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German Pages 180 Year 2020
Beiträge zum Vergaberecht Band 5
Nachhaltigkeitsstrategien im Zuge der Modernisierung der europäischen Vergaberechtsvorschriften
Herausgegeben von
Jan Ziekow und Andrea Gyulai-Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
JAN ZIEKOW/ANDREA GYULAI-SCHMIDT (Hrsg.)
Nachhaltigkeitsstrategien im Zuge der Modernisierung der europäischen Vergaberechtsvorschriften
Beiträge zum Vergaberecht Herausgegeben von Prof. Dr. Thorsten Siegel, Berlin Prof. Dr. Jan Ziekow, Speyer
Band 5
Nachhaltigkeitsstrategien im Zuge der Modernisierung der europäischen Vergaberechtsvorschriften
Herausgegeben von
Jan Ziekow und Andrea Gyulai-Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2364-8724 ISBN 978-3-428-15960-4 (Print) ISBN 978-3-428-55960-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Am 8. und 9. Juni 2017 fand am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) in Speyer eine internationale, interdisziplinäre Fachkonferenz zum Thema „Nachhaltigkeitsstrategien im Zuge der Modernisierung der europäischen Vergaberechtsvorschriften“ statt. Es gab einen regen Austausch zwischen öffentlichen Auftraggebern, Vertretern der Rechtspflege, der Wirtschaft und Wissenschaft aus Deutschland, Österreich, Ungarn und der Schweiz. Der vorliegende Konferenzband enthält eine Zusammenstellung während der Tagung abgehaltener Vorträge zu aktuellen Fragen der europäischen Vorgaben zur nachhaltigen Entwicklung und ihrer praktischen Umsetzung im deutschen und ungarischen Vergaberecht. Damit sollen die wichtigsten Ergebnisse der zweitägigen Konferenz im Überblick festgehalten werden. Die Aktualität der Themenwahl steht außer Zweifel. Es ist allgemein bekannt, dass unter Nachhaltigkeit die Befriedigung der Bedürfnisse der Gegenwart verstanden wird, ohne die Zukunftschancen nachfolgender Generationen zu riskieren. Was so einleuchtend und einfach klingt, scheint in der Umsetzung schwer zu gelingen, was in der Komplexität der Aufgabe begründet zu sein scheint. Hinzu kommt die Definitionsvielfalt des Themas Nachhaltigkeit, teilweise mit gegensätzlichen Interessen, wodurch kein einheitliches, interdisziplinäres Konzept entwickelt werden konnte. Das Zusammentreffen von Nachhaltigkeit mit den Besonderheiten der öffentlichen Beschaffung führt zu neuen spezifischen Herausforderungen. Die öffentlichen Beschaffungsstellen der Staaten, die zugleich die größten Nachfrager auf dem Markt darstellen, trifft eine besonders hohe Verantwortung. Sie können durch großvolumige Anschaffungen den Produktherstellern und Dienstleistern nachhaltiges Denken und Handeln vorgeben und mittelbar am Ende der Kette auch das Verhalten vieler Verbraucher beeinflussen. Bis dahin ist aber noch ein langer Weg zu gehen, und die Verwirklichung des nachhaltigen Zukunftsmodells bleibt für uns alle eine dauerhafte Herausforderung. In diesem Sinne befasst sich der Konferenzband nach Themenbereichen mit der Untersuchung und Bewertung der Nachhaltigkeitsstrategien ausgewählter europäischer Mitgliedstaaten sowie mit ökologischen, sozialen, wirtschaftlich-effektiven und innovativen Aspekten der Vergabeverfahren. Als Hinführung zum Thema beginnt der Band mit zwei Aufsätzen über die strategischen Zielsetzungen des europäischen und deutschen Vergaberechts. Frau Heide Rühle, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, berichtet über
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Vorwort
die Position des Europaparlaments zur nachhaltigen Auftragsvergabe während der gesetzgeberischen Verhandlungen und Verabschiedung der Vergaberichtlinien 2014. Als Leiterin der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung schreibt Frau Ilse Beneke über die Rolle der Kompetenzstelle bei der Einführung und Verbreitung einer neuen Anschauung über die nachhaltige Beschaffung im deutschen öffentlichen Auftragswesen. Im zweiten Themenabschnitt des Bandes befassen sich fünf Aufsätze umfassend mit den Aspekten der ökologischen/umweltfreundlichen und sozialen Kriterien der Nachhaltigkeit auf unterschiedlichen Verfahrensstufen. Mit den ökologischen Kriterien in den neuen Vergaberichtlinien verglichen mit den Umsetzungsergebnissen in der deutschen und ungarischen Vergabepraxis befasst sich der Aufsatz von Frau Dr. Andrea Gyulai-Schmidt. Im weiteren folgt von Professor Christian von Deimling, Markus Schaupp und Professor Michael Eßig eine Beschreibung der Grundlagen für die Anwendung der Lebenszykluskostenrechnung und eine praktische Darstellung der Berechnungstools für Lebenszykluskosten, einschließlich der Erfahrungswerte langjähriger Studien der Universität der Bundeswehr München unter Berücksichtigung von Aspekten der Nachhaltigkeit vor, während und nach der Vergabe. Im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit befasst sich der Aufsatz von Herrn Professor Dr. Jan Ziekow, Direktor des FÖV, mit den internationalen Sozialstandards in der öffentlichen Beschaffung mit einem Schwerpunkt auf der praktischen Anwendbarkeit der ILO-Kernarbeitsnormen unter Berücksichtigung der einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens. Der Beitrag von Herrn Dr. Christoph Krönke, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand an der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellt den rechtlichen Rahmen für die Berücksichtigung von „Fair Trade“-Normen im Kontext der europäischen und deutschen Vergaberechtsvorschriften dar und präsentiert ergänzend praxisrelevante Beispiele. Darauf folgt ein ungarischer Länderbericht von Frau Dr. Anita Boros, Universitätsdozentin an der Nationalen Universität für den öffentlichen Dienst in Budapest, über die Umsetzungsergebnisse im Bereich der grünen, sozialen und innovativen Aspekte der Vergabeverfahren anhand von Praxisbeispielen staatlich kontrollierter Handelsgesellschaften. Der folgende Abschnitt des Konferenzbandes im Bereich der Daseinsvorsorge beginnt mit dem Aufsatz von Herrn Norbert Portz, Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, in welchem er das wiederkehrende Dilemma der DAWI-Fälle hinsichtlich Ausschreibungspflicht und Vergaberechtsfreiheit behandelt und anschließend das Thema der Stärkung der Daseinsvorsorge in der Abfallwirtschaft anhand der Abgrenzung der InHouse-Tatbestände von den Fällen der interkommunalen Zusammenarbeit und den Fällen der Kompetenzübertragung näher erörtert. Im Spezialthema der Daseinsvorsorge für die Energieversorgung plädiert Frau Rechtsanwältin Dr. Desiree Jung auf allen Stufen des Vergabeverfahrens für die konsequente nachhaltige Beschaffungspraxis der kommunalen Selbstverwaltungen. Als Abschluss behandeln Frau Rechtsanwältin Dr. Annette Rosenkötter und Antonia Daszenies die Vor- und Nachteile der als neue Verfahrensart eingeführten Innovationspartnerschaft. Mit kritischem Blick wird dabei betont, dass die Innovationspartnerschaft erst dann als wirklicher Hoffnungsträger betrachtet werden kann, wenn diese als tatsächli-
Vorwort
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ches Werkzeug zur Beschaffung innovativer Leistungen anerkannt und verwendet wird. Wir hoffen dazu beizutragen, dass mit diesem Band über nachhaltige Vergaben die Aufmerksamkeit für die aktuelle und kommende Entwicklung in diesem dynamischen Bereich geschärft wird. Speyer/Budapest, im August 2019
Jan Ziekow und Andrea Gyulai-Schmidt
Inhaltsverzeichnis I. Strategische Zielsetzungen des europäischen und deutschen Vergaberechts Heide Rühle Die Position des Europaparlamentes in den Verhandlungen über nachhaltige Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ilse Beneke Die neue Bedeutung der nachhaltigen Beschaffung im deutschen öffentlichen Auftragswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Ökologische und soziale Aspekte der Nachhaltigkeit im Vergabefahren Andrea Gyulai-Schmidt Umweltaspekte im Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsvorschriften sowie deren Umsetzung in der deutschen und ungarischen Vergabepraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christian von Deimling, Markus Schaupp und Michael Eßig Berechnungstools für Lebenszykluskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jan Ziekow Internationale Sozialstandards in der öffentlichen Beschaffung – das Beispiel der ILO-Kernarbeitsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christoph Krönke Berücksichtigung von „Fairtrade“-Normen nach dem europäischen und deutschen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Anita Boros Die Frage der Nachhaltigkeit in der ungarischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung in Verbindung mit der Vergabe öffentlicher Aufträge . . . . . . . . . . . . . 119
III. Nachhaltige Vergaben im Dienste der Daseinsvorsorge Norbert Portz Kommunale Zusammenarbeit in der Abfallwirtschaft: Zwischen Ausschreibungspflicht und Vergaberechtsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
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Inhaltsverzeichnis
Desiree Jung Nachhaltige Energieversorgung in der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . 159 IV. Innovative Gestaltung des Vergabeverfahrens Annette Rosenkötter und Antonia Daszenies Die Innovationspartnerschaft als neuer Hoffnungsträger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
I. Strategische Zielsetzungen des europäischen und deutschen Vergaberechts
Die Position des Europaparlamentes in den Verhandlungen über nachhaltige Auftragsvergabe Von Heide Rühle1 Die Zuständigkeit für die Revision des Vergaberechtes im Jahr 20042 lag im Rechtsausschuss, aber über die mangelhafte Umsetzung dieser Revision in den Mitgliedstaaten wurden von mir im Auftrag des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherpolitik zwei Berichte erstellt, die mit großer Mehrheit im Parlament verabschiedet wurden3. Sicher waren die revidierten Richtlinien von 2004 kein parlamentarisches Meisterstück, sie enthielten zu viele Formelkompromisse, die zu zahlreichen Rechtsprozessen führten, aber ihre Umsetzung in den Mitgliedstaaten – auch und besonders in Deutschland – hat die Unklarheiten leider noch verstärkt. Beispielhaft sei auf die Debatte über „vergabefremde Kriterien“ in Deutschland verwiesen. Mehrheitlich wurde hier die Position vertreten, das Vergaberecht habe, als Teil des Haushaltsrechtes, in erster Linie dem Ziel der sparsamen Haushaltsführung zu dienen, soziale und ökologische Kriterien, Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen seien dagegen „vergabefremd“. Tatsächlich ist die öffentliche Beschaffung mit einem Volumen von 19 – 20 % des europäischen Bruttoinlandproduktes oder gut 2.300 Mrd. Euro pro Jahr das größte öffentliche Investitionsprogramm, diese öffentlichen Gelder sollten auch gezielt für öffentliche Interessen eingesetzt werden können. Die Kritik des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherpolitik betraf vor allem folgende Punkte: • obwohl die revidierten Richtlinien von 2004 den Einsatz ökologischer und sozialer Kriterien bei der Auftragsvergabe stärkten, wurde davon viel zu wenig Gebrauch gemacht, in den Mitgliedstaaten wurde in 80 – 90 % der Fälle dem billigsten, nicht dem qualitativ besten Angebot der Zuschlag erteilt;
1 Die Autorin ist ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, wo das Vergaberecht jahrelang einer ihrer politischen Schwerpunkte war. 2 Richtlinie 2004/18/EG vom 31. 03. 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge und Richtlinie 2004/17/EG vom 31. 3. 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste. 3 Initiativberichte (2009/2175(INI)) und (2011/2048(INI)).
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• die öffentlichen Auftraggeber wurden zu wenig unterstützt und geschult, um das komplizierte Regelwerk umzusetzen; • die Auftragsvergabe litt unter einer hohen Fehleranfälligkeit, in kaum einem anderen Bereich gab es so viel Rechtsstreit; • kleine und mittlere Unternehmen klagten über den hohen bürokratischen Aufwand. Das Parlament forderte die Kommission auf, für mehr Klarheit zu sorgen und die Kommission entschied sich schließlich, die Richtlinien komplett zu revidieren. In der tiefen wirtschaftlichen Krise vieler Mitgliedstaaten sollten die Spielräume für strategische Vergabe gestärkt werden, im Sinne einer nachhaltigen, sozialen und ökologischen wirtschaftlichen Entwicklung, Förderung von Beschäftigung, Innovation und Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Revision wurde von der Mehrheit im Europaparlament als Chance begrüßt, die Defizite der Richtlinien zu korrigieren. Auch die Zielsetzung der Kommission wurde unterstützt: • Steigerung der Effizienz, besseres Preis-Leistungs-Verhältnis und insbesondere eine Vereinfachung und Flexibilisierung der bestehenden Vorschriften sowie leichterer Zugang für kleine und mittlere Unternehmen; • Schaffung der Möglichkeit für die Auftraggeber, die Auftragsvergabe besser zur Unterstützung gemeinsamer gesellschaftlicher Ziele zu nutzen, z. B. in den Bereichen Umweltschutz, Erhöhung der Resourcen- und Energieeffizienz, Bekämpfung des Klimawandels, Förderung von Innovation, Beschäftigung und sozialer Eingliederung und Gewährleistung bestmöglicher Bedingungen für die Erbringung hochwertiger sozialer Dienstleistungen. Strittige Punkte: Allerdings genügte dem Parlament der Entwurf der Kommission nicht, ökologische und soziale Ziele sollten den gleichen Stellenwert bekommen wie die aus dem Primärrecht abgeleiteten Prinzipien Transparenz, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit.
I. Allgemeine Grundsätze Dem dient nun u. a. der neue Artikel 18 Abs. 2 (Allgemeine Vorschriften, Grundsätze der Auftragsvergabe)4 :
4 Richtlinie 2014/24/EU des Europa¨ ischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 u¨ ber die o¨ ffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG.
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„Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt-, sozialund arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder die in Anhang X aufgeführten internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften festgelegt sind.“
Dieser neue Artikel, der die primärrechtlichen Grundsätze in Artikel 18 Abs. 1 ergänzt und erweitert, wurde nur auf Druck des Parlaments in den Verhandlungen mit Rat und Kommission angenommen5, er ist als Querschnitts-Paragraf zu verstehen, als neuer Grundsatz des Vergaberechtes, der von den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ins nationale Recht zwingend zu beachten ist: Die Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen treffen, um dem europäischen, nationalen, tarifrechtlichen sowie den im Anhang X aufgeführten internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften Geltung zu verschaffen – es handelt sich dabei im Wesentlichen um die Kernarbeitsnormen der IAO (Internationale Arbeitsorganisation). Der Erwägungsgrund 40 unterstreicht dies wie folgt: „Die Überprüfung der Einhaltung dieser umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen sollte in den relevanten Phasen des Vergabeverfahrens erfolgen, also bei Anwendung der allgemeinen Grundsätze für die Auswahl der Teilnehmer und die Auftragsvergabe, bei der Anwendung der Ausschlusskriterien und bei der Anwendung der Bestimmungen bezüglich ungewöhnlich niedriger Angebote.“
Die Formulierung und auch die Position des Artikels 18 Abs. 2 in der Richtlinie mag zwar etwas ungewöhnlich sein (das ist der langen Auseinandersetzung im informellen Trilog und dem abschließenden Kompromiss zu verdanken), aber die Aussage ist eindeutig: Neben die Binnenmarktgebote tritt gleichrangig die Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung (siehe dazu auch Erwägungsgrund 41 der allgemeinen Richtlinie). Dies ist meiner Meinung nach leider bei der Umsetzung der europäischen Richtlinien in deutsches Recht nicht angemessen berücksichtigt worden.
II. Leistungsbeschreibung Auch der Stellenwert sozialer und ethischer Kriterien (,Fair Trade‘) wurde durch das Parlament gestärkt. Zwar steht es dem öffentlichen Auftraggeber immer frei zu 5 Die Vergaberichtlinien wurden in einem informellen Trilog zwischen Parlament, Kommission und Rat verhandelt. Dieses Verfahren wird v. a. dann angewendet, wenn schnell Ergebnisse erzielt werden sollen und angesichts vieler Änderungsanträge im Europaparlament – im vorliegenden Fall waren es über 2000 Änderungsanträge – die Kohärenz der Gesetzgebung abgesichert werden soll. Das beschleunigte Verfahren ist aber nicht unumstritten, denn die Verhandlungen werden im kleinsten Kreis geführt, oft ohne Beschlussfassung im Plenum des Europaparlamentes, direkt im Anschluss an die Abstimmung des zuständigen Ausschusses. Es mangelt an Transparenz und die Rechte der Abgeordneten sind eingeschränkt, da sie praktisch nur am Ende des Trilogs im Plenum die Verhandlungsergebnisse zur Beschlussfassung vorgelegt bekommen. Die wachsende Kritik im Parlament an dem Verfahren hat nun zu Verfahrensänderungen geführt, die mehr Transparenz und Kontrolle garantieren sollen.
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definieren, was er beschaffen will, aber wie er vergibt, muss er in Leistungsbeschreibung, Eignungskriterien (und Ausschlusskriterien), den Zuschlagskriterien sowie den Ausführungsbestimmungen transparent und nachvollziehbar niederlegen. Bisher gab es hier Grenzen. So waren gemäß der Interpretation der Europäischen Kommission nur Eignungskriterien, die sich direkt auf das Produkt beziehen vom europäischen Vergaberecht abgedeckt. Kriterien, die sich auf den Produktionsprozess beziehen, konnten dagegen nur als Ausführungsbedingung für den Auftrag berücksichtigt werden, nicht als ein Zuschlagskriterium. Einzige Ausnahme war der Bereich regenerative Energien. Nach dem Wienstrom-Urteil des EuGH6 vertrat die Kommission die Position, die Frage ob Energie regenerativ (grün) oder konventionell (grau) produziert worden sei, schlage sich im Strom als ein „unsichtbares“ Merkmal nieder und sei somit ein Produktmerkmal. Die neuen Richtlinien stellen demgegenüber nun ausdrücklich klar, dass der Auftraggeber auch eine bestimmte Produktionsmethode im Leistungskatalog bzw. den technischen Spezifikationen verlangen oder ausschließen kann, auch wenn diese Faktoren nicht materielle/sichtbare Bestandteile des Produktes bzw. der Dienstleistung sind (Art. 42 Abs. 1). Er kann sie damit zu einem Zuschlagskriterium machen (so in Art. 67 Abs. 3) „Zuschlagskriterien“). „Zuschlagskriterien stehen mit dem Auftragsgegenstand des öffentlichen Auftrages in Verbindung, wenn sie sich in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium auf die gemäß dem Auftrag zu erbringenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen beziehen, einschließlich Faktoren, die zusammenhängen mit a) dem spezifischen Prozess der Herstellung oder der Bereitstellung solcher Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen oder des Handels damit oder b) einem spezifischen Prozess in Bezug auf ein anderes Lebenszyklus-Stadium, auch wenn derartige Faktoren sich nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken“ (Art. 67 Abs. 3).
III. Stärkung sozialer Kriterien in der Auftragsvergabe Soziale Kriterien können nach den neuen Vergaberichtlinien nun in allen Stufen des Vergabeverfahrens Berücksichtigung finden. Artikel 43 Abs. 1 stellt klar, dass „umweltbezogene, soziale oder sonstige Merkmale … in den technischen Spezifikationen, den Zuschlagskriterien oder den Ausführungsbestimmungen“ verlangt werden können. Dies ist neu, bisher waren soziale Kriterien weitgehend auf den Bereich der Ausführungsbestimmungen beschränkt.
6 Urteil des EuGH v. 4. 12. 2003, Rs. C-448/01. EVN AG und Wienstrom GmbH ./. Republik Österreich, [ECLI:EU:C:2003:651].
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IV. Gütezeichen/Label Ein weiterer Streitpunkt war der Einsatz von Label, in der deutschen Übersetzung ,Gütezeichen‘. Bisher durften sich Beschaffer zwar auf die Kriterien beziehen, die hinter Label stehen, nicht jedoch das Label selbst als Nachweis verlangen, ausgeschlossen war ausdrücklich die Erwähnung eines bestimmten Labels, selbst wenn dies mit dem Hinweis „oder Vergleichbares“ eingeschränkt wurde7. Doch für öffentliche Auftraggeber ist die Kontrolle angesichts der langen Produktions- und Lieferketten ein großes Problem. Eigenerklärungen von Bietern sind für Kommunen schwer überprüfbar. Zertifizierung durch Label kann hier Entlastung bringen. Nun hält der Gesetzgeber fest, dass die öffentlichen Auftraggeber ein bestimmtes Gütezeichen „als Nachweis“ verlangen können, die Kriterien der Gütezeichen-Anforderungen müssen allerdings bestimmte Bedingungen einhalten, u. a. müssen sie in einem transparenten und klar beschriebenen Prozess vergeben werden und einen eindeutigen Bezug zum Auftragsgegenstand haben (siehe Artikel 43, und die Erwägungsgründe 74 und 75). „Beabsichtigen öffentliche Auftraggeber den Kauf von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen mit spezifischen umweltbezogenen, sozialen oder sonstigen Merkmalen, so können sie in den technischen Spezifikationen, den Zuschlagskriterien oder den Ausführungsbedingungen ein bestimmtes Gütezeichen als Nachweis … verlangen.“8
Mit dieser Regelung ist es erstmals rechtssicher möglich, bestimmte Label, Siegel und Zertifikate als Nachweis für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zu verlangen, sofern sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Hat ein Bieter nachweislich keine Möglichkeit das Gütezeichen innerhalb der einschlägigen Fristen zu erlangen, kann er zwar alternative Beweismittel vorlegen, er muss aber beweisen, dass diese den geforderten Gütezeichen entsprechen (Beweislastumkehr), das entlastet die öffentlichen Auftraggeber und erleichtert faire und umweltgerechte Vergabe. Artikel 43 umfasst allerdings nur Label, die sich auf die nachgefragte Leistung beziehen, Label, die auf das Unternehmenshandeln abzielen, wie z. B. der Nachweis der Mitgliedschaft in einer Stakeholder-Initiative wie der FairWareFoundation (FWF) sind damit nicht abgedeckt. Diese Einschränkung leitet sich aus dem europäischen Primärrecht ab. Im Rahmen der Europäischen Verträge mit dem starken Gewicht des Anti-Diskriminierungsgebotes sind hier klare europarechtliche Grenzen gezogen – Sekundärrecht, d. h. Richtlinien und Verordnungen können nicht über das europäische Primärrecht (die Europäischen Verträge) hinausgehen. Allerdings 7
Siehe Klageschrift der EU-Kommission in der Rechtssache C-368/10 Kommission ./. Niederlande. 8 Hier geht der Gesetzgeber ausdrücklich weiter als der Europäische Gerichtshof, der – auf der Basis der bis jetzt gültigen alten Richtlinien – am 10. 05. 2012 in der Rechtssache C-368/ 10 noch festgehalten hatte: „er (der Gesetzgeber) gestattet es jedoch nicht, aus einem Umweltgütezeichen eine technische Spezifikation zu machen“.
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können, gemäß Artikel 70 „Auftragsausführung“, als Bedingungen für die Auftragsausführung auch Kriterien verlangt werden, die „wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange umfassen.“ Im Parlament war der klare Bezug auf den Auftragsgegenstand zeitweilig sehr umstritten. Es gibt in den neuen Richtlinien auch Bereiche, in denen die strikte Verbindung zum Auftragsgegenstand gelockert wird, beispielsweise die erwähnte Möglichkeit der Einbeziehung der Produktionsmethode oder des gesamten Lebenszyklus sowie im Bereich der Ausschlüsse. Zu diesen Themen wird nachfolgend unter den Punkten 6 und 8 näher eingegangen. Ein Hinweis zu den Gütezeichen sei hier noch gegeben, nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 29. 04. 2014 zum Thema Zertifikate für Grabsteine aus fairem Handel wird das Thema Zertifizierung von Label und Gütezeichen immer wichtiger. Die Mindestanforderungen an Label werden in Artikel 43 aufgeführt: „Objektiv nachprüfbare und nicht-diskriminierende Kriterien; offenes und transparentes Verfahren an dem alle relevanten interessierten Kreise – wie z. B. staatliche Stellen, Verbraucher, Sozialpartner, Hersteller, Händler und Nichtregierungsorganisationen – teilnehmen können; für alle Betroffenen zugänglich; die Anforderungen an die Gütezeichen werden von einem Dritten festgelegt, auf den der Wirtschaftsteilnehmer, der das Gütezeichen beantragt, keinen maßgeblichen Einfluss ausüben kann.“
Auf dieser Grundlage sind sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung aufgefordert, nachprüfbare und glaubwürdige Zertifizierungssysteme für Gütezeichen zu entwickeln, dies könnte z. B. analog zur Verordnung über die Vorschriften zur Normierung9 geschehen.
V. Eignungskriterien Eignungskriterien (Artikel 58 und Annex XII) beschreiben die Anforderungen an Befähigung, sowie wirtschaftliche und berufliche Leistungsfähigkeit, kann ein Unternehmen sie nicht einhalten bedeutet das den Ausschluss vom weiteren Verfahren. Eignungskriterien können die Befähigung zur Berufsausbildung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bewerber und die technische und berufliche Leistungsfähigkeit betreffen. Neu sind hier v. a. die Erläuterungen in Annex XII, danach kann als Nachweis für die technische Leistungsfähigkeit u. a. eine Angabe über Lieferkettenmanagementund Überwachungssysteme, sowie Umweltmanagement- und Qualitätssicherungs9 Siehe Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten.
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maßnahmen gefordert werden, sofern sie einen Bezug zum Auftragsgegenstand haben. Hat der Wirtschaftsteilnehmer nachweislich keinen Zugang zu den betreffenden Bescheinigungen bzw. innerhalb bestimmter Fristen keinen Zugang, müssen auch andere Nachweise anerkannt werden, sofern der Wirtschaftsteilnehmer die Gleichwertigkeit nachweist (Beweislast beim Bieter).
VI. Ausschlussgründe Auch wenn die Einschränkung auf den Auftragsgegenstand klar gezogen wurde – wie gesagt europarechtlich gab und gibt es hierzu keine Alternative – gibt es genügend Spielräume im neuen Vergaberecht. So verlangt Artikel 57 Abs. 1 „Ausschlussgründe“ den Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern an einem Vergabeverfahren, nicht nur (wie bisher) auf Grund einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, wegen Bestechung, Betrug und terroristischen Straftaten bzw. Geldwäsche, sondern neu auch ausdrücklich auf Grund von „Kinderarbeit und anderen Formen des Menschenhandels im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 2011/36/EU“. Ferner können Bewerber ausgeschlossen werden bzw. ihr Ausschluss kann von Mitgliedstaaten verlangt werden (siehe Artikel 57 Abs. 4 a.), wenn sie die Bedingungen des Artikels 18 Abs. 2 – u. a. ILO-Kernarbeitsnormen – nicht einhalten, dies gilt auch für Unterauftragnehmer (Artikel 71 Abs. 1), aber nicht für Lieferanten. Allerdings können Mitgliedstaaten dies auch auf bestimmte Lieferaufträge und Lieferanten, die an Bau- und Dienstleistungsaufträgen beteiligt sind, sowie weitere Stufen in der Kette der Unterauftragsvergabe ausweiten (Artikel 71 Abs. 5).
VII. Ungewöhnlich niedrige Angebote und Verpflichtung entlang der Lieferkette Erscheint ein Angebot im Vergleich zu den anderen Angeboten ungewöhnlich niedrig, müssen die öffentlichen Auftraggeber gemäß Artikel 69 der Richtlinie 2014/24/EU sich dies erläutern lassen. Diese Erläuterungen sollen u. a. klarstellen, ob die Verpflichtungen des Artikels 18 Abs. 2 eingehalten wurden: „Die öffentlichen Auftragnehmer lehnen das Angebot ab, wenn sie festgestellt haben, dass das Angebot ungewöhnlich niedrig ist, weil es den geltenden Anforderungen gemäß Artikel 18 Absatz 2 nicht genügt.“
Gemäß Artikel 71 Abs. 1 müssen auch Unterauftragnehmer verpflichtet werden, die Anforderungen von Artikel 18 Abs. 2 einzuhalten:
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Zwar gilt dieser Unterabsatz nicht für Lieferanten, doch können öffentliche Auftraggeber diese Verpflichtung auch auf Lieferaufträge, weitere Dienstleistungsaufträge in der Lieferkette, Subsubunternehmen, im Prinzip die gesamte Lieferkette „ausweiten oder von Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden.“ Nun kann man eine solche Überwachung der Lieferkette von den meisten öffentlichen Vergabestellen nicht erwarten. Umso wichtiger sind die Informationspflichten über die Lieferkette in Artikel 71 und die Verschärfung der Haftungsregeln, die in Absatz 7 den Mitgliedstaaten empfohlen werden. Auch die Pflicht für ein Lieferkettenmanagement, das gemäß Anhang XII im Leistungskatalog eingeführt werden kann, erleichtert die Kontrolle für die öffentlichen Auftraggeber.
VIII. Zuschlag: Qualität oder billigster Preis: die Lebenszykluskosten Die alten Richtlinien erlaubten zwar bereits die Anwendung ökologischer und sozialer Kriterien, allerdings stand dem Angebot der besten Qualität gleichberechtigt das Kriterium des billigsten Preises gegenüber. In der Praxis führte dies meist zum Zuschlag auf der Basis des billigsten Gebotes. Belege, für qualitative Anforderungen waren schwer zu erbringen, zugespitzt gesagt, führte die Angst vor langwierigem Rechtsstreit dazu, dass mehr auf das Verfahren, denn die Qualität des Angebotes geachtet wurde (das deutsche Vergaberecht fußte zwar auf dem Kriterium des wirtschaftlich-günstigsten Angebotes – die rechtliche Interpretation war auf Grund der EU-Richtlinien aber auch hier im Zweifelsfall umstritten). Die neuen Richtlinien wollen diesen Prozess nun umkehren, der Zuschlag soll auf der Basis des wirtschaftlich günstigsten Angebotes erfolgen. Zur Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses soll neben der Qualität auch der Preis bzw. die Kosten des Angebotes auf der Grundlage von Lebenszykluskosten verglichen werden (siehe Artikel 67). Lebenszykluskosten-Berechnungen können dazu beitragen, das wirtschaftlich beste Angebot rechtssicher zu ermitteln. Die Richtlinie zeigt die ganze Breite möglicher Zuschlagskriterien entlang des Lebenszyklus exemplarisch auf: Sie reichen von den Anschaffungskosten über die Nutzungskosten (wie Energieverbrauch), Wartungskosten bis zu den Recycling- bzw. Entsorgungskosten. Sie können interne Kosten wie Forschung, Entwicklung, Produktion, Transport, Nutzung, Wartung und Entsorgung aber auch externe Kosten umfassen wie beispielsweise Umweltbelastungen bei der Gewinnung der Rohstoffe für die Ware und auch soziale Faktoren wie die sozialen Aspekte des Produktionsprozesses. Die Kriterien müssen allerdings einen Bezug zum Auftragsgegenstand haben und dürfen sich nicht auf Kriterien und Bedingungen der allgemeinen Unternehmenspolitik beziehen.
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Vor allem der Einbeziehung „sozialer Aspekte“ in die Lebenszykluskosten war umstritten, das Parlament konnte sich hier aber mit seinen Forderungen durchsetzen. Der „Kosten-Wirksamkeits-Ansatz“ enthält auch: „Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrages betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann“. Die Definition des Lebenszyklus unter Artikel 2 (20) umfasst alle Stadien von Forschung, Entwicklung, Produktion, Handel, Transport, Nutzung und Wartung bis zur Entsorgung, Aufräumarbeiten etc. sowie im ergänzenden Erwägungsgrund 97: „einschließlich von Faktoren, die mit dem spezifischen Prozess der Herstellung oder Bereitstellung … zusammenhängen“.
IX. Keine zwingenden Vorgaben Das Parlament stärkt die strategischen Ziele, spricht sich aber gegen zwingende Vorgaben aus. Auch dies war im EP strittig, die Mehrheit unterstützte jedoch nach langen Debatten diesen Punkt. Abgesehen vom demokratisch-politischen Problem (Stichwort lokale Demokratie, Konnexitätsprinzip, – es geht hier schließlich nicht in erster Linie um die Verwendung europäischer Gelder), wäre es auch kontraproduktiv, inhaltliche Zielvorgaben zu machen. Allein angesichts der großen Unterschiede in der Finanzausstattung von Kommunen in Europa wäre es schwierig eine obligatorische Auflage zu machen. Zahlreiche Ausnahmen wären notwendig, die Kontrolle wäre extrem aufwendig, das Gesetz überkomplex.
X. Anwendungsbereich Dagegen hätte das Parlament – bzw. jedenfalls unser Ausschuss – gerne den Anwendungsbereich der Richtlinien eingeschränkt, beispielsweise durch die Erhöhung der Schwellenwerte. Dies war aber nur begrenzt möglich. Jedenfalls wurde der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien präzisiert und in einigen Bereichen eingeschränkt, zudem die Kommission aufgefordert, die Schwellenwerte bei künftigen internationalen GATS-Verhandlungen nach oben anzupassen.
XI. Öffentliche Kooperationen Ein heftig umkämpfter Punkt in diesem Zusammenhang, der den Themenbereich dieses Konferenzbandes tangiert und deshalb kurz erwähnt werden sollte, ist die Frage der Rechtssicherheit für öffentliche Kooperationen und kommunale Zweckverbände. Hier wurde nach langen Diskussionen im Parlament und mit Rat und Kommission eine zufriedenstellende Lösung gefunden, die den belastenden Rechtsstreit endlich befrieden sollte.
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Eine kurze Anmerkung sei hier noch gemacht: Dies ist die erste Binnenmarktgesetzgebung, die sich ausdrücklich auf das Recht auf Selbstverwaltung beruft – oder wie in der Konzessionsrichtlinie genannt: „Grundsatz der Verwaltungsautonomie“ (Artikel 2). Ergänzend sei hier auch der Erwägungsgrund 7 der klassischen Richtlinie zitiert: Diese Richtlinie lässt „das Recht der nationalen, regionalen und lokalen Behörden (unberührt) zur Verfolgung ihrer politischen Ziele im Bereich der öffentlichen Ordnung, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, deren Anwendungsbereich und die Merkmale der zu erbringenden Dienstleistung, einschließlich Bedingungen hinsichtlich der Qualität der Leistung, im Einklang mit dem Unionsrecht zu definieren.“ Zudem wird ausdrücklich festgehalten, dass Dienstleistungen im allgemeinen Interesse nicht dem europäischen Vergaberecht unterliegen.
XII. Kleine und mittlere Unternehmen Last but not least sollte noch die Vereinfachung für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) erwähnt werden. Dazu wird es u. a. eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung in elektronischer Form geben (Umsetzung bis 18. 04. 2018). Weitere Ausführungen würden aber in diesem Rahmen zu weit führen.
Die neue Bedeutung der nachhaltigen Beschaffung im deutschen öffentlichen Auftragswesen Von Ilse Beneke1 Die Grundlage der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Inneren (fortan: KNB) wurde im Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit durch die Bundesregierung gelegt. Sie wurde im Jahr 2012/2013 gegründet. Sie umfasst ein Team von insgesamt 5 Personen, deren Aufgabe es ist, einerseits Beschaffende bei der Einbeziehung von Nachhaltigkeitskriterien in die Beschaffung zu unterstützen. Sie hat eine E-Mail- und Telefonhotline und steht mit Rat und Tat zur Seite. Andererseits ist es die Aufgabe der KNB, das Thema voranzutreiben und vor allem bekannt zu machen – bei Beschaffenden genauso wie in Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders wichtig ist dabei, dass sich die KNB als Bundesbehörde nicht nur an Bundesdienststellen wendet, sondern auch den Ansatz der vertikalen Integration verfolgt, d. h. auch Dienststellen der Länder und Kommunen ihre Zielgruppe sind. Natürlich ist für sie als Bundesdienststelle auch die horizontale Integration selbstverständlich, d. h. in Zusammenarbeit und Abstimmung mit allen betroffenen Bundesressorts- und -dienststellen zu agieren. Beides, besonders aber auch die vertikale Integration ist in hohem Maße im Sinne der Sache, da die Erfahrung der KNB ist, dass viele Themen und Herausforderungen der nachhaltigen Beschaffung auf der Ebene der europäischen Vergaberegelungen bzw. auf der Produktebene zu finden sind, also in Bereichen, die beim Bund, bei den Ländern und den Kommunen gleichermaßen vorhanden sind. Zusammen an einem Strang zu ziehen ist insofern besonders wichtig und der richtige Ansatz. Die politische Grundlage für die Aktivitäten der Bundesregierung in Sachen nachhaltige Beschaffung ist im Übrigen auch die politische Grundlage der KNB. Bereits seit dem Jahr 2002 gibt es die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, welche im Jahr 2016 überarbeitet wurde. Die konkrete Umsetzung in einzelnen Maßnahmen für die Bundesverwaltung findet sich im bereits erwähnten Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit der Bundesregierung. Hier werden ganz konkrete Vorgaben gemacht und Maßstäbe für das eigene Verwaltungshandeln gesetzt. Es finden sich dort z. B. Vorgaben zum nachhaltigen Bauen, zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Organisation von Veranstaltungen und besonders eben auch zur Ausrich1 Die Autorin ist seit Anfang 2016 Leiterin der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Inneren (KNB).
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Ilse Beneke
tung der öffentlichen Beschaffung am Leitprinzip der nachhaltigen Entwicklung. Das Maßnahmenprogramm wurde Anfang 2015 grundlegend überarbeitet. Die in der Ausgangsversion im Jahr 2010 beschlossene Gründung der KNB war im Übrigen der Situation geschuldet, dass sowohl die öffentliche Beschaffung mit dem Vergaberecht, als auch die Nachhaltigkeit in ihren aktuellen Entwicklungen immer neue, komplexere Herausforderungen bieten – und Beschaffende in allen Vergabestellen hiermit nicht allein gelassen werden sollen, sondern ihnen kompetente Unterstützung durch eine zentrale Stelle angeboten werden soll. Nun darf an dieser Stelle gesagt sein, dass bereits die Einrichtung einer solchen zentralen Stelle nach meiner persönlichen Wahrnehmung ein Bekenntnis der Bundesregierung dazu ist, Nachhaltigkeit im öffentlichen Beschaffungswesen wirklich und wesentlich verankern zu wollen. Für die Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Nachhaltigkeit im öffentlichen Beschaffungswesen ist zunächst ein Blick auf die Rahmenbedingungen des öffentlichen Auftragswesens zu werfen. Besonders wichtig ist hier wohl das Regelungsgeflecht, in dem sich die Beschaffung in Deutschland befindet – zumal der einzelne Beschaffer sich in einem Rahmen bewegt, in dem er sich mit zwei unterschiedlichen Regimes zum Vergaberecht auseinander zu setzen hat – je nachdem, ob der Auftrag unterhalb oder oberhalb der EU-Schwellenwerte vergeben wird. Regelungen zur Vergabe finden sich auf vier verschiedenen Ebenen: Zunächst gibt es das Government Procurement Agreement (GPA) – in deutschen Beschaffungsstellen meist nicht weiter relevant, da es durch die EU-Regelungen vollständig umgesetzt worden ist. Auf der Ebene der EU wird das Vergaberecht durch die gemeinhin gut bekannten EU-Richtlinien abgebildet. Diese wurden zuletzt 2014 überarbeitet. Sie müssen auf der nächsten Ebene, der nationalen Ebene umgesetzt werden. Dies ist in Deutschland im April 2016 erfolgt. Darüber hinaus finden sich in Deutschland vor allem auch noch auf der Länderebene rechtlich verbindliche Regelungen für die Vergabe. Das Vergaberecht unterhalb der EU-Schwellenwerte wird traditionell dem Haushaltsrecht zugeordnet, das Bund und Länder jeweils für ihren Bereich eigenständig regeln. Aber auch hier hat man sich mit Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) auf einen einheitlichen Rechtsrahmen geeinigt. Wichtig zu wissen ist es als Hintergrund, wenn man sich in Deutschland mit nachhaltiger Beschaffung auseinander setzen möchte, dass über Jahrzehnte hinweg der Grundsatz herrschte, dass strategische Ziele mit der öffentlichen Vergabe nicht zu verfolgen waren. Das Stichwort dazu war für Vergabejuristen der Begriff der sog. „vergabefremden Aspekte“. Äußerst hilfreich für das Fortkommen der Nachhaltigkeit in der Vergabe ist an dieser Stelle die Neufassung des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung (VgV) aus April 2016 (für die Oberschwelle) sowie der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO). Der Wortlaut ist im Kern bei beiden gleich: „Bei der Vergabe werden soziale und umweltbezogene Aspekte sowie Aspekte der Qualität und Innovation nach Maßgabe dieses Gesetzes berücksichtigt.“ Hiermit ist soweit Klarheit geschaffen: Das Thema
Neue Bedeutung der nachhaltigen Beschaffung im Auftragswesen
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„vergabefremde Aspekte“ ist in Sachen Umwelt- und Sozialkriterien in der Vergabe vom Tisch. Möglichkeiten, Nachhaltigkeitskriterien ins Vergabeverfahren einzubeziehen, gibt es im Rahmen des GWB, der Vergabeverordnung (VgV) und der UVgO in jedem Verfahrensstadium. Um nur jeweils ein Beispiel zu nennen: Bei der Bedarfsfeststellung sollte stets überlegt werden, ob überhaupt ein neuer Gegenstand beschafft werden muss – können nicht die in die Jahre gekommenen Büromöbel aufgearbeitet werden? Bei Markterkundung und Leistungsbestimmung ist z. B. zu entscheiden, welche Materialanforderungen gestellt werden können und müssen – gefordert werden kann z. B., dass das verarbeitete Holz aus nachhaltigem Anbau stammt. Sichergestellt werden muss dabei, dass der Wunsch „vom Markt“ überhaupt erfüllt werden kann – der Gefahr, das Vergabeverfahren von neuem beginnen zu müssen und den Bedarf nicht rechtzeitig decken zu können, weil keine Angebote eingegangen sind, möchte man sich üblicherweise nicht aussetzen. Und nach meiner Erfahrung kommt es leider häufig genug vor, dass der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit seitens der Behörden auf der Produktebene an der praktischen Verfügbarkeit scheitert – so wie das dem Einzelnen beim privaten Einkauf häufig genug auch passiert. Auf der Ebene der Eignungskriterien und der Ausschlussgründe, da also, wo Anforderungen an das Unternehmen gestellt werden, sind wir aufgrund der Natur des Vergaberechtes eingeschränkt – zunächst geht es darum, ein Produkt zu beschaffen Möglichkeiten hält das GWB aber dennoch bereit: Z. B. kann der Einsatz eines Umweltmanagementsystems gefordert werden und Unternehmen können bei nachweislichen Verstößen gegen umwelt-, sozial-, oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen unter bestimmten Voraussetzungen vom Verfahren ausgeschlossen werden. Auf der Ebene der Zuschlagskriterien ist das prominenteste Beispiel für Nachhaltigkeit die Einbeziehung von Lebenszykluskosten – dies will aber gekonnt sein und muss auch mit den entsprechenden Gewichtungen erfolgen, ansonsten werden keine Ergebnisse erzielt, die von der Auswahl nach dem niedrigsten Preis abweichen. Zuletzt zu nennen sind die Ausführungsbestimmungen. Dies ist ein wirklich wichtiger, aber häufig unterschätzter Punkt, weil hier viel mehr möglich ist, als auf den ersten Blick erkennbar. Schreibt man Reinigungsdienstleistungen aus, kann man z. B. auf die Nutzung von biologisch abbaubaren und die Gesundheit schonende Reinigungsmittel bestehen. Erwartet man die Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnormen bei der Ausführung des Auftrages, so ist dies hier zu verorten. Nachhaltigkeit in der Beschaffung zu verankern ist etwas, das für die Beschaffungs- und Vergabestellen häufig immer noch ein neues Thema ist. Die Spielräume, die das Vergaberecht bereithält, machen den Weg frei, Nachhaltigkeitskriterien in der Beschaffung zu verankern. Fordert man dies jedoch von Behörden, oder gehen sie diesen für sie neuen Weg aus eigenem Antrieb heraus, so ist an zweierlei zu denken:
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Ilse Beneke
Zum einen sehen sich Beschaffende seit Jahrzehnten einem ständigen Wandel gegenüber. War man in den 60iger Jahren noch der Ansicht, der Einkauf könne von jedermann gemacht werden, da dies ja auch zu Hause jedermann könne, so entwickelte sich das Vergaberecht in den folgenden Jahrzehnten vom Innenrecht mit Rechtfertigungsdruck gegenüber den Rechnungshöfen zu einem veritablen Rechtsgebiet. Dies zu beherrschen fordert. Die Nachhaltigkeitsaspekte einzubeziehen fordert zusätzlich. In vielen Verwaltungen wird aber Schulungs- und Fortbildungsbedarf, sowie Markterkundungs- und Informationsbedarf nicht mit zusätzlichen personellen Mitteln abzudecken sein. Zum anderen ist der Beschaffungsprozess auch im Hinblick auf die Anzahl der Beteiligten komplex. Es gibt üblicherweise mindestens drei beteiligte Einheiten und hier auch wieder verschiedene Handelnde: Es gibt den Bedarfsträger, den Haushälter und den Beschaffer. Soll vom bisher geübten Vorgehen abgewichen werden, oder mehr Geld oder Zeit auf einen Vorgang verwendet werden, so sind alle Parteien einzubeziehen. Die Erwartungshaltung und der Entscheidungsdruck – welche Kriterien sind wichtig? Wieviel mehr darf das kosten? Können wir etwas anderes kaufen als beim letzten Mal? – kann sich nicht allein auf denjenigen richten, der das Verfahren führt. Entweder trägt jeder am Verfahren Beteiligte die Verantwortung für seine Zuständigkeiten, oder – besser noch – es muss definiert werden, wer anhand welchen Maßstabs über welche Punkte zu entscheiden hat. Diese Entscheidung muss dann aber jeweils auch von den anderen Beteiligten mitgetragen werden. Andernfalls wird der Weg der Veränderung in einer Verwaltung hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Beschaffung ein beschwerlicher Weg. Aber anhand welchen Maßstabs ist innerhalb der Verwaltungen zu entscheiden? Wichtig, aber vielleicht für den ein oder anderen noch nicht selbstverständlich ist, dass auf Ebene der Vereinten Nationen die sog. Sustainable Development Goals im Herbst 2015 verabschiedet wurden. Die UN-Staaten haben sich nach einem umfangreichen Beteiligungsprozess auf Ziele geeinigt, welche zum Zwecke einer globalen, nachhaltigen Entwicklung verfolgt werden sollen. Eines davon, Nr. 12, befasst sich mit nachhaltigem Konsum – umfasst ist hier auch die öffentliche Beschaffung. Auf Ebene des Bundes ist das Thema in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie verankert – diese wird wie bereits erwähnt für den eigenen Verwaltungsbereich durch das Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit umgesetzt. Auf der Ebene der Länder findet sich das Thema ebenfalls in den meisten der existierenden Nachhaltigkeitsstrategien – und eine solche gibt es in 13 von 16 Ländern. Nicht zu vergessen, im Gegenteil schon aufgrund der Masse äußerst wichtig, ist die Ebene der Kreise und Kommunen. Hier gibt es besonders große Unterschiede im Hinblick auf die nachhaltige Beschaffung. Einige Kommunen sind vorbildliche Vorreiter – in anderen Kommunen spielt das Thema nicht die geringste Rolle. Ausdruck der Veränderung hin zu mehr Gewicht der Nachhaltigkeit in der Beschaffung sind die zunehmenden Aktivitäten zum Thema. Um das zu verdeutlichen:
Neue Bedeutung der nachhaltigen Beschaffung im Auftragswesen
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In den letzten fünf Jahren haben sich zahlreiche Bundes- und Länderinitiativen zur nachhaltigen Beschaffung gegründet. Etliche Nichtregierungsorganisationen haben Unterstützungsangebote und Leuchtturmprojekte entwickelt und durchgeführt. Dieser Weg ist wichtig. Diese Entwicklung ist gleichzeitig für Engagierte und Beschaffende sehr motivierend. Hinsichtlich der rhetorischen Frage, warum Nachhaltigkeit in der Beschaffung so wichtig ist, könnte man mit einer weiteren Frage antworten, ob man sich daran erinnern kann, mit welchen Verkehrsmitteln die Minister vor dem Bundestag oder dem Kanzleramt vorfahren bzw. vorfuhren. Die Erfahrung lehrt, dass sich die meisten Personen zumindest grob daran erinnern können. Sowohl positive als auch negative Schlagzeilen machte Norbert Röttgen in seiner Zeit als Umweltminister, als er auf dem Fahrrad in den Bundestag fuhr. Auch der für seine Anhänger legendäre Hans-Christian Ströbele radelt konsequent seit Jahren an seinen Wählern vorbei. Dies darf nun jeder werten, wie er das werten möchte. Klar wird anhand dieses Beispiels aber, dass die Handlungen derer, die mit öffentlichen Mitteln wirtschaften, sehr wohl wahrgenommen werden und als Vorbild oder negatives Beispiel auch in der Öffentlichkeit gesehen werden. Ebenfalls sehr wohl wahrgenommen wird es, ob der Steuerbescheid auf Recyclingpapier ins Haus kommt und welche Fuhrparkausstattung die Polizei bei ihren Streifenwagen hat – etwa ob E-Mobilität genutzt wird, so wie in Sachsen (EmoPol) oder welcher Hersteller den Zuschlag für die Neuanschaffungen in der Flotte bekommen hat. Der andere Teil der Antwort beginnt mit einer Zahl oder einer Größenordnung. Seriöse Schätzungen arbeiten mit einem deutschlandweiten Beschaffungsvolumen von rund 350 Milliarden Euro, die jährlich in Deutschland im Rahmen der Beschaffung umgesetzt werden. Um das in Relation zu setzten: Das ist in etwa die Größenordnung des gesamten Bruttoinlandsproduktes von Südafrika. Nun darf man die gern zitierte „Hebelwirkung“ der öffentlichen Beschaffung nicht überschätzen und sich nicht der Illusion hingeben, dass die öffentliche Hand mit ihren Kaufentscheidungen das gesamte Warenangebot auf dem freien Markt ändern oder beeinflussen könnte. Um breitenwirksam eine Veränderung zu erzielen, reichen wohl die Summen nicht aus – dafür ist die Bandbreite der beschafften Waren zu groß. Allerdings muss sich die Verwaltung natürlich dieselbe Frage stellen, die wir uns auch als Privatpersonen beim Einkauf stellen müssen: In welche Ware investiere ich? An welcher Stelle schaffe ich weitere Nachfrage? Als Abschluss sollen drei entscheidende Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Beschaffung genannt werden: • In den letzten Jahren wurden echte Fortschritte beim Thema gemacht. Es gibt bereits viele gute Beispiele. Wichtig ist, die vorhandenen, freien Kapazitäten sinnvoll für Neues einzusetzen und an den Stellen, an denen es bereits Gutes gibt, darauf zurückzugreifen. Hierzu muss viel Vernetzung geschaffen werden und BestPractices verbreitet und geteilt werden.
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Ilse Beneke
• Die (rechtlichen) Rahmenbedingungen sind geschaffen. Wichtig ist nun, die gegebenen Spielräume in der Praxis zu füllen. Hierfür müssen Fachkenntnisse und Sicherheit im Umgang mit den entsprechenden Regelungen in die Breite getragen werden. Alle an der Beschaffung Beteiligten müssen informiert, geschult und unterstützt werden. • Nachhaltigkeit in der Beschaffung zu integrieren bedeutet, eine Veränderung herbeizuführen. Hierbei müssen vor allem Mitarbeitende, d. h. Menschen, überzeugt und mitgenommen werden. Dabei darf man nicht zu viel auf einmal fordern. Will man das gesamte Sortiment einer zentralen Vergabestelle umstellen, so sollte dennoch ein Schritt nach dem anderen gegangen werden, d. h. z. B. ein Aspekt oder eine Produktgruppe nach der anderen angegangen werden. Veränderungsprozesse benötigen Zeit.
II. Ökologische und soziale Aspekte der Nachhaltigkeit im Vergabefahren
Umweltaspekte im Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsvorschriften sowie deren Umsetzung in der deutschen und ungarischen Vergabepraxis Von Andrea Gyulai-Schmidt1
I. Einführung Die umweltfreundliche öffentliche Beschaffung gewinnt in den europäischen Mitgliedstaaten seit der Jahrtausendwende kontinuierlich an Bedeutung. Dies lässt sich unter anderem an der Zahl der damit befassten Veröffentlichungen, Projekte und Webseiten ablesen, aber auch an einer vermehrten Anzahl von Rechtsnormen, Leitfäden sowie Gerichtsurteilen sowohl des EuGH als auch der mitgliedstaatlichen Gerichte, die sich mit der Zulässigkeit der umweltbezogenen Aspekte im Vergaberecht befassen. Zu der Frage, was grüne Beschaffung überhaupt bedeutet, äußerte sich die Europäische Kommission in ihrer interpretierenden Mitteilung bereits im Jahr 20012 und in ihrer Mitteilung mit dem Titel: „Umweltorientiertes Öffentliches Beschaffungswesen“ im Jahr 20083. Dabei wurde die grüne Vergabe (GPP) als „ein Prozess [definiert], in dessen Rahmen die staatlichen Stellen versuchen, Güter, Dienstleistungen und Arbeitsverträge zu beschaffen, die während ihrer gesamten Lebensdauer geringere Folgen für die Umwelt haben, als vergleichbare Produkte mit der gleichen Hauptfunktion“. 1 Die Autorin ist Universitätsdozentin am Lehrstuhl für Privatrecht an der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften der Katholischen Péter Pázmány Universität in Budapest. Sie war zurzeit der Konferenzveranstaltung als Humboldt-Stipendiatin, Gastforscherin bei Herrn Professor Jan Ziekow am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung tätig. 2 Interpretierende Mitteilung der Kommission über das auf das öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 04. 07. 2001 KOM (2001) 274 endg., Abl. EG Nr. C 333 vom 28. 11. 2001, 4. 3 Europäische Kommission (2008): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Umweltorientiertes Öffentliches Beschaffungswesen – vom 16. 7. 2008, KOM (2008) 400, siehe: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2008:0400: FIN:DE:PDF vom 16. 07. 2008 (so am 30. 10. 2017). KOM(2008) 400 endgültig, 5. (fortan: Mitteilung der Kommission 2008).
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Andrea Gyulai-Schmidt
In ihrer Mitteilung aus dem Jahr 2008 wies die Kommission auf die revidierte Strategie für nachhaltige Entwicklung der EU (Juni 2006) hin, wonach bis 2010 das Niveau der umweltorientierten Beschaffung im EU-Durchschnitt auf das höchste im Jahr 2006 in einem Mitgliedstaat erreichte Niveau zu bringen ist. Darüber hinaus setzte die Kommission das ehrgeizige Ziel, dass bis zum Jahr 2010 50 % aller öffentlichen Vergabeverfahren in der EU „grün“ sein sollten4. Eine Ausschreibung galt dann als umweltfreundlich, wenn die auf europäischer Ebene definierten sogenannten GPP-Kernkriterien5, umfassenden Kriterien oder vergleichbare Umweltkriterien eingefordert wurden. Aufgrund einer europaweiten Befragung der Beschaffungsstellen zu den damals nur zehn relevanten Produktgruppen der umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung6, konnten die gesetzten Ziele in den 27 EU-Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2010 nicht erreicht werden. Zwar wurden die Zielsetzungen in Schweden, in Dänemark und in den Beneluxstaaten erreicht, diesem Maßstab entsprachen dagegen in Deutschland und in den anderen alten Mitgliedstaaten nur zwischen 20 und 40 % der evaluierten Ausschreibungen. Im größten Teil von Mittel- und Osteuropa blieben die Zahlen unter 20 %, in Ungarn sogar zum Teil unter der 10 %-Grenze7. Dieses Ergebnis wurde anhand einer gesamteuropäischen Untersuchung im Jahr 2012 bekräftigt. Das nachfolgende Schaubild dieser Studie zeigt einen erheblichen Handlungsbedarf im Sinne einer umweltfreundlicheren öffentlichen Auftragsvergabe.
4
Siehe die Mitteilung der Kommission 2008, 3. Die GPP (Green Public Procurement)-Kriterien sind Kriterienkataloge für eine umweltfreundliche öffentliche Beschaffung, die auf europäischer Ebene im Auftrag der EU-Kommission erarbeitet werden. In den Kriterienkatalogen wird zwischen Kernkriterien und umfassenden Kriterien unterschieden, wobei erstere als Mindestmaßstab für eine umweltfreundliche Beschaffung gelten. Vgl. http://ec.europa.eu/environment/gpp/gpp_criteria_en.htm (so am 30. 10. 2017). 6 Zu den Produktgruppen zählten: Reinigungsmittel und -dienstleistungen, Hochbau, Strom, Lebensmittel, Gartenbauprodukte und -dienstleistungen, Computer, Monitore und bildgebende Geräte, Grafisches Papier und Kopierpapier, Textilien, Fahrzeuge und Beförderungsdienstleistungen, Möbel. 7 Siehe zu den Jahren 2014 und 2015 in: Gyulai-Schmidt, Andrea, Die Umsetzung der EUVergaberechtsreform in Ungarn, VergabeR 2a/2017, 264, sowie zu den Jahren 2015 und 2016 in: Jahresbericht 2016 der Behörde für öffentliche Auftragsvergaben (http://www.kozbeszer zes.hu/data/filer_public/46/ac/46ac88e6-dd10-4a86-9ad8-275c2722f21a/a_kozbeszerzesek_ala kulasa_a_2016_evben.pdf), 18. 5
Umweltaspekte im Vergabeverfahren
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Schaubild 18
Das Gesamtbild wird allerdings dadurch relativiert, dass es in der EU keine einheitliche Begriffsbestimmung dafür gibt, nach welchen Indikatoren ein Beschaffungsprozess als umweltfreundlich betrachtet werden kann. Eine ungarische Initiative aus den Jahren 2012/2013 bestimmte zur Schaffung einer grünen Regierungsverordnung eine einheitliche Bemessungsmethode für die klassischen Auftraggeber. Nach dem Entwurf der Regierungsverordnung sollten die staatlichen Vergabestellen im Verlauf des ganzen Beschaffungsprozesses auf möglichst jeder Verfahrensstufe grüne, ökoeffiziente bzw. nachhaltige Aspekte berücksichtigen und in mindestens zwei Bereichen, darunter bei der Leistungsbeschreibung, Eignung, Wertung der Zuschlagskriterien, oder bei den Vertragsbedingungen Vorgaben für die Bieter formulieren und die Angebote in mindestens zwei dieser Schwerpunkte der Beschaffung entsprechend bewerten. Diese Initiative ist bedauerlicherweise über das Vorschlagsstadium nicht hinausgekommen.
