Mysterium Christi spiritualis praesentiae: Die Abendmahlslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin aus römisch-katholischer Perspektive 9783666569470, 9783525569474, 9783647569475


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Mysterium Christi spiritualis praesentiae: Die Abendmahlslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin aus römisch-katholischer Perspektive
 9783666569470, 9783525569474, 9783647569475

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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525569474 — ISBN E-Book: 9783647569475

Reformed Historical Theology

Edited by Herman J. Selderhuis in co-operation with Emidio Campi, Irene Dingel, Wim Janse, Elsie McKee, Richard Muller Volume 19

Vandenhoeck & Ruprecht

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Frank Ewerszumrode

Mysterium Christi spiritualis praesentiae Die Abendmahlslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin aus römisch-katholischer Perspektive

Vandenhoeck & Ruprecht

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Für meine Oma Maria Haurtmann und meine Mutter Ursula Ewerszumrode

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56947-4 ISBN 978-3-647-56947-5 (E-Book) Ó 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI BuchBücher.de, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hermeneutische Vorbemerkungen . . . . . . . 2. Literaturüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Evangelische Autoren . . . . . . . . . . . . 2.2 Katholische Autoren . . . . . . . . . . . . 2.3 Ökumenische Dokumente . . . . . . . . . 2.4 Der Fragehorizont dieser Arbeit . . . . . . 3. Die Auswahl der Quellen . . . . . . . . . . . . 4. Anmerkungen zur verwendeten Terminologie .

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I Die Abendmahlslehre Johannes Calvins . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Petit traict¦ de la saincte cene de nostre Seigneur Iesus Christ (1541) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der theologiegeschichtliche Hintergrund von 1520 bis 1541 . 1.2 Die (chronologisch) ersten Elemente der calvinischen Abendmahlslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Analyse des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Consensio mutua in re sacramentaria (1549) . . . . . . . . . 2.1 Die Abendmahlslehre Heinrich Bullingers . . . . . . . . . . 2.2 Luthers Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament (1544) und das Zürcher Bekenntnis von 1545 . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Korrespondenz zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin vor dem Abschluss der Consensio mutua . . 2.4 Die Consensio mutua in re sacramentaria (1549) . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Institutio Christianae Religionis (1559) . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Streit um das Abendmahl zwischen Joachim Westphal und Johannes Calvin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Ort der Abendmahlslehre in der Institutio . . . . . . . . 3.3 Die Analyse des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ergebnisse der historischen Analysen . . . . . . . . . . . . .

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II Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre aus römisch-katholischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Fragen zur allgemeinen Sakramentenlehre . . . . . . . . . . . . . 205 2. Die Gegenwart von Christi Leib und Blut . . . . . . . . . . . . . 220

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Inhalt

3. Die somatische Realpräsenz und die Transsubstantiationslehre 3.1 Die somatische Realpräsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die conversio der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Transsubstantiationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Christologische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Bedeutung des Glaubens im eucharistischen Geschehen . . 6. Abschließende kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . 1. Abkürzungsverzeichnis 2. Calvinische Quellen . . 3. Weitere Quellen . . . . 4. Sekundärliteratur . . .

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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde Ende 2010 abgeschlossen. Später erschienene Literatur konnte deshalb nur noch teilweise berücksichtigt werden. Die Katholisch-Theologische Fakultät der Johannes Gutenbger-Universität Mainz hat die Arbeit im Sommersemester 2011 als Dissertation angenommen. Dafür danke ich der Fakultät unter der Leitung von Dekan Prof. Dr. Thomas Hieke. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Leonhard Hell, der meine Arbeit interessiert und aufmerksam betreut hat. Danken möchte ich ihm besonders für die Diskussionen über schwierige Fragen im Kontext meiner Arbeit, die Hinweise auf wichtige Literatur und die schnellen und gründlichen Korrekturen der Textentwürfe auch dann, wenn es zeitlich sehr knapp war. Eine solche Begleitung verdient große Beachtung. Danken möchte ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Johannes Meier. Dank möchte ich den beiden Provinziälen der Dominikanerprovinz Teutonia aussprechen, in deren Amtszeit ich diese Arbeit verfasst habe. Dank gilt P. Hans-Albert Gunk OP, der mich gleich nach der Einfachen Profess promovieren ließ. Auch bei P. Dr. Johannes Bunnenberg OP möchte ich mich bedanken, der mir die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt und mir den Auslandsaufenthalt in Toronto ermöglicht hat, wodurch diese Arbeit sehr gefördert worden ist. Bedanken möchte ich mich bei den Mitbrüdern des Mainzer Konventes St. Bonifaz unter dem Prior P. Josef kleine Bornhorst OP. Sie haben Verständnis dafür gezeigt, dass im Rahmen einer Promotion Fahrten zu Tagungen wichtig sind und dass darunter bisweilen die Mithilfe im Konvent leidet. Auch haben sie so manche Diskussion über Calvin und Eucharistie „ertragen“, wofür ich nochmals ausdrücklich danken möchte. Mein besonderer Dank gilt P. FranÅois Mifsud OP aus Toronto, der mich immer wieder ermutigt und durch die vielen Diskussionen vorangebracht hat. Eine Arbeit, die sich nicht nur mit einer konfessionellen Tradition beschäftigt, ist ohne Hilfe von Kolleginnen und Kollegen, auch aus anderen christlichen Konfessionen, unmöglich. Zuerst möchte ich mich auf der katholischen Seite bei Dr. Benjamin Dahlke bedanken, der mit seinen Rückfragen und Korrekturen mich zu wichtigen Erkenntnissen geführt hat. Weiter gilt mein Dank Prof. Dr. Eva-Maria Faber in Chur, die mir als katholische Calvinexpertin immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch Prof. Dr. Dorothea Sattler gilt mein Dank, die mich durch ihre Einführung in die ökumenische Theologie zu dieser Arbeit ermutigt hat. Auf reformierter Seite gilt mein Dank vor allem Prof. Dr. Herman Sel-

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Vorwort

derhuis aus Apeldoorn, der mich fachlich gefördert und es ermöglicht hat, dass diese Arbeit in der Reihe Historical Reformed Theology erscheinen kann. Viel Dank sei ihm dafür ausgesprochen. Dank gilt auch Prof. Dr. Andreas Mühling, der diese Arbeit für den Caspar-Olevian-Preis 2011 vorgeschlagen hat. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Athina Lexutt, die mir aus lutherischer Perspektive wichtige Fragen gestellt und gute Anregungen gegeben hat. Nicht vergessen werden dürfen meine Korrekturleser fr. Gregor Naumann OP und Michael Lenhard. Herzlicher Dank gilt den beiden, die sich durch das Manuskript gearbeitet und mir dadurch einen wertvollen Dienst geleistet haben. Zuguterletzt gilt mein Dank meiner Großmutter Maria Haurtmann, die mich in Kindertagen das Lernen gelehrt hat, und meiner Mutter Ursula Ewerszumrode, die mich immer unterstützt hat. Diesen beiden wichtigen und lieben Menschen sei daher diese Arbeit gewidmet. Mainz, am Fest Pauli Bekehrung 2012 Frank Ewerszumrode OP

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Einleitung Auf dem Religionsgespräch zu Poissy im Herbst 1561, auf dem Katholiken und Reformierte die strittigen Punkte ihrer Lehren diskutierten, stellte der humanistisch inspirierte, katholische und um Verständigung mit den Reformierten bemühte Theologe Claude d’Espence1 (1511 – 1571) nach der Lektüre von Johannes Calvins Schrift gegen den lutherischen Theologen Tileman Heshusius (1527 – 1588) die Frage, ob die von Calvin vertretene substantielle, nicht-lokale Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl nicht wahre Gegenwart sei.2 D’Espence schien die Gegenwart Christi im Abendmahl, so wie sie von Calvin formuliert worden war, der eucharistischen Realpräsenz Jesu Christi zu entsprechen. Trotz solcher und anderer Konvergenzpunkte, wie zum Beispiel die geistgewirkte Gegenwart Christi im Sakrament, scheiterte jedoch das Religionsgespräch von Poissy und endete mit der Verurteilung der reformierten Lehre.3 Die Streitigkeiten über das Abendmahl und die Gegenwart Jesu Christi betrafen aber nicht nur das reformiert-katholische Verhältnis. Auch innerevangelisch wurde heftig über das Abendmahl gestritten. An der Abendmahlsfrage ist letztlich die reformatorische Bewegung recht früh in einen lutherischen und einen reformierten Zweig auseinandergebrochen. Die Folge waren jahrhundertelange Streitigkeiten und gegenseitige Verwerfungen innerhalb des Protestantismus. Einigungsbemühungen hatten nur auf regionaler Ebene Erfolg. Weiterreichende Übereinkünfte scheiterten im 17. und 18. Jahrhundert am gefestigten konfessionellen Bewusstsein.4 Diese Lage änderte sich erst im 19. Jahrhundert, als verstärkt Kirchenunionen von Reformierten und Lutheranern aufkamen und sich sozusagen ein uniertes Abendmahlsverständnis5 entwickelte. Der Prozess der Annäherung wurde im 20. Jahrhundert fortgesetzt. Dieser wurde außerdem durch ein theologisches Interesse am Abendmahl begleitet, 1 Vgl. Venard, Marc: Art. ,Espence, Claude d’‘, in: LThK 3 (31995), 886 f, hier: 886. – Walter, Peter : Claude d’Espence (1511 – 1571), in: Smolinsky, Heribert u. ders.: Katholische Theologen der Reformationszeit, Bd. 6 (= KLK 64), Münster 2004, 33 – 49, hier: 33. 2 Vgl. Willis, David: Calvin’s Use of Substantia, in: Neuser, Wilhelm (Hg.): Calvinus Ecclesiae Genevensis Custos. Die Referate des Internationalen Kongresses für Calvinforschung, Frankfurt am Main – Bern – New York – Nancy 1984, 289 – 301, hier : 289. 3 Vgl. Walter, d’Espence, 40 f. 4 Vgl. Koch, Ernst: Art. ,Abendmahl, II Kirchengeschichtlich, 4. 17. und 18. Jahrhundert‘, in: RGG4 1 (1998), 28 – 29, hier: 28. 5 Es muss die Frage gestellt werden, ob es ein solch uniertes Abendmahlsverständnis tatsächlich gibt. Eckhard Lessing jedoch verwendet diesen Begriff. (Vgl. Lessing, Eckhard: Art. ,Abendmahl, II Kirchengeschichtlich, 5. 19. und 20. Jahrhundert, in: RGG4 1 (1998), 29 – 31, hier: 30.)

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Einleitung

vor allem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.6 Während der Diktatur des Nationalsozialismus wurde das Abendmahl in der Altpreußischen Landeskirche, die damals eine der größten unierten Landeskirchen war und der Bekennenden Kirche angehörte, auf den Synoden in Breslau (1936) und in Halle (1937) thematisiert, um die bestehenden Unterschiede theologisch zu überwinden.7 Das Ergebnis war ein Unionstext.8 Die seit der Reformationszeit bestehenden Unterschiede „betreffen die Art und Weise der Selbstmitteilung des Herrn im Abendmahl.“9 Sie wurden dadurch überwunden, dass als gemeinsamer Glaube von Lutheranern, Reformierten und Unierten herausgestellt wurde, dass Jesus Christus selbst die Gabe des Abendmahls sei.10 Das wurde als hinreichende Grundlage für eine gemeinsame Feier des Abendmahls der drei Konfessionen angesehen.11 Diese Entwicklung setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1947 durch die Entstehung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fort. Da es keine für alle Landeskirchen geltende Regelung bezüglich der Zulassung zum Heiligen Abendmahl gab, wurde gefordert, das theologische Gespräch über das Abendmahl fortzusetzen. Das Ergebnis dieses Prozesses bestand in den sogenannten Arnoldshainer Thesen12 (1957/1962).13 Diese rezipierten die Ergebnisse von Halle und führten die Überlegungen in Richtung Personalpräsenz fort14, wobei diese dahingehend präzisiert wurde, dass es sich dabei um den gekreuzigten und auferstandenen Christus handele.15 Auf europäischer Ebene ermöglichte erst die Leuenberger Konkordie16 von 1973 Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft.17 Grundlage dafür wiederum bildete der siebte Artikel der Confessio Augustana18 (1530), der als Bedingungen von Kirchengemeinschaft die evangeliumsgemäße Verkündigung und die rechtmäßige Feier der Sakramente bestimmt.19 Als Konsens zwischen Reformierten und Lutheranern formulierte die Leuenberger Konkordie: 6 Vgl. ebd., 30 f. 7 Vgl. Lessing, Eckhard: Abendmahl (= BenshH 72), Göttingen 1993, 22 – 24. 8 Der Text ist zu finden in: Niemöller, Gerhard (Hg.): Die Synode zu Halle 1937. Texte – Dokumente – Berichte (= AKG 11), Göttingen 1963, 441 f. 9 Ebd., 442. 10 S. ebd. 11 S. ebd. 12 Der Text befindet sich in: Das Mahl des Herrn. 25 Jahre nach Arnoldshain. Ein Votum des theologischen Ausschusses der Arnoldshainer Konferenz, Neukirchen-Vluyn 1982, 69 – 76. 13 Vgl. Lessing, Abendmahl, 25. 14 Vgl. Das Mahl des Herrn, 73 [These 4]. 15 Vgl. Lessing, Abendmahl, 29. 16 Text s. Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie), Hannover 1973. [Künftig zitiert: Leuenberger Konkordie.] 17 Heute heißt die Leuenberger Kirchengemeinschaft GEKE (Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa). 18 Vgl. Lessing, Abendmahl, 36. 19 S. BSLK 61,6 – 12 [CA VII].

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Einleitung

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„Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen; der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht.“20

Herausgestellt wird allein das Faktum der Gegenwart Jesu Christi, während das weitere Fragen nach der Beschaffenheit dieser Gegenwart als den Sinn des Abendmahls gefährdend eingestuft wird.21 Einigkeit herrsche jedoch darüber, dass die gegenseitigen Verwerfungen der Reformationszeit den heutigen Stand der Kirchen nicht mehr träfen.22 Auch die römisch-katholische Kirche nahm (wieder) den Dialog mit den reformatorischen Traditionen über die Eucharistie auf. Große Übereinstimmungen wurden 1978 zwischen Katholiken und Lutheranern in Das Herrenmahl23 festgestellt. Gemeinsam wurde dort „die wahre und wirkliche Gegenwart des Herrn“24 bekannt und zugleich festgestellt, dass jedoch noch Differenzen über die Dauer der Realpräsenz bestünden.25 Auch der reformiertkatholische Dialog behandelte das eucharistische Mahl und die Realpräsenz.26 Dass es in der Frage nach der Realpräsenz mit Reformierten größeren Diskussionsbedarf als mit Lutheranern gibt, machte auch die ökumenische Studie Lehrverurteilungen – kirchentrennend? 1986 deutlich.27 Um einen Beitrag zum reformiert-katholischen Dialog über das Herrenmahl zu leisten, beschäftigt sich diese Arbeit mit der Abendmahlslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin. Sie will der Frage nachgehen, ob Calvin die wahre Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl gelehrt hat. Dann muss weiter gefragt werden, ob, wenn dies der Fall ist, seine Art und Weise, die Gegenwart Christi auszudrücken, den Anforderungen römisch-katholischer Eucharistielehre entspricht. Auch soll versucht werden, Bedenken und Anfragen Calvins an die römisch-katholische Lehrtradition sowie katholische Vorbehalte gegenüber der Abendmahlslehre des Genfer Reformators ernst zu nehmen und, soweit es möglich ist, diese aus dem Weg zu räumen.

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Leuenberger Konkordie 18. S. Leuenberger Konkordie 19. S. Leuenberger Konkordie 20. Gemeinsame römisch-katholische evangelisch-lutherische Kommission: Das Herrenmahl, Paderborn 1978. Das Herrenmahl 48. S. ebd. S. dazu mehr im Literaturüberblick. S. Lehmann, Karl u. Pannenberg, Wolfhart (Hg.): Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. 1 (= DiKi 4), Freiburg im Breisgau – Göttingen 1986, 95 f. Die Bedenken werden im Literaturüberblick innerhalb dieses Einleitungskapitels näher thematisiert.

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Einleitung

1. Hermeneutische Vorbemerkungen Die oben formulierte Aufgabenstellung erfordert eine zweifache Herangehensweise. In einem ersten Schritt werden drei Quellen zu Calvins Abendmahlslehre in ihrem theologiegeschichtlichem Kontext untersucht. Die Methodik in diesem Teil der Arbeit ist daher eher historischer Natur. Es geht darum, Calvin und seine Abendmahlslehre im theologischen Kontext seiner Zeit zu verstehen.28 Daher wird jeweils der theologiegeschichtliche Hintergrund dargestellt, in und vor dem Calvin seine Abendmahlslehre entwickelt. Die erkenntnisleitenden Interessen, die nach dem Literaturüberblick präzisiert werden, werden geleitet von der Fragestellung nach dem Ob und dem Wie der Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl. Ökumenische Fragestellungen, die sich aus den Analysen ergeben, bleiben daher im ersten Teil unberücksichtigt. Der zweite Teil dieses Werkes interpretiert die Ergebnisse der historischen Analysen vor dem Hintergrund römisch-katholischer Eucharistietheologie. Hier wird Calvin ins Gespräch mit der katholischen Lehrtradition gebracht. Daraus ergibt sich eine eher systematische Herangehensweise, wobei auch dort nicht auf theologiegeschichtliche Ausführungen verzichtet werden kann. Durch das Offenlegen der erkenntnisleitenden Interessen soll zum Einen der hermeneutischen Differenz zwischen dem 16. Jahrhundert und der Gegenwart Rechnung getragen werden. Zum Anderen kann somit diese Differenz für die systematische Reflexion fruchtbar gemacht werden. Calvins Äußerungen können nicht ohne die Beachtung seines spezifischen historischen Kontextes auf die Gegenwart appliziert werden, da Calvins Theologie nicht zwangsläufig Antworten auf heutige Fragen bietet, sondern sich in erster Linie auf die Auseinandersetzungen seiner Zeit bezieht.29 Erst über diesen Umweg ist es möglich, ihn auf gegenwärtige Fragestellungen zu beziehen. Für den ökumenischen Dialog weiterführend hat sich die Methodik der ökumenischen Studie Lehrverurteilungen – kirchentrennend herausgestellt. Durch die Untersuchung, ob die Lehrverurteilungen der Reformationszeit heute noch den ökumenischen Gesprächspartner treffen30, konnten viele Differenzen geklärt werden. Die Ergebnisse des Dialoges über die Rechtfertigungslehre beispielsweise waren ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Unterzeichung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre im Jahre 28 Es ist aber unmöglich, die Abhängigkeiten eines jeglichen Details der calvinschen Abendmahlslehre von anderen Autoren aufzuzeigen. Vielmehr geht es um Calvins Positionierung in den innerreformatorischen Debatten, da dadurch wichtige Aspekte sichtbar werden. 29 Diese hermeneutischen Hinweise verdanken sich Jan-Heiner Tücks Arbeit über die Eucharistielehre des Thomas von Aquin. Das hermeneutische Problem ist bei der Beschäftigung mit dem Aquinaten und dem Genfer Reformator dasselbe. Daher gilt es, bei beiden Theologen methodisch die gleichen Punkte zu beachten. (Vgl. Tück, Jan-Heiner: Gabe der Gegenwart. Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin, Freiburg im Breisgau 2009, 19 f.) 30 Vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 26,2 – 4.

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Hermeneutische Vorbemerkungen

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1999. Aufgrund des Erfolgs dieser Studie werden einige methodologische Hinweise in dieser Arbeit rezipiert und entsprechend auf das zu bearbeitende Thema appliziert. Eine vollständige Übernahme der Methode ist nicht möglich, weil es in dieser Arbeit nicht (ausschließlich) um gegenseitige Verurteilungen geht. Eine für Lehrverurteilungen – kirchentrennend äußerst wichtige Erkenntnis besteht darin, „daß man offenbar nicht selten mit verschiedenen Worten dasselbe meinen kann – und ebenso mit denselben Worten Verschiedenes.“31 Diese Einsicht und die Einbeziehung des historischen Kontextes, in dem deutlich wird, welches Feindbild bekämpft und ausgeschlossen werden soll, ermöglichen es, „hinter“ den Wortlaut einer Lehraussage und einer Verurteilung zu schauen. Dadurch kann möglicherweise deutlich werden, dass ähnliche oder gar identische Anliegen mithilfe dieser und jener Formulierung ausgedrückt werden können. „Hinter“ sich auf den ersten Blick gegenseitig ausschließenden Formulierungen müssen daher nicht zwangsläufig gegensätzliche Lehren stehen. In vielen Fällen ist das Lesen zwischen den Zeilen notwendig, weil sich die Verurteilungen oft auf Extrempositionen oder Spitzenaussagen der anderen Seite beziehen, die somit nur einen Grenzfall der jeweiligen Lehre darstellen, so dass es deshalb nach Lehrverurteilungen – kirchentrennend nicht genügt, einfach nur Worte miteinander zu vergleichen, um einen Gegensatz in der Lehre festzustellen.32 Gerade dieser Gesichtspunkt soll im systematischen Teil berücksichtigt werden, da er helfen kann, Klärung bei zunächst scheinbar ausweglosen Differenzen zu bringen. In solch einem Kontext sind dann teilweise nochmals theologiegeschichtliche Erörterungen notwendig, die sich aber im Gegensatz zum ersten Teil auf die Tradition der römisch-katholischen Lehre beziehen. Lehrverurteilungen – kirchentrennend hat sich die Aufgabe gestellt, zu überprüfen, ob die damaligen Lehrveruteilungen auch heute noch den jeweils Anderen treffen.33 Das kann in dieser Arbeit nur von einer Seite her beleuchtet werden. Was die römisch-katholische Lehre betrifft, werden auch neuere Erkenntnisse miteinbezogen. Für die evangelisch-refomierte Seite beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf die Abendmahlslehre von Johannes Calvin und untersucht nicht moderne Entwürfe reformierter Abendmahlstheologie. Auch andere wirkungsgeschichtlich einflussreiche Abendmahlstheologien reformierter Prägung wie etwa die Theologie Ulrich Zwinglis (1484 – 1531) oder Heinrich Bullingers (1504 – 1575), dem Nachfolger Zwinglis in Zürich, finden hier nur insofern Berücksichtigung, als sich Calvin mit diesen im Dialog befindet. Der Fokus dieser Arbeit wird auf Calvin gerichtet, weil gerade seine Theologie für eine Lösung heutiger ökumenischer Probleme – unter Be-

31 Ebd., 22,12 – 14. 32 Vgl. ebd., 22,21 – 25. 33 Vgl. ebd., 26,2 – 4.

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Einleitung

rücksichtigung der entsprechenden hermeneutischen Differenz – erfolgversprechend ist. Daher wendet sich diese Arbeit ad fontes. Die Beschränkung auf Calvin stellt jedoch ein Problem dar. In der evangelisch-reformierten Theologie werden eigene konfessionelle Autoritäten der Heiligen Schrift, an der sich alle Bekenntnisse prüfen lassen müssen, betont untergeordnet.34 Bekenntnisse spielen gegenüber der Bibel eine sekundäre Rolle. Das wird u. a. daran deutlich, dass es beispielsweise im Gegensatz zum Luthertum, das mit dem Konkordienbuch von 1580 sein corpus doctrinae definiert hat35, kein weltweit, für alle Reformierten gültiges Bekenntnis gibt. Das ermöglicht, unter anderen Umständen neue Bekenntnisse zu formulieren36, auch wenn diese oft nur regionale Bedeutung besitzen. Jedes Bekenntnis soll zu einer bestimmten Zeit und an einem konkreten Ort den Glauben bezeugen.37 Dennoch sind „[d]ie kirchlichen Bekenntnisse […] für Reformierte ein besonders beachtlicher Teil der kirchlichen Tradition“38, da sie ihren Anspruch aus der Schrift ableiten und somit nichts Anderes neben dieser lehren und verkünden.39 Daraus ergibt sich eine andere Bewertung und Position der Reformatoren innerhalb der reformierten Tradition als zum Beispiel in den lutherischen Kirchen. Dort gilt neben den Bekenntnisschriften die Theologie Martin Luthers (1483 – 1546) noch immer als „[e]ntscheidendes Identitätsmerkmal“40 für die lutherische Lehre. Reformierte dagegen betonen, „dass sich in unserer Zeit – bei aller Einigkeit darüber, dass reformatorische Grundentscheidungen gültig bleiben – auch wichtige Fragen anders stellen als im 16. Jahrhundert.“41 Eberhard Busch (*1937) bezieht das ausdrücklich auch auf das Abendmahl, da „die neueren Texte nicht das betonen, was als typisch calvinisch oder zwinglianisch gilt (zum Beispiel die spezielleren Lehren über die Erwählung oder über das Abendmahl)“42. Reformierte Abendmahlstheologie hat daher zu fragen, „ob und inwiefern die damaligen Entscheidungen schriftbegründet und in der heutigen Situation von Gewicht sind.“43 Vor diesem Hintergrund wird die calvinische Abendmahlslehre nach ihrer Relevanz für den gegenwärtigen ökumenischen Dialog befragt. Der theologische und kirchliche Horizont hat sich seit dem 16. Jahrhundert stark ver34 Vgl. Busch, Eberhard: Reformiert. Profil einer Konfession, Zürich 2007, 22; 102. 35 Vgl. Plathow, Michael: Lutherische Kirche (= BensH 107), Göttingen 2007, 61. 36 Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 zum Beispiel wird als ein solches neues Bekenntnis verstanden. (Vgl. ebd., 28.) 37 Vgl. Link, Hans-Georg: Bekennen und Bekenntnis (= BenshH 86), Göttingen 1998, 51 f. Das Luthertum dagegen beruft sich bis heute auf das Konkordienbuch von 1580, auf das die Geistlichen in den meisten der lutherischen Kirchen verpflichtet und ordiniert werden, als verbindliche Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften. (Vgl. ebd., 51.) 38 Busch, Reformiert, 22. 39 Vgl. ebd. 40 Plathow, Lutherische Kirchen, 61. 41 Busch, Reformiert, 32. 42 Ebd., 33. 43 Kreck, Walter: Art. ,Abendmahl III. Dogmatisch, 2‘, in: RGG3 1 (1957), 37 – 39, hier: 37.

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Hermeneutische Vorbemerkungen

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ändert. Der Blick in die Vergangenheit ist erfolgversprechend, weil Calvins Abendmahlslehre wichtige Anliegen römisch-katholischer Eucharistietheologie bewahrt und stark macht und somit eine Brücke zwischen reformierter und katholischer Tradition darstellen könnte. Das geschieht in der Hoffnung, nicht nur katholischer Theologie die Fremdheit vor Calvins Abendmahlstheologie zu nehmen, sondern auch Impulse in die reformierte Abendmahlstheologie zu geben. Evangelisch-reformierte Abendmahlslehre orientiert sich aber nicht nur an Calvin, – wie es die Geschichte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und des 17. Jahrhunderts zeigt – sondern auch an Heinrich Bullingers Abendmahlstheologie.44 Gerade der Einfluss des Letzteren ist nicht zu unterschätzen, da sein Hauptwerk, die Dekaden (1549 – 1551), „die damals größtmögliche Verbreitung“45 erreichte und durch die Übersetzung in viele europäische Sprachen „zu einer der wirkungsreichsten Schriften […] des Protestantismus des 16. Jahrhunderts“46 wurde. Wie später zu zeigen ist, vertreten beide Reformatoren nicht dieselbe Abendmahlslehre und unterscheiden sich dort an einem wichtigen Punkt.47 Eine weitere Einschränkung ist zu machen. Wie es bereits mehrfach angeklungen ist, stellt die wirkliche Gegenwart Jesu Christi im Herrenmahl einen Streitpunkt zwischen den verschiedenen theologischen Traditionen dar. Daher soll es in dieser Arbeit auch nur um diese Fragestellung gehen. Der damit zusammenhängende eucharistische Opfercharakter wird hier aus methodischen Gründen ausgeklammert, was heißt, dass Calvins Bestreitungen desselben hier nicht systematisch anlysiert werden. Dennoch wird immer wieder die Zusammengehörigkeit von Realpräsenz und (Kreuzes-)Opfer deutlich werden, auch in Calvins Theologie. Ausgeklammert wird in dieser Arbeit auch die Amtsfrage, die in den ökumenischen Diskussionen zur Zeit das Hauptproblem darstellt. Daher muss deutlich gesagt werden, dass trotz eventueller Einigkeit in der Lehre von der Realpräsenz jedoch aufgrund der amtstheologischen Differenzen noch keine gemeinsame Feier des Herrenmahls und damit keine Abendmahlsgemeinschaft möglich ist. 44 Vgl. Mathison, Keith A.: Given for you. Reclaiming Calvin’s Doctrine of the Lord’s Supper, Phillipsburg 2002, XVI. 45 Campi, Emidio: Art. ,Bullinger‘, in: RGG4 1 (1998), 1858 f, hier : 1858. 46 Vgl. Opitz, Peter : Heinrich Bullinger als Theologe. Eine Studie zu den „Dekaden“, Zürich 2004, 18. 47 Diese innerreformierten Spannungen führten im 19. Jahrhundert in den USA zu einem erneuten Abendmahlsstreit, der von zwei reformierten Theologen ausgetragen wurde. Die Auseinandersetzung zwischen Charles Hodge (1797 – 1878) und John W. Nevin (1803 – 1886) um das rechte reformierte Abendmahlsverständnis drehen sich vor allem um die Frage nach der eucharistischen Realpräsenz. Charles Hodge verstand die eucharistische Präsenz Christi nur als eine Gegenwart im Gemüt der Gläubigen und als Gegenwart von dessen Wirksamkeit. John Nevin dagegen verteidigte Calvins Abendmahlstheologie gegen eine solche Interpretation und stellte die Realpräsenz der Person Jesu Christi und damit auch von deren Fleisch und Blut als die genuin calvinische Position heraus. (Vgl. Mathison, Given, 134 – 156.)

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Einleitung

Eine weitere Einschränkung betrifft die Auswahl der Quellen. Diese Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit Calvins systematischen Texten zur Abendmahlslehre. Die liturgischen Formulare, die von ihm entworfen wurden, werden hier nicht herangezogen, weil die systematischen Überlegungen Calvins für das zu bearbeitende Thema relevanter und aussagekräftiger sind. Diese Arbeit richtet sich hauptsächlich an römisch-katholische Theologinnen und Theologen, aber auch an evangelische Leserinnen und Leser. Diese doppelte Ausrichtung verlangt eine Darstellungsweise, die das jeweilige theologische Hintergrundwissen und das theologische Sprachspiel der entsprechenden Konfession mitberücksichtigt. Das erklärt, warum im historischen Teil dieser Arbeit Begrifflichkeiten und historische Zusammenhänge, die in der evangelischen Theologie mehr als geläufig sind, ausführlicher erläutert und dargestellt werden. Um römisch-katholischen Leserinnen und Lesern das Verständnis der calvinischen Abendmahlslehre und dieser Arbeit zu erleichtern, wird daher an einigen Stellen weiter ausgeholt, als dies in „rein“ evangelischen Arbeiten der Fall wäre. Genau andersherum wird es im systematischen Teil der Fall sein. Viele Erwägungen gehören für römisch-katholische Theologen und Theologinnen zum Standardwissen. Um evangelischen Leserinnen und Lesern das Verständnis der systematischen Überlegungen zu erleichtern, werden dort Begriffe und Kontexte ausführlicher erörtert, was in katholischen Arbeiten in dieser Weise nicht der Fall wäre.

2. Literaturüberblick Die vorliegende Arbeit über Calvins Abendmahlslehre ist nicht die erste, die sich dem Thema widmet. Sie rezipiert sowohl Ergebnisse von evangelischen als auch von katholischen Autoren und führt diese zugleich weiter. Ein Überblick über die gängige Literatur soll daher im Folgenden kurz und knapp den bisherigen Kenntnisstand darstellen. Es handelt sich dabei um Analysen, die in der theologischen Literatur oft zitiert werden und zumindest im deutschsprachigen Raum die Einschätzung der calvinischen Lehre stark geprägt haben. Daher wird auf ältere Literatur im Überblick verzichtet und werden nur Werke aus dem 20. und 21. Jahrhundert vorgestellt. Bis auf eine prominente Ausnahme handelt es sich um Monographien, die sich ausschließlich mit der calvinischen Abendmahlslehre beschäftigen. Die Einleitung hat bereits aufgewiesen, dass Calvins Texte unterschiedlich gelesen wurden – und immer noch werden. Diese unterschiedlichen Lesarten spiegeln sich auch in der Literatur wider. Die unterschiedlichen Interpretationen sollen außerdem dabei helfen, den Fragehorizont dieser Arbeit zu präzisieren.

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Ein Überblick über die Literatur

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2.1 Evangelische Autoren Eines der wichtigsten Werke über Calvins Abendmahlslehre im deutschen Sprachraum stammt von dem reformierten Theologen Wilhelm Niesel48 (1903 – 1988). Niesel plaziert seine Arbeit in den Kontext der innerevangelischen Diskussionen um das Abendmahl in den 30er Jahren. Es mache keinen Sinn, sich zu sehr mit dem Marburger Religionsgespräch von 1529 aufzuhalten, da nicht Zwingli, sondern Calvin die nachfolgende reformierte Lehre vom Abendmahl geprägt habe.49 Bzgl. der Frage nach der Realpräsenz hebt Niesel hervor, dass die Zeichen von Brot und Wein Christi Leib und Blut nicht nur darstellten, sondern auch in Wirklichkeit darreichten, so dass „[d]urch die Symbole Brot und Wein […] Christus uns wahrhaft dargeboten (wird). Sie sind nicht die Sache selbst, wohl aber Instrumente und Organe, durch die uns der Herr seinen Leib und sein Blut gibt“50. Ohne die sich so im Abendmahl ereignende Gemeinschaft mit Christus hätte das Abendmahl keinerlei Wirkung.51 Da sich Christus nach Calvin seit seiner Himmelfahrt nicht mehr körperlich auf Erden befinde, müsse er gegenwärtig gesetzt werden, was durch den Heiligen Geist vollbracht werde. Diese Gegenwart Christi sei die Mitteilung Jesu Christi an die Gläubigen.52 Eine so verstandene manducatio spiritualis verstehe sich nicht als Gegenteil zum wirklichen Empfang, sondern als Entgegnung auf die lutherische manducatio carnalis.53 Beachtet werden müsse aber, dass die „Handlung des Heiligen Geistes […] nicht mit der Abendmahlshandlung zu verwechseln“54 sei, weil das Sakrament die Gegenwart Christi nur verheiße und besiegle, „daß wir die Sache so wahrhaft erhalten, wie wir sie im Zeichen vor uns sehen“55. Der Lutheraner Helmut Gollwitzer56 (1908 – 1986) will mit seiner Arbeit ebenfalls einen Beitrag zu den 1937 aktuellen Diskussionen um das Abendmahl liefern.57 Er untersucht dazu die altlutherische Abendmahlslehre in ihrer Auseinandersetzung mit der calvinischen Theologie. Als das Herz der lutherischen Abendmahlslehre versteht er die Realpräsenz von Christi Leib und Blut58, wobei von deren Gegenwart jegliche räumliche Konnotationen fernNiesel, Wilhelm: Calvins Lehre vom Abendmahl, München 21935. Vgl. ebd., 1 f. Ebd., 45. Vgl. ebd., 53. Vgl. ebd., 94. Vgl. ebd., 101. Ebd., 95. Ebd. Gollwitzer, Helmut: Coena Domini. Die altlutherische Abendmahlslehre in ihrer Auseinandersetzung mit dem Calvinismus, dargestellt an der lutherischen Frühorthodoxie, München 1937. 57 Vgl. ebd., V. 58 Vgl. ebd., 133.

48 49 50 51 52 53 54 55 56

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Einleitung

zuhalten seien, was aber Gegner wie Calvin nicht erkannt hätten. Diese könnten nicht differenzieren: entweder localis inclusio oder keine substantielle Gegenwart von Christi Fleisch und Blut.59 Während Reformierte die körperliche Abwesenheit Christi mit der Himmelfahrt begründeten und davon ausgingen, dass Christus leiblich erst zum Gericht wiederkomme, verstünden Lutheraner die Wiederkunft Christi als das Sichtbarwerden des Leibes Christi, der seit der Himmelfahrt unsichtbar geworden sei. Deswegen ergebe für Lutheraner der reformierte geistgewirkte Präsenzmodus nur eine Gegenwart der Wirkungen und Kräfte des Leibes Christi, nicht aber die Gegenwart des Leibes selbst. Luther und die ihm folgenden Theologen hätten daher in der spiritualis praesentia keine reale Gegenwart, sondern nur deren Verflüchtigung gesehen, denn volle Gegenwart könne nur eine leibliche sein.60 Brot und Wein erfüllten in der Lehre Calvins nur die Funktion, die geistgewirkte Gegenwart zu begleiten, sie seien aber nicht davon erfüllt, was Lutheranern dagegen nicht genüge.61 Außerdem bezeichneten die Zeichen nicht die Mitteilung von Christi Leib und Blut, sondern nur die Gelegenheit zu deren Empfang, was aber eben nicht mit der „Benützung“ der Zeichen identisch sei. Weil Gott aber gegenüber allen irdischen Mitteln frei sei, müssten diese Gelegenheiten zum Empfang der göttlichen Gnade nicht unbedingt mit dem Empfang von Christi Leib und Blut zusammenfallen. Gollwitzer stellt als Lutheraner daher die Frage, ob die Verheißung auch bei vorhandenem Glauben ausbleiben könne, so dass der Glaube möglicherweise sogar um der Ehre Gottes willen getäuscht werden könne und Gottes Freiheit infolgedessen in die Nähe von Willkür rücke.62 „Von einer Einheit beider Handlungen, also von einem Handeln Gottes per ministerium hominis, kann immer nur figürlich, im Sinne eines ,Als-ob‘ gesprochen werden“63. Das Proprium des Abendmahls bestehe daher in der reformierten Theologie darin, dass die geistliche Austeilung des Leibes Christi mit der Bezeugung durch Brot und Wein zusammenkomme.64 So bestehe der Streit zwischen Lutheranern und Reformierten darüber, ob „es angängig sei, auf Grund der sakramentalen Bestimmung der Elemente deren Empfang schon mit dem sakramentalen (Empfang, F. E.) zu identifizieren.“65 Darin, „daß bei Calvin die Notwendigkeit der Gnadenmittel nur in der verheißenen Gleichzeitigkeit bestand“66, sahen Lutheraner eine Einladung zur Spiritualisierung. Und weil nach Calvin Christi Leib und Blut auch außerhalb des Abendmahls empfangen werden könnten, verkomme das Sakrament bei ihm „zu einem

59 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. ebd., 144 f. Vgl. ebd., 148 – 150. Vgl. ebd., 162 f. Vgl. ebd., 170 f. Ebd., 173. Vgl. ebd., 201. Ebd., 205. Ebd., 174.

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Ein Überblick über die Literatur

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bloßen Symbol ohne besondere Mitteilung“67. Den Unterschied zwischen der lutherischen und reformierten Sakramentenlehre fasst Gollwitzer wie folgt zusammen: „Zeichen, die von sich weg nach oben weisen, Erscheinung, deren Sinn in ihrem Transzendiertwerden liegt – das sind die calvinischen Sakramente. Mittel, die den Blick auf sich ziehen, Gefäße, die enthalten, was sie bezeugen – das sind sie nach lutherischer Auffassung.“68

Anstatt sich in die Höhe zu schwingen und die Zeichen zu transzendieren, richte die lutherische Theologie ihren Blick gerade auf die irdischen Zeichen.69 In Bezug auf Calvins Bestreitung der manducatio impiorum schreibt Gollwitzer : „Spiritualis manducatio ohne manducatio sacramentalis i. e. oralis bedeutet Abgleiten vom Sakrament; die manducatio des Elements ist dann nur noch Hinweis auf die manducatio spiritualis. Das äußere Geschehen des Sakraments ist damit das rasch zu Transzendierende. Ist dagegen die manducatio sacramentalis Empfang der res sacramenti, und doch an sich noch nicht fruchtbarer Empfang, so wendet sich der Glaube zu ihr hin als zur Gelegenheit seiner eigenen Erfüllung und Vergewisserung.“70

Deutlich kritisiert Gollwitzer hier, dass der Glaube durch die calvinische Lehre zu einer reinen Selbstvergewisserung verkomme, anstatt sich die Gewissheit vom Herrn selbst schenken zu lassen.71 Als Fundament für diese Gewissheit sieht Gollwitzer den äußeren Empfang des Sakramentes an.72 Einen ähnlichen Einwand formuliert 1940 der Lutheraner Ernst Bizer (1904 – 1975) in seinen Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits im 16. Jahrhundert73. Calvin habe „trotz seiner ,spiritualistischen‘ Grundauffassung“74 die Sakramente als Werkzeug Gottes verstehen können, da sie dazu dienten, den Glauben zu stärken.75 Die Verbindung der Wirksamkeit der Sakramente mit der Erwählung führe jedoch dazu, dass „den Sakramenten nicht zuviel zugeschrieben“76 werde. Das habe zur Folge, dass das Angebot, das Gott den Gläubigen im Sakrament mache, nur dann gelte, wenn Glaube vorhanden sei77: 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77

Ebd., 213. Ebd., 216. Vgl. ebd., 214. Ebd., 212. Vgl. ebd. Vgl., ebd., 296. Bizer, Ernst: Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits im 16. Jahrhundert, Gütersloh 1940. 1972 erschien in Darmstadt eine dritte, unveränderte Auflage, die im Folgenden zitiert wird. Bizer, Studien, 254. Vgl. ebd. Ebd., 264. Vgl. ebd., 273 f.

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Einleitung

„Ob es mir gilt, kann ich nur wissen auf Grund der Reflexion auf die Tatsächlichkeit und die Wahrheit meines Glaubens. Es ist Gabe für die Erwählten; ob es für mich Gabe ist, kann ich nur wissen, wenn ich weiß, dass ich zu den Erwählten gehöre. Die Gabe wird vermittelt durch den Geist; dieser ist das Siegel im eigentlichen Sinn; ob er mir die Gabe versiegelt, kann ich nur wissen, wenn ich vorher weiß, daß ich den Geist habe. Es muß zum äußeren Zeichen eine innerliche Wirkung hinzukommen; Gott muss alles zurechtbringen; ob er aber bei mir alles zurechtbringt, kann ich jedenfalls am Abendmahl nicht ablesen. Dies wirkt ja bloß bei den schon Gläubigen, den Erwählten, die den Geist schon besitzen. […] So wird also die Zusage Gottes eingeschränkt und an die Erfüllung einer Bedingung gebunden, die erfüllt sein muß, ehe sich der Empfangende auf die Zusage berufen darf. Man kann sich des Sakraments also nur dann trösten, wenn man sich vorher und abgesehen davon seines eigenen Glaubens trösten kann.“78

Die tröstende und vergewissernde Funktion des Abendmahls sieht Bizer in Calvins (und Bullingers) Abendmahlslehre gefährdet, da man letztlich „nur auf dem Umweg über die Reflexion auf den eigenen Glauben […] ablesen (kann, F. E.), ob das Sakrament zur Gabe wird oder nicht“79. So müsse gefragt werden, ob hier Glaube nicht als psychologischer Besitz und damit als Werk verstanden werde und ob somit Glaube auf persönliche Gläubigkeit reduziert werde.80 Daher hätte Luther konsequenterweise Calvin die Abendmahlsgemeinschaft verweigern müssen.81 Aber zu Calvin müsse noch mehr gesagt werden. Der Genfer Reformator verstehe unter der Prüfung des eigenen Glaubens die Reflexion des einzelnen Gläubigen, ob er die Gaben Christi begehre oder nicht. Dieser Umstand rechtfertige dann doch die gemeinsame Abendmahlsfeier zwischen Lutheranern und Calvinisten.82 1940 erschien ebenfalls die Studie über Luthers und Calvins Abendmahlslehre des Lutheraners Hans Grass83 (1904 – 1994), die vor allem der Frage nach der Realpräsenz nachgehen will.84 Diese bedeute bei Luther die Gegenwart von Christi Leib und Blut in den Elementen.85 Calvin halte wohl am instrumentellen Charakter von Brot und Wein fest.86 Trotzdem sei die Begegnung mit Christus im äußeren Zeichen uneigentlich, „denn für Calvin ist nun eben das Zeichen vom Abendmahlschristus sorgfältig zu unterscheiden. Die eigentliche Begegnung mit Christus geschieht durch die Vermittlung des 78 79 80 81 82 83

Ebd., 274, Hervorhebungen im Original. Ebd., 286. Vgl. ebd., 286; 289. Vgl. ebd., 286. Vgl. ebd., 291. Grass, Hans: Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin. Eine kritische Untersuchung, Gütersloh 1940. 1954 erschien eine Neubearbeitung, die im Folgenden zitiert wird. 84 Vgl. ebd., 11. 85 Vgl. ebd., 17. 86 Vgl. ebd., 209.

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Heiligen Geistes“87. Die pneumatologische Ebene gefährde aber in Calvins Theologie die Objektivität des Sakramentes: „Es ist nun keineswegs sicher, ob ich Christi teilhaftig werde, wenn ich Brot und Wein empfange, weil dieses Teilhaftig-Werden eben vom Wirken des Geistes abhängt, der weht, wo er will, und namentlich davon, daß dieser Geist in mir den Glauben schafft.“88

Damit distanziert sich Grass von parallelistischen Deutungen der calvinischen Abendmahlslehre, nach denen der Heilige Geist parallel zur Abendmahlsfeier wirke, und ersetzt diese durch die Freiheit des Geistwirkens, worin er die eigentliche Position Calvins erblickt.89 Um die Gemeinschaft mit Christus und seinem Leib und Blut auszudrücken, verwende Calvin durchaus realistische Ausdrücke, wie auch zum Beispiel substantialiter.90 Dennoch müsse seine Redeweise, dass die Gläubigen substantiell mit dem Leib Christi gespeist würden, „cum grano salis verstanden werden“91, da die Gläubigen nicht die Substanz selbst empfingen, sondern etwas aus ihr, nämlich deren Leben und Kraft, was Calvin auch selbst bestätige, wenn er schreibe, dass die Gläubigen Leben und Kraft vom Fleisch Christi empfingen.92 Deswegen sei von lutherischer und katholischer Seite der Vorwurf erhoben worden, „daß nach Calvin gar kein Empfang des Fleisches und Blutes stattfinde, sondern nur ein Empfang der Kraft, der Wirkungen, Verdienste und Früchte des Fleisches.“93 Doch dagegen habe Calvin aufs heftigste protestiert, vor allem in seiner Schrift gegen Heshusius aus dem Jahr 1561.94 Da Calvin außerdem betone, dass Leib und Blut im Himmel unversehrt blieben und nicht voneinander getrennt würden, könne man „sich des Eindrucks nicht erwehren, als wenn hier der Calvinische Grundgedanke von der Gemeinschaft mit dem himmlischen (Leib des) Christus und die biblische Aussage vom Essen des Leibes und Trinken des Blutes etwas künstlich zusammengefügt sind.“95

Daher gebe es ein Schwanken im Blick auf die Bedeutung von Christi Fleisch und Blut, was mit Calvins exegetischen Schwierigkeiten zusammenhänge.96 Zwar betone der Reformator, dass die Gläubigen mit dem Leib, der sich örtlich im Himmel befinde, durch den Heiligen Geist verbunden würden. Aber diese 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Ebd., 231 f. Ebd., 238. Vgl. ebd., 239. Vgl. ebd., 248 f. Ebd., 250. Vgl. ebd. Ebd., 252. Vgl. ebd. Ebd., 255. Vgl. ebd., 258.

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Einleitung

Vorstellung sei doch „monströser als die Lutherische Vorstellung der Multipräsenz des verklärten Leibes“97. Calvin betone zwar die personale Dimension des Abendmahls, doch sein modus manducationis sei wegen der Differenzierung zwischen Irdischem und Himmlischen abzulehnen, weil so entgegen Calvins eigenem Beteuern, die Objektivität des Sakraments nicht gewahrt bleibe.98 Neuere Literatur zu Calvins Abendmahlslehre kommt hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum. Zwei Werke sind hier vor allem kurz vorzustellen. Der presbyterianische Theologe Brian Gerrish (*1931) hat mehrere Werke zur reformierten Abendmahlslehre veröffentlicht.99 Gerrish unterscheidet drei verschiedene Strömungen innerhalb der reformierten Lehre vom Abendmahl. Zwingli vertrete einen „symbolischen Memorialismus“100, demzufolge Sakramente Zeichen der schon geschehenen Gnade sind. In dieser Theologie werde die Gnade direkt vom Heiligen Geist gegeben und durch die sakramentalen Zeichen lediglich bezeugt.101 Eine zweite Richtung bezeichnet Gerrish als „symbolischen Parallelismus“102. Diese Theologie ordnet er Heinrich Bullinger zu. Ihren literarischen Ausdruck finde sie beispielsweise in der Confessio Helvetica Posterior (1566) und teilweise im Heidelberger Katechismus (1563).103 Der symbolische Parallelismus verstehe die äußere sakramentale Handlung als ein Zeichen dessen, was gerade im Gläubigen innerlich geschehe. Die Sakramente symbolisierten das, was Gott in Wahrheit anbiete. Damit gehe diese Position über Zwingli hinaus, da sie sich auch auf das gegenwärtige Geschehen in der Feier der Sakramente beziehe. Aber die sichtbare Handlung vermittle keine Gnade.104 Calvins Position nennt Gerrish „symbolischen Instrumentalismus“105. Diese Position ähnele stark der von Zwingli, so dass beide häufig miteinander verwechselt würden.106 Aber die Unterschiede zwischen beiden Reformatoren seien fundamentaler als ihre Gemeinsamnkeiten. Denn bei Calvin seien die Sakramente Gnadenmittel, die das, was durch sie bezeichnet werde, auch wirklich vermittelten und verursachten. Demzufolge werden die Gläubigen gerade durch die symbolische Verfasstheit der Sakramente dessen versichert,

97 Ebd., 266. 98 Vgl. ebd., 273 f. 99 Gerrish, Brian A.: Sign and Reality. The Lord’s Supper in the Reformed Confessions, in: ders.: The Old Protestantism and the New. Essays on the Reformation Heritage, Chicago 1982, 118 – 130. – Gerrish, Brian A.: Grace and Gratitude. The Eucharistic Theology of John Calvin, Minneapolis 2002. 100 „symbolic memorialism“ (Gerrish, Sign, 128). 101 Vgl. ebd., 119. 102 „symbolic parallelism“ (Ebd., 128). 103 Vgl. ebd., 125 f. 104 Vgl. ebd., 124. 105 „symbolic instrumentalism“ (Ebd., 128). 106 Vgl. ebd., 121.

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dass die Gläubigen wirklich den Leib Christi empfingen, ohne dass dieser aber lokal im Abendmahl gegenwärtig sei.107 Diese Theologie stellt Gerrish ausführlich in seiner Monographie Grace and Gratitude dar. Dort ordnet er Calvins Abendmahlslehre in den Kontext der unio cum Christo ein.108 Den Schlüssel zur calvinischen Deutung der Sakramente sieht Gerrish darin, Sakramente als Wort, Verheißung oder Verkündigung aufzufassen. Ihre Wirksamkeit liege im Wort, das im Sakrament ans Licht gebracht werde. Auch wenn deren Form sich vom Wort unterscheide, sei die Funktion von beiden identisch, nämlich Gottes Wort zu verkündigen, wobei das Wort das Hauptgnadenmittel sei.109 Das Wort bewirke die Gemeinschaft mit dem lebensspendenden Fleisch Christi.110 Das Abendmahl bringe daher keine Gemeinschaft mit Christus und mit seinem Leib, die nicht auch anderswo erhältlich wäre, sondern stelle graphisch das dar, dessen sich die Gläubigen allezeit erfreuten. Somit bestehe der unveränderliche Kern von Calvins Abendmahlslehre darin, dass das Abendmahl ein Zeichen und Pfand der unio cum Christo sei und die tägliche Gemeinschaft der Gläubigen mit Christus, die nicht begriffen werden könne, attestiere und repräsentiere. Diese Einheit könne aber vertieft werden.111 Dabei helfe das Abendmahl, da es durch seinen Symbolismus auf die schon bestehende unio verweise und sie intensiviere.112 Bei Calvin gehe es immer um den Begriff des wirksamen Zeichens, weil nur so die Sakramentalität aufrecht erhalten werden könne. Deswegen könne Calvin auch zusammen mit den Lutheranern sagen, dass Christi Leib unter und mit dem Brot gegeben werde. Für Calvin seien die Sakramente nicht nur Erinnerungszeichen, sondern wirksame Gnadenmittel.113 Gerade auf den Punkt, dass Gott durch die Sakramente handle, hätten sich die Reformatoren untereinander nicht verständigen können. Ohne die Instrumentalität der sakramentalen Zeichen sei jedoch die calvinsiche Abendmahlslehre nicht korrekt erfasst.114 Auch wenn Sakramente nicht heilsnotwendig seien, würden sie als Heilsmittel nicht abgewertet. Das Entscheidende an ihnen bleibe zwar das Wort. Aber dennoch hätten sie einen Mehrwert gegenüber dem Wort, weil sie im Gegensatz zum Wort alle Sinne ansprächen.115 Die substantielle Gegenwart Christi habe Calvin dann abgelehnt, wenn mit Substanz eine physikalische Masse gemeint sei. Deshalb habe Calvin von einer Gegenwart Christi in virtute oder in efficacia gesprochen. Die physikalisch 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Vgl. ebd., 122. Vgl. Gerrish, Grace, 86. Vgl. ebd., 108. Vgl. ebd., 134. Vgl. ebd., 133. Vgl. ebd., 134. Vgl. ebd., 144. Vgl. ebd., 167. Vgl. ebd., 162 f.

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Einleitung

verstandene Substanz Christi könne auf Erden nicht gegenwärtig sein, wohl aber gebe es eine sakramentale Verbindung von Christus mit den sakramentalen Zeichen, so dass Calvin an die sakramentale Gegenwart Christi im Abendmahl glaubte. Die Gemeinschaft mit Christus werde substantiell genant, nicht weil Substanzen übermittelt würden, sondern weil die Gläubigen Kraft von der Substanz des Fleisches Christi empfingen.116 Gerrish fasst das calvinische Abendmahlsverständnis in sechs Thesen zusammen. (1.) Das Abendmahl sei eine Gabe Gottes, womit Calvin sowohl den Messopfergedanken als auch den zwinglianischen Akzent auf die Danksagung verwerfe.117 (2.) Das, was im Abendmahl geschenkt werde, sei Jesus Christus selbst und nicht nur dessen Gnaden oder Wohltaten.118 (3.) Diese Gabe werde mit dem Zeichen den Gläubigen geschenkt, womit sich Calvin wieder sowohl von der altgläubigen Transsubstantationslehre als auch vom zwinglianischen Symbolismus abgrenze. (4.) Die Gabe werde durch den Heiligen Geist geschenkt, da Calvin davon ausgehe, dass Leib und Blut Christi den Gläubigen durch das Wirken des Geistes gegeben werde, was Gerrish von einer mentalen Gegenwart Christi abgrenzt.119 (5.) Die Gabe werde allen, die kommunizieren, gereicht, Gläubigen und Ungläubigen. (6.) Die Gabe werde durch den Glauben empfangen, womit sich Calvin „gegen die Impersonalisierung der sakramentalen Wirksamkeit in der mittelalterlichen Scholastik“120 wende.121 Gerrish beendet sein Werk mit dem Hinweis darauf, dass die calvinische Lehre zum Einen gegen leere Zeichen, die bloß an Christus erinnerten, und zum Anderen gegen die Annahme entwickelt worden sei, dass die Gemeinschaft mit Christus bloß der Glaube und die Kirche nur eine Vereinigung von Individuen sei. Historische Studien müssten zeigen, welche der beiden Gefahren die größere gewesen sei.122 „Ich glaube, es kann aber fairerweise soweit als Zusammenfassung gesagt werden: Selbst wenn Calvinisten die größten Schwierigkeiten haben auszudrücken, was genau dieses etwas Mehr ist, das sie im Heiligen Mahl erfahren, wird ökumenische Theologie sie (die Calvinisten, F. E.) immer brauchen, damit sie ihren Einfluss auf Calvins Seite des reformierten Bootes geltend machen.“123 Im Gefolge von Brian Gerrish widmet sich auch Thomas Davis (*1958) der

116 117 118 119 120 121 122 123

Vgl. ebd., 179 f. Vgl. ebd., 135. Vgl. ebd., 136. Vgl. ebd., 137. „against the impersonalization of sacramental efficacy in medieval scolasticism“ (Ebd., 138). Vgl. ebd. Vgl. ebd., 190. „But this much, I think, can fairly be said in conclusion: even if the Calvinists have the greatest difficulty in expressing what exactly that something more is that they experience in the holy banquet, ecumenical theology will always have need of them to throw their weight on Calvin’s side of the Reformed boat.“ (Ebd., Hervorhebung im Original.)

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calvinischen Abendmahlslehre.124 Davis geht von einer größeren Entwicklung in Calvins Abendmahlslehre aus, die ihren reifsten Ausdruck in der Institutio von 1559 gefunden habe. Er begründet seine These damit, dass wichtige Konzepte wie zum Beispiel die Instrumentalität der sakramentalen Zeichen, die Akkommodation und das Wirken des Heiligen Geistes in der ersten Auflage von 1536 fehlten.125 „Calvins Abendmahlslehren von 1536 und 1559 können nicht einfach gleichgesetzt werden.“126 Die Selbsteinschätzung des Reformators, dass sich seine Lehre vom Abendmahl nicht verändert habe, sei daher als falsch anzusehen.127 Dieser These entsprechend stellt Davis die Abendmahlslehre des Reformators in den entsprechenden Entwicklungsschritten dar. Er beginnt mit dem Consensus Tigurinus von 1549 und geht davon aus, dass dieser Text Calvins Theologie nicht entspreche, sondern eher Ausdruck bullingerianischer Lehre sei.128 Im Rahmen dieser Untersuchung hebt Davis hervor, dass Calvin davon ausgehe, dass der Empfang Christi dem Empfang des Sakramentes vorangehe und zugleich daran gebunden sei. Auf alle Fälle werde Christus mit den sichtbaren Zeichen empfangen. Das Abendmahl sei das von Gott eingesetzte Mittel, um die Gemeinschaft mit Christus zu empfangen. Gott erfülle immer und damit objektiv, was er in den Sakramenten verheiße. Diese Objektivität jedoch widerspreche dem Consensus Tigurinus, der die Sakramente zu bloßen Zeichen degradiere.129 Dann widmet sich Davis weiteren Quellen der calvinischen Abendmahlslehre. In der Institutio von 1536 fehle das Kozept des substantiellen Essens. Nicht Christi Substanz, sondern seine Wohltaten würden nach dieser Quelle im Abendmahl empfangen.130 In der ersten Auflage fehle vollständig das Konzept, dass der Heilige Geist Christus gegenwärtig setze.131 Dieser Text sage auch nicht deutlich, was denn im Abendmahl empfangen werde.132 Der Vorwurf des katholischen Theologen Killian McDonnell, dass Calvins Theologie nicht inkarnatorisch sei, verkenne die Tatsache, dass die gesamte Theologie Calvins darauf basiere, dass Gott durch Werkzeuge handle, die er jedes Mal mit seiner Kraft beseele.133 Davis unterstreicht wie Gerrish den instrumentalen Charakter der Sakramente. Wenn Calvin aber zwischen Zeichen und Sache differenziere, so solle damit Gottes Gnade groß, nicht aber die 124 Davis, Thomas J.: The clearest promises of God. The Development of Calvin’s Eucharistic Teaching, New York 1995. 125 Vgl. ebd., 24. 126 „Calvin’s eucharistic doctrines of 1536 and 1559 simply cannot be equated.“ (Ebd., 71.) 127 Vgl. ebd., 79. 128 Vgl. ebd., 30. 129 Vgl. ebd., 50 – 52. 130 Vgl. ebd., 72 f. 131 Vgl. ebd., 76. 132 Vgl. ebd., 83. 133 Vgl. ebd., 118.

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Einleitung

Zeichen klein gemacht werden. Das Ziel von deren Dienstes bestehe darin, die Gläubigen zur wahren Gotteserkenntnis zu führen.134 Im Petit Traict¦ (1541) vollziehe Calvin dementsprechend einen wichtigen Entwicklungsschritt, da in diesem Text das Abendmahl den Gläubigen Gewissheit und Sicherheit schenke. Das Sakrament vermittle Wissen über die Erlösung in Christus, das Gott den Gläubigen hier in akkommodierter Weise anbiete. Zugleich müsse aber auch Kenntnis von der Erlösung dem Sakrament vorangehen.135 „Es ist diese Dialektik vom Wissen über das Sakrament und dem Wissen, das aus dem Sakrament kommt, die als Hinweis dazu dient, Calvins Sicht über die Beziehung zwischen Wort und Sakrament zu verstehen.“136 Die schwachen Gewissen, an die sich Calvin im Petit Traict¦ wende, bräuchten in ihrer gefallenen, schwachen Natur eine göttliche Hilfe, damit sie wüssten, dass sie mit Christi Leib und Blut Gemeinschaft haben. Diese menschliche Schwachheit habe Gott dazu veranlasst, so etwas wie Sakramente einzusetzen. In diesen irdischen Zeichen spiegle er seine Wahrheit wieder.137 Die Formalursache der unio cum Christo sei der Heilige Geist, wohingegen das eucharistische Mahl ein sekundäres Hilfsmittel sei, das Gott aufgrund der menschlichen Schwäche eingesetzt habe.138 Glaube, Wissen und das Abendmahl, das unter dem Wirken des Heiligen Geistes stehe, sind nach Davis bei Calvin so miteinander verbunden, dass sie voneinander abhängen: Der Heilige Geist erleuchte die Gläubigen, der Glaube sei die Gabe, die diese Erleuchtung empfange. Das Wissen sei das Ergebnis des Empfangs dieser geistgewirkten Erleuchtung. Das Abendmahl versiegle die Gabe und versichere den Gläubigen die Wahrheit von Gottes Verheißung.139 Damit Gottes Akkommodation in den irdischen Zeichen funktioniere, müsste es zum Einen Kontinuität zwischen dem Bezeichneten und dem Zeichen und zum Anderen eine Verbindung zwischen beiden geben, die verbürge, dass Gott das Bezeichnete auch wirklich schenke.140 „[D]iese akkommodierte Instrumentalität, die Gott zum Wirken seines Willens verwendet, ist nicht okkasionell oder willkürlich“141. Die besondere Gabe des Abendmahls sei daher ein Verstehen der Einheit mit Christus, das nur dort zugänglich sei. Das im Abendmahl Empfangene jedoch könne auch auf andere Weise empfangen werden. Die spezifische Gabe des Abendmahls sei also keine besondere Prä134 Vgl. ebd., 119. 135 Vgl. ebd., 120 f. 136 „It is this dialectic of knowledge about the sacrament and knowledge that springs from the sacrament that serves as a clue to understanding Calvin’s view on the relationship between word and sacrament.“ (Ebd., 121.) 137 Vgl. ebd., 123 f. 138 Vgl. ebd., 166. 139 Vgl. ebd., 167. 140 Vgl. ebd., 124. 141 „this accommodated instrumentality that God uses to work his will is not occasional or arbitrary“ (Ebd., 125).

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senz Christi, sondern ein erhöhtes Wissen um seine Gegenwart.142 Dieses besondere Wissen als Proprium des Abendmahls finde sich auch in anderen Schriften Calvins wieder.143 Ein weiteres akkommodiertes Werkzeug für diese Erkenntnis stelle das Wort dar.144 Es gebe eine Hierarchie der Werkzeuge, in der die Sakramente unten stünden, da sie von höheren Mitteln abhingen. Dennoch sei das Abendmahl unerlässlich, weil dadurch Gott zeige, dass er nahe sei.145 An diese von Gott eingesetzten Instrumente seien die Christen gebunden. „Sie haben Zugang zu Gott nur durch seine ausgewählten Instrumente, von denen die Eucharistie ein grundlegendes Mittel ist.“146 Calvins Hinzufügungen zur Institutio von 1559 können nach Davis unter den Stichwörtern „Wissen“, „wahre Teilhabe“ und „Instrumentalität“ zusammengefasst werden.147 Dort verstehe Calvin das Abendmahl als akkommodierte Erkenntnisquelle für die unio cum Christo, die so hoch sei, dass sie physisch „exhibiert“148 werden müsse, damit die menschlichen Sinne sie verstünden.149 Durch das Wirken des Heiligen Geistes empfingen die Gläubigen Christi Leib und Blut, wobei Brot und Wein deren Empfang abbildeten.150 Das Abendmahl sei somit ein göttliches Werkzeug, durch das die Gläubigen mit Christus vereint würden und ihnen die Erkenntnis von Gottes Güte auf akkommodierte Weise vermittelt würde.151 Durch das vermittelte Wissen werde die Gemeinschaft mit Christus vertieft.152

2.2 Katholische Autoren Als römisch-katholischer Theologe hat sich der Benediktiner Kilian McDonnell153 (*1921) mit Calvins Abendmahlslehre und deren Bezügen zur Ekklesiologie befasst. In seinen Untersuchungen bechränkt er sich im Gegenatz zu den zuvor vorgestellten Arbeiten auf die Institutio von 1559.154 Calvin habe das Abendmahl vor allem als Akt der Ortsgemeinde verstanden.155 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Vgl. ebd., 128. Vgl. ebd., 150; 156 f. Vgl. ebd., 182. Vgl. ebd., 183. „They have access to God only through his chosen instruments, of which the Eucharist is a prime means.“ (Ebd., 186.) Vgl. ebd., 202. „exhibited“ (Ebd., 203). Vgl. ebd. Vgl. ebd., 206 f. Vgl. ebd., 214. Vgl. ebd., 216. McDonnell, Kilian: John Calvin, the Church, and the Eucharist, Princeton 1967. Vgl. ebd., 3. Vgl. ebd., 191.

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Seine detailliertere Analyse von Calvins Abendmahlslehre beginnt McDonnell mit der Christologie Calvins. Auch wenn seine Christologie nestorianisierende Tendenzen aufweise156, müsse seine Verurteilung von Nestorius ernst genommen werden und daher sei seine Orthodoxie bezüglich der Christologie nicht in Zweifel zu ziehen.157 „Die Lehre von der ontologischen Einheit der zwei Naturen“158 sei Calvin jedoch suspekt gewesen, weil das für ihn eine unzulässige Vermischung der Naturen darstelle.159 Daher bilde nicht eine solche Union, sondern die eine Person des Mittlers die Grundlage für die Idiomenkommunikation160, die Calvin nicht wie die Väter als reale Mitteilung der göttlichen Idiome an die menschliche Natur verstehe.161 Auch wenn Calvin eher die Unterscheidung der beiden Naturen betone, so beinhalte seine Christologie doch alle Elemente, die das depositum fidei erfordere, da er trotz der Unterscheidung die beiden Naturen nicht trenne.162 Die Spannung zwischen Unvermischtheit und Ungetrenntheit müsse aufrechterhalten werden.163 McDonnell findet Parallelen zwischen Thomas von Aquin (1225 – 1274) und Calvin, da beide die lokale Gegenwart ablehnten. Allerdings würde Calvin das Problem der substantiellen Präsenz nicht verstehen, weil er Substanz empirisch und nicht wie Thomas metaphysisch auffasse. Deswegen träfe Calvins Kritik nicht Thomas selbst, sondern eher die Spätscholastik und die eucharistische Volksfrömmigkeit.164 Der Reformator habe nicht erkannt, dass Thomas den groben Realismus des Frühmittelalters ebenso ablehne.165 Daher sei es verständlich, dass für den Reformator die Realpräsenz ein Akt im Heiligen Geist sei. Die Mitteilung von Christi Leib und Blut sei daher nur ein anderer Begriff für Realpräsenz.166 Im Abendmahl werde wirklich der Leib Christi gegeben. Aber der Realpräsenz werde in Calvins Abendmahlslehre soviel Raum eingeräumt, dass andere Elemente nicht die nötige Aufmerksamkeit erhielten. „Eucharistie ist mehr als nur Realpräsenz.“167 Mit Bezug auf Wilhelm Niesel hebt McDonnell hervor, dass die Tat des Geistes nicht mit dem Moment der Abendmahlsfeier identifiziert werden könne. Daran werde auch klar, dass das Abendmahl keine ihm eigene Gabe habe, da alles, was dort empfangen werde, auch in der unio cum Christo empfangen werden könne.168 156 Als Beleg führt McDonnell Inst. II 13,4 an, wo Calvin schreibt, dass der Logos auch während seines irdischen Lebens den Himmel nicht verlassen habe. 157 Vgl. McDonnell, John Calvin, 214. 158 „The doctrine of the ontological union of the two natures“ (Ebd., 215). 159 Vgl. ebd. 160 Vgl. ebd., 217. 161 Vgl. ebd., 218. 162 Vgl. ebd., 219. 163 Vgl. ebd., 222. 164 Vgl. ebd., 238. 165 Vgl. ebd., 303. 166 Vgl. ebd., 239. 167 „The Eucharist is more than just real presence.“ (Ebd., 373.) 168 Vgl. ebd., 268.

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McDonnell kritisiert die vielen Spannungen in Calvins Abendmahlslehre. Weil Calvin die Menschheit Jesu nur als ein Werkzeug verstehe, das ohne den göttlichen Logos keine Kraft habe, fehle Calvin die volle inkarnatorische Dimension. Das verhindere, Zeichen und Bezeichnetes in einer wahren inkarnatorischen Beziehung zueinander zu sehen.169 Das Übergewicht der Distinktion von Zeichen und Sache mache aus den Sakramenten eher eine Gelegenheit zum Empfang der Gnade. Solch eine skotistische Sichtweise der Sakramente werde zwar von katholischen Theologen nicht geschätzt, dennoch sei sie nie verurteilt worden.170 „Calvins Okkasionalismus ist eine annehmbare Theorie über die Wirksamkeit der Sakramente.“171 So sei in der Einheit von Zeichen und Sache die gleiche „nestorianische Tendenz“172 zu finden wie auch in seiner Christologie.173 Abschließend stimmt McDonnell Alexandre Ganoczys (*1928) Urteil zu, dass Calvins Sakramenten- und Abendmahlslehre nicht homogen sei. Auch habe seine Sakramentenlehre keine logische Struktur. Außerdem führe eine Abendmahlslehre, die dem Abendmahl keine eigene Gabe lasse, dazu, das Abendmahl letztendlich überflüssig zu machen.174 Der Artikel von Joseph Ratzinger (*1927) über die Transsubstantiationslehre175 muss in diesem Überblick ebenfalls erwähnt werden. Der Hauptteil seines Artikels entfaltet eine moderne Interpretation der Transsubstantiationslehre. Nur im ersten Kapitel des Aufsatzes behandelt Ratzinger die Abendmahlslehre Calvins und Luthers. Da Ratzingers Einschätzung der calvinischen Abendmahlslehre von katholischen Theologen aber gerne rezipiert wird176, darf sie in diesem Überblick nicht fehlen. Ratzinger setzt bei Calvins Himmelfahrtstheologie ein. Calvin gehe davon aus, dass Jesus Christus in seiner Menschheit nicht überall sein könne. So könne es bei Calvin nur eine Vereinigung mit Christus geben, indem er die Gläubigen zu sich in den Himmel emporziehe.177 Daher sei „Christus […] zur Rechten des Vaters und nicht auf unseren Altären.“178 Calvins pneumatologischer Aspekt müsse gewürdigt werden. Auch stelle die Dialektik von Inkarnation und Himmelfahrt, der zufolge sich der Herr in unsere Hände gebe und doch der ganz Andere bleibe, einen positiven Aspekt seiner Lehre dar. 169 170 171 172 173 174 175

Vgl. ebd., 367 f. Vgl. ebd., 369. „Calvin’s occasionalism is an acceptable theory of sacramental causality.“ (Ebd.) „Nestorian tendencies“ (Vgl. ebd., 244). Vgl. ebd., 244 f. Vgl. ebd., 381. Ratzinger, Joseph: Das Problem der Transsubstantiation und die Frage nach dem Sinn der Eucharistie, in: ThQ 147 (1967), 129 – 158. 176 Zuletzt s. Tück, Gabe, 319 f. Auch Gerhard Ludwig Müller übernimmt in seiner Dogmatik Ratzingers Einschätzungen, auch wenn er nicht direkt Ratzingers Aufsatz zitiert. (Vgl. Müller, Gerhard Ludwig: Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg im Bresigau – Basel – Wien 72005, 365; 704 f.) 177 Vgl. Ratzinger, Problem, 133. 178 Ebd.

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Aber bei Calvin führe all das dazu, dass der ganze christliche Kult auf das Oben orientiert sei.179 „Der zentrale Inhalt der eucharistischen Feier ist das Obenhaben des Herzens, das Emporgehobenwerden und sich Erhebenlassen zum Herrn. […] Das Sakrament wird reduziert auf den Akt des Emporhebens durch den Heiligen Geist. Es hat keine Realität hier unten, in unserer Mitte. […] Es gibt kein wirkliches Eingehen des Herrn in die irdische Wirklichkeit mehr, in dem dialektischen Zusammenspiel von Hiersein und Nichthiersein droht das Hiersein praktisch aufgehoben zu werden; das Hier wird bedeutungslos gegenüber dem Dort.“180

Ratzinger sieht damit die Gegenwart Christi in der irdischen Feier des Abendmahls zunichte gemacht, weil alles Wichtige im Himmel stattfinde. Denn der Gegenwart im Tabernakel und in der Monstranz stelle Calvin „ein entschiedenes Nicht-hier“ entgegen und der eucharistischen Anbetung setze er „das Hinaufgezogenwerden des Menschen zu Christus“ entgegen.181 Auch kritisiert Ratzinger das fehlende Proprium des Abendmahls in Calvins Theologie, weil bei ihm die Gegenwart Christi auch in anderen Vollzügen erreicht werden könne. Damit werde die eucharistische Gegenwart Christi in dessen allgemeine Gegenwart aufgehoben und verliere so ihr Spezifikum.182

2.3 Ökumenische Dokumente Die Realpräsenz ist auch Gegenstand des ökumenischen Dialoges. Das Abschlussdokument der ersten Dialogrunde des reformiert-katholischen Dialogs Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt183 (1977) beschäftigt sich u. a. mit der Eucharistie. Der Vorsitzende der Kommission auf katholischer Seite war Kilian McDonnell.184 Anzumerken ist, dass der Text sich nicht ausdrücklich auf Calvin beruft. Er rezipiert aber viele Motive seiner Abendmahlslehre, wie es die weiteren Untersuchungen zeigen werden. Die Gegenwart Christi wird zunächst als seine Gegenwart inmitten der zum eucharistischen Mahl versammlten Gemeinde verstanden. Durch seinen Tod am Kreuz habe er die Menschheit in seinen Leib eingegliedert.185 „Durch die Teilnahme daran wird die Kirche erbaut als der Leib Christi. Das ist dasselbe Geheimnis, das uns in der eucharistischen Feier gespendet wird.“186 Die eu179 180 181 182 183

Vgl. ebd., 134. Ebd., 134 f. Vgl. ebd., 136. Vgl. ebd., 135. The presence of Christ in church and world, in: The Secretariat for Promoting Christian Unity : Information Service 35 (1977), 18 – 34; deutscher Text in: DWÜ I 487 – 517. 184 S. DWÜ I 516. 185 S. DWÜ I 506 [Die Gegenwart Christi 82]. 186 S. ebd.

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charistische Gegenwart wird als sakramental und personal zugleich bestimmt. Sie sei sakramental, „insofern sie die konkrete Form ist, welche das Geheimnis in der eucharistischen Kommunion seines Leibes und Blutes annimmt. Es ist aber auch eine personale Gegenwart, weil Jesus Christus in seiner eigenen Person unmittelbar gegenwärtig ist und sich uns in seiner Wirklichkeit als wahrer Mensch und wahrer Gott gibt. In der Eucharistie teilt er sich selbst uns mit in der ganzen Realität seiner Gottheit und Menschheit.“187

Diesem gemeinsamen Bekenntnis zur Gegenwart Christi im Herrenmahl folgen christologische Reflexionen, in denen explizit auf die Christologie Calvins Bezug genommen wird. Gemeinsam wird festgestellt, dass die Lehre des sogenannten Extra Calvinisticum keine calvinistische Sonderlehre sei, „sondern Gemeingut der vorchalkedonensischen wie auch der nachkalkedonensischen Orthodoxie, im Osten wie im Westen.“188 Erstaunlich ist die gemeinsame Feststellung, dass die Eucharistie ein „Opfermahl“189 sei. Die abschließende Stellungnahme resümiert: „Wir glauben, über den Sinn, den Zweck und das Grundlegende in der Lehre der Eucharistie ein gemeinsames Verständnis erreicht zu haben, das mit dem Wort Gottes und der universalen Tradition der Kirche in Übereinstimmung steht.“190

Die Terminologie früherer Streitigkeiten sei nicht adäquat, den heutigen Konsens auszudrücken. Aber sowohl Reformierte als auch Katholiken „erkennen […] dankbar an, daß beide Traditionen, die reformierte und die römisch-katholische, zu dem Glauben an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie stehen“191. Die letzte Nummer dieses Abschnitts nennt weiter zu behandelnde Problemstellungen, wie zum Beispiel Fragen bezüglich des Amtes oder der Liturgie.192 Es ist auffällig, dass der Text sich nicht um eine Aufarbeitung der traditionellen Streitpunkte bemüht. Themen wie somatische Realpräsenz oder Transsubstantiation werden nicht benannt. So erfreulich das gemeinsame Bekenntnis zur Realpräsenz ist, so unpräzise sind diese Aussagen, so dass darunter sowohl römisch-katholische als auch calvinische und sogar zwinglianische Abendmahlsvorstellungen fallen können, die nicht deckungsgleich sind, wie später zu zeigen ist. Gerade die Beziehung zwischen Brot und Wein und dem Leib und Blut Christi bleibt hier weitgehend ungeklärt. Genau dieser Punkt wird 1986 in Lehrverurteilungen – kirchentrennend? aufgegriffen und präziser behandelt. Die ökumenische Studie widmet sich 187 188 189 190 191 192

S. DWÜ I 506 [Die Gegenwart Christi 83]. DWÜ I 507 [Die Gegenwart Christi 84]. DWÜ I 508 [Die Gegenwart Christi 87]. DWÜ I 509 [Die Gegenwart Christi 91]. Ebd. S. DWÜ I 510 [Die Gegenwart Christi 92].

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aufgrund des ihr gestellten Themas den Verurteilungen des ersten Canon des Trienter Dekrets über die Eucharistie, der sich mit der Realpräsenz Jesu Christi beschäftigt.193 Die lutherischen Bekenntnisschriften seien nicht von den Verurteilungen betroffen trotz der von der katholischen Tradition unterschiedlichen Auffassung von Realpräsenz.194 Daraufhin wendet sich der Text ausdrücklich Calvin zu und fragt: „Wie steht es mit der Position Calvins und der von Calvin geprägten reformierten Tradition?“195. Deutlich wird seine Differenz zu Zwingli herausgestellt. Von den Verurteilungen werde Calvin nicht getroffen196, das aber „bedeutet wiederum nicht, daß Calvin und die reformierte Theologie dem positiven Inhalt von Canon 1 dem Wortlaut nach einfach zustimmen könnten.“197 Es folgt eine detaillierte Untersuchung von Calvins Abendmahlslehre. „Eine räumlichkörperliche Anwesenheit der menschlichen Natur Christi ,in‘ oder ,unter‘ Brot und Wein lehnt er ab“198, weil diese aus christologischen Gründen nicht möglich sei. Den Weg, „erst mittels einer Konkomitanzlehre“199 zur Gegenwart des totus Christus zu gelangen, wolle Calvin nicht beschreiten. Eine solche Betrachtungsweise sei für Calvin falsch200, da sie versuche, die Gegenwart Christi und seine Selbstmitteilung nicht als geistgewirkt zu verstehen, sondern „als Folgerung aus einer anfechtbaren und biblisch nicht zu begründenden metaphysisch-theologischen These aufrechtzuerhalten.“201 Statt der Verbindung des eucharistischen Brotes zum Leib Christi habe Calvin die Gegenwart Christi im Sinne der biblischen Theologie auf die personale Präsenz konzentriert.202 Daraus ergibt sich für Lehrverurteilungen – kirchentrennend folgendes Problem: „Von Calvins Gedanken her ergibt sich also die – aus heutiger Sicht etwas eigenartige – ,Alternativ‘-Frage, ob ,Leib und Blut Christi‘ oder ,Christus als Person‘ präsent ist. Hier zeigen sich deutlich auch Grenzen der Eucharistietheologie Calvins. Calvin wendet sich gegen eine ,somatische‘ Gegenwart des Leibes und Blutes, die mit den Elementen verbunden gedacht wird, sei sie durch Transsubstantiation, sei sie durch Ubiquität der menschlichen Natur erklärt. Statt dessen bekräftigt er, daß die Gegenwart Jesu Christi ,vere, realiter et substantialiter‘ (,wahrhaft, wirklich und substanzhaft‘) kraft seiner Verheißung durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes zustande kommt.“203 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203

S. DH 1651. Vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 95,5 – 11. Ebd., 95,12 f. Vgl. ebd., 95,12 – 22. Ebd., 95,23 f. Ebd., 95,29 f. Ebd., 95,33 – 96,2. Ebd., 96,3. Ebd., 96,4 – 6. Vgl. 96,6 – 9. Ebd., 96,10 – 17.

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Deutlich wird damit das Fehlen der somatischen Realpräsenz in Calvins Abendmahlslehre kritisiert. Nur weil der ganze Christus der Handelnde im Abendmahl sei, würden die Gläubigen in der Kraft des Heiligen Geistes mit Christi Leib und Blut verbunden.204 Erwähnt wird Calvins Ablehnung der manducatio impiorum. Angeboten werde das Sakrament zwar allen, aber im Falle der Ungläubigen komme die geistgewirkte Verbindung nicht zustande.205 Die Studie erwähnt dann die modernen ökumenischen Dokumente mit reformierter Beteiligung. Erst unter deren Berücksichtigung könne festgestellt werden, „daß – trotz divergierender Terminologie – das gegenwärtige reformierte Verständnis der eucharistischen Gegenwart Christi durch die Verwerfung des Trienter Can. 1 […] nicht getroffen wird.“206

2.4 Der Fragehorizont dieser Arbeit Die erwähnte Literatur hilft, die erkenntnisleitenden Interessen zu präzisieren. Neben der Frage nach der wahren Gegenwart Christi und deren Modus muss auf folgende Einwände und Fragen zu Calvins Lehre eingegangen werden: Was wird nach Calvin im Abendmahl empfangen? „Nur“ der ganze Christus oder sein Leib und Blut? Wie ist die Verbindung von Zeichen und Sache zu verstehen? Kann bei Calvin von somatischer Realpräsenz gesprochen werden? Was geschieht nach Calvin in der Feier des Abendmahls auf Erden? Wie verhält sich das von ihm so oft angemahnte sursum corda zur eucharistischen Gegenwart Christi? Beeinträchtigt die Verknüpfung von Prädestination, Glaube und Empfang der Abendmahlswirklichkeit die Objektivität der Sakramente? Welche Folgen hat es für die Gegenwart Christi, dass die res sacramenti durch den Glauben empfangen wird? Führt das dazu, dass das Abendmahl eher den Blick auf die eigene Gläubigkeit anstatt auf die vorgegebene Gegenwart Jesu Christi lenkt? Diese Fragen werden mehr oder weniger ausdrücklich die Analysen der calvinischen Quellen begleiten. Sie gehören zu den präzisierten erkenntnisleitenden Interessen.

204 Vgl. ebd., 96,21 – 23. 205 Vgl. ebd., 96,24 – 26. 206 Ebd., 97,19 – 21.

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3. Die Auswahl der Quellen Diese Arbeit untersucht drei abendmahlstheologisch relevante Quellen: den Petit Traict¦ de la Saincte Cene de Nostre Seigneur Iesus Christ207 von 1541, die Consensio mutua de re sacramentaria208 von 1549 und die fünfte – und damit letzte – Ausgabe der Institutio Christianae Religionis209 von 1559. Der Auswahl dieser Texte liegen mehrere Erwägungen zugrunde. Zunächst soll in dieser Arbeit der Fehler vermieden werden, Calvin auf ein Werk, nämlich die Institutio von 1559 zu reduzieren, wie dies bei einigen Arbeiten der Fall ist.210 Oft gilt die Institutio als Interpretationsmaßstab für frühere Werke, so dass diese im Licht der Institutio gedeutet werden211, weil – zumindest in der älteren Forschung – davon ausgegangen wurde, dass die Kommentare und auch die Predigten nichts anderes enthielten, als was Calvin nicht auch schon in der Institutio geschrieben habe.212 Der Grund für diese Vorgehensweise liegt in Calvins eigenen Aussagen. Im Vorwort der Institutio an den Leser der Ausgabe von 1559 schreibt der Reformator, dass er nun mit der Anordnung des Stoffes im Vergleich zu den bisher erschienenen Ausgaben zufrieden sei.213 Diese Selbstaussage sollte zum Einen als Verstehenshilfe ernst genommen und daher nicht ignoriert werden. Zum Anderen sollte sie aber auch den Blick über die Institutio hinaus nicht verhindern.214 Wim Janse215 (*1956) und Thomas J. Davis haben in ihren Arbeiten betont, dass Calvins Abendmahlslehre kein monolithischer und unveränderlicher Block sei.216 Von Calvins erster Äußerung über das Abendmahl in der Institutio von 1536 bis zu den Texten, die er kurz vor seinem Tod 1564 verfasst hat, sei eine gewisse Entwicklung feststellbar.217 Diesen Hinweisen versucht die Auswahl der Quellen ansatzweise zu ent207 OS I 503 – 530. 208 Consensio mutua in re sacramentaria ministrorum Tigurinae ecclesiae et d[omini] Ioannis Calvini, ministri Genevensis ecclesiae, iam nunc ab ipsis authoribus edita, in: Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus (1549). Die Einigung zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl. Werden – Wertung – Bedeutung, Zürich 2009, 125 – 142. 209 OS III–V. 210 S. zum Beispiel Kilian McDonnells Arbeit über die calvinische Abendmahlslehre. 211 Vgl. Davis, Promises, 3. 212 Vgl. Selderhuis, Herman J.: Institutio, in: ders. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 197 – 204, hier: 197. 213 S. OS III 5,14 f [Ioannes Calvinus Lectori]. 214 Vgl. Davis, Promises, 4. 215 Janse, Wim: Calvin’s Eucharistic Theology. Three Dogma-Historical Observations, in: Selderhuis, Herman J.: Calvinus sacrarum literarum interpres. Papers of the International Congress on Calvin Research (= Reformed Historical Theology 5), Göttingen 2008, 37 – 69. 216 „His eucharistic thought definitely did not share in the divine characteristic of immutability.“ (Janse, Eucharistic Theology, 38.) – Vgl. Davis, Promises, 24. 217 Vgl. Janse, Eucharistic Theology, 38.

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Die Auswahl der Quellen

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sprechen. Daher werden ein Werk des früheren Calvin, der noch nicht den Consensus Tigurinus mit der Zürcher Kirche abgeschlossen hat, und die Institutio als Ausdruck der reiferen Theologie Calvins, der sich bereits mit Heinrich Bullinger in der Abendmahlsfrage verständigt und die ersten harten Auseinandersetzungen mit den Gnesiolutheranern in den 1550er Jahren erlebt hat, herangezogen und näher untersucht. Der Consensus Tigurinus kann als eine Art Wendepunkt in Calvins abendmahlstheologischer Entwicklung verstanden werden, da dieses Dokument quasi als „Gründungsdokument“ einer weiteren evangelischen Kirche neben der lutherischen Kirche verstanden werden kann.218 Wurde Calvin bis dahin von den Zürchern als Lutheraner oder zumindest als diesen verdächtig nahestehend angesehen219, so markiert die Einigung zwischen Genf und Zürich die Trennung der reformatorischen Bewegung in einen lutherischen und einen reformierten Zweig.220 Das wird dadurch deutlich, dass nach der Veröffentlichung dieses Textes Calvin im zweiten innerreformatorischen Abendmahlsstreit scharf von Lutheranern angegriffen wurde. Aufgrund dieser Stellung des Consensus Tigurinus ist es sinnvoll, jeweils ein Werk aus der Zeit davor und ein Werk aus der Zeit danach und auch den Wendepunkt selbst zu Wort kommen zu lassen. So kann das Maß der Entwicklung von Calvins Theologie eruiert werden. Beachtet werden muss, dass alle Texte verschiedene historische Kontexte und verschiedene Adressaten haben.221 Das jeweilige Profil des einzelnen Textes gilt es daher, im Blick zu haben. Eine ausführliche Analyse aller calvinischen Äußerungen zum Abendmahl, wie sie in Katechismen222, Bekenntnissen223, Kommentaren224, Briefen225, liturgischen Formularen226 und Predigten227 gefunden werden können, ist 218 Vgl. Campi, Emidio: Consensus Tigurinus. Werden, Wertung und Wirkung, in: ders. u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 9 – 41, hier: 9. 219 Vgl. Gäbler, Ulrich: Art. ,Consensus Tigurinus‘, in: TRE 8 (1981), 189 – 192, hier: 189. 220 Vgl. Busch, Eberhard: Gotteserkenntnis und Menschlichkeit. Einsichten in die Theologie Johannes Calvins, Zürich 2005, 137. 221 Janse macht in seinem Artikel darauf aufmerksam, dass Calvin auch Kirchenpolitiker war und sich dementsprechend seinem Gesprächspartner sprachlich anpassen konnte. (Janse, Eucharistic Theology, 40.) Dieser Umstand soll durch die Auswahl der Texte im Ansatz Berücksichtigung finden. 222 S. OS I 412 f [Cat¦chisme] und OS II 137,16 – 144,14 / CStA 2, 124,6 – 134,17 [Catechismus Genevensis]. Es handelt sich beim ersten Text um den Genfer Katechismus von 1537, beim zweiten um die lateinische Ausgabe von 1545. 223 S. zum Beispiel OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia]. 224 S. zum Beispiel die Kommentare zu 1 Kor 11,23 – 29 in CO 49, 483 – 493 und zu den entsprechenden Stellen in der (synoptischen) Evangelienharmonie in CO 45, 703 – 712. 225 Die Abendmahlslehre in Briefform findet sich beispielsweise in der Korrespondenz mit Heinrich Bullinger vor dem Abschluss des Consensus Tigurinus. (S. Campi, Emidio u. Reiuch, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 82 – 117.) 226 S. zum Beispiel OS II 11 – 58 / CStA 2, 148 – 224 [La forme des priÀres].

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Einleitung

wegen der großen Fülle an Material nicht möglich. Sie sollen aber nicht völlig unberücksichtigt bleiben, sondern an einigen Stellen, wo diese anderen Texte deutlicher als die drei Quellen sind, zur Vertiefung und Erläuterung zur Sprache kommen. Der Mangel allerdings besteht darin, dass der spezifische Charakter dieser Texte nicht so stark berücksichtigt werden kann, wie dies bei den drei ausgewählten Quellen der Fall sein wird. Die Beschränkung auf drei Werke ist somit eine methodische, um die Fülle an Textmaterial zu bewältigen. Der Petit Traict¦, der Consensus Tigurinus und die Institutio sind gewissermaßen drei prominente, abendmahlstheologisch relevante Werke. Der erste Text ist Calvins erste Monographie zum Abendmahl, mit der er bewusst „kurz und dennoch klar“228 seine Position zu den innerhalb der reformatorischen Bewegung bereits aufgekommenen Auseinandersetzungen darstellen will. Der Consensus Tigurinus weist dagegen Spannungen zur Lehre auf, wie sie im Petit Traict¦ formuliert ist, so dass sich die Frage stellt, wie ernst Calvins frühere Aussagen genommen werden müssen. Die dritte Quelle bekommt von Calvin selbst im bereits erwähnten Vorwort zur Institutio ihre Bedeutung, wenn auch die oben genannten Einschränkungen nicht vergessen werden dürfen. Zudem ist die Institutio das bekannteste Werk des Reformators. Bewusst wurde auf eine synoptische Interpretation der calvinischen Texte verzichtet, die unter bestimmten Topoi die einzelnen Texte untersucht und miteinander vergleicht.229 In dieser Arbeit werden die drei Quellen getrennt voneinander analysiert, um so dem Werk selbst die Möglichkeit zu geben, die ihm eigenen Themen zu nennen. Die Texte selbst geben jeweils Themenblöcke vor, die für die Fragestellung dieser Studie von Bedeutung sind. Zu diesen Gesichtspunkten müssen dann teilweise auch die anderen abendmahlstheologisch relevanten Quellen zu Wort kommen. Die Stimme der anderen Texte ist vor allem bei der Analyse der Institutio wichtig, und zwar bereits vom Ansatz des Werkes aus. Calvins Eigeninterpretation der Institutio sollte nämlich zur Kenntnis genommen werden, da er selbst eine Verstehenshilfe zu diesem Werk anbietet. Im bereits erwähnten Vorwort zur Institutio verweist Calvin auf seine Kommentare.230 Deren Vorgehensweise erläutert er in einem Brief an Simon Grynaeus (1493 – 1541) vom November 1539, also zu der Zeit, in der Calvins erster Kommentar – der Kommentar zum Römerbrief – erschien. Im Gegensatz zu Philipp Melanchthon (1497 – 1560), der in seinen Kommentaren nicht alles erörtere231, und 227 S. zum Beispiel CO 49, 657 – 670 [Predigt über 1 Kor 10,15 – 18]; 777 – 790 [Predigt über 1 Kor 11,23 – 25]. 228 „brievement, et neantmoins clairement“ (OS I 503 / CStA 1.2, 442,21 [Petit Traict¦], eigene Übersetzung). 229 So geht zum Beispiel Wilhelm Niesel in seinem Werk über Calvins Abendmahlslehre vor. 230 S. OS I 6,31 – 7,1 [Ioannes Calvinus Lectori]. In der Ausgabe von 1543 verweist der Reformator beispielsweise explizit auf seinen 1539 erschienenen Kommentar zum Römerbrief. (S. CO 1, 255 f [Ioannes Calvinus Lectori (1543)].) 231 S. ICOE 13, 4,11 – 13 [Brief an Simon Grynaeus vom 15. November 1539].

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Anmerkungen zur verwendeten Terminologie

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Martin Bucer (1491 – 1551), dessen Ausführungen für beschäftigte Leute viel zu ausführlich seien232, möchte Calvin „in klarer Kürze“233 die biblischen Texte fortlaufend kommentieren. Die Institutio hingegen diene als Vorbereitung und Einweisung „für die Kandidaten der Theologie zur Lektüre des göttlichen Wortes“234 und habe infolgedessen Platz für längere Erörterungen, wofür in den Kommentaren eben kein Raum sei.235 Die Institutio erörtere die Heilige Schrift und binde in diese Erörterungen auch längere dogmatische Diskussionen ein236, ohne jedoch dabei allzu ausführlich zu werden.237 Daraus ergibt sich auch der Aufbau der einzelnen Abschnitte der Institutio: Oft stellt Calvin zu Beginn eines Kapitels recht kurz und bündig den entsprechenden Lehrinhalt vor. Dann steigt er in Diskussionen mit anderen Positionen und mit den Gegnern ein und behandelt weitergehende Fragen. Dieser Aufbau, den Calvin im Vorwort andeutet, findet sich in vielen Kapiteln wieder.238 Aus der Beziehung der Institutio zu den Kommentaren ergibt sich, dass an manchen Stellen die Kommentare herangezogen werden müssen und beide Textformen sich wechselseitig interpretieren.239 Gerade der Charakter der Institutio qua Einführung in die Heilige Schrift verlangt von ihrem eigenen Ansatz her diese Methode, um so auch den Exegeten Calvin stärker zu Wort kommen zu lassen.

4. Anmerkungen zur verwendeten Terminologie Bevor mit der Untersuchung der calvinischen Quellen begonnen wird, müssen einige Begriffsbestimmungen vorweggeschickt werden. Im historischen Teil wird zur Bezeichnung für römisch-katholische Positionen, Praktiken und Lehre der Begriff „altgläubig“ verwendet. Er stammt aus den Geschichtswissenschaften und hat sich in der Reformationsforschung 232 S. ICOE 13, 5,1 – 3 [Brief an Simon Grynaeus vom 15. November 1539]. 233 „perspicua brevitate“ (ICOE 13, 3,3 – 9 [Brief an Simon Grynaeus vom 15. November 1539]). 234 „sacrae Theologiae candidatos ad divini verbi lectionem ita praeparare et instruere“ (OS III 6,18 f [Ioannes Calvinus Lectori]). 235 Das macht nochmals die französische Übersetzung dieses Vorwortes deutlich: „Et pourtant il n’est ia besoin qu’en mes Commentaires, ausquels i’expose les livres de l’Escriture saincte, i’entre en longues disputes des matieres qui sont l— trait¦es“ (CO 3, 7 f [Au lecteur]). 236 S. OS I 6,25 – 29 [Iohannes Calvinus Lectori]. 237 S. CO 3, 7 f [Au lecteur]. 238 S. das Kapitel über das Abendmahl in Inst. IV 17. Die ersten fünf Abschnitte behandeln positiv Calvins Abendmahlslehre und beschäftigen sich dann mit gegnerischen Positionen (zum Beispiel die lutherische Ubiquitätslehre und die altgläubige Transsubstantiationslehre) und weitergehenden Fragen (wie zum Beispiel Liturgie und die Frage nach der Würdigkeit der Empfänger). Aber auch andere – nicht alle – Kapitel sind auf ähnliche Weise aufgebaut, wie zum Beispiel Inst. I 11, das das Bilderverbot behandelt, und Inst. II 12, wo es um das Mittleramt Christi geht. 239 Vgl. Selderhuis, Institutio, 198.

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Einleitung

weitgehend eingebürgert. Im zweiten Teil jedoch wird der Begriff „römischkatholisch“ verwendet, was für systematische Reflexionen angebrachter ist. Zur Bezeichnung evangelischer Lehre und Praxis wird in den historischen Analysen weitgehend „reformatorisch“ verwendet. Nur an einigen Stellen werden die späteren Bezeichnungen „lutherisch“ und „reformiert“ gebraucht, um Klarheit zu schaffen, auch wenn diese Verwendung teilweise anachronistisch ist. Im systematischen Teil werden ebenfalls, um der Handhabbarkeit willen, „reformiert“ und „lutherisch“ benutzt. Zur Bezeichnung des Sakramentes der Eucharistie wird dann, wenn von evangelischen Positionen die Rede ist, der Begriff „Abendmahl“ verwendet. Dies geschieht, um der Verwendung dieses Begriffs durch die meisten Reformatoren Rechnung zu tragen. Der Grundsatz heißt, die jeweils von einer Gemeinschaft bzw. von einem Theologen gewählte Bezeichnung für das Sakrament zu berücksichtigen. Daher ist in katholischen Kontexten von „Eucharistie“ die Rede. Johannes Calvin schreibt in lateinischen Werken cena Domini und in französischen la (saincte) cene. Der deutsche Begriff „Abendmahl“ fängt die Bedeutungsebenen beider Wendungen auf, da sie jeweils die abendliche Mahlzeit bezeichnen. Eine Ausnahme bezüglich der Verwendung von „Abendmahl“ bildet Ulrich Zwingli, der in lateinischen Texten eucharistia verwendet, während er in seinen deutschen Texten „nachtmal“ schreibt, was dem neuhochdeutschen „Abendmahl“ entspricht. In ökumenischen Aussagen jedoch wird der Begriff „Herrenmahl“ verwendet, was die deutsche Übersetzung des juqiaj¹m de?pmom aus 1 Kor 11,20 darstellt. Als biblischer Begriff gilt er als „konfessionell unbelastet“240 im Gegensatz zu den konfessionell geprägten Namen für dieses Sakrament. Wenn in dieser Arbeit von „materialistisch“ die Rede ist, so ist damit nicht die philosophische Strömung oder eine Weltanschauung gemeint, sondern grobrealistische und überzogene Vorstellungen von der Gegenwart Jesu Christi. Diese Arbeit untersucht die calvinische Abendmahlslehre. „Calvinisch“ bezeichnet all das, was Johannes Calvin selbst geschrieben und gedacht hat. „Calvinistisch“ dagegen meint die Entwicklung nach Calvin und ist daher nicht mit „calvinisch“ zu verwechseln. Analog gilt das auch für die Begriffe „thomasisch“ und „thomistisch“, wobei Ersteres das meint, was Thomas von Aquin selbst vertreten hat.

240 Vorgrimler, Herbert: Sakramententheologie, Düsseldorf 31992, 173.

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I Die Abendmahlslehre Johannes Calvins Im ersten, dem historischen Teil dieser Arbeit geht es nun darum, die Abendmahlslehre des Genfer Reformators anhand von drei ausgewählten Quellen darzustellen. In einem ersten Schritt werden jeweils der größere theologiegeschichtliche Hintergrund und die zuvor erschienenen calvinischen Texte über das Abendmahl überblicksartig vorgestellt. Bei den Darstellungen besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit. Sie haben die Funktion, den Kontext, vor dem Calvin geschrieben hat, zu beleuchten und das Verständnis der Texte zu erleichtern.

1. Der Petit traict¦ de la saincte cene de nostre Seigneur Iesus Christ (1541) Calvin beginnt seinen Petit Traict¦ mit folgenden Worten: „Das Heilige Sakrament des Abendmahls unseres Herrn Jesus war lange Zeit infolge mehrerer großer Irrtümer entstellt. Und in den vergangenen Jahren ist es noch von neuem durch verschiedene Ansichten und Streitigkeiten verdunkelt worden. Da muß man sich nicht wundern, wenn viele schwache Gewissen sich nicht entscheiden können, welcher Auffassung sie sich anschließen wollen. Eher verharren sie in Zweifel und Ratlosigkeit, bis die Diener Gottes alle Meinungsverschiedenheiten einmal aus dem Weg geräumt haben und einigermaßen zu einer Übereinstimmung kommen.“1

Diese Worte plazieren den Petit Traict¦ in den Kontext des Abendmahlstreites, wie er recht früh in der reformatorischen Bewegung zwischen Martin Luther und Ulrich Zwingli ausbrach. In diese Situation hinein will Calvin mit seinem Werk Klärung bringen, um den evangelischen Gläubigen Gewissheit zu vermitteln. Der Petit Traict¦ versteht sich als einen Beitrag zu dieser Auseinanderset1 „Pource que le Sainct Sacrament de la Cene de nostre Seigneur Iesus a est¦ long temps embrouill¦ de plusieurs grans erreurs, et ces ann¦es pass¦es a encores est¦ de nouveau envelopp¦ de diverses opinions et disputes contentieuses, ce n’est pas de merveilles si beaucoup de consciences infirmes ne se peuvent bonnement resouldre, de ce qu’elles en doivent tenir, mais demeurent en doubte et perplexit¦, en attendant que, toutes contentions laiss¦es, les serviteurs de Dieu en viennent — quelque concorde.“ (OS I 503 / CStA 1.2, 442,11 – 18 [Petit Traict¦].) Wenn es nicht anders vermerkt ist, wird die deutsche Übersetzung aus der CStA übernommen.

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

zung, aber nicht ausschließlich. Um Calvins Gedanken besser verstehen zu können, ist es wichtig, diesen Streit und die darin vertretenen abendmahlstheologischen Positionen in Kürze darzustellen. Es folgen kurze Darstellungen der Abendmahlslehre von Ulrich Zwingli und Martin Luther, sowie des Marburger Religionsgespräches von 1529. Da damit aber noch keine Lösung erreicht wurde, muss auch kurz die Wittenberger Konkordie (1536) besprochen werden, zumal sie aufgrund ihrer zeitlichen Nähe zum Petit Traict¦ den engeren geschichtlichen Hintergrund bildet. Anschließend werden kurz einige Texte erwähnt, in denen Calvin sich vor 1541 zum Abendmahl geäußert hat, um den Petit Traict¦ besser im Werk Calvins positionieren zu können.

1.1 Der theologiegeschichtliche Hintergrund von 1520 bis 1541 In der Auseinandersetzung mit und in der Abgrenzung von altgläubiger eucharistischer Lehre und Praxis waren sich die Reformatoren einig. „Gemeinsam hatte man den Opfercharakter angegriffen, die Einmaligkeit des Kreuzesopfers Christi herausgestellt und die Notwendigkeit des Glaubens betont“2. Zu diesen Anliegen trat bei allen Reformatoren die Ablehnung der Transsubstantiationslehre hinzu. Während als Begründung für die Bestreitung des Opfercharakters der Eucharistie von Martin Luther und Ulrich Zwingli jeweils das ein für alle Mal dargebrachte Opfer Jesu Christi vorgetragen wurde, wurde die Transsubstantiation aus unterschiedlichen Gründen von den beiden Reformatoren abgelehnt. An den Argumenten gegen die altgläubige Lehre werden die zwei unterschiedlichen abendmahlstheologischen Positionen ersichtlich, die zum ersten innerreformatorischen Abendmahlsstreit geführt haben. 1.1.1 Die Abendmahlslehre Ulrich Zwinglis Zwinglis Lehre über das Nachtmahl Christi, wie der Zürcher Reformator das Sakrament der Eucharistie auf Deutsch bezeichnet3, ist mit Bezugnahme auf das siebte und achte Kapitel des Hebräerbriefes zunächst von der Bestreitung des Opfercharakters der Messe motiviert. Dazu tritt bereits früh Kritik an der Transsubstantiations- und Konsubstantiationslehre4, die beide im Mittelalter 2 Lohse, Bernhard: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 188. 3 Vgl. die Überschrift, die Zwingli über seine Abendmahlsliturgie (S. Z IV 13,1 [Action oder bruch des nachtmals].) und einige seiner Schriften (S. Z V 464,3 [Antwort Huldrychs Zwinglius das nachtmal Christi betreffend].) setzt. In lateinischen Werken verwendet er dagegen das Substantiv eucharistia. (Vgl. zum Beispiel Z III 782,24 [De vera et falsa religione commentarius]; Z IV 563,9 [Amica exegesis].) 4 Vgl. Staedtke, Joachim: Art. ,Abendmahl III/3, 1. Protestantismus‘, in TRE 1 (1977), 106 – 122, hier: 113.

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Der Petit traict¦ de la saincte cene de nostre Seigneur Iesus Christ (1541)

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als – wenn auch nicht gleichwertige – Modelle der Erklärung der Gegenwart Christi in Brot und Wein fungierten.5 Aufgrund seines platonischen Hintergrundes geht Zwingli davon aus, „daß das Irdische keine geistliche Wirkung haben kann.“6 Gott bediene sich aber dennoch irdischer Werkzeuge, die sein Handeln als Zeichen, als signum, bezeugten.7 Wichtig ist für Zwingli in der Frühzeit bereits der Glaube, ohne den die Sakramente nichts nützten.8 In den Anfangsjahren lehrte er deutlich die eucharistische Realpräsenz.9 Eine Wende in Zwinglis Abendmahlstheologie tritt in der zweiten Jahreshälfte 1524 ein, als er die signifikative Deutung der Einsetzungsworte des niederländischen Humanisten Cornelisz Hoen (†1524) kennenlernt, wodurch er zu seinem Verständnis der Kopula est qua significat10 kommt. So müssten die Worte Christi als „Das bedeutet mein Leib. Das bedeutet mein Blut“ verstanden werden. Brot und Wein werden damit zu Zeichen für Christi Leib und Blut. Ihre Funktion beschreibt der Reformator so: „Und so wie das Brot den Leib ernährt, der Wein belebt und aufheitert, so stärkt [der Glaube] die Seele und macht sie der Barmherzigkeit Gottes gewiss, weil er uns seinen Sohn gegeben hat“11.

Große Bedeutung für Zwinglis Abendmahlslehre hat die Brotrede Jesu in der Synagoge zu Kafarnaum (Joh 6,22 – 59).12 Diese Rede bezieht der Zürcher Reformator ausdrücklich nicht auf die manducatio sacramentalis im Abendmahl13, sondern auf den Glauben. Die Speise, von der Christus in diesem Kapitel rede, sei der Glaube, der allein den Geist zu sättigen vermöge.14 „Brot“ versteht Zwingli als Bild für das Evangelium und mit „essen“ habe Christus „glauben“ gemeint.15 Große Bedeutung erlangt für Zwingli vor allem Vers 63: „[D]as Fleisch nützt nichts“. Damit begründet er seine Ablehnung der Ge5 6 7 8 9 10

11 12 13 14 15

Vgl. Gerken, Alexander: Theologie der Eucharistie, München 1973, 127. Staedtke, Abendmahl, 113. Vgl. ebd. Z VIII 85,18 – 24 [Brief an Thomas Wyttenbach vom 15. Juni 1523]. Vgl. Neuser, Wilhelm: Dogma und Bekenntnis in der Reformation: Von Zwingli und Calvin bis zur Synode von Westminster, in: HDThG2 2, Göttingen 21998, 165 – 352, hier: 194. S. Z III 798,10 f [De vera et falsa religione commentarius]. Hoen selbst hatte bereits vorgeschlagen, das est als significat zu verstehen. (Vgl. Lohse, Bernhard: Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und Werk, München 31997, 88.) Dieser Ansicht hatte Luther in seinem Schrift Vom Anbeten des Sakraments des heiligen Leichnams Christi (WA 11, 434,5 – 29) widersprochen. (Vgl. Kaufmann, Thomas: Luther und Zwingli, in: Beutel, Albrecht (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, 152 – 161, hier 155.) „Et quemadmodum panis corpus sustinet, vinum vegetat et exhilarat, sic animum firmat et certum facit de misericordia dei, quod filium suum nobis dedit“ (Z VI.2 812,6 – 8 [Fidei ratio]). Vgl. Gäbler, Ulrich: Ulrich Zwingli. Eine Einführung in sein Leben und Werk, Zürich 32004, 119. Ein solches Verständnis sei ein großer Fehler. (S. Z III 776,24 f [De vera et falsa religione commentarius].) S. Z III 776,23.30 f; 777,21 f [De vera et falsa religione commentarius]. Z III 779,22 – 26 [De vera et falsa religione commentarius].

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

genwart und des mit den Sinnen feststellbaren16 Genusses von Christi Leib und Blut. Immer wieder betont er, dass es überhaupt nicht sinnvoll sei, über das Fleisch zu streiten.17 Solch ein Genuss brächte den Gläubigen ohnehin keinen Gewinn, denn die Seele könne nur durch den geistlichen Empfang von Christi Leib Nutzen empfangen. Auch brauche der Geist keine Vehikel und wehe statt dessen, wo immer er wolle.18 Es wird hier ersichtlich, dass sich nach Zwingli Geist und Materie nicht miteinander verbinden.19 Deutlich wird somit Zwinglis scharfer Dualismus von Fleisch und Geist.20 Neben dieser Inkompatibilität von Geist und Materie ist für Zwinglis Sakramentenlehre die Freiheit des Heiligen Geistes charakteristisch. Da der Geist sich nicht an irdische Dinge binde, könnten die Sakramente keine Gnadenmittel sein und folglich auch die geistliche Gabe nicht enthalten21 oder Sünden vergeben; dies vermöge allein der Tod Christi22, der ansonsten umsonst geschehen wäre.23 Zwingli bestreitet die Gegenwart der menschlichen Natur Christi in den eucharistischen Elementen. An der Ubiquität der göttlichen Natur Christi hält er aber fest.24 Somit wird das Abendmahl durchaus in der Gegenwart Christi gefeiert, denn „wir glauben nicht, dass es ein Mahl des Herrn sei, wenn nicht Christus anwesend ist.“25 Er begründet dies damit, dass der natürliche Leib Christi sich im Himmel befinde und damit nicht zugleich auf Erden gegenwärtig sein könne.26 Die Ursachen dafür liegen in Zwinglis Verständnis der Idiomenkommunikation, die er nicht als realen Austausch der Eigenschaften der göttlichen Natur an die menschliche versteht, sondern als eine rein rhetorische Figur, nämlich als Alloiosis.27 Würde die Menschheit Jesu am Prädikat der Ubiquität, das der Gottheit zu eigen ist28, wirklich partizipieren, wäre die

16 Zwingli legt seinen Gegnern folgende Worte in den Mund: „Ego semper firmiter credidi me essentiale corpus aut corpoream ac sensibilem carnem Christi in hoc sacramento edere.“ Darauf entgegnet er: „Quasi vero, dum sic dicunt, persuadere possint, ut quisquam credat se sentire, quod non sensit.“ (Z III, 786,5 – 8 [De vera et falsa religione commentarius].) 17 Vgl. Z III 785,30 – 37 [De vera et falsa religione commentarius]. 18 S. Z VI.2 808,4 – 810,23 [Fidei Ratio]. 19 Vgl. Campi, Emidio: Art. ,Zwingli‘, in: RGG4 (2005), 1944 – 1955, hier: 1953. 20 Dieser Dualismus hängt mit Zwinglis scharfer Unterscheidung zwischen Gott und Mensch zusammen. Auch wenn der Fleisch-Geist-Dualismus seine Wurzeln im Humanismus hat, so ist die Verschärfung bei Zwingli der Punkt, wo sich die Wege zwischen Erasmus und dem Reformator trennen. (S. Gäbler, Zwingli, 67 f.) 21 S. Z VI.2 803,5 – 15 [Fidei Ratio]. 22 S. Z III 803,28 f [De vera et falsa religione commentarius]. 23 S. Z VI.2 810,14 – 16 [Fidei ratio]. 24 S. Z VI.2 807,10 f [Fidei ratio]. 25 „non credimus esse domini coenam, nisi Christus adsit.“ (Z VI.5 90,14 f [Fidei expositio].) 26 S. Z IV 794,8 – 10; 829,20 – 22 [Eine klare Unterrichtung vom Nachtmal Christi]. 27 Vgl. Leppin, Volker : Art. ,Zwingli‘, in: TRE 36 (2004), 793 – 809, hier: 803. 28 „Zum andren gbürt allein der göttlichen natur, das sy allenthalb sye“ (Z IV 835,21 f [Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi]).

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Der Petit traict¦ de la saincte cene de nostre Seigneur Iesus Christ (1541)

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menschliche Natur Jesu nicht vollständig gewahrt.29 Da nun die Menschheit Jesu seit der Himmelfahrt ihren certus locus zur Rechten des Vaters habe, könne sie sich nicht substantiell mit dem Brot in der Abendmahlsfeier verbinden30 und auch nicht von den Gläubigen mit dem Mund empfangen werden, da nur das geistliche Essen des Fleisches Christi Leben bringe31. In seinem De vera et falsa religione commentarius (1525) definiert Zwingli die Eucharistie folgendermaßen: Die Eucharistie ist „nichts anderes als: eine Erinnerung, in der diejenigen, die fest glauben, dass sie durch Christi Tod und Blut mit dem Vater versöhnt seien, diesen Lebenstod verkündigen, nämlich ihn loben, sich dazu beglückwünschen und ihn öffentlich bekannt machen“32.

