgut, 43) den »Tontafelschreiber« bezeichnen, einen gebildeten hohen Verwaltungsbeamten, auf den die Wirtschaft ebenso wie die Diplomatie dringend angewiesen waren.110 Damit kann Nah 3,17 als Beleg dafür gewertet werden, dass die Macht und Herrschaft des assyrischen Weltreichs »maßgeblich auf effizientem Militär und dem Verwaltungswesen basierte« (Berlejung, Erinnerungen, 342). Jedoch bildet die Beschreibung der gegenwärtigen Not (V. 16a.17a) nur 15b.16b.17b den Hintergrund des Textes, wie die wiederholten Sätze verdeutlichen, die die Assyrer mit Heuschrecken vergleichen (V. 15b.16b.17b). V. 15b ruft die riesigen Mengen an assyrischen Verwaltungsbeamten ironisch auf, sich noch zu vermehren, und er tut dies in einem scheinbar dringlichen Anliegen mit verdoppeltem Imperativ. Wenn es um große Zahlen an Menschen geht, liegt der Vergleich mit den unzählbaren gefräßigen Heuschreckenmassen nahe, wie sie in riesigen Schwärmen Palästina und den Vorderen Orient bis ins 20. Jh. immer wieder heimgesucht und die gesamte Ernte vernichtet haben (Ri 6,5; 7,12; Jes 33,4; Jer 46,23; 51,14; vgl. Ex 10,14; Ps 105,34; ugarit. und akkad. Belege nennt Cathcart, Nahum 145). Diese geläufige Assoziation erklärt aber noch nicht, warum das Thema in Nah 3,15–17 so breit und differenziert dargelegt wird – mit drei 110 Cathcart, Nahum, 146 f, hat 1973 im Gefolge von de Vaux für den Begriff einen »recruiting-officer« erfunden, um die in V. 8–11 und V. 12–15a belegte militärische Perspektive beibehalten zu können. 1988 hat er diese Deutung widerrufen (Micah 2:4 and Nahum 3:16–17, 196 f) und ist stattdessen Anregungen Parpolas und Torczyners gefolgt, die in ṭ upšarru die Bezeichnung eines Vorzeichenspezialisten (»astrologer« bzw. »diviner«) sehen wollen. Aber die philologische Basis für diese – im Kontext durchaus passende – Deutung ist allzu schmal, und alle drei Autoren fühlen sich genötigt, den Parallelbegriff ( )מנזרzu ändern.
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verschiedenen Begriffen für die Heuschrecken –, wie das sonst nur für das Buch Joel (vgl. Joel 1,4; 2,25) gilt. Am eindeutigsten lässt sich die Besonderheit des Begriffs ילקbestimmen: Es ist die hüpfende, noch flügellose Kriechheuschrecke, die vor der letzten Häutung und mit ihr vor der Möglichkeit zum Fliegen steht; vgl. unten zu V. 16b und H. W. Wolff, Joel: BK XIV/5, 31 zu Joel 1,4. L. Bauer hat vor einem Jh. in Palästina beobachtet, wie ein Schwarm dieser jungen Heuschrecken die letzte Häutung nahezu gleichzeitig vollzog (ZDPV 49, 1926, 169). Demgegenüber ist ארבה – nach L. Köhler, Die Bezeichnungen der Heuschrecke im AT: ZDPV 49, 1926, 328–333 der Allgemeinbegriff für die geflügelte Heuschrecke (332) – die ausgewachsene Wanderheuschrecke, die stets in Schwärmen auftritt, was auch für den Begriff גבי gilt, der im Buch Joel fehlt, aber die erste Vision des Amos (Am 7,1) bestimmt. Nach P. Maiberger, Heuschrecken: NBL 2 (1995) 146 f (Lit.) gibt es in Palästina 40 verschiedene Arten von Heuschrecken. Die Beschreibung der Besonderheiten einiger wichtiger Arten findet sich bei G. Dalman, AuS II, 345 mit Abb. 75–77.
Der Vergleich der assyrischen Verwaltungsbeamten mit den Heuschreckenschwärmen in Nah 3,15b–17 ist nur darum so intensiv und differenziert ausgeführt, weil er das eigentliche Thema trägt, das die Einheit vermitteln will. Die Heuschrecken stehen nicht nur für die unübersehbare Masse und deren Gefräßigkeit wie anfangs in V. 15b und 17a, sondern in V. 16b und 17b auch für das plötzliche Verschwinden ganz unabhängig von ihrer Zahl. Doppelt wird diese Erkenntnis dargelegt. V. 16b mit seinen die Faktizität betonenden Perfecta beruht auf dem biologischen Wissen, dass Heuschrecken anfangs flügellos sind (hebr. )ילק, die letzte – vierte – Häutung (hebr. פשט, das bei Menschen das Ablegen von Kleidern bezeichnet) ihnen aber das Fliegen ermöglicht, eine Fähigkeit, die die jungen Heuschrecken natürlich sogleich gebrauchen. Wäre V. 16b, wie oben vermutet, einmal direkt auf V. 15b gefolgt, würde V. 15b implizit konzessiven Sinn gewinnen (»magst du dich auch wie die Heuschrecken vermehren …«); vgl. Haldar, Studies, 74; Rudolph, 180–182. Noch stärker wird die Plötzlichkeit des Verschwindens der Heuschrecken in V. 17b betont, wo die aufkommende Hitze der Sonne die Heuschrecken, die sich zuvor auf den Mauern niedergelassen hatten, die ihnen als Wärmespeicher dienten, zum Fortfliegen bewegt. Überrascht hat viele Ausleger, dass als Gegensatz zur wärmenden Sonne, die die Heuschrecken zum Aufbruch treibt, der »kalte Tag« und nicht die »kalte Nacht« genannt ist. Aber dem Text geht es um die Sichtbarkeit der Tiere, die »bei kaltem Wetter auf den Steinwällen stillsitzen« (Dalman, AuS I, 95), und um ihren plötzlichen Aufbruch, nicht um den Gegensatz von Tag und Nacht. Genauso abrupt, wie die Heuschrecken bei Wärme verschwinden, werden die assyrischen Beamten aus Juda und den anderen tributpflichtigen Ländern verschwunden sein, wenn Ninive eingenommen sein wird. Die abschließende Frage: »Wo sind sie (hin)?« drückt entweder die triumphierende Vorfreude des Propheten aus oder – eher – den Jubel derer, denen sich das Prophetenwort schon bewahrheitet hatte (vgl. Textanm. 17d).