8 Siehe den prozentualen Anteil der grünen Vergaben am Gesamtbeschaffungsvolumen in den 27 Mitgliedstaaten, The Uptake of Green Public Procurement in the EU27 Submitted to the European Commission, DG Environment, Prepared by: Centre for European Policy Studies (CEPS) Andrea Renda, Jacques Pelkmans, Christian Egenhofer, Lorna Schrefler, Giacomo Luchetta, Can Selçuki, College of Europe (core team) Jesus Ballesteros, Anne-Claire Zirnhelt, Brussels, 29 February 2012, iX.
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Andrea Gyulai-Schmidt
II. Aktuelle Zahlen zur deutschen und ungarischen grünen öffentlichen Auftragsvergabe Zu der deutschen Rechtsentwicklung hinsichtlich der umweltorientierten Auftragsvergabe sind keine umfassenden Statistiken für die letzten Jahre zusammengestellt worden. Die Vergaberichtlinien 20149 sind im Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (VergRModG)10, im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Teil 4 (fortan: GWB) sowie in der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts (VergRModVO)11, in den vier Vergabeverordnungen (Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge – VgV12, Sektorenverordnung – SektVO, Konzessionsverordnung – KonzVgV und Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit – VergStatVO) umgesetzt worden. Diese Änderungen sind am 18. April 2016 als spätesten Umsetzungstermin der Vergaberichtlinien 2014 in Kraft getreten. Gleichzeitig ist auch die Vergabestatistikverordnung13 in Kraft getreten, vor deren Schaffung es keine einheitliche gesamtdeutsche Vergabestatistik gab14. Nach anderthalb Jahren ist festzustellen, dass bis heute weder auf Bundes- noch auf Landesebene offizielle statistische Zahlen zur grünen Vergabe existieren. Sollten es jedoch bestimmte Zahlen geben, wäre es zum jetzigen Stand der Entwicklung nicht offensichtlich, welche Indikatoren im Vergabeverfahren generell als umweltfreundlich oder ökologisch betrachtet werden können. In Ungarn gibt es seit 2012 im Jahresbericht der Behörde für öffentliche Auftragsvergaben (Közbeszerzési Hatóság) umfassende Statistiken zur Entwicklung der Anwendung der Nachhaltigkeitskriterien im nationalen Vergabeverfahren. Wie das nachfolgende 2. Schaubild zeigt, bestätigten die Zahlen in den Jahren 2015 und 2016 nicht die Anstrengung, dass mit der Modernisierung der EU-Vergaberichtlinien 2014 das ungarische Umsetzungsgesetz Nr. CXLIII von 2015 über die Vergabe öf9 Vgl. die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG („klassische Vergaberichtlinie“, fortan: VRL) ABl. EU L 94/65 v. 28. 03. 2014; sowie die Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energieund Verkehrsversorgung, sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG („Sektorenrichtlinie“), ABl. EU L 94/243 v. 28. 03. 2014 und die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe („Konzessionsrichtlinie“) ABl. EU L 94/1 v. 28. 03. 2014. 10 Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG), 17. Februar 2016, BGBl 2016 I Nr. 8, 23. Februar 2016, 203 ff. 11 Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts (VergRModVO), BGBl 2016 I Nr. 16, 14. April 2016, 624. 12 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV), 12. April 2016, BGBl. I Nr. 16, 624. 13 https://www.gesetze-im-internet.de/vergstatvo/BJNR069100016.html. 14 https://www.vergabeblog.de/2015-01-18/statistik-der-oeffentlichen-beschaffung-deutsch land-zwischenbericht-veroeffentlicht/ (so am 30. 10. 2017).
Umweltaspekte im Vergabeverfahren
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fentlicher Aufträge15 (fortan: ungVergG) sehr frühzeitig, bereits am 1. November 2015 in Kraft trat16 und dadurch die Nachhaltigkeitsaspekte als strategische Zielsetzungen der Gesetzgebung auf allen Ebenen des ungarischen Vergabeverfahrens besondere Rückenstärkung bekamen. Wie das 2. Schaubild zeigt, waren die Zahlen der grünen Vergabeverfahren im Jahr 2014 besonders hoch ausgefallen. Ab dem Jahr 2015, in dessen ersten zehn Monaten noch das vorherige Vergabegesetz Nr. CXIII von 201117 in Kraft war, konnte man dagegen einen deutlichen Rückgang wahrnehmen. Die Zahlen des Jahres 2016 sind sogar auf das niedrige Niveau seit dem Jahr 2012 zurückgegangen.
Schaubild 218 : Über den Wert (Mrd Ft.) und Anzahl (db) der Verfahren mit grünen Kriterien zwischen 2012 bis 2016
Dieser rapide Rückgang von 2015 bis Ende 2016 hat sich glücklicherweise nicht stabilisiert. Die niedrigen Zahlen können vor dem Hintergrund des nächsten Schaubilds eher damit erklärt werden, dass die öffentlichen Auftraggeber durch die Umstellung auf das geltende ungVergG äußerst vorsichtig mit der Anwendung der neuen strategischen Zielsetzungen bezogen auf die Nachhaltigkeitskriterien umgingen. Erfreulicherweise hat sich dagegen im ersten Halbjahr 2017 der Gesamtauftragswert der grünen Vergaben fast verdreifacht und zugleich die Anzahl dieser Verfahren verdoppelt. Diese Zahlen betreffen allerdings nur das nationale Regime. Über die EU-weiten grünen Vergabeverfahren gibt es auch in Ungarn keine Statistiken. 15 Auf Ungarisch: közbeszerzési törvény, veröffentlicht in: Ungarisches Amtsblatt (Magyar Közlöny, fortan: MK) Nr. 142/2015. (X.02.). Verkündet am 2. 10. 2015, zuletzt geändert vom Gesetz Nr. CLX/ 2016, in Kraft getreten am 1. April 2017. 16 Vgl. Gyulai-Schmidt, VergabeR 2a/2017, 247 – 266. 17 Veröffentlicht in: MK Nr. 86/2011. (VII.20.). 18 Siehe den Jahresbericht 2016 der Behörde für öffentliche Auftragsvergaben, 41. https:// www.parlament.hu/irom40/15539/15539.pdf.
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Andrea Gyulai-Schmidt A zöld szempontokat tartalmazó eljárások értékének és számának alakulása 2012 és 2017 között a nemzeti eljárásrendben
160
1164
140
971
120
1400 1200
1064 831
100
800
613
80
600
465
60
1000
400
40 20 0 Mrd Ft
42,3
96,2
143,3
104,5
43,4
102,9
2012
2013
2014
2015
2016
2017
Eljárások értéke (Mrd Ft)
200 0 db
Eljárások száma (db)
19
Schaubild 3 : Wert (Mrd Ft.) und Anzahl (db) der Verfahren mit grünen Kriterien in den Jahren zwischen 2012 und 2017
Eine ähnlich positive Entwicklung lässt sich seit dem Jahr 2017 bei der Anwendung der sozialen Kriterien bei ungarischen Vergabeverfahren im nationalen Regime ablesen (siehe Schaubild 4). Auch in diesem Bereich gibt es keine vergleichbaren Statistiken über auf Unionsebene durchgeführten Vergabeverfahren. A szociális szempontokat tartalmazó eljárások értékének és számának alakulása 2012 és 2017 között a nemzeti eljárásrendben
40
180
162
35
144
30
141
140
115
25
160
92
120
95
100
20
80
15
60
10
40
5 0 Mrd Ft
13,7
31,5
35,8
11,1
2012
2013
2014
2015
Eljárások értéke (Mrd Ft)
5,2
22,3
2016
2017
20 0 db
Eljárások száma (db)
Schaubild 420 : Wert (Mrd Ft.) und Anzahl (db) der Verfahren mit sozialen Kriterien in den Jahren zwischen 2012 und 2017
19
Jahresbericht 2017 der Behörde für öffentliche Auftragsvergaben (https://www.parla ment.hu/irom41/00548/00548.pdf), S. 60. 20 Jahresbericht 2017 der Behörde für öffentliche Auftragsvergaben (https://www.parla ment.hu/irom41/00548/00548.pdf), S. 60.
Umweltaspekte im Vergabeverfahren
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Tabelle 121 Gesamtübersicht über die Anzahl (db) und Wert (Mrd Ft.) der Verfahren mit grünen (zöld szempontokat tartalmazó eljárások) und sozialen Kriterien (szociális szempontokat tartalmazó eljárások) in den Jahren zwischen 2016 und 2017 A zöld és szociális szempontokat tartalmazó eljárások adatai a nemzeti eljárásrenden belül 2016. év
2017. év
Eljárások száma (db)
(%)
Eljárások értéke (Mrd Ft)
(%)
Eljárások száma (db)
(%)
Eljárások értéke (Mrd Ft)
(%)
Zöld eljárások
613
8,64%
43,42
10,73%
831
12,14%
102,87
18,10%
Szociális szempontú eljárások
95
1,34%
5,21
1,29%
141
2,06%
22,35
3,93%
Eljárások jellege
III. Rückblick auf die europäische Rechtsentwicklung Es lässt sich feststellen, dass auf europäischer Ebene von der Kommission und von anderen europäischen Institutionen die umweltfreundliche öffentliche Beschaffung seit langem als wirksames Instrument zur Förderung des Umweltschutzes betrachtet wurde und dass das Thema allmählich hohe Priorität gewonnen hat. Dagegen standen jedoch viele Mitgliedstaaten, darunter auch die deutsche Bundesregierung und die deutsche Rechtswissenschaft, lange Zeit den ökologischen und sozialen Kriterien im Vergabeverfahren eher kritisch gegenüber, die unter dem Stichwort „vergabefremde Aspekte“ diskutiert wurden22. Obwohl bereits im Jahr 1984 der deutsche Gesetzgeber in den Erläuterungen zu § 8 VOL/A (damals Verdingungsordnung für Leistungen23) klarstellte, dass die Beschaffungsstelle von den Vergabevorschriften nicht daran gehindert wird, auch Um-
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Jahresbericht 2017 der Behörde für öffentliche Auftragsvergaben (https://www.parla ment.hu/irom41/00548/00548.pdf), S. 57. Siehe eingehend auch Boros, Anita, A fenntarthatóság kérdése a magyar közbeszerzési jogalkalmazásban, különös tekintettel az állami tulajdonú gazdasági társaságok gyakorlatára (Die Frage der Nachhaltigkeit in der ungarischen vergaberechtlichen Rechtsanwendung mit besonderer Rücksicht auf die Praxis der staatlichen Handelsgesellschaften), 48 ff. 22 Siehe über den Anschauungswechsel, Burgi, Martin, Vergaberecht: Systematische Darstellung für Praxis und Ausbildung, C.H.Beck 2016, 81 – 83; Burgi, Martin/Dreher, Meinhard [Hrsg.], Beck’scher Vergaberechtskommentar Band 1 3. Auflage 2017, § 97 Abs. 3 Rn. 9 – 10; Jan Ziekow, Michael Marwede [Red.], Faires Beschaffungswesen in Kommunen und die Kernarbeitsnormen. Rechtswissenschaftliches Gutachten zur rechtlichen Bewertung der Einbeziehung von IAO-Kernarbeitsnormen in das Vergabeverfahren. Dialog Global, 5. Auflage, 2016. 10 mit weiteren Hinweisen in Fn. 4 (fortan: Ziekow, Rechtswissenschaftliches Gutachten 2016). 23 Zdzieblo, in: Daub/Eberstein (2000), § 8 Rn. 60 m.w.H.
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weltanforderungen an die auszuschreibende Leistung zu knüpfen24, spielte für die Anerkennung und Durchsetzung der Umweltaspekte europaweit, so auch in Deutschland, erst die Rechtsprechung des EuGH eine maßgebende Rolle. Heutzutage besteht kein Zweifel mehr daran, dass die umweltbezogenen Aspekte im europäischen Vergabeverfahren grundsätzlich zulässig, willkommen und mittlerweile zum Teil im Bereich der Energieeffizienz bei Liefer- und Dienstleistungen oder bei Straßenfahrzeugen sowie bei der Beschaffung von Holzprodukten sogar verpflichtend anzuwenden sind25. Diesen Sinneswandel im europäischen Vergaberecht können wir insbesondere seit der Jahrtausendwende beobachten. Die Reihe der EuGH-Entscheidungen beginnt mit den Fällen Beentjes26 und Nord-Pas-de-Calais27 für soziale Kriterien über Langzeitarbeitslose. Anschließend kamen die Entscheidungen Concordia Bus28 und Wienstrom29, die sich umweltbezogenen Zuschlagskriterien mit externen Umwelteffekten, wie Stickoxid- und Lärmemission einerseits, sowie mit der Bewertung von Produktionsmethoden andererseits befassten. Darüber hinaus entschied das EuG bzw. der EuGH in der Evropaïki Dynamiki-Entscheidung30 zu Umweltmanagementsystemen des Bieters. In der meist zitierten Max HavelaarEntscheidung31 wurde insbesondere über die Anforderung an ökologische und soziale Gütesiegel, sowie über die Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitskriterien in der Leistungsbeschreibung, bei der Eignung, beim Zuschlag und über die Vertragsbedingungen verbunden mit der Anwendung der Vergaberechtsgrundsätze geurteilt. In der Concordia Bus-Entscheidung hat der EuGH die Frage klären müssen, ob ein Zuschlagskriterium, wodurch die Verringerung der Stickoxid- und Lärmemission von Bussen erzielt wird und bei dem von vornherein feststand, dass die Anforderun24
Andreas Hermann, Rechtsgutachten umweltfreundliche öffentliche Beschaffung. Durchführung der Studie: Öko-Institut e.V. Umweltbundesamt, Texte 09/2017, 16 (fortan: Hermann, Rechtsgutachten 2017). 25 Mit weiteren Hinweisen zur verpflichtenden Berücksichtigung von Umweltaspekten, Hermann, Rechtsgutachten 2017, 53 ff. 26 Urteil des EuGH v. 20. 09. 1988, Rs. C-31/87. Gebroeders Beentjes BV ./. Staat der Nederlanden, [ECLI:EU:C:1988:422]. 27 Urteil des EuGH v. 26. 09. 2000, Rs. C-225/98. Europäische Kommission ./. Frankreich, [ECLI:EU:C:2000:494]. 28 Urteil des EuGH v. 17. 9. 2002, Rs. C-513/99. Concordia Bus Finland Oy Ab, früher: Stagecoach Finland Oy Ab ./. Helsingin kaupunki und HKL-Bussiliikenne, [ECLI:EU: C:2002:495]. 29 Urteil des EuGH v. 4. 12. 2003, Rs. C-448/01. EVN AG und Wienstrom GmbH ./. Republik Österreich, [ECLI:EU:C:2003:651]. 30 Urteil des EuGH v. 08. 07. 2010, Rs. T-331/06. Evropaïki Dynamiki – Proigmena Systimata Tilepikoinonion Pliroforikis kai Tilematikis AE ./. Europäische Umweltagentur (AEE), [ECLI:EU:T:2010:292], Rs. C-462/10 P. v. 13. 01. 2012 Evropaïki Dynamiki – Proigmena Systimata Tilepikoinonion Pliroforikis kai Tilematikis AE ./. Europäische Umweltagentur (AEE), [ECLI:EU:C:2012:14]. 31 Urteil des EuGH v. 10. 05. 2012 Rs. C-368/10. Europäische Kommission ./. Königreich der Niederlande, [ECLI:EU:C:2012:284].
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gen nur wenige Bieter erfüllen können, eine unerlaubte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstelle32. Im Wienstrom-Urteil ging es ebenfalls um die Zulässigkeit von Zuschlagskriterien, die bestimmte Produktionsverfahren, etwa Strom aus erneuerbaren Energie forderten. Diese Entscheidung erweckte besonderes Aufsehen, weil gegenüber der Concordia Bus-Entscheidung nicht das Produkt selbst oder dessen Schadstoffemission, sondern deren Produktionsmethode im Mittelpunkt stand, die in keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand aufwies. Der EuGH hat in seinem Wienstrom-Urteil diese Produktionsanforderung ausdrücklich für zulässig erklärt, obwohl das Umweltkriterium sogar mit 45 Prozent gewichtet wurde33. Der EuGH hat in diesen beiden wegweisenden Entscheidungen anerkannt, dass umweltbezogene Kriterien in die Ausschreibung einbezogen werden können, „sofern diese Kriterien mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, dem Auftraggeber keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, ausdrücklich im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags genannt sind und bei ihnen alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Diskriminierungsverbot, beachtet werden.“34 In dem vom EuG entschiedenen und später von dem EuGH abgeschlossenen Evropaïki Dynamiki-Urteil wurden die Umweltmanagementsysteme der Bieter behandelt35. Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat in dem vorliegenden Fall im Bereich der IT-Beratung die Qualität des von dritten unabhängigen Personen nachgewiesenen umweltpolitischen Systems mit einer deutlich höheren Punktzahl bewertet. Obwohl das Erfordernis der Nachweise von dritten unabhängigen Personen im Allgemeinen nicht als zielführend bzw. notwendig betrachtet wird, hat das EuG die Verpflichtung zum Umweltschutz auf dem Wege dieser Nachweisführung dennoch akzeptiert. Zugleich haben das EuG und der EuGH die obige Vorgehensweise nicht als Verstoß gegen die vergaberechtlichen Rechtsgrundsätze interpretiert.
32 Anhand der geprüften Erwägungen leitete der EuGH in den Rn. 85 – 86 der Concordia Bus-Entscheidung ab, dass „der Gleichbehandlungsgrundsatz der Berücksichtigung der Umweltschutzkriterien wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht allein deshalb entgegensteht, weil das eigene Verkehrsunternehmen des Auftraggebers zu den wenigen Unternehmen zählt, die in der Lage sind, einen Fuhrpark anzubieten, der diesen Kriterien entspricht“. 33 Siehe Wienstrom-Urteil Rn. 40 – 43, sowie Rn. 72: „Nach allem ist auf die erste Frage zu antworten, dass es die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehren, im Rahmen der Beurteilung des wirtschaftlich günstigsten Angebots für die Vergabe eines Auftrags für die Lieferung von Strom ein mit 45 % gewichtetes Zuschlagskriterium festzulegen, das die Lieferung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern verlangt, wobei der Umstand unerheblich ist, dass sich mit diesem Kriterium das angestrebte Ziel möglicherweise nicht erreichen lässt.“ 34 Siehe Concordia Bus Urteil, 1. Leitsatz und Rn. 64, 69 sowie Wienstrom-Urteil Rn. 34, 72. 35 Siehe Fußnote 30.
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Der vorläufige Abschluss der bedeutenden Urteile bezogen auf die nachhaltige Entwicklung verkörpert die Max Havelaar-Entscheidung36. In dem vorliegenden Fall wollte die Provinz Nord-Holland (Niederlande) als Auftraggeberin im Sinne einer vermehrten Verwendung von ökologischen und Fair-Trade-Erzeugnissen im Jahr 2008 Kaffeeautomaten beschaffen. In der Bekanntmachung wurde vorgegeben, dass „die Provinz Nord-Holland beim Kaffee- und Teeverzehr das MAX HAVELAAR- und das EKO-Gütezeichen verwendet“ und dass die anderen Getränkezutaten wie Milch, Zucker und Kakao diesen beiden Gütezeichen ebenfalls entsprechen sollen. Erst in einer späteren Informationsmitteilung wurde ergänzend mitgeteilt, dass auch andere Gütezeichen akzeptiert würden, „solange die Kriterien vergleichbar oder identisch sind“.37 Den Niederlanden wurde in einer Vertragsverletzungsklage ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/18/EG vorgeworfen, weil insbesondere die Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR oder auf vergleichbaren bzw. denselben Kriterien beruhende Gütezeichen in den technischen Spezifikationen nicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechend vorgeschrieben wurden (Rn. 71 – 72), sowie weil der Provinz Nord-Holland das wirtschaftlich günstigste Angebot anhand eines Zuschlagskriteriums ermitteln wollte, aufgrund dessen die weiteren Getränkezutaten wie Tee und Kaffee mit den Gütezeichen EKO oder MAX HAVELAAR ausgestattet werden sollten (Rn. 51 – 57, 81).38 In Verbindung damit erklärte der EuGH, dass technische Spezifikationen, die Umwelteigenschaften umfassen, in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen formuliert werden können, wenn diese allen Bietern gleichermaßen zugänglich sind und die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern. Beruhen bestimmte Gütezeichen auf Umwelteigenschaften, wobei diese die in der Richtlinie aufgezählten Voraussetzungen erfüllen, können diese Umweltgütezeichen als richtlinienkonform betrachtet werden. In diesem Zusammenhang reicht es allerdings in der Ausschreibung nicht aus, ein Um36 Siehe Fußnote 31, sowie Ziekow, Rechtswissenschaftliches Gutachten 2016, 38 – 55; Steiner, Marc, Gütesiegel für ökologische Produktion und Max Havelaar-Label für Fortgeschrittene: Der EuGH und die nachhaltige Beschaffung, European Law Reporter 5/2012, 130 – 136; Siegel, Thorsten, Wie fair ist das Vergaberecht? Der faire Handel vor dem EuGH, VergabeR 2013, 370 ff. 37 Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr. 60/12, Luxemburg, den 10. Mai 2012, Urteil in der Rechtssache C-368/10 Kommission ./. Niederlande, Das Unionsrecht steht nicht grundsätzlich einem öffentlichen Auftrag entgegen, für den der öffentliche Auftraggeber verlangt oder wünscht, dass bestimmte zu liefernde Erzeugnisse aus ökologischer Landwirtschaft oder fairem Handel stammen. https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/ application/pdf/2012-05/cp120060de.pdf (so am 30. 10. 2017). 38 Ziekow, Rechtswissenschaftliches Gutachten 2016, 38 ff., 49 ff.; Brackmann, Roswitha, Nachhaltige Beschaffung in der Vergabepraxis, Vergaberecht 2a/2014, 312 – 313, 315; Krönke, Christoph: Sozial verantwortliche Beschaffung nach dem neuen Vergaberecht, VergabeR, 2/ 2017, 106, 109 – 110; Lück, Dominik R., EuGH zur Vergabe öffentlicher Aufträge: Öko-Siegel rechtfertigen noch keinen Zuschlag. In: Legal Tribune Online, 18. 05. 2012, https://www.lto. de/persistent/a_id/6217/ (so am: 30. 10. 2017).
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weltgütezeichen als solches zu verwenden, sondern die für dieses Umweltgütezeichen festgelegten detaillierten Spezifikationen sollen ebenfalls offengelegt werden. (Rn. 62 – 65, 70, 94). Bezogen auf die in dem Max Havelaar-Fall verwendeten Wertungskriterien hat der EuGH auch darauf hingewiesen, dass grundsätzlich einem Eignungs- oder Zuschlagskriterium, das darauf abstellt, dass ein Erzeugnis fair gehandelt worden ist, nichts entgegensteht. Dennoch stellte nach der Auffassung des EuGH die Provinz Nord-Holland ein mit Art. 53 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2004/18 unvereinbares Zuschlagskriterium auf, indem sie zur Vergabe einer bestimmten Punktzahl im Rahmen der Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots im Lastenheft vorgesehen hat, dass bestimmte zu liefernde Erzeugnisse mit bestimmten Gütezeichen versehen seien, ohne die Kriterien aufgeführt zu haben, die diesen Gütezeichen zugrunde liegen, und ohne zuzulassen, dass der Nachweis, dass ein Erzeugnis diesen Kriterien genügt, durch jedes geeignete Beweismittel erbracht werden kann (Rn. 97). Der Auftraggeber hat auch ein problematisches Eignungskriterium als Mindestanforderung im Bereich der technischen Leistungsfähigkeit formuliert, wonach die Bieter die Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe und des gesellschaftlich verantwortlichen Verhaltens einhalten und angeben sollen, „wie sie diese Kriterien einhalten und zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und einer umwelttechnisch, sozial und wirtschaftlich verantwortlichen Kaffeeproduktion beitragen“ (Rn. 108). Nach der Auffassung des EuGH hat der Auftraggeber mit dem obigen Eignungskriterium den vergaberechtlichen Rechtsgrundsätzen, darunter der Transparenzverpflichtung nach Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG, nicht entsprochen. Der Grundsatz der Transparenz erfordert nämlich, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, präzise und eindeutig in der Vergabebekanntmachung oder dem Lastenheft formuliert werden (Rn. 109)39. Bei den vorliegenden „Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe und des gesellschaftlich verantwortlichen Verhaltens“ sowie hinsichtlich der Verpflichtung, „zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und zu einer umwelttechnisch, sozial und wirtschaftlich verantwortlichen Kaffeeproduktion beizutragen“ stellte der EuGH nicht das Maß an Klarheit, Präzision und Eindeutigkeit fest, „das alle gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter in die Lage versetzte, sicher und in vollem Umfang zu wissen, welches die Kriterien sind, die diese Anforderungen umfassen“. Daher sind die vorgesehenen Eignungskriterien insbesondere mit der Transparenzpflicht als unvereinbar und somit unzulässig erklärt worden (Rn. 110 – 111.). 39 Danach sollen zum einen alle gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen soll der Auftraggeber tatsächlich überprüfen können, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen. Siehe zur Transparenzpflicht auch das Urteil des EuGH v. 29. April 2004, Rs. C-496/99 P. Kommission ./. CAS Succhi di Frutta, Slg. 2004, I-3801, [ECLI:EU:C:2004:236].
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Die in diesem Abschnitt erwähnten Urteile umfassen eine zehnjährige Rechtsentwicklung, wobei es hauptsächlich um die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots durch Anwendung von Umweltaspekten als Qualitätskriterien ging. Obwohl hinsichtlich der nachhaltigen Gestaltung des Vergabeverfahrens meistens die oben besprochenen Concordia Bus-, die Wienstrom- und die Max Havelaar-Entscheidungen erwähnt werden, ist jedoch die Rechtsprechung damit nicht als beendet zu betrachten. Aus den Jahren zwischen 2014 und 2017 sind einige weitere Entscheidungen aufzufinden, die insbesondere die Balance zwischen den qualitativen Kriterien und den vergaberechtlichen Rechtsgrundsätzen in den Fokus nehmen, womit diese die bisherige Rechtsprechung auch hinsichtlich der Anwendung der Umweltaspekte weiter präzisieren40. Aus Platzgründen werden hier die jüngeren relevanten EuGH Urteile nicht in Detail vorgestellt, aber in den folgenden Abschnitten dieses Aufsatzes wird bei der Analyse der Umweltaspekte auf den einzelnen Verfahrensstufen des deutschen und ungarischen Vergaberechts auf einige Aussagen der jüngeren Rechtsprechung des EuGH eingegangen.
IV. Einbeziehung der ökologischen Kriterien in das Vergabeverfahren Die von der EuGH-Rechtsprechung aufgestellten Nachhaltigkeitsziele bzw. Grundsätze flossen zuerst in die europäischen Vergaberichtlinien 2004 und anschließend viel vertiefter in die jüngste Vergaberechtsreform 201441 ein. In diesem Sinne wurden im neuen § 97 Abs. 3 GWB42 sowie in dem geltenden ungVergG dem § 1 als Präambel vorangestellt die so genannte horizontale Klausel der neuen Vergabericht40 Urteil des EuGH v. 24. 01. 2008, Rs. C-532/06. Lianakis AE, Sima Anonymi Techniki Etaireia Meleton kai Epivlepseon und Nikolaos Vlachopoulos ./. Dimos Alexandroupolis, [ECLI:EU:C:2008:40] über den Umfang der Zuschlagskriterien und über die Transparenz. Zuletzt bezog sich darauf die VK Baden Württenberg am 18. 10. 2016 über die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots (Az. 1 VK 41/16); Urteil des EuGH v. 26. 03. 2015, Rs. C601/13. Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA kontra Nersant – Associação Empresarial da Região de Santarém és Núcleo Inicial – Formação e Consultoria Lda, [ECLI:EU:C:2015:204] über die Qualifikation des in die Auftragserfüllung einbezogenen Personals; Urteil des EuGH v. 14. 07. 2016, Rs. C-6/15. TNS Dimarso NV ./. Vlaams Gewest, [ECLI:EU:C:2016:555] über die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots sowie über die Bewertungsmethoden; Urteil des EuGH v. 05. 04. 2017, Rs. C-298/15. UAB „Borta“ kontra VI˛ Klaipe˙ dos valstybinio ju¯ru˛ uosto direkcija, [ECLI:EU:C:2017:266] siehe unter anderen über die Prinzipien der Gleichbehandlung und die Transparenz. 41 Siehe oben Fn. 9. 42 Siehe wortwörtlich: „Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt“. Hierzu auch Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar 2017, § 97 Abs. 3, 147 – 159; Noch, Rainer, Vergaberecht kompakt, 7. Auflage Werner Verlag 2016, Rn. 146 – 171.
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linien43 als strategische Zielsetzungen des Vergaberechts44 entsprechend übernommen. Strategische Zielsetzungen und Grundsätze können jedoch ihre Wirkung nur dann effektiv entfalten, wenn im Einzelnen konkretisierende Durchführungsnormen unterstützend und beispielhaft zeigen, wo und wie genau im Laufe des Vergabeverfahrens Umweltaspekte einbezogen werden können. Nach der jüngsten Modernisierung der EU-Vergaberichtlinien sollen diese möglichst in jeder Stufe des Vergabeverfahrens einbezogen werden. Daraus folgt, dass Umweltaspekte insbesondere bei der Leistungsbeschreibung, die sämtliche zu beachtende Anforderungen an die zu erbringende Leistung umfasst; bei den Eignungskriterien und Ausschlussgründen, die der Prüfung dienen, ob die Unternehmen grundsätzlich geeignet und in der Lage sind, den Auftrag durchzuführen; bei den Zuschlagskriterien, bei denen die Wertung der Angebote im Hinblick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis (Qualitätsauswahl) erfolgt, sowie bei den Auftragsausführungsbedingungen, die bei der Durchführung des Auftrags bestimmte Umweltaspekte in das Vergabeverfahren einbeziehen, beachtet werden müssen. 1. Beschaffungsfreiheit und ihre Grenzen Es ist festzustellen, dass die Vergabestellen die Umweltaspekte in ihren Verfahren grundsätzlich freiwillig einbeziehen können. Mit Hinblick auf die Vergaberichtlinien 2014 ist es mittlerweile ausdrücklich wünschenswert geworden, obwohl sich diese Möglichkeit auch schon früher aus dem Grundsatz der Beschaffungsfreiheit ergab. a) Beschaffungsfreiheit nach der deutschen Rechtsprechung Beschaffungsfreiheit bedeutet, dass die Auftraggeber den Beschaffungsgegenstand ihren Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechend frei bestimmen können45. 43 Siehe Art. 18 Abs. 2 VRL, wonach: „Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder die in Anhang X aufgeführten internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften festgelegt sind.“ 44 Siehe wortwörtlich: „Das Parlament von Ungarn erlässt im Interesse der Transparenz der effizienten Verwendung öffentlicher Gelder und zur Sicherung der Möglichkeit ihrer öffentlichen Kontrolle bzw. zur Schaffung der Bedingungen eines redlichen Wettbewerbs bei der öffentlichen Auftragsvergabe, zur Unterstützung der Einbeziehung von KMU sowie zur Förderung des Umweltschutzes und von sozialen Zielsetzungen des Staates – im Einklang mit … den Richtlinien der Europäischen Union – das folgende Gesetz“. 45 Siehe zur Beschaffungsautonomie m.w.H. Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar Band 1 2017, Einl. Rn. 5; § 97 Abs. 1 GWB Rn. 13.
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So entschied schon das OLG Koblenz im Jahr 2002, dass vergaberechtlich nichts dagegen einzuwenden sei, wenn ein Auftraggeber die Ausstattung der Zugtoiletten mit goldenen Armaturen verlangen würde. Diese sei mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fall für die Aufsichtsbehörde oder den Rechnungshof. Dennoch entscheidet im Vergabeverfahren allein der Auftraggeber, was er haben will und wie er es haben will46. In seiner weiteren Entscheidung entschied das OLG Düsseldorf im Jahr 2008, dass es „allein eine Angelegenheit der […] Auftraggeberin [ist], die Leistung, welche beschafft werden soll, ihrer Art und ihrem Umfang nach festzulegen“47. Ähnliches führte das OLG Düsseldorf auch im Jahr 2016 aus, wobei es sich zu der Frage äußerte, ob der Auftraggeber auch produktspezifisch ausschreiben darf48. Danach ist der öffentliche Auftraggeber „bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitestgehend frei. Das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung.“ (1. Leitsatz) Die Beschaffungsfreiheit hat allerdings auch ihre Grenzen. Die allgemeinen Prinzipien und Grundsätze des Vergaberechtes müssen ebenfalls eingehalten werden. Dazu gehören Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung, Wirtschaftlichkeit, Berücksichtigung mittelständischer Interessen und der Bieteranspruch auf Einhaltung vergaberechtlicher Bestimmungen. In diesem Sinne hat das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 13. 04. 2016 die folgenden Gedanken ausgeführt: „Der öffentliche Auftraggeber darf den ausgeschriebenen Auftrag auf die Lieferung der Produkte eines Herstellers beschränken, wenn die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.“ (3. Leitsatz)49 Dazu kommt der Grundsatz der Produktneutralität50. In dem oben zitierten Fall vor dem OLG Düsseldorf51 wurde auch festgestellt, dass „im Interesse einer Öffnung des Beschaffungsmarkts der öffentlichen Hand für den Wettbewerb der Auftraggeber in technischen Anforderungen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren verweisen darf, wenn dies nicht durch den Auftrags46
OLG Düsseldorf, Beschluss v. 5. 9. 2002, 1 Verg 2/02. Siehe auch den Vortrag Dorschfeldt, Dorian, Nachhaltiger Einkauf – Vergaberechtliche Aspekte, 31. Januar 2017. 47 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 17. 11. 2008, II-Verg 52/08. 48 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13. 04. 2016, VII-Verg 47/15. 49 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13. 04. 2016, VII-Verg 47/15. 50 Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung § 7 EU Abs. 2 VOB/A; § 31 Abs. 6 VgV (siehe u. a. OLG Düsseldorf, 12. 2. 2014 – VII-Verg 29/13 „Open Source Software“). Eine Ausnahme vom Grundsatz der Produktneutralität ist zulässig, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, z. B. aufgrund der engen Definition des Beschaffungsbedarfs. Siehe hierzu den Beschluss des OLG Karlsruhe, 14. 9. 2016, 15, 15 Verg 7/16). 51 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13. 04. 2016, VII-Verg 47/15.
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gegenstand gerechtfertigt ist oder bestimmte Unternehmen oder Produkte dadurch ausgeschlossen oder begünstigt werden.“ Diese Bedingungen der Beschaffungsfreiheit sind auch bei den grünen Vergaben zu beachten. Speziell in den Fällen Concordia Bus (2002) und Wienstrom (2003) formulierte der EuGH die vier Voraussetzungen, wonach ökologische Kriterien grundsätzlich dann im Vergabeverfahren einbezogen werden können, wenn diese • mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen; • dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, also miteinander vergleichbar und angemessen sind; • in den Vergabeunterlagen oder der Bekanntmachung ausdrücklich genannt sind, sowie • alle Grundsätze des primären Gemeinschaftsrechts, insbesondere die Grundsätze des EU-Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Nichtdiskriminierung) Beachtung finden.52 In der Max Havelaar-Entscheidung sind diese Bedingungen weiter präzisiert worden und wurden auch auf soziale Aspekte im Vergabeverfahren erweitert. Diese Maßstäbe ziehen sich als roter Faden durch die Rechtsprechung des EuGH, die zunächst in den EG-Vergaberechtlinien des Jahres 2004 und seitdem auch im GWB und bereits im damaligen ungVergG 200353 bis heute Niederschlag fanden. b) Beschaffungsfreiheit nach der ungarischen Rechtsprechung Im Sinne der obigen Ausführungen befasste sich nach 2004 auch die ungarische Schiedsstelle für öffentliche Auftragsvergaben (Közbeszerzési Dönto˝ bizottság, fortan: Schiedsstelle) in mehreren Entscheidungen mit der Frage, ob der Auftraggeber höhere qualitative Ansprüche im Rahmen des Vergabeverfahrens vorschreiben darf. Die Antwort war generell positiv. Das Interesse der Allgemeinheit begründe sogar das Recht auf hochqualitative Leistungen54. In konkreten Fällen passierte es allerdings, dass anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes verbunden mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung sogar eine 10- bis 15-jährige Garantieforderung bei Straßenröhren als den Gleichbehandlungsgrundsatz unverhältnismäßig beschränkende Vorgabe bezeichnet wurde. Der Gleichbehandlungsgrundsatz stellte daher im Einzelfall eine strenge Hürde gegenüber der Beschaffungsfreiheit und dadurch auch gegenüber den – kurzfristig häufig teureren – ökologischen Kriterien auf. Das ist bis heute spürbar. 52
Siehe zu den Vergaberechtlichen Rechtsgrundsätzen, Noch, 2016, Rn. 143 – 145. Siehe hierzu das Gesetz Nr. CXXIX/2003 über die Vergabe öffentlicher Aufträge (közbeszerzési törvény), in: MK Nr. 157/2003 (XII. 28.). 54 Siehe Gyulai-Schmidt, Andrea, Esélyegyenlo˝ ség a közbeszerzési eljárásban (Gleichbehandlung im Vergabeverfahren), in: Csehi, Zoltán/ Gyulai-Schmidt, Andrea (Bearb.), Magyar Kereskedelmi Jogi Évkönyv. II. Band, Budapest, Gondolat Verlag, 2010, 206 – 207. 53
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Eine ähnlich beschränkende Wirkung kann auch der Grundsatz des verantwortlichen Wirtschaftens (§ 142 ungVergG) haben. Aufgrund dessen wird meistens von der Schiedsstelle kritisch geprüft, wenn die vermeintlich zu hohen Anforderungen der Auftraggeber insbesondere mit anspruchsvolleren qualitativen Kriterien verbunden sind. Die bessere Qualität, auch wenn es keine grünen oder anderen Nachhaltigkeitskriterien enthält, erfordert im Allgemeinen eine höhere finanzielle Leistung. Die Zahlung der höheren Preise, insbesondere bei aus EU-Fördergeldern finanzierten Vergaben, sollen gut überlegt sein, damit die qualitativen Anforderungen der Auftraggeber bei einer möglichen Nachprüfung die Kriterien des Gleichbehandlungsgrundsatzes aufgrund der Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit erfüllen55. Aus der Praxis der Schiedsstelle sind bereits vor einem Jahrzehnt vereinzelt die ersten richtigen Rechtsfälle mit Umweltkriterien registriert worden Diese betrafen hauptsächlich Bauaufträge, wie z. B. der Beschluss der Schiedsstelle Nr. D.464/ 20/2006 bei einer Investition in ein Abwasserkanalsystem mit vielen Referenzen56. In diesem Fall wurde wegen ökologischer Auswahlkriterien zur Frage der Einengung des Unternehmenskreises sogar auf den Fall Concordia Bus unmittelbar verwiesen. Außerdem ist noch aus dem Jahr 2008 die Entscheidung der Schiedsstelle Nr. D.44/30/ 200857, die mit dem Urteil des Gerichts der Hauptstadt Nr. 19.K31.464/2008/4. abgeschlossen wurde58, hervorzuheben. Diese Ausschreibung betraf ebenfalls eine größere Umbauarbeit zur Erneuerung von Plattenbauten im Sinne des so genannten Plattenbauprogramms (d. h. neue Verkleidungen und Heizungsanlagen für Hochhäuser). Die Leistung sollte mit energieeffizienten Baustoffen und mit spezieller Isolierung mit Innovationseffekt erbracht werden. Unter den Eignungskriterien waren bestimmtes umweltbezogenes Fachwissen des Personals sowie bei sonstigen Anforderungen CE-Zeichen zur Qualität der Isolierung und ISO 9001 Zeichen zur Energiemodernisierung und ISO 14001 bzw. EMAS Umweltmanagementnachweis vorgeschrieben. Die Wertungskriterien in dieser Rechtssache waren für damalige Verhältnisse ebenfalls fortschrittlich. In der Ausschreibung wurde der Nettopreis mit 55 Punkten bewertet, wie in der Wienstrom-Entscheidung. Außerdem wurden unter den Zuschlagskriterien eine Garantiezeit für mehr als 10 Jahre für das Isolationssystem mit 20 Punkten, eine schnellere Leistungsfrist mit 15 Punkten und eine höhere Verzugsstrafe mit 10 Punkten bewertet. Die umweltbezogenen Aspekte waren in diesem Fall – nicht wie gewohnt – unter den Zuschlagskriterien, sondern bei der Leistungsbeschreibung und bei der Eignung zu finden. Diese wurden vom überprüfenden Gericht nicht als unverhältnismäßig bewertet. Die Berücksichtigung der qualitativen 55
Krönke, VergabeR 2017/2, 103 – 106. Veröffentlicht im Amtsblatt für Vergaben (Közbeszerzési Értesíto˝ , fortan: KÉ), KÉ Nr. 105/2006. 57 Beschuss der Schiedsstelle v. 17. 03. 2009, http://www.kozbeszerzes.hu/adatbazis/megte kint/dbhatarozat/portal_5525/ (so am 30. 10. 2017). 58 Urteil des Gerichts der Hauptstadt, veröffentlicht im KÉ Nr. 2009/64 am 5. 6. 2009. 56
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Aspekte kann in diesem Fall auch mit heutigen Maßstäben als beispielhaft bewertet werden. Dennoch hat das Verfahren wegen der Nachprüfung vor den Gerichten zum Schluss mehr als ein Jahr gedauert. Es gab auch andere Fälle mit Umweltbezug, z. B. die Entscheidung der Schiedsstelle Nr. D.229/16/201159, die vier Jahre später vom Ungarischen Obersten Gerichtshof, der so genannten Kúria wegen der Prüfung eines vermeintlichen nicht hinreichend genau beschriebenen Umweltmanagementsystems und sonstiger Eignungskriterien gerügt wurde (1.Kf.21.031/2013/2 OLG Szeged; Kfv.III.37.787/2014/5 Kúria60). Dieser und ähnliche Fälle konnten unter Umständen ebenfalls die ungarischen Vergabestellen von komplizierteren Ausschreibungsbedingungen abschrecken. Da die Auftraggeber in den obigen Fällen mehrere qualitative Aspekte in mehreren Verfahrensstufen in ihren Ausschreibungen vorbildlich berücksichtigt haben, wonach anschließend lange Nachprüfungsverfahren die Erfüllung der Anschaffungen blockierten, konnte für die Marktteilnehmer möglicherweise der Rückschluss entstanden sein, dass mehr Qualität bzw. die Anwendung der Nachhaltigkeitsaspekte das Risiko einer Nachprüfung nicht unerheblich erhöhen. Die seit einigen Jahren vorhandene vorsichtige Haltung der Auftraggeber zur Anwendung von Nachhaltigkeitsaspekten im Vergabeverfahren endete mit der Umsetzung der Vergaberichtlinien 2014 in das ungVergG. Im Interesse der Erreichung von mehr Qualitätswettbewerb hat der ungarische Gesetzgeber im § 76 Abs. 5 ungVergG vorgeschrieben, dass bei Bau- und Architekturarbeiten sowie bei damit verbundenen Dienstleistungen nur noch solche Zuschlagskriterien vorgesehen werden können, die auf der Grundlage des wirtschaftlichsten Angebots basieren. Diese Vorschriften des ungVergG werden in § 24 Abs. 3 der Regierungsverordnung Nr. 322/2015. (X. 30.) für die Vergabe von Bau- und verbundenen Planungs- und Ingenieurleistungen61 (fortan: BauRegVO) damit ergänzt, dass der Preis neben anderen Merkmalen der Beschaffung maximal bis zu 70 % berücksichtigt werden darf62. Der restliche Anteil von mindestens 30 % muss mit anderen qualitativen Zuschlagskriterien, insbesondere von Umwelt-, Sozial- oder innovativen Kriterien bestimmt werden. Damit sollte die qualitätsbewusste Anschaffung öffentlicher Stellen, samt nachhaltiger Kriterien angekurbelt werden. Diese Vorschrift engt für die Zukunft die im klassischen Sinne verstandene Beschaffungsfreiheit der ungarischen Auftraggeber deutlich ein. Auf die Einzelheiten dieser Vorschrift wird nochmals im Abschnitt 5.7. bei der Darstellung der Zuschlags59 Beschuss der Schiedsstelle v. 23. 5. 2011, www.kozbeszerzes.hu/adatbazis/letoltes/portal_ 341018/?pdf=1 (so am 30. 10. 2017). 60 Veröffentlicht im KÉ Nr. 2015/42 am 13. 4. 2015. 61 Auf Ungarisch: 322/2015. (X. 30.) Korm. rendelet az építési beruházások, valamint az építési beruházásokhoz kapcsolódó tervezo˝ i és mérnöki szolgáltatások közbeszerzésének részletes szabályairól. 62 Vor dem 1. 6. 2017 war der Höchstanteil des Preiskriteriums noch 50 %. § 24 Abs. 3 der zitierten BauRegVO wurde von § 9 der ungRegVO Nr. 115/2017. (V. 19.) geändert.
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kriterien und insbesondere im Abschnitt 5.7.4. über die Anwendung des besten PreisLeistungs-Verhältnisses näher eingegangen. 2. Das Problem der Einengung des Unternehmenskreises Bei der Anwendung der Nachhaltigkeitskriterien sind die Auftraggeber öfters mit dem Dilemma konfrontiert, dass der Kreis der potentiellen Bieter schrumpft, weil wegen der Nichterfüllung der Qualitätskriterien bestimmte Marktteilnehmer aus dem Wettbewerb hinausfallen. Es sorgt in der Praxis bis heute für Bedenken, wieweit es in Verbindung mit dem Grundsatz des Diskriminierungsverbots und der Gleichbehandlung zu rechtfertigen ist, dass wegen der Einbeziehung von Umweltkriterien nur ein Bieter ein Angebot abgibt oder von mehreren nur einer im Verfahren übrigbleibt, wenn die anderen an Mindestkriterien, die auch Umweltkriterien sein können, scheitern. In der Rechtssache Nr. D.464/20/2006 aus dem Jahr 2006, die im vorigen Abschnitt im Punkt 4.1.2. mit dem unmittelbaren Verweis auf den Fall Concordia Bus dargestellt wurde, stellte sich bei der Investition in das Abwasserkanalsystem ebenfalls das Problem, dass wegen des vorgeschriebenen Umweltkriteriums von vornherein nur zwei potentielle Bieter auf dem Markt vorhanden waren. Bei einem der möglichen Bieter waren alle freien Kapazitäten zurzeit der Beschaffung anderweitig gebunden, so dass nur effektiv ein Bieter verblieb, der im vorliegenden Fall ein Angebot abgeben konnte. Die Reduzierung des Bieterkreises auf eine Person gab bei der Nachprüfung gegen den Auftraggeber eine ersthafte Angriffsfläche. Der EuGH hat bereits im Fall Concordia Bus und auch bei der Wienstrom-Entscheidung63 diese Fragestellung zugunsten der Anwendbarkeit der Umweltkriterien beantwortet, d. h., dass er in der bloßen Tatsache, dass nur wenige Unternehmen in der Lage waren, die von der öffentlichen Beschaffungsstelle aufgestellten Kriterien zu erfüllen, noch keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sah. In diesem Sinne kam der EuGH in dem 2. Leitsatz der Concordia-Entscheidung zum Ergebnis, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien nicht allein deshalb entgegensteht, „weil das eigene Verkehrsunternehmen des Auftraggebers zu den wenigen Unternehmen zählt, die in der Lage sind, einen Fuhrpark anzubieten, der diesen Kriterien entspricht.“ Die Einengung des Bieterkreises auf wenige Unternehmen durch umweltbezogene Zuschlagskriterien wurde daher für zulässig erklärt, vorbehaltlich, dass zugleich die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot beachtet werden64. Der EuGH nahm hierbei allerdings nicht eindeutig Stellung dazu, ob es vergaberechtlich zulässig ist, durch umweltbezogene Zuschlagskriterien den Kreis der Unternehmen, die Chancen auf den Zuschlag haben, auf ein einziges Unternehmen zu begrenzen. Zumindest zu der Frage, welche Konsequenzen zu ziehen sind, wenn nach Durchführung der Eignungsprüfung nur noch ein Unternehmen im Verfahren übrig bleibt, 63 64
Siehe oben Punkt 3. Rückblick auf die europäische Rechtsentwicklung. Siehe Concordia Bus-Urteil, Rn. 26, 72 sowie Rn. 81 – 86.
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äußerte sich der EuGH im Urteil Fracasso und Leitschutz im Jahr 199965. Dabei verneinte er, dass die Vergabestelle verpflichtet wäre, den Zuschlag dem einzigen verbliebenen Unternehmen zu erteilen. Zugleich äußerte sich der EuGH nicht ausdrücklich zu der Frage, ob ein solcher Zuschlag auch unzulässig gewesen wäre. Allerdings kann man der Argumentation des EuGH entnehmen, dass er der Auffassung war, ein Vergabeverfahren, an dem lediglich ein Unternehmen beteiligt ist, biete keinen hinreichenden Wettbewerb mehr.66 Zu dieser Fragestellung äußert sich auch das Rechtsgutachten zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung des Umweltbundesamts vom Januar 201767. Es führt aus, dass diese Schlussfolgerung – zumindest im Allgemeinen – nicht zwingend zu ziehen ist. Eignungs- und Zuschlagskriterien wirken nämlich unterschiedlich auf den Wettbewerb. Eignungskriterien legen eine Mindesthürde für jedes Unternehmen fest, dessen Angebot überhaupt wirtschaftlich gewertet wird. Definiert die öffentliche Beschaffungsstelle so hohe Anforderungen an die Eignung der Unternehmen, dass nur noch ein Unternehmen diese Anforderungen erfüllen kann, beschränkt sie den Unternehmenskreis zulasten des Wettbewerbs. Zuschlagskriterien haben dagegen keine derart absolute Wirkung. Angebote solcher Unternehmen, die bei bestimmten Zuschlagskriterien die Anforderungen etwa in Bezug auf die Umweltkriterien nicht erfüllen, verbleiben in der Angebotswertung. So bekommen sie noch die Chance, ihre Nachteile durch Vorteile bei anderen Zuschlagskriterien (z. B. durch einen niedrigeren Angebotspreis) zu kompensieren.68 65 Urteil des EuGH vom 16. 09. 1999, Rs. C-27/98, Metalmeccanica Fracasso SpA und Leitschutz Handels- und Montage GmbH ./. Amt der Salzburger Landesregierung für den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, Slg. 1999, I-5697, [ECLI:EU: C:1999:420]. 66 Der EuGH hat den Gesichtspunkt betont, dass die Richtlinie 93/37/EWG „im Interesse eines echten Wettbewerbs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge die Vergabe der Aufträge so auszugestalten sucht, dass der Auftraggeber in der Lage ist, verschiedene Angebote miteinander zu vergleichen und aufgrund objektiver Kriterien wie der in Artikel 30 Abs. 1 der Richtlinie beispielhaft aufgezählten das günstigste Angebot zu wählen.“ Siehe hierzu die Richtlinie 93/37/EWG vom 14. 06. 1993 zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. EG Nr. L 199/54 vom 09. 08. 1993. 67 Siehe Fn. 24. 68 Hermann, Rechtsgutachten 2017, 81 – 82. Die Einengung des Beschaffungsgegenstandes ist allerdings nach der Rechtssache Dundalk III (Urteil des EuGH v. 22. 09. 1988, Rs. 45/87 (Kommission/Irland), Slg. 1988 I-4929.) unzulässig, wenn sie ein bestimmtes Erzeugnis betrifft, das auch entsprechend benannt wird, über die Tatsache hinaus, dass bei der Verwendung von nationalen Produktanforderungen immer gleichwertige Erzeugnisse zugelassen werden müssen. Die enge Definition des Auftragsgegenstands kann jedoch zulässig sein, wenn und soweit diese Anforderungen zur Erfüllung der von der öffentlichen Beschaffungsstelle festgelegten Aufgaben erforderlich sind. Eine öffentliche Beschaffungsstelle kann beispielsweise für den öffentlichen Nahverkehr Busse beschaffen, die strenge Grenzwerte einhalten (Concordia Bus-Entscheidung), und bei der Festlegung des Auftragsgegenstandes zwingend fordern, dass die „Busse, die Euronorm 4/5 einhalten“. Bestimmte energieeffiziente Techniken können ebenfalls definiert werden, wenn nur ein Unternehmen die Anforderungen erfüllen kann. Die gleichwertigen Angebote, die das Ziel u. U. mit anderer Technik erreichen, müssen
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In diesem Sinne kann man in den deutschen und ungarischen vergaberechtlichen Ausschreibungen die umweltbezogenen Aspekte wesentlich häufiger in der Leistungsbeschreibung und unter den Zuschlagskriterien finden, als bei den Eignungskriterien. Weiterhin verweist das oben zitierte Rechtsgutachten des Umweltbundesamts darauf, dass selbst dann, wenn ein Unternehmen von der Festlegung eines Zuschlagskriteriums profitiert und somit zwingend den Zuschlag erhält, dies nicht zwingend zu einem Verstoß gegen das Vergaberecht führen muss. Verstöße bzw. Abweichungen vom europäischen Gemeinschaftsrecht sowie von den europäischen Grundfreiheiten können nämlich im Einzelfall aus Umweltschutzgründen gerechtfertigt sein69. Im Hinblick darauf, dass die Auftraggeber im Einzelfall in Erklärungsnot geraten, wenn wegen anspruchsvollerer qualitativer Eignungs- oder Zuschlagskriterien ein einziges Unternehmen im Beschaffungsverfahren verbleibt, hat der Gesetzgeber in § 75 Abs. 1 lit. e) ungVergG als fakultativen Versagungsgrund den Fall aufgenommen, dass in dem gegebenen Verfahren weniger als zwei Angebote eingereicht werden70. In diesem Fall gibt es die Möglichkeit keinen Zuschlag zu erteilen, sondern das Verfahren neu auszuschreiben. Wegen ähnlicher Dilemmata hat die deutsche Rechtspraxis aufgrund der Croce Amica One-Entscheidung des EuGH71 anerkannt, dass bei den ein-Bieter-Verfahren bei nur einem verbliebenden und zudem zweifelbehafteten Angebot wegen des fehlenden Wettbewerbs das Verfahren für erfolglos erklärt werden kann72.
V. Umweltaspekte auf den einzelnen Verfahrensstufen Wegen der grundlegenden Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren und einzelnen Märkten der Mitgliedstaaten schreibt der Richtliniengeber die Anwendung der ökologischen, sozialen und innovativen Aspekte – außer in einigen eng definierten Bereichen73 – nicht allgemein verbindlich im Vergabeverfahren vor. Dennoch erjedoch ebenfalls zugelassen werden (Max Havelaar-Entscheidung). M.w.H. Hermann, Rechtsgutachten 2017, 47. 69 Siehe zu den Voraussetzungen für eine Rechtfertigung mit Berücksichtigung auf die faire Beschaffung, Ziekow, Rechtswissenschaftliches Gutachten 2016, 23 ff. 70 Eingeführt vom § 24 Abs. 1 Gesetz Nr. CLX/2016, in Kraft seit 1. 1. 2017. 71 Urteil des EuGH v. 11. 21. 2014, Rs. C-440/13. Croce Amica One Italia Srl ./. Azienda Regionale Emergenza Urgenza (AREU), [ECLI:EU:C:2014:2435]. 72 Herten-Koch, Rut, Flucht in die Aufhebung bei nur einem verbliebenden und zudem zweifelbehafteten Angebot (EuGH, Urt. v. 11. 12. 2014 – C-440/13), 15. 03. 2015. https://www. vergabeblog.de/2015-03-15/flucht-in-die-aufhebung-bei-nur-einem-verbliebenen-und-zudemzweifelbehafteten-angebot-eugh-urt-v-11-12-2014-c-44013/ (so am 30. 10. 2017). 73 Siehe Präambel Nr. 95 VRL „Der Unionsgesetzgeber hat bereits verbindliche Beschaffungsanforderungen zur Erreichung spezifischer Ziele in den Sektoren Straßenfahrzeuge (Richtlinie 2009/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1)) und Bürogeräte (Verordnung (EG) Nr. 106/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (2)) festgelegt.