Für Zwingli ist die Feier des Nachtmahls also vor allem Gedächtnisfeier. Dadurch wird deutlich, dass das Subjekt des gottesdienstlichen Handelns die sich in der Feier erinnernde Gemeinde ist.33 Sie verkündigt den Tod Christi, indem sie Gott dafür lobt und dankt. Wer an Brot und Wein teilhabe, bekenne damit vor der Kirche, dass auch er bzw. sie zur Zahl derer gehöre, die an den Tod Christi glauben.34 Dadurch wird deutlich, dass Zwinglis Abendmahlslehre eine starke ekklesiologische Komponente aufweist.35 Die Gläubigen werden in den Leib Christi verwandelt – und nicht etwa Brot und Wein.36 Die Sakramente stellen somit für den Zürcher Reformator „ein Zeichen der geschehenen Gnade“37 dar, da Brot und Wein als Symbole für Christi Leib und Blut auf den bereits geschehenen Kreuzestod hinwiesen, und so deren Empfang ein „öffentliches Zeugnis“38 sei, womit derjenige, der getauft sei und das Abendmahl empfange, bezeuge, dass er zur Kirche gehöre39. An dieser Stelle muss Zwinglis Gedächtnisbegriff noch ein wenig präzisiert 29 30 31 32

33 34 35 36 37 38 39

Vgl. Staedtke, Abendmahl, 114. Kaufmann, Luther und Zwingli, 159. S. Z VI.2 809,12 – 23 [Fidei ratio]. „Est ergo sive ,eucharistia‘ sive ,synaxis‘ sive ,coena dominica‘ nihil aliud quam: commemoratio, qua ii, qui se Christi morte et sanguine firmiter credunt patri reconciliatos esse, hanc vitalem mortem annuniciant, hoc est: laudant, gratulantur et praedicant“ (Z III 807,11 – 14 [De vera et falsa religione commentarius]). Vgl. dazu auch eine weitere Definition der Eucharistie im gleichen Text: „Tenemus ergo nunc ipso nomine, quid eucharistia, id est: coena dominica, sit, nempe: gratiarum actio et communis gratulatio eorum, qui mortem Christi annunciant, hoc est: ebuccinant, laudant, confitentur ac unice exaltant.“ (Z III, 775,33 – 37 [De vera et falsa religione commentarius].) Kaufmann, Luther und Zwingli, 156. S. Z III 802,2 – 4 [De vera et falsa religione commentarius]. Vgl. Courvoisier, Jacques: R¦flexions — propos de la doctrine eucharistique de Zwingli et de Calvin, in: Haas, Martin u. Hauswirth, Ren¦ (Hg.): Festgabe für Leonhard von Muralt, Zürich 1970, 258 – 265, hier: 258. Vgl. Staedtke, Abendmahl, 114. „factae gratiae signum“ (Z VI.2 805,6 f [Fidei Ratio]). „testimonium publicum“ (Z VI.2 805,10 [Fidei Ratio]). S. Z VI.2 805,14 f [Fidei Ratio]; Z III 775,24 – 26 [De vera et falsa religione commentarius].

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

werden. Memoria versteht er im Sinne der neuplatonischen Tradition augustinischer Prägung.40 Gedächtnis bedeutet infolgedessen nicht ein subjektives An-Etwas-Denken der versammelten Gemeinde, „sondern Vergegenwärtigung, gültige Gegenwart des Leidens des Herrn“41. Aber wo die Gemeinde sich an ihre Erlösung erinnert, „da ist eben kraft seiner Gottheit der Herr auch nach seiner Menschheit, genauer nach seinem menschlich-geschichtlichen Handeln, ihrem Glauben gegenwärtig. Realpräsenz der Gottheit Christi, welche seine Menschheit mit sich bringt.“42 Die Gabe des Heils ist damit in den Herzen der Menschen gegenwärtig.43 Diese Präsenz wird „durch die Betrachtung des Glaubens“44 bewirkt. Der Leib Christi ist gegenwärtig. Diese Fassung der Gegenwart Christi im Abendmahl kann als „anamnetische Realpräsenz“ charakterisiert werden.45 Immer wieder finden sich in der Literatur46 Hinweise, dass Zwingli seine abendmahlstheologische Position ab 1530 nach dem Marburger Religionsgespräch weiterentwickelt habe.47 Doch Zwinglis Tod in der Schlacht bei Kappel am Albis 1531 beendete diese Reflexionen abrupt. 1.1.2 Die Abendmahlslehre Martin Luthers In der Abendmahlslehre Martin Luthers sind vier Entwicklungsstufen zu unterscheiden.48 Die erste Phase dauert bis ungefähr 1518 und war „durch eine kritische Rezeption der römisch-katholischen Lehre“49 geprägt. In der zweiten Etappe bis ca. 1523 löst sich Luther von der altgläubigen Sakramentenlehre. Die dritte Periode von etwa 1523 bis 1529 ist von der innerreformatorischen Auseinandersetzung mit der zwinglianischen Reformation geprägt. Die letzte Phase ab dem Augsburger Reichstag 1530 stellt eine Konsolidierung seiner Lehre mit antikatholischer und antizwinglianischer Stoßrichtung dar.50 In allen Phasen seines Lebens hielt Luther an der „Realpräsenz im Sinne 40 Vgl. Campi, Zwingli, 1953. 41 Locher, Gottfried W.: Streit unter Gästen. Die Lehre aus der Abendmahlsdebatte der Reformatoren für das Verständnis und die Feier des Abendmahles heute (= ThSt(B) 110), Zürich 1972, 11. 42 Ebd. 43 Vgl. Gäbler, Zwingli, 120. 44 „fidei contemplatione“ (Z VI.2 806,11 [Fidei ratio]). 45 S. Campi, Zwingli, 1953. 46 S. zum Beispiel Lang, August: Der Evangelienkommentar Martin Butzers und die Grundzüge seiner Theologie, Aalen 1972 [Nachdruck von 1900], 280. – Campi, Zwingli, 1935. – Gäbler, Zwingli, 122. 47 Vgl. Neuser, Dogma, 194. Die Abendmahlslehre des späten Zwingli müsste daher dringend erforscht werden, um das vorherrschende Bild von Zwinglis strikter Ablehnung der Gegenwart Christi im Abendmahl zu korrigieren. 48 Vgl. Staedtke, Abendmahl, 111. 49 Ebb. 50 Vgl. ebd.

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einer Gegenwart von Leib und Blut in den Elementen“ fest.51 Jedoch hat die so verstandene Realpräsenz unterschiedliches Gewicht in den verschiedenen Etappen seiner Entwicklung. Ein weiteres Kontinuum in Luthers Abendmahlslehre stellt der Ansatz bei den Einsetzungsworten dar. Wenn er auch immer wieder unterschiedliche Akzente in seiner Lehre setzt, so bleiben diese Worte in Verbindung mit 1 Kor 10,16 Ausgangspunkt und Norm seines abendmahlstheologischen Denkens.52 Daran wird deutlich, dass das Wort für Martin Luther auch in seiner Abendmahlslehre entscheidend ist53 ; schließlich ist das Abendmahl neben der Taufe „Gabe des Evangeliums in unterschiedlicher leiblicher Gestalt“54. Ohne das Wort wäre das Abendmahl nichts.55 In der ersten Phase besteht die Bedeutung des Abendmahls darin, das Kreuzesgeschehen zu repräsentieren. Die Gegenwart der Person Jesu Christi setzt er zu dieser Zeit voraus.56 Auf der zweiten Entwicklungsstufe von Luthers Abendmahlstheologie ändern sich die Akzente. Nun wird der Glaube in die Definition des Sakramentes aufgenommen.57 Auf das Abendmahl bezogen bedeutet das Folgendes. Das Abendmahl besteht aus drei Teilen: aus dem Zeichen, nämlich Brot und Wein58, der Bedeutung, worunter Luther 1519 die communio sanctorum verstand59, und dem Glauben, der beide für die Gläubigen nutzbar mache.60 Die Betonung des Gemeinschaftsaspektes qua Bedeutung des Abendmahls, wie ihn Luther im Sermon von dem Hochwirdigen Sacrament des Heyligen Waren Leychnams Christi Und von den Bruderschaften61 (1519) formuliert hat, bildet ein weiteres Charakteristikum seines Denkens in dieser Zeit. In der Abendmahl feiernden Gemeinde manifestiere sich die Gemeinschaft der Gläubigen62, 51 Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 17. 52 Vgl. Lohse, Luthers Theologie, 194; 326. Deutlich wird das beispielsweise an den langen Ausführungen über die Bedeutung des est in Luthers Schrift Vom abendmal Christi, Bekenntnis (WA 26, 261 – 509) und im Großen Katechismus (BSLK 543 – 733), wo Luther als Fundort über Wesen, Nutzen und Empfänger des Abendmahls explizit auf die Einsetzungsworte verweist und sie zitiert. (S. BSLK 708,2 – 32.) 53 S. BSLK 708,37 – 39 [Großer Katechismus]. 54 Wendebourg, Dorothea: Taufe und Abendmahl, in: Beutel, Albrecht (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, 414 – 423, hier: 415. 55 „Das Wort muß das Element zum Sakrament machen, wo nicht, so bleibt’s ein lauter Element.“ (BSLK 709,42 – 44 [Großer Katechismus].) 56 Vgl. Staedtke, Abendmahl, 111. 57 Vgl. Lohse, Bernhard: Dogma und Bekenntnis in der Reformation: Von Luther bis zum Konkordienbuch, in: HDThG2 2, Göttingen 21998, 1 – 164, hier: 47. 58 S. WA 2, 742,15 f [Sermon von dem Hochwirdigen Sacrament […] Und von den Bruderschaften]. 59 S. WA 2, 742,7 – 19 [Sermon von dem Hochwirdigen Sacrament […] Und von den Bruderschaften]. 60 S. WA 2, 742,8 – 10 [Sermon von dem Hochwirdigen Sacrament […] Und von den Bruderschaften]. 61 WA 2, 742 – 758. 62 S. WA 2, 743,20 – 26 [Sermon von dem Hochwirdigen Sacrament […] Und von den Bruderschaften].

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die so außerdem zu einer Solidargemeinschaft zusammengeschlossen würden.63 Diesem Aspekt gibt Luther in seiner späteren Theologie nicht mehr solch eine Bedeutung64, da er dann vor allem das Testament Christi, nämlich das Wort seiner Verheißung, als empfangenes Gut betont.65 Die Bedeutung von Glaube und Verheißung (promissio) entfaltet Luther 1520 in De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium66, wo er die altgläubige Sakramentenlehre scharf angreift.67 In dieser Schrift geht er davon aus, dass Gott niemals unvermittelt, sondern immer durch das Wort seiner Verheißung an den Menschen handle. Deren Antwort darauf und deren „Umgang“ mit Gott können daher nur im Glauben an diese Verheißung bestehen.68 Die Verheißung, die Christus in den Einsetzungsworten zum Ausdruck bringe, bestehe im Wort des Evangeliums, und zwar genauer in der Vergebung der Sünden und dem ewigen Leben.69 Im Abendmahl werde diese Verheißung mit einem Zeichen versiegelt, nämlich dem gegenwärtigen Leib und Blut Christi, die selbst aber nicht sichtbar seien; demgegenüber treten Brot und Wein in ihrer Zeichenfunktion zurück. Da das ganze Wesen des Sakramentes im Wort beschlossen liege, erleichterten der im Abendmahl gegenwärtige Leib und das Blut Christi die subjektive Aneignung der promissio.70 In dieser Zeit besitzt für Luther daher das „für euch“ in den verba testamenti große Bedeutung.71 In der Zeit von 1523 bis 1529 rückt Martin Luther den Gedanken der somatischen Realpräsenz von Christi Leib und Blut in den Mittelpunkt seiner Abendmahlstheologie. In den lehrhaften Passagen seines Kleinen Katechismus (1529) macht er deutlich, dass er unter dem Abendmahl den „wahre[n] Leib und das wahre Blut unseres Herrn Jesus Christus uns Christen von Christus selbst zum Essen und Trinken eingesetzt“72 versteht. Im Sakrament empfingen alle unterschiedslos unter Brot und Wein Leib und Blut Christi. Gerade um die so verstandene Form der Realpräsenz geht es Luther in dieser Zeit, was er immer wieder biblisch und theologisch zu begründen versucht. 63 S. WA 2, 750,31 – 34 [Sermon von dem Hochwirdigen Sacrament […] Und von den Bruderschaften]. 64 Vgl. Wendebourg, Taufe, 415. 65 Vgl. Davis, Thomas J.: This is My Body. The Presence of Christ in Reformation Thought, Grand Rapids 2008, 27. 66 WA 6, 497 – 573. 67 Vgl. Lohse, Einführung, 148. In dieser Schrift benennt Luther drei Gefangeschaften, in die das Abendmahl geraten sei: (1.) der Entzug des Kelches von den Laien, (2.) die Lehre von der Transsubstantiation und (3.) das Verständnis der Messe als ein menschliches Werk und Opfer (S. WA 6, 507,6 – 8; 509,15 – 21; 512,7 – 15[De captivitate Babylonica]. 68 S. WA 6, 516,30 – 32 [De captivitate Babylonica]. 69 Vgl. Wendebourg, Taufe 416. 70 Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 26; 28. 71 Vgl. Lohse, Luthers Theologie, 189. 72 „verum corpus et verus sanguis Domini nostri Jesu Christi sub pane et vino nobis christianis ad manducandum ac bibendum ab ipso Christo institutum“ (BSLK 519,41 – 520,3 [Kleiner Katechismus]).

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In seinem Werk Vom Anbeten des Sakraments des hl. Leichnams Christi73 (1523) setzt er sich zum Einen mit der Abendmahlslehre der Böhmischen Brüder auseinander, die zwar die altgläubige Transsubstantiationslehre ablehnen, aber an einer geistlichen Gegenwart Christi festhalten, womit sie die Existenzweise Christi im Abendmahl beschreiben wollen. Zum Anderen reagiert er damit auf die Exegese von Cornelisz Hoen, dessen Ergebnisse Zwingli in seiner Abendmahlslehre rezipiert. In diesem Kontext betont der Wittenberger Reformator die Kopula est, die er dahingehend versteht, dass die verba institutionis Christi Fleisch und Blut mit sich brächten. Würde das est qua significat verstanden, so würde die ganze Heilige Schrift zunichte gemacht werden, da ein solches Verständnis dann auch an anderen Stellen angewendet werden könne.74 Noch wichtiger wird die somatische Realpräsenz nach Luthers Auseinandersetzung mit den Abendmahlslehren von Andreas Bodenstein von Karlstadt75 (1480 – 1541) und Ulrich Zwingli. Karlstadt Lehre trägt deutlich spiritualistische Züge. Den Empfang von Christi Leib und Blut, den er als die Annahme Christi verstand, koppelt er von der äußeren Feier des Abendmahls ab. Allein die geistliche Gemeinschaft mit Christus hat für ihn Bedeutung. Die Feier der Gemeinde sei lediglich ein Akt des Bekenntnisses der Gemeinde und der Erinnerung an den Tod Christi. Eine Realpräsenz, wie Luther sie verstand, lehnt Karlstadt völlig ab.76 Sehr heftig und mit großem publizistischen Aufwand77 reagierte Luther auf Zwinglis Abendmahlstheologie. Seine in diesem Kontext wichtigste und letzte Schrift ist Vom abendmal Christi, bekendnis von 1528.78 Gegenüber dem Zürcher Reformator betont er, dass die Abendmahlsworte Jesu wörtlich zu verstehen seien79, womit er Zwinglis Deutung des est als significat ablehnt. Die

73 WA 11, 431 – 456. 74 Vgl. Lohse, Dogma, 49. 75 In Auseinandersetzungen um die Sakramentenlehre setzte Luther alle späteren Gegner mit Karlstadt gleich. (Vgl. Moeller, Bernd: Die große Spaltung der Reformationsbewegung, in: Kaufmann, Thomas u. Kottje, Raymund (Hg.): Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 2, Darmstadt 2008, 274 – 288, hier: 277.) 76 Vgl. Lohse, Dogma, 50. – Lohse, Einführung, 88 f. Die Bedeutung Karlstadts wurde allerdings im Laufe des Streites geringer, da dieser sich immer mehr in täuferisch inspirierten Kreisen bewegte, die sowohl von Wittenberg als auch von Zürich abgelehnt wurden. Nachdem er heimlich zu Luther zurückgekehrt war, musste er seine Abendmahlslehre öffentlich widerrufen. Dieser Widerruf war jedoch nicht echt. Er stellte stattdessen den „hypothetischen Charakter“ seiner Lehre heraus und verstand sie als einen Diskussionsbeitrag unter vielen. (Vgl. Kaufmann, Luther und Zwingli, 158.) 77 Wie zum Beispiel der Sermon von dem Sakrament des Leibes und Blutes Christi wider die Schwarmgeister von 1526 (WA 19, 482 – 523) und Daß diese Worte ,Das ist mein Leib‘ noch fest stehen, wider die Schwarmgeister von 1527 (WA 23, 64 – 320). 78 Vgl. Lohse, Einführung, 153. 79 S. WA 26, 264,40 – 265,2 [Vom abendmal Christi]. Wenige Zeilen zuvor beschwert Luther sich über andere, die ihm unterstellen, selbst nicht die Worte Christi „einfeltigst“ zu verstehen, weil

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Worte Christi seien in einfältigem Glauben anzunehmen, da sie „nicht von menschen, sondern von Gott selbst aus seinem eigen munde mit solchen buchstaben und worten gesprochen und gesetzt“80 seien. „Man solle nicht fragen, wie es zugehe, das Christus leib ym abendmahl sey, sondern einfeltiglich gleuben den worten Gottes“81. Christi Worte seien klar und könnten selbst von nichtgläubigen Menschen verstanden werden.82 Immer wieder versucht Luther in dieser Schrift zu zeigen, dass Christi Leib und Blut unter Brot und Wein im Abendmahl den Kommunikanten geschenkt werden.83 Diese Art von Realpräsenz verteidigt er gegenüber Zwingli und dessen Anhängern. Um dem Einwand Zwinglis, dass der Leib Christi aufgrund seiner Präsenz im Himmel zur Rechten des Vaters nicht im Abendmahl gegenwärtig sein könne, zu entgegnen und somit die Realpräsenz abzusichern84, entwickelt Luther im Anschluss an Wilhelm von Ockham (1285 – 1349) die Theorie von der Ubiquität des Leibes Christi, die aber in späteren Jahren wieder zurücktritt.85 Diese Lehre ist ein Spezifikum der lutherischen Abendmahlstheologie, die sowohl von Zwingli als auch später von Calvin86 abgelehnt wurde. Luther geht im Gegensatz zu der vorangegangenen Tradition87 davon aus, dass die Rechte des Vaters, zu der Christus nach seiner Himmelfahrt aufgestiegen sei, nicht als ein fest umschriebener Ort verstanden werden müsse, sondern allgegenwärtig sei: „weil sie (die Schwärmer, also die Zürcher Theologen, F. E.) nicht beweisen, das Gottes rechte hand ein sonderlicher ort sey ym hymel, so bleibt mein angezeigte weise auch noch feste, das Christus leib allenthalben sey, weil er ist zur rechten Gotts, die allenthalben ist, wie wol wir nicht wissen, wie das zugehet, Denn wir auch nicht wissen, wie es zugehet, das Gotts rechte allenthalben ist, Es ist freylich nicht die weise, wie wir mit augen sehen ein ding etwa sein, als die schwermer das sacrament ansehen, aber wol eine weise, das es sein kann und also sey, bis das die schwermer anders beweisen.“88

Das Verständnis der Ubiquität ist eingebettet in drei Weisen von Gegenwart, die Luther im Anschluss an die spätscholastische Tradition89 unterscheidet:

80 81 82 83 84 85 86 87 88 89

er sie in die Richtung deute, dass der Leib Christi in oder unter dem Brot sei. Diesen Vorwurf weist er zurück, indem er auf sein wörtliches Verständnis verweist. (S. WA 26,33 – 39.) WA 26, 446,2 f [Vom abendmal Christi]. WA 26, 297,27 – 29 [Vom abendmal Christi]. WA 26, 406,27 – 30 [Vom abendmal Christi]. WA 26, 298,32 – 299,22; 316,40 – 317,3 [Vom abendmal Christi]. Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 59 f. Vgl. ebd., 58. S. zum Beispiel OS I 140 [Institutio 1536] – CO 9, 73 [Secunda Defensio]. Vgl. Lohse, Luthers Theologie, 192. WA 26, 325,24 – 32 [Vom abendmal Christi]. Vgl. Lohse, Dogma, 57.

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(1.) die lokale oder zirkumskriptive Gegenwart, (2.) die Gegenwart definitive und (3.) die übernatürliche Gegenwart, die repletive zu verstehen ist. Als Beispiel für die erste Art nennt Luther die Gegenwart des Weines im Fass.90 Diese Gegenwartsweise bezieht sich auf empirisch fassbare und abmessbare Körper und Gegenstände.91 Der Wittenberger wirft Zwingli vor, dass dieser die Gegenwart des Leibes Christi ad dexteram Patris auf diese Weise verstehe und nur diese Art von Präsenz für den Leib Christi anerkenne.92 Der zweite Modus von Gegenwart ist für Luther dann gegeben, „wenn das ding odder co(e)rper nicht greiflich an eim ort ist und sich nicht abmisset nach dem raum des orts“93. Auf solche Weise seien Engel und Geister an einem Ort. Außerdem sei Christus so den Jüngern nach seinem Tod erschienen.94 Die übernatürliche Gegenwart trifft dann zu, „wenn etwas zu gleich gantz und gar an allen o(e)rten ist und alle o(e)rte fullet und doch von keinem ort abgemessen und begriffen wird nach dem raum des orts, da es ist“95. Dieser Modus komme allein Gott zu.96 Nur der Glaube könne diese Präsenz ergreifen.97 Luther selbst gibt den Skopus dieser Differenzierung vor, nämlich zu zeigen, dass es mehr als nur eine Form von Gegenwart gebe.98 Explizit weist er darauf hin, dass Christi Leib nicht auf die erste Weise, sondern „on raum und stete seiner gro(e)sse gemesse“99 im eucharistischen Brot gegenwärtig sei. Weiterhin begründet Luther die Ubiquitätslehre mit der hypostatischen Union der beiden Naturen100, die er sehr eng denkt. Diese Einheit habe ihren Grund in der einen Person Jesu, wie es das folgende Zitat zeigt: „Weil unser glaube helt, das Christus Gott und mensch ist, und die zwo naturn eine person ist, also das die selbige person nicht mag zurtrennet werden […]. Nu er aber ein solch mensch ist, der ubernatu(e)rlich mit Gott eine person ist, und ausser diesem menschen kein Gott ist, so mus folgen, das er auch nach der dritten ubernatu(e)rlichen weise sey und sein mu(e)ge allenthalten, wo Gott ist, und alles durch und durch vol Christus sey auch nach der menscheit, nicht nach der ersten leiblichen begreifflichen weise, sondern nach der ubernatu(e)rlichen go(e)ttlichen weise, Denn hie mustu stehen und sagen, Christus nach der Gottheit, wo er ist, da ist er eine natu(e)rliche Go(e)ttliche person, und ist auch natu(e)rlich und personlich daselbst […]. Ist er nu natu(e)rlich und personlich wo er ist, so mus er daselbs auch mensch sein, denn es sind nicht zwo zurtrennete personen, sondern ein einige person, Wo sie 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

S. WA 26, 327,25 – 28 [Vom abendmal Christi]. S. WA 26, 327,24 f [Vom abendmal Christi]. S. WA 26, 335,24 – 28 [Vom abendmal Christi]. WA 26, 327,34 f [Vom abendmal Christi]. S. WA 26, 328,20 – 22.31 – 33 [Vom abendmal Christi]. WA 26, 329,27 – 30 [Vom abendmal Christi]. S. WA 26, 329,30 [Vom abendmal Christi]. WA 26, 329,32 f [Vom abendmal Christi]. WA 26, 329,34 – 330,20 [Vom abendmal Christi]. WA 26, 330,21 f [Vom abendmal Christi]. Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 62.

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ist, da ist sie die einige vnzurtrennete person, Und wo du kanst sagen: Hie ist Gott, da mustu auch sagen: So ist Christus der mensch auch da.“101

Gerade der letzte Satz, der zur Gottheit Christi immer auch sofort die menschliche Natur hinzufügt, macht deutlich, dass nach Luther seit der Erhöhung Christi auch die menschliche Natur an der Allgegenwart der göttlichen Natur partizipiert, so dass auch der Leib Christi an allen Orten gegenwärtig sein könne102, wobei trotz des gleichen Wesens der eucharistische Leib Christi eine andere Gestalt aufweise als der historische.103 Da nun auch die menschliche Natur Jesu Anteil an der Allgegenwart der göttlichen Natur habe, werde es möglich, „das Christi leib zugleich ym hymel und ym abendmal sey“104. Die so verstandene Idiomenkommunikation105 wurde sowohl von Zwingli als auch Calvin und der folgenden reformierten Tradition stets abgelehnt. Die Christologie reformierter Prägung106 legt den Akzent auf die Unterscheidung der zwei Naturen, während Luther ein anderes Verständnis der hypostatischen Union vertritt und mehr die Einheit der beiden Naturen betont. Die Alloiosis Zwinglis verstand er als Arianismus.107 Einigkeit mit Zwingli bestand aber in der Omnipräsenz der göttlichen Natur. Die Gegenwart von Brot und dem Leib Christi beschreibt Martin Luther als unio sacramentalis. Beide seien gleichzeitig gegenwärtig, so dass „leib und brod zwo vnterschiedliche naturn sind ein igliche fur sich selbs, und wo sie von einander gescheiden sind, freylich keine die ander ist“108, wobei beide nicht auf gleiche Weise gegenwärtig seien, da der Leib Christi nicht localiter wie das Brot anwesend sei.109 Deutlich wird hier auf das Verständnis einiger Theologen aus dem ausgehenden Mittelalter angespielt, nach deren Theologie die Substanzen von Brot und Wein annihiliert würden, anstatt in Christi Leib und Blut verwandelt zu werden.110 Dem setzt Luther entgegen, dass das Brot im Abendmahl als Brot und der Wein als Wein bestehen blieben.111 Durch die unio sacramentalis werde das Brot zum „fleischsbrod odder leibsbrod“112, da Brot und Leib Christi eine sakramentale Realität und somit zusammen ein Ding 101 WA 26, 332,12 – 32 [Vom abendmal Christi]. 102 S. WA 23, 143,29 – 35 [Dass diese Worte Christi […] noch fest stehen]. – WA 19, 491,17 – 20 [Wider die Schwarmgeister]. –WA 26, 335,24 – 27 [Vom abendmal Christi]. 103 S. WA 26, 298,32 – 299,21 [Vom abendmal Christi]. 104 WA 23, 129, 32 f [Dass diese Worte Christi […] noch fest stehen]. 105 Es geht hier um das genus maiestaticum der Idiomenkommunikation. Dieser Punkt wird ausführlicher in Kapitel I.3.3.4 und II.4 behandelt werden. 106 Vgl. Rohls, Jan: Theologie reformierter Bekenntnisschriften, Göttingen 1987 (= UTB 1453), 127 f. 107 S. WA 26, 320,33 – 40 [Vom abendmal Christi]. 108 WA 26, 445,2 – 4 [Vom abendmal Christi]. 109 Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 125. 110 Vgl. Gerken, Theologie, 127. 111 S. WA 26, 329,25 f [Vom abendmal Christi]. 112 WA 26, 445,11 [Vom abendmal Christi].

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geworden seien. Für den Wein, den Luther „Blutswein“113 nennt, gelte das Gleiche. Sowohl die irdische als auch die göttliche Realität bleiben nach dem Wittenberger Reformator bestehen114, ohne dass aber die Unterschiede zwischen beiden aufgehoben werden würden.115 Luther versteht das est als eine Wesensaussage116, so dass es angebe, dass die Elemente Leib und Blut Jesu Christi seien und somit zwei verschiedene Wesen, nämlich ein geschöpfliches und ein göttliches, von einem Ding aussage.117 Um das sprachlogisch zu erklären, beruft sich der Reformator auf die Synekdoche, nach der, wenn auf einen Sack, der hundert Gulden enthalte, mit dem Demonstrativpronomen das verwiesen werde, gesagt werde „Das sind hundert Gulden“.118 So werde auch mit dem Pronomen toOto das Brot als Leib Christi bezeichnet. Aufgrund der unio sacramentalis geht Luther von der manducatio oralis von Christi Leib und Blut aus. Beide würden mit Brot und Wein mit dem Mund empfangen. Wer aber keinen Glauben habe oder ohne das Wort das Sakrament empfange, dem bringe dieser Empfang Gericht und Tod: Den Gläubigen dagegen sei das Fleisch Christi von großem Nutzen119, was Luther gegenüber Zwingli stark macht. Aufgrund von Luthers Vorstellung der unio sacramentalis wird seine Position bisweilen als „Konsubstantiation“ bezeichnet. Dieser Begriff wurde von ihm selbst jedoch nicht verwendet, sondern kam in antilutherischer Polemik von reformierten Theologen auf, so dass er sich nicht als geeignet erweist, die lutherische Abendmahlslehre zu charakterisieren.120 Der Begriff unio sacramentalis beschreibt Luthers Lehre besser und ist darüber hinaus der auch von ihm verwendete Begriff. Wichtig ist für Luther außerdem, das Abendmahl als Gnadenmittel zu verstehen. Im Abendmahl werde den Gläubigen das meritum Christi ausgeteilt, so dass ihnen dort aufgrund des Wortes die Vergebung der Sünden geschenkt werde.121 Dieser Schatz liege ganz in den verba testamenti und könne nur mit dem Glauben empfangen werden.122 In der Zeit ab 1530 versteht der Wittenberger Reformator das Abendmahl vor allem als Hilfe in der Anfechtung des Glaubens. Er betont daher die Objektivität der sakramentalen Gabe und verteidigt die manducatio impiorum – den Empfang von Christi Leib und Blut durch Ungläubige – gegenüber den Straßburger und Schweizer Reformatoren, die solch einen Empfang bestrit113 114 115 116 117 118 119 120 121 122

WA 26, 445,14 [Vom abendmal Christi]. S. WA 26, 445,7 – 9 [Vom abendmal Christi]. Vgl. Wenz, Gunther: Einführung in die evangelische Sakramentenlehre, Darmstadt 1988, 165. S. WA 26, 383,37 f [Vom abendmal Christi]. WA 26,441,9 – 11 [Vom abendmal Christi]. S. WA 26,444,1 – 7 [Vom abendmal Christi]. S. WA 353,1 – 355,17 [Vom abendmal Christi]. Vgl. Lohse, Luthers Theologie, 328. S. WA 26,294,23 – 36 [Vom abendmal Christi]. S. BSLK 714,28 – 30; 715,7 – 24 [Großer Katechismus].

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ten. Durch sein Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament123 von 1544 griff er die Abendmahlslehre Zürcher Prägung nochmals heftig an.124

1.1.3 Das Marburger Religionsgespräch von 1529 Nachdem der Streit um das Abendmahl zwischen Luther und Zwingli ausgebrochen war, gab es immer wieder Versuche, durch Gespräche den Streit zu schlichten. Nach dem Scheitern mehrerer Unternehmungen gelang es auf Initiative des hessischen Landgrafen Philipp (1504 – 1567), eine Aussprache zwischen den Parteien zu organisieren. Der Landgraf schätzte die Streitigkeiten lediglich als einen Disput um Worte ein. Zudem wollte er die evangelischen Kräfte gegen den Kaiser und die altgläubigen Reichsstände bündeln125, wobei Luther und seine Anhänger solch ein Bündnis von der Bekenntniseinheit abhängig gemacht hatten.126 Auf Einladung des Landgrafen kamen Luther und Zwingli mit ihren jeweiligen Gesandschaften nach Marburg, um vor allem über die Abendmahlsfrage zu diskutieren. Einen wichtigen Punkt stellte dabei Luthers Vorwurf an die Zürcher Theologen dar, aufgrund von Vernunftgründen die somatische Realpräsenz des Leibes Christi zu bestreiten, dem aber Luther zufolge das klare Zeugnis der Einsetzungsworte entgegenstehe. Mehrere Kompromissformeln bezüglich der Gegenwart Christi wurden von den Zürchern abgelehnt.127 Nach dem Bericht des lutherischen Theologen Andreas Osiander (1498 – 1552) waren Zwingli und seine Anhänger nicht dazu bereit, eine Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl zuzulassen, die über eine Gegenwart in der Erinnerung der Gläubigen hinausging, was den Lutheranern allerdings genügt hätte.128 Der hessische Landgraf drängte weiterhin auf Einigung. Daher verfasste Luther am vierten Oktober fünfzehn Glaubensartikel, als deren Grundlage die Schwabacher Artikel dienten, die die Wittenberger Theologen im Juli des gleichen Jahres erstellt hatten129 und die mit geringfügigen Änderungen auch die zwinglianischen Theologen unterzeichnen konnten.130 In vierzehn der fünfzehn Marburger Artikel131 herrscht Einigkeit. Der 123 124 125 126 127 128 129 130 131

WA 54, 141 – 167. Vgl. Staedtke, Abendmahl, 113. Vgl. May, Gerhard: Art. ,Marburger Religionsgespräch‘, in: TRE 22 (1992), 75 – 79, hier : 75. Vgl. Lohse, Dogma, 61. Vgl. May, Religionsgespräch, 76 f. S. Bizer, Studien, 24. Vgl. May, Religionsgespräch, 76. Vgl. ebd., 78. Die Marburger Artikel von 1529, bearbeitet v. Wilhelm Neuser, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.1, Neukirchen-Vluyn 2002, 263 – 267.

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fünfzehnte Artikel behandelt das Abendmahl. Einig waren sich die Wittenberger und die Zürcher Seite darin, „das man bede gestallt nach Innsatzunng Christj prauchen sollt, Daß auch die messe nicht ein Werck ist, damit einer dem anndern thod oder lebendig gnad erlannge, Das auch das Sacrament deß Altars sey ein Sacrament deß waren leibs und pluts Jhesu Christj und die geistliche niessung desselbigen leibs und pluts, einem jden Christen furnemlich von nöthen, Deßgleichen der prauch deß Sacraments, wie das wort, von Gott dem allmechtigen gegeben, und geordennt sey, damit die schwachen Gewissen, zugleuben, zubewegen durch den heyligen Geist.“132

In wichtigen reformatorischen Anliegen, die größtenteils altgläubige Lehre und Praxis kritisieren, – (1.) die Forderung nach der Austeilung des Kelches an alle Abendmahlsgäste, (2.) die Ablehnung des Opfercharakters der Messe, (3.) der Zusammenhang von Abendmahl und Christi Leib und Blut, (4.) die Notwendigkeit der manducatio spiritualis und (5.) die akkommodierende Bewegung Gottes im Sakrament, wie sie auch im Wort stattfinde – gibt es keinen Konflikt. Beiden Reformatoren ist die geistliche Weise des Empfangs von Christi Leib und Blut ein wichtiges Anliegen. Aber bereits der dritte Punkt kann unterschiedlich ausgelegt werden. Luther versteht unter „ein Sacrament deß waren leibs und pluts Jhesu Christj“ den Empfang von Christi Leib und Blut unter den sakramentalen Gestalten133, Zwingli dagegen den Hinweis auf die bereits vollbrachte Hingabe von Christi Leib und Blut am Kreuz.134 Die Wirkung der unterschiedlichen Konzepte tritt dann im weiteren Verlauf des Textes deutlich zutage, wenn es heißt: „Und wiewol aber wir uns, ob der war leyb und plut Christj leiplich jm prot und wein sey, dieser Zeit nit vergleicht haben, So soll doch ein theyl gegen dem anndern Christliche lieb, so fern jdeß gewissen ymmer leiden kann, ertzeigen, und bede theyl, Gott den Allmechtigen vleissig bitten, das er uns durch seinen Geist den rechten verstandt bestetigen woll. Amen.“135

Der Konsens in der Frage nach der somatischen Realpräsenz konnte somit nicht erreicht werden.136 Die Einheit zwischen den beiden Strömungen der Reformation war daher nicht möglich.

132 133 134 135 136

Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.1, 267,7 – 12 [Marburger Artikel 15]. S. BSLK 519,41 – 520,3 [Kleiner Katechismus]. Z VI.2 805,6 f [Fidei Ratio]. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.1, 266,20 – 267,7 [Marburger Artikel 15]. Der Aufruf zur gegenseitigen christlichen Nächstenliebe am Ende des Textes mag etwas von dem „rauen“ Klima widerspiegeln, das zwischen Luther und Zwingli herrschte.

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1.1.4 Die Abendmahlslehre Martin Bucers In der Zeit bis zur Wittenberger Konkordie 1536 fällt dem Straßburger Reformator Martin Bucer eine wichtige Rolle zu. Aber auch für die Entwicklung von Calvins Abendmahlslehre war er bedeutsam. Aus diesem Grund wird auch seine Abendmahlstheologie kurz dargestellt. Bucer hat im Laufe seines Lebens eine beachtliche Entwicklung hinsichtlich der Abendmahlslehre durchgemacht.137 Aufgrund der Komplexität dieser Entwicklung wird hier nur ein kurzer Überblick geliefert. In den Anfangsjahren vertrat Bucer zunächst die lutherische Abendmahlslehre138 in dem Sinne, dass das Abendmahlsbrot zugleich wahres Brot und der wahre Leib Christi sei.139 Auf allen Etappen betonte er, dass das Brot nicht in den Leib Christi verwandelt werde, sondern Brot bleibe.140 In der Frühzeit ging Bucer noch davon aus, dass Ungläubige und Unbußfertige Leib und Blut Christi empfingen, jedoch zum Gericht.141 Zudem betonte er die Notwendigkeit des Glaubens, um die Vorzüge der Eucharistie zu empfangen.142 Eine andere Ausrichtung erhielt Bucers Abendmahlslehre durch den Aufenthalt Karlstadts im Oktober 1524 in Straßburg, der trotz seiner sofortigen Vertreibung durch den Rat der Stadt einen gewissen Eindruck hinterließ.143 Dessen Theologie forderte das Denken Bucers heraus und versetzte ihn in Unruhe. Verstärkt wurde diese, schon vor Karlstadts Auftreten bestehende Ungewissheit hinsichtlich der Gegenwart Christi im Abendmahl durch den Besuch des niederländischen, reformatorisch gesinnten Predigers Johannes Rhodius (†1535) in Straßburg. Dieser brachte den Brief von Cornelisz Hoen mit dessen signifikativer Deutung der Einsetzungsworte mit, die auch schon Zwinglis Denken stark beeinflusst hatte. Bucer selbst schreibt über dieses Ereignis, dass er sich Rhodius gegenüber nicht gewachsen sah, Luthers Abendmahlslehre zu verteidigen.144 Verstärkend zu dieser Art von Exegese trat für Bucer das Argument der Nutzlosigkeit des Fleisches nach Joh 6,63 hinzu145, 137 „Trotz seiner Abneigung gegen spitzfindige Erklärungen für diese Gegenwart (die Gegenwart Christi im Abendmahl, F. E.), formulierte Bucer ab 1524 seinen Standpunkt zunächst ,lutherisch‘, dann ,erasmisch-zwinglianisch‘ und schließlich ,bucerisch‘!“ (Hamman, Gottfried: Martin Bucer. Zwischen Volkskirche und Bekenntnisgemeinschaft (= VIEG 139), Stuttgart 1989, 177.) 138 Vgl. Kaufmann, Thomas: Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528 (= BHTh 81), Tübingen 1992, 95. – Lang, Evangelienkommentar, 208. 139 Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 210. – Hamman, Bucer, 177. 140 Vgl. Neuser, Dogma, 212. – Lang, Evangelienkommentar, 257. 141 Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 208. 142 Vgl. ebd., 209. 143 Ebd., 212. 144 Vgl. ebd. 145 Vgl. ebd., 237.

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was ihn schließlich bewog, die somatische Realpräsenz146 aufzugeben.147 Das Abendmahl enthält für ihn nichts Fleischliches.148 Ohne das Kommen des Geistes habe nichts Fleischliches, auch das Fleisch Christi nicht, irgendeinen Nutzen.149 Bis 1528 lehrt Bucer in Übereinstimmung mit Zwingli, dass der Geist an keinerlei Vermittlungsgestalten gebunden sei, sondern direkt von Gott geschenkt werde. So blieben Wort und Sakrament leere Zeichen, wenn Gott nicht zusammen mit ihnen wirke. Das Abendmahl symbolisiere, dass Christus die Gläubigen so mit seinem Leib und Blut speise, wie Brot und Wein den Körper nähren, denn das Innere des Menschen empfange durch den Glauben den Leib Christi, während der Mund Brot esse.150 In dieser Zeit schrieb Bucer bewusst gegen Luther, weil er meinte, dass dieser eine lokale Gegenwart Christi im Brot vertrete.151 Das wiederum führte dazu, dass Luther ihn in Marburg für einen Anhänger Zwinglis hielt.152 Die Abendmahlstheologie, die Bucer von 1524 bis 1528 vertrat, kann vor diesem Hintergrund als zwinglianisch153 bezeichnet werden. In diese Richtung weist auch der von Bucer in der Abendmahlslehre hervorgehobene Gedächtnisaspekt.154 Christus habe Brot und Wein zu seinem Gedächtnis eingesetzt, wodurch, wenn beides im Glauben empfangen werde, der Tod Jesu Christi verkündigt werde.155 Unter Gedächtnis versteht Bucer nicht die rein subjektive Erinnerung, sondern „das do des einigen opffers Christi gedechtnuß gehalten würd, welche, so sye im glauben geschicht, die frucht des opffers Christi bringet, nemlich verzeihung der sünd und alle genad. Denn worlich: dann der leyb Christi für uns geben würt, das ist, dann werden wir teylhafftig und entpfahen die frucht darvon, so wir mit warem glauben erkennen und bedencken, das Christus sein leyb und blu˚t für unser sünd einmal am creütz auffgeopffert hatt.“156

Gedächtnis beinhaltet damit für Bucer die aktuelle Teilhabe am Kreuzesopfer Jesu Christi. Durch das gläubige Gedächtnis des Todes Christi empfangen die Gläubigen auf geistliche Weise dessen Leib und Blut, worauf es schließlich allein ankomme.157 Durch den Glauben werde aus dem fleischlichen Essen von Brot und Wein eine geistliche Angelegenheit, nämlich die Verkündigung des 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157

Vgl. ebd., 213. Vgl. Kaufmann, Abendmahlstheologie, 204 f. Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 238. Vgl. ebd., 223. Vgl. ebd., 244 – 246. Vgl. Hamman, Bucer, 181. – Lang, Evangelienkommentar, 271 f. Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 130. Vgl. Neuser, Dogma, 214. Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 213. S. BDS 1, 211,6 – 14 [Grund und ursach]. BDS 1, 216,10 – 16 [Grund und ursach]. S. BDS 1, 249,17 – 21 [Grund und ursach].

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Todes Christi.158 Nähere Angaben über den Modus dieser Gegenwart Jesu Christi möchte der Straßburger Reformator aber nicht machen.159 Statt sich über die leibliche Gegenwart Christi und über Brot und Wein zu streiten, sollen die Gläubigen im Abendmahl „den tod unsers heylands mit einfeltigem glauben niessen“160. Ausschließen will er mit dieser Theologie die Vorstellung, dass in der Feier des Abendmahls Christi Leib ein weiteres Mal geopfert wird.161 Erst um 1528 entwickelte Bucer eine eigenständige Position, indem er von Luther die Idee der unio sacramentalis rezipierte und weiterentwickelte.162 Er erkannte, dass Luther die Einheit von Brot und Leib Christi nicht naturaliter oder personaliter, sondern sacramentaliter verstand.163 Grob kann Bucers Position ab 1530 wie folgt skizziert werden: Im Abendmahl seien eine himmlische Sache, Christi Leib und Blut, und eine irdische, Brot und Wein, gegenwärtig.164 Mit Brot und Wein, wobei die Präposition „mit“ temporal zu verstehen ist165, würden Leib und Blut Christi den Gläubigen gereicht. Sie seien nicht Leib und Blut Christi selbst, wohl aber Werkzeuge, durch die Gott den Gläubigen beides darbiete.166 In der Einheit von Element und res sacramentalis sei Christus gegenwärtig, wobei die manducatio von Christi Leib und Blut auf die Seele und nicht auf den Leib ziele.167 Durch die Einheit von Zeichen und Sache seien die Zeichen nicht leer.168 Christi „Gegenwart ist real, aber nicht physisch-leiblich, sondern sakramental in der Verbindung zwischen Christus und den Elementen“169, da sich Christus körperlich im Himmel befinde und nicht im Sinne der Ubiquitätslehre überall gegenwärtig sein könne. Um sich dem menschlichen Verstehen anzupassen, „kleidet sich […] die Gabe Christi im Sakrament in ein sinnenfälliges Gewand, das Sinnliche für die Sinne, die Gabe selber für den Geist. Doch ist jede nähere Präcisierung der Denkweise Butzers fast unmöglich“170. So lehrt Bucer mithilfe des Konzeptes der Akkommodation, worunter Gottes Anpassung an das menschliche Erkenntnisvermögen gemeint ist, die Gegenwart einer göttlichen Gabe im Abendmahl,

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S. BDS 1, 249,30 – 250,7 [Grund und ursach]. Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 215. BDS 1, 248,29 [Grund und ursach]. S. BDS 1, 217,27 – 35 [Grund und ursach]. Vgl. Hamman, Bucer, 177 f. Der genauere Entwicklungsprozess Bucers, der hier nur angedeutet werden kann, wird näher beschrieben bei Kaufmann, Abendmahlstheologie, 420 – 437, v. a. 435 f. Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 251 f. Vgl. ebd., 275. Vgl. Neuser, Dogma, 217. Lang, Evangelienkommentar, 239. Vgl. Hamman, Bucer, 178. Vgl. ebd., 180. Ebd., 179. Lang, Evangelienkommentar, 275.

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die Gott den Gläubigen unter irdischen Gestalten darbiete (exhibere).171 Entscheidende Bedeutung kommt nach Bucers Auffassung dem Glauben zu, der zwar die Gegenwart Christi nicht zu konstituieren vermöge, wohl aber die manducatio spiritualis ermögliche, die er für wichtiger als eine bloße manducatio oralis hält.172 Der Glaube fungiert in Bucers Theologie als das subjektive Organ der Heilsannahme173, so dass Ungläubige Gottes Gabe nicht zunichtemachten174, sondern gar nichts empfingen, wie er es auch vor Luther deutlich zum Ausdruck bringt.175 Aufgrund seiner Theologie konnte er in Luthers und Zwinglis Abendmahlslehre sowohl Wahres als auch Übertreibungen finden.176 Den Streit um das Abendmahl hielt er aber nur für einen Streit um Worte, da sich beide Seiten näher stünden, als ihnen bewusst sei.177 Diese Sichtweise ermöglichte es ihm, mit großem Einsatz für das Zustandekommen einer innerevangelischen Konkordie einzutreten.

1.1.5 Die Zeit vom Marburger Religionsgespräch bis zur Wittenberger Konkordie (1536) Nach dem Marburger Religionsgespräch gab es weitere Unterredungen zwischen den sächsischen und oberdeutschen Reformatoren, die bis zum Tode Zwinglis und Oekolampads 1531 auch mit Zürich über die Abendmahlsfrage verhandelten.178 In dieser Zeit sollte Bucer die Verhandlungen mit Luther und dessen Anhängern führen. Auf dem Reichstag zu Augsburg von 1530 präsentierte er die Confessio Tetrapolitana179, die, von den Städten Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau unterzeichnet, als eigenständiges Bekenntnis neben der lutherischen Confessio Augustana180 dem Kaiser übergeben wurde. Der Abendmahlsartikel der Confessio Tetrapolitana lehrt, dass Christus „[i]n disem Sacrament seinen waren leib und wares blu˚t warlich zu˚essen und trincken gibt, zu˚r speiß irer (der Gläubigen, F. E.) seelen und ewigem leben“, und wendet sich gegen die Vorstellung, dass „nichts dann beckenbrott und schlechter wein im Nachtmal gereichet“181 werde. 171 172 173 174 175 176 177 178 179

Vgl. ebd., 260. Vgl. Hamman, Bucer, 182. Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 264. Vgl. Hamman, Bucer,184. Vgl. Lang, Evangelienkommentar, 276. Vgl. Hamman, Bucer, 180. Vgl. Neuser, Dogma, 216 f. Vgl. Neuser, Dogma, 217. Confessio Tetrapolitana von 1530, bearbeitet v. Wilhelm Neuser, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.1, Neukirchen-Vluyn 2002, 456 – 494. 180 Text in BSLK 44 – 137. 181 Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.1, 482,4 – 6.20 [Confessio Tetrapolitana 18]. Lutherische Vorbehalte gegen diesen Text s. bei Bizer, Studien, 29.

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Am 9. Juli erhielt der Kaiser diesen Text, woraufhin einige Tage später Verhandlungen zwischen Martin Bucer und dem lutherischen Theologen Johannes Brenz (1499 – 1570) aus Württemberg begannen. Obwohl Bucer und die nach Augsburg gekommenen Straßburger Theologen die Gegenwart des Leibes Christi im Himmel zur Rechten des Vaters betonten, was lutherischem Denken zumindest verdächtig erscheinen musste, wurden die Gespräche fortgesetzt. Trotz einiger schroffer Reaktionen vonseiten Philipp Melanchthons kam dieser mit Bucer am 21. August 1530 zusammen. Bucer bekannte sich in dieser Unterredung zur wahrhaftigen, körperlichen und wesentlichen – im Gegensatz zu einer virtuell verstandenen – Gegenwart Christi im Abendmahl, obgleich dessen Leib localiter sich im Himmel befinde und deswegen ohne örtliche Ausdehnung präsent sei. Gegenüber Zwingli und Oekolampad vertrat er das vor Melanchthon Gesagte in einer „entschärften“, „entlutherisierten“ Fassung. Was er hier bekannt und in Artikeln schriftlich abgefasst hatte, wurde an Luther geschickt, der auf der Veste Coburg weilte.182 In den Verhandlungen zwischen Luther und Bucer, der für die oberdeutschen Städte und damit für einen Strom „reformierter“ Theologie183 stand, wurde die Frage nach der manducatio impiorum wichtig, die für den Wittenberger Reformator zum Maßstab der Aufrichtigkeit des Bekenntnisses zur Realpräsenz wurde. Bucer bereitete die manducatio impiorumn jedoch aufgrund der Bedeutung des Glaubens im Abendmahl Schwierigkeiten.184 Was empfangen diejenigen, die keinen Glauben haben, wenn sie Brot und Wein bekommen? Luther, mit dem Bucer am 26. und 27. September 1530 auf der Veste Coburg zusammentraf und Pläne für die Abfassung einer Konkordie vereinbarte185, betonte die Objektivität der Abendmahlsgabe, so dass diese nicht vom Glauben der Empfangenden abhängen könne.186 Verbunden war damit das bewusste Lehren der manducatio impiorum, das für Bucer hingegen unmöglich war. Außerdem sollten Bucer und seine Anhänger ihre alte, „zwinglianische“ Lehre widerrufen, nach der im Abendmahl nur Brot und Wein vorhanden seien. Das geschah 1535 in Augsburg.187 Auftrieb erhielten die Verhandlungen um die Konkordie durch die Einführung der lutherischen, bewusst anti-zwinglianischen Reformation in Württemberg, das Landgraf Philipp in einem kurzen Feldzug zuvor erobert hatte.188 Die Württemberger bemühten sich aufgrund der geographischen 182 Vgl. ebd., 30 – 34. 183 Die reformierte Tradition speist sich von Anfang an aus mehreren Strömungen, wie zum Beispiel aus der Theologie Zwinglis und der oberdeutschen Reformation. Die Bezeichnung „reformiert“ ist hier ein Anachronismus, wird aber um der Einfachheit willen auch an weiteren Stellen im historischen Teil verwendet. 184 Vgl. ebd., 183. 185 Vgl. Neuser, Dogma, 217. 186 Vgl. Bizer, Studien, 39 f. 187 Vgl. Neuser, Dogma, 217. – Vgl. Bizer, Studien, 84. 188 Vgl. Bizer, Studien, 65 f. Trotz der lutherischen Ausrichtung der Reformation in Württemberg

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Nähe um einen Ausgleich mit den Straßburger Reformatoren.189 Daher rief der württembergische Herzog Ulrich (1487 – 1550) den oberdeutsch geprägten Ambrosius Blarer (1492 – 1564) aus Konstanz und den Lutheraner Erhard Schnepf (1495 – 1558) aus Marburg zusammen, um so eine Reformation zu erarbeiten, die sich mit den nahe gelegenen Städten vergleichen konnte.190 Am 2. August 1534 erzielten Blarer und Schnepf nach schwierigen Verhandlungen in der Stuttgarter Konkordie einen Konsens in der Abendmahlsfrage, indem sie eine Kompromissformel des Marburger Religionsgespräches191 verwendeten, die Zwingli und Oekolampad 1529 abgelehnt hatten. Diese Konkordie nährte die Hoffnung auf weitere Verständigung.192 Wenige Monate später, im Dezember 1534, kamen Bucer und Melanchthon in Kassel auf Betreiben des hessischen Landgrafen wiederum zusammen.193 Luther hatte Melanchthon ein Schreiben mitgegeben, in dem er unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er Bucers Auffassung, dass es sich beim Abendmahlsstreit nur um einen Streit um Worte handle, nicht teile. Darauf gab Bucer Melanchthon einen Text für die Wittenberger Theologen mit, worin er seine Auffassung der unio sacramentalis und der exhibitio von Christi Leib und Blut im Abendmahl darstellte. Bucer erläuterte in diesem Gespräch, dass er früher Luthers Realpräsenzlehre im Sinne einer lokalen Gegenwart missverstanden habe.194 Über das Problem der manducatio impiorum wurde jedoch nicht gesprochen. Als Ergebnis der Verhandlungen wurden Vergleichsartikel aufgestellt.195 Außerdem versprachen die Straßburger, gemäß der Confessio Augustana und deren Apologie zu lehren und zu predigen.196 Luther rezipierte daraufhin die Ergebnisse in einer über Bucer hinausgehenden Weise; dieser erntete nach seiner Heimkehr Skepsis aus Konstanz und Zürich197, aber Zustimmung aus anderen süddeutschen Städten.198 Die weiteren Gespräche und Verhandlungen199 mündeten schließlich im Mai 1536 in die Wittenberger Konkordie zwischen Martin Luther und Martin

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finden sich dort aber – auch heute noch – teilweise oberdeutsche Elemente in der Liturgie. (Vgl. Wolf, Hubert: Art. ,Württemberg‘, in: LThK 10 (32001), 1326 – 1328, hier: 1326 f.) Vgl. Lohse, Dogma, 95. Vgl. Bizer, Studien, 66. Die Formel lautet: „Wir bekennend, daß uß vermögen dieser wort: ,Diß ist min lib, diß ist min bluot‘ der lib und das bluot Christi warhafftiklich, hoc est essentialiter et substantive, non autem qualitative vel quantitative vel localiter im nachtmal gegenwirtig seind und geben wirdend“ (zit. n.: Kaufmann, Thomas: Art. ,Wittenberger Konkordie‘, in: TRE 36 (2004), 243 – 251, hier: 244). Vgl. Kaufmann, Wittenberger Konkordie, 244. Vgl. ebd., 244 f. Vgl. Bizer, Studien, 76. Vgl. ebd., 75. Vgl. ebd., 78 f. Vgl. Neuser, Dogma, 218. Vgl. Bizer, Studien, 80. S. Bizer, Studien, 25 – 130.

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Bucer. Am 21. Mai trafen oberdeutsche und lutherische Theologen in Wittenberg ein. Da Luther gegenüber Bucer und den Straßburgern großes Misstrauen hegte und sie weiterhin des Zwinglianismus verdächtigte, verlangte er am 22. Mai von Bucer zu bekennen, dass „das Brot […] der Leib Christi kraft der Einsetzung, unabhängig von der Disposition des Austeilenden und des Empfangenden“200 sei. Das verdeutlicht die Rolle, die Luther der manducatio impiorum als Objektivitätskriterium für die Realpräsenz und die sakramentale Gabe zuweist; letztere hängt für ihn von keinerlei Vorbedingungen auf Seiten der Gläubigen ab. „Gelöst“ wurde dieses Problem dadurch, dass der Terminus impius durch indignus ersetzt wurde, was dem Sprachgebrauch von 1 Kor 11,27 entspricht. Diesem, von dem Braunschweiger Reformator Johannes Bugenhagen (1485 – 1558) eingebrachten Vorschlag stimmten beide Seiten zu, so dass die oberdeutschen Theologen von Luther als Brüder im Herrn angesehen wurden. Doch verstand Luther unter indignus einen Menschen ohne Glauben, Bucer dagegen einen Christen, dessen Leben noch nicht vollkommen nach Gottes Willen gestaltet ist. Am 26. Mai wurde die Formula Concordiae Lutherj et Bucerj201 veröffentlicht. Unterzeichnet wurde der Text zwei Tage später.202 Die Wittenberger Konkordie, wie der Text genannt wird, behandelt neben der Kindertaufe und dem Bußsakrament bzw. der Absolution, die aufgrund der Einsetzung durch Christus durch das seelsorgerliche Gespräch ersetzt werden solle203, vor allem abendmahlstheologische Fragen. Der erste der drei Abschnitte204 handelt von der eucharistischen Gegenwart Christi und dem Problem der manducatio indignorum. Der Text stellt jeweils die Lehre der Oberdeutschen dar. Martin Bucer und seine Gefolgsleute bekennen in diesem Text die gleichzeitige Gegenwart einer himmlischen und einer geschöpflichen Sache205 sowie des Brotes und des Leibes Christi im Moment des Empfangens. Christi Leib – und sein Blut entsprechend – sei dann „warhaftig und wesentlich zu gegen […] und [werde] dargereicht und empfangen“206. Damit entsprechen die oberdeutschen Theologen Luthers Forderung, der Abendmahlslehre Zwinglis, so wie Luther sie verstand, abzusagen, auch wenn der Zürcher Reformator hier nicht ausdrücklich genannt wird. Das Abendmahl ist nach dieser Aussage mehr als nur Brot und Wein, mehr als nur leere Zeichen, wie es Bucer ein Jahr 200 Kaufmann, Wittenberger Konkordie, 246. 201 Die Wittenberger Konkordie von 1536, bearbeitet v. Wilhelm Neuser, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, Neukirchen-Vluyn 2006, 86 – 88. 202 Vgl. Kaufmann, Wittenberger Konkordie, 246. 203 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 88,16 – 18 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 204 Nach der Unterschriftenliste, die dem ersten, dem abendmahlstheologischen Abschnitt folgt, behandelt der zweite Abschnitt die Kindertaufe und der dritte die Absolution. 205 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 87,5 f [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 206 Ebd., 86,7 f [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj].

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später vor den Schweizern bekennen wird.207 Abgelehnt werden die Transsubstantiationslehre, die räumliche Gegenwart Christi in Brot und Wein und die bleibende Verbindung Christi mit den Mahlelementen, die auch außerhalb des Genusses, also extra usum, existiere.208 Begründet wird der Empfang der himmlischen Gabe mit der unio sacramentalis, die – wie oben schon gesagt – Bucer von Luther rezipiert hatte. Sie wird hier so gedeutet, dass mit der Reichung von Brot und Wein die Abendmahlsgäste gleichzeitig Leib und Blut Christi empfangen, da dieser im Moment des Empfanges gegenwärtig sei und gereicht werde.209 Außerhalb der Abendmahlsfeier aber sei der Leib Christi nicht gegenwärtig, womit die altgläubige Aufbewahrung und die außerhalb der Eucharistiefeier praktizierte Eucharistiefrömmigkeit abgelehnt werden.210 Der zweite Abschnitt des abendmahlstheologischen Teils behandelt die manducatio indignorum. Der Text betont die Unabhängigkeit der Gegenwart Christi von der Würdigkeit des Empfängers und auch des Spenders, was der antidonatistischen Tradition der Sakramentenlehre entspricht.211 Die Objektivität wird durch das zweimalige „warhafftig“212 deutlich hervorgehoben. Die Bedingung für die sakramentale Gegenwart Christi stellt die Beobachtung der Einsetzung Christi dar.213 Die Unwürdigen aber empfingen gemäß dem biblischen Zeugnis von 1 Kor 11,29 das Gericht, weil sie weder Buße noch Glauben vorweisen könnten.214 Diese Betonung des Glaubens entspricht sowohl Luthers als auch Bucers Lehre vom Abendmahl, die den Empfang des Sakramentes ohne Glauben für todbringend bzw. unfruchtbar halten. Die eigentliche Frage hingegen, was Menschen ohne jeglichen Glauben im Abendmahl empfangen, wird ausgeklammert, da Luther und Bucer darauf keine einmütige Antwort geben könnten. Einen eigenen Akzent erhält die Abendmahlslehre, wenn festgestellt wird: „Denn es [das Abendmahl] ist darumb vffgesetzt, das es zeuge, das denen die gnade und wolthat Christi allda zugeeignet werde und das die Christo eingeleibt und durch das blut Christi gewaschen werden, so da ware buß thun und sich trosten durch den glawben an Christum.“215

207 „Praeterea ut errorem in ecclesia non ferendum agnoscimus, nuda et inania Christum statuere in sacra sua coena symbola, et non credere hic ipsum quoque corpus, et ipsum sanguinem Domini percipi, hoc est ipsum Dominum verum Deum et hominem.“ (OS I 436 [Confessio Fidei de Eucharistia].) Diese Worte wurden von Bucer handschriftlich unter das Bekenntnis von Calvin, Farel und Viret gesetzt. 208 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 86,9 – 11 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 209 S. ebd., 87,12 – 14 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 210 S. ebd., 87,15 – 17 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 211 S. ebd., 87,19 – 21 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 212 S. ebd., 87,22 f [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 213 S. ebd., 87,23 f [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 214 S. ebd., 87,25 – 27 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 215 Ebd., 87,27 – 30 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj].

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Hier wird neben der Darreichung von Christi Leib und Blut der repräsentierende Charakter des Abendmahles ausgedrückt. Die Repräsentation besteht darin, dass den Empfangenden ihre Anteilhabe an der Erlösung Christi bezeugt wird. Wer als Glaubender und Bekehrungswilliger an den Tisch des Herrn herantritt, wird durch das Sakrament gestärkt, weil ihm das von Gott bereits Geschenkte – das Eingefügtsein in den Leib Christi und die Vergebung der Sünden – nochmals beglaubigt wird. Repräsentation und wahre Gegenwart Christi werden hier zusammengebunden. Dieser Akzent ist Luthers Abendmahlslehre gegenüber neu und wird nach 1536 von Johannes Calvin vertieft werden. Nach diesen Äußerungen und dem oberdeutschen Bekenntnis, gemäß der Confessio Augustana und deren Apologie zu lehren216, wird der Wunsch nach einer Konkordie deutlich zur Sprache gebracht.217 Der Text verdeutlicht auf diese Weise, dass die Formula Concordiae Lutherj et Bucerj noch nicht die Konkordie selber, sondern ein oberdeutscher Bekenntnistext ist, der den Willen zu einer Übereinkunft mit den Lutheranern bekräftigt und die Übereinstimmung mit den Lutheranern auf der Grundlage von CA 10218 zur Sprache bringt. „Die Wittenberger Konkordie ist das Abendmahlsbekenntnis oberdeutscher Theologen, die dem Augsburger Bekenntnis (und der Apologie) beigetreten sind und sich auf eine von den Wittenbergern akzeptierte Auslegung der innerreformatorischen Aspekte der Abendmahlslehre festlegen.“219 Durch die Unterschriften der Wittenberger Theologen nehmen diese den oberdeutschen Willen zur Konkordie an. Vollzogen ist sie damit aber noch nicht. Die Ausführungen über die Taufe und Absolution im Anschluss daran drücken hingegen einen Konsens in diesen Fragen aus.220 Die endgültige Einigung in der Abendmahlsfrage ist im 16. Jahrhundert jedoch nicht mehr erreicht worden.221 Im Anschluss an die beidseitige Unterzeichnung wurde der Text sowohl den Obrigkeiten als auch den Theologen bzw. Predigern zur Prüfung vorgelegt.222 In vielen Städten Süddeutschlands wurde sie angenommen, sogar in Basel. Widerstand meldete sich allerdings aus Konstanz und Zürich, die die Con216 S. ebd., 87,1 – 3 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 217 S. ebd., 87,3 – 6 [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 218 „De coena Domini docent, quod corpus et sanguis Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena Domini ; et improbant secus docentes.“ (BSLK 64,2 – 8.) 1540 ändert Philipp Melanchthon diesen Artikel in der Confessio Augustana Variata, wie sie später genannt wird: „De Coena Domini docent, quod cum pane et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus in Coena Domini“ (Confessio Augustana von 1540/1542, bearbeitet v. Wilhelm Neuser, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, Neukirchen-Vluyn 2006, 153 – 221, hier: 161,15 f [CA Variata X]). Aus dem sub pane ist das cum pane der Wittenberger Konkordie geworden. 219 Kaufmann, Wittenberger Konkordie, 247. 220 Vgl. ebd. 221 Vgl. Lohse, Dogma, 97. 222 Weitere Einzelheiten dazu s. Bizer, Studien, 131 – 167.

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fessio Helvetica Prior von 1536223 nicht bereit waren aufzugeben, da die Schweizer ihre Abendmahlslehre als ein Element ihrer theologischen Eigenständigkeit gegenüber den Lutheranern betrachteten. Sie hielten eine brüderliche Eintracht innerhalb der reformatorischen Bewegung auch unter Ausklammerung näherer Bestimmungen der eucharistischen Gegenwart Christi für möglich. Verschärft wurde die Lage durch das Erscheinen der Schmalkaldischen Artikel224 im Februar 1537. Dort betonte Luther wieder die Identität der eucharistischen Gestalten mit Leib und Blut Christi und die manducatio indignorum.225 Das belastete die Verhandlungen in der Schweiz sehr.226 Im Herbst 1538 verständigten sich daher Bern, Zürich und Basel darüber, aus dem Konkordienprojekt auszusteigen, wodurch das Auseinanderstreben von Deutscher und Schweizer Reformation begünstigt wurde.227 1.2 Die (chronologisch) ersten Elemente der calvinischen Abendmahlslehre In dem oben beschriebenen Kontext tritt Johannes Calvin als neuer Akteur in der reformatorischen Bewegung auf. Im Folgenden werden kurz einige wichtige frühe Abendmahlsschriften vorgestellt, um die Theologie des Petit Traict¦ besser im Zusammenhang seiner Lehre und deren Entwicklung zu interpretieren. Die erste schriftliche Äußerung Calvins über das Abendmahl findet sich im Widmungsschreiben der Institutio an den französischen König Franz I. (1494 – 1547), das er im August 1535 in Basel als Reaktion auf die Verfolgung von reformatorisch gesinnten Christinnen und Christen in Frankreich durch diesen König als deren Apologie verfasste.228 Im Rahmen seiner Verteidigung gegen den Vorwurf, die Autorität der Kirchenväter zu verachten, streift er auch das Abendmahl. Es geht dem Reformator darum zu zeigen, dass er und die reformatorische Bewegung die Väter nicht ablehnten, sondern sie besser als die altgläubige Kirche verstünden und in vielen Punkten mit diesen übereinstimmten.229 Dieses Vorgehen schließt für Calvin allerdings Kritik an den 223 Confessio Helvetica Prior von 1536, bearbeitet v. Ernst Saxer, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, Neukirchen-Vluyn 2006, 44 – 68. 224 Text s. BSLK 407 – 468. 225 „Vom Sakrament des Altars halten wir, daß [unter] Brot und Wein im Abendmahl sei der wahrhaftige Leib und Blut Christi [im Abendmahl] und werde nicht allein gereicht und empfangen von frommen, sondern auch von bosen Christen.“ (BSLK 450,13 – 451,2 [Artikel christlicher Lehre].) 226 Vgl. Busch, Gotteserkenntnis, 125. 227 Vgl. Kaufmann, Wittenberger Konkordie, 248. 228 Vgl. Neuser, Wilhelm H.: Johann Calvin – Leben und Werk in seiner Frühzeit 1509 – 1541 (= Reformed Historical Theology 6), Göttingen 2009, 185 f. 229 S. OS I 27 / CStA 1.1, 84,1 – 8 [Epistola ad Franciscum I.]. Gemäß dem calvinischen Verständnis

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Vätern nicht aus, da auch diese nicht alles gewusst oder sich gar teilweise widersprochen hätten.230 Calvin wendet den Vorwurf nun gegen die altgläubigen Theologen, die sich selbst oft willkürlich über die Kirchenväter hinwegsetzten.231 So sei es auch der Fall bei der Gegenwart von Christi Leib und Blut: „Wieder ein anderer (ein weiterer Kirchenvater, F. E.) (Der Verfasser der unvollendeten Matthäus-Homilie) bestritt, daß im Sakrament des Abendmahls ‹unter dem Brot› der wahre Leib Christi gegenwärtig sei; vielmehr – so nämlich drückt er sich wörtlich aus – sei dort nur das Geheimnis seines Leibes zu finden. Somit übergehen sie das ihnen gesetzte Maß, wenn sie daraus einen realen ‹räumlich eingeschlossenen› und substantiellen Leib machen.“232

Zusammen mit der patristischen Tradition lehnt Calvin die räumliche Gegenwart des Leibes Christi unter dem eucharistischen Brot ab. Dass das Attribut substantiale diese örtliche Konnotation hat, macht die französische, etwas erweiterte Fassung des Textes deutlich, die anstelle des ebenfalls sprachlich möglichen substantiel „als ob er (der Leib Christi, F. E.) dort örtlich eingeschlossen wäre“233 bietet. Der Leib Christi ist nach Calvin nicht localiter gegenwärtig. Des Weiteren belegt er mithilfe der Kirchenväter die Unrechtmäßigkeit des Entzuges des Laienkelches.234 Wichtig ist anzumerken, dass Calvin hier in einem polemischen Kontext die substantielle Gegenwart des Leibes Christi verwirft. Diese Positionen vertritt der Genfer Reformator auch in der ersten Auflage der Christianae Religionis Institutio von 1536235, in der er zum ersten Mal seine Lehre in größerem Zusammenhang darstellt. Dieses Werk erweiterte und modifizierte er im Laufe seines Lebens immer wieder. Was das Abendmahl betrifft, versucht er dort mit seiner Lehre einen Ausweg aus der verfahrenen Situation nach 1529 zu finden.236 Bevor Calvin aber die Sakramente im Einzelnen behandelt, definiert er

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müssen aber auch die Kirchenväter an der Heiligen Schrift gemessen und gegebenenfalls korrigiert werden. (Vgl. Schützeichel, Heribert: Die Glaubenstheologie Calvins (= Beiträge zur ökumenischen Theologie 9), München 1972, 43.) S. OS I 27 / CStA 1.1,9 f [Epistola ad Franciscum I.]. S. OS I 27 / CStA 1.1, 84,19 f [Epistola ad Franciscum I.]. „Ex patribus erat (Autor operis imperfecti in Matthaeum. Homil. 11. est inter opera Chrysost.), qui negavit in sacramento coenae esse verum corpus, sed mysterium duntaxat corporis, sic enim ad verbum loquitur ; igitur modum praetereunt, cum faciunt reale et substantiale.“ (OS I 28/ CStA 1.1, 86,12 – 16 [Epistola ad Franciscum I.].) „comme s’il estoit l— enclos localement“ (CO 3, 23 [Au Roy de France.]). S. OS I 28 f / CStA 1.1, 86,16 – 23 [Epistola ad Franciscum I.]. OS I 37 – 280. Vgl. Tylenda, Joseph N.: The Ecumenical Intention of Calvin’s Early Eucharistic Teaching, in: Gerrish, Brian A. (Hg.): Reformatio Perennis. Essays on Calvin and the Reformation in honor of Ford Lewis Battles, Pittsburgh 1981, 27 – 47, hier: 32.

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seinen Sakramentsbegriff.237 Er versteht unter Sakrament ein äußeres Zeichen, mit dem Gott seinen guten Willen den Gläubigen gegenüber bezeuge. In einer zweiten Definition schreibt er, dass Sakramente symbolhafte Zeugnisse von Gottes Gnade seien.238 Gott komme mithilfe der Sakramente der menschlichen Schwachheit im Glauben entgegen, da Gott den Glauben seiner Geschöpfe mit geschöpflichen Realitäten stärken wolle.239 Dieses theologische Konzept wird Akkommodation genannt und beschreibt, dass und wie sich Gott in seiner Selbstoffenbarung der Aufnahmefähigkeit der Menschen anpasst.240 Es durchzieht Calvins gesamtes theologisches Werk, und zwar von Anfang an, wie es dieser Text deutlich macht.241 Auf die Sakramente bezogen bedeute dies, dass die Sakramente dem Wort der Verheißung nachfolgten und die Wahrheit von Gottes Wort besiegelten. Das ist für Calvin wegen der Schwäche menschlichen Glaubens notwendig.242 Als verba visibilia machten sie die Gläubigen der Verheißungen Gottes gewisser243, indem sie diese den Menschen sichtbar vor Augen stellten.244 Ihre Wirkkraft erhalten die Sakramente durch den Heiligen Geist, ohne den sie im Innern der Menschen nicht wirken können.245 Das Abendmahl hat innerhalb dieses Kontextes die Funktion, die Gläubigen zu vergewissern, dass der Leib Christi einmal für sie so hingegeben und sein Blut einmal für sie so vergossen worden sei, dass Christus immer der Ihrige sei, immer ihnen gehöre.246 Auf diese Weise könne die Gerechtigkeit Christi den

237 Die Vorordnung der allgemeinen vor der speziellen Sakramentenlehre ist ein Charakteristikum der mittelalterlichen und reformierten Sakramentenlehre. Ersteres kann zum Beispiel anhand der Summa des Thomas von Aquin gezeigt werden. Im Anschluss an Luther und Melanchthon weist die lutherische Theologie dagegen eine gewisse Skepsis und Zurückhaltung gegenüber einem allgemeinen Sakramentenbegriff auf. Der Grund dafür liegt darin, dass es Luther vor allem darauf ankam, die Sakramente „mit den analogielosen Einsetzungsworten Jesu Christi [zu] begründe[n]“ anstatt sie aus einem allgemeinen Vorverständnis zu deduzieren. (Wenz, Sakramentenlehre, 33 f.) 238 „Principio animadvertere convenit, quid sit sacramentum. Est autem signum externum, quo bonam suam erga nos voluntatem Dominus nobis repraesentat ac testificatur, ad sustinendam fidei nostrae imbecillitatem. Definiri quoque aliter potest, ut vocetur : testimonium gratiae Dei, externo symbolo nobis declaratum.“ (OS I 118 [Institutio 1536].) 239 S. OS I 118 [Institutio 1536]. 240 Vgl. Balserak, Jon: Accommodatio Dei, in: Selderhuis, Herman J. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 366 – 372, hier: 367 f. 241 Vgl. Davis, Promises, 86, der davon ausgeht, dass 1536 das Prinzip der Akkommodation noch völlig fehle. Der Text von 1536 macht hingegen deutlich, dass Calvin bereits mit dem Prinzip der Akkommodation arbeitet, wenn es auch freilich im weiteren Verlauf seiner theologischen Entwicklung diesbezüglich zu vertieften Einsichten kommt. 242 S. OS I 118 [Institutio 1536]. 243 S. OS I 119 [Institutio 1536]. 244 S. OS I 121 [Institutio 1536]. 245 S. ebd. 246 „Promissio illic addita perspicue declarat, quem in finem institutum fuerit ac quorsum spectet; nempe ut nobis confirmet: corpus Domini sic pro nobis semel traditum, ut nunc nostrum sit ac

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Gläubigen zugerechnet werden, die ihrem Herrn „im Gegenzug“ nur ihre Armut anbieten könnten.247 Die ganze Kraft des Sakraments liegt für Calvin in dem „für euch“, wie es die Einsetzungsworte überliefern.248. Das ganze Geschehen von Erlösung und Rechtfertigung liege den Gläubigen im Abendmahl so klar vor Augen und werde ihnen angeboten, „nicht anders als wenn Christus selbst unserem Blick als gegenwärtig dargeboten und von unseren Händen berührt würde“249. Ohne die gegenwärtige und so verstandene Austeilung von Christi Leib und Blut wäre die Erlösung vergeblich geschehen.250 Dabei müssten die Gläubigen folgende Analogie beachten: So wie das Brot den menschlichen Körper ernähre, so sei der Leib Christi eine Speise für das erneuerte, geistliche Leben.251 Daher bestehe die Hauptfunktion des Sakramentes nicht nur in der Darbietung (exhibitio) von Christi Leib und Blut, sondern in der Versiegelung und Bekräftigung von Gottes Verheißung.252 Diese personale Ebene des Abendmahls ist für Calvin die entscheidende, nicht aber die Frage, „wie der Leib Christi im Brot gegenwärtig sei“253. Er lehnt auf der einen Seite die lutherische Bestimmung des realiter et substantialiter, die frühscholastische Identifikation von historischem und eucharistischem Leib sowie die altgläubige Transsubstantiationslehre und auf der anderen Seite die zwinglianische Sakramentenlehre ab; stattdessen hätte – so der Reformator – besser die Frage gestellt werden sollen, wie der ganze Christus von den Gläubigen besessen werden könne.254 Er versucht damit eine Position zu finden, die zwischen Luther und Zwingli liegt255, indem er Aspekte von beiden rezipiert. So lehrt er, „dass wirklich und wirksam (der Leib Christi, F. E.) uns dargeboten (exhiberi) wird, aber nicht auf natürliche Weise. Damit meinen wir nämlich, dass nicht die Substanz des Leibes selbst oder der wahre und natürliche Leib Christi uns dort gegeben

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perpetuo etiam futurum, sanguinem eius sic pro nobis semel effusum, ut noster sit semper futurus.“ (OS I 136 f [Institutio 1536].) S. OS I 60; 137 [Institutio 1536]. S. OS I 137 f [Institutio 1536]. „non secus ac si Christus ipse praesens aspectui notro obiiceretur, ac manibus attrectaretur“ (OS I 137 [Institutio 1536]). S. OS I 138 [Institutio 1536]. „ut corporis nostri vitam panis alit, sustinet, tuetur, ita corpus Christi vitae nostrae spiritualis cibum ac protectionem esse“ (OS I 138 [Institutio 1536]). Die vita spiritualis meint nicht das geistliche Leben Im Sinne der persönlichen Spiritualität. Bei Calvin bezeichnet dieser Ausdruck das Leben, das aus der Heiligung durch den Heiligen Geist erwächst. (S. OS I 504 [Petit Traict¦].) Mit der Rechtfertigung, die allein durch Glauben erlangt wird, wird den Gläubigen zugleich die Gnade der Heiligung geschenkt, die davon zwar zu unterscheiden, aber auf keinen Fall zu trennen ist. S. OS I 138 [Institutio 1536]. „quomodo in pane praesens adsit Christi corpus“ (OS I 132 [Institutio 1536]). S. OS I 139 [Institutio 1536]. Vgl. Tylenda, Ecumenical Intention, 31.

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werden, sondern alles, was Christus in seinem Leib an Wohltaten (beneficia) uns gegeben hat.“256

Hier versteht Calvin ein weiteres Mal in einem polemischen Kontext unter der Substanz des Leibes Christi dessen historischen und natürlichen Leib. Damit begründet er seine Position, dass Leib und Blut Christi nicht materialistisch empfangen werden und nicht auf physikalische Weise gegenwärtig sind.257 Die Abwesenheit des historischen Leibes Christi im Abendmahl begründet der Reformator mit der Gegenwart dieses Leibes zur Rechten des Vaters im Himmel. Was das Abendmahl aber darbietet, ist an dieser Stelle nicht eindeutig zu bestimmen.258 Es sind zum Einen Leib und Blut Christi, aber nicht auf örtlich-materialistische Weise, aber auch die beneficia Christi.259 Dieser Punkt ist für die weitere Arbeit wichtig. Es stellt sich nämlich die Frage, ob Calvin nur eine Gegenwart der Wirkungen des Leibes Christi im Abendmahl kennt, ohne dabei die Gegenwart dieses Leibes selbst zu lehren, oder ob es ihm gelingt, beide Linien miteinander zu verbinden, so dass trotz der Bestreitung der Gegenwart des natürlichen Leibes Christi die Gläubigen Anteil an dessen Leib erhalten. Als erstes Ergebnis ist festzuhalten, dass Calvin örtliche und materialistische Gegenwartsweisen bestreitet. Diese erste und grundlegende Bestimmung Calvins bezüglich der Gegenwart Christi wird er Zeit seines Lebens vertreten, was im Laufe der Untersuchungen deutlich werden wird. Der Sache nach ändert sich an diesem Punkt nichts. Daher wird in dieser Arbeit die These aufgestellt, dass die antilokalen und antimaterialistischen Bestimmungen der Gegenwart Christi den hermeneutischen Schlüssel zur calvinischen Abendmahlslehre darstellen. Doch es fehlt noch ein weiteres Element. Kurz nach Calvins Ankunft in Genf wurde vom ersten bis zum achten Oktober 1536 in der Kathedrale von Lausanne eine Disputation zwischen reformatorischen und altgläubigen Theologen gehalten, bei der zehn Thesen von den reformatorisch gesinnten Theologen verteidigt werden sollten. Calvin nahm daran teil und schwieg während der Debatten für lange Zeit. Als jedoch die dritte der zehn Lausanner Thesen260 und damit auch die Frage nach der körperlichen Gegenwart des Leibes Christi in der Eucharistie diskutiert 256 „vere et efficaciter exhiberi, non autem naturaliter. Quo scilicet significamus, non substantiam ipsam corporis, seu verum et naturale Christi corpus illic dari: sed omnia, quae in suo corpore nobis beneficia Christus praestitit.“ (OS I 142 [Institutio 1536].) 257 Vgl. McDonnell, John Calvin, 242. 258 Vgl. Davis, Promises, 83. 259 Vgl. Neuser, Johann Calvin, 237. Davis, Promises 72 f sieht in dieser Stelle einen Gegensatz zur substantialis communicatio des Leibes und Blutes Christi, wie Calvin sie später zum Beispiel in OS V 365,19 – 21 [Inst. IV 17,19] lehrt. Doch ist hier darauf hinzuweisen, dass Calvin verschiedene Bedeutungen des Substanzbegriffes kennt, was für erhebliche Interpretationsschwierigkeiten sorgt. (Vgl. Gerrish, Grace, 178.) 260 S. Lausanner Thesen von 1536, bearbeitet v. Hans Helmut Eßer, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, Neukirchen-Vluyn 2006, 94 – 96, hier : 94,20 – 95,2.

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wurde, meldete sich der Genfer Reformator am fünften Oktober zu Wort.261 Wie im Widmungsschreiben der Institutio wehrt sich Calvin gegen den Vorwurf, die Kirchenväter zu verachten.262 Wieder geht es um die Gegenwart des historischen Leibes Christi, die Calvin mit Rekurs auf die patristische Theologie ablehnt.263 Im Abendmahl sei nicht Christi historischer Leib enthalten, sondern „ein Mysterium der Gemeinschaft, die wir in seinem Leib haben“264. Erstmals erklärt Calvin die Art und Weise, in der diese Gemeinschaft sich vollzieht: „Aber (wir sagen, F. E.), dass das eine geistgewirkte Mitteilung ist, durch deren Kraft und Wirksamkeit er uns teilhaftig werden lässt an allem, was wir von seiner Gnade in seinem Leib und in seinem Blut empfangen können, oder aber – um noch besser die Würde dieses Mysteriums zu erhellen, durch das er uns wirklich seines Leibes und seines Blutes teilhaftig werden lässt – all das auf geistgewirkte Weise, sozusagen durch das Band seines Geistes.“265

Die Gemeinschaft der Gläubigen mit Christi Leib und Blut, der nicht naturaliter gegenwärtig ist, wird durch den Heiligen Geist bewirkt. Die Abwesenheit des historischen Leibes und Blutes Christi und die geistgewirkte266 Anteilhabe der Gläubigen daran sind für Calvin demnach kein Widerspruch. Die pneumatologische Argumentation ist quasi der affirmative Gegenpol zu Calvins Bestreitungen lokaler Gegenwartsweisen. Diese sind abzulehnen, was aber nicht ausschließt, dass der Geist die Gegenwart Christi – und auch von dessen Leib und Blut – bewirkt. Damit sind die beiden wichtigsten und grundlegenden Aspekte der calvinischen Abendmahlslehre benannt. 261 Vgl. Neuser, Johann Calvin, 278. Disputationen waren damals das übliche Mittel zur Durchsetzung der Reformation, da als Argumentationsgrundlage von vornherein nur die Heilige Schrift zugelassen war. (Vgl. ebd.) 262 „Vous nous imposez que nous les contemnons et du tout reiectons, adiouxtant la raison que c’est pourtant que nous les sentons contraires et adverses — nostre cause.“ (CO 9, 877 [Deux discours au colloque de Lausanne].) 263 S. CO 9, 884 [Deux discours au colloque de Lausanne]. 264 „ung mistere de la communication que nous avons en son corps“ (CO 9, 880 [Deux discours au colloque de Lausanne]). 265 „Mais que cest une communication spirituelle par laquelle en vertu et en efficace il nous faict participans de tout ce que pouvons (sic!) recepvoir de grace en son corps et son sang, ou encore, pour mieux declairer la dignit¦ de ce mystere, par laquelle il nous faict vrayement participans de son corps et son sang, mais le tout spirituellement cest a dire par le lien de son esprit.“ (CO 9, 884 [Deux discours au colloque de Lausanne].) 266 „Geistgewirkt“ ist wohl die beste Übersetzung für spirituel. Das deutsche Wort „geistlich“ führt in eine falsche Richtung, da es im Sinne von „nicht wirklich“ verstanden werden kann. „Geistgewirkt“ ist gerechtfertigt, weil Calvin selbst spirituel als „in der Kraft des Geistes“ versteht. Außerdem wird so deutlich, dass spirituel/spiritualis nicht der Gegensatz zu vere bzw. realis ist, wie es später nachgewiesen wird. An anderen Stellen wird aber auch die Übersetzung „göttlich“ angemessen sein, weil spirituel/spiritualis bei Calvin auf der Grundlage von Röm 8,1 – 17 außerdem den Gegensatz zu fleischlich und menschlich ausdrückt.

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Beide Aspekte finden sich auch in der Confessio Fidei de Eucharistia267 von 1537 wieder, die Calvin zusammen mit Guillaume Farel (1489 – 1565), Pierre Viret (1511 – 1571), Martin Bucer und Wolfgang Capito (1487 – 1541) anlässlich einer Synode im Herbst in Bern unterzeichnete.268 Der Heilige Geist, dessen Wirksamkeit keine Grenzen kenne, könne das durch die Orte Getrennte, nämlich die pilgernden Gläubigen auf Erden und den Leib Christi im Himmel, miteinander verbinden. Er sei „das Band unserer Teilhabe“269 mit Christus. Hier wird erstmals von der Größe des Mysteriums der Anteilhabe an Christi Leib und Blut gesprochen, das so groß sei, „dass es niemand mit Worten genug seiner Würdigkeit gemäß erklären kann“270. Im folgenden Satz wird die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut mit den Gestalten von Brot und Wein verbunden: „Aber diese Gemeinschaft mit seinem Fleisch und Blut bietet Christus unter den Symbolen von Brot und Wein in seinem hochheiligen Mahl an und bietet sie allen dar, die es auf rechte Weise gemäß seiner rechtmäßigen Einrichtung feiern.“271

Der „Ort“ für diese Anteilhabe ist damit der Empfang von Brot und Wein. In die gleiche Richtung geht auch ein nicht veröffentlichtes Fragment272, das 267 OS I 435 f. 268 Vgl. Wendel, FranÅois: Calvin. Sources et ¦volution de sa pens¦e religieuse, Genf 21985, 101. Der Deutung von Wilhelm Neuser wird an dieser Stelle widersprochen. Neuser setzt sich von der gängigen Interpretation ab, nach der Calvin, Farel und Viret ein Abendmahlsbekenntnis abgefasst hätten, das daraufhin von Bucer und Capito als rechtgläubig anerkannt worden sei. Neuser lehnt diese Interpretation ab, weil daraus „sich dann die Schwierigkeit [ergibt], dass Calvin in diesem Fall eine neue Abendmahlsaufassung vorgelegt hätte, die erstmals die Verbindung des geistlichen Lebens mit Brot und Wein lehrt.“ Solche Sätze entsprängen vielmehr der bucerischen Abendmahlstheologie. Er sieht diesen Text vielmehr als das Ergebnis eines Gespräches zwischen den fünf Reformatoren an. (Vgl. Neuser, Johann Calvin, 282 ff.) Das von Neuser bestrittene Verständnis legt der Text jedoch selbst nahe, weil auf die lehrhaften Ausführungen der Genfer ein von Bucer selbst hinzugefügter Absatz folgt, in dem er die Orthodoxie der Genfer Theologen feststellt. (S. OS I 436 [Confessio Fidei de Eucharistia].) Wäre der Text das Ergebnis eines gemeinsamen Gesprächs, müsste er eine andere Struktur aufweisen. Ein inhaltlicher Grund, der für die gängige Interpretation spricht, besteht in der Tatsache, dass die Confessio Fidei de Eucharistia keine wesentlich neuen Lehrelemente enthält, sondern sie höchstens präzisiert. Die Verbindung des geistlichen Lebens – was immer Neuser damit in diesem Kontext meinen mag – mit den Abendmahlselementen vertritt Calvin spätestens ab dem Genfer Katechismus. Dort werden Brot und Wein als Zeichen beschrieben, unter denen Christus die Gemeinschaft mit seinem Leib und Blut anbietet. (S. OS I 413 / CStA 1,1 198,7 – 11 [Cat¦chisme].) Insofern kann nicht davon die Rede sein, dass Calvin in der Confessio Fidei de Eucharistia eine völlig neue Lehre vertrete. 269 „vinculum […] nostrae […] participationis“ (OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia]). 270 „quod nullus verbis satis pro dignitate explicare queat“ (OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia]). 271 „Hanc autem carnis et sanguinis sui communionem Christus sub panis et vini symbolis in sacrosancta sua coena offert, et exhibet omnibus qui eam rite celebrant iuxta legitimum eius institutum.“ (OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia].) 272 CO 9, 841 – 846. – Bizer, Studien, 245 ordnet dieses namenlose Fragment dem Römerbriefkommentar zu.

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Calvin später in die Institutio aufnimmt. Christus biete sich „im Mysterium des Mahles durch die Symbole von Brot und Wein“273 dar. Im Nebensatz, der darauf folgt, präzisiert Calvin, dass es sich beim Empfang Christi um den Empfang seines Leibes und Blutes handle, in denen er die Erlösung für die Gläubigen erworben habe. Dadurch dass die Gläubigen an Christus selbst, an seiner Substanz teilhätten, erführen sie alle Wohltaten, die in Christus sind. Die Substantialität und Wirklichkeit dieses Empfanges hebt er eigens hervor.274 Hier wird ein anderer Substanzbegriff verwendet, der sich vom Substanzbegriff in polemischen Kontexten deutlich unterscheidet, da er in diesem Text affirmativ benutzt wird. Dieses Verständnis findet sich auch im Petit Traict¦ wieder, wo es ausführlicher dargestellt wird. Der Blick in die ersten Texte über das Abendmahl hat bereits einige wichtige Elemente von Calvins Abendmahlslehre erhoben. Calvin bestreitet örtliche Gegenwartsweisen, da Christi Leib in diesem Sinne nicht substantiell unter dem Brot sein könne. Stattdessen affirmiert er eine geistgewirkte Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut, die Christus unter bzw. durch Brot und Wein den Gläubigen anbietet. In diesem Kontext kennt Calvin auch einen positiven Gebrauch des Substanzbegriffes. 1.3 Die Analyse des Textes 1.3.1 Der unmittelbare Kontext und die Adressaten Der Petit Traict¦ ist das erste Werk Calvins, das der Reformator unter seinem Namen in französischer Sprache verfasst hat.275 Er erschien 1541 beim Genfer Verleger Michel du Bois.276 Damit würde sich ergeben, dass Calvin das Werk in der Zeit davor, also um 1540, geschrieben habe. Die Datierung des Petit Traict¦ bereitet einige Schwierigkeiten, da Calvin auf den letzten Seiten dieses Werkes schreibt, dass noch kein Dokument mit der Feststellung einer Konkordie veröffentlicht worden sei.277 Der Göttinger Systematiker Eberhard Busch versteht diese Angabe in dem Sinne, dass der Text in der Zeit vor dem Abschluss der Wittenberger Konkordie entstanden 273 „Dico igitur in coenae mysterio per symbola panis et vini Christum vere nobis exhiberi, adeoque corpus et sanguinem eius, in quibus omnem obedientiam pro comparanda nobis iustitia adimplevit, quo scilicet primum in unum corpus cum ipso coalescamus: deinde participes substantiae eius facti in bonorum omnium communicatione virtutem quoque sentiamus.“ (CO 9, 842 [Fragmentum Praefationis].) 274 „ac vera substantialique manducatione fruar“ (CO 9, 844 [Fragmentum Praefationis]). 275 Vgl. Carbonnier-Burkard, Marianne: Consensus et diff¦rend dans le Petit trait¦ de la sainte cÀne (1541), in Arnold, Matthieu: Jean Calvin: les ann¦es strasbourgeoises (1538 – 1541). Actes du colloque de Strasbourg (8 – 9 octobre 2009) — l’occasion du 500e anniversaire de la naissance du R¦formateur, Strasbourg 2010, 223 – 249, hier: 223. 276 S. OS I 503 / CStA 1.2, 442,9 [Petit Traict¦]. 277 OS I 529 / CStA 1.2, 490,34 – 492,1 [Petit Traict¦].

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sein könnte.278 Ein weiteres Argument für eine Abfassung um 1536 stellt nach Busch Calvins Erwähnung in einem Brief von 1546 dar, dass er den Petit Traict¦ vor 10 Jahren geschrieben habe.279 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die zuletzt genannte Zeitangabe ein Irrtum Calvins ist280, da mehr Gründe für die Abfassung um 1540 als für 1536 sprechen. Für die späte Niederschrift sprechen einerseits die Hinweise auf historische Ereignisse im Text, wie zum Beispiel den Beginn des Streites zwischen Luther und Zwingli, den Calvin fünfzehn Jahre zuvor datiert281, was korrekterweise den Jahren 1525 bzw. 1526 entspricht. Andererseits passt auch die Klage über die noch fehlende Konkordie zwischen den zwei großen Strömungen der Reformation, da die Wittenberger Konkordie, die zwar 1536 abgeschlossen wurde, im strengen Sinne keine Konkordie, sondern ein oberdeutscher Bekenntnistext ist und der Text die Hoffnung auf „ein bestendige Concordia“282, die noch geschlossen werden muss, deutlich zum Ausdruck bringt. Der Petit Traict¦ will ja gerade Klarheit in den Streit bringen283, um so die Grundlage für eine Konkordie zu präsentieren.284 Auch verweist Calvin in seiner zweiten Streitschrift gegen Joachim Westphal (1510 – 1574) aus dem Jahre 1556 darauf, dass er 15 Jahre zuvor über Luthers und Zwinglis Stärken und Schwächen gesprochen habe285, was einerseits auf den Petit Traict¦ verweist und andererseits für die späte Datierung spricht. Außerdem würde sich bei einer frühen Abfassung die Frage stellen, warum Calvin sein Werk nicht früher publiziert habe286, zumal die Frage für die angefochtenen Gewissen, an die Calvin sich hier wendet, von einer gewissen Brisanz ist und ein längeres Warten auf eine Antwort nicht rechtfertigen würde. Auf alle Fälle hat Calvin dieses Werk kurz nach seiner Rückkehr nach Genf am 13. September 1541287 dort veröffentlicht, was bei der Spätdatierung den Schluss nahe legt, dass es größtenteils in Straßburg, wo er zwischen 1538 und 1541 lebte, entstanden ist. Als theologiegeschichtlicher Hintergrund lassen sich die Schweizer Verhandlungen um die Annahme der Wittenberger Konkordie und deren Scheitern ausmachen. Im Frühjahr 1538 versuchten Calvin und Bucer die Zürcher für das Projekt zu gewinnen, wobei letzterer aufgrund von teilweise unaufrichtiger Vermittlung zwischen Wittenberg und der Schweiz keinen 278 Vgl. Busch, Gotteserkenntnis, 123 f. 279 Vgl. Busch, Gotteserkenntnis, 123; 127. – CO 12, 316 [Brief an Veit Dietrich vom 16. April 1546]. 280 Vgl. Busch, Gotteserkenntnis, 123. 281 S. OS I 528 / CStA 1.2, 488,21 f [Petit Traict¦]. 282 Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 87,5 f [Formula Concordiae Lutherj et Bucerj]. 283 Vgl. van’t Spijker, Biographie, J 150. 284 Vgl. Tylenda, Ecumenical Intention, 37. 285 S. CO 9, 92 f [Secunda Defensio]. 286 Vgl. Busch, Gotteserkenntnis, 123. 287 S. Neuser, Johann Calvin, 347.

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

guten Ruf genoss. Da Luther von den Zürchern den Widerruf der Lehre Zwinglis verlangte, wozu diese aber nicht bereit waren, wurden die Verhandlungen beendet.288 Dieser Hintergrund würde die sehr freundlichen Worte über Luther und auch über Zwingli am Ende des Petit Traict¦ erklären, da schließlich beide Seiten für die Herstellung der Einheit gewonnen werden mussten. In einem Brief vom 14. Oktober 1539 an Bucer äußerte sich Luther positiv über Calvins Lehre und seine Schriften, ohne aber zu präzisieren, auf welche er sich beziehe. Der Genfer Reformator verstand dies als lobende Anerkennung seiner Abendmahlslehre, einschließlich seiner Kritik an Luther. Danach schrieb Calvin am 12. März 1540 an Bullinger, wobei er die Notwendigkeit der kirchlichen Einheit unterstrich.289 Die harschen antikatholischen Äußerungen weisen auf die Religionsgespräche hin, an denen Calvin 1539 in Frankfurt, 1540 in Speyer, 1540/41 in Worms und 1541 in Regensburg290 teilnahm, wobei angemerkt werden muss, dass er nachweislich die deutsche Sprache nicht verstand.291 Gerade auf dem letztgenannten Zusammentreffen erwies sich die Transsubstantiationslehre als unüberwindliches Hindernis für jeden Fortschritt. Die Altgläubigen hielten daran fest, während die reformatorisch Gesinnten sie einmütig ablehnten.292 Trotz der sprachlichen Barrieren ist davon auszugehen, dass diese Ereignisse Calvin nicht unberührt ließen. Der Petit Traict¦ wendet sich zunächst an die reformatorischen Gemeinden und die „einfachen“ Leute, wie es schon die Verwendung der französischen Sprache nahelegt.293 Die ersten Leser dürften daher Calvins Gläubige der Flüchtlingsgemeinde in Straßburg gewesen sein, für die er seit September 1539 als Pfarrer zuständig war. Aber Calvin zielt auf ein größeres Publikum ab, da er sich damit wahrscheinlich auch indirekt an die Gläubigen in Genf wandte.294 Ein dritter Adressatenkreis könnten die reformatorisch gesinnten Christen in Frankreich gewesen sein, die im Untergrund leben mussten und aufgrund der fehlenden Kirchenstrukturen kein Abendmahl feiern konnten. Das Ziel dieses Werkes bestünde dann darin, in den Gläubigen den Wunsch nach der Feier des Sakraments zu entfachen.295 288 289 290 291 292 293

Vgl. Bizer, Studien, 219 f; 226 f. S. CO 11, 28 [Brief an Heinrich Bullinger vom 12. März 1540]. Dort unterzeichnete Calvin die CA Variata. (Vgl. Wendel, Sources 98 f.) Vgl. Neuser, Johann Calvin, 319. Vgl. Tylenda, Ecumenical Intention, 34 – 37. „Calvijn schreef zijn boeken in het Frans of in het Latijn. Wanneer hij in het Latijn schreef, richtte hij zich op een meer geletterd publiek; zijn Franse geschriften zijn sterker gericht op de gewone man.“ (van Veen, Mirjam: Calvijn, Kampen 2006, 67.) 294 Vgl. Carbonnier-Burkard, Consensus, 227 f. Im Vorwort zur lateinischen Ausgabe stellt der Herausgeber Nicolas des Gallars heraus, dass diese Gläubigen aus Frankreich und Wallonien illiterati seien, also kein Latein verstanden. (Vgl. ebd, 227.) 295 Vgl. ebd., 228; 231 f; 240.

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Der Petit traict¦ de la saincte cene de nostre Seigneur Iesus Christ (1541)

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Im ersten Satz der Schrift wendet sich Calvin an die angefochtenen Gewissen. Die reformatorischen Gläubigen seien nämlich in doppelter Weise angefochten. Zum einen fechte der innerreformatorische Streit die Gewissen der Gläubigen an und verursache Unsicherheit. Diese warteten auf eine Lösung der diskutierten Probleme296, die Calvin mit diesem Werk geben wolle, indem er hier die Grundlagen einer Abendmahlstheologie als ein für alle gemeinsames Fundament anbiete.297 Die andere Anfechtung ergebe sich aus der Schwachheit des menschlichen Glaubens. Wenn die Gläubigen ihren Blick auf sich selbst richteten, würden sie erkennen, dass sie nur Tod und Hölle verdienten. In dieser aussichtslosen Situation gebe Gott sich und seine Güte, die er im Leiden und Sterben seines Sohnes offenbart habe, zu erkennen.298 Deutlich tritt so auch die pastorale Ebene des Petit Traict¦ zutage.299 1545 wurde dieses Werk in lateinischer Sprache veröffentlicht, wodurch es auch einem größeren Publikum zugänglich wurde.300 Dies unterstreicht, dass Calvin damit einen Beitrag zum innerreformatorischen Abendmahlsstreit leisten wollte.301 Calvins Werk verfolgt damit das Ziel der Stärkung der reformatorischen Bewegung durch die Erarbeitung einer gemeinsamen Grundlage für die Abendmahlslehre. Diese Basis soll darüber hinaus der Verständigung der Theologen untereinander dienen.302

1.3.2 Der Zweck und der Nutzen des Abendmahls Calvin formuliert im ersten Abschnitt des Petit Traict¦ drei Zwecke, um deretwillen Gott das Heilige Abendmahl eingesetzt habe. Diese Äußerungen, die sich vor allem im ersten Abschnitt des Werkes befinden, dienen gewissermaßen als sakramententheologisches Vorwort303, in dem wichtige Vorentscheidungen in Bezug auf das Abendmahlsverständnis gefällt werden. Calvin skizziert dort seine allgemeine Sakramentenlehre. Der erste Nutzen des Abendmahles besteht für Calvin in der Versiegelung der Verheißungen, die Gott im Evangelium schenkt. Im abendmahlstheologischen Kontext meint dies, dass die Gläubigen des Leibes und Blutes Christi teilhaftig werden. Die angefochtenen Gewissen, die ansonsten aufgrund ihrer Sünden nur Leid, Angst und Not in sich spürten304, erführen auf diese Weise 296 297 298 299 300 301 302 303 304

S. OS I 503 [Petit Traict¦]. Vgl. Tylenda, Ecumenical Intention, 37. S. OS I 506 / CStA 1.2, 448,19 – 26 [Petit Traict¦]. Vgl. Carbonnier-Burkard, Consensus, 224. Vgl. Busch, Gotteserkenntnis, 128. Vgl. Campi, Consensus, 16. Vgl. Tylenda, Ecumenical Intention, 37. S. OS I 506 / CStA 1.2, 446,34 – 37 [Petit Traict¦]. S. OS I 506 / CStA 1.2, 448,4 – 22 [Petit Traict¦].

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

Heilsgewissheit, weil sie dessen vergewissert würden, dass in Christi Leib und Blut ihre göttliche Nahrung zu finden sei.305 Die Frage nach der Heilsgewissheit ist für die reformatorische Theologie zentral, was daran deutlich wird, dass Luther sie als Herzstück der Theologie versteht.306 Auch wenn Calvin Luthers Suchen und Ringen um den gnädigen Gott in dieser Intensität anscheinend nicht gekannt hat307, so hat für ihn die Frage nach Gewissheit eine große theologische Bedeutung, da er Glauben als die gewisse Erkenntnis von Gottes untrüglicher Wahrheit definiert.308 So verwundert es nicht, dass Calvin die Wirkung des Abendmahles als die Bestätigung der bereits geschehenen Versöhnung mit Gott beschreibt.309 Gott schenke den Gläubigen in dieser Situation das Abendmahl als einen Spiegel310, in dem sie den gekreuzigten Christus erblickten, der für sie gestorben und auferstanden sei.311 Den Glaubenden bezeuge das Abendmahl dementsprechend, dass sie bereits Anteil an Jesu Christi Tod und Auferstehung hätten. Unter dieser Voraussetzung kann der Reformator sagen, „dass der Herr uns dort (im Abendmahl) alle Schätze seiner geistlichen Gnadengaben öffnet, insofern er uns zu Gefährten aller Güter und Reichtümer unseres Herrn Jesus Christus macht.“312 Auf diese Weise intergriert Calvin den memoria-Aspekt, den vor allem Zwingli herausgearbeitet hat, in sein theologisches Anliegen.

305 S. OS I 505 / CStA 1.2, 446,24 – 29 [Petit Traict¦]. Diese tröstende Funktion ist für Calvin auch der Grund für die häufige, mindestens einmal wöchentlich stattfindende Feier des Abendmahls (OS I 161 [Institutio 1536]); sonst könnten die Gläubigen nicht den Nutzen erkennen, der ihnen aus diesem Sakrament zukommt. (S. OS I 515 f / CStA 1.2, 464,18 – 36 [Petit Traict¦].) 306 Vgl. Hägglund, Bengt: Art. ,Heilsgewissheit‘, in: TRE 14 (1985), 759 – 763, hier: 760. 307 Zumindest war sie für ihn nicht der entscheidende Grund, sich der Reformation anzuschließen. Bernard Cottret erwähnt nichts dergleichen in seiner Calvinbiographie. Eher scheint sogar das katholische Eucharistieverständnis für Calvin ein Stein des Anstoßes gewesen zu sein. (Vgl. Cottret, Bernard: Calvin. Biographie, Paris 1995, 77 – 82.) Peter Opitz erwähnt ebenfalls nichts von etwas Vergleichbarem wie Luthers Ringen um die Gerechtigkeit Gottes. (Vgl. Opitz, Leben, 26 f.) Wilhelm Neuser hebt das Motiv der docilitas hervor, das am Beginn der Hinwedung Calvins zum Glauben steht. (Vgl. Neuser, Johann Calvin, 42 – 48.) 308 S. OS I 403 / CStA 1.1, 180,37 – 182,2 [Cat¦chisme]. 309 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,14 – 18 [Petit Traict¦]. 310 Das Bild des Spiegels, das Calvin hier verwendet, ist als eine Weise von Gottes Akkommodation zu verstehen: Gott bedient sich irdischer Zeichen, um darin seine Wahrheit widerzuspiegeln. In geschaffenen Wirklichkeiten zeigt Gott den Geschöpfen sich selbst und seine Wahrheit. (Vgl. Davis, Body, 72.) 311 S. OS I 506 / CStA 1.2, 448,22 – 26 [Petit Traict¦]. 312 „que le Seigneur nous y desploye tous les thresors de ses graces spirituelles, entant qu’il nous faict compaignons de tous les biens et richesses de nostre Seigneur Iesus.“ (OS I 507 / CStA 1.2, 448,38 – 40 [Petit Traict¦].) Die Übersetzung wurde korrigiert, da die CStA das Adverbialpronomen y, das sich auf la Cene bezieht, nicht übersetzt. Mithilfe dieses Pronomens stellt Calvin aber die Verknüpfung von der Exposition von Gottes Gnadengaben und dem Abendmahl her. Auch die Konjunktion entant que wird nicht übersetzt. Dessen Bedeutung ist „insofern“. Der Satz muss so verstanden werden: Insofern die Gläubigen sie bereits an Christus teilhaben, finden sie im Sakrament Gottes Gnade.

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Der Petit traict¦ de la saincte cene de nostre Seigneur Iesus Christ (1541)

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Die im Abendmahl stattfindende Erinnerung an das Kreuz erhält die Funktion für die Gläubigen, nämlich ihnen in ihrem sündigen Leben Trost zu schenken. Über Zwingli geht Calvin jedoch hinaus, wenn er diese eher kognitive Ebene um die realistische ergänzt. Das Abendmahl vermittelt diese Gewissheit durch die Darbietung des Bezeugten, was nun gezeigt werden soll. Der Genfer Reformator bettet die realistische Dimension somit in einen größeren Kontext ein. Der Realismus des Abendmahlsgeschehens ist somit „nur“ Mittel für einen anderen Zweck. Nach einem kurzen Hinweis auf die Taufe, durch die die Gläubigen in den Haushalt Gottes aufgenommen würden313, führt Calvin aus, dass Gott die einmal als seine Hausgenossen Angenommenen mit göttlicher Nahrung speise, was nun einmal zur Pflicht eines gutes Hausvaters gehöre.314 Durch diese Speise würden die Gläubigen in dem ihnen von Gott geschenkten, wiedergeborenen Leben erhalten.315 Das Ziel, zu dem Gott seine Kinder gerufen habe, bestehe im ewigen Leben316, das bereits mit der Annahme als Töchter und Söhne Gottes begonnen habe.317 In diesem Beziehungsgefüge zwischen Gott und Mensch haben also die Sakramente ihre Funktion.318 Der Reformator arbeitet heraus, dass das von Gott gegebenene Nahrungsmittel – er spricht von „Fleisch“319 – keine gewöhnliche Speise sei, sondern der Seinsweise des von Gott geschenkten Lebens entspreche; beide seien „spirituelle“320. Schon das, was der Körper als Nahrung benötige, sei Erweis von Gottes Güte und Liebe.321 Aber auch das von Gott durch den Heiligen Geist erneuerte Leben bedürfe der Stärkung322, wodurch Calvin eine Parallele zwischen dem biologischen und dem geistlichen Leben aufbaut.323 Das göttliche Brot, das die Gläubigen zum Wachstum in ihrem neuen Leben bräuchten, identifiziert Calvin mit dem Wort Gottes. Dieses besitze einen instrumentalen324 Charakter, weil es den Gläubigen Jesus Christus und alle 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323

324

S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,10 f [Petit Traict¦]. S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,14 f [Petit Traict¦]. S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,30 [Petit Traict¦]. S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,23 f [Petit Traict¦]. S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,27 – 29 [Petit Traict¦]. Vgl. Faber, Eva-Maria: Symphonie von Gott und Mensch. Die responsorische Struktur von Vermittlung in der Theologie Johannes Calvins, Neukirchen-Vluyn 1999, 312. „viande“ (OS I 504 / CStA 1.2, 444,22 [Petit Traict¦]). OS I 504 / CStA 1.2, 444,21 f [Petit Traict¦]. S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,15 – 20 [Petit Traict¦]. OS I 504 / CStA 1.2, 444,21 f [Petit Traict¦]. Hier steht im Hintergrund Calvins Soteriologie, nach der die Gläubigen durch Gottes Geist wiedergeboren werden müssen. Denn nur durch die Wiedergeburt im Heiligen Geist werden sie dazu angetrieben und befähigt, dem Gesetz Gottes, das seine Gültigkeit nicht verloren hat, Gehorsam zu leisten. Durch den Fall Adams haben die Menschen nach Calvin ihre Gottesebenbildlichkeit verloren und damit eigentlich das ewige Verderben verdient. (Vgl. OS I 381; 391; 394 f / CStA 1.1, 143,19 – 38; 160,20 – 22; 166,14 – 17.37 – 41 [Cat¦chisme 1537].) Calvin hebt die Instrumentalität des Wortes Gottes durch die Verwendung zweier, in diesem

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seine Gnade schenke.325 Mit dem Hinweis darauf, dass Jesus Christus „unser einziges Leben ist“326, wird es aber zugleich von diesem unterschieden, damit so die Heilsursächlichkeit allein auf der Seite Gottes bleibt. Das beeinträchtigt allerdings nicht die Wirksamkeit des Wortes, da sich Gott einer geschöpflichen Vermittlungsgestalt zum Schenken seiner Gnade bedient, die aber von ihm unterschieden bleibt. Das Wort besitzt diese Funktion nicht schon qua Wort, sondern nur als Werkzeug Gottes, das dieser eingesetzt hat, um die Fülle in Jesus Christus an die Menschen auszuteilen. Das macht nach Calvin die Würde des Wortes Gottes aus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Wort ohne Christus leer wäre. In diesem Geschehen kommt dem Heiligen Geist eine besondere Aufgabe zu: Er schreibe das Wort, durch das die Gläubigen zum neuen Leben kommen, auf ihre Herzen.327 Das bedeutet in der calvinischen Theologie, dass durch das innere Zeugnis des Heiligen Geistes die Gläubigen zum Glauben an das Wort Gottes kommen. Das rein physisch wahrnehmbare Hören des Wortes muss vom Wirken des Geistes begleiten werden, um fruchtbar sein zu können.328 Der Heilige Geist vermittelt so zwischen Gott und den Gläubigen, damit diese überhaupt befähigt werden, das Wort aufzunehmen.329 Des Weiteren stellt der Geist die Verbindung der Gläubigen zur Quelle des Heils, nämlich zum Vater, her.330 So wird deutlich, dass Gottes Handeln in der Zeit der Kirche, also nach der Himmelfahrt Jesu Christi, pneumatisch vermittelt ist. Ausdrücklich will Calvin das, was er über das Wort gesagt hat, auch für das Abendmahl gelten lassen: „Nun gilt das, was vom Wort gesagt wird, ebenso auch vom Sakrament des Abendmahls. Es ist das Mittel, durch das uns der Herr in die Gemeinschaft mit Jesus Christus führt.“331

Calvin parallelisiert Wort und Abendmahl hinsichtlich ihrer gnadenvermittelnden Funktion. „Diese Kommunikation (mit Gott, F. E.) bleibt nämlich unvollständig, solange sie es bei den Worten allein bewenden lässt. Die Komplementarität von Wort und Sakrament ist für sie notwendig.“332 Erst vor

325 326 327 328 329 330 331 332

Kontext fast gleichbedeutenden Verben (donner und administrer) hervor. (S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,36 [Petit Traict¦].) S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,32 – 36; OS I 505 / CStA 1.2, 444,39 f [Petit Traict¦]. „nostre vie unique“ (OS I 504 / CStA 1.2, 444,36 [Petit Traict¦]). OS I 504 / CStA 1.2, 444,29 [Petit Traict¦]. Vgl. Hesselink, John I.: Heiliger Geist, in: Selderhuis, Herman J. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 295 – 307, hier: 297 f. Vgl. Faber, Symphonie, 301 f. Vgl. Davis, Promises, 110. „Or, ce qui est dict de la parolle il appartient aussi bien au Sacrement de la Cene, par le moyen duquel le Seigneur nous meine — la communication de Iesus Christ.“ (OS I 505 / CStA 1.2, 446,10 – 12 [Petit Traict¦].) „Cette communication demeure en effet imcomplÀte aussi longtemps qu’elle s’en tient aux seuls mots. La compl¦mentarit¦ de la parole et du sacrement lui est n¦cessaire.“ (Grosse,

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diesem Hintergrund wird verständlich, was der Reformator mit der Versiegelung der Verheißungen im Abendmahl meint. Gott hätte Christus allein „durch einfache Lehre und Verkündigung“333 geben können, was aber die Gläubigen aufgrund ihrer Dummheit nicht verstanden hätten.334 Nicht hat Gott somit die Sakramente nötig, sondern die Gläubigen, da diese nicht einmal die einfachsten Dinge von Gott verstünden.335 Gott akkommodiere sich daher an deren Schwachheit und leibliche Verfassung, indem er seine Verheißung mit einem sichtbaren Zeichen verbunden habe, das diese repräsentiere.336 Das verschaffe den Gläubigen eine einzigartige Vergewisserung, die sie auf andere Weise nicht bekommen könnten.337 Die Sichtbarkeit des Sakraments dient nach Calvin dazu, die unbegreifliche und unsichtbare Gemeinschaft mit Jesu Christi Leib und Blut338, die er als ein hohes Mysterium versteht, sichtbar zu machen. Diese Versiegelung ist als Visualisierung eines geistgewirkten und damit für die menschlichen Sinne nicht erkennbaren Sachverhaltes zu verstehen, die Gott zur Stärkung des Glaubens eingesetzt habe.339 Das drückt Calvin mit dem Verb repr¦senter aus.340 Dem Abendmahl komme konkret die Aufgabe zu, die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut, von der das Evan-

333 334 335 336 337 338

339 340

Christian: Les Rituels de la CÀne. Le culte eucharistique r¦form¦ — GenÀve (XVIe–XVIIe siÀcles) (= THR 443), Genf 2008, 239.) „par simple doctrine et predication“ (OS I 505 / CStA 1.2, 444,14 f [Petit Traict¦]). S. OS I 505 / CStA 1.2, 446,12 – 15 [Petit Traict¦]. S. OS I 505 / CStA 1.2, 446,21 f [Petit Traict¦]. S. OS I 506 / CStA 1.2, 446,15 – 19 [Petit Traict¦]. Vgl. Takasaki, Takeshi: Calvin’s Concept of the Real Presence of Christ in the Lord’s Supper, Holland 1976, 43 f. Calvin spricht im Kontext der heilsvergewissernden Funktion der Eucharistie von der Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut und nicht mit Christus selbst, den er zuvor als die Seelenspeise schlechthin beschrieben hatte. Im Text wechselt er zwischen communication de Iesus Christ und communication au corps et au sang de Iesus Christ. Die zwei Formulierungen zusammengenommen legen den Schluss nahe, beides miteinander zu identifizieren, zumal der Wechsel zwischen ähnlichen Formulierungen dieser Art häufiger vorkommt. (Vgl. dagegen Grass, Abendmahlslehre, 242.) Daraus folgt, dass es Calvin vor allem um ein Geschehen zwischen Personen und nicht um die Mitteilung von apersonalen Bestandteilen einer Person an andere Personen geht. Leib und Blut müssen dabei aber genannt werden, da Personen aus Leib und Blut bestehen. Es stellt sich allerdings die Frage, wie sich Leib und Blut Christi zur Person Christi verhalten und ob das „Addieren“ von beiden bereits die gesamte Person ergibt. Jean Cadier befürwortet diese „Addition“. (Vgl. Cadier, Jean: La Doctrine Calviniste de la Sainte CÀne, in: ETR 1.2 (1951), 5 – 155, hier : 29.) Dahinter steckt das Problem, dass die Begriffe Leib und Blut in der westlichen Theologie nicht mehr im biblischen Sinne verstanden werden, sondern als einzelne Bestandteile der menschlichen Person. Dazu s. Kapitel II.2. S. OS I 509 / CStA 1.2, 452,39 – 41 [Petit Traict¦]. – Vgl. Saxer, Ernst: „Siegel“ und „Versiegeln“ in der calvinisch-reformierten Sakramententheologie des 16. Jahrhunderts, in: Zwing. 14 (1977), 397 – 430, hier: 410. Dass representer in diesem Sinne zu verstehen ist, wird im Vergleich mit einer anderen Wendung Calvins deutlich, wie zum Beispiel „sub pane et vino percipiunt fideles corporis et sanguinis communionem“ (CO 9, 843 [Fragmentum Praefationis]). Das Verb percipere unterstreicht die kognitive Bedeutungsebene von representer.