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Ein wesentlicher Gesichtspunkt der Exegese muss am Schluss Erwähnung finden. In V. 17b herrscht Inkongruenz hinsichtlich der Verbformen und der Suffixe an den Substantiven vor. Ohne dass ein neues Subjekt hinzutritt, steht anfangs eine pluralische Verbform (»sie lagern«), es folgen eine singularische Verbform (»er ist verschwunden«) und ein singularisches Suffix im folgenden Kolon (»sein Ort«). Am Schluss des Verses steht ein pluralisches Suffix (»Wo sind sie?«). Die übliche Exegese – eine rühmliche Ausnahme bildet Fabry – hat versucht, diese Inkongruenz mit textkritisch motivierten Eingriffen in den Wortlaut zu lösen. Im Fall des singularisch gestalteten Verbs fühlte sie sich umso mehr dazu ermutigt, als das Verb von einem waw-copulativum gefolgt wird, das sich leicht zum vorangehenden Verb ziehen lässt, so dass eine Pluralform des Verbs hergestellt wird. Beim singularischen Suffix im abschließenden Kolon (»sein Ort«) ist eine solche Lösung allerdings nicht möglich, so dass nur der Griff zur Konjektur zu bleiben schien – es sei denn, man harmonisiere mit konservativen Forschern die Differenzen unter der Annahme, die singularische Verbform und das singularische Suffix bezögen sich auf das Kollektiv גוב גביin V. 17a (so etwa Christensen). Warum sollte dann aber am Anfang von V. 17b eine pluralische Verbform stehen und am Ende von V. 17b ein pluralisches Suffix?111 Bei näherem Zusehen zeigt sich, dass eine isoliert durchgeführte Textkritik das falsche Mittel zur Deutung der Inkongruenz darstellt, zumal keiner der Ausleger, die für einen textkritischen Eingriff plädieren, einen Grund für die Inkongruenz anzugeben weiß, so dass diese Exegeten mit versehentlichen Schreibfehlern rechnen müssen. Der doppelte Gebrauch des Singulars in V. 17b (»er ist verschwunden« bzw. »sein Ort«) zwischen einem pluralischen Verb (»sie lagern«) und einer Partikel mit pluralischem Suffix (»Wo sind sie?«) ist weit eher ein Hinweis auf eine beabsichtigte Änderung eines älteren kongruenten Textes als ein schematischer Schreibfehler. Fragt man mit Fabry (220 f), wer denn der »er« des singularischen Abschnittes sein könne, kommt als Antwort im Kontext nur der »König von Assur« in Frage, der am Eingang des folgenden V. 18 steht. Nun ist aber zu V. 18 seit langem beobachtet worden, dass der »König von Assur« literarisch ein junges Interpretament darstellt und sich die Anrede der das Buch abschließenden Klage ursprünglich an Ninive richtete (s. u.). Der »König von Assur« aber ist im Kontext des Buches kein anderer als der »Belial« von 2,1 bzw. die Gestalt, die nach 1,11 »Belial (Widergöttliches) im Sinn hatte«. In der Konsequenz heißt das, dass 3,15b–17 und 3,18 f auf zwei unterschiedlichen Ebenen gelesen und gedeutet werden müssen: als älterer Text des 7. Jh. v. Chr. und als aktualisierter Text aus hellenistischer Zeit. In dieser Zeit haben die anfänglichen Aussagen über »Belial« in 1,11–2,1 und die abschließenden Aussagen über den »König von Assur« in 3,18 f 111 Gegen derartige Harmonisierungen lese man den grimmigen Satz Wellhausens: »Den Numeruswechsel … wird man sich schwerlich gefallen lassen dürfen« (165).
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das Korpus des Buches wie eine hermeneutische Klammer umgriffen und auf diese Weise das tragende Thema des Buches genannt. Dass »Ninive« und »Assur« für dieses jüngere Verständnis Chiffren waren, versteht sich in der Folge des einleitenden Hymnus (1,2–8) von selbst. 3,18 f: Der »König von Assur« 18 Acha, geschlummert haben deine Hirten – König von Assur –,
geschlafenb deine Gewaltigen; zerstreut sindc deine Krieger über die Berge hin, und keiner ist da, der sie sammelt. 19 Keine Linderunga gibt es für deinen Zusammenbruch, unheilbarb ist deine Verwundung. Alle, die die Kunde von dir hören, klatschen über dich in die Hände; denn über wen ist nicht ohne Unterlass deine Bosheit ergangen?