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innert er daran, dass es außerordentlich wichtig ist, „das Potenzial der öffentlichen Auftragsvergabe in vollem Umfang für die Verwirklichung der Ziele der Strategie ,Europa 2020‘ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum auszuschöpfen.“74 Darüber hinaus werden die öffentlichen Aufträge als Motor für Nachhaltigkeit und Innovationen betrachtet, die für das künftige Wachstum in Europa eine große Bedeutung erhalten. In diesem Sinne wird erwartet, dass in jeder Verfahrensstufe der öffentlichen Aufträge die Nachhaltigkeitsziele, darunter die Prüfung der Anwendbarkeit der Umweltaspekte, hinreichend berücksichtigt werden. 1. Die Vorbereitung des Verfahrens, Bedarfsanalyse Jede Beschaffung fängt mit einer Bedarfsanalyse und mit der Definition des Auftragsgegenstands an. Hier werden die Weichen gestellt, ob die Beschaffung nachhaltig oder nicht nachhaltig gestaltet wird. Im Sinne der Umsetzung der Vergaberichtlinien 2014 stellt § 28 Abs. 1 ungVergG fest, dass „der öffentliche Auftraggeber … das öffentliche Vergabeverfahren – angesichts des Auftragsgegenstandes und des geschätzten Auftragswertes – mit einer entsprechenden Gründlichkeit vorbereiten muss. … Der öffentliche Auftraggeber muss bereits bei der Vorbereitung des öffentlichen Vergabeverfahrens danach streben, die Bedingungen einer Erfüllung in hoher Qualität sicherzustellen, einen – angesichts des Auftragsgegenstands realisierbaren – Schutz der Umwelt zu gewährleisten und Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen sowie den Auftragsgegenstand berührende Vertragsänderungen zu vermeiden.“ 2. Die Leistungsbeschreibung und die technische Spezifikation Die erste Etappe der Vorbereitung des Vergabeverfahrens ist die Bestimmung und Beschreibung des Auftragsgegenstands. Die Erfüllung der so festgelegten Leistungsmerkmale ist für jeden potentiellen Bieter maßgebend. Die in der Leistungsbeschreibung definierten Mindestanforderungen, die als Ausschlusskriterien von den Bietern zu erfüllen sind, unterscheiden sich von den Zuschlagskriterien (Bewertungskriterien). Letztere verschaffen den Bietern bei Erfüllung einen Vorteil bei der Angebotswertung, führen aber bei Nichterfüllung nicht automatisch zum Ausschluss aus dem Verfahren, wie es bei der Nichterfüllung der Leistungsbeschreibung der Fall ist. Die vom Auftraggeber vorgeschriebene Leistungsbeschreibung muss gemäß Erwägungsgrund Nr. 74. I. VRL der Öffnung des Wettbewerbs sowie der Unterstützung der Nachhaltigkeitsziele dienen. Zu diesem Zweck soll sie dazu beitragen, dass solche Angebote eingereicht werden, die die Diversität der technischen Lösungen, NorIm Übrigen wurden bei der Festlegung gemeinsamer Methoden für die Lebenszykluskostenrechnung erhebliche Fortschritte gemacht.“ 74 Siehe Erwägungsgrund Nr. 95 VRL.
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men und technischen Spezifikationen auf dem Markt widerspiegeln. Darüber hinaus sollen die Leistungskriterien möglichst den Lebenszyklus und die Nachhaltigkeit des Produktionsprozesses der Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen berücksichtigen. Im Weiteren weist Erwägungsgrund Nr. 74. II. VRL ausdrücklich darauf hin, dass die technischen Spezifikationen so abgefasst sein sollen, dass eine künstliche Einengung des Wettbewerbs vermieden wird. Folglich dürfen keine solchen Anforderungen bei der Formulierung technischer Spezifikationen festgelegt werden, die einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer begünstigen, indem auf wesentliche Merkmale der von diesem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer gewöhnlich angebotenen Lieferungen oder sonstigen Leistungen abgestellt wird75. a) Umsetzungsvorschriften im deutschen und im ungarischen Vergaberecht Die Bestimmung der Leistungsbeschreibung muss im Gleichklang mit Art. 42 und 43 der VRL (Technische Spezifikation/Gütesiegel) nach dem deutschen Recht aufgrund des § 121 GWB i.V.m. § 31 VgV und nach dem ungVergG gemäß §§ 58 und 59 i.V.m. §§ 46 – 48 ungRegVO Nr. 321/2015. (X.30.)76 eindeutig und erschöpfend wie möglich zu sein, sodass sie alle Unternehmen im gleichen Sinne verstehen und dadurch die Angebote miteinander verglichen werden können77. Die Leistungsbeschreibung hat sowohl vor als auch nach Inkrafttreten der VRL bzw. ihrer Umsetzung in Deutschland und in Ungarn den Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung zu genügen. Eine intransparente, nicht eindeutige Leistungsbeschreibung sah das OLG Düsseldorf78 in dem Fall an, dass die maßgebenden Leistungsbestimmungen in den Vergabeunterlagen verstreut waren und von den Unternehmen herausgefiltert werden mussten. Die Anforderungen waren auch unvollständig und widersprüchlich, daher ergab sich keine „geschlossene Leistungsbeschreibung“. Der Beschluss stellte auch fest, dass ein Fehlen der geschlossenen Leistungsbeschreibung nicht nur den Grundsatz der Transparenz, sondern auch die Gleichbehandlung der Bieter verletze. Daher hat das OLG Düsseldorf die Rechtswidrigkeit der obigen Ausschreibung festgestellt und diese vernichtet.79 75
Siehe hierzu die Umsetzungsvorschriften in § 58 ungVergG i.V.m. § 46 Abs. 3 ungRegVO 321/2015. (X.30.) und § 31 Abs. 2 – 3 VgV. 76 Siehe die ungarische Regierungsverordnung Nr. 321/2015. (X.30.) über die Eignung, die Ausschlussgründe und die Leistungsbeschreibung im Vergabeverfahren, in Kraft am 1. 11. 2015. 77 Dieses entspricht auch Rn. 62, 67, 68 der Max Havelaar-Entscheidung. 78 Beschluss des OLG Düsseldorf v. 7. 3. 2012, Az. Verg. 82/11, Rn 32. 79 Siehe auch zum Inhalt des Gebots der eindeutigen Leistungsbeschreibung, Gerlach, Jens/Manzke, Simon, Das Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung zwischen Vergaberecht und Allgemeiner Rechtsgeschäftslehre, VergabeR 4/2016, 443, 449 ff.
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In der Leistungsbeschreibung hat der Auftraggeber die Möglichkeit, den Beschaffungsgegenstand durch Umweltkriterien zu konkretisieren80. Auch die Umweltkriterien sollen in der Leistungsbeschreibung mit den Eigenschaften des zu beschaffenden Produkts verknüpft sein (Bezug zum Auftragsgegenstand81). Erlaubt ist weiterhin, im Vergabeverfahren bestimmte Produktionsverfahren zu fordern, wenn sie dazu beitragen, das Produkt zu charakterisieren. So darf beispielsweise Strom aus erneuerbaren Energien entsprechend der Vorgaben der Wienstrom-Entscheidung ausgeschrieben werden, und es darf auch die genaue Art der Stromproduktion genannt werden. Das Gleiche gilt für Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft oder Holz aus nachweislich nachhaltiger Waldbewirtschaftung82. Die Auftraggeber können Vorgaben zu Lebenszykluskosten bestimmter Produkte ebenfalls verlangen, auch dann, wenn diese nicht einen wesentlichen Bestandteil des Vertrags bilden, aber mit dem Auftragsgegenstand verbunden sind und bezogen dessen Wert und Beschaffungsziele verhältnismäßig sind (§ 31 Abs. 3 VgV und § 58 Abs. 2 ungVergG)83. Im Gegensatz dazu ist es unzulässig, wenn der Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung solche Voraussetzungen formuliert, die den Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen und die die produktbezogene Charakterisierung des Beschaffungsgegenstands bzw. die aus Nachhaltigkeitsaspekten beschriebene Methode des Produktionsprozesses hinausgehen. Ein typisches Problem stellt in diesem Bereich dar, dass der Auftraggeber allgemeine Anforderungen bezogen auf die ökologische oder soziale Verantwortung an die Unternehmensführung des Auftragnehmers formuliert84. Die Unzulässigkeit wurde in mehreren ähnlichen Fällen festgestellt, weil diese allgemeinen Bedingungen letztendlich keinen nachweisbaren Bezug auf den Leistungsgegenstand hatten85. b) Leistungs- und Funktionsanforderungen Um die Vergaben zu flexibilisieren, führte Art. 42 Abs. 3 lit. a) VRL eine wichtige Änderung durch die Zulässigkeit von Funktions- und Leistungsanforderungen ein. Danach können die technischen Spezifikationen in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen, einschließlich Umweltmerkmalen formuliert werden, sofern die 80 Siehe zu den freiwilligen Berücksichtigung der Umweltaspekte, Hermann, Rechtsgutachten 2017, 51 ff. 81 Beschluss des OLG Düsseldorf v. 30. 12. 2010, VII-Verg 24 /10, Rn. 55. 82 Siehe Hermann, Rechtsgutachten 2017, 53, sowie 74 f. 83 Entspricht Art. 42 Abs. 1 II VRL. 84 Saphir, Robert/Schmidt, Vanessa, Umweltfreundliche öffentliche Beschaffung. Hintergrundpapier 2015. 8. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltfreundliche-oef fentliche-beschaffung (so am 30. 10. 2017). 85 Siehe auch die Entscheidungspraxis der ungarischen Schiedsstelle zu der unklaren und nicht eindeutigen Formulierung der Leistungsbeschreibung, Beschlüsse der Schiedsstelle Nr. D.1014/7/2016 und D. 237/11/2006 zu den Anforderungen der erneuerbaren Energiequellen.
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Parameter hinreichend genau sind, um den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand zu vermitteln und den öffentlichen Auftraggebern die Erteilung des Zuschlags zu ermöglichen. In diesem Sinne beschreibt die funktionale Leistungsbeschreibung, was mit einem Auftrag bezweckt wird und nicht wie bzw. auf welchem Weg der Leistungserfolg erreicht werden soll. So reicht es beispielsweise bei einem Reinigungsauftrag von Gebäuden aus, vorzuschreiben, dass das Gebäude durchgehend in sauberem, hygienisch einwandfreiem Zustand gehalten werden soll, anstatt detailliert zu schildern, dass alle Räumlichkeiten mindestens täglich einmal feucht zu reinigen sind. Im Gleichklang mit den Vorgaben des oben zitierten Artikels der VRL haben § 31 Abs. 2 Punkt 1 VgV sowie § 46 Abs. 4 ungRegVO Nr. 321/2015. (X.30.) ähnliche Vorschriften zur funktionalen Leistungsbeschreibung eingeführt. Hintergrund der Zulassung von Funktions- und Leistungsanforderungen war die Erkenntnis der Europäischen Kommission, dass die Verpflichtung zu eindeutigen Vorgaben unter Bezugnahme auf klare Normen in der Vergangenheit innovative Lösungen und neue Techniken unterbunden hat. Demnächst kann durch die neuen Vorschriften im Rahmen der Funktions- und Leistungsanforderungen auch die umweltschutzorientierte Beschaffung leichter unterstützt werden. Die auf diesem Wege eröffneten Spielräume, wodurch die Auftraggeber bestimmte Rahmenbedingungen hinsichtlich der zu erreichenden Umweltziele vorgeben können, setzen von vornherein nicht – das meistens sowieso nicht vorhandene – komplexes Fachwissen bei dem Auftraggeber voraus. Vielmehr ermöglichen sie auch den bietenden Unternehmen mehr zweckdienlichen Freiraum zur kreativen Erreichung und Optimierung der gewünschten Ziele. c) Verpflichtende Berücksichtigung der Umweltaspekte Obwohl die nachhaltigen bzw. ökologischen Kriterien im Allgemeinen eher freiwillig anzuwenden sind, gibt es inzwischen solche Beschaffungsgegenstände, für die der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Leistungsbeschreibung verbindliche nachhaltige, umweltbezogene Aspekte formuliert. Hierzu gehören beispielsweise die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie 2006/32/EG über Energiedienstleistungen86, der Richtlinie 2009/33/EG über Fahrzeuge87, der Richtlinie 2010/30/EU über die Energieverbrauchskennzeichnung88, der Gebäuderichtlinie 2010/31/EU (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD)89 sowie der Richtlinie 2012/27/EU über 86
Richtlinie 2006/32/EG (Energiedienstleistungen): http://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/ALL/?uri=CELEX:32006L0032 vom 05. 04. 2006 (so am 19. 10. 2017). 87 Richtlinie 2009/33/EG (Fahrzeuge): http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/ ?uri=CELEX:32009L0033 vom 23. 04. 2009 (so am 19. 10. 2017). 88 Richtlinie 2010/30/EU (Energieverbrauchskennzeichnung): http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:153:0001:0012:DE:PDF vom 19. 05. 2010 (so am 19. 10. 2017). 89 Richtlinie 2010/31/EU (Gebäuderichtlinie): http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri Serv.do?uri=OJ:L:2010:153:0013:0035:DE:PDF vom 09. 05. 2008 (so am 19. 10. 2017).
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die Energieeffizienz90. Bedeutende Fortschritte sind ebenfalls im Bereich der gemeinsamen Methoden zur Feststellung der Lebenszykluskosten erreicht worden. So sollen nach § 67 VgV bei der Beschaffung von energieverbrauchsrelevanten Waren, Geräten, Ausrüstungen oder Dienstleistungen nur solche Güter zum Einsatz kommen, die im Hinblick auf die Energieeffizienz das höchste Leistungsniveau oder die höchste Energieeffizienzklasse erfüllen91. Außerdem ist die Bundesverwaltung verpflichtet, Holzprodukte ausschließlich aus nachweislich legaler und nachhaltiger Waldbewirtschaftung zu beschaffen. Im Bereich der Beschaffung von Straßenfahrzeugen müssen nach § 68 VgV öffentliche Auftraggeber den Energieverbrauch und die Umweltauswirkungen berücksichtigen. Dazu muss der Auftraggeber entweder in die Leistungsbeschreibung bestimmte ökologische Vorgaben einbeziehen oder diese Aspekte unter den Zuschlagskriterien bewerten92. Dabei sind auch Kosten über die Lebensdauer zu berücksichtigen. In Ungarn wurde zu diesem Bereich die ungRegVO Nr. 48/2011. (III. 30.)93 über die umweltschonenden, energieeffizienten Straßenfahrzeuge verabschiedet, wobei die Praxis der Kontrollbehörde – die beim Amt des Ministerpräsidenten angesiedelt ist, und die aufgrund der ungRegVO Nr. 320/2015. (X.30)94 alle vom staatlichen Haushalt geförderten Vergabestellen im Verfahren kontrolliert –, die CO2-Emission vorwiegend als Zuschlagskriterium zulässt, und im Jahr 2017 von den EU-Audit-Prüfungen die Gewichtung dieses Kriteriums regelmäßig auf 10 % begrenzt wurde. Als interne Erklärung wurde angegeben, dass bei mit staatlichen oder EU-Fördergeldern gestalteten Vergaben der Preis weiterhin das Leitkriterium bleiben soll. Eine detailliertere Schilderung der oben erwähnten Vorschriften kann aus Platzgründen hier nicht weiter ausgeführt werden. Es soll allerdings darauf hingewiesen werden, dass der Richtliniengeber es weiterhin für richtig hält, die verbindlichen Beschaffungsanforderungen in diesem Bereich der sektorspezifischen Rechtssetzung und nicht den allgemeinen Vergaberichtlinien zu überlassen95.
90 Richtlinie 2012/27/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Energieeffizienz, zur Änderung der Richtlinien 2009/125/EG und 2010/30/EU und zur Aufhebung der Richtlinien 2004/18/EG und 2006/32/EG (Energieeffizienz), Abl. der EU Nr. L 315 vom 4. 11. 2012, S. 1: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= OJ:L:2012:315:0001:0056:DE:PDF vom 25. 10. 2012 (so am 19. 10. 2017). 91 Hermann, Rechtsgutachten 2017, 53 f. 92 Demnach müssen folgende Faktoren, jeweils bezogen auf die Gesamtkilometerleistung des Straßenfahrzeugs im Sinne der Tabelle 3 der Anlage 2 der VgV, berücksichtigt werden: 1. Energieverbrauch, 2. Kohlendioxid-Emissionen, 3. Emissionen von Stickoxiden, 4. Emissionen von Nichtmethan-Kohlenwasserstoffen und 5. partikelförmige Abgasbestandteile. 93 MK Nr. 34/2011, in Kraft am 15. 04. 2011. 94 MK Nr. 163/2015, in Kraft am 1. 11. 2015. 95 Siehe Erwägungsgrund Nr. 95 Abs. 3 VRL.
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3. Einbeziehung von Nachweisen und Gütezeichen Die Vergaberichtlinien 2014 erlauben den Beschaffungsstellen, dass sie in ihren Vergaben bestimmte Umwelt-, Sicherheits- oder Qualitätsstandards oder soziale Standards in Form von Gütezeichen von den Bietern fordern, durch die bestimmte Produkt- oder Produktionseigenschaften nachgewiesen werden können. Die grafische und schriftliche Kennzeichnung durch Gütezeichen signalisiert eine bestimmte Güte oder Qualität. In diesem Sinne wird das Gütezeichen gemäß Art. 2 Abs. 1 Ziff. 23 VRL als ein Dokument, ein Zeugnis oder eine Bescheinigung definiert, mit dem bzw. der bestätigt wird, dass ein bestimmtes Bauwerk, eine Ware, eine Dienstleistung, ein Prozess oder ein Verfahren bestimmte, gewünschte Anforderungen erfüllt. Dementsprechend kann man in der Leistungsbeschreibung mit Hilfe von Ökozeichen die Anforderung formulieren, dass ein Produkt ein bestimmtes Material, z. B. statt Kunststoff Holz, enthält, oder dass es bestimmte Chemikalien nicht beinhaltet96. Gemäß Art. 43 Abs. 1 VRL können die öffentlichen Auftraggeber in ihren Anschaffungen umweltbezogene oder soziale Gütezeichen in den technischen Spezifikationen, in den Zuschlagskriterien oder in den Ausführungsbedingungen als Nachweis dafür verlangen, dass die Bauleistungen, Dienstleistungen oder Lieferungen den geforderten Merkmalen entsprechen. Im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe dürfen nur solche Anforderungen an Umweltzeichen angewendet werden, die mit dem Auftragsgegenstand im Zusammenhang stehen sowie objektiv und nichtdiskriminierend abgefasst sind. Außerdem müssen die Gütezeichen wissenschaftlich begründet, transparent erarbeitet und allgemein zugänglich sein. Die Anforderungen an die Gütezeichen müssen von unabhängigen Dritten festgelegt werden, auf den der Wirtschaftsteilnehmer, der das Gütezeichen beantragt, keinen maßgeblichen Einfluss ausüben kann (Art. 43 Abs. 1 litt. a) – e) VRL). In der Max Havelaar-Entscheidung ist entschieden worden, dass es nicht zulässig sei, zur Beschreibung einer Leistung pauschal auf die Anforderungen eines Umweltzeichens zu verweisen. Die Auftragsstellen müssen sich daher die Anforderungen genau ansehen, die ein Umweltzeichen aufstellt und diese in der Leistungsbeschreibung im Einzelnen benennen97. Nach der Verabschiedung der neuen Richtlinien ist die Anwendung der Gütezeichen vereinfacht worden. Unter bestimmten Voraussetzungen können diese auch ausdrücklich verlangt werden. Verlangt der Auftraggeber nicht, dass die Angebote allen Anforderungen eines Gütezeichens entsprechen, so hat er genauer anzugeben, welche Anforderungen des genannten Gütezeichens zu erfüllen sind. Die Vorschriften des Art. 43. Abs. 1 II. VRL sind in § 34 Abs. 3 VgV sowie in § 59 Abs. 2 ungVergG umgesetzt worden. Art. 43 Abs. 1 III. VRL verlangt weiterhin zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, dass die öffentlichen Auftraggeber, die ein bestimmtes Gütezeichen for96 97
Saphir/Schmidt, 2015, 8. Siehe die Max Havelaar-Entscheidung Rn. 63 ff.
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dern, alle anderen Nachweise akzeptieren müssen, die bestätigen, dass die Anforderungen gleichwertig erfüllt werden. D. h. wenn ein Auftraggeber ein Umweltzeichen als Nachweis zulässt, so hat er in den Vergabeunterlagen ausdrücklich auch jedes andere geeignete Beweismittel (z. B. Prüfberichte anerkannter Stellen) als Nachweis der Gleichwertigkeit anzuerkennen, was in der Regel mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ geschieht. Die obigen Bedingungen zum Nachweis der Gütezeichen wurden in Deutschland in § 34 VgV und in Ungarn in den §§ 59 – 60 ungVergG zwingend in das nationale Recht umgesetzt. Umweltzeichen, wie beispielsweise der Blaue Engel (Deutschland), der Nordic Swan (Nord-Europa), das EU Ecolabel, der Energy Star Label, der „környezetbarát termék“ (Ungarn)98 oder das Umweltzeichen (Österreich), erfüllen als Nachweis besonders umweltverträglicher Produkte99 die Voraussetzungen der VRL. So wird in beiden hier untersuchten Ländern mit Vorliebe auf diese verwiesen100. Außerdem sind für Papier- und Holzprodukte auch die Gütezeichen FSC und PEFC beliebt. Darüber hinaus kann man mit TCO-Zeichen nicht nur Umwelt-, sondern auch umfassend andere Nachhaltigkeitseigenschaften nachweisen. Eine öffentliche Beschaffungsstelle kann als Beweis, dass die Anforderungen der Leistungsbeschreibung eingehalten sind, neben bestimmten Gütezeichen für bestimmte Produktgruppen (vgl. § 34 VgV, § 32 SektVO und § 7a EU Abs. 6 VOB/ A) auch sonstige Nachweise verlangen, wie Bestätigungen über die Einhaltung von nationalen oder europäischen technischen Normen (z. B. der DIN oder der CEN) sowie andere Bescheinigungen (§ 33 VgV). Im Bereich der Eignungsnachweise verlangen die Auftraggeber häufiger EMASGütesiegel („Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung“)101. Bei EMAS handelt es sich nicht um ein spezifisches Gütezeichen für eine Ware oder Leistung, sondern um einen Beleg über die Einhaltung von Normen der Qualitätssicherung und des Umweltmanagements eines Unternehmens insgesamt gemäß Art. 62 i.V.m. dem Erwägungsgrund Nr. 88 VRL. Diese europäischen 98
Vom Ungarischen ins Deutsche übersetzt: umweltfreundliches Produkt. Siehe zu den drei Arten der ISO-Umweltzeichen, Hermann, Rechtsgutachten 2017, S. 57 f. 100 Der Kompass Nachhaltigkeit (http://oeffentlichebeschaffung.kompass-nachhaltigkeit. de/) unterstützt Beschaffungsverantwortliche des öffentlichen Sektors bei der Einbeziehung sozialer und umweltrelevanter Aspekte in das Vergabeverfahren. Mit Hilfe des GütezeichenFinders werden sie bei der Suche geeigneter Gütezeichen unterstützt. Siehe hierzu http://oef fentlichebeschaffung.kompass-nachhaltigkeit.de/fileadmin/user_upload/Doks_fuer_Guetezei chen-Finder/So_funktioniert_der_Guetezeichen-Finder.pdf (so am 30. 10. 2017). 101 „EMAS ist die Kurzbezeichnung für das Eco-Management and Audit Scheme. Es zielt auf Unternehmen und sonstige Organisationen, die Energie- und Materialeffizienz systematisch verbessern, schädliche Umweltwirkungen und umweltbezogene Risiken reduzieren sowie ihre Rechtssicherheit erhöhen wollen.“ Siehe https://www.umweltbundesamt.de/themen/ wirtschaft-konsum/wirtschaft-umwelt/umwelt-energiemanagement/emas-umweltmanagementguetesiegel-der-europaeischen. 99
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Maßnahmen sind in § 49 VgV sowie in § 24 Abs. 4 ungRegVO Nr. 321/2015. (X.30.) umgesetzt worden. 4. Nebenangebote Die Anforderungen der Leistungsbeschreibung sind grundsätzlich von allen Angeboten ohne Abänderungen zu erfüllen, es sei denn, die öffentliche Beschaffungsstelle lässt ausdrücklich Nebenangebote oder alternative Vorschläge zu. Nebenangebote eröffnen für die Beschaffungsstellen eine gute Möglichkeit, umweltfreundliche Alternativen bei den bietenden Unternehmen abzufragen. Unternehmen können solche innovativen umwelttechnischen Varianten anbieten, über die die öffentliche Beschaffungsstelle unter Umständen noch gar keine Kenntnis hat102. Art. 45 VRL ermöglicht die Zulassung von Nebenangeboten unter dem Titel „Varianten“ ausdrücklich, wenn die öffentliche Beschaffungsstelle in der Bekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung darauf hinweist, dass Varianten zugelassen oder verlangt werden. Fehlt eine entsprechende Angabe, so sind keine Varianten, also auch nicht mögliche umweltfreundliche Alternativen zugelassen. In diesem Sinne wurde die Zulassung von Nebenangeboten nach deutschem Recht gemäß § 35 VgV (bzw. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A) und nach ungarischem Recht in § 61 Abs. 1 – 3 ungVergG richtlinientreu umgesetzt. Demnach soll die Zulassung von Nebenangeboten in den beiden untersuchten Ländern ausdrücklich in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen angegeben werden, wobei die öffentliche Beschaffungsstelle Mindestanforderungen festzulegen hat, die von den Nebenangeboten zu erfüllen sind. Dabei gilt auch für Nebenangebote die Regel, dass diese wie alle Angebote mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen müssen103. In diesem Sinne kann der Auftraggeber beispielsweise konventionell betriebene (Benzin oder Diesel) Fahrzeuge ausschreiben, aber zugleich – als Varianten – alternativ betriebene (Elektro- oder Hybrid-)Fahrzeuge zulassen. In diesem Fall können die Angebote mit und ohne Variante nach denselben Zuschlagskriterien bewertet werden, um das wirtschaftlich günstigste Angebot herauszufinden. Dadurch wird den öffentlichen Auftraggebern, wenn sie über die Kosten oder Umweltauswirkungen eines alternativen Produkts oder einer alternativen Dienstleistung im Unklaren sind, ermöglicht, mehrere Angebote, – mindestens ein Standardangebot und ein Nebenangebot – miteinander zu vergleichen104. Die Varianten müssen natürlich mit dem 102 Umweltorientierte Beschaffung! Ein Handbuch für ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen, vorläufiges Dokument der Kommissionsdienststellen, 3. Auflage 2016, 39 f. (fortan: Umweltorientierte Beschaffung! 2016) http://ec.europa.eu/environment/gpp/pdf/ handbook_2016_de.pdf. 103 Hermann, Rechtsgutachten 2017, S. 66. 104 Umweltorientierte Beschaffung! 2016, 40.
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Auftragsgegenstand in Zusammenhang stehen, damit sie der ursprünglich gewünschten Beschaffung entsprechen. Trotz den geschilderten Vorteilen werden Nebenangebote in Ausschreibungen wegen Vergleichsschwierigkeiten der Angebote sowohl in Ungarn als auch in Deutschland verhältnismäßig selten zugelassen. 5. Eignungsprüfung Aufgrund seiner Beschaffungsautonomie105 kann der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen die Anforderungen an die Bieter selbst festlegen. Die Eignungsprüfung wird sowohl nach § 65 Abs. 1 ungVergG als auch nach § 122 Abs. 2 GWB i.V.m. § 42 ff. VgV in drei Kategorien unterteilt. Erstens hat der öffentliche Auftraggeber die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, zweitens die technische und berufliche Leistungsfähigkeit und drittens die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung zu prüfen und festzustellen, ob die Bieter die nötige Fachkunde und Leistungsfähigkeit besitzen sowie rechtlich zuverlässig sind und nicht unter zwingende oder fakultative Ausschlussgründe fallen106. Der Verstoß gegen umweltrechtliche Verpflichtungen wäre beispielsweise ein fakultativer Ausschlussgrund, der die rechtliche Zuverlässigkeit der Bieter untergräbt. In diesem Sinne müssen die öffentlichen Auftraggeber gemäß Art. 58 Abs. 1 VRL ihre Auswahlkriterien darauf fokussieren, „dass ein Bewerber oder Bieter über die rechtlichen und finanziellen Kapazitäten sowie die technischen und beruflichen Fähigkeiten zur Ausführung des zu vergebenden Auftrags verfügt. Alle Anforderungen müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und mit diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen.“ Außerdem stellt Art 58 Abs. 3 dritter Abschnitt fest, dass die verlangten Methoden und Kriterien – wie gewohnt – transparent, objektiv und nichtdiskriminierend sein müssen.107 Darüber hinaus müssen die Eignungskriterien gemäß den Aussagen der Max Havelaar-Entscheidung zur Verbesserung der Nachhaltigkeit das Maß an Klarheit, Präzision und Eindeutigkeit aufweisen, das alle gebührend informierte und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter in die Lage versetzt werden, sicher und in vollem Umfang zu wissen, welche Kriterien diese Anforderungen umfassen108.
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Siehe unter Punkt 4.1. Beschaffungsfreiheit und ihre Grenzen. Siehe zu den sog. Eignungstrias, Noch, 2016, Rn. 1517 ff. 107 Siehe hierzu Prieß, Hans-Joachim, Eignung und Ausschluss nach der neuen Vergaberichtlinie, in: Pünder, Hermann/Prieß, Hans-Joachim (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch II – Die neuen EU-Vergaberichtlinien und ihre Umsetzung Pinkenburg, Band I/14, Bucerius Law School 2015, 20 – 22. (fortan: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch II 2015, S.); Günther, Die (un-)zulässige nachträgliche Verschärfung von Eignungskriterien, NZBau 5/ 2017, 271, 272 ff. 108 Max Havelaar-Entscheidung Rn. 110. 106
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Der Richtliniengeber erwähnt unter den Eignungskriterien die grünen Aspekte nicht ausdrücklich. Es kann jedoch kein Hindernis bedeuten, dass der Auftraggeber Referenzen von vergangenen Leistungen fordert, wie z. B. bei einer Beschaffung von Ökostrom eine Referenzliste über die Belieferung vergleichbarer Kunden mit Ökostrom, oder aus Umweltaspekten relevantes Know-how und Ausrüstung. Das gilt auch für die entsprechende Forderung von Qualifikationsnachweisen für das Personal109. Diese Vorgaben müssen sich konkret auf die ausgeschriebene Leistung beziehen, wobei der Auftraggeber allgemeine ökologische Aktivitäten nicht verlangen darf. Diese Voraussetzung wird auch in dem Max Havelaar-Urteil bestätigt110. Ergänzend behandelt Art. 62 VRL die Einzelheiten der Nachweise für Qualitätssicherung und Umweltmanagement. Diese Maßnahmen ermöglichen ausdrücklich, umweltrelevante Managementsysteme in den Eignungsnachweisen einzubeziehen. Danach dürfen die Auftraggeber als Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit verlangen, dass das bietende Unternehmen Normen für das Umweltmanagement erfüllt, wenn diese für die Ausführung des Auftrags relevant sind. Als Nachweis kann eine Zertifizierung nach dem europäischen Umweltmanagementsystem EMAS111 oder nach anderen gleichwertigen europäischen oder internationalen Normen112 eingefordert werden113. Die Umsetzungsvorschriften der Richtlinienbestimmungen sind in diesem Bereich in § 49 VgV und in § 24 Abs. 4 ungRegVO Nr. 321/2015. (X.30.) geregelt. Im Hinblick darauf, dass vor der Verabschiedung der Richtlinien 2014 sowohl in der deutschen114 als auch in der ungarischen Rechtspraxis115 zahlreiche Sachverhalte bekannt sind, in denen als Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit eine Zertifizierung nach EMAS oder nach ISO 14001 Normen verlangt wurde, kann die For109
Saphir/Schmidt, 2015, 9. Max Havelaar-Entscheidung Rn. 107 ff.; Hermann, Rechtsgutachten 2017, S. 69. 111 Verordnung (EG) Nr. 1221/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 11. 2009 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 761/2001 sowie der Beschlüsse der Kommission 2001/681/EG und 2006/193/EG (EMAS III) Abl. der EG Nr. L 342 vom 22. 12. 2009, S.1. 112 Siehe z. B. das internationale privatwirtschaftliche System DIN EN ISO 14001, www. 14001news.de/ (so am 30. 10. 2017). 113 Siehe die Einzelheiten über die Umweltmanagementansätze in Deutschland, http:// www.emas.de/ueber-emas/umweltmanagement/. Siehe auch die Broschüre: Systematisches Umweltmanagement, Mit EMAS Mehrwert schaffen. Die Unterschiede zwischen EMAS und ISO 14001, EMAS: Eco-Management and Audit Scheme, 2015, http://www.emas.de/filead min/user_upload/06_service/PDF-Dateien/Mit-EMAS-Mehrwert-schaffen_VergleichISO14001.pdf. 114 Hermann, Rechtsgutachten 2017, S. 69 f. 115 Siehe zu den Entscheidungen der Schiedsstelle, Gyulai-Schmidt, Andrea, Ökológiai szempontok a magyar és a német közbeszerzési eljárásban (Ökologische Kriterien in dem ungarischen und dem deutschen Vergabeverfahren), in: Darák, Péter/Koltay, András (Bearb.), Ad astra per aspera, Festschrift zum 80. Geburtstag von Pál Solt, Xenia, Pázmány Press, Budapest 2017. 242 – 244. 110
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derung der Umweltmanagementsysteme als Eignungskriterium nicht als etwas Neues betrachtet werden. Auch bei den neueren Fällen über die Bewertung der Umweltmanagementsysteme116 lässt sich feststellen, dass ein Eignungskriterium, das vorschreibt, dass nur solche Wirtschaftsteilnehmer geeignet sind, die unabhängig von dem Auftragsgegenstad über die EMAS Qualifizierung verfügen oder wenn der Auftraggeber als Referenzforderung nicht vorschreibt, welche Volumen der vorherigen Lieferungen oder sonstigen Leistungen im Vergleich zum vergebenden Vertrag nachgewiesen werden müssen, sondern über welche Lieferkapazität die Unternehmung im Allgemeinen verfügen soll, führt meistens zur Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. In Verbindung mit dem letzteren Aspekt hat der EuGH bezogen auf die Zuschlagskriterien bereits in der Wienstrom-Entscheidung allgemeingültige Grundsätze auch zur Nachweis der Eignung festgestellt117. In diesem Sinne ist die unmittelbare Verbindung mit dem Auftragsgegenstand in Zusammenhang mit angemessenen Eignungsanforderungen unbedingt zu beachten.118 Damit unangemessenen Eignungsanforderungen vermieden werden, schreibt Art. 58 Abs. 3 Unterabschnitt 2 das Folgende vor: „Der Mindestjahresumsatz, der von Wirtschaftsteilnehmern verlangt wird, darf nicht das Zweifache des geschätzten Auftragswerts übersteigen, außer in hinreichend begründeten Fällen, die spezielle, mit der Wesensart der Bauleistungen, Dienstleistungen oder Lieferungen einhergehende Risiken betreffen.“ Wegen der absoluten Wirkung der Eignungsvorschriften hat der ungarische Gesetzgeber die oben zitierte Vorschrift – im Vergleich mit der genauen deutschen Richtlinienumsetzung in § 45 Abs. 2 VgV – wesentlich strenger geregelt. In diesem Sinne wurde in § 65 Abs. 5 ungVergG sogar bei der Forderung von Referenznachweisen eine Wunschbremse für die Ausschreibungsstellen eingebaut. Danach darf nicht nur hinsichtlich des Mindestjahresumsatzes, sondern des qualitativen und quantitativen Umfangs der Referenzen als Nachweis von früheren Lieferungen, Bauleistungen bzw. Dienstleistungen von nicht höher als 75 Prozent des Wertes bzw. der Menge der öffentlichen Auftragsvergabe eingefordert werden. Bei Eignungsnachweisen bilden mittlerweile bezogen auf die nachhaltige Entwicklung die Qualifikation und fachliche Erfahrung des einbezogenen Personals einen wichtigen Gesichtspunkt119. Früher konnte der Auftraggeber wegen der stren116
Siehe z. B. Beschluss der Schiedsstelle D.805/6/2016, abgeschlossen mit dem Urteil des Kecskeméter Verwaltungs- und Arbeitsgerichts Nr. 3.K27.421/2017/20, KÉ Nr. 2017/209, veröffentlicht am 20. 11. 2017. 117 Wienstrom-Entscheidung Rn. 71. 118 Noch, 2016, Rn. 1550 ff. 119 Pauka, Marc, Ein bisschen „Mehr an Eignung“ – Personenbezogene Zuschlagskriterien nach der 7. ÄVOVgV. NZBau 1/2015, 18 – 23; Otting, Olaf, Eignung- und Zuschlagskriterien im neuen Vergaberecht. VergabeR 3/2016, 325; Varga, Ágnes/Dezso˝ , Attila (Bearb.), Kommentár a közbeszerzési törvényhez (Kommentar zum Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge) 2016, § 76 ungVergG, S. 471 – 472. (fortan: Autor/Dezso˝ , Attila (Red.), Kommentar zum ungVergG 2015, S.).
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gen Trennung zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien das umweltrelevante Know-how und die Ausrüstung der Bieter verbunden mit dem zu vergebenden Vertrag, im Wesentlichen unter den Zuschlagskriterien bewerten120. Aufgrund der Ambisig-Entscheidung des EuGH sowie der einschlägigen Richtlinienbestimmungen wird ermöglicht, dass die Qualifikation des in die Leistung einbezogenen Fachpersonals als Eignungskriterium bewertet wird121. Nichtdestotrotz gilt weiterhin das Verbot der doppelten Beurteilung, d. h., dass die verschiedenen Wertungsstufen getrennt zu behandeln sind, wonach Eignungs- und Zuschlagskriterien grundsätzlich nicht vermischt werden dürfen122. In diesem Sinne regeln sowohl § 46 Abs. 3 Punkt 6 VgV, als auch § 21 Abs. 1f) sowie Abs. 2e) und Abs. 3f) ungRegVO Nr. 321/2015. (X.30.) die eindeutige Trennung zwischen den Wertungsstufen. 6. Ausschluss aus dem Verfahren Im Bereich der Eignungsprüfung bzw. hinsichtlich des Ausschlusses aus dem Vergabeverfahren regelt Art. 57 Abs. 3 i.V.m. dem Erwägungsgrund Nr. 101 VRL den Verstoß gegen eine umweltrechtliche Verpflichtung unter den fakultativen Ausschlussgründen. Die damit zusammenhängenden Harmonisierungsvorschriften finden sich in § 124 Abs. 1 Punkt 1 GWB sowie in § 63 Abs. 1 litt. a) und b) ungVergG. Danach erhalten die öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit, solche Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, die sich wegen Verstoßes gegen umwelt- oder sozialrechtliche Verpflichtungen, einschließlich der Vorschriften zur Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen oder wegen anderer Formen schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens, wie der Verletzung von Wettbewerbsregeln als unzuverlässig erwiesen haben. Diese Fehlverhalten gelten im Sinne des Richtlinienrechts als so schwerwiegend, dass diese die berufliche Integrität eines Wirtschaftsteilnehmers infrage stellen und hinsichtlich der Erfüllung des öffentlichen Auftrags zu Ungeeignetheit führen können.
120 Urteil des EuGH v. 24. 01. 2008, Rs. C-532/06. Lianakis AE, Sima Anonymi Techniki Etaireia Meleton kai Epivlepseon und Nikolaos Vlachopoulos ./. Dimos Alexandroupolis, [ECLI:EU:C:2008:40] über den Umfang der Zuschlagskriterien und über die Transparenz sowie Urteil des BGH 15. 04. 2008 X ZR 129/06.; zuletzt bezog sich darauf die VK Baden Würtenberg am 18. 10. 2016 über die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots (Az. 1 VK 41/16). 121 Siehe zur Qualifikation des in die Auftragserfüllung einbezogenen Personals, Urteil des EuGH v. 26. 03. 2015, Rs. C-601/13. Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA kontra Nersant – Associação Empresarial da Região de Santarém és Núcleo Inicial – Formação e Consultoria Lda, [ECLI:EU:C:2015:204]. 122 Siehe zum Problem der Vermischung der Wertungsstufen: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch II 2015, S. 23 f.; Noch, 2016, 1579 ff.
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7. Zuschlagskriterien Die Zuschlagskriterien stellen gemäß Erwägungsgrund Nr. 89 VRL einen zentralen Begriff der Vergaberichtlinien 2014 dar. Durch die kreative Anwendung der Zuschlagskriterien kann unter den Bedingungen eines effektiven Wettbewerbs das wirtschaftlich günstigste Angebot de facto besser ermittelt werden. Auf dieser Grundlage hat der öffentliche Auftraggeber das beste Preis-Leistungs-Verhältnis über den Preisfaktor hinaus durch Berechnung der Kostenwirksamkeit und der Gestaltung eines Qualitätswettbewerbs zu erkunden. Darüber hinaus lässt sich über die Zuschlagskriterien feststellen, dass sie am ehesten zahlreihe Möglichkeiten für die Einbindung von Umweltkriterien in das Vergabeverfahren bieten. Wie bereits in Punkt 4.2. über die Einengung des Unternehmenskreises darauf hingewiesen wurde, unterscheidet sich der Effekt der Eignungs- und Zuschlagskriterien auf den Wettbewerb entscheidend. Im Gegensatz zur Mindesthürde von Eignungskriterien haben Zuschlagskriterien eine relativere Wirkung.123 Auch wenn die Angebote solcher Unternehmen, wegen mangelhafter oder fehlender Erfüllung bestimmter Zuschlagskriterien, beispielsweise Umweltkriterien, in Nachteil geraten würden, verbleiben diese in der Angebotswertung. Ihnen wird also die Chance nicht genommen, die Nachteile durch Vorteile bei anderen Zuschlagskriterien, z. B. durch einen niedrigeren Angebotspreis, zu kompensieren124. a) Die verbundene EuGH-Rechtsprechung Die kreative Umgehungsweise mit den Zuschlagskriterien lässt sich anhand der relativ hohen Zahl der vergaberechtlichen Urteile des EuGH und anderer nationaler Entscheidungen abbilden125. Sogar die meisten EuGH-Urteile, wie die Concordia Bus-, die Wienstrom-126 sowie die Evropaïki Dynamiki-Entscheidung127 befassten sich überwiegend im Bereich der grünen Vergabe mit der Auslegung von Zuschlagskriterien. Anhand der Entscheidungen Concordia Bus128 und Wienstrom129 wurden vier Voraussetzungen zur Integrierung der ökologischen Zuschlagskriterien im Vergabever123
Hermann, Rechtsgutachten 2017, 81 – 82. Siehe Fn. 68. 125 Siehe im Punkt 3 die Kurzübersicht der umweltrelevanten EuGH-Entscheidungen. 126 Siehe Fn. 28, 29. 127 Siehe Fn. 30. 128 Siehe Rn. 64 und 69 sowie auch den Tenor des Urteils Concordia Bus. So darf nach Rn. 69 der zitierten Entscheidung „der Auftraggeber, wenn er im Rahmen eines öffentlichen Auftrags über die Erbringung von städtischen Busverkehrsdienstleistungen beschließt, einen Auftrag an den Bieter zu vergeben, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat, Umweltschutzkriterien wie die Höhe der Stickoxidemissionen oder den Lärmpegel der Busse berücksichtigen …, sofern diese Kriterien mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, dem Auftraggeber keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen, ausdrücklich 124
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fahren zusammengefasst. Danach können Umweltschutzaspekte als Zuschlagskriterien im Rahmen des wirtschaftlich günstigsten Angebots bei den folgenden Voraussetzungen berücksichtigt werden: • Erstes müssen die ökologischen bzw. umweltrelevanten Aspekte der Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand (z. B. Produkt und Prozessqualität der zu beschaffenden Ware oder sonstigen Leistung) zusammenhängen; • zweites wird dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit eingeräumt, d. h. dass die vorgeschriebenen Umweltkriterien auch wie die sonstigen Wertungskriterien im Vergabeverfahren objektiv und vergleichbar sein müssen; • drittens müssen die vorgeschriebenen Kriterien im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags ausdrücklich genannt werden (Transparenzpflicht), und • viertens müssen bei ihnen alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot, beachtet werden. Ergänzend zur Transparenzpflicht hat der EuGH in seinem TNS Dimarso-Urteil130 klargestellt, dass die Bewertungsmethode hinsichtlich der Zuschlagserteilung im Voraus nicht veröffentlicht werden muss. Neben den Zuschlagskriterien, deren Unterkriterien und deren Gewichtung führte der EuGH den Zuschlagsparameter der Bewertungsmethode ein. Die deutsche Rechtspraxis hat eine längere Diskussion darüber geführt, ob die Zuschlagskriterien und die Bewertungsmethoden detailliert gemäß der so genannte „Schulnotenrechtsprechung“ des OLG Düsseldorf131 darge-
im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags genannt sind und bei ihnen alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Diskriminierungsverbot, beachtet werden.“ 129 Wie es in Rn. 34 der Wienstrom-Entscheidung lautet: „Daraus ergibt sich, dass es die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehren, im Rahmen der Beurteilung des wirtschaftlich günstigsten Angebots für die Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von Strom ein Kriterium festzulegen, das die Lieferung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern verlangt, sofern dieses Kriterium mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängt, dem Auftraggeber keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumt, ausdrücklich im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags genannt ist und alle wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Diskriminierungsverbot, beachtet.“ 130 Urteil des EuGH v. 14. 07. 2016, Rs. C-6/15. TNS Dimarso NV ./. Vlaams Gewest, [ECLI:EU:C:2016:555] Rn. 27 f. über die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots sowie über die Veröffentlichung der Bewertungsmethoden. NZBau 2016, 772 = EuZW 2016, 751. 131 Mit der so genannten Schulnotenrechtsprechung hat das OLG Düsseldorf die Anforderungen derart verschärft, dass es nicht mehr ausreiche, nur Zuschlagskriterien und deren Gewichtung bekanntzugeben. Es müssen zuverlässige und kalkulierbare Informationen auch über den Bewertungsmaßstab bekanntgegeben werden. Vgl. die Beschlüsse des OLG Düsseldorf v. 21. 10. 2015. – VII-Verg 28/14 u. a., und v. 01. 06. 2016 – VII-Verg 6/16 u. a.
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legt werden sollten132, oder nach einer milderen Auffassung u. a. der OLG Dresden keine derart detaillierte Veröffentlichung notwendig ist133. Der EuGH hat letztere Auffassung in seinem Dimarso-Urteil bestätigt. Dennoch betont auch die neuere OLG-Praxis, dass eine ex-post Transparenzpflicht und die ordnungsgemäße Begründung der Wertungsentscheidungen im Einzelfall erfolgen muss134. Auch die Erwägungsgründe 89 und 90 VRL fordern, dass die Zuschlagskriterien, darunter auch die Umweltkriterien, „so einfach und übersichtlich wie möglich dargestellt werden“ sollen. Dabei sollen die öffentlichen Aufträge „auf der Grundlage objektiver Kriterien vergeben werden, die die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung gewährleisten, um einen objektiven Vergleich des relativen Werts der Angebote sicherzustellen, damit unter den Bedingungen eines effektiven Wettbewerbs ermittelt werden kann, welches das wirtschaftlich günstigste Angebot ist.“ Die oben geschilderten Rahmenbedingungen der EuGH-Urteile und der VRL sind sowohl in § 127 Abs. 3 bis 5 i.V.m. § 58 VgV als auch in § 76 Abs. 6 und 7 sowie in § 77 Abs. 5 und in § 78 ungVergG135 entsprechend umgesetzt worden. b) Das wirtschaftlich günstigste Angebot Gemäß Art. 67 Abs. 2 i.V.m. den Erwägungsgründen 89 und 90 VRL wird der Zuschlag anhand der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots erteilt. Danach soll der Bieter, der den Zuschlag erhält, den öffentlichen Auftraggeber überzeugen können, im Vergleich zu den anderen Bietern die wirtschaftlich beste Lösung zu unterbreiten. Im Erwägungsgrund Nr. 89 wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass bereits in den Vergaberichtlinien 2004 das Zuschlagskriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ verwendet wurde. Daher sollte ein anderer Begriff eingeführt werden, nämlich das „beste Preis-Leistungs-Verhältnis“. Dieser sollte im Einklang mit der Rechtsprechung und mit den geltenden Richtlinien ausgelegt werden, sofern die vorliegende Richtlinie nicht eine sachlich klar unterschiedliche Lösung bietet.
132 Siehe auch die Beschlüsse des OLG Düsseldorf v. 2. 11. 2016 – VII-Verg 25/16, NZBau 2017, 116, sowie v. 8. 3. 2017 – VII-Verg 39/16, NZBau 2017, 296. Friton, Pascal/Stein, Roland M., (K)ein Ende der Schulnotenrechtsprechung?, NZBau 5/2017, 267 ff. 133 Beschlüsse des OLG Dresden v. 26. 1. 2016 – Verg 1/16, BeckRS 2016, 115762 sowie v. 2. 2. 2017 – Verg 7/16 = BeckRS 2017, 105306 und Beschluss des BGH v. 04. 04. 2017 – X ZB 3/17, Beschluss des OLG Düsseldorf v. 08. 03. 2017 – VII-Verg 39/16. Otting, Olaf, Eignungsund Zuschlagskriterien im neuen Vergaberecht, VergabeR 3/2016, 324 – 325. 134 Siehe auch Friton/Stein, NZBau 5/2017, 270. 135 In Verbindung mit der Anwendung der Bewertungsmethoden (A Közbeszerzési Hatóság útmutatója a nyertes ajánlattevo˝ kiválasztására szolgáló értékelési szempontrendszer alkalmazásáról) wurde der Leitfaden der Behörde der öffentlichen Auftragsvergaben im KÉ Nr. 147/2016 am 21. 12. 2016 veröffentlicht.
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Gemäß den Umsetzungsvorschriften des § 127 Abs. 1 GWB und des § 76 Abs. 1 und 2 ungVergG wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich sowohl nach dem deutschen, als auch nach dem ungarischen Recht anhand des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses. Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den Kosten, wie die Lebenszykluskosten, auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden. Die Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses bedeutet nicht automatisch, dass der Auftraggeber einen reinen Preiswettbewerb nicht mehr durchführen darf (siehe oben Punkt 5.7.3.). Es wird jedoch von der Gesetzgebung immer stärker befürwortet, dass neben dem Preis mindestens die sonstigen relevanten Kosten von der Anschaffung bis zur Beendigung des Vertrags, eventuell sogar die Recyclingkosten der angeschafften Ware berücksichtigt werden. Zu einer solchen Lebenszykluskostenberechnung kann es typischerweise bei Lieferungen oder bei Bauleistungen kommen.136 Der Erwägungsgrund Nr. 96 VRL deutet klar darauf hin, dass im Sinne der Verwirklichung der Ziele der Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum der öffentliche Auftraggeber das wirtschaftlich günstigste Angebot und den niedrigsten Preis unter Zugrundelegung einer Lebenszykluskostenrechnung zu bestimmen hat. Bei der Lebenszykluskostenrechnung können bzw. sollen sämtliche anfallenden internen und externen Kosten über den gesamten Lebenszyklus der Beschaffung berücksichtigt werden. Zu den internen Kosten gehören die Kosten für durchzuführende Forschung, Entwicklung, Produktion, Transport, Nutzung, Wartung und Entsorgung. Dabei sind Kriterien und Bedingungen zu nennen, z. B. dass zur Herstellung der beschafften Waren keine giftigen Chemikalien verwendet werden dürfen, oder dass die erworbenen Dienstleistungen unter Verwendung energieeffizienter Maschinen bereitgestellt werden. Weitere ökologische Aspekte können gemäß der Rechtsprechung des EuGH die Handelsbedingungen betreffen137, damit die Ware aus fairem Handel stammt, oder bei der Anlieferung, Verpackung und Entsorgung bei den Waren-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen Abfallminimierung oder höhere Ressourceneffizienz erreicht wird (Erwägungsgrund Nr. 97 VRL). Darüber hinaus gibt es auch Kosten, die externe Effekte auf die Umwelt umfassen, „wie eine durch die Gewinnung der in der Ware verwendeten Rohstoffe oder die Ware selbst oder ihre Herstellung hervorgerufenen Umweltverschmutzung, sofern sie sich finanziell bewerten und überwachen lassen.“ (Erwägungsgrund Nr. 96 136 Möller, Martin, Umweltfreundliche Beschaffung Schulungsskript 5, Einführung in die Berechnung von Lebenszykluskosten und deren Nutzung im Beschaffungsprozess. Umweltbundesamt. 2012. 2 – 25. https://www.google.hu/#q=umweltfreundliche+%C3%B6ffentli che+beschaffung+umweltbundesamt+schulungsskript+5.+Lebenszyklus; Varga, Ágnes/ Havas-Kovács, Gabriella, Az életciklusköltség-számítás alkalmazásának leheto˝ ségei a közbeszerzési eljárásokban (Die Möglichkeiten der Anwendung der Lebenszyklusberechnung in den Vergabeverfahren), Közbeszerzési Szemle 4/2017, 53 – 56. 137 Siehe die Max Havelaar-Entscheidung Rn. 37, 73, 84 – 91.