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gelium spreche, zu bezeichnen und zu versiegeln.341 Wort und Sakrament bezeugen beide die geistgewirkte Gegenwart Jesu Christi.342 Aber die sinnlich wahrnehmbare – und damit für die Gläubigen besser erkennbare343 – Darstellung von Gottes Gnade im Sakrament macht das Proprium des Abendmahles gegenüber dem Wort aus, da der Inhalt von Wort und Sakrament, nämlich Gottes Erlösungshandeln in Jesus Christus, identisch ist. Die Visualiserung der heilbringenden Einheit mit Christus ist Gottes Akkommodation an die Gläubigen, weil sie ansonsten von ihrer Gemeinschaft mit dem Erlöser und damit von ihrer Anteilhabe am Heil nichts wüssten.344 Diese Art von Akkommodation, die durch Geschöpfliches stattfindet und deren Adressaten die Menschen sind, macht den Mehrwert des Abendmahles, das ebenfalls Christus verkündigt345, gegenüber dem Wort aus.346 „Das Wort kommt durch unsere Ohren, das sichtbare Wort durch unsere Augen. Die Sakramente enthalten denselben Christus wie das verkündetete Wort, teilen ihn aber auf eine andere Weise mit. Wir bekommen in den Sakramenten keinen besseren Christus, aber manchmal bekommen wir Christus besser.“347 In den Sakramenten wendet sich Gott den Gläubigen individuell zu und sagt ihnen zu, dass seine Verheißung auch ihnen gilt. Aufgrund ihrer symbolischen Verfasstheit sprechen die Sakramente, die verba visibilia, mehr Sinne an als nur das verkündigte Wort. Das – und nicht eine vom Wort verschiedene Gnadengabe – ist somit das Proprium der Sakramente.348 Es ist an dieser Stelle wichtig hervorzuheben, dass die Sakramente nicht ohne das Wort Gottes auskommen. Die altgläubige Messe sei zur „singerie“349 verkommen, womit Calvin „ein Mimenspiel ohne verständliche Worte“350 meint. Das Abendmahl könne dagegen nicht ohne Lehre gefeiert werden.351 341 OS I 505 / CStA 1.2, 15 – 24 [Petit Traict¦]. Vgl. dazu auch „Verum sic exigua est et imbecilla nostra fides, ut nisi undique fulciatur, ac modis omnibus sustentetur, statim concutiatur, fluctuetur, vacillet. Atque ita quidem hic se captui nostro attemperat misericors Dominus, ut quando animales sumus, qui humi semper adrepentes et in carne haerentes nihil spirituale cogitamus ac ne concipimus quidem, elementis etiam istis carnalibus nos ad se deducit, atque in ipsa carne contemplari facit ea quae sunt spiritus.“ (OS I 118 [Institutio 1536].) 342 Vgl. Grosse, Rituels, 239. 343 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,3 – 7 [Petit Traict¦]. 344 Vgl. Davis, Promises, 122 f. 345 Vgl. Gerrish, Grace, 108. 346 Vgl. ebd., 162 f. 347 „The Word comes through our ears, the visible Word through our eyes. The sacraments hold forth the same Christ as the preached Word but communicate him through a different mode. We don’t get a better Christ in the sacraments, but sometimes we get Christ better.“ (Beeke, Joel R.: Calvin on piety, in: McKim, Donald K. (Hg.): The Cambridge Companion to John Calvin, Cambridge 2004, 125 – 152, hier : 134.) 348 Vgl. Gerrish, Grace, 162 f. 349 OS I 524 / CStA 1.2, 480,24 [Petit Traict¦]. 350 „un mime sans parole intelligible“ (Carbonnier-Burkard, Consensus, 243). 351 S. OS I 524 / CStA 1.2, 480,19 – 22 [Petit Traict¦]. Diesen Punkt hebt Calvin im Gegensatz zur altgläubigen Liturgie hervor. Dort sei das Wort gegen nutzlose und teilweise sogar gefährliche

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Doctrine meint in diesem Kontext, wo es um Verkündigung geht, das Wort Gottes und dessen Modus, in dem es den Menschen trifft.352 Ohne dieses Wort verdienten Taufe und Abendmahl es nicht, als Sakrament bezeichnet zu werden. So fordert Calvin eine verständliche und verstehbare Verkündigung des Wortes Gottes in der Messe.353 Die Konsekration besteht für Calvin daher nicht in gemurmelten Worten, die Jesus Christus zwängen, in Brot und Wein hinabzusteigen.354 Das Proprium des Abendmahls bestehe vielmehr in der klaren355 Verkündigung der Verheissungen356 und in der Darlegung des Mysteriums, worunter der Reformator sowohl die Abendmahlsfeier selbst als auch die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut versteht.357 Der Grund dafür sei der Wille Christi, der wolle, dass das Abendmahl mit wahrem Verständnis gefeiert werde.358 In Calvins Zuordnung von Wort und Sakrament konstituiert das Erste das Zweite.359 In diesem Sinne folgt das Sakrament dem Wort nach.360 Das Abendmahl bleibt zwar eine „notwendige Ergänzung zur Predigt“361, ist aber entsprechend der Vorordnung des Wortes vor das Sakrament in der Genfer Kirche durch den klaren liturgischen Rahmen der Verkündigung, der der eigentlichen Abendmahlsliturgie unmittelbar vorangeht, klar bestimmt und durch diesen gedeutet.362 So drückt sich Calvins Theologie auch liturgisch aus. Ein weiterer Grund für die Betonung des Wortes auch in den Sakramenten liegt in der personalen Ausrichtung von Calvins Sakramentenlehre. Personale Vorgänge erfordern die worthafte Ebene. Sonst verkommt das Abendmahl zu Magie, was Calvin verhindern will.363 Obwohl Calvin die Sakramente dem Wort nachfolgen lässt, parallelisiert er beide hinsichtlich der Gnadenvermittlung. Wenn er nun das Wort ausdrück-

352 353 354 355 356 357 358 359 360 361 362 363

Zeremonien eingetauscht worden. (S. OS I 524 / CStA 1.2, 480,19 – 22 [Petit Traict¦].) Zum Begriff der Verständnis des Wortes Gottes als doctrina bei Calvin s. Opitz, Peter : Calvins theologische Hermeneutik, Neukirchen-Vluyn 1994, 99 – 117. Vgl. Opitz, Hermeneutik, 105 f. Diese Aussage ist unter Anderem als polemische Spitze gegen die damalige altgläubige liturgische Praxis zu verstehen, nach der die Lesungen aus der Heiligen Schrift in lateinischer Sprache vorgelesen wurden. S. OS I 524 / CStA 1.2, 480,36 – 482,3 [Petit Traict¦]. Das steht ausdrücklich im Gegensatz zur leise gesprochenen Rezitation der Einsetzungsworte in der altgläubigen Eucharistiefeier im 16. Jahrhundert. (S. OS I 524 / CStA 1.2, 482,7 f [Petit Traict¦].) S. OS I 524 / CStA 1.2, 482,5 – 7 [Petit Traict¦]. S. für die erste Bedeutung beispielsweise OS I 509 / CStA 1.2, 454,18 f [Petit Traict¦] und für die zweite OS I 509 / CStA 1.2, 452,36 – 38 [Petit Traict¦]. Die erste Bedeutung kommt jedoch im Petit Traict¦ häufiger vor. S. OS I 524 / CStA 1.2, 480,27 f [Petit Traict¦]. Es gelte dabei sich immer an die Einsetzung durch Jesus Christus als Regel zu halten. (S. OS I 511 / CStA 1.2, 458,12 – 15 [Petit Traict¦].) Vgl. Gerrish, Grace, 86. Calvin nennt hier die Sakramente aber nicht explizit appendices evangelii. „Compl¦ment n¦cessaire du sermon“ (Grosse, Rituels, 239.) Vgl. ebd. S. OS I 526 / CStA 1.2, 484,39 – 486,2 [Petit Traict¦].

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lich als Werkzeug versteht, durch das Christus ausgeteilt werde364, dann muss der zeichenhafte, repräsentative Aspekt des Abendmahles um den realistischen ergänzt werden.365 Dafür spricht Folgendes: Calvin zufolge haben die Gläubigen nur dann Anteil an Jesus Christus, wenn dieser ihnen gehöre. Zu diesem Zweck gebe sich Christus im Abendmahl den Gläubigen, damit all das zuvor Gesagte wahr sei, wie Calvin eigens bemerkt.366 Das Abendmahl ist damit mehr als nur eine bloße, subjektiv geschehende Erinnerung an Kreuz und Auferstehung. Nur wenn sich Christus wirklich selbst im Sakrament den Glaubenden schenkt, wird die Erfahrung von Heilsgewissheit ermöglicht; ohne die wirkliche Gemeinschaft mit Christus wäre das Sakrament völlig entleert.367 Die Gläubigen müssen mit Christus wirkliche Gemeinschaft haben, um an der von ihm erwirkten Erlösung zu partizipieren.368 Ohne die Verbindung der sakramentalen Zeichen mit der inneren Substanz des Sakramentes, nämlich Jesus Christus369, gäbe es keine Gewissheit.370 Die Realität dieses Geschehens im Abendmahl drückt Calvin mit dem Verb pr¦senter aus. Außer pr¦senter verwendet er im abendmahlstheologischen Kontext offrir und donner.371 Diese drei Verben sind die französischen Äquivalente für exhibere und drücken die Realität der Selbstgabe Christi im Sakrament aus, so dass Calvin dieses Konzept den leeren Zeichen, die er ablehnt, gegenüberstellt. Mit diesen Worten beschreibt Calvin die Verbindung der sakramentalen Zeichen mit ihrer nur durch den Glauben erkennbaren Wirklichkeit, ihrer inneren Substanz372, ohne die es keine Heilsgewisskeit gebe.373 Die Gegenwart Jesu Christi stellt die Bedingung der Möglichkeit von Heilsvergewisserung im Abendmahl dar, da ohne sie jeglicher Nutzen des Sakraments zunichte gemacht werde.374 Aus dieser Gegenwart folgert Calvin, dass den Gläubigen zweierlei im Abendmahl angeboten werde: zunächst Christus und dann die Frucht und Wirkung seines Todes und seiner Auferstehung.375 Der sich am 364 S. OS I 504 f / CStA 1.2, 444,32 – 40 [Petit Traict¦]. 365 Joachim Rogge spielt den Gedanken von Repräsentation und Realpräsenz gegeneinander aus und übersieht, dass beide zusammengehören und sich nicht widersprechen. (Vgl. Rogge, Joachim: Virtus und Res. Um die Abendmahlswirklichkeit bei Calvin, Stuttgart 1965, 42.) 366 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,8 – 11 [Petit Traict¦]. 367 S. OS I 508 / CStA 1.2, 450,37 – 40 [Petit Traict¦]. 368 Dieser Aspekt kann auch von zwinglianisch geprägten Theologen vertreten werden. Zwingli beispielsweise spricht von der Gegenwart der Heilsgabe in den Herzen der Gläubigen. (Vgl. Gäbler, Zwingli, 120.) Für Calvin aber war eine solche Gegenwart nicht ausreichend. (S. OS 508 / CStA 1.2, 452,3 f [Petit Traict¦].) 369 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,12 [Petit Traict¦]. 370 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,18 f; OS I 509 / CStA 1.2, 454,21 f [Petit Traict¦]. 371 S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,1 f.35 f; OS I 510 / CStA 1.2, 454,25 f.30 – 32 [Petit Traict¦]. 372 Calvins Substanzbegriff wird zu Beginn des folgenden Kapitels näher untersucht werden. 373 Vgl. Muller, Richard A.: Calvin on Sacramental Presence, in the Shadow of Marburg and Zurich, in: LuthQ 23 (2009), 147 – 167, hier: 151 f. 374 S. OS I 508 / CStA 1.2, 450,35 – 37 [Petit Traict¦]. 375 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,20 – 22 [Petit Traict¦]. Hier zeigt sich die Zusammengehörigkeit der

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Kreuz zur Erlösung hingegebene Christus schenkt sich den gläubigen Empfängern auch in der Feier des Abendmahles.376 Der erste Nutzen des Abendmahles, die Heilsvergewisserung, bedarf also der wirklichen Exhibition Christi im Sakrament. Diese zielt auf die Partizipation an dessen Gnade, die die Gewissen der Gläubigen in der Anfechtung beruhige.377 Die Abendmahlsgäste erfahren nämlich im Abendmahl ein Zeugnis der Gemeinschaft mit dem erlösenden Opfer Christi, wenn sie seinen für sie dahingegebenen Leib empfangen.378 So verwundert es nicht, dass Calvin im Petit Traict¦ die Überlegungen über den Nutzen mit Überlegungen über die Art und Weise der Darbietung von Christi Leib und Blut verbindet.379 Die Einbeziehung dieses Themas in den Nutzen des Abendmahls für die Gläubigen und der kurze soteriologische Vorspann im ersten Kapitel des Petit Traict¦ machen deutlich, dass Calvin die eucharistische Gegenwart Christi nicht isoliert oder als Selbstzweck betrachtet.380 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Reformator soviel Wert darauf legt zu betonen, dass die Gläubigen im Abendmahl nicht nur einfach Christi Leib und Blut, sondern die Frucht empfangen, die ihnen aus der Hingabe Christi zufließt.381 Diese Frucht kann nach Calvin aber nur dann erlangt werden, wenn die Gläubigen Anteil an Christi Leib und Blut erhalten.382 So kann der Empfang dieser Heilsfrucht nicht von der menschlichen Natur, von Leib und Blut, getrennt werden, weil nämlich darin Christus die Erlösung erworben hat. Daher genüge die Teilhabe allein an Christi Geist nicht.383 Nur wenn die Gläubigen auch an seinem Fleisch und Blut partizipieren, besitzen sie Christus ganz, und damit auch seinen Geist.384 Deswegen erfordert die Versiegelung des Heils im Abendmahl die wirkliche Selbstgabe, die Exhibition Jesu Christi und seines Leibes und Blutes. Die eu-

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Person Christi mit seinem Werk, die für Calvin eine wichtige Rolle spielt. (Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 50.) Vgl. Busch, Gotteserkenntnis, 113. Hierin ähnelt Calvins Theologie der Abendmahlslehre Luthers, wie dieser sie im Großen Katechismus formuliert, wo er vor allem den Aspekt des pro nobis hervorhebt. (S. BSLK 714,31 – 45 [Großer Katechismus].) OS I 510 / CStA 1.2, 454,30 – 34 [Petit Traict¦]. Das stellt einen der Gründe für Calvins Ablehnung des Messopfers dar. Er wirft den Vertretern dieser Lehre vor, die Perspektive verkehrt zu haben: aus der Gabe Gottes an die Menschen zu deren Trost sei eine Gabe der Menschen an Gott geworden. Jesus Christus habe seinen Leib zum Empfang und nicht zum erneuten Opfer hinterlassen. (S. OS I 517 f / CStA 1.2, 468,24 – 470,26 [Petit Traict¦].) S. OS I 507 f / CStA 1.2, 450,30 – 33 [Petit Traict¦]. Calvin geht es des Weiteren nicht darum, einzelne Teile des sakramentalen Geschehens zu isolieren, sondern das gesamte Geschehen zu betrachten. (Vgl. Faber, Eva-Maria: Calvin im Spiegel seiner Interpreten. Der lange Weg zur Überwindung von Vorurteilen am Beispiel der Sakramententheologie, in: ThRv 105 (2009), 177 – 194, hier: 191.) S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,26 – 28 [Petit Traict¦]. S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,28 – 30 [Petit Traict¦]. S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,1 – 4 [Petit Traict¦]. S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,4 – 8 [Petit Traict¦].

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charistische Gegenwart Christi steht im Dienst der gegenwärtigen Erfahrung von Erlösung und vermittelt infolgedessen Heilsgewissheit. Mit diesen Bestimmungen distanziert sich Calvin von zwinglianischer Theologie, da er trotz der Suffizienz des Evangeliums an der Notwendigkeit der Sakramente und der Exhibition von Gottes Gnade in den Sakramenten festhält. Diese erhalten aufgrund ihrer Sichtbarkeit, die das Wort nicht leisten kann385, eine zwar sekundäre386, aber ihnen eigene Funktion in der Heilsökonomie. Gerade diese Spannung charakterisiert die calvinische Sakramentenlehre und gibt ihr im theologischen Kontext der Schweiz eine eigenständige Position neben Zürich, wo ein solcher Mehrwert bestritten wurde. Als weitere Zwecke des Abendmahles nennt Calvin den Aufruf zum Lobpreis Gottes und seiner Wohltaten387 und die Ermahnung zur Heiligkeit und zu geschwisterlicher Liebe der Gläubigen untereinander.388 Die Beachtung dieser drei Ziele dient nach Calvin einem rechten Abendmahlsverständnis und dessen rechter Feier.389 Bei dieser Aufzählung fehlt allerdings ein Motiv. Calvin beschreibt Sakramente als ein von Gott ausgehendes Geschehen. Die Funktion der Sakramente als menschliches Glaubensbekenntnis vor Gott und den Menschen390 erwähnt der Reformator in diesem Werk nicht. Die Formulierungen, die Calvin in diesem ersten Abschnitt wählt, geben den Sakramenten eine starke Position, um ihre Wirksamkeit in keiner Weise abzuschwächen. Calvin macht damit gegenüber den zwinglianisch geprägten Theologen deutlich, dass Sakramente vor allem ein Geschehen zwischen Gott und Mensch sind, und nicht hauptsächlich ein testimonium publicum.391 385 386 387 388

Vgl. Gerrish, Grace, 162. Vgl. Faber, Symphonie, 309. S. OS I 505/ CStA 1.2, 446,29 – 31; OS I 510 / CStA 1.2, 454,35 – 456,11 [Petit Traict¦]. S. OS I 505 / CStA 1.2, 446,31 – 34; OS I 510 f / CStA 1.2, 456,12 – 19 [Petit Traict¦]. Calvins Abendmahlslehre beinhaltet somit auch eine ekklesiologische Komponente. Diese ist im Petit Traict¦ aufgrund der Fragestellung aber eher zweitrangig, da sie keinen Streitpunkt zwischen den Reformatoren darstellte. 389 S. OS I 506 / CStA 1.2, 446,34 – 37 [Petit Traict¦]. 390 Vgl. dagegen: „Les sacremens sont instituez a ceste fin quilz feussent exercices de nostre foy tant devant Dieu que devant les hommes.“ (OS I 411 / CStA 1.1, 194,28 f [Cat¦chisme].) Erst darauf folgen die Ausführungen darüber, dass Gott den Menschen in ihrer Schwachheit mithilfe der Sakramente entgegenkomme. 391 In anderen Punkten stimmt Calvin mit Zürich überein, wie zum Beispiel im Verständnis der Himmelfahrt und deren Bedeutung. Aber die unten noch weiter zu klärende Verbindung von Zeichen und Sache, die er in der zwinglianischen Theologie nicht gewahrt sieht, unterscheidet ihn deutlich von Zwingli. In rhetorischem Geschick geht er jedoch davon aus, dass Zwingli und Oekolampad diese Verbindung, obwohl sie sie nicht erwähnen, nicht vergessen hätten. (S. OS I 528 / CStA 1.2, 488,10 – 14; OS I 529 / CStA 1.2, 490,13 – 20 [Petit Traict¦].) Würde er sich hier so deutlich wie an anderen Stellen ausdrücken, wo er die Entleerung des Sakramentes wie in OS I 508 / CStA 1.2, 450,35 – 452,1 [Petit Traict¦] als Blasphemie kennzeichnet so würde das die Verständigung mit den zwinglianisch geprägten Reformatoren und damit die Einheit der reformatorischen Bewegung erschweren oder gar zunichte machen, die aber Calvin so sehr am Herzen lag und der dieses Werk schließlich dienen soll.

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1.3.3 Die Mitteilung von Christi Leib und Blut Calvin verknüpft die Reflexionen über Nutzen und Zweck des Abendmahls mit der Frage nach dem Modus der Gegenwart Jesu Christi. Diese Frage ergibt sich für ihn geradezu aus den Erwägungen über den Nutzen des Abendmahls und der Exhibition Christi durch Wort und Sakrament. Um auszudrücken, dass Jesus Christus im Abendmahl wirklich gegeben werde392, habe Calvin die Gewohnheit, „zu sagen: die Materie und Substanz ist der Herr Jesus“393. Da Calvin in früheren Texten aber, wie zum Beispiel im Widmungsschreiben der Institutio, die substantielle Gegenwart des Leibes Christi abgelehnt hatte394, ist nun eine Untersuchung von Calvins Substanzbegriff notwendig, da substance mehrere Bedeutungsebenen zu haben scheint. Wenn der Reformator in seinen ersten Werken, die einen stark polemischen Charakter aufweisen395, von Substanz spricht, meint er damit den historischen Leib Christi, der eben nicht im Abendmahl gegenwärtig ist. Dieser materialistische Substanzbegriff ähnelt stark dem spätscholastischen Verständnis.396 Im Petit Traict¦ hingegen verwendet er substance positiv, um die Wirklichkeit der eucharistischen Gegenwart Christi auszudrücken. Hier meint substance die Person Jesu Christi. Den Gegensatz zu den materialistischen Konzepten drückt Calvin durch die Attribute spirituel397 und int¦rieur398 aus, die er in affirmativen Zusammenhängen zur Charakterisierung von Substanz gebraucht. Die so verstandene Substanz beschreibt den tiefsten Grund der Dinge399, die innere Wirklichkeit des eucharistischen Geschehens400 und damit letztendlich die Wahrheit des Abendmahls überhaupt401, nämlich Jesus Christus selbst und dessen Heilswerk.402 Beides liegt dem Abendmahl zugrunde, was Calvin durch die Bezeichnung Christi als das sakramentale 392 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,9 f [Petit Traict¦]. 393 „I’ay costume de dire, que la matiere et substance des sacrements c’est le Seigneur Iesus“ (OS I 507 / CStA 1.2, 452,12 [Petit Traict¦]). Die CStA übersetzt matiere mit „Ursache“ und substance mit „Wirklichkeit“. Um der Präszision willen werden in dieser Arbeit matiÀre und substance so wortgetreu wie möglich übersetzt. 394 S. OS I 28 / CStA 1.1, 86,12 – 16 [Epistola ad Franciscum I.]. 395 S. Kapitel I.1.2 dieser Arbeit. 396 Vgl. Tück, Gabe, 322. 397 S. OS I 528 / CStA 1.2, 488,19 [Petit Traict¦]. 398 S. OS I 509 / CStA 1.2, 454,21 [Petit Traict¦]. 399 Vgl. Scholl, Hans: Calvinus Catholicus. Die katholische Calvinforschung im 20. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau 1974, 210. Auffällig ist, dass Scholl den scholastischen Substanzbegriff mit Materie gleichsetzt. Dazu wird im systematischen Teil mehr zu sagen sein. 400 Vgl. Willis, Substantia, 297. 401 An einigen Stellen verknüpft Calvin substance und verit¦, so dass sich beide Begriffe wechselseitig interpretieren. (S. OS I 509 / CStA 452,41; OS I 516 / CStA 466,5 [Petit Traict¦].) 402 „Materiam aut substantiam voco Christum cum sua morte et resurrectione.“ (CO 1, 1003 [Institutio 1539 – 1554].) Diese doppelte Bestimmung findet sich auch im Petit Traict¦, jedoch nicht in dieser prägnanten Formulierung. (S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,19 – 22 [Petit Traict¦].)

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Fundament – fondement fungiert als Synonym zu substance fungiert – unterstreicht.403 Calvin knüpft so an eine der aristotelischen Grundbedeutungen von Sub-stanz an.404 Die Grundlage des Abendmahls ist Jesus Christus405, „der sich selbst gibt zur Teilnahme an ihm selbst.“406 Substanz ist gemäß dem alltagssprachlichen407 lateinischen Sprachgebrauch die Wirklichkeit einer Sache408, im Falle des Abendmahles also die Gegenwart Christi. Der Begriff „Substanz“ bezeichnet demnach in Kontexten, in denen Calvin seine Lehre positiv darlegt, die Realität der Begegnung mit Jesus Christus, die dem Abendmahl zugrundeliegt.409 Er drückt mithilfe von Substanz die Wirklichkeit des Handelns des Herrn an seiner Gemeinde aus, dem die äußeren Mittel und das Wort dienen.410 Ohne diese Substanz gäbe es im Abendmahl keine Gemeinschaft mit Christus.411 Die Bedeutung von matiÀre muss ebenfalls näher untersucht werden. Da Calvin jegliche materialistische Gegenwartsweisen ablehnt, kann dieser Begriff in affirmativen Kontexten nicht in diesem Sinne verstanden werden. Wie substance wird auch matiÀre mit Christus identifiziert. Materie ist hier kein Material oder Gegenstand, aus dem Seiendes besteht412, sondern Jesus Christus mit seinem Tod und seiner Auferstehung, wie Calvin an anderer Stelle schreibt.413 Die Materie des Abendmahls besteht Calvin zufolge im Gegensatz zur scholastischen Sakramentenlehre nicht aus Brot und Wein414, sondern in Jesus Christus. Da die Bestimmungen zu substance und matiÀre fast identisch sind, ist Wilhelm Niesel415 und Wim Janse416 bei der Identifkation von beiden im calvinischen Sprachgebrauch zuzustimmen. Da Calvin an anderen Stellen

403 „C’est que toute l’utilit¦ que nous devons chercher en la Cene est aneantye, sinon que Iesus Christ nous y soit donn¦ comme substance et fondement de tout.“ (OS I 508 / CStA 1.2, 450,36 – 37 [Petit Traict¦].) 404 Vgl. Mittelstraß, Jürgen: Art. ,Substanz‘, in: EphW 4 (2004), 133 – 136, hier: 133. 405 Vgl. Staedtke, Abendmahl, 117. 406 Busch, Gotteserkenntnis, 126. 407 Vgl. Cadier, Doctrine, 25. 408 Vgl. Tosto, Francesco Diego: Calvino Punto di Convergenza. Simbolismo e presenza reale nella santa cena (= Dialoghi „oltre il chiostro“ 8), Neapel 2003, 55. 409 Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 249. – Niesel, Calvins Lehre, 51. 410 Vgl. Kreck, Walter: Die reformierte Abendmahlslehre angesichts der heutigen exegetischen Situation, in: EvTh 5 (1954), 191 – 211, hier: 199. 411 Vgl. Niesel, Wilhelm: Die Theologie Calvins (= Einführung in die evangelische Theologie 4), München 21957, 220. 412 Vgl. Detel, Wolfgang: Art. ,Materie I. Antike‘, in: HWP 5 (1980), 870 – 880, hier : 874 f. 413 „materiam voco Christum cum sua morte et resurrectione“ (CO 9, 842 [Fragmentum Praefationis]). 414 Vgl. dagegen S. th. III q. 74 a. 1. 415 Vgl. Niesel, Theologie, 218. 416 Vgl. Janse, Wim: Sakramente, in: Selderhuis, Herman J. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 338 – 349, hier: 340.

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matiÀre durch andere Begriffe ersetzt417, scheinen die Abgrenzungen zwischen den Begriffen ohnehin fließend. Die Substanz bzw. Materie im gerade beschriebenen Sinne ist nach Calvin mit dem Abendmahl verbunden418, da ohne den gegenwärtigen Christus die durch das Abendmahl angestrebte Heilsgewisskeit nicht erlangt werden könne. Das Abendmahl muss demnach empfangen werden, um an dessen innerer Wahrheit, der Substanz von Christi Leib und Blut, Anteil zu erhalten: „Wir bekennen doch alle mit einem Munde, dass wir, wenn wir gemäß der Einsetzung des Herrn im Glauben das Sakrament empfangen, wirklich der Substanz selbst von Jesu Christi Leib und Blut teilhaftig werden.“419

Die Verwendung des G¦rondif („en recevant“420) lässt ein temporales und ein instrumentales Verständnis zu.421 Das Verhältnis von Sakramentsempfang und dem Empfang von Christi Leib und Blut kann somit als ein gleichzeitiges (simul) und als instrumentales bestimmt werden. Das heißt, dass die Gläubigen durch den Empfang und während des Empfangs von Brot und Wein die Substanz von Christi Leib und Blut empfangen. Das ist für Calvin der Kern der Abendmahlslehre, auf dessen Basis er eine Einigung im innerreformatorischen Abendmahlsstreit für möglich hält.422 Es genügt Calvin daher zu sagen, „daß Jesus Christus uns im Abendmahl die Substanz seines Leibes und seines Blutes selbst gibt, damit wir ihn voll besitzen und dadurch die Teilhaberschaft an allen seinen geistlichen Gütern gewinnen.“423

417 S. zum Beispiel „Christ […] comme substance et fondement“ (OS I 508 [Petit Traict¦]). 418 S. OS I 507 / CStA 1.2, 450,18 f [Petit Traict¦]. 419 „Nous confessons doncq tous d’une bouche, que en recevant en Foy le Sacrement, selon l’ordonnance du Seigneur, nous sommes vrayment faictz participans de la propre substance du corps et du sang de Iesus Christ.“ (OS I 529 / CStA 1.2, 493,5 – 8 [Petit Traict¦], Übersetzung leicht verändert, F. E.) 420 OS I 529 / CStA 1.2, 492,6 [Petit Traict¦]. 421 Vgl. Halmøy, Odile: Le g¦rondif en franÅais, Gap – Paris 2003, 6; 92 – 98. Den Ausdruck der Instrumentalität betrachten viele Sprachwissenschaftler sogar als den prototypischen Gebrauch des G¦rondif. (Vgl. ebd., 97.) 422 Der Genfer Reformator versucht, einen Konsens zwischen Wittenberg und Zürich zu formulieren, indem er die Anliegen beider Seiten berücksichtigt. Die Wendung „im Glauben“ integriert ein Anliegen der Zürcher, während Substanz für die lutherische Abendmahlstheologie von großer Bedeutung ist, um die Realität von Christi Gegenwart auszudrücken. (Vgl. Gollwitzer, Coena Domini, 48. – Janse, Eucharistic Theology, 40.) Er versucht auf diese Weise, auf gleichem Boden mit Lutheranern und Zwinglianern zu stehen und einen Konsens mit den „brauchbaren“ Elementen beider Seiten zu formulieren. (Vgl. Muller, Presence, 148 f.) Es ist fraglich, ob Calvin hier nur einen „Minimalkonsens“ (Neuser, Johann Calvin, 346) formuliert oder ob es ihm gelingt, das Proprium des Abendmahls auf den Punkt zu bringen. 423 „que Iesus Christ nous donne en la Cene la propre substance de son corps et son sang, — fin que nous le possedions pleinement, et, le possedant, ayons compaignie — tous ses biens“ (OS I 510 / CStA 1.2, 454,25 – 28 [Petit Traict¦]).

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Die substantielle Exhibition von Christi Leib und Blut hat als Ziel, dass die Gläubigen Christus und seine Gnadengaben424 immer mehr besitzen und in der Gemeinschaft mit ihm wachsen. Dadurch entspricht Calvin seiner Forderung, dass es im Abendmahl nicht nur um den Empfang von Leib und Blut gehe, sondern darum, dass die Gläubigen sie als für sie dahingegeben und für sie vergossen empfangen, um Trost und Zuversicht zu gewinnen. Der Substanzbegriff unterstreicht in diesem Zusammenhang den realistischen Charakter des Geschehens. Das Attribut propre präzisiert, was unter Substanz zu verstehen ist: Nicht das historische Fleisch und Blut Jesu, sondern die ganze Person, die ihre Wohltaten den Gläubigen zukommen lässt.425 Gerade die Partizipation an den beneficia Christi ist für Calvin Ausdruck der Wirksamkeit von Christi Gegenwart im Abendmahl426 und unterstreicht damit deren Wirklichkeit. Über die Verbindung von den sakramentalen Zeichen mit Leib und Blut Christi, wie sie gerade bereits skizziert wurde, wird in Kapitel I.1.3.4.4 noch die Rede sein. Als Argument für die Gegenwart von Christi Leib und Blut führt Calvin das Schriftzeugnis an. Als hermeneutisches Prinzip zur Exegese der Einsetzungsworte427 dienen dem Reformator die Bestimmung Christi als Substanz der Sakramente und die Exhibition seines Leibes und Blutes im Sakrament. Christus selbst habe verheißen, dass sein Fleisch wirkliche Speise und sein Blut wirklicher Trank sei (vgl. Joh 6,55). Daraus folge, dass, wenn Christus diese Worte nicht vergebens gesprochen habe, die Seele von Leib und Blut Christi gespeist werde. Das wiederum bezeuge das Abendmahl, wenn Christus gebiete, das Brot, das er zuvor seinen Leib genannt habe, zu nehmen und zu essen. Das gilt analog für den Kelch mit Wein.428 Calvin deutet die Abendmahlsworte im Kontext weiterer biblischer Aussagen, wie z. B. Joh 6. Er plaziert das Abendmahl zudem in sein Konzept der unio cum Christo429, was das Verb testifier anzeigt. Das Abendmahl bezeugt die Gemeinschaft mit Christus, woran deutlich wird, dass die Gläubigen vor dem Empfang des Sakraments mit Christus geeint sind und damit die res sacramenti schon besitzen.430 Um im Abendmahl Gemeinschaft mit Christus zu empfangen, ist diese Gemeinschaft bereits vor dem Sakramentenempfang erforderlich.431 Die erste Gemeinschaft 424 425 426 427

428 429 430 431

S. OS I 510 / CStA 1.2, 454,28 f [Petit Traict¦]. Vgl. Muller, Presence, 155. Vgl. ebd., 151. S. OS I 508 / CStA 1.2, 450,34 – 37 [Petit Traict¦]. Die Bedeutung dieser Worte war gerade eines der Streitthemen in der Reformation, wie es auch die Debatte zwischen Zwingli und Luther dokumentiert. Darauf bezieht sich Calvin ausdrücklich. (S. OS I 508 / CStA 1.2, 450,32 – 33; OS I 526 – 529 / CStA 1.2, 486,3 – 492,5 [Petit Traict¦].) S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,8 – 17 [Petit Traict¦]. Dieses Konzept wird in Kapitel I.3.3.1 näher dargestellt werden, weil Calvin es in der Institutio weiterentwickelt hat. S. OS I 516 / CStA 1.2, 466,3 – 7 [Petit Traict¦]. S. „Et sane non video quomodo in cruce Christi redemptionem ac iustitiam, in eius morte vitam habere se quis confidat, nisi vera Christi ipsius communione inprimis fretus. Non enim

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mit Jesus Christus entsteht nicht am Abendmahlstisch, sondern wird durch den Heiligen Geist realisiert und durch den Glauben ergriffen.432 Das erste äußere Mittel, durch das Gott die Gläubigen zur Gemeinschaft mit Christus und dessen Fleisch und Blut führt, ist Calvin zufolge das Evangelium.433 Die Gläubigen empfangen also im Abendmahl das, was sie auch vorher schon empfangen haben. In diesem Sinne bringt ihnen das Abendmahl nichts Neues, weil das Sakrament nicht erst die heilvolle Gemeinschaft mit Christus begründet434, sondern „nur“ bezeugt und repräsentiert. Was das Evangelium verkünde, werde daher durch die Sakramente besiegelt.435 Wie verhält sich das aber zu Calvins Aussagen zur Exhibition Christi durch das Sakrament? Calvin weist darauf hin, dass Christus die Seele nicht so speise, dass sie mit einem Male gesättigt sei, sondern dass er dauerhaft deren Speise bleibe.436 Die Gläubigen müssten in Christus wachsen, was auf die Dynamik des Glaubens in Calvins Verständnis hinweist.437 Diese Situation erfordert erst so etwas wie Sakramente.438 Das Abendmahl hilft demnach den Gläubigen in ihrem Glaubenswachstum durch die Darbietung von Christi Leib und Blut. Der Empfang des Leibes besiegelt und schenkt den Gläubigen in der Abendmahlsfeier das, was sie durch den Glauben schon unsichtbar von Gottes Gnade empfangen haben. Im Abendmahl empfangen die Gläubigen den ganzen Christus, wodurch sich dieses Sakrament vom Wort und der Taufe unterscheidet.439 So wächst die bereits bestehende Einheit mit Christus. Die so verstandene komparativische Wirkweise440 des Abendmahls muss in Kapitel I.3.3.1 und II.1 näher analysiert werden. Calvins Vorentscheidungen in der allgemeinen Sakramentenlehre kommen hier zur Entfaltung, da das Abendmahl die Speisung der Seele mit Christi Fleisch und Blut repräsentiert441 bzw. visualisiert.442 Festzuhalten als Ergebnis dieses Kapitels bleibt, dass Calvin davon ausgeht, dass die Gläubigen im Abendmahl mit Christi Leib und Blut genährt werden. Das Abendmahl bezeugt dieses Geschehen und vermittelt es zugleich. Daher

432 433 434 435 436 437 438 439 440 441 442

ad nos bona illa pervenirent, nisi se prius nostrum Christus faceret.“ (CO 9, 842 [Fragmentum Praefationis].) Vgl. Niesel, Theologie, 122 f. Vgl. Gerrish, Grace, 129. Vgl. Schützeichel, Glaubenstheologie, 245. S. OS I 519 / CStA 1.2, 472,4 – 9 [Petit Traict¦]. Dabei darf nicht vergessen, dass zur Besiegelung der Gemeinschaft durch das Siegel diese auch wirklich gegeben werden muss, wie es Kapitel I.1.3.2 herausgearbeitet hat. S. OS I 517 / CStA 1.2, 468,9 – 12 [Petit Traict¦]. Vgl. Faber, Interpreten, 190. Vgl. Davis, Promises, 122. Vgl. Faber, Symphonie, 310. Vgl. Schlette, Heinz Robert: Kommunikation und Sakrament (= QD 8), Basel – Freiburg im Breisgau – Wien 1959, 51 f. S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,19 f [Petit Traict¦]. S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,24 – 27 [Petit Traict¦].

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stellt sich nun die Frage, welche Rolle den sakramentalen Zeichen dabei zugewiesen wird.

1.3.4 Das Verständnis der sakramentalen Zeichen Calvin versteht Sakramente vor allem als Zeichen. Das Verhältnis von Zeichen und der durch sie bezeichneten Sache deutet Calvin wie schon gezeigt als Repräsentation. Auf das Abendmahl bezogen bedeutet dies, dass Brot und Wein Christi Leib und Blut repräsentieren.443 Wie es in der allgemeinen Sakramentenlehre in Kapitel I.1.3.2 deutlich geworden ist, visualisieren die eucharistischen Elemente etwas den Sinnen Unzugängliches. Darin besteht ihr Zeichencharakter. Dieses wichtige Element in Calvins Abendmahlslehre beschreibt allerdings das Verhältnis von Sakrament und sakramentaler Wirklichkeit (res sacramentalis) nicht erschöpfend. Für Calvin geht es hierbei um das rechte Verständnis der Abendmahlsworte Jesu Christi.444 Damit will er seinen Beitrag zu den die reformatorische Bewegung zu spalten drohenden Problemen leisten. Das wird u. a. daran deutlich, dass er sich mit der zwinglianischen, der lutherischen und auch der altgläubigen Lehre auseinandersetzt, die jeweiligen Verständnisse kritisiert und deren positiven Aspekte rezipiert. Daher wird im Folgenden das Verhältnis von Zeichen (Brot und Wein) und dessen, was diese bezeichnen (Leib und Blut Christi), untersucht. 1.3.4.1 Calvins Auseinandersetzung mit der Transsubstantiationslehre Unter Transsubstantiation versteht Calvin, „dass, nachdem die Worte mit der Intention zu konsekrieren ausgesprochen worden sind, das Brot in den Leib Christi transsubstantiiert wird und der Wein in sein Blut.“445 Drei Argumente sprechen seiner Meinung nach gegen diese Lehre. Als ersten Grund führt Calvin die fehlende Grundlage der Transsubstantiationslehre in der Heiligen Schrift und auch bei den Kirchenvätern an.446 Die Deutung, dass Jesus beim Sprechen seiner Worte daran gedacht habe, dass die Substanz des Brotes vernichtet und an deren Stelle der Leib Christi komme, sei 443 S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,19 f [Petit Traict¦]. 444 S. OS I 508 / CStA 1.2, 450,32 f [Petit Traict¦]. Darauf folgen sowohl Überlegungen zur Gegenwart von Christi Leib und Blut als auch Bestimmungen des Verhältnisses von Zeichen und bezeichneter Sache. Insofern können Calvins Überlegungen zu diesem Verhältnis als seine Deutung der Abendmahlsworte Jesu Christi gelten. 445 „apres les parolles prononc¦es avec intention de consacrer, le pain est transsubstanti¦ au corps de Christ et le vin en son sang.“ (OS I 520 / CStA 1.2, 474,1 – 3 [Petit Traict¦], eigene Übersetzung.) 446 S. OS I 520 / CStA 1.2, 474,3 – 6 [Petit Traict¦].

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erzwungen.447 Calvins Verständnis von Transsubstantiation, nach dem „die Substanz des Brotes annihiliert wird und an deren Stelle der Leib Christi tritt“448, zeigt, dass er die altgläubige Lehre im Sinne der Annihilation der Brotund Weinsubstanz interpretiert. Gemäß dieser Lehrform werden die Substanzen von Brot und Wein vernichtet und durch die Substanzen von Christi Leib und Blut ersetzt. Diese Theorie war vor allem im Spätmittelalter weit verbreitet.449 Calvins Spottbemerkung über die Weißheit der Hostie ohne die dazu gehörige Substanz spielt auf die ausgeprägten Diskussionen in der Spätscholastik darüber an, wie nach der Konsekration die Akzidenzien ohne die dazugehörige Substanz weiterbestehen können.450 Der Vernichtung der Substanzen stellt Calvin deren Fortbestand auch im Sakrament gegenüber. Anstatt vernichtet zu werden, müsse das Brot „seinem Stoff nach Brot bleib[en], um als sichtbares Zeichen des Leibes dienen zu können“451. Nur „materielles Brot“452 könne bezeugen, dass der Leib Christi das lebensspendende Fleisch sei.453 Den Erhalt der geschaffenen Substanzen begründet Calvin mit zwei Argumenten. Zum Einen würden sowohl die Schrift als auch die Väter eindeutig bezeugen, dass das Sakrament weiterhin Brot genannt würde.454 Zum Anderen erfordere die Natur des Sakraments, dass das Brot Brot bleibe.455 Würden die Substanzen von Brot und Wein zerstört werden, verlören die Sakramente ihre Wirkung, da dann die heilige Verbindung zwischen der Verheißung und den Elementen, die Christus selbst durch sein Wort und seinen Geist hergestellt habe, zerstört würde. Die in den Sakramenten stattfindende Repräsentation erfordere nämlich den substantiellen Fortbestand der verwendeteten Materialien, denn das Wasser der Taufe und die Abendmahlselemente hätten eine gewisse Ähnlichkeit mit den durch die Sakramente bezeichneten göttlichen Dingen. In der Taufe bezeuge das Wasser die Abwaschung von den Sünden. Im Abendmahl könne nur wirkliches Brot die Speisung mit dem Fleisch Christi bezeugen.456 Gerade die kognitive Funktion der Sakramente, Gottes gnädige Akkommodation457, würde voll447 S. OS I 520 / CStA 1.2, 474,6 – 8 [Petit Traict¦]. 448 „que la substance du pain est aneantie, et en son lieu survient le corps de Christ“ (OS I 520 / CStA 1.2, 474,7 f [Petit Traict¦], eigene Übersetzung). 449 Vgl. Gerken, Theologie, 127. – Laarmann, Transsubstantiation, 1350. 450 Vgl. Iserloh, Erwin: Art. ,Abendmahl III/2 Mittelalter‘, in: TRE 1 (1977), 89 – 106, hier: 100. 451 „que le pain materiel demeure pour signe visible du corps.“ (CStA 474,13 / OS I 520 [Petit Traict¦], eigene Übersetzung.) 452 „du pain materiel“ (OS I 520 / CStA 1.2, 474,19 [Petit Traict¦], eigene Übersetzung. Die Übersetzung der CStA mit „wirkliches Brot“ ist zu ungenau. 453 S. OS I 520 / CStA 1.2, 474,19 – 21 [Petit Traict¦]. 454 S. OS I 520 / CStA 1.2, 474,10 – 12 [Petit Traict¦]. 455 S. OS I 520 / CStA 1.2, 474,16 [Petit Traict¦]. 456 S. OS I 520 / CStA 1.2, 474,12 – 20 [Petit Traict¦]. Diese Parallelisierung von Taufe und Abendmahl entspricht völlig reformierter Denkweise, die von einem allgemeinen Sakramentenbegriff ausgeht und diesen dann auf die zwei Sakramente bezieht. 457 S. OS I 520 f / CStA 1.2, 474,21 – 27 [Petit Traict¦].

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kommen zunichte gemacht, wenn die Substanzen von Brot und Wein nicht mehr existierten458, da diese in ihrer natürlichen Beschaffenheit das unsichtbare Geschehen sichtbar machten. Wenn das sichtbare Zeichen nun nicht mehr Brot ist, verliert es diese Bedeutungsebene, da gerade das Brot die Gläubigen verstehen lässt, dass der Leib Christi ihre geistliche Nahrung ist.459 Calvins Beharren auf dem substantiellen Fortbestand von Brot und Wein macht die Gegenwart Christi nicht zunichte460, sondern ist gerade deren Voraussetzung.461 Auffällig ist hier, dass Calvin substantiell mit materiell gleichsetzt. Dieses materialistische Verständnis von Substanz kam schon in anderen, ebenfalls polemischen Kontexten vor. Daraus ergibt sich, dass Calvin die Transsubstantiation als Verwandlung der (materialistisch verstandenen) Brotsubstanz in die (ebenfalls materialistisch verstandene) Substanz des Leibes Christi versteht. Das hat zur Folge, dass das, was aussieht wie Brot und all dessen natürliche Eigenschaften behalten hat, materialiter der Leib Christi ist. Ob diese Deutung der Transsubstantiationslehre angemessen ist, wird im systematischen Teil dieser Arbeit (Kapitel II.3.3) erörtert werden müssen. Als zweiten Grund für seine Ablehnung der Transsubstantiation gibt Calvin an, dass aus dieser Lehre falsche Vorstellungen hervorgegangen seien. Als erste nennt Calvin die räumlich verstandene Gegenwart Christi im Abendmahl462, was mit seiner Theologie vollkommen unvereinbar ist. Ein weiterer Fehler bestehe im Glauben daran, dass Jesus Christus mit Seele und Leib an die Elemente geheftet sei. Als Argument dafür führten die altgläubigen Theologen an, dass Christi Leib entweder keine Maße mehr habe oder an vielen Orten zugleich anwesend sei.463 Diese Polemik gegen altgläubige Theologie weist wieder in die Zeit der Spätscholastik und bezieht sich auf Diskussionen über die definitive Gegenwart Christi in der Eucharistie.464 Deutlich wird hier wieder ein für Calvins Abendmahlslehre typischer Topos, der auch schon im Widmungsschreiben der Institutio anzutreffen war, nämlich der Ausschluss jeglicher örtlicher und damit auch materialistischer Gegenwartsvorstellungen. Die Gründe hierfür liegen vor allem in der Christologie und der Soteriologie.465 Christus ist gemäß calvinischer Theologie nicht localiter anwesend, weil er einerseits in der Himmelfahrt den Jüngern seine leibliche Präsenz entzogen habe und andererseits die menschliche Natur 458 459 460 461

462 463 464 465

S. OS I 526 / CStA 1.2, 484,16 – 20 [Petit Traict¦]. Vgl. Tosto, Convergenza, 113. Vgl. Willis, Substantia, 296. Nicht nur die beschriebene vertikale Dimension des Abendmahles werde durch die Transsubstantiationslehre zunichte gemacht sondern auch der ekklesiale Aspekt, der im Abendmahl ausgedrückt werde. Da die Gläubigen in einem Leib geeint seien, müssten sie auch an einem Brot teilhaben, wie es Paulus in 1 Kor 10,17 bezeuge. (S. OS I 521 / CStA 1.2, 474,27 – 31 [Petit Traict¦].) S. OS I 521 / CStA 1.2, 476,9 – 13 [Petit Traict¦]. OS I 521 / CStA 1.2, 476,6 f [Petit Traict¦]. Vgl. Iserloh, Mittelalter, 99 f. Mehr über diese Diskussionen s. in Kapitel II.3.3. Mehr dazu s. in Kapitel I.1.3.5 und I.3.3.4.

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auch zur Rechten des Vaters fortbesteht. Die (noch zu zeigende) Einbeziehung soteriologischer Motive in diesen Begründungszusammenhang untermauert die These, dass die Bestreitung einer örtlich-materialistisch verstandenen Realpräsenz den hermeneutischen Schlüssel zu Calvins Abendmahlslehre darstellt. In der Institutio wird das noch deutlicher werden. 1.3.4.2 Calvins Anmerkungen zur lutherischen Abendmahlslehre Als Mitstreiter an seiner Seite gegen die altgläubige Transsubstantiationslehre sieht Calvin Martin Luther an. Aber trotz dessen Verurteilung der Transsubstantiation habe er anfänglich die damals übliche Meinung der lokalen Gegenwart Christi vertreten, vor allem in seinen Formulierungen, dass das Brot der Leib Christi sei, sofern es mit diesem verbunden sei. Auch seien einige von Luthers Beispielen von recht grober Natur gewesen.466 Diese Anmerkungen geben zu verstehen, dass Calvin die lutherische unio sacramentalis ablehnt. Deutlich wird aber auch, dass Calvin den lokalen Gegenwartsmodus als die damalige geläufige – also altgläubige – Position bzgl. der eucharistischen Gegenwart betrachtet. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn Calvin Luthers eigentliche Intention darin erkennt, keine örtliche Gegenwart, „wie sie sich die Papisten erträumen“467, zu etablieren. 1.3.4.3 Calvins Auseinandersetzung mit dem zwinglianisch geprägten Zeichenverständnis Neben der altgläubigen Transsubstantiationslehre verwirft Calvin auch die Auffassung der Zürcher Reformatoren. Zwingli und Oekolampad hätten sich zwar im Kampf gegen die fleischliche und örtliche Gegenwart Christi und gegen die eucharistische Anbetung verdient gemacht468, woran wiederum Calvins „antilokaler“ Skopus offenbar wird. Aber sie hätten zu stark betont, dass Brot und Wein aufgrund ihres Zeichencharakters Leib und Blut Christi genannt würden469, und „haben […] nicht darauf geachtet, hinzuzufügen, daß sie dergestalt Zeichen sind, daß mit ihnen die Wahrheit verbunden ist. Und so hätten sie beteuern sollen, ihr Anliegen sei keineswegs, die wahre Gemeinschaft zu verdunkeln, die uns der Herr durch dieses Sakrament mit seinem Leib und seinem Blut schenkt.“470 466 S. OS I 527 / CStA 1.2, 487,31 – 37 [Petit Traict¦]. 467 „une telle presence locale que les Papistes la songent“ (OS I 528 / CStA 1.2, 488,32 f [Petit Traict¦]). 468 S. OS I 527 f / CStA 1.2, 488,3 – 8; OS I 529 / CStA 1.2, 490,9 – 13 [Petit Traict¦]. 469 S. OS I 529 / CStA 1.2, 490,15 – 17 [Petit Traict¦]. 470 „ilz n’ont pas regard¦ de aiouster qu’ilz sont tellement signes que la verit¦ est conjoincte avec. Et ainsi protester qu’ilz ne pretendoient nullement d’obscurcir la vraye communion que nous donne le Seigneur en son corps et son sang par ce Sacrement.“ (OS I 529 / CStA 1.2, 490,17 – 20 [Petit Traict¦], leicht veränderte Übersetzung.)

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Deutlich distanziert sich Calvin hier von einer rein symbolistischen Sakramententheologie, die zwar die Zeichenhaftigkeit betont, aber die Gegenwart Christi im Abendmahl entweder nicht angemessen zur Sprache bringt oder gar bestreitet. Wie die Zürcher Reformatoren versteht der Genfer Sakramente als Zeichen. Aber das schließt Calvin zufolge eben nicht aus, dass Christus durch die Zeichen sich selbst darbietet. Die Sakramente beanspruchen daher einen eigenen Zeichenbegriff, gerade weil die durch sie bezeichnete Sache auch wirklich dargeboten wird.471 Dass Calvin hier den Zürchen den Glauben an die Gegenwart Christi im Abendmahl nicht abspricht, auch wenn diese das nicht so deutlich ausgedrückt hätten472, ist eher als Ausdruck des Willens zur Verständigung mit Zürich zu verstehen.473 Das liegt in Calvins Bestreben nach innerreformatorischer Einheit begründet.474 Eine autobiographische Notiz über Zwingli im Streit mit dem Lutheraner Joachim Westphal in den 1550er Jahren lässt jedoch erkennen, dass sich Calvin anfänglich von der zwinglianischen Abendmahlslehre deutlich distanzierte, da dort seiner Meinung nichts als leere Zeichen übrig blieben.475 1.3.4.4 Das calvinische Verständnis der sakramentalen Zeichen Nun geht es um Calvins Antwort auf die Frage, „ob das Brot der Leib Christi und der Wein sein Blut sei“476. Die beiden Extreme, gegen die Calvin seine Lehre formuliert, sind bereits deutlich geworden. Auf der einen Seite will er die Verwandlung und Identifikation von Brot und Wein mit Christi Leib und Blut vermeiden, die er auf altgläubiger und lutherischer Seite wahrzunehmen glaubt.477 Auf der anderen Seite will er leere Zeichen ausschließen. Schon in der Institutio von 1539 schreibt Calvin, dass in der Abendmahlslehre zwei Übertreibungen vermieden werden müssten: zum Einen die Trennung der Zeichen von ihrem Mysterium, da die Gläubigen an der Gegenwart des Be471 S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,19 – 23 [Petit Traict¦]. 472 S. OS I 529 / CStA 1.2, 490,13 – 15 [Petit Traict¦]. 473 Es scheint, als ob Calvin Zwinglis und Oekolampads Lehre im Sinne von leeren Zeichen verstanden hat, auch wenn er weiter unten beiden den Glauben an Christi Gegenwart unterstellt. (S. OS I 529 / CStA 1.2, 490,18 – 20 [Petit Traict¦].) 474 Vgl. Janse, Eucharistic Theology, 40. Calvin versucht, beide Seiten für sich zu gewinnen, indem er die Verdienste beider reformatorischer Richtungen unterstreicht. (S. OS I 529 / CStA 1.2, 490,24 – 28 [Petit Traict¦].) Somit geht er wie Bucer in den Verhandlungen um die Wittenberger Konkordie vor, er „bucerisiert“. (Vgl. Janse, Eucharistic Theology, 52.) 475 „Quum enim a tenebris papatus emergere incipiens, tenui sanae doctrinae gustu concepto, legerem apud Lutherum, nihil in sacramentis ab Oecolampadio et Zvinglio reliquum fieri praeter nudas et inanes figuras, ita me ab ipsorum libris alienatum fuisse fateor, ut diu a lectione abstinuerim.“ (CO 9, 51 [Secunda Defensio].) Ob diese Einschätzung allerdings theologisch korrekt ist, müsste angesichts des immer wieder erwähnten Wandel von Zwinglis Abendmahlslehre nach 1529 untersucht werden. 476 „si le pain est le corps de Christ, et le vin son sang“ (OS I 508 / CStA 1.2, 452,29 f [Petit Traict¦]). 477 Vgl. Gerrish, Sign, 122.

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zeichneten unbedingt festhalten sollten, und zum Anderen deren unangemessene Übertreibung, so dass dadurch das Mysterium selbst verdunkelt würde. Die Gläubigen sollten durch Brot und Wein vielmehr eingeladen werden, ihre Herzen in die Höhe zu erheben.478 Vor diesem Hintergrund besteht Calvins Lösung des Problems darin, zwischen den sakramentalen Zeichen und ihrer geistgewirkten Substanz bzw. Wahrheit zu differenzieren.479 Das dürfe jedoch nicht dazu führen, beides voneinander zu trennen480, da die Sakramente nach Calvin keine bloßen Bilder sind. Das Mysterium der Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut „wird uns unter sichtbaren Zeichen abgebildet, wie es unsere Schwachheit erfordert, aber gleichwohl so, daß es kein bloßes Bild ist, sondern verbunden mit der von ihm bezeichneten Wahrheit und Substanz.“481

Die Besonderheit der sakramentalen Zeichen besteht darin, dass sie nicht nur etwas darstellen, sondern das Dargestellte zudem wirklich darbieten.482 Da Christus die Substanz der Sakramente ist, teilt er sich selbst – und nicht nur etwa seinen Geist – durch diese mit. Calvins Antwort auf die eingangs gestellte Frage besteht demzufolge darin zu sagen, dass aufgrund einer Metonymie in den Abendmahlsworten Brot und Wein Leib und Blut genannt483 werden würden. Den Grund für diese Benennung sieht Calvin darin, dass „sie gleichsam Werkzeuge sind, durch die der Herr uns beides (Christi Leib und Blut, F. E.) mitteilt“484. Brot und Wein werden also „Leib Christi“ und „Blut Christi“ genannt, weil sie deren Zeichen und die Vermittlung der von ihnen bezeichneten Sache sind. Sie haben Anteil an der Wirklichkeit, die sie bezeichnen, ohne aber diese selbst im Sinne einer Verwandlung zu werden.485 Brot und Wein sind damit Medien, durch die 478 Vgl. Meyer, Boniface: Calvin’s Eucharistic Doctrine. 1536 – 39, in: JES 4 (1967), 47 – 65, hier: 61 f–63. 479 S. OS I 509 / CStA 1.2, 454,5 f [Petit Traict¦]. 480 S. OS I 509 / CStA 1.2, 454,7 f [Petit Traict¦]. Distinctio sed non separatio, dieses Prinzip wendet Calvin nicht nur in der Sakramentenlehre sondern auch in anderen Gebieten an, wie zum Beispiel der Christologie. Auf die Sakramente bezogen bedeutet das, dass zwischen dem signum und der res signata zwar unterschieden werden müsse, beide aber nicht auseinandergerissen werden dürfen. (Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 213 f.) 481 „nous est doncq figur¦ par signes visibles, selon que nostre infirmit¦ requiert, tellement neantmoins que ce n’est pas une figure nue, mais conioincte avec sa verit¦ et substance.“ (OS I 509 / CStA 1.2, 452,39 – 42 [Petit Traict¦].) 482 S. OS I 509 / CStA 1.2, 452,41 – 454,1 [Petit Traict¦]. Damit ist das Konzept der signa exhibitiva etabliert, was Calvin mithilfe des Verbs pr¦senter ausdrückt. (Vgl. Janse, Wim: Calvin’s Doctrine of the Holy Supper, in: Lee, Sou-Young (Hg.): Calvin in Asian Churches, Bd. 3, Seoul 2008, 171 – 206, hier: 181.) 483 S. OS I 508 / CStA 1.2, 452,21 [Petit Traict¦]. 484 „ce sont comme instruments par lesquelz le Seigneur Iesus nous les distribue“ (OS I 508 / CStA 1.2, 452,22 f [Petit Traict¦]). 485 Vgl. Gerrish, Brian A.: The place of Calvin in Christian theology, in: McKim, Donald K. (Hg.): The Cambridge Companion to John Calvin, Cambridge 2004, 289 – 304, hier: 298 f. Noch

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

Christus die Gemeinschaft mit sich und mit seinem Leib und Blut schenkt. Ein weiterer Grund dafür, die Instrumentalität von Brot und Wein ernst zu nehmen, besteht in Calvins Parallelisierung von Sakrament und Wort hinsichtlich ihrer Gnadenvermittlung.486 Mithilfe dieser Theologie entgeht Calvin sowohl der einfachen Identifikation der sakramentalen Zeichen mit deren Inhalt als auch deren völliger Entleerung. Die eucharistischen Symbole repräsentieren bzw. visualisieren Christi Leib und Blut und bieten diese auch wirklich dar.487 Repräsentation und Exhibition sind damit zwei nicht voneinander zu trennende Aspekte des Abendmahls. Die Zeichen sind nicht mit Leib und Blut Christi gleichzusetzen, vermitteln aber die Gemeinschaft mit diesen. Brot und Wein sind damit nicht nur illustrierendes – oder gar überflüssiges488 – Anschauungsmaterial Gottes zur Darstellung eines unsichtbaren Sachverhaltes, sondern auch Werkzeuge, durch die Christus den Gläubigen die Substanz seines Leibes und Blutes wirklich schenkt.489 Da Brot und Wein den Abendmahlsgästen Christi Leib und Blut darbieten, erhalten sie instrumentellen Charakter, so dass Brian Gerrishs Charakterisierung von Calvins Lehre als „symbolic instrumentalism“490 als völlig angemessen erscheint. Der Grund für die Instrumentalität des Abendmahls besteht nach Calvin darin, dass Gott Geber der Sakramente ist.491 Gott repräsentiere die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut und erfülle zugleich die Repräsentation492, da er als ewige und unwandelbare Wahrheit nicht lüge und erfülle, was er in den Sakramenten bezeichne.493 Er hätte die Gläubigen über dieses Mysterium falsch belehrt, wenn er nur Brot und Wein ohne deren göttliche Wahrheit anböte.494 Nur weil die Sakramente von Gottes Wirken getragen werden, können sie – auf vermittelte Weise – Heilsgewissheit schenken, wozu sie

486 487 488 489 490 491 492 493 494

deutlicher formuliert Calvin den Zusammenhang zwischen den eucharistischen Symbolen und Christi Leib und Blut in der Confessio Fidei de Eucharistia: „Hanc autem carnis et sanguinis sui communionem Christus sub panis et vini symbolis in sacrosancta sua coena offert (OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia]). S. OS I 504 / CStA 1.2, 444,32 – 35 [Petit Traict¦]. S. OS I 509 / CStA 1.2, 452,41 – 454,1 [Petit Traict¦]. Vgl. Rogge, Virtus, 48. Außerdem vermittelt das Abendmahl den Gläubigen Wissen und Gewissheit von deren Erlösung. (Vgl. Davis, Promises, 121 f.) Gerrish, Sign, 128. So unterstreicht Calvin den göttlichen Ursprung und das göttliche Subjekt des Abendmahls. Dadurch distanziert er sich von Zwingli, der die feiernde Gemeinde als das Subjekt der eucharistischen Feier verstand. (Vgl. Locher, Streit, 11.) Damit nähert sich Calvin Luther an. Das ist eine wichtige Anmerkung, weil Calvins Abendmahlslehre ansonsten im Sinne eines symbolischen Parallelismus missverstanden werden könnte. S. OS I 509 / CStA 1.2, 454,11 f.19 – 22 [Petit Traict¦]. S. OS I 509 / CStA 1.2, 454,15 – 19 [Petit Traict¦].

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schließlich von Gott eingesetzt worden sind.495 Die Einheit von Zeichen und Sache gründet damit in deren Einsetzung durch Gott.496 Als Schriftbeleg für die gleichzeitige Visualisierung und Gegenwart der Gemeinschaft mit dem Leib und Blut Christi führt Calvin die Erscheinung des Heiligen Geistes in Form einer Taube bei der Taufe Jesu (Mt 3,16; Mk 1,10; Lk 3,22) an.497 Er parallelisiert diese Theophanie und die Mitteilung von Christi Leib und Blut498 und beschreibt die Gegenwart des Heiligen Geistes mit den gleichen Begriffen wie die Gegenwart Christi im Abendmahl: „Als unser Herr seinen Geist bei der Taufe Christi erscheinen lassen wollte, repräsentierte er ihn unter dem Bild einer Taube.“499 Die Taube macht den an sich unsichtbaren Heiligen Geist sichtbar. Bei genauerer Analyse zeige sich deshalb, dass Johannes nur eine Taube gesehen habe. Weil aber dieses Zeichen nicht leer, sondern „ein gewisses Zeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes“500 gewesen sei, könne zweifelsohne gesagt werden, dass er den Geist gesehen habe. Gott habe sich der Erkenntnisfähigkeit des Täufers angepasst, sich ihm akkommodiert.501 Calvin findet in dieser Schriftstelle einen Beleg dafür, wie sehr Gott in seiner Akkommodation auf die geschöpfliche Wirklichkeit eingeht, um sich so den Menschen zu offenbaren. All das überträgt Calvin auf die Gemeinschaft mit Fleisch und Blut Christi im Abendmahl.502 Die Zeichen von Brot und Wein sind demnach „kein bloßes Bild“503, das lediglich auf Abwesendes verweise. Stattdessen müssten sie mit der Wahrheit und der Substanz, die sie bezeichnen, verbunden sein.504 Deswegen betont Calvin, dass die Sakramente von ihrer Substanz nicht getrennt werden dürften, auch wenn die Differenzierung zwischen signum und res 495 Diese Gewissheit jedoch sieht Bizer, Studien, 294 – 299 durch Calvins Bezug auf die Prädestinationslehre gefährdet, da nur den Erwählten, also denen, die wirklich Glauben haben, Leib und Blut Christi zuteil wird. Es geht in diesem Text jedoch vor allem um Gewissheit für die Gläubigen. (Vgl. Davis, Promises, 120.) Die manducatio impiorum und die damit verbundenen Fragestellungen wird Calvin ausführlich in der Institutio von 1559 behandeln, obwohl sie auch schon im Petit Traict¦ angedeutet wird, wie es noch deutlich werden wird. Zur damit zusammenhängenden Frage nach der Objektivität der Sakramente s. Kapitel II.5. 496 Vgl. Gerrish, Grace, 163. 497 S. OS I 508 f / CStA 1.2, 452,28 – 36 [Petit Traict¦]. Dieses Beispiel wird auch von Martin Luther verwendet, um seine Position zur Realpräsenz zu stützen. (S. WA 26, 442,7 – 443,7 [Vom abendmal Christi].) Beiden Reformatoren scheint diese Perikope mit ihrer Ausdrucksweise angemessen zu sein, das Verhältnis von Göttlichem und Geschöpflichem in den Sakramenten zu beschreiben. 498 S. OS I 509 / CStA 1.2, 452,36 f [Petit Traict¦]. 499 „Nostre Seigneur voulant faire apparoistre son Esprit au baptesme de Christ, le representa soubz la figure d’une colombe.“ (OS I 508 f / CStA 1.2, 452,28 – 30 [Petit Traict¦], Hervorhebungen und teilweise eigene Übersetzung, F. E.) 500 „un signe certain de la presence du S. Esprit“ (OS I 509 / CStA 1.2, 452,34 [Petit Traict¦]). 501 S. OS I 509 / CStA 1.2, 452,31 – 36 [Petit Traict¦]. 502 „Ainsi en est-il de la communication que nous avons au corps et au sang du Seigneur Iesus.“ (OS I 509 / CStA 1.2, 452,36 f [Petit Traict¦].) 503 „une figure nue“ (OS I 509 / CStA 1.2, 452,40 [Petit Traict¦]). 504 S. OS I 509 / CStA 1.2, 452,41 [Petit Traict¦].

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durchaus notwendig sei.505 Die Gläubigen sollten daher die Gewissheit haben, das Dargestellte, nämlich Leib und Blut Christi, auch wirklich zu empfangen.506 Die Repräsentation beinhaltet folglich sowohl bei der Erscheinung des Geistes als auch im Abendmahl die Gegenwart507 des dargestellten, unsichtbaren Sachverhalts.508 Calvin enthält sich jedoch näherer Angaben über die Beschaffenheit der Verbindung von Zeichen und Sache. Als Rückblick auf den Abendmahlsstreit schreibt er, dass die einen davon besser reden könnten als die anderen.509 „Nicht darum geht es, ob Fleisch und Blut ,substantialiter‘ in Brot und Wein sind oder nicht, sondern darum, dass uns im Abendmahl die Substanz des Fleisches und Blutes Christi nährt, also Christus selbst“510. Der instrumentelle Charakter der sakramentalen Zeichen511 ist zwar für Calvin der entscheidende Aspekt. Aber an dessen genauerer Ausarbeitung zeigt er keinerlei Interesse. Wichtiger ist die Anteilhabe an Christus und dessen Verdiensten.512 „Bei der Frage, wie sich Leib und Blut Christi zu Brot und Wein verhalten, ist alles auf die Aussage reduziert, dass solche Teilhabe geschenkt wird“513. Die innere Substanz, also die nicht äußerlich erkennbare Wirklichkeit, ist aber so mit den äußeren Zeichen verbunden, dass Folgendes gilt: „wie uns das Brot in die Hand ausgeteilt wird, so wird uns auch der Leib Christi mitgeteilt, damit wir an ihm teilhaben.“514

Der instumentale Aspekt wird hier um die Gleichzeitigkeit von Brotempfang und Teilhabe am Leib Christi ergänzt. Calvin verwendet hier die Metapher von Innen515 und Außen, um die verschiedenen, zu differenzierenden Ebenen im Abendmahl auszudrücken. Innen und Außen gehören, um im Bild zu bleiben, zu einer Sache; sie beschreiben zwei Aspekte einer Wirklichkeit, was Calvins Redeweise vom Verbundensein der inneren Substanz mit den Zeichen un505 506 507 508 509 510 511 512

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S. OS I 509 / CStA 1.2, 454,3 – 7 [Petit Traict¦]. S. OS I 526 / CStA 1.2, 484,21 – 23 [Petit Traict¦]. S. OS I 522 / CStA 1.2, 476,40 [Petit Traict¦]. Es ist wichtig dies zu beachten, da der Reformator die kognitive Ebene mit der realistischen verbindet und immer wieder zwischen beiden wechselt. (Vgl. Faber, Symphonie, 311.) S. OS I 529 / CStA 1.2, 492,9 f [Petit Traict¦]. Campi, Consensus, 16. Der instrumentale Symbolismus ist Calvins Antwort auf den lutherischen Sakramentsrealismus und den Zürcher signifikativen Symbolismus. (Vgl. Janse, Holy Supper, 195.) S. dazu: „dum volunt curiosi homines definire, quomodo in pane praesens adsit Christi corpus. […] Sed qui ita sentiunt, non animadvertunt, primo loco quaerendum fuisse, quomodo Christi corpus, ut pro nobis traditum est, nostrum fieret, quomodo sanguis, ut pro nobis effusus est, noster fieret.“ (OS I 139 [Institutio 1536].) Busch, Gotteserkenntnis, 127. „comme le pain nous est distribu¦ en la main, aussi le corps de Christ nous est communiqu¦, — fin que nous en soyons faictz participans“ (OS I 509 / CStA 1.2, 454,22 – 24 [Petit Traict¦], leicht veränderte Übersetzung). Die CStA unterschlägt in der Übersetzung communiqu¦. Dadurch wird aber der Akt des Gebens nochmals unterstrichen. „la substance int¦rieure“ (OS I 509 / CStA 1.2, 454,21 [Petit Traict¦]).

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terstreicht.516 Diese Metapher könnte im Sinne eines mehr oder weniger verbundenen Parallelismus verstanden werden, nach dem der Empfang der eucharistischen Elemente und die Anteilgabe an Christus lediglich zeitgleich ablaufen.517 Diese Deutung aber passt nicht zu der von Calvin den Sakramenten zugeschriebenen Instrumentalität. Außerdem würde ein so verstandener Parallelismus die Gefahr mit sich bringen, doch wieder Zeichen und Sache voneinander zu trennen, was aber Calvins Intention zuwider läuft. Die „parallelistischen“ Formulierungen in Calvins Texten wollen aber gerade gegen Zwingli die Verbundenheit der beiden Ebenen herausstellen.518 Gott wirkt nach Calvin sowohl durch das äußere Zeichen als auch durch den das Symbol begleitenenden Heiligen Geist, durch den Gottes Einsetzung überhaupt erst zur Wirkung komme.519 Das innere Wirken des Heiligen Geistes stellt die Bedingung der Möglichkeit dafür dar, dass die Sakramente etwas in den Gläubigen vollbringen. Es ist daher nicht von den Sakramenten abzukoppeln.520 Der äußere Empfang durch den Mund und der innere durch den Geist (und Glauben) sind damit nicht nur gleichzeitig, sondern werden von Calvin instrumental miteinander verknüpft.521 Lediglich zwei Konkretionen gibt Calvin zur Verbindung von Sakrament und göttlichem Inhalt an. Zum Einen dürfe die Verbindung von Sakrament und Christi Leib und Blut nicht örtlich-materialistisch verstanden werden, wie es bereits in Calvins Ablehnung der Transsubstantiation und der lutherischen Abendmahlslehre deutlich geworden ist. Christus sei nicht unter dem Brot eingeschlossen und dürfe auch nicht wieder unter vergängliche Elemente vom Himmel herabgezogen werden.522 Das würde die Gläubigen davor bewahren, in Brot und Wein Christus zu suchen und dort anzubeten, und sie stattdessen dazu führen, ihren Geist in den Himmel zu erheben.523 Die zweite Konkretion ist pneumatologischer Natur. Der Heilige Geist verleihe den Sakramenten im Inneren des Menschen Wirksamkeit.524 Der Geist ist Calvin zufolge das Band der Anteilhabe an Christi Leib und Blut.525 516 S. OS I 509 / CStA 1.2, 454,21 f [Petit Traict¦]. 517 Dieses Verständnis weist Hans Scholl bei einige katholischen Calvininterpreten nach (S. Scholl, Catholicus, 211 f.) Gegen solch eine Interpretation vgl. Gerrish, Grace, 169 und Faber, Interpreten, 185 – 194. 518 Vgl. Faber, Interpreten, 189. – Gerrish, Sign, 122. 519 S. OS I 511 / CStA 1.2, 456,19 – 24 [Petit Traict¦]. 520 Vgl. Faber, Symphonie, 301 f. So werden Wort und Sakrament parallelisiert, da auch das Hören des Wortes keine Frucht bringt, wenn es nicht vom Wirken des Geistes begleitet wird. (Vgl. ebd.) 521 Vgl. Janse, Holy Supper, 197. 522 S. OS I 521 f / CStA 1.2, 476,5 f.20 – 23 [Petit Traict¦]. Die gleiche Einschränkung findet sich auch in der Antwort an Sadolet. Nachdem sich Calvin dort eindeutig zur Gegenwart Christi im Abendmahl bekannt hat, gibt er u. a. den Ausschluss örtlicher Vorstellungen als Präzisierung an. (S. OS I 472 / CStA 1.2, 384,21 f [Responsio ad Sadoleti Epistolam].) 523 S. OS I 521 / CStA 1.2, 476,19 f [Petit Traict¦]. 524 S. OS I 511 / CStA 1.2, 456,19 – 24 [Petit Traict¦]. 525 S. OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia].

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Diese pneumatologische Ebene gibt Calvin als Grund dafür an, warum er die Anteilhabe an Christus spirituelle nennt.526 Deutlich wird, dass spirituel nicht dazu dient, den Wirklichkeitscharakter der Sakramente abzuschwächen, sondern auszudrücken und näher zu qualifizieren. Auch wenn Calvin eine Verwandlung der Elemente im Sinne einer Vernichtung von deren Substanzen ausschließt, erfahren Brot und Wein im Abendmahl eine Qualifizierung, denn das eucharistische Brot „wird dazu geheiligt, daß es uns den Leib Christi repräsentiere und austeile“527. Die Heiligung besteht darin, dass die Elemente in der Eucharistie eine andere Funktion erhalten528, nämlich Christi Leib darzustellen und zu exhibieren.

1.3.5 Christologische Aspekte Im Petit Traict¦ gibt es keinen ausdrücklich christologischen Fragen gewidmeten Abschnitt. Dennoch bilden sie den Hintergrund für Calvins Positionen, so dass es unbedingt notwendig ist, einen Blick auf die christologische Elemente des Petit Traict¦ zu werfen. In Übereinstimmung mit den Zürcher Reformatoren betont Calvin, dass die Menschheit Christi seit der Himmelfahrt ihren Platz im Himmel gefunden habe. Dort bleibe sie bis zum Gericht. Diese Lehre versteht Calvin als biblisch bezeugt.529 Das bedeute jedoch nicht, dass Christus die Gläubigen völlig verlassen habe, denn Christus sei ihnen in Macht und Hilfe auch nach der Himmelfahrt gegenwärtig, zumal er durch seinen Geist in ihren Herzen wohne.530 In sichtbarer Form komme er aber erst zum Gericht wieder auf die Erde.531 Mit der Himmelfahrtstheologie gehen zwei Aspekte einher, auf die Calvin großen Wert legt. (1.) Die Ehre des erhöhten Christus müsse unbedingt gewahrt werden. (2.) Die menschliche Natur Christi besteht auch nach dessen Erhöhung fort; obwohl sie nicht mehr der Sterblichkeit unterworfen sei, habe sie ihre Natur nicht geändert.532 Gerade der letzte Punkt ist für Calvins Soteriologie wichtig. Ihn arbeitet der Reformator in der Institutio weiter aus, so dass es an dieser Stelle genügt, das soteriologische Motiv lediglich zu nennen. Calvins Himmelfahrtstheologie bildet die Grundlage dafür, alle lokal ver526 S. OS I 529 f / CStA 1.2, 492,10 – 17 [Petit Traict¦]. Daneben kennt Calvin noch ein anderes Geistwirken in den Sakramenten. Der Geist ist mit ihnen derart verbunden, dass er im Inneren der Gläubigen Wachstum in Heiligkeit und Liebe bewirke. (S. OS I 511 / CStA 1.2, 456,21 – 28 [Petit Traict¦].) 527 „est sanctifi¦ pour nous representer et dispenser le corps de Christ“ (OS I 516 / CStA 1.2, 466,24 f [Petit Traict¦], leicht veränderte Übersetzung). 528 Vgl. Cadier, Doctrine, 35. 529 S. OS I 528 / CStA 1.2, 488,12 – 14 [Petit Traict¦]. 530 S. CO 1, 1003 f [Institutio (1539)]. 531 S. OS I 84 [Institutio 1536]. 532 S. OS I 521 / CStA 1.2, 476,9 – 16 [Petit Traict¦].

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standenen Auffassungen von Realpräsenz zu verwerfen. Die räumliche Abwesenheit verhindert nach Calvin den Glauben an die Gegenwart Christi, die örtlich verstanden werde oder Christus unter oder in dem Brot eingeschlossen glaube.533 Auch anders geartetete örtliche Verbindungen zwischen Sakrament und Jesus Christus lehnt der Reformator ab.534 Eine solche Gegenwart widerspreche der Ehre des erhöhten Christus, da sie ihn wieder in vergängliche Elemente hinunterziehe.535 Somit fallen alle stofflichen und materialistischen Deutungen von Realpräsenz aus.536 Als eine Folge solcher Interpretationen betrachtet Calvin allerdings die altgläubige Praxis der eucharistischen Anbetung, die er mit dem Argument der Himmelfahrt Christi ablehnt.537 Diese Theologie hat Calvin 1539 von Kardinal Jacopo Sadoleto538 (1477 – 1547) den Vorwurf eingebracht, aus philosophischen Gründen Christus und seine unbegrenzte, geistgewirkte Kraft auf dessen Körper einzuengen.539 Dem 533 S. OS I 521 / CStA 1.2, 476,9 f; OS I 526 / CStA 1.2, 484,23 f [Petit Traict¦]. 534 S. OS I 521 / CStA 1.2, 476,10 f; OS I 526 / CStA 1.2, 482,24 f [Petit Traict¦]. Damit sichert sich Calvin gegenüber einer örtlichen Interpretation von Luthers unio sacramentalis ab, da es den Anschein gehabt habe, dass dieser eine solche Präsenz lehrte. (S. OS I OS I 527 / CStA 1.2, 486,32 – 36 [Petit Traict¦].) Auch Calvins Straßburger Kollege und Lehrer Martin Bucer hatte die Lutheraner anfänglich so verstanden. (Vgl. Hamman, Bucer, 178.) 535 S. OS I 521 / CStA 1.2, 476,20 – 23; OS I 530 / CStA 1.2, 492,10 – 13 [Petit Traict¦]. 536 Vgl. Ganoczy, Alexandre u. Schield, Stefan: Die Hermeneutik Calvins. Geistesgeschichtliche Voraussetzungen und Grundzüge (= VIEG 114), Wiesbaden 1983, 217. 537 S. OS I 526 / CStA 1.2, 484,25 – 27 [Petit Traict¦]. An dieser Stelle setzt Calvin der eucharistischen Anbetung das Erheben der Herzen zur Anbetung Christi, der im Himmel ist, entgegen. Die Gläubigen sollten auf den Himmel schauen, anstatt bei den Zeichen stehen zu bleiben. Daher lobt der Reformator die altkirchliche Liturgie mit ihrem Ruf Sursum corda vor dem eucharistischen Hochgebet. Das würde die feiernde Gemeinde davor bewahren, beim Zeichen stehen zu bleiben, und sie zur wahren Anbetung Jesu Christi führen. (S. OS I 522 / CStA 1.2, 476,35 – 39 [Petit Traict¦].) Das sursum corda gibt das Ziel an, zu dem Gläubigen unterwegs sind, zum Herrn im Himmel. (S. OS I 382 / CStA 1.1, 144,31 – 38 [Cat¦chisme].) Es ist im Petit Traict¦ also eine Handlung, die von den Gläubigen ausgeht und kein Erhobenwerden durch Gott. (Vgl. dagegen Kaiser, Christopher B.: Climbing Jacob’s ladder. John Calvin and the early church on our eucharistic ascent to heaven, in: SJTh 56 (2003), 247 – 267, hier: 255.) Ein weiterer Grund von Calvins Ablehnung anderer altgläubiger eucharistischer Praktiken, wie zum Beispiel die Aufbewahrung der eucharistischen Gaben und Sakramentsprozessionen, besteht darin, dass diese Frömmigkeitsübungen außerhalb des von Christus eingesetzten Brauches lägen. (S. OS I 526 / CStA 1.2, 484,31 f [Petit Traict¦].) Damit rezipiert der Genfer Reformator Philipp Melanchthons nihil-habet-Regel. (S. BSLK 997,35 – 998,2 [SD VII, 73].) 538 Jacopo Sadoleto war Bischof von Carpentras (Provence). Mit seinem Brief vom 18. März 1539 (OS I 441 – 456 [Epistola ad Genevates]) versuchte er, die Bewohner Genfs zu bewegen, zur römischen Kirche zurückzukehren. Bereits wenige Tage nach dessen Erscheinung war der Brief aus der Provence nach Genf gelangt. Obwohl sich Calvin zu dieser Zeit noch in Straßburg aufhielt, kam er der Bitte des Genfer Rates nach und verfasste eine Antwort auf den Brief des Kardinals (OS I 457 – 489 / CStA 346 – 428 [Responsio ad Sadoleti Epistolam]), die auf dessen Vorwürfe eingeht. (Vgl. Neuser, Johann Calvin, 330.) 539 „Tacebitur a me nunc de eucharistia, in qua nos verissimum Christi corpus adoramus. Isti sane parum gnari quemadmodum in unoquoque genere doctrinae adhibere argumenta et rationes oporteat, ex alienis et longe diversis dialecticae inanisque philosophiae rationibus, Dominum ipsum universi, et divinam in eo spiritualemque potentiam, quae porsus libera et infinita est, in

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entgegnet Calvin, dass Christus in seiner Gottheit alles durchdringe.540 Des Weiteren sei die Ablehnung der Bindung von Christi Leib an irdische Elemente541 und der örtlichen Präsenz von der Einschränkung der potestas Christi auf seinen Körper deutlich zu unterscheiden.542 Calvin versteht unter einer unzulässigen Bindung Christi an die Elemente die örtliche Gegenwart, da er weiter unten das Herabziehen von Christi verherrlichtem Leib unter das Brot und die lokale Präsenz in einem Atemzug als Fehlformen eucharistischer Gegenwart nennt.543 Bei beiden Fehlformen sind örtlichen Konnotationen deutlich zu erkennen. Wäre keinerlei Verbindung von Christus mit Brot und Wein für Calvin möglich, so würde Calvin nicht mit Nachdruck betonen, dass diese Theologie weder die Gegenwart Christi im Abendmahl noch die wirkliche Mitteilung von dessen Leib und Blut, die er einer bloß fingierten Mitteilung gegenüberstellt, ausschließe.544 Außerdem ist Calvin zufolge eine räumliche Gegenwart auch gar nicht erforderlich, um mit Christi Leib Gemeinschaft zu erhalten, weil der Heilige Geist die Gläubigen mit Christus verbinde und sie mit der Substanz seines Leibes und Blutes zum ewigen Leben speise.545 Eine weitere Folge von Calvins Christologie bildet die Ablehnung der Ubiquitätslehre. Nach der Erhöhung bleibe der Leib Jesu Christi ein menschlicher Leib und könne daher nicht an vielen Orten gleichzeitig präsent sein. Solch ein ubiquitärer Leib gleiche eher einem Gespenst als einem menschlichen Körper.546 Die Gebundenheit an einen Ort bleibe das unverlierbare Merkmal auch des menschlichen Leibes Jesu Christi.547 So folgert Calvin, dass aufgrund des Sitzens zur Rechten des Vaters Christi Leib nicht

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angulos coporeae naturae, quae suis cancellis circumscripta est, conatur includere.“ (OS I 450 [Epistola ad Genevates].) OS I 472 / CStA 1.2, 384,1 – 3 [Responsio ad Sadoleti Epistolam]. S. OS I 472 / CStA 1.2, 384,5 f [Responsio ad Sadoleti Epistolam]. S. OS I 472 / CStA 1.2, 384,6 – 9 [Responsio ad Sadoleti Epistolam]. S. OS I 472 / CStA 1.2, 384,21 f [Responsio ad Sadoleti Epistolam]. S. OS I 472 / CStA 1.2, 385,16 – 20 [Responsio ad Sadoleti Epistolam]. „Caeterum istis nihil repugnat, quod Dominus noster in coelum sublatus, localem corporis sui praesentiam nobis abstulit, quae hic minime exigitur. […] Ergo spiritum eius vinculum esse nostrae cum ipso participationis agnoscimus, sed ita ut nos ille carnis et sanguinis Domini substantia vere ad immortalitatem pascat, et eorum participatione vivificet. Hanc autem carnis et sanguinis sui communionem Christus sub panis et vini symbolis in sacrosancta sua coena offert, et exhibet omnibus qui eam rite celebrant iuxta legitimum eius institutum.“ (OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia].) In diesem Text stehen beide Elemente nebeneinander. Daran wird deutlich, dass die körperliche Abwesenheit Christi die geistgewirkte Gegenwart Christi nicht ausschließt, sondern diese die neue Form der Gegenwart Christi nach seiner Himmelfahrt ist. S. OS I 521 / CStA 1.2, 476,6 – 9 [Petit Traict¦]. Diesem Problem wird Calvin in der Institutio von 1559 bedeutend mehr Raum widmen als hier. Das ergibt sich aus dem Streit mit dem Gnesiolutheraner Joachim Westphal zu Beginn der 1550er Jahre. S. OS I 140 [Institutio 1536].

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fleischlich auf Erden gegenwärtig sein könne.548 Diese Negation aber schließt die durch den Geist vermittelte Gegenwart Christi nicht aus549, von der Calvin – wie bereits gezeigt – fest ausgeht, und ist daher eher als Abgrenzung und Präzisierung der Gegenwart Christi aufzufassen. Das wird dadurch unterstrichen, dass Calvin, bevor er auf den innerreformatorischen Abendmahlsstreit zu sprechen kommt, in einer Art Resümee das lokale Verständnis der Gegenwart ablehnt, aber den wirklichen Empfang von Leib und Blut Christi bekräftigt.550 Neben diesen Argumenten führt Calvin 1537 ein weiteres, nämlich ein christologisches Argument gegen die Ubiquitätslehre an. Auf dem Religionsgespräch zu Lausanne betont er, dass die göttliche und menschliche Natur Christi sich nicht vermischen, sonder unterschieden werden müssen. Auch wenn die Gottheit unendlich sei, könne der Leib aufgrund seiner Begrenztheit nicht überall sein. Auf den Vorwurf, Christus zu zertrennen, erwidert der Reformator, dass er lediglich unterscheide, nicht aber die beiden Naturen Jesu Christi trenne.551 Diese distinctio sed non separatio tauchte bereits in der Verhältnisbestimmung von signum und res auf und wird in späteren Texten weiter ausgearbeitet werden. All diese Bestreitungen sind aber nicht mit der grundsätzlichen Bestreitung der Gegenwart Christi gleichzusetzen552, was durch die bisherigen Analysen des Petit Traict¦ und den Verweis auf die Antwort an Sadolet herausgearbeitet worden ist. Sie sind eher als deren Konkretionen aufzufassen. 1.3.6 Die Rolle des Glaubens im Abendmahl Der Rolle des Glaubens, wie auch der Christologie, widmet Calvin keinen eigenen Abschnitt. Aber immer wieder verweist Calvin auf den Glauben als einen integralen Bestandteil des Abendmahlsgeschehens. Die vorhandenen Elemente sollen nun vorgestellt und untersucht werden. Am Ende des Petit Traict¦ betont Calvin, dass das Sakrament im Glauben empfangen werden müsse. Dann würde den Gläubigen Anteil an der Substanz von Christi Leib und Blut geschenkt.553 Damit wird der Glaube zu einem 548 Tylenda, Ecumenical Intention, 38. Tylenda meint dagegen, dass Calvin sich in diesem Text nicht zur Ubiquitätslehre äußert. Auch wenn der Reformator den Terminus „Ubiquitätslehre“ nicht verwendet und sich nicht direkt mit Luther über diese Lehre auseinandersetzt, so wird hier deutlich, dass er sich auch im Petit Traict¦ damit beschäftigt. 549 S. OS I 435 [Confessio Fidei de Eucharistia]. 550 S. OS I 526 / CStA 1.2, 484,21 – 25 [Petit Traict¦]. 551 S. CO 9, 882 [Deux discours au colloque de Lausanne]. 552 Calvin ist in diesem Werk darum bemüht eine Formulierung der Lehre zu finden, die folgende Elemente von Luther und Zwingli miteinander verbindet: „the substantial presence of Christ as the foundation of communion with him in the Supper and the local or physical presence of Christ’s body in heaven“ (Muller, Presence, 150). 553 S. OS I 529 / CStA 1.2, 492,5 – 8 [Petit Traict¦].

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

konstitutiven Element des Abendmahls, das auf seiten des Empfängers vorhanden sein muss. Nur so kann nach Calvin die im Sakrament angebotene Gnade empfangen werden.554 Der Glaube, der nicht vollkommen sein müsse, wie Calvin unterstreicht555, wird somit zu einer Art „Empfangsorgan“ für das im Abendmahl Dargebotene.556 Der Empfang der Gabe des Abendmahls müsse im Innern ferner vom Wirken des Geistes begeleitet werden.557 Daran wird deutlich, dass Glaube nicht einfach ein subjektiver Zustand, sondern Gabe des Heiligen Geistes ist, durch den der Gläubige für die göttlichen Gaben empfänglich wird.558 Der Abendmahlsempfang setzt immer schon den Glauben des Empfangenden und damit dessen Gemeinschaft mit Christus voraus. Das erläutert Calvin in der Auseinandersetzung mit Gläubigen, die meinen aufgrund ihrer Unwürdigkeit nicht das Sakrament empfangen zu können. Ihnen hält Calvin Folgendes vor: „Denn sie werden mir zugeben, daß es tollkühn ist, Gott als unseren Vater anzurufen, wenn wir nicht Glieder Jesu Christi sind. Das ist unmöglich, solange nicht die Substanz und Wahrheit des Abendmahls in uns zur Erfüllung kommt. Wenn wir nun aber die Wahrheit haben, so sind wir umso mehr befähigt, das äußere Zeichen zu empfangen.“559

Die Substanz des Abendmahls ist Jesus Christus mit seiner Gnade, dessen Zeichen – also das Abendmahl – die Gläubigen empfangen, nachdem sie ihn zuvor schon durch den Glauben empfangen haben. Die Gemeinschaft mit Jesus Christus befähigt damit zum Empfang des äußeren Zeichens. Insofern wirkt das Abendmahl in Calvins Theologie komparativisch, indem es die längst bestehende unio cum Christo repräsentiert, darbietet und dadurch vertieft.560 An dieser Stelle schwingt implizit die Lehre von der Erwählung mit561, denn 554 S. OS I 525 / CStA 1.2, 484,14 f [Petit Traict¦]. 555 S. OS I 515 / CStA 1.2, 464,10 – 13 [Petit Traict¦]. Gerade der unvollkommene Glaube sei zum Abendmahl eingeladen, weil er dort Stärkung finde. 556 S. OS I 519 / CStA 1.2, 472,13 – 16 [Petit Traict¦]. Hier grenzt sich Calvin mit der Betonung des Glaubens davon ab, dass die Gnade im Sakrament liege. So wird die Gnade entmaterialisiert, weil sie nicht wie eine Materie sondern nur durch den Glauben empfangen werden kann. Das Sakrament wird so zum bloßen Werkzeug für Gottes Gnade. 557 S. OS I 511 / CStA 1.2, 456,21 f [Petit Traict¦]. 558 Vgl. Moore-Keish, Martha L.: Do This in Remembrance of Me. A Ritual Approach to Reformed Eucharistic Theology, Grand Rapids 2008, 33; 36. 559 „Car ilz me confesseront que c’est temerit¦ d’invocquer Dieu pour nostre pere, si nous ne sommes membres de Iesus Christ. Ce qui ne peut estre, que la substance et verit¦ de la Cene ne soit accomplye en nous. Or, si nous avons la verit¦, nous sommes par plus forte raison capables de recevoir le signe.“ (OS I 516 / CStA 1.2, 466,3 – 7 [Petit Traict¦].) 560 Deswegen sollen die Glaubenden auch das Abendmahl empfangen und sich nicht durch ihre eigene Unwürdigkeit davon abhalten lassen. 561 S. dazu Neuser, Wilhelm: Prädestination, in: Selderhuis, Herman J. (Hg.): Calvin Handbuch,

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Der Petit traict¦ de la saincte cene de nostre Seigneur Iesus Christ (1541) 103

in der Institutio von 1539 bedeutet das Glied-Christi-Sein die Erwählung in Christus.562 Christus wird von den Erwählten durch den Glauben ergriffen. Wer glaubt, hat also schon Gemeinschaft mit Jesus Christus563 und Anteil an seinem Heilswerk.564 Wenn auf diese Weise Glaube und Erwählung miteinander verbunden werden, ist es nur konsequent zu sagen, dass Sakramente nur in den Erwählten zur Wirkung kommen, wie Calvin im Römerbriefkommentar 1540 schreibt.565 Daraus folgt, dass es keinen gläubigen Empfang des Abendmahls ohne den Empfang der göttlichen Gabe zugleich geben kann566, da zum Einen die Glaubenden aufgrund des Glaubens die notwendige Disposition zum Empfang der göttlichen Gaben besitzen und zum Andern der treue Gott seine Verheißung in den sakramentalen Zeichen erfüllt. Bucer und Luther hatten darüber gestritten, was die indigni bzw. die impii im Abendmahl empfingen, wobei für Luther die manducatio impiorum zum Lackmustest der abendmahlstheologischen Orthodoxie avancierte. Im Petit Traict¦ erwähnt Calvin die manducatio impiorum nicht ausdrücklich. Aber aus der Betonung des Glaubens lässt sich seine Bestreitung derselben herauslesen. Dass Calvin sich im Petit Traict¦ dazu nicht äußert, hängt mit der Intention zur innerreformatorischen Verständigung dieses Werkes zusammen. Diese würde erschwert, wenn Calvin sich offen gegen den Empfang von Christi Leib und Blut durch ungläubige Menschen aussprechen würde. Seine Ablehnung der manducatio impiorum artikuliert er dagegen deutlich in der Institutio von 1539. Dort billigt er Menschen ohne Glauben nur den Empfang der äußeren Zeichen, nicht aber der inneren Wirklichkeit zu.567

1.3.7 Zusammenfassung Auf die Frage, ob Calvin im Petit Traict¦ die Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl lehrt, kann eine eindeutig positive Antwort gegeben werden. Immer wieder betont der Reformator, dass die Gläubigen Christus mit seinen Wohltaten und die Gemeinschaft mit dessen Leib und sein Blut empfingen. Der letzte Absatz des Textes, in dem Calvin den seiner Meinung nach tragfä-

562 563 564 565 566 567

Tübingen 2008, 307 – 317. – Link, Christian: Erwählung und Prädestination, in: ders.: Prädestination und Erwählung. Calvin-Studien, Neukirchen-Vluyn 2009, 33 – 54. Vgl. Neuser, Prädestination, 312. S. OS I 391 / CStA 1.1, 160,34 – 36 [Cat¦chisme]. S. ICOE 13, 73,22 – 25 / CStA 5.1, 200,12 – 15 [Kommentar zu Röm 3,25]. S. ICOE 13, 86-10-12 / CStA 5.1, 230,19 – 21 [Kommentar zu Röm 4,11]. Vgl. Gerrish, Grace 166. S. CO 1, 1015 [Institutio (1539)]. – Vgl. Meyer, Eucharistic Doctrine, 63. Davon zu unterscheiden ist aber der Empfang durch Unwürdige, da sich eine durch Bosheit verdorbene Seele, die Christi Leib und Blut empfange, aus dem Abendmahl aber großen Schaden zuziehe. (S. CO 1, 1015 [Institutio (1539)].)

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higen, innerreformatorischen Konsens formuliert, bekennt sich unmissverständlich zur Anteilhabe an der Substanz von Christi Leib und Blut durch den Empfang des Sakramentes. Die Erwähnung von Substanz in diesem Zusammenhang ist affirmativ und kennzeichnet den Realitätscharakter dieser Anteilgabe. Davon sind polemische Kontexte zu unterscheiden, in denen Calvin von Beginn seines Wirkens an die Anwesenheit der Substanz von Christi Leib und Blut bestreitet. Calvin macht aber zugleich deutlich, dass die Abwesenheit der Substanz die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi nicht beeinträchtigt, da diese durch den Heiligen Geist dargeboten wird. Hinter den Bestreitungen der substantiellen Präsenz Jesu Christi steht ein stark materialistisches Verständnis von Substanz, das Calvin seiner Ablehnung der Transsubstantiationslehre und der lutherischen unio sacramentalis zugrundelegt. Mit den beiden zuletzt genannten Lehrformen ist eines der beiden Extreme genannt, die es Calvin zufolge in der Abendmahlslehre zu vermeiden gilt, nämlich die Identifikation von Zeichen – Brot und Wein – und Sache – Christi Leib und Blut. Stattdessen differenziert er zwischen beiden Ebenen und betont gleichzeitig deren von Gott eingesetzte Verbindung. Demzufolge stellen leere Zeichen das andere Extrem dar, denn solche Theologie ist für den Genfer Reformator ein Sakrileg. Gott habe die Zeichen mit der göttlichen Wahrheit verbunden, so dass die Differenzierung zwischen beiden legitim sei, aber nicht deren Trennung, wie es Calvin in der Zürcher Abendmahlslehre vorzufinden glaubt. Als Antwort auf beide Fehlformen betont Calvin den instrumentalen Charakter von Brot und Wein. Durch die äußeren Symbole empfangen die Gläubigen die von den Symbolen bezeichnete Wirklichkeit. Gott verwende diese wie Werkzeuge zu diesem Zweck. Wie die Verbindung von Christi Leib und Blut zu den eucharistischen Elementen genauer zu denken ist, führt Calvin jedoch nicht weiter aus. Die einzige Präzisierung diesbezüglich besteht im Hinweis auf das Wirken des Heiligen Geistes, der den Sakramenten ihre Wirksamkeit verleihe, und auf Gott, der als treuer und wahrhaftiger Geber des Abendmahls durch Brot und Wein das darbiete, was er durch die Zeichen darstelle. Es ist herausgearbeitet worden, dass Calvin das Abendmahl in einen soteriologischen Kontext plaziert. Das Abendmahl bezeugt bzw. repräsentiert und vermittelt die Gemeinschaft mit Christus und damit auch die Erlösung, wobei hinzugefügt werden muss, dass dem Wort Gottes der erste Platz bei der Heilsvermittlung zufällt. Es vertieft durch sein komparativisches Wirken die heilbringende unio cum Christo, die durch den Glauben schon vor dem Abendmahlsempfang besteht. Auf diese Weise vergewissert das Sakrament die Gläubigen ihres Heils und schenkt ihnen Trost und Zuversicht auf einen gnädigen Gott. Das Abendmahl ist somit eine Form von Gottes Kondeszendenz und Akkommodation, in der er auf die Menschen zugeht. Somit macht gerade die Sichtbarkeit der sakramentalen Zeichen das Proprium des Abendmahls aus. Die Konzepte von Akkommodation und Repräsentation

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schließen damit die wahre Gegenwart und Exhibition von Christus und dessen Leib und Blut ein. Calvins Argumente gegen die Transsubstantiation sind der fehlende Schriftbeweis für diese Lehre, die Zerstörung der repräsentativen Funktion der Sakramente und die örtliche Gegenwart von Christi Leib und Blut, die seiner Meinung nach die fatalste Konsequenz dieser Lehre darstellt. Im systematischen Teil muss überprüft werden, inwiefern Calvins Interpretation der Transsubstantiation angemessen und seine Kritik daran berechtigt ist. Hier könnte sich ökumenisches Potential verbergen, wenn sich herausstellte, dass Calvin ein anderes Verständnis der Transsubstantiationslehre attackiert hat, als es der kirchlichen Lehre zugrunde liegt.

2. Die Consensio mutua in re sacramentaria (1549) Zwischen dem Petit Traict¦ von 1541 und der definitiven Fassung der Institutio von 1559 liegt die Consensio mutua in re sacramentaria, die unter dem Namen Consensus Tigurinus1 besser bekannt ist. Auf dieses Konsensdokument zwischen der Kirche von Zürich und Johannes Calvin folgte der zweite innerreformatorische Abendmahlsstreit mit den deutschen Gnesiolutheranern. Ein Grund für den Ausbruch dieses Streites bestand darin, dass einer der lutherischen Gegner Calvins, Joachim Westphal, den Consensus Tigurinus als einen authentischen Text calvinischer Abendmahlslehre las2 und Calvin daraufhin auf die Seite der Sakramentarier einordnete. Es scheint, dass in der Consensio mutua Aspekte auftauchen, die einen Wechsel Calvins in der Abendmahlslehre in Richtung „Zwinglianismus“3 vermuten lassen. Das würde entweder die Ergebnisse, die bisher aufgrund der Analyse des Petit Traict¦ gewonnen wurden, in ein anderes Licht rücken, so dass sie „cum grano salis“4 gelesen werden müssten oder es müsste der These von Wim Janse Recht gegeben werden, dass Calvin seit dem Abschluss des Consensus Tigurinus spiritualisierenden Tendenzen erlegen sei.5 Aus diesen Gründen kann der Consensus 1 Diese Bezeichnung stammt aus dem 19. Jahrhundert. (S. Gäbler, Consensus Tigurinus, 189.) Der Originaltitel lautet vollständig Consensio mutua in re sacramentaria ministrorum Tigurinae ecclesiae et domini Ioannis Calvini, ministri Genevensis ecclesiae, iam nunc ab ipsis authoribus edita. Im Folgenden werden die Bezeichnungen Consensus Tigurinus und Consensio mutua gleichbedeutend verwendet. 2 Vgl. Davis, Promises, 44. 3 An dieser Stelle ist mit Zwinglianismus ein Abrücken von der Realpräsenz gemeint, wie Calvin sie im Petit Traict¦ dargelegt hat. Die Verwendung dieses Begriffs greift bewusst die lutherische Polemik auf, um deutlich zu machen, worum es im Folgenden geht. 4 Diesen Vorwurf an Calvins Abendmahlslehre macht Hans Grass, da nach Calvin nicht der Leib Christi selbst auf die Erde hinabkomme, sondern die Gläubigen nur etwas von der Substanz des Leibes Christi empfingen. (Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 250.) 5 Vgl. Janse, Eucharistic Theology, 39; 59.

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Tigurinus in einer Arbeit über die calvinische Abendmahlslehre nicht übergangen werden. Um die Consensio mutua adäquat interpretieren zu können, ist eine Untersuchung der Vorgeschichte notwendig. In der Zeit vor deren Abschluss pflegte Calvin einen intensiven brieflichen Austausch mit Heinrich Bullinger über das Abendmahl, der in den Untersuchungen ebenfalls berücksichtigt werden muss, zumal darin Aspekte deutlich werden, die im Endtext in dieser Weise nicht mehr erkennbar sind. Beide Ereignisse, der Abschluss des Consensus Tigurinus und der zweite innerreformatorische Abendmahlsstreit, können hier jedoch unmöglich vollständig dargestellt werden, ohne die systematische Ausrichtung dieser Arbeit aus dem Blick zu verlieren.6 Daher werden im Folgenden die historischen und politischen Daten nur kurz dargestellt. Um die Diskussionen zwischen Calvin und Bullinger besser nachvollziehen zu können, muss ferner Bullingers Abendmahlstheologie skizzenhaft vorgestellt werden. Die folgenden Untersuchungen gehen vor allem der Frage nach, inwiefern die sakramentalen Zeichen mit der von ihnen bezeichneten Sache verbunden sind.

2.1 Die Abendmahlslehre Heinrich Bullingers Den Ausgangspunkt von Bullingers Abendmahlslehre bildet die Bundestheologie. Diesen Gedanken trägt Bullinger seit Beginn seines reformatorischen Wirkens vor.7 Wie die Taufe der alttestamentlichen Beschneidung entspreche und Gottes Bund mit den Menschen bezeuge, so gelte das in analoger Weise für das Passamahl und das christliche Abendmahl8, wobei das Paschalamm durch das eucharistische Brot ersetzt werde, um die Zugehörigkeit zur Gemeinde Christi9 und die Gemeinschaft mit ihm10 zu symbolisieren. Vom Bezug auf den Bund Gottes und damit von der göttlichen Verheißung aus sind Bullinger zufolge die Sakramente zu verstehen. Dieser Ansatz weist Unterschiede zu Zwingli auf, der seine Abendmahlslehre durch seine exegetischen Arbeiten hauptsächlich entwickelt hatte. Dass Bullinger ohne Zwinglis Hilfe seine Abendmahlslehre ausgebildet habe, hat er von Anfang an betont.11 Wie alle anderen Reformatoren lehnt Bullinger den Opfercharakter der Messe ab. Seine Begründung dafür liegt wiederum in der Bundestheologie: Da 6 Zur Entstehungsgeschichte des Consensus Tigurinus s. Campi, Consensus, 9 – 41. Zur Geschichte und Vorgeschichte des zweiten Abendmahlsstreits s. Bizer, Studien, 234 – 299. 7 Vgl. Opitz, Peter : Heinrich Bullinger als Theologe. Eine Studie zu den „Dekaden“, Zürich 2004, 460. 8 Vgl. Campi, Consensus, 12. 9 Vgl. Büsser, Fritz: Heinrich Bullinger (1504 – 1575). Leben, Werk und Wirkung, Bd. 1, Zürich 2004, 35; 37. 10 Vgl. Opitz, Bullinger, 448. 11 Vgl. Büsser, Bullinger, 33.

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der Bund in Christi Tod ein für alle Mal vollzogen worden sei, bedürfe es keiner weiteren Opfer mehr.12 Bereits in seinen frühen Jahren betont der Zürcher Reformator, dass die manducatio im Abendmahl nicht fleischlich, sondern geistlich zu verstehen sei und sich im Glauben vollziehe.13 Das Abendmahl sei die dankbare Erinnerung an den Kreuzestod Christi.14 Die manducatio des Fleisches Christi versteht er wie Zwingli als den Glauben an Christus15, so dass derjenige, der glaube, Christus schon gegessen habe.16 Das sei nicht auf das Abendmahl beschränkt, da Christus nicht mündlich, sondern mit dem gläubigen Gemüt empfangen werde.17 Die Elemente von Brot und Wein symbolisierten Christi Leib und Blut, enthielten diese aber nicht, da Bullinger wie Zwingli das Sitzen Christi zur Rechten des Vaters als Argument gegen die im lutherischen Sinn verstandene Realpräsenz anführt. Christus sei im Himmel und könne deswegen auf Erden nicht fleischlich gegenwärtig sein.18 In der Auseinandersetzung mit Calvin ist vor allem Bullingers Zeichenverständnis wichtig, wie er es in seinem Hauptwerk, den Dekaden, einer Sammlung von 50 Lehrpredigten aus den Jahren von 1549 bis 155119, formuliert. Für Bullinger ist, wie auch für Calvin, die Unterscheidung zwischen signum und res von großer Bedeutung. Die res besteht für den Reformator in der geistgewirkten Gemeinschaft mit Christus bzw. im Heilsgeschehen.20 Diese könne sowohl vom Wort Gottes als auch von den Sakramenten immer nur angekündigt und bezeugt, jedoch niemals übertragen oder verliehen werden.21 Die Gnade, unter der Bullinger Gottes rettendes und rechtfertigendes Wohlwollen gegenüber den Menschen versteht22, werde allein von Christus geschenkt, der seine Ehre nicht auf Geschöpfe, worunter auch Brot und Wein fallen, übertrage.23 Würde die Gnade also durch die Sakramente vermittelt oder würden diese als deren Instrumente verstanden werden, würden das solus Christus und das sola gratia verdunkelt.24 Daraus könne aber nicht ge12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Vgl. ebd., 34. Vgl. Büsser, Bullinger, 34 f. Vgl. ebd., 35. Vgl. ebd., 36. Vgl. Gerrish, Sign, 124. Vgl. Campi, Consensus, 14. Vgl. Büsser, Bullinger, 36. Vgl. Opitz, Bullinger, 18. Vgl. Campi, Consensus, 14. Vgl. Opitz, Bullinger, 455 f. „Gratia favor est numinis et benevolentia, qua deus pater nos propter Christum complectitur, purgat, iustificat, donis instruit et salvat.“ (HBTH 3/3, 924,3 f [Dekade 5.7].) 23 „Nam ut Christus gloriam suam non dat ulli vel sanctis sive homini, nedum inanimatae creaturae; qui credit se iustificatum plene per mortem et resurrectionem domini, is in nulla alia re amplius quam in solo Christo quaerit gratiam aut iustitiam, in quo acquiescit, quem et in fide per spiritum sanctum iam sentit in corde vel mente vires suas exerere.“ (HBTH 3/3, 926,13 – 17 [Dekade 5.7].) 24 Vgl. Opitz, Bullinger, 456.

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schlossen werden, dass Sakramente leer seien. Auf den Vorwurf an Bullinger, lediglich leere Zeichen im Abendmahl zu hinterlassen, muss gesagt werden, dass sie in dem Sinne als leer zu verstehen sind, dass sie die bezeichnete Sache nicht mit sich bringen oder enthalten. Das jedoch schließt nicht die geistgewirkte Gegenwart Christi aus, die Bullinger sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Feier des Abendmahls bekennt.25 Wie Calvin und Zwingli betont Bullinger die körperliche Gegenwart Jesu Christi zur Rechten des Vaters im Himmel, der als Ort zu verstehen sei.26 Daraus folgert er, dass der Leib Christi im Abendmahl nicht fleischlich genossen werden könne, da darüber hinaus eine manducatio carnalis keinerlei Nutzen habe.27 Die Gegenwart Christi könne sich nicht unter sichtbaren Zeichen ereignen, sondern allein in den Herzen der Gläubigen.28 „Deswegen bringt der Gläubige Christus in seinem Herzen zum Abendmahl; er empfängt ihn nicht im Abendmahl.“29 Das Abendmahl ist demzufolge kein Werkzeug, das die Gegenwart Christi mit sich bringt oder schafft, denn Christus ist längst gegenwärtig. Es vergegenwärtigt Gottes ergangene Verheißung und bezeugt vorweggenommen die eschatologische Gemeinschaft mit Gott.30 Als von Gott eingesetzte Zeichen machen die Sakramente das unsichtbare Handeln Gottes, das sich immer wieder ereignet, für die Gläubigen sichtbar.31 Sie veranschaulichen den Sinnen, was der Geist im Innern der Gläubigen bewirkt.32 Auf diese Weise besiegeln sie Gottes Verheißungen.33 Auf das Abendmahl bezogen bedeutet das: „Das Mahl des Herrn wird definiert als das geistliche Festmahl, in dem der Herr sowohl seinen Tod in Erinnerung hält als auch die Seinen zum Leben speist. Es stehe mir aber auch frei, eine etwas ausführlichere Definition in die Mitte zu stellen: Das Mahl des Herrn ist eine von Gott für die Kirche eingesetzte heilige Handlung, in der der Herr durch das Bereitstellen von Brot und Wein zum Festmahl uns seine Verheißung und Gemeinschaft bezeugt und seine Gaben uns repräsentiert und den 25 Vgl. Opitz, Bullinger, 457 – 459. 26 „coelum, in quod ascendit dominus, loci nomen est, non conditionis“ (HBTS 3/3, 1023,23 f [Dekade 5.9]). 27 „Non negabit, opinor, quisquam fidelium nihil instituisse nobis dominum inutiliter aut sine luculento aliquo fructu nostro. Cum autem in evangelio dixerit dominus carnem suam corporaliter manducatam non prodesse, ubi non de alio corpore locutus est quam de eo ipso, de quo in verbis coenae, quod videlicet tradidit pro nobis, irrefragabiliter sequitur dominum in coena nobis non tradidisse, quod non prodest. Tradidisset autem, quod non prodesset, si corpus suum corporaliter manducandum tradidisset“ (HBTS 3/3, 1023,28 – 34 [Dekade 5.9]). 28 Vgl. Gordon, Bruce: Bullinger’s Vernacular Writings. Spirituality and Christian Life, in: ders. u. Campi, Emidio (Hg.): Architect of Reformation. An Introduction to Heinrich Bullinger, 1505 – 1575, Grand Rapids 2004, 117 – 134, hier: 129. 29 „The believer therefore brings Christ to the Supper in his heart; he does not receive him in the Supper.“ (Gerrish, Sign, 124, Hervorhebung im Original.) 30 Vgl. Opitz, Bullinger, 455. 31 Vgl. ebd., 444; 460 f. 32 Vgl. Campi, Consensus, 14. 33 Vgl. Opitz, Bullinger, 448.