18 18a Das Qina-Metrum in V. 18 f setzt voraus, dass das letzte Wort von V. 17 ursprünglich V. 18 einleitete, falls nicht mit Haplographie zu rechnen ist und das Wort zu beiden Versen gehörte. G (»Wehe ihnen!«) denkt an אויmit Suffix, das aber sonst nie belegt ist. Ältere Exegeten (aber auch etwa Barthélemy, Crtique textuelle III, 820 f) haben gern auf אויdie (verkürzte) Fragepartikel מהfolgen lassen: »Ach, wie (haben deine Hirten geschlummert!«). Eher wird das Schluss-Mem erst hinzugefügt worden sein, als das Wort in Gestalt einer Frage zu V. 17 gezogen wurde. Vom Konsonantenbestand her möglich wäre auch das Verständnis von אים als Adjektiv »schrecklich« wie in Hab 1,7 (so Nogalski, Literary Precursors, 44). Aber ein verständlicher Sinn ergibt sich auf diese Weise kaum. – b MT (»sie wohnen«) bietet weder im Tempus noch dem Inhalt nach eine sinnvolle Parallele zum »Schlummern« der Hirten. Absolut gebrauchtes שכןkann weder »tot liegen« bedeuten (so mit Recht Rudolph gegen W. A. Maier [im Gefolge von V: sepelientur principes], dem Cathcart folgt, ohne ihn zu nennen) noch auch »inaktiv an seinem Ort bleiben« (so Spronk mit Verweis auf Ri 5,17, dem Hagedorn, Die Anderen, 40 folgt). Offensichtlich liegt ein Schreibfehler vor. Die Mehrheit der Ausleger liest mit Wellhausen » ישנוsie haben geschlafen«, da dieses Verb häufig in Parallele zu » נוםschlummern« steht (Jes 5,27; Ps 76,6; 121,4; 132,4; Prv 6,4.10; 24,33, auch in KTU 1.14: I: 31–34). Denkbar wäre auch die Wurzel » שכבsich niederlegen«, die gemeinhin sowohl dem κοιμᾶν »schlafen« als auch dem hiesigen κοιμίζειν »einschläfern« der G (die irrtümlich den »König von Assur« zum Subjekt des Verbs erhebt) zugrunde liegt. – Eine originelle, aber philologisch kaum haltbare Lesung von V. 18a schlagen van der Woude und ihm folgend Becking (De Hymne, 74) vor: Sie halten נמוfür ein Lehnwort aus dem Akkadischen, abgeleitet von namû/nawûm »Weidegebiet, Steppe« (AHw, 771). Becking übersetzt: »Waar zijn de weideplaatsen van uw herders, koning van Assur, waar uw gewaldigen gelegen waren?« – c Schon Raschi hat beobachtet, dass das Verb פוש, das gemeinhin »hüpfen, springen« bedeutet, hier eine Nebenform des Verbs פוץ, je im Nif., bilden muss (Haldar, Studies, 76 f). Die Vrs. (G: »hinaufziehen«, V: »sich verbergen«)
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scheinen die von ihnen erwartete Bedeutung des Verbs aus dem Kontext geraten zu haben. – 19a Das hap. leg. ּכֵ ָההist ein Derivat der Wurzel »( כההschwach 19 werden, nachlassen«). Die häufig (auch von BHS und HAL, 440) vorgeschlagene Änderung in »( גההHeilung«, wegen G: ἴασις) ist unnötig, zumal die Wurzel גההebenso selten belegt ist wie כהה. – b Das Nif. von חלהbedeutet zumeist »schwer erkrankt sein«, bezeichnet aber auch, speziell in Beziehung auf מכה (»den Schlag« bzw. dessen Wirkung, »die Wunde«), eine »unheilbare Wunde« (Jer 10,19; 14,17; 30,12).
Die abschließende Klage über den »Zusammenbruch« Assyriens, im Qina-Metrum der Totenklage gehalten, setzt wahrscheinlich den Fall Ninives schon voraus (vgl. oben »Form«). Sie steht nicht nur am Ende der zusammengesetzten Einheit 3,8–19, die die dritte »Strophe« der Ninive-Gedichte bildet, sondern besitzt darüber hinaus wichtige Funktionen für das Buchganze, und zwar sowohl für die ältere als auch für die überkommene Gestalt des Buches Nahum. Wie schon zu 3,17 bemerkt, muss 3,18 f auf zwei Ebenen gelesen werden. Von Haus aus betraf die Klage das Geschick Ninives als Kollektiv und Repräsentant Assyriens, und in diesem älteren Stadium rundete sie auch sprachlich die Ankündigung des Anfangs der Schrift ab: War in 2,2 ein »Zerstreuer« angekündigt worden, der Ninive im Handstreich erobern und seine Bewohner in alle Gegenden vertreiben würde, so beklagt 3,18 die »über die Berge hin zerstreuten« Krieger, unbrauchbare Restbestände eines gewaltigen Heeres, das aufgerieben wurde. Im gegenwärtigen Text aber betrifft die Klage den »König von Assur«, der am Beginn von V. 18 in den Text eingefügt wurde und auf den sich nach der Vokalisation der Masoreten alle folgenden Suffixe beziehen. In dieser Gestalt knüpft V. 18 an die namenlose Einzelgestalt an, der in 1,11.14 vom Propheten Unheil angekündigt und die in 2,1 als »Belial« charakterisiert worden war; V. 18 deutet deren Geheimnis so spät wie eben möglich an, freilich mit einem Begriff »Assur«, der längst typologische Bedeutung angenommen hatte. Dass der Begriff »König von Assur« einen Eintrag in einen älteren Text 18 darstellt, kann als sicheres Ergebnis der kritischen Forschung (vgl. etwa Marti, Duhm, Ehrlich, J. M. P. Smith, Horst, Elliger, Sellin, Seybold, Perlitt, Wöhrle) gewertet werden, auch wenn es bis zuletzt Stimmen gegeben hat (z. B. Rudolph, Spronk, Fabry, Christensen), die sich dieser Erkenntnis widersetzt haben. Schon metrisch fällt der Begriff aus dem Rahmen, indem er als eine Art Parenthese die beiden zusammengehörigen Glieder des Par allelismus membrorum in V. 18a sprengt. Vor allem aber schafft er inhaltliche Spannungen. Der Begriff des »Hirten« ist sowohl im Alten Testament als auch im Alten Orient generell primär ein Königstitel, und zwar seit ältester Zeit. Dass ein König wie Kyros JHWHs »Hirte« heißt (Jes 44,28), ist in diesem Kontext eine passende Aussage, die ebenso wie die breiten Hirtenallegorien in Ez 34 und Sach 11,4 ff die Geläufigkeit des Titels erweisen. So ist es selbstverständlich, dass ein Land oder wie im Fall von