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VRL). Externe Kosten, wie die CO2- oder andere Schadstoffemissionen, deren Kosten meistens von der Allgemeinheit getragen werden, können im Rahmen der Angebotswertung berücksichtigt werden, sofern diese mit der ausgeschriebenen Leistung in Verbindung stehen138. Erwägungsgrund Nr. 96 VRL weist auch darauf hin, dass die Methoden, die für die Bewertung der externen Kosten auf die Umwelt verwendet werden, in einer objektiven und nichtdiskriminierenden Weise im Voraus festgelegt und allen interessierten Parteien zugänglich gemacht werden sollten. Zur Gestaltung von qualitativen Vergaben kann der öffentliche Auftraggeber auch darüber entscheiden, dass das beste Preis-Leistungs-Verhältnis durch einen Festpreis festgestellt wird. Dabei werden nur andere Kriterien als der Preis- oder Kostenfaktor gewertet, z. B. die Qualifikation des einbezogenen Personals, Liefer- und Zahlungsbedingungen oder Kundendienstaspekte. In diesen Fällen kann das wirtschaftlichste Angebot ausschließlich nach qualitativen, umweltbezogenen oder sozialen Zuschlagskriterien bestimmt werden, wie dieses in § 58 Abs. 2 Punkt 3 VgV § 76 Abs. 4 ungVergG ebenfalls gestattet wird. Nach der vierten Variante der Angebotswertung kann das beste Preis-LeistungsVerhältnis durch eine Kombination aus Qualität und Preis erreicht werden. Danach gibt der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen an, wie er die einzelnen Zuschlagskriterien gewichtet, um das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln139. Neben dem Preis oder den Kosten können insbesondere die qualitativen, umweltbezogenen oder sozialen Zuschlagskriterien berücksichtigt werden. Die Liste der möglichen Zuschlagskriterien in § 58 Abs. 2 VgV sowie in § 76 Abs. 3 a) ungVergG enthält eine wortgleiche Übersetzung von Art. 67 Abs. 2 litt. a) – c) VRL140. Von den ungarischen Auftraggebern ist allgemein ein beliebtes Wertungskriterium in § 76 Abs. 3 b) „… die Qualifikation und Erfahrung des mit der Auftragsausführung betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann“141. In Zusammenhang mit diesem Zuschlagskriterium kann der Auftraggeber auch umweltbezogene Aspekte anfordern, aber die Qualität des eingesetzten Personals kann auch aus einem anderen Blickwinkel ins Verfahren einbezogen werden. Wichtig ist 138
Saphir/Schmidt, 2015, 9. Kulartz, Hans-Peter/Scholz, Daniel, Zuschlagskriterien – Grenzen bei der Gewichtung?, VergabeR 2014/2, 109 – 111; Otting, Olaf, Eignungs- und Zuschlagskriterien im neuen Vergaberecht, VergabeR 2016/3, 324 – 325. 140 Zu diesen Kriterien kann u. a. Folgendes gehören: a) Qualität, einschließlich technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Zugänglichkeit, Design für alle, soziale, umweltbezogene und innovative Eigenschaften und Handel sowie die damit verbundenen Bedingungen; b) Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann, oder c) Kundendienst und technische Hilfe, Lieferbedingungen wie Liefertermin, Lieferverfahren sowie Liefer- oder Ausführungsfrist. 141 Siehe i.V. damit Erwägungsgrund Nr. 94 VRL. 139
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nur, dass wenn dieser Aspekt als Eignungskriterium bereits gewertet wurde, er dann nicht noch einmal bei dem Zuschlag in Betracht kommen darf142. c) Wenn nur der Preis zählt … Nach Art. 67 VRL können die öffentlichen Auftraggeber für die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots frei als alleiniges Wertungskriterium den Preis wählen. Auch der deutsche Gesetzgeber sieht keine allgemeine Verpflichtung vor, andere Kriterien neben dem Preis bzw. Kostenaspekt festzulegen. Daher kann der Zuschlag auch allein auf das preislich günstigste Angebot erteilt werden. Der ungarische Gesetzgeber entschied sich für strengere Umsetzungsvorschriften. Im Hinblick auf das Sintesi SpA-Urteil143, wonach der nationale Gesetzgeber die Möglichkeit einschränken kann, das alleinige Kriterium des niedrigsten Preises anzuwenden, sowie auf den Erwägungsgrund Nr. 90 II i.V.m. Art. 67 Abs. 2 III VRL kann nach den ungarischen Wertungsvorschriften der Preis als einziges Zuschlagskriterium nur ausnahmsweise unter bestimmten Bedingungen angewendet werden. Im Regelfall hat der öffentliche Auftraggeber die niedrigsten Kosten oder das beste Preis-Leistungs-Verhältnis vorzuschreiben. Der ungarische Auftraggeber darf als alleiniges Bewertungskriterium den niedrigsten Preis nur dann anwenden, wenn ein(e) konkret festgelegte(n) qualitativen und technischen Anforderungen entsprechende(s) Produkt oder Dienstleistung seinen Bedürfnissen entspricht und der Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots im konkreten Fall keine weiteren qualitativen Parameter dienen, sondern nur die Bewertung des niedrigsten Preises (§ 76 Abs. 5 Satz 2 ungVergG). Wenn jedoch der öffentliche Auftraggeber Planungs-, Ingenieurs- und Architekturleistungen sowie Bauleistungen ausschreibt, darf das Zuschlagskriterium des niedrigsten Preises als alleiniges Bewertungskriterium überhaupt nicht angewendet werden (§ 76 Abs. 5 Satz 3 ungVergG). Dieses gilt auch für den Wettbewerbsdialog (§ 90 Abs. 6 ungVergG), für das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (§ 100 Abs. 3 ungVergG) sowie für die Innovationspartnerschaft (§ 96 Abs. 4 ungVergG). Obwohl die obigen Vorschriften klar formuliert sind, gab es vor kurzem in einem Vergabeverfahren der Bezirkshauptstadt Miskolc mit der Bezeichnung: „Schaffung eines Grünkatasters über von grünen Stadtprojekten betroffenen Territorien“ ein Nachprüfungsverfahren der Schiedsstelle Nr. D.262/10/2017144 wegen der Anwendung des alleinigen Preiskriteriums. Der Auftraggeber stufte die Fertigstellung eines Aktionsplans und der Feldforschungsaufgaben nicht als 142
Siehe oben die Fn. 120, 121, 122. Urteil des EuGH, Rs. C-247/02. Sintesi SpA ./. Autorità per la Vigilanza sui Lavori Pubblici, 07. 10. 2004 [ECLI:EU:C:2004:593]. 144 Siehe Beschluss der Schiedsstelle v. 4. 7. 2017, http://www.kozbeszerzes.hu/adatbazis/ megtekint/dbhatarozat/portal_258935/ (so am 30. 10. 2017). 143
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Planungs- und Ingenieursleistung ein, obwohl unter den Eignungsvoraussetzungen der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auch Umweltingenieurs-, Garteningenieurs- und Landschaftsarchitektenleistungen angefordert wurden, die eindeutig darauf hinwiesen, dass laut Ausschreibung Planungs- und Ingenieurfachwissen erforderlich waren. In diesem Sinne stellte die Schiedsstelle einen Verstoß gegen § 76 Abs. 5 Satz 3 ungVergG fest und führte aus, dass wenn im Laufe des ganzen Vergabeverfahren mindestens zum Teil auch Ingenieurleistungen gefragt werden, als alleiniges Bewertungskriterium der niedrigste Preis nicht angewendet werden darf (Rn. 41). Daraus folgt allerdings nicht automatisch, dass außer bei den geschilderten Tatbestandsmerkmalen des § 76 Abs. 5 Satz 3 ungVergG, das alleinige Bewertungskriterium des niedrigsten Preises ohne weiteres angewendet werden darf. Aufgrund von § 76 Abs. 5 Satz 2 ungVergG hat nämlich der Auftraggeber, der den Preis als alleiniges Zuschlagskriterium wählt, im konkreten Fall nachzuweisen, dass der Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots keine weiteren qualitativen Parameter der Ware oder Dienstleistung zugrunde liegen, sondern nur die Bewertung des niedrigsten Preises. d) Die Anwendung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses Aufgrund der Rechtsgrundlage von § 76 Abs. 5 Satz 4 ungVergG können hinsichtlich bestimmter Beschaffungsgegenständen die anzuwendenden Wertungskriterien sowie die detaillierten Bewertungsmethoden auch durch andere Rechtsvorschriften festgelegt werden. In diesem Zusammenhang bestimmt die BauRegVO145 ergänzend zum ungVergG, dass für Planungs- und Ingenieuraufträge der Preis maximal 50 % des Gesamtzuschlags betragen kann (§ 9 Abs. 3 BauRegVO), aber für Bauaufträge, bzw. für Bauaufträge mit verbundenen Planungstätigkeit darf der Preis maximal mit 70 % in die Wertung einfließen (§ 24 Abs. 3 BauRegVO)146. Die einzige Ausnahme gilt in diesem Bereich für nukleare Baumaßnahmen, bei denen das Preiskriterium einen höheren Anteil erreichen kann. Vor dem 1. Januar 2017 war die Relation des Preis-Qualitäts-Verhältnisses für Bauaufträge mit verbundenen Planungstätigkeit gemäß § 24 Abs. 3 BauRegVO ebenfalls 50 – 50 %, wie bei den Planungs- und Ingenieuraufträgen nach § 9 Abs. 3 BauRegVO. Da diese strengen Vorgaben ein ernsthaftes Kopfzerbrechen bei den Bauauftraggebern und z. T. keine effektive Qualitätsbesserung für die Leistung bedeutete, erfolgte Anfang des Jahres 2017 eine Milderung des 50 %igen Mindestkriteriums. Bis dahin kam es insbesondere im Jahr 2016 aber auch in 2017 zu
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Siehe Fn. 61. Siehe hierzu, Gszelman, Márta, Az értékelési szempontrendszer kialakítása tekintetében irányadó aktualitások, Közbeszerzési Szemle (Aktualitäten hinsichtlich der Gestaltung der Wertungsmethoden), 3/2017, 29 – 34. 146
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einer erhöhten Anzahl an Nachprüfungsfällen, die die Bestimmung der Zuschlagskriterien gemäß § 24 Abs. 3 der BauRegVO betrafen147. Es gab z. B. eine Ende Dezember 2015 veröffentlichte Ausschreibung, bei dem sich die Ausschreibungsstelle darauf bezog, dass sie noch nicht genügend Zeit hatte die neue Vorschrift, des ungVergG, nach dem 1. November zu studieren, daher schrieb sie wie gewöhnlich 90 % für den Preis und 10 % für die Leistungsdauer als Zuschlagskriterien vor (D.1026/6/2016). Dies war es für die damalige Zeit auch für Bauaufträge eine übliche Zusammenstellung der Zuschlagskriterien. Der ungarische Gesetzgeber hat sich vermutlich aus diesem Grund für die strengeren Vorschriften zugunsten der qualitativen Kriterien entschieden. In einem anderen Fall Mitte 2016 schrieb man ein Verfahren zur energiesparenden Erneuerung eines Schwesterheimes aus, wobei man das 50 % Preiskriterium so erfüllt hat, dass daneben eine 25 %igen Leistungsfrist und ein 15 %iger Anteil für die Berücksichtigung der Umweltschutzkriterien vorgesehen wurden. Diese Gewichtung ergab aber statt 100 % nur insgesamt 90 % (D.1025/8/2016). Daher entsprach die Ausschreibung nicht den Kriterien, dass neben dem Preis mindestens 50 % qualitative Aspekte bewertet werden. Wegen der oben geschilderten strengen Preis-Qualitäts-Maßnahmen und den daraus folgenden etlichen Nachprüfungsfällen wurden die Ausschreibungsstellen dazu gezwungen, ihre Zuschlagskriterien bei Bauaufträgen wesentlich kreativer zu gestalten, als früher. In diesem Sinne wurde ihr Blickwinkel umso mehr auf die ökologischen und sonstigen Nachhaltigkeitskriterien gelenkt. Die BauRegVO selbst gibt in ihrem § 24 Abs. 2 beispielhafte Vorschläge für Zuschlagskriterien außer dem Preis an, die bei Bauvergaben als Qualitätsaspekte angewendet werden können. Insbesondere werden empfohlen: Die Qualifikation des Fachpersonals, die Qualität der empfohlenen Baustoffe, generell die Beachtung der Umwelt- oder Nachhaltigkeitskriterien, der Umgang mit den speziellen territorialen Gegebenheiten (z. B. Kulturerbeschutz, Wasserqualitätsschutz, Naturschutz) oder die Anwendung von innovativen Lösungen.148 Da auch der Gesetzgeber im Laufe des Jahres 2016 die praktischen Schwierigkeiten wegen der hohen Qualitätsanforderungen an die Zuschlagskriterien feststellte, erfolgte ab dem 1. Januar 2017 eine Reduzierung in diesem Bereich. Gemäß § 24 Abs. 3 BauRegVO reicht es demnächst bei Bauaufträgen bzw. bei Beschaffungsgegenständen mit Planungstätigkeit aus, wenn das Preiskriterium maximal 70 % be147 Siehe z. B. die Entscheidungen der Schiedsstelle Nr. D.1025/8/2016 v. 16. 1. 2017 (www.kozbeszerzes.hu/adatbazis/megtekint/dbhatarozat/portal_233334/), D.1026/6/2016 v. 16. 1. 2017 (http://www.kozbeszerzes.hu/adatbazis/megtekint/dbhatarozat/portal_233335/), D.1014/7/2016 v. 3. 1. 2017 (http://www.kozbeszerzes.hu/adatbazis/megtekint/dbhatarozat/por tal_231534/) sowie D.772/13/2016 v. 16. 8. 2016 (http://www.kozbeszerzes.hu/adatbazis/megte kint/dbhatarozat/portal_213354/). 148 Festgestellt von § 8 Abs. 2 ungRegVO Nr. 487/2016. (XII. 28.), in Kraft seit dem 1. 1. 2017.
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trägt. In der Praxis gehören zu den Qualitätskriterien, die mindestens 30 % der Bewertung ausmachen vordergründig die geforderte Qualifikation des Fachpersonals, sowie die Qualitätsvorgaben zu den empfohlenen Baustoffen oder auch u. U. die Forderung eines geringeren CO2 Ausstoßes. Mittlerweile sind insbesondere bei geförderten öffentlichen Vergaben die früher hochpopulären Bedingungen der Übernahme von längeren Vertragsgarantiezeiten oder einer erhöhten Vertragsstrafe als Zuschlagskriterien nicht mehr anwendbar. Die Ungarische Regierung hat diese Anpassung als Verpflichtung gegenüber der Europäischen Kommission übernommen149. Bei staatlich geförderten Vergaben, wo eine im Laufe des Verfahrens vorgesehene Kontrolle vom Amt des Ministerpräsidenten vorgeschrieben wurde150, haben die Auftraggeber ökologische und soziale Aspekte mit besonderer Vorsicht anzuwenden. Die Überprüfungsweisungen des EU-Audits von der Europäischen Kommission sind nämlich bei Ausschreibungen in letzter Zeit bei einem höher als 10 %igen Wertungsanteil des CO2 Ausstoßes als Zuschlagskriterium kritisch gewesen, und das Kriterium der Langzeitarbeitslosen sollte nach deren Feststellungen nicht höher als 5 % bewertet werden. Allein das mit dem Auftrag betraute Personal könne bei den Ausschreibungen problemlos höher, mit 20 – 30 % bewertet werden151. Außerdem kann das Bestehen eines Umweltmanagementsystems der Bieter als Kriterium angenommen werden. Letzteres wird jedoch in der Regel als Eignungskriterium vorgesehen. 8. Ausführungsbedingungen als Instrument nachhaltiger Vertragsgestaltung Die Berücksichtigung der ökologischen Kriterien kann mit der Erteilung des Zuschlags nicht beendet werden. Da das ganze Verfahren zu dem Zwecke durchgeführt wird, dass zum Schluss all die vorgegebenen und ausgehandelten Bedingungen im Vertrag festgelegt und aufgrund dessen erfüllt werden, sollen daher zum Schluss auch die im Laufe des Verfahrens berücksichtigten ökologischen Kriterien entsprechend in das Vertragswerk einfließen. In diesem Sinne können gemäß Art. 70 VRL die öffentlichen Auftraggeber besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags festlegen, vorausgesetzt, dass diese Bedingungen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen transparent angegeben werden sowie den Grundsätzen des europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen. Diese Bedingungen können außer wirtschaftlichen Belangen auch innovationsbezo149 Siehe hierzu den Vortrag des stellvertretenen Staatssekretärs für die Überwachung der öffentlichen Vergaben, István Csányi am Amt des Ministerpräsidenten, über die EU-Auditerfahrungen der aus Fördergeldern finanzierten öffentlichen Vergaben, Ort: Katholische Péter Pázmány Universität Budapest, am 27. 10. 1017. 150 Siehe hierzu RegVO Nr. 320/2015 (X. 30.) über die Kontrolle und Genehmigung der zentralen Vergaben, in Kraft seit 1. 11. 2015. 151 Siehe Fn. 149.
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gene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Ziele verfolgen. Ähnliche Vorschriften finden sich in § 128 Abs. 2 GWB sowie in § 132 ungVergG unter den „Besonderen Vertragserfüllungsbedingungen“. Erwägungsgrund Nr. 97 VRL konkretisiert die Einbeziehung zusätzlicher sozialen und ökologischen Bedingungen, die unmittelbar mit der Auftragsausführung zusammenhängen und ebenfalls im Laufe des Verfahrens verhandelt werden müssen. Danach sollen die ökologischen Aspekte nach Möglichkeit in jedem LebenszyklusStadium von der Gewinnung der Rohstoffe bzw. der Anlieferung der Produkte, über die Verpackung bzw. die Rücknahme von Produktverpackungen und deren Nutzung bis zur Entsorgung von Waren berücksichtigt werden. Außerdem sollen diese im Falle von Bau- und Dienstleistungsaufträgen bezogen auf die Abfallminimierung oder die Ressourceneffizienz beachtet werden. Im Bereich der Bau- und Dienstleistungen kommen auch Ausführungsbedingungen in Betracht, die den Transport der Waren und Werkzeuge betreffen, die Dosierung von Putzmitteln bei der Reinigung öffentlicher Gebäude, die Schulung von Mitarbeiter für die Nutzung von Beleuchtungs- und Klimaanlagen oder sonstigen ökologischen Gesichtspunkten betreffen152. Bei Bau- und Dienstleistungsaufträgen sind mittlerweile im Bereich des Warentransports ein regelmäßig bewerteter Aspekt die CO2-, Stickstoff- und sonstiger Schadstoffemissionen153. In diesem Zusammenhang sind die staatlichen und kommunalen Teilnehmer daran interessiert, zur Reduzierung der Schadstoffemission die Angebote mit kürzeren Transportwegen zu bevorzugen. Dadurch kann zugleich die Förderung der KMU gestärkt werden, die auch europäische Unionszielsetzungen verwirklicht154. Trotz dieses überzeugenden Gedankengangs kann im Allgemeinen nicht angenommen werden, dass öffentliche Auftraggeber die regionalen Marktteilnehmer als KMU bezogen auf ökologische Gesichtspunkte ohne weiteres bevorteilen können. Wird nämlich in der Ausschreibung ein bestimmter regionaler Bieter aufgrund der kürzeren Transportwege und den dadurch verminderten CO2 Ausstoß günstiger beurteilt, als seine Wettbewerber, kann der Auftraggeber u. U. – wegen einer eventuellen unrechtmäßigen Einengung des Bieterkreises auf einen Bewerber – den Grundsatz des Diskriminierungsverbots verletzen155. Sollten womöglich die Ausschreibungsbedingungen indirekte Vorteile für regionale Produkte bzw. Bieter schaffen, ist rechtlich zu prüfen, ob die mit der Auswahl des ökologischen Zuschlagskriteriums bzw. der Ausführungsbedingung verbundene, zumindest mittelbare Diskriminierung oder Beschränkung von Bietern bzw. Produkten, die nicht aus der Region kommen, anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 152
Siehe auch Saphir/Schmidt, 2015, 10. Siehe Rn. 64 – 66 und 69 der Concordia Bus-Entscheidung. 154 Siehe hierzu die Erwägungsgründe 2, 59, 66, 78 – 80, 83, 84, 87, 120, 124, 134 VRL sowie Art. 83 VRL, wo die KMU Förderung als präferierte Zielsetzung des Vergabeverfahrens erwähnt wird. 155 Hermann, Rechtsgutachten 2017, 80 – 83. 153
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zu rechtfertigen ist156. Folglich sind solche Ausführungsklauseln unzulässig, die z. B. den Transport per Flugzeug verbieten und somit u. U. manche Bewerber in der EU von der Lieferung ausschließen, oder die die Ortsansässigkeit fordern, und damit als Diskriminierungsfaktor benutzt werden. Dagegen ist es zulässig, wenn der Auftraggeber den Carbon Footprint der zu liefernden Ware als ökologisches Vertragskriterium wissenschaftlich fundiert, eindeutig formuliert, nachprüfbar und nichtdiskriminierend vorschreibt.157 Als umweltbezogene Vertragsausführungsbedingung ist es bei der Warenlieferung ebenfalls zulässig, die Lieferung außerhalb von Verkehrsstoßzeiten zu verlangen. Bei wiederkehrenden Lieferungen kann der Auftraggeber als Kontrolle regelmäßige Berichte über die CO2-Emissionen der einzelnen Liefervorgänge anfordern. Gleiches gilt für die CO2- bzw. sonstiger Schadstoffemission auf Baustellen für bestimmte Tief- bzw. Hochbauaufträge. Weitere in Betracht kommende ökologische Auftragserfüllungsbedingungen betreffen beispielsweise die Dosierung von Putzmitteln bei Gebäudereinigung, die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur umweltfreundlichen, effizienten Nutzung bestimmter Waren, wie z. B. Beleuchtungs- oder Klimaanlagen, oder die ressourcenschonende Nutzung von Strom und Wasser am Produktionsort der Ware oder Dienstleistung158. Selbstverständlich sollen die umweltbezogenen Ausführungsbestimmungen kontrollierbar sein, mit dem Auftragsgegenstand im sachlichen Zusammenhang stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Empfehlenswert sind in Folge der Überwachung der Erfüllung der umweltbezogenen Bedingungen auch Sanktionen sowie Boni-Klauseln bei unter- oder überdurchschnittliche Durchführung der Leistungen. So können z. B. durch Einbeziehung spezifischer Ziele bzw. durch Festlegung von Niedrigst- und Höchstmengen die Minimierung der im Rahmen der Auftragsausführung anfallenden Abfälle oder der damit verbundene Energieverbrauch erreicht werden. Letztere Vertragsbedingungen spornen die Leistungserbringer zur besseren Erfüllung der Vergabeverträge an. Daher ist es ratsam diese Klauseln in die Vergabeverträge aufzunehmen.
VI. Schlussbemerkungen Zum Schluss lässt sich feststellen, dass sich die mit den Vergaberichtlinien 2014 harmonisierten Vorschriften sowohl in Deutschland als auch in Ungarn sehr ähneln. Wegen der konsequenten Richtlinienumsetzung enthalten die in diesem Aufsatz geprüften nationalen Rechtsvorschriften in beiden untersuchten Ländern auf allen Stufen des Vergabeverfahrens – von der Vorbereitung des Verfahrens bis zu den Ausfüh-
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Krönke, VergabeR, 2/2017, 103 – 106. M.w.H. Hermann, Rechtsgutachten 2017, 83. 158 Hermann, Rechtsgutachten 2017, 83 – 84; Saphir/Schmidt, 2015, 10.
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rungsbedingungen – zahlreiche Möglichkeiten, die Anschaffungen so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Die deutsche Vergabepraxis verfügt bereits seit Jahrzehnten über wertvolle Erfahrungen in den Bereichen der öffentlichen Beschaffung von erneuerbaren Energien, der nachhaltigen Bau- sowie Holz- und Möbelproduktion, der Anforderungen an Umweltzeichen oder an Umweltmanagementsysteme. Anhand der vorbildlichen Beispiele zu nachhaltigen bzw. umweltfreundlichen Vergaben159 bedeuten die einschlägigen Rechtsvorschriften der grünen Vergaben zwar eine wichtige wegweisende Voraussetzung für die deutsche Praxis, aber um diese nachhaltigen Aspekte bewusst und mit Überzeugung effektiv umzusetzen, brauchte der deutsche Gesetzgeber keine ins Detail gehende Rechtsvorschriften zu formulieren. Bezogen auf die ungarischen Vorschriften fällt ins Auge, dass das ungVergG und die verbundenen Regierungsverordnungen zwingend und sehr ins Detail gehend formuliert sind. Der ungarische Rechtsanwender ist daran gewöhnt und erwartet es auch wegen eines besser kalkulierbaren Risikos bezüglich eines möglichen Nachprüfungsverfahrens. In diesem Sinne versucht der ungarische Gesetzgeber auf der Ebene der Regierungsverordnungen von oben in sämtliche Verfahrensstufen, insbesondere bei den Eignungs- und Zuschlagskriterien, einzugreifen, um einen Qualitätswettbewerb zu generieren. Als Beispiel für diese Anstrengung im Bereich der Findung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses ist die BauRegVO mit dem Bewertungsanteil des Preiskriteriums von maximal 50 % bzw. 70 % und mit den Qualitätskriterien, die in einer nicht abschließenden Liste empfohlen werden, zu nennen160. Die Anwendung der ökologischen Aspekte in dem ungarischen Vergabeverfahren ist bisher auf zahlreiche Hindernisse gestoßen. Das Konzept der öffentlichen Vergaben ist sowohl in Ungarn als auch in Deutschland eng an das Haushaltsrecht gebunden. Die klassischen vergaberechtlichen Rechtsgrundsätze – die Wahrung des fairen Wettbewerbs oder die Gleichbehandlung i.V.m. der Transparenzpflicht – sind von wirtschaftlichen Überlegungen dominiert. Diese bilden teilweise ein Gegengewicht zu den qualitativen, insbesondere den Nachhaltigkeitskriterien. Die Anwendung der Nachhaltigkeitskriterien kann den Kreis der Bieter einengen und somit den Auftrag159 Siehe zu den best practices die Fallbeispiele, Umweltorientierte Beschaffung! 2016.; sowie die Vorträge von Anita Boros, stellvertretende Staatssekretärin im Ministerium für nationale Entwicklung (Ungarn), Michael Breitenfeld, Rechtsanwalt (Wien), Attila Dezso˝ , Rechtsanwalt (Budapest), Marc Steiner, Richter am schweizerischen Bundesverwaltungsgericht (St. Gallen, Schweiz) und Andreas Rüger, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Berlin) in der Sektion: „Konvergenz der Nachhaltigkeitsstrategien der Mitgliedstaaten und der Schweiz (best practices)“ an der internationalen Konferenz mit dem Titel: „Nachhaltigkeitsstrategien im Zuge der Modernisierung der europäischen Vergaberechtsvorschriften“, Speyer, 8 – 9. Juni 2017. 160 Siehe hierzu in diesem Aufsatz die Punkte IV.1.b). Beschaffungsfreiheit nach der ungarischen Rechtsprechung sowie V.7.d). Die Anwendung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses.
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geber, der diese Kriterien vorschreibt, in einen Rechtfertigungszwang bringen, dass seine Maßnahmen im konkreten Sachverhalt verhältnismäßig sind161. Aus diesen Überlegungen lassen sich zwei Probleme ableiten. Einerseits, entsteht ein erhöhtes Nachprüfungsrisiko, beispielsweise wegen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Andererseits können nachhaltige Anforderungen kurzfristig kostspieliger sein als herkömmliche auf dem Markt verbreitete Produkte bzw. Leistungen. In Ungarn, wo das ökologische Bewusstsein noch nicht so verbreitet ist, berücksichtigen viele Beschaffungsstellen maßgeblich den Preis und die zweckgemäße Funktionalität. Das kurzfristige Denken ruft einen Interessenkonflikt hervor, wenn statt des billigeren und zugleich praktisch befriedigenden Beschaffungsgegenstands das teurere aber nachhaltigere Produkt gewählt wird. Hemmend wirkt dabei auch der Grundsatz des verantwortlichen Wirtschaftens mit öffentlichen Geldern (§ 142 ungVergG). Nachhaltige Beschaffungsgegenstände, die auf den ersten Blick kostspieliger sind, können jedoch aufgrund einer Lebenszyklusberechnung auch preisgünstiger ausfallen.162 Dennoch sind die ungarischen Beschaffungsstellen gegenüber einer komplexen Kostenrechnung bezogen auf die Lebensdauer der Produkte oder Leistungen, die ebenfalls erhöhte Verfahrenskosten mit sich bringt, sehr zurückhaltend. Neben den praktischen Umsetzungsschwierigkeiten der Nachhaltigkeitsziele in der ungarischen Rechtspraxis besteht auch in der technischen Umsetzung eine Lücke, die die Entwicklung und Implementierung entsprechender Umwelttechnologien betrifft. In ganz Europa spielen die KMU eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Umwelttechnologien. In Ungarn ist die Vergabepraxis jedoch so ausgestaltet, dass im Gegensatz zum mittelstandsfreundlichen deutschen Vergaberecht KMU gegenüber größeren Unternehmen benachteiligt werden. Zum einen verfügen KMU häufig nicht über die notwendigen Leistungskapazitäten, zum anderen fürchten die Vergabestellen Nachprüfungsverfahren aufgrund einer vermeintlichen Ungleichbehandlung, wenn sie eine Ausschreibung durchführen, die auch die Förderung des ungarischen Mittelstandes zum Ziel hat.163 Diese Gefahr ist jedoch gering, wenn die KMU Leistungen und neues technisches Know-How anbieten, dass die größeren Unternehmen nicht nachweisen können. Ge161 Siehe hierzu in diesem Aufsatz Punkt IV.2. Das Problem der Einengung des Unternehmenskreises. 162 Siehe zu den deutschen Erfahrungen den Vortrag mit dem Titel: „Berechnungstools für Lebenszykluskosten“ von Christian von Deimling, Geschäftsführer Forschungszentrum für Recht und Management öffentlicher Beschaffung bei Universität der Bundeswehr München, an der internationalen Konferenz mit dem Titel: „Nachhaltigkeitsstrategien im Zuge der Modernisierung der europäischen Vergaberechtsvorschriften“, Speyer, 8 – 9. Juni 2017 sowie den Vortrag mit dem Titel: „Lebenszykluskosten und Wirtschaftlichkeit: Erste empirische Befunde aus betriebswirtschaftlicher Perspektive“ Prof. Dr. Michael Eßig, Universität der Bundeswehr München, Konferenztitel: „Speyerer Vergaberechtstage 2017“, Speyer, 22. 9. 2017. 163 Siehe insbesondere die Ausführungen dieses Aufsatzes in Punkt V.8. über die Ausführungsbedingungen als Instrument nachhaltiger Vertragsgestaltung.
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rade auf der Ebene der Kommunen lässt sich z. B. im Bereich der technischen Anlagen für die Daseinsvorsorge eine ökologische und innovative Vergabepraxis entwickeln, die dazu führen kann, dass die Unternehmen zielgerichtet Produkte für den allgemeinen Bedarf der öffentlichen Auftraggeber entwickeln können und dass die Auftraggeber durch entsprechende Auftragsvergaben und Vertragsabschlüsse diese innovativen Unternehmen wirtschaftlich stärken. Zur Verwirklichung einer solchen Vorgehensweise ist es auch erforderlich, dass seitens der Auftraggeber dafür gesorgt wird, dass das von ihnen in das Verfahren einbezogene Fachpersonal entsprechend aus- und fortgebildet wird, um die Prinzipien der nachhaltigen Beschaffung entsprechend effektiv anwenden zu können. Der Gesetzgeber hat in diesem Bereich seine Pflichten getan. Die effektive Anwendung der geltenden Vergabevorschriften bezogen auf die Nachhaltigkeit kann nicht mehr auf sich warten lassen. Dieses ist nunmehr die Aufgabe und die Verantwortung aller Rechtsanwender in den Vergabeverfahren. Wie der Spruch sagt: „Wenn du Änderung erreichen willst, sei die Änderung du selbst.“
Berechnungstools für Lebenszykluskosten Von Christian von Deimling, Markus Schaupp und Michael Eßig1 Abstract Die Reform des Vergaberechts schafft die rechtlichen Grundlagen für die Anwendung der Lebenszykluskostenrechnung. Sowohl in der VgV, in der UVgO als auch in der VSVgV werden Lebenszykluskosten (inkl. der Berechnung externer Effekte) als mögliches Zuschlagskriterium bei der Vergabe angegeben. Obwohl in einer kürzlich durchgeführten Studie der Universität der Bundeswehr München mehr als 80 % der Befragten davon ausgehen, dass Lebenszykluskosten in Zukunft an Bedeutung zunehmen werden, fehlt den Befragten oft ein klares Bild zu möglichen Einsatz-und Verwendungszwecken der Lebenszykluskosten. Dabei können die Lebenszykluskosten nicht nur bei der Vergabeentscheidung eine wichtige Rolle spielen, sondern auch in vor- und nachgelagerten Phasen des gesamten Beschaffungsprozesses. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass die jeweils notwendigen Lebenszykluskostenberechnungen aktuell nur in unregelmäßigen Abständen mit einem großen zeitlichen Versatz durchgeführt werden. Dadurch ist ein Aufbau von Kompetenzen und Wissen (wenn überhaupt) nur zeitverzögert möglich. Auch bei den aktuell zur Verfügung stehenden Werkzeugen zeigt sich ein mehr als heterogenes Bild. Eine Analyse der Universität der Bundeswehr München (UniBwM), des Landes Hessens, des Kompetenzzentrums innovative Beschaffung (KOINNO) und des Bundesverbandes Material, Einkauf und Logistik (BME) hat mehr als 50 verschiedene und frei verfügbare Berechnungstools abseits der lizenzpflichtigen Software-Programme zu Tage gefördert. Hier setzt der Lebenszykluskosten-Tool-Picker an. Er bietet der Rolle des öffentlichen Einkäufers ein Werkzeug zur Auswahl von aktuell vorhandenen Lebenszykluskostenberechnungswerkzeugen an, und das unter Berücksichtigung von Aspekten der Nachhaltigkeit.
I. Bedeutung von Lebenszykluskosten – Praxis und Einschätzung zu aktuellen Defiziten Die Reform des Vergaberechts schafft die rechtlichen Grundlagen für die Anwendung der Lebenszykluskostenrechnung. Unter Lebenszykluskosten wird im öffentlichen Sektor die Summe aller Ausgaben verstanden, die von der Planung über die Realisierung bis hin zum Nutzungsende entstehen. Damit umfassen Lebenszykluskosten nicht nur die Ausgaben für die eigentliche Anschaffung, sondern auch alle relevanten Folgeausgaben. Entsprechend sieht der Gesetzgeber vor, dass 1 Universität der Bundeswehr München, Forschungszentrum für Recht und Management in der öffentlichen Beschaffung (FoRMöB), Werner-Heisenberg-Weg 39, 85577 Neubiberg.
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Lebenszykluskosten die Summe aller Ausgaben aus der Anschaffung, der Nutzung, der Wartung und der Verwertung (i.S.d. Ausgaben für Entsorgung, Recycling oder Abholung) umfassen kann. Darüber hinaus können auch die Ausgaben für entstehende Umweltbelastungen (z. B. für Emission von Treibhausgasen oder anderen Schadstoffen) als externe Effekte in den Lebenszykluskosten einfließen.2 Dies entspricht auch der wissenschaftlichen Sichtweise.3 Während die Regelungen in der Vergabeverordnung den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit einräumt, Lebenszykluskosten als Zuschlagskriterium zu verwenden, darf nicht vernachlässigt werden, dass ihnen bereits vor der eigentlichen Vergabe und auch nach erfolgter Vergabe eine bedeutende Rolle zukommt.4 Vor der Vergabe können Lebenszykluskosten beispielsweise bei der Auswahl geplanter Lösungsvorschläge (mit unterschiedlichen technischen und organisatorischen Implikationen) miteinander verglichen werden. Auf dieser Basis können nicht nur die technisch und organisatorisch sinnvollsten Lösungsvorschläge ausgewählt werden, sondern es ist beispielsweise auch möglich, besonders kritische und ausgabenintensive Bestandteile des Lösungsvorschlages zu ermitteln, und mit zusätzlichen Zuschlags- und Bewertungskriterien in der Vergabe zu belegen.5 Auch die Anforderung weiterführender Angaben zu den besonders kritischen Bestandteilen eines Lösungsvorschlages und den zu erwartenden Ausgaben ist denkbar. In der betriebswirtschaftlichen Forschung wird davon ausgegangen, dass insbesondere in den frühen Phasen des Lebenszyklus mit der Auswahl eines in Frage kommenden Lösungsvorschlages, die nachfolgenden Kosten determiniert werden.6 Bei der eigentlichen Vergabe spielt insbesondere der Vergleich der von den Bietern angegebenen Lebenszykluskosten und den zusätzlichen Leistungskriterien eine wesentliche Rolle. Ziel ist es, unter den Angeboten das wirtschaftlichste Angebot zu identifizieren und auszuwählen. „Die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots erfolgt auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses“, wobei anstelle des Preises auch die Kosten angesetzt werden können.7 Als Kosten können wiederum die Lebenszykluskosten 2
Vgl. VgV § 59 Abs. 2. Vgl. Asiedu/Gu (1998), Product life cycle cost analysis: State of the art review. In: International Journal of Production Research, 36(4), S. 889 – 890; Cousins et al. (2008), Strategic Supply Management: Principles, Theories and Practice, 1. Auflage, Essex: Pearson Education Limited, S. 166. 4 Vgl. Okano (2001), Life cycle costing – An approach to life cycle cost management: A consideration from historical development. In: Asia Pacifìc Management Review, 6(3), S. 335; bestätigt durch eine Umfrage des FoRMöB gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum innovative Beschaffung und dem Finanzministerium Hessen, Stand: 18. 08. 2015 (unveröffentlicht, auf Anfrage verfügbar). 5 Vgl. Schwarz, J. (2017), Forschungsprogramm : Zukunft Bau, Berücksichtigung von Lebenszykluskosten bei der Vergabe von Bauleistungen als Zuschlagskriterium, in: Arbeitsbericht: Az 10.08.17.7-15.02, 2017, S. 1 – 36. 6 Vgl. DIN (2014), Zuverlässigkeitsmanagement Teil 3-3: Anwendungsleitfaden – Lebenszykluskosten, in: DIN EN 60300-3-3, September, 2014, S. 1 – 73. 7 VgV § 58 Abs. 2. 3
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angesetzt werden.8 Anders formuliert handelt es sich um das Angebot mit dem höchsten Nutzen (Leistung) und den niedrigsten Lebenszykluskosten. Nach erfolgter Vergabe geht es darum, zu überprüfen, ob das Leistungs- und Kostenversprechen des ausgewählten Bieters auch tatsächlich eingehalten wird. Dazu werden die Angaben des Bieters im Fall der Lebenszykluskosten mit den tatsächlich anfallenden Ausgaben ins Verhältnis gesetzt. Aus den resultierenden Abweichungen können dann im weiteren Verlauf steuernde und gestaltende Maßnahmen ergriffen werden, um zusätzliche und ungeplante Lebenszykluskosten zu vermeiden. Eine laufende Kontrolle der Lebenszykluskosten bietet zudem den Vorteil, dass bei besonders langlebigen Beschaffungsobjekten auch der Zeitpunkt für eine notwendige Ersatzinvestition ermittelt werden kann.9 Streng genommen ermöglicht erst die durchgängige Betrachtung der Lebenszykluskosten vor, während und nach der Vergabe den von der Europäischen Kommission geforderten, sorgsamen und effizienten Einsatz öffentlicher Gelder mit dem Ziel, bestmögliche Ergebnisse für die Bürger zu realisieren.10 Dabei ist klar, dass die Genauigkeit, die Aussagekraft und die Belastbarkeit von Lebenszykluskosten erst mit zunehmendem Fortschritt des Lebenszyklus zunehmen. Während die Bedeutung von Lebenszykluskosten vor, während und nach der Vergabe einleuchtend und sinnvoll erscheint, zeigt der Blick in die aktuelle Vergabepraxis ein eher ernüchterndes Bild. Der Blick auf die für Oberschwellenvergaben verpflichtende Ausschreibungs-Datenbank „Tenders Electronic Daily“ verrät zum Stichtag (30. 06. 2017) der Untersuchung, dass sich seit dem Jahr 2012 insgesamt 49 Ausschreibungen finden lassen, welche Lebenszykluskosten explizit als Zuschlagskriterium definieren. Bezogen auf das Jahr 2016 wurden gerade einmal bei 9 Ausschreibungen die Lebenszykluskosten als Bestandteil der Zuschlagskriterien verwendet, was bei insgesamt knapp 32.000 veröffentlichten Ausschreibungen im Jahr 2016 einen verschwindend geringen Anteil ausmacht.11 Bzgl. der Gewichtung der Zuschlagskriterien definiert bspw. die Ausschreibung 2017/S 021034856 zur Beschaffung von Müllfahrzeugen diese wie folgt: Lieferfristen (Gewichtung 5 %), Lebenszykluskosten (5 %), Nähe zu Service-Niederlassung (5 %), Nutzlast (5 %), Preis (80 %). Dabei werden sowohl Lebenszykluskosten als auch der Anschaffungspreis parallel angesetzt, obwohl sich dieser auch schon in den Lebenszykluskosten niederschlägt. Besser wäre bspw. der Ansatz entsprechend der Ausschreibung 2017/S 076-146911 zur Beschaffung von Rettungs8
VgV § 59 Abs. 1. Vgl. Okano (2001), Life cycle costing – An approach to life cycle cost management: A consideration from historical development. In: Asia Pacifìc Management Review, 6(3), S. 335. 10 Vgl. Europäische Kommission (2017), Eine funktionierende öffentliche Auftragsvergabe in und für Europa, in: COM(2017) 572, Oktober, 2017, S. 1 – 18. 11 Vgl. Schaupp, M./Eßig, M./von Deimling, C. (2017), Anwendung von Werkzeugen der innovativen öffentlichen Beschaffung in der Praxis: Eine Analyse der TED-Datenbank, S. 70 – 77, Neubiberg 2017. 9
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wägen, welche Lebenszykluskosten zu 90 % und Emissionswerte mit 10 % in die Zuschlagskriterien einfließen lässt. Der überwiegende Anteil an Oberschwellenvergaben scheint sich aber nach wie vor, am Anschaffungspreis als Zuschlagskriterium zu orientieren.12 Ausgehend von dieser aktuell eher zurückhaltenden Verwendung (bzw. von der geringen Anzahl an berichteten Anwendungsfällen) von Lebenszykluskosten kann an dieser Stelle bereits festgestellt werden, dass austauschbare Erfahrungswerte zur Berechnung von Lebenszykluskosten in der öffentlichen Beschaffung nur in sehr begrenzter Zahl vorliegen dürften. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass die jeweils notwendigen Lebenszykluskostenberechnungen aktuell nur in unregelmäßigen Abständen mit einem großen zeitlichen Versatz durchgeführt werden. Dadurch ist ein Aufbau von Kompetenzen und Wissen – wenn überhaupt – zu Lebenszykluskostenberechnungen in der öffentlichen Beschaffung nur zeitverzögert möglich. Trotz der derzeit geringen Verbreitung von Lebenszykluskosten in der öffentlichen Vergabepraxis zeigt eine Studie der Universität der Bundeswehr München, dass unter 62 befragten Entscheidungsträgern in der öffentlichen Beschaffung 80 % davon ausgehen, dass Lebenszykluskosten künftig intensiver als Zuschlagskriterium verwendet werden. Allerdings zeigen die Ergebnisse der Umfrage auch, dass noch ein klares Verständnis zu möglichen Einsatz- und Verwendungszwecken der Lebenszykluskosten (über die reine Vergabeentscheidung hinaus) zu fehlen scheint.13 Das fehlende Verständnis dürfte erschwerend auf die Forderung der VgV § 59 Abs. 2 einwirken, dass der öffentliche Auftraggeber „die Methode zur Berechnung der Lebenszykluskosten und die zur Berechnung vom Unternehmen zu übermittelnden Informationen in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen“ transparent vorgeben muss. Wie auch durch die Europäische Kommission festgestellt, erlauben die Vergaberegelungen zwar den Einsatz von Lebenszykluskosten, sie geben allerdings noch keine konkrete Hilfestellung bei der eigentlichen Berechnung und dem dafür notwendigen Vorgehen.14 Angedeutet wird lediglich, dass entsprechende „Instrumente zur freiwilligen Verwendung für die Berechnung der Lebenszykluskosten für bestimmte Erzeugnisse zu entwickeln“ sind.15 Der Blick in die Vergabepraxis scheint die Notwendigkeit für eine klarere Hilfestellung zu unterstreichen. Nimmt man beispielsweise den Einsatz von möglichen Werkzeugen, so werden heute in der öffentlichen Beschaffung überwiegend selbstentwickelte Berechnungswerkzeuge auf Basis des Tabellenkal12
Schaupp, M./Eßig, M./von Deimling, C. (2017), Anwendung von Werkzeugen der innovativen öffentlichen Beschaffung in der Praxis: Eine Analyse der TED-Datenbank, S. 43 – 49, Neubiberg 2017. 13 Umfrage des FoRMöB gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum innovative Beschaffung und dem Finanzministerium Hessen, Stand: 18. 08. 2015 (unveröffentlicht, auf Anfrage verfügbar). 14 Vgl. Richtlinie 2014/24/EU, Präambel 96. 15 Europäische Kommission (2017), Eine funktionierende öffentliche Auftragsvergabe in und für Europa – Com(2017) 572 final, S. 10, Straßburg 2017.
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kulationsprogrammes „MS Excel“ genutzt.16 Softwarebasierte Lösungen, wie beispielsweise die Programme CatLog, OPUS10 oder 4Cost Aces werden in der öffentlichen Beschaffung nur selten und, wenn überhaupt, dann nur im Bereich der militärischen Beschaffung eingesetzt. Eine systematische Identifikation von einfacheren Instrumenten zur Lebenszykluskostenberechnung, scheint bislang zu fehlen. Insgesamt betrachtet lässt sich festhalten, dass Lebenszykluskosten zwar vergleichsweise selten als Zuschlagskriterium genutzt werden, ihnen allerdings bei künftigen Vergabeentscheidungen eine bedeutendere Rolle zukommen wird. Um die Anforderungen aus den Vergabeverordnungen gerecht werden zu können (z. B. bei Vorgabe der Methodik zur Berechnung oder bei der Vorgabe zu notwendigen Informationen) müssen sich die Entscheidungsträger in der öffentlichen Beschaffung intensiver mit den dafür notwendigen Voraussetzungen auseinandersetzen.
II. Voraussetzungen zum Einsatz von Lebenszykluskosten vor, während und nach der Vergabe Setzt man sich eingehender mit den Hinweisen in der betriebswirtschaftlichen Literatur und in den vorhandenen Normen17 (im deutschsprachigen Raum) auseinander, kristallisieren sich unterschiedlichste Voraussetzungen zum Einsatz von Lebenszykluskosten in der Vergabe einmal aus der Perspektive der öffentlichen Auftraggeber und zum anderen aus der Perspektive der Bieter heraus. Die nachfolgend ausgewählten Voraussetzungen konzentrieren sich dabei insbesondere auf die Perspektive der öffentlichen Auftraggeber. Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählen die Aspekte: a) Schulung von Experten mit entsprechender Methodenkompetenz. b) Festlegen eines nachvollziehbaren (transparenten) Ablaufs zur Lebenszykluskostenberechnung. c) Entwicklung einer Kostenaufbruchstruktur und Bestimmung der notwendigen Eingangsdaten. 16 Umfrage des FoRMöB gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum innovative Beschaffung und dem Finanzministerium Hessen, Stand: 18. 08. 2015 (unveröffentlicht, auf Anfrage verfügbar). 17 Vgl. VDI (2013), Lebenszykluskostenorientierte Ausschreibung, in: VDI 4703, November, 2013, S. 1 – 16, DIN (2013), Leitlinien für die Bewertung von Lebenszykluskosten in Produkt-Dienstleistungssystemen, in: DIN SPEC 77234, September, 2013, S. 1 – 31, VDMA (2006), Prognosemodell für die Lebenszykluskosten von Maschinen und Anlagen, in: VDMA 34160, Juni, 2006, S. 1 – 14, DIN (2014), Zuverlässigkeitsmanagement Teil 3-3: Anwendungsleitfaden – Lebenszykluskosten, in: DIN EN 60300-3-3, September, 2014, S. 1 – 73.
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d) Auswahl eines passenden Instrumentes („Tools“) zur Berechnung der Lebenszykluskosten. e) Entwicklung eines Berichtsformates zur Dokumentation der berechneten Lebenszykluskosten. Zu a): Für den Einsatz von Lebenszykluskosten als Zuschlagskriterium müssen die Entscheidungsträger (oder entsprechend mit der Lebenszykluskostenberechnung betraute Personen) u. a. in die Lage versetzt werden, eine entsprechende Berechnung selbstständig durchführen oder zumindest verstehen zu können. Dafür müssen entsprechende Grundkenntnisse zu Alternativen der Lebenszykluskostenberechnung vermittelt werden. Unterscheiden lassen sich beispielsweise Lebenszykluskostenberechnungen, die auf (einfachen) Expertenschätzungen beruhen, die im Analogieschluss Lebenszykluskosten von bereits vorhandenen und vergleichbaren Beschaffungsobjekten auf das in Frage stehende neue Beschaffungsobjekt übertragen oder parametrische Berechnungsmethoden. Während bei den eben genannten Methoden je nach Datenlage noch nicht zwingend Bieterinformationen in die Berechnung einfließen müssen, ist das beispielsweise bei kalkulatorischen Lebenszyklusberechnungen vorgesehen. Gerade in frühen Phasen der Lebenszykluskostenberechnung ist der Kontakt zu den Bietern nicht immer möglich, so dass zunächst die zuerst genannten Methoden zum Einsatz kommen. Nicht zu unterschätzen sind auch die Anforderungen an die notwendigen Kompetenzen im Fall der Simulation (z. B. Monte-Carlo-Simulation) von unterschiedlichen Lebenszyklusszenarien und den damit verbundenen variierenden Lebenszykluskosten.18 Zu b): Damit die Berechnung der Lebenszykluskosten für den öffentlichen Auftraggeber jederzeit transparent und nachvollziehbar dargestellt werden kann, bietet es sich an, einem systematischen und strukturierten Ablaufschema zu folgen. Das bietet den Vorteil, dass Berechnungen wie ein (kleines) Teilprojekt aufgesetzt werden können und Verfahrensaufwände besser abgeschätzt werden können. Gleichzeitig wird mit dem systematischen Vorgehen sichergestellt, dass die notwendigen Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der Lebenszykluskostenberechnung auch tatsächlich realisiert werden. Üblicherweise orientieren sich Vorhaben zur Lebenszykluskostenberechnungen an folgenden Teilschritten: 1. Festlegen des Berechnungszwecks und des Informationsbedarfs; 2. Datenidentifikation; 3. Datensammlung und Datenablage; 4. Datenaufbereitung und Datenvalidierung; 5. Festlegung und Überprüfung von (einschränkenden) Annahmen für die Berechnung; 6. Durchführung der Berechnung; 7. Validierung der Berechnungsergebnisse; 8. ggf. Durchführung von Sensitivitätsanalysen und Simulationsläufen unter veränderten 18 Vgl. Eßig, M. (2017), § 59 VgV Berechnung von Lebenszykluskosten, S. 1213 – 1214, in: Müller-Wrede (2017, Hrsg.), VgV/UVgO einschließlich VergStatVO-Kommentar, Bundesanzeigerverlag, Köln, Engelhardt, S. (2015), Lebenszykluskosten von Tunnelbauwerken: Modulares Prozessmodell zur ökonomischen Optimierung von Straßentunneln, Dissertation, Universität der Bundeswehr München, München 2015, Thokala, P. (2009), Life Cycle Cost Modelling as an Aircraft Design Decision Support Tool, Dissertation, University of Southampton 2009.
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Rahmenbedingungen; 9. Ergebnisanalyse, -diskussion und -berichterstattung (inkl. Handlungsempfehlungen).19 Zu c): Unter einer Kostenaufbruchstruktur versteht man die systematische Zusammenstellung der zu berücksichtigenden Kostenelemente.20 Eine verbindliche Vorgabe der bei der Berechnung der Lebenszykluskosten zu berücksichtigenden Kostenelemente gibt es nicht. Stattdessen sieht § 59 Abs. 2 Satz 2 VgV eine nicht abschließende Aufzählung („kann umfassen“) vor, die sich an den einzelnen Phasen des Lebenszyklus orientieren. Entsprechend werden beispielsweise Anschaffungskosten, Nutzungskosten, Wartungskosten, Kosten am Ende der Nutzungsdauer und Kosten, die durch externe Effekte der Umweltbelastung voneinander unterschieden. Unter den Anschaffungskosten wird der vom öffentlichen Auftraggeber zu entrichtende Angebotspreis verstanden. Dieser kann entsprechend den Regelungen in der Preisverordnung auf Marktpreisen oder aber auf Selbstkostenpreisen beruhen. Die Nutzungskosten können u. a. die Ausgaben für Ausbildung und Bedienpersonal umfassen. Die Wartungskosten umfassen alle Ausgaben zur Prüfung, Reparatur und Instandhaltung. Die Kosten am Ende der Nutzungsdauer beziehen sich auf alle notwendigen Ausgaben zum Rückbau, zum Recycling, oder zur Abholung. Die externen Lebenszykluskosten umfassen beispielsweise alle entstehenden Ausgaben, die sich durch Schadstoffemissionen ergeben können und beziehen sich damit prinzipiell auf alle Lebenszyklusphasen.21 Obwohl bereits eine erste Orientierung für eine Kostenaufbruchstruktur im Vergaberecht vorliegt, können auch andere Kostenaufbruchstrukturen sinnvoll sein. Beispielsweise ist eine Gliederung entlang der Produktstruktur (oder im Bauwesen an der Struktur des Baus) ebenfalls denkbar.22 Bei der Bundeswehr wird beispielsweise unterschieden zwischen den Kostenelementen technisch-wirtschaftlichem Anteil, Logistik, Infrastruktur und Personal und Ausbildung.23 Je nach Definition der Kostenaufbruchstruktur sind die jeweils notwendigen Informationen zur Berechnung zu er19 Vgl. Okano, K. (2001), Life cycle costing – An approach to life cycle cost management: A consideration from historical development, in: Asia Pacifìc Management Review, 6(3), 2001, S. 317 – 341, DIN (2014), Zuverlässigkeitsmanagement Teil 3-3: Anwendungsleitfaden – Lebenszykluskosten, in: DIN EN 60300-3-3, September, 2014, S. 1 – 73. 20 Vgl. Eßig, M. (2017), § 59 VgV Berechnung von Lebenszykluskosten, S. 1213- 1214, in: Müller-Wrede (2017, Hrsg.), VgV/UVgO einschließlich VergStatVO-Kommentar, Bundesanzeigerverlag, Köln; DIN (2014), Zuverlässigkeitsmanagement Teil 3-3: Anwendungsleitfaden – Lebenszykluskosten, in: DIN EN 60300-3-3, September, 2014, S. 1 – 73. 21 Vgl. Eßig, M. (2017), § 59 VgV Berechnung von Lebenszykluskosten, S. 1213 – 1214, in: Müller-Wrede (2017, Hrsg.), VgV/UVgO einschließlich VergStatVO-Kommentar, Bundesanzeigerverlag, Köln. 22 Vgl. Engelhardt, S. (2015), Lebenszykluskosten von Tunnelbauwerken: Modulares Prozessmodell zur ökonomischen Optimierung von Straßentunneln, Dissertation, Universität der Bundeswehr München, München 2015. 23 Vgl. Gallhöfer, P. (2014), Effizienz und Effektivität durch Verteidigungskooperation: Auswirkungen innerhalb der Europäischen Union, Dissertation, Springer VS, Köln 2014, S. 250 f.
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heben.24 Das Vergaberecht gibt dabei vor, dass diese zugänglich und mit einem vertretbaren Aufwand ermittelt werden können müssen. Zu d): Für die eigentliche Berechnung müssen Instrumente zum Einsatz kommen, die auf der einen Seite helfen, die verwendeten Eingangsdaten (z. B. Vertragsdaten, Preis- und Mengenlisten, Preisgleitklauseln, etc.) möglichst lückenlos zu dokumentieren. Auf der anderen Seite gilt es, die einzelnen Berechnungsschritte und verwendeten Formeln nachvollziehbar zugänglich zu machen. Darüber hinaus gilt es natürlich, über die eigentliche Berechnung, an die jeweiligen Ergebnisse zu Lebenszykluskosten, also an die Summe der zu erwartenden Ausgaben pro Zeiteinheit (z. B. pro Haushaltsjahr) zu gelangen. Dafür können entsprechende Softwaretools oder einfachere Tabellenkalkulationsprogramme (mit entsprechend standardisierten Templates) eingesetzt werden. Wie später noch ausführlicher gezeigt wird, ist hier bereits eine Vielzahl von Werkzeugen über das Internet verfügbar.25 Für den Anwender in der öffentlichen Beschaffung stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Auswahl des „richtigen“ Werkzeuges für das jeweils in Frage stehende Beschaffungsobjekt. Zu e): Nach erfolgter Berechnung der Lebenszykluskosten gilt es in der Regel die Ergebnisse in einem Bericht zusammenfassend darzustellen. Um eine transparente und nachvollziehbare Berichterstattung gewährleisten zu können, muss diese Hinweise zur Durchführung, zur eingesetzten Methodik, zu den erhobenen und ggf. fehlenden Daten, zum Umgang mit fehlerhaften Daten, zur Berechnung (inkl. Formeln), zu den Ergebnissen und zu den daraus resultierenden Schlussfolgerungen zur Steuerung und Gestaltung enthalten.26 Diese Dokumentation legt die Grundlage für eine Replikation der Lebenszykluskostenberechnung zu einem späteren Zeitpunkt, und hilft die Vergleichbarkeit der zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgenden Lebenszykluskostenberechnungen zu gewährleisten. Zudem bildet der Bericht auch die Basis für die nach erfolgter Vergabe notwendige Kontrolle und Überwachung der Prognosegenauigkeit und möglicher Kostenüberschreitungen. Bei der zusammenfassenden Betrachtung der notwendigen Voraussetzungen für eine Berücksichtigung der Lebenszykluskosten als Zuschlagskriterium, zeigt sich, dass eine Reihe von „internen“ Investitionen auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber in Personalkapazitäten und -kompetenzen notwendig sind, um Lebenszyklusbetrachtungen durchführen und beurteilen zu können. In diesem Zusammenhang gilt es regelmäßig zu hinterfragen, wann eine solche Investition sinnvoll ist. Anders ausgedrückt muss die Frage erlaubt sein, wann sich eine Lebenszyklusbetrachtung lohnt. 24 Vgl. VDMA (2006), Prognosemodell für die Lebenszykluskosten von Maschinen und Anlagen, in: VDMA 34160, Juni, 2006, S. 1 – 14. 25 Vgl. von Deimling, C. et al. (2016), Life-Cycle-Cost-Management as an Instrument for Strategic Public Procurement: State of the Art and Perspectives 2016, S. 1 – 37. 26 Vgl. DIN (2014), Zuverlässigkeitsmanagement Teil 3-3: Anwendungsleitfaden – Lebenszykluskosten, in: DIN EN 60300-3-3, September, 2014, S. 1 – 73.
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Es kann davon ausgegangen werden, dass eine derartige Betrachtung insbesondere bei Beschaffungsobjekten sinnvoll ist, die besonders langlebig sind und mit besonders hohen Ausgaben verbunden sind. Zudem sind die Lebenszykluskostenberechnungen auch dann besonders sinnvoll für den öffentlichen Auftraggeber, wenn nur begrenzt finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und mehrere Beschaffungsvorhaben simultan oder in kurzer Abfolge den Haushalt belasten. Abgesehen von dieser eher mittelfristig zu klärenden Fragestellung gilt es, den Mitarbeitern in der öffentlichen Beschaffung schon heute mögliche Instrumente und Hilfestellung an die Hand zu geben. Aus diesem Grund haben die Universität der Bundeswehr München in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium Hessen und dem Kompetenzzentrum Innovative Beschaffung des BMWi (KOINNO) gemeinsam eine Untersuchung bestehender Werkzeuge zu Lebenszykluskostenberechnungen durchgeführt. Im Ergebnis ist nicht nur eine aktuelle Übersicht der zur Verfügung stehenden Werkzeuge entstanden, sondern auch der „LebenszykluskostenTool-Picker“. Dies ist ein Programm zur Auswahl möglicher Werkzeuge zur Berechnung der Lebenszykluskosten, entsprechend des in Frage stehenden Beschaffungsobjektes und entsprechend der realisierbaren strategischen Beschaffungsziele (i.S.v. sozialen, ökonomischen, ökologischen und innovativen Zielsetzungen in der öffentlichen Beschaffung).