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Sinnen darreicht, uns sichtbar in einem Leib sammelt, und schließlich will, dass sein Tod in der Erinnerung der Gläubigen gehalten wird, und er ermahnt uns sehr zu unserer Pflicht, zu Lob und Danksagung.“34

Bullingers Lehre kann als „symbolischer Parallelismus“ bezeichnet werden, da die äußere Handlung nicht instrumental mit der inneren verknüpft ist, sondern diese nur anzeigt und begleitet. Dennoch sind auf diese Weise Zeichen und Inhalt miteinander verbunden, womit Bullinger über Zwingli hinausgeht.35

2.2 Luthers Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament (1544) und das Zürcher Bekenntnis von 1545 Ein wichtiges Ereignis vor dem Abschluss der Consensio mutua war die Veröffentlichung von Luthers Schrift Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament36 im September 1544. Diese Publikation ließ den Streit um das Abendmahl erneut aufflammen.37 In diesem Text beschimpft er die Anhänger von Zwinglis Lehre und alle anderen „Sacraments feinde“ aufs Schärfste als Häretiker.38 Luther wehrt sich gegen den Vorwurf des Kanibalismus, der ihm von seiten der Schweizer Theologen entgegengebracht wurde. So etwas habe er nie gelehrt, da Christi Leib und Blut immer ganz und ungeteilt blieben und die Gläubigen nicht „ein tropffen bluts aus seinem (Christi, F. E.) finger oder fusse“ empfingen.39 Er bekräftigt hier nochmals sein Verständnis der Worte Jesu.40 Im Abendmahl werde Christi Leib mit dem Mund empfangen.41 Bei all den Schwärmern sei das Abendmahl doch nicht mehr als „ein teglich gemeine malzeit“42. Nach dem Gespräch in Marburg habe Luther christliche Liebe walten lassen, doch sei diese bitterlich enttäuscht worden43, da Zwingli nach der Begegnung „erger worden ist“44. Schon auf dem Religionsgespräch sei 34 „Coenam domini definiunt fere epulum esse spirituale, quo dominus et mortem suam in memoria retinet et suos ad vitam pascit. Liceat autem et mihi eius descriptionem paulo copiosiorem proponere in medium. Coena domini est actio sacra divinitus ecclesie instituta, qua dominus pane et vino in epulum apposito suam nobis promissionem et communionem attestatur donaque sua nobis repraesentat et sensibus subiicit, visibiliter in unum corpus colligit, mortem denique suam in memoria fidelium retineri vult et officii nos nostri monet, laudis et gratiarum actionis maxime.“ (HBTH 3/3, 996,26 – 33 [Dekade 5.9].) 35 Vgl. Gerrish, Sign, 124. 36 WA 54, 141 – 167. 37 Vgl. Bizer, Studien, 232 f. 38 S. WA 54, 141,17 – 26 [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament]. 39 S. WA 54, 144,30 – 145,30 [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament]. 40 S. WA 54, 147,23 – 25 [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament]. 41 S. WA 54, 157, 28 [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament]. 42 WA 54, 151,24 f [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament]. 43 S. WA 54, 146,10 – 22 [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament]. 44 WA 54, 154,5 [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament].

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deutlich geworden, dass Zwingli Luther falsch verstanden habe, indem jener diesem den Glauben an eine Gegenwart des Leibes Christi im Brot zuschrieb, die wie die Gegenwart des Weines im Fass verstanden würde, obwohl die Schweizer genau gewusst hätten, dass er solches niemals gelehrt habe.45 Die Antwort der Zürcher Kirche unter ihrem Antistes Heinrich Bullinger ist das Wahrhaffte Bekanntnuß der dieneren der kilchen zu˚ Zürych, was sy uß Gottes wort, mit der heyligen allgemeinen Christlichen Kilchen gloubind und leerind, in sonderheit aber von dem Nachtmal unsers herren Jesu Christi: mit gebürlicher Antwort uff das unbegründt ergerlich schma(e)hen, verdammen und schelten D. Martin Luthers, besonders in sinem letsten bu(e)chlin, Kurtze bekenntniß von dem heiligen Sacrament, genannt, ußgegangen46 vom März 1545. Auch wenn der Text hauptsächlich aus Bullingers Feder stammt47, so wurde er als die offzielle Antwort der Kirche von Zürich verstanden, was der Titel deutlich zum Ausdruck bringt. Damit sollten trotz der Unterschiede zwischen Zwingli und Bullinger die zwinglianische Tradition und vor allem deren Abendmahlslehre verteidigt werden.48 Das Zürcher Bekenntnis bekräftigt Zwinglis späte Abendmahlsauffassung49, dass dem gläubigen Gemüt das heilvolle Handeln Christi gegenwärtig werde, ja der Glaube diese Gegenwart schaffe.50 Derjenige, der glaube, empfange wirklich Christi Leib und Blut, denn „glouben ist a(e)ssen, und a(e)ssen ist glouben.“51 Wer aber gläubig zum Abendmahlstisch hinzutrete, trage Christus bereits im Herzen, da er den Herrn im Abendmahl nicht zum ersten Mal empfange; wäre es anders, müsste Christus mit dem Mund aufgenommen werden.52 Wer glaube, habe bereits Christus – und zwar den ganzen Christus53 – empfangen und sei seiner Gnade teilhaftig geworden.54 Dadurch würden die Sakramente und vor allem das Abendmahl keineswegs überflüssig, da Gott mithilfe der sichtbaren Zeichen der Schwachheit der Gläubigen entgegenkomme.55 Durch die Einsetzung des Abendmahls am Abend vor seiner Kreuzigung

45 S. WA 54, 153, 10 – 31 [Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament]. 46 Zürcher Bekenntnis von 1545, bearbeitet v. Andreas Mühling, in: Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, Neukirchen-Vluyn 2006, 456 – 465. 47 Vgl. Campi, Consensus, 13. 48 Vgl. Rorem, Paul E.: The Consensus Tigurinus (1549). Did Calvin Compromise?, in: Neuser, Wilhelm (Hg.): Calvinus Sacrae Scripturae Professor. Die Referate des Internationalen Kongresses für Calvinforschung vom 20. bis zum 23. August 1990 in Grand Rapids, Grand Rapids 1994, 72 – 90, hier: 77. 49 S. Z VI.2 806,6 f [Fidei Ratio]. 50 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 459,2 – 5 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. 51 Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 459,33 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. 52 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 460,3 – 8 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. 53 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 463,30 f [Wahrhaffte Bekanntnuß]. 54 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 461,1 f [Wahrhaffte Bekanntnuß]. 55 S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 461,17 – 20 [Wahrhaffte Bekanntnuß].

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„hat unser herr Jesus selbs […] ein heilige Action oder ussere u(e)bung, brot unnd wyn, sines lybs und blu˚ts waar und denckzeichen, ja unserer erlo(e)sung erfrischung, zu˚ gu˚tem der kilchen, hinzu˚ gethon, und wie damit wider alle verga(e)ßlichkeit der menschen, und zur zügnuß und kundtschafft der warheit, ernempte sin gu˚tthaat bezügen, für und für ernüweren, und biß zu˚ end der welt in geda(e)chtnus der glo(e) ubigen behalten.56

Wie bereits Zwingli hebt Bullinger hier vor allem den Aspekt der Erinnerung hervor. Die Feier des Abendmahls hält demnach die Erlösungstat Christi in der Erinnerung der Gläubigen wach. Wenn der Gläubige nun Brot und Wein empfange, die als Zeichen wohl von der bezeichneten Sache zu unterscheiden seien57, und die Worte Christi im Gottesdienst höre, so werde er sein Herz zu Christus in den Himmel erheben, um so nicht bei den irdischen Zeichen stehen zu bleiben, sondern „sin gedancken und glouben uff den waaren lyb, und uff das waar blu˚t Christi“58 setzen. Da Christus zur Rechten des Vaters sitze, müsse er dort und nicht etwa im Brot gesucht werden.59 Durch das Essen und Trinken erinnere sich der Gläubige zum Einen an den Tod Christi und zum Anderen nehme er diese Tat Christi durch den Glauben als für sich und für alle Gläubigen geschehend an. Durch den körperlichen Empfang wandle sich die geschöpfliche Speise in den Leib Christi und stärke denjenigen, der sie empfange. Beim Trinken aus dem Becher mit Wein denke der Empfänger einerseits wieder an den Tod Christi und spüre andererseits „die würckung des blu˚ts und der krafft Christi und frucht sines gloubens“60. Deutlich stellt Bullinger den Glauben als dasjenige heraus, das Christus aufnehme; der Glaube stellt hier außerdem den Modus dar, durch den Christus in den Gläubigen wohne.61 Ohne ihn sei die ganze Feier ohne Frucht.62 Die Weise, in der Christus im Abendmahl empfangen werde, unterscheide sich dadurch nicht von der Weise, wie er sonst empfangen werde, nämlich durch den Glauben. Das Gleiche gelte auch für das, was empfangen werde.63 Sowohl außerhalb wie auch innnerhalb der Abendmahlsfeier sei es immer der Tod des Herrn, der die Gläubigen heil mache.64 Darüber hinaus bezeugten die Gläubigen durch den Abendmahlsempfang ihre Gemeinschaft mit Christus.65 Des Weiteren seien die Sakramente ein Mittel zur Vereinigung der Menschen in der einen Gemeinde Jesu Christi.66 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66

Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 461,26 – 32 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 461,36 – 38 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 462,12 f [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 462,13 – 15 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 462,33 f [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 462,24 – 34 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 463,22 – 25 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 463,3 – 6 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 463,12 – 14 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 462,36 – 38 [Wahrhaffte Bekanntnuß]. S. Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1.2, 464,27 – 29 [Wahrhaffte Bekanntnuß].

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

2.3 Die Korrespondenz zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin vor dem Abschluss der Consensio mutua Nach dem Sieg Karls V. (1500 – 1558) über den Schmalkaldischen Bund 1547 bei Mühlberg (Brandenburg) und der Verkündigung des Augsburger Interims ein Jahr später wurde die politische Lage für die protestantischen Territorien schwieriger, da sich der Kaiser seinem Ziel, die Religionsfrage in seinem Sinne zu lösen, näher glaubte. Das Abendmahl betreffend wurde reformatorisch gesinnten Christen als Zugeständnis lediglich die Kommunion unter beiderlei Gestalt gewährt.67 Diese Situation hatte ebenfalls Auswirkungen auf die reformatorisch geprägten Gebiete in der Eidgenossenschaft. Gerade die unterschiedlichen Abendmahlslehren wurden nun als Gefahr betrachtet.68 Sowohl der politische Druck als auch die inhaltlichen Überschneidungen zwischen Calvin und Bullinger führten dazu, dass sich der Genfer Reformator um die Einheit in der Abendmahlsfrage in der Schweiz bemühte. Da die Beziehungen zum benachbarten, zwinglianisch geprägten Bern unter starken Spannungen litten, wandte er sich nach Zürich an Heinrich Bullinger, da eine Einigung mit Zwinglis Nachfolger Auswirkungen auch auf die Beziehungen zu Bern hätte. Bullinger schrieb daher zusammenfassend an Calvin, dass nur eine geeinte reformatorische Kirche in der Schweiz dem Druck durch das kaiserliche Interrim standhalten könne, damit nicht wie in Deutschland die wahre Kirche durch den Kaiser zerstört würde.69 Neben diesen politischen Erwägungen stehen wie bereits gesagt auch theologische Aspekte. Auf den ersten Blick gibt es in Calvins und Bullingers Abendmahlslehre viele Ähnlichkeiten, wie zum Beispiel die Bestreitung materialistischer Vorstellungen, was mit dem Sitzen Christi zur Rechten des Vaters begründet wird, die Betonung des Geistes und den Genuss Christi durch den Glauben auch schon vor dem Empfang des Abendmahls. Diese Elemente finden sich allesamt im Petit Traict¦ mehr oder weniger deutlich wieder. Sowohl die politischen als auch die theologischen Faktoren haben dazu geführt, dass sich Calvin in den Folgejahren eifrig um die Einheit mit der Kirche von Zürich bemühte. Die Korrenspondenz und Gespräche mit Bullinger fanden in zwei Etappen statt, wobei jede jeweils mit einem Besuch Calvins in Zürich eröffnet wurde. Die erste Phase umfasst das Jahr 1547, die zweite die beiden Folgejahre 1548 und 1549.70 Da die Korrespondenz zwischen den beiden Reformatoren sehr umfangreich ist, werden im Folgenden nur die für die Fragestellung nach der 67 68 69 70

Vgl. Lohse, Dogma, 106 f. Vgl. Campi, Consensus, 18. Vgl. ebd., 18 f. – S. CO 13,6 f [Brief von Heinrich Bullinger vom 14. Juli 1548.] Vgl. Gäbler, Ulrich: Das Zustandekommen des Consensus Tigurinus im Jahre 1549, in: ThLZ 104 (1979), 321 – 332, hier: 325 f.

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Die Consensio mutua in re sacramentaria (1549)

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Verbindung von Zeichen und Wahrheit relevanten Aspekte, die in dieser Korrespondenz erörtert werden, untersucht. Im Februar 1547 reiste Calvin zum ersten Mal nach Zürich, um mit Bullinger über die aktuelle Lage zu beraten. Gegen Ende des Jahres 1545 hatte Heinrich Bullinger in privater Form seine abendmahlstheologische Abhandlung Absoluta de Christi Domini et Catholicae Ecclesiae Sacramentis tractatio71 verfasst, die er zunächst Freunden und auch Calvin übergab; 1551 wurde dieser Text die sechste und siebte Predigt in seinen Dekaden.72 Wenige Tage nach Erhalt des Textes verfasste Calvin einen Kommentar zu diesem Werk73, den er auch Bullinger zukommen ließ.74 Calvin kritisiert Bullinger dahingehend, dass dieser zwar die Sakramente als Zeichen von Leib und Blut Christi verstehe, die mit den Zeichen verbundene Exhibition von letzteren dagegen ablehne. In diesem Kontext erläutert der Genfer Reformator, was er unter exhibere, das in seiner Abendmahlslehre bereits öfter auftauchte, versteht: „Denn darbieten (exhibere) ist für mich an dieser Stelle nichts Anderes als das Geben zum Genuss.“75 Das, was die Zeichen sichtbar repräsentieren, wird also auch real gegeben.76 Calvin stimmt mit Bullinger darin überein, dass das allein Gottes und nicht der Sakramente Werk sei, da diese ohne das Wirken des Geistes wirkungslos und tot seien. Das Enthaltensein der Gnade müsse so verstanden werden wie auch Christus im Evangelium enthalten sei und durch dieses dargeboten werde. Ein leeres Zeichen könne nicht Gott zum Urheber haben, der aber die Sakramente eingesetzt habe. Um der Wahrheit der Symbolhaftigkeit, der Repräsentation willen müsse Christus auch wirklich dargeboten werden. Das Brot stelle den einmal dahingegebenen Leib Christi dar, so dass der Leib Christi aktuell und wirklich zur Speise gegeben werde.77 Während von Menschen eingesetzte Zeichen oft ohne die bezeichnete Wirklichkeit seien, könne allein Gott durch die Kraft des Geistes das Dargestellte auch bewirken78, doch dieses Wirken geschehe „durch die Zeichen und seine (Gottes, F. E.) Diener“79. Deswegen könnten die Sakramente als Leitern bezeichnet werden, mit deren Hilfe der Glaube an Christus wachse, der bereits in den Herzen der Gläubigen wohne, aber nicht gleich am ersten Tag ganz 71 72 73 74 75 76 77 78

79

Gedruckt 1551. Vgl. Rorem, Compromise, 77 f. S. CO 12, 480 – 489 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547]. Vgl. Campi, Consensus, 20. „Nam exhibere in hoc loco nihil aliud mihi est quam fruendum dare.“ (CO 12, 483 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547].) Vgl. Janse, Holy Supper, 181. – Muller, Presence, 150. S. CO 12, 483 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547]. „Atque hoc statuo discrimen inter signa divinitus et humanitus instituta. Homo enim multa signa comminisci poterit quae decenter aliquid figurent, sed sine re. Solus est Deus qui efficit spiritu suo quod symbolo figurat.“ (CO 12, 484 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547].) „quod solum Deum dicimus proprie exhibere, sed per signa et per suos ministros“ (CO 12, 486 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547]).

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

empfangen werde.80 Calvin betont hier die Einheit von Zeichen und Sache, während Bullinger deren Verhältnis als Analogie von äußerem und innerem Vorgang versteht.81 Auf Calvins Kritik reagiert Bullinger mit einem sechsmonatigen Schweigen. Calvin jedoch wurde aufgrund der politischen Lage, die aus militärischen Gründen für die reformatorische Bewegung immer schwieriger wurde, besorgter. Ohne ein Schweizer Bündnis, dessen Bestand von der konfessionellen Einigkeit abhing, wäre eine Verteidigung gegen Karl V. nicht möglich. Das Augsburger Interim von 1548 und der kaiserliche Vorstoß bis nach Konstanz im Herbst des gleichen Jahres machten den beiden Reformatoren unmissverständlich klar, dass auf Schweizer Seite Handlungsbedarf bestand.82 Calvin schrieb Bullinger daher einen Brief83, in dem er der Dringlichkeit weiteren Handelns einen mehr als deutlichen Ausdruck verlieh.84 1548 nahm Calvin die Korrespondenz mit Bullinger wieder auf.85 Der Genfer Reformator betonte, dass er eine größere Mitteilung Christi in den Sakramenten lehre als Bullinger.86 Im Mai 1548 hielt sich Calvin wieder in Zürich auf, da sich der Konflikt mit Bern verschärfte und Pierre Virets Stellung in Lausanne gefährdet war. Bei diesem Treffen mit Bullinger wurde das Thema Abendmahl jedoch ausgeklammert. Kurz vor dem Treffen hatte der Zürcher Reformator einen Brief87 an Calvin geschickt88, in dem er sich darüber beklagt, dass das Augsburger Interim „nichts Anderes als Papismus“89 sei. Zu Beginn des Briefes legt er in Kurzform seine Sakramentenlehre dar : „Ich bekenne, dass Christus in seinem Geist durch den Glauben uns sich ganz mitteilt, wieviel uns zum Erreichen des Heils und zu einem frommen Leben notwendig ist. Das, was uns durch die Sakramente bezeichnet und versiegelt wird, wird uns 80 „Eodem capite circa finem, quum ratiocinaris nullam fore Christi communicationem ante sacramenta, si per sacramenta nobis exhibetur, mala est consequentia: neque enim se nobis totum primo die Christus communicat. Nam si Christus habitat in cordibus nostris per fidem, pro fidei augmentis crescit etiam eius communicatio. Sacramenta autem scalae sunt quibus fides promovetur.“ (CO 12, 488 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547].) 81 Vgl. Tosto, Convergenza, 130. 82 Vgl. Rorem, Compromise, 79 f. 83 CO 12, 590 f [Brief an Heinrich Bullinger vom 19. September 1547]. 84 „Et fieri potest ut Italiam in hunc annum tanto successu sibi pacaverit. Si Argentinam ingressus fuerit, castra occupari vides unde vos invadat. Nunc, mi Bullingere, tempus esset vobis consulendi. Nam silendo nonne quasi iugulum porrigetis?“ (CO 12, 590 f [Brief an Heinrich Bullinger vom 19. September 1547].) 85 Vgl. Campi, Consensus, 21. 86 „Verum utcunque maior Christi communicatio mihi in sacramentis constet, quam verbis tuis exprimas, non tamen propterea desinemus eundem habere Christum et in ipso unum esse.“ (CO 12, 665 – 667 [Brief an Heinrich Bullinger vom 1. März 1548].) 87 CO 12, 705 – 707 [Brief von Bullinger vom 26. Mai 1548]. 88 Vgl. Campi, Consensus, 21. 89 „Est autem Interim illud aliud nihil quam ipse papismus.“ (CO 12, 707 [Brief von Bullinger vom 26. Mai 1548].)

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Die Consensio mutua in re sacramentaria (1549)

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durch die eigene Weise der Sakramente wie ja auch durch das Wort angekündigt und durch ihr Bezeugen eingeprägt“90.

Die communicatio Christi geschieht Bullinger zufolge im Heiligen Geist durch den Glauben.91 Beide Vermittlungsgestalten sind daran nicht instrumentell beteiligt. Der weitere Verlauf der Korrespondenz zwischen dem Zürcher und dem Genfer Reformator wird zeigen, dass gerade die Instrumentalität der Sakramente, wie Calvin sie im Petit Traict¦ formuliert hat, als Differenz zwischen Calvin und Bullinger bestehen bleibt. Auf diesen ersten Austausch folgte die zweite Runde der Korrespondenz zwischen den zwei Theologen. Trotz der schon deutlich werdenden Differenzen antwortet Calvin am 26. Juni auf Bullingers Brief92, der auch unter dem Namen Propositiones93 bekannt ist. Zu Beginn des Briefes nennt Calvin 24 Thesen, die propositiones, die ihn mit Bullinger verbinden94 : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

die Gnade sei nicht an die Sakramente gebunden, die Kraft des Heiligen Geistes werde nicht auf die Sakramente übertragen, die Sakramente seien nicht die Grundlage der Heilsgewissheit, Gott im Heiligen Geist sei der ausschließlich Handelnde in den Sakramenten, die sakramentale Wirkung beschränke sich auf die Erwählten95, die Sakramente haben nur dann Nutzen, wenn sie die Gläubigen zu Christus führen, die Sakramente seien Werkzeuge von Gottes Gnade, indem das Bezeichnete den Erwählten wirklich dargeboten wird, Gott veranstalte in den Sakramenten kein (leeres) Schauspiel,

90 „Agnosco Christum in spiritu suo per fidem se totum nobis communicare, quantum nobis ad salutem consequendam et ad pie vivendum necessarium est. Id quod sacramentis nobis significatur et obsignatur more sacramentis proprio quemadmodum et verbo annunciatur testificandoque inculcatur.“ (CO 12, 706 [Brief von Bullinger vom 26. Mai 1548].) 91 Dieselbe communicatio schreibt Calvin ebenso dem Heiligen Geist und dem Glauben zu, darüber hinaus aber auch den Sakramenten. Sowohl die Sakramente als auch das Wort haben somit für Bullinger nur eine auf die Selbstmitteilung Christi hinweisende Funktion. 92 Calvin, Johannes: Praestantiss[imo] viro, d[omino] Henricho Bullingero, Tigurinae ecclesiae fido pastori, fratri et symmystae plurimum colendo et chariss[imo], in: Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 82 – 87. [Künftig zitiert: Propositiones.] 93 Dieser Name stammt aus der Anrede von Bullingers Antwortschreiben auf diesen Brief. (Bullinger, Heinrich: Ad d[omini] Ioannis Calvini propositiones annotationes breves scriptae in hoc, ut planior et plenior sensus eliciatur, in: Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 88 – 97, hier: 88. [Künftig zitiert: Annotationes.]) 94 S. Propositiones, 83 f. 95 Gäbler, Zustandekommen, 326 schreibt fälschlicherweise, dass dieser Gedanke für Calvin neu sei. Doch die Beschränkung der Wirkung der Sakramente auf die Erwählten findet sich auch schon in CO 12, 483 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547] und im Römerbriefkommentar. (S. ICOE 13,10 – 12 / CStA 5.1, 230,19 – 21 [Kommentar zu Röm 4,11].)

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116 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.

Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

wer die Taufe im wahrem Glauben empfange, habe die Vergebung der Sünden, diese Vergebung habe ihren Ursprung im Blut Christi, sie werde dem Täufling geschenkt, weil sie die Abwaschung von den Sünden durch das Blut Christi bezeuge, Brot und Wein werden im Abendmahl nicht vergeblich dargeboten, die Gläubigen essen Christi Leib und trinken sein Blut, Punkt 13 bedeute nicht die Verwandlung des Zeichens in die Sache oder die Vermischung mit ihr, der Leib Christi sei nicht in das Brot eingeschlossen, Christus werde nicht fleischlich auf die Gläubigen übertragen, die menschliche Natur Christi befinde sich im Himmel, Christus sei durch räumliche Distanz von den Gläubigen entfernt, auch im Himmel sei der Leib Christi fest umrissen, beim Empfang der Elemente werden die Gemüter in den Himmel erhoben, um Christus zu genießen, Christus sei dann gegenwärtig, wenn er außerhalb der Welt gesucht werde, die Wahrheit werde zugleich mit dem Zeichen exhibiert („simul cum signo exhiberi“96), die Zeichen seien nicht leer und die Gläubigen werden durch das Wohnen Christi in ihnen seiner Güter teilhaftig.

Calvin betont hier in Kontinuität zu seiner bisherigen Abendmahlslehre ausdrücklich die Instrumentalität der Sakramente und die gleichzeitige Darbietung von sakramentalen Zeichen und deren göttlichem Inhalt. Im November des gleichen Jahres erwidert Bullinger Calvins Schreiben. Der Zürcher gliedert Calvins Aussagen über die Sakramente in 24 Thesen, die er jeweils einzeln kommentiert, so dass dieser Brief auch unter dem Namen Annotationes bekannt ist. Gleich die erste These versteht Bullinger anders als Calvin. Bullinger zufolge ist die Gnade bereits an die Sakramente gebunden, sobald gesagt werde, dass die bezeichnete Gnade im Augenblick der Sakramentsfeier (simul) empfangen werde, da das nur auf eine Vermittlung durch die Sakramente zurückzuführen sei.97 Er gesteht zwar zu, dass der Heilige Geist während der Feier in den Herzen der Gläubigen handle; wenn aber dieses Handeln durch („per“) die Sakramente geschehe, werde seiner Auffassung nach den im Sakrament verwendeten Zeichen zuviel zugesprochen.98 Im Kommentar zu Calvins siebter propositio schreibt Bullinger dementsprechend, dass die Sakramente nicht instrumentum genannt werden könnten, da diese als unbelebte Seiende geistgewirkter Dinge nicht fähig seien99 und aus96 97 98 99

Propositiones, 84. S. Annotationes, 88. S. ebd., 89. „quae rerum spiritualium non sunt capacia, cum sint inanima“ (Annotationes, 90).

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schließlich der Heilige Geist und damit Gott allein Gnade verschaffen könne, was jegliche geschöpfliche Instrumentalität ausschließe.100 Dennoch könnten die Sakramente nicht als leer bezeichnet werden. Sie bezeugten in Wahrheit die bereits geschehene Vermittlung der himmlischen Gabe, die allein durch den Glauben empfangen werden könne.101 Zur zwölften These Calvins merkt Bullinger an, dass die Zeichen im Abendmahl keineswegs umsonst gegeben würden, da sie der Erinnerung an die Erlösung dienten und diese Wahrheit besiegelten. Ferner bezeugten die Mahlteilnehmer mit der Abendmahlsfeier, dass sie zur Zahl der Erlösten gehörten.102 Im Folgenden bekräftigt er seine Auffassung, dass der Gläubige immer Leib und Blut esse und trinke und zwar durch den Glauben. Wenn daher ein Gläubiger die eucharistischen Symbole empfange, esse er Christi Leib und trinke sein Blut, da er schon vom ersten Moment des Glaubens Anteil an Christus habe. Die Gemeinschaft mit Christus werde aber nicht erst durch den Abendmahlsempfang begründet.103 Zu Calvins 23. These verdeutlicht Bullinger, was er unter leeren und gefüllten Zeichen versteht: „Wenn du ,leer‘ und ,voll‘ entgegensetzest, so dass die Zeichen ,leer‘ sind, in denen nichts enthalten ist, sage ich deutlich, dass ich volle oder gefüllte Zeichen nicht anerkenne, nämlich dass im Wasser Vergebung der Sünden enthalten sei oder in Brot und Wein Leib und Blut Christi. […] Wenn du aber unter ,leer‘ ,vergeblich‘ oder ,unnütz‘ verstehst, gestehen wir in der Tat zu, dass die Zeichen nicht leer seien. Denn sie sind vom Sohne Gottes der Kirche gegebene Zeugnisse und Siegel zur Bestätigung der Wahrheit und zur Repräsentation der Geheimnisse Christi, die wahr sind und nicht falsch.“104

Die Differenz zu Calvins bisher vertretener Lehre tritt hier deutlich zu Tage, da der Genfer Reformator davon ausgeht, dass die Zeichen mit der bezeichneten Sache verbunden sind. Konsequenterweise müsste daher Calvin Bullingers Lehre als eine Theologie der leeren Zeichen betrachten. Die Differenz zwischen beiden wird in Bullingers Kommentar zur 24. These nochmals offensichtlich, wo er erneut bekräftigt, dass die Teilhabe an Christi Fleisch und Blut nicht durch die Zeichen, sondern durch Gottes Gnade geschehe. Die Zeichen könnten das nur besiegeln und repräsentieren.105 Brot und Wein sind damit 100 101 102 103 104

S. ebd. S. ebd., 92. S. ebd. S. ebd., 92 f. „Si opponas ,inane‘ ,pleno‘, ut ,inania‘ signa sint in quibus nihil contineatur, diserte dico me non agnoscere plena aut impleta signa, quod scilicet in aqua baptismi contineatur remissio peccatorum, in pane et vino contineatur corpus et sanguis Christi. […] Si vero per ,inane‘ intelligas ,vanum‘ aut ,inutile‘, sane concedimus signa non esse inania. Sunt enim a filio dei data ecclesiae testimonia et sigilla pro veritate confirmanda et ad repraesentanda Christi mysteria, quae vera sunt, non falsa.“ (Annotationes, 96.) 105 S. Annotationes, 96 f.

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auf eine andere Wirklichkeit verweisende Zeichen, aber kein „Symbol […], durch das die Sache dargeboten wird“106, wie es Calvin einige Jahre zuvor formuliert hat. Auf diesen Kommentar Bullingers antwortet Calvin im Januar 1549 mit seiner Responsio107. Calvin legt sein Verständnis der ersten These dar. Er sieht dann eine Bindung der Gnade an die Sakramente gegeben, wenn entweder das Wirken der Gnade außerhalb der Sakramente verneint werde oder wenn gesagt werde, dass der Sakramentenempfang den Empfang der Gnade dauerhaft bewirke. Er distanziert sich deutlich von der – von ihm so verstandenen – altgläubigen Lehre, dass die Sakramente unterschiedslos in allen Empfängern wirkten, die diesen keinen Riegel vorschöben.108 Mit ihrer obex-Lehre übertrügen die altgläubigen Theologen das, was eigentlich der Verheißung zukomme, auf die irdischen Zeichen und ließen dem Glauben keinen Raum. Es sei allein Gottes Gnade, die in den von Gott angebotenen Mitteln wirke. Die Verbindung zwischen Sakrament und Gnade sei aber weder örtlich noch zeitlich zu verstehen. Vielmehr sei der mitgebrachte Glaube wichtig, um das im Sakrament Bezeichnete zu empfangen. Von daher ist es verständlich, dass nur die Erwählten der sakramentalen Gnade teilhaftig werden, nicht aber Ungläubige oder Verworfene.109 Deswegen kommt Calvin zu der Aussage, „dass die ganze Wirkung des Sakramentes von der Erwählung abhängt“110. Diese Aussage muss in den größeren Kontext von Calvins Theologie gestellt werden. Die Erwähnung der Erwählung ist kein neuer Gedanke in Calvins Sakramententheologie, da sie, wie bereits gesagt, schon im Petit Traict¦ anklang und in der Institutio von 1539 entfaltet wurde. Dieser Punkt wird in der Analyse der Institutio ausführlicher behandelt werden. Am Ende des ersten Abschnitts macht Calvin nochmals sein Anliegen deutlich: Die Sakramente sollen nicht als Wirk- bzw. als Materialursache des Heils angesehen werden. Solch eine Bindung der Gnade an die Sakramente sei abzulehnen, was aber nicht dazu führen dürfe, jegliche Verbindung zu verwerfen.111 Im zweiten Abschnitt bemerkt Calvin, dass die alleinige Wirksamkeit des Geistes eben geschöpfliche Werkzeuge (instrumenta) nicht ausschließe. Doch bestehe zwischen ihnen eine Rangordnung, an deren Spitze der Heilige Geist stehe: Der Geist sei die Quelle, das Sakrament dessen Werkzeug. Deswegen 106 „non ideo tantum signo imponi nomen rei signatae, quoniam sit figura: sed magis quia symbolum sit, quo res exhibetur“ (CO 49, 486 [Kommentar zu 1 Kor 11,24]). 107 Calvin, Johannes: Praestantiss[imo] Christi viro, d[omino] Henricho Bullingero, Tigurinae ecclesiae fideliss[imo] pastori, fratri et amico observando, in: Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 98 – 109. [Künftig zitiert: Responsio.] 108 S. DH 1606. 109 S. Responsio, 100. 110 „totum sacramenti effectum ab electione pendere“ (Responsio, 101). 111 S. Responsio, 101 f.

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empfingen die Gläubigen das in den Sakramenten Angebotene.112 Auch Calvins Kommentare zur vierten These behandeln das Verhältnis von Geistwirken und äußerem Zeichen. Er greift dazu auf die traditionelle Unterscheidung von Form und Materie zurück. Wie bei einer Münze die Form das Wesensbestimmende sei, so verhalte es sich auch bei Wasser, Brot und Wein. Sie seien das Material wie das Metall bei einer Münze. Wenn Calvin Bullinger vorwirft, das die Sakramente begleitende Wort zu übersehen, geht daraus hervor, dass der Genfer unter der Form eben dieses Wort versteht. Beide gehören demnach zusammen, jedoch unter dem Primat der Form des Wortes. Dem Heiligen Geist allein komme die Hauptrolle im sakramentalen Geschehen zu. Daraus lässt sich schließen, dass die Elemente zwar keine Wirkung an sich haben, wohl aber das Material für das Wirken des Geistes darstellen. Gerade in diesem Abschnitt betont Calvin die Instrumentalität geschöpflicher Wirklichkeit bei gleichzeitigem Vorrang des Geistwirkens.113 Im sechsten Abschnitt formuliert Calvin sein Anliegen in knappen Worten: „Gerne unterschreibe ich – wenn du nur sagst, dass der Geist Gottes durch sich uns so zu Teilhabern Christi macht – dass den Sakramenten ihre untergeordneten Kräfte belassen werden. Nicht weil ich jenen ohne das Zutun des Geistes etwas zuschreiben möchte, sondern weil sie seine Instrumente sind, damit sie nicht als leer oder für nichts angesehen werden.“114

Auch den Sakramenten kommt demnach eine bestimmte Wirkkraft zu, die sie jedoch nicht ohne den Heiligen Geist besitzen. Daraus ergibt sich eine Hierarchie der Instrumente und Wirkursachen, an deren Spitze der Heilige Geist steht. Dieser erwählt sich Werkzeuge, um seine Wirkung an die Gläubigen weiterzugeben. In dieser Hierarchie haben die Sakramente ihren berechtigten Platz, von dem sie nicht entfernt werden dürfen. Das alleinige Wirken Gottes und dessen Dienst durch Menschen und Werkzeuge werden auch im siebten Abschnitt bestätigt. Als Beispiel führt Calvin den menschlichen Dienst in Gottes Heilsplan an: Es sei allein Gott, der rette, jedoch durch den Dienst von Menschen. Die Gnade sei nicht in den Zeichen eingeschlossen, wohl aber gewähre Gott durch seinen Geist das in den Sakramenten Dargestellte, da diese ansonsten leer wären. Die Taufe beispielsweise sei nicht wie ein Trichter oder eine Röhre zu verstehen, durch die Gott seine Gnade einflöße. Bullingers Einwand, dass die Sakramente aufgrund ihrer Unbelebtheit nicht fähig wären, den Geist zu empfangen, teilt Calvin. Doch das stellt für ihn kein Argument gegen die Gnadenvermittlung (instrumentum gratiae conferendae) durch den Dienst der Sakramente dar. Auch 112 S. Responsio, 102. 113 S. Responsio, 103. 114 „Ego libenter subscribo, modo ita dei spiritum per se nos reddere Christi participes dicas, ut sacramentis inferiores suae vires relinquantur. Non quod seorsum illis a spiritu quidquam velim tribui, sed quia eius sunt instrumenta, ne inania et nihili censeantur.“ (Responsio, 103.)

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die menschliche Stimme vermittle als Unbelebtes Heil. Der alleinige Empfang des Heils qua Geist und Glaube schließe nicht dessen Empfang durch die Sakramente aus. Der Glaube könne das Heil durch das Wort empfangen. Die Sakramente aber seien sichtbare Worte und enthielten die Verheißung, deren Siegel sie sind. Ohne Glauben seien sie, wie auch das Wort, völlig nutzlos. Einem Gläubigen dagegen dienten sie als Hilfsmittel.115 Deutlich wird hier der Vorrang des Glaubens. Wenn dieser bereits vorhanden ist, können die Sakramente diesem dienen. Fehlt er hingegen, nützt auch das Wort nichts. Im neunten Abschnitt interpretiert Calvin das simul als similiter. Er wolle die Wirkung der Sakramente auf keinen Fall auf den Zeitpunkt der Sakramentenfeier beschränken. Calvin begründet das mit der Taufe. Beim römischen Hauptmann Cornelius (Apg 10) sei die Gnade der Taufe vorausgegangen. Die kleinen Kinder jedoch empfingen mit der Taufe nicht zur gleichen Zeit den Geist der Wiedergeburt, sondern die Taufe zeige ihnen die zukünftige Gnade an. Daher müsse das simul als similiter interpretiert werden. Die Empfänger der Sakramente würden der bezeichneten Sache so wahrhaft teilhaftig werden, wie sie die Zeichen mit ihren Augen erblickten.116 Diese Interpretation widerspricht nicht Calvins bisheriger Theologie, da simul und similiter zusammengesehen werden können und dem similiter die Explikation des symbolischen Geschehens zufällt. Das similiter nimmt die symbolische Verfasstheit der Sakramente ernst und „erklärt“, was die sichtbare Seite zum Ausdruck bringt: So gewiss die Gläubigen Brot und Wein empfangen, so gewiss werden sie von Christi Leib und Blut gespeist. Der Petit Traict¦ hat deutlich gemacht, dass das auch in der Abendmahlsfeier statt findet, was Calvin im dreizehnten Abschnitt ausdrücklich sagt. Das similiter ist somit ein Aspekt des simul. Auch wenn Calvin hier jenes mehr betont als dieses, kann nicht gesagt werden, dass Calvin auf die Gleichzeitigkeit verzichte und sich somit mehr auf das Geschehen im Gläubigen konzentriere.117 Im zwölften Abschnitt merkt Calvin an, dass Bullinger einen Punkt übergehe. Christus sei zwar ein für alle Mal gestorben, doch so, dass er sich den Gläubigen täglich anbiete, damit diese eins mit ihm würden. Calvin geht davon aus, dass Bullinger dem zustimmen werde. Die res sacramentalis beinhalte beides: Der einmal am Kreuz dahingegebene Leib speise heute die Gläubigen, da Christus durch den Glauben in den Gläubigen bereits wohne und sie in seinen Leib einfüge.118 Neben dem Gedächtnisaspekt stellt der Genfer Reformator hier heraus, dass die Speisung mit dem Leib Christi im Gegensatz zum Kreuzestod keine einmalige, abgeschlossene Handlung ist. Die Gläubigen werden heute immer noch mit dem Leib Christi gespeist. Im dreizehnten Abschnitt verbindet Calvin zwei sich zunächst widerspre115 116 117 118

S. Responsio, 104. S. Responsio, 105. Vgl. dagegen Gäbler, Consensus Tigurinus, 327. S. Responsio, 106.

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chende Aussagen. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Gläubigen auch außerhalb des Abendmahles Christus empfingen. Doch diese seien dieselben, die auch im Abendmahl und durch dessen Gebrauch in seiner Gemeinschaft mit ihm wüchsen, weil sie ihn schon zuvor besaßen.119 Der Empfang extra coenam muss nicht zwangsläufig zur Bestreitung des Empfangs durch das Sakrament führen, wenn die Wirkweise der Sakramente beispielswiese komparativisch beschrieben wird, wie es bei Calvin der Fall ist. Dann hat nämlich der Empfang von Christi Leib und Blut durch das Abendmahl die längst bestehende Gemeinschaft mit Christus zur Voraussetzung. Den Empfang des Lebens Christi und die Verbundenheit der Gläubigen mit Christus betont Calvin auch in den Abschnitten 15 und 16, die er hier in einem Punkt behandelt.120 Im 17. Abschnitt bekräftigt Calvin erneut, dass der Leib Christi nur im Himmel sein könne. Die Verbindung mit dem Leib Christi könne daher nur durch das Erheben des Geistes in den Himmel erlangt werden.121 Der Kontext des sursum corda ist hier ein wenig anders als im Petit Traict¦. Dort verwendete Calvin dieses Motiv, um die Gläubigen daran zu erinnern, nicht bei den sichtbaren Zeichen stehen zu bleiben. Im Schreiben an Bullinger ist der Kontext dagegen ein christologischer. Auch sind hier die Gläubigen das Subjekt des Aufstiegs. Dieses Motiv mit seinen verschiedenen Kontexten – und eventuell auch verschiedenen Subjekten – bleibt im Auge zu behalten. Der letzte Abschnitt behandelt nochmals die Frage, ob die Zeichen leer seien. Calvin sieht sich mit Bullinger darin einig, dass Christi Leib und Blut in den Zeichen nicht wie eine Flüssigkeit im Gefäß enthalten sei, womit er auf die Sakramentsauffassung von Hugo von St. Viktor (†1141) anspielt.122 Auch wenn beide Reformatoren sagen, dass die Sakramente nicht leer seien, ist wohl Calvins Optimismus bezüglich des gleichen Verständnisses dieser Aussage unangemessen, da Calvin hier ausdrücklich den Zeichen Kraft und Wirksamkeit zuschreibt, was Bullinger zuvor abgelehnt hat. Der Genfer Reformator bestimmt das Enthaltensein als den Nutzen, den der Sakramentenempfang den Gläubigen schenke. Auf das Abendmahl bezogen bedeute dies, dass sich Christi Leib und Blut nicht in den geschöpflichen Symbolen befänden, „sondern die Teilhabe an beidem ist im Symbol enthalten, weil sich Christus uns nicht weniger zum Genuss hingibt, als der Diener Brot und Wein darreicht“123. Diese Wahrheit müsse aber auch immer in Verbindung damit ge119 120 121 122

S. ebd. S. ebd., 107. S. ebd. Hugo verstand die Sakramente als Gefäß der heilenden Gnade, die Gott reiche. Doch unterschied er scharf zwischen Zeichen und Gnade, die er gänzlich Gott zuschrieb. (Vgl. Finkenzeller, Josef: Die Lehre von den Sakramenten im allgemeinen. Von der Schrift bis zur Scholastik (= HDG IV/1a), Freiburg im Breisgau – Basel – Wien 1980, 100 f.) 123 „sed contineri hoc symbolo utriusque participationem quia non minus vere Christus se fruendum nobis tradat, quam minister panem ac vinum porrigit“ (Responsio, 108).

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sehen werden, dass die Gläubigen ihren Geist in den Himmel erheben, um nicht bei den Zeichen stehen zu bleiben, wie es die liturgischen Texte der Abendmahlsfeier in Genf deutlich machten.124 Calvin legt hier nicht den Zeitpunkt der Selbstgabe Christi fest. Diese Formulierung enthält aber die Offenheit, die Exhibition von Leib und Blut Christi mit der Feier des Abendmahls zu verbinden. Auch die vorangehenden Punkte stützen diese Interpretation. So könnte das similiter, das im Zitat anklingt, mit dem simul verbunden werden. Zwei Monate später fügt Bullinger diesem Text in seinen Annotata, einen unter diesem Namen bekannt gewordenen Brief an Calvin, abschließende Kommentare hinzu.125 Auch hier geht Bullinger Punkt für Punkt Calvins Anmerkungen durch. Im ersten Punkt gesteht Bullinger zu, dass die Gläubigen „eine Bewegung und auch Kraft der göttlichen Gnade durch den Heiligen Geist“126 verspürten, wenn sie die Sakramente empfingen. Es sei der Glaube des Empfängers, der „irgendeine Verbindung“127 schaffe zwischen Gottes Gnade und den Sakramenten. Dieser Geist sei zwar nicht durch die Sakramente vermittelt oder durch sie empfangen. Er und Gottes Gaben seien schon vorher von Gott in die Seelen eingegossen. Dennoch seien Sakramente Zeichen dieser von Gott gegebenen Gaben und dürften daher nicht nur im Vollzug betrachtet werden.128 Auch wenn Bullinger sich hier auf Calvin zubewegt, bleibt er hinter der Lehre des Genfers zurück. Denn obwohl beide das eigentliche Geschehen dem Heiligen Geist zuschreiben, haben die Zeichen bei Calvin eine instrumentelle Bedeutung. Der zweite Punkt dagegen schreibt den Sakramenten ein Handeln zu, nämlich „auf eine den Sakramenten eigene Weise“129. Zwar sei der Heilige Geist derjenige, der die Gläubigen zu Teilhabern an der Gnade Christi mache, aber die Sakramente wirkten auf ihre eigene Weise und böten auf diese Weise die Gaben des Geistes dar.130 Doch solle den Sakramenten auch nicht zuviel zugeschrieben werden.131 124 S. Responsio, 109. Calvin spielt hier auf die Abendmahlsvermahnung an, die der Pfarrer vor der Austeilung von Brot und Wein vorliest. Die Gläubigen sollten nicht bei den Elementen stehen bleiben, so als ob Christus darin eingeschlossen wäre, sondern ihre Augen zum Himmel erheben. (S. OS II 48,26 – 35 / CStA 2, 210,18 – 26 [La forme des priÀres].) 125 Bullinger Heinrich: Clariss[imo] viro, d[omino] Ioanni Calvino, Geneven[sis] ecclesiae ministro, fideli fratri et symmista venerando et chariss[imo] suo, in: Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 110 – 117. [Künftig zitiert: Annotata.] 126 „motum atque vim divinae gratiae per spiritum sanctum“ (Annotata, 110). 127 „aliquam […] coniunctionem“ (ebd.). 128 Vgl. ebd. 129 „modo sacramentis proprio“ (ebd.). 130 Als Beleg hierzu zieht Bullinger Augustinus heran. (Vgl. Annotata, 110 f.) Er bezieht sich hier auf Augustinus: in Heptateuchum VII 3,84 (= CChr.SL 33, 227 f). 131 Vgl. Annotata, 111.

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Klarer wird dieser Sachverhalt im vierten Punkt formuliert, wo Bullinger auf das Verhältnis von Zeichen und res sacramentalis eingeht. Er differenziert sehr deutlich zwischen Gottes innerer Gabe und dem äußeren Zeichen, das von den Menschen auf Gottes Befehl hinzugefügt worden sei. Allein Gottes Geist132 bzw. der Herr wirke in den Sakramenten.133 Dieser Abschnitt verschafft Klarheit darüber, was Bullinger mit der den Sakramenten eigenen Wirkweise meint. Sie zeigen an und besiegeln dadurch, was Gott im Inneren des Menschen bewirkt. Damit bleibt eine deutlich parallelistische Struktur bestehen zwischen Innen und Außen, die nur durch das Verhältnis Zeichen und Bezeichnetes zusammengehalten wird. Diese Struktur bestätigt Bullinger im sechsten Punkt, wenn er schreibt: „So gestehe ich gern zu, dass der Geist Gottes uns durch sich zu Teilhabern Christi macht, dass ich den Sakramenten ihren untergeordneten Teil überlasse, das heißt: der Geist hat die Aufgabe des Übertragens, die Sakramente zum Bezeichnen, Repräsentieren, Besiegeln und nach außen Bezeugen.“134

Bei Calvin jedoch hat die Redeweise von den untergeordneten Hilfsmitteln eine andere Bedeutung. Die Sakramente stehen zwar an der letzten Stelle in der Hierarchie von Gottes akkommodierten Hilfsmitteln. Sie sind dennoch wichtig, um die Gläubigen zu Christus zu führen, und dienen in der Kraft des Heiligen Geistes der Kommunikation zwischen Gott und den Gläubigen, da sie ihnen Erkenntnis von Gottes Gaben und diese Gaben selbst effektiv darreichen.135 Außerdem wird das Bezeichnete durch136 die Sakramente von Gott geschenkt, da sie Gott als Urheber haben, der Zeichen und Gnade miteinander verbunden habe.137 Die von Gott festgesetzte Aufgabe der Sakramente besteht Bullinger gemäß nicht darin, das zu wirken, was allein Gott geben kann, sondern sein Handeln zu besiegeln und darzustellen. Vor diesem Hintergrund könne beispielsweise gesagt werden, dass die Taufe wiedergebäre, da die Getauften von Gott selbst wiedergeboren seien. Wie auch die menschliche Stimme das Heil nur ankündigen könne, liege das Heil nicht in dieser, sondern werde von Gott im Innern des Gläubigen vollendet. Der Empfang der Heilsgaben könne nur 132 Vgl. Annotata, 112 f. 133 Vgl. Annotata, 113. 134 „Ego ita dei spiritum per se nos reddere Christi participes libenter concedo, ut sacramentis inferiores partes suas relinquam, id est: ut spiritus habeat vices (sic!) conferendi, sacramenta significandi, repraensentandi, obsignandi forisque attestandi.“ (Annotata, 113 f.) 135 Vgl. Davis, Promises, 182 ff. 136 „Qu’est-ce que donc en somme, que nous avons par le signe du pain? L’enfant. C’est, que le corps du Seigneur Iesus […] nous est maintenant donn¦“ (CO 6, 125 [Cat¦chisme de GenÀve, Fr. 347], Hervorhebung, F. E.). Die lateinische Variante des Katechismus schreibt an dieser Stelle „in symbolo panis“ (OS II 139,9). 137 „Solus est Deus qui efficit spiritu suo quod symbolo figurat.“ (CO 12, 484 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547].)

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durch den Glauben und den Geist erfolgen und damit nicht durch die Sakramente. Deren Aufgabe bestehe allein im Besiegeln.138 Der Zürcher Reformator stimmt Calvins Deutung des simul qua similiter zu. Als Beleg zieht er Abraham heran, der bereits vor der Beschneidung als gerechtfertigt galt.139 Auch Calvins Formulierung von der andauernden Speisung mit Christi Leib im zwölften Punkt140 akzeptiert Bullinger.141 In Punkt zwölf erläutert Bullinger sein Konzept von der unio cum Christo. Durch den Heiligen Geist gebe sich Christus in die Seelen der Gläubigen und werde somit deren Speise, was zur Folge habe, dass die Gläubigen so zu Gliedern des Leibes Christi würden. Das Abendmahl sei dessen Symbol und stelle als „Denkmal“142 all diese Elemente des Heils dar. All das sei unter dem Begriff der memoria mit zu bedenken.143 Bullinger bekräftigt zusammen mit Calvin den certus locus des Leibes Christi zur Rechten des Vaters. Leiblich erscheine Christus erst wieder zum Gericht, durch den Heiligen Geist jedoch komme Christus in die Seelen der Gläubigen herab und sei so gegenwärtig. Die Verbindung mit Christus geschehe durch das Erheben des Geistes zu Christus in den Himmel.144 Aufgrund dieser gegenläufigen Bewegungen stellt sich die Frage, wie das Erheben des Geistes in den Himmel zu verstehen ist, da es ja auch eine katabatische Handlung Christi gibt. Die geistgewirkte Selbstvergegenwärtigung Christi in den Gläubigen erfüllt nach Bullingers Theologie die biblische Verheißung und stellt die Form der Versöhnung zwischen Gott und den Gläubigen dar.145 Das von Bullinger angemahnte sursum corda ist die Frucht des Geistes, durch den Christus bereits in den Gläubigen wohnt.146 Bullinger meint damit – wie auch der Basler Reformator Johannes Oekolampad – ein „,Aufblicken‘ zum erhöhten Christus als Sinn der Sakramentsfeier“147. Dieser Kontext wird vor allem in den Dekaden sichtbar, wo Bullinger zeigen möchte, dass Gottes Gnade nicht in den sakramentalen Symbolen eingeschlossen sein könne, und er das

138 Vgl. Annotata, 114. 139 Vgl. Annotata, 115. 140 Bullingers Zählung weicht hier von Calvins Zählung ab. Calvins zwölfter Punkt ist in den Annotata Punkt elf. 141 Vgl. Annotata, 115. 142 „memoraculum“ (Annotata, 115). 143 S. Annotata, 115. Von seiner Theologie aus kann Calvin all dies unterschreiben, mit einem wichtigen Unterschied: Das Abendmahl bietet darüber hinaus diese Gemeinschaft mit Christus dar und vertieft sie auf diese Weise, wie es die Untersuchungen zum Petit Traict¦ heraus gearbeitet haben. 144 S. Annotata, 116. 145 Vgl. Opitz, Bullinger, 215; 246. 146 Vgl. Opitz, Peter : Calvins und Bullingers Exegesen der neutestamentlichen Abendmahlstexte, in: Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 43 – 69, hier: 64. 147 Ebd.

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sursum corda als Beweis dafür heranzieht.148 So geht der geistgewirkte Abstieg Christi dem Aufblick der Gläubigen in den Himmel voraus. Auch der letzte Punkt in Bullingers Brief unterstützt diese Lesart. Da die Sakramente Zeichen und Zeugnisse einer göttlichen Wirklichkeit seien, müssten die Gläubigen ihren Geist zum Himmel erheben, um nicht bei den irdischen Symbolen stehen zu bleiben. Der Zürcher erläutert hier nochmals seinen sakramentstheologischen Parallelismus und äußert sich zum Vorwurf der leeren Zeichen. Die Sakramente bezeichneten und bezeugten das, was Gott innerlich in den Gläubigen in Taufe und Eucharistie vollende. Er schenke sich in der Seele zum Genuss und setze die Teilhabe an ihm fort, was nach außen durch das Zeichen bezeugt werde.149 Bullinger glaubt, nach diesen Klärungen mit Calvin einig zu sein. Daher wolle er in Zukunft gemeinsam mit diesem diese Lehre immer vertreten.150

2.4 Die Consensio mutua in re sacramentaria (1549) Im März 1549 verfasste Calvin zusammen mit der Genfer Pfarrerschaft ein Bekenntnis zum Abendmahl, die Confessio Gebennensis151, für eine in Bern tagende Synode, die diesen Text jedoch nicht einmal zur Kenntnis nahm.152 Die Confessio Gebennensis diente als Grundlage für die Consensio mutua, wobei jedoch einige Änderungen vorgenommen wurden: Drei Artikel wurden ausgelassen, die weiteren siebzehn wurden wörtlich übernommen.153 Aufgrund der großen Menge an identischem Textmaterial wird das Genfer Bekenntnis im folgenden Abschnitt zusammen mit der Consensio mutua dargestellt werden, um so unnötige Doppelungen zu vermeiden. Darüber hinaus ist es so einfacher, beide Texte miteinander zu vergleichen. 148 „Unde et sancti maiores nostri coenam celebraturi illud sacris mysteriis congruentissimum audierunt sibi occini: ,Sursum corda‘ respondente toto populo: ,Habemus ad dominum.‘ Quid quod ipsa rei absurditas plane evincit gratiam symbolis non contineri. Si enim per gratiam intelligis favorem et benevolentiam dei, si indulgentiam peccatorumque veniam, purgationem, inquam, et iustificationem credentium, si dona denique et charismata spiritus, quid absurdius, quaeso, fingi poterat quam res tantas inclusas contineri aqua, pane et vino? Signis profecto nulla opus est gratia, nulla indulgentia et venia peccatorum. Ad quid ergo contineretur gratia in sacramentis?“ (HBTS 3/3, 929,17 – 26 [Dekade 5.7].) 149 Aufgrund dieser Äußerungen Bullingers ist es unverständlich, dass Francesco Tosto zu dem Ergebnis kommt, Calvin habe Bullinger davon überzeugen können, dass die Zeichen nicht leer seien, sondern eine geistgewirkte Realität enthielten. (Vgl. Tosto, Convergenza, 137.) Gerade an dieser Stelle tritt Bullingers Parallelismus mehr als deutlich zu Tage. 150 Vgl. Annotata, 116 f. 151 Eximiis et fidelibus Christi servis, Bernensis ecclesiae pastoribus tam in urbe quam in agro, nunc conventum Bernae habentibus, symmystis et fratribus observandis et chariss[imis], in: Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009,118 – 124. [Künftig zitiert: Confessio Gebennensis.] 152 Vgl. Bizer, Studien, 268. 153 Vgl. Campi, Consensus, 24 f.

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Bullinger war mit der Confessio Gebennensis zufrieden. Um auch politisch diese Einigung zu nutzen, schlug Calvin vor, nach Zürich zu reisen. Von diesem Vorhaben riet Bullinger brieflich ab. Calvin jedoch, der diesen Brief vor seiner Abreise nach Zürich wahrscheinlich nicht mehr erhalten hatte, machte sich zusammen mit Farel auf den Weg in die Limmatstadt und traf dort im Mai völlig unangemeldet ein.154 Neben der Sakramentenfrage ging es ihm um ein Bündnis mit dem französischen König, von dem er sich erhoffte, eine Erleichterung für die verfolgten Protestanten in Frankreich zu erlangen.155 Über das Zusammentreffen in Zürich Ende Mai 1549 zwischen Calvin und Bullinger gibt es so gut wie keine Niederschriften oder Protokolle, so dass dessen Verlauf weitgehend im Dunkeln bleibt. Bekannt ist, dass neben den Reformatoren auch Ratsmitglieder der Stadt anwesend waren. In einem Brief an den Basler Reformator Oswald Myconius (1488 – 1552) schreibt Calvin, dass nach zwei Stunden die Einigung vollzogen worden sei156 ; doch diese Zeitangabe ist wohl unrealistisch.157 Obwohl die Einigung bereits 1549 erfolgte, wurde der Text erst 1551 veröffentlicht, da Bullinger in Basel und Bern die Erregung etwas abklingen lassen wollte. 1551 wurde der Konsens dann zeitgleich in Genf und Zürich gedruckt.158 Ihm vorangestellt ist ein Brief Calvins an die Zürcher Theologen. Abgeschlossen wird der Druck mit einem Brief der Zürcher an Calvin. Die folgende Analyse der Consensio mutua in re sacramentaria ministrorum Tigurinae ecclesiae et d[omini] Ioannis Calvini, ministri Genevensis ecclesiae, iam nunc ab ipsis authoribus edita159 untersucht vor allem das Verhältnis von Zeichen und Sache, um weiterhin der Frage nach der Instrumentalität der Sakramente nachzugehen. Die hierbei verwendete Methode besteht in einem Vergleich zwischen der Confessio Gebennensis und der Consensio mutua, da es zwischen beiden Texten neben vielen Gemeinsamkeiten und der wortwörtlichen Übernahme ganzer Artikel signifikante Unterschiede gibt, anhand derer die unterschiedlichen Sakramentstheologien Calvins und Bullingers deutlich zutage treten. Textkritisch bleibt anzumerken, dass die heutigen Artikel V und XXIII im August 1549 auf Bestreben Calvins nachträglich hinzugefügt worden sind, da er mit der vorliegenden Fassung nicht zufrieden war.160 Auch Calvins Brief an Bucer kurz nach dem Abschluss 154 155 156 157 158 159

Vgl. ebd. Vgl. Gäbler, Zustandekommen, 327 f. S. CO 13, 457 [Brief an Oswald Myconius vom 26. November 1549]. Vgl. Campi, Consensus, 25. Vgl. Gäbler, Zustandekommen, 330. Text s. Campi, Emidio u. Reich, Ruedi (Hg.): Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, Zürich 2009, 125 – 142. [Künftig zitiert: Consensio mutua; in eckigen Klammern wird unter dem üblichen Namen Consensus Tigurinus die Nummer des jeweiligen Artikels zitiert.] 160 S. CO 13, 305 f [Brief an Heinrich Bullinger vom 26. Juni 1549], 348 f [Brief an Heinrich Bullinger vom 13. August 1549].

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des Konsenses verleiht seiner Unzufriedenheit Ausdruck.161 Das führt zu folgender Hypothese, die durch die Analyse überprüft werden soll: Calvin konnte deswegen den Konsens mit Bullinger abschließen, weil dieser kein Element vertrat, das Calvins Lehre fremd war. Doch hat Calvin seine Aussagen zur Exhibition von Christi Leib und Blut durch die Sakramente – quasi als zusätzliches, über Bullinger hinausgehendes Element – um der Einheit willen unterdrückt. Der Konsenstext sagt daher nicht alles, was Calvin über die Sakramente lehrt, sondern nur das, was er nicht bereit war aufzugeben.162 Von Artikel VIII des Konsenstextes an werden die Artikel des Genfer Bekenntnisses163 fast wortwörtlich wiedergeben, eine Ausnahme bilden hier allein die Artikel XXII und XXIII, die es im Genfer Text nicht gibt. Die Artikel I, II und IV des Genfer Textes finden sich jedoch überhaupt nicht in der Consensio mutua. Das ist auffällig, da Artikel I wichtige Termini von Calvins Sakramentenlehre beinhaltet: „Da der Herr zu diesem Zweck Sakramente eingesetzt hat, dass er durch sie uns seine Gnade bezeugt und auch besiegelt, ist es notwendig, damit sie wahre Zeugnisse und Siegel von Gottes Gnade sind, dass uns wirklich dargereicht wird, was sie bezeichnen.“164

Bezeichnend für diesen Abschnitt sind die Verwendung von exhibere und damit die Begründung der Wahrhaftigkeit von Gottes eigenen Siegeln durch das Darreichen des Bezeichneten. Diese Argumentationsstruktur tauchte bereits im Petit Traict¦ auf. In dieser Formulierung und Komposition jedoch findet sich der zitierte theologische Gedankengang in der Consensio mutua nicht wieder. Diese verwendet exhibere in Artikel V und VIII, wo aber jeweils ein anderer Kontext vorliegt. Der fünfte Artikel nennt Christus als Subjekt der Darreichung, jedoch ohne Nennung der Sakramente. Der achte Artikel bezieht die exhibitio auf die Wohltaten, die Christus am Kreuz durch seinen Tod gewährt. Der Empfangsmodus dieser Darbietung sei der Glaube.165 Artikel VII des Consensus Tigurinus, in dem von der Siegelfunktion der Sakramente die Rede ist, spricht dementsprechend von Folgendem:

161 „Effectum sacramentorum, et quid per ea nobis Dominus conferat, luculentius et uberius explicari quam multi patiantur, pie et prudenter optas. Neque vero per me stetit, quin pleniora quaedam essent. Gemamus ergo ferentes ea quae corrigere non licet.“ (CO 13, 439 [Brief an Martin Bucer vom Oktober 1549].) 162 Vgl. Gerrish, Sign, 124. 163 Von Artikel V der Confessio Gebennensis an findet sich der Genfer Text bis auf wenige Textänderungen fast vollständig im Konsens wieder. 164 „Quum in hunc finem sacramenta dominus instituerit, ut per ea gratiam suam nobis testetur atque obsignet, ut vera sint gratiae dei testimonia et sigilla, vere nobis exhiberi oportet quod figurant.“ (Confessio Gebennensis, 119, Hervorhebung F. E.) 165 „pro beneficiis his olim in cruce exhibitis, fide vero perceptis a nobis“ (Consensio mutua, 130 [Consensus Tigurinus VIII]).

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„Denn wenn sie (die Sakramente, F.E.) auch nichts Anderes bezeichnen als das, was durch das Wort selbst angekündigt wird, ist dieses dennoch groß, dass sie unseren Sinnen wie lebendige Bilder übergeben werden, die besser auf unsere Sinne einwirken, sie uns gleichsam zur Sache führen, während sie uns Christi Tod und alle seine Wohltaten in Erinnerung zurückrufen“166.

Beide Abschnitte reden von einer Bezeugungs- und Besiegelungsfunktion durch die Sakramente, aber der gemeinsame Text lässt die Darreichung der bezeichneten Dinge fallen und spricht stattdessen von der Erinnerung an Christi Tod. Artikel VII fährt damit fort, dass dadurch der Glaube gestärkt werde167, aber die instrumentale Sprache des ersten Artikels der Confessio Gebennensis fehlt hier völlig. Auch der zweite Artikel des Genfer Textes enthält ein typisch calvinisches Element, nämlich die Redeweise von Christus als der Substanz und dem Fundament der Sakramente. Der Begriff Substanz findet sich in der gesamten Consensio mutua nicht wieder. Wie bereits in früheren Texten bestimmt Calvin Christus als die Grundlage des sakramentalen Geschehens und erst dann werden die anderen Wohltaten Christi erwähnt.168 Eberhard Busch sieht in dem von Calvin nachträglich hinzugefügten Artikel V inhaltlich das Gleiche ausgesagt wie in diesem ausgelassenen zweiten Artikel.169 Das stimmt dahingehend, dass Calvin in der Zürcher Übereinkunft die Wirkungen der Gemeinschaft mit Christus in anderen Worten ausdrückt und so dort ein echt calvinisches Anliegen formuliert wird. Aber der Unterschied zwischen beiden Artikeln besteht darin, dass das Bekenntnis aus Genf die Gemeinschaft mit Christus und deren Wirkungen ausdrücklich mit den Sakramenten verbindet, deren Substanz Christus ist. Artikel III der Confessio Gebennensis definiert als den Hauptzweck der Sakramente, dass die Gläubigen Christus als den Brunnen aller Güter besitzen, um daraufhin zu einem Leben in Heiligkeit bewegt zu werden.170 Dieser Artikel wird in Artikel VIII der Consensio mutua fast wörtlich171 wiedergegeben, jedoch unter Auslassung der einleitenden Wendung „Das also ist der Zweck der Sakramente, dass erstens …“172. Der Konsenstext plaziert das Geschehen, das Calvin als den Hauptzweck der Sakramente ansieht, anders. Das innere, unsichtbare Geistwirken wird damit identifiziert, dass die Gläubigen Christus als Brunnen aller Güter besitzen, was im Text Calvins oben hingegen als Haupt166 „Nam etsi nihil aliud significant, nisi quod verbo ipso annunciatur, hoc tamen magnum est, subiici oculis nostris quasi vivas imagines, quae sensus nostros melius afficiant, quasi in rem ducendo, dum nobis Christi mortem omniaque eius beneficia in memoriam revocant“ (Consensio mutua, 129 [Consensus Tigurinus VII]). 167 Consensio mutua, 129 [Consensus Tigurinus VII]. 168 S. Confessio Gebennensis, 120. 169 Vgl. Busch, Tragweite, 287. 170 S. Confessio Gebennensis, 120. 171 Geändert wird lediglich deinde zu tum und eius vor spiritu wird im Konsens ausgelassen. 172 „Hic ergo sacramentorum finis est, primum …“ (Confessio Gebennensis, 120).

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zweck der Sakramente beschrieben wurde. Der Konsenstext verbindet nun den Besitz Christi in der Weise mit den Sakramenten, dass sie diesen unsichtbaren Sachverhalt für die Gläubigen sichtbar machen. In einem Nebensatz, der im Genfer Bekenntnis nicht vorkommt, wird außerdem die Rolle des Glaubens beim Empfang der Wohltaten, die der Tod Christi den Gläubigen geschenkt hat, hervorgehoben.173 Solch eine Theologie vertrat Calvin auch im Petit Traict¦, wo er aber hinzufügte, dass die Sakramente diese unsichtbare Gnade auch austeilten. Doch die Veränderung des Kontextes im Consensus Tigurinus lässt solch einen Gedanken nicht aufkommen, da Artikel VIII deutlich zwischen dem inneren Geistwirken und dem äußeren sakramentalen Handeln unterscheidet. Calvin sagt damit in der Zürcher Übereinkunft nichts Neues, erwähnt aber bestimmte Aspekte seiner Lehre nicht. Der vierte Artikel des Genfer Bekenntnisses stellt den dahingebenenen Leib und das vergossenen Blut in den Mittelpunkt des Abendmahles.174 Auch das findet sich im gemeinsamen Text nicht wieder. Der Konsenstext lässt sich in drei Teile gliedern: (1.) die Artikel I bis V stellen einen christologisch-soteriologischen Vorspann dar, (2.) die Artikel VI bis XX entfalten die Sakramentenlehre und (3.) die Artikel XXI bis XXVI behandeln falsche Auffassungen und Missbräuche der Sakramente.175 Der erste Teil beschreibt in Kurzform die gemeinsam erreichte Soteriologie. Jesus Christus wird als Zielpunkt allen kirchlichen Handelns beschrieben176 und das alleinige Vollbringen der Erlösung durch ihn wird herausgestellt.177 Die Sakramente werden als „Anhänge des Evangeliums“178 charakterisiert, die nur bei Beachten des gerade beschriebenen Skopus adäquat verstanden werden können. Um aber an Christus Anteil zu bekommen, sei es notwendig mit ihm Gemeinschaft zu haben und ein Leib mit ihm zu werden.179 Der die Sakramentenlehre behandelnde Teil stellt in Artikel VI heraus, dass diese Gemeinschaft als geistgewirkt verstanden werden müsse.180 Das spiegelt vor allem Bullingers Auffassung von der unio cum Christo181 wieder, ohne dass das der Sache nach Calvins Theologie widerspricht. Sowohl das Evangelium als auch die Sakramente haben die Aufgabe, diese unsichtbare, geistgewirkte Einheit mit Christus zu bezeugen.182 Es geht hier nicht wie beim Petit Traict¦ 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182

S. Consensio mutua, 129 [Consensus Tigurinus VIII]. S. Confessio Gebennensis, 120. Vgl. Gäbler, Consensus Tigurinus, 191. „totum spirituale ecclesiae regimen, ut ad Christum nos ducat“ (Consensio mutua, 127 [Consensus Tigurinus I]). S. Consensio mutua, 128 [Consensus Tigurinus IV]. „evangelii appendices“ (Consensio mutua, 127 [Consensus Tigurinus II]). S. Consensio mutua, 128 [Consensus Tigurinus V]. „Haec spiritualis est communicatio“ (Consensio mutua, 129 [Consensus Tigurinus VI]). Vgl. Opitz, Bullinger, 215 – 217. „Cuius (nämlich der geistgewirkten Gemeinschaft mit Christus, F. E.) testificandae causa tam evangelii praedicatio instituta est quam sacamentorum usus nobis commendatus, nempe sacri baptismi et sacrae coenae“ (Consensio mutua, 129 [Consensus Tigurinus VI]).

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darum, dass die unio cum Christo durch Wort und Sakrament vermittelt wird, sondern beide Vermittlungsgestalten können sie nur bezeugen, anzeigen und darauf hinweisen. Wort und Sakramente sind das irdische, sichtbare Zeichen dieses an sich mit den Sinnen nicht feststellbaren Sachverhaltes, wie es auch der folgende siebte Artikel ausdrücklich sagt. Sowohl Wort als auch Sakrament verlieren hier im Gegensatz zur Theologie, die Calvin sonst vertritt, ihren Status als Heilsmittel.183 Deutlich wird hier die Differenz zwischen dem Handeln Gottes an den Gläubigen und den Sakramenten markiert, die auf eine hinweisende Funktion reduziert werden. Der bereits erwähnte siebte Artikel nennt als ersten Zweck der Sakramente das Bekenntnis und die Darstellung der Gemeinschaft der christlichen Gemeinde, was die Sakramentenlehre Zwinglis getreu wiedergibt. Der Text macht deutlich, dass der eigentliche Zweck der Sakramente die Bezeugung des unsichtbaren, gnadenhaften Handelns Gottes an den Menschen sei.184 Hier wird ein Anliegen Calvins aufgegriffen, da er die Bekenntnisfunktion der Sakramente nicht ablehnte, sie aber im Gegensatz zu Zwingli nicht als hauptsächlichen, sondern als untergeordeten Nutzen ansah.185 Deutlicher als beispielsweise in CA XIII186, wo die Sakramente ebenfalls als Zeichen von Gottes Gnade bestimmt werden, wird Gott als Subjekt der Bezeugung in der Feier der Sakramente hervorgehoben, womit reformiertem Denken, das Gottes alleiniges Handeln in Taufe und Abendmahl hervorheben will, voll entsprochen wird.187 Dadurch wird auch deutlich, dass Gott tatsächlich in den Sakramenten handelt, nämlich durch das Bezeugen seiner Verheißung.188 Der neunte Artikel behandelt die Differenz zwischen Zeichen und Sache, ohne beides voneinander trennen zu wollen. Das Miteinander von Zeichen und angebotener Verheißung wird folgendermaßen bestimmt: Diejenigen, die im Glauben die dargebotene Verheißung ergriffen und schon längst durch den Glauben Anteil an Christus erhalten hätten, empfingen Christus auf geistliche Weise und vertieften und erneuerten ihre Gemeinschaft mit ihm189, was der schon zuvor von Calvin vertretenen komparativischen Wirkweise der Sakramente entspricht. Die hier ausgesprochene Verbindung von Sakrament und Verheißung geht auf Calvin zurück.190 Jedoch kann dieser Artikel in zwei Richtungen interpretiert werden: im Sinne des bullingerischen Parallelismus und im Sinne von Calvins Instrumentalität, da die Verbindung von Zeichen und Sache nicht näher präzisiert wird. In gewisser Weise ist er auch eine 183 Vgl. Neuser, Dogma, 273. 184 S. Consensio mutua, 129 [Consensus Tigurinus VII]. 185 S. „Est autem hoc primum, ut fidei nostrae apud Deum serviant; posterius, ut confessionem nostram apud homines testentur.“ (CO 1, 947 [Institutio 1539 – 1554].) 186 Vgl. BSLK 68,1 – 11 [CA XIII]. 187 Vgl. Busch, Tragweite, 293. 188 Vgl. Campi, Consensus, 32. 189 S. Consensio mutua, 130 [Consensus Tigurinus IX]. 190 Vgl. Gäbler, Zustandekommen, 329.

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Revision des fünften Genfer Artikels, der all denen, die die Sakramente auf rechte Weise gebrauchten, in diesen den Empfang Christi mit seinen göttlichen Gaben verheißt.191 Die Übereinkunft stellt den Glauben als Empfangsmittel für Christus heraus und erwähnt die Sakramente hier nicht.192 Der zehnte Artikel, der den sechsten Artikel der Confessio Gebennensis in großen Teilen wörtlich wiedergibt, behandelt das Verhältnis von Zeichen und Verheißung. Die Verheißung sei den Zeichen angefügt, was typisch calvinische Redeweise darstellt. Nicht von den materiellen Elementen, sondern von der Verheißung sei die Gemeinschaft mit Christus zu erwarten.193 Allein der Glaube kann demzufolge Christus empfangen.194 Die Aufforderung auf die Verheißung bzw. auf Christus anstatt auf die Zeichen zu schauen ist ein Topos reformierter Sakramentenlehre und damit in diesem Kontext nichts Außergewöhnliches. Der Text aus Genf aber enthält einen einleitenden Satz, der in der Übereinkunft nicht vorkommt. Diese Einleitung sagt ausdrücklich, dass die Gläubigen durch die Sakramente Anteil an Christus und seinen Gütern erhielten.195 Was dann folgt, sagt auch der Consensus Tigurinus. Deutlich wird hier, dass die negativen Bestimmungen bezüglich der geschöpflichen Symbole der ansonsten von Calvin vertretenen Instrumentalität der Sakramente nicht widersprechen. Das per ist aber gerade der Punkt, der von Bullinger nicht akzeptiert werden kann, während Calvin daran festhält.196 Die folgenden Artikel der Zürcher Übereinkunft stimmen bis auf kleine Änderungen wörtlich mit der Confessio überein; nur Artikel XVI lässt eine Wendung ausfallen. Da diese Texte also fast vollständig aus Calvins Feder kommen, ist die Deutung von Wilhelm Neuser (1926 – 2010), dass die Artikel XI bis XVI, XVII und teilweise XVIII, XIX sich auch gegen Calvin richten197, nicht nachvollziehbar. Artikel XI wendet sich gegen diejenigen, – diese sind im Genfer Text die Papisten198 – die ihren Glauben, ihre fiducia, auf die Sakramente anstatt auf Christus setzen.199 Der folgende Artikel stellt heraus, dass allein Gott durch seinen Geist in den Sakramenten handle, ohne dabei aber den Dienst der Sakramente auszuschließen. Dadurch bleibe die ganze Kraft bei ihm.200 Auch das kann wieder in zwei Richtungen ausgelegt werden, da Bullinger ja nicht davon ausgeht, dass 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200

S. Confessio Gebennensis, 120. Vgl. Rorem, Compromise, 86. S. Consensio mutua, 130 [Consensus Tigurinus X]. Vgl. Campi, Consensus, 28. „Quod autem per sacramenta dicimus nos Christi et spiritualium eius donorum participes fieri, in eo non ad signa nuda, sed potius ad promissionem, quae illis adnexa est, respectum habemus.“ (Confessio Gebennensis, 120.) Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 210. Vgl. Neuser, Dogma, 272. S. Confessio Gebennensis, 120. S. Consensio mutua, 131 [Consensus Tigurinus XI]. S. Consensio mutua, 131 [Consensus Tigurinus XII].

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die Sakramente keinerlei Funktion besitzen. Somit bleibt für Calvins Interpretation bezüglich des Dienstes, den die Sakramente leisten, immer noch Raum. Artikel XIII unterstreicht diese Position und beschreibt die Sakramente als wirksame Werkzeuge, durch die Gott, wann er es wolle, effektiv handle.201 Der gemeinsame Text liest organum, wo im Genfer Text instrumentum steht.202 Instrumentum hat die Bedeutung von Unterstützung und Mittel, während organum Werkzeug in einem generelleren und damit in einem weniger notwendigen Sinn bedeutet, so dass es auch durch ein anderes Werkzeug ersetzt werden könnte. Zu Calvins Verständnis des Abendmahls als exhibierendes Mittel hingegen passt besser instrumentum203, da dies ein stärkerer Ausdruck ist.204 Artikel XIV hebt das Handeln Christi in den sakramentalen Riten hervor, so dass innerlich erfüllt werde, was durch die Sakramente bezeichnet werde.205 Hier wie auch später in Artikel XIX hat vielleicht Bullinger seine Position etwas revidiert und die Sakramente wenigstens als ein Mittel der Gemeinschaft mit Christus zugelassen.206 Artikel XV nennt sowohl die Sakramente als auch den Heiligen Geist Siegel, letzterer sei aber Siegel im eigentlichen Sinne. Der Text macht deutlich, dass das Siegelsein der Sakramente sich auf einer untergeordneten Ebene befindet. Das schließe aber nicht aus, dass sie den Glauben stärkten und bekräftigten.207 Die Hervorhebung des Geistes als Siegel hat Calvin vorher in einigen Kommentaren erörtert. Der Geist beglaubige demnach im Inneren der Gläubigen, dass sie dem Wort Gottes glauben können208, und ist somit das testimonium internum.209 Eine ähnliche Redeweise tauchte bereits im Petit Traict¦ auf, wo der Geist als derjenige beschrieben wurde, der seinem Werkzeug die Wirksamkeit verleihe.210 Artikel XVI verbindet das Wirken der Sakramente mit der Erwählungslehre. Nur die Erwählten empfingen Gottes Kraft in den Sakramenten, da nur die Erwählten zum Glauben kommen würden, der vorher schon als „Empfangsorgan“ der göttlichen Gaben herausgehoben wurde. In den Erwählten sei der Heilige Geist derjenige, der bewirke, was die Sakramente darstellten.211 Das Bekenntnis aus Genf bietet hier einen leicht abweichenden Text, dessen Än201 202 203 204 205 206 207 208

S. Consensio mutua, 132 [Consensus Tigurinus XIII]. S. Confessio Gebennensis, 121. Vgl. Davis, Promises, 55. Vgl. Janse, Eucharistic Theology, 45. S. Consensio mutua, 132 f [Consensus Tigurinus XIV]. Vgl. Rorem, Compromise, 87. S. Consensio mutua, 133 [Consensus Tigurinus XV]. „hoc esse Spiritus sancti officium, nobis intus confirmare, quod Deus verbo suo promittit. Unde hos titulos habet: quod sit unctio, arrha, paracletus et sigillum.“ (ICOE 15, 32,18 – 20 [Kommentar zu 2 Kor 1,21 f].) 209 In diesem Sinne ist Siegel zu verstehen. 210 S. OS I 511 / CStA 1.2, 456,21 – 28 [Petit Traict¦]. 211 S. Consensio mutua 133 f [Consensus Tigurinus XVI].

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derung jedoch große Bedeutung hat. Dort ist zu lesen: „damit die Sakramente allein den Erwählten darbieten, was sie anbieten“212. Dieser ausgelassene Text beinhaltet wieder die (realpräsentisch zu verstehende) Exhibition des durch die Sakramente Angebotenen. Der Konsenstext erwähnt diesen Aspekt nicht. Auf die Verbindung von sakramentaler Objektivität und Erwählungslehre ist oben schon eingegangen worden. Artikel XVII betont nochmals die Ungebundenheit der Gnade gegenüber den Sakramenten. Wer das Zeichen empfangen habe, habe noch nicht automatisch die Gnade, da sie auch Verworfenen gereicht würden, die der inneren Wirklichkeit nicht teilhaftig würden. Zudem könne die Gnade nur durch den Glauben empfangen werden. Abgelehnt wird außerdem die altgläubige obexLehre.213 Der folgende Abschnitt macht deutlich, dass damit die Objektivität der Sakramente nicht eingeschränkt wird, da allen Christus mit seinen Gaben angeboten werde. Wenn aber kein Empfang stattfindet, liegt der Grund dafür auf der Seite des Menschen, nämlich dann, wenn diese keinen Glauben haben. Das Maß des Glaubens bestimme daher auch das Maß des Empfangens.214 Eine Fehldeutung von Calvins Lehre liegt dann vor, wenn aufgrund dieser Äußerungen gesagt wird, dass Gott seine Gnade nicht bei jeder Feier der Sakramente anböte und das Angebot der Gnade somit manchmal auch ausbliebe. Auch Artikel XIX hebt die Freiheit Gottes gegenüber den sakramentalen Zeichen hervor. Christus teile sich im Abendmahl mit. Aber seine Mitteilung sei nicht auf die Abendmahlsfeier beschränkt, da die ihn Empfangenden Christus schon zuvor besessen hätten. Soweit der Glaube durch die Sakramente gestärkt werde, wachse auch Christus in den Gläubigen. Gott könne seine Gnade daher auch ohne die Sakramente schenken.215 In die gleiche Richtung geht auch Artikel XX. Der Nutzen der Sakramente sei nicht auf den Moment des Empfangs eingeschränkt. Als erster Beleg dafür wird die Taufe von Kindern angeführt, die in der Taufe noch nicht sofort den Geist der Wiedergeburt empfingen. Auch der Nutzen des Abendmahls könne manchmal, zum Beispiel aufgrund von Trägheit oder fehlendem Glauben, sich erst später zeigen.216 Es steht aber beide Male außer Frage, dass die Sakramente wirken und dem Empfangenden Nutzen bringen. Sie werden nicht umsonst empfangen, sondern entfalten ihre Wirkung. So kann daher der einleitende Satz dieses Artikels verstanden werden, auch wenn er in dieser Formulierung mehr als missverständlich ist: „Der Nutzen ferner, den wir durch die Sakramente empfangen, darf in keiner Weise an den Zeitpunkt, zu dem sie uns ausgeteilt werden, gebunden werden, so als ob das

212 213 214 215 216

„ut sacramenta illis solis exhibeant, quod offerunt“ (Confessio Gebennensis, 121). S. Consensio mutua 134 [Consensus Tigurinus XVII]. S. Consensio mutua 134 [Consensus Tigurinus XVIII]. S. Consensio mutua 135 [Consensus Tigurinus XIX]. S. Consensio mutua 136 [Consensus Tigurinus XX].

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sichtbare Zeichen, während es öffentlich vorgeführt wird, im gleichen Moment Gottes Gnade mit sich herbeibrächte.“217

Der darauf folgende Satzanschluss mit einem erklärenden nam, die Erläuterung anhand von Taufe und Abendmahl und die Überschrift „In dem Maße wird die Gnade nicht an die Handlung der Sakramente gebunden, damit ihre Frucht irgendwann nach der Handlung empfangen werde“218 stützen die Deutung dieser Aussage. Die letzten fünf Artikel beinhalten negative Abgrenzungen vor allem von altgläubiger Lehre und Praxis. Bis auf den später eingefügten Abschnitt XXIII stimmen die übrigen wörtlich mit der Confessio Gebennensis überein. Artikel XXI bekräftigt die Lehre vom certus locus Christi zur Rechten des Vaters und lehnt damit alle lokalen Vorstellungen von eucharistischer Gegenwart ab.219 Der nächste Abschnitt stützt das exegetisch durch den Hinweis auf die Metonymie in den Worten Jesu, aufgrund derer der Name des bezeichneten Dinges auf dessen Zeichen übertragen werde.220 In seinem Kommentar zum Ersten Korintherbrief hatte Calvin geschrieben, dass die Metonymie nicht nur ein Zeichen, sondern ein Symbol hervorbringe, „durch das die Sache dargeboten wird“221. Artikel XXIII spricht zum ersten Mal in der Consensio mutua vom Empfang des Leibes und Blutes Christi. Dieser werde in den Abendmahlsworten bezeichnet. Christus speise die Seelen mit der Kraft seines Geistes durch den Glauben, ohne dass es dabei zu irgendeiner Vermischung oder Übertragung von Substanzen käme.222 Auch das kann wieder von verschiedenen Blickwinkeln aus gedeutet werden, was die Annahme durch Bullinger und die Zürcher erklärt.223 Der Text beschreibt das Verhältnis zwischen dem Empfang von Christi Leib und Blut und dem eucharistischen Geschehen bzw. dessen Worten als Bezeichnung. Dies tendiert in die Richtung eines sakramententheologischen Symbolismus. Wenn die Bezeichnung um die exhibitio ergänzt wird, kann diese Verhältnisbestimmung aber auch im Sinne von Calvins Instrumentalität verstanden werden. Der folgende Artikel lehnt die Transsubstantiationslehre und die Vorstellungen ab, Christus unter dem Brot zu lokalisieren und mit dem Brot verbunden

217 „Utilitas porro, quam ex sacramentis percipimus, ad tempus, quo ea nobis administrantur, minime restringi debet, perinde ac si visibile signum, dum in medium profertur, eodem secum momento Dei gratiam adveheret.“ (Consensio mutua 136 [Consensus Tigurinus XX].) 218 „Adeo non alligatur actioni sacramentorum gratia, ut fructus eorum percipiatur aliquando post actionem“ (Consensio mutua, 136 [Consensus Tigurinus XX]). 219 S. Consensio mutua 136 [Consensus Tigurinus XXI]. 220 S. Consensio mutua 137 [Consensus Tigurinus XXII]. 221 „Hic respondeo, non ideo tantum signo imponi nomen rei signatae, quoniam sit figura: sed magis quia symbolum sit, quo res exhibetur.“ (CO 49, 486 [Kommentar zu 1 Kor 11,24].) 222 S. Consensio mutua 137 [Consensus Tigurinus XXIII]. 223 Vgl. Davis, Promises, 43.

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zu sehen, als ob sich dieses in seinen Leib verwandle.224 Artikel XXV bekräftigt das örtliche Verständnis des Sitzens zur Rechten des Vaters. Himmel sei im Sinne eines räumlichen Abstandes zu verstehen, auch wenn es philosophisch über dem Himmel keinen Ort gäbe. Dennoch sei der Leib Christi weit von den Gläubigen auf örtliche Weise getrennt.225 Damit wird die lutherische Ubiquitätslehre verworfen.226 Der letzte Paragraph des Konsenses lehnt die Praxis der eucharistischen Anbetung ab, weil Brot und Wein nicht Leib und Blut Christi und damit nicht die Sache selbst seien. Wohl sei das Brot ein Symbol und Pfand der Gemeinschaft mit Christus, doch habe das Brot diese Gemeinschaft weder in sich eingeschlossen noch sei sie ihm angeheftet.227 Das Attribut „angeheftet“ ist eine Hinzufügung gegenüber dem Genfer Text.

2.5 Zusammenfassung Aufgrund der festgestellten Differenzen zwischen der Consensio mutua und der Confessio Gebennensis wird man den Konsenstext als einen Text bullingerianischer Theologie mit einigen calvinischen Einschlägen ansehen müssen. Auch wenn Calvin selbst quantitativ gesehen als Hauptautor des Textes gelten kann, weil der größte Teil des Textmaterials aus der Confessio Gebennensis stammt, sind die Änderungen von diesem zum endgültigen Text jedoch mehr als signifikant. Nur der Vergleich beider Texte kann die Unterschiede offen legen und bietet sich gerade deswegen an, weil das Genfer Bekenntnis eine Vorform der Consensio mutua ist. Systematisch werden alle Aussagen, die die Exhibition der res sacramentalis durch die Sakramente ausdrücken, ausgelassen. Typisch calvinische Konzepte mit dem entsprechenden Vokabular (exhibitio, instrumentum und auch distribuere) fehlen im Konsens.228 Die Teilhabe an Leib und Blut Christi, die im Petit Traict¦ für das Wachsen in der Gemeinschaft mit Christus eine große Rolle gespielt hat229, wird ebenfalls nur äußerst vage angedeutet. Die Redeweise von Christus als „Substanz und Fundament“230, die Calvin in der Confessio Gebennensis und anderen Werken zuvor verwendet hat, kommt in der Consensio ebenfalls nicht vor. Insgesamt hat der Consensus Tigurinus eine große Tendenz, die Freiheit Gottes gegenüber jeglicher geschöpflichen Bindung zu betonen. Das ist durchaus ein wichtiges Anliegen reformierter Sakramentenlehre. Aber die Art und Weise, wie es hier geschieht, drückt nicht deutlich Gottes Zusage aus, in den von ihm eingesetzten Mitteln und Werkzeugen seinen auserwählten Gläubigen nahe zu kommen und sie dadurch in ihrem Glauben zu bestärken. 224 225 226 227 228 229 230

S. Consensio mutua 137 [Consensus Tigurinus XXIV]. S. Consensio mutua 138 [Consensus Tigurinus XXV]. Vgl. Campi, Consensus, 30. S. Consensio mutua 138 f [Consensus Tigurinus XXVI]. Vgl. Davis, Promises, 55. Vgl. ebd., 52 f. „tanquam substantia et fundamentum“ (Confessio Gebennensis, 119 f).

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

Es bestätigt sich die eingangs aufgestellte These, dass der Consensus Tigurinus völlig im Sinne Calvins interpretiert werden kann, da der Text nichts Anderes, sondern „nur“ weniger – und damit vielleicht doch auch Anderes – sagt. Bestimmte Elemente seiner Lehre fehlen vollständig, so dass deswegen die Consensio mutua auf keinen Fall als genuin calvinische Quelle für die Abendmahlslehre herangezogen werden kann.231 Wilhelm Neuser, Wim Janse und Thomas Davis ist in ihrem Urteil zuzustimmen, dass der Consensus Tigurinus vor allem Bullingers Theologie zur Sprache bringt.232 „Es kann jedoch keine Frage theologischer Synthese zwischen Calvin und Bullinger sein, insbesondere auf der Basis des Consensus. Es verblieben zu viele tief verwurzelte Unterschiede zwischen den beiden.“233 Dem Urteil von Francesco Tosto, dass der Consensus „den authentischen Gedanken Calvins“234 ausdrückt, kann daher nicht zugestimmt werden. Er verkennt, dass Calvin Bullinger von der Instrumentalität der Sakramente eben nicht überzeugen konnte. Zwar bekennt sich auch Bullinger zur Teilhabe an Jesus Christus durch den Heiligen Geist, aber diese wird in den Sakramenten nur angezeigt und bezeugt235, nicht aber vermittelt. Somit ist das Fehlen von substantia nicht nur sprachliches Entgegenkommen vonseiten Calvins gegenüber Bullinger236, weil dieser Begriff etwa „für Leute, die aus dem Symbolismus ihr Erkennungszeichen gemacht hatten“237, nicht angemessen sei, sondern Symptom eines tieferliegenden Dissenses zwischen den beiden Reformatoren. Aus den genannten Gründen widerspricht dieser Text der bisher eruierten Abendmahlstheologie des Reformators nicht, da er nichts Anderes, sondern lediglich Weniger sagt und deswegen den Konsens unterzeichnen konnte. Die Abendmahlslehren von Bullinger und Calvin sind sich sehr ähnlich, was auch die Einigkeit in vielen Punkten ermöglicht hat. Fast alles, was Bullinger über das Abendmahl sagt, findet sich auch in Calvins Schriften wieder. Nahezu kein Element der Lehre des Zürchers ist ihm fremd. Aber Calvin geht mit der Betonung der Instrumenatlität der Sakramente238 über Bullinger hinaus. Die Art und Weise, in der die Consensio mutua über das Abendmahl spricht, konnte von Calvin gerade noch angenommen werden239, sonst würde seine

231 Vgl. dagegen Tosto, Convergenza, 137, der davon ausgeht, dass Calvin „la linea fondamentale della sua dottrina“ aufrecht erhalten hat. 232 Vgl. Neuser, Dogma, 272. – Davis, Promises, 33. – Janse, Eucharistic Theology, 41. 233 „There can be no question, however, of theological synthesis between Calvin and Bullinger, especially not on the basis of the Consensus. There remained too many deeply grounded differences between the two.“ (Davis, Promises, 38.) 234 „il pensiero autentico di Calvino“ (Tosto, Convergenza, 141). 235 Vgl. Rorem, Compromise, 83 f. 236 So versteht Tosto das Fehlen von „substantieller“ Redeweise im Consensus Tigurinus. (Vgl. Tosto, Convergenza, 141 f.) 237 „per gente che del simbolismo aveva fatto un vessillo“ (Ebd., 142). 238 Vgl. Gerrish, Grace, 167. 239 Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 55.

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Die Institutio Christianae Religionis (1559)

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Unterschrift unter diesen Text keinen Sinn ergeben. In der Zeit nach 1549 wird Calvin wieder eine andere Sprache über das Abendmahl gebrauchen.

3. Die Institutio Christianae Religionis (1559) Stand der Petit Traict¦ im Kontext des ersten innerreformatorischen Abendmahlsstreites, so gehen der Abendmahlslehre der Institutio von 1559 ebenfalls Auseinandersetzungen über das Abendmahl voran. Im Anschluss an die Unterzeichnung des Consensus Tigurinus brach der zweite Abendmahlsstreit innerhalb der reformatorischen Bewegung aus, in dem sich Calvin mit dem Widerstand gegen seine Lehre vonseiten der deutschen Gnesiolutheraner konfrontiert sah. Im Folgenden werden kurz die historischen Daten und der Verlauf des Streites dargestellt. Inhaltliche Aspekte fließen in die Analyse der Institutio mit ein. 3.1 Der Streit um das Abendmahl zwischen Joachim Westphal und Johannes Calvin Nach dem Abschluss des Consensus Tigurinus brach der zweite innerreformatorische Abendmahlsstreit aus. 1552 veröffentlichte der lutherische Pfarrer Joachim Westphal von St. Katharinen in Hamburg, ein Schüler Luthers und Melanchthons1, seine Schrift Farrago confusanearum et inter se dissidentium opinionum De Coena Domini ex Sacramentarioru[m] libris congesta2, in dem er die „Sakramentarier“ beschuldigte, eine falsche Lehre zu verbreiten und sich untereinander aufgrund der Vielzahl der von ihnen vorgetragenen Positionen zu widersprechen.3 Dieses Werk stellte den Startschuss zu erneuten Kontroversen um das Abendmahl dar. Westphal verstand nämlich die Consensio mutua als eine Kurzfassung von Calvins Abendmahlslehre4, so dass er als Lutheraner darin wichtige Elemente vermissen musste. Ein weiterer Anlass für die Abfassung dieser Schrift stellte die verstärkte Ausbreitung reformiert5 geprägter Kirchen in Frankreich, den Niederlanden, England und den Nachbargebieten dar.6 1 2 3 4 5

Vgl. Dingel, Irene: Art. ,Westphal, Joachim‘, in: TRE 35 (2003), 712 – 715, hier: 712. Gedruckt Magdeburg 1552. S. Westphal, Farrago, A4. Vgl. Davis, Promises, 44. „Reformiert“ wird in diesem Kontext der Einfachheit wegen verwendet, um die nicht-lutherisch reformatorisch geprägten Gruppierungen zu bezeichnen, auch wenn es anachronistisch ist, zu dieser Zeit schon von einer reformierten Kirche zu sprechen. 6 Vgl. Neuser, Dogma, 274. Neben den Abendmahlsstreitigkeiten hatte Westphal sich an weiteren Debatten beteiligt. 1544 stritt er mit Johannes Aepinus (1499 – 1553) über die Höllenfahrt Christi.

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Die Abendmahlslehre Johannes Calvins

Im Farrago stellt Westphal zunächst den Verlauf des Abendmahlsstreites dar und fasst den Grundfehler der Sakramentarier wie folgt zusammen: „sie alle verneinen ohne Ausnahme, dass vom Tisch des Herrn Christi wahrer Leib und Blut gegeben werde, durch das Brot und den Kelch des Herrn verteilt“7. Der erste Lehrer dieser falschen Lehre sei Karlstadt gewesen, dem Zwingli und Oekolampad gefolgt seien.8 Im Anschluss an diesen Abschnitt zitiert Westphal abendmahlstheologische Passagen aus den Werken verschiedener Theologen reformierter Provenienz und fasst deren Lehre am Seitenrand in kurzen Aussagen zusammen. In diesem Abschnitt führt Westphal auch Zitate aus Calvins Kommentar zu 1 Kor 119 und dem Petit Traict¦10 in lateinischer Übersetzung an. Außerdem befindet sich an dieser Stelle auch ein Auszug aus der Consensio mutua, nämlich die Artikel XXI, XXII (teilweise), XXV, XXVI und ein Satz aus Artikel XXIV.11 Westphal ordnet demzufolge den Konsenstext nicht Bullinger, sondern Calvin zu. Dies verdeutlicht, dass er den Consensus Tigurinus als ein calvinisches Werk ansieht. Der letzte Text von Calvin, den Westphal auszugsweise bringt, ist ein Auszug aus dem Genfer Katechismus von 1545.12 Nach dem Durchgang durch die verschiedenen Positionen bietet Westphal eine Liste mit all den unterschiedlichen Interpretationen der Einsetzungsworte, die von den Sakramentariern vorgetragen würden.13 Deren Fehler bestehe darin, dass sie allesamt das est nicht wörtlich, sondern als significat verstünden14 und der Gegenwart von Christi wahrem Leib und Blut im Abendmahl widersprächen.15 Da die Wahrheit eine und einfach sei, sei die Vielzahl der sich untereinander widersprechenden Deutungen der Schweizeroberdeutschen Theologen ein Beleg für deren Falschheit.16 Die Realpräsenz von Christi Leib und Blut in, unter und mit Brot und Wein kann als Westphals Kernanliegen bezeichnet werden.17 Der Abendmahlsstreit ist für ihn damit nicht nur ein Streit um Worte, sondern um Sachverhalte.18 Das Werk endet mit

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

In der Frage nach den Adiaphora stellte er sich in die Reihen der Gnesiolutheraner, womit er sich von Philipp Melanchthon distanzierte. Auch zu anderen innerlutherischen Streitigkeiten bezog er Stellung. (Vgl. Dingel, Westphal, 713.) „negant ad unum omnes, de mensa Domini dari Christi uerum corpus et sanguinem, pane et calice Domini distributa“ (Westphal, Farrago, A4). S. ebd., A5. S. ebd., D6. S. ebd., D1–D5. S. ebd., D7. S. ebd., D7 f. S. ebd., E4. „usurpant uerbum Est, nusquam usi sunt uerbo Significat, uniformis est haec oratio“ (Ebd., B1). „Contradicunt omnes praesentiae ueri corporis et sanguinis Domini in eius coena“ (Ebd., B3). S. ebd., A6. Vgl. Dingel, Westphal, 714. „quod non de uerbis, sed de rebus certamen fuerit“ (Westphal, Farrago, A7).

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einem Kapitel über das rechte Verständnis der manducatio spiritualis.19 Ein Jahr nach dem Farrago publizierte Westphal eine weitere Schrift über das Abendmahl, seine Recta fides de Coena Domini ex verbis apostoli Pauli et evangelistarum demonstrata ac communita20, in dem er 1 Kor 11 exegetischdogmatisch auslegte.21 Im Streit zwischen Calvin und Westphal wurden christologische Fragen immer bedeutsamer, wie es auch schon beim Streit zwischen Luther und Zwingli der Fall war. Zur adäquaten Eindordnung Westphals muss aber gesagt werden, dass dieser sich darum bemühte, die Abendmahlsdiskussion nicht von christologischen Prämissen abhängig zu machen. Erst als Johannes Timann (1500 – 1557) 1555 die Allmacht und Allgegenwart des Leibes Christi zur Grundlage des Realpräsenzglaubens machte, wurde die Ubiquitätslehre auch Westphal zur Last gelegt, der jedoch immer versucht hatte, die christologischen Überlegungen von den Begründungen für die Realpräsenz zu trennen.22 Ein Ereignis, das die Polemik zwischen Lutheranern und Reformierten – insofern diese Bezeichnungen zu diesem Zeitpunkt bereits angemessen sind – weiter anfachte, war das Schicksal des ostfriesischen, ursprünglich aus Polen stammenden Reformators Johannes a Lasco (1499 – 1560) und seiner Flüchtlingsgemeinde. A Lasco ging auf Bitten von Thomas Cranmer (1489 – 1556) im Mai 1550 nach England, um die Fremdengemeinde in London als Superintendent zu betreuen.23 Nach der Thronbesteigung von Mary Tudor (1516 – 1558) waren er und seine Gemeinde im September 1553 gezwungen, das Land zu verlassen. Als diese im lutherischen Dänemark Zuflucht suchten, wurden sie von König Christian III. (1503 – 1559) abgewiesen. A Lasco ging davon aus, dass ein Grund für die Ausweisung in seiner Sakramentenlehre bestand, in der er sich immer mehr Calvins Position annäherte.24 Als einige Flüchtlinge überlegten nach Hamburg zu gehen, waren sie dort derselben abweisenden Haltung ausgesetzt, was u. a. auch auf Westphal zurückging. Anfang Dezember 1553 kamen a Lasco und seine Gemeinde schließlich in Emden an, wo sie bleiben konnten.25 Nachdem sich a Lasco an Bullinger und Calvin gewandt hatte, um eine Antwort gegen Westphal zu erbitten26, beriet sich Calvin mit den Zürchern. Daraufhin verfasste der Genfer Reformator im September 1554 den ersten 19 S. ebd., E5 ff. 20 Magdeburg 1553. 21 Vgl. Tylenda, Joseph N.: The Calvin-Westphal Exchange. The Genesis of Calvin’s Treatises against Westphal, in: CTJ 9 (1974), 182 – 209, hier: 184. Dieser Artikel enthält eine genaue Chronologie der Ereignisse und auch der Korrespondenz Calvins mit den anderen Schweizer Reformatoren und Philipp Melanchthon vor dem Ausbruch des Streites. 22 Vgl. Dingel, Westphal, 714. 23 Vgl. Smid, Menno: Art. ,Laski, Jan‘, in: TRE 20 (1990), 448 – 451, hier: 449. „Jan Laski“ ist sein ursprünglicher Name, während „Johannes a Lasco“ die latinisierte Variante ist. 24 Vgl., ebd., 450. 25 Vgl. Tylenda, Exchange, 186. 26 Vgl. Neuser, Dogma, 274.

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Entwurf seiner Defensio sanae et orthodoxae doctrinae de sacramentis eorumque natura, vi, fine usu et fructu27 und schickte ihn nach Zürich. Die Zürcher Theologen ermahnten ihn, nicht so hart mit Westphal umzugehen.28 Sie waren davon überzeugt, dass Calvin nicht erkannt habe, wie „krass und barbarisch“29 Luther über das Abendmahl lehre, weil der Genfer kein Deutsch verstehe.30 Auch heute würde Luther, wenn er denn noch lebte, weder Zwingli und Oekolampad noch Calvin die Hand reichen.31 In diesem Brief machen die Zürcher deutlich, was sie unter der praesentia realis verstehen. Unter realis verstehen sie corporalis, dem sie daher spiritualis entgegensetzen. Da der Geist wirklich genug sei, werde die Wirklichkeit der Gabe mit dem Attribut spiritualis ausreichend zur Sprache gebracht. Darin stimmten sie mit Calvin überein.32 Dieser Einwand erklärt, warum Calvin in der Endfassung realis nur einmal verwendet und sogleich seine eigene Definition dazu gibt.33 Calvin überarbeitete die erste Fassung der Defensio, die schließlich Mitte Januar 1555 veröffentlicht wurde.34 In diesem Text präsentiert er gleich zu Beginn seine Deutung des Consensus Tigurinus: Im Abendmahl werde der Leib Christi den Gläubigen wirklich mitgeteilt, so dass die durch die Zeichen bezeichnete Wirkung auch wirklich stattfinde und das Fleisch Christi auf geistliche Weise gegessen werde. All das sei, so Calvins eigene Worte, deutlich im Consensus ausgedrückt.35 In diesem Text spricht Calvin davon, dass die Sakramente die Gläubigen zu Christus führen.36 Außerdem bekräftigt er die Verbundenheit von Zeichen und Sache, die bei aller Differenzierung zwischen beiden nicht vergessen werden dürfe.37 Darüber hinaus drückt Calvin die 27 28 29 30 31 32

33 34 35 36 37

OS II 263 – 287. S. CO 15, 273 [Brief der Zürcher Kirche vom 24. Oktober 1554]. „crasse et barbare“ (CO 15, 274 [Brief der Zürcher Kirche vom 24. Oktober 1554]). S. CO 15, 274 [Brief der Zürcher Kirche vom 24. Oktober 1554]. S. CO 15, 276 [Brief der Zürcher Kirche vom 24. Oktober 1554]. „At hi (die Lutheraner, F. E.), quod indubitate constat, per reale intelligunt corporale: realiter praesens est, id est, ipsum corpus praesens est: realiter editur: id est, ipsum corpus corporaliter, id est, ore corporis manducatur. Nos ergo, mi Calvine, tollimus vocem realiter, quum dicimus spiritualiter. Ac nolumus omnino hanc vocem illis ex nostro consensu concedi, in illa significatione qua hactenus usi sunt, et utuntur etiam hodie. Dicis: per reale intelligimus verum excludimusque falsum et imaginationem inanem. Recte tu quidem. Sed isti non ita intelligunt […] Admoneantur autem isti nos per spiritum non intelligere nihil, vanitatem et imperceptibiles efficaciaque carentes phantasias, sed ipsam Dei sensibilem in mentibus et fructiferam adeoque vitalem operationem. Nam spiritus veritas est, non illusio aut vanitas. Spiritus ergo satis realis est, et satis doni magnitudinem exprimit“ (CO 15, 285 [Brief der Zürcher Kirche vom 24. Oktober 1554]). S. OS II 283,39 f [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. Vgl. Tylenda, Exchange, 191 – 195. S. OS II 264,36 – 265,14 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. „Quorsum vero instituta sint Sacramenta, recte a nobis traditum, vel iniquissimi quique fateri cogentur : nempe ut nos ad Christi communionem deducant.“ (OS II 269,27 – 29 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae].) „Dicimus ergo, ne sensus nostros frustrentur panis et vinum, externae eorum figurae verum

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instrumentelle Funktion der Sakramente unmissverständlich aus, wie er sie vor dem Abschluss der Consensio mutua lehrte.38 Auch wenn simul und substantia hier (noch) fehlen, spricht dieser Text eine deutlich andere Sprache als der Consensus Tigurinus. Bullinger müsste daher mit einigen Formulierungen große Probleme gehabt haben.39 Auf diese Weise gibt Calvin dem Zürcher Text seine eigene Deutung, die aufgrund bestimmter offener Formulierungen dort möglich ist. Damit aber war der Streit mit Westphal nicht beigelegt. Dieser antwortete auf Calvins Defensio mit seiner Adversus cuiusdam sacramentarii falsam criminationem iusta defensio40, wo er seinen Vorwurf an die Schweizer bekräftigt: Sie ließen nur leere Zeichen im Abendmahl zurück und leugneten die wahre Gegenwart Jesu im Sakrament. Calvins Name wird dort jedoch nicht genannt.41 Dieses Werk wiederum provozierte eine Antwort Calvins, nämlich die Secunda Defensio piae et orthodoxae de Sacramentis Fidei contra Ioachimi Westphali Calumnias42, die er im Dezember 1555 verfasste und die Mitte Januar 1556 veröffentlicht wurde. Er widmete diese zweite Verteidigung den sächsischen und norddeutschen Pfarrern, um so deren Unterstützung gegen Westphal zu gewinnen.43 Die Secunda Defensio ist bedeutend länger als Calvins erste Verteidigung und enthält sehr scharfe Polemiken gegen Westphal. Gegen seinen Willen sei Calvin in diese Kontroverse hineingeraten.44 Seine Position innerhalb des reformatorischen Lagers beschreibt er sehr deutlich: „Denn als ich, der sich von der Finsternis des Papsttums zu befreien begann und etwas Geschmack an der gesunden Lehre bekommen hatte, bei Luther las, dass von Zwingli und Oekolampad in den Sakramenten nichts als leere und unnütze Zeichen zurückgelassen würde, gestehe ich, dass ich so von deren Büchern entfremdet worden war, dass ich mich lange von deren Lektüre enthielt.“45

Mit dieser Aussage distanziert sich Calvin von Zwingli und versucht so Westphals Vorwurf der leeren Zeichen zu entkräften. Im weiteren Verlauf des Textes bemüht sich Calvin jedoch – wie auch schon im Petit Traict¦ – um Zwinglis Rehabilitation. Dieser habe niemals leere Zeichen gelehrt, sondern

38 39 40 41 42 43 44 45

effectum esse coniunctum, ut corpus et sanguinem Christi illic recipiant fideles“ (OS II 271,26 – 28 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]). S. OS II 285,21 – 25 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae de Sacramentis]. Vgl. Janse, Eucharistic Theology, 41. Gedruckt Frankfurt am Main 1555. Vgl. Tylenda, Exchange, 198. CO 9, 51 – 120. Vgl. Tylenda, Exchange, 201. S. CO 9, 51 [Secunda Defensio]. „Quum enim a tenebris papatus emergere incipiens, tenui sanae doctrinae gustu concepto, legerem apud Lutherum, nihil in sacramentis ab Oecolampadio et Zvinglio reliquum fieri praeter nudas et inanes figuras, ita me ab ipsorum libris alienatum fuisse fateor, ut diu a lectione abstinuerim.“ (CO 9, 51 [Secunda Defensio].)

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im Eifer des Gefechts gegen die fleischliche und örtliche Gegenwart Christi vergessen zu sagen, wie Christus im Abendmahl mitgeteilt werde.46 Die leeren Zeichen seien schlimmer als der Glaube, Christus werde sensualiter mit den Zähnen zerrieben47, womit Calvin auf das erste Glaubensbekenntnis des Berengar von Tours (†1088) anspielt.48 Entschieden weist der Genfer Reformator den Vorwurf von sich, die Gegenwart Christi zu leugnen, indem er Brot und Wein als Zeichen einer gegenwärtigen Sache versteht49, die Christi Leib und Blut exhibierten.50 Hier wird die Instrumentalität der Sakramente offen ausgesprochen51, da ein lebloses Ding zu einem wirksamen Instrument des Geistes werde52, womit Calvin einen Einwand Bullingers aus den Verhandlungen im Vorfeld der Consensio mutua aufgreift. Begriffe wie „Christus als die göttliche Materie der Sakramente“53 und manducatio substantialis54 werden ebenfalls verwendet, womit Calvin an seine frühere Lehrform wieder anknüpft. Diese Schrift erwiderte Westphal mit der Epistola Ioachimi Westphali qua breviter respondet ad convicia Iohannis Calvini55. Zusätzlich verfassten die lutherischen Pfarrer Sachsens im November 1556 ein Glaubensbekenntnis

46 „Dixeram Oecolampadium et Zvinglium iustissima quidem causa fuisse adductos, imo coactos gravi necessitate, ut crassum errorem, qui pridem inoleverat, cum impia idololatria coniunctum refutarent: sed dum ad hoc unum agendum sunt intenti, partem alteram, ut in concertatione fieri solet, omisisse. Locum hunc suis carbonibus Westphalus denigrat, ac si dixerim contendisse ipsos de vacuis symbolis, nec cogitasse veritatem cum signis fuisse coniunctam.“ (CO 9, 92 [Secunda Defensio].) 47 „Qualis autem a misero illo confessio fuit extorta? nempe post consecrationem verum corpus et sanguinem Christi sensualiter et in veritate manibus sacerdotum tractari, frangi, et fidelium dentibus atteri. Sic enim ad verbum sonat quae illi a concilio dictata fuit retractationis formula. Iam si non alia lege Westphalum placare licet, quam si fateamur dentibus sensualiter Christum atteri: nonne centum potius mortes praeoptandae sunt, quam ut se quispiam tanti sacrilegii monstro implicet?“ (CO 9, 58 [Secunda Defensio].) 48 S. DH 690. 49 „De hoc modo conveniat quod hactenus professus sum, nunc adhuc confirmo, ubi adest res ipsa, non fingendam esse nudam figuram.“ (CO 9, 73 [Secunda Defensio].) 50 „Atqui secundum nos panis ita corpus significat, ut vere, efficaciter, ac re ipsa nos ad Christi communicationem invitet. Dicimus enim veritatem quam continet promissio, illic exhiberi, et effectum externo symbolo annexum esse.“ (CO 9, 68 [Secunda Defensio].) 51 „Neque enim philosophia nobis dictat, vel spirituali virtute praeditam esse humanam carnem, ut anima virtute praeditam esse humanam carnem, ut animas vivificet, vel hanc vitam e coelo spirare, vel efficaciter sub externo panis symbolo eadem nos vita potiri“ (CO 9, 78 [Secunda Defensio]). – „Atqui se exhibet Christus in verbo et sacramentis.“ (CO 9, 83 [Secunda Defensio].) 52 „An dictat communis sensus ab humana carne petendam esse immortalem animae vitam? […] An philosophicis speculationibus consentaneum est, mortuum et terrestre elementum efficax organum esse spiritus sancti?“ (CO 9, 94 [Secunda Defensio].) 53 „Ita sicuti terrenis panis et vini symbolis constat sacra coena, ita Christus mihi veluti spiritualis eius materia est, quae symbolis respondeat.“ (CO 9, 81 [Secunda Defensio].) 54 „quia substantialis hodie manducatio est“ (CO 9, 82 [Secunda Defensio].) 55 CO 9, XVIII–XXI.