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Nah 3,18 die ein Land repräsentierende Hauptstadt einen oder mehrere »Hirten« haben, die für das Wohl ihrer »Schafe« Sorge tragen (J. A. Soggin, THAT II, 791–794; G. Wallis, ThWAT VII, 566–576). Dass aber ein König über »Hirten« verfügen könne, die »Hirten des Königs« (»deine Hirten«) genannt werden, ist im Alten Testament sonst nie belegt, auch wenn gelegentlich, speziell im Buch Jeremia und in Sach 9–14, zivile oder militärische Anführer pluralisch »Hirten« heißen können (Jer 2,8; 10,21; 22,22; 23,1 f; 25,34–36; Sach 10,3; 11,4 ff; 13,7; vgl. Ez 34).112 Wie sehr aber auch bei pluralischem Gebrauch die »Hirten« königliche Assoziationen mit sich führen, zeigt sich daran, dass als ihre – von ihnen versäumte – Pflicht das »Sammeln« der Herdentiere angegeben wird. Auch wenn JHWH als königlicher »Hirte« fungiert, »sammelt« er sorgsam seine Schafe (Jes 40,11; Ez 20,34; Mi 2,12 f; 4,6 f; Zef 2,1 u. ö.). Die übrigen Aussagen in V. 18 f wie »dein Zusammenbruch«, »deine unheilbare Wunde« – mit einer Ausnahme beziehen sich die Parallelbelege auf Kollektive (s. u.) –, »die Kunde von dir«, die ein Händeklatschen von Völkern auslöst, betreffen in anderen Texten ebenfalls ausschließlich oder zumindest überwiegend kollektive Adressaten, selten Einzelgestalten, und sei es wie hier den König, der repräsentativ für ein Kollektiv steht. Allerdings haben sich die kritischen Forscher bisher mit der Erkenntnis begnügt, dass wesentliche Inhalte in V. 18 f ein Kollektiv im Blick haben, und sie haben den Text ausgelegt, als ob der Eintrag »König von Assur« nicht in ihm stünde. Ältere Forscher konnten einfach dekretieren: »Streiche … den Ausdruck ( «!מלך אשורEhrlich, Randglossen V, 298) oder sich mit der Behauptung: »Glosse« (Marti, Sellin u. a.) zufriedengeben. Aber auch die Jüngeren unter den kritischen Forschern haben sich nicht die Mühe gemacht, den gegenwärtigen Text, also den Text mit dem Eintrag »König von Assur« (und mit den entsprechenden mask. sing. Suffixen der folgenden Substantive113), zu erklären. Die Verse 18 f ergeben aber auch mit diesem Eintrag guten Sinn, wie die konservativeren Forscher, die die Rekonstruktion eines älteren Textes ohne »König von Assur« ablehnen, mit guten Gründen hervorheben. Recht verstanden muss der Text also doppelt gelesen werden: mit und ohne den Eintrag. Im Folgenden soll zunächst der ältere Text betrachtet werden, in dem sich die Suffixe der Substantive auf Ninive beziehen. Der Text in V. 18 f setzt mit der Klage ein, dass Ninives »Hirten«, also dessen militärische und politische Führer und Verantwortungsträger, »geschlummert« haben. Der Kontext zeigt, dass die militärische Konnotation des Titels im Vordergrund steht, denn der Parallelbegriff der »Gewaltigen« bzw. »Edlen« ( )אדיריםbezeichnet in 2,6 die Obersten, die unmittelbar unter 112 Man fühlt sich besonders an den hochmütigen Satz des assyrischen Königs in Jes 10,8 erinnert: »Sind nicht alle meine Obersten Könige?« 113 Diese Suffixe sind allerdings im älteren, vormasoretischen Konsonantentext von den fem. sg. Suffixen eines auf Ninive bezogenen Textes nicht zu unterscheiden.
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dem Befehl des Heerführers stehen und von ihm zu ihren speziellen Funktionen bei der Belagerung Ninives beordert werden. Hinzu kommt, dass in V. 18b von der Zerstreuung »deines «עםdie Rede ist, und dieser Begriff wird in V. 13 deutlich militärisch (»deine Krieger«) verwendet. Denkbar ist freilich, dass er in V. 18 nicht auf den kriegerischen Bereich beschränkt bleibt (Perlitt). Wenn nun Ninives Hirten und Gewaltige »schlummern« und »schlafen«, so hat man gemeinhin – in bewusstem oder unbewusstem Gefolge von V – an ihren Tod gedacht (so die meisten älteren Ausleger und zuletzt etwa Roberts, Rudolph, Perlitt), aber wahrscheinlich zu Unrecht. Den Schlüssel zum Verständnis des Bildes bietet vielmehr Jes 5,25–30, wie P. Machinist (The Fall of Assyria, 183) und Spronk (120) erkannt haben.114 In Jes 5,27 werden die Assyrer in ihrer Funktion als JHWHs Strafwerkzeug als unaufhaltsam beschrieben, da in ihrem Heer keiner ermüdet, keiner strauchelt, niemand schlummert ()נום, niemand schläft ()ישן.