III. Potenzielle Instrumente („Tools“) zur Berechnung der Lebenszykluskosten Für die Zusammenstellung und Untersuchung der aktuell verfügbaren Instrumente zur Berechnung von Lebenszykluskosten ist ein vierstufiges Vorgehen ausgewählt worden. Zu den vier Stufen zählen die (1) Suche nach entsprechenden Instrumenten und Auswahl, die (2) systematische Analyse der identifizierten Instrumente, die (3) Klassifizierung und Evaluation der vorliegenden Instrumente und die (4) Zusammenstellung der Werkzeuge in einer praktikablen Anwendung für öffentliche Einkäufer. Die Suche nach entsprechenden Instrumenten zur Berechnung von Lebenszykluskosten ist über eine gezielte Schlagwortsuche im Internet erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist nach deutsch- und englischsprachigen Schlagworten im Zusammenhang mit „Lebenszykluskosten“ und „Instrumenten“ (inkl. entsprechender Synonyme und Abkürzungen) gesucht worden. Die Suche nach potenziell relevanten Instrumenten ist durch Hinweise des Finanzministeriums Hessens und durch das Netzwerk des KOINNO vervollständigt worden. Die Suche nach Instrumenten zur Lebenszykluskostenberechnungen wurde gezielt im europäischen Raum durchgeführt. Aufgrund der sprachlichen Einschränkungen des Forschungsteams sind nur deutsch- und englischsprachige Instrumente in die engere Auswahl aufgenommen worden. Für eine tiefergehende Untersuchung der identifizierten Instrumente sind zudem nur Werkzeuge aufgenommen worden, die ohne Lizenzgebüh-
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ren frei im Internet (auch für Dritte, also nicht passwortgeschützt) zur Verfügung stehen. Lizenzpflichtige Softwarepakete sind damit von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen worden. Insgesamt konnten so 54 einzelne Instrumente identifiziert werden.27 Dabei verteilen sich diese auf 10 konkrete Warengruppen und, falls weiter spezifiziert, einzelne Beschaffungsobjekte. Instrumente, die keiner konkreten Warengruppe zugeordnet werden konnten, werden als „warengruppenübergreifend gültige“ Instrumente eingestuft. Die dabei identifizierten Warengruppen umfassen Berechnungshilfen für Beleuchtung (z. B. Ausstattung mit energieeffizienten Lampen), Bürobedarf (ein Einsatz von Lebenszykluskosten ist nur dann sinnvoll, wenn es sich hier nicht um geringwertige Verbrauchsmaterialien handelt), Bürogeräte (z. B. Computer, Monitore, Multifunktionsgeräte oder Ausstattung von Rechenzentren), Büromöbel, Dienstleistungen (z. B. Reinigungsdienstleistungen), Elektrogeräte (z. B. Kühlschränke, Verkaufsautomaten, Geschirrspüler oder andere strombetriebene Großgeräte), Fahrzeuge (z. B. Straßenfahrzeuge, Busse und PKW-Flotten), Infrastrukturvorhaben/Gebäude (z. B. Personen- und Lastenaufzüge oder Bodenbeläge sowie Energieeffizienz), Investitionsprojekte und Textilprodukte. Bei den universell einsetzbaren Instrumenten handelt es sich beispielsweise um Instrumente zur Berechnung externer Umwelteffekte durch Schadstoffemissionen (z.B. Berechnung von CO2-Effekten) oder von Aspekten der Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung. Die 54 Instrumente stammen dabei von verschiedenen privaten (z. B. Unternehmensberatungen) und öffentlichen Institutionen (z. B. Land Hessen, Land Berlin, Umweltbundesamt, Polizei Berlin oder dem Bayerischen Staatsministerium). Darüber hinaus bieten beispielsweise auch Verbände wie der VDMA oder ZVEI entsprechende Instrumente an. Eine tiefergehende Untersuchung der 54 Instrumente zeigt, dass das Hauptaugenmerk bzgl. der betrachteten Kostenelemente insbesondere auf den Anschaffungsund den Nutzungskosten liegt. Wartungskosten, Kosten zum Ende der Nutzung oder aber Kosten durch externe Umwelteffekte werden zwar auch angesprochen, aber in geringerer Intensität. Dabei variieren die zu betrachtenden Kostenelemente von Warengruppe zu Warengruppe. Während bspw. bei der Beschaffung eines Geschirrspülers die Kostenbestandteile wie Anschaffungspreis, Installationskosten, Wartungs-/und Instandhaltungskosten, Wasserbedarf/-kosten, Energieverbrauch/-kosten, und die Kosten für Entsorgung noch relativ logisch festlegen und einfach mit Kostengrößen hinterlegen lassen, gestaltet sich dies für ein Automobil, insb. eines Elektrofahrzeugs weitaus schwieriger. Neben dem Anschaffungspreis, den Stromkosten, den Wartungs-/und Instandhaltungskosten fallen hierbei zudem noch Versicherungen, KFZ-Steuer, Leasingkosten für die Batterie an. Neben einer erhöhten Anzahl an Kostenbestandteilen sind diese zudem noch weitaus schwieriger zu erheben, da diese Angaben im 27 Vgl. von Deimling, C. et al. (2016), Life-Cycle-Cost-Management as an Instrument for Strategic Public Procurement: State of the Art and Perspectives 2016, S. 1 – 37.
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Vergleich zur Waschmaschine von den Herstellern nicht ohne weiteres herausgegeben werden. Die entsprechende Priorisierung der Kostenelemente lässt sich auch dadurch erklären, dass mit den vorliegenden Instrumenten auch unterschiedliche strategische Beschaffungsziele verfolgt werden. Entsprechend liegt der Fokus der einzugebenden Parameter und der resultierenden Größen entsprechend auf innovativen, sozialen, ökologischen, ökonomischen oder technologischen Ein- und Ausgabewerten. So soll bspw. beim Tool zur Berechnung der Lebenszykluskosten bei Kühlschränken des Umweltbundesamts explizit ökologischen Aspekte gefördert werden, sodass neben den Kostengrößen auch Emissionsfaktoren des verwendeten Stroms und entsprechende CO2-Äquivalente in die Berechnung mit einfließen. Beim Tool der Berliner Energieagentur zur gleichen Warengruppe wird dieser Aspekt dagegen nicht berücksichtigt. Die verwendete Methodik innerhalb der Instrumente bezieht sich überwiegend auf kalkulatorische Methoden. Das bedeutet, dass Ein- und Ausgangswerte zumeist in Interaktion mit dem Lieferanten ermittelt und geprüft werden müssen. Die untersuchten Instrumente variieren zudem stark in der Anzahl der einzugebenden und entsprechend zu ermittelnden Eingabewerte. Dabei bieten einige Instrumente nicht nur die „reine“ Ermittlung von Lebenszykluskosten, sondern unterstützen auch beim Vergleich verschiedener Lösungsalternativen (siehe Tools der Berliner Energieagentur) oder bei der Berechnung der Gesamtwirtschaftlichkeit, indem den Lebenszykluskosten zusätzlich noch Leistungsparameter gegenübergestellt werden (bspw. UfAB-Tool zur Beschaffung von IT-Leistungen). Der hier bewusst kurz gehaltene Einblick in die vorhandene Instrumentenlandschaft verdeutlicht bereits, dass bis zum Stichtag der Untersuchung bereits sehr breitgefächerte Überlegungen zur Anwendung von Lebenszykluskosten über unterschiedlichste Warengruppen hinweg existieren. Die 54 identifizierten Instrumente beinhalten Berechnungshilfen für eher einfachere Beschaffungsobjekte und reichen bis hin zu komplexeren Beschaffungsvorhaben, wie z. B. Dienstleistungen und Investitionsprojekten. Sie variieren im Fokus, im Ausmaß an zu ermittelnden Informationen und sind von teils spezifischen Dienststellen entwickelt worden. Die genauere Betrachtung der verfügbaren Instrumente zeigt aber auch, dass eine vollumfängliche Abdeckung aller denkbaren Warengruppen nicht vorzuliegen scheint. Der überwiegende Teil (44 von 54) der Instrumente basiert auf MS Excel oder MS Access Anwendungen. Die Beispiele verdeutlichen, dass eine entsprechende, spätere Anwendung zumindest Grundkenntnisse in Excel und Access erfordert. Zudem muss in den meisten Fällen eine autodidaktische Aneignung der Bedienung der Instrumente erfolgen, die aber durch vorhandene Leitfäden und Anleitungen zur Bedienung erleichtert wird. Die heterogene Instrumentenlandschaft hat zur Folge, dass eine schnelle und gezielte Sichtung und Einarbeitung simultan zum Tagesgeschäft in der öffentlichen Beschaffung oft nur schwer erfolgen kann. Aus diesem Grund haben die Universität der
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Bundeswehr München, das Finanzministerium Hessen und das KOINNO ein handlungsleitendes Instrument entwickelt, dass mit Hilfe von wenigen gezielten Fragen, die Anzahl an zu betrachtenden Tools einschränkt.
Abbildung 1: Ablauf zur Auswahl geeigneter Vorlagen zur Lebenszykluskostenberechnung28
Den Lebenszyklus-Tool-Picker kann unter der folgenden Internet-Adresse heruntergeladen werden: www.koinno-bmwi.de/praxisbeispiele-und-informationen/tool box/detail/lebenszyklus-tool-picker/
IV. Exemplarische Einbindung der Lebenszykluskostenberechnung vor, während und nach der Vergabe Betrachtet man den groben Ablauf der öffentlichen Beschaffung, so zeigt sich, dass der Einsatz einer Lebenszykluskostenberechnung grundsätzlich nur während der eigentlichen Vergabe rechtlich geregelt ist. Dabei lassen die Regelungen im § 59 VgV grundsätzlich Spielraum für zwei alternative Vorgehensweisen.29 1. Bei der ersten Vorgehensweise fordert der öffentliche Auftraggeber die zur Durchführung der Lebenszykluskostenberechnung notwendigen Informationen von den potenziellen Bietern ein. Das setzt voraus, dass auf der Seite der öffentlichen Auftraggeber bereits Klarheit zur Methode, zur Kostenaufbruchstruktur, zu den Instrumenten und Berichtsformaten bestehen muss. Insbesondere der Kostenaufbruchstruktur kommt bei der Bestimmung der zu liefernden Informationen 28 29
Eigene Darstellung. Vgl. § 59 Abs. 2 VgV.
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eine bedeutende Rolle zu. Hier kann der Einsatz des Lebenszykluskosten-ToolPickers bereits wertvolle Orientierung liefern. 2. Bei der zweiten Vorgehensweise überlässt der öffentliche Auftraggeber den Bietern die eigentliche Berechnung. Im Angebot enthalten sind dann neben den notwendigen Informationen zur Lebenszykluskostenberechnung gleichzeitig auch die bereits berechneten Lebenszykluskosten enthalten. Allerdings müssen auch hier die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sein (Methodik und benötigte Informationen müssen den Bietern vorgegeben werden). Auch hier kann der Lebenszykluskosten-Tool-Picker einen wertvollen Beitrag leisten, z. B. indem Berechnungstemplates ausgewählt werden, die durch die Bieter zu befüllen sind. Wie bereits eingangs angedeutet, kann der Einsatz der Lebenszykluskostenberechnung bereits vor der eigentlichen Vergabe sinnvoll sein, beispielsweise dann, wenn während der Bedarfsanalyse mehrere Lösungsvorschläge als Alternativen nebeneinander stehen (z. B. bei unterschiedlichen Gebäudevarianten oder bei unterschiedlichen Entwürfen für den Bau von Küstenwachschiffen). Dann gilt es mit Hilfe der Lebenszykluskosten die wirtschaftlichste Alternative auszuwählen. Die Lebenszykluskostenberechnungen beruhen dabei auf den jeweils verfügbaren Informationen, die sich auch ohne Einbindung der Bieter über eine Marktrecherche ermitteln lassen. Nach der erfolgten Vergabe gilt es, das Leistungs- und Kostenversprechen des Bieters zu überwachen und zu kontrollieren. Hier bewirkt der Einsatz der Lebenszykluskostenberechnung dann die Kontrolle der Prognosegenauigkeit und hilft Maßnahmen zur Einhaltung der prognostizierten Lebenszykluskosten einzuleiten. In der nachfolgenden Abbildung sind die möglichen Formen der Einbindung der Lebenszykluskostenberechnung entlang des Ablaufs der öffentlichen Beschaffung exemplarisch dargestellt.
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Christian von Deimling, Markus Schaupp und Michael Eßig
Abbildung 2: Skizze zur Einbindung von Lebenszykluskosten in der Vergabe30
V. Fazit und Ausblick Insgesamt betrachtet eröffnen die vergaberechtlichen Regelungen den Einsatz von Lebenszykluskosten. Dabei spielen Überlegungen zu den Lebenszykluskosten nicht nur eine Rolle bei der eigentlichen Vergabe, sondern auch in vor- und nachgelagerten Schritten der Beschaffung. Als wesentliche Voraussetzungen zum Einsatz von Lebenszykluskosten als Zuschlagskriterium in der Vergabe lassen sich nennen, die Schulung von Experten und der Aufbau entsprechender Methodenkompetenz, das Festlegen eines Ablaufs zur Lebenszykluskostenberechnung, die Entwicklung und Festlegung einer Kostenaufbruchstruktur, die Auswahl passender Instrumente 30 VDI (2013), Lebenszykluskostenorientierte Ausschreibung, in: VDI 4703, November, 2013, S. 1 – 16, Schwarz, J. (2017), Forschungsprogramm: Zukunft Bau, Berücksichtigung von Lebenszykluskosten bei der Vergabe von Bauleistungen als Zuschlagskriterium, in: Arbeitsbericht: Az 10.08.17.7-15.02, 2017, S. 1 – 36.
Berechnungstools für Lebenszykluskosten
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zur Berechnung der Lebenszykluskosten und die Entwicklung eines Berichtsformates. Insbesondere die fehlende Konkretisierung der anzuwendenden Methode im Vergaberecht macht die Suche und Identifikation passender Instrumente notwendig. Dabei liegen auf dem Markt bereits vielfältig ausgestaltete Instrumente vor, die als Hilfestellung Eingang in die Bestimmung von Lebenszykluskosten finden können. Der Lebenszykluskosten-Tool-Picker erleichtert dabei den Entscheidungsträgern in der öffentlichen Beschaffung und den mit der Durchführung der Berechnung betrauten Personen einen ersten Einblick zu zehn spezifischen Warengruppen und warengruppenübergreifend einsetzbaren Instrumenten. Ob der Einsatz dieser Instrumente, hier verstanden als genereller Einsatz der Methodik der Lebenszykluskosten tatsächlich zu der angestrebten Verbesserung in der öffentlichen Beschaffung führen (z. B. im Sinne einer Professionalisierung oder dem sorgsamen Umgang mit öffentlichen Finanzmitteln) muss weiter beobachtet und untersucht werden.
Internationale Sozialstandards in der öffentlichen Beschaffung – das Beispiel der ILO-Kernarbeitsnormen Von Jan Ziekow1
I. Internationale Sozialstandards und öffentliche Beschaffung Die Einstufung der Berücksichtigung sozialer und ökologischer Gesichtspunkte in der öffentlichen Beschaffung als „vergabefremd“ darf spätestens seit der EU-Vergaberechtsnovelle von 2014 als überwunden gelten. Diese Gesichtspunkte sind nunmehr als gleichrangig mit den Zwecken der unionsweiten Öffnung der Beschaffungsmärkte für den Wettbewerb und der wirtschaftlichen Beschaffung anzusehen2. Diese Entwicklung läuft parallel zu einer zunehmenden Bedeutung internationaler Sozialstandards, die menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Menschen über regionale Kontexte hinaus sicherstellen sollen. Das den von der UNGeneralversammlung im Jahre 2015 beschlossenen Sustainable Development Goals zugrunde liegende Leaving no one behind-Prinzip ist insoweit unmissverständlich. Anders als noch die 2000 verabschiedeten Millennium Development Goals der UN adressieren die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) gerade auch die Verantwortung der Industrieländer für die weltweiten Wirkungen ihres Handelns. Die SDGs entfalten zwar keine völkerrechtliche Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten der UN, fordern den einzelnen Staaten aber die Entwicklung einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie unter Berücksichtigung der Auswirkungen aller Maßnahmen ab.3 Die Dimensionen nachhaltiger Entwicklung kategorisieren die SDGs in vier Gruppen: • Wirtschaftliche Entwicklung (einschl. Armutsbekämpfung), • soziale Inklusion, • ökologische Nachhaltigkeit und 1 Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. (NUM) Jan Ziekow ist Direktor des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung in Speyer. 2 Zu diesen Zwecken Jan Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, Einleitung Rdnr. 1. 3 Zum Ganzen Jan Ziekow/Rowena Bethel, Institutional arrangements for the Sustainable Development Goals, UN Economic and Social Council, 2017, E/C.16/2017/5.
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• Good Governance (einschl. Frieden und Sicherheit). Die 17 Nachhaltigkeitsziele enthalten viele Gesichtspunkte, die auch aus den Bemühungen um eine soziale und ökologische Beschaffung bekannt sind, z. B. • die volle Chancengleichheit von Frauen bei der Übernahme von Führungsrollen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung auch im wirtschaftlichen Bereich (Ziel 5.5), • die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Energiemix (Ziel 7.2), • die deutliche Steigerung der Energieeffizienz (Ziel 7.3.), • die Begünstigung des Wachstums von Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen (Ziel 8.3) sowie • die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit und bis 2025 jeder Form von Kinderarbeit (Ziel 8.7.). Ziel 12.7 nimmt ausdrücklich die öffentliche Beschaffung in die Pflicht, nachhaltige Verfahren zu fördern. Eine Operationalisierung dieses Ziels kann nur vor dem Hintergrund der die SGD beherrschenden Grundsätze der Integration und Unteilbarkeit erfolgen. Sie besagen, dass keine isolierte Betrachtung von Zielen erfolgen darf, sondern ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde zu legen ist, in dem die wechselseitigen Abhängigkeiten, Wechselwirkungen und Synergien der Auswirkungen von Maßnahmen zwischen den Goals und Targets (Zielen und Unterzielen) betrachtet werden.4 Dabei sind die in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zugrunde gelegten drei Ebenen von Maßnahmen mit Wirkung in Deutschland, Maßnahmen durch Deutschland mit weltweiten Wirkungen und der Unterstützung anderer Länder in bilateraler Zusammenarbeit (Maßnahmen mit Deutschland)5 zu unterscheiden. Dies bedeutet die Wahrnehmung von Verantwortung auch für Menschen in anderen Ländern. In Orientierung an den Empfehlungen für die nachhaltige Beschaffung privater Unternehmen6 ließen sich als den methodischen Anforderungen der Nachhaltigkeitsziele entsprechende Folgerungen für ein nachhaltiges Beschaffungsmanagement der öffentlichen Auftraggeber formulieren: • Produktgruppenbezogene Identifizierung SDG-relevanter Wirkungszusammenhänge, • Identifizierung SDG-relevanter Wirkungen in wenig entwickelten Ländern, • Auseinandersetzung mit Maß der Beeinflussbarkeit von Wirkungen durch die Beschaffung, 4
Ziekow/Bethel (Fußn. 3). Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, 2016, mit Aktualisierung 2018, https://www.bundesre gierung.de/resource/blob/975274/318676/3d30c6c2875a9a08d364620ab7916af6/2017-01-11nachhaltigkeitsstrategie-data.pdf?download=1. 6 Vgl. nur ISO 20400 v. April 2017, https://www.iso.org/obp/ui#iso:std:iso:20400:ed1:v1:en. 5
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• Auseinandersetzung mit Wechselwirkungen für andere SDGs bei Beeinflussung einzelner SDGs, • Setzung von Zielen, insbes. ggf. Priorisierung, • Festlegung von Indikatoren (z. B. Belastbarkeit des Wirkungszusammenhangs, Maß der Beeinflussbarkeit u. a.). Da die International Labour-Organization (ILO) eine Sonderorganisation der UN ist, kann für die bereichsspezifische Konkretisierung internationaler Sozialstandards für die Zwecke der öffentlichen Beschaffung auf die sog. Kernarbeitsnormen der ILO zurückgegriffen werden. Zu den elementaren Zielen der ILO gehört es, durch die Schaffung weltweit anerkannter Sozialstandards zu verhindern, dass sich einzelne Teilnehmer am internationalen Handel dadurch Vorteile verschaffen, dass sie Arbeitnehmerrechte abbauen und die Arbeitsbedingungen verschlechtern. Zu diesem Zweck setzt die ILO Arbeitsnormen, von denen die Kernarbeitsnormen die zentralen Grundprinzipien der ILO aufnehmen. Die ILO-Kernarbeitsnormen haben die Form von acht Übereinkommen: • Übereinkommen 29: Zwangs- und Pflichtarbeit, • Übereinkommen 105: Zwangsarbeit, • Übereinkommen 87: Vereinigungsfreiheit, • Übereinkommen 98: Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen, • Übereinkommen 100: Gleichheit des Entgelts für Männer und Frauen, • Übereinkommen 111: Diskriminierung im Beruf, • Übereinkommen 138: Beschäftigungsmindestalter, • Übereinkommen 182: schlimmste Formen der Kinderarbeit (Sklaverei, Pornographie und Prostitution, verbotene Tätigkeiten, schädliche Tätigkeiten). Die ILO-Übereinkommen bedürfen zu ihrer Geltung der nationalen Umsetzung. Die Kernarbeitsnormen sind sämtlich durch die Bundesrepublik ratifiziert worden und gelten in Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes. Selbst wenn ihnen weiterhin zusätzlich zur Geltung auch unmittelbare Anwendbarkeit in dem Sinne zukommen sollte, dass sie unmittelbar Rechte und Pflichten begründen können,7 würde dies lediglich bedeuten, dass sich z. B. Arbeitnehmer in Deutschland gegenüber ihrem Arbeitgeber auf in der betreffenden ILO-Kernarbeitsnorm niedergelegte Rechtspositionen berufen können bzw. die Arbeitgeber verpflichtet sind, diese Rechtspositionen zu beachten. Zu einem positiven Tun im Sinne des Ergreifens von Maßnahmen zur Durchsetzung der in den ILO-Kernarbeitsnormen beschriebenen Standards sind jedoch nur die Mitglieder der ILO verpflichtet. Kein öffentlicher Auftraggeber ist gehalten, die Missachtung von ILO-Kernarbeitsnormen durch private 7 Ablehnend Frederik Diepgen, Verpflichtungen wirtschaftlicher Akteure zur Beachtung der Kernarbeitsrechte der Internationalen Arbeitsorganisation, 2015, S. 43 ff.
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Unternehmen, möglicherweise sogar mit Sitz in anderen Staaten, zu sanktionieren. Auch in deutsches Recht transformierte und unmittelbar anwendbare ILO-Kernarbeitsnormen müssen also nicht in Beschaffungsvorgängen zur Geltung gebracht werden, es sei denn, aus den vergaberechtlichen Regelungen selbst ergibt sich etwas anderes.
II. Berücksichtigung der ILO-Kernarbeitsnormen bei Vergaben ab Erreichen der EU-Schwellenwerte Art. 18 Abs. 2 VRL8 formuliert folgenden Auftrag an die EU-Mitgliedstaaten: „Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt-, sozialund arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, die durch Rechtsvorschriften der Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder die in Anhang X aufgeführten internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften festgelegt sind.“
Zu den hiervon erfassten internationalen Übereinkommen gehören laut Anhang X zur VRL auch die ILO-Kernarbeitsnormen. Der deutsche Gesetzgeber hat spezifische Regelungen zur Erfüllung dieses Auftrags mit Blick auf die Einhaltung der Verpflichtungen aus den ILO-Kernarbeitsnormen für nicht erforderlich gehalten, da er die Beachtung dieser Normengruppe durch § 128 Abs. 1 GWB sichergestellt sieht. Damit dürfte der deutsche Gesetzgeber dem Ansatz des Art. 18 Abs. 2 Var. 2 VRL nicht vollständig gerecht geworden sein. Um die Bedeutung dieser Regelung auszuloten, ist es notwendig, sich mit der räumlichen Reichweite der Sicherung der aus den ILO-Kernarbeitsnormen fließenden Verpflichtungen auseinanderzusetzen. Diese Übereinkommen sind in der Tat von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert und durch nationales Recht umgesetzt worden. Würde es nur darum gehen, die Einhaltung dieser Vorschriften auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten zu sichern, wäre Art. 18 Abs. 2 Var. 2 VRL überflüssig. Denn die Einhaltung der in den Mitgliedstaaten geltenden europäischen und nationalen Regelungen wird durch Art. 18 Abs. 2 Var. 1 VRL ohnehin vorgegeben. Soll der zusätzliche Hinweis auf die Einhaltung der Verpflichtungen aus den ILO-Kernarbeitsnormen eine eigenständige Funktion haben, so muss er einen weitergehenden Gehalt haben. Dieser Gehalt liegt darin, dass in öffentlichen Beschaffungsprozessen, die im Anwendungsbereich der EU-Vergaberichtlinien erfolgen, keine Leistungen oder Produkte beschafft werden sollen, bei deren Erbringung, Herstellung oder Lieferung gegen die ILO-Kernarbeitsnormen verstoßen worden ist – und zwar unabhängig davon, ob der Verstoß innerhalb oder außerhalb
8 RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. 2. 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl.EU Nr. L 94 v. 28. 3. 2014, S. 65.
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der EU erfolgte9. Wegen dieser defizitären Umsetzung des Art. 18 Abs. 2 Var. 2 VRL bedarf es einer richtlinienkonformen Auslegung des Vergaberechts, die den Regelungsgehalt der Vorschrift zur Geltung bringt. Die Zulässigkeit der Berücksichtigung der ILO-Kernarbeitsnormen in concreto hängt davon ab, in welcher Weise diese Anforderung auf welcher Stufe der Vergabe berücksichtigt werden soll. 1. Zusammenhang des Kriteriums mit dem Auftragsgegenstand Für alle diese Stufen gilt zunächst, dass die jeweiligen sozialen Kriterien im Zusammenhang mit den bei Erfüllung des Auftrags zu erbringenden Leistungen oder Lieferungen stehen müssen. Wann dies der Fall ist, regeln § 122 Abs. 4 GWB für die Eignungskriterien, § 127 Abs. 3 GWG für die Zuschlagskriterien und § § 128 Abs. 2 GWB für die Ausführungsbedingungen. Danach stehen die Kriterien mit dem Auftragsgegenstand des öffentlichen Auftrags in Zusammenhang, wenn sie sich auf die gemäß dem Auftrag zu erbringenden Leistungen oder Lieferungen oder Dienstleistungen beziehen – und zwar unabhängig von dem Lebenszyklus-Stadium. Hiervon umfasst sind auch Faktoren, die mit dem spezifischen Prozess der Herstellung oder der Bereitstellung solcher Leistungen oder Lieferungen oder des Handels damit oder einem spezifischen Prozess in Bezug auf ein anderes Lebenszyklus-Stadium zusammenhängen. Unerheblich ist es, ob sich derartige Faktoren auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken oder nicht. Erwägungsgrund 97 VRL ergänzt dies für die Einbeziehung sozialer und ökologischer Überlegungen dahingehend, dass derartige Überlegungen als Zuschlagskriterien oder Ausführungsbedingungen umfassend genutzt werden können und dass der Lebenszyklus, in dem dies erfolgen kann, „von der Gewinnung der Rohstoffe für die Ware bis zur Entsorgung der Ware“ reicht. Dies entspricht der vom Europäischen Gerichtshof im Havelaar-Urteil entwickelten Linie, auf die Erwägungsgrund 97 VRL explizit Bezug nimmt. In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Fall musste der Bieter einem Anforderungsprofil genügen, das u. a. verlangte, dass die „Zutaten … möglichst dem EKO- und /oder MAX HAVELAAR-Gütezeichen entsprechen sollen“. Bei beiden Gütezeichen handelt es sich um private Label, die von niederländischen Stiftungen des Zivilrechts vergeben werden: • Die Vergabe des EKO-Gütezeichens setzt voraus, dass das betreffende Erzeugnis sich zu mindestens 95 % aus ökologisch erzeugten Bestandteilen zusammensetzt. • Das Gütezeichen MAX HAVELAAR ist ein Fair-Trade-Label, soll also den Handel mit Erzeugnissen aus fairem Handel fördern. Zu diesem Zweck zertifiziert es 9 Ebenso Andreas Glaser, Zwingende Mindeststandards bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, 2015, S. 25; Hermann Summa, Vergaberecht und ILO-Kernarbeitsnormen, VergabeR 2016, S. 147 (150).
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den Erwerb der betreffenden Erzeugnisse zu einem fairen Preis und fairen Bedingungen von Organisationen, die sich aus Kleinerzeugern in Entwicklungsländern zusammensetzen, unter folgenden Voraussetzungen: - Kostendeckender Preis, der einen Zuschlag auf den Weltmarktpreis beinhaltet, - Vorfinanzierung der Produktion und - Bestehen langfristiger Handelsbeziehungen zwischen Erzeuger und Importeur. Der Gerichtshof sah den von der Kommission vermissten Bezug zum Auftragsgegenstand darin, dass die Einhaltung der den Gütezeichen zugrunde liegenden Kriterien nur für die konkret in Erfüllung des Auftrags zu liefernden Waren gefordert wurde und deshalb keine Einflussnahme auf die allgemeine Einkaufspolitik der Bieter vorlag.10 Unter Berufung auf die Schlussanträge der Generalanwältin wies der EuGH darauf hin, dass sich ein Zuschlagskriterium nicht „auf eine echte innere Eigenschaft eines Erzeugnisses“ beziehen müsse, und stellte die „soziale Herkunft“ einer Ware der „ökologischen Herkunft“ im Sinne des Wienstromurteils11 gleich.12 Durch die VRL beantwortet wird die bislang nicht abschließend geklärte und für die Praxis bedeutsame Frage der Einbeziehbarkeit von Produktions- und Distributionsstufen, die vor der Herstellung oder dem Erwerb des Produkts durch den Bieter liegen. Soziale Zuschlagskriterien oder Ausführungsbedingungen können sich auch auf diese Phasen, also Urproduzenten oder Zulieferer des Bieters, beziehen. Generell unzulässig sind weiterhin Kriterien, die sich nicht auf den konkreten Prozess der Lieferung oder Leistungserbringung in Lebenszyklusbetrachtung, sondern auf das Unternehmen des Bieters als solches und seine Unternehmenspolitik mit Blick auf eine bestimmte Politik der sozialen Verantwortung beziehen13 (Erwägungsgrund 97). Dementsprechend könnte etwa nicht verlangt werden, dass in den Organen eines Unternehmens eine bestimmte Quote für Frauen reserviert ist. Wohl aber könnte darauf abgestellt werden, ob Frauen Führungspositionen bei der Erfüllung des konkreten Auftrags innehaben. Dementsprechend kann die Beachtung der ILOKernarbeitsnormen auch nur insoweit in das Vergabeverfahren eingeführt werden, wie sich diese Forderung auf die konkrete Leistungserbringung bezieht. Denn in diesem Fall handelt es sich nicht um eine allgemein unternehmensbezogene Anforderung.14
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EuGH NZBau 2012, S. 445 Rdnr. 90. Siehe EuGH Slg. 2003, I-14527 Rdnr. 34. 12 EuGH NZBau 2012, S. 445 Rdnr. 91. 13 Clemens Latzel, Soziale Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nach der Richtlinie 2014/24/EU, NZBau 2014, S. 673 (679). 14 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. 1. 2014 – Verg 28/13 –, juris Rdnr. 30; Beschl. v. 25. 6. 2014 – Verg 29/14 –, juris Rdnr. 31. 11
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2. Berücksichtigung in der Leistungsbeschreibung Der öffentliche Auftraggeber ist nicht daran gehindert, durch eine entsprechende Gestaltung der Leistungsbeschreibung bestimmte soziale oder umweltrelevante Ziele zu verfolgen. Es ist allein Sache des öffentlichen Auftraggebers festzulegen, welche Art von Leistung oder Lieferung mit welchen Merkmalen er nachfragen will, sofern diese Festlegung nach sachbezogenen Kriterien erfolgt. Bei der Berücksichtigung sozialer Kriterien in der Leistungsbeschreibung wird es in der Regel darum gehen, dass die Leistung inhaltlich den Bedürfnissen bestimmter sozialer Gruppen gerecht wird, beispielsweise durch eine behindertengerechte Ausgestaltung der Leistung. Diese nutzerbezogenen Elemente sind in der Leistungsbeschreibung eindeutig berücksichtigungsfähig. Andere soziale Ziele, insbesondere die allgemeinen Arbeitsbedingungen in dem mit der Leistungserbringung beauftragten Unternehmen, lassen sich nicht über die Leistungsbeschreibung in das Vergabeverfahren einführen,15 sofern nicht eine Berücksichtigung als technische Spezifikation möglich ist. Anders als nach früherem EU-Recht können zwar nunmehr soziale Kriterien auch als technische Spezifikationen im Sinne des Art. 42 VRL verwendet werden, soweit es um den Prozess oder die spezifische Methode zur Erfüllung des Auftrags geht.16 Erwägungsgrund 99 VRL verdeutlicht jedoch, dass es sich dabei um „solche sozialen Anforderungen … (handeln muss), die die betreffende Ware oder die betreffende Dienstleistung unmittelbar charakterisieren, wie das Kriterium der Zugänglichkeit für Personen mit einer Behinderung oder das Kriterium „Design für Alle““. Man wird daher davon ausgehen müssen, dass die sozialen Bedingungen der Produktion und Distribution und damit auch die ILO-Kernarbeitsnormen nach wie vor nicht als technische Spezifikationen in die Vergabe eingebracht werden können17. Die Regelung des deutschen Rechts weicht hiervon ab. Nach § 31 Abs. 3 VgV gehören zu den Merkmalen des Auftragsgegenstands, die in der Leistungsbeschreibung beschrieben werden, auch soziale Aspekte, die sich auf den Prozess oder die Methode zur Herstellung oder Erbringung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus des Auftragsgegenstands einschließlich der Produktions- und Lieferkette beziehen, selbst wenn diese Faktoren keine materiellen Bestandteile der Leistung werden. Auf dieser Grundlage sollen auch Vorgaben zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktionskette gemacht werden können.18 Insoweit geht das deutsche Recht also über das EU-Recht hinaus. Eine Abweichung des 15
Alexander Egger, Europäisches Vergaberecht, 2008, Rdnr. 1080; Jakob Steiff, Vergabefremde Aspekte – eine Zwischenbilanz, VergabeR 2009, S. 290 (294). 16 Glaser (Fußn. 9), S. 42 f.; Latzel (Fußn. 13), S. 675. 17 Claas Friedrich Germelmann, Mindestlöhne und ILO-Kernarbeitsnormen: Kernprobleme und Perspektiven sozialer Sekundärziele im Vergaberecht, GewArch 2016, S. 100 (104); Latzel (Fußn. 13), S. 675. 18 Begründung des Entwurfs der VgV, http://www.forum-vergabe.de/fileadmin/user_up load/Rechtsvorschriften/Referentenentwurf_Verordnungen_11. 11. 2015/Referentenentwurf_ Verordnungen_gesamt_11. 11. 2015.pdf, S. 166.
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nationalen Rechts von den Vorgaben der EU-Vergaberichtlinien ist nicht generell ausgeschlossen. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Abweichung ist allerdings, dass das nationale Recht zu einer Erweiterung des Wettbewerbs im Vergleich mit dem EU-Recht führt. Dies ist jedoch bei einer Einführung der Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen in das Vergabeverfahren nicht der Fall. Vielmehr führt dieses Kriterium zu einer Verengung des Wettbewerbs auf diejenigen Unternehmen, deren Leistungen bzw. Produkte das Kriterium erfüllen. 3. Einführung als Eignungskriterium Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an ein bestimmtes Unternehmen setzt nach § 122 voraus, dass kein Ausschluss des Bieters nach den §§ 123 und 124 GWB erfolgt und die vom Auftraggeber festgelegten Eignungskriterien (§ 122 Abs. 2 GWB) erfüllt sind. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB kann ein Unternehmen ausgeschlossen werden, wenn es bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat. Hierüber geht Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a VRL hinaus19 : Geltende Verpflichtungen im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB sollen ausweislich der Gesetzesbegründung „gemäß Artikel 18 Absatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU alle für das Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, die durch Rechtsvorschriften der Europäischen Union, einzelstaatliche Rechtsvorschriften, aber auch durch für das Unternehmen verbindliche Tarifverträge festgelegt sind“, sein20. Dies soll explizit auch für die in Anhang X VRL aufgeführten ILO-Kernarbeitsnormen gelten. Diese Verengung entspricht nicht der (oben II.) dargestellten Unterscheidung zwischen Vorschriften im Sinne von Art. 18 Abs. 2 Var. 1 VRL, die durch § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB erfasst werden, und Vorschriften im Sinne von Art. 18 Abs. 2 Var. 2 VRL, zu denen die ILO-Kernarbeitsnormen gehören. Da Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 Var. 2 VRL alle Verstöße gegen die ILO-Kernarbeitsnormen erfasst, unabhängig davon, ob sie durch den Bieter selbst oder einen Zulieferer oder ob sie in einem Staat, in dem die ILO-Kernarbeitsnormen in nationales Recht umgesetzt worden sind, begangen worden sind (oben II.), ist die Umsetzung in § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB defizitär. § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist daher dahingehend unionsrechtskonform auszulegen, dass die Vorschrift auch einen Ausschluss von Bietern ermöglicht, wenn diese selbst oder einer ihrer Zulieferer gegen die ILO-Kernarbeitsnormen verstoßen haben, selbst wenn dieser Verstoß in einem Staat außerhalb der EU erfolgte. Der Nachweis des Vorliegens eines Verstoßes gegen die ILO-Kernarbeitsnormen im konkreten Produktions- und Distributionsprozess muss vielmehr positiv durch den öffentlichen Auftraggeber geführt werden. 19
Ebenfalls von einem Umsetzungsdefizit ausgehend Summa (Fußn. 9), S. 150. Vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts, BT-Drucks. 18/6281, S. 105. 20
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Die vom Auftraggeber zu bestimmenden Eignungskriterien gemäß § 122 Abs. 2 GWB müssen die Befähigung zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bieter betreffen. Es ist ausgeschlossen, auf der Stufe der Eignungsprüfung Anforderungen zu formulieren, die anderen Zwecken dienen. Dementsprechend bewertete der EuGH zu den früheren Vergaberichtlinien das Verlangen, „dass der Lieferant die Kriterien in Bezug auf nachhaltige Einkäufe und gesellschaftlich verantwortliches Verhalten erfüllt“, als unzulässige Mindestanforderung an die berufliche Leistungsfähigkeit, da die Aufzählung der Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in Art. 48 VKR abschließend war und sich die verlangten Anforderungen keinem der in Art. 48 VKR genannten Punkte zuordnen ließen.21 Dass die Eignungskriterien keinen Raum für die Einbeziehung sozialer Gesichtspunkte und damit auch der ILOKernarbeitsnormen durch die öffentlichen Auftraggeber lassen, hat sich durch die VRL nicht geändert.22 4. Angebotswertung § 127 Abs. 1 GWB gibt vor, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erfolgt. Zu dessen Ermittlung hat eine Bewertung zu erfolgen, ob und inwieweit das einzelne Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt, wobei maßgebend das beste Preis-Leistungs-Verhältnis ist. In der Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses können u. a. auch soziale Aspekte berücksichtigt werden. § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 VgV ergänzt dies dahingehend, dass zu den Zuschlagskriterien soziale Eigenschaften sowie Vertriebs- und Handelsbedingungen gehören. Dass die Berücksichtigung der ILO-Kernarbeitsnormen als Zuschlagskriterium auf jeder Produktions- und Distributionsstufe möglich ist, macht die Begründung des Entwurfs zu § 58 VgV deutlich: Es „stellt bereits § 127 Absatz 3 GWB in Umsetzung des Artikels 67 Absatz 3 der Richtlinie 2014/24/EU klar, dass ein Auftragsbezug künftig auch dann angenommen werden kann, wenn sich das Kriterium auf ein beliebiges Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht. Dies kann insbesondere Prozesse der Herstellung (auch der Rohstoffgewinnung), Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung betreffen, aber (insbesondere bei Warenlieferungen) z. B. auch den Handel mit ihr. Dabei müssen sich solche Kriterien nicht zwingend auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken. Künftig kann somit ein zu beschaffendes Produkt, das aus fairem Handel (z. B. durch die Beachtung internationaler Standards, wie etwa die ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktions- und Lieferkette) stammt, im Rahmen der Zuschlagswertung mit einer höheren Punktezahl versehen werden als ein
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EuGH NZBau 2012, S. 445 Rdnr. 105 ff. Germelmann (Fußn. 17), S. 103.
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konventionell gehandeltes Produkt. Damit steigen dessen Chancen, auch bei einem höheren Angebotspreis den Zuschlag zu erhalten.“23 5. Ausführungsbedingungen Gemäß § 128 Abs. 2 GWB können öffentliche Auftraggeber besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags (Ausführungsbedingungen) festlegen, die sich insbesondere auch auf soziale Belange beziehen können, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Diese Ausführungsbedingungen beziehen sich auf die Phase nach Zuschlagserteilung. Art. 70 Satz 2 VRL weist ausdrücklich darauf hin, dass zu den Ausführungsbedingungen auch soziale Belange zählen können, darunter auch die Erfüllung der Kernarbeitsnormen der ILO. Während unter der Rechtslage der früheren europäischen Vergabekoordinierungsrichtlinie für Aufträge über die Lieferung bereits vorhandener Waren anderes galt, weil der Prozess der Produktion der Waren als Ausführungsbedingung nicht mehr einbeziehbar war, so dass insbesondere für die Lieferung von Waren aus Lagerbeständen des Bieters eine auf die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen bezogene Erklärung nicht mehr in Ausführung des Auftrags gefordert werden konnte24, hat sich diese Rechtslage unter der VRL von 2014 geändert. Erwägungsgrund 97 VRL hebt nunmehr explizit hervor, dass sich die Einbeziehung sozialer Überlegungen in das Vergabeverfahren als Ausführungsbedingung auf jedes „LebenszyklusStadium von der Gewinnung der Rohstoffe für die Ware bis zur Entsorgung der Ware Gebrauch“ beziehen können. Hieraus wird man ableiten können, dass auch Produktions- und Distributionsschritte vor Erteilung des konkreten Auftrags in der Weise als Ausführungsbedingung gefasst werden können, dass der Bieter – in den Grenzen des ihm Möglichen und Zumutbaren – nachweist bzw. erklärt, dass bei Herstellung bzw. Handel die ILO-Kernarbeitsnormen beachtet worden sind. Regelungstechnisch handelt es sich bei den zusätzlichen Bedingungen für die Auftragsausführung um Vertragsbedingungen. Sofern im Aufruf zum Wettbewerb oder in den Auftragsunterlagen auf den Inhalt der Vertragsbedingung und die Notwendigkeit, sich zu deren Einhaltung zu verpflichten, hingewiesen wird, kann vom Bieter verlangt werden, sich vor Zuschlagserteilung dazu zu verpflichten, die Vertragsbedingung zu akzeptieren. Unterlässt der Bieter die Abgabe einer solchen Erklärung, so greift der Ausschlussgrund des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ein, wobei nach Auffassung der Kommission das Ausschlussermessen wegen des Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sogar auf Null reduziert ist25. 23 Begründung des Entwurfs der VgV, http://www.forum-vergabe.de/fileadmin/user_up load/Rechtsvorschriften/Referentenentwurf_Verordnungen_11.11.2015/Referentenentwurf_Ver ordnungen_gesamt_11.11.2015.pdf, S. 191. 24 Jan Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 97 GWB Rdnr. 148. 25 Europäische Kommission, Sozialorientierte Beschaffung. Ein Leitfaden für die Berücksichtigung sozialer Belange im öffentlichen Beschaffungswesen, 2011, S. 43. Für einen
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Häufig werden sich Hinweise darauf, dass der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, entgegen seiner Erklärung nicht die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen in dem durch die Ausführungsbedingung geforderten Rahmen sicherstellt, erst nach Zuschlagserteilung oder sogar nach Leistungsbeginn ergeben. Insoweit sollte darauf geachtet werden, dass der Vertrag ein angemessenes Instrumentarium zur Sanktionierung von Verstößen vorsieht. Gegen die Implementierbarkeit der Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen als Ausführungsbedingungen ist vorgetragen worden, dass es „dem Auftraggeber verwehrt (sei), ein Vergabekriterium festzulegen, dessen Erfüllung durch die Bieter er nicht nachprüfen kann oder will, denn ein solches Kriterium … (widerspreche) insbesondere dem Transparenzgebot“26. In der Tat hat der EuGH unter dem Gesichtspunkt des Transparenzgebots für die Zuschlagskriterien entschieden, dass der Auftraggeber in der Lage sein muss, die Erfüllung des Zuschlagskriteriums effektiv zu überprüfen.27 Doch lässt sich dieses Erfordernis nicht auf die Ausführungsbedingungen übertragen.28 Das Erfordernis der effektiven Kontrolle der Beachtung der Zuschlagskriterien soll die Vergleichbarkeit der Angebote und die Gleichbehandlung der Bieter sicherstellen. Ein Zuschlagskriterium, dessen Erfüllung nicht kontrollierbar ist, ist keine geeignete Grundlage einer Differenzierung. Diese Differenzierungsentscheidung ist hingegen für die Ausführungsbedingungen nicht zu treffen, deren Erfüllung der Auswahlentscheidung vielmehr nachgelagert ist. Hier muss sich der Auftraggeber im Vergabeverfahren von vornherein darauf beschränken, das im Rahmen der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässige höchstmögliche Maß an Gewissheit über die Erfüllung der Ausführungsbedingung zu erlangen.
zwingenden Ausschluss bei mangelnder Akzeptierung der Ausführungsbedingungen auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts, BT-Drucks. 18/6281, S. 113; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. 1. 2014 – Verg 28/13 –, juris Rdnr. 30; Beschl. v. 25. 6. 2014 – Verg 29/14 –, juris Rdnr. 30. 26 Stellungnahme des RiOLG Summa zu dem Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Modernisierung des Vergaberecht, BT-Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, Ausschussdrucks. 16(9)1171 S. 6. 27 EuGH EuZW 2004, S. 81 Rdnr. 51 f., 57 ff.; NZBau 2012, S. 445 Rdnr. 109 – Max Havelaar. 28 VK Münster, Beschl. v. 21. 1. 2015 – VK 18/14 –, juris Rdnr. 86; Clemens Latzel (Fußn. 13), S. 680. A. M. Martin Burgi, Ökologische und soziale Beschaffung im künftigen Vergaberecht, NZBau 2015, S. 597 (600); Ingeborg Diemon-Wies/Stefan Graiche, Vergabefremde Aspekte – Handhabung bei der Ausschreibung gem. § 97 IV GWB, NZBau 2009, S. 409 (413); Jürgen Kühling /Florian Huerkamp, Vergaberechtsnovelle 2010/2011: Reformbedarf bei den vergabefremden Ausführungsbedingungen nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB?, VergabeR 2010, S. 545 (551). Offengelassen von OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. 1. 2014 – Verg 28/13 –, juris Rdnr. 32.
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Jan Ziekow
6. Auswahl: Zuschlagskriterium oder Ausführungsbedingung? Ob soziale Gesichtspunkte wie die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen im Einzelfall als Zuschlagskriterium oder als Ausführungsbedingung zu verstehen sind, richtet sich danach, wie das Kriterium in der konkreten Ausschreibung verwendet worden ist. Dem öffentlichen Auftraggeber steht es grundsätzlich frei, sich für die eine oder für die andere Möglichkeit zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass die Verwendung eines sozialen Aspekts als Zuschlagskriterium nicht in ja/nein-Form erfolgen kann. Bei der Ausgestaltung als Zuschlagskriterium könnte beispielsweise nicht festgelegt werden, dass Angebote, die sich auf unter Verstoß gegen eine ILO-Kernarbeitsnorm hergestellte Produkte beziehen, nicht berücksichtigt werden dürfen. Denn es gehört grundsätzlich zum Wesen der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots, dass eine Gewichtung der einzelnen Zuschlagskriterien im Verhältnis zueinander vorgenommen wird. Dies kann sich bei der Verwendung eines sozialen Kriteriums als Zuschlagskriterium als Vorteil erweisen, wenn beispielsweise das Maß der Gewährleistung sozialer Anforderungen bewertet werden soll. In dieser Weise kann der Erfüllungsgrad sozialer Anforderungen bewertet werden. Der Umstand, dass das zu beschaffende Produkt ohne Verstoß gegen die ILOKernarbeitsnormen hergestellt und gehandelt worden ist, kann mithin mit einer auszuweisenden Gewichtung belegt werden und muss dann mit dieser Gewichtung beim Zuschlag berücksichtigt werden. Damit verbunden ist allerdings, dass sich andere Wertungskriterien in der Gewichtung gegen die „soziale Herkunft“ eines Produkts durchsetzen können. Dies kann die Konsequenz zeitigen, dass der Zuschlag auf das Angebot eines unter Einsatz ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellten Produkts erteilt werden muss, weil dieses Kriterium durch das deutliche Überwiegen anderer Zuschlagskriterien weggewogen wurde. Die Verwendung der Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen als Zuschlagskriterium scheidet also immer dann von vornherein aus, wenn seine Einhaltung in jedem Fall sichergestellt werden soll. In diesem Fall bleibt nur – da die Gestaltung als Eignungskriterium unzulässig ist – die Fassung als Ausführungsbedingung. Weiterhin ist in die Überlegungen einzubeziehen, dass für Zuschlagskriterien das Gebot der effektiven Überprüfbarkeit gilt: Der Auftraggeber muss in der Lage sein, die Erfüllung der Zuschlagskriterien effektiv zu überprüfen. Dieses Gebot gilt für Ausführungsbedingungen nicht (oben II.4.). Dementsprechend kommt eine Verwendung der Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen als Zuschlagskriterium nicht in Betracht, wenn nicht für alle erfassten Produktions- und Distributionsstufen verifiziert werden kann, dass den sozialen Aspekten Rechnung getragen worden ist.
Internationale Sozialstandards in der öffentlichen Beschaffung
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III. Schlussbemerkung Die durch die Sustainable Development Goals der UN nicht nur methodisch auf eine neue Ebene gehobenen internationalen Sozialstandards haben sich – soweit es Beschäftigungsstandards anbetrifft – seit längerem in den ILO-Kernarbeitsnormen konkretisiert. Die gesteigerte Bedeutung hat bereits die EU-Vergaberechtsnovelle 2014 aufgegriffen und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung der ILO-Kernarbeitsnormen bei der Vergabe verdeutlicht und erweitert. Dies ändert allerdings nichts daran, dass bei der einzelnen Vergabe genau überlegt werden muss, auf welcher Stufe der Vergabe eine Berücksichtigung erfolgen kann und soll, welche Wirkungen damit verbunden sind und welche Voraussetzungen einzuhalten sind.
Berücksichtigung von „Fairtrade“-Normen nach dem europäischen und deutschen Vergaberecht Von Christoph Krönke1
I. Vergaberecht im Geiste von Max Havelaar? Unter dem Pseudonym „Multatuli“ (lateinisch für „ich habe viel ertragen“) erzählte der niederländische Schriftsteller Eduard Douwes Dekker in seinem 1860 veröffentlichten, teils autobiografischen Roman die Geschichte eines ehemaligen Kolonialbeamten auf Java, Indonesien, im damaligen „Nederlands-Indië“. Der Protagonist hatte seine Erfahrungen in der Kolonialverwaltung niedergeschrieben und wollte die Missstände des Kolonialsystems publik machen, insbesondere die damit verbundene Ausbeutung der in den Kolonien arbeitenden Bevölkerung und der dortigen natürlichen Ressourcen. Von den buchstäblichen Früchten dieser Missstände zehre das wohlhabende niederländische Bürgertum, dem der in Ungnade gefallene Beamte nun die Augen öffnen wollte. Er wandte sich daher an den Kaffeehändler Batavus Droogstoppel, einen früheren Schulkameraden, der ihn bei der Veröffentlichung unterstützen sollte.2 Der Name des Kolonialbeamten: Max Havelaar. Auch wenn Dekkers Roman nicht unmittelbar in die Gründung von Aktionsgruppen des fairen Handels mündete, ist der Name „Max Havelaar“ mittlerweile zur Chiffre für einen der bedeutendsten Meilensteine der „Fairtrade“-Bewegung geworden.3 Über hundert Jahre nach Veröffentlichung des Romans, im Jahre 1988, wurde das erste Gütesiegel für fair gehandelte Produkte eingeführt – durch die niederländische „Stichting Max Havelaar“. Das „Max Havelaar“-Label sollte Produkte kennzeichnen, die in einer Weise hergestellt und gehandelt wurden, welche den bei der Herstel1
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht (Professor Dr. Martin Burgi) an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wie schon der Vortrag, aus dem der Beitrag hervorgeht, knüpft dieser an die Gedanken an, die der Autor bereits im Rahmen eines Beitrags in der Zeitschrift für das gesamte Vergaberecht (VergabeR), Heft 2/2017, 101 ff., grundlegend entfaltet hat. 2 Nicht ohne eine gewisse Ironie handelte Droogstoppel dabei weniger aus Überzeugung von der Sache, sondern war vielmehr vom Verlangen nach Profit getrieben. 3 Vgl. zu den folgenden Angaben zur Geschichte von „Fairtrade“ etwa https://www.fair trade.net/about-fairtrade/history-of-fairtrade.html.
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lung konventioneller Produkte typischerweise benachteiligten Produzentinnen und Produzenten in den Südländern angemessene Lebens- und Arbeitsbedingungen sicherte. Das Label war dabei nicht nur für die (alternativen) Weltläden gedacht, sondern gerade auch für die („Mainstream“-)Supermärkte. Es machte „Fairtrade“-Produkte somit auch für die Masse der Verbraucher sichtbar und lieferte ihnen eine verlässliche Grundlage für ein ethisch „besseres“ Konsumverhalten. Für die bis dahin existierenden „Fairtrade“-Gruppierungen und -Organisationen stellte dies den eigentlichen Durchbruch dar und eröffnete ihnen den Weg in die Professionalisierung ihres Anliegens. In der Folgezeit wurden verschiedene „Fairtrade“-Labels eingeführt und im Jahr 1997 in Bonn unter dem Dach von „Fairtrade International“ vereint. Die Organisation zeichnete fortan verantwortlich für die Entwicklung materieller „Fairtrade“-Standards (als „Fairtrade Labelling Organizations International e.V.“ – FLO), die Inspektionen und Zertifizierungen von Siegelnehmern werden inzwischen durch die FLOCERT GmbH durchgeführt. Heute stehen „Max Havelaar“ und die anderen Fairtrade-Gütezeichen für die Einhaltung grundlegender Anforderungen an die (1) ökonomischen Bedingungen des Handels mit den betreffenden Produkten, aber auch die (2) ökologischen und die (3) sozialen Bedingungen ihrer Herstellung und Verarbeitung, wie insbesondere – wenn auch nicht ausschließlich4 – die Einhaltung der sog. ILO-Kernarbeitsnormen5, die ebenfalls zum Kreis der „Fairtrade“-Normen gehören.6 Auch der vergaberechtliche Durchbruch von „Fairtrade“-Anforderungen – genauer: ihrer Implementierung im Vergabeverfahren – ist bekanntlich eng mit dem Namen des Protagonisten von Dekkers Roman verknüpft. In der „Max Havelaar“-Entscheidung äußerte sich der Gerichtshof der Europäischen Union grundlegend zur vergaberechtlichen Darstellbarkeit und Effektuierung von „Fairtrade“-Normen zum Zwecke sozial verantwortlicher Beschaffung durch die öffentliche Hand. Es ging dabei 4 Zu den über die Kernarbeitsnormen hinausgehenden sozialen „Fairtrade“-Anforderungen gehören z. B. das ILO-Übereinkommen Nr. 100 über die Arbeitsbedingungen der Plantagenarbeiter sowie – vor allem – das ILO-Übereinkommen Nr. 155 über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt, mit grundlegenden Vorgaben zur Arbeitssicherheit (man denke nur an das Unglück von „Rana Plaza“). 5 Es handelt sich im Einzelnen um die in Anhang X zu Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/ 24/EU aufgeführten Regelwerke, namentlich das ILO-Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, das ILO-Übereinkommen Nr. 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen, das ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit, das ILOÜbereinkommen Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit, das ILO-Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung, das ILO-Übereinkommen Nr. 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf und das ILO-Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit. Siehe dazu auch den Beitrag von Jan Ziekow in diesem Band. 6 Vgl. insgesamt die Zusammenstellungen auf den Seiten der FLO, verfügbar unter https:// www.fairtrade-deutschland.de/was-ist-fairtrade/fairtrade-standards.html.
„Fairtrade“-Normen nach dem europäischen und deutschen Vergaberecht
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konkret um ökonomisch-handelsbezogene Vorgaben mit Blick auf zu beschaffenden Kaffee. Nach dem Willen der niederländischen Vergabestelle sollte dabei das „Max Havelaar“-Gütezeichen verwendet werden, welches insoweit auf vier Kriterien beruhte: Der gezahlte Preis sollte (1) kostendeckend sein und (2) einen Zuschlag auf den Weltmarktpreis enthalten, ferner musste (3) die Produktion vorfinanziert sein und mussten (4) zwischen Erzeuger und Importeur langfristige Handelsbeziehungen bestehen.7 Die strukturelle Besonderheit solcher „Fairtrade“-Normen liegt aus vergaberechtlicher Sicht darin, dass sie typischerweise keine materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes oder zumindest den Prozess bzw. die Methode seiner Herstellung betreffen, sondern sich auf die äußeren Bedingungen seiner Produktion und des Handels mit ihm beziehen. Entsprechendes gilt für nicht handelsbezogene „Fairtrade“-Vorgaben, insbesondere die ILO-Kernarbeitsnormen. Das Vergaberecht mit seiner bislang eng an der Beschaffenheit des Auftragsgegenstandes ausgerichteten, eher den „klassischen“ Vergabezwecken (effektive Erfüllung von Verwaltungsaufgaben – Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit – Wettbewerb) verpflichteten Formensprache, war durch solche Kriterien maximal herausgefordert. Obwohl der EuGH das Vorgehen der Vergabestelle im konkreten Fall als nicht vereinbar mit den unionsrechtlichen Vorgaben befand, bejahte er im Grundsatz die Möglichkeit, entsprechende Vorgaben vergaberechtlich einzufordern. An die „Max Havelaar“-Rechtsprechung anknüpfend, bildete schließlich die Stärkung der Möglichkeiten zur Berücksichtigung strategischer Elemente im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe ein zentrales Anliegen, der am 18. April 2016 in Kraft getretenen Reform des deutschen Vergaberechts auf Bundesebene8, mit der das Richtlinienpaket der Europäischen Union zum Vergaberecht aus dem Frühjahr 20149 weitgehend „eins zu eins“ umgesetzt werden sollte.10 Die Neuregelung komme, so die Gesetzesbegründung, „Unternehmen zugute, die ihrer Verantwortung bis hinein in die Produktions- und Lieferketten nachkommen“, und solle „Anreize für Unternehmen [setzen], internationale Standards zur Unternehmensverantwortung einzuhalten (z. B. die ILO-Kernarbeitsnormen)“.11
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Vgl. EuGH, Urteil Max Havelaar, C-368/10, EU:C:2012:284, Rn. 73. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 17. 2. 2016, BGBl. Teil I Nr. 8 vom 23. 2. 2016, 203; Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 12. 4. 2016, BGBl. Teil I Nr. 16 vom 14. 4. 2016, 624; Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen vom 7. 1. 2016, BAnz AT 19. 1. 2016 B3. 9 Umzusetzen waren die RL 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe, RL 2014/ 25/EU über die Vergabe von Aufträgen in den „Sektoren“ sowie RL 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe. 10 Vgl. zur Zielsetzung bereits den Beschluss des Bundeskabinetts vom 7. 1. 2015 über die Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts, 1 f., verfügbar unter https://www.bmwi.de/BMWi/ Redaktion/PDF/E/eckpunkte-zur-reform-des-vergaberechts,property=pdf,bereich=bmwi2012, sprache=de,rwb=true.pdf. 11 So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, 1. 8
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Diese vom Gesetzgeber selbst ausgegebene Zielsetzung provoziert die Frage, ob und inwieweit das neue Vergaberecht seinem Anliegen, „im Geiste von Max Havelaar“ gerecht geworden und eine Einforderung von „Fairtrade“-Anforderungen im Vergabeverfahren zulässig ist. Ausgangspunkt ist dabei jeweils das deutsche Recht oberhalb der Schwellenwerte, also das systemprägende Vergaberecht des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und seine Konkretisierungen vor allem in der Vergabeverordnung (VgV).