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gegen Calvin.56 Daraufhin antwortete Calvin im Juli 1557 mit seiner Ultima admonitio Ioannis Calvini ad Joachim Westphalum57. Darin unterstreicht er, dass die Redeweise von der Analogie der sakramentalen Zeichen und die Gleichzeitigkeit des Reichens der sakramentalen Zeichen und der Exhibition Christi – also similiter und simul – zusammengehören. Auch bekräftigt er, dass es ihm um die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut gehe und nicht bloß um deren Wirkungen.58 1558 verfasste der Hamburger Lutheraner zwei weitere Texte, von denen einer sich explizit gegen Calvins Ultima admonitio richtete. Dieser jedoch entschloss sich, nicht mehr darauf zu antworten. Diese Aufgabe übernahm im September sein Nachfolger in Genf, Th¦odore de BÀze (1519 – 1605).59 Dieser „Krieg um das Sakrament“60 weist zwei Charakteristika auf. Weder Calvin noch Westphal schauten exakt darauf, was der Gegner wirklich dachte. Oft wurden Positionen bekämpft, die das Gegenüber gar nicht vertrat.61 Ferner wurden kaum neue Argumente ausgetauscht. Lediglich die Christologie erfuhr einige Erweiterungen (Ubiquitätslehre qua Idiomenkommunikation bei Westphal und das sogenannte Extra Calvinisticum bei Calvin).62 Einige Calvinforscher gehen davon aus, dass das Abendmahlskapitel der Institutio von 1559 Calvins letzte und definitive Antwort an Westphal darstellt63, da es einige neu hinzugekommene Abschnitte gibt, die sich deutlich gegen den Hamburger Pfarrer richten.64 Die Institutio soll im Folgenden unter der bereits öfter formulierten Fragestellung untersucht werden: lehrt Calvin (weiterhin) die wirkliche Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl und wie ist ihre Verbindung zu den sakramentalen Zeichen zu verstehen? Doch zuvor muss der Ort der Abendmahlslehre in der Institutio bestimmt werden.

56 Vgl. Tylenda, Exchange, 204. 57 CO 9, 141 – 252. 58 „Atqui sic Christi voluntatem cum omnibus fidei principiis conciliat nostra docendi ratio, ut praesentia et communicatio carnis eius, qua fruimur, nullis locorum spatiis alligetur: ipse vero quod figurat mirabiliter et supra ingenii nostri captum praestet: denique analogiam signi et rei signatae ita concinnat, ut verbo et visibili symbolo non modo fructus vel effectus gratiae quem ex Christi societate percipimus, sed arcanae cum eius carne et sanguine communicationis veritas simul annexa sit.“ (CO 9, 195 [Ultima admonitio].) 59 Vgl. Tylenda, Exchange, 208. 60 „sacramental war“ (Davis, Promises, 44). 61 Vgl. Wendel, Sources, 73. 62 Vgl. Neuser, Dogma, 275. 63 S. zum Beispiel Niesel, Calvins Lehre, 7 – 10. – Cadier, Doctrine, 11. 64 Vgl. Cadier, Doctrine, 11. – Davis, Promises, 204.

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3.2 Der Ort der Abendmahlslehre in der Institutio Calvin behandelt die Abendmahlslehre in Buch IV, Kapitel 17 seines Hauptwerkes, der Institutio Christianae Religionis. Es wird hier die fünfte und damit letzte Edition behandelt.65 Die Institutio folgt einer soteriologischen Struktur, was schon anhand der Titel zu den vier Büchern deutlich wird66, da die dort verwendeten Begriffe zum Wortfeld der Soteriologie gehören.67 In seinem Hauptwerk führt Calvin den gefallenen und verlorenen Menschen von der ersten Gottes- und Selbsterkenntnis hin (Inst. I) zum Mittler und Erlöser Jesus Christus, der die zur Gemeinschaft mit Gott unfähigen Menschen wieder mit diesem versöhnt und sie durch den Heiligen Geist erneuert (Inst. II). Aber „solange Christus außerhalb von uns ist und wir von ihm getrennt sind, ist uns alles, was er zum Heil des Menschengeschlechts erlitten und getan hat, unnütz und von keiner Bedeutung. Damit er also, was er vom Vater empfangen hat, uns mitteilt, muss er unser werden und in uns wohnen.“68

Buch III behandelt daher die Frage, wie die Gläubigen in den Besitz der erlösenden Gnade gelangen. Das geschieht durch die unio cum Christo. Diese Gemeinschaft ist somit das Mittel, durch das die Gläubigen der einmal vollbrachten Erlösung in ihrem Leben teilhaftig werden. Das Zusammenwachsen mit Christus werde durch den Heiligen Geist bewirkt, der „das Band [ist], durch das uns Christus wirksam eng mit sich verbindet“69, und durch Glauben 65 Oft wird von der Institutio gesprochen. Das ist nicht ganz korrekt, insofern eine große Entwicklung zwischen der ersten Ausgabe von 1536 und der letzten von 1559 liegt. Die 1536er Version hat noch eher katechismusartigen Charakter und füllt in den OS gerade 259 Seiten. 1539 verändert sich die Zielsetzung der Institutio. Von nun an will Calvin Studierenden der Theologie eine knappe Übersicht über wichtige Themen des christlichen Glaubens anbieten, wie er es im Vorwort zu dieser Ausgabe ausdrücklich schreibt. (S. CO 1, 255 f [Ioannes Calvinus Lectori].) Auch ist der Umfang deutlich größer geworden. Weitere Ausgaben erschienen 1543 und 1550. Die letzte Ausgabe von 1559 unterscheidet sich nochmals von den vorangegangen Ausgaben. In den OS umfasst sie nun drei Bände, was das Anwachsen des Materials deutlich sichtbar macht. Grund dafür stellt Calvins Studium der Bibel und der Kirchenväter dar. Auch die Anordnung des behandelten Materials hat Calvin nochmals verändert. (Vgl. Selderhuis, Institutio, 198 – 202.) 66 Das erste Buch trägt den Titel „De Cognitione Dei Creatoris“ (OS III 31,3), das zweite „De Cognitione Dei Redemptoris in Christo, quae Patribus sub Lege primum, deinde et nobis in Evangelio patefacta est“ (OS I 228,3 – 5), das dritte „De Modo Percipiendae Christi Gratiae et qui inde fructus nobis proveniant, et qui effectus consequantur“ (OS IV 1,3 – 5) und schließlich das vierte „De Externis Mediis vel adminiculis, quibus Deus in Christi societatem nos invitat, et in ea retinet“ OS V 1,3 – 5). 67 Die entsprechenden Begriffe sind redemptor, gratia und in societatem Christi invitare. Letzteres entspricht der unio cum Christo, deren Bedeutung für Calvins Theologie bereits erarbeitet worden ist. 68 „quandiu extra nos est Christus, et ab eo sumus separati, quicquid in salutem humani generis passus est ac fecit, nobis esse inutile nulliusque momenti. Ergo ut nobiscum quae a patre accepit communicet, nostrum fieri et in nobis habitare oportet“ (OS IV 1,10 f [Inst. III 1,1]). 69 „vinculum […], quo nos sibi efficaciter devincit Christus“ (OS IV 2,5 f [Inst. III 1,1]).

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ergriffen.70 Der Geist sei nicht nur der Geist des Vaters, der Quelle aller Wohltaten, sondern auch der Geist Christi, da ohne die Kraft des Geistes Christus vergebens in die Welt gekommen wäre.71 Die Gemeinschaft mit Christus schenke den Gläubigen eine doppelte Gnade: die allein aus Glauben geschehende72 Rechtfertigung73 und die Heiligung durch den Heiligen Geist zu einem heiligen und gerechten Leben.74. Jegliche Heilsursächlichkeit liege bei Gott.75 Zu beachten ist, dass Calvin verschiedene Stadien beim Fortschritt in der Heiligung kennt.76 Im Kontext der Rechtfertigungslehre behandelt Calvin auch die Lehre von der Erwählung.77 In Buch IV stellt Calvin die äußeren Hilfen vor, die Gott eingesetzt habe, um die Gläubigen in die Gemeinschaft mit Christus einzuladen. Mit diesen äußeren Hilfsmitteln wolle Gott der Schwachheit im Glauben aufseiten der Gläubigen entgegenkommen. Diese Hilfen entsprächen dem geschöpflichen Sein der Menschen.78 Gott akkommodiere sich an deren Auffassungs- und Erkenntnisvermögen. Unter diesen Hilfsmitteln behandelt Calvin die Kirche mit ihren Ämtern79, die Sakramente80 und auch die politische Ordnung81. Unmittelbar der Abendmahlslehre in Kapitel 17 gehen die Kapitel über die allgemeine Sakramentenlehre82, die Taufe83 und deren Spendung an Kinder84 voran. Auf die Abendmahlslehre folgt die Auseinandersetzung mit der altgläubigen Messopferlehre.

3.3 Die Analyse des Textes Aus der Untersuchung des Textes haben sich die gleichen Themenkomplexe wie im Petit Traict¦ ergeben. Daher wird die Analyse der Abendmahlslehre der Institutio ebenfalls unter diesen Gesichtspunkten dargestellt. Bedeutendere 70 71 72 73 74

75 76 77 78 79 80 81 82 83 84

S. OS IV 1,18 – 20 [Inst. III 1,1]. S. OS IV 2,24 f.30 – 39 [Inst. III 1,2]. S. OS IV 202,14 – 16 [Inst. III 11,19]. In der Rechtfertigung rechne Gott dem Sünder die Gerechtigkeit Christi an. (S. OS IV 183,9 f [Inst. III 11,2].) S. OS IV 182,4 – 8 [Inst. III 11,1]. Dieser enge Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung spielt in Calvins Theologie eine große Rolle. (Vgl. dazu Beintker, Michael: Calvins theologisches Denken als ökumenische Herausforderung, in: Cath(M) 63 (2009), 161 – 174, hier : 168 f. – Niesel, Theologie, 248.) S. OS IV 235,20 – 37 [Inst. III 14,19]. S. Inst. III 14,1 – 10. S. Inst. III 21 – 24. S. OS V 1,10 – 15.21 – 24 [Inst. IV 1,1]. Inst. IV 1 – 12. Inst. IV 15 – 18. Inst. IV 20. Inst. IV 14. Inst. IV 15. Inst. IV 16.

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Veränderungen gegenüber dem Text von 1541 werden ausführlicher dargestellt, gleiche Inhalte nur kurz erwähnt. Da Calvin im Vorwort zur Institutio auch auf seine Kommentare verweist, werden diese an den entsprechenden Stellen ebenfalls konsultiert.

3.3.1 Der Zweck und Nutzen des Abendmahls Calvins Orientierung am Nutzen des Abendmahls wird schon durch die Überschrift von Inst. IV 17 zum Ausdruck gebracht: „Vom Heiligen Mahl Christi und davon, was es uns verleiht“85. Das Sakrament ist kein Feld philosophischer oder theologischer Spekulationen, sondern auf die Gläubigen ausgerichtet. Diese kleine Notiz kann als Hinweis auf die ausufernden naturphilosophischen Reflexionen über die Eucharistie in der Spätscholastik86 verstanden werden. In ähnlicher Weise wie im Petit Traict¦ beschreibt der Reformator den Zweck des Abendmahls als Pfand für Gottes Fürsorge, der wie ein guter Familienvater für seine Kinder sorge, damit sie in ihrer Wiedergeburt durch den Geist Bestand hätten.87 Calvin hebt Gott als Geber und damit als Urheber dieses Pfandes hervor, womit er jegliche Verachtung der Sakramente von Anfang an abwehrt.88 Die äußerlichen Symbole des Abendmahls sind Calvin zufolge Brot und Wein, durch die Gott die verborgene Gemeinschaft der Gläubigen mit Christus sichtbar mache.89 Zunächst hebt Calvin damit den Zeichencharakter des Abendmahls hervor, indem das Sakrament der Visualisierung der schon bestehenden unio cum Christo dient. Brot und Wein erfüllen damit die Rolle von Zeichen, „die uns die unsichtbare Nahrung, die wir vom Fleisch und Blut Christi empfangen, repräsentieren“90. Diese machen die unsichtbaren Realitäten sichtbar91: Die Seelen der Gläubigen würden mit Christus genauso gespeist wie deren Leben durch Brot und Wein erhalten werde.92 Auf diese Weise stützen Calvin zufolge die Sakramente qua Siegel von Gottes Verheißung den Glauben, „weil sie sie (Gottes Verheißungen, F. E.) gleichwie auf Bildern gemalt uns lebendig repräsentieren“93. Diese Visualisierung sei die einzige Aufgabe 85 86 87 88 89 90

„De sacra Coena Christi; et quid nobis conferat“ (OS V 342,1 [Inst. IV 17,1]). Vgl. Iserloh, Mittelalter, 99 f. S. OS V 342,3 – 7 [Inst. IV 17,1]. Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 35. S. OS V 342,30 f [Inst. IV 17,1]. „quae invisibile alimentum, quod percipimus ex carne et sanguine Christi, nobis repraesentant.“ (OS V 342,20 – 22 [Inst. IV 17,1].) 91 Solche Aussagen waren auch schon im Petit Traict¦ zu finden. 92 S. OS V 343,4 f [Inst. IV 17,1]. 93 „quod eas veluti in tabula depictas nobis ad vivum repraesentant“ (OS V 262,22 – 24 [Inst. IV 14,5]).

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der Sakramente.94 Damit vertritt Calvin jedoch kein rein signifikatives Verständnis der Sakramente. In diesem zweiten Sakrament bezeuge Gott, dass Christus das Brot des Lebens – und zwar das einzige95 – sei, durch das die Seelen gespeist würden.96 Dieses Brot des Lebens werde den Gläubigen vom Vater zu deren Stärkung geschenkt.97 Das stellt die abendmahlstheologische Ausführung von Calvins allgemeiner Sakramentendefinition dar, der zufolge ein Sakrament „ein durch ein äußerliches Symbol bekräftigtes Zeugnis der göttlichen Gnade uns gegenüber“98 ist. Demnach ordnet Calvin das Abendmahl in den Kontext der unio cum Christo ein. Diese Gemeinschaft mit Christus ist die Folge des Glaubens, der die unio ergreife.99 Das Kommen zu Christus aber ist nach Calvins Auffassung Folge des Geistwirkens100 und nicht eines subjektiven Entschlusses. Die unio cum Christo gilt als eines der Konzepte, das hinter Calvins Abendmahlslehre steht. Sie kann sogar als deren Ausgangspunkt verstanden werden.101 Durch sie werden die Gläubigen in den Leib Christi eingefügt, um Anteil an all seinen Gütern und somit auch an der Erlösung zu erhalten.102 Denn die Teilhabe an den beneficia Christi setzt die Gemeinschaft mit dem Erlöser voraus.103 Die Gläubigen müssten Fleisch von seinem Fleisch werden und mit seinem Leib immer mehr – wie es Calvin mit den Worten von Eph 5,30 ausdrückt104 – zusammenwachsen, denn in Christus habe Gott die Fülle des Heils gelegt.105 Nach seiner Himmelfahrt schaffe Christus diese Gemeinschaft durch die

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S. OS V 269,22 – 24 [Inst. IV 14,12]. S. OS V 342,27 [Inst. IV 17,1]. S. OS V 342,1 – 11.22 – 26 [Inst. IV 17,1]. „ideoque ad eum nos invitat caelestis Pater, ut eius communicatione refecti vigorem subinde colligamus“ (OS V 342,27 – 29 [Inst. IV 17,1]). Der französische Text von 1560 schreibt anstatt „eius communicatione refecti“ „estans repeus de sa substance“ (CO 4, 976). Die französische Variante drückt noch deutlicher den Realitätscharakter dieser Speisung aus, in der Christus sich gibt. An anderer Stelle hebt Calvin die communicatio, die er als das Geben zum Genuss umschreibt, deutlich von bloßer Erinnerung ab. (S. ICOE 16, 272,10 – 19 [Kommentar zu Eph 5,29].) Der französische Text greift den Substanzbegriff auf, der in Calvins Verhandlungen mit Bullinger kaum eine Rolle gespielt hat. „divinae in nos gratiae testimonium externo signo confirmatum“ (OS V 259,8 f [Inst. IV 14,1]). „Fateor certe non aliter nos Christum edere quam credendo. Sed manducatio ipsa effectus est ac fructus fidei potius quam fides. Neque enim fides Christum intuetur duntaxat quasi procul remotum, sed eum amplectitur, ut noster fiat et in nobis habitet; facit ut coalescamus in eius corpus, communem habeamus cum ipso vitam, unum denique simus cum ipso. Ergo verum est sola fide manducari Christum, modo simul teneamus, qualiter nos cum ipso coniungat fides.“ (ICOE 11.1, 205,1 – 8 [Kommentar zu Joh 6,35].) S. OS IV 45,20 – 22 [Inst. III 2,34]. Vgl. Willis, Substantia, 290. S. OS IV 46,30 – 32 [Inst. III 2,35]. S. OS IV 1,10 – 13 [Inst. III 1,1]. S. ICOE 16, 271,25 – 272,1 [Kommentar zu Eph 5,29 f]. S. OS IV 8,12 – 15 [Inst. III 2,1].

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Predigt des Evangeliums und die Sakramente.106 Der Beginn dieser heilvollen Einheit liegt aber weder in der Predigt noch in den Sakramenten, sondern ausschließlich im Wirken des Geistes, der die Erwählten zum Vater ziehe107, da ohne den Geist niemand zum Vater kommen könne.108 Die Gemeinschaft mit Christus ist somit die geistgewirkte unio mystica, durch die Christus in den Gläubigen wohnt und in der er durch den Geist seine Kraft über die Gläubigen ausgießt.109 Der Glaube ergreife Christus, so dass er den Gläubigen „gehöre“.110 Die Gläubigen müssen nach Calvins Lehre den ganzen Christus besitzen, um an der Erlösung teilzuhaben.111 Wären sie von ihm getrennt, würde ihnen die in Christus vollbrachte Erlösung nichts nutzen.112 Durch diese vom Geist bewirkte unio haben die Gläubigen Gemeinschaft mit dem ganzen Christus und vor allem mit seinem lebensspendenden Fleisch113, das von der Fülle des Heiligen Geistes durchdrungen sei.114 Demzufolge beginnt die heilvolle Einheit mit Christus nicht erst im Abendmahl, sondern besteht bereits vor dem ersten Empfang des Sakraments. Ansonsten könnte das Abendmahl kein Zeichen der Gemeinschaft mit Christus sein. Aufgrund ihrer pneumatischen Beschaffenheit ist die unio cum Christo für die menschlichen Sinne unerkennbar. Gott in seiner Akkommodation gebe aber in den Sakramenten ein sichtbares Zeichen von ihr.115 Gottes Akkommodation geschieht nicht allein in den Sakramenten, sondern auch und vor allem im Wort. Die menschliche Art und Weise, in der Gott mit den Menschen spricht, ist schon ein Vorgang seiner Akkommodation, seines Eingehens auf die Menschen. Gott stammelt mit den Menschen wie eine Hebamme mit dem Säugling.116 106 S. OS V 346,4 f [Inst. IV 17,5]. – Vgl. Zachman, Randall C.: Communio cum Christo, in: Selderhuis, Herman J. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 359 – 366, hier: 360. 107 S. OS IV 8,15 – 9,2 [Inst. III 2,1]. – Vgl. Gerrish, Grace, 129. – Niesel, Theologie, 122. 108 S. OS IV 429,28 – 30 [Inst. III 24,16]. 109 Vgl. Gollwitzer, Coena Domini, 253. Damit wird deutlich, dass die unio cum Christo wesentlich für das calvinische Verständnis des Abendmahls ist. (Vgl. Mathison, Given 16.) In diesem Kontext bedeutet sie vor allem die Speisung mit Christi Leib und Blut. (Vgl. McDonnell, John Calvin, 180.) 110 „ut noster fiat“ (ICOE 11.1, 205,4 [Kommentar zu Joh 6,35].) Calvins Redwendung Christus noster fit ist schwierig zu übersetzen. Dass Christus den Gläubigen „gehört“ oder diese ihn „besitzen“, klingt unangemessen. Trotzdem sollen diese Ausdrücke als Wiedergabe für solche und ähnliche Wendungen dienen, da eine Dativkonstruktion (Christus ist den Gläubigen), wie sie in einigen südwestdeutschen Dialekten vorkommt, zwar näher am Urtext ist, aber nicht immer verständlich wäre. 111 S. OS V 392,7 f [Inst. IV 17,33]. 112 S. OS III 1,10 – 14 [Inst. III 1,1]. 113 Vgl. Zachman, Communio, 360. In seiner Schrift gegen Heshusius macht Calvin diesen Punkt besonders deutlich: die Gemeinschaft mit Christus bezieht sich nicht nur auf die göttliche Natur Christi sondern auch auf sein Fleisch und Blut (S. CO 9, 471 [Explicatio sanae doctrinae].) 114 S. ICOE 11.1, 223,20 [Kommentar zu Joh 6,63]. S. auch CO 9, 510 [Explicatio sanae doctrinae]. 115 Vgl. Zachman, Communio, 361. 116 S. OS III 109,13 – 18 [Institutio I 13,1]. – Vgl. Opitz, Hermeneutik, 108 – 112.

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Die im Abendmahl sichtbar werdende Einheit mit Christus ist weder auf die Predigt noch auf die Feier der Sakramente beschränkt. Christi Gegenwart ereigne sich außerhalb des Abendmahls nicht weniger als darin.117 Tagtäglich hätten die Gläubigen durch das Wirken des Heiligen Geistes Gemeinschaft mit ihrem Erlöser118, so dass sie in den Sakramenten nicht mehr empfingen als tagtäglich durch den Glauben.119 Trotz solcher Aussagen identifiziert Calvin den Glauben nicht mit der unio cum Christo, da der Empfang Jesu Christi oder auch die manducatio, wie Calvin in Anschluss an Joh 6 schreibt, bereits eine Wirkung des Glaubens ist120, womit er sich eindeutig von Zwingli distanziert, für den manducatio und Glaube dasselbe sind. Die Sakramente bezeugen Calvins Lehre entsprechend das göttliche Geschehen. So ist das Abendmahl ein Symbol und ein Siegel für die mit den Sinnen nicht erkennbare Gemeinschaft mit Christus.121 Das Abendmahl hilft aufgrund der in ihm sich ereignenden Repräsentation, die Einheit mit Christus tiefer zu erkennen.122 Die Zeichenhaftigkeit bildet das Proprium des Abendmahls gegenüber dem Wort. Durch den Dienst des Sakramentes werde die Anteilhabe an den Erlösungsgnaden Christi deutlicher dargestellt.123 Die enge Gemeinschaft mit Christus beschreibt Calvin in Bildern des geistvermittelten Wohnens Christi in den Gläubigen oder des Eingefügtwerdens der Gläubigen in seinen Leib, damit diese dessen Glieder würden.124 Durch den Heiligen Geist haben die Gläubigen Anteil an Christi Person und Werk, wodurch der Mitteilungsmodus in der unio cum Christo und im Abendmahl identisch sind.125 Calvin konkretisiert damit die in Inst. III 1,1 formulierte Vorgabe, dass die Gläubigen mit Christus vereint sein müssten,

117 118 119 120 121 122 123

S. CO 9, 83 [Secunda Defensio]. S. CO 9, 82 [Secunda Defensio]. S. CO 9, 479 – 481 [Explicatio sanae doctrinae]. S. CO 9, 74 f [Secunda Defensio]. – ICOE 11.1, 205,2 f [Kommentar zu Joh 6,35]. S. ICOE 16, 272,8 – 10 [Kommentar zu Eph 5,29 f]. Vgl. Davis, Promises, 203. S. dazu mehr in Kapitel I.3.3.3.4. S. OS V 346,1 – 4 [Inst. IV 17,5]. – Vgl. Faber, Symphonie, 315 und dagegen McDonnell, John Calvin, 268, der aufgrund von Calvins Ausführungen die Position bezieht, dass das Abendmahl keine andere Gnade anbiete, als sie von Christus auch durch Wort und Gebet geschenkt werde. In allen Fällen handle es sich um die unio cum Christo. Dem ist insofern zuzustimmen, da nach Calvin durch alle Hilfsmittel die eine Erlösungsgnade den Gläubigen vermittelt wird. Aber dennoch haben die Sakramente in diesem Kontext ein Mehr gegenüber den anderen Werkzeugen von Gottes Akkommodation: ihre Sichtbarkeit. 124 „Dicit nos esse eius membra, ex carne et ossibus.“ (ICOE 16, 271,25 – 272,1 [Kommentar zu Eph 5,29].) Die Gemeinschaft mit Christus bestehe darin, zu seinen Gliedern zu gehören. Seinen Gliedern teile Christus seine Substanz mit, so dass diese mit ihm zu einem Leib zusammenwüchsen: „Denique eam nostri cum Christo unionem hic Paulus describit, cuius in sacra Coena symbolum et pignus nobis datur.“ (ICOE 16, 272,8 – 10 [Kommentar zu Eph 5,29].) Das Abendmahl bezeugt damit die schon bestehende Gemeinschaft mit Christus. 125 Vgl. Horton, Michael S.: Union and Communion. Calvin’s Theology of Word and Sacrament, in: International Journal of Systematic Theology 11 (2009), 398 – 414, hier: 399; 408.

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um Anteil an der Erlösung zu erhalten.126 So dient das Abendmahl der Erkenntnis der eigenen Partizipation am Heil. Die Gläubigen erhalten die Gewissheit, dass auch sie an der mirifica commutatio teilhaben, nach der Christus deren Armut angenommen habe, um ihnen so seinen Reichtum zu schenken.127 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Calvin als Zweck der Abendmahlsfeier vor allem das Erfahren der durch die Hingabe von Christi Leib und Blut bewirkten Erlösung beschreibt. Christi Leib und Blut würde den Gläubigen derart zugeeignet, dass sie ihnen nun zur Speise würden.128 Als Beleg dafür führt Calvin die Abendmahlsworte Jesu an, die er als Verheißungsworte versteht.129 Das Sakrament bezeugt den Gläubigen die Teilhabe am Opfer Christi und führt sie auf diese Weise zur Heilsgewissheit. Somit wird das Abendmahl zu einer lebendigen Erfahrung von Erlösung. Deutlich wird erneut die soteriologische Ausrichtung der Abendmahlslehre130, wie sie auch schon im Petit Traict¦ herausgearbeitet worden ist: Das Abendmahl dient der Vergewisserung des Heils. Es bezeuge den Gläubigen ihre Einheit mit Christus und die daraus folgende Partizipation an den beneficia Christi131, da Christus von seinem Werk der Erlösung nicht getrennt werden kann.132 Die Betonung der Heilsgewissheit beinhaltet eine polemische Spitze, da Calvin der altgläubigen Theologie vorwirft, jegliche Gewissheit auf einen gnädigen Gott zu zerstören.133 Frieden und Sicherheit gewönnen die Gläubigen dadurch, dass sie Gottes Verheißungen ergriffen und sich zueigen machten134, denn Gottes Offenbarung könne keine Lüge sein.135 Die Gewissheit des Heiles teilhaftig zu sein, komme durch die vollständige Rechtfertigung der

126 S. OS IV 1,10 – 14 [Inst. III 1,1]. Da Christus leiblich zur Rechten des Vaters gegenwärtig ist, kann dies nur in der Wirksamkeit des Heiligen Geistes geschehen. 127 Vgl. Horton, Union, 408. – S. OS V 343,24 – 29 [Inst. IV 17,2]. 128 S. OS V 343,5 – 10 [Inst. IV 17,5]. 129 S. OS V 343,7 – 16 [Inst. IV 17,1]. 130 Auch andere Traktate bearbeitet Calvin unter der Perspektive der Soteriologie, wie zum Beispiel die Gotteslehre und die Christologie. (S. OS III 35,11 – 14 [Inst. I 2,2]. – ICOE 11.1, 61,7 – 13 [Kommentar zu Joh 1,49].) 131 S. OS V 343,21 – 24 [Inst. IV 17,2]. Die Anteilhabe an den Gütern ist von soteriologischer Bedeutung, weil Christus das an die Gläubigen weitergebe, was er selbst vom Vater empfangen habe. (S. OS III 476,28 f [Inst. II 15,4].) Wirksam würden diese Gaben durch die Kraft des Heiligen Geistes. (S. OS V 6,26 – 7,4 [Inst. IV 1,3].) Zu diesem trinitarischen Heilsvermittlungsschema vgl. Opitz, Hermeneutik, 170 – 173. 132 Vgl. Takasaki, Concept, 1. Das wird gestützt durch Formulierungen, in denen Calvin beides miteinander verbindet. (S. zum Beispiel OS V 354,7 [Inst. IV 17,11].) 133 S. OS IV 246,27 – 32 [Inst. III 15,7]. 134 S. OS IV 26,29 – 27,6 [Inst. III 2,16]. In OS IV 29,5 – 26 [Inst. III 2,18] stellt Calvin heraus, dass auch der Glaube an Gottes Barmherzigkeit Zweifel nicht ausschließe, da die Gläubigen ein Leben lang immer wieder Nöte erführen, die sie verunsicherten. 135 S. OS IV 49,7 – 9 [Inst. III 2,39].

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Glaubenden.136 Ohne die Gewissheit der Sündenvergebung hätten die Gläubigen keinen Frieden, lebten in ständiger Angst und mieden das Angesicht Gottes.137 Gerade die Lehre von der Erwählung soll den Gläubigen ihre Zweifel an Gottes Gnade nehmen, da ihr Heil vollständig aus seiner Hand komme.138 Die Bezeugung der Erlösung in den Sakramenten verknüpft Calvin wie auch im Petit Traict¦ mit der realistischen Ebene, da Gott seine Gnaden so zuverlässig bezeuge, dass er sie auch wirklich exhibiere, und zwar „nicht anders als wenn Christus selbst unserem Anblick gegenwärtig dargeboten und von unseren Händen berührt werden würde.“139 Das Abendmahl ist für Calvin der Ort, „wo sowohl er (Christus, F. E.) sich selbst mit all seinen Gütern uns allen anbietet als auch wir ihn im Glauben empfangen“140. Da Christus durch die Himmelfahrt den Gläubigen seine leibliche Gegenwart entzogen hat, „ersetzt“ das Abendmahl die leibhaftige Darbietung der Person und deren Güter : „Christus verkörpert sich für uns also in den Symbolen von Brot und Wein und gibt uns tatsächlich durch die Symbole als seine Instrumente das, was die Symbole bedeuten.“141 Calvin begründet seine Position mit den Einsetzungsworten Jesu Christi, die nicht täuschen könnten.142 Die Verben accipere und edere interpretiert Calvin ganz in seinem Verständnis der Einheit mit Christus und grenzt sich damit unverkennbar von Zwingli ab, der edere mit „glauben“ gleichsetzt.143 Calvin versteht unter edere das Zusammenwachsen der Gläubigen mit Christus, was er hier als „eine Substanz mit uns werden“144 umschreibt. Damit führt er ein weiteres Argument für die Notwendigkeit der wirklichen Mitteilung Jesu Christi und seiner Heilsgüter an145, nämlich den dynamischen Charakter der Gemeinschaft mit Christus146, was Ausdrücke wie coalescere147 und „unam nobiscum substantiam fieri“148 belegen. Die Gemeinschaft mit Christus ist auf Erden niemals vollendet. Das finde erst am Letzten Tag statt.149 Gott könne zwar die Gläubigen in einem einzigen Augenblick verwandeln, was 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149

S. OS IV 194,1 – 4 [Inst. III 11,11]. S. OS IV 87,22 – 26 [Inst. III 4.2]. S. OS IV 369,23 – 370,5 [Inst. III 21,1]. „non secus acsi Christus ipse praesens aspectui nostro obiieceretur ac manibus attrectaretur“ (OS V 344,9 – 10 [Inst. IV 17,3]). „ubi et se ipse cum bonis suis omnibus nobis offert, et nos fide eum recipimus“ (OS V 346,2 f [Inst. IV 17,5]). Zachman, Communio, 361. S. OS V 344,10 f [Inst. IV 17,3]. S. Z III 779,23 f [De vera et falsa religione commentarius]. „unam nobiscum substantiam fieri“ (OS V 344,14 f [Inst. IV 17,3]). Calvin unterstreicht, dass es eine wirkliche Anteilhabe an Christus geben müsse, damit die Gläubigen dessen Leben empfingen; einfache Erkenntnis könne das nicht vollbringen. (S. OS V 347,9 f.28 f [Inst. IV 17,5].) Dieser Aspekt ist in seiner Deutlichkeit neu gegenüber dem Petit Traict¦. OS V 343,23 [Inst. IV 17,2]. OS V 344,14 f [Inst. IV 17,3], Hervorhebung, F. E. Vgl. Niesel, Theologie, 126.

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er aber nicht tue, da er sie in einem lebenslangen Prozess der Lehre unterziehen wolle.150 Das unterstreicht, dass sowohl der Glaube als auch die Heiligung durch den Geist nichts Statisches sind.151 Sie müssen genährt werden, wozu neben anderen Hilfen auch das Abendmahl beiträgt.152 Seine ganze Kraft dazu erhalte das Abendmahl durch das pro vobis in den Einsetzungsworten.153 Den Beitrag zum Wachstum im Glauben, den die Sakramente leisten, beschreibt Calvin mit der gleichen Analogie wie im Petit Traict¦: So wie das Brot den Leib nähre, so sei der Leib Christi die Speise der Seele, und wie der Wein dem Leib nutze, so nutze das Blut Christi dem Gläubigen.154 Die jeweiligen natürlichen Eigenschaften werden in den Dienst von Gottes Akkommodation genommen, da sie das göttliche Geschehen sinnenfällig darstellen. Diese Analogie zwischen der äußeren Handlung und dem innerem Geschehen weist Calvin zufolge auf das Zentrum der Abendmahlslehre hin, nämlich auf die Speisung mit Christi Leib und Blut, die durch Brot und Wein repräsentiert werde.155 Die Vergleichspartikel („so … wie“) sind gerade als Bekenntnis zu einem inneren, göttlichen Geschehen im Zusammenhang mit den Sakramenten zu verstehen.156 Was die Symbole repräsentieren, sollten die Gläubigen als gegenwärtig glauben.157 Beide Vorgänge laufen gleichzeitig und eng miteinander verbunden ab158 und sind in gleicher Weise real.159 Das äußere Geschehen bildet das innere Wirken des Geistes ab und exhibiert dieses zugleich. So bestimmt Calvin als die wichtigste Aufgabe des Abendmahls die Versiegelung der einmal am Kreuz geschehenen Erlösung. Am Kreuz habe Christus die Verheißung aus Joh 6,51 erfüllt, dass er das Brot des Lebens sei; im Abendmahl bekräftige er sie. Dem Kreuzestod Jesu Christi kommt hierbei eine wichtige Bedeutung zu, weil Christus den Gläubigen nur als Gekreuzigter nützen könne. Das einmalige Kreuzesopfer bilde die Voraussetzung für die

150 S. OS V 8,6 – 8 [Inst. IV 1,5]. 151 Genau diesen Aspekt vermisst Calvin bei seinen zwinglianisch geprägten Gesprächspartnern: „Ergo antequam accedat quis ad coenam, insitus est Christo. Quare non exhibetur Christus in coena. Hoc quidem verum esset, si totum Christum possideret qui ad coenam se comparat. Sed quorsum usus coenae est nisi ut Christo plenius fruamur? ut crescat in nobis? ut uberius hauriamus ex eius spiritu?“ (CO 12, 486 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547].) Diese wenden den Christusbesitz qua Glauben als Argument gegen eine im Sakrament stattfindende Exhibition Christi. Die Dynamik des Glaubens erfordert nach Calvin hingegen, dass Christus den Gläubigen immer mehr gegeben werde. 152 Vgl. Gerrish, Grace, 56. 153 S. OS V 344,19 – 21 [Inst. IV 17,3]. Darin ähnelt Calvin sehr stark Martin Luther, der ebenfalls alles auf die Hingabe Jesu Christi in den Abendmahlsworten konzentrierte. (S. BSLK 714,28 – 45 [Großer Katechismus].) 154 S. OS V 345,1 – 11 [Inst. IV 17,3]. 155 S. OS V 351,20 – 25 [Inst. IV 17,10]. 156 Das hätten weder Bullinger noch Zwingli so sagen können. (Vgl. Faber, Interpreten, 189.) 157 S. OS V 352,10 f [Inst. IV 17,10]. 158 Vgl. Faber, Interpreten, 189. Der Nachweis dafür erfolgt in Kapitel 1.3.3.3.4 dieser Arbeit. 159 Vgl. Opitz, Exegesen, 53.

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gegenwärtige Austeilung von Christi Leib und Blut an die Gläubigen.160 Deshalb empfingen die Gläubigen im Abendmahl den gekreuzigten Leib Christi.161 Der Nutzen vom Empfang des Gekreuzigten bestehe in einer lebendigen Erfahrung von Erlösung.162 So würden die Gläubigen bekennen, dass dieser Tod ihr Leben sei.163 All das erhielten die Gläubigen164, die Christus durch den Glauben empfingen, zwar auch durch das Evangelium, aber noch deutlicher im Abendmahl.165 Nach der einmaligen Hingabe am Kreuz gebe sich Christus heute täglich durch das Evangelium, was wiederum durch das Abendmahl versieglt werde.166 Erneut sind der Inhalt von Evangelium und Abendmahl gleich und ein weiteres Mal wird dem Sakrament ein gewisser Mehrwert eingeräumt, denn durch die Sakramente zeigt Gott deutlicher als durch das Wort allein, dass Christus das Brot des Lebens ist.167 Und wieder gehören die reale Exhibtion und die Siegelfunktion zusammen. Die ganze Feier des Abendmahls – und nicht Brot und Wein vom Gesamtzusammenhang isoliert168 – bezeuge und versiegle all das.169 Dadurch wird dem Abendmahl eine untergeordnete Bedeutung zugemessen, weil es dem Evangelium dienend zugeordet ist, ohne jedoch überflüssig zu werden.170 Das Heil selbst kann durch das Sakrament nicht geschenkt werden171, aber die lebenswichtige Beziehung zu Christus und zu dessen Fleisch und Blut wird durch das Sakrament aktualisiert und vertieft, so dass Christus mit den Gläubigen, die ihm längst eingefügt seien, immer enger zusammenwachsen.172 Wie auch schon im Petit Traict¦ konzipiert Calvin die Wirkweise des Abendmahls komparativisch. 160 S. OS V 344,22 – 24 [Inst. IV 17,3]; OS V 346,22 f [Inst. IV 17,5]. 161 „Neque enim simpliciter et sine adiectione Dominus corpus suum nobis offert: sed quatenus pro nobis immolatum fuit. Prius ergo membrum significat, nobis corpus exhiberi: hoc secundum exprimit, quis inde fructus ad nos perveniat: nempe quod redemptionis sumus participes, et sacrificii beneficium nobis applicatur.“ (CO 49,488 f [Kommentar zu 1 Kor 11,24].) 162 S. OS V 345,12 – 21 [Inst. IV 17,4]. Deswegen unterstreicht Calvin, dass es im Abendmahl nicht einfach um die Exhibition von Christi Leib und Blut, sondern um den Empfang Christi als des Gekreuzigten geht. (S. OS V 345,12 f [Inst. IV 17,4].) Es komme darauf an, Christus als den Gekreuzigten und Geopferten zu empfangen, weil sein Leib durch das Kreuz erst zum Brot des Lebens geworden sei. (S. OS V 346,21 [Inst. IV 17,5]. – CO 49, 488 f [Kommentar zu 1 Kor 11,24]). 163 S. OS V 401,36 – 402,5 [Inst. IV 17,37]. 164 S. OS V 345,1 f [Inst. IV 17,5]. 165 S. OS V 346,3 f [Inst. IV 17,5]. 166 S. OS V 346,21 – 25 [Inst. IV 17,5]. 167 Vgl. Gerrish, Grace, 158. Insofern wird verständlich, wenn Calvin die Sakramente als Anhänge der göttlichen Verheißung bezeichnet. (S. OS V 260,11 – 15 [Inst. IV 14,3].) Die Sakramente besiegeln das, was durch das Wort zuvor schon verkündet worden ist. Da sie aber „nur“ Siegel sind, muss das zu Besiegelnde dem Siegel vorangehen. 168 Vgl. Saxer, Siegel, 420. – Vgl. Faber, Interpreten, 194. 169 S. OS V 351,34 [Inst. IV 17,10]. 170 Vgl. Faber, Symphonie, 313 f. 171 Vgl. Faber, Interpreten, 190. 172 S. OS V 394,21 – 23 [Inst. IV 17,33].

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An zweiter und damit an deutlich untergeordneter Stelle haben Calvin zufolge die Sakramente die Funktion des Glaubensbekenntnisses inne. Weil Sakramente zunächst Zeichen von Gottes Gnade seien und dem Glauben dienten, gelte der Ausdruck des Bekenntnisses als der zweite Zweck des Abendmahls173 und spielt damit nur eine sekundäre Rolle.174 Das ist eine klare Absage an Zwinglis Sakramentenverständnis. Calvin hebt dadurch den Gabecharakter des Abendmahls hervor, weil Gott durch dieses Sakrament den Gläubigen etwas gebe175 und Sakramente demzufolge in erster Linie göttliche und dann erst menschliche Handlungen sind.176

3.3.2 Die Mitteilung von Christi Leib und Blut Die Realität der Exhibition Jesu Christi klang bereits in den Analysen des vorigen Kapitels an. Diese wird nicht dadurch eingeschränkt, dass Calvin das Attribut realis nur gelegentlich benutzt und sich kritisch gegenüber dessen Verwendung verhält.177 Calvin verbindet nämlich mit realis dingliche Gegenwartsvorstellungen und die Transsubstantiationslehre. Daher bevorzugt er andere Begriffe wie zum Beispiel vere.178 Er teilt damit die Bedenken179 der Zürcher Pfarrer, die sie in ihrem Brief an den Genfer Reformator nach dem Ausbruch des Streits mit Westphal formuliert hatten. Für sie hat realis die Bedeutung von carnalis, weshalb sie die Redeweise der spiritualis praesentia bevorzugen.180 Calvin geht es hauptsächlich darum, alle „historisch-fleischlichen“181, örtlichen und damit alle materialistischen Vorstellungen aus der Abendmahlslehre zu entfernen. Der Reformator begründet seine vehemente Bestreitung jeglicher fleischlicher Präsenz mit der Himmelfahrt Christi, die er als einen wirklichen Weggang von der Erde und als Ortswechsel versteht. Seitdem befinde sich Jesus Christus certo loco in seinem menschlichen Fleisch im Himmel zur Rechten des Vaters und habe damit seine leibliche Gegenwart auf Erden 173 174 175 176 177

178 179 180 181

S. OS V 402,5 f [Inst. IV 17,37]. S. OS V 270,21 – 271,8 [Inst. IV 14,13]. S. OS V 348,25 f [Inst. IV 17,6]. Vgl. Locher, Streit, 11. Der Begriff kommt nur in OS V 392,12 [Inst. IV 17,33] und OS V 398,7 [Inst. IV 17,34] vor. An der ersten Stelle setzt Calvin direkt hinter den Ausdruck „ut loquuntur“, wodurch seine Distanz gegenüber dieser Terminologie deutlich wird. Einen ähnlichen Zusatz fügt er auch in CO 49, 487 [Kommentar zu 1 Kor 11,24] hinzu. Helmut Gollwitzer fragt daher, ob somit die Gabe des Leibes Christi nur uneigentlich zu verstehen sei und ob realis wirklich realis meine. (Vgl. Gollwitzer, Coena Domini, 125.) S. OS II 283,39 f [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. In affirmativen Aussagen verwendet Calvin teilweise verus und realis als Synonyme. (S. OS V 398,7 [Inst. IV 17,34].) Vgl. Muller, Presence, 154. S. CO 15, 285 [Brief der Zürcher Kirche vom 24. Oktober 1554]. Iserloh, Erwin: Geschichte und Theologie der Reformation im Grundriß, Paderborn 21982, 146.

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zunächst beendet182, weil es der Natur eines menschlichen Leibes widerspreche, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein.183 So wolle Christus die Gläubigen von allen fleischlichen Gedanken wegführen, damit sie ihn im Himmel suchten.184 In seinem Fleisch – und in der so verstandenen menschlichen Natur – komme er erst bei seiner Wiederkunft zurück auf die Erde.185 Calvins Argumentation sieht demzufolge so aus: Weil Christus in der Himmelfahrt die Erde wirklich verlassen hat, sein historisch-physischer Leib im Himmel ist und es einem Leib widerspricht, an mehreren Orten gleichzeitig präsent zu sein, kann es keine eucharistische Gegenwart geben, die Örtlichkeit und Fleischlichkeit impliziert. Der Grund für Calvins Vehemenz an diesem Punkt liegt in der Soteriologie. Wäre Christus lokal und somit dem Fleische nach präsent, wäre die wahre Menschheit Jesu zunichte gemacht, was wiederum sowohl die bleibende Mittlerschaft Christi zerstören186 als auch die Erlösung gefährden würde.187 Wenn aber all diese Vorstellungen ausgeschlossen sind, ist der Genfer Reformator bereit, gerne alles anzunehmen, was dazu dient, „die wahre und substantielle Gemeinschaft mit dem Leib und Blut des Herrn, die den Gläubigen unter den heiligen Symbolen des Mahles exhibiert wird, auszudrücken“188.

Ausgeschlossen werden müsse aber eine Gegenwart, die zirkumskriptiv sei, Christus an mehreren Orten zugleich gegenwärtig sein lasse und ihm infolgedessen einen unermesslichen, ubiquitären Leib andichte189, ihn in das Brot einschließe und ihn demzufolge wieder unter vergängliche Elemente herabziehe.190 All diese Vorstellungen stellen für Calvin eine unzulässige Bindung Christi an das Brot dar.191 Damit wird jedoch nicht grundsätzlich jegliche Bindung Christi oder Gottes an die Sakramente bestritten. Denn Gott ist Calvin gemäß frei gegenüber seiner Schöpfung und zugleich frei für ein Eingehen in diese. In eben dieser Freiheit vermittelt Gott sich auch in Geschaffenem.192 Eine unzulässige Bindung bestünde dann, wenn Gottes Gnade auf die Sakramente als einzigem Zugang beschränkt würde, diese als Materialursache 182 S. OS V 400,1 – 4 [Inst. IV 17,36]. 183 S. OS V 385,19 [Inst. IV 17,29]. Dieses Argument soll hier nur kurz erwähnt werden. Darauf wird in Kapitel I.3.3.5 näher einzugehen sein. 184 S. OS V 380,6 – 32 [Inst. IV 17,27]; 400,1 – 7 [Inst. IV 17,36]. – CO 9, 171 [Ultima admonitio]. 185 S. CO 9, 79 [Secunda Defensio]. 186 Vgl. Gisel, Pierre: Le Christ de Calvin (= J¦sus et J¦sus-Christ 44), Paris 22009, 94. 187 Das wird in Kapitel I.3.3.5 deutlich werden. 188 „ad exprimendam veram substantialemque corporis ac sanguinis Domini communicationem quae sub sacris Coenae symbolis fidelibus exhibetur“ (OS V 365,19 – 21 [Inst. IV 17,19]). 189 S. OS V 365,6 – 19 [Inst. IV 17,19]. – Vgl. auch CO 9, 73 [Secunda Defensio]. 190 In OS V 389,26 – 28 [Inst. IV 17,31] nennt Calvin die Lokalisierung Christi im Brot und das ausdem-Himmel-herabziehen parallel, so dass beide Formulierungen sich gegenseitig interpretieren. 191 Das wird besonders in OS V 355,1 – 19 [Inst. IV 17,12] deutlich. Eingangs bestreitet Calvin dort, dass Christus dem Brot angeheftet sei. Dann listet er all die genannten Fehlformen auf. So wird deutlich, dass deren Sinn hauptsächlich in der Abwehr örtlicher Vorstellungen besteht. 192 Vgl. Moore-Keish, Remembrance, 38 – 40.

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des Heils angesehen würden193 oder Christus in lokaler Verbindung zu den äußeren Symbolen stünde. Um solche Vorstellungen auszuschließen, beharrt Calvin auf der Unterscheidung von Zeichen und bezeichneter Sache. Darin besteht der ausschließliche Zweck dieser Differenzierung.194 Alle Bestreitungen von Realpräsenzkonzepten müssen daher antimaterialistisch bzw. „antilokal“ verstanden werden, da es nur darum geht, Örtlichkeit und Materialismus auszuschließen, weil Calvin zufolge Christus sich örtlich und fleischlich im Himmel befindet und damit in dieser Weise auf Erden nicht mehr gegenwärtig sein kann.195 Damit bestreitet Calvin aber nicht grundsätzlich die Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl196, was weiter unten gezeigt wird. Alles, was Calvin bei seinen Gegnern in Richtung Materialismus zu finden glaubt, bestreitet er dementsprechend vehement und setzt dagegen das Wirken des Geistes, der Jesus Christus und auch dessen Fleisch und Blut gegenwärtig setze.197 Alles Andere, was in diesem Rahmen bleibt, nimmt Calvin bereitwillig an, um die Präsenz von Christi Leib und Blut auszudrücken. Der Antimaterialismus von Calvins Argumentation ist daher eines seiner zwei Grundanliegen in seinen Aussagen über die Gegenwart Christi im Abendmahl. Demzufolge kann es als sein Kernanliegen und als hermeneutischer Schlüssel zu seiner Abendmahlslehre gelten. Das zweite Hauptanliegen Calvins ist die Wahrheit der Worte Jesu, oder präziser der Einsetzungsworte. Dass Jesus Christus aufgrund der Wahrhaftigkeit seiner Worte wirklich seinen Leib und nicht bloß leere Zeichen gibt, dürfe in der Abendmahlstheologie auf keinen Fall vernachlässigt werden.198 Diese beiden Punkte wurden auch in Calvins Kritik an Luther und Zwingli im Petit Traict¦ schon deutlich. Die körperliche Abwesenheit Christi bedeutet aber nicht, dass Jesus Christus die Welt völlig verlassen habe und seit der Himmelfahrt gar nicht mehr gegenwärtig sei. Weil Christus nicht in seinem Fleisch präsent sei, sei er stattdessen durch das Wirken und die Macht des Heiligen Geistes in seiner

193 S. Responsio, 101 f. 194 S. OS II 285,20 f [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. Dort macht Calvin außerdem deutlich, dass die von ihm abgelehnte inclusio eine örtliche ist. (S. Z. 24.) 195 Calvin geht es nur um den Ausschluss von Absurditäten, worunter er alles versteht, was der himmlischen Ehre Christi und seiner menschlichen Natur widerspricht, wie zum Beispiel die Ubiquitätslehre. (S. OS V 390,9 – 11 [Inst. IV 17,32].) Gerade in der Schrift gegen Heshusius macht er ausdrücklich klar, dass es ihm nur um die Frage der örtlichen Abwesenheit Christi im Abendmahl geht: „Porro meminerint lectores controversiam esse, non de absentia qualibet, sed tantum locali“ (CO 9, 487 [Explicatio sanae doctrinae]; Hervorhebung, F. E.). 196 Vgl. Tosto, Convergenza, 48. 197 Das wird deutlich, wenn Calvin im Streit mit Westphal nicht das Dass der Gegenwart von Christi Fleisch und Blut bestreitet, sondern unterstreicht, dass es ihm nur um die Art und Weise dieser Mitteilung geht, die Westphal als fleischlich und Calvin dagegen als geistgewirkt versteht. (S. OS V 389,25 – 28 [Inst. IV 17,31].) 198 S. OS II 285,22 – 24 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae].

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Majestät und Wirksamkeit gegenwärtig.199 So könne Christus seit der Himmelfahrt den Gläubigen viel nützlicher sein als zuvor, ja sogar „in gegenwärtigerer Kraft“200 Himmel und Erde regieren, da er nun nicht mehr auf das auf Erden wandelnde Fleisch begrenzt sei.201 Damit ist keinesfalls nur die Gegenwart der göttlichen Natur gemeint202, wovon zum Beispiel Zwingli ausging.203 Die leibliche und fleischliche Gegenwart, die nun eben nicht mehr möglich sei, ersetze Christus durch das Wirken seines Geistes: Seit der Himmelfahrt sei er in der Kraft seines Geistes gegenwärtig, so dass die Gegenwart im Fleisch und die Gegenwart im Geist antithetisch zu verstehen seien, da der Heilige Geist nun die durch die leibliche Abwesenheit Christi entstandene „Leerstelle“ ausfülle.204 Durch den Heiligen Geist wohne Christus sogar in den Herzen der Gläubigen.205 Besonders deutlich wird in der 1561 gegen Heshusius verfasssten Schrift, „dass, wie sehr auch Christus durch den Ort von uns entfernt ist, er uns trotzdem in der unermesslichen Kraft seines Geistes gegenwärtig ist, damit uns sein Fleisch lebendig macht“206.

Die Gegenwart Christi, wie sie Calvin formuliert, ist daher pneumatisch zu verstehen, das heißt, nicht etwa der Geist des entfernten Christus werde gegenwärtig, sondern Christus ist nach der Himmelfahrt aufgrund des Wirkens des Heiligen Geistes präsent. Auch darf der Geist nicht als Ersatz für Christus verstanden werden207, so dass Christus nicht selbst gegenwärtig wäre. Diese Deutung wird dadurch gestützt, dass Calvin nicht das Adjektiv spiritualis, sondern eher das Adverb spiritualiter verwendet208, um die Gegenwart Christi zu beschreiben. Die virtus Spirtitus Sancti beschreibt damit nicht den Inhalt des Abendmahls, so dass die Gläubigen etwa nur mit Christi Geist – aber nicht mit seinem Fleisch und Blut – Gemeinschaft hätten. Vielmehr ist der Heilige Geist der Modus, in dem der ganze Christus gegenwärtig ist.209 Das Subjekt in 199 S. OS III 501,21 – 503,4 [Inst. II 16,14]. Noch deutlicher formuliert Calvin diesen Gedanken in CO 9, 487 [Explicatio sanae doctrinae]. 200 „praesentiore virtute“ (OS III 502,13 [Inst. II 16,14]). 201 S. OS III 502,10 – 18 [Inst. II 16,14]. 202 Vgl. Horton, Union, 409. 203 S. Z VI.2 807,3 f [Fidei Ratio]. 204 S. OS III 502,22 f [Inst. II 16,14]; OS V 378,26 – 29 [Inst. IV 17,26]. 205 S. OS II 284,21 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. Dieser Gedanke findet sich beispielsweise auch in CO 45, 826 [Kommentar zu Mt 28,20]. 206 „quamvis loco distet a nobis Christus, immensa tamen spiritus sui virtute nobis esse praesentem, ut eius caro nobis sit vivifica“ (CO 9, 487 [Explicatio sanae doctrinae]). Diese These wird aber nicht nur vom reifen Calvin vertreten. 1547 äußert er sich ähnlich in der Korrespondenz mit Heinrich Bullinger. (S. CO 12, 481 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547].) 207 Vgl. Gisel, Christ, 194. 208 S. zum Beispiel OS V 345,5 f [Inst. IV 17,39]; 395,21.24 – 26; 397,14 [Inst. IV 17,34]; 412,21 [Inst. IV 17,46]. 209 Vgl. Willis, Substantia, 294 f. – Horton, Union, 409.

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diesem Modus ist Christus selbst, der so die Gläubigen belebt und heiligt.210 Daher können alle spiritualistischen Deutungen, die die Präsenz Christi verflüchtigen wollen, in Calvin keinen Anhalt finden.211 Der Reformator stellt deutlich heraus, dass die pneumatologische Qualifizierung der Gegenwart Christi als real – und zwar im Gegensatz zu trügerisch und imaginär – zu verstehen ist.212 Dafür sprechen folgende Argumente. Calvin verweist in Inst. IV 17,12 auf Röm 8,9 – 11. Diese Stelle versteht er dahingehend, dass Christus selbst in den Gläubigen wohne.213 Das wiederum impliziert eine wirkliche, nämlich geistgewirkte Gegenwart Christi in ihnen, da in Entsprechung zu Calvins Soteriologie nur eine reale Gemeinschaft mit Christus die Erlösung real vermitteln kann. In diese Gemeinschaft schließt Calvin Leib und Blut explizit ein, weil die Glaubenden ansonsten nicht den ganzen Christus besäßen214 und in den Genuss all seiner Gnaden kämen.215 Aufgrund der Gemeinschaft mit Christus haben die Gläubigen auch Anteil an seinem Fleisch und Blut, in denen Christus die Erlösung vollbracht habe.216 Die Partizipation an der Erlösung erfordert geradezu die Gemeinschaft mit den „Medien“, in denen diese bewirkt worden ist. Daher werden die Gläubigen unter dem Symbol des Brotes mit Christi Leib gespeist und unter dem Symbol des Weines mit Christi Blut getränkt, um so letztendlich den totus Christus zu genießen, zu dem die voneinander getrennten Symbole einladen.217 Für diese Interpretation spricht des Weiteren, dass Calvin spiritualis als Gegensatz zu carnalis und nicht etwa zu realis versteht.218 Die Gegenwart ereignet sich nicht dadurch, dass Christus in seinem natürlichen Fleisch, sondern durch das Wirken des Heiligen Geistes gegenwärtig wird. Spiritualis beschreibt dem210 S. OS III 504,15 – 17 [Inst. II 16,16]. 211 Das Attribut spiritualis ist eben nicht im Sinne von spiritualistisch zu verstehen, wie es aber leider oft geschehen ist. (Vgl. Janse, Holy Supper, 188 f.) 212 S. OS II 283,37 – 41 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. Calvins Reserven gegenüber dem Begriff realis erklären sich daher, dass er für den Reformator in gefährlicher Nähe zur Transsubstantiationslehre und zu örtlichen Gegenwartsmodellen steht, die der Reformator mit allen Mitteln ablehnt. (Vgl. Muller, Presence, 154.) 213 Vgl. dazu ICOE 13, 161,10 – 13 / CStA 5.2, 398,3 – 6 [Kommentar zu Röm 8,10]. 214 S. OS V 356,9 – 14 [Inst. IV 17,12]. Der Besitz des ganzen Christus ist das zentrale Motiv in Calvins Soteriologie, da die Gläubigen dadurch auf das von Christus Vollbrachte bezogen werden. (Vgl. Faber, Symphonie, 262.) 215 S. OS V 392,7 f [Inst. IV 17,33]. Hier identifiziert Calvin das totum Christum possidere mit der Anteilhabe an den Erlösungsgütern. 216 S. OS V 354,19 – 22 [Inst. IV 17,11]. Diesen Zusammenhang unterstreicht Calvin dort mit der Konjunktion adeoque in Z. 20. 217 S. OS V 364,25 – 29 [Inst. IV 17,18]. 218 Deswegen sieht Calvin den eigentlichen Streitpunkt mit den Lutheranern nur im Modus der Gegenwart Christi: ob diese fleischlich oder geistgewirkt aufzufassen sei. (S. OS V 389,26 [Inst. IV 17,31]. – CO 9, 77 [Secunda Defensio].) Jene würden ihn missverstehen, wenn sie „geistgewirkt“ als Gegenbegriff zu „real“ bzw. „wirklich“ interpretierten. (S. OS V 392,11 – 16 [Inst. IV 17,33].) Den Lutheranern reichte Calvins geistgewirkte Gegenwart jedoch nicht aus. (Vgl. Wendel, Sources, 255.)

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zufolge den Modus der Gegenwart Christi, der nicht fleischlich, sondern geistgewirkt ist.219 In einem weiteren Schritt muss nun analysiert werden, was die Gläubigen im Abendmahl empfangen, da Calvins Formulierungen diesbezüglich eine gewisse Bandbreite aufweisen und gegen ihn der Vorwurf erhoben wurde, bloß den „Empfang der Kraft, der Wirkungen, Verdienste und Früchte des Fleisches“220 Christi zu lehren. Die Calvin zufolge dem Abendmahl zugrundeliegende Substanz ist „Christus mit seinem Tod und seiner Auferstehung“221, und daher Christus selbst mit seinem Sein und mit seinen Wohltaten.222 Vor dem Hintergrund dieser Definition müssen allen weiteren Präzisierungen bezüglich dessen, was im Abendmahl empfangen wird223, interpretiert werden. Denn auf den Vorwurf, dass sich die Gläubigen bloß die Wirkungen von Christi Fleisch aneigneten, erwidert Calvin, dass von Christus als der Grundlage des Abendmahls die Wirkungen, wie zum Beispiel die Vergebung der Sünden, ausgingen. Dabei bezieht er sich ausdrücklich auf die Bestimmung Christi als die Materie des Abendmahles zurück.224 Christus selbst mit seinem Heilswerk ist der göttliche, geistgewirkte Inhalt des Abendmahles, den die Gläubigen empfangen. Eine Deutung, nach der die Gläubigen ausschließlich die Kraft oder die Wirkung des Fleisches Christi empfingen, verfehlt Calvins Lehre225, zumal der 219 S. OS V 392,11 – 16 [Inst. IV 17,33]. 220 Grass, Abendmahlslehre, 252. 221 „Materiam aut substantiam voco Christum cum sua morte et resurrectione.“ (OS V 354,6 f [Inst. IV 17,11].) 222 S. OS V 356,1 f [Inst. IV 17,12]. 223 Damit sind Formulierungen gemeint wie zum Beispiel „Christum e carnis suae substantia vitam in animas nostras spirare“ (OS V 391,17 f [Inst. IV 17,32]). 224 S. OS V 392,18 – 20 [Inst. IV 17,33]. In Inst. IV 17,11 fasst Calvin gegen Ende des Abschnitts nochmals seine Lehre zusammen: „Dico igitur, in Coena mysterio per symbola panis et vini, Christum nobis vere exhiberi, adeoque corpus et sanguinem eius“ (OS V 354,19 f [Inst. IV 17,11]). Abschnitt 11 beendet die Auseinandersetzung mit denen, die die sakramentalen Zeichen unterschätzen, bevor sich Calvin in Abschnitt 12 mit denen beschäftigt, die diese überschätzen. Aus der Stellung des Zitats im Aufbau von Inst. IV 17 ergibt sich, dass die Aussagen in Nr. 11 als eine Art Zusammenfassung zu lesen sind, zumal Calvin sie gegen die Unterschätzer der Zeichen formuliert. Das bietet außerdem einen hermeneutischen Schlüssel für das, was dann im weiteren Verlauf des Kapitels folgt. Wäre dem nicht so und würde den Aussagen über eine Art Virtualpräsenz mehr Gewicht als den personalpräsentischen gegeben, würden beide nicht zusammen passen. Daher ist der Personalpräsenz Jesu Christi der interpretatorischen Vorrang zu geben, was zudem mit Calvins Bestimmung, dass Christus die Substanz der Sakramente sei, übereinstimmt. 225 Hans Grass ist davon aber überzeugt, dass Calvin den Vorwurf nicht entkräften kann. (Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 252 f.) Dieser Eindruck verstärkt sich dadurch, dass Calvin oft Formulierungen verwendet, wie zum Beispiel dass die Gläubigen Leben aus der sich im Himmel befindenden Substanz von Christi Leib empfingen. (S. zum Beispiel OS V 391,17 – 20 [Inst. IV 17,32].) Diese Wendung sollte vor dem eben geschilderten Hintergrund ebenfalls antimaterialistisch verstanden werden, da Calvin sie der Vorstellung eines örtlichen Abstiegs Christi aus dem Himmel entgegensetzt. Sie entspricht dem Kommen Christi durch das Wirken des Geistes.

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Reformator ein solches Verständnis ausdrücklich ablehnt226 und betont, dass trotz der fleischlichen Abwesenheit Christus die Gläubigen mit seinem Fleisch und nicht bloß mit seiner ohnehin allgegenwärtigen Gottheit belebe.227 Genährt wird solche eine Deutung aber durch das Sonnenbeispiel, das Calvin zur Veranschaulichung heranzieht. So wie die Sonne mit ihren Strahlen alles durchdringe und belebe, ohne selbst auf die Erde zu kommen, so sei es auch mit der Mitteilung von Christi Fleisch und Blut.228 Ulrich Zwingli führt das gleiche Beispiel an, um die leibliche Abwesenheit Christi und zugleich die Ubiquität seiner Gottheit wie auch seiner virtus auszudrücken.229 Hieran wird aber der Unterschied zwischen beiden Reformatoren deutlich: Bei Zwingli geht es um die Gegenwart der virtus bzw. der Gottheit Christi, bei Calvin um die virtus Spiritus sancti, die die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut bewirkt.230 Virtus meint bei beiden Reformatoren etwas Unterschiedliches. Damit ist bei Calvin nicht etwa nur die virtus Christi präsent, sondern die virtus des Heiligen Geistes bewirkt die Gegenwart Christi.231 Außerdem geht Calvin davon aus, dass die Person Christi niemals von ihrem Werk getrennt werden kann232, so dass dort, wo die Wirkungen sind, auch Jesus Christus sein muss. Durch die Bestimmung Christi als die Substanz der Sakramente233 wird seine Aktivität in ihnen hervorgehoben. Die Gläubigen empfangen Christus selber und nicht etwa nur seinen Geist234 oder seine Gottheit. Ausgehend von dieser grundlegenden, sub-stantiellen Gegenwart Christi in den Sakramenten235, empfangen die Gläubigen die Wirkung des Sakramentes, nämlich die

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(OS II 284,25 – 28 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae].) Diesen Gedanken drückt Calvin 1561 etwas deutlicher aus. Er ist in dem Sinne zu verstehen, dass Christus nicht durch einen Ortswechsel zu den Gläubigen komme, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes die Gläubigen mit seiner Gegenwart stärke. Auch hier ist die Stoßrichtung eine antilokale, was daran deutlich wird, dass Calvin auf den Vorwurf, nur von efficacia und fructus zu reden, bestätigt, dass es ihm um substantielle Teilhabe gehe, solange örtliche und ubiquitäre Konzeptionen ausgeschlossen würden. (Vgl. CO 9, 478; 486 [Explicatio sanae doctrinae].) S. OS V 392,16 – 18 [Inst. IV 17,33]. „Ita Christum corpore absentem doceo nihilominus non tantum divina sua virtute, quae ubique diffusa est, nobis adesse, sed etiam facere ut nobis vivifica sit sua caro. Nam quum arcana spiritus sui gratia ad nos penetret, non necesse est, ut alibi diximus, ipsum corpore descendere.“ (CO 9, 76 [Secunda Defensio].) S. OS V 356,3 – 7 [Inst. IV 17,12]. S. Z VI.2 807,17 f [Fidei ratio]. S. OS V 356,11 – 13 [Inst. IV 17,12]. Keith Mathisons Vergleich der Gegenwart Christi im Abendmahl mit Metaphern der Elektrizität, der der Heilige Geist als Stromleitung diene, ist daher völlig unangemessen und nährt eher noch den Vorwurf einer Virtualpräsenz. (Vgl. Mathison, Given, 285 f.) Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 50 – 53. S. OS V 273,15 – 17 [Inst. IV 14,16]. Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 46. „inde (von Christus als der Substanz der Sakramente, F. E.) vero sequi effectum“ (OS V 392,19 f [Inst. IV 17,33]).

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durch Christus vollbrachte Erlösung, Gerechtigkeit, Heiligkeit und das ewige Leben.236 Der Empfang dieser göttlichen Gaben ist aber auch mit dem Empfang von Christi Leib und Blut verbunden, da es Calvin als Fehler betrachtet, die Gemeinschaft mit Christus zu beschreiben, ohne dessen Fleisch und Blut zu erwähnen.237 Darüber hinaus könne der Leib nicht von seiner Kraft getrennt werden238, so dass es ohne die Exhibition des Leibes und Blutes Christi auch keine Wirkung geben könne.239 Calvin argumentiert folgendermaßen: Durch die Inkarnation habe Christus die lebensspendende Kraft in sein Fleisch und Blut gekleidet, um den Gläubigen daran Anteil zu geben.240 Das Fleisch Christi, das nach Joh 6,55 wirkliche Speise sei, ist demnach der „Sitz“ der lebenserneuernden Kraft241, da es von der Fülle des Lebens durchdrungen sei.242 Wäre diese Quelle weit von den Gläubigen entfernt, würde sie ihnen nichts nützen. Die Anteilhabe am Fleisch und am Blut Christi ist demzufolge lebensnotwendig für das geistliche Leben.243 Die Einheit mit Christus ist damit mehr als nur Gemeinschaft mit seinem Geist244, da sie der Zustand ist, in dem die Gläubigen beständig mit Christi Fleisch und Blut Gemeinschaft haben.245 Das erklärt, warum die Gläubigen mit dem ganzen Christus verbunden sein

236 S. OS V 354,8 f [Inst. IV 17,11]; OS V 392,19 f [Inst. IV 17,33]. 237 S. OS V 348,27 – 30 [Inst. IV 17,7]. 238 S. OS V 398,7 f [Inst. IV 17,34]. Die französische Ausgabe drückt diesen Gedanken etwas präziser aus: „l’essence du corps ne se peut s¦parer de sa vertu“ (CO 4, 1036). 239 „Nam quum in Coena doceant commemorationem fieri mortis Christi, communicationem non admittant, qualem nos ex Christi verbis asserimus, utimur hoc testimonio adversus eos. Paulus nos ex membris et ossibus Christi esse testatur. Miramur ergo si corpus suum in Coena fruendum nobis exhibet, ut sit nobis vitae aeternae alimentum? Ita ostendimus nullam nos in Coena repraesentationem docere, nisi cuius effectus et veritas hic a Paulo praedicatur.“ (ICOE 16, 272,12 – 19 [Kommentar zu Eph 5,29].) Damit geht Calvin auf Distanz zu einem bestimmten Verständnis der zwinglianischen Abendmahlslehre, nach dem zwar das Abendmahl als Vergewisserung der Erlösung verstanden wird, ohne dass aber Christus im Sakrament exhibiert würde. (S. Z IV.2, 812,6 – 8 [Fidei ratio].) 240 Nicht nur der ewige Logos Gottes enthält das für die Gläubige notwendige Leben, sondern auch der fleischgewordene Herr in seinem Fleisch und Blut. (Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 46.) 241 S. OS V 349,32 f; 350,5 – 18 [Inst. IV 17,8]. 242 S. OS V 350,32 f [Inst. IV 17,9]. 243 Diese Redeweise übernimmt Calvin aller Wahrscheinlichkeit nach von Kyrill von Alexandrien. (Vgl. Nijenhuis, Willem: Art. ,Calvin‘, in: TRE 7 (1981), 568 – 592, hier: 586. – Willis, Substantia, 293.) Das wird auch durch einen Verweis im Text selbst gestützt. (S. OS V 350,26 – 28 [Inst. IV 17,9].) 244 Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 39. 245 Vgl. Davis, Promises, 49. Damit wird das Abendmahl relativiert, weil es nicht das einzige Mittel ist, um die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut zu empfangen. Das geschieht zum Beispiel auch durch die Predigt. (Vgl. ebd.) Aber aufgrund der Notwendigkeit, ein Leben lang mit Christus gespeist zu werden, und dessen sichtbarer Verfasstheit wird das Sakrament nicht überflüssig. Das Subsumieren der eucharistischen Einheit mit Christus unter die generelle unio cum Christo muss daher nicht zwangsläufig zur Geringschätzung des Abendmahls führen.

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müssten246, und bedeutet zugleich für die weiteren Analysen, dass die unio cum Christo immer auch dessen Fleisch und Blut mitumfasst. Calvin konzipiert somit auch die Gegenwart von Christi Fleisch und Blut pneumatisch. Der Heilige Geist vollbringe es, dass über die Entfernung hinweg die Seelen wirklich mit Christi Fleisch gespeist würden, was für die Sinne unbegreiflich sei und allein im Glauben erfasst werden könne.247 Die unbegreifliche Kraft des Heiligen Geistes teilt demnach Christi Leib und Blut mit248, die deshalb von so großer Wichtigkeit sind, weil in ihnen Christus die Erlösung erwirkt habe249 und Gott in sie all seine Güter gelegt habe. Weil aber Calvin Leib und Blut ihren Ort im Himmel zuweist, verwendet er räumliche Metaphern. Der Geist fungiert als Bindeglied250 zwischen Christus und der Abendmahl feiernden Gemeinde. Er sei „gleichsam ein Kanal, durch den alles, was Christus selbst ist und hat, zu uns geleitet wird“251, wobei der Reformator sich hier ausdrücklich auf eine Predigt von Johannes Chrysostomus (344 – 407) beruft.252 Der Heilige Geist ist demzufolge vor allem der Geist Christi.253 Christus und der Geist sind in Calvins Theologie untrennbar miteinander verbunden254, da der Geist die Gläubigen effektiv mit Christus und seinem Heilswerk verbinde, was für deren Erlösung unerlässlich sei255 ; beide werden jedoch nicht miteinander identifiziert, da ihnen im Abendmahlsgeschehen unterschiedliche Werke zugeschrieben werden.256 Christus erfülle in der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, was er selber verheiße. In der Kraft des Heiligen Geistes biete Christus allen257, die zum Sakrament kämen, die Ge246 Das meine – so Calvin – Paulus in Eph 5,30, wenn er schreibe, dass die Gläubigen Glieder Christi seien. (S. OS V 351,9 – 13 [Inst. IV 17,9].) Calvin stellt seine Abendmahlslehre damit in einen größeren soteriologischen Kontext. Ein Anzeichen dafür besteht in der Verwendung von Schrifttexten, die für ihn nicht ausdrücklich vom Abendmahl sprechen. (Vgl. Gerrish, Grace, 129.) 247 S. OS V 351,25 – 31 [Inst. IV 17,10]. 248 S. OS V 391,28 – 30 [Inst. IV 17,33]. 249 S. OS V 354,21 f [Inst. IV 17,11]. 250 S. OS V 355,22 [Inst. IV 17,12]. 251 „veluti canalis, per quem quicquid Christus ipse et est et habet, ad nos derivatur“ (OS V 355,23 – 356,2 [Inst. IV 17,12].) 252 Calvin bezieht sich hier auf eine Predigt über den Heiligen Geist von Johannes Chrysostomus, die er im fünften Band der Werkausgabe von Erasmus von Rotterdam (Basel 1530, 379) finden konnte. (S. Hund, Johannes: Das Wort ward Fleisch. Eine systematisch-theologische Untersuchung zur Debatte um die Wittenberger Christologie und Abendmahlslehre in den Jahren 1567 bis 1574 (= FSÖTh 114), Göttingen 2006, 688.) Johannes Chrysostomus schreibt: „Spiritus sanctus copula est unionis nostrae in Christo“ (zit. n. ebd.). 253 S. OS V 355,23 [Inst. IV 17,12]. 254 Vgl. Hesselink, Heiliger Geist, 296. 255 Vgl. dazu OS IV 1,22 – 24 [Inst. III 1,1]. 256 Vgl. Muller, Presence, 159. 257 Christus ist derjenige, der sich selbst anbietet und nicht der Heilige Geist. Dessen Aufgabe ist es, in den Gläubigen den Glauben zu wirken und die Gemeinschaft mit Christus zu vollenden.

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meinschaft mit seinem Fleisch und Blut an, die aber allein von den Gläubigen empfangen werden könne.258 Auch wenn Calvin den Genuss des ganzen Christus im Abendmahl bekräftigt, bestreitet er die altgläubige Konkomitanzlehre. Er geht zwar davon aus, dass Leib und Blut Christi nicht mehr voneinander getrennt werden dürfen.259 Gegen die Konkomitanzlehre sprechen aus seiner Sicht aber zwei Gründe. Zum Einen führe die römische Kirche diese Lehre zur Begründung des Kelchentzuges an.260 Zum Anderen wolle Christus mit der Doppelgestalt des Abendmahles deutlich machen, dass er sich zur Speise und zum Tranke den Gläubigen anbiete, um ihnen ein doppeltes Unterpfand zu hinterlassen.261 Durch den Blick zum Himmel, wo Christus in Herrlichkeit throne, würden die zwei Symbole von Brot und Wein zum ganzen Christus einladen.262 Als Schriftbeleg für die wirkliche Mitteilung von Christi Leib und Blut führt der Reformator 1 Kor 10,16 an.263 Mithilfe dieser Schriftstelle interpretiert er das est in den Einsetzungsworten. Calvin zufolge müsse diese Deutung an fast allen Stellen, die von den Sakramenten sprechen, appliziert werden.264 Die Frage nach der biblischen Begründung leitet zu Calvins Verständnis der sakramentalen Zeichen über.

3.3.3 Das Verständnis der sakramentalen Zeichen Calvin distanziert sich sowohl von denen, die die sakramentalen Zeichen unterschätzen, als auch von denjenigen, die sie überschätzen. Beide Fehleinschätzungen verdunkelten die Geheimnisse, um die es eigentlich im Abendmahl gehe.265 Die erste Gruppe meint vor allem Zwinglianer, die zweite Lutheraner und Altgläubige.

258 259 260 261 262 263 264 265

(Vgl. Muller, Presence, 159 f) Das bewahrt Calvin vor einer modalistischen Vermischung von Sohn und Geist. S. OS V 351,35 – 352,2 [Inst. IV 17,10]. Christus teilt sich daher den Gläubigen im Abendmahl genau so mit wie in der unio cum Christo: nämlich durch das Wirken des Heiligen Geistes. (Vgl. Horton, Union, 408.) S. OS V 364,21 [Inst. IV 17,18]. S. OS V 413,13 – 26 [Inst. IV 17,47]. S. OS V 413,30 – 414,11 [Inst. IV 17,47]. Deswegen habe Christus in den Einsetzungsworten von Leib und Blut gesprochen und nicht etwa gesagt „Das bin ich.“ (Vgl. ebd.) S. OS V 364,25 – 29 [Inst. IV 17,18]. S. OS V 351,33 – 352,7 [Inst. IV 17,10]. S. OS V 373,1 – 5 [Inst. IV 17,22]. S. OS V 346,26 – 29 [Inst. IV 17,5].

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3.3.3.1 Calvins Auseinandersetzung mit der zwinglianischen Abendmahlslehre Gegenüber zwinglianisch geprägten Theologen266 verurteilt Calvin die Trennung der Wahrheit von den äußeren Zeichen. Dagegen betont er, dass beides miteinander verbunden sei. Die Vorstellung von leeren Zeichen, so dass Brot und Wein bloß auf etwas Abwesendes verweisen, bleibt für Calvin auch nach der Consensio mutua neben materialistischen Gegenwartsvorstellungen das zweite zu vermeidende Extrem267, da solch eine Theologie die eucharistischen Zeichen unterschätze.268 In diesem Kontext entwickelt Calvin sein Modell von der realen und wirklichen Exhibition von Leib und Blut.269 Vom Verständnis der Sakramente als Bekenntnisszeichen war schon im Petit Traict¦ die Rede. 3.3.3.2 Calvins Auseinandersetzung mit der lutherischen Abendmahlslehre Eine ebenfalls falsche Zuordnung von Zeichen und dessen Inhalt besteht Calvin zufolge in dem Glauben daran, dass Christus an das Element geheftet sei. Aus diesem Grund schließt er alle Gegenwartsvorstellungen aus, die diese Präsenz in Kategorien des Ortes oder sinnlicher Erfahrbarkeit beschreiben.270 Diese Gefahren sieht er sowohl in der lutherischen als auch in der altgläubigen Sakramentenlehre. Der Genfer Reformator distanziert sich von der lutherischen, wörtlichen Deutung der Abendmahlsworte Jesu. Dieser Interpretation wirft er vor, trotz des wörtlichen Verständnisses einen Tropus in den Einsetzungsworten anzunehmen271, da Lutheraner die Gegenwart des Leibes Christi zum Einem durch die Präpositionen in, cum und sub im Verhältnis zum eucharistischen Brot beschrieben und zum Anderen nicht bereit wären, das (konsekrierte) Brot für Gott zu halten, was aber die Konsequenz davon wäre, wenn das Brot der Leib Christi wäre.272 Dennoch zeigt Calvin Lutheranern gegenüber mehr Verständigungsbereitschaft als Vertretern der Transsubstantiationslehre. Er bietet jenen eine Interpretation des sub pane an:

266 Calvin nennt weder hier noch anderen Stellen Namen aus dem reformatorischen Lager. Aufgrund des Petit Traict¦ wird aber ersichtlich, dass hier Zwingli gemeint ist. 267 S. CO 9, 506 [Explicatio sanae doctrinae]. 268 S. OS V 346,27 f. [Inst. IV 17,5]. 269 Näheres dazu s. in Kapitel I.3.3.3.4. 270 S. OS V 355,1 – 8 [Inst. IV 17,12]. Diese Sätze eröffnen die Auseinandersetzung mit denen, die nach Calvins Verständnis die Eucharistie überschätzen. Sie folgen auf ein Bekenntnis zur Exhibition Christi durch die Symbole des Abendmahls in Inst. IV 17,11 (OS V 354,19 – 25), so dass sie nicht als Minderung der Mitteilung von Christi Leib und Blut verstanden werden dürfen. 271 S. CO 9, 66 [Secunda Defensio]. 272 S. OS V 368,2 – 369,6 [Inst. IV 17,20].

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„Wenn sie so ihren Sinn erklärten, dass, während das Brot im Geheimnis gereicht wird, die Darbietung des Leibes damit verbunden ist, weil die Wahrheit von ihrem Zeichen untrennbar ist, würde ich nicht sehr kämpfen.“273

Mit den Lutheranern hält Calvin daran fest, dass mit der Darbietung der eucharistischen Symbole auch die Darbietung der dargestellten Sache unmittelbar verbunden ist.274 Auch wenn die Wirkung des Sakraments nicht auf den Zeitpunkt des Empfangs beschränkt werden dürfe275, sind in Calvins Theologie die Austeilung des Abendmahlsbrotes und der Empfang des Leibes Christi temporal miteinander verknüpft. Diese zeitliche Verbundenheit drückt Calvin mit der Präposition dum aus. Auch wenn er hier nicht das von Bullinger bestrittene simul benutzt, ist es wegen der temporalen Konnotation der Sache nach ausgedrückt. Die Gleichzeitigkeit der Brotausteilung und des Empfangs Christi benennt er explizit in der Ultima admonitio.276 Damit kehrt Calvin auf alle Fälle zu den Lehrformulierungen zurück, wie er sie auch vor dem Abschluss des Consensus Tigurinus verwendet hat. Deutlich wird damit, dass die Gleichzeitigkeit der beiden Vorgänge im Abendmahl keinen Unterschied zwischen Calvin und der lutherischen Abendmahlslehre bildet. Als weiteres Argument gegen das lutherische Verständnis der unio sacramentalis führt Calvin die damit verbundene Trennung von Christi Leib und Blut an, da Brot und Wein ebenfalls voneinander getrennt seien. Das führe ohne Umschweife zur Konkomitanzlehre, die Calvin ablehnt.277

273 „Si ita sensum suum explicarent, dum panis in mysterio porrigitur, annexam esse exhibitionem corporis, quia inseparabilis est a signo suo veritas: non valde pugnarem.“ (OS V 362,22 – 24 [Inst. IV 17,16].) 274 Aber Calvin sieht bei seinen Gegnern ein anderes Verständnis von der Exhibition des Leibes Christi, das in eine lokal verstandene Realpräsenz einmünde und die Ubiquitätslehre mit sich bringe. (S. OS V 362,25 – 34 [Inst. IV 17,16].) 275 „Nam sicut catholicum theorema non statuo, ita enstasis quam adduco manifesta est, ne ad temporis articulum alligetur vis baptismi vel coenae. Implet Deus quoties visum est, ac repraesentat effectu praesenti quod in sacramento figurat. Sed nulla hic necessitas fingenda est, quin eius gratia interdum praecedat, interdum sequatur signi usum, cuius tamen dispensationem autor ipse sic temperat, ut a sacro symbolo non separet spiritus sui virtutem.“ (CO 9, 118 [Secunda Defensio].) 276 „Atqui sic Christi voluntatem cum omnibus fidei principiis conciliat nostra docendi ratio, ut praesentia et communicatio carnis eius, qua fruimur, nullis locorum spatiis alligetur: ipse vero quod figurat mirabiliter et supra ingenii nostri captum praestet: denique analogiam signi et rei signatae ita concinnat, ut verbo et visibili symbolo non modo fructus vel effectus gratiae quem ex Christi societate percipimus, sed arcanae cum eius carne et sanguine communicationis veritas simul annexa sit.“ (CO 9, 195 [Ultima admonitio].) 277 S. OS V 364,15 – 25 [Inst. IV 17,18].

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3.3.3.3 Calvins Auseinandersetzung mit der Transsubstantiationslehre Belege für örtliche und materialistische Gegenwartskonzepte auf altgläubiger Seite, denen zufolge die Gegenwart Christi etwa sinnlich erkannt werden könne, findet der Reformator vor allem im ersten Glaubensbekentnis, das Berengar von Tours unterzeichnen musste.278 Im Licht dieses Textes deutet er die Transsubstantiationslehre. Beide Vorstellungen gehören für Calvin so eng zusammen, so dass er kaum zwischen ihnen differenziert. Calvin erkennt zwar an, dass seine Gegner beteuern, keine praesentia corporalis zu vertreten. Aber dann sagten sie, dass Christus unter der Gestalt des Brotes gesucht werden müsse. Diese Redeweise fasst Calvin jedoch als örtliche Gegenwart auf.279 Die Scholastiker sagten außerdem, dass Christus im Himmel bleibe, womit Calvin Gabriel Biel (1410 – 1495) zitiert.280 Damit spielt der Reformator auf die Diskussionen um die definitive Gegenwart Christi in der Eucharistie an.281 In diesem Sinne versteht er in der Institutio die Transsubstantiationslehre, womit er im Wesentlichen an seine früheren Überlegungen anknüpft. Er interpretiert die Wesensverwandlung in der Weise, dass die Substanzen von Brot und Wein jeweils vernichtet würden und Christus sich nach der Wandlung unter der Gestalt des Brotes verberge.282 Das stellt für Calvin eine unzulässige Bindung Christi an die Elemente dar. Außerdem führe diese, außerhalb der Schrift erdachte Denkeweise dazu, „dass das Brot für Gott gehalten wird.“283 Die Erwähnung der Vernichtung der Substanzen zeigt wiederum, dass Calvin die Transsubstantiationslehre in ihrem spätscholastischen Verständnis kritisiert, wie sie beispielsweise bei Wilhelm von Ockham und Gabriel Biel zu finden ist. Die Hinweise auf beide Theologen in den Fußnoten der Opera Selecta bestätigen diese Beobachtung. In dieser Zeit gingen einige altgläubige Theologen davon ausgegangen, dass die Substanzen von Brot und Wein ver278 S. OS V 355,3 – 9 [Inst. IV 17,12]. Das Bekenntnis von Berengar s. DH 690. Das zweite Bekenntnis, das Berengar 40 Jahre später unterschreiben musste (S. DH 700), enthält nicht mehr die krass materialistischen Formulierungen des ersten Textes, wie zum Beispiel „nec posse sensualiter, nisi in solo sacramento, manibus sacerdotum tractari vel frangi vel fidelium dentibus atteri“ (DH 690). Es stellt sich daher die Frage, ob Calvin den zweiten Text nicht gekannt oder bewusst ignoriert hat. 279 S. OS V 356,17 – 21 [Inst. IV 17,13]. 280 S. OS V 356,23,–25 [Inst. IV 17,13]. 281 Vgl. Oberman, Heiko A.: The Harvest of Medieval Theology. Gabriel Biel and Late Medieval Nominalism, Grand Rapids 1963, 276. 282 S. OS V 356,21 – 23 [Inst. IV 17,13]. 283 „ut panis pro Deo haberetur“ (OS V 357,11 [Inst. IV 17,13]). Das Anliegen hinter Calvins Worten wird aus einem Passus aus der Institutio von 1539 deutlich, der in der Endfassung an dieser Stelle nicht mehr vorkommt. Die Ablehnung der katholischen und lutherischen Position solle keinesfalls die Mitteilung und Gemeinschaft von Christi Leib im Abendmahl schmälern, da das Empfangene die Gemeinschaft mit dessen Leib sei. Sie resultiere vielmehr aus der Differenzierung von bezeichneter Sache und Symbol. Außerdem sollten so die Gläubigen vor dem Aberglauben bewahrt werden, beim Zeichen stehen zu bleiben (S. OS V 370,22 – 31.)

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nichtet werden und die Substanzen von Christi Leib und Blut deren Stelle einnehmen.284 In Kontinuität zum Petit Traict¦ fordert Calvin daher den substantiellen Fortbestand von Brot und Wein. Das stellt für ihn den systematischen Grund dar, die Lehre von der Wesensverwandlung zu bestreiten.285 Das Abendmahl bezeuge sichtbar, dass Christus das Brot des Lebens sei286, was nicht durch etwas, das bloß den Anschein von Brot habe, geschehen könne. Die Substanz der Symbole müsse der göttlichen Substanz der Sakramente entsprechen287, was im Falle des Abendmahls bedeute, dass „wahres Brot“288 bzw. „sichtbares Brot“289 vorhanden sein müsse, um den Leib Christi zu repräsentieren.290 Es stellt sich wiederum die Frage, welche Deutung der Transsubstantiation Calvin angreift, da er mit dem Erhalt der Brot- und Weinsubstanz die Attribute „wahr“ und „sichtbar“ verbindet. Verstärkt wird diese Anfrage durch Calvins mehrdeutigen Substanzbegriff, was bereits in den Analysen des Petit Traict¦ deutlich geworden ist. Der Reformator versteht Substanz in Kontexten, wo es um die Abgrenzung von der altgläubigen und lutherischen Lehre geht, auf materialistische Weise. In seiner Predigt über 1 Kor 11,23 – 25 interpretiert er die altgläubige Redeweise von den nach der Wandlung verbliebenen species so, dass diese die Erscheinungsweise von etwas nicht mehr Anwesendem, nämlich von Brot und Wein, seien. Stattdessen besteht er darauf, dass Farbe und Geschmack unverändert blieben und sich an der Natur und den Eigenschaften, also an den Akzidenzien von Brot und Wein, nichts geändert habe.291 Sonst würden die Sinne, die Brot und Wein geschmeckt haben, getäuscht. Die Gläubigen hätten dann keinerlei Gewissheit, mit der Substanz von Christi Leib und Blut genährt zu werden, weil die in den Sakramenten erforderliche Ähnlichkeit damit zerstört wäre.292 Auffällig ist in diesem Text die Gleichsetzung von nature und propri¦t¦. Es stellt sich daher die Frage, ob Calvin den metaphysisch-aristotelischen Substanzbegriff der Transsubstantiationslehre zugrundelegt. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn Calvin in der gleichen Predigt auf die lutherische Abendmahlslehre anspielt, die die Transsubstantionslehre ablehne und wie er davon ausgehe, „dass das Abendmahlsbrot immer noch natürliches Brot bleibe und auch der Wein immer noch ein vergängliches Geschöpf bleibe“293. 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293

Vgl. Gerken, Theologie. 127. S. OS V 359,3 – 5.25 – 27 [Inst. IV 17,14]. S. OS V 359,29 – 31 [Inst. IV 17,14]. S. OS V 362,5 f [Inst. IV 17,15]. „verus panis“ (OS V 359,28 [Inst. IV 17,14]). „visibilem panem“ (OS V 359,31 f [Inst. IV 17,14]). S. OS V 359,28 [Inst. IV 17,14]. S. CO 49, 787 [Predigt über 1 Kor 11,23 – 25]. S. CO 49, 788 [Predigt über 1 Kor 11,23 – 25]. „que le pain de la Cene demeure tousiours pain naturel, et le vin aussi demeure tousiours une creature corruptible“ (CO 49, 788 [Predigt über 1 Kor 11,23 – 25]).

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Hieran wird deutlich, dass Calvin den Substanzverbleib, den Luther ja auch lehrte, dahingehend versteht, dass Brot und Wein in ihrer natürlichen Beschaffenheit nicht verändert werden. Aber die lutherische Lehre führe zum Glauben, dass der Leib Christi dann dermaßen im Brot eingeschlossen wäre, dass er ebenso von Ungläubigen empfangen würde.294 Auch in der Institutio versteht Calvin die Transsubstantiationslehre als Grundlage, ja als das verborgene, eigentliche Motiv für die manducatio oralis und die örtliche Gegenwart des Leibes Christi.295 Diese Deutung passt aber besser zum materialistischen Realismus der Confessiones Berengarii, von denen Calvin das erste gleich zu Beginn der Auseinandersetzung mit der römischen Kirche anführt.296 Das Schriftargument der Vertreter der Transsubstantiation – das Pronomen hoc weise auf die Substanz hin – lehnt der Genfer Reformator mit dem Argument ab297, dass dies zu Aporien führe, wenn ein solches oder ähnliches Verständnis auf andere Schriftstellen angewandt würde.298 Einen weiteren Grund gegen die Transsubstantiationslehre findet Calvin in deren Fehlen in der Alten Kirche.299 Des Weiteren wirft der Reformator der altgläubigen Tradition vor, den Sakramenten zu viel Kraft zuzuschreiben, wenn sie sagten, dass Sakramente Gnade gewährten und rechtfertigten, solange deren Wirkung kein Riegel vorgeschoben würde.300 Calvin unterscheidet damit die Sakramente von Christus, der die einzige Ursache des Heils und der eigentliche Geber der Gaben ist.301 Denn Sakramente wirkten nicht etwa stellvertretend für Gott, der der Hauptagent in den Sakramenten ist und bleibt.302 3.3.3.4 Das calvinische Verständnis der sakramentalen Zeichen Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass Calvin seine Abendmahlslehre als Mittelweg versteht. Die Extreme sind einerseits die Abwesenheit des Leibes Christi und andererseits dessen grobrealistische Gegenwart. Bereits mehrfach klang Calvins Betonung der Verbindung von Zeichen und Sache an, die er auch im Petit Traict¦ vertreten hatte. Soweit es dem Text von 1541 gegenüber neue Argumente und Bestimmungen gibt, werden diese nun untersucht. Wie im Petit Traict¦ geht Calvin auch in der Institutio davon aus, dass das Abendmahl niemals ohne das verkündete Wort sein könne, weil aus diesem 294 295 296 297 298 299 300 301 302

S. CO 49, 788 [Predigt über 1 Kor 11,23 – 25]. S. OS V 360,7 – 9 [Inst. IV 17,15]. S. OS V 355,4 – 15 [Inst. IV 17,12]. S. OS V 367,10 – 25 [Inst. IV 17,20]. S. OS V 374,5 – 7 [Inst. IV 17,23]. S. OS V 358,7 – 13 [Inst. IV 17,14]. S. OS V 271,15 – 19 [Inst. IV 14,14]. Vgl. Faber, Interpreten, 412. S. OS V 275,15 – 18 [Inst. IV 14,17].

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aller Nutzen erwachse.303 Das Abendmahl diene dem Wort, indem es in Erinnerung rufe, dass Christus das Brot des Lebens sei.304 Das Sakrament sei daher nichts anderes als die sichtbare Bezeugung dieser Verheißung aus Joh 6.305 Das Verheißungswort in den Sakramenten erläutere deren Kraft und Brauch.306 Die wahre Konsekration finde daher dann statt, wenn die Verheissungen des Abendmahles so vorgetragen würden, dass es den Empfangenden nutze307; die Verkündigung mache aus den toten Elementen ein Sakrament.308 Das bedeutet, dass Sakramente der Verheißung nachfolgen und deren Anhänge sind. Durch sie werde die Verheißung bekräftigt und besser bezeugt, nicht etwa weil Gottes Versprechen unbeständig, sondern weil die Menschen schwach im Glauben seien. Gott passe sich dem menschlichen Erkenntnisvermögen an, indem er die Geschöpfe durch geschöpfliche Elemente zu sich ziehe und in ihnen seine Gaben – im Falle des Abendmahls die unio cum Christo – widerspiegle. Da diese Gaben nicht von Natur aus in den Dingen enthalten seien, müssten sie durch Gottes Wort bezeichnet werden.309 Die äußeren Symbole von Brot und Wein haben damit wie im Petit Traict¦ repräsentierenden Charakter, indem sie „uns die unsichtbare Nahrung, die wir vom Fleisch und Blut Christi empfangen“310, geradezu graphisch darstellen.311 Sie machen die den Sinnen unzugängliche Gemeinschaft mit Christus sichtbar, so dass der sich an die menschliche Erkenntnisfähigkeit akkommodierende Gott die Speisung mit Christi Leib und Blut in Brot und Wein visuali-

303 S. OS V 403,8 – 12 [Inst. IV 17,39]. 304 S. OS V 346,3 – 5 [Inst. IV 17,5]. Die Gemeinschaft mit Christus selbst ist damit kein Proprium des Abendmahls, da die Vermittlung des göttlichen Heils durch Christus schon die unio cum Christo voraussetzt. (Vgl. Faber, Symphonie, 309.) 305 S. OS V 359,29 – 31 [Inst. IV 17,14]. Allgemein gelte für Sakramente, dass sie nichts Anderes als Siegel des Wortes seien. (S. ICOE 16, 269,10 – 12 [Kommentar zu Eph 5,26].) Ihre einzige Funktion bestünde daher darin, Gottes Verheißungen sichtbar zu machen. (S. OS V 269,21 – 24 [Inst. IV 14,12].) 306 „Porro verbum promissionem hic significat, qua vis et usus signi explicatur.“ (ICOE 16, 269,19 f [Kommentar zu Eph 5,26].) 307 S. OS V 403 24 – 404,5 [Inst. IV 17,39]. Das Fehlen der Verkündigung ist der Kontext für Calvins Ablehnung der Krankenkommunion, da dort das Sakrament ohne die Einsetzungsworte gereicht würde. Aus der zitierten Stelle aber geht hervor, dass der Reformator gegen eine Feier der Krankenkommunion, bei der die Verheissungen des Abendmahls angemessen verkündet werden, keine Einwände haben müsste. „In silentio est abusus ac vitium.“ (OS V 404,2 [Inst. IV 17,39].) Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, inwiefern die heutige liturgische Praxis der römisch-katholischen Kirche von Calvins Ablehnung noch getroffen wird. 308 „Nulla mysterii explicatio ad populum (bei den Papisten, F. E.), quae sola facit, ut mortuum elementum incipiat esse sacramentum.“ (ICOE 16, 269,24 – 26 [Kommentar zu Eph 5,26].) 309 S. OS V 260,11 – 261,3 [Inst. IV 14,3]. Aus dem Glauben an dieses Wort kommt die Wirkung der Sakramente zu den Gläubigen, und nicht aus einer geflüsterten Konsekration: auch wenn der Klang des Wortes vergehe, dessen Wirkung vergehe nicht. (S. OS V 261,18 – 21 [Inst. IV 14,4].) 310 „quae invisibile alimentum, quod percipimus ex carne et sanguine Christi“ (OS V 342,20 – 22 [Inst. IV 17,1]). 311 Vgl. Gerrish, Grace, 133.

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siere.312 Diese Repräsentation ist die grundlegende Bestimmung der sakramentalen Zeichen in der Institutio, was durch deren Beschreibung gleich im ersten Abschnitt des Abendmahlskapitels deutlich wird. Calvin unterscheidet in den sakramentalen Zeichen drei Ebenen: Bedeutung, Materie bzw. Substanz und Wirkung.313 Die Bedeutung der Sakramente liege in den Verheißungen, die mit den Zeichen durch die Einsetzungsworte verbunden seien.314 Sie erläutern den Zweck der Zeichen.315 Der exhibierte Inhalt bzw. die dargebotene Wirklichkeit, die Substanz des Abendmahles sei „Christus mit seinem Tod und seiner Auferstehung“.316 Die Wirkung folge der Bedeutung und der Substanz nach und bestehe in Erlösung, Gerechtigkeit, Heiligung, ewigem Leben und aller anderen Wohltaten Christi.317 Bei der Verhältnisbestimmung von Zeichen und Inhalt ist Calvin recht frei, solange örtliche und fleischliche Bestimmungen ausgeschlossen werden und die Worte Jesu Christi wahr bleiben318, so dass leere Zeichen vermieden werden. Calvin betrachtet dabei sein eigenes Konzept, nämlich die Instrumentalität der sakramentalen Zeichen, als Lösung zwischen den beiden gerade genannten Extremen.319 Er weigert sich aber, die Beschaffenheit der Gegenwart Christi durch die Zeichen näher positiv zu bestimmen.320 Das führt bei Calvin zu einer Vielzahl von sprachlichen Ausdrücken für die Beziehung der sakramentalen Zeichen zu deren geistgewirktem Inhalt.321 Auf jeden Fall aber will Calvin Symbolismus und Realismus gleichermaßen wahren.322 So kann dieses Verhältnis als die innere Erfüllung dessen beschrieben werden, was das Zeichen nach außen darstellt323, wobei Calvin Wert auf die 312 S. OS V 342,30 – 343,5 [Inst. IV 17,2]. 313 S. OS V 354,2 f [Inst. IV 17,11]. Der Abschnitt von OS V 352,23 – 356,26 findet sich bis auf kleine Änderungen in CO 9, 841 f [Fragmentum Praefationis] wieder. Die Änderungen beziehen sich an zwei Stellen auf Konjunktionen. Eine bedeutende Änderung besteht darin, dass die Meinung, Glaube sei nur bloße Einbildung, Calvin 1539 als Position von anderen referiert, 1559 sich dagegen damit konfrontiert sieht, dass ihm selbst diese Meinung unterschoben wird. Eine weitere wichtige Änderung gegenüber dem Text von 1539 stellt die Verwendung des Substanzbegriffs in OS V 354,4 f dar. Mit dem Zitat aus der Vorrede knüpft der Reformator an seine Lehre der späten 1530er Jahren wieder an und stellt auf diese Weise Kontinuität her. 314 S. OS V 354,5 f [Inst. IV 17,11]. 315 Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 40 f. 316 „Materiam aut substantiam voco Christum cum sua morte et resurrectione.“ (OS V 354,6 f [Inst. IV 17,11].) 317 S. OS V 354,4 – 10 [Inst. IV 17,11]. 318 S. OS II 285,22 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae] – OS V 390,7 – 9 [Inst. IV 17,32]. Auch in OS II 287,8 – 10 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae] ist Calvin recht frei, was Formulierungen betrifft. 319 S. CO 9, 505 f [Explicatio sanae et orthodoxae doctrinae]. 320 Vgl. Willis, Substantia, 294. 321 Eine Auswahl an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten listet Calvin in OS II 265,31 – 266,3 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae] auf. 322 Vgl. Tosto, Convergenza, 38 f. 323 S. OS V 346,25 [Inst. IV 17,5]. Die Verknüpfung von Innen und Außen beinhaltet eine anti-

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Differenzierung von äußerer Handlung und innerem Geistwirken legt.324 Calvin parallelisiert an dieser Stelle die Exhibition Christi in der Verkündigung des Evangeliums und im Abendmahl.325 Er bestimmt das Verhältnis von Innen und Außen wieder als ein instrumentales326 : „Ich sage also […], dass das Geheimnis des Heiligen Mahles aus zwei Dingen besteht: aus körperlichen Zeichen, die, den Augen vorgelegt, uns entsprechend der Gefangenschaft in unserer Schwäche unsichtbare Dinge repräsentieren, und einer göttlichen Wahrheit, die durch die Symbole zugleich dargestellt und dargeboten wird. […] Daher sage ich, dass im Geheimnis des Mahles durch die Symbole von Brot und Wein uns Christus wirklich dargeboten wird und besonders sein Leib und Blut, in denen er allen Gehorsam zum Erwerb unserer Gerechtigkeit erfüllt hat; damit wir dadurch nämlich vor allem zu einem Leib mit ihm selbst zusammenwachsen und dann auch, nachdem wir zu Teilhabern an seiner Substanz gemacht worden sind, seine Kraft in der Mitteilung aller seiner Güter spüren.“327

Brot und Wein sind bildliche Darstellungen und zugleich Vehikel der sich in der Feier ereignenden Exhibition von Gottes Gaben328, was sie aufgrund der Bezeichnung durch Gottes Wort werden, da sie natürlicherseits diese Bedeu-

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zwinglianische Aussage, da Zwingli – nach Calvins Verständnis – diese Verbindung gerade bestritten hatte. (Vgl. Faber, Interpreten, 189.) S. OS V 275,11 f [Inst. IV 14,17]. S. OS V 346,22 – 25 [Inst. IV 17,5]. Die drei beschriebenen Vorgänge – (1.) die tägliche Exhibition Christi (2.) durch das Evangelium und (3.) das Abendmahl – sind als gleichwertig zu interpretieren, was Calvin durch die syntaktische Struktur – drei modale Nebensätze, die jeweils mit der Konjunktion ubi eingeleitet werden – kennzeichnet. Calvin verbindet diese drei Ebenen miteinander. Deutlich werden hier der Zusammenhang von Wort und Sakrament und zugleich die relative Notwendigkeit der zwei Vermittlungsgestalten, da beide in sekundärer Weise den Mittler Jesus Christus vermitteln. (Vgl. Faber, Symphonie, 283.) Das Verhältnis zwischen beiden Größen ist kein bloß darstellendes, sondern ein exhibitives. (S. OS V 371,6 – 8 [Inst. IV 17,21].) Die Gegenüberstellung von figurare und exhibere an dieser Stelle verdeutlicht, dass exhibere mehr ist als nur „zeigen“ und daher als ein aktuelles Geben aufgefasst werden muss. In „non figurat tantum ceu nuda et inanis tessera“ (OS V 371,7 f [Inst. IV 17,21]) wird zudem figurare mit leeren Zeichen, die Calvin von Anfang abgelehnt hat, gleichgesetzt. „Dico igitur […] duabus rebus constare sacrum Coenae mysterium: corporeis signis, quae ob oculos proposita, res invisibiles secundum imbecillitatis nostrae captum nobis repraesentant: et spirituali veritate, quae per symbola ipsa figuratur simul et exhibetur. […] Dico igitur, in coenae mysterio per symbola panis et vini Christum vere nobis exhiberi, adeoque corpus et sanguinem eius, in quibus omnem obedientiam pro comparanda nobis iustitia adimplevit; quo scilicet primum in unum corpus cum ipso coalescamus, deinde participes substantiae eius facti in bonorum omnium communicatione virtutem quoque sentiamus.“ (OS V 352,18 – 354,2; 354,19 – 23 [Inst. IV 17,11].) Die Verwendung von substantia unterstreicht den Realitätscharakter dieser Exhibition. Die Gläubigen empfangen demnach im Abendmahl nicht irgendwelche himmlischen Substanzen und Stoffe, sondern den Herrn selbst. (Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 51.) Damit kehrt Calvin zu Lehrformen von vor der Consensio mutua zurück. In Inst. IV 17,11 beschreibt er das Verhältnis von Illustration und Darbietung mit simul und nicht mit similiter, wie er es in der Korrespondez mit Bullinger formuliert hat.

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tung nicht hätten.329 Diese Deutung entspricht Calvins Verständnis von exhibere, das beide Dimensionen umfasst: die Repräsentation und die Verleihung des Bezeichneten.330 Die sakramentale Wirklichkeit werde gleichzeitig durch das Zeichen331 und mit dem Zeichen von Gott gegeben, so dass durch die Hand des ordinierten Dieners des Wortes die Gläubigen den Leib Christi empfingen.332 Daher spricht in der 1542 von Calvin entworfenen liturgischen Ordnung der Pfarrer zur Austeilung von Brot und Kelch „Nehmt, eßt: der Leib Jesu, der für euch in den Tod gegeben worden ist“ und „Dies ist der Kelch des neuen Bundes in Jesu Blut, das für euch vergossen worden ist“333. In der Feier des Abendmahles vollzieht sich demzufolge das, was die Feier darstellt.334 Calvin verbindet wie im Petit Traict¦ die kognitive mit der realistischen Ebene.335 Zu vermeiden ist wieder eine parallelistische Deutung, die die inneren Vorgänge von den äußeren zu stark abtrennt. Solch eine Theologie ist eher Bullinger zuzuordnen. Wohl ist dabei zu unterscheiden, dass das Zeichen mit dem Munde, die göttliche Substanz aufgrund ihrer nichtfleischlichen Beschaffenheit durch den Heiligen Geist und den Glauben empfangen wird.336 Aufgrund der Differenzierung zwischen signum und res und mit dem Verweis auf 1 Kor 10,16 betont Calvin, dass die Brechung des Brotes ein Symbol für die Gemeinschaft am Leibe Christi und nicht die Sache selbst sei337, da zum Einen der Leib sich im Himmel befinde und zum Andern die Gabe das Symbol immer

329 S. OS V 261,1 – 3 [Inst. IV 14,3]. 330 Vgl. Janse, Holy Supper, 191. 331 S. OS II 291,33 – 35 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. – OS II 291,17 – 20 [Optima ineundae concordiae ratio]. 332 „Ostendit confirmationem quae signo allata est inanem non fuisse, sed rem quae significabatur simul praestitam, ut se minime delusum esse sentiret Isaias. Unde colligere possumus, in sacramentis rem nobis cum signo exhiberi. Nec enim Dominus sacramentum porrigens pascit oculos nuda et inani figura, sed veritatem ipsam coniungit, ut efficaciter in nobis per ea se agere testetur. […] Corpus tamen suum porrigit ministri manu, ut vere eo fruantur pii, qui fide sursum ad eius societatem adspirant.“ (CO 36, 133 [Kommentar zu Jes 6,7].) 333 „Prenez, mangez, le corps de Iesus, qui a est¦ livr¦ — la mort pour vous. […] C’est le Calice du nouveau Testament au sang de Iesus, qui a est¦ respandu pour vous.“ (OS II 49,5 f.8 f / CStA 2, 210,35 f.38 f [La forme des priÀres], kursiv im Original.) Christian Grosse weist darauf hin, dass diese Worte nicht unbedingt mit der Austeilung gesprochen wurden, weil der Text Calvins hier recht vage ist. Er berichtet aber von Quellen, die einerseits eine Austeilung in Stille dokumentieren, während in anderen erwähnt wird, dass diese Worte während der Austeilung gesprochen wurden. Es scheint, als ob dies vom jeweiligen Pfarrer abhing. (Vgl. Grosse, Rituels, 231 f.) 334 Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 45. 335 Vgl. Faber, Symphonie, 311 f. 336 Vgl. Janse, Holy Supper, 197. 337 S. OS V 352,9 [Inst. IV 17,10]. Als systematischen Grund für die bleibende Unterscheidung verweist er auf die unterschiedliche Verfasstheit von signum und res: ersteres sei irdisch, die zweite göttlich. (S. OS V 371,4 – 6 [Inst. IV 17,21].) Diesen Unterschied betont Calvin gegen die lutherische Identifizierung von beidem und die Transsubstantiation. (Vgl. Janse, Holy Supper, 187. – Ganoczy, Hermeneutik, 213 f.)

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wieder transzendiere.338 Aber das Symbol dürfe auf keinen Fall von seinem Inhalt getrennt werden.339 Die eucharistischen Symbole sind damit wie auch im Petit Traict¦ Zeichen einer gegenwärtigen Sache.340 Aus diesem Grund sollen die Gläubigen den Worten Christi folgen und im Abendmahl unter den Symbolen von Brot und Wein seinen Leib und sein Blut empfangen.341 Sie sollten es sich zur Regel machen,„dass sie, sooft sie die vom Herrn eingesetzten Symbole sehen, sicher verstehen und sich davon überzeugen, dass die Wahrheit der dort bezeichneten Sache gegenwärtig ist.“342 Die göttlichen Zeichen, die mit ihrer Wahrheit verbunden sind, unterscheiden sich dadurch von menschlichen Zeichen, die nur auf Abwesendes verwiesen.343 Calvins Zeichenbegriff ist damit analog zu verstehen, da die göttlichen Zeichen zwar wirkliche Zeichen sind, aber sich durch die Exhibition der bezeichneten Sache von menschlichen Zeichen erheblich unterscheiden.344 Daher verfehlt eine rein signifikative Interpretation, die die Instrumentalität der Zeichen nicht wahrnimmt, Calvins Sakramentenlehre.345 Das wird besonders deutlich, wo sich Calvin dazu bekennt, „dass Christus so durch das äußere Symbol wie durch seinen Geist zu uns hinabsteigt, so dass die Substanz seines Fleisches und seines Blutes wirklich unsere Seelen belebt“346.

Es gibt damit in Calvins Lehre ein Kommen Christi auch durch die Symbole, ohne dass Christus damit auf die von Calvin abgelehnten Weisen an Brot und Wein gebunden ist. Damit unterstreicht der Reformator neben dem Erheben der Herzen in die Höhe die katabatische Dimension des Abendmahls. Diese Ausdrucksweise stellt für Calvin ein weiteres probates Mittel dar, die eucharistische Gegenwart Jesu Christi auszudrücken. Dieser Abstieg durch die Symbole ist wie seine Gegenwart durch den Geist zu verstehen347, also weder fleischlich noch örtlich, sondern in der Wirksamkeit und der Weise des Geistes und damit aber wirklich, so dass die Gläubigen substantiell mit Christi 338 Vgl. Janse, Holy Supper, 197. 339 „Hoc autem in primis tenendum est, veritatem a signis separandam non esse, tametsi distingui debeat.“ (CO 36, 133 [Kommentar zu Jes 6,7].) 340 Die eucharistischen Zeichen weisen als Zeichen einer gegenwärtigen Sache über sich hinaus (Vgl. Faber, Interpreten, 192.) 341 S. OS V 390,7 – 9 [Inst. IV 17,32]. 342 „ut quoties symbola vident a Domino instituta, illic rei signatae veritatem adesse certo cogitent, ac sibi persuadeant“ (OS V 352,16 f [Inst. IV 17,10]). 343 S. OS V 371,9 – 15 [Inst. IV 17,21]. 344 Vgl. Niesel, Theologie, 216. 345 Vgl. dagegen Müller, Wolfgang W.: Gnade in Welt. Eine symboltheologische Sakramentenskizze (= Theologie: Forschung und Wissenschaft 2), Münster 2002, 47. 346 „Christum tam externo symbolo quam Spiritu suo ad nos descendere, ut vere substantia carnis suae et sanguinis sui animas nostras vivificet“ (OS V 375,36 – 38 [Inst. IV 17,24]). 347 Die Parallelisierung beider Vorgänge wird an der gerade zitierten Stelle durch „tam … quam“ ausgedrückt.