In Nah 3,18 werden diese Kennzeichnungen, die höchste und ununterbrochene Aktivität ausdrücken wollen, in ihr genaues Gegenteil verkehrt. Die militärischen Führer Ninives waren zu schwach, um das über Ninive hereinbrechende Unheil, den »Zusammenbruch« (V. 19), aufzuhalten. Auch haben sie sich als unfähig erwiesen, die Restbestände ihrer Krieger wieder zu »sammeln«, die im Kampf »über die Berge hin«, d. h. so weit wie nur eben möglich vom Kulturland entfernt, »zerstreut« worden sind. Solches »Sammeln« aber wäre ihre primäre Pflicht als »Hirten« gewesen, deren wichtigste Aufgabe ist, ihre Herde zusammenzuhalten. Auf ein Kollektiv als betroffene Größe verweist deutlich der Begriff des 19 »Zusammenbruchs«, eine Bezeichnung für den Untergang Ninives und Assyriens. Dieser Untergang ist so grundlegend, dass er durch keine Mittel eine wie auch immer geartete »Abschwächung«, »Einschränkung« oder »Linderung« ( )כההerfahren kann. Der Begriff »Zusammenbruch« steht andernorts in der Prophetie, vornehmlich im Buch Jeremia, für das Verderben bzw. den Niedergang der Hauptstadt Jerusalem (Jer 4,6; 6,1), des ganzen Volkes (Am 6,6; Jer 8,21) oder fremder Völker (Jer 48,5; 50,22; Ez 32,9). Auch der Parallelbegriff der »unheilbaren Verwundung«, die von einem schweren »Schlag« herrührt, kann für sich zwar auch für das Leiden des Propheten stehen (Jer 10,19), wird mehrheitlich aber für den Schicksalsschlag eines Kollektivs verwendet. In Jer 14,17 und 30,12 steht er wie in Nah 3,19 in Parallele zum »Zusammenbruch«, so dass Nah 3,19 sehr wahrscheinlich Sprache des Buches Jeremia aufgreift. Allerdings ist die »unheilbare Wunde« auch Gegenstand von Flüchen, vornehmlich in 114 Allerdings übersetzt Spronk die Verben seltsamerweise futurisch! Dadurch verliert die Klage, die allenfalls als ganze wie 2,12 f und 3,7 futurisch verstanden werden kann, ihre Eigenart.
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Vasallenverträgen Asarhaddons.115 Jedenfalls geht es in Nah 3,19 sowohl beim »Zusammenbruch« als auch bei der »unheilbaren Wunde« um die totale, nicht aufzuhaltende und nicht einzugrenzende Katastrophe Ninives. V. 19b beschreibt die Wirkung auf die Völker, denen die Nachricht vom Untergang Ninives überbracht wird. Hier wird die vorausgehende Klage in V. 7 noch gesteigert. Hatte V. 7 via negationis die Unmöglichkeit beschrieben, jemand zu finden, der über Ninives Ende Trauer empfinden und ihm Trost spenden würde, so brandet nach 3,19 bei der Nachricht von Ninives Untergang überall spontaner Jubel auf. Das Händeklatschen der Völker ist sonst nur als Akt der Festfreude belegt (Ps 47,2), wenn in Israel das Königtum JHWHs über die Welt gefeiert wird und die Völker in ihren Repräsentanten zugegen sind, um als »Volk des Gottes Abrahams« (txt. em.) mitzufeiern (Ps 47,10). Aber in Israels Umwelt wird das hier verwendete Verb תקעauch ohne das Objekt der Hände (bzw. sonst des Horns und der Trompete) für Beifallsrufe und Jubel verwendet (vgl. HAL 1642). Die abschließende Begründung des Jubels der Völker wird in Gestalt einer rhetorischen Frage gegeben.116 Sie beschreibt die »Bosheit« Ninives als so umfassend, dass der Vers an die Begründung der Notwendigkeit einer Sintflut in Gen 6,5 mit ihrem extrem negativen Menschenbild anklingt. Wie in Gen 6,5 die »Bosheit« des Menschen so beschrieben wird, dass »jedes Gedankengebilde seines Herzens allezeit ausschließlich böse« war, so hat nach Nah 3,19 Ninives Bosheit ausnahmslos alle Völker beeinträchtigt, und zwar unablässig. Erst mit Ninives Untergang werden sie wieder frei atmen können. An diese Dimension der »Bosheit« Ninives konnte Jona 1,2 anknüpfen; mit ihr ist in der Jona-Erzählung wie in Nah 3 sogleich die Frage nach Ninives Ende verbunden. Was ändert sich, wenn Nah 3,18 f schwerpunktmäßig auf den »König von Assur« hin gelesen wird? Zahlreiche Aussagen wie etwa Ninives »Zusammenbruch« bleiben auf das Kollektiv bezogen und insofern inhaltlich unverändert. Aber die Konzentration auf eine Einzelgestalt, die über 115 In Asarhaddons Vertrag mit Baal von Tyros und in seinem Vertrag mit medischen Kleinfürsten heißt es jeweils für den Fall eines Vertragsbruchs: »So möge Gula, die große Oberärztin, Krankheit und Mühsal in euer Herz legen, eurem Körper eine nicht heilende Wunde beibringen …« (TUAT I, 159 bzw. 171). Die abschließenden Flüche im Epilog des Codex Hammurabi zielen dagegen auf den einzelnen Gesetzesbrecher: »Ninbarrak [eine Heilgöttin] … möge eine schwere Krankheit, einen bösen Krankheitsdämon, eine schmerzliche Wunde, die nicht abheilt, deren Wesen kein Arzt erkennt …, in seinen Gliedern hervortreten lassen« (TUAT I, 79 f). Weitere Belege nennt Berlejung, Erinnerungen, 344, Anm. 96, die sich mit Recht gegen die Annahme von Cathcart, Johnston und Becking wendet, es handle sich um direkte Übernahmen aus den Vasallenverträgen Asarhaddons (ebd. 345 mit Anm. 98). 116 Sie lässt sich kaum mit Gottes Schlussfrage im Buch Jona, die auf die Einsicht ihrer Leser zielt, vergleichen und hat diese schwerlich hervorgerufen (anders Glasson). – Allerdings ist die Vermutung, V. 19bβ stelle eine »Glosse« dar (Spronk, 144 im Gefolge von Marti, Nowack, auch Jeremias, Kultprophetie, 46, Anm. 2), mit dem Hinweis auf seinen stärker prosaartigen Stil unzureichend begründet.