II. Einforderung von „Fairtrade“-Normen im Vergabeverfahren Der rechtliche Rahmen für die Berücksichtigung von „Fairtrade“-Normen wird oberhalb der Schwellenwerte sowohl durch die allgemeine Regelung des § 97 GWB (1.) als auch auf den nachfolgend ausdifferenzierten Regelungen zu den einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens gespannt, namentlich durch die Bestimmungen über die Eignungs- und Ausschlussprüfung (2.), die Leistungsbeschreibung (3.), die Zuschlagserteilung (4.) sowie die Auftragsausführung (5.). 1. Grundsätze der Vergabe Im neuen § 97 GWB ist das grundsätzliche Spannungsverhältnis angelegt, dem die Berücksichtigung von „Fairtrade“-Normen und anderen sozialen Aspekten im Vergabeverfahren unterliegt. Einerseits eröffnet Absatz 3 augenscheinlich breiteste Berücksichtigungsmöglichkeiten und wirft die komplizierten Beschränkungen des alten Absatzes 4 „über Bord“: Die Rede ist nun nicht mehr nur von der „Auftragsausführung“, und auch der sachliche Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand scheint nicht mehr zentral zu sein. In aller Einfachheit steht dort nun, dass Aspekte der Qualität und Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen berücksichtigt werden. Andererseits schwebt im wörtlichen Sinne darüber, nämlich in Absatz 1 Satz 2, der nun zentrale Vorbehalt bezüglich der Berücksichtigung von „Fairtrade“-Normen, das Verhältnismäßigkeitsgebot. Dieses ist schon unionsrechtlich vorgegeben, denn es beruht auf Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU, wonach die öffentlichen Auftraggeber „alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise“ behandeln und „transparent und verhältnismäßig“ handeln. Auf diese Anforderung wird zurückzukommen sein. 2. Eignung und Ausschlussgründe Vergleichsweise wenige Möglichkeiten zur Einforderung von „Fairtrade“-Normen bestehen auf der Stufe der Eignung und der Ausschlussgründe. Hervorzuheben
„Fairtrade“-Normen nach dem europäischen und deutschen Vergaberecht
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ist hier seit der Reform von 2016 einzig die fakultative Ausschlussmöglichkeit nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB, die man als das vermutlich stärkste Instrument zur (wenn auch nachträglichen) Effektuierung speziell der ILO-Kernarbeitsnormen auf dieser Verfahrensstufe bezeichnen kann. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede innerhalb der „Fairtrade“-Normen mit Blick auf die Sanktionierung möglicher Verstöße. Während § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB mit den ILO-Kernarbeitsnormen eine Untergruppe der „Fairtrade“-Normen anspricht, bleibt für die Effektuierung der übrigen „Fairtrade“-Normen (jenseits der ILO-Kernarbeitsnormen) weiterhin nur der Rückgriff auf die Vorschrift des schon nach altem Recht bestehenden § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB n.F. Diese Bestimmung stellt allerdings relativ strenge Voraussetzungen auf – sie verlangt eine „schwere Verfehlung“ – und wird daher praktisch wohl (weiterhin) keine durchschlagende Wirkung entfalten. § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB setzt demgegenüber „nur“ voraus, dass das betreffende „Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat“, knüpft also an Vorgänge an, die in der Vergangenheit liegen12. Aus dem systematischen Zusammenhang ergibt sich, dass damit allein die gesetzlichen Verpflichtungen aus § 128 Abs. 1 GWB gemeint sind und nicht etwa auch vertragliche Verpflichtungen nach § 128 Abs. 2 GWB, z. B. Auftragsausführungsbedingungen. § 128 Abs. 1 GWB knüpft wiederum an Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, d. h. unter anderem an die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen an13. Die praktische Wirksamkeit von § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB wird von einigen wichtigen Auslegungsfragen abhängen, von denen hier zwei anzusprechen sind, nämlich erstens die räumliche Reichweite der erfassten Verpflichtungen sowie zweitens die Person des Zuwiderhandelnden. Mit Blick auf die räumlicher Reichweite ist der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung davon ausgegangen, dass von § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB lediglich die im deutschen Recht und in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften erfasst werden, mit denen die ILO-Übereinkommen umgesetzt worden sind.14 Nicht erfassen wollte er offenbar Verstöße gegen ILO-Kernarbeitsnormen, die außerhalb des Geltungsbereichs deutscher und europäischer Gesetze von den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern begangen wurden. Dies wird dem Gehalt des Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie indes nicht gerecht. Die Vorschrift enthält nicht etwa nur eine Aufforderung an die Mitgliedstaaten, die ILO-Übereinkommen umzusetzen, falls noch nicht geschehen, sondern möchte die Mitgliedstaaten darüber hinaus verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die in diesen Übereinkommen statuierten materiellen Verpflichtungen einhalten.15 Richtigerweise wird man daher davon ausgehen müssen, dass § 124 12
Vgl. dazu und zum Folgenden eingehend Krönke, VergabeR 2017, 101 (111 ff.). Vgl. BT-Drucks. 18/6281, 102. 14 Vgl. dazu die Begründung zu § 128 Abs. 1 GWB, BT-Drucks. 18/6281, 110. 15 Vgl. Summa, VergabeR 2016, 147 (150). 13
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Abs. 1 Nr. 1 GWB grundsätzlich alle Verstöße gegen die in Anhang X der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführten ILO-Kernarbeitsnormen erfasst – auch solche, die jenseits des Geltungsbereichs deutschen oder europäischen Rechts begangen wurden.16 Eine zweite auslegungsbedürftige Frage betrifft die Person des Zuwiderhandelnden. § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB verlangt offensichtlich eine Pflichtverletzung des auszuschließenden Unternehmens selbst, wohingegen Art. 57 Abs. 4 Buchst. a) der Richtlinie, der damit umgesetzt werden soll, unpersönlich formuliert ist und nur „Verstöße gegen geltende Verpflichtungen gemäß Artikel 18 Absatz 2“ voraussetzt. Man könnte argumentieren, dass die Richtlinie nicht bieterbezogen, sondern auftragsbezogen konzipiert sei, so dass auch der Verstoß eines bloßen Lieferanten gegen die betreffenden Übereinkommen genüge.17 Dagegen spricht allerdings, dass Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie nur dem „Wirtschaftsteilnehmer“ selbst die Pflicht zur Einhaltung der in Bezug genommenen ILO-Kernarbeitsnormen aufgibt, so dass eine Haftung für Lieferanten nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht in Betracht kommt.18 Hier bleibt nur der Rückgriff auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. 3. Leistungsbeschreibung Die Darstellbarkeit von „Fairtrade“-Normen in der Leistungsbeschreibung ist seit der Reform 2016 ganz erheblich ausgeweitet worden. Der erforderliche Bezug sozialer Aspekte zum eigentlichen Gegenstand des Auftrags war bislang relativ eng gefasst.19 Während die sozialverträgliche Gestaltung des Auftragsgegenstandes selbst bzw. seiner Benutzungsmodalitäten (z. B. Barrierefreiheit) schon nach dem alten Recht ohne Weiteres im Rahmen der Leistungsbeschreibung abgebildet werden konnte (vgl. dazu jetzt § 31 Abs. 5 VgV), galt dies für die hier in Rede stehenden produktions- und handelsbezogenen Sozialkriterien nicht. In der Max Havelaar-Entscheidung hatte der EuGH die dort formulierte handelsbezogene Vorgabe („dass der gezahlte Preis kostendeckend sein und einen Zuschlag auf den Weltmarktpreis enthalten muss, dass die Produktion vorfinanziert sein muss und dass zwischen Erzeuger und Importeur langfristige Handelsbeziehungen bestehen müssen“)20 als nicht vereinbar mit der Richtlinienbestimmung bezüglich technischer Spezifikationen befunden, da diese nur Merkmale der Erzeugnisse selbst, ihre Produktionsprozesse und -methoden, ihre Verpackung oder ihre Verwendung erfasse, nicht dagegen auf die Bedingungen, „unter denen der Lieferant sie vom Erzeuger erworben hat“.21
16 Vgl. ebenso Ziekow, DÖV 2015, 897 (901), unter Verweis auf Glaser, Zwingende soziale Mindeststandards bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, 2015, 25. 17 Vgl. Ziekow, DÖV 2015, 897 (901). 18 Vgl. zur Haftung für „echte“ Unterauftragnehmer Krönke, VergabeR 2017, 101 (114). 19 Vgl. zum Folgenden eingehend Krönke, VergabeR 2017, 101 (106 ff.). 20 EuGH, Urteil Max Havelaar, C-368/10, EU:C:2012:284, Rn. 73. 21 EuGH, Urteil Max Havelaar, C-368/10, EU:C:2012:284, Rn. 74.
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§ 31 Abs. 3 VgV geht über diesen Rechtsstand ganz offensichtlich deutlich hinaus und fasst die erforderliche Verbindung der sozialen Kriterien zum Auftragsgegenstand denkbar weit. Die Vorschrift sieht vor, dass sich die geforderten Merkmale auch „auf den Prozess oder die Methode zur Herstellung oder Erbringung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus des Auftragsgegenstandes einschließlich der Produktions- und Lieferkette beziehen“ können. Nach der Verordnungsbegründung sollen damit ausdrücklich auch Vorgaben zu bestimmten Umständen der Herstellung des Beschaffungsgegenstandes wie z. B. die „Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktionskette“ bereits in der Leistungsbeschreibung formuliert werden können.22 Sprachlich ist § 31 Abs. 3 VgV gewiss verunglückt, zumal die Vorschrift Art. 42 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU wörtlich übernimmt und fordert, dass die Merkmale „in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand stehen“ müssen. Vor dem Hintergrund, dass § 31 Abs. 3 VgV insgesamt gerade als Definition einer hinreichenden Verbindung zum Auftragsgegenstand dienen sollte, erscheint das Erfordernis der Verbindung mit dem Auftragsgegenstand zirkulär. Richtigerweise sollte man dies als Verweis auf das Verbot allgemeiner unternehmenspolitischer Vorgaben verstehen, ganz im Sinne von Erwägungsgrund 97 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU: Die Bedingung eines Bezugs zum Auftragsgegenstand schließt demnach „Kriterien und Bedingungen bezüglich der allgemeinen Unternehmenspolitik aus, da es sich dabei nicht um einen Faktor handelt, der den konkreten Prozess der Herstellung oder Bereitstellung der beauftragten Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen charakterisiert“. Als Eingrenzungen für die Darstellung von „Fairtrade“-Anforderungen in der Leistungsbeschreibung verbleiben somit lediglich zwei Faktoren. Neben dem Verbot allgemein unternehmenspolitischer Vorgaben (z. B. in Gestalt der Vorgabe einer generellen Ausrichtung der gesamten Einkaufspolitik eines Unternehmens an den „Fairtrade“-Grundsätzen) wird vor allem der bereits mit Blick auf § 97 GWB thematisierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz substanziell an Bedeutung gewinnen. Ob dieses weite Verständnis der Verbindung zum Auftragsgegenstand nach dem neuen deutschen Recht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist, wird allerdings zum Teil angezweifelt.23 Dagegen spricht die Richtlinienbestimmung zu den technischen Spezifikationen, die stets nur einen „spezifischen Prozess“ nennt, auf den sich soziale Kriterien beziehen könnten. Demgegenüber erwähnt die Vorschrift 22
Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, 97, sowie die Begründung zur Verordnung der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts, BT-Drucks. 18/7318, 171. 23 Vgl. in diesem Sinne insbesondere Latzel, NZBau 2014, 673 (675); Germelmann, GewArch 2016, 100 (103 f.); jetzt auch Ziekow, Faires Beschaffungswesen in Kommunen und die Kernarbeitsnormen, 2016, 40 und 50 (verfügbar unter https://skew.engagement-global.de/ fairer-handel-und-faire-beschaffung.html?file=files/2_Mediathek/Mediathek_Microsites/ SKEW/Publikationen/4_Material/skew_material_nr24_faires_beschaffungswesen_gutachten. pdf).
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über Zuschlagskriterien auch den „spezifischen Prozess (…) des Handels“ mit der Leistung. Auch in Erwägungsgrund 97 werden als Anwendungsfälle für soziale Kriterien in technischen Spezifikationen nur solche Anforderungen genannt, „die die betreffende Ware oder die betreffende Dienstleistung unmittelbar charakterisieren, wie das Kriterium der Zugänglichkeit für Personen mit einer Behinderung oder das Kriterium ,Design für Alle‘“, während für entsprechende Zuschlagskriterien und Auftragsausführungsbedingungen nur erwartet wird, dass sie „mit den im Rahmen des Auftrags zu erbringenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen im Zusammenhang stehen“. Für die Vereinbarkeit eines weiten Verständnisses im Sinne des deutschen Rechts spricht allerdings, dass der Richtliniengeber bemüht gewesen war, einen Gleichlauf der Darstellungsmöglichkeiten in den technischen Spezifikationen, den Zuschlagskriterien und den Ausführungsbedingungen zu schaffen.24 Neben dem Umstand, dass in den Richtlinien verfahrensphasenübergreifend die Formulierung verwendet wird, wonach die betreffenden Merkmale „mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung“ stehen müssen, streitet dafür vor allem die für technische Spezifikationen, Zuschlagskriterien und Ausführungsbedingungen gleichermaßen geltende Vorschrift des Art. 43 der Richtlinie 2014/24/EU bezüglich der Gütezeichen, die für einen effektiven Nachweis der hier relevanten sozialen Kriterien besonders wichtig sind.25 Diese Vorschrift differenziert gerade nicht zwischen technischen Spezifikationen, Zuschlagskriterien und Ausführungsbedingungen. 4. Zuschlagskriterien Mit Blick auf die Berücksichtigung von „Fairtrade“-Normen als Zuschlagskriterium ist die neue Rechtslage deutlich weniger kontrovers, da der Richtliniengeber hier ausdrücklich größere Spielräume geschaffen und das Erfordernis der Verbindung zum Auftragsgegenstand gelockert hat. Ganz im Sinne der Begründung zu § 127 GWB darf „ein zu beschaffendes Produkt, das aus fairem Handel (z. B. durch die Beachtung internationaler Standards, wie etwa die ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktions- und Lieferkette) stammt, im Rahmen der Zuschlagswertung mit einer höheren Punktezahl versehen werden als ein konventionell gehandeltes Produkt“. Ebenso dürfte es möglich sein, Unterschieden im Hinblick auf die Verlässlichkeit entsprechender Nachweise (z. B. die unterschiedliche Qualität von Gütezeichen) durch gewichtbare Zuschlagskriterien Rechnung zu tragen.26 Ein Wermutstropfen für die Verfechter eines progressiven Ansatzes zur Einforderung von „Fairtrade“-Standards ist hier allerdings die Vorschrift des § 129 GWB. Die darin enthaltene Ermächtigung der Landesgesetzgeber, auf deren Grundlage sie öf24
Vgl. zur folgenden Argumentation ausführlich Krönke, VergabeR 2017, 101 (108). Vgl. zu den im Folgenden nicht weiter behandelten Gütezeichen den Beitrag von Mangold in diesem Band. 26 So auch Ziekow, DÖV 2015, 897 (903). 25
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fentliche Auftraggeber dazu verpflichten können, die Beachtung von „Fair Trade“Normen einzufordern, gilt nur für Ausführungsbedingungen. Im Umkehrschluss obliegt die Entscheidung über die Einforderung von „Fairtrade“-Standards oberhalb der Schwellenwerte kraft Bundesrechts allein dem öffentlichen Auftraggeber und darf vom Landesgesetzgeber nicht zwingend vorgegeben werden. 5. Auftragsausführung In Bezug auf die Formulierung von Ausführungsbedingungen bezüglich der Produktions- und Handelsbedingungen sieht das neue Recht – wie auch bisher schon – großzügige Möglichkeiten vor. Hier dürften sich keine Abstriche gegenüber der Rechtslage vor 2016 ergeben haben, unter der die Ausführungsbedingungen spätestens nach der erwähnten Entscheidung des EuGH in Sachen Max Havelaar27 als „der beste Ansatzpunkt für die Einbeziehung nachhaltiger Aspekte“ galten.28 Es gilt insofern der gleiche Maßstab, der soeben für die Zuschlagskriterien skizziert wurde – mit der Ausnahme, dass verbindliche Vorgaben der Landesgesetzgeber nach § 129 GWB zulässig sind.
III. Bewertung des vergaberechtlichen „Fairtrade“-Potenzials Insgesamt ist zunächst festzustellen, dass die Berücksichtigung von „Fair-trade“Normen in Anbetracht der erheblichen Lockerung der nötigen Verbindung sozialer Aspekte mit dem Auftragsgegenstand auf den Ebenen der Leistungsbeschreibung, der Zuschlagskriterien und der Ausführungsbedingungen dem ersten Anschein nach, in sehr weitem Umfang zulässig ist. Zwei Vorbehalte sind allerdings angebracht. 1. Konvergenz der Verfahrensstufen Der erste Vorbehalt betrifft die Konvergenz möglicher „Fairtrade“-Anforderungen auf den Ebenen der Leistungsbeschreibung, der Ausführungsbedingungen und der Zuschlagskriterien. Sie wirft die Frage auf, wie diese Ebenen künftig voneinander abzugrenzen sind. Hier wird man unterscheiden müssen: Das Verhältnis von sozialen Zuschlagskriterien zu sozialbezogenen Elementen in der Leistungsbeschreibung dürfte im Allgemeinen unproblematisch sein.29 Die Einhaltung bestimmter „Fairtrade“-Standards darf selbstverständlich nicht als (abwägbares) Zuschlagskriterium 27
Vgl. EuGH, Urteil Max Havelaar, C-368/10, EU:C:2012:284, Rn. 76. So Müller-Wrede, VergabeR 2012, 416 (424) im Vorfeld der Max Havelaar-Entscheidung; nach der Entscheidung dann ebenso Siegel, VergabeR 2013, 370 (375 f.). 29 Vgl. zum Folgenden Krönke, VergabeR 2017, 101 (115). 28
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Christoph Krönke
formuliert werden, wenn dies bereits in der (definitiv gefassten) Leistungsbeschreibung gefordert wird. Gleichwohl können sich soziale Elemente in der Leistungsbeschreibung und soziale Zuschlagskriterien ergänzen. So könnten z. B. im Rahmen einer funktionalen Leistungsbeschreibung innovative Konzepte zur effektiven Nachweisführung und Kontrolle der Einhaltung entsprechender sozialer Standards entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette abgefragt werden. Die unterschiedliche Qualität der angebotenen Konzepte könnte dann über entsprechend klar und transparent gefasste Zuschlagskriterien abgebildet werden. Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Implementierung von „Fairtrade“-Standards in den Ausführungsbedingungen und möglichen Anforderungen in der Leistungsbeschreibung fällt zunächst etwas schwerer.30 Seitens des für das Vergaberecht zuständigen BMWi scheint die Notwendigkeit gesehen zu werden, bestimmte soziale Aspekte aus dem Kreise möglicher Ausführungsbedingungen auszunehmen, wenn sie sich bereits im Rahmen der Leistungsbeschreibung darstellen lassen.31 In Anbetracht der dargestellten Konvergenz dürfte eine exklusive abstrakte Zuordnung bestimmter sozialer Aspekte zu einer dieser Ebenen nicht mehr möglich sein. Andernfalls müsste man den erforderlichen Bezug zum Auftragsgegenstand wieder je nach Verfahrensstufe unterschiedlich weit fassen. Dies aber ist auf der Grundlage des neuen Rechts – jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung – gerade nicht mehr gewollt. Eine exklusive Zuordnung zu den verschiedenen Verfahrensstufen ist daher im Rahmen eines konkreten Vergabeverfahrens vorzunehmen.32 Der öffentliche Auftraggeber muss sich hier, zumal mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen, eindeutig entscheiden, ob er die Einhaltung einer bestimmten sozialen Anforderung entweder als Element der Leistungsbeschreibung, als Zuschlagskriterium oder als Ausführungsbedingung in das Vergabeverfahren einbringen möchte: Soll die betreffende Vorgabe als „weiches“ Zuschlagskriterium ausgestaltet werden? Sollen im Rahmen einer funktionalen Leistungsbeschreibung „soziale Innovationen“ abgerufen werden? Oder soll die Nichteinhaltung der (dann als Ausführungsbedingung zu formulierenden) sozialen Vorgabe privatvertraglich (z. B. über Vertragsstrafen) sanktioniert werden? Rein vorsorglich wird man Vergabestellen gewiss anempfehlen müssen, die Einhaltung von „Fairtrade“-Normen im Zweifel weiterhin in Gestalt von Auftragsausführungsbedingungen abzurufen. Zwar wäre dies nach hier vertretener Auffassung auch im Rahmen der Leistungsbeschreibung zulässig; da diese Frage indes umstritten ist, sollte in der Praxis die am wenigsten konfliktträchtige Gestaltungsoption gewählt werden.
30
Siehe dazu ausführlich Krönke, VergabeR 2017, 101 (115 ff.). Vgl. dazu die Nachweise bei Krönke, VergabeR 2017, 101 (115 f.). 32 Vgl. dazu auch Ziekow, DÖV 2015, 897 (902 f.). 31
„Fairtrade“-Normen nach dem europäischen und deutschen Vergaberecht
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2. Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit Der zweite Vorbehalt betrifft das Gebot der Verhältnismäßigkeit, das über § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB sämtliche Verfahrensstufen erfasst. Infolge des gelockerten Erfordernisses einer Verbindung zum Auftragsgegenstand dürfte dieses Gebot künftig eine (noch) stärkere Rolle spielen. In der Sache stellt es gewisse Anforderungen an die Zweck-Mittel-Relation auf, die sich aus der Verfolgung sozialer Zielsetzungen in einem konkreten Vergabeverfahren ergibt. Demnach darf die soziale Zwecksetzung (hier z. B. die Verwendung nur „fair gehandelter“ Produkte) nicht außer Verhältnis zu dem gewählten Mittel (hier z. B. die Formulierung einer Ausführungsbedingung, wonach der „Fairtrade“-Standard auf sämtlichen Stufen der Produktions- und Lieferkette eingehalten werden muss) stehen.33 Folgende Maßgaben dürften hier speziell mit Blick auf die Einforderung von „Fairtrade“-Standards gelten. Sachlich-gegenständlich können die verschiedenen „Fairtrade“-Normen mit teils ökonomischen, teils sozialen und teils ökologischen Gehalten sehr unterschiedliche Vorgaben enthalten. Im Rahmen der durch das Verhältnismäßigkeitsgebot vorgegebenen Zweck-Mittel-Abwägung wird aber gerade auch der Inhalt der eingeforderten Norm eine Rolle spielen. So dürfte z. B. die Einhaltung einer essenziellen ILO-Kernarbeitsnorm schwerer wiegen als darüber hinausgehende Standards, etwa mit Blick auf die Arbeitssicherheit oder die Bezahlung angemessener Löhne. Diese weitergehenden Standards können zwar grundsätzlich durchaus eingefordert werden, haben aber im Rahmen der Abwägung weniger Gewicht als die Kernarbeitsnormen. Diese Abstufung ergibt sich u. a. aus Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Anhang X der Richtlinie 2014/ 24/EU, der die ILO-Kernarbeitsnormen und einige (wenige) andere Übereinkommen als besonders wichtige Schutzbestimmungen hervorhebt. Wie schon mit Blick auf die Sanktionierung von Verstößen gegen die teils sehr heterogenen „Fairtrade“-Normen gilt auch hier: „Fairtrade“ muss nicht unbedingt gleich „Fairtrade“ sein. Ebenfalls von Bedeutung für die Abwägung dürfte die Reichweite der „Fairtrade“-Anforderungen in Bezug auf die Produktions- und Lieferkette sein. Denn mit zunehmender Tiefe der in Bezug genommenen Produktions- und Lieferkette wird zwar ein „Mehr“ an Schutz der beteiligten Produzenten und Lieferanten erreicht; zugleich steigt aber auch der Aufwand, der vom Bieter erwartet wird, um die Einhaltung der Vorgaben zu erfüllen und zu kontrollieren. Gerade für Aufträge mit vergleichsweise geringerem Volumen – einem weiteren Kriterium für die Bestimmung einer verhältnismäßigen Zweck-Mittel-Relation – dürfte es daher geboten sein, die Reichweite auf bestimmte Produktionsstufen zu begrenzen.
33 Vgl. dazu und zum Folgenden wiederum eingehend Krönke, VergabeR 2017, 101 (103 ff.).
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Christoph Krönke
IV. Ergebnis Den mittlerweile insgesamt sehr „Fairtrade“-freundlichen Ansatz des deutschen und europäischen Vergaberechts vermögen freilich auch diese beiden letztgenannten Vorbehalte nicht in Frage zu stellen – zumal wenn man berücksichtigt, dass das Vergaberecht nicht nur ein verkapptes Instrument der Entwicklungshilfe darstellt, sondern seine im Grundsatz legitimen sozialen Zwecksetzungen auch mit anderen Vergabezwecken in Einklang gebracht werden müssen. Gerade das Verhältnismäßigkeitsgebot eröffnet den Vergabestellen insoweit Spielräume für eine praktikable wie auch sozial verantwortliche Beschaffung. Das deutsche und europäische Vergaberecht hätte vor diesem Hintergrund auch als solches durchaus ein „Fairtrade“-Gütezeichen verdient. Anlass für eine Fortsetzung des systemkritischen „Max Havelaar“-Romans geben das deutsche und europäische Vergaberecht jedenfalls nicht (mehr).
Die Frage der Nachhaltigkeit in der ungarischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung in Verbindung mit der Vergabe öffentlicher Aufträge Von Anita Boros1 In Ungarn kommt der Regulierung des Bereichs öffentliche Auftragsvergabe, ähnlich wie in der Europäischen Union, eine hervorgehobene Rolle zu und ist von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Wirtschaft und der Marktprozesse innerhalb der Mitgliedstaaten bzw. der EU. Die neuen Richtlinien der EU für die öffentliche Auftragsvergabe2 (fortan: Richtlinien) haben einen bedeutenden Einfluss auf die ungarische Rechtsetzung und Rechtsanwendung in Verbindung mit der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeübt. Unser Land setzte diese neuen Richtlinien relativ schnell um, doch der Gesetzgeber traf in vielen Punkten auch auf völlig neue Rechtsinstitutionen, so zum Beispiel auf das aus dem Deutschen stammende Institut der Selbstreinigung, doch in vielen Fällen wurden nur die früheren Regelungen präzisiert.3 Die neuen Richtlinien brachten auch Neuerungen in ihrer Annäherungsweise und in ihrer Anschauung bezüglich der öffentlichen Auftragsvergabe, denn die neue europäische Regelung der Union ermöglicht es den Mitgliedstaaten, dass Innovation, 1 Dr. habil. Anita Boros ist zurzeit ihres Konferenzvortrags stellvertretende Staatssekretärin für Vermögenswirtschaft im ungarischen Ministerium für nationale Entwicklung gewesen und ist Universitätsdozentin an der Nationalen Universität für öffentlichen Dienste (Nemzeti Közszolgálati Egyetem) in Budapest ([email protected]). 2 Die durch das Europäische Parlament und den Rat verabschiedeten Richtlinien für öffentliche Auftragsvergaben traten am 18. April 2014 in Kraft. Die neuen Richtlinien umfassen ein deutlich weiteres Spektrum von staatlichen bzw. kommunalen Auftragsvergaben als die früheren Regelungen. Neben der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG sowie der Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste wurde auch die Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe verabschiedet. 3 Zu den Neuheiten in Verbindung mit der Nachhaltigkeit der Richtlinien siehe ausführlicher, Varga, Ágnes, Fenntarthatóság az új közbeszerzési irányelvekben [Nachhaltigkeit in den neuen Richtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe] Közbeszerzési Szemle [Rundschau für die öffentliche Auftragsvergabe], 8 – 9/2014, 65 – 73, sowie Kiss, Judit Katalin, Útban a stratégiai irányok felé – szemléletváltás az új közbeszerzési irányelvekben [Auf dem Weg zu strategischen Richtungen – Anschauungsänderung in den neuen Richtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe] Közbeszerzési Szemle 9/2016, 40 – 48.
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Anita Boros
soziale Zielsetzungen und Aspekte der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes zu integrierten Bestandteilen der Auftragsvergabepolitik werden. Die neuen Richtlinien führten zur vollständigen Revision des damals in Kraft befindlichen ungarischen Gesetzes Nr. CVIII von 2011 über die Vergabe öffentlicher Aufträge und gleichzeitig zur Schaffung eines neuen Gesetzes4, infolgedessen ein neues Vergabegesetz verabschiedet wurde, das Gesetz Nr. CXLIII von 2015 über die Vergabe öffentlicher Aufträge (fortan: ungVergG), das am 1. November 2015 in Kraft trat und dazu bestimmt war, die wesentlichsten Regelungen aller drei Richtlinien umzusetzen. Daneben werden die auf Gesetzesebene festgelegten Regelungen des Vergabegesetzes durch Rechtsvorschriften niedrigerer Ebene, Regierungsverordnungen und Ministerialverordnungen, vervollständigt. Die Struktur der ungarischen Vergaberegelung blieb – insbesondere im Hinblick auf das Gesetz – unverändert, sodass die Vorbereitung der Rechtsanwender auf die Rechtsanwendung keine außerordentlichen Schwierigkeiten verursachte. In Ungarn wurden in 2016 im Unionsverfahren insgesamt 1557 erfolgreiche Verfahren durchgeführt, deren Gesamtwert 1.602,44 Mrd. HUF betrug. Der größte Teil der Verfahren (69,30 %) und ihres Werts (67,34 %) wurde im offenen Verfahren durchgeführt. Nach der nationalen Verfahrensordnung wurden insgesamt 7093 erfolgreiche Verfahren durchgeführt, deren Gesamtwert sich auf 404.64 Mrd. HUF belief. Der größte Teil der Verfahren (46,5 %) und ihres Werts (28,42 %) wurde ebenfalls mit dem offenen Verfahren durchgeführt. In Verbindung mit Nachhaltigkeitsaspekten kann ausschließlich anhand von Daten, die uns in der nationalen Verfahrensordnung zur Verfügung stehen, festgestellt werden, dass dort von über siebentausend Verfahren in 2016 insgesamt in weniger als eintausend Verfahren Nachhaltigkeitsaspekte angewendet wurden. Die in den Richtlinien erscheinende sogenannte horizontale Klausel5 findet im ungVergG sogar in mehreren Verfahrensabschnitten eine Entsprechung, so insbesondere in Verbindung damit, dass
4 Vgl. Rigó Csaba Balázs, A közbeszerzések helyzetének alakulása Magyarországon, leheto˝ ségek és kihívások [Entwicklung der Situation der öffentlichen Auftragsvergaben in Ungarn, Möglichkeiten und Herausforderungen], Pénzügyi Szemle [Finanzrundschau] 2/2016, 143 – 160. 5 Artikel 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (fortan: Richtlinie 2014/24/EU). Artikel 36 Abs. 2 der Richtlinie 2014/25/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (fortan: Richtlinie 2014/25/EU). Artikel 30 Abs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (fortan: Richtlinie 2014/23/EU).
Nachhaltigkeit in der ungarischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung
121
• diese Verpflichtungen bei der Erfüllung von öffentlichen Aufträgen einzuhalten sind;6 • der öffentliche Auftraggeber Bieter, die diese Verpflichtungen verletzen, ausschließen kann;7 • der Auftrag nicht an einen Bieter vergeben werden darf, der diesen Verpflichtungen nicht entspricht;8 • das eingereichte Angebot für ungültig zu erklären ist, falls ein irrealer Preis bzw. eine irreale verpflichtende Zusage auf die Verletzung dieser Verpflichtungen zurückzuführen sind.9
I. Regelung und Praxis der grünen Auftragsvergabe in Ungarn Durch die neuen Richtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe, wird das Instrumentarium der öffentlichen Auftraggeber für die grüne Auftragsvergabe erweitert und flexibler gemacht. Auf dieser Grundlage bietet das ungVergG öffentlichen Auftraggebern ebenfalls die Möglichkeit, bei ihren Vergabeverfahren Umweltschutzaspekte zu berücksichtigen. Hervorzuheben ist, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Anwendung des günstigsten Preises mit einer von ihm festgelegten Kosteneffizienzmethode das 6
Daran knüpfen z. B. auch Vorschriften des ungVergG an, die die Erweiterung der Kontrollinstrumente der Vergabeaufsichtsbehörde zum Ziel haben. Sie gewähren der Vergabeaufsichtsbehörde behördliche Kontrollbefugnisse in Verbindung mit den Verträgen (§ 187 Absatz 2 Buchstabe j) sowie bei Vertragsänderungen, die wegen Verletzung der verantwortungsbewussten Bewirtschaftung öffentlicher Mittel nichtig sind, sowie das Recht auf die im Allgemeininteresse liegende Klageerhebung (§ 175 Absatz 1 und § 176 Absatz 1). 7 § 63 Absatz 1 Buchstabe a ungVergG lautet wie folgt: „Der öffentliche Auftraggeber kann im Aufruf zum Wettbewerb vorschreiben, dass in dem Verfahren Wirtschaftsteilnehmer, welche a) die in § 73 Absatz 4 erwähnten umweltbezogenen, sozialen und arbeitsrechtlichen Anforderungen grob verletzten – was durch eine rechtskräftige Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung bzw. im Fall ihrer Revision durch eine Gerichtsentscheidung festgestellt wurde, die nicht älter als drei Jahre sein darf (…) – keine Bieter, Bewerber, Unterauftragnehmer sein dürfen bzw. nicht an der Bescheinigung der Befähigung teilnehmen dürfen“. 8 § 73 Absatz 4 ungVergG: „Aufgrund von Absatz 1 Buchstabe e ist das Angebot insbesondere dann ungültig, wenn es nicht den Anforderungen auf dem Gebiet des Umwelt-, Sozial- und Arbeitsrechts entspricht, welche durch die Rechtsvorschriften oder den verbindlich anzuwendenden Tarifvertrag bzw. die in Anlage 4 aufgeführten umweltbezogenen, sozialen und arbeitsrechtlichen Anforderungen vorgegeben sind. Die Vergabebehörde veröffentlicht – auf der Grundlage der durch den für die Beschäftigungspolitik verantwortlichen Minister jedes Jahr zur Verfügung gestellten Datenmitteilung – auf ihrer Website eine Information über den in den einzelnen Branchen anzuwendenden verbindlichen Mindestlohn.“ 9 § 73 Absatz 2 ungVergG: „Über die Bestimmungen von Absatz 1 hinaus ist das Angebot ungültig, wenn es eine unverhältnismäßig niedrige Gegenleistung oder eine andere unerfüllbare Bedingung beinhaltet [§ 72].“
122
Anita Boros
als wirtschaftlich am günstigsten anzusehende Angebot auswählt. Von diesen Methoden hebt das ungVergG – in völligem Einklang mit den Bestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU10 – besonders die Möglichkeit der Zugrundelegung einer Lebenszykluskostenrechnung hervor und regelt diese. Bei der Lebenszykluskostenrechnung hat der öffentliche Auftraggeber die Gesamtheit oder einen Teil der im Lebenszyklus von Lieferungen, Dienstleistungen oder Bauleistungen anfallenden – im ungVergG11 mit einem mit der Richtlinie 2014/24/EU identischen Inhalt festgelegten – Kosten in dem Umfang zu berücksichtigen, der von dem öffentlichen Auftraggeber entsprechend ihrer Signifikanz festgelegt wurde. Um die Rechtspraxis zu gestalten sind möglichst viele fachliche Direktiven erforderlich. Eine solche ist zum Beispiel die Anleitung der Vergabebehörde zu den Methoden der Berechnung von Lebenszykluskosten,12 deren wichtigste Bestimmungen wie folgt zusammengefasst werden können: • Auf der Grundlage der internationalen Fachliteratur und methodischen Anleitungen stehen bei der Vorbereitung, Realisierung und Betreibung der Investitionen zahlreiche Methoden zur Verfügung, um der Lebenszyklus-Anschauung Geltung zu verschaffen. Dabei wird die Lebenszykluskostenrechnung (sog. LCC) hervorgehoben, eine Methode, die bereits in mehreren Ländern und Branchen in weiten Kreisen angewandt wird. • Allgemein ist es sinnvoll, diese Bewertungskriterien in Fällen anzuwenden, wo für den öffentlichen Auftraggeber in Verbindung mit dem Beschaffungsgegenstand außer dem Preis auch andere Kostenpositionen im Laufe der Nutzung und Instandhaltung bzw. am Ende des Lebenszyklus entstehen, die Kosteneffizienz des Beschaffungsgegenstands also nicht ausschließlich auf der Basis des Angebotspreises korrekt beurteilt werden kann. (Deshalb ist es sinnvoll, diesen Aspekt auch unabhängig von hervorgehobenen Umweltschutz-Zielsetzungen anzuwenden.) Da die einzelnen Kostenpositionen bei den einzelnen öffentlichen Auftraggebern jeweils andere Organisationseinheiten belasten können, erfordert die Anwendung der Lebenszykluskostenrechnung im Rahmen des Vergabeverfahrens wahrscheinlich die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationseinheiten. • Die Bewertung der Kosten nach dem Lebenszykluskostenansatz (LCC) empfiehlt sich in den folgenden Fällen: - Mittel mit kürzerer Lebensdauer, die am Ende ihrer Lebensdauer eine beträchtliche Kostenposition darstellen (z. B. elektronische, gefährliche Abfälle, Gelände-Rekultivierungspflicht usw.);
10
Siehe Richtlinie 2014/24/EU Artikel 68. Siehe ungVergG § 78. 12 Közbeszerzési Értesíto˝ [Ausschreibungsanzeiger], 35/2017, 10. 03. 2017. 11
Nachhaltigkeit in der ungarischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung
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- Mittel, Systeme, Anlagen mit ausgesprochen langer Lebensdauer, deren Betriebs- und Wartungskosten über einen langen Zeitraum entstehen und deren Kosteneffizienz nach der Inbetriebnahme nicht mehr wesentlich verbessert werden kann (z. B. Infrastruktur); - komplexe Systeme und Anlagen, die zum großen Teil Systemelemente, Zubehör und Bauteile enthalten, die vom Aspekt der Lebensdauer wesentlich voneinander abweichen (z. B. Kläranlagen und ihre Maschinenanlagen) und deren Austausch oder Ergänzung beträchtliche Kosten bei der Nutzung der komplexen Anlage darstellen; - intensive technologische Entwicklungen, in Entwicklung befindliche Produkte und Anlagen (z. B.: computertechnische Anlagen), bei denen die Kosteneffizienz der aufeinanderfolgenden Generationen beträchtlich voneinander abweichen kann; - regelmäßig wiederkehrende Beschaffungen, wenn der öffentliche Auftraggeber über detaillierte Kenntnisse und Erfahrungen über den Beschaffungsgegenstand sowie dessen Nutzung und Markt verfügt; - Beschaffungsgegenstand ist die Erfüllung von normativen, in Naturalien (km, m3 usw.) ausgedrückten Zielsetzungen, doch in Bezug auf die Modalitäten der Realisierung enthält der Aufruf zum Wettbewerb keine detaillierten Erwartungen (z. B. Bauinvestitionen, Planungs- und Bauverträge nach den FIDIC-Bedingungen des Gelben Buches), das heißt das gegebene Ziel auch in technischen Ausführungsformen mit beträchtlich abweichender Kosteneffizienz erreicht werden kann. Leider haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass sehr wenige öffentliche Auftraggeber das oben bezeichnete System der Bewertungskriterien so zusammenstellen, dass dieses Aspektsystem ein wirklich sinnvolles und langfristiges Beschaffungsergebnis erzielt. Grund für dieses Problem ist hauptsächlich, dass die Zusammenstellung eines solchen Systems von Bewertungskriterien eine spezielle Fachfrage ist und besonderen Sachverstand erfordert, womit das Personal des öffentlichen Auftraggebers oder der Beschaffungsberater für sich allein genommen oft überfordert ist. Deswegen erfüllen bzw. erfüllten viele Auftraggeber die verbindliche Rechtsvorschrift für das System der Bewertungskriterien zur Gewährleistung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses nur durch Anwendung von einfach anzuwendenden ergänzenden Kriterien. Das Problem wird dadurch erschwert, dass in Ungarn besonders darauf zu achten ist, dass das System der Bewertungskriterien auch die Probe der mit Unionsmitteln verwirklichten Audits bestehen muss, weshalb die öffentlichen Auftraggeber verständlicherweise nicht besonders „experimentierfreudig“ sind. Es sei hier noch angemerkt, dass die Regierung im ungVergG die Ermächtigung erhalten hat, in einer Verordnung bestimmte Beschaffungsgegenstände betreffend detaillierte Vorschriften in Bezug auf das anzuwendende System der Bewertungskri-
124
Anita Boros
terien und die Bewertungsmethode festzulegen sowie die verbindlichen Fälle und Modalitäten der Geltendmachung von sozialen, insbesondere beschäftigungs-, umweltschutz-, nachhaltigkeits- und energieeffienzrelevanten Kriterien im Vergabeverfahren zu regeln, einschließlich der Vorschrift zur verbindlichen Anwendung der Vergabe vorbehaltener Aufträge.13 Diese Regierungsverordnung ist vorerst noch nicht verabschiedet worden, allerdings wurden zahlreiche Rechtsvorschriften auf niedrigerer Ebene als die gesetzliche Regelung geschaffen, die auch nachhaltigkeitsrelevante Verbindungspunkte beinhalten.14 Eines der größten Hindernisse für die Anwendung von Umweltschutzkriterien in Ungarn ist noch immer die Anschauung, dass die Beschaffung solcher Produkte und Dienstleistungen wesentlich teurer ist, als die Beschaffung anderer derartiger Produkte, die nicht nach ökoeffizienten Kriterien ausgewählt werden.15 Gleichzeitig erhöht die Durchführung von Vergabeverfahren, denen Umweltschutzkriterien zugrunde liegen, nicht unbedingt auch den Beschaffungspreis. Denn wenn öffentliche Auftraggeber diese Umweltschutzkriterien in den jeweiligen Phasen des Vergabeverfahrens schrittweise anwenden bzw. die Kombination der Kriterien sorgfältig ausarbeiten, verwirklichen sie das im ungVergG vorgegebene Prinzip der effizienten Verwendung öffentlicher Gelder und können eine kosteneffiziente Lösung erreichen. Einige Lösungen können beispielsweise sofortige Einsparungen bewirken, da der Beschaffungspreis niedriger als das zu ersetzende Produkt ist (z. B. Papierprodukte aus Recyclingpapier), während andere sich erst auf lange Frist rentieren (z. B. energiesparende Anlagen) oder ihre Effizienzwirkung nur in einem weiteren Zusammenhang zur Geltung kommt (z. B. bei umweltfreundlichen Verkehrsfahrzeugen im öffentlichen Nahverkehr).16 Die Vergabebehörde (fortan: VB) führt Register über die öffentlichen Vergabeverfahren (fortan: VgB-Statistikdaten).17 Das normative Umfeld ermöglicht seit 2012 die Datensammlung in Verbindung mit Verfahren, die ökologische Kriterien beinhal13
§ 198 Absatz 1 Nummer 10 ungVergG. Die Regierungsverordnung Nr. 321/2015 (X. 30.) Korm. fordert beispielsweise, dem ökologischen und sozialen Ansatz im Kreis der technischen Beschreibung Geltung zu verschaffen bzw. die Regierungsverordnung Nr. 48/2011 (III. 30.) Korm. über die Förderung der Beschaffung von umweltschonenden und energieeffizienten Straßenfahrzeugen, welche die auftraggebenden Organisationen und öffentlichen Busunternehmen zur Beschaffung von umweltfreundlichen und energieeffizienten Fahrzeugen verpflichtet. 15 Siehe www.kozbeszerzesiintezet.hu (17. 05. 2017) [Website der ungarischen Vergabebehörde]. 16 Siehe Harangozó, Gábor, A fenntartható közbeszerzésro˝ l [Über die nachhaltige Beschaffung] https://www.levego.hu/sites/default/files/kiadvany/allamhaz/fenntarthato_kozbeszer zes.pdf (21. 05. 2017). 17 Primäre Datenquelle des statistischen Registers sind die im Közbeszerzési Értesíto˝ [Ausschreibungsanzeiger] erschienenen, von den öffentlichen Auftraggebern ausgefüllten und eingereichten Bekanntmachungen mit der Bezeichnung „Information über das Ergebnis des Verfahrens“. Quelle der Daten bezüglich des betreffenden Zeitraums ist in jedem Fall: http:// www.kozbeszerzes.hu/ertesito/. 14
Nachhaltigkeit in der ungarischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung
125
ten. Bei der Verteilung des Wertes der grünen Beschaffungen (Mrd. HUF) wurden Umweltschutzkriterien am ehesten von regionalen und lokalen öffentlichen Auftraggebern berücksichtigt (62,07 % – 26,95 Mrd. HUF). Die folgende Tabelle zeigt die Daten der sog. grünen Beschaffungen im Rahmen der in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführten erfolgreichen öffentlichen Vergabeverfahren (zu den Verfahren, deren Wert den EU-Schwellenwert erreicht oder überschreitet, stehen diese Daten – aufgrund der Beschaffenheit der Ausschreibungsmuster – nicht zur Verfügung): Nationale Verfahrensordnung Einstufung der Verfahren Verfahren mit grünen Kriterien
2012
2013
2014
2015
2016
Anzahl der Verfahren
465
971
1164
1064
613
Wert der Verfahren (Mrd. HUF)
42,3
96,2
143,3
104,5
43,4
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (Jahre 2012 – 2016)
In der nationalen Verfahrensordnung berücksichtigten die öffentlichen Auftraggeber im Jahr 2015 bei 1064 von insgesamt 11906 Verfahren und 2016 bei 613 von insgesamt 7093 Verfahren ökologische Kriterien. Grund für den Rückgang in den letzten Jahren kann das Ende der Informationsprojekte für die mit EU-Fördermitteln verwirklichten grünen Beschaffungen sein oder auch die Risikovermeidung wegen Verunsicherungen in Verbindung mit dem neuen Vergabegesetz.18
18 Vgl. Diófási-Kovács, Orsolya, Fenntarthatósági szempontok a közbeszerzésben – Ökocímkék és a zöld közbeszerzés az új direktívák tükrében [Nachhaltigkeitsaspekte in der öffentlichen Beschaffung – Ökosiegel und grüne Beschaffung im Spiegel der neuen Direktiven] Közbeszerzési Szemle, 3/2017, 51.
126
Anita Boros
Wert und Anzahl der Verfahren, die grüne Aspekte beinhalten (Mrd HUF, Anzahl)
200,0
1164
150,0
971
100,0
1064
1000
143,3
465 50,0 0,0
1500
613 104,5
96,2 42,3
43,4
2012
2013
2014
Wert der Verfahren (Mrd. HUF)
2015
2016
500
0
Anzahl der Verfahren
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (Jahre 2012 – 2016)19
Abbildung 1
Verteilung des Werts der grünen Beschaffungen (Mrd. HUF) nach Auftraggebern – im Jahr 2016 geförderte Organisationen 4,12 Mrd. HUF; 9,48% sonstige 4,18 Mrd. HUF; 9,63%
regionale / lokale Ebene 26,95 Mrd. HUF; 62,07%
öffentlich-rechtliche Organisationen 3,74 Mrd. HUF; 8,61% zentrale Ebene 0,56 Mrd. HUF; 1,29% öffentliche Dienstleistungsanbieter 3,88 Mrd Ft; 8,93%
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (Jahr 2016)20
Abbildung 2
19 20
Download: 05. 05. 2017. Download: 05. 05. 2017.
Nachhaltigkeit in der ungarischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung
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Die rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichen seit dem Jahr 2012 die Datenerhebung bezüglich Verfahren, die Umweltschutzkriterien beinhalten. Die Verteilung des Werts (Mrd. HUF) der grünen Beschaffungen zeigt, dass Umweltschutzkriterien am ehesten von den regionalen und lokalen Auftraggebern berücksichtigt wurden. (62,07 % – 26,95 Mrd. HUF) Verteilung des Wertes der grünen Beschaffungen (Mrd. HUF) nach Hauptbeschaffungsobjekten – Jahr 2016 Bauinvestitionen 37,73 Mrd. HUF; 89,35%
Warenbeschaffung 1,92 Mrd. HUF; 4,54% Dienstleistungen 2,58 Mrd. HUF; 6,11%
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (Jahr 2016)
Abbildung 3
Bei der Verteilung des Wertes der grünen Beschaffungen (Mrd. HUF) berücksichtigten die öffentlichen Auftraggeber bei den primären Beschaffungsgegenständen Umweltschutzkriterien am ehesten im Rahmen von Bauvorhaben (89,35 % – 37,73 Mrd. HUF). Es ist auch hervorzuheben, dass die Regierung 2015 den Aktionsplan zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (fortan: Aktionsplan) annahm, in dem die Regierung darin übereinstimmt, dass der positive Beitrag von Unternehmen zur wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Entwicklung gefördert werden soll, und sie deshalb ein partnerschaftliches Verhältnis mit allen Unternehmen anstrebt, die – über die Einhaltung der Rechtsvorschriften hinaus – auch mit ihren eigenen Mitteln etwas für diese Ziele tun wollen. In Verbindung mit den wichtigsten Maßnahmen des Prioritätsbereiches Umweltschutz hebt der Aktionsplan die Ressourceneinsparung und -effizienz sowie den Anreiz zur Vergrünung der Wirtschaft und die staatliche Vorbildfunktion hervor. In diesem Rahmen ruft die Regierung die jeweiligen Minister zur Maßnahmenergreifung auf, wie beispielsweise den für die öffentlichen Beschaffungen verantwortlichen Minister, Anreize zu F&E&I Tätigkeiten, die einer auf ökologischen Systemen basierenden Wirtschaftsentwicklung
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Anita Boros
dienen, sowie Anreize zu grünen öffentlichen Beschaffungen bzw. zur Entwicklung der Umweltanforderungen im Bereich der öffentlichen Beschaffungen zu bieten.21
II. Soziale Kriterien – Regelung und Praxis in Ungarn Die von der Europäischen Union verabschiedeten drei neuen Richtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe verstärkten neben den Umweltschutz- und Innovationszielen auch die Rolle von sozialen Zielen innerhalb der Vergabeverfahren. Die in der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführten sozialen Bedingungen22 wurden im ungVergG teilweise ergänzt bzw. umgestaltet. In dem bereits erwähnten Aktionsplan fordert die Regierung den Minister für Humanressourcen auf, zur Erweiterung der Beschäftigung von Arbeitnehmern mit verminderter Arbeitsfähigkeit die Transitbeschäftigung zu fördern und deren Realisierung – innerhalb der ausgestalteten gesetzlichen Rahmenbedingung – auch weiterhin zu unterstützen. Daneben soll er mit Einbeziehung von Organisationen und Experten im Fachgebiet Beschäftigungsrehabilitation, mit der Konsultation im Rahmen anderer Formen des gesellschaftlichen Dialogs und mit dem Aufzeigen guter Praktiken dazu beitragen, dass im Programm der gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme so viele Arbeitgeber wie möglich bestrebt sind, Arbeitnehmer mit verminderter Arbeitsfähigkeit im offenen Arbeitsmarkt zu beschäftigen. In Verbindung mit der Anwendung sozialer Kriterien in Ungarn ist erwähnenswert, dass – während in Westeuropa von Zeit zu Zeit in den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs als Kritikpunkt angeführt wird, dass soziale Bedingungen mit dem Ziel vorgeschrieben werden, um konkurrenzfähigere osteuropäische Firmen, die mit billigen Arbeitskräften arbeiten, zu verdrängen – dieser Aspekt auf Ungarn nicht zutrifft. Hier erschien als spezieller Anspruch in der ungarischen Rechtspolitik, dass im Interesse des Erfolgs des öffentlichen Beschäftigungsprogramms die Rückführung von solchen Beschäftigten23 in den normalen Arbeitsmarkt eine positive Bewertung erhalten sollte. 21 Siehe http://www.kormany.hu/download/8/ed/40000/Hat%C3%A1rozat%20%C3%A9s% 20Cselekv%C3%A9si%20Terv.pdf#!DocumentBrowse (21. 05. 2017). 22 Erwägungsgrund 98 der Richtlinie 2014/24/EU: „… Hinter Bedingungen für die Auftragsausführung könnte auch die Absicht stehen, die Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, die verstärkte Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben und die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben oder den Umwelt- oder Tierschutz zu begünstigen und im Kern die grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu erfüllen und mehr benachteiligte Personen als nach nationalem Recht gefordert einzustellen.“ 23 Ziel des Gesetzes Nr. CVI von 2011 über die öffentliche Beschäftigung und Änderung der mit der öffentlichen Beschäftigung verbundenen und sonstigen Gesetze ist die Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen für einen wertschöpfenden öffentlichen Beschäftigungssektor und die Arbeitsbeschaffung für die arbeitsfähige Bevölkerung sowie die Förde-
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Obwohl der ungarische Gesetzgeber für die Umsetzung breiterer Anwendungsmöglichkeiten bei der Vergabe vorbehaltener Aufträge sorgte, ist vorerst ein zahlenmäßiges Wachstum noch nicht abzusehen. Laut den VgB-Statistikdaten24 wendeten die öffentlichen Auftraggeber im Rahmen der nationalen Verfahrensordnung im Jahr 2015 bei 92 von insgesamt 11 906 Verfahren und 2016 bei 95 von insgesamt 7093 Verfahren soziale Kriterien an. Die folgende Tabelle zeigt die Daten der Beschaffungen mit sozialen Kriterien im Rahmen der in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführten erfolgreichen öffentlichen Vergabeverfahren (zu den Verfahren, deren Wert den EU-Schwellenwert erreicht oder überschreitet, stehen diese Daten – aufgrund der Beschaffenheit der Ausschreibungsmuster – nicht zur Verfügung): Nationale Verfahrensordnung Einstufung der Verfahren Verfahren mit sozialen Kriterien
2012
2013
2014
2015
2016
Anzahl der Verfahren
115
144
162
92
95
Wert der Verfahren (Mrd. HUF)
13,7
31,5
35,8
11,1
5,2
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (Jahre 2012 – 2016)25
rung der Beschäftigung von Stellensuchenden. Ein öffentliches Beschäftigungsverhältnis kann für Arbeiten errichtet werden, die insbesondere durch ein Gesetz vorgeschriebene staatliche Aufgaben sind oder in dem Gesetz über die örtlichen Selbstverwaltungen vorgeschriebene verbindliche oder freiwillig übernommene Aufgaben sind oder die im Gesetz über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten vorgeschriebene verbindliche oder freiwillig übernommene Aufgaben sind oder beispielsweise Aufgaben auf kommunaler oder darüber hinausgehender Ebene in den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Soziales, Erziehung, Bildung, Kultur, Bewahrung des Kulturerbes, Schutz des baulichen Erbes, Natur-, Umwelt- und Tierschutz, Kinder- und Jugendschutz – mit Ausnahme der auftragsbasierten Sporttätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bzw. zivilrechtlichen Rechtsverhältnisses –, Aufgaben im Interesse des Sports, der öffentlichen Ordnung und Verkehrssicherheit sowie des Hochwasserund Binnenwasserschutzes, des Weiteren Aufgaben, die der Befriedigung des Bedarfs in Verbindung mit der Entwicklung, des Schutzes, der Aufrechterhaltung und Betreibung von für den öffentlichen Verkehr geöffneten Straßen, Brücken, Tunneln erforderlich sind. 24 Primäre Datenquelle des statistischen Registers sind die im Közbeszerzési Értesíto˝ [Ausschreibungsanzeiger] erschienenen, von den öffentlichen Auftraggebern ausgefüllten und eingereichten Bekanntmachungen mit der Bezeichnung „Information über das Ergebnis des Verfahrens“. Quelle der Daten bezüglich des festgelegten Zeitraums ist in: http://www.kozbesz erzes.hu/ertesito/. 25 Download: 05. 05. 2017.