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Fleisch und Blut gespeist werden. Beide Momente – das Kommen Christi durch die Symbole und dessen pneumatische Qualität – müssen festgehalten werden. Die Redeweise vom Kommen Christi durch die Symbole findet sich nicht so häufig in Calvins Abendmahlsschriften, da er seinen Gegnern gegenüber die anabatische Richtung, die die Gläubigen zu vollziehen haben, betont. Die katabatische Richtung sollte aber ernst genommen und in Beziehung zu den anabatischen Formulierungen gesetzt werden. Weil Christus zu den Gläubigen hinabkommt, können diese ihr Leben auf das Oben orientieren und mit ihm eins sein.348 Eine weitere dieser seltenen Belegstellen findet sich in der ersten Verteidigung der Consensio mutua. Als eine äußerst weitgehende Formulierung ist Calvin bereit gelten zu lassen, dass die Gläubigen Christi Leib unter dem Symbol des Brotes empfangen. Calvin schätzt zwar eine derartige Redeweise nicht, sieht sie aber als rechtmäßig an, um der Gefahr der leeren Symbole zu entkommen und um zugleich die Wahrhaftigkeit der Worte Jesu auszudrücken. Auszuschließen seien weiterhin die inclusio localis und die fleischliche Gegenwart.349 Für Calvin besteht der Ausweg daraus darin zu sagen, dass der Leib Christi durch das äußere Symbol gegeben werde und die einzigen Qualifizierungen dieser Instrumentalität in der Negation der Örtlichkeit und der Affirmation des Geistwirkens bestehen.350 Calvin stellt klar, dass die Unterscheidung von Zeichen und Wahrheit eben Lokalität ausschließen soll.351 Hieran wird offenbar, dass Calvin mit dieser Differenzierung den Zeichencharakter des Abendmales wahren will, der durch die Verwandlung der Substanzen im spätmittelalterlichen Verständnis und die von Calvin materialistisch verstandene lutherische unio sacramentalis zunichte gemacht würde352, da dann Calvin zufolge das Brot in seinem ganzen Sein in den Leib Christi verwandelt würde. Dann gäbe es nichts mehr, was Zeichen sein könnte, da alles – auch das, was traditionellerweise zu den Akzidenzien gezählt wird – zum Leib Christi geworden wäre. Zur Wahrung des Zeichencharakters rekurriert Calvin auf die augustinische Differenzierung zwischen Zeichen und Bezeichnetem353, die für ihn mit der Transsubstantiation jedoch völlig verwischt wird. Hier wird wieder Calvins antimaterialistische und antilokale Stoßrichtung deutlich. Da es Calvin vor allem um die Bestreitung eines abendmahlstheologischen Materialismus geht, kann er im Gegenzug unter den genannten Bedingungen auch das lutherische sub / cum pane corpus dari / offerri und 348 Vgl. Kaiser, Jacob’s ladder, 257. – Zachman, Communio, 362. Das sursum corda als Glaube verstanden sieht dann Wim Janse als Bedingung an, warum Ungläubige nicht Christus empfangen können. (Vgl. Janse, Holy Supper, 196.) 349 S. OS II 285,21 – 25 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. 350 S. CO 9, 505 f [Explicatio sanae doctrinae]. 351 S. OS II 285,20 f [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae]. 352 Diese Thematik wird im systematischen Teil in Kapitel II.3.3 vertieft werden. 353 Vgl. Lettieri, Gaetano: De doctrina christiana, in: Drecoll, Colker Henning (Hg.): Augustin Handbuch, Tübingen 2007, 377 – 393, hier: 378 ff.

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sogar das katholische gratiam conferre akzeptieren. Dass Calvin sich diese Redeweisen nicht selber zueigen macht, liegt daran, dass er sie für zu interpretationsbedürftig und damit zu missverständlich hält.354 Das aber eröffnet den Raum für andere Eucharistieverständnisse, die die somatische Realpräsenz stärker betonen und das von ihm Abgelehnte ebenfalls zurückweisen. Vor diesem Hintergrund kann gesagt werden, dass Calvin auch die somatische Realpräsenz von Christi Leib und Blut vertritt, da Christus durch die Symbole, die Zeichen einer gegenwärtigen Sache sind, präsent ist, solange diese Präsenz weder materialistisch noch lokal verstanden wird. Daher entsprechen Deutungen, die die Gegenwart Christi unter den eucharistischen Symbolen ablehnen355, Calvins Lehre nicht. Auf nähere Bestimmungen dieser Gegenwart verzichtet er allerdings, sodass er über das Faktum der somatischen Realpräsenz nicht hinausgeht. So schreibt er am Ende des Abschnittes über die Überschätzung der sakramentalen Zeichen quasi als Resümee über das Verhältnis von Zeichen und Sache: „Im Übrigen, nachdem diese Unsinnigkeiten beiseite geschafft worden sind, kann alles, was die wahre, substantielle Gemeinschaft mit dem Leib und Blut des Herrn ausdrückt, die den Gläubigen unter den heiligen Symbolen des Mahles exhibiert wird, geschehen, ich nehme es gerne an; und so, dass man erkenne, dass sie sie nicht durch Einbildung lediglich oder durch die Erkenntnis des Geistes empfangen, sondern sie in Wirklichkeit als Speise zum ewigen Leben genießen.“356

Unter den „Unsinnigkeiten“ versteht Calvin hier wieder alles, was entweder der Ehre Christi widerspreche, wie zirkumskriptive Gegenwart und die (örtliche) Bindung Christi an vergängliche Elemente, oder was im Widerspruch zu seiner menschlichen Natur stehe. Unter Letzteres fällt für Calvin die Ubiquitätslehre.357 Unter allen Umständen will der Reformator die substantielle Gegenwart von Christi Fleisch und Blut zur Sprache bringen358, solange das 354 S. OS II 285,18 – 25 [Defensio sanae et orthodoxae doctrinae] – CO 12, 483 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547]. – OS II 293,24 – 31 [Optima ineundae concordiae ratio]. 355 S. Link, Extra-Calvinisticum, 158 – Mason, Matthew J.: A Spiritual Banquet. John Calvin on the Lord’s Supper, in: Churchman 117 (2003), 329 – 346, hier: 338 – Tinker, Melvin: Language, symbols and sacraments. Was Calvin’s view of the Lord’s Supper right?, in: Churchman 112 (1998), 131 – 149, hier: 144. – Horton, Union, 410. 356 „Caeterum, his absurditatibus sublatis, quicquid ad exprimendam veram substantialemque corporis ac sanguinis Domini communicationem, quae sub sacris coenae symbolis fidelibus exhibetur, facere potest, libenter recipio: atque ita ut non imaginatione duntaxat aut mentis intelligentia percipere, sed ut re ipsa frui in alimentum vitae aeternae intelligantur.“ (OS V 365,19 – 366,1 [Inst. IV 17,19].) Dieses Resümee steht am Ende von Inst. IV 17,19, womit ein Themenkomplex in Inst. IV 17 abgeschlossen wird, da in Abschnitt 20 mit Calvins exegetischen Ausführungen ein neues Thema beginnt. 357 S. OS V 364,6 – 18 [Inst. IV 17,19]; 390,10 f [Inst. IV 17,32]. An anderer Stelle fügt er dieser Liste weitere Elemente hinzu: es gebe keine Vermischung des Fleisches Christi mit dem der Gläubigen oder dessen Übertragung. (S. OS V; 391,15 – 17 [Inst. IV 17,32].) 358 Dieses Resümee entspricht der Zusammenfassung, die Calvin am Ende des Petit Traict¦ for-

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gerade Genannte ausgeschlossen wird. Entscheidend ist diese Gegenwart und nicht ihre Versprachlichung. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn er schreibt: „ich erfahre es mehr, als ich es verstehe“.359 Im Epheserbriefkommentar schreibt er daher, dass er vor der Größe des Mysteriums des Abendmahls nur staunen könne.360 All seine Überlegungen versuchen letztendlich bloß zu verstehen, dass „der Herr mir im Heiligen Mahl gebietet, unter den Symbolen von Brot und Wein seinen Leib und sein Blut zu nehmen, zu essen und zu trinken“361. Gesagt werden kann demzufolge nur, was nicht ist. Wie aber die Gegenwart Christi aus dessen Worten heraus genauer expliziert werden müsse, sei nicht möglich, weil selbst Christus das nicht getan habe.362 Als exegetische Begründung führt der Reformator die Abendmahlsworte Jesu an, die er als Metonymie versteht.363 Demnach werde der Name der bezeichneten Sache auf das Element übertragen.364 Das eucharistische Brot werde feierlich Leib Christi genannt, „da es ja das Symbol ist, durch das uns der Herr das wirkliche Essen seines Leibes anbietet.“365 Symbol bedeutet bei Calvin, dass die bezeichnete Wahrheit durch das Symbol wirklich dargeboten wird.366 Durch 1 Kor 10,16 sieht sich Calvin in seiner Auslegung bestätigt, da Paulus dort das Brot „die Gemeinschaft des Leibes Christi“ nenne. Das sei etwas Anderes als der Leib selbst. Diese Redeweise trete in der Schrift immer dann auf, wenn von den Sakramenten gesprochen werde.367 Besonders im Kommentar zu 1 Kor 10,16 betont Calvin, dass die bezeichnete Wahrheit gegenwärtig sei und die Symbole mit dem Mund empfangen werden müssen, um Anteil an Christus zu erhalten.368 Die Worte Jesu und insbesondere das est deutet Calvin mit der paulinischen Forumulierung „Gemeinschaft am Leib/ Blut Christi“369. Calvin versteht seine Deutung als die Suche nach dem wahren

359 360 361 362 363 364 365

366 367 368 369

muliert. Beide Texte verbindet das Bekenntnis der Gemeinschaft mit der Substanz von Christi Leib und Blut. Damit schafft Calvin Kontinuität zur Schrift von 1541. „experior magis quam intelligam“ (OS V 390,3 [Inst. IV 17,32]). S. ICOE 16, 273,28 – 274,5 [Kommentar zu Eph 5,32].) „In sacra sua coena iubet me sub symbolis panis ac vini corpus ac sanguinem suum sumere, manducare ac bibere.“ (OS V 390,7 f [Inst. IV 17,32].) S. OS V 398,20 – 22 [Inst. IV 17,35]. Dies sei die übliche Redeweise der Schrift über Sakramente. (S. OS V 370,12 – 14 [Inst. IV 17,21].) S. OS V 370,19 – 371,1 [Inst. IV 17,21]. „quando symbolum est quo veram corporis sui manducationem offert nobis Dominus.“ (OS V 371,26 f [Inst. IV 17,21].) Die Verortung dieser Aussage im exegetischen Teil von Inst. IV 17 gibt ihr besonderes Gewicht, da beispielsweise Zwingli aufgrund seiner Exegese glaubte, das von Calvin Behauptete bestreiten zu müssen. „non ideo tantum signo imponi nomen rei signatae, quoniam sit figura: sed magis quia symbolum sit, quo res exhibetur“ (CO 49, 486 [Kommentar zu 1 Kor 11,24]). S. OS V 373,1 – 5 [Inst. IV 17,22]. „hoc est, modo res quoque ipsa adsit, nec minus sanguinis communionem anima percipiat quam ore vinum bibimus. Caeterum hoc papistae dicere non possent, calicem benedictionis sibi communicationem esse“ (CO 49, 464 [Kommentar zu 1 Kor 10,16]). Vgl. Link, Extra-Calvinisticum, 159.

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Sinn der Schriftworte.370 Das stellt ein wichtiges Argument dar, da ihm vorgeworfen wurde, sich allein von Vernunftgründen leiten zu lassen anstatt dem Wort Gottes zu glauben371, das letztendlich alle Wahrheit verbürge372. Die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut durch Brot und Wein begründet Calvin systematisch mit der Treue Gottes, der im Brechen des Brotes die Teilhabe am Leib Christi repräsentiere und als wahrhaftiger Geber der Verheißung diese auch gewähre.373 Gottes Treue ist demzufolge der Garant für das Geschehen der Exhibition von Christi Leib und Blut im Abendmahl. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass die Sakramente wirkten, „wo und sooft es Gott gefällt“374. Als Geber seiner eigenen Zeichen gefällt es Gott, jedem Menschen, der das Sakrament mit Glauben empfängt, seine darin bezeichnete Gnade darzubieten.375 Weil Gott durch die Zeichen wirke, bleiben sie nach Calvin nicht wirkungslos. Der Reformator begründet das damit, dass sich Gott immer wieder geschöpflicher Werkzeuge bediene. Solche eine Redeweise ist bei Calvin kein Einzelfall, sondern auch an anderen Stellen in seinem Werk zu finden.376 Damit gehört sie zum Fundament seiner Theologie. Deutlicher als im Petit Traict¦ hält Calvin an einer conversio von Brot und Wein fest: Diese seien nicht mehr als gewöhnliche Speisen zu verstehen, sondern würden etwas Anderes, was vorher nicht war.377 Sie sind damit etwas Anderes, was Calvin durch die Verwendung von esse herausstellt. Diese Änderung geschieht dadurch, dass sich Brot und Wein in ihrer Funktion und ihrem Zweck verändert haben378, „da uns in ihnen geistliche Speise und Trank 370 S. OS V 373,30 – 33 [Inst. IV 17,22]. Hier wird Calvins hermeneutische Grundposition deutlich, nämlich in einem Text die mens authoris ausfindig zu machen, die sich durch das Feststellen des einfachen, wörtlichen Sinnes bestimmen lässt. (Vgl. Opitz, Hermeneutik, 40 f.) 371 S. OS V 375,18 – 21 [Inst. IV 17,24]. Calvin wehrt sich heftig gegen den Vorwurf des Rationalismus. Seine Lehre sei keineswegs allein von Vernunftgründen oder dem common sense geleitet. Auf keinen Fall wolle er, dass das Geheimnis des Abendmahls nach menschlicher Weise beurteilt werde. (S. OS V 375,19 – 24 [Inst. IV 17,24].) 372 Außerdem stütze auch Augustinus, auf den sich alle Reformatoren berufen, Calvins Sicht. (S. OS V 371,27 – 372,16 [Inst. IV 17,21].) 373 S. OS V 352,10 f [Inst. IV 17,10]. 374 S. OS V 264,26 [Inst. IV 14,7]. 375 Diese Wendung hebt gerade Gottes Verlässlichkeit hervor, da die sakramentalen Zeichen ja von Gott abhängen. An keiner Stelle wird sie so gedeutet, als ob Gott auch einmal nicht handeln würde. (Vgl. Faber, Symphonie, 372. – Davis, Promises, 124 f.) 376 S. OS V 275,13 – 17 [Inst. IV 14,17]. Im Kommentar zu Jes 6,7 stellt Calvin ebenfalls heraus, dass Gott sich irdischer Hilfsmittel bedient – in diesem Kontext eines Stückes Kohle, um den Propheten Jesaja zu reinigen. Diese Kraft komme aber nicht aus der Kohle selbst, da Gott allein die menschliche Unreinheit beseitigen könne. (S. CO 36, 132 [Kommentar zu Jes 6,7].) Die gleiche Argumentation bezieht Calvin im Kommentar zu Eph 5,26 auf die Sakramente. (S. ICOE 16, 268,3 – 11 [Kommentar zu Eph 5,26].) 377 S. OS V 359,1 – 5 [Inst. IV 17,14]. Dies blieben sie auch dann, wenn Ungläubige sie empfangen empfangen können. (S. OS II 295,39 – 42 [Optima ineundae concordiae ratio].), die aufgrund des fehlenden Glaubens Christi Leib und Blut nicht empfangen können. (S. OS II 295,39 – 42 [Optima ineundae concordiae ratio].) 378 Vgl. Tosto, Convergenza, 49.

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für die Seele exhibiert werden“379. Sie werden für den von Christus eingesetzten Gebrauch geheiligt380, von Christus vom alltäglichen Gebrauch getrennt381 und seien damit lebendige Werkzeuge des Heiligen Geistes.382 Dadurch würden sie sich von gewöhnlicher Speise unterscheiden, die für den Körper bestimmt sei.383 In dieser Veränderung besteht die Wandlung der Elemente. Die Substanzen von Brot und Wein werden nicht vernichtet, sondern die Elemente ändern sich in ihrer Funktion384, da sie durch das verheißende Wort Gottes bezeichnet werden.385 Dem entspricht, dass die Veränderung von Brot und Wein auf die Gläubigen ausgerichtet sei, da sie zu Siegeln von Gottes Verheißungen geworden seien.386 Calvin warnt die Gläubigen wie schon im Petit Traict¦ davor, bei den Zeichen stehen zu bleiben. Anstatt sich anbetend vor diesen niederzuwerfen, sollten sie die Symbole zu dem im Himmel gegenwärtigen Christus transzendieren, da das Sakrament ihnen dabei helfe, sich zu den ihnen unbegreiflichen Mysterien empor zu schwingen.387 Die Sakramente seien Leitern, durch die der Glaube Fortschritte mache.388 Ein Blick in Calvins allgemeine Sakramentenlehre hilft bei der Interpretation dieser Aussagen. Für Calvin stellt es einen großen Fehler dar, den Symbolen die Güter zuzuschreiben, die allein von Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes kämen.389 Zwar bediene sich Christus der Zeichen390, aber er ist der durch sie Handelnde, so dass den Sakramenten in Bezug auf die Erlösung eine helfende Funktion zukommt. In diesem Sinne sollen die Gläubigen ihren Geist über das sichtbare Zeichen hinaus erheben, „damit wir nicht beim äußeren Zeichen über die Maßen hängen bleiben.“391 Nur in dieser Überschreitung auf Gott hin kann die sakramentale Vermittlung gelingen, da die heilsnotwendige fiducia allein auf Gott, nicht aber auf die Sakramente gesetzt werden darf. Das Erheben der Herzen führt damit zum Schauen auf den Geber der in den Sakramenten 379 380 381 382 383 384 385 386 387 388

„quum in iis nobis exhibeatur spiritualis animae cibus ac potus“ (OS V 359,1 f [Inst. IV 17,14]). S. CO 12, 482 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547]. S. CO 49, 789 [Predigt über 1 Kor 11,23 – 25]. S. CO 9, 94 [Secunda Defensio]. S. OS V 358,19 – 359,1 [Inst. IV 17,14]. Vgl. Davis, Body, 69. S. OS V 261,1 – 3.35 – 262.2 [Inst. IV 14,3 f]. S. OS V 357,21 – 23 [Inst. IV 17,15]. S. OS V 386,11 – 14 [Inst. IV 17,29]; 399,16 – 26 [Inst. IV 17,36]. „Sacramenta autem scalae sunt quibus fides promovetur.“ (CO 12, 488 [Brief an Heinrich Bullinger vom 25. Februar 1547].) 389 Eine ähnliche Argumentation führt Calvin auch in der Ablehnung der eucharistischen Anbetung: anstellt des Gebers würden dort die Gaben angebetet. (S. OS V 400,15 f [Inst. IV 17,36].) Auch Calvins negative Haltung gegenüber den Riten und Zeremonien in der altgläubigen Eucharistiefeier speist sich aus der Unterscheidung zwischen Gottes Ehre und den Zeichen. (S. OS V 400,26 – 28 [Inst. IV 17,37].) 390 S. OS V 274,11 – 17 [Inst. IV 14,16]. 391 „ne in externo signo nimis haereamus.“ (OS V 274,4 f [Inst. IV 14,16].)

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vermittelten Gaben.392 Außerdem bewahre es davor, Erwägungen über Christus anzustellen, die ihn in fleischlicher Weise an die Elemente bänden393, da das Kommen Christi im Abendmahl immer auch den Aufstieg der Gläubigen zum Himmel nach sich ziehe.394 Calvins Abendmahlslehre ist somit auf den Himmel als das Ziel christlicher Existenz und damit eschatologisch ausgerichtet.395 Die Gläubigen müssen immer wieder an das Ziel, auf das sie zugehen, erinnert werden. Sie sollten nicht beim Irdischen stehen bleiben, sondern ihren Blick zum Himmel erheben396, was gerade durch Calvins Betonung des sursum corda deutlich wird.397 Durch die Feier des Abendmahls – als eines unter mehreren Mitteln – reiße Gott die Gläubigen aus ihrer Verhaftung an das irdische Leben heraus, damit sich diese während ihrer gesamten Existenz nach dem künftigen Leben austreckten.398 Durch diese Dimenension gerät aber eine Spannung in Calvins Abendmahlslehre. „Auf der einen Seite kommen Christus und seine Gaben in den Symbolen Brot und Wein, die uns anbieten, was sie darstellen, zu uns hernieder ; andererseits ist das Abendmahl ein Mittel oder eine Leiter, wodurch wir in den Himmel aufsteigen, um Christus und seine Güter dort zu suchen. Jedoch schließen sich diese Bewegungen nicht gegenseitig aus; vielmehr ermöglicht Christi Abstieg zu uns unseren Aufstieg in den Himmel, um ihn dort zu suchen“399. Beide Bewegungen sind für ein adäquates Verständnis der calvinischen Abendmahlslehre unerlässlich. In diesem eschatologischen Kontext stärkt das Abendmahl die Zuversicht auf die leibliche Auferstehung.400 Deutungen dieser Redeweise, nach der die Gläubigen real über die Erde erhoben werden401, verfehlen diese Dimension. 392 Vgl. Faber, Symphonie, 374 – 376; 412. 393 S. OS V 400,4 – 7 [Inst. IV 17,36]. In einen weitereren Kontext stellt Calvin das sursum corda in seinem Kommentar zu 1 Kor 11,24. Menschliche Sinne nähmen nur Brot und Wein wahr ; der Glaube aber, der den Gläubigen helfe, sich empor zu schwingen, erkenne in ihnen wirksame Symbole von Leib und Blut Jesu Christi. (S. CO 49, 488 [Kommentar zu 1 Kor 11,24].) Hier geschieht der Aufstieg über die empirisch wahrnehmbaren Realitäten mithilfe des Glaubens, durch den Christinnen und Christen bereits Bürger des himmlischen Reiches sind. (Vgl. Plasger, Georg: Calvins lebensbejahende Eschatologie, in: Freudenberger, Matthias u. Lange van Ravensway, J. Marius J. (Hg.): Calvin und seine Wirkungen. Vorträge der 7. Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, Neukirchen-Vluyn 2009, 80 – 96, hier: 91.) Das sursum corda meint so verstanden die notwendige Bedingung, um mit Christus Gemeinschaft zu haben. 394 S. OS V 362,25 – 34 [Inst. IV 17,16]. Das werde aber sowohl von scholastischen wie auch lutherischen Theologen verkannt, die die Gläubigen immer auf der Erde festhielten. (S. ebd.) 395 Vgl. Tosto, Convergenza, 77. 396 S. OS IV 432,18 – 433,9 [Inst. III 25,1]. 397 Vgl., Plasger, Eschatologie, 87. 398 S. OS IV 170,34 – 171,7 [Inst. III 9,1]. 399 Zachman, Communio, 362. 400 S. OS IV 448,12 – 14 [Inst. III 25,8]. 401 Rorem, Compromise, 75 geht davon aus, dass die Gläubigen durch den Heiligen Geist in den Himmel erhoben werden, um mit Christi Leib und Blut Gemeinschaft zu haben.

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Die Gläubigen werden nicht von der Erde weggenommen, da sie als leibseelische Wesen an ihren jeweiligen Ort gebunden sind. Wenn Calvin auch an einer Stelle von einem Emporgehobenwerden spricht402, so ist das so zu verstehen, dass die Glaubenden bereits im Einflussbereich des Himmels und damit unter der Herrschaft Christi stehen, auch wenn sie sich hier nur kriechend auf den Himmel zubewegten.403 Das Abendmahl bleibt eine Feier auf der Erde, eine Feier jedoch, in der der Himmel quasi „greifbar“ wird404, da es das eschatologische Ziel klarer vor Augen stellt und dieses bereits jetzt erfahren lässt.405 3.3.4 Christologische Reflexionen In Calvins Argumentation klangen immer wieder christologische Aspekte an, die Calvin für seine Position anführt. In diesem Bereich weist die Institutio im Vergleich zum Petit Traict¦ erheblichen Textzuwachs auf, was vor allem auf den Streit mit Westphal zurückgeht.406 Nun werden Calvins christologischen Argumente, die er im Rahmen der Abendmahlslehre anführt, expliziert und die damit zusammenhängenden Berührungspunkte mit der Soteriologie analysiert. Der Ausgangspunkt von Calvins christologischen Überlegungen im Kontext der Abendmahlslehre besteht nicht in den Spekulationen darüber, was Gott gewollte haben könnte, sondern in der Erkenntis von Gottes offenbartem Willen. „[E]s wird nicht danach gefragt, was Gott gekonnt, sondern was er gewollt hat.“407 Anstatt zu spekulieren, sollen sich die Theologen an Gottes tatsächlichem Willen und seiner Offenbarung orientieren.408 Nach Calvins Auffassung sagt die Offenbarung klar und deutlich, dass Christus seit seiner Himmelfahrt409 zur Rechten des Vaters sitze.410 Der Genfer Reformator be402 S. OS V 364,25 [Inst. IV 17,18]. Vgl. dagegen Kaiser, Jacob’s ladder, 254, der unter ascensus ad caelum einen wirklichen Aufstieg in den Himmel versteht und ein Verständnis qua figurativer Rede ablehnt. Gott als Subjekt des Emporhebens zu verstehen ist allerdings neu gegenüber dem Petit Traict¦. 403 S. OS IV 150,22 – 27 [Inst. III 6,5]. 404 Insofern ist Kaiser, Jacob’s ladder, 254 zuzustimmen, der betont, dass der Aufstieg geistlich geschieht, da die Bewegung des Glaubens nach oben geistgewirkt ist. Dennoch ist die Redeweise vom ascensus ad caelum eher ein Bild, dessen vollständige Erfüllung erst mit der Wiederkunft Christi und dessen Ruf in sein ewiges Reich eintritt. (Vgl. Plasger, Eschatologie, 92.) 405 Vgl. Faber, Symphonie, 413 f. 406 Wilhelm Niesel versteht die christologischen Abschnitte in Inst. IV 17 als Calvins definitive Antwort an Westphal und nicht etwas die Ultima Admomitio ad Ioachimum Westphalum vom August 1557. (S. Niesel, Calvins Lehre, 10.) 407 „Non enim hic quaeritur quid Deus potuerit, sed quid voluerit.“ (OS V 376,10 f [Inst. IV 17,24].) 408 Calvin will sich nach eigener Aussage mit den Worten Christi zufrieden geben, was aber nicht ausschließe, nach deren weiterem Verständnis zu fragen. (S. OS V 377,31 – 378,12 [Inst. IV 17,25].) 409 Die Himmelfahrt Christi sei ein starkes Argument gegen papistische und andere – wahr-

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streitet im Gegensatz zu einigen seiner (lutherischen) Gegner411 die unsichtbare Präsenz des erhöhten Herrn auf Erden, in der Christus nach seiner Auffahrt in den Himmel gegenwärtig sei.412 Statt dessen versteht Calvin dieses Ereignis im Leben Jesu Christi als einen Ortswechsel413 und damit als einen wirklichen Fortgang aus dieser Welt414 : Christus habe die Welt körperlich verlassen.415 Dadurch könne er den Gläubigen aber nützlicher beistehen als noch zur Zeit seines irdischen Lebens.416 Eine fortdauernde unsichtbare Gegenwart auf Erden lasse sich nicht mit der Heiligen Schrift belegen.417 Dem biblischen Zeugnis zufolge418 habe der Leib Christi, wie jeder menschliche Leib, begrenzte Dimensionen und befinde sich daher bis zur Wiederkunft Christi im Himmel.419 Gott habe gewollt, dass Fleisch Fleisch bleibe und damit einen festen Ort habe und in seiner Dimension und Form fortbestehe. Dieses Argument führt Calvin gegen die simultane Gegenwart des Leibes Christi an mehreren Orten an.420 Den Mangel an körperlicher Abwesenheit habe Christus durch die Sendung des Heiligen Geistes ausgeglichen.421 Damit habe die Himmelfahrt Christi zwei Folgen. Zum Einen sei Christus körperlich abwesend, so dass er gemäß des Schriftzeugnisses422 nicht mehr auf Erden gefunden werden könne.423 Zum Anderen fülle das Wirken des Heiligen Geistes die „Leerstelle“ der Abwesenheit von Christi Leib aus.424 Durch den Geist ist der ganze Christus mit

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scheinlich lutherische – Konzepte einer fleischlichen Realpräsenz. (S. ICOE 12.1, 30,20 – 23 [Kommentar zu Apg 1,11].) S. OS V 380,6 – 19 [Inst. IV 17,27]. Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 264. Diese Haltung unterstellt zumindest Calvin seinen Gegnern, ohne dass damit gesagt werden soll, dass diese wirklich so gedacht haben. (S. OS V 380,15 f; 24 f [Inst. IV 17,27]. – CO 9, 76 [Secunda Defensio].) S. OS V 380,6 f [Inst. IV 17,27]. S. OS V 379,28 – 380,2 [Inst. IV 17,26]. Daher sei es den Gläubigen verboten, Christus in körperlicher Gegenwart in dieser Welt zu suchen; sowohl im Himmel als auch auf Erden sollten sie ihn nicht anders als im Glauben suchen. (S. ICOE 12.1, 30,9 – 12 [Kommentar zu Apg 1,11].) S. OS III 502,2 – 5.16 – 18 [Inst. II 16,14]. Damit steht Calvin in der Tradition augustinischer Eucharistietheologie, in der dieser Topos ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. (Vgl. McDonnell, John Calvin, 43.) S. OS V 384,10 f [Inst. IV 17,29]. Calvin sieht sich in seiner Argumentation völlig durch Augustinus gestützt. (S. OS V 381,4 f [Inst. IV 17,28].) Die Offenbarungsgemäßheit dieser Ansicht wird herausgestellt, um den Vorwurf zu entkräften, dem Diktat der heidnischen Philosophie oder der Naturgesetze unterlegen zu sein. (S. OS V 384,22 f [Inst. IV 17,29].) S. OS V 378,16 – 18 [Inst. IV 17,26]. S. OS V 388,1 – 3 [Inst. IV 17,30]. S. OS V 378,22 f [Inst. IV 17,26]. – Wendel, Sources, 265. Vgl. Battles, Ford L.: Analysis of the Institutes of the Christian Religion of John Calvin, Phillipsburg 2001 (Nachdruck von 1980), 386. S. OS V 380,17 f [Inst. IV 17,27]. S. OS V 378,22 – 24 [Inst. IV 17,26].

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seiner Menschheit gegenwärtig.425 Die leibliche Präsenz Christi und das Kommen des Heiligen Geistes sind bei Calvin daher antithetisch zugeordnet426, da „Christus [nicht] auf gleiche Weise nach dem Fleisch bei uns wohnt, wie er seinen Geist sendet.“427 Der zur Rechten des Vaters Erhöhte ist daher durch den Geist mit seinen Gläubigen verbunden. Der Heilige Geist, „der die Gegenwart Christi immer wieder neu in der heutigen Welt schafft“, ist damit die neue Gestalt seiner Präsenz.428 Jesus Christus sei in seiner Majestät, in der Vorsehung und in unaussprechlicher Gnade gegenwärtig, wobei Calvin unter Letzterem ausdrücklich die durch den Geist bewirkte Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut versteht.429 Dementsprechend überbrückt das Abendmahl in der Kraft des Geistes die Entfernung zwischen Christus und den Gläubigen.430 Die körperliche Abwesenheit ermöglicht daher die geistgewirkte Gegenwart in Wort und Sakrament.431 Mit seiner Himmelfahrtstheologie bringt Calvin das Noch-nicht der vollen Gegenwart Christi zum Ausdruck.432 Vor diesem Hintergrund erklärt sich die antimaterialistische Stoßrichtung von Calvins Abendmahlslehre. Sie hat ihre Grundlagen in der Christologie, die letztlich die Wurzel der Auseinandersetzung zwischen Calvin und Westphal bildet. So dürfte es mit anderen Lehren, die Calvins Christologie teilen, keine Probleme bezüglich der Realpräsenz geben. Deutlich wird damit, dass alle Bestreitungen von eucharistischer Gegenwart sich auf die fleischliche Gegenwart und nicht auf die geistgewirkte beziehen, da Calvin letztere unmissverständlich bestätigt. Die geistgewirkte Gegenwart Christi begründet Calvin anders als die Lutheraner, und zwar mit der Lehre, die in der Theologiegeschichte unter dem Namen Extra Calvinisticum bekannt geworden ist.433 Damit meint die reformierte Christologie, „daß die zweite Person der Trinität ihre Herrschaft

425 Vgl. Aus der Au, Christina: Das Extra Calvinisticum – mehr als ein reformiertes Extra, in: ThZ 64 (2008), 358 – 369, hier: 362. 426 S. OS V 378,26 f [Inst. IV 17,26]. 427 „ideoque non fieri potest ut eodem modo secundum nobiscum habitet Christus, quo Spiritum suum mittit.“ (OS V 378,27 – 29 [Inst. IV 17,26].) 428 Vgl. Aus der Au, Extra Calvinisticum, 362. 429 S. OS V 379,23 – 26 [Inst. IV 17,26]. 430 Vgl. Tosto, Convergenza, 37. 431 „Interea libenter fateor Christum adscendisse, ut impleat omnia, sed diffusum ubique esse dico Spiritus sui virtute, non carnis essentia. Fateor praeterea, et verbo et sacramentis eum nobis adesse.“ (ICOE 12.1, 31,22 – 25 [Kommentar zu Apg 1,11].) 432 Vgl. Tosto, Convergenza, 36. 433 Dieser Begriff, dessen Inhalt Wurzeln in der altkirchlichen Christologie hat, tauchte zum ersten Mal im 17. Jahrhundert in den christologischen kenosis-krypsis-Streitigkeiten zwischen evangelischen Theologen der Gießener und Tübinger Fakultät auf. Er wurde von Lutheranern verwendet, um die reformierte Lehre von der Gegenwart der göttlichen Natur etiam extra carnem zu bezeichnen. (Vgl. Willis, Edward D.: Calvin’s catholic christology. The function of the so-called extra Calvinisticum in Calvin‘s theology (= SMRT 2), Leiden 1966, 9; 20 – 23.)

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während der Inkarnation fortsetzt ,etiam extra carnem‘.“434 Ihre geradezu klassische Formulierung in Calvins Werk ist in Inst. II 13,4 zu finden: „Denn auf wunderbare Weise stieg der Sohn Gottes aus dem Himmel herab, dass er den Himmel dennoch nicht verließ; auf wunderbare Weise wollte er im Mutterleib getragen werden, sich auf Erden aufhalten und am Kreuz hängen, damit er immer die Welt erfülle wie von Anfang an.“435

In der Abendmahlslehre formuliert Calvin ein wenig anders: „Sicher versteht Paulus, wenn gesagt wird, der Herr der Herrlichkeit werde gekreuzigt, darunter nicht, dass er in seiner Gottheit irgendetwas erlitt, sondern weil Christus, der, verstossen und verachtet, im Fleisch litt, derselbe Gott und Herr der Herrlichkeit war. Nach dieser Weise war auch der Menschensohn im Himmel; weil eben derselbe Christus, der dem Fleisch gemäß als Menschensohn auf Erden wohnte, im Himmel Gott war. Aus diesem Grund wird gesagt, dass er seiner Gottheit nach sogar zu diesem Ort hinabgestiegen sei; nicht weil die Gottheit den Himmel verlassen hätte, so dass sie sich im Zuchthaus des Leibes versteckt hätte, sondern weil sie, obgleich sie alles erfüllte, trotzdem gerade in der Menschheit Christi auf völlig unaussprechliche Weise körperlich, d. h. natürlich, wohnte.“436

Beide Formulierungen bringen zum Ausdruck, dass die Gottheit Christi nicht in den menschlichen Leib eingeschlossen werden kann.437 Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, dass sie im Menschen Jesus nicht wirklich gefunden wird. Calvins Intention besteht nicht darin, die Gegenwart der göttlichen Natur in der Person Jesu Christi zu bestreiten.438 Das Extra Calvinisticum will gerade aufweisen, dass es der göttliche Logos ist, der sich in Jesus Christus inkarniert hat.439 Doch gibt es einen „Überschuss“ der göttlichen Natur: Sie geht nicht im Menschen Jesus auf.440 Sie ist immer ganz441 etiam extra car434 Vgl. Oberman, Heiko A.: Die „Extra“-Dimension in der Theologie Calvins, in: Liebing, Heinz (Hg.): Geist und Geschichte der Reformation. FS für Hanns Rückert (= AKG 38), Berlin 1966, 323 – 356, hier: 331. 435 „Mirabiliter enim e coelo descendit Filius Dei, ut caelum tamen non relinqueret: mirabiliter in utero virginis gestari, in terris versari, et in cruce pendere voluit, ut semper mundum impleret, sicut ab initio.“ (OS III 458,9 – 13 [Inst. II 13,4].) 436 „Certe quum Dominus gloriae curcifixus dicitur, non intelligit Paulus in sua divinitate quicquam fuisse passum: sed quia Christus, qui abiectus et contemptus in carne patiebatur, idem Deus erat et Dominus gloriae. Ad hunc modum et filius hominis in caelo erat: quia ipse idem Christus, qui secundum carnem filius hominis habitabat in terris, Deus erat in caelo. Qua ratione eo ipso loco descendisse dicitur secundum divinitatem: non quod divinitas caelum reliquerit, ut in ergastulum corporis se abderet: sed quia tametsi omnia impleret, in ipsa tamen Christi humanitate corporaliter, id est naturaliter habitabat, et ineffabili quodam modo.“ (OS V 389,1 – 12 [Inst. IV 17,30].) 437 S. OS III 458,7 – 9 [Inst. II 13,4]. 438 S. OS III 458,5 – 7 [Inst. III 13,4]. 439 Vgl. Oberman, Extra, 355. – Gisel, Christ, 101. 440 Vgl. Link, Extra-Calvinisticum, 150. 441 „Quod totus Christus sit ubique, sed non totum; nempe quia integer in persona mediatoris

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nem442, sie kann auch außerhalb des historischen Leibes Jesu präsent sein und wirken. Die Gottheit ist auch in ihrer wirklichen Bindung an die Menschheit immer noch größer als die menschliche Natur. Das aber schließt nicht aus – sondern ermöglicht geradezu –, dass die Gläubigen im Menschen Jesus es wirklich mit dem unfassbaren Gott zu tun haben, so dass Jesus Christus ohne Einschränkung der Ort der Offenbarung ist und bleibt.443 Der göttliche Logos ist an den konkreten Menschen Jesus gebunden, aber nicht darauf beschränkt.444 Der theologische Inhalt, der mit dem Ausdruck Extra Calvinisticum zur Sprache gebracht wird, wurde in der Alten Kirche mit der Transzendenz des Logos umschrieben445, so dass der Name Extra Patristicum angebrachter wäre.446 Das heisst nun aber nicht, dass Gottheit und Menschheit beziehungslos nebeneinander stünden.447 In der Person des Mittlers, die Calvin explizit in den abendmahlstheologischen Äußerungen des Extra Calvinisticum erwähnt448, kommen der ewige Sohn und der Mensch Jesus zusammen.449 Die menschliche Natur Jesu kann nicht ohne die Einheit mit der göttlichen gedacht werden, umkehren lässt sich das jedoch nicht.450 Calvin stellt aber klar heraus, dass die Gottheit wirklich und zwar auf unaussprechliche Weise mit der Menschheit verbunden sei. Sie kann von den Gläubigen in der Person des Mittlers Jesus Christus wirklich angetroffen werden, und zwar ganz451, ohne aber auf die menschliche Natur beschränkt zu sein.452 Auch außerhalb des menschlichen Leibes haben die Gläubigen Gemeinschaft mit der ganzen Person Jesu Christi.453 Nicht das philosophische Axiom finitum non capax infiniti steht hinter diesem Konzept454, sondern der Fortbestand der göttlichen

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coelum et terram impleat: licet carne sit in coelo, ubi humanae suae naturae domicilium elegit, donec in iudicium appareat.“ (CO 9, 475 [Explicatio sanae doctrinae].) Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 86. Vgl. Gisel, Christ, 101. Vgl. ebd., 102. Vgl. Willis, Catholic Christology, 51. Vgl. ebd., 60. Um diese Gefahr zu bannen fügt Calvin direkt im Anschluss an das Kapitel über die Gegenwart des ewigen Wortes auf Erden und im Himmel das Kapitel über die Einheit der beiden Naturen in Christus (Inst. II 14) an. S. OS V 389,16 [Inst. IV 17,30]. Vgl. Oberman, Extra, 344. Vgl. Willis, Catholic Christology, 79. Vgl. Aus der Au, Extra Calvinisticum, 358. Vgl. ebd., 109. Diesen Gedanken formuliert Calvin eindeutig in der Schrift gegen Heshusius: „Investigari non posse quomodo corpus Christi sit in certo coeli loco, supra coelos, et nihilominus persona Christi sit ubique, et aequali cum patre potentia regat.“ (CO 9, 474 f [Explicatio sanae doctrinae].) Vgl. Oberman, Extra, 351. Vgl. dagegen McDonnell, John Calvin, 87.

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Natur, die in der Inkarnation nicht aufhört zu existieren455, und darum nicht in einer geschöpflichen Wirklichkeit aufgehen kann. Diese Lehre bildet den Hintergrund für Calvins Vorstellung von der Gegenwart von Christi Leib und Blut im Abendmahl, die gerade wegen der „Ubiquität“ des göttlichen Logos in der Kraft des Geistes gegenwärtig sein können. Calvin nimmt in diesem Kontext Bezug auf eine scholastische Distinktion: „Wie sehr auch der ganze Christus überall ist, ist dennoch nicht alles, was in ihm ist, überall. […] Weil also unser Mittler als Ganzer überall ist, ist er den Seinen immer gegenwärtig; auch im Mahl exhibiert er sich auf besondere Weise als gegenwärtig, so dass er uns als Ganzer gegenwärtig ist, aber nicht ganz, weil er, wie es gesagt worden ist, in seinem Fleisch vom Himmel umfasst wird, bis er zum Gericht erscheint.“456

Die Differenzierung zwischen totus und totum geht auf Petrus Lombardus (1110 – 1160) zurück457, bei dem sie jedoch nicht in einem eucharistischen Kontext auftaucht. Totus bezieht sich immer auf die eine Hypostase, die eine Person Jesu Christi, totum dagegen auf die Natur. So will der Lombarde der Tatsache Rechnung tragen, dass der ewige Sohn Gottes mit dem Fleisch geeint war, aber auch Wirklichkeit und Existenz darüber hinaus hatte.458 Calvins Gedanke lässt sich so wiedergeben: „[I]n seiner umfassenden Identität ist der ewige Christus überall, aber nicht alles, was zu seiner Identität gehört, ist überall.“459 Es ist immer der ganze Christus, also auch in seinem Fleisch und Blut460, gegenwärtig, ohne aber ganz – also nicht in seinem historisch-biologischen Fleisch und Blut – gegenwärtig zu sein. Das ist der Punkt, an dem der Genfer Reformator die Christologie mit der Pneumatologie verknüpft. Die Gegenwart der ganzen Person Jesu Christi extra carnem ist die Gegenwart Jesu Christi im Heiligen Geist. Das sogenannte Extra Calvinisticum sollte daher mit der pneumatischen Gegenwart Christi identifiziert werden, da der erhöhte Herr in der Kraft seines Geistes auch außerhalb seines historischen Leibes gegenwärtig ist.461 Da diese Gegenwart nicht durch einen erneuten fleischlichen Abstieg Christi geschieht, muss er in der Kraft des Geistes 455 Vgl. Aus der Au, Extra Calvinisticum, 358. 456 „Quanvis totus Christus ubique sit, non tamen totum quod in eo est, ubique esse. […] Mediator ergo noster quum totus ubique sit, suis semper adest: et in Coena speciali modo praesentem se exhibet, sic tamen ut totus adsit, non totum: quia, ut dictum est, in carne sua coelo comprehenditur donec in iudicium appareat.“ (OS V 389,13 f; 16 – 20 [Inst. IV 17,30].) 457 S. Petrus Lombardus: Sent. III d. 23 c. 3. 458 Vgl. Willis, Catholic Christology, 34 f. 459 van der Kooi, Cornelis: Christus, in: Selderhuis, Herman J. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 252 – 261, hier: 260. Diese Interpretation kann sich auch auf die französische Ausgabe der Institutio stützen: „c’est que Iesus Christ est par tout en son entier, mais que tout ce qu’il a en soy n’est point par tout“ (CO 4, 1027 [Inst. IV 17,30]). 460 Diesen Gedanken äußert Calvin deutlich 1561 in seiner Schrift gegen Heshusius. (S. CO 9, 509 [Explicatio sanae doctrinae].) 461 Vgl. Aus der Au, Extra Calvinisticum, 362.

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vergegenwärtigt werden.462 Das personale Wirken des Heiligen Geistes aber ist omnipräsent.463 Hier wird Calvins Axiom, dass Christus von seinem Geist nicht getrennt werden könne464, abendmahlstheologisch entfaltet. Sowohl in der Schöpfung als auch in der Erlösung wirkt der Sohn niemals ohne den Heiligen Geist, so dass sein Wirken außerhalb der Menschheit pneumatisch verstanden werden muss.465 Auf diese Weise stellt Calvin die Gegenwart Christi und somit auch das Abendmahl in einen trinitarischen Rahmen. Es muss noch ein Wort zu Calvins Himmelsverständnis gesagt werden. Trotz vieler örtlich anmutender Aussagen zur Himmelfahrt verwehrt sich Calvin Spekulationen über den certus locus von Christi Leib im Himmel.466 Der Himmel sollte nicht als geographischer467 Ort verstanden werden, da auch das materialistische Vorstellungen seien. Andernfalls würde Calvin nicht dazu ermahmen die Herzen in den Himmel zu erheben.468 Calvin versteht den Himmel als das Außerhalb der Welt und all ihrer Bedinungen.469 Es geht ihm darum auszusagen, dass Christus leiblich außerhalb dieser Welt und damit über alle irdischen Elemente erhaben ist470 : „[E]s ist deutlich, dass der Himmel, in den Christus gehoben worden ist, der ganzen Vorrichtung der Welt entgegengesetzt werden muss. Damit er also im Himmel ist, muss er außerhalb der Welt sein.“471

462 Vgl. Neumann, Burkhard: „… dass Gottes rechte Hand allenthalben ist“ (Martin Luther). Die christologischen Implikationen des reformatorischen Abendmahlsstreites, in: Cath(M) 63 (2009), 284 – 303, hier: 302. – Niesel, Calvins Lehre, 94. 463 Vgl. Horton, Union, 412. 464 „Ego hoc axioma teneo, neque mihi unquam excuti patiar : Christum non posse a spiritu suo divelli. Unde constituo, non recipi mortuum eius corpus, neque etiam eum otiosum, aut disiunctum a spiritus sui gratia et virtute. In hac sententia probanda non immoror diutius.“ (CO 49, 491 [Kommentar zu 1 Kor 11,27].) Calvin vertritt deutlich eine filioque-Pneumatologie. (S. Willis, Catholic Christology, 82.) 465 Vgl. Willis, Catholic Christology, 83. Es stellt sich dann aber auch folgende Frage: „Is that power the efficacy of the Second Person which makes itself experienced beyond the confines of Christ’s flesh, or is it in fact the Holy Spirit himself ? Calvin has no set phrase for denoting the divine power at Jesus’ disposal.“ (Ebd., 84.) 466 OS V 380,2 – 5 [Inst. IV 17,26]. Willis betont, dass Calvin solche Spekulationen ablehnt. (Vgl. Willis, Catholic Christology, 94.) 467 Der Himmel ist kein Ort über den Wolken, sondern eine Metapher für die Unbegreiflichkeit und Unerfassbarkeit Gottes. (Vgl. Willis, Catholic Christology, 75.) 468 S. ICOE 16, 365,31 – 34.366,21 [Kommentar zu Phil 3,20]. – Vgl. Cadier, Doctrine, 44. Calvin unterstreicht das durch die Anweisung an die Gläubigen, Christus sowohl im Himmel als auch auf Erden im Glauben zu suchen. (S. ICOE 12.1, 30,9 f [Kommentar zu Apg 1,11].) 469 S. OS V 390,14 [Inst. IV 17,31]. 470 Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 77. 471 „caelum, quo sublatus est Christus, universae mundi machinae opponi, planum est. Ergo ut in caelo sit, extra mundum esse oportet.“ (ICOE 12.1, 30,32 – 34 [Kommentar zu Apg 1,11].) Vgl. auch CO 9, 79 [Secunda Defensio].

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So sollte trotz mancher spatialer Bilder und Wendungen472 Himmel als die Spähre Gottes verstanden werden, die aufgrund ihrer Transzendenz von der Erde473 getrennt ist474 und zu der der Mensch nur qua Glauben Zugang findet. Calvin verwendet spatiale Bilder, weil Menschen nur menschlich darüber sprechen können475 ; ausdrücklich lehnt er die dingliche Vorstellung ab, als ob Christus zwischen den Himmeln und Sternen sitze.476 Es geht Calvin um die Person Jesu Christi zur Rechten des Vaters, die für die Menschen weiterhin als Mittler eintritt.477 Damit hat Calvin seine entscheidenden Einwände gegen die lutherische Ubiquitätslehre formuliert. Der Genfer versteht seine lutherischen Gegner so, „dass wegen der in Christus miteinander verbunden Naturen, wo immer auch die Göttlichkeit Christi sei, dort auch sein Fleisch sei, das von jener nicht getrennt sein kann.“478 Darin sieht Calvin eine unerlaubte Vermischung der beiden Naturen.479 Er dagegen unterscheidet so zwischen ihnen, dass eine jede Natur ihre Eigenschaften behält.480 Die Vermeidung einer Vermischung der beiden Naturen stellt einen wesentlichen Zug von Calvins Christologie und auch seiner Soteriologie dar.481 Die Idiomenkommunikation ist für Calvin lediglich ein hermeneutisches Werkzeug, um dem Schriftzeugnis von der einen Person Jesu Christi gerecht zu werden.482 Für den Reformator ist die Idiomenkommunikation eine rein sprachliche Figur, nach der Eigenschaften der göttlichen Natur auch von der menschlichen ausgesagt werden können.483 Luther dagegen ging davon aus, dass aufgrund der Personeinheit Jesu Christi dessen „menschliche Natur an bestimmten göttlichen Majestätseigenschaften Anteil gewonnen habe, ohne ihre Eigentümlichkeit einzubüßen.“484 Auf diese Weise erhält auch die

472 S. OS V 383,24 f [Inst. IV 17,28]. 473 Vgl. Davis, Body, 136. 474 Vgl. Willis, Catholic Christology, 75. Willis sieht als Beleg dafür vor allem Calvins politische Phraseologie („Majestät“, „herrschen“ etc.) an. 475 Vgl. Tosto, Convergenza, 126. 476 S. ICOE 16, 226,19 f [Kommentar zu Eph 4,10]. 477 Vgl. Tosto, Convergenza 36. 478 „propter unitas in Christo naturas, ubicunque est divinitas Christi, illic quoque esse carnem, quae ab illa separari nequit.“ (OS V 388,20 – 22 [Inst. IV 17,30].) 479 Diese Lehre grenzt er ausdrücklich von den Papisten ab, deren Theologie an dieser Stelle erträglicher sei als die der Lutheraner. (S. OS V 388,18 – 20 [Inst. IV 17,30].) 480 S. OS V 388,26 – 31 [Inst. IV 17,30]. 481 Vgl. Gisel, Christ, 108; 188. Calvin wehrt sich nicht nur gegen die Vermischung der zwei Naturen in Christus, sondern auch gegen die Vermischung von Christus mit den Gläubigen. Da es sich beidemale um Personen handelt, müssen sie in diesem Sinne auch voneinander getrennt sein. (Vgl. ebd., 162 ff.) 482 Vgl. Willis, Catholic Christology, 67. 483 S. OS III 458,34 – 459,9 [Inst. II 14,1]. – Vgl. Gerrish, Grace, 54. 484 Nüssel, Friederike: Perspektiven im innerreformatorischen Abendmahlsstreit damals und heute, in: Sattler, Dorothea u. Wenz, Gunther (Hg.): Sakramente ökumenisch feiern. Vor-

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menschliche Natur Jesu Anteil an der Ubiquität der göttlichen Natur.485 Diese Art der communicatio idiomatum wird in der lutherischen Orthodoxie genus maiestaticum486 genannt, das die reformierte Theologie immer bestritten hat.487 Für die lutherische Theologie bildet das genus maiestaticum die Voraussetzung der leiblichen Gegenwart Christi in Brot und Wein.488 Auch Calvin bekennt sich zur Einheit Jesu Christi489, jedoch mit dem Akzent, dass er zwischen den beiden Naturen unterscheidet, um jegliche Vermischung von Gottheit und Menschheit unmöglich zu machen.490 Es gilt das Prinzip distinctio sed non separatio.491 Calvins Vorstellung der Personeinheit Christi beruht auf der hypostatischen Union der beiden Naturen und steht damit auf einer ontologischen Grundlage.492 Es geht ihm nicht darum, zwei Christusse zu postulieren; Nestorius‘ Christologie verurteilt er eindeutig als Häresie, da dieser die zwei Naturen voneinander geschieden habe, anstatt sie bloß zu unterscheiden.493 Die von den Lutheranern geforderte Ubiquität des Leibes Christi stellt für Calvin die Voraussetzung für eine lokal verstandene Gegenwart unter der Gestalt des Brotes dar.494 Sie habe zur Folge, „dass der Leib Christi sichtbar im Himmel sei, jedoch unsichtbar auf der Erde unter unzähligen Bröckchen von Brot verborgen sei“495. Demnach sei er „an vielen Orten zugleich“, „in keinem

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überlegungen für die Erfüllung einer Hoffnung, FS für Theodor Schneider, Mainz 2005, 256 – 277, 256 – 277, hier: 266. Es sei aber angemerkt, dass die Ubiquitätslehre nicht Luthers Hauptargument für seine Auffassung von Realpräsenz darstellt. Diese leitet er vor allem aus der Einsetzung Jesu Christi ab, während die Ubiquitätslehre das nur untermauert. (Vgl. Kühn, Ulrich: Christologie (= UTB 2393), Göttingen 2003, 194. – Grass, Abendmahlslehre, 59 f.) Die lutherische Orthodoxie kannte drei genera von Idiomenkommunikation: (1.) das genus idiomaticum legt Idiome von einer Natur der ganzen Person Christi bei, (2.) nach dem genus apotelesmaticum ist die jeweils eine Natur beteiligt an den Werken der anderen und (3.) gemäß des genus maiestaticum werden die Eigenschaften der göttlichen Natur der menschlichen real mitgeteilt, so dass auch der menschlichen Natur Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart zukommt. (Vgl. Danz, Christian: Einführung in die evangelische Dogmatik, Darmstadt 2010, 124. – Nüssel, Perspektiven, 268.) Vgl. Rohls, Theologie, 131. Vgl. Nüssel, Perspektiven, 266. S. OS III 465,2 – 6 [Inst. II 14,5]. S. OS III 458,17 – 24 [Inst. II 14,1]. – Kühn, Christologie, 201. Vgl. Tosto, Convergenza, 35. Vgl. Willis, Catholic Christology, 67. Vgl. dagegen McDonnell, John Calvin, 215 ff. S. OS III 463,18 – 20 [Inst. II 14,4]. S. OS V 387,22 – 26 [Inst. IV 17,30]. „corpus Christi in caelo visibile esse, latere autem invisibile in terra sub innumeris panis frustulis“ (OS V 377,10 – 12 [Inst. IV 17, 25]). Alternative Formulierungen sind außerdem an folgenden Stellen zu finden: OS V 364,10 – 12 [Inst. IV 17,17]; 384,15 – 17; 28 – 30 [Inst. IV 17,29]. Ob diese Sichtweise berechtigt ist, stellt eine andere Frage dar. Die Pneumatologie in Luthers Abendmahlslehre jedenfalls hat Calvin nicht wahrgenommen. (Vgl. McDonnell, John Calvin, 67 f.)

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Raum enthalten“496 und habe einen unsichtbaren und unermesslichen Körper497, wodurch der Leib Christi verdoppelt würde.498 Wer aber christologisch derartig argumentiere, befinde sich in der Gefolgschaft Markions, der Manichäer und Michel Servets (1511 – 1553).499 Solch eine häretische Christologie sieht Calvin am Werk, wenn von Lutheranern und auch Katholiken die unsichtbare, fleischliche Präsenz des Leibes Christi unter dem Element des Brotes angenommen wird. Eine solche Lehre widerspreche der Heiligen Schrift, da zum Beispiel Petrus in Apg 3,21 eindeutig bezeuge, dass der Leib Christi bis zu seiner Wiederkunft vom Himmel umschlossen sei.500 Neben diesem Widerspruch sieht Calvin die wahre Menschheit Jesu Christi durch die oben beschriebene Christologie gefährdet. Denn ein unbegrenzter Leib Christi habe zur Folge, dass er zugleich Fleisch und nicht Fleisch sei.501 All das zerstöre die Wahrheit des Leibes Christi502 und mache aus Christus ein Gespenst.503 Das aber darf nach Calvin aus soteriologischen Gründen nicht geschehen, da die Person Jesu Christi mit ihrer wahren Menschheit auch nach Erhöhung und Himmelfahrt weiterhin den Zugang zu Gott504 und die Voraussetzung der Gemeinschaft mit dem Mittler darstellt.505 Die Präsenz seiner Menschheit im Himmel verbürge darüber hinaus die Hoffnung auf die Auferstehung506, da Christus die mit allen Menschen gemeinsame Menschheit in den Himmel hinaufgetragen habe.507 Wäre es anders, so wäre Christus nicht mehr derselbe.508 Ein Mischwesen, das weder Gott noch Mensch sei – das aber stellt für Calvin die Konsequenz der Vermischung der beiden Naturen infolge der Ubiquitätslehre dar509 –, könnte nicht der rettende Mittler der Gläubigen sein.510 Calvin geht es um die Bewahrung des vere homo nicht nur in der Inkarnation, sondern auch darüber hinaus während des Sitzens zur Rechten

496 „multis in locis simul […], nulloque spatio contineri“ (OS V 385,19 [Inst. IV 17,29]). 497 S. OS V 385,16 [Inst. IV 17,29]. 498 S. OS V 387,20 [Inst. IV 17,29]. Das geschehe aufgrund der sichtbaren Präsenz im Himmel und der unsichtbaren auf Erden. (S. OS V 383,11 f [Inst. IV 17,28].) 499 S. OS V 377,1 f [Inst. IV 17,25]. Letzterer habe gelehrt, dass die Gottheit den menschlichen Leib Jesu geradezu aufsauge. (S. OS V 384,23 – 25 [Inst. IV 17,29].) Der Genfer Reformator fährt hier „schweres Geschütz“ auf, da die Ablehnung dieser Häresien auch von Lutheranern geteilt wird. Die Manichäer betreffend s. zum Beispiel BSLK 51,6 [CA I]. 500 S. OS V 384,19 f [Inst. IV 17,29]. 501 S. OS V 376,18 – 27 [Inst. IV 17,24]. 502 S. OS V 382,18 [Inst. IV 17,28]. 503 S. OS V 363,14 – 17; 364,7 – 9 [Inst. IV 17,17]. 504 Vgl. Willis, Catholic Christology, 92. – Vgl. Gerrish, Grace, 158. 505 S. OS V 385,21 – 24 [Inst. IV 17,29]. – Vgl. Niesel, Theologie, 112 – 115. 506 S. OS V 386,5 – 11 [Inst. IV 17,29]. – Vgl. Faber, Symphonie, 414. 507 Vgl. Oberman, Extra, 347. 508 S. OS V 387,17 [Inst. IV 17,29]. 509 S. OS V 388,23 f [Inst. IV 17,30]. 510 S. OS III 458,16 – 18 [Inst. II 14,1]. – Vgl. Opitz, Hermeneutik, 150.

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des Vaters.511 Zum vere homo gehört die vera caro, die Calvin auch nach der Erhöhung zu bewahren sucht und die zugleich nostra caro ist.512 Den Einwand, dass die räumliche Begrenzung auf den erhöhten Leib nicht mehr zutreffe, lässt Calvin nicht gelten, da damit die Wirklichkeit des menschlichen Körpers zunichte gemacht und der Unterschied zwischen den beiden Naturen aufgehoben würde.513 An die Unterscheidung von Gottheit und Menschheit sieht sich Calvin aber durch die Lehrentscheidungen des Konzils von Chalcedon (451) gebunden.514 Außerdem beweise die leibliche Auferstehung Christi515 den Fortbestand seiner Leiblichkeit. Christus selbst bezeuge in Lk 24,39 die nach seiner Auferstehung weiterhin bestehende Berührbarkeit und Sichtbarkeit seines Fleisches516, ohne die es aufhörte, Fleisch zu sein.517 Ansonsten wäre er entweder ein Gespenst oder aber es müsse eine neue Definition von Leib aufgestellt werden518, was aber die Erlösung gefährden würde. Aus all dem folgert Calvin, dass Christi Leib nicht körperlich im Abendmahl anwesend sein könne. Er sei „weder wirklich noch real unter dem Brot eingeschlossen“519. Es geht Calvin hier nur um die Bestreitung einer örtlich verstandenen Präsenz des erhöhten Herrn unter dem Symbol des Brotes.520 Konzepte, die nur dann von der Realpräsenz des Leibes Christi ausgingen, wenn sie fleischlich aufzufassen sei, lehnt Calvin daher ab.521 Die geistgewirkte Präsenz des Leibes Christi werde durch die fleischliche Abwesenheit aber

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Vgl. Oberman, Extra, 345. In OS V 386,1 – 4 [Inst. IV 17,29] betont Calvin die vera caro sehr stark. S. OS V 384,25 – 28 [Inst. IV 17,29]. S. DH 302. Calvin steht mit seinem Akzent auf der Unvermischtheit der beiden Naturen eher in der Tradition antiochenischer Christologie, während seine Gegner eher der alexandrinischen Christologie zuzuordnen sind. (Vgl. Kühn, Christologie, 201.) Für Calvin spielt daher das „unvermischt“ eine wichtigere Rolle, was er bei seinen Widersachern hingegen nicht gewahrt sieht. Calvin wirft den Gegnern vor, nicht an die Leiblichkeit der Auferstehung zu glauben, wenn sie einen unsichtbaren und unermesslichen Leib annehmen. (S. OS V 385,20 [Inst. IV 17,29].) S. OS V 385,9 [Inst. IV 17,29]. S. OS V 385,3 – 5 [Inst. IV 17,29]. S. OS V 385,8.11 f [Inst. IV 17,29]. „non vere nec realiter fuisse sub pane inclusum“ (OS V 382,8 f [Inst. IV 17,28]). Hier wird deutlich, dass für Calvin die praesentia realis mit lokal-carnalen Vorstellungen verbunden ist. (Vgl. auch Muller, Presence, 154.) Das wird durch die Wahl der Verben deutlich, die Calvin mit der Formulierung sub pane / sub symbolo panis verbindet. Es sind hauptsächlich Verben wie includere (OS V 360,9 [Inst. IV 17,15]; 362,21 [Inst. IV 17,16]; 363,1 [Inst. IV 17,16]; 374,21 [Inst. IV 17,23]; 379,26 [Inst. IV 17,26]; 382,9 [Inst. IV 17,28]; 392,3 f [Inst. IV 17,33]) und latere (OS V 360,26 [Inst. IV 17,15]; 362,27.31 [Inst. IV 17,16]; 377,31 [Inst. IV 17,25]; 383,12 [Inst. IV 17,28]; 387,25 [Inst. IV 17,30]; 392,11 [Inst. IV 17,33]). Sowohl includere als auch latere sind eher statische Verben und drücken eine gewisse Örtlichkeit aus. Damit wird deutlich, dass Calvin diese Art von Gegenwart bestreiten will, aber nicht das Empfangen von Christi Leib und Blut unter Brot und Wein, zu dem er sich an anderer Stelle ja ausdrücklich bekennt. (S. OS V 390,7 – 9 [Inst. IV 17,32].) S. OS V 389,21 [Inst. IV 17,31].

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nicht beeinträchtigt, da die Gläubigen durch den Heiligen Geist mit dem Fleisch Christi verbunden würden.522 Die Untersuchungen zur Christologie der Institutio haben ergeben, dass die Soteriologie als Hauptmotiv hinter der Bestreitung materialistischer Gegenwartstheorien steht. Die körperliche Gegenwart im Abendmahl würde die menschliche Natur und damit die Erlösung der Gläubigen zerstören. Da die Soteriologie einen äußerst hohen Stellenwert in Calvins Theologie hat, wird die These, den antimaterialistischen Skopus als hermeneutischen Schlüssel zu Calvins Abendmahlslehre aufzufassen, untermauert. 3.3.5 Die Rolle des Glaubens im Abendmahl Wie im Petit Traict¦ geht Calvin auch in der Institutio davon aus, dass die sakramentale Wirklichkeit durch den Glauben empfangen wird. In der Auseinandersetzung mit den Gnesiolutheranern wird deutlich, dass Calvin auf diese Weise die Vorstellung der manducatio oralis abwehren möchte. Darunter versteht der Reformator, dass der Leib Christi mit dem Mund empfangen und dann hinuntergeschluckt werde.523 Diese Vorstellung glaubte Calvin bei seinen lutherischen Gegnern zu finden, die darin den objektiven Grund der manducatio spiritualis sahen und deren Bestreitung als das „Abgleiten vom Sakrament“524 verstanden. Die Bestimmung des Glaubens als dasjenige, wodurch Christus empfangen wird, führt bei Calvin nicht zur Identifikation von Glaube und manducatio, da er die manducatio Christi carnis vielmehr als „Wirkung und Frucht des Glaubens“525 versteht, wie er es in seinem Johanneskommentar schreibt. Auch in der Institutio vertritt Calvin diese Position.526 Damit verwirft er ausdrücklich diejenigen, die Glaube und manducatio als ein und dieselbe Sache verstehen.527 Sakramente nützen demzufolge nur, wenn sie im Glauben 522 S. OS V 383,23 [Inst. IV 17,28]; 389,22 f [Inst. IV 17,31]. 523 S. CO 9, 78 [Secunda Defensio]. Dieser Gedanken wird 1561 noch deutlicher. Calvin will zur Sprache bringen, dass Christus auch dann empfangen wird, gerade wenn die manducatio oralis ausgeschlossen wird. (S. CO 9, 477 [Explicatio sanae doctrinae].) Es sei aber darauf hingeweisen, dass dieses Verständnis nicht der lutherischen Theologie entspricht, die die manducatio oralis ebenfalls nicht physisch, sondern übernatürlich und sakramental versteht. (Vgl. Nüssel, Perspektiven, 270.) 524 Gollwitzer, Coena Domini, 212. 525 „Sed manducatio ipsa effectus est ac fructus fidei“ (ICOE 11.1, 205,2 [Kommentar zu Joh 6,35]). – Vgl. Grass, Abendmahlslehre, 243. 526 S. OS V 347,10 – 30 [Inst. IV 17,5]. 527 Calvin geht damit auf Distanz zu Zwingli, der die manducatio mit dem Glauben identifzierte, und hebt eigens hervor, dass zwischen seinem Konzept und dem von ihm abgelehnten zwinglianischen Konzept ein großer Unterschied bestehe. (S. OS V 347,20 f [Inst. IV 17,5].) Zwar geschehe die manducatio im Glauben, aber dieses Geschehen sei als Vorgang der Vereinigung mit Christus zu verstehen, da der Glaube Christus nicht aus der Ferne betrachte. (S. OS IV 191,27 – 35 [Inst. III 11,10].)

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empfangen werden, da dieser eine Art Eingangstor in das Innere des Menschen für Gottes Gnade darstellt528, wobei Calvin unter Glauben Folgendes versteht: „die sichere und gewisse Erkenntnis vom göttlichen Wohlwollen gegenüber uns […], die, auf die Wahrheit der grundlosen Verheißung Christi begründet, durch den Heiligen Geist sowohl unserem Geist offenbart als auch in unseren Herzen versiegelt wird.“529

Glauben grenzt Calvin scharf von Imagination und Erkenntnis ab.530 Da Glaube immer schon das Wirken des Geistes voraussetzt und beinhaltet, ist er mehr als bloße fides historica. Die Notwendigkeit des Glaubens für den Sakramentenempfang ergibt sich daraus, dass die Gläubigen erst den ganzen gekreuzigten Christus besitzen müssten, „damit wir uns aller seiner Güter erfreuen“531. Das geschieht durch das Ergreifen der unio cum Christo im Glauben. Wie bereits deutlich geworden ist, ist diese Gemeinschaft etwas Dynamisches. In der Dynamik des Glaubens und der Gemeinschaft mit Christus haben die Sakramente ihren Platz, da der Glaube durch äußere Mittel gestärkt werden kann und auch muss, damit er immer weiter wachse.532 Die Erkenntnis der göttlichen Gnade qua Glauben ist somit nichts Statisches, sondern verläuft über mehrere Entwicklungsstufen, auf denen der Heilige Geist jeweils dem Glauben zu immer mehr Wachstum verhilft. Dass der Glaube Gottes Gabe ist, hat für Calvin zur Konsequenz, dass nur derjenige glaubt, dem es von Christus gegeben ist.533 Glaube und Erwählung werden hier miteinander verknüpft, so dass nur die Erwählten zum Glauben kommen. Die Notwendigkeit des Glaubens hat in Calvins Lehre zur Folge, dass die impii im Abendmahl nur die äußeren Zeichen von Brot und Wein, nicht aber die göttliche, gnadenhaft geschenkte Wirklichkeit534 von Christi Fleisch und Blut535 empfangen536, womit er die manducatio impiorum bestreitet. Daher konnte der Reformator in der Consensio mutua – und auch in früheren 528 S. OS V 274,20 – 24 [Inst. IV 14,17]. 529 „divinae erga nos benevolentiae firmam certamque cognitionem, quae gratuitae in Christo promissionis veritate fundata, per Spiritum sanctum et revelatur mentibus nostris et cordibus obsignatur.“ (OS IV 16,31 – 35 [Inst. III 2,7].) 530 S. OS V 354,11 f [Inst. IV 17,11]. 531 „ut bonis eius omnibus fruamur“ (OS V 391,8 [Inst. IV 17,33]). 532 Das ganze Buch IV der Institutio beschreibt solche Hilfsmittel. 533 S. OS IV 44,9 – 34 [Inst. III 2,33]. 534 S. OS V 395,12 f [Inst. IV 17,34]. – „Deinde multi signum recipiunt, qui tamen gratiae non fiunt participes, quia signum omnibus est commune, hoc est bonis indifferenter ac malis. Spiritus autem nonnisi electis confertur. Atqui signum, ut diximus, absque Spiritu est inefficax.“ (ICOE 16, 269,1 – 5 [Kommentar zu Eph 5,26].) 535 S. OS V 393,6 f [Inst. IV 17,33]. 536 Dies scheint für manche sein Bekenntnis zur wahren Mitteilung von Christi Leib und Blut zu widerlegen. Gerade von lutherischen Theologen ist das immer wieder angegriffen worden, weil sie darin die Objektivität des Abendmahles gefährdet sahen. (Vgl. Gollwitzer, Coena Domini, 225.)

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Werken – lehren, dass nur in den Erwählten die Sakramente ihre Wirkung zeigten, da nur diesen die Gabe des Glaubens geschenkt werde. Es ist wichtig zu betonen, dass die Verknüpfung von Erwählung und Sakramenten nicht etwa deren Wirkung in den subjektiven Bereich des Gläubigen verlagert.537 Die göttliche Erwählung ist eine objektive Tatsache, die vom Menschen in Freiheit angenommen und realisiert werden muss.538 Sie ist nach calvinischer Lehre die Bedingung der Möglichkeit von Glauben539, der wiederum erst den Empfang der sakramentalen res ermöglicht.540 Die Rolle, die Calvin dem Glauben als „Empfangsorgan“ für die immer von Gott angebotenen Gaben zuweist, hebt keineswegs die Objektivität von Gottes Handeln in den Sakramenten auf541, da der Glaube nicht eine vom Menschen zu erbringende Leistung, sondern selbst Gabe Gottes ist542, und Gott seine Gnade allen, die sich dem Sakrament nähern, anbietet.543 Calvin sieht durch seine Bestreitung der manducatio impiorum die Objektivität der Sakramente keineswegs gefährdet, weil die Festigkeit von Gottes Zusage und Verheißung nicht durch den Unglauben der Menschen zunichte gemacht werden könne.544 Sowohl die Taufe als auch das Abendmahl würden durch den Unglauben der Menschen ihre Natur – das heißt, im Falle des Letzteren die Mitteilung von Christi Leib und Blut – nicht verlieren.545 Die Sakramente blieben nach Gottes Willen ein Zeugnis von der Gemeinschaft mit Christus.546 Calvin verwirft daher, das Angebot von Gottes Gnade vom Glauben des Einzelnen abhängig zu machen.547 Um seine Argumentation zu stützen, bezieht sich Calvin auf die Unterscheidung von „anbieten“ und „empfangen“:

537 S. dagegen Gäbler, Zustandekommen, 326 f. 538 Erwählung ist auf die Annahme durch den Menschen ausgerichtet, die von ihr auch (unfehlbar) erreicht wird. Mit dieser Lehre wird keinem Determinismus gehuldigt. (Vgl. Faber, Symphonie, 211 – 215.) In diesem Kontext ist es wichtig zu betonen, dass die Erwählung allein in Gott ihre Ursache hat und damit in seinem, jedem menschlichen Tun vorangehendem Handeln. Insofern ist es nicht sinnvoll, hier von einer Verlagerung in den subjektiven Bereich des Menschen zu sprechen. 539 „quia etsi in fidem non illuminantur, nec Evangelii efficaciam vere sentiunt nisi qui praeordinati sunt ad salutem“ (OS IV, 20,28 – 30 [Inst. III 2,11]). 540 „certum est, nobis a Domino misericordiam ac bonae suae voluntatis gratiam, cum sacro verbo, tum sacramentis offerri. Verum non apprehenditur nisi ab his qui et verbum et sacramentum certa fide accipiunt.“ (OS I 119 [Institutio 1536].) 541 Vgl. dagegen Bizer, Studien, 264, der darin eine Abwertung der Sakramente sieht. 542 Vgl. Busch, Tragweite, 288. 543 S. OS V 393,32 – 35 [Inst. IV 17,33]. 544 S. OS V 393,18 – 20; 28 – 30 [Inst. IV 17,33]. 545 „Sacramenta enim semper retinent suam naturam: baptismus est lavacrum regenerationis, etiamsi totus mundus esset incredulus: coena Christi est communicatio corporis et sanguinis eius, etiamsi nulla esset scintilla fidei in mundo“ (CO 40, 492 [Kommentar zu Ez 20,20]). 546 S. OS V 264,23 – 28 [Inst. IV 14,7]. 547 S. OS V 273,27 – 29 [Inst. IV 14,16].

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„Dennoch ist Eines ,angeboten werden‘ und ein Anderes ,empfangen werden‘. Diese geistliche Speise reicht Christus allen dar, und seinen geistlichen Trank gibt er zum Trinken; die einen essen begierig, die anderen weisen es voll Widerwillen zurück“.548

Allen Abendmahlsteilnehmern wird demnach die geistliche Speise angeboten. Gott zieht auch bei den Ungläubigen sein Angebot nicht zurück. Diesen würden genau wie den Erwählten, die durch das Wirken des Heiligen Geistes zum Glauben gekommen seien549, Christi Leib und Blut dargeboten.550 Gott böte auch Ungläubigen kein leeres Zeichen an551, sondern exhibiere ihnen wirklich Christi Leib und Blut.552 Aber die Wirkung des Sakramentes, die aus dem Glauben entstehe553, entfalte sich bei den impii nicht. Dass die Ungläubigen im Abendmahl ausschließlich Brot und Wein empfingen, rühre daher, dass ein Mangel auf deren – und nicht etwa auf Gottes – Seite liege554, da sie keine „Tür“ für das ihnen von Gott Angebotene haben.555 Ihr Unglaube bewirke eine solche Hartnäckigkeit, dass Gottes Gnade nicht in ihr Inneres kommen könne. Diesen Sachverhalt erläutert Calvin mit einem Vergleich: Wie ein Stein, auf den Regen falle, diesen aufgrund seiner Härte nicht in sich aufnehmen könne, so würden diejenigen ohne Glauben Gottes Gnade aufgrund ihrer Härte zurückweisen.556 Ihre Härte stelle ein Hindernis dar, das Christus davon abhalte, zu ihnen zu kommen.557 Würden auch die Glaubenslosen Christi Leib und Blut empfangen, wäre das ein Widerspruch, weil dann Leib und Blut Christi in ihnen kein Leben bewirken würden. Sie würden den Geist ohne jeglichen Effekt empfangen.558 Den Leib Christi zu essen bedeutet nach Calvin jedoch, dass Christus in den Empfängern bleibe.559 Hier tritt die enge Zusammengehörigkeit von Christus 548 „Aliud tamen est offerri, aliud recipi. Spiritualem hunc cibum omnibus porrigit Christus, potumque spiritualem propinat: alii avide vescuntur, alii fastidiose respuunt“ (OS V 393,20 – 22 [Inst. IV 17,33]). S. in ähnlicher Weise auch CO 9, 89 [Secunda Defensio]. 549 Vgl. dazu OS IV 5,14 [Inst. III 1,4], wo Calvin den Glauben als das vornehmste Werk des Heiligen Geistes bezeichnet. 550 S. OS V 393,36 f [Inst. IV 17,33]. 551 1561 macht Calvin deutlich, dass auch im Falle der Ungläubigen Brot und Wein nicht wieder zu gewöhnlicher Speise profaniert würden, sondern Zeugnisse der Gemeinschaft mit Christus blieben. (S. OS II 295,39 – 42 [Optima ineundae concordiae ratio].) 552 „Deus enim non illic fallaciter figurat malis filii sui corpus, sed re ipsa exhibet: nec panis inane illis signum est, sed fidelis tessera“ (CO 49, 492 [Kommentar zu 1 Kor 11,27]). 553 „Tenendum igitur est, mutuam esse relationem inter fidem et sacramenta, ideoque sacramenta effectum suum nancisci ex fide: non quod indignitas hominum illis quidquam deroget.“ (CO 40, 492 [Kommentar zu Ez 20,20].) 554 „incredulis ac fidelibus offerri Christi corpus, et dari: obstaculum in ipsis esse, quo minus fruantur“ (CO 9, 90 [Secunda Defensio]). 555 Vgl. Muller, Presence, 160. 556 S. OS V 394,1 – 4 [Inst. IV 17,33]. 557 S. OS V 394,16 – 18 [Inst. IV 17,33]. 558 Das betrachtet Calvin als die Folge lutherischer Abendmahlslehre. (S. OS V 394,35 f [Inst. IV 17,34].) 559 S. OS V 396,19 f [Inst. IV 17,34].

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und dem Heiligen Geist in Calvins Theologie deutlich zutage, weil Christus nicht ohne seinen lebendigmachenden Geist empfangen werden kann.560 Außerdem wird nach Calvin der Leib Christi anders als gewöhnliches Brot gegessen, da er eine Speise für die Seele und nicht für den Leib ist.561 All diese Begründungen müssen im Kontext der Rechtfertigungs- und Heiligungslehre verstanden werden. Die Gemeinschaft mit Christus bringt den Gläubigen eine zweifache Gnade562 : Sie werden einerseits von Gott gerecht gesprochen, indem er ihnen ihre Sünden vergibt, und andererseits im Laufe ihres ganzen Lebens geheiligt.563 Dadurch würden sie Fleisch von Christi Fleisch, wie Calvin das Eingefügtwerden in den Leib Christi umschreibt.564 Diese Gnade wird aber nur den Erwählten zuteil, die all das im Glauben ergreifen. Die Verworfenen hingegen empfangen nicht die Gabe des Glaubens und werden somit weder gerechtfertigt noch geheiligt565, da beides Wirkungen des Glaubens in der Gemeinschaft mit Christus sind.566 Anstatt heiliger zu werden, würden sie immer verstockter.567 Wenn sie nun im Abendmahl Leib und Blut Christi empfingen, blieben diese in ihnen wirkungslos, was nach Calvin aber unmöglich sei, weil Christus von seiner zum Heil wirkenden Kraft niemals getrennt werden könne.568 Daraus folgt, dass ohne Christus die Gläubigen völlig tot seien.569 Des Weiteren muss beachtet werden, dass Glaube nicht nur das Eingangstor für die innere Wirklichkeit des Sakramentes ist, sondern seine „Größe“ den Nutzen bestimmt, den das Abendmahl einem Gläubigen schenkt. Somit bestimmt das Maß des Glaubens, den jemand mitbringt, auch das Maß des Empfangenen.570 Ein weiteres Moment in Calvins Ablehnung der manducatio impiorum stellt die Differenzierung zwischen signum und res dar. Trotz der Verbindung zwischen beiden können sie in gewisser Weise voneinander getrennt werden. Davon spreche Augustinus, wenn er unterstreichen wolle, dass die Sakramente

560 Vgl. Gollwitzer, Coena Domini, 233. 561 Vgl. Muller, Presence, 161. 562 Vgl. Fisk, Philip: Calvin’s Metaphysics of Our Union with Christ, in: International Journal of Systematic Theology 11 (2009), 309 – 331, hier: 311. 563 S. OS IV 192,22 – 36 [Inst. III 11,11]. 564 Vgl. Beeke, Piety, 128 f. 565 „Since the benefits of the Supper flow from union with Christ, there are corresponding implications for those who are not joined to him by faith.“ (Mason, Banquet, 340.) 566 Vgl. Gerrish, Grace, 74. 567 S. OS IV 423,22 – 26 [Inst. III 24,12]. 568 S. OS V 398,8 [Inst. IV 17,34]. 569 S. OS V 407,16 [Inst. IV 17,42]. Die Gläubigen werden durch den Geist lebendig gemacht. Christus als das Brot des Lebens aber komme nicht in einem Leib, in dem der Geist nicht schon wohne. (S. CO 9, 485 [Explicatio sanae doctrinae].) 570 S. OS V 393,27 f [Inst. IV 17,33].

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nur in den Erwählten wirkten.571 Die Trennung liegt damit auf der menschlichen Seite und nicht bei Gott, der immer beides zusammen anbiete. Es ist nicht leicht zu klären, wer nach Calvin zu den impii zu zählen ist. Problematisch sind Formulierungen, wo Calvin nicht von den Ungläubigen, sondern auch von Unwürdigen572 spricht oder verschiedene Arten von Verbrechern aufzählt.573 Dabei muss aber bedacht werden, dass die Würdigkeit in Calvins Theologie mit der Erwählung zusammenhängt, was durch die Gegenüberstellung von indigni und electi deutlich wird.574 Würdig seien alle, die von der Erwählung nicht ausgenommen seien, denn der Glaube mache aus Unwürdigen Würdige.575 Die Würdigkeit stellt also kein hohes sittliches Ideal dar, sondern besteht in Glaube und Liebe, auch wenn letztere nur unvollkommen sei.576 Somit sind die Verworfenen die impii. Calvin kennt darüber hinaus auch den unwürdigen Abendmahlsempfang, den er aufgrund des biblischen Zeugnisses von 1 Kor 11,29 nicht übergehen kann. Unwürdig empfange das Abendmahl, wer ohne einen Funken von Glauben577 und ohne Bemühung um Liebe zum Tisch des Herrn komme.578 Des Weiteren seien auch die unwürdig, die nicht wirklich ihre Sünden bereuten, sondern lediglich aus Furcht vor dem kommenden Gericht Gottes.579 All diese zögen sich so ihr Verderben zu, weil sie durch ihren Abendmahlsempfang dennoch bezeugten, dass Christus das Heil sei, obwohl sie den Glauben an diesen nicht bewahrt hätten.580 Deswegen sei es wichtig, sich vor dem Empfang des Sakramentes selber zu prüfen, ob wirklich auf Christus vertraut werde und die Bereitschaft bestehe, sich für die Schwestern und Brüder im Glauben hinzugeben, wobei Calvin – gegen die Täufer581 – betont, dass das Bemühen bereits ausreiche und die Liebe nicht vollkommen sein müsse.582 Da aber das Abendmahl gerade die Sünder trösten wolle, bestehe die verlangte Würdigkeit darin, die eigene Unwürdigkeit Christus hinzuhalten, damit dieser wiederum 571 S. OS V 272,15 – 22 [Inst. IV 14,15]. Die Herausgeber der OS vermerken, dass Calvins Worte nicht bei Augustinus zu finden seien. 572 S. OS V 393,34.37 [Inst. IV 17,33]. 573 „Modo igitur ne quispiam sit fur, aut adulter, aut homicida, dicunt [Papistae, F. E.] sacramenta habere suum effectum“ (CO 40, 492 [Kommentar zu Ez 20,20]). 574 S. OS V 393,37 [Inst. IV 17,33]. 575 „Dignum intelligo, quem Dominus non excludit, etiamsi alioqui nonnihil in te desideretur. Fides enim etiam inchoata ex indignis facit dignos.“ (CO 49, 493 [Kommentar zu Ez 20,20].) 576 S. OS V 407,32 – 408,1 [Inst. IV 17,42]. 577 Hier ergibt sich aufgrund von Calvins Ablehnung der manducatio impiorum die Frage, ob solche Menschen überhaupt Leib und Blut Christi empfangen können, da ein unwürdiger Empfang den Glauben grundsätzlich voraussetzt. 578 S. OS V 404,27 – 405,1 [Inst. IV 17,40]. 579 S. CO 49, 493 [Kommentar zu 1 Kor 11,29]. An dieser Stelle betont Calvin, dass diese Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Unwürdigkeit nicht den Leib Christi empfange. Dennoch würde ihnen die ansonsten heilbringende Speise zum Gericht und Gift werden. 580 S. OS V 405,10 – 13 [Inst. IV 17,40]. 581 Vgl. Opitz, Leben, 85. 582 S. OS V 405,21 – 32 [Inst. IV 17,40]; 408,2 – 6 [Inst. IV 17,42].

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Barmherzigkeit übe, denn auf die Selbsterniedrigung folge die Rechtfertigung.583 Glaube darf in diesem Kontext nicht als von den Gläubigen zu vollbringendes Werk verstanden werden584, da auch er Werk des Heiligen Geistes an denen ist, die von sich aus niemals glauben könnten.585 Er muss aber auf Seiten der Menschen vorhanden sein, damit Gottes Gaben und deren Wirkungen586 überhaupt empfangen werden können. Das ist Calvins Haupteinwand gegen die altgläubige obex-Lehre587, die den Glauben überflüssig mache588 und zu einem magischen Sakramentenverständnis führe.589 Zusammenfassend lässt sich sagen, „dass die Gegenwart Christi objektiv ist, insofern sie angeboten wird, subjektiv, insofern sie empfangen wird.“590 Mit der Bestreitung der manducatio impiorum stellt Calvin das einzig notwendige subjektive Kriterium im Sakramentenempfang heraus, nämlich den Glauben. Gottes Gabe und damit die von Gott verbürgte Objektivität der Sakramente können dagegen nicht von Menschen zunichte gemacht werden.591 „Christus ist auch den Ungläubigen gegenwärtig, auch wenn er mit all seinen Wohltaten nur von den Gläubigen empfangen wird.“592 Ersteres muss unterstrichen werden, weil Calvin die Verwerfung der manducatio impiorum nicht mit der Abwesenheit Christi begründet, sondern mit seiner wahren Gegenwart im Heiligen Geist.593 Wohl aber kann es auf der Seite der Empfänger Hindernisse geben, diese Präsenz zu empfangen. So wird durch Calvins Ablehnung der manducatio impiorum die Gegenwart Christi im Abendmahl

583 S. OS V 407,2 – 5; 16 – 21 [Inst. IV 17,42]. 584 Diese Gefahr sieht Ernst Bizer. Der Glaube drohe durch die notwendige Selbstprüfung, ob man denn Glauben habe, psychologisiert zu werden. Diese Auffassung, die Bizer hinter der calvinischen Lehre vermutet, würde den Lutheranern ihr gutes Recht geben, gegen Calvins Einspruch zu erheben. (Vgl. Bizer, Studien, 286 – 289.) 585 S. OS IV 413,11 f [Inst. III 24,3]. 586 S. CO 40, 492 [Kommentar zu Ez 20,20]. 587 S. DH 1451; 1606. 588 „Papistae quum de sacramentis loquuntur, dicunt habere efficaciam, modo ne ponamus obicem peccati mortalis: illic nulla fidei mentio.“ (CO 40, 492 [Kommentar zu Ez 20,20].) Das Problem für Calvin an der altgläubigen Lehre besteht also darin, dass er ihr unterstellt, dass auch Menschen ohne Glauben die Wirkungen von Christi Tod und Auferstehung empfingen. 589 S. ICOE 12.1, 239,22 – 25 [Kommentar zu Apg 8,13].) 590 „che la presenza di Cristo À oggetiva in quanto À offerta, soggetiva, in quanto À ricevuta“ (Tosto, Convergenza, 80). 591 Das schreibt Calvin 1562 ausdrücklich: „ Non pas que nostre incredulit¦ abolisse la verit¦ de Dieu, ou que nostre malice empesche que les Sacremens ne retiennent leur vertu: car quels que nous soyons, Dieu demeure tousiours semblable — soy-mesme, et la vertu des Sacremens ne depend point de nostre foy : tellement que par nostre ingratitude nous ne pouvons desroguer — leur nature ou qualit¦.“ (CO 9, 768 [Confession de Foy au nom des Eglises Reformees de France].) 592 „Christ is present also to unbelievers, though he is received with all his benefits only by the faithful.“ (Willis, Substantia, 296.) 593 Vgl. Muller, Presence, 162.

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nicht von Menschen abhängig gemacht oder geleugnet, schon gar nicht sollte sie als Ablehnung der manducatio fidelium gelesen werden.594 3.4 Zusammenfassung In der Institutio von 1559 bekräftigt Calvin die Positionen, die er schon im Petit Traict¦ vertrat. Deutlich bekennt sich Calvin zur wahren und substantiellen Gegenwart Christi in der Feier des Abendmahls. Die Gläubigen empfangen durch die Symbole und unter ihnen gleichzeitig und auf gleiche Weise (simul et similiter) die Substanz von Christi Leib und Blut. Klarer stellt Calvin aber den Geheimnischarakter des Abendmahls und der unio cum Christo heraus. Auch die conversio von Brot und Wein betont er stärker als 1541. Viele Formulierungen weisen Anknüpfungen zum Petit Traict¦ auf. Vor allem die zustimmende Verwendung der Begriffe substantia und simul untermauert diese These. Damit wird einmal mehr deutlich, dass der Consensus Tigurinus ein äußerst untypisches Dokument für Calvins Abendmahlslehre darstellt, da dort wichtige Elemente und Begriffe fehlen. Dieser Text ist eher eine Zwischenetappe als ein authentischer Ausdruck seiner Lehre. Weiter ausgebaut hat Calvin die Christologie, was sich durch die Anfragen der lutherischen Gegner erklären lässt. Die Institutio hat die Verknüpfung der Christologie mit der Soteriologie klarer herausgearbeitet und somit die Abwehr von jeglicher Gefährung der Erlösung als das Hauptmotiv gegen sowohl örtliche Gegenwartsmodelle als auch die Ubiquitätslehre deutlich werden lassen. Ebenso tritt Calvins Bestreitung der manducatio impiorum deutlicher als im Petit Traict¦ zutage. Insgesamt wendet sich Calvin in der Institutio offener und direkter gegen bestimmte Aspekte der lutherischen Abendmahlslehre, was sich aufgrund der Kontroverse mit Westphal erklären lässt. Die Bestreitung der Transsubstantiationslehre bleibt unverändert. Die Zuhilfenahme anderer Texte hat noch klarer gezeigt, dass Calvin mit dem Erhalt der Brot- und Weinsubstanz die materielle Unverändertheit der Elemente ausdrückt.

4. Die Ergebnisse der historischen Analysen Die Analysen des Petit Traict¦ de la Saincte Cene und der endgültigen Version der Institutio haben ergeben, dass hier wie dort die gleichen großen fünf Themenblöcke verhandelt werden, wodurch weitgehende inhaltliche Übereinstimmungen sichtbar geworden sind. Die Consensio mutua dagegen wurde anhand eines Vergleichs mit den ihr vorangehenden Texten analysiert, um so 594 Vgl. Muller, Presence, 160; 162.

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Die Ergebnisse der historischen Analysen

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die Unterschiede zu Bullingers Abendmahlslehre herauszuarbeiten. Bestimmte Elemente haben in der Institutio größere Bedeutung, was auf den zweiten innerreformatorischen Abendmahlsstreit zurückgeführt werden muss; so sind die langen christologischen Abhandlungen sowie die deutlichere Ablehnung der manducatio impiorum in dieser Ausführlichkeit dort neu, ohne aber – wie gezeigt – im Petit Traict¦ völlig zu fehlen. In vielen Formulierungen knüpft Calvin jedoch bewusst an ältere – das heißt, aus der Zeit vor dem Abschluss der Consensio mutua stammende – Gedanken und Formulierungen an und stellt so die Kontinuität seiner Abendmahlstheologie her. Inhaltlich gibt es daher keine großen Änderungen. Insofern ist die These von Wim Janse und Thomas Davis bezüglich der Entwicklung von Calvins Abendmahlslehre zu modifizieren, da die Veränderungen sich größtenteils auf sprachliche Formulierungen, nicht aber auf materiale Aussagen beziehen. Darüber hinaus hilft das Vorwort zur Institutio von 1535, das weder Janse noch Davis beachtet haben, bestimmte „zwinglianische“ Aussagen in der Institutio von 1536 besser zu verstehen.595 Auf keinen Fall sind fundamentale Veränderungen hinsichtlich der Gegenwart Christi festzustellen. Calvin ist in seiner Abendmahlstheologie recht konstant, da alle Elemente seiner Lehre bereits in der Frühzeit gefunden werden können, wenn auch nicht immer alle Motive in jedem Werk vorkommen. Somit ist Ernst Saxer zuzustimmen, der davon ausgeht, dass Calvins Sakramentenlehre im Wesentlichen seit 1536 feststand.596 Diese Konstanz wird durch die Consensio mutua nicht zerstört, da Calvin dort nichts Anderes, sondern nur Weniger sagt als sonst. Diese Konstanz erlaubt eine gewisse Systematisierung der Lehre des Reformators. Das erleichtert den Dialog mit der römisch-katholischen Eucharistielehre im folgenden Kapitel dieser Arbeit. Der Übersichtlichkeit wegen werden im Folgenden die Ergebnisse der Untersuchungen thesenhaft zusammengefasst. 1. Calvin plaziert das Abendmahl in den größeren Kontext seiner Lehre, genauer gesagt der Soteriologie, die sich vor allem mit der Frage beschäftigt, wie die Gläubigen den ganzen Christus besitzen können. Diese erhalten Anteil an der Erlösung durch ihre communio / unio cum Christo. Christus werde durch den Glauben aufgrund des Wirkens des Heiligen Geistes empfangen, was zur Folge habe, dass die Gläubigen an der von ihm gewirkten Erlösung partizipierten. Gott habe in seiner gnädigen Akkommodation äußere Hilfsmittel eingesetzt, die der Erkenntnisfähigkeit der Gläubigen, die Geschöpfe und Sünder seien, entsprächen und die unsichtbare Gemeinschaft mit Christus visualisierten. Dazu zählt Calvin u. a. das Evangelium und das Abendmahl. In diesen sichtbaren Hilfsmitteln passe sich Gott der geschöpflichen und durch die Sünde getrübten Er595 Das Vorwort zur Institutio hat Thomas Davis in seiner Arbeit gar nicht beachtet. 596 Vgl. Saxer, Siegel, 411. Zu demselben Befund kommt auch Tosto, Convergenza, 21.

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kenntnisfähigkeit der Gläubigen an. Die Akkommodation Gottes im Abendmahl besteht Calvin zufolge darin, dass Gott durch das Sakrament seine Verheißung, dass Jesus Christus das Brot des Lebens sei, und die geistgewirkte Speisung der Seele mit dem Leib Christi sichtbar darstelle. Denn so wie der Leib vom Brot genährt und gestärkt werde, so werde die Seele vom Leib Christi genährt und gestärkt. Diese Sichtbarkeit bestimmt Calvin als das Proprium des Abendmahls gegenüber dem Wort. Beide parallelisiert Calvin hinsichtlich der Gnadenvermittlung, da sowohl das Wort als auch das Sakrament wirklich und wirksam Christus und seine Gnade exhibierten. Das Abendmahl visualisiert damit die unio cum Christo und vertieft diese zugleich, so dass die Wirkweise der Sakramente in Calvins Theologie als komparativisch bezeichnet werden kann. Den ersten Nutzen des Abendmahls sieht Calvin daher in der Heilsvergewisserung für die angefochtenen Gewissen der Gläubigen. Im Abendmahl erführen sie in lebendiger Weise ihre Teilhabe am erlösenden Tod Christi und die Gemeinschaft mit Christus. Auf diese Weise versiegele Gott seine Verheißungen im Abendmahl. Die Sakramente seien somit allein aus der Perspektive der Gläubigen notwendig. Da diese im Glauben und in der Heiligung gestärkt werden müssten, biete ihnen Gott sichtbare Hilfen wie das Abendmahl an. Der dynamische Charakter von Glaube und Heiligung mache solche Hilfen erforderlich. Als weitere Zwecke nennt Calvin das durch die Sakramente abgelegte Bekenntnis der Feiernden vor Gott, den Aufruf zum Lobpreis von Gottes Gütern und die Ermahnung zu einem Leben in Heiligkeit. 2. Calvin geht es darum, alle örtlichen und materialistischen Vorstellungen von Christi Gegenwart im Abendmahl auszuschließen. Allein durch das Wirken des Heiligen Geistes sei Christus wirklich und wirksam gegenwärtig: „Realpräsenz wird als geistgewirkte Christuspräsenz präzisiert.“597 Der Heilige Geist realisiere die von Christus angebotene Gemeinschaft mit den Gläubigen und verbinde beide wirkungsvoll miteinander. Wenn Calvin daher die Gegenwart von Christi Leib und Blut als spiritualis charakterisiert, so ist das als Ausdruck der Realität dieses Geschehens aufzufassen. Der Gegenbegriff dazu ist nicht realis, sondern carnalis, worunter Calvin die örtlich-materialistische Gegenwart des Leibes Christi versteht, die er rigoros ablehnt. Diese zwei grundlegenden Aspekte dienen als hermeneutischer Schlüssel zu seiner Abendmahlslehre und müssen daher immer im Auge behalten werden, da der Reformator bei der positiven Formulierung der eucharistischen Gegenwart Christi eine große sprachliche Bandbreite aufweist und auch andere Ausdrucksweisen gelten lässt, solange diese beiden Punkte gewahrt bleiben. Christus mit seinem Tod und seiner Auferstehung bildet für Calvin die 597 Beintker, Michael: Art. ,Abendmahl III. Dogmatisch b) Reformiert‘, in: RGG4 1 (1998), 36 – 39, hier: 37.

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Substanz des Abendmahls, wobei mit Substanz die Wirklichkeit der Gegenwart Christi ausgedrückt wird. Die innerste Wirklichkeit des Abendmahls sei infolgedessen die ganze Person Jesu Christi mit all dem, was er für die Gläubigen vollbracht hat; zur ganzen Person gehören für Calvin auch Leib und Blut. Ohne diese Substanz gäbe es weder Gemeinschaft mit Christus noch könnten die Wirkungen des Sakraments empfangen werden. Deren Empfang ziele auf den Besitz des ganzen Christus, wodurch die soteriologische Ausrichtung des Abendmahls deutlich wird. Empfangen werde Christus durch das Essen und Trinken von Brot und Wein, da die Elemente als Medien dem Kommen Christi zu den Gläubigen dienten. 3. Calvin lehnt das zwinglianische Verständnis der sakramentalen Zeichen ab, weil dort die Verbindung zwischen den Zeichen und der durch sie bezeichneten Wahrheit nicht beachtet werde. Die Transsubstantiationslehre hält er für falsch, weil sie erstens nicht schriftgemäß sei, zweitens durch die Vernichtung der Substanzen von Brot und Wein Gottes Akkommodation zerstört werde und sie drittens falsche Vorstellungen wie die lokal verstandene Gegenwart oder eine unzulässige Bindung Jesu Christi an die Elemente mit sich bringe. Auch die lutherische unio sacramentalis bestreitet er, weil dadurch – wie auch in der Transsubstantiationslehre – die Differenz zwischen Zeichen und Sache nivelliert werde. Zwischen diesen Polen artikuliert Calvin sein Verständnis der im Abendmahl verwendeten Zeichen als Mittelweg. Die Zeichen machten zum Einen die unsichtbaren Verheißungen sichtbar. Zum anderen bestimmt Calvin das Verhältnis zwischen den eucharistischen Elementen und deren Inhalt als ein instrumentales: Christus verwende sie als Werkzeuge. Das heißt, durch sie repräsentiere und präsentiere bzw. exhibiere er seinen Leib und sein Blut. Durch die Symbole steige Christus in der Kraft des Heiligen Geistes zu den Gläubigen hinab. Da durch ihren Dienst die Gläubigen die Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut empfingen, würden sie als Leib und Blut bezeichnet, aber nicht weil die Substanzen von Brot und Wein zerstört und durch die Substanz von Christi Leib und Blut ersetzt würden. Die Exhibition von Christi Leib und Blut finde statt, weil diese Zeichen aus Gottes Hand kämen und dieser als deren treuer und wahrhafter Urheber das Bezeichnete auch zu geben vermöge, wodurch sich Sakramente von rein menschlichen Zeichen unterschieden. Die Qualität des werkzeuglichen Charakters von Brot und Wein bestimmt Calvin jedoch nicht näher. Er hält lediglich fest, dass erstens der Empfang von Christi Leib und Blut durch die Kraft des Heiligen Geistes geschehe und zweitens Christus nicht örtlich-materialistisch an die Elemente gebunden werden dürfe. Aufgrund der exhibitiven Funktion nennt Calvin die Zeichen Symbole, da in seinem Verständnis ein Symbol die dargestellte Wirklichkeit auch real darbietet. Weil nun Brot und Wein durch die Verkündigung zu solchen Symbolen und damit zu etwas Anderem würden, kennt Calvin eine conversio von Brot und Wein.

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4. Die Hauptargumente für Calvins Bestreitung der leiblichen Gegenwart Christi und für die Affirmation seiner durch den Geist bewirkten Präsenz gründen in seiner Christologie und Soteriologie. Der Reformator versteht die Himmelfahrt Christi als einen wirklichen Ortswechsel, so dass Christi Leib sich zur Rechten des Vaters bis zu seiner Wiederkunft befinde und nicht etwa unsichtbar weiterhin auf Erden fleischlich gegenwärtig sei. Seit der Himmelfahrt sei Christus nicht mehr im Fleisch, sondern durch das Wirken des Heiligen Geistes gegenwärtig. Der Leib Christi sei im Himmel, wobei Calvin trotz seiner teilweise spatial-lokalen Sprache darunter keinen geographisch angebbaren Ort, sondern die Sphäre der Transzendenz Gottes versteht. Da sich die beiden Naturen in Christus nicht vermischten, könne der Leib in seiner materiellen Beschaffenheit nicht gleichzeitig an mehreren Orten sein. Calvin lehnt damit sowohl die Ubiquitäts- als auch die Transsubstatiationslehre ab, weil er bei beiden Modellen eine lokale Gegenwart Christi annimmt. Könnte Christi Leib an mehreren Orten zugleich sein, so wäre sein Leib kein wahrhaft menschlicher Leib mehr, was zur Folge hätte, dass Christus keine volle menschliche Natur angenommen hätte und damit nicht wahrer Mensch wäre. Calvin zufolge wäre Christus dann ein Mischwesen aus Gott und Mensch, das jedoch die Menschen nicht erlösen könnte, weil es nicht wirklich Mensch sei. Im Gegensatz zum lutherischen Verständnis der Idiomenkommunikation, wonach einige Eigenschaften der Gottheit real an die Menschheit übertragen werden, versteht Calvin die communicatio idiomatum als eine rein sprachliche Regelung, zu der die Einheit der Person Christi zwinge. Auch nach der Erhöhung blieben Gottheit und Menschheit ungetrennt und vor allem unvermischt, worauf Calvin den Akzent setzt. Christus sei totus als Person überall gegenwärtig, aber nicht totum, wozu auch das menschliche Fleisch in seiner materiell-historischen Beschaffenheit gehöre. Da die Gottheit in der Menschheit nicht eingeschlossen werden könne, sei Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes in seiner ganzen Person auch außerhalb des historischen Leibes Jesu gegenwärtig; diese Lehre wird traditionell als Extra Calvinisticum bezeichnet. Diese pneumatische Gegenwart ermöglicht in Calvins Lehre die Präsenz Christi im Abendmahl. 5. Die geistgewirkte Abendmahlswirklichkeit von Christi Leib und Blut wird Calvin zufolge durch den Glauben empfangen, womit sich der Genfer Reformator scharf von der lutherischen manducatio oralis abgrenzt. Glaube sei keine subjektive Haltung, sondern bereits das Ergebnis des Geistwirkens im Innern des Menschen. Durch den Glauben werde die unio cum Christo ergriffen. Als Folge dieser Gemeinschaft empfingen allein die Gläubigen Christi Leib und Blut. Das Abendmahl begründe demzufolge nicht die Einheit mit Christus, sondern besiegele sie, ohne dadurch die Exhibition von Christi Leib und Blut im Abendmahl zu bestreiten.

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Der Glaube fungiert damit als eine Art Empfangsorgan für die göttlichen Gaben des Abendmahls. Die altgläubige obex-Lehre lehnt der Reformator ab, weil er glaubt, dass der Glaube dort völlig überflüssig sei. Aus dem Fehlen des Glaubens folgt für Calvin, dass die Gaben Gottes im Abendmahl nicht von einem impius empfangen würden. Wer keinen Glauben habe, mag zwar die äußeren Symbole empfangen, nicht aber deren geistgewirkte Wirklichkeit. Auf diese Weise muss Calvins Aussage, dass nur die Erwählten Leib und Blut Christi empfingen, verstanden werden, denn nur den Erwählten werde durch den Geist die Gabe des Glaubens zuteil. Calvin unterstreicht, dass die Gegenwart von Christi Leib und Blut nicht durch den Glauben des Einzelnen konstituiert werde, denn Christus biete sich allen Abendmahlsteilnehmern an. Der Mangel liege dementsprechend auf der Seite des Menschen, der Gottes Gaben nicht annehmen könne; Gott hingegen ziehe sein gnadenhaftes Angebot niemals zurück, denn der menschliche Unglaube vermöge es nicht, seine Gnade zu zerstören. Calvin geht es aber nicht darum, einen vollkommenen Glauben zu fordern. Dieser soll ja gerade durch das Sakrament gestärkt werden.

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II Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre aus römisch-katholischer Sicht Den eher historischen Analysen folgt nun ausgehend von römisch-katholischer Eucharistielehre eine kritische Würdigung von Calvins Abendmahlslehre in systematischer Perspektive. Nachdem im ersten Teil dieser Studie Calvins Abendmahlslehre mit ihrem Glauben an die wirkliche Gegenwart Jesu Christi und das instrumentale Verständnis der sakramentalen Zeichen herausgearbeitet worden ist, soll nun untersucht werden, inwiefern diese Theologie mit dem römisch-katholischem Glauben an die Realpräsenz und deren Explikation qua Transsubstantiation kompatibel ist. Darüber hinaus müssen auch Aspekte von Calvins allgemeiner Sakramentenlehre und Christologie aus römisch-katholischer Sicht untersucht und beurteilt werden. Das geschieht in folgender Weise: Die fünf großen Themen von Calvins Lehre werden vor dem Hintergrund der katholischen Lehre über die Eucharistie diskutiert und kommentiert. Dabei kommen Stimmen des kirchlichen Lehramtes, der Tradition und auch neuere Entwürfe zur Sprache. Es soll nicht darum gehen, jede einzelne Äußerung Calvins zu besprechen, sondern die für den ökumenischen Dialog relevanten Aspekte auf ihre Vereinbarkeit mit der römisch-katholischen Theologie hin zu prüfen. Damit soll keine neue Theorie der Realpräsenz entworfen werden, sondern lediglich eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre aus römisch-katholischer Perspektive in der Hoffnung, dass diese dem reformiert-katholischen Dialog über das Herrenmahl von Nutzen ist.

1. Fragen zur allgemeinen Sakramentenlehre Für die römisch-katholische Tradition gibt es hinsichtlich Calvins allgemeiner Sakramentenlehre folgende Aspekte, die besonderer Reflexion bedürfen: Calvins Verknüpfung der unio cum Christo mit dem Abendmahl, die daraus resultierende Heilsgewissheit, das Verhältnis von Wort und Sakrament, die Frage nach dem Proprium der Sakramente gegenüber dem Wort und die Notwendigkeit der Sakramente. Der Kontext, in den Calvin seine Abendmahlslehre stellt, ist die unio cum Christo und damit ein soteriologischer. Durch das Abendmahl wird die unsichtbare – auch unabhängig vom Sakrament bestehende – Gemeinschaft mit Christus visualisiert, bezeugt und zugleich den Gläubigen zur Stärkung in

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ihrem geistlichen Leben geschenkt. Calvin begrenzt die Gemeinschaft mit Christus nicht auf die Abendmahlsfeier. Auch außerhalb davon haben die Gläubigen tagtäglich Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut, so dass demzufolge das Abendmahl nicht mehr bietet als das Wort und auch andere Vollzüge des kirchlichen Lebens. Was Gott im Abendmahl präsentiert, unterscheidet sich nur in der Form der Darbietung. Das Abendmahl dient somit vor allem der Vergewisserung des Heils, das den Gläubigen allein aufgrund von Gottes rettendem Handeln zukommt. Die Sakramente, verstanden als Siegel von Gottes Barmherzigkeit, schenken den durch die Sünden angefochtenen Gewissen die Gewissheit, am Heil zu partizipieren. Es ist wichtig, Calvins Kontext nicht zu übersehen, weil von diesen theologischen Vorentscheidungen auch einige, für katholische Theologen das Abendmahl scheinbar relativierende Aussagen abhängen. So bemängelt beispielsweise Joseph Ratzinger, dass das Abendmahl in Calvins Lehre kein Proprium habe, weil die Gegenwart Christi auch in der Schriftlektüre, in der Predigt und in anderen Vollzügen gelebten Glaubens empfangen werden könne und somit die eucharistische Gegenwart in die allgemeine Gegenwart Christi aufgehoben werde.1 Calvins Verknüpfung von unio cum Christo und Abendmahlslehre kann sich auf eine in der katholischen Theologie in Vergessenheit geratene Lehre berufen. Was der Reformator als die Gemeinschaft mit Christus bezeichnet, kennt die katholische Tradition bis zum Beginn der Scholastik unter dem Namen der manducatio spiritualis bzw. der geistlichen Kommunion. Die geistliche Kommunion ist nicht mit der Frömmigkeitsübung der geistigen Kommunion der nachtridentinischen Zeit zu verwechseln, womit der Empfang der res sacramenti aufgrund des votum sacramenti ohne den Empfang des Sakramentes selbst gemeint ist. Die geistliche Kommunion stellt eine Antwort auf die dogmatische Fragestellung dar, ob die res sacramenti auch ohne den Empfang des Sakramentes empfangen werden könne.2 Im Gegensatz zur geistigen Kommunion, die ein ähnliches Problem behandelt, ist die geistliche Kommunion sowohl umfassender als auch grundlegender für den Glauben des Einzelnen3, da bis zu Beginn der Hochscholastik darunter in grundlegender Weise „die personale Verbundenheit mit Christus und der Kirche in Glauben und Liebe“4 und die durch den Heiligen Geist bewirkte Gegenwart Christi in den Gläubigen ver-

1 Vgl. Ratzinger, Problem, 135. 2 Vgl. Schlund, Robert: Eine „vergessene“ Wahrheit. Die Kongregation für die Glaubenslehre erinnert aus aktuellem Anlaß an die Wirklichkeit der „geistlichen Kommunion“, in: ders.: In dieser Zeit Christ sein. Theologisch-pastorale Ortsbestimmungen, Freiburg im Breisgau – Basel – Wien 1986, 317 – 340, hier: 318. 3 Vgl. Schlette, Heinz Robert: Die Lehre von der geistlichen Kommunion bei Bonaventura, Albert dem Grossen und Thomas von Aquin (= MThS.S 47), München 1959, 3. 4 Schlette, Sakrament, 67.

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standen wurde.5 Der Glaube selbst ist damit in der Kraft des Heiligen Geistes die Vereinigung der Gläubigen mit Jesus Christus.6 Anhaltspunkte für diese Theologie finden sich schon in der Heiligen Schrift, vor allem in der Theologie des Apostels Paulus. Die Wendung „in Christus“ „hat als das Kontinuum seiner Theologie zu gelten“7, was sich an der Häufigkeit der Verwendung dieser oder semantisch ähnlicher Formeln belegen lässt.8 Die Kontexte dieser Wendung sind unterschiedlich. An einigen Stellen aber bezeichnet Paulus damit ein In-Christus-Sein der Glaubenden. Ohne dabei an außergewöhnliche Phänomene der Mystik zu denken, können aber Stellen wie zum Beispiel 2 Kor 13,5 oder Phil 3,12 als die Erfahrung „einer gnadenhaften Einigung des Menschen mit Christus“9 verstanden werden, die Paulus nicht allein für sich reserviert, sondern auf alle Glaubenden erweitert.10 Auch in den deuteropaulinischen Schriften finden sich ähnliche Stellen, wie zum Beispiel Eph 3,17, wonach Christus durch den Glauben in den Herzen der Gläubigen wohne. Der Glaube fungiert hier nicht als magisches Mittel der Christusgegenwart, sondern durch ihn bleibt die Gegenwart Christi im Herzen der Menschen lebendige Realität, die durch den Heiligen Geist genährt und gestärkt wird.11 An Eph 3,17 wird außerdem die Verbindung von Glaube und Liebe deutlich, wenn der Verfasser mit dem Wunsch fortfährt, dass die Gläubigen in der Liebe verwurzelt seien. In der theologischen Tradition spielte vor allem die Brotrede Jesu in Joh 6 und deren Interpretation durch Augustinus (354 – 430) eine wichtige Rolle.12 Letzterer deutet den Glauben an Jesus Christus, der das Brot des Lebens ist, als manducatio: „glaube und du hast gegessen“13. Er versteht „den liebeserfüllten 5 Vgl. ebd. 6 Vgl. Kasper, Walter: Wort und Sakrament, in: ders.: Glaube und Geschichte, Mainz 1970, 285 – 310, hier: 307. 7 Schnelle, Udo: Paulus. Leben und Denken, Berlin – New York 2003, 548. 8 Die Formeln 1m Wqist` und 1m juq¸\ kommen insgesamt 101mal in den paulinischen Schriften vor. (Vgl. ebd.) Jedoch variiert der Sinn dieser Aussagen sehr stark. (Vgl. Gnilka, Joachim: Paulus von Tarsus. Zeuge und Apostel (= HThkNT, Supplementband 6), Freiburg im Breisgau – Basel – Wien 1996, 257.) 9 Gnilka, Paulus, 258. 10 Vgl. ebd., 259. 11 Vgl. Schnackenburg, Rudolf: Der Brief an die Epheser (= EKK X), Zürich – Einsiedeln – Köln 1982, 151 f. 12 Vgl. Schlette, Sakrament, 13 – 15. Auf die Frage, ob in Joh 6,53 – 58 die Eucharistie gemeint ist oder nicht, gehen die Antworten der Exegeten auseinander. Für eine eucharistische Interpretation vgl. Houssiau, Albert: Le Repas du Seigneur selon le Nouveau Testament, in: Haquin, Andr¦ (Hg.): L’Eucharistie au Cœur de l’Êglise et pour la Vie du Monde (= Cahier de la Revue Th¦ologique de Louvain 36), Louvain-la-Neuve 2004, 1 – 30, hier: 22 – 24. Dagegen vgl. Thyen, Hartwig: Das Johannesevangelium (= HNT 6), Tübingen 2005, 370. – Schröter, Jens: Das Abendmahl. Frühchristliche Deutungen und Impulse für die Gegenwart (= SBS 210), Stuttgart 2006, 59 f. 13 „crede et manducasti“ [Augustinus: in Ioh. XXV 12 (= CCh.SL 36, 254).] Zu großer Bekanntheit kam dieses Zitat außerdem durch seine Aufnahme in das Decretum Gratiani.