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»Hirten« und »Gewaltige« verfügt, verschiebt die Akzente nicht unerheblich, zumal der Hauptschuldige im Vokativ angeredet wird. Nun ist es der König, der die Zerstreuung seiner »Krieger« bzw. seines »Volks« ()עם »über alle Berge hin« zu verantworten hat und der vor allem als Person zur Verkörperung der »Bosheit« wird; Ninives »Bosheit« ist zu seiner eigenen »Bosheit« geworden. Mit dieser Verschiebung der Anklage am Abschluss des Prophetenbuches werden bei einem aufmerksamen Leser all die Assoziationen wachgerufen, mit denen das Buch eingesetzt hatte. Die Dimension des Widergöttlichen, die im älteren Text von Nah 2–3 allenfalls in 3,4 f angeklungen war, war in 1,11 offen ausgesprochen worden: »der Böses wider JHWH plante, Widergöttliches (Belial) im Sinn hatte«. Dieser Gegenspieler JHWHs war in 2,1, wo seine »Austilgung« angekündigt und bejubelt wurde, steigernd selbst »der Widergöttliche (Belial)« genannt worden, aber seine Identität war bis zuletzt im Verborgenen geblieben bzw. nur zu erahnen. Jetzt, am Schluss des Buches, wird das Geheimnis gelüftet. Auch eine Einzelheit des abschließenden Satzes gewinnt im Buch ganzen erhöhtes Gewicht. Das Verb עבר, das in Nah 3,19 die über die Völker »ergehende«, sie »überströmende« Bosheit des »Königs von Assur« bezeichnet, war in 1,2–2,1 nicht weniger als dreimal mit vielfältigen Nuancen verwendet worden, auf die indirekt Bezug genommen wird. Am gewichtigsten für 3,19 ist dabei der Anklang an das Ende des einleitenden Hymnus. In ihm werden Gottes Feinde im Gericht in einer »überschwemmenden« Flut ertränkt, die, von 3,19 her gelesen, die angemessene Strafe für die »überströmende« Bosheit des »Königs von Assur« ist. Nach 1,12 führt diese göttliche Flut zum »Verschwinden« aller Feinde Gottes, nach 2,1 zum definitiven Ende der Erfahrung, dass der »Widergöttliche (Belial)« durch Juda »hindurchgezogen« ist. Bei all diesen Aussagen ist deutlich, dass mit dem »König von Assur« längst nicht mehr ein König des neuassyrischen Reiches im 7. Jh. v. Chr. im Blick ist, sondern der Begriff »Assur« wie auch andernorts (z. B. Jes 7,20; 10,12.24; 19,23; Ez 31,3; Mi 5,4 f; 7,12; Esr 6,22) typologische Bezeichnung geworden ist, nämlich »Deckname für die folgenden Großmächte [ist], die aus dem Norden ausrückten« (H. W. Wolff, Micha: BK XIV/4 [1982], 120). Zusammengesetzt aus mehreren Untereinheiten (V. 8–11. 12–15a. 15b– Ziel 17. 18 f), die vermutlich einmal selbständige Größen gebildet haben, bietet Nah 3,8–19 die komplexeste Thematik der drei Ninive-»Strophen« in Kap. 2–3. Theologisch gewichtige Aussagen stehen am Anfang und am Ende und legen sich wie eine Klammer um die mittleren Verse. Am Anfang kreisen alle Gedanken um das Thema der Sicherheit, genauer: des Sicherheitsgefühls. Ninive als die Hauptstadt einer Macht, wie sie der Alte Orient zuvor nicht gesehen hatte, und Theben als heilige Stadt, die göttlichen Mächten gewidmet war, mit einer über ein Jahrtausend alten re-
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ligiösen Tradition und ihren berühmten Tempeln galten den Zeitgenossen des Propheten als uneinnehmbar – nicht nur, aber vor allem wegen ihrer Lage an großen Flüssen, die sie schützten, und riesiger Heere, die sie verteidigen konnten. Als Theben von Assurbanipal erobert worden war und seine Einwohnerschaft einem grausamen Geschick entgegenging (V. 10), wird die normale Reaktion der nicht beteiligten Menschen gewesen sein: Was für eine unüberbietbare militärische Macht muss es gewesen sein, die zu einer solchen Eroberung fähig war! Ganz anders die Reaktion des biblischen Propheten: Im Untergang des scheinbar so sicheren Theben sieht er eine Vorabschattung des Untergangs der siegreichen Assyrer, die nach dem Fall Thebens von einem noch einmal gesteigerten Sicherheitsgefühl beherrscht waren.117 Es sind mehrere Gründe, die den Propheten zu seiner ungewöhnlichen Weltsicht anleiten: 1. Er steht in einer breiten prophetischen Tradition, die besonders Hosea und Jesaja geprägt haben, nach der Israel und Juda durch nichts ande res so stark gefährdet sind wie durch ein Sicherheitsgefühl, das auf militärischen Fähigkeiten beruht. Für Hosea mag hier ein Verweis auf Hos 10,14 f genügen, für Jesaja eine Erinnerung an seine berühmten Weheworte Jes 30,1 ff und 31,1 ff, in denen er vor dem Vertrauen auf die Hilfe ägyptischer Truppen warnt. 2. Am Ende von Nah 3,8–11 schaut der Prophet assyrische Heere (auf der Flucht) in verzweifelter Suche nach einer Zufluchtstätte. Die folgende Untereinheit V. 12–15a betont auf vielfache Weise, wie wenig die zahlreichen Burgen und Befestigungen der Assyrer vor und in Ninive, die dem Feind wie reife Früchte zufallen, Schutz zu gewähren in der Lage sind. Die einzige effektive Zuflucht aber hatte der das Buch einleitende Hymnus mit Gott selber gleichgesetzt (Nah 1,7). Bezogen auf den Hymnus heißt das dann, dass die trügerische Sicherheit, die die Befestigungen Ninives bieten, der wahren Sicherheit gegenübergestellt wird, die allein der Schutz bei Gott darstellt. Bei Jesaja lautet die entsprechende Erkenntnis kurz und knapp in Vorwegnahme paulinischer Sprache: »Ägypten (gemeint sind die ägyptischen Truppen) aber ist Mensch, nicht Gott, seine Rosse (Anspielung auf Streitwagen als kriegsentscheidende Waffe) sind Fleisch, nicht Geist« (Jes 31,3). 3. Der Prophet schreibt seine Schau der kommenden assyrischen Kata strophe aber noch aus einer anderen Gotteserfahrung heraus. Wie zahlreiche andere Propheten kennt er ein verborgenes richtendes Gotteshandeln, das entsetzlicher wirkt als all die Grausamkeiten, die nach V. 10 den Einwohnern Thebens durch die Assyrer zugefügt wurden. Es ist die Gestalt einer »Umnachtung« (V. 11), die die Verantwortung 117 Für den jüngeren Propheten, dem wir Kap. 1 verdanken, war Ninive selbst längst untergegangen und auf diese Weise zum neuen »Theben« geworden, das auf den Niedergang der Weltmacht seiner Zeit verwies.