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Wert und Anzahl der Verfahren, die soziale Bewertungskriterien beinhalten (Mrd. HUF, Anzahl) 40,0
200
162 144
30,0
150
115 95
92
20,0 31,5
10,0
35,8
50
13,7
0,0
11,1
2012
2013
100
2014
5,2
2015
Wert der Verfahren (Mrd. HUF)
2016
0
Anzahl der Verfahren
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (Jahre 2012 – 2016)
Abbildung 4
Die Entwicklung des Anteils der Vergabe vorbehaltener Aufträge (innerhalb der sozialen Kriterien) gestaltete sich in den vergangenen 5 Jahren wie folgt:26 Anzahl der Verfahren
Wert der Verfahren (Mrd. HUF)
Verfahren mit sozialen Kriterien insgesamt
Vergabe vorbehaltener Aufträge
%
Verfahren mit sozialen Kriterien insgesamt
Vergabe vorbehaltener Aufträge
%
2012
115
0
0,0 %
13,70
0,00
0,0 %
2013
144
0
0,0 %
31,49
0,00
0,0 %
2014
162
1
0,6 %
35,82
0,01
0,0 %
2015
92
1
1,1 %
11,10
0,04
0,4 %
2016
95
2
2,1 %
5,21
0,09
1,7 %
Jahr
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (2012 – 2016)
Die obigen Daten beziehen sich nur auf die im Rahmen der in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführten öffentlichen Vergabeverfahren, da die öffentlichen Auftraggeber in den EU-Verfahren nicht verpflichtet sind, in der „Information über das Ergebnis des Verfahrens“ Informationen bezüglich vorbehaltener Aufträge zu erteilen. Leider wurden in verschwindend geringer Zahl Verfahren zur Vergabe vorbehaltener Aufträge durchgeführt und diese Tendenz änderte sich auch 2016 nicht (2015 26 Information der Vergabebehörde vom 16. Mai 2017 – über den Anteil der Vergabe vorbehaltener Aufträge im Verhältnis zu den in der ungarischen nationalen Verfahrensordnung durchgeführten öffentlichen Vergabeverfahren.
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betrug der Anteil der nationalen Verfahren, bei denen soziale Kriterien angewandt wurden, 1,1 %, im Jahr 2016 2,1 %). Das Hindernis für die Anwendung ist auch hier eher der Informationsmangel. 2014 wurde auf die Anregung des Nemzeti Fejlesztési Minisztérium [NFM, Ministerium für nationale Entwicklung] und der Magyar Nemzeti Vagyonkezelo˝ Zrt. [MNV, Ungarische Nationale Treuhandgesellschaft] eine Datenbank geschaffen, die die Produkte und Kontaktdaten der geschützten Arbeitgeber zusammenfasst und die auf der Website der Magyar Nemzeti Vagyonkezelo˝ Zrt.27 erreichbar ist. Ziel der Zusammenstellung dieser für jedermann erreichbaren Datenbank war die Steigerung der Anwendung sozialer Kriterien und der Anzahl der für geschützte Arbeitgeber vorbehaltenen Aufträge.28 Eine zusätzliche Hilfe sind das dort herunterladbare Ausschreibungsmuster und eine Musterdokumentation.
III. Innovatives öffentliches Auftragswesen Zur Förderung innovativer Lösungen richtet die Europäische Union auch verstärkte Aufmerksamkeit auf die Förderung von innovativen Beschaffungsvorhaben. Laut dem Länderbericht der Kommission 2017 für Ungarn sind die Gesamtausgaben Ungarns für Forschung und Entwicklung (fortan: F+E) in den letzten Jahren gewachsen, und die F+E-Ausgaben haben sich – auch wenn sie noch immer unter dem Unionsdurchschnitt liegen – in BIP-Prozentpunkten gemessen in den letzten zehn Jahren verdoppelt.29 Obwohl das ungVergG einer innovationsfreundlichen Regulierungsmethode folgt, ist das Erscheinen von Innovationsgutscheinen in den öffentlichen Vergabeverfahren vorerst eingeschränkt. Die Anwendung von innovativen Technologien wird größtenteils durch Folgendes behindert: • Im Allgemeinen halten öffentliche Auftraggeber die Beschaffung von gut bewährten Waren für weniger risikobehaftet als die Anwendung neuer, unbekannter Technologien; • oft sind auch mangelnde Erfahrungen ein Problem; • öffentliche Auftraggeber fassen das Vergabeverfahren grundsätzlich als rein administrativ auf und schöpfen nicht die vorhandenen Möglichkeiten der gesteigerten Nachhaltigkeit aus; 27 Siehe Magyar Nemzeti Vagyonkezelo˝ Zrt [Ungarische Nationale Treuhandgesellschaft], http://www.mnv.hu/szocialisan_felelos_kozbeszerzes (23. 05. 2017). 28 Vgl. Druzsin, Mónika, Szociális foglalkoztatás a közbeszerzések világában [Soziale Beschäftigung in der Welt der öffentlichen Beschaffungen] Közbeszerzési Szemle 7/2014, 39 – 46. 29 Brüssel, 28. 2. 2017 SWD(2017) 82 final/2: http://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2017european-semester-country-report-hungary-hu_0.pdf (21. Mai 2017).
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• die Kooperation zwischen öffentlichen Auftraggebern wird in der Praxis nicht als allgemeine Lösung angesehen – das erschwert die effiziente Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern und Forschungsbeteiligten (z. B. Universitäten); • bei innovativen Beschaffungen ist die Vorplanung besonders wichtig; häufig scheitert diese daran, dass beispielsweise Ressourcen in dem betreffenden Haushaltsjahr verwendet werden müssen oder eben aufgrund administrativer Zeitfenster keine Möglichkeit besteht, solche Verfahrenstypen zu wählen; • solche Vergabeverfahren können nur auf fundierten Marktforschungen aufbauen: Der öffentliche Auftraggeber muss jedes einzelne Element der Lieferkette kennen, um zu ermessen, in welchem Umfang die an den Entwicklungen teilnehmenden Partner bereit sind, bezüglich der Innovation flexibel zu sein, ferner welche Risiken entstehen können und welche Parteien diese zu tragen haben; • solche Verfahrenstypen erfordern den nötigen Sachverstand für die Ausarbeitung der technischen Spezifikationen, denn eine Ausarbeitung starrer technischer Vorschriften kann die Innovation ersticken; es ist deshalb sinnvoll, Vorschriften auszuarbeiten, die es den Bietern ermöglichen, verschiedene Lösungsvorschläge vorzulegen; • was die Vertragsbedingungen betrifft, ist bei derartigen Beschaffungen die Festlegung von Vertragsbedingungen erforderlich, welche über die herkömmlichen Vorschriften hinausgehen; beispielsweise mag die Korrektur von Fehlern auch eine Weiterentwicklung erfordern, oder zum Beispiel mag es nicht zum Erfolg führen, wenn die Geltendmachung verschiedener Rechte in Verbindung mit dem geistigen Eigentum so streng reglementiert wird, dass sich der Auftraggeber solchen Verfahren verschließt, da er nur einen Teil der Entwicklung, die der betreffenden Innovation zugrunde liegt, erwerben und später nutzen will.
IV. Die Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien bei einzelnen Wirtschaftsgesellschaften, die der unmittelbaren und mittelbaren Rechtsausübung des Ministeriums für nationale Entwicklung unterstehen30 Mit Blick auf die Nachhaltigkeitsthemen haben wir uns die in 2016 durchgeführte öffentlichen Vergabeverfahren von Gesellschaften angesehen, die in das Portfolio des Ministers für nationale Entwicklung fallen.
30 In Ungarn unterstehen die meisten @ mehr als 200 @ Wirtschaftsgesellschaften in mehrheitlich staatlichem Eigentum der Ausübung des Eigentümerrechts des Ministeriums für nationale Entwicklung, doch bei ca. 60 Gesellschaften übt ein anderer die Eigentümerrechte im Namen des ungarischen Staates aus.
Nachhaltigkeit in der ungarischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung
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Nach den von der Vergabebehörde erhaltenen Informationen31 belief sich die Anzahl der erfolgreichen ungarischen Vergabeverfahren 2016 auf 8650 mit einem Gesamtwert von 2007,08 Mrd. HUF. Laut unserer Anfang 2017 durchgeführten Analyse – die sich auf 280 Firmen erstreckte – wurden mehr als zweitausend Verfahren, also rund ein Viertel aller Verfahren des Jahres, von Gesellschaften des NFM-Portfolios durchgeführt: vier Fünftel sämtlicher in der EU-Verfahrensordnung durchgeführten Verfahren und ein Zehntel der in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführten Verfahren. Auch wenn man den Wert der Beschaffungen betrachtet, kommt man zu einem ähnlichen Ergebnis: Unsere Firmen waren bezüglich eines Drittels des vertraglichen Gesamtwerts der in der EU-Verfahrensordnung durchgeführten Beschaffungen bzw. bezüglich zirka 7,5 % der in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführten Verfahren involviert. Insgesamt betrug der vertragliche Gesamtwert der von uns vorgenommenen Beschaffungen über die Hälfte des Vertragswertes sämtlicher 2016 in Ungarn abgewickelten öffentlichen Beschaffungen. Im Frühjahr 2017 ersuchten wir die in das NFM-Portfolio fallenden Gesellschaften erneut, uns Informationen darüber zu erteilen, inwieweit bei den 2016 durchgeführten öffentlichen Vergabeverfahren Nachhaltigkeitskriterien zur Geltung kamen. In dieser Analyse waren schon weniger Firmen aufgeführt, aber alle themenrelevanten Organisationen gelangten in den Kreis der erneut befragten Gesellschaften. Der überwiegende Teil der insgesamt 174 befragten Gesellschaften – 168 Firmen – antwortete auf unsere Anfrage. Von den Antwortenden gaben 44 an, dass sie 2016 nicht in den subjektiven Kreis der Auftraggeber gemäß dem Vergabegesetz [Kbt.] fielen und dass sie auch aus anderen Gründen keine öffentlichen Vergabeverfahren abgewickelt hätten. Von den in der Analyse verbliebenen 124 Firmen berichteten 89 Gesellschaften (72 %), dass sie bei ihren öffentlichen Vergabeverfahren im Jahr 2016 keine Nachhaltigkeitskriterien anwendeten, andererseits machten 35 Firmen (28 %) von diesen Gebrauch. Die Aktivität der Firmen war recht unterschiedlich, wenn es darum ging, wie viele Verfahren, die Nachhaltigkeitsaspekte zur Geltung bringen, sie abwickelten und darüber berichteten. Ein Drittel der Gesellschaften gab ein Verfahren an, ein zweites Drittel trug auf dem Datenblatt 2 – 3 Verfahren ein. Gleichzeitig übersandten drei Firmen (NFP Nemzeti Fejlesztési Programiroda Nonprofit Kft. [Nationales Programmbüro Nonprofit GmbH], Nemzeti Infrastruktúra Fejleszto˝ Zrt. [NIF, Nationale Infrastruktur-Entwicklungs AG] und das Nemzeti Fejlesztési és Stratégiai Intézet Kft. [Institut für nationale Entwicklung und Strategie GmbH] mehr als die Hälfte der Datenblätter (93 Stück). 31
Quelle: http://www.kozbeszerzes.hu/ertesito/ (Jahr 2016).
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Untersucht man die geschätzten Werte der von den Firmen (erfolgreich) abgewickelten Verfahren aufgegliedert nach Auftraggebern, so ist eine noch stärkere Konzentration zu beobachten: Die Nemzeti Infrastruktúra Fejleszto˝ Zrt. wickelte allein 2016 so viele Vergabeverfahren mit Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien ab, dass dies drei Viertel des geschätzten Gesamtwerts solcher Vergabeverfahren des untersuchten vollen Firmenkreises in diesem Jahr ausmachte (rund 640 Mrd. HUF von 821,5 Mrd. HUF). Daneben sticht noch eine Gesellschaft hervor: Die 110 Mrd. HUF der NFP Nemzeti Fejlesztési Programiroda Nonprofit Kft. machen 13,4 % der Gesamtsumme aus. Die 35 Gesellschaften gaben auf den zurückgesendeten Datenblättern 179 öffentliche Vergabeverfahren an, in denen Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt wurden. Mehr als 40 % davon wurden im Rahmen der EU-Verfahrensordnung sowie etwas weniger als 60 % in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführt. Der Vergleich der 170 erfolgreichen Beschaffungsverfahren mit unserer Analyse zu Beginn des Jahres zeigt, dass unsere Firmen 2016 bei lediglich 5,5 % (71 Verfahren) der im Rahmen der EU-Verfahrensordnung abgewickelten Beschaffungen bzw. bei 13 % (99 Verfahren) der in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführten Verfahren Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigten, also in 8,5 % aller 2016 abgewickelten Verfahren des NFM[Ministerium für nationale Entwicklung]-Firmenkreises. In 170 Verfahren wurden insgesamt 202 Nachhaltigkeitsaspekte angewandt (in einem Verfahren können auch mehrere Aspekte zur Geltung kommen). Der überwiegende Teil der Kriterien (rund 80 %, in 157 Fällen) waren grüne Aspekte, jeder fünfte (40) war ein sozialer Aspekt. Innovative Aspekte wurden nur in fünf Fällen berücksichtigt. Im Verhältnis zur Anzahl der Verfahren zeigt sich, dass unsere Firmen 2016 bei über 90 % der Verfahren mit Nachhaltigkeitskriterien grüne Aspekte anwendeten, bei weniger als einem Viertel soziale Aspekte und bei weniger als 3 % innovative. Bezüglich des geschätzten Wertes der 170 Verfahren mit Nachhaltigkeitskriterien wurden: • zu 87 % des geschätzten Gesamtwertes grüne Aspekte berücksichtigt (717 Mrd. HUF), • zu rund 80 % (656 Mrd. HUF) soziale Aspekte angewendet, was ein wesentlich größeres Gewicht darstellt als der zahlenmäßige Anteil der Verfahren, • nur in geringem Maß Innovationsaspekte angewendet, und zwar zu 1 % des geschätzten Gesamtwertes (8 Mrd. HUF). Untersucht man, welche Nachhaltigkeitsaspekte bei welchen Beschaffungsobjekten zur Anwendung gelangten, erhält man ein gemischtes Bild. Innovative Aspekte finden sich bei einigen Warenbeschaffungen sowie Verfahren zur Einrichtung und Betreibung von Informatiksystemen. Der Anwendungskreis der sozialen Aspekte (40 Verfahren) ist diverser: Zwei Drittel der Fälle betreffen den Bau und die Erneue-
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rung von Brücken, Straßen und Radwegen, ein Fünftel der Beschaffungen mit sozialen Aspekten lauten auf die Beschaffung von Arbeits- und Uniformkleidung bzw. einige Fälle auf den Bau von sonstigen Objekten bzw. auf die Bestellung von Geländeund Gestrüpp-Mähdiensten. Die Anwendung von grünen Kriterien kam in großer Zahl bei Warenbeschaffungen, bei dem Bau und der Erneuerung von Brücken, Straßen und Radwegen, bei Gebäude- und sonstigen Bauobjekten (kommunale Wasserwerke, Abwasserkläranlagen, gebäudeenergetische Renovierungen usw.) zur Anwendung. Die einzelnen Nachhaltigkeitskriterien wurden auf verschiedene Weise festgelegt, und da ein Kriterium auch auf verschiedene Weise zur Geltung gelangte, erschienen auch die 202 Kriterien bei 231 Stellen und Modalitäten. Sie wurden am häufigsten – 145 Mal – als Bewertungskriterium festgelegt (zu über 60 % sämtlicher Kriterien). Darauf folgt ihr Erscheinen in der technischen Dokumentation und Beschreibung bzw. als Eignungsbedingung (32 – 36 Mal, 14 – 16 %). Als Vertragsbedingung kamen sie in 13 Fällen vor (zu 6 % sämtlicher Kriterien). Die Verteilung bei der Anwendung von grünen Kriterien analysierten wir auch in einer Aufgliederung nach EU- und nationaler Verfahrensordnung. Nahezu zwei Drittel (96 von 157) gelangten in nationalen Verfahren zur Anwendung, aber von dem geschätzten Wert sämtlicher Verfahren mit grünen Kriterien macht dieser Verfahrenskreis kaum mehr als 2 % (15,5 Mrd. HUF) aus. Demgegenüber erschienen die zahlenmäßig in wesentlich geringeren, in der EU-Verfahrensordnung geltend gemachten grünen Kriterien (61) in Beschaffungen mit einem gewaltigen geschätzten Gesamtwert (700 Mrd. HUF). (Diese Verzerrung wird wesentlich durch die gelieferten Daten der NIF [Nationale Infrastruktur-Entwicklungsgesellschaft] verursacht, denn allein diese Firma meldete Verfahren mit einem geschätzten Wert von rund 640 Mrd. HUF, diese machen mehr als drei Viertel des geschätzten Werts sämtlicher analysierten Verfahren aus und sie beinhalten fast ohne Ausnahme die Anwendung von grünen und gleichzeitig sozialen Kriterien.) Die Hälfte sämtlicher Kriterien (82) wurde im offenen Verfahrenstyp festgelegt, sie machen gleichzeitig 80 % des geschätzten Gesamtwertes der Verfahren mit grünen Kriterien aus. Weitere 48 grüne Kriterien (30 % der Gesamtzahl an grünen Beschaffungen) erschienen in Rahmenvereinbarungsverfahren, doch deren geschätzter Wert macht 15 % sämtlicher grüner Beschaffungen aus (110 Mrd. HUF). Der geschätzte Wert der von grünen Kriterien betroffenen 22 Verhandlungsverfahren ist schon wesentlich niedriger: diese 18 Mrd. HUF bilden lediglich 2,5 % sämtlicher grünen Beschaffungen. Innovationspartnerschaften, Wettbewerbsdialoge und zentrale Beschaffungen, die grüne Kriterien anwenden, gab es 2016 im Kreis unserer Firmen keine; Verhandlungsverfahren ohne die Veröffentlichung einer Bekanntmachung gab es in 3 Fällen im Wert von 12,5 Mrd. HUF. Die 157 grünen Kriterien wurden insgesamt in 181 Modalitäten vorgeschrieben. Davon erschienen rund zwei Drittel (113 Kriterien) als Bewertungskriterium, 26 – 27 in der technischen Dokumentation bzw. als Eignungsbedingung (14 – 15 %) und 11
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als Festlegung, die eigentlich noch als Vertragsbedingung bezeichnet werden kann (6 % sämtlicher Fälle). Die Analyse der geschätzten Werte der betreffenden Verfahren zeigt, dass das Gewicht des Bewertungskriteriums auf 96 % ansteigt, das Gewicht der Eignungsbedingung in dieser Relation nur auf 13 % sinkt, aber das wertbezogene Gewicht der technischen Dokumentation (im Hinblick auf den geschätzten Wert sämtlicher grünen Beschaffungen) auf 4 % sinkt. Das wertbezogene Gewicht der Vertragsbedingungen stieg hingegen – im Vergleich zum 7 %igen Zahlenverhältnis – auf 11 %. Einige Beispiele in diesem Bereich: • Bei einem unserer Wasserkraftwerke wurde im Rahmen des Austauschs von Maschinenanlagen des Entwässerungssystems vorgeschrieben, dass der obsiegende Bieter sich verpflichten muss, während der Realisierung der Investition bei seinen Beschaffungen nach Möglichkeit ökologisch vorteilhaftere Produkte und Mittel zu bevorzugen, bei seiner Tätigkeit die natürliche Raumstruktur zu bewahren und mit dem Ergebnis seiner Tätigkeit zur Bewahrung des Landschaftsbilds, der natürlichen, kulturellen und baulichen Werte bzw. des guten Umwelt- und Gesundheitszustands beizutragen, des Weiteren Material- und Energie-Einsparungsaspekte zu berücksichtigen sowie alles ihm Mögliche zur Vermeidung von Naturschädigungen und sonstigen Schadensverursachungen zu tun. • Bei den Sport-Investitionen (z. B. Bau von Echtrasen-Fußballplätzen) wurde zum Schutz der nahegelegenen Wohngebiete mehrfach die Festlegung von staub- und lärmbezogenen Umweltvorschriften vorgeschrieben, bzw. der öffentliche Auftraggeber prüfte gesondert Faktoren zur Senkung der Umweltbelastung (z. B. in Verbindung mit Arbeitsmaschinen und dem Transport von Abfällen und Baumaterial), wodurch der Kraftstoffverbrauch bzw. Höhe des Ausstoßes von Treibhausgasen verringert wurde. • Ähnliche Vorschriften erschienen z. B. auch im Auftragsvergabeverfahren für die Instandhaltung, Erneuerung, Zuschüttung und den Bau von Brunnen zu ökologischen Zwecken in den Niederlassungen der Ungarischen Bahn. Hier spielte bei der Auswahl und Festlegung der Bewertungskriterien die den Gegebenheiten entsprechende Verkürzung der Transportrouten für die bei den Arbeiten entstehenden Abfälle eine wichtige Rolle, wodurch der Kraftstoffverbrauch und der Ausstoß von Treibhausgasen gesenkt wurden. • Ein ebenfalls wichtiges Projekt unserer staatlichen Bahngesellschaft war ein öffentliches Vergabeverfahren für den Abriss eines Bitumenspeichers. Dies war erforderlich, um zu verhindern, dass im Speicher verbliebenes restliches Bitumen in die Umwelt sickert und damit den Boden und unterirdisches Wasser gefährdet. • Ähnliche Bewertungskriterien wurden auch für öffentliche Vergabeverfahren in Verbindung mit dem Schienentransport und sonstigen Tätigkeiten der Bahn festgelegt, welche zur Abwendung von haverieartigen Umweltschäden, die sofortiges Eingreifen erfordern, ausgeschrieben wurden. Das Ziel war hier zu verhindern,
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dass infolge einer nicht oder nicht rechtzeitig eingeleiteten Schadenabwendung sich Verunreinigungen im Boden verbreiten bzw. Bodenverunreinigungen ins Grundwasser übergehen. Während des Verfahrens berücksichtigten die Bieter bei der Auswahl der Transportrouten nahegelegene Materialgewinnungsstätten und achteten besonders auf die Inanspruchnahme von nahegelegenen Abfallbehandlungsanlagen. Bei der Erfüllung gingen sie gemäß den in ihrem Angebot übernommenen Verpflichtungen vor, wodurch sich der Kraftstoffverbrauch und die Treibhausgasemission verringerten. • Ebenfalls in der Bahnbranche wurden Wartungsmaterialien und chemische Stoffe bestellt. Im diesbezüglichen öffentlichen Vergabeverfahren wurde als Ziel formuliert, den Anteil der chemischen Montagestoffe mit organischem Lösungsmittelbzw. geringerem VOC-Gehalt zu senken und bei Produkten mit Aerosolverpackung umweltfreundliches Treibgas vorzuschreiben; von den Industrie- und Haushaltsreinigungsmitteln waren die Stoffe im Vorteil, die eine geringere Umweltbelastung verursachen. • Im Hinblick auf öffentliche Auftragsvergaben zwecks Rekultivierung wurden ebenfalls ökologische Aspekte in den Kreis der Bewertungskriterien aufgenommen, und zwar dahingehend, dass die Rekultivierungsarbeiten mit der geringstmöglichen Umweltbelastung verbunden sein sollen. • Bei den Beschaffungen der im staatlichen Eigentum stehenden Busgesellschaften sind die Kraftstoffkosten für die Gesellschaft als öffentliches Dienstleistungsunternehmen das ausschlaggebende Kostenelement. Demzufolge ist bei Fahrzeugbeschaffungen neben dem Beschaffungspreis der spezifische Kraftstoffverbrauch ein hervorgehobenes Kriterium. Nach den Schätzungen der betreffenden Gesellschaft bedeutet der positive Kraftstoffverbrauch der beschafften Busse zirka 3 – 5 % Dieseleinsparung im Vergleich zu den ausgewechselten veralteten Fahrzeugen. • Die im staatlichen Eigentum befindliche Wirtschaftsgesellschaft, welche die aus Unionsmitteln verwirklichten Abwasserinvestitionen koordiniert, bezeichnet bei den öffentlichen Vergabeverfahren für Abwasserableitung und -reinigung als Bewertungskriterium Umweltschutzvorschriften wie - die Verringerung der Staubverschmutzung (z. B. regelmäßige Benässung der Zufahrtswege bei trockenem Wetter), - Bodenverunreinigung (z. B. Verwendung von umweltschonenden Streumitteln), Lärmbelastung (z. B. nachts dürfen keine Bauarbeiten durchgeführt werden), - im Interesse der Erhaltung der Verkehrs- und Straßeninfrastruktur, - Gewährung von Vergünstigungen für die lokale Einwohnerschaft,
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- Gewährleistung der störungsfreien Abfallwirtschaft des betroffenen Orts(teils) bzw. des Schutzes der Natur (z. B. müssen offene Arbeitsgräben täglich einmal durchgesehen werden, um in die Arbeitsgräben gefallene Lebewesen – z. B. Reptilien, Amphibien, Säugetiere usw. – retten zu können). Gegenüber den Umweltschutzkriterien, kamen bei den sozialen Kriterien 35 von 40 Kriterien im EU-Verfahren zur Anwendung. Dieser Kreis der Beschaffungen macht – im Vergleich zu den grünen Verfahren – den noch größeren Teil (99 %) des geschätzten Wertes der hier untersuchten sozialen Beschaffungen aus. Während die von grünen Kriterien betroffenen Beschaffungen in 6 Verfahrenstypen eingestuft werden können, erschienen die sozialen Kriterien nur in 4 Verfahrenstypen. Unter ihnen ist auch hier die Dominanz des offenen Verfahrens zu beobachten: Über drei Viertel der Verfahren, die soziale Kriterien anwenden, wurden im offenen Verfahren durchgeführt (30 von 44) und ihr geschätzter Wert (634 Mrd. HUF) macht mehr als 99 % des Wertes sämtlicher Verfahren aus, die soziale Aspekte zur Geltung bringen. Soziale Kriterien wurden noch bei 7 Verhandlungsverfahren und 2 Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung der Bekanntmachung angewendet, deren geschätzter Wert (10 – 12 Mrd. HUF) unbedeutend ist im Vergleich zum Gesamtwert der sozialen Beschaffungen unserer Firmen im Jahr 2016. Die 40 sozialen Kriterien wurden insgesamt in 44 Modalitäten festgelegt. Davon erschienen rund zwei Drittel (29) als Bewertungskriterien, im Fall der technischen Dokumentation in 3 Fällen (7 %), bei den Eignungsbedingungen in 9 Fällen (14 – 15 %), und eigentlich noch als Vertragsbedingung zu bezeichnende Festlegung in 2 Fällen (4,5 % sämtlicher Fälle). Die Analyse der geschätzten Werte der betreffenden Verfahren zeigt, dass das Gewicht der Bewertungskriterien auf 97 % steigt (ca. 640 Mrd. HUF), das Gewicht der Eignungsbedingungen und der technischen Dokumentation auf 1,3 – 4 % (ca. 9 Mrd. HUF) sinkt. Das wertbezogene Gewicht der Vertragsbedingungen erreicht noch nicht einmal 1 %. Von den 40 Verfahren, die (auch) soziale Kriterien berücksichtigen, wurden 5 abgewickelt, die übrigen sind noch im Gange. Der geschätzte Wert der abgewickelten Beschaffungen beträgt rund 9 Mrd. HUF, das macht lediglich 1,4 % des geschätzten Gesamtwerts der Verfahren mit sozialen Kriterien aus. Nachfolgend seien noch einige Beispiele in diesem Bereich erwähnt: • In einem öffentlichen Vergabeverfahren, das für eine in staatlichem Eigentum befindliche VOLÁN-Busgesellschaft ausgeschrieben wurde, war der Arbeitskleidung-Mietservice der Beschaffungsgegenstand. Eine wichtige Rolle bei den Eignungskriterien erhielt die Bedingung, dass die in die Erfüllung einbezogenen Fachleute zu mindestens 50 Prozent Arbeitnehmer mit verminderter Arbeitsfähigkeit sein mussten.
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• In dem öffentlichen Vergabeverfahren einer staatlichen Wasserwerksgesellschaft bezüglich der Realisierung von Fernleitungen und sonstigen der Wasserversorgung dienenden Wasserwerksanlagen prüfte der öffentliche Auftraggeber die Einstellung von benachteiligten Arbeitnehmern, und zwar dahingehend, ob der Bieter sich verpflichtet, während der vollen Vertragslaufzeit benachteiligte Arbeitnehmer anzustellen, und falls ja, wie viele. Das Angebot war am vorteilhaftesten, wenn sich der Bieter zur Anstellung von acht benachteiligten Arbeitnehmern während der gesamten Vertragslaufzeit verpflichtet. Der obsiegende Bieter beschäftigte während des gesamten Bauausführungszeitraums acht benachteiligte Arbeitnehmer, die mit ihrer Tätigkeit und ihrer positiven Einstellung zur Arbeit ihre Eignung unter Beweis stellten, sodass der Bieter aufgrund der Erfahrungen bei der Bauausführung sich auch nicht der Möglichkeit einer weiteren Beschäftigung verschloss. • Der im staatlichen Eigentum befindliche Auftraggeber trug, indem er soziale Kriterien für das Vergabeverfahren vorschrieb, zur Beschäftigung von in der Region lebenden Arbeitslosen bei und förderte damit auch die Wirtschaftsentwicklung und die Senkung der Arbeitslosigkeit. Zur Anwendung von innovativen Kriterien kam es in insgesamt fünf Verfahren mit einem geschätzten Wert von 8,3 Mrd. HUF. Von diesen Verfahren wurden 3 in der EU-Verfahrensordnung und 2 in der nationalen Verfahrensordnung durchgeführt. Von diesen 5 Verfahren waren 3 offene und 2 Verhandlungsverfahren. Bei den 5 Verfahren erschienen in 3 Fällen in der technischen Dokumentation und in 3 Fällen als Bewertungskriterien innovative Aspekte. Alle 5 Verfahren wurden erfüllt und die Bewerter berichteten in allen Verfahren über die erfolgreiche Anwendung der innovativen Kriterien. Weitere Beispiele in diesem Bereich sind die Folgenden: • Bei einem der Vergabeverfahren mit dem Ziel der Rekultivierung, die die unter den grünen Bewertungsaspekten bereits erwähnt wurden, wurden als Bewertungskriterium innovative Technologie-Optionen festgelegt, in deren Rahmen der obsiegende Bieter das rekultivierte Gebiet zur Installation eines PV-Kraftwerks (Solarstromanlage) geeignet machen muss. • Nicht eine staatliche, sondern eine im Selbstverwaltungseigentum stehende Wirtschaftsgesellschaft (Miskolc Holding Zrt.) nimmt als Partner an der Realisierung des internationalen Projekts PROBIS teil. In diesem Rahmen möchte der öffentliche Auftraggeber die gebäudeenergetische Rekonstruktion seines zentralen Bürogebäudes auf eine Weise verwirklichen, dass sich der Energieverlust und der Energiebedarf des Gebäudes verringert und mithilfe der Lenkung eines zeitgemäßen Gebäudemanagementsystems erneuerbare Energiequellen zu einem möglichst hohen Anteil zur Anwendung gelangen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien auch in der ungarischen Rechtspraxis der öffentlichen Auftragsver-
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III. Nachhaltige Vergaben im Dienste der Daseinsvorsorge
Kommunale Zusammenarbeit in der Abfallwirtschaft: Zwischen Ausschreibungspflicht und Vergaberechtsfreiheit Von Norbert Portz1
I. Voraussetzungen zur Anwendung des Vergaberechts Das Vergaberecht regelt die entgeltliche Beschaffung öffentlicher Auftraggeber auf dem externen Markt. Demgemäß bestimmt die Definition der „öffentlichen Aufträge“ in § 103 Abs. 1 GWB: „Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben“.
Systemimmanent sind dieser Definition der öffentlichen Aufträge das erforderliche Synallagma zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern einerseits und Unternehmen andererseits über die Beschaffung von Leistungen gegen Entgelt. Die entgeltliche Beschaffung von Leistungen impliziert eine Vergabe „nach außen“ auf dem Markt durch öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber. Erst wenn diese gegeben ist, kommt das Vergaberecht mit seinen Grundsätzen zum Tragen. Hierzu gehören insbesondere die Prinzipien des Wettbewerbs, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung sowie der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit (§ 97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB). Die näheren Einzelheiten des Vergabeverfahrens werden bei Anwendung des Vergaberechts oberhalb der EU-Schwellenwerte für den Bereich der Abfallwirtschaftsleistungen durch den 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 97 ff. GWB) sowie durch die Vergabeverordnung (VgV) vorgegeben. Für die Vergabe von Abfallentsorgungsleistungen unterhalb der EU-Schwellenwerte regelt bisher die VOL/A, 1. Abschnitt, die Einzelheiten des Vergabeverfahrens. In der Zukunft finden sich für die Städte, Kreise und Gemeinden in ihrer Funktion als entsorgungspflichtige Körperschaften die Regeln zur Vergabe von Abfallentsorgungsleistungen unterhalb der EU-Schwellenwerte nach Maßgabe der jeweiligen landesrecht-
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Der Autor ist Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
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lichen Vorgaben in der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO, siehe Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 07. Februar 2017).
II. Kein Vergaberecht bei kommunaler Eigenerbringung Während das Vergaberecht ausschließlich bei entgeltlichen Verträgen zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen (§ 103 Abs. 1 GWB) gilt, findet es auf kommunale Eigenerbringungen keine Anwendung. Insoweit weist schon das EU-Recht2 darauf hin, „dass die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie in keiner Weise dazu verpflichtet werden, die Erbringung von Dienstleistungen an Dritte oder nach außen zu vergeben, wenn sie diese Dienstleistungen selbst erbringen oder die Erbringung durch andere Mittel als öffentliche Aufträge im Sinne dieser Richtlinie organisieren möchten“.
Vor dem Hintergrund dieser Grundaussage nimmt Art. 12 RL 2014/24/EU „Öffentliche Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors“ unter den dort näher bestimmten Vorgaben vom Anwendungsbereich des Vergaberechts aus. In Umsetzung dieser EU-rechtlichen Vorgaben in nationales Recht gelten seit dem 18. April 2016 nach § 108 GWB „Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit“ von der Anwendung des Vergaberechts.
III. Hohe Praxisrelevanz kommunaler Eigenerbringungen in der Abfallwirtschaft 1. Gründe verstärkter Kooperationen Zwar erfolgt in der Mehrzahl der Fälle im Bereich der Abfallentsorgung nach wie vor eine Vergabe durch die entsorgungspflichtigen Kommunen auf der Grundlage von Ausschreibungsverfahren auf dem externen Markt. Demnach können sich die jeweiligen Abfallentsorgungsunternehmen um die von den Kommunen jeweils ausgeschriebenen Leistungen bewerben. Dennoch haben die Eigenerbringung sowie öffentlich-öffentliche Kooperationen im Bereich von Leistungen der Abfallentsorgung – neben öffentlich-privaten Kooperationsformen – eine hohe Bedeutung. Hierfür lassen sich maßgeblich drei Gründe anführen: a) Gewährleistung und Sicherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorgeaufgabe der Abfallentsorgung durch die Kommunen selbst und damit Erzielung einer größeren Bürgernähe, b) Erreichung einer höheren Kosteneffizienz durch kommunale Zusammenarbeit,
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Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2014/24/EU.
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c) Demografische Entwicklung und hieraus folgende Notwendigkeit für eine stärkere kommunale Kooperation.
2. Hauptformen kommunaler Eigenerbringung Die Hauptformen der kommunalen Eigenerbringung und Kooperationen im Bereich der Abfallwirtschaft durch eigenständige Rechtssubjekte, also über den kommunalen Eigenbetrieb hinaus, erfolgen über privatisierte Eigengesellschaften (Beispiel: Kommunale Abfallentsorgungsgesellschaft), über Anstalten des öffentlichen Rechts (AöR), wie etwa die Berliner Stadtreinigung „BSR“, oder auch über kommunale Zweckverbände. Bei letzteren handelt es sich nach Maßgabe der jeweiligen landesrechtlichen Regeln über die kommunale Gemeinschaftsarbeit (GkG) um den Zusammenschluss mehrerer Kommunen, bei denen die Aufgabenerfüllung und damit die Rechte und Pflichten auf den Zweckverband übergehen. Der Zweckverband kann im Bereich der Abfallwirtschaft als ein „Klassiker“ einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit bezeichnet werden. 3. Horizontale Kooperationen Neben den genannten institutionellen Formen der kommunalen Eigenerbringung im Bereich der Abfallwirtschaft können Kommunen auch auf rein vertraglicher und horizontaler Ebene kooperieren. Dabei kann eine derartige – in der Regel im Rahmen eines öffentlichen Vertrages auf „Augenhöhe“ geschlossene – Vereinbarung zwischen mehreren Kommunen in mandatierender Form und damit in fremdem Namen erfolgen. Es kann aber auch eine delegierende öffentlich-rechtliche Vereinbarung, bei der eine volle Aufgabenübertragung von einer Kommune auf eine andere Kommune erfolgt, also ein Übergang von Rechten und Pflichten gegeben ist, stattfinden.3
IV. Spannungsfeld von Eigenerbringung und Vergaberecht Das Spannungsfeld zwischen einer vergaberechtsfreien kommunalen Eigenerbringung im Bereich der Abfallwirtschaft und einer Ausschreibungspflicht wird dadurch verstärkt, dass Kommunen und ihre Abfallentsorgungseinrichtungen nicht nur öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts, sondern auch „Wirtschaftsteilnehmer“ und damit Bewerber und Bieter in Vergabeverfahren sein können. Insofern bestimmt Art. 2 Nr. 10 RL 2014/24/EU u. a., dass
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EuGH, Urteil vom 21. 12. 2016 „Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover“.
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„Wirtschaftsteilnehmer eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtungen oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen sein können …, die bzw. der auf dem Markt … die Lieferungen von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet“.
Diese Definition des „Wirtschaftsteilnehmers“ erlaubt es, dass auch Kommunen bzw. ihre eigenen Abfallentsorgungseinrichtungen Teilnehmer sowie Bieter bei Ausschreibungen anderer Kommunen sind. Dies haben auch der Europäische Gerichtshof4 sowie auch nationale Vergabesenate5 festgestellt.
V. Vergaberechtsfreiheit öffentlich-öffentlicher Kooperationen 1. In-House-Geschäfte Erstmals durch Art. 12 der RL 2014/24/EU und der erfolgten Umsetzung in § 108 GWB werden im Sinne einer Nichtanwendung des Vergaberechts „Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit“ geregelt. Für vergaberechtsfreie In-HouseGeschäfte (Beispiel: Stadt beauftragt ihre als Eigengesellschaft fungierende Entsorgungs-GmbH) wird dabei an die bisherige (EuGH-)Rechtsprechung6 angeknüpft. a) Kontrolle und Wesentlichkeit Nach § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB muss ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen der ersten Voraussetzung der „Teckal-Kriterien“ über die von ihm beauftragte juristische Person eine „ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen“ ausüben. Nach der zweiten Voraussetzung in § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB muss die kontrollierte juristische Person zusätzlich im „Wesentlichen“ für den sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber tätig werden. Hierzu reicht es, wenn „mehr als 80 Prozent der Tätigkeit der juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie vom kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber betraut wurde“. Die 80-Prozent-Vorgabe, die grundsätzlich auf den durchschnittlich erzielten Gesamtumsatz der letzten drei Jahre vor Vergabe des öffentlichen Auftrags abstellt (siehe § 108 Abs. 7 GWB), geht über die bisherige Rechtsprechung, die maximal eine 90-Prozent-Grenze markierte7, hinaus. Die neue „Wesentlichkeitsschwelle“ ist daher aus kommunaler Sicht zu begrüßen.
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EuGH, Urteil vom 13. 01. 2005 – C 84/03 „Spanien“. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07. 08. 2013 – VII Verg 14/13. 6 Siehe EuGH, Urteil vom 18. 11. 1999, NZBau 2000, 90 f. „Teckal“. 7 BGH, Urteil vom 03. 07. 2008 – I ZR 145/05 sowie OLG Celle, Beschluss vom 29. 10. 2009 – 13 Verg 8/09, das bereits ein 7,5 % Drittgeschäft als In-House-schädlich ansah. 5
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b) In-House-Fähigkeit in liberalisierten Märkten? Zu begrüßen ist auch, dass sowohl der Erwägungsgrund 32 zu Art. 12 der RL 2014/24/EU als auch die Begründung zu § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB deutlich darauf hinweisen, dass es für die Berechnung der 80-Prozent-Grenze unerheblich ist, „ob der Begünstigte der Ausführung des Auftrags der Auftraggeber selbst oder ein davon abweichender Nutzer der Leistungen ist“.
Damit wird klargestellt, dass für ein In-House-Geschäft nicht allein die Leistungsdurchführung der beauftragten juristischen Person unmittelbar nur zugunsten des diese juristische Person kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers möglich ist. Vielmehr ist auch die Ausführung von Aufgaben zugunsten eines privaten Dritten (Beispiel: Entsorgung der Restmülltonne bei den Bürgern) im Sinne des „Wesentlichkeitskriteriums“ In-House-unschädlich. Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, ob die Ausführungen von Aufgaben zugunsten eines privaten Dritten nur dann InHouse-fähig sind, wenn diese sich ausschließlich auf Tätigkeiten im Bereich der engeren Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand und der Kommunen beziehen (Beispiel: Abfallentsorgung) oder ob eine In-House-Fähigkeit auch in den liberalisierten Märkten der Daseinsvorsorge (Beispiel: Strom und Gas) angenommen werden kann. Dies betrifft etwa die Frage, ob ein In-House-Geschäft in diesen liberalisierten Märkten deshalb am „Wesentlichkeitskriterium“ scheitert, weil die Bürger einer Stadt sich wegen ihrer Wahlfreiheit den Stromanbieter aussuchen können. Insoweit hatten zumindest deutsche Vergabesenate eine In-House-Möglichkeit in diesen liberalisierten Märkten abgelehnt.8 c) Erweiterung des In-House-Geschäfts durch § 108 GWB Zwar ist auch weiterhin die In-House-Fähigkeit bei direkter privater Kapitalbeteiligung ausgeschlossen. Eine Ausnahme wird aber nach § 108 Abs. 1 Nr. 3 GWB für nicht beherrschende Formen privater Kapitalbeteiligungen und Formen privater Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität (Stille Gesellschafter etc.) gemacht, wenn diese in Übereinstimmung mit den EU-Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind (Beispiel: Emscher Genossenschaft). Positiv ist schließlich, dass nach § 108 Abs. 3 GWB die Beschaffungen zwischen mehreren von einer Kommune kontrollierten „Töchtern“ (Beispiel: Kommunale ITGmbH erbringt als Tochter der Stadt IT-Leistungen für die ebenfalls von der Stadt kontrollierte Abfallentsorgungs-GmbH) sowie die Auftragsvergaben einer „kommunalen Tochter“ an ihre „Mutter“ (Beispiel: Abfallentsorgungs-GmbH der Stadt lässt sich ihre Grünflächen vom städtischen Bauhof pflegen) nach § 108 Abs. 3 GWB ausschreibungsfrei gestellt wurden.
8 OLG Hamburg, VergabeR 2011, 614 ff. mit Anm. Carsten Steinert/Desiree Kohler; OLG Frankfurt, VergabeR 2012, 47 ff.
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d) Gemeinsames In-House-Geschäft Ferner dient die erstmalig in § 108 Abs. 4 GWB aufgenommene und in Anknüpfung an die bisherige EuGH-Rechtsprechung aufgenommene Möglichkeit eines „gemeinsamen In-House-Geschäfts mehrerer öffentlicher Auftraggeber“ der Rechtssicherheit. Nach § 108 Abs. 4 Nr. 1 GWB liegt ein vergaberechtsfreies In-House-Geschäft neben den zusätzlichen weiteren Voraussetzungen des § 108 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 3 GWB insbesondere dann vor, „wenn der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle ausübt wie jeder der öffentlichen Auftraggeber über seine eigenen Dienststellen“.
Die näheren Voraussetzungen für eine gemeinsame Kontrolle i.S.d. Abs. 4 Nr. 1 besteht nach § 108 Abs. 5 GWB, wenn 1. sich die beschlussfassenden Organe der juristischen Person aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen; ein einzelner Vertreter kann mehrere oder alle teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber vertreten, 2. die öffentlichen Auftraggeber gemeinsam einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausüben können und 3. die juristische Person keine Interessen verfolgt, die den Interessen der öffentlichen Auftraggeber zuwiderlaufen“.
2. Horizontale Vergaberechtsfreiheit Auch die horizontale Vergaberechtsfreiheit (Beispiel: Vertragliche Übernahme der Abfallentsorgung von einem Kreis für einen anderen Kreis) ist in Art. 12 Abs. 4 a-c RL 2014/24/EU sowie § 108 Abs. 6 GWB normiert. Danach gilt das Vergaberecht nicht für Aufträge, die zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossen werden, wenn 1. der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden; 2. die Durchführung der Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird; 3. die öffentlichen Auftraggeber auf dem Markt weniger als 20 Prozent der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit erfasst sind.
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Die Bestimmung des § 108 Abs. 6 GWB geht auf die EuGH-Rechtsprechung und insbesondere auf eine Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs9 zurück. In diesem Fall hatte die Stadtreinigung Hamburg, eine Anstalt öffentlichen Rechts, mit vier benachbarten Landkreisen einen – horizontalen – Vertrag über die Erbringung von Abfallentsorgungsleistungen geschlossen, ohne vorab eine Ausschreibung durchzuführen. Aufgrund dieser Konstellation lag ersichtlich keine gegenseitige Kontrolle innerhalb der Partnerkommunen vor, so dass die „In-House-Kriterien“ nicht griffen. Der EuGH hat dennoch dieses Vertragskonstrukt als vergaberechtsfrei erklärt. Er führte aus, dass die Abfallentsorgung allen Kommunen gemeinsam obliege und die Kooperation durch die Verfolgung öffentlicher Interessen (Abfallentsorgung) bestimmt sei. Auch sei keine Beteiligung privater und damit kein Wettbewerbsverstoß gegeben. Der EuGH wies vor diesem Hintergrund darauf hin, dass diese horizontalvertragliche Kooperation ausschreibungsfrei sei. Insofern sei „die Rechtsform des Vertrages unbeachtlich“. 3. Bewertung Beide in Art. 12 RL 2014/24/EU und § 108 GWB geregelten Tatbestände (InHouse-Vergabe und horizontale öffentliche Zusammenarbeit) bringen für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Vergaberechtsfreiheit mehr Rechtssicherheit. Dennoch bleiben Fragen, etwa hinsichtlich des für eine vergaberechtsfreie horizontale Zusammenarbeit erforderlichen „kooperativen Konzepts“ (ErwG 33 RL 2014/24/ EU). Insoweit ist das Oberlandesgericht Koblenz10 in einem Beschluss davon ausgegangen, dass ein „kooperatives Konzept“ und damit eine Vergaberechtsfreiheit dann nicht vorliegt, wenn ein Kreis die Aufgabe der Bioabfallentsorgung auf der Grundlage eines horizontalen Vertrags auf einen anderen Kreis überträgt und dabei als Leistungsaustausch zwischen den Partnern nur „Geld gegen Leistung“ gewährt wird. Trotz dieser Entscheidung muss kritisch hinterfragt werden, ob nicht dann, wenn zwei Vertragspartner sogar ihre Hauptpflichten (Leistung gegen Entgelt) über einen längeren Zeitraum austauschen, von einer engen Kooperation und damit im Ergebnis von einer ausschreibungsfreien Kooperation auszugehen ist11. Jedenfalls sind auch in diesem Fall die für eine Ausschreibungspflicht grundsätzlich vorausgesetzte Marktberührung und eine Benachteiligung privater Dritter nicht gegeben.
9 EuGH, Urteil vom 09. 06. 2009 – C-480/06 – „Stadtreinigung Hamburg“, VergabeR 2009, 738 ff.; s. hierzu Norbert Portz: „Der EuGH bewegt sich: Keine Ausschreibung kommunaler Kooperationen nach dem Urteil „Stadtreinigung Hamburg“. 10 OLG Koblenz, Beschluss vom 03. 12. 2014 – Verg 8/14. 11 Dr. Jan Ziekow, In-House-Geschäft und öffentlich-öffentliche Kooperationen: Neues vom europäischen Vergaberecht?, NZBau 2015, 258, 263.
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Auch das für eine Vergaberechtsfreiheit erforderliche weitere Tatbestandsmerkmal der „Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse“ ist nicht konturenscharf. Insoweit hatte der Europäische Gerichtshof12 auf eine Vorlage des OLG Düsseldorf hin entschieden, dass es sich jedenfalls bei der vertraglichen Übertragung (Delegation) der Gebäudereinigung von einem Kreis auf eine Stadt (Kreis und Stadt Düren) nicht um eine gemeinsam wahrgenommene Gemeinwohlaufgabe handelt. Folge war, dass der EuGH auch mangels Vorliegens eines öffentlichen Interesses in diesem Fall eine Ausschreibungspflicht annahm.
VI. Kein öffentlicher Auftrag bei kompletter Übertragung der Abfallentsorgung auf Zweckverband 1. EuGH-Urteil vom 21. Dezember 2016 Der Europäische Gerichtshof hat mit einem grundlegenden Urteil vom 21. Dezember 201613 für den Fall einer vollständigen Kompetenzübertragung kommunaler Aufgaben auf einen Zweckverband das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags verneint. Konkret ging es um die kommunale Aufgabenübertragung im Bereich der Abfallentsorgung auf einen gemeinsam gegründeten Zweckverband der Stadt Hannover sowie der Region Hannover. Die besondere Aussagekraft der Entscheidung liegt darin, dass der EuGH die Frage der Vergaberechtsfreiheit nicht an den durch seine eigene Rechtsprechung14 herausgearbeiteten und jetzt in § 108 GWB („Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit“) kodifizierten Ausnahmen vom Vergaberecht festgemacht hat: Der In-House-Vergabe oder der horizontalen Zusammenarbeit öffentlicher Auftraggeber bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden Gemeinwohlaufgabe. Beide Ausnahmen knüpfen ja zunächst an das Vorliegen von „öffentlichen Aufträgen“ an (s. § 108 Abs. 1 S. 1 GWB). Demgegenüber sieht der EuGH in einer vollständigen Kompetenzverlagerung von Aufgaben auf einen Zweckverband erst gar keinen öffentlichen Auftrag. Vielmehr setzt der EuGH rechtlich früher an und hält eine Kompetenzverlagerung als Ausfluss der innerstaatlichen Neuordnung nach den EU-Verträgen (EUV) für vergaberechtsfrei und sieht hierin einen reinen Akt der internen Organisation der öffentlichen Hand.
12 EuGH, Urteil vom 13. 06. 2013 – Rs. C 386, 11 „Remondis“, VergabeR 2017, 137 ff. mit Anm. Norbert Portz. 13 EuGH, Urteil vom 21. 12. 2016 „Remondis“, VergabeR 2017, 137 ff. mit Anm. Norbert Portz. 14 S. EuGH, Urteil vom 18. 11. 1999, NZBau 2000, 90 f. „Teckal“ (= In-House-Geschäft); EuGH, Urteil vom 09. 06. 2009, VergabeR 2009, 738 ff. „Stadtreinigung Hamburg“. s. hierzu Norbert Portz: „Der EuGH bewegt sich: Keine Ausschreibung kommunaler Kooperationen nach dem Urteil „Stadtreinigung Hamburg“.
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2. Zugrunde liegender Sachverhalt Dem vom OLG Celle bereits am 17. Dezember 2014 gegenüber dem EuGH eingereichten Vorabentscheidungsersuchen lag ein Nachprüfungsverfahren des Abfallentsorgungsunternehmens Remondis gegen die Region Hannover zugrunde. Im Rahmen der Aufgabenneuordnung der Abfallentsorgung hatten die Region Hannover und die Landeshauptstadt Hannover im Jahr 2002 eine Verbandsordnung zur Gründung des Zweckverbands Abfallwirtschaft Region Hannover (Zweckverband RH) beschlossen. Diesen Zweckverband statteten die beiden Gebietskörperschaften mit verschiedenen Befugnissen aus. Hierzu brachten die Region sowie die Stadt Hannover ihre zur Aufgabenerfüllung der Abfallentsorgung, der Straßenreinigung und des Winterdienstes dienenden Einrichtungen unentgeltlich in den Verband ein. Zugleich erlaubt die Verbandsordnung dem Zweckverband, sich zur Erfüllung seiner Aufgaben Dritter zu bedienen und sich hierzu an Unternehmen zu beteiligen. Auch sieht die Verbandsordnung vor, dass der Zweckverband neben andienungspflichtigen Abfällen zur Beseitigung auch „Abfälle zur Verwertung“ entsorgt und dass er zu diesem Zweck Verträge mit dualen Systemen zur Sammlung von Verkaufsverpackungen schließen kann. Von dem im Jahre 2011 durch den Zweckverband RH erwirtschafteten Umsatz lassen sich ungefähr sechs Prozent auf gewerbliche Drittumsätze zurückführen, wobei dieser Anteil nach den Prognosen für das Jahr 2013 nochmal nicht unerheblich gestiegen ist. Nach Auffassung von Remondis handelt es sich bei der Übertragung der Kompetenzen auf den Zweckverband um einen öffentlichen Auftrag. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass der Zweckverband RH seit dem Jahr 2013 erhebliche Anteile seiner Umsätze mit Dritten erzielt hat. Damit sei er nicht mehr im Sinne eines vergaberechtsfreien In-House-Geschäfts „im Wesentlichen“ für die Gebietskörperschaften, die ihn gegründet haben, tätig.
3. Vorlage an den EuGH durch das OLG Celle Das mit der Nachprüfungsfrage von Remondis befasste Oberlandesgericht Celle hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Gründung eines Zweckverbandes und die Aufgabenübertragung auf diesen einen „öffentlichen Auftrag“ im Sinne des damals geltenden Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 darstellt. Für den Fall, dass diese Frage bejaht wird, will das OLG Celle vom EuGH wissen, ob die Bildung eines Zweckverbandes ausnahmsweise deswegen nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts gehört, weil die beiden vom Gerichtshof anerkannten Ausnahmen, also entweder eine Inhouse-Vergabe15 oder die Zusammenarbeit von öffentlichen Einrichtungen bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden Gemeinwohlaufgabe, vorliegen.16 15
Siehe EuGH, Urteil vom 18. 11. 1999, Teckal – C-107/98.
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4. EuGH betont Recht der Mitgliedstaaten zum Schutz lokaler Selbstverwaltung Der EuGH geht in seinem Urteil nicht auf diese ihm vom OLG Celle „nahegelegten“ Ausnahmen vom Vergaberecht ein. Vielmehr setzt er bereits im EU-Vertrag (EUV) und in Art. 4 Abs. 2 EUV an. Danach kommt er zu dem Ergebnis, dass schon gar kein „öffentlicher Auftrag“ i.S.d. jetzigen Art. 12 der Richtlinie 2014/ 24/EU und damit auch des § 108 GWB vorliegt. Denn nach Art. 4 Abs. 2 EUV ist die Europäische Union „verpflichtet, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt“.17
Der EuGH betont,18 dass sich der Schutz aus Art. 4 Abs. 2 EUV und das Recht der Mitgliedstaaten, die lokale Selbstverwaltung zu schützen, auch auf die innerstaatliche Neuordnung der Kompetenzen, etwa durch angeordnete oder auch freiwillige Kompetenzübertragungen zwischen öffentlichen Stellen, bezieht. Dabei ist interessant, dass der EuGH als Rechtsgrundlage seiner Aussagen auch Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU zugrunde legt,19 obwohl diese Norm zum Zeitpunkt des Rechtsstreits noch nicht anwendbar war. In Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/ EU heißt es: „Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere Rechtsinstrumente, die die Übertragung von Befugnissen und Zuständigkeiten für die Ausführungen öffentlicher Aufgaben zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Gruppen von öffentlichen Auftraggebern regeln und die keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorsehen, werden als Angelegenheit der internen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats betrachtet und als solche nicht von dieser Richtlinie berührt“.
5. Kein Vergaberecht bei Kompetenzübertragung auf Zweckverband Vor diesem Hintergrund macht der EuGH klar, dass eine Kompetenzübertragung von Aufgaben gerade nicht alle Voraussetzungen erfüllt, die gemäß der Definition für einen „öffentlichen Auftrag“ erforderlich sind.20 Der EuGH stellt insoweit heraus, dass nur ein entgeltlicher Vertrag und ein Vertrag mit Leistung und Gegenleistung 16 EuGH, Urteil vom 09. 06. 2009 – C-480/06. s. hierzu Norbert Portz: „Der EuGH bewegt sich: Keine Ausschreibung kommunaler Kooperationen nach dem Urteil „Stadtreinigung Hamburg“. 17 EuGH, Urteil vom 21. 12. 2016 „Remondis“, VergabeR 2017, 137 ff. mit Anm. Norbert Portz sowie EuGH, Urteil vom 12. 06. 2014 – Digibet und Albers C-156/13, Rn. 34. 18 EuGH, Urteil vom 21. 12. 2016 „Remondis“, VergabeR 2017, 137 ff. mit Anm. Norbert Portz. 19 EuGH, Rn. 6. 20 EuGH, Rn. 42.