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Glauben als ein ,Essen‘ Christi“14, als geistliche Kommunion, die durch den Heiligen Geist realisiert wird und durch die die Gläubigen in den Leib Christi inkorporiert werden.15 Das Empfangen des Sakraments ist bei Augustinus zum Einen „Ausdruck, nämlich die Festigung, Vertiefung, Verlebendigung der schon gegebenen Gemeinschaft am mystischen Leib aufgrund der Mitteilung des Heiligen Geistes, durch den Christus über den aktuellen Empfang des Sakraments hinaus wirkt“.16 Zum Anderen intensiviert das Sakrament diese schon bestehende Gemeinschaft.17 Diese Tradition wurde vor allem von stärker augustinisch denkenden Theologen rezipiert. Hugo von St. Viktor beispielsweise sah in der geistlichen Kommunion qua personaler Einheit mit Jesus Christus in Glaube und Liebe den Ermöglichungsgrund für den Empfang Christi in der Eucharistie. Durch die geistliche Kommunion habe der Empfänger auch schon vor dem Empfang des Sakraments die res sacramenti. Das heilsschaffende Wirken des Sakramentes wird Hugo zufolge durch den Glauben erlangt, dessen wahrhaftiger Ausdruck sich im Verlangen nach dem Sakrament äußere.18 Dem konkreten Sakrament kommt bei ihm die Funktion zu, die Gegenwart Christi im Gläubigen zu bezeichnen und außerdem zu intensivieren, da es als Gefäß der Gnade die angezeigte sakramentale Gnade auch enthalte19, so dass der Empfang des Sakramentes die Einheit mit Christus verwirklicht und die „,spiritualis praesentia‘ Christi im Herzen“20 – „d. h. die im Hl. Geist geschehende personale Einheit des Menschen mit Christus in Glauben und Lieben“21 – festigt. Dementsprechend sei der glaubende und liebende Mensch, der das Sakrament nicht empfangen könne, besser als derjenige, der nicht glaube und dennoch das Sakrament empfange.22 Das hat bei Hugo zur Folge, dass der Sünder, dem die Christusgemeinschaft fehlt, der geistliche Empfang Christi unmöglich ist, weil dieser schon die geistgewirkte Einheit mit Christus voraussetzt.23 Diese festigende und vertiefende Wirkweise der Sakramente wird von Heinz Robert Schlette (*1931) als „komparativische Funktion des Sakramentes“24 bezeichnet. In der Folgezeit änderte sich die Perspektive. Die Frage nach der Eigenwirksamkeit des Sakramentes wurde immer mehr in den Mittelpunkt gestellt, 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Schlette, Sakrament, 15 f. Vgl. Schlund, Vergessene Wahrheit, 326. Schlette, Sakrament, 16. Vgl. ebd. Vgl. Schlette, Kommunion, 15. Vgl. Schlette, Sakrament, 17; 19. Vgl. Schlette, Kommunion, 18. Ebd., 19. Vgl. Hugo von St. Viktor: De Sacramentis II 8,5 (= Hugo von St. Viktor : De sacramentis Christiane fidei (= Corpus Victorinum: Textus historici 1), hrsg. v. Rainer Berndt, Münster 2008, 404.). 23 Vgl. Schlette, Kommunion, 19. 24 Vgl. ebd.17, Hervorhebung im Original.

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so dass die geistliche Kommunion in den Hintergrund rückte. Thomas von Aquin kennt in seinem Sentenzenkommentar neben der manducatio sacramenti auch die manducatio Christi, die im Vollzug von Glaube und Liebe, ohne direkten Bezug zur Eucharistie geschieht.25 In der Summa, wo der Gedanke der Sakramente als Instrumentalursache der Gnade immer bedeutender wird, ist es ihm nicht mehr möglich, das Erlangen der res sacramenti ohne einen direkten Bezug zu den Sakramenten zu denken: „niemand hat die Gnade vor dem Empfang dieses Sakramentes außer aufgrund irgendeines Verlangens (voto) nach diesem selbst“26. Thomas entwickelt die Lehre vom votum, nach der in Analogie zur Begierdetaufe unter bestimmten Unständen die sakramentale Wirkung auch ohne oder vor dem Empfang des Sakraments erlangt werden kann, wobei die manducatio sacramentalis die sakramentale Wirkung in vollerer Weise herbeiführe.27 Das Konzil von Trient unterscheidet drei Arten der manducatio: (1.) den bloß sakramentalen Empfang der Eucharistie, (2.) die rein geistliche manducatio, „nämlich jene, die, jenes vor Augen gestellte Brot dem Verlangen nach essend, mit lebendigem Glauben, ,der durch die Liebe wirkt‘, seine Frucht und seinen Nutzen verspüren“, und (3.) den sakramentalen und zugleich geistlichen Empfang des Sakraments.28 Der Lehre des Konzils entsprechend wird aus der manducatio spiritualis die Frömmigkeitsübung der geistigen Kommunion, die ihren Namen von dem „Ort“ hat, an dem sie stattfindet, nämlich im menschlichen Geist.29 Der ältere Begriff wird dagegen geistliche Kommunion genannt, weil sich die Gemeinschaft mit Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes ereignet. Dieser bewirkt auf Grund des Glaubens, der im umfassend-personalen Sinn und nicht nur als eine epistemologische Einstellung verstanden werden muss, dass Christus zu den Gläubigen kommt und diese ständig in seiner Präsenz leben30, so dass diese Gemeinschaft mit Christus als „,permanente Kommunion‘“31 bezeichnet werden kann, in der letztlich die christliche Existenz gründet.32 Neben den biblischen Anhaltspunkten ist auch auf die thomasische Lehre hinzuzweisen, dass der Mensch durch den Glauben mit Christus verbunden wird.33 Herauszustellen ist dabei die pneumatologische Qualifizierung dieser Gemeinschaft mit Christus, so dass „geistlich“ als „geistgewirkt“ und nicht auf die Bedeutung von „gedanklich“ oder „mental“ reduziert werden darf. Diese Gegenwart Christi „ist eine ,geistliche Wirk25 Vgl. Schlette, Sakrament, 20 f. 26 „nec aliquis habet gratiam ante susceptionem huius sacramenti (der Eucharistie, F. E.) nisi ex aliquali voto ipsius“ (S. th. III q. 79 a. 1 ad 1). 27 Vgl. ebd., 22 f. – S. th. III q. 80 a. 1 ad 3. 28 Vgl. DH 1648. 29 Vgl. Schlette, Sakrament, 26. 30 Vgl. ebd., 34; 37. 31 Schlund, Vergessene Wahrheit, 337. 32 Vgl. ebd. 33 Vgl. S. th. III q. 62 a. 5 ad 2.

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lichkeit‘, so wahr der Geist Christi uns gegeben ist und nicht nur unser armseliger Geist und seine Gedanken.“34 Von der personalen Seite aus gesehen, geschieht in der so verstandenen, durch den Glauben realisierten Gemeinschaft mit Christus nichts anderes als auch im Empfang der Eucharistie: „Hinsichtlich der Einheit mit Christus und dem mystischen Leib Christi, der Kirche, hat also die eucharistische Kommunion keinen Wesensvorzug.“35 Gerade in der Gefolgschaft von Augustinus kann daher gesagt werden, dass die Gegenwart Christi in seinem erhöhten Leib nicht auf die Eucharistie beschränkt ist.36 Im Kontext solch einer Konzeption kommen dem Sakrament zwei grundlegende Funktionen zu. Das Sakrament bezeichnet den Gnadenstand des Empfängers oder besser : die Wirklichkeit Jesu Christi, die in ihm schon real präsent ist qua Geist und Glaube. Darüber hinaus festigt und intensiviert der Sakramentenempfang diese Gemeinschaft aufgrund der Eigenwirksamkeit des Sakramentes.37 Das Sakrament ist damit mehr als ein bloßes Zeichen, da es das Bezeichnete wirklich darbietet. Die katholische Tradition versteht Sakramente daher folgerichtig als wirksame Zeichen, so dass die Sakramente die von ihnen bezeichnete Gnade auch wirklich verleihen.38 Wenn aber die Einheit mit Christus schon durch das Wirken des Geistes und den Glauben zustande kommt, so empfängt der Kommunikant das, was er schon hat, aber so, dass es vermehrt wird.39 Wo die Gemeinschaft mit Christus schon vorhanden ist, kann diese selbst nicht quantitativ gemehrt40, wohl aber qualitativ intensiviert werden. Aufgrund der komparativischen Funktion der Sakramente wird deren Empfang nicht überflüssig. Zwei Aspekte müssen nämlich berücksichtigt werden. Zum einen ist ein positiver Grund für die Notwendigkeit des konkreten Sakramentenempfangs anzuführen, nämlich die Einsetzung der Sakramente durch Christus. Daher drängt die Gemeinschaft mit ihm die Gläubigen dazu, seinem Wort und seiner Stiftung gehorsam zu sein.41 Ohne den Willen Gottes und die Einsetzung durch Christus ist die Notwendigkeit der Sakramente nicht zu begründen, weil es für deren Existenz keine absolute Notwendigkeit gibt und Gott seine Gnade auch anders schenken kann.42 Sakramente stellen nicht den einzigen Zugang zu der von Gott angebotenen Gnade dar und dürfen somit „nicht als exklusive (oder ,monopolistische‘) Wege der Gnade Gottes verstanden werden.“43 Nach scholastischer Tradition 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

Schlund, Vergessene Wahrheit, 338. Schlette, Sakrament, 36. Vgl. Vorgrimler, Sakramententheologie, 213. Vgl. Schlette, Sakrament, 47. Vgl. DH 1606. Vgl. Schlette, Sakrament, 42; 52. Vgl. Kasper, Wort, 307. Vgl. Schlette, Sakrament, 55 f. Vgl. Müller, Welt, 50. – S. th. III q. 61 a. 1 ad 1. Vorgrimler, Sakramententheologie, 213.

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hat Gott nämlich seine Gnade nicht exklusiv an die Sakramente gebunden44 und kann deren Wirkung auch ohne sie schenken.45 Die Sakramente sind aber von Gott um des Menschen willen eingesetzt, da sie dessen leiblicher Verfasstheit entsprechen. Calvin hat diese relative Notwendigkeit der Sakramente anerkannt, weil er davon ausgeht, dass die Gläubigen ihrer bedürfen, nicht aber Gott. Das kann auch von katholischer Seite gesagt werden, da Gott seine Gnade nicht exklusiv an die Sakramente gebunden hat. Jedoch darf diese Sichtweise nicht zu einer Vernachlässigung der Sakramente führen, weil der Mensch durch die göttliche Einsetzung auch an sie gebunden ist und der „Normalfall“ die Feier und der Empfang der Sakramente bleibt. Mit der Bedürftigkeit des Menschen ist auch schon der zweite Grund für die Einsetzung der Sakramente angesprochen, der ein anthropologischer ist. Die Sakramente sind um der Menschen willen von Gott eingesetzt.46 Sakramente entsprechen dem Menschen in seiner leiblichen Verfassung, deren Eigenart darin besteht, durch körperliche und sinnenhafte Dinge zur Erkenntnis des Geistigen und des Göttlichen geführt zu werden; hätte Gott seine Gaben den Menschen unvermittelt auf göttliche Weise angeboten, könnte der leiblichseelisch verfasste Mensch diese nicht empfangen.47 Auch wenn Gott allein Quelle der Gnade ist, so reicht er seine Gnade den Menschen auf eine ihnen entsprechende Weise dar.48 In der Heilsökonomie hat Gott Wort und Sakrament als Heilsmittel eingesetzt, die aber nicht selbst das Heil sind. Das wird daran deutlich, dass die liturgische Feier von Wort und Sakrament immer schon den Glauben und die daraus resultierende Bekehrung voraussetzt.49 Sakramente sind daher immer in ihrer Beziehung auf Gottes Heilshandeln durch Jesus Christus im Heiligen Geist und in ihrer Beziehung auf das Heil der Mensch zu betrachten.50 In dieser Perspektive ist von einem Mehr des Sakraments gegenüber dem Wort zu sprechen. „Das Sakrament engagiert normalerweise gesamtmenschlicher, leibhaft-konkreter und gemeinschaftsbezogener als das bloße Wort.“51 Außerdem muss der Glaube auf seine Verleiblichung und Konkretisierung im sakramentalen Geschehen bezogen sein.52 So kann gesagt werden, dass das Sakrament eine größere Gnade vermittelt, weil es im Gegensatz zum Wort den ganzen Menschen anspricht. Auf die Eucharistie bezogen bedeutet all das, dass der Inhalt der Eucharistie 44 45 46 47 48 49 50 51

Vgl. Petrus Lombardus: Sent. IV d. I c. 5.5. Vgl. S. th. III q. 64 a. 7. Vgl. Petrus Lombardus: Sent. IV d. I c. 5.5. Vgl. S. th. III q. 61 a. 1. Vgl. S. th. III q. 61 a. 1 ad 2. Vgl. SC 9. Vgl. Kasper, Wort, 303. Kasper, Wort, 307. Es ist anzumerken, dass es Kasper in diesem Aufsatz nicht darum geht, das Wort dem Sakrament unterzuordnen, sondern gerade die heilsmittlerische Bedeutung des Wortes wieder zur Geltung zu bringen. 52 Vgl. ebd.

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die Gemeinschaft mit Christus und auch mit der Kirche ist, die schon vor und auch nach dem Empfang des Sakramentes bestand und weiterhin besteht, denn „[i]n der Kommunikation geschieht immer schon, was das Sakrament des Leibes Christi bezeichnet und befestigt: die Begegnung und das Gleichförmigwerden des Menschen mit Christus, der wie das Brot und der Wein ist.“53 Die Gemeinschaft mit Christus wird durch das Sakrament, das diese darstellt und festigt, immer neu vollzogen.54 In Bezug auf die personale Christusvereinigung unterscheiden sich daher die durch den Geist bewirkte Gemeinschaft mit Christus und das Sakrament der Eucharistie lediglich im Modus.55 Der Mehrwert des Sakramentes ist damit nicht die res sacramenti als solche, sondern deren Intensivierung56, oder klassisch formuliert: die Mehrung der Gnade durch die Einigung mit Christus, die als Wirkung des Sakramentes gilt.57 Gnade sollte jedoch nicht als dingliche Qualität im glaubenden Menschen begriffen werden, da die wachsende Einheit mit Christus eine personale Wirklichkeit ist. Die Gnade wird deswegen im Menschen vermehrt, weil er mit Christus immer mehr vereint wird. „Mehrung der Gnade“ bedeutet daher die intensivere Gleichförmigkeit mit Jesus Christus. Diese wird im Tun von Gottes Willen, der praktizierten Einheit von Gottes- und Nächstenliebe und dem Dienst für Frieden und gegen Ungerechtigkeit konkret.58 Calvin würde diesen Prozess als das Wachsen in der Heiligung und der unio cum Christo beschreiben, weil mit zunehmender Heiligung die Gläubigen gern und immer mehr Gottes Geboten gehorchen. Vor solch einem personalen Hintergrund stellt die Symbolhaftigkeit der Sakramente deren Proprium dar, durch die sie sich vom Wort unterscheiden, wobei auch katholischerseits von einem Primat des Wortes auszugehen ist.59 Dieses unterscheidet sich nicht vom Sakrament, wenn es um die „memoria des Heilswerks, [die] aktuelle Zuwendung der Heilsfrucht und [die] Vorausnahme der Eschata“60 geht, da auch das Wort gemäß der Lehre der Kirchenväter heilsmittlerische Funktion hat.61 Sowohl das Wort als auch die Sakramente reichen den Gläubigen das Brot des Lebens dar.62 Insofern ist durchaus von einer Parallelität zwischen Wort und Sakrament hinsichtlich der Gnadenver53 Schlette, Sakrament, 77. „Kommunikation“ ist Schlettes Begriff für die Gemeinschaft mit Christus, die sich im Glauben ereignet. 54 Vgl. Schlund, Vergessene Wahrheit, 338. 55 Vgl. Schlette, Sakrament, 32 f. 56 Vgl. ebd., 51 f. 57 Vgl. DH 1322. 58 Vgl. Vorgrimler, Sakramententheologie, 212. 59 Vgl. Schützeichel, Heribert: Der Begriff „appendix“ in der Theologie Calvins und die Hierarchie der Wahrheiten, in: ders.: Katholische Beiträge zur Calvinforschung (= TThSt 42), Trier 1988, 122 – 126, hier: 124. 60 Kasper, Wort, 305. 61 Vgl. ebd., 285. – Chauvet, Louis-Marie: Le corps, chemin de Dieu. Les sacrements, Montrouge 2010, 115. 62 Vgl. Chauvet, Corps, 116. Chauvet bezieht sich hier auf Dei Verbum 21.

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mittlung zu sprechen.63 Der Unterschied zwischen Wort und Sakrament besteht in der Zeichenhaftigkeit des Sakramentes, durch die sich Gottes Gnade vermittelt und die es von anderen Vollzügen unterscheidet. Dadurch gewinnen Sakramente eine besondere Qualität: „Sakramente sind Orte der Begegnungen mit Gott, die sich durch ihre Konkretheit und Ausdrücklichkeit auszeichnen und insofern ein qualitatives ,Mehr‘ aufzuweisen haben. Gott teilt sich hier in größerer Evidenz, unverhüllter und greifbarer mit als sonst in der Geschichte.“64 Gott kommt hier der geschöpflichen Verfasstheit des Menschen entgegen und akkommodiert sich an ihn. Auf diese Weise kann der Gläubige in den irdischen Gestalten Göttliches wahrnehmen, denn dem Menschen werden Zeichen gegeben, um durch Bekanntes zu Unbekanntem zu gelangen.65 Das gilt auch für die Sakramente, zumal sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den durch sie bezeichneten Dingen aufweisen. Damit wird deutlich, dass Sakramente zur Gattung der Zeichen gehören, wie es Thomas von Aquin ausdrücklich formuliert.66 Insofern kann die Zeichenhaftigkeit der Sakramente durchaus im Sinne Calvins als Akkommodation an die menschliche Verfasstheit aufgefasst werden. Außerdem wird so der trinitarische Rahmen der Eucharistielehre deutlich, da alle drei göttlichen Personen in das eucharistische Geschehen involviert sind. Wird heute dieses Zugehen Gottes auf den Menschen anthropologisch aufgrund der leiblichen Verfasstheit des Menschen und schöpfungstheologisch begründet67, da Geschöpfliches prinzipiell offen für eine sakramentale Transparenz auf den Schöpfer hin ist68, kennen manche Traditionen auch das Motiv der Demütigung, weil der Mensch nach dem Sündenfall Gott eben in sinnlichen Zeichen suchen muss und nicht mehr ohne die Vermittlung durch sinnenfällige Elemente auskommt.69 Gerade diese Tradition rezipiert Calvin70 in teils einseitiger Weise, ohne die schöpfungstheologische Dimension angemessen zu würdigen. Die Symbolik in der Eucharistie besteht – neben der Repräsentation der bereits bestehenden Gemeinschaft mit Christus und der Einheit der Glaubenden in der Kirche – in der Darstellung und Realisierung dieser Gemeinschaft. Brot und Wein als Nahrungsmittel stärken den menschlichen Leib, so wie auch der Kommunionempfang der Seele Kraft verleiht.71 So formuliert das Armenierdekret von 1439 im Rückgriff auf Thomas: 63 64 65 66 67 68 69 70 71

Vgl. Kasper, Wort, 306. Faber, Sakramentenlehre, 62. Vgl. S. th. III q. 60 a. 2. S. S. th. III q. 60 a. 4. Über die Zeichenhaftigkeit wird nochmals in Kapitel II.3.3 zu sprechen sein. Vgl. Schneider, Theodor : Zeichen der Nähe Gottes. Grundriß der Sakramententheologie, Mainz 7 1998, 1; 4. – Faber, Sakramentenlehre, 47. Vgl. Faber, Sakramentenlehre, 28 f. Vgl. Petrus Lombardus: Sent. IV d. I c. 5.2. – S. th. III q. 61 a. 2 ad 1. S. OS I 505 / CStA 1.2, 446,12 – 15 [Petit Traict¦]. – OS V 1,10 – 15.21 – 24 [Inst. IV 1,1]. Vgl. Schlette, Sakrament, 41.

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„jede Wirkung, die materielle Speise und Trank für das leibliche Leben mit sich bringen, indem sie ‹es› erhalten, vermehren, wiederherstellen und erfreuen, vollbringt dieses Sakrament für das geistliche Leben“72.

Insofern bezeichnen die natürlichen Wirkungen der irdischen Elemente das, was der im Sakrament gegenwärtige Christus für das geistliche Leben schafft.73 Calvins Vergleich von den Wirkungen von Brot und Wein auf den menschlichen Leib mit dem heilvollen Einfluss von Leib und Blut Christi auf die Seele hat somit Wurzeln in der lehramtlichen Tradition. Des Weiteren gilt es zu bedenken, dass die Gegenwart Jesu Christi nicht auf seine Gegenwart unter Brot und Wein eingeschränkt werden kann. In der Eucharistiefeier selbst ist Christus auf vielfältige Weise gegenwärtig: in der Person des Vorstehers, unter den eucharistischen Gaben, in seinem Wort und in der zum Gebet versammelten Gemeinschaft.74 All diese Arten von Gegenwart geschehen im Heiligen Geist, durch den der erhöhte Herr seinen Dienst der Versöhnung an der versammelten Gemeinde vollzieht.75 Johannes Betz (1914 – 1984) differenziert vor diesem Hintergrund zwischen drei Gegenwartsweisen: die aktuale Prinzipalpräsenz (die Gegenwart Christi als des Hauptagenten in der Eucharistiefeier), die memorative Aktualpräsenz (die Gegenwart seines Heilswerkes) und schließlich die somatische Realpräsenz (die Gegenwart Christi unter Brot und Wein).76 Unter diesen vielfältigen Formen von Präsenz ist die Letztere besonders hervorzuheben. Sie wird in der katholischen Theologie oft allein als Realpräsenz bezeichnet, „nicht im ausschließenden Sinn, als ob die anderen nicht ,wirklich‘ wären, sondern hervorhebend, weil sie substantiell ist, wie auch, weil sie die Gegenwart des ganzen und vollen Christus, des Gottmenschen, mit sich bringt“77. Mit Lothar Lies (1940 – 2008) ist darauf hinzuweisen, dass alle diese Gegenwartsformen „stets volle und ganzpersonale handlungswirksame und heilschaffende Gegenwart“ Christi sind, so dass die Gläubigen es jeweils „mit drei realen und personalen Gegenwartsweisen der ganzen Christusperson zu tun“ haben.78 Der Unterschied zwischen den Formen liegt „in der subjektiv-leiblichen Betroffenheit und so im subjektiven Realitätsbewusst72 DH 1322. Der gleiche Gedanke findet sich vorher schon in S. th. III q. 79 a. 1. 73 Thomas stellt heraus, dass Brot und Wein aus sich heraus nichts Geistliches bewirken, sondern nur durch die Kraft des Leibes Christi. (Vgl. S. th. III q. 73 a. 1 ad 2.) 74 Vgl. SC 7. 75 Vgl. Eisenbach, Franziskus: Die Gegenwart Jesu Christi im Gottesdienst. Systematische Studien zur Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils, Mainz 1982, 760. 76 Vgl. Betz, Johannes: Eucharistie als zentrales Mysterium, in: MySal IV/2 (1973), 185 – 311, hier: 267. 77 Paul VI.: Mysterium Fidei, in: HerrKor 19 (1964/65), 653 – 661, hier: 657. Das lateinische Original befindet sich in: AAS 57 (1965), 753 – 774, hier : 764. 78 Lies, Lothar: Verbalpräsenz – Aktualpräsenz – Realpräsenz. Versuch einer systematischen Begriffsbestimmung, in: ders.: Mysterium fidei. Annäherungen an das Geheimnis der Eucharistie, Würzburg 2005, 83 – 107, hier: 98.

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sein“79. Christus ist immer als ganze Person gegenwärtig, jedoch in unterschiedlichen Formen, die sich im Intensitätsgrad des Erlebens80 unterscheiden, da die Gegenwart Christi immer nur real sein kann. „Ein bißchen Gegenwart Christi“ ist nicht möglich, da sich Gegenwart entweder ereignet oder nicht. Das gilt auch für die geistgewirkte Gegenwart Christi in den Gläubigen, die somit auch eine reale und objektive Größe ist.81 Vor dem theologischen Hintergrund der geistlichen Kommunion und der Differenzierung zwischen den einzelnen Formen der Gegenwart Christi ist Calvins Einordnung des Abendmahls in die unio cum Christo nicht problematisch, sondern kann sich im Gegenteil auf die Tradition der Kirche berufen. Von katholischer Seite wurde allerdings befürchtet, dass der Akzent, den die Reformatoren auf den Glauben gerade auch im Abendmahlsgeschehen legen, die Sakramente letztlich überflüssig mache.82 Herbert Vorgrimler (*1929) folgert, dass die Sakramente letztendlich entbehrlich seien, weil sie für die Schwachen eingesetzt worden seien83, was einen Anhaltspunktspunkt darin hat, dass Calvin zu Beginn des Petit Traict¦ betont, dass er für die angefochtenen Gewissen schreibe. Demgegenüber unterstreicht das Konzil von Trient die Notwendigkeit der Sakramente.84 Die calvinische Abendmahlslehre hat diese Gesichtspunkte nicht aus dem Blick verloren. Calvin weist immer wieder auf den Nutzen der Sakramente hin. Die schwachen Gewissen sind letztlich alle Gläubigen, die durch ihre Sündhaftigkeit angefochten werden. Auch wenn das Abendmahl bezüglich der res sacramentalis den Gläubigen nichts Neues bringt, sondern das schon Gegenwärtige „nur“ besiegelt und intensiviert, wird bei Calvin das Abendmahl weder ausgehöhlt noch überflüssig gemacht. Gerade weil die Gläubigen in der Heiligung wachsen müssen, brauchen sie das Abendmahl als eine der wichtigsten von Gott eingesetzten Hilfen. Ferner macht Calvin alle Wirkungen des Abendmahls – Heilsvergewisserung und die Gemeinschaft mit Christus und seinem Fleisch und Blut – gerade von der sich im Abendmahl ereignenden, besonderen Gegenwart Christi abhängig. Ohne diese Gegenwart hätte das Abendmahl keinerlei Wirkung, wie es der Reformator immer wieder sagt. Dieser Punkt aber muss im folgenden Kapitel noch näher beleuchtet werden. Calvins Bestimmung der Zeichenhaftigkeit85 als Proprium des Abendmahls86 79 Ebd., 105. 80 Im konkreten Einzelfall ist es aber möglich, dass ein einzelner Gläubiger das Wort intensiver erlebt als das Sakrament. (Vgl. Kasper, Wort, 307.) 81 Vgl. Schlette, Sakrament, 41. 82 Vgl. Schlund, Vergessene Wahrheit, 326. 83 Vgl. Vorgrimler, Sakramententheologie, 74. 84 Vgl. DH 1604. 85 Krzysztof Gasecki sieht in der Theologie im Gefolge Zwinglis und Calvins eine Vernachlässigung der nonverbalen Elemente. (Vgl. Gasecki, Krzysztof: Das Profil des Geistes in den Sakramenten. Pneumatologische Grundlagen der Sakramentenlehre. Darstellung und Reflexion ausgewählter katholischer Entwürfe (= MNT 66), Münster 2009, 430.) Genau aber das Nonverbale bedeuete für Calvin den Mehrwert des Abendmahls. Gasecki befürchtet ebenfalls, dass die Geisterfahrung

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rezipiert damit, ob bewusst oder unbewusst, die von Augustinus stammende Tradition der durch den Glauben vollzogenen Gemeinschaft mit Christus, ohne die eucharistische Gegenwart Christi in die allgemeine Gegenwart der göttlichen Natur aufzulösen. Auch Calvins Parallelisierung von Wort und Sakrament bezüglich der Heilsvermittlung, nach der beide Christus den Gläubigen exhibieren, steht nicht im Widerspruch zur katholischen Lehre. Es ist in beiden der ganze Christus mit seinem Heilswerk gegenwärtig. Wenn er jedoch die Sakramente als appendices evangelii bezeichnet, so ist dies zu einem großen Teil der Polemik gegenüber einer Eucharistiepraxis geschuldet, in der die Verkündigung des Wortes Gottes keine große Rolle spielte. Zum Anderen bringt er so den Zusammenhang von Wort und Sakrament dahingehend zum Ausdruck, dass in der Regel die Anteilnahme an der Wortverkündigung dem Sakramentenempfang vorausgeht, wie es auch SC 9 mit Bezug auf Röm 10,14 f formuliert, da Menschen nicht zum Glauben kommen können, ohne dass ihnen zuvor Christus verkündigt wird. Ein Minimum an katechetischer Reflexion und (Re-)Evangelisation muss demzufolge den Sakramenten vorangehen.87 Seit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils geht daher jeder Sakramentsfeier die Wortverkündigung voraus.88 Calvins Äußerungen machen deutlich, dass die Betonung von Wort und Glaube die Sakramente nicht abschaffen oder vernachlässigen, wie es allerdings in der nachreformatorischen Zeit teilweise geschehen ist89, sondern zeigen den Zusammenhang beider Elemente auf. Außerdem manifestieren Calvins lange Reflexionen und zahlreiche Schriften über das Abendmahl, welch hohen Stellenwert dieses Sakrament für ihn hat. Auf der praktischen Ebene hat er das durch die Forderung nach der mindestens einmal wöchentlich stattfindenden Abendmahlsfeier unterstrichen.90 Aufgrund der Zeichenhaftigkeit des Abendmahles kann Calvin die eucharistische Gegenwart Jesu Christi als eine besondere Präsenz bezeichnen.

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vom Empfang der Sakramente „als einem nachfolgenden, bestätigenden Zeichen für einen bereits vorangegangenen inneren Vorgang des Gläubigwerdens“ abgetrennt wird. Da aber der Geist nach Calvin im Abendmahl, simul mit der Feier, wirkt, ist diese Gefahr bei Calvin ausgeschlossen. Außerdem würde diese Kritik auch die frühscholastische, augustinisch geprägte Sakramentenlehre treffen, wie sie in Kapitel II.1 dargestellt worden ist. Gollwitzer, Coena Domini, 123 spricht Calvin ab, überhaupt ein Proprium des Abendmahls zu kennen, weil nach seiner Lehre Leib und Blut Christi auch außerhalb der sakramentalen Feier empfangen werden können. Ähnlich argumentiert auch Joseph Ratzinger. (Vgl. Ratzinger, Problem, 135.) Vgl. Chauvet, Louis-Marie: Les sacrements. Parole de Dieu au Risque du Corps, Paris 1997, 69. Vgl. Chauvet, Corps, 119. Vgl. Moore-Keish, Remembrance, 45. Dass Calvins Wunsch bedauerlicherweise nur Theorie geblieben ist, ist nicht die Schuld des Reformators oder seiner Theologie. Der Rat der Stadt Genf unterstützte Calvins Forderung nicht und ließ das Abendmahl in jeder der drei Genfer Kirchen nur viermal jährlich feiern. (Vgl. Opitz, Leben, 46; 80.)

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Mehrfach betont er in dieser Hinsicht den Mehrwert des Sakramentes gegenüber dem Wort. Daher ist die Gefahr einer unheilvollen Relativierung der Eucharistie, die diese letztlich redundant macht, bei Calvin nicht gegeben. Aus der Einordnung des Abendmahls in das Geschehen der unio cum Christo ergibt sich für Calvin, dass durch das Sakrament die Gläubigen Heilsgewissheit empfangen. Die Frage nach Heilsgewissheit hat große Bedeutung für die reformatorische Theologie, wie bereits im historischen Teil der Arbeit herausgearbeitet wurde. Das Konzil von Trient verurteilt in seinem Rechtfertigungsdekret denjenigen, „der sich mit dem Vertrauen und der Gewissheit in Bezug auf die Vergebung seiner Sünden brüstet und sich allein damit zufriedengibt“91. Diese Ablehnung eines bestimmten Verständnisses von Heilsgewissheit wird üblicherweise als Zurückweisung der reformatorischen Lehre angesehen.92 Dem Konzil von Trient ging es darum, eine als subjektives Gefühl der Selbstsicherheit und Selbstüberschätzung verstandene Heilsgewissheit abzuwehren; doch genau solch eine Haltung wollten auch Luther und Calvin ausschließen.93 Die Frage nach der Heilsgewissheit muss keine kirchentrennende Wirkung haben, wenn darunter das Vertrauen auf die extra nos kommende Gnade Gottes und das objektive, göttliche Erlösungshandeln gemeint ist. Es geht dabei letztlich um das Vertrauen, dass Gott das Heil der Menschen will, trotz aller dem widersprechenden Erfahrungen, da es nichts Verlässlicheres als Gottes Treue gibt.94 Die Gewissheit des Heils begründet Calvin allein damit, dass Gott der Geber von Gnade und Rechtfertigung ist.95 Die Gewissheit der Gläubigen im Abendmahl erwächst aus dem Blick auf das Kreuz Christi, zu dem das Sakrament nach Calvin hinführt, und aus ihrer durch das Sakrament bezeugten Teilhabe am Kreuzesopfer. Würden die Gläubigen dagegen allein auf sich selbst schauen, müssten sie aufgrund ihrer Sünden verzweifeln, worauf Calvin oft hinweist. Damit ist das ausgeschlossen, was Trient verurteilt hat. Vor diesem Hintergrund ist Calvins Betonung der Heilsvergewisserung unproblematisch, da bei ihm die Gewissheit mit dem Handeln Gottes begründet wird und daher zu Demut anstelle von Hochmut führt.96 Dass Calvin die Frage nach der Heilsvergewisserung in der Sakramenten91 92 93 94 95

DH 1533. Vgl. Hägglund, Heilsgewissheit, 761 f. Vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 61,10 f; 62,10 – 15. Vgl. Wohlmuth, Josef: Art. ,Heilsgewissheit‘, in: LThK 4 (31995), 1344 – 1346, hier: 1345 f. S. OS IV 217,12 – 14 [Inst. III 13,3]. In OS IV 200,19 – 23 [Inst. III 11,16] weist Calvin daraufhin, dass auch nach der Rechtfertigung der sich im Prozess der Heiligung befindende Mensch sich bewusst machen solle, dass seine Gerechtigkeit von außen komme. Es geht hier zwar nicht um die Abwehr einer subjektiven Selbstgewissheit sondern um das Vertrauen auf die eigenen Werke, das Calvin ausschließen will. Deutlich wird somit aber, dass der Blick der Glaubenden auf das verlässliche Heilshandeln Gottes, auf das extra nos gelenkt wird. 96 S. OS IV 213,1 – 19 [Inst. III 12,6].

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lehre verortet, ist nicht zufällig, da dort die Kontroverse ihren Ursprung hat. Dieser liegt nicht im Bereich der Eucharistie-, sondern der Bußlehre und damit zusammenhängend in Fragen, die das Sakrament der Versöhnung betreffen. 1518 unterstrich Kardinal Cajetan (1489 – 1534) im Verhör Martin Luthers, dass der Glaube an der speziellen Wirkung des Sakramentes nicht zweifeln dürfe und sich im Bezug auf die von Gott kommende Vergebung gewiss sein dürfe und müsse.97 Bei Calvin ist dieser Kontext nicht so deutlich, aber es finden sich einige Äußerungen über die Gewissheitsproblematik in seiner Auseinandersetzung mit der altgläubigen Busslehre und -praxis98, wobei die Gewissheit um die göttliche Vergebung der Sünden eine wichtige Rolle spielt.99 Da Calvin die Ohrenbeichte zu den fünf falschen Sakramenten zählt, hat sie in den Kirchen seiner Prägung keinen Bestand.100 Die Heilsvergewisserung findet aber weiterhin in einem sakramentalen Rahmen statt, nämlich in der Abendmahlsfeier. Das ergibt sich aus der engen Beziehung zwischen Jesu Christi Tod, der eucharistischen Feier und der Exhibition von Christi Leib und Blut im Sakrament, durch die die Gläubigen ihres Heils gewiss werden. Die römisch-katholische Tradition verbindet das einmalige Kreuzesopfer mit der Eucharistiefeier, die das Sterben Jesu Christi wirksam vergegenwärtigt, unter dem Begriff des eucharistischen Opfers.101 Durch den Empfang der Eucharistie, die ein Gedächtnis dieses Opfers im Modus von Speise ist102, wird die Gemeinschaft mit dem leidenden Christus immer weiter vollendet103 und werden die Wirkungen seines Leidens empfangen.104 Die Gläubigen erfahren in der Feier der Eucharistie die Vergebung ihrer Sünden, die ihre Quelle und Ursache im Leiden Christi hat.105 „Man muss an der Passion Christi teilhaben, muss in einer communicatio mit Christus, dem Erlöser, stehen, um von der Sünde befreit zu werden und eben dadurch den Zutritt zum himmlischen Reich zu erlangen. Die Vermittlungsformen, die die communicatio mit Christus konstituieren, sind Glaube und Liebe sowie die Sakramente, zuhöchst 97 98 99 100

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Vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 45,36 – 46,4; 60,4 – 14. S. OS IV 84,34 – 89,7 [Inst. III 4,1 – 3]. S. OS IV 87,26 – 88,17 [Inst. III 4,2]. Der Vorgang, der der altgläubigen Ohrenbeichte am nächsten kommt, ist das seelsorgerliche Gespräch des Pfarrers – im Rahmen der Kirchenzucht – vor der Abendmahlsfeier mit denen, die das Abendmahl empfangen wollen. Das war Calvins Praxis in seiner Straßburger Flüchtlingsgemeinde. (Vgl. Opitz, Leben, 62.) Diese Thematik kann hier nicht behandelt werden, da dazu detaillierte Untersuchungen notwendig wären. Zum ökumenischen Dialog vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 89 – 94. S. S. th. III q. 80 a. 10 ad 2. S. S. th. III q. 73 a. 3 ad 3. S. S. th. III q. 83 a. 1. Thomas bringt dieses Motiv nicht in Verbindung mit der Heilsvergewisserung. Das verwundert nicht, da Thomas aufgrund seiner wissenschaftstheoretischen Prinzipien nicht von der Heilsgewissheit sondern von einer der Hoffnung eigenen Gewissheit sprach. (Vgl. Wohlmuth, Heilsgewissheit, 1345.) S. S. th. III q. 79 a. 3.

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die Eucharistie“106, wobei hervorzuheben ist, dass Gott der allein in den Sakramenten Handelnde und der die Gnade Wirkende ist107, so dass die Sakramente sich zu ihm wie Instrumentalursachen verhalten108 ; solch ein Verständnis entspricht auch dem Zweiten Vatikanischen Konzil.109 Calvins Hinweis, dass Gott der eigentliche Geber der Sakramente ist und dass das Heil nicht erst bei den Sakramenten beginnt, entspricht damit katholischer Lehre. Wie auch die katholische Theologie erkennt Calvin die enge Verbindung zwischen dem Erlösungshandeln Christi und der kirchlichen Herrenmahlsfeier an, durch die die Gläubigen mit dem Kreuzesopfer verbunden werden, so dass sie die einmal erworbene Erlösung in lebendiger Weise erfahren. Der Unterschied zur katholischen Tradition liegt darin, dass Calvin diese Erfahrung ausdrücklich in den Dienst der Heilsvergewisserung und -zusage stellt. Wenn jegliche Heilsgewissheit im Werk der Erlösung, das in beiden Traditionen im Zentrum der Eucharistiefeier steht110, ihr Fundament hat und auf Gottes Heilshandeln sich gründet111, muss in Calvins Bestimmung des ersten Zweckes der Abendmahlsfeier kein kirchentrennender Dissens vorliegen, sondern kann als eine ihm eigene Akzentsetzung aufgefasst werden, die vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen in der Reformationszeit verständlich ist. Wohl erhält damit das Abendmahl bei Calvin einen klar umgrenzten Ort, den es zu beachten gilt.112 Als letzter Punkt der allgemeinen Sakramentenlehre ist noch etwas zur instrumentellen Wirkweise der Sakramente zu sagen. Calvin lehnt ein Verständnis der Wirkweise der Sakramente ab, nach der ihnen eine ihnen innewohnende Kraft zugesprochen wird. Dagegen stellt er heraus, dass die Sakramente Werkzeuge des Geistes sind und am Wirken des Geistes alles liegt, so dass sie ohne ihn wirklungslos sind. Gleichzeitig belässt er aber den SakraVgl. Tück, Gabe, 149. S. S. th. III q. 64 a. 1. S. S. th. III q. 64 a. 2. Vgl. Chauvet, Sacrements, 16. Katholischerseits wird die Zentralität von Gottes Erlösungshandeln durch den Opfercharakter der Eucharistiefeier ausgedrückt. Dieser ist als Repräsentation und Erinnerung an das Kreuzesopfer Jesu Christi und als Applikation von dessen heilbringender Kraft, womit vor allem die Sündenvergebung gemeint ist – zu verstehen. (S. Paul VI.: Mysterium Fidei, in: AAS 57, 759.) 111 Vgl. Wohlmuth, Heilsgewissheit, 1346. 112 Thomas behandelt die Sakramente im dritten Teil seiner Summa, wo es darum geht, wie der Mensch wieder zu Gott zurückfinde. (Vgl. Kerr, Fergus: After Aquinas. Versions of Thomism, Malden – Oxford – Victoria 2002, 162 f.) Das stellt in gewisser Weise eine Parallele zum vierten Buch der Institutio dar, in dem Calvin beschreibt, welche äußeren Mittel Gott eingesetzt habe, um den gefallenen Menschen, die eigentlich die Verdammnis verdient hätten, das in Christus Wirklichkeit gewordene Heil zukommen zu lassen. Neuere römisch-katholische Entwürfe dagegen ordnen die Sakramentenlehre in den Kontext der Ekklesiologie ein, wie zum Beispiel die von Karl Rahner geprägte Sakramentenlehre, nach der sich das Ursakrament Jesus Christus im Grundsakrament der Kirche geschichtlich realisiert. In den einzelnen Sakramenten tritt das so verstandene Wesen der Kirche dann jeweils in Erscheinung. (Vgl. Rahner, Karl: Kirche und Sakramente (= QD 10), Freiburg i. Brsg. – Basel – Wien 1960, 11 – 22; 68 – 73.)

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menten untergeordnete Kräfte, wenn Gott diese als Instrumente gebraucht. Dieser Gesichtspunkt ist in der Auseinandersetzung mit Bullinger deutlich geworden. Katholischerseits ist zur Wirkweise der Sakramente zu sagen, dass diese weder magisch noch dinglich zu verstehen ist. Sakramente enthalten die Gnade so „wie eine Wirkung im Zeichenvollzug“113. Den Sakramenten kommt zwar eine gewisse Instrumentalursächlichkeit zu, aber diese wirkt nur, weil der Hauptagent durch sie wirkt114, so dass die Handlung im eigentlichen Sinne nicht dem Werkzeug, also dem Sakrament, sondern Gott als dem agens principalis zugeschrieben werden muss.115 Kraft hat das Sakrament nur dann, wenn es von Gott als Erstursache bewegt wird.116 Werden die Sakramente der göttlichen Anordnung entsprechend gefeiert, so bewirken sie auf die gerade beschriebene Weise in ihrem Vollzug die durch sie bezeichnete Gnade, aber so, dass die Gnade als etwas Fließendes und Unvollständiges117 in ihnen und nicht etwa als feste Eigenschaft118 enthalten ist. Gerade weil sie von Gott als Instrumentalursache gebraucht werden, bringen sie eine größere Wirkung hervor, die über ihre geschöpfliche Wirkung hinausgeht.119 Damit entspricht Calvins Insistieren auf der Alleinursächlichkeit Gottes in den Sakramenten, die die Kondeszendenzbewegung Gottes gerade nicht ausschließt120, sondern ermöglicht, weil sich der souveräne Gott irdischer Mittel bedient, römischkatholischer Lehre. Es muss aber gefragt werden, ob die Calvin folgende Tradition die Souveräntität Gottes nicht dermaßen in den Mittelpunkt gerückt hat, dass die Sakramente auch keine Instrumentalursachen mehr sind. Bei Calvin ist diese Gefahr durch die Instrumentalität der äußeren Symbole gebannt.

2. Die Gegenwart von Christi Leib und Blut In der Einleitung zu dieser Arbeit ist bereits auf die Beurteilung von Calvins Abendmahlslehre durch Lehrverurteilungen – kirchentrennend hingewiesen worden. Die Studie hebt deutlich Calvins Bekenntnis zur wahren und substantiellen Gegenwart Christi hervor. Aber zum Einen wird dort bemängelt, 113 114 115 116 117 118 119 120

Müller, Dogmatik, 638. Vgl. S. th. III q. 62 a. 4. Vgl. Tück, Gabe, 59. Vgl. Gallagher, John F.: Significando Causant. A Study of Sacramental Efficiency (= Studia Friburgensia 40), Fribourg 1965, 127. Vgl. S. th. III q. 62 a. 3. Vgl. Gallagher, Significando, 128. Vgl. Tück, Gabe, 56. Vgl. Rahner, Johanna: Calvins Theologie der Sakramente. Eine Würdigung aus römisch-katholischer Sicht, in: Plasger, Georg (Hg.): Calvins Theologie für heute und morgen. Beiträge des Siegener Calvin-Kongresses 2009, Wuppertal 2010, 101 – 120, hier: 113.

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Die Gegenwart von Christi Leib und Blut

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dass bei Calvin nicht klar sei, ob Christus selbst oder sein Leib und Blut empfangen würden. Zum Anderen konstatiert das Dokument, dass die Gegenwart von Christi Leib und Blut nicht in Verbindung mit den Elementen gedacht würde.1 Da diese Einschätzung zu Calvins Abendmahlslehre nicht unbeachtet geblieben ist2, steht sie im Hintergrund der folgenden Überlegungen. Zunächst ist zu sagen, dass die Frage, ob Christus als Person oder mit Leib und Blut gegenwärtig ist, nicht nur Calvin, sondern die gesamte westliche Tradition betrifft. Bereits in den 60er Jahren wies Johannes Betz daraufhin, dass im Westen Leib und Blut eher als einzelne Bestandteile des menschlichen Organismus aufgefasst und nicht mehr im biblisch-ganzheitlichen Sinne verstanden wurden. Dennoch – so Betz – wurde die Begegnung mit Christus in der Eucharistie immer als Begegnung mit dem ganzen Christus begriffen.3 Die Begriffe s_la und aVla meinen in der biblischen Tradition jeweils den ganzen Menschen, lediglich unter verschiedenen Aspekten, so dass das Brotwort auch mit „Das bin ich“ wiedergegeben werden könnte.4 Durch s_la wird zudem der Kreuzestod angedeutet, da mithilfe dieses Wortes bisweilen auch ein das Sterben erleidender Mensch bezeichnet wird.5 Das Kelchwort geht in die gleiche Richtung und charakterisiert mit der Nennung des für die Vielen vergossenen Blutes den grausamen Tod Jesu Christi als Hingabe für die Menschen.6 Damit wird die personale Dimension der Eucharistie von Anfang an deutlich ausgesprochen. „Man hat es im Herrenmahl mit dem Herrn selbst zu tun, der im Mahl heilgewährend und lebensprägend gegenwärtig ist und die Mahlteilnehmer an sich bindet“7. Ihren systematischen Ausdruck gewinnt die Personalität des eucharistischen Mahles gerade in der Konkomitanzlehre, die von den Reformatoren jedoch heftig abgelehnt wurde. Gemäß dieser Lehrform empfangen die Gläubigen unter jeder der beiden Gestalten jeweils den ganzen Christus. Ex vi sacramenti ist unter dem Brot der Leib Christi und unter dem Wein das Blut 1 Vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 96,10 – 17. 2 Vgl. zum Beispiel Nüssel, Friederike u. Sattler, Dorothea: Einführung in die ökumenische Theologie, Darmstadt 2008, 79. – Vgl. Schneider, Zeichen, 147 f. 3 Vgl. Betz, Zentrales Mysterium, 236. 4 Vgl. Söding, Thomas: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Das Abendmahl Jesu und die Eucharistie der Kirche nach dem Neuen Testament, in: ders. (Hg.): Eucharistie. Positionen katholischer Theologie, Regensburg 2002, 11 – 58, hier: 33. – Gnilka, Joachim: Das Evangelium nach Markus. Mk 8,27 – 16,20 (= EKK II/2), Zürich – Einsiedeln – Köln – Neukirchen-Vluyn 1979, 244 f. – L¦onDufour, Xavier: Art. ,Abendmahl, Letztes A. Jesu. I Im Neuen Testament‘, in: LThK 1 (31993), 30 – 34, hier: 31. 5 Vgl. Schweizer, Eduard: Art. ,s_la / sylatijºr / s¼ssylor‘ in: ThWNT 7 (1964), 1024 – 1091, hier: 6 Vgl. Söding, Gedächtnis, 35 f. – Behm, Johannes: Art. ,aVla ‘, in: ThWNT 1 (1933), 171 – 176, hier: 172. 7 Schrage, Wolfgang: Der Erste Brief an die Korinther. 1Kor 11,17 – 14,40 (= EKK VII/3), Zürich – Düsseldorf 1999, 439.

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Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre

Christi gegenwärtig. Aber ex vi concomitantiae naturalis sind auch die anderen „Bestandteile“ Christi – Seele, Gottheit – unter jeder der beiden Gestalten präsent8, weil sie natürlicherweise miteinander verbunden sind und so aus der Gegenwart des Einen die Gegenwart des Anderen folgt.9 Schließlich werden Leib und Blut beim erhöhten Christus nicht mehr getrennt, da „Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt“ (Röm 6,9). Gerade dieses Argument spielte für die Konzilsväter in Trient eine wichtige Rolle während der Diskussionen um die Konkomitanzlehre.10 Diese Lehre11 unterstreicht die Personalität des eucharistischen Geschehens, da unter jeder der beiden Gestalten die Empfangenden dem totus Christus begegnen und nicht etwa nur einzelnen, dinglich verstandenen „Bestandteilen“. Der ganze Christus ist der einmal gestorbene und auferweckte Herr.12 Den Weg der personalen Interpretation geht auch das reformiert-katholische Dialogdokument Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt. Dort werden die exegetischen Ergebnisse rezipiert, die Begriffe „Leib“ und „Blut“ als für die ganze Person stehend interpretiert und als Mittel angesehen, traditionelle Differenzen zu klären.13 „Jesus Christus [ist in der Eucharistie] in seiner eigenen Person unmittelbar gegenwärtig“14, so dass sich Christus in der ganzen Wirklichkeit seiner Gottheit und Menschheit mitteilt.15 Calvin selbst lehnt in seiner polemischen Auseinandersetzung mit der Konkomitanzlehre eine Deutung der Einsetzungsworte qua „Das bin ich“ ausdrücklich ab. Er sieht darin die für ihn unzulässige Begründung, nur den Ordinierten beide Gestalten des Sakramentes zu spenden, nicht aber allen Kommunikanten. Er betont dagegen, dass Christus aus Gründen der Lehre auch den Kelch eingesetzt habe, um zu zeigen, dass er sowohl Speise als auch Trank sei.16 Calvin betont aber auch, dass der erhöhte Herr nicht mehr geteilt werden könne. Das personale Motiv der Konkomitanzlehre hat er aber wahrscheinlich nicht wahrgenommen, da er darauf in seiner Auseinandersetzung nicht zu sprechen kommt. Seine Versuche, die Integrität Christi auszudrücken17, wirken zwar sehr gekünstelt und demnach nur wenig über8 Vgl. S. th. III q. 76 a. 2. 9 Vgl. S. th. III q. 76 a. 1. 10 Vgl. Wohlmuth, Josef: Realpräsenz und Transsubstantiation im Konzil von Trient. Eine historisch-kritische Analyse der Canones 1 – 4 der Sessio XIII, 2 Bde. (= EHS.T 37), Bern – Frankfurt am Main 1975, 341 f. 11 Die Konkomitanzlehre sollte von ihrer Verwendung, die Kommunion sub una zu legitimieren, unterschieden werden. Sie wurde zur Legitimation dieser Praxis zwar herangezogen, hat sie aber nicht hervorgebracht oder bezweckt, was deutlich gegen Calvin und die anderen Reformatoren betont werden muss. (Vgl. Betz, Zentrales Mysterium, 237.) 12 Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 459. 13 Vgl. DWÜ I 503 f [Die Gegenwart Christi 70 f]. 14 DWÜ I 506 [Die Gegenwart Christi 83]. 15 Vgl. ebd. 16 S. OS V 413,13 – 414,11 [Inst. IV 17,47]. 17 S. OS V 364,21 – 29 [Inst. IV 17,18].

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Die Gegenwart von Christi Leib und Blut

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zeugend, sind aber aus dem Denkhorizont heraus zu erklären, nach dem Leib und Blut als „Teilsubstanzen“18 des Körpers verstanden werden. Bei Calvins Ablehnung der Konkomitanzlehre muss der liturgiegeschichtliche Hintergrund der Reformationszeit berücksichtigt werden, in der nur die Priester das Blut Christi unter dem Wein empfingen.19 Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil dagegen ist die Kommunion unter beiden Gestalten wieder für alle Kommunikanten zulässig.20 Die Institutio Generalis Missalis Romani (2002) unterstreicht, dass zur volleren Gestalt der Eucharistiefeier der Empfang von Brot und Wein gehöre, und erweitert folgerichtig die Möglichkeiten dazu.21 Vor allem in angelsächsischen Ländern ist dies bereits alltägliche Praxis. In anderen Kontexten, die nicht von der Polemik gegen die altgläubige Kommunionpraxis geprägt sind, schreibt Calvin, dass im Abendmahl der totus Christus gegenwärtig sei, aber nicht totum. Er entkommt somit der Gefahr einer Präsenz von einzelnen Bestandteilen Christi. Diese Perspektive wird noch deutlicher, wenn Calvin an einigen Stellen die Gemeinschaft im Abendmahl zunächst als die Gemeinschaft mit Christus und dann als die Gemeinschaft mit seinem Leib und Blut beschreibt. Der personale Charakter der eucharistischen Gegenwart ist damit beim Genfer Reformator deutlich gewahrt. Aufgrund seiner Soteriologie unterstreicht Calvin, dass die Gemeinschaft mit Christus unbedingt dessen Leib und Blut Christi einschließt, da die Gläubigen gerade dadurch an der Erlösung partizipieren, dass sie an den „Medien“ Anteil erhalten, in denen Christus für sie die Erlösung erworben hat. Insofern ist für den ökumenischen Dialog wichtig, dass Calvin die Gegenwart des ganzen Christus und von dessen Leib und Blut in der Abendmahlsfeier affirmiert. Letzteres ist Folge von Ersterem, was Lehrverurteilungen – kirchentrennend richtig gesehen hat. Das Problem, wie sich beides zueinander verhält, betrifft aber die ganze westliche Tradition und kann daher nicht nur Calvin angelastet werden. Einen Ausweg daraus, der außerdem die Eucharistie vor dinglichen Missverständnissen schützt, wie etwa die Gegenwart von einzelnen „Materialien“ Christi22, stellt die Betonung der Personalität der eucharistischen Gegenwart dar, wie sie in der Konkomitanzlehre ausgedrückt wird und wie es auch der reformiert-katholische Dialog vorgeführt 18 Vgl. Betz, Zentrales Mysterium, 291. 19 Die Praxis, die Kommunion nur unter der Gestalt des Brotes zu reichen, hatte sich seit dem 13. Jahrhundert langsam aus verschiedenen Gründen entwickelt. In der Reformationszeit wurde der „Laienkelch“ zum konfessionsunterscheidenden Merkmal, auch wenn in manchen Gegenden Deutschlands und Österreichs das Kelchindult für eine gewisse Zeit die Kommunion unter beiden Gestalten ermöglichte. (Vgl. Ganzer, Klaus: Art. ,Laienkelch I. Historisch-theologisch‘, in: LThK 6 (31997), 600 f.) 20 Vgl. SC 55. 21 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Grundordnung des Römischen Messbuchs (= Arbeitshilfen 215), Bonn 2007, Nr. 281 – 283. 22 Vgl. Schneider, Zeichen, 150.

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hat.23 Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass sich sowohl die römischkatholische Lehre als auch Johannes Calvins Abendmahlstheologie zur Personalität und Integrität des erhöhten Herrn bekennen, der sich in der Eucharistie mit Leib und Blut schenkt. Calvin versteht die Gegenwart Jesu Christi als das Ergebnis des Wirkens des Heiligen Geistes. Seine Gegenwart sei daher kein erneuter Abstieg Jesu Christi im Fleische: Christus ist demzufolge nicht so gegenwärtig wie zur Zeit seines irdischen Wirkens, weil er seit der Himmelfahrt zur Rechten des Vaters sitze, von wo er erst zum Gericht wiederkomme. Um seine Gläubigen nicht allein zu lassen, habe Christus seinen Geist gesandt, durch den er weiterhin bei ihnen macht- und wirkungsvoll gegenwärtig ist. In diesem Sinne seien Christi Himmelfahrt und die Sendung des Heiligen Geistes antithetisch zu verstehen. Außerdem würden so die Gläubigen ihre Herzen dem Irdischen ab- und sie dem im Himmel präsenten Herrn zuwenden. Gegenüber manchen Deutungen ist zunächst festzuhalten, dass für Calvin die „Spiritualpräsenz“ eine wirkliche Präsenz ist. Davon sind alle spiritualistischen Konnotationen im Sinne von nicht wirklicher oder rein mentaler Gegenwart fernzuhalten.24 Ausgangspunkt von Calvins Theologie ist die Himmelfahrt Christi. Nach Thomas von Aquin hat Christus in der Himmelfahrt seine menschliche Natur in den Himmel gebracht25, ohne aber dass Thomas damit die Rechte des Vaters örtlich versteht.26 Jesus Christus ist propria specie und damit leiblich abwesend27, um in der Gegenwart seiner Gottheit den Gläubigen immer beizustehen.28 „Der Entzug seiner leiblichen Präsenz bei der Himmelfahrt, sein Entschwinden vor den Augen der Jünger, ist […] die Voraussetzung für eine neue, pneumatisch qualifizierte Gegenwart.“29 Das hat für den Aquinaten zur Folge, dass die Gläubigen ihren Sinn auf das Himmlische richten. Die durch den Heiligen Geist eingegossene Liebe reiße die Gläubigen aus dem Irdischen heraus.30 Joseph Ratzinger versteht den Aufstieg Christi in den Himmel als das

23 Die personale Perspektive könnte außerdem helfen, in der Diskussion um den Opfercharakter der Eucharistiefeier zu Klärungen zu kommen. „Jesu Sache und und seine Person lassen sich nicht trennen, am wenigsten im Abendmahlssaal.“ (Söding, Gedächtnis, 31.) Die Person Jesu Christi ist für Christinnen und Christen vor allem mit der Geschichte von Tod und Auferstehung verbunden. Wenn also Jesus Christus gegenwärtig ist, so ist in der memorativen Aktualpräsenz auch immer diese Geschichte mitvergegenwärtigt. Das ist allerdings nur ein Ansatzpunkt, dem weitere Klärungen folgen müssen. 24 Auf dieses Missverständnis bei Luther und auch bei vielen Reformierten macht Janse, Holy Supper, 188 f aufmerksam. 25 S. S. th. III q. 57 a. 6. 26 S. S. th. III q. 58 a. 1 ad 1. 27 Vgl. Tück, Gabe, 26; 315. 28 Vgl. S. th. III q. 57 a. 1 ad 3. 29 Tück, Gabe, 351. 30 Vgl. S. th. III q. 57 a. 1 ad 3.

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Die Gegenwart von Christi Leib und Blut

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„Eingehen (Jesu Christi, F. E.) in die neue Existenzweise der Offenheit von Gott her auf die Menschen hin“31. Insofern kann es nach der Erhöhung Jesu Christi keine andere Gegenwart seiner Person und seines Heilswerkes geben als die im pmeOla Gottes32, die also durch den Heiligen Geist bewirkt wird. Auch wenn der Geist von Christus unterschieden werden muss, um Modalismus zu vermeiden, so wird das Wirken Gottes und Jesu Christi im Geist erfahrbar.33 „Die durch den Geist vermittelte Selbstgegenwart des jetzt beim Vater lebenden Erhöhten ist die einzig ,wirkliche‘ und deshalb alle anderen Gegenwartsweisen fundierende eucharistische Präsenz Jesu Christi.“34 Der erhöhte Herr nähert sich seiner Gemeinde durch den Heiligen Geist35 und wirkt durch diesen in der Kirche.36 Die heute sich ereignende Gegenwart Jesu Christi kann dementsprechend nicht anders „als die pneumatische Gegenwart des auferweckten Kyrios, der die Gemeinschaft mit Gott vermittelt“, gedacht werden37, oder wie Franziskus Eisenbach (*1943) in nahezu calvinischer Diktion schreibt: „der Heilige Geist (erweist sich, F. E.) damit als das vermittelnde Band, in dem Heilsgabe und Heilsempfang in einem einzigen Vorgang verbunden sind.“38 So ist der Geist das wirksame Medium der Vergegenwärtigung Jesu Christi, in dem die Präsenz des erhöhten Herrn erfahrbar wird.39 Das gilt jedoch nicht nur für die Gegenwart der Gottheit Christi, sondern genauso für die Präsenz der menschlichen Natur. Auch sie kann nur als pneumatisch gedacht werden.40 Seit der Auferstehung ist daher auch die Menschheit, die Leiblichkeit Jesu, „geistgeprägt, geistgewirkt, pneumatisch und damit den Einengungen durch Raum und Zeit enthoben“.41 Vor diesem Hintergrund entspricht Calvins pneumatisch konzipierte Präsenz römisch-katholischer Lehre, zumal der Reformator deren Realitätsgehalt ausdrücklich affirmiert und von rein fiktiven oder mentalen Gegenwartsformen abgrenzt. Diese Übereinstimmung hat auch der reformiert-katholische Dialog offiziell festgehalten.42 Dadurch zeigt sich, dass Eucharistietheologie nicht ausschließlich christologisch konzipiert werden kann, sondern die Rolle 31 Vgl. Ratzinger, Problem, 157. 32 Kessler, Hans: Christologie, in: Schneider, Theodor (Hg.): Handbuch der Dogmatik, Bd. 1, Düsseldorf 22002, 241 – 442, hier: 430. 33 Vgl. Gnilka, Paulus, 265. 34 Pröpper, Thomas: Zur vielfältigen Rede von der Gegenwart Gottes und Jesu Christi, in: ders.: Evangelium und freie Vernunft. Konturen einer theologischen Hermeneutik, Freiburg im Breisgau – Basel – Wien 2001, 245 – 265, hier: 263 f. 35 Vgl. Gasecki, Profil, 97. 36 Vgl. Müller, Dogmatik, 401. 37 Söding, Gedächtnis, 48. 38 Eisenbach, Gegenwart Jesu Christi, 774. 39 Vgl. Kasper, Walter : Jesus der Christus, Mainz 1974, 306. 40 Vgl. Vorgrimler, Sakramententheologie, 192 f. 41 Ebd., 31. 42 S. DWÜ I 506 [Die Gegenwart Christi 82].

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des Heiligen Geistes – wie es beispielsweise in der Ostkirche geschieht43 – mitbedacht werden muss. Erst durch sein Handeln erhalten die Konsekrationsworte ihre Wirksamkeit.44 „Es ist der Geist, durch den Christus als der Auferstandene in seiner Kirche gegenwärtig und wirksam ist, und es ist dementsprechend auch der Geist, durch den seine Präsenz im Abendmahl geschieht.“45 Die pneumatologische Begründung der Gegenwart Christi stellt ein große Stärke von Calvins Theologie dar, da sie auf den trinitarischen Rahmen hinweist, der in der Eucharistielehre nicht immer genügend bedacht wurde. Nun verbleibt die Frage nach der somatischen Realpräsenz in Calvins Denken. Calvins Verständnis von der Instrumentalität der sakramentalen Zeichen ist in diese Richtung zu deuten, da Christus in Verbindung mit ihnen und durch deren Dienst seinen Leib und sein Blut exhibiert.46 Auch seine Äußerungen zum descensus Christi mittels der Symbole sind an dieser Stelle heranzuziehen. Damit wird deutlich, dass sich trotz der vielen Aufforderungen Calvins an die Gläubigen, ihre Herzen und ihren Geist zum Himmel zu erheben, die Gegenwart Jesu Christi in der Feier des Abendmahls auf Erden ereignet. Denn diese Realpräsenz ermöglicht es den Gläubigen, in den Himmel erhoben zu werden. Den Ursprung des sursum corda sieht Calvin in der altkirchlichen Liturgie. Der Reformator übergeht jedoch, dass diese liturgische Akklamation auch zu seiner Zeit immer noch im Gebrauch war. Calvins Hinweis auf die Alte Kirche aber zeigt, dass er an dieser Stelle die Kirchenväter rezipiert, nach denen die Eucharistie zwar wirkliche Gegenwart Jesu Christi, aber zugleich auch ein Modus seiner Abwesenheit ist, da die Vollendung der Gemeinschaft mit Christus noch aussteht.47 Es stellt somit ein Missverständnis dar, wenn gesagt wird, dass Calvin zufolge die Gläubigen auf Erden nichts von Christi Gegenwart empfingen, sondern nur auf geistige Weise mit dem im Himmel thronenden Jesus Christus verbunden würden.48 Solche Deutungen verkennen Calvins antimaterialistische Argumentation, die aber gerade die durch den Geist bewirkte Gegenwart auf Erden zulässt. Da diese Aspekte eng mit Calvins Zeichenverständnis und seiner Ablehnung der Transsubstantiationslehre zusammenhängen, ist es sinnvoll, sie im folgenden Abschnitt zu behandeln. 43 Vgl. zum Beispiel Alfejev, Hilarion: Geheimnis des Glaubens. Einführung in die orthodoxe dogmatische Theologie (= ÖBFZPhTh 43), übers. v. Hermann-Josef Röhrig, hrsg. v. Barbara Hallensleben u. Guido Vergauwen, Fribourg 22005, 161. 44 Vgl. Haquin, Andr¦: Pour une th¦ologie symbolique de l’eucharistie, in: ders. (Hg.): L’Eucharistie au Cœur de l’Êglise et pour la Vie du Monde (= Cahier de la Revue Th¦ologique de Louvain 36), Louvain-la-Neuve 2004, 45 – 60, hier : 51. 45 Neumann, Allenthalben, 229. 46 Vgl. Rohls, Theologie, 272. 47 Vgl. Gerken, Theologie, 78. 48 Solche Deutungen finden sich zum Beispiel bei Müller, Dogmatik, 365 und Ratzinger, Problem, 133.

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Somatische Realpräsenz und Transsubstantiationslehre

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3. Die somatische Realpräsenz und die Transsubstantiationslehre Lehrverurteilungen – kirchentrennend hatte das Fehlen der somatischen Realpräsenz in Calvins Abendmahlslehre bemängelt. Es soll nun überprüft werden, ob dieses Urteil zutrifft und ob Calvins Aussagen zur Verbindung der Gegenwart Jesu Christi mit den äußeren Symbolen katholischer Theologie genügen oder nicht. Unter somatischer Realpräsenz wird die Gegenwart Jesu Christi unter den Gaben von Brot und Wein verstanden. Im ökumenischen Dialog mit den Anglikanern wurde gemeinsam festgehalten, dass Christus in der Eucharistie nicht in derselben Weise gegenwärtig ist wie zur Zeit seines irdischen Lebens.1 Da die Menschen Jesus Christus leiblich-körperlich, also von Angesicht zu Angesicht, erst wieder in der Vollendung nach dem Tod begegnen werden, bedarf es eines anderen leibhaftigen Mediums, das die Begegnung mit ihm ermöglicht. Ein solches stellt u. a. die eucharistische Feier mit den Gestalten von Brot und Wein dar. „Zwischen der Zeit der Begegnung als Mensch mit einem irdischen Leib und der Zeit der Begegnung im Eschaton im verklärten Leib ist die der Zwischenzeit entsprechende Begegnung die sakramentale Gestalt: der eucharistische Leib.“2 Brot und Wein erhalten damit eine ähnlich vermittelnde Funktion wie der menschliche Leib, der die Person an die Mitmenschen und die Welt vermittelt.3 Durch Brot und Wein als leibhaftige und insofern als somatische Ausdrucksgestalten wird es ermöglicht, Jesus Christus genau so persönlich zu begegnen, wie es vor 2000 Jahren mit dem irdischen Jesus in Palästina möglich war und mit dem erhöhten Herrn im Himmel wieder sein wird. Brot und Wein als sakramentaler Leib schaffen Raum für diese Begegnung.4 „Die Glaubensaussage identifiziert die Elemente Brot und Wein so mit der Person des Herrn, wie sie seinen irdischen und seinen verklärten Leib damit identifiziert.“5 Es ist zu beachten, dass auch diese Form der Gegenwart im Rahmen „einer pneumatischen und geistig-substantialen Realpräsenz zu denken“ ist.6 Die somatische Realpräsenz kann ebenfalls nur durch das Wirken des Heiligen Geistes zustande kommen, da jede Gegenwart Jesu Christi, wie zuvor gezeigt, sich im Pneuma ereignet. Die Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistiefeier ist nicht auf die somatische Realpräsenz einzuschränken. Vielmehr müssen der patristischen

1 Vgl. DWÜ I 146 [Die Lehre von der Eucharistie 6] 2 Faber, Sakramentenlehre, 115. 3 Vgl. Hintzen, Georg: Gedanken zu einem personalen Verständnis der eucharistischen Realpräsenz, in: Cath(M) 39 (1985), 279 – 310, hier: 286. 4 Vgl. ebd., 283. 5 Ebd., 284. 6 Vgl. Vorgrimler, Sakramententheologie, 193.

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Theologie zufolge7 die Gegenwart Jesu Christi als des Protagonisten und des Gastgebers der eucharistischen Feier und die Gegenwart seiner Heilsereignisse mit der somatischen Realpräsenz zusammengehalten werden, ohne eine Form aus diesem Gesamtzusammenhang zu isolieren.8 Keine der vielfältigen Formen der Gegenwart Jesu Christi darf jedoch bestritten werden. Römisch-katholische Theologie bekennt sich zur substantiellen Gegenwart von Jesu Christi Leib und Blut unter den Gestalten von Brot und Wein.9 Eine orthodoxe Eucharistielehre muss sich daher zu allen drei Gegenwartsformen bekennen, so dass es nicht ausreicht zu sagen, Jesus Christus sei zwar in der Feier der Eucharistie gegenwärtig, aber nicht unter den Gestalten von Brot und Wein, wie es manche Calvininterpretationen formulieren.10 Sind diese Deutungen korrekt, genügt Calvins Theologie den Anforderungen katholischer Lehre nicht. Denn wenn die Gegenwart des ganzen Jesus Christus im Sakrament der Eucharistie abgelehnt wird, sie lediglich als wie in einem Zeichen oder nur als Gegenwart von Christi virtus verstanden wird, ist die entsprechende Theologie nicht mehr als orthodox anzusehen, wie es der erste Canon des Trienter Konzils aus dem Dekret über die Eucharistie11 lehrt.12 Das zentrale Anliegen des Konzils von Trient bestand darin, den Sinn der Einsetzungsworte Jesu Christi zu verstehen und zu lehren, dass die Sakramente des Neuen Bundes die bezeichnete Wirklichkeit enthalten, – und nicht etwa nur anzeigen – um auf diese Weise die Einheit von Zeichen und Wirklichkeit zur Sprache zu bringen. Keinesfalls sollte so die Zeichenhaftigkeit der Eucharistie bestritten werden.13 Abgewehrt werden sollte lediglich die Reduktion der Sakramente auf die bloße Zeichendimension.14 Gerade mithilfe der Transsubstantiationslehre soll die Präsenz im Zeichen15 bzw. das Enthaltensein der bezeichneten Wirklichkeit im Sakrament16 zum Ausdruck gebracht werden. Im historischen Teil dieser Arbeit ist Calvins Distanz zu solchen Theologien deutlich geworden, die Brot und Wein als Zeichen einer abwesenden Sache verstehen und damit die Exhibition von Christi Leib und Blut durch die äu7 Vgl. dazu die Arbeiten von Johannes Betz, der die Vielfalt der Gegenwartsformen Jesu Christi gerade an patristischen Texten festmacht. 8 Vgl. Faber, Sakramentenlehre, 108. – Hilberath, Bernd Jochen: „Substanzverwandlung“ – „Bedeutungswandel“ – „Umstiftung“, in: Cath(M) 39 (1985), 133 – 150, hier: 143. – S. dazu auch die Ausführungen in Kapitel II.1. 9 S. DH 802. 10 S. zum Beispiel Tinker, Language, 144. 11 Wenn im Folgenden vom ersten, zweiten, dritten etc. Canon die Rede ist, sind damit, wenn es nicht anders vermerkt ist, die Canones aus dem Trienter Dekret über die Eucharistie gemeint. 12 S. DH 1651. 13 Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 455. 14 Vgl. ebd., 102. 15 Vgl. Hilberath, Substanzverwandlung, 135. 16 Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 454.

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Somatische Realpräsenz und Transsubstantiationslehre

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ßeren Symbol zurückweisen. So verstand der Genfer Reformator Zwinglis Lehre. Dass Calvin darüber hinaus die wirkliche Präsenz der Person Jesu Christi und ihres Leibes und Blutes und nicht nur die Gegenwart der beneficia Christi oder seiner virtus vertritt, ist ebenfalls herausgearbeitet worden. Wenn Calvin von virtus spricht, ist damit das Wirken des Heiligen Geistes gemeint, also der Modus der Gegenwart Christi und nicht der Inhalt des Abendmahls. Aussagen von Calvin, die in diese Richtung verstanden werden können, müssen daher als antimaterialistische Aussagen über das Wirken von Christi Leib verstanden werden. Daher wird Calvin von diesen Verurteilungen des Trienter Konzils nicht getroffen.17 Der historische Befund unterstützt diese These, da der Name Calvin in den Gesprächen und Beratungen über eine sogenannte Virtualpräsenz auf dem Konzil nicht gefallen ist.18 Der zweite Trienter Canon aber gibt ein bestimmtes Verständnis der eucharistischen Realpräsenz vor, nämlich qua Verwandlung der ganzen Brotsubstanz in die Substanz des Leibes Christi. Analog gilt das für den Wein. Ausdrücklich verurteilt wird die Annahme, dass die Substanzen von Brot und Wein zusammen mit den Substanzen von Christi Leib und Blut zurückbleiben.19 Letzteres wird jedoch von Calvin ausdrücklich gelehrt, so dass dieser Punkt besonders untersucht werden muss. Für das weitere Vorgehen ist eine Differenzierung hilfreich. In der Formulierung der somatischen Realpräsenz sind katholischerseits drei Ebenen zu unterscheiden20 : (1.) „die Glaubensüberzeugung von der ,realis praesentia‘, die schließlich mit den Begriffen ,vere, realiter et substantialiter‘ bekräftigt wird“21. (2.) Die dafür notwendige ontologische Voraussetzung wird mit der conversio totius substantiae22 angegeben.23 (3.) Die Transsubstantiationslehre bringt diesen Sachverhalt „aptissime“24 zur Sprache.25 17 Zu diesem Ergebnis kommt auch Lehrverurteilungen – kirchentrennend. (Vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 95,12 – 26.) 18 Bei der Verurteilung der Virtualpräsenz ist ohnehin nicht klar, wer davon getroffen werden sollte. (Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 180; 190; 217.) 19 S. DH 1652. 20 Solch eine Differenzierung legen auch Thomas’ Ausführungen in der Summa sowie das Glaubensbekenntnis des IV. Laterankonzils nahe. In der Summa behandelt Thomas zunächst die Frage nach der Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie. (S. S. th. III q. 75 a. 1.) Die eucharistische Präsenz erklärt er durch den Wandel der Substanzen, weil ihm andere Möglichkeiten als nicht plausibel erscheinen. (S. S. th. III q. 75 a. 2 f.) Dieses Modell wird Transsubstantiation genannt. (S. S. th. III q. 75 a. 4.) Das IV. Laterankonzil formuliert zunächst die Gegenwart von Christi Leib und Blut unter den Gestalten von Brot und Wein. Diese erfolgt durch die wesentliche Verwandlung der Elemente. (S. DH 802.) 21 Hilberath, Substanzverwandlung, 137. 22 S. DH 1652. 23 Vgl. Hilberath, Substanzverwandlung, 137. 24 DH 1652. 25 Vgl. Hilberath, Substanzverwandlung, 137. Eine ähnliche Differenzierung nimmt auch Miguel Ma Garijo-Guembe vor. Er nennt aber nur zwei Ebenen: die Realpräsenz und die Transsub-

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Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre

Ähnlich kann auch bei Calvin vorgegangen werden. (1.) Durch den Empfang der äußeren Symbole empfangen die Gläubigen das in ihnen Dargestellte, nämlich Christus mit seinem Leib und Blut, weil das Wort Jesu wahr sein muss. (2.) Das geschieht durch das Wirken des Heiligen Geistes, so dass alle örtlichen und materialistischen Vorstellungen ausgeschlossen werden. (3.) Dieses Geschehen kann auf verschiedene Weise versprachlicht werden, solange die gerade genannten Bedingungen erfüllt werden. 3.1 Die somatische Realpräsenz Auf der ersten der drei Ebenen gibt es keine Differenzen. Beide Traditionen gehen davon aus, dass Brot und Wein Jesus Christus nicht nur wie ein Zeichen darstellen, sondern ihn wirklich darreichen. Der Genfer Reformator lehnt rein signifikative Deutungen des Abendmahls eindeutig und ausdrücklich ab: Brot und Wein sind Zeichen der Gegenwart Jesu Christi und weisen nicht auf einen Abwesenden, sondern auf einen Gegenwärtigen hin. Dadurch unterscheiden sich die Sakramente von menschlichen Zeichen, die eher auf Abwesendes verweisen, während bei Gottes Zeichen die bezeichnete Sache selbst gegenwärtig sei. Das veranschaulicht Calvin mit seinem Vergleich des Abendmahls mit einer Herkulesstatue, die Herkules eben nur darstellt. Die durch die Symbole bezeichnete Sache ist darüber hinaus derartig mit diesen verbunden, dass Calvin diese Verbindung als instrumental versteht, so dass sich durch sie bzw. unter ihnen Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes exhibiert. Auch wenn das Abendmahl nicht das einzige Mittel darstellt, um mit Christi Leib und Blut Gemeinschaft zu haben, vermittelt es die Gegenwart Jesu Christi, so dass Brot und Wein empfangen werden müssen, um die von ihnen bezeichnete Sache zu empfangen. Christus gibt sich selbst unter Brot und Wein.26 An einigen Stellen spricht Calvin konsequenterweise davon, dass Christus durch Brot und Wein zu den Gläubigen hinabsteige27 und dass diese Christi Leib und Blut unter den Symbolen empfingen. Er selbst bevorzugt indessen andere Ausdrucksweisen, da diese katabatischen Formulierungen für ihn in gefährliche Nähe von örtlichen Gegenwartskonzeptionen rücken und somit seiner Ansicht nach zu erklärungsbedürftig bleiben. Obgleich diese Ausdrucksweisen nicht Calvins bevorzugte Redeweisen sind, zeigen sie aber, dass Calvin die somatische Realpräsenz nicht bestreitet. Eine Deutung seiner stantiation. (Garijo-Guembe, Miguel Ma : Die Eucharistie nach römisch-katholischem Verständnis, in: ders., Rohls Jan u. Wenz, Gunther: Das Mahl des Herrn. Ökumenische Studien, Frankfurt am Main – Paderborn 1988, 9 – 103, hier: 72.) 26 Vgl. Tosto, Convergenza, 53. 27 Diesen Punkt hat Schützeichel übersehen, was dazu führt, dass er Calvins Lehre für nicht ausreichend hält, denn gemäß dieser werde nur der Heilige Geist, nicht aber Christus selbst gegenwärtig. (Vgl. Schützeichel, Heribert: Der Begriff „virtus“ in der Eucharistielehre, in: ders.: Katholische Beiträge zur Calvinforschung (= TThSt 42), Trier 1988, 127 – 129, hier 128.)

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Somatische Realpräsenz und Transsubstantiationslehre

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Lehre im Sinne des symbolischen Parallelismus scheidet damit völlig aus, weil Leib und Blut Jesu Christi eben durch Brot und Wein empfangen werden. Ein reiner Parallelismus, wie ihn beispielsweise Bullinger vertrat, bedeutet für Calvin streng genommen leere Zeichen, die er aber um jeden Preis vermeiden will. Daher ist der Reformator bereit anzunehmen, dass die Gläubigen unter dem Symbol des Brotes den Leib Christi empfangen, solange örtliche und fleischliche Vorstellungen ausgeschlossen werden. Calvins Zurückweisungen der Bindung Christi an die Elemente sind daher als Abwehr materialistischer Vorstellungen zu verstehen, stellen jedoch keine grundsätzliche Leugnung des Handelns Christi mit und durch Brot und Wein dar. Der reformierte Theologe Brian Gerrish sieht an dieser Stelle die entscheidende Differenzierung innerhalb der reformierten Tradition: „,franziskanische‘ Calvinisten versus ,thomistische‘ Calvinisten“28, die zwar in der Einheit von Zeichen und Sache übereinstimmten, sie aber unterschiedlich interpretierten. Die Ersteren würden diese Einheit als eine Gleichzeitigkeit interpretieren, während die zweiten davon ausgingen, dass die Gemeinschaft mit Christus durch die Zeichen wirklich geschenkt werde.29 Mit der Qualifizierung der Sakramente als Zeichen einer gegenwärtigen Sache und den instrumentalen Bestimmungen bezüglich des Verhältnisses von res und signum sind bei Calvin die beiden wesentlichen Dimensionen von Sakramentalität gegeben: die Sichtbarkeit und die Wirklichkeit des Bezeichneten30 oder präziser : „das Ineinander von Zeichen und Gehalt“31, was der thomasischen Bestimmung der Sakramente als Zeichen und Ursache von Gnade gleichkommt.32 Thomas vergleicht das Bild eines Kaisers, das diesen höchstens symbolisch repräsentiert, mit der Eucharistie, in der Jesus Christus real gegenwärtig ist und er sich in anderer Gestalt den Gläubigen schenkt33 ; dieser Vergleich findet sich in analoger Weise in Calvins Schriften wieder. Infolgedessen muss katholischerseits gesagt werden, dass Brot und Wein „zu gegenwärtig setzenden und wirklichkeitsgefüllten Zeichen und zu Realsymbolen einer neuen Wirklichkeit, nämlich des auferstandenen und erhöhten Herrn“34 werden. Dabei gilt: „das Symbol besitzt die Gabe, verschiedene 28 29 30 31

„,Franciscan‘ Calvinists versus ,Thomistic‘ Calvinists“ (Gerrish, Sign, 128.) Vgl. ebd. Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 272. Faber, Sakramentenlehre, 28. Es ist vor diesem Hintergrund verwunderlich, dass Eckhard Lessing die Frage stellt, warum sich die Reformierten im ökumenischen Dialog mit der römischkatholischen Kirche auf die Sakramentalität des Abendmahls eingelassen haben. (Vgl. Lessing, Abendmahl, 73.) Sakramentalität qua Verbindung von Zeichen und Sache ist ein wichtiger Bestandteil reformierter Sakramententheologie, zumindest der Lehre calvinischer Prägung. 32 Die Gnadenursächlichtkeit ist ein etwas missverständlicher Begriff, dessen Bedeutung im Exkurs über die Entfaltung der Transsubstantiationslehre näher erörtert wird. 33 Vgl. Tück, Gabe, 115. 34 Kasper, Walter: Sakrament der Einheit. Eucharistie und Kirche, Freiburg im Breisgau – Basel – Wien 2004, 49. Die Formulierung des Gegenwärtigsetzens kann jedoch missverstanden werden, als ob die Gegenwart Jesu Christi erst mit der Konsekration der eucharistischen Gaben begänne.

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Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre

Realitäten zusammen auszudrücken und es an der Wirklichkeit teilhaben zu lassen, die in ihm sich ausdrückt.“35 Ein derartig realitätsgefüllter Symbolbegriff findet sich auch in der Abendmahlslehre des Genfer Reformators wieder, was an Calvins Ablehnung der leeren Zeichen und der Bekräftigung der Instrumentalität der Sakramente ersichtlich wird. Daher kann von einem Ineinander von Zeichen und Bezeichnetem in seiner Abendmahlstheologie gesprochen werden, ohne dass damit die von ihm geforderte Differenzierung von signum und veritas schon aufgegeben wäre. Insofern entspricht die von Calvin vertretene Werkzeuglichkeit der eucharistischen Symbole dem sakramentalen Denken katholischer Tradition.36 Die Wirklichkeit dieses Geschehens wird sowohl in der katholischen Dogmatik als auch bei Calvin mit dem Attribut „substantiell“ umschrieben. Calvin vertritt den Empfang der Substanz von Christi Leib und Blut durch die Feier des Abendmahls. Er grenzt seine Gegenwartsvorstellung deutlich von solchen ab, nach denen die Gläubigen nur mit dem Geist Christi Gemeinschaft hätten, nicht aber mit der ganzen Person und mit Leib und Blut Christi, oder die nur eine imaginäre Gegenwart lehren. Außerdem dient ihm das Attribut „substantiell“ dazu, den Realitätscharakter der Gegenwart Christi auszudrücken. 3.2 Die conversio der Elemente Auf der zweiten Ebene muss weitaus differenzierter analysiert werden, zumal Calvin die Wandlung der Brot- und Weinsubstanz explizit bestreitet. Die Wesensverwandlung versteht er als Vernichtung der geschaffenen Substanzen, so dass nur noch deren Akzidenzien bzw. Gestalten übrigblieben. Um an dieser Stelle weiterzukommen, sind zwei Herangehensweisen weiterführend. Zunächst wird untersucht, welche Intentionen sich hinter der römisch-katholischen Redeweise von der conversio substantialis und deren Versprachlichung durch die Transsubstantiationslehre verbergen. In einem zweiten Schritt wird Calvins Verständnis der Transsubstantiationslehre analysiert, um sein Beharren auf den Fortbestand der geschaffenen Substanzen vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Denkens angemessen zu interpretieren. Der erste Punkt betrifft mehr die Wandlung der Elemente und wird in diesem Abschnitt behandelt. Die zweite Fragestellung ist Thema von Kapitel II.3.3. Die Intentionen, die hinter der Redeweise von der conversio substantialis Die somatische Realpräsenz besiegelt aber vielmehr die Gegenwart des Herrn, die sich in der versammelten Gemeinde, der Person des Vorstehers und im verkündeten Wort realisiert. (Vgl. SC 7 – Betz, Zentrales Mysterium, 289.) 35 „el s†mbolo posee el don de expresar conjuntamente realidades distintas y de hacerlo participando de la realidad que en ¦l se expresa.“ (Botella Cubells, Vincente: Sacramento. Una nociûn cristiana fundamental (= Colleciûn Trazos 11), Salamanca 2007, 107.) 36 Vgl. Tosto, Convergenza, 41.

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Somatische Realpräsenz und Transsubstantiationslehre

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stehen, werden vor allem in der Enzyklika Mysterium Fidei37 (1965) von Paul VI. (1897 – 1978) deutlich. Vorangegangen waren Diskussionen über die Transsubstantiationslehre in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Aufgrund des im Gegensatz zur scholastischen und tridentinischen Zeit veränderten Denkhorizontes wurde nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten gesucht, die modernem Denken verständlicher sein sollten. Vor allem sollten naturphilosophische Begriffe und Modelle durch personale ersetzt werden. In diesem Kontext war statt von Transsubstantiation von „Transsignifikation“ und „Transfinalisation“ die Rede.38 Namen wie Bernhard Welte39 (1906 – 1983) und Edward Schillebeeckx40 (1914 – 2009) sind hier exemplarisch zu nennen. Diese Auseinandersetzung rief 1965 eine lehramtliche Reaktion hervor. In Mysterium Fidei setzt sich Paul VI. mit Transsignifikation und Transfinalisation auseinander. Dabei räumt der Papst durchaus ein, dass die eucharistischen Gestalten eine neue Bedeutung und einen neuen Zweck erhielten, weil sie nicht mehr gewöhnliche Nahrungsmittel, sondern „Zeichen einer heiligen Sache und Zeichen geistlicher Speise“41 seien. Doch genüge diese Ausdrucksweise allein nicht42, weil „sie eine neue ,Wirklichkeit‘ oder Realität enthalten, die wir mit Recht ontologisch nennen, denn unter den genannten Gestalten ist nicht mehr das verborgen, was vorher war, sondern etwas ganz Neues; und zwar nicht nur auf Grund des Urteils der Kirche, sondern durch die objektive Realität, da nach der Verwandlung der Substanz oder des Wesens in den Leib und das Blut Christi von Brot und Wein nichts bleibt als die Gestalten, unter denen der ganze Christus in seiner physischen, ja auch körperlichen ,Realität‘ gegenwärtig ist, wenn auch nicht auf die Weise, in der sonst körperliche Gegenstände sich an ihrem Ort befinden.“43

Die neue Bedeutung bzw. der neue Zweck entsteht demnach durch den Wandel der Substanzen und hat darin auch das entsprechende ontologische Fundament. Dadurch wird aber nicht der Zeichencharakter der Eucharistie zerstört, 37 Paul VI.: Mysterium Fidei, in: AAS 57 (1965), 753 – 774. 38 Eine ausführliche Darstellung dieser Diskusionen bietet Wohlmuth, Realpräsenz, 30 – 47. Eine detaillierte Kritik dieser Entwürfe bietet Slenczka, Notger: Realpräsenz und Ontologie. Untersuchung der ontologischen Grundlagen der Transsignifikationslehre (= FSÖTh 66), Göttingen 1993. Nach Slenczka führen diese Konzepte entweder zu einer Leugnung der Realpräsenz oder stellen letztlich nichts Anderes als die traditionelle Lehre dar, da sie den traditionellen Substanzbegriff doch unbewusst ihren Überlegungen zugrunde legen. Damit werden weder bei der Transfinalisation noch bei der Transsiginifkation die Anliegen dieser Reformulierungen der klassischen Transsubstantiationslehre gewahrt. (Vgl. ebd., 290 – 292.) 39 Welte, Bernhard: Zum Verständnis der Eucharistie, in: ders.: Auf der Spur des Ewigen, Freiburg 1965, 459 – 467. 40 Edward Schillebeeckx: Die eucharistische Gegenwart. Zur Diskussion über die Realpräsenz, Düsseldorf 1967. 41 HerrKor 19 (1964/65) 658 / AAS 57 (1965), 766 [Mysterium Fidei]. 42 Vgl. Slenczka, Ontologie, 286 f. 43 HerrKor 19 (1964/65) 658 / AAS 57 (1965), 766 [Mysterium Fidei].

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sondern die Gegenwart Christi lässt Brot und Wein zu Zeichen einer heiligen Sache werden.44 Der Gegenbegriff zum Leib-Christi-Sein qua Wandlung ist das Urteil der Kirche. Abgelehnt wird damit eine Deutung, nach der Brot und Wein nur durch Benennung oder nach subjektivem Dafürhalten durch die Gläubigen bzw. die Kirche als Leib und Blut Christi betrachtet werden.45 Die Wandlung der Substanzen drückt daher „die objektive Selbstständigkeit des eucharistischen Geschehens“46 aus, das ein eigenständiger Vorgang ist. Der Tatsache, dass unter Brot und Wein Leib und Blut Christi empfangen werden, muss ein göttliches Handeln vorangehen, das aus den Nahrungsmitteln, die Brot und Wein ursprünglich sind, etwas Anderes macht und dementsprechend das Wesen von Brot und Wein verändert. Eine bloß menschliche Umstiftung des Sinnes oder der Bedeutung kann nicht die Gegenwart Jesu Christi herbeiführen, da so etwas ein rein innerweltliches Geschehen ist. Die Gegenwart Christi in der Eucharistie kann jedoch nur durch Gott und sein schöpferisches Wort bewirkt werden.47 Nach der Wandlung der eucharistischen Gaben durch den Heiligen Geist, der im eucharistischen Hochgebet auf Brot und Wein herabgerufen wird, steht es daher Christen nicht mehr frei, diese als Brot oder als Leib Christi zu bezeichnen. Unabhängig vom eigenen Dafürhalten oder vom eigenen Glauben sind sie zu Leib und Blut Christi geworden. Nicht die Menschen ändern Brot und Wein, sondern Gott selbst ist am Werk und verwandelt Brot und Wein, so dass sie durch die Konsekration zu reinen48 Zeichen einer heiligen Sache werden, weil sie nicht von Natur aus Sakramente sind. Aufgrund dieser von Gott herbeigeführten Verwandlung reichen sie die bezeichnete Sache wirklich dar. Des Weiteren ist diese Wirklichkeit als objektiv anzusehen, das heißt, dass es nicht in der Verfügungsgewalt der Menschen steht, ob die Realität und das Gegebenwerden des Leibes Christi in einem Falle 44 Vgl. Slenczka, Ontologie, 287. 45 Vgl. Koch, Günter : Sakramentenlehre – Das Heil aus den Sakramenten, in: Beinert, Wolfgang (Hg.): Glaubenszugänge. Lehrbuch der katholischen Dogmatik, Bd. 3, Paderborn u. a. 1995, 309 – 523, hier: 439. Ob diese Gefahr bei den neueren Deutungsversuchen der Transsignifikation und der Transfinalisation wirklich bestand, sei hier dahingestellt. Dass sie allerdings ernsthaft befürchtet wurde, macht Paul VI. deutlich, wenn er ein Verständnis der Wandlung, nach dem sich nur die Bedeutung der Feier oder deren Zweck ändert, als für nicht aussreichend erklärt. (S. HerrKor 19 (1964/65), 654 / AAS 57 (1965), 755.) Die „Umstiftung“ der Feier und der Elemente geschieht nicht durch Menschen sondern durch Gott, womit eine neue Realität gesetzt wird. (Vgl. Dettwiler, Peter u. Faber, Eva-Maria: Eucharistie und Abendmahl. Ökumenische Perspektiven, Frankfurt am Main 2008, 50.) Ein bloß äußerlicher Wandel des Sinnes ist noch kein Wandel des Dinges an sich. (Vgl. Slenczka, Ontologie. 286 f.) 46 Klinger, Elmar: Transsubstantiation – Transfinalisation – Transsignifikation. Die ontologische Frage in der Eucharistiefeier, in: Haunerland, Winfried (Hg.): Mehr als Brot und Wein. Theologische Kontexte der Eucharistie, Würzburg 2005, 282 – 298, hier : 290. Zumindest ist das nach Klinger der Fall für das Konzil von Trient. Der Textzusammenhang in Mysterium Fidei legt das gleiche Verständnis nahe. 47 Vgl. S. th. III q. 75 a. 4. 48 Vgl. Ratzinger, Problem, 152.

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konstituiert würden und im anderen Falle etwa nicht.49 Diese der eigenen Subjektivität entzogene Objektivität der eucharistischen Wandlung und Gegenwart ist auf jeden Fall unmissverständlich zu wahren. Wenn dieser Wandel ein Fundament in der Wirklichkeit hat, so muss er – wenn also bezeichnet werden soll, dass damit nicht nur eine subjektive andere Haltung gegenüber den konsekrierten eucharistischen Elementen, sondern eine durch das göttliche Eingreifen in der Tiefe von Brot und Wein bewirkte Veränderung gemeint ist – als ontologisch, als das Sein von Brot und Wein betreffend beschrieben werden, da sonst Brot und Wein immer noch dieselben Nahrungsmittel blieben, die sie auch vor der Eucharistiefeier waren. „Durch ein veränderndes, verwandelndes Geschehen ist aus der Substanz des Brotes das Dargebotene, der Leib Christi unter der Gestalt de Brotes geworden.“50 Daher ändert sich das Wesen von Brot und Wein, weil nun Jesus Christus unter ihnen gegenwärtig ist und die eucharistischen Gestalten nur noch als Medien der Begegnung mit ihm verwendet werden, was vor der Konsekration nicht der Fall ist. Sie gelten nicht mehr als Nahrungsmittel, die zum Stillen des Hungers oder zum Genuss verzehrt werden, sondern einzig und allein als Leib und Blut Christi, obwohl die natürlichen Effekte von Brot und Wein bezüglich der Sättigung und des Genusses geblieben sind; Brot und Wein bezeichnen nun aber die geistlichen Wirkungen des gegenwärtigen Leibes und Blutes. Die eucharistischen Gestalten sind nach der Konsekration dem alltäglichen Gebrauch entzogen und müssen daher, falls sie nicht unverzüglich konsumiert werden, aufbewahrt werden. Ihr substantieller Selbststand ist verwandelt worden, so dass sie nicht mehr für sich selber stehen, sondern durch das sakramentale Wort zu reinen Zeichen von Gottes Anwesenheit geworden sind.51 Anzumerken ist, dass das Konzil von Trient in seinen Formulierungen nicht von „Akzidenzien“ sondern von „species“ spricht. Damit wird deutlich, dass es dem Konzil darum geht, die Tatsache der substantiellen Wandlung festzuhalten, ohne aber weitergehende naturphilosophische Erklärungen dieser conversio zu definieren; solche könnten zudem nicht den Status eines Dogmas haben. Außerdem gibt das Konzil nicht vor, welche Begriffe für die Formulierung dieser Wandlung unbedingt zu verwenden sind.52 Zu glauben ist „nur“, und zwar weil das die Heilige Schrift bezeugt, „daß das Dargereichte der Leib Jesu sei, also nicht mehr bloßes Brot, sondern bei Wahrung der äußeren Brotsgestalt wirklich der Leib Christi“53 ; dem dient die substantielle Wandlung 49 Das wäre der Fall, wenn die eucharistische Gegenwart Jesu Christi durch den Glauben des einzelnen Empfängers konstituiert werden würde. 50 Rahner, Karl: Die Gegenwart Christi im Sakrament der Eucharistie, in: ders.: Schriften zur Theologie, Bd. IV, Einsiedeln 1960, 357 – 385, hier: 370 f. 51 Vgl. Ratzinger, Problem, 152 f. 52 Vgl. Laarmann, Matthias: Transsubstantiation. Begriffsgeschichtliche Materialien und bibliographische Notizen, in: ABG 41 (1999), 119 – 150, hier: 142. 53 Betz, Zentrales Mysterium, 307.

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der Elemente als ontologische Basis.54 Da es Trient nicht um die Dogmatisierung einer bestimmten Philosophie ging, sind „Wesen“ bzw. „Substanz“ weiter als der streng philosophische Sprachgebrauch zu fassen. Johannes Betz versteht unter diesen Begriffen letztlich die Frage danach, wer ein Ding innehat55, oder – um es mit den Worten Joseph Ratzingers zu sagen – nach dem Selbststand eines Seienden.56 Wenn es zulässig ist, die Lehre von der conversio substantialis so zu interpretieren, fällt Calvins Lehre nicht hinter die katholische Lehre zurück. Das, was nach Calvin aus Brot und Wein Sakramente macht, ist das Wort Gottes, dem geglaubt wird. Gott selber bezeichnet die irdischen Elemente als Symbole von Christi Leib und Blut, so dass sie beides nun exhibieren. Anstatt den Wandel der Substanzen als objektive Grundlage der Gegenwart Christi heranzuziehen, beruft sich Calvin auf das Wort Gottes und das Wirken des Heiligen Geistes. Dieser ist es, der gemäß der Lehre des Reformators die Exhibition von Christi Leib und Blut unabhängig von subjektiven Faktoren vollbringt und garantiert. Dieses Wirken steht nicht in der Verfügung der Menschen, sondern verdankt sich der unwandelbaren und unumstösslichen Treue Gottes, der sein Wort erfüllt. Das Wirken des Heiligen Geistes und damit eben kein menschlich-subjektives Geschehen ist Calvin zufolge die objektive Voraussetzung für die Gegenwart von Christi Leib und Blut. Die Exhibition Christi, die Gott gnadenhafterweise durch Brot und Wein schenkt, ist für Calvin der Grund dafür, von einer conversio der Elemente zu sprechen. Deswegen sind sie etwas Anderes als vorher, wie er ausdrücklich in der Institutio schreibt. Brot und Wein werden etwas, was sie vorher nicht waren, so dass sie nicht mehr als gewöhnliche Speise und Trank anzusehen sind. Der Reformator begründet dies damit, dass diese im Abendmahl Christi Leib und Blut exhibieren57 bzw. in Leib und Blut Christi geheiligt werden, wie es er im Petit Traict¦ formuliert. Mit dem Vokabular der sanctificatio stellt sich der Reformator in die augustinische Tradition, die – wie auch Calvin – stärker die Rolle des Heiligen Geistes betont.58 Dieser hat nun Brot und Wein inne, um die Terminologie von Johannes Betz aufzugreifen. Das Resultat der Heiligung besteht darin, dass die eucharistischen Elemente zu Exhibitionsmedien werden. Insofern kennt auch Calvin eine conversio von Brot und Wein als Ermöglichung dafür, dass die Gläubigen die Substanz von Christi Leib und Blut im Abendmahl empfangen. Der Unterschied zwischen der katholischen Lehre und Calvin besteht aber in der Frage nach der Dauer der Gegenwart Christi. Gemäß katholischer Lehre 54 55 56 57

Vgl. ebd., 306. Ebd., 302. Vgl. Ratzinger, Problem, 148; 153. In OS V 359,1ff [Inst. IV 17,14] stellt Calvin die Exhibition und nicht etwa die Repräsentation als den Unterschied zu gewöhnlichen Speisen heraus! 58 Vgl. Tillard, Jean-Marie Roger : Voix Catholique. La Communion — la P–ques du Seigneur, in: Brouard, Maurice (Hg.): Eucharistia. Encyclop¦dia, Paris 2002, 397 – 437, hier: 402.

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wird das eucharistische Brot zuallererst dazu aufbewahrt, um es den Kranken zu bringen. Die Spendung außerhalb der Eucharistiefeier und die Verehrung der eucharistischen Gaben sind dem nachgeordnet.59 Die Praxis der eucharistischen Anbetung lehnt Calvin als unzulässige Bindung an Irdisches ab. Die Krankenkommunion verwirft er aufgrund der fehlenden Wortverkündigung. In diesen Bestreitungen altgläubiger Praxis ist viel Polemik enthalten. In der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erneuerten Ordnung der Krankenkommunion gehört aber die Wortverkündigung zur Feier der Krankenkommunion.60 Bei der eucharistischen Anbetung jedoch ist keine Verständigung möglich. Festgehalten werden muss, dass die Wandlung, die durch den Geist bewirkt worden ist, irreversibel ist. Für Calvin gilt, dass Brot und Wein durch das Wort Gottes bezeichnet werden und damit dem alltäglichen Gebrauch entzogen sind. Sie können nicht mehr als gewöhnliche Nahrungsmittel verwendet werden. Damit stellt sich die Frage, ob nicht zumindest die Praxis der Aufbewahrung und der Krankenkommunion, solange Calvins berechtigtes Anliegen der Wortverkündigung beachtet wird, auf der Grundlage seiner Theologie legitimiert werden können. Als Indiz dafür, dass dies nicht völlig unmöglich ist, dient der Hinweis der Agende für die evangelisch-reformierten Kirchen und Gemeinden in Deutschland Reformierte Liturgie (1999). Sie erinnert in den einleitenden Worten zur Abendmahlsliturgie an die reformierte Praxis, das verbliebene Brot und den verbliebenen Wein an Kranke und Arme zu geben. Das nimmt sie als Anlass dazu „zu einem angemessenen Umgang mit den übriggebliebenen ,Abendmahlselementen‘“ zu mahnen.61 Das würde zum Einen den ökumenischen Dialog erleichtern und wäre zum Anderen auch mit der Abendmahlslehre Calvins vereinbar.

3.3 Die Transsubstantiationslehre Calvin würde die oben beschriebene Wandlung der Elemente im Gegensatz zur katholischen Lehre allerdings nicht mit dem Attribut substantialis beschreiben, im Sinne einer Veränderung der Substanzen von Brot und Wein. Ausdrücklich lehnt er die Verwandlung der Brot- und Weinsubstanz qua deren Vernichtung ab und besteht stattdessen auf dem Fortbestand der geschöpfli59 Vgl. Kongregation für den Gottesdienst: Kommunionspendung und Eucharistieverehrung außerhalb der Messe, hrsg. v. den Liturgischen Instituten Salzburg – Trier – Zürich, Einsiedeln u. a. 1976, Nr. 5. 60 Vgl. Die Feier der Krankensakramente. Die Krankensalbung und die Ordnung der Krankenpastoral in den katholischen Bistümern des Deutschen Sprachraums. Zweite Auflage, hrsg. im Auftrag der Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs, und der Schweiz sowie der (Erz-) Bischöfe von Bozen-Brixen, Lüttich, Luxemburg und Straßburg, Solothurn u. a. 1994, 65 – 68. 61 Bukowski, Peter, Klompmaker, Arend u. a. (Hg.): Reformierte Liturgie. Gebete und Ordnungen für die unter dem Wort versammelte Gemeinde, Wuppertal 1999, 340.

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chen Substanzen. Zum Einen sieht er sich dazu durch den biblischen Sprachgebrauch genötigt, da Paulus in 1 Kor 10,17 von Brot spreche. Zum Anderen würde durch eine Zerstörung der Substanzen die göttliche Akkommodation zerstört werden. Nur wirkliches Brot könne den Leib Christi darreichen, da das Brot in seiner nährenden Funktion die Speisung der Seele mit dem Leib Christi repräsentiere und gerade darin Gottes gnädiges Eingehen auf die menschliche Erkenntnisfähigkeit deutlich werde. Da die Zeichen von Gott bewusst mit der heiligen Sache zusammengefügt worden seien, wird für Calvin diese Verbindung gefährdet, wenn das Zeichen in seiner Wirklichkeit beeinträchtigt wird. Für Calvin ist der Substanzverbleib der einzige Weg, die somatische Realpräsenz aufrechtzuerhalten.62 Was in katholischem Denken die Voraussetzung für die Gegenwart Christi darstellt, zerstört diese nach Calvins Verständnis. Damit werden viele Aspekte berührt, die das Verständnis der Transsubstantiation betreffen. Diese Lehre verwirft Calvin ausdrücklich. Die Lage wird dadurch verschärft, dass das Konzil von Trient denjenigen mit dem Anathema belegt, der „sagt, im hochheiligen Sakrament der Eucharistie verblieben zusammen mit dem Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus die Substanz des Brotes und des Weines, und jene wunderbare und einzigartige Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in den Leib und der ganzen Substanz des Weines in das Blut, wobei lediglich die Gestalten von Brot und Wein bleiben, leugnet – und zwar nennt die katholische Kirche diese Wandlung sehr treffend (aptissime) Wesensverwandlung (transsubstantionem)“63.

Als Begründung für die Bestreitung der Transsubstantiationslehre verweist Calvin auf deren Folgen, nämlich die örtliche Präsenz des Leibes Christi. Diese bildet für ihn den Haupteinwand gegen die römisch-katholische Lehre. Als Beleg dafür zitiert Calvin das erste von den beiden eucharistischen Glaubensbekenntnisse, die Berengar von Tours in den Auseinandersetzungen im elften Jahrhundert unterzeichnen musste.64 Dieser Text wählt krass-realistische Formulierungen, wie zum Beispiel, dass der Leib Christi mit den Zähnen der Gläubigen zerrieben werde.65 Solche Gedanken widersprechen Calvins Theologie zutiefst. Ferner glaubt Calvin die von Augustinus rezipierte Differenzierung zwischen signum und res durch die Wesensverwandlung gefährdet, da dadurch das Zeichen in die Sache selbst verwandelt würde.66 Zudem sei diese Lehre nicht schriftgemäß. All diese Punkte müssen im Folgenden beachtet werden, in denen es darum geht, Calvins Ablehnung der Transsub62 63 64 65 66

Vgl. Willis, Substantia, 296. DH 1652. S. DH 690; 700. S. DH 690. S. OS V 352,9 [Inst. IV 17,10].

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stantiationslehre zu untersuchen, um aus katholischer Perspektive Calvins Position zu bewerten. Für solch eine Beurteilung ist die Analyse dessen notwendig, was Calvin unter Transsubstantiation und unter Substanz versteht, wenn er gegen die altgläubige Lehre polemisiert. Da er auch eine affirmative Verwendung des Substanzbegriffs aufweist, scheint dieser mehrere Bedeutungsebenen zu beinhalten. Dieser Eindruck verstärkt sich vor allem dann, wenn der Reformator im Petit Traict¦ als Folgen der Transsubstantiationslehre die räumliche Gegenwart des Leibes Christi und dessen Ubiquität nennt. Diese Attribute passen jedoch nicht zum hochscholastischen Substanzbegriff, wie weiter unten zu zeigen ist. Daher stellt sich die Frage, ob Calvins Bestreitung der Transsubstantiationslehre diese überhaupt korrekt erfasst. Ist das nicht der Fall, ist ein differenzierter katholischer Umgang mit Calvins Negativaussagen über die Lehre von der Wesensverwandlung möglich. Um das beurteilen zu können, ist ein Exkurs über den Weg zur Transsubstantiation und das thomasische Verständnis dieser Lehre von Nöten. So werden außerdem die Intentionen der Transsubstantiationslehre ersichtlich. Der Rekurs gerade auf die Lehre des Aquinaten ist deshalb gerechtfertigt, weil zum Einen seine Theologie über Jahrhunderte weg katholisches Denken über die Eucharistie geprägt hat und zum Anderen die Transsubstantiationslehre thomistischer Prägung in der Reformationszeit selber und danach gegen die Anfragen durch die Reformatoren herangezogen wurde. Darüber hinaus bietet Thomas‘ Lehre Anknüpfungspunkte für den Dialog mit Calvin.

Exkurs: Die thomasische Transsubstantiationslehre Im folgenden Exkurs werden nur einige Aspekte der Entstehung der Transsubstantiationslehre beleuchtet67, die mit der spezifischen Fragestellung dieser Arbeit zusammenhängen. Hier wird im Wesentlichen die vorhandene Literatur zusammengetragen. Diese Ausführungen sollen helfen, die Hintergründe der Entstehung der Transsubstantiationslehre und der Ausarbeitung bei Thomas von Aquin besser zu verstehen. Die Vorgeschichte zur Transsubstantiationslehre bilden die Abendmahlsstreitigkeiten im frühen Mittelalter. In dieser Zeit kommt die Frage auf, ob das, was die Gläubigen in der Eucharistie empfangen, im Mysterium oder in 67 Für eine ausführlichere Darstellung s. Jorissen, Hans: Die Entfaltung der Transsubstantiationslehre bis zum Beginn der Hochscholastik, Münster 1965. – Ders.: Art. ,Transsubstantiation‘, in: LThK 10 (32001), 177 – 182. – Neunheuser, Burkhard: Art. ,Transsubstantiation‘, in: LThK 10 (21965), 311 – 314. – Ders.: Eucharistie in Mittelalter und Neuzeit (= HDG IV/4b), Freiburg im Breisgau – Wien 1963. – Iserloh, Mittelalter, 89 – 106. – Laarmann, Begriffsgeschichtliche Materialien, 119 – 142. – Gerken, Theologie, 61 – 125. Die folgenden, knapp gehaltenen Ausführungen beziehen vor sich allem, soweit nicht anders vermerkt, auf das letztgenannte Werk.

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Wirklichkeit der Leib Christi sei.68 Schon diese Fragestellung ist falsch, da die Symbol- und die Realitätsebene gegeneinander ausgespielt, anstatt zusammengehalten werden.69 In der Abtei Corbie (Picardie) verfassten sowohl der Abt Paschasius Radbertus (790 – 856) als auch sein Mitbruder Ratramnus (800 – 868) Traktate über die Eucharistie.70 Paschasius identifizierte den eucharistischen Leib Christi mit dem historischen, so dass das, was die Gläubigen empfangen, derselbe Leib ist, den Maria geboren und der am Kreuz gelitten hat, während Ratramnus noch eher im antiken Bild-Abbild-Denken die Gegenwart Christi formulierte. Ungefähr 200 Jahre später kam es zu erneuten Auseinandersetzungen. Berengar von Tours, der zur Substanz auch die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften eines Dinges zählte71, konstatierte, dass sich an den eucharistischen Gestalten äußerlich nichts ändere und Wandlung allein darin bestehe, dass Brot und Wein zu Symbolen von Christi Leib und Blut würden.72 Berengar erfuhr Widerstand und musste 1059 und 1079 jeweils ein Glaubensbekenntnis unterzeichnen. Im ersten Text bekennt er, „daß nämlich das Brot und der Wein, die auf den Altar gelegt werden, nach der Konsekration nicht nur ein Sakrament, sondern auch der wahre Leib und das wahre Blut unseres Herrn Jesus Christus sind und sinnenhaft – nicht nur im Sakrament, sondern in Wahrheit – mit den Händen der Priester berührt und gebrochen und mit den Zähnen der Gläubigen zerrieben werden“73.

Die Gegenwart Jesu Christi ist demzufolge sinnlich erkenn- und erfahrbar. Berengars Gegner weisen damit den gleichen sensualistischen Substanzbegriff wie dieser auf74, interpretieren ihn aber krass-realistisch. Daher geht es in der Eucharistie zu dieser Zeit vor allem um die Gegenwart des historischen Leibes und Blutes Jesu Christi.75 Das zweite Bekenntnis schwächt diesen groben Realismus etwas ab und spricht von „substantialiter converti“76, was auf die Arbeiten von Berengars Gegnern Lanfranc de Bec (1010 – 1089) und Guitmund di Aversa († zwischen 1090 und 1095) zurückgeht.77 Ein Fortschritt in dieser Problemlage erfolgte durch die Einführung der Unterscheidung zwischen Substanz und deren proprietates bzw. deren Akzi68 69 70 71 72

73 74 75 76 77

Vgl. Neunheuser, Mittelalter und Neuzeit, 17. Vgl. Schneider, Zeichen, 145. In späteren Zeiten wurden beide Texte als Teil einer Kontroverse aufgefasst. Vgl. Jorissen, Entfaltung, 7. Vgl. Gerken, Theologie, 113. In der Forschung ist umstritten, ob Berengar seine Eucharistielehre realsymbolisch verstand oder nicht. Für eine rein symbolistische Deutung treten Gerken, Theologie, 113 und Neunheuser, Transsubstantiation, 311 ein. Eine realsymbolische Interpretation dagegen vertritt Jorissen , Transsubstantiation, 178. DH 690. Vgl. Laarmann, Begriffsgeschichtliche Materialien, 120 f. Vgl. Angenendt, Arnold: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 22000, 504. S. DH 700. Vgl. Jorissen, Transsubstantiation, 178.