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tragenden Menschen ihrer Sinne beraubt, sie unfähig zu rationalem Handeln macht und sie damit dem strafenden Zorn Gottes überliefert, der eine andere Macht darstellt als die militärischen Fähigkeiten der Assyrer. 4. Darüber hinaus sind Herrschaft und Ruhm, wie sie die Assyrer zur Zeit des Propheten besitzen, für den Propheten vergängliche Güter, die von heute auf morgen vergehen können. Um diese Gefahr zum Ausdruck zu bringen, verwendet er in V. 15b–17 den Vergleich mit Heuschreckenschwärmen, die in ihrer unüberschaubaren Menge Schrecken verbreiten, aber bei einsetzender Wärme urplötzlich zu verschwinden pflegen. Menschen, die ihren glücklichen Alltag für selbstverständlich halten, werden hier gewarnt, ihr Dasein nicht auf diese scheinbar kontinu ierliche Normalität zu gründen. Im NT wird dieses verhängnisvolle Sicherheitsgefühl eines Menschen im Gleichnis vom reichen Kornbauern (Luk 12,16–21) zum Ausdruck gebracht. Erst ganz am Schluss des Textes bricht sich das andere theologische Thema Bahn, wenn nicht mehr die Assyrer mit ihrem Sicherheitsgefühl das Denken bestimmen, sondern die Völker in den Blick genommen werden, die unter ihnen gelitten haben und nun beim Untergang Ninives ihre neue Freiheit bejubeln und feiern. Jetzt tritt die »Bosheit« der Assyrer für die Leser in den Vordergrund, die in den Kapiteln 2–3 vordergründig als die Gewalt einer Besatzungsmacht, die das Leiden der unterdrückten Völker herbeigeführt hat, beschrieben worden war. Sie gewinnt durch die Konzentration auf den »König von Assur« und die indirekten Anspielungen auf Gen 6,5 abgründige Dimensionen, die das einleitende Kapitel des Nahumbuches mit dem Begriff »Belial« (1,11; 2,1) bezeichnet. Hinter der Bosheit von Völkern und ihren Herrschern lauert das Böse schlechthin. Als »Belial« ist der »König von Assur« nicht mehr die historische Gestalt, die mit ihrer Hauptstadt Ninive 612 v. Chr. unterging, sondern ein Gegenspieler Gottes, der in der Endzeit der Geschichte Gottes mit seinen Menschen das Gottesvolk in äußerstes Leiden führt und dabei Gott an der Verwirklichung seines Reiches hindert. Den Lesern des N ahumbuches wird mit dem Nacherzählen der Prophetie Nahums und ihrer Bewahrheitung im Jahr 612 v. Chr. aber tröstend vor Augen gestellt, dass Gottes Macht ungleich größer ist als diejenige Belials und Gott daher in Kürze den »König von Assur« genauso richten wird wie den historischen Assyrerkönig im 7. Jh. v. Chr.