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(Synallagma) ein wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags sind.21 Diese Voraussetzungen seien aber im konkreten Fall nicht erfüllt. Der EuGH führt konkretisierend aus, dass eine Umverteilung der verwendeten Mittel, die von den bisher zuständigen Stellen (Region und Stadt Hannover) auf die jetzt zuständige Stelle (Zweckverband RH) übertragen werden, keine Entrichtung eines für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags erforderlichen „Entgelts“ (s. § 103 Abs. 1 GWB) darstellt. Vielmehr sei hierin eine notwendige Folge der freiwilligen Übertragung auf eine andere Stelle zu sehen.22 Die Zahlung eines Entgelts liege ebenso wenig in der Übernahme von Mehrkosten durch die übertragenden Stellen (Region und Stadt Hannover). Hierbei handele es sich um eine an Dritte gerichtete Garantie, die wegen des Grundsatzes, dass über das Vermögen einer öffentlichen Stelle kein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, erforderlich ist.23 6. Voraussetzungen einer Kompetenzübertragung Der EuGH stellt jedoch in Übereinstimmung mit dem Generalanwalt beim EuGH in seinen Schlussanträgen vom 30. Juni 201624 klare Voraussetzungen auf, unter denen eine Kompetenzübertragung eine „Maßnahme der internen Organisation“ im Sinne des Art. 4 Abs. 2 EUV ist. Interne und damit vergaberechtsfreie Rechtsakte liegen danach bei Kompetenzübertragungen nur dann vor, wenn „sie nicht nur die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten, u. a. die Verpflichtung, den mit dieser Kompetenz verbundenen Aufgaben nachzukommen, sondern auch die damit einhergehenden Befugnisse umfassen. Hierfür ist es erforderlich, dass die öffentliche Stelle, der eine Kompetenz übertragen wird, befugt ist, die Erfüllung der sich aus ihrer Kompetenz ergebenden Aufgaben zu organisieren und den diese Aufgaben betreffenden rechtlichen Rahmen zu schaffen. Weiter muss sie über eine finanzielle Unabhängigkeit verfügen, die es erlaubt, die Finanzierung dieser Aufgaben sicherzustellen“.25
Diese Voraussetzungen sind laut dem EuGH nicht erfüllt, wenn die ursprünglich zuständige Stelle die Hauptverantwortung für diese Aufgaben behält, sich die finanzielle Kontrolle über diese vorbehält oder den Entscheidungen, die die von ihr hinzugezogene Einrichtung treffen möchte, vorab zustimmen muss.26 Dabei betont der EuGH im Sinne einer Negativabgrenzung weiter, dass „keine Kompetenzübertragung vorliegen kann, wenn die neuerdings zuständige öffentliche Stelle von der betreffenden Befugnis nicht selbstständig und eigenverantwortlich Gebrauch macht“.27 21 EuGH, Rn. 43 unter Bezugnahme auf das EuGH Urteil vom 25. 03. 2010 – C- 451/08 „Helmut Müller“. 22 EuGH, Rn. 45. 23 EuGH, Rn. 46. 24 Schlussanträge des Generalanwalts Paolo Mengozzi vom 30. 06. 2016 – C-51/15. 25 EuGH, Rn. 49. 26 EuGH, Rn. 49. 27 EuGH, Rn. 51.
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7. Abgrenzung zum In-House-Geschäft Umgekehrt macht der EuGH in Übereinstimmung mit den Schlussanträgen des Generalanwalts deutlich, dass die erforderliche Handlungsfreiheit nicht bedeutet, „dass die neuerdings zuständige Einrichtung jeglicher Einflussnahme durch eine andere öffentliche Einrichtung entzogen sein müsste“. Vielmehr könne eine derartige Einrichtung „ein gewisses Überwachungsrecht“ für die mit dieser öffentlich-rechtlichen Dienstleistung verbundenen Aufgaben behalten. Jedoch sei grundsätzlich jede Einmischung in konkrete Modalitäten bei der Durchführung der Aufgaben ausgeschlossen, wohingegen es wiederum nicht erforderlich sei, dass eine Kompetenzübertragung unumkehrbar sein muss.28 Mit diesen Ausführungen zieht der EuGH eine klare rechtliche Trennlinie zu einer auch möglichen Vergaberechtsfreiheit bei der Beauftragung eines kommunalen Zweckverbands in Form eines In-House-Geschäfts. Bei diesem muss der öffentliche Auftraggeber aber „über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausüben“ (s. § 108 Abs. 1 Nr. 1 GWB). Demgegenüber beinhaltet die im vorliegenden Fall vom EuGH angenommene Kompetenzübertragung gerade das Gegenteil einer derartigen (Inhouse-)Kontrolle. 8. Zweckverband kann bei Kompetenzübertragung auf dem Markt tätig sein Folgerichtig stellt der EuGH heraus, dass es – anders als beim In-House-Geschäft und der vergaberechtsfreien horizontalen Kooperation – für die Vergaberechtsfreiheit einer vollständigen Kompetenzübertragung auf einen Zweckverband nicht darauf ankommt, ob und in welchem Umfang der Zweckverband neben seinen satzungsmäßigen Aufgaben auch auf dem Markt tätig ist. Damit erteilt der EuGH den von Remondis in Bezug genommenen Anforderungen an ein vergaberechtsfreies InHouse-Geschäft mit der dort vorausgesetzten Begrenzung marktbezogener Tätigkeiten auf maximal 20 Prozent des durchschnittlichen Gesamtumsatzes (s. § 108 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 7 GWB) bei stattgefundenen Kompetenzübertragungen eine Absage. Der EuGH betont vielmehr,29 dass die Frage, ob und in welchem Umfang öffentliche Einrichtungen bestimmte Tätigkeiten auf dem Markt ausüben können oder nicht, ebenso Teil der internen Organisation der Mitgliedstaaten ist und hierfür die Frage nach der Rechtsnatur der Übertragung unerheblich ist.
28 29
EuGH, Rn. 52 f. EuGH. Rn. 54.
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9. Stärkung kommunaler Daseinsvorsorge in der Abfallwirtschaft Das EuGH-Urteil stellt über den konkreten Fall der Aufgabenübertragung im Bereich der Abfallentsorgung auf einen Zweckverband eine klare Stärkung der rechtlichen Absicherung der kommunalen Selbstverwaltung und der kommunalen Daseinsvorsorge durch das EU-Gemeinschaftsrecht dar. Für die Akteure kommunaler Kompetenzübertragungen rückt nach dem Urteil neben den in § 108 GWB geregelten Ausnahmen vom Vergaberecht, also der In-House-Vergabe und der interkommunalen – horizontalen – Kooperation, eine rechtlich früher ansetzende Ausnahme in den Focus: Die vollständige Kompetenzübertragung öffentlicher Aufgaben auf neu gegründete Einrichtungen. Diese stellen unter den vom EuGH normierten Voraussetzungen erst gar keinen „öffentlichen Auftrag“ dar. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob der Zweckverband neben seinen ureigenen „kommunalen Aufgaben“ noch weitergehend auf dem Markt tätig ist. Daher sollten gerade Kommunen bei der Frage einer vergaberechtsfreien Ausgestaltung ihrer Kooperationen verstärkt Art. 4 Abs. 2 EUVund Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU in den Blick nehmen. Der EuGH hat dem OLG Celle zwar auf der Grundlage seiner Ausführungen die nähere Prüfung auferlegt, ob bei der Gründung und Beauftragung des Zweckverbandes RH die vom EuGH dargelegten Anforderungen an eine Kompetenzübertragung tatsächlich vorliegen. Im Sinne einer Prognose dürfte aber davon auszugehen sein, dass auf Basis der vom EuGH gemachten deutlichen Vorgaben an diesen Voraussetzungen keine Zweifel bestehen. Insoweit ist auch an die klaren Schlussanträge des Generalanwalts vom 30. Juni 201630 zu erinnern: Auch dieser sah in einer umfassenden kommunalen Übertragung von Aufgaben auf einen Zweckverband nach Maßgabe der von ihm bereits aufgestellten und vom EuGH übernommenen Voraussetzungen keinen vergaberechtspflichtigen Vorgang.
VII. Fazit Als Gesamtfazit der Grenzziehung zwischen Ausschreibungspflicht und Vergaberechtsfreiheit bei der kommunalen Zusammenarbeit in der Abfallwirtschaft lassen sich folgende Punkte herausheben: a) Die Abfallwirtschaft ist neben den hier nach wie vor mehrheitlich stattfindenden Ausschreibungen stark von kommunaler Eigenerbringung und von kommunalen Kooperationen geprägt. Neben In-House-Vergaben spielen dabei auch horizontale Kooperationen eine Rolle. b) Die erstmalige Kodifizierung der „Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit“ in § 108 GWB vom Vergaberecht ist gerade für den Bereich der Abfallwirtschaft von großer Bedeutung. 30
Schlussanträge des Generalanwalts Paolo Mengozzi vom 30. 06. 2016 – C-51/15.
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c) Die Festlegung des „Wesentlichkeitskriteriums“ auf 80 Prozent bedeutet für kommunale Eigenerbringungen im Bereich der Abfallwirtschaft ein Mehr an Vergaberechtsfreiheit. d) Im Sinne der Erweiterung horizontaler vergaberechtsfreier Kooperationen ist im Rechtstext des § 108 Abs. 6 GWB der Verzicht auf das noch im ersten Kommissionsvorschlag angesprochene Erfordernis einer „echten“ Zusammenarbeit erfolgt. Dies ist bei der Auslegung des Begriffs „kooperatives Konzept“ (s. hierzu ErwG 33 RL 3014/24/EU) zu berücksichtigen. e) Unklar bleiben die Anforderungen an die notwendigen Erfordernisse hinsichtlich der ausschließlichen „Überlegungen in Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse“ nach § 108 Abs. 6 Nr. 2 GWB. f) Der EuGH hat mit seiner Entscheidung vom 21. Dezember 2016 gerade im Bereich der Abfallentsorgung grundlegende Voraussetzungen einer Vergaberechtsfreiheit kommunaler Kooperationen aufgestellt und damit die kommunale Daseinsvorsorge gestärkt. Danach beinhalten vollständige Übertragungen kommunaler (Abfallentsorgungs-) Leistungen auf einen gemeinsam von mehreren Kommunen getragenen Zweckverband keinen öffentlichen Auftrag. Vielmehr handelt es sich hierbei um reine interne Organisationsakte der Kommunen.
Nachhaltige Energieversorgung in der kommunalen Selbstverwaltung Von Desiree Jung1
I. Ausgangslage Die Ausgaben für die öffentliche Beschaffung in Deutschland belaufen sich auf ca. E 480 Mrd. im Jahr, also ca. 19 % des Bruttoinlandsproduktes.2 Ein hoher Anteil der Beschaffungsvorgänge der öffentlichen Verwaltung in Deutschland hat insbesondere Relevanz für die sogenannten „grünen“ Zukunftsmärkte.3 Dies sind im Entstehen befindliche Märkte, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen (z. B. erneuerbaren Energien, Energiespeicherung oder Elektromobilität). Mit der konsequenten Verfolgung einer nachhaltigen Energieversorgung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung können insbesondere nachfolgende Ziele erreicht werden: a) Reduzierung von Emissionen, b) Steigerung der Energieeffizienz, c) Reduzierung des Energieverbrauches, d) Einsparung von Kosten, e) Erhöhung der Langlebigkeit der Produkte, f) Steigerung der Qualität der Produkte, g) Verbesserung des Ansehens in der Bevölkerung, h) Wahrnehmung einer Vorbildfunktion, i) Wahrnehmung von Verantwortung sowie j) Schaffung eines Marktes zwecks Förderung der Produktion.
1 Die Autorin ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht, Gründerin der Kanzlei Jung Rechtsanwälte in Frechen. 2 WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V. (Hrsg.), Gute Gründe für nachhaltige Beschaffung, 2015, 5. 3 Umweltbundesamt (Hrsg.), Neue EU-Richtlinien für das Vergaberecht beschlossen, 2014, 1.
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Desiree Jung
Insoweit ist die Umsetzung einer nachhaltigen Energieversorgung in der kommunalen Selbstverwaltung ein wichtiger Baustein zur Erreichung energie- und klimapolitischer Ziele („Strategie Europa 2020“).4 Allerdings werden die Potentiale einer nachhaltigen Beschaffung von Energieversorgungsleistungen im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung bislang nicht ausreichend bzw. kaum ausgeschöpft. Dies hat mit den für öffentliche Auftraggeber durchaus komplexen Vorschriften des Vergaberechts, den in der Verwaltung vorhandenen personellen Kapazitäten und der oftmals nicht in dem erforderlichen Maße vorhandenen Expertise bei den ausschreibenden Stellen zu tun.
II. Vergaberechtliche Vorgaben Zunächst ist festzuhalten, dass die Implementierung einer nachhaltigen Energieversorgung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung durch das Vergaberecht, insbesondere die Umsetzung der neuen europäischen Vorgaben im Rahmen der nationalen Vergaberechtsnovelle 2016, gestärkt wird. Im Rahmen der Vergaberechtsnovelle sind zum 18. 04. 2016 einige Neuerungen hierzu erfolgt. 1. Grundsatz der Vergabe Im Rahmen der Vergaberechtsnovelle 2016 wurde der § 97 Abs. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wie folgt gefasst: „Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt.“
Demnach hat nunmehr auch die Berücksichtigung strategischer Ziele (Qualität, Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte) im Rahmen der öffentlichen Beschaffung eine deutliche Aufwertung erfahren. Insoweit hat sich durch die gesetzliche Aufwertung auch der Streit in Literatur5 und Rechtsprechung6 zu den sogenannten „vergabefremden Kriterien“ erledigt. Allerdings eröffnet der Wortlaut des § 97 Abs. 3 GWB eine bereits geführte Diskussion, ob es sich hier um einen Anwendungszwang handelt oder lediglich die Möglichkeit des öffentlichen Auftraggebers zur Berücksichtigung von strategischen Zielen im Rahmen des Beschaffungsverfahrens eröffnet wird.7 4 Hierzu: https://ec.europa.eu/info/strategy/european-semester/framework/europe-2020-stra tegy_de, zuletzt zugegriffen am 15. 08. 2017. 5 Vgl. etwa Burgi, NZBau 2001, 64; Odendahl, EuZW 2004, 647; Ziekow, NZBau 2001, 72. 6 Vgl. EuGH, Urt. v. 17. 09. 2002 – C-513/99; OLG Jena, Beschl. v. 13. 10. 1999 – 6 Verg 1/ 99. 7 Noch, Vergaberecht kompakt, Köln 2017, Kapitel A, Rz. 163 ff.
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Aus dem Wortlaut der Norm kann man durchaus einen Anwendungszwang herauslesen („werden (= müssen) berücksichtigt“). Zieht man allerdings den Willen des europäischen Gesetzgebers unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien heran, war wohl vom europäischen Gesetzgeber bei entsprechender Auslegung die Einräumung einer zusätzlichen Option für die öffentlichen Auftraggeber beabsichtigt.8 Auch die damalige Bundesregierung hat sich im Rahmen einer Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission9 für die Stärkung der Möglichkeit der Einbeziehung strategischer Ziele in das Vergabeverfahren ausgesprochen.10 Unabhängig von der Diskussion, ob hier ein Anwendungszwang vorliegt oder nicht, ist ebenfalls zu beachten, dass – selbst im Falle eines grundsätzlichen Anwendungszwangs – die strategischen Ziele „nach Maßgabe“ des vierten Teils des GWB zu berücksichtigen sind. Insoweit kommt es insbesondere auch auf den Regelungsinhalt der weiteren, für die einzelnen Phasen des Vergabeverfahrens novellierten Vergabevorschriften des GWB und der Vergabeverordnung (VgV) an. 2. Eignungsprüfung Nach § 46 Abs. 3 Nr. 7 VgV „kann“ der öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Eignungsprüfung bei der Beschaffung von Dienst- oder Lieferleistungen als Beleg für die technische oder berufliche Leistungsfähigkeit eine Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen verlangen, die Unternehmen während der Auftragsausführung anwenden. Insoweit steht die Abfrage eines entsprechenden Beleges im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers und kann keinesfalls als Verpflichtung gesehen werden. Vor der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen seines Ermessens zur Festlegung eines entsprechenden Belegs der Eignung, stellt sich zunächst die Praxisfrage, was überhaupt unter Umweltmanagement zu verstehen ist. Umweltmanagement bedeutet, ein Management von betrieblichen und behördlichen Umweltschutzbelangen in der Unternehmensorganisation zur Sicherung einer nachhaltigen Umweltverträglichkeit der betrieblichen Produkte und Prozesse sowie der Verhaltensweisen der Mitarbeiter. Das in der Praxis bekannteste Umweltmanagementsystem, das auch als Beleg vorgelegt werden kann, ist z. B. EMAS (Eco-Management and Audit-Scheme, vgl. 8 Hierzu auch Wiedemann, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß (Hrsg.), GWB-Vergaberecht, § 97, Rz. 99 ff. 9 Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens – Wege zu einem effizienten europäischen Markt für öffentliche Aufträge v. 27. 01. 2011, KOM (2011) 15 endgültig. 10 Hierzu auch Drey, Behörden Spiegel 06/2011, 42.
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§ 49 Abs. 2 VgV). Hierbei handelt es sich um die höchste europäische Auszeichnung für betriebliches Umweltmanagement.11 Die in der Praxis bekannte Zertifizierung nach DIN EN ISO 14001 hingegen belegt nicht zwingend ein Umweltmanagement, sondern ist vielmehr ein Beleg für ein Qualitätsmanagement im Unternehmen. Dabei kann aber auch das Umweltmanagement als Teil des Qualitätsmanagements mit der Zertifizierung einhergehen.12 Insofern muss auch nachweislich der Beleg erfolgen, dass auch Umweltmanagementmaßnahmen im Unternehmen umgesetzt werden. In der Praxis der Energieversorgung ist die Abfrage entsprechender Belege keine Ausnahme. So kann z. B. die Prüfung der Einhaltung von Umweltmanagementmaßnahmen bei dem Betrieb von Energienetzen eine sinnvolle Abfrage im Rahmen der Eignung sein. Aber auch im Bereich der Beschaffung von energieeffizienten oder energieverbrauchsrelevanten Produkten kann ein entsprechender Nachweis über ein im Unternehmen vorhandenes Umweltmanagement im Rahmen der Eignungsprüfung sinnvoll sein, um zu belegen, dass nicht nur das Endprodukt umweltverträglich ist, sondern auch der Produktionsprozess. 3. Besondere Ausführungsbedingungen Nach § 128 Abs. 2 GWB „können“ öffentliche Auftraggeber strategische Ziele als besondere Ausführungsbedingungen festlegen. Auch hier liegt die Entscheidung zur Festlegung der strategischen Ziele als besondere Ausführungsbedingungen im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers. Die besonderen Ausführungsbedingungen können insbesondere wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange oder den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen umfassen (vgl. § 128 Abs. 2 Satz 3 GWB). Grenze der Gestaltungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers ist der Auftragsbezug (vgl. § 127 Abs. 3 GWB). So könnte der öffentliche Auftraggeber z. B. für die Umsetzung von Aufgaben im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge (Wasserbetriebsführung, Abfallentsorgung, Betrieb von Strom- und Gasnetzen) verlangen, dass bezüglich des für die Aufgabe vorgehaltenen Fuhrparks Maßnahmen zur Reduzierung von Schadstoffausstößen eingeführt werden oder im Bereich der Straßenbeleuchtung energieeffiziente Beleuchtung eingesetzt wird. In der Gestaltung der Form der besonderen Ausführungsbedingungen (z. B. als Eigenerklärung, Verpflichtungserklärung oder besondere Vertragsbedingung) ist der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich frei. Allerdings ist in die Überlegungen 11
Werner, in: Goede/Stoye/Stolz (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts, Köln 2017, Kapitel 9, Rz. 166. 12 Werner, in: Goede/Stoye/Stolz (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts, Köln 2017, Kapitel 9, Rz. 167 ff.
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zur Ausgestaltung einzubeziehen, ob zwingende oder fakultative Ausführungsbedingungen festgelegt werden sollen. Soweit zwingende Vorgaben gemacht werden, führt deren Nichterfüllung zum Ausschluss aus dem Verfahren.13 4. Zwingende Ausführungsbedingungen Zwingende Ausführungsbedingungen, die verbindlich vorgegeben werden, können nur aufgrund eines Bundes- oder Landesgesetzes festgelegt werden (vgl. § 129 GWB). Hiervon hat z. B. der nordrhein-westfälische Gesetzgeber Gebrauch gemacht und ab einer Wertgrenze von E 5.000,00 netto die Geltung von § 6 (Berücksichtigung von Aspekten des Umweltschutzes und der Energieeffizienz) und § 7 (Beachtung von Mindestanforderungen der Internationalen Arbeitsorganisation an die Arbeitsbedingungen) im Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG NRW) festgelegt. Diese sind bei der Gestaltung von Vergabeverfahren ab einem Wert von E 5.000,00 netto durch alle öffentlichen Auftraggeber in Nordrhein-Westfalen zwingend zu berücksichtigen.14 5. Nachweisführung durch Gütezeichen Als Beleg für in der Leistungsbeschreibung geforderte Merkmale „kann“ der öffentliche Auftraggeber die Vorlage von Gütezeichen verlangen (§ 34 Abs. 1 VgV). Auch hier wird das Verlangen nach einem Beleg in Form eines Gütezeichens in das Ermessen des Auftraggebers gestellt. § 34 VgV dient insbesondere der Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache „MAX HAVELAAR“.15 Das Gütezeichen muss dabei insbesondere die weiteren Anforderungen des § 34 VgV bei der Abfrage von Gütezeichen beachten. Hier stellt sich für den öffentlichen Auftraggeber die Schwierigkeit der Einordnung des Gütezeichens unter den § 34 Abs. 2 VgV. Die Beurteilung, inwieweit ein Gütezeichen den geforderten Bedingungen genügt, wird dem öffentlichen Auftraggeber ohne weitere Nachforschung oder Einholung von Expertise kaum möglich sein. In der Praxis bekannte Gütezeichen, die zum Einsatz kommen, sind z. B. das Gütezeichen Blauer Engel oder das EU Ecolabel. 6. Zuschlagskriterien Nach § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Zur Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebotes „können“ im Rah13
Wiedemann, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß (Hrsg.), GWB-Vergaberecht, § 128, Rz. 20 ff. Hierzu auch Diercks-Oppler, in: Goede/Stoye/Stolz (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts, Köln 2017, Kapitel 6, Rz. 32 ff. 15 EuGH, Urt. v. 10. 05. 2012 – C-368/10. 14
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men der Zuschlagskriterien auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden (vgl. § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB). Auch bei den Zuschlagskriterien wird die Einbindung strategischer Ziele in das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers gestellt. Auch hier ist gemäß § 127 Abs. 3 Satz 1 GWB die Verbindung des Zuschlagskriteriums zum Auftrag erforderlich. Es wird aber nunmehr in § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB klargestellt, dass diese Verbindung auch dann anzunehmen ist, wenn sich das Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken. Insoweit ist auch nur ein mittelbarer Auftragsbezug zulässig. Dies führt zu einer deutlichen Ausweitung des Ermessens des öffentlichen Auftraggebers bei der Festlegung von Zuschlagskriterien bezogen auf strategische Ziele. Für eine nachhaltige Energieversorgung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung sind z. B. nachfolgende Zuschlagskriterien denkbar: a) Energieverbrauch des Produktes, b) Lebenszykluskostenbetrachtung, c) Nutzungsdauer, d) Energieeinsparung über die Vertragslaufzeit und e) umweltschonende Produktionsprozesse/-methoden.
III. Bedeutung für die Praxis 1. Stellschraube: Bedarfsplanung Die Erreichung des Ziels einer nachhaltigen Energieversorgung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung bindet kommunale Ressourcen, da bereits bei der Bedarfsplanung eine intensive Auseinandersetzung mit möglichen Nachhaltigkeitspotentialen erforderlich ist. Der öffentliche Auftraggeber muss zunächst identifizieren, ob er ein Produkt aus dem Bereich der Energieversorgung möchte, das im Rahmen einer nachhaltigen Beschaffungsstrategie erworben werden kann. Dies sind z. B.: a) Leuchtmittel, b) Bürogeräte (bspw. Computer, Drucker), c) Küchengeräte (bspw. Kühlschränke, Spülmaschinen), d) Fahrzeuge und e) Energie zum Betrieb der Verwaltungsinfrastruktur (z. B. Strom, Gas, Wärme).
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Aber nicht nur die Identifikation der Zugänglichkeit eines Produktes für eine nachhaltige Beschaffungspraxis ist erforderlich. Auch eine Vorstellung wie im Zusammenhang mit diesem Produkt eine nachhaltige Beschaffung erfolgen kann, muss vorhanden sein oder erworben werden. So stellen sich z. B. nachfolgende Fragen im Rahmen der Bedarfsplanung: a) Gibt es Alternativen zum Produkt, z. B. Recyclingprodukte, Mehrwegprodukte? b) Wie sehen die Lebenszykluskosten aus? c) Kann bei der Lieferung Verpackungsmaterial eingespart werden? d) Lassen sich weitere umweltschädliche Stoffe oder Emissionen vermeiden?
2. Praxisbeispiel Straßenbeleuchtung Am Praxisbeispiel der Straßenbeleuchtung lassen sich einzelne Punkte bei der Planung einer nachhaltigen Beschaffung gut veranschaulichen. Hier können z. B. vom öffentlichen Auftraggeber bestimmte Voraussetzungen an die Beschaffenheit der Leuchtmittel gestellt und diesbezüglich eine Nachweisführung durch Gütezeichen verlangt werden. Das Gütezeichen Blauer Engel belegt für Leuchtmittel z. B.: a) hohe Energieeffizienz; mind. A+, b) gute Farbwiedergabe, c) hohen Lichtstromgehalt, d) hohe Schaltfestigkeit, e) geringe UV-Strahlung und elektromagnetische Felder, f) geringe Abweichung der Farbtemperatur und Lichtfarbe und g) Quecksilberfreiheit.16 In der Praxis können auch Gütezeichen, die den Vorgaben nach § 34 Abs. 2 VgV entsprechen, für den öffentlichen Auftraggeber eine Möglichkeit darstellen, Leistungsanforderungen an ein Produkt zu definieren. Der öffentliche Auftraggeber kann z. B. bei der Beschaffung der Energie für den Betrieb der Straßenbeleuchtung als besondere Ausführungsbedingung festlegen, dass die Straßenbeleuchtung anstatt mit Strom aus konventionellen Energiequellen mit Ökostrom betrieben wird. Der Einsatz von Ökostrom kann aber auch als Zuschlagskriterium Eingang in das Vergabeverfahren finden. Des Weiteren ist es denkbar, dass der Einsatz von Ökostrom seitens des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen eines Nebenangebotes abgefragt wird, wobei sich der öffentliche Auftraggeber 16 https://www.blauer-engel.de/de/produktwelt/haushalt-wohnen/lampen, zuletzt zugegriffen am 15. 08. 2017.
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vorher konkret überlegen und den Bietern mitteilen muss, in welchen Fällen er auf das Nebenangebot zurückgreifen wird und wann nicht. Insoweit kommt etwa die Festlegung eines prozentualen Mehrkostenanteils gegenüber dem besten Angebot mit Strom aus konventionellen Energiequellen in Betracht. Des Weiteren ist im Bereich der Straßenbeleuchtung der Einsatz von modernen Fernsteuerungssystemen möglich, die zwar in der Anschaffung sicherlich höhere Kosten produzieren, aber über die Nutzungsdauer durch Energieeinsparungen erhebliche Kostensenkungspotentiale bieten. Diese Einsparpotentiale können ebenfalls über die Zuschlagskriterien Eingang in die Angebotswertung finden.
IV. Fazit Durch das hohe Volumen der öffentlichen Beschaffungen in Deutschland liegt hier auch ein großes Potential für die Umsetzung und Erreichung energie- und klimapolitischer Ziele durch eine konsequente nachhaltige Beschaffungspraxis im Bereich der Energieversorgung der kommunalen Selbstverwaltung. Das Vergaberecht hat dieses Ziel im Rahmen der Reform deutlich aufgewertet, letztendlich aber die Einbeziehung dieser strategischen Ziele im Rahmen einzelner Verfahrensstadien der jeweiligen Beschaffung in das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers gestellt. Vereinzelnd gehen landesrechtliche Vorschriften darüber hinaus und legen Mindeststandards fest, z. B. das TVgG NRW. Insoweit obliegt es dem jeweiligen öffentlichen Auftraggeber eine nachhaltige Beschaffungspraxis im Bereich der kommunalen Energieversorgung zu etablieren. Oftmals scheitert es aber an den Kapazitäten oder der erforderlichen Expertise, um Prozesse einer nachhaltigen Beschaffung einzuführen und umzusetzen. Hier muss dann insbesondere auf externe Fachexpertise zugegriffen werden. Dabei stellt sich auch die Frage, ob die Einbindung externer Expertise bei einzelnen Beschaffungen noch wirtschaftlich sein kann. Dies hängt sicherlich auch vom Volumen des jeweiligen Auftrages ab. Insoweit muss auch mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit eines Beschaffungsvorgangs abgewogen werden, ob sich bei erforderlicher Einbindung externer Expertise eine nachhaltige Beschaffung finanziell noch lohnt. Dies ist dann sicherlich eine strategische bzw. politische Entscheidung. Die Gesetzesgrundlage für eine nachhaltige Beschaffung hat sich seit der Vergaberechtsnovellierung 2016 für den öffentlichen Auftraggeber im Ergebnis verbessert. Allerdings bedarf es weiterer standardisierter Prozesse der nachhaltigen Beschaffung in der Praxis und eines erhöhten freizugänglichen Austausches dieser Prozesse, damit auch öffentliche Auftraggeber, die auch der Wirtschaftlichkeit eines Beschaffungsprozesses Beachtung schenken müssen, eine nachhaltige Beschaffungspraxis etablieren können.
IV. Innovative Gestaltung des Vergabeverfahrens
Die Innovationspartnerschaft als neuer Hoffnungsträger? Von Annette Rosenkötter1 und Antonia Daszenies2
I. Einleitung Innovation soll neue Ideen, Strategien, Produkte und Verfahren hervorbringen und so zur Optimierung der Wirtschaftlichkeit der Bedarfsdeckung führen. Im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierung wurde mit der Innovationspartnerschaft ein neues Vergabeverfahren, welches die Innovationsförderung betont und durch das die öffentliche Hand als Motor der Innovation auftreten soll, eingeführt. Zugleich stellt die Innovationspartnerschaft einen zentralen Aspekt der Europe 2020-Strategie dar. Die neue Innovationspartnerschaft verbindet die Suche nach neuen, innovativen Ideen und Leistungen mit der Möglichkeit im Nachgang zur erfolgten Entwicklung, die Umsetzungsleistung ohne neues Vergabeverfahren an den Innovationspartner zu vergeben. Damit soll der bisherigen Problematik, die sich im Rahmen von Entwicklungsprojekten herausgestellt hatte, nämlich dass zum einen Bieter befürchteten, durch die Teilnahme an einem Entwicklungsprojekt ihre Chancen, den lukrativen Lieferauftrag aufgrund der Projektantenproblematik nicht zu erhalten und zum anderen, andere Marktteilnehmer den Wissensvorsprung des Entwicklers befürchteten, begegnet werden.3 Regelungen zur Innovationspartnerschaft finden sich in § 119 Abs. 7 GWB sowie Voraussetzungen und Verfahrensregelungen in den einzelnen Verordnungen (§ 19 VgV, § 18 SektVO, §§ 3 Nr. 5, 3a Abs. 5, 3b Abs. 5 EUVOB/A).
1 Die Autorin Dr. Annette Rosenkötter ist Fachanwältin für Vergaberecht und Verwaltungsrecht bei der Rechtsanwaltskanzlei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt. Frau Antonia Daszenies ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für öffentliches Recht der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld. 2 Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaften, Lehrstuhl Hellermann. 3 Vgl. Arrowsmith, The Law of Public Procurement, Vol. 1, 9 – 126.
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II. Verfahren Die Innovationspartnerschaft ist als zweistufiges Verfahren aufgebaut. Nach einem Teilnahmewettbewerb verhandelt der öffentliche Auftraggeber in mehreren Phasen mit den ausgewählten Unternehmen über die Erst- und Folgeangebote und kann im Anschluss daran die Umsetzungsleistung ohne weiteres Vergabeverfahren beauftragen. 1. Verfahrensauswahl Dem formalen Vergabeverfahren vorangestellt ist zunächst die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über das richtige Vergabeverfahren. Für die Innovationspartnerschaft legen § 19 Abs. 2 S. 2 u. S. 3 VgV, § 18 Abs. 1 S. 2 u. S. 3 SektVO, §§ 3 Nr. 5, 3a Abs. 5, 3b Abs. 5 EU-VOB/A (Art. 31 Abs. 2 Richtlinie 2014/24/EU) fest, dass der öffentliche Auftraggeber in den Auftragsunterlagen die Nachfrage nach einem innovativen Produkt bzw. innovativen Dienstleistungen oder Bauleistungen angibt, die nicht durch den Erwerb von bereits auf dem Markt verfügbaren Produkten, Dienstleistungen oder Bauleistungen befriedigt werden kann. Nur bei Vorliegen der definierten Voraussetzungen ist die Innovationspartnerschaft zulässig. Zwei Fragen ergeben sich im Hinblick auf diese Voraussetzungen: Zum einen stellt sich die Frage, ob das Vorliegen der oben benannten Voraussetzungen zu einer Pflicht des öffentlichen Auftraggebers die Innovationspartnerschaft zu wählen führt oder ob er zwischen mehreren zulässigen Verfahrensarten wählen darf.4 Denkbar ist durchaus, dass Sachverhalte, die die Entscheidung für die Durchführung einer Innovationspartnerschaft zulassen, grundsätzlich auch die Durchführung eines Wettbewerblichen Dialogs oder eines normalen Verhandlungsverfahrens erlauben würden.5 In solchen Fällen, in denen grundsätzlich unterschiedliche Vergabeverfahren zulässig wären, besteht ein Ermessen des Auftraggebers.6 Dieses wird maßgeblich dadurch beeinflusst, wie marktfern der Bedarf des öffentlichen Auftraggebers zu qualifizieren ist. Sofern eine ergebnisoffene Entwicklung im Raum steht, erscheint nur die Innovationspartnerschaft als sachgerechtes Verfahren.7 In Fällen, in denen gegenwärtig noch nicht die zur Bedarfsdeckung nötigen Produkte auf dem Markt vorhanden sind, diese aber unter Umständen durch Anpassungen/Fortent-
4 So auch Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (197); Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (745). 5 Vgl. für die Abgrenzungsproblematik der unterschiedlichen Verfahren: Fehling, NZBau 2012, 673 (676 ff.); Badenhausen-Fähnle, a.a.O. (745). 6 Rosenkötter, a.a.O. (198). 7 So auch Rosenkötter, a.a.O. (198); Püstow/Meiners, NZBau 2016, 406 (412); Fehling, a.a.O. (676 ff.).
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wicklungen vorhandener Produkte erzeugt werden können, wäre auch ein Wettbewerblicher Dialog denkbar.8 Zum anderen stellt sich die Frage, wie ein durchschnittlicher Auftraggeber nachweisen soll, dass die bei ihm bestehende Nachfrage nicht durch bereits am Markt verfügbare Produkte, Dienstleistungen oder Bauleistungen befriedigt werden kann.9 Für eine solche Einschätzung notwendig sind erhebliche branchenspezifische Fachkenntnisse und ein umfassender Marktüberblick. Verkennt der Auftraggeber die Marktsituation und wählt als Vergabeverfahren die Innovationspartnerschaft, hat dies gravierende Folgen. Zum einen wird ein Anbieter, der ein solches Produkt verfügbar hat, schwerlich in der vorgesehenen Vertragsstruktur einer Innovationspartnerschaft abgebildet werden können, da in dieser Konstellation die Entwicklungsphase obsolet wäre.10 Zum anderen handelt es sich dann um einen Fall der falschen Vergabeart mit den entsprechenden Folgen.11 Im Ergebnis spricht vieles dafür, dass die Innovationspartnerschaft eher für echte Erfindungen als für Optimierung und Adaptierung von grundsätzlich vorhandenen Lösungsansätzen geeignet ist.12 2. Verfahrensablauf Obwohl die Innovationspartnerschaft ausdrücklich als separates Verfahren eingeführt wurde, ergibt sich aus Erwägungsgrund 49 der Richtlinie 2014/24/EU sowie aus § 119 Abs. 7 GWB, § 19 VgV, § 18 SektVO, § 3 b Abs. 5 EU-VOB/A, dass die Innovationspartnerschaft auf den Verfahrensregeln basieren soll, die auf Verhandlungsverfahren mit Bekanntmachung anzuwenden sind. Ein Unterschied zu den Verfahrensregeln des Verhandlungsverfahrens mit Bekanntmachung besteht jedoch darin, dass bei der Innovationspartnerschaft die ausdrückliche Anforderung eines einheitlichen Einreichungstermins für das finale Angebot fehlt. Ausdrücklich geregelt ist, dass eine Innovationspartnerschaft entweder mit einem oder mit mehreren Partnern eingegangen werden kann. In der zweiteren Konstellation muss jeder Partner unabhängige Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten wahrnehmen. a) Bekanntmachung Das Verfahren der Innovationspartnerschaft beginnt mit der Bekanntmachung, in der gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 u. S. 3 VgV, § 18 Abs. 1 S. 2 u. S. 3 SektVO, §§ 3 Nr. 5, 3a Abs. 5, 3b Abs. 5 EU-VOB/A (Art. 31 Abs. 1, 2. UA RL 2014/24/EU) zum Ausdruck 8
Anders Badenhausen-Fähnle, a.a.O. (745), die allein auf die Marktverfügbarkeit abstellt. So auch Rosenkötter, a.a.O. (198); Badenhausen-Fähnle, a.a.O. (747). 10 Rosenkötter, a.a.O. (198). 11 Badenhausen-Fähnle, a.a.O. (747). 12 So auch Rosenkötter, a.a.O. (198); Badenhausen-Fähnle, a.a.O. (746); Fehling, a.a.O. (676 f.); Püstow/Meiners, a.a.O. (412), Arrowsmith, a.a.O., 9 – 131. 9
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kommen muss, dass Gegenstand der Ausschreibung die Nachfrage nach einem innovativen Produkt bzw. einer Dienst- oder Bauleistung ist. Zusätzlich erforderlich sind Angaben darüber, welche Elemente der Beschreibung zwingend einzuhaltende Mindestanforderungen darstellen sowie präzise Angaben zu Art und Umfang der Leistung, die die Entscheidung ermöglichen müssen. Dem Wortlaut des Art. 31 RL 2014/24/EU zufolge, muss der Umstand, ob ein Vertragsschluss mit einem oder mehreren Partnern beabsichtigt wird, in den Auftragsunterlagen bekannt gegeben werden. Daraus könnte man schließen, dass hiermit die Aufforderung zur Angebotsabgabe gemeint ist. Der Begriff der Auftragsunterlagen wird in Art. 2 Nr. 13 RL 2014/24/EU umfassend und offen definiert und meint demnach, sämtliche Unterlagen, die vom öffentlichen Auftraggeber erstellt werden oder auf die er sich bezieht, um Bestandteile der Auftragsvergabe oder des Verfahrens zu beschreiben oder festzulegen. Demnach wäre auch eine Mitteilung erst in der Angebotsphase zulässig. Die Entscheidung des Auftraggebers, eine Partnerschaft nur mit einem oder mehreren Unternehmen eingehen zu wollen, ist maßgeblich für die Einschätzung der Geschäftschancen und Risiken. Sie sollte daher, obwohl der Wortlaut auch einen anderen Zeitpunkt zulassen würde, bereits in der Bekanntmachung mitgeteilt werden. In § 19 Abs. 7 S. 3 VgV, § 18 Abs. 7 S. 3 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 6 EU-VOB/A wird diese Möglichkeit im Zusammenhang mit der Erteilung des Zuschlags genannt, so dass sich die Frage, ob die Absicht eine Innovationspartnerschaft mit einem oder mehreren Innovationspartnern einzugehen, bereits in der Bekanntmachung mitgeteilt werden sollte, nicht in der Art. Allerdings ist dennoch aus den genannten Gründen eine Mitteilung darüber in der Bekanntmachung sinnvoll. b) Bewerberauswahl Auf die Bekanntmachung und die daraufhin eingegangenen Teilnahmeanträge folgt die Bewerberauswahl. Ausdrücklich regeln § 19 Abs. 1 S. 5 VgV, § 18 Abs. 1 S. 5 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 1 Eu-VOB/A (Art. 31 Abs. 6 RL 2014/24/ EU), dass die Auswahl der Bewerber insbesondere anhand von Kriterien erfolgen soll, die die Fähigkeit des Bewerbers auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung sowie die Ausarbeitung und Entwicklung neuer Lösungen betreffen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob der Auftraggeber auch bereits zu diesem Zeitpunkt Anforderungen hinsichtlich wirtschaftlicher und/oder technischer Leistungsfähigkeit für die Umsetzungsphase stellen kann. Da Innovationspotentiale auch gerade bei mittelständischen, kleineren Unternehmen und Start-Ups gesehen werden, bietet sich eine Handhabung der Problematik ähnlich wie bei Architektenwettbewerben an.13 Der öffentliche Auftraggeber könnte bereits in der Bekanntmachung die Eignungsanforderungen an die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit für die Umsetzungsphase fordern. Nachzuweisen wären diese allerdings erst vor der Entschei-
13
Vgl. hierzu Stolz, VergabeR 2013, 295 (298).
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dung über die Beauftragung mit den Umsetzungsleistungen (somit also vor dem Eintritt in eine weitere Projektphase).14 Damit wäre eine pragmatische Lösung geschaffen, der auch nicht der Wortlaut der § 19 Abs. 1 S. 5 VgV, § 18 Abs. 1 S. 5 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 1 EU-VOB/A (Art. 31 Abs. 6 RL 2017/24/EU) entgegensteht. c) Verhandlungen Hat der öffentliche Auftraggeber die Bewerberauswahl getroffen, geht das Verfahren in die Verhandlungsphase über. Ziel der Verhandlungsphase ist es, jenen Teilnehmer zu identifizieren, der im Hinblick auf den Gegenstand der Innovationspartnerschaft das beste Angebot machen kann. Bezüglich der Ausgestaltung der Verhandlungsphase gestehen § 19 VgV, § 18 SektVO, § 3 b Abs. 5 EU-VOB/A (Art. 31 RL 2014/24/EU) dem öffentlichen Auftraggeber einen großen Spielraum zu. Nicht verhandelbar sind Mindestinhalte und Zuschlagskriterien. Auch eine Verkleinerung des Bieterkreises anhand der Zuschlagskriterien ist möglich, sofern der Auftraggeber sich diese Möglichkeit in den Vergabeunterlagen vorbehalten hat. Allerdings ist in dieser Hinsicht zu beachten, dass Art. 66 RL 2014/ 24/EU eine Differenzierung zwischen Verhandlungsverfahren und wettbewerblichem Dialog sowie der Innovationspartnerschaft vornimmt. Für Verhandlungsverfahren und Wettbewerblichen Dialog wird festgesetzt, dass, sofern eine ausreichende Anzahl von Angeboten und Lösungen oder geeigneten Bewerbern vorliegt, in der Schlussphase noch so viele Angebote vorliegen müssen, dass ein echter Wettbewerb gewährleistet ist. Eine entsprechende Regelung für die Innovationspartnerschaft fehlt. Daraus wird einerseits abgeleitet, dass bei der Innovationspartnerschaft diese Voraussetzung nicht erfüllt sein müsse und der Auftraggeber mit seinem bevorzugten Bieter Endverhandlungen führen könne.15 Gründe hierfür sind allerdings nicht ersichtlich. Im Hinblick auf Entwicklungsleistung und anschließende Produktion ist es bei grundsätzlich vorhandener Wettbewerbssituation ohne weiteres möglich, bis zum Zuschlag ein Mindestmaß an Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Insbesondere ist dies von Bedeutung, wenn nach der späteren Vertragsstruktur mehrere Auftragnehmer möglich sein sollen.16 § 19 Abs. 5 S. 3 VgV, § 18 Abs. 5 S. 3 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 4 EU-VOB/A regeln gleichlautend mit RL 2014/24/EU, dass der Auftraggeber die Verhandlungen in verschiedenen aufeinanderfolgenden Phasen abwickeln kann, um so die Zahl der Angebote, über die verhandelt wird, anhand der vorgegebenen Zuschlagskriterien zu verringern, sofern er auf diese Möglichkeit in den Vergabeunterlagen oder in der Auftragsbekanntma14
Vgl. Rosenkötter, a.a.O. (199). Vgl. Püstow/Meiners, a.a.O. (407); Schaller, LKV 2017, 62 (63); Badenhausen-Fähnle, a.a.O. (200), die eine weitere Verringerung auch im Hinblick auf den besonderen Aufwand der Verfahrensteilnahme für möglich hält. 16 Vgl. Rosenkötter, a.a.O. (200). 15
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chung hingewiesen hat. Wie auch in Art. 66 RL 2014/24/EU wird auch in der VgV, SektVO und EU-VOB/A keine Regelung dahingehend getroffen, dass auch in der Schlussphase der Innovationspartnerschaft Wettbewerb gewährleistet sein müssen. Aus den oben genannten Gründen ist allerdings auch für den Anwendungsbereich der VgV, SektVO und EU-VOB/A anzunehmen, dass auch in der Schlussphase der Innovationspartnerschaft die Gewährleistung von Wettbewerb möglich und notwendig ist. Gleichlaufend mit den Regelungen für das Verhandlungsverfahren und den Wettbewerblichen Dialog enthalten auch § 19 Abs. 6 S. 5 u. S. 6 VgV, § 18 Abs. 6 S. 5 u. S. 6 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 5 EU-VOB/A (Art. 31 Abs. 4 RL 2014/24/EU) Regelungen bezüglich des Umgangs mit vertraulichen Informationen. Im Falle einer Innovationspartnerschaft mit mehreren Partnern darf der öffentliche Auftraggeber den anderen Partnern keine vorgeschlagenen Lösungen oder andere im Rahmen der Partnerschaft mitgeteilten vertraulichen Informationen ohne Zustimmung offen legen. Diese Zustimmung kann nur bezüglich einer konkret beabsichtigten, nicht aber in Form einer pauschalen Freigabe der Informationsweitergabe durch die Innovationspartner erteilt werden. Auch für die Durchführung der Partnerschaft nach Vertragsschluss gelten bezüglich der Weitergabe vertraulicher Informationen dieselben Regelungen. § 19 Abs. 6 S. 7 VgV, § 18 Abs. 6 S. 7 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 5 EU-VOB/A (Art. 31 Abs. 6, 2. UA RL 2014/24/EU) legen fest, dass in den Vergabeunterlagen Regelungen für die Rechte des geistigen Eigentums festgelegt werden müssen. Gerade im Bereich des geistigen Eigentums bedarf es differenzierter Vereinbarungen, so dass die Vorschrift nur dahingehend verstanden werden sollte, dass der Auftraggeber verpflichtet ist, in den Vergabeunterlagen festzuschreiben, in welcher Form sich mit Regelungen zum geistigen Eigentum auseinandergesetzt wird.17 d) Vertragsdurchführungsphase Die Verhandlungsphase kann mit der Eingehung einer Innovationspartnerschaft mit einem oder mit mehreren Partnern enden. In beiden Fällen sind in der Ausschreibung Zwischenziele sowie Zahlung der Vergütung in Tranchen vorzusehen. Anders als in anderen Vergabeverfahren wird dem öffentlichen Auftraggeber bezüglich der Beendigung der Innovationspartnerschaft und der Reduzierung der Partner größere Flexibilität eingeräumt. So kann der öffentliche Auftraggeber auf Basis der Ziele die Entscheidung über die Beendigung der Innovationspartnerschaft am Ende jeder Phase treffen. Dabei steht die Entscheidung allerdings nicht im freien Ermessen des Auftraggebers. Beenden kann er die Innovationspartnerschaft nur dann, wenn die zuvor festgelegten Ziele nicht erreicht wurden. Die Herausforderung besteht für den öffentlichen Auf17
Vgl. Rosenkötter, a.a.O. (200).
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traggeber darin, ausreichend offene und zugleich angemessene Formulierungen der Ziele zu finden, um einerseits klare Anforderungen zu schaffen und gleichzeitig sich nicht der Möglichkeit der Beendigung der Innovationspartnerschaft am Ende einer Phase zu beschneiden. Reduzieren kann der öffentliche Auftraggeber die Anzahl der Innovationspartner durch Kündigung der einzelnen Verträge am Ende einer Phase, sofern er in den Auftragsunterlagen auf diese Möglichkeit hingewiesen und klargestellt hat, unter welchen Bedingungen von dieser Kündigungsmöglichkeit gebraucht gemacht wird. Hat er einen Hinweis auf die Möglichkeit der Beendigung der Innovationspartnerschaft am Ende einer Phase unterlassen, ist keine Reduzierung der Innovationspartner möglich. Es verbleibt dem öffentlichen Auftraggeber dann jedoch die Möglichkeit auf die gesetzlichen Kündigungsregelungen zurückzugreifen, verbunden mit der Gefahr sich eventuellen Schadensersatzansprüchen auszusetzen.
III. Herausforderungen des neuen Verfahrens Mit der Einführung der Innovationspartnerschaft als zusätzlichem Vergabeverfahren hat der Richtliniengeber ein zweistufiges Verfahren geschaffen, das neben der Entwicklung noch nicht auf dem Markt vorhandener Produkte und Leistungen auch den Erwerb der Umsetzungsleistung ohne weitere Ausschreibung erlaubt. Neu ist diese Vorgehensweise nicht. Durch die rechtliche Verankerung hat der Richtliniengeber aber Rechtssicherheit geschaffen. Gleichzeitig weist das neue Verfahren einige Herausforderungen auf, die näher beleuchtet werden müssen. 1. Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit in der Lieferphase Fraglich ist zunächst, wie in der Lieferphase die Wirtschaftlichkeit der Leistung sichergestellt werden soll, denn die Planung der zu erbringenden Leistung erfolgt erst nach Vertragsschluss in der Entwicklungsphase. Theoretisch soll nach § 19 Abs. 10 VgV, § 18 Abs. 10 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 9 EU-VOB/A die Wirtschaftlichkeit sichergestellt werden, indem der öffentliche Auftraggeber nur zum anschließenden Erwerb der innovativen Liefer- oder Dienstleistung verpflichtet wird, wenn das bei Eingehung der Innovationspartnerschaft festgelegte Leistungsniveau und die Kostenobergrenze eingehalten werden. Je innovativer allerdings die Leistung, desto weniger Kostensicherheit hat der Auftraggeber. Auch in solchen Fällen muss es dem Auftraggeber erlaubt sein, in die nächste Phase einzutreten, obwohl die Kostenobergrenze überschritten wird.18
18
Vgl. Püstow/Meiners, a.a.O. (410).
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Eine Ergänzung dieser Regelung ist durch Anreizsysteme denkbar. So kann der öffentliche Auftraggeber beispielsweise Zielpreisvereinbarungen abschließen.19 Ist der öffentliche Auftraggeber eine Innovationspartnerschaft mit mehreren Partnern eingegangen, stellt sich dies in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit der Entwicklungsleistung vorzugswürdig dar. Denn hier kann der öffentliche Auftraggeber die Wirtschaftlichkeit anhand der für die von den Innovationspartnern bepreisten Entwicklungsleistungen beurteilen. Allerdings folgt aus der Tatsache, dass jeder Innovationspartner selbstständig und unabhängig Entwicklungsleistungen erbringt, auch, dass der öffentliche Auftraggeber jede dieser Entwicklungsleistungen jeweils einzeln und somit die Entwicklungsleistungen mehrfach vergütet. 2. Vereinbarkeit mit beihilferechtlichen Regelungen In beihilferechtlicher Hinsicht eröffnet sich die Frage des Verhältnisses der Innovationspartnerschaft zu dem bestehenden unionsrechtlichen Rahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, 2014/C 198/01. Eine verbotene Beihilfe liegt demnach nicht vor, wenn der für die einschlägigen Dienstleistungen gezahlte Preis vollständig dem Marktwert des von dem öffentlichen Auftraggeber erzielten Nutzens und den Risiken der beteiligten Anbieter entspricht. Dies wird insbesondere angenommen, wenn die öffentliche Vergabe im Wege eines offenen Ausschreibungsverfahrens im Einklang mit den geltenden Richtlinien durchgeführt wird und bei der Auftragsvergabe den beteiligten Anbietern bei der in kommerziellem Umfang erfolgenden Bereitstellung der Endprodukte oder der Enddienstleistungen für einen öffentlichen Auftraggeber in dem jeweiligen Mitgliedstaat keine Vorzugsbehandlung zuteil wird. Zweifelhaft ist zumindest eine reibungslose Subsumtion unter einen der Tatbestände, da die Innovationspartnerschaft weder nach den Regeln eines offenen Verfahrens durchgeführt wird und zudem dazu führt, dass das Ergebnis der Innovationspartnerschaft bevorzugt behandelt wird.20 Allerdings werden in Abschnitt 4 der AGVO bestimmte staatliche Beihilfemaßnahmen im Bereich der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt und von der Anmeldepflicht freigestellt. Sofern die durch die Innovationspartnerschaft zu beschaffende Leistung somit in den Anwendungsbereich des Abschnitts 4 der AGVO fällt und den dort aufgestellten Voraussetzungen entspricht, stellt dies von vornherein eine mit dem Binnenmarkt vereinbare und von der Anmeldepflicht freigestellte staatliche Beihilfe dar, so dass sich in solchen Fällen die Vereinbarkeit mit dem unionsrechtlichen Rahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, 2014/C 198/01 nicht stellen kann.
19
Ebd. Graells, Innovation Partnerships Under Reg. 31 Public Contracts Regulation 2015, http://www.howtocrackanut.com/blog/2015/04/innovation-partnerships-under-reg-31.html. 20
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3. Verortung der IP-Rechte Bezüglich der Verortung der IP-Rechte enthalten § 19 Abs. 6 S. 7 VgV, § 18 Abs. 6 S. 7 SektVO, § 3 b Abs. 5 Nr. 5 EU-VOB/A (Art. 31 Abs. 2 RL 2014/24/ EU) wie zuvor aufgezeigt eine neutrale Formulierung, die lediglich vorschreibt, dass der öffentliche Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen festlegen muss, in welcher Form sich mit IP-Rechten auseinandergesetzt wird. Zur Möglichkeit der Verteilung der IP-Rechte steht daher die Verortung des ausschließlichen Immaterialgüterrechts auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers, auf Seiten des Innovationspartners oder geteilte IP-Rechte zur Auswahl. Für gewöhnlich liegen die IP-Rechte bei dem Innovationspartner, während dem öffentlichen Auftraggeber das Recht das geistige Eigentum zu nutzen, übertragen wird.21 Für den öffentlichen Auftraggeber wünschenswert wäre ein ausschließliches IP-Recht. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass ein Innovationspartner bereit ist, dem öffentlichen Auftraggeber an einer von ihm erarbeiteten Innovation ein ausschließliches IP-Recht zu tragen. Selbst für den Fall, dass das IP-Recht ausschließlich bei dem Innovationspartner verbleibt, besteht das Risiko einer Auseinandersetzung, sofern die Innovationspartnerschaft frühzeitig beendet wird.22
IV. Fazit Sinnvoll und zur Erreichung der Ziele der Strategie 2020 nützlich, kann die Einführung der Innovationspartnerschaft nur dann sein, wenn der öffentliche Auftraggeber sie als Werkzeug für die Beschaffung innovativer Leistung anerkennt und verwendet.23 In Deutschland wurde sie bisher beispielsweise verwendet um Eisenbahnpersonenwagen, Dienstleistung von Architekturbüros oder IT-Dienste auszuschreiben. Ob die Innovationspartnerschaft tatsächlich vollwertig neben die anderen vier Vergabearten treten kann, wird sich in Zukunft zeigen. Aufgrund der erforderlichen Fach- und Marktkenntnis des öffentlichen Auftraggebers wird sie auf gut qualifizierte Beschaffungseinheiten limitiert bleiben, da die Gefahr und die damit verbundenen Kosten bei nicht hinreichender Fach- und Marktkenntnis ein falsches Vergabeverfahren gewählt zu haben, zu hoch sein werden. In einigen Bereichen, so beispielsweise bei der Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit in der Lieferphase, bedarf das neue Vergabeverfahren hilfreicher Klarstellung. Hat der öffentliche Auftraggeber allerdings die Innovationspartnerschaft als einschlägiges Verfahren zulässigerweise ausgewählt, so bietet sie die echte Chance innovative und effiziente Lösungen für Beschaffungsbedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers hervorzubringen. 21
So auch Bay, EPPRL 2014, 3 (10). Vgl. hierzu auch: Telles/Butler, Public Procurement Award Procedures in Directive 2014/24/EU in: Lichere/Carana/Treumer (Hg.): Novelties in the 2014 Directive on Public Procurement, Djof Publishing, 2013, 35. 23 So auch Telles/Butler, a.a.O., 25. 22
Autorenverzeichnis Ilse Beneke, Leiterin der Kompetenzstelle Nachhaltige Beschaffung, Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern, Bonn. Dr. habil. Anita Boros, Universitätsdozentin, Nationale Universität für den öffentlichen Dienst; zurzeit ihres Konferenzvortrags stellvertretende Staatssekretärin für Vermögenswirtschaft, die auch die Aufgaben des für die Vermögenspolitik verantwortlichen Staatssekretärs ausübt, Ministerium für nationale Entwicklung. Prof. Dr. Christian von Deimling, Geschäftsführer, Forschungszentrum für Recht und Management öffentlicher Beschaffung bei der Universität der Bundeswehr München, Neubiberg. Antonia Daszenies, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Lehrstuhl Prof. Dr. Hellermann. Prof. Dr. Michael Eßig, Universität der Bundeswehr München, Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften, Professur für Allgemeine BWL, ins. Materialwirtschaft und Distribution, Neubiberg. Dr. Andrea Gyulai-Schmidt, Universitätsdozentin am Lehrstuhl für Privatrecht an der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften der Katholischen Péter Pázmány Universität Budapest. Zurzeit der Konferenzveranstaltung Humboldt-Stipendiatin, Gastforscherin bei Herrn Professor Jan Ziekow am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung. Heide Rühle, ehem. Mitglied des Europäischen Parlaments, Europabüro Baden-Württemberg, Stuttgart. Dr. Desiree Jung, Fachanwältin für Vergaberecht, Rechtsanwälte Jung, Frechen. Dr. Christoph Krönke, Akademischer Rat a.Z., wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Lehrstuhl Prof. Dr. Martin Burgi. Norbert Portz, Beigeordneter, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Bonn. Dr. Annette Rosenkötter, Rechtsanwältin, FPS Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, Frankfurt. Markus Schaupp, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg. Dr. Dr. h. c. (NUM) Jan Ziekow, Universitätsprofessor, Dr., Direktor des Forschungsinstitus für öffentliche Verwaltung.