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denzien, die auch schon bei Lanfranc ansatzweise zu finden ist. Dadurch dass „nur“ das Wesen des Leibes Christi präsent wird, wird die Totalidenfikation des eucharistischen Leibes mit dem historischen Leib wie bei Paschasius vermieden.78 Diese Differenzierung erlaubte es des Weiteren, gleichzeitig die Wirklichkeit der Verwandlung und „die bleibende Wirklichkeit des äußeren Zeichens (Akzidentien) festzuhalten“, so dass nur mit den Augen des Glaubens die Realität der Gegenwart Christi in Brot und Wein erkannbar ist.79 Auf diese Weise konnten sowohl der Realismus der Gegenwart Jesu Christi als auch der Zeichencharakter der Eucharistie durch das Herausstellen der Unverändertheit der species80 gewahrt werden. Das Verständnis von Substanz als eines rein metaphysischen Begriffs, wie es bei den meisten Theologen im 12. Jahrhundert anzutreffen war81, ermöglichte außerdem, alle örtlichen Vorstellungen abzuwehren.82 Die einsetzende Aristotelesrezeption spielte für die weitere Entwicklung der Eucharistielehre eine wichtige Rolle, da sie das notwendige begriffliche Inventar zur ontologischen Durchdringung der Realpräsenz Jesu Christi zur Verfügung stellte. Der Begriff Transsubstantiation taucht aber schon früher auf, nämlich im 12. Jahrhundert bei Robertus Pullus (1080 – 1146).83 An der Wende zum 13. Jahrhundert konkurrieren drei Interpretationen der Wesensverwandlung miteinander : (1.) Brot und Wein werden nicht verändert, sondern Leib und Blut Christi kommen zu den eucharistischen Gestalten hinzu. Seit 1555/60 wird diese Lehrform „Konsubstantiation“ genannt. Sie ist die einzige der drei Deutungen, die lehramtlich verurteilt worden ist. (2.) Der Annihilationstheorie entsprechend werden die Substanzen von Brot und Wein völlig vernichtet, so dass an ihre Stelle Leib und Blut Christi treten. (3.) Die eucharistische Wandlung besteht in der Verwandlung der Substanzen von Brot und Wein in die Substanzen von Leib und Blut Christi. Diese wird ab der Neuzeit im strengen Sinne als Transsubstantiation bezeichnet.84 Das IV. Laterankonzil (1215) übernimmt die letztgenannte Lehre in seinem Glaubensbekenntnis gegen Katharer und Waldenser.85 In der Tradition des IV. Lateranum steht auch Thomas von Aquin. Bevor der Aquinate sich aber der eucharistischen Realpräsenz zuwendet, führt er scholastischer Sakramentenlehre entsprechend die Differenzierungen zwi78 Vgl. Gerken, Theologie, 119. 79 Vgl. Hilberath, Substanzverwandlung, 141 f. 80 Vgl. Sattler, Dorothea: Wesensverwandlung. Zur bleibenden Bedeutung der Rede von „Transsubstantiation“ in einer ökumenischen Eucharistielehre, in: dies.: Aufgebrochen. Theologische Beiträge, Mainz 2001, 73 – 85, hier: 77. 81 Vgl. Laarmann, Begriffsgeschichtliche Materialien, 121 f. 82 Vgl. R¦my, Gerard: Christi Gegenwart in der Eucharistie im Blickwinkel der französischen Theologie, in: TThZ 106 (1997), 99 – 116, hier: 102. 83 Vgl. Jorissen, Transsubstantiation, 178. – Laarmann, Transsubstantiation, 1349. 84 Vgl. Laarmann, Transsubstantiation, 1350. 85 DH 802.

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schen res tantum, res et sacramentum und sacramentum tantum ein und bestimmt somit Form und Materie der Eucharistie.86 Die Gegenwart des Leibes Christi ist in seiner Sakramentenlehre res et sacramentum. Als sacramentum tantum bzw. Materie gelten Brot und Wein. Die res tantum besteht in den Wirkungen des Sakramentes87, wozu Thomas das Wachsen im geistlichen Leben und die Wirkungen des Leidens Christi88, die Vemehrung der Gnade und die Vergebung der Sünden versteht, wobei er zu letzterem ausdrücklich bemerkt, dass das Leiden Christi als Quelle der Sündenvergebung zu verstehen ist.89 Die Form des Sakramentes besteht in der Einsetzungsworten, die der Spender des Sakraments in persona Christi spricht.90 Zur Formulierung der Realpräsenz rezipiert Thomas die Differenzierung zwischen Substanz und Akzidenz, „um zwischen der Skylla eines groben Sakramentsrealismus einerseits und der Charybdis eines spiritualistischen Symbolismus andererseits einen eucharistietheologischen Mittelweg zu beschreiten“91. Dementsprechend lehrt Thomas zunächst, dass Jesus Christus nicht nur im Zeichen, sondern auch in Wirklichkeit gegenwärtig sei.92 Diese Gegenwart sei „allein durch den Glauben, der sich auf die göttliche Autorität stützt“93, und damit eben nicht mit den Sinnen erkennbar, womit sich Thomas vom sensualiter aus Berengars erstem Bekenntnis deutlich distanziert.94 Die eucharistische Präsenz werde „allein durch die Kraft des Heiligen Geistes“95 bewirkt und ist folglich pneumatische Realpräsenz.96 Sie sei nicht örtlich zu verstehen, da sie einen besonderen Modus der Gegenwart Christi darstelle, die diesem Sakrament angemessen sei.97 Das adäquate Verständnis der Gegenwart des Leibes Christi bestimmt Thomas als „per modum substantiae“98. Substanz bedeutet bei Thomas das Wesen99 eines Seienden. Aufgrund des hier verwendeten Substanzbegriffes sind damit Unausgedehntheit, Unräumlichkeit und sogar Unleiblichkeit impliziert.100 „Christi Leib wird gegenwärtig ohne 86 87 88 89 90 91 92 93 94

95 96 97 98 99 100

S. S. th. III q. 73 a. 6; q. 74 a. 1. S. S. th. III q. 73 a. 6. S. S. th. III q. 79 a. 1. S. S. th. III q. 79 a. 3. Die folgenden Artikel von Quaestio 79 nennen weitere Wirkungen der Eucharistie. S. S. th. III q. 78 a. 1. Tück, Gabe, 25. S. th. III q. 75 a. 1. „sola fide, quae auctoritate divina innititur“ (S. th. III q. 75 a. 1). In S. th. III q. 77 a. 7 ad 3 präzisiert Thomas, dass das Zerriebenwerden mit den Zähnen sich nicht auf den Leib Christi, sondern auf die sakramentalen Gestalten von Brot und Wein beziehe. Auch auf dem Konzil von Trient wird vor einer falschen und übertriebenen Interpretation dieser Texte gewarnt. (Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 352.) „sola virtute Spiritus Sancti“ (S. th. III q. 78 a. 4 ad 1, Hervorhebung F. E.). Vgl. Garijo-Guembe, Eucharistie, 72. S. S. th. III q. 75 a. 1 ad 3. S. th. III q. 76 a. 5. S. S. th. I q. 3 a. 5 ad 1. S. Tück, Gabe, 94.

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Ausdehnung, ohne Körperlichkeit.“101 Für den Aquinaten ist die substantielle Gegenwart des Leibes Christi keine zirkumskriptive Präsenz, sondern schließt schließlich jede Körperlichkeit und damit jeden Materialismus aus. Das erklärt sich aus seiner Intention, den krassen Sakramentsrealismus, der vor seiner Zeit von einigen Theologen vertreten wurde, zu überwinden.102 Dementsprechend betont Thomas, dass der Leib Christi nicht in propria specie, sondern in der Gestalt von Brot empfangen werde, wodurch der Auferstandene die Zeit seiner physischen Abwesenheit zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft überbrückt.103 Damit vermeidet er eine Totalidentifikation des eucharistischen Leibes mit dem historischen Leib Christi.104 Thomas zufolge ist die Transsubstantiation der einzig mögliche Weg, die Gegenwart Christi zu formulieren105, da allein sie dem Sinngehalt der biblisch bezeugten Stiftungsworte zu entsprechen vermag.106 Denn die Konsubstantiation würde eine räumliche Bewegung Christi, einen erneuten descensus, voraussetzen, durch die seine Existenz im Himmel aufhören würde.107 Die Vernichtung der Substanzen dagegen widerspreche Gottes schöpferischem Handeln, das niemals die Ursache davon sein könne, Seiendes ins Nichts zu überführen.108 Auch eine Auflösung der irdischen Substanzen in die materia praeiacens, was im Falle von Brot und Wein die vier Elemente wären, sei nicht anzunehmen, weil solch ein Phänomen sinnlich wahrnehmbar sein müsste.109 Daher bleibe als einzige Möglichkeit übrig, dass der Leib Christi durch die Verwandlung der Substanzen unter Brot und Wein zu existieren beginne.110 Dabei werde das ganze Sein von Brot und Wein verwandelt, während alle Akzidenzien zurückblieben. Unter diesen würde den Gläubigen der Leib und das Blut Christi dargereicht, denn es wäre für Menschen schauerlich, Fleisch und Blut eines anderen Menschen zu sich zu nehmen.111 Solch eine Verwandlung sei, so unterstreicht es Thomas, keiner natürlichen Verwandlung ähnlich und könne allein durch die Macht Gottes bewirkt werden.112 Um diese Theorie philosophisch konsistent formulieren zu können, muss Thomas ein Wunder annehmen, das ihn dazu führt, die aristotelische Akzidenzienlehre weiterzuentwi101 102 103 104 105 106 107 108 109 110

Betz, Zentrales Mysterium, 299. Vgl. Tück, Gabe, 79; 94. Vgl. ebd., 79. Vgl. ebd., 94. Vgl. Jorissen, Transsubstantiation, 179. Vgl. Tück, Gabe, 71. S. S. th. III q. 75 a. 2. – Tück, Gabe, 84. S. S. th. III q. 75 a. 3 Sed contra. S. S. th. III q. 75 a. 3. S. S. th. III q. 75 a. 2. Auch auf dem Konzil von Trient wurde deutlich gemacht, dass ein örtlicher descensus nicht nötig sei, um die Gegenwart Christi auszudrücken. Die Annahme desselben wurde sogar verworfen, weil sie gegen die sessio ad dexteram Patris verstoße. (Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 277.) 111 S. S. th. III q. 75 a. 5. 112 S. S. th. III q. 75 a. 4.

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ckeln.113 Der Aquinate geht nämlich davon aus, dass die Akzidenzien einzigartigerweise von ihrer eigentlichen Substanz, ihrem Träger, losgelöst fortbestehen, was nur durch Gottes Macht möglich sei.114 Die Akzidenzien dienten der Bezeichnung dieses Sakramentes, da durch sie die Substanz erkannt werde. Der hier verwendete Begriff significatio unterstreicht, dass die konsekrierten Gestalten von Brot und Wein Zeichen sind.115 Damit ist die Zeichenhaftigkeit der Sakramente angesprochen, wozu einige Sätze gesagt werden müssen. Zeichen sind Thomas zufolge in ihrer ursprünglichen Bedeutung etwas Sinnenfälliges, wie er mit Bezugnahme auf Augustinus schreibt, da die Erkenntnis bei dem von den Sinnen Erkannten ihren Ausgangspunkt nehme. Sie würden den Menschen gegeben, damit sie durch Bekanntes zum Unbekannten gelangten.116 Zeichen mit ihrer Wirkung auf die menschlichen Sinne haben teil an der Fähigkeit zur Bezeichnung117 und führen somit zur Erkenntnis von etwas Anderen. Dieses Andere, das im Falle der Sakramente in der gnadenhaften Wirkung bestehe, könne aber nur durch sichtbare Zeichen erkannt werden, womit Thomas klarstellt, dass die sinnenfälligen Elemente für die Sakramente unerlässlich seien.118 Die erste grundlegende Bestimmung der Sakramente in der Summa besteht in deren Zeichenhaftigkeit. Sie sind gemäß augustinischer Tradition Zeichen einer heiligen Sache, die – so fügt Thomas hinzu – den Menschen heilige.119 Zeichenhaftigkeit im Kontext der Sakramentenlehre bedeutet demzufolge mehr als die bloße Bezeichnung.120 Der Zeichencharakter der Sakramente beinhaltet somit das Handeln Gottes durch die Zeichen, also deren Wirkung.121 Die Sakramente des Neuen Bundes bewirken in diesem Sinne das von ihnen Bezeichnete, während die alttestamentlichen Sakramente die Gnade nur bezeichneten. Sakramente verursachen Gnade, weil die Erstursache, die res sacra, also Jesus Christus selbst, in den Sakramenten wirkt.122 Die Hauptursache von Gnade kann Thomas gemäß nur Gott sein. Die Sakramente hingegen seien Instrumentalursachen in den Händen Gottes, der diese bewege.123 113 S. Laarmann, Begriffsgeschichtliche Materialien, 128. 114 S. S. th. III q. 77 a. 1. Thomas übernimmt damit nicht unbefragt die aristotelische Metaphysik, sondern ergänzt sie entsprechend seiner Theologie. (Vgl. Laarmann, Transsubstantiation, 1351.) 115 S. S. th. III q. 75 a. 2 ad 3. 116 S. S. th. III q. 60 a. 2. 117 S. S. th. III q. 60 a. 6 ad 1. 118 S. S. th. III q. 60 a. 4 ad 1. Die Unerlässlichkeit der Sinnenfälligkeit ergibt sich bei Thomas aus dem ersten Einwand zu diesem Artikel, der behauptet, dass Sakramente ohne sinnenfällige Dinge sein könnten. 119 S. S. th. III q. 60 a. 2. – Tück, Gabe, 43. 120 Vgl. Tück, Gabe. 45. 121 S. S. th. III q. 60 a. 3 ad 2. 122 Vgl. Hedwig, Klaus: ,Efficiunt quod figurant‘. Die Sakramente im Kontext von Natur, Zeichen und Heil, in: Speer, Andreas (Hg.): Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin 2005, 401 – 424, hier: 405. 123 S. S. th. III q. 62 a. 1.

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Thomas verknüpft Zeichenhaftigkeit und Kausalität miteinander124, insofern Sakramente Zeichen und Instrumentalursache von Gottes Gnade sind.125 Nicht das Zeichen an sich, wie es in der Scholastik teilweise vertreten wurde, sondern die angezeigte heilige Sache, der erhöhte Christus, wirkt erstursächlich durch das Zeichen.126 „Die im Sakrament mitgeteilte Gnade ist ganz Sache Gottes, nur ihm ist sie zuzuschreiben, und dem Sakrament nur in totaler Abhängigkeit von ihm.“127 Allein durch die göttliche Einsetzung ist ein natürliches Ding auf die Heiligung des Menschen bezogen und nicht etwa aufgrund der natürlichen Kräfte in den verwendeten Materialien.128 Die den Sakramenten zukommende Kausalität unterscheidet sie auch von bloßen vasa gratiae.129 Gerade weil sie Instrumentalursache sind, wirken sie nur dann, „wenn die Sakramente in ihrem eigenen, sinnlich-körperlichen Vollzug den Körper des Menschen berühren“130. In ihrem Vollzug bringen sie eine Wirkung hervor, die allein aufgrund von Gottes Kraft möglich ist, wenn sie ihrem Sein entsprechend tätig und somit dem Menschen angemessen sind. Dann gilt nämlich: Significando causant.131 Die Bezeichnung der übernatürlichen Dinge in den Sakramenten und die Auswahl der Dinge, die als Zeichen dienen sollen, erfolge durch Gott132, der die Mittel zur Heiligung des Menschen bestimmt.133 Näher qualifiziert werden die sakramentalen Zeichen durch das göttliche Wort, das nach Thomas zum Zeichen hinzutreten muss134 und somit das Sakrament von anderen Handlungen unterscheidet.135 Die Heiligung, die in den Sakramenten bezeichnet wird, umfasst drei Zeitstufen. Zunächst werde die Ursache der Heiligung durch das Sakrament bezeichnet, nämlich die Passion Christi, womit sich der Blick auf die Vergangenheit richte (signum rememorativum). Die zweite Stufe bezieht sich auf die Gegenwart, insofern die Sakramente bezeichnen, was das Leiden Christi in den Glaubenden bewirke, nämlich Gnade (signum demonstrativum). Als signum prognosticum bezeichne ein Sakrament die künftige, eschatologische Herrlichkeit.136 Thomas expliziert diese drei Dimensionen ausdrücklich mit Bezug auf die Eucharistie: Im Hinblick auf die Vergangenheit ist die Eucharistie „Erinnerung an das Leiden des Herrn, das ein wirkliches 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136

Hedwig, Efficiunt, 404. S. S. th. III q. 62 a. 1 ad 1. Vgl. Hedwig, Efficiunt, 405. Pesch, Otto Hermann: Thomas von Aquin. Grenze und Größe mittelalterlicher Theologie, Mainz 1988, 365. S. S. th. III q. 60 a. 5 ad 2. Vgl. Hedwig, Efficiunt, 411. Ebd., 414. Vgl. ebd. S. S. th. III q 60 a 5 ad 1. Vgl. Tück, Gabe, 47. S. S. th. III q. 60 a. 6. Vgl. Tück, Gabe, 47. S. S. th. III q. 60 a. 3.

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Opfer war […] und demzufolge (dieses Sakrament, F. E.) ,Opfer‘ genannt wird.“137 Die Gegenwartsebene bestehe in der Einheit der Kirche, durch die die Menschen zusammengerufen werden und in die Gemeinschaft mit Christi Fleisch und Blut treten. Als signum prognosticum präfiguriert die Eucharistie die künftige Freude in Gottes Herrlichkeit.138 Die eucharistischen Zeichen von Brot und Wein bezeugen, dass den Gläubigen eine neue Wirklichkeit angeboten wird, und zwar, dass Christus das Brot des Lebens und der Kelch des Heils ist; zugleich wird durch sie diese Wirklichkeit den Empfangenden dargereicht.139 Die Gestalten können nur etwas durch den gegenwärtigen Leib Christi bewirken, nicht aus sich selbst, wie Thomas eigens hervorhebt.140 Damit holt Thomas sowohl die Zeichenhaftigkeit der Eucharistie als auch deren Realitätsgehalt ein und vermeidet auf diese Weise einerseits einen reinen Symbolismus und andererseits einen grobmaterialistischen Realismus.141 Bei ihm kann daher vom signum efficax gesprochen werden.142 Gerade bei Thomas wird deutlich, dass die Transsubstantiationslehre einen Mittelweg zwischen den beiden Extremen der vorausgegangenen Auseinandersetzungen darstellt.143 Denn sie wahrt die Zeichenhaftigkeit des Sakraments, ohne es im Gegenzug in bloßen Symbolismus aufzulösen. Gleichzeitig artikuliert sie die Gegenwart von Christi Leib und Blut, ohne aber den eucharistischen Leib total mit dem historisch-physischen zu identifizieren. Wenn zudem beachtet wird, dass Substanz im thomasischen Verständnis ein metaphysischer und damit kein empirisch-sensualistischer Begriff ist, bewahrt die Transsubstantiation zum Einen vor der Verflüchtigung der Gegenwart Christi und verhindert zum Anderen örtliche Vorstellungen der Realpräsenz. Die Transsubstantiation war aber nicht das einzige Denkmodell der eucharistischen Gegenwart im Mittelalter. Da Thomas ferner anfänglich nicht unumstritten war, entzündete sich Kritik an seiner Ausarbeitung der Wesensverwandlung. In der Spätscholastik veränderte sich das Verständnis von Substanz. Nun wurde auch die quantitas in den Substanzbegriff aufgenommen, so dass die substantielle Gegenwart Christi auch quantitative Konnotationen aufwies.144 „Die Trennung der metaphysischen und der physischen Ebene wurde nicht durchgehalten, und fast unvermerkt änderte sich das Verständnis von ,sub137 „commemorativum dominicae passionis quae fuit verum sacrificium […] et secundum hoc nominatur ,sacrificium‘.“ (S. th. III q. 73 a. 4.) 138 S. S. th. III q. 73 a. 4. 139 Vgl. Tillard, Voix, 404. 140 Vgl. S. th. III q. 73 a. 1 ad 2. 141 Vgl. Tück, Gabe, 89. 142 Vgl. Hedwig, Efficiunt, 413. 143 Vgl. Gerken, Theologie, 120. 144 Vgl. Müller, Dogmatik, 700.

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stantia‘ in Richtung eines physikalischen Begriffs von Quantität und Masse.“145 Heftig wurde die Frage diskutiert, wie die Substanz des Brotes entschwinden, seine Ausdehnung dagegen bestehen bleiben könne.146 Daraus resultierte ein Verständnis von Transsubstantiation, das diese als eine conversio physica, also als stoffliche Verwandlung, und als inclusio localis auffasste.147 Der Franziskaner Wilhelm von Ockham favorisierte in dieser Zeit das Modell der Konsubstantiation und auch das Fortbestehen der Brotsubstanz.148 An der Transsubstantiation hielt er nur aus Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Lehramt fest. Ockham beschrieb die eucharistische Wandlung als Vernichtung der kreatürlichen Substanzen und die Herbeiführung des Leibes Christi, der somit einen neuen Ort einnehme, ohne aber seinen vorherigen, nämlich den Himmel, zu verlassen. Damit fordert er genau das, was Thomas in der Summa ausgeschlossen hatte.149 Ockham begreift die Transsubstantiation als eine „successio substantiae ad substantiam“, was durchaus in Gottes Allmacht möglich sei.150 Seine Interpretation ist letztlich als Annihilation der Brot- und Weinsubstanz zu verstehen.151 Ockham lehnt den Realunterschied zwischen Substanz und Quantität ab, da beide vor seinem nominalistischen Hintergrund nur verschiedene Begriffe für eine Sache sind, aber nicht verschiedene Seinsstrukturen repräsentieren. Somit ist die Substanz selbst etwas Ausgedehntes, was Ockham für die richtige Deutung des Aristoteles hält.152 Die eucharistische Gegenwart bezeichnet Ockham als definitive Präsenz Christi in jedem Teil der Gestalten, was von seiner zirkumskriptiven Gegenwart im Himmel unterschieden werden muss. Das bedeutet, dass in den eucharistischen Gestalten die einzelnen Glieder Jesu Christi ineinandergeschoben werden und die natürliche Anordnung seiner Organe aufgehoben wird.153 In jedem Teil der Hostie behalten die Organe Christi ihre Funktion, ohne dass sie miteinander verschmelzen, auch wenn sie alle am selben Ort sind.154 Da Ockham ausdrücklich betont, dass der Leib Christi nicht circumscriptive gegenwärtig sei155, macht er deutlich, dass er die Gegenwart des Leibes Christi nicht quantitativ verstehen will. Demzufolge ist eine körperliche Substanz unausgedehnt an einem Ort, ohne dass er versucht, diese Schwierigkeiten 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 101,4 – 8. Vgl. Iserloh, Mittelalter, 100. Vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend, 102,2 – 5. Vgl. Iserloh, Erwin: Gnade und Eucharistie in der philosophischen Theologie des Wilhelm von Ockham. Ihre Bedeutung für die Ursachen der Reformation (= VIEG 8), Wiesbaden 1956, 157; 159. Vgl. ebd., 163 f. Ebd., 166. Vgl. ebd., 167 f. S. ebd. auch die Textbelege bei Ockham. Vgl. ebd., 175 f; 180 f; 184. Vgl. Iserloh, Mittelalter, 100. Vgl. Iserloh, Gnade, 205. Vgl. ebd., 225 – 227.

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aufzulösen. Trotz der definitiven Gegenwart „ist aber der Leib Christi unmittelbar am Ort und nicht etwa durch die Vermittlung der Gestalt des Brotes“156, da der Leib Christi aufgrund von Gottes Macht auch gegenwärtig bleiben könnte, wenn die äußeren Gestalten zerstört würden.157 Gabriel Biel (1410 – 1495) folgte Ockham und vertrat die definitive Gegenwart des Leibes Christi im Sakrament bei dessen gleichzeitiger zirkumskriptiver Präsenz im Himmel.158 Erwin Iserlohs (1915 – 1996) Urteil, dass Ockham „eine ziemlich massive Vorstellung von der definitiven Seinsweise des Leibes Christi“159 vertritt, ist zutreffend. Ferner ist kritisch zu Ockhams Eucharistielehre anzumerken, dass es keinen wirklichen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Brotsubstanz und der Gegenwart von Christi Leib gibt.160 Was bei Ockham nahezu völlig fehlt, ist die Darlegung der Heiligen Schrift und der Väter, sowie die Beziehung der Eucharistie zum Heilswerk Christi, da er sich fast ausschließlich mit den naturphilosophischen Fragen beschäftigt.161 Diese Kritik trifft aber nicht nur auf Ockham sondern auf „die gesamte Theologie des 14. und 15. Jahrhunderts zu.“162 Die Gründe für Calvins Bestreitung der Transsubstantiation – materialistische Vorstellungen der Gegenwart Christi, Örtlichkeit, Verwischung der Differenz zwischen Zeichen und Sache, fehlende Schriftgemäßheit – betreffen nicht die Transsubstantiationslehre, wie sie von Thomas von Aquin entwickelt und verstanden wurde.163 Demnach stellt nicht Thomas das Ziel von Calvins Kritik dar164, da mit der Lehre des Aquinaten weder materialistische Konnotationen verbunden sind, noch bei ihm Zeichen und Sache miteinander vermischt werden. Gerade die Transsubstantiationslehre wahrt die Zeichenhaftigkeit, indem die unveränderten Akzidenzien mit ihren natürlichen Eigenschaften die Substanzen von Christi Leib und Blut bezeichnen. Als Konsequenzen der Transsubstantiationslehre sieht Calvin sowohl Örtlichkeit als auch Ubiquität an, obwohl die scholastische Lehre gerade

156 157 158 159 160 161 162 163

Ebd., 253. Vgl. ebd., 277. Vgl. Oberman, Harvest, 275. Ebd. Iserloh, Gnade, 206. Vgl. ebd., 165. Vgl. ebd., 273. Ebd., 274. Die einzige Einschränkung, die gemacht werden muss, besteht darin, dass sie sich in dieser Ausformulierung nicht in der Heiligen Schrift findet, was aber daran liegt, dass die Hochscholastik eine ganz andere Fragestellung und einen anderen Denkhorizont hatte als die biblischen Texte und die angewendete Philosophie gerade deren Verständnis dienen sollte. Deutlich geworden ist, dass die Transsubstantiationslehre der Versuch ist, mit Hilfe der damaligen Denkmittel die Abendmahlsworte Jesu zu verstehen. 164 Vgl. McDonnell, John Calvin, 238.

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ersteres bekämpfen will.165 Die Erwähnung der Ubiquitätslehre verweist möglicherweise auf die Quelle, aus der Calvin sein Substanzverständnis schöpft, nämlich auf Martin Luther. Ganz in der Tradition des Nominalismus führt dieser die Subsumierung der Akzidenzien unter die Substanz fort.166 So gelangen Elemente in den Substanzbegriff, die gemäß der aristotelischen Kategorienlehre zu den Akzidenzien gehören, wie zum Beispiel auch die Örtlichkeit. Calvin versteht zudem Lutheraner als Vertreter einer örtlichfleischlichen Gegenwart167 und als solche, die das Abendmahlsbrot substantialiter als den Leib Christi verstehen. Calvin sieht nicht den Unterschied zwischen dem „lutherischen“168 Substanzbegriff und dem thomasischen, unterstellt aber der altgläubigen Lehre das „lutherisch“-spätscholastische Verständnis. Dass dieser Schritt nicht adäquat ist, wird zum Einen daran ersichtlich, dass Thomas die gleichen Vorstellungen von eucharistischer Gegenwart bekämpft wie Calvin. Zum Anderen zeigen die Diskussionen um Canon 2 auf dem Konzil von Trient, dass dadurch die Konsubstantiation, wie man sie in der lutherischen Lehre vermutete, abgewehrt werden sollte. Dieser Canon verurteilt die Lehre, dass die Substanzen von Brot und Wein zusammen mit den Substanzen von Christi Leib und Blut zurückbleiben. Der Endtext des Canons macht nicht mehr deutlich, dass es in den Verhandlungen, die dem Text auf dem Konzil vorangingen, um ein „lutherisches“ Zuviel an Realpräsenz ging, wodurch jegliche Sakramentalität zerstört worden wäre. Damit sind vor allem Konzepte anvisiert, die die eucharistische Gegenwart analog zur Inkarnation verstehen, wozu Konsubstantiation und Impanation zu zählen sind.169 Ausgeschlossen werden sollte die Vorstellung einer immer wieder sich ereignenden Inkarnation durch die „hypostatische“ Union zwischen Christus und den eucharistischen Elementen. „Der unwiderrufliche Abschluß der irdischen Existenz Jesu durch Auferstehung und Himmelfahrt kann nicht durch ständige eucharistische Re-inkarnation rückgängig gemacht werden. Deshalb kann man sagen, daß für das Konzil Konversion und Transsubstantiation die Präsenz und die Zeichenhaftigkeit der Eucharistie in gleicher Weise garantieren; beide Worte lassen sich so theologisch als typische Sakramentstermini verstehen.“170 Damit kehrt das Konzil von Trient zum thomasischen Verständnis von Transsubstantiation zurück.171 165 Dass auch Ubiquität ausgeschlossen ist, wird im nächsten Kapitel gezeigt werden. 166 Vgl. Wald, Bertold: Art. ,Substanz II‘, in: HWP 10 (1998), 507 – 521, hier: 519. 167 S. OS V 362,18 – 34 [Inst. IV 17,16]. An dieser Stelle kann nicht diskutiert werden, ob dieses Verständnis der lutherischen Abendmahlslehre angemessen ist oder nicht. Es geht im Folgenden nur darum, dass Calvin sie auf diese Weise versteht. 168 Das Attribut „lutherisch“ wird in Anführungsstriche gesetzt, um anzuzeigen, dass damit Calvins Verständnis der lutherischen Lehre gemeint ist und an dieser Stelle kein Urteil über Luthers Theologie gefällt werden soll 169 Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 290. Zu dem gleichen Urteil kommt auch Erwin Iserloh. (Vgl. Iserloh, Erwin: Art. Abendmahl III/3 Reformationszeit, 2. Römisch-katholische Kirche‘, in: TRE 1 (1977), 122 – 131, hier: 127.) 170 Wohlmuth, Realpräsenz, 457.

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Die Übereinstimmungen zwischen Calvin und Thomas in fundamentalen Aspekten, wie zum Beispiel die gleichzeitige Betonung von Zeichenhaftigkeit und nicht-örtlicher Präsenz, sind deutlich geworden. Daher ist anzunehmen, dass Calvin die spätscholastische Deutung der Transsubstantiationslehre und deren Substanzbegriff attackiert und nicht den thomasischen Entwurf. Dass aber nicht die spätscholastische Interpretation mit ihren materialistischen Folgen die maßgebliche Lehrform ist, zeigt neben der Rückbesinnung auf Thomas in der Folgezeit von Trient auch Paul VI. in seiner Enzyklika Mysterium Fidei, wonach es in der Eucharistie zwar um die Gegenwart des Leibes Christi gehe, diese aber nicht nach der üblichen Gegenwart eines Leibes an einem Ort zu verstehen sei.172 Damit sind auch katholischerseits alle örtlichen Gegenwartsvorstellungen abzulehnen. Wenn Calvin aber die katholische Lehre attackiert, so setzt er in polemischen Kontexten nicht den thomasischen, sondern den spätscholastischquantitativen Substanzbegriff voraus, und formuliert auf dessen Basis seine Anliegen. So lassen sich Calvins Bestreitungen der substantiellen Gegenwart des Leibes Christi in der Institutio von 1536 und sein ständiger Rekurs auf die Annihilationstheorie erklären. Mit demselben quantitativen Verständnis von Substanz besteht er auf den Erhalt der Substanzen von Brot und Wein. Er denkt in diesen Zusammenhängen Substanz nicht in metaphysischen, sondern in empirischen Kategorien.173 In solch einem Denkhorizont „muss“ Calvin auf der Unveränderlichkeit der Brot- und Weinsubstanz beharren, um das auszudrücken, was Thomas mit dem Fortbestand der Akzidenzien formuliert. Gerade die Predigt über 1 Kor 11,23 – 25, wo Calvin Natur und Proprietät identifiziert, zeigt, dass er selbst von der spätscholastischen Metaphysik beeinflusst ist. Calvins Anspielungen auf Biel und Ockham in der Institutio untermauern diese These. In solch einem Kontext, der eben nicht mehr präzise zwischen Substanz und Akzidenz unterscheidet und die eucharistische Wandlung demzufolge auch als eine physikalische Verwandlung der Elemente versteht, konnte Calvin nicht anders, als darauf zu bestehen, dass Brot und Wein substantiell und damit eben materiell, wie er im Petit Traict¦ schreibt, unverändert bleiben, um den Zeichencharakter des Abendmahls zu wahren. Die Identifikation von substantiell und materiell vermischt, was eigentlich differenziert werden muss. Gerade durch den Fortbestand der Substanzen von Brot und Wein bringt Calvin zur Sprache, dass die Akzidenzien von Brot und Wein unverändert bleiben. Mit solch einem Denken aber kann Calvin das, was Canon zwei fordert, nur missverstehen, was aber auch umgekehrt gilt. Würde der Reformator das thomasische Verständnis von Substanz seinem Denken zugrunde legen, müsste er nicht in einer seiner letzten Abendmahlsschriften zur Klärung des Substanzbegriffes anmerken, dass das Fleisch Jesu nicht wie 171 Vgl. Laarmann, Begriffsgeschichtliche Materialien, 120. 172 S. AAS 57 (1965), 766. 173 Vgl. McDonnell, John Calvin, 238.

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gewöhnliches Fleisch gegessen werde. Nur unter dieser Voraussetzung sei er dazu bereit, von der manducatio substantialis zu sprechen.174 Katholischerseits ist dazu anzumerken, dass „es sich in der Eucharistie nicht um das irdische, sinnlich wahrnehmbare Fleisch und Blut Jesu Christi“175 handelt. Eben solch ein materialistisches Missverständnis wird durch die Transsubstantiationslehre ausgeschlossen, da sie einen Mittelweg zwischen zwei Extremen bildet. Mit den gleichen Extremen sieht sich auch Calvin konfrontiert: Auf der einen Seite befürchtete er bei den Theologen zwinglianischer Prägung leere Zeichen und auf der anderen, bei Lutheranern und Katholiken, einen krassen Realismus.176 Seine Lehre will ebenso Antwort auf diese Herausforderungen sein und Symbolismus und Realismus gleichermaßen miteinander verbinden.177 Trotz seines Denkhorizontes gelingt es dem Reformator aber, einen weiteren Substanzbegriff zu entwickeln, wie zum Beispiel im Petit Traict¦, wo er Christus als „die innere Substanz des Sakraments“178 bezeichnet. Das Attribut int¦rieur weist hier auf die Wirklichkeit hin, die nicht mit den Sinnen, sondern mit dem Glauben erkennbar ist. Es bezeichnet das, was dem Abendmahl als Grundlage, als Sub-stanz, dient. Am positiven Gebrauch des Wortes Substanz hält Calvin auch in der Institutio fest. Die Differenzierung zwischen Substanz (in polemischen Kontexten) und innerer Substanz (in positiven Formulierungen) untermauert die These, dass der hier zuerst genannte Substanzbegriff die Ebene der Akzidenzien bezeichnet, während der zweite Substanzbegriff das tiefere Sein der Dinge beschreibt. Demzufolge vertritt Calvin der Sache nach den Empfang der Substanz von Christi Leib und Blut179, wie er am Ende des Petit Traict¦ als innerreformatorischen Konsens explizit schreibt. Substanz im Sinne der Transsubstantiation meint diese innere, nur für den Glauben erkennbare Wirklichkeit, die im Falle der Eucharistie Jesus Christus selbst ist, während die äußeren Gestalten von Brot und Wein erhalten bleiben. Daher bildet die Transsubstantiationslehre thomasischer Prägung eine Brücke zwischen Calvins Abendmahlslehre und der römisch-katholischen Eucharistietheologie, da sie die Anliegen beider Positionen berücksichtigt. Calvins Einwand, dass die Transsubstantiation zur Aufhebung der Differenzierung zwischen Zeichen und Sache führe, kann vor diesem Hintergrund entkräftet werden. Die Lehre von der Wesensverwandlung erlaubt weder die einfache Identität der eucharistischen Gestalten mit Christi Leib und Blut noch die Impanation; diese sollten gerade ausgeschlossen werden.180 Stattdessen ermöglicht sie es, Identität und Differenz in einem zu denken: „Dif174 175 176 177 178 179 180

S. OS II 294,15 – 22 [Optima ineundae concordiae ratio]. Kasper, Einheit, 49. Vgl. Tosto, Convergenza, 60. Vgl. ebd., 38 f. „la substance interieure du Sacrament“ (OS I 509 / CStA 454,21 [Petit Traict¦]). Vgl. Ganoczy, Hermeneutik, 213. Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 456 f.

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Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre

ferenz, weil die Präsenz nicht durch die Gaben gewährleistet wird; Identität, weil der Auferstandene sich selbst gegenwärtig setzt, wenn auch dem Auge nicht zugänglich.“181 Die Transsubstantiationslehre hält dadurch die Differenz zwischen der realen Gegenwart des Auferstandenen und dem Materiellen aufrecht.182 Auch das leicht dinglich klingende contineri des ersten Trienter Canon183 unterstreicht, „daß das Bekenntnis der Realpräsenz kein Identitätsdenken von sakramentalem Inhalt und sakramentaler Gestalt bedeutet“184. Schon der ambrosianische Metabolismus zeigt, „daß Transsubstantiation keinen Anschlag gegen die Sakramentalität bedeutet“185. Auch in den Diskussionen auf dem Konzil von Trient wurde deutlich, dass Transsubstantiation und Zeichensein sich nicht widersprechen.186 Trient verurteilt lediglich ein Eucharistieverständnis, das diese auf ein Zeichen reduziert und damit die realistische Ebene bestreitet.187 Auch Joseph Ratzinger vereinigt Zeichensein und Transsubstantiation, indem ihm zufolge die eucharistischen Symbole „zu reinen Zeichen Seiner Anwesenheit unter uns werden“, die ihren natürlichen Selbststand verloren haben.188 Walter Kasper (*1933) betont, dass das est so zu verstehen ist, dass Brot und Wein zu gefüllten Realsymbolen werden und in diesem sakramentalen Sinn Christi Leib und Blut unter diesen Gestalten wahrhaft und real gegenwärtig sind.189 Deutlich wird somit, dass die Gegenwart Christi durch Brot und Wein vermittelt wird, ohne aber das Zeichen zur Sache selbst zu machen, was Calvin jedoch befürchtete. Die scholastische Lehre bewahrt aber mit ihrer Differenzierung zwischen Substanz und Akzidenz den Unterschied zwischen Zeichen und Wirklichkeit. Das funktioniert jedoch nicht mehr, wenn zwischen Substanz und Akzidenzien nicht mehr präzise differenziert wird. Insofern wird Calvins Bedenken gerade mit der Transsubstantiationslehre Genüge getan, weil sie Zeichenhaftigkeit und Realpräsenz gleichermaßen beinhaltet. Gleichzeitig bewahrt die Transsubstantiation durch das Zugleich von Symbolismus und Realismus davor, den irdischen Gestalten zuviel Kraft zuzuschreiben. Nach thomasischer Theologie wirken nicht die konsekrierten Elemente aus sich selbst heraus, sondern sie wirken wie Instrumente aus der Kraft dessen, der die bewegt; nicht die Symbole garantieren die Präsenz 181 182 183 184 185 186

Vgl. Wohlmuth, Liturgische Gegenwart, 102. Vgl. ebd., 110. S. DH 1651. Wohlmuth, Realpräsenz, 411. Ebd., 440. Vgl. ebd., 231. Es wird sogar betont, dass die nährende Funktion von Brot und Wein durch die Eucharistie eine geistliche Bedeutung erhalte, was Calvin ebenso lehrt. (Vgl. ebd.) 187 Vgl. ebd., 454. Daher ist Elmar Klinger nicht darin zuzustimmen, dass Trient nur einen schwachen Zeichenbegriff habe. (Vgl. Klinger, Transsubstantiation, 295.) Es geht dem Konzil nur um die Abwehr eines rein signifikativen Zeichenverständnisses, nicht aber um die Bestreitung der Zeichenhaftigkeit der Eucharistie als solcher. 188 Vgl. Ratzinger, Problem, 152. 189 Vgl. Kasper, Einheit, 49 f.

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Somatische Realpräsenz und Transsubstantiationslehre

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Christi, sondern Gott allein.190 Damit wird eine weitere Befürchtung Calvins bezüglich römisch-katholischer Sakramentenlehre entkräftet. Vor diesem Hintergrund trifft die Verurteilung von Canon zwei Calvin nicht, obwohl er auf den ersten Blick das vom Canon Verurteilte lehrt. Seine Abendmahlslehre unterscheidet sich erheblich von dem, was Trient ausschließen wollte, da er das Abendmahl nicht auf ein leeres Zeichen reduziert und zugleich Symbolismus und Realismus wahrt. Außerdem lehnt der Genfer Luthers Vorstellung der unio sacramentalis ebenfalls ab, um die es im zweiten Canon hauptsächlich geht. Die Probleme, die katholischerseits diesbezüglich gebannt werden sollen (Impanation und Fortsetzung der Inkarnation aufgrund der „hypostatischen“ Union zwischen Christus und den eucharistischen Gestalten) sind bei Calvin nicht zu finden. Hinzu kommt, dass Trient hier auf der Grundlage der hochscholastischen Theologie und ihres Substanzbegriffes die Inhalte der Transsubstantiationslehre formuliert. Von diesem Verständnis jedoch geht Calvin in seiner Polemik eben nicht aus, da er bei seinen Bestreitungen der Transsubstantiation und seinem Beharren auf dem Fortbestand der Substanzen von Brot und Wein einen anderen Substanzbegriff annimmt und damit seine Argumentation nicht die gleichen Voraussetzungen hat, von denen Trient in seiner Verurteilung ausgeht. Wohl fiel in den Diskussionen auf dem Konzil Calvins Name. Ein Konzilsvater erkennt die Einigkeit mit Calvin, die darin besteht, „daß die Sakramente sichtbare Zeichen seien müssen, unter denen unsichtbare Wirklichkeit gegeben wird. Die Meinungen gehen erst bei der Frage auseinander, worin das Zeichen besteht“, das für Calvin im unveränderten Brot, für die katholische Lehre aber erst durch die conversio hergestellt werde.191 Auch für Calvin müssen Brot und Wein durch das Wort Gottes erst zu Zeichen werden, da sie es nicht von Natur aus sind. Daher kann davon ausgegangen werden, dass der formulierte Einwand auf einer nicht ausreichenden Kenntnis von Calvins Theologie beruht und durch ein vertieftes Studium seiner Texte entkräftet werden kann. Als Zusammenfassung lässt sich sagen, dass sowohl die katholische als auch die calvinische Lehre zwei Extreme vermeiden wollen, nämlich einen bloßen, signifikativen Symbolismus und einen groben, materialistischen Realismus. 190 S. S. th. III q. 64 a. 5. Calvins Warnung, den Sakramenten nicht zuviel zuzuschreiben, sollte daher auch katholischerseits ernst genommen werden, um die Sakramente nicht magisch, sondern als Medien zu verstehen, die der persönlichen Begegnung mit Jesus Christus dienen, so dass sie immer wieder daraufhin transzendiert werden müssen. „Die Elemente sind nur Symbole der Gnadenmitteilung und nicht so sehr Gnadenträger, die als verehrungswürdig gelten müssen.“ (Gasecki, Profil, 437.) Auch hier mag Calvin die Spätscholastik anvisiert haben, wo tatsächlich die Gefahr bestand, Gottes Gnade allein in den Sakramenten zu suchen. „This imperious demand of loyalty to the sacraments, as though they were not the instruments of justification but justification itself, led Calvin to accuse the Romans of sacramental imperialism.“ (McDonnell, John Calvin, 112.) 191 Wohlmuth, Realpräsenz, 228.

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In der katholischen und in der calvinische Theologie sollen sowohl Realismus als auch Zeichenhaftigkeit gewahrt werden, was bei Calvin durch die Unterscheidung zwischen signum und veritas und in der Transsubstantiationslehre durch den Verbleib der Akzidenzien von Brot und Wein ausgedrückt wird. In beiden Lehrgebäuden bewirkt der Heilige Geist die Gegenwart von Jesu Christi Leib und Blut. Jedoch bewirken die unterschiedlichen Substanzbegriffe unterschiedliche Folgen für den Verbleib der Substanzen von Brot und Wein. Da aber Calvin in der Polemik gegen die römisch-katholische Lehre unter Substanz bereits ein Konglomerat von Substanz und Akzidenz versteht und er mit dem Fortbestehen der irdischen Substanzen deren materielle Unverändertheit ausdrückt, ist an dieser Stelle ein differenzierter Konsens möglich, da auch katholischerseits davon auszugehen ist, dass sich Brot und Wein auf der materiellen Ebene, also chemisch und physikalisch, überhaupt nicht – auch nicht im mikroskopischen Bereich192 – verändern. Diese Gegebenheit wird mit dem Fortbestand der Akzidenzien ausgesagt. Des Weiteren macht Calvin deutlich, dass die innere, dem ganzen Geschehen zugrundeliegende Wirklichkeit, also die nicht-materialistisch verstandene Substanz Jesus Christus ist. Dies entspricht eher dem Substanzbegriff, wie er der Transsubstantiationslehre zugrundeliegt, da die Gegenwart Jesu sich auf den Bereich des Nicht-Materiellen bezieht und auch nicht mit diesem konkurriert.193 Darüber hinaus kennt Calvin auch eine conversio, durch die Brot und Wein dem alltäglichen Gebrauch entzogen werden, und dadurch streng genommen keine Nahrungsmittel mehr, sondern nur noch Zeichen und Siegel von Gottes Verheißung sind. Wenn Calvin so gedeutet werden kann, kann davon gesprochen werden, dass Brot und Wein „nicht mehr für sich selbst stehen, sondern allein für Ihn, durch Ihn, in Ihm. Sie sind nun so in ihrem Wesen, in ihren Sein, Zeichen, wie sie vorher in ihrem Wesen Dinge waren. Und sie sind darin wahrhaft ,umsubstanziiert‘“194. Somit würde seine Abendmahlslehre der römisch-katholischen Lehre entsprechen. Es müssen nun noch Reflexionen zum Stellenwert der Transsubstantiationslehre in der katholischen Theologie folgen, da das Konzil von Trient sie als eine sehr treffende Weise195 bezeichnet, um die eucharistische Gegenwart denkerisch zu durchdringen. Die Transsubstantiationslehre ist für katholisches Denken die am besten geeignetste Weise, die conversio substantialis sprachlich und auch philosophisch zu fassen.196 Den Konzilsteilnehmern war es durchaus bewusst, dass Transsubstantiation ein recht neuer und kein patristischer Begriff ist.197 Demzufolge war es auf dem Konzil möglich, RealpräVgl. Ratzinger, Problem, 150. Vgl. ebd., 153. Ebd., 152. S. DH 1652. „quam quidem conversionem catholica Ecclesia aptissime transsubstantionem appellat“ (DH 1652). 197 Vgl. Wohlmuth, Realpräsenz, 456.

192 193 194 195 196

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senz ohne Transsubstantiation auszudrücken, wie aus den Diskussionen um Canon zwei hervorgeht.198 Das verdeutlicht, dass es Trient darum ging, „die einfache Tatsache der substantiellen Wandlung [zu lehren], nicht mehr und nicht weniger, nicht aber die genauere naturphilosophische, etwa hylemorphistische Erklärung derselben“199. Dafür spricht, dass der Substanzbegriff in Trient recht unbestimmt war. Es ging dort nicht um trennscharfe philosophische Definitionen von Substanz. Stattdessen wurde dieser Begriff eher im alltagssprachlichen Sinn verwendet, wonach Substanz das meint, was ein Seiendes zu dem macht, was es ist.200 Die Transsubstantiationslehre kann zwar für katholisches Denken nicht übergangen werden, aber es stehen andere Interpretationsmöglichkeiten der eucharistischen Wandlung offen, solange diese die Tiefe des Seins von Brot und Wein betrifft und nicht etwa nur als menschliche Umstiftung verstanden wird.201 Aus katholischer Perspektive ist die Lehre von der Wesensverwandlung die logische Begründung dafür, „daß nämlich dasjenige, was Christus seinen Aposteln gibt, sein Leib ist, dieser und nichts anderes“202. Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, die sakramentale Realpräsenz, „die wir zwar kaum mit Worten ausdrücken können“203, zu formulieren und zu versprachlichen204, was daran deutlich wird, dass es auch innerhalb der römisch-katholischen Tradition andere Eucharistietheologien gab, wie zum Beispiel das platonische (Real-)Symboldenken der Alten Kirche oder die pactum-Theorie von Bonaventura (1221 – 1274), nach der Gott versprochen habe, jedes Mal seine Gnade zu schenken, wenn die Sakramente gefeiert werden.205 Gegenüber der Gegebenbenheit der objektiven Realpräsenz Christi treten die Modelle zur Erklärung derselben zurück. Dieser Gedanke findet sich auch in Calvins Theologie. Er selbst schreibt immer wieder, dass er bereit sei, alles anzunehmen, was die wahre Gemeinschaft mit Jesus Christus ausdrückt, solange materialistische Vorstellungen vermieden würden. Die Tatsache der Gegenwart Christi ist ihm wichtiger als deren „Erklärung“. Calvin selbst ist daher an einer näheren Klärung der Verbindung zwischen den eucharistischen Gestalten und der Gegenwart Jesu Christi weniger interessiert und verzichtet bewusst auf weitergehende Erklärungen.206 Wichtig ist für ihn das Genährtwerden der Gläubigen mit Leib und Blut Christi, wobei die eucharistischen Gestalten diesem Geschehen instru198 199 200 201 202 203 204 205

Vgl. ebd., 181. Betz, Zentrales Mysterium, 305. Vgl. McDonnell, John Calvin, 301. Vgl. Jorissen, Transsubstantiation, 181. Rahner, Gegenwart, 371. DH 1636. Vgl. Tück, Gabe, 297. Vgl. Nocke, Franz Josef: Allgemeine Sakramentenlehre, in: Schneider, Theodor (Hg.): Handbuch der Dogmatik, Bd. 2, Düsseldorf 22002, 188 – 225, hier: 201. 206 Vgl. Willis, Substantia, 294.

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mental zugeordnet sind. Nur Gott vermag das zu geben, was die Zeichen bezeichnen, wie er selbst betont. Die einzige „Erklärung“, die Calvin für die eucharistische Gegenwart anbietet, besteht darin zu sagen, dass der Heilige Geist sie bewirke, was er als Ausweg zwischen Transsubstantiation und Konsubstantiation versteht.207 Dieser Akzent von Calvins Abendmahlslehre findet seine römisch-katholische Entsprechung darin, dass die eucharistische Gegenwart qua Wesensverwandlung nicht anders gedacht werden kann als durch das Wirken des Heiligen Geistes.208 Römisch-katholische Theologie geht aber einen Schritt weiter als Calvin, wenn sie mit der Transsubstantiation „auf eine ontologische Begründung kirchlich-sakramentaler Existenz nicht verzichten möchte.“209 Die Lehre von der Wesensverwandlung steht „für ein theologisches Bemühen, dem einzigartigen Phänomen der Begegnung der Gemeinde mit dem Auferstandenen denkerisch stand zu halten.“210 Somit bleibt die Transsubstantiation ein Ausdruck der fides quaerens intellectum, die trotz der vernünftigen Verantwortung das Geheimnis nicht erklären will. Auch wenn diese Lehre im weitesten Sinne in aristotelischen Kategorien denkt, ist selbst diesem philosophischen System die Verwandlung einer Substanz in eine andere nicht plausibel zu machen.211 Das ist nur in Gottes Macht möglich. Nicht die philosophische Vernunft, sondern allein der Glaube, der die Vernunft erleuchtet, kann fassen, was hier geschieht, wie es Thomas poetisch im Pange lingua ausdrückt: „[A]uch wenn der Sinn versagt, / um zu festigen das lautere Herz, / allein der Glaube genügt. […] [D]er Glaube bietet die Ergänzung / für das Versagen der Sinne.“212 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Probleme von Calvins Abendmahlslehre mit der somatischen Realpräsenz und der Transsubstantiation gelöst werden können. Bei Calvin ist die somatisch-präsentische Ebene nicht so stark ausgeprägt, was vor allem seinem theologiegeschichtlichen Hintergrund und den Abgrenzungen gegenüber anderen Positionen geschuldet ist. Aber ihr Vorhandensein ist das Kriterium, auf das katholische Lehre nicht verzichten kann, und eben dieses ist in Calvins Abendmahlslehre erfüllt. Es wäre wünschenswert, wenn heutige reformierte Theologen dieses realpräsentische Erbe Calvins stärker in den ökumenischen Dialog einbringen und die Ansätze, die es bei ihm gibt, in diese Richtung weiterführen würden.

207 208 209 210 211

Vgl. McDonnell, John Calvin, 257. S. th. III q. 75 a. 1; q. 78 a. 1. Laarmann, Begriffsgeschichtliche Materialien, 150. Wohlmuth, Liturgische Gegenwart, 109. Vgl. Nichols, Terrence: Transubstantiation and Eucharistic Presence, in: Pro Ecclesia 11 (2002), 57 – 75, hier: 62. 212 „Et si sensus deficit, / Ad firmandum cor sincerum / Sola fides sufficit. […] Praestet fides supplementum / Sensuum defectui.“ (Zit. n. und Übersetzung s. Tück, Gabe, 202 f.)

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Christologische Gesichtspunkte

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Formulierungen wie „Leben von der Substanz Christi empfangen“213, die von Calvin zwar auch verwendet werden, klingen aber für katholische Theologie mehr als missverständlich. Dass aber den Gläubigen durch das Abendmahl die Substanz von Christi Leib und Blut zuteil wird und Christus die Gläubigen auffordert, unter Brot und Wein seinen Leib und sein Blut zu nehmen und zu empfangen, ist dagegen eindeutiger. Solchen Ausdrucksweisen sollte daher von reformierter Seite der Vorzug gegeben werden, da sie dem Verständnis zwischen den Konfessionen dienen. Die ureigenen Anliegen Calvins – keine lokale Gegenwart Jesu Christi, die pneumatische Präsenz der ganzen Person Jesu mit Fleisch und Blut – werden auch darin vollständig gewahrt. Außerdem entsprechen solche Redeweisen römisch-katholischer Theologie. Aber auch Calvins Bedenken gegenüber der Transsubstantiationslehre kann Rechnung getragen werden, wenn beachtet wird, welche Deutung dieser Lehre Calvin bestreitet. Dann wird auch deutlich, dass Calvins Kritiken bezüglich der Transsubstantiation diese nicht in ihrer thomasischen Form, sondern in ihrer spätscholastischen Ausprägung treffen.214 „Calvins Lehre, die Kommunikation der Gläubigen mit dem im Himmel thronenden ,totus Christus‘ sei ein unbegreifliches Werk des Heiligen Geistes, und der damit gegebene Verzicht auf eine Erklärung mit Hilfe philosophischer Denkkategorien könnte aus heutiger Sicht als die unter den Denkvoraussetzungen des 16. Jahrhunderts angemessenste Aussage über die Realpräsenz erscheinen.“215

4. Christologische Gesichtspunkte In diesem Kapitel geht es nun vor allem um eine katholische Beurteilung des sogenannten Extra Calvinisticum und der calvinischen Zurückweisung der Ubiquitätslehre. Diese Überlegungen sind wichtig, da die entsprechenden Formulierungen von Realpräsenz immer auch christologische Implikationen beinhalten, wovon die innerreformatorischen Kontroversen um das Abendmahl zeugen. Calvin beschränkt die Gegenwart der Person des Mittlers Jesus Christus nicht auf die menschliche Natur. Der Mittler ist ganz auch außerhalb der Menschheit gegenwärtig, was durch das Wirken des Heiligen Geistes geschieht. So wird die fehlende körperliche Gegenwart in der Zeit zwischen Himmelfahrt und Parusie überbrückt. Die scholastische Theologie sah sich mit den gleichen Problemen konfrontiert, da ihr Ausgangspunkt in dem Theologumenon bestand, „daß Jesus Christus als der Auferstandene und Erhöhte mit seinem verherrlichten Leib im 213 S. zum Beispiel CO 9, 70 [Secunda Defensio]; CO 49, 487 [Kommentar zu 1 Kor 11,24]. 214 Zu diesem Ergebnis kommt auch McDonnell, John Calvin, 238. 215 Hintzen, Personales Verständnis, 289.

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Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre

Himmel zur Rechten des Vaters sei.“1 Viele Autoren der Hochscholastik verstanden wie Calvin „die Himmelfahrt als Ortsbewegung eines Körpers […], deren Modus ebenso beschreibbar ist wie der lokal zu verstehende Ausgangsund Zielpunkt“2. Auch Thomas geht davon aus, dass der erhöhte Leib „an einem himmlischen Ort“3 sei, der allein dem unsterblich gewordenen Leib gebührt.4 Christus habe seine menschliche Natur in den Himmel gebracht, um so für die Menschen fürsprechend einzutreten.5 Deutlich wird hieran, dass es Thomas auch darum geht, die Wahrheit der menschlichen Natur nach der Erhöhung zu bewahren und Vorstellungen eines corpus phantasticum abzuwehren.6 Solche Probleme werden spätestens seit Augustinus reflektiert, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Brot und Wein Leib und Blut Christi sein können, da er doch in den Himmel aufgefahren sei und zur Rechten des Vaters sitze.7 Calvins Christologie, der zufolge die göttliche Natur auch während des irdischen Lebens Jesu den Himmel nicht verlassen habe, hat ihre Wurzeln in der katholischen Tradition. So zum Beispiel betet die Kirche in den Laudes am 2. Januar in der Antiphon zum Benedictus: „Er lag in der Krippe, doch seine Herrlichkeit erfüllte den Himmel. Er erschien unter uns und ist doch beim Vater geblieben.“8

Gleiches findet sich in der theologischen Tradition. Augustinus meint, dass die göttliche Natur während Jesu irdischen Lebens im Himmel blieb, damit Christus der Mittler sei.9 Die totus-totum-Distinktion hat Calvin von Petrus Lombardus rezipiert, der sie von Johannes Damascenus (670 – 750) übernommen hat.10 Auch Thomas steht in dieser Tradition. Denn er geht ebenso davon aus, dass die göttliche Natur nicht aufhörte im Himmel zu sein11, denn 1 Angenendt, Religiosität, 505. 2 Marschler, Thomas: Auferstehung und Himmelfahrt Christi in der „Summa theologiae“ des Thomas von Aquin, in: IKaZ 39 (2010), 39 – 52, hier: 48. 3 „in loco caelesti“ (S. th. III q. 57 a. 3). Auch in S. th. III q. 57 a. 1 wird Thomas‘ örtliches Himmelfahrts- und Himmelsverständnis deutlich. 4 Vgl. Marschler, Auferstehung, 48. 5 S. S. th. III q. 57 a. 6. 6 Vgl. Marschler, Auferstehung, 44; 49. 7 Vgl. Augustinus: serm. CCLXXII (= PL 38, 1246 f). 8 Die Feier des Stundengebetes. Stundenbuch. Für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch. Bd. 1 (= Advent und Weihnachtszeit), hrsg. im Auftrag der Deutschen und der Berliner Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz sowie der Bischöfe von Luxemburg, Bozen-Brixen, Lüttich, Metz und Straßburg, Einsiedeln u. a. 1978, 255. 9 Augustinus: civ. IX 15 (= CCh.SL 47, 262 f). 10 Vgl. Willis, Catholic Christology, 34. S. ebd., 44 – 60 weitere patristische Belege für das sogenannte Extra Calvinisticum. 11 S. th. III q. 5 a. 2 ad 1. In der ersten Zeiles seines Hymnus Verbum supernum findet sich ein ähnlicher Gedanke: „Verbum supernum prodiens, / Nec Patris linquens dexteram“ (zit. n. Tück, Gabe, 231).

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die ganze göttliche Natur kann nicht von der menschlichen umschlossen werden12 und das Endliche könne das Unendliche nicht fassen.13 Das Konzil von Trient differenziert zwischen der natürlichen Gegenwart Jesu Christi zur Rechten des Vaters und seiner substantiellen Gegenwart in der Eucharistie.14 Die Einheit15 der Person Christi wird durch die oben dargestellte Theologie nicht aufgelöst, weil sie die Inkarnation des göttlichen Logos im Menschen Jesus keineswegs bestreitet, sondern nur darauf hinweist, dass dieser Logos nicht darauf zu beschränken ist, weil er qua göttliches Wesen an der Unfassbarkeit und Unendlichkeit Gottes teilhat. Calvins Beharren, dass die göttliche Natur nicht in die menschliche eingeschlossen werden kann, entspricht daher römisch-katholischer Christologie; es schafft sogar explizit eine Übereinstimmung zwischen dem Doctor communis und dem Genfer Reformator16, dessen Christologie auf dem Boden der altkirchlichen Lehre steht.17 Ohne die Gegenwart seiner Person außerhalb des historischen Leibes wäre die Gegenwart Jesu Christi auf die Zeit seines irdischen Lebens beschränkt. Der von den Toten Auferstandene hat die Grenzen der s²qn gesprengt und besitzt im Heiligen Geist die Kraft, „sich allerorten zu gewähren, mit Seiner ganzen Fülle real anwesend zu sein für das Du der Menschen: Eben diese Offenheit der Gewährung über alle Räume hin ist das Wesen der durch den Tod hindurchgeschrittenen Auferstehungsexistenz. Christus ist durch die Auferstehung in jene Freiheit eingetreten, die ihm erlaubt sein Du zu gewähren, wo er will“18. Ohne Auferstehung wäre keine Eucharistie in der Gegenwart Christi möglich19, da Christi Tod und Auferstehung die Voraussetzung dafür bilden, „daß Gottes Herrschaft nun bleibend in Wort und Zeichen angesagt und mitgeteilt werden kann.“20 Die Gegenwart der menschlichen Natur ist als die Präsenz dessen zu verstehen, wodurch dieses Leben ausgezeichnet war : durch seine Geschichte und seine Bezüge zum Vater und zu den Menschen. Auch diese Gegenwart kann nur durch den Heiligen Geist bewirkt werden, so dass sich auf diese Weise von einer geistgewirkten leiblichen Präsenz sprechen lässt21, die aber, da sie per modum substantiae zu denken ist, unkörperlich gedacht werden muss.22 Eine so verstandene Leiblichkeit dürfte Calvins Intentionen nicht widersprechen, da sie weder materialistisch ist noch die menschliche Natur aufhebt, 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

S. th. III q. 10 a. 1 ad 2. S. th. III q. 10 a. 1. S. DH 1636. S. DH 302. Vgl. Tosto, Convergenza, 51. Zu diesem Urteil kommt Müller, Dogmatik, 364. Ratzinger, Problem, 155. Vgl. R¦my, Französische Theologie, 105. Kasper, Wort, 296 f. Vgl. Neumann, Allenthalben, 301 f. Vgl. Kapitel II.3.3.

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Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre

denn Christus kommt sichtbar erst am Letzten Tag zurück.23 Zudem betont Calvin, dass Jesus Christus als Gekreuzigter, das heißt, mit seiner Lebensgeschichte, gegenwärtig ist. Calvin bestreitet nicht das von Ratzinger beschriebene sich Gewähren der Person Jesu Christi, da ja Christus nach seiner Himmelfahrt den Seinen weiterhin – und sogar nützlicher – beisteht und durch die Kraft des Geistes in ihnen lebt, wohnt und regiert. Deutlich geworden ist damit, dass der Inhalt des sogenannten Extra Calvinisticum keine reformierte Sonderlehre ist, sondern auch zur katholischen Lehrtradition gehört.24 Zu diesem Ergebnis kommt auch das reformiert-katholische Dialogdokument Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt: „Diese Lehre, daß der Logos zur gleichen Zeit im Fleische existierte und in der ganzen Welt gegenwärtig ist, ist freilich kein kalvinistisches Spezificum, sondern Gemeingut der vorchalkedonensischen wie auch der nachchalkedonensischen Orthodoxie, im Osten wie im Westen. Worauf es eigentlich ankommt, sind der voll trinitarische Kontext, der in dieser Lehre beachtet wird, und die christologischen Voraussetzungen, in bezug auf welche es keine grundlegenden Unterschiede zwischen der römisch-katholischen und der reformierten Tradition gibt.“25

Nur im oben beschriebenen Sinne ist katholischerseits von Ubiquität zu sprechen. Jedoch ist diese nicht auf naturale Weise zu begreifen, da gerade das durch die Präsenz per modum substantiae ausgeschlossen wird und mit Thomas gesagt werden muss, dass auch nach der Erhöhung die menschliche Natur kreatürlich bleibt und nicht nach der göttlichen Natur verändert wird.26 Überall ist Christus daher gegenwärtig in seiner Liebe zu den Menschen.27 „Daß solches Da-sein keinen selbstverständlichen, naturalen Charakter hat, bedeutet positiv, daß es zu verstehen ist von der Weise her, in der Liebe allein anwesend sein kann: als freies Sichgewähren und Sichschenken eines Ich an ein Du“28. Wenn die Ubiquitätslehre dieses grenzenlose sich Schenken Christi zum Ausdruck bringen möchte, weist sie auf einen wichtigen Punkt hin.29 Aber die eucharistische Gegenwart des Leibes Christi ist nicht raum-zeitlich beschreibbar30, da seine Anwesenheit nicht einfach ein Vorhandensein einer 23 Die eucharistische Gegenwart ist nämlich keine Gegenwart von Angesicht zu Angesicht, da ihr auch Momente von Abwesenheit inhärieren. (Vgl. Tück, Gabe, 328.) 24 Karl Barth betont den traditionellen Charakter des sogenannten Extra Calvinisticum: „Die Bezeichnung ,Extra Calvinisiticum‘, die ihrer Lehre von den Lutheranern gegeben wurde, traf nur insofern zu, als es tatsächlich die Calvinisten waren, die gegenüber der von Luther und den Lutheranern eingeführten Neuerung auf jene Tradition zurückgriffen.“ (Barth, Karl: KD I/2, Zollikon – Zürich 1938, 184.) Im weiteren Verlauf führt er patristische Belege für diese Lehrform an. 25 DWÜ I 507 [Die Gegenwart Christi 84]. 26 Vgl. Marschler, Auferstehung, 48. 27 Vgl. Ratzinger, Problem, 154. 28 Ebd. 29 Vgl. ebd., 155. 30 Vgl. Wohlmuth, Liturgische Gegenwart, 95.

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Sache ist31, „sondern auf personale Weise und in der Zuordnung auf Personen hin“32 verstanden werden muss. Insofern ist das materialistische Verständnis der Ubiquitätslehre, das Calvin bei seinen Gegnern wahrzunehmen glaubte, abzulehnen. Es geht an dieser Stelle aber nicht darum, ein Urteil über Luther zu fällen, da es eigener Untersuchungen bedarf um festzustellen, ob er und seine Nachfolger selbst dieses Verständnis vertraten oder nicht.33 Luther begründete die Ubiquität des Leibes Christi mithilfe der Idiomenkommunikation, die er als eine reale Mitteilung der Eigenschaften der menschlichen Natur an die göttliche verstand. Darin widersprachen ihm sowohl Zwingli als auch Calvin, die beide die Idiomenkommunikation lediglich als eine Ausdrucksweise verstanden. Idiomenkommunikation bezeichnet „die Aussagbarkeit der einer der beiden Naturen Christi zukommenden Wesenseigenschaften (Attribute, Idiomata) auch v[on] der jeweils anderen Natur“34. Damit wird deutlich, dass Idiomenkommunikation eine sprachliche Regelung darstellt35, die aber nicht die Qualität einer der beiden Naturen beeinflusst, da die Eigenschaften einer jeden Natur erhalten bleiben.36 Wohl können von der Person Jesu Christi zugleich göttliche und menschliche Aussagen getroffen werden37, da in der Person Jesu Christi, der einen Hypoststase, beide geeint sind.38 So können konkrete göttliche und menschliche Attribute von Jesus Christus ausgesagt werden, auch wenn sie streng genommen nur auf eine der beiden Naturen zutreffen. Das gilt aber nicht für abstrakte Begriffe39, wie zum Beispiel die Allgegenwart, die allein von der göttlichen Natur behauptet werden kann. Aufgrund der Unterschiedenheit der beiden Naturen in Christus können die Eigenschaften der einen Natur nicht der anderen zugeschrieben werden, wenn

31 Vgl. Ratzinger, Problem, 155. 32 Ebd., 154. 33 Es geht hier nicht darum, eine neue katholisch-reformierte Frontstellung gegen das Luthertum zu eröffnen. Luthers Lehre sollte von seinem Anliegen her gelesen werden, die Gegenwart Jesu Christi in und unter Brot und Wein zu sichern. Es ging Luther nicht primär um die Entwicklung einer „neuen“ Christologie. 34 Müller, Gerhard Ludwig: Art. ,Idiomenkommunikation‘, in: LThK 5 (31996), 403 – 406, hier: 403 f. 35 Das wird zum Beispiel auch bei Thomas deutlich, der immer nur von dici und praedicari spricht, nicht aber von einem realen Austausch der proprietates der menschlichen Natur mit der göttlichen: „Catholici vero posuerunt hujusmodi quae dicuntur de Christo, sive secundum divinam naturam sive secundum humanam, dici posse tam de Deo quam de homine.“ (S. th. III q. 16 a. 4, Hervorhebung, F. E.) 36 S. DH 302. – S. th. III q. 10 a. 1. 37 Vgl. Hoping, Helmut: Einführung in die Christologie, Darmstadt 22010, 110. – S. th. III q. 16 a. 4. 38 Vgl. S. th. III q. 10 a. 1. Dieser Gedanke findet sich auch bei Calvin. Es ist vor diesem (thomasischen) Hintergrund nicht verständlich, warum Calvin nestorianischer Tendenzen beschuldigt wird, auch wenn ihm gleichzeitig christologische Orthodoxie bescheinigt wird. (S. McDonnell, John Calvin, 213.) 39 Vgl. S.th. III q. 16 a. 5. – Müller, Dogmatik, 349.

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sich die Aussage auf eine der beiden Naturen und nicht auf die eine Hypostase bezieht.40 In dem dargelegten Sinne ist von einem „Aussagentausch“41, von einer Kommunikation der Idiome Christi zu sprechen. „Als ontologische Kategorie verstanden, liegt in ihr aber die Gefahr einer ,monophysitischen Verschmelzung‘ von göttlicher und menschlicher Natur“42. Daraus folgt, dass der verherrlichte, wahrhaft menschlich-kreatürlich bleibende43 Leib Christi nicht in fleischlicher Weise allgegenwärtig sein kann, weil das Attribut der Allgegenwart nur der Gottheit zukommt44, nicht der Menschheit in biologisch-physikalischer Weise.45 Die Regeln der Idiomenkommunikation verbieten diese Redeweise.46 Wohl ist Jesus Christus allgegenwärtig, nicht aber in natural-körperlicher Weise. Wenn nun schon das Attribut der Ubiquität nicht übertragen werden kann, so folgt daraus die Unmöglichkeit von deren realer Mitteilung an die menschliche Natur. Es kann daher gesagt werden, dass Christus in seiner ganzen Person überall gegenwärtig ist, nicht aber seine menschliche Natur in ihrer physischen Leiblichkeit47, da Christus durch die Himmelfahrt seine leibliche Präsenz entzogen hat.48 Nur so bleiben die zwei Naturen vollständig und unvermischt erhalten. Außerdem wäre dann mit Calvin mit Recht zu fragen, inwiefern ein solch überall gegenwärtiger Leib noch ein menschlicher Leib sei. Durch den Tod ist die sinnlich erfahrbare Gegenwart Jesu Christi zu Ende gegangen.49 Aber als Auferstandener ist er „in eine neue Daseinsweise eingegangen und hat Anteil an der Macht Gottes, kraft deren er sich schenken kann an die Seinen, wann und wo immer er es will“50, so dass die Gläubigen nicht über seine Präsenz verfügen können, sondern vielmehr er über sie verfügt.51 Dann ist auch die gleichzeitige Gegenwart Jesu Christi im Himmel und in der Eucharistiefeier denkbar, – so wie es das Trienter Konzil formuliert52 – da der Leib Christi an mehreren Orten, in mehreren Eucharistiefeiern zugleich „nicht 40 Vgl. Diekamp, Franz: Katholische Dogmatik nach den Grundsätzen des heiligen Thomas, Bd. 2, Münster 1952, 257. 41 Vgl. Grillmeier, Alois: Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1. Von der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chaldecon (451), Freiburg im Breisgau 31990 / 2004, 201. 42 Hintzen, Personales Verständnis, 289. 43 Vgl. Marschler, Auferstehung, 49. 44 Dies war zumindest die Meinung der Konzilsväter in Trient, denn sie kamen darin überein, die Ubiquitätslehre nicht zu verurteilen, „weil sie auf falschen Voraussetzungen basiere, wenn sie vom verherrlichten Leib Christi eine ,Ubiquität‘ behaupte, die nur Gott zukomme“. (Wohlmuth, Realpräsenz, 133.) 45 Vgl. Thomas von Aquin: Sent. III 22 q. 1 a. 2 (zit. n. Willis, Catholic Christology, 37 f). 46 Vgl. Hoping, Christologie, 134. 47 Thomas von Aquin: Sent. III 22 q. 1 a. 2 (zit. n. Willis, Catholic Christology, 37). 48 Vgl. Tück, Gabe, 114. 49 Vgl. Kessler, Christologie, 429. 50 Ratzinger, Problem, 156. 51 Vgl. ebd., 158. 52 Vgl. DH 1636.

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in seiner natürlichen Seinsweise mit den Akzidentien, sondern nur in der substantial-sakramentalen Seinsweise präsent wird.“53 Gegen Calvin und die ihm folgende Tradition ist aber zumindest daran zu erinnern, den Himmel nicht als einen physikalisch angebbaren Ort zu verstehen.54 Die Gefahr eines solchen dinglichen Missverständnisses hat es in der reformierten Theologie durchaus gegeben.55 Die Himmelfahrt Jesu Christi, seine Erhöhung zur Rechten des Vaters ist seine Lebensgemeinschaft mit diesem und „die gemeinsame Ausübung der Gottesherrschaft“56, so dass der fleischgewordene Herr weiterhin für die Menschen da ist.57 Damit sind zwei Aspekte genannt worden, die Calvin auch eigens hervorhebt. Calvinische und römisch-katholische Eucharistielehre haben – so lässt sich zusammenfassend sagen – das gleiche christologische Fundament, auch wenn es verschiedene Akzentsetzungen gibt. Römisch-katholische Christologie expliziert zwar die Lehre der Gegenwart Christi etiam extra carnem nicht in der Weise, wie es in der reformierten Theologie geschieht. Aber der Sache nach besteht darüber Einigkeit.

5. Die Bedeutung des Glaubens im eucharistischen Geschehen Johannes Calvin bestimmmt den Glauben als das „Organ“, durch das die Gemeinschaft mit Christus empfangen wird. Somit wollte er materialistische und dingliche Vorstellungen abwehren, die er bei seinen lutherischen und katholischen Gegnern zu finden glaubte. Auf keinen Fall wollte er mit dieser Bestimmung die Realität des eucharistischen Geschehens mindern, sondern lediglich dessen Empfangsmodus beschreiben. Durch die Betonung des Glaubens im Abendmahlsgeschehen hebt Calvin dessen personale Dimension hervor. Der Begegnung zwischen Jesus Christus und den Gläubigen muss eine personale Ebene entsprechen, die Calvin in der manducatio oralis nicht gewahrt sah. Deutlich wird sein personales Anliegen in seiner Ablehnung der obex-Lehre, die seiner Meinung nach den Glauben überflüssig macht und zum magischen Verständnis der Sakramente führt. Um diese Theologie aus katholischer Sicht zu verstehen, ist es wichtig, Calvins Glaubensbegriff zu bedenken. Der Reformator versteht unter Glaube weder eine bloße fides historica bzw. die fides quae creditur oder eine rein vom Menschen hervorgebrachte Haltung, wie es von katholischer Seite im Blick auf 53 54 55 56 57

Betz, Zentrales Mysterium, 299. Vgl. ebd., 156. Vgl. Neumann, Allenthalben, 301. Vgl. Müller, Dogmatik, 304. Vgl. ebd., 305.

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die Reformatoren oft befürchtet wurde.1 Glaube setzt in Calvins Denken bereits ein Handeln Gottes voraus, da nach Calvin Gott seine Güte durch den Heiligen Geist in den Herzen der Gläubigen besiegelt. Diese Besiegelung hat Calvin ausdrücklich in seine Definition von Glauben aufgenommen. Glaube ist in diesem Kontext keine subjektive Leistung oder gar mit persönlicher Gläubigkeit zu verwechseln2, die der Abendmahlsgast aufweisen müsse, sondern Folge von Gottes erwählendem Handeln. Gott ist Urheber des Glaubens. Somit schafft er selbst die Bedingungen im Menschen für das Ankommen seiner in den Sakramenten angebotenen Gnadenwirklichkeit. Calvins Erwähnung der Prädestinationslehre im Rahmen der Abendmahlslehre hat nicht etwa die Funktion, die Abendmahlsgabe „nur für die von Gott Ergriffenen [zu] reservier[en]“, während die anderen nur die Zeichen empfingen.3 Es trifft zu, dass nur die Erwählten die Abendmahlsgabe empfangen, weil nur ihnen vom Geist der Glaube gegeben wird. Gott allein ist Subjekt dieses Geschehens. Gerade so will Calvin das heilshafte Handeln völlig in Gottes Hände legen. Calvin verknüpft Erwählung und Kirche. Die Kirche ist für Calvin „das Volk der Erwählten Gottes“4 oder auch die Einheit der Erwählten in Christus5. Jeder, der am Bekenntnis des Glaubens und an den Sakramenten Anteil hat, bekundet dadurch seine Zugehörigkeit zur Kirche und damit seine Erwählung.6 Auch in den späteren Jahren liegt Calvins Interesse eindeutig auf der Erwählung und nicht auf der Verwerfung.7 Die Prädestinationslehre will keine Spekulationen darüber anstacheln, wer erwählt sei und wer nicht8, sondern vielmehr will sie Gewissheit schenken, indem in ihr offenbar wird, dass das

1 Vgl. Slenczka, Reinhard: Art. ,Glaube V. Im reformatorischen Verständnis‘, in: LThK 4 (31995), 686 – 689, hier: 687. 2 Vgl. Bizer, Studien, 289, der die Gefahr der Reduktion von Glauben auf die persönliche Gläubigkeit bei Calvin sieht. 3 Vgl. Gasecki, Profil, 456. Kritisch ist hier anzumerken, dass der Begriff „Ergriffene“ einen polemischen Charakter hat, der Calvins Lehre nicht gerecht wird, da nach Calvin die Erwählung nicht zu einem arroganten Selbstbewusstsein führt, aufgrund der Erwählung etwas Besseres zu sein, sondern zur Demut, weil das Heil völlig in Gottes Hand liegt. Gasecki plädiert in diesem Kontext für eine personal verstandene Gegenwart Christi, um die es Calvin ja gerade auch geht. 4 „populus electorum Dei“ (OS I 87 [Institutio 1536]). 5 S. OS V 4,8 – 14 [Inst, IV 1,2]. Mehr dazu s. bei Plasger, Georg: Kirche, in: Selderhuis, Herman J. (Hg.): Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 317 – 325. 6 S. OS V 13,18 – 22 [Inst. IV 1,8]. 7 Vgl. Freudenberg, Matthias: Ewige Erwählung – Fluch oder Segen. Zur bleibenden Bedeutung von Calvins Prädestinationslehre, in: Plasger, Georg (Hg.): Calvins Theologie für heute und morgen. Beiträge des Siegener Calvin Kongresses 2009, Wuppertal 2010, 141 – 162, hier: 147. 8 Wer erwählt ist, wisse allein Gott, auch wenn die Schrift bestimmte Merkmale wie zum Beispiel Glaubensbekenntnis und Sakramentenempfang als Erkennungszeichen der Erwählten vorgebe. (S. OS I 89 [Institutio 1536].) Die Spekulationen über den Erwählungsstatus eines Menschen und der syllogismus practicus finden sich nicht bei Calvin, sondern treten erst in der Zeit der reformierten Orthodoxie auf. (Vgl. Rohls, Theologie, 161. – Niesel, Calvins Lehre, 180.)

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Heil der Gläubigen ganz in Gottes Hand liegt9 und damit nicht von den menschlichen Werken abhängt. So kann nach Calvins Lehre davon ausgegangen werden, dass die Abendmahlsgäste, die auch nur einen Funken von Glauben haben, die Abendmahlswirklichkeit empfangen. Das Abendmahl wird nicht etwa nur von denen, die sich durch eine besondere Gläubigkeit auszeichnen, oder gar nur von den ganz besonders Ergriffenen empfangen. Dieser Gesichtspunkt wird an Calvins Äußerungen über die Würdigkeit der Kommunikanten in der Institutio ersichtlich. Die Erwähnung der Prädestinationslehre relativiert nicht Gottes Handeln in den Sakramenten, sondern stellt eine Konsequenz aus seinem Glaubensbegriff dar, der immer schon ein Handeln Gottes impliziert. Es stellt sich aber die Frage, ob Calvins Lehre, dass die impii nur die Zeichen von Christi Leib und Blut, nicht aber diese selbst empfangen, die Objektivität der Realpräsenz infrage stellt. Dabei ist auf Calvins Differenzierung zwischen Geben und Empfangen einzugehen. Calvin macht deutlich, dass sich Christus allen Abendmahlsgästen exhibiert. Niemandem enthält Christus seine Gemeinschaft vor. Insofern ist Gottes Heilsangebot in den Sakramenten objektiv und nicht von subjektiven Faktoren abhängig. Allerdings kann das Ankommen der sakramentalen Wirklichkeit am Fehlen des Glaubens im Einzelfall scheitern. Die Gegenwart Christi erreicht im Falle eines Ungläubigen, wobei darunter ein Verworfener zu verstehen ist, der keinerlei Glauben hat, das Innere des Menschen nicht. Des Weiteren muss Calvins antidinglicher und antimaterialistischer Skopus berücksichtigt werden. Der Reformator stellt den Glauben als „Empfangsorgan“ für Christi Leib und Blut heraus. Damit reagiert er auf einige Formen der spätmittelalterlichen Frömmigkeit, die in der konsekrierten Hostie „die wirksamste Heilsmaterie“ sahen und das eucharistische Brot daher auch als Medizin und Zaubermittel verwendeten.10 „Die Begegnung mit Christus, mit seiner leibhaftigen Wirklichkeit, geschieht im Glauben und nicht im Bereich der experimentellen Nachprüfbarkeit“11, wie auch die Gegenwart von Christi Leib und Blut „allein durch den Glauben“12 und nicht mit den Sinnen erkannt werden kann. Die eucharistische Realpräsenz ist immer eine Begegnung zwischen Personen. Die substanzontologische Versprachlichung der Realpräsenz steht im Dienst, die Wirklichkeit dieser Begegnung im Sakrament auszudrücken13, was auch in Thomas‘ Be-

9 Vgl. Niesel, Calvins Lehre, 170. 10 Vgl. Angenendt, Religiosität, 505. 11 Schneider, Theodor: Die neuere katholische Diskussion über die Eucharistie, in: ders.: Kritische Treue. Grundfragen der Systematischen Theologie, hrsg. v. Dorothea Sattler, Ostfildern 2010, 370 – 397 hier : 392. 12 „sola fide“ (S. th. III q. 75 a. 1). 13 Bei der Verbindung beider Aspekte geht es nämlich um die Frage: wie kann „die eucharistische Gegenwart des Herrn in einem personalen und sakramentalen Kontext gedacht werden […],

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stimmung der Realpräsenz als res et sacramentum deutlich wird.14 In der Eucharistie wird mit dem Verzehr der eucharistischen Gaben „nicht die Substanz des erhöhten Herrn dem körperlichen Organismus assimiliert“, sondern vielmehr werden die Gläubigen in die Lebenswirklichkeit Christi eingefügt.15 Vor diesem Hintergrund ist Calvins Ablehnung der manducatio oralis berechtigt. Zu sehr tendiert sie in Richtung eines dinglichen Eucharistieverständnisses, das die Personalität des Sakramentes nicht einholt. In diesem Kontext ist auch Calvins Ablehnung der manducatio impiorum konsequent. Das Ziel des Abendmahls besteht für Calvin vor allem im Ankommen der inneren Wahrheit im Menschen, damit dieser im Glauben wächst.16 Calvins Lehre ist daher in sich stimmig. Die römisch-katholische Lehre kennt diese Lehrform auch, hat diesen Weg aber nicht weiterverfolgt. Augustinus geht davon aus, dass diejenigen, die sich außerhalb der Kirche befinden, nur die äußeren Zeichen, nicht aber die innere, geistliche Wirklichkeit empfingen.17 Theologen zufolge, die sich vor allem der augustinischen Tradition verpflichtet fühlten, empfangen die Bösen nicht Leib und Blut Christi, sondern essen ihn nur sacramentaliter. Walahfrid Strabo (um 808 – 849) zum Beispiel sagt ausdrücklich, dass diejenigen, die nicht in der Einheit der Kirche stehen und von Christus getrennt sind, weder sein Fleisch essen noch sein Blut trinken. Die geistliche Wirkung des Sakramentes empfangen sie nicht, da sie nicht in Christus bleiben. Damit aber empfangen sie das Sakrament zum Gericht.18 Am Ende des 11. Jahrhunderts und zu Beginn des 12. Jahrhunderts gab es auch die Ansicht, dass sich der Leib Christi aus der Hostie zurückziehe, sobald sich ein Unwürdiger der Kommunion nahe.19 Thomas erklärt diesen Weg

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ohne den Glauben an seine reale Gegenwart in den Gestalten von Brot und Wein zu relativieren“ (Hintzen, Personales Verständnis, 279). Die Realpräsenz ist damit sowohl für Thomas als auch für Calvin nicht Selbstzweck, sondern ist geradezu notwendig, damit die Wirkungen des Sakramentes erlangt werden können. Bei Calvin ist es die Heilsgewissheit und das Wachsen in der unio cum Christo, bei Thomas das Wachsen in der vita spiritualis. (S. S. th. III q. 79 a. 1.) Vgl. Tück, Gabe, 251. Vgl. Faber, Interpreten, 190. Vgl. Betz, Johannes: Eucharistie in der Schrift und Patristik (= HDG IV/4a), Freiburg im Breisgau – Basel –Wien 1979, 151. – Power, David N.: The Eucharistic Mystery. Revitalizing the Tradition, New York 1992, 152. „Sed duo sunt modi manducandi: unus sacramentalis, quo manducant tam boni quam mali; alius spiritualis, quo soli boni. Et hoc est non solum Christum manducare et in sacramento ejus corpus accipere, sed in ipso manere, et habere ipsum in se manentem. Spiritualiter enim manducat, qui in unitate Ecclesiae (quam ipsum sacramentum significat) manet. Nam qui discordat a Christo, nec carnem Christi manducat, nec sanguinem bibit, etsi tantae rei sacramentum ad judicium quotidie sumat.“ (Walahfrid Strabo: Epistola I ad Corinthios XI (= PL 114, 539D).) Vgl. de Ghellinck, Joseph: Art. ,Eucharistie au XIIe SiÀcle en Occident‘, in: DThC V (1913), 1233 – 1302, hier: 1279 f. Einige Berichte des Mittelalters erzählen zudem von sogenannten Entzie-

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ausdrücklich für falsch.20 Das Problem an dieser Lösung besteht darin, dass es Gott ist, der den Empfang von Christi Leib und Blut verhindert, und der Mangel damit eigentlich auf Gottes Seite und nicht beim Menschen liegt. Die mittelalterliche Theologie arbeitete vor diesem Hintergrund Differenzierungen bezüglich des Kommunionempfangs aus. Petrus Lombardus unterscheidet zwischen der manducatio sacramentalis, die allen zukomme, und der manducatio spiritualis, die nur die Guten empfingen. Unter der ersten versteht er ausdrücklich den Empfang von Christi Leib und Blut unter den Gestalten von Brot und Wein, unter der zweiten den Empfang des mystischen Fleisches Christi.21 Die res spiritualis, unter der der Lombarde zum Beispiel die Sündenvergebung versteht, empfängt der Böse hingegen nicht.22 Im Sentenzenkommentar betont Thomas, dass niemand ohne Glauben den Leib Christi sakramental empfangen könne. Das Sakrament bezeichnet dem Ungläubigen nichts und wirkt damit bei ihm nicht.23 In der Summa dagegen argumentiert Thomas in die gleiche Richtung wie Petrus Lombardus und begründet seine Position mit der Gegenwart Christi, die solange anhält, wie die Akzidenzien bestehen.24 Aber er führt eine weitere Differenzierung ein. Wenn der Ungläubige unter den Gestalten Leib und Blut sacramentaliter empfängt, so muss die Bestimmung sacramentaliter vom Gegessenen her gesehen werden. Von der Warte des Essenden aus aber empfängt dieser streng genommen nicht den Leib Christi, weil er das Sakrament als gewöhnliche Speise und nicht als Sakrament gebraucht. Es sei denn, er wolle empfangen, was die Kirche spendet.25 Thomas differenziert an dieser Stelle zwischen der objektiven Seite des Sakramentes und der subjektiven. Die Objektivität des Sakramentes bleibt bestehen, aber auf der Seite des Subjekts kann es Mängel geben, so dass der Leib Christi proprie loquendo nicht empfangen wird. Es stellt sich die Frage, ob Calvins Ablehnung der manducatio impiorum in den Rahmen einer solchen, stark von Augustinus beeinflussten Theologie eingeordnet werden kann. Calvin geht davon aus, dass selbst im Falle der Ungläubigen Brot und Wein Symbole von Christi Leib und Blut bleiben; er versteht seine Lehre nicht so, dass Christus bei einem Ungläubigen seine Exhibition zurückziehe oder dass der Glaube die Gegenwart Christi konstituiere. Aber die innere Wirklichkeit, die res sacramentalis, wird von einem impius nicht empfangen. Calvin macht damit weder die Objektivität der Sakramente zunichte, eben weil Christus sich allen anbietet, noch stellt er die Gegenwart Christi in die Verfügungsgewalt des Unglaubens bzw. Glaubens des

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hungswundern bei der Feier des Sakramentes durch unwürdige Priester. (Vgl. Angenendt, Religiosität, 511 f.) S. th. III q. 80 a. 3. Petrus Lombardus: Sent. IV d. IX c. 2. Petrus Lombardus: Sent. IV d. IX c. 3. Vgl. Schlette, Kommunion, 170. S. th. III q. 80 a. 3. S. th. III q. 80 a. 3 ad 2.

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einzelnen. Solch eine Auffassung würde den Glauben an die wahre Gegenwart Jesu Christi tatsächlich karikieren. Calvins Bestreitung der manducatio impiorum kann sich aber auf Vorläufer in der theologischen Tradition beziehen, die stärker in der augustinischen Theologie verwurzelt sind, die Calvin als Argument für seine Position heranzieht.26 Wenn an dieser Stelle auch Differenzen verbleiben, verdeutlicht die Tradition, dass der Empfang durch Ungläubige zumindest theologischer Reflexion bedarf. Denn es ist katholische Überzeugung, dass die glaubend-liebende Vereinigung mit Jesus Christus normalerweise qua gnadenhaft gewirkte Disposition dem Kommunionempfang vorangeht und zugleich dessen höchste Frucht ist.27 Daher muss die Frage gestellt werden, was im Falle des Ausbleibens dieser Disposition geschieht. Möglich wäre es, das Fehlen einer solchen als einen obex zu verstehen, den ein derartiger Empfänger dem Sakrament vorschiebt und damit die Wirkung des Sakramentes verhindert.28 Calvin versteht diese Lehre des Trienter Konzils jedoch nicht korrekt, weil er glaubte, dass demzufolge auch Ungläubige die sakramentalen Wirkungen empfingen, solange sie dem Sakrament keinen Riegel vorschöben. Diese Interpretation jedoch ist völlig unsachgemäß, da die Konzilsväter den Glauben als Anfang des Heils verstanden, dessen wahre Gerechtigkeit durch die Sakramente gestärkt wird, so dass ohne Glauben ein Erwachsener die Sakramente nicht fruchtbar empfangen kann.29 Wenn jedoch in der Tradition Augustins für die Ablehnung der manducatio impiorum argumentiert wird, so sind bestimmte Aspekte eindeutig sicherzustellen, um die Objektivität von Gottes Heilsgabe zu wahren. Die Gegenwart des erhöhten Herrn und das Wirken des Sakramentes hängen nicht vom Glauben des Einzelnen ab. Glaube ist auch nicht der Modus der Gegenwart, wie es beispielsweise Zwingli formuliert, wenn er von der Präsenz des Leibes Christi „fidei contemplatione“30 spricht. Von Gottes Seite aus gesehen wird die sakramentale Gnade immer und allen geschenkt.31 Gegenwärtig ist demensprechend der Herr unter Brot und Wein allen, die das eucharistische Mahl empfangen, da Sakramente ex opere operato wirken. „Auch eine Gegenwart, in der personale Beziehung konstitutiv ist, die also auf einen Partner ausgerichtet ist, kann von dem tatsächlichen Verhalten des Partners als solche unabhängig sein. Derjenige, der ein Geschenk anbietet, ist personal anwesend, auch wenn das Geschenk tatsächlich nicht oder nicht dankbar angenommen wird“32. Wohl aber ist der Glaube als „Bedingung für das Wirksamwerden der im 26 27 28 29 30 31 32

S. OS V 391,27 – 398,10 [Inst. IV 17,33 f]. Vgl. Vorgrimler, Sakramententheologie, 214. Vgl. Schützeichel, Glaubenstheologie, 252. S. DH 1606. Z VI.2 806,11 [Fidei ratio]. Vgl. DH 1607. Vgl. Gerken, Eucharistie, 181. Dieser Punkt wird auch von Calvin nicht bestritten, weil Gott die Exhibition von Christi Leib und Blut niemals zurückzieht.

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Sakrament angebotenen Gnade Gottes“33 zu betrachten. „Die in den sakramentalen Feiern in Gottes Wesen begründete und zugesprochene Verheißung (opus operatum) wird nur wirksam, wenn Menschen sie annehmen und aus ihr leben (opus operantis).“34 Gerade weil Sakramente ein zutiefst personales und dialogisches Geschehen35 sind, ist der Glaube als menschlicher Anteil im Sakrament unverzichtbar. Der fruchtbare Empfang setzt die freie Annahme des Menschen voraus36, die somit konstitutiv für die Begegnung Gottes mit den Menschen in den Sakramenten ist.37 Am Glauben des Einzelnen hängt es daher, ob die Gabe Gottes auch als Gabe und als fruchtbringend empfangen wird, denn die Wirkung des Sakramementes hat nicht den Charakter einer Garantie.38 „Die göttliche Gabe wird im Gefäß der menschlichen Antwort angenommen und ist darauf so sehr angewiesen, dass das Sakrament ohne einen wenigstens rudimentären menschlichen Anteil nicht auskommt. Die gläubige Antwort gehört zur objektiven Gestalt des Sakramentes mit hinzu“39. Calvins Aussage, dass das Maß des Glaubens das Maß dessen bestimme, was ein Gläubiger aus dem Sakrament empfange, unterstreicht die menschliche Seite im sakramentalen Geschehen und sollte in personaler Sicht qua Intensität des Geschehens gelesen werden.40 Das entspricht der komparativischen Wirkweise der Sakramente, wie sie vor allem in der Frühscholastik gelehrt wurde. Ein tief gläubiger Mensch wird in der Eucharistiefeier mehr Kraft und Freude empfangen, als jemand, der zum Beispiel nur einmal im Jahr die Eucharistie feiert und empfängt. Im Glauben gibt es unterschiedliche Intensitätsgrade, denen auch ein unterschiedlich intensives Erleben der sakramentalen Gegenwart Jesu Christi korrespondiert.41 Dabei wird Gottes Gabe, die an alle gleich gegeben wird, nicht gemindert, da diese unveränderlich bleibt. Aber zum Empfang der Gabe als gnadenhafte Gabe gehört der Glaube, der bei den einzelnen Menschen variiert und infolgedessen die Intensität des Erlebens mitbestimmt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass nicht die Objektivität von Gottes Gabe in den Sakramenten, wohl aber die Fruchtbarkeit von deren Empfang vom Glauben des Einzelnen abhängt.42

33 Vorgrimler, Sakramententheologie, 108. 34 Sattler, Dorothea: Sakramententheologie heute. Eine Standortbestimmung in ökumenischer Perspektive, in: ThGl 101 (2011), 3 – 30, hier: 13. 35 Dadurch tritt der Antwortcharakter des Glaubens hervor. (Vgl. Gasecki, Profil, 410.) 36 Vgl. Faber, Sakramentenlehre, 25; 63. 37 Vgl. Gasecki, Profil, 409. 38 Vgl. Chauvet, Sacrements, 109. 39 Faber, Sakramentenlehre, 65. 40 Vgl. Gollwitzer, Coena Domini, 227. 41 Vgl. Vorgrimler, Sakramententheologie, 40. Vorgrimler bezieht hier die Intensität des Miterlebens der eucharistischen Feier nicht direkt auf den Glauben sondern auf die „Jesusmystik des Einzelnen“. Doch darf der Glaube wohl als Bestandteil dieser Mystik gelten. 42 Vgl. Chauvet, Sacrements, 140.

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Eine kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre

6. Abschließende kritische Würdigung der calvinischen Abendmahlslehre Da die Ergebnisse der historischen Analyse bereits am Ende von Kapitel I zusammengefasst worden sind, kann an dieser Stelle auf ein erneutes Resümee derselben verzichtet werden. Nun sollen die Ergebnisse der systematischen Überlegungen unter der Perspektive der erkenntnisleitenden Interessen gebündelt werden. Durch die Einordnung des Abendmahls in das Geschehen der unio cum Christo rekurriert Calvin auf die von Augustinus bis zur Frühscholastik geläufige Theologie der geistlichen Kommunion, der zufolge Christus in der Kraft des Heiligen Geistes in den Glaubenden gegenwärtig sei. Die Sakramente bringen in diesem Rahmen nichts Neues, sondern stellen die bereits vorhandene, gnadenhafte Realität dar. Da aber Sakramente nach katholischer Lehre die von ihnen bezeichnete Gnade auch enthalten, vertiefen und intensivieren sie die Christusgemeinschaft. Heinz Robert Schlette bezeichnet die Wirkweise der Sakramente in solch einem Kontext als komparativisch. Sakramente vermitteln demnach eine größere Gnade, weil sie den Menschen in seiner Ganzheit, nämlich auch auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung und Körperlichkeit, ansprechen. Dieser Rahmen ist in der katholischen Theologie jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten. Die Lehre von der geistlichen Kommunion erlaubt es aber, Calvins Abendmahlslehre innerhalb der katholischen Tradition einen Platz zuzuweisen. Kritische Anfragen an sakramententheologische Konkretionen, die Calvin aus seiner Einordnung des Abendmahls folgen lässt, wie z. B. die Herausstellung der Sichtbarkeit der Sakramente als deren Proprium und nicht etwa eine Gnade, die ausschließlich durch die Sakramente dargeboten würde, können mit dem Hinweis auf die frühscholastische Tradition beantwortet werden. Aber auch aus systematischer Perspektive ist nichts gegen die Lehre von der geistlichen Kommunion einzuwenden, da sie die gnadenvermittelnde Funktion der Sakramente deutlich zur Sprache bringt und zugleich den scholastischen Grundsatz, dass Gott seine Gnade nicht exklusiv an die Sakramente gebunden habe, ernst nimmt. Die Theorie der geistlichen Kommunion führt nicht zwangsläufig zu einer Vernachlässigung oder Geringschätzung des Empfangs der Sakramente, da sie die Echtheit des Glaubens an dem Verlangen festmacht, die von Christus eingesetzten Heilsmittel tatsächlich zu empfangen. Dass ein solcher sakramententheologischer Rahmen zumindest die Gefahr enthält, Sakramente gering zu schätzen, zeigt die Entwicklung der reformierten Tradition nach Calvin, in der die Sakramente oft eine untergeordnete Rolle spielten. Auf die Theologie des Genfer Reformators aber kann sich solch eine Entwicklung nicht berufen, da er in seinen Schriften die Hochschätzung der Sakramente deutlich zur Sprache bringt. In weiteren

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Abschließende kritische Würdigung

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Aspekten der allgemeinen Sakramentenlehre gibt es ebenfalls keine grundlegenden Differenzen zwischen der calvinischen und der katholischen Lehre, lediglich andere Akzentsetzungen, die den historischen Umständen geschuldet sind. Das Zweite Vatikanische Konzil besipieislweise betont wie auch Calvin die heilsvermittelnde Bedeutung des Wortes Gottes. Die systematische Analyse hat zudem herausgearbeitet, dass der calvinischen und der thomasisch geprägten Eucharistielehre die gleichen christologischen Prämissen zugrunde liegen. Calvins Akzent auf der Unterscheidung der beiden Naturen kann sich auf die antiochenische Tradition der Unterscheidungschristologie berufen. Da Calvin Nestorius eindeutig verurteilt, ist bei ihm nicht die Gefahr einer Trennung zu befürchten, zumal dies Calvins Prinzip distinctio sed non separatio widersprechen würde. Eine Trennung von Gottheit und Menschheit wurde wegen des sogenannten Extra Calvinisticum vermutet. Bereits der offizielle reformiert-katholische Dialog hat festgestellt, dass die Lehre, der zufolge die Gegenwart des göttlichen Logos nicht auf den historischen Leib Jesu Christi beschränkt war, auch schon in der Alten Kirche bekannt war. Aufgrund des augustinischen Erbes muss sich auch katholische Theologie mit der Frage beschäftigen, wie Christus im Sakrament der Eucharistie gegenwärtig sein kann, obwohl er in den Himmel aufgefahren ist und zur Rechten des Vaters sitzt. Die scholastische Theologie versteht wie Calvin die Rechte des Vaters örtlich und sucht, die Wahrheit der menschlichen Natur auch nach der Erhöhung zu wahren. Eine naturalistisch verstandene Ubiquitätslehre entspricht weder katholischer Lehre noch holt sie die Personalität der eucharistischen Gegenwart ein, da diese nicht wie die Präsenz einer Sache zu verstehen ist. Stattdessen ist Christus „durch das Angebot seiner Nähe, seiner Agape auf uns hin“1 gegenwärtig. Durch seine Auferstehung und Himmelfahrt kann er sich in seiner ganzen Fülle schenken, wo und wann immer er will. Diese Gegenwart wird durch den Heiligen Geist bewirkt und geschenkt, was auch Calvin mit der Ausdrucksweise, dass Christus virtute Spiritus Sancti präsent sei, stark macht. In Calvins Lehre ist die ganze Person Jesu Christi durch das Wirken des Heiligen Geistes im Abendmahl gegenwärtig und nicht etwa nur sein Geist oder die Wirkkraft der von ihm vollbrachten Erlösung. Katholischer Lehre gemäß stellt der Geist den Modus dar, in dem Jesus Christus auch heute gegenwärtig ist und erfahrbar bleibt. Allein durch den Heiligen Geist wird die Wandlung der eucharistischen Gaben bewirkt, wie es Thomas von Aquin klar ausdrückt. Somit werden auch Leib und Blut Christi in der Eucharistie nicht auf materialistisch-fleischliche Weise gegenwärtig, sondern durch das Wirken des Heiligen Geistes. Um ebensolche grobrealistischen Vorstellungen zu vermeiden, berief sich auch Johannes Calvin auf die Gegenwart Jesu Christi im Geist, die er ausdrücklich als real und als Leib und Blut einschließend versteht. Der Genfer Reformator hat somit ein theologi1 Ratzinger, Problem, 154.

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sches Erbe stark gemacht, das die kirchliche Tradition zwar von Anfang an kennt, aber nicht immer genug berücksichtigt hat. Durch die Beschäftigung mit der calvinischen Abendmahlslehre ist deutlich geworden, dass Eucharistietheologie nicht nur christologische Aspekte reflektieren, sondern auch die Pneumatologie und damit den trinitarischen Rahmen berücksichtigen muss. Solche eine „trinitarische Wende“ kann viele Aspekte angemessener zur Sprache bringen als es eine christomonistische Theologie vermag.2 Katholische Theologie kann trotz aller Anerkenntnis der vielfältigen Gegenwart Jesu Christi nicht auf die somatische Realpräsenz in der Eucharistiefeier, also auf die Gegenwart von Christi Leib und Blut unter Brot und Wein verzichten. Auch wenn diese Gegenwartsform nicht die einzige Weise darstellt, in der Christus präsent ist, stellt ihr Vorhandensein das Kriterium dar, ob eine Eucharistietheologie als rechtgläubig zu verstehen ist oder nicht. Calvin äußert sich diesbezüglich zurückhaltend. Aber dadurch, dass er Brot und Wein als Instrumente versteht, durch die Gott Christi Leib und Blut in der Kraft des Heiligen Geistes exhibiert, und durch sein Bekenntnis, dass Christus durch die äußeren Symbole wie durch seinen Geist hinabsteige, ist bei Calvin die Lehre der somatischen Realpräsenz vorhanden. Da der Reformator nur materialistische Entwürfe ausschließen will, ist er bereit alle anderen Wendungen zur Formulierung der wahren Gemeinschaft mit Christi Leib und Blut anzunehmen. Er selbst bevorzugt andere Redeweisen, die für ihn weniger interpretationsbedürftig sind, die aber teilweise für die katholische Lehre äußerst missverständlich sind und dem Bekenntnis zur somatischen Realpräsenz zu widersprechen scheinen. Aber Calvin kennt die Gegenwart Christi unter den eucharistischen Symbolen, was für die katholische Würdigung seiner Lehre das entscheidende Kriterium darstellt, auch wenn es wünschenswert wäre, die somatische Realpräsenz deutlicher und unmissverständlicher zu artikulieren. Im Exkurs über die thomasische Eucharistielehre ist deutlich geworden, dass Thomas mit der Formulierung der Realpräsenz qua Transsubstantiation auf den groben Realismus des Früh- und Hochmittelalters reagiert, wie er ihn beispielsweise im ersten der zwei Glaubensbekenntnisse vorfand, die Berengar von Tours unterzeichnen musste. Aber auch symbolistische Konzeptionen, nach denen Christus in der Eucharistie nur wie in einem Zeichen gegenwärtig sei, lehnt der Aquinate ab. Da ihn das Modell der Annihilation der Brot- und Weinsubstanz, was später in der Spätscholastik hingegen weitverbreitet war, nicht überzeugt, und er auch einen erneuten descensus localis Christi aus dem Himmel bestreitet, rezipiert der Dominikaner die vorangegangene theologische Entwicklung und „erklärt“ die Realpräsenz durch die Verwandlung der Brot- und Weinsubstanz in die Substanz von Christi Leib und Blut. Diese Lehre stellt ihm zufolge darüber hinaus die einzige Möglichkeit dar, die der biblische Wortlaut zulässt. Die Akzidenzien von Brot und 2 Die dogmatische Konstitution Lumen Gentium z. B. entwirft eine trinitarisch strukturierte Ekklesiologie und bricht somit Verengungen der vorkonziliaren Theologie auf. (S. LG 2 – 4.)

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Wein bleiben durch die Konsekration völlig unverändert, weisen aber mit ihren natürlichen Eigenschaften auf die neue Substanz hin. Da Thomas die Präsenz von Christi Leib und Blut per modum substantiae begreift, sind damit jegliche räumliche und materialistische Konnotationen ausgeschlossen und ist zugleich die wahre Gegenwart Jesu Christi deutlich artikuliert. In der weiteren Entwicklung bis zur Reformation jedoch ändert sich das Substanzverständnis und Ebenen, wie die quantitas, werden mit zur Substanz gezählt, die dadurch eine materialistische Schlagseite gewinnt. Auf der Grundlage des letztgenannten Substanzbegriffs bestreitet Calvin die Transsubstantiationslehre. Daher verbindet er mit ihr fälschlicherweise eine örtlich-materialistische Präsenz Christi, die aber gerade durch das per modum substantiae ausgeschlossen wird. Das materialistische Verständnis von Substanz bestimmt auch dann Calvins Argumentation, wenn er ausdrücklich gegen die scholastische Lehre den Fortbestand der Brot- und Weinsubstanz vertritt. Die Analysen haben gezeigt, dass er damit die materielle Unverändertheit von Brot und Wein artikuliert. Zugleich bekennt er aber, dass die innere Substanz der eucharistischen Symbole Jesus Christus sei. Vor diesem Hintergrund kann gesagt werden, dass Calvin von der Verurteilung des zweiten Canons im Trienter Dekret über die Eucharistie nicht getroffen wird, eben weil Trient und Calvin unter dem Zurückbleiben der geschöpflichen Substanzen Unterschiedliches verstehen. Das Konzil will mit diesem Canon vor allem Modelle ablehnen, die die eucharistische Gegenwart als Impanation oder erneute „hypostatische“ Union von Christus und den Elementen verstehen. Diesen Punkt hat Josef Wohlmuth mit seiner Studie über das Trienter Konzil herausgearbeitet. Solche Konzepte lehnt Calvin ebenfalls ab. Das aber, was Trient fordert, kann Calvin wegen seines Substanzverständnisses nur missverstehen. Auch wenn es an dieser Stelle auf den ersten Blick Differenzen zur katholischen Lehre gibt, vertritt Calvin der Sache nach das, was die Transsubstantiationslehre lehrt, da Brot und Wein akzidentiell und damit materiell gleich bleiben, während sie in der Tiefe ihres Seins durch Gottes schöpferisches Wort und das Wirken des Heiligen Geistes verwandelt werden. Calvin drückt den letzteren Umstand so aus, dass die innere Substanz des Abendmahls Jesus Christus sei, so dass durch die Zeichen das dargereicht werde, was sie aufgrund der mit ihnen verbundenen Verheißung Gottes bezeichnen. Auch Calvin geht von einer conversio der Elemente aus, durch die Brot und Wein etwas anderes werden, die er aber aufgrund seines unterschiedlichen Substanzbegriffes nicht als die Substanz von Brot und Wein betreffend versteht. Mit der Lehre von der Wesensverwandlung will die römisch-katholische Theologie sicherstellen, dass die Realpräsenz Jesu Christi durch einen objektiven Vorgang hergestellt wird. Eine bloß andere Benennung von Brot und Wein oder eine rein menschliche Umstiftung des Zwecks oder Nutzens der Elemente bewirkt keine Gegenwart Christi, da beide rein innerweltliche Geschehen sind. Die Gegenwart Christi kann aber allein durch Gottes Macht

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vollbracht werden, was durch die ontologische Fundierung der Realpräsenz sichergestellt wird. Diese Gedanken äußert Paul VI. in seiner Enzyklika Mysterium Fidei, um auf neuere Entwürfe wie Transsignifikation und Transfinalisation zu reagieren. Calvin lehnt zwar weitergehende Klärungen der Beschaffenheit der Realpräsenz ab, wie z. B. ontologische Präzisierungen, und beschränkt sich auf die Gegebenheit der Realpräsenz. Dadurch dass er aber diese dem Wirken des Heiligen Geistes zuschreibt, hat seine Lehre auch eine objektive, weil göttliche Fundierung der Präsenz Christi im Abendmahl. Somit fällt Calvins spiritualis praesentia hinter die katholische Lehre nicht zurück. Wenn die Lehre von der Transsubstantiation so gedeutet werden darf, birgt sie großes ökumenisches Potential, da sie viele Anliegen der Reformatoren – zumindest Luthers und Calvins – respektiert und zur Sprache bringt. Gerade wenn ihr historischer Kontext und damit ihre Entstehungszusammenhänge berücksichtigt werden, bleibt sie trotz der veränderten Denkhorizonte seit der Scholastik und dem 16. Jahrhundert ein tragfähiges Modell, die eucharistische Gegenwart Christi zu formulieren. Katholische Theologie wird zunächst nicht auf sie verzichten können, da sie „für ein theologisches Bemühen [steht], dem einzigartigen Phänomen der Begegnung der Gemeinde mit dem Auferstandenen denkerisch stand zu halten.“3 Calvin dagegen betont mehr den Geheimnischarakter des Abendmahls und verzichtet demzufolge auf philosophische Durchdringungen dessen, was im Mahl des Herrn geschieht. Aufgrund der Objektivität der Gegenwart Christi in der Eucharistie lehrt die katholische Tradition, dass alle, die dem Wirken des Sakramentes keinen obex vorschieben, die Wirkungen des Sakramentes empfangen. Auch ein Ungläubiger empfängt somit Leib und Blut Christi, was von Calvin ausdrücklich bestritten wird. Ihm zufolge stellt der Glaube das „Empfangsorgan“ für die im Abendmahl angebotenen Gaben dar, so dass dessen Fehlen auch den Empfang von Christus verhindert. Calvin kann sich damit zumindest auf einige augustinisch inspirierte Theologen wie z. B. Walahfrid Strabo berufen, der ebenfalls die manducatio impiorum bestritt. Der Großteil der Tradition verfolgt diesen Weg aber nicht weiter, was infolge der ontologischen Fundierung der Realpräsenz auch nicht sinnvoll wäre. In Calvins Theologie ist die Ablehnung der manducatio impiorum konsequent. Da aber beispielsweise Thomas davon spricht, dass ein Ungläubiger proprie loquendo den Leib Christi nicht empfange, und Calvin den fehlenden Empfang nicht mit dem Rückzug von Gottes Angebot begründet, sondern ausdrücklich sagt, dass Christus allen Abendmahlsgästen seinen Leib und sein Blut exhibiere, ist an dieser Stelle ein differenzierter Konsens möglich, solange sichergestellt wird, dass nicht der Glaube des einzelnen Kommunikanten die Gegenwart Christi konstituiert, da dadurch deren Objektivität zunichte gemacht würde. In dieser Arbeit ist deutlich geworden, dass die Abendmahlslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin in großen Teilen mit der katholischen 3 Wohlmuth, Liturgische Gegenwart, 109.

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Lehre übereinstimmt.4 Einige Punkte seiner Theologie können zwar so verstanden werden, als ob Christus nicht real oder nur seiner erlösenden virtus nach im Abendmahl präsent sei. Auch Calvins Bestreitung der manducatio impiorum kann dahingehend missverstanden werden, als ob die Gegenwart Christi letztendlich am einzelnen hänge. Aber Calvin selbst hat diese Grenzen nicht überschritten. Die zu Beginn dieser Arbeit vorgestellte Literatur und auch der Streit zwischen den beiden amerikanischen Theologen Charles Hodge und John Nevin zeigen, dass Calvins Texte auch anders gelesen werden können und über Jahrhunderte auf andere Weise verstanden worden sind, was zumindest teilweise auf eine fehlende Beachtung der theologischen und historischen Kontexte zurückzuführen ist. Diese Arbeit hat aber gute Gründe, Calvins Texte realpräsentisch zu lesen. In solch einer Lektüre sind fundamentale Übereinstimmungen zwischen der Theologie des Genfer Reformators und des Aquinaten sichtbar geworden, der jahrhundertelang die katholische Eucharistietheologie maßgeblich bestimmt hat. Auf dieser Grundlage ist ein differenzierter Konsens möglich. Er ist differenziert, weil auf der sprachlichen Ebene große Differenzen bleiben, die erst durch historische und systematische Studien geklärt werden können, da dann die gleichen Anliegen auf beiden Seite gesehen werden können. Es wäre aus katholischer Perspektive sehr wünschenswert, wenn heutige reformierte Theologie ihre Abendmahlslehre stärker mit Rekurs auf Calvin formulieren würde, da die Modelle Zwinglis und Bullingers hinter die römisch-katholische Lehre zurückfallen, was bei Calvin eben nicht der Fall ist. So könnte sich der Genfer Reformator als eine neue wichtige ökumenische Brücke für den weiteren reformiert-katholischen Dialog erweisen. Beim Thema Realpräsenz ist dies deutlich geworden. Aber auch die weiteren noch zu bewältigenden Probleme, die die volle Einheit zwischen Reformierten und Katholiken noch nicht ermöglichen, wie das Verständnis des ordinierten Amtes5 und der Kirche, könnten gut auf der Grundlage der Theologie Johannes Calvins angegangen und vielleicht auch gelöst werden.

4 Zu dem gleichen Urteil kommt auch Francesco Tosto. (Vgl. Tosto, Convergenza, 221.) 5 Als ein erfreuliches Beispiel ist an dieser Stelle der Aufsatz über das kirchliche Amt bei Johannes Calvin von Eva-Maria Faber zu nennen. (Vgl. Faber, Eva-Maria: Das kirchliche Amt bei Johannes Calvin, in: Cath(M) 63 (2009), 1 – 15.)

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Bibliographie 1. Abkürzungsverzeichnis Sämtliche Abkürzungen und Siglen sind entnommen RGG4 1 (1998), XX – LIV. Als eigene Abkürzungen kommen hinzu: Annotata

Annotationes

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© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525569474 — ISBN E-Book: 9783647569475