Abkürzungen
Notiert sind nur Abkürzungen, die nicht in S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (²1994) bzw. in S. M. Schwertner, Abkürzungsverzeichnis der TRE (²1994) aufgeführt sind. Die abgekürzten Primärquellen sind in der Einleitung, Kap. VI (»Der Text und seine Zeugen«), genannt. ABG BiWiLex CBR CR.BS GTJ HBS HCOT HS HThKAT IEKAT JBQ JHS KUSATU NIB NIBCOT SBJ StDJ TOTC WBC
Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet Currents in Biblical Research Currents in Research. Biblical Studies Grace Theological Journal Herders Biblische Studien Historical Commentary on the Old Testament Hebrew Studies Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament Internationaler exegetischer Kommentar zum Alten Testament Jewish Bible Quarterly Journal of Hebrew Studies Kleine Untersuchungen zur Sprache des Alten Testaments und zu seiner Umwelt The New Interpreter’s Bible New International Biblical Commentary on the Old Testament La Sainte Bible, Jerusalem Studies on the Texts of the Desert of Judah Tyndale Old Testament Commentaries Word Biblical Commentary
Literatur
Die hier aufgeführte Literatur enthält in einem ersten Abschnitt Kommentare zum Zwölfprophetenbuch bzw. speziell zum Buch N ahum, die in der Auslegung nur mit Verfassernamen und Seitenzahl zitiert werden, und in einem zweiten Abschnitt Monographien und Aufsätze, die das Buch Nahum als Ganzes bzw. wesentliche Teile aus ihm enthalten und mit Verfassernamen, Kurztitel und Seitenzahl angegeben werden. Demgegenüber ist alle Spezialliteratur, die nur einen einzelnen Textbereich oder gar nur einen einzelnen Vers des Buches N ahum behandelt bzw. ein Problem des Buches, das auf einen Textbereich beschränkt ist, am Kopf dieses Textabschnitts – und nur dort – notiert. Die Literatur und die Abkürzungen zu den Textzeugen sind im Kap. VI der Einleitung genannt. Kommentare Achtemeier, Elizabeth, Nahum-Malachi: Interpretation, Atlanta 1986. Alonso-Schökel, Luis / Valverda, José María, Doce profetas menores, Madrid 1966. Armerding, Carl E., Nahum: The Expositor’s Bible Commentary, Vol. 7, Grand Rapids 1985, 447–489. Baker, David W., N ahum, Habakkuk, and Zephaniah: TOTC, Leicester 1988. Bevenot, Hugh, Nahum and Habakkuk: The Westminster Version of the Sacred Scriptures, London 1937. Bič, Miloš, Trois prophètes dans un temps de ténèbres. Sophonie – N ahum – Habaquq: Lectio Divina 48, Paris 1968. Calvin, Johannes, Praelectiones in prophetas minores, Genf 1559. Chisholm, Robert B., Interpreting the Minor Prophets, Grand Rapids 1990. Christensen, Duane L., Nahum: The Anchor Yale Bible, Vol. 24F, New Haven/ London 2009. Coggins, Richard J., In Wrath Remember Mercy. A Comm. on the Book of Nahum, in: Ders./S. P. Re’emi, Israel Among the Nations. A Commentary on the Books of Nahum, Obadiah and Esther: ITC, Grand Rapids 1985, 1–63. – /Han, Jin H., Six Minor Prophets through the Centuries: Blackwell’s Bible Commentaries 29, Oxford 2011 (Nahum von J. H. Han, S. 6–35). Craigie, Peter C., Twelve Prophets: The Daily Study Bible, Vol. 2, Philadelphia 1985. Davidson, Andrew B., The Books of Nahum, Habakkuk and Zephaniah, Cambridge 1905. Deden, D., De kleine profeten: BOT XII, Roermond 1953. Deissler, Alfons, Zwölf Propheten, Teil II: NEB 8, Würzburg 1984. Delcor, Mathias, Nahum, in: A. Deissler / M. Delcor, Les petits prophètes: SBPC VIII,1, Paris 1961, S. 369–387. Dietrich, Walter, Nahum – Habakuk – Zefanja: IEKAT, Stuttgart 2014. Eaton, John H., Obadiah, Nahum, Habakkuk, Zephaniah: TBC, London 1961.
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Register der Bibelstellen (aufgenommen sind nur traditions- bzw. redaktionsgeschichtlich relevante Belege)
Exodus 34,6 f
Numeri 14,18
2Samuel 22,5 f
35f.49.60.63.71 ff.88 71 ff 115
2Könige
9,22 172
Psalmen
9–10 57.61 14,1 24 18,5 f 115 18,10 f 77 34 57 34,9 85 46,4 81 46,10 33.153.155 54,8 f 85 80,9 132 86,5.7 85 94,1 24.63.68.70 104,7 78.145 114,3.5 146
Jesaja
2,6–8 154 5,7 132 5,26–29 125 5,27 209 7,20 105 8,8 86 10,5 ff 163 10,9 188 10,12.24–27 211 13,8 147 13,10 87 19,5ff 79.191 19,23 211 28,15.18 86 31,1–3 212 33,9 80 35,1.4 68 40,9 f 130
50,2 79 52,1f.7 f 100.111 ff 52,7 25 52,8 f 130 54,9 f 102 59,15b–20 70 61,2 68 66,15 f 76
Jeremia
2,18 ff.23 ff 169 2,20 106 4,6f 125 4,23–28 81.87 4,26 83 5,5 106 5,15–17 125 13,26 f 174 14,17 209 16,30 ff 169 23 169 25,15 ff 33.194 30,8 25.100.106 30,12 209 49,12 194 50,19 80 51,7.39 194 51,27 203
Ezechiel
5,13 70 16,37 f 174 22,2 33.163 23,45 174 24,6.9 34.163 25,14 70 31,3 211
Hosea
1,2 168 2,4–6 168.175 f 2,12 168.174–176 4,2 163 4,12 168 5,4 168 7,3f 165 7,15 100
226 8,6 131 8,9f 169 9,10 177 10,12 f 165 10,14 f 188.193.212 12,1 165 14,1 193 14,4 154
Joel
2,1 f 77.87 2,6 147 3,5 60.84, Anm. 36 4,16 84
Amos
1,2 76.80 1,14 49 6,2 187 f 8,8;9,5 81 9,13 81
Register der Bibelstellen 1,7 169 3,10 163 5,4 f 33, Anm. 21 5,9–13 108.153 f.171 7,14 80 7,18–20 36 f.74
Habakuk
1,1 44 f 1,2–4 38 2,12 163 2,15 f 33.194 3,16 38
Zefanja
1,15 77.80.87
Sacharja
16 33.194
9,1 44 f 9,7 177 9,10 153.155 12,1 44 f 13,2 108 14,3 f 76
Jona
Maleachi
Obadja
1–4 37 f 1,2 210
Micha
1,1 47 1,3 f 76.81
1,1 3,13 ff
44 f 24